Der Russen-Boom: Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD 9783412218485, 9783412225162


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Der Russen-Boom: Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD
 9783412218485, 9783412225162

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Das östliche Europa : Kunst- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Robert Born, Michaela Marek und Ada Raev Band 3

Elena Korowin

DER RUSSEN-BOOM Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD

2015

Böhlau Verlag Köln Weimar Wien

Gefördert durch das Brigitte Schlieben-Lange-Programm des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und die FAZIT-Stiftung

Zugl. Diss. HfG Karlsruhe, 2013 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung  : Ilja und Emilia Kabakov „We are free“, 2012, © Ilja und Emilia Kabakov

© 2015 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat  : Claudia Holtermann, Bonn Satz: synpannier. Gestaltung & Wissenschaftskommunikation, Bielefeld Reproduktionen: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-22516-2

Inhalt Danksagung   .



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Vorbemerkung  . .

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Prolog: Martin Warnkes H ofkünstler vs. Hans Haackes P ralinenmeister   . . . . . . .

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1 Einleitung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Rückblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsstand und Methodik . . . . . . . . . . . . . 1.3 Diplomatische Beziehungen in der Nachkriegsperiode  .

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2 Die Ausstellungen der 1970er-Jahre   . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Russischer Realismus 1850 – 1900 (24. 11. 1972 – 25. 02. 1973, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden) . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Rahmenbedingungen und Vorbereitungen  . . . . . . . . . 1.4.2 Medienresonanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Gegenausstellung: Deutsche Realisten im 19. Jahrhundert (1974, Moskau und Leningrad)  . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Russische Malerei 1890 – 1917 (01. 10. 1975 – 09. 01. 1976, Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main, Lenbachhaus München)  . . . . 1.6 Kunst aus der Revolution – Kunst in die Produktion (20. 02.–30. 03. 1977, Akademie der Künste West-Berlin)  . . . . . 1.7 Der Fall Kostakis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Vorbereitung einer Ausstellung in der Bundesrepublik  . . . 1.7.2 Kostakis Emigration  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.3 Werke aus der Sammlung Costakis. Russische Avantgarde 1910 – 1930 (16.09.–31. 10. 1977, Kunstmuseum Düsseldorf )  . 1.8 Weitere Entwicklungen der 1970er-Jahre  . . . . . . . . . . . . . 1.9 Politische Situation 1980er-Jahre  . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 Paris – Moscou. Moskva – Pariž (Centre Georges Pompidou Paris, 31.05 – 05. 11. 1979, Puškin-Museum Moskau 1981)  . . . . . . . . .

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Inhalt

3 Die Ausstellungen der 1980er-Jahre   . . . . . . . . . . . . . . . 1.11 Kasimir Malewitsch (1878 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen (29.02.–20. 04. 1980, Kunsthalle Düsseldorf )  . . . . . . . . . . . . 1.11.1 Medienresonanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11.2 Rückruf der Ausstellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.12 Der sowjetische Botschafter: Vladimir S. Semënov (1978 – 1986) . . . 1.13 Die Sammler: Peter und Irene Ludwig  . . . . . . . . . . . . . . . 1.13.1 Die Galeristin: Antonina Gmurzynska  . . . . . . . . . . . . 1.13.2 Der erste Ankauf osteuropäischer Kunst für die Sammlung Ludwig  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.14 Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart (06.06.–05. 09. 1982, Kölnisches Stadtmuseum, 03.07.–29. 09. 1982, Neue Galerie-Sammlung Ludwig Aachen)  . . . . . . . . . . . . . 1.14.1 Medienresonanz der Ausstellung  . . . . . . . . . . . . . . . 1.15 In Ludwigs Schatten? Henri Nannen  . . . . . . . . . . . . . . . .



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4 Glasnost und Perestroika   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.16 Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg (01.10. –15. 11. 1987, Hamburger Kunsthalle, 10. 12. 1987 – 31. 01. 1988, Münchner Stadtmuseum) . . . . . . . . 1.16.1 Medienresonanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.17 Sotheby’s Russian Avant-Garde and Soviet Contemporary Art – Versteigerung in Moskau (07. 07. 1988)  . . . . . . . . . . . . . 1.18 Ein Vergleich: Sowjetkunst heute (02.07.–21. 08. 1988, Museum Ludwig Köln) und Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler (10.09.–13. 11. 1988, Kunsthalle Emden) . . . . 1.19 Peter Ludwigs weiteres Engagement für Russland  . . . . . . . . 1.20 Wie Ludwig die dissidente Kunst nach Russland zurückbrachte 

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5 Schlussbetrachtung   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.21 Die russische Avantgarde: ein diplomatischer Problemfall . . . . . . 1.22 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.23 Der Russen-Boom als Phänomen und Gegenentwurf zu Russlands auswärtiger Kulturpolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .





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Liste der Ausstellungen  

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Abbildungsverzeichnis  

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Inhalt

Literaturverzeichnis   . Archive  . . . . . . . . . Ungedruckte Quellen . . Verwendete Literatur  . . Radiosendungen  . . . . Websites  . . . . . . . . Personenregister  . .

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Danksagung Mein Dank gilt Herrn Dr. Jürgen Deilmann und Frau Judith Stern für ihre großzügige Unterstützung dieser Forschungsarbeit sowie Elena Bozhikova, Andrej und Jil Vivien Korowin für ihre Geduld und Hilfe.

Abb 1  Hans Haacke, Der Pralinenmeister (1981), Ausschnitt.

Vorbemerkung In dieser Arbeit wird ausschließ­lich für alle rus­sische Namen und Bezeichnungen die wissenschaft­liche Translitera­tion des Kyril­lischen (DIN 1460) verwendet. Patronyme werden aus Gründen der Einfachheit nur mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt. Abweichungen von der wissenschaft­lichen Translitera­tion können in Zitaten auftreten, dabei ist die Schreibweise je vom Zeitpunkt des Entstehens dieser Zitate abhängig. Nur bei Begriffen, die in der Sprache autochthon sind, wurden Ausnahmen gemacht. „Sowjet“ oder „bolschewistisch“ sind Beispiele hierfür oder auch Ortsnamen, die aus der geografischen Sprache übernommen wurden: „Moskau“, „St. Petersburg“. Die im Deutschen etablierten Namen wurden wegen der Einheit­lichkeit transkribiert, so heißt es „Malevič“ statt „Malewitsch“ und „Šagal“ statt „Chagall“. Abkürzungen werden bei Ersterwähnung ausgeschrieben und erklärt. Übersetzungen aus dem Rus­sischen wurden, wenn nicht anders angegeben, von der Verfasserin erstellt. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in dieser Arbeit auf gendergerechte Schreibweise verzichtet, wenn die Verfasserin „Künstler“, „Autoren“ etc. schreibt, sind gleichwertig Künstlerinnen und Autorinnen gemeint.

Prolog: Martin Warnkes Hofkünstler vs. Hans Haackes Pralinenmeister Die Verflechtung der Kunst mit der Diplomatie hat eine lange Tradi­tion, die ihre Anfänge im zwischenhöfischen Verkehr Europas im 16. Jahrhundert nahm. Welche genauen politischen Aufgaben die Künstler der Renaissance für ihre Herren übernahmen, untersuchte der Kunsthistoriker Martin Warnke Mitte der 1980er-­Jahre. Für Warnke ist es selbstverständ­lich, dass die Kunst eine wechselseitige Beziehung mit der Politik, insbesondere mit der Diplomatie, eingeht und diese Verbindungen auch heute in dieser weiter zu beobachten sind. Mit dieser Meinung befindet er sich in guter Gesellschaft einer immer stärker werdenden Gruppierung innerhalb der Wissenschaft, die der Kunst zwar nicht vollständig ihre Autonomie abspricht, ihre Sozialgeschichte aber doch stets eng mit der politischen und sozialen Entwicklung verknüpft sieht. Warnke beschreibt den Hofkünstler als einflussreichen und angesehenen Mann, der viele Zuarbeiter hatte. Der Künstler war diplomatische Ressource im zwischenhö­fischen Verkehr, indem er zum Beispiel durch die Gestaltung von Ehrenpforten dem Besucher die Größe und Herr­lichkeit seines Herrschers bereits vor dem eigent­lichen Empfang suggerierte. Seine Auseinandersetzung mit dem Phänomen des künstle­rischen PR-Agenten am Hofe führt Warnke zu dem Schluss, dass man den aufwändigen Gemäldezyklen in Schlössern primär als Werkzeug der Außenpolitik einordnen müsse.1 „Das Innenleben der Schlösser und Residenzen entfaltete seine ostentativen Eigenschaften weniger gegenüber den eigenen Untertanen, die nach Machiaveli [sic!] ‚mit Festen und Schaugeprängen zu beschäftigen waren.‘“2

Die Kunstwerke am Hof waren geschätzte Statussymbole, die einerseits Macht bezeugten und andererseits Nachrichten übermitteln konnten, weshalb die „protopictoren“ beziehungsweise „archepictoren“ regelmäßig in diplomatischen Belangen bemüht wurden.3 Bedeutende auswärtige Machthaber durften den Hofkünstler in seiner Werkstatt besuchen, bei ihm Bestellungen in Auftrag geben und so der Herrscher gewillt war, konnte der Hofmaler sogar als Geschenk ausgeliehen werden. Dabei betont Warnke,

1 Vgl. Warnke 1985, 252. 2 Ebd., 253. 3 Vgl. ebd., 259.

Martin Warnkes Hofkünstler vs. Hans Haackes Pralinenmeister  |

Abb 2  D. ­D. Žilinskij, Doppelporträt (1981), Ludwig Museum – Museum of Contemporary Art, Budapest.

dass diese Reisen oft mit „halbdiplomatischen Beobachtungsaufgaben“4 verbunden waren. Neben Spionage-­Tätigkeiten förderte der Hofkünstler den gesellschaft­lich erwarteten „zwischenhöfischen Geschenkeverkehr“5 comme il faut: Seit dem 16. Jahrhundert nahm die Bedeutung des Kunstwerks als Geschenk beständig zu, während noch im Mittelalter religiöse Objekte und Kuriositäten als Präsente geschätzt wurden. 6 4 Ebd., 259 – 260. 5 Ebd., 261. 6 Vgl. ebd., 261 – 262.

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Kunstwerke dienten für exquisite Gesten, die gegebenenfalls eine Hoffnung auf Annäherung und Versöhnung suggerierten oder präventiv gegen aufkommende Auseinandersetzungen und Missgunst eingesetzt wurden. Als höchste Ehrenbezeugung galt es, wenn der Meister das Kunstgeschenk dem Empfänger persön­lich überreichte.7 Im Italien des Cinquecento mussten die Künstler viel Fleiß aufbringen, um den diplomatischen Bemühungen ihrer Herrscher gerecht zu werden. In der Folge wurden Kunstwerke am europäischen Hof zu einem wichtigen Instrument im Wettlauf um die Gunst der Herrschenden.8 Die diplomatischen Pflichten der Maler haben sich nicht nur auf die Posi­tion des Künstlers ausgewirkt, auch die Kunstproduk­tion veränderte sich mit ihnen. Warnke zitiert in d ­ iesem Zusammenhang Giorgio Vasari, der die Erfindung der Leinwand „verkehrstechnischen Erwägungen“9 zugeschrieben hat. Dieses neue Format eines Kunstwerkes sicherte seine vereinfachte Mobilität, steigerte somit die Nachfrage, die wiederum Änderungen in den Maltechniken der Künstler zeitigte. Warnkes Betrachtung der fürst­lichen Indienstnahme der Maler kann durchaus auf einen deutschen „Sammlerfürsten“ des späten 20. Jahrhunderts – Peter Ludwig – übertragen werden, der in dieser Untersuchung eine zentrale Rolle einnimmt. Bei seinen Reisen, die er Ende 1978 bis 1988 in die Sowjetunion unternahm, wurde er gleichsam den Mächtigen des 16. Jahrhunderts hofiert. Dieser Habitus war charakteristisch für die offiziellen Repräsentanten der Sowjetunion, die, von der Partei beauftragt, stets einen theatra­lischen Empfang für bedeutsame ausländische Besucher veranstalteten. Der westdeutsche Sammler genoss die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit und war keinesfalls davon pein­lich berührt.10 Er ließ sich von Staatsvertretern fest­lich empfangen, durch die sowjetischen Gemäldekammern und Ateliers führen und betonte mehrmals seine Faszina­tion für die sowjetische Denkmalkultur und Monumentalkunst.11 Die spätere Untersuchung zeigt, dass sich Peter Ludwig (in gleicher Manier, wie bei Warnke beschrieben), „Hofmaler“ der UdSSR auszuleihen vermochte, beispielsweise den Künstler Dmitrij D. ­Žilinskij, von dem sich der Sammler und seine Ehefrau Irene 1981 in Aachen porträtieren ließen (Abb. 2). Seit dem 16. Jahrhundert haben sich die Verflechtungen z­ wischen Politik, Wirtschaft und Kunst in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt – wobei die Werke heute nicht 7 Vgl. ebd., 265 – 266. 8 Vgl. ebd., 263. „Der Herzog von Ferrara verlangte 1531 von Tizian die Herstellung einer Magdalena binnen vier Wochen, weil er sie als ein ‚ehrenvolles Geschenk‘ brauchte; drei Jahre s­ päter wollte er von Tizian wieder zwei Bilder haben, und zwar ‚schnell, weil wir die als Geschenke nach Spanien s­ chicken wollen, womit auch euer Ruhm wachsen kann.‘“ (ebd.). 9 Ebd. 10 Vgl. Kap. 3.5. 11 Vgl. Sager 1992, 193 – 194.

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unbedingt raffinierter und subtiler geworden sind als jene, die von den Medicis in Florenz in Auftrag gegeben wurden. Der deutsch-­amerikanische Künstler Hans Haacke verfolgt das Fortbestehen dieser Tradi­tion seit den späten 1960er-­Jahren und legt in seinen kritischen Werken die Instrumentalisierung der Kunst durch Wirtschaft und Politik offen. Es gibt kaum einen anderen Kunstschaffenden, der seit Jahrzehnten so konsequent und schonungslos diese Verbindungen thematisiert und ihren nicht selten skandalösen Charakter offenlegt. Ein Aspekt, mit dem sich Haake intensiv in mehreren Arbeiten auseinandergesetzt hat, ist der Einfluss amerikanischer Wirtschaft wie der Tabak- oder Automobilindustrie auf die Vorstände namhafter Museen.12 Seit den 1970er-­Jahren beschäftigt er sich mit sozialen Systemen und bereitet die brisanten Informa­tionen über Corporate Collecting und politische Instrumentalisierung der Kunst für den interessierten Betrachter auf. Die Konsequenzen dieser kritischen Auseinandersetzung bekam Haacke früh zu spüren: Bereits in den 1970er-­Jahren wurden seine Arbeiten in keinem New Yorker Museum mehr ausgestellt und Projekte, die er für Ausstellungen geplant hatte, mussten wegen ihres Skandalpotenzials aus dem Programm genommen und konnten nur in Galerien gezeigt werden.13 Ein gleicher Fall ereignete sich 1981, als Peter Ludwig zum Untersuchungsobjekt des Konzeptkünstlers Haacke wurde: Die Arbeit Trumpf-­Pralinenmeister (Abb. 1) wurde von ihm für die Ausstellung Westkunst in Köln konzipiert. Gerade in Köln, wo Ludwig wegen seiner ehrgeizigen kulturpolitischen Bestrebungen umstritten war,14 barg die kritische Auseinandersetzung mit seinem Kunstengagement großes Konfliktpotenzial in sich. Infogedessen wurde die Arbeit aus der Planung der Westkunst ausgeschlossen und stattdessen in der Kölner Galerie Paul Maenz ausgestellt.15 In sieben Diptychen wurden Collagen aus Mehrfarben-­Siebdrucken, Fotografien, Pralinen- und Schokoladentafelverpackungen unter Glas gerahmt präsentiert. Für diese Arbeit verwendete Haacke Originalzitate von Peter Ludwig, Informa­tionen über seine Unternehmertätigkeit für die Ludwig Monheim AG und Dokumenta­tionsmaterial über sein Engagement im Kunstsektor. Die Collagen zeigen Peter Ludwig als erbarmungslosen 12 Weitere untersuchte Verbindungen ­zwischen Wirtschaft, Politik und Kunst in Haakes Arbeiten sind unter anderem die Trustees des Guggenheim Museum New York in Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971 (1971), Hermann J. ­Abs im Manet-­ Projekt (1974), Peter Ludwig in Pralinenmeister (1981), Philip Morris in Helmsboro Country (1990) und in Cowboy mit Zigarette (1990), die großen Kunstsponsoren Deutsche Bank und Daimler Benz in Kontinuität (1987) (Hoffmann 2006, Quelle: http://www.nzz.ch/2006/12/20/fe/articleEQ00E. html [17. 03. 2011]). 13 Walter Grasskamp im Gespräch mit Hans Haacke. In: Kunstforum 1981, 152. 14 Vgl. dazu Kap. 3.4 – 3.6. 15 Ebd.

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Großindustriellen, der alle ihm zur Verfügung stehenden Mög­lichkeiten der Ausbeutung nutzt und zugleich den Kunstsektor seinen wirtschaft­lichen Berechnungen und seinem Machtstreben zu unterwerfen suchte. Dabei stellt der Künstler nicht nur ­Ludwigs raffinierte Verfahrensweisen infrage, sondern auch die deutsche Politik, die laut Haacke die Strukturen geschaffen hatte, mithilfe derer sich Peter und Irene L ­ udwig bereichern konnten, ohne die Konsequenzen zu spüren zu bekommen, die normalerweise mit dem Besitz von wertvollen Kunstwerken einhergehen.16 Neben Peter Ludwig gab es zu dieser Zeit weitere Protagonisten der individuellen Kulturdiplomatie: Auch andere Vertreter der deutschen Wirtschaft bemühten sich, mit der Unterstützung von sowjetischen Diplomaten, die sowjetische Kunst in der Bundesrepublik zu etablieren. Dieses Engagement bewegte sich stets auf einem schmalen Grad z­ wischen privaten und staat­lichen Interessen, mitunter waren diese oft nicht voneinander zu trennen.17 Persön­licher Ehrgeiz und geschäft­liche Ziele spielten in ­diesem Zusammenhang eine große Rolle, dabei wurden sie häufig mit den Topoi der Völkerfreundschaft und Annäherung untermauert. Durch diese Anstrengungen entstand ein Kanon sowjetischer beziehungsweise rus­sischer Kunst in der Bundesrepublik, der sowohl von den Initiatoren als auch von den Medien maßgeb­lich gesteuert wurde, wie die folgende Untersuchung beweisen wird.18 Im Gegensatz dazu hatten die Kulturverantwort­lichen der Sowjetunion weniger Einfluss auf diese implizite Diplo­ matie als erhofft und die Künstler mussten sich im herrschenden kulturpolitischen System überwiegend mit der Rolle der stummen Produzenten begnügen. Martin Warnke und Hans Haacke sind Repräsentanten zweier konträrer Auffassungen, die die Kulturschaffenden in Europa seit dem 18. Jahrhundert vertreten. Die komplexen Fragen nach der Zweckfreiheit der Kunst und ihrer Autonomie bewegten 16 Dazu Haacke im Interview mit Walter Grasskamp: „Auf Grund der Steuer- und Berlinförderung wird ja der Schokoladenbetrieb von uns in großem Stil subven­tioniert. Und dann werden uns gönnerhaft ein paar Früchte dieser Subven­tionen unter harten Bedingungen zurückgegeben. Die Werke bleiben ja nicht nur unter der Kontrolle des ‚Stifters‘, sie verschaffen ihm auch in öffent­lichen Gremien eine beispiellose Macht über öffent­lichen Besitz und Steuergelder. Als Krönung des Ganzen entfallen dann noch Erbschaftssteuern von mehreren Millionen Mark, abgesehen von den Steuervergünstigungen zu Lebzeiten.“ (ebd.). 17 Das war auch durch die unterschied­lichen politischen Systeme bedingt: Friedrich Wilhelm ­Christians berichtet in seinen Memoiren, dass die sowjetischen Gesprächspartner häufig vergaßen, dass er als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank nicht dem Kanzler der Bundesrepublik unterstehe (vgl. Christians 1989). 18 Im Folgenden wird überwiegend die Bezeichnung „rus­sische“ Kunst benutzt, um s­ olche Dopplungen zu vermeiden. Im Untersuchungszeitraum 1950 bis 1990 war „rus­sische Kunst“ zugleich „sowjetische Kunst“, durch die Fokussierung auf Ausstellungen der Künstler der Rus­sischen Sozialistischen Föderativen Sovjetrepublik (RSFSR), mit einigen Ausnahmen, ist der Begriff „rus­sisch“ geeigneter.

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sich stets im Diskurs dieser zwei Parteien. Die vorliegende Arbeit versucht beiden Posi­ tionen gerecht zu werden, indem hier die tradi­tionsreiche Diplomatie, die Warnke als eine natür­liche Evolu­tion des Künstlerberufes ansieht, mithilfe von Kunstausstellungen nachgezeichnet wird. Daneben werden aber auch die genauen Rahmenbedingungen beleuchtet, w ­ elche die Durchführung der beschriebenen Projekte ermög­lichten. Dabei wird Haackes substanzielle Strategie der Offenlegung von Hintergrundinforma­tion ebenso berücksichtigt. Durch diese Untersuchung wird ein vollständiges Bild der Projekte und der mannigfaltigen Inten­tionen angestrebt, die hinter den kulturdiplomatisch motivierten Ausstellungen zu finden sind. Die Frage, ob Kunst von der Politik und Wirtschaft überhaupt in den diplomatischen Dienst genommen werden sollte, wird in dieser Arbeit nicht speziell berücksichtigt. Die Verantwort­lichen aller untersuchten Projekte betonen ausdrück­lich den diplomatischen Wert der Kunst für die Völkerverständigung. Die vorliegende Analyse ist eine Dokumenta­tion des Zeitraums 1950 bis 1990 im bilateralen Kunstaustausch z­ wischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion (hauptsäch­lich Rus­sische Föderative Sowjetrepublik: RSFSR ), wobei einige Ausstellungsprojekte hervorgehoben und eingehend analysiert werden. Die Untersuchung ist chronolo­gisch gegliedert: Ein einleitender Rückblick auf die Erste Rus­sische Kunstausstellung (1922) dient als Beispiel einer funk­tionierenden kulturellen Diplomatie, die von staat­lich beauftragten Organisatoren und Künstlern in die Wege geleitet wurde. Diese Ausstellung zeigte ein imposantes Konvolut der rus­ sischen Avantgardisten und machte das west­liche Publikum mit ihrer Formensprache bekannt. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wurden gegen Ende der 1950er-­Jahre Folgeausstellungen dieser progressiven Künstler auf deutschem Boden organisiert. Die rus­sische Avantgarde wurde von Kunstwissenschaftlern und Künstlern wiederentdeckt, die seit Ende des Krieges die „Abstrak­tion als Weltsprache“19 feierten und eine Rehabilita­tion aller als „degeneriert“ verfemten Künstler anstrebten. Etwa zwei Jahrzehnte lang wurde die Geschichte dieser Kunstrichtung in der Bundesrepublik ledig­lich mit Beständen aus dem Westen und deshalb nur sehr lückenhaft aufgearbeitet. Die Museen in Europa und den USA sowie die vielzähligen Privatsammlungen besaßen bloß einzelne Werke oder spezifische Dokumente und Arbeiten aus kurzen Schaffensperioden der Künstler im Westen. Das erste Kapitel über die 1970er-­Jahre zeigt auf, wie schwierig für die Westdeutschen der Weg in die sowjetischen Depots war und wie lange es dauerte, bis die ersten Werke der verfemten Avantgarde an die Bundesrepublik ausgeliehen wurden. Zuerst mussten die Kontakte von Museum zu Museum sukzessive aufgebaut werden. Die Ausstellungen dieser Zeit zeichneten sich durch nachdrück­lich verfolgte west­liche Initiativen aus. 19 Vgl. dazu: Poensgen/Zahn 1958.

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Von den Kulturfunk­tionären der UdSSR sind sie zum Teil nur zöger­lich angenommen worden. Im Zentrum des ersten Kapitels steht der griechisch-­sowjetische Großsammler Georgios Kostakis, der einen großen Beitrag zur Erforschung und Erhaltung der rus­ sischen Avantgarde leistete. Im Jahr 1977 verließ er die Sowjetunion und musste den größeren Teil seiner über Jahrzehnte gewachsene Sammlung der Tret’jakov-­Galerie in Moskau überlassen. Die erste Sta­tion für die Ausstellung seiner rest­lichen Sammlungsbestände war Düsseldorf: Dem deutschen Publikum wurde eine neue Dimension des avantgardistischen Schaffens eröffnet – es wurden viele Künstler ausgestellt, die im Umkreis von Kazimir S. ­Malevič und Vladimir E. ­Tatlin arbeiteten, im Westen jedoch nahezu unbekannt waren. Gleichzeitig hat diese Ausstellung das negative Bild der sowjetischen Kulturpolitik bestätigt, das seit den 1950er-­Jahren im Westen kultiviert wurde. Die Medien beschrieben das sowjetische Kulturministerium als eine erbarmungslose Maschinerie, die ehr­liche Bürger verfeme, enteigne und schließ­lich des Landes verweise. Nur kurze Zeit ­später reagierte Moskau: Die Kulturverantwort­ lichen der UdSSR versuchten mit neu konzipierten Kunstausstellungen, das entstandene schlechte Bild zu relativieren. Von solchen Bemühungen zeugen vornehm­lich die 1980er-­Jahre, ­welche im zweiten Kapitel besprochen werden: Hier zeigt sich eine klar erkennbare Veränderung in der auswärtigen Kulturpolitik der Sowjetunion. In dieser Zeit mehrten sich Ausstellungsprojekte, die von den Kulturspezialisten der UdSSR für den Westen konzipiert wurden, um mehr Einfluss auf den europäisch-­amerikanischen kunstgeschicht­lichen Kanon üben zu können. Eine wichtige Rolle in der Bundesrepublik spielte der neue Botschafter der Sowjetunion: Vladimir S. ­Semënov. Er engagierte sich für zahlreiche Ausstellungsprojekte rus­sischer Kunst in der Bundesrepublik und posi­tionierte sich selbst als einen passionierten Sammler moderner und zeitgenös­sischer Werke aus seinem Heimatland. Semënov suchte den Kontakt zu Peter Ludwig und stellte 1980 die eigene Sammlung in Köln im Wallraf-­Richartz Museum aus, welches derzeit schon mit der Sammlung Ludwig verbunden war. Zur gleichen Zeit ermög­lichte der Botschafter dem deutschen Mäzen, in der UdSSR Kunst zu kaufen und in die Bundesrepublik zu überführen. Für Peter Ludwig, der stets auf der Suche nach neuen unbekannten Namen jenseits des europäischen Marktes war, bot dies die perfekte Mög­lichkeit, als einer der ­Ersten, mithilfe des offiziellen sowjetischen Künstlerverbandes, seine Sammlung zu erweitern. Anfang der 1980er-­Jahre wurde die offizielle sowjetische Malerei und Bildhauerei nicht nur für Peter Ludwig interessant. Er zeigte die neue Fokussierung in seiner Sammlung mit Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart (1982) in Köln und Aachen, während ein anderer prominenter deutscher Sammler, Henri Nannen, Rus­sische Malerei heute (1982) in einem kleineren Format in Hamburg ausstellte. Diese Ausstellungen hinterließen kaum ein positives Echo und bekräftigten den Eindruck,

Martin Warnkes Hofkünstler vs. Hans Haackes Pralinenmeister  |

dass die offizielle sowjetische Kunst in der Bundesrepublik nicht als qualitativ hochwertige Kunst angesehen werden konnte, unbeeindruckt davon, wie sich der sozialistische Realismus seit Stalins Tod und im Laufe der Jahrzehnte gewandelt hatte. Das dritte Kapitel wird schließ­lich der Zeit der Perestroika und Glasnost gewidmet: Die politischen Reformen von Michail S. ­Gorbačёv sollten sich gleichwertig in der Kulturpolitik und im neuen sowjetischen Selbstbild manifestieren und entsprechend nach außen vermittelt werden. Der Fokus d ­ ieses letzten Kapitels liegt auf Projekten, die sich einerseits versöhn­lich zeigen wollten, wie etwa Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg (1987/1988) und andererseits beweisen sollten, dass es in der UdSSR der 1980er-­Jahre auch Platz für unangepasste und kritische Künstler gab. An dieser Stelle öffneten Peter Ludwig und Henri Nannen fast zeitgleich die Pforten ihrer Ausstellungshäuser, um das deutsche Publikum mit ihren neuen Akquisi­tionen vertraut zu machen. Synchron mit den sowjetischen Reformen kam der große interna­ tionale Aufstieg der Moskauer Konzeptualisten, die als erste Künstler der UdSSR einen vergleichbaren Ruhm und eine breite Akzeptanz im Westen genießen durften, wie die Künstler der rus­sischen Avantgarde. Da die besonderen politischen Entwicklungen für den Erfolg der Konzeptualisten eine katalysatorische Wirkung hatten, sind die meisten dieser Künstler heute größtenteils wieder vergessen. Der Zusammenbruch des absurden Systems, das diese Künstler ironisch reflektierten, nahm ihnen die Grundlage ihres Schaffens. Nicht zuletzt sorgte die Emigra­tion vieler Künstler in den 1980er- und 1990er-­Jahren für den Abbruch dieser Erfolgsgeschichte in Russland. Die Zyklen und Ursachen hinter dem Auf- und Abstieg unterschied­licher Kunstrichtungen aus der Sowjetunion werden in dieser Arbeit vordergründig untersucht, dabei liegt der Fokus weniger auf einzelnen Kunstwerken als vielmehr auf der kulturpolitischen Bedeutung ganzer Ausstellungsprojekte. Diese stehen programmatisch für die vielfältigen Bemühungen der bundesdeutschen Museen, der Wirtschaft und der Politik, neue Kontakte mit Moskau zu knüpfen oder bereits bestehende Kontakte zu vertiefen. Selbstverständ­lich können nicht alle wichtigen Projekte, die in ­diesem Zusammenhang stehen, eingehend untersucht werden. Diese Arbeit ist ein Versuch, das bestimmende Zeitgefühl zu rekonstruieren und die Strategien aufzuzeigen, mithilfe welcher der deutsch-­sowjetische Kunstaustausch nach dem Zweiten Weltkrieg antizipiert und weitergeführt wurde. Die untersuchten Ausstellungen wurden nach übereinstimmenden Kriterien ausgewählt: der kulturpolitischen Bedeutung, dem Neuigkeitswert des Projektes und ihrer Rolle in der Gesamtgeschichte der rus­sischen Ausstellungen in der Bundesrepublik. Die Ausstellung Kasimir Malewitsch. Werke aus sowjetischen Sammlungen (1980) dient als ein Beispiel für das langjährige Engagement von Jürgen Harten für die rus­sische Kunst an der Kunsthalle Düsseldorf. Seine Projekte über Vladimir V. ­Majakovskij (1978) und Sergej M. ­Ėjzenštejn (1983) sind kunsthistorisch

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| Prolog

und kulturpolitisch ebenfalls interessant, eine eingehende Untersuchung all dieser Bemühungen würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Mit der genaueren Betrachtung der Malevič-­Ausstellung von 1980 entschied sich die Verfasserin für ein in dieser Zeit besonders umstrittenes und breit rezipiertes Projekt. Gleiche Gründe führten zur Entscheidung für eine Analyse des Engagements der Deutschen Bank AG in der Sowjetunion: Hier steht die Ausstellung Schrecken und Hoffnung (1987/1988) stellvertretend für die breit angelegte Projektreihe eines einzigartigen Kunstaustauschs, der von Friedrich Wilhelm Christians initiiert wurde. Die diplomatischen Beziehungen der UdSSR zu anderen europäischen Ländern, wie etwa Großbritannien oder Frankreich, werden als eine Ergänzung des Hauptuntersuchungsthemas berücksichtigt. Ebenso wird mit den kulturpolitischen Kontakten z­ wischen der UdSSR und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) verfahren, da sich die vorliegende Arbeit explizit auf die Bundesrepublik bezieht. Die deutsch-­rus­sischen Beziehungen sind in vielerlei Hinsicht ein außerordent­lich faszinierender Untersuchungsgegenstand: Die gravierenden und mannigfaltigen politischen ­Um­brüche in beiden Ländern sowie ihre im 20. Jahrhundert jahrzehntelang andauernden Außenseiterposi­tionen sind einzigartig im europäischen Staatenvergleich. Diese historischen Gegebenheiten kreierten eine Atmosphäre, in der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spannungsgeladene diplomatische Beziehungen entwickelten. In der Zeit des Kalten Krieges war das geteilte Deutschland ein Schauplatz des interna­tionalen kulturpolitischen und kunstwissenschaft­lichen Diskurses. Vor d ­ iesem Hintergrund ist eine Untersuchung sowjetischer Ausstellungen in der Bundesrepublik zugleich auch eine Betrachtung der sich entwickelnden Debatte um die abstrakte und gegenständ­liche Kunst. Die zweckgebundene Kunst der UdSSR war für diplomatische Gesten nur dann geeignet, als ihr noch eine gewisse Freiheit eingeräumt wurde, wie im Fall der frühen rus­sischen Avantgarde. Diese wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts im Westen hoch gelobt, studiert und zum Vorbild genommen, nicht zuletzt weil die neue Formensprache einen künstlerischen Neuanfang bedeutete.20 Im untersuchten Zeitraum hatte es die sowjetische Auftragskunst des sozialistischen Realismus dagegen schwer, ihre diplomatischen Aufgaben zu erfüllen, da sie den neuen Vorstellungen von abstrakter Kunst als „freier Kunst“ im Westen nicht entsprach. Das Trauma des Na­tionalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges spielten hierbei eine wichtige Rolle, denn die offizielle Kunst des Dritten Reiches wurde wegen ihrer Formensprache mit dem sozialistischen Realismus verg­lichen. Die Ästhetik dieser Kunstrichtungen wurde automatisch mit Terror und Diktatur in Verbindung gebracht und war somit für diplomatische Zwecke ungeeignet. 20 Siehe Kap. 1.1.

1 Einleitung „Einmal hatte eine politische Gruppierung in Deutschland für Sabina eine Ausstellung organisiert. Sabina nahm den Katalog zur Hand: über ihr Foto war ein Stacheldraht gezeichnet. Die abgedruckte Biographie g­lich einer Hagiographie von Märtyrern: sie hatte gelitten, gegen Ungerechtigkeit gekämpft, ihr gefoltertes Vaterland verlassen müssen, und sie kämpfte weiter. ‚Sie kämpft mit ihren Bildern für das Glück‘, lautete der letzte Satz des Textes. Sie protestierte, doch man verstand sie nicht. Ist es den nicht wahr, daß in den kommunistischen Ländern die moderne Kunst verfolgt wird? Wütend sagte sie: ‚Mein Feind ist nicht der Kommunismus, sondern der Kitsch.‘ Seitdem umwob sie ihre Biographie mit Mystifika­tionen, und als sie s­ päter in Amerika lebte, gelang es ihr sogar zu verheim­lichen, daß sie Tschechin war. Es war der verzweifelte Versuch, dem Kitsch, den man aus ihrem Leben Machen wollte, zu entrinnen.“ Aus Milan Kundera, Die unerträg­liche Leichtigkeit des Seins

1.1 Rückblick Den historischen Eckpfeiler dieser Arbeit bildet die Entwicklung des deutsch-­russischen Kunstaustausches in den 1920er-­Jahren: Es war die Blütezeit in einer einmaligen bilateralen Beziehung z­ wischen zwei Geächteten der interna­tionalen Weltpolitik, die beispiellos das Schicksal Europas im 20. Jahrhundert beeinflussten. Das Deutsche Reich und Russland sind in ­diesem Zeitabschnitt das Paradebeispiel zweier Länder, deren Beziehung sich innerhalb kürzester Zeit abkühlte und aus Nähe Distanz, aus Freundschaft Feindschaft werden ließ. Die Erste Rus­sische Kunstausstellung (1922) in Berlin fiel als markantes Ereignis in die Hochphase deutsch-­rus­sischer Annäherung und war in vielerlei Hinsicht ein Musterfall in der Geschichte der Kulturdiplomatie und eignet sich somit treff­lich für die folgende Untersuchung. Das Ende des ­Ersten Weltkrieges und die darauffolgenden Sank­tionen waren ausschlaggebend für das Entstehen des Rapallo-­Vertrages, welcher 1922 während der Finanz- und Wirtschaftskonferenz in Genua von der RSFSR und dem Deutschen Reich unterzeichnet wurde. Der Abschluss des Vertrages kam überraschend und löste wegen der impliziten Annäherung des Deutschen Reiches und des RSFSR und den damit einhergehende Machtverschiebungen ablehnende Reak­tionen

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der anderen Staaten der Konferenz aus.21 In dieser Zeit gab es bereits eine starke rus­ sische Präsenz im urban-­künstlerischen Berlin: Die rus­sische Intelligenzija siedelte sich nach der Flucht vor der bolschewistischen Revolu­tion in Charlottenburg an und kultivierte dort eigene bilaterale Verhältnisse.22 Die Kunsthistorikerin Ada Raev betont jedoch, dass die Aktivitäten der rus­sischen Diaspora in Berlin von deutscher Seite aus wenig Beachtung gefunden hätten.23 Den unbestrittenen Höhepunkt der offiziellen auswärtigen Kulturoffensive der RSFSR markierte die erwähnte Ausstellung, die im Herbst 1922 in der Galerie van Diemen in Berlin eröffnet wurde.24 Organisiert wurde sie vom Rus­sischen Kommissariat für Volksbildungswesen und Kunst, unter der Leitung des Künstlers David P. ­Šterenberg und in Zusammenarbeit mit dem Auslandskomitee zur Organisierung der Arbeiterhilfe für Hungernde Russlands, für w ­ elche der Reinertrag der Ausstellung und der Erlös aus dem Verkauf der ausgestellten Werke bestimmt war.25 Somit diente die Ausstellung neben den vordergründigen repräsentativen durchaus auch wohltätigen Zwecken. Was als kulturelle Staatsak­tion von größter Wichtigkeit inszeniert war, wurde im Vorfeld von linken progressiven Künstlern, wie Ėl’ Lisickij und Ivan A. ­Puni (Jean Pougny), als Basis für einen interna­tionalen Verbund der Avantgardekünstler geplant.26 Dieser Plan wurde nicht verwirk­licht, weil der Staat die weitere Organisa­tion der Ausstellung übernahm, jedoch wurde mit der künstlerischen Leitung durch Šterenberg ein Künstler ausgewählt, der die Pläne und Konzepte der progressiven Künstler zumindest in Anteilen der Ausstellung realisieren konnte. Die Künstler der Avantgarde nahmen bei der ­Ersten Rus­sischen Kunstausstellung die prominenteste Rolle ein. Etwa ein Drittel der Schau war ihnen überlassen. Šterenberg betonte in seinem Vorwort die Absicht einer Annäherung

21 Vgl. Haffner 1968, 67. 22 Vgl. Mierau 1987. 23 Vgl. Raev 2007, 34. 24 „Die Galerie van Diemen ist Teil des erfolgreichsten deutschen Kunsthandels-­Konzerns. Sein Begründer Albert Loeske (1869 – 1929), ursprüng­lich aus der Uhren- und Juwelenbranche kommend, baute um 1909 zusammen mit Jakob Oppenheimer das Silberwarenhaus Markgraf & Co auf. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten und weitere Firmenfinanzierungen folgten. Im Jahr 1922 eröffnet die Galerie van Diemen eine moderne Abteilung und zwar sogleich mit einer heute legendären Ausstellung.“ (Tafel 1987, 215). 25 Vgl. Ausst.-Kat. Erste Rus­sische Kunstausstellung: Berlin 1922 1988, 2. 26 Raev schreibt, dass die deutsche Regierung die Vorbereitungen mit Misstrauen verfolgte (vgl. Raev 2007, 35). Die ersten Initiatoren im Jahr 1918 waren der Volkskommissar Anatolij V. ­Lunačarskij, der Kunstkritiker Nikolaj N. ­Punin und die Künstler David P. ­Šterenberg und Vasilij V. ­Kandinskij. Deutschland wurde als „nächster Nachbar“ an erster Stelle kontaktiert, um mit der Annäherung zu beginnen (vgl. Adkins. In: Ausst.-Kat. Sta­tionen der Moderne 1988, 185).

Rückblick |

Abb 3  Titelblatt des Katalogs der ­Ersten Rus­sischen Kunstausstellung, entworfen von Ėl’ Lisickij (1922).

an den Westen mithilfe der ausgestellten Kunst.27 Die Präsenta­tion der postrevolu­ tionären künstlerischen Errungenschaften schien für die Organisatoren Priorität zu haben, obgleich die Ausstellung chronolo­gisch im 19. Jahrhundert bei den Realisten der Peredvižniki-­Gruppe anfing.28 Der Fokus auf die jüngere Künstlergenera­tion wurde durch das von Ėl’ Lisickij gestaltete Katalog-­Titelblatt verdeut­licht (Abb. 3). Die Gestaltung diente gleichzeitig als Verweis auf das neue gattungsübergreifende Denken der rus­sischen Künstler, die ihre gegenstandslosen Komposi­tionen, abseits der klas­ sischen Gattungen, im Alltag des Menschen verorten wollten. Es gab keine hierarchische Abstufung z­ wischen Kunstwerk, Gebrauchsgegenstand und Design. Folgerichtig wurde in der Ausstellung zu den klas­sischen Gattungen Malerei, Grafik und Plastik, 27 Sterenberg. In: Ausst.-Kat. Erste Rus­sische Kunstausstellung: Berlin 1922 1988, 3 – 4. 28 Zu Peredvižniki s. Kap. 2.1.

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Skizzen für Theaterkostüme, Plakate und Porzellan hinzugefügt. Šterenberg würdigte in seinem Vorwort im Katalog die Entwicklung der Künstler, die seiner Meinung nach unmittelbar auf die Revolu­tion zurückzuführen sei: „Das war eine Feuerprobe der rus­sischen Kunst. Manche Künstler, die diese Probe nicht bestanden, gerieten sofort in Vergessenheit. Andere wieder gingen aus der Probe gestählt und gefestigt hervor. Sie wollten sich nicht mehr mit einem Stück Leinwand begnügen, verwarfen die steinernen Särge, die man Häuser nennt, und hätten in ihrem Kampfe, dessen Ziel die Gestaltung der Umgebung für den neuen Menschen war, zweifellos gesiegt […].“29

Šterenbergs Vorwort ist ein Plädoyer für die neue kulturelle Identität Russlands, w ­ elche 30 in Werken der progressiven Künstler in der Ausstellung ihren Ausdruck fand. Das Jahr 1922 war bereits eines der letzten Jahre, in welchem die ausgestellten Krea­tiven noch frei tätig sein konnten. Bereits Anfang der 1920er-­Jahre gab es viele kritische Stimmen gegen die Avantgardisten, die der kosmopolitische Kulturpolitiker, ­Anatolij V. ­Lunačarskij, zu besänftigen versuchte.31 Die Erste Rus­sische Kunstausstellung war ein großer Erfolg. Anfäng­lich für einen Monat geplant, wurde sie vom 15. Oktober 1922 bis Ende Dezember von 15000 Besuchern gesehen – in der damaligen Zeit eine beacht­liche Zahl.32 Vom merk­lichen Einfluss der Konstruktivisten und Suprematisten auf die deutschen Künstler zeugen ihre späteren Hommagen und bilateralen künstlerischen Kollabora­ tionen.33 Zudem belebte die Ausstellung den deutschen Kunstdiskurs – berühmte Kritiker/-innen wie Gertrud Alexander, Adolf Behne und Paul Westheim begeisterten sich für das große rus­sische Experiment und reflektierten auf dieser Grundlage die allgemeinen Aufgaben der neuen Kunst.34 Die Verbindung von progressiver, antielitärer Kunst mit der neuen politischen Ausrichtung des Arbeiterstaates bildete den Nukleus der E ­ rsten Rus­sischen Kunstausstellung. Trotz aller Befürchtungen und Ressentiments hat d­ ieses Projekt eine positive Resonanz 29 Sterenberg. In: Ausst.-Kat. Erste Rus­sische Kunstausstellung: Berlin 1922 1988, 4. 30 Tatsäch­lich war es eine Verkaufsausstellung mit Arbeiten, die viele Vertreter der Sowjetunion selbst nicht als besonders wichtig ansahen. Die besten Arbeiten der sowjetischen Künstler wollte man im Land behalten. Umso mehr mussten die Kulturfunk­tionäre vom Erfolg der Schau überrascht gewesen sein (vgl. Adkins. In: Ausst.-Kat. Sta­tionen der Moderne 1988, 190 – 191). 31 Vgl. Stachelhaus 1989, 62 – 64. 32 Vgl. Adkins. In: Ausst.-Kat. Sta­tionen der Moderne 1988, 190 – 191. 33 Es gab vielfältige Zusammenarbeit ­zwischen den rus­sischen Künstlern Ėl’ Lisickij, Aleksandr M. ­Rodčenko unter anderen und den deutschen Künstlern aus dem Bauhaus, aber auch mit einzelnen Personen wie zum Beispiel Kurt Schwitters. Eine informative Zusammenfassung über das Wirken der rus­sischen Künstler in der Weimarer Republik: Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1900 – 1950 1995. 34 Vgl. Raev 2007, 36.

Rückblick |

Abb 4  Die Organisatoren der E ­ rsten Rus­sischen Kunstausstellung 1922, v. l. n. r.: David P. ­Šterenberg, D. ­Marianov, Nathan I. ­Altmann, Naum Gabo und Friedrich Lutz (Direktor der Galerie).

gehabt und ist in die Geschichte eingegangen. Diese Ausstellung schaffte es, ein neues Bild des jungen Staates RSFSR im Deutschen Reich zu vermitteln, welches bis zu den Anfängen des stalinistischen Terrors für viele Europäer mit linker politischer Orientierung zu einem Traumbild von Utopia wurde. Nachdem der sozialistische Realismus als Richtlinie der sowjetischen Kunstproduk­tion im Jahr 1934 beschlossen wurde, verschwanden die avantgardistischen und formalistischen Bewegungen aus der Öffent­ lichkeit. Alle Künstler wurden im sowjetischen Künstlerverband organisiert, der sich um Aufträge und Versorgung seiner Mitglieder kümmerte. Dieser Verband operierte streng gemäß dem Dogma des sozialistischen Realismus und kontrollierte Produk­ tion, Ausstellungstätigkeiten, Kritik und Rezep­tion.35 Im Gegensatz zur offiziellen 35 Vgl. Groys. In: Ausst.-Kat. Traumfabrik Kommunismus 2003, 20 – 38. Die Aufgabe des sozialistischen Realismus war es, ein Bild der sozialistischen Wirk­lichkeit zu erschaffen, in der Realität handelte es sich um nach strengen Vorgaben konstruierten „Traumbildern“ der Wirk­lichkeit, die als Propaganda für die Bevölkerung dienten (Näheres zu dieser Stilrichtung: Golomštok 1994).

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Maxime war die Kunst der Sowjetunion seit ­diesem Zeitpunkt von einem Dualismus dominiert: Die Künstler außerhalb des Verbandes befanden sich im Untergrund und machten erst einige Dekaden ­später auf sich aufmerksam, als das politische System der UdSSR liberalisiert wurde. Im Westen etablierten sich mehrere Bezeichnungen für diese Künstler: Sie wurden seit den 1960er-­Jahren als „Dissidenten“, „Nonkonformisten“ oder „Inoffizielle“ tituliert. Bis dahin wusste nur ein kleiner Expertenkreis im Westen von der Existenz ­dieses kulturellen Untergrunds. Viele Künstler der E ­ rsten Rus­sischen Kunstausstellung passten sich entweder an, schwiegen, emigrierten oder waren starken Repressionen ausgesetzt. Bei der nächsten großen interna­tionalen Kunstpräsenta­tion stellte sich das Selbstbild der Sowjetunion grundlegend anders als 1922 in Berlin dar. In der Pariser Weltausstellung von 1937 stürmten Der Arbeiter und die Kolchosbäuerin von Vera I. Muchina in einer ener­gischen Geste auf den mächtigen deutschen Adler zu, der von Speers Pavillon auf sie herabschaute.36 Kurze Zeit s­ päter war von auswärtiger Kulturpolitik seitens der Sowjetunion keine Rede mehr – der Krieg brachte Zerstörung und Leid mit sich, sodass sich das sowjetische Regime in den ersten Nachkriegsjahren primär um Wiederaufbau und eine neue Ordnung im sozialistischen Staat kümmern musste. Die Künstler, die 1922 das Publikum und die Kritiker in Berlin begeisterten, sind in Deutschland und Russland schnell in Vergessenheit geraten. Es ist dennoch gerade das Erbe der ­Ersten Rus­sischen Kunstausstellung, das als roter Faden die vorliegende Arbeit durchzieht. Der Geist der rus­sischen Avantgarde erwachte in den ersten Jahren der Bundesrepublik erst langsam wieder zum Leben und als man sich wieder an die Künstler erinnerte, beherrschten sie das positive Bild von der rus­sischen Kunst jenseits des Eisernen Vorhangs. Die Künstler der Avantgarde waren seit Ende der 1950er-­ Jahre als Antagonisten der offiziellen Staatskünstler der UdSSR angesehen worden: als wahre Künstler im Vergleich zu den programmierten „Zombies“ des Künstlerverbandes, die ausschließ­lich parteikonforme Kitsch-­Kunst produzierten.37 Vom „Anderen“ des Westens, wie Raev die Avantgarde in der Ausstellung frei nach Groys bezeichnet, wurden diese Künstler vom Westen zum „Anderen“ der Sowjetunion stilisiert.38 Bei Groys liest man: 36 Vgl. Raev 2007, 37 – 38. 37 Im Westen wurde die Tatsache größtenteils ignoriert, dass viele Künstler der rus­sischen Avantgarde in den ersten Jahren mit ihrer Kunst auch den Stalinismus unterstützten. Vgl. Ausst.-Kat. Traumfabrik Kommunismus 2003. 38 Raev zitiert aus dem Band Die Erfindung Rußlands, in dem Groys die These von der rus­sischen Kultur als dem „Anderen des Westens“ aufstellt, daraus leitet sie ab, dass seine These gerade von der ­Ersten Rus­sischen Kunstausstellung mit dem Fokus auf die linken Avantgardisten bestätigt wurde (vgl. Raev 2007, 30).

Forschungsstand und Methodik  |

„Vielmehr erfindet sich die rus­sische Kultur immer wieder neu als ‚andere‘ des Westen, indem sie opposi­tionelle, alternative Strömungen der west­lichen Kultur selbst, die einen integralen Teil dieser Kultur bilden, übernimmt, aneignet, transformiert – und dann gegen den Westen als Ganzes richtet.“39

Dieses Zitat verdeut­licht, dass das Verfahren der Aneignung im Westen auf die rus­ sische Avantgarde angewendet wurde. Die Aneignung geschah nicht, wie Groys diese im Falle Russlands definiert, aufgrund eines Minderwertigkeitskomplexes, sondern im Westen entwickelte sie sich vielmehr aus einem Überlegenheitsgefühl heraus. Man eignete sich die rus­sischen Avantgardisten als bedeutenden Teil der Kunstgeschichte an und konnte somit behaupten, diese Künstler im Gegensatz zu ihrem Ursprungsland würdigen und ehren zu können.

1.2 Forschungsstand und Methodik Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen die Ausstellungen sowjetischer Kunst und explizit rus­sischer Kunst (zum Beispiel: Peredvižniki), die zur Zeit des Kalten Krieges in der Bundesrepublik gezeigt wurden. Alle Projekte waren als Mittel der Diplomatie angedacht, ob sie nun von Anfang an staat­lich motiviert waren, oder wie es sich im Fall der ausgewählten Ausstellungen häufig um eine implizite Diplomatie handelte, oder von einzelnen Protagonisten als Form implizierter Diplomatie antizipiert. Die vorliegende Arbeit möchte keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, vielmehr soll mit ihr ein Einblick in die Entstehungsgeschichte einzelner Ausstellungen gegeben werden. Sowohl die Größe der untersuchten Projekte als auch ihre Zielsetzungen bilden ein großes Spektrum ab. Die Initiatoren der sowjetisch-­rus­sischen Ausstellungen realisierten diese vor dem Hintergrund unterschied­licher Hoffnungen und Pläne: Sicher­lich war allen bewusst, dass sie Kulturpolitik betrieben, auch wenn bei manchen die individuellen Vorlieben und Interessengebiete prioritär waren. Alle diese Ausstellungsmacher trugen zur Bildung eines bestimmten Kanons der sowjetischen Kunst bei, die teilweise bis heute existiert und der für die Rezep­tion rus­sischer Kunst in der Bundesrepublik als charakteristisch angesehen werden kann. Die Entstehung ­dieses Kanons, begleitet von einer Untersuchung des Zeitgefühls der Periode von 1950 bis 1990, sind wichtige Orientierungspunkte dieser Arbeit. Die ausgewählten Projekte machen deut­lich, wie kompliziert ein Kunstaustausch z­ wischen zwei Ländern mit unterschied­licher politischer Ausrichtung werden kann. Die Kunstpräsenta­tion in 39 Groys 1999, 8.

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einem intersystemaren Verhältnis ist bis heute eine anspruchsvolle Aufgabe der Kulturpolitik, wie viele Beispiele in den letzten Jahren bewiesen haben.40 Selten gelingt eine spürbare Annäherung oder das Generieren eines gegenseitigen Verständnisses mithilfe von Kunstausstellungen. Um die Situa­tion im untersuchten Zeitraum besser verstehen zu können, muss die Bedeutung der Kunst in der Bundesrepublik und der RSFSR unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs konkretisiert werden. Nach dem Sieg der Alliierten über den NS-Staat veränderte sich das europäische Machtgefüge erneut, die Sowjetunion allerdings blieb weiterhin in der Posi­tion eines gefähr­lichen Außenseiters. Die großen Kriegsverluste in Europa beanspruchten eine lange Zeit der Regenera­tion, besonders in der UdSSR, wo die meisten Opfer des Krieges zu beklagen waren. Die Künstlerschaft der Bundesrepublik hat sich in den ersten Nachkriegsjahren neu formiert und ausgerichtet: Mit der documenta I (1955) wurde die Rehabilita­tion der ehemals „entarteten“ Künstler erwirkt und in der Folgeausstellung documenta II (1959) wurde die Westorientierung der zeitgenös­sischen Kunst im Bann der Abstrak­tion deut­lich.41 Diese zweite Ausgabe der Erfolgsausstellung kann als eine Bebilderung der politischen Linie Konrad Adenauers, des ersten deutschen christdemokratischen Bundeskanzlers, angesehen werden, dessen Politik sich durch eine starke Westbindung auszeichnete.42 Zugleich waren die dominanten großformatigen Abstrak­tionen der amerikanischen Künstler an der deutsch-­deutschen Grenze und somit in unmittelbarer Nähe zum Einflussbereich der UdSSR eine provozierend starke kulturpolitische Geste der USA. ­Wie sollte die Sowjetunion darauf reagieren?43

40 Es gibt viele Beispiele für das Misslingen diplomatischer Bemühungen auf dem Kunstausstellungs-­ Sektor, die deutschen Ausstellungen Kunst der Aufklärung (Peking, 2012) und Bronzezeit: Europa ohne Grenzen (St. Petersburg, 2013) sind zwei Beispiele, die deut­lich negative Reak­tionen in den Medien ausgelöst haben. 41 Vgl. dazu: Schneckenburger 1983. 42 Vgl. Wünsche 2007, 20. 43 Auf eigenem Territorium hatte die UdSSR bereits 1957 die zeitgenös­sischen abstrakten Stile aus der ganzen Welt ausgestellt. Mit den 6. Weltjugendspielen feierte man das politische „Tauwetter“ in Moskau. Dieser Begriff wurde von Il´ja G. ­Erenburg im gleichnamigen Roman 1953 erstmals eingeführt. Später wurde er als Synonym für die Entstalinisierung und vorübergehende Liberalisierung in der anfäng­lichen Regierungszeit von Nikita S. ­Chruščëv verwendet. Laanements fasst zusammen: „Während der 6. Weltjugendspiele in Moskau 1957 trafen zeitgenös­ sische Künstler aus der ganzen Welt zusammen. Unter anderem waren die Schüler des zu der Zeit bekanntesten amerikanischen Künstlers Jackson Pollock – das Ehepaar Katherine und Harry ­Colmans – nach Moskau gereist, wo sie einen Workshop zur Drip-­Technik gaben. Bis Anfang der 1960er Jahre fanden noch weitere Ausstellungen dieser Art statt. Diese Ausstellungen spielten eine wichtige Rolle in der Phase der Entstalinisierung der sowjetischen Kunstwelt und der vorsichtigen künstlerischen Annäherung an einen Modernismus […]“. In Laanements 2012, 30.

Forschungsstand und Methodik  |

In seiner Untersuchung über die Einwirkung der CIA auf die Kulturpolitik der USA in der Zeit des Kalten Krieges stellt Frances Stonor-­Saunders fest, dass der inter­ systemare Kulturkampf der UdSSR und der USA primär auf bundesdeutschem Boden stattfand.44 Die ausgewählten Projekte dieser Untersuchung stehen programmatisch für eine Vielzahl von Versuchen, die bundesdeutsche Bevölkerung mit der sowjetischen beziehungsweise rus­sischen Kultur vertraut zu machen. In den 1970er-­Jahren wurden erste Ausstellungsprojekte auf deutsche Initiative hin angestoßen, die vonseiten der Sowjetunion zuerst mit Vorsicht angenommen, sodann sukzessive forciert und schließ­ lich für eigene Zwecke initiiert wurden. Das zeigen die Beispiele von Klaus Gallwitz und der Arbeitsgruppe der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Westberlin. Es handelt sich dabei um medienwirksame Ausstellungen, die als temporäre Ereignisse konzipiert waren. Sie wurden von den Museen eigenverantwort­lich organisiert und hatten keine programmatischen Instruk­tionen. Vorsichtig wurde die rus­sische Kunstgeschichte, im sowjetischen Sinne von ihrer besten Seite, präsentiert: Zunächst wurde die realistische Kunst der Peredvižniki ausgestellt, danach folgten die Künstler des rus­sischen Fin de Siècle, die nach dem Ende der Stalin-­Ära ihren Weg zurück in sowjetische Ausstellungsräume fanden. Die symbolistischen Maler der interna­tional anerkannten Gruppe Welt der Kunst (Mir Iskusstva)45 konnten ab den 1960er-­Jahren ebenfalls in der Sowjetunion rezipiert werden. Anders verhielt es sich mit Werken der Avantgardisten: In die Bundesrepublik wurden sie zöger­lich ausgeliehen und in der Sowjetunion tabuisiert. Das Entgegenkommen der sowjetischen Kulturverantwort­ lichen erklärt sich aus dem kontinuier­lich aufgebauten Druck von west­licher Seite, der mit einer permanenten harschen Kritik am totalitären Kultursystem der Sowjetunion einherging. Die Ausstellungen summierten sich, ihre Dimensionen wurden größer und eindrucksvoller, bis schließ­lich vom „Russen-­Boom“ in der Bundesrepublik gesprochen wurde,46 der in dieser Ausrichtung bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 anhielt. Die nachfolgende Periode stand unter völlig anderen Vorzeichen, dem Gefühl einer neuen Weltordnung und dem Verschwinden des kommunistischen Geistes, der Europa über Jahrzehnte in Unruhe versetzt hatte, weshalb diese Untersuchung mit dem Jahr 1990 endet. Die Art, in der sich Russland unter Gorbačёv, Boris N. ­El’cin oder Vladimir V. ­Putin im bilateralen deutsch-­rus­sischen Kunstaustausch zeigte, ist zweifellos ein spannendes Thema für weitere wissenschaft­liche Analysen. 44 Vgl. Stonor-­Saunders 2001. 45 Welt der Kunst (Mir Iskusstva) war der Name einer Ausstellungsvereinigung und einer Zeitschrift gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Russland, beide waren eng verbunden mit dem Impressario Sergej P. ­D´jagilev. 46 Vgl. Kap. 5.3.

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Es wird in dieser Untersuchung davon abgesehen, das umfassende Engagement der so genannten Mittlerorganisa­tionen der Bundesrepublik zu betrachten. Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), das Goethe-­Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und andere sind staat­liche Institu­tionen, die dem Auswärtigen Amt unterstehen und sich durch eine Kontinuität im Programm auszeichnen. Ihre verschiedenen Wirkungsweisen wurden in den letzten Jahren hinsicht­lich vieler Aspekte ausführ­lich untersucht.47 Diese Analyse konzentriert sich hingegen auf einzelne Projekte, die von den Museen selbst oder durch private Initiativen antizipiert wurden und ledig­lich die Unterstützung des Auswärtigen Amts genossen. Die offizielle Linie der auswärtigen Kulturpolitik beider Staaten im untersuchten Zeitrahmen wurde auf vielfältige Art und Weise eingehend analysiert: Die frühe Periode der sowjetischen Kulturpolitik (bis etwa 1972) wird ausführ­lich bei Oskar Anweiler und Karl-­Heinz Ruffmann beschrieben.48 Sie zeigen verschiedene Strategien und Problemfelder der Nachkriegszeit auf und geben Beispiele für konkrete Bemühungen vonseiten der Kulturverantwort­lichen der kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), eine funk­tionierende auswärtige Kulturpolitik zu entwickeln.49 Dabei stellen sie fest, dass der Kunstaustausch mit kapitalistischen Ländern in dieser Zeit eine untergeordnete Stellung hatte. Die spätere Periode (1969 bis 1990) aus der Perspektive der Bundesrepublik wird von Barbara Lippert untersucht.50 Ihr Fokus liegt auf der deutschen auswärtigen Kulturpolitik in den osteuropäischen Ländern. Bei Lippert werden Verhandlungen und Verträge des offiziellen Kulturaustauschs genau nachgezeichnet und Schlüsse aus den Entwicklungen gezogen. Einzelne kulturelle Veranstaltungen im Rahmen dieser Verträge spielen eine untergeordnete Rolle und die Resultate der Bemühungen werden rein statistisch erfasst.51 Beide Untersuchungen halfen, die jeweilige politische und kulturpolitische Stimmung genau zu erfassen, um den politischen und gesellschaft­lichen Rahmen der ausgewählten Ausstellungen definieren zu können. Eine aufschlussreiche Analyse der kulturellen Diplomatie der DDR nimmt Christian Saehrendt vor und erfasst minutiös die Versuche des Regimes, ein besseres Selbstbild

47 Vgl. zur frühen Geschichte des Goethe-­Instituts: Michels 2005; Kathe 2002 beschreibt die Nachkriegssitua­tion der Mittlerorganisa­tion. Zu den Problemen des Goethe-­Instituts als Vermittler auswärtiger Bewusstseinspolitik: Mumme 2006. Eine interessante Untersuchung zur Ausstellungstätigkeit der ifa bietet Schulte 2001. 48 Vgl. Anweiler/Ruffmann 1973. 49 Vgl. ebd. 50 Vgl. Lippert 1996. 51 Vgl. ebd.

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zu erschaffen.52 Dabei betrachtet er einzelne Kunstwerke und Projekte, die in der DDR konzipiert wurden, um die Völkerfreundschaft mit anderen Staaten zu festigen. Anhand d ­ ieses Materials kann die Abhängigkeit des DDR -Staates von sowjetischer auswärtiger Kulturpolitik gedeutet sowie die Ausnahmestellung der DDR im deutsch-­ deutschen Verhältnis mit anderen Ländern des Westens nachgezeichnet werden.53 Die Kunst der DDR sei heute zum Dokumenta­tionsmaterial verkommen, schreibt Saehrendt, und das liege vor allem daran, dass die Kulturpolitik stets ein „Werkkasten der Außenpolitik“ gewesen sei und bliebe.54 Er zitiert Cord Meier-­Klodt, einen Vertreter des Auswärtigen Amtes: „Kulturarbeit als dritte Säule der Außenpolitik folgt in ­erster Linie der Logik der Außenpolitik, nicht der Kulturförderung.“55 Besonders im politischen System der sozialistischen Staaten hatte Kunst die schwierige Aufgabe, als Mittel der politischen Propaganda dienen zu müssen, weshalb sie bis heute nicht als freie Kunst im west­lichen Sinne verstanden wird. Saehrendts Untersuchung dient als Pendant zur vorliegenden Arbeit, da die Bemühungen der DDR um diplomatische Beziehungen zu der Bundesrepublik ähn­liche Schwierigkeiten aufwiesen wie die der UdSSR. ­Das Kunstsystem und die Kunst waren vergleichbar und dennoch weckten die DDR -Künstler seit der documenta 6 (1977) das Interesse des bundesdeutschen Publikums, während der sowjetische/sozialistische Realismus weiterhin negiert wurde. Eine erste Annäherung an die offizielle rus­sische Staatskunst wagte die bundesdeutsche Öffent­lichkeit erst nach Perestroika und Glasnost, als evident wurde, dass die alten Formeln dieser Kunst längst aufgehört hatten zu existieren.56 Eine Theorie der auswärtigen Bewusstseinspolitik, wie sie schon bei Saehrendt im Zusammenhang mit der DDR angedeutet wird, entwickelt auch Martin Mumme.57 Diese diene laut Mumme dazu, Ideen und Denkansätze anderer Völker zu beeinflussen und könne mithilfe von Kunst und Philosophie vergleichsweise subversiv operieren.58 Ihre Hauptaufgaben s­ eien wie folgt beschreibbar: Ideologien verbreiten, tagespolitische Ideen fördern, Formen und Ansätze des Denkens beeinflussen. Bei seiner Untersuchung der Methoden verschiedener europäischer Länder kommt er zu dem zweifelhaften Schluss, dass deutsche Propaganda stets unwirksamer gewesen sei als die anderer Na­tionen, da das lutherische Deutschland Macht und Geist stets zu trennen versucht

52 Vgl. Saehrendt 2009. 53 Vgl. ebd., 146 – 147. 54 Ebd., 147. 55 Ebd. 56 Dazu s. Kap. 4. 57 Vgl. Mumme 2006. 58 Vgl. ebd.

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habe.59 Damit betont er die Trennung von Politik und Kunst beziehungsweise Literatur: In Deutschland ­seien die Literaten und Künstler nur selten in den Dienst der auswärtigen Bewusstseinspolitik genommen worden. Die Bundesrepublik gebrauche die Indoktrina­tion kaum, ist das Resümee des Autors, wogegen sie von anderen Ländern häufig eingesetzt werde.60 Diese Ergebnisse unterstreichen jedoch die Bedingungen, unter denen die sowjetischen Kunstausstellungen in der Bundesrepublik gezeigt wurden. Die Sowjetunion mit ihrer intendierten Herrschaft der Philosophen versuchte Macht und Geist stets zusammenzudenken. Die Kunst ist während und nach der Oktoberrevolu­tion als Teil ­dieses Gefüges gedacht worden, nicht nur von den politischen Anführern, sondern auch von den Künstlern selbst. Wenn man Mummes Erklärung folgen möchte, dann ist es offenkundig, dass viele der Ausstellungen aus der UdSSR in der Bundesrepublik nicht den erhofften Erfolg feiern konnten, weil die von der Trennung der Politik und Kunst gezeichnete Gesellschaft diese Bewusstseins­ politik ablehnte, wie die spätere Untersuchung deut­lich machen wird. Vielmehr ist jedoch die deutsche Gesellschaft durch die Verherr­lichung der abstrakten und gegenstandslosen Kunst in dieser Zeit beeinflusst worden, die keineswegs eine Trennung von politischen und künstlerischen Inhalten darstellte. Zwei wichtige Sta­tionen für die Untersuchung des deutsch-­rus­sischen Verhältnisses auf der Ebene der Kunst waren die bilateralen Ausstellungen Moskau – Berlin/Berlin – Moskva 1900 – 1950 (1995) und Moskau – Berlin/Berlin – Moskva 1950 – 2000 (2003).61 Beide Projekte dokumentierten die Beziehung dieser Länder anhand politischer, gesellschaft­ licher und künstlerischer Ereignisse und verwoben sie mit der Darstellung von Einzelschicksalen verschiedenster Kulturschaffender in drei umfangreichen, anläss­lich der Ausstellungen publizierten Bänden. Diese Ausstellungen waren in deutsch-­rus­sischer Zusammenarbeit entstanden und sollten eine ausgewogene Darstellung der Kunst ihrer Länder ohne ideellen Subtext verfolgen. Die erste Ausstellung, die sich der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts widmete, hatte eine bessere konzeptuelle Grundlage, da es vergleichbare künstlerischen Entwicklungen in beiden Ländern gab. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass es in dieser Periode mehr Beispiele für künstlerische Kollabora­tionen und Anleihen gab.62 Der zweite Teil, der von Russlands Präsident Vladimir V. ­Putin und dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder in Auftrag gegeben wurde, bot dagegen eine eher unfokussierte Zusammenstellung von 59 Vgl. ebd., 63 – 67. 60 Vgl. ebd., 67. 61 Vgl. Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1900 – 1950 1995; Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1950 – 2000 2003; Choroschilow 2003. 62 Vgl. Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1900 – 1950 1995.

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Material. Der Kalte Krieg trennte die Künstler in West und Ost, es gab nur wenige Berührungspunkte ­zwischen bundesdeutscher und rus­sischer Kunst. Zudem versuchten die Vertreter Russlands, mit dieser Ausstellung ein ureigenes rus­sisches Thema anzugehen: der Balanceakt, mit dem stalinistischen Erbe so offen wie mög­lich und dennoch sensibel umzugehen.63 Gleiches ist bei vielen untersuchten Ausstellungen, die den Zeitraum (1932 bis 1953) thematisierten, zum Beispiel Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg (1987/1988), festzustellen. Das Selbstbild, welches die Sowjetunion im untersuchten Zeitraum zu bewahren versuchte, stand der erfolgreichen kulturellen Diplomatie auf dem Gebiet der Kunstausstellungen im Weg. Das „na­tionale Selbstverständnis durch Präsenta­tionsformen und Wahrnehmungsmuster rus­sischer Kunst im Westen“ werden von Ada Raev vom 19. Jahrhundert an bis heute skizziert.64 Sie untersucht die verschiedenen Leitbilder der Wahrnehmung rus­sischer Kunst im Ausland, darunter fallen Begriffe wie „Ornament“, „Volkstüm­ lichkeit“ und „Exotismus“.65 Dabei verweist sie auf den Text von Groys, der die „Erfindung Russlands“ unter die Devisen des „Anderen“ des Westens stellte. Dieses Bild verfolgte Russland seit der ersten Weltausstellung 1900, stellt die Autorin fest.66 Nach dem abrupten Ende der bilateralen Beziehungen wurde rus­sische Kunst erst wieder in den 1950er-­Jahren entdeckt, allerdings handelte es sich hierbei um die „Geistige Kunst“ von Vasilij V. ­Kandinskij und Aleksej G. ­Javlenskij unter west­lichen Vor­zeichen.67 Nach der Wiederentdeckung der Avantgarde und der Auflösung der Sowjetunion sieht Raev eine Rückkehr zu den alten Bildern: Viele Ausstellungen der letzten Jahre vermittelten eine „romantisierende Verherr­lichung“68 der vorrevolu­tionären Vergangenheit. In manchen Fällen wurden die Bilder des alten Russlands durch konstruktivistische Elemente ergänzt, wie beim Ausstellungsplakat zu RUSSIA! (2006), für das ein idyl­ lisches Bild des länd­lichen Russlands von Aleksej G. ­Venezianov mit konstruktivis­ tischer Typografie verbunden wurde (Abb. 5).69 Die formalen kunstbezogenen Kriterien von Raev werden in dieser Untersuchung durch die politischen, gesellschaft­lichen und organisatorischen Rahmenbedingungen ergänzt. Es soll ein Blick hinter die kulturpolitischen Kulissen gewagt werden. Die einzelnen Ausstellungen werden auf ihr Konzept hin untersucht: Die ausgestellten Künstler, Werke und die vermittelte Informa­tion werden durch die politischen und 63 Vgl. Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1950 – 2000 2003; Choroschilow 2003. 64 Vgl. Raev 2007, 30 – 42. 65 Vgl. ebd. 66 Ebd. 67 Vgl. ebd., 39. 68 Ebd., 40. 69 Vgl. ebd., 41.

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Abb 5  Titelblatt des Katalogs RUSSIA!, im Solomon R. ­Guggenheim Museum New York, 2005, Detail von A. ­G. Venezianovs Bei der Ernte. Sommer, erste Hälfte der 1820er-­Jahre.

gesellschaft­lichen Rahmenbedingungen vervollständigt. Die Organisatoren und Initiatoren, das Entstehen der Ausstellung, zusammen mit der hervorgerufenen Resonanz werden betrachtet, um die ursprüng­lichen Interessen, die hinter dem Projekt standen, herauszuarbeiten. Ziel ist es, die unterschied­lichen Strategien, die für das Entstehen dieser vielfältigen Projekte notwendig waren, zu analysieren. Stagna­tion in der Ära Adenauer, Ignoranz oder Polemik gegenüber der sowjetischen Staatskunst, Wiederentdeckung der rus­sischen Avantgarde und der Russen-­Boom der 1980er-­Jahre sind die wichtigsten Sta­tionen des untersuchten Zeitraums, der sich von den ersten bilateralen Verträgen über den Kulturaustausch z­ wischen der Bundesrepublik und der UdSSR bis hin zum Auflösen des sowjetischen Systems im Jahr 1991 erstreckt. Die ehemalige sowjetische Staatskunst wurde zum ersten Mal während der Ausstellung Agita­tion zum Glück (1993/1994) als medienwirksames Projekt präsentiert.70 Trotz des optimistischen Impetus wurde sie von der Presse mit Argwohn aufgenommen.71 Die Zeit des Misstrauens war offiziell vorbei und der sozialistische Realismus diente nur noch der Dokumenta­tion einer verschwundenen Gefahr. Dennoch waren die negativen Gefühle des Kalten Krieges in der deutschen Öffent­lichkeit immer noch vorhanden und weckten Interesse an der Ausstellung.

70 Ausst.-Kat. Agita­tion zum Glück 1995. 71 Agita­tion zum Glück, 26. 11. 1993 – 30. 01. 1994 in der documenta-­Halle in Kassel, Kurator Hubertus Gaßner. Vgl. als Rezensionsbeispiele: Holm 1993; Anonym 1993; Becker 1993.

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Die untersuchten Ausstellungen wurden auf vielfältige Weise zu Meilensteinen dieser bilateralen Beziehung: Sie waren Premieren rus­sischer Kunst im Westen, haben die Parameter der west­lichen Kunstgeschichte verändert oder bekamen durch ihren Publikumserfolg infolge ihrer Neuartigkeit eine große Presseresonanz. Diese Art der öffent­lichen Meinungsbildung steht im Zentrum der Untersuchung: Neben Ausstellungskatalogen und internen Dokumenten waren daher die Reak­tionen auf die jeweilige Ausstellung von großer Bedeutung für die vorliegende Arbeit. Die Anzahl der zitierten Kritiken fällt an vielen Stellen großzügig aus, um anhand der Rezensionen einen Einblick in die damalige Wahrnehmung der ausgestellten Kunst zu geben. Die (Presse-)Kommentare vermitteln nicht nur die Atmosphäre, in welcher die Ausstellungen stattfanden, sondern zeigen zugleich auf, ob das Meta-­Ziel der idealisierten Selbstdarstellung erreicht wurde. Insofern – im Falle geneigter Bewertungen – wurden diese Rezensionen selbst ein Mittel der Diplomatie. Es werden zudem alle Pressestimmen berücksichtigt – sowohl die überregionalen Premium-­Feuilletons als auch kleinere Lokal- und Regionalzeitungen, um eine mög­lichst facettenreiche Meinungsbildung der Gesellschaft aufzuzeigen. Dabei treten die Auffassungen prominenter Kommentatoren wie Hans-­Peter Riese sowie die Programmatik einzelner Zeitungen in Erscheinung. Die Pressespiegel sind zudem für die Rekonstruk­tion von Ausstellungen unerläss­lich, die eine längere Zeit zurückliegen und nicht ausreichend dokumentiert wurden. Um das Bild zu vervollständigen, wurden von der Verfasserin Interviews mit Zeitzeugen und Initiatoren der Ausstellungen geführt, die einen tieferen Einblick in die Hintergründe und Entstehungsbedingungen dieser Projekte gegeben haben. Da diese Untersuchung den Fokus auf die Inten­tionen hinter der ausgestellten Kunst legt, wurde oft darauf verzichtet, ausgiebige Beschreibungen der Werke und der Ausstellungssitua­ tionen aufzuführen, die zum einen für das Thema der Arbeit eine eher nachrangige Bedeutung spielen und zum anderen als detaillierte Darstellung der Hängung oder der praktischen Konzeptes oftmals nicht existieren. Die Untersuchung konzentriert sich auf die kulturpolitische Atmosphäre von zwei Dekaden sowjetischer/rus­sischer Ausstellung in der Bundesrepublik und um die Veränderungen, ­welche durch die Ausstellungen manifestiert wurden.

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1.3 Diplom atische Beziehungen in der Nachkr iegsper iode In den 1950er-­Jahren war die gängige Meinung in der UdSSR , dass der Westen die Schwierigkeiten in den Kulturbeziehungen zur Sowjetunion bereite.72 Nach Stalins Tod konnte die sowjetische Kulturpolitik langsam die ersten kleinen Schritte machen, hierfür wurden vier Kategorien des bilateralen Kulturaustauschs festgeschrieben: 1.  gegenüber den kommunistischen Staaten, 2.  gegenüber den Freundschaftsgesellschaften in nichtkommunistischen Staaten, 3.  gegenüber unterentwickelten Staaten, 4.  gegenüber den kapitalistischen Staaten. Ab 1954 war der Kulturaustausch mit den kommunistischen Staaten auf seinem Höhepunkt angelangt und auch das sowjetische Engagement in den Entwicklungsländern wuchs ständig an.73 Während der Genfer Konferenz 1955 wurden nach der langen fast 20-jährigen Stagna­tion erstmals Signale eines vorsichtigen Annäherungswillens an den Westen gesendet. Trotz dieser Geste der Offenheit waren die offiziellen Stellen der UdSSR darauf bedacht, sich und das Volk so gut wie nur mög­lich vom west­lichen, das heißt „kapitalistischen“ Gedankengut abzuschirmen.74 Alle auf eine Öffnung abzielenden Vorschläge des Westens wurden von Außenminister V’jačeslav M. ­Molotov abgelehnt. Die Grenzen sollten vorerst bestehen bleiben. Die Sowjetunion verfolgte einen anderen Weg: Sie plante mit ihren Musikern, Tänzern und Sportlern eine neue Präsenz im Westen zu erlangen, neue wissenschaft­liche Kontakte zu knüpfen und einen Austausch von Delega­tionen zur Good-­Will-­Propaganda (bei Schriftstellern, Gewerkschaftlern, Freundschaftsgesellschaften) oder zur technischen Informa­tionsbeschaffung für die eigene Industrie zu ermög­lichen. Der bildenden Kunst wurde in den ersten Jahren ­dieses Austauschs wenig Beachtung geschenkt, den Vorrang hatten musika­lische und sport­liche Veranstaltungen.75 Zeitgleich wurden die ersten offiziellen Abkommen über den kulturellen Austausch unterzeichnet, auch hier hatten die befreundeten volks­demokratischen Länder Vorrang. Mit der DDR herrschte ein reger Kunstaustausch, der auf einvernehm­lichen programmatischen Veranstaltungsabläufen fußte. Saehrendt bezeichnet die DDR , verg­lichen mit anderen sozialistischen Staaten, als 72 Vgl. Anweiler/Ruffmann 1973, 369. 73 Vgl. ebd., 371 – 372. 74 Die Genfer Atomkonferenz (8.–20. 08. 1955) war eine offizielle Veranstaltung der Vereinten Na­tionen zur Klärung des Status quo bezüg­lich der Nutzung von Kernenergie weltweit. Sowohl die UdSSR als auch die USA präsentierten ihre Aktivitäten (vgl. ebd., 372). 75 Vgl. ebd., 373.

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einen besonders „loyalen Vasall[en]“ der UdSSR.76 Ulbricht übernahm das strenge Staatskunst-­System und die vorgeschriebenen Ausstellungsprogramme der UdSSR – gleichsam als Prämisse der kulturellen Beziehungen mit dem „Großen Bruder“. Es gab wechselnde Ausstellungen zu proletarischen Grundthemen, die durch Bildwelten des sozialistischen Realismus bestückt wurden. Im Gegensatz zur auswärtigen Kulturpolitik gegenüber den west­lichen Staaten folgte die Kulturpolitik der DDR in der UdSSR einem festgeschriebenen Programm.77 Am 30. Mai 1959 wurde das erste Kulturabkommen z­ wischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Solche Verträge waren meist auf zwei Jahre angelegt und enthielten einen detaillierten Maßnahmenkatalog. Dem Abkommen mit der Bundesrepublik ging eine eminent lange Verhandlungszeit voraus.78 Ursache für diese langwierigen Verhandlungen war unter anderem die komplexe Berlin-­Frage 79, die im ganzen Untersuchungszeitraum eine Schlüsselrolle spielte. „Die Bundesrepublik Deutschland ist der einzige der west­lichen Vertragspartner aus dem Zeitraum von 1956/61, der das erste Kulturabkommen nicht erneuert bzw. nicht erweitert hat. Verhandlungen über ein zweites Kulturabkommen (1961/1962) scheiterten, da die sowjetische Seite eine Einbeziehung deutscher Staatsangehöriger mit dem Wohnsitz in Westberlin ablehnte, während im Austausch ­zwischen der DDR und der Sowjetunion Ostberlin teilnahm […]. Erst das Berlin-­Abkommen vom 3. September 1971, das den Standpunkt der Regierung der Bundesrepublik Deutschland bestätigte, könnte die Grundlage für ein neues Kulturabkommen geben.“80

Bis in die 1970er-­Jahre hinein existierte kein offizieller Unterbau für einen Kulturaustausch mehr. Die kulturpolitischen Beziehungen ­zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR stagnierten, während in der DDR das speziell für die sozialistischen Länder entwickelte Kulturprogramm fortgesetzt wurde. Die DDR war der erste sozialistische Staat, mit dem eine Kulturvereinbarung beschlossen wurde. Der Vertrag wurde 1964 76 Vgl. Saehrendt 2009, 59. 77 Näheres zum Verhältnis ­zwischen UdSSR und DDR sowie zur auswärtigen Kulturpolitik der DDR: ebd., 59 – 91. 78 Diese zog sich hin vom 10.–19. 12. 1958 und 19.01.–24. 03. 1959. Zusätz­liche Verhandlungen in Moskau im Jahr 1960 galten gesondert dem Jahresprogramm (vgl. Anweiler/Ruffmann 1973, 376; zur detaillierten Inhaltsangabe eines bilateralen Kulturabkommens s. ebd., 377 – 384). 79 Die „Berlin-­Frage“ störte immer wieder die Verhandlungen der 1970er-­Jahre: „Der Hinweis auf eine zufriedenstellende oder volle Einbeziehung Berlins in Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit Drittstaaten gehörte zum Kernbereich der Bonner Außenpolitik, wie sie die Deklara­tionen der Bundesregierung immer wieder bekräftigten.“ (Lippert 1996, 251 – 256). 80 Anweiler/Ruffmann 1973, 373.

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unterzeichnet. Das Prinzip des sozialistischen Interna­tionalismus herrschte über dieser Beziehung, dabei hatte die Sowjetunion, und damit überwiegend die RSFR, stets die Hauptposi­tion.81 Die bildende Kunst spielte eine unbedeutende Rolle im Austausch mit Westdeutschland, während etwa Musiker wie David F. ­Ojstrach seit den 1950er-­ Jahren kontinuier­lich in den west­lichen Ländern auftraten. Die bildende Kunst war im System der UdSSR einem festgeschriebenen Diktat des sozialistischen Realismus unterworfen, der in d ­ iesem Zeitraum im Westen auf wenig Zustimmung stießen. Auf der Suche nach dem eigenem Stil und Ausdruck wandten sich die Künstler in Europa und USA hauptsäch­lich der Gegenstandslosigkeit zu, die in den sozialistischen Ländern abwertend als „Formalismus“ bezeichnet wurde. In der Bundesrepublik waren die 1950er-­Jahre von der „Abstrak­tion als Weltsprache“ beherrscht.82 Man blickte mit Ehrfurcht westwärts, wo Informel, Minimal Art und abstrakter Expressionismus ihren Siegeszug feierten. Summarisch kann die Regierungszeit von Konrad Adenauer durch ihre Westorientierung auf allen Gebieten, sowohl dem wirtschaft­lichen, politischen als auch dem kulturellen, charakterisiert werden. Unter diesen Umständen konnte ein Kunstaustausch z­ wischen der Bundesrepublik und der UdSSR nicht fruchten. Die sowjetischen Kulturfunk­tionäre waren sich dieser Situa­tion bewusst und konzentrierten sich auf den Export von Musik, Literatur, Sport und Tanz. Es gab jedoch in den 1950er-­Jahren von bundesdeutscher Seite aus Bestrebungen, eine Epoche der rus­sischen Kunst zu rehabilitieren.83 Die Avantgarde-­Bewegung des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts wurde im Westen sukzessive ins kollektive Gedächtnis zurückgebracht, während in der UdSSR die „formalistischen“ Künstler in den Depots gelagert wurden. Viele Arbeiten von Kandinskij, Malevič, Lisickij und anderen Vertretern dieser Kunstrichtung befanden sich im Westen.84 Aus ­diesem Grund konnte die rus­sische Avantgarde in Ausstellungen teilweise rekonstruiert werden. 81 Vgl. ebd., 387. 82 Siehe Anm. 19. 83 Diese Wiederentdeckung fand vor dem Hintergrund des heftigen Realismusstreits, der seinen Höhepunkt 1950 während des E ­ rsten Darmstädter Gesprächs (1950), anläss­lich der Ausstellung Das Menschenbild unserer Zeit, stattfand. Die Hauptstreitenden waren Hans Sedlmayr, Willi Baumeister und Theodor W. ­Adorno (vgl. Evers o. J.). 84 Vor den Weltkriegen arbeiteten und lehrten rus­sische Künstler wie Vasilij V. ­Kandinskij, Aleksej G. ­Javlenskij, Marianna V. ­Verëvkina (Marianne v. Werefkin), Michail F. ­Larionov, Natalija S. ­Gončarova unter anderem in München, Berlin, Darmstadt und Paris. Auch nach dem ­Ersten Weltkrieg gab es wieder zahlreiche Verbindungen ­zwischen der UdSSR und Westeuropa. Die sowjetischen Künstler bereisten vorzugsweise Paris und Berlin. Malevič hinterließ einen großen Teil seines suprematistischen Werks in Deutschland, als er 1927 aus Berlin dringend zurück in die UdSSR gerufen wurde. Lissickij hielt sich in den 1920er-­Jahren mehrmals in Hannover und Köln auf (vgl. Ausst.-Kat. Der Beitrag der Russen zur modernen Kunst 1959).

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Der Beitrag der Russen zur modernen Kunst war der programmatische Titel für die erste Ausstellung der rus­sischen Avantgardisten in der Bundesrepublik. Sie wurde 1959 im Karmeliterkloster der Stadt Frankfurt am Main gezeigt. Die Leihgaben kamen überwiegend aus der Bundesrepublik und aus Frankreich, zum Teil noch von den Künstlern selbst. Der Organisator Dr. Karl vom Rath sprach in seinem Vorwort des Ausstellungskatalogs von einem ersten Versuch, den Beitrag der Russen zu rekonstru­ ieren. Gleichzeitig zeigte er sich verwundert, dass vor ihm niemand d ­ ieses Thema aufgenommen hatte.85 Eberhard Steneberg verwies im Katalog auf den großen Einfluss der École Russe auch auf zeitgenös­sische Künstler, wie Mark Rothko und andere abstrakt Schaffende. Er rief dazu auf, diese vergessene, aber wichtige Kunstbewegung mit vereinter Kraft wieder zu rekonstruieren.86 Dieser Aufruf war berechtigt und wies in die Zukunft, denn in den 1960er-­Jahren wurden neue Ausstellungen organisiert: In Leverkusen wurde Malevič aus den Stedelijk-­Beständen und der Privatsammlung von Hans von Riesen gezeigt. In Berlin fand 1967 eine erneute Übersicht der rus­sischen Avantgarde statt, die ebenfalls aus west­lichen Leihgaben bestand.87 Ausschlaggebend für die Wiederentdeckung der rus­sischen Avantgarde soll zudem das 1963 erschienene Buch der britischen Kunsthistorikerin Camilla Gray gewesen sein (Die Rus­sische Avantgarde der modernen Kunst 1963 – 1922).88 Sie war ­später die Ideengeberin der Ausstellung Art in Revolu­tion, die 1971 vom British Council organisiert und ein Jahr ­später auch in Frankfurt, Stuttgart und Köln gezeigt wurde. Dieses Projekt unternahm einen direkten Rückgriff auf die Erste Rus­sische Kunstausstellung: Der Blick auf das Schaffen der progressiven Künstler wurde wieder erweitert, indem neben der bildenden auch die angewandte Kunst (Architektur, Produktgestaltung, Agita­tion, Theater und Film) 85 Vgl. ebd., o. S. 86 Vgl. ebd., o. S. Liste der ausgestellten Künstler (alphabetisch): Aleksander P. ­Archipenko, Sonia Delaunay-­Terk, Naum Gabo, Nataljia S. ­Gončarova, Aleksej G. ­Javlenskij, Vasilij V. ­Kandinskij, Andrej M. ­Lanskoi (André Lanskoy), Michail F. ­Larionov, Ėl’ Lisickij, Kasimir S. ­Malevič, Pavel D. ­Mansourov, Anton A. ­Pevsner (Antoine Pevsner), Sergej Pol´jakov (Serge Poliakoff ), Ivan A. ­Puni (Jean Pougny), Mark H. ­Šagal (Marc C ­ hagall), Sergej I. ­Šaršun (Serge Charchoune), Nikolas de Staël, Vladimir L. ­Zabotin, Ossip A. ­Zadkin (vgl. ebd., 5 – 20). Die Mehrzahl der ausgestellten Künstler lebte schon seit Jahren im europäischen Exil, sie wurden teilweise nicht mehr als rus­sische, sondern als franzö­sische oder amerikanische Künstler angesehen. Die Biografien im Katalog zeigen auf, dass viele Künstler immer noch vielfach ausgestellt wurden. Pevsner und Zabotin beteiligten sich zum Beispiel in der Bundesrepublik an großen Ausstellungen und Šagal hatte 1959 große Retrospektiven in Hamburg und München. 87 Kasimir Malewitsch, Städtisches Museum Leverkusen, Schloss Morsbroich, 10.03.–01.04. Avantgarde Osteuropa 1910 – 1930, Ausstellung der Deutschen Gesellschaft für Bildende Kunst (Kunstverein Berlin) und der Akademie der Bildenden Künste, Oktober – November 1967. 88 Eigent­lich Camilla Gray-­Prokof ’ev, Ehefrau Oleg S. ­Prokof ’evs, Sohn des Komponisten Sergej S. ­Prokof ’ev.

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der rus­sischen Avantgardisten ausgestellt wurde.89 Dadurch wurde end­lich wieder die breite Dimension dieser kreativen Utopie präsentiert, die eng mit den Begriffen der Produk­tionskunst verknüpft war. Die Künstler dieser Bewegung gewannen seit der ersten Ausstellung 1959 immer mehr Ansehen in der Bundesrepublik, bis zu den 1970er-­Jahren wurden jedoch keine sowjetischen Leihgaben in solchen Projekten gezeigt. Derweil zeichnete sich in der UdSSR die poststalinistische Entspannung ab: Ende der 1950er-­Jahre konnten im Moskauer Sokolniki-­Park im Rahmen der 6. Weltjugendspiele etwa 4500 Arbeiten zeitgenös­sischer Künstler aus 53 Staaten betrachtet werden.90 Die Wirkung dieser Ausstellungen war immens – die Bewegung der unabhängigen Künstler formte sich weiter aus, sie fühlten sich in ihrer Posi­tion bestärkt und das politische Tauwetter gab ihnen neue Hoffnung. Diese optimistische Phase nahm mit dem Chruščëv-­Neizvestnyj-­Eklat von 1962 ein schnelles Ende.91 Die Sowjetunion nahm gewöhn­lich an interna­tionalen Ausstellungsprojekten teil, doch die konstante Angst der sowjetischen Funk­tionäre vor west­licher Kulturpropaganda gab dem Austausch nur eingeschränkte Entwicklungsmög­lichkeiten. Die sowjetische Kulturministerin Jekaterina A. ­Furceva ermahnte öffent­lich zur Vorsicht: „‘Die reak­tionären Kräfte bemühen sich, die kulturellen Beziehungen zu benutzen, um die bürger­liche Ideologie in unser Land einzuschleppen – durch Kino, künstlerische Ausstellungen und Konzertprogramme’ (Furceva, Pravda 7. April 1966). Ähn­lich spricht aus Äußerungen Żukovs, Romanovskijs und anderer leitender Kulturfunk­tionäre die Sorge, daß trotz des streng kontrollierten und eng begrenzten Austauschs eine Zersetzung des sowjetischen Systems durch die west­liche Kultur erfolge.“92 89 Die Leihgaben aus der Sowjetunion waren nur für London bestimmt und wurden für die weitere Tournee in Bologna, New York, Toronto, Frankfurt, Stuttgart und Köln nicht verlängert (vgl. Ausst.-­ Kat. Kunst in der Revolu­tion 1972, 3). 90 28.07.–11. 08. 1957; die Kunstwissenschaftlerin aus dem Kreis der Nonkonformisten, Galina I. ­Manevič, erinnert sich: „Die Begegnung mit der abstrakten Malerei […], der Besuch der Ausstellungen der Vereinigten Staaten und Frankreichs in den Kulturpavillons im Sokolniki-­Park, sowie die umfangreiche Picasso-­Retrospektive veränderten das Bewußtsein der 60er-­Jahre-­Genera­tion.“ (Zemter 2000, 14). 91 So wird der Vorfall vom 1. Dezember 1962 im Zentralen Ausstellungssaal in Moskau bezeichnet. Anlass war die Ausstellung zum 30-jährigen Bestehen der Moskauer Abteilung des Künstlerverbands. Es durften auch „progressive“ Künstler wie Jurij A. ­Nolev-­Sobolev, Julo Sooster, Vladimir B. ­Jankilevskij, Ėrnst I. ­Neizvestny und Schüler des Bel´jutin-­Studios ausstellen. An ­diesem Tag besuchte Chruščëv und weitere hohe Funk­tionäre der KPdSU die Ausstellung. Der Regierungschef zeigte sich entsetzt, bezeichnete die Künstler als „degeneriert“ und verlangte, diese zu bestrafen. Dieser Vorfall wird allgemein als das Ende des „Tauwetters“ für die bildende Kunst angesehen (vgl. Zemter 2000, 23 – 24). Später gab Chruščëv zu, dass sein Auftritt oberfläch­lich und vorbereitet war, um konservativen Partei­ mächten zu imponieren (Ausst.-Kat. Soviet Alternative Art 2006, 31). 92 Anweiler/Ruffmann 1973, 387.

Diplomatische Beziehungen in der Nachkriegsperiode  |

Dennoch gab es gelegent­liche Ausnahmen: 1971 wurde in Moskau eine Ausstellung der grafischen Arbeiten von deutschen Expressionisten gezeigt. Das Programm dieser westdeutschen Ausstellung auf sowjetischem Boden war der E ­ rsten deutschen Kunstausstellung ähn­lich, die im Jahr 1923 in Moskau gezeigt worden war. Die sowjetischen Ausstellungsbesucher sahen Werke von Otto Dix und George Grosz nach fast fünfzig Jahren wieder. Um ein solch gewagtes Ausstellungsprojekt in Moskau zustande zu bringen, brauchte es eine neun Jahre dauernde Vorbereitungszeit des Tübinger Landeskonservators Dr. habil. Adolf Rieth.93 Dieser Kulturaustausch fand unmittelbar ­zwischen den Museen statt und die Holzschnitte der deutschen „Formalisten“, wie sie von der offiziellen sowjetischen Doktrin bezeichnet wurden, verg­lich man im Katalog sogar mit der rus­sischen Volkskunst. Zudem schrieb der Russlandkorrespondent der FAZ, Herrmann Pörzgen, dass im Katalog der Einfluss des Sozialismus und der osteuropäischen Länder auf die deutschen Künstler als besonders stark hervorgehoben worden sei.94 Von dieser ersten Darstellung ausgehend, werden in den folgenden beiden Kapiteln einzelne Projekte detailliert analysiert. Die gewählte chronolo­gische Form erleichtert den Vergleich und das Aufzeigen von Veränderungen in der sowjetischen auswärtigen Kulturpolitik in den 1970er- und 1980er-­Jahren. Bis 1972 gab es in der Bundesrepublik keine große Ausstellung mit sowjetischen Leihgaben, ledig­lich einzelne kleinere Leihanfragen, die für diese Betrachtung keine wesent­liche Rolle spielen und deshalb nicht näher in dieser Arbeit dargestellt werden.95

93 Vgl. ebd., 382. Der Landeskonservator von Baden-­Württemberg reiste seit 1962 mehrfach nach Moskau und organisierte dort eine Ausstellung der deutschen Expressionisten, als Gegenleistung wurde sowjetische Grafik seit 1920 nach Stuttgart gebracht (Quelle: Pörzgen 1971, o. S.). 94 Vgl. ebd. 95 Georgios Kostakis entlieh einige Werke von Šagal für die Retrospektive in Hamburg 1959, s. Kap. 2.4.

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1.4 R ussischer R e a l ismus 1850 –  1900 (24. 11. 1972 –  25. 02. 1973, Sta atliche Kunsth alle Baden-Baden) In Baden-­Baden, einer Kurstadt am Fuße des Nordschwarzwaldes, wirkte von 1967 bis 1974 Klaus Gallwitz als Direktor der Staat­lichen Kunsthalle Baden-­Baden. Unter seiner Leitung sind einige legendäre Ausstellungen an d ­ iesem Ort entstanden, Rus­sischer Realismus 1850 – 1900 ist eines dieser Projekte, das für die vorliegende Untersuchung in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Bestandteil geworden ist. Unter mehreren Aspekten war diese Ausstellung ungewöhn­lich für den Betrachter. Sie hatte einen hohen Neuig­ keitswert: Zum ersten Mal wurden in der Bundesrepublik die Werke der rus­sischen Realisten des 19. Jahrhunderts in einer gemeinsamen Gruppenausstellung präsentiert. Eine weitere Besonderheit lag in der Exklusivität des Ereignisses: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wurden Werke aus den bedeutendsten rus­sischen Museen in die Bundesrepublik verliehen. Insgesamt 150 Leihgaben von 37 Künstlern kamen aus der Staat­lichen Tret’jakov-­Galerie in Moskau und aus dem Staat­lichen Rus­sischen Museum in Leningrad. Die ausgestellten Werke gehörten zum so genannten „kritischen Realismus“96, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Russland ausbildete. Diese Bewegung wurde maßgeb­lich von Nikolaj G. ­Černyševskijs Roman Was tun? beeinflusst, der 1863 im Gefängnis der Peter-­und-­Paul-­Festung in St. Petersburg verfasst wurde. Darin stellte Černyševskij die Frage, wie idealistische Menschen die Welt sukzessive verändern könnten.97 In seinen Schriften zur Kunst wandte er sich gegen den Idealismus. Er sah die Aufgabe der Kunst nicht in der Nachahmung der Natur, sondern darin, die Wirk­lichkeit als objektive Grundlage für engagierte Kunst zu n ­ utzen.98 Für die jungen Maler und Bildhauer wirkte er als Katalysator für ihre aufkommenden Überlegungen und Fragen zu den Missständen in der rus­sischen Gesellschaft: Sie verließen die Akademie in St. Petersburg, distanzierten sich von der tradi­tionellen Lehre und gründeten ihre eigene Vereinigung. Dieses Ereignis, in Russland als Aufstand der Vierzehn bezeichnet, fand im Jahr 1864 statt. Die Gruppe wurde 1870 offiziell gegründet und benannte sich selbst als Gemeinschaft der Künstler zur Veranstaltung 96 Hierbei handelt es sich um die offizielle Bezeichnung d ­ ieses Stils in der Sowjetunion, die weiteren Ausführungen werden zeigen, dass diese Bezeichnung im Westen umstritten war. 97 Vgl. Tschernyschewski 1979. 98 Vgl. Tschernyschewski 1989, 85 – 103.

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von Wanderausstellungen oder Peredvižniki (dt. die Wanderer). Ihr Hauptanliegen war, das reale Leben der Menschen abzubilden, s­ oziale Ungerechtigkeiten mithilfe der Kunst zu bekämpfen und ihre Kunst den Menschen Russlands zugängig zu machen. Sie malten ihre Motive auf großformatige Leinwände und stellten diese auf Wanderausstellungen im ganzen Land aus – nicht nur in den Großstädten, sondern auch in der Provinz und auf dem Land. In der Baden-­Badener Ausstellung wurden einige der berühmtesten Künstler und Werke dieser Zeit gezeigt.99 Die Ausstellung zeichnete sich durch eine hervorragende Auswahl der Exponate aus, auch wenn einige Schlüsselwerke dieser Zeit fehlten. 100 Außer den Peredvižniki wurden in der Ausstellung Künstler gezeigt, die zwar nicht offiziell dieser Gruppe angehörten, deren Schaffen aber ebenfalls dem kritischen Realismus zuzuordnen ist, wie etwa der Kriegsmaler Vasilij V. ­Vereščagin. Klaus Gallwitz, der Direktor der Kunsthalle Baden-­Baden und Initiator der Ausstellung, schrieb in seinem Geleitwort zum Katalog: „Bilderbuchvorurteile und Bilderbuchsympathien sind bis zum heutigen Tag immer noch kennzeichnend für das großenteils naive Verhältnis zur rus­sischen Kultur.“101 Seine Entscheidung, den rus­sischen Realismus auszustellen, erklärte er damit, dass dieser in der Bundesrepublik größtenteils unbekannt war, während rus­sische Schriftsteller und Komponisten des 19. Jahrhunderts ein großes Publikum im Westen und früh den Mythos von der „rus­sischen Seele“ begründet hätten. Dieses Ungleichgewicht entstand durch mangelnde Vermittlung, meinte ­Gallwitz: Weil es in Westeuropa noch nie eine große Überblicksausstellung der rus­sischen Realisten gegeben habe, ignoriere sie die europäische Kunstgeschichte. So schreibt er im Katalog der Ausstellung:

99 Die Ertrunkene (1867) von Vasilij G. ­Perov, Mittagspause der Kreisverwaltung (1872) von Grigorij G. ­M´jassojedov, Plötz­licher Angriff (1871) von Vasilij V. ­Vereščagin. Auch Il´ja E. ­Repin, im Westen der anerkannteste unter diesen Künstlern, war mit mehreren Werken vertreten, unter anderem mit der Studie des Gemäldes Die Saporosher Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief (1891). 100 Beispielsweise wurden Repins Wolgatreidler nur durch Skizzen und kleinere Versionen ausgestellt: Wolgaschlepper an der Furt (1872) und die erste Skizze Wolgaschlepper (1870). Ausgestellte Künstler (alphabetisch): Abram E. ­Archipov, Pavel A. ­Fedotov, Nikolaj N. ­Ge, Nikolaj A. ­Jarošenko, Nikolaj A. ­Kassatkin, Michail K. ­Klodt, Konstantin A. ­Korovin, Aleksej I. ­Korsuchin, Ivan N. ­Kramskoi, Archip I. ­Kuindši, Isaak I. ­Levitan, Vladimir E. ­Makovskij, Vasilij M. ­Maximov, Grigorij G. ­M´jassojedov, Aleksandr I. ­Morosov, Nikolaj V. ­Nevrev, Ivan S. ­Ostrouchov, Vasilij G. ­Perov, Ivan P. ­Pochitonov, Vasilij D. ­Polenov, Illarion M. ­Pr´janišnikov, Il´ja E. ­Repin, Konstantin A. ­Savickij, Aleksej K. ­Savrassov, Valentin A. ­Serov, Ivan I. ­Šiškin, Pëtr M. ­Šmelkov, Pëtr P. ­Sokolov, Leonid I. ­Solomatkin, Firs S. ­Šuravl´jov, Vasilij I. ­Surikov, V´jačeslav G. ­Švarz, Aleksander V. ­Ustinov, Victor M. ­Vasnecov, Apollinarij M. ­Vasnecov V. ­M., Fëdr A. ­Vassil´jev, Vasilij V. ­Vereščagin. 101 Ausst.-Kat. Rus­sischer Realismus 1850 – 1900 1972, 7.

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„Die konsequente und glänzende Entwicklung der franzö­sischen Kunst bestimmte schließ­lich die Lehrsätze unserer Ästhetik. Die erste umfassende Ausstellung der rus­sischen Realisten in Westeuropa wird viele Vergleiche herausfordern. Unschwer lassen sich die zahlreichen Anregungen feststellen, die die ‚Wanderer‘ aus Deutschland, Italien und Frankreich mitbrachten. Aber ebenso deut­lich wird sich die eigentüm­liche, mitunter krasse Entschiedenheit ihrer Kunst abheben.“102

Gallwitz spricht von einer angestrebten Horizonterweiterung in zwei Richtungen: historisch und räum­lich. Historisch, da die Ausstellung die west­liche Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts um die rus­sischen Realisten ergänzen werde und räum­lich, da die beiden Galerien, die die Leihgaben zu Verfügung gestellt hatten, größere Bekanntheit in der Bundesrepublik erreichen könnten. Er beklagt, dass die Touristen in Russlands Museen immer nach dem Bekannten suchten und daher das Rus­sische Museum und die Tret’jakov-­Galerie kaum kennen würden, da dort ausschließ­lich na­tionale Kunst aufbewahrt werde. Einen weiteren Grund für die mangelnde Kenntnis der rus­sischen Kunst sieht Gallwitz im Verhältnis der Deutschen zur Kunst des 19. Jahrhunderts. „Wir haben uns zu lange sagen lassen müssen, dass diese Bilder besser in die Magazine der Museen gehören. Wir sind zu lange vorbeigegangen an dem frühen Menzel, an Leibl und seinem Kreis, an Thoma und Böcklin, um noch neugierig zu sein auf die Realisten rus­sischer Provenienz. Die kulturelle Verzögerung, die sich in Deutschland z­ wischen 1850 und 1900 gegenüber Frankreich bemerkbar macht, hat uns ein merkwürdig schlechtes Gewissen eingebracht. Mit gewisser Arroganz urteilte man häufig in der deutschen Kunstkritik über die angeb­lich noch ‚rückständigeren‘ rus­sischen realistischen Maler.“103

Es ging Gallwitz folg­lich nicht nur um die rus­sischen Künstler per se, sondern auch um eine Renaissance des europäischen Realismus in seiner Gesamtheit, in die er die rus­sischen Realisten integrieren wollte. Die Hervorhebung d­ ieses Stils oder tendenziell ähn­licher Darstellungsweisen kann man Gallwitz’ Programm in der Kunsthalle Baden-­Baden entnehmen.104 Die Ausstellung hatte eine beacht­liche Resonanz, etwa 30000 Besucher, die rus­sische Kunst sehen und kennen lernen wollten, zählte die Kunsthalle der kleinen Kurstadt 102 Ebd. 103 Ebd., 8. 104 Unlängst vor den Peredvižniki wurde eine große Hans-­Makart-­Ausstellung gezeigt (23.06.–17. 09. 1972) und ein Jahr nach dem rus­sischen Realismus wurden die Präraffaeliten in Baden-­Baden ausgestellt (23.11.–24. 02. 1973).

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Abb 6  Klaus Gallwitz bei der Eröffnungsansprache, Archiv Gallwitz. In der ersten Reihe (Mitte links) sitzt der sowjetische Botschafter Valentin M. ­Falin mit seiner Frau Nina A. ­Falina.

Abb 7  Klaus Gallwitz (l.) überreicht dem Botschafter der UdSSR Valentin M. ­Falin (2.v. l.) und Ehefrau Nina den Katalog zur Ausstellung, Archiv Gallwitz.

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Baden-­Baden. Auch in den Medien fanden die ersten sowjetischen Leihgaben auf bundesdeutschem Boden Interesse. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, dass die Ausstellung auch von vielen hochrangigen Politikern besucht wurde. Als Schirmherr eröffnete der sowjetische Botschafter Valentin M. ­Falin zusammen mit Klaus Gallwitz die Ausstellung. In seiner Ansprache betonte Falin die Wiederauferstehung der Realität sowohl in der Politik als auch in der Kunst.105 Auch der Kultusminister von Baden-­ Württemberg, Wilhelm Hahn, lobte amtsgemäß die kulturpolitischen Entwicklungen ­zwischen der BRD und der UdSSR.106 Weitere Ehrengäste der Eröffnung waren ­Walter Carlein, General Konstantinov aus der UdSSR, General Roux aus Frankreich und General Lindner aus Großbritannien. Bei der Eröffnung sprach Prof. Dr. Klaus von Beyme, der heute zu den wichtigsten Politikwissenschaftlern Deutschlands zählt.107 An dieser Konstella­tion kann man bereits erkennen, wie politisch brisant das Unternehmen der Kunsthalle Baden-­Baden war. Hier ging es nicht mehr vordergründig um die Kunst, sondern um die Geste, das Zeichen ­­ des Wohlwollens und der Annäherung der vier Länder im Kalten Krieg. 1.4.1 Rahmenbedingungen und Vorbereitungen Die 1970er-­Jahre brachten die Wende in den diplomatischen Beziehungen ­zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Willy Brandts neue Ostpolitik und die Unterzeichnung des Moskauer Vertrags am 12. August 1970 schufen die Grundlage für neue kulturelle Beziehungen ­zwischen den beiden Staaten. Die Bedeutung des Vertrags für die Entspannungspolitik und die vorläufige Normalisierung der Beziehungen zur UdSSR ist unbestritten.108 „Breschnew und Gromyko betonten in öffent­lichen Stellungnahmen in erster Linie die statischen Elemente des Vertrags (territorialer [sic!] und politischer Status quo in Europa. Einschließ­lich der bestehenden Grenze z­ wischen der DDR und der Bundesrepublik

105 Vgl. Anonym 1972. 106 Vgl. ebd. 107 Vgl. ebd. 108 Vgl. Lippert 1996, 231. Lippert konstatiert weiter: „Die bilateralen kulturpolitischen Beziehungen ­zwischen beiden Regierungen liefen trotz eines erheb­lichen Nachholbedarfs nicht einmal in der Zeit unmittelbar nach Abschluß des Kulturabkommens schwungvoller an. 1973 verflachte die ‚unglaub­ liche Anfangsgeschwindigkeit‘ bereits.“ (ebd., 321). „Mit Blick auf die UdSSR war weniger das 1973 abgeschlossene Kulturabkommen als vielmehr die Helsinki-­Schlußakte von 1975 ein Schlüsseldokument, das als Bezugsquelle kulturpolitischer Debatten diente.“ (ebd., 191).

