Wie alle Völker ...?: Israel und Palästina als Problem der internationalen Diplomatie 3534401026, 9783534401024

Der Titel "Wie alle Völker ...?" geht auf eine Broschüre von Judah L. Magnes, des ersten Rektors der Hebräisch

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German Pages 424 [440] Year 2019

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Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Zum Geleit
Abkürzungen
Kapitel I: Das Problem
Kapitel II: Einleitung
Kapitel III: Osloer Illusionen
Kapitel IV: Das Schwert des Krieges als Rechtsstandpunkt
Kapitel V: Keine Zukunft ohne Judentum
Kapitel VI: Zions Judenfrage
Kapitel VII: Heimat zweier Völker
Kapitel VIII: 1967: „Wir waren wie Träumer“
Kapitel IX: Camp David, „Road Map“ und „Genfer Initiative“: Geschichten vom dünnen Eis“
Kapitel X: Der arabische Islam und das Versagen der palästinensischen Führung
Kapitel XI: Politische und völkerrechtliche Aspekte des palästinensischen Flüchtlingsproblems
Kapitel XII: Die internationale Diplomatie vom Kopf auf die Füße stellen
Kapitel XIII: Kein Nachruf: Zu spät für den Frieden?
Namensregister
Kommentiertes Literaturverzeichnis
Glossar
Anlagen
„Schweigen ist keine Option mehr!“
„Der säkulare Zionismus steht nackt vor der jüdischen
Tradition“
Eingangssätze aus der israelischen
Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 und
Auszug aus der Proklamation des Staates Palästina am
15. November 1988
Text der israelischen und der palästinensischen
Nationalhymne
Die Gründung von Gush Emunim.
Die Erlösungsreise des Landes beginnt
Welche Strategie hat Israel?
„Wir hatten schwere Vorbehalte gegen Deutschland“
Bestens vernetzt. Erzählung aus Israels
„Rechtsstaatsnarrativ“
Israels Sicherheitsgarantie für Jordanien
Jerusalem – das Herzstück des israelisch-palästinensischen Konflikts
Fünf Thesen zum Nahostkonflikt
„Gegen Antisemitismus, für Kritik an der Politik des
Staates Israel“
Liste von Friedensgruppen
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Wie alle Völker ...?: Israel und Palästina als Problem der internationalen Diplomatie
 3534401026, 9783534401024

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Reiner Bernstein

„Wie alle Völker …?“  

 

 

Reiner Bernstein

„Wie alle Völker …?“ Israel und Palästina als Problem der internationalen Diplomatie

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

wbg academic ist ein Imprint der wbg © 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz und eBook: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-40102-4 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-40104-8 eBook (epub): 978-3-534-40103-1

 

Unvergessen: Akiva Ernst Simon (Berlin 1899 – Jerusalem 1988), vielen besonders deutschsprachigen Zionisten in der britischen Mandatszeit sowie den Anwälten des Friedens in Israel und Palästina von heute  

Inhalt Zum Geleit ............................................................................................. 9  Abkürzungen ......................................................................................... 11  Kapitel I

Das Problem .................................................................... 13 

Kapitel II

Einleitung......................................................................... 39 

Kapitel III

Osloer Illusionen ............................................................ 55 

Kapitel IV

Das Schwert des Krieges als Rechtsstandpunkt .......... 65 

Kapitel V

Keine Zukunft ohne Judentum ..................................... 71 

Kapitel VI

Zions Judenfrage ............................................................. 90 

Kapitel VII Heimat zweier Völker ..................................................121  Kapitel VIII 1967: „Wir waren wie Träumer“ ................................148  Kapitel IX

Camp David, „Road Map“ und „Genfer Initiative“: Geschichten vom dünnen Eis“ ....................................171 

Kapitel X

Der arabische Islam und das Versagen der palästinensischen Führung ..........................................193 

Kapitel XI

Politische und völkerrechtliche Aspekte des palästinensischen Flüchtlingsproblems .....................215 

Kapitel XII Die internationale Diplomatie vom Kopf auf die Füße stellen .............................................................225  Kapitel XIII Kein Nachruf: Zu spät für den Frieden? ....................261  7

Namensregister ................................................................................... 285  Kommentiertes Literaturverzeichnis ............................................... 299  Glossar

........................................................................................ 355 

Anlagen

........................................................................................ 374 

„Schweigen ist keine Option mehr!“ .......................................... 374  „Der säkulare Zionismus steht nackt vor der jüdischen Tradition“ ....................................................................................... 376  Eingangssätze aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 und Auszug aus der Proklamation des Staates Palästina am 15. November 1988................................................................. 380  Text der israelischen und der palästinensischen Nationalhymne .............................................................................. 381  Die Gründung von Gush Emunim. Die Erlösungsreise des Landes beginnt ........................................................................ 383  Welche Strategie hat Israel? ......................................................... 386  „Wir hatten schwere Vorbehalte gegen Deutschland“ ............ 389  Bestens vernetzt. Erzählung aus Israels „Rechtsstaatsnarrativ“ .................................................................. 394  Israels Sicherheitsgarantie für Jordanien ................................... 397  Jerusalem – das Herzstück des israelisch-palästinensischen Konflikts ......................................................................................... 400  Fünf Thesen zum Nahostkonflikt ............................................... 425 „Gegen Antisemitismus, für Kritik an der Politik des Staates Israel“ ................................................................................. 425 Liste von Friedensgruppen ................................................................ 436   

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Zum Geleit Der moderne Sisyphos ist derjenige, der sich um die Überwindung des palästinensisch-israelischen Konflikts bemüht. Einer, der die Rolle eines solchen modernen Sisyphos übernommen hat, ist der unermüdliche Reiner Bernstein, Verfasser dieses Buches. Obwohl das Fragezeichen im Titel des letzten Kapitels – „Zu spät für den Frieden?" – theoretisch die Zukunft noch offenlässt, täuscht Bernsteins Text nicht darüber hinweg, dass es sich um eine bloß rhetorische Frage handelt und Sisyphos davon ausgehen muss, dass eine Lösung erst in messianischer Zeit möglich sein wird. Schlimmer noch: Wenn die Welt mit dem Messias zu rechnen hat, an den die israelische Siedlerbewegung glaubt, steht am Abschluss des langen Weges kein Happyend. Gerade weil der moderne Sisyphos sich in der Geschichte des Nahostkonflikts, der zionistischen Bewegung und des jüdischen Volks gut auskennt, muss seine Prognose äußerst skeptisch, ja pessimistisch ausfallen. Dieser düsteren Prognose wird der objektive Beobachter zustimmen müssen. Es geht um den paradoxen Verlauf der zionistischen, also der nationaljüdischen Bewegung, vom Aufstand am Ende des 19. Jahrhunderts gegen die „Galut“ bis zur Kapitulation des säkularen Zionismus vor der Macht der messianisch-orthodox motivierten „Ganz Israel"-Ideologie, die das Land Israel auf Kosten des liberalen Nationalismus und demokratischer Überzeugungen zum höchsten Wert verwandelten, im Dienste einer ethnozentrischen Exklusionspolitik. 1948, 1967, 1993 waren die wichtigen Meilensteine auf diesem Weg. Ein Vierteljahrhundert nach der Prinzipienerklärung von Oslo sind die beiden demokratischen und humanen Alternativen – die Zwei-Staaten-Lösung wie auch der binationale Staat – nicht in Sicht. Auch ein optimistischer Sisyphos verliert somit den Mut: 9

Das Scheitern der Bemühungen um eine gerechte und humane Lösung des Konflikts scheint prädestiniert zu sein. Dass die israelische Politik, spätestens seit der politischen Wende im Jahr 1977, zu dieser aussichtslosen Perspektive zunehmend beitrug, ist auch Reiner Bernstein bekannt. Steht ein jüdischer Staat per definitionem im Gegensatz zum demokratischen Staat? Dabei hätte es ganz anders kommen können. Die Tradition von Achad Ha'am und des „Brit Shalom“ sowie die Tradition des liberalen Zionismus zielten auf eine andere Entwicklungsmöglichkeit. Bernstein ließ sich von Akiva Ernst Simon, dem Berliner Yecke, dem religiösen Juden, inspirieren, der die Verständigung mit den Palästinensern anstrebte. Simons Parole von der „fanatischen Toleranz" fand jedoch keine Resonanz in Israel. Das letzte Wort hat der national-religiöse Fanatismus behalten, und zwar auf beiden Seiten. Mehr noch: Die kollektive Erfahrung als Opfer hat die israelisch-jüdische Gesellschaft nicht dazu motivieren können, über den Rollenwechsel zum Täter nachzudenken. Das Opfer von damals versteht sich als permanentes Opfer. Täter sind nur die anderen. Über die Frage der starren Haltung der Kontrahenten hinaus stellt sich ein weiteres Problem: Weshalb konnten bislang die internationale Politik und deren Diplomatie die Kontrahenten nicht dazu bewegen, aus dem Teufelskreis auszusteigen? Weshalb deuten die USA, weshalb deutet die Bundesrepublik Deutschland höchstens an, dass sie mit der destruktiven israelischen Politik nicht einverstanden sind, sich aber nicht im Ernst um eine Lösung bemühen? Wieso erteilen sie den radikalen Varianten des Judentums – beim Islamismus haben sie keine derartige Scheu – keine klare Absage? Weshalb wird die Parole von der „besonderen Verantwortung für Israel" missbraucht? Kurzum: Weshalb hat der internationale Sisyphos aufgegeben? Prof. Dr. Moshe Zimmermann Jerusalem, im Herbst 2018

10

Abkürzungen BT

Babylonischer Talmud.

Chr.

Chronik (biblisches Geschichtsbuch).

Deut.

Deuteronomium = 5. Buch Mose.

DIAK

„Deutsch-Israelischer Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten e.V.“

Ez.

Prophet Ezekiel (Yecheskel).

Lev.

Leviticus = 3. Buch Mose.

Gen.

Genesis = 1. Buch Mose.

FA

„Foreign Affairs”, New York.

IHT

„International Herald Tribune”.

IsA

„Israel Affairs”, London.

Jer.

Prophet Jeremia (Yirmiyahu).

Jes.

Prophet Jesaja (Yeshayahu).

Jon.

Buch Jonas.

Jos.

Buch Josua (Yehoshua).

JP

„The Jerusalem Post”.

JPie

„The Jerusalem Post international edition”.

JPS

„Journal of Palestine Studies“.

11

JQu

„The Jerusalem Quarterly“. Die liberal-konservative Vierteljahreszeitschrift, zuletzt redaktionell verantwortet von dem Orientalisten Emmanuel Sivan und dem Politologen Zeev Sternhell, stellte im Sommer 1989 mit der Ausgabe 51 ihr Erscheinen ein.

JR

„The Jerusalem Report”.

LBI

„Bulletin des Leo Baeck Instituts”, London / New York.

Lev.

Leviticus = 3. Buch Mose.

n.d.Z.

nach der christlichen Zeitrechnung.

Neh.

Prophet Nehemia (Nechemia).

NGO

„Non-Governmental Organization“.

Num.

Numeri = 4. Buch Mose.

NYT

„The New York Times“.

NZZ

„Neue Zürcher Zeitung”.

PIJ

„Palestine-Israel Journal”.

PT

Palästinischer (Jerusalemer) Talmud. Gegenüber dem Babylonischen Talmud fehlt ihm die normative Bedeutung.

Sam.

Buch Samuel.

12

Kapitel I Das Problem ‫הן עם לבדד ישכון ובגויים לא יתחשב‬1 André Malraux hat vorhergesagt, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert der Religion sein, oder es werde gar nicht sein. Dazu forderte der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jacques Delors von der internationalen Politik ein „tieferes Verständnis für die religiösen und philosophischen Vorstellungen anderer Zivilisationen“ und stellte damit das eurozentrische Weltbild in Frage. Stimmen wie diese haben jedoch keine nachhaltige Resonanz gefunden. „Vor allem werden wir uns künftig mehr Mühe geben müssen, andere zu verstehen, bevor wir selbst handeln und uns ihnen moralisch überlegen fühlen“, hat Sigmar Gabriel ergänzt. Selbst die westliche Elitenwissenschaft hat die Verschiebung der Determinanten im Wettstreit der Systeme nicht nachvollzogen. Die internationale Diplomatie steht mit ihren Angeboten und Vorschlägen den nationalistischen und ultra-religiösen Prioritäten in der Region erschöpft gegenüber. Ihre Ratlosigkeit bekämpft sie mit der Flucht in „Visionen“ und beschwört „Grundwerte“. Die Kontroverse um das Verhältnis zwischen Moderne und Tradition, zwischen Politik und Religion zieht sich durch die Geschichte des Zionismus und des Staates Israel. Zwar trugen die „niederen Seelen“                                                              1

Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzten den Vers in Num. 23,9 so: „Da, ein Volk, einsam wohnt es, unter die Erdstämme rechnet sich‘s nicht“. Der Historiker Amos Funkenstein (1937 – 1995) hat auf die tägliche Danksagung in der Liturgie aufmerksam gemacht, dass der Schöpfer „uns nicht gleich den Völkern der Länder erschaffen und uns nicht den anderen Geschlechtern der Erde gleichgestaltet hat“. 13

der Land- und Bauarbeiter in der britischen Mandatszeit keine Gebetsriemen, doch blieb in ihrem Herzen die jüdische Heiligkeit verborgen, wurde behauptet. Die Infektion der bösen Schale („Klippá Nogá“) werde den Einwanderern ausgetrieben. Inzwischen weichen die Lebensentwürfe des einzelnen der Sakralisierung des nationalen Korpus. Gegen sie kommt die Idee eines säkularen Nationalstaates nur schwer zum Zuge. Der liberale Rechtsstaat ist desavouiert, die Falken haben über die Tauben triumphiert. Die politische Opposition präsentiert sich zerrissen, ist als Gegengewicht gering vernetzt und will an ihrer bis in die 1970er Jahre zurückführenden Grundentscheidung festhalten, die Kooperation mit arabischen Parteien zu meiden, um zum „nationalen Lager“ zu gehören. Die Gefahren des Irredentismus in der arabischen Bevölkerung wachsen. Werden arabische Antragsteller bei Behörden, arabische Studenten an den Universitäten und arabische Abgeordnete im Parlament auf ihrer Muttersprache bestehen? Oder wollen sie sich in einer Opferrolle einrichten? Zur Stabilisierung des jüdischen Nationalstaats ist die Bevölkerungsmehrheit zur absoluten Loyalität aufgerufen. Bekenntnisse, das Land gehöre Juden und Palästinensern gemeinsam, werden im Keim erstickt. Eine über den Flügelkämpfen stehende Persönlichkeit mit Charisma fehlt. Israels erbitterter Kulturkampf zweier ideologisch verfeindeter Blöcke hat vor Deutschland nicht haltgemacht. Jede öffentliche Veranstaltung gerät ins Visier, die sich mit der israelischen Innen- und Außenpolitik kritisch auseinandersetzt. Am 18. September 2018 verabschiedete der Landtag von Nordrhein-Westfalen einen Antrag mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, in dem nach dem üblichen Deckmantel „Kritik an der israelischen Regierungspolitik (muss) genauso wie in Israel erlaubt sein“ die Behauptung verbreitet wurde, dass die „BDS-Bewegung … zur Isolation und zum wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Boykott des Staates Israel“ aufrufe. Die Antragsteller scheuten nicht davor zurück, den antijüdischen Boykott in Deutschland am 01. April 1933 als Begründung 14

für ihre Entscheidung herbeizuzitieren. Dagegen hatte die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen an die Bundesregierung im April 2013 schon klargestellt, dass es „nicht um Boykott israelischer oder gar jüdischer Produkte (geht), sondern um die Ermöglichung informierter Kaufentscheidungen“ sowie „um die Umsetzung internationalen Rechts und der Politik der Europäischen Union gegenüber Israel2“. Die transnationale Kampagne kann, wenn sie sich gegen die Produkte aus den Siedlungen der palästinensischen Gebiete richtet, auf Ministerpräsident Menachem Begin (1913 – 1993) berufen, auf den die Anordnung an alle Botschaften und Konsulate zurückgeht, in Zukunft die Bezeichnung „Judäa und Samaria“ statt Westbank oder „verwaltete Gebiete“ zu benutzen und dafür alle administrativen Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die nachgewachsenen Generationen können mit den Markierungen der „Grünen Linie“ nichts mehr anfangen. Sind die Vorwürfe der Delegitimierung Israels und des antijüdischen Ressentiments berechtigt, oder geht es um die Verschleierung von Realitäten, den berüchtigten „facts on the ground“? Fest steht, dass mit Hemmnissen und Verboten BDS-Aktivitäten nicht mundtot zu machen sind. Im Herbst 2018 forderte Benjamin Netanjahu mehrere europäische Regierungen offiziell dazu auf, Finanzhilfen für israelische NGO’s wie „New Israel Fund“, „Breaking the Silence“ und „B’tselem“ einzustellen, weil sie den Staat Israel und sein Militär beschädigen. Dafür schaltete der Ministerpräsident zusätzlich seinen Sohn Yaír ein, für den Menschenrechtsorganisationen der antisemitischen Konspiration verfallen sind. Im Zuge der vorzeitigen Auflösung der Knesset, um Neuwahlen im März 2019 Platz zu machen, wurde ein Gesetz vorbereitet, um                                                              2

Antwort des Auswärtigen Amtes auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger u.a. und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen vom 13. Mai 2013. BT-Drucksache Nr. 17-13339 vom 29.04.2013. 15

Kultureinrichtungen aus der Förderung zu nehmen, die Israels Identität als jüdischen und demokratischen Staat nicht anerkennen. Die Verurteilung der Politik Israels in trans- und supranationalen Gremien, in Leitmedien des In- und Auslandes und in Kreisen der internationalen Öffentlichkeit muss von einem Staat, der auf seine exklusiven ethnischen und religiösen Eigenbilder fixiert ist, als unangemessene, ja feindliche Versuche der Einmischung abgetan werden. Wenn sich zudem Juden dem massiven Druck entgegenstellen, erfüllen sie den Tatbestand des Selbsthasses. „Das BDS-Monster ist eine der glorreichen Erfindungen der israelischen Regierung. Mit Hilfe einer Propagandamaschinerie, riesigen Ressourcen und drohenden Botschaften hat sie eine legitime und gewaltlose palästinensische Protestbewegung in eine antisemitische Verschwörung verwandelt“, schrieb „Haaretz“. Wer einen jüdischen Staat haben will, leugnet die Existenz eines zweiten Volkes im Lande. Waren die Beziehungen zwischen der arabischen Mehrheit und der sefardisch-jüdischen Minderheit in der Epoche der Osmanen relativ einträchtig verlaufen, so nahmen sie mit der aschkenasisch-jüdischen Einwanderung, der „Einsammlung der Zerstreuten3“, in das Land, in dem Milch und Honig fließen würden4, spannungsreiches Tempo auf. Ihm haben die heutigen Palästinenser nichts entgegenzusetzen. Nach innen gespalten, nach außen gelähmt, flüchten sie sich in Rufe wie „Gott ist groß“ („Alláhu Akbár“), nehmen zu Anschlägen als Ausdruck ihrer politischen Hilflosigkeit Zuflucht und können von ihren arabischen Nachbarn nichts erwarten. Ersatzweise verbreiten Gelehrte und                                                              3

4

Deut. 30,4-5. Dazu Jer. 31,7-8: „Denn so spricht der Herr: Jauchzet Jakob zu und brecht in Jubel aus über das erste der Völker! Tut es laut unter Lobgesang kund: Der Herr hat Sein Volk gerettet, den Rest Israels! Ja, Ich bringe sie herbei aus dem Lande im Norden und hole sie zusammen aus den Winkeln der Erde.“ Ex. 3,7-9. 16

Geistliche vernehmlich und aggressiv die These von der Gemeinschaft der islamischen Völker („Ummá“). Für den Fall, dass der Oberste Gerichtshof als Normenkontrol-linstanz das „Nationalstaatsgesetz für das jüdische Volk“ („Nation-State Bill for the Jewish People“ – „Khoq Leóm Le-Am Ha-Yehudí“)5 als fünfzehntes                                                              5

Israels Knesset verabschiedete am 19. Juli 2018 das „Nationalstaatsgesetz für das jüdische Volk“ mit 62 gegen 55 Stimmen. 1. Grundprinzipien Das Land Israel ist die historische Heimat des jüdischen Volkes, die der Staat Israel geschaffen hat. Der Staat Israel ist die nationale Heimat des jüdischen Volkes, in dem es sein natürliches, kulturelles, religiöses und historisches Recht auf Selbstbestimmung erfüllt. Das Recht, die nationale Selbstbestimmung im Staat Israel zu erfüllen, ist allein dem jüdischen Volk vorbehalten („is unique to the Jewish people“). 2. Symbole des Staates Der Name des Staates ist „Israel“. Die Staatsflagge ist weiß mit zwei blauen Streifen an den Seiten und einem blauen Davidsstern in der Mitte. Das Staatsemblem ist ein siebenarmiger Leuchter mit Olivenblättern auf beiden Seiten und dem Wort „Israel“ darunter. Die Staatshymne ist „Die Hoffnung“ („Ha-Tiqva“). Details bezüglich der Staatssymbole wird ein Gesetz regeln. 3. Hauptstadt des Staates Jerusalem in Gänze und vereinigt ist die Hauptstadt Israels. 4. Sprache Die Sprache des Staates ist Hebräisch. Die arabische Sprache hat einen speziellen Status im Staat. Regulierungen zum Gebrauch des Arabischen in staatlichen Einrichtungen oder durch sie wird ein Gesetz regeln. Diese Klausel beeinträchtigt nicht den Status, der der arabischen Sprache gegeben wurde, bevor dieses Gesetz in Kraft trat. 5. Einsammlung der Zerstreuten Der Staat steht der jüdischen Einwanderung und der Einsammlung der Zerstreuten offen. 6. Bindungen an das jüdische Volk 17

Grundgesetz vom 19. Juli 2018“ kippt, hat Justizministerin Ayelet Shaked mit einem „Erdbeben, einem Krieg der Verfassungsorgane“ gedroht; bei der Amtseinführung neuer Rabbiner im Oktober 2018 schloss Staatspräsident Reuven Rivlin entgegen der gängigen Praxis Shaked aus. Für Kritiker des Gesetzes hingegen rückte die traditionelle                                                              Der Staat will sich bemühen, die Angehörigen des jüdischen Volkes abzusichern, die in Schwierigkeiten oder gefangen sind, [und zwar] aufgrund der Tatsache ihrer Zugehörigkeit zum Judentum („Jewishness“) oder ihrer Staatsbürgerschaft. Der Staat handelt in der Diaspora, um die Bindungen („affinity“) zwischen dem Staat und den Angehörigen des jüdischen Volkes zu stärken. Der Staat wird tätig, um das kulturelle, historische und religiöse Erbe des jüdischen Volkes in der Diaspora zu stärken. 7. Jüdische Ansiedlung Der Staat betrachtet die Entwicklung der jüdischen Ansiedlung („settlement“) als einen nationalen Wert und wird tätig, um ihre Schaffung und ihre Konsolidierung zu ermutigen und zu fördern. 8. Offizieller Kalender Der hebräische Kalender ist der offizielle Kalender des Staates, daneben wird der Gregorianische Kalender als ein offizieller Kalender verwendet. Der Gebrauch des jüdischen Kalenders und des Gregorianischen Kalenders wird ein Gesetz regeln. 9. Unabhängigkeitstag und Tage des Gedenkens Der Unabhängigkeitstag ist der offizielle nationale Feiertag des Staates. Der Tag des Erinnerns an die Gefallenen in Israels Kriegen sowie der Tag des Gedenkens an den Holocaust und an das Heldentum („Holocaust und Heroism Remembrance Day“) sind die offiziellen Gedenktage des Staates. 10. Ruhetag und Shabbat Der Shabbat und der Feierlichkeiten Israels sind die Ruhetage im Staat; Nichtjuden haben das Recht, ihren Shabbat und ihre Feierlichkeiten als Ruhetage zu pflegen. Details in diesen Angelegenheiten wird ein Gesetz regeln. 11. Unveränderlichkeit Das Grundgesetz darf nicht ergänzt werden, bis ein anderes Grundgesetz von der Mehrheit der Mitglieder der Knesset verabschiedet ist. 18

Trauer um die Zerstörung des ersten und zweiten Tempels mit seinem Allerheiligsten („Kodesh Kadish“) am 9. Tag des Monats („Tisha b’Av“), der 2018 auf den 22. Juli fiel, näher und mündete im „freien Hass“ („Sin’át Hinám“) gegen alles Fremde. Das jüdische Volk habe nicht zwei Jahrtausende Verfolgungen und endlose Grausamkeiten ertragen müssen, um nun über ein anderes Volk zu herrschen, er schäme sich, Israeli zu sein, schrieb Daniel Barenboim. Ein moderner Staat lasse sich nicht mit zwei Arten von Staatsbürgern lenken, Herren und Dienern, bekräftigte der Herausgeber der arabischen Jugendzeitschrift „Al-Yad“ („Die Hand“) Odeh Bisharat. Das ehemalige Mitglied des Obersten Gerichthofs Salim Joubran mahnte, dass der Grundsatz der Gleichstellung in jedem demokratischen Staat der Welt gewährleistet sei. Der drusische Rechtsanwalt Rafik Hálabi warnte vor einem „Ehrenzertifikat“. Oppositionsführerin Tsipi Livni begründete die von Benjamin Netanjahu für ethnische und religiöse Minderheiten ins Spiel gebrachte Sonderregelung als Einführung eines „Klassensystems“. Der Jerusalemer Politologe Zeev Sternhell befürchtete, dass dem „Nationalstaatsgesetz“ weitere Stationen zum Abbau der pluralistischen Demokratie und der Gewaltenteilung folgen würden. Für den Rechtswissenschaftler Mordechai Kremnitzer bleiben Rassisten eben Rassisten. Der 94 Jahre alte Uri Avnery (1923 – 2018), der weltweit wie kein anderer Israeli die progressive Zivilgesellschaft repräsentierte, lehnte das Gesetz ab, weil Israel der Staat der israelischen Nation und nicht des jüdischen Volkes sei. In einer gemeinsamen Erklärung klagten 40 ehemalige Diplomaten, dass sie der Welt nicht mehr in die Augen blicken und ihr sagen könnten, dass ihr Staat im Geiste der Propheten die einzige Demokratie im Nahen Osten sei. Die Abgeordnete Stav Shaffir, die im Sommer 2013 an der Spitze der Demonstrationen gegen die hohen Lebenshaltungskosten in Tel Aviv stand, weigerte sich, das „Nationalstaatsgesetz“ zum „zionistischen Traum“ zu rechnen. Es herrsche „ein Status quo des Terrors“ vor, „und je länger wir brauchen, eine Entscheidung zu fällen, desto früher werden 19

wir Teil dieses Standpunkts“. Doch Netanjahu werde eine Episode in der Geschichte Israels bleiben, prophezeite Shaffir kühn. Der Kolumnist Bradley Burston schrieb in einem offenen Brief an „Bibi“ – so Netanjahus üblicher Spitzname –, er begehe den „zerstörerischsten Fehler“ seiner Amtszeit. Der in einer orthodoxen Familie in Los Angeles aufgewachsene Chemi Shalev verwahrte sich gegen den Chauvinismus: Es gebe wenige Länder, in denen solch primitive Ansichten zur Regierungspolitik gehören, etwa Iran und Saudi-Arabien. Der in den 1970er Jahren gegründete „Gush Emunim“ („Block der Glaubenstreuen“) habe den religiösen Zionismus metastasiert, die Ultraorthodoxen infiziert, die säkularen Nationalisten hypnotisiert sowie die Politik und die Medien infiltriert. Die Religion sei zur bedeutendsten Verkäuferin der Okkupation aufgestiegen. Für Shalev reichte das „Nationalstaatsgesetz“ jenen die Hand, die Israel mit Südafrikas Apartheid-Regime gleichsetzen. Am 29. Juli forderten viele hundert Künstler, Autoren und Intellektuelle – unter ihnen Amos Oz, David Grossman, Abraham B. Yehoshua und Etgar Keret – Netanjahu und die Knesset auf, das Gesetz zurückzuziehen: „Das Nationalstaatsgesetz, wonach der Staat Israel nur der Nationalstaat der Juden sein soll, erlaubt ausdrücklich die rassistische und religiöse Diskriminierung, verneint Arabisch als eine offizielle Sprache neben dem Hebräischen, erwähnt nicht die Demokratie als die Grundlage des Landes und gibt nicht die Gleichberechtigung als Grundwert an. Deshalb widerspricht sie der Definition des Staates als eines demokratischen Staates und der Unabhängigkeitserklärung, auf deren Basis der Staat gegründet wurde.“ Von nun an solle den Richtern das Recht gegeben werden, dem jüdischen Charakter Israels in ihren Entscheidungen Priorität einzuräumen. An die Adresse Netanjahus gerichtet, fuhren die Unterzeichner fort: 20

„Während Ihrer Regierungszeit haben Sie ständig die Grundlagen unseres Staates ausgehöhlt. Sie haben die Beziehungen zwischen Israel und den amerikanischen Juden beschädigt, und Sie haben ganze Bevölkerungsgruppen in die Armut gestürzt. Sie haben der israelischen Gesellschaft einen schweren Schlag versetzt, doch der schwerste Schlag ist der gegen die Werte der Gleichberechtigung und der gegenseitigen Verantwortung, auf denen die israelische Gesellschaft gründet und aus denen sie ihre Stärke bezieht.“ Stimmen wie diese halten die Option einer offenen Gesellschaft offen. Aber in Blitzumfragen stimmten 52 oder gar 58 Prozent der jüdischen Israelis dem „Nationalstaatsgesetz“ zu, und 51 Prozent befürworteten die Nachrangigkeit der arabischen Sprache. 45 Prozent zeigten sich unsicher, ob ein solches Gesetz notwendig sei. Um die Einschätzung des Würzburger Rechtsphilosophen Horst Dreier zu variieren: Nicht „die Kirche geht in den Staat auf“, sondern nationalistische und ultra-religiöse Themensetzungen bemächtigen sich des Staates, dessen Agenda, Dynamik und Klima sie in ihrem Sinne verändern und dessen Kontrollverlust sie feiern. Anfang des vorigen Jahrhunderts hatte der in Hildesheim geborene nicht-zionistische Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann (1835 – 1918) geglaubt, das Judentum spanne „den Geist seines Bekenners nicht in den Schraubstock des Glaubens“. Die Wahrheit sei, dass der neutrale Staat ein Mythos bleibe, wenn er sich nicht auf den patriotischen und tribalen Zusammenhalt stütze, hat Yoram Hazony dagegengehalte6. Mit der Opferung des ethischen Neutralitätsgebots als                                                              6

Absolvent der Princeton University, Promotion über Ostasien an der „Rutgers University“, Rückkehrer zur Religion („Ba’al T’shuvá“), Anhänger Meir Kahanes, Mitglied der staatlichen Bildungskommission, Gründer des „Shalem Center“ zur Förderung von biblischen, talmudischen und mittelalterlich-jüdischen Studien sowie Präsident des „Herzl Institute“ in Jerusalem. Sein jüngstes Buch „The Virtue of Nationalism“ (New York 2018) hat er den „Mitgliedern meines Stammes“ gewidmet. 21

eines Vertrags der gesellschaftlichen Befriedung ist die geringe öffentliche Wahrnehmung der Arbeiten der „neuen Historiker“ einhergegangen. Der von Timothy Garton Ash angemahnte liberale Patriotismus blieb auf der Strecke. 1930 hatte Judah Leon Magnes (1877 – 1948), ab 1925 erster Kanzler und von 1935 bis zu seinem Tode Rektor der Hebräischen Universität, die kommenden Herausforderungen in seiner Broschüre „Wie alle Völker …?“ thematisiert und ihnen den biblischen Vers vorangestellt „Welch anderes Volk auf Erden ist wie Dein Volk in Israel7?“ Magnes wollte ermitteln, ob der Zionismus aufgrund der einzigartigen jüdischen Bindung an Gott8 ein Gemeinwesen jenseits der Realgeschichte schaffen wolle und daraus ein gesondertes Eigentumsrecht auf das Land Israel 9 reklamiere, das mit dem Schwert verteidigt werden müsse10 – Israel gegen den Rest der Welt? Der unter dem Pseudonym Achad Ha’am („Einer aus dem Volke“, 1856 – 1927) auftretende Kulturzionist Asher Ginsburg hatte 1902/03 davor gewarnt, das Schwert gegen die Schrift zu setzen. An die Adresse der „östlichen Zionsfreunde“ gerichtet, warnte er davor, sich der Parole „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ anzuschließen. Oder laute die Alternative, so Magnes, dass sich der künftige Staat mit der universellen „Idee der Gemeinschaft aller Menschen (‚brotherhood‘) und der Gerechtigkeit“ als Teil der Völkergemeinschaft mit allen Rechten und Pflichten zu verstehen gedenke? William M. Brinner und Moses Rischin stellten ihrer Magnes-Biographie dessen Bekenntnis voran: „Für das jüdische Volk werden hohe Ziele (‚high end‘) nie niedere Mittel rechtfertigen. Wir haben uns zu lange aus der rabbinischen Tradition genährt.“                                                              7 8 9

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2. Sam. 7,23. Ex. 20,3: „Du sollst keine anderen Götter haben als Mich.“ Zum Bundesschluss zwischen Gott und den Israeliten sowie zur wiederholten Verheißung des Landes Gen. 12,7; Gen. 17; Gen. 26,2; Gen. 28,13. Gen. 27,39 f. 22

In San Francisco geboren und über seine Mutter deutschsprachig aufgewachsen, musste sich der oberste Repräsentant der Universität eine gewisse politische Zurückhaltung auferlegen. Einerseits war Magnes als unumstrittene Führungsfigur anerkannt, andererseits blieb er die „einsamste Stimme unter den Juden“ (Horace M. Kallen) und für Abba Eban (1915 – 2002) der „große Abweichler“. Für Magnes bildete eine Binationalität mit Selbstregierung auf der Basis politischer und numerischer Parität den Ausweg. Moralische Kraft müsse den Sieg davontragen, wenn Zion „in Gerechtigkeit erlöst11“ werden wolle. Martin Buber (1878 – 1965) verlangte einen „intra-nationalen Zugang“, damit das jüdische Volk als nationale Entität in der sozialen Struktur Palästinas überlebe. Chaim Weizmann (1874 – 1952) zeigte sich davon überzeugt, dass der Zionismus mit der schwerwiegenden Wahrheit der arabischen Gegenwart konfrontiert sei. Nur mit der Lösung des „arabischen Problems“ sei ein lebensfähiger Staat Israel vorstellbar. Die Schärfe der Alternativen ist von allen Regierungen in je eigenem Sinne beantwortet worden. Golda Meir (1898 – 1978) wählte in ihrer Biographie den Zwischentitel „We are alone“. Der Theologe und Diplomat Yaacov Herzog (1921 – 1972), einer ihrer Berater, bekannte sich in seinen Essays und Vorträgen „A People That Dwells Alone“ zu ihr. Die Belastungen der „Shoah“ haben Neigungen verstärkt, gegenüber der Welt „keine Wahl“ zu haben, fügen sich aber in ein älteres theologisches Konstrukt ein. „Wir sind Überlebende des Holocaust und sehen überall Gefahren. Israelis und Palästinenser – auch sie Überlebende zahlreicher Fremdherrschaften – kennen nur die Sprache der Gewalt“, räumte David Grossman 1999 ein. Die Erfahrungen der „Shoah“ haben für Rivlin die Qualität einer Linse, „durch die wir die Welt sehen“. Netanjahu bekannte sich zu zwei „Hauptprinzipien“, erstens: „Wenn jemand kommt, um dich zu töten, mache dich auf und töte ihn zuerst“. Zweitens: „Wenn jemand uns verletzt, klebt sein Blut                                                              11

Jes. 1,27. 23

an seinen Händen.“ In der „Haggada“ („Erzählung“) am „Seder“-Abend vor „Pessach“ wird der Herr gelobt, „dass Du Dein Volk abgesondert und geheiligt hast“, nachdem sich in jeder Generation die Völker gegen Dich wenden. Dazu hat Aviezer Ravitsky, Professor für Jüdische Philosophie in Jerusalem, auf die „theologische Bürde“ des Staatsnamens in der 979 hebräische Wörter umfassenden Unabhängigkeitserklärung und die Dehnbarkeit des dortigen Begriffs „Fels Israels“ verwiesen: „In der religiösen Tradition bezeichnet der Begriff einen Glauben an Gott und verweist auf einen passiven Gruß an den ‚Erlöser Israels‘. Im modernen Hebräisch jedoch verweist ‚Vertrauen‘ (das hebräische Wort bitakhón bedeutet auch Sicherheit12) grundsätzlich auf physische und militärische Macht.“ Für den sich zur modernen Orthodoxie zählenden Autor blieb ungeklärt, ob mit dem Schlusssatz „Im Vertrauen auf den Fels Israels“ („Tsur Israel“) die Wehrhaftigkeit des jüdischen Volkes oder der Gott Israels gemeint war. Für Jonathan Sacks, „Chief Rabbi of the United Hebrew Congregations of the Commonwealth“ zwischen 1991 und 2013, stand die doppelte Antwort fest: für die Religiösen steht „Fels Israels“ für Gott, für die Säkularen das jüdische Volk mit seinem unbezwingbaren nationalen Willen. David Ben-Gurion (1886 – 1973) hoffte, dass der Begriff ausreichend doppeldeutig sei, doch das religiöse Führungspersonal setzte die Formulierung „Fels Gottes und seines Erlösers“ durch. Für den Präsidenten des „Herzl Institute“ in Jerusalem Yoram Hazony liegt die Entscheidung auf der Hand: Im Ergebnis („in effect“) ist seit Moses als „Sprecher des Himmels und der Erde“ die „Thora“ die Verfassung des Staates. Seine Botschaft sei kein Sieg des Universalismus, sondern die alleinige Legitimierung Israels. Am Freitag des 14. Mai 1948 (im jüdischen Kalender der 5. Tag des Monats „Iyar“) vor Beginn des Shabbats wurde                                                              12

Klammer im Original. 24

die Unabhängigkeitserklärung im alten Museum von Tel Aviv hinterlegt, damit sie die drohende arabische Militärinvasion überstehe. Dass der Staat Israel in der Nachfolge des frühen Zionismus keine Nichteinmischung in Glaubensinhalte garantieren konnte, lag außerhalb der Vorstellungswelt Theodor Herzls (1860 – 1904). Er klopfte an die Tür der jüdischen Zukunft, ohne ihre Fortentwicklung zu kennen. Religiösen Verbindlichkeiten stand er indifferent bis ablehnend gegenüber, die Rabbiner wollte er in die Synagogen schicken: „In den Staat haben sie nicht dreinzureden.“ War er „unjüdisch“? Indem das angestrebte Gemeinwesen die Religion von vornherein einbeziehen musste, war ihm der Zugang zu einer den Grundrechten verpflichteten Demokratie erschwert. Mehr noch: Es war gehalten, die religiöse Neutralität preiszugeben, wenn, wie Avraham B. Yehoshua ausgeführt hat, das jüdische Volk geschichtlich einzigartig ist und nach zweitausend Jahren in sein Land zurückkehrt. Indem die Bindung an Gottes Gebote „mit den durch Arbeit im Lande neu erworbenen Rechten“ verknüpft wurde, habe „die Kolonisation (…) nichts mit den so viel gescholtenen Kolonisationsmethoden des Imperialismus“ zu tun, lautete 1930 die Antwort auf den Kommissionsbericht des britischen Staatssekretärs für die Kolonien Walter Shaw (1864 – 1937). Zur selben Zeit verwahrte sich Ben-Gurion – nach eigenen Worten mitnichten religiös, doch in Treue zu den Propheten: „Unser Mandat ist die Bibel“ – gegen die „Illusion, dass wir wie alle Völker sind“, und machte Moses als den Urheber des jüdischen Bewusstseins vom gesondert wohnenden Volk („Am segulá“) aus – für ihn „das angeborene jüdische Bewußtsein“, wenn auch „eine besondere Last, die Verpflichtung, nach dem Gewissen zu handeln und auf das zu hören, was der [Prophet] Elia hernach ‚die leise Stimme‘13 genannt hat“. Das jüdische Volk stehe erst am Anfang der Erwählung, schränkte er später ein, habe aber                                                              13

1. Könige 19,9 ff. 25

in der Zerstreuung die „göttliche Präsenz“ (aramäisch „Shechintá BeGalutá“) in seinem Leben bewahrt. 1955 ließ er den kanadischen Generalmajor E.L.M. Burns, dem Kommandanten der UN-Waffenstillstandsmission, wissen: „Der Ewige gibt Seinem Volk Macht, der Ewige, mit Frieden segnet Er Sein Volk14.“ Für den Bibelwissenschaftler Uriel Simon stand der politische Zionismus „nackt vor der jüdischen Tradition“ und zeigte, „dass wir nicht wie andere Völker sein können“ 15 . Shneúr Zalman Abramov (1908 – 1997), Mitglied der Knesset zwischen 1959 und 1973 sowie ihr zeitweiliger Präsident für den „Block für die Freiheit Israels“ (Akronym „Gahal“) unter Führung Menachem Begins, machte im Zionismus ein „ewiges Dilemma“ aus. Andere Autoren sprachen von einem „messianischen Dilemma“ oder von einer „messianischen Realutopie“. Der New Yorker Historiker Yosef Hayyim Yerushalmi (1932 – 2009) sah im Zionismus eine „angespannte Dialektik von Gehorsam und Rebellion“, der Jerusalemer Historiker Eliezer Schweid fragte: „Israel – Heimatland oder Land des Schicksals?“ Der Publizist Yossi Melman zeigte sich zwar davon überzeugt, dass 80 Prozent der Israelis Atheisten seien wie er selbst, dass sie aber auf dem „Drahtseil“ zwischen Weltlichkeit und Religiosität balancieren, wofür er in seinem Buch die Zwischenüberschrift „Auf Gott vertrauen wir“ wählte: Wahrscheinlich seien Religion und Nationalität eine Einheit: Durch die Konzentration bleiben beide miteinander verbunden. Im Rückblick sei daran erinnert, dass der aus Köln eingewanderte Georg Landauer (1895 – 1974) die jüdische Nationalbewegung „immer (als) ein(en) Mantel für ganz verschiedenartige, ganz entgegengesetzte Bestrebungen“ sah. Die Soziologin Susan Hattis Rolef glaubte an die Chance, dass Israel zum „Hafen für alle Juden“ werde, „religiös oder säkular, orthodox, konservativ und Reform, aschkenasisch, sefardisch                                                              14 15

Psalm 29,11. Mein Interview mit Uriel Simon in den Anlagen. 26

oder sonst“. Das Bekenntnis zur Pluralität richtete sich gegen eine religiöse Monokultur, welche Politik und Gesellschaft zu beherrschen sucht, sich populistisch-suggestiv und kanonisch der staatlichen Ordnung bedient und Israel nur als Ort der Zuflucht vor dem Antisemitismus wähnt. Jakob Klatzkin (1882 – 1948), von 1909 bis 1911 Chefredakteur der auf gelbem Papier erscheinenden „Welt”, dem von Herzl 1897 gegründeten Organ der Zionistischen Organisation, hatte noch geglaubt, dass die „Judophobie“ eine heilbare Krankheit sei.

Zwischen „jüdischem Grundrecht“ und „Subaru-Syndrome“ Für die sich zur Friedensszene rechnende Publizistin Janet Aviad ist die ideologische Konversion zu einem „beständigen, dramatischen und machtvollen Beispiel des Widerstandes“ mit dem Ziel der „Ent-Israelisierung“ (Gershon Shaked) geworden, wobei sich strenggläubige Juden aller öffentlichen Dienstleistungen bedienen. In Anlehnung an die japanische Automarke konstatierte Yossi Melman ein „Subaru syndrome“, Gershom Scholem (1897 – 1982) beklagte die „technologische Assimilation“: Die orthodoxe Geschlossenheit im zaristischen Shtetl, der sich orientalische Juden im Habitus angeschlossen haben, soll unter Begleitung von Start-Ups und Hochtechnologie an die Stelle des religiös vielfältigen Bekenntnisses treten und der „Ent-Judung“ Paroli bieten. Bis in die staatlichen Apparate hinein ist ein „System der Unangreifbarkeit“ (Carolina Landsmann), der „Hegemonie“ (Anshel Pfeffer), der „Tyrannei“ (Chemi Shalev) und der „erbärmlichen Kapitulation“ Netanjahus (Eric H. Yoffie) zur Wahrung des religiösen Vetorechts im öffentlichen Leben entstanden – eine Leistung, die von liberaler Seite hilflos als „clown show“ und „exzentrisch“ gerügt wurde.

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Es reichte 1995 aus, dass Yitzhak Rabin (1922 – 1995) das Militär in der Westbank teilweise umzugruppieren beabsichtigte, um den Palästinensern mehr Bewegungsfreiheit zu geben, für sein Todesurteil. Einen Staat Palästina lehnte er ab. 1977 verneinte ein Teilnehmer die Symmetrie zwischen der dreitausend Jahre alten Geschichte des jüdischen Volkes im Lande Israel und einer palästinensischen Nationalität, die „vielleicht fünfzig Jahre alt“ sei und eine künstliche Kreation darstelle. Das „palästinensische nationale Problem“ dürfe nicht auf Kosten des jüdischen Heimatlandes einschließlich Judäas und Samarias gelöst werden: „Warum haben wir das Recht, in Lydda, in Lod, in Ramle, in Ashdod und in Akko zu leben, wenn uns Jericho und Hebron vorenthalten werden?“ Wenn Nazareth und Galiläa 1948 annektiert worden seien, müsse Nablus folgen: „Judäa und Samaria sind hier“ („Yésha ẓe kan“). Mit Begriffen und Themen wie Terror, jüdischer Staat, Existenzrecht, Patriotismus, Loyalität sowie Judäa und Samaria haben sich Deutungsmuster als neue politisch-ideologische Wirklichkeiten über die Parteigrenzen hinweg durchgesetzt. Der landesgeschichtlichen, theologischen und literarischen Durcharbeitung der jüdischen Geschichte in Palästina seit dreitausend Jahren sowie deren Interpretationen in zahllosen Forschungsarbeiten hat der arabisch-muslimische Kosmos wenig entgegenzusetzen, auch wenn im Koran die biblischen Namen ohne ihre religiöse Würdigung Abraham, Moses, David, Jakob, Josef und sogar Noah vorkommen 16 . Wenn Aleida und Jan Assmann auf die Genese und die Kontinuität der kulturellen Erinnerung durch die Prinzipien der Auswahl und ihrer Nachdrücklichkeit mittels Texten, Bildern und Riten verweisen, „die unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein, unsere Selbst- und Weltbildung prägen“, dann haben die Palästinenser schlechte Karten. So wird Jerusalem in der Bibel über achthundert Mal genannt, im Koran gar nicht; in                                                              16

Martin Bauschke hat für die Nennung Moses‘ 36 Stellen in den 114 Suren und für Abraham 25 Stellen gezählt. 28

der frühen islamischen Literatur kommt die Stadt unter dem römischen Spottnamen „Aelia Capitulina“ vor – nach der jüdischen Niederlage im Bar-Kochba-Aufstand von 132 bis 135 n.d.Z. Magnes glaubte, dass dem ganzen Land und besonders Jerusalem durch die jüdische Aufbauarbeit die Heiligkeit zurückgegeben werde. Zwar ließ sich die Klage des Philosophen und ehemaligen Rektors der „Al-Quds“-Universität Sari Nusseibeh nachvollziehen: „Aufgrund der Okkupation kümmern wir uns nur um uns selbst, die Welt interessiert uns nicht“. Dass aber die Palästinenser „ein Spiegel der Juden“ seien“, war weit hergeholt. Denn beide „Ideo-Theologien“ (Clive Jones) unterscheiden sich fundamental in der Kraft ihres Durchsetzungsvermögens.

Leben aus der Vergangenheit? Von der Billigung der politischen und militärischen Stärke als oberster Priorität blieb die Friedensszene in Israel nicht verschont. Ihre Schwäche hat einer Art Festungsmentalität mit verzweifelten und trotzigen Abwehrmechanismen Platz gemacht. Das gilt in erster Linie für Jerusalem. Für die Zeitschrift „Palestine-Israel Journal“ ist die Stadt das eindrücklichste Sinnbild des Niedergangs in den bilateralen Beziehungen. Hier lebten einst in „stolzer Abgrenzung“ voneinander Juden, Moslems und Christen in einem „Mosaik getrennter Gemeinschaften“, hielt 1960 der Anwalt Dov Joséph (1899 – 1980) fest, der 1948 zu den Verteidigern der Stadt als Militärgouverneur gehörte. In den tiefsten Schichten würden sich für ihn Legenden, Fabeln und Tatsachen vermischen, die Jerusalem zweitausend Jahre lang als zentrales Symbol in der Religion jedes Kindes erhalten hätten. Sein aus dem zaristischen Russland stammender Vater sei ein frommer Jude gewesen, für den die Tradition, die Prinzipien und die Beobachtung der moralischen und rituellen Chiffren des Judentums alle um die Heilige Stadt und den Tempel als der Einwohnung Gottes („Shechiná“) gekreist hätten. Für 29

den Kolumnisten Roger Cohen von der „New York Times“ ist sie eine „Stadt der Leidenschaften“. Entstünde in Ost-Jerusalem die palästinensische Metropole, würden viele Israelis das Land verlassen, um den psychischen Schockwellen zu entkommen, hat Zeev Sternhell ausgeführt. Zur Begründung seiner Zweifel an der liberalen Kraft der Zivilgesellschaft verwies der Soziologe Meron Benvenisti, einstiger Stellvertreter Teddy Kolleks (1911 – 2007) und für den arabischen Osten der Stadt zuständig, darauf, dass sich das jüdische Gedächtnis an die Zentralität Jerusalems seit zweitausend Jahren unverändert erhalten hat: „Die Tatsache, dass in alten Zeiten die Grenzen der Stadt durch religiöse Autoritäten gemäß dem jüdischen Religionsgesetz geändert wurden, während sie heute von säkularen Kräften gezogen werden, konstituiert keinen grundlegenden Wandel. Das moderne Religionsgesetz setzt auf administrative Entscheidungen und dehnt die Grenzen der Stadt gemäß ihrer [von ihm selbst entschiedenen] Heiligkeit aus.“ Wenn der Bräutigam bei der Eheschließung ein Glas unter seinen Füßen zertritt, erinnert er an die Zerstörung des Tempels. Im Herbst 2017 verlangten ultraorthodoxe Kreise, die allein in Jerusalem über 40 Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung ausmachen, die Rückkehr zur jiddischen Sprache, weil das Hebräische von religiös abtrünnigen Juden verdorben worden sei. Wie lange kann ein Land aus der Vergangenheit leben? Die wachsende Zahl der ausländischen Touristen, die ungebremste Reisefreudigkeit der Israelis – ein „Haaretz“-Redakteur zitierte den in Spanien wirkenden und an einer Grabstelle bei Tiberias verehrten Moses Maimonides (Akronym „Rambam“, 1135 – 1204), für den eine Reise aus dem Gelobten Land einer Gotteslästerung gleichkam –, die effizienten Forschungs- und Entwicklungszentren, die Universitäten, der ungestüme Konsum sowie die Massenkultur der Beliebigkeit zählen zu jenen Faktoren, die das Land vor der Selbstghettoisierung bewahren. Sie 30

bleibt jedoch lebendig, wenn ein weitgereister Geschäftsmann uns vom Ölberg aus stolz „Mein Jerusalem“ mit Blick auf den Felsendom zeigt, der das „Noble Heiligtum“ überragt. Die in die Hunderttausende gehende Zahl der Israelis in New York, in Los Angeles oder in Berlin – „eine Art Wanderdünenphänomen“ (Scholem) – hinterlassen bisweilen den Eindruck von Super-Israelis mit allen Schattenseiten der Überkompensation ihres schlechten Gewissens.

Berliner Bekenntnisse Der israelisch-palästinensische Brandherd ist international an den Rand gedrängt oder gar abgeschrieben worden, obwohl von ihm eine Destabilisierung im gesamten Nahen Osten ausgeht. Die ausführlichen Jahresberichte der europäischen „Heads of Missions“ in Jerusalem finden in den Hauptstädten keine hinreichende Aufmerksamkeit. Stattdessen haben sich zum 70. Jahrestag der Gründung Israels deutsche Politiker und solche, die sich zur Verantwortung berufen fühlen, zu Lobeshymnen veranlasst gesehen. Schon ein Jahr zuvor luden die Fraktionen des Bundestages zwei israelische Referenten, aber keinen palästinensischen Gast ein und stellten ihrem Fragenkatalog das Bekenntnis voran: „Israel ist als jüdischer und demokratischer Staat sowohl aufgrund seiner Geschichte sowie seiner geographischen Gegebenheiten innerhalb der Region in einer besonderen Situation.“ Im Februar 2018 distanzierte sich der Koalitionsvertrag von Union und SPD von der Siedlungspolitik, zu deren auswärtiger Akzeptanz die israelische Exekutive erhebliche Mittel einsetzt, und wiederholte die besondere Verantwortung gegenüber Israel als einen jüdischen und demokratischen Staat. Zwei Monate später würdigten die Fraktionen von Bündnis90/Die Grünen und DIE LINKE Israels demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, erinnerten an die Flucht und Vertreibung 31

der 750.000 Palästinenser 1947/48, rügten die Siedlungspolitik, verwahrten sich gegen „Israelfeindschaft“ und bekannten sich zur Existenz und zu den Sicherheitsinteressen Israels als einem zentralen Prinzip der deutschen Politik. Für die Palästinenser blieb nur der Sarkasmus über die Uneinigkeit zwischen der PLO und „Hamas“ sowie „die Unbeweglichkeit und schlechte Regierungsführung“ in Ramallah übrig. Legislative und Exekutive beharren auf ihren präfixierten Sackgassen. Dabei hatten schon 2008 zwei mit der Arbeit der US-Administration vertraute Autoren der Behauptung widersprochen, die Thematisierung der politischen Asymmetrien bedeute den Abschied von Israel. Vielmehr komme die rücksichtslose Solidarität einem strategischen Eskapismus gleich und könne sich für Israel als lebensgefährlich erweisen. Die „obszönen Schemata der Annexion großer Teile der Westbank oder die Vertreibung von Arabern aus Israel selbst“, mit denen die Nebelschwaden Netanjahus auf die „Kein-Staat-Lösung“ (Roger Cohen) zusteuern, waren höchst verdächtig. Dass pflichtschuldig vorgetragene Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser geht entgegen allen Erfahrungen von der Erwartung aus, mit dem Aufbau ihrer Institutionen sei das Ziel eines Staates Palästina vorgezeichnet. „Es gab eine Zeit, wo das Wort ‚deutscher Zionismus‘ in der zionistischen Welt einen bestimmten qualitativen Sinn hatte. Es war nicht nur eine geographische Bezeichnung. Die Wortzusammenstellung wird vielen nicht gefallen, sie ist plump und unangemessen, aber es steckt darin ein richtiger Kern“, hat Robert Weltsch (1891 – 1982), Chefredakteur der bis 1939 in Berlin erschienenen Wochenzeitung „Jüdische Rundschau“, herausgegeben von der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, in der Rückschau konstatiert: Es ging um Warnungen vor nationaler Selbstgerechtigkeit. Vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum gebürtige Frühzionisten – der in Berlin praktizierende Kinderarzt Siegfried Kanowitz (1900 – 1961) bezeichnete die Einwanderer aufgrund ihrer pazifistischen Gesinnung als „schwierigen Exportartikel“ – kannten am ehesten den ungezähmten Extremismus. 32

(Courtesy of the Hebrew University in Jerusalem) 33

Akiva Ernst Simon (1899 – 1988). „In meinem wohlhabenden, gebildeten musikfreudigen Elternhaus [in Berlin] hatte ich vom Judentum nichts gehört, gesehen und erlebt: kein Wort hebräisch, kein Fest (außer Weihnachten!), keine Synagoge, keine Barmizwa. Aber Vater war streng gegen die Taufe: ‚Ein anständiger Mensch verlässt keine belagerte Festung wegen eines Vorteils.“ Guy Miron hat an Simons Satz zur Eröffnung des „Leo Baeck Institut“ in Jerusalem am 31. Mai 1955 erinnert: „Das deutsche Judentum ist ein Toter, der nicht bestattet und beklagt wurde. Es liegt uns ob, diese Pflichten [in Israel] nachzuholen.“ Gershom Scholem hat berichtet, dass er im Gegensatz zu Simon nicht „ganz zum Judentum zurückkehren“ wollte. 1928 erhielt Ernst Simon eine Anstellung als Lehrer und Seminarleiter an der Hebräischen Universität, aus der sich eine Professur für Philosophie und Erziehungswissenschaften ergab. Drei Wochen vor dem Junikrieg 1967 wurde ihm der Staatspreis zugesprochen. Auf seiner Grabplatte in Jerusalem ist dem religiösen Humanisten ein Denkmal als „Lehrer in Israel“ gesetzt worden. Im Geleitwort zu Simons Briefsammlung hat Rabbiner Yehoschua Amir daran erinnert: „Wer einmal die Inbrunst gehört hat, mit der er in unserer nicht-orthodoxen Synagoge zur Thora aufgerufen, den Segensspruch über die Thora sprach, der wußte, dass Simon den ihm gemäßen Platz im Judentum gefunden hatte. Aber wiederum: so packend er seiner Glaubensgewißheit Glaubensgewißheit in seinen Predigten Ausdruck zu geben wußte, so war ihm jede Gedankenverbindung zwischen Glauben und Macht in tiefster Seele fremd. Fanatisch war er höchstens in seinem bedingungslosen Eintreten für Toleranz.“ Im Gegensatz zu Stefan Heym (1913 – 2001), Fritz Kortner (1892 – 1970), Ernst Deutsch (1890 – 1969), Anna Seghers (1900 – 1983) und Arnold Zweig (1887 – 1968) – er war als einziger nach Palästina ausgewandert – war es 34

für Simon ausgeschlossen, nach Deutschland zurückzukehren. Es blieb bei Visiten. Wir leben nicht im Elfenbeinturm intellektueller Debatten. Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung bedeutet einen Gewinn an Freiheit im Denken und Handeln. 1957 schrieb Weltsch, der nach den Worten der Tel Aviver Historikerin Anita Shapiras einen „dominanten Einfluss“ auf die deutschen Zionisten ausübte, dass „die Erkenntnisse und Erlebnisse, die den deutschen Zionismus geformt haben, auch unter den nun veränderten Verhältnissen wirksam sind. Es wäre eine interessante Aufgabe, unter diesem Gesichtspunkt die Außenpolitik des Staates Israel einer objektiven kritischen Betrachtung – außerhalb der Arena tagespolitischen Streites – zu unterziehen. Zu einer solchen Untersuchung, sagen viele, ist die Zeit nicht reif …“ Ist sie gekommen, gar überfällig? Aus seiner Korrespondentenzeit in Beirut und Jerusalem hat Thomas L. Friedman überliefert, „dass die Wirklichkeit kaum Ähnlichkeit mit den blutleeren, logischen und antiseptischen Darstellungen in den Lehrbüchern hat“. Kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2018 plädierte Sigmar Gabriel für „die offene Debatte … als Zeichen unserer Stärke“. Vom Blick nach innen erschließen sich in Längs- und Querschnitten Einschätzungen zur intimen Dialektik von Ideologie und Geschichte, so dass neue Achsen für das Urteil erkennbar werden. Denn es fällt auf, dass sich Regierende, Parlamentarier und um Einfluss ringende Honoratioren im westlichen Ausland in innerjüdischen und -israelischen Zusammenhängen, Kontroversen und Aporien hilflos verfangen, während gleichzeitig die historische und politologische Literatur israelischer Autoren vielfach durch interpretatorische Offenheit dem Material gegenüber ausgewiesen ist, wenn es nicht um die Begleiterscheinungen im Vorfeld und im Gründungsjahr 1948 geht; hier werden ideologische Barrieren gegen den Verdacht ins Feld geführt, dass die Legitimität Israels in Zweifel gezogen wird. Vor allem, wenn sie im Ausland arbeiten, ist die Freimütigkeit auch unter arabischen Wissenschaftlern eingezogen. 35

Nach den Epochen der Mantra-artigen Beschuldigungen und Anklagen ist die selbstkritische Befassung mit der arabischen Politik auf dem Vormarsch. Ben-Gurion hat den Zionismus gern mit dem amerikanischen Traum der Eroberung des Mittleren Westens verglichen. Mag man Donald Trump politische Berechenbarkeit absprechen, so springt bei Netanjahu das Gegenteil ins Auge: ein durchtrainiertes, in sich ruhendes Kalkül mit autistisch-leidenschaftlichen Zügen, die Argumenten kaum zugänglich sind. Dazu hat Bob Woodward aus den Gesprächen mit Ministern und hohen Beamten deren fortwährenden Eindruck geschildert, dass Trumps Improvisation seine große Stärke sei, dass er „mit einem Blick eine Situation oder einen Raum erfassen könne“ und dass er „nicht durch umsichtiges Vorausdenken vom Gleis abgebracht werden“ wolle. Strategisches Denken liege ihm fern. Nur seine Erinnerungsschwäche, die an den vermeintlichen oder tatsächlichen Belastungen des Staatshaushaltes endete, verhinderte unter dem vorsorglichen Einsatz seiner Berater manche schwerwiegenden Entscheidungen oder verwässerten sie, um seiner „krankhafte(n) Unabhängigkeit und Irrationalität“, verstärkt durch die unablässige Aufmerksamkeit für die Fernsehnachrichten besonders in „Fox News“ und die Presseberichte über ihn, einen Riegel vorzuschieben. „Es bringt überhaupt nichts, dem Präsidenten eine durchdachte, substanzielle Vorlage zu erstellen, durchorganisiert und mit Folien versehen. Man weiß ja, dass er sowieso nicht zuhört“, beschwerte sich Trumps demokratischer Wirtschafts- und finanzpolitischer Berater Gary Cohn. Im Gegensatz dazu ist auf Netanjahus Kurs berechenbarer Verlass: Er spielt weder Vabanque, noch hat er mit dem „Nationalstaatsgesetz“ den „Weg der totalen Dummheit oder der moralischen Einfalt“ (Eric H. Yoffie) eingeschlagen. Da beiden Selbstzweifel fremd sind, ist Israel der „Staat der Trumpisten“ ein moralisches Chaos repräsentieren, genannt worden, beide werden von großen Teilen ihrer Bevölkerung getragen. Indem sie auf der Welle des polulistischen „national interest“ 36

reiten, stehen sie an der Spitze des Zerfalls der liberalen Demokratie, die keinen Relativismus kennt, wie Yascha Mounk für die USA belegt hat. Nationale Souveränität ist ihnen wichtiger als globale Abhängigkeiten. Sehen sie die Welt als Parias? Während das Motto „America first“ auf die Unabhängigkeitserklärung vom 04. Juli 1776 zurückgreift, hat das Jahr 1967 der Formel „Israel alone“ die endgültige Schubkraft verliehen. Mit ihm beginnt das koloniale Projekt, das auf Begründungen und Rücksichtnahmen verzichtet, die aus dem politischen Streit während der britischen Mandatszeit nicht wegzudenken sind. Das von mir herangezogen Material ist im Allgemeinen in der Ursprungssprache ausgewertet worden. Zitate wurden in der originalen Schreibweise übernommen. Bei hebräischen und arabischen Namen und Begriffen folge ich der dortigen Zitierung, so dass es zu Mehrfachschreibweisen kommen kann. Sehr zu danken habe ich Margret Greiner, Autorin zu jüdischen, palästinensischen und israelischen Frauen, und ihrem Ehemann Dr. Bernhard Greiner, Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte in Tübingen, für die liebevolle und kompetente Begleitung sowie Wolfgang Z. Keller (Pehl am Ammersee) für die Durchsicht erster Entwürfe. Der Münchner Fotograf Fritz Mastnak hat mir zu den Aufnahmen aus der Farm von Daoud Nasser und aus „Neve Shalom/ Wahat As-Salam“ verholfen, Darlene Dunham (Seattle) hat mir das Foto vom Checkpoint vor Bethlehem überlassen. Dr. Stefan Litt von der Nationalbibliothek der Hebräischen Universität hat zwei Aufnahmen beigesteuert. Dr. Roni Hammermann (Jerusalem), die seit Jahren mit den Frauen von „Machsom Watch“ das Verhalten israelischer Soldaten gegenüber Palästinensern an den „Checkpoints“ beobachtet, hat mir bei der Suche nach Materialien zu Magnes geholfen. Georg Nacke (Blaichach) macht mich seit langem auf interessante Beiträge aufmerksam. Jochi Weil (Zürich) hat mich auf das „Eidgenössische Department für auswärtige Angelegenheiten“ zugunsten der „Genfer Initiative“ aufmerksam gemacht. Mein großer Dank gilt Privatdozent 37

Dr. Thomas Meyer (München/Berlin) als vorzüglichem Kenner der jüdischen Philosophie, Dr. Tilman Spengler, Mitglied im Pen-Zentrum Deutschland (Ambach am Starnberger See), für seine Begleitung sowie Anja Neiss-Regnier (München) für sachdienliche Hinweise. Mein besonderer Gruß für das Geleitwort geht an Prof. Dr. Moshe Zimmermann, bis zu seiner Emeritierung 2012 Direktor des „Richard Koebner Minerva Center for German History“ an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Ohne die Ermutigungen und Hilfen meiner in Jerusalem geborenen Frau Judith Bernstein sowie unserer Töchter Sharon Blumenthal mit Ehemann Eric und ihren Kindern Talja und Edna (Köln) sowie Shelly Steinberg (Tel Aviv) wäre das Buch nicht entstanden. Als Plädoyer in der nahöstlichen Debattenkultur fühle ich mich als Begleiter und Autor jenen Menschen auf beiden Seiten der Konfliktlinien verbunden, die sich unter erheblichen persönlichen Beeinträchtigungen für den politischen Ausgleich nach innen und außen einsetzen. Statt den Anschein von wissenschaftlicher Ojektivität vorzuspiegeln, geht es mir um die Aufmerksamkeit für geradezu zwingende Kontinuitäten aus theoretischen und politischen Narrativen sowie aus biographischen Determinanten. Ihre Details konstituieren die große Agendafülle, hinter der sich Völker verschanzen, zu ihren Gefangenen werden und Klischees produzieren, hat David Grossman ausgeführt. John Kerry hat seiner politischen Autobiographie „Every Day Is Extra“ die Anmerkung vorausgeschickt, dass sie „eine Haltung gegenüber dem Leben“ sei. Auch wenn mich die Interaktionen zwischen Theologie und Politik seit langem beschäftigen, war ich erstaunt, in welcher Fülle die öffentlichen Debatten in Israel auf biblischen Quellen zurückgreifen, welche die Doppelidentität von Religion und Nation bestätigen und dem einstigen Schmelztigel-Ideakl ein Ende bereiten sollen. Der Koran hat nichts vergleichbares aufzuweisen.

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Kapitel II Einleitung „Keine Sorge, Dr. Wise, Palästina gehört Ihnen17.“ Nach seinem ersten Aufenthalt in Palästina 1891 ahnte Achad Ha’am für jene jungen Juden, die sich auf die Einwanderung vorbereiteten, „zahlreiche und schwierige Hindernisse“ voraus: „Wir im Ausland“ (sic), so sein Fazit auf der Rückreise nach Odessa, „pflegen zu glauben, dass Palästina heute ein fast ganz wüstes, unbebautes Ödland ist, und jeder, der dort Grund und Boden kaufen will, dies nach Herzenswunsch tun kann. Dem ist aber nicht so.“ Ähnlich äußerte sich der Lehrer Isaac Epstein18 auf dem VII. Zionistenkongress 1905 in Basel – dem „Sabbatkongress“ nach den Worten seines Präsidenten Max Nordau –, als er die „verborgene Frage“ aufwarf: „Unter den schwierigen Fragen im Hinblick auf die Geburt unseres Volkes in seiner Heimat überwiegt alles eine Frage: unsere Relationen zu den Arabern. Diese Frage, an der die Lösung unserer nationalen Hoffnung hängt, ist von den Zionisten nicht vergessen worden, ist aber von ihnen vollkommen unbemerkt geblieben, in ihrer wahren Form ist sie kaum in der Literatur unserer Bewegung erwähnt worden.“                                                              17 18

So US-Präsident Woodrow Wilson gegenüber Rabbiner Stephen Wise. Isaac Epstein (1862 – 1943) kam 1886 mit finanzieller Unterstützung des Barons Edmond de Rothschild als Lehrer für landwirtschaftliche Angelegenheiten nach Palästina, bevor er in Safed, Rosh Pina und Metulla Lehrer wurde. Zwischen 1908 und 1915 leitete Epstein die Schule der „Alliance Israelite Universelle“ in Saloniki. 1907 setzte er sich in seiner Dissertation mit den jüdisch-arabischen Beziehungen in Palästina kritisch auseinander. 39

1881 erlebte Achad Ha’am schwerwiegende Bodenspekulationen, die der jüdischen Siedlung großen Schaden zufügen würden: „Knechte waren sie im Lande ihrer Verbannung, und plötzlich finden sie sich selbst in einer Freiheit ohne Grenzen, in einer ungezügelten Freiheit, wie sie sich nur in der Türkei finden läßt.“ Vierzehn Jahre später sangen in Basel die Delegierten aus Osteuropa „Wir heben die Händ‘ gen Misrach [Osten] …“. Der aus einer assimilierten Familie Odessas stammende Vladimir Zeev Jabotinsky (1880 - 1940), dem die biblischen Quellen fremd waren, beschwor die Versammelten, dem Aufruf „Politik ist Macht“ zu folgen19, bevor Nahum Sokolow (1859 – 1936) – zwischen 1905 und 1911 Generalsekretär der zionistischen Bewegung und seit 1921 Präsident mehrerer Kongresse – unter Verweis auf 1905 dem amerikanischen Botschafter in Konstantinopel Henry Morgenthau (1856 – 1946)20 das Interesse vortrug, die „nächsten Nachbarländer“ in die Kolonisationsarbeit einzubeziehen. Es dauerte nicht lange, bis Buber – „ein Mann gegen die Zeit“ (Hans-Christian Kirsch) – vor einem Zionismus der „unreflektierten Selbstverständlichkeit“ warnte, vor einem „horizontlosen Nationalismus“ zwischen den „natürlichen arabischen Rechten“ und den „historischen jüdischen Rechten“: Die Araber, „nicht wir, besitzen etwas, was man die palästinensische Form nennen darf. Die Lehmhütten der Fellachendörfer sind aus diesem Boden geschossen, die Häuser von Tel Awiw sind ihm aufgesteckt.“ 1925 erntete Weltsch heftige Reaktionen mit seinem Vorstoß, dass „diejenigen, die

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Lev. 19,33 f.: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht bedrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst. Denn ihr selbst seid Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ Henry Morgenthau war als Neunjähriger aus Mannheim mit seinen Eltern nach New York gekommen und stand dem Zionismus wohlwollend gegenüber, ohne selbst Zionist zu sein. 40

neu hinzukommen – und das sind in diesem Falle wir – mit dem ehrlichen und aufrichtigen Willen kommen [müssen], mit dem anderen Volk zusammen zu leben“. Seine „Jüdische Rundschau“ versuchte „für eine Politik der Verständigung und des Friedens einzutreten, was nur dann möglich war, wenn politisch das Ziel in einer Weise definiert wird, die sich mit den Interessen der palästinensisch-arabischen Bevölkerung vereinbaren lässt“, unterstrich er. Ähnlich besorgt hatte sich Nahum Goldmann (1895 – 1982) bei seinem ersten Besuch kurz vor dem Ersten Weltkrieg geäußert: „Ich schreite durch die Weinberge und wende alle innere Energie auf, um das erhebende Bewusstsein, auf jüdischen Kolonieboden zu treten, in seiner ganzen Reinheit zu empfinden, und in mir raunt es wie die tückische Stimme eines grausamen Feindes: Aber die Araber haben es bearbeitet. Ich betrachte mit Entzücken die farbenstrahlende Blüte eines Orangenbaumes, und die Stimme murmelt: Araber haben ihn gepflanzt; ich schaue mit Stolz auf die starken, gut gezogenen Rebenstöcke, und die Stimme flüstert: Araber haben sie großgezogen.“ Felix Frankfurter (1882 – 1965), ab 1939 Richter am Obersten Gerichtshof der USA, räumte ein: „Wir, die wir das einfache orientalische Leben in seiner schönen Gestalt lieben, mögen entschuldigt sein, wenn wir mit einem Seufzer seine Pulverisierung unter den Rädern des Fortschritts sehen.“ Für Kurt Blumenfeld stellte „die Araberfrage unser politisches und menschliches Hauptproblem“ dar, dessen Klärung jedoch in weiter Ferne liege: „Je mehr mir das bewußt wurde, desto mehr beschwerte mich der Eindruck, dass in Wirklichkeit nicht nur Jahrhunderte an Entwicklung uns von den Arabern trennten, sondern daß auch die Entwicklungstendenzen der islamischen Welt unseren Versuchen der Europäisierung des Landes widersprachen.“

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Behauptungen, der Fellache habe kein Interesse an der Politik, ließen sich nicht aufrechterhalten. Mit von Bedenken freien Selbstverständlichkeiten ließen sich die jüdischen Ankömmlinge in Palästina nieder – belästigt durch das „Schreien und Feilschen der arabischen Lastträger und Bootsleute“ im Hafen von Jaffa, während das benachbarte „Tel Aviv als eine normale, saubere Stadt mittlerer Größe nach europäischem Muster“ erschien, wie Shlomo Rülf im Februar 1933 nach seiner ersten Landung berichtete. Abraham Granovsky (1890 – 1962) schrieb im Vorwort seiner zwischen 1926 und 1929 entstandenen Aufsatzsammlung, dass „der Boden Erez Israels (…) erlöst und für ewige Zeiten jüdisch werden (muss)“. Solche Erwägungen nötigten Ernst Simon zu der Aufforderung, „mit der gefährlichen Parole ‚Erlösung des Bodens‘“ verantwortlich umzugehen, was ihm die Gegnerschaft „in den nationalistischen Kreisen“ eintrug. Mit der Balfour-Deklaration vom 02. November 1917 und bestätigt durch den Völkerbund im April 1920 stieg das jüdische Volk, repräsentiert durch die zahlenmäßig kleine zionistische Bewegung, in den Rang eines Völkerrechtssubjekts auf, nachdem die Juden nach den Worten Ben-Gurions bis dahin außerhalb der Weltgeschichte gestanden und „kein eigenes Blatt in den Geschichtsbüchern“ geschrieben hatten, wie Weltsch vervollständigte. Für George Curzon (1859 – 1925), den ehemaligen Vizekönig von Indien zwischen 1899 und 1905 sowie Nachfolger von Arthur James Balfour (1848 – 1930) im Außenministerium, hatten die Juden nach dem Ende ihres nationalen Daseins in Palästina vor zwölfhundert Jahren keinen höheren Anspruch als die Briten auf Teile Frankreichs. Gleichwohl versicherte Präsident Woodrow Wilson (1856 – 1924) dem Gründer des Jüdischen Weltkongresses und erstem Präsidenten, dem in Budapest geborenen

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Stephen Wise21: „Don’t worry, Dr. Wise, Palestine is yours“. Seine Prophezeiung, dass der Erste Weltkrieg der letzte aller Kriege sein werde, erwies sich als haltlos. Ohne dass die USA dem Völkerbund beitraten, stimmten sie in einem gesonderten Abkommen mit Großbritannien dem Mandat zu. Aus Furcht, der jüdischen Einwanderung nichts entgegensetzen zu können, verwahrte sich Anfang Oktober 1919 Jerusalems Bürgermeister Musa Kazem Al-Husseini (1853 – 1934) „gegen jegliche Rechte für Juden“. Dieselbe Ablehnung kam von Auni Abd‘ Al-Hadi22, dem Berater des saudischen Prinzen Faisal23, der am 04. Juni 1919 mit Chaim Weizmann in Aqaba ein Schriftstück über eine mögliche arabisch-jüdische Zusammenarbeit unterzeichnet hatte.

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Stephen S. Wise (1874 – 1949) war Reformrabbiner und bekennender Zionist. 1936 gehörte er zu den Gründern des „World Jewish Congress“ im Kampf gegen Nazi-Deutschland. Aufgrund der Nachrichten aus dem „State Department“, die sich auf ein Telegramm von Gerhart Riegner (1911 – 2001), dem Sekretär des „Jüdischen Weltkongresses“ in Genf, beriefen, informierte Wise Ende November 1942 die US-Öffentlichkeit über die Mordaktionen in Ost-Europa. Die Resonanz blieb gering. Auni Abd‘ Al-Hadi (1889 – 1970) galt als Vertreter des Emirs des Hedjas Hussein (1874 – 1931). Für ihn setzte Abd‘ Al-Hadi seinen Namen unter den Versailler Vertrag und erschien 1929 vor der Shaw-Kommission als einer der Anwälte der arabischen Palästina-Exekutive. Vorsitzender der zionistischen Palästina-Exekutive war der Brite Harry Sacher (1891 – 1971). Am 03. März 1919 schrieb der saudische Prinz Faisal an Felix Frankfurter, Mitglied des Obersten Gerichtshofs, dass die „Araber und Juden verwandte Rassen“ seien und dass „vor allem die gebildeten unter uns (…) tiefe Sympathie für die Zionistische Bewegung (hegen)“. Kleine Differenzen, „die unter benachbarten Völkern unvermeidlich sind“, könnten sich „mit gegenseitigem gutem Willen beilegen lassen“. Faisals Berater Auni Abd‘ Al-Hadi glaubte nicht an diese Möglichkeit. 43

Die Frage, ob Faisal für alle Araber sprechen konnte, erübrigt sich, weil ihre Gesellschaften hierarchisch gegliedert waren und keine demokratische Willensbildung kannten. Faisal wurde am 08. März 1920 in Damaskus zum König von Syrien (wozu Libanon und Palästina zählten) ausgerufen, musste aber schon am 27. Juli auf französischen Druck hin das Land in Richtung Bagdad verlassen. Am 11. Juli 1922 verabschiedete der britische Ministerrat eine Resolution, in der Faisal zum konstitutionellen Monarchen Iraks erklärt wurde. Für den zionistischen Aufbau hatte der Ökonom und Jurist Arthur Ruppin24 – ein Mann von „eiserne(r) Selbstdisziplin“ und „ein Genie des Arbeitswillens“, der sich mit der hebräischen Sprache schwertat – Anfang 1908 von der zionistischen Exekutive unter ihrem Präsidenten David Wolffsohn (1855 – 1914) ein Büro in der nach einem syrischen Christen benannten Butros-Straße eingerichtet, in der „Einöde“ Jaffas, wie Richard Lichtheim (1885 bis 1963) befand; bei seinem ersten Besuch 1910 trug er einen Revolver bei sich. Ruppins „PalästinaAmt“ wurde Kopf und Herz der praktischen Arbeit. 1920 wurde die von ihm geleitete „Palestine Land Development Company“ (PLDP) in England als gemeinnützige Aktiengesellschaft anerkannt. Ein Jahr danach beauftragte er den gerade aus Frankfurt am Main eingewanderten                                                              24

Der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Arthur Ruppin (1978 – 1943) wurde in der preußischen Provinz Posen geboren. Von dort zogen seine Eltern 1887 nach Magdeburg um, wo er wegen ihrer Verarmung die Oberschule verlassen musste, aber aufgrund seines Ehrgeizes 1899 das Studium in Berlin und Halle aufnahm und mit der Promotion abschloss. Zwischen 1902 und 1907 leitete er das Büro für Jüdische Statistik und Demographie in Berlin. Zum Zionismus kam Ruppin mit dem Interesse, der „Judenfrage“ durch die kommunale und landwirtschaftliche Entwicklung einer jüdischen Gesellschaft in Palästina zu begegnen. 1916 wurde er von den Osmanen ausgewiesen, kehrte 1920 zurück und bekleidete bis zu seinem Tod, der ihn nach einem Schlaganfall in Jerusalem erreichte, wichtige Funktionen in zionistischen Gremien. 44

Architekten Richard Kaufmann (1887 bis 1958) mit der Entwicklung des Jerusalemer Stadtteils Rechavia („Gottes Weite“). Ruppin, der über seine Mutter mit den rabbinischen Überlieferungen vertraut war, bescheinigte Herzl die „absolute Unkenntnis der Verhältnisse“. Gemäß der Volkszählung vom Oktober 1922 lebten 757.182 Menschen in Palästina, von denen 83.794 Juden waren, 11 Prozent. Das eigentliche Problem sei der Mangel an Menschen gewesen, die für die kolonisatorische Arbeit in der Küstenebene, in Galiläa, im Negev und im Jordantal geeignet seien, ermittelte Lichtheim. Für Ruppin stand fest, dass die Deklaration des in Schottland geborenen britischen Außenministers Balfour „mit ihren papiernen Privilegien … für uns ein Fluch sein (wird), wenn wir glauben, daß durch sie für uns Rechte auf Palästina ‚begründet‘ sind“. Für die in Milwaukee aufgewachsene Golda Mabovitch (verheiratete Meyerson) – „Wir sind Sozialisten, tolerant in der Tradition, aber keineswegs durch das Ritual gebunden“ – gab es von vornherein keinen Zweifel daran, dass spätestens nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches das jüdische Volk ein selbstverständliches Recht auf Palästina habe, wofür alle Juden gewonnen werden müssten. Keineswegs zufällig bezeichnete sie ihre ersten zionistischen Bekanntschaften, so den späteren zweiten Staatspräsidenten Yitzhak Ben-Zvi (1884 – 1963) und Ben-Gurion als Palästinenser: „Ich habe niemals zuvor Leute wie diese Palästinenser getroffen …“, und wenig erstaunlich deshalb ihr Ausruf Mitte Juni 1969 im Interview mit der Londoner „Sunday Times“, dass „es so etwas wie [andere] Palästinenser nicht gibt“. „Kein anderes Volk außer den Juden war gewillt und imstande, mit der Kraft seiner Herzen und Hände und mit erheblichen Mitteln das unwirtliche Palästina in bewohntes Kulturland zu verwandelt“, urteilte Lichtheim selbstbewusst als Chef der zionistischen Vertretung in Konstantinopel. Die Juden wanderten „nicht aus negativen Gründen“ ein, betonte Ben-Gurion, der 1906 als Zwanzigjähriger gekommen war und das Pogrom im ukrainischen Kischinew, wo 49 Juden ermordet, 700 45

Häuser beschädigt und 600 Läden geplündert wurden, aus der Ferne erlebt hatte, „sondern mit dem positiven Vorsatz, unsere Heimat neu zu erbauen, ein Land zu besiedeln, in dem wir nicht auf ewig Fremde wie [in der Diaspora] sein müßten, sondern das durch unsere Mühe unwiderruflich das unsere werden würde“, mit „dem Spaten in der Hand“. Für Blumenfeld konnten für ein „freies Volk im jüdischen Land nur Männer schaffen, die grenzenlose Opfer zu bringen bereit sind“. Als sich im Sommer 1933 Walter Benjamin (1892 – 1940), der mit Gershom Scholem nach dessen Entlassung aus dem Militär drei Jahre in der Schweiz zusammengelebt hatte, nach Arbeits- und Lebensbedingungen in Palästina erkundigte, schrieb ihm Scholem aus Ibiza zurück: „Unsere Erfahrung ist, dass auf die Dauer hier nur der leben kann, der sich durch alle Problematik und Bedrücktheit hindurch mit dem Lande und der Sache des Judentums völlig verbunden fühlt.“ Vor dem Ersten Weltkrieg hatten viele Juden aufgrund der armseligen Lebensbedingungen das Land wieder verlassen. Idealismus reichte nicht aus. Hatten sich die arabischen Anfeindungen zunächst hauptsächlich auf die obere Mittelschicht beschränkt, so wurde sie seit dem Ausbruch des Aufstandes im April 1936 – bis 1939 kamen in den Kämpfen fast 3.000 Araber, 329 Juden und 135 Briten ums Leben – von großen Teilen der Öffentlichkeit mitgetragen. Mit der Rebellion kehrte die Aufmerksamkeit ins arabische Umland ein. 1938 dachte Amin Al-Husseini (1895 – 1974), der am 12. April 1921 von einem islamischen Gremium gegen etliche Widerstände, die seine theologischen Qualifikationen in Zweifel zogen, gewählte und dann von den Briten bestätigte Großmufti („Al-Mufti Al-Akbar“) von Jerusalem, an das Zugeständnis eines kleinen jüdischen Staates ohne Haifa und Galiläa – in Obergaliläa hatte Metullah (gegründet 1896) im Ersten Weltkrieg die jüdische Grenzsiedlung zum Libanon gebildet. Ben-Gurion zeigte sich wenig interessiert: Die wirtschaftliche Entwicklung des jüdischen Sektors war weit fortgeschritten. Hatte der Gründungskonferenz der „Achdut Ha’avoda“ („Arbeiterpartei [im Lande Israel]“) 1919 in Petach 46

Tiqva erstmals „internationale Garantien für die Errichtung eines freien Judenstaates in Palästina“ verlangt, womit Ben-Gurion einen friedlichen Ausgleich mit der arabischen Bevölkerung ausschloss, weil noch kein Volk in der Geschichte freiwillig sein Land hergegeben habe, glaubte er fünf Jahre später an eine Verständigung: „Söhne sind wir, die jüdischen und arabischen Arbeiter, des einen Landes, und unser Lebensweg ist auf immer gemeinsam.“ Je stärker sich das Gewicht des „Yishuv“ entwickelte, desto häufiger war die Auffassung vertreten, dass die Araber vom jüdischen Aufbau profitieren würden. Im September 1921 empfahl der XII. Zionistenkongress in Karlsbad die Vereinigung der „zwei semitischen Völker seit alters her“. Mit „Genugtuung“ nahm er allerdings auch „zur Kenntnis“, dass „das Ostjordanland, welches das jüdische Volk stets als integralen Teil Erez Israels betrachtete, in das Mandatsgebiet eingeschlossen werden soll“. Tatsächlich hatte Balfour die Zustimmung des am stärksten imperial ausgerichteten Kabinetts in der britischen Geschichte unter Führung von David Lloyd George (1863 – 1945) nur dadurch erhalten, dass er die zionistischen Territorialforderungen eingrenzte. Genau ein Jahr später veränderte Kolonialminister Winston Churchill (1874 – 1965) das prekäre Palästina-Mandat in seinem Weißbuch zu zionistischem Ungunsten dahingehend, dass er die Aufnahmefähigkeit des Landes an die „ökonomische Kapazität“ zu binden gedachte und darauf beharrte, dass London nicht beabsichtige, ganz Palästina in ein jüdisches Nationalheim umzuwandeln. Nichtsdestoweniger insistierte Jabotinsky darauf, dass die palästinensische Frage im Sinne eines größeren Palästinas gelöst werden müsse. Damals gehörten auch rund 8.000 Hektar östlich entlang der Demarkationslinie zwischen Syrien und Palästina – darunter der Unterbezirk Dera’a mit damals 10.000 Einwohner zählenden Stadt, wo im März 2011 der Volksaufstand gegen Bashar Al-Assads Regime begann – der „Palestine Jewish Colonization Association“ (PICA).

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Chancenlose Teilungspläne Nach Berechnungen der 1937 von den Briten eingesetzten Kommission unter Leitung von Earl William Wesseley Peel (1867 – 1937), dem einstigen „Secretary of State for India“ und Lordsiegelbewahrer, hätte im Falle der Teilung des Mandatsgebiets in zwei Souveränitäten die arabische Bevölkerung in einem „jüdischen“ Staat mit 225.000 Personen fast die Hälfte ausgemacht, während im arabischen Staat lediglich 1.250 Juden gelebt hätten. Neun Jahre später lehnte es Albert Hourani (1915 – 1993) vor dem „Anglo-American Committee of Inquiry“ ab, die Hauptlast des jüdischen Flüchtlingsproblems aus Europa den Arabern aufzubürden: Die „einzige gerechte und praktikable Lösung“ lag für den einflussreichen Historiker in der Umwandlung Palästinas in einen sich selbst regierenden Staat mit einer arabischen Mehrheit bei vollen Rechten für die jüdische Minderheit. Für Edward (Edouard) Atiyah (1903 – 1964), den Leiter des Arabischen Büros in London, war dagegen ein Abkommen „unmöglich“. Zwischen beiden Fronten gab es keinen Kompromiss, bedauerte Buber. Auch nach Ansicht von Abd‘ Al-Qadir Husseini (1910 – 1948) war es unvorstellbar, dass Palästina gleichzeitig den Arabern und den Zionisten gehöre: „Entweder wir kommen siegreich aus dem Krieg heraus, oder wir sterben alle.“ Hussein war Kommandeur der „Heiligen Djihad“-Einheit während des arabischen Aufstandes seit 1936 und kam am 08. April 1948 beim Gefecht mit der Eliteeinheit der „Haganah“, den „Palmach“, im Dorf AlQastel („Al-Qastal“) ums Leben. Am darauffolgenden Tag wurde er in Begleitung einer in die Tausende gehenden Trauergemeinde auf dem „Haram Ash-Sharif“ („Nobles Heiligtum“) in Jerusalem begraben. Auch der Generalsekretär der Arabischen Liga Abdul Rahman Hassan Azzam (1893 – 1976) begehrte auf:

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„Die allein praktische und [politisch] einzige Lösung ist die Errichtung eines Staates unter arabischer Herrschaft, in der die Juden eine Minderheit bilden.“ Als am Abend des 29. November 1947 die UN-Vollversammlung mit 33 gegen 13 Stimmen bei zehn Enthaltungen25 in der Resolution 181 erneut die Teilung zur Schaffung eines „jüdischen“, eines „arabischen“ Staates und eines „Corpus separatum“ für Jerusalem und Bethlehem beschloss, lebten gemäß der Zählung vom Dezember des Vorjahres 1.364.000 Araber und 608.000 Juden in Palästina. Im „jüdischen“ Staat hätten rund 400.000 Araber und 500.000 Juden gewohnt, im „arabischen“ Staat etwa 820.000 Araber und weniger als 100.000 Juden, in der Enklave 105.000 Araber und 100.000 Juden. Die zionistische Seite akzeptierte den Vorschlag als „ultimate minimum“, die arabische Seite bezeichnete ihn und das britische Mandat insgesamt als ungültig. Die palästinensische Führung wurde von beiden Parteien in die Konsultationen nicht einbezogen; Musa Alami (1887 – 1984), aus einer der reichsten Familien Jerusalems stammend und Rechtsberater Londons, hatte dafür gesorgt, dass Amin Al-Husseini von der Mitwirkung in der arabischen Delegation in New York ausgeschlossen wurde. Nur die                                                              25

Für die Resolution stimmten Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Weißrussland, Kanada, Costa Rica, Tschechoslowakei, Dänemark, Dominikanische Republik, Ekuador, Frankreich, Guatemala, Haiti, Island, Liberia, Luxemburg, Niederlande, Neuseeland, Nicaragua, Norwegen, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Polen, Schweden, Südafrika, Sowjetische Republik Ukraine, USA, UdSSR, Uruguay und Venezuela. Dagegen stimmten Afghanistan, Ägypten, Griechenland, Indien, Irak, Iran, Kuba, Libanon, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien, Türkei und Jemen. Der Stimme enthielten sich Argentinien, Äthiopien, Chile, China, El-Salvador, Großbritannien, Honduras, Jugoslawien, Mexiko und Nordirland. Thailand nahm an der Abstimmung nicht teil. Das arabische „Palästina“ war nicht vertreten. 49

palästinensischen Kommunisten äußerten sich auf Geheiß Moskaus zustimmend, bis sie aus Sorge vor dem Druck der Straße ihr Einverständnis revidierten. Mit dem UN-Teilungsplan war zwar nach dem Peel-Bericht zum zweiten Mal die prinzipielle Legitimität der palästinensischen Ansprüche auf einen eigenen Staat anerkannt, doch blieb sie folgenlos. Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen meldeten sich umgehend zu Wort. Der palästinensisch-amerikanische Historiker Philip Mattar machte den Mufti für das Versagen verantwortlich. Ilan Pappe hielt Amin Al-Husseini fehlenden Pragmatismus vor, er habe die historische Chance verstreichen lassen. Der jordanische König Abdullah (1882 – 1951) wollte dem Mufti zuvorkommen und sich zumindest einen Teil des arabischen Teil Palästinas einverleiben; das Königreich der Haschemiten, deren Name auf die Familie des Propheten („Bani Hashim“) zurückgeht, zeigte kein Interesse an einem arabischen Staat im Westen. Daraufhin stimmte die „Jewish Agency“ mit Ben-Gurion an der Spitze der Arrondierung des größten Teils Cisjordaniens – der Westbank – durch die Haschemiten zu. Die Palästinenser hatten das Nachsehen. Einen Tag nach jenem 29. November 1947 referierte „Haaretz“: „Die Annahme der Teilungsresolution seitens der Generalversammlung wurde von der jüdischen Gemeinschaft mit großer Freude aufgenommen, und Tausende gingen zum Feiern auf die Straße, obwohl absehbar war, dass die arabischen Staaten und die palästinensischen Araber mit einem unerbittlichen Krieg gegen die Realisierung des Plans eingreifen würden, einen jüdischen Staat zu schaffen.“ Am 04. April 1950 war der jordanische Anschluss förmlich vollzogen, wurde aber lediglich von Großbritannien und Pakistan anerkannt. Der Politologe Ehud Sprinzak (1940 bis 2002) hat erzählt, dass Arie Lova

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Eliav (1921 – 2010) als Generalsekretär der Arbeitspartei Minister präsidentin Golda Meir – die Hebraisierung ihres Ehenamens Meyerson war auf Ben-Gurions Anweisung erfolgt – um der nationalen Symmetrie willen eine zweite Balfour-Deklaration zugunsten der Palästinenser vorgeschlagen habe.

  Albert Hourani (1915 – 1993). Der im Libanon geborene Christ war einer der bedeutendsten arabischen Historiker. Hourani lehrte in Oxford, Harvard und Chicago. Der in Harvard tätige Historiker Walid Khalidi hat die Balfour-Deklaration als das destruktivste politische Dokument des 20. Jahrhunderts für den Nahen Osten abgetan; für ihn war der Teilungsplan kein legitimer Kompromiss. Sein ferner Verwandter Rashid Khalidi – auch diese Familie führt ihre Ahnenreihe auf den Propheten zurück – bezeichnete sie „aus der Sicht ihrer Opfer“ als „eine Pistole, die direkt auf die Köpfe der Palästinenser zielt“. Ebenfalls im Rückblick bescheinigte Arnold Toynbee (1889 bis 1975) seiner Exekutive in London „einen 51

schrecklichen Mist“. Dass die arabische Seite damals über keine politischen Erfahrungen verfügte, war für ihn „Teil der Monstrosität der ganzen Angelegenheit“. Toynbee bescheinigte dem Theologen, Juristen und Diplomaten Yaacov Herzog – Sohn des Oberrabbiners Isaac Halevy Herzog (1888 – 1959) in der Nachfolge von Abraham Isaac Hacohen Kook (1865 – 1935) –, dass der Staat Israel das Judentum „wie ein Auto enteist“ habe, der seit 1948 in eine einzigartige Erfolgsgeschichte eingemündet sei und damit die Theorie vom Volk, das im Nahen Osten allein wohne, bestätigt habe. Mit seinen „historischen Antennen“ verstand Toynbee die jüdischen Bande für Jerusalem. Der Wirtschaftswissenschaftler David Werner Senator (1896 bis 1953), der sich 1913 in Berlin der Zionistischen Organisation angeschlossen hatte und 1924 nach Palästina gekommen war, schrieb im Dezember 1945 an Chaim Weizmann, dass die arabische Ablehnungsfront expandiere und sich bis zu einem Punkt versteife, wo sie zum Angriff übergehen werde: „Tatsächlich haben wir eine beträchtliche Zeit daran festgehalten, den arabischen Nationalismus zu unterschätzen, schrieb Senator. Genau zwei Jahre danach beschloss die Arabische Liga die Verteilung von 10.000 Gewehren, die Aufstellung von 3.000 Freiwilligen und die Bereitstellung von 1.000.000 £. Zu ihren Tagungen im Libanon und in Kairo wurde Amin Al-Husseini, den ein britischer Anwalt mit den „Protokollen der Weisen von Zion“ vertraut machte, auf Betreiben von König Abdullah und der irakischen Mission unter dem Vorwurf konspirativer Betätigung nicht eingeladen. Ben-Gurion reiste nach London, um die Briten zur Verlängerung ihres Mandats um weitere zehn Jahre zur bitten, weil er den „Yishuv“ für zu schwach hielt, arabischen Angriffen standzuhalten. Andererseits fühlte sich die jüdische Gemeinschaft militärisch stark genug, um eine irakische Kontrolle Syriens zu verhindern, an der auch Abdullah nicht interessiert war. In ihrem ersten Bericht vom 16. Februar 1948 instruierte das „U.N. Special Committee on Palestine“ (UNSCOP) den Sicherheitsrat, dass „sich mächtige arabische Interessen innerhalb und außerhalb Palästinas 52

der Teilungsresolution 181 widersetzen und sich offen dafür verwenden würden, mit Gewalt die in Aussicht genommene Regelung zu ändern“. Zuvor, am 31. August 1947, hatte UNSCOP in ihren Bericht die Beendigung des britischen Mandats, die möglichst schnelle Unabhängigkeit Palästinas, die Teilung des Landes in einen arabischen und einen jüdischen Staat, in denen die Rechte und Interessen der Minderheiten gewährleistet seien, eine Wirtschaftsunion sowie für Jerusalem ein entmilitarisiertes und neutrales „Corpus separatum“ unter internationaler Treuhandschaft empfohlen. Die ersten Schüsse fielen am 30. November auf eine jüdische Ambulanz auf der Fahrt zum „Hadassah“-Krankenhaus auf dem Mount Skopus. Zwischen dem 01. Dezember 1947 und dem 03. April 1948 wurden infolge der Unruhen 6.187 Tote gezählt. In der zweiten Darstellung vom 10. April 1948 ließ UNSCOP wissen: „Die arabische Opposition gegen den Plan der (General-)Versammlung hat von Seiten starker arabischer Elemente innerhalb und außerhalb Palästinas die Gestalt organisierter Bemühungen angenommen, ihn zu verhindern und seine Ziele durch Drohungen und Gewalttätigkeiten einschließlich mehrerer bewaffneter Infiltrationen zu durchkreuzen.” Ende April 1948 beschloss der Politische Ausschuss der Arabischen Liga die Vorbereitung der Intervention mit regulären Truppen. Der Generalsekretär der Arabischen Liga ließ keinen Zweifel daran, dass ein „Krieg der Auslöschung mit bedeutenden Massakern“ an den Juden bevorstehe, die jenen der Mongolen und der Kreuzfahrer gleichen würden. In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1948 informierte Kairo den UN-Sicherheitsrat, dass Ägypten in Palästina „Recht und Ordnung“ schaffen wolle. Das Bild von den zwei Tankern, die aufeinander zufahren, erwies sich als haltlos. Abgesehen von der Kluft im kulturellen Code zwischen einem jahrtausendealten sesshaften Volk und einer

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Gesellschaft aus Einwanderern höchst unterschiedlicher Kulturen, war schon die Motivation, in den Krieg zu ziehen, keineswegs vergleichbar. „Ich umarme meine Schwester und sage ihr, dass es hier Platz für dich gibt. Hier lieben wir dich. Für mich bist du schöner als jede Schönheit, heiliger als alles Heilige... Du wirst meine Braut sein, unsere Mutter. Vor diesen meinen Schwestern knie ich nieder, und wenn ich mich erhebe, fühle und weiß ich, dass ich für diese meine Schwestern stark und mutig bin, ich werde sogar grausam sein. Für dich – alles – alles“, ließ der „Palmach“-Kommandeur Yitzhak Sadeh (1890 – 1952) in seinem Gedicht eine junge Frau wissen, der in einem deutschen Vernichtungslager die Worte „Nur für Offiziere“ auf ihre Hüfte eingebrannt waren und die über die illegale Einwanderung Palästina erreicht hatte. Der Schriftsteller S. Yizhar (1916 – 2006) schilderte in seinem Roman „Die Tage von Ziklag“ die schweren Kämpfe im Negev, die etliche Soldaten als glanzvolle Erfahrungen erlebten, während andere zur Tötung des Gegners aufriefen. Im britischen Militär dienten 12.000 Araber und 27.000 Juden aus Palästina. Israel verlor in seinem Unabhängigkeitskrieg 1.400 jüdische Bürger, darunter Überlebende des Holocaust, die kein Hebräisch sprachen und deshalb Befehle nicht verstanden, erinnerte sich Zeev Sternhell, der die Deportation in Frankreich überlebt hatte. Der Streit ist müßig, ob Herzls Aufruf von 1896 oder der Holocaust für die Proklamation des Staates Israel verantwortlich sind. Für Hazony ist Israel der Gegenentwurf zu Auschwitz, gleichgültig ob seine Politik erfolgreich und moralisch in Ordnung sei. Unbestritten ist für ihn, dass Israel auf der Grundlage der europäischen Zivilisation entstand, also die sefardische Bevölkerungsgruppe daran keinen Anteil hatte. Rund 750.000 Palästinenser verließen ab Ende 1947 durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat. 156.000 blieben im neuen Staat unter Militärverwaltung, die bis Dezember 1966 andauerte.

