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German Pages 658 [660] Year 2012
Christoph Martin Wieland Oßmannstedter Ausgabe
Wielands Werke Historisch-kritische Ausgabe Herausgegeben von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma
Wielands Werke Band 14.1
Text
Bearbeitet von Peter-Henning Haischer, Hans-Peter Nowitzki und Tina Hartmann La Philosophie endormie / Hann und Gulpenhee / Der Vogelsang / Fragmente von Beyträgen zum Gebrauch derer, die sie brauchen können oder wollen / Schach Lolo / Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels / Pervonte / Pandora / Anekdoten des Herrn von Voltaire lezte Lebensauftritte betreffend / Essays / Logogryphen / Rezensionen / Nachrichten / Anmerkungen / Zusätze Februar 1778 — Januar 1780 [251 — 276]
De Gruyter Berlin · Boston
Herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur.
Gestaltung: Friedrich Forssman. Schrift: Prillwitz von Ingo Preuß. Satz: pagina, Tübingen. Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen. Printed in Germany. ¯ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. © Copyright 2011 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-11-028463-8
e-ISBN 978-3-11-028470-6
Inhaltsübersicht La Philosophie endormie 4 Hann und Gulpenhee 36 Der Vogelsang 54 Fragmente von Beyträgen zum Gebrauch derer, die sie brauchen können oder wollen 80 Schach Lolo 100 Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels 203 Pervonte 306 Pandora 416 Anekdoten des Herrn von Voltaire lezte Lebensauftritte betreffend 461 Essays / Logogryphen / Rezensionen / Nachrichten / Anmerkungen / Zusätze Inhaltsverzeichnis 637
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Erstes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Jänner 1778.
La Philosophie endormie. Eine Conversation en Pot-Pourri. Pr o l o g u s. Ein bekanntes französisches Blatt nach G r e ü z e , das weder mehr noch weniger als eine gute dicke Hausfrau en Dormeuse, die über ihrer Näherey in einem Lehnstuhl eingeschlafen ist, vorstellt, und unter welches dem Kupferstecher, Gott weiß warum? vermuthlich um das Blatt dadurch verkäuflicher zu machen, den sinnreichen Titel La Philosophie endormie zu setzen beliebte, hat zu diesem S c h w a n k (wie’s H a n s S a c h s nennt) in einer kleinen Gesellschaft Anlaß gegeben. Der Gedanke, die Mode-Philosophie unsrer Zeit schlafend vorzustellen, schien alles Beyfalls
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würdig: aber der Einfall sie in eine d i c k e flegmatische Hausfrau zu verwandeln, wurde desto platter gefunden. Man glaubte, sie würde in Gestalt einer nach der neuesten Mode galantisierten Pariser-Fille sich besser ausnehmen und richtiger charakterisirt seyn; und es wurde beschlossen, sie umzuschaffen, und ungefähr so wie sie hier beschrieben wird, in einem Kupferstich, im Geschmack derjenigen womit der Diable Amoureux ausgeziert ist, dem Publiko zum besten zugeben. Allein da dem Künstler eine Menge andrer Geschäfte dazwischen kamen, so bliebs bey der bloßen Idee, und so blieb auch der Schwank nur halb; womit man denn (da man in diesen Ökonomie bedürftigen Zeiten nicht gerne was zu Grunde gehen läßt) den Liebhabern aufzuwarten nicht ermangeln wollen, und fürlieb damit zu nehmen bittet. (Prologus geht ab.)
* * *
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Erste Scene. (Ein Saal an den eine Art von Boudoir stößt, wovon die Thüre etwas mehr als halb offen ist. Die Philosophie endormie liegt im Boudoir auf einer Bergere in einer so e l e g a n t e n attitude als man sich denken will. Der A b b e´ , der M i l o r d , der M a r q u i s , der B a r o n (ein Teutscher) und der C h e v a l i e r treten mit ziemlichem Geräusch in den Saal. Die Frage, W i e und Wa r u m sie hinein gekommen? wird verbeten; genug daß sie drinnen sind.) (Die Scene ist in einem Hotel garni.)
Der Ab b e´ 10
(indem er die Schläferin gewahr wird) zum M i l o r d und B a r o n :
Sachte, ihr Herren au gros Bon-Sens, ein wenig sachte, darf ich bitten! Ihr könntet mit euren plumpen Tritten die Dame wecken, die dort — so lang sie ist, in ihrer gebüfften Bergere nach einem kleinen Komus-Fest den Schlaf so wohl sich schmecken läßt. Der Baron
(hinzuschleichend.)
Sie scheint nicht übel, bey meiner Ehre! Milor d 20
(wirft einen Blick auf sie.)
Für eine Kupplerin ziemlich jung! Der Ch e v a l i e r . Ein wenig welk, doch gut genung für einen Ausflug nach Cythere. Baron. Möchte wohl wissen wer sie wäre. Milor d. Sie wird wohl von der Oper seyn.
La philosophie endormie. Erste Scene
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Der Ma r q u i s
(lachend, als ob der Milord eine Sottise gesagt hätte.)
Ja doch! da schliefe sie gleich allein! Mi l o r d. Vor mir kan ihre Tugend schnarchen so laut sie will — ich wecke sie nicht! De r Ab b e´
(faisant la petite bouche.)
Die Herren sind strenge Aristarchen! Ich dächte doch, ihr Air verspricht? De r Ch e v a l i e r . In diesen langen Wintertagen
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ist einer oft über weniger froh. De r Ma r q u i s. Fy! solchen Especen nachzufragen! S’ist keine femme comme il faut! De r Ab b e´ . Ich wills den Herren auf einmal sagen — Parbleu! es ist — d i e P h i l o s o p h i e ! Mi l o r d. Ah! respectabel! das hätt’ ich nie errathen! — die Philosophie? Der Ab b e´ . Nicht anders, Milord — et endormie comme Vous voyez. Mi l o r d
(mit großem Flegm.)
Endormie — Natürlich! La Philosophie endormie — ’Tis plain!
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Der Ab b e´ . In einem Neglige´ couleur de puce en couches — Milor d. Zum Henker! Der Ab b e´ . Garniert mit soupir e´touffe´ — Der Marquis . Qu’y a-t-il la pour tant se recrier? 10
Milo r d. Nun laßt mir alle eure Denker kommen! — die schöne Philosophie a ` la fac¸on de Barbari! Der Ch e v a l i e r . Au moins l’Allegorie n’y manque pas. Wieviel Esprit auf ihrem Kopfe! Milor d. Besser für sie
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sie hätt’ ihn d r i n n ! Der Marquis . Das wäre platt! J e d e petite Bourgeoise hat den ihrigen dort. Der Ch e v a l i e r . Messieurs, ich dächte die Damen bedienen sich ihrer Rechte;
La philosophie endormie. Erste Scene
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Es ist am Ende — L i s t w i d e r L i s t . Esprit, und E l e g a n z , und S c h i m m e r , ce Brillant, cet — enfin was Ihr wißt, U n s giebts der Schneider; dem Frauenzimmer giebts die Cöeffeuse. Eh bien, was ist dagegen zu sagen? Mi l o r d. Man läßt sich bedeuten! Es ist im Esprit d’Oeconomie von unsern aufgeklärten Zeiten.
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Il y a du Calcul la dedans. Ich find es herrlich. Jedermann versieht sich mit den Nothwendigkeiten des Lebens so wohlfeil als er kan. De r Ab b e´ . Und sehn Sie nur das air de Fe´e, das air — von Geist, von Leichtigkeit, von reitzender Wackelhaftigkeit, das air de Sylphide? — Mi l o r d.
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O ja, ich sehe, ich sehe was zu sehen ist, und freue mich dessen was ich sehe, als wär ich — ein Ö k o n o m i s t . Denn Sehn Sie, wenn E i n grain de folie schon glücklich macht: wie glücklich muß die Welt nicht werden vom Ü b e r f l u ß , de ce grain — la! — die Zeit der Kühe des alten Pharaons am Nil ist gegen die unsrige Kinderspiel! doch, auf die Philosophie endormie zurückzukommen —
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Der Baron . Viel Danks, Milord, für die Zurückkunft.
(Er lacht laut)
Auf mein Wort,
wir alle möchten die Dame näher kennen lernen —
(zum A b b e´)
Monsieur Fatras,
Sie sind ja wohl ein G e i s t e r s e h e r ?
(Er lacht noch lauter)
Sie könnten uns von der Erscheinung da vermuthlich die beste Nachricht geben? Ich seh sie heut in meinem Leben 10
zum erstenmal. — Hab’ ehmals zwar als Schüler von unserm Ludimagister von ihr gehört. Er sprach als wüßt er sehr viel davon. Allein, es war wohl eine Andre — oder, er kannte sie auch vom Hörensagen nur. Was er Philosophiam nannte war eine gar wichtige I n f a n t e ! Sie hätte, s a g t e r , die wilde Natur zuerst gebändigt und überwunden,
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und in der Körper- und Geister-Welt und in der — was weiß ich welcher? — Welt alles gar nett zusammengebunden, und Städte gebaut, das erste Geld gemünzt; und Kirchen und Schulen bestellt, kurz Alles gethan, und Alles erfunden, s a g t’ e r — Milor d. Mein Herr v o n Tr u t e n h a h n , der Ludimagister war ein — Lümmel,
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und wußte nicht was er sagte. Beym Himmel, sie hat, seitdem sie athmen kan, von allem dem just — N i c h t s g e t h a n .
La philosophie endormie. Erste Scene
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Der Ba r o n
(mit einer politischen Mine und sehr laut schreyend.)
Ich sagte ja gleich, es müßte noch Eine Philosophie seyn — De r Ab b e´ . Nicht so laut! — Nein Herr Baron, es giebt sonst keine; in tausend Gestalten ists immer nur Eine. Da sitzt sie in ihrer ersten Haut! Hat freylich in ihren Lebenstagen noch keinen Gänsestall gebaut;
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(das können Sie keklich weiter sagen!) noch jemals was erfunden — als das F a r b e n - K l a v i e r , und allenfalls die Wa s c h - M a s c h i n e . — Ihrenthalben möchten wir noch auf Vieren gehn, und Gras mit unsren Zähnen mähn, und uns mit Thran und Schaaf-Fett salben. Wohl uns, daß — wie bey jedem Thier — Instinct und Glück das Beste thaten im Drang der großen Noth uns rathen
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zu helfen. Denn ma foy, hätten Wir die Künste lernen sollen von ihr, wir könnten noch keinen Apfel braten! Die Kunst zu träumen bey hellem Tag, und Fliegen zu fangen, und Sterne zu zählen ist alles womit sie großthun mag! Der Ba r o n. Nun möcht ich doch, bey meiner Seelen, begreifen, wie sie zu ihrem Credit gekommen seyn kann — Der Ma r q u i s
zum C h e v a l i e r .
Gehst du mit?
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Der Ch e v a l i e r . Ou? Der Marquis . Zur Comtesse de la Chouette. Der Ch e v a l i e r
(avec un air fin.)
Ja, wer nicht was Bestelltes hätte. Der Marquis . Milord, j’ai l’honneur — Herr Baron, Ihr Diener. Der Baron . 10
Wie? Sie gehen schon? Ich wollte mir nur erzählen lassen — Der Marquis . Grand bien Vous fasse, Herr Baron!
(er geht mit dem Chevalier hüpfend und
pfeifend ab.)
Zwoote Scene. Der Ab b e´ . Sie sollen bedient seyn, Herr Baron; Wir wollen uns kurz zusammenfassen! M i l o r d (wirft sich in einen Lehnstuhl, schlägt die Beine übereinander, und sieht aus, als ob 20
er sehr scharf an — Nichts denke, und gar nicht acht gebe was die andern sagen.)
Der Baron . Nach ihrer Bequemlichkeit, l’Abbe´. Ich wüßte doch bis zum Soupe´ sonst nichts zu thun — Eh bien —
(er gähnt)
(sieht nach der Uhr)
erst sieben Uhr;
contez, contez toujours,
La philosophie endormie. Zwoote Scene
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j’aime les Contes a ` la folie. Was wärs? Wo blieben wir stehen? — Recht! die Rede war? — De r Ab b e´ . Sie wollten die Mühe nehmen, sich von d e r E n d o r m i e d a was erzählen zu lassen — De r Ba r o n. Recht! Das wars! J’y suis! Nur fortgefahren!
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Der Ab b e´ . In ihren ersten Jugendjahren — De r Ba r o n. Ich hoffe, sie ist doch von altem Geschlecht? Der Ab b e´ . Sie kennen, als in den Geschichten erfahren, unfehlbar das alte berühmte Geschlecht der F e e n ? De r Ba r o n. Hab’ irgendwo gelesen es sey in großem Flor gewesen vor Zeiten. Allein, wie alles changiert, dermalen würde in m e i n e m Lande mit einer Fee schlecht p r o b i e r t . Parbleu, ich glaube sogar U r g a n d e und A l q u i f würden nicht paßiert! Wir nehmens scharf bekanntermaßen. Ha! Ha! die gute Philosophey! Sie würde, Trotz ihrer Feerey, in keinem Stifte zugelassen!
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Milo r d
(auffahrend.)
God damn your Pedigree! laß den Abbe´ doch schwatzen! Der Baron
(laut lachend.)
His Lordship, wie ich seh, ist nicht bey Laune — Weiter, Abbe´! Der Ab b e´ .
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Die Dame also von der wir sprechen, (wie jede Fee, durch Schicksals Schluß, so irgend was Tolles haben muß) hat ein gewisses Naturgebrechen wogegen M u s t a s c h e n s Zwickelbart — Milor d
(ungedultig.)
O laßt Mustaschens Zwickelbart, und alle Vergleichungen dieser Art; zur Sache! zum Naturgebrechen! was ists? Der Ab b e´ . 20
In ewiger Pfleg und Wart von einem Cicisbe´ zu stehen der ihrer Trägheit die Müh erspart aus ihren eignen Augen zu sehen. M i l o r d (schlägt die Beine wieder übereinander, und läßt den Kopf auf den Rücken des Lehnstuhls fallen.)