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Deutschland) und begrüßten die bundesdeutsche ‚Wende zum Realismus‘ als Beitrag zum Frieden in Europa.“109

Brandt betonte dagegen die dynamischen Elemente: den Frieden, die Voraussetzungen für eine bessere Zusammenarbeit und den Nutzen für Berlin. Eine direkt kulturpolitische Regelung war nicht im Vertrag aufgenommen, dennoch kann er als ein Auftakt für Austauschbeziehungen gesehen werden, die bald nach der Ratifizierung folgten.110 Ein Beispiel dafür ist die besprochene Ausstellung. Ihr ging eine jahrelange Vorarbeit des Direktors der Kunsthalle voraus. Bei seinen ersten akademischen Studienreisen in die Sowjetunion gewann Klaus Gallwitz vielfältige Eindrücke von der Kultur und nahm sich vor, diese in der Bundesrepublik Deutschland zu vermitteln. Er leistete Vorarbeit, indem er bei seinen Reisen vor Ort Kontakte zu Intourist 111 pflegte und persön­lich bei Kollegen in renommierten Museen vorsprach, um einen Austausch in die Wege zu leiten. Wie im Fall des deutschen Expressionismus 1971 im Puškin-­Museum in Moskau, fand der Kulturaustausch institu­tionell von Museum zu Museum statt.112 Die Idee Gallwitz’, rus­sische Kunst für eine Ausstellung in der Bundesrepublik aufzubereiten, nahm immer weiter Gestalt an, und der Direktor der Kunsthalle Baden-­Baden agierte im Grunde wie ein professioneller Diplomat. Für seine Verhandlungen erwies sich der Standort der Kunsthalle als förder­lich, da Baden-­Baden in der rus­sischen Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts zu einem Synonym des fried­lichen Kurorts im Westen geworden war. „Das war der richtige Ort, ich konnte meinen Gesprächspartnern im Ministerium immer sagen: Bitteschön, Baden-­Baden ist nicht die revanchistische Bundesrepublik, sondern hat eine lange rus­sische und franzö­sische Geschichte.“113 Baden-­Baden als ein außergewöhn­licher Ort wurde bereits zuvor für Klaus Gallwitz bei Verhandlungen mit Nadia Léger und Nina N. Kandinskaja zu einem gewinnenden Argument. Er schaffte es, die Witwen der Künstler von den Ausstellungen in Baden-­Baden zu überzeugen, weil nicht zuletzt der Ort eine besondere Geschichte und Atmosphäre hat.114 Nachdem das Interesse der Tret’jakov-­Galerie und des Rus­sischen Museums offenkundig geweckt war, beschäftigte man sich mit der substanziellen Frage, w ­ elche Kunst aus Russland in Baden-­Baden ausstellbar sei. Wie bereits schon zuvor ausgeführt, war das westdeutsche Publikum zu dieser Zeit nicht gewillt, die offiziell anerkannte sowjetische Kunst des sozialistischen Realismus zu goutieren. Die Vormachtstellung der abstrakten Kunst 109 Ebd., 232. 110 Ebd., 232 – 233. 111 Inostrannyj turist: Sowjetische Reiseagentur für den Auslandsfremdenverkehr. 112 Siehe Anm. 93. 113 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe. 114 Vgl. Poetter 1986, 110.

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und die Gleichsetzung realistischer Kunst der DDR und Sowjetunion mit Propaganda waren die Hauptursachen dafür. Auch sowjetische Kunstwerke anderer Stilrichtungen schieden für eine bundesdeutsche Ausstellung aus: Die Ikonen durften nicht außerhalb der Sowjetunion gezeigt werden, sowohl aus politischen wie auch aus restauratorischen Gründen.115 Die rus­sischen Avantgarde-­Künstler waren diffamiert und verboten. Ihre Werke, die im Besitz des Staates waren, wurden in den Depots der Museen aufbewahrt und nicht verliehen. Es war nur mög­lich, Objekte von der Sowjetunion als Leihgabe zu erbeten, ­welche parteipolitisch konform waren. Nach d ­ iesem Ausschlussverfahren blieb nur die Kunst der rus­sischen Realisten aus dem 19. Jahrhundert als Mög­lichkeit offen. Die Kunst der Peredvižniki galt in der Sowjetunion als das große kulturelle Erbe des Staates und war, wie bereits verdeut­licht, als direkter Vorläufer der Staatskunst stilisiert worden. Die Bilder von Repin, Vereščagin, Kramskoi und anderen gehörten zu den immer wiederkehrenden Motiven im Alltag, in Russland kannte man sie aus Schulbüchern und von diversen Geschenkartikeln (Abb. 8). Die Peredvižniki waren für die Bevölkerung die Maler des wahrhaftigen Russlands, seines Volkes und seiner Seele. Ihre Bilder sind formal und ideolo­gisch weit entfernt von den späteren vorgefertigten Komposi­tionsschemata des sozialistischen Realismus. Die Landschaften Šiškins, der 1861 bis 1866 unter anderem in München und an der Düsseldorfer Schule Malerei studierte, waren beliebte Reproduk­tionen in rus­sischen Wohnzimmern. Aufgrunddessen waren die Säle der Realisten die Publikumsmagneten beider Museen.116 Da die Tret’jakov-­Galerie, die einen Großteil der Kunst der rus­sischen Realisten beherbergte, für 1972 einen Umbau plante, wurde es überhaupt mög­lich zwei Drittel der Werke für die Ausstellung in Baden-­Baden zur Verfügung zu stellen.117 Dieser Kurort spielte für die Peredvižniki keine unwesent­liche Rolle – sie waren eng mit den Literaten jener Zeit verbunden. Noch nie zuvor haben Schriftsteller und Künstler in Russland so eng zusammengearbeitet und die gleichen Überzeugungen geteilt. Baden-­Baden war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Sommer­residenz der rus­sischen Schriftsteller wie Fëdr M. ­Dostojevskij, Ivan S. ­Turgen’jev, Nikolaj V. ­Gogol’ und anderen gewesen. Ihre vielfältigen Spuren in ­diesem Ort wurden von der Bevölkerung mit großem Eifer dokumentiert und bewahrt. Diese zusätz­liche lokale Komponente erleichterte die Einigung beider Staaten über die Ausstellung. Gallwitz’ Vorbereitungen hatten sich gelohnt, ihm wurde mittlerweile so viel Vertrauen vonseiten der Sowjetunion entgegengebracht, dass er die Werke für die Ausstellung größtenteils selbst aussuchen konnte. Er war, nach eigener Aussage, der erste Museumsmann der 115 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe. 116 Vgl. Ausst.-Kat. Rus­sischer Realismus 1850 – 1900 1972, 9. 117 Vgl. Anonym 1972.

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Abb 8  Šiškins berühmtes Motiv zierte die Verpackung der sowjetischen Pralinen Miška kosolapyj (Das dachsbeinige Bärchen), die in der größten Süßwarenfabrik der UdSSR, Krasnyj Okt’abr’ (Roter Oktober) produziert wurden.

Bundesrepublik, dem dies gelungen ist, und somit ein Pionier des Kunstaustauschs mit der UdSSR nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Auswärtigen Amt wurde der Vorschlag einer Ausstellung rus­sischer Realisten aus dem 19. Jahrhundert in Baden-­Baden ohne Zögern angenommen.118 Rus­sischer Realismus 1850 – 1900 ist das erste Beispiel einer Ausstellung, der eine Privatinitiative zugrunde lag, die aber gleichzeitig in die Geschichte des offiziellen kulturellen Austauschs ­zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik eingegangen ist. Die Ausstellung wurde in den Medien und auch von der Politik als eine kulturpolitische Veranstaltung angenommen und vermittelt. Der Erfolg ­dieses Formats wurde in beiden beteiligten Staaten wahrgenommen und animierte kurze Zeit ­später zu mehreren Satelliten-­Ausstellungen der rus­sischen Realisten, die jedoch von der Qualität der Exponate und vom Umfang her nicht mit der 118 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe.

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Abb 9  Klaus Gallwitz gibt dem Ministerpräsidenten von Baden-­Württemberg, Hans Filbinger, eine ­Führung durch die Ausstellung, Archiv Gallwitz.

Ausstellung in Baden-­Baden vergleichbar waren.119 Zwei Monate nach dem Ausstellungsende wurden die offiziellen Verträge über einen Kulturaustausch unterschrieben. Zu dieser Zeit war Gallwitz bereits mit der Organisa­tion der Gegenausstellung Deutsche Realisten im 19. Jahrhundert für Moskau und Leningrad beschäftigt. 1.4.2 Medienresonanz Gallwitz berichtete dem sowjetischen Nachrichtendienst Telegrafnoje Agenstvo ­Sovetskogo Sojuza (TASS) am 16. Februar 1973, dass keine andere Ausstellung eine ­solche Publizität erreichte und dass sie vom Ministerpräsidenten (Hans Filbinger) und dem Landtagspräsidenten (Camill Wurz) des Landes Baden-­Württemberg sowie von verschiedenen Diplomaten aus Stuttgart und Bonn offiziell besucht worden sei. 119 Moskau schickte seitdem die „Wanderer“ häufiger auf Tournee: 1973 nach Dortmund, 1978 nach Paris, 1980 nach Duisburg, 1986 bis 1988 nach Washington, Chicago, Boston, Los Angeles und schließ­lich 1989 nach Zürich. Die Auflistung erfolgt nur bis 1990, da damit der Untersuchungszeitraum endet.

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Er fügte hinzu: „Ganz ohne Zweifel hat die Ausstellung wesent­lich dazu beigetragen, das Interesse und die Sympathien ­zwischen dem rus­sischen und dem deutschen Volk zu befestigen.“120 Die Übersicht der Pressemeldungen bot weitgehend positive Eindrücke und Lob für die Veranstalter. Diese Anerkennung war jedoch hauptsäch­lich auf den informativen Charakter der Ausstellung beschränkt. In der FAZ würdigte die Kunstkritikerin Ursula Binder-­Hagelstange die Ausstellung als „verdienstvoll und willkommen“,121 weil sie historisch sei und dadurch nicht nur die fehlenden Informa­ tionslücken der Kunstgeschichte schließe, sondern auch Verständnis für die „Mentalität der Menschen und der Weite der Landschaft“122 fördere. Außerdem biete sie dem Betrachter viele neue Künstlernamen: „Es gibt nicht nur Ilja Repin; auch Namen wie Kuindschi, Schischkin, Lewitan, Perow, Serow, Korowin muß man lernen.“123 Die Kommentatorin übernahm Gallwitz’ Behauptung, dass die Deutschen die Kunst des 19. Jahrhunderts in den letzten Jahren aus den Augen verloren, ja sogar verschmäht hätten.124 Daraus wurde gefolgert, dass eine genaue Betrachtung dieser Bewegung wichtig für die Weiterentwicklung der Kunstgeschichte sei. Die positiven Berichte hoben jedoch keine Kunstwerke hervor, sodass der Eindruck vermittelt wurde, die einzelnen Arbeiten sollten nicht eingehend bewertet werden. Die kritische Betrachtung des Projektes war ebenfalls ausgeprägt und vollzog sich anhand zweier Argumenta­tionslinien: Zum einen bezweifelten die Rezensenten die Qualität der Exponate, was auch in den positiven Kritiken durch Auslassungen ebenjener Einzelbesprechung der Kunstwerke spürbar war, oder die Autoren äußerten sich abwertend über die gesamte Ausstellung. In vielen Aussagen lässt sich die Denkweise des Kalten Krieges und des konstant anhaltenden Realismus-­Diskurses erkennen. Demnach war die abstrakte Kunst die einzig wahrhaftige Ausdrucksweise für einen freien Künstler und der Realismus galt als reak­tionär, konservativ und im Falle der sozialistischen Republiken als ein Beispiel von „künst­licher Kunst“. Die vorgeschriebenen ­Themen und Malweisen sowie die Programmierung der Künstler auf eine parteikonforme Richtung und Form dienten als Synonym für den Realismus. Es gab bereits neuartige Diskussionen über den Realismus, die nicht im Zusammenhang mit seiner sozia­ listischen Ausprägung in den Staaten der UdSSR standen und der Baden-­Badener Ausstellung vorausgingen.

120 Gallwitz an Igor Maslow (Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sign. 550 Nr. 136, eingesehen am 30. 06. 2011). 121 Binder-­Hagelstange 1972, o. S. 122 Ebd. 123 Ebd. 124 Vgl. ebd.

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In der ZEIT konstatierte Petra Kipphoff, dass der Realismus in Kassel 1972 erstmals wieder seine „offizielle Segnung erhielt“.125 Die Debatten um den Wert einer mimetischen Kunst, die seit den 1950er-­Jahren in der Bundesrepublik beständig geführt wurden, hatten mit Harald Szeemanns documenta 5 einen ihrer Höhepunkte erreicht.126 Insbesondere der amerikanische Fotorealismus wurde stark kritisiert, abgesehen von den parallel geführten Diskussionen rund um das Konzept der Ausstellung. Es ist auffällig, dass die Wortwahl der Journalisten für ihre Kritik am amerikanischen Pop und an der rus­sischen realistischen Kunst deckungsgleich war. Sie benutzten in beiden Fällen Bezeichnungen wie „reak­tionär“, „Genremalerei“127 und ähn­liche. Der Realismus und insbesondere der sozialistische Realismus waren zwei verfemte Stile, die wegen ihrer scheinbaren Banalität abgelehnt wurden. Aus ­diesem Grund gab es in dieser Periode vonseiten der UdSSR keine konkreten Bemühungen, einen Kunstaustausch mit der Bundesrepublik zu forcieren, und oft wurden Leihanfragen aus dem Ausland abgelehnt. Es brauchte ausdauernde hart­näckige und engagierte Persön­lichkeiten, um die hier untersuchten Projekte zu realisieren. Der sozialistische Realismus, der zum Programm der documenta-­Veranstalter gehörte, konnte in Kassel nicht ausgestellt werden.128 Es gab vorab schon eine Liste mit Werken aus der Tret’jakov-­Galerie, ­welche die typischen ­Themen des sozialistischen Realismus präsentieren sollten: Arbeit, Sport, Alltagsleben, Armee, Krieg und Politsitzungen.129 Kurz vor der Eröffnung kamen die Absagen aus der UdSSR und China. Szeemann wollte die chine­sische Komposi­tion Hof für die Pachteinnahme (1965) ausstellen und plante, den sozialistischen Realismus der UdSSR und den NS-Realismus direkt miteinander zu vergleichen.130 Darüber hinaus bekam der documenta-­Leiter nicht die Künstler aus der DDR für seine Ausstellung, sie sollten erst bei der nächsten documenta 6 (1977) ausgestellt werden. „Für die Weigerung an der d5 teilzunehmen, war ein Grundsatzreferat des Politbüromitglieds der DDR Kurt Hager bezeichnend: ‚Der sogenannte Realismus, die jüngste Modewelle der modernistischen Kunst, ist ein solcher Wirk­lichkeitsabklatsch, der mit Kunst überhaupt nichts zu tun hat.‘“131 125 Kipphoff 1972, 17. 126 Die Kasseler Großausstellung ging einen Monat vor der Eröffnung des Rus­sischen Realismus 1850 – 1900 in Baden-­Baden zu Ende. 127 Vgl. dazu: Hermand 1975, 125. 128 Auch in ­diesem Zusammenhang fungierte Klaus Gallwitz als Vermittler, aber hier scheiterten seine Bemühungen (vgl. Anonym 1972/I, 149 – 153). 129 Vgl. Ausst.-Kat. Wiedervorlage d5 2001, 28. 130 Vgl. ebd., 28 – 30. Szeemann nahm auch Kontakt zu Heinrich Böll auf, in der Hoffnung, die Kunst der sowjetischen Dissidenten, zu ­welchen Böll Kontakte hatte, mit seiner Unterstützung ausstellen zu können. 131 Ebd., 29.

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Nach den kritischen Hinterfragungen des amerikanischen Fotorealismus überrascht es nicht, dass die regionalen Journalisten fragten: „Kommt nach dem US-Boom der Russen-­Boom?“132 Ein Jahrzehnt ­später erreichte der Russen-­Boom tatsäch­lich die Bundesrepublik und die besprochene Ausstellung kann als sein Auftakt bezeichnet werden. Betrachtet man die Medienberichte als Echo eines Ausstellungsprojektes, so lässt sich aus ihnen schließen, dass die Baden-­Badener Ausstellung vordergründig nicht durch die Qualität der Kunst überzeugte, sondern vielmehr durch ihren Informa­tionswert. Vielen Journalisten lieferte sie einen Grund, um Kritik an der manipulierten sowje­ tischen Kunstgeschichte zu üben. Zum Zeitpunkt der Ausstellung war in den Beiträgen einiger lokaler Zeitungen eine starke Abneigung gegenüber der realistischen Malerei aus Russland spürbar: „Genrebilder jeg­licher Art, in meist hausbackener, biederer Manier gemalt, beherrschen die Wände, und wer die Malerei des 19. Jahrhunderts, die franzö­sischen Impressionisten oder auch nur die Deutschen Leibl, Menzel und Liebermann als Maßstab anerkennt, der kommt sicher­lich in Baden-­Baden weniger auf seine Kosten als die deutsch-­sowjetischen Kulturpolitiker. […] Dieser heute anekdotisch, fast idyl­lisch wirkender Realismus ist bis in die Gegenwart hinein ein unentbehr­licher Vermittler rus­sischer Geschichte.“133

Kommentare wie dieser lassen erahnen, wie schwer es zu dieser Zeit war, Russland positiv oder unvoreingenommen zu betrachten. Dass die Werke der Ausstellung selten einzeln besprochen und vielmehr als Einheit gesehen wurden, war ein auffallendes Moment bei den Austellungsbesprechungen – die Berichte zeugen von Verallgemeinerungen und Nachlässigkeiten. Der Ausstellungskatalog zeigt jedoch auf, dass damals viele Arbeiten zu sehen waren, die heute, auch im Westen, zu den großen künstlerischen Errungenschaften Russlands zählen, wie beispielsweise die Porträts von Il’ja E. ­Repin. Der politische Nutzen dieser Ausstellung stand im Fokus, die gezeigte Kunst scheint ein nebensäch­lichliches Objekt der Kulturpolitik zu sein. Manche Rezensenten bedienten sich der Floskeln „Mütterchen Rußland“ und „Väterchen Frost“, die in ­diesem Zusammenhang negativ konnotiert wurden. 134 Die Berichterstatter des SPIEGELs betonen dagegen, dass gerade mit dieser Kunst, die Sowjetunion sich von ihrer „stärksten Stelle“135 zeige:

132 Vgl. Schreiber 1972 und Buhles 1972. 133 Vgl. Schreiber 1972. 134 Schreiber 1972/I. 135 Anonym 1972/I.

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„Die 150 Gemälde und Zeichnungen, die Gallwitz nach vierjährigem Verhandeln für ein Vierteljahr aus der Moskauer Tretjakow-­Galerie und dem Rus­sischen Museum in Leningrad bekam, werden von den Sowjets mit Recht ohne Erröten vorgezeigt. Sie statuieren geradezu ein Ideal des Sozialistischen Realismus – auf malerischem Weltniveau und mit dem richtigen politischen Engagement.“136

In der Hannoverschen Allgemeinen wurde die Kritik rus­sischer Kunst durch die Geschichte des Landes relativiert. Der Kunsthistoriker Niels von Holst schrieb: „Die Werke der rus­sischen Künstler sind jedoch viel echter und überzeugender als alles, was Leibl, van Gogh und Gauguin in […] Perioden ihres Lebens geschaffen haben; die Russen standen dem Mittelalter noch nahe, das hier bis ins 18. Jahrhundert hinein gedauert hatte.“ 137

Mit ähn­licher Inten­tion wurde im Bericht der ZEIT betont, dass man den „Mechanismus der sowjetischen und rus­sischen Geschichte verstehen“138 müsse, um den ausgestellten Werken ihre Verdienste anerkennen zu können.139 Als Fazit dieser Betrachtungen blieb, dass die Ausstellung vor allem durch ihre Informa­tionsvermittlung überzeugte, die ausgestellte Kunst hingegen Schwächen aufwies, dies aber genau ein charakteristisches Merkmal für die rus­sische Kunst vor und nach der rus­sischen Avantgarde sei. Außer dieser abstrakten Bewegung habe die rus­sische Kunst bisher nichts Bedeutendes auf interna­tionalem Niveau hervorgebracht. Die Avantgarde wurde zu dieser Zeit in der Bundesrepublik zu einer Messlatte für künstlerische Errungenschaften aus der UdSSR gemacht. Dieser verzerrte Blick gründete vor allem auf der Zensur der sowjetischen Führung in Bezug auf die Avantgardisten. Hier setzte auch die weitere Kritik an der Baden-­Badener Ausstellung ein: Das Thema der Zensur und der unfreien Kunst in der Sowjetunion sowie die scheinbare Naivität und Geschmacklosigkeit des sozialistischen Realismus waren im untersuchten Zeitraum das populärste Thema der Medien. So nahmen auch im Zusammenhang mit der Baden-­Badener Ausstellung die Kommentatoren Anstoß an der Art und Weise, wie die Sowjetunion selbst mit ihrer Kunstgeschichte umging.140 Als Beispiel wurde an vielen Stellen der Katalog herangezogen.141 Dieser war mit Texten der Kuratoren aus der Tret’jakov-­Galerie und aus dem Rus­sischen Museum in der UdSSR versehen. Dabei weitete sich die Kritik auch auf den 136 Ebd. 137 von Holst 1972. 138 Kipphoff 1972, 17. 139 Vgl. ebd. 140 Vgl. zum Beispiel: Fehr 1972; Anonym 1972/II. 141 Vgl. ebd.

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Direktor der Staat­lichen Kunsthalle aus, der diese Texte aus angeb­licher „Courtoisie und Anerkennung“142 mitsamt dem Katalog für die Ausstellung übernommen hatte und nicht die Frage stellte, ob dieser Realismus nun kritisch sei oder nicht: „Realismus über fünfzig Jahre hinweg? Der Begriff wird von der Kunsthalle Baden-­Baden, sei es aus naiver Begeisterung, sei es aus Dankbarkeit gegenüber den Leihgebern, nicht im west­lichen, sondern im sowjetischen Sinn verstanden; Realismus meint demnach nicht Stil, sondern ein bestimmtes Programm […] Ein so verstandener Realismus wirkt bis heute noch, die Unterbrechung der ‚Revolu­tionskunst‘ wurde ausradiert, um eine klare Entwicklung vom 19. Jahrhundert ins heute zu haben […] Für die Biegsamkeit des Begriffes Realismus liefern die Beiträge der rus­sischen Fachleute für den großformatigen, sämt­liche Bilder reproduzierenden Katalog einige eindrück­liche Beispiele; realistisch heißt nach diesen Texten wahr, echt, schön, poetisch – sowjetisch […] Es ist die alte Verwechslung von Stoff und Kunst, von Motiv und Malerei. Die Motive teilen sich ganz nur in der reichen künstlerischen Gestaltung mit, bleiben unvergeß­lich in Bildern von Hogarth, Daumier, Courbet, Millet, Menzel und Liebermann, denen die Peredwizhniki mit provinzieller Verspätung nacheiferten. Sie leisteten dabei ihr mög­lichstes, doch ihre Anstrengungen erschöpften sich in Bühneninszenierungen; […] Solch künstlerisches Verhalten der ‚kritischen‘ Realisten mag viel dazu beigetragen haben, daß die Revolu­tionskünstler sich mit aller Energie der Befragung der bildnerischen Mittel zuwandten. So bliebe als Bilanz des Ausstellungsbesuches: man hat alles schon gesehen, man hat das alles schon besser gesehen.“143

Zwei wesent­liche Punkte werden hier spürbar: Einerseits die zugrunde liegende Abneigung gegen den Realismus aus Russland, der für den Verfasser das sozialistische Gedankengut mitzutragen schien. Andererseits die aus deutscher Sicht falsche Kategorisierung ­dieses Stils als „kritisch“ und seine bildnerischen Schwächen. Die Behauptung, dass Peredvižniki den avantgardistischen Bildersturm in Russland ausgelöst hätten, ist als reine Polemik aufzufassen. Die Stilisierung des sozialistischen Realismus als unmittelbaren Nachfolger der Kunst der Peredvižniki, begleitet von einer absoluten Ausklammerung von Sergej P. ­D’jaghilevs Mir Isskustva (Welt der Kunst) und der rus­sischen Avantgarde wurde von einigen Berichterstattern kritisiert.144 142 Fehr 1972. 143 Anonym 1972/II. 144 Vgl. Schneider 1972; Binder-­Hagelstange 1972. Die Kunst der rus­sischen Symbolisten und des Kreises rund um die Zeitschrift Mir Isskustva wurde nur deshalb in dieser Ausstellung ausgeklammert, da sie sich auf den reinen Realismus konzentrierte. In der Sowjetunion wurden die Künstler Leon S. ­Bakst und Michail A. ­Vrubel in den 1960er-­Jahren wiederentdeckt und als „nicht gefähr­lich“ eingestuft.

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Mit der Ausstellung strebte man eine bessere Wissensvermittlung der rus­sischen Kunst an, die nach Meinung der Kritiker jedoch mittels des Katalogs manipuliert werde. Der Katalog zur Ausstellung war ein Kompromiss, da ohne die Einwilligung, das sowjetische Manuskript zu übernehmen, eine Gefahr des Scheiterns des ganzen Projektes bestand. Diese Tatsache war ausschlaggebend für die Presse, die Katalogtexte genau auf Ungereimtheiten zu untersuchen: „Der rus­sische Realismus hat zu seiner Unterscheidung vom nachrevolu­tionären sowjetischen Realismus das Epitheton ‚kritisch‘ erhalten. Damit ist wohl gemeint, dass er auf Grund seiner gesellschaftsbezogenen Inhalte als Vorstufe des sozialistischen Realismus anzusehen sei und letzterer natür­lich als Evolu­tion des früheren. Diese Konstruk­tion ist offensicht­lich falsch. Man wird sehen, ob die Moskauer Kulturverantwort­lichen nach dieser gelungenen Vorführung großer realistischer Kunst überhaupt noch den Mut aufbringen werden, auch den Sturz in die meta-­künstlerischen Niederungen des sozialistischen Realismus nachzuliefern.“145

Liest man diesen Auszug, so entsteht das Bild einer bewussten Verschleierung der Wahrheit, die von sowjetischen Kunsthistorikern und der Kunsthalle Baden-­Baden betrieben wurde. Tatsäch­lich bot der Katalog dazu jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Die beiden Texte, auf ­welche sich die deutsche Kritik stützte, beschrieben ledig­lich die histo­rische Entwicklung der Peredvižniki sowie das Kunstengagement von Pavel Tret’jakov. Die Bildbeschreibungen und Künstlerbiografien geben ebenso keinen offensicht­lichen Hinweis auf Manipula­tion. Die Texte sind romantisierend verfasst und oft wird das ­soziale Engagement der Künstler betont. Dies ist allerdings eine Eigenart der sowjetischen kunstgeschicht­lichen Texttradi­tion, die nicht überbewertet werden darf. Dass die Ausstellung nur die Malerei der rus­sischen Realisten zeigte, ohne die weiteren Entwicklungen anzusprechen, war Programm. Die sowjetischen Medienvertreter der Nachrichtenagentur TASS lobten, im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen, die hervorragende Ausstellung, die klugen Texte im Katalog und äußerten den Wunsch, dass es eine vergleichbar übersicht­liche Ausstellung des sozialistischen Realismus in der Bundesrepublik geben sollte.146 Die Kritiken dieser Ausstellung, positiv und negativ, zeigen ein von der politischen Situa­tion beeinflusstes Denken: Die Werke wurden nicht vorbehaltlos betrachtet, die Rahmenbedingungen dieser Schau spielten eine wichtige Rolle für die Rezen­ sionen. In den lokalen Zeitungen wurde die Kritik stärker und direkter vorgetragen, während die überregionalen Zeitungen eine gewisse Distanz aufrechterhielten. Die 145 Schneider 1972. 146 Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sign. 550 Nr. 123 (eingesehen am 30. 06. 2011).

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Bilder aus der Sowjetunion wurden vor dem Hintergrund west­licher Kunstgeschichte betrachtet. Die Rezensenten, die betonten, dass man die Entwicklung Russlands und seiner Kunst nicht vergessen dürfe, verwiesen auf ein wichtiges Moment. Der durch west­liche Kunstgeschichte „geschulte Blick“ ließ es nicht zu, die rus­sische Kunst vorbehaltlos in ihrer eigenen Entwicklung zu betrachten. Es ist unbestreitbar, dass sie einem kunsthistorischen Vergleich mit dem franzö­sischen Realismus nicht standhalten könnte, dennoch sind diese Bilder über Russland und sein Volk des 19. Jahrhunderts aus ideolo­gischer und kunsthistorischer Sicht wertvoll. Die zahlreichen Besucher der Ausstellung bewiesen, dass ein großes Interesse an ihr bestand. Ungeachtet der vielen ernüchternden Kritiken wurde die Ausstellung ein Erfolg für Klaus Gallwitz, die Staat­ liche Kunsthalle Baden-­Baden und für die deutsch-­sowjetischen Kulturbeziehungen. 1.4.3 Gegenausstellung: Deutsche Realisten im 19. Jahrhundert (1974, Moskau und Leningrad) Wie bereits ausgeführt, waren die Vorbereitungen für Rus­sischer Realismus 1850 – 1900 nur mittels diplomatischen Geschicks der Initiatoren voranzubringen. Die Sowjetunion kooperierte in ­diesem Zeitraum mit dem Westen nur nach einem ganz bestimmten Muster – man könnte es als die „Eine-­Hand-­wäscht-­die-­andere“-Politik bezeichnen.147 Die sowjetischen Behörden waren sehr korrekt und verbind­lich in ihren Gegenforderungen: Eine Ausstellung rus­sischer Realisten in der Bundesrepublik durfte nur stattfinden, wenn im Gegenzug als Pendant eine Ausstellung in der Sowjetunion durchgeführt würde.148 Diese wurde von Gallwitz in Moskau und Leningrad unter dem Titel Deutsche Realisten im 19. Jahrhundert ausgerichtet. Auch bei der Gegenausstellung übernahm er die vollständige Organisa­tion der 23 Leihgeber aus dem deutschsprachigen Raum. Es waren alle Künstler vertreten, die in den Rezensionen für Baden-­Baden als ernsthafte und gute Realisten (im Gegensatz zu den rus­sischen) angeführt wurden: Max Liebermann, Wilhelm Leibl, Hans Thoma und andere.149 147 Ein weiterer Beleg dafür war die Grafik-­Ausstellung 1971 im Puškin-­Museum, die von Adolf Rieth initiiert wurde (siehe Anm. 93). 148 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe. 149 Alphabetische Reihenfolge der ausgestellten Künstler: Andreas Achenbach, Oswald Achenbach, Rudolf v. Alt, August Becker, Carl Blechen, Arnold Böcklin, Lovis Corinth, Louis Eysen, Anselm Feuerbach, Eduard Gaertner, Jakob Gensler, Karl Haider, Johann Peter Hasenclever, Carl Wilhelm Hübner, ­Leopold Graf von Kalckreuth, Käthe Kollwitz, Gotthardt Kuehl, Heinrich Lang, Wilhelm Leibl, ­Franz von Lenbach, Carl Friedrich Lessing, Emanuel Gottlieb Leutze, Max Liebermann, Hans v. Marées, Adolph Menzel, Johann Anton Ramboux, Louis Ferdinand v. Rayski, Otto Rethel, Karl Ferdinand Sohn, Fritz Schider, Friedrich Wilhelm Schirmer, Otto Scholderer, Gustav Schönleber, Johann Sperl, Carl Spitzweg, Carl Schuch, Hans Thoma, Wilhelm Trübner, Fritz v. Uhde, Ferdinand Waldmüller.

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Gallwitz schreibt, dass diese Ausstellung vor allem das Interesse für die deutsche realistische Malerei in der RSFR wecken und vertiefen sollte und zudem eine Dankesgeste an die Sowjetunion war.150 Er betonte darüber hinaus, dass man die Bedeutung d­ ieses Austauschs an der Bereitschaft der renommierten Leihgeber aus der Bundesrepublik messen könne. Ein weiteres Mal versuchte er, aus der Erfahrung der ersten Ausstellung heraus, die Unterschiede z­ wischen dem rus­sischen und dem deutschen Realismus auszuloten. Gallwitz’ Resümee fiel im Katalog für die Ausstellung in der Sowjetunion, im Gegensatz zu den deutschen Medien, deut­lich zugunsten der Peredvižniki aus: „In der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts gibt es keinen ‚kritischen Realismus‘ […] Die Situa­tion in Deutschland war in dieser Periode viel unklarer und im gewissen Sinne sogar provinzieller […].“151

Der Verdienst der Peredvižniki lag laut Gallwitz darin, ein sorgfältig reflektiertes erzieherisches Ziel ausformuliert zu haben: Darstellen sei wichtiger als Vermitteln, schrieb der Kurator.152 Den deutschen Künstlern fehlte auch die ausgeprägte Nähe zur Literatur, wie sie im Russland des 19. Jahrhunderts bestanden habe.153 Es sind keine Kritikpunkte an der rus­sischen Kunst in seinem Text spürbar. Man sah an der breiten Auswahl der Künstler, dass Gallwitz den Realismus-­Begriff sehr weit auslegte – seine Geschichte der deutschen Realisten des 19. Jahrhunderts zog sich von Ferdinand Waldmüller und Carl Blechen bis zu einem Selbstporträt von Käthe Kollwitz. Die ausgewählten Werke gehörten nicht zu den wichtigsten oder charakteristischsten Arbeiten der Künstler. Trotz der oft betonten Bereitschaft der Leihgeber mussten die Organisatoren aus restauratorischen Gründen auf Vieles verzichten.154 Dennoch war diese Ausstellung ein großer Erfolg.155 Stolz schreibt Gallwitz, dass noch kein Museum in Deutschland es geschafft habe, eine ­solche Ausstellung zu organisieren. Deshalb plane er, die Bilder nach ihrer Rückkehr aus der UdSSR in einer Schau in Frankfurt zu zeigen.156 150 Vgl. Ausst.-Kat. Nemezkije Realisty XIX veka 1974, 6. 151 Ebd. 152 Vgl. ebd. 153 Vgl. ebd. Diese Behauptung von Gallwitz ist nicht ganz zutreffend. Es gibt in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts viele Beispiele einer Freundschaft und gegenseitiger Befruchtung z­ wischen Künstlern und Literaten, zum Beispiel war Adolph Menzel Mitglied im Tunnel über der Spree, einem literarischen Zirkel, in dem unter anderem auch Theodor Fontane, ein Freund Menzels, Mitglied war und im Rahmen dessen gemeinsam literarische Texte besprochen wurden. 154 Vgl. ebd., 6 – 8. 155 Ausst.-Kat. Deutsche Malerei im 19. Jh. 1975, 4 – 5 (hier: 5). 156 Seit 1974 war Gallwitz Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt am Main.

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Abb 10  F. ­G. Waldmüller, Jünge Bäuerin mit drei Kindern im Fenster (1840), Neue Pinakothek München.

Die Ausstellung in der Bundesrepublik wurde durch Leihgaben erweitert, die aus der Na­tionalgalerie in Berlin (West) kamen. Diese Bilder wurden für die Ausstellung in der UdSSR nicht akzeptiert, weil zu ­diesem Zeitpunkt keine Beziehungen mit Berlin (West) erlaubt waren. Ein Bild kam aus dem Landesmuseum in Münster hinzu, das „aus unterschied­lichen Gründen nicht mit in die Sowjetunion reisen“157 konnte. Der Direktor der Eremitage Boris B. ­Piotrovskij schrieb in seinem Geleitwort zum deutschen Katalog, dass es vor allem die Ähn­lichkeit der deutschen und rus­sischen Künstler war, die die Besucher interessierte.158 Die Reak­tionen der etwa 100000 Menschen, ­welche die sowjetische Version dieser Ausstellung sahen, fasste Gallwitz im deutschen Katalog folgendermaßen zusammen: „Besonders interessierte Realismus als inhalt­liches Problem.“159 Die Resonanz konnte in der Sowjetunion auch nicht anders ausfallen, weil formalistische Fragen offiziell als banal und oberfläch­lich galten. Einige Künstler waren den Moskauern und Leningradern geläufiger als den Deutschen, wie zum Beispiel Johann 157 Ebd. 158 Vgl. ebd., 6. 159 Ebd., 4.

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Peter Hasenclever und Carl Wilhelm Hübner, da diese beiden Namen positive Erwähnungen bei Marx und Engels fanden.160 Kollwitz war hoch angesehen, daher freute man sich vor allem über das der Ausstellung hinzugefügte Werk von ihr. Liebermann, der umfangreicher präsentiert wurde, interessierte die Kenner des 19. Jahrhunderts. Er war einer der Maler, die für die Entwicklung Repins besonders prägend waren.161 Auf dem Plakat und dem Katalog-­Cover sah man Waldmüllers Jünge Bäuerin mit drei Kindern im Fenster (1840) – es war als eine Metapher für das Fenster zum Realismus gemeint, das von ­diesem Maler geöffnet wurde (Abb. 10).162 Vielleicht wollte man damit auch die Öffnung im politischen Sinne suggerieren. Erwähnenswert fand ­Gallwitz auch folgende Situa­tion: „In der Ausstellung der Eremitage wurde Fritz von Uhde hervorgehoben. Sein gemaltes ‚Kinderzimmer‘ stand als unruhiger Blickfang in der langen Raumperspektive der feier­lichen Ausstellungsräume […] Eine bunte lärmende Stube der Jahrhundertwende in der Eremitage – mindestens der ausländische Betrachter verg­lich diese Innenwelt mit der Außenwelt und war für Augenblicke befangen in der Frage, ob die rus­sischen Kollegen, die diese Ausstellung hängten, nicht doch die Kinder mehr lieben müssen als die Malerei Uhdes, wenn sie ihr diesen bevorzugten Platz einräumen.“163

Gallwitz entfachte durch seine Ausstellungen einen Diskurs. Sein Engagement sollte nach diesen beiden Projekten nicht enden. Seit der Vorbereitung der ersten Ausstellung beabsichtigte er, mehrere Projekte mit der Sowjetunion durchzuführen und schrittweise die rus­sische beziehungsweise sowjetische Kunstgeschichte aufzuarbeiten – vom 19. Jahrhundert bis zum sozialistischen Realismus.164 Dabei sollten alle Stilrichtungen berücksichtigt werden. Dies war der Grund dafür, dass die erste Ausstellung die Folgen des Realismus aus dem 19. Jahrhundert nicht reflektierte, diese sollten in der geplanten Ausstellungsreihe sukzessive dargestellt werden.165

160 Vgl. ebd. 161 Vgl. ebd. 162 Vgl. ebd. Im Katalog ist das Werk als Junge Bäuerin mit Kindern am Fenster ausgezeichnet. 163 Ebd. Fried­liche Kinderdarstellungen oder M ­ utter-­Kind-­Darstellungen waren beliebte Motive des sowjetischen sozialistischen Realismus. Sie gehörten zum Instrumentarium, um beim Betrachter Hoffnungen auf eine frohe Zukunft zu wecken (mehr dazu: Ausst.-Kat. Traumfabrik Kommunismus 2003). 164 Vgl. Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011. 165 Vgl. ebd.

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Abb 11  F. v. Uhde, Kinderstube (1889), Hamburger Kunsthalle.

Hinsicht­lich der Beurteilung von Gallwitz’ Posi­tion war die Presse gespalten: Einerseits kritisierten viele Journalisten, dass die Baden-­Badener Ausstellung 1972 von der Kulturpolitik einverleibt wurde und dass er die Ausstellung schon lange vor dem Kulturabkommen und der Realismus-­Debatte geplant hatte.166 Andere sahen die Ausstellung klar im Rahmen des Kulturaustauschs verortet.167 Obwohl Klaus Gallwitz betonte, dass seine Ausstellung ein individuelles Projekt sei und dass er ohne staat­ lichen Auftrag in der Sowjetunion die ersten Verhandlungen und Gespräche geführt habe,168 schrieb er dennoch in der Presseerklärung im Oktober 1972: „Im Rahmen des gegenseitigen Kulturaustauschs, […] über den gerade in Bonn verhandelt wird […] Als Gegenleistung erwartet das Kulturministerium der UdSSR eine Ausstellung 166 Vgl. Fehr 1972; Gilles 1972. 167 Vgl. Schreiber/I 1972. 168 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe.

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deutscher Malerei aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die beim rus­sischen Publikum auf große Beachtung rechnen darf.“169

Die Ausstellung wurde keineswegs von der Kulturpolitik instrumentalisiert, richtigerweise muss man die Ausstellung als eine Symbiose aus politischen Entwicklungen und Gallwitz’ Engagement als Direktor der Kunsthalle werten. Er war sich stets bewusst, dass seinen Bemühungen zugleich eine kulturpolitische Bedeutung zukam. Als zur Ausstellungseröffnung dann tatsäch­lich Diplomaten, Militärs, Politiker und viele Journalisten erschienen, konnte er auch in dieser Hinsicht einen Erfolg vorweisen. Er hatte offizielle Leihgaben aus der UdSSR bekommen, noch bevor es einen Vertrag über einen Austausch gab.170 Dabei benutzte er die richtige Strategie, um das zu bekommen, was er wollte: Er stellte keine festen Forderungen und ließ sich auf einen Dialog ein. Nicht unwesent­lich für seinen Erfolg war seine häufige Präsenz in der UdSSR , um auch die Verhandlungen mit den Museen vor Ort führen zu können. Klaus Gallwitz hatte in dieser Zeit ein gutes diplomatisches Gefühl für die Umstände in der Sowjetunion entwickelt und konnte diese Fähigkeiten für sein Vorhaben ­nutzen. Erst im Mai 1973 wurde das offizielle Kulturabkommen z­ wischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion unterzeichnet. Es war auf fünf Jahre angelegt. Hauptpunkte waren die Verbesserung und der Ausbau der Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet, in Wissenschaft und Forschung. Somit kann die Baden-­Badener Ausstellung von 1972 bis 1973 als Initialzündung für die Geschichte der Kunstausstellungen als Mittel der kulturellen Diplomatie z­ wischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Vor Rus­ sischer Realismus 1850 – 1900 gab es in der Bundesrepublik keine vergleichbar breit rezipierte Ausstellung mit offiziellen Leihgaben aus der Sowjetunion. Gallwitz schaffte es, den Diskussionen um den Realismus und der offiziellen sowjetischen Kunst ein neues Fundament zu geben. Er reetablierte die rus­sischen Realisten im west­lichen Bewusstsein: Nach 1972 waren die Bilder und Namen der wichtigsten Vertreter dieser Richtung, die vor den beiden Weltkriegen in Europa regelmäßig ausstellten und deren Namen dem deutschen, italienischen und franzö­sischen Publikum am Anfang des 20. Jahrhunderts geläufig waren, wieder aus der Vergessenheit hervorgeholt. Heute gehören die Maler der „rus­sischen Seele“, wie sie mittlerweile in Blockbuster-­Ausstellungen in Europa und USA präsentiert werden, zum kunstgeschicht­lichen Kanon in West und Ost. Diese Entwicklung konnte Gallwitz vor vierzig Jahren noch nicht voraussehen, 169 Generallandesarchiv Karlsruhe Sign. 550 Nr. 121 (eingesehen am 22. 06. 2011). 170 Vgl. Lippert 1996, 34.

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aber er engagierte sich weiter für die rus­sische Kunst in ihrer Gesamtheit – und nicht nur für den Realismus. Sein nächstes Projekt sollte gerade die auf den Realismus folgende Kunstentwicklung darstellen.

1.5 R ussische M a l er ei 1890 – 1917 (01. 10. 1975 –  09. 01. 1976, Städelsches Kunstinstitut Fr ankfurt a m M ain, Lenbachh aus München) Nach den ersten offiziellen Verträgen z­ wischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion konnten immer mehr große Ausstellungsprojekte realisiert werden. Gallwitz knüpfte an seine Kontakte in der UdSSR 1976 wieder an, um als nächste kunstgeschicht­liche Etappe nach dem rus­sischen Realismus Rus­sische Malerei 1890 – 1917 in Frankfurt zu zeigen. Diese Ausstellung wurde gemäß dem erprobten Erfolgsmodell der wechselseitigen Ausstellungen – zunächst in der BRD , danach in der UdSSR  – konzipiert: In Frankfurt wurde die große Vielfalt der rus­sischen Kunst aus den zwanzig Jahren vor der Oktoberrevolu­tion gezeigt, wobei sogar einzelne Arbeiten von ­Kandinskij, Tatlin und Malevič von der UdSSR bereitgestellt wurden.171 Es war ein weiterer Erfolg für Gallwitz, dessen Raffinesse, mit der UdSSR über Ausstellungen zu verhandeln, als das geeignete Format angesehen wurde: „Die zweite Ausstellung kam gleich nach dem Erfolg des ersten Tausches. Der war in Moskau und Bonn beklatscht worden und dann sagte man: ‚Herr Gallwitz machen Sie es noch mal!‘ Und mir war klar: Ich kriege weder die Revolu­tionskunst noch die Ikonen. Deshalb dachte ich einfach: Gehen wir einen Schritt weiter zu der komplizierteren Phase der Rus­ sischen Kunst am Beginn des 20. Jh. Immerhin waren Werke von Tatlin und Malevič dabei, aber nur die frühen. Das haben die Russen immerhin raus gelassen, ich hätte natür­lich gern mehr gemacht und das Ganze auch pointierter gemacht, aber da waren die politischen Verhältnisse im Weg. Die zweite Ausstellung war in der deutschen Gegenausstellung qualitativ phantastisch und hochwertiger als es die rus­sische war […] Die Rezensionen haben das entweder verg­lichen mit der ersten und da hatten sie Recht, oder sie hatten einfach gesagt uns fehlt der rote Faden zur Revolu­tion, das war nicht deut­lich genug. Da waren die Russen sehr restriktiv, das stimmt.“172

Klaus Gallwitz war in der diplomatischen Kommunika­tion mit der UdSSR geübt und wusste, dass es die Erfolg versprechendere Entscheidung war, in kleinen Schritten 171 Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei 1890 – 1917 1976. 172 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe.

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voranzugehen und sich über die sukzessiven Errungenschaften in ­diesem Austauschprozess zu freuen. Die Mög­lichkeit, Kandinskij, Tatlin und Malevič als Leihgabe aus der Sowjetunion im Jahr 1976 zu erhalten, stellte einen immensen Fortschritt dar, auch wenn der Kurator selbst das Endergebnis kritisch betrachtete. Der sowjetische Botschafter Valentin M. ­Falin eröffnete auch diese Ausstellung und besuchte sie zusammen mit dem Bundespräsidenten Walter Scheel am 1. Dezember 1976.173 Etwa 27300 Besucher wurden im Ausstellungszeitraum gezählt.174 Die Liste der Leihgeber erweiterte sich um das Museum für rus­sische Kunst Kiew, das Staat­liche Kunstmuseum der Belorus­sischen SSR Minsk und das Staat­liche Radiščev-­Kunstmuseum Saratow. Die meisten Bilder stammen aus den ständigen Ausstellungen, einige Katalognummern wurden aus den Depots entnommen. Die sowjetischen Museumsleute waren ­dieses Mal intensiver eingebunden als noch bei Rus­sischer Realismus 1850 – 1900  – auch dies war ein Anzeichen für die dynamischen Veränderungen im Austausch beider Staaten, die aber auch neue Probleme schufen.175 Die Auswahl der Ausstellungsstücke und der Katalog wurden von den Leihgebern vorgegeben; diesmal konnte Gallwitz nicht so frei über Exponate entscheiden wie bei der ersten Ausstellung. Der gewählte Zeitraum, die ­Themen und die Künstler dieser Epoche waren für die sowjetische Kulturpolitik konzeptuell schwieriger zu behandeln als die rus­sischen Realisten, denn in den zwei Jahrzehnten vor der Revolu­tion florierten die avantgardistischen Kunstentwicklungen, die in der Sowjetunion als formalistisch denunziert waren.176 Einige Arbeiten der im Heimatland unpopulären Avantgardisten wurden für diese Ausstellung ausgewählt. Doch vor dem Hintergrund der breiten Exposi­tion anderer Kunstrichtungen kann diese Übersicht als sparsam bezeichnet werden.177 Dennoch wurde diese Ausstellung als ein unmissverständ­liches ­­Zeichen für eine sowjetische Öffnung gegenüber dem Westen empfunden.178 Viele ­überregionale 173 Vahle 1976. 174 pal 1976. 175 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe. 176 Ebd. 177 Kandinskij Damen in Krinolinen (1909) und Aufruhr (1917), Malevič Porträt des Dichters und Künstlers Ivan Vasil´evič Kljun (1911) und Suprematismus Gelb und Schwarz (1916/1917), Larionov Badende Soldaten (1911) und Venus (1912), Gončarova Pfau in heller Sonne (im ägyptischen Stil) (1911) und Stilleben mit Porträt und weißer Tischdecke (die ausgestellten Werke beider Künstler gehörten zur prerayonistischen Phase), Sterenberg Das Frühstück (1916), Tatlin Stilleben. Blumen. (1912) und Der Wald (1913) (auch hier wurden gegenständ­liche Werke ausgesucht, die keine Spur des späteren Konstruktivismus enthalten), Udalzova Die Küche (1915). In: Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei 1890 – 1917 1976. 178 Liste der ausgestellten Künstler (alphabetisch): Natan I. ­Al´tman, Abram E. ­Archipov, Aleksandr N. ­Benois, Viktor E. ­Borisov-­Musatov, Mstislav V. ­Dobužinskij, Robert R. ­Fal´k, Natalija S. ­Gončarova, Igor E. ­Grabar´, Konstantin F. ­Juon, Vasilij V. ­Kandinskij, Nikolaj A. ­Kasatkin, Pëtr P. ­Končalovskij,

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Zeitungen kritisierten die Auswahl der Ausstellungsexponate: „Vom gemischten Angebot (Spiegel), von Nivellierung (SZ) und gar von Irreführung (Zeit) war die Rede.“179 Diese Kommentatoren ignorierten, dass diese Ausstellung in ihrem Konzept viel offener war als alle Ausstellungen, die man zu dieser Zeit in der Sowjetunion sehen konnte. Diejenigen Berichterstatter und Experten, die Ehr­lichkeit und Transparenz im Katalog und in der Ausstellung erwarteten, wollten sich nicht mit einer ersten vorsichtigen Geste zufriedengeben, wie man sie in Frankfurt und ­später im Münchner Lenbachhaus erleben konnte. In einem Beitrag des Kunstkritikers Horst Richter für den Generalanzeiger Bonn wurde die Ausstellung als rein kulturpolitische Sensa­tion dargestellt. Richter, der sich stets für konstruktivistische Tendenzen stark machte, schrieb: Die Kunst biete keine Überraschungen oder Neuentdeckungen, vielmehr gehe es darum, dass die Vertreter der sowjetischen Kultur über ihren Schatten springen und Bilder aus den Depots ausleihen, die dem gängigen sowjetischen Kunstverständnis widersprächen.180 Dabei war dieser Schritt war für die UdSSR höchst brisant und anerkennungswürdig in seinem Mut zur Öffnung – das wachsende Interesse an der Avantgarde setzte die Kulturpolitiker offensicht­lich unter Druck. Gleichzeitig wollten die sowjetischen Behörden aber auch die vollständige Kontrolle über die Ausstellung behalten – sie sollte das allzu eintönige west­liche Bild des künstlerischen Geschehens im vorrevolu­ tionären Russland beseitigen. „Die Sowjets gehen keinerlei Risiko ein. Sie liefern die Ausstellung komplett, mit Katalog – oder sie liefern keine Ausstellung“, schrieb das Allgemeine Deutsche Sonntagsblatt. Andere Stimmen betonten, dass es ein Risiko für die Sowjetunion darstellte, überhaupt hochwertige Leihgaben in den Westen zu senden.181 Gallwitz betonte, dass die Zusammenarbeit sich als recht schwierig erwies.182 Dies lag hauptsäch­lich an den unterschied­lichen Inten­tionen der Veranstalter: In der Bundesrepublik hofften viele Kulturvertreter und Kenner darauf, neue Aspekte der Entstehung der rus­sischen Avantgarde zu sehen, während die UdSSR viel Mühe hatte, die Avantgarde als kurzes Intermezzo an den Wahrnehmungsrand der Exposi­tion zu drängen. Die Katalogtexte für die Ausstellung wurden wieder in den sowjetischen Konstantin A. ­Korovin, Nikolaj P. ­Krymov, Aleksandr V. ­Kuprin, Boris M. ­Kustodiev, Pavel V. ­Kuznecov, Michail F. ­Larionov, Aristarch V. ­Lentulov, Kazimir S. ­Malevič, Filipp A. ­Mal´javin, Il´ja I. ­Maškov, Michail V. ­Nesterov, Kuz´ma S. ­Petrov-­Vodkin, Nikolaj K. ­Rerich, Andrej P. ­R´jabuškin, Arkadij A. ­Rylov, Mark H. ­Šagal, Martiros S. ­Sar´jan, Zinaida E. ­Serebr´jakova, Aleksandr V. ­Ševčenko, Valentin A. ­Serov, Konstantin A. ­Somov, David P. ­Sterenberg, Sergej J. ­Sudejkin, Vladimir E. ­Tatlin, Nadežda A. ­Udal’cova, Apollinarij M. ­Vasnecov, Sergej A. ­Vinogradov, Michail A. ­Vrubel, Stanislav J. ­Žukovskij. 179 Rein 1977, 13. 180 Vgl. Richter 1976. 181 Brackert 1976. 182 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe.

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Museen produziert. Als offizieller Grund dafür diente Gallwitz die zusätz­liche Förderung des wissenschaft­lichen Austauschs. Er bezog sich in seinem Vorwort erneut auf seine erste Ausstellung: „Zugleich wird jedoch offensicht­lich, wie entschieden sich die Entwicklung im frühen zwanzigsten Jahrhundert von dem Eindruck abhebt, den die ‚Wanderer‘ hinterlassen haben. ‚Jedes Bild wie ein Romananfang …‘ – war für deutsche Augen ein Kennzeichen dieser Periode in der rus­sischen Malerei.“183

Dagegen wandelte sich die gegenseitigen künstlerischen Antriebe im neuen Jahrhundert – im Kubofuturismus lieferten die Maler den Dichtern die Inspira­tion und nicht umgekehrt. Die Situa­tion der Maler in Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts verg­ lich Gallwitz mit der Genera­tion seiner Zeitgenossen: Ihre Suche nach dem Neuen, die Orientierungslosigkeit, der Bruch mit der Vergangenheit ­seien charakteristisch für die damalige Zeit und für das Heute.184 Auch die damaligen Verbindungen zum Westen sollten in dieser Ausstellung verdeut­licht werden. Professor Dmitrij V. ­Sarab’janov schrieb im Katalog, dass die rus­sische Kunst sich bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts an der deutschen Kultur orientiert habe.185 Wie bei Rus­sischer Realismus 1850 – 1900 sollten einerseits Bezüge zur europäischen Malerei hergestellt und andererseits auch Eigenheiten der rus­sischen Kunst gezeigt werden. Diesmal waren die Leihgeber darüber hinaus daran interessiert, das Bild von der rus­sischen Kunst zu „ergänzen und [zu] differenzieren“186. Viele Rezensenten thematisierten den ungewöhn­liche Entscheidung der sowjetischen Museen, verfemte avantgardistische Werke aus den Depots heraus zu verleihen. Dass dabei offenbar strate­ gisch gelenkte Impulse gesetzt werden sollten, wurde nur sporadisch in der deutschen Presse wahrgenommen: Als Indizien der Entspannung wurden auch die Lockerungen im Programm des sozialistischen Realismus beschrieben, der zum Beispiel auch in der 183 Vgl. Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei 1890 – 1917 1978, 7. 184 „Die Wanderer waren ‚politisch‘. Die Genera­tion, die z­ wischen 1890 und 1917 tätig war, übte weitgehend – so scheint es uns – politische Abstinenz. Gerade in dieser Hinsicht hat die Ausstellung besondere Aktualität: ihr verwirrend vielseitiger, tendenzfreier Eindruck stimmt mit Beobachtungen überein, die wir an der gegenwärtigen Kunstszene anstellen können, die ebenfalls keinen entschiedenen Trend aufweist.“ (ebd.). 185 Vgl. ebd., 15. Dmitrij V. ­Sarab´janov (geb. 1923) ist spezialisiert auf rus­sische Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. 1972 bis 1985 war er Fakultätsleiter der Kunstgeschichte an der Lomonossov Universität in Moskau sowie beratender Professor der historischen Fakultät in kunstgeschicht­lichen Fragen (Quelle: http:// www.aica.ru/sarabjanov2.asp [20. 02. 2013]). 186 Vgl. ebd., 7 – 8.

Russische Malerei 1890 – 1917  |

DDR teilweise seine formalen Charakteristika verloren hatte. Als weiteres ­­Zeichen dieser positiven Entwicklung galt die Monografie von Ėl’ Lisickij, die von seiner Witwe 1967 in Dresden mit offizieller sowjetischer Erlaubnis gedruckt und zu einer der wichtigsten Publika­tionen über die rus­sische Avantgarde wurde.187 Diese Schritte des Kulturministeriums der Sowjetunion wurden in der BRD als notwendige, wenn auch sehr kleine Signale der Annäherung an den Westen gedeutet. Es ist vorstellbar, dass sich die offizielle sowjetische Seite mit den offenkundigen Kompromissen im Bereich der bildenden Kunst (die als nicht so greifbar kompromittierend angesehen wurde wie das geschriebene Wort) erhoffte, zumindest die kleineren Wogen der kulturpolitischen Skandalgeschichte um Aleksandr I. ­Solženicyn wieder glätten zu können.188 Doch der angestrebte diplomatische Erfolg der Ausstellung stellte sich nicht ein – zumindest nicht, wenn man diesen an den Reak­tionen der Presse misst. Die Kritik war enorm und selbst Gallwitz gab zu, dass diese Ausstellung nicht an den Erfolg des ersten Projekts in Baden-­Baden heranreichen konnte. Der für die Ausstellung gewählte Zeitabschnitt in der Entwicklung der rus­sischen Kunst wäre genauso schwierig in einem Projekt zusammenzufassen gewesen, das man in einem fried­lichen politischen Klima geplant hätte. Das vorrevolu­tionäre Zeitalter war geprägt vom unbändigen Erkenntnisstreben und zahlreichen abwechselnden, ineinandergreifenden und sich überlappenden Stilen. Der Katalog, der von sowjetischen Kunsthistorikern verfasst wurde, gab viel Anlass zur Kritik. Sarab’janov beendete seinen Text über die Entwicklung der rus­ sischen Kunst mit einem allgemeinen und oberfläch­lichem Resümee, das die typische offizielle kunsthistorische Schriftsprache der Sowjetunion spiegelt: „1917 fand die Entwicklung der Malerei der vorrevolu­tionären Zeit ihren Abschluß. Der Kunst wurden nun neue Aufgaben gestellt, und neue Horizonte eröffneten sich vor ihr. Vieles von dem, was die Künstler am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffen hatten, wurde in sowjetischer Zeit als große, unvergäng­liche Tradi­tion geehrt und genutzt.“189

Beim Blättern der im Katalog aufgeführten Liste der wichtigsten Ereignisse von 1890 bis 1917 entsteht der Eindruck, als hätten die in der Ausstellung präsentierten 187 Vgl. Richter 1976. Sophie Lisickij-­Küppers war Deutsche und somit eine „feind­liche Ausländerin“, sie wurde 1941 nach Nowosibirsk in Sibirien verbannt, wo sie nach mehreren abgelehnten Ausreiseanträgen im Jahr 1978 verstarb. Dennoch wurde gerade die Veröffent­lichung ihres Buchs als Beispiel für eine Wendung in der sowjetischen Kulturpolitik angesehen (Näheres dazu in: Burg/ Feifer 1973). 188 Nachdem der Schriftsteller Aleksandr I. ­Solženicyn 1974 als Verräter aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde, lebte er vorübergehend bei Heinrich Böll in der Bundesrepublik. 189 Sarab´janov 1976. In: Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei 1890 – 1917 1976, 17.

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Kunstströmungen ab 1917 einfach aufgehört zu existieren. Dies gab vielen deutschen Berichterstattern Anlass zur Kritik in den Ausstellungsbesprechungen.190 Lücken und auslassende Formulierungen tauchten hauptsäch­lich bei einzelnen Biografien im Katalog auf, wenn zum Beispiel über Kandinskij geschrieben wurde, dass er Ende 1921 nach Deutschland ausgewandert sei und am Bauhaus gelehrt habe. Diese Tatsache ist korrekt, aber dass der Künstler in Russland aus politischen und ideolo­gischen Gründen nicht mehr bleiben wollte und die Reise nach Deutschland vielmehr eine Flucht war, ist in der Kurzbiografie nicht vermerkt worden. An solchen lapidaren Notizen störten sich die deutschen Kritiker und betonten, dass die meisten Künstler nicht freiwillig ins Ausland emigriert ­seien, sie wurden vertrieben, ihre Arbeiten verboten und diese historischen Tatsachen dürfe man ihres Erachtens in einer Ausstellung, die in Frankfurt am Main (im Gegensatz zu Frankfurt an der Oder) gezeigt wurde, nicht verschweigen. Auch der Frankfurter Theater- und Kunstkritiker Peter Iden sah die Katalogvariante der sowjetischen Kunstgeschichte kritisch und wies darauf hin, dass dem deutschen Publikum eine verzerrte sowjetische Sicht auf die Entwicklung der vorrevolu­tionären Kunst aufgezwungen werde.191 Von diesen Mängeln in der historischen Dokumenta­tion konnten die zusätz­lichen Geschenke der sowjetischen Gesellschaft für Autorenrechte nicht ablenken. Diese Organisa­tion stellte ein Kapitel des Buches Die poetische Kultur Majakovskijs für den Katalog in deutschem Erstabdruck zur Verfügung.192 Idens Kritik in der Frankfurter Rundschau war charakteristisch für viele andere Berichte über d ­ ieses Projekt: Die Idee der Ausstellung sei aus politischer Sicht vernünftig, aber die Auswahl beweise, wie schnell eine gute Absicht „an die harten Grenzen der politischen Verhältnisse stoßen“193 könne. Die Exponate bezeichnete er als „enttäuschend und überflüssig“194 und die Akzentverschiebung durch die UdSSR dürfe keinesfalls angenommen werden. Am Ende des Berichts betonte Iden nochmals, dass diese Ausstellung einen politischen Pragmatismus widerspiegele, der aus mora­lischer und künstlerischer Sicht nicht akzeptabel sei.195 Das Durcheinander der verschiedenen Entwicklungen, die Qualitätsunterschiede der Werke und das schwierigste Moment – die Nivellierung der meisten postrevolu­tionären Ereignisse aus den Künstlerviten – konnten bei dem ersten diplomatischen Ausstellungsereignis 1972 in Baden-­Baden nicht 190 Vgl. Müller 1976; Schön 1976; Krämer-­Badoni 1976; Glozer 1977. 191 Iden 1976. Auch Malevičs Biografie im Katalog hat z­ wischen 1927 und 1935 eine Lücke, auf die mancher Kommentator verweist (vgl. Krämer-­Badoni 1976). 192 Vgl. Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei 1890 – 1917 1976. 193 Iden 1976. 194 Ebd. 195 Vgl. ebd.

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entstehen, denn davon waren die rus­sischen Realisten noch nicht betroffen. Manche lokale Rezensenten sahen in der Frankfurter Ausstellung eine amt­liche Anerkennung der abstrakten Malerei, was jedoch eine zu optimistische Bewertung der Situa­tion war.196 Die vereinzelten Werke der abstrakten Künstler sollten einen unbedeutenden Teil der Präsenta­tion ausmachen, in ihrer Präsenz jedoch versöhn­lich wirken. Diese Geste wurde vom Rezensenten der FAZ als unwichtig abgewertet, weil man das Bild von Malevič kaum aus den rus­sischen Depots heraus verändern könne.197 Diese Überzeugung war ein Irrtum, wie es sich vier Jahre s­ päter in Düsseldorf herausstellen sollte, mit der Ausstellung Kasimir Malevič (1878 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen wurde ein Teil der west­lichen Kunstgeschichte umgeschrieben.198 In der Ausstellung Rus­sische Malerei 1890 – 1917 war ein großes Konfliktpotenzial angelegt, wie beiden Seiten schon während der Vorbereitungsphase bewusst war. Es zeigte sich, dass das Ausstellen des rus­sischen Realismus für einen ersten bilateralen Austausch perfekt gewählt war. Die Interessen und idealistischen Überzeugungen wurden dabei weniger strapaziert, da diese Kunstrichtung noch unbeeinflusst von der Oktoberrevolu­tion 1917 und ihren Folgen war. Der Erfolg war hier – trotz der kritischen Stimmen, die bei solchen Projekten aber nie ausbleiben – praktisch garantiert. Das Nachfolgeprojekt Rus­sische Malerei 1890 – 1917 sollte auf der Basis der erfolgreich begonnenen Pionierarbeit von Klaus Gallwitz für den sowjetisch-­westdeutschen Austausch stattfinden. Hier zeichneten sich die ersten Grenzen ab, die einem kulturellen Austausch mithilfe bildender Kunst gesetzt sind: Zwischen zwei unterschied­lichen politischen Systemen, die eine voneinander abweichende, in d ­ iesem Fall könnte man sagen, die eine schon als gegenläufig einzustufende Kulturpolitik betreiben, kann einem Austausch politisch brisanter Kunstwerke kein diplomatischer Erfolg vergönnt sein. Die liberalen Erwartungen des Empfängers weichen von den Mög­lichkeiten des autoritären Absenders ab. Die Kulturverantwort­lichen in Moskau hätten niemals die von ihnen verpönten Kunstwerke ausgeliehen, die die westdeutschen Experten gerne in dieser Ausstellung gesehen hätten. Losgelöst von den Erwartungen der Experten und Kritiker kann ein Projekt wie d ­ ieses durchaus bereichernd für das Publikum sein. Der durchschnitt­liche Ausstellungsbesucher hatte sicher­lich seine Freude an den ausgestellten Arbeiten gehabt, ohne die Lücken als störend zu empfinden. Die Besucherzahlen in Baden-­Baden und Frankfurt waren vergleichbar, die Pressestimmen waren gegenüber der Frankfurter Ausstellung hingegen viel kritischer eingestellt. Diese Ausstellung konnte nur durch ihre kulturpolitische Dimension überzeugen, zugleich 196 Vgl. Stachelhaus 1976. 197 Vgl. Wiegand 1976. 198 Siehe dazu Kap. 3.1.

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waren die Bilder von Kandiskij und anderen, über die sich die Kritiker so freuten, für die Gesamtgewichtung marginal. Die obligatorische Gegenausstellung Deutsche Malerei 1890 – 1918, die zwei Jahre s­ päter in der Eremitage in Leningrad und am Puškin-­Museum in Moskau gezeigt wurde, war qualitativ besser bestückt, wie bereits von Gallwitz vermerkt.199 Eine Besonderheit dieser Ausstellung (neben der Erlaubnis, die in Sowjetrussland abwertend als „formalistisch“ bezeichneten Maler auszustellen) war die Annahme von Leihgaben aus Berlin (West). Was noch wenige Jahre zuvor undenkbar war, konnte diesmal durch zähe Verhandlungen errungen werden. In einem Brief an seinen Verhandlunspartner im Auswärtigen Amt, Dr. Walter Bammer, äußert Gallwitz Bedenken, ob man für die Ausstellung in der RSFSR überhaupt die Leihgaben aus dem Brücke-­Museum in Berlin-­Dahlem anfragen sollte. Diese Bedenken wandte Bammer ab und tatsäch­lich wurden zum ersten Mal in der Nachkriegszeit kulturelle Beziehungen ­zwischen der Sowjetunion und Berlin (West) aufgenommen.200 Gallwitz selbst beschreibt die Verhandlungen um Leihgaben aus Berlin als „furchtbares langwieriges Gezerre“201, das mit der separaten Kennzeichnung der Werke aus Berlin (West) endete.202 Auf der ersten Seite des Katalogs musste zudem die folgende Erklärung abgedruckt werden: „Die Ausstellung findet im Rahmen des Kulturaustauschs z­ wischen der UdSSR und der Föderativen Bundesrepublik Deutschland statt, auf der Grundlage des Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit ­zwischen der UdSSR und der Föderativen Bundesrepublik Deutschland vom 19. Mai 1973. Die Exposi­tion der Bilder aus Berlin (West) in dieser Ausstellung passiert in Übereinstimmung mit Anhang IV, Punkt 2d des Viermächteabkommens vom 3. September 1971, das vorsieht, dass die ‚Einwohner der west­lichen Sektoren von Berlin, zusammen

199 Ausgestellte Künstler (alphabetisch): Hans Baluschek, Christoph Bantzer, Willi Baumeister, Max Beckmann, Lovis Corinth, Otto Dix, Max Ernst, Philipp Franck, Erich Heckel, Adolph Hölzl, George Grosz, Ernst-­Ludwig Kirchner, Paul Klee, Walter Leistikow, Max Liebermann, Gustav Macke, Ludwig Meidner, Otto Modersohn, Paula Modersohn-­Becker, Otto Müller, Gabrielle Münther, Emil Nolde, Max Pechstein, Christian Rohlfs, Oskar Schlemmer, Carl Schmidt-­Rottluff, Hans Schmithals, Franz Skarbina, Maria Slavona, Max Slevogt, Carl Strathmann, Franz von Stuck, Albert Weisgerber. 200 Brief Dr. Bammer (AA) an K. ­Gallwitz, Archiv der Korrespondenz zur Ausstellung im Frankfurter Städel (eingesehen am 22. 07. 2011). Folgende Leihgeber aus Berlin (West) gab es: Na­tionalgalerie, Brücke-­Museum, Sammlung Bröhan, Kunstamt Kreuzberg, Sammlung Küpper, Bezirksamt Charlottenburg, Berliner Galerie. 201 Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011. 202 Nachdem Gallwitz die sowjetischen Kuratoren davon überzeugen konnte, dass die Kunst Westberlins zu der damaligen gesamtdeutschen Kunstgeschichte gehörte und auch nicht nach politischen Sektoren gehängt werden durfte, wurde in Russland an jedes Schildchen der Werke aus Berlin West ein kleines Bären-­Symbol zur Kennzeichnung angebracht (ebd.).

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mit den Teilnehmern aus der Föderativen Bundesrepublik Deutschland, an interna­tionalem Austausch und Ausstellungen teilnehmen können.‘ Im Viermächteabkommen wird zudem fest gehalten (Teil II; Punkt B, Anhang II, Punkt 1), dass ‚Beziehungen ­zwischen den west­ lichen Sektoren von Berlin und der Föderativen Bundesrepublik Deutschland unterstützt und ausgebaut werden, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese Sektoren weiterhin kein Bestandteil der Föderativen Bundesrepublik Deutschland sind und weiterhin nicht von ihr regiert werden.’“203

Man sieht an dieser zusätz­lichen Notiz, wie heikel das Thema Berlin (West) war. Dennoch haben die Bemühungen Gallwitz’ und seiner Unterstützer einen weiteren kleinen Schritt auf dem Weg zur Kulturverständigung geschafft. Die Ausstellung wäre eines sehr wichtigen Teils beraubt worden, wenn die Werke aus West-­Berlin nicht ausgestellt worden wären. Die Ausstellung hatte 40 staat­liche und private Leihgeber, durch deren hohe Bereitschaft erneut die Bedeutsamkeit ­dieses Projektes betont werden konnte.204 Die großen koordinativen Mühen Klaus Gallwitz’ wurden belohnt: Die Ausstellung war hochkarätig bestückt und ein großer Erfolg in der Sowjetunion und in Westdeutschland. Mit ­diesem Projekt endete gleichzeitig sein Engagement für den deutsch-­sowjetischen Kulturaustausch, obwohl er ursprüng­lich plante, die schwierigste Situa­tion der sowjetischen Kunstgeschichte, den Zeitraum 1917 bis 1932, zu untersuchen und auszustellen. Gallwitz führt anderweitige Verpflichtungen in Frankfurt und neue Zielsetzungen als Grund für die Aufgabe ­dieses Projektes an.205 Vermut­lich spielten jedoch die negativen Kritiken seiner letzten sowjetischen Ausstellung und die beschriebenen unüberbrückbaren Interessenunterschiede eine ebenso große Rolle. Zudem wurde 1977 eine Ausstellung der Neuen Gesellschaft der Bildenden Kunst (NGBK) in West-­Berlin eröffnet, die das von Gallwitz designierte Thema abhandelte. Seine beiden ersten Projekte mit der UdSSR zeichnen ihn dennoch als Wegbereiter auf dem Gebiet des Kunstaustauschs z­ wischen den beiden Staaten aus. Seine Eigen­initiative und geschickte Verhandlungsführung mit den sowjetischen Kulturfunk­tionären haben ihm Erfolg beschert. Er konnte den Deutschen in der Bundesrepublik erstmals seit dem Kriegsende rus­sische Kunst aus den sowjetischen Museen präsentieren. Er zeigte die „Wanderer“ als (annähernd) ebenbürtige Kollegen der deutschen und franzö­sischen Realisten, man kann sagen, dass er sie auch für die Kunstgeschichte der Nachkriegszeit überhaupt wieder zugäng­lich machte. Darüber hinaus holte er die ersten Werke von Kandinskij, Malevič und Šagal aus sowjetischen 203 Ausst.-Kat. Nemeckaja živopis´ 1890 – 1918 1976, 3. 204 Vgl. ebd., 5. 205 Klaus Gallwitz im Gespräch mit der Verfasserin am 02. 08. 2011 in Karlsruhe.

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Beständen für eine Schau in die Bundesrepublik. Durch diese ersten Projekte wurde das Image der UdSSR in der Bundesrepublik nicht verändert, vielmehr sahen die meisten Medienvertreter ihr Bild der manipulativen Kulturfunk­tionäre der Sowjetunion bestätigt. Vergleicht man die beiden sowjetischen Ausstellungen von Gallwitz miteinander, wird klar, dass kein offizielles Engagement in dieser Zeit kritiklos aufgenommen werden konnte. Die politischen Spannungen der 1970er-­Jahre machten es unmög­lich, eine Ausstellung aus der Sowjetunion als durchweg positives Signal zu werten, unabhängig davon, ­welche kunsthistorische Periode ausgestellt war. Die Mög­lichkeiten der kulturellen Diplomatie mithilfe von Kunstausstellung bleiben in politisch spannungsgeladenen Perioden sehr eingeschränkt, wenn diese von Kulturpolitikern und auswärtigen Ämtern verhandelt werden. Während es für Gallwitz wichtig war, auf offiziellem Wege seine Leihgaben direkt aus der UdSSR zu bekommen, wählte der neue Direktor des Museums Bochum zeitgleich einen anderen Weg, um eine Ausstellung mit sowjetischen Künstlern zu organisieren. Peter Spielmann zeigte 1974 die erste Ausstellung progressiver sowjetischer Künstler, die jemals in einem Museum in der Bundesrepublik zu sehen war. Progressive Strömungen in Moskau. 1957 – 1970 wurde mithilfe von Dissidenten und Künstlern im Exil organisiert.206 Einer der Hauptverantwort­lichen war Lev Nussberg, Gründer der Künstlergruppe Dviženie.207 Diese Ausstellung ist in die Geschichte der richtungsweisenden Projekte eingegangen, wurde allerdings in den 1970er-­Jahren nicht breit rezipiert. Progressive Strömungen in Moskau. 1957 – 1970 zeigt, dass es auch in den schwierigen Zeiten des Kalten Krieges unterschied­liche Mög­lichkeiten gab, sowjetische beziehungsweise rus­sische Kunst in der Bundesrepublik auszustellen. Für diese Untersuchung ist primär der offizielle Weg über das Kultusministerium interessant, da sich die vorliegende Arbeit auf Ausstellungen als Mittel der Diplomatie fokussiert und daher werden Ausstellungen, die nicht durch offizielle sowjetische Stellen unterstützt wurden, nicht näher betrachtet. Obwohl die meisten Projekte auf Initiativen aus der Bundesrepublik beruhten, trugen sie auch eine implizite sowjetische Diplomatie in sich, was man bei den besprochenen Ausstellungen anhand der Auswahl der Exponate und des modifizierten Katalogs deut­lich sehen kann. Bei der nächsten untersuchten Ausstellung sowjetischer Kunst in der Bundesrepublik wurde die Zensur wieder zu einem zentralen Thema, sowohl für die Veranstalter als auch für das Publikum. Nachdem 206 Pohribný 1974. 207 Dviženije (dt. Bewegung): Die Mitglieder der Gruppe waren die ersten in der UdSSR der Nachkriegszeit, die sich mit kinetischer Kunst beschäftigten. Lev Nussberg war in Moskauer Künstlerkreisen gut vernetzt und hatte auch Kontakte in Israel, zu Sammlern, die progressive Kunst sammelten. Somit konnte er viele Leihgaben für die Ausstellungen organisieren.

Kunst aus der Revolution – Kunst in die Produktion  |

Gallwitz das 19. Jahrhundert und die ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zeigen konnte, hat sich ein junges Kuratorenteam an die schwierige Zeit der „Kollektivierung“ und der „Fünfjahrespläne“ gewagt.

1.6 K unst aus der R e volu tion  – K unst in die P roduk tion (20. 02.–30. 03. 1977, Ak ademie der Künste West-Ber lin) Die Aufarbeitung der Kunst von der rus­sischen Revolu­tion bis zur Einführung des sozialistischen Realismus hatten die jungen Organisatoren der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK ) in Berlin als eine spannende und wichtige Aufgabe für sich entdeckt. Es war gerade die Synthese aus einer nichtstaat­lichen Institu­tion und das Engagement von sechs jungen Kuratoren, die d ­ ieses Projekt ermög­lichte. Die NGBK wurde 1969 als neuer Kunstverein in Kontrast zu tradi­tionell hierarchisch organisierten Institu­tionen gegründet. Die Besonderheit ­dieses Kunstvereins lag darin, dass die Mitglieder selbst Themenvorschläge und Ausstellungskonzepte vorbringen und realisieren durften. Darauf ließen sich Christian Borngräber, Christiane Bauermeister-­Paetzel, Sylvie Wetzel, Eckhardt Gillen, Hubertus Gaßner, Oskar Wehling und Irmingard Emanuel (damals größtenteils noch Studenten) ein und eröffneten 1977 in der Akademie der Künste die Ausstellung Kunst aus der Revolu­ tion – Kunst in die Produk­tion. Sowjetische Kunst während der Phase der Kollektivierung und Industrialisierung 1927 – 1933. Diese Ausstellung verdeut­lichte, dass die Avantgarde in der Sowjetunion keinesfalls plötz­lich verschwunden war, sondern noch eine Zeit lang die Veränderungen des gesellschaft­lichen und politischen Lebens begleitete.208 Rund 350 Exponate von 163 Künstlern zeigten die Entwicklung der sowjetischen Kunst dieser Jahre zum ersten Mal im Westen, während diese Werke für die Öffent­lichkeit in der Sowjetunion immer noch nicht zugäng­lich waren.209 Die Veranstalter betonten in ihrem Vorwort, eine „Informa­

208 Ausst.-Kat. Kunst aus der Revolu­tion 1977. 209 Vgl. Müller 1977. In den ersten Jahren des Kunstaustauschs war dies charakteristisch für die sowjetische Kulturpolitik. Die im Westen gefragte Avantgarde wurde von der UdSSR in die Bundesrepublik exportiert, aber auf eigenem Territorium in den Depots gehalten. Oft wurden die Vorgehensweisen der UdSSR mit der Kulturpolitik der 1930er-­Jahre in Deutschland verg­lichen. Man verg­lich den sowjetischen Ausdruck „Formalismus“ mit dem Begriff der „entarteten Kunst“. Ein großer Unterschied war jedoch, dass die Kulturfunk­tionäre die Werke der „Formalisten“ in den Depots aufbewahrten und nicht zerstörten.

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Abb 12  Eröffnung der Ausstellung am 19. 02. 1977, am Rednerpult Hubertus Gaßner (Bildende Kunst), v. l. n. r.: Christian Borngräber (Architektur), Eckhart Gillen (Bildende Kunst), Irmingard Emanuel (Theater), Christiane Bauermeister-Paetzel und Sylvia Wetzel (Frauenfrage). Im Hintergrund steht die Rekonstruk­tion der IZORAM-Tribüne, Archiv: Eckhart Gillen.

tionslücke“210 schließen zu wollen. Neben reiner Malerei wurden Plakate, Grafiken, Skulpturen, Straßen- und Theaterdekora­tionen sowie Architekturentwürfe gezeigt. „Die Ambivalenz und widersprüch­liche Facettierung der Zeit des ­Ersten Fünfjahresplans läßt sich am besten mit der bekannten Formulierung von der Dialektik der Aufklärung bündeln. Wie in der Retorte oder im Zeitraffer können wir in diesen fünf Jahren Aspekte unserer eigenen Vorgeschichte entdecken, die vom heroischen Aufbruch des bürger­lichen Zeitalters zur Stagna­tion, zur Desillusionierung und zum Abfall von den ehemaligen Idealen führt. Die Zukunftsgewißheit über die naiv gedachte Beherrschbarkeit von Natur und Gesellschaft, der ungebrochene Fortschrittsglaube und der Optimismus über die geschicht­liche Entwicklung hin zum wahren Kommunismus, machen diese ersten Jahre des Fünfjahrplans zu einem 210 Ausst.-Kat. Kunst aus der Revolu­tion 1977, 6. Die „Informa­tionslücke“ ist ein wiederkehrender Begriff im Zusammenhang mit den untersuchten Ausstellungen. Besonders gerne wurde dieser Begriff von Peter Ludwig im Bezug auf die west­liche Ignoranz gegenüber Ostkunst benutzt (siehe auch Kap. 3.4.)

Kunst aus der Revolution – Kunst in die Produktion  |

Faszinosum, daß auch durch die krude Realität, mit der dieser Aufbruch bezahlt wurde, nur wenig getrübt wird.“211

Diese Passage verdeut­licht die eigentüm­liche Rezep­tion der Periode der Fünfjahrespläne durch die Kuratoren, die in dieser Weise häufig in der west­lichen Öffent­lichkeit spürbar war. Der Vergleich mit der Zeit der Aufklärung bot sich an, kann aber gleichermaßen als ein Affront aufgefasst werden. Die Autoren behaupten, dass sich die postrevolu­tionäre Gesellschaft den gleichen Kreisläufen aussetzte, die während der Periode der west­lichen Aufklärung wirkten. Diese These trägt in sich die Behauptung des sowjetischen Rückstandes im Vergleich zu den europäischen Ländern. Die Vorgänge, die 1917 durch die Bolschewiken ausgelöst wurden, sind auf ra­tionaler Ebene mit keiner Revolu­tion in Europa vergleichbar, denn sowohl die historischen Voraussetzung als auch die politischen Ziele waren unterschied­lich. Die Auslegung der Kuratoren beschreibt einen Gegensatz zum sowjetischen Selbstverständnis von einem Staat, der sich in seinem Selbstverständnis auf dem fortschritt­lichsten Weg in die Zukunft befindet. Diese Betrachtung ist einer west­lichen Vorstellung geschuldet, die in Europa weit verbreitet war und bis zum heutigen Tage anhält: Russland, hier die Sowjetunion als Gesamtkonstrukt, wird eine rückständige Entwicklung zugesprochen, die der Westen aus einer fortschritt­lichen Posi­tion heraus betrachtet. Gleichzeitig verwiesen die Kuratoren auf die großen Unterschiede: Sie wollten den sowjetischen Fortschrittsglauben und Optimismus der west­lichen Stagna­tion und Kälte in den zwischenmenschlichen Beziehungen entgegengestellt wissen.212 Dabei wurde die frohe kommunistische Botschaft der Exponate unkritisch für wahr genommen und die prekären gesellschaft­ lichen und politischen Umstände dieser Zeit scheinbar aus dem Blick verloren. Hier zeigte sich eine romantisierende Sicht auf diese Periode, die auch heute als „Ostalgie“ kultiviert wird. Die Objekte dieser Zeit und ihre naiv optimistische Formensprache werden isoliert betrachtet und nicht mehr in einen größeren historischen Zusammenhang gestellt. Kunst aus der Revolu­tion konnte keinen realistischen Eindruck sowohl über die historische Einordnung als auch die gesellschaft­liche Probleme vermitteln, denn auch hier standen kulturpolitische Manöver der Sowjetunion im Vordergrund. Die Kuratoren hatten nur ein beschränktes Wirkungsfeld. Im Jahr 1977 war es ein erstes Herantasten an das Erbe der Fünfjahrespläne. Die Präsenta­tion der Exponate spiegelte die Aufteilung der Kuratoren auf ihre Spezialgebiete wider. So wurden die Exponate hauptsäch­lich nach Gattungen geordnet präsentiert: Der erste Raum gab einen Überblick der bildenden Kunst 1917 bis 1927, folgend gab es eine Abteilung 211 Ebd. 212 Vgl. ebd.

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Abb 13  Die ausgestellten Arbeiten von Gustav G. ­Klucis zeigten, wie sich der Künstler vom Konstruktivisten zum Unterstützer der stalinistischen Propaganda entwickelte. Hier (li.): Axiometrisches Gemälde. Gegenstandslose Komposi­tion (1920), Staatl. Tret’jakov-­Galerie Moskau.

großformatiger Bilder der abstrakten Avantgarde und satirische Blätter aus der NEPZeit (Neue Ökonomische Politik).213 In der Mittelhalle waren Bilder, Grafiken und Plakate nach Th ­ emen geordnet: Industrialisierung, Kollektivierung, Emanzipa­tion, Neues Leben. Zusätz­lich wurde eine IZORAM 214-Tribüne rekonstruiert, die in ­diesem kleineren Maßstab 7 x 4 m groß war. Der letzte Raum war der Architektur und den Bühneninszenierungen gewidmet.215 Die Kuratoren Eckhart Gillen und Hubertus Gaßner reisten während der Vorbereitungen der Ausstellung mehrfach durch die Sowjetunion und bekamen sogar Zutritt zu Archiven und Bibliotheken, wo sie auf interessante historische Materialien stießen. Sie durften alle Quellen einsehen, aber nicht veröffent­lichen.216 Die unangenehmen ­Themen des Hungerleids, der Verarmung und der politische Aufstieg Iosif W. ­Stalins durften entsprechend den Vorgaben aus Moskau nicht gezeigt werden. Im Katalog schrieb Vitalij S. ­Manin  217 einen heroisch-­affirmativen Text über die postrevolu­tionäre Kunst unter dem Titel Die Große Sozialistische Oktoberrevolu­tion hatte entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Kunst in Rußland. Die Ausstellung selbst hatte zwei 213 NEP war ein wirtschaftspolitisches Konzept, das nach dem Bürgerkrieg 1921 von Lenin eingeführt wurde, um die Situa­tion im Land zu verbessern (Quelle: Hildermeier 1998). 214 Ot´del izobrazitel´nych isskustv rabotajušej molodëži: Kunstzirkel der Arbeiterjugend. 215 Vgl. ebd., 7. 216 Eckhart Gillen im Gespräch mit der Verfasserin am 15. 05. 2012 in Karlsruhe. 217 Zu der Zeit stellvertretender Direktor der Tret´jakov-­Galerie.

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Titel und zwei Publika­tionen. Kunst aus der Revolu­tion war der Katalog zur Ausstellung und Kunst in die Produk­tion war eine Materialsammlung mit wissenschaft­lichen Essays und Dokumenten, die das Feld der Kunst und Kultur dieser Jahre großzügig abdeckten. Die Entstehung zweier Ausstellungstitel und zweier inhalt­lich verschiedener Publika­tionen hatte einen politischen Grund: Für die sowjetischen Verantwort­ lichen war anscheinend der Titel Kunst in die Produk­tion! zu eng und im kapitalistischen Berlin (West) zu verwirrend für diese Ausstellung, deshalb bestand man auf dem Titel Kunst aus der Revolu­tion.218 Gillen erzählt, dass das Kollektiv sich entschied, die sowjetischen Behörden zu überlisten: Sie änderten den Ausstellungstitel gemäß dem Wunsch der sowjetischen Behörden und produzierten unter ­diesem Titel ebenfalls einen „vorzeigbaren“ Ausstellungskatalog. Die Dokumente und Essays, die aus der Recherche in der Sowjetunion resultierten, wurden im separaten Materialien-­Katalog abgedruckt. Nachdem die sowjetischen Abgesandten die Vernissage der Ausstellung verließen, holten die Organisatoren die zuvor versteckten Kataloge hervor und präsentierten diese.219 So haben es die Kuratoren auf teils listigem Wege geschafft, trotz aller Hindernisse die sozialkritische und politische Dimension, wenn auch nur im Katalog, in das Projekt einzugliedern. Der Bestandskatalog und die Ausstellung Kunst aus der Revolu­tion waren demgegenüber konform mit der kulturpolitischen Linie der sowjetischen Parteipolitik. Beispielsweise wurden viele Agita­tionsplakate und Bilder ausgestellt, die den Übergang zum sozialistischen Realismus andeuteten (sichtbar schon an den Titelblättern beider Kataloge, Abb. 14). Diese Doppelbödigkeit des Ausstellungsprojektes betont die unterschied­liche Inten­tion beider Seiten. Bemerkenswert ist, dass die affirmative offizielle Präsenta­tion nur wenig Kritik bekam. Viele Kommentatoren feierten die Ausstellung als wichtigstes kulturpolitisches Ereignis des Jahres. Sie übernahmen die Formulierung der Kuratoren, indem sie die gelungene Schließung von Informa­tionslücken betonten. Zudem sahen die Kritiker mithilfe der Ausstellung einen weiteren Schritt zur Rehabilitierung der rus­sischen Avantgarde getan, da ein großer Teil der Ausstellung mit Werken dieser Kunstrichtung bestückt war.220 Kunst aus der Revolu­tion wurde in Höhe von 230000 DM mit Mitteln der Deutschen Lotterie teilfinanziert. Die Presseberichte lassen vermuten, dass das vollständige Unternehmen erheb­lich teurer war. Zumindest war die Versicherungssumme auf etwa 10 Millionen DM kalkuliert worden und die ständige Objektbewachung, die 218 Vgl. Kotschenreuther 1977; Rhode 1977. Das bestätigte zusätz­lich Eckhart Gillen im Gespräch mit der Verfasserin am 15. 05. 2012 in Karlsruhe. In der Berichterstattung der sowjetischen Zeitung Izwestija vom 23. 02. 1977 taucht hingegen nur der Titel Kunst aus der Revolu­tion auf. 219 Gillen im Gespräch mit der Verfasserin am 15. 05. 2012 in Karlsruhe. 220 Vgl. Bartels 1977; Anonym 1977; Kotschenreuther 1977/I; Rhode 1977; Meunier 1977.

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Abb 14  Die Titelblätter beider Ausstellungskataloge.

von sowjetischer Seite gefordert wurde, ließ den Wert des Ausgestellten nur als hoch erahnen.221 Es könnte auch ledig­lich eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme gewesen sein oder eine Strategie, um das Ausgestellte interessanter und imposanter erscheinen zu lassen. Zur inhalt­lichen Ebene des Projektes gab es nur vereinzelt kritische Stimmen, ­welche die Probleme der Präsenta­tion hervorhoben, zum Beispiel die erneute Schwankung in der Qualität der Exponate. Diese war, wie im Fall der Ausstellung Rus­sische Malerei 1890 – 1917 in Frankfurt, bedingt durch die Zugeständnisse während der Verhandlungen: Die Partner in der UdSSR öffneten dem NGBK ihre Depots nur unter der Voraussetzung, auch ihre „Meisterwerke“ in der Ausstellung präsentieren zu können.222 Dass das offizielle Verständnis vom Meisterwerk in Westdeutschland und der Sowjetunion weit auseinanderging, haben die bisherigen Ausführungen bereits verdeut­licht. Die Augsburger Allgemeine resümierte demnach: „An einer breiten Dokumenta­tion der künstlerischen Aktivitäten, am Aufzeigen von Entwicklungen

221 Müller 1977; Engelhard 1977. 222 Eckhart Gillen im Gespräch mit der Verfasserin am 15. 05. 2012 in Karlsruhe.

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hatten sie [die Sowjets – d. Verf.] kein Interesse“223, denn das hätte zur Konsequenz gehabt, dass der Betrachter deut­lich den Unterschied z­ wischen dem faden sozialistischen Realismus und der überaus spannungsgeladenen progressiven Kunst erkennen könnte. Obwohl die jungen Kuratoren die sozialpolitischen Hintergründe dieser Zeitspanne nicht in der Ausstellung kritisieren durften, erreichten sie tiefergehende Einblicke als Gallwitz, so zumindest urteilte Camilla Blechen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).224 Hier ist gut zu erkennen, ­welche Ziele die interkulturelle Diplomatie nach Ansicht einiger Pressevertreter verfolgen sollte: Es sollten mög­lichst viele politisch motivierte Werke, die als relevant angesehen wurden, für deutsche Ausstellungen gewonnen werden. Dass Gallwitz mit seinen Bemühungen hierfür eine ausbaubare Basis geschaffen hatte, wurde nicht berücksichtigt. In der Süddeutschen Zeitung wurde unterdessen bemängelt, dass ein Selbstporträt von Malevič aus dem Jahr 1933 zurückbehalten wurde und die Ähn­lichkeit einiger ausgestellter Werke mit der „Ästhetik der Kunst des Dritten Reiches“ betont.225 Die totale Ausblendung von Iosif W. ­Stalin in der Ausstellung entging den Berichterstattern indes nicht. Dies folgte einer gewissen Tradi­tion in der sowjetischen Politik: Stalin selbst löschte Jahrzehnte zuvor seinen ehemaligen Wegbereiter Lev D. ­Bronštejn (Leo Trotzkij) aus der Geschichtsschreibung aus. Der Gründer der Roten Armee verschwand zunächst aus der Arena der Revolu­tion, anschließend aus der Geschichte der Sowjetunion und zuletzt schied er im lateinamerikanischen Exil gewaltsam aus dem Leben. In der Berliner Ausstellung wurde Stalin aus der Zeit 1917 bis 1933 ausgeblendet, nur vereinzelte Hinweise befanden sich im verbotenen Materialien-­Katalog. Somit fand in der Ausstellung keine Bewältigungsarbeit des Stalinismus statt, wie von manchen vermutet. Sie wurde andererseits als „Feuerprobe“ am deutschen Publikum bezeichnet, denn die Ausstellung sollte in ähn­lichem Bestand anschließend als Dauerausstellung in neuen Räumen der Tret’jakov-­Galerie präsentiert werden.226 Die bekanntesten Namen der rus­sischen Kunst wie Kandinskij, Malevič, Tatlin und andere waren nach Meinung der Zeitung DIE WELT nicht breit genug vertreten gewesen.227 Damit unterschied sich die Kritik nicht von jener zu den vorangegangenen Ausstellungen. Die meisten 223 Vgl. Müller 1977. 224 Vgl. Blechen 1977. 225 Ditzen 1977. Das Selbstporträt von Malevič wurde 1980 in der Düsseldorfer Schau gezeigt (siehe Kap. 3.1.). 226 Vgl. Meunier 1977; Blechen 1977. Die Zeitungen hatten fälschlicherweise Informa­tionen, dass die Ausstellung eine Tournee durch Deutschland, Italien und Japan machen sollte. Die Gespräche über eine dauerhafte Exposi­tion in Moskau soll es laut Gillen gegeben haben. Das Vorhaben wurde jedoch nicht verwirk­licht. 227 Vgl. Göpfert 1977.

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Berichte betonten den offenkundigen politischen Nutzen der Ausstellung. Sie wurde vom Botschafter der UdSSR in der DDR Pëtr A. ­Abrasimov und dem sowjetischen Generalkonsul Jurij Bykov besucht.228 Die Vorbereitungsphase war mit zwei Jahren für eine Ausstellung dieser Größenordnung recht knapp bemessen gewesen. Während der Vorbereitungszeit haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe in mehreren Verhandlungsetappen Hartnäckigkeit beweisen müssen, um an die Werke in den Depots zu gelangen. Die Veranstalter bekamen Zugang zu den Materialien, da sie nicht nur nach den Werken der rus­sischen Avantgardisten, sondern auch nach den frühen realistischen Arbeiten gefragt hatten.229 Sie haben in gewisser Weise den dritten Teil des von Klaus Gallwitz’ angedachtem Ausstellungsprogramms vorweggenommen. Die Korrespondenz ­zwischen Eckhart Gillen und Klaus Gallwitz kurz vor der Eröffnung der Ausstellung zeigt, dass die Arbeitsgruppe seine Pläne kannte. Folgend ein Auszug aus dem Brief von Eckhart Gillen an Klaus Gallwitz, der am 18. Februar 1977 in Frankfurt einging: „[…] zu meinem großen Bedauern ist während der in den letzten Wochen hektischen Phase der Ausstellungsvorbereitung die Namensliste und das Exposé der Ausstellung, das Ihnen unsere Sekretärin s­ chicken wollte, vergessen worden […] Im Übrigen verweise ich auf den zweibändigen Katalog, der am Freitag, den 18.2. um 17 Uhr zur Pressekonferenz vorliegen wird […] Ich möchte noch einmal betonen, daß wir über Ihre Pläne, Kunst der 20er Jahre in der Sowjetunion auszustellen, erst durch einen vagen Hinweis des Spiegel anläß­lich der Rezension Ihrer Ausstellung im Städel etwas erfahren haben. Daraufhin versuchten wir sofort aber vergeb­lich, Verbindung zu Ihnen aufzunehmen.“230

Viele sowjetische Ausstellungen im untersuchten Zeitraum wurden als sensa­tionell und einmalig beworben, nur einige wenige waren es tatsäch­lich. Oft wurde ihnen der Zusatz „Zum ersten Mal im Westen“ verliehen. Die ersten Präsenta­tionen rus­sischer Kunst in der Bundesrepublik waren stets Premieren und gewannen dadurch eine größere Beachtung. Die vorliegende Untersuchung offenbart einen offensicht­lichen Konkurrenzkampf der einzelnen Veranstalter, der seinen Anfang sehr früh im Zusammenhang mit den Ausstellungen osteuropäischer Kunst nahm. Er kulminierte im Russen-­Boom der 1980er-­Jahre, als Peter Ludwig, Henri Nannen und andere Investoren und Mäzene verstärktes Interesse an der osteuropäischen Kunst zeigten. Bis zu ­diesem Höhepunkt arbeiteten nur einzelne Pioniere an ­diesem Thema, wie die Museumsmänner Peter 228 Vgl. Anonym 1977/I. 229 Sowjetkunst in der Akademie 1977; Engelhard 1977; Rhode 1977; Bartels 1977. 230 Archiv im Städel Frankfurt: Akte der Ausstellung Rus­sische Malerei 1890 – 1917 Korrespondenz und Pressespiegel.

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Spielmann (Bochum) und Klaus Gallwitz, etwas ­später Jürgen Harten in Düsseldorf. Spielmann und Gallwitz wählten, wie weiter oben beschrieben, entgegengesetzte Wege, um sowjetische Kunst in Deutschland auszustellen.231 Während im Bochumer Museum die Exil-­Künstler im Fokus standen und die Leihgaben oft auf abenteuer­lichen Wegen in die Bundesrepublik kamen, waren die Ausstellungen von Gallwitz hochoffizielle sowjetische Selbstdefini­tionen und Selbstbehauptungen mithilfe der ausgestellten Kunst. Die Ausstellung der NGBK war von einem politisch links posi­tionierten Kollektiv von jungen Studenten in Berlin (West) veranstaltet worden, die aus Neugier und ­Interesse ­dieses Projekt entwickelten. Anfäng­lich ohne kulturpolitische Hintergedanken sollte die spezielle Aufbruchstimmung nach der Revolu­tion wiedergegeben werden. Die deut­lich politische Ausrichtung der Ausstellung im NGBK unterschied sich von ihren untersuchten Vorgängerinnen. Hier gab es keine unterschwelligen Botschaften durch Katalogtexte und vorsichtige Formulierungen. Die Kunst aus der Revolu­tion war klar strukturiert und ihr politisch und gesellschaft­lich affirmativer Charakter konnte durch den Eigencharakter der Kunst dieser Zeit erklärt werden. Vor dem Hintergrund, dass eine Ausstellung mit einem solchem Schwerpunkt in Berlin (West), dessen Status in dieser Zeit von der Sowjetunion nicht anerkannt wurde, gezeigt wurde, sind die Kritiken entsprechend positiv ausgefallen, obwohl es auch in ­diesem Fall einige Modifizierungen im kunsthistorischen Konzept der Ausstellung gab. Die Kunst der Fünfjahrespläne war in den deutschen Medien deut­lich willkommener als etwa die der rus­sischen Realisten des 19. Jahrhunderts, obwohl diese Ausstellung einen enormen Durchbruch in der diplomatischen Beziehung ­zwischen westdeutschen und sowjetischen Museen darstellte. Das politisch heikelste Projekt war die Ausstellung Rus­sische Malerei 1890 – 1917 in Frankfurt, bei welcher Gallwitz sehr schnell an die Grenzen des Machbaren stieß und es überrascht nicht, dass diese Schau aus west­licher Sicht unbefriedigend war: In den zwanzig Jahren vor der Oktoberrevolu­tion wirkten die progressivsten Künstler der rus­sischen Geschichte auf die Entwicklung der Kunst ein. Die meisten dieser Namen wurden von der späteren sowjetischen Kulturpolitik aus dem Gedächtnis der Kunstgeschichte gelöscht und öffent­lich verfemt. Wer blieb also für eine Präsenta­tion übrig? Nur diejenigen Avantgardisten, die sich auch nach 1917 über mehrere Jahre der politischen Kulturpropaganda zur Verfügung stellten, konnten ohne Bedenken in der Ausstellung Kunst aus der Revolu­tion ausgestellt werden. Anhand dieser ersten Beispiele werden bereits viele individuelle Inten­tionen der Kuratoren hinter diesen Ausstellungen erkennbar, die auf die Resonanz der unterschied­lichen Politiksysteme stießen. Die bundesdeutsche Presselandschaft reagierte größtenteils ablehnend gegenüber den Ausstellungen, die bekanntermaßen unter Mitarbeit des 231 Vgl. dazu Kap. 2.1.

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Moskauer Kulturministeriums entstanden sind. Von sowjetischer Seite aus wurden die Angebote aus der Bundesrepublik mit ebenso großer Zurückhaltung angenommen, vor allem, wenn es für die angefragte Schau nötig war, erst im eigenen Staat existierende kulturpolitische Hindernisse zu überwinden. Dazu zählte insbesondere die Präsenta­tion der rus­sischen Avantgarde, die in der UdSSR als offizielle Kunstrichtung gar nicht mehr existierte und von den meisten längst vergessen war. Es gab Gerüchte, dass der sowjetische Staat kein einziges Werk von Kandiskij besitze, da der Künstler über lange Zeiträume im Ausland arbeitete und früh ins Exil ging. In Kunst aus der Revolu­tion/Kunst in die Produk­tion der NGBK wurde ein einziges Werk von Kandiskij ausgestellt, das aus einer Moskauer Privatsammlung kam. Der rote Platz 232 (1917) und die Sphärische Konstruk­tion von Ivan V. ­Kl’jun (1922) gehörten beide einem Mann, den neben Gillen und Gallwitz andere einflussreiche Persön­lichkeiten aus der Bundesrepublik kannten und verehrten. Dieser Sammler sollte ab den 1970er-­Jahren für die Rezep­tion rus­sischer beziehungsweise sowjetischer Kunst in Deutschland besonders wichtig werden, vor allem, da in seinem Fall politische und wirtschaft­liche Interessen eng miteinander verwoben waren.

1.7 Der Fall Kostakis „Nur wenige wissen, was die Tretjakowgalerie [sic!] oder das Leningrader Rus­sische Museum in ihren unzugäng­lichen Magazinen alles verbergen […] Hinter den Kulissen leugnet man nicht die Bedeutung dieser außergewöhn­lichen Gestalten [die rus­sischen Avantgardisten – d. Verf.], und wieviel Spuren man, bis in die Gegenwart hinein, in der künstlerischen Leistung ihrer Erben und Nachfahren treffen kann.“233

Der Fall Kostakis soll, neben dem Fall Peter Ludwig, eine zentrale Posi­tion in dieser Untersuchung einnehmen. Kostakis und Ludwig waren zwei gegensätz­liche Sammler, die – jeder auf seine Art – großen Einfluss auf die kulturpolitische Beziehung ­zwischen der BRD und der UdSSR hatten. Beide sammelten die Kunst der rus­sischen Avantgarde, beide hatten sich hohe Ziele gesteckt, um Veränderungen in der Kulturpolitik zu bewirken und beide galten zeitweise als Autoritäten auf ihrem Gebiet. 232 Gegen Ende des Jahres 1977 gehörte ­dieses Werk zur Sammlung der Tret’jakov-­Galerie Moskau (Quelle: Bogdanovskij, Aleksej: Georgij Kostaki: sobiratel´beszennoj istorii, sčitavšejs´a musorom: Interview s Aliki Kostaki. RIA Novosti 08. 06. 2009: http://ria.ru/interview/20090608/173664196. html, 07. 10. 2012). 233 Pörzgen 1972.

Der Fall Kostakis  |

Hier enden auch schon die Gemeinsamkeiten, aber es kann bereits vorweggenommen werden, dass beide schließ­lich auf unterschied­liche Weise mit ihren Ambi­tionen scheiterten. Um diese beiden Sammler in ihren späteren Entscheidungen nachvollziehen zu können, ist es unerläss­lich, etwas weiter in der Vergangenheit anzusetzen und ihre Werdegänge nachzuzeichnen. Was Kostakis betrifft, so gibt es zwei untersuchte Quellen: Seine ersten Auftritte in den Printmedien werden zusammengefasst und kommentiert, da dort seine wachsende Wirkung in der Öffent­lichkeit am deut­ lichsten nachvollziehbar wird. Zudem gibt es Memoiren von Kostakis’ Leben, die nur in rus­sischer Sprache posthum erschienen sind und ­später in einem Buch von Peter Roberts eingegangen sind.234 Damit hat der ehemalige Mitarbeiter der kanadischen Botschaft eine Hommage an den Sammler verfasst, dabei erwähnt er, dass der Sammler diese Ausschnitte speziell für ihn auf Band aufnahm.235 Außer diesen Quellen, den Periodika der Anfangszeit 1972 bis 1973 und den Memoiren gibt es eine Vielzahl Zeitungsartikel und Katalogtexte, w ­ elche gegen Ende der 1970er-­Jahren Kostakis zu einem Helden und Retter der rus­sischen Avantgarde stilisierten. Im Folgenden werden zwei Zeitungsberichte untersucht, die erstmals ausführ­lich im Westen über die Sammlung von Kostakis berichteten. Die Sammlung des Georgios Kostakis gründe auf dem unerschütter­lichen Glauben daran, dass die rus­sische Malerei des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts ihren Platz in der Kunstgeschichte bekommen werde, so optimistisch beginnt der Artikel von Hermann Pörzgen am 13. Mai 1972 in der FAZ . ­Es ist das erste Mal, dass auf mehreren Seiten in der deutschen Presse über diese Sammlung berichtet wird. Pörzgen, ein langjähriger Moskau-­Korrespondent der Zeitung, führt den Leser sukzessive an Kostakis Leben und sein Kunstengagement heran.236 Er beschreibt die für sowjetische Verhälnisse großzügige und weiträumige Wohnung des Griechen im Südwesten Moskaus, die zum Anziehungspunkt und Geheimtipp für Kunstliebhaber wurde. Er war fasziniert von dem Konvolut an Kunstobjekten, das ihn dort erwartete. In d ­ iesem Apartment war man stets von sowjetischer inoffizieller Gegenwartskunst und der rus­ sischen Avantgarde umgeben. In „Petersburger Hängung“237 waren die Wände mit den Kunstwerken bestückt. Mit dem Sammeln der vergessenen Kunst hat Kostakis nach Ende des Zweiten Weltkriegs begonnen. Die Zeit war günstig hierfür: Im Osten

234 Vgl. Kostaki 1993. 235 Vgl. Roberts 1994. 236 Pörzgen war Verbindungsmann der Galerie Gmurzynska in die UdSSR seit Ende der 1960er-­Jahre (vgl. Prior 2002). Mehr über Antonina Gmurzynska und die Galerie: siehe Kap. 3.4.1. 237 Ebd.

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Abb 15  Ein berühmt gewordenes Foto: Kostakis in seinem Wohnzimmer in Moskau, Mitte der 1970er-­Jahre, im Vordergrund A. ­M. Ročenkos Ovale Hängekonstruk­tion (1920), die in Düsseldorf 1977 ausgestellt wurde.

galt die Bewegung nicht mehr als Kunst und im Westen der 1950er-­Jahre hatten die meisten die rus­sische Avantgarde bereits vergessen.238 Des Weiteren werden die vielfältigen freundschaft­lichen Verhältnisse des Sammlers zu den Künstlern der alten Genera­tion vor dem sozialistischen Realismus – Robert R. ­Falk, Rodčenko, Kl’jun, Šagal, aber auch zu den jungen wie Anatolij T. ­Zverev – beschrieben. Das Dorf Peredel’kino, wo Zverev eine Zeit lang arbeitete, wird im Artikel zum „öst­lichen Worpswede“239 stilisiert. Pörzgen will in Kostakis Privatmuseum den Beweis dafür entdeckt haben, dass die inoffiziell arbeitenden rus­sischen Künstler 238 „In den fünfziger Jahren hätte ich zwei Chagalls für 600 Kronen in Stockholm kaufen können, aber ich brauchte dringend zwei neue Anzüge.“ (Pörzgen 1972). Es gibt viele kuriose Geschichten darüber, wie und in welchem Zustand Kostakis die Werke der Künstler fand. Dazu gibt es Vieles im O-Ton in: Roberts 1994. 239 Pörzgen 1972.