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Kapitel III Osloer Illusionen „Der Zionismus war nicht zur Erlösung des jüdischen Problems durch die Schaffung eines jüdischen Staates angetreten, sondern als Werkzeug der heiligen Erlösung26.“ Die „Declaration of Principles“ (DOP) von 1993 und die Interimsvereinbarung von 1995 („Oslo I und II“) verlagerten den Streit aus der internationalen Politik in die bilaterale Arena. Während US-Außenminister Warren Christopher (1915 – 2011) am 03. August 1993 dem syrischen Staatspräsidenten Hafez Al-Assad (1930 bis 2000) die grundlegende Bereitschaft Rabins für einen auf fünf Jahre ausgelegten vollständigen Rückzug Israels von den Golanhöhen auf der Basis des umfassenden Friedens zu überbringen glaubte, trafen die Unterhändler von Shimon Peres (1923 – 2016) und Yasser Arafat (1929 – 2004) insgeheim die letzten Vorbereitungen für die Unterzeichnung der Prinzipienerklärung. Christopher zeigte sich irritiert – „Warum habt ihr auf diese tölpelhaften (‚dump‘) Norweger zurückgegriffen?“ –, hatte Washington doch bisher auf seiner politischen Monopolstellung als selbsternannter Vermittler bestanden. Zur Beruhigung schlugen die Israelis vor, dass die USA den Entwurf übernehmen, worauf sich Clinton bereit zeigte, bei der Unterzeichnungszeremonie wenigstens als Gastgeber aufzutreten. Inzwischen hat die norwegische Historikerin Hilde Hendriksen Waage durch umfangreiche Recherchen ermittelt, dass es zwischen

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Israels aschkenasischer Oberrabbiner Shlomo Goren 1988. 55

den Mediatoren Terje Rød-Larsen, seiner Frau Mona Juul, Außenminister Jan Egeland und seinem Nachfolger im Amt Johan Jørgen Holst (1937 – 1994) immer wieder enge US-Vorabsprachen mit den Israelis an den Palästinensern vorbei gab. So unterrichtete Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner im Juni 2018 zunächst die Regierung in Jerusalem, bevor er in einem Interview mit der palästinensischen Zeitung „Al-Quds“ („Jerusalem [Die Heilige]“) Machmud Abbas („Abu Mazen“) die Bereitschaft zum Frieden absprach. Einen Monat später ordnete das „State Department“ die Freigabe von bis zu 61 Millionen US-Dollar für die Autonomiebehörde an, damit deren Sicherheitszusammenarbeit mit Israel gewährleistet würde. Er stehe zu 100 Prozent an der Seite Israels verkündete Trump, als er im Herbst 2018 einen Plan für eine Zwei-Staaten-Lösung ankündigte. Bei der Abstimmung der Prinzipienerklärung in der Knesset enthielt sich Innenminister Ehud Barak der Stimme. Am 01. Oktober beschloss die internationale Gebergemeinschaft die erste Tranche von 2,4 Milliarden US-Dollar an die noch zu installierende palästinensische Autonomiebehörde („Palestinian Interim Self-Governing Authority“, PISGA). Die Transferleistungen begannen das proklamierte Ziel zweier Staaten zu überlagern. Ein Evaluierungsprogramm der Gemeinschaft 2014 ermittelte, dass die Fördermittel der palästinensischen Bevölkerung wirtschaftlich geholfen, den fiskalischen und ökonomischen Kollaps der Autonomiebehörde verhindert, die Verluste der Okkupation aufgefangen, zur Stabilität und Sicherheit beigetragen und „Kapazitäten aufgebaut“ haben – welche gemeint waren, wurde nicht ausgeführt. Eine politiche Bewertung fand nicht statt. Dennoch ließ es sich ein Mitglied des Europäischen Parlaments Mitte 2017 nicht nehmen, die „positive Rolle“ der Zuwendungen hervorzuheben: Mit ihnen und mittels der Handelspartnerschaft mit Israel habe Europa „einen Hebel über diese Akteure“. Palästina und die palästinensischen Rechte stehen nicht zum Verkauf, hielt Saeb Erekat dagegen. Wie auf zionistischer Seite während der Mandatszeit steht dem Selbstbestimmungsrecht 56

Israels die Erwartung gegenüber, dass der Genuss materieller Vorteile die Palästinenser von ihren politischen Forderungen ablenkt. Unter dem Dach der von Raymond Cohen diagnostizierten „anarchischen Natur der internationalen Beziehungen“ hat sich die unermüdliche Wiederholung der Formel von der Zwei-Staaten-Lösung erledigt. Allein im August 2018 verlor die Option in Israel zwei Prozent an Zustimmung.

Geniestreiche statt Hammerschläge Nach der Zeremonie am 13. September 1993 vor dem Weißen Haus hatten sich die Hoffnungen auf Frieden überschlagen. Mit einem Geniestreich schienen die Epochen der Feindschaft samt ihren Ablagerungen bezwungen zu sein. Für Shimon Peres war die „Jagdsaison“ zu Ende, weil die „Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements“ eine „revolutionäre Wende in der Geschichte des Nahen Ostens“ verheiße und für alle Menschen erweiterte Horizonte eröffne: An die Stelle der Kriege um Territorien werde der Wettbewerb um den Einsatz neuer Technologien treten, denen Grenzen fremd seien. Vor der UN-Vollversammlung fügte Peres hinzu, nunmehr würden wirtschaftliche „Hammerschläge den Donner der Kanonen ersetzen“, und übertrug das Benelux-Modell auf die Levante. Die Opposition daheim tat er pathetisch als „Leute von gestern“ ab. Dass er ein Jahr zuvor einer künftigen palästinensischen Autonomie „eine höchst wichtige Dimension der Doppelgesichtigkeit“ zugemessen hatte, fiel kaum auf. Wenn John Kerry ihm und Yitzhak Rabin die Überzeugung eines palästinensischen Staates zugeschrieben hat, der für Israel Sicherheit bedeute, kann er sich nur auf persönliche Eindrücke berufen. Rabins Vertrauter Uri Savir bekannte, dass er Zeuge und Teilnehmer „einer Serie von dramatischen Wendepunkten in der Geschichte des

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Nahen Ostens“ geworden sei. Für Abba Eban lief der Prozess „unweigerlich auf einen palästinensischen Staat“ zu, um „unsere unzweifelhaften historischen Rechte … in eine tragfähige Balance mit den Rechten anderer (zu) bringen und damit unserem eigenen Recht auf einen endgültigen Frieden“ den Pfad zu ebnen; 1968 hatte er den Palästinensern das Recht auf Selbstverwaltung abgesprochen. Die Soziologen und Politologen Barry Rubin, Joseph Ginat und Moshe Ma’oz stellten ihr Buch unter den Titel „Vom Krieg zum Frieden“. Der Jerusalemer Politologe Yehoshafat Harkabi (1921 – 1994) konstatierte einen erstaunlichen Umbruch („sea change“). Die israelische Rechte könne die Implementierung des „Friedensvertrages“ nicht verhindern, lautete die Prognose einer Aufsatzkollektion, welche die politische Überbewertung ausdrückte. Doch Akiva Eldar konnte als „Haaretz“-Korresondent bei der Zeremonie am 13. September seine Tränen nicht unterdrücken, sein Kollege Gideon Levy glaubte an „Oslo“, weil er das Kleingedruckte nicht las. Für den Jerusalemer Politologen Shlomo Avineri hatte die Aussöhnung zwischen beiden Völkern einen „historischen Wendepunkt“ erreicht. Nach Auffassung seines US-amerikanischen Kollegen Bernard Reich, zwischen 1993 und 1997 Handelsminister, hatte sich „für immer und unwiderruflich das Wesen des arabisch-israelischen Konflikts verändert“. Nach Auffassung von Johan Jørgen Holst werde „das wahre Wunder“ die bisherigen Konstanten verändern. Der zu den „neuen Historikern“ zählende Avi Shlaim bescheinigte Rabin und Arafat, dass sie „die geopolitische Karte der gesamten Region neu gezogen“ hätten, um rückblickend zu ergänzen, dass „Oslo“ das einzig faire und vernünftige Angebot zur Teilung Palästinas gewesen sei. Ob Yoel Singer, aus seiner Washingtoner Kanzlei zurückgeholter Rechtsberater Rabins, mit seiner jüngsten Prognose recht behält, erscheint höchst fraglich: Komme ein Vertrag zustande, werde dieser sich an Oslo orientieren. Von einem palästinensischen Staat war dort nicht die Rede.

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Uri Avnery glaubte, dass die Friedensbewegung beruhigt nach Hause gehen könne, um kurze Zeit hernach zu beklagen, dass sie sich „quasi zur Ruhe gesetzt“ habe. Doch die „Schwangerschaft“ werde „unweigerlich zu einer Geburt führen, der Geburt des Staates Palästina“. Für Avnery schien „immer klarer“, „dass die Israelis von Krieg und Besatzung genug hatten“, und „[g]anz egal, was die Fehler des Abkommens sind, die Dynamik des Friedens wird sie überholen“. 1995, nach der Interimsvereinbarung, äußerte er sich vorsichtiger: Sie sei voller Sätze, die mit „nicht später als …“ anfingen. Auch Savir bekannte im Nachgang, dass „Oslo“ den Palästinensern nichts anderes als eine „Schaufensterauslagen“ geliefert habe. Meron Benvenisti sah sich dementsprechend in seinem frühen Urteil vom „institutionellen Dualismus“ bestätigt. Dennoch findet sich die Ausweisung „Oslos“ als Friedensvertrag bis heute in deutschen Leitmedien wieder, obwohl ein Friedensvertrag grundsätzlich nur zwischen Völkerrechtssubjekten geschlossen werden kann. Selbst die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini behauptete im Januar 2018, die Zwei-Staaten-Lösung sei in den Osloer Vereinbarungen verankert. Sechs Monaten später gestand die Europäische Union ein, dass ein Staat Palästina in weite Ferne gerückt sei. Wenn, wie Heinz Wagner, Ulrich K. Preuß und Dieter Grimm ausgeführt haben, Völkerrecht Staatenrecht meint und dieses der Inbegriff der Rechtsordnung ist, fehlt der PLO nach der Faktorenliste der Vereinten Nationen der Status eines aktiven Faktors in der Geschichte mit seinen vier Voraussetzungen: a. einer effektiv arbeitenden Regierung, die einen unabhängigen Staat lenkt; b. der vollständigen Kontrolle der dort lebenden Bevölkerung; c. der souveränen Verfügung über ein durch Grenzen definiertes Territorium sowie d. der Freiheit in der Gestaltung der internationalen Beziehungen. 59

Wenn Yoram Hazony ergänzt, dass ein Staat auf militärische und ökonomische Ressourcen zurückgreifen muss, um seiner Unabhängigkeit Gewicht zu verleihen, dann ist ein entmilitärisiertes Palästina der politisch-legalistischen Monopolstellung Israels ausgeliefert. Vor seinem Auftritt in der UN-Vollversammlung hat Netanjahu Ende September 2018 die Tonlage mit der Aussage weiter verschärft, dass Israel die Kontrolle westlich des Jordantals nicht aufgeben werde, womit aus behaupteten Sicherheitsbedürfnissen eine Rückkehr von palästinensischen Flüchtlingen außer Frage steht. Wann stellt sich Brüssel auf die Neuordnung seiner Politik ein, nachdem ihr Bekenntnis an den israelischen Widerständen gescheitert ist?

Verschmähte Verständigung Während der Regierungszeit Yitzhak Rabins empörten sich palästinensische Beobachter über eine „halsbrecherische Geschwindigkeit“ (Khalil Tufakji) beim Siedlungsbau. Baraks Berater Gil’ad Sher zeigte sich überrascht, dass die Palästinenser zur „giftigen Aufstachelung gegen Israel, die Juden und den Zionismus“ griffn, wo doch der „Friedensprozess“ richtig sei. Dabei räumte Sher ein, die „lebenswichtigen Interessen“ Israels würden „nicht zwingend mit der Landkarte militärischer Bedürfnisse übereinstimmen“. Für Arafats Chefunterhändler Achmed Qureia („Abu Ala“) stand dennoch fest, dass der wirtschaftliche Fortschritt die Palästinenser vom Frieden überzeugen werde. Auch Hanan Ashrawi, Sprecherin der palästinensischen Gruppe bei der Madrider Friedenskonferenz im Herbst 1991 in Madrid, vertraute auf den Anbruch der Staatlichkeit. Unter palästinensischen Intellektuellen jedoch hinterließ „Oslo I“ den Nachgeschmack der nationalen Schmach. Der in eine reiche christliche Familie in Jerusalem geborene Edward W. Said (1935 bis 60

2003), dessen Familie die Stadt 1948 in Richtung Kairo verlassen hatte, verurteilte das Dokument als Modell für eine „Kleinstadt-Regierung”, als ein „palästinensisches Versailles”, als eine „arabische Kapitulation“ und als einen „bösen Traum” und kürte den 163 Zentimeter großen Arafat „zum unattraktivsten und moralisch abstoßendsten Mann auf Erden“. Said befürchtete: „Wenn wir endlich aufwachen, wird nur noch sehr wenig vom Land Palästina übrig sein“, und verlangte „eine Vision, die den so oft missbrauchten Geist über die schäbige Gegenwart erhebt“. Der Dichter Machmud Darwish (1941 – 2008), geboren in einem Dorf im Norden Palästinas, sah einen gefährlichen Cocktail à la Libanon voraus. „Das Kamel bekam Wehen und gebar eine Ratte“, lautete der Kernsatz einer „Hamas“-Erklärung. Für ihren Chef Sheikh Achmed Yassin (1935 – 2004) war jede „Versöhnung mit den Juden ein Verbrechen“. Loren D. Lybarger zitierte eine junge Palästinenserin mit den Worten „Der Kampf ist der Weg Gottes“ („Al-Djihad fi Sabil Illah“). Die Geringschätzung des Islams sei die Wurzel der palästinensischen Schwäche und ihres Leidens, ließ Lybarger einen Gesprächspartner zu Wort kommen: Wären wir wahre Muslime gewesen, wären wir mächtig genug gewesen, Israel zu verderben. Die palästinensische Führung und allen voran Arafat waren am Kleingedruckten kaum interessiert, während die israelische Delegation regelmäßig jedes Wort und jede Formel zweimal umdrehte, bevor sie zustimmte. Der revolutionäre Elan wich palästinensischen Monologen über die ihnen angetane Ungerechtigkeit. Denn Behauptungen, dass der Bereinigung des Brandherdes keine prinzipiellen Hürden mehr entgegenstehen, erwiesen sich als haltlos. In der arabischen Nachbarschaft blieb das Echo auf die palästinensische Verzweiflung schwach. Deshalb brachte ein im Ausland lebender syrischer Schriftsteller im Oktober 1995 seine Ablehnung einer Normalisierung in die Verse in dem Reim „Die Eiligen“ unter:

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„Wer mag die Herrscher zum Frieden der Feiglinge befragen, zum Frieden des Verkaufs der Renditen und den Einkauf auf Raten, zum Frieden der Händler und der Ausbeuter? Wer mag sie fragen zum Frieden der Toten? Sie haben die Straßen zum Schweigen gebracht und alle Fragen ermordet und jene, die gefragt haben.“ Da allen Parteien die Reife für den Frieden fehlte, setzten sich seine Gegner rasch in Szene. „Politiken der Provokationen” (Gadi Wolfsfeld) des wenige tausend Personen umfassenden harten jüdischen Siedlerkerns stützten sich auf zahlreiche Knesset-Abgeordnete. Moshe Arens, außer Peres der einzige Zivilist im Amt eines Verteidigungsministers zwischen 1988 und 1990, bezeichnete „Oslo“ als einen „erbärmlichen Fehler“. Rabins Amtsvorgänger, der 1935 aus Polen eingewanderte Yitzhak Shamir (1915 – 2012), forderte dazu auf, die „Regierung der Vernichtung“ davonzujagen. Einen Tag vor der Zeremonie in Washington wurden drei israelische Soldaten von einer „Hamas“-Brigade getötet. Am 24. Februar 1994, am Vorabend von „Purim“, ermordete der Arzt Baruch Goldstein, ein Schüler des 1971 aus New York eingewanderten extremistischen Rabbiners Meir Kahane (1932 – 1990), gekleidet in eine Militäruniform, in einem Akt der „totalen Hingabe“ („Mesirút Ha-Néfesh“) 29 Palästinenser in der Ibrahim-Moschee in Hebron („AlKhalil“); der Politologe Ehud Sprinzak hat den Mord als „Ausdruck des Messianismus in der Krise“ zur Abwehr der Prinzipienerklärung gedeutet. Dass Rabin vier Tage später vor der Knesset seine Abscheu äußerte „Zu ihm [Goldstein] und zu jenen wie ihm sagen wir: Ihr seid kein Teil der Gemeinschaft Israels. Ihr seid kein Teil des nationalen demokratischen Lagers, zu dem wir alle in diesem Hause gehören, und viele Menschen verachten euch. Ihr seid keine Partner des zionistischen 62

Unternehmens. Ihr seid bloß Unkraut. Das vernünftige Judentum speit euch aus. Ihr stellt euch außerhalb der Mauer des jüdischen Gesetzes. Ihr seid eine Schande für den Zionismus und eine Schande für das Judentum“, löste kein Umdenken aus. Die Evakuierung der Siedler aus der Stadt entfiel, Rabin zögerte entgegen vertrauten Ratschlägen. Dafür wurden am 18. Juli 1994 bei einem Anschlag, für den die „Hisbollah“ – Kopf der „ewig Unterprivilegierten“ Libanons, wie Thomas L. Friedman sie genannt hat – verantwortlich gemacht wurde, auf ein jüdisches Sozialwerk in Buenos Aires 85 Menschen ermordet. Am 19. Oktober kamen in Tel Aviv 22 Israelis durch die „Brigade der Märtyrer Abd‘ Al-Din Qassem27“ ums Leben. Am 22. Januar 1995 starben bei einem Anschlag in Bet Lid, gelegen zwischen Tulkarem und Nablus, durch den „Islamischen Djihad“ („Djihad Al-Islami") 22 israelische Soldaten. Um seine ins Chaotische abgleitende Planungs- und Handlungsschwäche zu vertuschen, entschied Arafat mit dem Bescheid vom 20. Mai 1994, die Souveränität Jordaniens wieder ins Spiel zu bringen, nachdem König Hussein (1935 – 1999) – der „ehrenwerte Feind“ mit seiner „sehr geregelte[n] Diktatur, ein sehr netter Polizeistaat“ (Uri Avnery), ein „Amateur-König“ (Shimon Peres) – im Juli 1988 die Westbank preisgegeben hatte. Mit dem Verzicht leistete er den Palästinensern einen Bärendienst. Mit Arafats Anordnung sollten „alle Gesetze, Vorschriften und Anordnungen, die vor dem 05. Juni 1967 in der                                                              27

Iz Abd‘ Al-Din Mustafa Yussuf Qassem wurde 1882 in Damaskus geboren. Als charismatisch veranlagter Agitator gewann er aufgrund seiner Gegnerschaft gegen die korrupte palästinensische Führung große Sympathien unter der arabischen Bevölkerung Palästinas, wo er Brigaden auf dem über Haifa gelegenen Carmel ausbildete. Amin Al-Husseini versuchte Qassem zum „Djihad“ gegen Briten und Juden zu bewegen. Qassem wurde nach einer Verfolgungsjagd von britischen Soldaten getötet. 63

Westbank und im Gazastreifen galten, bis zur Vereinigung [beider Territorien] in Kraft bleiben“. Zur Bekräftigung seiner bescheidenen Expertise forderte er, dem Unmut über seine Sprunghaftigkeit neue Nahrung gebend, von Israel neue Verhandlungen, auf die er faktisch schwerlich vorbereitet war. Zum anderen ermutigte er den Einsatz von Gewalt, wenn Verhandlungen zu misslingen drohten, und ließ Täter gewähren, um sich im Nachhinein auf äußeren Druck hin zu distanzieren, damit er als „Partner“ ernst genommen würde.

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Kapitel IV Das Schwert des Krieges als Rechtsstandpunkt „Sicherheit steht über allem anderen28.“ Kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg – Jakob Hessing hat darauf aufmerksam gemacht, dass die israelische Übernahme auf die sechs Tage des biblischen Schöpfungsberichts verweist – hatte der zur Arbeitspartei gehörige Verkehrsminister Moshe Carmel (1911 bis 2003) die Hoffnung geäußert, dass sich die Welt nach 20 Jahren an die Besetzung der Westbank gewöhnt haben werde – „Wir haben mehr Rechte und können uns mehr mit diesen Territorien identifizieren als er [König Hussein]“ –, während Finanzminister Pinchas Sapir (1906 – 1975) „ein Desaster“ befürchtete, weil Israel mit weiteren 600.000 Arabern zu einem arabischen Staat werde. Dieselbe Sorge äußerte Erziehungsminister Zalman Aranne (1899 bis 1970). 2004 wies der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dem Israel wie Frankreich und Großbritannien nicht angehört, die israelische Behauptung zurück, Absatz 6 des Artikels 49 („The Occupying Power shall not deport or transfer parts of its own civilian population into the territory it occupies“) der Genfer Konvention – von Israel am 06. Juli 1951 ratifiziert – sei im Blick auf die Siedlungen und die „Trennungsmauer“ („Gadér Ha-Hafradá“) nicht anwendbar. Wenn die Besatzungsmacht ihre Verpflichtungen umfassender Art („erga omnes“) gemäß dem internationalen Recht nicht nachkomme, könnten andere                                                              28

Ehud Barak: We Must Save Israel From Its Government, in NYT 01.12.2017. 65

Staaten sie zwar dazu zwingen, so der Tel Aviver Verfassungsrechtler Eyal Benvenisti, doch im UN-Sicherheitsrat zeigten sich die fünf VetoMächte uneins, ob gemäß Artikel 24 der UN-Satzung die israelischpalästinensische Konfrontation als Bedrohung der korporativen Sicherheit zu bewerten sei, zumal da die Palästinenser keinen Staat haben, um mit dem Gericht zusammenarbeiten zu können. Im Haager Votum blieb außerdem die Frage offen, ob die Westbank und Ost-Jerusalem souveränitätspolitisch „Terra nullius“ sind. Die UN-Schutzverantwortung („Responsibility to protect“) von 2005 bindet nur Staaten, klammert also „Palästina“ aus. Schon ein Jahr nach dem Junikrieg entwarf der Dozent für internationales Recht an der Hebräischen Universität in Jerusalem und nachmalige UN-Botschafter Yehuda Z. Blum in rechtspolitisch schöpferischer Exegese das bis heute gültige Konzept, wonach der „Rechtsstandpunkt Israels in den in Frage stehenden Gebieten [Ost-Jerusalem, Westbank und Gazastreifen] der eines Staates ist, der juristisch ein Gebiet kontrolliert, auf das kein anderer Staat einen besseren Titel vorweisen kann“. Der an der Tel Aviver Universität tätige Verfassungsrechtler Yoram Dinstein befand, dass Israel seine Existenz keineswegs aus der UN-Teilungsresolution bezogen habe, auch wenn diese „ein historisch wichtiges Bindeglied in einer Kette von Ereignissen“ gewesen sei. Vielmehr seien 1948 die „Waagschalen der Staatlichkeit durch ein Schwert in Bewegung gesetzt“ worden, dann noch einmal 1967. 1971 bekräftigte ein Symposium in Tel Aviv die Ablehnung fremder Souveränitätsrechte in der Westbank: Meir Rosenne (1931 bis 2015), Botschafter und Rechtsberater mehrerer Regierungen, vertrat die Auffassung, dass das Recht nicht im Vakuum operiere, sondern in engstem Kontakt mit Fakten stehe. 1980 unterstrich der 1925 in Danzig geborene Meir Shamgar – 1961 bis 1968 Militärstaatsanwalt, von 1968 bis 1975 Generalstaatsanwalt, ab 1975 Mitglied des Obersten Gerichts sowie zwischen 1984 und 1995 dessen Präsident –, dass die Haager Landkriegsordnung von 1907 und Gewohnheitsverfahren nur auf einer „De 66

facto“-Basis Beachtung finden könnten. Ihm zufolge ließ sich die Vierte Genfer Konvention nicht unmittelbar auf Judäa und Samaria übertragen. Die Militärverwaltung unterliege keiner zeitlichen Begrenzung, so Shamgar weiter, und müsse beachten, dass das Territorium vor 1967 keinen Souverän gehabt habe, nachdem der Waffenstillstandsvertrag mit Ägypten von 1949 ausdrücklich erklärt habe, dass die Demarkationslinien keinesfalls eine politische oder territoriale Grenze sowie kein Rechtspräjudiz darstellen. Das Niveau der „humanitären Vorkehrungen“ schloss Shamgar gleichwohl nicht völlig aus. Schon 1978 hatte Menachem Begin in einer Anweisung die israelischen Vertretungen im Ausland angewiesen, dass die Bezeichnungen „Administered Territories“ und „Westbank“ zugunsten Judäa und Samaria – „der göttlichen Zusage“ – entfallen sollten. Der Titel der von Shamgar herausgegebenen Sammelschrift „Military Government in the Territories Administered by Israel“ war bewusst missverständlich formuliert. Würden wir, so zog der Jurist Netanel Lorch nach, die Genfer Konvention beachten, hätten wir die Demarkationslinie von 1949 nachträglich als internationale Grenzen billigen müssen. Nicht einmal für den Gazastreifen habe Ägypten Souveränitätsansprüche geltend gemacht. Anders sei die Sache bei den Golanhöhen gelagert, aber, so fragte Lorch: „Welchem Zweck würde es dienen, wenn wir die Konvention nur auf diesen Bergrücken anwenden?“ Nach vier Jahrzehnte sah sich US-Botschafter David Friedman von Tel Aviv aus das „State Department“ erneut zur Ermahnung an die Medien veranlasst, auf den Begriff „Besatzung“ zu verzichten. Meron Benvenisti hat die Polarität zwischen einer Siedlerin und einer Palästinenserin als einen „Zusammenprall zweier Welten“ in die Worte gefasst: „Die jüdische Frau, die einen Anspruch auf Schutz durch die Sicherheitskräfte hat, besitzt alle Rechte eines freien Landes. Auf der anderen Seite steht eine Frau eines besetzten Volkes, die auch ein Recht auf 67

Schutz hat. Doch die Besatzungsarmee hat seit langem vergessen, dass sie nach dem Völkerrecht die Aufgabe hat, das zu beschützende Volk zu beschützen. Die Armee ist zur Miliz der Siedler geworden und betrachtet die einheimische Bevölkerung als feindliche Elemente. Es ist leicht, die vulgäre Art der Siedler in Hebron zu verurteilen, und es ist leicht, die jüdische Enklave als eine Bande gewalttätiger Gangster abzutun. Es ist das Regime, das sich auf ethnische Diskriminierung und Trennung, auf Doppelstandards und die Absenz des Gesetzes gründet.“ Palästinensische Kläger gegen jüdische Einzelpersonen und Einrichtungen müssen den Obersten Gerichtshof in Jerusalem anrufen, wenn sie gegen die Enteignung ihrer Böden Einspruch erheben wollen. 2012 befand die von Netanjahu berufene „Commission to Examine the Status of Building in Judea and Samaria“, dass –



das internationale Recht auf Israels Anwesenheit in Judäa und Samaria im Lichte der einzigartigen historischen und juristischen Umstände nicht übertragbar sei und die Genfer Konvention, was die Ansiedlung jüdischer Volksteile betreffe, aus eben jenen Gründen hier nicht gelten könne.

Für Kompromisse war kein Platz. Zur Beruhigung internationaler Einwände ist ausgeführt worden, dass die Landnahme nur selten Privatböden beträfe und wenige Palästinenser ihre Ansprüche in der Zeit in der Westbank zur Geltung gebracht hätten, als sie, „auf ihren Rechten schlafend“, im Zuge „obskurer Zuteilungen“ ihre Landflächen in jordanisches Staatsland umwandeln ließen. Einige Beispiele des israelischen Vorgehens, so die Autoren Yael Ronen und Yuval Shany, seien eher unter die Bezeichnung „Landreform“ zu subsumieren. Überdies verpflichte die am 24. Oktober 1945 in Kraft getretene UN-Charta die Mitgliedsstaaten, Streit friedlich beizulegen (Art. 2 Ziff. 2) und das Allgemeine Gewaltverbot anzuerkennen (Art. 2 Ziff. 4). Mit dieser

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Argumentationskette sollten palästinensische Ansprüche politisch aus der Welt geschafft werden. Bereits Mitte der 1930er Zeit war die Formulierung „Krieg“ zurückgewiesen und durch das Wort „Rebellion“ („Mahepechá“) ersetzt worden. In der UN-Menschenrechtskommission – seit 2006 dem UN-Menschenrechtsrat – blieb strittig, ob mit der Besatzung die nationalen Souveränitätsrechte der Palästinenser eingeschränkt würden. Im Oktober 2017 informierte der UN-Sonderberichterstatter Michael Lynk den Generalsekretär, dass ihm die israelischen Behörden keine Genehmigung erteilten, seinen Auftrag zur Geltung elementarer Rechtsgüter zu erfüllen, obwohl das Recht auf Selbstbestimmung für alle Völker gelte, „die unter einer Besatzung und anderen Formen von Fremdherrschaft leben“. Ein halbes Jahr später meldete er nach New York, dass die israelische Politik den formellen Anschluss von Teilen der Westbank vorbereite, nachdem sie durch die Siedlungserweiterungen, militärische Sperrzonen und die Ablehnung palästinenisischer Bauanträge und durch andere Maßnahmen diesen endgültigen Schritt vorbereitet habe. Als im Juli 2018 Diplomaten aus Belgien, Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Island, der Schweiz und Spanien die Schule im Beduinendorf Khan Al-Ahmar östlich von Jerusalem in der Zone C auf dem Weg zum Tote Meer besuchen wollten, wurde das Gelände kurzerhand zur militärischen Sperrzone erklärt. In den 1950er Jahren war der hier lebende JahalinStamm aus dem Negev vertrieben worden. Das juristische Prinzip „Nullus commudum capere de sua injuria proprio“ – niemand darf aus dem von ihm begangenen Unrecht Nutzen ziehen – war geschleift. Bei ihrem Besuch im Oktober 2018 in Jerusalem hat Angela Merkel die drohende Zerstörung des Beduinenlagers von Khan Al-Ahmar zwischen Jerusalem und dem Toten Meer „eine innerisraelische Angelegenheit“ genannt – dafür sorgt „die einzigartige Partnerschaft“, wie Merkel und Netanjahu ausführten –, obwohl sie das Ziel zweier Staten endgültig beschädigt, weil sie die Westbank in einen nördlichen und 69

einen südlichen Teil trennt. Vermutungen, dass sie die Reise absagen werde, falls die Ansiedlung geräumt würde, nannte Merkel „Fake News“; Erziehungsminister Naftali Bennett bedankte sich bei ihr. Was ist schon die politische Enteignung der Palästinesner gegenüber ITVerträgen mit Israel wert. Statt auf Khan Al-Ahmar verwendete die Bundeskanzlerin einen erheblichen Teil ihrer Gespräche darauf, die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen anzusprechen, obwohl die Zweifel groß sind, ob ein israelisch-palästinensischer Vertrag diesen Küstenstreifen einschließen wird. Der Status als ein „Non-Member Observer State“ gemäß der Entschließung der UN-Vollversammlung vom 29. November 2012 hat die palästinensische Mängelliste nicht geheilt. Solange Artikel 27 Absatz 3 der UN-Charta zufolge ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrates an seinem Vetorecht festhält, so lange bleibt die vollgültige Aufnahme eines neuen Staates in die Vereinten Nationen aus. Die PLO band sich zudem selbst, als sie in Artikel IX der Interimsvereinbarung dem Verzicht auf Botschaften, Konsulate und andere Arten von Missionen und Posten im Ausland zustimmte. Dementsprechend sind die im Januar 2018 gegen Israel eingebrachten 240 Beschwerden des UN-Menschenrechtsrats, zu denen das Ende der Siedlungserweiterung gehört, von der Exekutive in Jerusalem mit der Erklärung zurückgewiesen worden, Palästina würde „die Kriterien der Staatlichkeit unter internationalem Recht nicht erfüllen“. Im Juni 2018 verließen die USA das Gremium mit der Begründung der politischen Voreingenommenheit zu Lasten Israels, womit sie der Regierung Netanjahus Handlungsfreiheit einräumten.

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Kapitel V Keine Zukunft ohne Judentum „Das jüdische Volk ist durch sein Verhältnis zu Gott über alle naturgesetzlichen Zusammenhänge hinausgehoben29.“ Die Wahrung der Integrität des jüdischen Volkes „in seiner unendlichen Zersplitterung und Zerstreuung“ sei ihm aus eigener Kraft unmöglich gewesen, befand der aus dem neo-orthodoxen Umfeld in Halberstadt stammende Jizchak Fritz Baer (1888 – 1980), sondern verdanke sich „der göttlichen Vorsehung, die das jüdische Volk zu Zwecken erhält, die ihr allein offenbar sind“. Ihren Gegenpol erfuhr die Aussage bei Yosef Hayyim Yerushalmi, wonach die Geschichte zum einzigen Glauben ungläubiger Juden geworden sei: „Es liegt in der Natur der Sache, dass die moderne jüdische Historiographie außerstande ist, ein zerfallenes Gruppengedächtnis zu ersetzen, welches früher ohne den Historiker auskam.“ Davon blieben auch Juden in Osteuropa nicht verschont: Bereits 1823 hatte Heinrich Heine (1797 – 1856) in seiner Erzählung „Über Polen“ das Lied der doppelten Existenz angestimmt: „In der schroffen Abgeschlossenheit wurde der Charakter des polnischen Juden ein Ganzes; durch das Einatmen toleranter Luft bekam dieser Charakter den Stempel der Freiheit.“ Die Aufklärung setzte Gott ab, konstatierte Richard Lichtheim für die Zeit des deutschen Kaiserreichs. Gershom Scholem unterstellte den religiösen Reformern wie Ludwig Geiger (1848 – 1919), das Judentum seiner „mythischen oder irrationalen Elemente“ zu berauben, und verfolgte die Historisierung des Judentums mit Argwohn: Die Wissenschaft des Judentums lief für                                                              29

So der in Halberstadt geborene Historiker Fritz Yizchak Baer. 71

ihn auf seine „Liquidation … als eines lebendigen Organismus" hinaus. In Abkehr von der „Haskala“ forderte Scholem eine „Wissenschaft vom Judentum" zwecks „Erneuerung des Judentums … als eine(r) religiösmystische(n)“ Instanz im Gegensatz zum „empirische(n) Zionismus, der von einem unmöglichen und provokatorischen Zerrbild einer politisch angeblichen ‚Lösung der Judenfrage‘ ausgeht“, schrieb Scholem 1931 an Walter Benjamin. Ungehalten reagierte er auf den in Mähren geborenen Bibliographen und Orientalisten Moritz Steinschneider (1816 – 1907), für den die einzige Aufgabe nur noch darin bestand, „den Überresten des Judentums ein ehrenvolles Begräbnis zu bereiten“. Dabei war Scholem das Judentum als eine Religion der Vernunft (Hermann Cohen, 1842 – 1918) ebenso fremd wie die traditionelle religiöse Observanz. „Das Judentum als geistige dynamische Kraft existierte überhaupt nicht! Was uns entgegentrat, war erstarrte religiöse Überlieferung“, konstatierte auch Robert Weltsch. Im Rückblick beklagte er das trügerische „Gefühl der bürgerlichen Sekurität“, auch wenn „irgendwo im Verborgenen (…) der Wurm des Zweifels an dem Gefühl der Sicherheit (nagte)“. Für Edmond Jabès (1912 – 1991) waren „Judaismus und Schreiben (…) nur einziges Warten, eine einzige Hoffnung, ein einziger Verschleiß“, hat Zygmunt Bauman (1925 – 2017) den französischen Schriftsteller und Dichter zitiert. Amos Oz und seine Tochter Fania Oz-Salzberger schrieben in ihrem Buch „Juden und Worte“ die Kontinuität des Judentums nicht der Biologie, sondern dem unendlichen Deutungsprozess von Texten zu. Jakob Hessing hat die folgenden Zeilen aus dem Text „Entdecken und Verhüllen in der Sprache“ von Chaim Nachman Bialik (1873 – 1934) aus dem Jahr 1915 überliefert: „Und wer weiß, vielleicht ist es gut so, dass dem Menschen nur die Schale der Wörter überliefert wird, nicht aber ihr Inhalt: So kann er sie jeweils aus eigener Kraft anfüllen, ihr etwas hinzufügen und das Licht seiner eigenen Seele in sie hineingießen.“

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  Asher Zvi Ginsberg (1856 – 1927). Der zu Unrecht als „agnostischer Rabbi“ Genannte gilt als Vater der israelischen Zivilreligion. Um sein Lampenfieber zu überwinden, wollte er „nicht etwa als einer der Schriftstellerzunft, sondern als ‚Achad Ha’am‘, als Einer aus dem Volk“, auftreten. Aus Odessa kommend, besuchte er erstmals 1881 Palästina und ließ sich 1922 endgültig im Land nieder, wo er bis zu seinem Tod blieb. 73

Auf dem Weg der Annäherung Shmaryahu Levin (1867 – 1935), im weißrussischen Swislowitz geboren, verband das religiöse Judentum mit der nationaljüdischen Renaissance. Das Exil werde „die Funktion des Düngers für unseren historischen Boden verrichten“, meinte Jakob Klatzkin, und maß dem durch zaristische Gesetze von 1795 und 1835 eingerichteten Ansiedlungsrayon in Polen, Weißrussland und der Ukraine eine konstruktive Bedeutsamkeit im Sinne eines „nationalen Dienstes” zu: „Wie mächtig wäre der Strom der Assimilation angeschwollen und verbreitet worden, wenn unsere Unterdrücker diesen Damm ihm [dem jüdischen Volk] aus dem Wege räumen wollten …” Dabei fristeten in den westlichen Provinzen Rußlands nach den Beobachtungen Leon Pinskers „die dort zusammengepferchten Juden im schauerlichsten Pauperimus ein kümmerliches Dasein fristen“. Von der zaristischen Bürokratie als „Kronrabbiner“ in Grodno und Jekaterinoslaw eingesetzt, hatte sich Levin von der Orthodoxie entfernt und repräsentierte das „Ostjudentum in seiner besten Form“, verschaffte sich aber durch sein Verständnis für die Westjuden unter auch ihnen großen Respekt (Richard Lichtheim). Nach dem Studium in Berlin und seinen Auftritten als glänzender Redner in den USA traf Levin 1924 in Palästina ein. Als einer der „großen Matadore des Zionismus“ (Chaim Weizmann) – für Golda Meir gehörte er zu den „Giganten der Bewegung“ – begründete er die Einwanderung in das Heilige Land mit der Befürchtung, dass infolge des wachsenden Gewichts der industriellen und kulturellen Modernisierung in Osteuropa „die besten jüdischen Köpfe … zu fremden Göttern und einer fremden Umwelt“ übergehen: Wie „hungrige Wölfe“ hätten sich die Juden auf die westliche Bildung gestürzt. Die russische Literatur stehe an erster Stelle, die russische Sprache sei in die oberen jüdischen Schichten tief eingedrungen, und die russischen Bücher hätten allmählich die hebräischen aus 74

den Regalen verdrängt. Levin sah in der offenen Gesellschaft ein Desaster voraus: „Einst verkaufte Esau seine Seele für ein Gericht Linsen30, jetzt verkaufte Jakob seine Seele für Bürgerrechte. Es ist schwer einzusehen, was Jakob mit Esaus Erstgeburtsrecht gewann“. Nathan Birnbaum konstatierte „in der Ostjudenheit gewisse Verfallserscheinungen“, die auch unter den Frauen eine „Schwindsucht der jüdischen Religiosität“ auslösten. Der „Wall des Glaubens wird immer siebartiger, immer brüchiger, immer bröckliger“. Die Mehrzahl der Familien war bettelarm und deren Vater häufig ein „Luftmensch“ („Batlon“), „der von der Hand in den Mund lebte, ein kleiner Händler, Makler, Kommissionär, alles in einer Hand“ (Levin). Gleichwohl wurden die reformerischen Erleichterungen des Zaren Alexander II. vielfach mit Beklemmung aufgenommen, auch wenn mancherorts die Hoffnung bestand, der Abschied vom Judentum werde den Antisemitismus entwaffnen. Manche Juden „fürchteten instinktmäßig“ – so noch einmal Levin –, „dass ein Riss in ihr Leben kommen könnte, dass die Freiheit, die sie unter Alexander dem Zweiten gewannen, geeigneter wäre, ihre spezifische eigene Welt zu zerstören“, als es die harten Erlasse seines Vaters Nikolaus I. – „ausgerottet soll sein Name und sein Andenken werden“ – waren: „Gewiß lebten wir in zwei verschiedenen Welten, aber es fiel uns nie ein, dass ihre Welt sicher stand, während die Grundpfeiler der unsrigen wackelten. Wir betrachteten im Gegenteil unsere Welt als die edlere, feinere und höhere.“ Weizmann erinnerte sich an seine als unbehaglich empfundene Studentenzeit in Berlin: „In Pinsk [nahe seiner Geburtsstadt Motol] war es doch besser, obwohl Pinsk doch Rußland war und Rußland Zarismus, Beschränkung auf das Siedlungsgebiet, numerus clausus und Pogrome bedeutete. In Rußland hatten wir Juden wenigstens unsere eigene Kultur, und zwar eine                                                              30

Gen. 25,34. 75

sehr hohe, wir hatten Selbstachtung und dachten nicht im Traum daran, dass unser Judentum etwas sei, das abgestreift und verheimlicht werden müßte.“ Die „Gesellschaftsanzüge und Fräcke und die eleganten Abendkleider“, die „elegante und pseudo-weltmännische Note“, die „den offiziellen Zionismus“ in Berlin symbolisierten, waren ihm und seinen Studienkollegen zutiefst fremd. Im zaristischen Ansiedlungsrayon („Tscherta“ = Gebiet) lebten die Juden mit ihren Normen in ihrem eigenen Kosmos, homogen nach innen, heterogen nach außen, „eine gefrorene Masse“, die „unter den Strahlen der Aufklärung zu schmelzen begann“, wie Isaiah Berlin (1909 – 1927) den in Galizien geborenen britischen Historiker Lewis Namier (1888 – 1960) zitierte. Als Weizmann im Mai 1903 von seiner Tätigkeit an der Universität in Genf in die „Ferien heim nach Rußland“ fuhr, kam er zu dem bestürzenden Befund: „Kinder revoltieren offen gegen ihre Eltern. Die Älteren sind in Tradition und orthodoxer Inflexibilität gefangen, die Jungen machen ihre ersten Schritte auf der Suche nach Freiheit von allem Jüdischen. In einem kleinen Ort bei Pinsk haben die Jungen die Thora-Rolle zerrissen. Das spricht Bände.” Für Golda Meir gehörte Pinsk mit seiner jüdischen Mehrheit zu „den gefeiertsten Zentren des russisch-jüdischen Lebens“. Shlomo Avineri hat an ein Gerücht erinnert, wonach eine Gruppe junger Leute in einem Shtetl am „Yom Kippur“ eine Mahlzeit mit Schweinefleisch auf dem jüdischen Friedhof vorbereiten wollte. Dass polnische Juden der Entfremdung vom Judentum anheimfielen, ließ eine Mutter in Warschau an die Adresse ihres Sohnes ausrufen: „Ungläubiger! Feind des Judaismus!“, hat Isaac Bashevis Singer (1904 – 1991) berichtet.

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Deus vult – Gott will es Isaac Breuer (1883 – 1946), Enkel des neoorthodoxen Rabbiners Samson Raphael Hirsch (1808 – 1888), der sich, aus Frankfurt am Main kommend, 1936 als Rechtsanwalt in Jerusalem niederließ und an der Gründung der orthodoxen Partei „Agudat Israel“ („Gemeinde Israels“) beteiligt war, verwahrte sich gegen einen weltoffenen Zionismus mit dem Passus „Lässt man die Religion beiseite, so wird die vieltausendjährige Geschichte der jüdischen Nation sinnlos und die nationale Einheit gedeiht zum leeren Schemen“. Der „Zwitterzustand der Assimilation“ bekräftigte ein jüdischer Lehrer aus Österreich, führe „für das Gesamtjudentum zur Erweichung der starken, tragenden sittlichen Mächte: es schwindet die Pflege der religiösen und nationalen Überlieferungen in den Familien dahin, mit der Sprache der Väter gerät das reiche jüdische Schrifttum in Vergessenheit, kurz, es bahnt sich unerbittlich eine Auflösung der Volkskultur, eine Entjudung des jüdischen Geistes an, deren Kehrseite die allmähliche Aufsaugung der Juden durch die Völkerwelt mittels Assimilation, Mischehe und Taufe sein muss“. Für den in Kaunas geborenen Philosophen Emmanuel Levinas (1906 – 1995) waren „Verfehlungen gegenüber dem [jüdischen] Nächsten ipso facto Affronts gegen Gott“. Dagegen vertrat der Historiker David Myers, Leiter des international besetzten Vorstandes des liberalen „New Israel Fund“ (NIF), die Auffassung, dass ohne die „Assimilation“ – die Übernahme von Normen und Gewohnheiten der Umwelt – die aschkenasischen Juden in der Geschichte „versteinert“ wären. Sammy Gronemann (1875 – 1952), Rechtsanwalt, Zionist, Schriftsteller und Satiriker, wiederum zitierte einen „Talmud“ lernenden Mann in Berlin, den das unziemliche Benehmen seiner jüdischen Mitbewohner verdrießte: „Es gibt nur eins: Die Juden müssen zurück ins Ghetto! … Ich pfeife auf die ganze Emanzipation! … Im Ghetto hat

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der Jude gelebt, wie ein Mensch lebt. Ich weiß: er hat wie ein armer, elender hungriger Mensch gelebt und ständig für sein bißchen Leben gezittert! Aber er hat nicht sein ganzes Leben Komödie spielen müssen, bis er selbst nicht mehr weiß, was sein wahres Gesicht ist und was seine Maske.“ Doch hatte der Zionismus nach der russischen Revolution und der Aufhebung des Rayons noch einen vernünftigen Zweck?, lautete 1918 gefragt. Zumal dem rapiden Verelendungsprozess des jüdischen Mittelstandes aus Polen, der die vierte Einwanderungswelle in Gang setzte, in Palästina eine veritable Wirtschaftskrise folgte. Dem Zionismus mussten die Seifenblasen äußerer Abhängigkeiten erspart werden. Deshalb hatte sich die zionistische Leitung früh gegen die Spendenpraxis besonders des Pariser Baron Edmond James de Rothschild (1845 – 1934) gewandt und an die Stelle der Unterordnung unter die „Chalukka“ („Verteilung“) den Aufbau des Landes aus eigenem Vermögen propagiert. Nahum Goldmann befand nach seinem Besuch 1914 in der Kolonie Rishon Le-Zion über deren frühe Verwalter: „Nirgends haben diese so sehr ihr Wesen getrieben als in Rischon (und in Sichron-Jakob)31. Es ergreift einen noch heute ein Zittern der Empörung, wenn man aus dem Munde mancher Kolonisten von den Willkürlichkeiten und Freveltaten dieser demoralisierten Sprößlinge Pariser Boulevardkultur hört.“ Die „tote Hand“ lag auf mehr als der Hälfte der jüdischen Bevölkerung in Palästina, allein in Jerusalem sollen rund zwei Drittel von Zuwendungen gelebt haben. Achad Ha’am notierte 1883, dass die Unterstützung des Barons der Kolonisation „Fäulnis, Schliche und Hinterhältigkeiten, Verschwendung, Schwinden des Ehrgefühls und noch andere ähnliche Eigenschaften fördere“. Levin bezeichnete die Repräsentanten der „Chalukka“ als die „erbittertsten und aktivsten unserer Feinde“, weil                                                              31

Rishon Le-Zion („Die erste für Zion“) und Sichron Ya’acov („Brunnen Jakobs“) waren die ersten Siedlungen in Palästina vor Theodor Herzls „Judenstaat“. 78

sie Palästina zu einem „Siechenhaus“ gemacht hätten. In seinem Roman „Tohuwabohu“, 1925 schon in 16. Auflage erschienen, hat Gronemann eine Schmarotzer-Szene aus der Kaiserzeit geschildert, in der zwei junge Zionisten in einer Berliner Kneipe abgewiesen werden, als sie den Wirt um die Zahlung eines „Shekel“ – der Silbermünze aus biblischer Zeit, die von der zionistischen Leitung als Mitgliedsbeitrag erhoben wurde – zugunsten der jüdischen Heimstätte in Palästina bitten und sich gegen den Vorwurf des Schnorrens wehren: Das „könnte den Reichen so passen“, wird ihnen vorgeworfen, „die Schnorrer abschaffen! Auf Wohltätigkeit beruht die Welt.“ In Plonsk, dem Geburtsort Ben-Gurions, gingen Frühzionisten „mit Pistolen zu reichen Leuten, betraten das Haus, legten die Pistole auf den Tisch, und begannen, über Geld zu sprechen“, ist BenGurion von Tom Segev zitiert worden. Golda Meyerson verlangte 1933 nach Vorwürfen aus dem Lager des Arbeiterzionismus, dass das Geld für den Aufbau des Landes sehr wohl auch von „bürgerlich-kapitalistischen Juden“ kommen müsse. „Bis zum neunzehnten Jahrhundert waren die Juden niemals an der Geschichte qua Geschichte interessiert“, hat Amos Funkenstein für die aschkenasischen Länder ausgeführt. Das habe sie „einzigartig unter den Völkern der Welt“ gemacht, „in ihrem Unterschieden-Sein von anderen“. Die Begründung dieser Ausnahmestellung durch das Verstehen der Geschichte sei das Hauptthema gewesen. Im Zeitalter der „Haskala“ und des Nationalstaatsgedankens – der „Universalität des Judentums“ (Funkenstein) – durfte die Verpflichtung auf Gottes Wort nicht länger dem passiven Anbruch der messianischen Zeit überlassen bleiben. Für Shmuel Hugo Bergmann (1883 – 1975)32, einen der engsten Freunde Bubers, ging es fortan um die Überwindung                                                              32

Hugo Bergmann, 1883 in Prag geboren, ging 1920 nach Palästina, war dort zunächst Bibliothekar an der Nationalbibliothek der Hebräischen Universität, bevor er Professor für Philosophie wurde. Zwischen 1935 und 1938 diente er der Universität als Rektor in der Nachfolge von Magnes. 79

eines „abstrakten Judentums“. Zionistische Klassiker befürworteten deshalb die Abkehr von den drei talmudischen Eiden – –



einer, dass Israel nicht geschlossen heraufziehe [d. h. Verbot der Masseneinwanderung vor Anbruch der messianischen Zeit], einer, dass der Heilige, gepriesen sei Er, Israel beschwor, sich nicht wider die weltlichen Völker aufzulehnen [d. h. sie nicht zu reizen], ihrer Obrigkeit Folge zu leisten, sich also der Macht zu beugen, und im Gegenzug, einer, dass der Heilige, gepriesen sei Er, die weltlichen Völker beschwor, Israel nicht übermäßig zu knechten33.

Noch der als talmudische Autorität gerühmte und durch seinen politischen Instinkt bewunderte ultraorthodoxe Rabbiner Eliezer Schach (1899 – 2001) vertrat die Grundüberzeugung, dass der Staat Israel nicht die Völker herausfordern solle, weil das jüdische Volk wie ein Lamm unter siebzig Wölfen sei. Die nach außen als nicht religiös auftretende Arbeitspartei verdammte er 1990 als „Partei von Schweinen und Kaninchen-Fressern“. Doch die utopische Metaphysik sollte eine realpolitische Chance erhalten. Der in Weißrussland gebürtige Exponent der „Haskala“ und Redakteur der Zeitschrift „Ha-Sháchar“ („Die Morgenröte“) Peretz Smolenskin (1842 – 1885) zitierte zur Begründung Palästinas als das „unverrückbare Ziel“ die im Buch Samuel 8,1920 aufgezeichnete Revolte gegen Gott: „Nein, ein König soll über uns herrschen. Auch wir wollen wie alle anderen Völker sein. Unser König soll uns Recht sprechen, er soll vor uns herziehen und unsere Kriege führen“, und wies Gott in Abkehr vom rabbinischen Judentum einen Platz im Himmel zu:

                                                             33

BT-Ketubot 111a. 80

„Du bist ewig, Du kannst warten. Denn tausend Jahre sind vor Dir wie ein Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache. Unsere Geduld ist aber zu Ende. Vergib Deinen Kindern also, wenn sie das Nahen des Tages beschleunigen.” „So leben wir seit achtzehn Jahrhundeten in Schmach – und nicht ein einziger ernstlicher Versuch, sie abzuschütteln“, klagte Leon Pinsker. Entweder sollte sich das Volk „den Messias selbst verdienen“ (Nathan Birnbaum), oder die messianischen Wurzeln der Vergangenheit sollten einem säkularen Pseudo-Messianismus den Platz räumen: Wenn Gott nicht die Juden, sondern die Juden Gott erwählt haben, können sie Ihm ihren Willen aufzwingen. Spekulative Vorstellungswelten würden durch die Bejahung der substantiell-empirischen Geschichte mit dem Ziel menschlich-autonomen Handelns überwunden. Nahum Goldmann ging so weit, dem Zionismus „gewissermaßen eine Entstellung jüdischer Geschichte“ zu dekretieren. Während die Generation von Berl Katznelson (1897 bis 1944) die Zurückweisung der Diaspora die Rettung des jüdischen Volkes aus dem Exil bedeutete, habe sie für die in Palästina aufgewachsene Jugend den Abbruch der Verbindung zum jüdischen Volk und zur jüdischen Geschichte bedeutet, hat Anita Shapira ausgeführt, bis ihn die Opfer der „Shoah“ eines Besseren belehrten. Denn der Dichter David Shimoni (1886 – 1956) forderte die junge Generation auf: „Höre nicht, mein Sohn, auf die Moralpredigt der Väter”, der Jude habe für die Vereinigung von Geist und Materie im Land Israel selbst zu sorgen. Aharon David Gordon, seit 1904 in Palästina und 1910 Mitbegründer der Siedlung Degania am südwestlichen Ausgang des Sees Genezareth, griff auf talmudische Disputationen zurück, die ihm einen theoretischen Zionismus ebenso fremd erscheinen ließen wie einen ethischen Universalismus. Für ihn ging es um die „Religion der Arbeit“:

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„Unsere Religion ist nicht wie die Religion der europäischen Völker, von fremdem Ursprung, sondern ist die Schöpfung unseres nationalen Geistes. Unsere Religion durchdringt unseren nationalen Geist, und unser nationaler Geist findet sich in jedem Teil unserer Religion.“ Beim allmählichen Herabsteigen der Wohnstätte Gottes („Shᵉchiná“) zu Israel und zu seinen heiligen Stätten eröffne sich der Erlösungsprozess für die ganze Welt; die Anklänge an Abraham Isaac Kook sind offenkundig. Für Shmuel Feiner von der „Bar Ilan“-Universität isoliert die Religion die Juden zwar von ihrer Umwelt, doch sei sie „ihr einziger Trost und Halt“ und beherrsche „ihr Seelenleben ebenso wie ihre Erfahrungswelt“. Doch war für den durch seine Arbeiten über die Juden im Mittelalter hervorgetretenen Jizchak Fritz Baer die Antwort eindeutig: Er knüpfte den Erlösungsprozess an Vorbedingungen. Die göttliche Gegenwart sei vom Gehorsam des „entstellten Volkskörper(s)“ abhängig. Israels dritter Staatspräsident Shneúr Zalman Shazar (1889 – 1974), mit dem Scholem nach seinem Rauswurf aus dem elterlichen Haus in Berlin 1917 zusammenwohnte, stimmte gemeinsam mit Zalman Abramov der Antwort Yaacov Herzogs34 zu: Der Staat Israel ist ein Paradox. In diesem argumentativen Kontinuum berief er sich auf „die zeitlose Identität des Juden über die Generationen hinweg“ und erhob Bileam, den „Weissager“ (Scholem), zum Titel seines Buches „A People that Dwells Alone”: die Zurückweisung der Behauptung, dass die Deutung des Judentums in die weltumspannende Geschichte eingebunden gehöre – eine These, der auch der Historiker Ben-Zion Dinur (1898 – 1973) durch Verweise auf die „historische Einzigartigkeit“ des jüdischen Volkes nachging. In Herzog, den Berater Ben-Gurions, Levi Eshkols (1895 – 1969) und Golda Meirs, erkannten Beobachter „einen Neo-Propheten mit der gütigen Majestät des Denkens“ und einen                                                              34

Geboren in Dublin, seit 1939 in Palästina und nachmalig Diplomat mit Stationen in den USA, Kanada und Südafrika. 82

„moralisch höchst eindrucksvollen Menschen“. Für Isaiah Berlin verkörperte Herzog den „Geist des Judentums in seiner höchst realen historischen Verkörperung“, ein Patriot ohne ein vorbehaltsloser Nationalist zu sein, dessen Staat „in Freiheit und Unabhängigkeit zur Familie der Nationen“ gehöre, indem er seine „Kenntnis der Thora und der Weisheit der Welt“ rühmte. Der Staat Israel bedeutete ihm mehr als alles andere. Seinen Einsatz gegen die Internationalisierung Jerusalems nach dem UN-Teilungsplan begründete er mit dem Psalmisten „Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem. Jerusalem, du starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt. Dorthin ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, wie es Israel geboten ist, den Namen des Herrn zu preisen35“.

„Ganze Juden“ statt „Bindestrich-Juden“ Der in der Nähe Wilnas geborene Frühzionist Elchanan Leib Lewinsky (1857 – 1910) war davon überzeugt, dass die Juden in der „Galuth“ nur zu einem Drittel oder einem Viertel Juden sein könnten. Allein in Palästina könnten sie zu ganzen Juden und die abtrünnigen Teile für das Judentum zurückgewonnen werden. In Achad Ha’ams Zeitschrift „HaShilóach“ („Der Sendbote“) polemisierte er gegen Klassiker wie Scholem Aleichem (1859 – 1916) und dessen jiddische Literatur, bis er selbst das Jiddische benutzte, um den Leserkreis seiner feuilletonistischen Beiträge zu erweitern. So wie Jakob Klatzkin 1921 behauptet hatte: „Wir lebten als religiöse Gemeinschaft im Einen Gott und können nunmehr nur in einem Vaterlande und in einer Sprache wahrhafte und ganze Juden sein“, geißelte Jonathan Sacks ein doppeltes Bewusstsein: ein „Bindestrich                                                             35

Psalm 122,2-4. 83

Judentum“ – jüdischer Israeli, jüdischer Amerikaner, orthodoxer Jude – gegenüber dem „Volljudentum“, damit die Schlüsselworte „Thora“, Gebote, Exil, Erlösung, Volk Israel und Land Israel erhalten bleiben. Von „binationalen, bi-traditionalen Wesen, die wir jüdische Schriftsteller europäischer Sprache nennen“, denen der in Wien gebürtige Literaturwissenschaftler Gershon Shaked (1929 – 2006) eine Tiefenstruktur jüdischen Bewusstseins zuschrieb, wollte Sacks nichts wissen. Der gläubige Jude sei der vollständige Jude, befand auch Buber: „Das Streben nach Einheit ist es, was den Juden schöpferisch gemacht hat.“ Unter Verweis auf eine rabbinische Prophezeiung verlangte Sacks „Beachtet die Gesetze des Landes, in denen ihr lebt“, damit ihr euch nicht den Hals umdreht36. Für Zygmunt Bauman war der assimilierte Jude ein Widerspruch in sich. Indem die Juden „endlich zur Welt zugelassen worden“ seien, leisteten sie ihrer Entjudaisierung Vorschub. Beim besten Willen könne der Jude in der Diaspora nicht „ausschließlich Jude sein, ja, tatsächlich kann er nur sehr wenig Jude sein“, so dass ohne Israel „kein schöpferisches jüdisches Leben denkbar ist“, übertrug Ben-Gurion diese Behauptung in den Zionismus: „Selbst der observante Jude lebt also die meiste Zeit wie ein Nichtjude“, bis die „gekünstelte Unbefangenheit, die nervöse Gespanntheit“ vollständig nach der Einwanderung verschwinden, ob religiös oder nicht. Scholem maß die „Vitalität des israelischen Unternehmens“ der „außerordentlich hohe(n) historische(n) Temperatur“ zu. Der Jude könne in der heutigen Gesellschaft nur dann als Jude überleben, wenn er von der Ewigkeit seines Schicksals berührt werde. Konnte sich der Staat denn auf einen Charakter einlassen, der religiösen Grundüberzeugungen                                                              36

Jer. 29,7: „Suchet der Stadt Bestes, dahin Ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn. Denn wenn es ihnen wohlergeht, so geht es auch euch wohl.“ Der Orientalist Lazarus Goldschmidt (1871 – 1950) hat in dem von ihm übertragenen Babylonischen Talmud in Gittin I, S. 213, „Das Staatsgesetz ist Gesetz“ übersetzt. 84

widersprach? Wer sich als Jude ausgebe, aber auf die israelische Staatsbürgerschaft verzichte, müsse der Tatsache ins Auge blicken, dass er kein voller Jude sein wolle, schloss sich Isaiah Berlin an, ohne daraus persönliche Konsequenzen zu ziehen, der sich auch Sacks entzog: „Die Zukunft der Juden liegt im Staat Israel, und dort allein: Der Wert der Diaspora besteht deshalb allein im Ausmaß der Unterstützung, die sie dem neuen Staat anbieten, während sie sich noch vielen Gefahren gegenübersehen. Solange die jüdischen Gemeinschaften außerhalb Israels für diese Unterstützung sorgen können, haben sie eine raison d’être.“ Der Rabbiner Meir Berlin (1880 – 1949) ging so weit, Juden außerhalb Israels „eine Art Rassenverrat“ vorzuwerfen. Yaacov Herzog nannte den französischen Philosophen und Soziologen Raymond Aron (1905 – 1983), dem er kurz vor dem Junikrieg begegnet war, einen „border-line Jew“ und Träger einer „spirituellen Schizophrenie“. Jakob Klatzkin weigerte sich, „die sogenannte jüdischnationale Literatur der Neuzeit, insofern sie in fremden Sprachen niedergelegt ist, (…) als jüdisches Schrifttum“ zu bezeichnen. Sie zerfalle und verteile „sich in ihrer literarischen Zugehörigkeit auf ihre verschiedenen Sprachbezirke. Es ist bestenfalls übersetztes Judentum, ein Zweiseelenjudentum, voller Widersprüche und Konflikte, voller Risse und Wunden“. Für ihn konnte „eine fremde Form … nie durch einen jüdischen Inhalt jüdisch werden“. „(W)enn wir sehen, daß einer unserer Volksgenossen durch seine Werke auf dem Kulturgebiet eines fremden Volkes sich einen Namen macht, so erfüllt uns das mit Stolz und Freude und wir beeilen uns, überall auszuposauen, daß der Bertreffende zu uns gehört, obwohl er selbst ängstlich bemüht ist, diese Verwandtschaft zu vergessen und vergessen zu machen“, 85

notierte Achad Ha’am bissig. Ein humanistisches Judentum, das sich zur Verantwortung gegenüber den Menschen gleich welcher Volkszugehörigkeit und Glaubensgemeinschaft mitverantwortlich fühlt, scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Der aus dem rabbinisch-normativen Rationalismus Litauens hervorgegangene Neurophysiologe Yeshayahu Leibowitz (1903 – 1994), der „einsame Wolf der Orthodoxie“ (Zvi Ra’anan) entdeckte an den Werken von Nobelpreisträgern, Gelehrten, Schriftstellern und Künstlern nichts Jüdisches, solange sie sich über die „Halacha“ mit ihren Geboten als Urgrund jüdischer Kreativität hinwegsetzen und sich einer diffusen Weltoffenheit öffnen würden – der Verweis auf ihre jüdische Herkunft blieb ihm fremd, weil er zwischen Juden und jüdisch unterschied; Bubers dialogische Prinzipien tat er als eine Philosophie „für Damen“ ab. Seit seiner Kindheit in Riga verzichte Leibowitz auf die Frage, wie sich Gott zu den Menschen verhalte, sondern sei daran interessiert, wie sich der Mensch zu Gott verhalte. Viele zehntausend Trauernde begleiteten ihn 1994 auf seinem letzten Weg in Jerusalem. Aus Verzweiflung über die „Shoah“ folgte ihm der zur Neo-Orthodoxie übergewechselte Emil Fackenheim (1916 – 2003), indem er in Distanzierung von den Humanwissenschaften den Juden ein 614. Gebot als „gebietende Stimme“ verordnete: Nach Hitler seien sie verpflichtet, endlich als Juden zu leben, statt der pseudo-aufklärerischen Moderne hinterherzulaufen. Kein Jude dürfe es mehr wagen, dem Gott der jüdischen Geschichte zu widersprechen. Damit näherte sich Fackenheim Behauptungen, die „nichtjüdischen“ Opfern des Holocaust die vollständige oder teilweise Abwendung von den 613 Geboten vorwarfen – mit anderen Worten: Gott hat den Holocaust gewollt und auch observante Juden in den Tod gerissen hätten, weil sie bei der Binnenmission versagten. Die Essayistin und Poetin Margarete Susman (1872 – 1966) drohte an der „Frage nach dem verborgenen Gott…, der auf die Fragen der Kreatur keine Antwort gibt“, zu verzagen, hielt aber 86

dem „Urgeheimnis“ die Treue, es habe dem Volk die innere und äußere Gestalt gegeben, zwar tief verhüllt, doch immer wieder hindurchscheinend. Nicht die Juden haben das Judentum erhalten, sondern das Judentum die Juden, befand 1906 Moritz Güdemann: „Geschichtlich ist die Religion der einzige Beruf des Volkes Israel gewesen, in ihr liegt der Zweck seines Daseins, was die Bibel unablässig dem Volke zu Gemüte führt“. Da im Staat Israel viele die Gebote Gottes von sich weisen, distanzierte sich der an der Universität Be‘ersheva tätige Gesellschaftswissenschaftler David Ohana von „jedem säkularen Juden in Tel Aviv, der sich die ganze Zeit in den Einkaufsstraßen herumtreibt und mit dummen Talkshows im Fernsehen seine Zeit verbringt“. Gideon Levy bekannte sich zu dem „falschen Säkularismus Tel Avivs“. Auch für Ohana lautete die Frage: Was mache für euch das Judentum aus? Dass ihr Hebräisch sprecht? Das tun auch die arabischen Staatsbürger. „Man traktiert das Judentum mit Fußtritten oder mit Gleichgültigkeit“, glaubte Scholem Mitte der 1970er Jahre. Denn wer sich vom Studium der „Thora“ entferne, war nach Auffassung von Innenminister Arye Der‘i, dem Vorsitzenden der „Sefardischen Thorawächter“, zur Beantwortung der Frage verpflichtet, ob er noch zum jüdischen Volk gehöre. Für Moshe Gafni, den Vorsitzenden der Partei „United Thora Judaism“ und Leiter des Finanzausschusses der Knesset, sind die konservativen und Reformjuden „der schwerste Schlag für das jüdische Volk“. Er sei bereit, mit den schlimmsten Feinden Israels zusammenzusitzen und zu reden, nicht jedoch mit ihnen. Golda Meir soll jeden Juden, der eine „Mischehe“ eingehe, zu den späten Opfern des Holocaust gezählt haben. Dov Lior, Rabbiner in Kiryat Arba37, forderte die                                                              37

„Kiryat Arba“: hebr. „Bezirk 4“. Zur religionsstiftenden Bedeutung des Ortes Gen. 23,2: „Da starb Sarah zu Kiryat Arba, das ist Hebron im Lande Kanaan, und Abraham begann, für Sarah die Totenklage zu halten und sie zu beweinen.” Vgl. Gen. 35,27; Ex. 23,2 + 35,27; Neh. 11,25 und Jos. 14,15. 87

unter seiner Kontrolle stehenden Synagogen auf, Gebete für die Regierung einzustellen, und erklärte, dass die Befruchtung der jüdischen Frau durch nicht-jüdische Spermen zu genetischen Abnormitäten führe38. Lässt sich die Entwertung der universellen Humanitas auf die Erfahrungen des Holocaust reduzieren? Die „Shoah“ sei die Linsen, durch die in Israel die Welt gesehen werde, behauptete Reuven Rivlin, womit der Präsident als „säkular-orthodox“ die israelische Doppelidentität aus „Religion und Holocaust-Erinnerung“ beschrieb. Dem                                                              38

Dazu das Buch Esra 9,1-2, über die Auflösung der Ehen mit Fremden: „Das Volk Israel und die Priester und Leviten haben sich von den Völkern der Länder, die in ihren Gräueln versunken sind, nicht abgesondert, von den Kanaanitern, den Hethitern, den Perisitern [ein Stamm in Kanaan vor dem Einzug der Israeliten], Moabitern, Ägyptern und Amoritern. Denn sie haben sich und ihren Söhnen von deren Töchtern Frauen genommen, so dass der heilige Samen sich mit den Völkern der Länder vermischte.“ Auch Isaaks Zwillingsbruder Esau („Er kam aus dem Leib Rebekkas hervor“: Gen. 25,24 f.) und wird von der römischen Verderbtheit infiziert: „Als Esau 40 Jahre alt war, heiratete er Judith, die Tochter des Hethiters Be’eri und Basmat, die Tochter des Hethiters Elon. Diese waren für Isaak und Rebekka ein Herzeleid“ (Gen. 26,34 f.) Als im Oktober 2018 eine muslimische Moderatorin und ein jüdischer Schauspieler und Sänger heirateten, twitterte ein „Likud“-Abgeordneter: „Ich werfe Lucy Aharish nicht vor, dass sie eine jüdische Seele verführt hat, um unserem Staat zu schaden und mehr jüdischen Nachwuchs daran zu hindern, das jüdische Geschlecht fortzusetzen. Im Gegenteil, sie ist eingeladen, zum Judentum zu konvertieren. Hingegen tadle ich Zachi, den Islamisten Halevi, der ‚Fauda‘ [eine Netflix-Serie] einen Schritt zu weit getrieben hat. Reiß dich zusammen, Bruder. Lucy, das ist nichts Persönliches. Aber wisse, dass Zachi mein Bruder ist und das jüdische Volk mein Volk. Macht Schluss mit der Assimilation.“ Yaír Lapid, Vorsitzender der Partei „Es gibt eine Zukunft“ („Yesh Atid“) begründete seine Ablehnung mit den Verlusten im Holocaust, die durch „Mischehen“ nicht aufgefangen würden. 88

Wissenschaftstheoretiker und Auschwitz-Überlebenden Yehuda Elkana (1934 – 2012) hingegen war es zutiefst zuwider, die Erinnerungskultur als aktiven Anteil in den politischen Betrieb einzubringen. Dazu gehört der regelmäßige Besuch deutscher Staatsleute in der Gedenkstätte „Yad va-Shem39“ vor Beginn der politischen Gespräche.

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Jes. 56,5: „Ich will ihnen [den Ermordeten] in Meinem Haus und in Meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen setzen.“ Bis Anfang 2017 hat die staatlich geführte Gedenkstätte 26.513 Nichtjuden als „Gerechte der Völker“ geehrt. 89

Kapitel VI Zions Judenfrage „Der größte Einwand gegen jede Lehre sind die Lehrer. Religionsstifter wählen deshalb gern die Methode der göttlichen Offenbarung. Da ist dann die Lehre vom Himmel gefallen, was alle Kritik an ihr ausschließt40.“ Die nationalreligiöse Allianz im Zionismus seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts versinnbildlichte die Abkehr vom rabbinischen Zuwarten auf die Ankunft des Messias, die durch Menschenhand nicht beschleunigt werden dürfe. Bis dahin galt die Vorstellung, dass sein Erscheinen kommen werde, wenn alle Juden Buße tun. Für Achad Ha’am bedeutete die Zerstreuung („Galut“ = „Exil“) mehr nichts weniger als die „Sklaverei inmitten der Freiheit“, die „lügnerische Maske“. Leon Pinsker (1821 – 1891) entrang sich nach dem Eindruck Achad Ha’ams ein „mächtiger Schrei“ nach „nationaler Selbstwürde“, nach „nationalem Selbstgefühl und nach „Selbstbefreiung“ Die „Verbannung“ habe „ein Chaos aus uns gemacht“, rechtfertigte Herzls enger Weggefährte Max Nordau (1849 – 1923) den Zionismus – wobei der frankophile Schriftsteller keineswegs an die Ausreise nach Palästina dachte. Für Nathan Birnbaum (1864 – 1937), den ehemaligen engen Mitarbeiter Herzls sowie Sekretär des ersten und zweiten zionistischen Kongressbüros 1897 und 1898 in Basel – ihm ist der Begriff Zionismus zugeschrieben worden –, glich die kulturelle Anpassung der Juden einem „Affentalent“, das sich von den „lebensfrohe(n) und lebenskräftige(n)

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Alfred Polgar: Im Lauf der Zeit. Hamburg 1954, S. 109. 90

Menschen“ Osteuropas absetzte. Nachdem er sich „von materialistischer Weltanschauung“ gelöst hatte, bekannte er sich „zu bewusster Bejahung des Religiösen und zur Gläubigkeit“, doch „noch nicht vom weltlichen Nationalismus zur Erkenntnis der religiösen Bedeutung des jüdischen Volkes, noch nicht über die große Wende meines Lebens hinaus“, gegen das Leben als „Maskil“ – Anhänger der Aufklärung („Haskala“) – und für das „Ringen um die Ewigkeit“: „Nun sehe ich das jüdische Volk als dasjenige, dem die Gnade zuteil wurde, dass es die Ewigkeiten nicht sehen, sondern schauen und nicht nur schauen, sondern auch ins zeitliche Menschentum projizieren will. Ich sehe das jüdische Volk als das auserwählte, dem die Gottheit nicht in plastischer Erstarrung, sondern in dramatischer Bewegung erschien, als der ewige Beseeler und Begeisterer, dem es nachzufolgen hat von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und nicht nur uns selber nachzufolgen, sondern auch andere nachzuziehen, mitzureißen. Denn auch das weiß ich nun, dass in einem ewigen Strom direkter und indirekter Religiosität eine beispiellose Befruchtung in Idee und Ideentat von uns aus- und auf die anderen Völker übergeht. … Und ich fühle, dass es für unseren nationalen Stolz nie und nimmer einen höheren und herrlicheren Inhalt geben kann, als das auserwählte Korps in dem Ringen der Menschheit um ihre Adelung, um ihre Heiligkeit, um ihre Gottannäherung zu sein, und keine größere Sorge, als dieses Korps stark zu erhalten und immer stärker zu gestalten“, urteilte Birnbaum dramatisch und im Abschied von Herzls „Judenstaat- und Kongreßzionismus“ sowie gegen dessen „Zweckmäßigkeitsanspruch“. Es sei „überhaupt der Fehler der jüdischen Intelligenznationalisten, daß sie mit einem trockenen Bekenntnis, mit ein paar wohlgesetzten Programmformeln, mit ‚nationalem‘ Schneid und in dem besseren Fällen mit einem rührenden Aufwand von Energie und Hinwendung an unrichtiger oder unwichtiger Stelle, ihre Pflicht gegen das jüdische Volk und gegen sich selbst erfüllt glauben“, ahnte er voraus: 91

„Die ewigen Wortwiederholer und Wortverderber können wohl gelegentlich Augenblicksmassen in Bewegung setzen, aber die große Linie des Volkes können sie nicht ziehen, des Volkes tiefstes Wesen nicht wahr machen, das in ihm wirkende Gesetz nicht erfüllen. Das können nur diejenigen, die dort stehen, wo das Volk mit der Ewigkeit zusammenhängt – jene paar Werkzeuge Gottes, die das erste Wort sagen und die erste Tat setzen.“ Nach Aharon David Gordon (1856 – 1922), den weltanschaulichen Wegbereiter der Einheit von Leben und Arbeit in Palästina, der eine orthodoxe Ausbildung genossen hatte, waren die Juden zu einem „Parasitenvolk“ degeneriert. Martin Buber verlangte die Befreiung „von den Schlacken der Fremdherrschaft“, um der „Entartung“ – so auch Jakob Klatzkin, der vor einer „nationalen Entselbung“ warnte – zu entkommen; der innere Organismus bildete für Buber die Voraussetzung des nationalkulturellen Zentrums. Dagegen distanzierte sich Gershom Scholem, der sich 1911 der zionistischen Bewegung aus Gründen der moralischen und emotionalen Wahrhaftigkeit gegen den Selbstbetrug des „Milieu(s) des liberalen, deutsch-assimilierten Judentums“ – der „Lüge“ der „jüdische(n) Existenz“ – anschloss und 1923 nach Palästina kam, von der Losung „Wie alle Völker“ als legitimem Ziel des Zionismus: „Ich bin vollkommen überzeugt, daß die Verwirklichung dieser Losung nur einen Übergang zum Verschwinden und Untergang des jüdischen Volkes bilden könnte.“ Doch räumte er ein, dass die „profane Natur des Zionismus“ der religiösen Problematik „nicht entrinnen kann“, auch wenn die „säkulare Vision“ nicht das letzte Wort sein dürfe. Zu seinem Grundverständnis von Jugend an zählte Scholem den Vers „Ihr sollt Mir ein Reich von Priestern, ein heiliges Volk sein41“. Der „Wiedereintritt des jüdischen Volkes in die Weltgeschichte, der zugleich einen wahrhaft utopischen Rückzug in seine eigene Ge                                                             41

Ex. 19,6. 92

schichte darstellt“, verleihe ihm einen Sinn, der „die Sphäre reiner Säkularisierung transzendiert“, indem er dem Volk die volle Verantwortung für sich selber, für seine Taten und für seine Versäumnisse auferlege. In den 1960er Jahren geißelte Scholem noch einmal die „gottverlassene Würdelosigkeit“ jener Juden, die in der Assimilation ihr Lebensglück zu finden glaubten. Für ihn und andere stellte die jüdische Emanzipation von der bürgerlichen Emanzipation die zentrale Herausforderung dar: der Sieg des inneren über das empirische Judentum. Nur die „Begegnung des jüdischen Menschen mit sich selbst, mit seinem Volk, mit seinen Wurzeln“ eröffne die Chance, es zu erneuern. Für Kurt Blumenfeld (1884 – 1963), zwischen 1924 und 1933 Vorsitzender der Zionistischen Vereinigung für Deutschland (ZVfD), für den die Kehrtwendung vom „postassimilatorischen“ Juden zum Zionismus unumgänglich war, sorgte 1912 auf dem Delegiertentag in Posen für den Beschluss, die Übersiedlung nach Palästina in das jüdische „Lebensprogramm“ aufzunehmen – gegen Widerstände in den eigenen Reihen, die am Kaiserreich festhielten. Der hierzulande übliche Verweis auf das christlich-jüdische Vermächtnis beruft sich auf die europäische Aufklärung, die durch Akkulturation, die hunderttausendfache Taufbewegung und die Apostasie quantitativ und qualitativ ein „verdünntes Judentum“ hinterließ. Nachdem sich die Gefahr nicht von der Hand weisen ließ, dass selbst in Osteuropa die von Generation zu Generation überlieferte Religionspraxis ihre überragende Gestaltungskraft einbüßt, gab es für Isaac Jacob Reines (1839 – 1915), den Initiator des auf ein theokratisches Gemeinwesen hinarbeitenden „Mizrachi“ („Osten“), keine schwerere Gotteslästerung als die Behauptung, auch der Zionismus bestehe zu einem wesentlichen Teil aus weltlichen Elementen. Für den 1912 in Kattowitz gegründeten Verband stand „das jüdische Volk außerhalb des Rahmens der politischen Völker der Welt“: „Der Souverän des jüdischen Volkes ist der Allmächtige, die Thora ist das Gesetz, das es regiert, und das Heilige Land war zu allen Zeiten für das jüdische 93

Volk bestimmt.“ Solange es sich den Vorgaben der „Thora“ verweigere, schloss Rabbiner Meir Berlin (1880 – 1949) – einer der Reines-Nachfolger und Namensgeber der „Bar Ilan“-Universität bei Tel Aviv – die Vorstellung aus, dass die Regierung des Staates Israel die Regierung des Volkes Israel sei. Der „heilige Samen“ („Zéra Ha-Kódesh“) musste unter dem Volk des Landes („Am Ha-Aretz“) verbreitet werden, auf dass der „Rest Israels“ („She’erít Israel“) am „Ende der Tage“ („Acharít HaYamaïm“) in die neue Ordnung des Kosmos eintrete. Der junge Ernst Simon, der dem Kreis des charismatischen neoorthodoxen Rabbiners Nehemias Anton Nobel (1871 – 1922) in Frankfurt am Main angehört hatte, wandte sich 1925 in einem Brief an Scholem von „der socialen Verrottung der Orthodoxie“ ab, der er mechanisches Lernen vorhielt. Emmanuel Levinas zitierte aus einem Talmud-Abschnitt, „die notorischsten Taugenichtse unter ihnen [den Juden] sind dennoch voller Mizvot [Geboten] wie ein Granatapfel voller Kerne“. Herbert Samuel (1870 – 1963), bei Kriegsbeginn noch britischer Innenminister, setzte als Hochkommissar im Mandatsgebiet Abraham Isaac Hacohen Kook (1860 – 1935) als aschkenasischen Oberrabbiner ein, der, von der Ultraorthodoxie als „zionistischer Rabbiner“ abgetan, zu einem theologischen Neustart ansetzte: Kook band Religion, Volk und Verheißung im „Licht für die Völker42“ zusammen, indem er zwischen der religiösen Sehnsucht und dem praktischen Pioniergeist keinen Widerspruch gelten ließ: Die Ankunft des Messias hänge von der Rückkehr der Juden in ihre Heimat ab. In diesem Sinne unterstrich Kook die dem Land Israel verheißene göttliche Stiftung und betrachtete die jungen Zionisten als Vorboten der Endzeit. Im Gegensatz zu den dem Traditionalismus entrückten Zionisten, die zwischen den Forderungen nach religiösem Bewusstsein und irdischer Machtpolitik, zwischen ethnischem Nationalismus und messianischem Universalismus eingeklemmt waren, vertrat Kook für das von ihm angekündigte                                                              42

Jes. 42,6 + 49,6. 94

„Königreich des Himmels“ („Malkút Ha-Shamaïm“) eine Dialektik aus profaner und religiöser Kultur. Die Wohnstätte Gottes in Israel werde dem kosmischen Erlösungsprozess zugutekommen: „Die niedere Seele der Sünder Israels in den Generationen vor Ankunft des Messias und jener unter ihnen, die sich in Liebe den Dingen [der Welt] widmen, die ganz Israel betreffen – der Aufbau des Landes und die Wiedergeburt der Nation –, stehen höher als die Seele der Frommen, die das göttliche Gesetz beachten, aber keinen starken Antrieb für das Wohlergehen der Nation [verspüren], den Aufbau des Landes zu entwickeln.“ „Aufbau“ nannten es die einen, „Bodenspekulation“ die anderen – für Scholem „eine bitter umstrittene Frage“. Obwohl bei Kook die „niedere Seele“ keine Gebetsriemen („Tefilím“43) trage, so beweise sie doch, dass in ihrem Herzen die jüdische Heiligkeit verborgen liege. Deshalb werde sich dereinst aus der Schamlosigkeit der Pioniere das geliebte „Joch der Thora“ („Ol Ha-Thora“) erheben, das sie glaubten, abgeworfen zu haben. Indem das Volk Israel dauerhaft an Gott gebunden sei, ob dies der Einzelne nun fühle oder nicht, bildete es den Brennspiegel der Welt44, indem seine Bußfertigkeit die Bußfertigkeit und den ewigen Frieden der Menschheit vorbereite, so dass sich einst die „höhere Ruhe“ über die Kakophonie der Welt erheben werde45. Dass das Volk Israel als einziges alle Krisen überlebt habe, diente Kook als Beweis, dass sein Nationalgeist eine noch nicht erfüllte göttliche Idee repräsentiere. Auch für Nathan Birnbaum waren die Einwanderer „lediglich eine Arbeitsge-

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45

Ex. 13,9. Amos 3,2: „Nur euch allein habe ich erkannt von allen Geschlechtern der Erde. Darum suche Ich heim an euch alle eure Missetaten.“ Gen. 22,18: „Durch deinen Samen sollen alle Völker der Erde gesegnet sein, weil du auf Meine Stimme gehört hast.“ 95

meinschaft innerhalb des gesamten, bzw. des strenggläubigen Judentums, die sich in loyalster und friedlichster Weise dem Ganzen zur Verfügung stellt“. Weniger dramatisch formulierte es Ehud Baraks Berater Gil’ad Sher: „Ein säkularer Jude hat sich nicht von seinen Traditionen entfernt, seiner Geschichte und dem Erbe seiner Vorfahren.“ Kook ging von der Ordnungsvorstellung gemäß der hebräischen Erwägung von „Tikkún“ („Verbesserung“) durch das Judentum aus, dem eine ursprüngliche, aber verdorbene Vollkommenheit innewohne, indem sie die Flüchtigkeiten der unberechenbaren Geschichte überwindet, aber durch den Gehorsam gegenüber der „Thora“ gerettet werden kann. Einem Staat Israel, den er 1920 kommen sah (Zvi Yaron) – die Hand Gottes habe die Verfasser der Balfour-Deklaration gelenkt – maß er die Funktion des „kosmischen Sockels für den göttlichen Thron” bei. Doch selbst wenn das Volk Israel im Heilsplan an der Spitze stehe, dürfe es sich keinesfalls über die Völker erheben. Der Kabbalist Michael Laitman schrieb 2014 in einem Beitrag für die „New York Times“ unter Verweis auf Kook: „Die Einheit unter uns wird die übrigen Nationen inspirieren oder gar zwingen, ihr nachzufolgen, so wie unsere gegenwärtige Spaltung die ganze Menschheit der Spaltung anheimgibt.“

Der „Auster-Effekt“ des Judentums Bei der Eröffnung der Hebräischen Universität am 01. April 1925 bezeichnete Magnes das Judentum als die spirituelle Schatzkammer der Menschheit. In der „Tosefta“ („Hinzufügen“) des „Talmud“-Traktats „Sanhedrin“ („Zusammensetzen“ der Richter im Lande Israel) heißt es dazu: „Die Frommen der Völker haben Anteil an der künftigen Welt.“ Isaiah Berlin hat dieses Verständnis den „Austern-Effekt“ genannt: „Ja, wir haben gelitten, und es gibt bestimmte Probleme in Bezug auf unseren Status. Doch wir sind von Gott oder dem Schicksal aufgerufen, eine

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bestimmte Art der Wahrheit der Welt zu predigen, die uns natürlich der Erniedrigung und der Verfolgung aussetzt.“ Nationalreligiöse Kreise formulieren es drastischer: Kriege der Völker gegen Israel sind Stellvertreterkriege gegen Gott. Als Rabbiner in Jaffa hatte er sich veranlasst gesehen, seinen Jerusalemer Amtskollegen Meir Berlin auf die unheilvollen Auswirkungen eines unbedachten Sprachgebrauchs hinzuweisen, der die Araber zu Feinden stempele. In einem späteren Kommentar wurde bedauert, dass es im Gegensatz zu Kooks Lehren eine „alles überragende Haltung der Indifferenz gegenüber dem Leid der Fremden“ gebe, obwohl für ihn die Nichtjuden „in unsere umfassende Liebe eingebunden“ waren. Während die Pioniere der „speziellen Lieblichkeit der Thora des Landes Israel” Kooks fernstanden, erfreute sich seine Theodizee in allen Kreisen großen Respekts: – –



Der Politologe Daniel J. Elazar (1934 – 1999) nannte ihn den „spirituellen Mentor von Zionisten aller Glaubensrichtungen“. Amnon Rubinstein, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Tel Aviv, bezeichnete ihn als Symbol des Kompromisses zwischen materialistischem und religiösem Zionismus – ganz im Sinne von Chaim Nachman Bialik, der die notwendige Einheit von materieller Struktur und spiritueller Renaissance auch in intellektuellen Kreisen hervorgehoben habe, ergänzte der Historiker Yosef Gorny. Bialik hatte an der berühmten Yeshiva in Volozhyn (damals Litauen, heute Weißrussland) studiert, zu deren Schülern Kook, Berlin und Reines gehörten. Für den im Elsass gebürtigen Theologen André Neher (1914 bis 1988) war er der erste in der Ahnenreihe der großen Pioniere, der den Mut gehabt habe, auf die Gesundung des entweihten, des entheiligten Zionismus zu setzen und Seite an Seite mit den weltoffenen Zionisten zu kämpfen. Erfüllt von den großen Themen der jüdischen Mystik, „machte er sich an eine geistige und religiöse Rückeroberung der vergangenen fünfzig Jahre, eines halben Jahrhunderts 97

















des [zionistischen] Agnostizismus, des laizistischen Nationalismus und des Materialismus“. Für Emil Fackenheim hatte Kook den atheistischen Juden einen „heiligen Funken” eingegeben und pflanzte ihn in den Acker der Pioniere ein. Yeshayahu Leibowitz nahm aus der ersten Begegnung den Eindruck mit, er habe einen „bedeutenden Mann" gesehen, auch wenn dieser „den jüdischen Nationalismus auf die Stufe der Heiligkeit gehoben" habe. Für Shmuel Hugo Bergmann aus dem Jerusalemer Gartenviertel Rechavia war er ein „Krieger Gottes”, der sich für die Bestimmung des Göttlichen in der Welt verantwortlich fühlte. „Shai” Agnon (1888 – 1970) wiederholte nach seiner Begegnung mit Kook die Frage, die schon Marc Chagall (1887 – 1985) bewegt hatte: „Wie ist jemand eines solch heiligen Gesichts würdig?" Für Adolf Böhm (1873 – 1941), den historiographischen Klassiker der zionistischen Bewegung bis in die 1920er Jahre, repräsentierte Kook „die seltene Vereinigung von tiefster Gelehrsamkeit mit prophetischer Glut des Herzens, Wärme und Lebendigkeit des Gefühls [und war] bis zu seinem Tode einer der angesehensten und geliebtesten Führer". Nach Auffassung Bubers spiegelte sich in Kooks Person, „wie in der keines andern Zeitgenossen die heilige Substanz Israels” wider, das Streben nach „Einheit zwischen Gott und der Welt“. Scholem, der dem Zionismus jede messianische Qualität absprach und die Zukunft des Zionismus in den „erwachenden Osten(s)“ einordnete, würdigte Kooks Leistung als Übersetzer spiritueller Erfahrungen in die Alltagssprache. Ernst Simon attestierte Kook eine „mystische Liebe zum jüdischen Volk und Land” und zählte ihn zu den Gerechten, hielt ihm aber vor, keine eindeutige Linie des Handelns in seinen religiösen und politischen Motiven besessen zu haben. 98

  Abraham Isaac Kook (1860 – 1935) war der von den Briten eingesetzte erste aschkenasische Oberrabbiner in Palästina. Er sah theologisch das jüdische Volk im Mittelpunkt der Welt und zeigte sich überzeugt, dass am Ende der Tage sein Licht auf die Völker ausstrahlen werde. Die Wege der „Thora“ seien die Wege der Harmonie und allenthalben des Friedens gewesen, hat Yaacov Herzog hinzugefügt: „Mit deinen Nachkommen werden alle Völker der Erde gesegnet sein, weil Abraham auf Meinen Ruf gehört und auf Meine Anordnungen, Gebote, Satzungen und Weisungen geachtet hat46.“ Über den kleinen Kreis seiner                                                              46

Gen. 26,4-5. 99

Schüler hinaus wurde Kook „zwar gern zitiert, aber kaum ernsthaft studiert“, hat der orthodoxe Gershom Gorenberg konstatiert. Kook verstand nicht, wie ein Sympathisant urteilte, dass die Zionisten gleich welcher Couleur mit ihrem europäischen Aufklärungsimport in einer Art Hassliebe zur Religion standen (Harold Fisch). So verharrte sein Versöhnungsansatz im Ungefähren, weil es ihm nicht gelang, als „Radikaler von innen“, so Scholems Lehrstuhlnachfolger Joseph Dan, die rabbinische Orthodoxie zu reformieren und damit Gräben zuzuschütten. Eine Renaissance erfuhr Kook nach seinem Tod: In der zweiten Regierungszeit Yitzhak Rabins (1992 – 1995) begann die Verlagsgesellschaft der Streitkräfte mit dem Verkauf seiner Schriften, in denen er die „Nichtigkeit” alles Irdischen mit der „Macht der göttlichen Wirklichkeit” konfrontiert hatte. Im Frühsommer 2018 sollten alle Soldaten darauf verpflichtet werden, während der obligatorischen Fortbildung in religiösen Schulen eine Kippa zu tragen. Im Gegensatz zu seinem Vater übernahm Zvi Yehuda Hacohen Kook (1891 – 1982) die zwischendurch wenig genutzte zentrale „Yeshiva“ in Jerusalem, in der er einen strikt neotribalistischen Zentrismus lehrte: Dem Staat solle lediglich die Funktion als Erfüllungsgehilfe dogmatischer Normen zufallen. Für den Netanyahu-Berater Yoram Hazony bildete das Rabbiner-Kolleg das einzig wahrnehmbare Gegengewicht zum – wie er es ausdrückte – verderblichen geistigen Monopol der Hebräischen Universität. Nachdem in der Universität im Juli 2018 eine Tagung zum Naturschutz und zum ökologischen Wirtschaften unter Beteiligung hochrangiger Vertreter des Militärs und der Siedler aus der Westbank stattfand, bei der vor palästinensischen Behinderungen bei der Umsetzung der Anordnungen des Staates Israel gewarnt wurden, dürfte sich die Klage Hazonys erledigt haben. An jenem 14. Mai 1967, als Nasser seine Truppen auf die Sinai-Halbinsel verlegte, als im Rundfunk die „Auslöschung der zionistischen Existenz“ angekündigt wurde, als am 02. Juni der PLO-Vorsitzende Achmed Shuqeiri (1908 – 1980) in der „Al-Aqza“-Moschee stürmisch 100

begrüßt wurde und als Radio Kairo drei Tage später die bevorstehende „Stunde der Vergeltung“ bejubelte, beklagte Kook aus Anlass des 19. israelischen Unabhängigkeitstages die Teilung des Landes. Für ihn war der Wohnortes Gottes „das Erbe unseres Vaters Abraham. Deshalb kann es ein für alle Mal keinen Zweifel daran geben, dass es hier keine arabischen Gebiete und keine arabischen Böden gibt, sondern nur Böden Israels, die als ewiges Erbe unseren Vätern gegeben worden sind, zu denen andere kamen und darauf bauten, ohne unsere Zustimmung und unsere Anwesenheit. Wir haben das Erbe unserer Väter nicht aufgegeben und 1948 verkauft. Wir haben beständig gegen die grausame und künstliche Kontrolle dieser Länder [der Araber und Briten] protestiert. Deshalb haben wir die [religiöse] Verpflichtung, sie zu befreien und sie nie aufzugeben. Denn dieses ganze Land in all seinen biblischen Grenzen gehört zur Herrschaft des Volkes Israel.” Unter Berufung auf Maimonides (1135 – 1204) rief Kook dazu auf, eher den eigenen Tod in Kauf zu nehmen als zum Verzicht auf das Land gezwungen zu werden. Als Netanjahu vor einem Kabbalisten ehrfürchtig niederkniete, fühlten sich Ultraorthodoxe bestätigt: „Wir wissen, dass er Schrimps isst und alles andere, [aber] wir beurteilen säkulare Politiker nicht danach, was sie in den Mund nehmen, sondern was aus ihm herauskommt.“ Will heißen: Solange Menschen wie das „Haus Netanjahu“ als „Esel des Messias“ (Sefi Rachlevski) politisch ihrer Pflicht zur Erlösung des Landes nachkommen, mag man ihnen nachsehen, dass sie das „Kleid der Religion“ geringschätzen, ja vielleicht ist es sogar besser, wenn ihnen die religiösen Regeln unverständlich sind. Beide brauchen sich. Ende Dezember 2017 unterdrückten orthodoxe Rabbiner ihren Ärger, dass sich der Regierungschef nur dann an sie wende, wenn ihm Schwierigkeiten drohen. Netanjahu revanchierte sich mit der weiteren 101

Förderung der Siedlungstätigkeit. „Ihr müsst uns den Weg freimachen“, hatte Avraham Yeshayahu Karelitz, der „Chazón Ish“ (der „Visionär“, benannt nach seinem Hauptwerk „Vision des Menschen“ aus Bnei Braq mit heute mehr als 180.000 Einwohnern die größte jüdisch-orthodoxe Stadt der Welt), 1952 auf die Frage Ben-Gurions geantwortet, wie nichtreligiöse und religiöse Juden zusammenleben könnten (Tom Segev). Am 12. April 1968, dem Vorabend des „Pessach“-Festes, mietete sich Rabbiner Moshe Levinger (1935 – 2015), dessen Vater bis 1933 als Neurologe in München arbeitete, nach Beratungen mit dem 1926 in Kiel als Georg Bombach geborenen und in Tel Aviv tätigen Juristen Elyakim Haétzni in Begleitung von 32 Familien im Hebrons Park-Hotel bei der Familie Kawasmeh ein, ausgerüstet mit drei Uzi-Maschinenpistolen, die ihm Arbeitsminister Yig’al Allon (1918 – 1980)47 mitgegeben hatte. Allon, Golda Meir, Moshe Dayan (1915 – 1981), Menachem Begin und Staatspräsident Shneúr Zalman Shazar waren von den Plänen unterrichtet. Die Exekutive unterstützte die Gruppe zwar nicht aktiv, stellte sich aber auch nicht gegen sie. Für Haétzni bedeutete der Tag der Befreiung Hebrons mehr als der Tag der Befreiung Jerusalems: „Wenn wir nach Hebron können, können wir in das ganze Land. Der Unterschied zwischen der Niederlassung in Hebron und zum Beispiel im „Emek Jisreel“ [„Israel-Tal“] in Galiläa ist der, dass wir ins Tal wie Diebe in der Nacht“ [eine Übernahme des gleichnamigen Romans von Arthur Koestler (1905 – 1983) über die Entstehungsgeschichte Israels] kamen, die Araber an der Nase herumführten und nur einen Dunam nach dem anderen kaufen und einen Baum nach dem anderen                                                              47

Yig’al Allon (1918 – 1980) war der Autor des nach ihm benannten Plans, der nach dem Junikrieg aus Sicherheitsgründen für jüdische Siedlungen in der Westbank und auf dem Golan plädierte. Allon löste im Zuge des Rücktritts Golda Meirs im April 1974 Abba Eban als Außenminister ab. 102

pflanzen wollten. Dagegen sind wir nach Hebron und andere Orte in Judäa, Samaria und Gaza wie nach Hause gekommen. Die ersten, die dies verstanden, waren die Araber“, befand die Abgeordnete Geula Cohen. Am 30. Mai beschloss ein Kabinettsausschuss, die Siedler nicht aus der Stadt zu entfernen. Demokratie sei ein jüdischer Wert, befand Levinger, worauf ihm Ben-Gurion von seinem Altersruhesitz Sde Boqer aus zustimmte: Hebron warte auf die Erlösung. Bildungsminister Zevulun Hammer (1936 – 1998) behauptete, es gäbe nichts in der Demokratie, was schon im Judentum vorhanden sei. Mit dieser Gewissheit konnte er sich auf den nicht-zionistischen Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann berufen, für den die „Halacha“ nichts enthhielt, „was mit den Denkgesetzen im Widerspruch steht“. Eine kleine engagierte Gruppe hatte gelernt, dass sich schiere Hartnäckigkeit auszahlt. Dayan machte sich später Vorwürfe, die „Piratensiedlung“ nicht verhindert zu haben. Im Oktober 2018 beschloss die Regierung den weiteren Ausbau der jüdischen Präsenz in Hebron. Am 15. Januar 1997 wurde von Netanjahu und Arafat das „Protocol Concerning the Redeployment in Hebron“ unterzeichnet, womit die palästinensische Polizei die Verantwortung in Abschnitt H-1 übernahm, während sich Israel alle Verfahren und Verantwortlichkeiten für die innere Stabilität und die öffentliche Ordnung in Abschnitt H-2 vorbehielt. Heute wohnen 800 orthodoxe Juden im Zentrum der Stadt und lösen durch ihr Gebaren bei auswärtigen Besuchern Entsetzen aus. Ist Gott Zionist? Mit dem Sieg 1967 war für große Teile der jüdischen Bevölkerung Israels entschieden, dass es, nachdem Gott Sein Volk mit der Zerstörung des Ersten und des Zweiten Tempels bestraft habe, nunmehr darauf ankomme, sich mit der Rückkehr nach Judäa und Samaria Seiner Schonung würdig zu erweisen. Das Bündnis mit der westlichen Zivilisation

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müsse aufgekündigt werden, weil das jüdische Volk in ihrer Mitte spirituell degeneriert sei. Der „Yeshiva-Nationalismus“ mit ihren Anhängern, den „Hardelím“ („Haredím le‘umiím“ = nationalistische Gläubige), als Synthese aus Religion, Volk und Siedlungsarbeit, war auf dem Vormarsch. „Wenn junge amerikanische Juden bereit sind, für den Vietcong zu kämpfen, für Schwarze, für amerikanische Indianer oder für jeden anderen gerade radikalen Geschmack, nicht jedoch für sich kämpfen, [bedeutet das], dass sie sich selbst hassen“, zitierte Hazony aus einer Rede Meir Kahanes (1929 – 2010) in Princeton. Der sefardische Oberrabbiner Mordechai Eliyahu (1929 – 2010) lobte Kahanes „Großzügigkeit, seine Freundlichkeit, seine Verbindlichkeit“. Dieser hatte die „Jewish Defense League“ und die Bewegung „Kach!“ – „So!“, wobei ihre Plakate einen Mann mit erhobenem Gewehr zeigten – gegründet, bevor seine Wahlliste 1988 wegen des Vorwurfs, Hass zu säen, verboten wurde. Die Anhänger des „normalen Zionismus“ wurden überrollt. Die breite Zustimmung für die Nationalreligiösen als Träger des wahren Judentums ließ Behauptungen ins Leere laufen, sie seien Sozialparasiten auf Kosten der arbeitenden Gesellschaft. In einer seiner wöchentlichen Predigten verfügte Eliyahus Amtsvorgänger Ovadia Yoséf (1920 – 2013)48, dass jeder, der mit schlechten Gedanken über „Yeshiva“-Studenten spreche und diese als Schmarotzer bezeichne, ein Schurke sei, ein Häretiker; seine Tötung sei erlaubt. Der Journalist Nehemia Strasler spottete, dass nach der Anweisung Maimonides‘ in Zeiten des Krieges jeder Bräutigam und jede Braut in den Kampf ziehen müsse – doch wer sei schon Maimonides im Vergleich zu Ovadia Yoséf? Eher die Gesetze des Staates als

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Ovadia Yoséf (1920 – 2013) war zwischen 1973 und 1983 sefardischer Oberrabbiner und der Spiritus rector der Partei der „Sefardischen Thorawächter“ („Shas“). Sein sechster Sohn Yitzhak (geb. 1952) amtiert seit 2013 als sefardischer Oberrabbiner. 104

die Gesetze Moses‘ verletzen, hielt ein Rabbiner fest. Die Zahl der religiösen Lehrstätten wuchs schneller als jemals in der jüdischen Geschichte. „Ist Gott etwa Zionist?“, fragte Menachem Friedman ironisch. Der nationalreligiösen „Armee des Herrn“ seien drei Dinge zuwider: das politische System, der Spannungsbogen zwischen Religionsgesetz und Lebenswirklichkeit sowie Israel als demokratischer Staat. Für den Soziologen entstand eine „paranoide Gesellschaft“ mit orthodoxer „Präzision ohne Kompromiss“, welche die Definitionsmacht für sich reklamiert – in den Worten Baumans „die moderne Form der Intoleranz“, die nur eine Wahrheit zulässt. Rabins engster Berater Eitan Haber rechnete die Israelis zu den „first-class paranoids“. Journalisten entdeckten eine „mondsüchtige Politik“. Für den Juristen Yedidia Z. Stern entstand eine „normative Dualität“, in der das jüdische Religionsrecht über der Geschichte stehe, so dass „ein echtes existentielles Problem“ wie ein „schwerer Schatten“ über der Gesellschaft liege. Wie vor ihm schon Yehoshafat Harkabi befürchtete Yossi Beilin, zwischen 1992 und 1995 stellvertretender Außenminister bei Peres, einen „jüdischen Khomeinismus“. Dagegen zeigte Amos Oz 2018 keine Angst davor, „dass Israel in ein paar Jahren wie Teheran sein wird,“ und seine stoische Gelassenheit damit, dass die religiösen Parteien alle 25 Jahre nur einen Parlamentssitz hinzugewannen49. Gleichwohl befürchtet er „eine Diktatur extremistischer Juden, eine fanatische, rassistische Diktatur“, wie er in seinem Sammelband „Liebe Fanatiker“ ausführt. Der wohl bedeutendste israelische Historiker Jacob Leib Talmon (1916 – 1980) verwahrte sich gegen eine „totalitäre Demokratie“ als die Dominanz einer einzigen Wahrheit. Verlängerten sich hier, wie Gershon Shaked vermutet hat, „die typischen Merkmale der Diaspora“, nämlich Angst, Autoritätshörigkeit und ewiges Wandern? Meron Benvenisti schrieb:                                                              49

Amos Oz: „Alles ist umkehrbar“ (Interview) in SZ 11.05.2018, S. 13. 105

„Wir spielten ein Leben in Utopia und schufen eine großartige narzisstische Gesellschaft.“ Der „Appetit auf Nötigung“, so Shulamit Aloni (1928 – 2014), die Ikone der Bürgerrechtsbewegung, war schwer in Schach zu halten. Die Bemühungen Amnon Rubinsteins schlugen fehl, als Gegenwehr mit anderen Juristen einer geschriebenen Verfassung zum Durchbruch zu verhelfen, bei der das bundesdeutsche Grundgesetz eine Vorlage abgeben sollte. Da der Unabhängigkeitserklärung mit der Bezeichnung Israels als „jüdischer Staat im Lande Israel“ der Verfassungsrang fehlt, hatte die Knesset im April 1949 einen Ausschuss berufen. Zu der Phalanx der Abweichler zählten Ben-Gurion, der im Zuge der vollen Gewaltenteilung eine Verkürzung des dominierenden Einflusses seiner Partei und ihrer Führungsrolle befürchtete, sowie orthodoxe und ultraorthodoxe Abgeordnete, die auf die „Thora“ als Ausdruck der unvergänglichen „Verfassungsgemeinschaf 50“ pochten: „Israels Verfassung hat viele tausend Jahre bestanden, und wir brauchen keinen Ersatz dafür. Wenn die Zeit für eine auf der Thora beruhende Verfassung nicht reif ist, dann lasst uns lieber gar keine Verfassung machen“, verwahrte sich eine jener Stimmen, die auch den Unwägbarkeiten in der Demokratie aus dem Wege gehen wollten. Als Kompensation der „Entscheidung, nicht zu entscheiden“ – ohne dass sich dadurch ein „Status quo als Status quo herausgestellt hätte“ (Daphne Barak-Erez) –, kam es im April 1950 zu einem Kompromiss: Im Laufe der Jahre wurden vierzehn Grundgesetze („Khuqéi Yessód“) verabschiedet, in denen das Thema der jüdischen Identität immer häufiger an Brisanz gewann und die Realität in den Hintergrund verdrängte. 1991 warnte der an der „Bar Ilan“-Universität tätige Politologe Paul Eidelberg vor einer „Volkskrankheit“: der trunkenen Anwendung demokratischer Spielregeln mit ihren moralischen Verwerfungen und politischen Kontroversen.                                                              50

Dazu Psalm 119,1-8. 106

Aus einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom April 2017 ging hervor, dass sich 84,9 Prozent davon überzeugt zeigten, Israel sei ein jüdischer Staat. Die Auftraggeber resümierten: „Es ist eine hochgradige Verknüpfung zwischen Religiosität und politischer Haltung erkennbar“. Eine klare Mehrheit der Nationalreligiösen (91,9 Prozent), der Orthodoxen (84,1 Prozent) und der Traditionalisten (78,2 Prozent) würden sich mit der politischen Rechten identifizieren. Die aufgrund ihrer politischen Kälte als „Eisprinzessin“ titulierte säkulare Ayelet Shaked bedauerte, dass in den vergangenen zwanzig Jahren die Debatte über universale Werte den Diskurs über den jüdischen Charakter Israels überwogen habe. Seit ihrem Amtsantritt 2015 verlangt die ehemalige Sprecherin des Militärs und heutige Kulturministerin Miri Regev Loyalitätsbekundungen als Voraussetzung für staatliche Zuschüsse an Theater und Kunst, um die Freiheit des geistigen Eigentums einzuschränken. Im Juni 2017 kamen Entwürfe auf den Tisch, mit Hilfe eines „Ethikcodes“ die Freiheit von Forschung und Lehre zu bremsen. Ist der nationalreligiöse Singularismus überlebensfähig? Mitte Oktober 2018 verabschiedete die Knesset ein Loyalitätsgesetz zur Förderung von zionistischen, jüdischen und ultraorthodoxen Filmen. Die Curricula in den Schulen sowie die außerschulische Jugendbildung wurden auf Linie gebracht. In Abgrenzung zu lauwarmen Mitläufern, die das vordergründig Unvermeidliche hinnehmen und die Freiheit der Eigenverantwortung preisgeben, haben Eltern aus Verzweiflung zu einem „Säkularen Forum“ Zuflucht genommen, um sich gegen die Umerziehung ihrer Kinder zu wehren. Im Herbst 2018 forderte es vom Obersten Gerichtshof das Recht ein, ihre Kinder auf der Grundlage der freien Religionsausübung unterrichten zu lassen. „In unserer Galaxy sind die Milliarden Sterne göttliche Lichter“, lautete das Gegenargument des Bildungsministeriums. Nach Schätzungen des „Israel Democracy Institute“ will bis zu einem Drittel aller Jugendlichen

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aus neo-orthodoxen Familien auf ihren bisherigen Lebensstil verzichten. Doch solange die religiösen Überlieferungen den Alltag in den Familien, in den Schulen und auf den Straßen prägen, bewegen sich Liberale und Linke in einem abstrakten Raum, hat Moshe Zuckermann ausgeführt, der sich als Marxist bezeichnet.