Der Ab b e´
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(fortfahrend.)
Das einzige was sie sich vorbehält ist Freyheit, immer von einem zum andern, so bald es ihr zu wechseln gefällt, (und das ist oft) herumzuwandern. Langweile, Neugier, Paradoxie,
La philosophie endormie. Zwoote Scene
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kurz, Grillen und Launen regieren sie dabey. Doch, ist der Günstling erkohren, flugs ist er ihr der größte Mann den je ein Weibliches Weib gebohren, und nichts ist dann so närrisch, er kann Sie’s überreden. Sie hälf’ ihm, Mohren bleichen; und spräch er: Zweymal Zwey sey Fünfe: Sie setzte ihre Ohren dran, daß es i n d i e s e m F a l l e so sey. Die’s anders finden, schilt sie Thoren;
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denn Recht zu haben und weise zu seyn erlaubt sie nur ihrem Günstling allein; und wer sich dagegen zu sperren wagt den schlägt Sie mit einem E r h a t s g e s a g t als einem Kolben vor die Ohren. Allein, sobald ein neu Gesicht ihr vorkömmt — ein Knabe, der mit Gewicht aus einem neuen Tone spricht, stracks ist der große Mann verlohren: der Mann und sein System ist weg,
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er ist ein Träumer, ein schaaler Geck, und Jeder darf ihm Esel bohren. De r Ba r o n
(aus einem Mittelstand zwischen Wachen und Träumen erwachend.)
Ein Träumer, ein Eselgebohrner Geck — wie — wie — wie meynten Sie das? — De r Ab b e´ . Ey, Ihr Gewissen, Herr Ritter, hört auch gar zu leis! Es hat sie da ganz unhöflicherweis aus Ihrem süßen Schlaf gerissen. Ich dächte, Sie schliefen ruhig fort. Mein Schwatzen hat Sie unterbrochen; Verzeihen Sie —
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Der Baron . Nä! Nur fortgesprochen! Sie sehen ich höre jedes Wort —
(Schläft wieder ein.)
Milo r d. Ich höre da zwar nichts Neues sagen, Allein — man hört doch immer. — Nur fort, nur fortgefahren, Abbe´! Der Ab b e´ . Milord, 10
das Neue war schon in Salomons Tagen was Seltnes! — ich spreche von langer Zeit — Was Neues! Parbleu, die Möglichkeit was Neues zu sagen wird immer kleiner von Jahr zu Jahr — Milor d. Ah! wieder ein feiner Locus communis! doch, no offence! Nur weiter! Der Ab b e´
(vor sich)
orandum est ut sit mens
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sana
(laut)
Milord, die ganze Geschichte
ist etwas lang, und auch, beym Lichte besehn, nicht allzuangenehm — ich dächte — Milo r d. Mir ist alles le meˆme. Di e Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e
(im Schlaf.)
Ah! cher Vo l t a i r e ! cher vieillard!
La philosophie endormie. Zwoote Scene
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Mi l o r d
zum A b b e´ .
Was will Die mit ihrem Knasterbart? Der wird doch (wie Freund Tr i s t r a m spricht) in seinen alten Tagen nicht noch eine Fackel in ihrem — *) Der Ab b e´ .
(ihm ins Wort fallend.)
— Still! Sie sehn ja daß sie erwachen will! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e
(streckt sich, reibt die Augen, und spricht ohne die
Herren gewahr zu werden.)
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Wo bin ich? das süße Traumgesicht! So alt, und noch so unermüdet! so unerschöpflich! das braußt und siedet ja noch in meinem Dienst; als wär’ ich — seine Pucelle. — Mi l o r d
(vor sich.)
— und Er ihr edler langgeöhrter Galan! Der Ab b e´
leise zu M i l o r d .
Sie fängt ein wenig feurig an! — Ah! sehn Sie! die versprechenden Augen! Mi l o r d. Nur mehr Fraicheur! So möchts, mein Treu! für einen Whim noch immer taugen!
*)
Milord geruht auf eine Stelle im Tristram Shandy anzuspielen, die zwar sehr philoso-
phisch, aber eben nicht die delicateste ist. S. Vol. VIII. ch. 5. Der teutsche Übersetzer hat aus moralisch-politischer Rücksicht auf die große Delicatesse unsrer Zeit diese Stelle so drappirt, daß nun gar nichts Anstößigs mehr dran ist; sie ist zwar platt dadurch geworden; aber das nehmen wir Teutsche nicht übel, wenn ein so großer m o r a l i s c h e r Vortheil dadurch gewonnen werden kann.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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D e r A b b e´ (nähert sich indessen der Philosophie endormie mit großen Verbeugungen, und flüstert ihr sehr vertraulich ins Ohr.)
La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e,
(auf Milord deutend.)
Wer ist der Herr da? Der Ab b e´ . Milord R u n d !
(Milord macht einen schlichten Serviteur.)
La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Sein air of Liberty macht ihn kund. (zu Milord.) 10
M i l o r d , mich freut die Ehre —
(zum Abbe´)
der Pinsel!
(zu Milord.)
Hab’ für die Herren aus Ihrer Insel immer ein kleines foible gehabt. Milo r d
(kalt.)
Viel Ehre für uns! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e,
(zum Abbe´.)
A b b e´ , was trabt die Treppe herauf?
Dritte Scene. 20
Der M a r q u i s und der C h e v a l i e r mit großem fracas zu den Vo r i g e n .
Milo r d
zum M a r q u i s .
Schon wieder zurück? Der Marquis . Aux Franc¸ois, einen Augenblick! half pfeiffen — machte in einem Nick
La philosophie endormie. Dritte Scene
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den Tour herum — dann zur Chouette, die fand ich auf ihrem Ruhebette mit einem Gesicht a´ faire peur, die Nerven noch alle von gestern her en marmelade! — un mal de Teˆte affreux — und solch ein Schmachten im Blick! Enfin — je fis une belle retraite; und komme, wie Sie sehn, zurück. Die Ursach läßt sich leicht ermessen.
(mit einer Verbeugung gegen die Philosophie
endormie.)
Der Ab b e´ .
10
(vor sich)
Der Fat! — Des Milords Abendessen ist wohl die Herren anzuziehn Magnets genug! —
(zum Chevalier)
Und Sie, wohin
Herr Ritter, geriethen sie indessen? Ey! was Bestelltes so zu vergessen! Der Ch e v a l i e r . Vou riez! — es wäre lächerlich an unser Einem, in solchen Sachen den Mann von großem Gedächtniß zu machen —
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der Fehler ist morgen früh geschwind vergütet! Mi l o r d. Genug, die Herren sind willkommen zu einer Schaale Punsch. De r Ch e v a l i e r
(vor sich.)
Das war nun eben nicht mein Wunsch!
(Der Marquis scharmiert indessen mit der
Philosophie endormie. Der Abbe´ mischt sich in ihr Gespräch.)
Der Ch e v a l i e r
zu M i l o r d .
Ha! ha! die fangen schon Feuer! Es wäre
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morbleu! von uns nicht sehr galant den faden Stützerchen da die Ehre des Sieges zulassen! Milor d. Pshaw! die Ehre wird nicht so groß seyn. Die kleine Mähre frißt einem ja Augenblicks aus der Hand! (vor sich)
und doch wär’s Spaß, sie vor der Nasen 10
den Gecken am Ende wegzublasen. Der Ch e v a l i e r
(vor sich.)
Den fürcht’ ich nicht!
(Er nähert sich der Philosophie endormie mit einer
Verbeugung.)
— Ein Dritter, Madam — ist hoffentlich, nicht zu verwegen, wiewohl er später als Andre kam, sein Herz zu Ihren Füßen zu legen. La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Monsieur, vous etes bien poli. 20
Der Marquis
zum A b b e´ .
Die allerliebste Philosophie! Der Baron
(erwacht, sieht sich um, und stolpert mit affectierter Bonne grace zur
Gesellschaft hin.)
Die Messieurs haben wie ich seh Die Dame bereits in Beschlag genommen; ’s ist hohe Zeit dazwischen zu kommen! — Nur nicht so hitzig drauf, Messieurs! — Ihr Sclave, ma belle!
La philosophie endormie. Dritte Scene
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La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e
(zum Abbe´.)
Wer ist der? Der Ab b e´
(leise zu ihr.)
Ein Wunderthier vom Nordpol her, Vous voyez, ein ungeleckter Bär, ein Oran-Utang — um Alles zu sagen mit Einem Wort, ein teutscher Baron. La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Abbe´, ich bitte Respect zu tragen; ich ehre, seit Kurzem, d i e Nation.
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’S sind Leute von guten derben Sinnen und hausgesponnenem Menschen-Verstand! Sie zahlen unsern Fabricken-Tand baar Geld, vertauschen ihr Gold um Häcksel und Clinquant, verliehren noch gar im Wechsel, copient lourdement nos Travers, sind unsere tollsten Moden gewärtig, und halten sich selbst nicht eh für fertig, bis unsre Schneider und Friseurs sie erst zu Menschen umgebildet,
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und unsre Brodeuses sie übergüldet. Da spricht man: so ein Volk sey dumm! I c h preis’ es klug, und weiß warum; In Staatswirthschaftlicher Betrachtung verdient ihr Blödsinn die größte Achtung. Der Ba r o n
(in großem Ernst, und mit einer tiefen Verbeugung.)
Madam, vous avoir trop de bonte´. La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Man kann für Sie zu viel nicht haben, mein Herr Baron.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Der Marquis . Ein Mann von Gaben! Er kommt ( w i e C ä s a r ) und sieht und siegt. Der Baron
(mit einer schlauen Mine.)
Ich bin mit m e i n e m Talent vergnügt, hoffe Sie werden Ursach haben es mit dem Ihrigen auch zu seyn?
(Er lacht aus vollem Halse.)
Der Ch e v a l i e r . Min Err Baron Locklockenstein, 10
Ihr Liebsglück macht Sie übermüthig — Der Ab b e´ . Fy donc! ein wenig ehrerbietig vor Damen! Wer wird gleich hitzig seyn? Der Baron . Ich bleibe, wie Sie sehn, kaltblütig, und lade Sie alle zur Tafel ein. Hoffe, Madame sind so gütig — Ein kleines Soupe´, so gut mein Koch es in der Eile zusammenbrachte —
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Der Ch e v a l i e r
(heimlich zum Marquis.)
Das geht noch besser als ich dachte (laut.)
Eh bien, Marquis, wir gehen doch noch
zur kleinen Duchesse?
(Sie thun als ob sie gehen wollen.)
Der Baron . Point de rancune, Herr Ritter! die ganze Compagnie bleibt da! — Ma Reine, befehlen Sie den Herren zu bleiben! Point de rancune! Sind gute Freunde allerseits!
La philosophie endormie. Dritte Scene
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La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Ich, als die H e l e n a dieses Streits, werde wohl Friede machen müssen. Die Fehde wird bald geschlichtet seyn. Messieurs, belieben Sie dann zu wissen, mes Faveurs, gleich dem Sonnenschein, sind Jedem eigen, und Allen gemein. Ich werde Sie alle contentieren; nur müssen die Herren so billig seyn sich auch für mich zu employiren.
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Om n e s. Sind alle bereit bey Tag und Nacht! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Der Anfang sey dann damit gemacht, Sie alle (ohne daß sie spüren daß ihnen im Leibe dabey was kracht) zu P h i l o s o p h e n zu kreiren. (Die Herren schauen einander aus großen Augen an.)
Sie schütteln die Köpfe? Sind Sie klug? Ist etwa da was zu risquiren?
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Sie n e n n e n s i c h s o — das ist genug der halben Welt zu imponiren. (zum Marquis)
Sie, Marquis, sind bey Hofe bekannt, sind in der großen Welt mit Damen und Herren liiert, und sehr im Stand, zum wenigsten durch die dritte Hand, uns Zutritt und Schutz von großen Nahmen zu schaffen. — I h r F a c h ist, merken Sie, Ihr Fach ist die Ö k o n o m i e ! Der Ma r q u i s. Mein Fach? Madam, le Diable m’emporte;
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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wenn ich in meinem Leben ein Wort davon verstanden! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. — Verstanden? Was wollen Sie mit v e r s t a n d e n ? Wie lächerlich! Wer sagt denn, daß Sie verstehen sollen? Tant mieux, mein Herr, je minder Sie sich darauf verstehn! das ist für mich! Sie werden nur desto dreister sprechen. 10
Nur tapfer über die Staatsgebrechen und wieder den Luxe declamiert, und neue Gesetze projectirt, und giebt sich jemand damit die Mühe und zweifelt und analysiert, frisch auf den Calcul provociert! das Übrige wird sich alles geben. (zum Chevalier.)
Sie, Ritter, in ihrem städtischem Leben, Sie werfen zum S i t t e n l e h r e r sich auf — 20
Der Ch e v a l i e r
(erstaunt.)
Zum Sittenlehrer, Madam? Worauf beruht mein Titel? Auf meinen Sitten doch wahrlich nicht? La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Mon Dieu! wie schwach! Wo ist die Rede von Ihren Sitten? Genug, mein Herr, es ist I h r F a c h ! Sie sind dazu recht ausgeschnitten! Viel Jargon, viel Effronterie, 30
Witz quantum satis — Was wollen Sie noch weiter? Sie sollen mehr Proselyten machen als H e l o i s e n s F r e u n d
La philosophie endormie. Dritte Scene
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einst Schüler. Wie? die M o r a l d e r S p a t z e n ist doch so schwer nicht, wie mir scheint? Und gegen die Pre´jugez zu schwatzen, und aus dem Daseyn ein Narrenspiel zu machen, und jedes Naturgefühl entweder weg zu raisonniren, oder so lang und viel daran zu schleiffen und zu raffiniren, zu drehn, zu feilen, zu ciseliren, bis es ein Hauch verwehen kann:
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Als ob das große Künste wären? De r Ch e v a l i e r . Ah, nun versteh ich! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. c’est assez! Der Markt wird uns schon kramen lehren. (zum Abbe´)
Nun kommt die Reih an Sie, Abbe´, Sie sind ein Meister im persifliren! Sie sollen bey unsrer kleinen Armee
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die leichten Truppen kommandiren; uns, und was wir zum Heil der Welt erfunden, geträumt, ans Licht gestellt, Tagtäglich von Haus zu Haus proniren, und Jeden der uns nicht gefällt verspotten, schinden und chansoniren.