Der Fall Kostakis  |

von der zeitgenös­sischen Kunstentwicklung keineswegs abgeschnitten waren, da sie sich der gleichen Ausdrucksweise bedienten wie ihre Kollegen im Westen.240 In seiner Wohnung hatte Kostakis damals nur einen Teil seiner Sammlung aufbewahrt, viele grafische Arbeiten (unter anderem von Malevič und Popova) hatte er wegen Platzmangel in seiner Datscha untergebracht.241 In der Wohnung waren die Werke nach Künstlern oder ­Themen angeordnet: „Rjotko, Drewin und Kljun füllen zwei Wandseiten des großen Saals, der das Herzstück dieser Sammlung enthält. Eine weitere Wand ist dort Kandinski [sic!], eine statt­liche Nische Chagall eingeräumt. Von diesen beiden Patriarchen der rus­sischen Moderne hat Kostakis eine in der Sowjetunion sicher konkurrenzlose, respektable Sammlung zu bieten.“242

Pörzgen fasst zusammen: Die Sammlung ist ein Phänomen und im Westen wäre sie exorbitant wertvoll. Kostakis gehöre als Persön­lichkeit zu einem tradi­tionellen Sondertyp – dem des rus­sischen Sammlers.243 Diesen definiert der Autor als Person, die die Kunst niemals als Kapitalanlage ansehe, sondern sie verehre. Darunter sei auch der Schriftsteller Il’ja Ehrenburg zu zählen, der seine Sammlung nach seinem Tode einem sowjetischen Museum vermacht habe.244 Dieser erste deutschsprachige Artikel über den Sammler ist rein informativ und verfolgt noch nicht die Inten­tion, aus Kostakis einen Heroen zu machen, wie es s­ päter der Fall sein wird. Hier lernt der Leser ausschließ­lich den Sammler und die zweifellos große Bedeutung seiner Sammlung kennen. Bereits vor dem Erscheinen ­dieses Artikels war für Eingeweihte das Privatmuseum in Kostakis Apartment eine herausragende Sehenswürdigkeit in Moskau. Nach Stalins Tod im Jahr 1953, in der Zeit einer vorübergehenden Entspannung, fing Kostakis an, seine Sammlung Ausländern zu zeigen.245 Die ersten waren seine Kollegen aus der kanadischen Botschaft in Moskau, wo er seit 1942 eine feste Anstellung hatte. Diese Initiative bekam schnell eine Eigendynamik und die Wohnung des Sammlers wurde von zahlreichen kunstinteressierten Gästen aufgesucht. Unzählige Besucher blieben anonym, viele verewigten sich aber in Kostakis Besucherbüchern: Es waren Museumsdirektoren, Dichter, Künstler, Schriftsteller und Musiker wie Igor’ F. ­Stravinskij 240 Vgl. ebd. 241 Diese Arbeiten fielen im Jahr 1976 einem Brandanschlag zum Opfer (vgl. Mayer 1976). 242 Pörzgen 1972. Kostakis bekam 1959 sogar die Erlaubnis, seine Šagal-­Werke für eine Retrospektive nach Hamburg zu senden, die ­später in weiteren deutschen Städten und in Japan zu sehen war (vgl. Mayer 1976). 243 Vgl. Pörzgen 1972. 244 Vgl. ebd. 245 Vgl. Roberts 1994, 69.

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(Abb. 16) 1962. Im Jahr 1971 bestaunte der Premierminister von Kanada, Pierre ­Trudeau, die Sammlung.246 Das Erscheinen des Beitrags von Hermann Pörzgen machte umgehend viele weitere Persön­lichkeiten im Westen auf den Sammler aufmerksam. Was vorher ein Geheimtipp war, wurde sukzessive der Öffent­lichkeit bekannt. Ein Jahr nach der FAZ berichtete Bruce Chatwin in The Sunday Times über Kostakis.247 Er leitete seinen Bericht zunächst pragmatisch ein: Die Tatsache, dass das Kultusministerium den britischen Journalisten erlaube, Fotos der Sammlung zu machen, deute auf einen Wandel der Politik hin.248 Chatwins Artikel ist dennoch viel sentimentaler und auch anders strukturiert als bei Pörzgen: Man merkt seiner Beschreibung den Kunstkenner und den späteren Schriftsteller an.249 Er widmete einen Großteil seiner Überlegungen der Avantgarde-­Bewegung und beschrieb sie als traurige idiosynkratische Helden vom Schlag Don Quijotes. Gründ­lich arbeitete der Autor die einzelnen handelnden Personen dieser Zeit heraus und erklärte, wie es zu der Tragödie der Avantgardisten kommen konnte. „Die Avantgarde hatte nicht mit der bolschewistischen Erhebung gerechnet, sie waren jedoch die einzige Gruppe von Künstlern in Rußland, die sie willkommen hießen. Indem sie sich selbst Linksradikale nannten, verlangten sie wütend nach dem vollständigen Monopol in der Kunst.“250

In Malevič erkennt Chatwin Analogien zum Propheten Mohammed und behauptet, dass damit das „schwarze Quadrat“ in der Tradi­tion der Kaaba in Mekka stehe.251 Bemerkenswerterweise konzentriert sich Chatwin nicht nur auf Malevič, wie viele Journalisten es in dieser Zeit taten, er schätzt ebenso andere Protagonisten der Avantgarde besonders hoch: Aleksandr M. ­Rodčenko ist für ihn sogar ein Genie auf der gleichen Stufe mit Marcel Duchamp:

246 Vgl. ebd., 150. Genauere Angaben über die Besucher in Kostakis Wohnung kann man in den Besucherbüchern im Archiv des Museums für moderne Kunst in Thessaloniki studieren. 247 Vgl. Chatwin 1973. 248 Vgl. ebd. 249 Chatwin arbeitete seit seiner Volljährigkeit für Sotheby’s. Mit 22 Jahren wurde er Direktor der Abteilung impressionistischer Kunst (Quelle: Shakespeare 2000). Im Jahr 1988 erschien der Roman Utz von Chatwin, der von einem tschechischen Sammler in Prag berichtet, der es im Sozialismus des Vor-­Prager-­Frühlings geschafft hat, eine wertvolle Porzellansammlung aufzubauen. 250 Sunday Times Übersetzung, 12 (Quelle: Düsseldorfer Stadtarchiv, Sign. 4-159-2-147.0000). 251 Vgl. Chatwin 1973.

Der Fall Kostakis  |

„Innerhalb von zwei Jahren raste er [Rodčenko – d. Verf.] durch fast jedes Experiment, das die abstrakten Maler in New York in den fünfziger und sechziger Jahren vor Erreichen der gegenwärtigen Sackgasse probiert haben.“252

Der Glaube an sich selbst, an die Maschinen, den neuen Menschen und die Zukunft machte die Künstler eine Zeit lang unschlagbar in ihrer Radikalität, doch mit der Revolu­tion kamen die ersten Vorboten des Unterganges der Kubofuturisten, Rayonisten, Suprematisten und Konstruktivisten. Für Chatwin starb die Avantgarde in der Person des Dichters Vladimir V. ­Majakovskij und die gesamte Bewegung mit ihm an der Härte der Partei und am eigenen Kräfteverlust. Im Grunde zog der Autor Parallelen ­zwischen dem Leben des Dichters mit seinen Höhenflügen und tiefen Abstürzen und der Entwicklung der Avantgarde.253 Kostakis Beweggründe zum Sammeln deutete Chatwin folgendermaßen: Er wollte schon immer etwas Bedeutsames machen – ein Buch schreiben oder etwas entwickeln und in seiner Sammlung hatte er sich end­lich selbst verwirk­licht. Er machte sich auf, die alten Künstler zu suchen, die nicht mehr an sich und die Welt glaubten.254 Durch die Nähe zu den Protagonisten der Bewegung konnte er seine Sammlung zusammentragen und Besuchern zugäng­lich machen: „Das Gästebuch beginnt mit einer eigenhändig unterschriebenen Notenzeile von Stravinsky und wird mit einer Kette vertrauter Namen fortgesetzt. Die ehrerbietigen Kommentare von Museumsdirektoren aus Ost und West unterstreichen die Einmaligkeit der Sammlung.“255

Im Westen wunderte man sich, angesichts der Qualität und Menge der Werke, wie Kostakis es geschafft hatte, diese Sammlung zu generieren. Wie bereits erwähnt, war die Avantgarde in Ost und West eine Zeit lang in Vergessenheit geraten, wodurch Kostakis eine lange Zeit keine Konkurrenz hatte. Diese Kunst galt als „Schrott der 252 Sunday Times Übersetzung, 17 (Quelle: Düsseldorfer Stadtarchiv, Sign. 4-159-2-147.0000). 253 Vgl. ebd. 254 Vgl. ebd. So ähn­lich beschreibt er seine Beweggründe auch selbst (zitiert in Roberts 1994, 60 – 61). 255 Sunday Times Übersetzung, 6 (Düsseldorfer Stadtarchiv, Sign. 4-159-2-147.0000). Nach Erscheinen von Chatwins Artikel ist Kostakis in Westeuropa und den USA zu einer Berühmtheit geworden. 1973 besuchte ihn Prof. Michael Haltzer (Hamilton College in Clinton, NY) und beeindruckt von der Sammlung, organisierte er für Kostakis eine Vortragsreihe in nordamerikanischen Museen und Universitäten. Kostakis durfte die Vorträge halten, offiziell war dies eine hilfreiche Maßnahme für die Entspannungspolitik. Senator Edward Kennedy, Edgar Faure, David Rockefeller, Direktor des Louvre Chatelain, kamen 1974, um die Sammlung zu sehen. Einige waren interessiert, die Ausstellung im Westen zu zeigen, und hatten sogar schon die Kultusministerin der UdSSR J. ­A. Furceva kontaktiert (vgl. Roberts 1994, 154 – 165).

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Abb 16  Kostakis Gästebuch: Eintrag von Igor’ F. ­Stravinskij 1962, Kostakis Archiv im Museum Moderner Kunst Thessaloniki.

Abb 17  Kostakis Gästebuch: Eintrag von Šagal 1973. „War in Moskau 1973 bei Kostakis zu Besuch. Danke, Mark Šagal“, Kostakis Archiv Thessaloniki Museum Moderner Kunst.

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Geschichte“256, ihr wurde nicht einmal ein dokumentarischer Wert zugestanden. Viele Künstler hatten zwischenzeit­lich resigniert und sich in die Isola­tion begeben. Kostakis konnte viele Werke zu niedrigsten Preisen erwerben, wobei sowohl sein Biograf als auch seine Nachfahren betonten, dass es ihm nicht darum ging, Schnäppchen zu machen. Er erhielt ein gutes Gehalt von der kanadischen Botschaft und bot den Künstlern oder ihren Erben oft viel mehr an, als sie selbst verlangten, schreibt Roberts.257 Viele wussten nicht um den Wert dieser Kunst und einige bizarre Akquise-­Geschichten werden in Kostakis Biografie dokumentiert, so zum Beispiel, dass in einem Dorf mit einem Bild von L’jubov’ S. ­Popova ein Dach abgedichtet wurde und Kostakis es mitnehmen durfte, weil er ein Brett zum Auswechseln besorgt hatte.258 Es gab aber auch genügend Neider, die ihn als einen Ausbeuter ansahen, der es ausnutzte, dass in den 1950er- und 1960er-­ Jahren nur wenige an dieser Kunstepoche interessiert waren. Kostakis investierte viel Geld in seine Leidenschaft und hatte oft Schulden aufgrund seines Sammelfiebers.259 Bemerkenswert ist, dass Kostakis beständig weiter gesammelt hat und nach einer idealen Übersicht dieser Anthologie von Kunstwerken der Avantgarde strebte, obwohl die negativen Stimmen um ihn herum nie verstummten. Er wurde als der „verrückte Grieche“260 bezeichnet, der nur „Mist“261 sammelte. Dieser Ausdauer des ursprüng­ lich kunstfremden Beamten muss Respekt gezollt werden. 262 Viele Einzelheiten seiner Geschichte bleiben bis zum heutigen Tag im Dunkeln und sind mangels Quellen schwer rekonstruierbar. Es kursieren Gerüchte, dass Kostakis zu der Zeit, als er noch in niederländische Maler und Ikonen investiert hatte, einen Ratschlag von einem ausländischen Kunstwissenschaftler bekommen habe, die Avantgarde aufzukaufen. In Kostakis Fall werden weitere Fragen nach seiner Rolle im politischen System und seinen Mög­lichkeiten, solch eine Sammlung im sozialistischen System zusammentragen zu können, laut. Chatwin entgegnet dem west­lichen Vorwurf, dass dieser Besitz im Widerspruch zur marxistischen Direktive des Allgemeineigentum stehe, mit einer sehr einfachen Antwort – es sei keinem Sowjetbürger verboten, Kunst zu sammeln, vor

256 Aleksej Bogdanovskij, Georgij Kostaki: sobiratel´beszennoj istorii, sčitavšejs´a musorom: Interview s Aliki Kostaki, RIA Novosti, 08. 06. 2009 (Quelle: http://ria.ru/interview/20090608/173664196. html [07. 10. 2012]). 257 Vgl. Roberts 1994, 62, 64. 258 Vgl. ebd., 66. 259 Vgl. ebd. 260 Aleksej Bogdanovskij, Georgij Kostaki: sobiratel´beszennoj istorii, sčitavšejs´a musorom: Interview s Aliki Kostaki, RIA Novosti, 08. 06. 2009 (Quelle: http://ria.ru/interview/20090608/173664196. html [07. 10. 2012]). 261 Ebd. 262 Vgl. ebd., 61 – 66.

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allem dann nicht, wenn diese Kunst als wertlos eingestuft wurde.263 Dieses Argument kann allenfalls für die Nachkriegsjahre aufrechterhalten werden. Das in vielen, auch kulturellen Fragen einschneidende Ereignis stellte der Tod Iosif W. ­Stalins dar. Vorher war es zweifelsohne ein gefähr­liches Unterfangen, diese Kunst zu sammeln. In der Zeit des Wiederaufbaus und des kulminierenden Kalten Krieges wurden Personen wie Kostakis beobachtet, aber seltener direkt bedroht. Auch die Jahre des Chruščëv’schen Tauwetters waren weitgehend entspannt für Kostakis Sammelleidenschaft. Als Ausländer mit griechischer Staatsbürgerschaft war er in der Sowjetunion schon immer heftigen Repressionen ausgesetzt und hatte auf den Listen der Apparatschiks seinen festen Platz.264 Die griechische Staatsbürgerschaft, zusammen mit der festen Anstellung in der griechischen und s­ päter der kanadischen Botschaft, waren es aber auch, die Kostakis geholfen hatten, sein Lebenswerk zu vollbringen. Er war stets eine Ausnahmeperson, die zumindest einen limitierten Schutz durch die Botschaften genoss. Man ließ ihn gewähren und gerade in der Anfangszeit seiner Akquise der Avantgarde verhielt er sich unauffällig und bedeckt. Seine ersten Käufe tätigte er leise, diskret und versteckt.265 Der berühmte sowjetische Kunsthistoriker und Restaurator, Savva V. ­Jamščikov, liefert die Gründe dafür im Vorwort zu Kostakis Memoiren, die 1993 erschienen sind. Er schreibt, dass zur gleichen Zeit, als der Sammler seine ersten Werke der rus­sischen Avantgarde kaufte, die Kulturabteilung des Zentralkomitees Befehle herausgab, Werke der Avantgardisten von den Listen der Provinzmuseen zu nehmen und die Arbeiten zu vernichten.266 Die offiziellen Repräsentanten des Kulturapparates waren jedoch nicht konsequent negativ gegenüber der Kunst der Avantgardisten eingestellt, weshalb die Sammlung Kostakis überhaupt ent- und bestehen konnte. Es ist wahrschein­lich, dass es dem Sowjetstaat ab einem bestimmten Zeitpunkt auch nütz­lich erschien, dass es einen Sammler in Moskau gab, der die „verstaubte Avantgarde“ dokumentierte.267 263 Vgl. Chatwin 1973. Waltraud Bayer schreibt zur Situa­tion von Sammlern in der UdSSR: „Es gab Schutzurkunden, die den Weiterbestand von Sammlungen im persön­lichen Besitz ermög­lichten und einen Mindestbedarf für den Handel mit Kunstgegenständen im Ausland sicherten.“ (vgl. Bayer 2007, 44). 264 Vgl. Roberts 1994, 117 – 148. 265 Vgl. ebd., 35 – 77. 266 Vgl. Jamščikov 1993, 7. 267 „Inzwischen ist es theoretisch und empirisch bewiesen, daß auch in sozialistischen Staaten ein florierendes Kunstleben und die Vermehrung des gesamtstaat­lichen Museums- und Kunstbesitzes ohne private Förderung undenkbar ist. Das Privatmäzenatentum ergänzt das öffent­liche Bemühen um Bewahrung na­tionaler Kunstschätze und trägt außerdem zusätz­lich zur finanziellen Unterstützung der Künstler bei, ohne gleich die kapitalistischen Züge des Kunstsammelns (Handel und Spekula­ tion) mitübernehmen zu wollen. Die meisten Kunstwerke gehen ohnehin früher oder ­später in den Besitz des Staates über. Wie Costakis ca. 2/3 seiner Sammlung 1977 der Moskauer Tretjakow-­Galerie

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Es gab genügend Kunstwissenschaftler und Politiker, die um den Wert dieser Sammlung wussten, insbesondere ihren Wert im Westen. Daher ließ man Kostakis sammeln und beobachtete ihn aus einer geringen Distanz heraus. Diese Haltung ließ spätere Gerüchte entstehen, Kostakis sei selbst kein Sammler gewesen, sondern nur Verwahrer von „Werten“, deren eigent­licher Besitzer das Komitee für Staatssicherheit (KGB 268) gewesen sei.269 Deut­lich schwieriger wurde seine Situa­tion erst, als das interna­tionale Interesse an seiner Sammlung immer größer wurde. Nach der Veröffent­lichung der beiden besprochenen Artikel sind die ausländischen Besucherzahlen in seinem Appartement schlagartig angestiegen. Was viele west­liche (spätere) Kommentatoren nicht berücksichtigt haben: Für Kostakis war seine Berühmtheit im Westen gefähr­licher als die Kunstrichtung, die er sammelte. Anfang der 1970er-­Jahre bildeten sich seine wichtigen Kontakte in die Bundesrepublik weiter aus. Bereits in den Rezensionen zur Rus­sischen Malerei 1890 – 1917  270 fand sich ein Vermerk über Kostakis: Er wurde als „Versuchsballon“271 für Ausstellungen beschrieben. Mit dieser Metapher wird auf die Erlaubnis, Ausländern sein Privatmuseum zeigen zu können, Bezug genommen. Diese Anspielung ist falsch, weil Kostakis nie auf eine offizielle Erlaubnis angewiesen war, da es keine offiziellen Verbote für Ausländer gab, die Wohnung eines Moskauer Einwohners zu besuchen. Die sowjetische Regierung erlaubte Kostakis sogar hin und wieder, Werke aus seiner Sammlung als Leihgaben in den Westen zu senden. Eine bedeutsame Anfrage erreichte ihn Anfang der 1970er-­Jahre aus der Bundesrepublik: Antonina Gmurzynska, eine Galeristin aus Köln, deren Programm sich anfangs ausschließ­lich an der rus­sischen Avantgarde orien­tierte, bekam 1974 einige Leihgaben von Kostakis für die Ausstellung Von der Fläche zum Raum. Russland 1916 – 1924. Kostakis beteiligte sich mit Werken von Kl’jun, Popova, Rodčenko und Stepanova an der Ausstellung.272 Die erste große Ausstellung seiner Sammlung fand drei Jahre ­später im Kunstmuseum Düsseldorf statt.

überließ, so hat auch ein anderer prominenter Sammler, der Mediziner Prof. Abramjan, den Großteil seiner wertvollen Bilder seiner armenischen Heimat geschenkt, die dafür in der Hauptstadt Jerewan ein Museum baute.“ (aus: Tolnay 1984, 13). 268 Komitet gossudarstwennoi besopasnosti pri Sowjete Ministrow SSSR (1954 – 1978), auf Deutsch: Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR. 269 Vgl. Jamščikov 1993, 7. 270 Die Ausstellung fand unter der Leitung von Klaus Gallwitz im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main 1976 statt (siehe Kap. 2.2). 271 Vgl. Mayer 1976. 272 Galerie Gmurzynska, Von der Fläche zum Raum, Russland 1916 – 1924, Köln 1974.

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Abb 18  Kostakis Gästebuch: Eintragungen von Museumsleuten und Diplomaten (unter anderem Norman Reid), Kostakis Archiv im Museum Moderner Kunst Thessaloniki.

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1.7.1 Vorbereitung einer Ausstellung in der Bundesrepublik Die Vorbereitungen der Präsenta­tion der Sammlung Kostakis in Düsseldorf sind unter vielen Aspekten interessant für die Betrachtung der kulturellen Beziehungen z­ wischen Westdeutschland und der RSFSR. ­Um diese Ausstellung realisieren zu können, mussten sich einige deutsche Persön­lichkeiten für Georgios Kostakis einsetzen. Eine gute Dokumenta­tion der Entstehung der Ausstellung findet sich in den Archivbeständen der Stadt Düsseldorf. Bezeichnend ist dabei, dass vor allem Vertreter der westdeutschen Wirtschaft eine große Rolle bei den Vorbereitungen gespielt haben: Günter Geisseler, der Justitiar der Mannesmann AG und der Vorsitzende des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen besuchte Kostakis zehn Tage nach dem Erscheinen des FAZ-Berichtes von Pörzgen. Er war in solchem Maße von dem Beschriebenen beeindruckt, dass er umgehend einen Zugang zur Sammlung suchte.273 Nach seiner Rückkehr verfasste er am 2. August 1972 einen Brief an Berthold von Bohlen und Halbach (WASAG Chemie AG) und an Paul Vogt, den Direktor des Folkwang Museums in Essen, in dem er den Besuch bei Kostakis als den stärksten Eindruck seiner Moskaureise beschreibt. Bereits bei ­diesem ersten Treffen hat Geisseler Kostakis angeboten, seine Sammlung 1975 in Düsseldorf auszustellen. „Ich weiß, daß es nicht leicht sein wird, die Genehmigung des rus­sischen Kultus- und Außenministeriums für eine ­solche Ausstellung in Deutschland zu erhalten. Trotzdem meine ich, der Versuch müsste unternommen werden. Dank der guten Beziehungen z­ wischen der Sowjet-­Union und Mannesmann auf wirtschaft­lichem Gebiet (Sie wissen, daß wir im Juli den zweiten Vertrag über eine Großrohrlieferung im Werte von wiederum über eine Mia [sic!] DM abschließen konnten) ließ ich mir einen Termin bei dem rus­sischen Botschafter Falin vermitteln […] Ich meine, er ist in Deutschland der einzige, der hier von uns auf die Sache angesprochen werden könnte und sollte.“274

Er rät beiden Adressaten unbedingt, Kostakis zu besuchen, aber den Kreis nicht größer zu ziehen.275 Weiter schreibt Geisseler, dass er einen Blick in Kostakis Gästebuch werfen konnte und sah, dass diese Sammlung von vielen „Angehörigen des diplomatischen

273 Vgl. Geisseler an Falin, 04. 04. 1974 (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). 274 Geisseler an von Bohlen und Halbach und Vogt (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). 275 „Auch wir waren nur zu viert dort: meine Frau, meine Töchter und ich. Wir meinten – wenn das vielleicht auch gegenüber dem einen oder anderen Teilnehmer unserer Reise, wie etwa den Falkenhausens, Frau Klapheck und Frau Geiger (der Frau von Ruprecht G.) etwas eigensüchtig gewesen sein mag – Herrn Costakis den Besuch einer größeren Zahl von Menschen nicht zumuten zu können.“ (ebd.).

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Corps“ gesehen wurde.276 Mit ­diesem Besuch und dem Brief an einflussreiche Freunde beginnen die ersten Planungen einer Sammlungsausstellung in Düsseldorf, die nach fünf Jahren diplomatischer Arbeit und Vorbereitung stattfinden sollte. Am 4. April 1974 schreibt Geisseler an den Botschafter der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Remagen, Valentin Falin, über seine Pläne, die Sammlung von Kostakis im Düsseldorfer Kunstverein auszustellen. Der Direktor und künstlerische Leiter des Kunstvereins, Dr. Karl-­Heinz Hering, stehe ebenfalls in Verbindung mit Kostakis, der die Idee einer Ausstellung in Düsseldorf begrüße. Geisseler führt weiter aus, dass vor allem die zwei Berichte in der FAZ und The Sunday Times dazu beigetragen hätten, Kostakis in Westeuropa bekanntzumachen.277 Die Korrespondenz von Geisseler und Kostakis lief teilweise über den in Moskau sta­tionierten Berichterstatter der FAZ , Hermann Pörzgen.278 Etwa ein halbes Jahr ­später bekam Geisseler einen Brief von Dr. Klaus Dintelmann (Deutsche Bank Moskau), worin das erste Treffen ­zwischen Kostakis und Friedrich Wilhelm Christians sowie Dr. Egon Overbeck (Vorsitzender der Mannesmann AG) am 28. Oktober 1974 beschrieben wurde. Die Pläne einer Ausstellung im Westen mussten nun, nach der „Bulldozer-­Ausstellung“279 im September, ganz vorsichtig angesprochen werden: „Nach Meinung von Herrn Costakis hat dieser von den Künstlern bewußt provozierte Zwischenfall, der zudem in der west­lichen Presse stark aufgebauscht wurde, der Anerkennung moderner Kunst in der Sowjetunion geschadet. Ich möchte mich dieser Beurteilung anschließen, nehme aber doch an, daß das offizielle sowjetische Kunstdenken ­zwischen der ersten Avantgarde und dieser recht mittelmäßigen ‚zweiten Avantgarde‘ einen deut­lichen Trennungsstrich zu ziehen vermag.“280

Ein anderer Grund, die Planung vorsichtig anzugehen, war der Tod der Kultusministerin Furceva, die Kostakis stets positiv gesonnen war.281 Die Organisatoren wollten vorerst abwarten, ­welche Richtung der neue Kulturminister Demičev einschlagen 276 Vgl. ebd. 277 Vgl. Geisseler an Falin, 04. 04. 1974 (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). 278 Vgl. Brief von Kostakis an Geisseler vom 26. 06. 1974 (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). 279 Am 15. September 1974 wurde von mehreren nonkonformistischen Künstlern eine Freiluft-­Ausstellung im Bitzevskij-­Park am Rande Moskaus organisiert. Die Ausstellung wurde von Bulldozern der Regierung nach wenigen Stunden zerstört, wobei mehrere anwesende ausländische Journalisten das Wüten der sowjetischen Behörden dokumentieren konnten (Quelle: Zemter 2000). 280 Dintelmann an Geisseler, 14. 11. 1974 (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). 281 Dass Kostakis und Furceva gute Beziehungen pflegten, wie es bei Roberts (vgl. Roberts 1994, 141 – 143) beschrieben wird, verwundert, denn sie war eine treue Anhängerin des Stalinismus und der damit verbundenen Kulturauffassung (Quelle: Taranov 1992, 59 – 75).

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würde. Kostakis plante seit längerer Zeit, seine gesamte Sammlung einem sowjetischen Museum zu überlassen und führte mehrmals Gespräche mit Ministerin Furceva, die ihm jedoch nie eine verläss­liche Zusage darüber erteilen konnte. Eine von Kostakis Prämissen für seine Sammlung war für diese Zeit undenkbar: Er verlangte, dass die Avantgarde offiziell anerkannt und ausgestellt werde, sowohl in der UdSSR als auch im Westen. Dintelmann schreibt, dass es deshalb vor allem wichtig sei, die Sammlung schnellstmög­lich zu katalogisieren. Die Fotos dafür sollten von einem deutschen Spezialfotografen gemacht werden. Gegenüber Kostakis wurden diese Pläne vorerst nicht erwähnt. Hierzu sollten sich Christians und Overbeck mit Geisseler in Verbindung setzen.282 Am 10. Februar 1975 sendete Dintelmann ein weiteres Schreiben an ­Geisseler, darin beschrieb er die Entwicklungen im Fall Kostakis. Es wurde im Auftrag des österreichischen Fernsehens von der Agenstvo Pečato Novosti (APN)283 ein Film über die Sammlung gedreht, der in mehreren Ländern gezeigt werden sollte. Dieses Projekt wurde offiziell vom Kultusministerium genehmigt. Zudem gab es einen größeren bebilderten Bericht in der News Week am 20. Januar 1975. Bei einem Besuch Norman Reids bei Kostakis waren auch Frau Bodrova 284 und Frau Antonova 285 zugegen, die die Hoffnungen bestätigten, dass es eine Mög­lichkeit einer permanenten Ausstellung der Sammlung Kostakis in Moskau geben könnte. Beide Museumsfrauen haben sich übrigens an d ­ iesem Tag anscheinend nicht in Kostakis Gästebuch verewigt (Abb. 18). Als geeignetes Gebäude für Kostakis Sammlung wurde ein im Bau befind­ liches Museum gegenüber dem Gor’kij-­Park vorgeschlagen.286 Diese plötz­liche Wendung vollzog sich aufgrund der wachsenden west­lichen Begeisterung für den Sammler. Vorher wurde von offizieller sowjetischer Seite über eine lange Zeit hinweg kein Interesse für Kostakis und seine Bestände signalisiert. Zumindest wurde ein solches nie offen ausgesprochen. Peter Roberts schreibt, dass ­Kostakis öfters vergeb­lich die Direktoren der großen Museen zu sich eingeladen hätte, die immer dankend absagesagt oder nicht geantwortet hätten. 287 Das wachsende 282 Vgl. Dintelmann an Geisseler, 14. 11. 1974 (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). 283 Offizielle sowjetische Nachrichtenagentur für Bildberichte 1961 – 1991. 284 Leiterin der Auslandsabteilung des Kultusministeriums. 285 Direktorin des Puškin-­Museums seit 1961. 286 „Außerdem wurde vereinbart, daß in den nächsten Tagen eine größere Delega­tion des Kultusministeriums die Sammlung besichtigt. Der stellvertretende Minister Popov soll persön­lich an der Sammlung interessiert sein.“ (Dintelmann an Geisseler, 10. 02. 1975. Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). Jamščikov schreibt 1993, dass es gerade G. ­I. Popov und seine Mitarbeiter gewesen ­seien, die die Idee eines Museums für die Sammlung Kostakis stets blockiert und schließ­lich zu Fall gebracht hätten (vgl. Jamščikov 1993, 6). 287 Vgl. Roberts 1994, 150; auch bei Jamščikov 1993, 6.

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Interesse am Sammler und erste hochkarätige Besucher aus dem Westen zwangen die Vertreter der sowjetischen Kultur, sich stärker mit Kostakis auseinanderzusetzen. Dennoch war es der vorrangige Wunsch von Kostakis, seine Sammlung im Westen auszustellen. Die Korrespondenz von Dintelmann zeigt, dass das Wettrennen um die Realisierung einer Ausstellung schon längst begonnen hatte. Ein weiterer engagierter Interessent soll ein gewisser Herr Hylting, der Direktor des neuen Art Center in Paris, gewesen sein.288 „Hinsicht­lich einer Buchveröffent­lichung scheint das interna­tionale Interesse ebenfalls zuzunehmen“289, schrieb Dintelmann. Es gäbe konkrete Anfragen von einer US -Amerikanerin aus Paris, Judith Pisar, die mit zwei großen Verlagen in Verhandlung sei. Aber auch die Düsseldorfer Pläne einer Veröffent­lichung, um die sich Christians und Overbeck kümmerten, sind nicht abgesagt worden. Aus d ­ iesem Grund gingen die Überlegungen Dintelmanns dahin, Kontakt mit Pisar aufzunehmen, um das Projekt eventuell als ein gemeinsames voranzubringen,290 vor allem, weil auch Frederick Starr bereits die Unterstützung vonseiten der Ford Founda­tion an Kostakis zugesagt habe: „Herr Costakis hat mir versichert, daß bei einer Auslandsreise seiner Sammlung als Ausstellungstadt für die Bundesrepublik nur Düsseldorf in Betracht komme, da er zu den dortigen Interessenten die besten persön­lichen Beziehungen habe.“291

Geisseler hat sich sehr im Fall Kostakis engagiert, die Übersicht der Korrespondenz zur Ausstellung weist ihn als Vermittler z­ wischen den verschiedenen Interessengruppen aus. Sein plötz­lich erwachtes Interesse für den sowjetischen Sammler ließ ihn unermüd­ lich für eine Ausstellung in Düsseldorf werben. In der Autobiografie von Friedrich Wilhelm Christians, die vor allem sein Engagement in Russland zum Thema hat, wird die ­gleiche Situa­tion von einem anderen Standpunkt aus dargestellt.292 Christians schreibt über die wirtschaft­lichen Verhandlungen der 1970er-­Jahre, an denen er in der Sowjetunion beteiligt war. In dieser Zeit bekam er auch die Mög­lichkeit die Kunst der rus­sischen Avantgarde bei Kostakis kennen zu lernen:

288 Vgl. Dintelmann an Geisseler, 10. 02. 1975 (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000). Nach eingehender Recherche vermutet die Verfasserin, dass hier Pontus Hultén gemeint ist, der im Jahr 1977 das Centre Georges Pompidou in Paris eröffnete und Geisseler ein Fehler beim Schreiben des Namens unterlaufen ist. 289 Ebd. 290 Vgl. ebd. 291 Ebd. 292 Christians 1989.

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„Für mich waren die Besuche bei Costakis eine wohltuende Abwechslung nach oft anstrengenden Verhandlungen. Wenn man an den langweiligen Moskauer Abenden schon das unvermeid­liche Bolschoi und den Zirkus hinter sich hatte, waren weitere Mög­lichkeiten, sich zu zerstreuen, eher bescheiden.“293

Kostakis soll ihm gegenüber angeb­lich die Hoffnung geäußert haben, eines Tages nach Griechenland zurückkehren zu können und dennoch wollte er den größten Teil seiner Sammlung dem rus­sischen Staat überlassen.294 Das Gespräch in der dargestellten Form widerspricht anderen Quellen, die über Kostakis Ausreise berichten. Roberts und Aliki Kostakis betonen, dass die Ausreise von Kostakis aus der Sowjetunion und ­später nach Griechenland nicht langfristig geplant war. Sie stellen den Sammler als einen Patrioten dar, der Russland geliebt habe und bis zum Letzten hoffte, auch seinen Lebensabend dort verbringen zu können.295 Aliki Kostakis, die Tochter des Sammlers, berichtet, dass er nicht gewusst habe, wohin er auswandern solle. Seine erste Sta­tion war Rom und der weitere Plan sah eine Emigra­tion in die USA vor. Er wurde vom Botschafter Griechenlands in den USA, der ein Freund der Familie war, überredet worden, nach Griechenland zu gehen.296 Christians schreibt in seinen Erinnerungen, dass Kostakis die Hilfe des Westens brauchte, um einen kleinen Teil seiner Sammlung mitnehmen zu können, deshalb habe er ihn gebeten, in Köln oder Düsseldorf eine „Premiere“ seiner Sammlung zu ermög­lichen:297 „Für ­dieses Bemühen konnte er mir nur drei Tage Zeit geben. Längst stand in mir fest, daß sich der Einmaligkeit des Angebots wegen hier jede Mühe und jeder Aufwand mehr als lohnen würden. Aber ich hatte nicht mit der Schwerfälligkeit unserer bundesdeutschen öffent­lichen Kulturträger gerechnet, und nur nach großen Anstrengungen und herben Enttäuschungen konnte ich meine Zusage an Costakis fristgerecht einhalten.“298

Diese Darstellung verschweigt die jahrelangen Vorbereitungen anderer Involvierter (siehe dazu bereits zuvor). Christians’ autobiografischer Text liefert nur eine Sicht auf das Entstehen und Werden des Projektes – er hat eindeutig einen erheb­lichen Teil zur Ausstellung beigetragen, war aber nicht der einzige und final Handelnde des 293 Ebd., 223. 294 Vgl. ebd., 225. 295 Vgl. Roberts 1994; aber auch bei: Kovalenko 2008 (Quelle: http://www.izvestia.ru/news/344091 [07. 02. 2012]). 296 Vgl. ebd. 297 Vgl. Christians 1989, 226. 298 Ebd.

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Projektes. Georgios Kostakis wurde seit seinem Erscheinen in den west­lichen Medien zu einer Heldenfigur stilisiert. In den 1970er-­Jahren waren ­solche Geschichten, wie sie der „verrückte Grieche“ bieten konnte, in der west­lichen Öffent­lichkeit beliebt. Nach dem Pasternak-­Skandal Ende der 1950er-­Jahre 299 und nach den zahlreichen berühmten Dissidenten der DDR und der Sowjetunion war ab 1973 Kostakis’ Zeit gekommen. Es war leicht vorherzusehen, dass sein großer Verdienst, die Avantgarde-­ Sammlung zusammenzustellen und somit fast die ganze Bewegung des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts zu dokumentieren, im Westen als eine Sensa­tion gefeiert wurde. Denn jenseits des Eisernen Vorhangs waren die Künstler der rus­sischen Avantgarde in den 1960er-­Jahren ebenfalls als Märtyrer des grausamen sowjetischen Systems stilisiert worden. Bemerkenswert im Fall Kostakis ist die Unterstützung der deutschen Wirtschaftsvertreter F. ­W. Christians von der Deutschen Bank und G. ­Geisseler von der Mannesmann AG. ­Beide haben das Zustandekommen der Kostakis-­Ausstellung im Westen wesent­lich gefördert. Wie passte es zusammen, dass die Repräsentanten der Koopera­tionspartner in der Sowjetunion sich für jemanden einsetzen, der dort unter strengster Beobachtung stand und verbotene Kunst sammelte? Hier lohnt sich ein weiterer Blick in die Vergangenheit: Die Mannesmann AG und die Deutsche Bank AG hatten bereits bedeutsame Russlandgeschäfte Anfang des 20. Jahrhunderts und nach dem E ­ rsten Weltkrieg geführt. Mannesmann wird von Christians als der „Hoflieferant“ für Ölleitungsrohre seit 1912 bezeichnet;300 wobei die Deutsche Bank seit 1926 ebenfalls an diesen Geschäften beteiligt war. Ende der 1960er-­Jahre sollten neue Verträge unterschrieben werden. Für Sibirien wurden neue Erdgasrohre gebraucht, zu diesen Verhandlungen flogen Christians und Dintelmann nach Moskau. Es war ein einfaches „Dreiecksgeschäft“301, wie Christians es beschreibt: Mannesmann lieferte die Rohre, die Deutsche Bank das Geld und die Sowjetunion das Gas.302 Außer ­diesem Geschäft, über das 1969/1970 entschieden wurde, gab es noch mehrere kleinere Vereinbarungen, wie zum Beispiel die Lieferung von Lastkraftwagen für den Bau der Baikal-­Amur-­Magistrale.303 All diese Geschäfte hatte die Deutsche Bank vorfinanziert und Christians war der permanente Verhandlungspartner vor Ort. In seiner Posi­tion stellte es kein großes Risiko dar, sich für einen griechischen Sammler einzusetzen, vor allem dann nicht, wenn er wusste, dass noch viel größere Geschäfte in der Zukunft anvisiert waren. Christians und Dintelmann waren als Geschäftsmänner 299 Boris Pasternak wurde 1958 der Nobelpreis für Literatur verliehen, den er aus politischen Gründen nicht annehmen konnte. 300 Vgl. Christians 1989, 30. 301 Ebd., 32. 302 Vgl. ebd. 303 Vgl. ebd., S. 45.

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und nicht als Politiker in der UdSSR unterwegs und hatten deshalb auch größere Freiheiten. Beide waren Kunstliebhaber: Christians sammelte den Konstruktivismus und Dintelmann förderte den Kunstverein in Düsseldorf.304 Ihnen ist die Brisanz der Sammlung Kostakis nicht entgangen, daher drängten beide auf eine schnelle Katalogisierung der Werke. Für Kostakis war es vorteilhaft, beide Geschäftsmänner zu kennen, doch diese Bekanntschaften waren keineswegs ausschlaggebend für seine Auswanderung und die damit verbundene Teilung der Sammlung. Nach Durchsicht der Korrespondenz entsteht der Eindruck, dass es Christians und Dintelmann vor allem darum ging, Vorreiter zu sein und die Sammlung als Erste nach Düsseldorf und damit nach Deutschland zu bringen. Denn Kostakis hatte, wie gezeigt, viele Unterstützer und Interessenten in Paris, London und den USA. ­Dies könnte auch der Grund für das rasche Handeln und für die übereilte Aufarbeitung des Ausstellungsmaterials gewesen sein.305 Dass Kostakis einige Monate nach Eröffnung der Ausstellung in Düsseldorf die UdSSR für immer verlassen musste, hatte jedoch noch andere Ursachen, die im Folgenden skizziert werden. 1.7.2 Kostakis Emigration Im Jahr 1938, als in Sowjetrussland die Griechen ausgebürgert oder verhaftet wurden, entging Georgios Kostakis als Angestellter der griechischen Botschft diesen Repressionen. Für seine Verwandten konnte er allerdings nichts bewirken: Seine ­Mutter, seine Tante und sein Bruder wurden ins Lager nach Sibirien geschickt. Hierbei bekam Georgios Kostakis in seinem persön­lichen Umfeld erstmals die Schattenseiten des sowjetischen Staats zu spüren. Seine lebenslange Anstellung an der Botschaft (ab 1961 bei der kanadischen Botschaft in Moskau) konnte ihn häufig vor Repressionen durch den Sowjetstaat bewahren.306 Von west­licher Seite wurden immer wieder Verdächtigungen laut, dass Kostakis mit dem KGB zusammenarbeiten musste, um eine s­ olche Sammlung wie die seine über Jahrzehnte hinweg zusammentragen und besitzen zu dürfen. Diesen Vorwurf bestritt Kostakis sein Leben lang vehement. Dass der Sammler bewusst und unbewusst mit dieser Organisa­tion in Berührung kam, gehörte aber zu seiner Lebensgeschichte.307 Nachdem er mit seiner Sammlung interna­tionale Bekanntheit erlangt hatte, nahmen die Repressionen vonseiten des KGB immer mehr zu, was ihn schließ­lich auch zur 304 Vgl. Unterlagen im Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 4-159-2-147.0000. 305 Siehe dazu Kap. 2.4.3. 306 Vgl. Roberts 1994, 119. 307 Vgl. ebd., 121: „Why he survived at that time, 1959 – 1960, is not clear. An interven­tion by Furtseva is not out of ques­tion […]“ (ebd., 152).

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Emigra­tion in den Westen zwang: „[…] they followed him c­ losely on foot and by car, sent agents to see him, robbed his apartment, and burned his b­ rother’s dacha together with many works of art.”308 Die deutschen Zeitungen betonten, dass die Ausreise in den Westen mit Genehmigung der Sowjetunion geschah. Es ist bezeichnend für die Abwendung des sowjetischen Politapparates von Kostakis, dass er kurz vor seiner endgültigen Abreise in den Westen bis ins Jahr 1984 vom Kreml als „Verräter“ eingestuft wurde.309 Zuvor – ab Mitte der 1950er-­Jahre – war Kostakis ungehindert mehrmals in den Westen gereist: Er besuchte Šagal, Larionov und ­Gončarova in Frankreich und weitere Bekannte in London. 1973 durfte er eine Vortragsreise nach Nordamerika und Kanada unternehmen. Dennoch betonte er immer wieder, dass der Westen ihn nicht angezogen habe – Russland war seine Heimat.310 Ab 1975 wandelte sich nach langer Zeit der Passivität offensicht­lich die Haltung der sowjetischen Geheimdienste gegenüber Kostakis. Sie begannen sich mit ihm zu beschäftigen, als die interna­tionale Berühmtheit des Sammlers für die Sowjetunion immer mehr zum Problem wurde. Er sollte eingeschüchtert werden, bis er einen Fehler begehen würde, für den er verurteilt werden könnte. So zumindest wird die Situa­tion durch Kostakis Biografen Peter Roberts geschildert.311 Es gibt einige Indiz-­Momente in den Memoiren des Sammlers, die für diese Auslegung der Geschehnisse sprechen, zum Beispiel, dass er mehrmals ausgeraubt wurde, ohne dass es ­­Zeichen eines Einbruchs gab.312 Als ersten Versuch, um dieser Situa­tion zu entkommen, schrieb Kostakis im Jahr 1977 Briefe an den Parteichef der KPdSU Leonid I. ­Brežnev und an den Leiter des KGB, Jurij V. ­Andropov, die allerdings keine Wirkung zeigten. Die Provoka­tionen, Verfolgungen und Bedrohungen nahmen weiter zu, schreibt Roberts.313 Die Ausweglosigkeit aufgrund ständiger Repression durch den KGB wurde ihm im Herbst 1977 bewusst, als seine Sammlung bereits geteilt war und der ihm verbliebene Anteil in Düsseldorf ausgestellt wurde. Weiter beschreibt Roberts den Kampf um die Ausreise Kostakis aus der UdSSR. ­Zu einer wichtigen Akteur in dieser Angelegenheit wurde Vladimir S. ­Sem’jonov, der spätere Botschafter der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland. Er war mit Kostakis schon seit längerer Zeit wegen der gemeinsamen

308 Ebd. 309 Vgl. ebd., 123. 310 Vgl. ebd., 129. 311 Vgl. ebd. 312 Vgl. ebd., 127 – 133. 313 „By the fall of 1977 Costakis despair was near total. He had lost his job at the embassy, although he continued to go there as a form of protec­tion against his oppressors. His friends and colleagues had disappeared. His situa­tion seemed desperate […].“ (vgl. ebd., 136).

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Sammelleidenschaft bekannt.314 Roberts schreibt, dass Kostakis Sem’jonov besuchte und ihm seine verzweifelte Lage schilderte, daraufhin habe der Botschafter eine Unterredung mit seinem langjährigen Freund Andropov geführt, der schließ­lich versicherte, dass Kostakis mit 20 Prozent seiner Sammlung die Sowjetunion verlassen dürfe.315 Die begleitende Presse zu der Kostakis-­Ausstellung in Düsseldorf vermittelt das Gefühl, als ­seien dem Sammler seine Werke weggenommen worden. Seine Biografie bietet hingegen ein anderes Bild der Situa­tion: „I didn’t want to take this piece with me. I insisted it remain in Russia. And I continued the same way during the whole division of the collec­tion. Because my mood was … somehow I felt like this, that my collecting was a very big affair, but why? For myself? I don’t need these things, because a person’s life, and my life, is very short. In ten years or twenty, I will be gone, and for me everything will be gone. So you’ve got to leave something behind, if only your good name. I managed to pull together these things, that were lost and ignored and thrown away by the authorities, and I saved them, and that’s my service. And that doesn’t mean that these things belong to me or to the people I give them to. They belong to Russia, they must belong to the Russian people. The Russian people must not suffer as a result of the stupidity of the Soviet government. So in that kind of mood it was very easy for me to hand over most of the collec­tion, and I tried to give them the best things, and I gave them the best things.“316

Die Repräsentanten der Tret’jakov-­Galerie, die bei Kostakis waren, um die Werke für den Verbleib in der Sowjetunion auszuwählen, hatten viel weniger Kenntnis über die Künstler der rus­sischen Avantgarde als der Sammler. Seine Sammelleidenschaft hatte ihn zu einem Connaisseur werden lassen, der nahezu alle Namen dieser Bewegung kannte und sie zueinander in Beziehung setzen konnte. Beispielsweise war Rodčenko zur damaligen Zeit in der UdSSR als wertlos erachtet worden, als ein nicht erwähnenswerter Fotograf eingestuft – nur aus ­diesem Grund konnte Kostakis fast alle seine Arbeiten mitnehmen. Er hätte viel mehr wertvolle Werke mitnehmen können, aber er schreibt, dass er Russland nicht unter solchen Umständen verlassen und dabei noch das rus­sische Volk um seine Schätze betrügen wollte.317 An dieser Stelle sei erwähnt, dass es Kostakis sicher ebenso um seinen guten Ruf als Sammler ging. In seinen 314 Vgl. ebd., 137 – 138. 315 Vgl. ebd. 1977 schreiben alle deutschen Zeitungen, dass es sich nur noch um 15 Prozent der Sammlung handele, die Kostakis mitnehmen dürfe. 316 Ebd., 174. 317 Vgl. ebd., 174 – 175.

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Abb 19  Kostakis und Freunde bei seiner Abschiedsparty in seiner Wohnung 1977, auf dem Bild sind M. ­Švarzman, L. ­Kropivnitzkij, V. ­Nemuchin, E. ­Steinberg, V. ­Jakovlev, D. ­Plavinskij, F. ­Infante und andere sowjetische Künstler zu sehen, Foto: Igor Palmin.

Lebenserinnerungen schreibt er, dass er Angst davor hatte, was seine Sammlerfreunde von ihm denken würden, wenn er mit den Meisterwerken, wie etwa mit dem Porträt Mat’juschin (1910) von Malevič, in den Westen emigrieren würde.318 Zu dieser Zeit hatte er bereits die meisten seiner Freunde aufgrund von Gerüchten und Verdächtigungen schon verloren. Kostakis Hoffnung, etwas Großes vollbringen zu können, ist letzt­lich in Erfüllung gegangen und der Sammler konnte für einige Zeit sein hervorragendes Renommee im Westen genießen. Er war in Kulturkreisen kein Unbekannter mehr und hatte etwas Erstaun­liches vollbracht. Nun war es ihm daran gelegen, seinen Namen bleibend in den Geschichtsbüchern verewigt zu wissen. Mit ­diesem Vorhaben schien er auf einem guten Weg zu sein. Nach der Präsenta­tion in Düsseldorf, die auch Thomas Messer 319 und seine Kuratorinnen Margit Rowell und Angelica Zander 318 Vgl. Kostaki 1993, 120. 319 Direktor des Solomon R. ­Guggenheim Museums New York 1961 – 1988.

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Rudenstine gesehen hatten, wurde Kostakis eingeladen, seine Sammlung nach New York zu überführen. Sie sollte im Guggenheim Museum wissenschaft­lich aufgearbeitet und ausgestellt werden. Natür­lich hegten die Kuratoren die Hoffnung, dass die Sammlung auf Dauer in New York bleiben würde.320 Am 16. Oktober 1981 eröffnete die Ausstellung in New York und der dazugehörige Katalog bildete das lang ersehnte Übersichtswerk der Sammlung.321 Doch Kostakis war unzufrieden mit der Art und Weise, wie die amerikanischen Museumsleute mit seiner Sammlung und mit ihm umgingen, denn sie hatten denn Sammler kaum bei den Vorbereitungen mitreden lassen.322 Er überließ seine Sammlung schließ­lich nicht dem Guggenheim Museum, sondern schickte sie auf Tournee. Sieben Jahre nach der Erstpräsenta­tion in Düsseldorf wurde die Sammlung Kostakis wieder in Deutschland ausgestellt, diesmal in München und Hannover.323 Nach dem Aufenthalt in New York war die Ausstellung besser aufgearbeitet, in beiden Städten sogar mit der künstlerisch-­avantgardistischen Tradi­tion vor Ort verbunden, jedoch fehlte ihr diesmal der sensa­tionelle Neuigkeitswert.324 Die Ausstellungsgeschichte der Sammlung Kostakis war sowohl für die vorsichtige Annäherung der UdSSR an die eigene Kunstgeschichte wichtig als auch für die Ergänzung des bereits vorhandenen Wissens über die Avantgarde-­Bewegung im Westen. „The Costakis collec­tion was one of the bridges, probably the main one, linking the old Russian civilisa­tion with the new, crossing the cultural void of Stalin and his successors before Gorbachev. In the industrial and agricultural economy there were no such bridges, or few, and that is one reason Gorbachev found his task so difficult when he came to power.“325

Am Anfang dieser Ausstellungsgeschichte und Aufarbeitung stand die Erstpräsenta­ tion der Sammlung, die in der Bundesrepublik stattfand.

320 Vgl. Roberts 1994, 178 – 179. 321 Ausst.-Kat. Russian Avant-­Garde Art: The George Costakis Collec­tion 1981. 322 Vgl. Roberts 1994, 178 – 181. 323 Vgl. ebd. 324 In München wurde begleitend zur Ausstellung der Sammlung Kostakis ein Kandinskij-­Raum eingerichtet, der die lokale Verbundenheit Münchens zu der rus­sischen Avantgarde betonte und in Hannover wurde das konstruktivistische Erbe von Ėl’ Lisickij mit den Künstlern aus Kostakis Sammlung in Zusammenhang gebracht. (vgl. dazu: Zander Rudenstine, Angelica [Hg.]: Ausst.-Kat. übernommen und übersetzt, Rus­sische Avantgarde aus der Sammlung Costakis im Lenbachhaus München, Universitätsdruckerei Dr. C. ­Wolf und Sohn München). 325 Roberts 1994, 184.

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1.7.3 Werke aus der Sammlung Costakis. Russische Avantgarde 1910 – 1930 (16.09.–31. 10. 1977, Kunstmuseum Düsseldorf) Werke aus der Sammlung Costakis. Rus­sische Avantgarde 1910 – 1930 wurde am 16. September 1977 eröffnet und für sechs Wochen im Kunstmuseum Düsseldorf gezeigt. Im Vorwort des Katalogs spricht der Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf, Wend von Kalnein, von einem „Rest“326, der in der Ausstellung präsentiert werde. Diesen „Rest“ bildeten rund 200 Arbeiten, die Kostakis beim Verlassen der Sowjetunion mitnehmen durfte. Diese Arbeiten stellten seine Altersversorgung dar. Das Besondere der Präsenta­tion war für Kalnein die dokumentierte „Breite der damaligen Kunstszene“.327 Außer den berühmten Vertretern des Konstruktivismus und Suprematismus wurden den Besuchern neue, bisher unbekannte Namen geboten. Er verg­lich sie deshalb mit der ersten Ausstellung rus­sischer Kunst des 20. Jahrhunderts in Berlin. „Darin nimmt die Ausstellung den Faden der ­Ersten Rus­sischen Kunstausstellung in der Galerie van Diemen in Berlin von 1922 wieder auf, in der alle Richtungen der damaligen rus­sischen Kunst, auch die gegenständ­lichen, vertreten waren und in der die Kubisten, Supre­matisten und Konstruktivisten als ‚linke‘ Gruppen bezeichnet wurden.“328

Die Präsenta­tion der Sammlung Kostakis in Düsseldorf sollte als gleichwertig im Vergleich mit der ersten Kunstausstellung in der Geschichte der deutsch-­rus­sischen Beziehungen des 20. Jahrhunderts. Die große Dimension der Berliner Ausstellung der 1920er-­Jahre ist allerdings kaum mit denen der Düsseldorfer Ausstellung vergleichbar gewesen. Zudem war die Erste Rus­sische Kunstausstellung ein Projekt, das den bilateralen Austausch einleiten sollte und dem eine Gegenausstellung deutscher Kunst in Moskau folgte. Die Präsenta­tion der Sammlung Kostakis war ein einmaliges Ereignis, dass ein deut­lich negatives Bild der Kulturpolitik der UdSSR vermittelte, wie es sich bereits schon anhand der Umstände ihrer Vorbereitungen zeigte. Im Vorwort wird Geisseler als „geistiger Urheber“329 erwähnt, der es trotz der jahrelangen Schwierigkeiten (hier als „technische Gründe“ bezeichnet) geschafft hatte, die Ausstellung nach Düsseldorf zu bringen.330 Die Schau wurde gemeinsam vom Kunstverein und Kunstmuseum als aktuell brisante Bestandsaufnahme der Sammlung 326 Vgl. Ausst.-Kat. Werke aus der Sammlung Costakis 1977, 5. 327 Ebd., 6. 328 Ebd. 329 Vgl. ebd. 330 Vgl. ebd.

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Kostakis konzipiert, die keine Zeit ließ, die Sammlung gründ­lich wissenschaft­lich aufzuarbeiten. Zumindest diente Begründung als offizielle Entschuldigung für eine nachlässige Publika­tion, die dem Wert der Arbeiten nicht gerecht wurde.331 Kalnein verwies weiter auf die Vorbereitungen eines Gesamtkataloges (inklusive der Werke, die sich ab 1977 in der Tret’jakov-­Galerie befanden), der von Viking Press veröffent­ licht werden sollte. Gedankt wurde, außer dem Sammler, den beiden Vertretern der Deutschen Bank, Christians und Dintelmann, die durch Unterstützung bei Transport und Publika­tion die Ausstellung mög­lich gemacht hatten. Als wissenschaft­liche Hilfen fungierten Dr. Hering (Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen) sowie Vasilij I. ­Rakitin und Prof. John E. ­Bowlt.332 In Rakitins Essay wird Kostakis Sammlercharakter als der eines Einzelgängers und Individualisten beschrieben, der von den „seriösen“ Sammlern verspottet wurde.333 Weiter schreibt er über verschiedene Gruppen innerhalb der Avantgarde und einzelne Vertreter dieser Bewegung: „Jeder dieser Künstler geht seinen eigenen Weg. Sie durch das Prisma des Suprematismus von Malevič zu betrachten, ist ungerecht und unmög­lich.“334 Die ausgestellten Kunstwerke waren sehr heterogen, und nachdem Kostakis den wertvolleren und größeren Teil seiner Sammlung der Sowjetunion überließ, war es voraussehbar, dass die Medien erneut die Qualität der ausgestellten Werke kritisieren würden.335 In der Süddeutschen Zeitung drückte Laszlo Glozer seine Enttäuschung über das Gezeigte aus. Er schlug vor, die Präsenta­tion „Costakis-­West“336 zu nennen, was wohl so viel wie „Rest“ bedeuten sollte. Trotz der Vielfalt an unbekannten Namen stellte sich für den Autor heraus, dass man an der überlieferten Hierarchie der Namen festhalten müsse. Diese Bilder „krönen“ nicht die bisherigen Ausstellungen der Avantgarde im Westen, ­welche vor allem auch Rangordnungen innerhalb dieser Kunst deut­lich machten.337 Hier lernte man vielmehr den „Alltag der Revolu­tionskunst“ kennen.338 331 Vgl. ebd. 332 Vgl. ebd. 333 Vgl. Rakitin 1977. In: ebd., 8. 334 Vgl. ebd., 9. 335 Künstler der Ausstellung (alphabetisch): Il´ja G. ­Čašnik, Aleksandr D. ­Drevin, Boris V. ­Ender, ­Ksenia V. ­Ender, Aleksandra A. ­Exter, Pavel N. ­Filonov, Natalija S. ­Gončarova, Nikolaj I. ­Grinberg, Elena H. ­Guro, Vasilij V. ­Kandinskij, Ivan V. ­Kl´jun, Gustav G. ­Klucis, Ivan A. ­Kudr´jašov, Michail F. ­Larionov, Kasimir S. ­Malevič, Michail V. ­Mat´jušin, Aleksej A. ­Morgunov, Solomon B. ­Nikritin, Vera E. ­Pestel, Michail M. ­Plaksin, L´ubov S. ­Popova, Ivan A. ­Puni, Klement N. ­Red´ko, Aleksandr M. ­Rodčenko, Olga V. ­Rosanova, Mark A. ­Šagal, Sergej J. ­Senkin, Anna F. ­Sofronova, Varvara F. ­Stepanova, Vsevolod A. ­Sulimo-­Samuillo, Vladimir E. ­Tatlin, Vasilij N. ­Tšekrygin, Aleksandr N. ­Volkov. 336 Glozer 1977/I. 337 Ebd. 338 Vgl. ebd.

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Abb 20  A. ­M. Rodčenko, Linienkonstruk­tion auf Schwarz (1920), Museum Moderner Kunst Thessaloniki, wurde in Düsseldorf gezeigt.

„Die seit langem hochgerühmte, jetzt als Torso vorgeführte Costakis-­Sammlung enttäuscht mit ihrem nicht durchgehaltenen Höhenflug. Im gleichen Zug überrascht sie mit einem höchst originellen Durchschnitt der Avantgarde.“339

Auch Überschriften wie „Der Gott blieb in Moskau“340 oder „Moskau bekam die Generäle“341 verweisen darauf, dass man in Düsseldorf nur noch den Epigonen und Soldaten dieser Kunstrichtung begegnen konnte. In einem Beitrag des Kölner Stadtanzeigers wurde die Situa­tion folgendermaßen dargestellt: „Costakis schenkte den Sowjets nicht nur sieben Werke von Malewitsch, er verzichtete auch auf vier Bilder Tatlins. Die Akzente in seinem Ensemble sind heute Exponate von Popowa, Kluzis und Rodtschenko. Den offensicht­lichen Aderlaß versucht er zu überspielen, indem er nun für seinen neuen Favoriten wirbt: ‚Alexander Rodtschenko kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.‘“342

Diese ostentative Konzentra­tion auf bereits etablierte Namen der Avantgarde, wie Malevič und Tatlin, ist charakteristisch für die west­lichen Journalisten und auch für 339 Ebd. 340 Krüger 1977. 341 Schön 1977. 342 Krüger 1977.

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Abb 21  Eine Besonderheit, die 1977 in Düsseldorf zu sehen war, eines der späten Bilder Rodčenkos, Expressive Rhythmen (1943 – 44), Museum Moderner Kunst Thessaloniki.

viele Kunsthistoriker dieser Zeit. Kostakis Plädoyer für Rodčenko wäre aus heutiger Sicht nicht mehr notwendig, und das ist eine der verdienst­lichen Leistungen seiner Sammlungspräsenta­tion in Düsseldorf. Popova, Klucis und andere gehören heute ebenso zum Kanon der Namen der rus­sischen Avantgarde. Kostakis sah sich in dieser Phase zugleich als ein Missionar für die Rehabilitierung der Avantgarde im Osten als auch für eine Horizonterweiterung im Westen. Zumindest erschien es ihm aussichtsreich, dass sich durch die positive Resonanz außerhalb der Sowjetunion ein Umdenken im Ursprungsland der Avantgarde einsetzen könnte.343 Gleichwohl war ihm ein neuer Beitrag zum weitergehenden Verständnis der rus­ sischen Kunstgeschichte nicht minder wichtig. Er wollte verdeut­lichen, dass die rus­ sischen Künstler bis dato und auch aktuell einen großen Einfluss auf die abstrakten Stile des Westens ausübten. Krüger schreibt, Kostakis sei überzeugt, dass auch in seiner Zeit mindestens 25 Künstler im Westen an Problemen arbeiteten, die schon in Malevičs Schriften erkannt wurden.344 Die wichtigsten Ziele sollten für Kostakis, nach eigener Aussage, die Anerkennung und die ständige öffent­liche Präsenta­tion dieser Kunstbewegung in der UdSSR sein, fährt der Rezensent fort.345 Eine Mög­lichkeit, ­diesem Ziel näherzukommen, sollte die Wanderausstellung des übrig gebliebenen Teils seiner Sammlung sein:

343 Vgl. ebd. 344 Vgl. ebd. 345 Vgl. ebd.

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„Teil zwei seiner Doppelstrategie sieht näm­lich vor, die erwartete Resonanz auf seinem Propagandafeldzug durch Amerika und Europa als zusätz­liches Druckmittel von Außen einzusetzen.“346

Dass er damit Recht hatte und d ­ ieses Druckmittel äußerst wirksam war, beweisen die Entwicklungen der 1970er- und 1980er-­Jahre in der sowjetischen auswärtigen Kulturpolitik. In der Süddeutschen Zeitung wurde ein weiteres wichtiges Problem der geteilten Sammlung angesprochen – es ging um einige Unklarheiten bei der Bestimmung der Urheberschaften: Ein kubistisches Stillleben wurde Malevič zugeschrieben und als sein Werk in der Ausstellung präsentiert (Abb. 22). Die Vorbehalte gegen diese Zuschreibung wurden nur im Katalog geäußert, da das Werk auch von Olga V. ­Rosanova hätte stammen können.347 Der Zeitdruck war allem Anschein nach die Hauptursache für ­solche Ungereimtheiten – die Ausstellung musste schnell organisiert werden und da die Exponate zu dem weniger bedeutsamen Teil der Sammlung gehörten, wurde hier auf zeitaufwändige Recherchen verzichtet. Viele Arbeiten wurden von Kostakis unter widrigen Umständen entdeckt und gekauft, weshalb einige Arbeiten keine genaue Expertise bekommen hatten und auch selbst keinen direkten Hinweis auf den jeweiligen Urheber lieferten. Zudem darf nicht vergessen werden, dass Kostakis Sammlung jahrzehntelang in seiner Moskauer Wohnung ausgestellt war und wohl kaum eine regelmäßige restauratorische Betreuung genoss. Glozer machte primär den Presserummel um Kostakis für die Enttäuschung verantwort­lich, die die Ausstellung hervorrief: „Hätte es nicht im voraus [sic!] die Costakis-­Campagne mit den kulturpolitischen Implika­ tionen gegeben, wäre es jetzt einfacher, den richtigen Ton zu finden. Erleichtert wäre dadurch die Rechenschaft allerdings auch nicht.“348

Der Mythos Kostakis existierte im Westen schon einige Jahre vor der Ausstellungseröffnung, wie die untersuchten Artikel von Hermann Pörzgen und Bruce Chatwin gezeigt haben. Diesem Mythos ist es unter anderem geschuldet, dass nur leise Kritik in der Presse geübt wurde. Das Gros der untersuchten Berichte, besonders in der regionalen Presse, bewertet die Ausstellung als ein sensa­tionelles Ereignis.349 Im April 1977 erschien ein Artikel mit der Überschrift „Die Avantgarde bleibt zurück. Wenn man aus der UdSSR emigriert“ in der ZEIT: Autor war Christian Schmidt-­Häuer, der als Korrespondent 346 Schön 1977. 347 Ausst.-Kat. Werke aus der Sammlung Costakis 1977, 99. 348 Glozer 1977/I. 349 Vgl. Haase 1977; Reinke 1977; Stachelhaus 1977; Schön 1977.

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Abb 22  „Nach Rakitin stammt das Bild wahrschein­lich von Malewitsch. Die Komposi­tion ähnelt aber noch auffallender dem Gemälde ‚Nähzeugkasten‘ von Olga Rosanowa in der Tretjakow-­Galerie“ (vgl. Werke aus der Sammlung Costakis, 1977, 99). Heute ist ­dieses Bild, unter dem Titel Violine (1916) der Künstlerin N. ­A . Udalcova zugeschrieben, im Besitz des Museums Moderner Kunst Thessaloniki.

der Zeitung ständig in den osteuropäischen Krisengebieten sta­tioniert war. Vor Ort erlebte er 1968 den Prager Frühling sowie s­ päter in Jugoslawien die letzten Jahre von Tito.350 Es überrascht nicht, dass er den Fall Kostakis als eine Heldensaga beschrieben hat. Er personifiziert die Werke der Avantgarde-­Künstler, als ­seien es Kameraden, die man dem Feind überlassen musste, beziehungsweise als lebendige Organismen, über deren weiteres Existieren fremde Kräfte entschieden haben. Sein Text suggeriert dem Leser, dass Kostakis seine Sammlung vollständig dem Staat überlassen habe, weil er sonst nicht hätte emigrieren dürfen. Noch deut­licher wurde Schmidt-­Häuers Sprache, indem er schrieb, Kostakis habe den größten Teil der UdSSR überlassen und sei mit einem Fünftel seiner „geretteten“ Gemälde in die USA ausgewandert. Für den Autor befand sich Kostakis stets auf einer gefähr­lichen Rettungsmission: „Nach den ‚Marschällen und Generälen der Avantgarde‘ – für Costakis sind das Kandinsky, Chagall, Lissitzky, Malevič – holte er die ‚Offiziere und Gefreiten‘ aus der Verbannung: Tatlin 350 Vgl. http://community.zeit.de/user/christian-schmidth%C3%A4uer (27. 06. 2012).

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und die Popova, Ritko und Filinow [sic!], Iwan Kljuns suprematistische Designs, Xenia und Boris Ender.“351

Die martia­lischen Begriffe sind zwar Originalzitaten von Kostakis entlehnt, vermitteln aber ein missverständ­liches Bild der Situa­tion. Die Interpreta­tion dieser Zeilen könnte bis in die politischen Umstände der Revolu­tion reichen. Zieht man den Artikel der Deutschen Zeitung 352 hinzu, so könnte man eine frei ausgelegte Geschichte des ­Georgij Kostakis schreiben, der die weißen Generäle und ihre Anhänger rettete, sie aber im Kampf um die eigene Existenz dem sowjetischen Staat opfern musste. Er schaffte es nur eine Handvoll der Offiziere und Gefreiten mit sich zu nehmen.353 „Und wie ein Planungschef prognostiziert der Kunstkenner: In zwei Jahren werde man die Avantgarde der zwanziger Jahre endgültig akzeptiert haben, in zehn Jahren bereits stolz auf sie sein.“354

Diese Überzeugung vertrat ebenfalls der Sammler rigoros, sieben Monate s­ päter reiste er mit seiner Sammlung nach Düsseldorf und ließ sich dort von Kunstfreunden feiern, die schon längst die Bedeutung der Avantgarde verinner­licht hatten. In der Bundesrepublik durfte er sich end­lich öffent­lich für sein Engagement danken lassen und sich verstanden und verehrt fühlen: „Aus dem Halbschatten der geduldeten, inoffiziellen Kunstvermittlung trat nun der Sammler Costakis in die strahlende Legalität des patrio­tischen Mäzens.“355 In der Schilderung der Ereignisse rund um Kostakis und seinen Werdegang als Sammler waren sich die Zeitungen einig: Er war der strahlende Retter der verfemten Avantgarde, der vom Staat gezwungen wurde, den größten Teil seiner Sammlung abzugeben, auch wenn der Sammler oft selbst betonte, es aus eigenem Wunsch heraus getan zu haben.356 „Georgi Costakis, Russe griechischer Abstammung war gestern von Moskau nach Düsseldorf gekommen, um auf einer Pressekonferenz Rede und Antwort zu stehen. Fragen politischen 351 Schmidt-­Häuer 1977. 352 Vgl. Schön 1977. 353 Diese freie Interpreta­tion wird auch vom Artikel Chatwins in The Sunday Times unterstützt, da er betonte, dass die meisten wichtigen Künstler der Avantgarde aus hohen Gesellschaftsrängen und guten Familien stammen (Chatwin 1973). 354 Schmidt-­Häuer 1977. 355 Glozer 1977/I. 356 Vgl. Müller-­Gast 1977; Burkamp 1977; Haase 1977; Krüger 1977; Joeckle 1977; Stauch-­v. Quitzow 1977.

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Inhalts waren ausgeklammert. Denn der ehemalige Angestellte der kanadischen Botschaft in der Sowjet-­Metropole wird in Kürze im Einverständnis mit den Behörden Rußland ebenfalls verlassen … Den weitaus größeren anderen Teil hat er der Tretjakow-­Galerie in Moskau geschenkt. Da verbieten sich indiskrete Fragen von selbst.“357

Eine brisante politische Erpressungsgeschichte ist nicht bekannt (zumindest wurde sie zu d ­ iesem Zeitpunkt nicht angesprochen) – dafür sprechen auch mehrere Quellen, die belegen, dass Kostakis bereits weit früher plante, seine Sammlung der Sowjetunion zu überreichen. Aus heutiger Sicht ist es in ­diesem Fall sehr schwer, die Ereignisse seiner Ausreise und der Sammlungsübergabe verläss­lich zu rekonstruieren. Ob er nun seine Sammlung freiwillig übergeben hat oder doch dazu gezwungen wurde, verändert den heutigen Blick auf die Geschehnisse, für das damalige Publikum war nur ein Hergang plausibel – die Nötigung durch den sowjetischen Staat. Das Heldenepos wird auch von der evange­lisch-­konservativen Deutschen Zeitung ausdrück­lich betont. In einem großen Bericht wird die an bib­lische Erzählungen gemahnende Geschichte des Sammlers nacherzählt, darin ist er der Retter „einer ganzen künstlerischen Epoche vor dem fast sicheren Untergang“358, der auch die andere Seite des Sammlerglücks am eigenen Leibe zu spüren bekommt: „Das Privileg, aus dem Vollen schöpfen zu dürfen, bezahlte er mit Isola­tion. Kein Museum mit seinem Namen, das ihm zu Füßen gelegt worden wäre, kein Ehrenbürgerbrief und kein akademischer Titel – statt dessen ein Pakt mit einem Partner, der ihm die Anerkennung verweigerte, aber dennoch Appetit auf die größten Happen der Kollek­tion bekam.“359

Seine Lebensgeschichte wird ebenso dramatisch inszeniert wie der Untergang der Avantgarde selbst. Die Begegnung mit seinem ersten avantgardistischen Bild wird mit einer Epiphanie gleichgesetzt.360 Als Einzelkämpfer sicherte er dann allein das Überleben der Avantgarde und hinterließ sie schließ­lich resigniert dem rus­sischen Staat.361 In ­diesem Abschnitt wird deut­lich, warum Peter Ludwig in der deutschen Presse nicht gleichwertig positiv dargestellt werden konnte: Ludwig konnte im Gegensatz zu Kostakis alle beschriebenen Privilegien genießen, oft noch bevor er seine Sammlung preisgab. Laut Haackes Überzeugung und weiteren Kritikern Ludwigs ließ somit der deutsche 357 Müller-­Gast 1977. 358 Schön 1977. 359 Ebd. 360 Ebd. 361 Vgl. ebd.

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Sammler den Staat leiden, während Kostakis klar unter dem Staat zu leiden hatte.362 Im Vergleich der Rezep­tionsgeschichte scheinen die beiden Sammler Antipoden gewesen zu sein, insbesondere im Hinblick auf ihr kulturelles Vermächtnis. Während Kostakis heute fast vergessen ist und sich nur Zeitgenossen an seinen Namen erinnern, ist der Name Ludwig im Kunstbereich stets präsent. Dass man sich an Kostakis heute nicht erinnert, beruht auf der Aufteilung seiner Sammlung und ihrer Übernahme durch den sowjetischen Staat. Alle Forderungen, die Kostakis duchzusetzen versuchte, wurden Ende der 1970er-­Jahre obsolet. Er konnte die Tret’jakov-­Galerie weder dazu bringen, seine Sammlung auszustellen, noch, sie als Schenkung mit seinem Namen zu versehen. Jamščikov schreibt über Museumspläne, die vom Kulturminister Popov und seinen Mitarbeitern absicht­lich solange aufgeschoben wurden, bis sie scheitern mussten.363 Dennoch wollte Kostakis, dass die Werke der progressiven Künstler in Russland blieben. Diese patriotische Geste war für die bundesdeutsche Presse nicht nachvollziehbar, aber zugleich faszinierend. Deshalb ist der Fall Kostakis in den Medien so beliebt gewesen und gab der Presse viel Raum für Mutmaßungen über unausgesprochene Details zu den Bedingungen seiner Ausreise. So heißt es zum Beispiel im Artikel von Schön in der Deutschen Zeitung: „Einig soll sich Costakis angeb­lich bereits vor sieben Jahren mit der damaligen Kulturministerin Furzewa geworden sein, und es heißt auch, daß Breschnew eigenhändig das Geschäft Ausreise gegen Bilder – die, geliebt oder ungeliebt, inzwischen Millionenwerte darstellen – abgesegnet hat […] Schon der Verdacht einer Zugehörigkeit zu Dissidenten und Systemkritikern könnte sein Verhältnis zu den Behörden stören, das für das weitere Schicksal seiner Sammlung von Bedeutung ist.“364

Schön schreibt weiter, dass die Düsseldorfer Ausstellung nur eine vage Vorstellung dessen vermitteln konnte, was die legendenumwobene Sammlung und der Moskauer Treffpunkt für Freidenker einmal gewesen sind. Das Gebäude, welches Kostakis von der Tret’jakov-­Galerie für seine millionenschwere Sammlung versprochen wurde, „verrottet nach wie vor als Bauruine fern ihrer Vollendung am süd­lichen Moskwa-­Ufer“.365 Der Autor sieht es ebenfalls als die Hauptaufgabe des Sammlers an, die ganze Welt auf diese Verhältnisse aufmerksam zu machen und die Rehabilita­tion der rus­sischen

362 Siehe Kap. 3.4.4. 363 Vgl. Jamščikov 1993, 7. 364 Schön 1977. 365 Ebd.

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Avantgarde zu fördern.366 Man spürt in d ­ iesem emo­tionalen Bericht, wie sehr K ­ ostakis als Persön­lichkeit die westdeutsche Öffent­lichkeit in seinen Bann zog. Er stand damit in Nachfolge von Aleksander I. ­Solženicyn, der 1974 aus der UdSSR verbannt wurde und das öffent­liche Interesse im Westen ebenfalls stark erregte. Kostakis verließ die Sowjetunion zwar offiziell im Einvernehmen und nicht als Dissident, dennoch wurde er von den deutschen Medien in die Nähe der Dissidenten oder zumindest der nonkonformen Einzelgänger gerückt. Die Ausstellung der Sammlung von Georgij Kostakis im Westen war ein wichtiges Ereignis in den kulturpolitischen Wirren dieser Zeit und auch die Tatsache, dass die besten Werke in Russland blieben, hat die Wirkung der ausgestellten Exponate nicht verringert. Auch Glozer wurde in seinem Bericht nach einigen kritischen Aussagen versöhn­licher: „Die (reduzierte) Sammlung Costakis belehrt uns über die Spannung Kunst und Revolu­ tion […] Weltumarmung und metaphy­sische Spekula­tion machen sich in diesen Bildern auf unterschied­liche Weise frei von jeg­licher Doktrin der Revolu­tion. Hier sieht man vielleicht zum ersten Mal in einer Kunstausstellung derart überzeugend, daß die Revolu­tion diese Bilder auf Dauer nicht gebrauchen konnte.“367

Bis Mitte der 1980er-­Jahre feierte diese Sammlung in Europa und USA große Erfolge. Der Name Kostakis wurde mit mutigem Engagement in komplizierten politischen Verhältnissen gleichgesetzt. Mit der wachsenden Akzeptanz der Avantgarde in der sowjetischen Diplomatie wurde es immer stiller um den Sammler, bis er gänz­lich Vergessenheit geriet. In der Tret’jakov-­Galerie wurden die Werke seiner Sammlung über einen langen Zeitraum hinweg nicht ausgestellt. Als es dann zu ersten Präsenta­tionen in den 1980er-­Jahren kam, waren die Erinnerungen an Kostakis Privat-­Museum und sein Ruhm als Underground-­Mäzen von Moskau bereits vergangen. Jamščikov beklagt als eine der führenden Personen der rus­sischen Kunstgeschichte die Art und Weise, wie mit dem Erbe von Georgij Kostakis umgegangen wurde: Jamščikov schreibt, dass sein Wunsch zwar in Erfüllung ging und nach den vielen Ausstellungen in Deutschland, den USA und Kanada seine Sammlungsbestände auch von der Tret’jakov-­Galerie nach und nach ausgestellt wurden, doch die offiziellen Stellen verschwiegen seinen Namen rigoros. In den 1990er-­Jahren sind, laut Jamščikov, mehrere Artikel in namhaften Kulturzeitschriften Russlands erschienen, die den Namen von Kostakis durch Gerüchte ins schlechte Licht rückten.368 Der Autor betont, dass es die Aufgabe der 366 Vgl. ebd. 367 Glozer 1977/I. 368 Vgl. Jamščikov 1993, 6.

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Nachkommen sei, das Andenken von Kostakis zu ­schützen, da dieser sich nicht mehr wehren könne.369 Auch hier eröffnet sich eine Parallele zur Rezep­tionsgeschichte von Peter Ludwig, denn so kritisch er in Deutschland betrachtet wurde, so euphorisch wird er bis zum heutigen Tag in Russland als großer Mäzen gefeiert.370 Beide Sammler wurden auf unterschied­liche Weise in ihrer Heimat abgelehnt, während sie in anderen Ländern sehr angesehen waren. Den exportierten Teil der Sammlung Kostakis erwarb der griechische Staat 1997, dieser Teil ist seitdem im Museum für moderne Kunst in Thessaloniki verwahrt. Bis heute hat Kostakis weder im Westen noch in Russland die Bekanntheit, die ihm zustehen würde und noch nie wurden die Teile seiner Sammlung aus der Tret’jakov-­Galerie und dem Museum moderner Kunst in Thessaloniki zusammengeführt. Es gab nach Anfang der 1980er-­Jahre keine großen interna­tionalen Ausstellungen mehr zu seinen Ehren; auch wird sein Name noch immer nicht auf einer Ebene mit den rus­sischen Sammlern Morosov und Šukin genannt.371 Die Entwicklung der sowjetischen Kulturpolitik und die sowjetischen Ausstellungen der 1980er-­Jahre sind für diese Entwicklung mit verantwort­lich. Anhand des Falles Kostakis wird deut­lich, wie er als Werkzeug der disparaten Diplomatie instrumentalisiert wurde: Diese wurde hauptsäch­lich von deutschen Wirtschaftsvertretern betrieben, die in Moskau mit dem Sammler in Verbindung getreten sind. Sie wollten mit ­diesem ungewöhn­lichen Fall westdeutsche Einflusssphären vorführen und es gelang ihnen, ihren Kollegen und Museumsleuten aus ganz Europa und den USA zuvorzukommen. Es ging um Prestige und Reputa­tion für die Stadt Düsseldorf und die beteiligten Unternehmen. Bezeichnenderweise bestand nie ein Interesse an der zeitgenös­sischen inoffiziellen sowjetischen Kunst, die Kostakis ebenfalls sammelte. Ein Teil der Sammlung wurde für politische Interessen der deutschen instrumentalisiert, es ging bei der Kostakis-­Ausstellung keinesfalls um eine Kulturdiplomatie im eigent­lichen Sinn, sondern hier wurde ein Graben ­zwischen beiden Staaten offiziell vertieft. Die Vertreter der deutschen Wirtschaft setzten sich für Kostakis ein, um diese politische Sensa­tion eines übergelaufenen sowjetischen Mäzens für die eigene Publicity zu verwerten. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Avantgarde, während die anderen hochwertigen Arbeiten meistens nicht erwähnt 369 Vgl. ebd. 370 Aleksandr D. ­Borovsky im Interview mit der Verfasserin am 12. 08. 2009. 371 1994 wurde im Folkwang Museum Essen eine Ausstellung über die Errungenschaften dieser beider Sammler ausgerichtet, dabei wurden sie, wie zuvor Kostakis, zu tra­gischen Helden stilisiert, die der Sowjetunion zum Opfer gefallen ­seien (vgl. Ausst.-Kat. Morosow und Schtschukin – Die rus­sischen Sammler – Monet bis Picasso, 1997). Die große Retrospektive zu Kasimir Malevič in Amsterdam und Bonn 2014 war der erste Schritt, um die Sammlungen von Kostakis und Khardzhiev bekannter zu machen.

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wurden – für diese schienen sich die west­lichen Besucher dieser Zeit weniger zu interessieren. Ihren Aufschwung erlebten Künstler wie Zverev erst durch die Engagements von Botschafter Semënov und dem Ehepaar Ludwig in den 1980er-­Jahren. Den zeitgenös­sischen Teil hinterließ Kostakis bei seiner Ausreise seiner Tochter Natalia Kostakis, die in Moskau geblieben war. Die Fokussierung auf die rus­sische Avantgarde und die populistische Wirkung der Ausstellungen in der Bundesrepublik erzeugten ein Bild von der Sowjetunion, das nicht im Sinne der Sowjetunion war, aber von deutscher Seite gefördert wurde. Das könnte einer der Gründe sein, warum Kostakis bis 1984 in der UdSSR als Verräter eingestuft wurde. Der Ruhm seiner Sammlung warf ein schlechtes Licht auf die sowjetischen Kulturfunk­tionäre. Die nähere Untersuchung zeigte, dass sich die Journalisten alle ähn­ lich posi­tionieren. Erneut wurde die Überzeugung von grausamen Kunstbanausen der KPdSU bestätigt, besonders durch die Teilung der Sammlung. Kostakis wurde vom Westen benutzt, um das negative Bild der Deutschen über die Sowjetunion zu untermauern und damit ein Feindbild aufrechtzuerhalten. Dennoch hatten die Präsenta­tionen seiner Sammlung die positiven Nebenwirkungen, die der Sammler sich erhoffte. Die Sowjetunion reagierte mit einer Liberalisierung ihrer auswärtigen Kulturpolitik. Immer öfter wurden Ausstellungen der verbotenen Avantgarde-­Künstler im Westen gezeigt. Auch wenn diese in der Sowjetunion selbst bis zum Höhepunkt der Perestroika meist in den Depots blieben. Anhand d ­ ieses Beispiels kann man also auch die Langzeitwirkung der kulturellen Diplomatie erkennen. Die Ausstellung der Sammlung Kostakis war ein Prestigeprojekt für den Westen und ein Störfaktor für den sowjetischen Staat. Die ersten Austauschprojekte wurden in ihrer Geste kaum von den Medien wertgeschätzt, dafür umso mehr die Geschichte des Sammlers Georgios K ­ ostakis oder die Bemühungen der jungen Kuratoren der NGBK. ­In der Untersuchung der Pressenachweise zu den unterschied­lichen Ausstellung fällt eine Gemeinsamkeit auf: Die deutschen Ausstellungsveranstalter hätten alle erst in zähen Verhandlungen die Exponate von den Kulturverantwort­lichen der Sowjetunion nahezu erbetteln müssen. Es war demnach kein Austausch, der auf gegenseitigem Einvernehmen basierte, sondern ein einseitiges Ersuchen, das höchstes diplomatisches Können forderte. Das wurde am Beispiel der „Museum-­zu-­Museum“-Diplomatie von Gallwitz und Kunst aus der Revolu­tion deut­ lich, aber auch in der Art und Weise, wie vorsichtig Dintelmann und seine Mitstreiter in der Sache Kostakis agierten. Im Vordergrund dieser Verhandlungen standen stets die Kunstwerke der verbotenen Avantgarde, die in den sowjetischen Museen wegen ihrer Formsprache und einer nur schwer lesbaren oder fehlenden propagandistischen Botschaft nicht ausgestellt werden konnten. Die diplomatischen Bemühungen des Westens haben ihren Anteil zur Liberalisierung des Kulturbereichs und nicht zuletzt für die Freiheit der Kunst in der Sowjetunion beigetragen.

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1.8 Weiter e Ent w icklungen der 1970er-Jahr e Die untersuchten Ausstellungen d ­ ieses Kapitels markieren wichtige Wendepunkte der Kulturpolitik im Kalten Krieg. Die erste offizielle Ausstellung des Austauschs nach der Einführung der neuen Ostpolitik sollte einen versöhn­lichen Charakter haben. Dazu war die volkstüm­liche Kunst der Peredvižniki besonders geeignet, da sie keine oberfläch­liche Propaganda vermittelte und zudem Klaus Gallwitz einen Anlass gab, die Errungenschaften deutscher realistischer Kunst dieser Zeit vor dem Hintergrund der ausgestellten Werke zu demonstrieren. Viele Rezensenten erinnerten sich an die großen Namen des deutschen Realismus und der von Gallwitz erwähnte Minderwertigkeitskomplex gegenüber der franzö­sischen Kunst milderte sich ab. Der Zeitpunkt der Ausstellung war gut gewählt, denn die harten Debatten des Realismusdiskurses der 1950er- und 1960er-­Jahre waren bereits abgeklungen. Die scharfe Kritik am amerikanischen Fotorealismus anläss­lich der documenta 5 konnte für die rus­sische Kunst des 19. Jahrhunderts nur von Vorteil sein: Die Arbeiten von Repin und seinen Mitstreiter konnten im Vergleich zur Malerei von Chuck Close und anderen Fotorealisten in den Augen des Publikums nur gewinnen, da der Vorwurf, dass die Fotorealisten ihren Bildern keine Botschaft und keinen Sinn beigeben, auf die sozial engagierten Neuerer der rus­sischen akademischen Kunst nicht zutraf. Diese Künstler waren zudem für die erste Austauschausstellung konzeptuell gut gewählt – obwohl dies während der Laufzeit leider wahrgenommen wurde: Die Peredvižniki waren näm­lich die ­Ersten, die in Russland Wanderausstellungen mit Gemälden etablierten und somit reihte sich auch die Baden-­Badener Ausstellung gewissermaßen in diese Historie ein. Immer wieder wurde im Zusammenhang mit der Ausstellung betont, dass diese Künstler das rus­sische Kulturerbe personifizierten und sie die unmittelbaren Vorgänger des sozialistischen Realismus ­seien. Die Ausstellung sollte dazu dienen, den Ruf der offiziellen Staatskunst der Sowjetunion im Westen aufzuwerten, indem man den Realismus des 19. Jahrhunderts als direktes Vorstadium stilisierte, weshalb sowjetische Korrespondenten alsbald ihren Wunsch äußerten, die offizielle sowjetische Kunst in der Bundesrepublik in einer Ausstellung betrachten zu können. Nach der Ausstellung in Baden-­Baden wurden die Werke der „Wanderer“ mehrfach in die Bundesrepublik ausgeliehen, jedoch waren die jeweiligen Ausstellungen kleiner und konnten nicht mehr mit den bedeutendsten Werken aus der Tret’jakov-­Galerie und dem Rus­sischen Museum glänzen. In der Baden-­Badener Ausstellung sah die sowjetische Regierung eine Mög­lichkeit, mit den Werken dieser Kunstrichtung eine positive Wendung in der kulturellen Diplomatie zu erreichen. Jedoch litt diese Strategie für eine Kulturdiplomatie ­zwischen beiden Staaten unter dem Problem der unterschied­lichen Kunstauffassungen in der bildenden Kunst: Während Musiker und Tänzer sich problemlos für einen Export eigneten,

Weitere Entwicklungen der 1970er-Jahre  |

verhielt es sich mit der bildenden Kunst anders. Die Botschaft der Kunst jener Zeit sollte leicht zu entziffern sein und war politisch aufgeladen, ob sie nun abstrakt oder sozialistisch realistisch war. Der Realismusdiskurs mit seinen hitzigen Debatten, die in den 1970er-­Jahren in der Bundesrepublik noch nachhallten, bewies, wie tief der Graben ­zwischen den beiden Parteien der Abstrakten und der Realisten gewesen war. Das Erbe der Kunst der NS-Zeit spielte in diesen Debatten noch eine wichtige Rolle. Wenn nun die politische Kluft infolge des Kalten Krieges hinzuaddiert wird, dann ist es leicht nachzuvollziehen, dass eine Kulturdiplomatie ­zwischen zwei Staaten mit solch unterschied­licher Kulturpolitik kaum funk­tionieren konnte. Die versöhn­liche Kunst der rus­sischen Realisten bot an dieser Stelle noch eine erste Mög­lichkeit auf minimal konfrontativem Kurs, die kulturellen Unterschiede aufzuzeigen, was auch die Medienresonanz der Ausstellung und die Nachfolgeprojekte zum Ausdruck brachten. Fünf Jahre, nachdem Gallwitz das erste Fundament für einen kulturelle Diplomatie mit bildender Kunst gelegt hatte, eröffnete in Wiesbaden (einem weiteren ehemals rus­sischen Kurort) 1977 eine Ausstellung mit dem Titel 60 Jahre sowjetische Malerei. Bemerkenswert ist die geografische Nähe zu Kassel, wo auf der documenta 6 (1977) zum ersten Mal Künstler der DDR gezeigt wurden. Es gab in dieser Zeit ein wachsendes Interesse an ostdeutschen Künstlern wie etwa Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und anderen. Es ist zu vermuten, dass die Präsenta­tion in Wiesbaden, zum 60-jährigen Jahrestag der Oktoberrevolu­tion, ein Gegengewicht zur documenta 6 schaffen sollte, wo die sowjetischen Künstler nicht gezeigt werden konnten. Der sowjetische Botschafter Valentin M. ­Falin und der hes­sische Kultusminister Hans Krollmann waren die Schirmherren der im Museum Wiesbaden gezeigten Ausstellung. Für Falin war die Eröffnung ein Anlass, einmal mehr die Versöhn­lichkeit ­zwischen dem deutschen kritischen Blick und der sowjetischen Kunst anzusprechen: „Eins sei erlaubt, aus der Sicht dieser Ausstellung insbesondere zu betonen: die bunte Palette der Werke der Künstler aus verschiedensten Teilen der Sowjetunion widerlegt die Mär von der Einfarbigkeit, Uniformität oder gar Öde der sozialistischen Kunst, an der so mancher bis heute herumbastelt.“372

In Falins Worten wird seine Ablehnung gegen eine vorurteilsgetragene Abwertung der sozialistischen Kunst in der Bundesrepublik laut sowie seine gezielte Arbeit gegen die Bildung von Stereotypen. Bei d ­ iesem Ausstellungsprojekt handelt es sich um einen ersten Versuch, diese Mission zu verwirk­lichen. Im nächsten Jahrzehnt sollten dann mehrere deutsche Kulturschaffende daran arbeiten, das stereotype Bild von der 372 Ausst.-Kat. 60 Jahre sowjetische Malerei (1917 – 1977) 1977, 5.

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sowjetischen Kunst zu nivellieren, stets mit sowjetischen Diplomaten an ihrer Seite, die oft die leitende Funk­tion übernahmen. In Wiesbaden wurden 1977 in den Eröffnungsreden die bekannten Wünsche zur Annäherung und Versöhnung ausgesprochen.373 Die Ausstellung 60 Jahre sowjetische Malerei bot dem Betrachter 111 Arbeiten, die in verschiedenen Regionen der Sowjetunion entstanden sind.374 Der Kunstkritiker Rene Drommert betonte in der ZEIT, dass, trotz des offiziellen Charakters, die Ausstellung qualitativ besser sei als alle anderen sowjetischen Ausstellungen, die zuvor im Westen gezeigt wurden.375 Hier wurde in der Tat versucht, einen großen Überblick des gesamten Schaffens sowjetischer Künstler zu geben. Kandinskij und Malevič wurden stellvertretend für die abstrakten Bewegungen mit je einem Werk präsentiert, auch hier verhielt sich das Kulturministerium in Moskau sparsam mit offiziell als kritisch eingestuften Werken. Den Hauptteil der Ausstellung bildeten Arbeiten des sozialistischen Realismus, der in allen Facetten dokumentiert wurde. Von den anfäng­lichen lebensbejahenden Monumentalgemälden bis zu den anklagenden Kriegsbildern wie Verhör der Kommunisten (1949) von Boris V. ­Joganson und Ein Faschist ist vorübergeflogen (1942) von Arkadij A. ­Plastov (Abb. 23). Der „strenge Stil“376 der 1960er-­Jahre und die eigentüm­lichen Bilder der Sowjetrepubliken sollten die von Falin angesprochene Vielfalt der Staatskunst repräsentieren. Es wurde hiermit ein erster Versuch gewagt, den Mythos der rus­sischen Avantgarde zu entschärfen, indem einer ihrer Hauptvertreter im Katalogbeitrag als bekehrter Realist vorgestellt wurde: „Auf verschiedenen Wegen, über die verschiedenartigsten Stilversuche, gelangten die Künstler zu einer realistischen Weltbetrachtung. Es gibt kein überzeugenderes Beispiel für die zwingende Notwendigkeit dieser Bewegung als die schöpferische Entwicklung bei K. ­Maljewitsch, einem Begründer der abstrakten Malerei. Sein spätes ‚Selbstportrait‘ ist nicht nur ein Zeugnis der Rückkehr des Künstlers zur gegenständ­lichen Kunst, sondern auch ein leuchtendes Beispiel des Zusammenfließens formaler Erfahrung des ‚Suprematismus‘ mit der neuen Auffassung vom Menschenbild. Die strenge, hochsinnige Haltung des Künstlers, das harmonische Zusammenfließen reiner klarer Farben geben dem Portrait einen tiefen humanistischen Gedanken.“377 373 Vgl. ebd., 4 – 5. 374 Beteiligte Künstler stammen aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Lettland, Litauen, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland. 375 Vgl. Drommert 1977. 376 Rauer oder strenger Stil: Eine Form des sozialistischen Realismus, die sich Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-­Jahre entwickelte, sie zeichnete sich durch einen veränderten Blick auf den Alltag aus. Statt hoffnungsvollen fröh­lichen Darstellungen wurden alltäg­liche Szenen des einfachen und oft erschöpften Menschen verwirk­licht. Wichtige Vertreter dieser Richtung waren Gelij M. ­Koržev und Nikolaj I. ­Andronov. 377 Ausst.-Kat. 60 Jahre sowjetische Malerei (1917 – 1977) 1977, 7.

Weitere Entwicklungen der 1970er-Jahre  |

Abb 23  A. ­A . Plastov, Ein Faschist ist vorübergeflogen (1947), Staatl. Rus­sisches Museum ­ St. Petersburg.

Das Selbstporträt von Malevič aus dem Jahr 1933, auf dem er sich in Kleidung und Pose der Renaissance stilisiert, ist für die Moskauer Kunsthistorikerin M. ­V. Davydova ein Beispiel für die Erhöhung seiner Kunst – nach seiner Experimentierphase des Suprematismus. Es ist dasselbe Porträt, das einige Monate zuvor in der Berliner Ausstellung der NGBK Kunst in die Produk­tion nicht ausgestellt werden konnte, obwohl es bereits im Katalog angekündigt worden war. Ob es denn „restauratorische“ Gründe 378 waren, die als Synonyme für schwierige Verhandlungen fungierten, oder die Ursachen doch anderweitig zu suchen sind, kann heute leider nicht mehr rekonstruiert werden. Es ist evident, dass ­dieses Bild in der Wiesbadener Ausstellung eine äußerst wichtige Funk­tion einnahm: näm­lich die Bezeugung der offiziellen sowjetischen Kunstauffassung sowie die Dekonstruk­tion des west­lichen kunstgeschicht­lichen Meinungsbildes zu Malevič, wie er sich seit Ende der 1950er-­Jahre in der Bundesrepublik manifestierte. 378 „Restauratorische Gründe“ war ein beliebtes Argument, um formalistische Arbeiten nicht verleihen zu müssen.

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Abb 24  K. ­S. Malevič, Selbstporträt (1933), Staatl. Rus­sisches Museum St. Petersburg.

Die Mystifika­tion Malevičs in Westeuropa der Nachkriegszeit begann mit seiner Wieder­entdeckung als ein spiritueller Führer der abstrakten Bewegung in Russland, als ein engagierter Neuerer und Lehrmeister einer utopischen gegenstandslosen Welt­ auffassung, die für viele west­liche Künstler der Nachkriegszeit eine Vorbildfunk­tion besaß. Zudem galt der Begründer des Suprematismus im Westen als eine tra­gische Persön­lichkeit, die am politischen System der Sowjetunion zerbrochen ist. Diesem Topos sollte die offizielle Präsenta­tion in dieser Ausstellung erstmals widersprechen, Malevičs Selbstporträt wurde instrumentalisiert für eine Kulturpolitik, die sich vor allem durch die formalästhetische Sprache d ­ ieses Werkes manifestierte. Dass Malevič sich 1933 als „uomo universale“ darstellte, wurde als tief humanistische Überzeugung des Malers interpretiert. Die eigent­liche Bedeutung ­dieses Selbstbildnisses, wonach Malevič seinen Suprematismus als eine neue Renaissance und einen erneuten Übergang der Menschheit in ein Zeitalter der Gegenstandslosigkeit manifestieren wollte, indem er sich selbst als geistigen Führer inszenierte, wurde erst in den letzten Jahrzehnten nachgewiesen. Dieser erste zaghafte Versuch einer Umdeutung des Phänomens Malevič in einer Ausstellung in einem Museum, das außerhalb der großen Kunstzentren lag, wurde drei Jahre ­später in einer monografischen Malevič-­Ausstellung in Düsseldorf wiederholt.379 379 Siehe dazu Kap. 3.1.

Politische Situation 1980er-Jahre  |

Anhand dieser Beispiele lässt sich die sowjetische Diplomatie gewahr werden, die im Gegensatz zur disparaten Diplomatie der bundesdeutschen Initiatoren stets darauf bedacht war, die Werke der so genannten „Formalisten“ auf das Nötigste zu beschränken und wenn mög­lich auch in Konformität zur vorherrschenden Kulturpolitik umzudeuten. Weiterhin versuchten die sowjetischen Organisatoren mithilfe dieser Werke, die Entwicklung der rus­sischen beziehungsweise sowjetischen Kunstgeschichte umzuschreiben. Das geschah durch Weglassen und Nivellieren von Fakten oder wie im Fall von ­Malevič durch eine neue Auslegung seiner künstlerischen Entwicklung. Augenschein­lich wurde die ganze Bewegung der rus­sischen Avantgarde zur Gallionsfigur der sowjetischen Diplomatie und zur konstanten Messlatte für den Fortschritt des Kunstaustauschs ­zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR . ­Kasimir S. ­Malevič, Hauptvertreter dieser Kunstepoche, ist der Protagonist der diplomatischen Bemühungen geworden.

1.9 Politische Situation 1980er-Jahr e Wenn man die Debatten des Deutschen Bundestages über die auswärtige Kulturpolitik ab 1969 untersucht, so ist ein erster Höhepunkt in den Jahren z­ wischen 1976 und 1980 festzustellen, in denen den Staaten des Warschauer Paktes und der UdSSR viel Aufmerksamkeit zuteilwurde. Hauptthema der Verhandlungen war die allgemeine Förderung der Beziehungen der BRD zur UdSSR, begleitet von zusätz­lichen Einzelfragen wie etwa Gastspiele oder Kulturaustausch.380 Ab 1980 fallen diese Bemühungen wiederum stark ab, was der interna­tionalen politischen Lage geschuldet war: 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein und schockierten damit die interna­tionale Politik.381 Die Beziehungen zur Sowjetunion wurden weltweit auf das Nötigste beschränkt, ­zwischen den USA und UdSSR herrschte eine erneute Eiszeit. Die Bundesrepublik 380 Vgl. Lippert 1996, 157. 381 Diesem Einmarsch ging ein Freundschaftsvertrag voraus, der 1978 von Afghanistan und der Sowjetunion unterschrieben wurde. Er galt als die Grundlage der sowjetischen Interven­tion. „Am 16.9. Militärputsch in Afghanistan: Sturz des prosowjetischen Führers Nur Muhammad Taraki, Machtübernahme durch Hafizullah Amin. Bei der sowjetischen Militärinvasion in Afghanistan (27.–28.12.) stürmten Spezialtruppen (Eliteeinheiten des KGB) den Palast von Amin in Kabul und ermorden ihn. Die Macht übernimmt der sowjetische Protegé Babrak Karmal. Beginn des Afghanistankrieges. US-Präsident Jimmy Carter verhängt am 4.1.80 ein Embargo für Lieferungen von Getreide und moderner Technologie in die UdSSR und ruft zum Boykott der Olympischen Spiele in Moskau auf. Außerdem verschieben die USA die Ratifizierung des am 18.6.79 in Wien unterschriebenen SALT II-Abkommens über die Begrenzung strate­gischer Angriffswaffen auf unbestimmte Zeit. Die UNO-Generalversammlung fordert am 14.01.80 den Abzug der Truppen aus Afghanistan.“ (Choroschilow 2003, 332).

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hatte abermals die schwierige Posi­tion in der Mitte – ­zwischen West und Ost – inne, wobei die Bundesregierung ihre Anbindung an den Westen stärker pflegte. Lippert untersucht in ­diesem Zusammenhang auch die Etats, die dem Auswärtigen Amt für Kulturbeziehungen mit der UdSSR zur Verfügung standen: Auffällig ist, dass diese im Zeitraum 1979 bis 1981 signifikant abnehmen und erst wieder 1982 ansteigen. Bei dieser Untersuchung berücksichtigt Lippert auch die einzelnen Bereiche, für w ­ elche die Mittel verwendet wurden, und kommt zu folgendem Schluss: „Der Bereich Kunst, Ausstellungen, Kulturprogramme beanspruchte nahezu durchgängig eine mittlere Posi­tion, die in den achtziger Jahren weiter anwuchs. Daraus ist zu schließen, daß diese Formen der Selbstdarstellung und die überwiegende Präsenta­tion von künstlerischen Spitzenleistungen gegenüber den stärker auf Austausch und Koopera­tion angelegten Maßnahmen, getragen von gesellschaft­lichen Gruppen, generell stabiler waren.“382

In summa lässt sich sagen, dass sich die offiziellen deutsch-­sowjetischen Kulturbeziehungen ­zwischen 1976 und 1987 verschlechterten, obwohl dies im untersuchten gestiegenen Austausch von Ausstellungsprojekten nicht sichtbar wurde.383 Die Krise in der Entspannungspolitik, die durch die Interven­tion der UdSSR in Afghanistan 1979 ausgelöst wurde, ließ die Bundesrepublik ihre Bemühungen auf vielen kulturpolitischen Feldern zurückstellen. Im Gegensatz zu den betrachteten Ausstellungen der 1970er-­ Jahre strengte es nun die UdSSR selbst an, vermehrt kulturdiplomatische Projekte auf bundesdeutschen Boden mithilfe von bildender Kunst zu initiieren. Die Analyse der sowjetischen Kulturoffensive, die in den 1980er-­Jahren erfolgte, zeigt eine deut­liche Belebung der sowjetischen Kulturpolitik. Aktiv wurden alle verfügbaren Kanäle für Kulturpropaganda und Selbstdarstellung in der Bundesrepublik genutzt. Lippert bezeugt, dass diese Kulturpropaganda „sich der Formen und Träger des Kulturaustausches in offensiver Weise bediente, um auf die deutsche Öffent­lichkeit Einfluß zu nehmen“.384 Dennoch wurden die signifikanten Projekte nicht durch die Politik, sondern vielmehr durch einzelne Organisatoren realisiert. Mitten in der spannungsreichen Zeit um 1981 ging das sowjetische Staatsoberhaupt Leonid I. ­Brežnev dazu über, die geringen Erfolge des Austausches zu loben, anstatt auf die erheb­lichen Problempunkte in den deutsch-­sowjetischen Beziehungen einzugehen.385 Anfang der 1980er-­Jahre waren die 382 Ebd., 168. 383 Vgl. ebd., 190. 384 Ebd., 324. 385 Vgl. ebd., 265 – 266. Eine gründ­liche Beschreibung der stagnierten Kulturbeziehungen gibt Lippert: „Zudem verhielt sich die sowjetische Seite in der Spätphase Breschnews in Grundsatzfragen unbeweg­ lich und signalisierte eine außenpolitische Verhärtung. Der Arbeitsbesuch von Bundeskanzler Schmidt

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i­ nterna­tionalen Beziehungen der UdSSR gemeinhin stark beschädigt. Nach dem Einmarsch in Afghanistan und dem Beginn des sowjetisch-­afghanischen Krieges boykottierten 64 Länder (darunter auch die Bundesrepublik) die Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980. Weitere Ereignisse, die für Spannungen sorgten, waren die Diskussion um die sowjetischen Mittelstreckenraketen SS-20 und die Nachrüstungspläne der Nato (Ende 1979) sowie die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen (13. Dezember 1981). Am 11. April 1979 wurde eine neue Verordnung über eingeschränkte Arbeitsmög­lichkeiten von Journalisten in der UdSSR veröffent­licht und das Ende der ohnehin schwierigen KSZE-Folgekonferenz in Madrid 386 wurde noch angespannter, als im September 1983 ein koreanisches Flugzeug durch die UdSSR abgeschossen wurde.387 „Hinzu kamen publizitätswirksame Fälle von Menschenrechtsverletzungen in der UdSSR und anderen Staaten des Warschauer Paktes, insbesondere die Verbannung des Physikers und Friedensnobelpreisträgers Andrej Sacharow.“388

Nach dem Amtsantritt Helmut Kohls im Jahr 1982 wurde nochmals Zuwendungsbereitschaft versichert und man ließ verlauten, die neue Regierung sehe die „Aktive Friedenspolitik gegenüber den Staaten Mittel- und Osteuropas [als] eine bleibende Aufgabe deutscher Außenpolitik“.389 Andererseits signalisierte die Koali­tion der Mitte weiterhin ihre starke Westbindung. Erneut wurde die Schuld an der interna­tionalen Krise der sowjetischen Politik zugesprochen. Helmut Kohl kritisierte die Verantwort­lichen in und Außenminister Genscher in Moskau am 30. Juni/1. Juli 1980 war‚ von einer besorgniserregende(n) Entwicklung der interna­tionalen Beziehungen, die die bilateralen Gesprächsthemen im engeren Sinne überlagerte, geprägt.“ (ebd., 264). Das Zweijahresprogramm zum Kulturabkommen, das WTZ (Wissenschaft­lich-­technische-­Zusammenarbeit) und das Rechtshilfe-­Abkommen waren eingefroren. 386 Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE): interna­tionale Konferenz anläss­ lich des Ost-­West-­Konfliktes. Die erste Konferenz wurde 1973 in Helsinki durchgeführt und mit einer für die interna­tionale Politik wichtigen Schlussakte (1. August 1975) beendet. Darin wurden Vereinbarungen über die Zusammenarbeit auf vielen Ebenen und die Einhaltung der Menschenrechte sowie wichtige Sicherheitsfragen festgehalten. 387 Vgl. Lippert 1996, 300. „In der Nacht 1.9. schießt ein sowjetisches Jagdflugzeug über dem Gebiet der Insel Sachalin eine südkoreanische Passagiermaschine vom Typ Boing 474 mit 269 Passagieren an Bord ab. Die UdSSR beschuldigt die USA, das Flugzeug sei für Spionageaufgaben vom Kurs abgewichen. Die Beziehungen z­ wischen der UdSSR und den USA verschlechtern sich daraufhin.“ (Choroschilow 2003, 340). 388 Ebd. Andrej Sacharov äußerte sich in einem offenem Brief gegen den Afghanistankrieg, daraufhin wurden ihm Anfang 1980 alle Auszeichnungen aberkannt, er wurde in die Stadt Gorkij verbannt und unter Aufsicht gehalten. 389 Ebd., 326.

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der Sowjetunion lautstark: „Wenn die sowjetische Führung gleichzeitig den weltrevolu­ tionären Klassenkampf gegen die freie Welt führen will, sind stabile zwischenstaat­liche Beziehungen auf Dauer nicht mög­lich.“390 Spürbare Veränderungen traten erst ein, als Michail S. ­Gorbačёv zum Generalsekretär der KP dSU ernannt wurde. Bis Mitte der 1980er-­Jahre trat der offizielle Kulturaustausch von beiden Seiten aus hinter Kernthemen wie Abrüstung und Rüstungskontrolle zurück. In der Regierungszeit von Jurij V. ­Andropov und Konstantin U. ­Černenko zeichnete sich die sowjetische Außenpolitik durch eine Selbstisolierung aus.391 Im Jahr 1984 boykottierten die UdSSR und weitere Länder des Warschauer Paktes als Antwort auf den west­lichen Boykott von 1980 die Olympischen Spiele in Los Angeles. Gegen Ende des Jahres wurden die Gespräche über Abrüstung ­zwischen der USA und der UdSSR wieder aufgenommen. Trotz zwischenzeit­licher politischer Abkühlung setzte die Sowjetunion auch in diesen Phasen kontinuier­lich Kulturoffensive besonders mithilfe des Botschafters Vladimir S. ­Semënov fort, während im Gegenzug die deutsche Botschaft in Moskau nur begrenzt agieren konnte. Die UdSSR arbeitete weiter daran, das Selbstbild eines friedliebenden Kulturstaats in der Bundesrepublik durchzusetzen.392 Während sich im Gegensatz zu den 1970er-­Jahren die politischen Konflikte verdichteten, boomte die kulturelle Offensive der UdSSR in der Bundesrepublik. Nun war die übermäßige Präsenz rus­sischer beziehungsweise sowjetischer Kunst in den westdeutschen Städten noch weitaus stärker durch die Initiative Einzelner geprägt, als es bereits in den 1970er-­Jahren der Fall gewesen war. Diese Bemühungen wurden jedoch an einer einzelnen Ausstellung gemessen, die ab 1979 zu einem Meilenstein des Kulturaustausches geworden ist. Die bilaterale Ausstellung Paris – Moscou diente in den 1980er-­Jahren der Bundesrepublik als neuer Maßstab für ein gelungenes kulturpolitisches Ereignis.