Die amputierte Demokratie 2002 stellte der Rechtswissenschaftler David Kretzmer sein Buch unter den Titel „Die Besetzung der Justiz“. Vom inneren Zerwürfnis ist die Rechtsprechung nicht verschont geblieben. Die frühere Generalstaatsanwältin Yehudit Karp beklagte gegenüber dem Justizministerium, dass Gerichtsbeschlüsse von staatlichen Instanzen unterlaufen würden oder keine Beachtung fänden. Als Präsidentin des Obersten Gerichtshofs verwahrte sich Esther Chayut gegen die Aufhebung der Gewaltenteilung. Reuven Rivlin beschuldigte die Exekutive, das Gericht für politische Ziele zu missbrauchen. Dazu hat der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Aviad Bakshi ausgeführt, dass der Generalstaatsanwalt die Mitglieder der Regierung zwar beraten solle, sie aber nicht binden dürfe. Die Ernennung des nach seiner Ausbildung bei dem Kabbalisten Baruch Ashlag (1907 – 1991) zur Orthodoxie übergewechselten Avichai Mandelblit, dem aufgrund seiner Karriere als MilitärGeneralstaatsanwalt, seiner Tätigkeit als Kabinettssekretär Netanjahus die Unabhängigkeit abgesprochen wurde, folgte politischen Vorgaben. In einer Direktive verfügte Mandeblit im Oktober 2018 vorsorglich, dass gegen Regierungsmitglieder im Falle des Verdachts krimineller Handlungen zunächst eine Voruntersuchung vor der Eröffnung eines Strafverfahrens einzuleiten sei – ein Verstoß gegen das Prinzip der Rechtsgleichheit.

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Die Justiz sieht sich außerstande, die Besatzung als solche zu bewerten, sondern beschränkt sich auf Einzelfallurteile. Der Streit um die demokratischen Prinzipien geht inzwischen so weit, dass Verteidiger des Rechtsstaats aus bitterer Erfahrung darauf verzichten, die Justiz zu Hilfe zu rufen, wenn sie von Siedlern und Extremisten physisch attackiert werden. Im Januar 2018 hat der Oberste Gerichtshof angedeutet, dass er den Staat nicht zwingen werde, egalitäres Beten von Männern und Frauen an der Klagemauer umzusetzen, und tat wenig, die Frauen vor Beleidigungen und Angriffen zu schützen. Bizarre Diffamierungen schreckten nicht vor der Aufforderung zurück, sie könnten an der Klagemauer ihre Hunde „Bar Mitzva“ werden lassen. Ohne einen gemeinsam getragenen Gottesdienst im Blick zu haben, hatte Nathan Birnbaum Anfang des 20. Jahrhunderts die Frauen auf traditionelle Rollen festschreiben wollen: „Namentlich in den letzten Jahrhunderten vor der Emanzipation tritt uns die jüdische Frau als eine der Hauptstützen der Religiosität entgegen. Indem sie in stiller Tapferkeit, in liebevoller Pflichterfüllung, mit jener Sorge für die Einzelheit, die das Kennzeichen von Gewissen, Charakter und Kultur ist, ihr Haus nach Gottes Gebot aufbaut, baut sie zugleich am Hause des Herrn mit, verleiht sie erst den Bet- und Lehrhäusern der Männer Bestand, sichert sie erst jene Atmosphäre übsamer Innigkeit, ohne die es kein Volk in Demut und Anbetung vor Gott gibt.“ Eyal Krim, oberster Militärrabbiner im Rang eines Brigadegenerals, einigte sich im Februar 2018 mit dem Generalstabschef Gadi Eisenkot darauf, dass Frauen nur mit seiner Genehmigung für medizinische Dienste bei der Marine eingeteilt werden. Am Internationalen Frauentag wurde die Armee gezwungen, ein Video zu löschen, das für den Militärdienst von Frauen werben wollte. Das Bezirksgericht in Tel Aviv

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gab im Juni der Klage einer Organisation nach, als „wahre und vollständige Erlösung“ auf dem Rabin-Platz eine 50 Meter lange Trennwand („Mechitza“) hochzuziehen, um bei der Veranstaltung Frauen und Männer zu segregieren und damit dem jüdischen Religionsgesetz Genüge zu tun. „Nice“, eine der weltweit führenden Software-Produzenten, hatte ein Jahr zuvor aus demselben Grund ihre Buchungen bei der Fluglinie „El Al“ („Nach oben“) storniert und bestätigte ihre Entscheidung im Juni 2018. Über Frauenstimmen in Werbesendungen der Regierung in ultraorthodoxen Rundfunkstationen kam es zum Streit. Mitte August 2018 drehten religiöse Soldaten ihren Kopf zur Seite, als sie von einer Frau im Training angeleitet werden sollten.

Am Ausgang des liberalen Rechtstaates Das „Nationalstaatsgesetz des jüdischen Volkes“ („Nation-State Bill of the Jewish People“ – „Khoq Leóm Le-Am Ha-Yehudí“) als fünfzehntes Grundgesetz vom 19. Juli 2018 soll das Grundrecht „Menschenwürde und Freiheit“ von 1992 ersetzen. Das Gesetz leitete keinen Wendepunkt ein, sondern ist lediglich der vorläufige Schlussstein – die „Spitze des Eisbergs“, so der Satiriker B. Michael – in Entwicklungen, die sich ankündigten: An Stelle von „Israel“ kommt der „jüdische Staat“ zum Zuge und vollendet die Gleichsetzung von Nation und Religion. Jerusalem ist komplett und vereinigt als Hauptstadt Israels ausgewiesen, die jüdischen Siedlungen zwischen Mittelmeer und Jordan wurden als nationaler Wert bezeichnet, dem Arabischen als zweiter Amtssprache ist ein spezieller Status ohne Gleichwertigkeit mit dem Hebräischen zugewiesen worden, Kultur und Religion in der Diaspora sollen nach ultraorthodoxem Vorbild gestärkt werden, das demokratische Selbstverständnis wurde gestrichen, auch wenn die Unabhängigkeitserklärung von 1948 eine Abstufung vornahm: hier der Nationalstaat eines

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bestimmten Volkes, dort die ethnischen und kulturellen Minderheiten unter seinem Dach. Die Vorherrschaft folgt dem biblischen Konzept der Beisassen („Gerím Toshawím“), denen das Gastrecht entzogen werden kann, wenn sich Widerstand in Wort und Tat regt: Es handele sich um Akte des Terrorismus. Es ist kaum anzunehmen, dass Aharon Barak, zwischen 1975 und 1978 Generalstaatsanwalt und zwischen 1995 und 2006 Präsident des Obersten Gerichtshofs, sein Urteil wiederholen würde, der ideologische Pluralismus gehöre zur Leitkultur der israelischen Demokratie: „Das zentralste aller Menschenrechte ist das Recht auf Würde. Es ist die Quelle, von der sich alle anderen Menschenrechte ableiten. Die Würde fügt die anderen Menschenrechte in ein Ganzes ein. … Menschenwürde ist deshalb die Freiheit des Einzelnen, eine individuelle Identität auszuformen. Sie ist die Autonomie des individuellen Lebens. Sie ist die Freiheit der Wahl. Menschenwürde betrachtet einen Menschen als einen Selbstzweck, nicht als ein Mittel für Zwecke, andere [Rechte] durchzusetzen.“ Auf der Folie dieser Überzeugung irritierte er im Februar 2018 mit dem Eingeständnis, dass die „Werte des Staates Israel als des jüdischen Staates diesen gegenüber demokratischen Staaten auszeichnen“. Im Mai versuchte der Präsident der Knesset Yuli Edelstein die Einbringung eines Antrags der Vereinigten Liste zu verhindern, wonach das Grundgesetz Israel als Staat aller seiner Bürger, für ihren Vorsitzenden Ayman Odeh die „tiefe Gleichberechtigung“, ausstrahlen solle. Die Ablehnung wurde mit 95 der 120 Abgeordneten vom „Likud“, der Zionistischen Union, der Partei „Es gibt eine Zukunft („Yesh Atid“), der Partei „Wir alle“ („Kulanu“), „Unser Haus Israel“ („Israel Beiteinu“) und „United Torah Judaism“ unterstützt. „Der Zionismus kann und wird nicht überleben, wenn er sich einem Gefüge individueller Rechte auf universeller Grundlage unterwirft“, hat Justizministerin Ayelet 111

Shaked 2018 vor der Anwaltskammer ausgeführt – eine Absage an vermeintliche Humanitätsduseleien. Die Gewährleistung einer jüdischen Mehrheit rangiere höher als die Verletzung von Rechten der palästinensischen Bevölkerung. Bei der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit 1990 in Nürnberg hatte der frühere Botschafter in Bonn Yohanan Meroz „den Vätern des Zionismus und den Gründern des Staates Israel“ das Wort Jesajas von Recht und Gerechtigkeit als „moralischen Leitstern“ zugesprochen.“ Wo der Verdacht eines Verstoßes bestehe, wachse die Kritik zum Sturme. Die Zeiten haben sich geändert. Wer auf Exklusivität beharrt, setzt auf den Einsatz von Gewalt. Wenn sie herausgefordert oder gar bestritte wird. Erziehungsminister Naftali Bennett, der in eine strikt säkulare Familie aus San Francisco geboren wurde, erzählte stolz, viele Araber getötet und dabei keine Skrupel gehabt zu haben. Golda Meir hatte geklagt, sie könne den Palästinensern nicht verzeihen, dass man sie töten müsse. Shaked hat dafür gesorgt, dass den Palästinensern in bestimmten Streitfällen die Anrufung des Bezirksgerichts in Jerusalem vorgeschrieben wurde, wohin sie eine ihr politisch genehme Juristin abordnen wollte. Außerdem sei es unvorstellbar, dass der Vollzug jeder großen Regierungsentscheidung zwei Jahre aufgeschoben werde, weil die Richter darüber diskutieren wollten. Außerdem forderte Shaked die Justiz auf, bei der Rechtsprechung neben westlichen auch talmudische Vorlagen heranzuziehen. Die perfekt inszenierten und als höchst professionell gelobten Auftritte Netanjahus, begleitet von Charts auf Klarsichtfolien und Tabellen, im tadellosen Englisch vor der UN-Vollversammlung, die vor allem dem Iran und der „Hisbollah“ drohten, stabilisieren sein Ansehen zu Hause. 2017 äußerte sich der Ministerpräsident begeistert darüber, dass Hunderte Präsidenten, Ministerpräsidenten, Außenminister und andere Führungsfiguren dem Staat Israel ihre Aufwartung gemacht und dessen außerordentliche Tüchtigkeit im Kampf gegen den Terrorismus sowie bei der Entwicklung neuer Technologien in der Landwirtschaft, bei der Süßwassergewinnung, in der Medizin und auf 112

dem Gebiet der Cyber-Sicherheit bewundert hätten. Die Beziehungen seien in einem einzigen Jahr in sechs Kontinenten massiv ausgebaut worden. Während eine stabile Wirtschaft das Tor zur Welt offenhält und innenpolitisch das Konsumverhalten keinen Frieden mit den Nachbarn braucht, berief sich Netanjahu auf die Wahrheiten der Geschichte mit den Erzvätern und -müttern in Hebron, die schwerlich aufzuhalten seien: „Das Licht Israels werde niemals ausgelöscht werden“: 27 Jahrhunderte nach den prophetischen Worten Jesajas steige Israel in die Riege der mächtigen Nationen auf. Seine Helligkeit durchflute die Kontinente, trage Hoffnung, Rettung und Erlösung bis ans Ende der Welt. Konsequent führte Rabbiner Yoel Bin-Nun, einer der prominentesten Vertreter der Nationalreligiösen, im September 2017 in der „Jerusalem Post“ aus, die ganze Welt beginne das jüdische Volk als ein Licht für die Völker zu sehen. Wer Israel bedrohe, begebe sich in tödliche Gefahr. Peter Beinarts Buch „The Crisis of Zionism“ repräsentiert puren Euphemismus. Mitte August 2018 wurde Beinart am Flughafen Tel AvivLod festgehalten und einem intensiven Verhör unterzogen, in dessen Mittelpunkt seine politischen Überzeugungen standen. Die kaum erträglichen Verhöre und Kontrollen von Juden, die in Israel einreisen wollen, häufen sich: Sie werden stundenlang verhört, die Adressen in ihren Mobiltelefonen werden kopiert, die Absichten ihrer Reise aufs peinlichste begutachtet, die Verabredungen mit jüdischen und arabischen Gesprächspartnern registriert, oder sie werden umgehend abgeschoben, McCarthy-Methoden pur. Ari Shavit, einer der bekanntesten Kommentatoren, urteilte „Vorwärts, Narrenschiff“. Weder Antisemiten noch extremistische Araber oder Palästinenser könnten Israel niederringen: „Wir verlieren den Kampf gegen uns selbst.“ Amos Oz würde sich freuen, wenn Netanjahu zur Hölle fahre. Der frühere Generalankläger Moshe Lador, der die Untersuchungen gegen Ministerpräsident Ehud Olmert wegen des Verdachts der passiven Korruption leitete, sah das Land am Rande des inneren Zerfalls, als das Verfahren 113

gegen Netanjahu und seine Frau Sara wegen Vorteilsnahmen zu Lasten des Rechtsstaates verschleppt wurde. Die einstige Schieflage hat einem schweren Beben Platz gemacht, das die Gesellschaft zerreißt. Avraham B. Yehoshua wollte nicht länger zwischen „rechts“ und „links“ unterscheiden, sondern differenzierte zwischen dem „Friedenslager“ und dem „nationalen Lager“ – ohne zu verhehlen, dass auch ersteres durch „hervorstechende nationale Motive“ geprägt sei. Das amtliche Bekenntnis zu einem Staat Palästina stelle lediglich einen „täuschenden und listigen Mantel“ für die Vertiefung der unerträglichen Okkupation sowie für die juristische und soziale Apartheid dar. Andere Autoren wie B. Michael und Shaul Arieli erhoben den Vorwurf des religiösen Faschismus („Datishism“). Für Zeev Sternhell konnte nur der Allmächtige den Staat retten – wenn es den gäbe. Lasse sich die Besatzung ohne einen Bürgerkrieg beenden, fragte er skeptisch, nachdem die religiösen und nationalistischen Siedler einen Staat im Staat geschaffen haben? Die einzige Demokratie in der Region befinde sich auf der Bahn in die Selbstzerstörung. Saul Friedlaender klagte, dass „der Zionismus von der äußersten Rechten eingenommen und sogar gekidnappt worden“ sei. Es sei ihm „peinlich, dass ausgerechnet ich, der hätte wissen müssen, was eine Besatzung den Besetzten und den Besatzern antut, das ‚Menetekel‘ nicht sah“. Für ihn könne „die Lehre aus der Schoah nicht sein, allein auf Stärke und Macht zu setzen“. Er fühle sich Israel sehr verbunden. „Aber wenn es irgendwann zu einem Apartheid-System käme, würde ich meinen Freunden raten, nicht mehr dorthin zu fahren.“ Dame Vivien Duffield, über ihre „Clore Duffield Foundation“ mit Sitz in London die größte Philanthropin in Europa, bekannte im August 2018, dass sie Israel inzwischen hasse und alles missbillige, was dort geschehe: Das „Nationalstaatsgesetz“ sei Apartheid wie in Südafrika. Deshalb unterstütze sie jedes arabische Projekt. Die Ultrarechte um Netanjahu mache es britischen Juden schwer, sich zu Israel zu bekennen.

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Da die Beharrungskräfte so stark sind und die linksbürgerlichen und linken Kreise hin und wieder Museumsexponaten ähneln, haben letztere keine maßgeblichen Spuren hinterlassen. Desto wichtiger sind Einrichtungen wie das mit dem Manifest „Road Map for a Shared Society“ arbeitende jüdisch-arabische Schul-, Bildungs- und berufsbezogene Fortbildungsforum „Givat Haviva“ – nun auch mit einem als Gemeinschaftsprojekt angelegten arabischen Jugenddorf –, das in den frühen 1970er Jahren gründete binationale Friedensdorf „Neve Shalom/Wahat As-Salam“, in dem Juden und Araber auf 40 Hektar im Niemandsland der Waffenstillstandsgrenze von 1949 mit dem Ziel einer egalitären Gesellschaft zusammenleben, sowie die bilingualen „Hand in Hand“-Schulen mit Kindergarten, Grund- und Oberschule für Juden und Araber, auch wenn sie vor allem von Kindern aus finanziell gutgestellten Familien genutzt werden. Projekte wie diese, unterstützt von der Bundesregierung, von deutschen Landesregierungen und Privatpersonen demonstrieren interaktive jüdisch-arabische Partnerschaften, auch wenn sie wie Inseln im Ozean der Verzweiflung agieren. Doch sie können die endgültige Entwicklung in Richtung eines Albaniens stoppen, die Isaiah Berlin schon 1975 vorhersah.

  „Raus aus Gaza und aus allen Gebieten.“ Aufkleber des „Friedensforums“ aus den frühen 1990er Jahren.

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„Wen das Land nicht kümmert …“ Gegenüber Präsident George W.H. Bush hatte Yitzhak Rabin „keine wie auch immer geartete Absicht“ betont, die Siedlungen aufzulösen, vielmehr wolle er sie mit allem versorgen, was sie brauchen. Auch dem jordanischen König Hussein versicherte er, einen palästinensischen Staat zu verhindern, was er bei der Vorlage der Osloer Interimsvereinbarung in der Knesset wiederholte: Seine Regierung beabsichtige die Einbeziehung der meisten Siedlungen als „integralen Teil des Landes Israel wie unter dem britischen Mandat entlang einer palästinensischen Entität“ als „Heimat der meisten palästinensischen Bewohner im Gazastreifen und in der Westbank, weniger als ein Staat, aber mit einer Autorität, die in Unabhängigkeit das Leben der Palästinenser lenkt“. An seiner nationalen Zuverlässigkeit sollten keine Zweifel aufkommen. Dabei hatte er in seiner Regierungserklärung im Juli 1992 seine Landsleute aufgefordert, „die neue Welt so zu sehen, wie sie heute“ sei: „Wir sind nicht mehr notwendigerweise ‚ein Volk, das allein wohnt‘, und es ist nicht mehr wahr, dass ‚die ganze Welt gegen uns ist‘. Wir müssen das Gefühl der Isolation überwinden, das uns ein halbes Jahrhundert lang [seit der „Shoah“] versklavt hat.“ Ohne die Gefahren zu leugnen, denen Israel von Seiten des Iran ausgesetzt sei, sei nicht die ganze Welt antisemitisch und wünsche die Ausradierung Israels, hat David Grossman im Herbst 2018 ausgeführt51. Die 31 Artikel, zwölf Anhänge und acht Karten von „Oslo II“52, die auf

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David Grossman: „Düstere Nüchternheit und ein Gefühl der Lähmung“ (Interview), in Deutschlandfunk Kultur 28.09.2018. „Oslo II”: „Israeli-Palestinian Interim Agreement on the West Bank and the Gaza Strip, Washington, DC, September 28, 1995.” Die Vereinbarung 116

den Resolutionen 242 und 338 des UN-Sicherheitsrates Bezug nahmen, bezeichneten die Westbank und den Gazastreifen als „single territorial unit“ und beschrieben die Verpflichtungen und Erwartungen der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes bis hin zur Wahl der Autonomiebehörde53 ausführlich, während sich die Verpflichtungen Israels im Wesentlichen auf Zugeständnisse in der Westbank beschränkten, so die Auflösung der militärisch kontrollierten „Zivilverwaltung“ und der Militärexekutive sowie die Umgruppierung („Redeployment“) des Militärs aus „bewohnten Gegenden“. Als israelische Siedlungsgebiete wurden die Niederlassungen in der Zone C mit über 60 Prozent der Westbank und im Gazastreifen ausgewiesen. Im Gegensatz zu Behauptungen, „Oslo II“ habe den Palästinensern einen Staat zugesprochen, sah die Vereinbarung nur „eine demokratische Basis für die Schaffung palästinensischer Institutionen“ vor. Der Autonomiebehörde wurde keine Außenpolitik zugestanden einschließlich der Errichtung von Botschaften, Konsulaten und „anderen Arten auswärtiger Missionen“, wohl aber Wirtschafts-, Kultur-, Wissenschafts- und Bildungsübereinkünfte sowie solche mit Geberländern. Aussagen zu Jerusalem beschränkten sich auf die Möglichkeit der palästinensischen Beteiligung an den Wahlen. Der Verweis auf Überprüfungsmechanismen war vage formuliert. „Oslo II“ wurde in der Knesset mit 61 zu 59 Stimmen angenommen, zwei Abgeordnete der Arbeitspartei stimmten mit der Opposition. Ihr Leiter Benjamin Netanjahu bezeichnete die Vereinbarung als einen „Akt der Kapitulation“, eine „Gefahr für die Existenz des Staates Israel“

                                                            

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wurde unterschrieben von den USA, der Russischen Föderation, der Arabischen Republik Ägypten, dem Haschemitischen Königreich Jordanien, dem Königreich Norwegen und der Europäischen Union. „Palestinian Interim Self-Government Authority”, in „Oslo II” als „(Palestinian) Council“ bezeichnet. 117

und verwahrte sich dagegen, dass sie mit Hilfe der arabischen Parlamentarier verabschiedet wurde: „Der erste und wichtigste Frieden, den wir erreichen müssen, ist der Frieden zu Hause, der Frieden zwischen uns, der Frieden unter uns [Juden].“ Elyakim Haétzni verglich Rabin mit Philippe Pétain (1856 – 1951). Ein Abgeordneter des „Likud“ sagte voraus, dass die Tage des Ministerpräsidenten „gezählt sind“. Bei der Großkundgebung auf dem Zionsplatz in Jerusalem Anfang November ertönten Rufe, Rabin zu ermorden. Netanjahu berief sich auf die Bibel, um seine Gegnerschaft zu begründen. Was viele seiner Amtskollegen hinter vorgehaltener Hand dachten, sprach ein prominenter New Yorker Rabbiner offen aus: „Aufgrund der Halacha verdient Rabin den Tod.“ Er beabsichtige, lebende Menschen, Geld und Eigentum an Fremde auszuliefern und begehe damit ein Verbrechen. Anfang der 1980er Jahre hatte Zvi Yehuda Kook gewarnt, wen das Land nicht kümmere, um den kümmere sich das Land nicht. Das „Lied des Friedens“ „Flüstert kein Gebet, singt ein Lied des Friedens mit lauter Stimme. Sagt nicht, dass der Tag kommen werde, bringt den Tag herbei“ vom 04. November verhallte. Rabin habe, hieß es hernach, wie ein Konvertit die Bibel zerrissen. Auf Brücken und Hauswänden erschienen Graffiti mit der Aufforderung, die „Oslo-Verbrecher“ Rabin, Peres, Beilin und Rabins Chefunterhändler Uri Savir vor Gericht zu stellen, weil es ihnen fundamental am Verständnis für das jüdische Vermächtnis fehle und ihr Stolz auf die Existenz des Volkes Israel im Lande Israel mehr als dürftig sei. Auch Ministerpräsident Ariel Sharon (1928 – 2014) rechtfertigte Rabins Ermordung mit den Worten, dass er den „grauenhaften Fehler [der Vereinbarung mit den Palästinensern] nun einmal begangen" 118

habe. Im Zeichen des „Rabbinikalismus“ (Avirama Golan) hatte sich eine „Kultur des halachischen Charaktermordes“ (Ehud Sprinzak) breitgemacht. An die Stelle der Kibbuzniks, für die das Leben einer Kuh wichtiger gewesen sei als die Gebote Gottes, traten die „Charedím54“, „die Königsmacher“ (Chemi Shalév). Schwankte nach Rabins Tod das Urteil noch zwischen der Verurteilung des Mordes und seiner Heroisierung – letztere sorgte im Ausland für Legenden, die selbst Avi Shlaim die Bewertung auferlegte, Rabin sei der einzige Premier gewesen, der den Mut, die Ehrlichkeit und die Absicht gehabt habe, das Zerwürfnis zu Ende zu führen –, so trat an die Stelle politischer Programme eine breit angelegte Politik nationalreligiöser Selbstdeutungen. Obwohl er in seiner knapp zweijährigen Amtszeit 40 „Außenposten“ in Siedlungen umwandeln wollte, versuchte Ehud Barak nach seiner Wahl 1999 die Allgegenwart der institutionalisierten Blockade durch eine „säkulare Rebellion“ („Mahepechá Chilunít“) zu durchbrechen mit – – – – – – –

der Auflösung des Religionsministeriums, der erneuten Vorbereitung einer Verfassung, der Einführung der Zivilehe, der Aufhebung der Restriktionen für den öffentlichen Verkehr am Shabbat, der Entfernung der Nationalitätsklausel aus dem Personalausweis, der Einberufung der „Yeshiva “-Schüler zum Militär- und Ersatzdienst sowie der Einführung eines Kerncurriculums in allen staatlich geförderten Schulen.

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Deut. 6,2: „… damit du den Herrn, deinen Gott, fürchtest alle Tage deines Lebens und alle Seine Bestimmungen und Gebote hältst, die Ich dir heute anbefehle…“ 119

Die Dissidenten hielten ihm daraufhin vor, dass er den Staat mittels eines Konterrevisionismus in ein nichtjüdisches Land verwandeln wolle. Der charismatische Ovadia Yoséf rief „jeden gottesfürchtigen Juden“ zum Putsch auf, das Studium der Thora zu unterbrechen, um den „Judenhasser Barak aus dem Amt zu jagen“. Wenn wie 2016 ein Drittel aller Offizierskadetten orthodox waren, muss es schwerfallen, Befehle durchzusetzen, die einander widersprechen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich Robert Weltsch gegen die „aktivistischen Verirrungen“ Jabotinskys mit den Worten verwahrt: „Feuer und Schwert sind keine Thora für uns“. Achad Ha’am grenzte sich 1922 in „Haaretz“ gegen eine talmudische Rechtfertigung jüdischer Gewalt ab: „Wenn das der ‚Messias‘ sein soll, will ich sein Kommen nicht sehen.“ Bei der Präsentation seines neuen Buches „In Days to Come“ Anfang März 2018 in New York distanzierte sich Avraham Burg von „14 Millionen Meir Kahanes“, wenn diese rassistisch, fremdenfeindlich sowie islamo- und homophob seien. Genetisch habe er mit ihnen nichts gemein. In der scharfen Kontroverse mit Scholem über ihr Buch „Eichmann in Jerusalem“ hatte Hannah Arendt (1906 – 1975) betont, sie liebe nur ihre Freunde, ob Juden oder Nichtjuden.

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Kapitel VII Heimat zweier Völker „Manchmal können die Verhandlungen in unseren Kreisen einen zur Verzweiflung bringen55.“ Als nach dem Junikrieg die ersten Weichen für ein Groß-Israel gestellt wurden, setzten sich Wissenschaftler, Autoren, Offiziere und Soldaten der Reserve öffentlich zur Wehr. Den Anfang machte im Mai 1969 die Erklärung der „Bewegung für Frieden und Sicherheit“ (man beachte die Reihenfolge im Titel!) mit der Überschrift „Ein israelisches Friedensprogramm – das Gebot der Stunde“, die von Simha Flapan (Publizist, 1911 – 1987), Amos Kenan (Autor, Maler, Skulpteur, 1927 – 2009) sowie den Professoren der Hebräischen Universität Yehoshua Arieli (Amerikanist, 1916 – 2002), Ernst Simon (Erziehungswissenschaftler), Gabriel Stein (Historiker, 1920 – 1976), Jacob L. Talmon (Historiker) und Zvi Werblowsky (Religionswissenschaftler, 1924 – 2015) unterzeichnet war. Simon glaubte noch 1971, dass „ihr [der Gruppe] unterirdischer Einfluss vielleicht größer ist als ihre organisatorische Bedeutung und Ausdehnung“. Als Buber 1950 von einem Ladenbesitzer in Jerusalem aufgerufen worden war, sein politisches Scheitern einzugestehen, parierte er die Aufforderung mit dem Gebot, dass sich aus einer guten Sache, wenn sie besiegt worden sei, nur ergebe, „daß wir uns nunmehr erst recht für sie einzusetzen haben“. Levinas hat den Intellektuellen gemeinhin als denjenigen definiert, „der immer am Ziel vorbeischießt, dafür aber sehr weit zielt“.                                                              55

Mit diesem Satz begann B(erl) Ka(t)znelson seine Rede „Zerstörung oder Neuaufbau. Zur innerzionistischen Situation“, Berlin 1934, S. 5, in der Sitzung des „Zionistischen Aktions-Comités“ in Jerusalem im April 1934. 121

In ihrem Appell warfen die Unterzeichner der Regierung vor, „Israel fortwährend schweren Schaden“ zuzufügen, verwiesen auf die Ausdehnung der „Besiedlung der besetzten Gebiete“, um dort „‚neue Fakten‘ zu schaffen“, und sich „um ihre politische und moralische Pflicht“ zu drücken, „einen Plan für die Wiedereingliederung der in Lagern in den besetzten Gebieten lebenden arabischen Flüchtlinge vorzulegen“. Nachdem die „öffentliche Meinung in der ganzen Welt“ Israel unterstützt habe und „unser loyaler Verbündeter“ im Sechstagekrieg gewesen sei, wende „sie sich gegen uns“. Die Unterzeichner schIossen mit der Hoffnung: „Möge Israel durch die Vorlage eines israelischen Friedensprogramms gestärkt werden sowie durch ehrliche, konsequente und zielstrebige Anstrengungen zu seiner Verwirklichung [kommen]!“ Am 22. September erschien in „Haaretz“ eine Anzeige der antizionistischen Gruppe „Matzpen“ („Kompass“): „Besatzung gebiert danach Fremdherrschaft, Fremdherrschaft gebiert danach Widerstand, Widerstand gebiert danach Unterdrückung, Unterdrückung gebiert danach Terror.“ Die Gruppe schloss ihren Aufruf mit dem Appell „Sofort raus aus den besetzten Gebieten“. Dagegen verlegte das Verteidigungsministerium eine Broschüre über „Judäa, Samaria und Gaza“ mit dem Untertitel „Ein Zeugnis des Fortschritts“. Seit 1971 wurde das jordanische Planungsverfahren zugunsten der Ausweisung großer Gebiete der Westbank zum Zweck jüdischer Siedlungen umgestellt. Nach sechs Jahren, am 07. März 1978, legten 348 Angehörige des Militärs vom Oktoberkrieg den „Brief der Reserveoffiziere“ vor. Darin brachten sie ihren Unmut zum Ausdruck, dass sie gegen die Palästinenser kämpfen müssten,

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während die Politik jedem politischen Fortschritt auszuweichen suche. Drei Wochen danach meldete sich die Bewegung „Frieden jetzt“ vor dem Amtssitz Menachem Begins in Jerusalem erstmals zu Wort. Am 01. April nahmen 40.000 Menschen an einer Demonstration in Tel Aviv teil. Bis Ende Mai 1978 unterzeichneten 100.000 Personen den „Brief der Reserveoffiziere“. Kurz vor seinem Tod 1980 schrieb Talmon an den Ministerpräsidenten: „Es gibt Siege, die schwerer als Niederlagen zu ertragen sind.“

Die Anfänge des „Brit Shalom“ Welche politischen Alternativen boten sich an, um einen historischen Kompromiss zwischen Juden und Arabern zu finden? Im März 1926 wurde nach zahlreichen Vorgesprächen und auf maßgebliches Betreiben Arthur Ruppins der „Friedensbund“ („Brit Shalom“) aufgelegt, zunächst als „Studierklub“, ohne in die politische Offensive gehen zu wollen, auf die manche setzten. Ruppin träumte nicht von einem jüdischen Staat, sondern wollte sich für den Ausgleich mit den Arabern auf der Basis gleicher Rechte verwenden. Es ging, hat Aharon Kedar resümiert, um die nationale Renaissance im Sinne der Rückkehr zur jüdischen Kultur sowie zu jüdischen Werten. Dabei betrachteten die Mitglieder und Sympathisanten die Balfour-Erklärung als die „Ursprungssünde“, weil sie den Zionismus in die Abhängigkeit von einer imperialen Macht drängte und in der arabischen Bevölkerung auf erbitterten Widerstand stieß. Dabei ließen Buber und seine Weggefährten keinen Zweifel am Recht des jüdischen Volkes auf Rückkehr in das Land Israel aufkommen: Es ging um einen „Wirklichkeitszionismus“, so Buber. Außer ihm und Ruppin gehörten zu der Gruppe in Palästina und in Europa Hugo Bergmann – „Die Ungerechtigkeit wird durch den heiligen Egoismus des Staates gerechtfertigt“ –, der Lehrer Isaac

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Epstein, Benjamin Radler-Feldman (besser bekannt unter dem Namen Rabbi Benjamin, 1880 – 1957), der Vorsitzende des „Zionist Federation‘s Arab Department“ Chaim Margolis Kalvaryki 56 aus dem obergaliläischen Ort Rosh Pina – in einem 7-Punkte-Plan definierte er Palästina als Heimat aller seiner Bewohner –, Hans Kohn 57 , Georg

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Der Landwirt Chaim Margalit Kalvaryski (1868 – 1947), der 1893 in Palästina eingewandert war, gehörte zu den Veteranen der Beziehungen zu den arabischen Eliten, die – soweit sie Grundbesitzer waren – häufig im Ausland lebten. Als Gründungsmitglied des „Brit Shalom“ wollte er sich zunächst durch Rückschläge nicht entmutigen lassen. Den von Buber, Magnes und Simon edierten Beiträgen sind Kalvaryskis Sätze von 1937/38 vorangestellt: „Können wir uns mit dem Unheil der Teilung abfinden – auch wenn die Pille mit dem Emblem der Souveränität umwickelt ist?“ Kalvaryski fuhr fort: „Wir müssen die bestehende Verwandtschaft zwischen den beiden Zweigen der semitischen Völker (‚race‘) anerkennen und die Aufgabe beider Teile [annehmen], in Übereinstimmung mit dem Prinzip zu handeln, dass, ‚was man nicht dem anderen Zweig antun sollte, man nicht dem antun darf‘. Daraus folgen die Prinzipien der Gleichberechtigung – der Parität – und des Verzichts der Beherrschung des einen durch das andere Volk.“ Hans Kohn (1891 – 1971) war in seiner Geburtsstadt Prag Mitglied der Studentenverbindung „Bar Kochba“. Bei der Pariser Friedenskonferenz leitete er 1920/21 das Sekretariat des „Comité des délegations juives“ und lebte zwischen 1925 und 1929 in Jerusalem, bevor er in den USA Professuren für Geschichte bekleidete. 124

Landauer58, Joseph Lurie59, Ernst Simon, Gershom Scholem, Henrietta Szold60, Jacob Yochanan Thon61 und Robert Weltsch, letzterer vom Jerusalemer Philosophen und Bildungspolitiker Nathan Rotenstreich (1914 – 1985) als Vertreter des „pazifistischen Zionismus“ gewürdigt.                                                              58

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Georg Landauer 1895 – 1954) wurde in Köln geboren und war aktives Mitglied in der zionistischen „Blau-Weiß“-Bewegung und dem „Kartell Jüdischer Verbindungen“. 1925 wurde er Leiter des Palästina-Büros in Berlin und ließ sich 1934 endgültig in Palästina nieder, wo er die Leitung für die Eingliederung der deutschen Juden übernahm. Landauer war der Gründer der vornehmlich aus deutschen Juden bestehenden „Aliya Chadasha“ („Neue Einwanderung“) im Zweiten Weltkrieg, zwischen 1941 und 1948 Mitglied des „Va’ad Leúmi“ und bis zu seinem Tod Vorsitzender des „Irgun Olei Merkaz Europa“ („Verband der Einwanderer aus Zentraleuropa“). Der Lehrer und Publizist Joseph Lurie (1871 – 1937) erreichte 1907 Palästina und übernahm die Führung der Erziehungsabteilung der Zionistischen Organisation. 1929 wurde Lurie Ruppins Nachfolger als Leiter des „Brit Shalom“. Henrietta Szold (1860 – 1945) wurde in Baltimore in eine aus Ungarn eingewanderte Familie – Muttersprache Deutsch – geboren und arbeitete als Sozialarbeiterin, Lehrerin und Journalistin. 1914 wurde sie zur Präsidentin der 1912 gegründeten Wohltätigkeitsorganisation jüdischer Frauen für medizinische Dienstleistungen „Hadassah“ gewählt. Seit1920 pendelte sie zwischen den USA und Palästina. Ab 1933 leitete sie als „Schöpferin“ (Shlomo Rülf) die Jugend-Aliyah zur Rettung jüdischer Kinder aus dem NS-Herrschaftsbereich. 1934 legte sie den Grundstein für das „RothschildHadassah University Hospital“ auf dem Skopus in Jerusalem. 1942 führte Szold aus: „Es war das Judentum, das mich zum Zionismus brachte, und ich kann nichts Anderes glauben, als dass das Judentum, die Religion, wie ich sie verstehe, unser moralischer Code ist; und das Judentum verlangt von uns die Suche nach einem Weg in Gemeinschaft mit den Arabern, die in diesem Land leben. Zweitens: Ich bin ziemlich sicher, dass am Ende des Krieges es nicht einfacher wird als jetzt, die Entwicklung unseres Lebens in einer Weise zu formen, die wir erstreben, indem wir unseren Einfluss 125

Durch seine Mutter in Kalifornien deutschsprachig erzogen, so dass er auch Übersetzungsdienste auf zionistischen Kongressen leisten konnte, belegte die jüdische Geschichte für Magnes, dass „das Volk und die Thora auch ohne das Land existieren und schöpferisch sein können, wie sie ohne Land existiert haben und schöpferisch gewesen sind, dass jedoch das Land eines der Hauptmittel, wenn nicht das Hauptmittel, zur Wiederbelebung und Vertiefung von Volk und Thora ist“. Kurt Blumenfeld verteidigte die Mitglieder des „Brit Shalom“ gegen Diffamierungen, ohne sich zum Gesprächskreis zu zählen. Der Verleger Salman Schocken – er kaufte 1935 die bankrotte Tageszeitung „Haaretz“ – sympathisierte mit „Brit Shalom“, ohne dort aktiv zu werden. Aus Anlass des 20. Jubiläums der englischsprachigen Ausgabe vermerkte sein Enkel Amos Schocken stolz, dass seine Zeitung eine der wenigen kritischen Stimmen in Israel sei, die gegen Ungerechtigkeiten Stellung beziehen: „Wir glauben, dass wir den besten Interessen unseres Landes dienen, das wir lieben, dass unsere Berichterstattung, unsere Analysen und unsere Kommentare die Diskussion bereichern und das Verständnis unserer Leser für die höchst komplexen Themen vertiefen.“

                                                            

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jenen übergeben, die über den Kurs der Geschehnisse entscheiden.“ Von den innerzionistischen Kämpfen und der kräftezehrenden Arbeit, Kinder aus den Händen der Deutschen zu retten, starb Szold 1945 in Jerusalem. Jacob Yochanan Thon (1888 – 1950) war 1908, aus Österreich kommend, in Palästina eingewandert und wurde Ruppins engster Mitarbeiter als Leiter der „Palestine Land Development Corporation“, zuständig für die Siedlungsarbeit und den Landkauf. Später gehörte Thon dem Nationalrat („Va’ad Leúmí“) an. 126

  Musa Alami (1887 – 1984) war arabischer Rechtsberater der britischen Mandatsregierung und einer der Gegenspieler des Mufti und BenGurions. Hatte der Nationalrat („Va’ad Leúmi“) im März 1921 für die „nationalen Aspirationen der Araber … völliges Verständnis“ geäußert und sich überzeugt gezeigt, dass „eine jüdische Renaissance in diesem Land nur eine starke und belebende Wirkung auf das arabische Volk“ haben

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könne – Kolonialminister Winston Churchill weilte zu Besuch in Palästina, auf den mit der Erklärung zugegangen werden sollte –, stellte Ruppin ernüchtert fest, dass die Araber „schneller als erwartet zu nationalem Selbstbewusstsein gelangt“ seien und „mit allen Mitteln gegen uns kämpfen“. Ihn beschlich die Furcht, „der Wut der Araber ausgeliefert“ zu sein. 1927 verließ er „Brit Shalom“. Für ihn gab es bei aller Kompromissbereitschaft bei der Einwanderung – zumal im Lichte der Diskriminierungen in Osteuropa – und bei der Entwicklung des Landes keine Abstriche. Magnes schrieb an Weltsch, dass an eine Verständigung nicht zu denken sei, „es sei denn, dass wir bereit sind, uns als brave Untertanen in Palästina in einen arabischen Staat einzugliedern“. Hatte Ruppin zunächst für jenen „Studierklub“ plädiert, „solange wir [uns] nicht über die Prinzipien unseres künftigen Zusammenlebens mit den Arabern im klaren sind“, dass sich also – um aus einem Brief Bubers an Kohn zu zitieren – „das Werk nicht über das Handgemenge, sondern in ihm sich vollziehen muss“ –, fand sich 1929 bei allen eher taktischen Differenzen in dem gemeinsamen Programm die angestrebte Geschlossenheit wieder, bewusst auf dem Höhepunkt der arabisch-jüdischen Zusammenstöße: „Dem Brith Schalom schwebt ein binationales Palästina vor, in welchem beide Völker in völliger Gleichberechtigung leben, beide als gleich starke Faktoren das Schicksal des Landes bestimmend, ohne Rücksicht darauf, welches der beiden Völker an Zahl überragt. Ebenso wie die wohlerworbenen Rechte der Araber nicht um Haaresbreite verkürzt werden dürfen, ebenso muss das Recht der Juden anerkannt werden, sich in ihrem alten Heimatlande ungestört nach ihrer nationalen Eigenart zu entwickeln und eine möglichst große Zahl ihrer Brüder an dieser Entwicklung teilnehmen zu lassen.“

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Sein Beitrag für die „New York Times“ zur selben Zeit verdeutlichte Magnes‘ programmatische Handschrift: „Ich möchte, dass palästinensische Staatlichkeit bedeute, Palästina sei kein Ort für einen arabischen Staat oder einen jüdischen Staat oder auch einen britischen Staat, sondern ein Ort, wo alle zusammen eine internationale Enklave schaffen, ein überregionales und übernationales Heim.“ Dafür schlug er ein Zweikammersystem vor: ein Unterhaus, gewählt von der ganzen Bevölkerung, und ein Oberhaus, „dessen Mitglieder auf der Basis der Gleichheit aller drei Nationalitäten“ – zu denen Magnes auch die Briten im Lande zählte – „gewählt oder ernannt sein sollten“.

  Judah L. Magnes war der erste Kanzler und spätere Rektor der Hebräischen Universität in Jerusalem und ideelles Mitglied des „Brit Shalom“. 129

Zwei Überzeugungen ließen in dem Programm aufhorchen und wirkten weiter: Es postulierte doppelte nationale Rechte und lehnte den sogenannten demographischen Faktor ab – den „Krieg der Gebärmütter”: die Entscheidung der Mehrheit über das Votum der Minderheit. Zum anderen wurden die verfassungsrechtlichen Fragen nicht angesprochen, sondern die „sozialen Beziehungen in Palästina auf dem Fundament absoluter politischer Gleichheit der zwei kulturell autonomen Völker“ der Entwicklung überlassen. Die Theologisierung des Konflikts sah das Programm nicht voraus. Dass dem „Brit Shalom“ der Erfolg versagt blieb, hing damit zusammen, dass seine Protagonisten einerseits in der Tradition der westeuropäisch geprägten „Haskala “ und des deutschen Idealismus standen und dass sein politischer Einfluss dem Mehrheitszionismus aus Osteuropa unterlag. In dessen Welt waren die „Brit Shalom“-Leute nach Scholems Überzeugung „humanistische Zionisten, die den Weiterbestand des Zionismus hier im Lande gefährdet sahen“. Die „Volksmasse, deren Sache sie verfechten“, erreichten sie nicht, wie Achad Ha‘am solche Initiativen 1895 gewarnt hatte. Auf dem XVII. Zionistenkongress 1931 in Basel musste sich Weizmann als Präsident der Zionistischen Organisation den Vorwurf gefallen lassen, er habe das große Ideal der Propheten der „Karikatur des Brith Schalom“ geopfert. Die zionistische Exekutive mit Ben-Gurion – er befand sich auf dem Sprung zum Vorsitz der fünf Monaten später gegründeten „Partei der Arbeiter im Lande Israel“ (Akronym „Mapai“) – ließ kein gutes Haar an der Gruppe. In seinem Buch „Die siebte Million“ hat Tom Segev belegt, wie gering das Interesse Ben-Gurions an der Rettung deutscher Juden war, weil sie seinen politischen Vorstellungen nicht entsprachen. Die „arabische Frage“ interessierte ihn nur aus zionistischer Sicht. Bevor er Jahrzehnte später die Arbeit des „Leo Baeck Institut“ in Jerusalem als Fortsetzung des „kleinbürger-

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lichen deutschen Synagogen-Judentums“ abtat, spottete Richard Lichtheim über den „Standpunkt jüdischer Philanthropie“ und verurteilte den „Kleinzionismus“ sowie den „Verzichtzionismus“ des „Brit Shalom“: „Über die Unvereinbarkeit des Zionismus mit den nationalen Aspirationen der palästinensischen Araber war ich mir schon damals im klaren und vermochte daher auch später den Lehren gewisser zionistischer Doktrinäre nicht zuzustimmen, die die Verständigung mit den Arabern zur Vorbedingung des Zionismus machen wollten. Unser Anspruch auf Palästina konnte nur im Namen einer höheren Gerechtigkeit begründet werden, die dem heimatlosen jüdischen Volke auch gegen den Willen der Araber das Recht zusprach, das dünn besiedelte [sic], jahrhundertelang vernachlässigte Land in Besitz zu nehmen und aufs neue zu seiner nationalen Heimat zu machen.“ Der Arbeiterführer Berl Katznelson (1897- 1944) geißelte die „Entwurzelten“ aus dem assimilatorischen Milieus Westeuropas. 1929 verließ Hans Kohn Palästina: Da „der zionistische Nationalismus (…) den gleichen Weg (ging) wie die meisten mittel- und osteuropäischen Nationalbewegungen“, wollte er „da nicht mittun“. Zionismus sei nicht das Judentum. Stattdessen war er für den Historiker vor allem „eine sittlich-geistige Bewegung“ auf der Grundlage moralischer Prinzipien. Wer einen jüdischen Staat verlange, gehe davon aus, dass es in Palästina kein zweites Volk gebe, monierte er. Mit der Überzeugung, dass die Juden kein historisches Recht auf Palästina hätten und ihre Liebe zu Zion die einzige Rechtfertigung ihres Verlangens nach Ansiedlung sei, stand Kohn Achad Ha’am nahe, wonach im Gedenken an das „prophetische Erbe des Judentums“ die Juden zwar in Palästina einwandern sollten, jedoch „nicht getrieben von Not und Verfolgung, sondern aus freiem Entschluss, um einer geistigen Wiedergeburt willen“:

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„Heute wie damals bin ich überzeugt, daß nur diese Vision einer Neuen Gesellschaft, die auch die Araber umfaßt, die Erfüllung des Zionismus im Mittleren Osten bringen und der jüdischen Siedlung dort eine Existenz und eine geistige Fruchtbarkeit sichern kann“, bekannte Kohn Jahrzehnte später noch einmal. Wenn das künftige Palästina kein gemeinsamer Nationalstaat sein könne, sondern ein Nationalitätenstaat, sah er den Ausweg in einer Dezentralisierung des Landes mit autonomen Verantwortlichkeiten. Zwistigkeiten unter den Beteiligten im „Brit Shalom“ kamen hinzu, so dass seine Tätigkeit ohne formelle Auflösung 1933 beendet wurde. Für Feldman-Radler, der 1906 eingewandert war, entschuldigten die geringen Differenzen zur Arbeitspartei keine gesonderte Gruppe mehr, doch schloss er sich im Zweiten Weltkrieg als Präsident dem „Ichud“ („Union“) an; die Zuspitzungen der Spannungen dürften ihn zur erneuten Suche nach einem Ausgleich bewogen haben. Hatte Magnes bislang in einem von den Khalidis gemieteten Wohnung in der Nähe des Herodes-Tors gewohnt, so sah er sich im Zuge des arabischen Aufstandes seit 1936 zum Umzug nach Rechavia gezwungen. Immer wieder erlebte der um eine jüdisch-arabische Verständigung bemühte Ernst Simon heftige Anfeindungen. Im November 1936 klagte er: „Wir haben heute in Palästina keine öffentliche Meinung. Die Tonart unserer Presse gegenüber den wesentlichen aussenpolitischen Ereignissen, die heute das Schicksal unserer Politik bestimmen, ist vom Dóar Hajóm [der reißerisch aufgemachten, auf gelbem Papier gedruckten Tageszeitung] bis zu den Blättern des Haschomér Hazaír und der linken Poaléi Zion62 beinahe die gleiche.“                                                              62

„Doar Hajom“ („Tagespost”) war eine politisch weit rechts stehende Zeitung. „Hashomer Hazair“ („Der junge Wächter“) und „Poalei Zion“ („Arbeiter Zions“) gehörten zum linken Spektrum im Zionismus. 132

Im August 1940 warf der Arbeiterrat im Jugenddorf Ben Shemen Simon Antizionismus vor, ein Jahr hernach wurde eine Bombe unter das Küchenfenster seiner Wohnung geworfen, im Januar 1942 bedrohte ihn ein Student mit einem Hammer. Im März 1947 akzeptierte er eine Einladung des „Jewish Theological Seminary of America“ in New York, nicht zuletzt um seine Familie (Ehefrau Toni, Sohn Uriel und Tochter Channa) vor den ungewissen Lebensbedingungen zu schützen. Einem Brief an Buber fügte er die hebräischsprachigen Zeilen bei: „Mein Volk ist mein Leid, seine Freude ist meine Freude nicht. Meines Volkes Schwäche ist meine Schwäche, sein Heldentum ist mein Heldentum nicht. Seine Verzweiflung ist nicht die meine – aber seine Hoffnung ist meine Hoffnung.“ „[W]as soll denn ein Mensch machen wie ich, dem die Politik Schicksal ist, der ihren Triebkräften und eigentlichen Motiven aber fremd gegenübersteht?“ fragte Simon am 01. August 1948 verzweifelt in einem Brief an Scholem. In diesem Wettstreit gebe es „keine richtigen Entscheidungen: jede ist halb richtig und halb falsch, verletzt ein Recht, indem sie einem anderen gerecht zu werden sucht“, fügte er nach einem Monat hinzu. Scholem schloss sich unter den Eindruck des Holocaust dem allgemeinen Zionismus an. 1947 kam Buber noch einmal auf den „Brit Shalom“ zurück: „Wir pflegen unser Programm als das eines binationalen Staates zu bezeichnen. Damit soll gesagt sein, daß ein Gemeinwesen angestrebt wird, das auf der Realität des Zusammenlebens zweier Völker errichtet ist und dessen konstruktive Basis daher andere sein müssen, als die gewohnten und verbrauchten von Majorität und Minorität“,

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und unterstrich in einem Rundfunkinterview, dass die „arabische Bevölkerung (…) zur Entfaltung ihrer Kräfte keinen arabischen Staat und die jüdische (…) zur freien Entfaltung ihrer Kräfte keinen jüdischen (braucht)“. 1950 verlangte er, die „Prophetie Israels dem Zugriff der Phrase zu entwinden“: Es gebe für Israel keine lebendige Religion ohne Gerechtigkeit. „Nie im Lauf unserer Geschichte (waren) Geist und Leben so fern voneinander wie jetzt in der Epoche der ‚Wiedergeburt‘.“ Wenn sich Buber nicht als Jude sehe, echauffierte sich Ben-Gurion, habe er „kein Recht, sich in das einzumischen, was die Juden tun“, hat Tom Segev berichtet. Wenn er ein Jude sei, solle er sich wie ein Jude benehmen. Buber verließ, um arabischen Bedrohungen zu entgehen, seine Wohnung im Jerusalemer Stadtteil Abu Tor und mietete sich in eine Pension ein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der konzentrische Widerspruch der zionistischen Exekutive, getragen von der jüdischen Mehrheit, die Dissonanzen im „Studierklub“ mit seinen sechzig Mitgliedern und etwa 75 Freunden gefördert und die Formierung einer strategisch getragenen Alternative verhindert haben. Außerdem ließ sich die arabische Seite zu keiner Flexibilität herab; Musa Alami bemühte sich erfolglos, zwischen Amin Al-Husseini und der zionistischen Leitung zu vermitteln, auch wenn er es vorzog, „dass das Land sogar noch hundert Jahre arm und wüst bleibt, bis wir Araber aus eigener Kraft imstande sein werden, es zur Blüte zu bringen und zu entwickeln“. Alami hatte, räumte Ben-Gurion ein, „als arabischer Patriot das Recht zu dieser Äußerung“. Der Aufstand gegen die Briten und die Juden leitete den Abschluss einer versuchten Annäherung ein. Mit dem professionellen Abstand des Historikers hat der in London lehrende, im Libanon gebürtige Gilbert Achcar notiert, dass es eine Gruppe wie den „Brit Shalom“ jemals gegeben habe, scheine aus der Erinnerung ausgelöscht zu sein. Nachfolgegruppen wie die politisch und religiös disparat zusammengesetzte „Kédma Mizrácha“ („Gen Osten“) 1936, die „Liga für jüdischarabische Annäherung und Kooperation“ 1939, die „Aliya Chadasha“ 134

(„Neue Einwanderung“) ab 1941 und die 14 Unterzeichner des „Ichud“ – neben Magnes waren es Simon, Buber, Norman Bentwich (1883 – 1971), der Schriftsteller Moshe Smilansky (1874 – 1953), Erich Fromm (1900 – 1980) und Rabbiner Kurt Wilhelm (1900 – 1965, Oberhaupt der liberalen Gemeinde „Emét veEmunáh“ [„Wahrheit und [religiöses] Vertrauen“] in Jerusalem), dessen Haus in der BenYehuda-Straße im März 1948 von Arabern zerstört wurde. Wilhelm übernahm das Amt des Oberrabbiners in Stockholm. Noch einmal wollten Magnes und Buber 1946 vor den „Anglo-American Committee of Inquiry“ im Namen des „Ichud“ dafür werben, dass Palästina weder ein arabisches noch ein jüdisches Land sein könne, sondern ein gemeinsames Land bleiben müsse. Die politischen Spannungen seien zwar erheblicher denn je, doch die persönlichen Beziehungen zwischen Arabern und Juden seien insgesamt noch fair, obwohl die Antreiber beider Seiten kaum miteinander sprechen würden. Es gebe keine tiefen, rassistisch begründeten Animositäten. Beide Autoren konnten allerdings ihre Sorge nicht verhehlen, dass die Zuwanderung von 100.000 Überlebenden der „Shoah“, die Harry S. Truman empfohlen hatte, auf der Gegenseite negative Reaktionen auslösen könnte. Den Geldwert des Hessischen Goethe-Preises 1951 und des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1953 bestimmte Buber für die israelisch-arabische Verständigung, wobei er bei der Verleihung keinen Zweifel an der deutschen Verantwortung für den Holocaust ließ: „Ich, einer der am Leben Gebliebenen, habe mit denen, die an jener Handlung in irgendeiner Funktion teilgenommen haben, die Dimension des menschlichen Daseins nur dem Scheine gemein; sie haben sich dem menschlichen Bereich so dimensional entrückt, so in eine meinem Vorstellungsvermögen unzugängliche Sphäre der menschlichen Unzugänglichkeit versetzt, dass nicht einmal ein Haß, geschweige denn eine Haß -Überwindung in mir hat aufkommen können. Und was bin ich, dass ich mich vermessen könnte, hier zu ‚vergeben‘!“ 135

Im selben Jahr protestierte er im Namen des „Ichud“ beim Präsidenten der Knesset, Joseph Sprinzak (1885 – 1959) gegen einen Gesetzentwurf zur fortgesetzten Enteignung arabischer Böden. Zur selben Zeit sang und tanzte der Friedensaktivist Reuven Moskowitz (1928 – 2017), in Rumänien dem Holocaust entronnen, mit den ihm anvertrauten Kindern hebräische Lieder „über unser Traumland Erez Israel, den Aufbau des Landes, den siegreichen Kampf und die schöne Landschaft“. 1963 spendete Buber das Geld des Erasmus-Preises dem „Leo Baeck Institut“ in Jerusalem für dessen Arbeiten zum deutschen Judentum und zur „Shoah“.

Alternative Modellüberlegungen Die grundlegenden Ideen des „Friedensbundes“ sind nicht überholt. Die Zahl und der Wert der Alternativen reichen heute von Tableaus für –





eine Föderation mit offenen Grenzen gemäß dem bundesstaatlichen Modell der USA, der Kantonsordnung in der Schweiz und der Option doppelter Staatsbürgerschaften über die vollständige israelische Annexion der palästinensischen Gebiete mit dem Angebot, dass der dortigen Bevölkerung der Status als „Permanent residents“ mit Eigenregelungen in kulturellen, edukativen und religiösen Angelegenheiten gewährt würden, für die Gewährleistung voller bürgerlicher Rechte für die palästinensische Bevölkerung nach der vollständigen Annexion. „Frieden heißt, dass man den Palästinensern dasselbe Leben erlaubt, das man für sich selbst und seine Kinder wünscht – in Freiheit, Würde und so weiter“, hat Sari Nusseibeh verlangt. Reuven Rivlin, der als dezidierter Anhänger der „Land Israel“-Leidenschaften das Rechtsstaatsprinzip verficht, bot den Palästinensern unter dem Schirm einer „gemeinsamen israelischen Identität“ die Staatsbürgerschaft an. Finde die Offerte keine Zustimmung, so müsse ein 136

„Souveränitätsarrangement“ mit einem legislativ beschränkten palästinensischen Parlament gefunden werden – Hoheitsgewalt minus. Darin war er sich stimmte mit Talia Sasson einig, der Präsidentin des liberalen „New Israel Fund“: Die israelischen Juden würden niemals einen gemeinsamen Staat mit dem Wahlrecht für die Palästinenser akzeptieren, die linkszionistische Formel „Trennung von Kirche und Staat – one man, one vote“ sei eine Illusion. Im Mai 2018 trug der Vorsitzende der Zionistischen Union Eitan Cabel mit dem Vorsitzenden der Arbeitspartei Avi Gabbay an seiner Seite vor, die Siedlungsgebiete zu annektieren, den dort lebenden Palästinensern die gleichen Rechte wie den Juden einzuräumen, ihnen aber die israelische Staatsbürgerschaft vorzuenthalten. Die Zionistische Union hält an ihrem Namen fest, statt sich in „Israelische Union“ umzubenennen, wie vorgeschlagen. Abba Eban war bereit, nachdem er 1974 sein Ministeramt an Yig‘ál Allon verloren hatte, ein Modell à la Benelux in Erwägung zu ziehen – politisch zwischen Jordanien und den Palästinensern, wirtschaftlich zwischen Israel, Jordanien und Rest-Palästina. In den späten 1990er Jahren brachte der arabische Knesset-Abgeordnete Azmi Bishara, Mitglied der Knesset für die 1996 gegründete „Nationaldemokratische Versammlung“ („Bálad“), eine jüdisch-arabische und eine arabisch-palästinensische Ordnung („unit“) jenseits religiöser und ethnischer Bindungen mit einem gemeinsamen Parlament ins Gespräch. Haydr Abd‘ Al-Shafi (PLO), Hanan Ashrawi (PLO), Mustafa Barghouti („El-Mudabára“ [„Die Initiative“]), Faisal Husseini (PLO)63 und Sari Nusseibeh (PLO) trauten Arafat die Durchsetzung eines Staates Palästina nicht zu und suchten nach Notankern.                                                              63

Faisal Husseini (1940 – 2001) war Mitglied des palästinensischen Widerstandes seit 1967 und gehörte zur Führung der ersten „Intifada“. Nach der Rückkehr Arafats nach Palästina im Sommer 1994 wurde Husseini von 137

Doch die Forderung nach der Respektierung des „demokratischen Dissens“ verhallte. Der ehemalige Mitarbeiter des „Raís“ George T. Abed64 befürchtete, dass sich der Präsident den „Fallstricken der Staatlichkeit“ ergebe. Der wegen seiner analytischen Schärfe argwöhnisch begleitete Azmi Bishara warf Arafat „Staatsobsession“ vor, schrieb aber auch der Opposition eine „triviale und historisch unverantwortliche Rolle“ zu. Es gehe nicht um den palästinensischen Staat, es gehe um Freiheit. Auch Rashid Khalidi nahm die Idee eines palästinensischen Staates aus dem „Zentrum des historischen Narrativs“ heraus. Die „willkürliche Grenzziehung“ im Waffenstillstandsvertrag mit Jordanien ignorierte nach Auffassung Yehouda Shenhavs „die Existenz einer palästinensischen Gesellschaft und übersah ihre politische, kommunale und soziale Infrastruktur“. Ohne das Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung in Zweifel zu ziehen, verwahrte sich der Tel Aviver Soziologe gegen die „neue Nostalgie“ der Technokraten, Staatsdiener, Juristen, Wissenschaftler, Offiziere und Journalisten – nach seinem Urteil den linken Trägern der „säkularen Religion“ –, die am Teilungsparadigma festhalten wollten, und hielt an Vorbildern transnationaler Konzepte fest, wie sie etwa von den „Bundisten“ in Osteuropa seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ins Spiel gebracht worden waren. „Der Name ist mir egal. Ob es Palästina heißt oder Israel oder Kanada“, ließ sich ein Palästinenser aus der Nähe Bethlehems im „Spiegel“-Gespräch in diesen Vorstellungsrahmen ein. Selbst der Historiker Benny Morris, der nach seiner epochalen Arbeit über die Flüchtlingstragödie 1947/48 nach Ausbruch der zweiten „Intifada“ bedauerte, dass die israelische Politik nicht „Tabula rasa“                                                             

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diesem politisch kaltgestellt. Er erlag am 30. Mai 2001 während einer „Fund-Raising“-Tour in Kuwait einem Herzinfarkt. George T. Abed war in der Zeit der PLO in Tunis Generalsekretär der „Welfare Association“. Nach dem Einzug Arafats in den Gazastreifen und in die Westbank wurde er entlassen. 138

gemacht habe, betrachtete eine Ein-Staat-Lösung unter „strikt geographischen Bedingungen“ als „unweigerlich logisch“. Die Gestalt und die geringe Größe des „Landes Israel/Palästina“ würden die Teilung zu einem Albtraum machen. Es ist zu vermuten, dass für Morris die israelische Souveränität über alle Teile des Landes gewährleistet bleiben sollte. Der in Chicago lebende Palästinenser Ali Abunimah hinterließ mit seinem Konzept für einen föderierten Staat Israel-Palästina bei manchem Rezensenten eine Gänsehaut, während Kritiker ihm unberechtigten Optimismus unterstellten, weil auch er die Grenzen als Ergebnis zweier Kriege als unhaltbar und bedrohlich bezeichnete und sich für den Schutz der kulturellen, religiösen und sprachlichen Eigenheiten aller Volksgruppen aussprach. Ein weiteres Angebot legte 2011 die Palästinenserin Ghada Karmi vor: Die an der Universität Exeter arbeitende Orientalistin plädierte für die Wahl zwischen drei Optionen: – –



entweder das föderale Modell für Palästina mit Jerusalem als Gegenstück zu Brüssel oder das bilaterale Modell, wobei die beiden Bevölkerungen in einem Land, aber ethnisch geschieden, mit offenen Grenzen leben würden, oder ein weltlicher demokratischer Staat auf der Basis der individuellen Staatsbürgerschaft mit gleichen Rechten, und zwar ungeachtet der ethnischen, religiösen oder Geschlechterzugehörigkeit.

Auch wenn Karmis Einschätzung übertrieb, „der unitarische Staat“ sei schon „Teil der politischen Mainstream-Debatten“ geworden, verstand sie, dass die „Hindernisse, das Undenkbare zu denken“, brüchig geworden seien, weil sich die westlichen Regierungen nicht dauerhaft der Einsicht entziehen könnten, dass sich die Zweistaatlichkeit erledigt habe. Für den palästinensischen Soziologen Khalil Shikaki kann zwar ein gemeinsamer Staat, wenn die Besatzung anhält, auf lange Sicht kaum verhindert werden, doch werde keine Seite von „einer hässlichen 139

Ein-Staat-Dynamik“ profitieren, aus der – so rügte er – die internationale Diplomatie nicht bereit sei, Konsequenzen zu ziehen, nämlich dass Israel das Land kontrolliere, während die Palästinenser außerstande seien, ihr Schicksal zu bestimmen und auf die israelische Politik einzuwirken. Yossi Beilin hielt erst in tausend Jahren eine Ein-Staat-Lösung für möglich, bis dahin sei sie aus einer zionistischen Position heraus zu verhindern. In geographischer Hinsicht sei er großzügig, demographisch jedoch „knallhart“. Wenn die palästinensischen Gebiete zum Land Israel gehörten, aber politisch unhaltbar seien, blieb ihm der Vorschlag einer israelisch-palästinensischen Konföderation, die für die Sicherheit und für den Frieden am besten sei. Da „unsere beiden Völker“ zu nahe beieinander leben, müssten sie von „historischen Zugeständnissen“ überzeugt werden. Ihre Trennung sei gescheitert, schob er im Juli 2018 nach. Damit rückte er – längst hatte er sich zugunsten einer international operierenden Beratungsfirma anscheinend aus der aktiven Politik zurückgezogen – von seinem politischen Ziehvater Peres ab, der die Idee eines Zusammenlebens aus demographischen Gründen für eine Tragödie hielt. Moshe Arens warnte vor der Gefährdung der Staatssicherheit, wenn schon die „Beziehung zwischen Israel und seinen arabischen Bürgern“ ohne deren Integration in die Gesellschaft und die Wirtschaft fehlschlage. 2013 rang sich Rivlin „ernsthaft“ das Eingeständnis ab, „dass Israel krank“ sei – woraufhin er als „kleiner Lügenjude“, „arabischer Agent“, „verachtenswerter Kriecher“, „Verräter“ und „Präsident der Hisbollah“ beschimpft wurde. Als er im November 2017 die Begnadigung eines Soldaten zurückwies, der einen am Boden liegenden Palästinenser in Hebron kaltblütig erschossen hatte, wurde er als „ein verdammter Nazi“ und wie Rabin kurz vor dessen Ermordung mit einer Keffiyeh abgebildet. Ein „Likud“-Abgeordneter sprach ihm die Befähigung zum Präsidentenamt ab. Netanjahu wies die Behauptung zurück, dass Polemik von rechts als Aufruf zur Gewalt zu deuten sei, solange sich der Unmut von 140

links auf die Meinungsfreiheit berufe. 1989 hatte der geschäftsführende Vizepräsident der Nationalbank („Bank Le‘umi“) Mordechai Hacohen jene US-amerikanischen Juden, die sich für einen Territorialkompromiss aussprachen, als „assimilierte Hofjuden, Vichy-Juden, Galut-Juden, Kapos, Quislinge – kurz gesagt Verräter“ beschimpft: „Sie hätten auch Mitglieder des notorischen Judenrats sein können.“ Die frühere Abgeordnete Einat Wilf von der Arbeitspartei zählte Daniel Barenboim zu den „Verächtern des Zionismus“. Ist ein Nationalstaat ohne die Vorherrschaft einer Mehrheit denkbar? Trotz zahlloser Invektiven ließ sich die Diskussion nicht aufhalten. Eine im „Kreisky Forum for International Dialogue“ zusammenarbeitende Gruppe von Israelis und Palästinensern forderte zu politisch radikalem Umdenken auf: Das Schicksal beider Völker sei unentwirrbar miteinander verbunden. Daher müssten jedem Menschen die gleichen persönlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte ohne Diskriminierung durch Geschlecht, Rasse, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion in jeder politischen Gestalt garantiert und das palästinensische Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge („Haq Al-Awda“) anerkannt werden, wobei der Vollzug die aktuellen Entwicklungen (gemeint waren die hohen palästinensischen Geburtsraten) in Rechnung zu stellen habe. Im Juni 2015 schließlich präsentierten Israelis und Palästinenser aus Wissenschaft und freien Berufen ihr Manifest „Zwei Staaten – ein Heimatland“ („Two States – One Homeland“):

„Das Land Israel / Palästina ist die gemeinsame Heimat zweier Völker – für Juden und Palästinenser. Beide Völker sind durch tiefe historische, religiöse und kulturelle Bande an das Land gebunden. All jene, die in dieser gemeinsamen Heimat leben, haben die gleichen Rechte auf ein Leben in Freiheit, Gleichheit und Würde verdient – Rechte, die in jeder künftigen Regelung garantiert werden müssen. … Palästina /

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Israel bilden eine historische und geographische Einheit vom Jordan bis zum Mittelmeer.“ Ließen sich die Unterzeichner von Martin Bubers „Ein Land und zwei Völker“ inspirieren? Warum die Autoren die Formulierung „Juden und Palästinenser“ (statt etwa „jüdische Israelis und arabische Palästinenser“) wählten, erschließt sich auf Anhieb nicht. In ihren Eckpunkten beharrten sie jedenfalls auf, dass –









zwei souveräne Staaten mit dem Recht der Selbstbestimmung auf der Grundlage der „Grünen Linie“ entstehen. Beide Gemeinwesen seien künftig durch offene Grenzen zum Zwecke der Bewegungsfreiheit, der Berufswahl und des Wirtschaftsaustauschs miteinander verbunden; beide Staaten sich auf eine verhältnisgleiche („proportional“) Zahl von Bürgern im jeweils anderen Staat mit dem Status von „Permanent residents“ verständigen. Beide nationale Gemeinwesen haben das Recht, in eigener Gesetzgebungskompetenz über die Einwanderung und die Verleihung des Staatsbürgerrechts zu bestimmen. Nach Israel zurückkehrende arabische Flüchtlinge würden „Permanent residents“ und könnten auf der anderen Seite die palästinensische Staatsbürgerschaft erwerben; den Rechten der arabischen Bürger Israels als einer nationalen Minderheit mit angemessener Vertretung in öffentlichen Körperschaften Rechnung getragen werde; Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten gelte, wobei in diesem lebenden Organismus die heiligen Stätten gemeinsam von Vertretern aller Religionen sowie von der internationalen Gemeinschaft verwaltet würden; ein gemeinsamer Gerichtshof zur Ahndung von Menschenrechtsverletzungen sowie von Verstößen gegen den freien Wirtschaftsaustausch und für die gerechte Verteilung der Ressourcen gebildet werde; 142



ein „Versöhnungsvertrag“ in Abstimmung mit beiden Parteien unter Beteiligung der Arabischen Liga entstehe, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Er werde den Rahmen für die Friedensverträge mit den Staaten des Nahen Ostens bilden65.

Im April 2018 schließlich setzte sich Avraham B. Yehoshua für eine „De-facto-Partnerschaft“ für die Westbank und für Jerusalem mit folgenden Parametern ein, um dem „Krebsgeschwür der Okkupation“ ein Ende zu bereiten: –

– – –



Absoluter Stopp des Baus neuer Siedlungen und der Erweiterung bestehender Anlagen. Innerhalb von fünf Jahren wird allen palästinensischen Bewohnern der Westbank und Jerusalems die Staatsbürgerschaft angeboten. In ihrem Personalausweis stehe: Angehörige der „Israelisch-Palästinensischen Föderation“. Sie erwerben das Recht auf volle Bewegungsfreiheit innerhalb und außerhalb einer Föderation. Die heiligen Stätten in der Altstadt werden gemeinsam von den drei großen Religionen verwaltet. Das Wahlsystem für ein Unterhaus des Parlaments wechselt vom Verhältnis- und Regionalrecht. Das Land wird in Distrikte aufgeteilt, aus denen unabhängig vom demographischen Gewicht in Anlehnung an Großbritannien, an den USA und an andere Länder je zwei Repräsentanten in das Oberhaus des Parlaments entsandt werden. Die Distrikte regeln Erziehung, Kultur und Religion in eigener Verantwortung. Der gemeinsame Präsident geht aus allgemeinen Wahlen hervor.

                                                             65

Two States One Homeland, Together and Separate: One Land, two states new horizons for peace between Israelis und Palestinians, May 2017. 143







Die enteigneten Palästinenser werden angemessen durch Zuweisung von Böden – gemeint sein dürfte Staatsland – und finanziell entschädigt. Das israelische Recht auf Rückkehr der Juden aus der Diaspora wird modifiziert. Die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge von außerhalb der Föderation beschränkt sich auf die Familienzusammenführung. Die Europäische Union und andere Staaten werden um Kredite und verlorene Zuschüsse für die Rehabilitierung der Bewohner in den Flüchtlingslagern gebeten. Die östliche Grenze Israels/Palästinas bleibt unter voller israelischer Kontrolle.

Warten auf Godot? Auch unter Führungskräften in Washington setzte eine Abkehr vom politischen Wunschdenken ein. Die Politologin Anne-Marie Slaughter, ehemals Leiterin des Planungsressorts im „State Department“, forderte 2013 die internationale Diplomatie auf, eine „neue visionäre Richtung“ einzuschlagen. Als Modell verwies sie auf die Europäische Union, „in der die Bürger der Mitgliedsstaaten überall unter Beibehaltung ihrer staatlichen Zugehörigkeit und kulturellen Identität leben können“. Nach den Worten des in Stockholm lehrenden Björn Brenner solle sich Brüssel der schmerzlichen Erkenntnis stellen, dass ein Staat Palästina ein Projekt sei, das vornehmlich von der Europäischen Union befürwortet werde. Doch noch einmal kehrten die alten Formeln zurück. Mit dem Urteil, wer sich für einen gemeinsamen jüdisch-arabischen Staat in Palästina einsetze, komme um die Bewertung der Gewalt nicht herum, verwendete sich John Kerry, der dem Zerwürfnis mehr als 60 Prozent seiner Auslandsreisen widmete, im Oktober 2015 für das bekannte lineare 144

Geschichts- und Politikverständnis. Am 21. Januar 2016 trug er auf der Geheimkonferenz in der jordanischen Hafenstadt Aqaba ohne Machmud Abbas, aber mit König Abdullah II., Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi und Tony Blair, dem UN-Nahost-Beauftragten, sechs Prinzipien vor: –

– – – – –

sichere und anerkannte Grenzen zwischen Israel und einem zusammenhängenden Staat Palästina mit vereinbartem Gebietsaustausch; Umsetzung der UN-Resolution 181 vom 29. November 1947, faire Regelung des palästinensischen Flüchtlingsproblems, Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten mit freiem Zugang zu den heiligen Stätten, Israels Recht, seinen Staatsbürgern im demilitarisierten Staat Palästina Schutz zu gewähren, und Beendigung der Konfrontation bei Preisgabe weiterer Ansprüche und Normalisierung der Beziehungen zur arabischen Welt entlang der Arabischen Friedensinitiative.

Aus Jerusalem, „unserem wichtigsten Alliiertern, dessen Sicherheit für die USA von lebenswichtigem Interesse sei, erfuhr Kerry eine glatte Absage. Nach eigenem Bekenntnis verbrahte er „mehr Zeit“ mit Netanjahu „als mit einem anderen Führer der Welt verbracht“ und hinzugefügt, dass die Zeit „kein Freund des Friedensprozesses“ ist. Hingegen verwahrte sich Netanjahu vor der UN-Vollversammlung 2017 vor einer „fake history“, wenn sie Isaak, Jakob, Sarah, Rebekka und Leah als Patriarchen und Matriarchen des jüdischen Volkes in Hebron leugne. Das meiste, was er tun könne, sei weniger als das, was Abbas jemals akzeptieren könne, räumte Netanjahu gegenüber Kerry ein. Der Ministerpräsident ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er alle Karten in der Hand behalten wolle. Washington konnte sie ihm nicht entwinden, weil es sich der Illusion hingab, dass die alleinige 145

Kontrolle der Westbank rückgängig zu machen sei und sich selbst zu keiner grundlegenden Entscheidung durchrang. Folgerichtig forderte die 1991 aus Chicago eingewanderte Kolumnistin der „Jerusalem Post“ Caroline B. Glick aus der Siedlung Efrat den Ministerpräsidenten auf, endlich den Anleitungen Yehuda Z. Blums von 1968 Rechnung zu tragen: Ohne den Begriff „Annexion“ zu verwenden, habe Israel den stärksten Anspruch auf Judäa und Samaria, und Jerusalem sei die Wiege der jüdischen Zivilisation. Die Autorin ging so weit, den Befürwortern der Zwei-Staaten-Lösung Antisemitismus und Judenhass vorzuwerfen, weil sie die Westbank „judenfrei“ machen wollten. Da der „israelische Ein-Staat-Plan“ die wirtschaftliche Lage der Palästinenser erheblich verbessern werde, würde sich die große Mehrheit für einen „Permanent resident“-Status entscheiden. Ähnlich hatte sich Jabotinsky in den 1920er Jahren geäußert: „Es gibt nur einen Weg des Kompromisses: Sagt den Arabern die Wahrheit und Ihr werdet sehen, dass die Araber vernünftig sind, dass die Araber klug sind, dass die Araber ehrlich sind“, fügte er 1937 vor der Peel-Kommission hinzu. Für Meron Benvenisti konnte nur ein Mitglied der alten kolonialistischen Generation glauben, dass Geld ein Volk mit nationalistischen Aspirationen „auskaufen“ werde. „Die Araber benehmen sich, als ob sie (…) in ihrem eigenen Land seien“, hat Robert L. Friedman einen 39 Jahre alten Elektronik-Ingenieur in Ariel66 – dort arbeitet eine staatlicherseits hoch subventionierte Universität – zitiert, wenn sie Bomben werfen und ihren Müll auf die Straße werfen. Da er, Friedman – so der Vorwurf des Siedlers –, wahrscheinlich auf der Seite von „Peace Now“ und damit der PLO stehe, habe sein Hund angeschlagen. Der als politisch links eingestufte                                                              66

Ariel = Löwe Gottes. Der Sammler frommer und lehrhafter Märchen und Legenden Micha Josef bin Gorion (1865 – 1921) hat dazu die Geschichte eines Frommen erzählt, der – um den Shabbat zu heiligen – seine Reise durch die Wüste unterbrach und dafür von einem Löwen beschützt wurde. 146

frühere General an der Nordfront Amiram Levin hat sogar damit gedroht, die Palästinenser über den Jordan zu werfen, sollten sie weiter Verträge verletzen: „Wir waren 1967 zu gut“ zu ihnen, als sie nur besetzt worden seien. Die gerade in den Ruhestand getretene Abteilungsleiterin von „Yad va-Shem“ Judith Kol Inbar – Tochter des 1932 aus Dresden einwanderten Entwicklungs- und Tourismusministers und langjährigen Vorsitzenden der „Unabhängigen Liberalen Partei“ Moshe Kol (1911 – 1989) – bekannte, dass sie diesen Staat, in dem sie lebe, nicht gewollt habe.

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Kapitel VIII 1967: „Wir waren wie Träumer“ „Der Mensch der Gegenwart, welcher religiösen Richtung er auch angehört, darf sich nicht vermessen zu behaupten, daß er die Last der Jahrtausende im Sinne der Vorfahren weiter zu tragen bereit sei oder daß überhaupt die äußeren und inneren Bedingungen für ein derartig verstandenes Schicksal noch vorhanden seien67.“ Als späterer Parlamentspräsident empfand Reuven Rivlin tiefe Trauer, dass 1948 die Westbank nicht eingenommen werden konnte: „Wo war unser Hebron? Wo war Sh’chém [Nablus], unser Jericho: Weg? Vergessen? Und ganz Transjordanien, das uns gehört? In diesem Zustand, zerrüttet bis aufs Mark, ist mein ganzer Körper wund und in Bruchstücke zerfetzt. Ich konnte nicht mitfeiern.“ Mit dem territorialen Umbruch 1967 zeigte er sich zufrieden. Yaacov Herzog erblickte „eine neue Epoche in der Geschichte Israels und des jüdischen Volkes“ – „der gesamten Mischung der jüdischen Erfahrung, die auf uns zumarschiert“. Die „Wiedervereinigung Jerusalems und alles, was damit zusammenhängt“, habe das Konzept des Juden zu sich selbst verändert, denn das Wohnen im Lande Israel wiegt alle anderen Gebote der Thora auf, heißt es in einem „Midrash68“. Amos Oz – von Avraham Burg als „unbestrittener Sprecher der zionistischen Linken“ gewürdigt – konnte sich der Gefühle angesichts der „Rückkehr“ Jerusalems nicht erwehren. Auch der im Ausland hochgeschätzte Gideon Levy war hingerissen.

                                                             67 68

Jizchak Fritz Baer: Galut. Berlin 1936, S. 101. Talmud-Traktat „Sifrei Dvarim“ 80. 148

Der Operationschef Yig‘al Yadin (1917 bis 1984) im israelischen Unabhängigkeitskrieg, der die Ausgrabungen auf der Bergfestung Massada am Toten Meer geleitet hatte, stimmte der „Erlösung Jerusalems“ zu. Yehoshafat Harkabi registrierte „eine allgemeine Tendenz zur Selbst-Begeisterung“. Der langjährige Chefredakteur der „Jerusalem Post“ David Landau, der in London eine orthodoxe Erziehung genossen hatte, von der er sich löste, ließ sich von der „neo-messianischen Erfahrung“ gefangen nehmen: „Wir fühlten uns, als ob die Vision der Propheten wahr geworden wäre und wir ihre Werkzeuge“ sind. „Wir waren wirklich blind, niemand sprach damals von Besatzung“, erinnerte sich die 90 Jahre alte Künstlerin und Designerin Ruth Kedar. Zwar erhoben einige Minister Einwände oder forderten eine Friedensinitiative, aber im Parlament lehnten nur die Parteien „Rakach” („Neue Kommunistische Liste“) und „Maki” („Kommunistische Partei“) die Vorlage des Justizministers ab. Für die Advokaten des Neo-Zionismus – ein Begriff, den der in Essen geborene Tel Aviver Historiker Shlomo Ne’eman (1925 bis 2006) einführte – hatte sich die Unterscheidung zwischen den „kleinzionistischen“ Zielen – der Gründung 1948 – und den „großzionistischen“ Bindungen erledigt. Mit dem Sieg kam ein neuer Seismograph ins Spiel: An die Stelle des von Menschen verhandelten Friedens solle der Friede Gottes treten, der höher sei als alle menschliche Vernunft 69 – eine Befreiungstheologie zur Aufhebung der Zwei-ReicheLehre zugunsten eines sakralen Volksgedächtnisses. In evangelikaler Manier folgte ihr der amerikanische Generalstaatsanwalt Jeff Sessions, als er zur Entscheidung, an der Grenze zu Mexiko Kinder von ihren Eltern zu trennen, auf Römer 13 verwies:                                                              69

Das hebräische Lied „ER wird Frieden machen in Seiner Höh‘“ wird häufig im Gottesdienst gesungen und findet sich auch im Brief des Paulus an die Philipper 4,7. 149

„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich Ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.“ Der Rückgriff auf biblische Texte läutete nationale Aufbrüche oder politische Lähmungen ein. Für Rabbiner Eliezer Waldman, der 1981 in das Parlament einzog, hatte Gott dem jüdischen Volk mit der Befreiung Judäas und Samaria ein bedeutenderes Zeichen seiner Liebe als 1948 gegeben. Der Gewinn Ost-Jerusalems, der Westbank, des Gazastreifens und der Golanhöhen70 prägte sich im israelischen Bewusstsein nachhaltiger ein als die Bedrohung im Oktoberkrieg 1973 mit seinen 2.700 Toten. Der Zionismus erfuhr endgültig eine spirituelle Definition: „Heimwärts führte Gott die Gefangenen Zions. Uns war, als geschah es im Traum71.“ Als Dayan, Generalstabschef Rabin, der Kommandeur des Zentralkommandos Uzi Narkiss (1925 – 1997) sowie die Soldaten am 06./07. Juni durch das Löwentor in die Altstadt einzogen und die westliche Umfassung des ehemaligen Tempelberg-Areals erreichten, feierten sie die Lebendigkeit der Prophezeiung des Propheten: In den Tagen der Einkehr des Messias in die Stadt „wird Juda Heil erfahren, und Israel wird in Sicherheit wohnen. Und das ist sein Name, den man ihm                                                              70

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Der Gazastreifen und die Golanhöhen sind „Land Israel“-theologisch fast neutral, sieht man von der Shimshon-Geschichte (Buch der Richter 13 ff.) ab. Als im Sommer 2005 die Räumung des Gazastreifens angeordnet wurde, waren jedoch Stimmen zu vernehmen, die Gott zur Verteidigung der Siedlungen anriefen: „Wo bleibt der Herr?“ In Katzrin auf den Golanhöhen werden Touristen in ein Museum eingeladen, in dem der dortige Widerstand der Zeloten gegen die Römer wortreich gepriesen wird – in Analogie zur Massada. Psalm 126,1. 150

geben wird: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit72.“ Für den späteren Außenminister unter Ehud Barak Shlomo Ben-Ami wurde der Zionismus „durch die Begegnung der Israelis mit den biblischen Landen und durch die Vernarrtheit in die neuen Territorien“ gefährlich neu definiert. Israel stand für Arie Lova Eliav an einer schicksalhaften Wegscheide“: „Wir verleugnen unsere wahre Natur und unseren zionistischen Weg.“ Nach Auffassung Shlomo Avineris mutierte der Zionismus mit der Sakralisierung Judäas und Samarias von einer Bewegung zur „Befreiung von Menschen” in einen Deismus zur „Befreiung von Bäumen oder Steinen, von schönen Tälern und Hügeln” im biblischen Land. Nur Menschen könnten befreit werden, nicht der blinde Glaube an Gebiete, pflichtete Amos Oz bei. In seinen Essays „Counterlife” zitierte der Schriftsteller Philip Roth (1933 – 2018) ironisch einen Siedler: „Sehen Sie jenen Baum? Ein jüdischer Baum. Sehen Sie jenen Vogel? Das ist ein jüdischer Vogel. Sehen Sie dort oben? Eine jüdische Wolke. Es gibt kein anderes Land für Juden als dieses.” Chaim Weizmanns Neffe Ezer Weizman (1924 – 2005), Verteidigungsminister, Außenminister und Staatspräsident, war „– geboren aus den Nachkommen Abrahams im Lande Abrahams – (...) überall mit dabei”. Avraham Burg gedachte seiner Vorfahren, ohne sich mit ihnen zu identifizieren: „… wenn mein Ur-Ur-Ur-Großvater in [Osteuropa] vom Land Israel träumte, träumte er nicht von Afeka [bei Tel Aviv]. Auch bin ich nicht so sicher, dass Ein Harod [im Norden Israels] in seinen Sehnsüchten eine entscheidende Rolle spielte.“ Im Juni 2018 führte Netanjahu in Berlin den Anspruch auf die Westbank bis zu Abraham zurück, nachdem er sich schon vorher gegen den Vorwurf der Okkupation verwahrt hatte:

                                                             72

Jer. 23,6. 151

„Rückkehr wohin? Bestimmt nicht in die malerischen Cafés in Tel Aviv oder die luxuriösen Villen seines reichen Vororts Savion73, wo es einige Jahrzehnte zuvor Sand und Sumpf gab und was nie in der jüdischen Geschichte oder im jüdischen Gedächtnis existierte. Wenn sich das jüdische Volk nach der Rückkehr in sein Land sehnte, wenn es dies tat im Verlauf dieses Jahrhunderts war es von der Idee [der Rückkehr] an alle Orte begeistert, die Moshe Dayan aufgezählt hat, und an viele andere mehr, die er nicht nannte – an die Berge von Samaria und Judäa.“ Dass die Palästinenser mit Gewalt und mangelnder Friedfertigkeit („violence and strife“) antworten, hielt der damalige Oppositionsführer für völlig normal („clear affirmative“). Zur Illustration der Unvereinbarkeit der zwei Welten, bei der die Hingabe an Gottes Willen höher rangiert als die Launen politischer Entscheidungen, hat Aviezer Ravitzky die folgende auf talmudischen Disputationen beruhende Episode zu Psalm 127 in den späten 1930er Jahren erzählt: Als die zionistischen Behörden zur Finanzierung der Abwehr arabischer Angreifer eine Kopfsteuer erheben wollten, wurde ihnen seitens der „Wächter der Stadt” („Neturei Karta“74), die sich am Shabbat im Viertel der Hundert Tore („Meá Shearím“) nur in einem                                                              73

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Wie sich die Perspektiven ändern: Mit seiner Frau Sara bewohnt Netanjahu heute eine „luxuriöse Villa“ in Caesarea am Mittelmeer, die kontinuierlich mit öffentlichen Mitteln bedacht wird, nicht nur für die Bewirtung hoher Gäste. Psalm 127,1. Der aramäische Name „Neturei Karta“ gemäß JT Hagiga 76:B stammt aus dem Jahr 1939. Ihr Rabbiner war Amram Blau (gestorben 05. Juli 1974) und dessen Gruppe, die zuvor unter dem Namen „Ha-Chaim“ („Das Leben“) gegen die Geldsammlungen der „Agudat Israel“ zur Verteidigung der Juden gegen den arabischen Aufstand auftrat, weil damit die grundlegenden Prinzipien der Religion verletzt würden. Denn nicht die „Hagana“, sondern sie, die „Neturei Karta“, seien die Wächter der Stadt. 152

begrenzten Umfeld („Eruv“) bewegen dürfen75, die Antwort aus dem Talmud zuteil: „Rabbi Judah der Prinz schickte Rabbi Hiyyah, Rabbi Assi [oder Ashi] und Rabbi Ammi in die Städte im ganzen Land Israel, um Schreiber und Lehrer zu gewinnen. Da kamen sie an einen bestimmten Ort, wo sie weder einen Schreiber noch einen Lehrer fanden. Sie sagten zu den Bewohnern: ›Bringt uns die Wächter der Stadt.‹ Da brachten sie ihnen die städtischen Wachleute. Sie sagten zu ihnen: ›Sind dies denn die Wächter der Stadt? Sie sind die Zerstörer der Stadt!‹ und fragten: ›Wer sind denn die Wächter der Stadt?‹ und beantworteten die Frage selbst: ›Die Schreiber und Lehrer, wie die Schrift sagt: Wenn der Herr nicht das Haus baut, arbeiten Seine Bauleute umsonst; wenn der Herr nicht die Stadt behütet, wacht der Wächter vergeblich76‹.” „Lasset uns eher in die Hand Gottes fallen, denn groß ist Sein Erbarmen, aber in die Hand der Menschen wollen wir nicht fallen“, zitierte der aus dem Saarland stammende Shlomo Rülf Diskussionen während des Zweiten Weltkriegs über König David, während Dov Joséph berichtete, dass junge Männer ohne Hut und junge Frauen in Shorts für Irritationen sorgten. Sammy Gronemann hat die Geschichte aus dem                                                              75 76

Ex. 16,29. Hesekiel 13,8 ff.: Der Herr über die falschen Propheten: „Sie haben mein Volk irregeleitet, indem sie Heil riefen, wo doch kein Heil war, und wenn es [das Volk] eine Wand errichtete, haben sie sie mit Tünche überzogen. Sage denen, die die Tünche auftrugen: Ein Platzregen wird kommen, Hagelsteine werden fallen, und ein Sturm wird losbrechen. Und siehe, es stürzt die Mauer.“ Buch Jona 1 ff. über die Gnade trotz der Ungehorsamkeit Jonas, den Knecht des Herrn („Eved Ha-Shem“), im stürmischen Meer: „Da riefen sie [seine Begleiter] zum Herrn und sprachen: ‚Ach Herr, lass uns doch nicht zugrunde gehen wegen des Lebens dieses Mannes und bringe nicht unschuldiges Blut über uns … ‘“ 153

fiktiven Städtchen Borytschow im zaristischen Russland erzählt, als bei einem Pogrom eine jüdische Familie ihr Schicksal in die Hand Gottes legte und von der Verteidigung ihres Lebens durch eine Waffe nichts wissen wollte, wozu sie ein aus Berlin angereister Besucher zu überreden suchte. Den Mord an einen 11 Jahre alten religiösen Jungen in der Siedlung Itamar (bei Nablus) im März 2011 – begangen von zwei Palästinensern oder einem Wanderarbeiter aus Asien – würdigte der amtierende Rabbiner als Erfüllung des göttlichen Willens. Als Shlomo Goren (1917 – 1994), oberster Militärrabbiner im Generalsrang, gemeinsam mit der 55. Fallschirmjäger-Brigade die Altstadt betrat, entfaltete er auf dem Tempelberg („Har Ha-Bait“) die ThoraRolle und blies in das Widderhorn („Shofár“), das gewöhnlich nur zum Neujahrsfest und dem Versöhnungstag („Yom Kippur“) geblasen wird und an die Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham erinnert77. Kurz danach schlug er vor, den Felsendom („Qubbat Al-Sakhra“ = „Omar-Moschee“) zu sprengen, weil er der jüdisch-sakralen Überzeitlichkeit zuwiderlaufe, worauf ihn Uzi Narkiss ins Gefängnis zu werfen drohte. Gegenüber dem britischen Hochkommissar Herbert Samuel hatte Kook Anfang der 1920er Jahre auf die Frage nach der Errichtung des Dritten Tempels behauptet, dass die Araber vor Schreck über ihre Kühnheit, die „Al-Aqza“-Moschee erbaut zu haben, sie selbst abreißen würden, wenn die Zeit gekommen sei. Da der Tempelberg als das Zentrum des Kosmos gewertet wird, schloss Kook gemeinsam mit seinem sefardischen Amtskollegen dort jegliches Entgegenkommen aus. Mitte der 1980er Jahren plädierten die Repräsentanten des „jüdischen Untergrund“ („Machtéret Yehudít“) noch einmal für den Abriss beider Moscheen. Als wichtigster „Neubauentwickler“ zu Lasten palästinensischer Eigentümer und Bewohner im Ostteil Jerusalems wiederholte 2017 Arye King, der Beauftragte des US-amerikanischen Spielkasino-Moguls Irving Moskowitz die Losung, den Felsendom zu zerstören.                                                              77

Gen. 22,1 ff. 154

Von den fünf Faktoren der göttlichen Vorsehung hatten sich für den seit 1973 als Oberrabbiner amtierenden Goren immerhin drei erfüllt. Nur noch die Wiedererrichtung des Obersten Gerichtshofs, des „Sanhedrins“ in talmudischer Zeit, und der Bau des Dritten Tempels standen aus: – – –

Der Krieg hatte die Erlösung des Landes Israel von fremder Herrschaft bewirkt. eine souveräne jüdische Regierung war in allen seinen Teilen etabliert. Der Krieg hatte eine jüdische Mehrheit konstituiert, weil die Solidarität eine beträchtliche Zahl Neueinwanderer ins Land brachte.