(der Abbe´ verbeugt sich)
(zu Milord)
Sie Milord — Mi l o r d
(ihr ins Wort fallend.)
M i ß , mich lassen Sie aus! Sie wissen ich bin ein Insulaner, und drum zu jedem andern A n e r
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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verdorben — Wir haben bey uns zu Haus zu thun genug — macht eure Sachen so gut ihr könnt — je schlechter für euch je besser für uns — mir gilt es gleich. La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e
(zu den Übrigen.)
Für itzt ist nichts mit ihm zu machen, Milord is in his Humour — Well! Das soll uns nicht aus u n s e r m bringen! England bleibt doch, in allen Dingen 10
ou l e g o u t n’entre pas, M o d e l l ! Dies Liedchen wollen wir ewig singen. (zum Baron)
Und Sie, mein schöner Herr Baron, Sie machen die Honneurs von ihrem Lande, und nehmen uns — i n P r o t e c t i o n ! Nur kein Soupe´ a´ l’Allemande, das bitt ich mir aus! Je suis friande; des ragouts fins, — du gout, Monsieur! und Oeil de perdrix bien perle´ — 20
und den Tokey nicht zu vergessen! Der Baron
(dummtreuherzig.)
Ich bin doch auch ein Philosoph? La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Versteht sich! Wir machen Ihnen den Hof, und Sie — Sie geben uns zu Essen. ’S ist eine Akademie, wovon Sie der Nutritor sind, Baron! Sie sollen Ehre von uns haben!
La philosophie endormie. Dritte Scene
141—189
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Vierte Scene. Verschiedene Herren in schwarzen Sammthosen treten auf: * )
Der Ba r o n. Was wollen die? Sind mir feine Knaben, Mein Seel! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e
(zu den schwarzen Sammthosen.)
— Sie kommen eben recht, wir wollten just zu Tische gehen. (zu den Übrigen)
Milords and Gentlemen, Sie sehen
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hier lauter Männer von meinem Geschlecht, mit denen sie sich befreunden müssen; Männer, die manch solch Hosenpaar in meinen Diensten schon zerrissen, viel Raben und Gänse darinn fürwahr entfiedert, viel Ballen Papiers beschmissen! Sind We l t v e r b e s s e r e r insgesamt, Politiker, Ökonomisten, Projekteschneider, Journalisten, Cyklopädisten, und Antichristen,
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alle von Einem Geist entflammt! Will sie als Männer von seltnen Gaben und hohem Verdienst empfohlen haben. Verbinden Sie sich mit ihnen genau! Arbeitet — mit vereinigten Kräften an unserm Babylonischen Bau; und wißt, von unsern Geheimgeschäften beruht der Erfolg und ganze Gang allein auf unsern Zusammenhang. *)
Conferatur l e B u r e a u d’ E s p r i t , Comedie en V. Actes.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Steht immer Alle für Einen Mann! hat Einer ein Ey gelegt, so kündigt es alle mit lautem Gagack an; und wer an Einem sich versündigt; sey gleich von Allen in Bann gethan! So wird mein Thron sich hoch erheben, so wird es dauren, unser Reich, und die Philosophie in Euch dem Erdenball Gesetze geben ! 10
(die Herren machen einander
Complimente.)
Ein Valet de Cha m br e des Baron. Monsieur est servi. Der Baron . Allons donc, Madam, Messieurs — La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e. Mon cher Baron Vous etes d e s n o t r e s ? Der Baron . Ma belle Fe´e,
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Vous me rendrez bien orgueilleux! La Ph i l o s o p h i e e n d o r m i e
(indem sie den Baron beym Arme nimmt und davon
schlendert.)
Votre Champagne est bien mousseux j’espere? Der Ab b e´ . Voila, Ventrebleu, Une endormie bien eveille´e!
La philosophie endormie. Vierte Scene
1—39
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Nachtrag zur Geschichte der schönen Rosamund. Der Geschichtschreiber H u m e erwähnt am Ende des Abschnitts seiner Geschichte von England, der von K. Heinrich II. handelt, der schönen R o s a m u n d folgendermaßen: „die Chronikenschreiber haben gesagt, Heinrich sey von sehr verliebter Gemüthsart gewesen; und sie gedenken zweyer natürlichen Söhne, die er von Rosamund, einer Tochter des Lord Clifford, gehabt, nehmlich Richards, Longespee oder Long-Sword, (weil er einen sehr langen Degen zu tragen pflegte) zugenannt, der nachmals mit E l a , Tochter und Erbin des Grafen von Salisbury, den Titel und die Güter dieses mächtigen Ba-
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ronen erhielt; und Gottfrieds, der zuerst Bischoff von Lincoln und darauf Erzbischoff von York wurde. Alle übrige Umstände der Geschichte, welche man gemeiniglich von dieser Dame erzählt, scheinen F a b e l n zu seyn.“ — In der That hat man Ursache zu glauben, daß alles was von ihrem Tode, als einer grausamen Würkung der Eifersucht der Königin E l e a n o r erzählt wird, keinen bessern Nahmen verdiene. Die Gleichzeitigen Chronikenschreiber sagen nichts von einer gewaltsamen Todesart; und wiewohl verschiedene, als S t o w , H o l l i n g s h e d , und S p e e d , darinn übereinstimmen, daß sie ihren Tod als eine Folge der harten Begegnung, so sie von der Königin erlitten, angeben: so sind sie doch in der Art wie sie sich hierüber ausdrücken so ver-
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schieden, daß man (wie der Herausgeber der Reliques of A. E. P. bemerkt) eben sowohl vermuthen kann, daß diese harte Begegnung in bittern Vorwürfen und heftigen Drohungen als daß sie in würklichen Thätlichkeiten bestanden. In dem Munde einer Königin, und einer so stolzen, so heftigen Königin wie Eleanor war, ist ein verächtliches bitteres Wort so gut als ein Dolch; und es brauchte nicht mehr, um ein so sanftes Geschöpf, als wie man sich die schöne Rosamund denken mag, in kurzer Zeit vor Angst und Herzleid sterben zu machen. Die Königin war freylich, wie ihre ganze Geschichte ausweiset, eine Frau die der unartigsten Ausbrüche fähig war, und lebte in einem Zeitalter wo es eben nichts seltnes war, sich seine Feinde durch Gift und Dolch vom Halse zu schaffen. Allein es ist doch nicht zu glauben, daß sie, ohne den Fall der
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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äussersten Noth, der hier wohl nicht vorhanden war, sich einer Gewaltthat schuldig gemacht hätte, durch welche sie einen Fürsten von so stürmischen Leidenschaften wie Heinrich, und dem sie ohnehin verhaßt genug war, zur äussersten Wuth und Rache getrieben haben würde. Der Umstand, daß auf dem Grabstein der Rosamund, in der Kirche des Nonnenklosters zu G o d s t o w , da bey Aufhebung des Klosters auch dieses Grabmahl zerstört wurde, die Figur eines Pokals eingehauen gefunden worden — beweiset, däucht uns, nichts gegen unsre Meynung. Denn dieser Grabstein ist, aller Wahrscheinlichkeit nach, erst lange nach ihrem Tode, und also 10
wohl zu einer Zeit, da die Sage von ihrer Vergiftung schon Wurzeln gefaßt hatte, gelegt worden. Was mich dies Glauben macht, ist folgendes. „Als Rosamund gestorben war, wurde ihr Leichnam nach Godstow gebracht, und daselbst mitten im Chor begraben; vermuthlich ihrem letzten Willen zufolge. Denn sie war in diesem Frauenkloster erzogen worden. Lord Clifford, ihr Vater, war ein großer Wohlthäter desselben gewesen, und auch K. Heinrich hatte, um Rosamundens willen diesen Nonnen viel Gutes gethan. Im Jahr 1191. welches das 3te der Regierung König Richards I. ist, kam Hugo, Bischoff von Lincoln, nach Godstow in die Kirche, um sein Gebet zu verrichten; und wie er in den Chor trat, erblickte er mitten drinn ein Grab, das mit
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einem seidenen Leichentuch bedeckt und ringsum mit Wachslichtern besetzt war. Er fragt wessen Grab es sey? Man antwortet ihm: Rosamunds, einer ehmaligen Beyschläferin K. Heinrichs II. der um ihrentwillen dem Gotteshause viel Gutes gethan habe. Wenn das ist, sagte der gestrenge Kirchenhirt von Lincoln, so schaft diese Hure weg von diesem Platz, und begrabt sie ausserhalb der Kirche, damit die christliche Religion nicht ihrenthalben in Verachtung gerathe, und auf daß andre Weibsbilder sich an ihren Beyspiel spiegeln und vor unerlaubtem Umgang mit Mannsleuten sich hüten lernen.“ — Dies Factum hat den H o v e d e n , einen ansehnlichen gleichzeitigen Geschichtschreiber, zum Gewährsmann, und scheint daher Glauben zu verdienen; wiewohl es
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seltsam genug klingt, daß Se. Hochwürden von Lincoln nicht gewußt haben sollte, daß sein Vorfahrer auf diesem bischöflichen Sitze und damaliger Erzbischoff von York, ein leiblicher Sohn dieser Rosamund war; oder, wenn ers gewußt, daß er den Gebeinen der Mutter eines Primaten von England und Sohnes seines vor kurzem verstorbnen Königs so unanständig hätte begegnen sollen — Nicht zu gedenken, daß er bey dieser Gelegenheit sich der h e i l .
Nachtrag zur Geschichte der schönen Rosamund
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M a r i a M a g d a l e n a , und der h e i l . M a r i a d e r E g y p t i e r i n , wohl nicht erinnert haben muß, welche beyde der schönen Rosamund über diesen Punkt nicht viel vorzuwerfen hatten. Ob nun der Befehl dieses über die Reinheit der Sitten seiner Zeit so eyfersüchtigen Kirchenfürsten buchstäblich vollzogen worden, oder ob die guten Mädchen, der Gebrechlichkeit ihres Geschlechts eingedenk, nach seinem Abzug es beym Alten gelassen haben, können wir nicht gewiß sagen. Aber wenn wir einem andern Geschichtschreiber dieser Zeit (Dr. B a r c h a m ) glauben dürfen, so ließ K ö n i g J o h a n n (Heinrichs jüngster Sohn) ein Prinz, der sonst bekanntermaßen geneigter war die Kirchen auszurauben als zu dotieren, das Nonnenkloster zu Godstow reparieren,
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und begabte es mit jährlichen Einkünften, „damit diese heiligen Jungfrauen den Seelen seines Vaters Heinrichs und der hieselbst begrabenen Rosamund durch ihr Gebet Ruhe verschaffen möchten.“ Dieser Umstand macht es mir wahrscheinlich, daß der Befehl des Bischofs Hugo zwar vollzogen worden; daß aber in der Folge die Nonnen zu Godstow, in einem von den Momenten, wo K. Johann seine gegen die Kirche begangnen Enormitäten möglichst wieder zu vergüten suchen mußte, sich ihres Vortheils ersehen, dem König Johann gehörige Vorstellungen gethan, und, da dieser sich nicht entbrechen konnte, nach den Begriffen der damaligen Zeit etwas für die Ruhe der Seelen seines Vaters und einer einst so sehr von ihm geliebten Person zu thun, bey dieser
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Gelegenheit sich auch hinwieder verbunden gehalten haben werden, die Gebeine einer Dame, der ihr Kloster soviel zu danken hatte, mit einem anständigen Grabstein zu decken. Und dies war dann vermuthlich eben derjenige, der sich im 16ten Jahrhundert, bey gänzlicher Aufhebung und Sekularisierung dieses Klosters, noch vorfand und mitzerstört wurde. Er war ringsum mit einem Kranz von Rosen und Laubwerk geziert, und in der Mitte war der Becher in Stein gehauen, aus welchem sie das Gift, das ihr die Königin gab, getrunken — sagt T h o m a s A l l e n , ein Augenzeuge, wie es scheint. Die Vermuthung des Herausgebers der Reliques, „daß eben dieser Becher, der vielleicht nur eine zufällige Zierrath gewesen, in der Folge zu der Idee, daß sie vergiftet worden, Anlaß gegeben haben könnte,“ stehet auf allzuschwachem oder vielmehr auf gar keinem Fuß. Diese Idee, oder populare Sage hat sich, wie viel eher zu vermuthen ist, bald nach dem Tode der Rosamund, und zu einer Zeit entsponnen, da Heinrichs Liebe zu ihr, und die Eyfersucht der Königin, und die Umstände, die der Meynung, daß sie ein Schlachtopfer der
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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leztern geworden, einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit gaben, noch in frischem Andenken waren. Wie ein Becher blos zufälliger Weise zu der Ehre hätte kommen sollen, eine Zierrath von Rosamunds Grabstein zu werden, ist nicht begreiflich. Und 40 bis 50 Jahre waren wenigstens verflossen, wenn wir auch mit dem neuern Geschichtschreiber C a r t e annehmen, daß Rosamund erst kurz vor der Rebellion der Söhne Heinrichs gegen ihren Vater, die im Jahre 1173. ausbrach, gestorben, und die Schenkung, welche K. Johann dem Kloster zu Godstow gemacht, bald nach seiner Wiederaussöhnung mit der Kirche im Jahre 1213. erfolgt sey. 10
Auch der berühmte L a b y r i n t h oder Bower der Rosamund, (ein andrer Hauptumstand der fabelhaften Sage, die den Grund zu der bekannten Ballade abgegeben) scheint, eben so wie ihre vorgebliche Vergiftung, auf einem bloßem Mißverstand und auf der herrschenden Volksneigung — bey der kleinsten Veranlassung aus einer ganz natürlichen Sache was Wunderbares zu machen — entstanden zu seyn. A Bower oder a Boure, wie dies Wort im 13ten Jahrhundert geschrieben wurde, bezeichnete damals ungefähr eben das, was die Franzosen Apartement nennen. „Rosamund (sagt ein alter prosaischer Paraphrast der poetischen Chronik des R o b e r t v o n G l o c e s t e r , *)) hatte Zimmer (Boures) die ihr K. Heinrich erbauen lassen, in den königlichen
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Schlössern zu Wa l t h a m , zu W i n c h e s t e r , im Park von F r e e m a n t e l , zu M a r t e l s t o n , zu Wo o d s t o c k und an viel andern Orten.“ Diese Zimmer behielten noch lange hernach den Nahmen Rosamond’s-Chamber; und L e l a n d erwähnt in seinem Itinerario eines Thurms in dem stattlichen alten Schloß zu P i c k e r i n g in Yorkschire, der noch zu seiner Zeit (unter K. Heinrich VIII) R o s a m u n d s T h u r m genannt wurde. Zur Bestättigung, daß Bower und Zimmer einerley war, findet sich in dem lateinisch verfaßten Inventario der königlichen Mobilien oder sogenannten Pipe-roll aus Heinrich III. Zeit, einer Camera Rosamundae zu Winchester erwähnt, welche, nach der natürlichsten Vermuthung, nicht (wie Wa r t o n meynt) ein Zimmer
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worinn Rosamunds Bildniß hieng oder ihre Geschichte gemahlt war, sondern das nehmliche Zimmer der Rosamund war, welches Heinrich II. dieser Dame,
*)
Warton, der mir diese Facta und ihre Quellen verschaft, setzt die Zeit wo dieser Mönch
seine Chronik geschrieben, um das Jahr 1280. Sie beginnt mit dem fabelhaften Stifter der Brittischen Monarchie B r u t und geht bis auf Edward I.