1.10 P a r is  – M oscou . M osk va  – P a r i ž (Centr e Georges Pompidou Par is, 31.05 – 0 5. 11. 1979, Puškin-Museum Mosk au 1981) Die Initiatoren dieser Ausstellung sahen es als ihre Aufgabe an, die franzö­sisch-­russischen Wechselbeziehungen in der Kunst z­ wischen 1900 und 1930 zu dokumentieren. Der Hauptkommissar des Projektes war der Gründungsdirektor des Centre Pompidou Pontus Hultén. Zusammen mit Aleksandr G. ­Halturin aus der UdSSR übernahm er 390 Ebd. 391 Vgl. ebd., 330. 392 Vgl. ebd., 332.

Paris – Moscou. Moskva – Pariž  |

die Organisa­tion. Paris – Moscou entstand in Koopera­tion des Kulturministeriums der UdSSR, der sowjetischen Museen und dem Centre Georges Pompidou in Paris. Als Leihgeber fungierten die wichtigsten Institu­tionen der UdSSR.393 Die ­Themen der Ausstellung deckten das gesamte Spektrum der Kunst ­zwischen 1900 und 1930 ab: Bildende Kunst, Angewandte Kunst und Gebrauchsgegenstände, Architektur, revolu­tionäre Propagandakunst, Plakate, Theater, Ballett, Literatur, Musik, Kino und Fotografie waren vertreten. Auch diese Präsenta­tion bezog sich auf die Erste Rus­sische Kunstausstellung, die ebenso mehrere Gattungen außerhalb der klas­sischen Tradi­tion der Bildenden Kunst dokumentierte. Alle bedeutenden Entwicklungen der Periode sollten in dieser Exposi­tion gezeigt werden, auch die zum Zeitpunkt der Ausstellung in der Sowjetunion immer noch verbotenen rus­sischen avantgardistischen Gruppen. Im Katalog wurde an die Mäzene Ivan A. ­Morozov und Sergej I. ­Šukin erinnert, die in der vorrevolu­tionären Periode große Sammlungen moderner franzö­sischer Kunst zusammenstellten und teilweise auch öffent­lich zugäng­lich machten.394 Nach der Machtergreifung der Bolschewiki wurden beide Sammler enteignet und ihr Kunstbesitz ging in die staat­lichen Institu­tionen über. Der Übergang der privaten Sammlungen in öffent­lichen Staatsbesitz wurde im sowjetischen Katalog der Ausstellung 1981 als Errungenschaft der leninistischen Kulturpolitik beschrieben.395 Die wichtigsten Vertreter der rus­sischen Avantgarde wurden ebenfalls in Paris ausgestellt – die Besucher der Ausstellung konnten die Entwürfe zum Monument der III. ­Interna­tionale von Vladimir E. ­Tatlin und Pläne des Arbeiterklubs von Alexandr M. ­Rodčenko sehen. Die suprematistischen Architekturentwürfe von Kazimir S. ­Malevič wurden neben den PROUNEN von Ėl’ Lisickij ausgestellt. Die Literaturabteilung stellte die in der UdSSR umstrittenen Persön­lichkeiten wie Boris L. ­Pasternak, Benedikt K. ­Livšitz, Vladimir V. ­Majakovskij, Anna A. ­Achmatova und Ossip E. ­Mandelstam aus. Auch in der Musik ging die UdSSR mit der Präsenta­tion des Werkes von Dmitrij D. ­Šostakovič Kompromisse ein. Allerdings setzten die Veranstalter mit den Eckdaten „1900 bis 1930“ eine strate­gische Zensur, dadurch so die Karrieren und Entwicklungen der sowjetischen Künstler in der schwierigsten politischen Periode der Einführung des sozialistischen Realismus und der stalinistischen Säuberungen der 1930er-­Jahre nicht thematisiert werden mussten. Bis 1930 wurden viele der progressiven Künstler, Architekten, Komponisten und Literaten in der UdSSR noch gefeiert. Paris – Moscou war 393 Die Tret´jakov-­Galerie, Puškin-­Museum, die Lenin-­Bibliothek, das Literaturmuseum in Moskau und die Eremitage, das Rus­sische Museum und die Saltykov-­Ščedrin-­Bibliothek in Leningrad (vgl. Ausst.-Kat. Paris – Moscou 1979). 394 Vgl. ebd. 395 Ministerstvo Kultury SSSR 1981.

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die erste große Ausstellung im Westen, für die die Sowjetunion ein derartiges Konglomerat zusammenstellte. Die Rezensentin der ZEIT, Petra Kipphoff, beschreibt ­dieses Projekt als ein ambivalentes Ereignis: „Diese Ausstellung ist ausgehandelt worden wie das SALT Abkommen, eine Abstrak­tion hier gegen eine dralle Bauernmagd dort, und wer hier wen hinters Licht geführt hat, das ist nicht mehr die Frage. Die Franzosen können sich zwar rühmen, ­dieses und jenes Bild wenigstens kurzfristig den Magazinverließen der sowjetischen Museen entrissen zu haben und über der Begeisterung darüber, nun end­lich der Ikone des Suprematismus, Malewitschs ‚Schwarzem Quadrat‘ (1913), gegenüberstehen zu dürfen, verliert auch mancher Kritiker so sehr den Kopf, daß er aus den Depots, in denen Rußland die gefähr­liche Ware Kunst unter Verschluß gehalten wird, ‚Reserven‘ macht.“396

Dieser Artikel aus der ZEIT behält den kritischen Grundton der bereits untersuchten Rezensionen sowjetischer Ausstellungen in der Bundesrepublik bei. Mit Moskau – Paris ist jedoch in Frankreich ein Projekt realisiert worden, dass als ein erfolgreiches Beispiel kultureller Diplomatie bewertet werden kann. Der Blick in den Katalog zeigt, wie vielfältig die Auswahl der Arbeiten und wie spannend die Kombina­tion franzö­ sischer und rus­sischer Kunst in dieser Ausstellung gewesen sein muss. Diese Ausstellung zeigt die Mög­lichkeiten eines bilateralen Austausches auf, die – wie am Beispiel von Petra Kipphoff zu sehen ist – in Deutschland dennoch als nicht ausreichend frei von politischen Einflüsterungen betrachtet werden. Ihrer Ansicht nach haben es sowjetische Organisatoren dennoch geschafft, die Entwicklung der Kunst auf ihre Weise nachzuzeichnen, indem der Rundgang symbo­lisch mit einem realistischen Werk von Isaak I. ­Brodskij, Lenin im Smolny von 1930, endete. Dieses Bild war eines der beliebtesten Bildnisse Lenins in der Sowjetunion. Mit seinen Maßen von 190 × 237 cm bringt es den Anführer der Oktoberrevolu­tion in seiner nahezu realen Größe in unmittelbare Nähe zum Betrachter. Brodskij war es wichtig, auch die kleinsten Details des Bildes so realistisch wie mög­lich auszuarbeiten, erkennbar an der Darstellung der weißen Steckdose im oberen Mittelpunkt des Gemäldes. Man betrachtet Lenin im Gebäude des Smolny, in dem zu Beginn der bolschewistischen Machtergreifung der Hauptstab des Zentralkomitees und somit Lenins Regierungssitz saß. Der Anführer der Revolu­ tion ist in seine alltäg­liche Arbeit, das aufmerksame Lesen und Schreiben, vertieft, auf dem Tisch vor ihm sind durchgesehene Zeitungen ausgebreitet. Sein Arbeitsplatz ist spartanisch eingerichtet und verweist hiermit auf die zielgerichtete Arbeit der neuen Staatsführung. Bridskijs Gemälde wurde nach Lenins Tod gemalt und zielte darauf 396 Kipphoff 1979.

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ab, das ideale Bildnis des Staatshelden zu kanonisieren. Dieses Werk als Schlusspunkt einer Übersichtsausstellung kann als Hinweis auf den Höhepunkt der künstlerischen Entwicklung in Moskau gedeutet werden. Gleichzeitig kann man aber die Präsenta­ tion ­dieses Werkes auch deshalb als wichtiges Moment der Präsenta­tion betrachten, nicht weil sich dahinter eine gezielte sowjetische Propaganda verbirgt, sondern weil es ohne Verschleierungstaktiken die Entwicklung der Kunst in der Sowjetunion der späten 1920er- und 1930er-­Jahre aufzeigt. Doch diese Sichtweisen möchte die Rezensentin nicht einnehmen, sie fährt fort: Die 2500 Exponate würden durch ihre große Anzahl die tatsäch­lichen politischen Hintergründe und die historische Entwicklung der sowjetischen Kulturpolitik verbergen.397 Weiterhin bemängelt sie, dass im Katalog die Politik nur marginal angesprochen werde, hauptsäch­lich mit dem Akzent auf das wichtigste Datum der UdSSR, den Oktober 1917. Sie schreibt, dass weder Majakovskijs Selbstmord noch die Ausweisung Trotzkis darin erwähnt würden.398 Hier stellt sich die Frage, ob sich ein Katalog, der der allgemeinen Kunstrichtungen in Russland und der Sowjetunion von 1900 bis 1930 gewidmet ist, mit diesen Ereignissen beschäftigen muss, um dem Vorwurf der Manipula­tion von historischen Details zu umgehen. Die Ausstellung zeigte in der Auswahl der Exponate eine breite Übersicht aller Entwicklungen der Kunst und verwandter Gattungen aus beiden Perspektiven, der franzö­sischen und der sowjetischen. Die ausgewählte Rezension zeigt auf, wie schwierig es war, den Erwartungen der bundesdeutschen Presse gerecht zu werden. Die Ausstellungen der sowjetischen Seite sollten demnach dem westdeutschen Bild über die Entwicklung der Kunst in Russland entsprechen und nicht die eigene Sicht darauf präsentieren. Laut Kipphoff sei bei d ­ iesem groß angelegten Projekt wieder deut­lich geworden, dass die Kulturvertreter der Moskauer Regierung weiterhin das Konzept des Ausklammerns von unbequemen historischen Details verfolgten, um ein positives Selbstbild im Westen zu verbreiten. Kompromisse gehörten allerdings zur Sprache der kulturellen Diplomatie z­ wischen der Sowjetunion und den Ländern des Westens, ob es nun die Bundesrepublik, Frankreich oder andere Länder Europas betraf. Damit setzte die UdSSR ihre politische Linie fort, die sie bereits in den 1970er-­Jahren verfolgt hatte. Viel versöhn­licher, als es die Rezensentin der ZEIT beschreibt, äußert sich einer der Organisatoren im sowjetischen Katalog. Er betont, dass die Ausstellung mög­liche Antworten auf die Fragen der Künstler der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts suchte und dass es beim Betrachter liege, den Erfolg ­dieses Bemühens zu bewerten.399

397 Vgl. ebd. 398 Vgl. ebd. 399 Polevoj 1981, 9.

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Er fügt hinzu, dass beide Seiten versuchten, ein objektives Bild der Entwicklungen zu schaffen: „Ich werde keine Geheimnisse offenbaren, wenn ich berichte, dass diese Arbeit im Geiste eines Dialoges geführt wurde, der nicht immer einfach war, aber immer produktiv. Nun, sagen wir, dass ein Teil der Fragen ausgelöst wurde dadurch, dass die eine Seite in der Kunst der anderen Seite gewisse Strömungen betonen wollte, denen in ihrer Heimat keine große Bedeutung beigemessen wird. Die Klärung solcher Fragen hat dem gegenseitigen Verständnis beider Seiten gut getan.“400

In ­diesem Dialog ringen also beide Seiten um eine wahrhaftige Darstellung der Realität und zwar im Hinblick auf beide Staaten, die das Projekt gemeinsam ausrichteten. Polevoj beschreibt hier die Kompromisssuche als wichtigen Bestandteil einer gemeinsamen Annäherung. Diese Ansicht ist der einzig aussichtsreiche Weg, eine bilaterale Kulturpolitik ­zwischen Ost und West in dieser Zeit erfolgreich gestalten zu können. Die unterschied­lichen Kunstauffassungen müssen gleichwertig nebeneinandergestellt und verhandelt werden, da keine kulturelle Diplomatie mög­lich ist, wenn eine Partei nur ihre Seite vertritt und sich jeder anderen Sichtweise verweigert. Mit ­diesem gegenseitigen Bemühen wurde die Ausstellung Paris – Moscou zu einem erfolgreichen Projekt, das tatsäch­lich eine Entwicklungsgeschichte der franzö­sischen und rus­sischen Kunst von 1900 bis 1930 erzählt. Dieses gegenseitige Verständnis wird von Kipphoff allerdings kritisch kommentiert. „In konsequenter Fortführung des Arbeitsmottos dieser Ausstellung, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, hat Pontus Hulten sich ­dieses Motto über seinen Eingangsessay im Katalog gesetzt, ein Zitat von Tjutschew, Feigenblatt und Captatio benevolentiae zugleich: ‚Man sollte Rußland nicht mit dem Verstand zu begreifen versuchen, man sollte ihm nicht die üb­lichen Maßstäbe anlegen wollen, seine Wesensart ist so einzigartig, daß man nur glauben muß an es.‘“401

Was die Rezensentin als Feigenblatt sieht, kann als eine diplomatisch weise gewählte Aussage von Hultén bewertet werden. Das Zitat des rus­sischen Dichters Fëdor I. ­Tjutčev unterstreicht einmal mehr die Tendenz ­dieses Ausstellungsvorhabens. Tjutčev hat mit ­diesem Bonmot von 1866 einen wichtigen Aspekt im Hinblick auf Russland aufgegriffen: Der Westen versuche näm­lich stets, ­dieses Land mithilfe eigener Wertvorstellungen zu messen, anstatt es aus der rus­sischen Entwicklungslogik heraus zu begreifen. Die 400 Ebd. 401 Kipphoff 1979.

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meisten Missverständnisse ­zwischen Russland und den europäischen Staaten basierten auf der Grundlage dieser Wertung, sodass Tjutčev zuzustimmen ist: Man kann Russland nicht mit fremden Maßstäben messen, man müsse daran glauben. Hier tritt der feine diplomatische Spürsinn zutage, den er – obwohl Liebhaber der deutschen Kultur – dennoch besaß. Vor dem Hintergrund der vorherrschenden Meinung und in Hinblick auf die Medienresonanzen der bisher untersuchten Ausstellungen ist diese Aussage ein wahrhaft diplomatischer Versuch, die Wellen des Kalten Krieges in der Kunst zumindest vorübergehend zu glätten. Die bilaterale Vereinbarung sah vor, dass diese Ausstellung unverändert in Moskau übernommen werde. Die Liste der Exponate wurde jedoch einer Zensur unterworfen, berichtet DER SPIEGEL.402 Die franzö­sische Seite protestierte lautstark und vor allem der franzö­sische Botschafter in Moskau versuchte vergeb­lich sein Mög­lichstes gegen die Zensur der UdSSR zu bewirken, schreiben die Berichterstatter. Sogar der Eintritt für die Besucher der Ausstellung in Moskau wurde in den ersten Tagen der Ausstellung erschwert, sodass der Schwarzmarkthandel mit den Eintrittskarten florierte.403 Eintritte an den Museumskassen bekamen, laut SPIEGEL-Magazin, nur „Helden der Sowjetunion“ und „Helden der Sozialistischen Arbeit“.404 Diese Entwicklung des Projektes wäre charakteristisch für den sowjetischen Umgang mit kulturellen Ereignissen. Dass die west­liche Öffent­lichkeit sich negativ äußerte, war den Parteimitgliedern nicht so wichtig, wie die Befolgung der Regeln der eigenen Kulturpolitik. Generell bilanzierend war die Ausstellung auf franzö­sischer Seite ein Erfolg, da viele Kunstwerke gezeigt wurden, die bis zu ­diesem Zeitpunkt nur spär­lich aus den Depots herauskamen. Auch wenn es mehrere Konzessionen gab und das Projekt Paris – Moscou mit Aussparungen und ideolo­gischen Fußnoten versehen war, wurde es im Westen als erster großer Erfolg der Ausstellungsdiplomatie gefeiert. Die Verhandlungen ­zwischen Frankreich und der Sowjetunion schienen in dieser Zeit produktiver gelaufen zu sein als diejenigen in der Bundesrepublik. Vor dem Hintergrund der sowjetischen Politik in Deutschland, besonders in der DDR, überrascht es nicht, dass die Ressentiments hier vitaler gewesen sind als in Frankreich. Paris – Moscou wurde interna­tional zu einer Vorlage eines gelungenen bilateralen Ausstellungsprojektes, wie es sich an häufigen Erwähnungen speziell zu dieser Ausstellung in den Vorworten und Einleitungen in diversen Ausstellungskatalogen nachvollziehen lässt. Nicht zuletzt die groß angelegten Projekte Berlin  – Moskau 1900 – 1950 (1995) und Berlin  – Moskau 1950 – 2000 (2003) orientierten sich am Erfolg ihres Vorgängers im Centre Pompidou. 402 Vgl. Anonym 1981, 149 – 150. 403 Vgl. ebd. 404 Vgl. ebd.

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3 Die Ausstellungen der 1980er-Jahre

1.11 K asimir M a l e w itsch (1878 – 1 935). Wer k e aus sow jetischen S a m mlungen (29.02.–20. 04. 1980, Kunsth alle Düsseldor f) Auf dem Cover des Katalogs ist anstelle von Malevičs berühmtestem Werk Das Schwarze Quadrat die Reproduk­tion der Bäuerin (Mit schwarzen Gesicht) zu sehen, gemalt ­zwischen 1928 und 1932. Dieses Bild war eines von 24 Werken des Künstlers, die in Düsseldorf zum ersten Mal ausgestellt wurden. In seiner Eröffnungsrede klärte Jürgen Harten das Publikum der Vernissage in der Kunsthalle Düsseldorf darüber auf, dass 80 Prozent der ausgestellten Werke im Westen unbekannt ­seien. Schlägt man die erste Seite des Katalogs auf, so blickt das nachdenk­liche Genie der rus­sischen Avantgarde vom Frontispiz seinen Betrachter direkt an (Abb. 26). Das Foto hat geknickte Ränder und Kratzer, ­welche auf eine unsachgemäße Aufbewahrung verweisen. Es zeigt den adrett gekleideten Künstler en face im Jahr 1926 – ein Jahr bevor er seine Vortragsund Ausstellungsreise im Westen antrat und bereits einige Monate s­ päter schon wieder hastig verlassen musste. In Berlin bekam Malevič 1927 Post aus der Heimat, die ihn veranlasste, seine Bilder in der Weimarer Republik zu lassen und schnellstmög­lich wieder in die Sowjetunion zurückzukehren. Diese Werke sah der Künstler nie wieder. Das Konglomerat, das von Malevič zurückgelassen wurde, kaufte das Amsterdamer Stedelijk Museum nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und besaß damit die größte Sammlung von Malevič außerhalb der Sowjetunion. Wie viele Werke des Künstlers tatsäch­lich in den Depots der sowjetischen Museen lagerten, konnte im Westen lange Zeit nur vermutet werden. Das erste Mal bekamen die Teilnehmer des ICOM (Interna­tional Council of Museums) Kongresses 1977 in Moskau einige Werke zu sehen.405 Unter ihnen war auch Jürgen Harten, Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, der drei Jahre s­ päter diese sensa­ tionelle Malevič-­Ausstellung organisierte. Die 58 Leihgaben aus Moskau und Leningrad wurden in der Kunsthalle Düsseldorf ausgestellt und waren ein weiterer Schritt zur Vervollständigung des west­lichen Wissens über den Künstler. Harten hatte bei der Vorbereitung der Ausstellung nicht das Privileg (wie zuvor Klaus Gallwitz), die Exponate selbst auszusuchen. Die Auswahl wurde in der Sowjetunion getroffen und überdies wurde Harten und seinen Mitarbeitern ausdrück­lich untersagt, zusätz­liche Leihgaben aus west­lichen Sammlungen auszustellen. Für ­dieses Verbot wurden keine 405 Jürgen Harten im Gespräch mit der Verfasserin am 26. 08. 2012 in Berlin.

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Abb 25  Katalogcover zu der Ausstellung Kasimir Malewitsch (1878 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen.

konkreten Gründe angegeben, aber es gibt einige Anhaltspunkte, die als Grundlage für Vermutungen dienen können: Dieses Verbot wurde womög­lich aufgrund der negativen Erfahrungen beim Projekt Paris – Moscou 1979 ausgesprochen, bei dem die Vertreter der Sowjetunion ebenfalls eine große Anzahl von Avantgarde-­Werken ausgeliehen hatten. In Paris wurden aber darüber hinaus zusätz­liche Leihgaben aus west­lichen Sammlungen akzeptiert, die zu Dissonanzen im sowjetischen Programm geführt hatten.406 Ein weiterer Grund waren sicher­lich die zu dieser Zeit vorherrschenden politischen Spannungen ­zwischen Ost und West nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan. Da west­liche Leihgaben nicht in der Ausstellung gezeigt werden durften, verlagerte sich der Schwerpunkt auf das Spätwerk von Malevič, welches sich hauptsäch­lich in den Beständen der Sowjetunion befand. Seinen späteren Bauerngemälden wurde der prominenteste Platz eingeräumt, wie bereits das Cover des Katalogs zu erkennen gibt. Etwa 20 Werke der suprematistischen Schaffensphase wurden ausgestellt, über die Hälfte davon waren Skizzen und Entwürfe auf Papier. Die meisten Arbeiten stammten aus der Tret’jakov-­Galerie und dem Rus­sischen Museum Leningrad. Anna A. ­Leporskaja, eine Schülerin von Malevič, entlieh für die Ausstellung die Gioconda (Composi­tion mit Mona Lisa) von 1914, die zusammen mit zwei anderen Arbeiten Malevičs Experimente des so genannten „übersinn­lichen Realismus“ (Abb. 27) zeigten.407 Im Vorwort lobte Harten den wichtigen Schritt der Ausstellung, end­lich die zwei konträren Versionen zusammenzubringen, in deren Zusammenschau Malevič verstanden werden kann. Harten erklärte ihren Ursprung mit der Teilung des Œuvres, die 406 Vgl. Ausst.-Kat. Paris – Moscou 1979. 407 Es handelt sich um Collagen, die vom Kubismus inspiriert sind. Dazu schreibt Larissa Šadova im Katalog: „Die tradi­tionelle räum­lich-­zeit­liche Ganzheit der Darstellung wird zerstört. Die Bildbedeutung entsteht aus dem Zusammenprall, der Konfronta­tion von darstellerischen Motiven aus verschiedenen raumzeit­lichen Ebenen […]“ (Šadova 1980, 49).

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Abb 26  K. ­S. Malevič, entstanden etwa um 1926, Katalog zur Ausstellung Kasimir Malewitsch (1878 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen.

1927 in Berlin anfing und bis heute dauere. Der Gegensatz abstrakt – gegenständ­lich und die Wertung, die damit einhergeht, sowie die künstlerischen Dogmen des Kalten Krieges müssten überwunden werden. Dies sollte einer der Hauptaspekte dieser Ausstellung sein: „Diesen Gegensatz auf die Spitze treiben, wer den Suprematismus gegen die Figura­tion ausspielte, ohne zu bedenken, daß sich dahinter die aus der Pionierzeit der Moderne stammende Unterscheidung von ‚abstrakt‘ und ‚gegenständ­lich‘ verbirgt, die jedenfalls im Westen, mög­ licherweise auch im Osten – wenn man Kowtun und Schadowa glauben darf – längst als überholt und damit als unhaltbar erkannt worden ist.“408

Harten räumte ein, dass ein Großteil von Malevičs Werken figurativ war, dennoch werfe der Bruch der 1920er-­Jahre viele Fragen auf. Die wichtigste dieser Fragen war, ob der Künstler freiwillig zur Figur zurückkehrte, oder ob er Repressionen ausgesetzt war, die ihn dazu bewegten. Für weitere Verwirrung sorgte der Künstler selbst, da er 408 Ebd., 7.

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Abb 27  K. ­S. Malevič, Partielle Finsternis mit Mona Lisa (der korrekte heutige Titel des Bildes) (1914), Staatl. Rus­sisches Museum St. Petersburg.

viele Arbeiten aus den 1930er-­Jahren vordatiert hatte. Eine glaubhafte Begründung dafür war damals in keiner schrift­lichen Quelle zu finden.409 Die Frage, ob es denn ein Widerspruch ist, dass sich der Suprematist selbst am Ende seines Lebens als Renaissancemenschen malte, ließ Harten unbeantwortet. Für die rus­sischen Autoren war die späte figurative Darstellungsweise von Malevič kein Rätsel, sondern eine „einzigartige schöpferische Evolu­tion“.410 Evgenij Kovtun, ein Mitarbeiter des Rus­sischen Museums in Leningrad und ausgewiesener sowjetischer Avantgarde-­Spezialist, hob die Rückkehr zur Gegenständ­lichkeit als Ausdruck höchsten künstlerischen Könnens hervor: ­Malevičs Malerei der 1930er-­Jahre sei demnach durch die Erfahrungen des Suprematismus bereichert worden und beweise eine tiefe Verbindung mit der altrus­sischen Kunst. „Die Ökonomie der plastischen Mittel und die eigenartige ‚Unfertigkeit‘ bewirken eine besondere bild­liche Schärfe, die der Künstler bewußt anstrebte. ‚Die wichtigste Bedeutung 409 Der Mythos um die vordatierten Arbeiten scheint heute end­lich aufgeklärt zu sein. Siehe dazu: Nakov 2007. 410 Kovtun. In: Ausst.-Kat. Kasimir Malewitsch 1980, 32.

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für unsere Zeit‘, sagte er zu L. ­Judin – ‚haben jetzt gegenstandslose Sachen oder Halbbilder (wie meine Bauern). Sie wirken am einschneidensten.’“411

Dass Malevič seine Bauern als „Halbbilder“ bezeichnet, deutet darauf hin, dass diese eine hybride Form des Suprematismus darstellen sollten und keineswegs eine allmäh­ liche Rückkehr zum Gegenstand. Der Künstler erweiterte in solchen Werken sein gegenstandsloses utopisches Gesellschaftsbild vielmehr, als dass er seine gegenstandslose Welt zu negieren suchte. Die sowjetischen Kunstwissenschaftler, die 1980 den Katalog für die Düsseldorfer Schau produzierten, legten das Spätwerk ähn­lich aus, kamen jedoch zu einem anderen Resultat. Die ständige Wiederkehr des Bauernmotivs bei Malevič wird von Kovtun mit dessen Kindheit in einem ukrainischen Dorf erklärt – sie lasse den Künstler immer wieder frühe Seherfahrungen aufgreifen, um diese zu einer Art eigenen Ikonen zu erheben. Auch die suprematistischen Arbeiten versuchten diese Verbindung aufrechtzuerhalten: „So wird zum Beispiel das berühmte ‚Rote Quadrat‘ im Katalog der Ausstellung von 1915 als ‚Malerischer Realismus von Bauern in zweierlei Abmessung‘ bezeichnet.“412 Demnach werden seine späteren Bauernfiguren für den Autor zu den Bewohnern des suprematistischen Kosmos. Diese beschreibt er als die „glänzendsten und originellsten Erscheinungen in der Malerei des XX. ­Jahrhunderts“.413 Bei der Lektüre ­dieses Textes sollte keinerlei Zweifel daran entstehen, dass es sich bei dem ausgestellten Spätwerk um den Geniestreich eines revolu­tionären Künstlers handelt, der den Weg aus den Tiefen der Abstrak­tion zurück zu seinem Volk und zur Volkstüm­lichkeit gefunden hat ganz im Sinne der Parteilinie. 1.11.1 Medienresonanz „Der Sturz eines Heroen der klas­sischen Moderne und zugleich ein kulturpolitisches Ereignis im Ost-­West-­Dialog.“ (Donaukurier am 08. 03. 1980)

Malevič war in der untersuchten Zeit zu einem Superstar der rus­sisch-­sowjetischen Kunstgeschichte im Westen avanciert, sodass es abzusehen war, dass diese Ausstellung auf eine große Medienresonanz stoßen würde. In der erneuten politischen Kälte­periode war Malevič der Prototyp eines engagierten Neuerers, der von der sowjetischen Macht 411 Ebd. 412 Ebd., 35. 413 Ebd.

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gebrochen wurde. Die monografische Ausstellung in Düsseldorf lieferte eine willkommene Gelegenheit für die Journalisten, um auf die Ungerechtigkeiten der sowjetischen Kulturpolitik verweisen zu können. Die deutschen Medienvertreter störten sich besonders an der sowjetischen Interpreta­tion des Spätwerks und wollten diese keinesfalls übernehmen. Der jahrelangen west­lichen Rezep­tion Malevičs als Demiurgen der abstrakten Kunst wurde in der deutschen Presse Tribut gezollt und sein Spätwerk als klares Anzeichen für seine hoffnungslose Kapitula­tion vor dem sowjetischen Staat interpretiert. Die Rückkehr zu den Bauernmotiven wurde als Scheitern und Anpassung an die kulturpolitischen Umstände in der Sowjetunion beschrieben. Besonders das Selbstporträt aus dem Jahre 1933 (Abb. 24) wurde von den deutschen Rezensenten als ein Sinnbild der Machtlosigkeit des Künstlers gedeutet und stand somit im klaren Gegensatz zu seiner sowjetischen Interpreta­tion.414 Die FAZ charakterisierte es, gemeinsam mit einem ähn­lichen Porträt von Malevičs Frau, als „pein­lich missglückte Bemühungen um eine Art von klas­sischen Ausdruck, in der Gebärde hilflos“.415 In Lokalzeitungen wurde sogar die Frage gestellt, ob Malevič vielleicht geheime Botschaften sendete und ein Doppelleben geführt habe. Diese Fragen bezogen sich unter anderem auf das kleine schwarze Quadrat, dass der Künstler als Signatur für das besagte Selbstporträt wählte.416 Malevič und insbesondere sein noch nie zuvor in dieser Deut­lichkeit wahrgenommenes Spätwerk wurden zunehmend zu einem Rätsel maniriert und der Verdacht, dass er starkem politischem Druck ausgesetzt war, wurde bei deutschen Kunsthistorikern größer. Amine Haase schrieb im Kölner Stadtanzeiger: „Aber selbst die tendenziöse – zur Untermauerung ihrer These von den sowjetischen Experten zusammengestellte – Düsseldorfer Ausstellung belegt, daß Malewitsch wohl kaum freiwillig zum Gegenstand zurückgekehrt ist.“417

Die Bilder selbst lieferten den Rezensenten die angeb­lichen Beweise für die politische Unterdrückung des Künstlers.418 Die Frage, ob Malevič freiwillig zur Gegenständ­ lichkeit zurückkehrte, wurde tendenziell mit einem Nein beantwortet.419 Das sollte mit bekannten Fakten belegt werden, etwa, dass Malevičs Malerei eine geistige Freiheit 414 Vgl. beispielsweise: Richter 1980. 415 Anonym 1980. 416 Vgl. Anonym 1980/I. 417 Haase 1980. 418 Man hätte das Gefühl, „ein resignierender, gebrochener Mann habe diese Bilder gemalt, wie ein wenig überzeugender Kompromiß ­zwischen verordnetem sozialistischen Realismus und einer Abstrak­ tion […]“ (vgl. Plunien 1980). 419 Vgl. Hoghe 1980.

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verlangte, die konträr zur offiziellen Parteilinie stand. Als ein weiterer Beweis diente die historisch belegte zunehmende Auswanderung der avantgardistischen Künstler und Intellektuellen in den Westen nach der Verschärfung der sowjetischen Kulturpolitik in den 1920er-­Jahren. Auch Malevič soll, so wollten es einige Autoren verdeut­lichen, einen längeren Aufenthalt im Westen geplant haben, bevor er 1927 mit einem bis heute mysteriösem Brief in die UdSSR zurückbeordert wurde.420 Nicht zuletzt wurden Lenins Schriften als Nachweis aufgeführt, die von seiner Abneigung gegenüber den „intellektuellen Unruhestiftern, Utopisten, Kunstmoden“421 zeugen. Malevič, der Prophet der Utopie und Gegenstandslosigkeit, soll dies alles vorhergesehen haben, sein Manifest Suprematismus – Die gegenstandslose Welt (1922) wurde vom Kunstkritiker Heiner Stachelhaus als das künstlerische Testament Malevičs verstanden.422 Es sind die Autoren der bürger­lich-­konservativen Zeitungen, die scheinbar unreflektiert der Mystifika­tion des Künstlers Malevič verfielen, die seit Ende der 1950er-­Jahre in der Bundesrepublik öffent­lich kultiviert wurde. Demnach war Malevič gleich einem Märtyrer der rus­sischen Avantgarde der sowjetischen Diktatur zum Opfer gefallen. Bedingt durch nur einseitige Informa­tionen über den Künstler und die rigorose Kulturpolitik der UdSSR, die keine Übersicht seines Gesamtschaffens oder eine Grundlagenforschung erlaubte, bildeten sich Legenden über den Künstler, die alsbald zum Kanon der Kunstgeschichte erstarkten. Übertragen von einem Text in den nächsten, von einer Ausstellung mit Exponaten, die im Westen zur Verfügung standen, zur nächsten, wuchs die Mystifika­tion des Künstlers, über dessen Entwicklung und Lebensende es seit 1927 im Westen keine verläss­lichen Beweise gegeben hatte. Die Ausstellung in Düsseldorf stellte gleichzeitig das Spätwerk des Künstlers und die Dogmen des Westens und Ostens auf eine Bühne und rief damit eine lebhafte Diskussion hervor. Nach einem Bericht von Stachelhaus über Malevičs negative Einstellung gegenüber Lenin druckte die NRZ einen ausführ­lichen Leserbrief, der die vorgetragenen Argumente zu widerlegen versuchte.423 Der Autor betonte, dass Malevič ein Bewunderer von Lenin war und ihn in seiner Schrift Über das Ungegenständ­liche als einen Christus des Proletariats darstellte. Der Verfasser des Briefes legte Stachelhaus zur Last, Vorurteile 420 Vgl. ebd. 421 Treiber 1980. 422 Stachelhaus war 1980 bis 1989 Vizepräsident der deutschen Sek­tion der Interna­tionalen Vereinigung der Kunstkritiker (AICA) und verfasste einige Jahre ­später ein Buch über Malevič mit dem signifikanten Titel Kasimir Malewitsch. Ein tra­gischer Konflikt, Düsseldorf 1989. Darin sieht er den Künstler als direkten Rivalen Lenins. Mit dieser Posi­tion musste seine Künstlerkarriere tra­gisch enden und Stachelhaus lässt keinen Zweifel daran, dass Malevič gezwungen worden sei, wieder figurativ zu malen und dass er stets unterdrückt worden sei. 423 Vgl. Treiber 1980.

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gegenüber der Kulturpolitik der Sowjetunion stärken zu wollen. Die Überschrift ­dieses Briefs Lenin hätte nur gelächelt … bezog sich sowohl auf die Rezension als auch auf die progressive Kunst, die nach Meinung des Verfassers für Lenin ein marginales Phänomen war. Die Aufgabe, sich mit kunsttheoretischen Überlegungen zu befassen, wurde bereits 1917 Anatolij V. ­Lunačarskij auferlegt, dem Volkskommissar für das Bildungswesen. Gegen Ende des Textes versuchte der Autor den erstarrten Blick auf Malevič zu relativieren, indem er seine Stilwechsel mit Picassos verg­lich und die Frage stellte, warum für diese Künstler ein unterschied­liches Maß angelegt werde.424 Ein weiteres Beispiel für eine versöhn­liche Stimme ist der Beitrag des Dramaturgen und Publizisten Raimund Hoghe für die ZEIT: „Das nun in der Ausstellung vermittelte Malewitsch-­Bild ist ebenso lückenhaft und korrekturbedürftig wie das bislang im Westen gepflegte Künstlerbild, nach dem Malewitsch als Suprematist zu gelten hatte und andere Teile seiner politischen und künstlerischen Arbeit ignoriert oder als nicht bedeutend beiseite geschoben werden konnten.“425

Hoghe war einer der wenigen, der es für erwägenswert hielt, dass sich der Suprematismus zusammen mit der ganzen Avantgardebewegung einfach mit der Zeit überlebt hatte. Das veränderte politische Klima, die Ernüchterung der Gesellschaft und der Zweifel, hervorgerufen durch den Blick auf das Elend der Revolu­tion und der Nachkriegszeit, hatten bei den Künstlern Spuren in der Entwicklung ihres Schaffens hinterlassen, die nicht als Reak­tion auf Repressionen interpretiert werden können. Die Ausstellung in Düsseldorf enthielt jedoch keine Hinweise auf die politische und gesellschaft­liche Metamorphose dieser Zeit, die für Malevičs Werk so wichtig gewesen waren. Das Fehlen historischer Bezüge wurde erneut als Anzeichen einer unzureichenden Objektivität in der sowjetischen Vermittlung gedeutet und als eine kunsthistorische Strategie der Sowjets in den west­lichen Rezensionen thematisiert.426 Nach Meinung der deutschen Pressevertreter beabsichtigte die sowjetische auswärtige Kulturpolitik die west­liche Kunstgeschichte nicht nur zu vervollständigen, wie es die Organisatoren betonten, sondern darüber hinaus sollte der Suprematismus ledig­lich als eine Übergangsphase in Malevičs Schaffen stilisiert werden. Die Auswahl der ausgestellten Werke diente hierfür als Beweis, denn sie suggerierte den „Eindruck, als sei der Mitbegründer der 424 Vgl. ebd. 425 Hoghe 1980. 426 „Anscheinend wird hier nun eine Rehabilitierung durch Umdeutung und Umwertung vorbereitet. Die Sowjets sind zur Zeit bemüht, ihr kulturelles Image im Ausland aufzupolieren. Malewitsch […] soll ihnen künstlerischen Kredit in der west­lichen Welt verschaffen, wenn sie ihn nicht nur als einen der Ihren ausgeben.“ (Anonym 1980/I).

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gegenstandslosen Malerei in Wahrheit vor allem ein Darsteller der bäuer­lichen Welt gewesen“.427 DER SPIEGEL kritisierte zudem den Direktor der Kunsthalle Düsseldorf, weil er sich angeb­lich darauf verlassen habe, dass die Auswahl repräsentativ für den Fundus sei, ohne sich selbst einen Überblick verschafft zu haben.428 Immer wieder fragten die Journalisten nach der Bedeutung der „inkonsequenten Halbbilder“.429 Die „Halbbilder“ des Künstlers wurden keineswegs als eine Synthese des Suprematismus mit seiner weiteren Lehre der Farben und Formen gesehen, sondern als eine Ausweichstrategie eines Formalisten in Anbetracht drohender politischer Repressionen. Die von sowjetischer Seite gelieferten Argumente im Katalog und die Exponate der Ausstellung reichten nicht aus, um die von den Kulturfunk­tionären beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Die Zeitung DIE WELT stellte die provokante Frage, ob Malevič ein sozialistischer Realist war und zitierte ­später eine konträre Meinung des tschechischen Kunsthistorikers Miroslav Lamač, der die Auffassung vertrat, dass Malevič ein Doppelleben geführt habe.430 Er habe privat figür­lich gemalt, während er öffent­lich radikale Abstrak­tion verteidigte. Dass für Malevič auch beides nebeneinander existieren konnte und dass sein Spätwerk trotz aller Gegenständ­lichkeit nichts mit dem offiziellen sozialistischen Realismus gemein hatte, wurde nicht in Betracht gezogen. Der Rezensent lehnte die Ausstellung komplett ab als „Jenes ziem­lich pein­liche Spätwerk des Arbeiter-­und-­Bauern-­Malers Malewitsch“431, das im Westen bisher unbekannt war und im Osten nicht öffent­lich gezeigt würde. Es herrschte Verwirrung in den Deutungsversuchen ­dieses Spätwerks und die Zusammenhänge ­zwischen den suprematistischen und den späteren Bildern waren für die meisten Rezensenten, die die offizielle Erklärung vonseiten der Veranstalter nicht annahmen, unklar. Um Malevičs Werk zu verstehen, müsse man sich von dem Gedanken eines Bruchs distanzieren, bemerkte Lazlo Glozer in der Süddeutschen Zeitung.432 In seinem Deutungsversuch konstatierte er schließ­lich, dass das Projekt vor allem Mög­lichkeiten für neue Erfahrungen eröffne. Sukzessive lasse die Sowjetunion den Westen am Mythos Malevič teilhaben, zum ersten Mal sehe man auch Fotos von seinem Begräbnis. Das schwarze Quadrat, das den Sarg schmückte, war für einige Journalisten ein klares Zeichen ­­ dafür, dass Malevič vor allem als Suprematist in Erinnerung bleiben wollte.433 Glozer hingegen versuchte das Spätwerk des Künstlers zu verteidigen, indem er es in das Gesamtwerk einordnete: 427 Ebd. 428 Vgl. Anonym 1980/II, 231. 429 Rainer 1980. 430 Vgl. Plunien 1980. 431 Vgl. ebd. 432 Glozer 1980. 433 Vgl. Anonym 1980/III.

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„Malewitschs System ist übergreifend […] Jene meditative Qualität, wegen der man zu den suprematistischen Bildern nach Amsterdam pilgert, wohnt auch den besten der späten Gemälde inne.“434

Glozer ist einer der wenigen Autoren, der Malevičs Werk end­lich als eine Einheit begreift und nicht versucht, dessen Spätwerk dem Suprematismus nachzuordnen. Es ist bezeichnend, dass gerade Glozer ein Jahr ­später Kurator der Ausstellung Westkunst in Köln war, die systematisch alle osteuropäischen Einflüsse aus der west­lichen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ausgeschlossen hatte, was bei vielen Rezensenten eine lautstarke Kritik hervorrief.435 Auch die FAZ war versöhn­licher gestimmt als viele regionale Zeitungen. Hans-­ Peter Riese, ein langjähriger Moskau-­Korrespondent der ARD , wollte in Malevičs Spätwerk ein Geheimnis sehen, das es zu lösen galt. Sein Beitrag trug daher die programmatische Überschrift „Das Rätsel des Gesichtslosen“436. Zugleich betonte er, dass die west­liche Kunstwissenschaft von der späteren figurativen Malerei des Künstlers bereits gewusst habe. Er sprach ein weiteres Problem der Malevič-­Forschung an: Der Künstler datierte viele seiner späteren Bilder vor, worauf Evgenij Kovtun im Katalog einging. Die Werke Nach der Heuernte, Zur Ernte. Marfa und Wanjka und weitere sind auf die presuprematistische Periode um 1909 bis 1910 datiert, wogegen ihre Ausführung und ihr Stil auf das Spätwerk schließen lassen. Es ist bezeichnend, dass Kovtun in den Kommentaren überwiegend west­liche Malevič-­Forscher zitiert. Seine Hauptquellen sind der Däne Troels Andersen und die amerikanische Kunsthistorikerin Charlotte Douglas.437 Die vordatierten Arbeiten und die Inten­tion des Künstlers wurden im Zusammenhang mit dieser Ausstellung zu einem weiteren Puzzlestück im großen Rätsel um Malevič und sein Œuvre. Riese plädierte dafür, sowjetische Texte zu übersetzen und herauszugeben, die die nicht abstrakten Symbole entschlüsselten.438 Dabei stimmte er nicht mit dem Gros der Presse überein, dass die sowjetische Kunstwissenschaft Fakten manipulieren würde. Diese Überzeugung war mutmaß­lich seinem jahrelangen Aufenthalt in Moskau geschuldet, wodurch er einen besseren Einblick in das kulturpolitische System der UdSSR als seine Kollegen hatte und wohl auch weniger den west­lichen Ressentiments gegenüber der Sowjetunion ausgesetzt war. Die Version, Malevič sei gezwungen worden, 434 Glozer 1980. 435 Vgl. Wünsche 2007, 23; vgl. Strauss 1983, 24. 436 Vgl. Riese 1980. 437 Vgl. Ausst.-Kat. Kasimir Malewitsch 1980, 120 – 124. 438 Vgl. Riese 1980.

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gegenständ­lich zu malen, sei absolut unhaltbar: Als Beweis zitierte er aus einem in deutscher Sprache erschienenen sowjetischen Buch Kunst der Oktoberrevolu­tion (1917 – 1921): „Die Haltlosigkeit der Avantgarde stach besonders stark hervor, sie mussten einsehen, daß ihre Kunst vom Volke abgelehnt wird; viele von ihnen gestanden selbst die Schwächen ihrer Posi­tion ein. Immer dringender wurde die Notwendigkeit, die realistischen Künstler zu vereinen, da ihr Schaffen die breite Anerkennung der neuen Betrachter gewann.“439

Riese betonte abermals das Ende der rus­sischen Avantgarde als ein der Logik der Kunstgeschichte folgendes stilistisches und nicht politisches Phänomen. Diese These stützte die Aussage der Ausstellung und war dazu gedacht, die kritischen west­lichen Stimmen zu versöhnen. Letztend­lich war die Präsenta­tion ein kulturpolitisches State­ ment, das als solches anerkannt wurde. Moskau signalisierte mit dieser Schau ein Entgegenkommen, dessen Dimensionen mit früheren Projekten in der Bundesrepublik nicht vergleichbar waren. Seit der Wiederentdeckung der rus­sischen Avantgarde nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen die sowjetischen Museen immer häufiger Leihanfragen. Nur vorsichtig wurden diese Anfragen beantwortet, wie man bereits im Fall der Ausstellungen, die Klaus Gallwitz realisierte, sehen konnte. Die Kulturverantwort­ lichen der UdSSR konnten beobachten, wie die eigenen Künstler, deren Werke man in Depots lagerte, interna­tional mehr Anerkennung gewannen. Besonders Malevič wurde immer häufiger angefragt und galt als einer der radikalsten Abstrakten seiner Zeit. Die Kunsthistoriker jenseits des Eisernen Vorhangs beeilten sich keineswegs, das Malevič-­Bild des Westen zu vervollständigen und zurechtzurücken, galt doch sein Spätwerk trotz der Rückkehr zu figurativen Elementen als formalistisch und damit verboten. Doch als der Kult um den Künstler immer größer wurde und mit Kostakis Sammlung erneut die zwie­lichtige Situa­tion des Niedergangs der rus­sischen Avantgarde prominent wurde, war ein günstiger Moment gekommen. Zwei Jahre nach der Präsenta­tion der Kostakis-­Sammlung in Düsseldorf wurde in der Sowjetunion diese spezielle Malevič-­Ausstellung zusammengestellt. Die Ausstellung des Spätwerks hatte mehrere Aufgaben zu erfüllen: Erstens sollte das Malevič-­Bild im Westen korrigiert werden, zweitens sollte eine Annäherung durch eine Erstrepräsenta­tion der Bilder eingeleitet werden. Als ein weiteres Ziel der Ausstellung sollte das Signal zur allmäh­lichen Rehabilita­tion des Künstlers in seiner Heimat gegeben werden, wie es im Westen seit seiner Wiederentdeckung in den 1950er-­Jahren angestrebt wurde. Anhand dieser Presseauszüge sieht man deut­lich, wie ein Werk eines bekennenden apolitischen Künstlers ­zwischen die Fronten des Kalten Krieges geriet. Beide Seiten 439 Ebd.

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benutzen den Künstler posthum für eine Manifesta­tion eigener kultureller Wertvorstellungen, wobei die Deutungen seines Werks auseinanderliefen. In der Zeit vor der Düsseldorfer Ausstellung war Malevič als radikaler Gegenstandsloser in den Kanon der west­lichen Kunstgeschichte einverleibt worden, wohingegen er in der osteuropäischen Kunstgeschichte nur im Hintergrund eine Rolle zugewiesen bekam. Die verschiedenen Auslegungen des Spätwerks verhärteten die politischen Fronten vielmehr, als dass sie eine gemeinsame Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet förderten, so zumindest erscheint es nach einer Durchsicht des Pressespiegels zu dieser Ausstellung. Dennoch war es für den Westen ein wichtiger Erkenntnismoment, dass es über den Künstler Malevič noch weitere Kapitel in der Kunstgeschichtsschreibung hinzuzufügen gilt und dies hat nicht zuletzt das Entgegenkommen der Sowjetunion im Austausch ermög­licht, wenn auch recht spät. Riese lobte in der FAZ besonders das Engagement des sowjetischen Botschafters Vladimir S. ­Semënov für diese Ausstellung.440 Er sah ­dieses als ein Anzeichen für eine verstärkte zukünftige Zusammenarbeit an gemeinsamen Projekten. Auch andere Autoren äußerten im Zusammenhang mit ­diesem Projekt die Hoffnung, dass diese Ausstellung einen Weg ebne, bald das Gesamtwerk von Malevič aus Ost und West in einer Schau zu vereinen.441 Eine Retrospektive würde dann vielleicht einige der Rätsel, die sich um den Künstler gebildet hatten, lösen können. Bezüg­lich der neuen Entwicklungen sowjetischer Kulturpolitik gingen die Meinungen der Rezensenten auseinander: Der Kunstkritiker und Mitbegründer des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, Peter Iden, betonte den Sensa­tionswert der Ausstellung und sah in ihr eine überraschende Geste in der Krisenzeit.442 Andere verwiesen auf das Verbot, Leihgaben aus west­lichen Sammlungen auszustellen und leiteten daraus ein nur oberfläch­liches sowjetisches Versöhnungsbestreben ab.443 Der Begriff „Russen-­Boom“ tauchte in den Artikeln zu der Ausstellung vermehrt auf, um die jüngsten Entwicklungen im deutsch-­sowjetischen Austausch zu charakterisieren: „Wir erleben zur Zeit eine fast übersteigerte Wertschätzung der rus­sischen Revolu­tionskunst. Die Ausstellung ‚Paris – Moskau‘ 1979 im Pariser Centre Pompidou setzte hier ein ­­Zeichen. Die Kölner Galerie Gmurzynska, seit Jahren um die rus­sische Kunst bemüht, veranstaltete 1978 eine Malewitsch-­Ausstellung. Ludwig kauft für sein Museum zur Zeit vordring­lich rus­ sische Avantgardekunst. Das Museum Bochum kaufte 13 Malewitsch-­Zeichnungen. Nach 440 Semënov trat die Nachfolge Valentin M. ­Falins 1978 in Bonn an (siehe Kap. 3.2). 441 Vgl. Bergman 1980; Glozer 1980. 442 Vgl. Iden 1980. 443 Vgl. ebd.; Rainer 1980; Reuther 1980; Richter/I 1980; Haase 1980.

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einer Gedächtnisschau für den rus­sischen Maler-­Dichter Majakowski ist die Düsseldorfer Malewitsch-­Ausstellung an gleicher Stelle sicher ein Höhepunkt ­dieses ‚Russen-­Booms‘.“444

Die Ausstellung über den vielseitigen Künstler und Dichter Vladimir V. ­Majakovskij zeigte Harten nur einige Monate zuvor. Majakovskij wurde in der Sowjetunion früher rehabilitiert als Malevič, daher war die Frage einer Ausstellung seiner Werke nicht so brisant wie die besprochene Malevič-­Schau. Diese Ausstellung wurde als ein weiteres ­­Zeichen für die langsame Rehabilitierung Malevičs im Osten verstanden. 445 Stachelhaus bezeichnete den Westen als Versuchslabor: Bevor der Künstler erstmals in der Sowjetunion ausgestellt werde, werde er zunächst im Westen gezeigt. Seine Schlussfolgerungen waren: Wenn der Suprematismus als eine kurze Periode im überwiegend gegenständ­ lichen Schaffen angesehen werden kann, dann wird die Kunst Malevičs auch bald in der UdSSR ausgestellt werden können und das sollte der wichtigste kulturpolitische Aspekt der Schau sein.446 Die Konfronta­tion gegenständ­lich versus gegenstandslos ist auch aufgrund des gespaltenen musealen Besitzes in Ost und West kultiviert worden, letztend­lich bestanden die Sowjets auf dem Argument, dass der Suprematismus eine kurze Phase von etwa fünf Jahren (1913 bis 1918) in Malevičs Schaffen war. Die Ausstellung vereinte beide Interpreta­tionsversuche des Werks, obwohl sie nicht als umfassende Retrospektive bezeichnet werden konnte. Ungeachtet der Kontroversen der Medienvertreter war diese Schau ein großer Erfolg für die Kunsthalle Düsseldorf. Wieder einmal konnte sich eine westdeutsche Institu­tion rühmen, bedeutende sowjetische Kunst zum ersten Mal ausstellen zu können. Die Ausstellung sollte danach eine Tournee durch die Bundesrepublik durchlaufen, nach Düsseldorf standen die Hamburger Kunsthalle und die Staat­liche Kunsthalle Baden-­Baden auf dem Programm. Die versöhn­lichen und hoffnungsvollen Botschaften eines Kulturaustauschs endeten allerdings mit dem sowjetischen Rückruf der Ausstellung eine Woche vor ihrem Ende in der Kunsthalle Düsseldorf. Damit wurde sowohl die Hoffnung auf Annäherung als auch auf die Rehabilita­tion von Malevič in der UdSSR enttäuscht. 1.11.2 Rückruf der Ausstellung Die Ausstellung wurde als ein weiterer Meilenstein der deutsch-­sowjetischen Annäherung proklamiert und in den Medien als eine Sensa­tion gefeiert. Jürgen Harten sprach in seiner Eröffnungsrede über die angenehmen Vorbereitungen und dem reibungslosen 444 Klapheck 1980. 445 Vgl. Rainer 1980; Klapheck 1980. 446 Anonym 1980/I; vgl. Stachelhaus 1980.

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Verlauf auf Seiten der sowjetischen Austauschpartner.447 Er bedankte sich beim Botschafter der Sowjetunion, der sich für die Ausstellung in Düsseldorf auf diplomatischem Wege eingesetzt hatte, und freute sich über die Mög­lichkeit einer ersten Präsenta­tion von Malevičs Spätwerk im Westen.448 Es schien die Stimmung der Organisatoren nicht zu trüben, dass sich die sowjetischen Behörden gegen Leihgaben aus west­lichen Sammlungen aussprachen und sich somit einer umfassenden Retrospektive verweigerten. Zum Ausgleich für die ausgebliebenen Bilder der west­lichen Sammlungen wurde die Erstauswahl aus dem Rus­sischen Museum durch Werke aus der Tret’jakov-­ Gallerie aufgestockt. Die franzö­sisch-­sowjetische Ausstellung Paris – Moscou, die 1979 im Centre Pompidou gezeigt wurde, wirkte hier nicht nur als ein kulturpolitischer und kunsthistorischer Vorstoß: In einem Brief an das Kulturministerium in Moskau beschwerte sich Harten darüber, dass die Versicherungswerte der auszuleihenden Bilder nach Paris – Moscou um 10 bis 15 Prozent erhöht wurden. Diese Werte hatte die UdSSR nicht nur für die bereits nach Paris ausgeliehenen Werke angesetzt, sondern auch für die, die zum ersten Mal die Depots der rus­sischen Museen verlassen sollten.449 In einem Schreiben bat Harten seinen Ansprechpartner, diese Werte um 10 Prozent zu senken, um die Vereinbarungen für die Ausstellung einzuhalten.450 Diese bürokratische Schwierigkeit wurde gelöst und die Ausstellungstour wie geplant angekündigt. Die kulturpolitischen Bestrebungen der Organisatoren endeten jedoch nach einem vielversprechenden Start in einem politischen Skandal. Am 12. April 1980, eine Woche vor dem offiziellen Ausstellungsende in Düsseldorf, erreichte ein Telegramm vom Kulturministerium der UdSSR Jürgen Harten: „Sehr geehrter Herr Harten Leider können wir unser Einverständnis nicht geben, nach der Ausstellung in Düsseldorf die Ausstellung Malewitsch in Hamburg und Baden-­Baden zu zeigen stop auf Grund des Zusatzprotokolls haben wir in Verbindung damit vorgesehen unser Einverständnis für die Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls bezüg­lich der Versicherungsbedingungen für die Exponate vor dem Rücktransport stop bitte um Vorbereitung bezüg­lich des Rücktransportes um folgende Mitteilung ob Düsseldorf die Exponate über Ingosstrach UdSSR versichert

447 Eröffnungsrede (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 0-1-4-40990.0000). 448 Ebd. 449 Brief von Harten an das Kulsturministerium in Moskau (G. ­P. Popov) vom 20. 02. 1980 (Düsseldorfer Stadtarchiv, ebd.). 450 Ebd.

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oder wie vorgesehen eine Staatsgarantie durch das Land Nordrheinwestfalen [sic!] stellt und Art und Datum des Rücktransportes in die UdSSR Für das Kulturministerium der UdSSR Jilcov“451

Dieses Telegramm traf die deutschen Organisatoern völlig unerwartet und löste große Bestürzung in Düsseldorf aus. Am gleichen Tag wurde eine Besprechung in der sowjetischen Botschaft einberufen. Ansprechpartner von Harten war an ­diesem Abend der Stellvertreter Dr. Maximyčёv und nicht der Botschafter Semënov.452 Maximyčёv erklärte, dass die Weisung von höherer Stelle ausgesprochen und dass die Botschaft im Vorfeld über einen mög­lichen Rückruf unterrichtet worden war. Man habe mit allen Mitteln versucht, die Tour zu retten, und „habe Moskau vor den Folgen einer Absage gewarnt“.453 Harten entgegnete, dass die Absage gegen die geltenden Vereinbarungen verstoße und „protestierte auch im Namen der betroffenen Tourneepartner gegen den Bruch vertragsgültiger Absprachen“.454 In Moskau war man offensicht­lich der Meinung, dass ledig­lich mit Düsseldorf ein offizieller Vertrag bestehe – in ­diesem Punkt blieben die Besprechungspartner uneinig. Das Moskauer Kulturministerium bestand darauf, dass sich die Tourneepartner „desinteressiert verhalten haben“.455 Diese Formulierung wurde nicht weiter ausgeführt oder erklärt. Die protokollierte Besprechung schildert den folgenden Ablauf der Geschehnisse: Eine Zusage für Hamburg und Baden-­Baden wurde erteilt und die Verträge hätten in Moskau unterschrieben werden müssen. Die Organisatoren aus Hamburg und Baden-­Baden konnten nicht dorthin reisen, da sie nach mehrfachen Bemühungen kein Visum für die UdSSR erhalten hatten, somit wurde ihnen nachträg­lich mangelndes Interesse an der Ausstellung bescheinigt.456 Abschließend wurde das Zusatzprotokoll unterschrieben, wobei H ­ arten folgende Punkte betonte: „1. Eine Staatsgarantie entfällt (ganz abgesehen davon, daß niemand sie in Anbetracht der Absage übernehmen würde, selbst wenn dies sonst mög­lich gewesen wäre). 2. Düsseldorf ist nicht bereit, die Prämie für die Versicherung des Rücktransportes zu zahlen. Die Versicherung muß die sowjetische Seite selbst decken.

451 Übersetzung des Telegramms (Düsseldorfer Stadtarchiv, ebd.). 452 Protokoll der Besprechung am 12. 04. 1980, 1 (Düsseldorfer Stadtarchiv, ebd.). 453 Ebd. 454 Ebd. 455 Vgl. ebd., 2. 456 Vgl. ebd.

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3. Düsseldorf ist höchstens bereit, die Transportkosten von der Kunsthalle zu den Flughäfen Frankfurt und Amsterdam zu übernehmen. Die Exponate sollen so ausgeführt werden, wie sie eingeführt worden sind. An den beiden Flughäfen werden die Kisten der Aeroflot übergeben. 4. Sämt­liche Bilder werden in der Kunsthalle Düsseldorf der sowjetischen Seite, vertreten durch einen Restaurator aus der UdSSR, übergeben. Das Checking erfolgt gemeinsam mit einem Mitarbeiter der Kunsthalle, das Verpacken unter Aufsicht jenes Restaurators. 5. Die Abfertigung der Bilder in der Kunsthalle kann wegen des Aufbaus der polnischen Ausstellung nicht vor dem 25.4. erfolgen. 6. Kein Exponat verläßt die Kunsthalle, bevor nicht das zweite Zusatzprotokoll in beiden Sprachen angefertigt und von beiden Seiten unterzeichnet worden ist.“457

Nach dieser Besprechung wurde es allen Beteiligten unmissverständ­lich klar, dass die Ausstellungstournee abgesagt werden müsse. Es war nicht mehr mög­lich, über die Entscheidung der „höheren Gewalt“ zu diskutieren. Trotz finanzieller Verluste und gebrochener Vereinbarungen entschied man sich gegen eskalierende Polemiken zugunsten eines stillen Protestes. Dieser äußerte sich in einer Erklärung, die im Hamburger und Baden-­Badener Katalog auf den ersten Seiten gedruckt wurde. Werner Hofmann, Helmut R. ­Leppien (Hamburger Kunsthalle) und Katharina Schmidt (Kunsthalle Baden-­Baden) entschieden sich, den Katalog samt Erklärung trotz der Tournee-­Absage zu veröffent­lichen. Darin wurde nochmals die Situa­tion geschildert und bewertet: „Für uns ist die Moskauer Entscheidung eine bestürzende Verhinderung des kulturellen Austausches im Geist der Völkerverständigung. Wir denken an die Worte, die am 23. Mai 1977 Kulturminister Demitschew und anschließend Vizeminister Popow in seinem Vortrag über ‚Das moderne Museum im Dienst der Völkerverständigung‘ bei der Eröffnung der 11. Generalkonferenz der des interna­tionalen Museumsrates ICOM in Moskau gesprochen haben.“458

Eine Form des stillen Protests fand ebenfalls in der Kunsthalle Düsseldorf statt: Am letzten Tag der Ausstellung organisierte man eine Abschiedsfeier für Malevič. Mit der Absage der Tournee und der Abschiedsfeier in der Kunsthalle wurde erneut Presserummel ausgelöst. Die Ausstellung, die bereits wegen der Exponate Mutmaßungen auslöste, sorgte nach der Absage der Tournee für neue Spekula­tionen. Drei Tage nach 457 Vgl. ebd., 3. 458 Ausst.-Kat. Kasimir Malewitsch (1878 – 1935) 1980, 5; nähere Informa­tion zum ICOM-Kongress 1977 in Moskau: Website von ICOM-Russland: http://www.icom.org.ru/get.asp?id=A134 (20. 01. 2013) und http://icom.museum/the-governance/general-assembly/resolutions-adopted-by-icoms-generalassemblies-1946-to-date/moscow-1977/ (20. 1. 2013).

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dem Widerruf meldete sich Heiner Stachelhaus in der NRZ erneut zu Wort und behauptete, dass der Rückruf der Exponate den „orthodoxen Kulturpolitikern“ zuzuschreiben sei.459 Diese Belastung der Kulturbeziehungen wiege schwer, wurde H ­ arten 460 zitiert, und füge auch dem Werk von Malevič Schaden zu. Harten versteckte seinen Ärger nicht und gab zu, dass er eine ­solche Wendung nicht erwartet habe. ­Stachelhaus vermutete daraufhin, dass die Ausstellung aus kulturpolitischen Gründen beendet worden sei. Einen Anhaltspunkt gaben ihm angeb­lich Moskauer Informanten. In der Zeitung Prawda soll ein kritischer Bericht zur Ausstellung erschienen sein, der die Meinung der konservativen Politiker unterstützte. Nachdem die Ausstellung von beiden Seiten als Signal für eine Entspannungspolitik verstanden wurde, hätten die Linientreuen doch gesiegt.461 Aus ­diesem Ereignis konnte Stachelhaus vorteilhaft Argumente zugunsten seines früheren Beitrags fruchtbar machen, in dem er bereits mit dem Begriff des „Futtertrog-­Sozialismus“ zu beweisen versuchte, wie schwer die UdSSR mit Malevičs Erbe kämpfe. Durch die skandalöse Absage der Tournee fühlte er sich in seinen Behauptungen bestärkt.462 Auch in anderen Beiträgen wurden die öffent­lichen Erklärungen des Kulturamts im Kreml bezweifelt, die die Absage ausdrück­lich als unpolitisch deklarierten.463 Moskau breche mit allen interna­tionalen Gepflogenheiten, tönte es laut von allen Seiten. Als Grund für den Vertragsbruch wurde die permanente Kritik, die in der RSFSR an der Ausstellung geübt wurde, genannt, da sie dem Westen neue Informa­tionen über Malevič liefere. Auch Werner Hofmann nahm öffent­lich kein Blatt vor den Mund: „Malevič wird wieder für uns verdunkelt. Es ist den Künstlerfunk­tionären in Moskau gelungen, einen großen Beitrag der sowjetischen Kunst zu unserem Jahrhundert wieder zu unterdrücken.“464

Die anfäng­lichen Überzeugungen, dass die Sowjetunion den Künstler sukzessive rehabilitiere, wurden nivelliert. Die Presse reaktivierte das feind­liche Bild der Moskauer 459 Vgl. Stachelhaus 1980. 460 Vgl. ebd. 461 „Offensicht­lich gibt es unter den führenden sowjetischen Kulturfunk­tionären kontroverse Auffassungen über Malewitsch, […] der mit seiner Ablehnung des ‚Futtertrog-­Sozialismus‘ lange Zeit verfemt und mit seinem Werk in die Magazine verbannt war. Die Ausstellung wird beschrieben als ‚geradezu sensa­tionelles ­­Zeichen einer liberaleren sowjetischen Kulturpolitik […] Es scheint, daß sich die linientreuen Funk­tionäre nun doch wieder durchgesetzt haben.“ (ebd.). 462 Vgl. ebd. 463 Vgl. unter anderem Hoffmann 1980; dpa 1980; Riese 1980/I. 464 Hoffmann 1980.

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Ministerien, die von orthodoxen Funk­tionären regiert würden. Als Beweis für diese Annahme wurde plötz­lich auch die Situa­tion der nonkonformistischen Künstler angeführt, die stets von der eigenen Kunstgeschichte abgeschirmt würden: „Der Katalog der Düsseldorfer Ausstellung, der auf normalen Postweg nie in die Künstlerzentren Moskau und Leningrad gelangen dürfte, ist bei den Nonkonformisten schon jetzt sehr begehrt.“465 Die kulturpolitische Situa­tion in der UdSSR wurde erneut als ein Hauptargument für die Abkühlung der Beziehungen zur Bundesrepublik angeführt und die Situa­tion der Malevič-­Rezep­tion wurde zum Indiz einer neuen Krise. Die Publizistin Verena Auffermann attestierte der Sowjetunion sogar Eifersucht auf den Status des Künstlers Malevič im Westen.466 Der Ruhm, der dem verfemten „Formalisten“ in Europa zukomme, sei ein Problem für die rus­sischen Politiker.467 Weitere Gründe für die vorzeitige Beendigung der Ausstellung könnten die neuen Akzente, die die Ausstellung setzte, und die Diskussion über das Spätwerk sein. Die anfäng­liche Freude über das Zustandekommen der Präsenta­tion – trotz schwieriger politischer Lage – wich einer bundesweiten Empörung. Die Sowjetunion verschlimmerte die Situa­tion, indem die Kulturfunk­tionäre ihrerseits eine Begründung lieferten, die mehr als sonderbar anmutete: Es wurde mitgeteilt, dass die Bilder ein „Na­tionalgut“468 ­seien und nicht länger als zwei Monate im Ausland bleiben dürften. Dass das so genannte „Na­tionalgut“ in der UdSSR geächtet war und in den Depots aufbewahrt wurde, bildete für die Presse ein weiteres Irrita­tionsmoment dieser Argumenta­tion.469 „Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung der Sowjetunion als Absage an einen Kulturaustausch mit der Bundesrepublik zu verstehen oder ob sie eher gegen Malewitsch-­Ausstellung und die mit ihr verbundene Aufwertung der bisher verschwiegenen Revolu­tionskunst gerichtet ist.“470

Trotz der heftigen Diskussionen und den Anschuldigungen gegenüber der UdSSR entstand der Eindruck, als sei die Kommunika­tion ­zwischen den beteiligten deutschen Ausstellungsorten und dem Kulturministerium in Moskau unzureichend gewesen. Dazu schrieb Hans-­Peter Riese in der WELT, dass die Ausstellungsorte Baden-­Baden und Hamburg auf Initiative der Botschaft in Bonn ins Gespräch gekommen ­seien, die 465 Burkamp 1980. 466 Vgl. Auffermann 1980. 467 Vgl. ebd. 468 Vgl. dpa 1980. 469 Vgl. ebd. 470 Ebd.

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sowjetischen Behörden in Moskau aber keine endgültige schrift­liche Zusage vorgelegt hätten. Der schlechte Zustand der Bilder und der lange Zeitraum der Tournee sprachen schon von Anfang an gegen eine Wanderausstellung. Weiter, schrieb er, solle wohl bereits im Februar eine erste Warnung gekommen sein, dass sich die sowjetische Seite immer mehr zurückziehe, und es sei vielmehr ein Fehler der deutschen Vertragspartner, dass sie sich ohne Absicherungen auf das Zustandekommen der Ausstellung verlassen hätten. Die momentane Situa­tion liefere keine Gründe für Zuversicht, denn schon länger wurde etwa der Musik- und Tanzaustausch reduziert. Ob es sich nun um eine allgemeine Abkühlung handle, würden andere Projekte zeigen, die in den nächsten Monaten geplant ­seien.471 Riese blieb genau wie Stachelhaus seiner Argumenta­tionslinie treu, trotz der plötz­lichen Absage verteidigte er die UdSSR gegen allzu schnelle Polemik. Als Stimmungsbarometer der politischen Beziehung wurde von einigen Berichterstattern die Ausstellung der rus­sischen Realisten in Duisburg aufgeführt, die am 3. Mai 1980 eröffnen sollte.472 Das Zustandekommen dieser Ausstellung würde letztend­lich mehr Klarheit in die Situa­tion bringen und einige Ansichten zur sowjetischen Kulturpolitik korrigieren. Die Ausstellung Russlands große Realisten, Dichter, Maler und Musiker des 19. Jahrhunderts fand im Lehmbruck Museum wie angekündigt statt. Damit stellte sich heraus, dass es nicht eine allgemeine Krise in den kulturpolitischen Beziehungen war, sondern vielmehr ein Einzelfall, der explizit die Situa­tion der Malevič-­Ausstellung anbelangte. In ­diesem Zusammenhang konstatierte der WDR-Funk: „Die rus­sischen Verhandlungspartner waren deut­lich bemüht, ihre längerfristig angelegte kulturelle Öffnung in keiner Weise in Gefahr bringen zu lassen. Auch beim Olympia-­Boykott würde es weitergehen, ‚[…] ich würde das, was mit der Malewitsch-­Ausstellung geschehen ist, keineswegs als ein Signal, auch nicht als ein Synonym für nun eine erneut kommende Eiszeit ansehen.’“473

Somit konnten die Olympia-­Frage sowie die Afghanistan-­Krise als Grund für die Absage ausgeschlossen werden. Der WDR lieferte gleichzeitig eine neue Vermutung, die vorher noch nicht geäußert wurde: „Musste sie [die Stadt Düsseldorf – d. Verf.] im Grunde genommen eine Rechnung des Freistaates Bayern begleichen? Vieles spricht dafür. Denn im Februar hatte der Bayrische Ministerrat mit einem Hinweis auf die politische Lage – Stichwort: Afghanistan, Sacharow – einen 471 Vgl. Riese/I 1980. 472 Vgl. Burkamp 1980. 473 Pomsel, Horst: 4. Duisburger Akzente. In: WDR Studio Düsseldorf, 02. 05. 1980, 16.50 Uhr.

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Austausch von Barock-­Bildern ­zwischen der alten Pinakothek München und der Eremitage Leningrad abgeblasen. Im bayrischen Kultusministerium sagte man mir: Es gab ja keinen Vertrag, nur eine Abmachung ­zwischen den Galerien.“474

Es handelte sich bei diesen beiden Absagen um eine ähn­liche Ausgangslage, doch es ist seitens der UdSSR eher unvorstellbar, sich für diese Absage rächen zu wollen. Trotz vieler rigider Maßnahmen bewiesen die Kulturfunk­tionäre der UdSSR mehr Fingerspitzengefühl als ihnen zugetraut wurde. Zumal sich diese Ak­tion aus kulturpolitischen Gründen nicht gelohnt hätte, wenn man die große Medienresonanz der Düsseldorfer Ausstellung betrachtet. Dennoch beharrte der WDR auf dieser Version, als weiteres Beispiel wurde zusätz­lich eine Absage des Münchener Theaterfestivals im Mai/Juni von sowjetischer Seite angeführt.475 Im Zusammenhang mit den Veränderungen in der sowjetischen Austauschpolitik wurde das so genannte „Kultur-­Embargo“ angesprochen. Dieses war eine Folge der amerikanischen Reak­tion auf den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan: „Ein kurzes Nein aus dem Moskauer Kulturministerium, so hieß es Mitte Februar, habe dazu geführt, daß Auftritte und Ausstellungen in Westeuropa, Japan und den USA nicht stattfänden.“476

Dieser Beitrag wurde einen Monat vor der Absage gesendet und man spekulierte, dass gerade diese Ausstellung von Malevič erwartungsgemäß zurückgerufen werden könnte. Dies wurde zum damaligen Zeitpunkt allerdings von Harten widerlegt, der die Ausstellung vielmehr als einen Testfall ansah, der bei gutem Gelingen zu einem intensiveren Austausch mit der UdSSR führen könnte.477 Einige Wochen ­später stellte sich die Situa­ tion ins Gegenteil verkehrt dar und statt kulturellem Austausch organisierte Harten eine Finissage, die wie eine „Trauerfeier“ anmutete.478 Wie erwähnt, veranstaltete die Düsseldorfer Kunsthalle am 20. April 1980 einen Abschied für Kasimir Malevič, um den Protest gegen die Absage der Sowjetunion zu verdeut­lichen. Die Ausstellung hatte bis 24 Uhr für die Besucher geöffnet und der Cellist Othello Liesmann gab an d ­ iesem 479 Abend ein Konzert im Ausstellungsraum. Viele Besucher kamen mit Blumen, die dann vor den suprematistischen Werken von Malevič niedergelegt wurden. Sie wollten 474 Vgl. ebd. 475 Vgl. ebd. 476 Pomsel, Horst: Kultur-­Embargo? In: WDR 1, 01. 03. 1980, 18.30 – 19.00 Uhr. 477 Harten in einem Gespräch mit der Verfasserin am 28. 08. 2012 in Berlin. 478 Vgl. Anonym 1980/IV; Anonym 1980/VI. 479 Vgl. ebd.

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ihre Bestürzung darüber ausdrücken, dass diese Werke bald wieder in rus­sische Depots eingeschlossen wurden.480 So wurde aus einer kulturpolitischen Sensa­tion in der Bundesrepublik eine traurige Gewissheit über den Starrsinn sowjetischer Behörden. Den tatsäch­lichen Grund für die kulturpolitische Wendung und die Bestätigung früherer Vermutungen kann man in einem Interview mit Jürgen Harten vom 7. Oktober 2002 in einem Beitrag für den Katalog von Moskau  – Berlin. 1950 – 2000 nachlesen: „Viel ­später, als er bereits Pensionär war, hat mir Wladimir Semjonow erzählt, dass Michail Suslow dies angeordnet hatte. Er hatte in der Prawda einen Artikel gegen Malewitsch schreiben lassen, und was in der Prawda stand, galt ex cathedra.“481 Der ehemalige Botschafter der UdSSR in Bonn berichtete nicht wenige Male von seinen Auseinandersetzungen mit dem Parteiideologen der KPdSU Michail A. ­Suslov. Vor allem in Kunstfragen und kulturpolitischen Angelegenheiten lagen Welten ­zwischen den beiden Staatsmännern. Es überrascht nicht, dass diese ambivalente Ausstellung die graue Eminenz der Partei (wie Suslov von vielen bezeichnet wurde) dazu zwang, die Tournee abzusagen. Viel zu laut und gefähr­lich wurden die Diskussionen um den Suprematisten geführt. Und das Verhängnisvollste war, dass diese auch bis vor die Tore des Kremls getragen wurden. Der dogmatisch und konservativ ausgerichtete Suslov sah sich dazu veranlasst zu handeln und der kunstaffine Botschafter konnte nichts mehr dagegen tun. Diese Aufklärung der Ereignisse erfolgte jedoch erst Jahre s­ päter. Was die Ausstellung 1980 hinterließ, war ein erneutes Rätseln über die Motive des Kulturministeriums in Moskau. Das unseriöse Ende ­dieses Projektes erlangte einen sensa­tionellen Charakter und alle Bemühungen der Sowjetunion um ein besseres Selbstbild wurden an dieser Stelle wieder nivelliert. Malevič wurde erneut zu einem Streitpunkt z­ wischen Ost und West, insbesondere da die anderen Projekte, die für 1980 geplant waren, wie vereinbart stattfanden. Somit erfüllte sich nur eines der geplanten Ziele der Sowjets in dieser Ausstellung – die erweiterte kunsthistorische Betrachtung des umstrittenen Künstlers Kasimir Malevič. Die Resonanz der Ausstellung zeigte, dass es dennoch mög­lich war, ein Umdenken zu initiieren: Manche Rezensenten, wie etwa Glozer, zeigten sich bereit, sich auf eine Neubewertung des Künstlers einzulassen. Nicht nur kulturpolitischer Starrsinn regierte die Medienwelt der Bundesrepublik, sondern auch eine Bereitschaft zur Öffnung und zu Eingriffen in den eigenen kunsthistorischen Kanon. Die Sturheit offenbarte sich hier an einer anderen Stelle: Die Geschichte der Malevič-­Ausstellung in Düsseldorf zeigt, dass es nur einer einzigen konservativen Stimme in Moskau bedurfte, um eine voranschreitende kulturpolitische Entspannung zu behindern. Gleichzeitig erkennt man, wie stark die subversive Wirkung der Kunst eines einzelnen Malers der 480 Vgl. ebd. 481 Choroschilow 2003, 89.

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Abb 28  Die Finissage der Malevič-­ Ausstellung in Düsseldorf. Besucher legten Blumen unter die suprematistischen Arbeiten (Quelle: Düsseldorf Express, 20. 04. 1980).

Avantgarde in der UdSSR bewertet wurde, dass ein solcher Staatsakt initiiert wurde. Das Tauziehen um Malevič ­zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR erreichte hiermit seinen Klimax und die weiteren Entwicklungen der Kulturpolitik beider Staaten zeigen, dass es nunmehr kein Zurück gab. Das Voranschreiten der Rehabilita­tion der rus­sisch-­sowjetischen Avantgarde war nur noch eine Frage der Zeit. Jürgen Harten ließ sich von d ­ iesem unrühm­lichen Handeln des Moskauer Kulturministeriums nicht abschrecken, bewahrte und bestärkte sein Interesse an der rus­sischen und sowjetischen Kunst und richtete zahlreiche Ausstellungen mit und ohne Zutun des sowjetischen Kulturministeriums in den 1980er- und 1990er-­Jahren aus. Im Jahr 1983 stellte er Sergej M. ­Eisensteins Werk aus, gefolgt von Ausstellungen über Vladimir E. ­Tatlin (1993) und Michail A. ­Vrubel (1997). Weiterhin setzte er sich für die rus­sisch-­israe­lischen Kulturbeziehungen ein und war einer der Kuratoren des großen bilateralen Projektes Moskau – Berlin/Berlin – Moskau 1950 – 2000 (2003/2004).

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1.12 Der sowjetische Botsch after: Vl adimir S. Semënov (1978 –  1986) Während der Laufzeit der Malevič-­Ausstellung in Düsseldorf wurde der sowjetische Botschafter besonders als die Person hervorgehoben, die sich maßgeb­lich für das Zustandekommen ­dieses Projektes einsetzte.482 Er war darüber hinaus derjenige, der das Scheitern der Tournee auf sich nahm, wie Riese in der WELT berichtete.483 Der Botschafter bezeichnete es als seinen Vorschlag, die zwei zusätz­lichen Ausstellungsorte hinzuzunehmen, ohne die Zusage abzuwarten.484 Es schien ihm wichtig gewesen zu sein, diese Ausstellung einer breiten Öffent­lichkeit in der Bundesrepublik zugäng­lich zu machen. Semënov war als Diplomat an Kulturpolitik und besonders an der bildenden Kunst mehr interessiert als sein Vorgänger Valentin M. ­Falin.485 F. ­W. Christians schreibt in seinen Memoiren Wege nach Russland, wie gern er sich mit Semënov über Kunst austauschte. Der Botschafter erwies sich dabei als Kenner der avantgardistischen Strömungen und unterschied sich dadurch stark von anderen sowjetischen Verhandlungs- und Gesprächspartnern, die Christians zuvor getroffen hatte. „Wenn wir über einen Sachgegenstand kontrovers diskutierten, uns aber nicht streiten wollten, nahm er mich am Arm und führte mich durch die weiträumigen Zimmer seiner Residenz. Fast immer konnte er mir ein neues Bild zeigen und erläutern, und die vorherige Spannung löste sich so vollkommen auf, daß ich mich in versöhn­lichem Ton verabschieden konnte.“486

Die Kunst als Versöhner in den schwierigen Zeiten des Kalten Krieges und der damit aufkommenden unüberbrückbaren Differenzen wird in d ­ iesem Abschnitt deut­lich hervorgehoben. Ein neues Bild scheint hierbei jedoch eher zur Zerstreuung gedient zu haben, um in gewisser Weise den Streit vergessen zu lassen, aber nicht auf seine Ursachen eingewirkt zu haben. Das war ein Grundproblem der bilateralen Kunstpolitik ­zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR: Die Ziele, die mittels der Kunstwerke bewirkt werden sollten, waren zu hoch gesteckt, als dass Kunstausstellungen die Völker versöhnen sollten. Diese Aufgabenstellung konnte nicht von der kulturellen Diplomatie gelöst werden, dazu brauchte es gravierende Veränderungen in der realgesellschaft­lichen 482 Vgl. Eröffnungsrede Harten (Düsseldorfer Stadtarchiv Sign. 0-1-4-40990.0000); Hoffmann 1980; Burkamp 1980; dpa 1980. 483 Vgl. Riese/I 1980. 484 Vgl. ebd. 485 Semënov war nach eigener Aussage maßgeb­lich an der Rückführung von Beutekunst nach Dresden beteiligt: „1955 wurde (auf meine bereits zwei Jahre zurückliegende Initiative) der Beschluss gefasst, alle Dresdner Kunstschätze an die DDR zurückzugeben.“ (Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1995, 46). 486 Vgl. Christians 1989, 102 – 103.

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Abb 29  Botschafter V. ­V. Semënov, Bürgermeister J. ­Brügelmann und J. ­Beuys (v. l.) bei der Ausstellungseröffnung von Semënovs Sammlung in Köln 1980 (Foto: Alfred Koch, Kölner Stadtanzeiger 28. 03. 1980).

Politik. Was die Kunstausstellungen boten, war eine Begleitmusik zur politischen und gesellschaft­lichen Situa­tion – ein Ausdruck des jeweiligen Zeitgefühls. Semënov war Kunstsammler aus Leidenschaft und mit vielen Künstlern und Sammlern in engem Kontakt. Er half Georgios Kostakis, die Sowjetunion Ende der 1970er-­ Jahre zu verlassen – diese Situa­tion wird in einer emo­tionalen Passage bei Roberts beschrieben.487 Laut seiner Schilderung war Semënov die letzte Hoffnung für ­Kostakis, da er mit dem Chef der KGB , Jurij V. ­Andropov, befreundet war und bei ihm für Kostakis ein gutes Wort einlegen konnte, was zur späteren Teilung der Sammlung und der damit einhergehenden Genehmigung zur Ausreise führte. 488 In Semënovs Memoiren kann man eine ähn­liche Beschreibung der Ereignisse lesen, allerdings gibt er an, mit Filip D. ­Bobkov 489 gesprochen zu haben. Aus seiner Perspektive durfte Kostakis einen großen Teil seiner Sammlung mitnehmen, was bei 20 Prozent der ausgeführten Sammlungsbestände eine recht euphemistische Bewertung darstellt und in der Berichterstattung der deutschen Medien auch gegenteilig als eine Niederlage Kostakis’ 487 Vgl. Roberts 1994, 136 – 138. Siehe dazu: Kap. 2.4.2. 488 Vgl. ebd. 489 Erster stellvertretender Vorsitzender des KGB, der auch mit Fragen der Kultur beauftragt war.

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beschrieben wurde.490 Semënov konnte in den Jahren seines diplomatischen Dienstes in der Bundesrepublik bereits auf eine lange und erfolgreiche politische Karriere zurückblicken. Die Stelle als Botschafter der UdSSR in Bonn war für ihn die letzte Sta­tion seiner politischen Laufbahn vor seinem Ruhestand. Einen Überblick seiner Karriere bieten die Memoiren, die posthum unter dem Titel Von Stalin bis Gorbatschow. Ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission 1939 – 1991 in Deutschland veröffent­licht wurden.491 Es handelt sich dabei um Tagebucheinträge, die von seiner Frau für den deutschen Leser editiert und herausgegeben wurden.492 Semënov wurde bereits früh in seiner Karriere von einflussreichen Persön­lichkeiten wie Vjačeslav M. ­Molotov und Lavrentij P. ­Berija gefördert.493 Sein Weg führte ab 1939 als Botschaftsrat der UdSSR in Litauen über Berlin bis nach Stockholm. Seit 1945 war er mit der Nachkriegsplanung in Deutschland beauftragt. Nach Kriegsende hatte er führende organisatorische Posi­tionen in Deutschland inne.494 1949 nahm er bei den Friedensverhandlungen der Pariser Außenministerkonferenz teil und vier Jahre s­ päter wurde er dann zum sowjetischen Botschafter in der DDR ernannt.495 Zwischen 1955 und 1978 war er stellvertretender Außenminister der UdSSR und hatte damit eine führende Posi­tion bei den Abrüstungsgesprächen, die zu dieser Zeit stattfanden, inne. Er leitete die sowjetische Delega­tion bei den SALT I-Verhandlungen 496 in Helsinki, Wien und Genf. Schließ­ lich trat er im Oktober 1978 die Stelle des sowjetischen Botschafters in Bonn an. 497 Schnell stellte es sich für ihn heraus, dass die Beziehung zum amtierenden Bundeskanzler 490 Vgl. Semjonow 1995, 380 – 381. 491 Vgl. ebd. 492 Semënov fing an, seine Memoiren anhand seiner Tagebucheinträge in der Bundesrepublik zu schreiben. Er äußerte sich erstmals öffent­lich zu seinem politischen Werdegang, nachdem er sich endgültig in Köln niedergelassen hatte. Die Veröffent­lichung dieser Manuskripte wäre ihm in dieser Zeit in Moskau nicht erlaubt worden (vgl. ebd., 388). 493 Molotov: 1930 bis 1941 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare (Regierungschef ) der Sowjetunion. Von 1939 bis 1949 war er Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten und von 1953 bis 1956 sowjetischer Außenminister. Berija: ab 1938 Chef der Geheimdienste der Sowjetunion. 494 In den Memoiren kann man Semënovs beruf­liche Laufbahn detailiert nachvollziehen: vgl. Semjonow 1995. 495 Semënov wird hinter dem Pseudonym N. ­Orlow vermutet, unter welchem am 21. Januar 1951 der Artikel Wege und Irrwege der modernen Kunst in der Täg­lichen Rundschau der DDR veröffent­licht wurde. Dieser Artikel war ein wichtiger Teil der Formalismus-­Kampagne, die in der DDR Anfang der 1950er-­Jahre ausgetragen wurde (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Formalismusstreit#cite_note-1 [29. 12. 2012]). 496 Strategic Arms Limita­tion Talks (1969 – 1978): Gespräche über Begrenzung strate­gischer Waffen. Diese Gespräche erfolgten in zwei Phasen, die mit SALT I und II bezeichnet wurden. 1972 wurde das SALT I Abkommen unterschrieben (vgl. Christians 1989, 99). 497 Vgl. Semjonow 1995.

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schwierig sein würde. Semënov bezeichnete Schmidt als einen pragmatischen Charakter, der „Verallgemeinerungen liebte“498. Er schreibt, dass ihm Fragen bezüg­lich der SS-20-Raketen (auch Pershing II 499) große Probleme bereiteten, weil er sie nicht beantworten konnte, da er nicht genügend Informa­tionen aus der UdSSR erhielt. Wahrschein­licher ist es jedoch, dass Semënov nicht die Berechtigung hatte, darüber zu sprechen.500 Seine Kommentare über den damaligen Bundeskanzler deuten auf eine spürbare Abneigung: „Unsere Gespräche waren nicht sehr ergiebig; ich hörte den weitschweifigen Darlegungen des Kanzlers, die zum Teil etwas provinziell anmuteten, nur zerstreut zu.“501 Semënov schreibt, dass es für seine Ziele ertragreicher war, sich auf die Vertreter der Wirtschaft und Wissenschaft zu konzentrieren: Er bemerkte, dass er von seinem Platz aus nichts zur Abrüstung beitragen konnte und andere Interessen und Schwerpunkte verfolgen musste. Seiner Überzeugung nach war es besser, mit dem „Herrn“ als mit dem „Knecht“ zu verkehren, besonders wenn der Letztere sich „päpst­licher als der Papst“ aufführe.502 Damit bezog er sich auf den Bundeskanzler Schmidt. In dieser Zeit prosperierten bereits die ersten Verträge der Sowjetunion mit der Deutschen Bank AG und der Mannesmann AG.503 Um Semënov versammelte sich ein Kreis aus westdeutschen Wirtschaftsvertretern, in welchem die Kunst zu einem wichtigen Gesprächsthema auflebte. Die Resigna­tion über die stagnierenden Abrüstungsgespräche verstärkte die Hinwendung des Botschafters zu den Fragen der Kunst und der Wirtschaft: „[…] die politischen Beziehungen waren schlecht, aber Wirtschaft und Kunst hielten Mög­ lichkeiten bereit, der Entwicklung die notwendigen Impulse zu geben. Dies macht wohl

498 Ebd., 369. 499 SS-20 und Pershing II waren sowjetische beziehungsweise amerikanische Mittelstreckenraketen, die in Europa sta­tioniert waren und dadurch eine gegenseitige Bedrohung darstellten. 500 Vgl. Semjonow 1995, 369. 501 Ebd., 369. 502 Vgl. ebd. 503 Semënov beschreibt die Schwierigkeiten, die diese Verträge begleiteten: „Die Entwicklung der Handelsbeziehungen und insbesondere der industriellen Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit dem Osten wird jedoch durch starke Tendenzen behindert – ihre Gegner sitzen in Deutschland und im Ausland, besonders in den USA. ­Das zeigte sich zum Beispiel in dem langen Hin und Her um das Gas-­Röhren-­Öl-­Geschäft. Bereits 1962 hatte die Bundesregierung unter amerikanischem Druck den Export von Stahlrohren großen Durchmessers für den Bau von Erdgas- und Erdölleitungen in die Sowjetunion mit einem Embargo belegt. Natür­lich war die sowjetische Seite darüber empört, sie griff zu Gegenmaßnahmen und sieben Jahre lang waren die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ­zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik faktisch eingefroren.“ (ebd., 383).

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deut­lich, daß unter solchen Bedingungen jeder Kontakt zu den Vertretern des Big Business meinem Lande und der Bundesrepublik von Nutzen war. Zu diesen zählte auch der Sprecher der Deutschen Bank, F. ­Wilhelm Christians, der ebenfalls eine erlesene Sammlung von Arbeiten sowjetischer Avantgardisten der zwanziger Jahre besitzt.“504

Die Inten­tion ging also dahin, parallel zur Realpolitik alternative Impulse zu setzen – ­­ Zeichen der Versöhnung. Diese Zeichen ­­ wurden jedoch immer wieder in der Presse anders gedeutet, wie die bisherige Untersuchung der Medienresonanzen zeigte. Zum weiteren engen Bekannten des Botschafters avancierte der Schokoladenfabrikant und Kunstmäzen Peter Ludwig aus Aachen, der von Semënov als Protegé an die rus­ sische und sowjetische Kunst herangeführt wurde. Ludwig fing im Jahr 1976 an, Kunst der rus­sischen Avantgarde für seine Sammlung zu erwerben, und acht Jahre s­ päter trug er bereits ein umfangreiches Konvolut dieser Kunstrichtung zusammen. Bei einigen dieser Erwerbungen aus der UdSSR war ihm der sowjetische Botschafter behilf­lich.505 Die Freundschaft der beiden Sammler entwickelte sich schnell, ­Semënov vergleicht in seinem Buch Peter Ludwig sogar mit dem berühmtesten rus­sischen Kunstmäzen Pavel Tret’jakov, dem Begründer der Tret’jakov-­Galerie in Moskau. Es dauerte nicht lange, bis die Freundschaft z­ wischen dem Wirtschaftsvertreter und dem Botschafter erste Früchte trug: Am 27. März 1980, während der Laufzeit der Düsseldorfer Malevič-­ Ausstellung, eröffnete im Museum Ludwig in Köln die Ausstellung mit Werken aus der Sammlung von Semënov. Der Botschafter ließ vierzig Arbeiten ausstellen, die in seiner Residenz in Bad Godesberg hingen, wofür er als Gegenleihgabe von Ludwig aus dem Bestand des Wallraf-­ Richarz-­Museums halb so viele Arbeiten von deutschen Expressionisten bekam.506 Der interessanteste Aspekt dieser Ausstellung für die deutsche Öffent­lichkeit war, dass der Botschafter nicht den offiziellen sozialistischen Realismus der UdSSR sammelte, wie es zu vermuten gewesen wäre, ebenso wenig enthielt die Sammlung des Botschafters ein Konvolut von Arbeiten nonkonformer Undergroundkünstler oder Konzeptualisten. Die Sammlung von Semënov bot keine extremen Posi­tionen, vielmehr war sie ein Querschnitt persön­licher Vorlieben eines Verehrers der klas­sischen Moderne und der frühen Avantgarde durch die rus­sische Malerei des 20. Jahrhunderts. Dabei fanden Werke von Vertretern der Gruppe Karo-­Bube (Robert R. ­Falk, Michail F. ­Larionov,

504 Ebd., 384. 505 Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2012 in Aachen. 506 Vgl. Ruhrberg. In: Ausst.-Kat. Rus­sische Kunst – Sammlung Semjonow 1980, 7.

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Aristarch V. ­Lentulov und Natalia S. ­Gončarova 507) Platz neben den damals im Westen noch unbekannten Künstlern der Nachkriegsgenera­tion, wie Nikolaj I. ­Andronov und anderen. Für Semënov war die Sammlung das Ergebnis seiner Freundschaft mit vielen rus­sischen Künstlern,508 welches darauf hinweist, dass er in Moskau in den gleichen Kreisen verkehrt haben musste wie Kostakis. Dieser hatte ebenfalls viele Werke befreundeter Künstler gesammelt, zu denen auch Tyšler gehörte. Semënov beschreibt die Künstler in seiner Sammlung als „Meister mit optimistischem Geist […], ­welche das Land aus den Trümmerhaufen in die Höhen des Weltalls“509 heben konnten. Die Exponate dieser Ausstellung s­ eien ein privates Bekenntnis zur rus­sischen Kunst, schreibt auch der Direktor des Museum Ludwig in Köln Karl Ruhrberg. 510 In ­Semënovs Memoiren findet sich ein Abschnitt, der die Auseinandersetzung mit den konservativen Funk­tionären der UdSSR über Kunstfragen thematisiert. Dabei erwähnt er eine Malevič-­Ausstellung, die 1982 von ihm mit organisiert und eröffnet wurde. Wenn er sich nicht in der Jahreszahl geirrt hat, dann konnte dafür nur die Ausstellung Schwarz in der Kunsthalle Düsseldorf infrage kommen.511 Einmal mehr kam es zu feindseligen Reak­tionen auf sein Kunstengagement seitens der deutschen Presse, die der Botschafter gereizt aufnahm: „‚Sie [Semënov – d. Verf.] heucheln, denn Sie selbst verfolgen diese Kunst.‘ Wer das schrieb, hatte keine Vorstellung davon, welch harter Kampf um Probleme der Kunst in der Sowjet­ union tobte. Die Malewitsch-­Ausstellung in Düsseldorf war gegen den wütenden Widerstand des damals sehr einflußreichen Sekretärs des ZK der KPdSU, Michail Suslow, zustande gekommen. Suslow verhinderte übrigens, daß sie auch in Berlin gezeigt wurde.“512

Mit Suslov habe Semënov schon früher Auseinandersetzungen über Kunstfragen gehabt: In seiner Zeit als stellvertretender Außenminister äußerte er sich in der sowjetischen Öffent­lichkeit positiv über Künstler, die als „Formalisten“ galten. Diese Äußerungen führten zu einem erbitterten Streit: Laut Semënov wollte Suslov ihn sogar bestrafen 507 Einige dieser Arbeiten hatte Semënov als Leihgaben für die Ausstellung Paris – Moscou bereitgestellt. 508 Vgl. Ruhrberg. In: Ausst.-Kat. Rus­sische Kunst – Sammlung Semjonow 1980, 7. 509 Semjonow. In: ebd., 5. 510 Vgl. Ruhrberg. In: ebd., 40. 511 1982 gab es in der Kunsthalle Düsseldorf die Ausstellung Schwarz, die Malevičs Schwarzes Quadrat Arbeiten von 46 anderen Künstlern aus den USA, Westeuropa, Japan und Israel gegenüberstellte. Dabei sollte die Farbe Schwarz ein Kontinuum des 20. Jahrhunderts repräsentieren. Die Ausstellung wurde von Hannah Weitemeier aus West-­Berlin kuratiert. Die Leihgaben sowjetischer Kunst kamen aus der Tret´jakov-­Galerie (vgl. Nabakowski 1982, 204). 512 Semjonow 1995, 379.

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lassen, was aufgrund der anstehenden SALT-Verhandlungen von Brežnev abgewendet werden konnte.513 Diese Situa­tion ist nur ein Beispiel dafür, dass die Sammlung des sowjetischen Botschafters von Parteigenossen keineswegs gebilligt wurde. Den Gewinn der Ausstellung Rus­sische Kunst aus der Sammlung Semjonow für den deutschen Besucher sahen die Organisatoren in ihrer Privatheit – sie sei mit der Sammlung eines Museums nicht vergleichbar und biete dennoch einen spannenden Einblick in das Schaffen von Einzelgängern und im Westen größtenteils unbekannten Künstlern.514 „Der Mythos über die angeb­liche Einseitigkeit der sowjetischen Kunst ist nicht mehr als ein Mythos“, sagte der stolze Sammler während der Pressekonferenz und wurde mit ­diesem Satz in nahezu jedem Bericht zitiert.515 Für die Presse war diese Ausstellung ein weiteres spannendes Ereignis des expandierenden Russen-­Booms. Die NZZ bezeichnete die Ausstellung sogar als eine einmalige kulturpolitische Geste vergleichbar mit Paris – Moscou.516 Ein wichtiges Thema in den Medien war der eigent­liche Kunstgeschmack des Botschafters: Viele Journalisten betonten überrascht, dass er keine Werke sammle, die dem sozialistischen Realismus zugesprochen wurden.517 Allein die häufigen Anmerkungen zu d ­ iesem Thema zeigten während der Ausstellung von Semënovs Sammlung das Bedürfnis nach mehr Informa­tion, denn die Tatsache, dass es in der UdSSR über den konformen sozialistischen Realismus hinaus mehr Kunstrichtungen gab, schienen die deutschen Pressevertretern immer wieder erfolgreich zu verdrängen. Diese vor dem politischen Hintergrund nicht zu unterschätzende Vielfalt der sowjetischen Kunst passte nicht in das stereotype Bild der sowjetischen Maler, das so konsequent in Westdeutschland verbreitet wurde. Das betonte auch Semënov selbst, als er erklärte, wie es zu dieser Ausstellung gekommen war – er sei bei Museumsbesuchen in der Bundesrepublik auf diese Idee gekommen, denn trotz Russen-­Booms schienen die Museen keinen Überblick der rus­sischen Kunst zu bieten.518 Semënov liege vor allem die Bekämpfung von Vorurteilen über die sowjetische Kunst am Herzen, berichtete die Sowjetunion Heute.519 Der Diplomat hatte die Kunst zu seiner wichtigsten Aufgabe gemacht, das war das Bild, das die Berichte vermittelten und dies entsprach auch dem Streben Semënovs. Als spannende neue Momente wurden die vorrevolu­tionären 513 Vgl. ebd., 379. 514 Vgl. Weiss. In: Ausst.-Kat., Rus­sische Kunst – Sammlung Semjonow 1980, 8. 515 Semënov schien das zu gelingen, was Falin über Jahre vergeb­lich versuchte. Falin hatte ebenfalls immer wieder betont, dass die offizielle rus­sische Kunst sehr vielseitig sei, zum Beispiel 1977 bei der Eröffnung der Ausstellung 60 Jahre sowjetische Malerei in Wiesbaden (siehe Kap. 2.5). 516 Vgl. Meier-­Rust 1980. 517 Beispielsweise: vgl. ebd. 518 Vgl. Semjonow in: Ausst.-Kat. Rus­sische Kunst – Sammlung Semjonow 1980, 5. 519 Vgl. Anonym 1980/V.

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Cézannisten sowie der neue raue/strenge Stil in der offiziellen sowjetischen Kunst hervorgehoben.520 Die Süddeutsche Zeitung konstatierte angesichts der Sammlung: „Die Maler Rußlands fühlen sich zuerst als Angehörige eines Volkes, erst in zweiter Linie als Künstler, die zur Weltsprache der interna­tionalen Kunst gefunden (oder sie mitbegründet) haben.“521

Danach wurde lakonisch zusammengefasst: Die Russen sind einfach anders. Erneut wurde das Avantgarde-­Thema fortgesetzt, indem die Kölnische Rundschau akzentuierte, dass der Botschafter Künstler sammle, dessen Werke „man in der Sowjetunion als dekadent-­west­liche Verirrungen lange im Giftschrank aufbewahre [sic!]“.522 Damit wurde die Absicht der Ausstellung treffend zusammengefasst – die Sammlung des Botschafters sollte sinngemäß die allgemeine Rehabilita­tion dieser Künstler in der UdSSR verdeut­lichen und Semënov als rücksichtsvollen Mäzen stilisieren.523 In ­diesem Fall haben die Rezensenten der lokalen Zeitungen die intendierte Aussage dieser Ausstellung ohne zu hinterfragen angenommen. Für sie existierten der Botschafter der Sowjetunion und seine Sammlung scheinbar ohne den Schatten Moskaus im Hintergrund, dabei war es offensicht­lich, dass eine s­ olche Ausstellung keinesfalls ohne Zustimmung von Semënovs Befehlshabern geplant werden konnte. Semënov betonte ausdrück­lich, dass diese Kunst heute in der UdSSR ausstellbar sei.524 Er fand den Kulturaustausch mit seiner bürokratischen Maschinerie unbefriedigend und wollte deshalb mit seiner Ausstellung Echtheit und Spontanität vermitteln,525 andererseits sahen die Journalisten gerade in dieser Ausstellung ein Beispiel für die „Kulturoffensive“ der UdSSR in der Krisenzeit.526 Tatsäch­lich gab es in dieser Periode auffallend viele sowjetische Ausstellungen in der Bundesrepublik: in Düsseldorf monografische Projekte über Majakovskij und Malevič, in Duisburg Rus­sische Realisten und Semënovs Sammlung in Köln. Diese Häufung offenbarte eine verstärkte Arbeit der UdSSR im Bereich der Kulturpolitik:

520 Vgl. ebd. 521 Schmidt 1980. 522 Engels 1980. 523 „Aber auch ein paar Berühmtheiten der Avantgarde pickte sich der Botschafter heraus, eine kleine, abstrakte Komposi­tion von Kandinsky zum Beispiel, eine Miniatur von Kljun: ‚Suprematistische Komposi­tion‘, um 1920 – das sind nun frei­lich genau Dokumente jenes basisfernen Intellektualismus, für ­welche die sowjetische Kulturbürokratie gar nichts übrig hat. Semjonow ist ganz offenbar kein Bürokrat, wie erfreu­lich.“ (ebd.). 524 Vgl. ebd. 525 Vgl. Brief von Evelyn Weiß an den Kulturdezernenten der Stadt Köln, Archiv Museum Ludwig Köln. 526 Vgl. Hoghe 1980/I.

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„Wenn man glauben dürfte, daß auch im Kunstbetrieb die Nachfrage das Angebot bestimmt, dann müßte sich das Kunstinteresse hierzulande hauptsäch­lich auf rus­sische Bildwerke richten. Die deutschen Galerie- und Museumsbesucher können offenbar gar nicht genug davon bekommen, so viele einschlägige Ausstellungen waren in jüngster Zeit zu sehen.“527

Die Nachfrage ist ein wesent­licher Faktor des Kunstbetriebs und im Falle des „Russen-­ Booms“ war diese an die wachsende Bedeutung der rus­sischen Kunst für den Kunstmarkt gebunden. Semënovs Beziehungen zu den potenten Vertretern deutscher Wirtschaft untermauern diese Vermutung: Die Werke der rus­sischen Avantgarde waren in dieser Zeit ein begehrtes Sammelobjekt und es war ein guter Zeitpunkt, um dem Markt neue Namen und Stilrichtungen aus der Sowjetunion zuzuführen. Die Ausstellungen der Kostakis-­Sammlung oder von Malevič haben die bruchstückhafte Kenntnis der rus­sisch-­sowjetischen Kunst in der Bundesrepublik verdeut­licht. Auch Semënovs Aussage über die unterrepräsentierte rus­sische Kunst in den deutschen Museen zielte auf die Füllung dieser Lücken ab. Es gab viele neue Namen zu entdecken und da die Kunstwerke im Falle eines Verkaufs dem sowjetischen Staat eine Provision einbringen würden, war es ein wichtiges Anliegen, den Markt für die sowjetische Kunst zu öffnen. Semënovs Einfluss auf Peter Ludwig und die von ihm mitgestaltete Erweiterung der Sammlung in der UdSSR war ein erster erfolgreicher Schritt in diese Richtung, deren unbestreitbarer Höhepunkt die Auk­tion von Sotheby’s 1988 in Moskau war.528 Mit der Ausstellung seiner eigenen Sammlung sorgte der Botschafter für eine breite PR der sowjetischen Kunst in der Bundesrepublik. In der ZEIT bemerkte Eo Plunien zynisch, dass, wenn der Presserummel als Messlatte für die Bedeutung einer Ausstellung gelten würde, die Rus­sische Kunst aus der Sammlung Semjonow eine der wichtigsten Veranstaltungen der vergangenen Monate gewesen sei.529 Der Unterschied des äußeren Bildes und des Inhalts sei enorm und die Ausstellung erfüllte seiner Meinung nach nicht die erwarteten Qualitäten.530 Eine ähn­liche Meinung wurde in der WELT vertreten: „Problematisch wird die Sache erst, wenn die west­lichen Veranstalter – wie unlängst in Paris, wie derzeit anläß­lich der Malewitsch-­Ausstellung in Düsseldorf und jetzt auch in Köln – sich allzu kompromißbereit zu Dolmetschern sowjetischer Propaganda und Kunstgeschichtsschreibung machen lassen.“531

527 Ebd. 528 Vgl. Kap. 4.2. 529 Vgl. Plunien 1980/I. 530 Vgl. ebd. 531 Hoghe 1980/I.

Der sowjetische Botschafter: Vladimir S. Semënov  |

Die Presseresonanz auf die Ausstellung war enorm und die Vernissage wurde von bedeutenden Persön­lichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kunst besucht: Ein Foto im Kölner Stadtanzeiger zeigte Semënov im Gespräch mit Joseph Beuys (Abb. 29). Der Botschafter spricht stark gestikulierend mit dem Künstler, der ihm aufmerksam zuhört. Trotz der unterschied­lichen qualitativen und quantitativen Maßstäbe wurde im Zusammenhang mit der Ausstellung des sowjetischen Botschafters auch wieder an Paris – Moscou erinnert. Diese Schau wurde sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne, wie es bereits bei anderen Projekten geschehen ist, als programmatisches Beispiel für die sowjetische Ausstellungspolitik benutzt und als Beweis für das große Interesse des Publikums an rus­sischer beziehungsweise sowjetischer Kunst angeführt. Mit der Präsenta­tion im Ludwig Museum in Köln konnte sich Semënov als Kunstkenner und Künstlerfreund ins Gespräch bringen und sich von der rein politischen Rolle des Botschafters lösen, die gerade in der Krisenzeit um Pershing II, Afghanistan und die Olympischen Spiele nicht einfach gewesen ist. Die Ausstellung in Köln blieb nicht die letzte Sta­tion für Semënovs Sammlung: Im Katalog der Esslinger Schau von 1984 wurde der sowjetische Botschafter wie ein Held gefeiert.532 Die Darstellung erinnerte an die Interpreta­tion Kostakis’ als großem Sammler und Freund der Künstler: „Bei der sprichwört­lichen Großherzigkeit der Russen bekommt der Sammler oder Förderer des Künstlers nicht selten ein Bild geschenkt, als Zeichen ­­ für die freundschaft­liche Beziehung. Diese freundschaft­liche Beziehung zu den Künstlern spielte – und spielt auch heute noch – eine bedeutende Rolle in der Entstehung der Sammlung Semjonow. Er fand seine Liebe zur bildenden Kunst durch die Künstler. Daß er nicht nur bloße ‚Kunstgegenstände‘ erwarb, merkt man spätestens dann, wenn man ihn in seiner Moskauer Wohnung persön­ lich erlebt, umgeben von seinen ‚Kindern‘ (wie er seine Kunstschätze zu nennen pflegt), und zuhört, wie er zu jedem einzelnen Bild eine Geschichte erzählt.“533

Sicher­lich sollte die Ausstellung 1980 in Köln auch zeigen, dass nicht nur der Name Kostakis für das aktuelle Sammeln in der Sowjetunion stand. Mit dieser Ausstellung gelangen Peter Ludwig und Vladimir Semënov eine erfolgreiche Öffent­lichkeitsarbeit. Semënov wurde als Botschafter der sowjetischen Kunst wahrgenommen, der mit dieser Ausstellung auch in gewisser Weise das negative Bild sowjetischer Politiker aufzuwerten 532 09.06.–15. 07. 1984, Galerie der Stadt Esslingen; 15.08.–16. 09. 1984, Mittelrheinisches Landesmuseum Mainz. In diesen beiden Ausstellungen wurde die Sammlung des Botschafters in ihrer Ganzheit präsentiert, etwa 179 Werke aus zwei Perioden (1910 – 1930 und 1950 – 1980) wurden ausgestellt (vgl. Ausst.-­Kat. Rus­sische Kunst des 20. Jahrhunderts. Sammlung Semjonow 1984). 533 Ebd., 13.