Zum 40. Staatsjubiläum 1988 schrieb Goren: „Der Zionismus war nicht zur Erlösung des jüdischen Problems durch die Schaffung eines jüdischen Staates angetreten, sondern als Werkzeug der heiligen Erlösung. Der essentielle Auftrag ist nicht die Normalisierung des Volkes Israel, damit es ein Volk unter allen Völkern werde, sondern dass es ein heiliges Volk werde, ein Volk, das in Gott lebt und dessen Fundament Jerusalem und ein königlicher Tempel in seiner Mitte sind.“ Wenn Gott der Souverän des Judentums („Otzár Ha-Yahadút“) ist, muss sich eine „elastische Geographie“, räsonierte der politische Geograph Eyál Weizman, jeden Territorialverzicht als das Werk einer exilischen Mentalität verbitten. Ein weltläufiges Judentum, ließ sich eine andere Quelle vernehmen, laufe auf die Eigenliquidierung des Staates Israel hinaus, so wie der Aufstand der Sadduzäer gegen die Römer zur Zerstörung des Zweiten Tempels geführt habe. Ein Verzicht auf das Land komme der Verlegung des Shabbat als Ruhetag Gottes78 auf den                                                              78

Ex. 20,8 & Deut. 5,12. 155

Freitag gleich, den muslimischen Feiertag. Die Auflösung einer Siedlung in der Westbank bedeute die Profanisierung des göttlichen Gebots. Die Militärverwaltung, die 1966 für die arabischen Volksteile Israels endete, wurde auf die eroberten Gebiete übertragen. Moshe Dayan repräsentierte 1977 mit dem Übertritt zum „Likud“ den ideologisch bruchlosen Abschied von der Arbeitspartei. Der frisch gewählte Ministerpräsident Menachem Begin begrüßte ihn mit der ironischen Bemerkung, charakterlichen Selbstmord zu begehen, und nannte die Siedlungspolitik seiner Vorgänger süffisant eine „Annexion de luxe“: Eine „Likud“-Regierung kündige zehn Siedlungen an, baue aber nur eine, während eine Regierung der Arbeitspartei eine ankündige, aber zehn baue, wurde zum geflügelten Wortspiel. In ihrem Wahlmanifest 1977, als nur dreitausend Juden in der Westbank wohnten, bestand die Arbeitspartei auf dem ewigen „Recht des jüdischen Volkes auf das Land Israel“. Keine Exekutive könne sich darauf festlegen, dauerhaft Juden aus irgendeinem Teil des Gelobten Landes zu verbannen, schrieb Golda Meir in ihrer Biographie. Die von Natan Sharanski 1996 mit russischen Einwanderern gegründete Partei „Israel im Aufstieg“ („Israel b’Aliya“) bekundete ihren „tiefen Glauben an das historische und uneingeschränkte Recht des jüdischen Volkes auf alle Teile des Landes unserer Väter“. Dennoch war der Kampf gegen den nationalen Defätismus noch nicht gewonnen, so dass sich Yoram Hazony gegen den „systematischen Angriff des kulturellen und intellektuellen Establishments“ verwahrte, damit der „Drang zum Selbstmord“ ein Ende finde. Zu den frühen Vertretern der messianischen Theologie zählte der Autor Natan Alterman (1910 – 1970). In seinem Beitrag für das damalige Massenblatt „Ma‘ariv“ schrieb er am 16. Juni 1967: „Dies ist die Bedeutung unseres Sieges: Er tilgte gegen alle praktischen Absichten die Unterscheidung zwischen dem Staat Israel und dem Land Israel. Zum ersten Mal seit der Zerstörung des Zweiten Tempels 156

ist das Land Israel in unserer Hand. Seither sind der Staat und das Land eine Einheit... ” Alterman sei die Stimme und wir ihr Echo, urteilte Dayan. Hatte dieser in einer Botschaft an die Soldaten am 05. Juni betont, dass es nur darum gehe, „den Versuch der arabischen Feinde, unser Land zu erobern“, zurückzuweisen und den Blockadering zu durchbrechen, so unterstrich er nun den Eigentumstitel auf das Land Israel mit Gottes Wort „Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob“79: „Ich weiß, dass es eine Resolution 242 des [UN-]Sicherheitsrates gibt, einen Rogers-Plan, einen Dayan-Plan, einen Allon-Plan und noch andere Tableaus. Aber es gibt etwas Bedeutenderes und Größeres als alle diese [Pläne], und das ist das Volk Israel, das in seine Heimat zurückgekehrt ist80.” Der angeblich jedem Mystizismus abholde Verteidigungsminister, dessen Rhetorik gleichwohl voller biblischer Anspielungen war, begründete den Anspruch auf Groß-Jerusalem mit dem Satz: „Wir sind nach Shiló81 und Anatót82 zurückgekehrt, um sie nie zu verlassen.“ Für Peres identifizierte sich Dayan „ebenso mit unseren Ahnen, die noch Sandalen und wehende Gewänder trugen, wie mit unseren Zeitgenossen, die in den Cockpits der Düsenjäger saßen“. Am 22. September erschien in den vier wichtigsten Zeitungen das Manifest „Für das ganze Land Israel“:                                                              79 80

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Jes. 41,9. In der rabbinischen (Ex. 12 ff.) und talmudischen Exegese heißt es: Gott begleite Sein Volk durch alle Exile und kehre mit dessen Befreiung in Sein Land heim. Buch Josua 17,1 ff. & 18 über die Versammlung der israelitischen Stämme in Shiló. Der Ort war die Hauptstadt Israels zur Zeit der Richter. Dort soll zu Zeiten Joshuas die Bundeslade gestanden haben. Buch Josua 13 über die Verteilung des Landes unter die israelitischen Stämme. Im Dorf Anatót soll der Prophet Jesaja geboren worden sein. 157

„Das Land Israel befindet sich nunmehr in den Händen des jüdischen Volkes... Wir sind verpflichtet, der Unversehrtheit unseres Landes die Treue zu bewahren – verpflichtet gleichermaßen gegenüber der Vergangenheit wie der Zukunft des jüdischen Volkes –, und keine Regierung hat das Recht, auf diese Vollkommenheit des Landes zu verzichten.“ Für den Chronisten David Benvenisti (1878 – 1993), einem loyalen Angehörigen der Arbeitspartei, erfüllte sich mit dem Krieg der zweitausend Jahre alte Kampf um das Land nach der Zerstörung des Ersten Tempels83. Im Juli 1967 schrieb er: „Vor dem Sechs-Tage-Krieg waren die wichtigsten Teile unseres Landes außerhalb der Jurisdiktion des Staates Israel. Unsere Unfähigkeit, dorthin frei zu gehen, hieß, dass unsere Würdigung vieler Kapitel unserer Geschichte unvollkommen war.“ Darf ein tiefes Gefühl der Sehnsucht in die Akzeptanz von Herrschafts- und Arrondierungskonzepten eingehen?, fragte sein Sohn Meron. Amnon Rubinstein rief ein Lied aus der Zeit nach dem Junikrieg in Erinnerung: „Wenn die ganze Welt gegen uns ist, ist uns das völlig egal. Wenn die ganze Welt wieder gegen uns ist, dann lasst die ganze Welt zur Hölle fahren.“ US-Botschafter Arthur J. Goldberg (1908 – 1990) verwahrte sich vergeblich im UN-Sicherheitsrat, seine Exekutive fürchtete unangenehme Reaktionen aus dem befreundeten Ausland. Für den Literaturwissenschaftler Dan Meron war das Manifest vom 22. September eines der wichtigsten Zeugnisse, die je in Israel geschrieben wurden. Zu den Unterzeichnern gehörten außer Natan Alterman                                                              83

Esra 5 zum Bau des Ersten Tempels 520 – 515 v.d.Z. 158

der Dichter Chaim Guri (1923 – 2018) – nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte er in Europa die Traumata der Holocaust-Überlebenden kennengelernt und in seinem Gedicht „Bab El-Wad“ / „Sha’ar Hagai“ („Tor zum Tal“) an die israelischen Soldaten erinnert, die dort für den Durchbruch nach Jerusalem sorgen sollten –, der Schriftsteller Moshe Shamir (1921 – 2004) – der Bialik-Preisträger von 1955 gehörte bis 1967 zur „Mapam“, zog für den „Likud“ 1977 in die Knesset ein, verließ aber 1978 die Partei nach dem Friedensvertrag mit Ägypten –, der Literaturnobelpreisträger „Shai” Agnon von 1966, dessen Figuren nach den Worten von Gershon Shaked „verzweifelt nach Gott und der Wahrheit“ suchten, Haim (Chaim) Hazzaz (1898 – 1973) – in seiner Novelle „Ha-Drashá“ („Die Predigt“) hatte er unterstellt, wer kein Jude in der von schrecklichen Leiden getränkten jüdischen Geschichte mehr sein wolle und könne, dem bleibe nur die Rückkehr nach Zion –, die Dichter Uri Zvi Greenberg84 und der zum linken Flügel der Gewerkschaft gehörende Yitzhak Tabenkin85 – er war wie Ben-Gurion in Warschau Mitglied bei den linkszionistischen „Arbeitern Zions“ („Poalei Zion“) und später Gründungsmitglied der „Mapai“ –, die Witwe BenZvis Rachel Yanaït, der Jurist und frühere Jabotinsky-Sekretär Chaim Yachil sowie Mitglieder aus der Kibbuz- und Moshav-Bewegung.                                                              84

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Der Dichter und Autor Uri Zvi Greenberg (1886 – 1981) wurde in der Ukraine in eine chassidische Familie geboren und wanderte nach Stationen über Berlin und Warschau 1924 in Palästina ein. Nachdem er für die zur „Histadrut“ gehörende Tageszeitung „Davar“ gearbeitet hatte, schloss er sich nach den Massakern im August 1929 in Jerusalem und Hebron dem zionistischen Revisionismus an. Als Mitglied der Partei „Cherut“ („Freiheit“) Menachem Begins zog er im Januar 1949 in die erste Knesset ein. 1957 erhielt Greenberg den „Israel-Preis“. Yitzhak Tabenkin (1888 – 1971) wurde in Weißrussland geboren und wanderte nach Stationen in Warschau, Wien und Bern 1921 in Palästina ein. 1930/31 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der „Mapai“ und 1949 der „Mapam“. 159

Endlich war das Land Israel vom fremden Joch erlöst, durch die Präsenz des jüdischen Volkes in seiner exklusiven und korporativen Bindung an Gottes Gebote geheiligt und sein Boden von seiner Unreinheit („Adamá t’meáh“) befreit, nachdem dessen spirituelle Qualität unter fremder Herrschaft nur derjenigen anderer Territorien geglichen hatte und durch einen dem geschichtsfernen Naturalismus verhafteten „Götzendienst“ („Avodá zará“) entstellt worden war: „Du, unser Herr, hast durch Deine Diener, die Propheten geboten: Das Land, in das ihr kommt, um es in Besitz zu nehmen, ist ein beflecktes Land. Denn die Völker im Land haben es befleckt. In ihrer Unreinheit haben sie es mit ihren Gräueltaten erfüllt, von einem Ende zum anderen. Darum dürft ihr eure Töchter nicht ihren Söhnen zur Frau geben, noch dürft ihr eure Töchter für eure Söhne nehmen86.“ Dagegen halfen keine Mahnungen von Emmanuel Levinas, gelobtes Land sei keineswegs nur erlaubtes Land, sondern speie seine Bewohner wieder aus, wenn es ungerecht zugehe. Der Zionismus solle sich nicht länger schämen, wenn er Siedlungen errichte, Araber evakuiere, Böden enteigne und Flächen einzäune, antwortete ein Kolumnist in der Tageszeitung „Yediot Achronot“ („Letzte Nachrichten“) im Juli 1972. Das Oberhaupt der für religiöse Soldaten eingerichteten „Yeshivá“ in Ma’ale Adumim verglich eine Regierung, die eine Siedlung „auflösen“ und ihre Bewohner „vertreiben“ wolle, mit Anordnungen, die genauso wie Nazibefehle zu missachten seien.

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Esra 9,11 f. 160

  Die Villa „Harun Al-Rashid“ der Familie Basharat im Westjerusalemer Stadtteil Talbiye, zwischen Rehavia und Katamon gelegen. Die dortigen Böden wurden in den 1920er und 1930er Jahren vom Griechischen

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Patriarchat gekauft, auf denen vorwiegend christliche Araber wohnten, die ihre Häuser im maurischen, arabischen und Renaissance-Stil errichten ließen. Seit 1948/49 leben hier keine arabischen Familien mehr. 1949 wohnte Golda Meir einige Monate in einem der Räume der Villa. In ihrer Biographie schrieb sie: „Die Wahrheit ist, dass wir die Häuser jener Araber nutzten, die 1948 aus dem Land weggelaufen waren, für die Unterbringung von neuen Einwanderern, wenn dies möglich war, auch wenn das Eigentum unter der Aufsicht eines Kurators (‚Custodian of Absentee Property‘) blieb.“ Meir verschwieg, dass auf ihre Veranlassung hin die Namensinschrift an der Villa ausgekratzt wurde. Behauptungen, die ehemaligen Eigentümer seien für den Verlust ihrer Immobilien entschädigt worden, lassen sich nicht belegen. Der damalige Militärgouverneur Dov Joséph hat berichtet, dass er Güter und Mobiliar der geflohenen Araber im Stadtteil Katamon konfisziert und an jüdische Flüchtlinge verteilt habe. Die israelischen Behörden haben alle politischen und bürokratischen Hebel genutzt, um Ausgleichszahlungen zu verhindern. In der Nachbarschaft der Villa befinden sich heute die Residenz des Staatspräsidenten, das „Van-Leer-Institute“, das „Jerusalem Theater“ und das Belgische Konsulat. Das Wohnen im Lande Israel wiegt alle anderen Gebote der auf, schon die Luft des Landes mache weise. Allein zwischen 2012 und 2015 sollen fast sechs Millionen US-Dollar an Siedlungen ausgezahlt worden sein, hinzu kamen private Mittel, auch aus evangelikalen Kreisen. Im März 2018 wurde gemeldet, dass der christliche pro-Israel Aktivist Mike Evans seinen Präsidenten nach der Entscheidung für Jerusalem in die Reihe mit den persischen König Cyrus gestellt habe, der den Juden den Wiederaufbau des Ersten Tempels genehmigte. Der Geschäftsführende Direktor der „Jewish Federations of North America“ (JFNA) begründete die Spenden damit, dass „(w)ir glauben, dass Juden Juden sind, wo immer sie leben, und wenn sie für soziale Dienste 162

und für Bildungsaufgaben Hilfe brauchen, tun wir das“. Dass der staatliche Haushalt nicht ohne die auswärtigen Zuwendungen auskommt, ruft Erinnerungen an die „Chalukka“ wach.

Weder rechts noch links, sondern auf dem Königspfad Im März 1974 wurde „Gush Emunim“ im Kibbuz Kfar Etzion südlich Jerusalems unter Beteiligung von Rabbinern um Chaim Druckman, Shlomo Aviner und Moshe Levinger, alle Zöglinge aus dem Hause Zvi Yehuda Kooks, gegründet. Für Levinger war der Prozess der Erlösung des Volkes Israel „wichtiger als hypothetischer [d. h. politischer] Frieden”. Ovadia Yoséf rief seiner großen Gemeinde zur Bekräftigung des ideologischen Durstes nach den „befreiten Gebiete“ ein kultisches Argument zu: „Wenn nur ein Buchstabe auf einer Thora-Rolle fehlt, ist die ganze Rolle nicht koscher. Dasselbe gilt für das Land Israel, dem kein Zipfel abhandenkommen darf.“ Dem „Gush“ gelang es innerhalb kurzer Zeit, besonders junge Leute an sich zu ziehen, die wider die vermeintlich maßvolle Nationalreligiöse Partei unter Leitung des 1909 in Dresden geborenen Joseph Burg (1909 – 1999) revoltierten. Ohne zunächst dem Tempelberg zentrale Bedeutsamkeit beizumessen, wurde „Gush Emunim“ zur größten und wichtigsten messianischen Bewegung in der jüdischen Geschichte, urteilte der Religionswissenschaftler Tomer Persico. Dayan und Peres lernten die Bewegung schätzen. Denn der „Gush“ verband religiöse Überzeugungen mit dem Elan des zionistischen Aufbaus in der britischen Mandatszeit. Ihre Anhänger bildeten keine Randgruppe, sondern in ihm fanden sich Offiziere, Wissenschaftler, Ärzte und Anwälte, Literaten und Journalisten, womit die Gruppe zum Brückenkopf in die bürgerliche Gesellschaft aufstieg. Die Zusammenarbeit von Rechten und Linken, von Religiösen und Säkularen sei der einzigartige historische und grundlegende Beitrag für die

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Groß-Israel-Bewegung gewesen, erinnerte sich die Abgeordnete Geúla Cohen. Sie wurde zum Selbstläufer. Die Behauptung von der Einheit Gottes und Seinem Volk in dem ihm zugeteilten Land87 setzte sich auch bei jenen durch, die nicht religiös waren. „Auf dem Königspfad wollen wir dahinziehen, ohne nach rechts und links abzubiegen, bis wir Dein Gebiet durchzogen haben88“, lautete die biblische Weisung. Die nationalistischen und die religiösen Siedler verbuchten mit ihren Sympathisanten einen donnernden „Knock out“Sieg. Der Soziologe Sammy Smooha ermittelte als Trend, eine gut organisierte religiöse Minderheit könne das gesamte politische System nachhaltig stören. Jeder Minister habe inzwischen einen „Gush“-Helfer in seinem Haus, erlebte Amnon Rubinstein in seiner Zeit als Minister. Der Oberste Gerichtshof befand, dass die Sicherheitsbelange den politischen und ideologischen Prämissen des „Gush Emunim“ nachzuordnen seien. Die „Narren in klerikaler Kleidung“ (Albert Einstein [1879 – 1955] 1942 in einem Brief an Kurt Blumenfeld) entwickelten die außerordentliche Tüchtigkeit, Machtpositionen im Staatsapparat zu erobern sowie Politik und Gesellschaft zu unterlaufen. Sie bemächtigten sich der Gewaltenteilung und drängten die menschliche Vernunft zurück. Der Vorwurf machte sich breit, dass sich die Widersacher der Siedlungstätigkeit im jüdischen Selbsthass gefielen und Opfer skrupelloser Anpassung an das Abendland waren, weil der Sinngehalt von Gottes Wort kaum mehr von Generation zu Generation weitererzählt werde. Die Veteranin der Siedlerbewegung Daniella Weiss bezeichnete die Gegner als „Brüder, die nicht richtig im Kopf sind“, machte sich über die „greinenden Linken“ lustig und befand, dass die „Araber hier nur leben dürfen, wenn sie unsere absolute Herrschaft akzeptieren“. Für Ayelet Shaked „haben die Juden das Recht auf den ganzen Staat Israel“                                                              87 88

Deut. 32,8. Num. 20,17. 164

(sic), doch beschränkte sie ihre Anschlusspläne auf die Zone C, in der auch die dort lebenden hunderttausend Palästinenser die israelische Staatsbürgerschaft erwerben könnten89; ob darin das Recht der politischen Mitwirkung eingeschlossen sei, wurde sie nicht gefragt. Der Sänger und Schauspieler Uri Zohar war der erste Künstler, der seinen öffentlich zur Schau gestellten Glamour zugunsten tiefer Religiosität aufgab.

Kein Frieden ohne Jerusalem Hatte die israelische Regierung 1949 zugestimmt, dass die Altstadt – sie machte weniger als einen Quadratkilometer aus – in jordanischer Hand bleibe, aber der Zugang zu den heiligen Stätten und zum Skopus als Standort der Hebräischen Universität sowie die Nutzung des jüdischen Friedhofs auf dem Ölberg gewährleistet sein müssten, so gründeten, um die Altstadt von Muslimen und Christen zu „erlösen“, im Dezember 1978 acht junge orthodoxe Juden eine „Yeshiva “ unter dem Namen „Atéret Cohaním“ („Krone der Hohepriester“) – einer nationalreligiösen Einrichtung, die im Staat New York als der Wohltätigkeit dienende steuerbegünstigte Stiftung registriert ist – mit dem in Bet El amtierenden Rabbiner Shlomo Aviner an der Spitze. Als UN-Botschafter Netanjahu 1988 zum „Fund Raising“-Dinner zugunsten „Atéret Cohaním“ die Festansprache hielt, schickte der demokratische Senator Daniel Patrick Moynihan (1927 – 2003) ein Glückwunschschreiben, in dem er die Gruppe ein leuchtendes Beispiel von „Juden und Arabern lobte, die in der ganzen Altstadt Jerusalems friedlich zusammenleben“. New Yorks Bürgermeister Ed Koch (1924 – 2013) nannte die Gruppe fanatisch, aber nicht schrecklich: „Sie sind Zeloten.                                                              89

„Wir sehen nicht zu, wie Iran Syrien übernimmt” (Interview) in FAZ 30.04.2018, S. 2. 165

Allgemein finde ich, dass Zeloten – auf allen Gebieten – nette Leute sind.“ 1978 untersagte Moynihan „Atéret Cohaním“, seinen Namen für Werbezwecke weiter zu verwenden. Am 28. Juni 1967 kündigte Innenminister Chaim Moshe Shapira (1902 – 1970) die Ausdehnung der kommunalen Jurisdiktion und der Verwaltung auf den Ostteil Jerusalems an. Die Anwesenden brachen in Schluchzen aus und wurden vom einem „Tsunami des Enthusiasmus“ (Uzi Benziman) hinweggetragen. Einen Tag später stimmte die Knesset der Vorlage des Justizministers Ya’acov Shimshon Shapira (1902 – 1970) zu. „Haaretz“ überschrieb ihren Kommentar: „Jubelt und jauchzet, du wirst in Zion wohnen.“ Die Stadtgrenzen wurden von 38 auf 108 Quadratkilometer erweitert, für 28 arabische Gemeinden und Dörfer mit 70.000 Bewohnern erfolgte die kommunale Einbeziehung. Bürgermeister Rouhi Al-Khatib (1914 – 1994) erhielt seine Entlassung auf einer Papierserviette. Im September mussten 3.500 Palästinenser das Marokkanische Viertel in der Altstadt räumen, die meisten von ihnen 1948er Flüchtlinge. Unter Mitwirkung Kolleks, der zwischen 1966 und 1993 der Stadt vorstand, wurde das Quartier – auch weil an „Shavuót90“ viele tausend Pilger zu erwarten waren – bis auf zwei Straßen und einige kleine Häuser, die zur Renovierung anstanden, niedergerissen und machte dem Jüdischen Viertel und dem Vorraum der Klagemauer Platz. „Es war die größte Sache, die wir tun konnten, und es ist gut, dass wir es sofort taten“, verkündete Kollek stolz. Er war es auch, der die Sängerin Naomi Shemer (1930 – 2004) zum Lied „Jerusalem aus Gold“ motivierte, das drauf und dran war, die Nationalhymne, die „Ha-Tíqva“ („Die Hoffnung“) – sie wurde schon in Osteuropa als Symbol des Widerstandes gegen Pogrome gesungen –, zu ersetzen:

                                                             90

„Wochenfest“: Ex. 34,22 & Deut. 16.10. 166

„Die Luft der Berge ist klar und rein, und der Duft der Pinien schwebt im Abenddunst und mit ihm der Klang der Glocken. Im Schlummer von Bau und Stein, gefangen in ihrem Traum, liegt die vereinsamte Stadt und in ihrem Herzen eine Mauer [„Klagemauer“]. Jerusalem aus Gold und Kupfer und aus Licht, lass mich doch für all Deine Lieder die Harfe sein. Wie ausgetrocknet die Brunnen sind und der Markt leer ist. Niemand geht auf den Tempelberg in der Altstadt. Und in den Höhlen des Berges heulen die Winde. Und niemand geht hinunter ans Tote Meer auf dem Wege nach Jericho... Ja, wir sind zurückgekehrt zu den Brunnen, zum Markt und zu deinen Plätzen. Der Klang des Shofars hallt über dem Berg dort in der Altstadt…“ Der Anerkennung der tiefen Bande von Christen und Muslimen ließ Teddy Kollek als „ein(en) objektive(n) Beobachter“ die Bekundung folgen, dass die jüdischen Bindungen an Jerusalem „extrem groß“ seien. Seit dem Junikrieg wurden gemäß einer Auflistung von Meir Margalit in Ost-Jerusalem folgende Siedlungen und Siedlungskerne geschaffen: Altstadt 1967; Ramat Eshkol, Ma’alot Dafna, French Hill und ATur am Fuße des Ölbergs 1968; Ramot Alon und Atarot 1970, Gilo 1971, Neve Ya’acov 1972; Ost-Talpiyot 1973; Pisgat Ze’ev 1980, Givat Ha-Matos 1991 sowie Har Homa 1997. Hinzugekommen sind danach Sheikh Jarrach (benannt nach einem Arzt Sultan Saladins) unterhalb des „American Colony Hotel“, Nof Zion, Ramat Shlomo und Bet Orot (gegenüber dem Augusta-Viktoria-Krankenhaus) mit einer „Yeshiva “. Die meisten arabischen Bewohner von Sheikh Jarrach waren 1948 Flüchtlinge aus Talpiyot. Für den Kauf einer Immobilie in Silwan, in 167

das zwischen 1882 und 1914 arme Einwanderer aus dem Jemen eingezogen waren, wurde mit der Weissagung geworben: „Hier zu leben, ist ein riesiges Privileg! Es bedeutet, an einem Ort mit immensem Gewicht zu leben, nicht nur im archäologischen und historischen Sinne, sondern einem Ort von innerem spirituellem Wert, wahrlich im Gelobten Land. Hier zu leben, bedeutet, in ewige Werte eingebettet zu sein.“ Die als gemeinnützig anerkannte Körperschaft mit Namen „El’ad“ („In die Stadt Davids“) leistet unschätzbare politisch-ideologische Dienste bei der Führung in- und ausländischer Besuchergruppen. Ende Oktober 2014 schoss ein palästinensischer Attentäter den „Likud“-Abgeordneten Yehuda Glick nieder, weil er sich als Koordinator betätigte, an die Stelle der beiden Moscheen den Dritten Tempel zu setzen: „Errichte mir ein Heiligtum, damit ich darin wohnen kann91“. Denn bis dahin blieben rund 200 der 613 Gebote unerfüllt, sekundierte Rabbiner Israel Ariel: „Um Zions willen darf ich nicht schweigen, Jerusalem wegen nicht ruhen, bis wie ein Lichtglanz seine Gerechtigkeit hervorbricht und sein Heil brennt wie eine Fackel92.“ Der aus einer 1811 eingewanderten Rabbinerfamilie stammende Gershon Salomon, der die Gruppe der „Tempelberg-Getreuen“ gründete und zu den Evangelikalen in den USA beste Kontakte pflegte, vertrat wie kaum ein zweiter den Vormarsch der nationalreligiösen Kraftzentren in der Stadt: „Der Messias, Sohn Davids, wird nicht nach Washington, D.C., nicht nach London, Paris oder Rom kommen, nicht nach Kairo oder Damaskus, sondern an den Ort, den G-tt ausgewählt hat, Jerusalem. Deshalb rufe ich alle Nationen auf, auf Israel keinen Druck auszuüben, dass es einen gegen G-tt gerichteten sogenannten Frieden unterzeichne, welcher das Land, Jerusalem und den Tempelberg den grausamsten Feinden G-ttes und Seines Volkes in Israel aushändigt.“                                                              91 92

Ex. 25,8. Jes. 62,1. 168

Der Abgeordnete Israel Ariel berichtete, dass nach dem Sieg über die Jordanische Legion im Junikrieg Soldaten Trümmer des Zweiten Tempels herantrugen, auf dass der Messias kommen könne. Als er auf sich warten ließ, interpretierte Ariel seinen theologischen Irrtum damit, dass der Messias erst nach der Errichtung des Dritten Tempels erscheinen werde und vertagt sei, bis das aktive Tun „des einzigartigen Volkes in der Welt“ dem Messias die Bahn bereitet habe, auf dass sich der Staat Israel als Beginn der Erlösung der Welt erweise. In „jedem Weinberg, auf jedem Feld, auf jedem Olivenbaum und in jeder Blume ist die jüdische Geschichte tief eingepflanzt. … Alle Regierungen Israels seit dem Ende des Sechstagekrieges haben das vereinigte Jerusalem aufgebaut. Die Quellen sagen, ‚Jerusalem – Berge umgürten dich‘. Aber heute kann man nicht länger die Berge sehen, die Hügel aus Stein, die generationenlang Jerusalem einschlossen“, betonte Rabin 1992. Mit Donald J. Trumps Anerkennung Jerusalems als alleiniger Hauptstadt Israels im Dezember 2017 sei der Stadt die Witwenschaft genommen worden, nachdem sie geweint habe93, freute man sich im „Likud“. Als Thomas L. Friedman für die „New York Times“ kurz nach dem Krieg erstmals Israel besuchte, spürte er eine Veränderung in seinem Leben: „Schon beim ersten Gang durch die von Mauern umgebene Altstadt von Jerusalem nahm ich ihre Düfte in mich auf, verlor ich mich im bunten Menschenstrom, der sich durch das engste Geflecht der Gassen wälzte – und fühlte mich zu Hause. In irgendeinem früheren Leben muss ich ein Basarhändler gewesen sein, ein fränkischer Soldat vielleicht, ein Pascha oder zumindest ein mittelalterlicher jüdischer Chronist. Auch wenn es meine erste Auslandsreise war – damals wurde mir mit einem Mal klar, dass mir der Nahe Osten näherstand als Minnesota.“ Im Abstand von 13 Jahren gestand Friedman verschämt ein, dass seine Darstellung der Erlebnisse in der Schule „eine einzige große Feier                                                              93

Klagelieder 1,1-2. 169

des Sechstagekrieges“ gewesen sei. Zu seinen späteren Erfahrungen gehörte die „Erkenntnis, dass viele Leute beim Thema Nahost zeitweilig ihren Verstand verlieren“. „Der Konflikt beginnt in Jerusalem und kann in Jerusalem enden. Frieden kann in Jerusalem gemacht werden und kann in Jerusalem zerbrechen“, hat Dan Bitan vom „Jerusalem Committee of the Israeli Peace NGO Forum“ die zentrale Bedeutung der Stadt angezeigt. Das israelische Gesetz verbietet auswärtige Finanzhilfen für Projekte in der Stadt, die dem arabischen Bevölkerungsteil zugutekommen sollen. Hanan Ashrawi betonte: Die Palästinenser brauchen Freiheit in der Stadt und keine israelischen Erlaubnisscheine. Achmed Qureia („Abu Ala“) fügte hinzu, dass Frieden für die Israelis wichtig sei, doch für die Palästinenser Jerusalem über ihre Zukunft entscheide.

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Kapitel IX Camp David, „Road Map“ und „Genfer Initiative“: Geschichten vom dünnen Eis“ „Haben wir nicht vor Freude getanzt, als wir vom Fehlschlag in Camp David hörten94?“ Nach dem Scheitern der Konferenz in Camp David im Juli 2000 wurde darüber gestritten, ob Ehud Barak ein äußerst großzügiges Angebot zur Räumung der besetzten Gebiete vorgelegt habe, welches von Yasser Arafat leichtfertig abgelehnt worden sei, oder ob Arafat bis an die Grenze der politischen Kompromissbereitschaft ging. Generalstaatsanwalt Elyakim Rubinstein („Likud“) hatte dem Ministerpräsidenten im Vorfeld jede Befugnis zu Verhandlungen abgesprochen. Tatsächlich ließ Barak ein Kabinett zurück, das sich im Parlament auf lediglich 42 der 120 Abgeordneten stützen konnte. Dabei habe Barak, so Beilin, der gemäßigtsten israelischen Regierung („the most dovish government ever“) vorgestanden. Leah Rabin (1928 – 2000) behauptete hingegen, ihr Mann hätte sich im Grabe umgedreht, wenn er das Entgegenkommen Baraks erlebt hätte. Noch 2002 vertrat Joschka Fischer die These von Israels „quälende(r) Erfahrung mit dem Zusammenbruch der Verhandlungen in Camp David“ und warf die Frage auf, „ob die palästinensische Führung am Ende nicht mehr und ganz anderes                                                              94

So geißelte 2002 der palästinensische Journalist Nabil Amr ironisch den Wankelmut und die Führungsschwäche Arafats. 171

wollte“. Zu Israels Sicherheitsinteresse dürfe „es keine Äquidistanz geben“. Hier ist nicht der Ort, über diese Voten ein Urteil zu fällen. Doch festzuhalten bleibt, dass nach Untersuchungen des Kommunikationswissenschaftlers Gadi Wolfsfeld mit Medienkampagnen dafür gesorgt werden sollte, Arafat im Falle des Misslingens die Verantwortung zuzuschieben. Am 15. Juli – vier Tage nach Beginn der Gespräche – versammelten sich 150.000 rechtsgerichtete Demonstranten in Tel Aviv. Während des Treffens wurden Darstellungen gestreut, wonach Barak ständig zu Konzessionen bereit sei, während der „Raís“ alle Angebote zurückweise und eigene Vorschläge vermissen lasse. Nach der ersten Woche ließ Baraks Sprecher Gadi Baltiansky, der 2004 die Leitung des Büros der „Genfer Initiative“ in Tel Aviv übernahm, die Medien wissen, dass Arafat der historischen Rolle auf dem Weg zu einem Abkommen nicht gerecht werde. Dazu wurde die Phrase kolportiert „Fragen Sie Barak und Arafat, und man wird Ihnen bereitwillig erklären, dass es kein Angebot gab und dass es außerdem von der Gegenseite abgelehnt wurde“. Im Vorfeld hatten die Zeichen auf Sturm gestanden. Als im März/ April 2000 Gespräche zu den Themen „Grenzen“ und „Flüchtlinge“ in Stockholm stattfanden, äußerte die palästinensische Delegation die Sorge vor einem dramatischen Fehlschlag und plädierte für den Aufschub des Treffens. Auch US-Außenministerin Madeleine Albright zeigte sich verunsichert. Ähnliche Bedenken äußerten Martin Indyk, Washingtons Botschafter in Tel Aviv, und Aaron David Miller, der Stellvertreter von Clintons Chefunterhändler Dennis Ross. Dieser drängte seinen Präsidenten zu einer klaren Verhandlungsstrategie, wie er zumindest im Nachgang berichtete. Vor Ort soll Ross nur auf seinem privaten Computer Notizen gespeichert haben, die anderen Mitglieder seines Teams hätten sich auf ihr Gedächtnis verlassen. Arafat war mit vier politischen Zielen angereist:

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– – – –

Rückzug Israels auf die Grenzen bis 1967, Ost-Jerusalem als Hauptstadt des palästinensischen Staates, Billigung des Rechts der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Häuser sowie Kompensationszahlungen für ihr Leben im Exil.

Er und Barak trafen nur einmal zu einer zweistündigen, sich in Allgemeinplätzen erschöpfenden Konversation zusammen, rechnet man die Mahlzeiten ab, bei denen Barak es vermied, Arafat zur Kenntnis zu nehmen. Nach israelischen Aufzeichnungen wollte Arafats Stellvertreter Machmud Abbas das Flüchtlingsproblem lösen, Achmed Qureia legte Wert auf die Wiederherstellung der Grenzen bis 1967, Arafats Chefdiplomat Saeb Erekat stellte die palästinensische Souveränität über Ost-Jerusalem in den Vordergrund, und Mohamed Dachlan interessierten vor allem die Sicherheitsaspekte. Clinton zeigte sich überfordert. Barak hatte von vornherein die Rückkehr auf die Grenzen von 1967, den Verzicht auf das vereinigte Jerusalem ausgeschlossen, und keine fremden Streitkräfte dürften westlich des Jordans stationiert werden, doch wollte er dort unter der Voraussetzung von Frühwarnsystemen und auf das Recht auf Truppenstationierung verzichten. Seine Bereitschaft zu einem demilitarisierten palästinensischen Staat honorierte seinerseits Arafat mit der Zusage eines begrenzten Waffenarsenals. Doch die solchen Treffen eigentümliche Dynamik blieb aus. Für den amtierenden Justizminister Yossi Beilin entwickelte sich ein Basarhandel, der Politologe Menachem Klein, externer Berater von Außenminister Shlomo Ben-Ami, sprach von einem Verhandlungsstil in orientalischer Manier. Die Charakterisierung von Camp David als Gipfeltreffen – Madeleine Albright begnügte sich mit der Kennzeichnung „working summit“ – blieb höchst missverständlich. Das Bild von den Siamesischen Zwillingen, denen keine andere Wahl als die der Verständigung bleibe, erwies sich als haltlos.

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Hanan Ashrawi. Die Anglistin, geboren 1946 in Nablus, war zwischen 1991 und 1993 Sprecherin des palästinensischen Teams im Rahmen der jordanischen Delegation mit israelischen Diplomaten in Washington, 174

D.C. Avi Shlaim hat sie als „Woman of the Year“ gewürdigt. Durch die parallelen Geheimabsprachen Arafats mit Barak wurden Ashrawi und ihre Arbeitsgruppe politisch ausgebootet. Danach arbeitete Ashráwi als Vorsitzende der palästinensischen Menschenrechtskommission und als Mitglied des Palästinensischen Legislativrats (PLC) für die Partei „Der dritte Weg“. Immer wieder nimmt sie in Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen Stellung. Arafats Doppeldeutigkeiten, seine Undurchsichtigkeit, seine Schachzüge und seine strategischen Mängel verunsicherten selbst enge Mitarbeiter und fachten den Streit untereinander an und behinderten eine gemeinsame Strategie. Bis in seine „sprachlichen Sturzbäche“ hinein mit ihrem „Chaos aus Wörtern, Slogans, Adjektiven und Präpositionen“ sorgte Arafat bei seinen Gefährten auch in Camp David für Verwirrung, wie Ashrawi monierte, der sein „rhetorischer Bombast“ zuwider war. Selbst der ihm geneigte Robert Malley aus Clintons Beraterstab kam nicht umhin, ihm Größe abzusprechen. Barak kompensierte seine parlamentarische Schwäche damit, auf dem Sommersitz des Präsidenten in rechthaberischer Attitüde mit der festen Überzeugung aufzutreten, dass er den Schlüssel zum Frieden in Händen halte und mit den Fäden der Geschichte nach seinem Gutdünken spielen könne. Auch er schaffte es, Gefährten in Gegenspieler zu verwandeln. Seine Eitelkeit und seine Egozentrik, die auch vor Clinton nicht haltmachte und dessen Arroganz der Netanjahus in nichts nachsteht, waren darauf angelegt, seinem heimischen Spitznamen „Bonaparte“ alle Ehren zu machen. Kommentatoren attestierten ihm, er sei einer der wichtigsten Israelis der Gegenwart, wenn nicht gar der wichtigste von allen. Voller Stolz verbreitete der Ministerpräsident, dass Israel im Umkreis von 1.500 Kilometern die stärkste Militärmacht sei, stärker als jedes andere Land zwischen Bengazi und Teheran. Da sein militärisches Gewicht seither weiter gewachsen ist, ist Sigmar Gabriels Befürchtung von Israels Gefährdung durch den Stellvertreter- und 175

Bürgerkrieg in Syrien übertrieben. Dass es ohne die Lösung für die Flüchtlinge, für deren Rückkehr Barak aus humanitären und Gründen der Familienzusammenführung die Zahl zwischen 7.000 und 10.000 ins Spiel brachte, bis er auf 20.000 hochgehen wollte, und für Jerusalem keine Fortschritte geben würde, war ihm bewusst. Der Journalist Raviv Drucker, politischer Korrespondent des Armeesenders „Galei Tsahal“ („Wellen der Armee“) gab seiner Barak-Biographie den Titel „Harakiri“, die Fehlbesetzung im Amt. Beide Missionschefs warteten auf Vorlagen Clintons. Von ihm verordnete Nachtsitzungen und Drohungen, die Kontrahenten allein zu lassen – tatsächlich reiste er am 19. Juli zum G-8-Gipfel nach Okinawa, von wo er nach vier Tagen zurückkehrte –, lösten keine produktiven Energien aus. Nachdem er schon vom Treffen mit dem syrischen Präsidenten Hafez Al-Assad aus Genf am 20. März zurückgekehrt war – die Begegnung war nach sieben Minuten beendet –, verfiel Clinton erneut einem Wutanfall angesichts der als ungenügend bewerteten Bereitschaft Baraks, nur drei Jerusalemer Vororte zurückzugeben und am 1981 annektierten Teil der Golanhöhen festzuhalten: Er sei in die Schweiz „wie ein Indianer aus dem Wald gekommen, um Ihre Aufforderung abzuliefern“. Charles Enderlin hat berichtet, dass Rabin, ohne Peres einzuweihen, den Syrern den vollen Rückzug von den Golanhöhen im Austausch für zufriedenstellende Sicherheitsgarantien zugesagt habe. Statt sich als „Chairman“ eines „Camp Clinton“ zu profilieren, sah er sich als ehrlicher Makler, verband aber Erwartungen mit dem Eingeständnis, nie zuvor an derart schwierigen Verhandlungen beteiligt gewesen zu sein. Sher räumte ein, dass der Präsident die Last der Kompromisse den Palästinensern aufbürdete. So endete am 25. Juli das Treffen mit einem Misserfolg, wobei im Schlusskommuniqué des Präsidenten beide Parteien zu weiteren Verhandlungen aufgerufen wurden. Washington hatte nach Ross’ Urteil ein Bild der „Unberechenbarkeit“ geboten. Es beharre auf dem Glauben an den Prozess 176

um seiner selbst willen und vernachlässigte strategisches Nachdenken. Hätte er den Verhandlungen mit Syrien den Vorrang in der Erwartung einräumen sollen, dass der Rückzug Israels von den Golanhöhen und die Eindämmung der libanesischen „Hisbollah“ ein positives Signal auf die Erledigung des Brandherdes in Palästina aussenden würden? Nichtsdestotrotz dankte der Präsident Barak für seine „harte Hand in der Geschichte“ und für die Demonstration seines „wahren Muts und seiner Vision“, unter schwierigen Vorzeichen auf den Frieden zuzugehen. Unter dem Gelächter der Versammelten im Washingtoner „Israel Policy Forum“ – es will sich unter amerikanischen Juden und Politikern für die Akzeptanz einer Zweistaatenregelung einsetzen – erzählte er hernach, dass er seine Berater neun Tage lang um den Schlaf gebracht habe, bis ein „Deal“ vorliege. Für ihn selbst sei Camp David eine „herzzerreißende Zeit“ gewesen. Die Verurteilung von Gewalt und von Aufrufen zum Hass in palästinensischen Schulen und in Medien spaltete der Präsident von seiner Zurückweisung des „Siedlungsunternehmens“ und der Umgehungstraßen in der Westbank ab. Seine Forderung nach „einem souveränen, lebensfähigen palästinensischen Staat“ band er an „Israels Sicherheitsinteressen und demographische Realitäten“. Applaus erntete er mit seiner Idee einer offenen und ungeteilten Stadt „Yerushalaim“ und „Al-Quds“. Schließlich scheiterte er nach eigenem Bekunden an den religiösen und nationalen Empfindungen beider Seiten. Sein Bemühen glich der mageren Nahost-Bilanz seiner Amtsvorgänger und Nachfolger.

Auf in die nächste Katastrophe Nach seiner Rückkehr aus Camp David übte sich der frühere Generalstabschef Barak in affektiven Religionsmetaphern als agitatorische Versatzstücke. Nachdem ihm schon bei seinem Amtsantritt eine „Biblifizierung“ nachgesagt worden war, erwähnte er nun den Preis, auf den 177

es keinen Rabatt geben könne: die Heiligkeit und die Einheit des Volkes Israel. Mit dieser Ankündigung wandte er sich vorsorglich – Clintons Aufforderung zu weiteren Gesprächen im Ohr – an „meine Brüder, die Pioniere der Siedlungen in Judäa, Samaria und Gaza, an meine Brüder im Jordantal: Ich bin bei euch in eurem Schmerz. Euer Leiden ist Teil des Weges, der zur Erlösung des Landes Israel führt.“ Nach Camp David geriet Arafats politisches Niveau weiter ins Wanken. In der palästinensischen Öffentlichkeit wurde ihm vorgeworfen, dass er sich auf Verhandlungen eingelassen habe, die von vornherein als Kapitulationsdiktat hätten erkannt werden müssen. Sari Nusseibehs Warnung vor der Militarisierung des Widerstandes verhallte. Auch Abbas äußerte sich in einer seiner seltenen mutigen Reden in dieser Richtung und erhob die Forderung, „in unseren eigenen Reihen Ordnung zu schaffen“. Arafat konnte nicht verhindern, dass die Legitimität seines auf Dauerhaftigkeit eingerichteten Regimes in Frage gestellt wurde, sich Teile seiner Sicherheitsdienste verselbständigten und auf eigene Rechnung zu operieren begannen wie die Milizen des „Tanzím“ („Basis“) unter Führung von Marwan Barghouti95. Die millionenschweren Fonds arabischer Ölstaaten, die ihm die Verteilung sozialer und medizinischer Leistungen und Wohltaten an Familien ermöglicht hatten, reichten Arafat nicht zur Bestätigung alter Abhängigkeiten. Mit der zweiten „Intifada“ nahm die Katastrophe neuen Anlauf. Beobachter diagnostizierten seit dem 29. September 2000 eine „Intifawda“, eine Mischung aus Standfestigkeit („Intifada“) und Anarchie („Fawda“) – bittere Früchte des Zorns mit doppelter Zielrichtung: gegen Israel und gegen die Autonomiebehörde.                                                              95

Am 06. Juni 2003 wurde Barghouti wegen der Beteiligung an der Tötung von 25 Israelis und einem griechisch-orthodoxen Mönch von einem israelischen Gericht zu fünffach lebenslanger Haft verurteilt. 178

Am 23. Dezember unternahm Clinton den letzten Versuch, mit eigenen „Parametern“ auf Israelis und Palästinenser einzuwirken: Israel würde sich aus 94 bis 96 Prozent der Westbank zurückziehen, wobei in jenen dann von Israel annektierten Teilen die Siedler bleiben würden. Dafür sollten die Palästinenser israelische Landstriche in einer Größenordnung von einem bis drei Prozent erhalten. Die Souveränität über Jerusalem solle horizontal aufgeteilt werden: Was jüdisch sei, bleibe jüdisch, was palästinensisch sei, bleibe palästinensisch; die veränderte politische Topographie der Stadt seit 1967 blieb unbeachtet. Für die Flüchtlinge bot Clinton mehrere Optionen an. In Jerusalem stießen die Vorstellungen auf Abwarten. In Ramallah zögerte Arafat die Antwort so lange hinaus – obwohl ihm Kairo, Amman, Riyadh, Tunis und Rabat zusetzten –, bis Washington „Klarstellungen“ vorgelegt habe. Durch die „Oslo“-Erfahrungen gewarnt, wollte er die Streitigkeiten über strittige Deutungen des Unterschriebenen nicht wiederholen. So verlangte er Auskunft über die Abmessungen der Klagemauer, die Qualität der palästinensischen Souveränität über das Erhabene Heiligtum, über Modalitäten des Gebietsaustauschs und die „Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Häuser und Dörfer“ sowie deren materielle Kompensation. Als Arafat am 02. Januar 2001 im „Oval Office“ eintraf, hielt Ross den „Moment der Wahrheit“ für gekommen. Doch der „Raís“ trug erneut Vorbehalte zu Jerusalem, zu Sicherheitsbelangen und zu Flüchtlingen vor. Die Zeit bis zur Amtseinführung George W. Bushs am 20. Januar lief davon. Der frühere Herausgeber der von der Autonomiebehörde finanzierten Tageszeitung „Al-Hayát Al-Djadída“ („Das neue Leben“), Nabil Amr, der im Sommer 2004 bei einem palästinensischen Attentat ein Bein verlor, geißelte in einem Offenen Brief Arafats Wankelmut und Führungsschwäche:

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„Haben wir nicht vor Freude getanzt, als wir vom Fehlschlag in Camp David hörten? Haben wir nicht Dreck auf die Fotos von Präsident Clinton geschleudert, der mutige Vorschläge für einen palästinensischen Staat mit knappen Grenzmodifikationen auf den Tisch legte? Wir sind nicht fair, wenn wir heute – nach zwei Jahren des Blutvergießens [während der ‚Intifada‘] – nach genau dem verlangen, was wir damals zurückgewiesen haben, ganz abgesehen davon, dass wir nicht gewiss sein können, ob es noch möglich ist, es zu erreichen... Wie viele Male haben wir [Kompromissvorschläge] akzeptiert und sie dann zurückgewiesen und hinterher wieder akzeptiert? Wir wollen nie die Lektion lernen, sie entweder anzunehmen oder sie zurückzuweisen. Wie viele Male wurden wir gebeten, etwas zu tun, wozu wir in der Lage waren, aber nichts getan haben? Und hinterher, als die Erledigung nicht länger in Reichweite lag, sind wir in der Hoffnung um die Welt gereist, jenes wiederzubekommen, was uns vorgeschlagen worden war – nur um zu lernen, dass zwischen unserer Ablehnung und unserer Zustimmung die Welt sich schon geändert hatte und uns mit zusätzlichen Bedingungen konfrontierte, die wir nicht für akzeptabel hielten.“ Die in Amman erscheinende offiziöse Tageszeitung „Jordan Times“ rief in Erinnerung, dass die palästinensische Führung auf Druck von Achmed Shuqeiri – 1949 von Ägypten als Gouverneur im Gazastreifen eingesetzt und Vorsitzender der PLO zwischen 1964 und 1967 – den UN-Teilungsplan abgelehnt hatte. Das Blatt befürchtete die Wiederholung des damaligen Fehlers. Die in saudischem Besitz befindliche Zeitung „Al-Hayát“ („Das Leben“) in London konstatierte eine „verpasste Chance“: Die „Proklamation des Staates Palästina stand in Reichweite“. Welche „schmerzhaften Kompromisse“ die Palästinenser auf sich nehmen sollten, blieb freilich ungeklärt: Jerusalem? Präsenz jüdischer Siedler in ihrem Staat unter welchen Bedingungen? Jerusalemer Altstadt?

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Zur letzten Verhandlungsrunde im ägyptischen Badeort Taba an der Grenze zu Eilat schickte das politische Führungspersonal seine Berater und Beamten. Sie sollten die Gespräche über die ungeklärten Themenblöcke von Camp David zu einem zumindest vorläufigen Abschluss bringen. Da klar war, dass Jerusalem zu den zentralen Bestandteilen eines Friedensvertrages gehören muss, legten die Unterhändler das Konzept einer offenen Stadt vor, mit weichen Grenzübergängen zwischen den beiden Hauptstädten außerhalb der Altstadt und bei voller Bewegungsfreiheit aller Kommunalbürger an eher symbolischen Kontrollposten. In der Altstadt sollten das Jüdische Viertel und die Klagemauer in israelischer Hand bleiben, während das Christliche Viertel, das Muslimische Viertel und der obere Teil des „Noblen Heiligtums“ an Palästina übergehen, letzterer im Sinne einer „permanenten Treuhandschaft“ oder eines „special regime“ – die Analogie zum „Corpus separatum“ im UN-Teilungsplan von 1947 sticht ins Auge. Damit sollten Bedenken umgangen werden, der emphatischen Bedeutung des „Gottesberges“ für alle monotheistischen Weltreligionen Rechnung zu tragen. Beim Flüchtlingsproblem blieb es bei Annäherungen. So brachte die israelische Seite als Versuchsballon Zahlen für die eigene Aufnahmebereitschaft ins Spiel – sie rangierte zwischen 25.000 und 40.000 Personen im Zeitraum von fünfzehn Jahren –, während die palästinensische Delegation Israel das Recht zugestand, in eigener Regie über die Rückkehr jedes Flüchtlings zu entscheiden. In der unveröffentlichten Mitteilung aus Taba war zu lesen: „Die Seiten erklären, dass sie noch nie so nah an eine Vereinbarung gekommen sind und wir deshalb den Glauben teilen, dass die Differenzen bei der Wiederaufnahme von Verhandlungen nach den israelischen Wahlen [am 06. Februar] überbrückt werden können.“ Der EU-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten Miguel Moratinos drückte sich in seinem „non-paper“ zwar vorsichtiger aus, wollte aber bestätigen, dass es erste Fortschritte gegeben habe. Als sich Yasser Abed

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Rabbo96 und Yossi Beilin im Februar 2001 in den Räumen der palästinensischen Zeitung „Al-Quds“ trafen, versprachen sie einander, der Welt zu demonstrieren, dass sie am Glauben an den Frieden festhielten. Als am 28. Januar zwei israelische Restaurantbesitzer in Tulkarem ermordet wurden, zog Barak seine Unterhändler zurück, die persönlichen Kontakte gingen in die „Genfer Initiative“ ein. Je häufiger Meinungsforscher Baraks Wahlniederlage gegen Ariel Sharon prognostizierten, desto stärker verfiel er einer Hektik, die seine Glaubwürdigkeit zusätzlich schwächten. Bei über 62 Prozent der gültigen Stimmen errang „Mister Sicherheit“ mit der Parole „Lasst die Armee siegen“ einen überwältigenden Triumph. Nur 23,4 Prozent der israelischen Araber nahmen an der Wahl teil. Baraks Aufruf an seinen Nachfolger verhallte, politische Weisheit an den Tag zu legen. Stattdessen gingen mit „Mr. Bulldozer“ für die rechtsnationale Opposition der „Albtraum“ der 18 Monate währenden Amtszeit Baraks und die Epochen der „Hokuspokus-Regierungen“ zu Ende – einer verschämten Siedlungspolitik. Eine arabische Zeitung in Nazareth schrieb vor jenem Wahltag, den 06. Februar: „Wir werden sterben, wenn wir Sharon wählen. Wir werden sterben, wenn wir Barak wählen. Wir werden sterben, wenn wir nicht wählen, und wir werden sterben, wenn wir einen weißen Stimmzettel abgeben! Möge Gott Gnade gegenüber dem walten lassen, der gesagt hat: ‚Es gibt

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Yasser Abed Rabbo war im Kabinett Arafats Kommunikationsminister und wurde nach seinem Ausscheiden Leiter des palästinensischen Teams der „Genfer Initiative“, die in der „Palestinian Peace Coalition“ (PPC) aufging. Von Yossi Beilin wurde er als „einer der außergewöhnlichsten Mitglieder der palästinensischen Führung“ gewürdigt. Im Juli 2016 wurde Abed Rabbo von Machmud Abbas als Generalsekretär der PLO entlassen. 182

viele Gründe, aber der Tod hat nur einen Toreingang.‘ In den vergangenen Tagen bis zu den Wahlen müssen wir entscheiden, welche Todesart wir wählen. Araber, möge Gott uns zu Hilfe kommen!“ Zwanzig Jahre zuvor hatte der frühere Korrespondent des israelischen Fernsehens für die besetzten Gebiete und heutige Rechtsanwalt Rafik Halabi einen Bericht mit der Unterzeile „Stirb für dein Land und die Ehre Deiner Schwester“ abgeliefert.

Die „Road Map“ als „Dynamik des toten Punktes“ Im Frühjahr 2003 redeten alle erneut vom bevorstehenden Durchbruch, diesmal mittels der „Road Map“ des Nahost-Quartetts: den USA, der Europäischen Union, Russland und dem UN-Generalsekretariat. Joschka Fischer beeilte sich, ihr die Qualität eines „einzigartigen Produkts“ zuzusprechen, weil sie der erste Friedensplan sei, der von den wichtigsten Akteuren außerhalb der Region gemeinsam stamme. Dem Quartett sprach er die Eignung als internationale Garantiemacht des zu erwartenden Erfolgs zu. Doch stellte sich schnell heraus, dass das Rahmenwerk, vom UN-Sicherheitsrat am 19. November 2003 bekräftigt, zu jenen Tableaus, Memoranden und Vorstellungen gehören sollte, die seit Jahrzehnten die Aktenschränke in den Hauptstädten der westlichen Welt füllen, wenn auch ohne ambitionierte Zeitleiste wie diesmal. Der erste Entwurf wurde am 20. Dezember 2002 vom Quartett gebilligt. Der norwegische UN-Botschafter Terje Rød-Larsen und Miguel Moratinos überbrachten die Endfassung nach Ramallah, während USBotschafter Daniel C. Kurtzer sie Ende April 2003 der israelischen Regierung vorlegte. Der „Wegeplan“ ging davon aus, dass Israelis und Palästinenser ohne Hilfe von außen zu keiner Konfliktregelung fähig seien, auch wenn die Autoren ihre Überlegungen so verstanden wissen

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wollten, dass er lediglich unter ihrer Schirmherrschaft stehe. Wie üblich stellte Washington klar, wer im Fahrersitz Platz nehmen soll, doch immerhin waren die Europäer von ihrem Verbündeten einbezogen worden, nachdem sie bislang daran gehindert worden waren, eigenes Gestaltungsprofil zu entfalten. Russland und China fielen mit ihren eigenen politisch ambitionierten Ethnien als politische Akteure aus, das UN-Generalsekretariat lavierte gemäß seiner Rolle zwischen den Fronten. Während der zweieinhalbjährigen Laufzeit sollte in der ersten Phase schon bis zum 31. Mai 2003 der palästinensische Terror überwunden sein, das Leben der Palästinenser würde sich normalisieren, und palästinensische Institutionen seien errichtet. Für die zweite Phase zwischen Juni und Dezember 2003 stand die Etablierung eines unabhängigen Staates Palästina „mit provisorischen Grenzen und Attributen der Souveränität“ im Mittelpunkt. Die dritte Phase 2004/05 sollte die Besatzung beenden, den palästinensischen Staat in voller Unabhängigkeit etablieren, für eine gerechte, faire und realistische Erledigung des Flüchtlingsproblems sorgen und den Status Jerusalems klären. Damit werde alles in allem eine vollständige Normalisierung zwischen Israel und den Staaten der Region eingeleitet. Die „Road Map“ vereinigte gleichwohl tragikomische Züge: Erstens: Erneut war sie ein regionsfremder Interventionsversuch, der die Konfliktparteien nicht einbezog und sich in technischen Details erging, statt politisch zu argumentieren. Sie verwechselte Ursachen und Wirkungen, indem sie im Vorspann schrieb: „Eine Zweistaatenlösung für den israelisch-palästinensischen Brandherd kann nur –

[a] durch ein Ende der Gewalt und des Terrorismus erreicht werden, wenn das palästinensische Volk eine Führung hat, die entschieden gegen den Terror vorgeht und willens ist, Demokratie auf der Basis von Toleranz und Freiheit zu praktizieren, und

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[b] durch Israels Bereitschaft, für einen künftigen demokratischen palästinensischen Staat das zu tun, was notwendig ist.“

Unverbindlicher ließen sich die israelischen Verpflichtungen kaum formulieren. Der Vorspann verzichtete auf die Kenntnisnahme, dass sich palästinensische Terrorakte erst mit dem Abschluss der israelischen Besatzung eindämmen oder gar verhindern lassen. Der Gewalteinsatz des israelischen Militärs und die Willkürakte aus Siedlerkreisen fanden in dem Dokument keine Erwähnung. Zweitens: Die „Road Map“ implizierte, dass Israel bereits auf dem Wege zum palästinensischen Staat Souveränitätsverzichte leisten werde. Drittens: Die Konstruktion der „Road Map“ machte sie für israelische und palästinensische Störmanöver anfällig, da ihr der politische Gestaltungswille fehlte. Viertens: Die „Road Map“ sah – wie schon „Oslo“ – keine belastbaren Sanktionsmechanismen für den Fall vor, dass eine der Parteien den Vollzug von Teilzielen verzögere oder gar hintertreibe. Zwar sollte das Quartett die Fortschritte bei der Implementierung begutachten, doch gelang es nicht, diese Absichtserklärung inhaltlich zu konkretisieren. Ein israelischer Kommentator ahnte spöttisch voraus, dass sich seine Regierung das Recht vorbehalten werde, das unter amerikanischer Leitung einzurichtende „Monitoring Team“ zu kontrollieren, die internationalen Beobachter zu beobachten, die Inspekteure zu inspizieren und dafür zu sorgen, dass sie ihre Nase nicht in die Siedlungspolitik stecken. 185

Fünftens: Die „Road Map“ hinterließ keine Aussagen, wie die Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft in den Prozess einzubeziehen seien, obwohl die volle Rechtsparität für mehr als zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung über die Qualität der Beziehungen zwischen dem Staat Israel und einem Staat Palästina mitentschieden wird. Sechstens: Ob sich die arabischen Staaten mit den Ergebnissen der vorgesehenen israelisch-palästinensischen Verständigung einverstanden erklären würden, blieb ungewiss, schließlich waren sie vom Quartett von der Vorbereitung der „Road Map“ ausgeschlossen worden. Trotz der Zusagen an die israelische Politik legte das Kabinett in Jerusalem am 25. Mai weitere vierzehn dringliche Änderungswünsche vor, nachdem Sharon George W. Bush die Zustimmung zur „Road Map“ in jener Version erteilt hatte, „wie sie unsere Regierung angenommen hat“. In der Zusammenfassung lauteten die Forderungen: – – –

– – –

Auswechslung der palästinensischen Führung, also einen „regime change“. Die Palästinenser erklären, dass Israel ein jüdischer Staat ist. Die „Road Map“ darf nur auf der Interpretation der UN-Resolutionen 242 und 338 von 1967 und 1973 gründen, obwohl der Initiator der Resolution 242 Lord Caradon (1907 – 1990) ihre Qualität auf die „diplomatische Doppeldeutigkeit“ zurückgeführt hatte, um ihr zur Zustimmung zu verhelfen. Die Umsetzung folgt nicht den vorgelegten Schritten. Die Überwachung („Monitoring“) übernehmen allein die USA. Der palästinensische Staat entsteht in vorläufigen Grenzen nur in Übereinstimmung mit Israel und nur nach der Auflösung der Terror-

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organisationen. Es gibt keine Souveränitätsbeschränkungen für das israelische Militär bei der Bekämpfung der von ihm definierten Gewalt. Der palästinensische Staat wird vollständig entmilitarisiert, Israel überwacht seine Zugänge und Ausgänge. Neue palästinensische Sicherheitskräfte sorgen für die Vereitelung von Attentaten (durch Festnahme, Verhör und Bestrafung). Israel löst nur die sogenannten illegalen Außenposten auf. Das Einfrieren der Siedlungserweiterungen beginnt erst, nachdem sich die Sicherheitslage für Israel endgültig geklärt hat.

Nach innen ließ Sharon wissen, er werde „der Zierde unserer Jugend nicht verbieten, [in der Westbank] Häuser zu bauen“. Das Massenblatt „Yediot Achronot“ erschien mit der Überschrift „Sharon zu [Außenminister Colin] Powell: Verlangen Sie, dass Siedlerfrauen abtreiben?“ Ein israelischer Minister verglich die Forderung, das natürliche Wachstum zu stoppen, mit dem Befehl des Pharaos, alle erstgeborenen Söhne im Nil zu ertränken. Als Sharons Berater Dov Weisglass schon im Oktober 2004 die israelische Aufkündigung der „Road Map“ bekanntgab, machte sich in den westlichen Hauptstädten kaum mehr als Verlegenheit breit. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass Außenstehende zwar Impulse geben können, aber solange die Bereitschaft zum Frieden nicht vor Ort wächst, bleiben durchschlagende Erfolge aus. In der Knesset unterstrich Sharon den Willen, den Gazastreifen aufzugeben – nach seinen Worten die schwerste Entscheidung – mit der „Überzeugung und dem wahren Glauben“, an dem Territorium festzuhalten, „das für unsere Existenz essentiell ist“. Eine Absprache mit Ramallah war mithin nicht vorgesehen. Abgeordnete der Opposition zeigten sich verunsichert: Sollte der Gazastreifen in israelischer Hand bleiben, um den Regierungsplänen in Judäa und Samaria Einhalt zu gebieten?

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Letzter Aufruf zur Vernunft: die „Genfer Initiative“ Nach „Oslo I + II“, nach dem Treffen in Camp David und nach der „Road Map“ war die „Genfer Initiative“ vom 01. Dezember 2003 der fünfte Anlauf innerhalb eines Dezenniums, diesmal jedoch als zivilgesellschaftlich initiierte Konsequenz der gescheiterten Diplomatie. Ihrer Natur nach war sie kein Zwischenabkommen, ging aber weit über den symbolischen Akt einer Verständigung auf Augenhöhe hinaus: Postuliert wurde von vornherein die Parität der doppelten nationalen Souveränität in den Waffenstillstandsgrenzen zwischen 1949 bis 1967 mit der Option eines Gebietsaustauschs auf der Basis 1:1. An die Stelle der Berufung auf Gott, auf historische Exkurse sowie dehnbarer Vorschläge und endloser Kompromissformeln wurden Bausteine gesetzt, um zu verhindern, dass sich die Parteien im Dickicht leidenschaftlicher Flügelkämpfe und religiöser Instinkte verfingen. „Genf“ zeichnete sich dadurch aus, dass es sich ebenso von ideologischen Prädispositionen fernhielt, wie es sich nicht länger auf einen mechanistischen Nationalstaatsgedanken verließ. Israelische und palästinensische Politiker, Militärs, Intellektuelle und Wissenschaftler – von dem Kolumnisten Thomas L. Friedman als „fanatische Gemäßigte“ gewürdigt – wollten „nicht weiter tatenlos herumsitzen, während die Radikalen auf beiden Seiten die Verzweiflung, den Hass und das Misstrauen nutzen und uns alle für ihre Zwecke zu Geiseln machen“, schrieb David Grossman. „Wer zu viel von Gerechtigkeit spricht, bekommt keinen Frieden“, unterstrich Beilin wenige Tage vor der Unterzeichnung. In der palästinensischen Begründung hieß es: „Die überraschende Veröffentlichung der Genfer Erklärung hat zu einem Zeitpunkt stattgefunden, als die Rede über den Frieden als zusammenhanglos oder eine Art Luxus erschien. Wie können palästinensische Persönlichkeiten es wagen, über die Frage der Regelung im Schatten 188

der von der Besatzung ausgeübten blutigen Eskalation in den palästinensischen Gebieten zu verhandeln?! Hier fragen wir zurück: Wenn dies nicht der richtige Zeitpunkt für die Suche nach dem Frieden ist, dann stellt sich die Frage: Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Schon aus taktischen Erwägungen legten beide Delegationen Wert darauf, die Büros der Regierungschefs in Jerusalem und Ramallah über den Stand der Gespräche zu informieren; Diffamierungen wie jene aus Osloer Zeiten, hier seien „Verzichtpolitiker“ am Werk, sollte der Boden entzogen werden. Dennoch untersagte die israelische Exekutive die Präsentation in Jerusalem, weil sie auf die Billigung des palästinensischen Rechts auf Souveränität in der Stadt hinausgelaufen wäre. Sharon nutzte die Blaupause zu der wütenden Attacke, unter Bezugnahme auf die logistische Hilfestellung von Michelle Calmy-Rey, der Chefin des „Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten“, den Entwurf als das „Schweizer Goldene Kalb“ der israelischen Linken abzutun. Obwohl Arafat die „mutige Initiative“ lobte, welche „die Tür zum Frieden öffnet“, klagte seine „Fatah“, die Unterzeichner um Yasser Abed Rabbo hätten das Rückkehrrecht der Flüchtlinge verkauft. „Genf“ war der detaillierteste Planungsansatz und als Regelwerk der voraussichtlich letzte Grundriss für zwei Staaten, indem es von leidigen Werte- und Identitätsdiskussionen Abstand nahm. In einem fast drei Jahre dauernden Gesprächsmarathon hatten sich beide Teams dezidiert von den Selbstgefälligkeiten ihrer Regierenden distanziert. Die israelischen Beteiligten nahmen von der allgegenwärtigen Suggestion Abstand, dass ihre Regierung für das gesamte jüdische Volk spreche. Für die palästinensischen Autoren lief die Umsetzung auf die endgültige Absage an eine doktrinär unterfütterte gesamtarabische Verantwortung hinaus: Das palästinensische Volk sollte in die Sphären eines souveränen Geschichtssubjekts aufsteigen und damit das Desiderat der nationalen Gleichstellung seit der Balfour-Deklaration nachholen. 189

Dennoch wies „Genf“ Versäumnisse auf. Zu ihnen gehörte die Vernachlässigung der israelischen Staatsbürger arabischer Volkszugehörigkeit – in der Literatur als „israelische Araber“ bezeichnet. Für die Zeit nach 1948 hat der Tel Aviver Historiker Itamar Rabinovich die in Israel verbliebenen rund 160.000 Araber „machtlos, traumatisiert und verwirrt“ genannt, die mittels „Satellitenparteien“ die Arbeitspartei stützten, bevor sie nach 1967 von „Arabern“ zu „Palästinensern“ wurden. Rafael Israeli, emeritierter Professor für die Geschichte des Nahen Ostens und des Islams an der Hebräischen Universität, beklagte, dass es versäumt worden sei, die arabischen Staatsbürger als fünfte Kolonne in Lager einzuweisen, wie es die USA mit den japanischen Einwanderern während des Zweiten Weltkriegs getan hätten. Insofern wiederholte „Genf“ die unterbliebene Entscheidung von Camp David, die politische Zukunft der besetzten Gebiete mit den jüdisch-arabischen Beziehungen in Israel zu verbinden. Am 14. Januar 2004 – einen Monat nach der Präsentation in Genf unter Beteiligung von Martti Ahtisaari (Finnland), Carl Bildt (Schweden), Boutros Boutros-Ghali (Ägypten), Jimmy Carter (USA), Jacques Delors (Frankreich), Jiři Dienstbier (Tschechien), Hans-Dietrich Genscher (Deutschland), Michail Gorbatschow (Russland), Wim Kok (Niederlande), Mary Robinson (Irland), Michel Rocard (Frankreich) und Franz Vranitzky (Österreich) – wurden Beilin und Abed Rabbo, der Anfang 2001 Barak einen Kriminellen genannt hatte, den man vor Gericht stellen müsse, im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages mit großem Beifall empfangen. Die Fraktionen vereinbarten die Vorbereitung einer gemeinsamen Resolution, mit der die Bundesregierung und die Europäische Union aufgefordert werden sollten, entlang der Genfer Vorstellungen tätig zu werden. Am 13. Februar verabschiedete der Bundestag eine Erklärung, in der die Hoffnung geäußert wurde, dass die „Genfer Friedensinitiative einen Beitrag zur Wiederbelebung des Roadmap-Prozesses leistet“, obwohl dessen Misslingen unübersehbar

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war. Joschka Fischer lehnte „Genf“ ab, weil die „Elemente x-mal durchdiskutiert worden“ seien. Dabei wäre es angemessen gewesen, der Blaupause in Berlin und Brüssel eine politische Chance zu geben. In einem zweiten Anlauf Anfang Mai würdigte der Bundestag noch einmal die „Genfer Initiative als wichtigsten detaillierten Beitrag zur Umsetzung der Roadmap“. Auch diesmal blieben amtliche Konsequenzen aus. Die kontinuierliche Vernetzung mit den Staatsgästen am 01. Dezember 2003 hätte für die internationale Diplomatie genutzt werden sollen. Dass beide Teams Gespräche in Europa führten, aber Berlin ausließen, ist sehr wohl registriert worden. Wenn die Huldigung Clintons durch Dennis Ross gestimmt hätte, der Präsident sei der Vater der Vorlage, wäre ihre beharrliche Unterstützung aus Washington angezeigt gewesen. Dass auf der international breit angelegten Konferenz im Januar 2008 in Herzliya mit dem Titel „An Agreement Within a Year“ – worauf dieser Optimismus gründete, blieb schleierhaft – alle eingeladenen Referenten die europäische Karte mit keinem Wort zogen, wurde in den hiesigen Außenämtern kaum wahrgenommen. Eine der deutschen politischen Stiftungen sorgte für die organisatorische Vorbereitung der Veranstaltung und lud Gäste zu Kaffee und Kuchen ein. Die „Genfer“ verzichteten darauf, mit einem gemeinsamen Verbindungsbüro in Berlin und in anderen Hauptstädten zu werben. Das israelische Team unterhält mit Gadi Baltiansky ein personell und finanziell gut ausgestattetes Büro in Tel Aviv, während das palästinensische Pendant in die politisch schmalbrüstige „Palestinian Peace Initiative“ in Ramallah unter der heutigen Leitung von Nidal Fuqaha überführt wurde. Das „Eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten“ trägt nach wie vor zur Finanzierung des „strategischen Partners“ bei, allein für 2017 mit 387.311 Schweizer Franken. Aus Deutschland findet „Genf“ ebenfalls finanzielle Unterstützung. Ein 2018 etablierter Genfer „Zwei-Staaten-Index“ wird maßgeblich von der Europäischen Union finanziert. Im August 2018 räumte das 191

Tel Aviver Büro ein, dass die Zwei-Staaten-Lösung weiter denn je entfernt sei. Auch „Genf“ hat nicht beenden können, ihm fehlte das Hinterland der Zustimmung unter Israelis und Palästinensern. Die zahllosen Gespräche in Israel und auf ausgedehnten Reisen mit hochrangigen Politikern aus dem In- und Ausland, über die aus Tel Aviv informiert wird, haben die Zwei-Staaten-Lösung keinen Schritt vorangebracht. Wann ist die Zeit für die Antwort auf die Frage gekommen, warum immer mehr Israelis und Palästinenser die Idee eines Staates Palästina aufgegeben haben? In den Tagen, an denen in Israel die Unabhängigkeit gefeiert wurde – Mitte April 2018 – erinnerte Avraham B. Yehoshua an seine Unterstützung der „Genfer Initiative“, die er mit der Hoffnung verband, dass „die internationale Gemeinschaft und besonders die Vereinigten Staaten und Europa wirtschaftlichen und diplomatischen Druck auf beide Seiten ausüben, um sie zu zwingen, Wege zu einem historischen Kompromiss für einen der hartnäckigsten und kompliziertesten Zerwürfnisse in der Welt seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu finden“.

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Kapitel X Der arabische Islam und das Versagen der palästinensischen Führung „Wenn arabisches Blut in Palästina fließt, wird notwendigerweise jüdisches Blut anderswo in der arabischen Welt fließen, und zwar trotz aller ernsthaften Anstrengungen der Regierungen, die solche Vergeltungsmaßnahmen verhindern wollen97.“ Am 16. Mai 1916 teilten der britische Premierminister Edward Grey (1862 – 1933) und der französische Botschafter in London Paul Cambon (1843 – 1924) mit der Unterzeichnung des Sykes-Picot-Abkommens die britischen und französischen Einflusssphären im Nahen Osten auf. Die aus dem Buch von David Fromkin „A Peace to End All Peace“ herauszulesende Behauptung, die territoriale, ethnische und kulturelle Zerrissenheit in der Region gehe auf diese Vereinbarung zurück, unterschätzt die innerarabischen Rivalitäten. Auch gegen die von Edward W. Said vertretene „Orientalismus“-These, wonach der Stillstand im arabischen Raum vor allem auf den europäischen Kolonialismus zurückzuführen sei, und gegen die Behauptung des heute in Hebron lebenden                                                              97

Joel Beinin: The Dispersion of Egyptian Jewry: S. 60. Der Autor zitierte Mohammad Hussein Heikal [Heykal]. Der Berater Gamal Abdel Nassers und Publizist gab diese Prognose am 24. November 1947 ab, fünf Tage vor dem UN-Teilungsplan. Nach einem Spaziergang 1952 mit Albert Einstein in New York notierte Heikal, dass dieser kein Staatsbürger Israels werden wolle, obwohl er für eine jüdische Heimstatt in Palästina plädiere. Er, Heikal, fürchte, dass die Juden – zumal von den arabischen Staaten eingekreist – mit Feindschaft und Gewalt rechnen müssten. 193

Politologen Adnan Abu-Ghazaleh 1973 im Auftrag des „Institute for Palestine Studies“, dass der Westen für die Fragmentierung der arabischen Welt verantwortlich sei, lässt sich die regionale, ethnische und religiöse Vielfalt autochthoner Interaktionen ins Feld führen. Waren die Araber insgesamt lediglich Befehlsempfänger fremder Mächte ohne eigenen Gestaltungswillen? Das Urteil der eindimensionalen Schuldzuweisung verweigert die Kenntnisnahme, wie der in Paris lehrende libanesisch-katholische Soziologe Ghassan Salamé ausgeführt hat, dass etwa der arabische Umgang mit Religion und Demokratie seit jeher problematisch war. Sein an den Universitäten Princeton, John Hopkins und Stanford tätiger schiitische Landsmann Fuad Ajami (1915 – 2014) hat darauf verwiesen, dass es im arabischen Denken und der Politik niemals eine Phase der Liberalität gegeben habe. Verlässt die Frau „das Haus, so muss sie sich verhüllen, um nicht die Gelüste eines anderen Mannes zu erwecken“, notierte August Bebel 1879 in seiner Sozialgeschichte des deutschen Kaiserreichs. Die Beobachtung gilt im arabischen Raum fort. Der türkische Publizist Bülent Mumay zählte zu den wichtigsten Gründen für den Niedergang des Osmanischen Reiches, dass es auf Distanz zu den Entwicklungen im Westen gegangen sei: „Man hielt sich nicht nur von Reformbewegungen fern, man verschloss sich aus religiösen und traditionalistischen Gründen auch den Neuerungen der Wissenschaft. In Großsyrien – also einschließlich des heutigen Libanon, Jordaniens und Israel/Palästinas – setzten die Umbrüche, wie Ilan Pappe am Beispiel der großen Familien unter Führung der Husseinis für Palästina belegt hat, im 18. Jahrhundert ein, als die osmanischen Statthalter die Bevölkerungen brutal knebelten und bis aufs Blut ausbeuteten, worauf Intellektuelle und Literaten mit ersten Ideen für eine Nationalbewegung reagierten und den europäischen Kolonialmächten mittels der Methoden der Kollaboration mit ihren technischen Kulturen das Vordringen zum eigenen strategischen und wirtschaftlichen Vorteil erleichterten. Unter Sulayman Pascha Al-Adil (1760 – 1819), dem 194

osmanischen Gouverneur der Provinz Sidon von 1805 bis zu seinem Tode, habe die Landesgeschichte Palästinas die vielleicht schlimmste Zeit bis 1948 erlebt, urteilte Pappe. Mit den „Kapitulationen“ – dem Vordringen der europäischen Großmächte nach Palästina und den Privilegien für ihre Staatsbürger: Juden, Missionare, Handelsleute, Ärzte und Spekulanten – wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der britische und der französische Imperialismus zu einer festen Größe. 1838 hielt der erste britische Konsul Einzug in Jerusalem; 1860 wurde die erste Schule, benannt nach dem schwäbischen Lehrer und Missionar Johann Ludwig Schneller (1820 – 1896), für arabische Waisenkinder begründet. Vom kulturellen Erbe Europas, das in Kairo und in Alexandria noch in den 1960er Jahren unübersehbar war, ist nichts übriggeblieben. Der syrische Orientalist Aziz Al-Azmeh – Nachkomme einer führenden Notabeln-Familie in Damaskus – schloss bei der Prüfung der arabisch-europäischen Beziehungen seine Anfrage ein, ob der heutige Islamismus das arabische Schicksal sei. Die Islamisten seien organisatorisch die einzige Kraft, umfassende Kampagnen in Bewegung zu setzen, befand der jordanische Diplomat und einstige stellvertretende Ministerpräsident Marwan Muasher. Auf den Jerusalemer Orientalisten Emmanuel Sivan geht die Beobachtung zurück, dass der religiöse Fundamentalismus die konservativen Gesellschaftsordnungen im arabischen Raum zermürbte. Der Politologe John Waterbury behauptete, dass sich im Mittleren Osten Prätorianer der politischen Szene in einer Weise bemächtigt hätten, deren sich afrikanische Diktatoren und lateinamerikanische Caudillos selten rühmen könnten. Die von Guido Westerwelle (1961 – 2016) im Sommer 2011 angekündigte „umfassende Strategie“, die auf eine „freiheitliche Demokratie und Marktwirtschaft gerichtete Entwicklung“ setzte, ist im Sande verlaufen. Als der deutsche Außenminister zugleich die Erwartung äußerte

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„Der Umbruch in der arabischen Welt wird Auswirkungen auf den Nahostkonflikt haben. Erfolgreiche Transformation könnte sich mittelfristig auf den Konflikt positiv auswirken. Umgekehrt würde eine Lösung des Konflikts den Wandel stärken und zur Stabilisierung beitragen“, erlag er einer Illusion. Auch das Europäische Parlament setzte im Anschluss an die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 14. Mai 2012 „im Zuge der anhaltenden Veränderungen in der arabischen Welt“ auf „Fortschritte beim Nahost-Friedensprozess“. Ägypten befindet sich im Ausnahmezustand. Die Wahrnehmung der eigenen Geschichte beginnt mit dem Vordringen des Islams im 7. Jahrhundert. Er bildet die allgegenwärtige Leitkultur. Obwohl bei Zusammenkünften von Angehörigen der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und sogar aus Regierungskreisen Sympathien für die Demokratie erkennbar seien, kamen nach den Untersuchungen von Marina Ottaway und Julia Choucair-Vizoso die Regierungen über rhetorische Reformzusagen nicht hinaus. Seit der Epoche Gamal Abdel Nassers (1918 – 1970) wurden die bürgerlichen Freiheiten und die Reste der britischen Kolonialherrschaft getilgt. Die Einbindung der Muslimbrüder durch Anwar Al-Sadat (1918 bis 1981) scheiterte kläglich. Er glaubte in den 1970er Jahren die wirtschaftliche Öffnung („Infitáh“) mit Zugeständnissen an klerikale Instanzen erkaufen zu können. 1994 wurde der kritische Literatur- und Islamwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid (1943 – 2010) von seiner Ehefrau Ibtihal Yunis zwangsweise geschieden und mit Morddrohungen überzogen, weil ein „Abtrünniger“ nicht mit einer Muslima verheiratet sein dürfe; beiden blieb im Zuge des „religiösen Wiedererwachens“ (Abu Zaid) nur die Flucht nach Europa: Der religionspolitische Rigorismus verbat sich den „Pluralismus der Richtungen, Strömungen und Gruppen“. Dem Ende der Herrschaft des „Pharaos“ Hosni Mubaraks stand die Opposition hilflos gegenüber, ihre Proteste mit dem Ruf „Kifaya“ („Es 196

reicht“) haben die Repressionen verstärkt. Wer vor dem Ausbruch des „ägyptischen Frühlings“ die Hauptstadt besuchte, nahm den Eindruck mit, dass die säkular orientierte Opposition mit der 1978 gegründeten „Nationaldemokratischen Sammlungsbewegung“ („Al-Tajámu AlWatáni Al-Dimuqráti“) an der Spitze von den Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz überrascht wurden und den Herrschaftsapparaten aus Militär und Bürokratie nur ihre Physis entgegenzusetzen habe. Westlichen Empfehlungen, auf Rechtsstaat und Demokratie zu dringen, wurden mit der Frage abgetan, wo denn die Unterstützung in den vergangenen Jahrzehnten geblieben sei. Das Interregnum der Muslimbrüder mit Mohamed Mursi bis Mitte 2013 wurde zwar von Abdel Fattah Al-Sisi – militärisch in Großbritannien und in den USA ausgebildet und Chef des Militärgeheimdienstes unter Mubarak – gestürzt, wobei über 800 Anhänger der Muslimbruderschaft vom Militär getötet wurden. Im Sommer 2018 wurden Armee- und Polizeioffiziere Straffreiheit zugesichert, die an der Niederschlagung der Proteste gegen die Absetzung Mursis beteiligt waren. Die Anschläge gegen koptische Kirchen und Einrichtungen belegen die Fortdauer des islamischen Fanatismus, dessen Mäßigung am Ausschluss aus innenpolitischen Entscheidungsgründen scheitert. Die präsidentielle Behauptung des interreligiösen Dialogs stellt sich als Trugbild heraus. Die Auslagen in Buchhandlungen und an Kiosken in Kairo sind von populär-islamischer Literatur geprägt und nähren die theologische Indoktrinierung. Statt sie politisch und sozial zu integrieren, findet eine scharfe Abgrenzung von den Muslimbrüdern um den Preis des Verzichts auf eigene Lernprozesse und des Respekts vor den Menschenrechten statt. Das Land kommt aufgrund der hohen Geburtenüberschüsse und der Eliten-Wirtschaft nicht aus der Armutsfalle heraus. Daran ändern internationale Kredite und Projektzusagen nichts. Der staatlich geförderte Tourismus um die Pharaonen-Gräber, um die Kartuschen mit den Hieroglyphen an den Wänden der alten Paläste, um die gigantischen Säulenreihen, die monumentalen Hallen sowie die farbigen Bildnisse 197

und Mosaiken an den antiken Prachtbauten mit Szenen aus dem Leben der Pharaonen und ihres Hofes, um Sonnen- und Totenkulte, um den Ramses-Tempel im Fels von Abu Simbel und die aufdringlichen Angebote fliegender Straßenhändler mit billigen Kleidungsstücken, die Postkarten-Kaskaden und angeblich echten Papyri, die Souvenirstände mit chinesischem Flitter, Trödel, Alabaster-Kitsch sowie die permanente Jagd nach einem Bakschisch sollen von der riesigen Arbeitslosigkeit, der Lethargie und der Hoffnungslosigkeit, von den vielen tausend Menschen in den Haftanstalten und Lagern sowie von der Allgegenwart schlecht bezahlter und korruptionsanfälliger „Sicherheitskräfte“, deren Effektivität höchst zweifelhaft ist, ablenken. Wenn sich knapp 100 Prozent der Touristen auf einen Strandurlaub konzentrieren, ist die Stärkung der mittelständischen Wirtschaft zum Abbau der riesigen Arbeitslosigkeit zwingend. Die Justiz urteilt auf der Basis dehnbarer Gesetze und Verordnungen. Willkürliche Verhaftungswellen und sexuelle Belästigungen bleiben, von der „Az-Azhar“-Universität verurteilt, juristisch ungesühnt. Intellektuellen ist der öffentliche Resonanzboden eingeschränkt worden. Begegnungen mit auswärtigen Kolleginnen und Kollegen sind auf geschützte Räume angewiesen. Der Schriftsteller Alaa Al-Aswány, von Hause aus Zahnarzt, erzählt in seiner Novelle „Chicago“ die Methoden der Polizei und der Agenten des lupenreinen Regimes auf, ausgesuchten Gegnern durch Folter, Widerwärtigkeiten und Demütigungen „in gottähnlicher Dimension“ Geständnisse abzupressen: „Ägypter haben die Gerechtigkeit in dieser Welt hinter sich gelassen und warten auf die nächste. Was in Ägypten weitverbreitet ist, ist keine wahre Religiosität, sondern eine kollektive Depression in Begleitung religiöser Symptome. Was die Sache schlimmer macht, sind Millionen Ägypter, die jahrelang in Saudi-Arabien gearbeitet haben und mit Ideen des Wahhabismus zurückkehren.“

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Würde den Islamisten die Zerstörung der pharaonischen Hinterlassenschaften gelingen, käme der Tourismus zum vollständigen Erliegen. Einen Tag vor Beginn der Wahlen Ende März 2018 bedauerte Al-Sisi als personifizierter Repräsentant des „Neo-Patrimonialismus“ (Peter Pawelka), dass er keine relevanten Mitbewerber um das Amt des Präsidenten habe; kein Wort verlor er darüber, dass seine Dienste dafür gesorgt hatten, alle Kandidaten aus dem Weg zu räumen. Von kritischen Kommentaren in den staatlich kontrollierten Medien keine Spur. Dafür sprang den Passanten an allen Straßenecken, an Mauern und an öffentlichen Gebäuden das fein retuschierte Konterfei des Präsidenten ins Auge. Ein strafbewehrtes Gesetz soll verhindern, dass dem Staat nicht genehme „Gerüchte“ weiter Verbreitung finden, weil sie die Sicherheit gefährden würden. Dass lediglich ein Viertel der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben, trägt so lange keine politischen Früchte, solange das Militär als riesiger Wirtschaftsfaktor auf seiner Vorherrschaft beharren kann. Es zahlt weder Einkommensteuer noch muss es sich um die Belastungen durch Einfuhrzölle sorgen (Rainer Hermann). Auch die Spitzen der „Al-Azhar“-Universität sind Teil des Herrschaftsapparats. Das zweiteilige, staatlich und religiös gegliederte Bildungssystem ist bis in die Universitäten hinauf undurchlässig: Wer sich einmal entschieden hat, hat keine zweite Wahl. In Koran-Schulen sind kritische Fragen unerwünscht. Al-Aswány lässt in seinem Roman „Der Jakubjan-Bau“ einen seiner Protagonisten erzählen: „Die Ägypter sind das a leichtesten regierbare Volk auf Erden.“ 2016 erschien sein Roman auch in hebräischer Sprache in Israel, nachdem der Autor zunächst Einspruch erhoben hatte. Das Selbstverständnis als „die Mutter der Welt“ („Um El-Dounia“) – Irans Präsident Hassan Rouhani nannte sein Land „die Mutter allen Friedens“ – korrespondiert mit theologischen Denkfiguren im Judentum. Der „Nationaldemokratischen Partei“, die als präsidentielle Basis 2011 aufgelöst wurde,

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soll eine ebenfalls staatlich gestützte neue „Partei Zukunft des Heimatlandes“ („Hisb Mustakbál Watán“) im Parlament mit ihren gegenwärtig 596 Abgeordneten folgen. Im Zentrum Kairos sind Hitlers „Mein Kampf“ und die „Protokolle der Weisen von Zion“ in arabischen Übersetzungen käuflich; die erste Ausgabe war 1926 in einer römisch-katholischen Gemeinde in Jerusalem erschienen. Im Gegensatz zur heftigen Kritik am Staat Israel spielt die Rivalität zur jüdischen Religion keine tragende Rolle, weil sie theologisch als überholt gilt und die Zahl der in Kairo und in Alexandria lebenden Juden unter 300 liegt. Joel Beinin hat festgehalten, dass zwischen 1949 und 1950 rund 20.000 Juden Ägypten verließen. Davon seien 14.299 nach Israel gegangen, bis 1961 blieben rund 10.000 Juden zurück. Für die widersprüchliche Einstellung des Regimes der „Freien Offiziere“ seit dem Putsch gegen König Faruk (1920 – 1965) am 23. Juli 1952 sprach, dass 1955 am „Yom Kippur“ das Gelübde „Kol Nidreï98“ im Staatsrundfunk übertragen wurde. Bis Mitte 1967 gingen weitere 17.000 Juden aus Ägypten fort, nur 7.000 blieben. Am 02./03. November 1945 hatten die ersten antizionistischen Demonstrationen stattgefunden. Tausende Ägypter zogen zum AbdinPlatz in Kairo, wo der Führer der Muslimbrüder Hassan Al-Banna – er wurde 1949 Opfer eines gezielten Attentats als Vergeltung für die Ermordung von Ministerpräsident Machmud An-Nukrashi Pascha (1888 – 1948) – eine Rede hielt; Al-Banna war, so Gilbert Achcar, seit den 1920er Jahren mit dem Mufti von Jerusalem befreundet. Danach

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Deut. 23,22 f. „Wenn Du dem Herrn deinem Gott ein Gelübde machst, so säume nicht, es zu erfüllen. Denn der Herr dein Gott würde es streng von dir fordern, und Schuld würde an dir haften [wenn du es nicht erfüllst]. Wenn du davon absiehst, etwas zu geloben, haftet an dir keine Schuld.“ Das Gelübde wird am Vorabend und dreimal am Versöhnungstag gesprochen. 200

zogen die Demonstranten in das jüdische Viertel und attackierten Fußgänger, Geschäfte und Synagogen, am folgenden Tag griffen die Unruhen auf Alexandria über. Sechs Menschen wurden getötet, viele hundert verletzt, Dutzende jüdische, koptische und moslemische Geschäfte geplündert. Seit den 1990er Jahren hat die Zahl der vollverschleierten Frauen rasant zugenommen, selbst in Alexandria, der einstigen überwiegend multireligiösen und multiethnischen Hochburg am Mittelmeer. In seinem Buch „Chicago“ über das akademische Leben von ägyptischen Wissenschaftlern am Michigan-See lässt Al-Aswany einen Professor zu Wort kommen: „Jetzt bin ich in Amerika, das ich oft angriff, zu seiner Vernichtung aufrief und bei Demonstrationen seine Fahne verbrannte; Amerika, das für die Armut und das Elend von Menschen in der Welt verantwortlich ist; Amerika, das Israel unterstützt und aufgerüstet hat, damit es die Palästinenser töte und ihr Land stehle; Amerika, das alle korrupten, despotischen Herrscher in der arabischen Welt um seiner eigenen Ziele willen unterstützt hat, das dreckige Amerika, das ich jetzt von innen sehe. Mich hat dasselbe Dilemma erfasst… Eine Frage beschäftigt meinen Verstand: jene netten Amerikaner, die Fremde so freundlich behandeln, die dir ins Gesicht lächeln und wie in dem Moment, an dem du sie triffst, dir helfen und dich vor ihnen gehen lassen und dir inständig für die geringste Ursache danken? Realisieren sie die furchtbaren Verbrechen, die ihre Regierungen gegen die Menschlichkeit begehen?“ Der aus einer alawitischen Grundbesitzerfamilie stammende Luftwaffengeneral Hafez Al-Assad verfügte über ein diktatorisches Regime, seinen Worten war kaum zu trauen, erinnerte sich John Kerry. Zahlreiche Wissenschaftler und Intellektuelle flohen. Die Liquidierung von mindestens 20.000 Muslimbrüdern Anfang 1982 in Hama leitete die Phase des 201

radikalen Islamismus ein. In der westlichen Wahrnehmung blieb ihr Tod gegenüber der israelischen Libanon-Invasion unter dem Namen „Frieden für Galiläa“ (Akronym „Sheleg“ = „Schnee“) weitgehend unbeachtet. Nur die Massaker der christlichen Milizen in den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Shatila zwischen dem 16. und 18. September, denen nach den Angaben der israelischen Kahane-Untersuchungskommission zwischen 500 und 1.000 Menschen zum Opfer fielen, erregten auswärtige Gemüter. In Tel Aviv verwahrten sich mehrere zehntausend Menschen gegen Verteidigungsminister Sharon, während die Untersuchungskommission für seine Abberufung sorgte – bis er 2001 ins Amt des Ministerpräsidenten einzog. Israelische Offiziere liebten es, so Thomas L. Friedman, als „Lawrence von Libanon“ aufzutreten, trieben ihre Ahnungslosigkeit über die Verhältnisse im Lande auf die Spitze und zeigten sich für Schmeicheleien anfällig. Sharon glaubte, mit der Zerstörung der PLO-Infrastruktur den Annexionismus in Palästina vorantreiben zu können. Dem vorsichtigen Kurswechsel Bashar Al-Assads nach dem Tod seines Vaters im Mai 2000 folgte abermals die massive Unterdrückung jeglicher Opposition. Schwerste Folgerungen und Liquidierungen gehören zum Alltag. Der Bürgerkrieg seit März 2011 und die saudischiranischen Interventionen, der mörderische Aktivismus des „Islamischen Staates“ und der Milizen vom Schlage der „Al-Nusra“ („Die Eroberung“) und „Al-Qaida“ („Die Basis“), die unübersehbare Präsenz der libanesischen „Partei Gottes“ („Hisbollah“), der Einfluss des schiitischen Islam durch die Präsenz seiner iranischen Kämpfer in den Städten, die Autonomiebestrebungen der Kurden und die Militärvorstöße der Türkei gegen sie, die sich im Norden des Landes durch Infrastrukturmaßnahmen und eigene Bildungsprogramme breitmacht, sowie die politische Hilflosigkeit der USA und Europas haben das Land in den Abgrund gerissen und ein Vakuum hinterlassen, das Russlands Wladimir Putin auszufüllt. Die staatliche Erholung mit sechs Millionen Flüchtlingen im eigenen Land erscheint ausgeschlossen. 202

Der Libanon, die einstige Perle der religiösen und kulturellen Vielfalt mit offiziell 17 Religionsgemeinschaften – 1993 hatte der Soziologe Arend Lijphart das Land als Konkordanzdemokratie bezeichnet –, ist im Innern durch die rivalisierenden Fronten geschwächt und nach außen wegen des Kontrollverlusts durch Eingriffe aus Syrien und Israel paralysiert. Der Soziologe Arend Lijphart hatte einst das Land als Konkordanzdemokratie („consociational democracy“) mit drei Charakteristika ausgewiesen: 1. die große Koalition der politischen Repräsentanten aller wichtigen Teile in einer pluralen Gesellschaft; 2. der Proporz der Repräsentanz in der Beamtenschaft und bei der Zuweisung öffentlicher Mittel; 3. der hohe Grad der Selbstverwaltung innerer Angelegenheiten. Der Film „L’Insult“ („Der Affront“) des inzwischen in Frankreich lebenden Regisseurs Ziad Doueiri spielt eine Hetzrede des 1982 vermutlich vom syrischen Geheimdienst ermordeten Staatspräsidenten Bashir Gemayel gegen die im Lande lebenden palästinensischen Flüchtlinge ein. „Sharon hätte euch alle auslöschen sollen“, schreien sich die Streithähne an. Da aus politischen Gründen eine Bevölkerungszählung unterbleibt, wird die Zahl der Palästinenser auf 350.000 bis 400.000 geschätzt. Nur Saudi-Arabien hat sich bislang als gestrenger Hort des sunnitischen Wahhabismus behauptet. Die brutale Ermordung des im Herbst 2017 ins amerikanische Exil gezwungenen regimekritischen, aber theologisch aus der Muslimbruderschaft herausgewachsenen Publizisten Jamal Khashoggi ein Jahr später im saudischen Konsulat in Istanbul ließ Stimmen nach der Entfernung des zunächst als Wirtschaftsreformer gepriesenen Kronprinzen, aber nach innen mit brutalen Methoden regierenden nationalreligiösen Mohammed Bin Salman nach Einführung der konstitutionellen Monarchie sowie nach internationalen Sanktionen laut werden. Israelische Medien berichteten, dass einheimische Firmen dem Prinzen die Software geliefert hätten, um Kashoggi aufzuspüren. Dazu passten die Besuche Netanjahus in Oman

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und in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Die arabische Anti-Israel-Front gehört der Vergangenheit an. Die in der westdeutschen Linken in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren vertretene Auffassung, Israel müsse sich in den Nahen Osten integrieren, lässt grüßen – keineswegs positiv. Dagegen würden internationale Strafmaßnahmen das Land schwer treffen, weil die „Vision 2030“ allein bis 2022 nicht weniger als 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen – rund 70 Prozent aller Saudis sind unter 30 Jahre alt, derselbe Prozentsatz ist im staatlichen Sektor beschäftigt. Riyah ist noch stärker als Israel von den USA abhängig. Der wirtschaftliche Aufschwung dürfte politische Forderungen nach sich ziehen, die nicht länger mit Repressionen und Todesurteilen zu unterdrücken sind. Als sich Anfang November Netanjahu für politische Milde aussprach, weil das Königshaus ein wichtiger Stabilitätsfakor sei, erteilte er der Kraft und der politischen Verantwortung der saudischen Zivilgesellschaft eine Absage. In Jordanien ist der sunnitische Islam als Staatsreligion festgeschrieben. Dem Königshaus, das sich die Ernennung des Ministerpräsidenten und die Auflösung des Parlaments vorbehält, ist es gelungen, von massiver Kritik verschont zu werden. Der Zuschnitt der Wahlbezirke bleibt ein Ärgernis. Außerdem ist es den Haschemiten gelungen, die als „Islamische Aktionsfront“ parlamentarisch auftretenden Muslimbrüder vorwiegend palästinensischer Herkunft politisch auf Distanz zu halten. Dafür sind sie über Kranken- und Sozialstationen mit festen Kontakten in die Flüchtlingslager eingezogen. Der Status der Palästinenser wurde aus Sorge vor politischen Weiterungen für das Staatssystem sowie zu ihrer Ruhigstellung nie ernsthaft debattiert. Sollte ein Staat Palästina entstehen, verfallen ihre Bürgerrechte99.                                                              99

Von den von der Regierung in Amman genannten 1,3 Millionen Flüchtlingen, unter denen sich auch ehemalige IS-Kämpfer befinden, leben 90 Prozent in Städten und Gemeinden und belasten dort die kommunalen 204

Vor allem junge Leute, die unter der hohen Arbeitslosigkeit leiden, gehen eigene Wege. Welches Minimalverständnis lässt Jordanien als die einzige Demokratie in der Region erscheinen, wie der Publizist Odeh Bisharat in „Haaretz“ behauptet hat, weil der König gegen die Demonstranten nicht mit Gewalt vorgegangen sei? Die verordnete Privilegienwirtschaft mit Missmanagement, Korruption und Nepotismus hat den Friedensvertrag mit Israel von 1994 gegen alle Herausforderungen abgeschirmt – ein Kunststück angesichts der Belastungen durch die 750.000 Menschen umfassenden Flüchtlingswellen, davon 650.000 aus Syrien. Die USA und Israel gewährleisten die Stabilität des Throns, weil er das Land nach Syrien und Iran absichert. Washington wendet jährlich rund eine Milliarde Euro vornehmlich als Militärhilfe auf, während die Bundesregierung als zweitgrößter Geldgeber das Land mit mehr als 600.000 Euro unterstützt. Allein 2017 und 2018 stellte die Bundesregierung 575 Millionen Euro als günstigen Langzeitkredit sowie 87 Millionen Euro als Darlehen zur Verfügung. Hinzu kommt, dass Berlin bis zu einem Drittel der EU-Hilfe beisteuert. Da Saudi-Arabien unter Schwankungen des Erdöls leidet, stockten die Finanzzuweisungen nach Amman. Die Golfstaaten wollten im Sommer 2018 mit 2,5 Milliarden US-Dollar einspringen. Im Friedensvertrag mit Israel hatte sich Jordanien 1994 die Rolle als „Wächter der heiligen islamischen Stätten“ in der Jerusalemer Altstadt vorbehalten. Der im Libanon geborene Dichter Khalil Hawi legte 1982 einen Sammelband mit dem Titel „Verwundeter Donner“ vor, aus dem Avi Shlaim zitiert hat:

                                                             Haushaltsmittel. Das Schulsystem, das Gesundheitswesen, der Wohnungs- und der Arbeitsmarkt, aber auch die staatliche Verwaltung sind überlastet. Außerdem bemüht sich das Könighaus darum, iranische Milizionäre am Einsickern zu hindern. 205

„Wie schwer ist die Schande, trage ich sie allein? Bin ich der einzige, der sein Haupt mit Asche bedeckt? Die Begräbnisse, die der Morgen ankündigt, hallen in den Begräbnissen der Dämmerung wider. Es gibt nichts über dem Horizont außer dem Rauch der dunklen Glut.“

Eigene Hemmschuhe der Fortentwicklung Bei der Auswertung der Zeitungen im arabischen Palästina hat Rashid Khalidi ermittelt, dass bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein palästinensisches Nationalbewusstsein vorhanden gewesen sei, welches sich im Lokalpatriotismus und in der Verbundenheit mit dem Land manifestierte. Der politische Islam stieg zu einer wahrnehmbaren Kraft auf. Bei den Unruhen an verschiedenen Orten Palästinas im August 1929, bei denen 133 Juden und 116 Araber ums Leben kamen – in Hebron und Safed lehnten die jüdisch-orthodoxen Einwohner ihre Verteidigung ab –, wurde Amin Al-Husseini auf dem Erhabenen Heiligtum in der Jerusalemer Altstadt mit den Rufen „Das Schwert des Islam, Hadj AlAmin“ empfangen. Die Bitte des britischen Hochkommissars John Robert Chancellor (1870 – 1952) um politische Mäßigung beschied der Mufti mit der Aussage, er sei kein Staatsmann, sondern Kleriker. Nachdem Spezialeinheiten der „Fatah“ am „Schwarzen Freitag“ des 18. November 1994 in Gaza-Stadt 16 „Hamas“-Anhänger niedergeschossen hatten, bediente sich Arafat um seiner Autorität willen immer häufiger des Islams, bis die zweite „Intifada“ als „Al-Aqsa-Intifada“ und als „Heilige Intifada“ in die Annalen des Widerstands einging.