Nachtrag zur Geschichte der schönen Rosamund
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vermöge des vorangezogenen Zeugnisses, zu Winchester hatte bauen lassen. Rosamund hatte also nicht nur ein Apartement zu Woodstock, sondern allenthalben wo sich K. Heinrich aufzuhalten pflegte. Wahrscheinlicher Weise hatten diese Zimmer eine geheime Communication mit des Königs seinem, oder waren sonst so angebracht und eingerichtet, daß Niemand als der König selbst, oder wem er’s verstatten wollte, den Zugang dazu finden konnte. Vielleicht war auch das zu Woodstock, weil Rosamund sich in Abwesenheit des Königs dort aufhielt, noch künstlicher, verdeckter, und geheimnißvoller eingerichtet; und dies gab hernach, als Rosamunds Geschichte nach und nach mit allerley romantischen Umständen ausgeziert wurde, Gelegenheit zu der
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Fabel von ihrem Labyrinthischen Bower zu Woodstock. Nachdem dann einmal die Idee von L a b y r i n t h damit verbunden war, so begreift sich von selbst, wie man auch darauf gefallen, andre Umstände von der Geschichte des T h e s e u s (der mit Hülfe eines von Ariadnen empfangnen Knäuels Zwirn sich in den Dädalischen Labyrinth von Kreta hinein und wieder heraus gefunden) hinzuzuthun, und der Sache dadurch einen stärkern Anstrich von Romanhaftigkeit zu geben. Auf solche Weise wird nun freylich die Geschichte der schönen Rosamund, dieses Anstrichs beraubt, zu einer ziemlich ordinären Maitressen-Historie; aber dafür macht sie auch den Effect nicht, den sie in der Volkssage macht. Der Verfasser der Ballade hielt sich, wie billig, an die leztern. Denn was gehen einen Dichter die würklichen Umstände einer Begebenheit an? Bey ihm ist die Frage nie, wie eine Sache sich würklich zugetragen: sondern wie sie sich hätte zutragen müssen, um so angenehm, so rührend, so wunderbar zu seyn, als es sein und des Lesers Interesse ist, sie zu machen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Druckfehler in gegenwärtigem Stücke. S. 20. Zeil. 13. streichet das unnütze Wort i n d e s s e n weg. ¼…½
Fehler in der Punctuation und andre Kleinigkeiten wird der geneigte Leser selbst verbessern.
Druckfehler
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Der Teutsche Merkur. Februar 1778.
Hann und Gulpenhee, oder Zuviel gesagt ist nichts gesagt. Eine morgenländische Erzählung Es war einmal zu S a m a r k a n d ein junger Schneider, H a n n genannt; der hatt’ ein schönes junges Weib sich zugelegt für seinen Leib: die liebt’ er wie sein Augenpaar; denkt, weil sie schwarz von Augen war
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und schlanker als ein Liljenstengel, und hatte langes seidnes Haar, und glatte rosenrothe Wängel, und überdies kaum zwanzig Jahr, sein Weibchen sey ein ganzer Engel! „Das ist nun was man heissen kann gedacht als wie ein junger Schneider“ ruft mancher hier; denkt nicht daran daß es Minuten giebt, wo — leider! ein Salomon mit aller seiner List nicht weiser als ein junger Schneider ist. In einem solchen Augenblicke spricht H a n n zu seinem Weib: d u t r a u t e s j u n g e s We i b ! Wa s w ü r d’ a u s m i r , w e n n i c h e r l e b e n m ü ß t e , daß dieser schöne warme Leib, v o n To d e s f r o s t i n e i n e M a r m o r b ü s t e verwandelt, kalt und athemlos
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1778)
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in meinen Armen läg ! O beym Gedanken blos r i n n t m i r’ s w i e E i s d u r c h A d e r n u n d G e b e i n e ! D a s s c h w ö r i c h D i r — e r l e b’ i c h a r m e r M a n n den Jammer einst — auf deinem Grabesteine l i e g i c h n e u n Ta g e l a n g u n d w e i n e , und weine — bis ich nicht mehr kann ! „Und ich, mein trauter, süßer Mann, versetzt das junge Weib, s o l l t i c h d a s U n g l ü c k h a b e n und Dich verliehren, bester Hann, 10
lebendig ließ ich mich mit meinem Hann begraben !“ Das ist ein Weib! — denkt H a n n entzückt, indem er an sein Herz sie drückt: zu zweifeln fällt ihm gar nicht ein; Sie sagt’s ja — also muß es seyn! Seitdem sich Beyde so verglichen war ungefehr ein Jahr verstrichen: und eines Abends, wie sie so allein bey ihrem P i l a u * ) saßen, und, auf die Nacht zum Voraus froh,
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des Lebens Sorgen ganz vergaßen, geschah’s, daß G u l p e n h e e , die schöne Schneiderin, indem sie in verliebtem Sinn mehr nach dem Mann als in die Schüssel guckte, ein kleines Bein hinunterschluckte. Groß war die Noth! — der arme H a n n springt ängstlich zu, thut was er kann, klopft mit der Faust ihr auf den Rücken, versucht’s herauszuziehn versuchts hinabzudrücken,
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*)
Reis mit klein zerhacktem Hammelfleisch gekocht, die gewöhnlichste Speise der Türken,
Persianer, u. s. w.
Hann und Gulpenhee
1—52
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umsonst ist alles sein Bemühn! Das schöne Weibchen muß ersticken. Verzweiffeln will der arme Mann; Allein, da ist kein Rath noch Mittel. Schon liegt sie da in ihrem Sterbekittel, zwar etwas blau, doch noch so schön! Er hälts nicht aus sie anzusehn. Frau G u l p e n h e e ruht nun in kühler Erde und H a n n mit wüthender Gebehrde wälzt sich auf ihrem Grab, und ächzt so laut und bang
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daß man auf tausend Schritt’ ihn hörte; entschlossen festiglich, neun ganzer Tage lang nach seinem Schwur auf ihrem Grab zu weilen. Und es begab sich, daß A - i s s a , der Prophet, vorübergieng, und wie das laute Heulen vom Grabe her ihn störet im Gebet, tritt er hinzu, und frägt den Mann, der auf dem Grabe sich wälzt und heult, w a s L e i d e s i h m g e s c h a h ? Der Schneider spricht: A c h H e r r ! i n d i e s e m G r a b e d a , da liegt ein Schatz den ich verlohren habe.
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D a s b e s t e We i b ! E i n We i b d a s m i c h s o s e h r g e l i e b t ! E i n We i b — a c h ! H e r r , e i n We i b w i e’ s n u n k e i n a n d e r s g i e b t ! u n d h e u t e h a b’ i c h s i e b e g r a b e n ! Spricht der Prophet zu ihm: N u n , w e i l s o b a n g d i r i s t n a c h d e i n e m We i b e , H a n n — s o h a b e was du zu haben würdig bist ! Und wie ers sprach, schlug er mit seinem Stabe aufs Grab, und siehe da! es öfnet seinen Schlund, und G u l p e n h e e , frisch und gesund, steigt aus dem Grab hervor und wirft sich mit Entzücken
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1778)
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dem Mann in Arm. Das war ein Wiedersehn! Ein Freudenrausch! Ein Herzen und ein Drücken! Ihr dächtet, hättet ihrs gesehn, sie würden beyde sich mit Küssen itzt ersticken. Und danken will nun auch das liebestrunkne Paar dem Wundermann, durch den ihm solches Heil geschehen; allein, der ward nicht mehr gesehen. Nun erst wird H a n n gewahr daß G u l p e n h e e , in ziemlich lüftigs Leinen kaum über’s Knie gehüllt, nicht so gekleidet war
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um in der Stadt (wiewohls schon dunkelt) zu erscheinen. „ L i c h t m e i n e r A u g e n , spricht der gute Mann zu ihr, verbirg dich hinter diesen Steinen, i n d e s s e n i c h n a c h H a u s e l a u f f’ u n d d i r d i e K l e i d e r h o h l’ — d e r M o n d b e g i n n t z u s c h e i n e n — sey ohne Furcht ! Ich bin gleich wieder hier.“ Dem Winde gleich lief H a n n davon. Indem so kam d e s K ö n i g s S o h n von ungefehr des Wegs gezogen,
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und viele Fackeln vor ihm her, die glänzten in die Nacht hinein. Und bey der Fackeln Schein gewahren die Diener eine Frau, in loßgebundnen Haaren, halbnackend — die, um nicht gesehn zu seyn, sich schüchtern hinter dem Gemäuer verbirgt, und das Gesträuch so gut sie kann zum Schleyer von derben N u d i t ä t e n macht, die durch das Dunkel-Hell der Fackeln und der Nacht noch zehnmal nackender und zehnmal weißer scheinen
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als wie sie sind.
Hann und Gulpenhee
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Der K ö n i g s s o h n macht Halt, und nähert sich, allein, der reitzenden Gestalt, die, um zum wenigsten den Busen zu verzäunen, genöthigt ist den Alabasterglanz von Zwey untadelichen Beinen der Lüsternheit der Männeraugen ganz, wiewohl erröthend, Preiß zu geben. Der K ö n i g s s o h n , anstatt die Hand vors Aug zu heben, verschlingt das schöne Weib mit seinen Blicken schier. W i e ? spricht er, W i e s o v i e l e S c h ö n h e i t h i e r
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zu solcher Zeit, in solchem Stand und Orte ? „ M e i n H e r r , versetzt die schöne Schneiderin, d a s Neglige´ w o r i n n i c h b i n g e s t a t t e t n i c h t s o v i e l e Wo r t e . “ Der Prinz erkennt die Billigkeit der Weigerung in einer solchen Lage, und reicht ihr stracks sein eignes Überkleid; und — D a m e , n u r n o c h E i n e F r a g e ! seyd ihr vermählt ? — Denn, falls ihr ledig seyd, so kommt, und geht als wie die Morgensonne
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i n m e i n e m H a r e m * ) a u f ! M a c h t e i n e s P r i n z e n Wo n n e , und Freuden ohne Maas erwarten euch in euerm neuen Reich ! Die schöne G u l p e n h e e bedarf nur Eines Blickes den Umfang und Gehalt des angebotnen Glückes, und wie es sich zur Schneiderey des armen H a n n verhält, zu sehen und zu messen: und ach! mit diesem Blick ist H a n n , und Lieb und Treu und Schwur und Grab und Alles, rein vergessen! *)
Serail.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1778)
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H e r r , spricht sie, i c h b i n f r e y , u n d t h u t w i e I h r g e s a g t mit Eurer dienstergebnen Magd ! Sie ist bereit für Euch allein zu leben. To p ! spricht der Königssohn, läßt ihr ein Handpferd geben, und fröhlich zieht, bey Fackelschein, die schöne G u l p e n h e e in seinen Harem ein. Kaum ist sie fort, so kommt, in vollen Freuden, mein H a n n , bringt alles mit was seine Frau zu kleiden vonnöthen war — und keine Frau ist da! Er sucht, er ruft, er will von Sinnen kommen;
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ein Räuber hat sie weggenommen denkt er, und trift so ziemlich nah; doch daß sie selbst darein gewilligt hätte, d e r Argwohn kam in seine Seele nicht. O w a r u m f ü h r t’ i c h s i e n i c h t l i e b e r v o n d e r S t ä t t e so nackt sie war ! O weh mir armen Wicht ! In welchem Jammer wird sie schweben d a s t r e u e We i b ! d e m o h n e m i c h z u l e b e n so schrecklich war, daß sie lebendig sich mit mir begraben lassen wollte !
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D i c h , P h ö n i x a l l e r We i b e r , s o l l t e ein fremder Arm umfahn ? O, sicherlich i n d i e s e m A u g e n b l i c k z e r f l e i s c h t s i e i h r e Wa n g e n , zerrauft ihr schönes seidnes Haar, was sag ich ? ist der Schmach wohl gar durch einen Dolch in ihre Brust entgangen ! Betrogner H a n n ! dein trautes Weibchen war in diesem Augenblick nichts minder als in Fahr sich selbst so grausam mitzuspielen: Die lag gar angenehm und warm
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dem schönen Königssohn im Arm, und dachte, ganz von neuen Lustgefühlen //
betrunken, nicht an dich und deinen Harm.