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versuchte – nicht zuletzt, um die Konsequenzen der Ausstellung der Sammlung K ­ ostakis 1977 abzumildern, die kein gutes Licht auf die UdSSR geworfen hatte. Sowjetische Kulturpolitiker und Vertreter der Tret’jakov-­Galerie wurden dabei als kaltblütige Bürokraten angesehen, die den Sammler kurzerhand enteigneten und mit einem kläg­lichen Rest seiner Schätze des Landes verwiesen. Der neue Botschafter der UdSSR in Bonn zeigte sich von seiner privaten Seite, um das Bild zurechtzurücken. Die Unmittelbarkeit einer persön­lichen Kunstsammlung wurde im Zusammenhang dieser Ausstellung mehrmals betont. Semënov zeigte Kunstwerke, die ihn tagtäg­lich in seiner Residenz umgaben und die er für besonders wichtig hielt. Die Künstler der Gruppe Karo-­Bube wurden in Köln von einem Beamten der sowjetischen Führung ausgestellt, der so dieser Kunstgattung den Weg zur vollständigen Rehabilita­tion bereitete. Der Botschafter wollte Versöhnung ausdrücken und auslösen, womit er sich zum Protagonisten der kulturellen Offensive in der Bundesrepublik heranbildete, die Ende der 1970er-­ Jahre begonnen hatte. Es ist bemerkenswert, dass in einer Zeit der sich zuspitzenden interna­tionalen Krisen und der verschlechterten Ost-­West-­Beziehungen die UdSSR gerade in der Bundesrepublik so viele Projekte realisierte. Bald wurden neben den in der Sowjetunion konzipierten Ausstellungen auch andere Wege eingeschlagen, die das Selbstbild aufwerten sollten. Die Vertreter der Wirtschaft, die Semënov schon früh um sich herum versammelte, wurden sukzessive wichtiger für kulturpolitische Fragen. In den 1980er-­Jahren nahm die Verbindung deutscher Unternehmen mit sowjetischer beziehungsweise rus­sischer Kunst offizielle Strukturen an, zu deren wichtigsten Namen Henri Nannen, Peter und Irene Ludwig und Friedrich Wilhelm Christians zählten. Letztere standen stets im engen Kontakt mit Semënov.

1.13 Die Sa mmler: Peter und Ir ene Ludw ig Während im Deutschland der 1980er-­Jahre, laut Reiner Speck, die Rufe nach „Altersheimen statt Museen“534 laut wurden und man die Kulturschaffenden mit Argwohn betrachtete, konnte sich die Stadt Köln eine Ausnahmestellung sichern. Speck sieht das vor allem auch als Verdienst Peter Ludwigs an,535 denn die Neuerwerbungen und Sonderausstellungen von dessen Museum übten in dieser Zeit einen großen Einfluss auf das Kulturleben der Stadt aus. Einer der Höhepunkte Anfang der 1980er-­Jahre war die Ausstellung Westkunst, die von Lazlo Glozer und Kasper König initiiert und vom damaligen Direktor des Museums Ludwig, Karl Ruhrberg, unterstützt wurde. 534 Speck 1989, 125. 535 Vgl. ebd.

Die Sammler: Peter und Irene Ludwig  |

Dieses Projekt wurde auf dem Kölner Messegelände eröffnet und begriff sich als eine Rückschau auf die west­liche Kunst seit 1939.536 Etwa 900 Exponate wurden in den Kölner Rheinhallen auf 10000 Quadratmetern ausgestellt. Die teure Ausstellung löste aufgrund ihrer Auswahlkriterien eine Kontroverse aus: Die unmittelbare zeitgenös­sische Kunst fehlte, aber auch Fotografie und Film. Es wurde neben der „Ostkunst“ ebenso die gegenständ­liche und realistische Kunst ausgespart, mit wenigen Ausnahmen wie Max Beckmann, Francis Bacon, Edward Hopper und Balthus.537 Allein schon der provokante Titel konnte vor dem Hintergrund des erneuten Entfachens des Kalten Krieges schnell zu Missverständnissen führen, wie in der ZEIT bemerkt wurde.538 Das Konzept der Ausstellung war jedoch darauf angelegt, die Kunst des Westens in ihrer konzeptuellen Ganzheit zu zeigen und sich mit dem Titel deut­lich gegen den Begriff der Weltkunst abzusetzen, der überwiegend seit den 1950er-­Jahren in Europa verbreitet wurde. Obwohl es nicht intendiert war, konnte das Projekt zusätz­lich als ein Gegensignal zum „Russen-­Boom“ aufgefasst werden, da die Ausstellung unter ­diesem signifikanten Titel im Zentrum des aktivsten kulturpolitischen Feldes der Bundesrepublik verortet. In gewisser Weise folgt Isabel Wünsche dieser Argumenta­tion, denn ihr fällt bei der Untersuchung von Westkunst folgendes Detail auf: „Interessant ist in d ­ iesem Zusammenhang, dass in der langen Liste der ausgestellten Künstler auch Marc Chagall und Wassily Kandinsky auftauchen – Kandinsky im Zusammenhang mit der konkreten Kunst, Chagall als Maler und als Gekreuzigter; doppelt motiviert als verfolgter Jude und verfemter Künstler.“539

Dieses Zitat zeigt, dass die rus­sischen Exil-­Künstler seit dem Zweiten Weltkrieg als Westkünstler angesehen wurden, da sie überwiegend im west­lichen System wirkten. Die ersten Ausstellungen von Kandinskij und Javlenskij fanden in den 1960er-­Jahren ohne Fokus auf ihre rus­sische Herkunft statt. Sie wurden nahtlos in die west­liche Kunstgeschichte integriert, was laut Wünsche für einen heftigen Expertenstreit ­sorgte.540 Kritik kam unter anderem von Thomas Strauß, der neun Jahre ­später mit Peter Ludwig in Aachen ein Symposium unter dem Titel Westkunst – Ostkunst veranstalten sollte.541 Speck möchte im darauffolgenden konzentrierten Sammeln von Werken aus öst­lichen 536 Nähere Informa­tionen zum Konzept in: Glozer/König 1982. 537 Vgl. ebd. 538 Vgl. Kipphoff 1981. 539 Wünsche 2007, 23. 540 Vgl. ebd. 541 Vgl. Strauss 1983, 24.

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Teilen Europas durch das Ehepaar Ludwig primär einen Akt des Protestes sehen.542 Schließ­lich „artikuliert der Sammler sein Ziel für die nächsten Jahre mit dem Slogan ‚Weltkunst statt Westkunst‘“543. Der Begriff „Weltkunst“ war bereits in der Zeit seiner Entstehung schwer einzugrenzen und zu definieren, im gewissen Sinne ähnelte er in seiner fehlenden Konkretisierung der zu dieser Zeit bestehenden und der zukünftigen Sammlung Ludwig. Dem Sammler ging es vorrangig darum, das Selbstverständnis der zeitgenös­sischen west­lichen Kunst zu erweitern. Der Neuigkeitswert eines Werkes und das stete Verlangen nach Avantgardismus sollte mithilfe von Werken aus anderen Kulturkreisen aus seiner Sammlung relativiert werden. Die osteuropäische Kunst schien ein geeignetes Mittel dafür zu sein, da sie offensicht­lich unter anderen Prämissen existierte.544 Zumindest waren dies die offiziellen Gründe, die Ludwig und seine Mitarbeiter fortlaufend in der Öffent­lichkeit betonten. Das Leben von Peter und Irene Ludwig, besonders ihr Kunstengagement, wurden häufig mit Superlativen beschrieben. Ihre Sammlung umfasst mehrere Tausend Werke aus verschiedenen kunstgeschicht­lichen Perioden: Antike und präkolumbische Kunst, Fayencen, Fliesen, Porzellan, islamische Keramik, Möbel und Kunstgewerbe gehörten zu den ersten Sammlungsinteressen. Gefolgt wurden diese von der Kunst des Mittelalters, des Barocks und Rokokos. Anfang der 1960er-­Jahre fingen die Ludwigs damit an, zeitgenös­sische Kunst zu sammeln. Das Spektrum d ­ ieses Sammlungsbereichs war ebenfalls groß: Pop-­Art und Fotorealismus, Kunst der DDR und die neuen deutschen Maler der 1960er- und 1970er-­Jahre sowie der späte Picasso, also Werke, die in der Zeit ihrer Entstehung äußerst kritisch bewertet wurden. Seit Ende der 1970er-­Jahre kamen weitere Sammlungsblöcke dazu: rus­sische Avantgarde, zeitgenös­sische osteuropäische Kunst aus der UdSSR und Bulgarien, s­ päter kubanische und chine­sische Kunst.545 Die Sammlung wurde auf 19 Institu­tionen weltweit aufgeteilt; Ludwig selbst saß in unzähligen Gremien und Komitees, unter anderem in der Ankaufskommission der Kunstsammlung Nordrhein-­Westfalen.546 Drei Stiftungen tragen heute Ludwigs Namen und seit den 1970er-­Jahren wurde er mit vielerlei Ehrungen und Auszeichnungen 542 Speck 1989, 153. 543 Ebd., 134. 544 Der Begriff „Weltkunst“ umfasste die verschiedenen Sammlungsschwerpunkte bei Peter und Irene Ludwig. Näheres in: Kap. 3.4. 545 Vgl. Speck 1989. 546 Mehrere dieser Museen tragen den Namen Ludwigs: Museum Ludwig, Köln (Gründung 1976), Suermondt-­Ludwig-­Museum, Aachen (1977), Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien (1981), Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig (1981), Ludwig Museum Schloss Oberhausen (1983), Haus Ludwig, Saarlouis (1989), Ludwig Museum Budapest – Museum of Contemporary Art (1989), Ludwig Forum für Interna­tionale Kunst, Aachen (1991), Ludwig Museum im Deutschherrenhaus, Koblenz (1992), Fundación Ludwig de Cuba, Havanna (1994), Sammlung Ludwig, Bamberg (1994),

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versehen, so wurde er zum Beispiel zum Ehrendoktor an neun interna­tionalen Universitäten ernannt.547 In den 1980er-­Jahren war Peter Ludwig der berühmteste und (auch kulturpolitisch) aktivste Sammler in der Bundesrepublik. Er wollte nie nur die Rolle eines Sammlers einnehmen: Kontinuier­lich betonte er, ein Spezialist und Insider der Kunst zu sein. Seine Frau Irene und er waren stolz, keinen Berater in Kunstfragen zu brauchen.548 Sie beteuerten, dass sie jedes ihrer Werke persön­lich aussuchten, da sie beide ein geschultes Auge hätten. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Peter Ludwig in Mainz Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie und promovierte 1950.549 Es war ihm ­später wichtig, dass man ihn als intellektuellen Sammler betrachtete und nicht als einen Unternehmer, der das Kunstsammeln als Hobby betreibe.550 Ludwig thematisierte häufig seine Ausnahmesitua­tion als Kunsthistoriker und Unternehmer: „Da kommt zusammen, was vielleicht einzigartig ist: der Sammler, der zugleich studierter Kunsthistoriker ist – ich kenne keinen anderen wichtigen Sammler heute auf der Welt, der vom Fach ist, wie meine Frau auch vom Fach ist und der Unternehmer mit der ihm auferlegten Disziplin und dem Durchdenken nach wirtschaft­lichen Kriterien, der sich mit Kunst beschäftigt, womit eine andere Welt sich öffnet. Beides zusammen ergibt diese vielleicht besondere Mischung.“551

Ludwig sah sich als Pionier der deutschen Kunstsammler und viele Momente seiner Laufbahn geben ihm Recht. Als er die ersten Werke des Fotorealismus nach Deutschland brachte, löste er damit eine Welle der Entrüstung aus. Die Reak­tionen auf der documenta 5 (1972) waren symptomatisch: Harald Szeemann bekam für seine Ausstellung im Fridericianum Leihgaben von Ludwigs amerikanischen Neuerwerbungen, die eine heftige Kritik entfachten.552 Das Gleiche passierte Ludwig einige Jahre zuvor mit seinen Werken der Pop-­Art, die er in New York erworben hatte. Die heftigsten Kritiken standen ihm in dieser Zeit noch bevor: Als er anno 1982 seine sowjetischen Sammlungsbestände präsentierte, brüskierte er damit die deutsche Presse. Doch wie kam es Museum Ludwig im Rus­sischen Museum, Sankt-­Petersburg (1994), Ludwig Museum für Interna­ tionale Kunst, Peking (1996). 547 Alle oben stehenden Informa­tionen: vgl. www.ludwigstiftung.de (25. 04. 2012). 548 Vgl. Dittmar/Schmidt-­Müh­lisch 1995. 549 Er promovierte mit der Arbeit: Das Menschenbild Picassos als Ausdruck eines genera­tionsmäßig bedingten Lebensgefühls, Mainz 1950. 550 Vgl. ebd., 117. 551 Enzweiler 1995, 5. 552 Näheres dazu: siehe Kap. 3.4.1 und rückblickend Kap. 2.1.

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dazu, dass sich der berühmte deutsche Kunstmäzen entschied, offizielle sowjetische Kunst zu kaufen? Es gab mehrere Personen in der Bundesrepublik, die Peter Ludwig für diese Kunst begeistern konnten. Wie dieser Sammlungsblock entstand, kann nur untersucht werden, wenn diese Personen in der Analyse berücksichtigt werden. Neben dem bereits erwähnten sowjetischen Botschafter Vladimir V. ­Semënov spielte die polnische Galeristin Antonina Gmurzynska eine wesent­liche Rolle. 1.13.1 Die Galeristin: Antonina Gmurzynska Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-­Jahre erwarben Peter und Irene Ludwig für das Kölner Museum Ludwig über 550 Werke der rus­sischen Avantgarde. Der Grundstein dazu wurde ­zwischen 1976 und 1977 gelegt. Im besagten Jahr wurden für das Museum Ludwig (allerdings nicht vom Sammler selbst) sieben Aquarelle von Ėl’ L ­ isickij gekauft. Es handelte sich um Entwürfe des Pressa-­Pavillons für die Interna­tionale Presse-­Ausstellung, die 1928 in Köln stattfand.553 Diese wurden 1976 in einer Einzel­ ausstellung des Künstlers in der Galerie von Antonina Gmurzynska präsentiert und „deren Ankauf wurde von der Galeristin selbst durch ein Schreiben an den damaligen Kulturdezernenten Kurt Hackenberg angeregt“.554 Antonina Gmurzynska war dafür bekannt, dass sie nicht nur die osteuropäische Avantgarde in Köln ausstellte, sondern dass sie immer wieder aktiv dafür warb und eigenhändig Käufer von den Werken überzeugte – so geschah es einige Monate s­ päter auch bei Peter Ludwig. Der Ankauf von Lisickij-­Arbeiten war für die Stadt Köln sehr kostspielig, bedeutete aber gleichzeitig nicht nur die Aufstockung der bereits vorhandenen Bestände avantgardistischer Kunstströmungen aus der Sammlung Josef Haubrichs, sondern auch eine Dokumenta­tion der Stadtgeschichte.555 Die Lisickij-­Ausstellung im Jahr 1976 bei Gmurzynska begeisterte Peter Ludwig auf Anhieb, wobei nicht nur die Kunst selbst auf den Sammler Eindruck machte.556 Wolfgang Becker, ehemaliger Leiter des Ludwig-­Forums in Aachen, erinnert sich: „Gmurzynska war eine sehr agile und sympathische Person, sie konnte sehr überzeugend wirken und das imponierte Ludwig gewissermaßen, deshalb hat er bei ihr so viel gekauft.“557 Auch bei Ludwig findet sich ein Zitat, das sich auf die Galerie bezieht:

553 Baudin 2011, 8. 554 Ebd. 555 Vgl. ebd. 556 Peter Ludwig schreibt ­später, dass er und seine Frau 1976 zum ersten Mal rus­sischer Kunst begegnet sind (vgl. Ludwig 1995, 139). 557 Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen.

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Abb 30  Ėl’ Lisickij, Entwurf eines Flaggenständers für die „Pressa“ (1928), Museum Ludwig Köln.

„Das [der Aufbau der Avantgarde-­Sammlung – d. Verf.] war mög­lich, weil es eine sehr aktive Galerie in Köln gibt, die Galerie Gmurzynska, die s­olche Kunstwerke auch aus der Sowjetunion bekam, von Familien der Künstler. Kunst ist in der Sowjetunion Privateigentum, vererbbar, so dass also in der Tat die Familien der bedeutenden Künstler der Revolu­tionszeit heute noch Kunstwerke ihrer Familienmitglieder besitzen und unter bestimmten Bedingungen auch ausführen konnten und heute sowieso ausführen können. Das war also eine der Quellen, aus denen wir schöpfen konnten.“558

Katia Baudin 559 schreibt, dass die Galeristin Ludwig schnell überzeugen konnte, obwohl er und seine Frau sich in dieser Zeit entschlossen hatten, nur noch zeitgenös­sische Kunst zu sammeln. Als Hauptargument diente die Wirkung der rus­sischen Avantgarde auf die zeitgenös­sische abstrakte Kunst.560 Das war sicher­lich nicht der einzige Grund, der Ludwig überzeugte, denn Werke abstrakt arbeitender Künstler nahmen in seiner 558 Baudin 2011, 9. 559 Seit 2009 stellvertretende Direktorin des Museum Ludwig Köln. 560 Vgl. ebd., 10.

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Sammlung keinen großen Platz ein. Es musste noch weitere Gründe geben, warum sich die Ludwigs entschieden hatten, diesen Kunststil zu sammeln. Nachdem in Deutschland das Interesse für die rus­sische Avantgarde aufkam und die ersten Ausstellungen über die Kunst der Revolu­tion, des Suprematismus und Konstruktivismus stattgefunden hatten, wurde es in der deutschen Öffent­lichkeit immer deut­licher, wie wichtig deren Beitrag für die Kunstgeschichte war. Ludwig, dem promovierten Kunsthistoriker, war diese Entwicklung sicher­lich nicht entgangen. Sein Bestreben, Kunstrichtungen zu sammeln, die in den deutschen Museen nicht ausreichend dokumentiert waren, könnte ausschlaggebend gewesen sein. Es scheint jedoch, dass besonders die Bekanntschaft mit Antonina Gmurzynska entscheidend für diesen Schritt wurde. Claudia Herstatt beschreibt Gmurzynska in ihrem Buch Women Gallerists in the 20th and 21st Centuries als Amazone der osteuropäischen Avantgarde. Nach Herstatts Auffassung sei Gmurzynska diejenige gewesen, die die Welt west­lich des Eisernen Vorhangs mit der osteuropäischen Avantgarde bekanntmachte.561 Im Jahr 1964 verließ Antonina Gmurzynska, mit Ehemann und Tochter Krystyna, ihre Heimat Polen und ließ sich in Köln nieder. Sie war studierte Kunsthistorikerin und arbeitete vor der Emigra­tion in einem Museum. Den Neueinstieg ins beruf­liche Leben in der Bundesrepublik gelang ihr zusammen mit einer anderen polnischen Exilantin aus Köln, Kenda Bargera. Seit 1967 hatte ihre gemeinsame Galerie einen festen Platz im Kölner Kulturleben und war ausdrück­lich spezialisiert auf die osteuropäische Avantgarde.562 Es stellte eine Herausforderung dar, diese Kunst zu präsentieren, denn durch Verbote in der Sowjetunion durfte sie weder gehandelt noch aus dem Land exportiert werden. Die einzigen Objekte, die offiziell auf den west­lichen Markt kamen, waren die Hinterlassenschaften der Künstler, die vor 1934 im Westen gelandet und verblieben waren (zum Beispiel das Konvolut von Malevič, das er in Berlin gelassen hatte und das s­ päter nach Amsterdam verkauft wurde). So ist es erklär­ lich, dass es für die beiden Galeristinnen wichtig war, mit den Exil-­Künstlern Mark H. ­Šagal, Sonja Delanay-­Terk, Pavel A. Mansourov und Sergej I. ­Šaršun zusammen zu arbeiten. ­Gmurzynska stand in Verbindung zu den Hinterbliebenen vieler rus­sischer Exil-­Künstler in Frankreich, dabei halfen ihr die Kontakte, die sie bereits in Polen aufgebaut hatte.563 Bei ­Herstatt wird bestätigt, dass das Interesse der Deutschen an 561 Vgl. Herstatt 2008. 562 Die ersten wichtigen Ausstellungen waren: 1968 Rus­sische Künstler des 20. Jahrhunderts, 1971 Osteuropäische Avantgarde, 1973 Progressive Rus­sische Kunst vor 1930, 1974 Von der Fläche zum Raum (vgl. ebd.). 563 Vgl. ebd., 38 – 39. Für Polen stellte Frankreich in der Nachkriegszeit den wichtigsten Koopera­tionspartner im Kultursektor dar.

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der Avantgarde rus­sischen Ursprungs in der Anfangszeit der Galerie noch recht gering war. Die Galeristin sah ihre Berufung darin, diese Situa­tion zu ändern und sich eine Existenz mithilfe dieser Kunstrichtung aufzubauen.564 In Herstatts Beschreibung erscheint Gmurzynska als selbstlose Agentin der vergessenen Kunst: „Antonina Gmurzynska made it her voca­tion in life to rescue these treasures and make them available to a wider public. This graceful little lady displayed astounding energy, and pursued her mission with collectors and in museums. ‚My mother‘, Krystyna Gmurzynska says proudly, ‚was a visionary who was successful primarly because she was acting from a deep convic­tion and could thus convinctingly represent the art that she exhibited.‘“565

Ein weiterer wichtiger Beitrag der Galerie zur Aufnahme der rus­sischen Avantgarde im deutschen Kulturbewusstsein waren ausführ­lich ausgearbeitete Publika­tionen zu den Ausstellungen. Als erfahrene Kunsthistorikerin wusste Gmurzynska, wie man die Kataloge zu fundierten Belegen dieser Kunst herausbildete. Damit konnte sie einige theoretische Lücken dieser Zeit schließen.566 In den zwanzig Jahren, die Antonina Gmurzynska die Galerie leitete, kam sie auch mit Georgios ­Kostakis und Friedrich Wilhelm Christians in Kontakt. Die Ausstellungen der Galerie Ende der 1970er-­Jahre wurden zu wichtigen Ereignissen im Kölner Kulturleben, die Vernissagen wurden von politischer und wirtschaft­licher Prominenz besucht.567 Laut Herstatt bedauert Krystyna Gmurzynska, die Tochter von Antonina G ­ murzynska, dass die Sammlung der Avantgarde von Peter Ludwig, die überwiegend durch das Engagement ihrer ­Mutter entstand, nicht ständig im Museum Ludwig ausgestellt wird. Wenn diese Kunst den Besuchern nicht ständig vor Augen geführt werde, vergäßen diese schnell, wer sie verteidigt habe, ist ihre Meinung.568 Hieraus vernimmt man deut­lich ein Geltungsbedürfnis, welcher ebenfalls Antonina Gmurzynska nachgesagt wurde. Herstatt beschreibt die Erfolge der Galeristin mit einem ideolo­gischen 564 Vgl. ebd., 39. 565 Ebd., 39. 566 Außer diesen Katalogen existierte noch das umfassende Werk von Camilla Gray The Russian Experiment in Art, 1863 – 1922, das 1963 in Großbritannien publiziert wurde und 1971 unter dem Titel Die rus­sische Avantgarde der modernen Kunst 1863 – 1922 in Köln erschien. Weiteres dazu: Kap. 1.3. und Anm. 82. 567 „The openings more and more became glittering social events at which Walter Scheel, who was then President of Germany, and Johannes Rau, Prime Minister of North Rhine-­Westfalia at the time, liked to be seen. The art lover and Russian ambassador Vladimir Semionov was enchanted with this elegant and always discreet lady and acted diplomatically on her behalf in easing East-­West matters.“ (Herstatt 2008, 40). 568 Ebd.

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Unterton, ohne in Betracht zu ziehen, dass der Marktwert der Avantgarde auch in den 1960er-­Jahren bereits erkennbar deut­lich anstieg. Es wird vergessen, dass es nicht nur die Liebe zur Kunst gewesen sein konnte, die Antonina Gmurzynska getrieben hat. Unbestreitbar hat sie für die Posi­tion der rus­sischen Avantgarde einen großen Beitrag geleistet, aber die Frage, mit wessen Hilfe sie ihre Karriere aufbaute, muss auch gestellt werden dürfen. Der heutige Direktor der Galerie, Mathias Rastorfer, sagt über den Aufbau der Sammlung Ludwig: „Personen halfen, […] teilweise unter großen Risiken und oft ohne Verdienst, […] diese Sammlung [zusammenzustellen – d. Verf.], da es ihnen in erster Linie um das kulturelle Vermächtnis einer solchen bedeutenden Sammlung im Westen ging.“569

Die Beschaffung der Werke ist im Zusammenhang mit dem Aufbau der Sammlung nicht uninteressant. Die mangelnde Quellenlage bietet nur wenige Informa­tionen, die eine Rekonstruk­tion der Vorgänge mög­lich machen.570 Eine erste Frage wäre, wie es G ­ murzynska geschafft hat, so viele umfangreiche Ausstellungen mit Avantgarde-­ Künstlern zu generieren. Woher bekam sie all diese Werke? Es gibt Vermutungen, dass Vieles auf illegalem Wege aus Osteuropa geschmuggelt wurde, weshalb Gmurzynska auch einen engen Kontakt mit Semënov pflegte,571 der stets bemüht war, den Marktwert und die Verkäufe rus­sischer Kunst in der Bundesrepublik zu steigern. Die Bestände im Westen, die im Buch von Herstatt erwähnt werden, waren nicht umfangreich genug, um Gmurzynskas Ausstellungen zu bespielen. Zudem gab es in den 1970er-­Jahren bereits sehr viele Interessenten im Westen, sodass Gmurzynska nicht die Einzige war, die aus diesen Quellen schöpfen wollte. Diese Fragen werden unbeantwortet bleiben, bis die Galerie ihre Archive für Forscher zugäng­lich macht, solange werden die Provenienzen ein wissenschaft­liches Geheimnis darstellen. Die Vermutungen, dass diese Bilder nicht auf legalem Wege nach Köln und vielleicht auch in die Sammlung Ludwig kamen, erstarken bereits, wenn man sich an die Situa­tion von Georgij ­Kostakis erinnert. Er hatte bereits Jahre vor der Gründung der Galerie von Gmurzynska in Köln seine riesige Sammlung zusammengetragen und viele Quellen in der Sowjetunion ausgeschöpft. ­Kostakis selbst gibt einen Hinweis, wie die Galerie zu einigen ihrer Werke 569 Baudin 2011, 9. 570 Trotz mehrfacher Anfragen bei der Galerie Gmurzynska wurde der Verfasserin kein Material für grundlegende Recherchen zur Verfügung gestellt. Das kann an den Gerüchten liegen, die um die Galerie grassieren. Die Situa­tion der 1960er- und 1970er-­Jahre in Osteuropa bot genügend Grundlagen für Mutmaßungen aller Art. 571 Er selbst erwähnt in seinen Memoiren, dass er über Verbindungen versuchte, ihr zu helfen, wo er nur konnte (vgl. Semjonow 1995, 382).

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gekommen sein konnte. Er beschreibt die Begegnungen mit dem Künstler Rodčenko, der ihm seine Ovale Hängekonstruk­tion geschenkt hatte, und schildert dort: „I had one, but it was done in cardboard, and later Gmurzynskaya made a metal reconstruc­ tion of it, painting it white. She made several copies. But all these construc­tions were lost. Clearly, Rodchenko destroyed them himself.“572

Dass die Galeristin einige Werke nicht nur rekonstruieren, sondern ebenso fälschen ließ, wird heute unter vorgehaltener Hand oft vermutet; diesen Vermutungen nachzugehen soll aber nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein. Es ist ebenso denkbar, dass die Galerie Fälschungen zugeführt bekam ohne es zu wissen, denn schon damals wurden die Fälscher auf die wachsenden Preise für rus­sische Avantgarde im Westen aufmerksam. Eine weitere mög­liche Erklärung, wie Antonina Gmurzynska zu Werken für die Galerie gekommen sein könnte, gibt Ingeborg Prior in ihrem Buch Sophies Vermächtnis über die Lebensgeschichte von Sophie Lisickij-­Küppers.573 Prior schrieb das Werk mit der Unterstützung von Jen Lisickij, dem Sohn von Ėl’ Lisickij und Sophie Lisickij-­ Küppers. Priors Beschreibung bietet ein gegenteiliges Bild zu den Ausführungen Herstatts beziehungsweise liefert mög­liche Hintergründe für Antonina Gmurzynskas Erfolg. Prior sieht in der Galeristin keine Heldin, sondern vielmehr die Ausbeuterin der Künstler und ihrer Nachfahren.574 In ­diesem Buch findet sich auch ein Abschnitt über die Entstehung der Galerie mit einer Betonung der Leistung der Familie B ­ argera. Laut Prior half das Ehepaar Jacob und Kenda Bargera den mittellosen polnischen Emigranten Gmurzynska dabei, in Köln Fuß zu fassen. Jacob Bargera finanzierte die Galerie und war zugleich Übersetzer, Makler und Berater. Es war jedoch die Persön­ lichkeit Antonina Gmurzynskas, die sehr schnell in den Vordergrund trat: „Zur Legendenbildung trug aber auch die Tatsache bei, dass in den Zeiten des Kalten Krieges kein freier Handel mit Osteuropa mög­lich war und die Transportwege, die von der Galerie benutzt wurden, im Dunkeln blieben. Die engen Kontakte der schönen Antonina 572 Roberts 1994, 74. 573 Prior 2006. 574 „Dass der Wert der Kunstwerke in so kurzer Zeit so rasant in die Höhe steigen sollte, hätte niemand voraussehen können – und schon gar nicht die vom Weltgeschehen weitgehend ausgeschlossenen und zumeist bitterarmen rus­sischen Künstler oder deren Nachfahren. Sie waren einfach froh, dass sich jemand für sie interessierte, und voller Hoffnung auf eine baldige Änderung dieser miss­lichen Lebensumstände. Selbstverständ­lich versuchte die Galeristin Gmurzynska, wie es im Kunsthandel nun einmal üb­lich ist, so wenig wie mög­lich zu bezahlen und so viel wie mög­lich daran zu verdienen. Sie wurde dabei sehr, sehr reich.“ (ebd., 249).

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zum ehemaligen sowjetischen Botschafter in Bonn, Wladimir Semjonow, der selbst eifrig Kunst sammelte und häufiger Gast der Galerie war, wie auch ihre offensicht­lich guten Beziehungen zu offiziellen Stellen in Moskau gaben in Kunstkreisen immer wieder Anlass zu Spekula­tionen.“575

Den Hauptgegenstand dieser Erzählung bildet jedoch eine Begebenheit im Winter 1975, als eine Mitarbeiterin der Galerie, Lilo Schultz-­Siemens, Sophie Lisickij-­Küppers in Novosibirsk aufsuchte, um herauszufinden, ob die Künstlerwitwe noch Arbeiten oder Dokumente ihres verstorbenen Mannes besitze. Die Situa­tion wird von Schultz-­ Siemens folgendermaßen wiedergegeben: Sie habe elf Arbeiten von Lisickij bekommen, unter anderem die Pressa-­Skizzen für die Kölner Ausstellung von 1928. Die Gesandte aus Köln und die Nachfahren des Künstlers vereinbarten, dass, bis auf zwei Ausnahmen, die Werke verkauft werden sollten und der Erlös nach üb­lichen Regeln aufgeteilt und für die Familie in einer west­lichen Bank deponiert werde. Es war offensicht­lich, dass weder Sophie noch Jen den wirk­lichen Wert dieser Arbeiten kannten. Mit dieser Erkenntnis verabschiedete sich die Mitarbeiterin der Galerie und versprach bei ihrer Abreise, der Familie bei der Rückkehr nach Deutschland zu helfen.576 Die Mappe mit Arbeiten wurden einem deutschen Korrespondenten in Moskau übergeben: „Ich weiß es wirk­lich nicht, wie sie nach Köln gelangten. Aber ich habe gehört, dass sie im Cockpit einer Lufthansa-­Maschine weiterbefördert wurden. Dass Diplomaten ihre Hand im Spiel hatten. Frau Gmurzynska hat nie mit mir über derlei Dinge gesprochen.“577

Später reiste Schultz-­Siemens noch einmal nach Nowosibirsk, um von Sophie Lisickij-­ Küppers Fotos von unsignierten Lisickij-­Arbeiten bestätigen zu lassen. Damals wunderte sich Schultz-­Siemens, schreibt Prior, woher so viele nicht signierte Werke stammen könnten.578 Die Werke aus der Sammlung von Lisickijs Witwe wurden während der Ausstellung 1976 in Köln verkauft und ein Teil des Geldes wurde in einer Düsseldorfer Bank deponiert.579 Die getroffenen Vereinbarungen waren münd­lich, da schrift­liche Dokumente über derartige Geschäfte in der Sowjetunion zu dieser Zeit ausdrück­lich untersagt waren, und wenn es sie doch gegeben hätte, wären sie unter Umständen nicht rechtsgültig gewesen. Dieser Umstand ermög­lichte es den Vertretern der Galerie 575 Ebd., 251. 576 Vgl. ebd., 254 – 255. 577 Ebd., 256. 578 Vgl. ebd. 579 Vgl. ebd.

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Jahre ­später beim Prozess gegen Jen Lisickij in Deutschland sowohl die Kommission als auch die beiden Leihgaben zu bestreiten.580 Prior beschreibt das Procedere, nach dem die Galerie ihre Geschäfte machte: Man baute Kontakte zu den Künstlern oder ihren Nachfahren auf, und da die meisten von ihnen jüdischer Herkunft waren und auf Emigra­tion hofften, freuten sie sich über die Aussicht auf Devisen und Kontakte in den Westen. Die Galerie fungierte als ein gutes Netzwerk – für die Beschaffung der Werke und für ihre Ausfuhr. Dafür mussten Kontakte zu Fluggesellschaften, Korrespondenten und Diplomaten bestehen,581 denn nur so war es in der damaligen Zeit mög­lich, Kunstwerke aus der UdSSR herauszuschleusen. Diese Vorwürfe wurden nochmals in dem Prozess hervorgebracht, den Jen Lisickij s­ päter gegen die Galerie über die Werke führte, die seine ­Mutter 1975 Lilo Schultz-­Siemens übergeben hatte.582 Diese Beispiele lassen das heroische Bild der Galeristin Gmurzynska bröckeln, allerdings handelt es sich bei diesen Angaben um rein spekulatives Material, dass nur durch Beweismaterial aus den Archiven widerlegt oder bestätigt werden könnte. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden: Die Avantgarde hätte ihren Höhepunkt in der Bundesrepublik auch ohne das Zutun von Gmurzynska erlebt. Wie bereits weiter oben beschrieben, stellten die Künstler der rus­sischen Avantgarde in den 1970er-­ Jahren in der Bundesrepublik bereits einen festen Begriff im Kunsthandel dar und die Galeristin war nicht die einzige Wegbereiterin dieser Kunstrichtung. Sie erleichterte ledig­lich die Akquise für viele west­liche Sammler. Ebenso wenig war Peter Ludwig ein Entdecker auf d ­ iesem Gebiet. Allerdings vereinfachte seine Nähe zu Gmurzynska und Semënov den Erwerb der entsprechenden Kunstwerke. Sein Interesse für osteuropäische Kunst entwickelte sich vergleichsweise spät: Der erste offizielle Kontakt mit Gmurzynska fiel in die Jahre 1976 bis 1977, obwohl die Galerie bereits seit mehreren Jahren in Köln bestand und ihre früheren Ausstellungen dem Sammler nicht entgangen sein konnten. Daraus lässt sich schließen, dass sich Peter Ludwig zuvor nicht für die rus­sische Avantgarde interessierte. Was war zwischenzeit­lich passiert? 1.13.2 Der erste Ankauf osteuropäischer Kunst für die Sammlung Ludwig Die Ausstellung der Sammlung von Georgios ­Kostakis in Düsseldorf hat gegen Ende der 1970er-­Jahre ihre Spuren in der nächstgelegenen Kulturdestina­tion Köln hinterlassen. Von Gmurzynska ist bekannt, dass sie Kontakt zu ­Kostakis hatte, denn er hatte ihr für die Ausstellung Von der Fläche zum Raum 1974 einige Leihgaben zur Verfügung 580 Vgl. ebd., 288. 581 Vgl. ebd., 289. 582 Einen Einblick bietet Prior in: ebd., 291 – 296.

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gestellt. Es ist unter diesen Umständen davon auszugehen, dass auch Peter Ludwig bestens über K ­ ostakis informiert war, nicht zuletzt weil sich in seiner Sammlung heute Werke befinden, die zuvor ­Kostakis gehört haben. Andererseits wird ­Kostakis in den offiziellen Texten von, über oder mit Ludwig nur äußerst selten erwähnt.583 Der Grieche kann in gewisser Weise als Konkurrent für den rheinischen Sammler angesehen werden, denn so gerne sich Peter Ludwig als Pionier und großer Geber sah, übertroffen wurde er zweifelsfrei von ­Kostakis Ruf als selbstloser Mäzen in den 1970er-­Jahren. Eine Anmerkung zu K ­ ostakis befindet sich in Baudins Kasimir Malewitsch und der Suprematismus in der Sammlung Ludwig (2011), dies jedoch nur um im Zusammenhang mit ­Kostakis die Einzigartigkeit der Sammlung Ludwig zu betonen: „Dass die Werke zum größten Teil über private Sammler ins Museum Ludwig gekommen sind, verbindet das Kölner Museum mit einem anderen westeuropäischen Museum, das ein umfangreiches Konvolut in d­ iesem Bereich besitzt: das Staat­liche Museum für zeitgenös­sische Kunst in Thessaloniki. Einzigartig ist jedoch, dass die sich in Köln befind­lichen Werke nicht über einen sowjetischen Sammler wie Costakis in das Museum gelangt sind […], sondern über deutsche und sogar rheinische Privatsammler.“584

Peter Ludwig musste dieser sensa­tionelle griechische Sammler aus der UdSSR aufgefallen sein, schon da ihm der Presserummel um ­Kostakis nicht entgangen sein konnte, und eine Einladung zur Vernissage in Düsseldorf lag in seinem Briefkasten. Ob der rheinische Mäzen bei der Vernissage anwesend war oder nicht, kann nicht mehr in Erfahrung gebracht werden.585 Ludwig beobachtete auch den Ankauf der Lisickij-­ Arbeiten durch die Stadt Köln und besuchte die Ausstellung in der Galerie Gmurzynska. Die Kuratorin des Museums Ludwig betont die Bedeutung d ­ ieses Ereignisses: „Auslösendes Moment für das Sammlerinteresse von Irene und Peter Ludwig auf ­diesem Gebiet könnten die bedeutenden Pressa-­Collagen von Ėl’ Lisickij gewesen sein, die 583 Der erste Katalog, in dem ­Kostakis erwähnt wird, ist Sowjetkunst heute (1988). 584 Baudin 2011, 6. 585 Baudin beschreibt die Ludwig-­­Kostakis-­Konstella­tion aus einer rein faktischen Sicht: „Auch ist der Einfluss eines anderen bedeutenden Sammlers nicht auszuschließen: George Costakis. Dieser kam häufig nach Köln, um die Galerie Gmurzynska zu besuchen, und kannte auch Evelyn Weiss. […] Spitzenwerke [seiner – d. Verf.] Sammlung tauchten in Ausstellungen der Galerie Gmurzynska auf, und Peter und Irene Ludwig haben mehrere davon erworben – ein Gemälde von Exter (Komposi­ tion [Genua], um 1912 – 14), zwei Bilder von Popowa (darunter Sitzender weib­licher Akt, 1913 – 14) sowie fünf Werke von Kljun (darunter Dreifarbige suprematistische Komposi­tion, um 1917 […] und Sphärische Komposi­tion, 1923 […]); die Badende von Drewin wurde vermut­lich direkt über den griechischen Sammler angekauft.“ (ebd., 11). Diese Zusammenfassung belegt, dass Peter Ludwig Kontakt zu Kostakis haben musste, umso aussagekräftiger wird die Tatsache, dass er ihn kaum erwähnt.

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das Museum 1976 erwarb.“586 Die Galerie Gmurzynska war nicht die einzige Quelle für Ludwigs Avantgarde-­Sammlung, aber eine sehr einflussreiche. Laut Baudin inspirierten die Ausstellungen der Kölner Galerie das Ehepaar Ludwig überhaupt erst zu ihren Ankäufen.587 Tatsache ist, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten über 550 neue Werke in das Konvolut der Sammlung Ludwig eingekauft wurden, allesamt von den Künstlern der rus­sischen Avantgarde stammend. Diese Entwicklung erklärt Baudin mit dem oft widerholten Ausspruch Ludwigs: „Informa­tionslücken schließen“588. Sie beschreibt seine Sammlung als die größte und eklektischste in Deutschland und weist darauf hin, wie beeindruckt Ludwig von den großen deutschen Mäzenen vom Rang Josef Haubrichs war.589 Diese Faktoren sind für die Autorin der Grund für die Aufstockung des Avantgarde-­Bereiches. Als weitere Bestätigung dieser Argumenta­tion wird Marc Scheps, ehemaliger Direktor des Museum Ludwig (1991 bis 1997), zitiert: „Als Professor Dr. Irene und Professor Dr. Peter Ludwig Mitte der 70er-­Jahre mit der Sammlung der Rus­sischen Avantgarde anfingen, erlebten sie die widersprüch­liche Lage einer Kunst, die schon klas­sisch geworden und dennoch so gut wie unbekannt war. Diese Situa­tion war für die interna­tionale Kunstgeschichte einmalig und hatte mehr den Charakter einer archäolo­ gischen Entdeckung. Man war auf der Suche nach einem ‚verlorenen Schatz‘.“590

Diese archäolo­gische Reise begann für Ludwig jedoch vergleichsweise spät. Ende der 1970er-­Jahre war das Sammeln der rus­sischen Avantgarde in der Bundesrepublik keine Pionierleistung mehr, sondern gehörte schon fast zum guten Ton in gehobenen kulturellen Kreisen. Viele Sammler widmeten sich dieser Entdeckungsreise: Christians, Ludwig, Hack, Semënov und andere.

586 Ebd., 8. 587 „Schon 1980 hatten Peter und Irene Ludwig zum Beispiel Werke von Rosanowa, Gontscharowa, Exter, Kogan und Udalzowa aus der Ausstellung ‚Women Artists of the Russian Avantgarde 1910 – 1930‘ (9. 12. 1979 – 31. 3. 1980) erworben. Und als ein weiteres Beispiel kann Kandinskys Moskauer Platz [auch aus der Sammlung Kostakis – d. Verf.] gelten, das auf dem Cover des Katalogs zur Ausstellung ‚Kleine Formate‘ (Galerie Gmurzynska, 25. 11. 1983–Feb. 1984) abgebildet war.“ (ebd.). 588 Das war eine der häufigsten Aussagen, die Peter Ludwig im Zusammenhang mit seiner Sammlung machte. Eine gute Übersicht bietet sein Buch, das aus verschiedenen Texten über und mit Peter ­Ludwig besteht: Ludwig 1995. 589 Auch hier wird ­Kostakis mit keinem Wort erwähnt, obwohl eigent­lich er das Paradebeispiel für einen passionierten Avantgarde-­Sammler darstellte. 590 Ebd., 9. „Der Pioniersammler rus­sischer Avantgarde in Deutschland war indes wiederum nicht L ­ udwig, sondern der Kölner Kaufmann Wilhelm Hack. Doch dessen Schätze hat sich die Stadt entgehen lassen. Diese Lücke füllte Ludwig nun mit der ihm eigenen Vehemenz.“ (Sager 1992, 192).

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Der mit Ludwig befreundete Sammler Reiner Speck bemerkte, dass Ludwig die Entwicklungslinie erkannte, die sich von den Ikonen über die progressive rus­sische Kunst bis hin zum sozialistischen Realismus zog. Aus dieser Erkenntnis heraus fingen die Ludwigs an, einige Jahre nach den ersten Erwerbungen der rus­sischen Avantgarde auch zeitgenös­sische sowjetische Kunst zu sammeln.591 Um ein besseres Verständnis für die Kunst zu bekommen und den sozialen und politischen Kontext der Künstler zu kennen, studierten die Ludwigs nach eigener Angabe die Geschichte der verschiedenen Sowjetrepubliken aus Büchern und Fachzeitschriften.592 Doch den entscheidenden Einfluss auf Ludwig übte der damals neu berufene sowjetische Botschafter Vladimir S. ­Semënov aus. Nach seinem Amtseintritt stellte er schnell den Kontakt mit Ludwig her, da er bereits darüber informiert war, dass sich der Sammler für osteuropäische Kunst interessiere. „Es kann sein, daß die Idee zu Semjonows Anruf von Antonina Gmurzynska stammte. Die beiden waren schon vorher miteinander in Kontakt gekommen, um Wege z­ wischen der sowjetischen Kulturbürokratie und dem deutschen Kunsthandel zu ebnen. Das Ergebnis war eine Koopera­tion ­zwischen dem sowjetischen Kulturministerium und der Galerie Gmurzynska, die es unter anderem ermög­lichte, Leihgaben aus sowjetischen Museen, die dem Publikum sonst verschlossen waren, in den Räumen der Kölner Galerie zu zeigen. Die Ausstellungen ‚Von der Malerei zum Design‘, ‚Sieben Moskauer Künstler 1910 bis 1930‘ und ‚Fläche-­Figur-­ Raum‘ verfehlten in den achtziger Jahren ihre Wirkung auf ein bestimmtes Publikum nicht.“593

591 Vgl. ebd., 10. 592 Vgl. ebd. 593 Bude 1993, 232. Das Interesse Ludwigs war unschwer zu erkennen: 1977 kaufte er auf der documenta 6 Bilder ost-­deutscher Maler. Im selben Jahr betrieb er bereits seine Geheimdiplomatie mit der DDR, indem er der Na­tionalgalerie Altes Museum in Berlin langfristige Leihgaben seiner Sammlung zur Verfügung stellte (Speck 1989, 156 – 157). Gleichzeitig hat er in der DDR einen neuen Absatzmarkt für seine Firma gefunden. Das Getränkepulver Trinkfix wurde von der Monheim AG an Schulen in der DDR geliefert. Dabei gehörten die Maschinen zur Herstellung immer noch Ludwig und die DDR übernahm nur den Vertrieb: „Es wurden also auf dem Boden der DDR für die Bevölkerung der DDR produziert, und dabei machte der Unternehmer aus der Bundesrepublik Gewinn. Für die reine marxistische Lehre war das natür­lich ein Pakt mit dem Teufel.“ (Bude 1993, 207). „Anfang der siebziger Jahre unternahm Peter Ludwig mehrere Kunstreisen in die damalige DDR. ­Als seinen Begleiter hatte er sich den Geschäftsführer des Berliner Werks der Trumpf-­Schokolade, Wolfgang Schreiner, auserwählt. Schreiner war der Mittelsmann vielfältiger Geschäftskontakte des Unternehmens mit dem Osten, die von Berlin aus eingefädelt wurden. Hier war die Grenze durchlässiger geworden, und es war abzusehen, daß gerade für die Süßwarenbranche hinter dem Eisernen Vorhang ein riesiger Markt zu erschließen war.“ (ebd., 205).

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Durch Semënov erhielt Ludwig eine privilegierte Stellung: Der Botschafter öffnete ihm die Türen in den Osten, indem er Kontakte zum Verband der Künstler herstellte. Ende der 1970er-­Jahre war es nicht selbstverständ­lich, dass ein west­licher Sammler Bilder in der UdSSR kaufen konnte. Es war für die Künstler offiziell verboten, Bilder an Ausländer zu verkaufen, ebenso wie die Ausfuhr von Kulturgegenständen aus der UdSSR. ­Für einzelne einflussreiche Personen wurden allerdings Ausnahmen gemacht.594 Die bevorzugte Behandlung durch offizielle sowjetische Stellen gefiel dem Sammler, denn in Moskau fühlte er sich als bedeutend und machtvoll hofiert: „Wie schon in der DDR war Peter Ludwig mit seinem Adjutanten Wolfgang Schreiner unterwegs. Und sie wurden beinahe so wie Staatsgäste behandelt. Die Begrüßung durch den Präsidenten des Künstlerverbandes, die Gespräche mit dem Kulturminister und die Verhandlungen mit den Bevollmächtigten des staat­lichen Kunsthandels – alle diese Inszenierungen erweckten den Eindruck von Gewicht und Bedeutung. Die sowjetische Seite bemühte sich, Peter Ludwigs Engagement den Charakter einer kulturpolitischen Mission zu verleihen.“595

Die Kulturpolitik interessierte Ludwig schon immer, er verstand sie gewissermaßen als seine Berufung – obwohl er nie einen offiziellen Auftrag erhalten hatte. Zusammen mit Gmurzynska und Semënov betrieb er seine eigene Kulturpolitik. Ludwig konnte bei seinen Reisen in die Sowjetunion Künstlerateliers besuchen und wurde auch in den Depots der Museen willkommen geheißen. Einen engen Kontakt gab es mit dem Künstlerehepaar Dmitrij D. ­Žilinskij und Nina I. ­Žilinskaja. Ludwig besuchte den Maler und die Bildhauerin im Atelier und ließ sich von ihnen durch die Moskauer Künstlerszene führen. Žilinskij unterrichtete seit seinem Studienabschluss an der Moskauer Kunstakademie. Seine Kunst war naturalistisch und stark durch die offiziellen Vorgaben des Verbandes geprägt. Er schien dem Ehepaar Ludwig zu imponieren, denn 1981 wurde Žilinskij nach Aachen eingeladen und fertigte dort ein Doppelporträt der Ludwigs an (Abb. 2). Peter und Irene Ludwig nahmen die Mög­lichkeit wahr, die offizielle Kunst der Sowjetunion kennen zu lernen und wollten sie in der Bundesrepublik bekanntmachen. Diese Bemühungen wurden stets kritisch seitens der westdeutschen 594 Zum Beispiel auch für Henri Nannen, der Anfang der 1980er-­Jahre ebenfalls sowjetische Kunst für seine Sammlung kaufte (siehe Kap. 3.5.). Sager 1992, 193. 595 Bude 1993, 234. Dazu nochmal Sager: „Wie einen Kulturminister empfing man den Sammler in Rußland und seine Begleiter, die rheinischen Museumsdirektoren, wie dessen Referenten […] Erschöpft kehrte er von solchen Exkursionen zurück, tief beeindruckt von den Erwartungen, mit denen die rus­sischen Künstler ihn empfingen: ‚Wie wenn Rockefeller 1945 in deutsche Ateliers gekommen wäre!‘“ (Sager 1992, 193).

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Presse aufgenommen. Es fehlte an einem Verständnis dafür, dass der Sammler die parteikonforme sowjetische Kunst als ebenso bedeutsam wie die freie west­liche Kunst ansah. Eine kritische Betrachtung über Ludwigs Aktivitäten in Osteuropa liefert Peter Sager in seinem Buch über verschiedene bedeutsame Sammler unter dem Titel Die Besessenen. Sager beschreibt Ludwig mit einem ironisch-­spöttischem Ton ohne ihm auch Errungenschaften in irgendeiner Form zuzusprechen. Man merkt dem langjährigen Mitarbeiter der ZEIT an, dass er wohl noch viele Ressentiments gegen Peter Ludwig aus den 1970er- und 1980er-­Jahren mitträgt. So berichtet er beispielsweise über Ludwigs Sammellust in Moskau: „Ludwig hat das eher genossen. Er hatte in der Schokoladenfirma seiner Frau reüssiert und ein wachsendes Bedürfnis nach öffent­licher Wirkung. Doch in der Bundesliga der Schwer­ industriellen war er immer nur ein Süßigkeitenhersteller. Der Aufstieg, der ihm dort versagt blieb, gelang ihm über die Beletage der Kunst. Von der Spree bis an die Moskwa wurde der Pralinenmeister hofiert, nicht weil er nur Trumpf oder Trinkfix-­Kakao im Gepäck hatte, sondern auch Geschäfte mit höheren Werten. In New York erklärte er einem Galeristen einmal: ‚Wenn ich hier im Hilton umfalle, bin ich nichts. Da fassen se mir nur in die Tasche, ob ich’n paar Dollar hab’ und dann bringen se mich in den Keller. Fahr’ ich aber nach Moskau, da bin ich wer!‘“

Diese kritische Einschätzung fokussiert nur auf die Person des Sammlers als Geschäftsmann, ohne auf seine selbst auferlegte Mission einzugehen, die in der Tradi­tion der Nachkriegszeit stand: Ihm ging es insbesondere um eine Annäherung und um ein Zusammenwachsen der Welt in einer Zeit der Spaltung – diese Ziele wollte er zum einen mit seiner Sammlung und dann einige Jahre ­später mit seiner Ludwig Stiftung verwirk­lichen. Damit beabsichtigte er gleichzeitig, einen Beitrag zur Konzep­tion der Weltkunst zu leisten, die seit der Nachkriegszeit immer wieder im Kulturbereich diskutiert wurde.596 Für Ludwig war Moskau somit eine weitere Sta­tion zur Vervollständigung seiner Vorstellung von der Weltkunst, die er seit Beginn seiner Sammlertätigkeit pflegte. Sein Kunstimperium sollte keine Region dieser Welt ausschließen und alle Kunstproduzenten aus Ost, West, Nord und Süd miteinander verbinden. Sukzessive bereiste er die Provinzen der UdSSR und kaufte dort die verfügbaren Bilder stets auf offiziellem Weg. Er reiste nach Georgien, Estland, Lettland, Litauen, Armenien, Aserbaidschan und in die Ukraine.597 Bei diesen Reisen kaufte er immer viele Objekte und erweiterte seine Sammlung um Arbeiten von unbekannten Namen aus den 596 Eine der Höhepunkte war Andre Malraux’ Konzep­tion des imaginären Museums in den 1950er-­Jahren. 597 Vgl. Enzweiler 1995, 13.

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Provinzen der UdSSR.598 Dieser Teil der Sammlung weist keine Werke von Künstlern auf, die Ende der 1980er-­Jahre im Westen Bedeutung gewonnen haben. Die meisten von Ludwigs Käufen aus dieser Zeit entsprachen keinem west­lichen Trend, er kaufte, was ihm gefiel oder interessant erschien.599 Er trug die Hoffnung in sich, dass einige dieser Bilder in Zukunft, auch im Westen, ihren verdienten Platz erhalten würden. „Mit der zeitgenös­sischen Ostkunst hatte Peter Ludwig bewiesen, daß er keinesfalls einem elitären Kunstbegriff verhaftet ist. Doch ein in allen anderen Sammlungskomplexen gewahrtes Prinzip – multum non multa, vieles, nicht vielerlei – scheint hier aufgegeben worden zu sein. Hinsicht­lich der Bedeutung teilt er wohl insgeheim die Skepsis seiner Kritiker, wenn er sagt: ‚… Auch wenn nur 20 Werke noch in 50 Jahren Bestand haben, genügt mir das.‘“600

Im Jahr 1982 präsentierte Ludwig seinen umfangreichen Komplex zeitgenös­sischer sowjetischer Kunst zum ersten Mal in der Bundesrepublik. Damit manifestierte er sich als erster west­licher Sammler, der ein großes Konvolut von etwa 160 Arbeiten dieser Kunstrichtung besaß. Außer Ludwig akquirierte auch der Unternehmer Henri Nannen Kunst in Moskau. Er wollte die Arbeiten in der Bundesrepublik weiterverkaufen.601 Für den Botschafter der UdSSR stellte es einen Erfolg dar, den großen deutschen Sammler für die Kunst der Sowjetunion interessieren zu können. Es war ein politischer Versuch, das kulturelle Leben Russlands und anderer Sowjetrepubliken in eine breite Öffent­lichkeit zu stellen. Immerfort betonte der Botschafter die Bedeutung des gegenseitigen Völkerverständnisses, das als Allgemeinplatz der damaligen Zeit angesehen werden kann. Baudin verweist auf Irene Ludwig, die anläss­lich der Eröffnung des Museums Ludwig im Staat­lichen Rus­sischen Museum St. Petersburg (1995) die Völkerverständigung ebenfalls als das größte Ziel der beiden Sammler anführte.602 Man findet bei Baudin einen weiteren wichtigen Grund für die Verbindung von Ludwig und Semënov: der Standort Köln. Das Museum Ludwig wurde 1976 dort gegründet, 598 Obwohl Ludwig insistierte, dass seine Frau und er Kenner ­seien, die keine Berater bräuchten, gab er in einem Interview 1995 zu, dass sie sich in der UdSSR auf fremde Hilfe bei der Auswahl stützten (vgl. ebd.). 599 Genauso kaufte er ­später auch in Bulgarien ein: „Es war eine Mischung aus philatelistischen Vollständigkeitswahn und universalem Bedürfnis nach ästhetischer Koexistenz aller Stile und Regionen. Auch in Bulgarien, wo er Schokolade in Lizenz produzieren ließ, kaufte Ludwig 1984 ein ganzes Sortiment zeitgenös­sischer Bildwerke ein. Das löste bei den Kunstfreunden Westeuropas naturgemäß weniger Begeisterung aus als bei den bulgarischen Künstlern.“ (Sager 1992, 195). 600 Speck 1989, 162. 601 Siehe Kap. 3.6. 602 Vgl. Baudin 2011, 10.

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um mit dieser Ortswahl auch den Nutzen aus der Nähe zur Bundeshauptstadt Bonn ziehen zu können. Dass Köln zu einem „entscheidenden Umschlagplatz“ 603 für die Kulturpolitik werden sollte, lag ebenso im Interesse des Botschafters wie des rheinischen Mäzens Ludwig. Für Semënov war Ludwigs Posi­tionierung in Köln wichtig, um sicherzugehen, dass bei Eröffnungen und Präsenta­tionen neuer Ankäufe die politische und diplomatische Prominenz anwesend sein würde.604 Seit 1978 unternahmen Peter und Irene Ludwig Reisen in die UdSSR . ­Im Jahr 1980 stellten sie die Sammlung des sowjetischen Botschafters in Köln aus und ließen sich selbst von dieser inspirieren. Peter Ludwig kaufte ­später auch einige Arbeiten der Künstler, die in der Sammlung Semënov vertreten waren.605 Neben Semënov und Gmurzynska spielte die Kuratorin Evelyn Weiß als Beraterin für Ludwig eine große Rolle. Sie beschreibt seine Begeisterung für sowjetische Kunst folgendermaßen: „Er wollte der erste sein, der über die Mauer geguckt hat, der erste, der den Eisernen Vorhang öffnete, der erste, der diese Dinge sammelte, als es noch keine Kulturverträge gab […] Ich war 1982 mit ihm auf so einer Art Einkaufstour in Rußland, einmal und nie wieder! Es war furchtbar. Alles vom staat­lichen Künstlerverband organisiert, mit schwarzer Karosse.“606

Weiß war des Öfteren nicht gerade begeistert über die künstlerische Qualität seiner neuen Akquisi­tionen, doch Ludwig war sich stets sicher, wieder progressiv gewesen zu sein.607 Die größte Kritik an den Ludwigs löste damals ihre Vorliebe für die gegenständ­ lich naturalistische Kunst aus. Trotz einiger Arbeiten der Minimal Art und der Konzeptkunst in ihrer Sammlung lag ihr Schwerpunkt immer auf der gegenständ­lichen 603 Brief von Peter Ludwig an das Kulturdezernat der Stadt Köln am 18. 06. 1979, Archiv des Ludwig Museums Köln. 604 Vgl. Baudin 2011, 10. 605 Lentulov, Drevin und Volkov entdeckten die Ludwigs wahrschein­lich ebenfalls durch Semënov. Baudin schreibt, dass „drei der ausgestellten Bilder (‚Landschaft mit Zypressen‘, von Lentulow sowie ‚Landschaft, Stadt Dmitrow‘ und ‚Porträt Stalin‘ von Drewin) […] vier Jahre s­ päter als Dauerleihgaben aus der Privatsammlung der Ludwigs ins Museum [kamen – d. Verf.]“. Die Ankäufe dieser Künstler (zwischen 1985 und 1995) wurden durch die Galerie Gmurzynska getätigt (ebd., 10). 606 Sager 1992, 193. 607 „Im documenta-­Jahr 1982 zeigte der Sammler seine erste Bilanz sowjetischer Gegenwartskunst, rund 440 Gemälde, Skulpturen und Grafiken: ein Zeugnis der Völkerfreundschaft bestenfalls. Anders als der couragiertere Henri Nannen begnügte sich Ludwig zunächst mit offiziell genehmer Kunst. Nicht sozialistischer Realismus zwar, aber Arbeiten von Verbandsfunk­tionären, Lenin-­Preisträgern und anderen verdienten Künstlern der ästhetischen Provinz. ‚Grauenvoll‘, fand Evelyn Weiß und warnte vergebens: ‚Herr Ludwig, das ist unmög­lich!‘ Doch der erwiderte: ‚Die Leute können sich irren. Schließ­lich war meine amerikanische Kunst anfangs auch angefeindet.‘“ (ebd., 194).

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Malerei. „Das Stück Papier allein mit dem Konzept kann auf die Dauer kein Weg für die bildende Kunst sein“608, war Ludwigs Überzeugung. An den längeren Fortbestand der Konzeptkunst glaubte er nicht und dennoch kaufte Ludwig auch Werke dieser Richtung. Dass er keine großen Bestände abstrakter Kunst anlegte, begründete er mit der starken Präsenz abstrakter Kunst in vielen Museen und privaten Sammlungen.609 Als individualistischer „Lückenschließer“ sah Ludwig sein Engagement in ­diesem Bereich als nicht erforder­lich. Viel lieber konzentrierte er sich auf den Gegenstand, auf Skandal- und Problemkünstler wie Arno Breker oder Gottfried Helnwein.610 Seinen Kritikern entgegnete Ludwig selbstbewusst: „Meine Sammlung ist die Antwort darauf, daß, als ich anfing, in allen Museen gegenstandslose Kunst hing.“611 Vor ­diesem Hintergrund scheint das riesige Konvolut der rus­sischen Avantgarde nicht in die Logik der Sammlung Ludwig zu passen. Baudin hebt in d ­ iesem Zusammenhang hervor, dass viele Werke aus ­diesem Sammlungskomplex gegenständ­lich ­seien und dadurch auch Ludwigs Geschmack wiedergeben würden. Es handelt sich dabei vor allem um die frühen Werke der Gruppe Karo-­Bube, Alexandr D. ­Drevin, Aristarch V. ­Lentulov und sowjetische Fotografie. „Selbst Künstler wie Popowa und Kandinsky, die eher der gegenstandslosen Kunst zugerechnet werden, sind in der Sammlung mit figurativen Arbeiten vertreten. Natür­lich konnten die Ludwigs beim Aufbau einer repräsentativen Sammlung Rus­sischer Avantgarde nicht auf Abstrak­tion verzichten, und so haben die Sammler über die Jahre gegenstandslose suprematistische und konstruktivistische Arbeiten erworben.“612

Was sich hier wie ein Kompromiss anhört, ist eine Bestätigung der Logik der Sammlung Ludwig, die sich bei längerer Betrachtung herauskristallisiert. Neben der Kunst, die dem Sammler aus rein ästhetischen Gründen gefallen hat, gibt es viele Bestände, die auf eine reine Lust am Besitz hinweisen. Über Anschaffungen wurde innerhalb kürzester Zeit entschieden und man sagte, dass die Ludwigs durchschnitt­lich ein Bild pro Tag kauften.613 Bei einem solchen Zuwachs ist es nicht nur schwer, eine strikte Sammlungslogik beizubehalten, es ist nahezu unmög­lich. Peter Sager greift auch diesen mit einer bissigen Vermutung auf, dass Ludwigs ständig wiederholtes Motto 608 Speck 1989, 118. 609 Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen. 610 Irene und Peter Ludwig ließen von Breker 1986 ihre Bronzebüsten anfertigen. Siehe: Anonym 1986, 187. 611 Ebd., 136. 612 Baudin 2011, 12. 613 Sager 1992, 195.

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„Informa­tionslücken schließen“614 eine alibiähn­liche Charakterisierung für seine wahllose „Materialanhäufung“615 sei. Die fehlende Qualität vieler Akquisi­tionen wurde mit der „Formel des Dokumentarischen“616 überspielt, so Sager weiter. Es ist der damaligen Zeit und Kunstanschauung geschuldet, dass Ludwig es so schwer hatte, gegen seine Kritiker zu bestehen. Auch heute ist die Eingrenzung von Ludwigs Kunstbegriff eine schwierige Aufgabe, sodass wohl nur eine Beschreibung konsensfähig ist: Für ­Ludwig ist die Kunst ein Spiegelbild ihrer Zeit.617 Diese Auffassung kam schon in seiner Disserta­tion Das Menschenbild Picassos als Ausdruck eines genera­tionsmäßig bedingten Lebensgefühls zur Geltung.618 Seine Kunsttheorie schien aber wenig Raum für qualitative Wertungen zu lassen, das Kunstwerk als solches hatte keine Qualitätsvoraussetzungen. Oder anders gesagt: Die Spiegelung seiner Entstehungszeit war für den Sammler gleichzeitig auch die Manifesta­tion der Qualität eines Werkes.619 Ludwig kaufte Kunst, die ihm gefiel, und gab sie in Auftrag, auch wenn sie, wie die Büsten von Arno Breker, einen Skandal auslöste. Die Kuratorin Evelyn Weiß bestätigt, dass der Sammler Breker wirk­lich für einen guten Künstler hielt.620 Der Gegenstand dieser Analyse ist weniger der Kunstgeschmack von Peter Ludwig als vielmehr die Frage, wie seine neuen Sammlungsbestände in der Bundesrepublik aufgenommen wurden. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass sich Ludwigs Ankaufsstrategie auch im Fall der rus­sischen Avantgarde oder sowjetischen Malerei nicht von seiner früheren unterschied. Er kaufte gleichzeitig unterschied­liche Richtungen, Stile und Werke von schwankender Qualität.621 Heinz Bude, ein weiterer Autor, der sich an eine Biografie Ludwigs gewagt hat, beschreibt das praktische Procedere, wie Ludwig die Werke in der UdSSR erwarb, genauer:

614 Ebd. 615 Ebd. 616 Ebd. 617 Vgl. ebd. 618 Vgl. Ludwig 1950. 619 „Kunst spiegelt die Zeit, den geschicht­lichen Augenblick, die ­soziale Struktur und sie spiegelt das Innere im Menschen. Diese Komponenten, wenn sie zusammenkommen, glaubhaft zusammenkommen, dann entsteht Kunst von bedeutender Qualität. Kunst, die heute etwas sagt und den Menschen ­später sagt, was Menschen heute empfunden haben.“ (Ludwig 1995, 58). 620 Vgl. ebd., 195. 621 „Interessanterweise hat Peter Ludwig zu der gleichen Zeit, als er Bilder von Bernhard Heisig oder Wolfgang Mattheuer in seinen Besitz brachte, eine Reihe von wichtigen Bildern von Georg Baselitz erworben. In beiden Fällen war er sich sicher, daß es sich um deutsche Kunst handelt. Vielleicht liegt hierin heute der Sinn ­dieses Teils der Sammlung Ludwig, daß sie Vergleiche erlaubt, die helfen können, die Frage nach der deutschen Kunst nach 1945 zu beantworten.“ (Bude 1993, 248).

Die Sammler: Peter und Irene Ludwig  |

Abb 31  K. ­S. Malevič, Kabarett (1930), Museum Ludwig Köln.

„Das Verfahren für den Erwerb von Kunstwerken war dasselbe wie in der DDR. ­Bei endlosen Besuchen in Ateliers und bei Verbandsausstellungen wurden einzelne Werke ausgewählt, mit der Polaroidkamera festgehalten und zu einer Ankaufsgruppe zusammengestellt. Am Ende einer Reise wurde die Auswahl noch einmal als Ensemble im Moskauer Kunstsalon vorgeführt. Oft kam Wladimir Semjonow eigens dazu, um die ausgewählten Werke zu besichtigen und begutachten. Und am Ende wurde ein Gesamtpreis ausgehandelt.“622

Bude spricht auch von der deut­lichen Bildbejahung des Sammlers. Er ist überzeugt, dass Ludwig „im Zweifelsfall immer Partei für den Bildergott gegen den Geistgott ergreifen würde“.623 Seine Gegner waren die Bilderfeinde und somit auch die Konzeptkünstler. Den Schwerpunkt der Avantgarde-­Sammlung sieht Baudin im Werk von Kasimir Malevič. Der Künstler sei das Sinnbild für Ludwigs Haltung. Dieser Künstler habe bewiesen, dass es nach der Abstrak­tion sehr wohl wieder gegenständ­liche Malerei im Werk eines Malers geben dürfe.624 Somit sieht sie in Malevičs Œuvre eine B ­ estätigung 622 Ebd., 235. 623 Vgl. ebd., 105. 624 Baudin 2011, 12.

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der Auffassung des Sammlers Peter Ludwig. Gleichzeitig betont diese Logik die Inten­ tion sowjetischer Kulturschaffender, die 1980 die Ausstellung mit Malevičs Spätwerk veranstalteten. Diese fragwürdige Argumenta­tionskette ignoriert die Beliebtheit des Künstlers und seine wachsende Bedeutung gerade in der Zeit, als Ludwig seine Ankäufe tätigte. Dass es auch Prestigegründe waren, die dafür sprachen, den bekanntesten Künstler der rus­sischen Avantgarde in seiner Sammlung aufweisen zu können, wird auffälligerweise nicht erwähnt.625 Baudins Text über Peter Ludwig, Malevič und die Avantgarde ist im Zusammenhang mit dieser Analyse wichtig geworden, weil er einerseits zu den neuesten zusammenfassenden Dokumenten über Ludwigs Akquisi­tionen in der UdSSR gehört und weil die Autorin in keinem engen Kontakt zum Sammler stand und somit über die notwendige Distanz zu seiner Persön­lichkeit und seinem Leben verfügen müsste. Andere Texte, die heute der Forschung zur Verfügung stehen, wurden zu Lebzeiten von Peter und Irene Ludwig verfasst und unterlagen der strengen Korrektur durch beide Sammler. Ihnen war es stets wichtig, ein selbstbestimmtes positives Bild nach außen zu tragen. Kritische Betrachtung und negative Pressestimmen hat das Sammlerpaar nur schwer vertragen.626 Allmäh­lich veränderte Peter Ludwig im Laufe der Jahre seinen Umgang mit Journalisten und Interviewpartnern, seine Aussagen und Antworten wurden immer starrer. Nach der Zeit der großen Skandale um die Ostkunst, die Stiftungspläne, den Verkauf der mittelalter­lichen Handschriften nach Los Angeles und dem Prozess wegen Steuerhinterziehung 1987 wurden Peter Ludwigs öffent­liche Äußerungen zu allgemeinen floskelhaften Formeln, die er unaufhör­lich wiederholte. Diese Textbausteine der Ludwig’schen PR waren austauschbar und für alle Situa­tionen einsetzbar. Er schuf sich ein Instrumentarium, um gegen Kritik von außen immun zu sein. Leider fehlt in dieser Untersuchung der Raum, um tiefer auf diese Strategie des Sammlers einzugehen. Ludwig wurde konstant unterstellt, dass seine Geschäfte mit der Schokolade dort florieren, wo er Kunst kaufte, und umgekehrt. Er wehrte sich vehement gegen s­ olche Aussagen, obwohl er selbst oft von sich sagte, dass er auf Geschäftsreisen in fernen Ländern gerne Kunst betrachtete und kaufte.627 625 Dafür gibt es einen Einblick in die Chronik der Ankäufe: „Denn im Mai 1977 wurde der erste bedeutende Ankauf im Bereich der Rus­sischen Avantgarde getätigt, der wie ein Manifest diesen neuen Sammlungsbereich begründen sollte: das ‚Rote Quadrat auf Schwarz‘ (um 1922 […]), erworben in der Ausstellung ‚The Isms of Art in Russia 1907 – 1930‘ der Galerie Gmurzynska. Im Jahr darauf ergänzte Ludwig diesen Ankauf durch den Erwerb eines ganzen Malewitsch-­Konvoluts – 44 Papierarbeiten und ein Gemälde (‚Landschaft [Winter]‘, 1909 […])–, das im Rahmen einer monografischen Ausstellung zum 100. Geburtstag des Künstlers in derselben Galerie gezeigt wurde.“ (ebd., 12). In ­diesem Konvolut waren auch frühe gegenständ­liche Arbeiten vertreten. 626 Vgl. Sager 1992, 205. Das bestätigte auch Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen. 627 Vgl. ebd.

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Heute kann man aus mehreren Quellen erfahren, dass Schokolade und Kunst bei Peter Ludwig immer zusammenhingen, das war im Fall der Sowjetunion nicht anders.628 Die rus­sische Avantgarde aus seiner Sammlung wurde schon 1980 in der Abteilung Frühe rus­sische Kunst im Museum Ludwig in Köln ausgestellt.629 Sie wurde mehrfach neu sortiert und in den 1980er-­Jahren unter verschiedenen Aspekten in Sonderausstellungen organisiert. Die Erstpräsenta­tion als Sonderausstellung fand 1984 statt, im selben Jahr wurde die wissenschaft­lich aufgearbeitete Sammlung K ­ ostakis in München und Hannover ausgestellt.630 In dieser Periode war die rus­sische Avantgarde in Deutschland bereits gut dokumentiert und präsentiert worden, sodass Ludwigs Konvolut keine besonders einprägsamen Ergebnisse lieferte. Daher wird hier auch von einer genauen Betrachtung dieser Projekte abgesehen. Viel interessanter für die Rezep­tion der sowjetischen Kunst in der Bundesrepublik und der sowjetischen Kunst in der Sammlung Ludwig war die erste Ausstellung, in der der Sammler seine Ankäufe aus der UdSSR präsentierte.

1.14 A spek te sow jetischer K unst der G egen wa rt (06.06.– 05. 09. 1982, Kölnisches Stadtmuseum, 03.07.–29. 09. 1982, Neue Galer ieSa mmlung Ludw ig A achen) „Ausdrück­lich bekenne ich mich dazu, mit unseren Sammlungen Kulturpolitik zu machen.“ Peter Ludwig 631

Am 4. und 5. März 1982 durfte ein geladenes Publikum im Moskauer Ausstellungsraum Haus des Künstlers (Dom Chudožnika) Peter Ludwigs Auswahl sowjetischer zeitgenös­sischer Kunst betrachten. DER SPIEGEL berichtet von 84 Gemälden, 170 Grafiken und 10 Skulpturen, die nach der Präsenta­tion in Moskau die UdSSR in Richtung Bundesrepublik verlassen würden.632 Etwa drei Jahre dauerte es, bis Peter und Irene Ludwig ­dieses Konvolut zusammengestellt hatten. Nach der „Abschieds-­Schau“ in Moskau, die „einen Hauch von Staatsak­tion“ begleitete,633 sollten die Erwerbungen dem bundesdeutschen Publikum präsentiert werden und auf eine interna­tionale 628 Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen. 629 Vgl. Bude 1993, 230. 630 Vgl. Kap. 2.4.3. 631 Ludwig 1995, Umschlag Rückseite. 632 Vgl. Anonym 1982, 200 – 202. 633 Ebd.

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Tournee gehen.634 Mit großer Aufmerksamkeit verfolgten die deutschen Medien die Reisen der Ludwigs und ihre Akquisi­tionen in der UdSSR. „Verständnis fand der Besucher [Ludwig – d. Verf.] dann auch, als es ans Verhandeln ging. Kein Kaufwunsch wurde ihm abgeschlagen, obwohl Spitzenware, zu der Ludwig seine Erwerbungen zählt, sonst den sowjetischen Museen vorbehalten sei und nur zweite Wahl zur Ausfuhr freigegeben werde. Trotzdem brauchte er dem zuständigen Export-­Salon keine ‚hohen oder auch nur guten Preise‘ zu zahlen, sondern konnte ein ‚Pauschalpreisgespräch‘ führen und mit einer – geheimen – moderaten Summe abschließen: Die Behörden bestanden nicht auf lukrativen Geschäften [sic!], sie würdigten den Vorgang als ‚kulturpolitische Aktivität‘.“635

Im Sommer 1982 wurde eine Ausstellung in der Bundesrepublik eröffnet, die zeitgleich an zwei Orten gezeigt wurde und die Neuerwerbungen von Irene und Peter Ludwig aus der UdSSR präsentierte. Im Kölnischen Stadtmuseum wurden Gemälde ausgestellt und in der Aachener Neuen Galerie Skulpturen und Plastiken.636 Mit der Geste einer 634 Die Wanderausstellung wurde in Wien, Regensburg, Lübeck, Hovikodden, Tilburg, Saarbrücken und Mainz gezeigt. 635 Ebd., 200. 636 Ausst.-Kat. Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart 1982, 9. Ausgestellte Künstler (alphabetisch): Malerei: Nikolai I. ­ Andronov, Zoven P. ­ Aršakuri, ­Zulejka A. ­Bašbeuk-­Melikova, Edmond G. ­Bragovskij, Vladimir E. ­Brajnin, Olga V. ­Bulgakova, ­Vladimir V. ­Demetiev, Oleg P. ­Filačev, Edvard K. ­Grube, Antas M. ­Gudajtis, Edgar Iltner, Michail V. ­Ivanov, German P. ­Jegošijn, Natalia A. ­Jegoršina, Viktor G. ­Kalinin, Jan J. ­Kryševskij, Valerij A. ­Lednëv, Ivan L. ­Lubennikov, Andrej A. ­Mylnikov, Togrul F. ­Narimanbekov, Tatjana G. ­Nasarenko, Galina A. ­Neledva, Natalija I. ­Nesterova, Anatolij J. ­Nikič-­Krilitševskij, Pavel F. ­Nikonov, Zurab A. ­Nišaradzte, Igor P. ­Obrosov, Affanasij N. ­Ossipov, Ossovskij, Pëtr P., Albert S. ­Papik´jan, ­Aleksandr N. ­Petrov, Igor A. ­Popov, Michail N. ­Romadin, Tair T. ­Salachov, Augustinas Savickas, Aleksandr G. ­Sidnikov, Herbert K. ­Silins, Dschervinna O. ­Skulme, A ­ leksandr N. ­Sovlačkov, Innia A. ­Staršenizkaja, Vladimir F. ­Stošanov, Oleg J. ­Subbi, Leo L. ­Svemp, Efrem I. ­Sverkov, Aleksej P. ­Tkačev, Jonas A. ­Tšeponis, ­Vitalij I. ­Tul´jenev, Andrej A. ­Tutunov, ­Aleksandr G. ­Tyšler, Imant O. ­Vetzolotz, Andrej V. ­Volkov, Oleg A. ­Vukolov, Indulis A. ­Zarinš, Dmitrij D. ­Žilinskij, Vitanos V. ­Zipljauskas. Bildhauerei: Leonid M. ­Baranov, Inga T. ­Savranska, Jurij L. ­Tšernov, Nina I. ­Žilinskaja. Grafik: Olga M. ­Abramova, Masabich F. ­Achunov, Jurij M. ­Altanov, Aleksandr S. ­Alymov, ­Evgenij V. ­Bačurin, Elena S. ­Bejsembinova, Nikolaj N. ­Biagovolin, Dmitrij S. ­Bisti, Irina I. ­Bolšakova, Anatolij V. ­Borodin, Adolf I. ­Demko, Harald V. ­Eelma, Moissej I. ­Fejdin, Olga N. ­Grečina, ­Illarion V. ­Golizyn, Ivan S. ­Helmuts, Medat A. ­Katarov, Alex F. ­W. Kjutt, Fedor D. ­Konstantinov, Jonas M. ­Kuzminskis, Vladimir G. ­Leonov, Michail S. ­Majofis, Igor G. ­Makarevič, Leonid M. ­Marčenko, Galina P. ­Molčanova, Viena L. Morosova, Vladimir S. ­Pimenov, Sinaida J. ­Podzniakova, Georgij G. ­Poplavskij, Nikolaj E. ­Popov, Vjačeslav A. ­Prokofiev, Kaisa K. ­Pustak, Michail N. ­Romadin, Jurij F. ­Sacharov, Boris I. ­Šejnes, Evgenij M. ­Sidorkin, Aldona P. ­Skirutite, Anatolij S. ­Slepyčev, Viktor M. ­Šmochin, Birute L. ­Stančikaitje, Aleksandr B. ­Suvorov, Vive V. ­Tolli, Boris L. ­Tulin, Lemian

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aufgeteilten Ausstellung sollte auch auf die beabsichtigten künftigen Wirkungsweisen der Stiftung Ludwig angespielt werden. Ausgestellt wurden Künstler der RSFSR und der baltischen Staaten, die allesamt eine akademische Ausbildung in der Sowjetunion genossen haben und Mitglieder des Künstlerverbandes waren. Dementsprechend handelte es sich bei ­diesem Konvolut um ausschließ­lich gegenständ­liche Malerei und Bildhauerei, die den akademischen Kunsttradi­tionen der UdSSR verpflichtet waren: realistische beziehungsweise naturalistische Darstellungsweisen, die durch den eigenen künstlerischen Ausdruck stilisiert wurden. Die Künstler machten keine Experimente und fielen nicht durch extreme stilistische Besonderheiten auf, wie ein Kommentar des NDR III andeutet: „Die Eintönigkeit der Bilder offenbart dem Betrachter als generellen Eindruck die Versteppung, will sagen Nivellierung revolu­tionärer Anstöße aus der Zeit der Oktoberrevolu­tion, aus der ikonographischen Tradi­tion des eignen Landes und aus dem west­lichen Einflußbereich eines impressionistisch sedierten Expressionismus.“637

Wenn man die anhaltende Sehnsucht nach dem Gedankengut der Revolu­tionskunst außer Acht lässt, die im Westen bis zum heutigen Tag besteht, dann könnte mit ­diesem Zitat tatsäch­lich die Gesamtwirkung der Ausstellung beschrieben worden sein. Denn beim Durchsehen des Begleitkatalogs fällt auf, wie schwermütig und melancho­lisch die ausgestellten Motive waren. Unterstützt wurde das Gefühl der „Versteppung“ durch die Wahl der Motive – die offiziellen sowjetischen Künstler haben sich seit den 1960er-­ Jahren immer weiter ins Private zurückgezogen. Die Helden ihrer Bilder wandelten sich in trauernde, einsame Gestalten im tristen, urbanen Raum oder in einer strengen, romantisierten Landschaft. Was bei den Malern des rauen Stils noch einen starken bewegenden Ausdruck hatte, ist im Laufe der Jahre immer konven­tioneller und eintöniger geworden. Weder die Art der Darstellung noch das Dargestellte konnten einen Betrachter in der Bundesrepublik überzeugen, viel zu manieristisch und gekünstelt war die Bühne der sowjetischen Hoffnungslosigkeit in den Augen des west­lichen Betrachters. Somit ist es nicht überraschend, dass die Namen der in Köln und Aachen ausgestellten Künstler wieder schnell in Vergessenheit gerieten. Sogar die Organisatoren der Ausstellung hielten sich mit ästhetischen und formalen Aussagen zurück, keinerlei kritische

M. ­Utenkov, Viktor S. ­Vilner, Vello Vinn, Mare J. ­Vint, Vitalij M. ­Volovič, Viktor E. ­Zigal, Karl P. ­Zirulis. 637 Engelhard, Günter: Texte und Zeichen, ­­ Liebestanz der Kamele oder: Der Archivar in der Steppe. Radio NDR III, 06. 07. 1982, um 19.05 Uhr.

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Betrachtungen und Vergleiche wurden herangezogen.638 Der Katalog wurde nur mit einem Vorwort von Wolfgang Becker, Karl Ruhrberg und Hugo Borger versehen. Diesem folgten Kurzbiografien der Künstler, die alle von sowjetischen Kollegen verfasst wurden und sich kaum voneinander unterschieden. Es herrschte eine Reizlosigkeit in der Darbietung dieser Werke und der Künstler, die durch allgemeine Aussagen noch verstärkt wurde. Die Ausstellungsmacher und Autoren des Katalogs wagten offenbar nicht, die ausgestellten Werke historisch und kritisch einzuordnen. Die Ausstellung hätte aufgrund ihres dokumentarischen Wertes, der im Katalog immer wieder betont wird, viel besser thematisiert werden können. Wenn man jedoch den Katalog durchliest, scheint es, als ­seien konkrete Aussagen, sowohl von der deutschen als auch von der sowjetischen Seite, unerwünscht. Die Rezensenten des NDR III kommentierten diese Situa­tion dementsprechend enttäuscht: „Naiv überlässt man sich dem offenbar exotisch wirkenden Erlebnis eines osteuropäischen Maler-­Trosses, dessen Schilderungen in des Wortes inhalt­lichem Sinne links liegen gelassen würden, befleißigte sich ein Maler hierzulande solcher Darstellungsweisen.“639

Genau in jenem Punkt lag der Fehler: In dieser Ausstellung hätte für den west­lich geschulten Betrachter in dieser Zeit des Kalten Krieges eine viel tiefer gehende und deut­lichere Vermittlungsarbeit geleistet werden müssen. Die ausgestellten Arbeiten kamen aus einer anderen Gesellschaft, mit anderen politischen und kulturellen Vorzeichen. Es war hier ein Bild davon gezeichnet worden, was mit der Kunst und den Künstlern in einem auswegslos stagnierten dogmatischen System passiert. Die Arbeiten ließen erkennen, dass ihnen handwerk­liche Fähigkeiten und intellektuelle Leistungen vorausgingen und die Motive das zeigten, was dem sowjetischen Publikum gefiel und was es sehen wollte. Unbestreitbar wäre diese Forderung nicht leicht umzusetzen gewesen, standen die Organisatoren doch vor einem offensicht­lichen Interessenproblem: So deut­lich hätten sie nicht von den Versäumnissen des Künstlerverbandes sprechen können, da dieser Hauptvertragspartner von Peter Ludwig war und auch der Botschafter hätte solch eine Erklärung nicht gutgeheißen. So stand man wieder einmal vor einem formalästhetischen Problem – einer Inkompatibilität von Publikum und der ausgestellten Kunst. Nur durch eine Kunstvermittlung hätte es hier eine Mög­lichkeit gegeben, ein gegenseitiges Annähern zu erreichen, aber diese Media­tion stand nicht auf der kulturpolitischen Agenda der Veranstalter. 638 Borger/ Ruhrberg/Becker. In: Ausst.-Kat. Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart 1982, 7. 639 Engelhard, Günter: Texte und Zeichen, ­­ Liebestanz der Kamele oder: Der Archivar in der Steppe. Radio NDR III, 06. 07. 1982, um 19.05 Uhr.

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Der Titel der Ausstellung sollte den Wunsch betonen, einen Einblick in die zeitgenös­sische sowjetische Kunst zu geben und keineswegs repräsentativ für das künstlerische Schaffen des ganzen Landes zu sein. Im Katalog wurde dieser Gedanke jedoch wieder mit der Aussage relativiert, dass diese Ausstellung die erste sei, die einen „zusammenfassenden Überblick“640 biete. Die Verfasser des Katalogs wollten den Mehrwert dieser Sammlung hauptsäch­lich damit begründen, dass sie von einer west­lichen Person zusammengestellt wurde. In der Pressemitteilung und im Katalog wurde ausdrück­lich betont, dass die Arbeiten nicht im Büro des Künstlerverbandes, sondern in den Künstlerateliers gekauft wurden. Weiter hieß es, dass es auch in den Museen der Sowjetunion nicht zu Ausstellungen zeitgenös­sischer Kunst komme, weil der Platz fehle und die Museen sich vielmehr nach dem „Historischen“641 statt dem Aktuellen ausrichteten. Daraus wurde abgeleitet, dass der „Avantgarde-­Begriff“ in der UdSSR keine Rolle spiele.642 Auch der klas­sische sozialistische Realismus ist nach Erfahrung von Peter Ludwig aus der Kunstproduk­tion so gut wie verschwunden. Die Autoren waren überzeugt, dass die Orientierung sowjetischer Künstler an der Malweise des 18. und 19. Jahrhunderts häufigen Museumsbesuchen zu verdanken sei.643 Längere Aufenthalte in Gemäldegalerien und Kopien der Meisterwerke west­licher Künstler waren schon immer obligatorisch für die Kunstausbildung in der UdSSR . ­Die ausgestellten Künstler stammen hauptsäch­lich aus der RSFSR und den baltischen Republiken, wo der europäische Einfluss auf die akademische Kunst seit Jahrhunderten groß war und auch in der sowjetischen Zeit weiter kultiviert wurde. Dieser Einfluss bezog sich allerdings in der Lehre und in der offiziellen Kunst nur auf die Tradi­tionen der letzten Jahrhunderte, die zeitgenös­sischen Entwicklungen wurden als formalistisch eingestuft und somit für unbrauchbar erklärt. 644 In der Ausstellung konnte man die Epigonen von Cézanne, Šagal, van Gogh und Picasso sehen. Kurios für den west­lichen Betrachter war, dass man die Bilder auf den Anfang des 20. Jahrhunderts datieren könnte, tatsäch­lich waren die meisten von ihnen ­zwischen 1960 und 1980 entstanden. „Nimmt man zur Kenntnis, daß der westeuropäische oder west­liche Avantgardebegriff in der gegenwärtigen Kunst der Sowjetunion kein Thema ist, sondern ein tradi­tionalistischer Zug ihr eigent­liches Kennzeichen – und das ist kaum ein Wunder in einem sehr hierarchisch

640 Borger/ Ruhrberg/Becker. In: Ausst.-Kat. Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart 1982, 7. 641 Ebd. 642 Vgl. ebd. 643 Vgl. ebd. 644 Vgl. Pressemeldung zur Ausstellung, 2 (Archiv des Museum Ludwig Köln).

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organisierten Staat –, so durfte es doch die eigent­liche Überraschung dieser Ausstellung sein, wie viel Privatheit in den Bildern, Plastiken und Graphiken greifbar ist.“645

Die Privatheit der Bilder wurde in der Pressemitteilung mit der Courage der sowjetischen Künstler gleichgesetzt. Das Innere, so die Autoren, kehrten die sowjetischen Künstler nach außen. Die Tristesse und Einsamkeit ihrer Bilder wurden zum allgemeinen Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts erklärt, welches von den ausgestellten Künstlern in meisterhafter Manier vor Augen geführt werde. Nach derart floskelhaften und oberfläch­lichen Aussagen wundert es nicht, dass die Ausstellung in der Presse verrissen wurde. Viel zu gern ließen sich die Organisatoren der Ausstellung in ihren Erklärungen von der Tristesse des sowjetischen Lebens einnehmen und manifestierten diese als charakteristische Eigenschaft der zeitgenös­sischen Kunst aus der UdSSR. ­Betrachtet man die Bilder jedoch genauer, sind es konstruierte Komposi­tionen der Traurigkeit, aber keineswegs ­welche, die Empathie erwecken. Die Bilder aus der UdSSR gaben eine Anleitung zu Mitgefühl und Sentimentalität, die sich jedoch bei näherem Hinsehen selbst nivellierte. Es ist der starke Drang zum Narrativen, der dieser Kunst den Zauber nimmt und sie zur reinen Illustra­tion verkommen lässt, vielleicht waren deshalb die ausgestellten grafischen Arbeiten, die meisten von ihnen Buchillustra­tionen, die am meisten gelobten Werke der Doppelausstellung. Die Betonung der Veranstalter lag immer wieder auf dem Humanismus der Arbeiten: „So wenig diese Kunstwerke an den Vorstellungen unseres Kunstverständnisses gemessen sein wollen und können, so sehr scheinen sie Dokumente einer Kunstübung, die die Menschlichkeit als eigent­lich erstrebenswertes Ziel nicht bloß zum Ausdruck bringen, sondern zum Programm erheben will.“646

Allein die Wortwahl des Pressetextes lässt bereits eine Resigna­tion vor dem Ausgestellten anklingen. „Kunstübung der Menschlichkeit“647 ist das Stichwort – nirgendwo wurde ausdrück­lich die Qualität der Arbeiten angesprochen, nur darauf hingewiesen, dass die Maler eine solide Grundausbildung genossen haben. Der Text liest sich wie eine schwerfällige Bemühung etwas aufzuwerten, was bei richtiger Vermittlung nicht notwendig gewesen wäre. Auch der ständige Verweis auf den west­lichen Avantgarde-­ Begriff erschien wie eine Rechtfertigung für die fehlende Kraft in den sowjetischen Arbeiten. Immer wieder wurde der Besucher darauf hingewiesen, das Ausgestellte bloß 645 Ebd. 646 Ebd., 3. 647 Ebd.

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nicht mit falschen Wertvorstellungen zu betrachten. Der folgende Abschnitt aus dem Katalog kann Pars pro Toto angesehen werden: „Die Ausstellungen in Köln und Aachen sind eine wichtige Informa­tion. Informa­tion ist durchaus nicht immer mit Identifika­tion gleichzusetzen, und so stellen sich die Präsenta­ tionen vornehm­lich dem Urteil des Publikums und der Kritik. Immerhin läßt sich voraussagen, daß die thematische Vielfalt dieser sowjetischen Kunst der Gegenwart manchen Besucher überraschen wird.“648

Abgeschlossen wurde der hoffnungsfrohe Presse-/Katalogtext mit dem Hinweis auf die documenta 7, die zeitnah stattfand. Diese beiden Ausstellungen würden sicher­lich heftige Diskussionen auslösen, doch jetzt sei man erleichtert im Wissen, dass über die sowjetische Kunst nicht nach „Hörensagen“649, sondern mit „konkreten Kenntnissen“650 gesprochen werde. Im Vorwort des Katalogs bemühten sich Borger, Becker und Ruhrberg, Ludwigs Sammlungslogik deut­licher hervorzuheben. Der Dokumenta­tion als sinnstiftendes Element einer Sammlung, die nach Meinung der Autoren schon immer zu ihren impliziten Funk­tionen gehört, wird die Qualität entgegengesetzt, w ­ elche in letzter Zeit in den Museen an Bedeutung gewann. Diese Situa­tion wende sich nun wieder zugunsten der Dokumenta­tion, sodass die Sammlung Ludwig als richtungweisend angesehen werden könne.651 Schon bei der Kunst der DDR hätten die Ludwigs versucht, Tendenzen zu untersuchen und zu dokumentieren, hatten dafür aber keinen Zuspruch erhalten. Als sie jedoch anfingen, die sowjetische Kunst des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts zu sammeln, fiel die Reak­tion der Öffent­lichkeit hingegen sehr positiv aus.652 Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass die Kunst der rus­sischen Avantgarde, als sie von Ludwig Ende der 1970er-­Jahre gekauft wurde, bereits etabliert war und zugleich eine wichtige Periode in der Kunstgeschichte repräsentierte. Der Kauf des Sammlungsbereichs zeitgenös­sische sowjetische Kunst war ein riskanteres Unterfangen. Obwohl die Künstler nicht die Vorstellung von der klas­sischen offiziellen Kunst der UdSSR bedienten, so waren sie dennoch Repräsentanten des Künstlerverbandes. Die Probleme der Sowjetunion Anfang der 1980er-­Jahre wirkten sich auch auf

648 Ebd. 649 Ebd. 650 Ebd. 651 Vgl. Ausst.-Kat. Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart 1982, 8. 652 Vgl. ebd.

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die Rezep­tion der offiziellen Kunst aus. Im SPIEGEL wurde dieser kulturpolitische Versuch Ludwigs kritisch gesehen: „Mit seiner Sowjet-­Sympathie, die sogar, in Anbetracht historischer Bedingungen, Verständnis für das kommunistische System einschließt, und mit einer Bilder-­Lese, die seinem Kenner-­ Ansehen schaden könnte, platzt Ludwig in eine heikle Situa­tion.“653

Hier wurde primär auf die Pläne für die na­tionale Stiftung Ludwig angespielt, die zu ­diesem Zeitpunkt noch verhandelt wurden.654 Denn auch wenn die versprochenen Sammlungsbestände wichtig für die bundesdeutsche Kulturlandschaft waren, bewies Ludwig der westdeutschen Öffent­lichkeit mit dem Ankauf sowjetischer Kunst, dass der Sammler selbst über Werte und Qualität bestimmen wollte. 1.14.1 Medienresonanz der Ausstellung Die Erstpräsenta­tion der neuen offiziellen sowjetischen Kunst erregte großes Aufsehen in der deutschen Medienlandschaft. Wie Peter Ludwig und seine Mitarbeiter es vorausgeahnt hatten, waren die meisten Rezensionen ablehnend gegenüber der Ausstellung. Journalisten und Kritiker traten Ludwigs Argumenten nicht mit Wohlwollen entgegen, sein Beharren auf die Abschaffung des west­lichen Blicks und die Wiedergeburt der humanistischen Kunst fanden nur wenige Befürworter. Bei der Pressekonferenz wurden erste Fragen nach der Qualität der ausgestellten Arbeiten laut. Diese wurden vom Generaldirektor der Kölner Museen Hugo Borger, dem Direktor des Museums Ludwig Karl Ruhrberg und vom Sammler selbst verdrossen beantwortet, indem sie wiederholt auf die angeb­lich verschiedenen Maßstäbe in der Kunstrezep­tion z­ wischen Ost und West verwiesen, wie der Mannheimer Morgen schrieb.655 Die Organisatoren 653 Anonym 1982, 200 – 202. 654 Seit 1980 verhandelten die Ludwigs mit Helmut Schmidt die Pläne für eine bundesweite Stiftung. Die Stadt Köln, das Land Nordrhein-­Westfalen und der Bund sollten sich zu gleichen Teilen beteiligen. Anfangs wurde die Idee positiv angenommen, doch als die ersten Satzungspläne bekannt wurden, schlug die Stimmung um. Künstler, Museumsleute und Kritiker waren gegen die geplante Dominanz von Peter Ludwig im Stiftungsrat. Zusätz­lich herrschte Unklarheit darüber, was aus der Sammlung Ludwig tatsäch­lich in die Stiftung eingebracht werden würde. Zum größten Kritiker des Vorhabens wurde Werner Schmalenbach, Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-­Westfalen. Im Juli 1982 nahm Peter Ludwig seine na­tionalen Stiftungspläne zurück. Kurze Zeit ­später gründeten die Eheleute ­Ludwig die Ludwig-­Stiftung für Kunst und interna­tionale Verständigung in Aachen, diese Stiftung sollte zu einem großen Teil von dem Schokoladen-­Unternehmen Ludwig Schokolade GmbH & Co. KG finanziert werden (vgl. Bude 1993, 199 – 203). 655 Vgl. Heybrock 1982, 50.

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befanden sich stets in der defensiven Posi­tion. Ihre erkennbar schwache Argumenta­ tion und die hyperbo­lische Preisung der sowjetischen Kunst stellten sich als hilflose Versuche heraus, diese in den Augen der west­lichen Presse aufzuwerten. Eine Ursache für die fadenscheinige Konzep­tion bildete auch die kurze Zeitspanne, die Borger, Ruhrberg und Becker hatten, um die Ausstellung für Köln und Aachen vorzubereiten. Man beließ es dabei, Peter Ludwig immer wieder für sein Engagement zu danken und versuchte, von den Fehlern im Katalog, der unter großem Zeitdruck entstanden war, abzulenken. In der lokalen Presse wurde die Ausstellung deswegen entschieden verrissen: „Dieses Ausweichmanöver wird umso ärger­licher im Vergleich mit den Texten zu jedem Künstler, die ledig­lich aus dem Rus­sischen übersetzt (was nirgends erwähnt wird) und schematisierte Lobeshymnen sind.“656

Noch deut­licher äußerte sich der Rezensent des Rheinischen Merkurs: „Im Katalog unterzieht sich ein Autorenkollektiv aus der Köln-­Aachener Museumsspitze der sicht­lich pein­lichen Mühe, Ludwigs Moskauer Fischzug gebührend zu würdigen. Von Qualität ist vorsichtshalber gar nicht die Rede, dafür umso mehr von Dokumentieren und Informa­tion. Wenn Ludwigs im Bau befind­licher Kunstpalast ein Museum für Völkerkunde werden soll, wäre das vielleicht das richtige Sammelprinzip.“657

Die durchgängige Überzeugung der Presse war, dass die Betrachter ohne eine erläuternde Modera­tion den Aspekten sowjetischer Kunst überlassen werden. Die Autorin des Mannheimer Morgens stellte unter diesen Umständen die berechtigte Frage: „Was ist Kunst und was nur gut gemeint?“658 In der Aachener Zeitung wurde versucht, die Argumenta­tion Ludwigs zu verstehen – tatsäch­lich hätten die Museen näm­lich auch eine dokumentarische Funk­tion, diese erfordere eine klare Linie und einen „gewissen Abstand zum Gezeigten“659, resümierte Thomas Strauss, der 1991 mit Ludwig an seinem großen Ostkunst  – Westkunst-­Projekt arbeiten sollte. Das Private, das von den Autoren im Katalog als mutig und stark gelobt wurde, sei nichts anderes als eine offensicht­ liche Konsequenz des Verlustes jeg­licher Ideale. Hinzu kommt, dass „mutig“ 660 nicht gleich „ästhetisch wertvoll“661 impliziere, was im Katalog aber miteinander verwech656 Müller 1982. 657 Schön 1982. 658 Vgl. Heybrock 1982, 50. 659 Strauss 1982. 660 Ebd. 661 Ebd.

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selt werde. Ein wichtiges Moment, das hier erkannt wurde, ist die Einseitigkeit der Argumenta­tion, die Ludwigs Autoren vorbringen: „Wenn die Organisatoren der Ludwig-­Schau betonen, der Avantgarde-­Begriff, ‚der die Kunst der Gegenwart im Westen kennzeichnet‘, spiele in der UdSSR ‚keine oder kaum eine Rolle‘, nehmen sie eine selbst in der Sowjetunion von heute meist als einseitig und reak­tionär beurteilte Einschätzung der künstlerischen Entwicklung Rußlands vor, wie sie durch die bekannten Reden des Kulturpolitikers Zschdanow ­zwischen 1947 und 1949 geprägt worden war.“662

Der Verfasser betonte, dass das künstlerische Experimentieren und Forschen in der Sowjetunion niemals geendet habe und dass ein solch einfaches Herleiten, wie es sich die Organisatoren der Ausstellung erlaubten, einfach untragbar sei. Der Rezensent der WELT ging noch einen Schritt weiter, indem er darauf verwies, dass das Gezeigte gar nicht so neu für den Westen sei, wie es die Organisatoren immerfort betonten. Es sei ungerecht, dass Ludwig, Henri Nannen und das art-­Magazin der Bundesrepublik vorwerfen würden, „ignorant“663 zu sein. Nur acht Künstler aus der Ausstellung waren bisher im Westen nicht zu sehen gewesen, das bedeute, dass die Informa­tionslücken weniger beim Publikum als bei dem Großsammler Ludwig zu suchen ­seien, der auch zugebe, vor ein paar Jahren noch keinen rus­sischen Künstlernamen nach Malevič gehört zu haben.664 Das Desinteresse an zeitgenös­sischer sowjetischer Kunst sei keine Folge von arroganter Ignoranz, wie Ludwig es darstelle, sondern recht einfach und pragmatisch so: „Niemand hielt das, was da immer wieder mal zu sehen war, für künstlerisch bedeutend genug, um darauf einzugehen.“665 Die Ausstellung dieser Kunstwerke erinnerte vielmehr an barocke Wunderund Kunstkammern, die von neugierigen Reisenden mit allerlei ethnolo­gischen Objekten bestückt wurden. Nur weil es anders und exotisch erscheine, muss man es nicht für Kunst halten, war die strenge Meinung von Peter Dittmar. Mit dieser Meinung stand er nicht allein dar, dennoch stellte sich gleichzeitig die Frage, wie wichtig die Dokumenta­tion und das Sammeln dieser Bilder waren? Eduard Beaucamp, ein großer Befürworter des Sammlers, lobte Ludwigs Idealismus und Passion und verwies auf einen der wichtigsten Aspekte der Unternehmung – ihre kulturpolitische Dimension:

662 Ebd. 663 Dittmar 1982. 664 Ebd. 665 Ebd.

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„Diese Implika­tionen machen aus dem privaten Vorstoß und einer ästhetisch fast verharmlosten Angelegenheit, die man der Kategorie Kunstdiplomatie, Förderung von Aufklärung und ‚Völkerfreundschaft‘ zuordnen könnte, ein kulturpolitisch hochkarätiges Ereignis.“666

Dafür, dass es sich um einen kulturpolitischen Schachzug handelte, legte Beaucamp noch einen weiteren Beweis vor: Peter Ludwig kaufte für seine Sammlung auch zwei Bilder des Dissidenten Boris Birger, die jedoch im Katalog nicht erwähnt wurden.667 War also die Akquise sowjetischer offizieller Kunst nur ein erster Vorstoß auf offizieller Ebene? Diese Vermutung konnte ­später ihre Bestätigung darin finden, dass Ludwig in großem Ausmaß anfing, die Kunst der Moskauer Konzeptualisten und Dissidenten Il’ja I. ­Kabakov, Griša D. ­Bruskin, Erik V. ­Bulatov und anderer zu sammeln.668 Anfang der 1980er-­Jahre hielt er aber noch Abstand zu diesen Künstlern. Dafür gibt es zwei mög­liche Erklärungen: Ludwig wollte zuerst die Beziehung zu der UdSSR auf offiziellem Wege stärken und sich nicht wie viele andere Westler ausschließ­lich für Dissidenten und politisch verfolgte Künstler interessieren, daraus ergibt sich auch die zweite Vermutung, dass weil die Dissidenten im Westen mehr Ansehen genossen, Ludwig sich auf ihre offiziell anerkannten Kollegen spezialisierte. Diese Überlegung wäre eine lo­gische Folgerung der Ludwig’schen Einkaufsethik. Dabei scheute er nicht den Skandal, den er vorausgeahnt und schließ­lich ausgelöst hatte. So geschah es dann auch: Die Ausstellung bestärkte die Protestak­tion gegen die geplante Stiftung Ludwig auf Bundesebene. Unter Führung von Werner Schmalenbach, dem damaligen Direktor der Kunstsammlungen Nordrhein-­Westfalen in Düsseldorf, wurden mehrere Hundert Unterschriften aus dem Kulturbereich gegen Ludwigs Pläne gesammelt. Selbst wenn seine Kulturpolitik auf Bundesebene nicht die gewünschten Ergebnisse lieferte, sah Peter Ludwig seine „Eroberung des Ostens“669 als einen großen Erfolg an und plädierte tatkräftig für seine sowjetischen Künstler. Kontinuier­lich versuchte er auch, die Einstellung der Deutschen gegenüber der offiziellen Kunst in der UdSSR zu entschärfen. Er vertrat öffent­lich die Meinung, dass es unhaltbar sei, der sozialistischen Partei die Verantwortung für das Ende der rus­sischen Avantgarde zuzusprechen – es sei eine natür­liche Entwicklung gewesen, so wie im Deutschland der 1920er-­Jahre die Kunst auch wieder gegenständ­lich geworden sei. Dabei lobte er die Ernsthaftigkeit und die handwerk­liche Souveränität sowjetischer Kunst, die so weit weg sei von den 666 Beaucamp 1982, 25. 667 Vgl. ebd. 668 Siehe Kap. 4.3. 669 „Alle Angriffe und Bedenken […] hat Ludwig mit der Argumentiertaktik des Realpolitikers zu unterlaufen versucht.“ (Schön 1982).

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„Gags“ von Warhol und Beuys.670 Ähn­lich formulierte Ludwig seine Meinung bei der Pressekonferenz in Moskau, die vor dem Export der Arbeiten in die Bundesrepublik im Haus des Künstlers stattfand.671 In seiner Rede negierte der Sammler die west­liche Diskussion über Malevičs Spätwerk und bestätigte die öffent­liche sowjetische Posi­ tion, indem er die Rückkehr des Künstlers zur Gegenständ­lichkeit als eine natür­liche Weiterentwicklung beschrieb. Unaufhör­lich betonte er seine Pionierleistung auf dem Gebiet der sowjetischen Kunst, die von der westdeutschen Öffent­lichkeit mehrfach infrage gestellt wurde. Im gleichen Text hielt er ein Plädoyer für die deutsch-­sowjetische Völkerverständigung. Die Form und Wortwahl erinnern an rhetorische Allgemeinplätze, die üb­licherweise Verwendung durch Kulturpolitiker und Diplomaten finden. „Nichts ist so geeignet, andere kennenzulernen, als die Kunst: sie macht unbestech­lich das Innere offenbar. Deswegen ist Kunst in hervorragender Weise geeignet, Botschaften zu vermitteln und den Frieden zu fördern. Es ist wünschenswert, wenn auch west­liche Kunst weit stärker als bisher in der Sowjetunion anschau­lich würde, da Kunstaustausch keine Einbahnstraße sein kann. Die Aachener und Kölner Museen sind demgemäß in Verhandlungen, die mit den sowjetischen Partnern aussichtsreich laufen.“672

Peter Dittmar setzte sich in der konservativen Zeitung DIE WELT genauer mit den kulturpolitischen Bemühungen Ludwigs in der UdSSR auseinander. Er wagte einen polemischen Vergleich der UdSSR mit dem Dritten Reich und sah Ludwig als einen fragwürdigen Befürworter eines repressiven Staates. Er schrieb, dass es gefähr­lich werde, wenn es nicht mehr das Privileg der Politiker und Journalisten sei, in die Sowjetunion zu reisen. Kunstkäufer wie Nannen und Ludwig verhielten sich, seiner Meinung nach, ambivalent, wenn sie gleichzeitig versuchten, mithilfe der Kunst Politik zu machen, aber „uns vehement warnen, daß beides strikt getrennt werden müsse“.673

670 Vgl. Vortrag von Peter Ludwig für die Rotarier, Archiv Ludwig Forum Aachen. Diese Bemerkung wird ­später in der sowjetischen Zeitung Prawda auftauchen. Der sowjetische Korrespondent konstatiert, dass viele west­liche Künstler nur „Showmen“ ­seien und nichts weiter (vgl. Semënov 1982). 671 „Ich glaube, dass das nicht nur Ausdruck des Wollens der Kulturpolitik war, sondern einerseits der interna­tionalen Entwicklung der zwanziger Jahre entsprach, wo ja auch die west­liche Kunst wieder gegenständ­lich, klassizistisch und neu-­sach­lich wurde, und andererseits dem rus­sischen Wesen entsprach, das in seiner langen Geschichte sprunghafte Bewegungen in der Kunst nie gekannt hat. Die Rückkehr des großen Kunstrevolu­tionärs Malewitsch zur Gegenständ­lichkeit ist symptomatisch.“ (Rede von Peter Ludwig vor Presse in Moskau, 05. 03. 1982, Archiv des Museum Ludwig in Köln). 672 Ebd. 673 Dittmar 1982/I.