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Am 31. März 1933 besuchte er den deutschen Generalkonsul in Jerusalem Heinrich Wolf, der trotz seiner nationalsozialistischen Gesinnung eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legte. Alle Bemühungen der zweiten Notabeln-Familie in der Stadt, der Nashashibis, um politische Vernunft erwiesen sich regelmäßig als erfolglos, zumal da sie sich mehrfach gegen die Verleumdung zur Wehr setzen musste, einige ihrer Angehörigen seien Agenten des Zionismus. Dabei hatte sich Husseini selbst Vorwürfen zu erwehren, über Strohmänner Böden an den Feind zu verkaufen. Der palästinensische Journalist, Historiker und zeitweilige Bürgermeister Jerusalems Aref Al-Aref (1892 – 1973) verteilte gleichwohl die politische Verantwortung einseitig: „Meine Vertrautheit mit der Argumentationslinie jüdischer Autoren, die historischen Bindungen der Juden mit Palästina zu unterstreichen, verpflichtet mich, ihre Ansprüche durch die Prüfung der Geschichte Jerusalems zurückzuweisen, mit denen die Juden in besonderer Weise ihre Bindungen unterstreichen, und klarzumachen, dass die Geschichte der Heiligen Stadt ihren arabischen Charakter offenkundig macht und die Toleranz seiner Menschen gegenüber Christen und Juden sowie die friedlichen Beziehungen [belegen], die das Leben seiner Bewohner in vergangenen zehn Jahrhunderten auszeichneten.“ Für ihn waren die Juden „unsere Hunde“. 1938 publizierten drei Muslime aus Jaffa eine gemeinsame Arbeit mit dem Titel „Der Heilige Krieg Palästinas“, in dem sie Maßregeln „wider die Herrschaft des Zionismus und gegen die Knute der Briten“ vortrugen. Ein Jahr später legten zwei Palästinenser ebenfalls aus Jaffa eine Broschüre mit dem Titel „Der heilige Kampf in Palästina“ vor. Ein orthodoxer Christ aus Jerusalem fragte, warum es den christlichen Arabern schaden solle, wenn sie sich von den Lehren des Islams leiten lassen, wo doch die „wahre arabische Religion sogar von europäischen Denkern anerkannt“ werde. War die National-

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bewegung im 19. Jahrhundert in erheblichem Ausmaß von Christen getragen worden, so begannen Muslime und Christen gemeinsam über die religiösen Lager hinweg aufzutreten, was jedoch die Gründung des „Supreme Muslim Council“ unter Führung Husseinis nicht beeinträchtigte. Das im April 1936 etablierte „Arab Higher Committee“ forderte einen unitarischen Staat „mit dem Schutz aller legitimen jüdischen Rechte und jener der anderen Minderheiten sowie den Schutz vernünftiger britischer Interessen“. Die Definitionen behielt sich das Komitee vor. Die Großfamilien, zu denen neben den Husseinis und Nashashibis auch die Khalidi, Dajani, Alami, Darwish, Djarallah, Fahmi, Afifi, Hadi, Túqan und Sursúq – letztere verkauften, vornehmlich in Beirut residierend, als Eigentümer mehr als 20.000 Hektar mit 22 Dörfern zwischen 1921 und 1925 in der Jezreel-Ebene in Galiläa an jüdische Organisationen – verhinderten aufgrund persönlicher Rivalitäten und Lager-Zugehörigkeiten ein strategisch geschlossenes Konzept für den Aufbau einer gut organisierten Gemeinschaft bis hin zu Verboten exogener Heiraten und der Gestaltung religiöser Feste und Kundgebungen. Sie hemmten die Entwicklung jener Legitimität, die ihnen der Völkerbund und die Mandatsregierung vorenthielten. Der jüdischen Kolonisierungsarbeit hatten sie kaum mehr als rhetorische Proteste und gewalttätige Aufmärsche entgegenzusetzen. Insgesamt gesehen, beförderte der offensive Islam jedoch das subjektive und kollektive Bewusstsein. Im Mai 2018 skandierten im Niemandsland zwischen Israel und dem Gazastreifen junge Palästinenser „Nur Allah kann uns noch helfen“. Zur Sitzung der Arabischen Liga gegen die Verlegung der US-amerikanischen Botschaft nach Jerusalem erschienen nur hohe Beamte. Als König Hussein Mitte März 1972 seinen Plan für ein „Vereinigtes Arabisches Königreich“ unter Einschluss der Westbank und des Gazastreifens verkündete, brach Kairo die diplomatischen Beziehungen zu Amman ab. Für die PLO war die israelische Zurückweisung des jordanischen Vorstoßes Musik in den Ohren. Kaum später erwartete der

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ägyptische Politologe Mohammad Sid-Ahmet mit politischem Weitblick unter dem Titel „Nachdem die Waffen schweigen“ für die Palästinenser lediglich eine „Art Entität“ neben Israels „sicheren und anerkannten Grenzen“ – „das stillschweigende Entgegenkommen“ der arabischen Staaten. Zwar gelang es Arafat immer wieder, dem Thema Palästina auf den arabischen Gipfelkonferenzen Aufmerksamkeit zu verschaffen. Aber die Reputation der PLO als einziger legitimer Vertreterin des palästinensischen Volkes im Oktober 1974 in Rabat nahmen Anwar Al-Sadat, Hussein und Hafez Al-Assad nur mit einem gewissen Zähneknirschen hin, ohne dass sie es sich freilich erlauben konnten, das Thema gänzlich aus den Augen zu verlieren. Die freie Verfügung der Westbank durch die PLO war durch den Beschluss nicht abgesichert. Seit den 1930er Jahren, hat Raymond Cohen ausgeführt, sympathisierten die arabischen Anrainer mit den Palästinensern, ohne sich notwendigerweise mit deren Zielen zu identifizieren. Rashid Khalidi und andere haben von den zahllosen Schikanen berichtet, denen Palästinenser in arabischen Staaten ausgesetzt sind. Sie sind ein einsames Volk in der Region geblieben; wenn auch aus anderen, nämlich politischen Gründen im Gegensatz zur jüdisch-israelischen Selbstwahrnehmung auf. Dessen ungeachtet hat Khalidi die innerpalästinensischen Widersprüche auf die Unfähigkeit zurückgeführt, aus der hohen Entwicklungsstufe die staatliche Unabhängigkeit abzuleiten, und auf die Niederschlagung der „Revolution“ („Al-Thawra“) ab 1936 verwiesen: Sie habe das Finale des arabischen Palästinas eingeleitet und einen Dominoeffekt aus dem arabischen Umfeld verhindert. Seit damals seien die Palästinenser hoffnungslos gespalten und zu einer „ordentlichen Strukturierung eines politischen Gemeinwesens“ unfähig, während die zionistische Bewegung eine Infrastruktur aufgebaut habe, die ihrem Start in den Staat zugutegekommen sei. „Wir sind nur damit befasst, wie wir die Besatzung beenden können. Das hemmt unsere Entwicklung“, bedauerte Sari Nusseibeh. Nach ihrem Einzug in Palästina im

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Juli 1994 investierte die PLO nach Auffassung Khalil Shikakis zu wenig in die staatliche Unabhängigkeit: „Die meisten PLO-Führer von Arafat abwärts haben ihre gesamte Karriere in der Atmosphäre einer Befreiungsbewegung im unauffälligen Untergrund verbracht und erwiesen sich als schlecht vorbereitet auf die Aufgabe des Staatsaufbaus, des transparenten Regierens oder einer stabilen Struktur des Regierens auf gesetzlicher Grundlage.“ 2011 verlangte die „Palestine Strategy Group“ die Auflösung der Autonomiebehörde verlangte, um die Neuordnung der internen Angelegenheiten, den Wiederaufbau der Nationalbewegung, die Erneuerung des politischen Systems und die Entwicklung palästinensischer Institutionen in Gang zu setzen100. Sieben Jahre später sprachen sich 30 Prozent der Befragten dafür aus, auf die Zwei-Staaten-Lösung zu verzichten, nur 43 Prozent zeigten sich mit Machmud Abbas‘ Politik zufrieden. Als im September 2018 in Ramallah seine politische Legitimität in Zweifel gezogen wurde, reagierten „Sicherheitskräfte“ mit der Festnahme Dutzender Demonstranten. Shikaki kam zu dem ernüchternden Befund, die palästinensische Führung habe die Bahn in ein autoritäres Regime vorgezeichnet. Der Aufbau demokratischer Institutionen sei misslungen – „und das ist allein unser Fehler, er liegt nicht an Israel oder an der internationalen Gemeinschaft, sondern nur an uns selbst“. Sein „Palestinian Center for Policy and Research Survey“ (PCPRS) ist ein Gradmesser für die Freiheiten in der palästinensischen Gesellschaft. Nach mehreren Anläufen, in denen die Rivalitäten zwischen dem Parlament – dem „Palestinian Legislative Council“ (PLC) – und Arafat                                                              100

The Palestinian Strategy Group: Towards New Strategies for Palestinian National Liberation. Options for Achieving Palestinian Strategic Objectives in the Light of the Breakdown of Bilateral Negotiations. August 2011. 210

heftig mitschwangen, waren Ende Mai 2002 die 112 Artikel der vorläufigen Vollverfassung in Kraft getreten. Im 33 Artikel umfassenden Katalog der Rechte und Pflichten wurde der sunnitische Islam als „offizielle Religion in Palästina“ proklamiert, wobei allen anderen „himmlischen Religionen“ Respekt und Heiligkeit zugesprochen wurde. Die Prinzipien der „Sharia“ seien eine grundlegende Quelle der Gesetzgebung (Art. 4). Dennoch solle das Regierungssystem auf dem demokratischen Parlamentarismus mit politischer und Parteienvielfalt gründen (Art. 5). Kritiker bemängelten, dass die palästinensische Diaspora keine hinreichende Aufmerksamkeit fand. Vermutlich fürchteten sich Arafat und seine Gefolgsleute vor dem Einfluss radikaler Gruppen im libanesischen und syrischen Exil. Nur ein palästinensischer Staat mit einer Verfassung und einer demokratisch gewählten Regierung sei befugt, schwerwiegende Entscheidungen in Angelegenheiten des höchsten nationalen Interesses zu fällen, hielt die „Palestine Strategy Group“ fest. Für den Juristen Anwar Nusseibeh (1913 – 1986), zwischen 1948 und 1967 Mitglied mehrerer jordanischer Regierungen, Gouverneur in Ost-Jerusalem und Botschafter in London, war der PLO-Vorsitzende wie zuvor Amin Al-Husseini agitatorisch erfolgreich, aber politisch ein Versager. Ende Oktober 1991 entging die Präsentation der palästinensischen Bestrebungen auf der Madrider Friedenskonferenz mit Mühe dem Eklat, als Arafat in Tunis auf die Delegation unter Führung Haydr Abd‘ Al-Shafis (1919 – 2007) politischen Druck auszuüben suchte. Konnte Abd‘ Al-Shafi damals die Aufträge des anoch abwehren, so brachte der künftige Präsident der Autonomiebehörde dreieinhalb Jahre später eine Mannschaft mit, welche die Träger der ersten „Intifada“ verdrängte. 1998 trat Hanan Ashrawi aus Protest gegen grassierende Unterschlagungen als Bildungsministerin zurück.

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  Haydr Abd‘ Al-Shafi (1919 – 2007). Der Arzt wurde in eine wohlhabende Familie im Gazastreifen geboren. Auf der Konferenz 1991 in Madrid hielt er eine Rede, die sich von Arafats Rhetorik deutlich absetzte und ihm viel Bewunderung eintrug. Die Behauptung einer Rivalität zwischen islamistischen Bewegungen wie „Hamas“ und „Islamischem Djihad“ sowie der säkular-nationalistischen PLO und deren Unabhängigkeit von religiösen Zuschreibungen (Loren D. Lybarger) lässt sich schwerlich halten. Die auswärtigen Geldströme, besonders aus dem schiitischen Iran, haben der Wirtschaft in Gaza kaum geholfen, von einer guten Regierungsführung („Good governance“) kann keine Rede sein. „Hamas“ verfolgt seit 2006 eine Religionspolitik ohne territoriale Ambitionen über Palästina hinaus. An der endgültigen Klärung des Streits mit Israel war der Organisation, verankert in der Charta vom November 1988, „im Namen Gottes und des palästinensisch-arabischen Volkes“ den Staat Palästina 212

„auf unserem palästinensischen Boden und seiner heiligen Hauptstadt“ zu schaffen, nicht gelegen: „Die Islamische Widerstandsbewegung ist der Auffassung, dass das Land Palästina durch die Generationen hindurch und bis zum Jüngsten Tag eine islamische Stiftung [‚Waqf‘] ist, dem niemand widersprechen, das niemand teilen oder worauf niemand verzichten darf“, heißt es in Artikel 11. In der am 01. Mai 2017 vorgestellten Überarbeitung, in der erstmals die Formulierung „palästinensische islamische nationale Widerstandsbewegung“ vorkommt, vermied „Hamas“ jeden Bezug zu den Muslimbrüdern in Ägypten und suchte sich von Ramallah politisch zu emanzipieren. In Gefolge hatte sie keine Mühe, in Kairo um die Erleichterung der humanitären und wirtschaftlichen Lage im Gazastreifen zu bitten. Ein Recht auf bewaffnete Opposition bis zur Rückeroberung ganz Palästinas bleibt unbestritten, wobei Verhandlungen über einen palästinensischen Staat mit der Hauptstadt Jerusalem und der Rückkehr aller Flüchtlinge als Zwischenschritt gelten – für die Beobachterin Amira Hass „akrobatische Talente“. Der mit der PLO vereinbarte 01. Dezember 2017 als Datum für Neuwahlen ging erneut ohne großes Aufheben vorbei. Beide Lager sind außerstande, sich gegenseitig auszuschalten, ideologische Prädispositionen siegen über politischen Pragmatismus. Die Publizisten Hussein Agha und Ahmad Samih Khalidi registrierten in ihrer Bilanz, dass die palästinensische Nationalbewegung in Ramallah an ihr Ende gekommen sei: – –



Nach innen regiere die Autonomiebehörde autoritär, ohne dass sich eine glaubwürdige Abbas-Nachfolge abzeichne; gegenüber Israel sei sie nach den fruchtlosen Verhandlungen in die Rolle einer Erfüllungsgehilfin Israels abgerutscht, ohne dass sie das Volk gegen die Gewalt des israelischen Militärs und der Siedler schützen könne; gegenüber den USA und der Europäischen Union sei sie zur Bittstellerin weiterer Finanz- und Wirtschaftshilfen geworden, und 213



der formale Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen sei politisch wertlos.

Die „kühne Führung“ der arabischen Gemeinschaft in Israel, so die beiden in Oxford arbeitenden Palästinenser, könne die Defizite nicht auffangen. Im Gazastreifen emanzipiert sich die Bevölkerung mühsam, aber nachdrücklich von „Hamas“ und vom „Islamischen Djihad“, ohne dass eine neue Führung in Sicht ist. Ende Oktober 2018 verfügte das Zentralkomitee der PLO die Aufhebung der Osloer Vereinbarungen und zog die Anerkenung Israels zurück. Abbas‘ politischer Abschied lässt Diadochenkämpfe befürchten. In Israel ist nach einem Ausscheiden Netanjahus mit Ähnlichem zu rechnen. Ayelet Shaked und Naftali Bennett werden sich die Chance nicht nehmen lassen, Ansprüche zu erheben.

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Kapitel XI Politische und völkerrechtliche Aspekte des palästinensischen Flüchtlingsproblems Amos Oz hat daran erinnert, dass die Palästinenser 1948 „des Nachts unsere Häuser aus Ostjerusalem mit Eimern und Pinseln in der Hand markierten. Sie hatten die Häuser bereits untereinander aufgeteilt. In der Erwartung, dass wir bald nicht mehr da sein oder leben würden101.“ Das palästinensische Flüchtlingsproblem von 1948/49 gehört neben der Regelung des Status für Jerusalem zu den kompliziertesten und strittigsten Themen, wobei für Sher die Differenzen eher bei den Formulierungen als auf der praktischen Ebene lagen. Doch wie immer sie im Einzelnen politisch argumentieren, haben alle Kommentatoren auf seine zentrale Bedeutung verwiesen. Die Entstehung war für Uri Avnery „eine schreckliche humanitäre Tragödie“ (in) „einem Existenzkampf“, bei dem auch die arabische Seite in der Jerusalemer Altstadt und im „Etzion“-Block südlich von Bethlehem zu Methoden der ethnischen Säuberung gegriffen habe. Avnery selbst gehörte vor der Staatsgründung einer Untergrundorganisation an. „Die Zionisten kamen mit idealistischen Absichten, doch der jüdische Staat musste sein Geburtsrecht durch die Logik der Gewalt geltend machen“, glaubte Shlomo Ben-Ami.                                                              101

Amos Oz: „Ich konnte den Schmerz und die Sehnsucht spüren“ (Interview), Deutsche Welle 18.04.2018. 215

Gemäß der Zählung vom Dezember 1946 wohnten im britischen Mandatsgebiet auf 27.000 Quadratkilometern 1.364.000 Araber und 608.000 Juden. In den Gebieten, in denen sich das israelische Militär durchsetzte, lebten 896.000 Araber in 530 Dörfern und Städten sowie in 663 weiteren Ortschaften, so Beduinen in Galiläa und im Negev. Rund 750.000 wurden zu Flüchtlingen – der Historiker Efraim Karsh nennt sie „Flüchtige“ („Escapees“) –, nach den Angaben von Benny Morris bis zu 400.000 vor dem Abzug der Briten aus dem Mandatsgebiet. Die von Jordanien annektierten Gebiete Westbank und Ost-Jerusalem wurden „judenrein“. 1949 sollen in Cisjordanien (Westbank) rund 280.000, in Transjordanien 70.000, im unter ägyptische Militärverwaltung geratenen Gazastreifen 200.000, im Libanon 97.000 sowie in Syrien 75.000 Flüchtlinge Aufnahme gefunden haben. Das Angebot des syrischen Präsidenten Husni Al-Za‘im, 300.000 Palästinenser aufzunehmen, um sie mit externer Hilfe zu integrieren, erledigte sich 1951 nach seiner Ermordung. Kurz danach sollen rund 30.000 Flüchtlinge nach Israel zurückgekehrt sein, wobei der Status von einigen legalisiert wurde, während andere von der Familienzusammenführung Gebrauch machten. Dabei sollen beim Grenzübertritt rund 3.000 Palästinenser getötet worden sein. Im Zuge des Junikrieges 1967 flohen etwa 360.000 Palästinenser aus dem Gazastreifen und aus der Westbank nach Jordanien – viele von ihnen nach 1948/49 zum zweiten Mal. Die statistischen Erhebungen im Frühjahr 2018 ergaben, dass 8.842.000 Menschen in Israel und in der Westbank lebten, davon waren 6.589.000 (74,5%) Juden, 1.849.000 (20,9%) Araber und 404.000 (4,6%) nicht-arabische Christen und Andersgläubige, außerdem 169.000 Personen ohne Staatsbürgerschaft oder mit dem Status als „Permanent residents“. Die Behauptung von der „Auslöschung“ (Nur Masalha) der Erinnerung an die palästinensische Präsenz im Lande ähnelt dem jüdischisraelischen Narrativ vom „Volk, das allein lebt“: 2010 hatte der Oberrabbiner von Safed dazu aufgefordert, keine Wohnungen an 216

Araber zu verkaufen. Arabischen Staatsbürgern in Ortschaften mit „jüdischem Charakter“ sollen keine Liegenschaften übertragen werden, so im Sommer 2018 in Kfar Vradim und in Afula. Dort trugen Demonstranten unter Führung des ehemaligen Bürgermeisters und der stellvertretenden Amtsnachfolgerin Banner mit der Aufforderung „Verräter an den Juden werden nicht zur Ruhe kommen.“ Einer Beduinenfamilie wurde in einem Kibbuz die Nutzung des Swimmingpools am Wochenende verwehrt, am Jaffator in Jerusalem wurde ein fliegender Händler – ein „Krimineller“, weil er der „Judaisierung“ entgegenstehe, während die kommunalen Inspektoren in einem ähnlich gelagerten Fall nicht gegen Angehörige der „Chabad“-Gemeinde vorgehen würden, weil das nicht „stört“ – vertrieben, der den Touristen Backwaren und Falafel verkaufte, um die jüdische „Souveränität und Ordnung“ in der Stadt aufrechtzuerhalten; dem Denunzianten wurde für seine „Sensibilität“ gedankt. Nach einer Umfrage zeigten sich nach diesen Vorfällen 47 Prozent der Israelis vom Anstieg des Rassismus überzeugt, der sich gegen Araber und Asylsuchende richtet. Heute leben nach Medienmeldungen wegen der Geburtenüberschüsse rund zwei Millionen Flüchtlinge in Jordanien bei einer Gesamtbevölkerung von 9,5 Millionen, darunter in zehn anerkannten und in zwei nicht anerkannten Lagern. Die Exekutive in Amman hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben. Bis auf jene Flüchtlinge, die nach 1967 aus dem Gazastreifen kamen, steht ihnen das Recht auf die Staatsbürgerschaft zu – mit der erwähnten Klausel, dass diese nach der Gründung eines Staates Palästina erlöschen soll. Von den rund 1,9 Millionen Bewohnern im Gazastreifen sind mehr als drei Viertel Flüchtlinge von 1948. Neben den 4,5 Millionen Staatsbürgern sind die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon von Dutzenden Berufs- und Bewegungschancen ausgeschlossen und dürfen kein Eigentum erwerben und von außen erben. Der Zugang zu staatlichen Krankenhäusern ist ihnen verwehrt. Der UN-Sicherheitsrat hat sich

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mit ihrem Schicksal nicht befasst. Wie viele Flüchtlinge im Herrschaftsbereich Al-Assads ausharren, lässt sich nur schätzen. Da in dem vom UN-Teilungsplan 1947 vorgesehenen „jüdischen“ Staat weit über 40 Prozent der Bevölkerung arabisch gewesen wären, setzte die israelische Regierung nach dem Scheitern von Vermittlungsempfehlungen des schwedischen UN-Gesandten Graf Folke Bernadotte (1895 – 1948) eine Kommission ein, um die Ansiedlung der Flüchtlinge aus arabischen und muslimischen Staaten mit der jüdischen Einwanderung nach Israel zu verrechnen. Als die arabischen Delegationen 1949 auf der Flüchtlingskonferenz in Lausanne ein Protokoll abzeichneten, in dem sie nach den Waffenstillstandsverträgen auf der Insel Rhodos ihre prinzipielle Bereitschaft zu Friedensverhandlungen mit Israel bekundeten, lehnte Israel ab. Für Abba Eban, der zehn Jahre lang sein Land bei den Vereinten Nationen vertrat und gleichzeitig Botschafter in Washington war, gab es keinen Anlass, dem Frieden nachzulaufen. Der Staat Israel fühlte sich stark genug, um in einem neuen Waffengang die Oberhand zu behalten. In der Vierten Genfer Konvention wurde ein „Flüchtling“ zwischen dem 01. Januar 1946 und dem 15. Mai 1948 so kodiert, dass er seinen Regelwohnsitz in Palästina hatte und angesichts seiner Volkszugehörigkeit („race“), seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Mitgliedschaft in einer besonderen Gruppe und wegen seiner politischen Überzeugungen außerhalb seines Heimatlandes leben müsse. Die UN-Flüchtlingsresolution 194 vom Dezember 1948 hatte auf arabisches Betreiben die Erwähnung des Adressaten vermieden: den Staat Israel. Sie wäre explizit auf dessen Akzeptanz hinausgelaufen und hätte der arabischen Überzeugung widersprochen, beim nächsten Waffengang die Schmach von 1948 zu tilgen. Die PLO nahm außerdem nicht zur Kenntnis, dass die Flüchtlingsresolution in Ziffer 11 lediglich auf ein individuelles Recht abstellte, dass nämlich „denjenigen Flüchtlingen, die in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dieses

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zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll“. Die UN-Resolution 273 vom Mai 1949 zur Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen ging über die Erinnerung an die Teilungs- und an die Flüchtlingsresolution nicht hinaus. Die arabische Bezeichnung „Rückkehrer“ („A’idún“) soll erst in den 1960er Jahren aufgekommen sein. Das politische Zwielicht hielt zunächst an. So wünschte die international immer wieder herangezogene Resolution 242 des Sicherheitsrates vom 22. November 1967 lediglich „eine gerechte Regelung des Flüchtlingsproblems“, und die Resolution 2452 der UN-Vollversammlung vom 19. Dezember 1968 betrachtete sie unter dem Aspekt grundlegender und unveräußerlicher Menschenrechte, indem sie von Israel forderte, „die Sicherheit, die Wohlfahrt und den Schutz der Bewohner jener Gebiete zu gewährleisten, in denen militärische Handlungen stattgefunden haben“. Vom nationalen Charakter des Flüchtlingsproblems war in beiden Resolutionen nicht die Rede. Selbst die arabische Gipfelkonferenz in Khartum (ohne Syrien) vom 28. August bis 01. September 1967, die „keine Anerkennung, keinen Frieden und keine Verhandlungen“ mit Israel als Losung ausgab, hatte nur vage die „Rechte des palästinensischen Volkes auf sein Land“ bekundet. Frühe Ansätze für direkte Gespräche zwischen Israel, Ägypten und Jordanien Anfang der 1950er Jahre waren nach der Ermordung von König Abdullah am 20. Juli 1951 auf den Stufen der „Al-Aqsa“-Moschee in Jerusalem zusammengebrochen. Ben-Gurion hatte auf direkten Gesprächen bestanden. Erstmals erkannte die UN-Resolution 2672 vom 08. Dezember 1970 an, dass die Bevölkerung Palästinas, und zwar nunmehr der UNCharta zufolge, das Verlangen nach Verfahrensgleichheit und Selbstbestimmung habe. Eine Verschärfung fand die Diskussion, als die UN-Vollversammlung mit ihrer Resolution 3989 vom 07. Dezember 1973 Israel beschuldigte, dem „Volk Palästinas“ den Genuss der unveräußerlichen Rechte einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung vorzuenthalten, und verlangte, allen Flüchtlingen „das Recht 219

auf Rückkehr in ihre Häuser und in ihr Eigentum“ einzuräumen. Damit überholte sie frühere Erklärungen. Die Resolution 35/169 A vom 15. Dezember 1980 ging noch einen Schritt weiter, indem sie jede Politik und alle Vorlagen zurückwies, die eine Ansiedlung der Flüchtlinge außerhalb ihres Heimatlandes vorsähen. Die „Palästinensische Erklärung der Unabhängigkeit“ in Algier vom 15. November 1988 seitens des 19. Palästinensischen Nationalrates (PNC) unterstrich, dass das palästinensische Volk nie „geschwankt und seine Überzeugung aufgegeben“ habe, „seine Rechte auf Rückkehr und Unabhängigkeit“ durchzusetzen. Hatten palästinensische Historiker die Verantwortung des Zionismus und des Staates Israel für den palästinensischen Exodus und die Diaspora als integralen Teil der Entstehungsgeschichte Israels unterstrichen, so zog im März 2002 mit der Arabischen Friedensinitiative eine neue Tonlage in den Diskurs ein: Die Staatsoberhäupter banden „eine gerechte Lösung für das Problem der palästinensischen Flüchtlinge“ in Anlehnung an Ziffer 11 der Flüchtlingsresolution 194 an das Einvernehmen beider Konfliktparteien. Aus je eigenen Gründen lehnten die PLO und die Regierung in Jerusalem die Erklärung ab. Dagegen konkretisierten die Artikel 7 und 14 der „Genfer Initiative“ vom Dezember 2003 das Thema durch –

Entschädigung der Flüchtlinge für ihr ungewisses Dasein im Exil einschließlich des Verlusts von Eigentum sowie das Recht jener Staaten auf Entschädigung, die Palästinenser aufgenommen haben, wofür ein internationaler Fonds eingerichtet werden solle. Beilin hat einmal die Gesamtsumme der aufzubringenden Mittel auf rund dreißig Milliarden US-Dollar geschätzt: „Dies mag teuer sein, aber Kriege zu finanzieren, ist viel teurer.“ Bei einer Begegnung mit Machmud Abbas am 16. September 2008 soll Ministerpräsident Ehud Olmert angeboten haben, in den kommenden fünf Jahren zwischen 2.000 und 3.000 Flüchtlinge aufzunehmen, „so 220





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viel, wie in die Muqáta [„Hauptquartier“, Sitz der Autonomiebehörde in Ramallah] hineinpassen“; Gewährleistung der freien Wahl des künftigen Wohnortes unter fünf Optionen: a) Staat Palästina; b) Staat Israel gemäß seinem souveränen Ermessen; c) Drittländer gemäß ihrem souveränen Ermessen; d) Verbleib in den gegenwärtigen Wohnländern gemäß deren souveränen Ermessen und e) Erleichterungen für die Flüchtlingsbevölkerung im Libanon als Priorität; Einrichtung einer international besetzten Kommission, die für die Umsetzung aller Aspekte des künftigen Abkommens verantwortlich sein solle. Einstellung der Tätigkeit der UNRWA fünf Jahre nach Tätigkeitsaufnahme der Kommission; Aufgabe weitergehender Ansprüche über ein solches Abkommen hinaus; Ermutigung und Förderung von Plänen der Aussöhnung in der schulischen und außerschulischen Bildungs- und Kulturarbeit sowie des Gedenkens an jene arabischen Orte und Gemeinschaften, die es vor 1949 gab.

Diese Ausführungen nehmen sich bürokratisch-legalistisch aus, beinhalten aber eine eminent politische Bedeutung. Wenn es je zu einem israelisch-palästinensischen Friedensvertrag komme, würden bis zu 90 Prozent aus dieser Blaupause von 2003 übernommen werden, prognostizierte Menachem Klein; Daniel C. Kurtzer äußerte sich ähnlich. Da er in weiter Ferne liegt, werden die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge vor allem im Libanon von der dortigen Fortentwicklung des Rechtsstaats abhängen; in Syrien und Jordanien ist nichts zu erwarten. Die Bemühungen der „United Nations Relief and Works Agency“ (UNRWA), der Welthungerhilfe (WHO) sowie die Projekte der nationalen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit bewegen sich bis dahin als Reparaturwerkstatt im politisch unabgestimmten Krisenmanagement: Sie bleiben Stückwerk, weil sie Symptome kurieren, ohne 221

etwas an den Ursachen der Dramatik ändern zu können. Nur die politische Diplomatie kann die Weichen neu stellen. Zu ihren Aufgaben gehört, dass der palästinensischen Fluchtkatastrophe von 1948 derselbe politische Stellenwert eingeräumt wird, wie Israel von den Palästinensern die Respektierung seiner Gründung verlangt. Nach eigenen Angaben betreute die am 01. Mai 1950 etablierte UNRWA, die allein für die palästinensischen Flüchtlinge zuständig ist – weltweit werden 17,2 Millionen Flüchtlinge vom „United Nations High Commissioner for Refugees“ (UNHCR) versorgt –, rund 5,2 Millionen Menschen. Ihr Status wird über die väterliche Linie vererbt. Unter Politologen und Völkerrechtlern ist umstritten, ob er sich von einer auf die nächste Generation übertragen lässt. Zu klären bleibt, – – – –

ob es auch um die nachgewachsenen Generationen jener geht, die 1948 ihre Wohnorte verließen oder vertrieben wurden, welche rechtspolitische Reichweite und Gültigkeit die Genfer Konvention und die UNRWA-Definition haben, ob jene Palästinenser noch als Flüchtlinge zu betrachten sind, die eine neue Staatsbürgerschaft angenommen haben, und welche Rolle Artikel 8 des israelisch-jordanischen Friedensvertrages von 1994 noch spielt, der das Flüchtlingsproblem an eine multilaterale Arbeitsgruppe der Madrider Konferenz delegierte.

Für die Gespräche im Januar 2001 im ägyptischen Taba sollte fixiert werden, dass der Begriff Flüchtling auf alle Personen zutrifft, die bei der UNRWA registriert sind102. Die UNRWA ist heute eine der größten UN-Instanzen mit über 30.000 Mitarbeitern, zu 99 Prozent Ortskräften. Aus ihrem Etat mit 1,24 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 erbrachte sie in der Westbank,                                                              102

Palestinian refugees, January 22, 2001. Taba, the 22nd of January 2001. Article XX: Refugees. 222

im Gazastreifen – die Versorgung in Ost-Jerusalem lehnt Israel aufgrund seines dortigen Souveränitätsanspruchs ab –, im Libanon, in Jordanien und in Syrien Dienstleistungen in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Schutz sowie bei der Mikrofinanzierung individueller Entwicklungsprojekte. Die deutsche Bundesregierung beteiligte sich mit 83,2 Millionen Euro, einschließlich der Finanzierung am Wiederaufbau im Gazastreifen nach der israelischen Militäroperation „Schutzschild“ im Sommer 2014. Bashar Al-Assad – „a one-man super-magnet for terror“, so John Kerry – dürfte kein großes Interesse daran haben, dass zu viele Flüchtlinge aus Libanon und Jordanien zurückkehren, weil er von ihnen eine Destabilisierung seines Systems befürchtet. Ihr Grund und Boden sollen enteignet werden. Assad Verbündeter Wladimir Putin hat sich nicht gescheut, die Bundeskanzlerin um „humanitäre Hilfe“ beim Wiederaufbau zu bitten, Heiko Maas kündigte „eine internationale Kraftanstrengung“ an, „zu der Deutschland beizutragen bereit ist“. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat hat im Oktober 2018 die Bereitschaft erklärt, die durch den UNRWA-Rückzug erlittenen finanziellen Schäden für die Versorgung der arabischen Bevölkerung in Ost-Jerusalem zumindest teilweise zu übernehmen. Anfang 2018 kündigte Washington die Kürzung der Finanzhilfe in der bisherigen Höhe von 368 Millionen US-Dollar (ein Viertel des Gesamthaushalts der UN-Unterorganisation) mit der Begründung an, die Palästinenser würden diese Leistungen nicht ausreichend würdigen, weil sie Trumps Aufforderung keine Folge leisten, an den Verhandlungstisch mit Israel zurückzukehren; zuvor hatte Netanjahu die Überprüfung der Unterorganisation gefordert, weil durch die Zuwendungen der Status der Flüchtlinge perpetuiert würde. Im September strich Washington sämtliche Zuschüsse, ergänzt durch die Verfügung von Sicherheitsberater John Bolton, die PLO-Vertretung in Washington zu schließen. Die Vereinigten Staaten würden „immer zu unserem 223

Freund und Alliierten Israel stehen“, ergänzte der Sicherheitsberater des Präsidenten – womit er den endgültigen Abschied der USA von der Rolle als Friedensstifter ankündigte und hinzufügte, dass die Anerkennung des Staates Palästina durch den Internationalen Strafgerichtshof das Selbstverteidigungsrecht Israels gefährde. Im Oktober 2018 hat Washington verfügt, dass die Unterstützung für die palästinensischen Sicherheitskräfte beendet werden soll. Die Eingabe aus Ramallah, die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zu überprüfen, wird ins Leere laufen.

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Kapitel XII Die internationale Diplomatie vom Kopf auf die Füße stellen „Der einstige Konflikt nationaler Bewegungen verlagert sein Gewicht auf den Kampf zweier Offenbarungsreligionen103.“ Ist Frieden möglich? Wer im Nahen Osten den dringenden Wunsch danach verspüre, könne leicht depressiv werden, bekannte Jacob L. Talmon im Jahr 1972. Umso verwunderlicher ist es, dass sich die internationale Diplomatie im Falle des israelisch-palästinensischen Disputs so schwertut. Bisweilen scheint es zwar, dass sich die Beziehungen zu Israel einer Wende nähern, keineswegs etwa aus Gründen der Verletzung internationaler Rechtsnormen, sondern weil die politische Berechenbarkeit Netanjahus bisher sträflich unterschätzt worden ist. Doch Heiko Maas hat nach seinem Amtsantritt im Auswärtigen Amt solchen Mutmaßungen den Boden entzogen, als er seine Beziehung zum Staat Israel an seine Familiengeschichte im „Dritten Reich“ knüpfte. Die Garantie für seine persönliche Staatsräson – ohne sie auf die „Grüne Linie“ zu beschränken – steht unverbunden neben der Zurückweisung der Siedlungspolitik. Stehen private Belastungen über dem Regierungsinteresse? Die westlichen Regierungen hätten gewarnt sein müssen: Alle von außen eingebrachten Vorschläge für eine territoriale Neuordnung misslangen: 1922/23 die Ausgliederung Transjordaniens aus dem Mandatsauftrag des Völkerbundes mit der nachfolgenden Etablierung eines Emirats, 1937 die Peel-Vorlage, 1947 der UN-Teilungsplan, 2002                                                              103

Reiner Bernstein: Der verborgene Frieden. Berlin 2000, S. 8. 225

die Arabische Friedensinitiative sowie ein Jahr später die „Road Map“, während ein Projekt wie die aus dem Innern stammende „Genfer Initiative“ leichtfertig beiseitegeschoben wurde. Die israelische Exekutive hat für die Verhandlungen mit den Palästinensern keine belastbaren Landkarten als Ausgangspunkt für Verhandlungen vorgelegt, sieht man von der Intension Ehud Olmerts im September 2008 ab, einige Prozentpunkte der Westbank preisgeben zu wollen, bevor er sich weigerte, Abbas die Vorlage auszuhändigen, bevor dieser sie abzeichne. Israelische und amerikanische Persönlichkeiten bemühten sich daraufhin, Ramallah zu beschwichtigen und auf Tsipi Livni als kommende Regierungschefin zu setzen, weil Olmert aufgrund der Anklage wegen passiver Bestechung in Kürze zurücktreten müsse. Palästina ist verbaut und verschwindet von der Landkarte. Nachdem schon Washingtons Vermittlungsbemühungen zwischen Israel, Ägypten und Jordanien in den frühen 1950er Jahren am Widerstand Ben-Gurions gescheitert waren, ging auch die Ankündigung von „Überprüfungen“ („Reassessments)“ der Beziehungen seit den 1970er Jahren über rhetorische Kehrreime nicht hinaus, obwohl „in vielerlei Hinsicht die palästinensische Dimension des arabisch-israelischen Konflikts das Herzstück jenes Konflikts“ ist, konstatierten die Kommentatoren Larry L. Fabian und Ze’ev Schiff – und ließen 1977 in ihrer Sammlung israelischer Stimmen einen Teilnehmer mit der Forderung zu Wort kommen, dass die USA den Palästinensern das Recht auf Selbstbestimmung vorzuenthalten hätten, solange diese Israel das Selbstbestimmungsrecht verweigern. In seiner Aussage vor einem Unterausschuss des Repräsentantenhauses wies Harold H. Saunders, im „State Department“ einer der Architekten des späteren israelisch-ägyptischen Friedensvertrages, im November 1975 den israelisch-palästinensischen Streit als zentral aus. Präsident Gerald Ford (1913 – 2006) und Außenminister Henry Kissinger hätten mehrfach unterstrichen,

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trug Sanders vor, dass die Vereinigten Staaten alle Anstrengungen unternehmen würden, um das Momentum eines praktischen Fortschritts für eine friedliche Regelung zu bewahren. Zwar hatte William B. Quandt, zwischen 1977 und 1979 unter der Präsidentschaft Jimmy Carters Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats und für den Nahen Osten zuständig, die Wertekongruenz zwischen beiden Staaten, den Pioniergeist Israels und die Verpflichtung für die Wahrung der Demokratie hervorgehoben, doch hinderten sie ihn nicht daran, seinem Ärger über „sinistre Kräfte“ Luft zu verschaffen, die sich ein Mitbestimmungsrecht in Washingtons Nahostpolitik anmaßen würden. Der zwischen 1989 und 1992 amtierende Außenamtschef James Baker III verwehrte Netanjahu zeitweilig den Zugang. Andere Stimmen setzten sich durch. Eugene Rostow, stellvertretender Außenminister, darauf versteift haben, soll sich darauf versteift haben, dass, da die Westbank zum britischen Mandatsgebiet gehörte, israelische Juden heute das Recht hätten, sich dort unter der Voraussetzung niederzulassen, ohne dass die einheimische Bevölkerung ihre Wohnorte verlassen müsste. Rostow klagte, dass die Administration die Siedlungstätigkeit verwerfe, obwohl Israel den Palästinensern die Selbstverwaltung angeboten habe. Nach dem Sieg über Saddam Husseins prophezeite George W. Bush Anfang Mai 2003 im Rahmen seiner Proklamation einer „Neuen Weltordnung“ das baldige Ende der israelisch-palästinensischen Konfrontation. Um Israelis und Palästinensern Frieden aufzuzwingen, bleibe aber nur das Mittel des Gewalteinsatzes, hat Nathan Thrall dagegengehalten, während Gershon Baskin vom „Israel-Palästina Zentrum für Forschung und Information“ (IPCRI) den USA einen „Ansatz der freundlichen Gleichgültigkeit“ vorschlug. Im Grundsatz geht es um die Alternativen Frieden oder Krieg, Moral oder Macht.

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„Unter Beobachtung“ Besuchern der Knesset wurde vor langer Zeit der Witz vorgetragen, am besten reserviere man dem amerikanischen Botschafter einen Sessel auf der Empore, damit er die Anweisungen Washingtons in die Debatten einbringen könne. Richtig ist indes, dass mancher in Tel Aviv stationierter US-Diplomat die israelische Politik in Washington vertritt. Andererseits musste sich Henry Kissinger während seiner Pendeltour für ein Truppenentflechtungsabkommen mit Syrien 1974/75 in Israel als „Jewboy“ beschimpfen lassen. Als George W.H. Bush 1991 der Exekutive in Jerusalem vorübergehend eine Bürgschaft zur Integration der Einwanderer aus Russland verweigerte, weil mit dem Geld auch Wohnungen in den palästinensischen Gebieten gebaut würden, führte Yitzhak Shamir die Absage auf das „Jewboy trio“ Dennis Ross, Aaron David Miller und Daniel C. Kurtzer zurück, weil sie sich dagegen wehrten, dass der Regierungschef das Geld die „Einwanderung für das größere Israel“ benutze; Shamir beschwor die Einheit des jüdischen Volkes auf der Grundlage des Paradigmas, wonach einer talmudischen Moralweisung zufolge „ganz Israel füreinander verantwortlich ist104“; die drei Genannten würden also nicht dazugehören. Nach seinem Einzug ins Amt des Ministerpräsidenten machte Netanjahu die jüdischen Berater Bill Clintons Rahm Emanuel und David Axelrod für die Ablehnung der Siedlungspolitik verantwortlich. Die „Jerusalem Post” forderte die Regierung auf, Clinton als den seit Dwight D. Eisenhower feindseligsten Präsidenten auszusitzen; der derzeitige Botschafter in Israel David Melech („König“) Friedman, ein strikter Befürworter der israelischen Präsenz in der Westbank, beschuldigte Obama des Antisemitismus. Immerhin blieb Friedman die Antwort auf die Frage von Journalisten schuldig, ob Jerusalem und die                                                              104

‫כ ל ישראל ערבים זה בזה‬ 228

Westbank weiterhin als besetzt gelten. Am 18. June 2018 beschuldigte er amerikanische Medien der falschen Berichterstattung über die Unruhen an der Grenze des Gazastreifens und forderte sie auf, so lange den Mund zu halten, bis sie sich sachkundig gemacht hätten. „Wir hatten nie einen ehrlichen Gedankenaustausch mit den Israelis“, bilanzierte Miller nach 25 Jahre langer Tätigkeit im Außenamt und warnte davor, Israel mit einer „Carte blanche“ zu versehen, wobei er sich geradezu händeringend dagegen aussprach, für die Zwei-Staaten-Lösung das jüdische Totengebet („Kadísh“) zu sprechen. Für Kurtzer und Scott B. Lasensky lief die rücksichtslose Solidarität mit Israel auf einen strategischen Eskapismus hinaus, der sich letztendlich für diesen Staat als lebensgefährlich erweisen könne. Als „amateurhaft“ verurteilte Daniel Levy, vormals Rechtsberater im israelischen Team der „Genfer Initiative“, Washingtons Nahostpolitik. Ohne einen Zweifel an seiner Verachtung für den „notorischen Lügner“ Arafat zu lassen, führte Martin Indyk in seinem Buch „Innocent Abroad“ die konzeptionellen Schwächen und die politische Hilflosigkeit von Clinton bis Bush vor. Neben den „Doppeldeutigkeiten“ machte Indyk eine durchgängige „Naivität“, eine „treuherzige Schlichtheit“, eine „grandiose Torheit“, einen schwer verständlichen „Illusionismus“, „haarsträubende Versäumnisse“ sowie schwere taktische „Mängel“ für Washingtons gesamte Politik aus: „Wir nahmen fälschlicherweise an, dass die nahöstlichen Akteure einschließlich unserer israelischen Friedenspartner mit Erfolg unsere Bemühungen mit ihrem eigenen Vorteil verbinden würden, doch heraus kam ein höchst abweichendes Ergebnis.“ William Pfaff kommentierte in der „International Herald Tribune“: „Mehr als 30 Jahre haben sich die Vereinigten Staaten geweigert, sich wirklich unparteiisch zu bemühen, eine Lösung für jenen Konflikt

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[zwischen Israel und den Palästinensern] zu finden. Sie haben sich tausendfach in den Nahen Osten eingebracht, haben aber nie eine Verantwortung übernommen, sich unparteiisch zu beiden Seiten zu verhalten, die in ihrer gemeinsamen Agonie und ihrer gegenseitigen Tragödie gefangen sind.“ Die von John Kerry behauptete „unverzichtbare Rolle“ hat sich verschlissen. Netanjahus Auftritt vor dem US-Kongress im Mai 2015 kommentierte er so: „Es war keine Überraschung, dass Netanjahu den Vertrag mit den Iranern erheblich verzerrte. Er lieferte eine handwerklich gute, aber rein politische Erklärung ab, keine ehrliche Analyse der Nichtverbreitungsstrategie oder ein substantielles Argument, wie Israel ohne einen Vertrag tatsächlich sicherer gemacht werden könnte. Doch dann verstand jeder wieder einmal, dass die Rede ein Appell an die Adresse der Innereien ging – eine emotionale Predigt, die darauf abzielte, seine Unterstützer in den Vereinigten Staaten zu mobilisieren und Senatoren zu verletzen, die dem Vertrag zustimmen. Als ein nicht schwankender Unterstützer Israels, der immer meine Differenzen mit Bibi durch eine politische und nicht durch eine persönliche Linse sah, war ich von ihm enttäuscht. Während meiner Karriere im Senat hatte ich Israel loyal unterstützt, und als Außenminister habe ich unablässig an Wegen festgehalten, Israel dabei zu helfen, Angriffe in internationalen Organisationen zu verhindern, bei unfairen Resolutionen zu intervenieren und in den Vereinten Nationen zu empfehlen, vom Vetorecht Gebrauch zu machen. Präsident Obama hat viel, wenn nicht mehr als jeder andere Präsident Israel unterstützt. Wir hatten unermüdlich in Israels besten Interessen in internationalen Gremien agiert. Ich glaubte, dass wir Besseres als eine Rede verdient hatten, die unter die Gürtellinie zielte. Wir wurden an der Seite der Iraner heruntergemacht, was wirklich merkwürdig war.“ 230

Schon 1972 hatte Senator William J. Fulbright (1905 – 1995) seine politischen Überzeugungen unter den Titel „Der verkrüppelte Gigant“ gestellt. Ähnlich äußerte sich Vali Nasr Jahrzehnte später, der im „State Department“ gearbeitet hatte, bevor an die Universität zurückkehrte. Dagegen glaubte Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater Jimmy Carters zwischen 1977 und 1981, in den 1990er Jahren, dass die USA „weltbeherrschend“ seien: „Amerika steht im Mittelpunkt eines ineinandergreifenden Universums, in dem Macht durch dauerndes Verhandeln, im Dialog, durch Diffusion und in dem Streben nach offiziellem Konsens ausgeübt wird, selbst wenn diese Macht letztlich von einer einzigen Quelle, nämlich Washington, D.C., ausgeübt wird. Das ist auch der Ort, wo sich der Machtpoker abspielt – und zwar nach amerikanischen Regeln.“ Die USA könnten nicht hinnehmen, dass in Europa oder in Asien eine Großmacht entsteht, die einmal zur Bedrohung ihrer Führungsposition aufsteige. Gegenüber Israel fällt diese Richtschnur aus, weil es im Zeitalter tiefer geopolitischer Umbrüche für Washington ein von ihm hinterlassenes Machtvakuum ausfüllt. So sah der frühere Oberkommandierende in Afghanistan und im Irak David Petraeus in seiner Anhörung vor dem US-Senat im März 2010 in der „US-Begünstigung für Israel“ den Grund dafür, dass die Administration im Nahen Osten mit ihren Zielen nicht vorankomme. Politische Lernerfolge aus den negativen Erfahrungen haben auf sich warten lassen. Dem israelischen Beharren auf Judäa und Samaria liegt eine nationalreligiöse Logik zugrunde, die sich vom Friedensvertrag mit Ägypten und Jordanien abgesetzt. Bei der monatlichen Befragung des Tel Aviver „Peace Index“ äußerten im November 2016 fast 48 Prozent der Israelis die Erwartung, dass sich Trump nicht in den Siedlungsbau einmischen werde. Nancy Pelosi, demokratische Minderheitsführerin im Repräsentantenhaus, hat die Auslandshilfe für Israel als „heilig“ bezeichnet. Anfang August 2018 genehmigte der Senat 38 Milliarden US-Dollar zur Stützung des israelischen Verteidigungs-

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haushalts bis 2028. Wirtschaftliche Lockrufe und Angebote einer privilegierten Partnerschaft mit Europa, wie Mitte Januar 2017 in Paris angeboten, stoßen in Israel auf demonstratives Desinteresse, weil die Beziehungen auch ohne sie gedeihen. Wenn Israels Wettbewerbsfähigkeit 2018 weltweit an 20. Stelle rangierte – Deutschland wurde auf Platz 3 nach den USA und Singapur eingeordnet – kann sich die israelische Regierung einen Kurs ohne internationale Rücksichtnahmen leisten. Die 1963 von Egon Bahr angekündigte Strategie „Wandel durch Annäherung“ ist nahezu chancenlos ausgelaufen, weil in Israel ein anderer Mehrwert gilt: die Trias aus Gott, Land und Volk. Die Regierung in Jerusalem hat also keinen Anlass zur Sorge, wenn 17 hochrangige frühere Angehörige der Administration sowie Politiker und Diplomaten Anfang 2018 noch einmal auf der Zwei-Staaten-Lösung mit Jerusalem als Doppelhauptstadt beharrten. Der Administration solle man für den Tod der Zwei-Staaten-Lösung endlich Dank sagen, ließ der journalistische Berichterstatter aus den palästinensischen Gebieten Gideon Levy in der „Haaretz“-Neujahrsausgabe 2016/ 17 seinen Sarkasmus spielen. Im September 2018 stieg das Vertrauen in Trump auf 69 Prozent.

„Orgien der Huldigung“ Woodrow Wilsons Losung „America first“ aus dem Jahr 1915, die von den Neueinwanderern staatspolitische Loyalität einforderte, setzte sich 1941 mit dem isolationistischen „America First Committee“ unter Leitung von Charles Lindberg (1902 – 1974) durch – dass er Antisemit war, ließ sich verkraften. Wirtschaftliche Sanktionen, die zum Inventar der auswärtigen Politik Washingtons gezählt werden, bleiben gegenüber Israel aus. Da weder Netanjahu noch Trump politischen Selbstmord begehen wollen, bleiben beide Länder „Freunde der Tat“

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(Melman/Raviv). Hinweise auf die vertrauensbildenden Regeln, die der „Konferenz / Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) zugrunde lagen, gehen in die Irre, weil sie auf dem Prinzip der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen beruhen, die Yehuda Z. Blum, Meir Shamgar und andere, bezogen auf die Westbank, ausgeschlossen hatten. Überlegungen, die Ehud Barak nicht fremd waren, Israel an die NATO und/oder an die Europäische Union heranzuführen, scheiterten am Unwillen, mit dem Gewinn einer Lastenteilung Souveränitätsanteile abzutreten, obwohl in Artikel 5 des NATO-Vertrages eine militärische Beistandspflicht vorgesehen ist. Ben-Gurion hat, wie Tom Segev berichtet hat, mit dem Beitritt zur NATO gespielt, bis die deutschen „Wiedergutmachungsleistungen“ im Zuge des Luxemburger Abkommens vom September 1952 die außenpolitische Sicherheit Israels stabilisierten. Wenn Israel stark genug ist, Verteidigungsbündnisse abzulehnen, betätigen internationale Rüstungslieferungen die israelische Grundentscheidung absoluter Handlungsfreiheit. Sie ist älter als Trumps Absage an die „Ideologie des Globalismus“. Auch gegen eine „Back channel“-Diplomatie zeigt sich die Regierung abgeneigt, weil sie auf Kompromisse hinauslaufen würde. In Jerusalem muss man auch keine Konsequenzen aus der Verletzung der humanitären Verpflichtungen im Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union befürchten, obwohl sie keine Interpretationsspielraum einräumen. Man kann sich die Verweigerung leisten, weil der Staat wirtschaftlich und bilateral weltweit in ein dichtes Netz eingebunden ist. Im Juni 2017 unterzeichnete die Europäische Union mit „EuroAsia Interconnector“ und anderen Projekten Vereinbarungen, wonach bis 2021 die israelischen Siedlungen in die Westbank und auf den Golanhöhen an das Elektrizitätsnetz angeschlossen werden sollen. Dreizehn Monate später unterzeichneten die Europäische Union und Israel ein Abkommen zwischen Europol und der israelischen Polizei,

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das nicht vor der Westbank haltmacht. Forderungen nach internationalen Untersuchungskommissionen wie im Falle der schweren Zusammenstöße zwischen Tausenden Palästinensern und dem israelischen Militär an der Grenze des Gazastreifens Mitte Mai 2018 mit vielen Toten zeigen keine Wirkung: Dem Minister für Strategische Sicherheit Gil’ad Erdan bedeuteten sie ebenso wenig wie die toten Nazis: Weder Proteste gegen die Abriegelung des Küstenstreifens noch der Nazismus ließen sich erklären oder verstehen. Nicht unseren besten Freunden und selbst nicht den USA werden wir unser Schicksal anvertrauen, haben Netanjahu und Reuven Rivlin betont. In den 1970er Jahren führte Moshe Dayan aus: „Unsere amerikanischen Freunde geben uns Geld, Waffen und Ratschläge. Wir nehmen das Geld, und wir nehmen die Waffen, aber wir weisen die Ratschläge zurück.“ Israel könne sich aufgrund seiner moralischen Macht Hartnäckigkeit leisten, ist anderen Orts betont worden, womit sich der Verdacht der israelischen Trittbrettfahrerei als unberechtigt erweist. Insofern fand es Chemi Shalev bemerkenswert, dass 84 Prozent der jüdischen Israelis im Falle einer Existenzbedrohung nach wie vor auf das Eingreifen der USA hoffen, obwohl sie mit den Schlagworten vom „Volk, das allein wohnt“, „die ganze Welt ist gegen uns“ und „wenn nicht ich für mich bin, wer dann?“ erzogen wurden. Nur die Ultraorthodoxen würden sich dagegen aussprechen, ihr Schicksal Nichtjuden anzuvertrauen. Zu den Feierlichkeiten aus Anlass des 70. Jahrestages der Gründung trug die Sängerin Hagit Yaso das „Halleluja“, den liturgischen Gesang zur Verherrlichung Gottes105 vor – mit einem Medaillon um den Hals, das Israel in den Grenzen zwischen Mittelmeer und Jordan auswies. „Nächstes Jahr in Jerusalem“ – keineswegs als Bestätigung des nächsten Austragungsorts, sondern als religiöses Bekenntnis, das traditionell am Vorabend von „Pessach“ und zum Abschluss des Versöhnungstages vorgetragen wird.                                                              105

Psalm 113,1-9. 234

Die massiven Transferleistungen aus den USA, aus Europa und Japan dienen der mühsamen Rettung des brüchigen Lebensstandards in der Westbank; Weiterleitungen in den Gazastreifen hat die Autonomiebehörde zusammengestrichen. Während im Sommer 2012 das israelische Verteidigungsministerium die Zerstörung von acht Dörfern in den südlichen Hebron-Bergen für militärische Trainingszwecke ankündigte, wertete der „EU-Israel Association Council“ auf seiner Jahrestagung in einem Zusatzprotokoll 60 Bereiche zur Verbesserung der Handels- und diplomatischen Beziehungen auf. Indem Netanjahu bei der Begegnung mit Sigmar Gabriel Ende Januar 2018 und anschließend auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Sicherheit vor einem iranischen Atomprogramm, die Bedrohung durch die Kämpfe in Syrien sowie durch die Palästinenser in einem Zug nannte, unterstrich er das Bekenntnis zur jüdischen Einsamkeit zumindest in der Region.

BDS-Abwehr als Ablenkungsmanöver Am 01. März 1980 hatte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 465 alle Staaten aufgerufen, „von jeglicher Unterstützung Israels in Verbindung mit Siedlungen in den besetzten Gebieten“ abzusehen, und die Veränderung des „physischen Charakters, der demographischen Zusammensetzung, der institutionellen Struktur oder des Status der palästinensischen und anderer arabischer Territorien“ in den seit 1967 besetzten Gebieten kritisiert. Da sich die israelische Exekutive gegenüber solchen Forderungen taub stellt, sind Teile der international breit gefächerten Bewegung „Boykott, Entzug von Investitionen, Sanktionen“ (BDS) dazu übergegangen, das gesamte Territorium zwischen Mittelmeer und Jordan ins Zentrum ihrer Aktivität zu rücken. Israelische Institute wie die „Bank Ha-Poalím“ („Arbeiterbank“) und die „Bank Le’umi“ („Nationalbank“) sowie die nationale Telekommunikationsgesellschaft „Bezeq“

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(„Blitzlicht“) sind dort tätig; nicht anders verhält es sich mit Kaufläden und Handwerksbetrieben. Nach Angaben der Europäischen Kommission und der Weltbank exportierten die Palästinenser 2016 Waren im Wert von 15 Millionen Euro nach Europa, während die Waren aus den jüdischen Siedlungen den Wert von 230 Millionen Euro erreichten. Gegen die Stimmen der weit rechtsstehenden Dänischen Volkspartei beschloss das Parlament in Kopenhagen gemäß der UN-Resolution 2334 vom 23. Dezember 2016 mit 81 gegen 22 Stimmen, dass die jüdischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten aus Verträgen mit Israel ausgeklammert werden sollen. Außerdem wurde die Regierung in Kopenhagen aufgefordert, ihre Leitlinien zur Verhinderung dänischer Projekte jenseits der „Grünen Linie“ durchzusetzen. Der drittgrößte Rentenfonds Dänemarks ist mit Einlagen im Wert von 43,5 Milliarden US-Dollar in den palästinensischen Gebieten vertreten. Im Dezember 2017 hatte Außenminister Anders Samuelson nach israelischem Druck angekündigt, die Zuwendungen für palästinensische NGO’s zu kürzen und ihre Tätigkeit zu überwachen, ohne die ZweiStaaten-Lösung aufzugeben. Die Europäische Union solle in tausend Höllen fahren, „um es freundlich auszudrücken“, bekannte der Netanjahu-Vertraute Yuval Steinitz, Minister für Strategie, Geheimdienste und für Angelegenheiten der internationalen Beziehungen. Dennoch sollen die bilateralen Beziehungen Europas nach Auskunft des italienischen EU-Botschafters in Israel Emanuele Giaufret, zuvor im Brüsseler „European External Action Service“ (EEAD) für Demokratie und Wahlbeobachtung zuständig, „außerordentlich stark, vielseitig und wachsend“ bleiben. Die Verbindungen, Interessen und Affinitäten würden, ungeachtet der Klauseln zu den palästinensischen Gebieten, von Tag zu Tag weiter wachsen. Giaufret schlussfolgerte, dass „die beißende Kritik nichts weniger als das symbiotische Verhältnis beweist“, das auf „denselben Werten“ zwischen Europa und Israel beruhe: „Wir glauben an die Demokratie, an die Autorität des Gesetzes und an die Menschenrechte“, auch wenn es nicht leicht sei, sie einzuhalten, und es „begrenzte 236

diplomatische Uneinigkeiten“ gebe etwa zur Zwei-Staaten-Lösung, an der Europa aus „schierem Realismus“ festhalte. Ehrlicher lässt sich der Freibrief für die israelische Politik nicht formulieren. Das grundsätzliche Einvernehmen hat Giaufret nicht davor bewahrt, ins Jerusalemer Auswärtige Amt einbestellt zu werden, wo ihm die Einmischung in innerisraelische Angelegenheiten untersagt wurde, nachdem er namens der Europäer die Bedenken gegen das „Nationalstaatsgesetz“ vorgetragen hatte. Anfang August 2018 kündigte die Sprecherin von Federica Mogherini die Ernennung von Susanna Terstal, der bisherigen Botschafterin der Niederlande in Teheran, zur Nachfolgerin von Fernando Gentilini als EU-Sonderbotschafterin für den Nahen Osten mit Sitz in Brüssel an. Terstal solle die israelischen und palästinensischen Hindernisse auf dem Weg zur Zwei-Staaten-Lösung „hören“, einschließlich des Gazastreifens. Ohne eine einheitliche Linie werden die Europäer auch künftig auf Granit beißen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Index aller Waren und Dienstleistungen sorgt in Israel für ein vergleichsweises hohes Maß an Zufriedenheit. Unter diesen Voraussetzungen verpuffen die Wirkungen von BDS, zumal da sie in Israel unterschiedlich bewertet werden. Die einen verweisen auf die wirtschaftliche Ineffektivität der Kampagnen, für andere würden sie auch die israelischen Palästinenser treffen. Professoren befürchten die Einschränkung des wissenschaftlichen Austauschs, und schließlich sind Untertöne unverkennbar, die auf die Eliminierung des Staates Israel abstellen. Dagegen hielt die Gründerin und Präsidentin des Verbandes „Ärzte für Menschenrechte“ Ruchama Marton BDS für das einzige gewaltfreie Mittel, damit ihre Gesellschaft „das Joch und den Schmerz der Besatzung spürt, wenn sie den Preis dafür bezahlen muss“. Daniel Boyarin, Professor für Talmudische Kultur in Berkeley, berief sich in seinem Protest auf die „Thora“. Um die Wiederaufnahme von politischen Verhandlungen zu erreichen, sprachen sich 84 USBürger, unter ihnen Bernard Avishai, Peter Beinart und Michael Walzer, im Oktober 2016 für „einen gezielten Boykott aller Waren und 237

Dienstleistungen aus allen israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten“ aus und forderten von Washington, Siedlungen von der Liste der Vergünstigungen für israelische Unternehmen zu streichen sowie israelischen Betrieben in der Westbank die Steuerbefreiung zu entziehen, wenn sie den amerikanischen Markt bedienen. Im Gegenzug ermahnte Ron Brummer, geschäftsführender Direktor des Ministeriums für Strategische Sicherheit und Öffentliche Diplomatie, US-Firmen, dass Judäa und Samaria zu Israel gehören. Uri Avnery wollte „unseren Job“ nicht Ausländern überlassen und warnte vor der internationalen Isolierung, die lediglich der politischen Rechten in die Hände spiele. Darin stimmte ihm mit der Begründung Talia Sasson zu, die BDSKampagnen abzulehnen. Hat Israel den Einsatz gegen die transnationalen BDS-Kampagnen gewonnen, nachdem die auswärtigen Beziehungen ausgerechnet unter Netanjahu entgegen allen Prognosen wie nie zuvor gedeihen? Immerhin werden die Drohungen so ernst genommen, dass die Knesset ein Gesetz verabschiedet hat, wonach israelische Befürworter eines systematischen und organisierten Boykotts der Siedlungen mit bis zu umgerechnet 120.000 Euro bestraft werden können. Für die Abwehr solcher „Verstöße“ im Ausland wurde eine PR-Einheit mit einem Budget von zunächst rund 75 Millionen US-Dollar eingerichtet. Wer Israel boykottiert, sollte auch auf dem Boykott der USA beharren, ist eingewendet worden, Trump habe ihn voll verdient. Im Juli 2018 sah sich Federica Mogherini zur Zurückweisung des Vorwurfs genötigt, Europa würde mittels der Finanzierung von NGO’s zum Terror aufwiegeln. Viel schmerzlicher als die BDS-Kampagnen war für Israel die Absage des Freundschaftsspiels der argentinischen Fußballnationalmannschaft um Lionel Messi in Jerusalem – auf israelisches Drängen wurde der Austragungsort aus Haifa verlegt – im Juni 2018, für dessen Werbung Kultur- und Sportministerin Miri Regev 760.000 US-Dollar einsetzte. Im April hatte sich die israelisch-amerikanische Schauspielerin 238

Natalie Portman geweigert, den mit einer Million US-Dollar – zu denen eine weitere Million eines israelischen Philanthropen kommen sollte – dotierten „Genesis Prize“ entgegenzunehmen; er gilt als jüdischer Nobelpreis. In beiden Fällen plante die Regierung, die Auftritte zu einer Sympathiekundgebung für den 70. Jahrestag der Staatsgründung und als Feier der Anerkennung Jerusalems als alleiniger Hauptstadt Israels zu nutzen. Regev warf Portman vor, der BDS-Kampagne verfallen zu sein, ein Abgeordneter verlangte vom Innenminister, ihr die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Außerdem wurde das Publikum aufgefordert, den Besuch ihres Films „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ nach dem Roman von Amos Oz zu meiden. Portman begründete ihre Absage damit, dass Israel als Zufluchtsstaat der Überlebenden des Holocaust gegründet worden sei, aber die Misshandlung jener, die heute Gräueltaten erdulden müssten, die Palästinenser, ihren – Portmans – jüdischen Werten widersprechen würde. Zu den früheren Preisträgern des Preises gehörten der Violinist Yitzhak Perlman und der frühere New Yorker Oberbürgermeister Michael Bloomberg. Als Anfang Juli 2018 Ruth Bader Ginsburg, seit 1993 Richterin am „Supreme Court“ der USA, mit der Verleihung des „Lifetime Achievement Award“ ausgezeichnet wurde, verwies sie auf ihre Verbindung zur „American Civil Liberties Union“ (ACLU) mit ihrem lebenslangen Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen und verglich deren Geringschätzung in Israel mit jener der Afro-Amerikanerinnen daheim. Die Liste derjenigen, die sich den BDS-Kampagnen anschließen, wächst dennoch. Zu ihr gehören die Unterzeichner des Aufrufs, den „European Song Contest“ (ESC) 2019 nicht in Israel stattfinden zu lassen. Es sei Gottes Gnade zuzuschreiben, dass die Araber das Öl und die Israelis die amerikanischen Juden bekommen hätten, scherzte Uri Avnery. Wenn auf der AIPAC-Jahresversammlung im März 2018 im Washingtoner „Renaissance Hotel“ gleichwohl erstmals israelische und amerikanisch-jüdische Friedensgruppen ihre Überzeugungen 239

vertreten konnten, legt dies den Schluss nahe, dass die hohe Wertschätzung Israels in die Krise geraten ist. Dass die 20 Minuten lange Rede der UN-Botschafterin Nikki Haley mit 18 stehenden Ovationen bejubelt wurde, der demokratische Senator Chuck Schumer den Palästinensern die Verantwortung für den ausbleibenden Frieden zuschob, weil sie nicht an die „Thora“ glauben würden, und die Ansprachen anderer Senatoren und Abgeordneten des Repräsentantenhauses von „Orgien der Huldigung“ begleitet wurden, kann über die Einbrüche nicht hinwegtäuschen. Der Abstand zwischen der amerikanischen Diaspora und der israelischen Öffentlichkeit lässt sich nicht mehr leugnen. Die politisch und religiös vielfach als homogen gewürdigte jüdische Gemeinschaft ist zerfallen. 43 Prozent der säkularen Juden in den USA haben kein besonderes Interesse, Israel zu besuchen, ging aus einer Umfrage im Sommer 2018 hervor. Einer anderen Erhebung zufolge schrecken die meisten Juden in den USA davor zurück, sich in der Öffentlichkeit zu Israel zu äußern, weil ihnen das Thema unangenehm sei. Die amerikanischen Juden seien in Bezug auf die Religion und die Beziehung zu Israel nie so gespalten wie heute, urteilte der in Stanford lehrende Soziologe Steven M. Cohen. Sind unsere Bindungen an Israel zerbrochen?, fragte der Präsident der „Union for Reform Judaism“ Rick Jacobs. Für den geschäftsführenden Vorsitzenden der traditionell Israel-freundlichen „United Synagoge of Conservative Judaism“ (USCJ), Rabbiner Sten Wernick, trennen Israel und die Diaspora keine Kluft, sondern ein Canyon; der Verband ist der weltweit größte Zusammenschluss konservativer jüdischer Gemeinden. Rabbiner Eric H. Yoffie, ehemals Präsident der „Union for Reform Judaism“ in den USA, schrieb zur Jahreswende 5778/79 (Herbst 2018), dass seine Landsleute nie zuvor so verwirrt, verzweifelt und zerrissen sein, was Israel angehe. Die nationalreligiöse Gegenwehr wird von Persönlichkeiten wie Jonathan Neumann getragen, der das theologische Konzept des „Tikkún olám“ („Verbesserung der Welt“) als die „Bastardisierung der alten Zivilisation“ verurteilte, weil sie die Grenzen zwischen den Juden und anderen 240

verwische; die Analogie zu Jonathan Sacks fällt in Auge. Für Leon A. Morris hingegen zeigt sich Gott am „Krönungstag“ des jüdischen Neujahrs als Herrscher des gesamten Universums. Susannah Heschel, Professorin für Jüdische Studien am Dartmouth College (New Hampshire) sah die jüdische Welt inmitten eines Bürgerkrieges. Auch die in einer orthodoxen Familie in Deutschland geborene Professorin für englische Literatur an der Hebräischen Universität und Israel-Preisträgerin Alice Shalvi bekannte, dass sie sich seit 1949 als Einwanderin fühle und von der Orthodoxie abgewendet habe, weil sie die traditionellen Gebete nicht länger „schlucken“ könne. Nachdem das israelische Kabinett Ende Juni 2017 Tableaus für einen egalitären Gebetsplatz an der Klagemauer für Juden und Jüdinnen aus den USA rücksichtslos abgelehnt hatte, verlangte der Vorsitzende des Gouverneursrates der „Jewish Agency“ Michael Siegal die Überprüfung der Beziehungen: „Wir vertreten das jüdische Volk, nicht die Regierung Israels“: Der „gefährliche und schädigende Schritt“, die Gebetsgemeinschaft zu beeinträchtigen, spalte das jüdische Volk. Die Juden im klassischen Einwanderungsland USA verfügen über viele Institutionen, seien aber arm an einer kollektiven Identität, hat der Historiker David Myers beklagt und verlangte anstelle der„Schmelztiegel“-Ideologie in Anlehnung an Judah Magnes‘ einen Ansatz einer „Symphonie der Nationalitäten“ und an die „State of the Union Address“ von Franklin D. Roosevelt 1941 die „Freiheit, verschieden zu sein“ („libertas differendi“) als Gegenwehr zur „Kultur des Hyper-Individualismus“, die den Autor befürchten ließ, dass seine Töchter Nichtjuden heiraten, ohne dass er als „Stammesjude“ („tribal Jew“) sie sieben Tage lang als Tote beklagen („Shivá“) würde. „Als geschichtliche und moralische Verpflichtung müssen wir an der Kette der Traditon festhalten.“ Im Gegenzug wollte der Vorsitzende der Partei der „Sefardischen Thorawächter“ Arye Der’i dafür sorgen, dass nicht „alle möglichen Gruppen“ einwandern, denen die religiösen Errungenschaften Israels fremd seien: Er fürchte den Verlust von Millionen Juden durch Assimilation. 241

Damit dürfte er kaum jene vornehmlich konservativen israelisch-amerikanischen Doppelstaatsbürger gemeint haben, die hier und dort zur Wahl gehen. Denn ihre Stimme sind für „Shas“ unverzichtbar. Kulturministerin Miri Regev ergänzte, dass der Reform angehörende Juden in Argentinien bleiben sollten oder sich nach ihrer Einwanderung wie Israelis verhalten müssten. Millionen Israelis missachten die Vorgaben der Rabbinate, wenn sie die Speisegesetze übergehen und den Shabbat an den Stränden des Mittelmeers verbringen – ohne daran zweifeln, dass sie Juden sind. In Amerika braucht Netanjahu die liberalen Juden nicht, weil ihm die evangelikalen Christen mit Vizepräsident Mike Pence zur Seite stehen. Am Laubhüttenfest („Sukkot) im September 2018 hinderte ein orthodoxes „Joint Committee for Preserving the Holiness of the Kotel [Klagemauer])” konservative Juden daran, ihren eigenen Gebetsplatz zu behaupten. Der Oberste Gerichtshof sollte gezwungen werden, „die viele Jahrtausende alte Tradition des Judentums“ zu aufrechtzuerhalten. Zuvor sorgten Granden unter Mitwirkung der religiösen Zionisten Shmuel Eliyahu, Shlomo Aviner, Zvi Tau und Dov Lior sowie der beiden Oberrabbiner David Lau (aschkenasisch) und Yitzhak Yoséf (sefardisch) für die Aufrechterhaltung des orthodoxen Monopols bei Konversionen zum Judentum. Das dazu verabschiedete Gesetz geht zu Lasten Hunderttausender Israelis aus der ehemaligen Sowjetunion sowie Frauen und Männern, die in „Mischehen“ leben. Zwar wächst die Zahl der Eheschließungen mit konservativem und Reformritus, doch ob die daraus erwachsenden Konsequenzen (Respektierung der Kinder als „Volljuden“, Erbrecht, Scheidung) die halachische Zustimmung finden, ist ungewiss. Ein Disput kündigte sich an, als aus der jüngsten „Birthright“-Kampagne – seit 1999 ist die auf Veranlassung Yossi Beilins gegründete Institution mit dem hebräischen Namen „Taglít“ („Entdeckung“) darauf ausgerichtet, jüdischen Jugendlichen einen gebührenfreien 10Tage-Aufenthalt in Israel zu ermöglichen und sie auf diese Weise zur Einwanderung zu motivieren – Begegnungen mit palästinensischen 242

Staatsbürgern Israels aus dem Programm gestrichen wurden. Hauptfinanzier ist der Netanjahu nahestehende Kasino-Mogul Sheldon Adelson, zehn der 33 Reiseorganisatoren stammen aus dem orthodoxen Lager. Nationalistischen und religiös-orthodoxen Israelis sei es gelungen, „Birthright“ zu unterwandern, hieß es auf Kundgebungen. Vorhaltungen wie diese fielen bei dem kanadischen Milliardär und Besitzer des „Seagram“-Spirituosenunternehmens Charles Bronfman, der zu den Gründern von „Birthright“ gehört, auf taube Ohren: Solange die Reiseteilnehmer „von uns bezahlt werden, haben sie kein Recht, Israel zu kritisieren“, ließ er im August 2018 wissen, auch wenn er eine gewisse Distanz zu Netanjahu nicht verhehlen wollte, zuletzt gegen dessen Unterstützung des „Nationalstaatsgesetzes“. Damit stellte er sich indirekt gegen die stellvertretende Außenministerin Tsipi Hotovely, die sich gegen eine „liberale Diktatur“ verwahrte, als sie von der weltweit größten Studentenverbindung „Hillel“ in Princeton ausgeladen worden war.

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  Sharon und Ermina 2011 in „Neve Shalom/Wahat As-Salam“ („Oase des Friedens”). Die beiden Mädchen lebten mit ihren Eltern in der Gemeinschaftssiedlung am Fuße des Judäischen Bergrückens zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Das Foto verdanke ich dem Münchner Fotografen Fritz Mastnak. Besuche von Hillary Clinton, Jane Fonda und Richard Gere im israelischen Friedensdorf haben in Washington keine politischen Spuren hinterlassen.

Protest und Entrüstung reichen nicht aus Hat Europa die Wahl, von der Landkarte zu verschwinden oder zu gedeihen?, wie Netanjahu gedroht hat. Als im März 2017 das Berliner Auswärtige Amt die Gründung der Siedlung „Geúlat Zion“ („Die Er-

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lösung Zions“) als völkerrechtswidrig verwarf, versicherte sie gleichzeitig dem Staat Israel „jetzt und für immer“ seine Sicherheit, so dass die Zusage in Jerusalem als Ermutigung für die Fortsetzung der bisherigen Politik gedeutet werden konnte. Bei der Abstimmung über die Jerusalem-Resolution in der UN-Vollversammlung am 21. Dezember 2017 schloss sich die Bundesregierung dem Votum der Mehrheit nicht an und enthielt sich der Stimme. Sollen Gabriels Anfragen am 31. Januar 2018 vor dem „Institute for National Security“ in Tel Aviv mehr als Rhetorik bleiben: ‚Wie steht ihr zur Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes? Seid ihr bereit, für die Fortsetzung der Besatzung den Preis der Entfremdung in Deutschland und in anderen Teilen Europa zu zahlen? Ist es wirklich eine gute Sache, allein auf die USA zu setzen 106? Die Ausführungen im Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD intonierten anderes: „Wir bekennen uns zu der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als jüdischem und demokratischem Staat und dessen Sicherheit. Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstößlich und ein Pfeiler deutscher Politik. Unser Ziel ist ein Leben der Menschen im Nahen und Mittleren Osten ohne Angst und in Würde. Deutschland wird sich weiter für eine Lösung des Nahostkonflikts auf Basis einer (sic) Zweistaatenlösung einsetzen. Der Status von Jerusalem wird genauso wie andere abschließende Statusthemen erst im Zuge von Verhandlungen geklärt werden, um dauerhaft akzeptiert und haltbar zu sein. Die aktuelle Siedlungspolitik Israels widerspricht geltendem Völkerrecht und findet nicht unsere Unterstützung, weil sie die Zwei-Staatenlösung (sic) erschwert. … In den palästinensischen Gebieten sind auf allen Ebenen demokratische Fortschritte nötig.“

                                                             106

Text der Rede Sigmar Gabriels in den Anlagen. 245

Warum wird die Widersprüchlichkeit in diesem Dokument nicht erkannt? Welche Vorstellungen stehen hinter dem Bekenntnis „jüdisch“? Warum war dem Koalitionsvertrag kein Hinweis auf die Rolle des israelischen Militärs und der Siedler keine Silbe wert? Hat das „Nationalstaatsgesetz“ diesem Bekenntnis den Boden entzogen? Selbst ein oberflächlicher Blick in die Protokolle des Bundestages gibt Auskunft darüber, dass seit Jahren der Siedlungsausbau quer durch alle Fraktionen und aller Bundesregierungen als völkerrechtswidrig bezeichnet und die Europäische Union aufgefordert wird, mit einer Stimme zu sprechen. Der internationale Rückgriff auf das Völkerrecht hat mit den ideologischen Leitideen der israelischen Politik nichts zu tun. Dass sich auch die Autonomiebehörde auf das Völkerrecht bezieht, unterstreicht ihren eklatanten Mangel an Realitätssinn, der sie die Besatzung lediglich als „moralischen Kreuzzug“ bewerten lässt107. Dass im Koalitionsvertrag der Status Jerusalems „erst“ im Zuge von Verhandlungen geklärt werden soll, übersieht den zentralen politischen Stellenwert. Stehen die demokratischen Fortschritte unter den Palästinensern auch in Israel in Gefahr? Wer interpretiert seine Sicherheit? Würde sie im Ernstfall eine militärische Intervention der Bundeswehr unter der Maßgabe der „Responsibility to protect“ einschließen, im Alleingang ohne Verbündete? In seiner Antrittsvorlesung als Gastprofessor hat Gabriel im April 2018 in Bonn für weniger Moralin und für mehr Realismus plädiert. Etwa zur selben Zeit gab er vor der Körber-Stiftung der künftigen deutschen Außenpolitik das „politisch-strategische Denken“ und die „schonungslose Analyse“ als sein politisches Vermächtnis mit. Sein Amtsnachfolger Heiko Maas – „Ich bin nicht Sigmar Gabriel“ – versicherte dagegen Netanjahu nach dessen Verzicht auf eine Bewerbung als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, die israelischen Interessen in New York zu                                                              107

Walid Salem: The Middle East Peace Process. To: Mr. Jason Greenblatt, the White House, Jerusalem, 15.05.2017. 246

vertreten. Die von ihm im Bundestag angekündigte deutsche „Stimme der Vernunft“ harrt ihrer politischen Konkretisierung. Schweigen ist keine Option mehr. Die Begegnungen Gabriels und von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiers im April und Mai 2017 mit kritischen Regierungsorganisationen waren darauf angelegt, diese beim Bemühen zu unterstützen, ihren Staat und ihre Gesellschaft aus der selbstverordneten Abschirmung von der Welt zu befreien, damit der Staat kein Projekt eines geschichtsfernen Kunstprodukts bleiben. Gabriel und Steinmeier unterstützten die Entmythologisierung der „Land Israel“-Leidenschaften. Am 05. Mai 2017 bedankten sich 22 israelische Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wissenschaft. Zu den Unterzeichnern gehörten die frühere Generalkonsulin in New York Colette Avital, der ehemalige Präsident der Knesset Avraham Burg, die frühere Vizepräsidentin der Knesset und langjährige Vorsitzende des „New Israel Fund“ Naomi Chazan, die ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin von Tel Aviv-Jaffa Yael Dayan, der frühere Generaldirektor im Auswärtigen Amt Alon Liél und Joshua Sobol, Autor der Trilogie „Ghetto“, „Adam“ und „Underground“ in Wilna. Die Unterzeichner wollten sich auf die Erklärung der Bundesregierung verlassen, dass „[z]ivilgesellschaftliches Engagement und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (…) wichtige Pfeiler einer freiheitlichen Demokratie (sind). Es ist bedauerlich, dass in Israel nun ein neues NGOGesetz verabschiedet wurde, das den Spielraum israelischer zivilgesellschaftlicher Akteure einschränkt. Wir hoffen, dass zivilgesellschaftlichen Organisationen auch zukünftig der nötige Spielraum gegeben wird, um ihrer wichtigen Arbeit nachzugehen.“ 1977 kam bei Larry L. Fabian und Ze’év Schiff der Teilnehmer einer Diskussion zu Wort, dass ihn nicht so sehr die physische Existenz Israels beschäftigte, sondern „der ganze Sinn unseres Unternehmens“: 247

„Die Freunde des Friedens müssen stark sein“, lautete seine Antwort. Sollen der Zionismus und der Staat Israel eine vorübergehende Episode in der Geschichte sein?, schloss sich Ehud Baraks einstiger Berater Gil‘ad Sher beklommen an. Im Juni 2018 billigte ein Ministerausschuss eine Vorlage, in der die Dokumentation über das Vorgehen der Soldaten gegen Palästinenser und deren Verurteilung mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden können, weil sie „den Geist der israelischen Soldaten entstellen“, wo doch Israel nach Auskunft Tsipi Hotovelys „die moralischste Armee der Welt hat“, auch wenn sie vor der Erschießung palästinensischer Kinder nicht haltmacht. Bedroht sind „Machsom Watch“ (israelische Frauen zur Beobachtung der Vorgänge an den „Checkpoints“), „Breaking the Silence“, „B’tsélem“, „Combatants for Peace“, „Israeli Committee Against House Demolition“ (ICAHD), „Peace Now“, „Ta’ayush“ („Jewish-Arab Partnership“), „Yesh Din“ („Es gibt ein Gesetz“), „Yesh Gvul“ („Es gibt eine Grenze“ des politisch Zumutbaren) und „Zochrót“ („Erinnern“ an Flucht und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung 1947/48). Sie alle haben im Gegensatz zu rechtsgerichteten Organisationen keinen „Shékel“ aus öffentlichen Kassen bekommen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn selbst das konservativ-liberale „Shalom Hartman Institute“ in Jerusalem 108 und der „Peace Index“ an der Universität Tel Aviv ins Visier der „beschädigten Demokratie“ (Anshel Pfeffer) gerieten.

                                                             108

Das „Shalom Hartman Institute“ wurde 1976 von David Hartman (1931 – 2013) gegründet. Hartman wuchs in einem ultraorthodoxen Umfeld in New York auf und bekleidete nach seiner Einwanderung 1971 eine Professur für zeitgenössische jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität. Sein Bemühen galt einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft. 248

Dagegen stiegen die privat umgelenkten Zuwendungen für die rechtsradikale Gruppe „Im Tirtzú“ („Wenn Ihr wollt 109“) auf umgerechnet 1,7 Millionen US-Dollar. Sie kamen vornehmlich von zwei Organisationen mit dem US-amerikanischen Geschäftsmann Ronald Lauder an der Spitze: „Mit Gottes Hilfe werden wir den Staat Israel weiterhin tatkräftig unterstützen.“ Die Regierung hat regelmäßig im Ausland registrierten Organisationen die „Entwicklung“ von Bodenflächen in den palästinensischen Gebieten übertragen. Auch die Gruppe „Regavím“ („Schollen“) erhielt Millionenzuschüsse für Gerichtsverfahren, damit Klagen gegen die Landnahme in der Westbank, im Negev und in Galiläa erfolglos bleiben. Netanjahu hat „Breaking the Silence“ als eine Gruppe von „Lügnern und Verleumdern“ beschimpft, die Israel rund um den Erdball beschädigen wolle, so dass ihr der Zugang zu Spenden aus dem Ausland entzogen werden müsse. Am 07. August teilte das Büro des Ministerpräsidenten mit, dass die Europäische Union die Zuschüsse für das „Freedom Protection Council“ einstellen werde, in dem rund zwanzig jüdische und arabische Gruppen zusammenarbeiten. Das „Council“, hieß es zur Begründung, würde Israels Recht auf Existenz untergraben und durch seine Arbeit dem Land internationalen Schaden zufügen. Die Veranstaltungen des „Parents Circle – Families Forum“ in Tel Aviv liefern ein höchst wichtiges Signal der gesellschaftlichen Verantwortung beider Seiten. Als die Teilnehmenden 2017 die Halle auf dem Messegelände verließen, wurden sie mit Rufen „Ab mit Euch Verrätern in die Gaskammer!“ empfangen. Bei ihrem Treffen ein Jahr später verwahrte sich David Grossman, dessen Sohn 2006 im Feldzug gegen die „Hisbollah“ ums Leben kam, als Hauptredner vor 6.800 Menschen – manche mussten mit Stehplätzen vorliebnehmen – gegen die von außen geschürte Erregung und unterstrich das gemeinsame Schicksal der Opfer                                                             109

Die Gruppe verhöhnt damit Herzls Appell „Wenn Ihr wollt“, auf dem Titelblatt seiner Novelle „Altneuland“. 249

Angehörigen, für das er kaum Worte finde. Er hoffe, dass Israel über das 70. Jahr seiner Gründung hinaus noch viele Jahrzehnte seine Kinder und Enkel an der Seite eines unabhängigen Staates Palästina in Sicherheit, in Frieden und in eigener Gestaltungskraft großziehen könne, nachdem es seit 1948 eine Festung und noch keine Heimat geworden sei. Die Bereinigung der Komplexität in den israelisch-palästinensischen Beziehungen fasste Grossman in kurzen Formeln so zusammen: –









– – –

Wenn die Palästinenser keine Heimat haben, werden auch die Israelis sie nicht behalten. Wenn Israel keine Heimat wird, wird auch Palästina keine sein. Wenn Israel ein anderes Volk besetzt halte und es unterdrückte, hat es nach 51 Jahren [seit 1967] eine Apartheid-Realität in den besetzten Gebieten geschaffen. Indem Verteidigungsminister Avigdor Lieberman den palästinensischen Angehörigen von Opfern die Beteiligung an der Veranstaltung verbiete, sei Israel weniger als seine, Grossmans, Heimat. Wenn Netanjahu die Öffentlichkeit gegen Menschenrechtsorganisationen aufwiegele und sie diffamiere, werde Israel noch weniger als eine Heimat für alle sein. Wenn sich das offizielle Israel gegen die Not der Überlebenden des Holocaust, gegen die in Not Geratenen, gegen die Alleinerziehenden und gegen ältere Menschen gefühllos zeige, gegen Tagesstätten für Kinder, die ihr Zuhause verloren haben, und den Verfall in den Krankenhäusern nicht Einhalt gebiete, wenn Israel die 1,5 Millionen palästinensische Bürger vernachlässige und diskriminiere, wenn es die Jüdischkeit von Millionen Reform- und konservativen Juden leugne und wenn jeder Künstler seine Loyalität und seinen Gehorsam nicht nur gegenüber dem Staat, sondern gegenüber der führenden Partei

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offenlegen müsse, dann habe die Heimat ihre Rolle für die Minderheit wie für die Mehrheit verloren. Israel, so Grossman abschließend, sei „eine große und wundervolle Angelegenheit, auf die wir wegen seiner Erfolge in der Industrie, in der Landwirtschaft, in der Kultur und in den Künsten, im IT-Bereich, in der Medizin und in der Wirtschaft stolz sein können. Doch wir fühlen den Schmerz seiner Entstellung.“ Er kündigte an, die Hälfte der Auszeichnung des „Israel-Preises“, den er am 19. April erhielt, dem „Parents Circle“ und einer Organisation zur Verfügung zu stellen, die sich um die Kinder der Asylsuchenden aus Afrika kümmert. „Auch wenn mich viele Dinge in der Realität erzürnen und in Depressionen stürzen, auch wenn das Wunder sich in winzige Fragmente der Routine und Jämmerlichkeit, in Korruption und Zynismus auflöst, auch wenn das Land wie eine schlechte Parodie jenes Wunders ausschaut, erinnere ich mich ständig an das Wunder“, hatte Grossman vor einigen Jahren geschrieben. Nach 51 Jahren der Besatzung, so kam Grossman zum Schluss, stelle Israels Herrschaft über die Palästinenser „eine Katastrophe für sie und für uns“ dar: „Die Besatzung zerstört uns.“ Dennoch wolle er nicht woanders leben, denn das Leben hier sei für ihn ein „spirituelles Abenteuer“110. Die neuen Autobahnen, die Skyline Tel Avivs, die Hightech-Industrie und die international geschätzte Transportund Logistikbranche könnten darüber nicht hinwegtäuschen. Doch trotz allem bleibe Israel seine Heimat111.

                                                             110

111

David Grossman: „Düstere Nüchternheit und ein Gefühl der Lähmung“ (Interview), in Deutschlandfunk Kultur 28.09.2018. David Grossman: Daheim in der Trutzburg (Interview), in SZ 23./24.06.2018, S. 18. 251

Politisch tödliche Umarmungen Sigmar Gabriel dürfte bewusst gewesen sein, dass die größte Herausforderung darin besteht, die jüdische Bevölkerung Israels von ihrer Psychose als ewiges Opfer und der daraus resultierenden Reaktion des Gewalteinsatzes zu befreien. Doch die Methoden des „soft power“ im diplomatischen Verkehr (Joseph Samuel Nye Jr.) in Steinmeiers „Streit unter Freunden“ bei „einigen Turbulenzen“ – „Ich habe einige Streitfragen [nach Israel] mitgebracht“, zu denen der Bundespräsident die wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit sowie „nicht zuletzt völkerrechtswidrige Siedlungsaktivitäten“ zählte, ohne dass er „anderen Demokratien Ratschläge geben“ wollte – haben einer Friedensordnung keine Impulse vermitteln können. Bei der Verleihung der Doktorwürde in der Hebräischen Universität unterstrich er seine feste Absicht, „dass meine erste Reise als Bundespräsident außerhalb Europas hierher nach Israel führen sollte“. Die Ehrung leitete Steinmeier mit dem hebräischen Volkslied ein „Siehe, wie fein und lieblich ist’s, dass Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ Zur selben Zeit schrieb Dana Golan, Oberleutnant der Reserve im Grenzschutz, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, warum sie sich „Breaking the Silence“ angeschlossen habe: „Ich habe mich, wie die meisten Israelis, mit 18 freiwillig zu den Streitkräften gemeldet, aus tiefem Pflichtgefühl gegenüber der israelischen Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin. Aber ich war nicht auf den Tag vorbereitet, an dem ich nach Hebron kam und zum ersten Mal im Leben Palästinenser traf, die mich nur wegen meiner Uniform voller Schrecken anstarrten. … Wir haben aus erster Hand gelernt, dass eine Besatzung nicht moralisch sein kann, gleichgültig durch welche Armee112.“                                                              112

Dana Golan: Warum wir das Schweigen brechen, in FAZ 02.05.2017, S. 10. 252

Mit bloßen Beschwichtigungen bleiben Resultate aus. In seiner Rede aus Anlass der Eröffnung des Thomas-Mann-Hauses im kalifornischen Pacific Palisades hat der Bundespräsident davon Abstand genommen, den USA „von oben herab Lektionen in Demokratie erteilen“ zu wollen, weil er sich überzeugt zeigte, dass sich keine andere Demokratie der Welt „so erneuerungsfähig erwiesen habe wie die amerikanische“. Da diese Hoffnung für Israel geringe Realisierungschancen hat, verwischen konsensfähige Formulierungen die Hauptsache: Vertrauen und Respekt als grundlegende Formate der Zusammenarbeit. Wenn in den semifamiliären Beziehungen Frieden für Israel nicht ohne Frieden für die Palästinenser zu haben ist, bleiben für Berlin Antworten auf vier Fragen offen: –



Ist zu erwarten, dass die Verurteilung palästinensischer Gewalttaten in den Kontext der israelischen Politik gestellt wird? Ohne einen politischen Horizont ist der Gewalt Tür und Tor geöffnet. Warum schleppt sich die nationale Umsetzung der „Guidelines“ der Europäischen Kommission als Schutzherrin der Verträge („Guardian of the Treaties“) vom November 2015 dahin? In ihnen wurden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, dass Waren und Dienstleistungen aus den Siedlungen in Ost-Jerusalem, der Westbank und auf den Golanhöhen, die für den europäischen Markt bestimmt sind, als solche ausgewiesen werden sollen, und in eigener Verantwortung für die wirksame, angemessene und gebührende Durchsetzung zu sorgen113. Mitglieder der israelischen Regierung wie Gil’ad Erdan reagierten mit dem Vorwurf, die interpretative Note gehöre zu den BDS-Kampagnen, während andere Autoren bestritten, dass die Restriktionen überhaupt den internationalen

                                                             113

European Commission: Interpretative Notice on indication of origin of goods from the territories occupied by Israel since June 1967. Brussels, 11.11.2015. 253





Verträgen wie der Welthandelsorganisation (WTO), dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und anderen internationalen Verfahren entsprechen. Mit ihrem Ansatz verfechte die Europäische Union antiisraelische Maßnahmen unter dem Vorwand von Konsumenteninteressen und diskriminiere israelische Produkte durch Belastungen, während Brüssel in rund 200 anderen Fällen die territoriale Souveränität nicht bestreite (Bell/Kontorovich). Israel ist dazu übergegangen, Waren aus den jüdischen Siedlungen an den „Checkpoints“ umzuladen und mit israelischem Siegel zu versehen. Ende Juni 2018 brachte der Auswärtige Ausschuss des US-Repräsentantenhauses ein Gesetz zur Abwehr von BDS-Kampagnen auf den Weg. Ungeklärt bleibt ferner, wie die EU-Vorgaben im Förderprogramm „Horizon 2020“ von 2013 für Forschung und Entwicklung kontrolliert werden, wenn sie in den besetzten Gebieten verwendet werden114. Bisher ist nicht ersichtlich, dass die Verwendung die in der Westbank tätigen israelischen Firmen und Institutionen (so die Universität in Ariel) ausschließt. Dass die deutsche Forschungsministerin Anja Karliczek eine hinhaltende Position an den Tag legte, als der Gehirnforscherin Yael Amitai von Wissenschaftsminister Ofir Akunis die Berufung in das Kuratorium der „Deutsch-Israelischen Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung“ (GIF) verweigerte und von einem Mitglied der Siedlerszene ersetzt wurde, erstaunt. Ist die Bundesregierung von ihrer Forderung nach einem unabhängigen Staat Palästina abgerückt? Amitai hatte eine Petition zugunsten israelischer Soldaten unterzeichnet, die den Wehrdienst in den besetzten Gebieten ablehnen. Das Weizmann-Institut kündigte die Unterbrechung der Zuammenarbeit mit DIF an. War Angela Merkels resignative Anspielung auf Netanjahu, dem

                                                             Official Journal of the European Union, Volume 56, 19 July 2013.

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sie in Verkennung seiner ideologischen Präfixierung politische Doppelbödigkeit unterstellt „Du machst ja sowieso, was Du willst, aber ich sage Dir…“ das Eingeständnis der Ohnmacht? Beim Spontanbesuch Netanjahus Anfang Juni 2018 in Berlin trug seine Zermürbungsstrategie erneut Früchte, als sich die Bundeskanzlerin die Zusage „Wir sind Freunde, wir sind Partner“ abringen ließ und nur am Rande bedauerte, dass die Verhandlungen über die ZweiStaaten-Lösung stocken. Ist, wenn auf der Zwei-Staaten-Lösung beharrt wird, die Abstufung gerechtfertigt, dass zwischen den Regierungskonsultationen mit Israels Netanjahu und den Sitzungen des 3. Deutsch-Palästinensischen Lenkungsausschusses unterschieden wird115? Ist es angemessen, allein die Autonomiebehörde zur „Stärkung guter Regierungsführung“ zu ermahnen, wenn im Bericht über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit festgehalten wird, dass sie angesichts israelischer Interventionen „ihre Aufgaben nur eingeschränkt wahrnehmen“ könne116? Der von der Bundesregierung im Mai 2011 angedeuteten „mögliche(n) Aufwertung der palästinensischen Generaldelegation in Deutschland“ oder gar „eine(r) Anerkennung“ Palästinas ist politisch keine Folge geleistet worden. Berlin werde Ramallah „an seinen Taten messen117“, ein Vorbehalt, der im Falle Israels unterbleibt. Indem die israelische Regierung bei den 7. Regierungskonsultationen am 04. Oktober 2018 das Thema Iran in den Mittelpunkt stellte, sollte erneut die Diskussion über

                                                             115

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Gemeinsame Abschlusserklärung des 3. Deutsch-Palästinensischen Lenkungsausschusses, Berlin 19.03.2014. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensischen Gebieten 2016 – 2018 (Stand: 27.07.2016). Kleine Anfrage der Abgeordneten Fraktion SPD u.a. und der Fraktion der SPD. Bundestagsdrucksache Nr. 17-5789 vom 11.05.2011. 255



die Siedlungspolitik unterbleiben. Wird den Palästinensern politisches Gewicht abgesprochen, nachdem die Exekutive in Jerusalem alles daransetzt, den innerpalästinensischen Streit zu schüren? Wird in Berlin wahrgenommen, dass in Israel, in der Westbank und in Ost-Jerusalem auf beiden Seiten Generationen nachgewachsen sind, welche die „Grüne Linie“ fremd ist?

Persönliche Beziehungen wie das übliche Du im diplomatischen Verkehr sollen strittige Fragen neutralisieren. Doch freundliche Umarmungen können politisch tödlich sein. Nachgereichte Darlegungen, der israelisch-palästinensische Antagonismus sei nicht länger der zentrale Brandherd im Nahen Osten, umgehen die Antwort, warum zu Zeiten, als im Irak Saddam Hussein wütete und in Syrien das „größte Desaster der westlichen Politik“ (Norbert Röttgen) und die „offene Wunde“ (John Kerry) in weiter Ferne lag, diesem Jahrhundertstreit kein auf Entscheidungen drängender Einsatz gewidmet worden ist. Die von Röttgen vorgeschlagene Nahostkonferenz muss Israel und Palästina einbeziehen, da von hier negative Signale in den Krisengürtel bis in den Iran ausstrahlen. Oder ist die westliche Diplomatie mit der Regelung dieses Brandherdes überfordert? An die Stelle der Beteiligung an den üblichen israelisch-palästinensischen Schuldzuweisungen muss Berlin den Blick nach vorn richten.