Hann und Gulpenhee
113—174
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H a n n sucht zu Samarkand indessen und ringsumher, mit Angst und Müh, und mit Gefahr, oft ohne essen zu Bett zu gehn, sein Liebchen spat und früh; hoft immer noch, A - i s s a werde sie zurück zu ihm zu bringen nicht vergessen. Zuletzt erkundigt er von einem der dabey gewesen war, wie Alles sich begeben, und daß sein trautes Weib, mit wenig Widerstreben, dem Sohn des Königs sich ergeben,
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und seines Harem’s Krone sey. H a n n , immer noch von ihrer Treu im Herzen überzeugt, läuft brennend, wie ein ächter Enthusiast, in Einem Sprung bis zum Palast, drückt keuchend durch Trabanten, Wächter, und Knaben sich hindurch, fragt ängstlich jedermann nach seinem Weib als wie nach seinem Leben, sprengt endlich selbst den Prinzen an, und fleht, sein liebstes Weib ihm doch zurückzugeben.
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Der Prinz, e i n g u t e r H e r r — Vielleicht auch wohl bereits der schönen G u l p e n h e e (nachdem von ihrem Reiz Zeit und Genuß die Blühte abgestreift) ein wenig satt — Sobald er nur begreift was ihm der Schneider will, erzählt ihm die Geschichte mit mildem Ton und gnädigem Gesichte. Sie war vielleicht vor Angst nicht recht bey sich, und hat im Schrecken Euch für ihren Hann genommen, erwiedert H a n n ; g e n u g , m a n l a ß s i e k o m m e n . S i e i s t m e i n We i b ! S i e w i r d — O s i c h e r l i c h !
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I h r w e r d e t’ s s e h n ! m i t b r ü n s t i g e m Ve r g n ü g e n , sobald sie mich erblickt, mir in die Arme fliegen.
42
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1778)
//
G u t , spricht der Prinz, i h r s o l l t e i n a n d e r s e h n , und ich will nur von ferne stehn. Die Dame kommt. Der gute Schneider, geblendet durch die Pracht der goldgestickten Kleider und den Juwelenglanz, erkennt sein Weibchen kaum, und Alles scheint dem armen Mann ein Traum. Doch G u l p e n h e e beym ersten Blicke erkennt ihn nur zu wohl, fährt einen Schritt zurücke, wird wechselnd blaß und feuerroth; 10
allein der Witz, den sie als Weib zum Loos bekommen, verläßt sie nicht in dieser Noth. Der Prinz, sobald er wahrgenommen, daß sie erblaßt, rückt schnell heran, und fragt sie: K e n n e s t d u d e n M a n n ? J a w o h l (versezt die zärtlichste der Weiber) e r k e n n’ i c h i h n ! E s i s t d e r s e l b e R ä u b e r , d e r , a l s i c h u n g e f ä h r a m We g e a u f i h n s t i e ß , mit Fäusten, die ich lange noch empfunden, m i c h n a c h d e n G r ä b e r n s c h l e p p t’ , u n d n a c k e n d s t e h e n l i e ß ,
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als eure Hoheit mich gefunden. Der arme H a n n , wie er sein trautes Weib so reden hört, wird kalt am ganzen Leib; sein Blick erstarrt, die Kniee schwanken, die Haare richten sich auf seinem Kopf empor, der ofne Mund verstummt, ihm schwinden die Gedanken. Der ganze Hof, in Einem Chor, erkennt die offenbaren Zeugen der überwiesnen Schuld in seinem Blick und Schweigen. M a n f ü h r i h n s t r a c k s z u m C a d i , spricht
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der Königssohn. H a n n wird gebunden und abgeführt. Der Richter hält Gericht;
Hann und Gulpenhee
175—237
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die schöne Dame zeugt; H a n n widerspricht ihr nicht; Was soll das Leben ihm? Kurz schuldig wird erfunden der arme H a n n , und, wie es sich gebührt, gleich vom Gerichtshof weg zum Galgen hingeführt. Was schützte nun des Armen Hals und Ehre, der zitternd an der Leiter steht, wenn nicht — A - i s s a , der Prophet zu gutem Glück vorbeygegangen wäre? Wie eines Engels Glanz ist seine Gegenwart. D e r M a n n i s t o h n e S c h u l d , ruft er, a n d e s s e n L e b e n
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man sich vergreiffen will, deß kann ich Zeugnis geben ! Die A s a s * ) halten ein, und alles Volk erstarrt, dies Wort aus einem Mund zu hören in welchem nie Betrug erfunden ward: und alles Volk mit H a n n und dem Propheten kehren zurück nach dem Palast. Das goldne Thor eröfnet sich; der Sultan tritt hervor, sein Sohn mit ihm; A - i s s a spricht mit Macht; herbey wird G u l p e n h e e gebracht; um sie und den Propheten schliessen
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die Andern einen Kreis. Von ihrer Schuld gedrückt hebt sie die Augen auf, erblickt den Wundermann, und sinkt entseelt zu seinen Füßen. H a n n wird mit Gold und Ehren überhäuft, Frau G u l p e n h e e ins Grab zurückgeschleift; da mag sie bis zum jüngsten Tage rasten! Ihr lieber Mann fühlt keinen Drang im Herzen mehr, nur neun Secunden lang auf ihrem Grab zu weinen und zu fasten. W. *)
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Gerichtsdiener.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1778)
Die Lustreise. (Von Mistris B r o o k e der Verfasserin der L a d y J u l i e M a n d e v i l l e und E m i l i a M o n t a g ü . ) Ein Auszug aus dem Englischen. Mistris B r o o k e , die unter den neuesten Verfasserinnen lehrreicher und unterhaltender Novellen oder kleiner Romane eine der ersten Stellen einnimmt, produziert in diesem kleinen Werk, welches wir unsern jungen Leserinnen nach und nach mitzutheilen gedenken, ein junges Frauenzimmer von guter Herkunft aber geringem Vermögen, voll feinem Gefühl, und durch Erziehung 10
gebildet, aber auf dem Land erzogen und mit der Welt gänzlich unbekannt — die sich, mit aller ihrer gutherzigen Offenheit und nichts Böses ahnenden Unschuld, ohne Steuer und Compaß, mitten unter die Klippen und Sandbänke des L o n d o n e r L e b e n s wagt, und indem sie dem Syrenengesang eines jungen Cavaliers du bon Ton Gehör giebt, in unmittelbare Gefahr läuft zu Grunde zu gehen. Je seltner die kleinen Romane sind, die man jungen Personen, ohne Bedenken in die Hände geben und als gesunde Nahrung für Geist und Herz anpreisen darf: um so weniger hoffen wir einiger Apologie für die Mittheilung des gegenwärtigen zu bedürfen, gegen den schwerlich etwas anders einzuwenden seyn möchte, als daß er nicht auf unserm eignen Grund und
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Boden gewachsen ist.
Erste Abtheilung. Eine ländliche Scene, Bild des Obersten Dormer und zwoer Schwestern, Luise und Marie Villiers, eine Reise nach London. An einem heitern Abende des vergangenen Herbstmonats hatten die zwoo Nichten des Obersten D o r m e r , eines Edelmanns von mäßigem Vermögen in
¼Übersetzung: Brooke½ D i e L u s t r e i s e . E r s t e A b t h e i l u n g
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Rutland, sich über ihres Onkels Gartenmauer gelehnt, bewunderten da die Majestät der untergehenden Sonne, deren Strahlen in einer sanften Mischung von Gold und Azur an einer benachbarten ländlichen Kirche spielten, und priesen die herzlichen Freuden der Einsamkeit und die frohen Scenen des stillen Landlebens. Hier geschah es, daß die liebenswürdige L a d y H . die ihre Reitze zu einem ansehnlichen Range erhoben hatten, in einem prächtigen Wagen, mit einem zahlreichen Gefolge, hier vorbey nach den nördlichen Provinzen reiste. Dieser Anblick machte auf die Schwestern verschiedne Eindrücke. L u i s e schenkte dieser glänzenden Equipage nur eine flüchtige Bewunderung, und
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kehrte gleich wieder zu ihren vorigen Betrachtungen zurück. Aber M a r i e n s Augen verfolgten die Kutsche soweit es möglich war, und starrten noch eine Weile hinaus in das leere Feld. Sie kam endlich wieder zu sich selbst, warf einen stillen Blick auf ihre Schwester, seufzte; in ihrer Brust wallte eine ihr unbekannte Bewegung; sie vergaß die Pracht der Abendsonne, das Gold und den Azur der Landkirche, die herzlichen Freuden der Einsamkeit, all’ die stillen Scenen des Landlebens, und fühlte zum erstenmal das Gift der Ehrsucht in ihrem Busen. Langsam gieng sie mit ihrer Schwester wieder nach der Wohnung zurück. Auf einmal stand sie stille. Nach einer kleinen Pause — „Dächtest du nicht, L u i s e ? “ — sagte sie, und hielt wieder inne, das Bewußt-
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seyn des Gedankens, der ihre ganze Seele füllte, hemmte ihre Rede; ihr Blick senkte sich zur Erde, und ein bescheidenes Roth überzog ihre lieblichen Wangen. Nun aber rufte die Tischglocke zum Abendessen, und sie verdoppelten ihre Schritte. Doch ehe sie der Einladung derselben folgen, sey mir’s vergönnt, meine Leser mit den beyden Heldinnen meiner Geschichte und mit dem braven Manne bekannt zu machen, unter dessen Dache sie die letzten zehen Jahre durchlebt hatten. L u i s e und M a r i e V i l l i e r s waren die Zwillingstöchter eines Edelmanns von guter Familie. Ich will seine Geschichte so kurz als möglich zusammenfassen. Schon vor seinem 32sten Jahre hatte er, in einer Gesellschaft die eben so wenig als er das Gepräge der Menschheit führte, mit Pferderennen, Hahngefechten, Schmäußen und andern dergleichen Vergnügungen ein beträchtliches Vermögen durchgebracht. Seine liebenswürdige Gattin beugte der Kummer nach einer zweyjährigen Ehe ins Grab. Endlich starb auch er zum
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1778)
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Glück seiner Töchter, denen nun die Erziehung, die ihnen ihrer Mutter Bruder der Oberste D o r m e r , gab, sehr vortheilhaft war. Dieser unterrichtete sie selbst in allen ihrem Geschlecht anständigen Wissenschaften, und bemühte sich, so weit es sein Vermögen und seine einsame Lebensart erlaubte, ihnen diejenigen äusserlichen Vollkommenheiten zu verschaffen, wovon der größere Theil der ernsthaften Leute zu gering zu denken pflegt; oder, nach dem Ausdruck eines leztverstorbenen edlen Schriftstellers *) — ihnen G r a z i e n zu geben. Dieser würdige Beschützer meiner Heldinnen war der jüngste Sohn einer 10
adelichen Familie aus einem abgelegenen Theile des Königreichs. Er hatte frühzeitig Kriegsdienste genommen, und sich darinn Ruhm erworben; aber eine schwächliche Gesundheit, einige Verdrüßlichkeiten bey der Armee, eine natürliche Liebe zur Einsamkeit, ein Prozeß mit dem Haupt seiner Familie, und der Tod einer Gattin die er innigst liebte, alles dieß bewog ihn, bey den Aussichten die er hatte, im 30sten Jahre abzudanken. Er kaufte sich ein kleines Gut zu B e l f o n t , einem anmuthigen Flecken in R u t l a n d , das ihm jährlich etwa 500 Pf. eintrug. Wie nun jeder Mensch eine Lieblingsneigung zu haben pflegt, so bekam auch Er hier einen Hang zur Gärtnerey, einem Vergnügen das ihm alle seine
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leeren Stunden ausfüllte, und das Ungeheuer verscheuchte, dessen frostige Umarmung zu fliehen die Menschen Säufer, Helden, Spieler und Staatsmänner werden, und in immer wechselnden Kreisen nach — Thorheit jagen. Doch wieder zur Sache. Der traurige Überrest von V i l l i e r s Vermögen betrug, nach Abzug einer schweren Schuldenlast, ohngefähr 3000 Pfund, welches nebst einer guten Geburt und einer mehr als gemeinen Schönheit unsrer beyden Waisen ganzes Erbe war. Ich sagte meine Heldinnen wären schön; aber sie besaßen noch weit mehr Vorzüge; sie hatten, bey der äussern Gestalt, auch die S e e l e d e r S c h ö n h e i t , sie hatten Anstand, Charakter, Ausdruck. L u i s e war blond, hatte re-
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gelmäßige Züge, hellbraunes Haar, und ihre Augen stellten das Himmelblau der Dichter d a r ; ihr sanfter, nachläßiger und unbefangner Blick, war ein kunstloses redendes Bild ihrer Seele. M a r i e — doch diese soll im Vorgrunde meines Gemähldes stehen und verdient eine genauere Beschreibung. M a r i e *)
Milord C h e s t e r f i e l d .