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Peter Ludwig betone häufig, dass er der Völkerverständigung dienen möchte, zugleich argumentierte er aber politisch: „Man müsse auch die Kunst eines so einflussreichen Machtgefüges wie des kommunistischen zur Kenntnis nehmen. Und im Katalog unterschieden sie brav ­zwischen der ‚Bundesrepublik Deutschland‘ und ‚Berlin West‘, auf dass die politische Wort-­Kunst des Sowjetregimes nicht zu kurz komme.“674

Dittmar verg­lich sowjetische Staatskünstler mit deutschen Künstlern wie Josef ­Thorak und Adolf Ziegler. In Ludwigs öst­licher Mission sah er eine blinde Unterstützung der Diktatur und eine umgekehrte Missionierung. Er kritisierte, dass Ludwig das als Kunst anerkenne, was ihm von den Sowjets angeboten werde und somit den offiziellen sowjetischen Künstlern helfe, mehr Bedeutung zu erlangen. Dabei erinnerte er immer wieder an die politischen Fehltritte der UdSSR: „Jetzt, während sowjetische Heere Afghanistan besetzt halten und vor den Grenzen Polens bereitstehen, verkündete der Kölner Generaldirektor Borger in Aachen, zu viele ‚reden über den Frieden, ihn zu praktizieren geschieht hier‘. Wenigstens so tief sind Brekers Jubler damals nicht herabgesunken.“675

Nach weiteren Vergleichen mit der Kunst der NS-Zeit und ihren Unterstützern beendete Dittmar seine Polemik mit folgenden Worten: „Die Hilfe ist nötig; Breker war wenigstens ein guter Kunsthandwerker, aber die offizielle Sowjetkunst ist recht kläg­lich […] Nicht nur wie hier nach dem Versagen sowjetischer Politik und Wirtschaft mit Hilfe quasioffizieller Stellen des Kunstbetriebs sowjetische Kunst hochgejubelt werden soll, um ‚dem Frieden zu dienen‘ und die Kräfte dahinter vergessen zu lassen. Sondern auch, wie der Kontrast aus Lärm des Anspruchs und Schäbigkeit des Anblicks akkurat die bisherigen Erfahrungen mit den Friedensdiensten an der UdSSR wiedergibt.“676

Es wird hier deut­lich, wie tief das Unbehagen gegenüber der offiziellen sowjetischen Kunst in manchem Wortführer der deutschen Presse saß. Der Auslöser dieser extremen Vergleiche und Äußerungen war keineswegs der Anblick der ausgestellten Bilder. Es ist das benannte Zitieren eines vehement abgelehnten politischen Programms, das 674 Ebd. 675 Ebd. 676 Ebd.

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jeden Kunstgenuss zu dieser Zeit unmög­lich machte. Befürwortungen und Lob gab es nur für die inoffiziellen und dissidenten Kunstrichtungen, ungeachtet der Qualität ihrer Arbeiten. Alles, was von Künstlern des Verbandes produziert wurde, gehörte nicht in die freie Kunstwelt, für die die Bundesrepublik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kämpfte. Auch im NDR II wurde Ludwig bescheinigt, ein „umgekehrtes SALT II“ 677 zu führen – während die Politik die Abrüstung verhandle, rüste Ludwig im Gegenzug mit der Kunst auf und versuche, das Verhältnis amerikanischer und sowjetischer Kunst „auf deutschem Boden“678 auszubalancieren. Seine Ausstellungen wurden als „eine zweiteilige Entspannungsschau“679 bezeichnet. Dass er versuchte, es allen Großmächten recht zu machen, stand auch in d ­ iesem Bericht außer Frage. Als bester Beweis für diese These galt durchweg der Katalog: „Ganz im Dienste, um nicht zu sagen: im Solde, des Kunstpotentaten, schwenken dort so souveräne Wortführer ihrer unbequemen, umstrittenen Vorreiter unter den zeitgenös­sischen Bildermachern wie die Museumsleute Hugo Borger, Karl Ruhrberg und Wolfgang Becker auf die Huldigungssprache für Staatskünstler ein […] Wachsweich formulieren sich intelligente Leute um eine Kunst herum, deren Präsenta­tion ledig­lich als freundschaft­licher Kotau im Zuge völkerverbindender Aktivitäten ihren diplomatischen Sinn macht […].“680

Der Autor ist überzeugt, dass diese Museumsleute unter anderen Umständen diesen Künstlern keine Beachtung geschenkt haben. Es sei das Machtgefüge um Peter Ludwig, das sie dazu gezwungen habe. Ludwig besitze zudem die Impertinenz, seine Ausstellung mit den bedeutendsten kulturpolitischen Ereignissen zu vergleichen, wie zum Beispiel die Malevič-­Ausstellung in Düsseldorf 1980 oder Die Rus­sischen Realisten 1972 in Baden-­Baden. Als besonders empörend empfanden manche Pressevertreter, dass im Katalog ein Zitat von Bertold Brecht zur Legitima­tion ­dieses Projektes benutzt wurde.681 In ­diesem Zusammenhang wurde dem Sammler ein „eklatanter Argumenta­tions-­ Notstand“ 682 bescheinigt – er hätte sich verzettelt und dem west­lichen Publikum zu viel zugemutet. Seine Aufwertung dieser Kunst sei einfach nur pein­lich. Er möchte in 677 Engelhard, Günter: Texte und ­­Zeichen. In: NDR II, 06. 07. 1982, um 19.05 Uhr. 678 Ebd. 679 Ebd. 680 Ebd. 681 „Aber die Massen haben weniger ästhetische und mehr politische Interessen, und zu keiner Zeit war Schillers Vorschlag, die politische Erziehung zu einer Angelegenheit der Ästhetik zu machen, so offensicht­lich aus­sischtslos wie heute.“ (Becker/Borger/Kolberg 1982, 9). 682 Engelhard, Günter: Texte und ­­Zeichen. In: NDR II, 06. 07. 1982, um 19.05 Uhr.

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der sowjetischen Kunst ein Spiegelbild der Gesellschaft erkennen und in der primitiven und kitschigen Darstellungsweise ein ästhetisches Prinzip, meinte der NDR II.683 Trotz unterschied­licher Bemühungen schlugen Ludwigs und Semënovs Versuche fehl, die bundesdeutsche Öffent­lichkeit mit der sowjetischen Gegenwartskunst des Künstlerverbandes zu versöhnen. Das Radio DDR berichtete im Januar 1983 anläss­lich der Eröffnung der gleichen Ausstellung im Künstlerhaus in Wien, dass die Ludwigs erschrocken und geschockt waren „vom Ausmaß an Arroganz und Voreingenommenheit, das ihnen, zurückgekehrt und ihren Schatz öffent­lich präsentierend, entgegenschlug“.684 Als Grund dafür führten sie immer noch die „Angst vor dem Unbekannten“ an.685 Es muss Peter Ludwig hoch angerechnet werden, dass er sich getraut hat, ­dieses Konvolut nach Westdeutschland zu überführen und es dort auszustellen. Damit posi­ tionierte er sich klar und konsequent im Sinne seiner Weltkunstidee. Dass die Ausstellung Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart so große Kritik erfahren hat, dürfte den Sammler nicht unvorbereitet getroffen haben. Einige Artikel über die Ausstellung waren polemisch verfasst, was stark an die Sprache der totalitären Staaten selbst erinnerte, die in diesen Artikeln eigent­lich kritisiert wurden. Es entsteht der Eindruck, dass die deutsche Öffent­lichkeit in gewisser Weise Furcht vor der offiziellen sowjetischen Kunst hatte und zu ihr auf Distanz gehen wollte. Wenn diese Werke aber, wie es oft betont wurde, qualitativ so schlecht ­seien, warum dann überhaupt so viel Aufhebens um sie machen? Einerseits wurde es als eine Art Verrat angesehen, dass Ludwig als west­licher Sammler diese Werke in seine Sammlung aufnahm. Andererseits ist es hier wohl die Angst vor der subversiven Macht der Kunst, die sich ­zwischen den Zeilen solch polemischer Berichte Bahn bricht. Es scheint so, als ob die deutsche Presse eine ähn­lich große Sorge vor einer Infiltra­tion durch die sowjetische Kunst erfasste, wie die offiziellen sowjetischen Stellen eine Furcht vor west­licher formalistischer Kunst umtrieb. Die kulturpolitische Mission der Sammler Ludwig gibt Aufschluss über den wechselseitigen Blick beider politischen Blöcke aufeinander. Man erkennt hierbei, wie viel Kraft und umstürzlerisches Potenzial beide Staaten der Kunst beimaßen und deshalb auch den Kalten Krieg auch auf den kulturellen Bereich ausweiteten. Peter ­Ludwig unterwanderte das festgeschriebene Regelwerk ­dieses Krieges und gestaltete seine Sammlung nach eigenem Gusto. Dieses Übertreten von Grenzen machte ihn zu einer Persona non grata der westdeutschen Kulturlandschaft. In ihrem Ausmaß

683 Ebd. 684 Anonym: Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart. In: Radio DDR, Januar 1983; Archiv des ­Ludwig Forums in Aachen. 685 Ebd.

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unterscheidet sich die öffent­liche Distanzierung und Kritik von Peter und Irene ­Ludwig nicht von der Art, wie auf ­solche Regelübertretungen in der UdSSR reagiert wurde. In derselben Zeit wendete sich der Medienprofi Henri Nannen ebenfalls der sowjetischen Kunst zu. Er kaufte ebenfalls beim rus­sischen Künstlerverband Werke ein, um sie in der Bundesrepublik zu verkaufen. Allerdings wurde sein Engagement anfäng­lich nicht so breit rezipiert wie das des Sammlerehepaars Peter und Irene Ludwig.

1.15 In Ludw igs Sch atten? Henr i Nannen Henri Nannen bereiste die Sowjetunion schon in den 1950er-­Jahren. Der Gründer der Zeitschrift stern und leidenschaft­licher Sammler des Expressionismus begleitete Konrad Adenauer 1955 bei seinem Treffen mit Nikita S. ­Chruščëv in Moskau. Kurze Zeit vorher waren die diplomatischen Beziehungen z­ wischen der BRD und der UdSSR wiederaufgenommen worden. Im Jahr 1973 interviewte er Leonid I. ­Brežnev und auch mit Willi Brandt unternahm er Reisen nach Moskau und Warschau, um für die neue Ostpolitik zu werben.686 Zum obligatorischen Programm der Moskauund Leningradbesucher gehörte auch eine Besichtigung der berühmten Bildergalerien und Museen. Das Interesse des Publizisten an der zeitgenös­sischen sowjetischen Kunst wurde angeb­lich erst Anfang der 1980er-­Jahre durch ein sozialkritisches Bild entfacht, das er in der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau sah.687 Er fing an, erste Kontakte zu Künstlern in der Sowjetunion herzustellen. Wie Peter Ludwig besuchte er die jungen Künstler Moskaus in ihren Ateliers und operierte hauptsäch­lich mit dem Künstlerverband der UdSSR . ­Er verließ 1980 seinen Posten als Chefredakteur des sterns, um sich eine neue Existenz als Kunsthändler aufzubauen.688 Nach mehreren gescheiterten Versuchen, mit deutschem Expressionismus zu handeln, entschied er sich, eine Verkaufsausstellung mit sowjetischer Kunst zu organisieren, die er in der UdSSR kennengelernt hatte. Etwa 160 Arbeiten importierte er in die Bundesrepublik und zeigte sie zuerst in der Galerie Levy in Hamburg 689, danach in München, Düsseldorf, Dortmund, Frankfurt, Wiesbaden, Brüssel, Paris und Rom. Auch in Emden

686 Sager 1992, 223. 687 Vgl. http://kunsthalle-­emden.de/figura­tion/ (11.05. 2012). 688 Vgl. Sager 1992, 224. „[…] Henri Nannen als Kunsthändler, der ein großes Bündel dieser Kunst importierte und es mit den Galerien Levy in Hamburg und Valentien in Stuttgart unter die Leute zu bringen versuchte. Von diesen Künstlern hat sich keiner einen Namen machen und auf dem Markt durchsetzen können.“ (Dittmar 1989, 11). 689 Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei heute 1982.

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präsentierte er im Rathaus am Delft im Jahr 1983 einen Teil dieser Verkaufsausstellung.690 Die ausgestellten Künstler waren größtenteils dieselben, die auch Ludwig in seiner Doppelausstellung Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart (1982) gezeigt hatte, und somit waren auch hier viele Namen dabei, die gleichzeitig in der Sammlung des Botschafters Semënov vertreten waren.691 Der gewählte Titel der Ausstellung war bei Weitem nicht so diplomatisch wie bei Ludwig gewählt. Auch hierbei wurde deut­lich, dass diese Schau nicht für ein Museum konzipiert war. Nannen verkündete, Rus­sische Malerei heute zu zeigen, nicht nur Aspekte oder Teilansichten. Den größten Teil der Verkaufsausstellung machten Bilder aus, die der naiven Malerei nahestanden. Beide Exposi­tionen waren ihrem Gehalt nach identisch, auch die einleitenden Texte über die sowjetische Kunst der 1970er-­Jahre ähnelten sich stark. Hans Platschek schrieb im Katalog, dass die Maler der Brežnev-­Ära das Private und die Sujets der „petit bourgeoisie“ für sich entdeckten.692 Auch er versuchte, die Andersartigkeit der sowjetischen Malerei als einen großen Verdienst der Künstler zu bestätigen, und beendete den Text mit einem signifikanten Fazit: „Es wäre unsinnig, die Bilder Stück für Stück aufzuzählen und ihnen eine Beurteilung anzuhängen. Einige sind besser, einige weniger gut: das soll auch mit west­licher Kunst passieren […] Renato Guttuso hat über seine Stilleben, eine Apologie diesseitiger Dinge, gesagt, sie enthielten nur Gegenstände, die ihm vertraut sind, ihn betreffen, und an die er Hand anlegen kann. Das ­gleiche könne ein jeder der hier ausgestellten Künstler sagen. Es mag sein, ein paar Akte, ein paar Blumenstücke sind eine Spur zu kulinarisch gemalt. Wer sich daran stößt, sollte in Betracht ziehen, daß ­solche Bilder für ihn gewiß nicht gemalt worden sind. Es geschieht ihm nur recht, wenn er sich zu Hause mit Minimal-­Art oder Konzeptkunst begnügen muß.“693 690 „Henri Nannen erinnert in einem Gespräch an die erste Ausstellung mit Werken sowjetischer Künstler, die er im April 1983 in seiner Heimatstadt veranstaltete und ein Versuch war, festzustellen, wie groß das Kunstinteresse in ­diesem Raum ist. Die damals 8400 Besucher im Rathaus am Delft und mehrere verkaufte Bilder waren für Nannen ‚das große Erfolgserlebnis‘ und wohl auch mit ein Anstoß, hier die Kunsthalle zu bauen, die inzwischen bundesweit bekannt ist.“ (Gerth 1988, 4). 691 Nikolaj I. ­Andronov, Maria N. ­Andronova, Suleika Bachbeuk-­Melikova, Ara V. ­Bekarian, Jonas A. ­Cheponis, Natalia A. Egoršina, Oleg P. Filačev, Antas M. Gudajtis, Vladis N. ­Karataius, Aram A. ­Kuoetsian, Ivan L. ­Lubennikov, Boris A. Markevič, Togrul Narimanbekov, Tatiana G. Nasarenko, Natalia I. ­Nesterova, Anatolij J. Nikič, Igor P. Obrosov, Sergej I. ­Ovsepian, Albert S. ­Paprik’jan, Jurij I. Penuškin, Aleksandr K. ­Petrov, Elena B. ­Romanova, Augustinas Savickas, Jonas K. ­Shvazhas, Aleksandr G. Tyšler, Aleksandr P. Vassil’jev, Vladimir G. ­Veisberg, Andrej V. ­Volkov, Oleg A. ­Vukolov, Ildar K. ­Zaripov. 692 Vgl. Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei heute 1982, 35 – 36. 693 Ebd., 38.

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Das Begnügen mit Minimal-­Art oder Konzeptkunst lag Henri Nannen sehr fern, weshalb er sich auch erlaubte, diese provokanten Formulierungen im Katalog zu drucken. Peter Ludwig vertrat eine ähn­liche Überzeugung, die Texte in seinem Katalog wurden jedoch zurückhaltender verfasst. Im Gegensatz zu Ludwig war Nannen ein routinierter Taktierer im Umgang mit den Medien. Seine jahrzehntelange Erfahrung beim stern kam ihm zugute, da er in dieser Zeit einige Skandale verkraften und überwinden musste.694 Peter Sager schreibt in seiner Abhandlung über Sammler auch über ­Nannen, dies aber in einem wohlwollenden Ton, während das Kapitel über Ludwig vor Zynismus strotzt. Sager betont, dass Nannen geschickt die Bürger seiner Heimatstadt Emden für sich einnahm, indem er eine Malschule eröffnete, ein Bild des berühmten Stadtsohnes Ludolf Backhuizen für die Stadt kaufte und einen Kunstverein dort gründete.695 Dabei war er, im Gegensatz zu Peter Ludwig, nie verlegen darum, seine Stiftungen als PR -Ak­tionen zu bezeichnen, er nannte Backhuizen „sein trojanisches Pferd“. 696 Im selben Jahr gründete er die Stiftung Henri Nannen Zur Förderung des Verständnisses für die bildende Kunst des XX. ­Jahrhunderts und der Gegenwart. Nachdem er für Emden mehrere Wanderausstellungen in den Räumen des Rathauses organisiert hatte, entschied er sich, eine Kunsthalle für seine Sammlung zu bauen. Zu dieser Zeit gab es in Ostfriesland kein Museum, das moderne Kunst ausstellte, und Nannen war Stratege genug, um zu wissen, dass es klüger sei, in Emden eine Kunsthalle zu bauen, als seine Sammlung der Stadt Hamburg zu stiften.697 Zwar hatte er die meiste Zeit seines Lebens in Hamburg gelebt und gewirkt, aber dort wäre seine ­ iesem Sammlung in der Masse anderer kultureller Angebote untergegangen.698 Mit d Vorhaben erwies sich Nannen zudem als besonders großzügig und wieder einmal als Antipode zu Peter Ludwig. Dazu schreibt Sager: „Die Ludwig, Sprengel, Hack, von Bayerns Schlitzohr ganz zu schweigen, Deutschlands vielgepriesene Mäzene sind immer auch ‚kommunale Erpresser‘. Mit der einen Hand bieten die ihre Kunstschätze an, mit der anderen kassieren sie dafür ein Museum, mög­lichst gleich auf ihren Namen.“699

Bei dieser Betrachtung wird Nannen als positives Beispiel angeführt, denn er übergab der Stadt seine Sammlung und kümmerte sich selbst um die Finanzierung des Museums. 694 Vgl. Schreiber 1999. 695 Ludolf Backhuysen Gesellschaft, vgl. Sager 1992, 226 – 227. 696 Ebd., 227. 697 Vgl. ebd. 698 Vgl. ebd. 699 Ebd., 228.

In Ludwigs Schatten? Henri Nannen  |

Die Kunsthalle Emden bezeichnet Sager als „weder provinziell noch prätentiös“700 im Gegensatz zu anderen Museumsgründungen der 1980er-­Jahre in der Bundesrepublik. Damit meint er sicher­lich auch den kostspieligen Bau des Ludwig Museums in Köln, das zeitgleich mit der Kunsthalle Emden eröffnete. Wie Peter Ludwig hatte Nannen auch einst Kunstgeschichte studiert, schmückte sich aber nicht permanent mit der Behauptung, er sei ein „Insider“. Er war nicht so wagemutig wie Ludwig, kaufte die Neue Sach­lichkeit, den Expressionismus und ­später die Neuen Wilden. In ­dieses Sammlungsprofil passten auch die sowjetischen Künstler der 1980er-­Jahre, die sich überwiegend am Expressionismus und Surrealismus orientierten. Er hatte sich nach einer mäßig erfolgreichen Verkaufstour entschieden, die nicht verkauften Bilder in seiner Sammlung zu behalten. Als weiteren Grund für den neuen Schwerpunkt in der Sammlung Nannen will Sager dessen journalistische Neugier erkennen, die „unbändige Lust aufzuklären“701 und auch hier wird deut­lich, wie zwei Sammler, die beide ähn­liche Arbeiten in der Sowjetunion einkauften, völlig unterschied­lich beschrieben werden. Das Interesse der Leserschaft animierte wiederholt zu Vergleichen ­zwischen Nannen und Ludwig, die 1982 in vielen Presseberichten auftauchten. Grundsätz­lich schnitt Nannen bei diesen Vergleichen positiver als Ludwig ab.702 Sager will dies dadurch erklären, dass Nannen sein Interesse für die Kunst der UdSSR weniger als eine Mission und nicht programmatisch wie Ludwig betrieb, sondern vielmehr den Verkauf der Bilder in den Vordergrund stellte.703 Dennoch traf auch ihn der ablehnende Publikumsgeschmack: Das Publikum der Bundesrepublik war, wie auch L ­ udwigs Ausstellung gezeigt hat, nicht bereit für diese Kunst. Zehn Jahre nach dem ersten gescheiterten Versuch des Frankfurters Rochus Kowallek waren die meisten offiziellen Künstler des sowjetischen Künstlerverbandes im Westen unverkäuf­lich.704 Nannen hatte ein ähn­liches Programm wie Ludwig, er besuchte ebenfalls die so genannten „Dissidenten“ in ihren Ateliers und begeisterte sich für deren Kunst. ­Nannen wollte diese Künstler unbedingt in der Bundesrepublik ausstellen, konnte sich jedoch nicht mit den sowjetischen Behörden einigen und musste einige Werke in der UdSSR lassen.705 Die progressivsten Ausstellungen mit inoffizieller sowjetischer Kunst hatte

700 Vgl. ebd. 701 Ebd. 702 Vgl. Stachelhaus 1982; Dittmar 1982; Beaucamp 1982, 25. 703 Vgl. ebd., 234. 704 „‚Ausgelacht haben sie mich‘, erinnert sich der ehemalige Frankfurter Galerist Rochus Kowallek. 1972 hatte der Verfechter konstruktiver Kunst einen Abstecher ins rus­sische Realistenlager gewagt – und prompt draufgezahlt.“ (Anonym 1988/III). 705 Vgl. Ausst.-Kat. Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988, 7.

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bereits Peter Spielmann im Museum Bochum organisiert.706 Diese Ausstellungen nehmen einen besonderen Platz in der Geschichte sowjetischer Ausstellungen in der BRD ein, denn sie wurden ausschließ­lich aus privaten Sammlungen bespielt, ohne die Mitwirkung des sowjetischen Staates. Die Leihgaben arrangierte Lev V. ­Nussberg mithilfe seiner zahlreichen Verbindungen.707 Nannen hatte Kontakt zu Nussbergs Gruppenmitgliedern wie Francisco Infante und anderen, er kaufte die Werke primär für den Weiterverkauf und nicht für seine Sammlung. Nannen und Ludwig operierten zur gleichen Zeit in der UdSSR, allerdings mit unterschied­lichen Prämissen: Während Ludwig wie ein Staatsmann seine Werke zusammensuchte und sich vom Künstlerverband hofieren ließ, musste sich Nannen mit der Zensur der Behörden auseinandersetzen. In seiner Auswahl aus dem Jahr 1982 waren 35 Werke wegen ihres Inhalts problematisch für die Ausfuhr, einige davon durfte er nicht mitnehmen.708 Nannen war sich stets seines Konkurrenzverhältnisses zu Ludwig bewusst: „Stolz verkündete Nannen, ‚lange vor Ludwig‘ und besser als er sowjetische Kunst gesammelt zu haben, so betonte er ganz lakonisch: ‚Ich hatte Malerei‘.“709 Sagers Beschreibung ist deut­lich parteiisch, dennoch scheint auch dieser Bericht die damalige Zeit und die Einstellung gegenüber beiden Sammlern gut wiederzugeben. Ludwig und Nannen kooperierten aber auch miteinander: Für die Ausstellung ­Nannens in der Galerie Levy 1982 in Hamburg hatte Ludwig zur Vervollständigung 706 1974 und 1979. Vgl. dazu: Kap. 2.2. 707 „Persön­liche Gespräche mit Lew Nussberg führten zur Idee einer Ausstellung, ­welche die ganze Bewegung der inoffiziellen sowjetischen Kunst vorstellen sollte. 1979 haben wir die Ausstellung ‚20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion‘ in den Räumen der Kunstsammlung gezeigt. Sie wurde ermög­licht durch Nussbergs Kontakte, seiner Sammlung, sowie Werken aus dem Archiv des in Israel lebenden Michail Grobman. Die Ausstellung war meiner Meinung nach ein Versuch einer objektiven Darstellung der Situa­tion in der Sowjetunion ­zwischen 1957 und 1979, was mir auch einige Kenner der Szene bestätigten. Ich selber hatte ja nur unvollständige Informa­tionen und mußte mich auf die Quellen ‚Nussberg‘ und ‚Grobman‘ verlassen, schon weil die Initiative von Nussberg kam. Der Gründer und Leiter eines Museums dieser Kunst in Paris, Alexander Glezer, und Künstler aus seinem Umkreis sahen in der Ausstellung eine Schmälerung ihrer Verdienste und der Bedeutung ihrer künstlerischen Leistung. Drei in der Ausstellung vertretene Künstler, Oskar Rabin, Michail Schemjakin und Oleg Tzelkow, haben es verboten im Katalog ihre Werke zu reproduzieren. Zur Eröffnung kamen Glezer, Schemjakin, und andere, haben das Wort ergriffen und laut protestiert. Eine Diskussion war nicht mög­lich. Die anwesende Presse witterte eine Sensa­tion und hat die Angelegenheit breit getreten, leider ziem­lich unobjektiv. Es war ein unnötiger Streit. Heute, wenn ich die Sache mit Abstand sehe, glaube ich, daß die Ausstellung trotz allem eine positive Wirkung hatte. Meine Kontakte zu einigen, nun schon in west­licher Emigra­tion lebenden, rus­sischen Künstlern haben sich intensiviert und führten zu weiteren Ausstellungsprojekten.“ (Spielmann 2011, 44). 708 Vgl. Ausst.-Kat. Glasnost 1988, 7; die Begründung für das Verbot war, Maxim Kantor liebe die Menschen nicht und stelle sie zu grausam dar. 709 Sager 1992, 234.

In Ludwigs Schatten? Henri Nannen  |

einige Leihgaben bereitgestellt. Nannens erste Ausstellung in der Galerie Levy eröffnete nur wenige Wochen vor Ludwigs Doppelausstellung in Köln und Aachen. Das art-­Magazin berichtete zuvor über Ludwigs Einkäufe in der UdSSR, dieser reich bebilderte Beitrag wurde wiederum sogar von Nannen initiiert.710 Dabei werden nicht nur die Künstler und ihre Werke vorgestellt, sondern auch die Stadt Moskau mit ihren Sehenswürdigkeiten. Die Präsenta­tion rief dazu auf, die Kunstmetropole zu besuchen und die „neue Freiheit“ der sowjetischen Kunst kennen zu lernen.711 Zum ersten Mal seit Langem tauchten rus­sische Künstler wieder als Individuen auf und nicht nur unter einem Oberbegriff versammelt. Der Bericht im art-­Magazin stellt die einzelnen Künstler mit Fotografien und Zitaten vor. In einzelnen Kurztexten äußerten sich die Künstler über ihr Schaffen und ihre Weltsicht.712 Ihre Aussagen lesen sich wie ein romantisches Gegenmanifest zur west­lichen Kunst: Nikolaj I. ­Andronov will seiner Leinwand niemals Gewalt antun, Igor A. ­Popov beschwört die Seele und das Herz der Malerei und andere sprechen beseelt vom Realismus und den alten Meistern. Ludwig ließ sich als Connaisseur im dunklen Anzug vor Lednëvs Lenin-­Bildnis fotografieren und spricht von seiner kulturpolitischen Mission.713 In Nannens Katalog durften die Künstler nicht für sich selbst sprechen, wurden aber mit Fotografien vorgestellt. Dabei fällt der verträumte Blick auf, den die meisten Künstler zeigen: Sie ließen sich vorzugsweise im Atelier, bei der Arbeit oder in der Natur ab­lichten. Diese Dokumenta­tionen brachten den Lesern die Künstler näher. Nun konnte er zu dem Bild und Namen auch ein Gesicht zuordnen und in Ludwigs Berichterstattung auch die Inten­tionen des Künstlers kennen lernen.714 In vorhergehenden Ausstellungen wurde diese Strategie nicht benutzt: Das Publikum wurde mit dem Namen und dem Bild alleine gelassen und die Künstler tauchten nur als Vertreter ihrer Na­tion auf, nicht als einzelne Persön­lichkeiten. Für die Präsenta­tion der aktuellen sowjetischen Kunst schien es plötz­lich wichtig geworden zu sein, die Künstler als Person in den Vordergrund zu rücken. Das war unter anderem der oft erwähnten privaten Sphäre der Bilder geschuldet, die von Ludwig und Nannen in den 1980er-­ Jahren als Charakteristikum der sowjetischen Kunst zugeschrieben wurden.715 Der Hauptgrund für diese Präsenta­tion war das Bedürfnis, den Begriff „sozialistischer Realismus“, unter dem zuvor alle diese Künstler vereint worden waren, zu nivellieren oder besser gesagt: auszudehnen. Man suggerierte in den Katalogen und 710 Vgl. Kipphoff 1982. 711 Vgl. Hecht 1982, 21 – 43. 712 Vgl. ebd., 21 – 37. 713 Vgl. ebd., 23, 27, 31, 38. 714 Vgl. Ausst.-Kat. Rus­sische Malerei heute 1982 und Ausst.-Kat. Aspekte sowjetischer Kunst heute 1982. 715 Vgl. Kap. 3.5.

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|  Die Ausstellungen der 1980er-Jahre

Abb 32  T. ­G. Nasarenko im Studio (Ausschnitt), Foto: Robert Lebeck in art 4/1982.

im Bericht des art-­Magazins das Ende der Staatskunst und die Wiederauferstehung der künstlerischen Persön­lichkeit, die das west­liche Publikum so sehr schätzte. Während Ludwigs erste Bemühungen, einen kulturpolitischen Transfer aus Moskau ins Rheinland zu realisieren, als gescheitert bezeichnet werden können, hat die Ausstellung Rus­ sische Malerei heute für Nannen kein großes Fiasko dargestellt. Er konnte sogar einige Werke verkaufen. Konsequent sammelten beide Geschäftsmänner in Osteuropa weiter, Ludwig reiste durch die sowjetischen Provinzen, während sich Nannen weiterhin auf Moskau und Leningrad beschränkte. Einige Zeit lang zogen sie ihre Bemühungen um die sowjetische Kunst in den Augen der Öffent­lichkeit zurück.716 Doch die rapiden und prägenden politischen Veränderungen in der UdSSR holten beide Sammler bald wieder auf die kulturpolitische Bühne zurück.

716 Das lag vermut­lich unter anderem daran, dass Botschafter Semënov bis 1986 aktiv im Amt war und sich anschließend in Köln zur Ruhe setzte.

4 Glasnost und Perestroika Die zweite Hälfte der 1980er-­Jahre war in der UdSSR vom „neuen Denken“717 geprägt. Nach dem Amtseintritt Gorbačёvs (11. März 1985) begann der „Prozess der Auseinandersetzung mit der Wirk­lichkeit“718 in der Sowjetunion. Die sowjetische Gesellschaft musste die offensicht­liche Krise des Systems erkennen und mit der Perestroika (dt. Umbau) eine „zweite Revolu­tion“719 ins Leben rufen, die bestehende Mängel des Systems verändern sollte. Ein weiteres Charakteristikum dieser Periode war die „fried­ liche Koexistenz“720, die im Fortgang der Revolu­tionierung des sowjetischen Systems immer mehr an ideolo­gischer Bedeutung gewann.721 Die auswärtige Kulturpolitik sollte im gleichen Maße verändert werden, um die intersystemaren Feindbilder zu beseitigen.722 Dabei wurden Kulturschaffenden sukzessive mehr Freiheiten eingeräumt: So signalisierte die UdSSR eine neue kulturpolitische Öffnung. Diese Reformen sollten durch na­tionale Künstler und Intellektuelle aus der Sowjetunion im Westen bekanntgemacht werden, sie sollten als „Diplomaten des neuen Denkens“ fungieren.723 Zu einem weiteren Schlagwort dieser Zeit wurde „Glasnost“ (dt. Offenheit). Auf dem XXVII . ­Parteitag der KP dSU (25. Februar 1986) verwendete der neue Generalsekretär der Partei, Gorbačёv, diesen Begriff erstmals.724 „Glasnost“ meinte eine Transparenz und Öffnung der Politik gegenüber seinen Bürgern, damit wollte Gorbačёv auch die Meinungs- und Redefreiheit reformieren. Die Außenpolitik sollte ebenfalls 717 Lippert 1996, 84. 718 Vgl. ebd. 719 Ebd. 720 „Fried­liche Koexistenz“ war ein Schlagwort, das sich bereits in den 1920er-­Jahren etabliert hatte und von Gorbačёv wieder aufgenommen wurde. Der Begriff bezieht sich auf ein ebenbürtiges Zusammenwirken des Kommunismus und Kapitalismus, ohne Konflikte. 721 Vgl. ebd. 722 „Für den Bereich der auswärtigen Kulturpolitik veränderte sich allmäh­lich die ‚Geschäftsgrundlage‘. Schon das Programm der KPdSU von 1986 hatte zwar einen ‚umfassenden gegenseitigen Austausch von Kulturwerten z­ wischen allen Ländern‘ befürwortet, schränkte dies jedoch insofern ein, als der Austausch humanistischen Zielen sowie der geistigen Bereicherung, der Völker der Festigung des Friedens und der guten Nachbarschaft dienen sollte. Mit diesen Formeln konnte jeder politisch unerwünschte Austausch leicht unterbunden werden. Im Zuge der Umsetzung des ‚neuen Denkens‘, so erwartete Gorbatschow, würde sich die Wahrnehmung der UdSSR von außen wandeln: ‚Das neue Denken mit seinen allgemeinmenschlichen Kriterien, seiner Orientierung auf Vernunft und Offenheit … zerstört die Stereotypen des Antisowjetismus und das Mißtrauen gegen unsere Initiativen und Handlungen.‘“ (ebd., 86). 723 Vgl. ebd. 724 Vgl. ebd.

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von der Glasnost profitieren.725 Die neue politische Situa­tion in der UdSSR und die theoretischen Ansätze Gorbačёvs fanden in der Bundesrepublik sofort Anklang – „Glasnost“ und „Perestroika“ wurden zu Parolen einer hoffnungsvollen Zukunft und einer Aussicht auf Frieden. Für den Kunstbetrieb veränderte die neue sowjetische Politik viele bestehende Prämissen, sodass immer mehr Protagonisten ihren Blick Richtung Osten lenkten. Die Ausstellungen, die nach 1986 organisiert wurden, standen ganz im ­­Zeichen der „zweiten sowjetischen Revolu­tion“. Ein Mammutprojekt der Deutschen Bank AG und des sowjetischen Kulturministeriums tourte 1987 bis 1988 durch die Bundesrepublik und die UdSSR, wobei die Veranstalter behaupteten, diese politischen Entwicklungen bereits vorausgeahnt zu haben.

1.16 S chr eck en und H offn ung . K ünstl er sehen F r ieden und K r ieg (01.10. –15. 11. 1987, Ha mburger Kunsth alle, 10. 12. 1987 –  31. 01. 1988, Münchner Stadtmuseum) Krieg und Frieden – Der Titel von Tolstois berühmtestem Roman definiert lakonisch auch die jahrhundertelange Beziehung z­ wischen Russland und Deutschland. Indes wollten die sowjetischen Organisatoren auf keinen Fall diesen Titel für die Ausstellung übernehmen, die die Geschichte der Kriege und die hoffnungsvollen Bilder des Friedens aus der Bundesrepublik und der UdSSR vereinen sollte.726 Bei der Entstehung dieser Ausstellung spielte die deutsche Wirtschaft abermals eine wesent­liche Rolle. Die Deutsche Bank hatte seit ihrer Gründung 1870 bereits größere Finanzierungsgeschäfte mit Russland abgeschlossen, wie bereits weiter oben beschrieben wurde.727 In der Zeit der großen Annäherung nach dem Vertrag von Rapallo 728 übernahm die Deutsche Bank im Jahr 1926 eine führende Posi­tion beim „großen deutschen Bankenkonsortium zur Finanzierung deutscher Exporte in die Ud SSR “.729 Der Vorstand der Deutschen Bank Friedrich Wilhelm Christians, der schon bei K ­ ostakis eine 725 „Als Mittel zur Realisierung der Prinzipien einer transparenten Außenpolitik hilft sie, gesellschaft­liche Organisa­tionen, Arbeitskollektive, die Massen von Werktätigen, Wissenschaftler und Kulturschaffende in interna­tionale Kontakte einzubeziehen und die Volksdiplomatie zu entfalten, und trägt dazu bei, auf z­ wischen staat­licher Ebene, in Regierungskontakten komplizierte interna­tionale Probleme zu lösen.“ (ebd., 87). 726 Vgl. Ausst.-Kat. Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg 1987. 727 Vgl. dazu: Kap. 2.4. 728 Im italienischen Rapallo unterzeichneten die Vertreter des Deutschen Reiches und der Rus­sischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik am 16. April 1922 einen völkerrecht­lichen Vertrag, der die beiden geächteten Staaten einander näherbringen sollte (vgl. dazu Haffner 1968, 57 – 68). 729 Vgl. Christians 1989, 29 – 31.

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Schlüsselrolle gespielt hatte, kam 1969 zum ersten Mal nach dem Krieg nach Moskau, um Kreditverhandlungen zu führen. Die Lieferung von Stahlrohren nach Russland und ­später in die UdSSR hatte bei der Mannesmann AG eine noch viel längere Tradi­tion inne. Seit seiner Gründung 1890 lieferte der Konzern Rohre nach Russland und war seit 1912 der Hauptlieferant des Zaren.730 Die Deutsche Bank und der Mannesmann Konzern waren seit jeher eng in diesen Geschäften miteinander verbunden. In den frühen 1970er-­Jahren liefen die ersten Verhandlungsgespräche an: 1972 erhielt dann die Deutsche Bank die Lizenz Nr. 001 zur „Eröffnung einer ausländischen Repräsen­ tanz“ in Moskau.731 Schon früh kam bei den deutschen Geschäftsmännern in Moskau das Verlangen auf, die gemeinsamen geschäft­lichen Errungenschaften auf anderem Wege zu manifestieren und öffent­lichkeitswirksam zu feiern.732 Christians schrieb in seinen Erinnerungen an die rus­sischen Geschäfte, dass er den sowjetischen Partnern immer wieder einen Kunstaustausch vorschlug. Damit sollten die Angelegenheiten der kulturellen Diplomatie nicht nur den Politikern und Kulturvertretern überlassen werden. Dieses Bestreben unterstützte das von Herbert Zapp neu kreierte Image der Bank, die 1979 ihre eigene Kunstsammlung begründete.733 Erst 1981 wurden die Ideen zu einem Kunstaustausch mit der UdSSR konkret. Bis dahin hatte der kunstaffine Christians schon einige Erfahrungen zum Kunsttransfer mit der UdSSR gesammelt. Er gehörte zum Kreis der Organisatoren der Ausstellung Sammlung Costakis 1977 in Düsseldorf und hatte durch den Sammler viele zeitgenös­sische sowjetische Künstler kennen gelernt.734 Auch mit dem sowjetischen Botschafter Semënov stand er in Bonn in Kontakt: Es wurde bereits aus seinen Memoiren zitiert, dass beide lange Gespräche über Kunst führten und die Sammlung des Botschafters begutachteten, wenn die politischen Gespräche stagnierten. Am 1. Februar 1970 wurde das erste größere Dreiecksgeschäft ­zwischen der Mannesmann AG, der Deutschen Bank AG und dem sowjetischen Staat unterschrieben: Die Vereinbarungen versprachen der UdSSR finanzielle Unterstützung beim Ankauf der Mannesmann-­Röhren für den Bau einer Pipeline. Im Gegenzug bekam die Bundesrepublik einen Anteil am gewonnenen Erdgas. Diesem großen Vorstoß folgten weitere kleinere Geschäfte.735 Das wichtigste Projekt auf der Agenda war die Finanzierung des Baus der Jamal-­Pipeline, die Erdgas aus Sibirien bis in die Bundesrepublik liefern 730 Vgl. ebd. 731 Vgl. v. Gustorf 2003. 732 Vgl. Christians 1989, 29 – 31. 733 Vgl. dazu: Dischinger 1992. 734 Siehe Kap. 2.4.1. 735 1975 wurde eine weitere Finanzierung durch die Deutsche Bahn beschlossen: für die Lieferung von Lastkraftwagen zum Bau der Baikal-­Amur-­Magistrale (Quelle: Christians 1989, 29 – 98).

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sollte.736 Dieses Projekt erregte viel Aufsehen und wurde zum Streitpunkt jenseits des Eisernen Vorhangs. Besonders die USA kritisierten die Bundesrepublik und mahnten davor, sich von der Sowjetunion abhängig zu machen. Diese Kritik blieb nicht folgenlos, in Bonn wurden viele Politiker nervös und mehrere Banken stiegen aus dem Konsortium aus, berichtet Christians.737 Die Verhandlungen dauerten drei Jahre lang und wurden durch die politische Situa­tion, den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979, erheb­lich erschwert. Als der Vertrag 1980 unterschrieben wurde, konnten end­lich erste konkrete Schritte zum deutsch-­rus­sischen Kunstaustausch unternommen werden. Dazu schreibt Christians: „Schon lange war es mein Wunsch gewesen, als Ergänzung zu unseren gemeinsam erzielten großen Geschäftsabschlüssen mit den Sowjets Veranstaltungen kultureller Art zu organisieren, von denen ich mir günstige Auswirkungen auf ein besseres gegenseitiges Verständnis versprach. Der Austausch von Malerei erschien mir als eines der geeignetsten Mittel hierzu.“738

Als Beispiel für eine gelungene Annäherung durch Kunstaustausch diente auch ­Christians die große bilaterale Kunstausstellung Paris – Moscou. Moskva – Pariž. Der wichtigste Kommentar zu ­diesem Projekt hat seiner Meinung nach Leonid I. ­Brežnev abgegeben: „Kunst ist ein hervorragendes Mittel, die gegenseitige Verständigung zu fördern.“739 Die gegenseitige Verständigung, die von dieser Ausstellung antizipiert wurde, wollte der Vorstand der Deutschen Bank fortsetzen. Das Projekt einer gemeinsamen Ausstellung sollte die bilaterale Kommunika­tion voranbringen oder fördern, betonte Christians in seinen Memoiren. Der Grundton des Projektes sollte emo­tionaler ausfallen als eine bloße Bestandsaufnahme einer kunsthistorischen Periode. Ziel war es, die Völker beider Länder gleich stark anzusprechen. Doch zuerst musste ein Austausch offiziell vereinbart werden. Die Vertreter der Deutschen Bank fungierten dabei als Verhandlungspartner der sowjetischen Ministerien und wenn man Christians Ausführungen Glauben schenken darf, dann war er derjenige, der die Kunstaustauschverhandlungen 1981 mit Kulturminister Pëtr N. ­Demičev führte: „Vom Zeitpunkt her günstig war, daß wir gerade in der Endphase der nicht einfachen Verhandlungen über das oft erwähnte Jamal-­Pipeline-­Geschäft standen – ein Geschäft, das die

736 Die Pipeline ist 4196 km lang und liefert Erdgas von der Jamal-­Halbinsel in Sibirien nach Deutschland (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Erdgasleitung_Jamal%E2%80%93Europa [20. 06. 2012]). 737 Christians 1989, 45 – 47. 738 Ebd., 228 – 229. 739 Ebd., 229.

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Sowjets damals als einen ‚Jahrhundert-­Deal‘ bezeichneten. Dazu paßte ein signifikantes Ereignis, wie es ein erster Schritt zum Kunstaustausch war.“740

Ab 1983 existierte offiziell ein Kunstaustausch auf Initiative der Deutschen Bank AG hin und mit Zustimmung des sowjetischen Kulturministeriums. In d ­ iesem Rahmen wurden aktiv verschiedene Ausstellungen zeitgenös­sischer Kunst in beiden Ländern betrieben.741 Doch das größte Projekt ­dieses speziellen Kunstaustauschs nahm vier Jahre Vorbereitungszeit in Anspruch. Es sollte gleichzeitig den Höhepunkt und Schlusspunkt ­dieses Austauschs markieren.742 Zwei Jahre tourte die gemeinsame Ausstellung Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg durch die Bundesrepublik und die RSFR. ­Dieses mit Abstand größte Projekt in der Geschichte des Kunstaustausches ­zwischen den beiden Staaten wurde am 1. Oktober 1987 in der Hamburger Kunsthalle eröffnet. Die Ausstellung hatte eine schwere Aufgabenstellung oder besser gesagt, an die Ausstellung wurden große Erwartungen geknüpft – sie sollte zum temporären Denkmal zweier Na­tionen über Frieden und Krieg werden. Sie sollte eine Erinnerungsfunk­tion erfüllen, da die meisten beteiligten Künstler die Kriegsschrecken am eigenen Leib erfahren hatten und damit kein abstraktes, sondern ein von der eigenen Biografie durchtränktes Werk präsentierten. Der Schwerpunkt lag auf den beiden Weltkriegen, die zu ­diesem Zeitpunkt gleich mehreren Genera­tionen noch sehr lebendig im Bewusstsein waren. Der „große Vaterländische Krieg“743 war in der Sowjetunion ein sensibles und wichtiges Thema und ist es bis zum heutigen Tag. Die Erfahrungen ­dieses Krieges wurden im Leben den Menschen mittels Indoktrina­tion und Propaganda wach gehalten und manifestiert. Durch die Erinnerung an den gemeinsamen Verlust und den Sieg über den Faschismus versuchte der sowjetische und ­später der rus­sische Staat ein stärkeres patriotisches Gefühl im Volk zu generieren. Zu den offiziellen Kriegsfeiertagen wie dem Tag des Sieges am 9. Mai wurden Feste und Paraden exorbitanten Ausmaßes organisiert, dabei wurden die Kriegsveteranen besonders geehrt und gefeiert.744 Dieser Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg hatte mehrere Gründe: Die großen Zerstörungen 740 Ebd., 230. 741 Nach Mensch und Landschaft wurde 1984 die sowjetische Ausstellung Zwischen Tradi­tion und Gegenwart in Düsseldorf, Stuttgart und Hannover gezeigt. Die letzte Sta­tion war eine Ausstellung von Gregor Janssen in Nowosibirsk 1985. 742 Vgl. v. Gustorf 2003. 743 „Großer Vaterländischer Krieg“ war und ist die gängige Bezeichnung für den Deutsch-­Sowjetischen Krieg (22. 06. 1941 – 8./9. 5. 1945) in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. 744 Diese Tradi­tion hat sich bis heute erhalten, die Veteranen bekommen Vergünstigungen und Ehrungen vom Staat.

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und Verluste auf sowjetischer Seite, die etwa 20 Millionen Menschenleben betrugen, sollten in ständigem Bewusstsein bleiben. Die Gräueltaten der Feinde sollten den Argwohn und die Skepsis gegenüber den kapitalistischen Klassenfeinden im Westen aufrechterhalten. Die Glorifizierung des Sieges in den 1950er-­Jahren unterstützte primär das Engagement für den Wiederaufbau und diente s­ päter dazu, den Glauben an die strahlende siegreiche Zukunft des sowjetischen Volkes zu kultivieren. Die offizielle bildende Kunst der Nachkriegszeit hatte ebenso die Aufgabe, den Sieg und seine Helden mög­lichst glorreich darzustellen. Auf der deutschen Seite hatte der Krieg ebenfalls tiefe Narben hinterlassen, wobei die Aufarbeitung der Ereignisse aus verständ­lichen Gründen einen anderen Weg nahm als in der Sowjetunion. Durch den Leitgedanken von Schrecken und Hoffnung wurde erneut deut­lich, dass das Thema der beiden Weltkriege ein besonders starker Topos in der UdSSR und in der Bundesrepublik war. Ein Jahr nach dem Atomreaktor-­Unglück im ukrainischen Černobyl stellte die Ausstellung allgemeine Fragen nach dem Sinn der Kriege und der Aufrüstung, die in den 1980er-­Jahren die meistdiskutierten ­Themen des Ost-­West-­Konfliktes bildeten. Auch wenn die schweren Krisen des Kalten Krieges überwunden zu sein schienen und Perestroika und Glasnost bereits proklamiert waren, bewies die Ausstellung die anhaltende Aktualität der Konfliktaufarbeitung. Das wichtigste Ziel der Schau bestand darin, aus der vergangenen Erfahrung der Kriege eine Warnung für die Zukunft formen. Dennoch hatten die deutschen Organisatoren Befürchtungen. Christians erinnert sich: „Das Thema war eine gewisse Herausforderung. Würde unsere bisher erzielte Verständigung verhindern können, daß man in Polemik und gegenseitige Beschuldigungen verfiel und damit alles wieder zunichte machte? Oder würde der Schwur, es niemals wieder zu solchen Exzessen kommen zu lassen, als das stärkere Element aus den Bildern sprechen? Was ich bisher dazu in Museen, Filmen, Kunstbüchern gesehen hatte, machte mich eher skeptisch. Würden nicht bei jenen, die den Krieg in Rußland erlebt hatten, alte Wunden wieder aufbrechen?“745

Es war die erste gemeinsam organisierte Ausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Ausstellungsformat war immens: Über 300 Werke aus fünf Jahrhunderten wurden nach den ­Themen „Heilige“, „Krieger“, „Soldaten“, „Auszug und Heimkehr“, „Zwischen den Kriegen“, „Zerstörung der alten Welt“, „Der bedrohte Frieden“, „Böse Nacht“, „Balance of Power“, „Wo ist Arkadien?“, „Protest und Zweifel“ sowie „Hoffnung und Schrecken“ geordnet. Der Kulturminister der Sowjetunion war im Gegensatz zu

745 Vgl. ebd., 235.

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seinen deutschen Kollegen zuversicht­lich angesichts einer derart „humanistischen“746 Ausstellung, die das fragwürdige sowjetische Bild vom Künstler perfekt transportierte. Diese Zuversicht hatte ihre Ursache darin, dass die UdSSR ihre Interessen bezüg­lich der Konzep­tion überwiegend durchsetzen konnte. Der Künstler war in der offiziellen Doktrin der Sowjetunion ein humanistischer Genius, der keinesfalls grausam sein konnte und stets für den Frieden eintrat. Kulturminister Demičev schrieb dazu im Vorwort des Katalogs: „Die Kunst hat immer schon der Verständigung ­zwischen den Völkern gedient und in unseren Tagen muß sie dies mit noch größerer Aktivität bewirken. Wir sind überzeugt, dass ein Volk, das die Kultur und Kunst anderer Völker kennt und schätzt, ihnen gegenüber keine unlauteren Gefühle hegen kann. Die Kunst ist aufgerufen, eine edle Rolle bei der Umsetzung der geistigen und sitt­lichen Ideale der Menschheit zu übernehmen, auch im Kampf für den Frieden.“747

Die deutschen Gastgeber der Ausstellung Dr. Werner Hofmann (Hamburger Kunsthalle) und Christoph Stölzl (Münchner Stadtmuseum) betonten in ihrem Vorwort ebenfalls die Bedeutung der ­Themen Krieg und Frieden. Sie sagten aber auch, dass es sich als sehr schwierig herausstelle, mit diesen umzugehen: Bei ­diesem Vorhaben betrete man viele empfindsame Bereiche der Menschheitsgeschichte, berühre Tabuzonen, die mit „Empfindsamkeiten“ und „Ressentiments“ verbunden s­ eien.748 Die Idee hinter dem Projekt war es, einen Anfang für weitere Engagements zu bereiten. Bilaterale Ausstellungen ­dieses Ausmaßes sollten nun öfter organisiert werden, um zum „Fixpunkt einer weltweiten Landkarte des Kulturtourismus zu werden“.749 Die grundlegenden und wichtigsten Aufgaben des Konzeptes sollten die Annäherung und die Nivellierung von trennenden Faktoren sein, zu denen auch die bereits von Peter Ludwig erwähnten „Informa­tionslücken“ zählten. Hofmann und Stölzl betonten, dass die Ausstellung nicht eine rapide Reak­tion auf die politischen Ereignisse der Perestroika und Glasnost sei, sondern dass ihre Vorbereitungen mit der politischen Umgestaltung in der Ud SSR parallel verliefen oder ihr sogar vorausgegangen waren. Die Auswahl der Kunstwerke wurde mit „kommunizierenden Röhren“750 verg­lichen, was vor dem Hintergrund der wirtschaft­lichen Abschlüsse einen zynischen Hinweis darstellte. Der Auswahlprozess 746 Ausst.-Kat. Schrecken und Hoffnung 1987, 18. 747 Ebd. 748 Vgl. ebd., 22. 749 Ebd. 750 Ebd., 22 – 23.

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Abb 33  A. ­Rublëv, Dreifaltigkeit (1. Viertel des 15. Jh.), Staatl. Tret’jakov-­ Galerie Moskau.

der Arbeiten, die von beiden Ländern in gleicher Anzahl gestellt wurden, wurde von den deutschen Kuratoren als problemlos beschrieben. Man einigte sich „beim Nachtisch“751. Auffallend oft wurde von sowjetischen und deutschen Initiatoren der Wert der Ausstellung für die Erziehung des Betrachters betont: „Diese Ausstellung soll kein Einzelfall bleiben. Sie gehört in die Gattung der Veranschau­ lichungen, die nicht mit didaktischen Argumenten arbeiten, sondern bloß einen offenen, vorurteilsfreien Besucher erwarten, der sie neugierig betritt und nachdenk­lich verlässt.“752

Im Ausstellungsraum wurden die Künstler beider Staaten miteinander in Verbindung gebracht und nach ­Themen geordnet. Im Katalog hingegen wurden sie strikt getrennt behandelt und auch die Texte der Organisatoren befassten sich separat mit der europäischen und der sowjetisch-­rus­sischen Kunstgeschichte. Hofmann beteiligte sich mit einer Einführung zum Thema Krieg und Frieden in der europäischen Kunst, ihren Bruch mit der Historienmalerei um 1800 durch Francisco de Goya und ihrer 751 Ebd. 752 Ebd.

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Abb 34  A. ­Dürer, Die vier apokalyptischen Reiter (1498), Staatl. Kunsthalle Karlsruhe.

Entwicklung zur Anklage gegen die Schrecken des Krieges. Denn wenn der Krieg für uns eine Bedrohung sei, so Hofmann, dann könne man ihn von „emo­tionaler Parteinahme“753 nicht trennen. Damit wollte er den neuen Titel legitimieren, der von den Sowjets anstelle von Krieg und Frieden verlangt wurde. Das Wort „Krieg“ sei für den Titel der Ausstellung nicht geeignet gewesen, da diese keine bloße Materialsammlung gewesen sei, sondern vielmehr ein Appell an die Besucher, erklärte Hofmann.754 Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, spricht der gewählte Titel die ­Themen an, die nach Auffassung der Veranstalter alle angingen und in Angriff genommen werden müssten. Albrecht Dürer wurde als Paradebeispiel für diese Auffassung zitiert. Er fasste bereits im 15. Jahrhundert Schrecken und Hoffnung in seinem Holzschnitt Die apokalyptischen Reiter zusammen, der berühmtesten seiner 15-teiligen Reihe über die Apokalypse. Dieser wurde im ersten Raum der Ausstellung, zusammen mit der berühmten Ikone Dreifaltigkeit von Andrej Rublëv, gezeigt (Abb. 33 und 34). Damit wurde die 753 Vgl. Hofmann. In: Ausst.-Kat. Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg 1987, 25 – 38, hier: 25. 754 Ebd.

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Vorstellung eines deutschen Künstlers von der gewaltsamen Zerstörung der Welt der rus­sisch-­orthodoxen Friedensidylle entgegengesetzt. Eine Gegenüberstellung ähn­licher Art fand auch in den anderen Räumen statt, da die ausgestellte sowjetische Kunst ein optimistischeres Bild zeichnete. Die weiteren künstlerischen Entwicklungen in seinem Aufsatz betrachtend, fand Hofmann den Beitrag deutscher Kunst zur Aufarbeitung der napoleonischen Kriege im Vergleich zu anderen Na­tionen unbedeutend.755 Ebenso wurde die Kunst des 19. Jahrhunderts von ihm lakonisch abgehandelt: Arkadien als Ort des Friedens wird wiederentdeckt und der Biedermeier hat seinen Höhepunkt.756 In der Ausstellung wurden dazu exemplarisch Werke von Carl Kolbe, Hans von Marées und Carl Spitzweg gezeigt. Für Hofmann ist Adolph Menzel der Künstler, welcher den Schrecken der friderizianischen Kriege besonders tief in die Augen schaut und die Verwundeten dokumentiert.757 In dieser Tradi­tion steht umso deut­licher die Künstlerin Käthe Kollwitz – sie verewigte das ausblutende deutsche Volk einige Jahre ­später in ihrer expressiven Sprache. Hofmann fährt fort mit der Genera­tion, der auch Käthe Kollwitz angehörte: Bei den deutschen Künstlern trat nach der ersten Welle der Begeisterung für den Krieg eine Orientierungslosigkeit ein, als dieser 1914 schließ­lich ausbrach.758 Diese Genera­tion wurde in der Ausstellung ebenfalls ausreichend dokumentiert, sie bot kaum ein Friedensbild für den Betrachter. Die Arbeiten von George Grosz, Otto Dix, Ludwig Meidner, Felix Nussbaum, Heinrich Vogeler und anderen sind dem Schrecken gewidmet und Hoffnung gibt es in ihnen kaum. Dennoch konnten viele Künstler die Erfahrungen des Krieges in ihrem Schaffen aufarbeiten und zu einer neuen intensiveren Bildsprache übergehen. Der Zweite Weltkrieg hinterließ eine noch größere Ratlosigkeit, die letztend­lich zur Verdrängung führte. Die Künstler flüchteten, laut Hofmann, in die wiedergewonnene Freiheit der abstrakten Kunst.759 Die Künstler der 1960er-­Jahre entwickelten eine neue Direktheit, Hofmann führt hier als einzige Beispiele Wolf Vostell und die Berliner Realisten an. In der Ausstellung gab es mehrere interessante Posi­tionen: Max Beckmann, Carl Hubbuch, Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, Konrad Klapheck, Gerhard Richter, ­Katharina Sieverding, Günter Uecker und andere. Die Künstler der jungen Genera­tion würden, laut Hofmann, direkter, nachdenk­licher und kritischer als jemals zuvor. Die Beschreibung der Kunst nach 1945 nimmt einen geringfügigen Teil seines Textes ein, besonders wenn man es mit dem seitenlangem Abschnitt über den Friedensappell in den Arbeiten Caspar 755 Vgl. ebd., 27 – 29. 756 Vgl. ebd., 32. 757 Vgl. ebd., 33. 758 Vgl. ebd., 35 – 37. 759 Vgl. ebd., 38.

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David Friedrichs vergleicht, die in der Ausstellung noch nicht einmal gezeigt wurden.760 Zum Ende seines Textes zitiert Hofmann Kants Traktat Zum ewigen Frieden und resümiert: „Wir sind seitdem nicht klüger geworden, aber die Klarblickenden sind heute zahlreicher als vor 200 Jahren.“761 760 Vgl. ebd., 29 – 31. 761 Ebd., 38. Ausgestellte deutsche Künstler (alphabetisch): Adam Albrecht, Heinrich Aldegrever, Gerd Arntz, Dieter Asmus, Hans Baluschek, Ernst Barlach, Max Beckmann, Eduard Bergheer, Carl ­Buchheister, Daniel Chodowiecki, Gunter Demnig, Otto Dix, Albrecht Dürer, Harald Duwe, ­Lyonel Feininger, Conrad Felixmüller, Rainer Fetting, Hans Ulrich Franck, Willi Geiger, Salomon Gessner, Werner Gilles, Gottfried Bernhard Göz, HAP Greishaber, George Grosz, Lea Grundig, John Heartfield, Erich Heckel, Otto Herrmann, Jochen Hiltmann, Carl Hofer, Ludwig v. Hofmann, Hans Holbein d. J., Karl Hubbuch, Jörg Immendorff, Willy Jaeckel, Friedrich August C. ­S. v. Kaulbach, Anselm Kiefer, Lucas Kilian, Konrad Klapheck, Paul Klee, Max Klinger, Karl Kluth, Florian Köhler, Carl Wilherlm Kolbe d. Ä., Käthe Kollwitz, Christoph Krämer, Alfred Kubin, Wilhelm Lehmbruck, Thomas Lenk, Hans v. Marées, Karl Marx, Ludwig Meidner, Adolph Menzel, Jan Meyer-­Rogge, Georg Muche, Ernst Wilhelm Nay, Floris Neusüss, Felix Nussbaum, Heinrich Olivier, Hans Platschek, Franz Radziwill, Gerhard Richter, Emy Roeder, Karl Rössing, Hans Rottenhammer, Georg Philipp Rugendas d. Ä., Johann Georg Lorenz Rugendas, Otto Philipp Runge, Johann Gottfried Schadow, Josef Scharl, ­Wilhelm Schnarrenberger, Rudolf Schoffs, Georg Franz Xaver Schrimpf, Theodor Schüz, Bernard Schultze, Emil Schumacher, Johann Baptist Seele, Katharina Sieverding, Carl Spitzweg, Heinz ­Tröckes, Günther Uecker, Johann Phillipp Albert Vogel, Heinrich Vogeler, Klaus Vogelsang, Volf Vostell, Eberhard Georg Friedrich Waechter, Jürgen Waller, Johann Martin Will, Rainer Wittenborn. Ausgestellte sowjetische Künstler (alphabetisch): Nikolaj A. ­Abramov, Akop T. ­Akop´jan, Michail G. ­Avvakumov, Sergej N. ­Basil´jev, Aleksandra Briedis, Jurij N. ­Bykov, Nikolaj P. ­Čaruhin, Aleksandr A. ­Deineka, Nikolaj F. ­Denisovskij, Tamas L. ­Devdariani, Uča Dšaparidse, Nina G. ­Fed´juškina, Pavel N. ­Filonov, Taras G. ­Gaponenko, Sergej V. ­Gerassimov, Boris A. ­Golopolossov, Natalia S. ­Gončarova, Michail R. ­Gorban, Olga N. ­Grečina, Andrej A. Haršak, Leonid S. ­Hižinskij, Viktor I. ­Ivanov, ­Vladimir I. ­Ivanov, Tatiana N. ­Jablonskaja, Andrej A. ­Jakovlëv, Anatolij B. ­Jakušin, Vladimir B. ­Jankilevskij, Boris V. ­Joganson, Solomon B. ­Judovin, Vasilij V. ­Kandinskij, Maksim K. ­Kantor, Vilen S. ­Karakašev, Larisa N. ­Kirillova, Frančeska G. ­Kirke, Gunar E. ­Kirke, Aleksej D. ­Kivšenko, Gustav G. ­Klucis, Nikolaj Kogut, Pëtr P. ­Končalovskij, Jurij K. ­Korolëv, Gelij M. ­Koržev, Ušang Kozajev, Stasis ­Krasauskas, Sandra Krastin´ja, Pëtr A. ­Krivonogov, Vladimir E. ­Kufko, K ­ ukryniksy, Boris M. Kustodiev, Pavel V. ­Kuznecov, Aleksandr I. ­Lak­tionov, Michail F. ­Larionov, Aristarch V. ­Lentulov, Daze Liela, Ėlˈ Lisickij, Sergej A. ­Lučiškin, Achmat F. ­Lutfullin, Kasimir S. ­Malevič, Aleksej F. ­Maksimov, Pierre Denis Martin, Nikita E. Meškov, Juosas Mikenas, Janis Mitreviz, Evsej E. ­Moissenko, Kamil V. ­Mullašev, Sarkis M. ­Murad´jan, Tatiana G. Nasarenko, Togrul Narimanbekov, B´jašim J. ­Nurali, Igor P. ­Obrosov, Sergej I. ­Ovsepian, Viktor P. ­Pahomkin, Aleksej F. ­Pahomov, Anne Pamasto, Nikolaj A. ­Panomarëv, Kus´ma S. ­Pertov-­Vodkin, Jurij I. ­Pimenov, Arkadij A. ­Plastov, Vasilij D. ­Polenov, Heiti Polli, Illarion M. ­Pr´anišnikov, Boris I. ­Prokorov, Saima Rand´jarv, Il´ja E. ­Repin, Andrej Rublëv, Mark H. ­Šagal, Aidan T. ­Salachova, Oleg M. ­Savost´juk, Iosif A. ­Serebr´jannyj, Sergej A. ­Šerst´juk, Vladimir A. ­Serov, Valentin M. ­Sidorov, Vadim A. ­Sidur, Maria M. ­Sin´jakova, Larissa V. ­Sin´jukajeva, Džemma Skulme, Dementij A. ­Šmarinov, Pavel P. ­Sokolov-­Skal´ja, Aleksej F. ­Subov, Bežan K. ­Švelidze, Vladimir E. ­Tatlin, Natalia G. ­Testina, Jerbolat Tulepbaev, Boris S. ­Ugarov, Boris A. ­Uspenskij, Vladimir E. ­Vahameev, Aleksej G. ­Venezianov, Vasilij V. ­Vereščagin.

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Im sowjetischen Katalogbeitrag betonten die Verfasser, dass die heutige Bedrohung der menschlichen Existenz vor allem darin begründet sei, sich für die Erfahrungen der Geschichte und der Kunstgeschichte zu interessieren.762 Sie heben den wesent­ lichen Beitrag der rus­sischen Kunst für das Denken des Friedens hervor, schon in der altrus­sischen Kunst sei der Aufruf zum Frieden stark ausgeprägt gewesen. Die Dreifaltigkeit von Rublëv sei bis heute das Sinnbild des Friedens in der UdSSR, bemerkten die Verfasser. Die Ikone wurde wieder zum Sinnbild erhoben, nachdem sich in der poststalinistischen Ära das Verhältnis der sowjetischen Kulturpolitik zu sakraler Kunst entspannt hatte. Die nächste wichtige Periode im rus­sischen Teil der Ausstellung war das 19. Jahrhundert. Nach dem Sieg über Napoleon entwickelte sich in Russland das Genre der so genannten „historisch-­philosophischen“ Malerei, die in den Bildern von Illarion M. ­Pr’anišnikov und Alexei D. ­Kivšenko erkennbar wird.763 Im Gegensatz zu den deutschen Künstlern, die ein schwierigeres Verhältnis zu N ­ apoleon hatten, konnten die rus­sischen Künstler den Sieg über die Franzosen in ihren Bildern feiern. Darin manifestierte sich der Stolz ihrer Na­tion und dieser wurde auch in der Geschichte Russlands weitergetragen. Der rus­sische Kriegsmaler ­Vasilij V. ­Vereščagin war der wichtigste Vertreter dieser als „humanistisch“ bezeichneten Richtung. Seine Apotheose des Krieges (1871/72) das berühmteste Anti-­Kriegs-­Bild der rus­sischen Kunstgeschichte, wurde für die Ausstellung von der Tret’jakov-­Galerie bereitgestellt. Der Kriegsmaler gehörte schon zu Lebzeiten zu den berühmtesten rus­sischen Malern im Westen. Mehrere Male wurden Ausstellungen von Vereščagin auch in der Weimarer Republik gezeigt. Kollwitz und Dix sollen, laut Katalogbeitrag, begeistert von seiner Malerei gewesen sein.764 Die Nähe der rus­sischen Künstler des kritischen Realismus zu Literaten wie Tolstoi, Turgen’jev, Dostojevski und Gogol speisten ihre Malerei mit humanistischem Gedankengut.765 Die weitere Entwicklung der rus­sisch-­sowjetischen Kunst wurde mit den Bildern von Larionov und Tatlin aufgezeigt. Die ausgestellten Werke wirkten wie Studien zur eigenen Erfahrung mit dem Militärdienst vor dem Ausbruch des E ­ rsten Weltkrieges. Die Künstler der rus­sischen Avantgarde wie Larionov, Tatlin, Malevič, Lissickij und Gončarova wurden mit kleinen unbedeutenden Arbeiten präsentiert. Gleichzeitig wurde im Katalog abwertend über Vertreter der Avantgarde geurteilt: „Einige bekannte Künstler zollten der Trägheit der Zeit Tribut und kreierten derartige Pseudokunst (K. ­Malewitsch, W. ­Majakowskij).“766 762 Vgl. ebd., 39. 763 Vgl. ebd., 40 – 41. 764 Vgl. ebd., 45. 765 Siehe dazu Kap. 2.1. 766 Ebd., 48.

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Die rus­sischen Avantgardisten, die im Westen ein großes Ansehen genossen, wurden zwar in die Präsenta­tion aufgenommen, machten aber nur einen kleinen Teil von ihr aus, genau wie es schon bei früheren Gruppenausstellungen gehandhabt wurde. Die Kunsttradi­tion, die sich seit den 1930er-­Jahren in der Sowjetunion entfaltete, nahm den größten und prominentesten Raum in der Präsenta­tion ein. Durch die Konzep­tion der Ausstellung versuchten die Kuratoren, ein einheit­liches Bild der Kunstentwicklung zu schaffen. Die Themenräume lenkten gewissermaßen von den Unregelmäßigkeiten ab: Eine chronolo­gische Exposi­tion hätte auf beiden Seiten die Ausstellung lückenhaft erscheinen lassen. Immerhin wurde die Präsenta­tion überwiegend parteikonformer Kunst aus der UdSSR durch einige Kompromisse dezentralisiert, etwa mit Werken von Malevič, Tatlin, Lissickij, Gončarova, Kandinskij und Šagal. Diese Konzessionen wurden durch starken Druck von deutscher Seite erreicht. Die konzep­tionellen und „inoffiziellen“ Kunstströmungen dieser Zeit blieben dennoch ausgeblendet. Die deutschen Organisatoren schafften es allerdings, das Kulturministerium zu überzeugen, einige Künstler auszustellen, die nicht im Künstlerverband waren. Der Bildhauer Vadim A. ­Sidur, die Maler Vladimir B. ­Jankilevskij und Maxim K. ­Kantor waren Untergrundkünstler, die in der UdSSR bis zur Perestroika nicht öffent­lich ausstellen durften. In der Bundesrepublik hatten sie nun die Mög­lichkeit, ihre Werke auf den Prüfstand interna­tionaler Kunstkritik zu stellen.767 Sie waren die einzigen Vertreter der inoffiziellen Kunst aus der Sowjetunion, dafür gab es umso mehr postrevolu­tionäre, parteikonforme Kunst der 1920er- bis 1980er-­Jahre zu sehen. Weitere Zugeständnisse machten die Sowjets bezüg­lich der Bilder, die sich mit dem Reaktorunglück in ­Černobyl auseinandersetzten. In diesen Fällen bedurfte es langer Überzeugungsarbeit von deutscher Seite, damit sie in der Ausstellung gezeigt werden konnten. Dafür war hauptsäch­lich Christians zuständig. Die Bilder des 19. Jahrhunderts und des klas­sischen sozialistischen Realismus vermittelten den Eindruck einer vollständigen Dokumenta­tion der rus­sischen Kunstgeschichte. Im sowjetischen Text wurde der Beitrag der Bolschewiken zum Frieden hervorgehoben, dazu erinnerte man an Lenins Dekret über den Frieden (1917): „Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit rief er nicht nur zum Frieden auf – pazifistische Aufrufe hatte es schon früher gegeben –, er rief zum demokratischen Frieden auf und weigerte sich, einer Aufteilung in Starke und Schwache zuzustimmen, das Diktat Einzelner wie auch die Verletzung der Rechte und Interessen der anderen zu akzeptieren.“768

767 Jankilevskij wurde bereits 1974 und 1979 bei Spielmann in Bochum ausgestellt (siehe Anm. 707). 768 Ebd., 50.

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Die Autoren behaupteten, dass die Oktoberrevolu­tion auch der Kunst geholfen habe, sich mit großen Schritten weiterzuentwickeln. Im Text wurde die Avantgarde auf einer Seite abgehandelt, während dem sozialistischen Realismus und seinen Epigonen zwölf Seiten gewidmet wurden.769 In der sowjetischen offiziellen Kunst überwog die Hoffnung, als Beispiel wurden Bilder von Vladimir A. ­Serov und Alexandr A. ­Deineka erwähnt. Das Thema der ­Mutter mit Kind, als Madonna einer neuen Zeit, nahm ebenfalls eine zentrale Stellung ein. Beispiele dafür waren in der Ausstellung Taras J. ­Gaponenkos Zur Mittagszeit zu den Müttern (1935) und Nikolai F. ­Denisovskijs Kinderkrippen (1931). Weitere Motive waren Porträts von Gelehrten und Wissenschaftlern, Glorifizierung der Arbeit und Landschaftsbilder. Während des Zweiten Weltkrieges wurden von Künstlern des rauen Stils, Sergej V. ­Gerassimov, Gelij M. ­Koržev und dem Künstlerkollektiv Kukryniksy, das Leiden und die Heldentaten der sowjetischen Menschen gemalt. Hier riefen die Kriegsbilder, im Gegensatz zur ausgestellten deutschen Kunst dieser Zeit, zum Patriotismus und Kampf auf. Die Kriegserinnerungen der Künstler waren bis in die 1980er-­Jahre ein Hauptmotiv sowjetischer Kunst. Die Autoren beschrieben die zwei wichtigsten Aufgaben der Kunst: die Schönheit des Lebens auszudrücken und vor der Katastrophe eines Krieges zu mahnen.770 Diese Aufgabe schien von der sowjetischen Kunst vorbild­lich erfüllt zu werden: „Auch die sowjetische bildende Kunst unserer Tage ist von einer dankenswerten Kontinuität im Kampf für allgemeinmenschliche Werte und für den Protest gegen den Krieg beseelt.“771 Die Bilder der jungen Künstler Maxim K. ­Kantor und Sergej N. ­Basil’ev über die Katastrophe von Černobyl wurden im sowjetischen Text mit keinem Wort erwähnt. Diese Werke wurden in die Ausstellung auf Verlangen der deutschen Initiatoren aufgenommen. Für die UdSSR war besonders Kantor ein schwieriger Künstler, der sich jenseits der offiziellen Kunst posi­tionierte und systemkritische Bilder malte.772 Er gehörte zu den Künstlern, die wegen dissidentem Verhalten in spezielle Psychiatrien eingewiesen wurden. Auf den ersten Blick schien die Auswahl der Bundesrepublik vielfältiger zu sein und keine Ausklammerung vorzunehmen. Bei genauer Sichtung fällt auf, dass zwar die meisten Entwicklungen der Malerei im 20. Jahrhundert vertreten waren, aber die Entwicklungen jenseits der klas­sischen Gattungen unterpräsentiert waren. Installa­ tionen, Videokunst, Fotografie, Performance und alle innovativen Strömungen des 20. Jahrhunderts wurden nicht in die Exposi­tion aufgenommen, sodass das Gefühl 769 Vgl. ebd., 49 – 60. 770 Vgl. ebd., 39. 771 Ebd. 772 Vgl. Deckert 1988.

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Abb 35  G. ­M. Koržev, Spuren des Krieges (1967), Staatl. Rus­sisches Museum St. Petersburg.

vermittelt wurde, dass sich nur die Malerei und die Bildhauerei mit dem Thema Krieg und Frieden beschäftigen. Da die Auswahl beider Länder gemeinsam vorgenommen wurde, kann man davon ausgehen, dass aus Rücksicht auf die sowjetischen Kulturvertreter der Fokus auf klas­sische Gattungen gelegt wurde. Die Kunsttheorien beider Länder waren nahezu unvereinbar, was eine gemeinsame Organisa­tion schwierig und diskussionsreich machte. Da die Ausstellung in beiden Ländern gezeigt werden sollte, mussten viele Kompromisse geschlossen werden, das würde auch das Wegfallen progressiver Kunstrichtungen erklären. Obwohl im Katalog betont wurde, dass die Verhandlungen über die Exponate beim Dessert 773 besprochen wurden, bezeugen andere Quellen die Schwierigkeiten, die während der Gespräche auftraten. Lokale Zeitungen berichteten, dass der erste sowjetische Beitrag von den Deutschen als absolut unbrauchbar bezeichnet wurde.774 Dies ist durchaus vorstellbar, da die Werke der Avantgardisten erst s­ päter in die Ausstellungspläne aufgenommen wurden. Ein weiteres Kuriosum 773 Siehe Anm. 751. 774 Vgl. Deckert 1988/I.

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der sowjetischen Auswahl war das Gemälde des Direktors der Tret’jakov-­Galerie Jurij K. ­Korolëv. Dieser entschied, sich selbst auszustellen – seine Weltraumbrüder bekamen eine prominente Stelle in der Hamburger Ausstellung. Es ist ein Paradebeispiel der Staatskunst mit fröh­lich lachenden Kosmonautenfreunden vor strahlend-­blauem Himmel, die den sowjetischen Stolz auf die eigene Raumfahrt glorifizieren. So wie die Sowjets ihre ungewollte Kunst ignorierten, übergingen die Deutschen die zwölf Jahre der NS-Kunst. Bis heute ist ­dieses empfind­liche Thema der deutschen Na­tion nur sehr zaghaft aufgearbeitet worden. Man konnte anhand der ausgestellten Werke eindeutig die Tabuzonen der beiden Länder ausloten. Die oberfläch­lich und zuweil naive Stimmung der Schau, die von vielen Rezensenten in der Bundesrepublik kritisiert wurde, verfehlte dementsprechend ihre anfäng­liche Inten­tion. Das empfind­ liche Thema des Krieges mit banalen Antagonismen wie „gut und böse“ oder „schön und schreck­lich“ aufzuarbeiten, ließ die Ausstellung plakativ erscheinen. Daher wurde sie in den Medien primär als konstruierte Sensa­tion betrachtet, als eine Feier wirtschaft­ licher Beziehungen beider Staaten. Der Impetus, nach Nivellierung der trennenden Faktoren zu verlangen und gleichzeitig wichtige kritische künstlerische Posi­tionen zu ignorieren, konnte nicht zum Erfolg führen. 1.16.1 Medienresonanz In der deutschen Presse wurde diese Ausstellung als eine weitere Sensa­tion in den kulturdiplomatischen Bemühungen dargestellt – das erste deutsch-­rus­sische Projekt seit dem Krieg mit einem derart empfind­lichen Thema sorgte für mannigfaltige Reak­ tionen. Auffallend breit und kontrovers wurde die starke Beteiligung der deutschen Wirtschaft an d ­ iesem Projekt diskutiert. Die Platzierung der Namen beteiligter F ­ irmen wie Deutsche Bank AG , AEG Aktiengesellschaft, Mannesmann AG , Ruhrgas AG und Zanders Feinpapiere AG 775 auf dem Cover des Katalogs provozierte unmittelbar diese Diskussion. Überschriften wie Wirtschaftspolitik mit Kunstfolgen (ZEIT ) und mokante Kommentare, dass die Kunst in den Dienst der Wirtschaft gestellt werde, häuften sich.776 In der FAZ kritisierte Peter Winter, dass die Kunst „unsensibel vor den Karren durchschaubarer Interessen“ gespannt und der Besucher mit den „Good-­ Will-­Gesten“ überfordert werde.777 Die oft wiederholten Floskeln zur Annäherung und Friedensstiftung stellten viele Journalisten infrage: Ein Grund dafür war unter anderem das zur damaligen Zeit 775 Die fünf beteiligten Unternehmen hatten alle eine Vertretung in Moskau. 776 Vgl. Kipphoff 1987, 58; Winter 1987. 777 Vgl. Winter 1987.

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umstrittene Engagement der Deutschen Bank in Südafrika. Während der Pressekonferenz wurden den Vertretern des Unternehmens unangenehme Fragen zu diesen ­Themen gestellt.778 Die kritischen Beiträge hätten für schlechte Stimmung auf dem Rednerpodest gesorgt, beobachtete die Badische Zeitung.779 Die Ausstellung wurde nicht als aufrichtiger Appell zum Frieden, sondern als ein Zeichen ­­ der gegenseitigen Dankbarkeit für florierende Geschäfte aufgefasst. „Die Kunst schmückt das Geschäft – warum nicht, umgekehrt wird kein Reim draus“, resignierte Petra Kipphoff in der ZEIT.780 Diese These diente auch als Erklärung für die kritiklose deutsche Übernahme der sowjetischen Präsenta­tion. Die Kunst aus dem Osten wurde dennoch nicht gänz­ lich kritisiert, einige Kommentatoren versuchten sich dem Thema unvoreingenommen zu nähern und entdeckten positive Aspekte. Offensicht­lich schaffte es Peter Ludwig mit all seinen Bemühungen nicht, die Informa­tionslücken der Rezensenten regionaler Zeitungen zu schließen: Die Vielfalt der sowjetischen Malerei schien manche von ihnen immer noch zu überraschen. Einige zeigten sich jedoch beeindruckt davon, wie der sozialistische Realismus von jungen sowjetischen Malern erweitert wurde.781 Gleichzeitig wussten die Berichterstatter, dass es nicht mühelos gelungen war, auch die Kunstwerke von Avantgardisten und Unangepassten wie Maxim K. ­Kantor für die Ausstellung ausgeliehen zu bekommen.782 Dass die Einigung beider Parteien über das Auszustellende nicht so einfach war, wie von Hofmann und Stölzl im Katalog beschrieben, entging der Presse nicht. Die Passauer Neue Presse berichtete von einem hart­ näckigen Kampf, der mit „Vorschlagslisten“783 geführt wurde. Auf diesen Listen sollen hauptsäch­lich Werke der rus­sischen Avantgarde gestanden haben. Jurij Korol’ëv, der Direktor der Tret’jakov-­Galerie soll irgendwann in Fragen abstrakter Kunst eingelenkt haben. Christians soll mit den konservativen Vertretern des Kulturministeriums in Moskau gekämpft und persön­lich dafür gesorgt haben, dass die Werke jüngerer Künstler zum Thema Černobyl in die Ausstellung aufgenommen wurden.784 Ironischerweise wird vor dem Hintergrund einer Ausstellung, die für Hoffnung, Annäherung und Frieden appelliert, primär über kämpfende Organisatoren berichtet. Trotz dieser einzelnen Errungenschaften war das unterschied­liche Ausmaß der ausgestellten Kunstrichtungen klar erkennbar. Die abstrakten Bilder wurden ledig­ lich als Alibi für die riesige Auswahl parteikonformer Kunst eingesetzt – hier lag ein 778 Vgl. Schmidt-­Missner 1987. 779 Vgl. ebd. 780 Kipphoff 1987. 781 Vgl. Brenken 1987; Mayer 1987; Stürzer 1987. 782 Vgl. Deckert 1988. 783 Ebd. 784 Ebd.

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Schwerpunkt der journalistischen Kritik nicht nur an dieser, sondern an allen vorangegangenen Ausstellungsprojekten. Der stets ostkritische Peter Dittmar machte den Rundgang der Ausstellung zu seinem Hauptkritikpunkt.785 Die Badische Zeitung sah in der Ausstellung eine Show für Funk­tionäre und Geschäftsleute.786 Es hieß, die Sowjetunion feiere ein Geschenk an sich selbst zum 70. Jahrestag der Oktoberrevolu­tion – eine Feier­lichkeit, die an einen Staatsbesuch erinnere, die ausgestellte Kunst dagegen bliebe recht bescheiden und biete auch keine Lösungen für den Frieden an.787 Dittmar schließt sich nach einer gründ­lichen Analyse des Ausgestellten dieser Meinung an: „Aber nicht nur die Maler huldigen dem falschen Pathos. Bei der Pressekonferenz bescheinigten sich die deutschen wie die sowjetischen Veranstalter mehrfach ‚Mut‘ und ‚Kühnheit‘, ohne daß klar wurde, was an d ­ iesem Mixtum compositum so kühn und mutig sein soll.“788

Die Selbstdarstellung der Organisatoren ging nach Meinung der meisten Berichterstatter zu weit. Der große Geltungsdrang zeigte sich allein schon am Katalog-­Cover, das mit den Namen der Sponsoren bedruckt war. Das Ausmaß der Ausstellung deutete auf eine fehlende Zurückhaltung der Kuratoren, dabei wurde augenschein­lich mehr Wert auf Quantität als auf die Qualität des Ausgestellten gelegt. Durch die ausufernde Konzep­tion legten sich die Kuratoren selbst Steine in den Weg. Es stellte eine schwere Aufgabe dar, nahezu fünf Jahrhunderte der Kunstgeschichte aus zwei so unterschied­ lichen Ländern zusammenzubringen, die dann auch offensicht­lich in ­diesem Projekt nicht bewältigt wurde. Kompromisse und Konzessionen anstatt klarer Konzepte und wissenschaft­licher Disziplin beherrschten das Projekt. Die intendierte Geste der Ausstellung allerdings hat ihr Publikum nichtsdestotrotz erreicht, denn die Besucher waren größtenteils zufrieden.789 In Deutschland haben die Ausstellung 77000 Menschen gesehen, die Eintragungen im Besucherbuch in Hamburg zeigten zu 90 Prozent positive Reak­tionen.790 Die theoretische Basis des Projektes war dennoch mangelhaft in ihrer Ausarbeitung und Präsenta­tion. Die kolossale Bilderschau weckte bei vielen Journalisten Unbehagen, sie wurde als „Labyrinth“791 und „grausiges Konglomerat“792

785 Vgl. Dittmar 1987. 786 Vgl. Schmidt-­Missner 1987. 787 Vgl. ebd. 788 Dittmar 1987. 789 Vgl. Främcke 1987. 790 Vgl. Deckert 1988. 791 Vgl. Goertz 1987. 792 Winter 1987.

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bezeichnet, das „eher den Rumpelkammern eines Armee-­Museums“793 ähn­lich sei. Zusätz­lich schien die Aufteilung in die verschiedenen Themenblöcke Verwirrung zu stiften. Die FAZ kritisierte die Präsenta­tion wegen ihres kitschigen Charakters: „Der Rundgang beginnt bereits im Treppenhaus, mit sonnig-­wonnigen Postern, pausbäckigen Kindergesichtern, freund­lich lachenden Astronauten – konterkariert von Umweltschutz-­ Buntpapieren und bedroh­lichen, k­lischeehaften Atompilz-­Grafiken. Das Thema ist angeschlagen: die Kontrastpaare nett und düster, gut und böse, Glück und Katastrophe werden programmatisch als Leitmotiv angekündigt.“794

Diese Kritik wurde im gleichen Ton weitergeführt und konstatierte dem Projekt theoretisches und praktisches Versagen. Die unterschied­liche Vorgehensweise – zum einen die chronolo­gische Auflistung und die Trennung der deutschen und rus­sischen Kunst im Katalog und zum anderen die willkür­liche Zusammenführung im Ausstellungsraum – werden in der Nordseezeitung als schlecht durchdacht wahrgenommen. 795 Der Gegenstand der Kritik änderte sich beim nächsten Ausstellungsort in München. Das Thema der Kunst im Dienst der Wirtschaft wurde weniger ausführ­lich diskutiert. Der Kunsthistoriker und Kritiker Reinhard Müller-­Mehlis störte sich überwiegend an den Ausstellungsräumen, die im Gegensatz zur Hamburger Kunsthalle nicht zum riesigen Bilder-­Konglomerat passten.796 Die sowjetische Malerei wurde weiterhin starker Kritik unterworfen, gleichgesetzt mit „Vertuschung“ und „Malen für den Hausgebrauch“.797 Der kritische Ansatz der rus­sischen Avantgarde habe sich in den Kitsch der offiziellen Kunst verwandelt, der sich vor allem durch ein „optimistisches Bild vom Krieg“798 auszeichne, war das geläufige Urteil. Die rus­sische Kunst empfanden die deutschen Journalisten als zu „sentimental“ und „süß­lich“.799 Darin unterschied sich die Ausstellung auch nicht von ihren Vorgängern – was bei Ludwig anfangs Neugier erweckte, schließ­lich aber für minderwertig befunden wurde, war vier Jahre ­später bereits uninteressant, wie die meisten untersuchten Berichte beweisen. Die sowjetische Kunst konnte die Grenze über eine Dokumenta­tion hinaus, die ihr von Ludwig unfreiwillig auferlegt wurde, nicht überwinden. Die Informa­tionslücken über die offizielle sowjetische Kunst der 1950er- bis 1980er-­Jahre wurden bereits vor 793 Ebd. 794 Ebd. 795 Vgl. Stürzer 1987. 796 Vgl. Müller-­Mehlis 1988. 797 Vgl. Bastian 1987. 798 Vgl. Müller 1987. 799 Vgl. Winter 1987.

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Ludwig und Nannen geschlossen. Die Künstler wurden offiziell in den Medien für irrelevant befunden und die Werke anderer Richtungen und Stile waren nicht genug vertreten, um der Ausstellung eine Ausgewogenheit zu geben. Letzt­lich stellte ­Schrecken und Hoffnung dieselbe Malerei und dieselben Lücken in der sowjetischen offiziellen Kunstgeschichte dar, diesmal nur unter anderen Prämissen. Es wurde nicht die eigentüm­liche Exotik sowjetischer Kunst beworben, sondern zwei große ­Themen, die passenderweise in alle Richtungen erweitert beziehungsweise gekürzt werden konnten. Im Vergleich mit den ausgestellten deutschen Künstlern (obwohl die meisten von ihnen nicht mit berühmten Arbeiten vertreten waren) konnten die sowjetischen Maler der Gegenwart nicht konkurrieren, zumindest nicht auf westdeutschem Boden. Das zeigten bereits Erfahrungen früherer Ausstellungen. Den Bildern von Grosz und Dix wurde von den Rezensenten viel mehr Überzeugungskraft zugesprochen als den strahlenden Helden der optimistischen sowjetischen Präsenta­tion, die vielmehr abschreckten als dass sie befriedeten.800 Dittmar erinnerte an die vergangenen Projekte ­dieses Kunstaustausches, wie die Ausstellung Tradi­tion und Gegenwart (1984). Diese Schau war die erste Antwort der UdSSR auf den von der Deutschen Bank antizipierten Austausch. Rus­sische und sowjetische Kunst wurde in ­diesem Projekt in einem größeren Umfang gezeigt als bei Schrecken und Hoffnung: 240 Exponate aus sechs Jahrhunderten gab es in Düsseldorf und Stuttgart zu sehen. Die Bilanz des Vergleichs fiel bei Dittmar folgendermaßen aus: „Wenn es also schon nicht um Politik mit Kunst als Dekor geht, so doch zumindest um Wirtschaftspolitik. Und die erfordert Rücksichten. Deshalb wurde bei ‚Tradi­tion und Gegenwart‘ der Blick des Betrachters nicht durch die Zickzack-­Linie sowjetischer Kulturpolitik irritiert, sondern durfte sich an der geradegebügelten Generallinie der Partei orientieren, die den Künstlern allenfalls ein wenig systemimmanente Kritik, nicht aber Systemkritik zubilligt. Das ist auch diesmal nicht anders.“801

Ein Ausstellungsprojekt stellt die Kunstgeschichte immer modifiziert durch sein Konzept dar, es beleuchtet einen spezifischen Aspekt und blendet in Folge oft andere aus. In Ausstellungen, die in der Sowjetunion zusammengestellt wurden, erreichte ­dieses Verfahren ausschweifende Ausmaße. Es ging stets darum, die Präsenz unerwünschter Künstler ganz zu verhindern oder verschwindend gering zu halten. Diese Stilisierung der Kunstgeschichte wurde bis zum Zusammenbruch der UdSSR aufrechterhalten, nahm nach der Ausrufung von Glasnost dann sukzessive ab. Bei Ausstellungen, in denen ausschließ­lich und in großer Breite sowjetische Kunst ausgestellt wurde, stach 800 Vgl. ebd. 801 Dittmar 1987.

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die manipulierende Lesart durch die sowjetischen Kunsthistoriker besonders hervor. Diese Erfahrung mag zu den pragmatischen Gründen gehören, die die Veranstalter von Schrecken und Hoffnung veranlasst haben, die Kunst beider Länder im Ausstellungsraum miteinander zu kombinieren. Damit konnte versucht werden, die auffällige Einseitigkeit der sowjetischen Auswahl zu relativieren. Das Handelsblatt warnte allerdings vor zu viel deutschem Hochmut, denn die NS-Kunst blieb, wie bereits erwähnt, auf Wunsch beider Seiten vollständig ausgeblendet.802 Die deutsche Auswahl wurde von den Rezensenten keineswegs verschont – in der FAZ kritisierte Winter, dass zu viele norddeutsche „Lokalmatadoren“803 ausgestellt worden s­ eien, den Grund dafür sah Peter Winter beim Direktor der Hamburger Kunsthalle, der mit vier anderen Vertretern der Kunsthalle Hamburg einer der Hauptverantwort­lichen für die Bilderwahl war.804 Das Gros der Stimmen charakterisierte die deutsche Kunst im direkten Vergleich mit der sowjetischen als deut­lich unverbind­licher. Die deutschen Künstler würden ihr Ego ausführ­licher untersuchen, anstatt an die globalen Fragen der Menschheit zu denken.805 Die Kritik an der ausgestellten deutschen Kunst tauchte überwiegend in den Rezensionen zur Münchener Ausstellung auf. Das Hauptthema der deutschen Wirtschaft als Kunstsponsor war abgeklungen und die Exponate traten in den Vordergrund der Besprechungen. Die ausgestellte deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts ziehe sich viel mehr ins Private, in die eigenen Empfindungen zurück und vergesse darüber hinaus, einen wesent­lichen Inhalt zu haben und eine Botschaft zu senden, war das Resümee vieler zitierter Berichterstatter. „Wer sich auf das Krieg-­und-­Frieden-­Thema einläßt, kann sich im Gegenteil nicht mit ein paar schlechten Bildern von Fetting, Immendorff, Kiefer, Marx und Duwe aus der Affäre zu ziehen versuchen.“806

Müller-­Mehlis sprach in seiner Rezension erneut den wunden Punkt der deutschen Kunstgeschichte an. Den Vorteil der Russen bei der Auswahl der Exponate sah er in einer ungebrochenen Tradi­tion des Historienbildes, w ­ elche die Deutschen nicht haben.807 Aus historischer Sicht würden in der Ausstellung die Bilder der deutschen Kriegsmaler aus dem Ingolstädter Armeemuseum fehlen, war seine Meinung. Dabei sollte es keineswegs um einen Sensa­tionswert gehen, denn viele Künstler des Dritten 802 Vgl. Berndt 1987. 803 Winter 1987. 804 Vgl. Berndt 1987. 805 Eckert 1987. 806 Vgl. Müller-­Mehlis 1988. 807 Vgl. ebd.

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Reiches hätten sich gegen Heroismus in ihren Werken entschieden. Franz Eichhorst, Rudolf Hengstenberg und Otto Engelhardt-­Kyffhäuser ­seien Künstler gewesen, die den Krieg ohne Beschönigung realistisch darzustellen versuchten, schreibt Müller-­ Mehlis.808 Sogar wenn das nicht der Fall wäre, ist gerade bei einem Thema wie Krieg und Frieden, das die letzten fünf Jahrzehnte abzudecken versucht, die Ausklammerung der NS-Kunst inkonsequent. Die Ausstellung war jedoch nicht auf die Vollständigkeit des Gezeigten konzentriert, wie die Untersuchung bereits zeigte. Einen wichtigen Unterschied in der Kunst beider Länder im 20. Jahrhundert stellte die gegensätz­liche Auffassung der Weltkriege dar. Für die Deutschen war die Niederlage 1918 verheerend, während die Sowjets mit dem Aufbau ihres eigenen neuen Systems überfordert waren. Unterschied­liche Prämissen führten zur unterschied­lichen künstlerischen Auffassung, erklärte die Rezensentin der Nordseezeitung. „Die Ausgangslage der beiden Na­tionen ist dabei anders. Während den jungen sowjetischen Künstlern ihr Staat als das Paradies erscheint, ist für die deutschen Maler seit dem ersten Weltkrieg der Frieden nicht mehr darstellbar.“809

Bei dieser Darstellung wurde allerdings nicht darauf hingewiesen, dass das Paradies der Sowjetunion eine theoretische, politische Konstruk­tion war und viele der Künstler es bebilderten, aber gleichzeitig die Armut und das Leid um sich herum klar erkannten. Außerdem vereinfachte sie die vielfältigen Entwicklungen in der Kunst der Weimarer Republik ebenso, wie sie die progressiven rus­sischen Strömungen ignorierte. Die Autorin bot dem Leser ein vereinfachtes Schema der Situa­tion dar, das nicht haltbar war. Die Ausgangssitua­tion in beiden Ländern war formal ähn­lich: Zerstörungen, blinder Na­tionalismus und Bedrohung von außen waren ständige Begleiter im Alltag der Menschen. Allein die kulturpolitische Lage lenkte die deutschen und sowjetischen Künstler in unterschied­liche Richtungen. Als bilaterale Ausstellung mit einer großzügigen Präsenta­tion aus beiden Ländern machte Schrecken und Hoffnung erneut deut­lich, wie schnell die Presse west­liche Denkmuster auf sowjetische Kunst anwendete. Nur sehr wenige Stimmen bezogen sich auf die kulturellen Unterschiede in beiden Ländern. Insoweit konnte Peter Ludwig Recht gegeben werden, als er sich über die Einseitigkeit des west­lichen Blicks beschwerte. Die meisten Autoren wollten sowjetische Kunst mit west­lichen künstlerischen Qualitätsmerkmalen messen, was nur in harscher Kritik enden konnte. Die sowjetische Presse stellte dagegen ohne Zweifel 808 Vgl. ebd. Mühler-­Mehlis betont das Thema NS-Kunst als Spezialist, er hatte 1976 das Buch Kunst im Dritten Reich publiziert. 809 Stürzer 1987.

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fest, dass die Kunst beider Na­tionen „[…] auf verschiedenen, emo­tional-­ethischen, mora­lisch-­ästhetischen Ebenen liege“.810 In der sowjetischen Presse fiel die Kritik nicht so laut aus. Die Räume der Tret’jakov-­ Galerie in Moskau und der Eremitage in Leningrad waren geeignet für eine derart große Exposi­tion, die in der UdSSR mit dem Titel Künstler sehen Frieden und Krieg unbenannt wurde. Die eigenen „Helden“ kannte man gut und freute sich darüber, eine Übersicht der deutschen Kunst zu bekommen.811 Außerdem waren deutsche Künstler wie Dürer, Dix, Grosz und Kollwitz beim rus­sischen Publikum durch frühere Ausstellungen hoch angesehen.812 Die Zeitung Sovjetskaja Kultura stellte fest, dass dem Schrecken in der westdeutschen Exposi­tion viel mehr Raum gegeben worden sei und dass die deutsche Erfahrung der Kriege den „besonderen Expressionismus“813 begründet habe. Gleichzeitig wurde aber der „Formalismus“ der deutschen Kunst als verzerrend und ablenkend beschrieben. Die heroische sowjetische Kunst diente als deut­licher Gegensatz: „Die sowjetische Kunst hat niemals, unter keinen Umständen, vergessen, den Menschen zu rühmen, der der Macht seiner geistigen Kräfte, der Fähigkeit undenkbare Schwierigkeiten und Leiden zu überwinden, in sich als unvergess­lichen Wert die Fähigkeit zum Mitleiden, und echter Menschlichkeit Gerechtigkeit widerfahren läßt. Diese Qualität, diese Eigenschaft unseres Volkes war auch eines der Unterpfänder des Sieges.“814

Somit wurden die polaren Ausstellungsthemen Krieg und Frieden je einer Na­tion zugeordnet – die Künstler der UdSSR waren die Verfechter der Hoffnung, während deutsche Künstler sich dem Schrecken widmeten. Diese Tendenz zog sich, wie oben beschrieben, von den Werken des 15. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Anhand dieser Einschätzung wird einmal mehr deut­lich, dass die dogmatische Kluft beider offizieller Kunstanschauungen nicht zu überwinden war. Das Publikum, ob nun in Hamburg oder Moskau, besuchte die Ausstellung mit großem Interesse und fühlte sich, wie Besucherkommentare des Gästebuchs beweisen, von den ausgestellten Werken angesprochen. Die Kritik der westdeutschen Presse zeigt seit Beginn des Austauschs mit der Sowjetunion keine Veränderungen, die Wortwahl und die Kritikpunkte blieben über Jahrzehnte stets die gleichen. Die Ressentiments und Stereotypen des Kalten 810 Organ 1988. 811 Vgl. ebd. 812 Vgl. dazu: Kap. 2.1.4. 813 Organ 1988. 814 Ebd.

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Krieges mussten um jeden Preis aufrechterhalten werden, die Kunst und die politische Lage sollten nicht voneinander getrennt werden. Hieran lässt sich erkennen, dass es vor allem die mediale Rezep­tion der Ausstellungen war, die gegen die Bestrebungen einer Annäherung arbeitete. In jedem Projekt wurde eine Vorteilssuche vermutet, ob es nun eine politische Selbstdarstellung der Sowjetunion war oder die wirtschaft­lichen Interessen eines Peter Ludwig oder der Deutschen Bank AG. ­Die Kunstausstellungen konnten nur informieren und dokumentieren, eine Veränderung der allgemeinen Stimmungslage war nur in den Medien mög­lich und solange sie gegen die sowjetischen Kunstausstellungen berichteten, hatte der Kulturaustausch keine Erfolgsaussichten. Derweil die Sowjetunion den sozialistischen Realismus als Exportprodukt anbot, gab es kein ernsthaftes Interesse seitens westdeutscher Kunstkritik. Dennoch verlor gerade 1987 die dogmatische Kunst in der UdSSR allmäh­lich ihre Posi­tionen. Perestroika und Glasnost gaben den inoffiziellen Künstlern einen neuen Anstoß, sich immer weiter in die Öffent­lichkeit zu wagen. Dieser Prozess ging derart schnell voran, dass bereits 1989 der Dualismus der sowjetischen Kunstwelt aufgehoben schien und sich die Botschaft besonders jenseits der Berliner Mauer rapide verbreitete. Als Katalysator ­dieses Umkehrprozesses kann heute in erster Linie die Sotheby’s-­Auk­tion der rus­sischen Avantgarde und zeitgenös­sischer Kunst im Sowinzentr 815 in Moskau 1988 gelten.

1.17 Sotheby’s R ussi a n Ava n t-G a r de a nd S ov iet C on te mpor a ry A rt  – Versteigerung in Mosk au (07. 07. 1988) In ihrem Beitrag Rus­sische Bestseller. Der interna­tionale Kunstmarkt als Indikator für die Wertschätzung von rus­sischer Kunst seit 1988 bezeichnet die Historikerin Waltraud Bayer diese Auk­tion als den Startschuss für den interna­tionalen Aufstieg der rus­sischen Kunst.816 Zum ersten Mal in der Geschichte der Sowjetunion wurde die zeitgenös­sische rus­sische Kunst durch ihre kommerzielle Bedeutung in den Fokus gerückt.817 Dabei wurden während der langen Vorbereitungen zur Versteigerung Künstler ausgewählt, die im offiziellen System der sowjetischen Kunstlandschaft gar nicht existierten. Die 29 ausgesuchten Künstler gehörten zur Gruppe der so genannten „Dissidenten“ oder „Nonkonformisten“, deren Schaffen in der UdSSR nicht als Kunst angesehen wurde. Zusätz­lich wurden von Sotheby’s 18 Arbeiten von anerkannten Künstlern der rus­sischen

815 Ein Ausstellungszentrum in Moskau, heute ist es das Zentrum des interna­tionalen Handels. 816 Vgl. Bayer 2007, 43. 817 Vgl. ebd., 45.

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Avantgarde versteigert.818 Bayer schreibt, dass die Wertfeststellung in Ost wie West für eine Überraschung sorgte, und sie liefert zugleich eine Erklärung für diesen Preis­ anstieg: Es war der politische Gehalt der Kunst und das interna­tionale Ansehen, das diese Kunst seit einigen Jahren im Westen genossen hatte, die die Preise in die Höhe trieben. Obwohl es schon vor der Auk­tion einige Sammler dieser Kunstrichtung gab, konnte sie bisher keinen solchen bezeichnenden Wertzuwachs erlangen wie im Zuge der Auk­tion von 1988.819 Wie bereits schon viele Male zuvor kam in ­diesem Fall die Anregung zur Auk­tion aus dem Westen. Bayer rekonstruiert die Entstehung der Auk­tion: „Die Initiative zur ersten interna­tionalen Kunstauk­tion, die je auf sowjetischem Territorium stattfand, war von der Russland-­Abteilung des britischen Tradi­tionshauses ausgegangen. Lord Gowri, Vorsitzender von Sotheby’s Großbritannien und zuvor britischer Kulturminister, hatte die Veranstaltung mit dem von Wassili Sacharow geleiteten sowjetischen Kulturministerium ausgehandelt. Die ursprüng­liche Idee stammte jedoch von Simon de Pury, damals Geschäftsführer von Sotheby’s Europe, der noch als Kurator der Stiftung Thyssen-­Bornemisza die Ateliers von Il’ja Kabakov und anderen Inoffiziellen in Moskau besucht und deren Kunst schätzen gelernt hatte. Letztere dominierten die von Lord Gowri, de Pury und Julian Barran, Geschäftsführer von Sotheby’s Frankreich, getroffene Auswahl.“820

Im Zuge der Auk­tion sollten auch die tradierten Vorurteile über das sowjetische Kunstsystem aufgebrochen werden, indem betont wurde, dass Glasnost alle bestehenden Barrieren ­zwischen offizieller und inoffizieller Kunst aufhebe.821 Die Vorbereitungen für diese Auk­tion waren besonders aufwändig, ausgewählte Arbeiten wurden bereits seit Mai 818 Künstler in der Auk­tion: Rus­sische Avantgarde: Aleksandr D. ­Drevin, Maria V. ­Ender, Aleksandr M. ­Rodčenko, Varvara F. ­Stepanova, Nadežda A. ­Udalzova. Zeitgenös­sische Künstler: Griša D. ­Bruskin, Ivan S. ­Čuikov, Evgenij Dybskij, Jurij I. ­Dyšlenko, ­Georgij V. Edzgveradze, Nikolaj V. ­Filatov, Il´ja I. ­Glazunov, Vladimir B. ­Jankilevskij, Il´ja I. ­Kabakov, Svetlana G. ­Kopyst´anskaja, Igor J. ­Kopyst´anskij, Dmitrij M. ­Kransnopevtsev, Malle Leis, Bela A. ­Levikova, Ira I. ­Nachova, Tatjana G. ­Nasarenko, Vladimir N. ­Nemuchin, Natalia I. ­Nesterova, Arkadij I. ­Petrov, Dmitrij P. ­Plavinskij, Leonid A. ­Purygin, Sergej A. ­Šutov, Aleksandr G. ­Sidnikov, Anatolij S. ­Slepyšev, Eduard A. ­Steinberg, Il´ja L. ­Tabenkin, Lev I. ­Tabenkin, Sergej V. ­Volkov, Vadim A. ­Zacharov. 819 Vgl. ebd. Auch Kenda Bargera (die ehemalige Partnerin von Antonina Gmurzynska) und ihr Ehemann Jakob gehörten zu den ersten Sammlern der Nonkonformisten. Heinz Bude schreibt in seiner Ludwig-­Biografie, dass es „in den achtziger Jahren unter den west­ lichen Diplomaten in Moskau Mode geworden [ist], die preiswerte dissidente Gegenwartskunst im Diplomatenkoffer zu exportieren“. (Bude 1993, 239). Diese Mode hatte bereits in den 1960er-­Jahren ihren Anfang genommen, viele Ausländer kauften inoffizielle sowjetische Kunst, weil sie exotisch und günstig war (dazu: Rakitin 1991, 165). 820 Bayer 2007, 45. 821 Vgl. ebd.

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1988 in Sotheby’s-­Filialen in Europa und USA zur Vorbesichtigung ausgestellt. Für Interessenten aus London und New York wurden Reisen nach Moskau organisiert, die ein ausführ­liches Begleitprogramm mit Besuchen in Ateliers, Galerien und Museen boten.822 Der Leiter der Russlandabteilung, John Stuart, übernahm mit seinen Mitarbeitern dabei die Rolle des Tourguides. Zudem wurden Vorträge und offizielle Empfänge organisiert. Den Teilnehmern wurde, laut Bayer, der freie Export aus der UdSSR garantiert.823 Die Auk­tion, die am 7. Juli 1988 um 19 Uhr vor 2000 Interessenten begonnen hatte, endete mit einem unglaub­lichen Erfolg. Auk­tionator de Pury konnte 2085050 Pfund Gesamteinnahmen verzeichnen. Das teuerste Bild stammt von Aleksandr M. ­Rodčenko, wobei diese Auk­tion den vorherigen Preis seiner Bilder um ein Vielfaches übertraf.824 Den zweiten Platz in der Preisliste nahm kein Avantgarde-­Künstler ein, sondern das mehrteilige Gemälde Fundamentales Lexikon (1986) des dissidenten jüdischen Künstlers Griša D. ­Bruskin, der zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten gehörte. Bruskin verarbeitete seine jüdische Herkunft, den sowjetischen Alltag und die Einsamkeit des Individuums zu symbo­lischen Elementen, die er einzelnen Figuren als Attribut zuordnete. Diese Figuren wurden durch die Brille eines Nonkonformisten gesehen zum Teil eines bildnerischen Lexikons über die sowjetische Kultur und Politik. Mit dieser Malerei wurde Griša D. ­Bruskin zum Mittelpunkt der Auk­tion und erlangte Höchstpreise, die das interna­tionale Kunstetablissement schockierten.825 Auch Arbeiten von Bruskins Kollegen Igor J. ­Kopystjanskij, Svetlana G. ­Kopystjanskaja und Il’ya I. ­Kabakov wurden für statt­liche Summen von der interna­tionalen Prominenz gekauft. „Auch Kabakovs ‚Antworten der Experimentellen Gruppe‘ (Los 48) erreichten mit 22000 Pfund einen hohen Wert. Dieses von Alfred Taubmann, Sotheby’s, privat erworbene Werk veranschau­licht die politische Signifikanz der Auk­tion. Sowohl Taubmann als auch andere Bieter, etwa André Schoeller von Drouot, Paris (vgl. Los 85), deklarieren ihre Erwerbungen als Schenkungen an ein künftiges Museum für zeitgenös­sische Kunst in der UdSSR.“826 822 Vgl. ebd., 46. 823 Vgl. ebd. 824 Näheres dazu: ebd., 46. 825 „Unter den Top 10 rangierten neben dem ‚Fundamentalen Lexikon‘ zwei weitere seiner Werke auf den Plätzen 4 und 5. Die dafür erzielten Preise dokumentieren den grundlegenden Wertewandel des Nonkonformismus der innerhalb kürzester Zeit exemplarisch zum Ausdruck kam. ‚Fundamentales Lexikon‘ (Los 24: Rufpreis 14000 – 18000 Pfund), bezeichnenderweise auf dem Umschlag des Auk­tionskatalogs abgebildet, wechselte für 242000 Pfund beziehungsweise 415756 US-Dollar den Besitzer. Bruskins ‚Alphabet‘-Serie (Nr. 3 und Nr. 4: Los 22) erreichte statt der geschätzten 10000 – 12000 schließ­lich 93000 Pfund und Nr. 5 aus derselben Serie (Los 23) kam anstelle der angesetzten 6000 – 8000 Pfund auf 82000 Pfund.“ (ebd.). 826 Ebd., 47.