Hopfen und Malz? Mit Nachdruck hat Moshe Zimmermann darauf hingewiesen, dass die deutsche Verdichtung der bilateralen Beziehungen auf die „Zeichen der schwierigen Vergangenheit“ eine „Wagenburg-Mentalität“ in Israel fördert, und dazu aufgerufen, die Geschichte neu zu studieren und zu bewerten, die der souveränen Verantwortung des Staates Israel gegenüber dem palästinensischen Volk Rechnung trage. In einem Beitrag 256

aus Anlass des 70. Jahrestages der Gründung Israels haben er und Shimon Stein, von 2001 bis 2007 Botschafter seines Landes in Berlin, die Bundesregierung erneut zum Umdenken aufgefordert: „So richtig es bleibt, die Geschichte als Mahnung und Wegweiser zu betrachten: Das deutsche Ritual, sich auch in der Außenpolitik immer wieder auf den Holocaust zu beziehen, wird immer öfter problematisch.“ Die eigentliche Frage, die eigentliche Verantwortung, so beide Autoren weiter, „betrifft die Existenz der Demokratie in Israel“. Statt in Berlin die Rolle als Überisraelis zu pflegen, ist angesichts des innerisraelischen Streits um den Frieden die Warnung vor Nationalismus und religiösen Durchgriffen angebracht – Einsichten, vor denen die Bundesregierung in ähnlich gelagerten Fällen weltweit nicht zurückschreckt. Tom Segev hält die Zeit für gekommen, dass Freunde dieselben Maßstäbe an Israel wie an sich selbst anlegen. Für Avraham Burg bleibt Deutschland ohne Israel unerlöst, das gelte auch umgekehrt. Israels früherer Erziehungsminister Zalman Aranne hatte davor gewarnt, an die Behandlung der arabischen Bevölkerung andere Maßstäbe als jene anzulegen, die für Juden im Ausland stimmen. Dass sich der deutsche Bundespräsident zum konstruktiven Streit bekannt hat118, sollte auch für „unsere besonderen Beziehungen zu Israel“ gelten. Für die Umsetzung dieser Aufforderungen wäre der „Instrumentenkasten der Außenpolitik“ geeignet, der für Steinmeier „reichhaltiger (ist), als viele glauben“. Die einfachen Antworten sind in der Regel keine Antworten, die Rolle als vermeintlicher Vermittler reicht nicht aus. Mehr politisches Engagement heißt die Messlatte. Um Europas „Salz der Souveränität“ zur Geltung zu bringen, hat Emmanuel Macron die Absage, Jerusalem als alleinige Israels Hauptstadt anzuerkennen, mit der scharfen Verurteilung des Antisemitismus verbunden. Sie verpflichtet auch uns gegenüber jenen Israelis, die ihrem Staat den Rücken                                                              118

Frank-Walter Steinmeier: „Mich besorgt das zutiefst“ (Interview), in FAZ 29.06.2018, S. 2. 257

gekehrt und hier leben. Den Judenhass allein den muslemischen Zuwanderern in die Schuhe zu schieben, ist politisch durchsichtig, denn er gehört in der deutschen Geschichte zur Normalität, auch wenn er in den vergangenen Jahrzehnten eher seltener geworden ist. Die Häufung antisemitischer Vorkommnisse in den sozialen Netzen und in der Alltagssprache von rechts bis links erlaubt nicht länger das Leben in der Komfortzone vermeintlich gelungener Vergangenheitsbewältigung. Es gebe zwar Antisemitismus unter Zuwanderern, aber „im Kern ist Antisemitismus unser deutsches Problem“, hat Steinmeier hervorgehoben. Die Angst vor einer solchen Beschuldigung dürfte die Bundeskanzlerin zu dem Bekenntnis in ihrer Sommerpressekonferenz 2018 veranlasst haben, sich nicht in Israels innere Angelegenheiten einzumischen, womit sie das dortige Selbstverständnis vom Volk übernimmt, das außerhalb der Realgeschichte stehe: „Ich verfolge die Diskussion natürlich sehr aufmerksam. Ich bin der festen Überzeugung, dass es das Recht der Existenz für einen jüdischen demokratischen Staat gibt, im Übrigen gemeinsam mit einem lebensfähigen palästinensischen Staat, woran wir immer noch arbeiten und wobei wir leider wenige Fortschritte sehen. Es hat eine sehr intensive Diskussion gegeben. Ich denke, dass [es] in dieser Diskussion sehr, sehr wichtig ist, dass der Minderheitenschutz als Teil der Demokratie auch eine wirkliche wichtige Bedeutung hat. Das ist ja auch seit dem Gründungsaufruf für den Staat Israel so. Deshalb kann ich schon verstehen, dass es jetzt eine sehr kontroverse Diskussion gibt. Aber es ist, wie gesagt, eine Diskussion in Israel, in die ich mich jetzt nicht einmischen möchte.“ Das Auswärtige Amt hatte diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen, obwohl das „Nationalstaatsgesetz“ Prinzipien der UN-Charta verletzt und damit keineswegs eine innerisraelische Angelegenheit allein ist, wie das Tsipi Livni sehen wollte, wenn sie auf „dem Land Israel als der 258

historischen Heimat des jüdischen Volkes, in dem der Staat Israel gegründet wurde“, bestand. Während der 7. Regierungskonsultationen im Oktober 2018 bekannte sich Merkel zu „Unterstützung des jüdischen Staates“ bei gleichzeitiger Respektierung der Minderheitenrechte und wiederholte, dass die drohende Zerstörung der Beduinenansiedlung Khan Al-Ahmar „eine innerisraelische Angelegenheit“ sei. „Ich rate ihr, sich mit den Problemen ihres eigenen Landes zu beschäftigen“, hatte Kulturministerin Miri Regev kurz vor dem Besuch noch erklärt. „Wir respektieren Frau Merkel“, sagte sie in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Arutz 7. „Aber bei allem Respekt, den ich ihr zolle, erwarte ich von ausländischen Politikern, die hierzulande zu Besuch kommen, dass sie sich nicht in interne Probleme einmischen.“ Wie weit ist Merkel vom „Instrumentenkasten der Außenpolitik“ entfernt, wenn sie in einem Telefonat Abbs auffordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren? Der in Merkels Begleitung angereiste Bundesinnenminister Horst Seehofer stellte nach einem israelischen Medienbericht gegenüber Gil’ad Erdan in einem Memorandum klar, dass die Bundesregierung energisch gegen die BDSKampagnen vorgehen werde. Schon im Juli hatte sich Mogherini scharf gegen Erdans Vorwurf verwahrt, die Europäische Union würde über NGO’s den Terror und BDS unterstützen. Machen die deutschen Alleingänge die besonderen Beziehungen aus? Die Diagnose von der „Welt aus den Fugen“ (Peter Scholl-Latour) sollte sich nicht an der heute empfindlichsten Stelle der deutschen Geschichte bewahrheiten. Dass die Beschwörung der Freundschaft zu Israel nur den jüdischen Teil Israels gilt, scheint niemanden aufzufallen. Gilt für Israel keine „balancierte Partnerschaft“, die Heiko Maas in den Beziehungen zu den USA anregte? Im Februar 1974 hatte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda in der Universität Tel Aviv vorgetragen:

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„Als mir vor einigen Jahren in Jerusalem – ich war damals Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft – von einem prominenten Vertreter Ihres Landes der Dank dafür ausgesprochen wurde, daß wir so nachhaltig die Interessen Israels in der Bundesrepublik verteidigten, habe ich mich gegen diese Anerkennung deswegen verwahrt, weil wir nicht die Agenten Israels in Deutschland sind. Wir vertreten, wie dies selbstverständlich ist, die Interessen unseres eigenen Landes, die wir so verstehen, daß der Einsatz für die Existenz und das Lebensrecht Israels zu den essentiellen Bestandteilen deutscher Politik gehört. Würde dies in irgendeiner Weise zweifelhaft werden, würde eine nationale Politik, die Anspruch auf Glaubwürdigkeit erhebt und damit die Chancen auf Erfolg einschließt, unmöglich sein. Diese Haltung der Solidarität schließt das Recht und die Pflicht zur Kritik ein, wenn wir glauben, dass Israel falsch handelt119.“ Zwölf Jahre später hielt Benda die Erinnerung an die DIG-Leitsätze für angemessen: „Wer um Verständnis und Freundschaft für den Staat Israel werben will, muss für die Verständigung aller Völker im Nahen Osten eintreten.“ Konnte Europa im August 2018 übersehen, dass Netanjahu, wenn auch vergeblich, während seines Besuchs im Baltikum einen Keil in die Union treiben wollte? Deutschlands Aufgabe nach dem Holocaust müsse „eine mit großem menschlichem Einsatz unternommene konstruktive Hilfe für eine israelisch-jüdisch-arabische Verständigung sein“, schrieb Ernst Simon an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Georg Diederichs im März 1965. In seinem Briefwechsel mit Kurt Blumenfeld vertrat Hannah Arendt die Auffassung, dass keine Demokratie überleben könne, wenn der militärische Kampf alle materiellen und geistigen Ressourcen verschluckt.                                                              119

Ernst Benda: „Formeln kein Ersatz für Politik“, in „DIG-Informationen“ Nummer 2/1974, S. 6 ff. Verantwortlich: Reiner Bernstein. 260

Kapitel XIII Kein Nachruf: Zu spät für den Frieden? „Das eigentliche Hindernis sehe ich in der geradezu krankhaften ausschließlichen Orientierung an politischen Kategorien, wodurch diese beiden Völker nicht zu einer Verständigung auf der Grundlage ihrer wirklichen gemeinsamen Interessen gelangen können120.“ Die Gegner haben ihre Agenda des Lebens ohne Frieden mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und Instrumenten durchgehalten. Müssen sich der Schriftsteller Avraham B. Yehoshua sowie andere israelische Autoren und Wissenschaftler den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen, wenn sie über die Verfasstheit ihres Staates hinausdenken? Religiöse Fundamentalisten lassen sich in empirisch getragene politische Strukturen mit dem institutionellen Wertekanon Rechtsstaat, Pluralismus und Toleranz nicht einbinden, weil sie behaupten, allein das authentische, ethnisch und religiös begründete Erbe gegenüber den Ungewissheiten der Moderne zu bewahren. Anders als im Anwachsen extremer Strömungen im jüdischen Teil Israels, dem kein missionarischer Charakter gemäß jener exklusiven Glaubensüberzeugung eigen ist, am Ende der Tage werde der messianische Gedanke in der Welt den Sieg davontragen, liegen radikalen Varianten im arabischen Islam Rückbesinnungen auf mythologische Quellen zugrunde, die sich mit weltweitem Ausdehnungsmanövern verbinden.                                                              120

Martin Buber im Frühjahr 1946, zitiert in Buber: Ein Land und zwei Völker, S. 266. 261

Im Vergleich mit dem als individuelles Angebot an die Welt auftretenden Christentum, das keineswegs zufällig das Wort „Altes Testament“ im Munde führt, verstehen sich Judentum und Islam korporativ als heilsgeschichtliche Endstufen der göttlichen Offenbarung. Wie wir gesehen haben, zieht sich die jüdische Prophezeiung vom „Volk, das allein wohnt und sich nicht zu den Völkern rechnet“, als ein zentrales Motiv durch die Geschichte des Zionismus und des Staates Israel. Gleiches gilt religionspolitisch inzwischen auch für die palästinensische Seite, wonach „Palästina zum unveräußerlichen islamischen Eigentum für alle Generationen der Muslime bis zum Jüngsten Tag“ gesehen wird. Beide Berufungen auf Gott weisen die Wechselfälle der Geschichte von sich und negieren Bedürfnisse nach einer aktiven Teilhabe an der Welt über utilitaristische Bedürfnisse (Gewährleistung von Stabilitäts-, Wohlfahrts-, Gesundheits- und Dienstleistungen) hinaus. Unter diesen Voraussetzungen muss eine internationale Schritt-für-Schritt-Diplomatie („Peacemeal approach“) versagen. Die von ihr angeleiteten Verhandlungsangebote stoßen an ihre Grenzen, weil sie kurz- und mittelfristigem Denken verhaftet bleiben, statt sich der Kontinuität regionaler Narrative zu vergewissern, bevor sie eigene Ideen vortragen. Die politische Linke und die bürgerlich-liberale Mitte in Israel und in Palästina sind politisch obdachlos. Sich säkular definierende Spitzen der Zivilgesellschaften gelingt es kaum, über den Kreis der üblichen Sympathisanten hinaus breites Engagement und organisiertes Vertrauen zu wecken. Kompensatorisch und überzogen erwarten sie aufgrund ihrer Schwäche politischen und wirtschaftlichen Druck aus den westlichen Regierungszentralen. Was ist von Herzls Zionismus-Verständnis übriggeblieben? In welcher Dichte verkörpert die heutige Regierung die politischen Überzeugungen in der israelischen Gesellschaft? Soll es zur Quintessenz des Zionismus gehören, dass sich Jahr für Jahr Tausende jüdische Israelis um eine zweite Staatsbürgerschaft bemühen und die Auswanderung vor allem christlicher Palästinenser unvermindert anhält? Im September 262

2017 zeigten sich nur wenig mehr als fünf von möglichen zehn Interviewten mit der Außenpolitik zufrieden – und benannten gleichzeitig als Kandidaten für das Amt des Außenamtschefs Yaír Lapid, Tsipi Livni, Benjamin Netanjahu, Avigdor Lieberman und Naftali Bennett. Kaum mehr konnten sich mit dem Gewicht des Staates im Ausland anfreunden. Die Hälfte neigte der Auffassung zu, dass der Regierung die Zwei-Staaten-Lösung fernliege. Von Interesse war ferner, dass 85 Prozent der Befragten den Wunsch äußerten, die Regierung möge bei ihren Entscheidungen die Diaspora entweder stark, maßvoll oder gering mit in Betracht ziehen, die nichtjüdische Welt fand keine Beachtung. Die aus dem Innern kommenden Vorschläge zur Überwindung der politischen Rückschritte sollten in unseren Außenämtern genauso ernst genommen werden wie die Erfahrungen und Ideen jener „anderen Zionisten“ der 1920er Jahre – Buber benutzte damals den Begriff „zweierlei Zionismus“ –, die ihre Kraft für den Ausgleich mit den Arabern einsetzten. Wenn, wie Daniel C. Kurtzer bekannt hat, ein verhandeltes Ergebnis mehr denn je entfernt sei und er zu der schwindenden Minderheit der Gläubigen an zwei Staaten gehöre, muss die internationale Diplomatie zu der Einsicht „Wir können dem Frieden nicht dienen, wenn wir nur sanft wie die Tauben sind“ finden, wie Ernst Simon im Juli 1972 an den Schweizer Theologen Markus Barth schrieb – es sei denn, die westlichen Regierungen wollen die Verlängerung der Konfrontation unter jüdischem Vorzeichen von heute hinnehmen. Sind wir bereit, Israel vor sich selbst zu retten? Diese Frage hat vor vier Jahrzehnten George W. Ball, einstiger Botschafter bei den Vereinten Nationen und Unterstaatssekretär im „State Department“, in der Zeitschrift „Foreign Affairs” an die Adresse seiner Administration gerichtet. Für „Kerneuropa“ bleibt sie zumindest so lange brisant, bis es sich von der Unberechenbarkeit Washingtons emanzipiert hat und dafür sorgt, dass die von ihm proklamierte Staatsräson für Israels Sicherheit und Existenz an der „Grüne Linie“ endet.

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Auf verlorenem Posten? Was kann Literatur leisten? „Die Fanatiker auf beiden Seiten werden alles daransetzen, jeglichen Kompromiss zu verhindern, sie arbeiten hart daran“, hat Amos Oz befürchtet121. Mit ihm ist es auch anderen im Ausland gefeierten Autoren wie Lizzie Dorón (deren Buch „Sweet Occupation“ keine hebräische Übersetzung erlebte), David Grossman, Etgar Keret, Zeruya Shalev und Avraham B. Yehoshua nicht gelungen, mit ihren Namen als Seismographen öffentlich wirksame politische Übersetzungsleistungen zu erbringen. Ihre Luft ist dünn, und die Medien machen ihre Parteinahme für Moral, Humanität und Gerechtigkeit unschädlich. Seit Mai 2017 wird die Rundfunkbehörde aus dem Staatshaushalt finanziert. Der hebräischsprachige Buchmarkt fällt in kommerzieller Hinsicht zu klein aus. Oz hat angegeben, dass von seinem Buch „Liebe Fanatiker“ gerade einmal 25.000 Exemplare in Israel verkauft worden seien, obwohl er die Literatur als ein bedeutendes, einzigartiges Musikinstrument im Orchester der Weltliteratur betrachte und er es auf eigene Kosten ins Russische und Arabische habe übersetzen lassen122. Einladungen zu Lesungen im Ausland laufen seriell auf Bekenntnisse zum Liberalismus hinaus, während sich die Gäste zu Hause Schmähungen erwehren müssen. Die Wählerwanderungen zwischen der klassischen Rechten aus „Likud“, „Jüdisches Haus“, „Sephardische Thorawächter“, „Unser Haus Israel“ und „Vereinigtes Thora-Judentum“ – bei den Parlamentswahlen 2015 gewannen sie 80 der 120 Sitze – halten ihre Dominanz im öffentlichen Diskurs politisch stabil. Die ebenfalls der „Ganz Israel“-Idee verpflichtete „Zionistische Union“ mit der Arbeitspartei                                                              121

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Amos Oz: „Ich konnte den Schmerz und die Sehnsucht spüren“ (Interview), Deutsche Welle 18.04.2018. Amos Oz: „Es herrschte völlige Begeisterung. Obwohl feststand, dass viele von uns sterben würden“ (Interview), in NZZ 14.05.2018. 264

in ihrer Mitte und 24 Abgeordneten sind da gar nicht mitgerechnet. Die funktionale Ausdifferenzierung zwischen Koalition und Opposition ist aufgehoben. Im Oktober 2017 verweigerte der gewählte Avi Gabbay der arabisch geführten Gemeinsamen Liste die Zusammenarbeit und drohte dem arabischen Abgeordneten seiner eigenen Partei Zuheir Bahloul mit der Verweigerung einer erneuten Kandidatur, weil dieser sich von den Feiern zum 100. Jahrestag der Balfour-Deklaration fernhielt. Der Arbeitspartei ist es gelungen, ihr dreifaches Kernprofil „Ablehnung der Siedlungspolitik“, „das Verhältnis zur Religion“ sowie „zu den arabischen Staatsbürgern“ zugrunde zu richten. Stattdessen läuft sie Volkes Stimme in Sachen Nationalismus, Glaubenstreue und der Überlegenheit des auserwählten Volkes123 hinterher, fasste Uri Misgav den Niedergang zusammen. Deshalb verwundert es nicht, dass bei Umfragen im Frühsommer 2018 die Zustimmung für „Likud“, „Das jüdische Haus“ und „Unser Haus Israel“ wuchs, während das Ansehen für die „Zionistische Union“, zu der „Die Bewegung“ („Ha-Tnuáh“) von Tsipi Livni gehört, dramatisch verfallen ist. Da Gabbay kein Parlamentsmandat besitzt, übernahm Livni im Juli 2018 in der Knesset den Vorsitz der „Zionistischen Union“ in der Nachfolge von Yitzhak Herzog, der zum Präsidenten der „Jewish Agency“ aufstieg. Bei Neuwahlen würde die „Union“ von den gegenwärtigen 24 Sitzen in der Knesset zehn oder 14 Mandate verlieren. Die zionistische Opposition hat sich erledigt. Jüdisch zu sein, ohne an Gott zu glauben, gehe nicht, behauptete Gabbay. Für ihn ist „das vereinte Jerusalem wichtiger als Frieden“. Indem er der Linken vorwarf, die jüdischen Werte preiszugeben und nur noch „liberal“ sein zu wollen, wo doch alles mit „unserer Thora, unserer Halacha und unserem gemeinsamen Erbe begonnen“ habe, übernahm er eine Bemerkung Netanjahus in dessen Oppositionszeit gegenüber einem mystizistischen Rabbiner. Zur Jahreswende 5778/79                                                              123

Deut. 7,6. 265

(Herbst 2018) meldete „Haaretz“ gemäß einer repräsentativen Umfrage, dass die Religion die immer entscheidendere Rolle spiele, wobei 54 Prozent an Gott glauben und weitere 21 Prozent die Existenz einer undefinierten höheren Macht akzeptieren. 79 Prozent würden das jüdische Volk von Gott auserwählt halten, und die reichliche Hälfte vertrete die Ansicht, dass ihr Recht auf das Land Israel auf dem Bund mit Gott beruhe. Besonders unter Jugendlichen sei der Glaube an die Magie von Rabbinern verbreitet. Erstaunlicherweise wollten jedoch nur 48 Prozent auf einem jüdischen Friedhof begraben werden, und 67 Prozent lehnten das Monopol des Rabbinats bei Eheschließungen ab. Der auch international renommierte Schauspieler Mohammad Bakri hat beklagt: „Wie kann jemand wie ich, der sein ganzes Leben an das Recht beider Völker, Israelis und Palästinenser, geglaubt hat (und immer noch daran glaubt), Seite an Seite in Frieden und Respekt und Gleichberechtigung zu leben, ein voller Partner zu sein und Schulter an Schulter mit meinen jüdischen Brüdern zu arbeiten, wenn Sie [Netanjahu] mir das Recht nehmen, den Mund aufzumachen, und die Fähigkeit nehmen, für meine Kinder das Brot zu verdienen?“ Das Bezirksgericht in Nazareth hat die arabische Dichterin Dareen Tatour wegen Aufhetzung zur Gewalt und Unterstützung einer Terrororganisation zu fünf Monaten Gefängnis und sechs Monaten Bewährung verurteilt. „Ich habe keine andere Heimat, daran wird das Nationalstaatsgesetz nichts ändern“, hat Odeh Bisharat unterstrichen. Der Direktor des „Center for Equality and Shared Society“ in Givat Haviva Mohammad Darawshe schrieb: „Wenn das Nationalstaatsgesetz bestätigt wird, wird es das Verhältnis zwischen mir und dem Staat Israel grundlegend verändern. … Es wird von da an unmöglich sein, eine emotionale Bindung an den Staat, seine Institutionen, seine Symbole und seine Werte aufrechterhalten. Der Staat wird meinen Status als 266

Bürger zweiter Klasse institutionalisieren.“ Darawshes Kollege aus der Bildungsabteilung Samer Atamni ergänzte: „Ich stelle mich vor meine jüdischen und arabischen Jugendlichen in Givat Haviva und vermittle ihnen die Bedeutung von Gleichheit und Gleichberechtigung – wissend, dass sie unter dem Gesetz nun eben nicht mehr gleich sind. Wie kann ich Menschen dazu erziehen, für die Vision einer gemeinsamen Gesellschaft zu arbeiten, wenn das Gesetz sagt, dass dies niemals möglich sein wird?“ Im Mai 2018 ist Givat Haviva in den Kreis des „Economic and Special Council“ (ECOSOC) der Vereinten Nationen für Beratungen in Konfliktlösung, Bildung und Koexistenz“ aufgenommen worden. Nach Baskin hingegen bleibt Israel auch nach dem Gesetz eine, wenn auch mit schweren Herausforderungen belastete Demokratie.

„Res publica judaica“ Wenn, schrieb der Rechtswissenschaftler Mordechai Kremnitzer, Juden zu Rache und Verbrechen wie im Fall Baruch Goldsteins im Februar 1994, der „jüdische Untergrund“ zehn Jahre später und Rabbiner aufriefen, würden die Gerichte schweigen. Kremnitzer wies darauf hin, dass allgemein der Status und die Befugnisse der Gerichte als „Checks and balances“ wie in anderen Demokratien gesetzlich nicht geregelt sind. Umso gefährlicher seien aktuelle Versuche, den Obersten Gerichtshof als letzte Bastion „zu kastrieren“. Konnte und wollte also der „jüdische“ Staat ein egalitäres politisches und kulturelles Konzept garantieren, oder war er auf die „Res publica judaica“ als Leitkultur verpflichtet? Die Endzeiterwartungen waren in der Unabhängigkeitserklärung „Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels“ beschworen worden und 267

wiesen damit „jüdisch und demokratisch“ in die Schranken. Bevor die Verpflichtung zur Demokratie im „Nationalstaatsgesetz“ zugunsten der Definition Israels als jüdischer Staat entfiel, hatte Ayelet Shaked mit Zustimmung des Rechtsberaters der Regierung Avichai Mandelblit auf die Respektierung Israels als „aufgeklärten Staat“ wie Deutschland gedrängt – Heiko Maas, der den Multilateralismus verficht, sei „ein sehr guter persönlicher Freund“ –, während ihre Gegner das Gespenst des Tribalismus an die Wand malten, der die menschliche Würde und das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen beschädige; der Vorstoß mit Verfassungsrang war von Netanjahu seit 2014 mit der Begründung unterstützt worden, bislang hätten die individuellen Rechte vor den nationalen Rechten Vorrang gehabt, nachdem sie der Oberste Gerichthof verwässert habe. Ob die jüdische Gesellschaft tatsächlich den Willen hat, die Demokratie zu verteidigen, muss bezweifelt werden. Am „Nationalstaatgesetz“ und an den gegen das Ehepaar Netanjahu laufenden Korruptionsprozessen wird sich bei den Parlamentswahlen 2019 die politische Zukunft entscheiden, nicht an der Siedlungspolitik. Reuven Rivlin sah sich aufgrund des 15. Grundgesetzes zu der Klage genötigt, dass das Gesetz die Juden in aller Welt und in Israel belasten werde. „Sind wir bereit, die Diskriminierung und den Ausschluss von Männern und Frauen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu unterstützen?“ Das Gesetz habe nichts mit dem Judentum zu tun, sondern sei Ausdruck eines extremen Nationalismus, wurde Netanjahu vorgehalten. Nach einer stürmischen Debatte, in der arabische Abgeordnete das Dokument zerrissen und daraufhin aus dem Plenum verwiesen wurden, wurde die Vorlage am 19. Juli mit 62 gegen 55 Stimmen in der Knesset verabschiedet; der „Likud“-Abgeordnete Benny Begin und die Unabhängige Orly Levy-Abekasis enthielten sich. In seinem Redebeitrag nannte Netanjahu, der eine „Kippa“ trug, Israel als den einzigen demokratischen Staat im Nahen Osten, „der das Recht respektiert“. Der als neuer Vorsitzender der „Jewish Agency“ gewählte Itzhak Herzog begnügte sich mit der Hoffnung, dass das Gesetz dem Staat keinen 268

Schaden zufügen werde. Ob der Oberste Gerichtshof Korrekturen anbringen kann, ist aufgrund seiner Besetzung ungewiss. Die Inthronisierung eines Nachfolgers von Netanjahu wird die Gewichte zugunsten der politischen Vernunft strukturell bewahren. Nach Gershon Baskin hat nicht „die sogenannte Linke“ vergessen, was es bedeute, Jude zu sein, vielmehr sind es die Ultra-Orthodoxie und die Ultra-Nationalisten: „Ich klage an! Ich beschuldige jene, die da glauben, dass sie im Namen des Judentums und des jüdischen Volkes Millionen Menschen [den Palästinensern] ihre humanen und politischen Rechte verweigern können, weil sie entweder Nicht-Juden sind oder weil sie die Legitimität des Zionismus nicht anerkennen.“ Der Staat Israel haben ihn aus der jüdischen Religion vertrieben und ihm ein wachsendes Gefühl der Entfremdung von den religiösen Ritualen und Gebräuchen gegeben. Dass in der Bundesrepublik Vertreter der jüdischen Gemeinden in offenkundiger Abstimmung mit der israelischen Regierung sowie unter Assistenz ihrer nichtjüdischen Mitläufer massiven politischen Druck mit dem Ziel einsetzen, die israelische Politik missbilligende Veranstaltungen unter den Generalverdacht des Antisemitismus und der Delegitimierung des Staates Israel zu stellen, greift nicht nur in die vom Grundgesetz garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein, sondern soll für die Akzeptanz der Annexion palästinensischer Gebiete sorgen; die Ablehnung der BDS-Kampagne kommt da gerade recht. Yohanan Meroz, in den 1970er Jahren Botschafter in Bonn, hat 1992 den Standpunkt bekräftigt, dass für ihn die in Deutschland lebenden Juden im Rahmen der deutsch-israelischen Beziehungen „nur eine sehr geringe Rolle spielen, wenn überhaupt eine“. Zehn Jahre später fügte er hinzu, „dass, wer ehrlich und aufrichtig über deutsch-israelische Beziehungen oder einen neuen Abschnitt in deutsch-jüdischen 269

Beziehungen redet oder nachdenkt, sich der Zentralität des Staates Israel innerhalb des jüdischen Kontextes bewusst sein muss“. Deutschjüdische Beziehungen würden „vorwiegend deutsch-israelische Beziehungen bedeuten“. Dieselbe Auffassung hatte schon Jakob Klatzkin 1921 vertreten: „Es gibt schlechterdings keine nationale Brücke zwischen Palästina und Galuth, zwischen ‚Zentrum‘ und ‚Peripherie‘.“ Dagegen hoffte Scholem nach seiner Absage an eine deutsch-jüdische Symbiose doch auf die „Restitution des uns Gemeinsamen“, an die „Wiederherstellung einer neuen gemeinsamen Sprache“. Der notorisch vorgetragene Alarmismus ist nicht zuträglich. Lässt sich tatsächlich aus absurden Initiativen wie einem Verbot der Beschneidung des Neugeborenen und der Absage an das unter Betäubung stattfindende Schächten die Sorge um „die Zukunft des europäischen Judentums“ ableiten (Maram Stern)? Wie viele europäische Juden kaufen in nicht-koscher geführten Metzgereien, ohne dass sie ihre jüdische Identität verleugnen? Meroz‘ Hinweis bleibt bedeutsam, weil in Israel die Juden der Diaspora allgemein nur dann wahrgenommen werden oder nützlich sind, wenn sie Opfer antisemitischer Vorfälle sind oder wenn sie instrumentell als verlängerter Arm der israelischen Politik herhalten sollen. Dass die Grauzonen der Abgrenzung vom klassischen Antisemitismus mit seinem Vorurteil des „ewigen Juden“ nicht aufgelöst worden sind, ist politisch gewollt. Yossi Klein hat darauf hingewiesen, dass israelische Regierungen die Warnung vor dem Antisemitismus ständig für ihre politischen Zwecke missbraucht haben, ohne dass sie jedoch in Kalkulationen ihrer Schutzbedürftigkeit einbezogen worden sei. Als Zeichen der bedingungslosen Unterstützung hat beispielsweise im Frühjahr 2018 die Jüdische Gemeinde Mönchengladbach in einem Schreiben an die Evangelische Kirche im Rheinland „wegen verlogenen Behauptungen“ in einer Arbeitshilfe die Oberzeile ihres Briefkopfs Hebräisch ausgedruckt, bevor ihr die deutsche Fassung folgte. In jüdischen Kindergärten werden Zettel verteilt, in denen der BDS-Kampagne Antisemitismus unterstellt 270

wird. Der Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll zur Dialogfähigkeit im israelisch-palästinensischen Konflikt im Herbst 2018 wurden der Leitung antijüdische Obsessionen vorgehalten, wozu die Ankläger eine üble Medienkampagne in Gang setzten, aber der Diskussion aus dem Weg gingen – eine Methode, die üblicherweise mit fadenscheinigen Argumenten begründet wird. Im Vorfeld einer von der östrreichischen Ratspräsidentschaft organisierten Konferenz „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus“ am 21. November 2018 in Wien haben 34 jüdische, vorwiegend israelische Wissenschaftler, Intelektuelle und Künstler gegen die Instrumentierung des Kampfes gegen den Antisemitismus zu rRechtfertigung der israelischen Besatzungspolitik Stellung bezogen und sich dagegen verwahrt, „Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus zu vermicshen“. Zu den Unterzeichnern gehörten Gadi Algazi, Gideon Freudenthal, Eva Illouz, Daniel Karavan, Paul Mendes-Flohr, Yehuda Judd Ne’eman, Davis Shulamn, Zeev Sternhell, Idith Zertal, Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann. Die Erklärung löste heftige Reaktionen der Ablehnung und Zustimmung aus.124 Solange Gemeinden und ihr Spitzenorgan, der Zentralrat, auf dem zionistischen Selbstverständnis beharren, wonach die Regierung Israels alle Juden repräsentiert, obwohl ihnen nur eine dienende Funktion zugeschrieben wird, die sich durch häufige Besuche nicht heilen lässt, werden sich die Bemühungen des neuen Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung in Grenzen halten, den Ressentiments, den Abneigungen und dem Hass gegen alle Juden entgegenzuwirken. Wer dem Bundestag folgt und einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen den Antisemitismus und dem „Existenzrecht und der Sicherheit Israels“ konstruiert sowie für die besondere Verantwortung für „Israel als jüdischen und demokratischen Staat“ wirbt,                                                              124

Erklärung „Gegen Antisemitismus, für Kritik an der Politik des Staates Israel“ in den Anlagen 271

sollte den Mut zum Bekenntnis doppelter Maßstäbe aufbringen. Übernommene Anweisungen der Regierung Netanjahus, in Berlin politisch vorstellig zu werden, sind der erhofften Erneuerung der deutsch-jüdischen Kultur nicht förderlich. Sie verstärken vielmehr den selbstgewählten Eindruck von der Einsamkeit der Juden, verschließen die Option der Weltoffenheit zugunsten der Provinzialität und konnotieren das Leben außerhalb Israels negativ. Wenn sich die frühere Präsidentin des Zentralrats Charlotte Knobloch kein anderes Land als Deutschland vorstellen möchte, in dem sie leben möchte, und wenn sie Ungarn und Russland für das Modell eines nationalistischen, ethnisch reinen und nicht nur „leicht autoritäres Europa“ ablehnt, sollte sie die politisch freundschaftliche Zuwendung Netanjahus zu Viktor Orbán in Augenschein nehmen. Den früheren Leiter der Bildungsabteilung im Militär Mordechai Bar-On trieb die Sorge um, dass „sogar die besten und aufgeklärtesten unserer Freunde nicht mehr weiterwissen, wenn die Sprache auf uns kommt“. Immer mehr Menschen auf der Welt würden die Legitimität Israels in Frage stellen, hat David Grossman befürchtet. Was in Deutschland fehlt, gehört in den USA zur Normalität: die Legitimität des auch öffentlich ausgetragenen Für und Wider im innerjüdischen Streit. Die deutsche Diaspora sollte zu einer neuen lebensgeschichtlichen Qualität finden. Denn man hätte sich die Empörung in den jüdischen Gemeinden über ein „deutsches“ Nationalstaatsgesetz analog der Entscheidung in der Knesset vorstellen sollen. Doch war keine Stellungnahme zu vernehmen, der Zentralrat schwieg. Stattdessen hat der Geschäftsführer des „American Jewish Committee“ (ALC) David Harris „die Freiheit der Religion und von der Religion“ in der Bundesrepublik gelobt und sie in den direkten Zusammenhang mit der „besondere(n) historische(n) Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk und Israel“ gestellt.

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Verspätete Nationen Der Effendi-Kultur unter den Osmanen und der Führung mit dem Mufti von Jerusalem an der Spitze war die politische Emanzipation der arabischen Bevölkerung Palästinas fremd, es sei denn ihre Gegenwehr gegen den Zionismus ließ sich propagandistisch und plakativ einspannen. Dieser Selbstherrlichkeit kamen der weitverbreitete Analphabetismus, die familien- und dorfbezogenen Loyalitäten sowie die Hörigkeit gegenüber traditionellen Autoritäten entgegen und behinderten selbständige Lebensentwürfe. Auf der anderen Seite hat die „Partei der Arbeiter im Lande Israel“ Ben-Gurions „einer heterogenen und amorphen Einwanderergesellschaft mehr oder weniger konkurrenzlos ihre Ordnung vorgeben“ können, hat Jakob Hessing ausgeführt. Viele Einwanderer aus Osteuropa seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und dann nach dem Ende der Sowjetunion sowie im Zuge der rund eine Million zählenden Ankunft aus der arabischen und islamischen Welt nach 1948 brachten keine Vertrautheit mit Demokratie und Rechtsstaat mit. Diese Schwäche wurde teilweise durch Bemühungen um straffe Organisationsstrukturen in den Parteien, im Militär, in der Wirtschaft, der Gewerkschaft und in den Einrichtungen der Kultur und des Sports nachgeholt. Im Zeitalter der Verflüssigung ordnungspolitischer Einhegungen und des nachlassenden Interesses an (partei-)politischer Mitwirkung schwindet das demokratische Selbstwertgefühl und macht autoritären Formationen Platz, in denen Personen mit professionell eingeübter Anmaßung und massenmedial gestützter Inszenierung an Gewicht gewinnen. Ihr ideologischer Puritanismus verweigert sich inneren Widersprüchen und Ambivalenzen. Anders ist kaum erklärlich, warum Netanjahu trotz aller juristisch relevanten Skandale im jüdischen Gesellschaftsteil Israels gegen seine innerparteilichen und koalitionären Widersacher – voran Naftali Bennett, Ayelet Shaked und Miri

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Regev – triumphiert. 1974 schrieb der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Nahum Goldmann: „Wir haben immer schon zu übersteigerten Reaktionen geneigt, haben schon seit jeher gern in Superlativen gesprochen und gedacht und an absolute Werte geglaubt. Statt die Dinge objektiv zu beurteilen, haben wir uns auf subjektive Einstellungen konzentriert. Dies ist die Psychologie des Volkes, das an seine Auserwähltheit glaubt, das von einem leidenschaftlichen Glauben an den einen und einzigen Gott erfüllt ist, der sein Schicksal bestimmt; es reagiert mit Gleichgültigkeit, oft mit Verachtung auf die Meinungen der Majorität – ein Non-Konfomisten-Volk, all die Jahrhunderte der Verfolgung hindurch, die es, wo immer es lebte, als Minorität verbrachte. … Wenn das israelische Volk tatsächlich an die schließliche und ewige arabische Weigerung glaubt, Israel als Partner mit gleichen Rechten in der Familie der nahöstlichen Nationen zu akzeptieren, dann kann nur eine Schlußfolgerung daraus gezogen werden, daß es nämlich verboten war, den Staat Israel zu gründen, da das zionistische Programm von Anfang an falsch war125.“ Wir sind nach wie vor ein junges Land, uns fehlt die Tradition von Demokratie und staatsmännischer Führung, glaubte Uzi Bar‘am, Tourismusminister in der Regierung Yitzhak Rabins, Trost zu finden. Der in Münster (Westfalen) geborene und in Toronto wirkende Reformrabbiner Wolf Gunther Plaut (1912 – 2012) fasste früh das Dilemma in die Worte:

                                                             125

Nahum Goldmann: Die Lage Israels, in „DIG-Informationen” Nummer 3/ 1974, S. 3 ff. Verantwortlich: Reiner Bernstein. 274

„Das Land unterlag keiner langsamen, organischen Entwicklung vieler Jahrhunderte; es war eine umweglose Gesellschaft mit alten und neuen, rigiden und flexiblen, autokratischen und demokratischen Komponenten. Auf diese Weise wurde es eine Nation von großer Frömmigkeit und Gottlosigkeit, einer großartigen sozialen Vision auf der einen und rauhen Erwerbsinstinkten auf der anderen Seite, die sich manchmal zeigten.“ Anita Shapira hat vermerkt, dass der Arbeiterführer Berl Katznelson (1897 – 1944) in den frühen 1920er Jahren die parlamentarische Methode der Zionistischen Organisation scharf kritisierte, weil ihm die Geduld gefehlt habe, „Demokratie zu spielen“. Im Verhältnis zur arabischen Mehrheitsbevölkerung würde jede Art der Demokratie die Anerkennung des arabischen Besitzrechtes auf das Land bedeuten. „Aktion war ihm ungleich wichtiger als politisches Manövrieren.“ Er und seine Kollegen „maßen der Konsolidierung jüdischer Siedlungen überall in Palästina elementare Bedeutung bei und widersetzten sich unnachgiebig dagegen, irgendeinen Flecken aufzugeben, wo die Juden Fuß gefasst hatten“. Am Ende seines Lebens beklagte Georg Landauer – er starb 1974 – „eine Unseresgleichen noch unfassbare Aushöhlung der Sittlichkeit, die uns inspiriert und unsere Seelen erfüllt hat“. In einem Brief an Siegfried Moses (1887 – 1974) brach der Historiker Hans Tramer für die deutschen Juden eine letzte Lanze: „Nach unserer Meinung gehören die Elemente, die das deutsche Judentum für den Juden in der modernen Welt schufen, zu der fortschrittlichen Entwicklung des modernen Judentums – im Staat Israel genauso wie in der Galuth.“ Auch Hugo Bergmann beobachtete mit wachsender Sorge die Militarisierung Israels zu Lasten seiner Zukunft. Die großen Einwanderungswellen aus der arabischen und islamischen Welt taten ein Übriges, das Erbe der Zionisten aus dem deutschsprachigen Raum zu verschütten. Jizchak Fritz Baer, der die jüdische Geschichte in die jüdisch-nationale Ideologie einbinden wollte und deshalb dem „Leo Baeck Institut“ fernstand, zitierte in Abkehr von 275

dem Gelehrten Simon Ben Isaac Simcha Luzzatto (1583 – 1663) dessen Satz: „Eine Nation [wie die der Juden] von reichlich entnervter und schwacher Natur, im gegenwärtigen Zustand unfähig zu jeder politischen Exekutive, beschäftigt mit ihren partikularen Interessen, ist wenig oder gar nicht bedacht auf das Interesse der Gesamtheit.“ Diesen Leiden stehe die „unsagbare Festigkeit im Glauben“ und die „Einheit der Religionslehren“ gegenüber. Die damalige Einschätzung der politischen Schwäche wurde von Chaim Weizmann geteilt. Seine Abkehr von Teilen der israelischen Politik veranlasste Ernst Simon 1973 zu der resignativen Bemerkung: „Paradoxerweise war es in der Diaspora leichter, ‚besser zu sein‘ als die Wirtsvölker, weil die unternormalen politischen Bedingungen, unter denen wir lebten, die übernormale Stellung zu den Problemen von Macht und Staat für eine kleine jüdische Elite ermöglichte.“ Den Ausweg hat ausgerechnet der palästinensische Politologe As‘ad Ghanem angezeigt: Er glaube nach wie vor, dass die palästinensischen Araber und die israelischen Juden natürliche Verbündete seien und keine Gegner. Doch das war 2007. Sind die jüdischen Siedlungen eine politische Verheißung, weil sie eine verfassungspolitische Realität vorwegnehmen? Ein regelmäßig in „Haaretz“ publizierender arabischer Autor mit israelischer Staatsbürgerschaft hat empfohlen, in Ruhe zu warten und die Kraft nicht in einer neuen „Intifada“ oder in sinnlosen Gewaltaktionen zu vergeuden: „Lasst Israel und seine Führer weiter Siedlungen bauen und die „Grüne Linie“ ausradieren. Sogar wenn letzten Endes ein Apartheid-Regime in den besetzten Gebieten errichtet wird, werden alle diese Schritte schließlich zum Untergang [des heutigen] Israels führen.“ Kann zusammenwachsen, was unheilbar auseinandergerissen scheint? Soll die „vom Klerikalismus okkupierte Idee der proportionalen Beteiligung der Religionen (Hugo Preuß, 1860 – 1925) das letzte Wort bleiben, ohne sich auf die Weissagung vom Wolf, das 276

beim Lamm wohnt, und dem Panther, der beim Böcklein lagert126, zu berufen? Deutschland hat die Erfahrung als verspätete Nation nach 1945 und 1989 durch die europäische Einbindung geschafft, der Israel im Nahen Osten nicht teilhaftig wurde oder die sie gar nicht werden wollte, weil es auf einem Sonderweg beharrte. Nach dem palästinensischen Boykott seit dem Sechs-Tage-Krieg gehörte Gershon Baskin zu den Initiatoren einer gemeinsamen jüdischarabischen Kandidatenliste für die Kommunalwahlen in Jerusalem und scheiterte an Tabus. 37 Prozent mit 342.000 Einwohnern – 175.000 jünger als 18 Jahre – der 865.600 zählenden Stadtbevölkerung sind heute Palästinenser. Waren zur Zeit Teddy Kolleks nur vier Prozent und 2013 sogar nur zwei Prozent zu den Wahlurnen gegangen, so sprachen sich zuletzt in einem Meinungsbild etwa 60 Prozent für die Beteiligung am Urnengang aus. „Die Stadt, dieses Rathaus und dieses Land gehört allen“, zitierte „Haaretz“ einen Palästinenser aus dem Stadtviertel Tsur Bahér: „Die Zeit ist reif.“ Dennoch setzte sich der Boykott erneut durch. Nur langsam beginnt die Illusion zu weichen, dass allein der Verzicht auf eigene Initiativen das Ende der israelischen Präsenz bewirkt. Daran wird auch der Rückzug des bekanntesten Listenführers Aziz Abu Sarah nichts ändern, der gleichsam in letzter Minute dem Druck gewichen ist, sich zur Wahl zu stellen. Gefragt sind mehr denn je neue politische Horizonte durch die Ermutigung zu eigenen Energien in einem Land, das sich territorial nicht mehr teilen lässt und Rollen als verspätete Nationen überwindet127. Gemeinsam in der Jerusalemer Altstadt, in Jaffa, in Haifa, in Akko und in Be‘ersheva Humus und Falafel zu essen und sich im Ausland auf Konferenzen zu treffen, reicht als Basis für die künftige Koexistenz nicht aus.                                                              126 127

Jes. 11,6. Helmuth Plessners Buch „Die verspätete Nation“ erschien 1959. Als „Halbjude“ wurde er 1933 als Dozent von der Universität Köln vertrieben. 277

Über zwei Staaten hinaus Selbst wenn die zionistische Staatsidee, obwohl älter als die „Shoah“, zur Gründung des Staates Israel herangezogen wird: Ist das Jahr 1948 seine „Ursprungssünde“, wie Ilan Pappe behauptet hat? Sollte sich die ZweiStaaten-Lösung erledigt haben, hängt die politische Zukunft von der inneren Gestaltung des Territoriums zwischen Mittelmeer und Jordan ab. Da Wunderheilungen ausbleiben werden, muss ein Friedensprozess seine substantiellen Ergebnisse durchsetzen. Die von der Bundesregierung ins Spiel gebrachten „Parameter“ haben keine Spuren hinterlassen. Im August 2011 schlug die „Palestine Strategy Group“ der Autonomiebehörde vor, ein ständiges Panel mit Experten des internationalen Rechts zwecks Sondierung und Beratung zu berufen. Talia Sasson äußerte im Interview mit Amira Hass die Überzeugung, dass nur die Israelis selbst für den Frieden sorgen könnten. Im Frühjahr 2017 – Sigmar Gabriel leitete das Auswärtige Amt – habe ich ein erstes Papier unter Rückgriff auf israelische und palästinensische Debatten zur Schaffung einer neuen Erzählung des gegenseitigen Respekts eingereicht, wonach die Bundesregierung in Abstimmung mit der Europäischen Union die Federführung bei der Vorbereitung eines Konvents mit parteipolitisch unabhängigen israelischen und palästinensischen Staatswissenschaftlern, Politologen, Soziologen, Ökonomen und Kulturschaffenden übernehmen, ihn organisatorisch-logistisch und materiell fördern und begleiten solle, um in einem gemeinsamen Vorschläge einen Wandel zu Entspannung, Zuwendung und Toleranz in Gang zu setzen. Da sich die Gremien der Vereinten Nationen, allen voran der Sicherheitsrat, immer wieder, wenn auch strittig, mit den Verwerfungen befasst haben, wären sie zur Absicherung der neuen verfassungsrechtlichen Ordnung zu einer wichtigen, wenn nicht gar zu der zentralen Rolle der politischen Erneuerung aufgerufen. Im Gegensatz zu den schlechten Erfahrungen der Protagonisten in der „Genfer Initiative“ wären die Hauptstädte außerdem unmittelbar eingebunden 278

und bei aller Eigenständigkeit der Verdacht eines Sonderweges ausgeräumt. Denn entgegen manch offizieller Einschätzung gehört dieser Konflikt zu den Pulverfässern der Weltpolitik. Der Fall der Berliner Mauer, häufig als Hoffnungträger für eine unerwartete Neuordnung genannt, taugt als Vorbild nicht, weil sie die Ost-West-Konfrontation repräsentierte und ein Volk spaltete, während hier zwei Völker Anspruch auf ein Land erheben. Im Gegensatz zur Differenz gegenüber der arabischen Welt bildet Palästina eine Schicksalsgemeinschaft ab. Der öffentliche Streit über Demokratie, Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Religion in Israel wird in den palästinensischen Gebieten sehr wohl wahrgenommen. Auf beiden Seiten muss es um Vermessungen gehen, die das religiöse und politische Bekenntnis jedem Menschen zugestehen, statt dem Glaubenszwang und dem politischen Druck weitere Schleusen zu öffnen. Volk ohne Nation? Den Experten wäre ohne Einmischung von außen aufgetragen, nach einem bundesstaatlichen oder (kon-)föderativen Verfassungsmodell mit der auf korporative Partizipation ausgerichteten Fortschreibung von Woodrow Wilsons Selbstbestimmungsrecht zu suchen, das durch einen integrativen Pragmatismus „von unten“ der Gefahr entgeht, die jeweils demographisch und ökonomisch schwächere Minderheit zu dominieren128; Buber sprach von einem „Zwei-Völker                                                             128

Zum „technischen“ Vorfeld würden gehören die Steuerung, die Laufzeit und die Arbeitsabläufe des Prozesses; die Entscheidung über die in Angriff zu nehmenden thematischen Zentralbereiche der gemeinsamen Arbeit; die Gewinnung von „Peer Groups“ aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft; der Aufbau von Kommunikationsnetzen in die Medien hinein einschließlich der Erstellung und Verteilung von Werbematerialien in Hebräisch, Arabisch und Englisch, Youtube und Video; die Beobachtung der Arbeit der Parteien und der Regierungspolitik in Jerusalem und in Ramallah sowie die regelmäßige Information nach Berlin, Brüssel und New York samt Beachtung und Einbindung ihrer Reaktionen. In seiner persön279

Staat“, „einer Art Kondominium“ in Erinnerung an die Programmaussage des „Brit Shalom“ von 1929. Netzwerke zwecks Förderung des Jugend- und Erwachsenenaustausches sind wichtig. Wenn der nationalen Trennung beider Völker die Realisierungschance abhandengekommen ist, muss sich die Diplomatie für die rechtliche und politische Gleichstellung verwenden, um ein verschärftes Apartheid-Regime zu verhindern, zu dem die asymmetrischen Marktbeziehungen gehören: Die politische Souveränität gehört zu den Prämissen für die Stimulierung einheimischer Wirtschaftspotentiale. Der Zentralgewalt wären die Geld- und Währungspolitik, die Verteidigungspolitik, der Schutz der gemeinsamen Außengrenzen, die Pflege der auswärtigen Beziehungen sowie die Bündnispolitik vorbehalten. Nachdem der in Haifa gebürtige Schriftsteller Emil Habibi (1922 – 1996) die Normalisierung der jüdisch-arabischen Beziehungen einschließlich der Anpassung der Lebensverhältnisse beschworen hatte, hat der israelische Staatsbürger Hisham Abdulhalim auf der Jahrestagung von „Neve Shalom/Wahat As-Salam“ 2018 noch einmal zur Beharrlichkeit aufgerufen: „Was uns bis heute Kraft und Durchhaltevermögen gibt, ist HOFFNUNG. Hoffnung ist lebensnotwendig. Viele von uns könnten kein dem Frieden verpflichtetes Leben führen, wenn sie nicht diese Hoffnung in ihrem Herzen trügen. Dieser lebensnotwendige Samen hält unsere Augen für eine bessere Zukunft offen.“

                                                             lichen Rechnungslegung zum Verlauf und zu den Ergebnissen des Dreiertreffens in Camp David im Juli 2000 hat Gil’ad Sher vorgetragen, dass Barak die international renommierte Juristin Ruth Lapidoth in sein Haus nach Kocháv Yaïr eingeladen habe, wo diese ihm die unterschiedlichen Möglichkeiten von Souveränität erläutert habe: territoriale, spirituelle, gemeinsame, funktionale, relative und aufgelassene Souveränität. 280

  Das „Tent of Nations“ steht auf dem Grundstück Daoud Nassers bei Bethlehem. Es gilt als Zentrum für jüdische Israelis und arabische Palästinenser sowie für Menschen aus aller Welt als Zeichen der Verständigung zwischen beiden Völkern. Im November 2018 ist Nasser der Deutsch-Französicshe Menschenrechtspreis zuerkannt worden. Die Aufnahme verdanke ich dem Münchner Fotografen Fritz Mastnak. Bildet der breite Widerstand gegen das „Nationalstaatsgesetz“ den Auftakt zur offenen Demokratie, des Rechtsstaates und der Gleichberechtigung? Ist die Zeit für ein Zusammenrücken ihrer Gegner abgelaufen? Die Juristin Tsipi Livni, die einer rechtsgerichteten Familie entstammt – ihr Vater gehörte zum „Irgun“ und war später Abgeordneter der „Cherut“-Partei –, hat angekündigt, dass sie zur Rettung der „Natur des Staates Israel“ im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung eine große Kraftanstrengung beabsichtige, trotz aller politischen Meinungsunterschiede vierzig NGO‘s in einer „Rettungskoalition“ („Emergency coalition“) zusammenzuführen. Religiös ordnet sich 281

Livni als „traditionell“ ein. Ohne das Rabbinat abschaffen zu wollen, müsse sein Monopol gebrochen werden. Das jüdische Leben müsse offener werden. Als sie einst mit einer Gruppe Kampfsoldaten, Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion, gesprochen habe, habe ihr ein Soldat gesagt, dass er zum Judentum konvertieren wolle, damit er im Falle seines Todes auf demselben Friedhof wie andere Kameraden beigesetzt werden oder, wenn er überlebe, ganz normal heiraten könne. Wenn die „selektiven Demokratie“ (Haneen Zoábi129) erfolgreich sein will, wird die Diskussion um eine Verfassung erneut auf die Tagesordnung kommen, in der sich die Behauptung erledigt, dass jüdisch und demokratisch zusammengehören. Ob dabei Livnis Grundposition Bestand hat, Israel sei der „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ ist eher zweifelhaft, zumal da sie der Einbindung arabischer Parteien in eine von ihr geführte Regierung skeptisch gegenübersteht, allen arabischen Staatsbürgern jedoch dieselben Rechte zugestehen will. An der Demonstration am 11. August 2018 mit 50.000 jüdischen und arabischen Teilnehmern gegen die „Nationalstaatsgesetz“ nahm Livni nicht teil, das verbiete ihr das „Thema der nationalen Identität“. Das Festhalten am ganzen Land Israel gefährde seinen jüdischen Charakter: „Um den jüdischen und demokratischen Charakter zu schützen, brauchen wir eine jüdische Mehrheit für den jüdischen Staat.“ Es liege im israelischen Interesse, sich von Millionen Palästinensern zu trennen, „wenn wir das jetzt nicht tun, müssen wir sie letztlich als Bürger akzeptieren, womit der jüdische Staat zu einem palästinensischen Staat wird“. Der politische Abstand zur Regierungspolitik bleibt gering. Für die Kulturministerin Miri Regev ist „die Zusammenarbeit mit den Arabern absurd“.                                                              129

Haneen Zoábi ist für die Nationaldemokratische Versammlung (Akronym „Bálad“) als Teil der arabisch geführten Gemeinsamen Liste Mitglied der Knesset. Bei den Kommunalwahlen 2013 kandidierte sie erfolglos für das Amt der Bürgermeisterin in Nazareth. 282

Welche Konsequenzen sind unumgänglich, wenn der Einsatz militärischer Mittel in den zwischenstaatlichen Beziehungen als obligates Verfahren im Völkergewohnheitsrecht gelten soll, aber für die Westbank und für den arabischen Teil Jerusalems weder anerkannt noch die palästinensische Integrität durchgesetzt ist? Mit der Auflösung dieses immanenten Widerspruchs in Berlin und in den westlichen Hauptstädten würde diplomatisches Neuland betreten, auf das jene Menschen diesseits und jenseits der einstigen „Grünen Linie“ warten, die sich für die politische Bändigung des Disputs einsetzen und dafür die Beschädigung ihrer persönlichen Würde und des Respekts in Kauf nehmen. Erst systemische Veränderungen im Innern können dafür sorgen, dass auswärtige Unterstützungsleistungen neue Chancen einläuten. Die Beispiele Indien, Jugoslawien und Irland belegen, dass ethnonational konstruierte Staaten die Gewalt nicht beenden. Was möglich bleibt, sind geteilte Verantwortlichkeiten. Wie schwer sie erreichbar sind, hat Menachem Klein beschrieben, wenn er die Judaisierung Jerusalems als zentralem Ort des politischen Misserfolgs belegt. Moshe Tavor, Pressereferent an der Israel-Mission in Köln vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965 und danach langjähriger Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Jerusalem, hat uns in den 1970er Jahren eine „wissende Unbefangenheit“ aufgetragen: in Deutschland die politischen Lektionen aus der „Shoah“ zu ziehen und in Israel die Politik auch kritisch zu begleiten. Verzerrende Abrechnungsattitüden lösen keine positiven Energien aus. „Wenn Sie argumentieren, Israel begehe furchtbare Verbrechen in den besetzten Gebieten – dann werde ich Ihnen zustimmen. Wenn Sie dann weitermachen und sagen, Israel begehe die schlimmsten Verbrechen auf Erden heute, dann werde ich sagen, dass Sie übertreiben und wir einander nicht einig sind. Wenn Sie dann noch einen Schritt weitergehen und sagen, das, was Juden den Palästinensern antun, sei 283

schlimmer als das, was die Nazis den Juden angetan haben, dann würde ich sagen, Sie gehören in die Psychiatrie“, hat Amos Oz die Grenzlinien definiert130. Die Gleichsetzungen schwächen die Erinnerung an den Massenmord in Europa. Nach den Worten von Shlomo Ben-Ami sollte Israel nicht mehr kritisiert werden, als es verdient. Gegenüber Assads Mord an der eigenen Bevölkerung, dem Terrorismus von „Al-Quaida“, „Al-Nusra“ und anderen Milizen sowie die Destabiliserung im Irak erscheint in den westlichen Hauptstädten die Negierung des Völkerrechts mittels der Siedlungstätigkeit, die Bodenenteignungen und die Vertreibung von Palästinensern wie Marginalien in einer blutrünstigen Region.

                                                             130

Amos Oz: „Ich konnte den Schmerz und die Sehnsucht spüren“ (Interview), Deutsche Welle 18.04.2018. 284

Namensregister

Abd‘ Al-Hadi, Auni ................ 43

Ahtisaari, Martti ................... 190

Abd‘ Al-Shafi ........................ 137

Ajami, Fuad ........................... 194

Abd‘ Al-Shafi, Haydr ........... 211

Al-Adil, Sulayman ................ 194

Abdulhalim, Hisham ........... 280

Alami, Familie ....................... 208

Abdullah II., König von Jordanien .................50, 52, 145, 219

Alami, Musa ............49, 127, 134 Al-Assad, Bashar ..202, 218, 223

Abed Rabbo, Yasser ..... 181, 182

Al-Assad, Hafez ............. 55, 176, 201, 209, 394

Abed, George T. ................... 138 Abramov, Zalman Shneúr.... 26, 82

Al-Azmeh, Aziz .................... 195 Al-Banna, Hassan ................. 200

Abu Ghazaleh, Adnan ......... 194

Albright, Madeleine ............. 172

Abu Sarah, Aziz .................... 277

Alexander II., Zar ................... 75

Abu Zaid, Nasr Hamid ........ 196

Al-Husseini, Amin .......... 46, 49, 50, 52, 63, 134, 206, 211

Abunimah, Ali ...................... 139 Achad Ha’am ....... 22, 39, 73, 78, 83, 86, 90, 120, 131, 322, 358

Al-Husseini, Musa Kazem .... 43 Allon, Yig’al ................... 102, 137

Achcar, Gilbert ............. 134, 200

Aloni, Shulamit............. 106, 403

Adelson, Sheldon ................. 243

Al-Sadat, Anwar ........... 196, 209 285

Al-Sisi, Abdel Fattah............145, 197, 199

Aviner, Shlomo ............. 58, 163, 165, 242

Alterman, Natan .......... 156, 157

Avineri, Shlomo ............. 76, 151

Al-Za’im, Husni ....................216

Avishai, Bernard .................. 237

Amir, Yehoshua ......................34

Avital, Colette ....................... 247

Amitai, Yael ...........................254

Avnery, Uri ........ 19, 59, 63, 215, 238, 239, 397

Amr, Nabil .............................171

Axelrod, David ..................... 228

An-Nukrashi, Machmud .....200

Azzam, Abdul Rahman Hassan ..48

Arafat, Yasser ...... 55, 58, 60, 63, 103, 137, 171, 206, 229, 394

B. Michael ..................... 110, 114

Aranne, Zalman ............. 65, 257

Bader Ginsburg, Ruth.......... 239

Arendt, Hannah ........... 120, 260

Baer, Jizchak Fritz ........... 71, 82, 148, 275

Arens, Moshe.......... 62, 140, 349

Bahloul, Zuheir .................... 265

Ariel, Israel.................... 168, 169

Bahr, Egon ............................ 232

Arieli, Shaul ...........................114

Baker, James III .................... 227

Arieli, Yehoshua....................121

Bakri, Mohammad ............... 266

Ash, Timothy Garton .............22

Bakshi, Aviad ........................ 108

Ashlag, Baruch ......................108

Balfour, Arthur James ..... 42, 45

Ashrawi, Hanan ............ 60, 137, 170, 174, 211

Ball, George W. .................... 263

Assmann, Aleida .....................28

Baltiansky, Gadi ........... 172, 191

Assmann, Jan ...........................28

Barak, Aharon ...................... 111

Atamni, Samer ......................267

Barak, Ehud ....... 56, 65, 96, 119, 151, 171, 233, 248

Atiyah, Edward .......................48 286

Barak-Ezer, Daphne ............. 106

Bentwich, Norman ....... 135, 324

Barenboim, Daniel ......... 19, 141

Benvenisti, David ................. 158

Barghouti, Marwan .............. 178

Benvenisti, Eyal ...................... 66

Barghouti, Mustafa .............. 137

Benvenisti, Meron ............ 30, 59, 67, 105, 146

Bar-On, Mordechai .............. 272

Ben-Zvi, Yitzhak ............. 45, 159

Baskin, Gershon .......... 227, 269, 277

Bergmann, Hugo Shmuel ..... 79, 98, 123, 275

Bebel, August ........................ 194 Beck, Marieluise ..................... 15

Berlin, Isaiah .............. 76, 83, 85, 96, 115

Begin, Menachem............ 15, 26, 67, 102, 123, 156

Bernstein, Judith ................... 396 Bernstein, Reiner ....... 9, 10, 225, 274, 375, 393

Beilin, Yossi ..........105, 140, 171, 173, 182, 188, 190, 220, 242

Bialik, Chaim Nachman ....... 72, 97

Beinart, Peter ................ 113, 237 Bell, Avi ................................. 254

Bin-Nun, Yoel ....................... 113

Ben-Ami, Shlomo151, 173, 215, 284

Birnbaum, Nathan .......... 75, 81, 90, 91, 95, 109

Benda, Ernst .................. 259, 260

Bishara, Azmi........137, 138, 403

Ben-Gurion, David ......... 25, 36, 42, 45, 47, 50, 51, 52, 79, 82, 84, 102, 103, 106, 127, 130, 134, 159, 219, 226, 233, 273

Bitan, Dan ............................. 170 Bloomberg, Michael ............. 239

Benjamin, Walter ............. 46, 72

Blum, Yehuda Z. ............. 66, 146, 233

Bennett, Naftali.............. 70, 112, 214, 263, 273

Blumenfeld, Kurt ....... 41, 46, 93, 126, 164, 260

287

Blumenthal, Eric .....................38

Chagall, Marc ..........................98

Blumenthal, Sharon ................38

Chancellor, John Robert ..... 206

Böhm, Adolf ............................98

Chayut, Esther ...................... 108

Bolton, John ...........................223

Chazan, Naomi..................... 247

Boyarin, Daniel .....................237

Choucair-Vizoso, Julia ........ 196

Brenner, Björn .......................144

Christopher, Warren ..............55

Breuer, Isaac ............................77

Churchill, Winston ........ 47, 128

Brinner, William M. ...............22

Cohen, Geúla ........................ 164

Brom, Shlomo .......................342

Cohen, Hermann ....................72

Bronfman, Charles................243

Cohen, Raymond........... 57, 209

Brugger, Agnes ........................15

Cohen, Roger .................... 30, 32

Brzezinski, Zbigniew ............231

Cohen, Steven M. ................. 240

Buber, Martin ...... 13, 23, 40, 48, 79, 84, 86, 92, 98, 121, 123, 124, 128, 133, 134, 135, 136, 142, 263, 279, 388, 400

Curzon, George .......................42

Burg, Avraham ............ 148, 151, 247, 257

Dan, Joseph ........................... 100

Dachlan, Mohamed ............. 173 Dajani, Familie ...................... 208

Dayan, Moshe .............. 102, 152, 156, 157, 234, 394, 413

Bush, George W. ......... 116, 179, 186, 227, 228

Dayan, Yael ........................... 247

Cabel, Eitan............................137

Der’i, Arye ............................. 241

Calmy-Rey, Michelle ............189

Deutsch, Ernst...........................34

Cambon, Paul ........................193

Diederichs, Georg ................ 260

Caradon, Lord .......................186

Dinstein, Yoram ......................66

288

Dinur, Ben-Zion ..................... 82

Faruk, König ......................... 200

Dreier, Horst ........................... 21

Feiner, Shmuel ........................ 82

Drucker, Raviv ...................... 176

Feldman-Radler, Benjamin ...... 124, 132

Druckman, Chaim ............... 163

Fisch, Harold......................... 100

Duffield, Vivien .................... 114 Dunham, Darlene................... 37

Fischer, Joschka ........... 171, 183, 191

Eban, Abba ............... 23, 58, 102, 137, 218, 395

Flapan, Simha ....................... 121 Ford, Gerald .......................... 226

Egeland, Jan ............................ 56

Frankfurter, Felix ............. 41, 43

Einstein, Albert ............ 164, 193, 351, 358

Friedlaender, Saul................. 114

Eisenhower, Dwight D. ....... 228

Friedman, David Melech ...... 67, 228

Eisenkot, Gadi....................... 109

Friedman, Menachem.......... 105

Eliav, Arie Lova .............. 51, 151

Friedman, Robert L. ............. 146

Eliyahu, Mordechai .............. 104

Friedman, Thomas L............. 35, 63, 169, 188, 202, 414

Elkana, Yehuda ....................... 89 Emanuel, Rahm .................... 228

Fromkin, David ..................... 193

Epstein, Isaac ................... 39, 124

Fromm, Erich........................ 135

Erdan, Gil’ad .........234, 253, 259

Fulbright, William F. ........... 231

Erekat, Saeb ..................... 56, 173 Eshkol, Levi ............................. 82

Funkenstein, Amos ......... 13, 79, 356

Fabian, Larry L.............. 226, 247

Fuqaha, Nidal........................ 191

Fackenheim, Emil................... 86

Gabbay, Avi ................... 137, 265

289

Gabriel, Sigmar............ 175, 235, 245, 246, 247, 252, 278

Gronemann, Sammy ...... 77, 79, 153

Gafni, Moshe ...........................87

Grossman, David ............ 20, 23, 38, 116, 188, 249, 251, 264, 272

Gentilini, Fernando ..............237 Ghanem, As’ad ......................276

Güdemann, Moritz ... 21, 87, 103

Giaufret, Emanuele ...............236

Guri, Chaim .......................... 159

Ginat, Joseph ...........................58

Habib, Emil ........................... 280

Glatzer, Nahum Robert ........312

Hacohen, Mordechai............ 141

Glick, Caroline B. ......... 146, 313

Hadi, Familie......................... 208

Glick, Yehuda.........................168

Haétzni, Elyakim .......... 102, 118

Golan, Dana ...........................252

Hálabi, Rafik ............................19

Goldmann, Nahum ........ 41, 78, 81, 274

Haley, Nikki .......................... 240 Hammer, Zevulun ....... 103, 379

Goldschmidt, Lazarus ............84

Harkabi, Yehoshafat .... 105, 149

Goldstein, Baruch .......... 62, 267

Harris, David ........................ 272

Gordon, A(haron) D(avid) ........ 81, 92

Hass, Amira .......... 213, 278, 334

Goren, Shlomo ......................154

Hazony, Yoram ......... 21, 24, 54, 60, 100, 104

Gorenberg, Gers(c)hom .......100

Hazzaz, Haim ....................... 159

Gorny, Yosef ............................97

Hendriksen Waage, Hilde......55

Granovsky (Granot), Abraham ..42

Hermann, Rainer ................. 199

Greiner, Bernhard ...................37

Herzl, Theodor .......... 25, 27, 45, 90, 262

Greiner, Margret ............ 37, 385 Grey, Edward .........................193 290

Herzog, Yaacov ......... 23, 52, 82, 85, 99, 148

Juul, Mona ............................... 56

Heschel, Susannah ................ 241

Kahane, Meir ........... 21, 62, 104, 120

Hessing, Jakob .......... 65, 72, 273

Kallen, Horace M. .................. 23

Hilal, Jamil ............................ 316

Karelitz, Avraham Yeshayahu .. 102

Hirsch, Samson Rafael .......... 77

Karliczek, Anja ..................... 254

Holst, Johan Jørgen .......... 56, 58

Karmi, Ghada........................ 139

Hotovely, Tsipi .............. 243, 248

Karsh, Efraim ........................ 216

Hourani, Albert ........ 48, 51, 356

Kaufmann, Richard ................ 45

Hussein, König im Hedjas .... 43

Kawasmeh, Familie ............... 102

Hussein, König von Jordanien .................63, 65, 116, 208

Kedar, Ruth ........................... 149 Keller, Wolfgang Z. ................ 37

Husseini, Abdel Qadir ........... 48

Kenan, Amos ......................... 121

Husseini, Faisal ..................... 137

Keret, Etgar ..................... 20, 264

Inbari, Motti.......................... 354 Indyk, Martin................ 172, 229

Khalidi, Rashid .............. 51, 138, 206, 209

Israeli, Rafael ......................... 190

Khalidi, Walid ......................... 51

Jabotinsky, Vladimir Zeev.... 40, 47, 120, 146, 323, 355, 362, 399

King, Arye .............................. 154 Kirsch, Hans Christian .......... 40 Kissinger, Henry .......... 226, 228, 379

Jacobs, Rick ........................... 240 Jones, Clive .............................. 29 Joséph, Dov ............. 29, 153, 162

Klatzkin, Jakob ............ 27, 74, 83, 85, 92, 270

Judis, John B.......................... 317

Klein, Menachem .173, 221, 283 291

Lauder, Ronald ..................... 249

Kohn, Hans .......... 124, 131, 353, 400

Leibowitz, Yeshayahu.............86, 98, 420

Kollek, Teddy ......... 30, 166, 167, 277

Levin, Amiram ..................... 147

Kontorovich, Eugene............254

Levin, Shmarya ........................74

Kook, Abraham Isaac ..... 52, 82, 94, 99

Levinas, Emmanuel ........ 77, 94, 160

Kook, Zvi Yehuda .................163

Levinger, Moshe .......... 102, 103, 163

Kortner, Fritz ............................34

Levy, Daniel .......................... 229

Kremnitzer, Mordechai.........19, 267

Levy, Edmond ...................... 303

Kretzmer, David....................108 Kreutzberger, Max ................320

Levy, Gideon ............ 58, 87, 148, 232, 328

Krim, Eyal ..............................109

Levy-Abekasis, Orly ............. 268

Kurtzer, Daniel C. ....... 183, 221, 228, 263

Lewinsky, Elchanan Leib........83

Kushner, Jared .........................56

Lichtheim, Richard ......... 44, 74, 131, 322

Lador, Moshe.........................113

Lieberman, Avigdor..... 250, 263

Laitman, Michael ....................96

Lindberg, Charles ................. 232

Landau, David .......................149

Lior, David ...................... 88, 242

Landauer, Georg ........... 26, 125, 275, 400

Livni, Tsipi ............. 19, 226, 258, 263, 265, 281

Lasensky, Scott B. .................229

Lloyd George, David ...............47

Lasker-Schüler, Else ...............367

Lorch, Netanel .........................67

Lau, David ..............................242

Lurie, Joseph ......................... 125 292

Meyer, Thomas ....................... 38

Luzzatto, Simon Ben Isaac Simcha ....................................... 276

Miller, Aaron David ...... 172, 228

Lybarger, Loren D. ......... 61, 212

Miron, Guy.............................. 34

Lynk, Michael ......................... 69

Misgav, Uri ............................ 265

Ma’oz, Moshe.......................... 58

Mogherini, Federica .............. 59, 237, 238, 259

Magnes, Judah L. ............. 22, 96, 129, 135

Morgenthau, Henry ............... 40

Maimonides, Moses ...... 30, 101, 104

Morris, Benny .......138, 216, 399 Morris, Leon A. ..................... 241

Malley, Robert ...................... 175

Moses, Siegfried .................... 275

Malraux, André ...................... 13

Moskowitz, Reuven ............... 136

Mandelblit, Avichai...... 108, 268

Mounk, Yasha ......................... 37

Maoz, Zeev ............................ 325

Moynihan, Daniel Patrick ... 165

Margalit, Meir ....................... 167

Muasher, Marwan ................ 195

Marton, Ruchama ................ 237

Mubarak, Hosni.................... 196

Mastnak, Fritz ......... 37, 244, 281

Müller, Kerstin........................ 15

Mattar, Philip ......................... 50

Mumay, Bülent ..................... 194

Meir (Meyerson), Golda ...... 23, 51, 74, 76, 87, 102, 112, 156, 162, 395, 397

Mursi, Mohamed.................. 197 Nacke, Georg .......................... 37

Melman, Yossi .......... 26, 27, 391

Namier, Lewis ......................... 76

Mendes-Flohr, Paul ............. 385

Nasser, Daoud................. 37, 281

Merkel, Angela ....... 69, 254, 259

Ne’eman, Shlomo ................. 149

Meroz, Yohanan ........... 112, 269

Neher, André ........................... 97

293

Neiss-Regnier, Anja ................38

Peel, William Wesseley ..........48

Netanjahu, Benjamin ..... 15, 19, 20, 27, 32, 36, 60, 68, 101, 103, 112, 113, 117, 140, 145, 151, 175, 204, 214, 223, 225, 228, 230, 232, 250, 254, 260, 263, 265, 272, 406, 412, 418, 427

Pelosi, Nancy ........................ 231

Neumann, Jonathan ..............240

Persico, Tomer ...................... 163

Nikolaus I., Zar........................75

Pétain, Philippe .................... 118

Nobel, Nehemia Anton ..........94

Petraeus, David .................... 231

Nordau, Max ..................... 39, 90

Pfaff, William ....................... 229

Nusseibeh, Anwar .................211

Plaut, Wolf Gunther ............ 274

Nusseibeh, Sari .............. 29, 136, 137, 178

Plessner, Helmuth ................ 277

Pence, Mike ................... 242, 351 Peres, Shimon ............ 55, 57, 62, 63, 118, 157, 163, 176, 394 Perlman, Yitzhak.................. 239

Polgar, Alfred ..........................90

Odeh, Ayman ........................111

Portman, Natalie .................. 239

Omer, Atalia ..........................329

Preuß, Hugo .......................... 276

Orbán, Viktor ........................272

Preuß, Ulrich K. ......................59

Ottaway, Marina ...................196

Putin, Wladimir ........... 202, 223

Oz, Amos ............. 215, 239, 264, 284

Quandt, William B............... 227 Ra’anan, Zvi .............................86

Oz-Salzberger, Fania ..............72

Rabin, Yitzhak ........... 28, 55, 57, 60, 100, 105, 116, 140, 169, 176, 395, 403

Pappe, Ilan ............. 50, 194, 195, 278, 399 Pau, Petra ...............................412

Rabinovich, Itamar .............. 190

Pawelka, Peter .......................199

Ravitzky, Aviezer ................. 152 294

Regev, Miri ...........107, 238, 242, 259, 274, 282

Rubinstein, Elyakim ............. 171

Reich, Bernard ........................ 58

Rülf, Shlomo ..........42, 125, 153, 333, 408

Reines, Isaac Jacob ........... 93, 97

Ruppin, Arthur .......44, 123, 128

Remnick, David .................... 339

Sacher, Henry .......................... 43

Rischin, Moses ........................ 22

Sacks, Jonathan ......... 24, 83, 241

Robinson, Mary .................... 190

Said, Edward W. .....60, 193, 299

Rocard, Michel ..................... 190

Salamé, Ghassan ................... 194

Rød-Larsen, Terje........... 56, 183

Salomon, Gershon ................ 168

Ronen, Yael ............................. 68

Samuelson, Anders............... 236

Rosenne, Meir ......................... 66

Sasson, Talia .........137, 238, 278, 334

Rosenzweig, Franz......... 13, 356, 388

Savir, Uri.................... 57, 59, 118

Ross, Dennis ..........172, 191, 228

Schach, Eliezer ....................... 80

Rostow, Eugene .................... 227

Schiff, Ze’ev ................... 226, 247

Rotenstreich, Nathan ........... 125

Schneller, Johann Ludwig ... 195

Roth, Philip ........................... 151

Scholem, Aleichem................. 83

Rothschild, Edmond de ........ 39, 78

Scholem, Gershom........... 27, 34, 46, 71, 92, 125, 307, 353, 400

Röttgen, Norbert .................. 256

Scholl-Latour, Peter ............. 259

Rouhani, Hassan .................. 199

Schumer, Chuck ................... 240

Rubin, Barry ............................ 58

Schweid, Eliezer ...................... 26

Rubinstein, Amnon............... 97, 106, 158, 164

Seehofer, Horst ..................... 259

295

Segev, Tom ............. 79, 102, 130, 134, 233, 257, 399

Shemer, Naomi..................... 166 Shenhav, Yehouda ............... 138

Seghers, Anna ...........................34

Sher, Gil’ad................ 60, 96, 280

Senator, David Werner ..........52

Shikaki, Khalil ...... 139, 210, 339

Sessions, Jeff ..........................149

Shilon, Avi ............................ 399

Shaffir, Stav ..............................19

Shlaim, Avi...... 58, 119, 175, 205

Shaked, Ayelet....... 18, 107, 112, 164, 214, 268, 273, 419

Shuqeiri, Achmed ........ 100, 180 Sid-Ahmet, Mohammad ..... 209

Shaked, Gershon ...... 27, 84, 105, 159

Siegal, Michael ...................... 241 Simon, Akiva Ernst ........... 5, 10, 34, 353, 400

Shalvi, Alice ............................241 Shamgar, Meir ................ 66, 233

Simon, Uriel ................... 26, 372

Shamir, Moshe ......................159

Singer, Isaac Bashevis .............76

Shamir, Yitzhak ....... 62, 228, 361

Slaughter, Anne Marie ........ 144

Shany, Yuval ............................68

Smilansky, Moshe ................ 135

Shapira, Anita ..........................81

Smolenskin, Peretz .................80

Shapira, Chaim Moshe .........166

Smooha, Sammy................... 164

Sharanski, Natan ...................156

Sokolow, Nahum.....................40

Sharett, Moshe.......................363

Spengler, Tilman .....................38

Sharon, Ariel ........ 118, 182, 298

Sprinzak, Ehud ......... 50, 62, 119

Shavit, Ari ..................... 113, 327

Sprinzak, Joseph ............ 136, 341

Shaw, Walter............................25

Stein, Gabriel ........................ 121

Shazar, Shneúr Zalman .........82, 102

Stein, Shimon ....................... 257

296

Trump, Donald J. ............ 36, 56, 169, 223, 231, 232, 238, 351, 418, 419

Steinberg, Shelly ..................... 38 Steinitz, Yuval ....................... 236 Steinmeier, Frank-Walter .. 247, 252, 257

Tufakji, Khalil ......................... 60 Tuqan, Familie ...................... 208

Steinschneider, Moritz .......... 72

Vali, Nasr ....................... 231, 345

Stern, Maram ........................ 270

Vranitzky, Franz ................... 190

Stern, Yedidia Z. ................... 105

Wagner, Heinz ........................ 59

Sternhell, Zeev ....19, 30, 54, 114

Waldman, Eliezer ................. 150

Sursuq, Familie...................... 208

Walid Salem Salem, Walid .. 246

Susman, Margarete ................ 86

Walzer, Michael .................... 237

Szold, Henrietta .................... 125

Waterbury, John ................... 195

Tabenkin, Yitzhak ................ 159

Weisglass, Dov ...................... 187

Talmon, Jacob L(eib) .......... 105, 121, 225

Weiss, Daniella ..................... 164

Tau, Zvi.................................. 242

Weissbrod, Lilly .................... 346

Tavor, Moshe ........................ 283

Weizman, Ezer...................... 346

Terstal, Susanna.................... 237

Weizmann, Chaim ............... 347

Thon, Yochanan ........... 125, 126

Weltsch, Robert.......... 32, 35, 40, 42, 72, 120, 125, 353

Thrall, Natan ......................... 227

Werblowsky, Zvi .................. 121

Timm, Angelika.................... 345

Westerwelle, Guido .............. 195

Toynbee, Arnold .............. 51, 52

Wilf, Einat ............................. 141

Tramer, Hans ........................ 275

Wilhelm, Kurt ....................... 135

Truman, Harry S. .......... 135, 352

297

Wilson, Woodrow .......... 39, 42, 232, 279

Yiftachel, Oren ..................... 348 Yizhar, S. ...................................54

Wise, Stephen ................... 39, 43

Yoffie, Eric H. ........... 27, 36, 240

Wolf, Heinrich ......................207

Yoséf, Ovadia ........ 104, 120, 163

Wolffsohn, David....................44

Yoséf, Yitzhak ............... 104, 242

Yachil, Chaim ........................159

Yunis, Ibtihal ................ 196, 295

Yaron, Zvi.................................96

Zertal, Idith ........................... 271

Yaso, Hagit.............................234

Zimmermann, Moshe ...........10, 38, 256, 271

Yassin, Achmed.......................61

Zoábi, Haneen....................... 282

Yehoshua, Avraham B...........20, 25, 114, 143, 192, 261, 264

Zohar, Uri ............................. 165

Yerushalmi, Yosef Hayim .....26, 71, 355

Zuckermann, Moshe ... 108, 271

298

Kommentiertes Literaturverzeichnis Abramov, S. Zalman: Perpetual Dilemma. Jewish Religion in the Jewish State. Foreword by W. Gunther Plaut. Rutherford et al. 1976. Der Autor, geboren in Weißrussland, wanderte 1920 in Palästina ein und war zwischen 1959 und 1977 Mitglied der Knesset, zuletzt als einer der stellvertretenden Präsidenten für den „Likud“. Abu-Ghazaleh, Adnan: Arab Cultural Nationalism in Palestine. Institute for Palestine Studies, Beirut 1973. Abu Zaid, Nasr Hamid: Islam und Politik. Kritik des religiösen Diskurses. Frankfurt am Main 1996. Der Autor attackierte die enge Verknüpfung von Religion, Politik und Macht in Ägypten und wurde 1995 von seiner Frau, der Romanistin Ibtihal Yunis, zwangsgeschieden. Nach seinem Weggang aus Kairo hatte er ab 2004 einen Lehrstuhl für Humanismus und Islam in Utrecht inne. Abunimah, Ali: One Country: A Bold Proposal to End the Israeli-Palestinian Impasse. New York 2006. Der Autor ist palästinensischer Herkunft und wohnt heute in Chicago. Er ist der Mitbegründer der „Electronic Intifada“. Achad Haam (Ha’am): Am Scheidewege. Gesammelte Aufsätze. Erster und Zweiter Band, Berlin 1923. Der Autor, mit bürgerlichem Namen Asher Ginsberg, gab in Russland die hebräischsprachige Zeitschrift „Ha-Shilóach“ („Der Sendbote“) heraus. Shmaryahu Levin erinnerte sich an seine erste Begegnung mit diesem „winzige(n) Männchen“, „als wir uns Auge in Auge gegenüberstanden“, wo er – Levin – den Eindruck „von solcher Plötzlichkeit und Tiefe, wie ich ihn vorher oder 299

seitdem nie von einem Menschen empfangen habe“. Achad Ha’am sei ein „Sendling des Himmels“ gewesen. Agha, Hussein, and Ahmad Samih Khalidi: The End of This Road: The Decline of the Palestinian National Movement, in „The New Yorker” 06.08.2017. Beide Autoren arbeiten am „St. Anthony‘s College“ in Oxford. In seinem Buch „Von Beirut nach Jerusalem“ hat Thomas L. Friedman berichtet, dass St. Anthony’s „das Zentrum für Nahöstliche Studien in England (war) und (...) daher die besten Studenten aus der arabischen Welt und Israel (anzog)“. Achcar, Gilbert: Die Araber und der Holocaust. Hamburg 2009. Der französisch-libanesische Politologe und Soziologe ist seit 2007 Professor für Entwicklungsstudien und Internationale Beziehungen an der „School of Oriental and African Studies“ an der „University of London“. Ajami, Fuad: The Arab Predicament: Arab Political Thought and Practice Since 1967. Cambridge, Mass., 1981 & 1992. Al Aswany, Alaa: Chicago. A Modern Arabic Novel. Cairo 2007. Al-Aswany, Alaa: Der Jakubjan-Bau. Roman aus Ägypten. Zürich 2007. Al-Azmeh, Aziz: Islam and Modernity. London 1996. Albright, Madeleine K.: Die Mächtigen und der Allmächtige. Gott, Amerika und die Weltpolitik. München 2006. (Al-Shafi:) The Oslo Agreement. An Interview mit Haydr Abd‘ al-Shafi in JPS # 89, XXIII (Autumn 1993)1, S. 14 ff. Der Arzt aus dem Gazastreifen gehörte zu einer alteingesessenen Familie, führte die palästinensische Gruppe im Rahmen der jordanischen Delegation bei der internationalen Konferenz im Herbst 1991 in Madrid und war ein dezidierter Kritiker Yasser Arafats.

300

Aloni, Shulamit: Getting Over the Crisis Without Fanaticism (Interview), in Ehud Ben-Ezer (Ed.): Unease in Zion (1974), S. 31 ff. Das Interview wurde im Mai 1970 geführt. Arlosoroff, Chaim: Leben und Werk. Ausgewählte Schriften, Reden, Tagebücher und Briefe. Berlin 1936. In Rumänien geboren, kam Arlosoroff mit seinen Eltern nach einem Pogrom nach Deutschland. 1924 wanderte er nach Palästina aus und gehörte zu den Spitzen der zionistischen Arbeiterbewegung – für Golda Meir zeichnete er sich durch Mäßigung, Vorsicht und ausbalancierte Ansichten aus –, die er für die Zusammenarbeit mit der arabischen Bevölkerung gewinnen wollte, bevor er sich wegen der dortigen Entwicklungen und Widerstände ernüchtert zeigte. Unter bisher nicht geklärten Umständen wurde er im Juni 1933 während eines Spaziergangs mit seiner Frau am Strand von Tel Aviv ermordet. Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 2006. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis, in Jan Assmann: Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen. München 2006. Aviad, Janet: From Protest to Return: Contemporary Teshuvah, in JQu 16/Summer 1980, S. 71 ff. Avnery, Uri: Mein Freund, mein Feind. Berlin • Bonn 1988. Avnery, Uri: Zwei Völker – zwei Staaten. Gespräch über Israel und Palästina. Heidelberg 1995. Avnery, Uri, und Azmi Bishara (Hg.): Die Jerusalem-Frage. Israelis und Palästinenser im Gespräch. Heidelberg 1996. Azoulay, Ariella, & Adi Ophir: The One-State Condition. Occupation and Democracy in Israel/Palestine. Stanford, Cal., 2013.

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Baer, Jizchak Fritz: Galut. Berlin 1936. Der Autor lehrte an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, bevor er seit 1930 Professor für Jüdische und Allgemeine Geschichte des Mittelalters an der Hebräischen Universität unterrichtete. Bakshi, Aviad: Legal Advisor and the Government: Analysis and Recommendations, in „Kohelet Policy Forum” February 2016. Die Internet-Plattform steht politisch der israelischen Regierungspolitik nahe. Ball, George W.: The Middle East: How to Save Israel in Spite of Herself, in FA April 1977. Ballod, Carl: Palästina als jüdisches Ansiedlungsgebiet. Berlin 1918. Bar-On, Mordechai: The Impasse and the Alternative, in PIJ 3-4/2000, S. 15 ff. Barak, Aharon: The Judge in Democracy. Princeton and Oxford 2006. Der Autor wurde 1936 in Litauen in eine Rabbinerfamilie geboren. Sein Vater wandte sich von der Religion ab und leitete das zionistische Büro in Kovno. Barak gehörte zur Delegation Menachem Begins bei den Friedensverhandlungen 1978/79 mit Ägypten und leitete zwischen 1995 und 2006 als Präsident den Obersten Gerichtshof. Shimon Peres würdigte ihn als einen der bedeutendsten Juristen der Gegenwart. (Barak, Ehud:) The Decline and Fall of Ehud Barak, in JR 26.02.2001, S. 21. Der höchstdekorierte Offizier aus der Arbeitspartei wurde 1999 zum Ministerpräsidenten in der Nachfolge Benjamin Netanjahus gewählt, führte die israelische Delegation beim Dreiertreffen im Juli 2000 in Camp David und erlitt im Februar 2001 eine schwere Wahlniederlage gegen Ariel Sharon. Mehrfache Versuche der politischen Rückkehr misslangen. Im Herbst 2018 wechselte er in den Vorstand des Cannabis-Produzenten „Intercure“.

302

Barak-Erez, Daphne: Law and Religion Under the Status Quo Model: Between Past Compromises and Constant Change, in „Cardozo Law Review” 30(2009)6, S. 2495 ff. Die Autorin lehrt Recht und Sicherheit an der Hebräischen Universität. Barak-Gorodetsky, David: Jeremiah in Zion.The Religion of Judah Leib Magnes. Be’ersheva 2018 (Hebr.). Barenboim, Daniel: Germany is repaying its post-Holocaust debts to Israel – but not to the Palestinians, in „Haaretz“ 07.06.2017. Der Autor wurde 1942 in Buenos Aires als Sohn jüdisch-polnischer Einwanderer geboren. Gemeinsam mit Edward W. Said gründete er das „WestEastern Divan Orchestra“ jüdischer und arabischer Musiker mit Sitz in Sevilla. Der 75. Geburtstag des israelisch-palästinensischen Doppelstaatsbürgers wurde in Israel öffentlich nicht gewürdigt. Bar-Siman Tov, Yaacov: Justice and Peace in the Israeli-Palestinian Conflict. London 2015. Barghouti (Barghouthi), Marwan: Barghouti wurde als Sohn von Bauern in Bir Zeit geboren und absolvierte die dortige UNRWA-Schule. In Bir-Zeit war er Vorsitzender des Studentenrates und wurde 1987 von den Israelis deportiert. Nach seiner Rückkehr stieg er zum Generalsekretär der „Fatah" auf. Als Führer des „Tanzim“ („Basis“) wurde er im April 2002 von einer israelischen Spezialeinheit in der Nähe von Ramallah festgenommen und im Mai 2005 von einem israelischen Gericht zu fünffach lebenslanger Haft wegen Beteiligung an der Tötung von 25 Israelis und einem griechisch-orthodoxen Mönch verurteilt. Seither sitzt er im Gefängnis Haderim nördlich von Tel Aviv. Er ist der Neffe des Politikers Mustafa Barghouti. Baskin, Gershon: A dose of non-conventional diplomacy, in JP 05.07.2018.

303

Baskin, Gershon: In the Pursuit of Peace in Israel and Palestine. Nashville (Tenn.) 2017. Baskin, Gershon: Encountering peace: November 29–a national holiday, in „Haaretz” 29.11.2017. Bauman, Zygmunt: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Frankfurt am Main 1995. Bauschke, Martin: Der Freund Gottes. Abraham im Islam. Darmstadt 2014. Bebel, August: Die Frau und der Sozialismus. Leipzig 1879. Beilin, Yossi: Confederation Is the Key to Mideast Peace, in NYT 14.05.2015. Beilin war in den frühen 1980er Jahren Generalsekretär der Arbeitspartei, bekleidete in der Regierung Ehud Baraks Ministerämter, wurde vielfach als Architekt der Prinzipienerklärung von 1993 bezeichnet und leitete die israelische Delegation zur „Genfer Initiative“. Beilin, Yossi: The Path to Geneva. The Quest for a Permanent Agreement, 1996–2004. New York 2004. Beinart, Peter: The Crisis of Zionism. New York 2012. Beinin, Joel: The Dispersion of Egyptian Jewry. Culture, Politics, and the Formation of Modern Diaspora. Cairo • New York 2005. Der Autor ist Professor für Nahost-Geschichte an der „Stanford University“ und war damals Leiter des „Program for Middle East Studies“ an der „American University“ in Kairo. Bell, Avi, and Eugene Kontorovich: Challenging the EU’s Illegal Restriction on Israeli Products in The World Trade Organization, in „Kohelet Policy Forum” October 2015. Policy Paper no. 18. Bell lehrt Recht an der „Bar-Ilan” Universität und an der „San Diego School of

304

Law“, während Kontorovich an der „Northwestern University School of Law” unterrichtet. Ben-Ami, Shlomo: Scars of War, Wounds of Peace. The Israeli-Arab Tragedy. Oxford • New York 2006. Ben-Ezer, Ehud (Ed.): Unease in Zion. New York, Jerusalem 1974. Ben Gurion, David: Erinnerung und Vermächtnis. Frankfurt am Main 1971. Der Autor, geboren als David Gruen, wanderte 1906 in Palästina ein. Aus Gruen wurde Ben-Gurion „zu Ehren eines jüdischen Helden gleichen Namens, der bei der Verteidigung Jerusalems gegen die römischen Legionen im Jahre 70 gefallen war“, so er selbst. Er wurde 1910 Journalist und 1921 zum Sekretär der „Histadrut” gewählt, die er 14 Jahre lang mit Berl Katznelson leitete. Anfang der 1930er Jahre gehörte er zu den Gründern der „Mapai“. Zwischen 1956 und 1953 sowie zwischen 1955 bis 1963 war er Ministerpräsident und hatte bisweilen auch das Amt des Außen- und Verteidigungsministers inne. Ben-Gurion, David: Wir und die Nachbarn. Gespräche mit arabischen Führern. Tübingen 1968. Ben Shlomo, Yosef: Poetry of Being. Lectures on the Philosophy of Rabbi Ko[o]k. Tel Aviv 1990. Der Kompilator und Kommentator Abraham Isaac Kooks war Vorsitzender der Fakultät für Jüdische Philosophie an der Universität Tel Aviv. Bentwich, Norman: Judah L. Magnes. A Biography of the first Chancellor and first President of the Hebrew University of Jerusalem. London (o.J., 1951). Der Autor war zwischen 1922 und 1929 Generalstaatsanwalt der britischen Mandatsregierung. In seiner Autobiographie „Wanderer Between Two Worlds” (London 1941) schrieb der in Hampstead geborene Autor, dass er aus einer jüdisch halb-entfremdeten („semi-detached“) Familie stamme.

305

Benvenisti, Eyal: The International Law of Occupation. Princeton and Oxford 1993. Preface 2004. Der Autor lehrt Rechtswissenschaften an der Universität Tel Aviv und gilt weltweit als bedeutender Spezialist für Flüchtlingsfragen. Benvenisti, Eyal: Legal Dualism. The Absorption of the Occupied Territories into Israel. Boulder, San Francisco, Oxford 1990. Benvensti, Meron: Welches Gesetz soll beachtet werden?, in „Haaretz“ 19.01.2007 (Hebr.). Der Autor, 1934 in Jerusalem geboren, studierte an der Hebräischen Universität, bevor er eine Zeitlang Teddy Kolleks Stellvertreter im Bürgermeisteramt war. 1982 wurde er in Harvard mit der Arbeit über die öffentliche Verwaltung in Belfast und Jerusalem promoviert, bevor er das „West Bank Data Project“ begründete, das in ihm die Überzeugung wachsen ließ, dass die „facts on the ground“ in den palästinensischen Gebieten irreversibel seien. Als Zionist habe er immer zu seiner Überzeugung gestanden, dass der Binationalismus ungewollt eintreten und bittere Konsequenzen haben werde. Benvenisti, Meron: Son of the Cypresses: Memories, Reflections, and Regrets from a Political Life. Berkeley et al. 2007. Benvenisti, Meron: Sacred Landscape. The Buried History of the Holy Land Since 1948. Berkeley et al. 2000. Benvenisti, Meron: City of Stone. The Hidden History of Jerusalem. Berkeley et al. 1996. Benvenisti, Meron: Intimate Enemies. Jews and Arabs in a Shared Land. Berkeley et al. 1995. Benvenisti, Meron: The West Bank Date Project. A Survey of Israel’s Policies. Washington and London 1984. Bergman, S(hmuel) H(ugo): Faith and Reason: An Introduction to Modern Jewish Thought. Washington, D.C., 1961. Der Autor 306

stammte aus Prag, wanderte 1920 nach Palästina aus, gehörte zum Kreis des „Brit Shalom“ und wurde 1935 Professor für Philosophie an der Hebräischen Universität. Zwischen 1936 und 1938 war er dort auch Rektor. Bericht über den baulichen Status im Gebiet Judäa und Samaria. Jerusalem 21.06.2012 (Hebr.). Der Vorsitzende der Kommission Edmond Levy war ehemals Richter am Obersten Gerichtshof. Eine autorisierte englischsprachige Zusammenfassung war unter dem Titel „The Commission to Examine the Status of Building in Judea and Samaria. Conclusions and Recommendations“ zugänglich. Bericht der Gemeinsamen Palästina-Kommission. London 1928. Im Juni 1927 wurde die „Joint Palestine Survey Commission“ mit jüdischen Vertretern aus Großbritannien, den USA und Deutschland sowie der „Jewish Agency“ mit dem Ziel der „Aufstellung eines umfassenden und systematischen Programms für die künftige Aufbauarbeit in Palästina“ eingerichtet. Berlin, Isaiah: The Power of Ideas. London 1998. Der Autor, 1909 in Riga geboren, ging mit seiner Familie 1921 nach England und lehrte Soziale und Politische Theorie in Oxford, wo er 1997 starb. Berlin, Isaiah: The Achievement of Zionism. The Isaiah Berlin Virtual Library, 1 June 1975. Berlin besuchte 1934 erstmals Palästina. Bernstein, Judith: Jerusalem – das Herzstück des israelisch-palästinensischen Konflikts. München 2017 (Broschüre). Bernstein, Reiner: Ein halbes Jahrhundert auf dem Drahtseil in Deutschland und Nahost. München, im März 2014 (Broschüre). Bernstein, Reiner: Von Gaza nach Genf: Die Genfer Friedensinitiative von Israelis und Palästinensern. Schwalbach/Ts. 2006. Bernstein, Reiner: Der verborgene Frieden. Politik und Religion im Nahen Osten. Berlin 2000. 307

Bernstein, Reiner: Geschichte des Staates Israel. Von der Gründung bis heute: Religion und Moderne. Schwalbach/Ts. 1998. Bernstein, Reiner, und Jörn Böhme (Hg.): „Ein nationalbewußter Jude muss Linker sein.“ Eliezer Feiler, Düsseldorf 1921 – Yad Hanna 1993. Schwalbach/Ts. 1995. Bin Gorion, Micha Josef: Born Judas. Frankfurt am Main 1981. Der Autor wurde 1903 in Breslau geboren und lebte seit 1936 in Palästina und Israel. [Bin-Nun, Yoel:] Jeremy Sharon: On the Chief Rabbinate, the Kotel [„Klagemauer“], the Prophets and Social Justice, in JP 17.09.2017. Birnbaum, Nathan: Um die Ewigkeit. Jüdische Essays. Berlin 1920 • 5689. Birnbaum, Nathan: Zwei Vorträge über Zionismus. Berlin 1898. Die Schrift erschien unter Birnbaums Pseudonym Mathias Acher. Aus einer alten Rabbinerfamilie stammend, entfremdete sich Birnbaum der Orthodoxie. 1885 war seine Schrift „Selbstemanzipation“ erschienen. Blum, Yehuda Z.: The Missing Reversioner [Der fehlende Antragsteller]: Reflections on the Status of Judea and Samaria, in „Israel Law Review“ 279(1968), S. 289-293. Blum war damals Dozent für internationales Recht an der Hebräischen Universität in Jerusalem und wurde später Israels UN-Botschafter. Blumenfeld, Kurt: Erlebte Judenfrage. Ein Vierteljahrhundert deutscher Zionismus. Stuttgart 1962. Der Autor war zwischen 1924 und 1933 Präsident der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“ (ZVfD), bevor er nach Palästina auswanderte. Böhm, Adolf: Die Zionistische Bewegung. I. Band: Die Zionistische Bewegung bis zum Ende des Weltkrieges. Zweite erweiterte Auflage, Tel

308

Aviv 1935. II. Band: Die Zionistische Bewegung 1918 bis 1925. Jerusalem 1937. Böhm ist der historiographische Klassiker der zionistischen Bewegung bis in die 1920er Jahre. Er wurde 1941 in einer NSTötungsanstalt für „Geisteskranke“ ermordet. Brinner, William M., and Moses Rischin (Eds.): Like All the Nations? The Life and Legacy of Judah L. Magnes. New York 1987. Brinner war damals „Professor of Near East Studies” an der „University of California”, Berkeley, Rischin lehrte als „Professor of History” an der „San Francisco State University”. Die Veröffentlichung ging auf ein Symposium zu Ehren Magnes’ 1982 zurück. Brown, Nathan J., and Emad Shahin (Eds.): The Struggle Over Democracy in the Middle East. Regional and External Politics. London 2009. Bregman, Ahron: Cursed Victory. A History of Israel and the Occupied Territories. London 2014. Der in Israel gebürtige Autor lehrt am „Department of War Studies, King’s College“ in London. Er sei erstmals mit der Realität der Okkupation bekannt geworden, als er als junger Offizier im Gazastreifen Dienst tat. Da er an der Besatzungspolitik nicht beteiligt sein wollte, sei er nach England gegangen. Brenner, Björn: Is Europe more desperate for a Palestinian state than the Palestinians?, in „Haaretz” 18.06.2017. Der Autor arbeitet an der „Defence University” in Stockholm. Brit Shalom: Jewish-Arab Affairs: Occational Papers, published by the Brit Shalom Society. June 1931. (Brit Shalom:) Erklärung des „Brith Shalom“ vom 5. Jänner 1929, in „Palästina“ XII. (Neue Folge, III. Jahrg.) Jänner 1929, Nr. 1, S. 36 f. Brzezinski, Zbigniew: Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft. 1. Aufl., Frankfurt am Main 1999.

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Buber, Martin: Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage. Herausgegeben und eingeleitet von Paul R. Mendes-Flohr. Frankfurt am Main 1983. Buber, Martin: Israel und Palästina. Zur Geschichte einer Idee. München 1968. Buber, Martin, J.L. Magnes, E. Simon (Eds.): Towards Union in Palestine. Essays on Zionism and Jewish-Arab Cooperation. Jerusalem 1947. Die Herausgeber widmeten die aufgenommenen Beiträge Henrietta Szold und H.M. Kalvaryski, den „Erbauern der jüdischen nationalen Heimstatt und Pionieren der bi-nationalen Idee“. Buber, Martin, und Franz Rosenzweig: Die fünf Bücher der Weisung. Verdeutscht von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Heidelberg 1981. Buber, Martin: Drei Reden über das Judentum. Fünftes bis siebentes Tausend. Frankfurt am Main 1919. Die erste Auflage erschien 1911 in der Literarischen Anstalt Rütten & Loening in Frankfurt am Main. Büren, Rainer: Ein palästinensischer Teilstaat? Baden-Baden 1982. (Lord) Caradon (Hugh Mackintosh Foot) et al.: U.N. Security Resolution 242, a case study in diplomatic ambiguity. Washington, D.C., 1981. Der Autor, Angehöriger der „Liberal Party”, war der britische Delegierte im UN-Sicherheitsrat. Deutscher Bundestag: Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour et al. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Abgeordneten Petra Pau et al. der Fraktion DIE LINKE „70 Jahre Staat Israel“. Drucksache 19/1850 vom 25.04.2018. Burg, Avraham: In Days to Come. A New Hope for Israel. New York 2018. Der Autor war zwischen 1999 und Anfang 2003 Präsident der Knesset und dann Vorsitzender der „Jewish Agency“.

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Burg, Avraham: Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss. Frankfurt am Main 2009. Chazan, Naomi: Towards a Settlement Without Settlements, in PIJ 34/2000, S. 46 ff. Bis zu ihrer Emeritierung lehrte die Autorin Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität, war einige Jahre stellvertretende Präsidentin der Knesset für „Meretz“, Präsidentin des „New Israel Fund“ und gehörte zum Kreis der „Genfer Initiative“. Cohen, Geula: Alles begann an Pessach ʼ68, in „Ma‘ariv“-Beilage 25.03.1994, S. 48 ff. (Hebr.) Cohen, Raymond: Culture and Conflict in Egyptian-Israeli Relations. A Dialogue of the Deaf. Bloomington and Indianapolis 1990. Der Autor war damals „Associate Professor for International Relations” an der Hebräischen Universität. Cohen, Roger: Netanyahu’s No-State Solution, in NYT 08.09.2017. Dan, Joseph: Rav Kooks Stellung im zeitgenössischen Denken, in Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte (Hgs.): Abraham Isaak HaCohen Kook: Die Lichter der Tora. Berlin 1995, S. 125 ff. Dan lehrte bis zu seiner Emeritierung Jüdische Mystik an der Hebräischen Universität in der Nachfolge Gershom Scholems. Dan steuerte auch das Nachwort zu Scholems „Ursprünge und Anfänge der Kabbala“ (Berlin New • York 2001) bei. Dash, Joan: Summoned to Jerusalem. The Life of Henrietta Szold. Eugene, Oregon, 2003. Dayan, Moshe: „We are a small people, but a brave one“, in JP 05.06.1967, S. 3. Deutscher Bundestag: Stenografischer Bericht, 29. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. April 2018.

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Dinstein, Yoram: The International Law of Belligerent Occupation and Human Rights, in „Israeli Yearbook of Human Rights” 104, 108 (1978). Der Autor war damals Jura-Dozent („Senior Lecturer”) an der Universität Tel Aviv und lehrte danach bis zu seiner Emeritierung Staatswissenschaften an dieser Universität. Dinur, Ben-Zion: Israel and the Diaspora. Philadelphia 1969. Dokumente zur Palästina-Politik 1929-1930. Der Shaw-Bericht. Unsere Antwort auf den Shaw-Bericht. Politische Dokumente. Berlin 1930. Doron, Lizzie: Sweet Occupation. München 2017. Dreier, Horst: Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne. München 2018. Der Autor ist Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats -und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Drucker, Raviv: Harakiri. Ehud Barak, der Fehlgriff. Tel Aviv 2002 (Hebr.). Eban, Abba: Where we settle is not a private matter, in JPie 27.04.1976, S. 12. Der Autor war zwischen 1966 und 1974 Israels Außenminister. Die Zitatstelle ist eine Wiederholung aus seiner Rede im Jahr 1973. Eberhard, Otto: Der Zionsgedanke als Weltidee und als praktische Gegenwartsfrage. Von Schulrat Otto Eberhard. Berlin 1918. Edelist, Ran: Ehud Barak – Sein Kampf gegen Dämonen. Or Yehuda 2003 (Hebr.) Edelman, Martin: The Status of the Israeli Constitution at the Present Time, in „Shofar” 21(Summer 2003), S. 1 ff. Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Berlin, 7. Februar 2018.