¼Übersetzung: Brooke½ D i e L u s t r e i s e . E r s t e A b t h e i l u n g
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also! — Ihr Gesicht war oval, ihre Farbe bräunlich, ihre Augen schwarz und voller Feuer, ihre Nase griechisch, ihr Mund klein, ihre Zähne gleich und weiß wie eine Perlenschnur, ihre Unterlippe etwas hervorhangend. Ihre Kastanienbraunen Locken würden in natürlichen Wellen um ihren Busen hergeflattert haben, wenn nicht die tyrannische Mode ihnen die Freyheit zu schweben geraubt hätte. Sie war groß und schlank, jede ihrer Bewegungen voll reitzenden Anstands. Kurz es war eine Liebenswürdigkeit in ihrem Betragen, die ich nicht zu beschreiben vermag; etwas, das der Hof zwar verbessern aber nicht geben kann; es war natürlich, bald hätt’ ich gesagt wild; es war kunstlos ungezwungen, abwechselnd, wie das angenehme Spiel der Blätter, wenn ein Ze-
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phyr sanft durch sie hinlispelt. In allem der Natur getreu, hatte sie in Gesellschaft derer die sie liebte ein Lächeln voll unwiderstehlicher Anmuth; für die aber, die sie beleidigten, einen unaussprechlich verachtenden Blick, aber einen Blick der ihr gleichwohl gut ließ, weil er augenscheinlich seinen Ursprung aus der Gelegenheit nahm. Ihr Herz war warm, aufrichtig, ungezwungen und unverstellt; jede Veränderung ihrer Laune oder Empfindung mahlte sich unverzüglich auf ihrem Gesicht. Einen Reitz hatte sie noch, der weit wichtiger ist, als man gemeiniglich denkt: ich meyne jene zauberische Melodie der Stimme im Sprechen, die so unaufhaltsam zum Herzen dringt. Ob nun gleich beyde Schwestern die Schönheit zum Antheil hatten, so konnte
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doch nichts ungleicher seyn als sie einander waren; und wiewohl Tugend die Grundlage von beyder Charaktern ausmachte, so war doch nichts verschiedner, als die Züge ihrer Gemüther. L u i s e war sanft, unthätig, zärtlichromantisch; M a r i e rasch, ungedultig, sprudelnd, unternehmend. Eben so waren auch ihre Entwürfe und Wünsche einander entgegen. L u i s e träumte sich ihr Glück im Schatten eines Rosenstrauches: M a r i e wünschte, diese flüchtige Göttin durch die glänzenden Labyrinthe der Welt verfolgen zu dürfen. Beyde schmückte die Blüthe der Gesundheit; aber auf M a r i e n s Wangen glühte sie lebendiger. Der Oberste D o r m e r , ihr Onkel und Pflegvater, hatte seine Jugend-Jahre in der vermischten Gesellschaft der großen Welt verlebt, aber demungeachtet die schöne Einfalt des Charakters beybehalten, welche stets die Begleiterin eines sehr vorzüglichen Verstandes ist. Er verstund die Kunst zu leben, weniger wegen seiner frühen Bekanntschaft mit der großen Welt, als vermöge des feinen Gefühls eines Herzens das von Natur zu gefallen wünscht. Doch dieser
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g u t e To n überschritt nie die Grenzen der genauesten und unverbrüchlichsten Aufrichtigkeit. Er war, so weit es seine Einkünfte erlaubten, freygebig, offenherzig, gastfrey, leutselig; seine Tafel, der Sitz des anständigen Überflußes und des gastfreundlichen Vergnügens. Wahrheit, Natur und ungekünstelte Schönheit fanden an ihm einen eifrigen Bewundrer; sein Haus, seine Gärten, seine Felder, alles um ihn her, warf den Abglanz seiner Seele zurück. An Einfalt, Reinlichkeit, Nettigkeit, zeichneten sich seine kleinen Besitzungen vor andern aus. In seiner Wahl war er geschmackvoll, und im Anbau seiner Ländereyen sorgfältig. Sein Blumenflor stund weit schöner, und seine Früch10
te hatten einen angenehmern Geruch als die Blumen und Früchte seiner weit reichern Nachbarn. Und in der That, sein größter Fehler war, daß er sich auf diesen geringen Vorzug ein wenig zu viel zu gut that; beynahe wollt’ ich sagen, daß er lieber der geschickteste Gärtner, als der bravste Offizier oder der würdigste Mann im ganzen Königreich hätte seyn wollen. Er war lang von Gestalt, hatte schöne Augen, eine bräunliche etwas blaße Gesichtsfarbe, und in seinem Anstand und Betragen zeigte sich der Mann, der die Welt gesehen hatte, von der er sich lange schon zurückgezogen. (Die Fortsetzung nächstens.)
¼Übersetzung: Brooke½ D i e L u s t r e i s e . E r s t e A b t h e i l u n g
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Die Lustreise. (fortgesetzt von S. 192. N u m . 2 . gegenwärt. Jahrgangs.) Herr D o r m e r bemerkte diesen Abend ein gedankenvolles gezwungnes Wesen in M a r i e n s Betragen, das ihn um so mehr befremdete, da es etwas ungewöhnliches an ihr war. Er sezte sie deswegen zur Rede; sie wendete Kopfweh vor, und schlich sich frühzeitig auf ihr Zimmer. Die folgende Nacht brachte sie unruhig zu; die Bilder von Staatswagen, Wappen und Titeln, beschäftigten ihre Seele, und ermordeten im buchstäblichen Sinn i h r e n S c h l a f * ) . Sie stand mit dem festen Entschluß auf, den Winter in Londen zuzubringen, dem einzigen Orte, wo, nach ihrer neugebornen Idee, Schönheit und Verdienste
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ihren vollen Werth gälten. Nur wußte sie nicht, wie sie ihrem Oheim einen Entschluß vortragen sollte, den er unfehlbar mißbilligen würde. Der Oberste kannte zwar das menschliche Herz; aber doch war es ihm noch nie eingefallen, seine Nichte mit den activern Scenen des Lebens bekannt zu machen. Er war in den gemeinen Irrthum der Leute gefallen, die den Mittag ihres Lebens zurückgelegt haben. Diese schätzen die R u h e für das höchste Gut, und bedenken nicht, wie unschmackhaft sie zu jener Zeit ist, wenn Erwartung und Begierde nach neuen Gegenständen die Wellen sind, auf denen die Seele daher treibt; wenn Alles der aufkeimenden Phantasie etwas merkwürdiges anbeut, und tausend idealische Vergnügen in den fröhlichen Strahlen der Hofnung wirbeln. Die Jugend ist an sich selbst munter und lebhaft; M a r i e besaß jeden Reitz dieses bezaubernden Alters in hohem Grade; Ihr Gespräch war ihrem Onkel die angenehmste Unterhaltung, und nie fiel es ihm ein, daß ihr Vergnügen geringer als seines seyn könnte, oder daß sie einen Wunsch haben könnte der über das kleine Paradies zu P e l f o n t hinausschweifte. Inzwischen war M a r i e bemüht ihren Plan in Ordnung zu bringen; einen Plan, den sie auf alle Fälle durchzusetzen entschlossen war, noch ehe sie ihrem Onkel die Reise vortrug. Nach zween Monaten ereignete sich eine Gelegenheit *)
Ein Ausdruck aus Shakespears Hamlet.
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die ihren Wünschen günstig schien. Eine ihrer Verwandten hatte ihr ein Vermächtniß von 200 Pfund verlassen, womit sie, ungeachtet ihrer Minderjährigkeit, nach eignem Gefallen sollte schalten und walten dürfen, ohne ihrem Pflegevater Rechenschaft davon schuldig zu seyn. Eine alte Bediente ihrer sel. Mutter, eine rechtschaffne Frau, die ein Haus (in B e r n e r s - S t r e e t zu London) übernommen, hatte ihr um eben diese Zeit geschrieben, und gebeten, sie irgend einer einzelnen Dame die zu London Zimmer miethen wollte zu empfehlen, mit Versicherung, daß die ihrigen mit der äussersten Eleganz eingerichtet wären. Ein Umstand machte dieses Haus M a r i e n besonders ange10
nehm. Es lag nicht weit von der Wohnung einer Dame, mit der sie vorigen Sommer bekannt worden war, die sie äusserst liebete, und unter deren Anführung sie einen Eintritt in die glänzenden Gesellschaften zu erhalten hofte, nach denen sie so sehnlich schmachtete. Diese Dame, Frau H e r b e r t genannt, war eine junge Witwe von Stande und unbescholtnem Ruf, reich, munter, ein wenig launenhaft und eine Liebhaberin von den großen Gesellschaften und immer abwechselnder Ergötzlichkeiten der Hauptstadt. Sie hatte den Sommer bey einer Familie in D o r m e r s Nachbarschaft zugebracht. Da sie nun in der kleinen ländlichen Gesellschaft nichts fand das ihr nur halb so wohl gefiel als unsre M a r i e , so hatte sie dieselbe mit einem schmeichelhaften
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Vorzug beehrt; einem Vorzug, den ihr junges Herz, das damals noch frey war, immer auf dem Sprung stund, und sich an der ruhigen sich selbst immer gleichen Liebe ihrer Schwester nicht ersättigen konnte, mit der lebhaftesten Freundschaft erwiederte. Auch war Frau H e r b e r t gegen M a r i e n s Zuneigung nicht unempfindlich; sie hatte sie immer um sich, und fand tausend Annehmlichkeiten in ihrem Umgang; kurz, sie hatte so ausserordentlichen Geschmack an ihr gefunden, daß nichts als die Liebenswürdigkeit dieses Mädchens, welche gar weit über die ihrige gieng, sie hindern konnte, dieselbe zu sich in die Stadt einzuladen. Frau H e r b e r t liebte M a r i e n wirklich so sehr als sie irgend etwas, ausser ihrer eignen bewundernden Person, lieben konnte.
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Denn diese war ihr vornehmster Gegenstand, und sie wußte, daß die Wissenschaft von Licht und Schatten den Schönen eben so nothwendig wäre als den Mahlern. Sie hatte sich daher, zu ihrer beständigen Begleiterin, sonderlich in öffentlichen Gesellschaften, eine lange hagere Brünette auserkohren, die von guter Familie und von Person nicht übel war, aber ein Gesicht führte, das im Nothfall so ziemlich einen Medusenkopf hätte vorstellen können. — Dieser
¼Übersetzung: Brooke½ D i e L u s t r e i s e ¼Fortsetzung½
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Freundin also würde M a r i e ihren Entschluß zuerst entdeckt haben, hätte sie sich nicht mit dem Gedanken geschmeichelt, sie unvermuthet zu überfallen. Sie war anfangs willens L u i s e n zur Mitreise zu bereden; wenn sie aber überlegte, daß ihr Onkel alsdenn ganz verlassen seyn würde, so stund sie von ihrem Vorhaben ab und beschloß die Reise allein zu unternehmen. Sie hätte aber auch allem Ansehen nach eine abschlägliche Antwort erhalten. Denn L u i s e n s blaues Auge hatte sich nicht bloß um die untergehende Sonne zu bewundern nach jener Landkirche gekehrt, sondern auch um die Schönheit der menschlichen Bildung in der Person eines liebenswürdigen Jünglings zu betrachten, der der einzige Sohn des S q u i r e im Kirchspiel war, welcher zum
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Glück nicht ein Quentchen von den Thorheiten der Junkerschaft an sich hatte. Kurz, L u i s e liebte; aber M a r i e n s Stunde war noch nicht gekommen; ein Umstand, der uns beyder verschiednes Betragen aufklärt, das sie bey dem glänzenden Vorwurf, welcher der letztern ihre Zufriedenheit raubte, bezeigten. M a r i e hatte nun ihren Plan in Ordnung gebracht, und beschloß ihn sobald auszuführen als sie sich herzhaft genug fühlte, dem Obersten ihr Verlangen, einige Monath in London zuzubringen, zu entdecken. Sie wußte, er würde ihr Gegenvorstellungen machen: aber sie beschloß im voraus daß sie vergebens seyn sollten. Sie war versichert daß sein Unwille nicht lange dauren würde, und mahlte sich mit lebendigen Farben sein Erstaunen, wenn er sie nach einer zwey- oder dreymonatlichen Abwesenheit, mit einem herzoglichen Wappen an ihrer Kutsche wieder nach Belfont zurückkommen sähe, worauf sie sich die gewisseste Rechnung machte.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Mai 1778)
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Der Teutsche Merkur. März 1778.
Der Vogelsang, oder die drey Lehren. * ) Vor langer Zeit, wohl hundert Jahren und drüber, lebt’ in einem Land ein reicher Erdensohn, von Namen unbekannt, weil seine Ahnen stets geheim geblieben waren, und drum kurzweg der r e i c h e H a n s genannt. Von Gottes Gnaden hatte der ein schönes Schloß — das Bessern einst als er zum Aufenthalt gedient — man weiß nicht wie, gewonnen, (wie nun einmal in dieser Unterwelt
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nichts lange seinen Herrn behält, und was ein braver Mann begonnen durch einen schlechten wieder fällt) Genug, H a n s hatt’ es nun gewonnen, das schönste Schloß, das von der lieben Sonnen je angeschienen war seitdem es Schlösser giebt. Es lag gar wunderangenehm, von schön behaunen Quadersteinen gebaut, groß, stattlich und bequem; von ferne konnt’s das schönste Kloster scheinen. Ich sage nichts von all dem feinen Geräthe drinn, den langen Reyhn von Sälen, Zimmern, groß und klein, und wie da ringsum alles schimmert und wiederscheint und blizt und flimmert von Silber, Gold und Edelgestein; Nichts von den Kellern voller Wein von weißen, purpurnen und gelben, *)
Nach dem Lays de l’Oiselet in den F a b l i a u x e t C o n t e s etc. Vol. I. p. 179.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1778)
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aus Wälschland, Frankreich und vom Rhein, noch von den Kammern und Gewölben bis oben an mit allem voll was, nach dem alten Spruch, ein Weiser gern haben und leicht entbehren soll; Ein Wort für Tausend, selbst der Kayser zu Wien in seinem alten Schloß (geleit Ihn Gott auf seinen Reisen!) hat kaum mehr Reichthum aufzuweisen 10
als Hans in seiner Burg verschloß. Wie ers handhabte und genoß das wird sich in der Folge weisen. Und eine schöne Treppe gieng vom Schloß herab in einen Garten der hundert Morgen wohl umfieng. Den wie ein Gärtner zu beschreiben, damit geschäh Euch wie ich weiß kein großer Dienst; drum laß ichs bleiben, genug, es war ein Paradeis.