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Abb 36  G. ­D. Bruskin, Fundamentales Lexikon Teil III, Fragment (1986), Sammlung Norton T. ­Dodge, Zimmerli Art Museum, Rutgers University, USA.

Diese Pläne sind nur teilweise realisiert worden, der Großteil der versteigerten Werke ging ins Ausland.827 Die Auk­tion wurde zu einem Meilenstein der jüngeren sowjetischen Kunstgeschichte. Die überkommenen Auffassungen zur offiziellen und inoffiziellen Kunst wurden aufgelöst und die „Dissidenten“ rückten ins Rampen­licht der interna­ tionalen Kunstszene und des Marktes. Das Interesse an diesen Künstlern wuchs propor­ tional zu den Devisen, die in ihr Werk investiert wurden.828 Es waren ­überwiegend die 827 Vgl. ebd., 48. 828 Vgl. ebd.

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Protagonisten des so genannten „Moskauer romantischen Konzeptua­lismus“, die auch vom Philosophen Boris Groys in seinem Exil in der Bundesrepublik gelegent­lich hervorgehoben wurden. Groys, der 1981 in die Bundesrepublik auswanderte, wurde zum Sprachrohr dieser in sich geschlossenen Gruppe. Die ersten Texte über den Moskauer Konzeptualismus verfasste er für die Zeitschrift A-Ya in Paris, die von ausgewanderten sowjetischen Kulturschaffenden gegründet und herausgegeben wurde. 829 Mit dem Erscheinen seines Buches Gesamtkunstwerk Stalin (1988) sorgte der Kulturtheoretiker für interna­tionales Aufsehen und avancierte zu einem geachteten Spezialisten für rus­sische und sowjetische Kunst des 20. Jahrhunderts.830 Seine Nähe zum Kreis der Moskauer Künstler machte es ihm leicht, ihre Arbeiten theoretisch aufzubereiten und im Westen bekannter zu machen.831 Die Gruppe um Kabakov, Komar und Melamid und Bruskin erlangte innerhalb kürzester Zeit Weltruhm. Ihre Kunst zeichnete sich durch eine spezielle Verbindung des sozialistischen Lebensgefühls mit persön­lichem Schicksal aus, gleichzeitig hatte die Konzep­tion der Arbeiten einen progressiven Ansatz. In den Künstlerarbeiten erschienen häufig rus­sische Phrasen oder Schlagwörter, die für die west­lichen Betrachter schwer zu erschließen waren. Sie waren Ausdruck des Zeitempfindens und vermittelten Resigna­tion einer bröckelnden Utopie. Für das west­ liche Publikum waren die Arbeiten nur ein „Exotismus-­light“: Einerseits durchtränkt von unbekannten Insider-­Parolen und sozialistischen Symbolen und andererseits oft auf eine fast west­liche Manier ausgeführt. Anschau­liche Beispiel dafür sind die Soz-­ art 832 des Künstlerduos Komar und Melamid oder die fotorealistischen Gemälde von Erik V. ­Bulatov, die mit den K­lischees der sozialistischen Malerei und des amerikanischen Fotorealismus spielen und sich gleichzeitig der ironischen Methoden der amerikanischen Pop-­Art bedienen. Die Kunst der Moskauer Konzeptualisten war für den west­lichen Betrachter nur schwer zu verstehen, aber weil sie en vogue war, wurde sie aktiv akquiriert und wohlwollend rezipiert.833 Mit den Ereignissen des Jahres 1988 vollzog sich eine Erschütterung des bestehenden Kultursystems und ein Erstarken der nonkonformistischen Bewegung zeichnete 829 Vgl. Groys 1979, 3 – 11. 830 In Gesamtkunstwerk Stalin vertritt Groys die These, dass der Stalinismus als Vollendung eines modernen utopischen Projektes angesehen werden könne, das Kunst und Leben vereinige (vgl. Groys 1988). 831 Seit Ende der 1980er-­Jahre schrieb Groys zahlreiche Texte über diese Künstler und organisierte mehrere interna­tionale Ausstellungen über den Moskauer Konzeptualismus. 832 Der Begriff „Soz-­Art“ wurde von Vitalij A. ­Komar und Alexandr D. ­Melamid erfunden, er bezeichnete Kunst, die ironisch sozialistische Elemente aus der sowjetischen Alltagskultur benutzte. Soz-­Art wurde als sozialistisches Pendant zur Pop-­Art gesehen. 833 Vgl. dazu Henning Sietz 1989, 37. Zum Verständnisproblem der rus­sischen Konzeptualisten siehe auch: Groys. In: Ausst.-Kat. Die Totale Aufklärung Moskauer Konzeptkunst 1960 – 1990 2008, 18 – 28.

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sich ab. Dadurch erlitt der Künstlerverband der UdSSR eine schwere Zeit, die bereits ein Schwanken seiner Führungsposi­tion anzeigte und auf die zukünftige Niederlage deutete.834 Der erste richtige Kunstmarkt in der Sowjetunion entwickelte sich langsam. Der Erfolg der Künstler wurde nach dem west­lichen Maßstab gemessen und die Sowjets gaben ihre Deutungshoheit über diese Kunst ab.835 Die erfolgreiche Auk­tion war der Höhepunkt einer Abwanderung nonkonformistischer Kunstwerke und auch der Künstler in den Westen, die seit Mitte der 1970er-­Jahre stattfand.836 Dieser Trend wurde jedoch nicht, wie oft fälschlicherweise dargestellt, von der Sotheby’s-­Versteigerung ausgelöst. Das erste Mal wurde Europa auf die Underground-­Kunst anläss­lich des Chruščëv-­Neizvestnyj-­Eklats (1962) aufmerksam.837 Seit der skandalösen Bulldozer-­ Ausstellung 1974 nahm die Reputa­tion der Inoffiziellen jenseits der Berliner Mauer kontinuier­lich zu. Damals wurden die Begriffe „Dissidenten“ und „Nonkonformisten“ im Westen adaptiert, um die Spaltung in der sowjetischen Kunstlandschaft zu definieren. Erstmals erkannte das west­liche Publikum, dass es einen Antagonisten zur offiziellen Staatskunst gab, von dem vorher nur wenig bekannt geworden ist. Diese Gegenbewegung existierte parallel zum offiziellen Kunstleben in Privatwohnungen und Dorfgemeinschaften und produzierte Kunstwerke, die im Westen als relevant angesehen wurden.838 Die Anerkennung im Westen rührte daher, dass sich die Künstler nicht an den politisch vorbestimmten Kanon hielten und gegen das System in ihren Arbeiten rebellierten. Vieles, was diese Künstler erschufen, orientierte sich an den Werken der amerikanischen abstrakten Maler oder an dem Informel und Tachismus aus Europa. Es waren keine eigenständigen Arbeiten, sondern es handelte sich vielmehr ein Nachholen und Kopieren von verpassten Entwicklungen im Westen. Dies beförderte die Sympathie der west­lichen Medien für diese Künstler. Mit den oft verwendeten Kategorisierungen „Dissident“, „Inoffizieller“, „Underground-­Künstler“ wurde eine Mystifizierung dieser unangepassten Gruppen betrieben, indem man sie zu unterdrückten und leidenden Kreativen stilisierte. Oft wurde dabei außer Acht gelassen, dass die Künstler häufig 834 Vgl. v. Wedel 2007. 835 Vgl. Bayer 2007, 48. 836 Seit den 1960er-­Jahren wurden viele Werke der Nonkonformisten ins Ausland geschmuggelt – die so genannte „Dip-­Art“, allerdings sind diese Ak­tionen in ihrem Ausmaß nicht mit den späteren Exporten vergleichbar. Die Sotheby’s-­Künstler wanderten in den darauf folgenden Jahren größtenteils in die USA und in die Bundesrepublik aus: 1989 gingen Il´ja I. ­Kabakov, Griša D. ­Bruskin, Igor J. und Svetlana G. ­Kopystianskii in die USA. ­Viele Künstler des Moskauer Kreises emigrierten schon in den 1970er-­Jahren, nach der berühmten Bulldozer-­Ausstellung (1974), unter anderem Vitalij A. ­Komar und Aleksandr D. ­Melamid, Erik V. ­Bulatov. 837 Siehe Anm. 91. 838 Laanemets 2012, 23. Näheres zum Entstehen des Begriffes „inoffiziell“ in Bezug auf die sowjetische Kunst: ebd.

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ein Doppelleben führten und auch im offiziellen sowjetischen Kulturbereich einen Namen und ein Einkommen hatten. Beispiele dafür sind die Künstler Kabakov und Bulatov, die im offiziellen Staatssystem als Buchillustratoren arbeiteten.839 Der Mythos des Dissidenten wurde ungeachtet dessen in der west­lichen Öffent­lichkeit kultiviert. „Die jahrelange Isola­tion hat viele ‚Verfemte‘ kompromißlos gemacht. Maler, die oft nicht genug Geld für regelmäßige Mahlzeiten hatten, beharren beinahe trotzig auf ihrer Individualität […]. Alles, was nach Anpassung aussieht, ist ihnen ein Grauen, die Linientreue der offiziellen ‚Soz-­Realisten‘, aber auch das Schielen nach west­lichem Geschmack. Besonders abfällig urteilt die Avantgarde über die ‚Dip-­Art‘, jene Plagiate und Gelegenheitsgemälde, die für kauflustige Kunstlaien unter Diplomaten und Geschäftsreisenden angefertigt werden.“840

Groys schreibt ebenfalls, dass die Künstler ein durchschnitt­liches Leben führten, abgesehen davon, dass sie ihre Werke nicht öffent­lich ausstellen konnten, also keineswegs ein Leben von Ausgestoßenen und Verfolgten führten.841 Im Westen dagegen wurde die Geschichte der verbotenen Kunst weiterhin erzählt, sodass der Eindruck von den unmenschlichen Lebensbedingungen der Dissidenten entstand, die vom Staat bedrängt und gejagt wurden. Die Verbote erstreckten sich jedoch nur auf die öffent­liche Zurschaustellung der Kunst und ihren Verkauf. Was der einzelne Künstler in seinem Atelier oder in der eigenen Wohnung schuf, wurde in den wenigsten Fällen überprüft.842 Die Periode der stalinistischen Verfolgungen und Erschießungen war vorbei, aber der Westen hielt noch an den schlimmsten Szenarien über die UdSSR fest. Laanements zitiert die rus­sische Kunstwissenschaftlerin Jekaterina J. ­Dyogot’, die von einer öffent­ lichen und einer privaten Kunst spricht: „In ihrer Analyse zeigt Dyogot unter anderem, dass die Grundlage für die inoffizielle Kunst paradoxerweise vom sozialistischen Wirtschaftssystem geschaffen wurde. Der Staat garantierte den Wohnraum, sorgte für Gesundheit und Bildung und ‚sponserte‘ so ‚die ausgiebige Freizeit seiner Bürger […], die diese – sei es dilettantisch oder professionell – zur Kritik an d ­ iesem Staat nutzten‘. Diese besondere Situa­tion brachte eine Kunst hervor, die unabhängig sowohl vom Staat als auch von Marktmechanismen war. Viele Autoren haben auf die privilegierte Posi­tion der Intellektuellen, darunter auch der Künstler, in der sowjetischen Gesellschaft hingewiesen: Die war einerseits zwar unsicher, andererseits aber gab die relative Isola­tion, 839 Vgl. ebd. 840 Dederichs 1988, 60. 841 Vgl. Laanemets 2012, 23. 842 Vgl. ebd.

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in der sie sich befanden, ein Maß an Unabhängigkeit, das anderen Bevölkerungsgruppen vorenthalten blieb. In dieser Posi­tion konnten sie sich individuellen Beschäftigungen widmen, was wiederum Anlass gab, von inoffizieller Kunst als einem Lebensstil zu sprechen.“843

Diese Untersuchung liefert einen Beleg für das schnelle Verhallen des Ruhms, den viele der Dissidenten seit den 1980er-­Jahren erfahren mussten. Mit der Emigra­tion in den Westen entzogen sie sich selbst ihrer Schaffensgrundlage, ihren Erfolg machten ihre Herkunft und ihre Rebellion gegen das sozialistische System aus. Sie alle waren primär sowjetische Künstler, die den Staat kritisierten. Als dieser aufhörte zu existieren, verlor auch ihr Werk die durchdringende künstlerische Aussagekraft. Nur die wenigsten Künstler, die Ende der 1980er-­Jahre in Europa und den USA Berühmtheit erlangten, konnten ihren Erfolg bis heute fortsetzen und sich ähn­lich stark weiterentwickeln. Noch vor der Versteigerung im Juli 1988 erregte das Abwandern der dissidenten sowjetischen Kunst in den Westen die Gemüter der Moskauer Kunstwissenschaftler und Kritiker. In einem großen Bericht des sterns wird, mit der Unterstützung von Henri Nannen, ein erstes Resümee zur Bedeutung des politischen Wandels für die sowjetischen Künstler gezogen.844 Perestroika und Glasnost machten es den inoffiziellen Künstlern nur bedingt mög­lich, ihre Werke öffent­lich auszustellen.845 Den Anfang bildeten zwei Gruppen, die 1987 gegründet wurden, um Ausstellungen zu organisieren: Die Gruppe Eremitage von Leonid A. ­Bašanov und der Club der Avantgardisten von Iosif M. ­Backstein.846 Nach ersten Erfolgen beider Gruppen kam es zum Eklat: Eremitage stellte im Herbst 1987 Moskauer Künstler 1957 – 1987 aus, wobei auch Arbeiten von emigrierten Künstlern gezeigt wurden. Dies sorgte bei den konservativen Parteimitgliedern für Ärger und führte schließ­lich zur Auflösung der Gruppe.847 Seit der Gründung dieser beiden Gruppen gingen die unabhängigen Künstler immer mehr in die Öffent­lichkeit, begleitet vom

843 Ebd., 26. 844 Vgl. Dederichs 1988. 845 Vgl. ebd. 846 1987 schlossen sich auch erstmals sowjetische Kunstsammmler zu einem Verband zusammen, der unabhängig vom Kulturministerium existieren sollte (Klub Kollekzionerov). Diesem Verband gehörten mehr als hundert verschiedene Sammler aus unterschied­lichen Berufen an. Der Vizepräsident war Valerij A. ­Dudakov und Teil des Vorstandes war auch der ehemalige Botschafter Vladimir S. ­Semënov (vgl. Sager 1992, 63). 847 „Die Folge: Im Dezember weigerte sich die Verwaltung, den Pachtvertrag für den Ausstellungsaal der ‚Eremitage‘ im Moskauer Stadtteil Beljajewo zu verlängern. Das war das Ende der ‚Eremitage‘. Der ‚Club der Avantgardisten‘ dagegen, in dem die Gruppe ‚Kollektivnyje deistwija‘ (Kollektive Ak­tionen) mit Andrej Monastyrskij und viele Maler aus dem Gemeinschaftsatelier ‚Na Furmannom‘ mitarbeiten, hat ein Kräftemessen mit der Bürokratie vermieden und existiert bis heute.“ (vgl. Sietz 1989, 37).

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wachsenden Interesse west­licher Museumsleute, Galeristen und Händler.848 Dieses Phänomen war dem eigenwilligen Zeitgeist von Perestroika und Glasnost geschuldet. Peter Dittmar erinnert in der WELT daran, dass viele Künstler, die im Jahr 1988 für Höchstpreise versteigert wurden, bereits in den 1970er-­Jahren in der Bundesrepublik in Ausstellungen und bei Versteigerungen vertreten waren.849 Er ruft dem Leser die beiden Ausstellungen von Peter Spielmann in Bochum 1974 sowie 1979850 und die Versteigerung im Auk­tionshaus Peretz in Saarbrücken 1978 ins Gedächtnis, wo schon Kabakovs, Jankilevskijs, Krasnopevzevs, Nemuchins, Plavinskijs und Steinbergs Arbeiten angeboten wurden.851 Diesen weniger lauten Ereignissen in Bochum oder Saarbrücken wurde nicht so viel Beachtung geschenkt wie Peter Ludwigs Ausstellungen in Köln und Aachen, wo offizielle sowjetische Kunst nahezu propagiert wurde. Eine Versteigerung des berühmten britischen Auk­tionshauses im Zentrum der UdSSR bewirkte offenkundig eine erheb­liche Verstärkung des Aufstiegstrends, als die progressiven Bemühungen kleinerer Museen in der Bundesrepublik. Hier hat das Marketing eines renommierten Auk­tionshauses seine Wirkung gezeigt und den Erfolg für Künstler und Veranstalter gebracht. Der Kunstkritiker Bašanov begrüßte einerseits die lang erwartete Etablierung der inoffiziellen Kunst, war sich aber der Probleme bewusst, die diese Anerkennung mit sich brachte: „Ich kenne kein Land außer unserem […], das seine besten Werke verkauft. Alles geht nach Westen, was einen ehrenvollen Platz in sowjetischen Museen verdient hätte.“852 Dieser Ausverkauf der Kunst der Dissidenten hatte eine klare Logik: Die sowjetischen Behörden profitierten vom wachsenden Interesse, jedes Gemälde brachte dem sowjetischen Staat eine Provision ein, egal ob der Künstler in der staat­lichen Vereinigung war oder nicht.853 Das offizielle Lager war gespalten, es gab Befürworter und harte Gegner dieser Kunst. Bei Verkäufen ins Ausland konnte die Staatskasse profitieren und gleichzeitig mit den Gewinnen die offiziellen Künstler gefördert werden. Der Galerist Nathan Berman aus New York berichtete in der WELT AM SONNTAG, dass 20 Prozent des Verkaufspreises an den sowjetischen Staat ging, diese Summe wurde zu gleichen Teilen für die Staatskasse und die Künstlervereinigung

848 „Seit dieser Kunstschau in einer kleinen Bezirksgalerie an der Kaschirskaja-­Chausee machen die Verfemten vor allem im west­lichen Ausland Furore. Museumsdirektoren, Galeristen und Kunsthändler stiefeln über Hinterhöfe, muffige Treppenhäuser und schmierige Betonböden in die Höhlen der Kunst, in Petrows Keller und Sundukows Küche – und sind fasziniert.“ (stern 11. 05. 1988, 58). 849 Vgl. Dittmar 1989, 11. 850 Siehe Anm. 597. 851 Vgl. Dittmar 1989, 11. 852 Ebd., 60. 853 Vgl. Remmert 1988, 55.

Sotheby’s Russian Avant-Garde and Soviet Contemporary Art – Versteigerung  |

ausgezahlt.854 Pavel V. ­Horošilov, der Generaldirektor für Kunstausstellungen im sowjetischen Kulturministerium und zugleich Mitorganisator der Auk­tion, betonte zudem: Er wolle „die beste Ware aus unseren Ateliers im Lande […] behalten“.855 Da nur die Nonkonformisten und die Avantgardisten das Interesse der Käufer anregten, war vermut­lich die von ihm benannte beste Ware, die Kunst der offiziellen Mitglieder der Künstlervereinigung.856 Letzt­lich wanderten sowohl die besten dissidentischen Werke als auch die Künstler ins Ausland ab. Die Bemühungen Bašanovs, ein Museum für zeitgenös­sische Kunst in Moskau zu gründen, waren erfolglos und auch die Versprechungen des Kulturministeriums blieben unerfüllt.857 Ebenfalls berichtete die Süddeutsche Zeitung einige Monate ­später von der „Ernüchterung in den Moskauer Ateliers“.858 Die west­lichen Kunstkritiker, Museumsdirektoren und Galeristen reisten nach Moskau, um dort bereits leere Ateliers vorzufinden. Im Herbst 1988 waren die gefragten Künstler interna­tional verstreut, bereiteten Ausstellungen in der Bundesre­ iesem Bericht beklagte Bašanov den Verlust der publik oder den USA vor. Auch in d besten Werke und den Bruch einer kontinuier­lichen rus­sischen Kunstentwicklung.859 Während die Sowjetunion sich ihrer Dissidenten samt ihrer besten Werke entledigte, konnten im Westen umfangreiche Sammlungen dieser Kunst aufgebaut werden. Es war die Zeit, als in der Bundesrepublik wieder verstärkt sowjetische zeitgenös­sische Kunst ausgestellt wurde. Zwei der größten Projekte wurden erneut von Henri Nannen und Peter Ludwig organisiert.860 Daneben fanden weitere medienwirksame Ausstellungen statt, wie 1000 Jahre rus­sische Kunst im Schloss Gottorf in Schleswig. Diese Ausstellung legte den Schwerpunkt besonders auf die rus­sische Ikonenkunst, weitere Richtungen kamen zu kurz, schrieb René Drommert in der ZEIT.861 Die Besucherzahlen waren beeindruckend: Zwanzig Tage nach der Vernissage haben schon 50000 Menschen die Ausstellung besucht.862 Dieses Ereignis wurde prompt politisch gedeutet: Drommert sah aufgrund der Vielzahl der ausgestellten Ikonen eine Auswirkung von Perestroika

854 Vgl. ebd. 855 Interview mit Pavel Horošilov: Der Entkrampfungsprozeß ist längst im Gang. In: art 7/88, 14. 856 Ein weiterer Beweis für diese Vermutung ist die Tatsache, dass Meždunarodnaja Kniga (dt. Interna­ tionales Buch) als Exporteur für zeitgenös­sische Kunst aus der Sowjetunion ausschließ­lich die Maler des Künstlerverbandes auf der ART Basel 1988 präsentierte (vgl. Dittmar 1989, 11). 857 Anstatt eines Museums für die Kunst der Nonkonformisten wurden viele Privatgalerien gegründet und schufen so eine neue Infrastruktur für die unabhängige Kunst (vgl. Sietz 1989, 37). 858 Vgl. ebd. 859 Vgl. ebd. 860 Siehe Kap. 4.3. 861 Drommert 1988. 862 Anonym 1988/III.

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und Glasnost auf die orthodoxe Religion.863 Diese Schlussfolgerung griff zu kurz und war wenig ausgereift. Die Ikonen wurden in der UdSSR bereits früher als Kunst- und Kulturerbe und vor allem als Beweise für besondere Höhepunkte in der Entwicklung der rus­sischen Kultur anerkannt. Die Öffnung der orthodoxen Religion geschah unabhängig von der Anerkennung der Ikonen. In Deutschland war die Präsenta­tion der rus­sischen Ikonen ein großes Ereignis 864, wobei es auch hier schon frühe Vorläufer gab: Seit 1956 hatte in Recklinghausen ein gut bestücktes Ikonen-­Museum seine Türen geöffnet, das in die Entwicklung der Kunst der orthodoxen ­Kirche einführte.865 Somit waren in der Bundesrepublik längst viele rus­sische Kunstrichtungen für interessierte Besucher zugäng­lich. Es fehlten gegen Ende der 1980er-­Jahre noch groß angelegte Ausstellungen der gefragten Dissidenten, bis Peter Ludwig und Henri Nannen angefangen haben, wieder simultan die Künstler der Perestroika zu sammeln und auszustellen.

1.18 Ein Vergleich: S ow jetk unst heu te (02.07.–21. 08. 1988, Museum Ludw ig Köln) und G l asnost  – D ie neue F r eiheit der sow jetischen M a l er (10.09.–13. 11. 1988, Kunsth alle Emden) Seit Anfang der 1980er-­Jahre sammelten Peter Ludwig und Henri Nannen parallel sowjetische zeitgenös­sische Kunst. Anfäng­lich noch auf die Künstler des offiziellen staat­lichen Verbandes konzentriert, verlagerte sich ihr Sammlungsschwerpunkt im Zuge des allgemeinen Umschwungs zugunsten der inoffiziellen Künstler. Während Ludwig weiterhin in der ganzen Sowjetunion Werke akquirierte, konzentrierte sich Nannen auf die nonkonformistische Szene der Metropolen Moskau und Leningrad. Abseits des Marktes der etablierten Künstler des Moskauer Konzeptualismus fand er interessante Neuentdeckungen. Nach Gorbačёvs Machtantritt und der Verkündung von Perestroika und Glasnost 866 lernte Nannen den offiziell nicht anerkannten Moskauer Künstler Maxim K. ­Kantor näher kennen, der in seinen Bildern besonders eindrucksvoll das Gefühl seiner Zeit zu verewigen wusste.867 Viele Briefe zeugen von Kantors humanistischer Einstellung zum Leben und seiner Leidenschaft für die Kunst. Sie wurden Freunde und der Künstler 863 Drommert 1988. 864 Vgl. ebd. 865 Vgl. dazu: http://www.kunst-in-recklinghausen.de/6im.html (28. 02. 2013). 866 Am 11. März 1985 wurde Gorbačёv zum Generalsekretär des ZK der KPdSU ernannt, die Perestroika und die Glasnost waren seit dem 27. Parteitag im Februar 1986 gültiges Programm. 867 Maxim K. ­Kantor war mit dem Bild Der Stern Wermut (1986) über das Reaktor-­Unglück von Černobyl bei der Ausstellung Schrecken und Hoffnung vertreten, siehe Kap. 4.1.

Ein Vergleich: Sowjetkunst heute und Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler  |

machte den Mäzen mit vielen seiner Freunde in Moskau und Leningrad bekannt.868 Sager ist auch hier einmal mehr Chronist dieser Beziehung und schreibt, dass es überwiegend Sentimentalität war, die Nannen zum Kauf mancher Bilder veranlasste, denn er sei überwältigt von den Schicksalen der Menschen gewesen, die zum Teil auch mit den Kriegsverbrechen der Deutschen verbunden waren. Diese menschlichen Schicksale, die ihren Ausdruck in den Bildern fanden, waren seiner Meinung nach wichtiger als die Form.869 Zwei Jahre nach der Eröffnung der Kunsthalle in Emden zeigte er eine Ausstellung sowjetischer Kunst unter dem programmatischen Titel Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler.870 Einen Monat zuvor schloss Peter Ludwigs Sowjetkunst heute im Museum Ludwig in Köln ihre Türen, wo Neuerwerbungen des Sammlers mit dem bereits in der Sammlung Vorhandenen präsentiert worden waren.871 Für diese Ausstellung musste zuerst der Direktor des Museums überzeugt werden. Sigfried Gohr bekleidete diese Stelle von 1985 bis 1991. Gleichzeitig war er als einer der entschiedensten Kritiker Ludwigs bekannt.872 Die Ostkunst führte zum Disput ­zwischen Museumsleiter und Sammler. Anders als sein Vorgänger Karl Ruhrberg ließ sich Gohr nicht gern sagen, was in seinem Museum gezeigt werden solle und weigerte sich aus Überzeugung, die zeitgenös­sische Kunst aus der DDR oder Sowjetunion auszustellen. Dabei betonte er permanent, dass es nicht im Interesse des Museums Ludwig sei, die Vorlieben des Sammlers zu präsentieren.873 Diese Auseinandersetzung bestand bis zum Ausscheiden Gohrs aus dem Amt weiter fort. Dennoch stimmte er der Ausstellung Sowjetkunst heute zu. Sein Kommentar zu dieser Ausstellung ließ jedoch vermuten, dass dies nicht freiwillig geschehen ist. Distanziert verwies er darauf, dass es keine ständige Präsenta­tion der Ostkunst in Köln geben werde und zur Ausstellung ließ er nur knapp verlauten: „Ich glaube, wir haben unsere Pflicht erfüllt.“874 Diesmal präsentierten beide Ausstellungen auch vereinzelt experimentelle oder konzeptuelle Tendenzen in der Kunst, allerdings überwogen Malerei und Grafik der 868 Vgl. Sager 1992, 235. 869 Vgl. ebd., 235. 870 Vgl. Ausst.-Kat. Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988. 871 Bezeichnenderweise nannte Ludwig seine zweite Ausstellung Sowjetkunst heute – ähn­lich wie Nannens Ausstellung 1982 Rus­sische Kunst heute betitelt war. Vielleicht sah man darin beiderseits einen passenden Titel, der nicht zu viel Raum für Spekula­tion schaffte. Vgl. Ausst.-Kat. Sowjetkunst heute 1988. 872 „Er ist kein intellektueller Sammler […] Er sucht in Bildern gerne Botschaften, Inhalte, und das bietet die Ostkunst ja in hohem Maße: Weltanschauung, historische Komponenten, menschliche Probleme.“ (Gohr zitiert in: Sager 1992, 195). 873 Vgl. ebd., 197. Als Konsequenz dieser Auseinandersetzungen wurde der osteuropäische Sammlungsbereich nicht wie von Ludwig gewünscht in Köln, sondern in Aachen sta­tioniert. 874 Herkens 1988.

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gemäßigten Posi­tionen in der Gesamtschau beider Ausstellungen.875 Nannen stellte Francisco Infante aus der progressiven Gruppe Dviženije aus. Dmitrij A. ­Prigov, ­Vladimir B. ­Jankilevskij, Vadim S. ­Voinov und Griša D. ­Bruskin waren die wenigen Konzeptuellen in Emden. Dieses Mal waren auch in Ludwigs Sammlungsausstellung die Nonkonformisten dabei. Stolz präsentierte er sich auf einem Foto im Atelier von Bruskin, dem angesagtesten sowjetischen Künstler des Jahres 1988.876 Nannen und Ludwig konnten Werke von Bruskin und Kollegen noch vor der legendären Sotheby’s-­Auk­tion kaufen, mit der Preise ins Unermess­liche stiegen.877 Während Nannen sich Gorbačёvs politische Umwälzungen direkt in den Titel der Ausstellung festschrieb, ließ Ludwig im Katalog persistent die Schlagworte „Perestroika“ und „Glasnost“ fallen. Sein Fazit: Man konnte die Veränderungen, die zu ­diesem Zeitpunkt stattfanden, in den Bildern der Künstler schon lange vorher erkennen. Sie hätten den kommenden Wandel gespürt und in ihrer Kunst zum Ausdruck gebracht.878 Ein Großteil der Arbeiten in Ludwigs Schau war bereits 1982 in Köln und Aachen gezeigt worden. Damals allerdings erkannte noch niemand den Geist der politischen Veränderungen in ihnen. Während Ludwig kontinuier­lich die Werke seines guten Bekannten Dmitrij D. ­Žilinskij sammelte, erweiterte Nannen seine Sammlung mit Leinwänden seines Freundes Maxim K. ­Kantor. Ein Vergleich der beiden Künstler kann Signifikantes über ihre deutschen Sammler aussagen. Žilinskij (geb. 1927) war ein offiziell anerkannter und gefeierter Maler des sozialistischen Realismus. Seine Bilder waren stark von religiösen Motiven geprägt, die keinerlei Kontroversen zur staat­lichen Auffassung über die Religion auslösten. Er unterrichtete am Surikov-­Kunst-­Institut in Moskau, war dort wissenschaft­licher Vorstand, ein angesehenes Mitglied des sowjetischen Künstlerverbandes und Träger mehrerer Auszeichnungen.879 Er begeisterte sich, nach eigener Aussage, für die Schönheit des 875 Vgl. Ausst.-Kat. Glasnost –Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988 und Ausst.-Kat. Sowjetische Kunst heute 1988. 876 Vgl. Ausst.-Kat. Sowjetkunst heute 1988, 63. 877 Sager schreibt, dass Nannen zwei Werke aus der Aleph-­Beth-­Serie (1988) für insgesamt 17000 DM kaufen konnte (vgl. Sager 1992, 235). Ludwigs Ausstellung eröffnete kurz vor der Moskauer Versteigerung. Allerdings wurden die Werke der Moskauer Konzeptualisten Bruskin, Jankilevskij, Andrej V. ­Reuters, Kabakov, Sacharov und Steinbergs im Katalog zu Ludwigs Ausstellung nicht abgedruckt, da sie zu Redak­tionsschluss noch nicht nach Deutschland transportiert werden konnten, wurden aber in der Ausstellung präsentiert. Es waren teilweise die gleichen Namen wie bei Sotheby’s mit ähn­lichen Werken. Ludwig erwarb von Bruskin aus der Serie Aleph-­Beth die Nummern 1 und 2, während Nummer 3 und 4 in Moskau versteigert wurden. 878 Vgl. Ludwig. In: Ausst.-Kat. Sowjetkunst heute 1988, 18 – 19. 879 Vgl. Dmitri Žilinskij im Gespräch mit Aleksej Kozyrev, http://www.socrat-online.ru/page/dmitrijzhilinskij-ja-udivljajus-krasote-ljudej (28. 02. 2013).

Ein Vergleich: Sowjetkunst heute und Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler  |

Abb 37  M. ­K. Kantor, Morgenvisite (1986), Kunsthalle Emden.

Menschen und malte überwiegend im Genre-­Bereich.880 Seine bekanntesten Werke zeigen Familien am Meer oder die Turnmannschaft der UdSSR. ­Als der Künstler nach Aachen reiste, um ein Porträt von den Ludwigs anzufertigen (Abb. 2), wurde parallel eine Ausstellung seiner Arbeiten und derer seiner Frau, der Bildhauerin Nina, 1980 in Aachen präsentiert.881 Der Künstler Maxim Kantor (geb. 1957) könnte als Antipode des strahlenden Staatskünstlers gelten. Kantor studierte am Polygraphischen Institut in Moskau und fing kurz nach dem Diplom an, inoffizielle Ein-­Tages-­Ausstellungen zu organisieren 882. Seine Malerei zeichnete sich vor allem durch ihre Nähe zum Expressionismus à la Josef Scharl oder Max Beckmann aus.883 Kantors Menschenbild war verzerrt, scharf zeich-

880 Vgl. ebd. 881 Nina Iwanowna Shilinskaja, Dmitrij Dmitrijewitsch Shilinskij, zwei Künstler in Moskau heute in Neue Galerie, Sammlung Ludwig Aachen (23. Februar – 30. März 1980). Vgl. Becker 1980. 882 Vgl. Ausst.-Kat. Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988, 39. 883 Die Nähe zu Scharl betonte auch Nannen, er schickte seinem Freund Kantor ein Buch über den Künstler (vgl. Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988, 39 – 43).

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nete er einen trostlosen armen Alltag, in dem der junge Künstler zu leben m ­ einte.884 Kantors gemaltes Individuum litt beständig, seine berühmtesten Bilder zeigen bedroh­ liche Szenen aus einer sowjetischen Psychiatrie. Kantor war ein junger rebel­lischer Künstler, als Nannen ihn kennen lernte. Ein Bild von ihm wurde schon 1987 in der Ausstellung Schrecken und Hoffnung in Hamburg und München gezeigt.885 Es folgten mehrere Ausstellungen im Westen, seine interna­tionale Anerkennung feierte der Künstler 1997 mit einer Einzelausstellung auf der Biennale in Venedig.886 Diese zwei rus­sischen antonymen Künstler wurden von zwei deutschen Mäzenen protegiert, die sich in direkter Konkurrenz zueinander befanden. Im Folgenden wird gezeigt, dass Nannen auch Ende der 1980er-­Jahre in vielfacher Hinsicht für sein Engagement mehr Anerkennung in der Öffent­lichkeit der Bundesrepublik erhielt, obwohl Ludwigs Projekte größer und breiter angelegt waren. Wieder einmal fielen die Kritiken zu Nannens Ausstellungen positiver aus – auch weil er aus seiner Zeit beim stern viele Journalisten kannte und sie zu seinen Vernissagen persön­lich einlud. Andererseits wurde der rheinische Großsammler Ludwig in der UdSSR immer angesehener und genoss dort eine exklusive Behandlung.887 Beide Sammler waren umstrittene Persön­ lichkeiten. Nannen war jedoch erfahrener im Umgang mit den Medien, während sich Peter Ludwig meist nur hochmütig in der Öffent­lichkeit zeigte. In der kleinen Kunsthalle Emden zeigte Nannen einen Teil der Kunstentwicklung, der außerhalb des sowjetischen Künstlerverbandes stattfand: Fotorealismus, Expressionismus, Surrealismus und Abstrak­tion waren die Hauptrichtungen.888 Eröffnet wurde Glasnost vom damaligen Außenminister Hans-­Dietrich Genscher, unter den rund tausend Gästen waren auch Peter Ludwig und Kantor.889 Ludwig und Nannen bekannten sich, wie bereits 884 Alles zu Kantor aus dem Ausstellungskatalog entnommen: ebd., 39 und 105. 885 Vgl. Ausst.-Kat. Schrecken und Hoffnung, Künstler sehen Frieden und Krieg 1987. 886 Vgl. www.maximkantor.com (04. 05. 2012). 887 Vgl. Kap. 3.4.1. 888 Liste ausgestellter Künstler (alphabetisch): Vladislav F. ­Afoničev, Ogli Bojukan Babachan ­Badalov, Gleb S. ­Bogomolov, Grigorij D. ­Bruskin, Jonas A. Cheponis, Vadčeslav G. ­Chevelenko, Evgenij J. ­Dibskij, Georgij V. Edzgveradze, Semёn N. ­Faibissovič, Nikolaj V. ­Filatov, Igor Ganikovskij, Eduard S. ­Gorochovskij, Francisco Infante, Aleksej P. ­Isakov, Aleksandr M. ­Ivanov, Vladimir B. ­Jankilevskij, Viktor G. ­Kalinin, Maksim K. ­Kantor, Elena V. ­Korennova, Levan N. ­Lasareišvili, Avtandil V. ­Leladse, Ivan L. ­Lubennikov, Larissa G. ­Malyševa, Lenina D. ­Nikitina, Anatolij Nikitič-­Kriličevskij, Boris K. ­Orlov, Vadim J. ­Ovčinikov, Arkadij I. ­Petrov, Aleksandr L. ­Petrov, Aleksandr N. ­Petrov, Dmitrij A. ­Prigov, Leonid A. ­Purygin, Julij A. ­Ribakov, Michail N. ­Romadin, Vladimir I. ­Sagorov, Michail M. ­Semenov, Kerop D. ­Sogomonjan, Jevgenij A. ­Strul´jev, Gennadij G. ­Subkov, Aleksej A. ­Sundukov, Sergej A. ­Šutov, Lev I. ­Tabenkin, Vitalij I. ­Tul´jenev, Natalia P. ­Turnova, Vadim S. ­Voinov, Oleg A. ­Vukolov. 889 Vgl. 235.

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erwähnt, öffent­lich zu ihrer Abneigung gegen Konzeptkunst und Minimal-­Art.890 Der Publizist Nannen ließ seinerzeit keine Gelegenheit verstreichen, im stern gegen Künstler wie Yves Klein und Joseph Beuys zu polemisieren.891 Ludwig hielt sich etwas moderater und sagte ledig­lich, dass er nicht an die Zukunft dieser Richtungen glaube.892 Nannen betonte, dass die Emder Ausstellung seinen Geschmack widerspiegele und somit aufrichtig und persön­lich sei.893 Diese öffent­liche Geradlinigkeit brachte Nannen mehr Sympathie ein als Ludwig, der auch die unliebsame Kunst kaufte, um seine Weltkunst-­Bestände aufzubauen. Ludwig suchte ständig seine Akquisi­tionen ideolo­gisch und theoretisch zu überhöhen, welches ihm jedoch weniger nutzte als viel häufiger negative Schlagzeilen bescherte. Er nahm gerne die Rolle des Missionars ein, während sich Nannen als einfacher Kunstliebhaber inszenierte. Nannen hatte nie so viel Kapital zur Verfügung wie Ludwig, schaffte es aber dennoch, für seine Sammlung hochkarätige Arbeiten zu erwerben und ein klares Sammlungsprofil herauszuarbeiten. Peter Ludwig kultivierte währenddessen sein Weltkunst-­Universum. Nannen warb in den 1970er-­Jahren zusammen mit Brandt für die Ostpolitik, genauso warb er mithilfe der sowjetischen Künstler für Perestroika und Glasnost.894 Ähn­lich wie Ludwigs Kuratoren beschrieb er im Katalog die Entwicklung der sowjetischen Malerei, die seiner Meinung nach stark vom sich abzeichnenden Wandel beeinflusst war.895 Er blickte zurück auf das Jahr 1982, als er gezwungen wurde, seine Ausstellung zu zensieren und nur mit dem Beistand des ehemaligen Botschafters Falin die Bilder doch noch in die Bundesrepublik ausführen konnte. Seitdem gebe es spürbare Veränderungen: Man könne nun kritischere Bilder ausstellen. Hierzu zitiert Nannen einen sowjetischen Kulturbeamten, mit dem er über Kantors Bild Kreuzworträtsel (1985) disputiert hat. Der Beamte stellte klar: „Kunstwerke verändern die Welt, noch vor drei Jahren hätten Sie das Bild nie zu sehen bekommen. Verändern galt schon als verbrecherisch. Jetzt sind wir dabei, vieles zu verändern.“896 Nannens Akquisi­tionen in der UdSSR waren in seiner Darstellung problematischer als Ludwigs und es stellte einen wohldurchdachten Schritt dar, diese Veränderungen im Katalog anzusprechen.897 Dadurch posi­tionierte er sich als einen Vorkämpfer, der schon 1982 versucht hatte, unerlaubte Werke aus Moskau für seine Ausstellung mitzunehmen. 890 Siehe Kap. 3.6. 891 Vgl. Sager 1992, 394. 892 Siehe Kap. 3.4. 893 Zu den weiteren Sammlungsschwerpunkten gehörten Informel und Neoexpressionismus. 894 Vgl. dazu Kap. 3.6. 895 Vgl. Nannen. In: Ausst.-Kat. Glasnost 1988, S.7 – 8. 896 Ebd., 7. 897 Vgl. ebd.

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Ludwig dagegen beschrieb stets das Entgegenkommen, dass er in der UdSSR erfahren hatte, wenn er die Bilder der offiziellen Künstler ausgesucht hatte.898 Nannen schuf mit seinem Beitrag nachträg­lich eine Nähe zu den inoffiziellen Künstlern und verschaffte sich dadurch Respekt in der bundesdeutschen Öffent­lichkeit. Die Bilder von Kantor und anderen Künstlern seiner Genera­tion machten deut­lich, warum die Perestroika gebraucht werde, schrieb er.899 Er bekam viel Unterstützung für diese Ausstellung, die nicht nur Bilder seiner Sammlung beinhaltete. Leihgaben kamen unter anderem auch von Peter Ludwig. Auf der Dankesliste waren viele Vertreter der sowjetischen Ministerien und deutsche Diplomaten aus Moskau aufgeführt.900 Hieran wird deut­lich, dass Nannen für diese Ausstellung einmal mehr sein Netzwerk nutzte und alle Kräfte zusammenzog. Gerhard Finckh betonte in seinem Katalogbeitrag, entgegen der gängigen Praxis, für die Völkerverständigung und Annäherung Hauptargumente ­seien, stehe primär die Neugier auf rus­sische Kunst am Anfang ­dieses Unternehmens. Er wolle ausdrück­lich nicht die Ausstellung mit dem Ziel der „Völkerverständigung“ überhöhen.901 Finckh betrachtete das Projekt als eine Übersicht von künstlerischen Reak­tionen auf Perestroika und Glasnost. Dabei versuchten beide Organisatoren, mög­lichst viele unterschied­liche Posi­tionen zu berücksichtigen, alte und junge, offizielle und inoffizielle. Dies taten sie in der Überzeugung, dass diese Trennlinien bald der Vergangenheit angehören würden.902 Im Ausstellungskatalog zu Ludwigs Sowjetkunst heute gibt es einen ähn­lichen „Reise-­ Erfahrungsbericht“, verfasst von der Kuratorin Evelyn Weiss.903 Sie schreibt über die auffälligen Veränderungen im öffent­lichen Leben und vergleicht sie mit ihrer ersten Reise nach Moskau 1975. Einen Grund für das Erstarken der sowjetischen Kunst sah Weiss im Kunstmarkt, der sich immer mehr auf die sowjetische Kunst konzentrierte.904 898 Vgl. Kap. 3.5. 899 Vgl. Nannen. In: Ausst.-Kat. Glasnost 1988, 8. 900 Jurij Barmičёv (Generalkonsul der UdSSR, Hamburg), Irina Efimovič (Kulturministerium der UdSSR, Moskau), Valentin Falin (ehem. Botschafter der UdSSR in der BRD, Präsident der Novosti Press Agensy apn, Moskau), Pavel Horošilov (Generaldirektor im Kulturministerium der Ud SSR, Moskau), S. ­E. Julij Kvizinskij (Botschafter der UdSSR in der BRD), Dr. Andreas Meyer-­Landruth (Botschafter der BRD in der UdSSR, Moskau), Dr. Cornel Metternich (Generalkonsul der BRD in Leningrad), Martin von Walterskirchen (Botschaftsrat der BRD, Moskau), Dr. Christoph Weil (Lega­ tionsrat der Botschaft der BRD, Moskau) (diese Aufzählung wurde von der Verfasserin übernommen aus: Ausst.-Kat. Glasnost 1988, 9). 901 Vgl. Finckh. In: Ausst.-Kat. Glasnost 1988, 12. 902 Vgl. ebd., 14. 903 Vgl. Weiss. In: Ausst.-Kat. Sowjetkunst heute 1988, 10 – 18. 904 Vgl. ebd. Weiss schreibt auch über den ersten Kunstmakler für Amerika: „[…] Volkert Klauke, Kunstsammler und Vizepräsident der Deutschen Bank in den USA. ­Er bekam von der sowjetischen Regierung eine Art Generalvertrag, um Werke seiner Wahl nach Amerika zu exportieren. Weiter heißt es: In

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Nannen wird in d ­ iesem Text mit keinem Wort erwähnt und gleichsam, im Vergleich zu Peter Ludwigs Engagement, als unbedeutend abqualifiziert. Weiss stilisierte wiederum Ludwig in ihrem Beitrag zum Pionier: „Da Peter Ludwig regelmäßig in Sachen Kunst nach Moskau fuhr, merkte er als einer der ersten, ­welche Öffnung sich mit der Gorbatschow-­Ära anbahnte, es wurde also Zeit, aus der riesigen Sammlung, die inzwischen auf über 1000 Objekte angewachsen war und mehr als 300 Künstler verzeichnete, eine Auswahl zu treffen, die bei aller Lückenhaftigkeit ein neues Licht auf die Kunstszene der 80er Jahre werfen würde.“905

Es ist dieselbe Evelyn Weiss, die sich so abschätzig in der Anfangszeit gegen die Akquisi­ tionen in der Sowjetunion äußerte. In seinem eigenen Text plädierte Ludwig auch bei dieser Ausstellung für die Annäherung der Völker durch gegenseitiges Kennenlernen und legte dem Leser nahe, „mit offenen Augen“906 durch die Ausstellung zu gehen. Zugleich sagte er im Interview mit Evelyn Weiss, dass man sich nicht auf vorhandene Begriffe verlassen sollte. Es gebe auch im Westen „offizielle Kunst“, die auf verschiedenen Wegen gefördert werde, und Kunst, die von der öffent­lichen Hand übergangen werde.907 Ludwig posi­tionierte sich einmal mehr klar gegen den west­lichen Blick und die Voreingenommenheit des Betrachters. Im Gegensatz zu Nannen war Ludwig offensiv und kompromisslos, wofür er in der deutschen Medienlandschaft stets kritisiert wurde. Sowjetkunst heute wurde im Beisein einiger sowjetischer Künstler eröffnet, es sprachen der Kölner Oberbürgermeister sowie ein Gesandter der UdSSR.908 Semënov war ebenfalls anwesend, stellte die Ausstellung doch eine Fortführung seiner Bemühungen als ehemaliger Botschafter der UdSSR dar.909 Zum Hauptwerk der Ausstellung kürte

Paris vertritt die Galerie de France sowjetische Künstler, denen sie eine Ausstellung mit Katalog auf der FIAC (Foire Interna­tionale Art Contemporaine) Paris, 1987, einrichtete. Das Studio Marconi in Mailand hat gerade eine große Ausstellung mit Künstlern der Ud SSR eröffnet (reich bebildeter Katalog, mit Hilfe der Banca Commerciale Italiana). Zahlreiche Galeristen aus Köln und München eilten in den letzten Monaten durch die Studios in Moskau. Krönung dieser Aktivitäten ist allerdings die erste Auk­tion von Sotheby in Moskau am 7. Juli 1988. Der üppige Farbkatalog zeigt, daß zwei Drittel der Auk­tion der zeitgenös­sischen sowjetischen Kunst gewidmet sind. Diesem sich explosionsartig in den letzten Monaten verbreitenden Interesse antworten nun verstärkte Aktivitäten im Ausstellungswesen […].“ (ebd.). 905 Ebd., 11. 906 Ludwig. In: Ausst.-Kat. Sowjetkunst heute 1988, 20. 907 Vgl. ebd., 24. 908 Vgl. Einladungsbrief zur Ausstellungseröffnung, Archiv des Museum Ludwig Köln. 909 Vgl. ebd.

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Abb 38  D. ­D. Žilinskij, Das Jahr 1937 (1986), Ludwig Forum Aachen.

Peter Ludwig in seiner Rede das Gemälde Das Jahr 1937 von Žilinskij 910 (Abb. 38), das die Verhaftung seines Vaters im Zuge stalinistischer Repressionen im Jahr 1937 zeigte. Dieses Bild widmete der Künstler allen Opfern der Verfolgungen in der UdSSR. ­In der Kölner Ausstellung stand es programmatisch für die politischen Umwälzungen sowie die neue Kulturpolitik der UdSSR.911 Ludwig betonte, dass er es weiterhin als eine seiner Hauptaufgaben ansehe, die deutsch-­sowjetische Freundschaft auf allen Ebenen zu intensivieren.912 Die Ausstellung solle der Völkerverständigung dienen, die für ihn und seine Frau den höchsten Stellenwert habe.913 Diese Verlautbarungen kannte die Presse bereits von seinen früheren Ausstellungen, dennoch wurden sie kontinuier­ lich weiter rezitiert. Boris Groys machte in der FAZ darauf aufmerksam, dass trotz Ludwigs beständiger Versuche, die neuen politischen Umwälzungen zu unterstützen und Künstler zu kaufen, deren Arbeiten er bekanntermaßen nicht schätzte, der Katalog zur Ausstellung immer noch fragwürdige Formulierungen enthalte, „[…] die im Grunde ein Gleichheitszeichen ­zwischen offizieller Haltung und Anerkennung im Volk, ­zwischen bürokratische [sic!] Titel und künstlerische Bedeutung setzen. Gerade

910 Vgl. Peter Ludwig, Worte zur Ausstellungseröffnung, 01. 07. 1988, 1., Archiv des Museum Ludwig Köln. 911 Das Bild wurde zuvor in Moskau ausgestellt und anschließend vom Kulturministerium der UdSSR erworben. Das Gemälde in Köln war eine Zweitfassung, die Žilinskij für Ludwig gemalt hatte (vgl. ebd.). 912 Vgl. ebd. 913 Vgl. ebd.

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­ ieses Gleichheitszeichen wird heute von der sowjetischen Perestroika verneint“. 914 d Groys wünschte Ludwig und seinen Mitarbeitern, dass die Perestroika auch sie bald erreiche und sie lehre, nicht mehr die politischen Wortverdrehungen zu benutzen, die sowieso alle paar Tage ihre Aktualität verlören.915 Andere Stimmen bescheinigten Ludwig, aus seinen vorherigen Erfahrungen gelernt zu haben, die Ausstellung sei besser akzentuiert und das Qualitätsniveau schwanke nicht mehr so.916 Dennoch könne die Ausstellung in Köln nicht an die Zusammenstellung der Künstler bei der Moskauer Sotheby’s-­Auk­tion herankommen. Ludwigs Auswahl wurde von Horst Richter mit der Brežnev-­Ära verg­lichen, die für Stagna­tion und künstlerische Langeweile stand, während in Moskau die wahre Kunst der Gorbačёv-­Zeit versteigert worden sei.917 Andere Rezensenten zeigten sich von der Qualität der Ausstellung enttäuscht und auch die große Stilvielfalt wurde als verwirrend eingestuft.918 Als Fazit wurde oft gezogen, dass die Perestroika in der sowjetischen Kunst noch nicht angekommen sei, obwohl gerade dies ein Hauptargument von Ludwig und Nannen gewesen ist.919 Der Tagesspiegel schrieb dazu: „Unmittelbar wird deut­lich, warum Ludwig der Lieblingspartner öst­licher Staatskunstmanager ist. Unter dem alles einebnenden Signum der Völkerverständigung verbreitet er eine leicht modifizierte Version von Mainstream-­Kunst des Ostblocks, wie sie wohl dort vor kurzem als aufsehenerregend libertär und hierzulande als verständnisvoll differenziert gelten mochte.“920

In der WELT erinnerte Peter Dittmar daran, dass Ludwig noch 1982 behauptet hatte, gute Arbeiten gebe es nur in den Ateliers der Verbandskünstler, und dass er die Arbeiten der „Dissidenten“ nicht gut finde.921 Dittmar unterstellte ihm eine Trotzreak­tion auf den Kanon der Namen, der sich zu dieser Zeit in Moskau herausbildete: „Bei so viel Übereinstimmung mußte Peter Ludwig natür­lich etwas anderes machen […]“922, stellte er zynisch fest. Die Ausstellung biete keine Übersicht, so wie es der Titel versprach, sondern erneut nur ein „Sammelsurium“923 aus Ludwigs Depots. Anhand 914 Groys 1988/I, 21. 915 Vgl. ebd. 916 Vgl. Herkens 1988. 917 Richter 1988. 918 Alberg 1988. 919 Vgl. ebd.; Müller 1988. 920 Schulz 1988, 6. 921 Vgl. Dittmar 1988. 922 Ebd. 923 Ebd.

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dieser Stimmen wird deut­lich, dass es Ludwig sehr schwer hatte, seine Bemühungen in der Presselandschaft zu verteidigen. Seinen Argumenten und Beteuerungen wurde kein Glauben geschenkt. Werden beide Ausstellungen miteinander verg­lichen, so fällt auf, dass es viele Überschneidungen gab. Ludwig stellte ein Bild von Kantor aus (Gesicht, 1986), Bruskin und Jankilevskij waren in Emden und Köln vertreten. Ivan L. ­Lubennikovs surreale Stadtlandschaften waren ebenfalls in beiden Ausstellungen zu sehen (Abb. 39), von Arkadij I. ­Petrov stellte Ludwig naive Malerei aus den 1970er-­Jahren aus und Nannen zeigte konzeptuelle Arbeiten aus dem Jahr 1988.924 Von Michail N. ­Romadin gab es in Emden frühe Abstrak­tion zu sehen (Kaleidoskop, 1967) und in Köln spätere surreale figurative Malerei (Horizont, 1986). Ludwigs Sowjetkunst heute zeigte viele Posi­ tionen des Künstlerverbandes und der baltischen Länder, einen starken Fokus legte die Präsenta­tion auf Fotorealismus, wogegen in Emden der expressionistische und abstrakte Stil überwog.925 Dennoch zeigen die Berührungspunkte, dass diese beiden Ausstellungen gar nicht so weit voneinander entfernt waren, wie es die Rezensionen vermittelten. Die Ausstellungen zeigten die Vorlieben der beiden Sammler, wurden in den Medien aber jeweils unterschied­lich wahrgenommen. Nannens Ausstellung bekam viele positive Kritiken, die Sta­tionen Emden und Hamburg wurden in der Presse ausführ­lich besprochen.926 Affirmativ fielen die Urteile über Nannens Sowjetkunst-­ Auswahl vor dem Hintergrund von Ludwigs Sowjetkunst heute aus. In der lokalen Presse wurde zudem der Kontrast zur Ausstellung Labyrinth, die im Schloss Wotersen gezeigt wurde, angesprochen.927 Die Künstler in Emden und Hamburg wurden von den Medien so ernst genommen wie keine sowjetischen Künstler jemals zuvor, denn 924 Vgl. Ausst.-Kat. Sowjetkunst heute 1988; Ausst.-Kat. Glasnost. Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988. 925 Vgl. ebd. 926 08. 02. 1989 – 07. 04. 1989 im Batig an der Esplanade in Hamburg, dort wurden nur noch 42 Bilder ausgestellt, die Leihgaben aus anderen Sammlungen wurden nicht verlängert, weitere Sta­tionen waren Stuttgart und Düsseldorf (Gerth 1988, 4). 927 16.01.–26. 02. 1989, Labyrinth – neue Kunst aus Moskau war eine Ausstellung, die in der Nähe von Hamburg Schloss Wotersen gezeigt wurde. Diese Ausstellung wurde zuvor im Palast der Jugend in Moskau in der Nähe des Kreml gezeigt. Die Organisa­tion übernahm Marina Sandmann, die s­ päter eine Galerie für inoffizielle sowjetische Kunst in Berlin eröffnete. Labyrinth war eine kurzerhand organisierte Verkaufsausstellung, mit der die Organisatorin hoffte, den Erfolg der Künstler nach Sotheby’s fortsetzen zu können. Es wurden 17 Künstlergruppen ausgestellt, die im Katalog je eigene Manifeste veröffent­lichten (vgl. Ausst.-Kat. Labyrinth-­Neue Kunst aus Moskau 1988). „Im Januar begann auf Schloß Wortensen [sic!] öst­lich von Hamburg die Ausstellung ‚Labyrinth‘, die 77 Künstler mit 232 Werken vorstellt. Ein Teil wird am 5. April im Hamburger Hotel Atlantik von Hauswedell & Nolte versteigert, die anderen können direkt gekauft werden. Zu keineswegs zurückhaltenden Preisen.“ (Dittmar 1989, 11).

Ein Vergleich: Sowjetkunst heute und Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler  |

Abb 39  I. ­L. Lubennikov, Gemälde über die Liebe (nach Majakowskij) (1987), Kunsthalle Emden.

man sah in ihren Werken Erzählungen von Augenzeugen und „gemalte Menschenwürde“.928 Erkennbar ist in den Artikeln eine offensicht­liche Freude, end­lich Bilder von den Schattenseiten des sowjetischen Lebens präsentiert zu bekommen.929 Es liegt darin eine Form des Voyeurismus, der sich gleichzeitig mit dem Drang zur Aufklärung paart. Maxim K. ­Kantor und Lenina D. ­Nikitina wurden in den meisten Rezensionen hervorgehoben. Diese beiden Vorzeigekünstler aus Nannens Sammlung wurden häufiger besprochen als die späteren Berühmtheiten Bruskin und Infante. In den Berichten, die einen negativen beziehungsweise abwertenden Grundton aufwiesen, werden diese beiden Künstler dennoch positiv aufgenommen.930 Beide Künstler können als Paradebeispiele für das leidende Individuum im sozialistischen System der Sowjetunion bezeichnet werden. Es entstand der Eindruck, dass die Malerei hinter ihrer Biografie 928 Vgl. Flemming 1989; Främcke 1989. 929 Vgl. ebd. und andere zitierte Periodika. 930 Vgl. Winter 1988.

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zurücktrat, im Besonderen bei Lenina D. ­Nikitina. Die Künstlerin (geb. 1931) war die Älteste in der Ausstellung. Sie hatte den Hungertod ihrer Familie während der Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg erlebt.931 Danach gelang es ihr nicht mehr, ein geregeltes Leben, wie es vom sozialistischen System verlangt wurde, zu führen.932 Sie war eine Laienmalerin, die ­zwischen einer kleinen Wohnung in Leningrad und der Psychiatrie pendelte und in ihren Bildern die schreck­lichen Erfahrungen ihres Lebens verarbeitete.933 Kantor, fast dreißig Jahre jünger, bestätigte als inoffizieller Künstler das K­lischee des Außenseiters genauso deut­lich wie Nikitina. Er malte die Schrecken des sowjetischen Systems, in dem Intellektuelle und Dissidenten in die Psychiatrie oder in den Gulag weggeschlossen wurden. Als sein großes Vorbild bezeichnete Kantor Vincent van Gogh und betonte die romantische Auffassung, dass der Künstler stellvertretend für alle Menschen leiden müsse.934 Die Künstler wurden ein weiteres Mal als Persön­ lichkeiten in den Vordergrund der Ausstellungen gerückt, diesmal noch stärker als bei Ludwigs und Nannens Schauen im Jahr 1982. Die Künstler kamen öfter zu Wort, sie konnten erneut ihre künstlerischen Posi­tionen selbst in der Presse erläutern und im Katalog zu Glasnost wurden Manifeste, Kommentare und Briefe veröffent­licht.935 Die Individualität der Künstler sollte stärker betont werden. Bei Nannen trat der Lebenslauf der Künstler teilweise so in den Vordergrund, dass es die Arbeiten damit zu Belegen beziehungsweise Illustra­tionen desselbigen werden ließ.936 Je unangepasster die sowjetischen Künstler auftraten, desto ernster wurden sie von der Presse genommen. Aus ­diesem Grund schrieb die deutsche Presse Nannens Ausstellung ein besseres Konzept als Ludwigs zu, der in Köln immer noch viele parteikonforme Posi­tionen ausstellte. Der Zeitpunkt spielte bei diesen Projekten eine große Rolle. Nannen sah seine Ausstellung als eine Ergänzung zu Sowjetkunst heute an, aber was weder Ludwig noch er voraussehen konnten, war der große Erfolg der Sotheby’s-­Auk­tion, die genau ­zwischen den beiden Ausstellungen stattfand.937 Durch die Werbewirkung dieser Auk­tion und die spektakulären Preise für sowjetische Maler wurde das Interesse an Gegenwartskunst aus der UdSSR nochmals bestärkt.938 Die Neugier der deutschen Öffent­lichkeit war 931 Die Leningrader Blockade dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, etwa 1,1 Mio. Einwohner der Stadt starben in Folge von Angriffen, Hunger und Kälte. 932 Vgl. Finckh. In: Ausst.-Kat. Glasnost 1988, 11 – 18, hier: 15. 933 Vgl. ebd. 934 Vgl. Drommert 1988/I. 935 Vgl. Ausst.-Kat. Glasnost. Die neue Freiheit der sowjetischen Maler 1988. 936 Vgl ebd. 937 Vgl. Kap. 4.2. 938 Zu einem ähn­lichem Schluss kommt Bayer 2007, 43 – 54.

Ein Vergleich: Sowjetkunst heute und Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler  |

Abb 40  L. ­D. Nikitina, Man will ja leben (1973), Kunsthalle Emden.

geweckt – lokale Zeitungen suchten in der Ausstellung von Nannen vergeb­lich nach den Spuren der Avantgarde und der neuen aufregenden Kunst. Enttäuscht schaute man sich stattdessen die „Folgen sowjetischer Kunstzensur“ 939 in der Kunsthalle Emden an. Andere Stimmen freuten sich, dass die unangepasste sowjetische Kunst nun dank Gorbačёv aus den Kellern und Kommunalwohnungen in die Ausstellungssäle getreten sei.940 In der Süddeutschen Zeitung bezeichnete die Autorin Fragen nach Avantgardismus und ob die Auswahl spekulativ sei als müßig und lobte dagegen den frischen Wind, den diese Schau ausstrahlte.941 Zudem würden die ausgestellten Künstler hervorgehoben, weil sie ihre kreativen Ziele so unprätentiös im Katalog vortrugen, 939 Anspach 1988, 9; Anonym 1988/IV. 940 Gervink 1988. 941 Vgl. Bode 1988.

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dass man mit ihnen ins Gespräch kommen wollte.942 Die Aussage des sowjetischen Kunstwissenschaftlers Jevgenij V. ­Barabanov – „Sie malen einfach Bilder“943 – wurde als programmatisch angesehen und musste ausreichen. Die „Menschlichkeit“944 werde wieder in der sowjetischen Kunst sichtbar und deshalb werde sie nun im Westen so positiv angenommen, sagte der Außenminister Hans-­Dietrich Genscher bei seiner Besichtigung.945 Dies sollte als Legitima­tion der Ausstellung genügen. Die feier­liche Eröffnung fand in der Emdener Martin-­Luther-­Kirche statt. Der Außenminister und der sowjetische Botschafter Julij A. ­Kwizinskij sprachen gewohnt versöhn­liche Worte über die Völkerverständigung und über die Kraft der Kunst als „Mittlerin“.946 Häufig fielen die neuen Schlagwörter „Perestroika“ und „Glasnost“ im Beisein von 1080 Gästen, unter denen neben Ludwig und Kantor der ZEIT-Verleger Gerhard ­Bucerius war.947 Mit seiner Aussage, dass man Europa größer denken und für die jähr­liche Auswahl der Europäischen Kulturhauptstadt auch die Länder des Warschauer Paktes berücksichtigen sollte, wagte Genscher nochmals im Kulturaustausch mit dem Osten einen größeren Schritt nach vorne.948 Claus Heinrich Meyer lobte in der Süddeutschen Zeitung Nannens „Aufstieg ins Feuilleton“ und bescheinigte ihm ein gutes Gespür für Trends in der Kultur.949 Nannen folgte nun allerdings vielmehr dem allgemeinen Geschmack der Zeit, denn auch er hatte sich 1982 ebenso wie Peter Ludwig den dissidenten Künstlern verschlossen, obwohl er ­später die sowjetischen Behörden dafür verantwort­lich machte.950 Seine Ausstellung wanderte weiter in die Galerie Valentin nach Stuttgart (21. 11. 1988 – 10. 12. 1988), wo er einige seiner Erwerbungen zu verkaufen hoffte.951 Die vierzig Arbeiten, die er mithilfe von Spenden akquierieren konnte, bildeten eine weitere Säule seiner Sammlung, neben Expressionismus, Neuer Sach­ lichkeit und Informel.952 Diese beiden Ausstellungen betonen einmal mehr, wie stark die Schlagworte „Perestroika“ und „Glasnost“ aus dem politischen Kontext ins idealistische Feld der Kunst eingeführt wurden. In der Bundesrepublik sollte end­lich die Kunst der Sowjetunion als eigenständige und ästhetisch wertvolle präsentiert werden, als eine Bebilderung der 942 Vgl. ebd. 943 Ebd. 944 Anonym 1988/I. 945 Vgl. ebd. 946 Vgl. Anonym 1988/II. 947 Vgl. ebd. 948 Vgl. ebd. 949 Meyer 1988, 14. 950 Vgl. Nannen. In: Ausst.-Kat. Glasnost 1988, 7 – 8. 951 Eine weitere Sta­tion der Verkaufstournee war die Landesvertretung des Landes Niedersachsen in Bonn. 952 Vgl. Anonym 1988/IV.

Peter Ludwigs weiteres Engagement für Russland  |

politischen Umwälzungen und der Persön­lichkeiten der freien Künstler. Alle Ausstellungen dieser Zeit haben den Beigeschmack einer konstruierten und für den west­lichen Betrachter aufbereiteten Ansicht der sowjetischen Kunstlandschaft. Groys hatte Recht, wenn er anmerkte, dass es primär um das Aufschnappen tagesaktueller Ideen ging. Der Markt war offen, wie die Auk­tion gezeigt hatte und es gab viele frische Namen, die auf ihre Vermarktung im Westen nur gewartet haben. Das Strohfeuer der politischen Umwälzung verlosch sehr bald und nur noch einige wenige Posi­tionen konnten das Interesse der west­lichen Fachwelt und der Sammler aufrechterhalten.

1.19 Peter Ludw igs weiter es Engagement für Russl and Während es in den 1990er-­Jahren um Nannen und seine Sammlung rus­sischer und sowjetischer Kunst etwas stiller wurde, widmete sich Peter Ludwig weiterhin intensiv seinen kulturpolitischen Bestrebungen. Ein Ziel, das er schon seit den 1980er-­Jahren verfolgte, war, ein Museum in Moskau zu eröffnen.953 Diese Motiva­tion begleitete ihn auch schon bei seinen frühen Reisen in die Sowjetunion. Die Pläne sahen vor, dass ein Teil seiner Sammlung dem Puškin-­Museum in Moskau als Schenkung übertragen würde.954 Anfangs sah es sehr gut aus für die Verwirk­lichung seines Vorhabens: Besonders als Gorbačёv das System immer stärker liberalisierte, führte Ludwig mehrmals Verhandlungen mit den Vertretern der UdSSR  955 und auch der damals amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl unterstützte die Pläne des Mäzens für Moskau.956 ­Ludwig war sich des Wertes seiner Sammlung bewusst und wollte dafür einen adäquaten Partner in der Sowjetunion finden. Er betonte öffent­lich: „Ich will, wenn ich im Puschkin-­Museum etwas tue, festschreiben, daß dies eine deutsche Initiative war.“957 Schließ­lich verstummten die Berichte über das Vorhaben und erst im Jahr 1995 eröffnete das L ­ udwig Museum im Staat­lichen Rus­sischen Museum in St. Petersburg. In Moskau hatte Ludwig eine entschiedene Widersacherin: die Direktorin des Puškin-­ Museums Irina A. ­Antonova, die sich vehement gegen jeden Einfluss aus dem Westen wehrte.958 Es liegt auf der Hand, dass die Sammlung Ludwig die Strukturen des Museums verändert hätte, weshalb sich Antonova bemühte, dass sich der Sammler

953 Vgl. Anonym 1988; Anonym 1988/V. 954 Vgl. Schön 1991. 955 Vgl. Anonym 1988; Anonym 1988/V. 956 Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen. 957 Sartorius 1991. 958 Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen.

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neue Mög­lichkeiten außerhalb Moskaus suchte.959 Es wurde ein Wettbewerb unter den rus­sischen Museen ausgerufen, aus welchem das Staat­liche Rus­sische Museum in St. Petersburg als Sieger hervorging. Aber nicht nur in Russland ist Ludwig auf Widerstand gestoßen – auch seine Stiftungspläne für Deutschland wurden hart bekämpft und die Auseinandersetzung mit Sigfried Gohr in Köln führte dann dazu, dass der Sammler seine Weltkunst und seine Stiftung nach Aachen überführte.960 Schließ­lich wurde 1991 das Ludwig Forum für Interna­tionale Kunst mit der Ausstellung Ostkunst  – Westkunst eröffnet. Hier wollte der Sammler end­lich sein Weltkunst-­Imperium der Öffent­lichkeit präsentieren und ausbauen. In der Kolumne „Kunststücke“ erinnerte Eduard Beaucamp zwanzig Jahre nach der Eröffnung des Ludwig Forums an die hoffnungsvollen Bestrebungen des Sammlers mitten im Kalten Krieg.961 Aus heutiger Sicht eines globalen Kunstgeschehens, das stets von Banalität bedroht werde, schien Ludwig mit seiner Kulturpolitik damals genau richtig gelegen zu haben, so Beaucamp.962 Aus ­diesem Grund werde sich die Aachener Dependance immer noch an vorderster Front halten, im Gegensatz zum Museum in Köln, das sich zu sehr auf den Kanon des Westens versteifte: „Das Ludwig-­Forum war einmal das erste Museum der Welt, in dem Russen, Amerikaner, Westeuropäer, Chinesen, Kubaner, Brasilianer, Ungarn und Japaner und vor allem Westdeutsche mit Ostdeutschen kraftvoll und fried­lich korrespondierten: ein Markstein der jüngeren Kunstgeschichte.“963

Wie die bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, war die zeitgenös­sische Kunst aus der UdSSR aus vielen Gründen schwer rezipierbar für die deutsche Öffent­lichkeit: Dem Publikum mochten die figür­liche Malerei und Bildhauerei mit romantisch verklärten Geschichten gefallen haben, aber die Kunstkritik und die Journalisten konnten damit nichts anfangen. Zu stark war das Feindbild sowjetischer offizieller Kunst über die Jahrzehnte hindurch kultiviert worden und zu streng wurde im Westen Europas ein anderes Verständnis von Kunst gepflegt. Die Diskussion um figurative Kunst und auf der anderen Seite um die „abstrakte Kunst als Weltsprache“ war in den 1980er-­ Jahren zwar überwiegend abgeschlossen, ihre Nachwirkungen konnte man aber bei 959 Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011. 960 Einer der größten Widersacher Ludwigs in dieser Angelegenheit war Werner Schmalenbach, Direktor der Sammlung Nordrhein-­Westfalen, er sah in Ludwigs Plänen eine Gefährdung der kulturellen Institu­tionen des Landes (vgl. Sager 1992, 195). 961 Vgl. Beaucamp 2011. 962 Vgl. ebd. 963 Ebd.

Peter Ludwigs weiteres Engagement für Russland  |

Ausstellungen wie Westkunst (1981) immer noch spüren. Außerdem schien es unmög­ lich, das Ausgestellte von seinem Sammler losgelöst zu betrachten. Peter Ludwig war zu dieser Zeit eine signifikante öffent­liche Persön­lichkeit, die wiederholt Kontroversen auslöste und von der Kritik mit Argusaugen beobachtet wurde. Das belegt auch das Engagement von Henri Nannen in der UdSSR, welches, im Gegensatz zu Ludwig, mit ruhigerem Gemüt registriert wurde. Bei Ludwig waren alle Unternehmungen groß angelegt, öffent­lich inszeniert und kulturpolitisch mit höchsten Maßstäben von ihm beschrieben. Er zeigte sich beständig in den Medien und wiederholte ausdauernd seine Parolen, auch um sich vor Angriffen zu ­schützen: „Weltkunst“, „Informa­tionslücken schließen“, „Dokumentieren“, „Avantgarde-­Begriff abschaffen“.964 Wenn die Journalisten harsch darauf reagierten, Kritiker sich zu Wort meldeten und das ihnen gelieferte Material hinterfragten, zeigte sich der Sammler von einer anderen Seite. Überrascht vom fehlenden Zuspruch zog er sich zurück und konterte ungeschickt oder schmollte sogar, schreibt Sager.965 Die Darstellung bei Sager ist dem damaligen Zeitempfinden geschuldet, aber aus heutiger Sicht und gehöriger zeit­licher Distanz kann man den Sammler Peter Ludwig viel unvoreingenommener betrachten: Als Person des öffent­lichen Lebens hätte er natür­lich geschickter mit den Medien umgehen können. Andererseits versuchte er als Sammler immer, eine eigene unabhängige Posi­tion zu beziehen, die zuweilen sehr emo­tional war, und so betrachtet, verwundern seine Reak­ tionen auf kritische Berichte weit weniger. Aufschluss über Fragen nach Strategien und dem wahren Peter Ludwig wird es erst geben, wenn die Stiftung Ludwig das Archiv des Sammlerpaares für eine kritische Forschung zugäng­lich macht. Der promovierte Kunsthistoriker versuchte insistierend, gegen die versteiften Ansichten der damaligen öffent­lichen Kunstgeschichte vorzugehen, um die offizielle sowjetische zeitgenös­sische Kunst zu verteidigen: Eine signifikante Passage gibt es in einem Interview mit Peter Dittmar, der sie 1987 für DIE WELT führte.966 Nach mehreren vorsichtigen Versuchen, Ludwig nach der Bedeutung von Propagandakunst zu fragen, wird der Interviewer deut­licher und bekommt eine Antwort des Sammlers: „Ein Großteil jener Kunst, die im Dritten Reich vom Regime gefördert wird und, wie ich zugebe, als Vorspann für Propaganda benutzt wurde, war ein interna­tionales Phänomen. Wenn Sie in New York vor dem Rockefeller-­Center stehen und den Mann betrachten, der dort muskulös eine Weltkugel stemmt, dann muss sie das doch an Plastiken von Thorak erinnern, dann muß Ihnen doch klar werden, daß es sich hier um eine Zeitsprache handelt. 964 Vgl. Ludwig 1995. 965 Vgl. Sager 1992, 175 – 207. 966 Vgl. Dittmar/Schmidt-­Müh­lisch 1995.

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Wenn Sie die Bauten in Washington sehen, dann finden Sie darin denselben imperialen Geist wie in den Weltausstellungsbauten von Paris und in dem, was Speer in Deutschland initiiert hat. Wir haben z­ wischen Rom, Paris, New York, London und Berlin einen absolut gleichlaufenden Architektur- und Kunststil. Es ist doch nicht wahr, daß der deutsche Expressionismus nur durch die Infamie der Hitler-­Regierung vernichtet wurde. Interna­tional war er längst ins Abseits geraten. Sehen Sie sich doch die erbärm­lichen Preise an, die deutsche Expressionisten auf jener schreck­lichen Auk­tion ‚entarteter Kunst‘ in Luzern erzielt haben. Die Preise waren nicht deswegen so erschreckend niedrig, weil die Leute sich gescheut hätten, Kunst aus deutschen Museen zu kaufen. Die Bewertung dieser Kunst war interna­tional damals einfach gering […] Und dann das Stichwort Ästhetik. Wenn ich das schon höre! Die Ästhetik ist ein willkür­licher Begriff, den eine kleine Intellektuellen-­Gruppe geprägt hat, und den sie nun zur allgemeinen Norm zu erheben versucht, obwohl ich bis heute nirgendwo eine Defini­tion ­dieses Begriffes gefunden habe.“967

Peter Ludwig zeigt auch hier eine starke emo­tionale Betroffenheit und das lässt seine Begeisterung für Kunst authentischer wirken. Peter Ludwig wollte Kulturpolitik betreiben, war aber kein Diplomat und verursachte in seiner kompromisslosen Art viele Schlagzeilen und Negativberichte.968 Er versuchte stets gegen den Strom zu schwimmen, war konsequent in seinen Bemühungen und die Früchte seines rastlosen Sammelns können heute mehrere Institu­tionen weltweit pflegen und ausstellen. Das Schokoladen-­Unternehmen, das er ab den 1950er-­Jahren leitete, eröffnete ihm neue Mög­lichkeiten bei Kunstkäufen. „Schokolade und Kunst gehörten bei ihm immer zusammen“, sagte auch Ludwigs ehemaliger enger Mitarbeiter Wolfgang Becker.969 Ludwig hat es stets abgestritten, dass er mit der Kunst ebenso Vorteile für sein Unternehmen suche. Als er 1982 die mittelalter­lichen Handschriften, die für die Kölner Museen vorgesehen waren, ins Getty-­Museum nach Los Angeles verkaufte und mit dem Erlös seine Firma sanierte, löste dies einen Skandal aus.970 Ludwig akquirierte 967 Vgl. ebd., 112. 968 Vgl. ebd. 969 Im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen. 970 Dazu Ludwig: „Die Handschriften, deren Verkauf, ist sicher das Schlimmste, was ich in meinem Sammlerleben getan habe, und ich bedaure das bis heute zutiefst, aber es hat, wie alle ­solche Handlungen, mehrere Gründe. Der materielle Grund, der auch da war: ich habe einen Teil des Geldes in meine Aachener Stiftung für Kunst gegeben […]. Anderes Geld ist in die Firma geflossen, der das gut getan hat. Dennoch, ich hätte die Handschriften nie verkauft, ich habe sie drei Jahre lang aufgelistet, Handschrift für Handschrift, dem deutschen Volk angeboten als Schenkung mit meinem gesamten Kunstbesitz, mit allem Vermögen, was wir haben, meine Frau und ich. Man hat sehr seriös mit uns verhandelt, auch das Land Nordrhein-­Westfalen war beteiligt. Die Medien haben uns kaputt gemacht: Der machtgierige Ludwig will Kultusminister werden, hieß es indirekt […]. ‚Worüber wir reden, hat

Peter Ludwigs weiteres Engagement für Russland  |

viele Werke auf Geschäftsreisen und auch andersherum machte er dort Geschäfte, wo er Kunst kaufte. Das beste Beispiel war die Herstellung des Trinkfix-­Pulvers in der DDR , die verbunden war mit dem Aufbau seiner Sammlung von DDR -Kunst und dem Vertrag über Leihgaben aus der Sammlung Ludwig für Berlin.971 In der UdSSR machte er erst nach der Perestroika Geschäfte mit Schokolade: Als die Filiale Ludwig Museum im Rus­sischen Museum in St. Petersburg 1995 erfolgreich eröffnet wurde, gab es bereits einen florierenden Export der Firma Ludwig Schokolade in die Rus­sische Födera­tion, die Ukraine, Weißrussland, Armenien und Georgien. Diese Länder kannte Ludwig schon aus der Zeit seiner ersten Ankäufe sowjetischer Kunst. Drei Jahre ­später wurde eine Süßwarenfabrik der Tochterfirma OOO Mauxion Food in der Moskauer Oblast gebaut.972 Ludwig unternahm seine ersten Reisen in die Sowjetunion bereits in den 1980er-­Jahren nicht nur mit seiner Frau, dem Galeristen Thomas Kriegs-­Ernst und der Kuratorin Evelyn Weiss.973 Er nahm, wie auch bei den Reisen in die DDR, den Geschäftsführer des Berliner Werks der Trumpf-­Schokolade, Wolfgang Schreiner, mit.974 Dieser erledigte damals von Berlin aus die Ost-­Geschäfte der Firma und somit waren Schokolade und Kunst auch hier unzertrenn­lich miteinander verknüpft.975 ­Ludwig wollte beim ersten Vorstoß in die Sowjetunion als Geschäftsmann auftreten, denn auch Nannen führte seine sowjetische Kunst unter geschäft­lichen Voraussetzungen. Für Ludwig stellten die Ankäufe der Sowjet-­Kunst ein weiteres Geschäftfeld dar, auch wenn dies immer unter dem ideellen Banner von Vermittlung und Annäherung präsentiert wurde. Vom sowjetischen Botschafter protegiert, sollte offizielle sowjetische Kunst als konsequente Fortsetzung seiner Avantgarde-­Sammlung akquiriert werden und nicht zuletzt steigerte Ludwigs Sammeln und Ausstellen den Wert dieser Kunstwerke. Ludwig war offenkundig jemand, der gerne durch große Paradetüren eintrat, sodass es auch nicht vorstellbar gewesen wäre, dass er irgendwo unter der Hand die Kunst der „Dissidenten“ kaufen würde. Seine Reisen in die Sowjetunion sollten so seriös anmuten wie ein Staatsbesuch und, wenn er mit seinen Kunstwerken im Euch doch gar nicht interessiert, nur was die Presse schreibt, die auch nie was gesehen hat. Jetzt zeige ich Euch, was die Handschriften wert sind.‘ Dann habe ich sie in 14 Tagen für 100 Millionen Mark verkauft. Eine der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens, wissen Sie, sich beschimpfen zu lassen von jeder Zeitung, wenn man alles, was man hat und das Vermögen seiner Frau in eine na­tionale Stiftung einbringen wollte […].“ (Enzweiler 1995, 19). 971 Vgl. Bude 1993, 207. 972 Alle oben stehenden Informa­tionen siehe www.reussen-consulting.de (26. 04. 2012). 973 Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen. 974 Wolfgang Schreiner wurde dank Peter Ludwig auch Sammler, er kaufte überwiegend Kunst der DDR und s­ päter aus Bulgarien. 1994 eröffnete er in Bad Steben in Bayern das Grafik Museum Stiftung Schreiner (www.grafikmuseum.de [19. 08. 2011]). 975 Vgl. Kap. 3.4.

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Diplomatenkoffer zurückkehrte, wollte er gefeiert werden.976 Ludwigs kulturpolitische Ziele waren hoch gesteckt und dafür passte er sich nicht selten der sowjetischen Wortwahl an und ließ alle negativen Aspekte des sowjetischen Kulturlebens aus oder formulierte sie um. Somit stand er in Opposi­tion zur öffent­lichen Meinung in Westdeutschland. Statt Diplomatie zu betreiben und ­zwischen den Fronten zu vermitteln, setzte Ludwig auf Konfronta­tion. Seine Aspekte sowjetischer Malerei der Gegenwart (1982) zeigte er als Querschnitt durch das seiner Äußerung nach reiche künstlerische Schaffen in der Sowjetunion und lobte im Katalog die Tradi­tion und das Engagement sowjetischer Künstler. Er tadelte gleichzeitig die west­liche Kunstkritik und verteidigte die Kunst der stalinistischen Zeit.977 Fortdauernd betonte er seine Begeisterung für die kommunistische Denkmalkultur und seine Überzeugung, dass die beste Kunst durch Aufträge entstehe.978 Die viel zu hoch geschätzte Freiheit würde die Kunst des Westens minderwertig werden lassen, war Ludwig überzeugt und traf damit die empfind­lichste Stelle der westdeutschen Nachkriegskunst.979 Die Vorliebe des Sammlers für tradi­ tionelle Kunstsprache wurde oft zu seinem Qualitätskriterium, sodass er neben stalinistischer Kunst auch Arno Breker für einen hervorragenden Künstler hielt. L ­ udwig wollte mit seiner Ausstellung 1982 ein Bild der sowjetischen Gesellschaft liefern, für das diese Kunst ein Ausdrucksträger war. Darum passte auch ein direkter Vergleich mit der documenta, die zeitnah stattfand: „Wenn fair verg­lichen wird, was repräsentative Ausstellungen westeuropäischer Gegenwartskunst und was die Ausstellung sowjetischer Gegenwartskunst zeigen, dann muss man einfach zugeben, daß diese Werke, auch wenn sie streng beurteilt werden, Beachtung verdienen.“980

Mit seinem Vorsatz der Dokumenta­tion und des gerechten Blicks auf die Gegenwart hätten neben diesen Arbeiten allerdings auch die so genannten „Nichtoffiziellen“ ausgestellt werden müssen. Dass der Sammler nur beim Künstlerverband einkaufte, begründete er mit der ausreichenden Kenntnis der „dissidenten“ Kunstlandschaft der UdSSR in der Bundesrepublik.981 Die Künstler, die er 1982 als absolute Neuheit in Westdeutschland präsentierte, waren dem interessierten Publikum ebenfalls nicht 976 Vgl. ebd. 977 „Sowjetische Kunst war auch in den dreißiger und vierziger Jahren in weiten Bereichen ernst zu nehmende Kunst, und es gehört zu einem gehässigen K­lischee, ihre Botschaft als Staatspropaganda abzutun.“ (Ludwig 1995, 135). 978 Vgl. ebd. 979 Vgl. Enzweiler 1995, 17. 980 Ebd., 136. 981 Wolfgang Becker im Gespräch mit der Verfasserin am 19. 08. 2011 in Aachen.

Peter Ludwigs weiteres Engagement für Russland  |

gänz­lich unbekannt.982 Später jedoch setzte er sich selbst in Widerspruch zu seiner gesamten ursprüng­lichen Argumenta­tion, indem er doch die Werke der „Nichtoffiziellen“ kaufte, als sie den Zenit ihrer Berühmtheit im Westen bereits erreicht hatten. 1991 vereinigte er Werke seiner sowjetischen Künstler mit denen der „Dissidenten“ und den Künstlern des Westens in seiner Ostkunst  – Westkunst-­Ausstellung in Aachen. Es bereitete dem Sammler keine Unannehm­lichkeiten, seine Unwissenheit öffent­ lich zuzugeben, sogar zu betonen: Er schien manchmal förm­lich damit zu kokettieren – ganz im Gegensatz zu seinen oft als allwissend auftretenden Kritikern. In einer Textpassage anläss­lich seiner Ausstellung Von Malewitsch bis Kabakov (1993) stellte sich Ludwig in gewisser Weise auf eine Stufe mit dem durchschnitt­lichen westdeutschen Kunstbetrachter: „Zunehmend – und ich möchte hinzufügen: end­lich! – ist in den letzten Jahren rus­sische Kunst in unser Blickfeld getreten. ‚Die große Utopie‘ in Frankfurt und Amsterdam, ‚Tatlin‘ in Düsseldorf und viele andere Ausstellungen bemühten sich, Lücken in unserer Vorstellung zu schließen. Diese Lücken haben meine Frau und ich 1976 schmerz­lich empfunden, als wir zum erstenmal [sic!] rus­sischer Kunst in der Kölner Galerie Gmurzynska begegnet sind. Wir waren aufgewühlt von der Bedeutung dessen, was wir sahen; und wir waren entsetzt, daß wir bisher nichts davon gewußt hatten. In allen Kunstgeschichten fehlten die Namen der Künstler, deren Werke wir nun kennenlernten und bewunderten.“983

Peter Ludwig trug den eigenen Namen unermüd­lich in die Welt hinaus und in jede Dependance, die seine Leihgaben erhielt, wobei er versuchte, diese gleichsam mit dem Qualitätssiegel „Ludwig“ zu versehen. Die zahlreichen Porträts, die er und seine Frau Irene im Laufe ihres Lebens in Auftrag gaben, liefern weitere Belege seines Geltungsverlangens: Andy Warhol, Arno Breker, Bernard Heisig, Gottfried Helnwein, Jean-­ Olivier Hucleux und viele andere haben die Konterfeis der Ludwigs gestaltet.984 Der zitierte Abschnitt verdeut­licht, dass Ludwig seine kunstgeschicht­lichen Kenntnisse als Maßstab auf das Allgemeinwissen der Gesellschaft übertrug. Wenn Ludwig diese Künstler nicht kennen musste, dann brauchte sich niemand zu schämen, dass er nicht von ihnen gehört hatte. Unaufhör­lich betonte er, der Erste gewesen zu sein, der diese und jene Kunst ausstellte und der Erste, der diese und jene Kunst gekauft hatte. Das 982 Unter anderem 1977 bei 60 Jahre Sowjetische Malerei in Wiesbaden und 1978 Rus­sische Malerei der Gegenwart in Saarbrücken. 983 Ludwig 1995, 139. 984 Ludwig selbst sagt, es gebe 28 beziehungsweise 29 Künstler, die Porträt-­Aufträge für ihn ausgeführt hätten (vgl. Enzweiler 1995, 6).

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Motto „Informa­tionslücken“ schließen und das zu sammeln, was von anderen nicht gesammelt wird, war ein riskantes Vorhaben. Selbstbewusst lehnte Peter Ludwig alle etablierten Qualitätsurteile ab und schuf seine eigenen Maßstäbe, wie den Topos der „Weltkunst“ für die eigene Sammlung. Aus Qualität wurde schnell Quantität, innerhalb derer sich vielfach Richtungen und Stile durchmischten. Das, was für eine Sammlung im gewohnten Sinne als Qualitätsmaßstab galt, wurde von ihm für obsolet erklärt und gleichzeitig verlor seine Sammlung in den Augen Vieler an Profil.985 Ludwig wurde öffent­lich zum Archivar erklärt, was mit einem Ansehensverlust in professionellen Kunstkreisen einherging.986 Seine humanistischen Überzeugungen ließen ihn willkür­lich kaufen und sammeln, was ihn – vor allem nach seinen Einkäufen in der Sowjetunion – zu einer Persona non grata werden ließ.987

1.20 Wie Ludw ig die dissidente Kunst nach Russl and zurückbr achte Nachdem der so genannte Russen-­Boom in den 1990er-­Jahren langsam verhallte und die gegenseitigen Ausstellungsprojekte unter anderen Vorzeichen standen, war es wieder einmal Peter Ludwig, der aktiv in die rus­sische Kulturpolitik eingriff. Wie die vorhergegangene Analyse zeigte, fand in der UdSSR Ende der 1980er-­Jahre ein Ausverkauf der dissidenten Kunst statt, der von sowjetischen Kritikern und Künstlern als problematisch angesehen wurde.988 Im Kunstmuseum Bern gab es ebenfalls eine große Ausstellung der inoffiziellen rus­sischen Künstler: 1988 wurden unter dem Titel Ich lebe – Ich sehe Werke von Moskauer Künstlern ausgestellt, wobei der gleichzeitige Verkauf der Bilder eine Grundbedingung der sowjetischen Seite darstellte.989 Die Schau war ein kommerzieller Erfolg, zitierte DER SPIEGEL den Vizedirektor des Museums, Markus Landert: „Alles verkauft, was zum Verkauf stand.“990 Es wurden 40 Bilder und Zeichnungen verkauft, wobei das Museum 20 Prozent Provision

985 Siehe Kap. 3.5. 986 Vgl. Engelhard, Günter: Texte und ­­Zeichen, Liebestanz der Kamele oder: Der Archivar in der Steppe. Radio NDR III, 06. 07. 1982, 19:05 Uhr. Ein Beleg dafür ist der Protest gegen die Stiftung von Peter und Irene Ludwig, der von Werner Schmalenbach geführt wurde. Vgl. dazu: Sager 1992, 195 – 197. 987 Zu einem ähn­lichen Schluss kommt Sager in: ebd., 192 – 195. 988 Vgl. Kapitel 4.2. 989 Vgl. Ausst.-Kat. Ich lebe, ich sehe, Künstler der achtziger Jahre in Moskau 1988. 990 Anonym 1988/III, 243 – 246.

Wie Ludwig die dissidente Kunst nach Russland zurückbrachte  |

erhielt.991 Für die Sowjetunion bedeutete der Russen-­Boom im Westen einen doppelten Gewinn – zum einen konnte man sich der ohnehin unliebsamen Kunst entledigen und gleichzeitig die Staatskasse auffüllen. Es herrschte Goldgräberstimmung, besonders die Sotheby’s-­Auk­tion lockte immer mehr Ausländer an, die in die sowjetische Kunst investieren wollten.992 Tatsäch­lich war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht mehr viel Kunst von den einstigen Progressiven in Moskau oder Leningrad verblieben. Die besten Werke schmückten die interna­tionalen Sammlungen und die Künstler waren emigriert. Sie setzten ihre Arbeit in New York, Köln oder Paris fort. Die neuen Künstlergenera­tionen Russlands kannten die Werke ihrer Vorgänger nur vom Hörensagen oder von Abbildungen. Die Situa­tion hatte sich gewandelt: So wie einst die Künstler in der UdSSR die west­lichen Arbeiten nur von Abbildungen kannten, hatte die junge Genera­tion in Moskau und St. Petersburg die Bilder ihrer sowjetischen Vorgänger nie zu Gesicht bekommen.993 Peter Ludwigs Verdienst war es, einige dieser Werke wieder nach Russland zurückgebracht zu haben, denn seine Schenkung an das Rus­sische Museum umfasste nicht nur die Künstler der amerikanischen Pop-­Art, des Fotorealismus und anderer west­licher Strömungen. Er brachte auch Werke von Boris G. ­Birger, Bulatov, Igor’ S. ­Ganikovskij, Sven Gundlach, Sacharov, Kabakov, Igor G. ­Makarevič, der Gruppe Medizinische Hermeneutik, Viktor D. ­Pivovarov, Prigov, Aleksandr G. ­Sitnikov, Steinberg und Jankilevskij zurück.994 Die ganze Schenkung für das Rus­sische Museum war ein Querschnitt durch Ludwigs „Weltkunstidee“, die laut Katalog alle geläufigen Richtungen des Westens mit denen des Ostens verband.995 So wird das Konzept bis heute vom Rus­sischen Museum vermittelt. Allerdings ist die Zusammenstellung der Ludwig’schen Schenkung keineswegs ein vollwertiger Überblick. Seine Vorliebe für Pop-­Art und Fotorealismus ist in den Räumen des Marmorpalastes in St. Petersburg unübersehbar, hinzukommen einige expressionistische Arbeiten und schließ­lich die rus­sischen Werke der 1960er- bis 1980er-­Jahre.996 Ludwigs Geschmack vermittelte in ­diesem Umfeld einen Kanon der Kunst, die als eine Zusammenfassung der wichtigsten Strömungen aus West und Ost Geltung beanspruchte. Im St. Petersburg der 1990er-­Jahre, wo nur wenig zeitgenös­sische west­liche Kunst ausgestellt wurde, da sich das Interesse auf Moskau konzentrierte, war eine derartige Kanonbildung durchaus erfolgreich. Sie diente als Lückenfüller für die nicht vorhandenen Sammlungen 991 Vgl. ebd. 992 Vgl. v. Wedel 2007; Bayer 2007. 993 Das lässt sich aus dem Bericht über die Untergrundszene in Moskau und Leningrad ableiten. Zu lesen in: Dederichs 1988. 994 Vgl. Kiblitzky 1998. 995 Vgl. ebd. 996 Vgl. ebd.

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west­licher zeitgenös­sischer Kunst in der Region, auch wenn das Bild, das sie schuf, sehr einseitig war.997 Dennoch hat Peter Ludwig mit seiner Schenkung für die Entwicklung der rus­sischen Museen einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Dependance des Ludwig Museums im Rus­sischen Museum wurde zu einer der ersten Institu­tionen, die zeitgenös­sische Kunst aus Ost und West in Russland zusammenbrachte. Dank L ­ udwig konnte sich das Rus­sische Museum als eine zeitgenös­sische Institu­tion etablieren. Auch losgelöst vom importierten Ludwig’schen Künstler-­Kanon nahm das Rus­sische Museum ab 1995 eine privilegierte Stellung ein, weil es eine beacht­liche Sammlung zeitgenös­sischer west­licher und rus­sischer Kunst in einer Dauerausstellung präsentieren konnte. Seitdem konnte das Museum seine Sammlung zeitgenös­sischer Kunst weiter ausbauen, da viele rus­sische Künstler die institu­tionelle Wertschätzung der ehemals inoffiziellen Kunst begrüßten und ihre Werke dem Museum als Schenkung oder für einen reduzierten Preis überließen.998

997 Diese Schlussfolgerungen basieren auf eigenen Beobachtungen während der Mitarbeit im ONT und zahlreichen Gesprächen mit A. ­D. Borovskij und seinen Mitarbeitern. 998 Ebd.

5 Schlussbetrachtung

1.21 Die russische Avantgar de: ein diplom atischer Problemfall Am Anfang des Russen-­Booms in der Bundesrepublik standen die Wiederentdeckung der rus­sischen Avantgarde und ihre (Wieder-)Aufnahme in den west­lichen kunst­ geschicht­lichen Kanon.999 Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, wurde die Qualität sowjetischer Ausstellungen in der Bundesrepublik allgemein daran gemessen, wie viele avantgardistische Werke aus den Depots ausgeliehen werden konnten. Dies diente den bundesdeutschen Kritikern als Indikator dafür, wie stark die Ausstellungsorganisatoren das kulturpolitische System in der UdSSR für die Verfemung seiner nach Meinung der west­lichen Kenner besten Künstler anklagte. An dieser Stelle trafen zwei konträre Dogmen aufeinander – die Kunstformel der UdSSR und diejenige der BRD, wobei keiner von beiden unkritisch beigepflichtet werden kann. Ebenso wie der sowjetische Kampf gegen den „Formalismus“ in der Kunst war auch die wachsende west­liche Verehrung der rus­sischen Avantgarde problematisch. Viele Ausstellungen der 1950er- bis 1980er-­Jahre im Westen stellten die Avantgarde unter dem „Blick des Anderen“ aus: Die Ausstellungen waren allesamt im Westen vorbereitet und setzten eine einseitige west­liche Konzep­tion um.1000 Das Material, das im Westen über diese Bewegung zur Verfügung stand, reichte nicht aus, um ein vollständiges Bild nachzuzeichnen. Die ersten Ausstellungen über Malevič in Braunschweig (1958) und Ulm (1961) waren aus der Stedelijk-­Sammlung bespielt worden, die das Schaffen des Künstlers nur bis 1927 dokumentiert. Die Gruppenausstellungen in Frankfurt (1959 und 1961) operierten ebenso nur mit Leihgaben aus dem Westen.1001 Es fehlten wichtige Informa­tionen über die Entwicklung der Künstler seit den 1920er-­Jahren, viele Namen dieser Bewegung waren im Westen unbekannt oder wenig rezipiert. Der Glaube, dass die Avantgarde vom kommunistischen Regime nahezu zerschlagen wurde, verlieh der Legende von den rus­sischen Utopisten die notwendige Dramatik, um den Mythos zu stärken. Die ersten Ausstellungen mit neuen konzep­tionellen Zusammenstellungen wurden in den 1970er-­Jahren in der Bundesrepublik gezeigt. Kunst in der Revolu­tion, die im Frankfurter Kunstverein 1972 ausgestellt wurde, knüpfte gewissermaßen an die 1. Rus­ sische Kunstausstellung an, die 50 Jahre zuvor in Berlin gezeigt worden war. Die 999 Vgl. Kap. 2. und 3. 1000 Vgl. ähn­lich bei Raev 2007, 40. 1001 Siehe Liste der Ausstellungen in Kap. 6.1.

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Ideengeberin war eine Verfechterin der Avantgarde, Camilla Gray, die auch das damals einflussreichste Buch über die Avantgarde verfasst hatte. Obwohl auch hier keine Leihgaben aus der UdSSR gezeigt wurden, konnte dennoch ein besserer Überblick und eine politische Einordnung der Bewegung gegeben werden, da die vorherige Sta­ tion in London auch Leihgaben aus der UdSSR erhielt, die ausführ­lich im Katalog dokumentiert wurden. Um die Londoner Ausstellung rankten sich Gerüchte, dass die sowjetischen Verantwort­lichen sie beinahe abgesagt hätten, weil man in London ­Malevič ausstellen wollte.1002 In der Bundesrepublik sollte diese Ausstellung gegen die Vorurteile über sowjetische Künstler wirken, wie der Kunstvereinsdirektor Georg ­Bussman im Katalog betonte.1003 Diese Aufgabe erwies sich als äußerst schwierig angesichts der verhärteten Stereotypen, die sich über Jahrzehnte in den Köpfen der Menschen eingenistet hatten. Ausstellungen, die von der UdSSR konzipiert wurden, um diese Meinung zu korrigieren, waren von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ein Beispiel dafür bietet die Malevič-­Ausstellung 1980 in Düsseldorf: Mit ihr versuchten die Sowjets aktiv auswärtige Bewusstseinspolitik zu betreiben, wie sie Mumme beschreibt.1004 Man wollte die west­liche Vorstellung von den Protagonisten der Avantgarde revidieren und ein besseres Licht auf die UdSSR werfen. Die Frage nach der Avantgarde wurde aber auch bei Projekten aufgeworfen, die nichts mit ihr zu tun hatten, wie bei der Ausstellung der rus­sischen Realisten in Baden-­Baden 1972. Die Kunst aus der UdSSR wurde nicht vorbehaltlos betrachtet. Das, was man sah, vermischte sich stets mit stereotypen Vorstellungen, die zu den Allgemeinplätzen über die Sowjetunion und ihre Kultur gehörten. So wurde die rus­sische Avantgarde als Märtyrerin der Oktoberrevolu­tion kategorisiert und somit als Gegenposi­tion zum sozialistischen Realismus. Die tagesaktuelle politische Situa­tion und die über die Medien verbreiteten K­lischees gaben der Kunst keinen Raum, sich zu entfalten. Gegen so viel ideolo­gischen Überbau konnte kein Werk und keine Ausstellung ankommen. Auch wenn beide Staatssysteme der Kunst eine starke unmittelbare Wirkung auf den Menschen zusprachen, so war die politische und mediale Wirkung durch Nachrichten, Zeitungs- und Fernsehbilder ungleich stärker. Über Jahrzehnte aufgebaute Stereotypen und Ressentiments zeigen eine längere Haltbarkeit als die diplomatischen Bemühungen unter Zuhilfenahme der Kunst – so auch das im Fall der politisch motivierten Ausstellungen während des Kalten Krieges. Die große Nachfrage nach den Avantgardisten, Dissidenten und inoffiziel­len Künstlern in der Bundesrepublik stellte einen Affront gegen das Kunst- und Kultursystem der Sowjetunion dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1002 Vgl. Anonym 1972/III. 1003 Vgl. Ausst.-Kat. Kunst in der Revolu­tion 1972. 1004 Vgl. Mumme 2006.

Die russische Avantgarde: ein diplomatischer Problemfall  |

das Sammeln der rus­sischen Avantgarde zum Lieblingshobby der Mäzene, damit erwies man sich als wahrer Connaisseur. Wilhelm Hack, Friedrich Wilhelm Christians und Peter Ludwig sind die in Deutschland bekanntesten Namen, die sich für diese Kunstrichtung interessierten. Der erfolgreichste Sammler der sowjetischen Avantgarde aus wurde genauso wie die eigent­lichen Künstler in der Bundesrepublik zum Helden stilisiert: In den 1970er-­Jahren kannte jeder, der sich mit dieser Kunst beschäftigte, den Namen Georgios ­Kostakis und seine Geschichte. Hier kam erstmals nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft ins Spiel. Die Deutsche Bank AG hat mit ­Kostakis einen Dissidenten unterstützt und damit trotz erfolgreicher Geschäfte mit der UdSSR eine dem Sowjetstaat konträre Posi­tion im interkulturellen Dialog eingenommen. Die Bank hatte aufgezeigt, dass eine Unterstützung der Dissidenten erfolgreichen Geschäften mit dem Regime nicht im Wege stehen mussten. Nachdem ­Kostakis in Düsseldorf gefeiert wurde und seine Sammlung mehrere Sta­tionen passierte, geriet sein Name in Vergessenheit. Die Düsseldorfer, nicht zuletzt die Repräsentanten der Deutschen Bank, konnten die Erstausstellung dieser künstlerischen und politischen Sensa­tion als ihren Verdienst verbuchen. Als ­Kostakis die Ausfuhr eines Teils seiner Kunstwerke gelang, wurde er uninteressant für die Öffent­lichkeit. Einige wenige Ausstellungen noch und dann musste er selbst schauen, wie er sich einrichten konnte. Die Vertreter der Wirtschaft wollten lieber auf offiziellem Wege Kulturprogramm betreiben. Die Episode ­Kostakis war für die sowjetische Regierung keine positive Werbung. Sie stellte einen der Höhepunkte in einer Reihe skandalöser Ausbürgerungen und Auswanderungen von Vertretern des Kulturlebens und der Intelligencija der 1970er-­Jahre dar.1005 Um dem entgegenzuwirken, wurden in den 1980er-­Jahren sukzessive die eigenen Depots für den Westen immer weiter geöffnet, ganz zugäng­lich wurden sie in dieser Zeit aber nicht gemacht. Es blieb spannend und so verlor das Phänomen der rus­sischen Avantgarde auch nicht gleich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seinen Reiz. Darauf verwiesen insbesondere die ersten Ausstellungen, die nach 1991 in Deutschland gezeigt wurden. In Frankfurt wurde 1992 mit Die große Utopie. Die rus­sische Avantgarde 1915 – 1932 eines der aufwändigsten Projekte über diese Kunst ausgerichtet. Jürgen Harten zeigte in Düsseldorf und Baden-­Baden 1993 die erste Tatlin-­Retrospektive. Auch das Museum Ludwig in Köln präsentierte Rus­sische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Von Malewitsch bis Kabakow 1006 (1993 bis 1994) und Kasimir Malewitsch. Werk 1005 „Intelligencija“ steht für eine besondere gesellschaft­liche Schicht von Menschen aus gebildeten Berufsgruppen in Russland und in der ehemaligen UdSSR. ­Diese Bezeichnung, die dem deutschen Begriff „Intelligenz“ entspricht, wurde sukzessive in deutschprachigen Texten übernommen. 1006 Die inoffiziellen Künstler der 1960er- bis 1980er-­Jahre wurden ebenfalls als Avantgarde bezeichnet, konkret als die Zweite Rus­sische Avantgarde (vgl. Zemter 2000).

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und Wirkung (1995 bis 1996) – den avantgardistischen Teil der Sammlung. In den 1990er-­Jahren verschob sich also auch der Fokus der Ausstellungspolitik der Kölner Ludwig-­Dependance: Die offiziellen sowjetischen Künstler, die kurz zuvor vom Sammler und seinen Anhängern hoch gelobt wurden, ersetzte man durch den Avantgardeblock. Kurzerhand wurden die inoffiziellen Künstler der 1980er-­Jahre in die Avantgarde-­ Ausstellungen eingegliedert. Damit wurde eine Geistesverwandtschaft von beispielsweise Malevič und Kabakov nahegelegt. Die Werke der Moskauer Konzeptualisten bezogen sich häufig auf die Künstler der Avantgarde, denn die utopischen Träume der Suprematisten und Konstruktivisten lieferten vor dem Hintergrund der späteren Entwicklungen in der UdSSR das perfekte Rohmaterial für eine kritische und ironische Auseinandersetzung. Kabakov, Makarevič und Elagina, Prigov und viele andere haben die Zeichensprache der Avantgarde benutzt, um sie zu ironisieren oder persiflieren. Es schien sich für viele Kulturschaffende im Westen eine günstige Lösung anzubieten, alle inoffiziellen Künstler der 1970er- bis 1990er-­Jahre ebenfalls der Avantgarde zuzurechnen. Auch wenn die sowjetische Kunstgeschichte dadurch wieder einmal stark vereinfacht dargestellt wurde, so wurde sie im Gegenzug aber griffig für den europäischen Rezipienten. Ob nun in Ludwigs Sammlung oder Wanderausstellungen – die Avantgarde aus Russland war auch in den 1990er-­Jahren eine gefragte Ware. Mit dieser beliebten Attrak­tion in der Hand konnte sich Russland nun plötz­lich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als großzügiger Partner im Kunstaustausch erweisen. Die rus­sischen Experten betonten, dass sie den Wert der Avantgarde schon immer zu schätzen gewusst und sie deshalb so vorsichtig in den Depots aufbewahrt hätten. Nun wurden Malevič und seine Mitstreiter zu Gallionsfiguren der rus­sischen kulturellen Diplomatie, und die realistische Kunst, die über Jahrzehnte von den Kulturfunk­ tionären hochgelobt wurde, verschwand vorerst aus dem Blickfeld des Westens. 1007 So wurde munter weiter an den Stellschrauben des gleichen künstlerischen Kanons gedreht, ohne einen Über- oder Ausblick in das große unbekannte Russland und seine Kultur zu wagen. Hubertus Gaßner, der Experte für rus­sische Kunst, der bereits 1977 die Propaganda-­ Kunst der Fünfjahrespläne in Berlin ausstellte, ging gegen diese erneute Sichtverengung vor. Er unternahm 1993 bis 1994 einen mutigen Schritt und griff sich die schwierigste und verhassteste Epoche der sowjetischen Kunst heraus: Gaßner stellte in der 1007 In Russland dagegen herrschte die Vorliebe für den Realismus weiterhin, was nach mehreren Jahrzehnten der Indoktrina­tion nicht verwundert. In der FAZ berichtete Kerstin Holm 1993, dass Die große Utopie. Die rus­sische Avantgarde 1915 – 1932 in Russland nahezu ignoriert wurde und das die meistbesuchten Ausstellungen, die des Akademismus und der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts waren (vgl. Holm 1993, 37).