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Elam, Yigal: Gush Emunim. A False Messianism, in JQu Fall 1976, S. 60 ff. Elazar, Daniel J.: Israel: Building a New Society. Bloomington 1978. Der Autor lehrte damals Politische Wissenschaften an der „Bar Ilan“Universität. Eliav, Arie Lova: Land of the HArt. Israelis, Arabs, the territories and a vision of the future. Philadelphia 1974. Der Autor diente zwischen 1941 und 1945 in der britischen Armee, 1966 wurde er stellvertretender Minister für Handel und Industrie im Kabinett Levi Eshkols und dann stellvertretender Minister für Einwanderung und Integration, 1970 schließlich Generalsekretär der Arbeitspartei. Als „Taube“ trat er 1973 aus der Partei aus, in die er 1987 zurückkehrte. Im TalmudTraktat Gittin 57a wird „das Land des Hirsches [Hart]“ mit dem „Land Israel“ identifiziert. Elkana, Yehuda: The need to forget, in „Haaretz“ 02.03.1988. Der Autor war einer der bedeutendsten Wissenschaftstheoretiker der Gegenwart. Nach seiner Befreiung aus Auschwitz kam Elkana 1948 nach Israel und war zuletzt Präsident der „Central European University“ in Budapest. Elon, Amos: Mäzen, Zionist, Kaufhauskönig. Die Geschichte des Salman Schocken, in „Le Monde diplomatique“ 21/2017, S. 91 ff. Elon, Amos: Zu einer anderen Zeit. Porträt der deutsch-jüdischen Epoche. München 2002. (Eshkol, Levi:) Prime Minister‘s message: We long for peace even as the cannons roar, in JP 06.06.1967, S. 3. Fabian, Larry L., and Ze’ev Schiff (Eds.): Israelis Speak About Themselves and the Palestinians. New York and Washington, D.C., 1977. Fackenheim, Emil: The Jewish Return into History. Reflections in the Age of Auschwitz and a New Jerusalem. New York 1978. Der in Halle 313

geborene Autor studierte an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, wo er 1939 als letzter Absolvent die Prüfung zum Rabbiner bestand. Nach seiner Auswanderung lehrte er ab 1948 Philosophie an der „University of Toronto“ und ab 1984 an der Hebräischen Universität. Ernst Simon hat ihn einen religiösen Existentialisten genannt. Fisch, Harold: The Zionist Revolution. A New Perspective. London 1978. Der Autor war damals Professor für Englisch und Vergleichende Literatur an der „Bar Ilan“-Universität und dort Rektor von 1968 bis 1971. 1970 gründete er das Institut für Judentum und Zeitgenössisches Denken. 1977 gehörte Fisch zur israelischen Mission in der UN-Vollversammlung. Fischer, Joschka: Rede von Bundesaußenminister Joschka Fischer am 13.02.2004 vor dem Deutschen Bundestag in der Debatte um den Interfraktionellen Antrag zur Unterstützung der „Genfer Initiative“. Fishman, Edward: Even Smarter Sanctions. Not to Fight in the Era of Economic Welfare, in FA November/December 2017. Flapan, Simha: Zionism and the Palestinians. London & New York 1979. Der Autor war führendes Mitglied der „Mapam“ und bis 1982 Editor der englischsprachigen Monatszeitschrift „New Outlook“. For an Economic Boycott and Political Nonrecognition of the Israeli Settlements in the Occupied Territories: Todd Gitlin, Peter Beinart, Peter Brooks, Michael Walzer, and Edward Witten, et al., in „The New York Review of Books” 13.10.2016. Friedlaender, Saul: „Es gibt keinen Traum mehr“ (Interview), in SZ 30.09.2016, S. 6. Friedrich-Ebert-Stiftung und MACRO Center for Political Economics in Israel: Wohin geht es für die Generation Z? Zwischen Enttäu-

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schung und Erwartung – persönliche Wertvorstellungen und politische Positionen junger Menschen in Israel. 4. Jugendstudie, April 2017. Friedman, Menachem: Documenting Israel: The Religious Sector, in Charles Berlin (Ed.): Documenting Israel. A Case Study. Cambridge, Mass., 1995, S. 29 ff. Der Autor ist Professor für Soziologie an der „Bar Ilan“-Universität. Friedman, Menachem: The Ultra-Orthodox and Israeli Society, in Kyle/Peters (Eds.): Whither Israel? (1993), S. 177 ff. Friedman, Menachem: Jewish Zealots: Conservative versus Innovative, in Laurence J. Silberstein (Ed.): Jewish Fundamentalism (1993), S. 104 ff. Friedman, Menachem: The Haredim and the Holocaust, in JQu # 53/ Winter 1990, S. 86 ff. Friedman, Menachem: The State of Israel as a Theological Dilemma, in Baruch Kimmerling (Ed., 1989): The Israeli State and Society, S. 165 ff. Friedman, Robert I.: Zealots for Zion. Inside Israel’s West Bank Settlement Movement. New Brunswick, N.J., 1992. Friedman, Thomas L.: Von Beirut nach Jerusalem. Der Nahostkonflikt – Geschichte und Gegenwart. München 1990. Der Autor, gebürtig in Minnesota, schrieb als Korrespondent der „New York Times“, für die er seit 1981 aus Beirut berichtete, seit Juni 1984 aus Jerusalem. Von Beirut wurde er damals „angezogen wie die Motte vom Licht“. Fromkin, David: A Peace to End All Peace. The Fall of the Ottoman Empire and the Creation of the Modern Middle East. New York 2009. Das Buch des 1932 geborenen Autors erschien zuerst 1989. Zuletzt

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war Fromkin Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der „Boston University“. Fulbright, J. William: The Crippled Giant: American Foreign Policy and Its Domestic Consequences. New York 1972. Funkenstein, Amos: Jüdische Geschichte und ihre Deutungen. Frankfurt am Main 1995. Gabriel, Sigmar: Zeitenwende in der Weltpolitik. Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten. Freiburg • Basel • Wien 2018. Gabriel, Sigmar: Europa in einer unbequemen Welt. Berlin 05.12.2017. Rede vor dem „Forum Außenpolitik“ der Körber-Stiftung. Ghanem, As’ad, and Asher Susser: The Future of the Palestinians in Israel. Dialogue # 6, March 2007, im Internet-Portal „bitterlemons” 03.03.2007. Ghanem war Leiter des „Government & Political Philosophy Department at the School of Political Sciences” an der Universität Haifa und Vorsitzender des Exekutivkomitees der „IbnKhaldun Association”. Susser war Professor für Moderne NahostGeschichte an der Universität Tel Aviv. The Geneva Initiative. A Detailed Proposal for a Comprehensive Israeli-Palestinian Agreement. Tel Aviv 2009. Die deutsche Übersetzung des Textes ist in der von mir geführten Homepage www.genferinitiative.de verfügbar. Givat Haviva: Road Map for a Shared Society. Final Summary. December 2017. Glatzer, Nahum Norbert: Geschichte der talmudischen Zeit. Berlin 1937. Der Autor studierte in Frankfurt am Main bei Salomon Breuer (1850 – 1926), dem Gründer des „Verbandes der orthodoxen Rabbiner“ und entschiedenem Gegner des Zionismus. Glatzer lehrte anschließend in Frankfurt in der Nachfolge Martin Bubers. 1938

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emigrierte er nach Palästina und war seit 1950 Professor für Jüdische Geschichte an der „Brandeis University“ in Boston. Glick, Caroline B.: The Israeli Solution. A One-State Plan for Peace in the Middle East. New York 2014. Nach ihrer Einwanderung 1991 aus den USA diente die Autorin im israelischen Militär als Mitarbeiterin bei den Verhandlungen mit der PLO im Rahmen des „Coordinator of Government Activities in the Territories“ (COGAT). 1997/98 war sie außenpolitische Beraterin Benjamin Netanjahus. Seit 2002 gehört sie zur Redaktionsleitung der „Jerusalem Post“. Glick erhielt für ihre politische Arbeit mehrere Auszeichnungen in Israel und in den USA. Gold, Dore: The Fight for Jerusalem. Radical Islam, the West and the Future of the Holy City. Washington, D.C., 2003. Der in den USA gebürtige Autor war Israels UN-Botschafter und amtierte bis 2016 als Generaldirektor des Auswärtigen Amtes in Jerusalem. Er ist Leiter des „Jerusalem Center for Public Affairs“, das gegen die Zwei-Staaten-Lösung auftritt. Goldmann, Nahum: Erez-Israel. Reisebriefe aus Palästina 1914. Rückblick nach siebzig Jahren. Verlag Darmstädter Blätter 1982. Goldmann, Nahum: Mein Leben USA-Europa-Israel. Frankfurt/ M – Berlin – Wien 1981. Goldmann, Nahum: Das jüdische Paradox. Zionismus und Judentum nach Hitler. Köln – Frankfurt am Main 1976. Gordon, A.D.: Erlösung durch Arbeit. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1929. Der Autor wanderte 1904 nach Palästina ein und betonte die jüdische Selbstverwirklichung im Zuge der Kolonisierungsarbeit. Goren, Shlomo: The State of Israel according to the halacha and the prophetic vision, in JPie, Sonderausgabe „Independence Day Magazine“ 20.04.1988, S. 10 + 50 f.

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Gorenberg, Gershom: The Accidental Empire: Israel and the Birth of the Settlement, 1967–1977. New York 2006. Gorny, Yosef: The State of Israel in Jewish Public Thought. The Quest for Collective Identity. Houndsmill and London 1994. Der Autor war bis zu seiner Emeritierung Professor für die Geschichte des Zionismus mit besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu den Arabern an der Universität Tel Aviv. Granovsky, Abraham: Boden und Siedlung in Palästina. Berlin 1929. Der Autor, geboren in Bessarabien, Schulabgänger in Tel Aviv und in Politischer Ökonomie in Lausanne promoviert, hebraisierte seinen Namen in Avraham Granot und gehörte zu den Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung 1948. (Greenberg, Uri Zvi:) Yaacov Shavit: Uri Zvi Greenberg: Conservative Revolutionarism and National Messianism, in JQu # 48/Fall 1988, S. 63 ff. Gronemann, Sammy: Tohuwabohu. Roman. Leipzig 1920, Nachdruck 1. Aufl. 2000. Der Autor, Sohn eines Rabbiners, Rechtsanwalt und Zionist in Berlin, geboren 1875 in Strasburg (Westpreußen), war Vorsitzender des Kongressgerichts der Zionistischen Vereinigung für Deutschland (ZVfD). 1933 musste er zunächst ins Pariser Exil gehen, bevor er 1936 nach Palästina weiterwanderte, in Tel Aviv eine Anwaltskanzlei unterhielt und 1952 in einem Altersheim in RamatGan starb. Sein Roman spiegelt die Suche des Protagonisten Heinz Lehnsen alias Levysohn nach jüdischer Selbstfindung durch das Erlebnis eines Pogroms in Borytschew wider. Gross, Netty C.: Why Did God Do This to Us?, in JR 08.05.2000, S. 18 ff.

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Güdemann, Moritz: Jüdische Apologetik. Hildesheim • New York 1981. Das Buch des Wiener Oberrrabbiners erschien 1906 im Carl Flemming-Verlag, Glogau. Halabi, Rafik: Die Westbank Story. „Stirb für dein Land und die Ehre deiner Schwester.“ Königstein/Ts. 1981. Harkabi, Yehoshafat: Palästina und Israel. Stuttgart 1974. Der sich als „macchiavellistische Taube“ charakterisierende Autor war Geheimdienstchef und danach „Professor for International Relations and Middle East Studies“ an der Hebräischen Universität. Harkabi, Yehoshafat: Das palästinensische Manifest und seine Bedeutung. Stuttgart 1980. Harkabi, Yehoshafat: Israel’s Fateful Hour. New York 1986. Mit einem Postskript vom 08. August 1988. Harkabi, Yehoshafat: The Bar Kokhba Syndrome. Risk and Realism in International Politics. Chappaqua, N.Y., 1983. Harkabi, Yehoshafat: Eine israelische Stimme, in „Beiträge zur Konfliktforschung" 1/1971, S. 103 ff. Harris, David: Deutschland muss standhaft sein, in FAZ 25.07.2018, S. 8. Hass, Amira: Bericht aus Ramallah. Eine israelische Journalistin im Palästinensergebiet. Kreuzlingen/München 2004. Hattis, Susan Lee: The Bi-National Idea in Palestine During Mandatory Times. Haifa 1970. Hazony, Yoram: The Virtue of Nationalism. New York 2018. Hazony, Yoram: The Jewish State. The Struggle for Israel’s Soul. New York 2000.

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Hazony, Yoram: The Zionist Idea and Its Enemies, in „Commentary” 101(May 1996), S. 30 ff. Hendriksen Waage, Hilde: Postscript to Oslo: The Mystery of Norway’s Missing Files, in JPS # 149, XXXVIII(Autumn 2008)1, S. 54 ff. Herman, Tamar: Tactical Hawks, Strategic Doves: The Positions of Israeli Jewish Public on the Israeli-Palestinian Conflict, in „Institute for National Security Studies”, Summer 2002. Die Autorin verantwortet den „Peace Index”, herausgegeben an der Universität Tel Aviv. Herzog, Yaacov: A People that Dwells Alone. Speeches and Writings. Edited by Misha Louvish. London 1975. Hessing, Jakob: Auf der Grenze. Eine autobiographische Wanderung. Vortrag am 08.05.2018 in München. Der Autor lehrte bis zu seiner Emeritierung Germanistik an der Hebräischen Universität. Hessing, Jakob: Weltanschauung in der Krise. Die Tragödie der Linken in Israel, in „Merkur“ # 822, 71(November 2017), S. 36 ff. Hilal, Jamil: PLO Institutions: The Challenge Ahead, in JPS # 89, XXIII(Autumn 1993)1, S. 46 ff. Der Autor, der zur politischen Entourage Arafats in Tunis gehörte und sich danach von ihm abkehrte, lehrt Soziologie an der „Birzeit“-Universität bei Ramallah. Hourani, Albert: Die Geschichte der arabischen Völker. Von den Anfängen des Islam bis zum Nahostkonflikt unserer Tage. Frankfurt am Main 2001. Inbari, Motti: Jewish Fundamentalism and the Temple Mount. Who Will Build the Third Temple? New York 2009. Indyk, Martin S., Kenneth G. Liebenthal and Michael E. O’Hanlon: Bending History: Barack Obama’s Foreign Policy. Washington, D.C., 2012. 320

Indyk, Martin: Innocent Abroad. An Intimate Account of American Peace Diplomacy in the Middle East. New York et al. 2009. Der Titel des Buches geht auf Ronald Reagan zurück: „We cannot play innocents abroad in a world that is not innocent.“ (Israel:) Die israelische Verwaltung in Judäa, Samaria und Gaza. Ein Zeugnis des Fortschritts. Herausgegeben vom Verteidigungsministerium Hakirja. Tel Aviv, Februar 1969. Jabotinsky, Vladimir: Der Judenstaat. Wien 1938. In seinem Referat vor dem XXIV. Zionistischen Kongress 1956 in Jerusalem bezeichnete sich Menachem Begin als „Schüler Jabotinskys“. Jabotinsky, Vladimir: Ich klage an! Vladimir Jabotinsky vor der Königlichen [Peel-]Kommission. Prag 1937. Jerome, Fred: Einstein on Israel and Zionism. New York 2009. Albert Einstein wurde 1952 nach dem Tod Chaim Weizmanns aufgefordert, neuer Staatspräsident zu werden – was Ben-Gurion mit der Bemerkung quittierte, damit seien die Probleme vorprogrammiert, sollte Einstein zustimmen. Joint Policy Working Group: The Middle East Peace Process. Jerusalem 15.05.2017. Sie besteht aus der „Palestinian Policy Working Group” und der „Israeli Policy Working Group“. Jones, Clive: Ideo-Theology. Discourse and Dissonance in the State of Israel, in Efraim Karsh (Ed.): From Rabin to Netanyahu (1997), S. 28 ff. Joseph, Dov: The Faithful City. The Siege of Jerusalem 1948. Tel Aviv 1960. Judis, John B.: Genesis. Truman, American Jews, and the Origins of the Arab/Israeli Conflict. New York 1914. Der in Israel gebürtige Publizist war lange als Redakteur bei der liberalen Zeitschrift „The New Republic“ in Washington, D.C., tätig. 321

Karmi, Ghada: The One-State Solution: An Alternative Vision for Israeli-Palestinian Peace, in JPS # 158, XL(Winter 2011)2, S. 62 ff. Die palästinensische Autorin arbeitet am Institut für Arabische und Islamische Studien an der Universität Exeter, U.K. Karsh, Efraim: The Privileged Palestinian „Refugees”, in „Middle East Quarterly” 25(Summer 2018)May 14, 2018. Der Autor leitete bis zu seiner Emeritierung das Programm „Middle East and Mediterranean Studies“ am „King’s College“ in London und ist Direktor des „BeginSadat Center for Strategic Studies“ an der „Bar Ilan“-Universität. Karsh, Efraim (Ed.): From Rabin to Netanyahu. Israel’s Troubled Agenda. London • Portland, Oregon, 1997. Katz, Yossi: Partner to Partition. The Jewish Agency’s Partition Plan in the Mandate Era. London • Portland 1998. Der Autor war Professor für Geographie an der „Bar Ilan”-Universität. Kaznelson [Katznelson], B.: Zerstörung oder Neuaufbau. Zur innerzionistischen Situation. Berlin 1934. Der Autor wurde selbst von seinen Kritikern als „der begabteste Führer der Arbeiterschaft“ und als ihr bedeutendster Ideologe anerkannt. Kedar, Aharon: ‚Brith Shalom’, in JQ # 18/Winter 1981, S. 55 ff. Der Autor leitete das „Ben-Zion Dinur Research Institute on Jewish History” an der Hebräischen Universität. Kerry, John: Every Day is Extra. New York et al. 2018. Das Nachwort hat Kerry am 04. Juli 2018 geschrieben. Khalidi, Rashid: Brokers of Deceit. How the US Has Undermined Peace in the Middle East. Boston 2013. Der Historiker ist „Edward Said Professor for Arab Studies” an der „Columbia University“. Er wurde 1948 in New York als Sohn eines Palästinensers mit saudischer Staatsangehörigkeit und einer libanesischen Christin geboren. Seine Familie lebte seit dem 15. Jahrhundert in Jerusalem. Ein Onkel 322

war in den 1930er Jahren Bürgermeister der Stadt, bevor ihn die Briten auf die Seychellen verbannten. Khalidi, Rashid: The Iron Cage. The Story of the Palestinian Struggle for Statehood. Boston 2006. Khalidi, Rashid: Palestinian Identity. The Construction of Modern National Consciousness. New York • Chichester (West Sussex) 1997. Khalidi, Walid: On Albert Hourani’s Statement, the Arab Office, and the Anglo-American Committee of 1946, in JPS # 137, XXXV(Autumn 2005)1, S. 80 ff. Der Autor ist Literaturwissenschaftler und Historiker und lehrt an der „Harvard University”. Er gehört gegenwärtig zum Kreis der Herausgeber des „Journal of Palestine Studies“. Khalidi, Walid: Bevor Their Diaspora: A Photographic History of the Palestinians, 1876–1948. Washington, D.C., 1991. Kimmerling, Baruch: Between Hegemony and Dormant Kulturkampf in Israel, in IsA 4(Spring/Summer 1998)3 & 4, S. 51 ff. Der Autor (1939 – 2007) war Professor für Soziologie an der Hebräischen Universität. Kimmerling, Baruch (Ed.): The Israeli State and Society. Boundaries and Frontiers. New York 1989. Klatzkin, Jakob: Krisis und Entscheidung im Judentum der Probleme des modernen Judentums. Zweite, ergänzte Auflage. Berlin 1921. Klein, Menachem: Jerusalem geteilt, vereint. Araber und Juden in einer Stadt. Frankfurt am Main 2018. Der Autor lehrt Politische Wissenschaften an der „Bar Ilan“-Universität, war externer Berater von Außenminister Shlomo Ben-Ami beim Gipfeltreffen in Camp David im Juli 2000 und gehörte zu den Erstunterzeichnern der „Genfer Initiative“, bei deren Vorbereitung er der Koordinator für Jerusalem war. Außerdem ist Klein in der israelisch-palästinensischen AktivistenGruppe „Ir Amim“ („Stadt der Völker“: Jerusalem) tätig. 323

Klein, Menachem: A Possible Peace Between Israel & Palestine. An Insider’s Account of the Geneva Initiative. New York 2007. Kohn, Hans: Bürger vieler Welten. Ein Leben im Zeitalter der Weltrevolution. Mit einem Geleitwort von Arnold J. Toynbee. Frauenfeld 1964. Kohn, Hans: Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Mitteleuropas 1880 – 1930. Nachwort: 1930 – 1960 von Robert Weltsch. Köln 1961. Kohn, Moshe: Who’s Afraid of Gush Emunim? „The Jerusalem Post Topic”, 1977. Kohn, Hans, und Robert Weltsch: Zionistische Politik. Mährisch-Ostrau 1927. Kook, Abraham Isaac: HaRav Avraham HaCohen Kook: War and Peace. Jerusalem 1997. Kretzmer, David: The Occupation of Justice. The Supreme Court of Israel and the Occupied Territories. Albany, N.Y., 2002. Der Autor ist emeritierter Rechtsprofessor an der Hebräischen Universität. Kreutzberger, Max: Georg Landauer – Seine Ideenwelt und sein Werk, in Max Kreutzberger (Hg.): Georg Landauer: Der Zionismus im Wandel dreier Jahrzehnte, S. 13 ff. Kreutzberger war bis 1957 Direktor des „Leo Baeck Institut“ in New York. Kurtzer, Daniel C. (Ed.): Pathway to Peace. America and the Arab-Israeli Conflict. With a Foreword by James A. Baker III and Samuel Berger. New York 2012. Kurtzer, Daniel C., and Scott B. Lasensky: Negotiating Arab-Israeli Peace. American Leadership in the Middle East. Washington, D.C., 2008. Kurtzer war zwischen 1997 und 2001 US-Botschafter in Kairo sowie zwischen 2001 und 2005 Botschafter in Tel Aviv. Seither lehrt 324

er an der „Wilson School of Public and International Affairs“ an der „Princeton University“. Lasensky war Leitender Forschungsmitarbeiter am „United States Institute for Peace“ und gehört heute zum „Institute for National Security Studies“. Kyle, Keith, and Joel Peters (Eds.): Whither Israel? The Domestic Challenges. London, New York 1993. Laitman, Michael: What Jews Owe the World, in „The New York Times International“ 11.10.2014, S. A 9. Landau, Noa: Trade and Tirade: The complicated truth behind Israel’s love-hate relationship with the EU, in „Haaretz” 25.05.2018. Landauer, Georg: Der Zionismus im Wandel dreier Jahrzehnte. Tel Aviv 1957. Lavsky, Hagith: German Zionists and the Emergence of Brit Shalom, in Jehuda Reinharz and Anita Shapira (Eds.): Essential Papers on Zionism. New York 1996, S. 648 ff. Leibowitz, Yeshayahu: Judaism, Human Values and the Jewish State. Edited by Eliezer Goldman. Cambridge, Mass., London 1992. Der aus der litauischen Tradition der Orthodoxie stammende Autor wanderte 1935, aus Deutschland kommend, in Palästina ein und lehrte Neurophysiologie an der Hebräischen Universität. Leibowitz, Yeshayahu: ‚For the Mighty Deeds and for the Wars‘, in JQu # 36/Summer 1985, S. 79 ff. Leo, R.: Das Ostjudenproblem und Palästina. Berlin 1919. Levin, Shmarya[hu]: Jugend in Aufruhr. Berlin 1933. Levin (1867 – 1935), geboren in Weißrussland, studierte an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Beim Zionistischen Kongress 1903 gehörte er zu den Gegnern des Uganda-Plans. 1905 wurde er für die „Jüdisch-Nationale Liste“ in die erste russische 325

Duma gewählt. Aus den USA kommend, ließ er sich 1924 in Palästina nieder. Levin habe eine ganze Generation US-amerikanischer Juden für den Zionismus herangezogen, erinnerte sich Chaim Weizmann: „Seine Rede funkelte nur so von auserlesenen Sätzen, Zitaten aus der Bibel und dem Talmud, und geistreichen Analysen.“ Das „Technion“ in Haifa sei das Kind Levins und Achad Ha’ams gewesen. Levin, Shmarya[hu]: Kindheit im Exil. Berlin 1931. Levinas, Emmanuel: Vier Talmud-Lesungen. Frankfurt am Main 1993. Der Autor, geboren in Kaunas (Kovno) und Student bei Edmund Husserl und Martin Heidegger, lehrte vor allem in Paris Philosophie. Da seine in Litauen verbliebene Familie dem Holocaust zum Opfer fiel, betrat Levinas nach 1945 nie wieder deutschen Boden. LeVine, Mark: Overthrowing Geography. Jaffa, Tel Aviv, and the Struggle for Palestine, 1880–1948. Berkeley • Los Angeles • London 2005. Levy, Daniel: On U.S. Middle East Policy and Amateurism, in „The Washington Post“ 06.11.2009. Der britisch-israelische Doppelstaatsbürger war Rechtsberater des israelischen Teams der „Genfer Initiative“ und arbeitete danach als Ko-Direktor der „Middle East Task Force“ beim Think Tank „New America“. Levy, Gideon: Schrei, geliebtes Land. Leben und Tod unter israelischer Besatzung. Neu Isenburg 2005. Lichtheim, Richard: Rückkehr. Die Geschichte des deutschen Zionismus. Jerusalem 1954. Das Buch schließt mit dem Ende des Ersten Weltkriegs ab. Der Autor war als Nachfolger Jakob Klatzkins von 1911 bis 1914 Redakteur der „Welt“, dem Organ der Zionistischen Weltorganisation, bevor er zwischen 1913 und 1917 die zionistische Organisation in Konstantinopel vertrat. Lichtheim, der aus einer völlig assimilierten Familie in fünfter Generation stammte – „Berlin

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W.W.“ spöttisch genannt –, und kurz an die Taufe dachte, hielt es gleichwohl nach eigenem Bekunden für Juden nicht schicklich, „ihr Deutschtum allzu lautstark zu betonen“. Er gehörte bis 1932 der Revisionistischen Bewegung unter Leitung von Jabotinsky an und hielt zwischen 1934 und 1938 in Jerusalem und während des Zweiten Weltkriegs von Genf aus für die Zionistische Organisation die Kontakte in das von Deutschland besetzte Europa. In seinen Memoiren aus der Frühzeit nimmt die Zahl der Taufen in seiner Familie einen großen Raum ein. Über seine Mutter Clara berichtete Lichtheim: „Namensänderungen und Taufe empörten sie. Entfernte Verwandte meines Vaters in Ostpreußen, die Goldstand hießen, hatten sich nach der Taufe ‚Gerdeck‘ genannt. ‚Gerdreck‘, sagte meine Mutter verächtlich.“ Trotz der Assimilation „um den Preis der Selbstaufgabe“ blieb der gesellschaftliche Verkehr, abgesehen von Geschäftsverbindungen, zwischen Christen und Juden getrennt. „Gewiß, Deutschland war ein ‚Rechtsstaat‘. Aber besser noch als das Gesetz schützte die Juden die strenge Gliederung des ‚Klassenstaates‘. Das war eine viel verlässlichere Garantie für Leben und Eigentum, als die Demokratie sie ihnen später gewähren konnte.“ Scholems „Wider den Mythos des deutsch-jüdischen Gesprächs“ (1964) findet in der Autobiographie Lichtheims zahlreiche Belege. Lijphart, Arend: Israeli Democracy and Democratic Reform in Comparative Perspective, in Ehud Sprinzak and Larry Diamond (Eds.): Israeli Democracy Under Stress. Boulder and London 1993, S. 105 ff. Lijphart, Arend: Democracy in Plural Societies: A Comparative Exploration. New Haven and London 1977. Lis, Jonathan, Jack Khoury, Chaim Levinson, Bar Peleg: ‚Abolish this sin‘: Amos Oz, David Grossman and hundreds of Israeli intellectuals slam nation-state law, in „Haaretz“ 29.08.2018.

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Lybarger, Loren D.: Identity & Religion in Palestine. The Struggle between Islamism & Secularism in the Occupied Territories. Princeton and Oxford 2007. Die Autorin lehrte damals klassische und Weltreligionswissenschaften an der „Ohio University“ in Athens. Magnes, Judah Leon: In the Perplexity of Times. Jerusalem 1946. Der Autor, 1877 in San Francisco als Sohn jüdischer Einwanderer aus der Nähe von Lodz geboren – der Name Magnes ging auf den Besuch seines Großvaters in Schweden zurück – und am 27. Oktober 1948 in New York gestorben, galt als „ein Prophet im Volke Israel“ und als ein „herausragender moralischer Führer“. Zwischen 1900 und 1903 studierte er in Berlin und Heidelberg und reiste in dieser Zeit durch das jüdische Osteuropa. 1904 wurde Magnes als liberaler Rabbiner in New York ordiniert – bevor er sich als Rabbiner der konservativen Gemeinde „Bnei Jeshurun“ („Söhne Israels“131) anschloss –, nahm 1905 am Zionistischen Kongress in Basel als Teil der US-amerikanischen Delegation teil und diente zwischen 1905 und 1908 als Sekretär der „American Zionist Federation“. 1912 rettete ihn auf der Rückreise nach New York ein Zwischenaufenthalt in London vor dem Untergang der „Titanic“. Seit Oktober 1922 in Jerusalem lebend, war er für seinen Biographen Norman Bentwich ein „Held der jüdischen Jugend in Amerika“, wurde aber wegen seiner politischen Überzeugungen „unter der Jugend in Palästina zum Feind seines Volkes“ abgestempelt. Politisch gehörte er zum Kreis des „Brit Shalom“. Den Vorschlag der Teilung Palästinas durch die Peel-Kommission 1937 lehnte er ab.                                                              131

Deut. 32,15: „Jakob aß und wurde satt, Jeshurun wurde fett und bockte“; Deut. 33,5: „Ein König erstand in Jeshurun“; Jes. 44,2: „So spricht der Herr, Dein Schöpfer, der dich im Mutterleib geformt hat, der dir hilft: Fürchte dich nicht, Jakob, mein Knecht, du Jeshurun, den Ich erwählte.“ Die Herkunft des Namens ist nicht eindeutig geklärt und steht allgemein als poetische Bezeichnung des Volkes Israel. 328

Magnes, J(udah) L.: Wie alle Völker…? Aufsätze zur zionistischen Politik. Berlin 1930. Sie erschienen im selben Jahren in Jerusalem unter dem Titel „Like All the Nations…?“ Magnes, Judah, and Martin Buber: Arab-Jewish Unity. Testimony before the Anglo-American Inquiry Commission for the Ihud (Union) Association. London 1947. Maoz, Zeev: Defending the Holy Land. A Critical Analysis of Israel’s Security & Foreign Policy. Ann Arbor 2009. Der an der „University of California” in Davis lehrende Politologe war zuvor Leiter der „Graduate School of Government and Policy“ und am „Jaffee Center for Strategic Studies“ an der Universität Tel Aviv tätig. Margalit, Meir: Seizing Control of Space in East Jerusalem. Jerusalem, Juni 2010. Masalha, Nur: A Land without a People. Israel. Transfer and the Palestinians 1948–96. London 1997. Masalha, Nur: Expulsion of the Palestinians: The Concept of ‚Transfer‘ in Zionist Political Thought, 1882–1948. London 1994. Meir, Golda: My Life. The Autography. London 1975. Melman, Yossi: The New Israelis. An Intimate View of a Changing People. New York 1992. Der Autor arbeitete als investigativer Journalist für „Haaretz”, „The Washington Post“ und „The Los Angeles Times“. Melman, Yossi, and D. Raviv: Friends in Deed: Inside the U.S.-Israel Alliance. New York 1994. Mendes-Flohr, Paul (Ed.): A Land of Two Peoples. Martin Buber on Jews and Arabs. Chicago 2005. Bis zu seiner Emeritierung lehrte der

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Autor Jüdisches Denken und Jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität. Er widmete seine Edition Ernst Akiva Simon und Robert Weltsch. Meroz, Yohanan: Deutsch-Israelische Beziehungen (Interview), in Simcha Stein: Israel und Deutschland. Auswirkungen des Holocaust auf die israelische Gesellschaft. Nes Ammim – Zeichen der Völker 1987-Heft Nr. 4, S. 15 ff. Miller, Aaron David: The Much Too Promised Land. America’s Elusive Search for Arab-Israeli Peace. New York 2008. Seit den 1980er Jahren gehörte der Autor zu den außenpolitischen Beratern mehrerer USRegierungen. Miller, Aaron David, et al.: Lessons of Arab-Israeli Peacemaking: Four Negotiators Look Back and Ahead, in „Middle East Institute“ April 25, 2005. Moore, John Norton (Ed.): The Arab-Israeli Conflict. Readings and Documents. Princeton (N.J.) 1977. Morris, Benny: One State, Two States. Resolving the Israeli-Palestinian Conflict. New Haven and London 2009. Der Autor, der heute an der „Ben Gurion“-Universität in Be‘ersheva lehrt, ist vor allem durch seine zwei Arbeiten über das palästinensische Flüchtlingsdrama 1947/49 bekannt geworden, für das er die damalige jüdische bzw. israelische Politik sowie die Interessen Jordaniens und Ägyptens verantwortlich machte. Morris, Benny: Righteous Victims: A History of the Zionist-Arab Conflict, 1881–2001. New York 2001. Morris, Leon A.: Is the idea of the Jewish people a chauvinistic, antiquated canard?, in „Haaretz” 06.09.2018. [Muasher, Marwan:] A Statesman Speaks (Interview), in „Carnegie Endowment for International Peace” 05.10.2016. Der Autor entstammt 330

einer großen Familie, deren Wurzeln bis in das frühe Christentum zurückreichen sollen. In den 1990er Jahren war er Kommunikationsminister in Jordanien und erster Botschafter seines Landes in Israel, zwischen 2002 und 2004 Außenminister und 2004/5 stellvertretender Ministerpräsident, bevor er mehrere Jahre bei der Weltbank und beim „Carnegie Endowment for International Peace“ tätig war. Danach setzte sich Muasher für zivilgesellschaftliche Aktivitäten und für die Reform des Wahlrechts in Jordanien ein. Muasher, Marwan: The Second Arab Awakening and the Battle for Pluralism. New Haven and London 2014. Muasher, Marwan: The Arab Center: The Promise of Moderation. New Haven & London 2008. Mounk, Yascha: Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. München 2018. Der Autor lehrt Politische Theorie in Harvard. (Myers, David:) Yair Ettinger: Anti-Semitism, assimilation and the paradox of Jewish survival – an interview with David Myers, new president of the NIF, in “Haaretz” 18.11.2018. Neher, André: Jüdische Identität. Einführung in den Judaismus. Hamburg 1995. Der Religionsphilosoph wurde im Elsass geboren und lehrte nach seiner Einwanderung 1967 Philosophie an der Hebräischen Universität. (Netanyahu, Benjamin:) Netanyahu’s address to UN General Assembly, in „Haaretz“ 19.09.2017. Der Autor war erstmals zwischen 1996 und 1999 Ministerpräsident und kehrte 2009 in dieses Amt zurück. Ari Shavit attestierte ihm schwerwiegende Fehler: Unter seiner Führung verliere Israel die jüdische Mehrheit, die jüdische Souveränität und den jüdischen Staat. Außerdem würden demokratische Werte

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und der Geist der Demokratie verletzt. Stärke sei nicht die einzige Kraft in der Geschichte. Netanyahu, Benjamin: A Place Among the Nations. Israel and the World. London et al. 1993. Nachdem Netanjahu am 15. August 2016 die Redaktionsleitung von „Haaretz“ einbestellt hatte, schrieb Gideon Levy: „Er steht viel mehr unter der Motivation der Ideologie, als ihm gemeinhin zugesprochen wird. Sie wird ihm nie Kompromisse bei Angelegenheiten erlauben, die ihm wichtig sind.“ Das Schicksal der Palästinenser interessiere ihn überhaupt nicht. Auch die Siedlungen würden ihn nicht übermäßig beschäftigen. Ihn interessiere nur die Stärke des Militärs, der Wirtschaft und der Technologie. Neumann, Jonathan: To Heal the World? How the Jewish Left Corrupts Judaism. New York 2018. Newman, David (Ed.): The Impact of Gush Emunim. Politics and Settlement in the West Bank. London & Sydney 1985. Der Autor lehrt Politische Geographie an der „Ben-Gurion“-Universität in Be‘ersheva. Nusseibeh, Sari: What Is a Palestinian State Worth? Cambridge, Mass., London 2011. Der einer Jerusalemer Notablenfamilie angehörende Autor studierte in Oxford und an der „Harvard University“, lehrte Philosophie und Politik an der „Al-Quds“-Universität und war bis 2012 deren Rektor. Die Familie Nusseibeh ist seit dem 13. Jahrhundert in der Altstadt gebürtig. Früher gehörten ihr alle Häuser und Läden am Damaskustor. Ein fernes Familienmitglied verwaltet den Schlüssel der Grabeskirche. Nusseibeh, Sari, with Anthony David: Once Upon a Country. A Palestinian Life. New York 2007.

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Nusseibeh, Sari, in „The Al-Aqsa Intifada: Reflections on the Turning Point”, PIJ 3&4/2000, S. 40. Omer, Atalia: When Peace Is Not Enough. How the Israeli Peace Camp Thinks About Religion, Nationalism, and Justice. Chicago and London 2013. Die Religions- und Konfliktsoziologin lehrt an der „University of Notre Dame“ im US-Bundesstaat Indiana. Ottaway, Marina, and Julia Choucair-Vizoso (Eds.): Beyond the Façade. Political Reform in the Arab World. Cairo 2008. Beide Autorinnen arbeiteten damals am „Carnegie Endowment for International Peace“ in Washington, D.C. Oz, Amos: „Es herrschte völlige Begeisterung. Obwohl feststand, dass viele von uns sterben würden“ (Interview), in NZZ 14.05.2018. Der Autor wurde 1939 in Jerusalem geboren. 1992 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Oz, Amos: „Alles ist umkehrbar“ (Interview), in SZ 11.05.2018, S. 13. Oz, Amos: Im Lande Israel. Frankfurt am Main 1982. Pappe, Ilan: Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus. Neu Isenbueg 2016. Pappe, Ilan: Die Idee Israel. Mythen des Zionismus. Hamburg 2015. Pappe, Ilan: The Rise and Fall of a Palestinian Dynasty. The Husaynis 1700–1948. London 2010. Pappe, Ilan: The Ethnic Cleansing of Palestine. Oxford 2006. Pawelka, Peter: Herrschaft und Entwicklung im Nahen Osten: Ägypten Heidelberg 1985. (Peel-Bericht:) Bericht über Palästina, erstattet durch die britische Königliche Palästina-Kommission unter dem Vorsitz von Earl Peel. Berlin 1937.

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Peres, Schimon: Die Versöhnung. Der neue Nahe Osten. Berlin o.J. (1994). (Peres, Shimon:) Shimon Peres, Foreign Minister of Israel: The Future, the U.S. and the Future of the Region. International Policy Conference. Washington, September 1, 1992. Persico, Tomer: The movement that saw Israeli settlements as redemption for Jews and the world, in „Haaretz” 22.06.2017. Der Autor ist Forschungsmitglied im Jerusalemer „Shalom Hartman Institute” und arbeitet am „Department for Comparative Religion“ an der Universität Tel Aviv. Pfaff, William: Attacks Show That Political Courage Is the Real Defense, in IHT 12.09.2001. Podeh, Eli: Die große palästinensische Erfindung in der Geschichte (Hebr.), in „Haaretz“ 02.12.2017. Preuß, Ulrich K.: Krieg, Verbrechen, Blasphemie. Zum Wandel bewaffneter Gewalt. Berlin o.J. Quandt, William B. (Ed.): The Middle East. Ten Years after Camp David. Washington, D.C., 1988. Quandt, William B.: Decades of Decisions. American Policy in the Arab-Israeli Conflict, 1967–1976. Berkeley et al. 1977. Der Autor war damals Abteilungsleiter im „State Department“ und Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat Jimmy Carters. Ra’anan, Zvi: Gush Emunim. Tel Aviv 1980 (Hebr.). Der Autor legte mit der Arbeit die erste geschlossene Veröffentlichung zum „Block der Glaubenstreuen“ vor. Rabinovich, Itamar: The Lingering Conflict. Israel, the Arabs, and the Middle East, 1948–2002. Revised Edition: Washington, D.C. 2011.

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Der an der Universität Tel Aviv lehrende Professor für die Geschichte des Nahen Ostens war zwischen 1993 und 1996 israelischer Botschafter in Washington und diente Yitzhak Rabin als Chefunterhändler mit Syriens Präsident Hafez Al-Assad. Rabinovich, Itamar, and Jehuda Reinharz (Eds.): Israel in the Middle East. Documents and Readings on Society, Politics, and Foreign Relations, Pre-1948 to the Present. Second Edition. Hanover and London 2008. Rachlevski, Sefi: Der Esel des Messias. Tel Aviv 1988 (Hebr.). Ravitzky, Aviezer: Religious and Secular Jews in Israel: A Kulturkampf? „The Israel Democracy Institute”, Position Paper E 1, December 2000. Der Autor ist Professor für Jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität. Ravitzky, Aviezer: Messianism, Zionism, and Jewish Religious Radicalism. Chicago & London 1996. Ravitzky, Aviezer: Exile in the Holy Land: The Dilemma of Haredi Jewry, in Peter Y. Medding (Ed.): Israel. State and Society, 1948–1988. Studies in Contemporary Jewry, vol. 5. New York, Oxford 1989, S. 89 ff. Raz, Adam: „Wir betrachten sie als Esel“, in „Haaretz“ 03.01.2018 (Hebr.). Reich, Bernard: Israel’s Quest for Peace, in „Mediterranean Quarterly” 13(Spring 2002)2. Der Autor ist Professor für Öffentliche Politik an der „University of California“ in Berkeley. Remnick, David: The One-Status-Reality, in „The New Yorker“ 17.11.2014. Der Autor ist Chefredakteur des Blattes. Ronen, Yael, and Yuval Shany: Israel’s Settlement Regulations Bill and International Law, in „Kohelet Policy Forum” December 22, 2016. 335

Rosa Luxemburg Stiftung, Israel Office: Israel ein Blick von innen heraus. Debattenbeiträge zu Politik, Wirtschaft, Gesellschaft & Kultur. Berlin • Tel Aviv 2017. Rosenne, Meir: Directions for a Middle East Settlement–Some Underlying Legal Problems, in John Norton Moore (Ed.): The Arab-Israeli Conflict (1977), S. 665 ff. Der Autor diente als Berater Menachem Begins bei den Friedensverhandlungen mit Ägypten in Camp David und war Israels Botschafter in Paris und in Washington. Ross, Dennis: The Missing Peace. The Inside Story of the Fight for Middle East Peace. New York 2004. Ross diente mehreren US-Präsidenten als Berater und wurde im Frühjahr 1993 von Bill Clinton als „Special Middle East Coordinator“ eingesetzt. Roth, Philip: The Counterlife. London 1986. Der vielfach ausgezeichnete Autor, der 1933 in Newark (New Jersey) geboren wurde und am 22. Mai 2018 in New York starb, wurde verschiedentlich als ein im jüdischen Selbsthass verfangener Jude attackiert, weil ihn die Frage nicht interessierte, was es genau bedeutet, Jude zu sein. Im großangelegten Nachruf erwähnte „Haaretz“ seinen Essayband „Counterlife“ nicht. Rubin, Barry, Joseph Ginat and Moshe Ma’oz (Eds.): From War to Peace. Arab Israeli Relations 1973–1993. New York 1995. Rubinstein, Amnon: The Zionist Dream Revisited. From Herzl to Gush Emunim and back. New York 1984. Der Autor war damals Professor für Öffentliches Recht an der Universität Tel Aviv. Rubinstein hielt mehrere Ministerposten nach 1973 für die neue Partei „Shinui“ („Wandel“) und später für „Meretz“ („Energie“) inne. Rubinstein, Danny: Entweder wir oder sie. Kastel und Jerusalem, April 1948: 24 Stunden, die den Krieg änderten. Rishon Le-Zion 2017 (Hebr.). Der heute 80 Jahre alte Autor, der in seiner Kindheit fließend Arabisch sprechen lernte, war während des Sechs-Tage-Krieges

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in einer Aufklärungseinheit der Jerusalem-Brigade tätig, bevor er 21 Jahre lang für die der „Histadrut“ gehörende Tageszeitung „Davar“ („Die Tat“) und dann 19 Jahre für „Haaretz“ berichtete. Rülf, Schlomo: Ströme im dürren Land. Lebenserinnerungen. Stuttgart 1964. Der Autor war in Saarbrücken gebürtig, absolvierte eine Rabbinerausbildung und wanderte Anfang 1935 nach Palästina aus, wo ihn Ernst Simon ermutigte, sich für die „Aliya“ der jüdischen Saarländer einzusetzen – „nicht mit vollem Erfolg“, wie er bekannte. Als er Jerusalem erblickte und die „häßliche Jaffa-Straße hinter“ sich hatte, entdeckte er mit misstrauischen Augen „die ‚hochgebaute Stadt‘ in ihrer herben Größe“. Rülf arbeitete als Lehrer in Jerusalem, in der Landwirtschaftsschule „Mikweh Israel“ („Quell Israels“) und in der Gemeinde Nahariya, wo er auch zum Präsidenten der LeoBaeck-Loge tätig war. Ruppin, Arthur: Tagebücher, Briefe, Erinnerungen. Herausgegeben von Schlomo Krolik. Mit einem Nachwort von Alex Bein. Königstein/Ts. 1985. Ruppin, Arthur: Dreissig Jahre Aufbau in Palästina. Reden und Schriften. Berlin 1937. Ruppin, Arthur: Der Kampf der Juden um ihre Zukunft. Zweiter Band der „Soziologie der Juden“. Berlin 1931. Ruppin, Arthur: Soziologie der Juden. Erster Band: Die soziale Struktur der Juden. Zweiter Band: Der Kampf der Juden um ihre Zukunft. Berlin 1930/ 1031. Ruppin, Arthur: Der Aufbau des Landes Israel. Ziele und Wege jüdischer Siedlungsarbeit in Palästina. Berlin 1919. Sacks, Jonathan: To Heal a Fractured World? The Ethics of Responsibility. New York 2007. Der Autor war zwischen 1991 und 2013 Oberrabbiner in Großbritannien. 337

Sacks, Jonathan: The Dignity of Difference. How to Avoid the Clash of Civilizations. London et al. 2002. Sacks, Jonathan: One People? Tradition, Modernity, and Jewish Unity. London & Washington 1993. Said, Edward W.: Das Ende des Friedensprozesses. Oslo und danach. Berlin 2000. Der Autor lehrte Vergleichende Literaturwissenschaften an der „Columbia University“ und war als Dozent auch in Yale und in Harvard tätig. Said, Edward W.: The Politics of Dispossession. The Struggle for Palestinian Self-Determination, 1969–1994. New York 1995. Said, Edward W.: Symbols Versus Substance: A Year After the Declaration of Principles. An Interview with Edward W. Said, in JPS # 94, XXIV(Winter 1995)2, S. 60 ff. Salamé, Ghassan (Ed.): Democracy Without Democrats? The Renewal of Politics in the Muslim World. London, New York 1994. Der Autor war damals Professor für Internationale Beziehungen am „Institut d’Études Politiques de Paris“. Am 01. Juli 2017 hat Salamé die Nachfolge des deutschen Spitzendiplomaten Martin Kobler als UN-Beauftragter für Libyen angetreten. Samson, David: HaRav Avraham Yitzhak HaCohen Kook: War and Peace. Jerusalem 1997. (Sasson, Talia:) Amira Hass: „Traitor? Who, me? Talia Sasson sums up her term as New Israel Fund president, in „Haaretz” 06.10.2018. Die heute 67 Jahre alte Talia Sasson beendete ihre Tätigkeit als Präsidentin des „New Israel Fund“ (NIF) Ende Oktober 2018, ihr Nachfolger wurde der Historiker David Myers. Sasson war immer wieder physisch bedroht worden, so dass Schutzleute abgestellt werden mussten. Der von Sharon 2004 in Auftrag gegebene Bericht über die „Außenposten“, der im März 2005 vorgelegt wurde, umfasste 343 Seiten. Im 338

Jahr 2017 gewährte NIF Zuwendungen in der Gesamthöhe von 4,1 Millionen US-Dollar, davon gingen Hilfen zur Stärkung der Bürgerrechte und der demokratischen Infrastruktur, der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit, für jüdisch-arabische Projekte und gegen Rassismus, für die Freiheit der Religionsausübung und für einzelne Notfälle. Zugute kamen die Gelder u.a. „B’tselem“, ACRI, „Breaking the Silence“ und „Adalah“. Wer BDS, Eingaben an den Internationalen Strafgerichtshof unterstütze, den Militärdienst verweigere und damit, „rote Linien“ überschreite, erhalte vom NIF kein Geld. In dem Interview sprach sich Sasson für die Trennung von den Palästinensern aus. „Ich glaube, dass ein großer Teil der israelischen Öffentlichkeit nicht versteht, dass wir unser eigenes Grab schaufeln.“ Die meisten würden einen Nationalstaat für das jüdische Volk wünschen, einen demokratischen Staat mit der Gleichberechtigung für alle Bürger. Wer sich an den Strafgerichtshof wende, habe das Vertrauen in die Demokratie verloren. In ihrem Buch „Vor dem Abgrund“ von 2016 warnte Sasson vor einer nationalistischen und rassistischen Gesellschaft, vor der Untergrabung der Status Israels in der internationalen Gemeinschaft und ihrer Verdrängung aus der Familie der Völker. Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes verband sie mit dem Verständnis als Staat aller seiner Bürger. Savir, Uri: The Process: 1,100 Days that Changed the Middle East. New York 1998. Der Autor war bei der Vorbereitung der Osloer Prinzipienerklärung Chefunterhändler von Shimon Peres und leitete nach dessen Wahlniederlage 1996 das „Peres Center for Peace“ in Tel Aviv. Scholem, Gershom: „Es gibt ein Geheimnis in der Welt. „Tradition und Säkularisation. Frankfurt am Main 2002. Scholem führte den Titel auf „ein Grundgefühl zurück, dass die Welt für uns sichtbar sei, „aber sie erschöpft sich nicht mit dem uns Sichtbaren“.

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Scholem, Betty, und Gershom Scholem: Mutter und Sohn im Briefwechsel 1917 – 1946. Herausgegeben von Itta Shedletzky in Verbindung mit Thomas Sparr. München 1989. Scholem, Gershom: Judaica 5. Erlösung durch Sünde. Frankfurt am Main 1992. (Scholem, Gershom:) Werner J. Dannhauser (Ed.): Gershom Scholem: On Jews and Judaism in Crisis. Selected Essays. New York 1976. Der Autor wanderte 1923 in Palästina ein und hat sich als frühes Mitglied des „Brit Shalom” bezeichnet. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung Jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität. Scholem, Gershom: Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft. Frankfurt am Main 1975. Scholem, Gershom: Zionism–Dialectic of Continuity and Rebellion, in Ehud Ben-Ezer (Ed.): Unease in Zion (1974), S. 263 ff. Das Interview wurde im April und Juli 1970 geführt. Scholem, Gershom: Israel und die Diaspora. Judaica 2. Frankfurt am Main 1970. Scholem, Gershom: Über einige Grundbegriffe im Judentum. Frankfurt am Main 1970. Dort: Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum, S. 121 ff. Scholem, Gershom: Die Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt, in Judaica 1“, Frankfurt am Main 1962. Scholem, Gershom: Wissenschaft vom Judentum einst und jetzt. Frankfurt am Main 1960. Schweid, Eliezer: Der Zionismus nach dem Zionismus. Jerusalem 1996 (Hebr.). Der Autor lehrte bis zu seiner Emeritierung Jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität.

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Schweid, Eliezer: The Land of Israel: National Home or Land of Destiny. Rutherford (Mad.) et al. 1985. Segev, Tom: „Ben-Gurion suchte nach einem Judentum ohne Gott“ (Interview), in „Israelnetz“ 20.06.2018. Segev, Tom: David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis. Berlin 2018. Der in Jerusalem lebende Autor gehört zu den „neuen Historikern“. Segev, Tom: Mit einerlei Maß (Interview), in SZ 08.06.2017, S. 5. Segev, Tom: 1967. Israels zweite Geburt. München 2005. Segev, Tom: Es war einmal Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels. München 1999. Segev, Tom: Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung. Reinbek bei Hamburg 1995. Senator, David Werner: Letter of Resignation to Dr. Weizmann, in Buber/Magnes/Simon (Eds.): Towards Union in Palestine, S. 51 ff. Der in Berlin geborene Autor wohnte im Jerusalemer Stadtteil Rechavia und war zwischen 1930 und 1935 Mitglied der „Jewish Agency” als Nichtzionist und Leiter des „Immigration Department and the Department of Settlement of German Jews”. (Shaffir, Stav:) Armin Rosen: Stav Shaffir Speaks for US, in „Israel Policy Forum“ 03.08.2018. (Shaked, Ayelet:) „Wir sehen nicht zu, wie Iran Syrien übernimmt“ (Interview), in FAZ 30.04.2018, S. 2. Shaked, Gershon: Die Macht der Identität. Essays über jüdische Schriftsteller. Königstein/Taunus 1986. Der Autor lehrte Hebräische Literatur an der Hebräischen Universität und gehörte zu den einflussreichsten Literaturkritikern des Landes.

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Shalev, Chemi: Israelis support equal rights for Reform and Conservative Jews–but want U.S. Jews to keep their mouths shut, in „Haaretz” 04.07.2018. Shamgar, Meir: The Observance of International Law in the Administered Territories, in John Norton Moore (Ed., 1977): The Arab-Israeli Conflict, S. 489 ff. Der Autor wurde 1968 Generalstaatsanwalt und leitete zwischen 1983 und 1995 als Präsident den Obersten Gerichtshof. Shamgar, Meir (Ed.): Military Government in the Territories Administered by Israel 1967–1980. Volume I., Jerusalem 1982. Shamgar, Meir: The Observance of International Law in the Administered Territories, in „Israel Year Book of Human Rights“ 262 (1971). Shapira, Anita: Berl Katznelson. Ein sozialistischer Zionist. Frankfurt am Main 1988. Seit dem Tod Berl Katznelson 1944 habe „es niemanden unter den Großen des Landes gegeben, der fähig gewesen wäre, das wichtige Problem der Beschaffenheit der Gesellschaft und ihrer Führung in den Mittelpunkt seines Lebens zu rücken. Ben Gurion versuchte, seinen Platz zu ersetzen durch Wahlsprüche, die er von Zeit zu Zeit in die Atmosphäre des jungen Staates schleuderte, wie ‚auserwähltes Volk‘ oder ‚Besiedlung des Negevs‘. Doch es fehlte ihm der Spürsinn zu merken, was unter der Oberflächer in den Herzen der Menschen vorging. Und das galt auch für die anderen“, hat Shapira geurteilt. Sharon, Assaf: The fallacies of the ‚one-state solution’, in „Molad–the center for the renewal of Israeli democracy”, October 12, 2015. „Molad” („Geburt”) wurde 2012 gegründet und bezeichnet sich als unabhängige Forschungseinrichtung, kann aber ihre politische Nähe zum politischen Mainstream nicht verbergen.

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Shavit, Ari: My Promised Land. The Triumph and Tragedy of Israel. New York 2013. Der Autor gehörte in jungen Jahren der Bewegung „Frieden jetzt” an und wurde regelmäßiger Kolumnist von „Haaretz”. Als Angehöriger der „radikalen Mitte" wollte er sich von rechten und linken Dogmen fernhalten. Aufgrund mehrerer Skandale beendete er seine journalistische Karriere bei „Haaretz“. Shehadeh, Raja: Occupation Law: Israel and the West Bank. Washington, D.C., 1985. Der Autor war damals Rechtsanwalt in Ramallah und Mitglied mehrerer Juristenvereinigungen in Europa. Shenhav, Yehouda: Beyond the Two-State Solution. A Jewish Political Essay. Cambridge, U.K., 2012. Der Autor lehrt Soziologie an der Universität Tel Aviv und ist Vertreter der Kritischen Theorie. Sher, Gilead: The Israeli-Palestinian Peace Negotiations, 1999–2001 Within reach. London and New York 2006. Der Autor war Chefberater Ehud Baraks. Shikaki, Khalil: The Future of Israel and Palestine: a one-state reality in the making. Norwegian Peace Building Resource Centre (NOREF) 2012. Der Autor ist Direktor des „Palestinian Center for Policy and Research Survey“ (PCPS). Shikaki, dessen Eltern 1948 zu den Flüchtlingen gehörten, wurde 1953 im Gazastreifen geboren und hat seit Jahren mit erheblichen Beeinträchtigungen seiner Arbeit zu leiden, die der palästinensischen Führung häufig nicht genehm ist. (Shikaki, Khalil:) Philip Weiss: More and more people see ‘one state only’ but Remnick fears it will be like Bosnia, in „Mondoweiss” 24.01.2017. Shilon, Avi: Menachem Begin. A Life. New Haven & London o.J. [2012]. Shlaim, Avi: Israel and Palestine. Reappraisals, Revisions, Refutations. London • New York 2009. Der 1945 in Bagdad geborene Autor kam 343

1951 nach Israel und ist Professor für Internationale Beziehungen am „St. Anthony‘s College“ in Oxford. Shlaim, Avi: Lion of Jordan. The Life of King Hussein in War and Peace. London 2008. Shlaim, Avi: Israeli Politics and Middle East Peacemaking, in JPS # 96, XXIV (Summer 1995)4, S. 20 ff. Shlaim, Avi: The Oslo Accord, in JPS # 91, XXIII (Spring 1994)3, S. 24 ff. Sid-Ahmet, Mohammad: After the Guns Fall Silent. London 1976. Silberstein, Laurence J. (Ed.): Jewish Fundamentalism in Comparative Perspective. Religion, Ideology, and the Crisis of Modernity. New York & London 1993. (Simon, Ernst:) Guy Miron: From Memorial Community to Research Center: The Leo Baeck Institute in Jerusalem, in Guy Miron: Republication on the Occasion of 60 Years to the Leo Baeck Institute. Jerusalem 2015. (Simon, Ernst A.): Sechzig Jahre gegen den Strom: Ernst A. Simon. Briefe von 1917–1984. Tübingen 1998. Simon, Ernst: Robert Weltsch als Politiker, Historiker und Erzieher im Vergleich zu Buber und Scholem, im LBI 64(1983), S. 15 ff. Simon, Ernst: Entscheidung zum Judentum. Essays und Aufsätze. Frankfurt am Main 1980. Simon, Akiva Ernst: Religion und Staat in Israel, in Shemaryahu Talmon und Gregor Siefer (Hgs.): Religion und Politik in der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Bonn 1978, S. 148 ff. Simon, Akiva Ernst: The Arab Question as a Jewish Question, in Ehud Ben Ezer (Ed., 1974): Unease in Zion, S. 297 ff.

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Simon, Ernst: Nationalismus, Zionismus und der jüdisch-arabische Konflikt in Martin Bubers Theorie und Wirksamkeit, in LBI 9(1966)33, S. 21 ff. Simon, Ernst, Jerusalem: Rundschau Politik, in „Palästina“ XII (Neue Folge, III. Jahrg.) Feber/März 1929 2/3, S. 52 ff. Singer, Isaac Bashevis: Der seidene Kaftan. Kindheitserinnerungen. Reinbek bei Hamburg 1996. Singer erhielt 1978 den Nobelpreis für Literatur. Singer, Isaac Bashevis: Geschichten aus New York. Frankfurt am Main 1981. Sivan, Emmanuel: Radical Islam: Medieval Theology and Modern Politics. New Haven and London 1985. Der Autor lehrt Orientalistik am „Department of History“ an der Hebräischen Universität. Slaughter, Anne-Marie: Das Zwei-Staaten-Modell ist das Problem, in „Die Welt“ 28.03.2013. Die Autorin war Leiterin der Planungsabteilung im „State Department“ und ist Professorin für Politische Wissenschaften und Internationale Angelegenheiten an der „Princeton University“. Smooha, Sammy: The Viability of Ethnic Democracy as a Mode of Conflict Management: Comparing Israel and Northern Ireland, in Todd Edelman (Ed.): Comparing Jewish Societies. Ann Arbor 1997, S. 267 ff. Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Haifa. Er hat den Staat Israel als Archetyp einer ethnischen Demokratie bezeichnet. Sprinzak, Ehud: Brother Against Brother. Violence and Extremism in Israeli Politics from Altalena to the Rabin Assassination. New York 1999. Der Autor lehrte Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität und anschließend am „Interdisciplinary Center“ in Herzliya. Sein Vater Joseph Sprinzak war der erste Präsident der 345

Knesset, der sich in der Mandatszeit als einen „Bewunderer einer jüdisch-arabischen Allianz“ bezeichnete. Sprinzak, Ehud: The Politics, Institutions, and Culture of Gush Emunim, in Laurence J. Silberstein (Ed.): Jewish Fundamentalism (1993), S. 177 ff. Sprinzak, Ehud: The Ascendance of Israel’s Radical Right. New York 1991. Sprinzak, Ehud: Gush Emunim: The Tip of the Iceberg, in JQu # 21/ Fall 1981, S. 28 ff. State Department: Near East: On-the-Record-Briefing. Washington, D.C., May 11, 2018. Statement by National Security Leaders on an Israeli-Palestinian TwoState Solution and U.S. Policy. 2018. Unterzeichnet wurde die Erklärung von Nicholas Burns, William J. Burns, William S. Cohen, Chuck Hagel, Lee H. Hamilton, Gary Hart, Rita E. Hauser, Carla A. Hills, Daniel C. Kurtzer, Richard G. Lugar, Anne W. Patterson, Thomas R. Pickering, Brent Scowcroft, Henry Siegman, Paul Volcker, Lawrence B. Wilkerson und Frank G. Wisner. Stein, Shimon, und Moshe Zimmermann: Mehr Kritik wagen, in DIE ZEIT 09.05.2018. Stein, Shimon, and Shlomo Brom: Israel has a choice: Be part of the ‘Trumpworld’ or the liberal democratic world, in „Haaretz” 02.02.2017. Stein, 1948 als Sohn polnisch-jüdischer Eltern in Hadera geboren, war zwischen 2001 und 2007 Israels Botschafter in Berlin. Brom war Direktor der Strategischen Planungsabteilung im israelischen Generalstab, bevor er wie Stein ins „Institute for National Security Studies“ (INSS) wechselte. Steinmeier, Frank-Walter: „Mich besorgt das zutiefst“ (Interview), in FAZ 29.06.2018, S. 2. 346

Steinmeier, Frank-Walter: Der Geist irrt, sobald er auf Politik verzichtet, in FAZ 20.06.2018, S. 11. Rede des Bundespräsidenten auf der Konferenz „The Struggle for Democracy“ mit der das ThomasMann-Haus im kalifornischen Pacific Palisades eröffnet wurde. Steinmeier, Frank-Walter: Besuch der Hebräischen Universität von Jerusalem am 07.05.2017]. Steinmeier, Frank-Walter: Flugschreiber. Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten. Berlin o.J. [2016]. Steinmeier, Frank-Walter: „Krise, Ordnung, Gestaltung“ – Eröffnungsrede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Botschafterkonferenz 2015 am 24.08.2015. Steinmeier, Frank-Walter: 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen – Rede von Frank-Walter Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag am 07.05.2015. Steinmeier, Frank-Walter: Rede bei der Abschlussveranstaltung zu „Review 2014 – Außenpolitik weiter denken“ am 25.02.2015 im Auswärtigen Amt. Stern, Maram: Infamer Kampf, in SZ 27.08.2018, S. 2. Der Verfasser ist stellvertretender Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses mit Sitz in Brüssel. Stern, Yedidia Z.: Religion and State: The Role of Halakha. Part Three. Position Paper E 6, ed. by „The Israel Democracy Institute“, Jerusalem, December 2004. Der Autor, von Hause aus Rechtswissenschaftler, ist Forschungsmitglied des „Israel Democracy Institute“. Er lehrt an der Hebräischen Universität. Stern, Yedidia Z.: Facing Painful Choices. Law and Halakha in Israeli Society. Position Paper 4 E, ed. by „The Israel Democracy Institute“. Jerusalem, March 2003.

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Stern, Yedidia Z.: State, Law, and Halakha. Part One: Civil Leadership as Halakhic Authority. Position Paper E 2, ed. by „The Israel Democracy Institute“, Jerusalem, December 2001. (Sternhell, Zeev:) Zwei-Staaten-Lösung als Sisyphus-Aufgabe, in „Qantara“ April 2018. Interview mit Inge Günther. Der Israel-Preisträger von 2008, 1935 in Polen geboren, ist emeritierter Professor für Politische Wissenschaften an der Hebräischen Universität mit dem Schwerpunkt „Faschismus-Theorie“ und Mitglied der Akademie für Natur- und Geisteswissenschaften. Er überlebte nach der Flucht aus Polen als Kind die „Shoah“ in Frankreich, seine Eltern und seine Schwester überlebten nicht. 1951 wanderte Sternhell in Israel ein. Er hat mehrfach betont, dass er die Besatzung in den palästinensischen Gebieten für die größte jüdische Katastrophe nach der „Shoah“ betrachtet. Die Gründung Israels 1948 hält er nach wie vor für essentiell. Sternhell, Zeev: Nur Sanktionen könnten Israel retten, in „Haaretz” 20.01.2017 (Hebr.). Sternhell, Zeev: The Founding Myths of Israel. Nationalism, Socialism, and the Making of the Jewish State. Princeton, New Jersey, 2008. Strawson, John: Partitioning Palestine. Legal Fundamentalism in the Palestinian-Israeli Conflict. London 2010. Susman, Margarete: Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen. Stuttgart 1964. The Taba Negotiations (January 2001), in JPS # 123, XXXI (Spring 2002)3, S. 78 ff. Talmon, Jacob L.: Israel Among the Nations. London 1970. Talmon, J.L.: Prophetism and Ideology: The Jewish Presence in History, in JQu # 3/Spring 1976, S. 3 ff.

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Temkin, Moshe: An Israeli First and Last, in JR 09.11.1998, S. 41. Der Autor zitierte aus dem Buch von David Ohana „Die letzten Israelis“ (Hebr.), der damals am „Van Leer Institute“ in Jerusalem tätig war. [Testimony:] Arab-Jewish Unity. Testimony before the Anglo-American Inquiry Commission for the Ihud (Union) Association by Judah Magnes and Martin Buber. London 1946. Thrall, Nathan: The Only Language They Understand: Forcing Compromise in Israel and Palestine. New York 2017. Timm, Angelika (Hg.): 100 Dokumente aus 100 Jahren. Teilungspläne, Regelungsoptionen und Friedensinitiativen im israelisch-palästinensischen Konflikt (1917 – 2017). Berlin 2017. Die Autorin leitete zwischen 2008 und 2015 das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv. [Toynbee, Arnold, and Louis Eaks:] Arnold Toynbee on the Arab-Israeli Conflict, in JPS # 3, II(Spring 1973), S. 3-13. Toynbee leitete jahrelang das „Royal Institute for International Affairs” in London. Tufakji, Khalil: Siedlungsaktivitäten beschleunigt (Interview), in „Palästina-Bulletin“ 7/1993, S. 3 ff. Vali, Nasr: The Dispensable Nation. American Foreign Policy in Retreat. New York et al. 2013. Der Autor, der als Kind die Revolution Khomeinis im Iran miterlebte, war Berater im „State Department“, bevor er als Professor für Internationale Politik an die „John Hopkins University” in Baltimore zurückkehrte. Der Titel geht auf ein Zitat Bill Clintons zurück, der die USA vor der Rolle als „verzichtbare Nation“ warnte. Das Buch ist Richard Holbrooke (1941 – 2010), „the tireless champion of American leadership in the world“, gewidmet, dem Vali zwei Jahre als Berater unter Außenministerin Hillary Clinton diente.

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Vereinte Nationen: Die Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten. Vorabdruck 23. Oktober 2017. Wagner, Heinz: Der arabisch-israelische Konflikt im Völkerrecht. Berlin 1971. Waterbury, John: Democrats Without Democrats?: the potential for political liberalization in the Middle East, in Ghassan Salamé (Ed., 1994): Democracy Without Democrats, S. 23 ff. Der Professor für Politik und Internationale Angelegenheiten arbeitete an der „Princeton University”. Weisburd, David, and Eli Waring: Settlement Motivations in the Gush Emunim Movement: Comparing Bonds of Altruism and Self-Interest, in David Newman (Ed., 1985): The Impact of Gush Emunim, S. 183 ff. Weiss, Peter: International Law and the Occupied Territories, in PIJ 21(2016)3, S. 96 ff. Weissbrod, Lilly: Israeli Identity in Transition, in Efraim Karsh (Ed., 1997): From Rabin to Netanyahu, S. 47 ff. Weissbrod, Lilly: Gush Emunim and the Israeli-Palestinian Peace Process: Modern Religious Fundamentalism in Crisis, in IsA 3(Autumn 1996)1, S. 86 ff. Weizman, Eyal: Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung. Hamburg 2007. Der in Israel gebürtige Architekt ist Direktor des „Centre for Research Architecture“ am „Goldshmith College“ der Universität London. Weizman, Ezer: Eine Schlacht für den Frieden. München 1981. Der Autor, Neffe von Chaim Weizmann, war Außen- und Verteidigungsminister sowie Staatspräsident Israels.

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(Weizmann, Chaim:) The Letters and Papers of Chaim Weizmann. Vol. II/Serie A. November 1902–August 1903. London 1971. In seinen Erinnerungen berichtet Weizmann, er habe 1901 als Lektor an der Universität Genf der deutschen I.G. Farbenindustrie ein Patent verkauft, das ihm ein regelmäßiges Einkommen verschaffte. „Niemand dachte damals daran, daß dieses Unternehmen dereinst die Hauptstütze von Deutschlands militärischer Macht und ein Mittel für seine Welteroberungspläne werden würde. Und so trug auch ich, wie so viele harmlose ausländische Chemiker, ein Teilchen zum Aufbau eines unheimlichen Instrumentes deutschen Machtwillens bei.“ Der in Oxford Politische Philosophie lehrende Isaiah Berlin hat Weizmann als den größten Sohn des jüdischen Volkes im 20. Jahrhundert bezeichnet. Nach ihm ist das Wissenschaftszentrum in Rechovot benannt. Weizmann, Chaim: Memoiren. Das Werden des Staates Israel. Zürich 1953. Das Buch wurde 1947 geschrieben. Weizmann, Chaim: Reden und Aufsätze 1901 – 1936. Tel Aviv 1937. Die deutsche Judenfrage. Ein kritischer Rückblick. Königstein/Ts. 1981. Weltsch, Robert: Die deutsche Judenfrage. Ein kritischer Rückblick. Königstein/Ts. 1981. Der Jurist stammte aus einer völlig assimlierten Familie in Prag ohne jüdische Bindungen. Weltsch, Robert: Deutscher Zionismus in der Rückschau, in „In zwei Welten. Siegfried Moses zum fünfundsiebzigsten Geburtstag“. Tel Aviv 1962, S. 27 ff. Wiechmann, Dietmar: Der Traum vom Frieden. Das bi-nationale Konzept des Brith-Schalom zur Lösung des jüdisch-arabischen Konfliktes in der Zeit von 1925 – 1933. Schwalbach/Ts. 1998.

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Woodward, Bob: Furcht. Trump im Weißen Haus. Reinbek bei Hamburg 2018. Der Titel geht auf Trumps Überzeugung zurück „Wahre Macht ist Furcht“ („Real power is fear“). Wolff, Michael: Feuer und Zorn. Im Weißen Haus von Donald Trump. Reinbek bei Hamburg 2018. Der Autor errgte Trumps Zorn, weil er sich in seinen Berichten auf Auskünfte von Steven Bannon verlassen habe. Ihn ließ der Präsident im Anfang 2018 endgültig fallen. Yaron, Zvi: The Philosophy of Rabbi Kook. Jerusalem: Department for Thora Education and Culture in the Diaspora of the World Zionist Organization. Second Edition 1992. Yehoshua, A.B.: Time to say goodbye to the two-state solution. Here’s the alternative, in „Haaretz” 19.04.2018. Yerushalmi, Yosef Hayim: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Berlin 1982. Yiftachel, Oren: Ethnocracy: Land and Identity in Israel/Palestine. Philadelphia 2006. Der Autor lehrt Politische Geographie an der Universität in Be’ersheva. Yoffie, Eric H.: This is a grim time for Diaspora lovers of Israel, in „Haaretz” 30.07.2018. Der Autor ist Rabbiner in Westfield, New Jersey, und war der Präsident der „Union for Reform Judaism“ in den USA. Zertal, Idith: Nation und Tod. Göttingen 2003. Die Autorin war Professorin für Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität und unterrichtete als Gastprofessorin auch an verschiedenen Universitäten im Ausland. Zimmermann, Moshe: Hebel statt Alibi. Israel und (die) neue deutsche Außenpolitik, in „Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik“

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(2015) (Suppl.) 8:461 ff. Bis zu seiner Emeritierung 2012 war der Autor Direktor des „Richard-Koebner Center for German History“ an der Hebräischen Universität. [Zuckermann, Moshe:] Susann Witt Stahl: „Nichts wird mehr verachtet als das ‚Linke‘“ (Interview), in „Junge Welt“ 03.11.2015. Der Autor lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Tel Aviv Geschichte, Philosophie und Soziologie der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Zuckermann, Moshe: Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt. Wien 2014. Weitere Beiträge von Maged Abdel-Fattah, Ofer Aderet, Joseph Algazy, Moshe Arens, Shaul Arieli, Meirav Arlosoroff, Maya Asheri, Hanan Ashrawi, Shlomo Avineri, Mohammad Bakri, Daniel Bar-Simon, Daniel Bar-Tal, Uzi Baram, Zvi Bar’el, Marwan Barghouti, Amnon Barzilai, Gershon Baskin, Yigal Ben-Nun, Aluf Benn, Meron Benvenisti, Uzi Benziman, Yotam Berger, Judith Bernstein, Reiner Bernstein, Gideon Biger, Odeh Bisharat, Tsvi Bisk, Daniel Blatman, Uri Blau, Josh Breiner, Avraham Burg, Dvora Nussbaum Cohen, Steven M. Cohen, Christoph Ehrhardt, Akiva Eldar, Noam Shuster Eliassi, Saeb Erekat, Yair Ettinger, Amir Fakhouri, David Franklin, Galit Ginat, Hilo Glazer, Josef Goell, Frimet Goldberger, Zvia Greenfield, Bernhard Greiner, Margret Greiner, Amos Harel, Yisrael Harel, Danna Harman, Amira Hass, Nir Hasson, Ilana Herman, Rainer Hermann, David Horovitz, Nitzan Horowitz, Revital Hovel, Ofri Ilany, Eva Illouz, Judith Kol Inbar, Rael Jane Isaac, Gili Izikovich, Yaniv Kubovich, Dan Jacobson, Dalia Karpel, Or Kashti, Herb Keinon, Isabel Kershner, Jack Khoury, Hannah Kim, Menachem Klein, Yossi Klein, Dina Kraft, David Kretzmer, Paul-Anton Krüger, Taly Krupkin, Yanív Kubovich, Daniel C. Kurtzer, David Landau, Noa Landau, Carolina Landsmann, Niva Lanir, Chaim Levinson, Yonathan Lis, Shani Litman, Kyle S. Mackie, Raphael Magarik, Judy 353

Maltz, Yoel Marcus, Salman Masalcha, Yossi Melman, B. Michael, Uri Misgav, Hagar Mizrachi, Benny Morris, Natasha Mozgovaya, Marwan Muasher, Peter Münch, Georg Nacke, Rachel Neeman, Talia Nesher & Ali Ashkenazi, Hagit Ofran, Bar Peleg, Eli Podeh, Benjamin Pogrund, Harel Primek, Aaron Rabinowitz, Silvan Rahav-Meir & Yedidia Meir, Meron Rapoport, Susan Hattis Rolef, Eran Rolnik, Lydia Rosenfelder, Hans-Christian Rößler, Danny Rubinstein, Assaf Sagiv, Shuki Sadeh, Arnfried Schenk, Jeremy Sharon, Dmitri Shumsky, Ruth Schuster, Ari Shavit, Nadav Shragai, Nehemia Shtrasler (Strasler), Shirli Sibton, Yarden Skop, Allison Kaplan Sommer, Jochen Stahnke, Gerald Steinberg, Yedidia Z. Stern, Zeev Sternhell, Amir Tibon, Yossi Verter, Gidi Weitz, Yechiam Weitz, Ehud Ya’ari, Oren Yiftachel, Eric H. Yoffie, Rinat Zafrir, Janine Zarachia und David Zoltan entnommen. Außerdem wurden die israelischen Tageszeitungen „Haaretz“ („Das Land“), „The Jerusalem Post“, „New Outlook“ bis Mitte der 1990er Jahre, „Jerusalem Quarterly“, „The Jerusalem Report“, „Journal of Palestine Studies“, „Palestine-Israel Journal“, „Middle East Quarterly“, „Mondoweiss“, „Yediot Achronot“ („Letzte Nachrichten“), „Ma‘ariv“ („Abend“), „Ha-Oketz“ („Der Dorn“) sowie „Al-Ahram Weekly“ („Die Pyramiden“, Kairo), „Jordan Times“ (Amman), „Daily Star“ (Beirut), „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“, „Die Welt“ und die „Neue Zürcher Zeitung“ durchgesehen, dazu „Palästina. Monatszeitschrift für die Erschließung Palästinas“ in den 1920er und 1930er Jahren durchgesehen.

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Glossar ACRI: „Associataion for Civil Rights in Israel.” 1972 gegründet, ist sie die größte Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte in Israel und in den palästinensischen Gebieten. „Administrative Detention”: Gemäß einer Anweisung von 1971 werden in Israel Personen ohne Anklage festgehalten, obwohl Artikel 78 der Vierten Genfer Konvention dies nur im Falle schwerwiegender Sicherheitsbedenken zulässt und diesen Personen ein ordentliches Verfahren zusteht. Gemäß der israelischen Anweisung dürfen sie nicht mehr als 18 Tage festgehalten werden, falls der Verteidigungsminister dem zustimmt. Der/die Festgehaltene hat das Recht auf einen Anwalt. AIPAC: Das „American Israel Public Affairs Committee” wurde 1954 gegründet. Es baut auf der vielfältigen Organisationsstruktur jüdischer Einwanderer aus Europa nach dem Ersten Weltkrieg auf, denen es vor allem um soziale Belange (Integration, Wohlfahrt, Gesundheit, Arbeitsmarkt) ging. Nach der „Shoah“ war AIPAC der erste Zusammenschluss, um „eine Menschengruppe (zu schützen), die durch uralte Bande miteinander verbunden ist“ (Albert Einstein). Mit weitverzweigten Filialen ist AIPAC die wichtigste jüdische Lobby in den USA zur Unterstützung der israelischen Politik; Experten machen darauf aufmerksam, dass heute die Evangelikalen propagandistisch stärker sind, deren wichtigster Repräsentant gegenwärtig USVizepräsident Mike Pence ist. Im Dezember 2017 begrüßte AIPAC die Entscheidung Donald J. Trumps, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach 355

Jerusalem zu verlegen. Eine gleichlautende Stellungnahme gaben die „Anti-Defamation League“, das „American Jewish Committee“, die „Jewish Federations of North America“, die „Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations“ ab – er ist der Dachverband 50 großer jüdischer Verbände –, die „Zionist Organization of America“, das „Simon Wiesenthal Center“, die „Republican Jewish Coalition“ sowie das „Jewish Democratic Council of America“. Gegen Trumps Dekret verwahrten sich „J Street“ – die Organisation vornehmlich jüdischer Amerikaner, die für den Frieden Israels mit den Palästinensern eintritt –, der „New Israel Fund“ und die Herausgeber des Magazins „Tikkun“. „Aktionskomitee“: Vom Zionistischen Kongress gewählter Ausschuss, der zwischen den Kongressen die Exekutive kontrollieren sollte. „Al-Aqza“ („Al-Aqsa“): arab. „Die entfernteste (Moschee)“ („AlMasjid Al-Aqza“) in Jerusalem. „Anglo-American Committee of Inquiry”: Das von London und Washington eingesetzte Komitee veröffentlichte am 01. Mai 1946 seinen Bericht, in dem es die sofortige Aufnahme von 100.000 Flüchtlingen und die Aufhebung der strikten britischen Verbote des jüdischen Landkaufs von 1939 empfahl. Es nahm einen binationalen Staat in Aussicht, äußerte sich jedoch zu seinen Mechanismen nur vage. Am selben Tag erklärte Präsident Harry S. Truman seine Unterstützung für die Ausgabe von 100.000 Einwanderungszertifikaten. „Aschkenasisch“: Ursprünglich für den geographischen Raum Mitteleuropa/Deutschland stehend. Gemeint sind heute die Juden in Europa sowie die in die beiden Amerikas und nach Südafrika Ausgewanderten.

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„B’tselem“: Der Name geht auf Gen. 1,27 zurück: „Gott schuf den Menschen nach Seinem Bilde.“ Die Organisation ist die wichtigste Menschenrechtsgruppe in Israel und steht ständig in der Gefahr, von Staatswegen politisch und juristisch belangt zu werden. „Bar Kochba“: Name des jüdischen Studentenvereins in Prag, benannt nach dem Führer des jüdischen Aufstandes 132 bis 135 n.d.Z. gegen den römischen Kaiser Hadrian. Der große rabbinische Gelehrte Akiva (50 – 135 n.d.Z.) hielt Bar Kochba für den Messias. Den Namen Bar Kochba nutzten in Prag die späteren „Brit Shalom“-Mitglieder Hugo Bergmann, Hans Kohn und Robert Weltsch. Aus dem deutschen Kaiserreich lassen sich auch Ernst Simon und Gershom Scholem zu der Gruppe zählen. „Bar Mitzwa“ („Barmizwa“): hebr. „Sohn der [von Gott auferlegten] Pflicht“. Mit dem Erreichen des 13. Lebensjahres wird der Junge durch den erstmaligen Aufruf zur Thora-Lesung Mitglied der jüdischen Gemeinschaft mit allen Rechten und Pflichten. Die Feier zur „Bat Mitzwa“ („Tochter der Pflicht“) erfolgt, wenn überhaupt, mit dem 12. Lebensjahr, aufgrund der patriarchalischen Ordnung ohne formellen Aufruf zur Thora-Lesung. „Biltmore-Programm“: Vom 09. bis 11. Mai 1942 tagten im New Yorker Biltmore-Hotel 586 zionistische Delegierte aus Palästina, England und den USA mit der Forderung nach einem jüdischen Commonwealth, das an die Stelle des Mandatsregimes treten solle. Ben-Gurion hat berichtet, dass er seither als Chef der „Jewish Agency“ mit dem Kauf von Rüstungsgütern im Ausland betraut war. „Bund“: Der „Algemeyner Yidisher Arbeiter Bund in Lite [Litauen], Polyn en Rusland“ wurde als sozialistisch-jüdische Partei Anfang Oktober 1897 in Wilna von 13 Delegierten gegründet. Im Gegensatz zum Zionismus vertrat er das Konzept „Hiersein“ („Doykeyt“) mit dem Ziel eines autonomen säkularen Nationalismus. Zur Zeit der 357

Oktoberrevolution hatte der „Bund“ rund 40.000 Mitglieder in fast 400 Abteilungen, davon rund 20 Prozent außerhalb des Siedlungsrayons. Seine Arbeit in der „Yevsekziya“ („Jüdische Sektion“) fiel Anfang der 1920er Jahre der Kommunistischen Partei Russlands (KPR B [Bolschewiki]) zum Opfer. „Chabad“: hebr. Akronym für Weisheit, Verständnis, Wissen. Chassidische Gruppe mit weltweitem religiös-pädagogischem Netzwerk. „Chabad“ wurde von Rabbiner Menachem Mendel Schneerson (1902 – 1994), dem „Lubavitcher Rebbe“, in New York gegründet. Entgegen dem trockenen Studium der „Thora“ favorisieren seine Anhänger die Freude an Gott durch mystische Hingabe. Motti Inbari hat bemerkt, dass die Bewegung aus strikt religiösen Gründen zum Hauptadvokaten der „Land Israel“-Bewegung aufgestiegen sei, obwohl Schneerson selbst nie nach Israel reiste. „Haaretz“ hat auf der Grundlage einer neueren Veröffentlichung berichtet, dass viele Politiker, so Menachem Begin und Moshe Dayan, aber auch Offiziere und Angehörige des Geheimdienstes bei Schneerson um Rat baten. Schneerson sprach sich gegen den Friedensvertrag mit Ägypten von 1978 aus, weil er mit der Rückgabe der Sinai-Halbinsel verbunden war. Anhänger des „Lubavitcher Rebbe“ halten bis heute an der Vorstellung fest, er könnte der erwartete Messias sein. „Chalukka“ („Chaluka“): hebr. „Verteilung“. System der finanziellen Zuwendungen für Juden in Palästina aus der Diaspora. Im 19. Jahrhundert kamen sie besonders von den Rothschilds in Paris. Die zionistische Führung beschimpfte diese Abhängigkeiten und setzte an ihre Stelle den Aufbau des Landes aus eigener Kraft. „Chalutz“: hebr. Pionier. Gemeint ist der zionistisch motivierte (Land-) Arbeiter in der Mandatszeit. „Chassidismus“: Religiöse Bewegung der „Frommen“ seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie geht auf den „Gaon“ („Genius“) von Wilna (Elijah 358

Ben Salomon Zalman, 1720 – 1797) zurück. Ursprünglich galt der Titel dem spirituellen und juristischen Leiter der Akademien in Sura und Pumpedita (Babylonien) und wurde später auch auf andere Lehranstalten übertragen. In Osteuropa ging sie auf Rabbiner Israel Ben Eliezer, genannt Eliezer Baal Shem Tov (1698 – 1760), zurück. Der ursprüngliche Chassidismus habe mit dem heutigen so wenig gemein wie das Urchristentum mit Buber 1911. „Das gewaltige augenblickliche Interesse am Chassidismus kümmert sich nicht im geringsten um die theoretischen Grundlagen und die reichlich anrüchige Geschichte dieser Bewegung“, hat Yerushalmi konstatiert. „Cherut“: hebr. „Freiheit“. Die Partei in der Tradition des revisionistischen Flügels im Zionismus unter Leitung von Jabotinsky wurde 1948 in der Nachfolge des „Irgun“ von Menachem Begin gegründet und stand bis zum Krieg 1967 in der Opposition, bis Begin Minister ohne Geschäftsbereich in die Regierung Levi Eshkols eintrat. Nach dem Zussammenschluss mehrerer kleinerer Parteien 1973 zum „Likud“ übernahm Begin nach den Wahlen im Mai 1977 die Regierung. COGAT: Akronym für „Coordinator of Government Activities in the Territories“, eine Abteilung des israelischen Verteidigungsministeriums, bis 2005 auch im Gazastreifen tätig. „Deep State“: Bob Woodward hat ihn in seinem Buch „Furcht“ als den „Einfluss des langjährigen [republikanischen] Establishments und seiner Entscheidungsgremien“ auf die Administration in Washington definiert132. „Dhimmi“: türk. „Geschützte"; „Schutzbefohlene“ = Juden und Christen in islamischen Gesellschaften, mit denen ein Schutzbund („Dhimma“) mit den Elementen Frieden, Gehorsam und Ordnung                                                              132

Woodward, S. 385. 359

geschlossen wurde. Die Nicht-Muslime mussten eine Kopfsteuer („Djizya“) gemäß ihrem Vermögen zahlen, sie durften keine bestimmten Kleiderfarben tragen, vor Gericht galt ihre Aussage nichts gegen die eines Muslims, ihre Häuser und Gebetsstätten durften architektonisch nicht auffällig sein, sie wurden von Machtpositionen ferngehalten, auch wenn an bestimmten Orten Juden und Christen als Sekretäre und Finanzbeamte für den Herrscher arbeiteten. „Die Beziehungen zwischen Muslimen, Christen und Juden mochten noch so eng und problemlos sein, sie trennte doch stets ein Abgrund von Unwissenheit und Vorurteilen“, hat Albert Hourani notiert. Daran hatte auch das Reformedikt der Pforte von 1856 wenig geändert, welches die Gleichstellung der Christen und Juden vorsah. Die meisten Islamisten von heute ordnen den Nicht-Muslimen günstigenfalls die Rolle als nachgeordnete Bürger zu. Für den Wirtschaftskrieg mit den USA hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan die „amerikanisch-zionistische Zinslobby“ verantwortlich gemacht. „Diaspora“: griech. „Zerstreuung“. In der Fachliteratur findet sich seriell dieser Begriff – womit dem zionistischen Ethos gefolgt wird, dass Israel das Zentrum des jüdischen Volkes sei. Nach Amos Funkenstein hat Franz Rosenzweig das „Exil“ als ein kathartisches Mittel verstanden, „als eine göttliche Strafe für Sünden, die so alt sind wie das Opfer vor dem goldenen Kalb am Sinai, eine Sünde, an der alle Juden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Anteil haben, weil alle zugegen waren“. Die Beziehungen zwischen „Zentrum“ und „Diaspora“ entscheiden sich am Antisemitismus. „Djihad“ („Dschihad“, „Jihad“): arab. Der Begriff ist nicht zwingend mit „Heiliger Krieg" („Al-Djihad Al-Muqaddas“) zu übersetzen, wie dies etwa von den Terrormilizen des „Islamischen Staates“ (IS) behauptet wird. Der „Djihad“, so heißt es in verschiedenen Kommentaren, könne auch friedlich verstanden werden als Überzeugung oder Anstrengung gegen Intoleranz, Armut, Krankheit und Leiden. Der 360

„nom de guerre“ von Arafats militärischem Stellvertreter Khalil AlWasir (geboren 1935 in Ramle, ermordet 1988 in Tunis) „Abu Djihad“ war eindeutig: Vater des Krieges. „Dunam“: Ursprünglich türkisches Flächenmaß: 1 Dunam = 919 Quadratmeter. Heute wird 1 Dunam in 1.000 Quadratmeter umgerechnet. „Edom“: In der nachbiblischen theologischen Literatur steht Edom, der Gebirgszug auf der heutigen jordanischen Seite entlang des Toten Meeres, für das moralisch verdorbene römische Weltreich. „Galut“ („Galuth“): hebr. „Exil“, „Verbannung“ (des jüdischen Volkes aus seinem nationalen Zentrum in Palästina); jiddisch „Golus“. „Das Wort Galut“, so Fritz Jizchak Baer, „umfaßt eine Welt von Tatsachen und Vorstellungen, die sich in jeder Epoche der jüdischen Geschichte erneuert, vertieft oder verflacht haben.“ In Jer. 29,7 heißt es: „Bemüht euch um die Wohlfahrt des Landes, in das Ich euch verbannt habe, und betet für es zu Gott. Denn auf seiner Wohlfahrt beruht eure Wohlfahrt.“ „Genfer Konvention“: Sie lieferte 1951 eine generelle Definition für den Begriff „Flüchtling“, doch ließen die arabischen Staaten den Passus einfügen, dass die Konvention nur auf Personen zutreffe, die vom UN-Flüchtlingswerk (UNRWA) Schutz und Hilfe erhalten. Damit sollte die „Palästinafrage“ als politische Herausforderung auf der internationalen Tagesordnung bleiben. „Haggada“: hebr. schriftdeutende Erzählung. „Hagana“ („Haganah“): hebr. „Verteidigung“. Von den Briten nicht anerkannte jüdische Militärorganisation in der Mandatszeit. Sie diente als Besteckkasten zur Schaffung der jüdischen Unabhängigkeit in Israel/Palästina.

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„Halacha“ („Halakha“): hebr. „Weg“. Gemeint ist das Kompendium des jüdischen Religionsgesetzes im Gegensatz zur „Haggada“, dem nicht-normativen Teil des Talmuds. „Hamas“: arab. „Eifer“. Akronym für „Bewegung des islamischen Widerstandes“ („Harakat Al-Muqawama Al-Islamiyya"). Gegründet 1984 im Gazastreifen. „Haskala“ („Haskalah“): hebr. „(jüdische) Aufklärung“. Die Bewegung entwickelte sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zunächst in Westeuropa. Hebräische Universität in Jerusalem: Nachdem am 24. Juni 1918 auf dem Skopus der Grundstein für die Hebräische Universität gelegt worden war, schrieb Achad Ha’am am 12. August an Chaim Weizmann: „… es darf keine bloße Nachahmung einer europäischen Universität werden, nur mit Hebräisch als Hauptsprache, sondern eine Universität, deren Bestreben von Anfang an darauf hinausgehen muß, eine Verkörperung des alten hebräischen Geistes zu werden und jene geistige und seelische Hörigkeit abzuschütteln, in der unser Volk so lange in der Diaspora gelebt hat. Nur so können unsere stolzen Hoffnungen sich rechtfertigen in bezug auf den Einfluß der ‚Lehre‘, die von Zion ausgehen wird.“ Für Weizmann lief das „Institut für jüdische Forschung“ zunächst „Gefahr, ein theologisches Seminar zu werden, wie die in London, Breslau oder Philadelphia“. Albert Einstein betonte am 06. Februar 1923 bei der offiziellen Eröffnung: „Ich betrachte diese Veranstaltung als den größten Tag meines Lebens. Die zionistische Bewegung, die diese Universität gegründet hat, ist auch eine geistige Bewegung. Deshalb wird niemand auf der Welt sie zerstören können. Die Verbundenheit mit unserer Vergangenheit und die heutigen Errungenschaften unseres Volkes erfüllen uns mit Stolz gegenüber der ganzen Welt.“

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„Hillel“: Nach dem religiösen Weisen Hillel (gest. Anfang des 1. Jahrhunderts n.d.Z.) benannte weltweit größte jüdische Organisation an Universitäten vor allem in den USA. Dem Gelehrten wird, wie im Buch Tobit (Tobias) 4,15-19 nachzulesen ist, die Aufforderung zugesprochen: „Was dir verhasst ist, tue keinem anderen an. Das ist die ganze Thora. Der Rest ist Erklärung. Geh und lerne.“ Das Ziel von „Hillel“ ist die Bereicherung des jüdischen Lebens und Lernens sowie die Vermehrung der Kenntnisse über Israel. In den letzten Jahren hat sie eine politische Rechtswendung genommen. Es bedurfte des entschiedenen Protests, dass das israelische Diaspora-Ministerium die systematische Sammlung von Namen und Daten aller jüdischen Studenten in den USA zur Stärkung ihrer religiösen Identität zumindest fürs erste abließ. „Histadrut“ („Histadruth“): hebr. „Allgemeine Föderation der (jüdischen) Arbeiter im Lande Israel“. Sie wurde 1920 gegründet. In ihrer Satzung ist ein Formelkompromiss gefunden worden, wonach sie „alle Arbeiter unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Volkszugehörigkeit, ihrer Nationalität oder ihrer Denkweise vereinigt, die von den Früchten ihrer Arbeit ohne die Ausbeutung der Arbeit anderer zum Zweck der Regelung der kommunalen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten der Arbeiterklasse im Land für den Aufbau der arbeitenden Gesellschaft im Lande Israel leben“. Da ausreichendes Kapital fehlte, vertrat die „Histadrut“ seit der Mandatszeit nicht nur Arbeitnehmerinteressen, sondern trat auch als Investor und Arbeitgeber auf und beteiligte sich seit 1948 mit zentralen Vermarktungs- und Konsumkooperativen, Gesundheitseinrichtungen, einer Tageszeitung, einem Verlag, einer Bank, einem Bauunternehmen, mit Sportklubs und kulturellen Einrichtungen. Im Zuge neoliberaler Deregulierungen hat sie erheblich an Einfluss eingebüßt. Seit 1960 können auch arabische Staatsbürger die Zugehörigkeit erwerben, doch ist ihre Zahl gering geblieben.

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„Holy Basin“: Die Bezeichnung umfasst in Jerusalem die Altstadt, den Ölberg, den Zionsberg und die „Stadt Davids“ (geläufig als Silwan), wo seit 1991 arabische Bewohner Schritt für Schritt durch eine NGO mit Sitz in den USA verdrängt werden. „Hudna“: arab. Auf eine gewisse Dauer angelegter Waffenstillstand. Der Begriff wird von islamischen Gelehrten mit dem Marsch des Propheten und 1.500 Anhängern im Jahr 628 in Zusammenhang gebracht. Damals stellte sich ihnen auf dem Weg nach Mekka eine nicht-muslimische Armee in den Weg, die Mohamed gegen den Willen seiner Anhänger zur „Hudna“ zwang. „Ichud“: hebr. Einheit. Die Gruppe wurde 1942 von Buber, Magnes, Simon und Szold gegründet, alle ehemalige Angehörige des „Brit Shalom“. „Ichud“ schlug die Schaffung von Distrikten auf kommunaler Basis vor. „Inshallah“: arab. „So Gott will”. „Irgun Zwaï Le‘uií“: hebräisches Akronym für „Nationale Militärorganisation“: Sie trennte sich 1937 von der „Hagana“. Unter Leitung ihres „Kommandanten“ Menachem Begin sprengten am 22. Juli 1946 „Irgun“-Angehörige als Symbol des Widerstandes gegen die britische Besatzung den südlichen Flügel des Jerusalemer King-David-Hotels in die Luft. Dabei wurden 91 Personen getötet: 41 Araber, 28 Briten, 17 Juden, zwei Armenier, ein Russe, ein Grieche und ein Ägypter. Im Radio verkündete Begin: „Wir trauern um die jüdischen Opfer.“ Vom „Irgun“ spaltete sich die noch radikalere „Stern“Gruppe – „Kämpfer für die Freiheit Israels“ (Akronym „Lechi“) – ab, die am 06. November 1944 Walter Edward Guinness (Lord Moyne), britischer „Resident Minister in Cairo“, ermordete. Der Gründer von „Lechi“ war 1940 Avraham Stern, der am 12. Februar 1942 von der britischen Polizei in Tel Aviv getötet wurde. Zu den Anführern von „Lechi“, die auch für die Ermordung des UN-Gesandten Graf Folke 364

Bernadotte am 17. September 1948 in Jerusalem verantwortlich waren, gehörte Yitzhak Shamir. „Jewish Agency“ (hebr. „Sochnut“): Gegründet 1929 als Vertretung von Zionisten und Nichtzionisten gemäß Artikel 4 des PalästinaMandats des Völkerbundes zur Unterstützung des jüdischen Aufbaus. Ihr Präsident war lange Zeit ex officio auch Präsident der Zionistischen Weltorganisation. Heute ist die „Jewish Agency“ vor allem mit Angelegenheiten rund um die Einwanderung befasst. Yitzhak Herzog ist seit dem Sommer 2018 ihr Präsident. „Kabbala“ („Kabbalah“): Das Wort deutet auf den traditionellen und üblicherweise benutzten Begriff des esoterischen Lernens seit dem 12. Jahrhundert n.d.Z. hin. Wie andere Formen des Mystizismus verweist „Kabbala“ auf die ursprüngliche Offenbarung Gottes im religiösen Leben. Ihr zentrales literarisches Werk ist die Sammlung verschiedener Bücher im „Zohar“ („Buch des Glanzes“) mit Auszügen aus den „Midrashim“, Predigten und Diskussionen. „Kapitulationen“: Herleitung von „Capitula" = Vertragsabschnitte. Aus dem späten Mittelalter stammende Handels- und Schutzverträge Venedigs und Genuas mit der Hohen Pforte in Konstantinopel. Seit dem späten 18. Jahrhundert suchten Russland, Frankreich, England, Italien und Preußen über steuerliche und rechtliche Privilegien ihren Staatsangehörigen einen exterritorialen Status einzurichten, und engten damit die Souveränität des Sultans ein. In Jerusalem sorgten die europäischen Konsuln seit 1870 für den Schutz ihrer christlichen und jüdischen Staatsbürger. Damals sollen 670 Deutsche, Briten, Russen und Österreicher betreut worden sein, außerdem seien rund 3.000 „protegiert“ worden. Bei Kriegsbeginn 1914 hatte fast die Hälfte der rund 40.000 Juden in Palästina die russische Staatsbürgerschaft. Während des Ersten Weltkrieges erhielten die jüdischen Einwanderer bei ihrer Landung „Rote Zettel“, auf dem sie angewiesen

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wurden, Palästina nach drei Monaten wieder zu verlassen. Im Bündnisvertrag mit dem deutschen Kaiserreich und der Donaumonarchie am 02. August 1914 erloschen die Privilegien Die meisten russischen Juden nahmen die ottomanische Staatsbürgerschaft an. Ben-Gurion und Yitzhak Ben-Zvi wurden ausgewiesen und gingen vorübergehend nach Konstantinopel und in die USA. Am Ende des Krieges kehrten sie im Schutz der „Jüdischen Legion“ Jabotinskys, die als „The Royal Fusiliers“ London unterstanden, nach Palästina zurück. „Keren Hajessod“ („… Hayessod“): hebr. „(Palästina-)-Grundfonds“. Er wurde 1920 parteienunabhängig unter Mitwirkung von Nicht-Zionisten gegründet, um die Einwanderung und Ansiedlung der Juden in Palästina zu fördern. „Keren Kajemet („… Kayemet“) le-Israel“: hebr. „Nationalfonds für Israel“. Er wurde auf dem V. Zionistenkongress 1901 in Basel beschlossen und sechs Jahre später in London etabliert. In der Beschlussvorlage hieß es, dass der „Erwerb von Grund und Boden in Palästina unveräußerlicher Besitz des jüdischen Volkes“ sei, „der nur an Juden verpachtet werden darf“. „Kibbutz“: hebr. „Zusammenschluss“. Bezeichnung für die ehemals in der britischen Mandatszeit auf egalitärer Basis gegründeten landwirtschaftlichen Siedlungen. Die Kibbuzim dienten gleichzeitig als Wehrdörfer gegen arabische Überfälle. Ihre landwirtschaftliche Bedeutung ist heute gering, stattdessen sind sie in der Produktion, bei der Vermarktung von Waren und im Tourismus tätig. Ihre Fortentwicklung dorthin hat Yossi Melman mit der Überschrift „Der Tod eines Traums“ versehen. „Likud“: hebr. „Union“. Die Partei entstand 1977 unter Führung von Menachem Begin. Ihre Vorläufer reichen bis in die britische Mandatszeit mit Jabotinsky an der Spitze zurück.

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„Magen David“: hebr. (König) „Davids (Verteidigungs-)Schild“. Er steht in der Mitte der israelischen Fahne. Das israelische „Rote Kreuz“ trägt den Namen „Magen David Adom“ [„Roter Schild Davids“]. „Mapai“: hebr. Akronym für „Partei der Arbeiter im Lande Israel“. Gegründet 1930/31. Trotz heftiger Flügelkämpfe war sie die wichtigste Partei in der Mandatszeit unter Führung Ben-Gurions, Berl Katznelsons, Moshe Sharetts, Yitzhak Ben-Zvis sowie Yosef Sprinzaks und blieb es über die Staatsgründung 1948 hinaus. Nach dem Junikrieg 1967 wurde sie die stärkste Komponente in der neuen Arbeitspartei. „Mapam”: Akronym für „Vereinigte Arbeiterpartei“. Sie wurde 1948 als linke Alternative zur „Mapai“ gegründet und verfolgte bis in die frühen 1950er Jahre einen marxistischen Kurs. Der Prager Prozess gegen Rudolf Slansky (1901 – 1952) erschütterte die Partei tief. Seit den 1980er Jahren tritt „Mapam“, zu der auch arabische Staatsbürger gehörten, nicht mehr bei den Parlamentswahlen an. „Meretz“: hebr. „Energie“. Die linksbürgerliche Partei entstand 1992 unter Führung von Shulamit Aloni. Ihre Vorläufer reichen in die Zeit nach dem Oktoberkrieg 1973 zurück. „Millet“ („Gemeinschaft“): Osmanisch-islamisches System für die in ihm lebenden ethnisch-religiösen Gemeinschaften, das auf dem Prinzip der Ungleichheit beruhte. Das System beschränkte den Angehörigen der zwei monotheistischen Religionen Judentum und Christentum auf das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung. Im Gegenzug schuldeten die Untertanen dem Staat Treue und Ergebenheit. Vgl. die Eintragung „Dhimmi“. „Mizrachi“ („Misrachi“): Das „Spirituele Zentrum“ entstand 1902. 1911 setzten sich die Delegierten scharf gegen eine säkular-kulturelle Arbeit ab, auch wenn der Verband kompromissbereit blieb. Berl Katznelson schrieb 1934, dass er „nicht imstande (ist), dem Jischuw 367

seine Auffassung in Religionsfragen aufzuzwingen. Er kann uns aber wohl die Religions-Debatte aufnötigen.“ Nach Israels Staatsgründung ging „Mizrachi“ in der „Nationalreligiösen Partei“ (NRP) auf, von der sich 1974 „Gush Emunim“ abspaltete. „Mufti“: arab. „Entscheider“: Hoher islamischer Würdenträger. In Palästina lag das Amt traditionell in den Händen der Familie Husseini. „Nahda“ („Nachda“): „Erwachen“ des arabischen Nationalismus nach dem Ende des Osmanischen Reiches. „Palmach“: hebr. Akronym für „Angriffskompanien“. Eliteeinheiten der „Hagana“. Sie wurde im Mai 1941 gegründet, als sich die Achsenmächte Palästina näherten. 1945 wurde Yig’al Allon ihr Anführer. Nach 1948 wurden die Kompanien in das israelische Militär eingegliedert. „Po’alei Zion“: hebr. „Arbeiter Zions.“ Marxistische Partei im Zionismus. Ihr Theoretiker war Ber (Dov) Borochov (1881 – 1917). Nach seiner Einwanderung gehörte auch Ben-Gurion vorübergehend zu der Gruppe. „Sanjak“: Bezeichnung einer Unterprovinz im Osmanischen Reich. „Sefardisch“: hebr. (geographisch) „Spanisch“. Ursprünglich auf die Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 und 1497 aus Portugal zurückführend, siedelten sich die von dort stammenden Juden vornehmlich in den Niederlanden, in Italien und im Osmanischen Reich (Griechenland, Türkei) an; auch in Hamburg entstand eine kleine Gemeinde. Heute dient „sefardisch“ als Sammelbegriff für die Juden aus dem arabischen und dem muslimischen Raum und alterniert mit den Bezeichnungen „Orientalen“ („Mizrachim“) und „Gemeinden des Ostens“ („Edot Ha-Mizrach“). Die Einwanderer wurden zunächst in Grenzgebieten und in verlassenen arabischen Dörfern und Stadtvierteln angesiedelt.