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Alles, was Aug und Gaum und Nase gelüsten kann, das fand man hier, nicht bloß im Treibhauß hinter Glase, frey stund es da im frischen Grase, und blüht und reifte für und für. Auch war in diesem Blumenreich die Luft so heilsam, rein und weich, das Leute die am sterben lagen, auf ihrem Bette hiehergetragen und unter Bäume auf den Rasen
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gelegt, in Einer Nacht genasen. Es geht doch, sagt mir was ihr wollt, nichts über Wald und Gartenleben, und schlürfen ein dein trinkbar Gold, o Morgensonn’, und sorglos schweben
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daher im frischen Blumenduft, und, mit dem sanften Weben der freyen Luft, als wie aus tausend ofnen Sinnen dich in sich ziehn, Natur, und ganz in dir zerrinnen! ———— Wo war ich? — Gutes Volk, verzeiht! — Ich ließ euch doch nicht lange warten? Der Abweg ist zum Glück nicht weit; Wir sind noch immer in H a n s e n s Garten.
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Der war nun, wie gesagt, ein Zweytes Paradeis; und Mitten drinnen stund ein siebenfacher Kreis von alten Himmelhohen Linden, die ihre Äste wechselsweis so vielfach in einander winden, so dicht, daß ihre grüne Nacht den hellen Tag zur Dämmrung macht. Im engsten Kreise zog ein Kranz von Rosenhecken sich her um einen vollen Quell, der, kalt wie Eis und spiegelhell,
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sein perlend Wasser in ein Becken von grünem Marmor goß. Des Sommers strengste Glut, der schärfste Stral der schwülen Mittagsstunde, erlosch in diesem kühlen Grunde; ein lieblich scharfer Geist erfrischet hier das Blut, frischt Laub und Gras, und nährt mit ewger Fülle den immergrünen Hayn; und wie in seine Stille ein D e n k e r tritt, so freut er sich, a l l e i n — und ists ein L i e b e n d e r , so wünscht er Z w e y zu seyn. Nun merket auf! — E i n V ö g e l e i n kam jeden Abend, jeden Morgen und füllte diesen Ort mit lieblichem Gesang. Es sang, in dichtem Laub verborgen,
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und aller Vögel Sang und Klang verstummte flugs so bald es sang. Der Vogel schien, so anzusehen, an Federn ein gemeiner Spaz, und kleiner noch; doch, zum Ersaz für Beydes, hatten ihn die Feen gar sonderbar begabt zu singen frank und froh Ballade, Virelay, Rondeau, und tausend schöne Melodeyen, 10
die einem Leib und Seel erfreuen. Da war kein Schmerz noch Gram so groß der nicht in seinem Sang zerfloß; ihn singen hören, oder trinken aus Lethes Fluth, war einerley. Sang er von Lieb’, zumal im May, so war’s unmöglich nicht zu sinken in wonnigliche Träumerey: und sang er Freud’ im bunten Kranz, gleich hob sich jeder Fuß zum Tanz:
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und wenn er Ritterthaten sang, ward einem stracks nach Kämpfen bang. Der Vogel hatte noch was Sonderlichs an sich; denn, wie er von dem Garten wich, fiel alles Laub, die schönen Bäume verdorrten um die Quelle her, die schöne Quelle sprang nicht mehr, und jede Blum’ erstarb im Keime; das ganze Paradeis verschwand, nichts blieb als kahler Fels und dürrer Sand.
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H a n s , dem dies alles zugehörte, kam täglich einmal, zweymal auch, gewackelt in den Hayn, und hörte dem Vogel zu; ’s war so sein Brauch,
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sobald er Morgens aus dem Bette gestiegen war, und kurz vor Licht; doch, daß er was empfunden hätte, das war nun seine Sache nicht. Denn essen und trinken zum zerplatzen, und schlafen, und im — Kopf sich kratzen, und täglichstags sein Porcellan und seine goldne Becher wischen, und mit dem Amtmann und Kaplan die Dame ziehn und Karten mischen,
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auch dann und wann in Wintertagen ein Häschen durch die Saaten jagen, und flacken auf dem Ruhebett, und, wenn ihm alles sonst will fehlen, sich schließen in sein Kabinet und seine Rosenobel zählen — Dies H a n s e n s Thun und Lassen war zwölf Monat lang in jedem Jahr. Einst Morgens stund der lappichte Geselle und wusch die Augen aus der Quelle;
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da wirbelt aus dem Laub hervor dies Liedchen in sein dickes Ohr. Ihr Ritter und ihr Frauen zart, so roth von Mund und Wang, und junge Knappen edler Art, horcht alle meinem Sang! Seyd eurem Liebchen treu und hold; und dient ihr um der Minne Sold, so sey’s auf lebenlang! Dem Mann der ohne Liebe bleibt, und doch vor innerm Drang sich rastlos hin und wieder treibt,
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1778)
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ist’s in der Haut so bang! Ist alles ihm so kalt, so tod! Er ist wie Wangen ohne Roth und Geigen ohne Klang. Doch Liebe sonder Ehre wär Ein Feuer ohne Glanz: Sie ist, ich sing es laut umher, die Ros’ im Tugendkranz; ist etwas edel, brav und gut, stracks geht dahin ihr Lauf;
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das Herz wird rein in ihrer Glut und lodert himmelauf. Was giebt dem Menschen Götterrang? Die Liebe giebt’s ihm traun! Drum horchet alle meinem Sang, ihr Ritter und ihr Frau’n! Wünscht ihr den ächten Minnesold, der Freuden Überschwang? bleibt eurem Liebchen treu und hold und liebt auf lebenlang!
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H a n s , der nicht fern am Brunnen stand, horcht nach dem Sänger unverwandt; denkt bey sich selbst: Potz Stern, das wäre ein Tausch! Der König, wie ich höre, liebt die Musik; er gäbe mir, wenn ich den Vogel ihm verehre, wohl einen Meyerhof dafür! Zwar singt er hübsch; allein, was scheere ich mich um seine Dudeley? 30
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Kommt doch zulezt nichts raus dabey!
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Der Vogel hatt’ ein feines Ohr; er guckt aus seinem Laub hervor, und hörte alles Wort für Wort, was jener mit sich selbst gesprochen. Da rief er: „O du schöner Ort, was so arges hast du wohl verbrochen, daß du Einem dienst, der deinen Werth nicht fühlt, der so lang er lebt nie in den Ring gestochen, nie des Ruhmes, nie der Liebe Preis erhielt?
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Fallt ihr schönen Erker, Thürme, Hallen, und ihr schönen dichten Bäume, laßt es fallen euer Laub! Und du, die zwischen Blumen spielt, schöne Quelle, höre auf zu wallen, und vertrockne, daß dies Immergrün sterb’ und alle Blumen stracks verblühn! Unter euern Schatten, hohe Linden, giengen wackre Ritter einst und edle Herr’n, und aus euch, ihr Rosen, Kränze binden sah’ ich Frauen, schöner als der Morgenstern!
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Und sie hörten meine Lieder gern, denn sie hatten Lieb’ im Herzen; desto lieber war ich ihnen und mein Liederspiel, und vor wonniglichem preßendem Gefühl giengen manche klare Äuglein über; und der Liederwerthen Thaten wurden viel viel gethan und mancher Dank erstritten; und sie lohnten deß der Lieb und mir; denn noch wohnten adeliche Sitten, Ritterschaft, Gesang und Minne hier. Und es sollte nun mich nicht verdrießen, daß mich so ein Laur *) besitzen soll? *)
Ein altes Wort, das einen fühllosen ungesitteten Grobian bezeichnet.
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der dies alles hat und vom Genießen nichts versteht — ein roher grober Knoll, der sich selbst nur lebt und seinen Lüsten, nichts begehrt als seinen Bauch und seine Kisten anzufüllen, fühllos bey Gesange bleibt, und die Zeit dabey mit Gähnen sich vertreibt.“
So sang das Vögelein und flog davon. Gut, schimpfe nur, du kleiner Hurensohn, (denkt H a n s ) du sollst mir jedes Wort bezahlen, und noch Provision!
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Der Abend kam, und mit den lezten Stralen kam auch mein Vögelein zurück in seinen lieben Hayn, sein frohes Abendlied zu singen. Indessen hatte H a n s den Baum und auch den Ast wo es zu sitzen pflag sehr wohl ins Aug gefaßt, und überall so viel geheime Schlingen im Laub versteckt, daß sich das arme Ding, so wie’s geflogen kam, in einer Schleife fieng. Der Schalk, von einer grünen Mauer
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verborgen, eilt herzu so bald er zappeln hört, macht den Gefangnen loß, der tausend Kronen werth ihm unter Brüdern däucht, und steckt ihn in ein Bauer. Der Sänger spricht: „ich seh es schon, so wie der Herr, so auch der Lohn. Das hab ich nun für all mein Singen! Doch, dürft ichs sagen, wohlgethan wars eben nicht mich so zu fahn; //
es wird euch wenig Rosen bringen.“
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„Du sollst nur desto baß mir singen ! Sonst sangst du oder schwiegst auch still : izt sollst du singen wenn ich will.“ „Da (sprach der Vogel) irrt er sich! Der Keficht ist mir stark zuwider. Ich liebe freyen Himmel, ich, und Wald und Wiesen; setze mich wo mirs beliebt im Grünen nieder, und wiege mich nach Herzens Lust auf meinem Ast, und sing ich Lieder,
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so sing ich sie aus freyer Brust. Drum, lieber Herre, seyd so bieder und schenkt mir meine Freyheit wieder. denn, glaubt mir, d a geht nichts davon, im Bauer sing’ ich keinen Ton.“ D e m , (spricht der Laur) i s t b a l d g e r a t h e n , so dreh ich dir den Hals, mein Sohn, und eße dich für einen Braten. „O Herr, das lohnte wahrlich nicht die Mühe nur den Tisch zu decken;
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bin gar ein kleiner magrer Wicht, ich blieb euch zwischen’n Zähnen stecken, bis in den Magen käm ich nicht. Mein guter Junker, laßt mich leben! was hättet ihr von meinem Tod? Euch kan er wenig Vortheil geben, und mir ist länger Leben Noth. ’s geht doch am End’ nichts über Leben!“ Hör auf zu bitten, sag ich dir, mit bitten kriegt man nichts von mir.
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„Nun (spricht der Vogel) seh ich wohl, das alte Sprüchwort ist nicht hohl, mit groben Leuten höflich seyn, heißt Wasser gießen auf einen Stein; der Stein wird nicht durch Wasser weich, der Laur nicht mild durch Höflichkeit. Doch sagt ein andrer Spruch zugleich: der Weise schickt sich in die Zeit. Drum, Lieber, macht den Bauer auf, 10
und laßt mir wieder meinen Lauf: will euch zum Dank d r e y D i n g e lehren, die nie kein Mann von euerm Stamm gewußt, von Sinn gar wundersam; die sollen euch groß Gut gewähren!“ Wa s g i e b s t m i r d e ß z u m U n t e r p f a n d ? „Mein Ehrenwort, versezt der Sänger, es gilt für baar im ganzen Land.“ Wohl, denkt der schlaue Vogelfänger, es kan doch was dahinter seyn;
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ich nehm es mit; kann alles brauchen; und du, hochweises Vögelein, sollst dir die Füßchen bald verstauchen; bis Morgen bist du wieder mein! Somit schiebt er den Bauer auf und läßt dem Vogel seinen Lauf. Der schnurrt heraus aus seiner Höle, so froh wie eine arme Seele, die aus des Fegfeurs Flammennacht ein frommer Klaußner frey gemacht.
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Er hüpft und tanzt im Kreis umher
D e r Vo g e l s a n g
251—310
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als ob er neu gebohren wär, sezt dann, indeß der Junker paßt, sich wohlgemuth auf einen Ast. „Nun spitz die Ohren, edler Knecht! Merk jedes Wort, und faß es recht, so wird dir’s bringen viel Gewinn; es liegt darinn ein großer Sinn! Glaub nicht gleich alles was du hörst ! “ Daß du dem Geyr im Schnabel wärst ! versetzt der Junker grimmiglich,
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das wußt ich lange ohne dich. „Gut, bis du’s brauchst, halt’s warm indessen! So etwas ist gar leicht vergessen.“ Nun seh ich wohl, mein saubrer Gast, daß du mich nur zum besten hast. Das erste was du mich gelehrt, ist keinen rothen Heller werth ! Du hast den Lohn umsonst genommen. D o c h s e y’ s ! L a ß n u r d a s A n d r e k o m m e n ! „Merk wohl aufs Wort (der Vogel spricht)
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du wirst es brauchen! — We i n e n i c h t um etwas das du nicht gehabt ! “ H a n s schreyt: d a h ä t t e n w i r s e r t a p p t ! Ein fein Arkanum, Gott verdamm es ! daß ich der erste meines Stammes seyn sollte, der von dir das noch e r s t l e r n e n m ü ß t e ! H ä t t’ i c h d o c h den Schelmenhals dir umgedreht !
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1778)
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„Der Wunsch (spricht jener) kömmt zu spät. Indessen, das du sehen magst wie ungerecht du mich verklagst, sey nochmals Beydes dir empfohlen! Soll ich dirs etwa wiederholen? Von Herzen gern!“ Du mußt mich wohl (schreyt H a n s ) u m s o m i t m i r z u w a l t e n für einen großen Esel halten ? D e n n h ä t t’ i c h a u c h e i n H a u p t v o n K o h l ,
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mit Spreu gefüllt, so kahler Lehren z u m H e n k e r ! k ö n n t’ i c h d o c h e n t b e h r e n . D o c h , w e i l d u n u n i m Vo r t h e i l b i s t , laß immer noch das lezte hören ! We r w e i ß o b’ s n i c h t d a s b e s t e i s t ? „Das, spricht der Vogel, könnte seyn. Nur faß es wohl! Es gleicht dem Stein der Weisen. Wer den machen kann der wird gewiß kein armer Mann! Merk auf mit Fleiß! Wiewohl es heut
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zu spät kommt, kanns zu andrer Zeit dir viel vergebliche Reu ersparen. Narr, was du in den Händen hast halt fest, und laß es nimmer fahren ! “ Wie H a n s dies hört ergrimmt er fast, S o , schreyt er, h ä l t s t d u d e i n Ve r s p r e c h e n ? O ! k ö n n t’ i c h d i r d i e B e i n e b r e c h e n ! I s t d i e s d e i n Wo r t ? I s t d i e s m e i n D a n k ? „Nun, guter Freund, was soll der Zank? Gab ich dir nicht drey goldne Lehren?