Die russische Avantgarde: ein diplomatischer Problemfall  |

documenta-­Halle in Kassel den sozialistischen Realismus der Stalin-­Ära aus. Es sollte eine Fortsetzung der Ausstellung Die große Utopie. Die rus­sische Avantgarde 1915 – 1932 sein, an deren Konzep­tion er ebenfalls beteiligt war. Unter dem Titel Agita­tion zum Glück wurden zum ersten Mal in der Bundesrepublik verschiedene künstlerische Strategien des „heroischen“ sozialistischen Realismus zusammengefasst. 1008 Damit ging er gleichzeitig gegen den rus­sischen Bildersturm vor, der nach dem Zusammenbruch der UdSSR einsetzte. Das art-­Magazin stellte hierzu die Frage: „Darf man, soll man, kann man überhaupt dem frohgemuten Beschönungswerk eines solchen Regimes museale Ehren geben?“1009 Ja, man darf, soll und kann! Denn solange die Politik des Versteckens und Verschweigens weiter existiert, wird es nie einen fairen und objektiven Umgang mit der Kunstgeschichte geben, vor allem nicht mit der interna­tionalen Kunstgeschichte. Dass war die Überzeugung von Gaßner und auch von Peter Ludwig, ihnen muss an dieser Stelle Recht gegeben werden. Der neurotische Umgang der Deutschen mit der NS-Kunst ist ein Negativbeispiel dieser Abkehrstrategie. Warum können jeden Abend im öffent­lich-­recht­lichen Fernsehen Dokumenta­tionen über Hitlers Helfer gezeigt werden, aber keine Ausstellung, die sich kritisch mit der Kunst des Dritten Reiches auseinandersetzt? Anscheinend werden dieser Kunst immer noch manipulative Eigenschaften zugesprochen, auf den Menschen einwirken oder ihn gar verzaubern zu können? Oder ist es so, wie die Autoren des Kulturinfarkts verlauten lassen, dass man das deutsche Publikum schlichtweg für unfähig hält?1010 Ähn­lich formulierte es Eduard Beaucamp in seiner Kritik der Ausstellung 1993: „Die Moralisten halten die vielfach monströsen Malprodukte für so giftig und gefähr­lich, dass sie einem unmündigen Publikum bis heute nicht unkommentiert gezeigt werden dürfen.“1011

Die Schau zeigte nicht, dass Konstruktivisten wie etwa Gustav G. ­Klucis oder ehemalige Suprematisten wie Aleksandr M. ­Rodčenko das Diktat des sozialistischen Realismus affirmativ übernahmen: Ein Thema, das in der deutschen Rezep­tion der rus­sischen Avantgarde selten auftauchte und auch hier unerwähnt blieb, weil es nicht in das Allgemeinbild der sowjetischen Avantgardekünstler passte, das im Westen konstruiert 1008 Die Bezeichnung „heroisch“ bezieht sich auf die Kunst der Stalin-­Ära, da sie besonders ausgeprägt als Agita­tion mit Kriegsthemen, wie den Sieg der Sowjets im Zweiten Weltkrieg, operierte. Die offizielle Staatskunst nach Stalins Ableben hatte das Pathos der 1930- bis 1950er-­Jahre größtenteils abgelegt, wie die Kunst des rauen Stils zeigte. Vgl. dazu: Gassner 1995. 1009 Anonym 1993, 114 – 115. 1010 Haselbach/Klein/Knüsel/Opitz 2012. 1011 Beaucamp 1993.

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wurde. Den Terror der stalinistischen Verfolgungen thematisierte Gaßner nicht direkt, er wollte die Bilder für sich sprechen lassen, was in der Presse für Kritik sorgte.1012 Diese Ausstellung zeigte erneut, wie stark die Staatskunst das deutsche Gemüt zu erregen vermochte. Die Feindbilder waren auferstanden, aber auch der eigene historische Ballast, der in den 1990er-­Jahren noch nicht aufgearbeitet worden war. All dies waren Gründe für den rasanten Aufschwung, den die rus­sische Avantgarde in der Bundesrepublik erlebte, sie wurde stets als die freie Gegenbewegung (die sie nicht ausnahmslos war) angesehen, so wie ­später die Künstler der Perestroika und Glasnost. Die laute Kritik an der realistischen Staatskunst der UdSSR hatte eine befreiende Funk­tion für den schwierigen Umgang mit der Kunst des Dritten Reiches in der Bundesrepublik. Nach dem Sieg der Alliierten verschwand die NS-Kunst im Prozess der Entnazifizierung in der Bundesrepublik rasch aus dem Blickfeld.1013 Die aufgestauten negativen Gefühle und Gedanken, die damit verbunden waren, konnten auf die stalinistische Kunst übertragen werden. Sie wurde kritisiert und beschimpft, aber in den seltensten Fällen fühlten die Journalisten sich dazu verleitet, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern. Lange Zeit hielt man das Ausstellen der NS-Kunst für undenkbar. Die Begeisterung für die rus­sische Avantgarde war auch eine Art verspätete Wiedergut­ machung – man betrachtete sie als denunzierte „Entartete Kunst“ des Ostens und feierte sie, so wie man es mit der eigenen „Entarteten Kunst“ während der Rehabilita­tion in den 1950er-­Jahren gehandhabt hatte. Dieser Vergleich bot sich an und das bundesdeutsche Publikum gab sich ihm hin und stellte sich mora­lisch auf eine höhere Ebene als die UdSSR, die einige der alten Fehler zu wiederholen schien, die der Kulturpolitik des Dritten Reiches ähnelten. Schon 1994 gab es allerdings Gegenstimmen, die auf die Unterschiede ­zwischen NS-Kunst und sozialistischem Realismus verwiesen und der Kulturpolitik beider Staaten unterschied­liche Inten­tionen zugestanden.1014 Diese Stimmen waren allerdings in der Minderheit, sogar nach dem Zusammenbruch der UdSSR, wo die Schrecken des kommunistischen Gespenstes eigent­lich als überwunden gelten sollten. In Russland hat sich der Umgang mit dem sozialistischen Realismus der Stalin-­Zeit anders gestaltet: Nach dem Bildersturm Anfang der 1990er-­Jahre konzentrierten sich besonders Provinzmuseen wieder auf das Ausstellen dieser Richtung. Während die Werke in den großen Institu­tionen eine Zeit lang unter Verschluss gehalten wurden, pflegte die Provinz ihr Erbe.1015 Heute ist der Umgang mit dieser 1012 Vgl. Anonym 1993/II; Anonym 1993/I, o. S.; Becker 1993. 1013 Vgl. Voss 2011. 1014 Vgl. Beaucamp 1993; Becker 1993; Anonym 1993/II. 1015 In der Wolgaregion Russlands zum Beispiel gibt es Museen, die sich auf einzelne Maler des sozia­ listischen Realismus konzentrieren. Auch werden verstärkt Sonderausstellungen zu den ­Themen des sozialistischen Realismus organisiert. Beispielsweise veranstaltete das Kreismuseum in Samara

Die russische Avantgarde: ein diplomatischer Problemfall  |

Kunst gelöster, es werden Ausstellungen organisiert, die einzelne Aspekte des sozialistischen Realismus beleuchten, wobei nicht nur die Werke der 1960er- bis 1980er-­Jahre ausgestellt werden, die allgemein als unproblematischer gelten. Der Ostalgie-­Kult hat sein Übriges dazu getan, dass die fröh­lichen Arbeiter und Bäuerinnen der Stalin-­Zeit als Souvenirs und Reproduk­tionen an jeder Ecke zu kaufen sind.1016 Auch das wäre mit der NS-Kunst nicht vorstellbar, das Sammeln von Kuriositäten des Dritten Reiches ist eine Beschäftigung für spezialisierte Sammler und der Umgang mit der na­tio­ nalsozialistischen Vergangenheit ist bis heute sehr schwierig geblieben. Eine zusammenfassende und versöhn­liche Funk­tion übernahm schließ­lich das bereits erwähnte bilaterale Projekt Moskau – Berlin. Berlin – Moskva 1900 – 1950, das 1995 im Martin-­ Gropius-­Bau in Berlin eröffnet wurde und s­ päter im Moskauer Puškin-­Museum gezeigt worden ist.1017 Es stellte eine Reminiszenz an Paris – Moscou dar und wollte, wie zahlreiche Ausstellungen zuvor, an den Erfolg dieser bilateralen Schau anknüpfen. Die Ausstellung war ebenfalls von beiden Seiten organisiert worden und zeigte die mannigfaltigen Verbindungen, die ­zwischen den Hauptstädten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestanden. Die Akzente wurden ähn­lich gesetzt: Anhand vieler Einzelschicksale wurde die Geschichte der deutsch-­rus­sischen Verbindungen rekonstruiert und auch das Format erinnerte an die Vorgänger-­Ausstellung – es vereinte unterschied­liche Gattungen von Kunst und Design. Die utopischen Avantgarden aus Ost und West wurden vereint, aber auch NS-Kunst und der sozialistische Realismus wurden erstmals offen einander gegenübergestellt.1018 Diese Ausstellung war das größte deutsch-­rus­sische Projekt der 1990er-­Jahre, das sich ganz klar eine Annäherung und Verständigung beider Länder als Hauptziel gesetzt hatte. Der Vorzug dieser Schau lag in ihrem Fokus auf die bestehenden Beziehungen und nicht die gegenseitige Abgrenzung oder Gegenüberstellungen. Dies war schon das Erfolgsrezept von Paris – Moscou 2012 eine Ausstellung über das Bildnis der Frau im sozialistischen Realismus: http://www.artmus. ru/exhibitions/ (31. 03. 2013). Das Sammeln und Ausstellen der Kunst aus der Zeit der Stalinregierung muss nicht zwingend mit dem neuerstarkten Stalinismus in der Bevölkerung in den letzten Jahren verg­lichen werden beziehungsweise zueinander in Beziehung gesetzt werden. 1016 Dieser Kult hat sich besonders im Zusammenhang mit der DDR in Deutschland ausgebreitet. Schon früh entdeckte die Bundesrepublik die DDR-Kunst für sich, vor allem diejenigen, die von der Postmoderne enttäuscht waren, wie Ludwig und Nannen. Näheres zum Kultstatus der DDRKunst: Saehrendt 2009. Die Künstler des rus­sischen sozialistischen Realismus werden in Deutschland ebenfalls immer wieder ausgestellt: Zuletzt von Boris Groys in Frankfurt (Traumfabrik Kommunismus 2003 – 2004) und von Hubertus Gaßner in Hamburg (Müde Helden. Ferdinand Hodler – Alexander Deineka – Neo Rauch 2012). 1017 Vgl. Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1900 – 1950 1995. 1018 Vgl. ebd.

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Es handelte sich um Projekte, die die Annäherung bereits im Ausstellungsraum präsentierten und dem Besucher schon da positive Signale sendeten. Bei Moskau – Berlin betonte man beiderseits, dass es keine Tabus mehr gebe – nichts werde mehr versteckt gehalten.1019 Diese Beteuerungen hatten eine klare politische Funk­tion, die allerdings nicht offen kommuniziert wurde: Die erhoffte Annäherung sollte primär eine Vereinfachung der Beutekunst-­Debatte ­zwischen Russland und Deutschland bewirken.1020 Darauf verweist unter anderem ein Text von Irina A. ­Antonova, in dem sie die erfolgreiche Rückgabe vieler Werke nach Dresden im Jahr 1956 beschreibt.1021 Dabei spürt man in ihrem Beitrag eine Überzeugung, die sie bis heute vertritt: Antonova ist die berühmteste Verfechterin der These, dass die Sowjets die Werke durch ihre Ausfuhr gerettet hätten. Zudem versteht sie die Beutekunst als eine Art Wiedergutmachung, sie sollte zumindest einen kleinen Teil der Kriegsverluste der Sowjetunion kompensieren. Antonova beschreibt die Rückgabe als einen Akt reiner Selbstlosigkeit und Güte der UdSSR.1022 Das Beutekunst-­Thema steht fast 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch oben auf der kulturpolitischen Tagesordnung. Bis heute wird ­dieses Thema von beiden Ländern unterschied­lich gehandhabt und verstanden, was die endgültige Rückgabe zahlreicher Werke erschwert. Die Deutsche Bank AG zeigte sich, abgesehen von wenigen Projekten in den 1990er-­ Jahren, seit 2000 wieder aktiver in der rus­sischen Kulturlandschaft und holte die ­Solomon R. ­Guggenheim Founda­tion hinzu, die seit einigen Jahren mit der Eremitage in Petersburg kooperierte.1023 Ausgerechnet mit einer großen Malevič-­Ausstellung im Jahr 2003 in Berlin feierte die Deutsche Bank das symbo­lische Ende des Kunstaustauschs, der von F. ­W. Christians in den 1980er-­Jahren initiiert worden war. Mit Kasimir Malewitsch – Suprematismus ging die Deutsche Bank in der Rezep­tion der Avantgarde wieder einen Schritt zurück, indem sie sich nur auf den Suprematismus konzentrierte. Sie zielten auf den Blockbuster-­Effekt:1024 Der Suprematismus galt als wichtigste Errungenschaft des Künstlers und nur dieser Kunstrichtung in all ihren 1019 1020 1021 1022

Vgl. ebd. A. ­D. Borovskij im Gespräch mit der Verfasserin am 12. 09. 2009 in St. Petersburg. Antonowa. In: Ausst.-Kat. Moskau – Berlin 1900 – 1950 1995, 469 – 473. Vgl. ebd. Irina Antonova ist seit 1945 Mitarbeiterin des Puškin-­Museums in Moskau, seit 1961 dessen Direktorin. Sie war maßgeb­lich an der deutsch-­rus­sischen Beutekunst-­Geschichte beteiligt und bleibt es bis heute. Antonova gilt als eine der einflussreichsten Frauen in Russland. Vgl. Anonym, Es gibt keine Ansprüche mehr, in: Cicero online, 29. 08. 2007, http://www.cicero.de/97. php?ress_id=7&item=2056 (30. 03. 2013). 1023 Ein gemeinsames Projekt im litauischen Vilna ist geplant. Vgl. Saehrendt 2009, 149. 1024 Unter „Blockbuster-­Effekt“ wird hier eine von den Organisatoren beabsichtigte Wirkung beschrieben, ­welche von Ausstellungsprojekten ausgelöst wird, die vom Publikum bevorzugte Kunstrichtungen zeigen und somit für große Besucherzahlen sorgen.

Die russische Avantgarde: ein diplomatischer Problemfall  |

Facetten widmete sich die Ausstellung.1025 Die Kuratoren gaben der Ausstellung eine nostal­gische Note – sie sollte eine Rückkehr des Künstlers nach Berlin bedeuten, wo seine Kunst schon früh gewürdigt worden war.1026 Die Katalogtexte suggerieren, dass die Deutsche-­Bank-­Guggenheim-­Organisatoren Malevič als Erste nach Berlin bringen würden. Rückblickend schreibt Koerner von Gustorf im Magazin der Deutschen Bank, dass nach 25 Jahren der Kulturaustausch unter anderen Vorzeichen stehe und somit dieser Teil als erfolgreich verbucht werden könne und von der Bank abgeschlossen worden sei.1027 Die Deutsche Bank war zu dieser Zeit eine der größten operierenden Banken in Russland und Hauptsponsor vieler kultureller Ereignisse, zum Beispiel dem Kandinskij-­Preis für bildende Künstler in Russland.1028 Aus der Sicht der Bank war die Annäherung vorbild­lich geglückt, während hingegen z­ wischen Russland und Deutschland auf anderen Ebenen viele Reibungspunkte bestehen blieben und daher keine Rede vom Ende der Notwendigkeit einer Kunst als Mittel der Diplomatie sein konnte. Die rus­sische Avantgarde als Gegenposi­tion zum sozialistischen Realismus und ­später die „Dissidenten“ als stilisierte Nachfolger der progressiven Utopisten des frühen 20. Jahrhunderts waren besonders erfolgreich in der Bundesrepublik. Sie präsentieren jedoch ledig­lich zwei Punkte auf der Karte der rus­sischen Kunstentwicklung, die rest­lichen weckten nicht das große Interesse des deutschen Publikums. Lange handelte es sich um eine implizite Diplomatie im Ringen um die „Formalisten“ und die „Inoffiziellen“, die die Sowjetunion nicht ausstellen oder ausstellen lassen wollte. Dieser Austausch war ein Tauziehen und Kräftemessen, wobei der Kalte Krieg keine Hoffnung auf ein gegenseitiges Verständnis weckte. Hinter allen Bemühungen westdeutscher Initiatoren in diese Richtung wurde eine Suche nach Vorteilen vermutet oder ihnen wurde schlichtweg eine Verbreitung von ungefilterter Propaganda aus der Sowjetunion unterstellt. Gleichzeitig waren die deutschen Organisatoren nicht gewillt, die rus­sische Kunstgeschichte in aller Vollständigkeit aufzunehmen, importiert wurden nur die im Westen gefragten Namen. Die Kunstgeschichte der Sowjetunion war ihrerseits allerdings vom eigenen Regime umgeschrieben und dem sowjetischen Kunstverständnis angepasst worden. Somit war weder in der Bundesrepublik noch in der Sowjetunion eine der wahren Entwicklung entsprechende Präsenta­tion mög­lich. Die Künstlerviten und die Kunst wurden je nach politischer Inten­tion modifiziert. Im diplomatischen Dienst verloren die Werke ihre Souveränität und Autonomie, sie wurden nicht gerade 1025 Vgl. Ausst.-Kat. Kasimir Malewitsch – Suprematismus 2003. 1026 Vgl. ebd., 11. 1027 Vgl. v. Gustorf 2003. 1028 Seit dem Skandal um die Vergabe des Preises im Jahr 2008 an Aleksej Bel´jaev-­Gintovt trat die Deutsche Bank als Sponsor des Preises zurück und Wilhelm Hütte verließ die Jury (vgl. D´jakonov 2009).

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unter zuträg­lichen Vorzeichen betrachtet. Ihren diplomatischen Aufgaben konnte sie jedoch in den wenigsten Fällen gerecht werden. Dies gelang, wenn die ausgestellten Werke beispielsweise in den Kontext des empfangenden Staates eingegliedert wurden, wie etwa bei Paris – Moscou oder Berlin – Moskau oder wenn ihnen eine dem west­lichen Kunstverständnis nahe Grundidee bescheinigt werden konnte, wie etwa im Falle der Avantgardisten und Dissidenten. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen war, öffneten sich neue Mög­lichkeitsräume: Es gab keine inoffizielle Kunst mehr und die meisten der ehemaligen Dissidenten genossen ihre Freiheit außerhalb Osteuropas in vollen Zügen. Aber was geschah, nachdem sich die Situa­tion entspannte? Wie entwickelte sich die rus­sische Selbstrepräsenta­tion mithilfe der Kunst in der Bundesrepublik weiter?

1.22 Ausblick Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde für viele private Investoren das Thema rus­sische Kunst zweitrangig – Nannen akquirierte nur noch einzelne Bilder von Kantor und Ludwig kümmerte sich um seine neue Dependance in Peking.1029 Seit der ersten Wahl Vladimir V. ­Putins zum rus­sischen Ministerpräsidenten im Jahr 1999 wurden die Kontakte mit Deutschland erneuert und intensiviert. Das hing nicht zuletzt mit der guten Beziehung Putins zum Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammen, die seit 1999 beständig ausgebaut wurde.1030 Die Ereignisse vom 11. September 2001 veränderten auch die Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik (AKP): Saehrendt schreibt, dass die Terroranschläge in New York die Kulturpolitik noch stärker unter das Postulat der Krisenpräven­tion gestellt hätten. Die AKP sei ausdrück­lich politisiert worden.1031 In dieser Zeit fand eine erneute Annäherung Deutschlands und Russlands auf kultureller Ebene statt. In den Jahren 2003/2004 wurden die offiziellen Deutsch-­Rus­sischen Kulturbegegnungen als Manifesta­tion und Feier dieser Beziehung organisiert.1032 Neben vielfältigen kulturellen Angeboten, wurden in d ­ iesem Zusammenhang viele Ausstellungen veranstaltet, dazu zählten Traumfabrik Kommunismus in Frankfurt und 1029 Vgl. zu Nannen: http://kunsthalle-­emden.de/bereich/sammlung/ (04. 03. 2013); zu Ludwig: Ludwig 1995. 1030 In seiner Regierungszeit und in der Zeit danach hat Gerhard Schröder offen ein sehr herz­liches und enges Verhältnis zu Russlands Präsident Vladimir V. ­Putin gepflegt. Insbesondere die Stelle, die Schröder nach seiner Regierungszeit von der Gazprom angeboten wurde, erregte in den deutschen Medien Aufsehen, zum Beispiel in: Anonym 2005; einen guten Überblick bekommt man bei: Hogrefe 2002; Hoinle 2006; Schröder 2006. 1031 Vgl. Saehrendt 2009, 146 – 147. 1032 Vgl. dazu: http://www.deutsch-russische-kulturbegegnungen.de/ (30. 03. 2013).

Ausblick |

die zweite Version der Erfolgsausstellung der 1990er-­Jahre: Moskau – Berlin. Berlin – Moskva 1950 – 2000. Mit Putin veränderte sich die kulturpolitische Selbstrepräsenta­ tion Russlands: Anstatt auf frische und neue Tendenzen zu setzen, besann man sich auf die Tradi­tion.1033 Russland zeigte sich in der Bundesrepublik plötz­lich von einer anderen Seite: Das imperialistische Erbe und die Pracht des alten Russlands standen im Vordergrund und vermittelten eines der Ziele der neuen Kulturpolitik – den vergangenen Glanz wieder auferstehen zu lassen. Russland knüpfte an den Na­tionalismus an, wie er im 19. Jahrhundert in der Zeit der Weltausstellungen gängig war: Die Na­tionalgeschichte wurde mit der Stilgeschichte verknüpft.1034 Ausstellungen wie Der Kreml. Gottesruhm und Zarenpracht (2004), Bonjour Russland (2007), Russlands Seele (2007), Russland 1900. Kunst und Kultur im Reich des letzten Zaren (2008) zeigten eine klare Fokussierung auf der Kunst des Zarenreiches des 18. und 19. Jahrhunderts.1035 Die Selbstdarstellung als mächtige Kulturna­tion unterstützte das große politische Ziel Putins, Russland aus der postkommunistischen Depression wieder an die Welt­ spitze zu führen.1036 Diese Ausstellungen bedienten die K­lischees der opulenten farben­ frohen Russland-­Exotik, durch ausgestellte Werke, die an Sergej P. ­D’jaghilev und die Ballets russes 1037 erinnerten. Es waren die Zeiten, als Russland interna­tional en vogue war. Verstärkt wurde d ­ ieses Selbstbild durch die Werke der rus­sischen Realisten, die den orthodoxen Glauben und die bunte Welt des Landvolks darstellten. Diese Zusammenstellung wurde durch Arbeiten der rus­sischen Avantgarde zusätz­lich aufgewertet, um auch auf die geistig progressive Stärke Russlands hinzuweisen.1038 Diese Ausstellungsformate präsentierten keine zeitgenös­sische rus­sische Kunst, die sich zu d ­ iesem Zeitpunkt in einer indifferenten Posi­tion ­zwischen Tradi­tion und west­lichem Einfluss befand und keine prominenten Arbeiten lieferte. Ausgestellt wurde das Beste, was die Museen zu bieten hatten – das Kulturerbe des Landes und damit das alte Russland und seine konservativen Werte: Zarentum, Orthodoxie, Volk.1039 Die Kunst der rus­ sischen Realisten und Symbolisten trat in diesen Ausstellungen in den Vordergrund, diese Werke hatten schon immer intensive patriotische Gefühle beim rus­sischen Volk ausgelöst.1040 Aus ­diesem Grund wurden sie auch gerne exportiert – in der Hoffnung, 1033 Vgl. dazu: Reitschuster 2004. 1034 Vgl. Saehrendt 2009, 151. 1035 Zu einem ähn­lichen Schluss kommt Raev 2007, 41. 1036 Vgl. dazu: Gerhard Mangott 2005. 1037 Ballets russes war ein Ballettensemble, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weltberühmt wurde. Es war vom rus­sischen Impresario Sergej P. ­D´jagilev gegründet worden. 1038 Vgl. beispielsweise: Ausst.-Kat. Bonjour Russland 2007; Ulmer 2008; Wenzel 2007. 1039 Vgl. dazu Raev 2007, 41. 1040 Siehe Kap. 2.1.

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Abb 41  Katalog zu der Ausstellung Russlands Seele in Bonn.

­dieses Gefühl auch im Westen als positive Emo­tion gegenüber Russland hervorrufen zu können. Man exportierte gleichsam die legendäre „rus­sische Seele“, die gerade nicht durch abstrakte Werke, sondern durch opulente realistische Komposi­tionen spürbar zu sein schien. Im Kunstaustausch mit Deutschland bediente man sich berühmter Bilder aus dem 19. Jahrhundert, wie die Unbekannte (1883) von Ivan Kramskoi, die den Katalog und die Plakate zu Russlands Seele schmückte (Abb. 41). Die Plakate von Bonjour Russland hingegen zeigten den Tanz II (1909/1910) von Matisse, welches nur eines unter vielen franzö­sischen Meisterwerken darstellt, das der Eremitage in St. Petersburg gehört.1041 Diese Ausstellungen waren als prachtvolle Blockbuster angelegt, um den Reichtum Russlands zu verdeut­lichen. Der neue Reichtum personifizierte sich in den so genannten „Oligarchen“ aus der Jel’zin-­Zeit und sorgte gleichzeitig für einen erneuten Russen-­Boom auf dem Kunstmarkt. Im Jahr 2007 berichtete die FAZ über den neuen Markt der rus­sischen Kunst: Die reichen Osteuropäer kauften in der ganzen Welt rus­sische Kunst zurück, sodass Sotheby’s und Christie’s sogar Dependancen in Moskau eröffneten.1042 Die deutschen Auk­tionshäuser bemühten sich ebenfalls, mehr Rus­sisches in ihr Programm aufzunehmen, wobei das Hauptaugenmerk auf Kunst und Kunstgewerbe des 18. und

1041 Vgl. Ausst.-Kat. Bonjour Russland 2007. 1042 Vgl. v. Wedel 2007. Sotheby’s eröffnete erst 2007 (siehe: http://www.sothebys.com/de/inside/ locations-worldwide/moscow/overview.html [04. 03. 2013]).

Ausblick |

19. Jahrhunderts lag: Ikonen, rus­sisches Silber und Fabergé-­Stücke.1043 Offenbar waren die Kunstwerke der offiziellen Selbstpräsenta­tion Russlands mit dem Geschmack der reichen Russen konform. Der Patriotismus spielte hierbei ebenfalls eine große Rolle. Die Sammler betonten im Interview, das rus­sische Kulturerbe zu kaufen, um es in die Heimat zurückbringen zu können.1044 Diejenigen, die nicht mehr in Russland leben wollten, konnten somit zumindest ihre Appartements mit patriotischen Symbolen und Prunk einrichten.1045 In der gleichen Zeit, in der sich Russland wieder als Grande Na­tion stilisierte, schrieb Saehrendt im Fazit zu seiner Untersuchung der Kulturpolitik der DDR, dass der Na­tionalismus ein überlebtes Konzept sei.1046 Die Künstler ­seien heutzutage Global Player ohne strenge Zugehörigkeit zu einer Na­tion.1047 Dennoch scheint das na­tionalistische Konzept genauso stark fortzubestehen wie immer. Das beweisen ständig neu aufkommende Trends, wie die Young British Artists (YBA) der 1990er-­Jahre oder der Asia-­Boom, der in den letzten Jahren mal chine­sische, mal indische Künstler ins Rampen­licht rückte.1048 Diese Klassifizierungen eignen sich am besten für eine pluralistische Kunstlandschaft ohne Ismen und klare Tendenzen, und zwar im gesamten Kunstbetrieb. Die YBA wurden zu einer „brand“, einer griffigen Bezeichnung für eine kleine Gruppe junger Künstler, die innerhalb kürzester Zeit zum Verkaufsschlager wurden. Auch für die Kuratoren bleibt das na­tionale Konzept eine willkommene organisatorische Lösung – Ausstellungstitel wie RUSSIA ! (2006) oder INDIA AWAKENS (2011) sind markante und leicht verständ­liche Schlagworte für Besucher und Presse.1049 Dabei ist es oft die Exotik, das Andere, das diese Ausstellungen so interessant für die Öffent­lichkeit macht. Es wird suggeriert, durch den Einblick in eine fremde Kunst die Logik dieser Kultur und d­ ieses Landes zu verstehen. Dabei wird oft die Tatsache vergessen, dass diese Ausstellungen selten einen objektiven Überblick vermitteln. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, gab es und wird es weiterhin unterschied­liche Interessengemeinschaften hinter den Ausstellungen geben, die die Zusammenstellung der Exponate in die eine oder andere Richtung lenken. Die

1043 Vgl. ebd. 1044 Vgl. ebd. 1045 Vgl. ebd. 1046 Vgl. Saehrendt 2009, 150 – 151. 1047 Vgl. Saehrendt 2009, 151. 1048 Vgl. dazu: Sonna 2009. 1049 Die Ausstellungen Made in Germany (2007) und Made in Germany zwei (2012) gingen konzeptuell einen Schritt weiter, indem sie Künstler präsentierten, die in Deutschland leben und arbeiten, aber nicht gezwungenermaßen die deutsche Na­tionalität haben (vgl. Ausst.-Kat. Made in Germany: Aktuelle Kunst aus Deutschland 2007 und Ausst.-Kat. Made in Germany 2: Interna­tionale Kunst in Deutschland 2012).

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Rezipienten sind keineswegs naive Betrachter, wie Peter Ludwig sie sich erhoffte.1050 Raev fasst das deutsche Verhältnis zur rus­sischen Kunst folgendermaßen zusammen: „Inzwischen liegt das Problem längst nicht mehr an mangelnden Mög­lichkeiten, sich Rußland über seine Kunstwerke zu nähern, sondern in der von deutscher Seite hartnäckig verweigerten Bereitschaft, die rus­sische Kunst im eigenen Bild- und Geschichtsgedächtnis sinnvoll zu verorten und somit der intellektuellen Vernetzung zugäng­lich zu machen.“1051

Dies ist gleichzeitig das Problem der affirmativen Theorien der „Global-­Art“, die solch schwierige Fragestellungen häufig ausblenden, wobei eine Untersuchung hierzu jedoch ein eigenständiges Thema bildet und hier nicht weiter verfolgt werden soll.1052 Eine neue Tendenz hatte sich seit der Ausstellung Paris – Moscou (1979) entwickelt: In den letzten Jahrzehnten gab es mehrere Projekte, die auf verbindende Elemente hingewiesen haben. Die großen Projekte Berlin – Moskau. Moskau – Berlin von 1995 und 2003 haben versucht, nicht die Exotik in den Vordergrund zu stellen, sondern vielmehr Ähn­lichkeiten und Freundschaftsbekundungen auszutauschen.1053 Das jüngste Projekt im Rahmen des rus­sischen Jahres in der Bundesrepublik 2013 setzte ähn­liche Akzente: Russen & Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur. Hier kommt der zusätz­liche Faktor der Tradi­tion hinzu, die Betonung liegt auf der tausendjährigen Verbindung beider Völker.1054 Die Ausstellung Unsere Russen. Unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000 (2008), die ein ähn­liches Konzept hatte, zeigte in einer frappierenden Materialzusammenstellung, dass sich das Bild vom barbarischen und gefähr­lichen Russen seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert hat.1055 Entgegen der Inten­tion der Veranstalter, die mit der Ausstellung einen weiteren Meilenstein der Völkerverständigung schaffen wollten, zeigte das Projekt vielmehr den tiefen Graben auf, der ­zwischen den beiden Na­tionen bis heute verläuft. In jüngster Zeit lässt sich eine erneute allgemeine Hinwendung zum Na­tionalismus verzeichnen. Die europäische Krise fördert diese Entwicklung, indem die Europäische Union in ihre einzelne 1050 1051 1052 1053

Vgl. Kap. 3.4. Raev 2007, 41. Vgl. dazu: Kunstforum 2013; Belting 2013. Vgl. Ausst.-Kat. Berlin – Moskau 1900 – 1950 1995), Moskau – Berlin 1950 – 2000. Kunst aus fünf Jahrzehnten 2003. 1054 Vgl. Ausst.-Kat. Russen & Deutsche. 1000 Jahre Kunst, Geschichte und Kultur 2012. 1055 Die Ausstellung wurde vom Deutsch-­Rus­sischen Museum in Berlin Karlsrhorst und dem staat­ lichen historischem Museum in Moskau organisiert und vom 08. 12. 2007 bis 02. 03. 2008 im Schloss Charlottenburg in Berlin gezeigt. Ausgestellt wurden Gemälde, Skulpturen, Druckgrafiken, Plakate, Buchillustra­tionen, Foto- und Filmdkumente sowie Alltagsgegenstände (vgl. Ausst.-Kat. Unsere Russen – Unsere Deutschen 2008).

Der Russen-Boom als Phänomen und Gegenentwurf  |

Länder und Interessengruppen zu zerfallen droht. Russland als das Andere Europas bleibt dabei unverändert als langjähriges Konzept bestehen.

1.23 Der Russen-Boom als Ph änomen und Gegenent w ur f zu Russl ands auswärtiger Kulturpolitik Das politische Klima steuert allgemein die Wellen des Interesses an der Kunst. Wenn man in die Vergangenheit zurückblicke, könne man diese Tendenzen genau erkennen, schrieb Vassilij I. ­Rakitin in seinem Beitrag zum Symposium Westkunst – Ostkunst 1991 im Rahmen der Eröffnung des Ludwig-­Forums in Aachen.1056 Als Beispiele dienten ihm das Interesse an der polnischen und ungarischen Kultur im Jahr 1956 und die verstärkte Hinwendung zur tschechischen Kunst während des Prager Frühlings 1968: „Denken wir nur beispielsweise an den Erfolg der polnischen Abstrakten auf vielen Ausstellungen Ende der 50er Jahre oder an den Preis der Biennale von Venedig 1970, der dem Prager Bildhauer Vladimir Preclík verliehen wurde und die Ehrungen für Jiří Kolář aus derselben Zeit.“1057

Rakitin bezeichnet diese Entwicklung als „alte europäische Tradi­tion der humanitären Unterstützung von ungerecht Verfolgten und Gejagten“1058, wobei die Kulturschaffenden stets als besonders leidtragend angesehen wurden.1059 Die Kunst mit den Attributen Unschuld und Menschlichkeit zu versehen, deutet hier auf ein stark romantisiertes Konzept hin, das vor allem auch auf die rus­sische Avantgarde übertragen wurde. Diese Romantik benebelte manch einen Helfer aus dem Westen und machte ihn für die eigent­liche Kunst, die er zu verteidigen versuchte, blind.1060 Rakitin stellt sich bei seinen Ausführungen hinter die Posi­tion von Peter Ludwig, indem er betont, dass es sich einige zu einfach mit der osteuropäischen Kunst gemacht hätten. Es gebe keine

1056 Vgl. Rakitin 1991, 165. 1057 Ebd. 1058 Ebd. Diese These wird von den Entwicklungen jüngster Zeit erneut bestätigt – die starke Präsenz afghanischer und arabischer Künstler auf der documenta 13 bestätigt die momentane Auseinandersetzung mit der Kunst in Krisenregionen. Auch das große Interesse an kritischen Künstlern wie Ai Wei Wei, das in den letzten Jahren aufkam, ist ein ­­Zeichen dieser Tradi­tion (vgl. Ausst.-Kat. documenta (13) Katalog 1/3: Das Buch der Bücher 2013; Ai Wei Wei 2011. 1059 Vgl. ebd. 1060 Vgl. ebd.

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allgemeine Formel, die auf Kunstwerke aus aller Welt angewendet werden könne, man müsse sie immer in ihrem Kontext betrachten.1061 Ein Beispiel für die Kunst, die im Westen während der Perestroika einen besonderen Erfolg verzeichnen konnte, war die „Soz-­Art“. Die griffige Bezeichnung, unter der man sich etwas vorstellen konnte, und die vereinfachte Bildsprache, die mit bekannten K­lischees spielte und an die Pop-­Art erinnerte, waren gefragt. Rakitin will im sarkastischen Umgang mit dem Stalin-­Kult eine weitere Ursache sehen, da dieser im Westen bei den meisten Parteien Anklang fand.1062 Neben der Soz-­Art von Komar und Melamid oder Bulatov gab es zahlreiche andere Strömungen, die heute größtenteils unter dem Banner des „Moskauer Konzeptualismus“ vereint werden. Dabei werden die Künstler allesamt unter dieser Bezeichnung zusammengefasst, ohne einzelne Posi­tionen wie Pop-­Art, die Land-­Art oder andere spezifische Strömungen gesondert oder unabhängig voneinander zu betrachten. Dies war für die west­lichen Rezipienten einfacher, denn der Konzeptualismus-­Begriff war geläufig und dehnbar in seiner Defini­tion.1063 ­Rakitin spricht dabei von einem psycholo­gischen Vorteil der Verallgemeinerung, indem das „Unbekannte […] als etwas Vollständiges, als Bestätigung für die Gesetzmäßigkeit gewisser allgemeiner Prozesse in den allgemeinen Kontext integriert“ wurde.1064 Als Beispiel dient ihm Il’ja I. ­Kabakov, der bekannteste Künstler dieser Richtung, der nach Rakitins Meinung in seinen frühen Arbeiten in Moskau keinen Bezug zum Konzeptualismus hatte, sondern eine Variante des absurden Realismus schuf.1065 In Bezug auf diese Fragestellung muss, wenn der Name Kabakov genannt wird, auch der Name Groys fallen. Bei Rakitin wird der Zusammenhang ­zwischen Theorie und Praxis nicht angesprochen. Der Exil-­Theoretiker Groys war 1979 der Urheber des Begriffs „Moskauer romantischer Konzeptualismus“, Jahre bevor die Künstler im Westen große Erfolge feiern konnten.1066 Er war das Sprachrohr dieser Künstler im Ausland, besonders in der Bundesrepublik, wo er seit 1981 lebte.1067 Aus heutiger Sicht scheint 1061 Vgl. ebd., 166. 1062 Vgl. ebd. 1063 „Im Westen bezeichnet man in der Regel mit Konzeptualismus den Triumph des intellektuellen Prinzips, der Theorie über die unmittelbare Emo­tion. Das heißt, daß die Theorie in ­diesem System sich nicht als Dienerin der Kunst fühlt, sondern als Kunst selbst. Der Terminus Konzeptualismus hat im Moskau der ersten Hälfte der 80er Jahre und s­ päter kollektiven Charakter wie der Futurismus nach 1910. Das heißt, der Terminus wird offenbar inhalt­lich revidiert und erhält unter den Bedingungen eines anderen künstlerischen Lebens einen anderen Sinn.“ (vgl. ebd.). 1064 Vgl. ebd., 170. 1065 Vgl. ebd., 169. 1066 Siehe Kap. 4.2. Und Groys 1979, 3 – 11. 1067 Dies zeigt sich in der intensiven Vermittlung und den zahlreichen Ausstellungen und Publika­tionen über diese Kunstrichtung.

Der Russen-Boom als Phänomen und Gegenentwurf  |

es, dass Groys mit seinen Schriften über Kabakov und andere Moskauer Künstler einen Anstoß zur Entwicklung des Begriffs gab, den Rakitin in seinem Essay untersucht. Es war also nicht eine rein west­liche Taktik der Vereinfachung, die hier kritisiert wird. Der Begriff des Moskauer Konzeptualismus wurde von einem Theoretiker eingeführt, der zu der so bezeichneten Gruppe der Künstler gehörte, mit ihnen befreundet war und bis heute zu den wichtigsten Vermittlern ihrer Kunst gehört. Groys sicherte sich, besonders in der Anfangszeit, das theoretische Monopol auf Kabakov und seine Mitstreiter. Er schrieb bedeutende Essays, publizierte Kataloge wie Fluchtpunkt Moskau (1994) für Ludwig und kuratierte Ausstellungen, wie Privatisierungen  – Zeitgenös­sische Kunst aus Osteuropa (2004) oder Die Totale Aufklärung (2008).1068 Damit entwickelte er in Zusammenarbeit mit den rus­sischen Künstlern eine Vermarktungsstrategie, eine „brand“, die ihren Höhepunkt in der Moskauer Sotheby’s-­Auk­tion 1988 und in der darauffolgenden Zeit hatte. „Dissidenten“, „inoffizielle Künstler“ und „Nonkonformisten“ waren in den 1970erbis 1980er-­Jahren Synonyme für rus­sische beziehungsweise sowjetische Künstler, die im Westen als relevant angesehen wurden. Mit Groys kam der Moskauer romantische Konzeptualismus hinzu. Alle diese Begriffe standen für eine Kunst, die sich gegen das offizielle sowjetische Kunstsystem stellte. In ihren Werken persiflierten die Künstler den sozialistischen Alltag, den Politkult und Agitprop der UdSSR und schließ­lich auch den sozialistischen Realismus, der im Westen so unerwünscht war.1069 Obwohl die Bewegung der Nonkonformisten zeit­lich z­ wischen 1953 und 1989 verortet wird, wurden letzt­lich nur die Künstler der 1980er-­Jahre im Zuge der Perestroika und Glasnost wirk­lich interna­tional berühmt. Sie waren die ersten rus­sischen Künstler seit fast siebzig Jahren, die im Westen wahres fach­liches Interesse erzeugten. Die inoffiziellen Künstler wurden unter anderem auch unter dem Namen „Zweite Rus­sische Avantgarde“ zusammengefasst.1070 Diese Bezeichnung ist zwar griffig, gleichzeitig aber ungenau und willkür­lich. Die Moskauer Künstler der 1960er- bis 1980er-­Jahre sahen sich nicht alle als Avantgardisten an, zu sehr waren sie mit der Utopie und Politik einer neuen Welt vorbelastet. Sie ironisierten die Utopiekonzepte oder wollten zu dieser Zeit nichts mehr davon wissen. Sie waren müde von der Indoktrina­tion und Propaganda, unbedeutend aus welcher Quelle sie kam. Diese Erschöpfung zeigt sich besonders in den Arbeiten der Künstler der 1980er-­Jahre. Die energiegeladene Propagierung neuer 1068 Vgl Ausst.-Kat. Fluchtpunkt Moskau. Werke der Sammlung Ludwig und Arbeiten für Aachen 1994, Ausst.-Kat. Privatisierungen – zeitgenös­sische Kunst aus Osteuropa 2004; Ausst.-Kat. Die Totale Aufklärung Moskauer Konzeptkunst 1960 – 1990 2008. 1069 Siehe Kap. 2. 1070 Vgl. Zemter 2000.

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| Schlussbetrachtung

Ziele war kein Thema mehr für diese Genera­tionen, wobei das Wort „Genera­tionen“ schon impliziert, dass es mehrere verschiedene Bewegungen unter den Inoffiziellen gab. In den letzten Jahren der UdSSR standen die Künstler vor den Ruinen utopischer Hoffnungen der avantgardistischen Don Quijotes. Statt poetische Hommagen an die traurigen Schicksale von Tatlin und anderen zu entwerfen, dokumentierten und persiflierten sie die absurde Situa­tion des Homo Sovieticus.1071 Inke Arns sieht im Gesamtkunstwerk Stalin von Groys die Grundüberzeugung des Moskauer Künstler­ kreises ausformuliert.1072 Groys stellt die These auf, dass der sozialistische Realismus eine konsequente Fortsetzung der avantgardistischen Ideen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts war – eine Ästhetisierung des Menschen und der Gesellschaft, wie sie von den Avantgardisten gefordert wurde.1073 Ungeachtet der Kritik, die Groys mit seiner These provozierte, kann man aus seinen Ausführungen Schlüsse über das Verhältnis der Moskauer Gruppe zur Avantgarde ziehen. Komar und Melamid bezeichneten sich als „Kinder des Sozialistischen Realismus und Enkel der Avantgarde“.1074 Sie alle betrieben die Dekonstruk­tion des avantgardistischen Mythos. Für Arns sind Künstler dieser Genera­tion „Postutopisten“, die den Sieg des Alltags über die Illusion betonen, wie Kabakov mit seiner Installa­tion Der rote Waggon (1991). In drei Phasen dokumentiert er die sowjetische Kunstgeschichte: von den babylonischen Bestrebungen (1917 bis 1932), über „Agit-­Prop“ (1932 bis 1963) bis zum Müll und Schutt der letzten Periode, die Kabakov mit der inoffiziellen sowjetischen Kunst gleichsetzt.1075 Der Westen sah offensicht­lich in Kabakov, Bruskin, Bulatov, Komar, Melamid und anderen die erste Bewegung, die wieder als freie intellektuelle Kunst und als Gegenentwurf zur Staatskunst angesehen werden konnte. Diese junge Künstlergenera­tion wurde im Westen gefeiert und von der UdSSR im Ausverkauf der 1980er-­Jahre angeboten. Die Diplomatie der UdSSR zeigte sich zwiegespalten – die Kulturfunk­tionäre waren weit davon entfernt, diese Kunst als wertvoll auszuzeichnen und dennoch wurde sie massenweise in den Westen verkauft, wo sie als Mittlerin einer neuen sowjetischen Kultur fungierte. Die Erfolge von Gorbačёv im Westen waren so groß, dass man sich um die Selbstpräsenta­tion durch Kunst nicht allzu viele Gedanken machen musste. Zudem konnte die Begeisterung des Westens für die Nonkonformisten nur Vorteile bringen. Die europäischen und amerikanischen Kunstliebhaber brachten Geld in die sowjetische Staatskasse und gleichzeitig konnten sich die Konservativen darüber freuen, 1071 Eine Wortschöpfung des rus­sischen Schriftstellers A. ­A. Sinovjev aus dem gleichnamigen Buch: Homo Sovieticus, Zürich 1985. 1072 Vgl. Arns 2004, 16. 1073 Vgl. Groys 1988. 1074 Vgl. ebd., 68. 1075 Vgl. ebd., 273.

Der Russen-Boom als Phänomen und Gegenentwurf  |

Abb 42  I. ­I. Kabakov, Der rote Waggon (1991), Installa­tionsansicht Garage Moskau.

dass sie sich der inoffiziellen Arbeiten entledigen konnten, um den Künstlerverband im eigenen Land zu stärken. Rakitin spricht lakonisch einen weiteren Problempunkt dieser Kanonbildung an: „Wer nicht auf dem Markt war, der existierte nicht.“1076 Er bezieht sich hier auf die Künstler der 1960er-­Jahre, die im Westen und Osten fast vergessen wurden, obwohl gerade die Arbeiten dieser Künstler oft von Diplomaten und anderen ausländischen Besuchern gekauft und in den Westen geschleust worden waren.1077 Die Kunst der poststalinistischen Periode sei besonders wichtig für die Dokumenta­tion und Aufarbeitung der rus­sischen Kunstgeschichte, leider sei sie heute nur archäolo­gisches Material, schreibt Rakitin.1078 Sein Essay ist ein Plädoyer für die verlorene Kunst der 1960er-­Jahre von Michail M. Švarzman, Oskar J. ­Rabin, Ernst I. ­Neizwestnyj und Anatolij T. ­Zverev.1079 Es verweist auf die Problematik des 1076 Vgl. Rakitin 1991, 170. 1077 Vgl. ebd. 1078 Vgl. ebd. 1079 Zverev war ein guter Freund und Schützling von ­Kostakis, der von ihm sagte, dass ein solches Genie nur einmal in einem Jahrhundert geboren werde. K ­ ostakis besaß sehr viele Arbeiten der Künstler der 1960er-­Jahre, allerdings interessierte man sich im Westen nur für seine Avantgarde-­Sammlung.

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| Schlussbetrachtung

Russen-­Booms im Westen, der sich jeweils auf eine ausgewählte Strömung der rus­ sischen Kunst konzentriere und somit ein trügerisches und einseitiges Bild der sowjetischen oder rus­sischen Kunst vermittele. Rakitin kann Recht gegeben werden, auch wenn sein Beharren auf die Bedeutsamkeit der Kunst der 1960er-­Jahre übertrieben zu sein scheint. Wie in dieser Untersuchung dargestellt wurde, ist eine starke Kanonisierung rus­sischer Kunst im Westen zu erkennen, der von der untersuchten AKP der Sowjetunion und ­später Russlands gestützt und von der Bundesrepublik gefördert wurde. Die rus­sische Avantgarde blieb die Konstante, sie hat bis heute ihre Bedeutung nicht eingebüßt, während die Namen der Stars der 1980er-­Jahre heute kaum noch präsent sind. Als Einzige halten sich Il’ja und Emilia Kabakov auf dem Olymp der zeitgenös­sischen Kunst, während andere Namen nur noch Kennern und Insidern vertraut sind. Der Russen-­Boom wurde schnell von anderen spektakulären Booms abgelöst, immer unter na­tionalen Kriterien und auffallend häufig mit Krisen verbunden.1080 Mit Kunst und Künstlern, die ausgeschlossen werden und leiden, können bis heute die medienwirksamste Ausstellungen organisiert werden. Das aktuell plötz­liche Erscheinen der rus­sischen Künstler-­Aktivisten oder Aktivisten-­Künstler (obwohl einige Gruppen schon seit mehreren Jahren aktiv sind) in den Medien könnte ein Anzeichen für einen neuen Russen-­Boom sein. Die lauten Protestak­tionen, die interna­tional für die inhaftierten Mitglieder der Punk-­Gruppe Pussy Riot veranstaltet werden, haben erneut den Fokus auf die zeitgenös­sische rus­ sische Kunst geworfen und könnten einen neuen Anfang bedeuten.

Er überließ die Sammlung zeitgenös­sischer Kunst seiner Tochter Natalia, die in Moskau geblieben ist (vgl. dazu: Kap. 2.4). 1080 Hier wäre der Asien-­Boom zu nennen, der sich 1989 zum ersten Mal mit der chine­sischen Kunst herausbildete und in den letzten Jahren einen enormen Zuwachs bekommen hat. Ein anderes Phänomen war der Erfolg indischer Kunst im Westen, der sich ebenfalls stark in den 2000er-­Jahre verdeut­lichte. In den letzten Jahren wird immer wieder ein verstärktes Interesse an Kunst aus Kriesengebieten sichtbar: Afghanistan, Libyen, Israel, Syrien und andere). Eine gute Zusammenfassung dieser Phänomene bietet das Kunstforum 2013, 30 – 90.

Liste der Ausstellungen Anmerkung: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es ist beinahe unmög­lich, alle Ausstellungen rus­sischer/sowjetischer Kunst in der Zeit von 1970 bis 1990 zu dokumentieren. In die Liste wurden Ausstellungen aufgenommen, die eine besondere Relevanz für die Untersuchung haben. Die Liste ist als eine zusätz­liche Informa­tion zu den analysierten Projekten in dieser Arbeit zu verstehen. Die Angaben zu den Ausstellungskatalogen befinden sich im Literaturverzeichnis (6.3). 1950 – 1970 1959  Der Beitrag der Russen zur modernen Kunst, Karmeliterkloster Frankfurt am Main 1967  Avantgarde Osteuropa 1910 – 1930, Berlin Diese zwei Ausstellungen zeigten Leihgaben aus west­lichen privaten und öffent­lichen Sammlungen. 1970 – 1980 1972  Kunst in der Revolu­tion, Frankfurter Kunstverein, Kunstverein Stuttgart Die Ausstellung wurde vom British Council für London organisiert, die sowjetischen Leihgaben wurden nicht in der Bundesrepublik gezeigt. 1973  Rus­sischer Realismus – Malerei in der 2. Hälfte des 19. Jh., Kunsthalle Baden-­Baden Zum ersten Mal sowjetische Leihgaben seit dem Zweiten Weltkrieg, Gegenausstellung 1974 mit Werken des deutschen Realismus in Moskau und Leningrad. 1974  Progressive Strömungen in Moskau 1957 – 1970, Museum Bochum Diese Ausstellung wurde von Peter Spielmann mithilfe von Lev Nussberg (Gruppe Dviženie) gemacht. Gezeigt wurde nonkonforme Kunst aus privaten Sammlungen, keine staatl. Initiative. 1977  Rus­sische Malerei 1890 – 1917, Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main, Lenbachhaus München Fortsetzung der Baden-­Badener Ausstellung von Klaus Gallwitz, Übersicht vieler Kunstströmungen dieser Zeit, auch hier 1978 wieder eine Gegenausstellung mit Leihgaben auch aus Berlin (West), die ­später im Städelchen Kunstinstitut in Frankfurt am Main gezeigt wurde. 1977  Werke aus der Sammlung Costakis. Rus­sische Avantgarde 1910 – 1930, Kunstmuseum Düsseldorf Von der Deutschen Bank AG und der Mannesmann AG unterstützt, viele Namen der rus­ sischen Avantgarde zum ersten Mal in der Bundesrepublik. 1977  60 Jahre Sowjetische Malerei, Wiesbaden Von offiziellen Stellen ausgesuchte sowjetische Malerei. 1977 Kunst aus der Revolu­tion – Kunst in die Produk­tion, NGBK Berlin, Akademie der Künste Leihgaben aus der Tret’jakov-­Galerie, Überblick über das Sterben der Avantgarde und der Entwicklung hin zum sozialistischen Realismus. 1978  Rus­sische Malerei der Gegenwart, Saarbrücken Anschließend im Auk­tionshaus Peretz versteigert.

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|  Liste der Ausstellungen

1978  Kasimir Malewitsch zum 100. Geburtstag, Köln, Galerie Gmurzynska 1979  20 Jahre unabhängige Kunst aus der Sowjetunion, Museum Bochum Wieder ein Projekt von Peter Spielmann und Lev Nussberg; Fortsetzung der ersten Ausstellung von 1974. 1980 – 1990 Als Exkurs: 1979 – 1981  Paris – Moscou, Centre Pompidou Paris Wegmarke und Orientierungspunkt für spätere bilaterale Ausstellungen. 1980  Majakowski – 20 Jahre Arbeit, Kunsthalle Düsseldorf Erste Zusammenarbeit von Jürgen Harten und dem Literaturmuseum Moskau. 1980  Rus­sische Kunst aus der Sammlung Semjonow, Museum Ludwig Köln Sowjetischer Botschafter zeigt seine Privatsammlung. 1980  Kasimir Malewitsch (1978 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen, Kunsthalle Düsseldorf Das erste Mal wird das Spätwerk im Westen ausgestellt. Versuch sowjetischer Kunstwissenschaftler, Malevičs Bild im Westen zu ändern – wird zum Politikum wegen Absagen an die Kunsthallen Hamburg und Baden-­Baden. 1980  Rus­sische Wandermaler. Die rus­sischen Realisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Lehmbruckmuseum Duisburg Eine Ausstellung im Rahmen der 4. Duisburger Akzente: Russlands große Realisten, Dichter, Maler und Musiker des 19. Jahrhunderts, Gemälde aus den Museen in Saratov. 1982  Rus­sische Malerei heute, Galerie Levy in Hamburg (25.05 – 26. 06. 1982), ­später Rathaus am Delft in Emden Henri Nannen versucht, zeitgenös­sische sowjetische Malerei in Verkaufsausstellungen anzubieten. 1982  Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart, Gemälde im Kölnischen Stadtmuseum, Köln 06.06. – 05. 09. 1982, Graphik und Plastik in der Neuen Galerie, Aachen 03.07. – 29. 09. 1982 Die Akquisi­tionen von Peter und Irene Ludwig in der Sowjetunion werden zum ersten Mal in Deutschland präsentiert. 1982  Alexander Rodtschenko und Warwara Stepanowa, Wilhelm-­Lehmbruck-­Museum Duisburg, Staat­liche Kunsthalle Baden-­Baden (1983) Erste große Präsenta­tionen des „Künstlerehepaars“ in Deutschland. Seit den 1970er-­Jahren in Plannung und erst zu ­diesem Zeitpunkt durch die UdSSR mög­lich gemacht, mit Leihgaben aus west­lichen privaten und öffent­lichen Sammlungen. 1983  Alexander Deineka, Kunsthalle Düsseldorf Erste Einzelausstellung des prominenten Mitglieds der Gruppe OST (Obšestvo stankovistov – dt. Gesellschaft der Tafelmaler) im Westen, in Koopera­tion mit der Tret’jakov-­Galerie Moskau und dem Rus­sischen Museum in St. Petersburg. 1983  Beispiel Eisenstein. Zeichnung, Theater, Film, Kunsthalle Düsseldorf In Koopera­tion mit dem Eisenstein-­Archiv (Naum Klejman), Moskau.

Liste der Ausstellungen  |

1984  Rus­sische Avantgarde aus der Sammlung George Costakis, Lenbachhaus München, Hannover Ausstellung nach der Aufarbeitung der Sammlung in New York, als Sensa­tion gefeiert. 1984  Rus­sische Kunst des 20. Jahrhunderts, Sammlung Semjonow, Galerie der Stadt Esslingen am Neckar, Villa Merkel 1984 – 85  Zwischen Tradi­tion und Gegenwart, Kunsthalle Düsseldorf, Stuttgart, Hannover Erste Ausstellung aus der UdSSR im Rahmen des Vertrages der Deutschen Bak AG und des Kulturministeriums in Moskau. 1985  Sowjetische Stummfilmplakate, Kunsthalle Düsseldorf Aus der Plakatsammlung der Lenin-­Bibliothek Moskau. 1987  Die Axt hat geblüht …, Kunsthalle Düsseldorf Europäische Konflikte der 1930er-­Jahre in Erinnerung an die frühe Avantgarde. Eine umfangreiche Themenausstellung im Rückblick auf die Pariser Kunst- und Industrieausstellung von 1937 und die Konfronta­tion des deutschen und des sowjetischen Pavillons. Da das sowjetische Kulturministerium 1987 eine Beteiligung an der Ausstellung ablehnte, stammten alle Russland betreffenden Leihgaben aus west­lichen Sammlungen, unter anderem von Emigranten. Später konnte Jürgen Harten im Zentralen Künstlerhaus Moskau (in Anwesenheit von Irina A. ­Antonova) über die Ausstellung einen Dia-­Vortrag halten. 1987 – 88  Schrecken und Hoffnung. Künstler sehen Frieden und Krieg, Ausstellung der Deutschen Bank AG, AEG Aktiengesellschaft, Mannesmann AG, Ruhrgas AG, Zanders Feinpapiere AG und Ministerium für Kultur der UdSSR Moskau, Hamburger Kunsthalle 01. 10. 1987, Münchner Stadtmuseum 10. 12. 1987   – 31. 01. 1988, Staat­liche Gemäldegalerie Moskau 15.03. – 28. 04. 1988, Staat­liche Eremitage Leningrad 20.05. – 29. 06. 1988 Als Abschluss des Kunstaustausches der Deutschen Bank AG und der Sowjetunion geplant. 1988  1000 Jahre rus­sischer Kunst im Schloss Gottorf Schleswig Überwiegend Ikonen, vorher in Moskau gezeigt. 1988 Bilder von 7 Künstlern der UdSSR, Friedrich-­Ebert-­Stiftung in Bonn Alexejev, Filatov, Gundlach, Jankilevskij, Nemuchin, Roiter, Weissberg. 1988  Sowjetkunst heute, Museum Ludwig Köln Peter und Irene Ludwig zeigen die Neuzugänge ihrer Sammlung sowjetischer Kunst. 1988  Glasnost – Die neue Freiheit der sowjetischen Maler, Kunsthalle Emden Henri Nannen zeigt Bilder aus seiner Sammlung zusammen mit Leihgaben (unter anderem von Peter und Irene Ludwig). 1988  Wladimir Jankilewski Museum Bochum 1989  Labyrinth – neue Kunst aus Moskau, Hamburg Schloss Wotersen Ausstellung wurde zuerst in Moskau in der Nähe des Kreml gezeigt, in der Bundesrepublik als Verkaufsausstellung konzipiert. Die Urheberin des Projektes war Marina Sandmann, die kurz darauf eine Galerie mit Schwerpunkt rus­sische Kunst in Berlin eröffnete. 1989  Eine interna­tionale Accrochage für Tatlin in der Kunsthalle Düsseldorf anläss­lich eines dreisprachigen Tatlin-­Symposiums, das gemeinsam mit dem Kunstwissenschaft­lichen Institut des Kulturministeriums der UdSSR vorbereitet worden war und ein erstes Treffen von Tatlin-­Forschern aus Ost und West ermög­lichte.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Hans Haacke, Der Pralinenmeister (1981) Ausschnitt. Mehrfarbiger Siebdruck mit eingeklebten Fotos, Pralinen- und Schokoladenverpackungen in braunen Holzrahmen unter Glas, 14 Tafeln, 100 x 70 cm, Copyright: Hans Haacke/VG Bild-­Kunst. Courtesy the artist and Paula Cooper Gallery New York. Abb. 2: Dmitrij D. ­Žilinskij, Doppelporträt (1981). Tempera auf Hartfaser, 150 × 150 cm. Ludwig Museum – Museum of Contemporary Art Budapest. Foto: Nils Friese. Abb. 3: Titelblatt des Katalogs der E ­ rsten Rus­sischen Kunstausstellung, entworfen von Ėl’ Lisickij (1922). Berlin, Berlinische Galerie. In: Berlinische Galerie (Hg.): Sta­tionen der Moderne. Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Ausst.-Kat., 2 Berlin 1988, 187. Abb. 4: Die Verantwort­lichen der „Ersten Rus­sischen Kunstausstellung“ 1922, v. l. n. r.: David Sterenberg, D. ­Marianov, Nathan Altmann, Naum Gabo und Friedrich Lutz (Direktor der Galerie), fotografiert von Willy Römer © bpk. Abb. 5: Titelblatt des Ausst.-Kat. RUSSIA! Nine Hundred Years of Masterpieces and Master Collec­ tions, Solomon R. ­Guggenheim Museum New York, 2005. Abb. 6: Foto aus Archiv von Klaus Gallwitz. Abb. 7: Foto aus Archiv von Klaus Gallwitz. Abb. 8: http://pro-packaging.livejournal.com/31869 (20. 03. 2013). Abb. 9: Foto aus Archiv von Klaus Gallwitz. Abb. 10: Ferdinand Waldmüller, Junge Bäuerin mit drei Kindern im Fenster (1840). Öl auf Leinwand, 84,6 x 67,4 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München (Inv.-Nr. 12895). Abb. 11: Fritz v. Uhde, Kinderstube (1889). Öl auf Leinwand, 110,7 x 138,5 cm, Hamburger Kunsthalle, Foto: Elke Walford. Abb. 12: Foto aus Archiv von Eckhart Gillen. Abb. 13: Gustav G. ­Klucis, Axiometrisches Gemälde. Gegenstandslose Komposi­tion (1920). Öl auf Leinwand, 96 × 57 cm, Staatl. Tret’jakov-­Galerie Moskau. Abb. 14: Titelblätter der Ausst.-Kat. Kunst aus der Revolu­tion und Kunst in die Produk­tion (1977). Abb. 15: Georgios K ­ ostakis in seiner Wohnung (Vernandskij Pr.), Mitte der 1970er-­Jahre. Foto: Igor’ Palmin. Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki. Abb. 16: ­Kostakis Gästebuch: Eintrag von Igor’ F. ­Stravinskij. Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki. Abb. 17: K ­ ostakis Gästebuch: Eintrag von Marc S. ­Šagal. Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki. Abb. 18: K ­ ostakis Gästebuch: Eintragungen von verschiedenen Besuchern. Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki.

Abbildungsverzeichnis |

Abb. 19: ­Kostakis bei seinem Abschied in seiner Wohnung (1977). Foto Igor’Palmin, Archiv Aliki ­Kostakis. In: Tsatsanoglou, Maria (Hg.): Soviet Alternative Art (1956 – 1988) from the Costakis Collec­tions. Ausst.-Kat. Athen 2006, 37. Abb. 20: Aleksandr M. ­Rodčenko, Linienkonstruk­tion auf Schwarz (1920). Öl auf Leinwand, 101 x 68 cm, Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki. Abb. 21: Aleksandr M. ­Rodčenko, Expressive Rhythmen (1943 – 1944). Gouache auf Papier, 61 × 172,7 cm, Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki. Abb. 22: Nadežda A. ­Udalcova, Violine (1916). Öl auf Leinwand, 70,5 × 53 cm, Staatl. Museum Moderner Kunst – Sammlung Costakis, Thessaloniki. Abb. 23: Arkadij A. ­Plastov, Ein Faschist ist vorübergeflogen (1974). Öl auf Leinwand, 132 × 170 cm, Staatl. Rus­sisches Museum St. Petersburg. Abb. 24: Kasimir S. ­Malevič, Selbstporträt (1933). Öl auf Leinwand, 73 x 66 cm, Staatl. Rus­ sisches Museum St. Petersburg. Abb. 25: Titelblatt des Katalogs zur Ausstellung Kasimir Malewitsch (1878 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen. Harten, Jürgen (Hg.): Kasimir Malewitsch. Werke aus sowjetischen Sammlungen. Ausst.-Kat. Düsseldorf 1980. Abb. 26: Kasimir S. ­Malevič: Unbekannter Fotograf, entstanden um 1926. In: Harten, Jürgen (Hg.): Kasimir Malewitsch. Werke aus sowjetischen Sammlungen. Ausst.-Kat. Düsseldorf 1980, 2. Abb. 27: Kasimir S. ­Malevič, Partielle Finsternis mit Mona Lisa (1914). Öl und Collage auf Leinwand, 62 × 49,5 cm, Staatl. Rus­sisches Museum St. Petersburg. Abb. 28: Finissage der Ausstellung Kasimir Malewitsch (1878 – 1935). Werke aus sowjetischen Sammlungen. Foto: Anonym. In: Düsseldorf Express 20. 04. 1980. Abb. 29: V. ­V. Semënov, J. ­Brügelmann und J. ­Beuys bei der Vernissage von Rus­sische Kunst aus der Sammlung Semjonow. Foto: Alfred Koch. In: Kölner Stadtanzeiger 28. 03. 1980. Abb. 30: Ėl’ Lisickij, Entwurf eines Flaggenständers für die ‚Pressa‘ (1928). Collage und Aquarell, 52 × 69 cm, Museum Ludwig Köln, Quelle: Rheinisches Bildarchiv Köln. Abb. 31: Kasimir S. ­Malevič, Kabarett (1930). Bleistift auf Papier, 19,2 x 13,7 cm, Museum L ­ udwig Köln, Quelle: Rheinisches Bildarchiv Köln. Abb. 32: Tatiana G. ­Nazarenko im Studio (1982), Ausschnitt. Foto: Robert Lebeck. In: Levy, Thomas/Nannen, Henri (Hgg.): Rus­sische Malerei heute. Ausst.-Kat. Gütersloh 1982, 8 f. Abb. 33: Andrei Rublëv, Dreifaltigkeit (1. Viertel des 15. Jh.). Eitempera auf Holz, 142 × 114 cm, Staatl. Tret’jakov-­Galerie Moskau. Abb. 34: Albrecht Dürer, Die vier apokalyptischen Reiter (1498), aus Apokalypse, 3. Figur, Holzschnitt, 39,6 × 28,3 cm, Staat­liche Kunsthalle Karlsruhe. Abb. 35: Gelij M. ­Koržev, Spuren des Krieges (1964). Öl auf Leinwand, 150 × 200 cm, Staatl. Rus­sisches Museum St. Petersburg. Abb. 36: Griša D. ­Bruskin, Fundamentales Lexikon Teil III, Fragement (1986). Öl auf Leinwand 112 × 76,5 cm, Sammlung Zimmerli Art Museum der Rutgers University, Sammlung nonkonformistischer Kunst aus der Sowjetunion von Norton und Nancy Dodge 199 5. 0887/12026. Foto: Jack Abraham.

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| Abbildungsverzeichnis

Abb. 37: Maksim K. ­Kantor, Morgenvisite (1986). Öl auf Leinwand, 250 × 190 cm, Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo. Abb. 38: Dmitrij D. ­Žilinskij, Das Jahr 1937 (1986). Öl, Tempera und Gouache auf Hartfaser, 210 × 175 cm, Ludwig Forum Aachen. Abb. 39: Ivan L. ­Lubennikov, Gemälde über die Liebe (nach Majakowskij) (1987). Öl auf Leinwand, 200 × 159 cm, Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo. Abb. 40: Lenina D. ­Nikitina, Man will ja leben (1973). Öl auf Leinwand, o. A. ­Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo. Abb. 41: Titelblatt des Katalogs der Ausstellung Russlands Seele (2007) in der Bundeskunsthalle Bonn. Wenzel, Jacob (Hg.): Russlands Seele. Ausst.-Kat. München 2007. Abb. 42: Il’ja I. ­Kabakov, Der rote Waggon (1991). Installa­tion 17 x 3,5 × 7 m, Installa­tionsansicht Garage Moskau, Copyright Il’ja un d Emilia Kabakov.

Literaturverzeichnis

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Verwendete Liter atur Alberg, Werner: Viele schlappe Bilder. In: Handelsblatt 02. 08. 1988. Anonym 1988/I: Anonym, Kreativität als Wurzel der neuen Sowjetpolitik. In: Ostfrie­sischer Kurier 12. 09. 1988. Anonym 1972/I: Anonym: An Haß grenzende Unzufriedenheit. In: DER SPIEGEL 50 (1972). Anonym 1988/III: Anonym: Ans Westnetz. In: DER SPIEGEL 37 (1988). Anonym 1980/V: Anonym: Ausstellung Semjonow im Kölner Museum Ludwig. In: Sowjetunion Heute Mai 1980. Anonym 1993/II: Anonym: Bilder im ­­Zeichen von Hammer und Sichel. In: HNA 05. 12. 1993. Anonym 1980/IV: Anonym: Blumenregen für Malewitsch. In: Düsseldorfer Express 22. 04. 1980. Anonym: Breker wird zur Seite gedrückt, SPIEGEL-Interview mit dem Kunstsammler Peter Ludwig. In: DER SPIEGEL 36 (1986). Anonym: Das Äußerste. In: FAZ 29. 03. 1980. Anonym: Die Marionetten des Diktators. In: art-­Magazin 12 (1993).

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Personenregister A

Abramov, Nikolaj A.  217 Abramova, Olga M.  186 Abrasimov, Pëtr A.  80 Achenbach, Andreas  57 Achenbach, Oswald  57 Achmatova, Anna A.  125 Achunov, Massabich F.  186 Adenauer, Konrad  28, 34, 200 Adorno, Theodor W.  38 Afoničev, Vladislav F.  244 Akop’jan, Akop T.  217 Albrecht, Adam  217 Aldegrever, Heinrich  217 Alexander, Gertrud  24 Alt, Rudolf von  57 Altanov, Jurij M.  186 Altmann, Nathan I.  25, 64 Alymov, Aleksandr S.  186 Andronov, Nikolaj I.  118, 157, 186, 201, 205 Andronova, Maria N.  201 Andropov, Jurij V.  100, 124, 153 Antonova, Irina A.  95, 255, 272 Anweiler, Oskar  30 Archipenko, Aleksander P.  39 Archipov, Abram E.  43, 64 Arntz, Gerd  217 Aršakuri, Zoven P.  186 Asmus, Dieter  217 Auffermann, Verena  147 Avvakumov, Michail G.  217 B

Bachbeuk-Melikova, Suleika  201 Backhuizen, Ludolf  202 Backstein, Iosif M.  237 Bacon, Francis  163 Bačurin, Evgenij V.  186 Badalov, Ogli Bojukan Babachan  244 Bakst, Leon S.  55 Balthus 163 Baluschek, Hans  70, 217 Bammer, Walter  70

Bantzer, Christoph  70 Barabanov, Jevgenij V.  254 Baranov, Leonid M.  186 Barlach, Ernst  217 Bargera, Jacob  171, 231 Bargera, Kenda  168, 171, 231 Barmičëv, Jurij  246 Barran, Julian  231 Bašanov, Leonid A.  237 – 239 Bašbeuk-Melikova, Zulejka  186 Baselitz, Georg  182 Basil’jev, Sergej N.  217, 220 Baudin, Katia  167, 175, 179 – 180, 183 – 184 Bauermeister-Paetzel, Christiane  73 Baumeister, Willi  38, 70 Bayer, Waltraut  230 – 231 Beaucamp, Eduard  194 – 195, 256, 269 Becker, August  57 Becker, Wolfgang  166, 188, 191, 198, 258 Beckmann, Max  70, 163, 216 – 217, 242 Behne, Adolf  24 Bejsembinova, Elena S.  186 Bekarian, Ara V.  201 Benois, Aleksandr N.  64 Bergheer, Eduard  217 Berija, Lavrentij P.  154 Berman, Nathan  238 Beuys, Joseph  161, 196, 245 Beyme, Klaus von  46 Biagovolin, Nikolaj N.  186 Binder-Hagelstange, Ursula  51 Birger, Boris  195, 263 Bisti, Dmitrij S.  186 Blechen, Camilla  79 Blechen, Carl  57, 58 Bobkov, Filip D.  153 Böcklin, Arnold  44, 57 Bogomolov, Gleb S.  244 Bohlen und Halbach, Berthold von  93 Böll, Heinrich  52, 67 Bolšakova, Irina I.  186 Bonaparte, Napoleon  217 – 218 Borger, Hugo  188, 191 – 192, 197 – 198

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| Personenregister

Boris-Musatov, Viktor E.  64 Borngräber, Christian  73 Borodin, Anatolij V.  186 Bowlt, John E.  105 Bragovskij, Edmond G.  186 Brajnin, Vladimir E.  186 Brandt, Willy  46, 200 Brecht, Bertold  198 Breker, Arno  181 – 182, 197, 261 Brežnev, Leonid I.  46, 100, 122, 200 – 201, 210, 249 Briedis; Aleksandra  217 Brodskij, Isaac I.  126 Bronštein, Lev D. (Leo Trotzkij)  79, 127 Bruskin, Griša (Grigorij) D.  187, 231 – 232, 234 – 235, 242, 244, 282 Bucerius, Gerhard  254 Buchheister, Carl  217 Bude, Heinz  182 Bulatov, Erik V.  187, 234 – 236, 263, 280, 282 Bulgakova, Olga V.  186 Bussmann, Georg  266 Bykov, Jurij N.  80, 217 C

Carlein, Walter  46 Čašnik, Il’ja G.  105 Čaruhin, Nikolaj P.  217 Černenko, Konstantin U.  124 Černyševskij, Nikolaj G.  42 Cézanne, Paul  187 Chatelain, Jean  87 Chatwin, Bruce  86 – 87, 89, 108, 110 Cheponis, Jonas A.  201, 244 Chevelenko, Vadčeslav G.  244 Chodowiecki, Daniel  217 Christians, Friedrich Wilhelm  20, 94 – 99, 105, 152, 162, 169, 175, 208, 210, 212, 223, 267, 272 Chruščëv, Nikita S.  28, 40, 90, 200 Close, Chuck  116 Colmans, Harry und Katherine  28 Corinth, Lovis  57, 70 Courbet, Gustave  55 Čuikov, Ivan S.  231 D

Daumier, Honoré  55 Davydova, Maria V.  119

Deineka, Aleksandr A.  217, 220 Delaunay-Terk, Sonia  39, 168 Demetiev, Vladimir V.  186 Demičev, Pëtr N.  94, 210, 213 Demko, Adolf I.  186 Demning, Gunter  217 Denisovskij, Nikolaj F.  217, 220 Devdariani, Tamas L.  217 Dibskij, Evgenij J.  244 Dintelmann, Klaus  94 – 96, 98 – 99, 105 Dittmar, Peter  187, 196 – 197, 224, 226, 249, 257 Dix, Otto  41, 70, 216 – 218, 226, 229 D’jagilev, Sergej P.  29, 55, 275 Dobužinskij, Mstislav V.  64 Dostojevskij, Fëdr M.  48, 218 Douglas, Charlotte  139 Drevin, Aleksandr D.  85, 105, 174, 180 – 181, 231 Drommert, Rene  118, 239 Dšaparidze, Uča  217 Duchamp, Marcel  86 Dudakov, Valerij  237 Dürer, Albrecht  215, 217, 229 Duwe, Harald  217, 227 Dybskij, Evgenij  231 Dyogot‘, Jekaterina J.  236 Dyšlenko, Jurij I.  231 E

Edzgveradze, Georgij V.  231, 244 Eelma, Harald V.  186 Efimovič, Irina  246 Egoršina, Natalia A.  201 Eichhorst, Franz  228 Ėjzenštejn, Sergej M.  19, 151 Elagina, Elena  268 El’cin, Boris N.  29 Emanuel, Irmingard  73 Ender, Boris V.  105, 110 Ender, Ksenija V.  105, 110 Ender, Maria V.  231 Engelhardt-Kyffhäuser, Otto  228 Engels, Friedrich  60 Erenburg, Il’ja G.  28, 85 Ernst, Max  70 Eysen, Louis  57 Exter, Aleksandra A.  105, 174 – 175

Personenregister | F

Fabissovič, Semën N.  244 Falin, Valentin M.  45, 64, 94, 117, 141, 152, 246 Fal’k, Robert R.  64, 84, 156 Faure, Edgar  87 Fed’juškina, Nina G.  217 Fedotov, Pavel A.  43 Feininger, Lyonel  217 Fejdin, Moissej I.  186 Felixmüller, Konrad  217 Fetting, Rainer  217, 227 Feuerbach, Anselm  57 Filačev, Oleg P.  186, 201 Filatov, Nikolaj V.  231, 244 Filbinger, Hans  50 Filonov, Pavel N.  105, 110, 217 Franck, Hans Ulrich  217 Franck, Philipp  70 Friedrich, Caspar David  217 Furceva, Jekaterina A.  40, 94 – 95 G

Gabo, Naum  25, 39 Gaertner, Eduard  57 Gallwitz, Klaus  29, 42 – 45, 47 – 48, 50 – 51, 57 – 58, 60 – 73, 79 – 82, 115 – 116, 130, 140 Ganikovskij, Igor  244, 263 Gaponenko, Taras G.  217, 220 Gaßner, Hubertus  73, 76, 268 – 269, 271 Gauguin, Paul  54 Ge, Nikolaj N.  43 Geiger, Willi  217 Geisseler, Günter  93 – 95, 104 Genscher, Hans-Dietrich  244, 254 Gensler, Jakob  57 Gerassimov, Sergej V.  217, 220 Gessner, Salomon  217 Gillen, Eckhart  73, 76 – 77, 82 Gilles, Werner  217 Glazunov, Il’ja I.  231 Glozer, Lazlo  105, 108, 113, 139, 150, 162 Gmurzynska, Antonina  83, 90, 141, 166 – 176, 180, 184, 231 Gmurzynska, Kristina  169 Gohr, Sigfried  241, 256 Golizyn, Illarion V.  186 Golopolossov, Boris A.  217 Gogh, Vincent van  54, 189

Gogol, Nikolaj V.  48, 218 Gončarova, Natalija S.  38 – 39, 64, 100, 105, 157, 175, 217, 219 Gorbačëv, Michail S.  19, 29, 124, 207, 240, 242, 249, 255, 282 Gorban, Michail R.  217 Gorochovskij, Eduard S.  244 Gowri, Lord  231 Göz, Gottfreid Bernhard  217 Grabar, Igor E.  64 Grasskamp, Walter  15 – 16 Gray, Camilla  39, 169, 266 Grečina, Olga N.  186, 217 Greisharber, HAP  217 Grinberg, Nikolaj I.  105 Gromyko, Andrei A.  46 Grosz, George  41, 70, 216 – 217, 226, 229 Groys, Boris E.  26 – 27, 33, 232, 248 – 249, 255, 271, 280 – 282 Grube, Edvard K.  186 Grundig, Lea  217 Gudajtis, Antas M.  186, 201 Gundlach, Sven  263 Guro, Elena H.  105 Gustorf, Koerner von  273 Guttuso, Renato  201 H

Haacke, Hans  12, 15 – 16, 111 Haase, Amine  135 Hack, Wilhelm  175, 267 Hackenberg, Kurt  166 Hahn, Wilhelm  46 Haider, Karl  57 Halturin, Aleksandr G.  124 Haltzer, Michail  87 Haršak, Andrej A.  217 Harten, Jürgen  19, 130 – 133, 142 – 146, 149 – 151, 267 Hasenclever, Johann Peter  57, 60 Heartfield, John  217 Heckel, Erich  70, 217 Heisig, Bernhard  182, 261 Helmuts, Ivan S.  186 Helnwein, Gottfried  181, 261 Hengstenberg, Rudolf  228 Hering, Karl-Heinz  94, 105 Herrmann, Otto  217

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| Personenregister

Herstatt, Claudia  168 – 171 Hiltmann, Jochen  217 Hitler, Adolf  269 Hižinskij, Leonid S.  217 Hofer, Carl  217 Hofmann, Ludwig  217 Hofmann, Werner  146, 213 – 217, 223 Hogarth, William  55 Hoghe, Raimund  137 Holbein, Hans d. J.  217 Holm, Kerstin  268 Holst, Niels von  54 Hölzl, Adolph  70 Hopper, Edward  163 Horošilov, Pavel V.  239, 246 Hubbuch, Carl  216 – 217 Hübner, Carl Wilhelm  57, 60 Hucleux, Jean-Olivier  261 Hultén, Pontus  96, 124, 128 I

Iden, Peter  68, 141 Iltner, Edgar  186 Immendorff, Jörg  216 – 217, 227 Infante, Francisco  242, 244 Isakov, Aleksej P.  244 Ivanov, Aleksandr M.  244 Ivanov, Michail V.  186 Ivanov, Viktor I.  217 Ivanov, Vladimir I.  217 J

Jablonskaja, Tatiana N.  217 Jaeckel, Willy  217 Jakovlëv, Andrej A.  217 Jakušin, Anatolij B.  217 Jamščikov, Savva V.  90, 113 Jankilevskij, Vladimir B.  40, 217, 219, 231, 238, 242, 244, 250 Janssen, Gregor  211 Jarošenko, Nikolaj A.  43 Javlenskij, Alexej G.  33, 38 – 39, 163 Jegošin, German P.  186 Jegoršina, Natalia A.  186 Joganson, Boris V.  118, 217 Judovin, Solomon B.  217 Juon, Konstantin F.  64

K

Kabakov, Emilia  284 Kabakov, Il’ja I.  195, 231 – 232, 234 – 236, 238, 242, 263, 268, 280 – 284 Kalckreuth, Leopold Graf von  57 Kalinin, Viktor G.  186, 244 Kalnein, Wend von  104 – 105 Kandinskij, Vasilij V.  22, 33, 38 – 39, 63 – 64, 68, 70 – 71, 79, 82, 85, 103, 105, 109, 118, 159, 163, 175, 181, 217, 219 Kandinskaja, Nina N.  47 Kant, Immanuel  217 Kantor, Maksim K.  217, 219 – 220, 223, 240, 242 – 245, 250 – 252, 274 Karakašev, Vilen S.  217 Karataius, Vladis N.  201 Kassatkin, Nikolaj A.  43, 64 Katarov, Medat A.  186 Kaulbach, Friedrich August C. S. v.  217 Kennedy, Edward  87 Kiefer, Anselm  216 – 217, 227 Kilian, Lucas  217 Kipphoff, Petra  51, 126 – 128, 223 Kirchner, Ernst-Ludwig  70 Kirillova, Larisa N.  217 Kirke, Frančeska G.  217 Kirke, Gunar E.  217 Kivšenko, Aleksej D.  217 – 218 Kjutt, Alex F. W.  186 Klapheck, Konrad  216 – 217 Klauke, Volkert  246 Klee, Paul  70, 217 Klein, Yves  245 Klinger, Max  217 Klodt, Michail K.  43 Kl’jun, Ivan V.  64, 82, 84 – 85, 91, 105, 110, 159, 174 Klucis, Gustav G.  76, 105 – 107, 217, 269 Kluth, Karl  217 Kogan, Nina I.  175 Kogut, Nikolaj  217 Kohl, Helmut  123, 255 Köhler, Florian  217 Kolbe, Carl  216 – 217 Kollwitz, Käthe  57 – 58, 216 – 218, 229 Komar, Vitalij A.  234 – 235, 280, 282 Končalovskij, Pëtr P.  65, 217 König, Kasper  162

Personenregister |

Konstantinov, Fedor D.  186 Kopyst’anskij, Igor J.  231 – 232, 235 Kopyst’anskaja, Svetlana G.  231 – 232, 235 Korennova, Elena V.  244 Korolëv, Jurij K.  217, 222 – 223 Korovin, Konstantin A.  43, 51, 65 Korsuchin, Aleksej I.  43 Koržev, Gelij M.  118, 217, 220 Kostakis, Aliki  97 Kostakis, Georgios  18, 41, 82 – 87, 89 – 114, 153, 157, 160, 169 – 170, 173 – 174, 267 Kostakis, Natalia G.  115 Kovtun, Evgenij  133 – 134, 139 – 140 Kowallek, Rochus  203 Kozajev, Ušang  217 Krämer, Christoph  217 Kramskoi, Ivan N.  48, 276 Krasauskas, Stasis  217 Krasnopevtsev, Dmitrij M.  231, 238 Krastin’ja, Sandra  217 Kriegs-Ernst, Thomas  259 Krivonogov, Pëtr A.  217 Krollmann, Hans  117 Krymov, Nikolaj P.  65 Kryševskij, Jan J.  186 Kubin, Alfred  217 Kudr’jašov, Ivan A.  105 Kuehl, Gotthardt  57 Kufko, Vladimir E.  217 Kuindši, Archip I.  51 Kukriniksy  217, 220 Kundera, Milan  21 Kuoetsian, Aram A.  201 Kuprin, Aleksandr V.  65 Kustodiev, Boris M.  65, 217 Kuzminskis, Jonas M.  186 Kuznecov, Pavel V.  65, 217 Kvizinskij, S. E. Julij  246, 254 L

Laktionov, Aleksandr I.  217 Lamač, Miroslav  138 Landert, Markus  262 Lang, Heinrich  57 Lanskoi, Andrej M. (André Lanskoy)  39 Larionov, Michail F.  38 – 39, 64 – 65, 100, 105, 156, 217 – 218 Lasareišvili, Levan N.  244

Leibl, Wilhelm  44, 54, 57 Leis, Malle  231 Leistikow, Walter  70 Lednëv, Valerij A.  186, 205 Léger, Nina  47 Lehmbruck, Wilhelm  217 Leladse, Avtandil V.  244 Lenbach, Franz von  57 Lenin, Pëtr I.  76, 136, 219 Lenk, Thomas  217 Lentulov, Aristarch V.  65, 157, 180 – 181, 217 Leonov, Vladimir G.  186 Leporskaja, Anna A.  131 Leppien, Helmut R.  145 Lessing, Carl Friedrich  57 Leutze, Emanuel Gottlieb  57 Levikova, Bela A.  231 Levitan, Isaac I.  51 Liebermann, Max  55, 57, 60, 70 Liela, Daze  217 Liesmann, Othello  149 Lisickij, Ėlˈ  22 – 24, 38 – 39, 67, 103, 109, 125, 166, 171 – 172, 174, 217, 219 Lisickij, Jen  171 – 173 Lisickij-Küppers, Sophie  67, 171 – 172 Lippert, Barbara  30, 122 Livšitz, Benedikt K.  125 Loeske, Albert  2 Lubennikov, Ivan L.  186, 201, 244, 250 Lučiškin,Sergej A.  217 Ludwig, Irene  14 – 16, 162, 164, 166, 174 – 175, 177, 179, 181, 184 – 186, 192, 200 Ludwig, Peter  14, 18 – 19, 74, 80, 111, 114, 156, 160 – 170, 173 – 186, 189, 191 – 205, 223, 225, 228, 230, 232, 238 – 242, 244 – 250, 254 – 264, 267 – 269, 274, 278 – 279, 281 Lunačarskij, Anatolij V.  2, 24, 137 Lutfullin, Achmat F.  217 Lutz, Friedrich  25 M

Macke, Gustav  70 Majakovskij, Vladimir V.  19, 68, 87, 125, 127, 142, 158, 218 Majofis, Michail S.  186 Makarevič, Igor G.  186, 263, 268 Makart, Hans  44 Maksimov, Aleksej F.  217

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| Personenregister

Malevič, Kasimir S.  18 – 20, 38 – 39, 63 – 65, 68 – 69, 71, 79, 85 – 86, 102, 105 – 109, 114, 118 – 120, 126, 130 – 152, 157 – 158, 160, 168, 174, 183 – 184, 194, 196, 198, 217 – 219, 265 – 268, 272 – 273 Mal’javin, Filipp A.  65 Malyševa, Larissa G.  244 Mandelstam. Ossip E.  125 Manevič, Galina I.  40 Manin, Vitalj S.  76 Mansourov, Pavel D.  39, 168 Marčenko, Leonid M.  186 Marées, Hans von 57,  216 – 217 Marianov, D.  25 Markevič, Boris A.  201 Martin, Pierre Denis  217 Marx, Karl  60 Marx, Karl (Künstler)  217, 227 Maškov, Ilja I.  65 Matisse, Henri  276 Mat’jušin, Michail V.  105 Mattheuer, Wolfgang  117, 182 Meier-Klodt, Cord  31 Meidner, Ludwig  70, 216 – 217 Melamid, Aleksandr D.  234 – 235, 280, 282 Menzel, Adolph  44, 55, 57 – 58, 216 – 217 Meškov, Nikita E.  217 Messer, Thomas  102 Metternich, Cornel  246 Meyer, Claus Heinrich  254 Meyer-Landruth, Andreas  246 Meyer-Rogge, Jan  217 Mikenas, Juosas  217 Millet, Jean-François  55 Mitreviz, Janis  217 M’jassojedov, Grigorij G.  43 Modersohn, Otto  70 Modersohn-Becker, Paula  70 Moissenko, Evsej E.  217 Molčanova, Galina P.  186 Molotov, V’jačeslav M.  36, 154 Monastyrskij, Andrej V.  237 Morgunov, Aleksej A.  105 Morosov, Aleksandr I.  43 Morosov, Ivan A.  114, 125 Morosova, Viena L.  186 Muche, Georg  217 Muchina, Vera I.  26

Mullašev, Kamil V.  217 Müller, Otto  70 Müller-Mehlis, Reinhard  225, 227 – 228 Münther, Gabrielle  70 Murad’jan, Sarkis M.  217 Mylnikov, Andrej A.  186 N

Nachova, Ira I.  231 Nannen, Henri  18 – 19, 80, 162, 177, 179, 194, 196, 200 – 205, 226, 240 – 247, 249 – 255, 257 Narimanbekov, Togrul F.  186, 201, 217 Nasarenko, Tatjana G.  186, 201, 231 Nay, Ernst Wilhelm  217 Neizvestny, Ėrnst I.  40, 283 Neledeva, Galina A.  186 Nemuchin, Vladimir N.  231 Nesterov, Michail V.  65 Nesterova, Natalia I.  186, 201, 231 Neusüss, Floris  217 Nevrev, Nikolaj V.  43 Nikič-Krilitševskij, Anatolij J.  186, 201, 244 Nikitina, Lenina D.  244, 251 – 252 Nikritin, Solomon B.  105 Nikonov, Pavel F.  186 Nišaradzte, Zurab A.  186 Nolde, Emil  70 Nolev-Sobolev, Jurij A.  40 Nurali, B’jasim J.  217 Nussbaum, Felix  216 – 217 Nussberg, Lev V.  72, 204 O

Obrosov, Igor P.  186, 201, 217 Ojstrach, David F.  38 Olivier, Heinrich  217 Oppenheimer, Jakob  22 Orlov, Boris K.  244 Ossipov, Affanasij N.  186 Ossovskij, Pëtr P.  186 Ostrouchov, Ivan S.  43 Ovčinikov, Vadim J.  244 Overbeck, Egon  94 – 96 Ovsepian, Sergej I.  201, 217 P

Pahomkin, Viktor P.  217 Pahomov, Aleksej F.  217

Personenregister |

Pamasto, Anne  217 Panomarëv, Nikolaj A.  217 Paprik’jan, Albert S.  186, 201 Pasternak, Boris L.  98 Pechstein, Max  70 Penuškin, Jurij I.  201 Perov, Vasilij G.  43, 51 Petrov, Aleksandr L.  244 Petrov, Aleksandr N.  186, 201, 244 Petrov, Arkadij I.  231, 244, 250 Petrov-Vodkin, Kuz’ma S.  65, 217 Pestel, Vera E.  105 Pevsner, Anton A. (Antoine Pevsner)  39 Picasso, Pablo  164, 182, 189 Pimenov, Jurij I.  217 Pimenov, Vladimir S.  186 Pisar, Judith  96 Pivovarov, Viktor D.  263 Plaksin, Michail M.  105 Plastov, Arkadij A.  118, 217 Platschek, Hans  201, 217 Plavinskij, Dmitrij P.  231, 238 Pod’zniakova, Sinaida J.  186 Polenov, Vasilij D.  217 Pol´jakov, Sergej (Serge Poliakoff )  39 Pollock, Jackson  28 Polli, Heiti  217 Pörzgen, Herrmann  41, 83, 85 – 86, 93 – 94, 108 Prigov, Dmitrij A.  244, 263, 268 Pr’janišnikov, Illarion M.  43, 217 – 218 Prokofiev, Vjačeslav A.  186 Prokorov, Boris I.  217 Pochitonov, Ivan P.  43 Polenov, Vasilij D.  43 Poplavskij, Georgij G.  186 Popov, Gennadij P.  95, 112 Popov, Igor A.  186, 205 Popov, Nikolaj E.  186 Popova, L’jubovˈ S.  85, 89, 91, 105 – 107, 110, 174, 181 Prigov, Dmitrij A.  242 Prior, Ingeborg  171 – 173 Puni, Ivan A. ( Jean Pougny)  22, 39, 105 Punin, Nikolaj N.  22 Purygin, Leonid A.  231, 244 Pury, Simon de  231 – 232 Pustak, Kaisa K.  186 Putin, Vladimir V.  29, 32, 274 – 275

R

Rabin, Oskar J.  283 Radziwill, Franz  217 Raev, Ada  22, 26, 33, 278 Rakitin, Vasilij I.  105, 279 – 281, 283 Ramboux, Johann Anton  57 Rand’jarv, Saima  217 Rastorfer, Mathias  170 Rath, Karl vom  39 Rau, Johannes  169 Rayski, Louis Ferdinand von  57 Red’ko, Klement N.  105, 110 Reid, Norman  95 Repin, Il’ja E.  43, 48, 51, 53, 116, 217 Rerich, Nikolaj K.  65 Rethel, Otto  57 Reuters, Andrej V.  242 Ribakov, Julij A.  244 Richter, Gerhard  216 – 217 Richter, Horst  57, 249 Riese, Hans-Peter  139 – 141, 147, 152 Riesen, Hans von  39 Rieth, Adolf  41, 57 R’jabuškin, Andrej P.  65 Roberts, Peter  95, 100 – 101, 153 Rockefeller, David  87 Rodčenko, Aleksandr M.  24, 84, 86, 91, 101, 105 – 107, 125, 171, 231 – 232, 269 Roeder, Emmy  217 Rohlfs, Christian  70 Romadin, Michail N.  186, 244, 250 Romanova, Elena B.  201 Rosanova, Olga V.  105, 108, 175 Rössing, Karl  217 Rothko, Mark  39 Rottenhammer, Hans  217 Rowell, Margit  102 Rublëv, Andrej  215, 217 Ruffmann, Karl-Heinz  30 Rugendas, Georg Philipp d. Ä.  217 Rugendas, Johann Georg Lorenz  217 Ruhrberg, Karl  157, 162, 188, 191 – 192, 198, 241 Runge, Otto Philipp  217 Rylov, Arkadij A.  65 S

Sacharov, Andrej D.  123 Sacharov, Jurij F.  187

309

310

| Personenregister

Sacharov, Vasilij  231, 242 Saehrendt, Christian  30 – 31, 36, 274 Šadova, Larissa  131 Šagal, Mark H. (Marc Chagall)  39, 64, 71, 84 – 85, 100, 105, 109, 163, 168, 189, 217, 219 Sager, Peter  178, 181 – 182, 202 – 203, 241, 257 Sagorov, Vladimir I.  244 Salachov, Tair T.  186 Salachova, Aidan T.  217 Sandmann, Marina  250 Sarab’janov, Dmitrij V.  66 – 67 Sar’jan, Martiros S.  65 Šaršun, Sergej I. (Serge Charchoune)  39, 168 Savickas, Augustinas  186, 201 Savickij, Konstantin A.  43 Savost’juk, Oleg M.  217 Savranska, Inga T.  186 Savrassov, Aleksej K.  43 Schadow, Johann Gottfried  217 Scharl, Josef  217, 243 Scheel, Walter  64, 169 Scheps, Marc  175 Schider, Fritz  57 Schirmer, Friedrich Wilhelm  57 Schlemmer, Oskar  70 Schmalenbach, Werner  192, 195, 256, 262 Schmidt, Helmut  155, 192 Schmidt, Katharina  145 Schmidt-Häuer, Christian  108 Schmidt-Rottluff, Carl  70 Schmithals, Hans  70 Schnarrenberger, Wilhelm  217 Schoffs, Rudolf  217 Scholderer, Otto  57 Schoeller von Drouot, André  232 Schönleber, Gustav  57 Schreiner, Wolfgang  176 – 177, 259 Schrimpf, Georg Franz Xaver  217 Schröder, Gerhard  32, 274 Schuch, Carl  57 Schulz-Siemens, Lilo  172 – 173 Schultze, Bernard  217 Schumacher, Emil  217 Schütz, Theodor  217 Schwitters, Kurt  24 Sedlmayr, Hans  38 Seele, Johann Baptist  217 Šejnes, Boris I.  186

Semenov, Michail M.  244 Semënov, Vladimir S.  18, 100 – 101, 124, 141, 144, 150, 152 – 162, 166, 169 – 170, 172, 175 – 177, 179 – 180, 183, 199, 206, 209, 237, 247 Senkin, Sergej J.  105 Serebr’jakova, Zinaida E.  65 Serebr’jannyj, Iosif A.  217 Serov, Valentin A.  43, 51, 65 Serov, Vladimir A.  217 Šerst’juk, Sergej A.  217 Ševčenko, Aleksandr V.  65 Shvazhas, Jonas K.  201 Sidnikov, Aleksandr G.  186, 231, 263 Sidorkin, Evgenij, M.  186 Sidorov, Valentin M.  217 Sidur, Vadim A.  217, 219 Sieverding, Katharina  216 – 217 Silins, Herbert K.  186 Sin’jakova, Maria M.  217 Sin’jukajeva, Larissa V.  217 Šiškin, Ivan I.  43, 48 – 49 Sitte, Willi  117 Skarbina, Franz  70 Skirutite, Aldona P.  186 Skulme, Dschervinna O.  186 Skulme, Džemma  217 Slavona, Maria  70 Slepyšev, Anatolij S.  186, 231 Slevogt, Max  70 Šmarinov, Dementij A.  217 Šmelkov, Pëtr M.  43 Šmochin, Viktor M.  186 Sofronova, Anna F.  105 Sogomonjan, Kerop D.  244 Sohn, Karl Ferdinand  57 Sokolov, Pëtr P.  43 Sokolov-Skal’ja, Pavel P.  217 Solomatkin, Leonid I.  43 Solženicyn, Aleksandr I.  67, 113 Somov, Konstantin A.  65 Sooster, Julo  40 Šostakovič, Dmitrij D.  125 Sovlačkov, Aleksandr N.  186 Speck, Reiner  162 – 163, 176 Speer, Albert  26 Sperl, Johann  57 Spielmann, Peter  72, 80, 204, 238 Spitzweg, Carl  57, 216 – 217

Personenregister |

Stachelhaus, Heiner  136, 146 Staël, Nikolas de  39 Stalin, Iosif W.  79, 85, 89 – 90, 103, 269 Stančikaitje, Birute L.  187 Starr, Frederick  96 Staršenizkaja, Innia A.  186 Steinberg, Eduard A.  231, 238, 242 Steneberg, Eberhard  39 Stepanova, Varvara F.  91, 105, 231 Šterenberg, David P.  22, 24 – 25, 65 Stölzl, Christoph  213, 223 Stonor-Saunders, Francis  29 Stošanov, Vladimir F.  186 Strathmann, Carl  70 Strauß, Thomas  163, 193 Stravinskij, Igor‘ F.  85, 87 Strul’jev, Jevgenij A.  244 Stuart, John  232 Stuck, Franz von  70 Subbi, Oleg J.  186 Subkov, Gennadij G.  244 Subov, Aleksej F.  217 Sudejkin, Sergei J.  65 Šukin, Sergej I.  114, 125 Sulimo-Samuillo, Vsevolod A.  105 Sundukov, Aleksej A.  244 Šuravlëv, Firs S.  43 Surikov, Vasilij I.  43 Suslov, Michail A.  150, 157 Šutov, Sergej A.  231, 244 Suvorov, Aleksandr B.  187 Švarz, V’jačeslav G.  43 Švarzman, Michail M.  283 Švelidze, Bežan K.  217 Svemp, Leo L.  186 Sverkov, Efrem I.  186 Szeemann, Harald  52, 165 T

Tabenkin, Lev I.  231, 244 Tatlin, Vladimir E.  18, 63 – 65, 79, 105 – 106, 109, 125, 151, 217 – 218, 267 Taubmann; Alfred  232 Testina, Natalia G.  217 Thoma, Hans  57 Thorak, Josef  197 Tizian 14 Tjutčev, Fëdr I.  128 – 129

Tkačev, Aleksej P.  186 Tolli, Vive V.  187 Tolstoi, Lev N.  208, 218 Tröckes, Heinz  217 Trübner, Wilhelm  57 Trudeau, Pierre  86 Tšekrygin, Vasilij N.  105 Tšeponis, Jonas A.  186 Tšernov, Jurij L.  186 Tul’jenev, Vitalij I.  244 Tulepbaev, Jerbolat  217 Tulin, Boris L.  187 Tul’jenev, Vitalij I.  186 Turgen`jev, Ivan S.  48, 218 Turnova, Natalia P.  244 Tutunov, Andrej A.  186 Tyšler, Aleksandr G.  157, 186, 201 U

Udalzova, Nadežda A.  64 – 65, 175 Uecker, Günter  216 – 217 Ugarov, Boris S.  217 Uhde, Fritz von  57, 60 Uspenskij, Boris A.  217 Ustinov, Aleksander V.  43 Utenkov, Lemian M.  187 V

Vahameev, Vladimir E.  217 Vasari, Giorgio  14 Vassil’jev, Aleksandr P.  201 Vassil’jev, Fëdr A.  43 Vasnecov, Apollinarij M.  43, 65 Vasnecov, Victor M.  43 Veisberg, Vladimir G.  201 Venezianov, Aleksej G.  33, 217 Vetztolotz, Imant O.  186 Verëvkina, Marianna V.  38 Vereščagin, Vasilij V.  43, 48, 217 – 218 Vilner, Viktor S.  187 Vinn, Vello  187 Vinogradov, Sergej A.  65 Vint, Marc J.  187 Vogeler, Heinrich  216 – 217 Vogelsang, Klaus  217 Vogt, Paul  93 Voinov, Vadim S.  242, 244 Volkov, Aleksandr N.  105

311

312

| Personenregister

Volkov, Andrej V.  186, 201 Volkov, Sergej V.  231 Volovič, Vitalij M.  187 Vostell, Wolf  217 Vrubel, Michail A.  55, 65, 151 Vukolov, Oleg A.  186, 201, 244 W

Waldmüller, Ferdinand  57 – 58, 60 Waller, Jürgen  217 Walterskirchen, Martin von  246 Warhol, Andy  196, 261 Warnke, Martin  12, 16 – 17 Wehling, Oskar  73 Weil, Christoph  246 Weiss, Evelyn  174, 180, 182, 246 – 247, 259 Weisgerber, Albert  70 Westheim, Paul  24 Wetzel, Sylvie  73 Will, Johann Martin  217 Winter, Peter  227

Wittenborn, Rainer  217 Wünsche, Isabel  163 Wurz, Camill  50 Z

Zabotin, Vladimir L.  39 Zacharov, Vadim A.  231 Zadkin, Ossip A.  39 Zander-Rudenstine, Angelica  102 Zapp, Herbert  209 Zarinš, Indulis A.  186 Zaripov, Ildar K.  201 Ziegler, Adolf  187 Zigal, Viktor E.  187 Žilinskij, Dmitrij D.  14, 177, 242, 248 Žilinskaja, Nina I.  177, 186, 243 Zipljauskas, Vitanos V.  186 Zirulis, Karl P.  187 Žukovskij, Atanislav J.  65 Zverev, Anatolij T.  84, 283

DAS ÖSTLICHE EUROPA KUNST- UND KULTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON ROBERT BORN, MICHAELA MAREK UND ADA RAEV

BD. 1

BD. 3

IRINA ALTER

ELENA KOROWIN

MACHT. REFORM. KUNST

DER RUSSEN-BOOM

DIE KAISERLICHE AKADEMIE

SOWJETISCHE AUSSTELLUNGEN ALS

DER KÜNSTE IN ST. PETERSBURG

MITTEL DER DIPLOMATIE IN DER BRD

2015. 315 S. 44 S/W- UND FARB. ABB. GB.

2015. 312 S. 43 S/W-ABB. GB. |

ISBN 978-3-412-22290-1

ISBN 978-3-412-22516-2

BD. 2 SANDRA FRIMMEL KUNSTURTEILE GERICHTSPROZESSE GEGEN KUNST, KÜNSTLER UND KURATOREN, IN RUSSLAND NACH DER PERESTROIKA 2015. 334 S. 11 S/W- UND 54 FARB. ABB.

AS874

GB. | ISBN 978-3-412-22511-7

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OSTEUROPA MEDIAL HERAUSGEGEBEN VON NATASCHA DRUBEK, JURIJ MURAŠOV UND GEORG WIT TE

EINE AUSWAHL BD. 3 | TOMÁŠ LIPTÁK, JURIJ MURAŠOV (HG.) SCHRIFT UND MACHT ZUR SOWJETISCHEN LITERATUR DER 1920ER UND 30ER JAHRE 2012. VIII, 282 S. 26 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-20402-0 BD. 4 | NATASCHA DRUBEK RUSSISCHES LICHT VON DER IKONE ZUM FRÜHEN SOWJETISCHEN KINO 2012. 526 S. 153 S/W- UND 22 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-20456-3

BD. 5 | SARAH HOUTERMANS MEDIALE ZWISCHENWELTEN AUDIOVISUELLE KUNST IN DER TSCHECHOSLOWAKEI (1919–1939) 2012. 160 S. GB.

UC109

ISBN 978-3-412-20824-0

BD. 6 | TANJA ZIMMERMANN DER BALKAN ZWISCHEN OST UND WEST MEDIALE BILDER UND KULTURPOLITISCHE PRÄGUNGEN 2014. X, 504 S. 120 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-22163-8

BD. 7 | RICCARDO NICOLOSI, TANJA ZIMMERMANN (HG.) ETHOS UND PATHOS MEDIALE WIRKUNGSÄSTHETIK IM 20. JAHRHUNDERT IN OST UND WEST 2015. CA. 440 S. CA. 110 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-22431-8

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MARINA DMITRIEVA, BÁLINT KOVÁCS (HG.)

DIE KUNST DER ARMENIER IM ÖSTLICHEN EUROPA (ARMENIER IM ÖSTLICHEN EUROPA – ARMENIANS IN EASTERN EUROPE, BAND 2)

Der vorliegende Band versammelt Beiträge von Kunsthistorikern, Bauforschern, Ethnologen und Historikern zur Rolle der Armenier in der frühneuzeitlichen Kunstgeschichte Zentral- und Osteuropas. Behandelt werden sakrale Malerei und illuminierte Handschriften, Architektur und Städtebau, Kunsthandwerk und -sammlungen. Den geografischen Rahmen bilden dabei die heutigen Staaten Polen, Ukraine, Belarus, Rumänien, Moldova und die Russländische Föderation. Die von armenischen Künstlern geschaffenen Werke spiegeln ihre multiethnische und plurikonfessionelle Umgebung wider, ohne dabei ihre ursprünglichen Traditionen aus Mittlerem Osten und Kleinasien zu verleugnen. 2014. 256 S. 27 FARB. UND 28 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-21107-3

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THOMAS GROB, SABINA HORBER (HG.)

MOSKAU METROPOLE ZWISCHEN KULTUR UND MACHT

Moskau, die gigantische Metropole an der Moskwa, ist eine der am stärksten mythologisierten Städte Europas. Ihre Zeichenhaftigkeit, die bis in die bauliche Struktur reicht, ergibt sich aus der Dynamik von Stadtleben, Kultur und Macht. Immer wieder wurde die Stadt zum Gegenstand von ästhetischen Diskussionen, Darstellungen und Plänen. Das vielfach symbolisierte Moskau ist ein Zentrum der Macht wie auch ein Raum für Nischen, ein Ort des Widerstands und der Kreativität, ein eigener Kosmos, ein Objekt fremder Sehnsüchte und trügerischer Stadtbilder ebenso wie ökonomischer und architektonischer Kalküle. Der Band zeichnet aus verschiedenen Perspektiven und mit Bezug auf unterschiedliche Zeiträume Aspekte des Phänomens Moskau nach. Facetten aus Geschichte, Kulturgeographie und Städtebau, Literatur, Film, Architektur, Kunst und Musik zeigen Moskau als einen der großen, für eine kulturelle Stadtforschung aufschlussreichen Orte der europäischen Kulturgeschichte. 2015. 318 S. 88 S/W- UND FARB . ABB . BR . 155 X 230 MM . ISBN 978-3-412-22263-5

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ARNOLD BARTETZKY CHRISTIAN DIETZ JÖRG HASPEL (HG.)

VON DER ABLEHNUNG ZUR ANEIGNUNG? DAS ARCHITEKTONISCHE ERBE DES SOZIALISMUS IN MITTEL- UND OSTEUROPA (VISUELLE GESCHICHTSKULTUR, BAND 12)

Der Band beschäftigt sich mit dem Denkmalwert und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Bauzeugnissen aus der Zeit des Sozialismus in Mittel- und Osteuropa. Zu Wort kommen erfahrene Konservatoren und Planer sowie Kunsthistoriker und engagierte Künstler aus postsozia listischen Ländern, die das Architekturerbe des Sozialismus nicht als Bürde, sondern als Chance zur (re-)interpretierenden Erhaltung und Erneuerung eines gemeinsamen europäischen Nachkriegserbes verstehen. Der Band versammelt die Ergebnisse einer gemeinsamen Konferenz des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS (International Council on Monuments and Sites) und des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO). Er wendet sich an Stadtplaner und Architekten, Konservatoren und Restauratoren, Historiker und Kunstwissenschaftler, Kulturschaffende und Denkmalpolitiker. 2014. 297 S. 217 FARB. ABB. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-22148-5

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PEKKA ROISKO

GRALSHÜTER EINES UNTERGEHENDEN SYSTEMS ZENSUR DER MASSENMEDIEN IN DER UDSSR 1981–1991 (MEDIEN IN GESCHICHTE UND GEGENWART, BAND 31)

Eines der wichtigsten Mittel zur Machterhaltung für die kommunistische Führungsschicht in der UdSSR stellte die vollständige Kontrolle des Medienwesens dar. An zentraler Stelle stand hierbei die staatliche Zensurbehörde Glavlit. Die Zensur hatte die Aufgabe, Medieninhalte zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren sowie den Zugang zu alternativen Informationsquellen zu versperren. Daher übte Glavlit sowohl Vor- als auch Nachzensur aus, um zu unterbinden, dass der KPdSU nichtgenehme Aussagen die Öffentlichkeit erreichten. Als solche wurden Materialien eingestuft, die das marxistisch-leninistische Ideologiemonopol herausforderten oder Missstände in der sozia listischen Gesellschaft aufdeckten. Diese Studie untersucht den Systemwandel der Sowjetzensur vom Ende der Brežnev-Epoche bis zum Zusammenbruch des von den Bolschewiki geschaffenen totalitären Einparteienstaats. Auf der Basis von zahlreichen erstmals ausgewerteten Archivdokumenten bietet das vorliegende Buch einen grundlegend neuen Einblick in die inneren Mechanismen der Medienkontrolle in der UdSSR während des letzten Jahrzehnts ihrer Existenz. 2015. 413 S. ZAHLR. TAB. BR. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22501-8

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