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„Shiah“ („Shia“): arab. Eindeutigkeit (im Gegensatz zur „Sunna“). Die Angehörigen der „Shiah“ leben vor allem im Iran, im Süden des Irak und bilden inzwischen die Mehrheit innerhalb der libanesischen Bevölkerung. „Sharia“: arab. Klarer Weg. Das islamische kanonische Recht stützt sich auf die Koransure 45,18: „Wir haben dich auf einen klaren Weg unseres Gebots gebracht. Folge ihm, und folge nicht den Launen jener, die nicht wissen.” „Skopus“: Erhebung im Nordosten Jerusalems mit der Hebräischen Universität. Nach dem Waffenstillstandsvertrag mit Jordanien 1949 war der Skopus eine israelische Exklave, zu der Jordanien den Zugang verwehrte. „Sunna“: arab. Herkömmlich für Handlung, Brauch. Die Sunniten sind die bei weitem größte Religionsgruppe im Islam. Die palästinensische Bevölkerung gehört durchgängig zur sunnitischen Glaubensrichtung. „Sykes-Picot-Abkommen“: Die zwischen Mark Sykes und François George-Picot – beide Angehörige ihrer Auswärtigen Ämter – vom 16. Mai 1916 geheim ausgehandelte Vereinbarung zur Aufteilung des Einflusses im Nahen Osten (Libanon, Syrien, Jordanien, Irak, Palästina). „Talmud“: hebr. „Studium“, „Belehrung“. Der Talmud besteht aus der „Mischna“ („Mishna“), der ersten Auslegung der Bibel mit der Sammlung der Religionsgesetze („Halacha“), und der „Gemara“ („Abschluss“), den Kommentaren, Diskussionen und Deutungen in der Responsenliteratur sowie der Weiterführung der religiösen Gesetze für die Praxis. Von den zwei Kompilationen, dem kürzeren „Palästinischen (Jerusalemer) Talmud“ („PT“: abgeschlossen um 400 n.d.Z.) und dem in den Lehranstalten von Sura und Pumbedita entstandenen „Babylonischen Talmud“ („BT“: abgeschlossen um 500 369

n.d.Z.), hat nur letzterer autoritative Geltung erlangt. Sein bedeutendster Exeget war „Rashi“ (Rabbiner Salomon Ben-Isaac, 1040 – 1105) aus Troyes. „Tanzimat“: türk. Anordnungen des Sultans mit weitreichenden Folgen. „United Nations Special Committee on Palestine“ (UNSCOP): Nachdem das britische Kabinett am 18. Februar 1947 entschieden hatte, das Mandat zurückzugeben, wurde UNSCOP unter Beteiligung von elf Staaten am 15. Mai 1947 etabliert, um Empfehlungen für die politische Zukunft Palästinas zu erarbeiten. Die Gespräche im Jerusalemer YMCA gegenüber dem King David-Hotel wurden vom „Arab Higher Committee“ als Vertretung der arabischen Bevölkerung Palästinas boykottiert. Der am 03. September 1947 vorgelegte Bericht empfahl mehrheitlich eine Zwei-Staaten-Regelung mit einer Wirtschaftsunion. Er bildete die Grundlage der Resolution 181 der UNVollversammlung vom 29. November 1947. „Va’ad Leúmi: hebr. Exekutivrat der zionistischen Bewegung in Palästina während der Mandatszeit. Dem „Va’ad Leúmi“ ging in der Frühzeit des britischen Mandats der „Va’ad Zmani“ (~ „Vorläufiger Rat“) voraus. „Wahhabismus“: Die rigoros-traditionalistische Glaubensrichtung im Islam geht auf Muhamad Ibn Abd Al-Wahhab (1702 – 1792) zurück, ist in Saudi-Arabien beheimatet und tritt als „Hüterin der Heiligen Stätten“ in Mekka und Medina auf. „Waqf”: arab. Fromme Stiftung. In sie werden häufig Immobilien eingebracht, um nach dem Tod des Eigentümers Teilungen oder Veräußerungen zu verhindern. In muslimischen Verlautbarungen wird darauf verwiesen, dass Palästina Teil des „Waqf“ sei, also unveräußerlich.

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„White Paper“ von 1939: Am 17. Mai 1939 veröffentlichte die britische Regierung ein Weißbuch des Kolonialministers Malcolm MacDonald, in dem die Mandatsverpflichtungen neu kodiert wurden zugunsten eines unabhängigen Palästinas, das von Arabern und Juden gemäß ihrer Zahl auf der späteren Grundlage von 1949 regiert werden solle. Die jüdische Einwanderung wurde für die kommenden fünf Jahre auf jährlich 15.000 Personen beschränkt. Jede zusätzliche Einwanderung sollte von der arabischen Zustimmung abhängen. Außerdem wurde der jüdische Landkauf eingeschränkt. Das Weißbuch wurde im Unterhaus mit 268 gegen 179 Stimmen angenommen. Da die zionistische Führung die Einwandererquote bis 1944 nicht ausnutzte, verlängerte London die Frist, ohne die arabische Seite zu unterrichten. „Yecke“ (Yekke, Jecke): Leicht abfällige Bezeichnung für die aus Deutschland und Österreich eingewanderten Juden; allein zwischen 1933 und 1935 kamen knapp 150.000 in Palästina an. Der Begriff wird unterschiedlich interpretiert: Die einen meinten damit jene, die auch bei größter Hitze ein Jackett trugen, die anderen übersetzten das Akronym mit „schwer von Begriff“. Zu ihren bedeutendsten Persönlichkeiten gehörten neben den Angehörigen des „Brit Shalom“ Jehuda Amichai (1924 – 2000), Schalom Ben-Chorin (1913 – 1999), Chaim Cohn (1911 – 2002, zwischen 1950 und 1960 Generalstaatsanwalt), Else Lasker-Schüler (1869 – 1945), Siegfried Moses (1887 – 1974), Salman Schocken (1877 – 1959), Nathan Zach (geboren 1930) und Arnold Zweig (1887 – 1968). In Erinnerung an sie und andere aus dem deutschsprachigen Raum Gekommene wurde Revachia häufig der liebevolle Spitzname „Yeckeland“ zugeteilt. „Yeridah“ („Jeridah“): hebr. Abstieg. Gemeint ist die Auswanderung aus Israel. Mit „Aliya“ („Aliyah“, „Alijah“), hebr. „Aufstieg“, ist die jüdische Einwanderung gemeint. „Kollel“ist die Bezeichnung für das Lehrhaus für verheiratete Männer.

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„Yesha“: hebr. Akronym für [Rat der „Siedlungen in] „Judäa, Samaria und Gaza“. Gegründet 1980, fasste er die Siedlungen mit der Folge zusammen, dass „Gush Emunim“ als ideologische Bewegung in den Hintergrund trat, weil er – so der Vorwurf – seinen Pionier-Charakter verloren habe und eine Verbürgerlichung der Bewohner hin zum Individualismus stattfinde. Im Oktober 2018 kündigte das Ministerium für Soziale Gerechtigkeit ein von Steven Spielberg finanziertes Projekt an, mit dem in Kurzfilmen mit der „Legende über die Siedlungen in Judaä und Samaria“ aufgeräumt werden soll. „Yeshiva“ („Jeschiwa“): hebr. Sitz. Gemeint ist ein Talmud-Thora-Seminar für Männer. „Hesder Yeshiva“ ist ein Fortbildungsseminar für religiöse Soldaten. „Yishuv“ („Jischuw“): hebr. Ansiedlung. Üblicher Name für die jüdische Gemeinschaft in der Mandatszeit. „Zahal“: hebr. Akronym für „Israelische Verteidigungsstreitkräfte“. Die Armee, so Ben-Gurion, „ist ein Übungsfeld für die Integration dieser Bürger [unterschiedlichen Herkommens] in das nationale Gemeinwesen. Die Streitkräfte sind eine Lehranstalt und sorgen dafür, daß der Dienstpflichtige nicht nur in eine militärische Ausbildung eintritt, sondern daß er Hebräisch spricht, die Bibel, die israelische und die Weltgeschichte kennt und daß er Kenntnisse in Geographie, Mathematik und Staatsbürgerkunde hat, die dem allgemeinen Bildungsstand entsprechen“. „Zeloten“: griech. Eiferer. Das jüdische Verständnis bezieht sich auf Pinchas Ben Elazar, einen Enkel Aarons, im Kampf gegen die Moabiter (Neh. 25). „Zionistenkongress“: Er trat erstmals 1897 in Basel auf der Grundlage des Aufrufs „Der Judenstaat“ von Theodor Herzl zusammen und setzte sich aus rund 200 gewählten und ernannten Delegierten (Män-

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ner und Frauen) aus 24 Ländern zusammen. Am 03. September notierte Herzl: „Fasse ich den Baseler Kongress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen –, so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in 5 Jahren, jedenfalls in 50 Jahren wird es jeder einsehen...“

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Anlagen „Schweigen ist keine Option mehr!“ Mitte September 2016 haben etwa 500 Israelis einen Aufruf ausgesendet, in dem sie die Juden in aller Welt auffordern, sich gemeinsam gegen die Besatzung zu engagieren und eine neue Zukunft um des Staates Israel und der kommenden Generationen aufzubauen. In dem Aufruf heißt es: „Das nahende Jahr 2017 markiert 50 Jahre der israelischen Okkupation der palästinensischen Gebiete. Israel steht am Scheideweg. Die gegenwärtige Lage ist verheerend. Der anhaltenden Okkupation wohnt die Unterdrückung von Palästinensern inne und fördert das gegenseitige Blutvergießen. Sie untergräbt das moralische und demokratische Gewebe des Staates Israel und verletzt Israel als Teil der Weltgemeinschaft. Unsere beste Hoffnung für die Zukunft – der sicherste Weg für Sicherheit, Frieden und Wohlstand – liegt in einer verhandelten Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, die in der Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates an der Seite Israels mündet. Wir rufen die Juden in aller Welt auf, sich mit israelischen Partnern für eine koordinierte Aktion zu vereinen, um die Okkupation zu beenden und eine neue Zukunft um der Zukunft des Staates Israel und der kommenden Generationen willen aufzubauen.“

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Zu den Erstunterzeichnern gehörten Shaul Arieli, Elie Barnavie, Michael Ben-Yaír, David Broza, Avraham Burg, Orly Castel-Bloom, Naomi Chazan, Yael Dayan, Akiva Eldar, Moshe Gershuni, Amos Gitai, David Grossman, David Har’el, Eva Illouz, David Kahneman, Dani Karavan, Amia Lieblich, Savyon Liebrecht, Alon Liel, Avishai Margalit, Ruchama Marton, Sami Michael, Amram Mitzna, Ohad Naharin, Achinoam Nini, Amos Oz, Frances Raday, Michal Rovner, Alice Shalvi, Shimon Shamir, Joshua Sobol, Iftach Spector, Zeev Sternhell, Gila Svirsky, David Tartakover, Micha Ullman, Chaim Yavin, Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann.

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„Der säkulare Zionismus steht nackt vor der jüdischen Tradition“ Interview mit Prof. Dr. Uriel Simon, Sprecher der Bewegung „Oz weShalom“ („Stärke und Frieden“)133, Tel Aviv, November 1977. Frage: Welches sind die grundsätzlichen Zielvorstellungen von „Oz weShalom“? Simon: Wir sind vor rund drei Jahren als Gegengruppe zu „Gush Emunim“ entstanden. Unser gemeinsamer Nenner ist die große Sorge vor dem monolithischen Charakter unserer orthodox-religiösen Jugend. Sie wird heute in einem Geist erzogen, als ob es vom religiösen Standpunkt aus nur einen politisch legitimen Weg gibt. Es wird so getan, als ob das jüdische Religionsgesetz und die Theologie eindeutige Aussagen über die Notwendigkeit einer nach rechts orientierten Politik treffen. Da der religiöse Anteil mit 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung eine erhebliche Gruppe darstellen, während der Staat säkular geführt sein will, ist es eigentlich das erste Mal, dass eine Gruppe wie „Gush Emunim“ eine beinahe führende Rolle in der Gesellschaft übernommen hat. Dies stärkt natürlich ihr Selbstbewusstsein. Frage: Sie glauben, dass die Erfolge des „Gush Emunim“ auch auf eine bestimme Erziehung in den Schulen zurückzuführen ist? Simon: Sicher. Die religiöse Erziehung ist zu einem erheblichen Teil chauvinistisch. Wir alle glauben daran, dass das jüdische Volk von Gott erwählt ist, und wir glauben an die Verheißung des Landes. Aber wir                                                              133

Psalm 29,11. 376

in „Oz weShalom“ ziehen daraus eine andere Konsequenz: Das jüdische Volk ist erwählt worden, um mehr Verpflichtungen anstatt mehr Rechte zu übernehmen. Während ein Anhänger von „Gush Emunim“ sagen wird, dass die Araber keine nationalen Rechte im Lande haben, erklären wir, dass es unsere Aufgabe ist, gegenüber den Arabern volle Gerechtigkeit zu üben. Dies zu vermitteln, ist pädagogisch sehr schwierig, besonders vor dem Hintergrund von vier blutigen Kriegen. Die Anhänger und Sympathisanten von „Gush Emunim“ erklären aber, sie seien die wahren Zionisten. Simon: Darum geht der Streit. Die Bewegung des politischen Zionismus wurde als eine Reaktion gegen die Orthodoxie begründet, die sich meistens auf eine passive Erwartung des Messias festgelegt hatte, aber eine Generation nach Gründung des Staates Israel hat die Geschichte gezeigt, dass wir nicht wie andere Völker sein können. Deshalb steht der säkulare Zionismus wie nackt vor der jüdischen Tradition und hat der Jugend keine positiven jüdischen Ideale zu bieten. In diese Lücke stoßen die Anhänger von „Gush Emunim“ mit der Behauptung, bessere Zionisten zu sein, weil sie am göttlichen Auftrag zum Aufbau und zur Entwicklung des Landes festhalten. Welche Alternative stellt „Oz weShalom“ dieser Herausforderung gegenüber? Simon: „Oz weShalom“ ist angetreten, um für einen alternativen religiösen Zionismus zu kämpfen, der die Aufforderung, gegenüber Minoritäten gerecht zu sein, als eine religiöse jüdische Pflicht begreift. Diese Pflicht wiegt nicht leichter als diejenige, das Land aufzubauen. Wir glauben, dass das jüdische Volk mit seinem schweren Schicksal als verfolgte Minderheit einen Staat aufbauen muss, der mit anderen ethnischen Minoritäten in Frieden lebt. Nicht die Größe des Landes bildet

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den Maßstab für den Erfolg oder den Misserfolg des Zionismus, sondern seine Qualität entscheidet. Verheißungen sind unübersetzbar Wir sind sicher, dass eine biblische, göttliche Verheißung nicht übersetzbar ist in politische, wirtschaftliche und legalistische Rechte der GegenwArt. Völker können nicht zusammenleben, wenn jedes von ihnen auf die Ausschließlichkeit seiner religiösen Verheißungen pocht. Ich muss gestehen, dass es für einen religiösen Juden nicht leicht ist, einen Teil des Landes um des Friedens willen aufzugeben. Aber ich bin davon überzeugt, dass es unsere Pflicht ist, zu verstehen, dass Frieden nicht nur das Fehlen von Krieg darstellt, sondern dass Frieden eine positive Lebenshaltung ist, dass Frieden Gerechtigkeit bedeutet. Man kann also nicht sagen, dass das Land einen religiösen, Frieden dagegen einen praktischen Wert darstellt. Vor dem Hintergrund mancher Nachrichten könnte man den Eindruck gewinnen, dass Israel nur aus Anhängern von „Gush Emunim“ besteht. Simon: Ein Viertel der religiösen Zionisten dürfte zu den Gegnern von „Gush Emunim“ gehören, während vielleicht die Hälfte mit ihm sympathisiert. Der Rest hat sich nicht festgelegt. Die Aktivisten von „Gush Emunim“ machen nur einige hundert Personen aus, aber es gibt eine große Peripherie von Zehntausenden jungen Menschen, die große Genugtuung verspüren, wenn sie an Demonstrationen teilnehmen, bei denen sie ihren Patriotismus zeigen können. Wenn aber für unsere Regierung die Stunde der Wahrheit naht, wenn es also um die Aufgabe Judäas und Samarias geht, wird der Widerstand gegen „Gush Emunim“ wachsen.

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Und wie sieht die Szene bei „Oz weShalom“ aus? Simon: Während „Gush Emunim“ an der Position „Land Israel“ festhält, lautet unsere Orientierung „Volk Israel“. Unsere Ideale sind weniger hinreißend und viel weniger aufregend. Unser Credo ist nicht eindeutig, sondern komplex, nicht messianisch, sondern nüchtern. Kein Wunder, dass sie auf junge, enthusiastische Menschen weniger anziehend wirken. Wo sehen Sie die Ansatzpunkte für die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Juden und Arabern in Israel selbst? Simon: Ich halte diese Aufgabe für sehr wichtig. Dass arabische Studenten an den Universitäten lernen, kann eine Brücke, aber auch der Anfang für Frustrationen darstellen. Es kommt uns darauf an, den arabischen Bevölkerungsteil davon zu überzeugen, dass er vor der jüdischen Religion keine Angst zu haben braucht. Da auch ich Angst vor den chauvinistischen Anklängen im Islam habe – denken Sie an die Ausrufung des „heiligen Krieges“ –, müssen wir darauf achten, dass ähnliches nicht mit der jüdischen Religion geschieht. (Das Interview führte Reiner Bernstein.)

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Eingangssätze aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 und Auszug aus der Proklamation des Staates Palästina am 15. November 1988 „Im Lande Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Hier lebte es frei und unabhängig. Hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das ewige Buch der Bücher. Durch Gewalt vertrieben, blieb das jüdische Volk auch in der Verbannung seiner Heimat in Treue verbunden. Nie wich seine Hoffnung, nie verstummte sein Gebet um Heimkehr und Freiheit.“

„Im Land der himmlischen Botschaften an die Menschheit, im Land Palästina, wurde das palästinensisch-arabische Volk geboren. Dieses Volk wuchs, entwickelte sich und trug seine Kreativität zur Entfaltung der menschlichen und nationalen Existenz durch eine unverbrüchliche und ständige organische Beziehung zwischen dem Volk und dem Land und seiner Geschichte bei … Der Palästinensische Nationalrat 134 erklärt im Namen Gottes und des palästinensisch-arabischen Volkes die Schaffung des Staates Palästina auf unserem palästinensischen Boden und seiner heiligen Hauptstadt Jerusalem.“

                                                             134

Palästinensisches Exilparlament. 380

Text der israelischen und der palästinensischen Nationalhymne „Solange im Herzen darinnen es ein jüdisches Fühlen noch gibt, solange gen Ost zu den Zinnen von Zion ein Auge noch blickt. Solange lebt in uns die Hoffnung auf unsere Wiedergeburt, die Hoffnung von 2000 Jahren, dass ein freies Volkwir werden in unserem Land, in Zion, Jerusalems Land.“

„Mein Land, Land meiner Großväter, mein Land, mein Land, mein Land, meine Nation, die ewige Nation. Mit meiner Entschlossenheit, meinem Feuer und mit dem Vulkan meiner Vergeltung, dem Verlangen meines Blutes nach meinem Land und Heim habe ich die Berge bestiegen und die Kriege ausgefochten. Ich habe Unmögliches besiegt und die Grenzen überschritten. Mein Land, mein Land, die ewige Nation. Mit der Entschlossenheit des Windes und dem Feuer der Waffen und der Entschlossenheit meiner Nation im Land des Kampfes. Palästina ist meine Heimat. Palästina ist mein Feuer. Palästina ist meine Vergeltung und das Land des Ewigen. Mein Land, mein Land, die ewige Nation.

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Ich schwöre im Schatten der Fahne meinem Land und meiner Nation und dem Feuer meines Schmerzes werde ich als Partisan leben, werde ich als Partisan sterben, bis ich wiederkommen werde. Mein Land, mein Land, die ewige Nation.“

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Die Gründung von Gush Emunim. Die Erlösungsreise des Landes beginnt von Zevulun Hammer135 Das Jahr 5734 (1974) bedeutete den Anfang zweier langer und bedeutungsvoller Reisen, in denen wir uns auch heute bewegen und noch lange bewegen werden, dem Frieden und der Besiedelung. Es ist das Jahr nach dem Ende des Jom-Kippur-Krieges. Die Armeen Ägyptens und Israels umschlingen sich noch. Die Kämpfe sind vorbei, jedoch nicht der Zermürbungskrieg – Angriff und Gegenangriff. Henry Kissinger bastelt an einem Entflechtungsvertrag [mit Ägypten]. Im Februar räumt „Zahal“ [israelische Streitkräfte] die letzten Stützpunkte jenseits des Kanals. Heute wissen wir es: Zu diesem Zeitpunkt wurde der Samen des Friedensprozesses gesät. Sadat wird erst im Jahr 1977 nach Jerusalem in die Knesset kommen. Die Camp David-Konferenz wird mit dem [Friedens-]Vertrag von 1979 enden. Der Friedensprozess hat begonnen. Zum gleichen Zeitpunkt im Februar 1974 entstand „Gush Emunim“. Die Besiedelung von Judäa, Samaria, Gaza und des Golan begann

                                                             135

Der Beitrag ist entnommen und übersetzt aus dem Bild- und Textband von Nissim Mishal: Und jene 50 Jahre. Zu 50 Jahren Israel. Tel Aviv 1997 (Hebr.). Der Autor (1936 – 1998) wurde 1969 erstmals Mitglied der Knesset für die Nationalreligiöse Partei und war 1973, 1977 und 1990 Bildungsminister, 1975 Minister für Wohlfahrt und Soziale Dienste, 1986 und 1997 Religionsminister. 383

schon nach dem Ende des Sechstagekrieges. Doch der religiöse Zionismus, für den die Besiedelung jedes Zipfels im Lande als Erfüllung einer Aufgabe wie als Privileg des Thora-gelehrten Pioniers ist, zieht als Bewegung auf dem Weg dahin. Die Erlösungsreise des Landes begann. Beide Reisen – der Frieden und die Besiedlung – gehen ihren parallelen Weg im Fortgang der Geschichte. Es stellt sich immer mehr heraus, dass sie aneinander gebunden sind. Viele verstehen dieses Paradox vielleicht nicht – doch sie sind abhängig voneinander. Ohne die Möglichkeit, einen Frieden im Lande zu schließen, hat die Besiedelung moralisch keine nationale Zukunft. Ohne Besiedelung gibt es keinen Anknüpfungspunkt für den politisch sicheren Frieden. In der Tiefe der historischen Dynamik, die die immer verborgene Quelle der politischen Kristallisationen hier und jetzt verhöhnt, liegt das Verlangen nach der Versöhnung mit den arabischen Ländern und gleichzeitig die Rückkehr nach Zion. Das Wesen des geopolitischen Friedens, der – davon bin ich überzeugt – zwischen uns und unseren Nachbarn kommen wird, wird aus der Bereitschaft zur Hingabe, zur Aufopferung und zur [jüdischen] Bereitschaft erwachsen, sein Haus und seine Straße zu verlassen, um sich an den felsigen Boden zu klammern, dort sein Haus zu bauen, es zu verteidigen und zu entwickeln. „Gush Emunim“ ist eine Bewegung, die jeden Juden, egal wo er sich aufhält, die Größe der Perspektive und dem im Aufbau befindlichen Staat Israel die Kraft vermittelt hat, dem jetzigen Druck für eine Zukunft von morgen standzuhalten. Ich bin davon überzeugt, dass mit „Gush Emunim“ und seiner fortdauernden Siedlungstätigkeit ein wahrer Frieden kommen wird, der viel sicherer ist, als wenn wir die Auffassung judenfreier Gebiete als Verhandlungsbasis vertreten hätten.

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„Gush Emunim“ ist in der Hälfte des Jubiläums136 entstanden. Das hat seine Symbolik. Der Unabhängigkeitskrieg endete an der Waffenstillstandslinie. Sie war in ihrer Logik willkürlich, aber politisch unmöglich, da die Grenze mitten durch Jerusalem lief und die Stadt teilte und damit für uns emotional schwer erträglich war. 50 Jahre später hätten wir uns in einem Zustand der Rückgabe von Gebieten, sondern weiterer Kriege befinden können. Zwischen damals und heute hat „Gush Emunim“ eine andere permanente Realität geschaffen. Die Basis dafür war die Erziehung einer Generation der gestickten „Kippot“, die zu ihren Pflichten Thora und Arbeit sowie den Dienst am Staat auch den Dienst beim Aufbau des Militärs zählte. Sie, die Generation der gehäkelten „Kippot“ und der Gebetsriemen begnügte sich nicht mit dem Aufbau von „Gush Emunim“. Vielmehr wurde das Fundament für eine Dauerlösung im Militärdienst und Thora-Lernen gelegt. Die Verbindung zwischen gestrickten Kippot und der Sicherheit des Staates ist hergestellt – mehr religiöse Offiziere sehen ihre Berufung in einem längeren Militärdienst, denken an die Sicherheit als einen Teil der persönlichen und nationalen Verwirklichung. Anfang 5734 wussten wir noch nicht wie sehr. Im Jubiläumsjahr [1997] wissen wir es – seine Mission ist noch nicht beendet.

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Gemeint ist das „Jubeljahr“ (auch „Halljahr“ und „Shabbatjahr“ genannt): Im 50. Jahr soll die Arbeit ruhen und die Felder sollen unbestellt bleiben: Lev. 25,10 + Ez. 46,17. 385

Welche Strategie hat Israel? Außenminister Sigmar Gabriel am 31. Januar 2018 vor dem „Institute for National Security Studies“ in Tel Aviv: In Bezug auf die Palästinenser und den Iran ergreifen die Amerikaner mehr Partei für Sie als jemals zuvor. Aber ist das wirklich eine gute Sache? Wenn ich an die möglichen Konsequenzen denke, bin ich da eher ambivalent: Die amerikanische Diplomatie hatte lange erfolgreich die Position des Vermittlers bei wichtigen Fragen eingenommen – auch im Mittleren Osten, trotz der Nähe zu Ihrem Land. Große Erfolge, wie der Frieden mit Ägypten, wären anders nicht vorstellbar gewesen. Können die Amerikaner weiterhin eine solche Rolle spielen, wenn sie derart offen Partei ergreifen? Werden andere versuchen, ihre Rolle zu übernehmen? Und hier vor Ort haben Sie die unbeantwortete Frage, wie Israelis und Palästinenser in der Zukunft zusammenleben werden. Aus meiner Sicht stellt diese Frage sowohl die Sicherheit als auch die Werte Israels in Frage. Manche könnten sagen, das ist nicht eine der dringlichsten Herausforderungen, weil sie glauben, der sogenannte Status quo kann ausgehalten und ertragen werden. Aber als ein Freund Israels und als der Außenminister eines Landes mit einer besonderen Verpflichtung für die Sicherheit Ihres Landes bin ich ernsthaft besorgt über Israels mittelfristige und langfristige Aussichten. Wir sollen auf dieser Konferenz über Strategien sprechen. Also, was genau ist Israels Strategie in diesem Konflikt? Manche Mitglieder des israelischen Kabinetts sind ausdrücklich gegen eine Zwei-Staaten-Lösung. Aber die Zwei-Staaten-Lösung war immer 386

das Fundament unseres Einsatzes für einen israelisch-palästinensischen Frieden und die großen Fördersummen, die Deutschland und Europa zur Verfügung stellten, um Unterstützung zu bieten für die Lage vor Ort. Und da wir hier unter Freunden sprechen, lassen Sie mich das ergänzen: Diese – bestenfalls gemischten – Signale werden in Europa nicht übersehen, wo man zunehmend frustriert ist über Israels Aktionen. Auch in Deutschland, und ehrlich gesagt in meiner eigenen Partei, sind junge Leute immer weniger bereit, etwas zu akzeptieren, was sie als eine unfaire Behandlung von Palästinensern ansehen. Und für Menschen wie mich wird es zusehends schwierig, ihnen die Gründe dafür zu erklären, warum unsere Unterstützung für Israel andauern muss. Als Freund und enger Verbündeter müssen wir wissen, ob Israel eine verhandelte Lösung dieses Konflikts nicht mehr unterstützt. Natürlich kann ich die Frustration verstehen, aus der heraus diese Kritik entsteht: Es fällt schwer an zwei Staaten zu glauben, die friedlich, sicher und in gegenseitiger Respektierung Seite an Seite leben, wenn Gewalt und Aufstachelung Hass säen, und wenn das Bauen von Siedlungen – sprichwörtlich – den Platz reduzieren, in dem Verhandlungen noch möglich sind. 25 Jahre nach Oslo sind palästinensische und israelische Führer immer noch nicht in der Lage dem anderen zu sagen: „Du gehörst hierher.“ Und glauben Sie mir: Ich spreche dieses Bedauern auch gegenüber den Palästinensern an. Ich habe das gerade eben erst bevor ich hierherkam, gemacht, als ich mich mit Mahmud Abbas in Ramallah getroffen habe. Und trotzdem müssen wir nicht nur über unsere Frustrationen sprechen. Wir müssen auch in die Zukunft blicken. Insofern frage ich jene,

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die gegen einen palästinensischen Staat sind: Wie soll die Zukunft Israels Ihrer Meinung nach aussehen? Sind Sie bereit, den Preis für eine andauernde Besatzung und einen andauernden Konflikt zu zahlen – einen Preis, der immer höher wird, wenn es keine Hoffnung auf Selbstbestimmung für die palästinensische Seite gibt? Sind Sie bereit, die Konsequenzen zu tragen für eine vollständige Annektierung – eine Ein-Staat-Realität mit ungleichen Rechten? Oder sind Sie bereit, einen einzigen demokratischen Staat zwischen dem Meer und dem Fluss zu akzeptieren? Ich gebe zu, dass mich diese Fragen beunruhigen, vor allem, weil überzeugende Antworten bisher fehlen. Solange ich solche nicht gehört habe, glaube ich, dass der Weg zu Sicherheit und Frieden nur in zwei Staaten gefunden werden kann. Und nun die gute Nachricht: Deutschland freut sich auf den Tag, an dem es möglich wird, unsere Botschaft in Israel nach Jerusalem zu verlegen. Aber lassen Sie mich hinzufügen: in zwei Staaten mit Jerusalem als deren Hauptstadt. Es gibt hier keine Abkürzung. Beide Seiten haben legitime Bestrebungen in Bezug auf Jerusalem, und eine Lösung kann nur in Verhandlungen gefunden werden. Wir glauben, dieser Umzug muss erfolgen zur Unterstützung einer Implementierung einer ausgehandelten Zwei-Staaten-Lösung, basierend auf der 67er Linie. Bis dahin halten wir uns an internationales Recht, was den Status der besetzten Gebiete angeht. Gleichzeitig werden wir immer unsere Meinung sagen, wenn jemand das Unbestreitbare leugnen will: die grundlegende und historische Verbindung Jerusalems zum jüdischen Volk und dem Staat Israel.

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„Wir hatten schwere Vorbehalte gegen Deutschland“ Vor 40 Jahren nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Ein Gespräch der Autorin Margret Greiner, München, 2005 mit dem Jerusalemer Historiker Paul Mendes-Flohr. Frage: Im August 1965 wurde Rolf Pauls unter zum Teil heftigem israelischem Protest als deutscher Botschafter in Jerusalem akkreditiert. Sie, Herr Mendes-Flohr, waren damals ein junger Mann. Konnten Sie den offiziellen Kontakt zwischen der Nation der Täter und der Nation der Opfer begrüßen, oder standen Sie dem ablehnend gegenüber? Mendes-Flohr: Im Jahr 1965 war ich Mitglied einer linken, marxistischen Jugendbewegung. Wir hatten schwere Vorbehalte gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Deutschland. Es war für uns eine symbolische Sache. Auf der anderen Seite machten wir eine strenge Trennung zwischen Deutschland als Symbol für die Verbrechen des Dritten Reiches und den Deutschen als Mitmenschen. Viele junge Deutsche besuchten damals Israel. Sie kamen vor allem in die Kibbuzim, um zu arbeiten. Sie waren Botschafter des Gewissens der jungen Generation von Deutschen. Viele von ihnen lernten Hebräisch und bemühten sich, unsere Kultur zu verstehen. Einige haben später Judaistik studiert, und im Laufe der Zeit sind diese zu den besten Gelehrten des Judentums geworden, seiner Geschichte und seines geistigen Erbes. Sie haben in diesen 40 Jahren eine enge Beziehung zu Deutschland unterhalten, haben, obgleich amerikanischer Herkunft, Ihr wissenschaftliches Interesse an die deutsch-jüdische Kultur und Geistesgeschichte 389

gebunden, haben als Historiker aber auch die Entwicklung der gegenwärtigen deutsch-israelischen Beziehungen verfolgt. Was hat Sie persönlich an dieses Thema geführt? Mendes-Flohr: Schon als Junge war ich mir bewusst, dass die moderne jüdische Kultur sehr stark von der deutschen humanistischen Kultur geprägt ist. Meine Freunde und ich haben die deutschen Klassiker gelesen und diskutiert. Dann war da die klassische deutsche Musik! Ich habe Klavier studiert und war Mitglied in einem Chor, der Werke von Bach und anderen deutsche Komponisten gesungen hat. Wie für viele Juden die deutsche Kultur ein wesentlicher Teil ihrer geistigen Existenz, ihrer Seele ist, so wurde sie das auch für mich. Was waren Ihrer Meinung nach die größten Belastungsproben in der Geschichte der israelisch-deutschen Beziehungen? Mendes-Flohr: Die israelisch-deutsche Beziehung ist eine politische Sache. Aber sie ist nicht losgelöst von der deutsch-jüdische Beziehung, die eine andere Sache ist, die psychologische, zwischenmenschliche, kulturelle, moralische, existentielle Dimensionen hat. Die Belastungsproben in der israelisch-deutschen Geschichte fangen mit der Einrichtung von diplomatischen Beziehung zwischen unseren Nationen an; die Belastungsproben in der deutsch-jüdischen Geschichte beziehen sich auf die Shoáh und unseren Umgang damit. Das Verhältnis zur Shoah ist im Rahmen unserer beiden Erinnerungskulturen zu betrachten. Ich lebe mit der Erinnerung an die Shoah – und in mir ist tiefe Trauer. Aber ich lebe auch in der GegenwArt. Deutschland gilt heute nach den USA als einer der verlässlichsten Freunde Israels. Die Fülle deutscher Einrichtungen in Israel ist unübersehbar. Sie selbst leiten eine renommierte Einrichtung in Jerusalem, das „Franz-Rosenzweig-Zentrum für deutsch-jüdische Literatur

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und Kulturgeschichte“. Kann man inzwischen von „normalen“ Beziehungen zwischen befreundeten Ländern sprechen? Kann es jemals eine Normalität geben? Mendes-Flohr: Ich weiß nicht genau, was Normalität bedeutet. Jede Beziehung hat ihre eigene Entstehungsgeschichte, ihre Eigenschaften, ihre Dynamik. Ich bin ein Jude, und Sie sind eine Deutsche. Wir können dieses Faktum, diese Realität nicht verändern. Das zu leugnen oder zu minimieren, würde ein Akt von „falschem Glauben“ sein. Ich bin ein Jude, ein israelischer Jude, und ich trage die Erinnerung der Geschichte meines Volkes in mir und habe eine existentielle und moralische Verantwortung, mit dieser Erinnerung umzugehen. Und Sie sind eine Deutsche. Trotzdem kann – muss – ich Ihnen als einem Mitmenschen begegnen. Für unsere Generation ist die Shoáh noch nah, für die Generationen nach uns ist sie Geschichte, die immer weiter wegrückt. Das ist auch in Israel so. Kann man etwas darüber aussagen, wie die Generation der jetzt Zwanzigjährigen zu Deutschland steht? Wird Deutschland für sie zu einem beliebigen Land in Europa? Mendes-Flohr: Meine beiden Kinder sind in ihren zwanziger Jahren. Sie wissen über die Shoáh Bescheid, sie sind sich ihrer bewusst. Neulich haben sie erfahren, dass Verwandte von uns im KZ waren und dort umgebracht wurden. Aber meine Kinder haben viele deutsche Freunde. Mein Sohn, der ein Filmemacher ist, fährt zum Beispiel nach Deutschland, um an den Berliner Filmfestspielen teilzunehmen. Er verbringt dort ein paar Wochen, um mit deutschen Freunden zusammen zu sein. Was erwartet Israel gegenwärtig von Deutschland in der Situation des anhaltenden Konflikts Israels mit seinem palästinensischen Nachbarn?

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Mendes-Flohr: Der Konflikt mit unseren palästinensischen Nachbarn ist ein politischer Konflikt, den wir beide lösen müssen. Ob andere Nationen etwas dazu beitragen können, ist schwer zu sagen. Nach meiner Meinung ist es wichtig – und nicht nur aus humanitären, sondern auch aus politischen Gründen – die schwierige materielle Lage des palästinensischen Volkes zu verbessern. Meines Erachtens sind dafür aber nicht andere Völker, sondern zuallererst die Israelis selbst verantwortlich. Wir müssen Solidarität und Mitgefühl mit dem Elend und der Not der Palästinenser aufbringen, und nicht nur mit Worten. Das würde viel zu einer Lösung des Konflikts beitragen. Selbstverständlich muss im Endeffekt die Lösung eine politische sein. Der gegenwärtige Botschafter der Bundesrepublik in Israel, Rudolf Dressler, hat vor einigen Wochen in einem Artikel in „Haaretz“ große Empathie der Deutschen mit dem israelischen Volk angesichts palästinensischer Gewaltakte bekundet. Es mehrt sich in Deutschland aber auch Kritik an Israels Vorgehen gegenüber den Palästinensern. Darf man als Deutscher Israel kritisieren? Mendes-Flohr: Der Staat Israel ist eine politische Einrichtung, und wie alle politischen Phänomene steht er nicht außerhalb der Kritik. Man hat eine Verantwortung, die Politik der Regierung jedes Landes zu verurteilen, wenn man eine Kritik für nötig und angemessen hält. Oft aber erscheint die Kritik an der Politik Israels – und ich spreche hier als ein Linker – moralistisch und selbstgerecht. Diese Art Kritik ist nicht hilfreich und eher kontraproduktiv. Ich habe den Artikel von Botschafter Rudolf Dressler ausgewogen und sensibel gefunden. Kann die einzigartige deutsch-jüdische Geistesgeschichte, die mit Namen wie Mendelssohn, Heine, Freud, Marx, Benjamin, Buber, Rosenzweig,

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Canetti, Kafka verbunden ist und der Sie sich als Wissenschaftler verschrieben haben, nicht nur erforscht und konserviert, sondern auch in der Gegenwart produktiv gemacht werden? Mendes-Flohr: Die deutsch-jüdische Geistesgeschichte ist die Geschichte eines Strebens nach einer toleranten, humanistischen, pluralistischen Mitbürgerschaft und Mitmenschlichkeit. Dieses Erbe müssen wir nicht nur ehren, sondern wir müssen es weiterentwickeln. Nichts tut der Gegenwart mehr not. Prof. Dr. Paul Mendes-Flohr lehrte jüdische Geistesgeschichte an der Hebrew University in Jerusalem und der University of Chicago. Zu seinen Veröffentlichungen zählen „Jüdische Identität“, „Deutsche und Juden“ und die Mitherausgabe der „Deutsch-jüdischen Geschichte in der Neuzeit“ und der Werke Martin Bubers.

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Bestens vernetzt. Erzählung aus Israels „Rechtsstaatsnarrativ“ von Chaim Levinson137 Der Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten wird zu erheblichen Teilen von der „Bewegung Amana“ [„Kontrakt“] mit Sitz in Jerusalem erledigt. Sie ist 1978/79 als Siedlungsabteilung des „Gush Emunim“ gegründet worden, berichtete der für Rechtsfragen zuständige Redakteur von „Haaretz“ Chaim Levinson. Der Leiter der „Bewegung“ war der heute 59 Jahre alte Ze’ev Hever, bekannt unter dem Spitznamen „Zambish“. Er war als Sekretär von Kiryat Arba bei Hebron frühes Mitglied von „Gush Emunim“. Als Mitglied des „jüdischen Untergrunds“ wurde Hever wegen Beteiligung an Terroranschlägen gegen Palästinenser zu elf Monaten Haft verurteilt und schlug danach die Karriere als Funktionär im Dienste von „Amana“ ein. Während „Amana“ als Teil des „Rates der Siedlungen in Judäa, Samaria und Gaza“ (YESHA) Geld besorgt, ist ihr administrativer Arm „Gemeinsam“ für den Wohnungsbau in den besetzten Gebieten zuständig. Als extremer Pragmatiker gilt „Zambish“ als materiell bedürfnislos. Seine einzige Ideologie besteht darin, die Öffentlichkeit zu scheuen, keine Interviews zu geben und sich nie zu Berichten über ihn und seine Arbeit zu äußern. Inzwischen hat er in dem 41 Jahre alten Ze’ev Epshtein, einen zur Ultraorthodoxie konservierten Einwanderer aus Russland mit Yuppie-Gewohnheiten einen Konkurrenten gefunden. Als größter Privatinvestor hat Epshtein die Rechte für den Bau von 2500 bis 3000 Wohneinheiten erworben.                                                              137

Zusammenfassung aus „Haaretz“ vom 13.05.2013. 394

„Amana“ gehören keine eigenen Bodenflächen, vielmehr bedient sich die Gruppe eines Subunternehmens als Bauträger. Auch der Staat greift verschiedentlich auf „Amana“ zurück – im Gegensatz zu „normalen“ Baufirmen, die wegen zu schmaler Gewinnmargen Aufträge ablehnen oder sie wegen der planerischen und bautechnischen Eingriffe der israelischen „Zivilverwaltung“ nicht erfüllen wollen. Da deren Einfluss bei der Registrierung von Böden offiziell an der Grenze zur Westbank endet, wird die Zionistische Weltorganisation eingeschaltet. Gefüllte Kassen Die „neue Orthodoxie“, zitierte Yossi Melman einen ihrer Angehörigen, „behandelt Israel wie einen Bankautomaten“. „Amana“ scheue sich nicht, die Karten auf den Tisch zu legen. Niemand könne mithin behaupten, nicht informiert zu sein. Dennoch würden Anfragen und Beschwerden von Organisationen wie „Peace Now“ oder „Yesh Gvul“ („Es gibt eine Grenze“) – die Gruppe wurde 1982 während des Libanon-Feldzugs als Antwort auf das unverhältnismäßige Vorgehen des Militärs gegründet – mit der Begründung zurückgewiesen, die Beweislage reiche nicht aus oder die Eingaben entbehrten der Substanz. „König Zambish “ Hevers Verbindungen in das politische Establishment und in die juristische Szene seien die Quelle seiner Stärke, schrieb Levinson. Wie kaum ein anderer Repräsentant der Siedler verfüge er über gute Kontakte zum israelischen Regierungsapparat, zur Knesset, zur Zivilverwaltung, zur Bürokratie und zur Polizei, die ihn allesamt mit Samthandschuhen anfassen. „Zambish“ sei es außerdem immer wieder gelungen, durch geschickte und erfinderische Interventionen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs und der Zivilverwaltung zu unterlaufen oder sie so lange auf 395

die lange Bank zu schieben, bis die politischen Umstände für die förmliche Anerkennung der von ihm unterstützten Projekte gesorgt hätten.

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Israels Sicherheitsgarantie für Jordanien von Reiner Bernstein138 Zu den Paradoxien im israelisch-palästinensischen Konflikt gehört die Präsenz des israelischen Militärs im Jordantal (und mit 1.600 Quadratkilometern knapp 29 Prozent der Westbank mit 23 jüdischen Siedlungen139, 16 „outposts“ sowie über 70.000 Palästinensern (davon etwa 75 Prozent in Jericho) gemäß der Interimsvereinbarung von 1995 zur Zone C der Westbank, die vollständig von Israel kontrolliert wird. Während die israelische Politik der dortigen palästinensischen Bevölkerung den Lebensnerv durch die Farmen der Siedler, durch die Rationierung des Wassers und durch die Requirierung von Bodenflächen bedroht, garantiert sie durch die militärische Präsenz an der Grenze das politische Überleben des haschemitischen Königshauses gegen seine inneren und äußeren Feinde. Zu den Letzteren gehören Teile der perspektivlosen Flüchtlinge aus Syrien in den Lagern und der „Islamische Staat“. Sollte die Sicherheit des Könighauses bedroht sein, dürfte ihm Israel aus eigenem Interesse militärisch zu Hilfe kommen. Am 01. September 1970 geriet König Hussein auf dem Wege zum Flughafen unter schweres Feuer, der zweite Attentatsversuch innerhalb von drei Monaten. Der Anschlag löste gewaltsame Auseinandersetzungen

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Abgeschlossen im Mai 2016. Almóg, Argamán, Beit Ha’avará, Bekaót, Gilgál, Gitít, Hámra, Kálya, Ma’aléh Ephraim, Mechorá, Mesuá, Mítzpe Shalém, Na’amán, Na’arán, Netív Ha-Gdud, Pethaél, Shdemót Mecholá, Roï, Tómer, Véred Jericho, Yafít und Yetív. 397

zwischen der Armee und den palästinensischen Fedayeen aus. Die irakische Regierung drohte mit einem militärischen Eingreifen, nachdem 17.000 Mann nach dem Junikrieg 1967 auf jordanischem Boden geblieben waren. Am 06. und 09. September 1970 kaperte George Habashs „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ Flugzeuge der zivilen Luftfahrt. Als sie die Maschinen auf dem Dawson Field bei Amman in die Luft sprengte, blieben 54 Passagiere in ihrer Geiselhaft. Yasser Arafat sah sich zur Solidarität mit den Entführern veranlasst. Nach palästinensischen Guerillaaktionen auf israelische Ziele ordnete Husseins neue Militärregierung Angriffe auf Stellungen der Fedayeen in und um Amman sowie in den Städten Irbid, Jerash, Zarqa und Salt an. Die Kämpfe gingen unter dem Begriff „Schwarzer September“ in die Annalen ein. Als Hafez Al-Assad in Damaskus endgültig die Macht übernahm, überquerte syrisches Militär am 18. September die jordanische Grenze mit fast dreihundert Panzern und einer Infanteriebrigade. Am 22. September 1970 entsandte der König eine Luftwaffeneinheit gegen die syrischen Stellungen, deren Besatzer unter schweren Verlusten den Rückzug antraten. Am 27. September unterzeichneten Hussein, Arafat und Ägyptens Gamal Abdel Nasser das „Cairo Agreement“ mit dem Ziel einer sofortigen Waffenruhe. Die PLO-Führung mit Teilen ihrer bewaffneten Gefolgschaft übersiedelte in den Libanon, um nun dort einen Staat im Staate aufzubauen. Am 28. November töteten vier Mitglieder des „Schwarzen September“ den jordanischen Premier Wasfi AlTall in Kairo. Zwischen dem 12. und 17. Juli 1971 vertrieben jordanische Einheiten die letzten „Fedayeen“-Einheiten aus dem Gebiet um Jerash. Israels Verteidigungsminister Moshe Dayan und hochrangige Politiker, unter ihnen Shimon Peres – er bezeichnete Hussein einmal als „Amateur-König“ –, sprachen sich damals dafür aus, der PLO beim Sturz der 398

Haschemiten zu helfen, doch Ministerpräsidentin Golda Meir, Außenminister Abba Eban und Generalstabschef Yitzhak Rabin setzten sich mit ihren Einwänden durch. Die Geschichtsschreibung ist sich einig darin, dass die Drohung mit dem Einsatz des Militärs dem König den Thron rettete. Die Aktualität der Geschichte 44 Jahre später, am 03. Februar 2015, wurden bei Amman zwei irakische Djihadisten, darunter eine Frau, gehenkt. Die Hinrichtung wurde als Vergeltung für die Verbrennung eines Kampfpiloten bei lebendigem Leibe durch Terroristen des „Islamischen Staates“ angezeigt. Der 26 Jahre alte Jordanier aus einem prominenten Beduinen-Stamm war bei einem Luftangriff im Norden Syriens abgeschossen worden, oder seine Maschine musste aufgrund eines Triebwerkschadens landen. Ebenfalls am 03. Februar unterzeichneten John Kerry und sein jordanischer Amtskollege Nasser Judeh als Ausdruck „der strategischen Beziehungen und der Partnerschaft“ ein „Beistandsmemorandum“, um „den vielfältigen Gefahren und Herausforderungen zu begegnen“, denen sich die Monarchie gegenübersehe. Bei Jordaniens israelischem Nachbarn wiederholen sich die Diskussionen seit den frühen 1970er Jahren, doch nicht zugunsten der damaligen „jordanischen Option“ – „Jordanien ist Palästina!“ –, sondern mit dem Ziel des endgültigen Ausbaus der Sperranlagen entlang des Jordans. Israel hat Drohnen an die Grenze zu Jordanien entsandt, um Amman im Falle von Angriffen der Terrormilizen des „Islamischen Staates“ zu helfen. Die Regierungen in Jerusalem und in Amman haben ihre politische und militärische Zusammenarbeit intensiviert, um den Gefahren von Seiten des „Islamischen Staates“ und der Bedrohung durch Iran wirkungsvoll zu begegnen.

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Jerusalem – das Herzstück des israelischpalästinensischen Konflikts von Judith Bernstein140 Diesen Vortrag kann ich im Gasteig nach einer Einstweiligen Verfügung halten. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass die Leitung und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Hauses die Arbeit der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München immer unterstützt haben und uns wohlgesonnen waren. Gerade in diesem Jahr konnten wir einige Veranstaltungen in der Blackbox durchführen. Meine Kritik gilt der Stadtspitze, die den Druck auf Institutionen wie auf das EineWeltHaus, den Gasteig und sogar das Kulturreferat ausübt, um jede Auseinandersetzung um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu unterbinden. Es muss doch möglich sein, auch in München über dieses Thema sachlich zu diskutieren. Was geschieht, wenn die Kluft zwischen den Regierten und Regierenden immer weiter auseinandergeht, haben wir bei den Bundestagswahlen vor einer Woche feststellen müssen. Diese Ergebnisse wollen wir nicht in unserer Stadt. Ich möchte Ihnen etwas zu Jerusalem erzählen – dem Herzstück des Konflikts. Dazu will ich Ihnen keine Details vortragen, die Sie der Presse entnehmen können, sondern einen persönlichen Bericht über meine Geburtsstadt liefern. Denn ich glaube, dass meine eigene Geschichte zum Teil die Geschichte der Stadt bis zum heutigen Tag widerspiegelt.                                                              140

Vortrag gehalten am 03. Oktober 2017 im Münchner Gasteig. 400

Ich bin noch vor der Gründung des Staates Israel geboren, also praktisch im britischen Mandatsgebiet Palästina. Rehavia, das Viertel, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, ist in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts nach dem europäischen Vorbild einer Gartenstadt von deutsch-jüdischen Einwanderern entwickelt worden.

Mein Elternhaus Meine Eltern sind Mitte der 1930er Jahre aus Nazi-Deutschland nach Palästina geflohen, nachdem sie kein anderes Land aufnehmen wollte. Sie waren weder religiös, noch waren sie Zionisten, und bestimmt kamen sie nicht mit der Absicht an, die Araber – wie man damals sagte – zu vertreiben. Vielmehr mussten sie fliehen, um ihr Leben zu retten. Meine Großeltern sind in Erfurt geblieben und gehörten zu den letzten Juden, die nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Auch wenn wir Kinder und vor allem natürlich die Eltern von dieser Geschichte geprägt waren, so spielte sie nach der Gründung Israels keine so große Rolle: Man war mit dem Aufbau des jungen Staates beschäftigt. Dass um 1948 eine neue Tragödie ihren Lauf nahm, wissen wir heute. Jerusalem war damals eine kleine gemütliche Stadt, wo jeder jeden kannte. Die „andere Seite“ hingegen war uns fremd. Der berühmte Satz der späteren Premierministerin Golda Meir aus den späten 1960er Jahren, „es gibt kein palästinensisches Volk“, und das Gefühl der Freude, „was wir für sie tun“, unseren Wahrnehmungen. Praktisch war die Stadt durch eine Mauer mit dem berühmten Mandelbaumtor geteilt. Dort lebten „die bösen Araber“. Wir kannten sie nicht, und dasselbe galt auch umgekehrt. In einem Interview mit Uri Avnery berichtete der 1955 in der Altstadt geborene Islamwissenschaftler Nazmi Al-Jubeh über die Jahre bis 1967: 401

„Unser Leben, unsere Welt als Stadtkinder war absolut begrenzt von Mauern. Alles außerhalb der Mauern interessierte uns nicht. Als Kinder wussten wir nichts über den israelischen Teil; wir wussten nur etwas von der arabischen Stadt.“ Und zu West-Jerusalem: „Das waren die Feinde, die Unmenschen, die Leute mit so vielen Vorurteilen, das waren die Bösen und Schwachen, die wir irgendwann von der Karte ausradieren würden.“ Wie gesagt: Jerusalem war geteilt, und wir arrangierten uns im westlichen Stadtteil. Im Urlaub fuhren wir entweder nach Tel Aviv oder in eine andere Küstenstadt, später auch nach Europa oder in die USA. Die arabischen Länder waren ein unerreichbares Ziel. Im Gegensatz zu den meisten jungen Israelis hatte ich durch das große Sportgeschäft meiner Eltern Kontakt zu christlichen Arabern, die 1948 in Israel geblieben waren. Leider sind sie später vor allem in die USA ausgewandert, da sie für sich keine Zukunft zu Hause sahen. Damit war auch meine Verbindung zu ihnen beendet. Die Unterscheidung zwischen diesen und den Arabern auf der anderen Seite der Stadt konnte ich mir nie erklären. Zwar begegneten wir ihnen im Galiläa, in Akko oder in Jaffa, Drusen in der Nähe von Haifa und Beduinen im Negev sie standen alle bis 1966 unter Militärverwaltung - doch waren sie in unserem Alltag nicht präsent. Was die Flüchtlinge anging, so wurde uns erzählt, dass sie alle geflohen seien, von Vertreibung war keine Rede. Über ihr Schicksal hat sich niemand Gedanken gemacht – es wurde nie gefragt, wohin sie gingen und was aus ihnen wurde. Israel war sich seiner Verantwortung für die Flucht und Vertreibung nie bewusst, denn – wie es hieß – waren sie doch selbst an ihrem Schicksal schuld.

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Verdrängungen Diese Meinung herrscht bis heute trotz der Erkenntnisse der „neuen Historiker“ um Benny Morris, Tom Segev und Ilan Pappe. Zwar haben ihre Recherchen zu heftigen Diskussionen unter Intellektuellen geführt, doch haben sie weder die politische Klasse noch die Mehrheit der Bevölkerung erreicht. Das gleiche galt für die über 500 zerstörten arabischen Dörfer. Auf dem Weg von Jerusalem nach Tel Aviv fuhren wir an Lifta vorbei und bewunderten die schöne Landschaft. Am Samstag fuhren wir nach Beit Shemesh, um Blumen zu pflücken. Unsere Toten wurden auf dem Friedhof Givat Shaul begraben – das an das Gelände von Deir Yassín grenzt141 –, niemand fragte nach den ehemaligen Einwohnern dieser Dörfer, es war die vollständige Verdrängung. Auf die Frage, wie die Israelis an die schönen arabischen Häuser in Talbíyeh gekommen seien – der schönste Teil West-Jerusalems –, erhielt man                                                              141

Bei dem Überfall des Kommandos von „Etzel“ (Akronym für „Nationale Militärorganisation“, von Jabotinsky im April 1937 gegründet) von Menachem Begin und „Lechi“ (Akronym für „Kämpfer für die Freiheit Israels“, gegründet 1942) unter Befehl von Mordechai Ra’anan auf das strategisch unbedeutende Dorf Deir Yassin am 08. April 1948 kamen von den rund 600 Arabern 125 und 5 Juden ums Leben. In seinem Buch „The Revolt" von 1972 hat Begin berichtet, dass der „Haganah“-Befehlshaber für Jerusalem dem arabischen Ort keine strategische Bedeutung beigemessen habe und dass der „Irgun“ die Bewohner vor einem Angriff gewarnt habe. Die Eroberung des Ortes habe den Weg nach Jerusalem freigeschossen. Die feindliche Propaganda habe versucht, „unseren Namen in den Dreck zu ziehen“. Überflüssigerweise habe sich die „Jewish Agency“ in einem Schreiben an den jordanischen König entschuldigt. In seiner Begin-Biographie beschreibt Avi Shilon, dass die arabischen Bewohner friedliche nachbarliche Beziehungen unterhileten. Das „Massaker“ habe jedoch Panik unter der arabischen Bevölkerung im ganzen Land ausgelöst. Auf jüdischer Seite habe es das Interesse gegeben, in der Nähe von Deir Yasssin ein Flugfeld aufzubauen. 403

die Antwort, dass man in einen Fonds zugunsten der ehemaligen Bewohner einzahle. Ich bin davon überzeugt, dass kein Palästinenser je einen Cent erhalten hat. Im Gegensatz zu den meisten meiner Freunde, die heute zur Friedensszene gehören, stamme ich nicht aus einer kommunistischen Familie. Mein Elternhaus war sehr liberal, obwohl mein Vater im Krieg 1948 in Jerusalem schwer verletzt wurde – ihn traf eine Kugel ins Herz. Vielleicht hing die Toleranz auch damit zusammen, dass sie aus Deutschland kamen. Bekanntlich waren es deutschsprachige Juden wie zum Beispiel Martin Buber, Akiva Ernst Simon, Gershom Scholem, Georg Landauer und Hans Kohn, deren Bücher man las und die man kannte, die für ein Zusammenleben mit den Arabern plädierten, weil – wie sie sagten – wir die Spätgekommenen seien. Wir sollten uns heute fragen, warum dieser Zionismus der Leute vom „Brit Shalom“, dem „Friedensbund“, gescheitert ist. Es sind wenige deutsche Juden in die Politik gegangen. Die meisten meiner Schulkameraden, die auch in der Nachbarschaft wohnten, sind diejenigen, die heute die israelische Politik prägen. Dazu zählen der jetzige Präsident Reuven „Rubi“ Rivlin, der ein moralisches Vakuum unter den Spitzenpolitikern füllt, die juristischen Berater Benjamin Netanjahus Itzik Molcho und David Schimron, viele Diplomaten und Geheimdienstler wie Yuval Diskin und Carmi Gilon sowie sogar Minister wie Dan Meridor oder Matan Vilnai. Wir alle sind auf die gleiche, absolut säkulare Schule gegangen, auch wenn sie heute so tun, als seien sie nationalreligiös. Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, können sich vorstellen, dass meine Verbindungen zu diesen Leuten völlig abgebrochen sind. Für sie bin ich eine Verräterin, während sie für mich vollkommen realitätsfern sind.

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Wendejahr 1967 Was in Israel die Wahrnehmung der Palästinenser anging, so änderte sie sich natürlich völlig nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967. Wenn man vorher die Palästinenser ignorieren konnte, so waren sie jetzt da. Hinzu kam die Euphorie im Zuge der Eroberung Ost-Jerusalems und der Westbank. Ich erinnere mich sehr gut, wie die Israelis die Altstadt „belagerten“, um billig einzukaufen. Man ging zu arabischen Händlern, und der „Feind“ entpuppte sich als sehr freundlich und zuvorkommend. Es entstanden zwar keine Freundschaften, sieht man von manchen intellektuellen Kreisen ab, aber die wirtschaftlichen Beziehungen prosperierten. Dabei war natürlich immer klar, wer der Besatzer und wer der Besetzte war. Trotzdem würde ich diese Zeit – Anfang der 1970er Jahre – als eine Ausnahme in den Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern bezeichnen. Der Bruch kam mit der Renaissance der Religion in der israelischen Gesellschaft. Auch wenn in Jerusalem natürlich schon immer orthodoxe Juden lebten wie zum Beispiel die „Neturei Karta“ (die „Wächter der Stadt“), die auch heute in „Mea Shearim“ (dem Bezirk der „Hundert Tore“) wohnen, so betrachteten wir sie als Fremde, weil sie mit dem säkularen Staat, wie wir ihn gewohnt waren, nichts zu tun haben wollten. Man lebte nicht in denselben Wohnvierteln, man lud sich nicht gegenseitig ein, so dass keine Freundschaften entstanden. Die Kinder besuchten nicht dieselben Schulen, und man sprach noch nicht einmal dieselbe Sprache – wir Hebräisch und sie Jiddisch. Inzwischen wohnen die Frommen auch in den einstigen „Hochburgen“ der säkularen Juden – wie eben in Rahavia und Talbiyeh. Die Männer in ihren schwarzen Anzügen und Hüten sowie die Frauen mit ihren Perücken und langen Kleidern sprechen mittlerweile Hebräisch 405

oder Englisch miteinander (da ein großer Teil aus den USA eingewandert ist), und sogar die nicht orthodoxen Männer tragen heute eine Kippa. Auch in das Haus meiner Eltern sind religiöse Familien eingezogen, darunter Menschen aus Großbritannien und den USA, die ihre Staatsbürgerschaft nicht aufgegeben haben. Formal gesehen, sind sie also Fremde, fühlen sich aber wie selbstverständlich hier zu Hause. Dass diese Sicherheit von den arabischen Bewohnern der Stadt mit einer gewissen Bitterkeit gesehen wird, lässt sich leicht denken. Denn ihr Leben sowie in den Städten und Dörfern der Westbank ist durch die jüdischen Siedlungen schwer erträglich geworden. Nach 1967 kam der Wunsch auf, die heiligen Stätten, die in der Bibel erwähnt sind und bis dahin ein unerreichbares Ziel waren, nicht nur zu besuchen, sondern auch in Besitz zu nehmen. Sie liegen vorwiegend in Ost-Jerusalem und in der Westbank – Hebron, Nablus, Beth El und Bethlehem – die Siedler diktieren die Politik. Unter den Augen der sogenannten Weltgemeinschaft wurde immer mehr palästinensischer Boden konfisziert und den Siedlern übereignet142. Auch versuchte der Staat, durch preisgünstige Darlehen Israelis dazu zu bewegen, in die Westbank zu ziehen. Die Macht hat die Israelis für das Schicksal der Palästinenser blind gemacht. Dass dies nicht ohne Konsequenzen geblieben ist, kann man nachvollziehen: Die Palästinenser griffen zur Gewalt, weil sie gegenüber den mächtigen Israelis keinen anderen Weg sahen, um sich zu                                                              142

Nach der ottomanischen Bodenreform Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Landbesitzer und -pächter auf die Registrierung aus Gründen der Steuerumgehung verzichtet. In der Konsequenz können Palästinenser häufig nur auf Papiere zurückgreifen, die aber von den israelischen Behörden nicht anerkannt werden. 406

wehren. Dennoch haben die meisten Israelis die Selbstmordattentate genauso wie die Ausschreitungen auf „ihrem“ Tempelberg nicht als Resultat der eigenen Politik gesehen (wobei auch die jüdischen Untergrundorganisationen „Etzel“ und „Lechi“ in der Mandatszeit zu den gleichen Methoden griffen, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen) – als ob die Palästinenser mit einem genetischen Defekt geboren seien. Diese Überzeugung hat zu den „Sicherheitsmaßnahmen“ geführt – „Checkpoints“ wurden gebaut, die Trennungsmauer errichtet (die Pläne dafür lagen schon seit den 1990er Jahren unter Yitzhak Rabin in den Schubläden), wodurch die Palästinenser noch mehr schikaniert wurden. Für mich, die ich nicht religiös bin, ist nicht nachvollziehbar, dass man wegen der spirituellen Heiligkeit der Stadt Jerusalem sowie „Judäas und Samaria“ dem anderen Volk die politischen Rechte vorenthält. An dieser Stelle möchte ich Shulamit Aloni zitieren, die Begründerin der Bürgerrechtsbewegung und später Vorsitzende des linksliberalen „Meretz“-Bündnisses, in einem Interview mit dem arabischen KnessetAbgeordneten Azmi Bishara: „Das Alte Testament ist ein wunderbares Buch, und ich persönlich bekenne mich beispielsweise zum Halleluja, das ich sehr liebe. Ich habe nur ein Problem damit: Wenn ich über das griechische Ethos spreche, sagt mir niemand, dass ich danach an Zeus glauben muss, und wenn ich über das Erbarmen im Christentum rede, sagt niemand, dass ich verpflichtet bin, daran zu glauben, dass Jesus der Sohn Gottes ist.“

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Das „vereinigte Jerusalem“ Wenn ich Israel und Palästina besuche, bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig die jüdischen Israelis „ihre“ vereinigte Stadt kennen. Man geht zwar in die Altstadt, um billiger einzukaufen, oder man isst in einem arabischen Restaurant. Aber nach 50 Jahren des „vereinigten Jerusalem“ wissen die Israelis nichts über ihre Nachbarn in derselben Stadt. Nur in der Straßenbahn kann man gleichermaßen auf Juden und Palästinenser treffen. Mittlerweile ist die Bahn für manche Palästinenser ein Symbol der Besatzung, an der sie ihre Wut auslassen. Die Orthodoxen bewegen sich, als ob auch der Ostteil der Stadt ihnen gehöre. Das ist besonders auffällig an den jüdischen Feiertagen, wenn die Altstadt für die Palästinenser gesperrt ist und die Orthodoxen demonstrativ durch die Altstadt zur Klagemauer ziehen. Jerusalem, eine Stadt von ca. 900.000 Einwohnern, ist heute geteilter denn je. In Ost-Jerusalem leben rund 75 Prozent der Palästinenser unter der Armutsgrenze, bei den Kindern sind es sogar fast 84 Prozent. Nur 9 Prozent des kommunalen Haushalts kommen einer Bevölkerung von 37 Prozent zugute, was sich natürlich auf die Infrastruktur auswirkt. Von den 600.000 jüdischen Israelis in Jerusalem leben 200.000 im Osten der Stadt. Auf 10 Palästinenser kommen 7 jüdische Siedler.

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Die Bebauung von elf neuen jüdischen Viertel begann 1967, so French Hill, Gilo, Ramot, Neve Ya‘acov und Pisgat Ze‘ev. 28 palästinensische Dörfer wurden eingemeindet. Die Bebauung in der Altstadt begann Ende der 1980er Jahre. Hinter diesem Vorgehen stehen radikale Siedler. Es wurden Siedlungspunkte in den palästinensischen Vierteln gebaut, Parks und Straßen angelegt, archäologische Ausgrabungen vorgenommen. Jerusalem ist heute zehn Mal so groß wie damals unter jordanischer Herrschaft. Gleichzeitig wurden im Jahr 2016 nicht weniger als 200 palästinensische Häuser zerstört. Netanjahu hat den Siedlern versichert, dass keine einzige Siedlung geräumt wird. Die Regierung will am Status quo in Ost-Jerusalem und in der Westbank festhalten.

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Besonders betroffen sind die Bewohner von Sheikh Djarrach – ein besonders schöner Teil in Ost-Jerusalem. Dort werden seit 2009 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben, um Platz für Siedler zu schaffen mit der Begründung, dass dort in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts Juden gelebt haben. Hier wird nicht mehr von 1967, sondern von 1948 gesprochen. Jede Woche finden Demonstrationen von Israelis und Palästinensern statt. Für ihre Grundstücke in West-Jerusalem wie in Talbiyeh, im ehemals „vornehme(n) Baqa“ (Shlomo Rülf) oder im früheren „griechische(n) Katamon“ (Shlomo Rülf) werden die Palästinenser nicht entschädigt. In Silwan, das angeblich die Stadt Davids war und von wo die Juden der Stadt gewöhnlich Steine für ihre Gräber brachen, werden seit 2001 immer wieder Häuser zerstört oder von Siedlern über Strohmänner der „Ateret Cohanim“ erworben. Petitionen beim Obersten Gerichtshof lassen in der Entscheidung auf sich warten oder werden abgewiesen. Im späten 19. Jahrhundert wurden jemenitische Juden in Silwan angesiedelt und von den ottomanischen Gerichten bestätigt. Infolge der Unruhen von 1929 und 1936 verließen die Juden ihre Wohnungen. Die Ausgaben für die Sicherheit der dort lebenden Siedlerfamilien kosten den Steuerzahler pro Jahr mehrere Millionen Schekel. Es ist ein Versuch, den palästinensischen Ort zu judaisieren, wobei sich der Jüdische Nationalfonds (KKL) in einen Fonds für Siedler verwandelt, hat die Sprecherin von „Frieden Jetzt“ Hagit Ofran unterstrichen. Auch die Bebauung in Giv‘at Hamatos zielt darauf ab, das benachbarte Beit Zafafa von den restlichen palästinensischen Wohnvierteln zu trennen. Zusammen mit Gilo und Har Homa bedeutet dies zudem, dass es von Bethlehem keinen Zugang mehr nach Ost-Jerusalem geben wird.

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  Quelle: „Ir Amim“. Mit ihrer Politik sorgt die israelische Regierung dafür, dass die Stadt nie wieder geteilt werden kann. Die Clinton-Parameter vom Dezember 2000, wonach die Gebiete, die mehrheitlich jüdisch seien, Israel, und die mehrheitlich palästinensisch seien, Palästina zugeschrieben werden sollten, haben sich erledigt. Die Siedler kontrollieren alle wichtigen Plätze, und bis heute wurden 30 Prozent der Fläche rund um die Altstadt konfisziert. Dahinter steht ein Plan: einen Kreis um die Altstadt zu schaffen und damit alle Zugänge zur Altstadt in den Händen der 413

Stadtverwaltung zu belassen, die mehrheitlich rechts steht. Mittels OstJerusalem und der Westbank versucht Israel zu verhindern, dass ein zusammenhängendes Gebiet für den Staat Palästina entstehen kann.

Absurditäten Wie in der Westbank trennt auch in Jerusalem die Sperranlagen in einer Länge von gegenwärtig 202 Kilometern acht palästinensische Viertel voneinander, so dass rund ein Viertel der palästinensischen Bevölkerung heute außerhalb der „Trennungsmauern“ lebt. Die Bewohner müssen „Checkpoints“ überwinden, wenn sie zum Beispiel ins Krankenhaus oder in ihre eigenen Geschäfte wollen. Unter den Ausgeschlossenen sind auch Menschen, die wegen der hohen Grundstückpreise dem Zentrum der Stadt den Rücken kehren mussten. Zu den Aufenthaltsgesetzen einige Absurditäten: Palästinenser in der Westbank, die nach Jerusalem einreisen, um mit ihrem Partner zusammenzuleben, gelten als „Sicherheitsrisiko“, während etwa jüdische Staatsbürger, die mit ihrem palästinensischen Partner in der Westbank zusammenleben möchten, dort illegal wohnen, da ihnen formell die Einreise in die Westbank untersagt ist. Palästinensischen Israelis wird die Wiedereinreise nach Israel erschwert. Kinder, die in der Westbank angemeldet sind, können dies nicht in Jerusalem tun. Diese Paradoxien beruhen darauf, dass Israel den palästinensischen Bevölkerungszuwachs in der Stadt verhindern will. Alle Menschen, die bei der Volkszählung in den Gebieten, die zu Jerusalem gehören, nicht anwesend waren oder sich einige Jahre im Ausland aufgehalten haben, verlieren ihre Jerusalemer Wohnberechtigung. Die Palästinenser in Ost-Jerusalem haben den Status von „permanent residents“, werden also wie Fremde behandelt, obwohl sie in Jerusalem geboren sind und alle

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Pflichten wie die jüdischen Jerusalemer haben: Sie zahlen kommunale Steuern, kommen aber nicht in den Genuss der Rechte. Die Mehrheit der Israelis weiß nicht, oder will es nicht wissen, was in ihrem Namen geschieht. Die Sperranlagen sorgen dafür, dass sie nicht sehen, was hinter ihnen passiert. Andere meinen sogar, dass diese Politik richtig ist. Die israelischen Behörden verweigern ihnen die Einreise in die palästinensischen Gebiete, damit keine Zweifel aufkommen, ob das Handeln der Soldaten und der Siedler tatsächlich etwas mit „Sicherheit“ zu tun hat. Durch das Verbot werden Kontakte zur anderen Seite verhindert. Wenn ich zu meiner Tochter nach Tel Aviv fahre, habe ich den Eindruck auf einen anderen Planeten zu sein. Obwohl die Entfernung zwischen Jerusalem und Tel Aviv nur 58 km beträgt, sind Welten zwischen beiden Städten. Auch in Tel Aviv trifft man zwar immer mehr auf orthodoxe Juden, aber noch überwiegt die säkulare Gesellschaft. Der Konflikt scheint hier weit weg zu sein, wobei der letzte Krieg in Gaza im Sommer 2014 mit dem Raketenbeschuss und die Attentate auch Tel Aviv eingeholt haben.

Die Parabel vom „Esel des Messias" Während die Mehrheit der Israelis politisch im Dunkeln tappt und nicht wissen will, wohin ihr Staat steuert, sitzen die Siedler fest im Sattel. Sie beherrschen nicht nur die Westbank und Ost-Jerusalem, sondern sie haben die staatlichen Einrichtungen erfolgreich unterwandert. Während sie ihre Agenda mit Unterstützung der Bürokratie, der Knesset und des Militärs („Zahal“ = „Zva Hagana Le-Israel“) durchdrücken, dienen ihnen die säkularen Israelis gemäß einer talmudischen Parabel

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als „Esel des Messias“: Indem diese schweigen, verhelfen sie den nationalistischen und religiösen Extremisten zum Erfolg. Wir erleben, wie unter Netanjahus Regierung der Ruf nach einer jüdischen und nicht länger nach einer israelischen Identität immer stärker wird. Der Holocaust und das Judentum sind zu nationalen Hauptsymbolen für einen großen Teil der jüdischen Gesellschaft geworden. Auch die sozialen Spannungen haben sich verschärft und gerade Jerusalem, das immer religiöser und ärmer wird, ist für junge Menschen nicht mehr attraktiv; wie wir wissen, ziehen viele von ihnen nach Berlin. Linke Israelis werden politisch und sogar physisch bekämpft: Sie sehen sich mit Hassausbrüchen, Beschimpfungen und mit Parolen wie „Tod den Linken“ konfrontiert. Mit dem Transparenzgesetz von 2016 begann eine massive Kampagne gegen Friedensaktivisten und Menschenrechtsorganisationen. Im Vorfeld ließ die Bundesregierung wissen, dass sie das Gesetz „mit großer Aufmerksamkeit“ verfolge 143 . Die Legalisierung der „Außenposten“ im Februar 2017 ließ, wie das Auswärtigen Amt betonte, „(v)iele in Deutschland, die in tiefer Verbundenheit an der Seite Israels stehen, … enttäuscht zurück“144. Der Forderung Netanjahus an Machmud Abbas, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen, kann dieser nicht nachkommen, weil das bedeuten würde, dass 20 Prozent der israelischen Bevölkerung nicht zu diesem Staat gehören. In den Friedensverhandlungen mit Ägypten 1979 und Jordanien 1995 wurde diese Forderung nach dem „jüdischen Staat" nicht gestellt.                                                              143

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Auswärtiges Amt 26.04.2010: Schriftliche Fragen für den Monat April 2010. (Antwort auf die) Frage Nr. 4/124, 125 an die Abgeordnete Petra Pau. Bundesregierung zum in der Knesset verabschiedeten Gesetz über die Legalisierung von Außenposten, 07.02.2017. 416

Im Laufe meiner Gespräche habe ich von Palästinensern immer wieder das Wort „Sumud“ gehört – standhaft bleiben, durchhalten. Trotz der Okkupation mit ihren Spuren im täglichen Leben scheint die palästinensische Gesellschaft stark und den Israelis moralisch weit überlegen zu sein. Auch merkt sie, dass die Sympathien in vielen Teilen der westlichen Welt ihr gehören. Und vielleicht ist es die Überzeugung, dass sie nach den Kreuzrittern, den Osmanen und den Briten eines Tages auch die Israelis überleben werden. Ein trauriger Gedanke, der mittlerweile von vielen Israelis geteilt wird: „Uns wird es bald nicht mehr geben.“ Mit ihrer Unterstützung der israelischen Politik tragen die Europäer und Amerikaner zu dieser Entwicklung bei.

Zurück nach Jerusalem Jerusalem ist das Herzstück des Konflikts, und das Herzstück von Jerusalem ist der Tempelberg. Die Provokationen auf dem Tempelberg, wonach es Juden gestattet sei, dort zu beten, ist vor allem für junge Palästinenser ein Angriff auf die islamische und nationale Identität. Nachdem ihnen ihr Land genommen wurde, ist der „Haram Ash-Sharif", das Erhabene Heiligtum, die letzte Bastion, für die sie kämpfen. Angesichts ihrer desolaten Lage und Perspektivlosigkeit sind sie sogar bereit, dafür zu sterben. Der jüdisch-muslemische Konflikt um den Tempelberg zeigt, dass er sich nicht mehr um einen territorialen, sondern um einen Religionskrieg zu handeln droht. Deshalb wird die Gewalt weitergehen, auch wenn die Welt mit anderen Problemen beschäftigt ist. Die israelischen Politiker wussten schon immer um die Gefahr des politischen Messianismus, die vom Tempelberg ausgeht. Moshe Dayan, der den Satz geprägt hat: Wozu brauche ich diesen Datikan („Dat“ ist das hebräische Wort für Religion) übergab deshalb nach dem Sechs417

Tage-Krieg die Kontrolle über den „Haram Ash-Sharif", mithin über die Al-Aqsa-Moschee und dem Felsendom, an den „Waqf", die islamische Stiftung. Inzwischen befürworten 75 Prozent, orthodoxe und nationalistische Juden den Zutritt zum Tempelberg, auch wenn Politiker und Rabbiner davon warnen, dass dies zum Aufschrei der gesamten muslimischen Welt führen könnte. Das für Beirut von einem Kollegen Thomas L. Friedmans übermittelte Urteil, die Stadt kenne keine Wahrheit, sondern nur Versionen der Wahrheit, trifft auch auf Jerusalem zu. Die „Heiligkeit" der Stadt trägt zum jüdischen Fundamentalismus bei. Genau wie die jungen jüdischen Terroristen in der Westbank lehnen die Radikalen das moderne Leben und den westlichen Humanismus ab. Sie möchten zurück zum vermeintlichen Ursprung und stellen die Religion im Mittelpunkt ihres Lebens. Wenn sie Kirchen und Moscheen anzünden, wie zuletzt die Kirche von Beit Jamal bei Jerusalem, berufen sie sich auf die Bibel. Die Moral wird durch „das Wort Gottes" ersetzt. Man könnte also von einem jüdischen IS sprechen. Ende Februar 2018 schlossen die Griechisch-Orthodoxe, die Römische und die Armenisch-Apostolische Kirchen vorübergehend die Grabeskirche aus Protest gegen die israelische Politik eines „diskriminierenden und rassistischen Gesetzes, das sich ausschließlich gegen das Eigentum der christlichen Gemeinschaft in der Heiligen Stadt richtet“ (Jonathan Lis).

Die Zwei-Staaten-Lösung war gestern Wegen der vollendeten Tatsachen ist die Zwei-Staaten-Lösung mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt des palästinensischen Staates, die als einzige Option für die internationale Diplomatie bisher in Betracht gezogen wird, obsolet geworden. Israel hat sie im wahrsten Sinne des Wortes verbaut. Die Ein-Staat-Lösung, die von vielen auch in Europa 418

favorisiert wird, kann ich mir angesichts des Hasses und des Mistrauens auf beiden Seiten nicht vorstellen. Es gibt ja schon einen Staat, aber eben einen Apartheid-Staat. Andererseits gibt es Juden auch unter den Siedlern, für die das Land wichtiger ist als der Staat und die bereit wären, in einem Staat Palästina als Minderheit zu leben. Wenn es überhaupt noch eine „Lösung" geben sollte, dann müsste sie von außen angestoßen werden, doch hierfür kann ich keine Bereitschaft unter unseren Politikern erkennen. Nur wenn die Besatzung beendet wird und die Palästinenser die gleichen Rechte erhalten, wird es zu einem friedlichen Ausgleich zwischen beiden Völkern kommen. So verwunderlich es sich anhören mag: Israelis und Palästinenser sind aufgrund der gemeinsamen Geographie natürliche Verbündete. Deshalb ist es auch für uns in Europa wichtig, die Friedensgruppen auf beiden Seiten in ihren Bemühungen zu unterstützen, einen Ausgleich auf Augenhöhe zu fördern. Insofern war die Absage seitens der Evangelischen Akademie Tutzing im Mai 2017 friedenspolitisch eine Katastrophe. Denn zu den Friedensgruppen, die ich vorgeschlagen hatte, gehören die letzten Palästinenser und Israelis, die zur Zusammenarbeit noch bereit sind und die nach Alternativen zur jetzigen israelischen Politik suchen – wie konnte man sie ausladen?

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  Quelle: „Ir Amim“. Der Bau der Verbindungsstraße zwischen Jerusalem und dem Toten Meer, die E-1, war während der Regierung Barack Obamas tabu. Jetzt droht er Realität zu werden. Geplant sind 3.700 Wohneinheiten und 2.100 Hotelzimmer. Das bedeutet die Vertreibung von Beduinen, die Teilung der Westbank in Nord und Süd und die Trennung von Ost-Jerusalem von der Westbank. In der Westbank leben 64 Beduinengemeinschaften. Anfang Juli 2018 protestierte die Bundesregierung gegen den drohenden Abriss einer Beduinensiedlung im C-Gebiet der Westbank.

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Quelle: „Ir Amim“.  

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Immerhin soll der Vorstoß Donald Trumps, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Sämtliche amerikanische Präsidenten versprachen dies während ihres Wahlkampfs, schreckten aber wegen des Aufstands in der moslemischen Welt von der Idee zurück. Sollte Trump tatsächlich die Botschaft nach Jerusalem verlegen, wäre das ein weiterer Affront gegen die muslemische und freie Welt. Eine Lösung für Jerusalem setzt voraus, die religiösen, politischen und städtischen Komponenten des Konflikts zu berücksichtigen. Die Realität sieht allerdings so aus: Enklaven, Bantustans oder, mit Netanjahu zu sprechen, ein Mini-Palästina.

   

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Was für uns zu tun ist Ich glaube, dass wir uns um Aufklärung über das Leben der Palästinenser bemühen müssen, deshalb halte ich diesen Vortrag. Ich stelle immer wieder fest, wie wenig unsere Politiker und zum Teil auch die Medien die Lage vor Ort kennen. Diese Unkenntnis zeigt auch der Antrag der Fraktionen von SPD und CSU im Münchner Stadtrat. Statt den Antisemitismus zu bekämpfen, wird er durch Verbote noch gefördert. Wir brauchen keine Vergleiche mit Nazi-Deutschland, denn die Situation vor Ort ist schlimm genug. Wer den Holocaust politisch instrumentalisiert, bringt den Frieden nicht näher. Man kann das Unrecht an den Juden nicht mit einem Unrecht an den Palästinensern „wiedergutmachen“. Lassen wir den Holocaust also dort, wo er hingehört – nach Deutschland und Europa – und den israelisch-palästinensischen Konflikt im Nahen Osten. Gerade angesichts der Turbulenzen in der Region ist es für die Europäer und die arabische Welt an der Zeit, sich von der gegenwärtigen Politik der Vereinigten Staaten unter einem unberechenbaren und gefährlichen Nationalisten wie Trump zu distanzieren und endlich zu einer Politik zu finden, die allen Menschen in der Region gerecht wird. Nur so können die großen Herausforderungen überwunden werden. Mit dem Treffen israelischer Menschrechtsaktivisten hat Außenminister Sigmar Gabriel im April 2017 ein Zeichen gesetzt. Diesen Weg sollte die Politik weitergehen. Nachdem sich Ayelet Shaked dahingehend geäußert hatte, dass der Zionismus im Widerspruch zu individuellen Rechten stehe, fragte er, wann unsere Politik in Alternativen zu denken beginnt. „Annexion bedeutet die Vernichtung Israels als jüdischen Staat, die Vernichtung des gesamten jüdischen Volkes, den Zusammenbruch der sozialen Struktur und die Zerstörung der Menschen – des jüdischen 423

und des arabischen gleichermaßen. All dies geschieht auch, wenn die Araber nicht die Mehrheit im Land bilden". Vielleicht sollten wir uns an diese Sätze des Religionsphilosophen Yeshayahu Leibowitz erinnern, den er gleich nach dem 6-Tage-Krieg geschrieben hat.

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Fünf Thesen zum Nahostkonflikt Ein Diskussionsbeitrag ehemaliger deutscher Botschafter (Herbst 2009)145 1) Der Konflikt berührt wesentliche europäische und damit deutsche Interessen, die mit dem gegenwärtigen Stillstand der Bemühungen um einen Frieden in Nahen Osten nicht vereinbar sind: Der Nahostkonflikt ist ein Nährboden für extremistische Bewegungen, welche die öffentliche Sicherheit nicht nur in der Region selbst, sondern auch in Europa und in anderen Teilen der Welt ernsthaft gefährden. Die Radikalisierung in Israel und in den palästinensischen Gebieten schwächt die gemäßigten politischen Kräfte in der Region, die von größter langfristiger Bedeutung für die Befriedung des Nahen Ostens sind. Der Konflikt ist ein Kristallisationspunkt, an dem sich Kritik und Hass gegenüber dem Westen immer wieder entzünden. Die negative Wahrnehmung der bisherigen europäischen und amerikanischen Nahostpolitik, die in der Region vorherrscht, wird nur durch einen fairen Ausgleich legitimer israelischer und palästinensischer Interessen abgebaut werden können. Deutschland hat sich zum Schutz der Sicherheit Israels als geschichtlichem Vermächtnis verpflichtet. Eine wirkliche Sicherheit kann jedoch                                                              145

Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete mit der Überschrift „Ex-Botschafter für mehr Druck auf Israel“ am 08.12.2009, S. 5, darüber und übernahm den Text in ihr Internetportal. 425

nur auf politischem Wege hergestellt werden, nicht durch Besetzung und Besiedlung oder das Vertrauen auf militärische Überlegenheit, sondern durch einen Rückzug aus den besetzten Gebieten und eine darauf folgende palästinensische Staatlichkeit. Israel wird nicht darauf hoffen können, sowohl den Frieden zu gewinnen als auch die palästinensischen Territorien zu behalten. Und schließlich gehört die Stärkung des Völkerrechts, der Internationalen Gerichtsbarkeit und der Vereinten Nationen zum Kernbestand deutscher Außenpolitik. Den Genfer Konventionen kommt im Nahostkonflikt besondere Bedeutung zu. Ihrer Verletzung durch beide Seiten muss entgegengewirkt werden, ebenso wie der Missachtung der Vereinten Nationen. 2) Es erscheint unerlässlich, im Rahmen der europäischen Nahostpolitik und in enger Abstimmung mit den USA über Maßnahmen nachzudenken, die den Forderungen an die Konfliktparteien auf Beendigung der Auseinandersetzung den notwendigen Nachdruck verleihen. Die deutschen und europäischen Erklärungen zum Nahostkonflikt sind von beiden Seiten weitgehend ignoriert worden. Ein wesentlicher Grund für ihre Wirkungslosigkeit liegt in dem Verzicht, den Konfliktpartnern eine entschlossenere Gangart bei der Verwirklichung der Zweistaatenlösung zu signalisieren. So könnte zum Beispiel die Aufrechterhaltung bestimmter Vergünstigungen oder von Transferleistungen an die eine oder andere Seite, aber auch eine stärkere Annäherung an die Europäische Union von konkreten Fortschritten bei der Konfliktbereinigung abhängig gemacht werden. Dieser Grundsatz sollte natürlich auch für die unausweichliche Einbindung der Hamas in den politischen Prozess und für die unerlässliche dauerhafte Öffnung der Grenzübergänge zum Gazastreifen gelten. 426

Deutschland wird diese Maßnahmen nicht initiieren, sollte sich ihnen aber auch nicht widersetzen. Wir meinen, dass eine Nahostpolitik ohne Nachdruck den Gestaltungsspielraum einengt, der erforderlich ist, um Hindernisse für den Frieden – allen voran die Siedlungspolitik – wirkungsvoll abbauen zu können. 3) Die detaillierte Ausformulierung eines umfassenden Friedensabkommens liegt auf dem Tisch. Die „Genfer Initiative“ wurde 2003 von namhaften Israelis und Palästinensern ausgehandelt. Der Vertragsentwurf enthält realistische Kompromissformeln zu allen wesentlichen Fragen des Konflikts: Errichtung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 (minus gegenseitig vereinbarten Landtauschs, der die Einbeziehung der großen grenznahen Siedlungsblöcke in den israelischen Staat gegen entsprechende territoriale Kompensation an anderer Stelle ermöglicht); Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten mit territorial getrennter Souveränität; eine realistische Regelung der Flüchtlingsfrage, die israelische Sicherheitsbedürfnisse ebenso berücksichtigt wie die notwendige Entschädigung der Flüchtlinge; Palästina als entmilitarisierter Staat; Stationierung einer multinationalen Truppe auf palästinensischem Gebiet während des Rückzugs der israelischen Besatzungstruppen sowie Einrichtung einer internationalen Implementierungs- und Verifikationsgruppe zur Überwachung der Vereinbarungen. Zusammen mit dem Angebot aller 22 Staaten der Arabischen Liga zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel unter der Bedingung eines Rückzugs aus den besetzten Gebieten („Arabische Friedensinitiative“ 2002) bestehen hiermit neben den bestehenden Vereinbarungen weitere Grundlagen für die Verhandlungen über eine gesicherte Zukunft von Israelis und Palästinensern durch Ausgleich ihrer legitimen Interessen. Die EU sollte die

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„Genfer Initiative“ und die „Arabische Friedensinitiative“ in ihre zukünftige Nahostpolitik einbeziehen. 4) Das entschlossenere Eintreten für die Zweistaatenlösung wird nicht verkennen, dass ein Rückzug aus den besetzten Gebieten eine schwere Belastungsprobe für Politik und Gesellschaft in Israel bedeutet. Die Gründe hierfür liegen in der Furcht vor innenpolitischen Auseinandersetzungen und in der Sorge um die nationale Sicherheit. Angesichts von Israels hochgerüsteter, nuklearbewehrter Militärmacht, der amerikanischen Garantien, der europäischen Solidarität sowie der grundsätzlichen Bereitschaft der arabischen Staaten zu einem Friedensvertrag mit Israel kann von einer Existenzbedrohung Israels durch einen Staat der Palästinenser nicht mehr ernsthaft gesprochen werden. Das Gegenteil ist der Fall: Eine Fortsetzung des Konflikts steht der Stabilisierung der ganzen Region entgegen und birgt unvorhersehbare Risiken. 5) Deutschland wird mit einer Nahostpolitik, die – ohne die deutsch-jüdische Vergangenheit zu vergessen – sich an den dringenden Erfordernissen der Zukunft orientiert, nicht nur in der eigenen, sondern auch in Teilen der israelischen Öffentlichkeit Verständnis und Unterstützung finden. Die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung bewegt viele Deutsche. Wir möchten mit diesen Überlegungen einen Beitrag zu der öffentlichen Diskussion leisten, zumal auch die neue Bundesregierung vor der Herausforderung stehen wird, dazu beizutragen, das Gewicht der Europäischen Union in einen erneuten Anlauf zu einer Bereinigung des nunmehr bereits sechzig Jahre dauernden Konflikts einzubringen.

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Wolfgang Erck; Dr. Gerhard Fulda; Dr. Helmut Frick; Ekkehard Hallensleben; Dr. Martin Hecker; Dr. Jürgen Hellner; Dr. Herbert Hoffmann-Loss; Dr. Peter Christian Hauswedell, Mdg.a.D.; Dr. Wilhelm Hofmann; Dr. Michael Libal; Rüdiger Lemp; Kurt Leonberger; Dr. Gunter Mulack; Dr. Gerhard Müller-Chorus; Juergen Oestreich; Dr. Helmut Rau; Dr. Martin Schneller; Ulrich Schöning; Rolf Schumacher; Dr. HansLothar Steppan; Helmuth Schroeder; Dr. Klaus Terfloth; Dr. Hans Georg Wieck; Dr. Bernd Wulffen.

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„Gegen Antisemitismus, für Kritik an der Politik des Staates Israel“ Im Vorfeld einer von der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft organisierten Konferenz „Europa jenseits von Antisemitismus und Antizionismus“ am 21. November 2018 in Wien haben 34 jüdische, vorwiegend israelische Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler gegen die Instrumentalisierung des Kampfes gegen den Antisemitismus zur Rechtfertigung der israelischen Besatzungspolitik Stellung bezogen und sich dagegen verwahrt, „Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus zu vermischen“. Ihr Appell hatte folgenden Wortlaut: Zu Europa sagen wir: Vermischt Kritik an Israel nicht mit Antisemitismus 20. November 2018 Wir unterstützen voll und ganz den kompromisslosen Kampf der EU gegen Antisemitismus. Das Erstarken des Antisemitismus erfüllt uns mit Sorge. Aus der Geschichte wissen wir, dass es oft Vorbote von Katastrophen für die gesamte Menschheit war. Das Erstarken des Antisemitismus ist eine reelle Gefahr und sollte der gegenwärtigen europäischen Politik ernsthaft zu denken geben. Die EU steht aber auch für Menschenrechte ein und muss diese genauso energisch schützen wie sie den Antisemitismus bekämpft. Die Bekämpfung des Antisemitismus sollte nicht dafür instrumentalisiert werden, legitime Kritik an der israelischen Besatzung und an schweren Verletzungen palästinensischer Menschenrechte zu unterdrücken.

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Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hätte auf der Konferenz in Österreich sprechen sollen, bis er seine Reise absagte, um seine Regierung zu stabilisieren. Er hat hart daran gearbeitet, Kritik am israelischen Staat mit Antisemitismus zu einem zu vermischen. Zu unserer tiefen Besorgnis sehen wir diese Vermischung auch in der offiziellen Ankündigung der Konferenz durch die österreichische Regierung. Dort heißt es: „Antisemitismus findet seinen Ausdruck sehr oft in übertriebener und unverhältnismäßiger Kritik am Staat Israel.“ Diese Worte geben die Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) wieder. Mehrere Beispiele für zeitgenössischen Antisemitismus, die sich der Definition anschließen, beziehen sich auf harsche Kritik an Israel. Im Ergebnis kann die Definition gefährlich instrumentalisiert werden, um Israel Immunität gegen Kritik an schwerwiegenden und verbreiteten Menschen- und Völkerrechtsverletzungen zu verschaffen – Kritik, die für legitim erachtet wird, wenn sie sich gegen andere Länder richtet. Das schreckt jedwede Kritik an Israel ab. Die Ankündigung setzt außerdem Antizionismus mit Antisemitismus gleich. Wie allen modernen jüdischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts widersetzten sich jedoch auch dem Zionismus viele Jüdinnen und Juden heftig, ebenso wie nicht-Juden, die nicht antisemitisch waren. Zahlreiche Opfer des Holocaust waren gegen den Zionismus. Es ist unsinnig und unangemessen, Antizionismus automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass der Staat Israel seit über 50 Jahren eine Besatzungsmacht ist. Millionen von Palästinenserinnen und Palästinensern unter Besatzung entbehren ihrer Grundrechte, Freiheit und Würde. Gerade in Zeiten, in denen die israelische Besatzung sich in Annexion verwandelt, ist es notwendiger denn je, dass Europa alle 431

Versuche entschieden ablehnt, die freie Meinungsäußerung anzugreifen oder Kritik an Israel durch die falsche Gleichsetzung mit Antisemitismus zum Schweigen zu bringen. Europa muss dies auch für die eigene Glaubwürdigkeit und die Wirksamkeit ihrer Bekämpfung des Antisemitismus tun. Die Ausweitung dieses Kampfes zum Schutz des israelischen Staates vor Kritik trägt zu der Fehlwahrnehmung bei, dass Jüdinnen und Juden mit Israel gleichzusetzen seien und deshalb verantwortlich für die Handlungen dieses Staates wären. Als israelische Gelehrte, deren Mehrheit jüdische Geschichte erforscht und lehrt, sagen wir zu Europa: Bekämpft den Antisemitismus unnachgiebig, um jüdisches Leben in Europa zu schützen, und ermöglicht, dass es zur Blüte gelangt. Erhaltet dabei die klare Unterscheidung zwischen Kritik am Staat Israel, so harsch sie auch sein möge, und Antisemitismus aufrecht. Vermischt nicht Antizionismus mit Antisemitismus. Und schützt die Rede- und Meinungsfreiheit derjenigen, die die israelische Besatzung ablehnen und darauf bestehen, dass sie endet. Professor Gadi Algazi, Abteilung für Geschichte, Universität Tel Aviv. Dr. Yael Berda, Abteilung für Soziologie und Anthropologie, Hebräische Universität Jerusalem. Professor Jose Brunner (emeritus), Cohn Institut für Wissenschaftsphilosophie und Ideengeschichte, und Buchmann Fakultät für Recht, Universität Tel Aviv. Ehemaliger Direktor des Minerva Instituts für deutsche Geschichte, Gründungsmitglied und akademischer Supervisor der ersten Rechtshilfeklinik für Holocaust-Überlebende, Universität Tel Aviv.

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Professor Alon Confino, Pen Tishkach Professur für HolocaustStudien, University of Massachusetts Amherst. Professor Arie M. Dubnov, Max Ticktin Lehrstuhl für Israel-Studien, Abteilung für Geschichte, George Washington University. Professorin Rachel Elior, John und Golda Cohen Professur für jüdische Philosophie und jüdische Mystik, Hebräische Universität Jerusalem. Professor David Enoch, Rodney Blackman Lehrstuhl für Rechtsphilosophie an der Fakultät für Recht, Abteilung für Philosophie, Hebräische Universität Jerusalem. Dr. Yuval Eylon, Dozent für Philosophie, Abteilung für Geschichte, Philosophie und jüdische Studien, Offene Universität Israel. Professor Gideon Freudenthal (emeritus), Cohn Institut für Wissenschaftsphilosophie und Ideengeschichte, Universität Tel Aviv. Dr. Amos Goldberg, ehemaliger Lehrstuhlinhaber, Abteilung für jüdische Geschichte und zeitgenössisches Judentum, Hebräische Universität Jerusalem. Professor David Harel, Weizmann Institut für Wissenschaft; Vizepräsident der Israelischen Akademie der Wissenschaften; Träger des Israel-Preis (2004); EMET Preisträger (2010). Professor Hannan Hever, Abteilung für vergleichende Literaturwissenschaft und jüdische Studien, Yale University. Professorin Eva Illouz, Abteilung für Soziologie, Hebräische Universität Jerusalem; ehemalige Präsidentin Bezalel Academy of Art and Design, Jerusalem. Daniel Karavan, Bildhauer, Schöpfer des Denkmals für die Sinti und Roma Opfer des Nationalsozialismus, Berlin (2012) und der Straße

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der Menschenrechte am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (1989-93); Träger des Israel-Preis (1977). Professorin Hannah Kasher (emerita), Abteilung für jüdische Philosophie, Bar-Ilan Universität. Professor Michael Keren (emeritus), Abteilung für Wirtschaftswissenschaften, Hebräische Universität Jerusalem. Professor Yehoshua Kolodny (emeritus), Institut für Erdstudien, Hebräische Universität Jerusalem; Träger des Israel-Preis (2010). Miki Kratsman, ehemaliger Leiter der Abteilung Photographie an der Bezalel Academy of Arts and Design; EMET Preisträger (2011). Nitzan Lebovic, Professor, Apter Lehrstuhl für Holocaust-Studien und ethische Werte, Lehigh University. Alex Levac, Träger des Israel-Preis (2005). Dr. Anat Matar, Abteilung für Philosophie, Universität Tel Aviv. Professor Paul Mendes-Flohr (emeritus), Abteilung für jüdische Philosophie, Hebräische Universität Jerusalem. Professor Jacob Metzer (emeritus), ehemaliger Präsident der Offenen Universität Israel; Alexander Brody Professor) für Wirtschaftsgeschichte, Hebräische Universität Jerusalem. Michal Naaman, Künstlerin, Trägerin des Israel-Preis (2014). Professor Yehuda Judd Ne’eman (emeritus), Fakultät der Künste, Universität Tel Aviv; Träger des Israel-Preis (2009). Professorin Dalia Ofer (emerita), Max und Rita Haber Professur für zeitgenössisches Judentum und Holocaust-Studien, Avraham Harman Institut für zeitgenössisches Judentum, Hebräische Universität Jerusalem.

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Professor Ishay Rosen-Zvi, Leiter der Sektion für Talmud und Altertümer, Abteilung für Philosophie, Universität Tel Aviv. Professor David Shulman (emeritus), Abteilung für asiatische Studien, Hebräische Universität Jerusalem; EMET-Preisträger (2010); Träger des Israel-Preis (2016). Dr. Dmitry Shumsky, Abteilung für jüdische Geschichte und zeitgenössisches Judentum, ehemaliger Direktor des Bernard Cherrick Center für Studien des Zionismus, Yishuv und des Staates Israel, Hebräische Universität Jerusalem. Professor Zeev Sternhell (emeritus), Abteilung für politische Wissenschaft, Hebräische Universität Jerusalem; Träger des Israel-Preis (2008). Professor David Tartakover, Träger des Israel-Preis (2002). Professorin Idith Zertal, Hebräische Universität Jerusalem; Zentrum für Jüdische Studien Universität Basel; Autorin von „Nation und Tod. Der Holocaust in der israelischen Öffentlichkeit“. Professor Moshe Zimmerman (emeritus), ehemaliger Direktor des Koebner-Zentrums für deutsche Geschichte, Hebräische Universität Jerusalem. Professor Moshe Zuckermann (emeritus), Cohn Institut für Wissenschafts-philosophie und Ideengeschichte, Universität Tel Aviv.

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Liste von Friedensgruppen Adalah, Legal Center for Arab Minority Rights in Israel

www.adalah.org/eng

AIC, The Alternative Information Center

www.alternativenews.org

Anarchists against the Wall

www.awalls.org

Bisan Center for Research and Development

www.bisan.org

Breaking the Silence Israeli soldiers talk about the occupied territories

www.breakingthesilence.org.il

B‘tselem The Israeli Information Centre for Human Rights in the Occupied Territories

www.btselem.org/English

Coalition of Women for Peace

www.coalitionofwomen.org

Palestinian National Initiative

www.almubadara.org

Gush Shalom

www.gush-shalom.org

ICAHD, Israeli Committee Against House Demolitions

www.icahd.org

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Internationales Begegnungszentrum Bethlehem

www.annandwa.org/eng

Machsom Watch, Women against the Occupation and for Human Rights

www.machsomwatch.org/en

Miftah, the Palestinian Initiative for the Promotion of Global Dialogue & Democracy

www.miftah.org

Neve Shalom / Wahat As-Salam

www.nswas.org

New Profile, Movement for the Civilisation of the Israeli Society

www.newprofile.org

Palestinian Center for Human Rights

www.pchrgaza.org

Palestinian-Israeli Peace Groups

http://marg09.wordpress.com

PARC, Palestinian Agricultural Relief Committees

www.pal-arc.org

PCFF, Parents Circle – Families Forum

www.theparentscircle.org

PRIME, Peace Research Institute in the Middle East

www.vispo.com/PRIME

PHR, Physicians for Human Rights Israel

www.phr.org.il/phr

RHR, Rabbis for Human Rights

www.rhr.israel.net

Tarabut

http://www.tarabut.info

Ta‘ayush, Zusammenleben der Juden und Araber

www.taayush.org

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Voices from Inside

www.voicesfrominside.net

Women in Black

www.coalitionofwomen.org/ home/english

Zochrot, Erinnern

www.zochrot.org

Deutsche Gruppen: Arbeitskreis Nahost Berlin

www.aknahost.org

Genfer Initiative

www.genfer-initiative.de

Judith & Reiner Bernstein

www.jrbernstein.de

Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München

www.jpdg.de

Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost

www.juedische-stimme.de

Medico International

www.medico.de

Olivenöl

www.palolive.de

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