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du Laur, was kannst du mehr begehren?“
D e r Vo g e l s a n g
311—368
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E i n f e i n G e s c h e n k , b e y m e i n e r Tr e u ! Man dächte was dahinter sey ? Bey Schocken wußt ich schon in meinen Kindertagen dergleichen Sprüche aufzusagen. „So gut als irgend eine Gans, versetzt der Vo g e l . Mein guter Hans, die Augen aus dem Kopf gegeben, wenn du so klug wärst, hättest du, und beyde Ohren noch dazu, viel eher, Tropf, als mir das Leben.“
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W i e s o ? w i e s o ? w a s h ä t t e m i r’ s geholfen, dich zum Koch zu tragen ? „Gar viel geholfen hätte dir’s! Unglücklicher, in meinem Magen hättst du gefunden einen Stein, drey Unzen schwehr, und hell von Schein wie Diamant, der auf der Stätte zum reichsten Mann gemacht dich hätte. Denn wer den Stein besitzt, der weiß was künftig ist und was vergangen;
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die Geister kommen auf sein Geheiß, er darf nur wünschen, nur verlangen, so steht es da, ist alles sein! dein guter Engel gab dir ein mich heute noch am Spies zu braten; hättst du gefolgt, der Stein war dein! doch einem Narren ist nicht zu rathen.“ H a n s , wie er diese Nachricht hört, sich wüthend in die Haare fährt, schlägt mit der Faust sich vor den Magen, zerreißt sein Wamms und einen Kragen
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1778)
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von Spitzen, hundert Thaler werth, und füllt den Wald mit lautem Klagen. Der Vo g e l sieht in großer Ruh dem Spuck von seinem Baume zu; sagt nicht ein Wort, bis Mantel, Kragen und Wamms, und Wange, Bart und Haar, sich H a n s zerfezt hat ganz und gar. Drauf ruft er: „Narr, hör auf zu zagen, den Schaden darf dich so nicht plagen; 10
es ist kein Wort von allem wahr was ich vom Stein dir vorgetragen.“ W i e ? Wa s ? s o w ä r’ s n u r L u g u n d Tr u g ? „Ich dachte ja, du seyst so klug? Man könne dir nichts Neues sagen? Du wissest Alles schon vorher? Als du mich fiengst, du dummer Bär, da war ich keine Unze schwer; wo käme denn in meinen Magen ein Kiesel von drey Unzen her?“
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Nun seh ichs freylich nur zu sehr, erwiedert H a n s mit naßem Blicke; We r a b e r h ä t t’ a u c h s o l c h e T ü c k e dir zugetraut ? „Begreifst du nun, wie Narren sich selber Schaden thun? Thor! Wo r t e s i n d n u r l e e r e S c h a l e n ; der Sinn ist Alles, der Sinn, der Sinn ! Allein für dich ist keiner drinn! D i e Lehre magst du nun bezahlen?
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du wußtest alles längst zuvor —
D e r Vo g e l s a n g
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Was half dein Wissen? Pinsel, Thor! Hättst du verstanden es auszuüben, dein Kragen und Wams wär ganz geblieben! So merk nun meine Lehren dir, und sieh dich künftig besser für. Sie kommen dir hoch genug zu stehen! Somit Ade, auf Wiedersehen!“ Der Vo g e l flog davon und soll noch wiederkommen. Dumm und toll steht H a n s ; ihm ist als ob ihm träume; und, wie er steht, o wundervoll! fällt alles Laub, die schönen Bäume verdorren plözlich rings umher, die schöne Quelle springt nicht mehr, die Blumen sterben all’ im Keime, weg ist das ganze Feenland, nichts bleibt als Fels und dürrer Sand. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1778)
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¼Apollodorus und Philonus, ein Gespräch die Immaterialität der Seele betreffend. In Beziehung auf P h i l o n u s und H y l a s , ein ähnliches Gespräch im 2ten Theil des P h i l o s o p h e n f ü r d i e We l t . … Von einem U n g e n a n n t e n eingeschickt.* )½ * ) Es könnte zu Nichts helfen, wenn ich meine Meynung von diesem Gespräch,
und überhaupt von allen Untersuchungen über die Dinge, d i e Z e v s i n r ä t h 10
s e l h a f t e r N a c h t v o r u n s v e r b a r g , hier von mir geben wollte. Der Merkur hat mancherley Leser; es giebt deren nicht wenige, die sich an dergleichen metaphysischen Cremen, und an der Möglichkeit einer Citrone die von der Allmacht an einen Rosenstock befestiget worden, herzlich laben — und ich sehe nicht, warum ich solchen Lesern, wenn mir der Zufall einmal einen solchen Leckerbissen für sie in den Schoos wirft, ihr Vergnügen dran verderben sollte. W.
¼Anmerkung: Herz½ A p o l l o d o r u s u n d P h i l o n u s ¼…½
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K a n d i d e , o d e r d i e b e s t e We l t , aufs neue verteutscht. Mit 5 Kupfern von C h o d o w i e c k y . Berlin bey Himburg, 1778. 2 Theile, zusammen 354 Seiten, in klein 8. schön holländisch Pappier. Man sage nicht: „wozu einen K a n d i d e übersetzen, den doch jedermann lieber im Original lesen wird?“ — Es ist allemal Gewinnst für die Litteratur, wenn ein ausländisch Originalwerk wie Candide — ein Lieblingsbuch aller Leute von Verstand — g u t übersetzt wird. Dies Verdienst kann dem neuen Übersetzer nicht abgesprochen werden. Er hat sich des Geistes seines Autors bemächtigt, und man fühlt durchaus, daß er mit innerlichem Beruf, Lust und Liebe gearbeitet. Sein Ausdruck hat alle Tugenden eines guten Kolorits; er hat
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den komischen Styl sehr in seiner Gewalt; sein Ton ist meistens gut und soutenirt, wenigstens begegnets ihm nicht oft, daß er um ein Tantillum höher oder tiefer stimmt als To n a r t und H a r m o n i e erlauben. Das haarscharf treffende Gefühl fürs Z u v i e l und Z u w e n i g ist freylich das Non plus ultra aller menschlichen Kunst; dazu gehört viel Studium und Übung; und zu beyden viel Fleiß und Länge der Zeit, ohne welche nichts reif wird. G e n i e machts nicht aus: denn die Natur allein macht keine Künstler, und Künstler muß der doch seyn, der ein Kunstwerk hervorbringen will? — Die zuweilen vorkommende n i e d r i g e n Redensarten nahmen wir dem Üb. n i c h t o h n e U n t e r s c h e i d übel. Manche niedrige Redensart (z. Ex. die O J e m i n e e s g e s t a l t
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S. 19.) fällt uns nur auf, wenn sie der Autor braucht wo er i n e i g n e r P e r s o n spricht; im Munde einer Person aus dem Pöbel würde sie nicht anstößig seyn. Diesen Unterschied vergessen heutigs Tags A u t o r e n und L e s e r gleich oft. — Hingegen wünschten wir Sprachunrichtigkeiten, offenbare Fehler wider die Grammatik, besonders auch die so sehr zur Mode werdende Auslassung der Hülfs- und Verbindungswörter an Orten wo sichs gar nicht schickt, von jedem, der gut schreiben k a n n , eben so sorgfältig vermieden, als ein wohlerzogner Mensch sich hütet, mit Löchern in den Strümpfen in gute Gesellschaft zu gehen, oder das Hemd aus dem Hosenlaz hervorgucken zu lassen. Gute Schriftsteller müssen sich vor solchen Licenzen um so mehr hüten, weil es itzt eine Epidemie unter dem Pappierbekleckenden Völklein ist, eine Sprache zu schreiben, die gar keine Regeln hat. Die Freyheit, die sich der Üb. mit
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seinem Original genommen hat, hier und da einen kleinen Zug einzuweben, der dem Ganzen mehr die Mine eines teutschen Produkts geben soll, ist am Ende nur Ausübung des Ve r g e l t u n g s r e c h t s ; die Franzosen machen’s Engländern und Teutschen schon lange so, und nicht immer mit so viel Discretion als unser Üb. Aber wie er sich hat dazu gebrauchen lassen können, auch den sogenannten 2 t e n T h e i l des C a n d i d e , der doch weltkündiger auch handgreiflicher maaßen n i c h t von Vo l t a i r e ist, frischweg als ob es Voltairens Werk wäre zu übersetzen; wie er nicht g e w u ß t , nicht g e m e r k t hat, daß diese Fortsetzung eines v o l l e n d e t e n Werks — von einem A f t e r 10
Vo l t a i r e und des ächten Candide gar nicht würdig sey, oder wenn ers gewußt, warum er seine Leser nichts davon merken lassen — begreiffen wir nicht. Doch wollen wir bey dieser Gelegenheit unsern angehenden Schriftstellern einige Bekanntschaft mit der L i t t e r a t u r g e s c h i c h t e , wenigstens u n s e r s Jahrhunderts, als etwas nicht ganz unnöthiges empfohlen haben. Die jungen Herren scheinen sich eine Ehre aus der U n w i s s e n h e i t aller philologischen Kenntnisse zu machen, und wollen fast alle da a n f a n g e n wo Sokrates a u f h ö r t e . Das ist nicht wohl gethan, wiewohl’s für sie sehr bequem seyn mag. W.
¼Rezension von Mylius’ Übersetzung: Voltaire½ K a n d i d e
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Antworten. 1. Dem würdigen gelehrten Freunde, der mir dieser Tagen die Gründe seines Mißfallens über die im Jenner des T. M. d. J. Seite 74. befindliche Rezension der Schrift ü b e r d a s L e b e n u n d d e n C h a r a k t e r d e s G r a f e n J . G . E . v o n B e r n s d o r f in einem freundschaftlichen Schreiben mitgetheilt hat, kann ich keine andre öffentliche Erklärung geben, als — eine, die er sich selbst hätte geben müssen, wenn er sich an meinen Platz gestellt hätte. Ich vernehme aus diesem Briefe, daß der Verfasser der besagten Schrift ein Mann von den vorzüglichsten und entschiedensten Verdiensten, und von vielen Jahren her ein vertrauter Freund meines Freundes, des Verfassers des Briefs, sey. Diese Um-
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stände sind hier wesentlich. Ein Rezensent, dem der Schriftsteller eine ganz unbekannte Person ist, kann dessen Schrift unmöglich in dem günstigen Lichte betrachten, worinn sie den Freunden des Verfassers und vielleicht Allen, die ihn persönlich kennen, erscheinen muß. Wenn dies auf Einer Seite sein Urtheil desto unbefangener macht: so muß man gestehen, daß es ihn auf der andern zuweilen in den Fall setzen kann, von dem unbekannten Verfasser einer anonymen Schrift nicht mit all der Achtung, Zurückhaltung, Nachsicht u. s. w. zu urtheilen, die man demselben schuldig zu seyn glauben würde, wenn er sich genennt hätte, und man also seine Person, seinen Charakter, seine Verdienste, u. s. w. kennte. Aber das mögen dann die anonymen Autoren
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sich selbst zuschreiben! Ein großer Herr, der incognito reist, muß sich alle daraus entstehende Unziemlichkeiten gefallen lassen. Überhaupt aber würde ich eine schlechte Meynung von dem Manne haben, der nicht unendlichmal mehr werth wäre als das beste Buch das er geschrieben hätte. Verdienstvolle Männer können sehr mittelmäßige Schriftsteller seyn; und ein Buch kann viel Gutes erhalten, kann an gewissen Orten durch seinen Gegenstand, an andern durch seinen Verfasser, an noch andern durch Beydes einer Menge Leuten interessant — und doch, an sich selbst, ein sehr mittelmäßiges Buch seyn. Ich sage nicht, daß dies h i e r der Fall sey: denn ich kann und will mich nicht zum Richter zwischen der Schrift und der Rezension wovon die Rede ist aufwerfen. Ich bin so wenig Irthumfrey als der Rezensent und als jeder andre Beurtheiler.
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Man kann auch von einer kurzen Anzeige keine bey Granen und Gränen abgewogene Schätzung verlangen; und es ist einem Rezensenten, der Amts und Berufs halber so viel unverdauliches Zeug hinterschlingen muß, eben nicht übel zu nehmen, wenn er von Schriften, die er nicht v o r t r e f l i c h , nicht seiner Idee von dem was sie s e y n k ö n n t e n , entsprechend findt, nicht immer mit soviel Gutherzigkeit und Benevolenz urtheilt, als er thun würde wenn er ein alter Freund des Verf. und kein Rezensent wäre. Der Vorwurf: d e r A n o n y m u s h a b e d i e d a m a l i g e S t a a t s v e r h ä l t n i ß e nur a u s ö f f e n t l i c h e n B l ä t t e r n g e k a n n t : scheint den Freunden desselben hauptsächlich 10
anstößig gewesen zu seyn, weil sie das Gegentheil zu wissen glauben. Wenn dem Verf. hierinn unrecht geschehen ist, so fragt sich: ob der Rezensent, der ihn blos aus dieser seiner Schrift kennt, und in derselben gerade das vermißt hat, was nicht jedermann schon weiß oder wissen kann, und was dem Forscher des menschlichen Herzens gerade das Wichtigste ist, nicht durch den Inhalt und Ton der Schrift selbst zu diesem Urtheil verleitet worden? — Was endlich die Frage betrift, ob der Rezens. recht oder unrecht gehabt habe, sich anmerken zu lassen, daß er den sel. Grafen mehr für einen v o r z ü g l i c h r e c h t s c h a f n e n u n d g o t t e s f ü r c h t i g e n als für einen g r o ß e n Staatsmann halte: so schäme ich mich beynahe, meinen Correspondenten zu erinnern, daß
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hierbey alles auf die Bedeutung des Wortes g r o ß , und auf den M a a s s t a b womit man mißt, ankomme. Ich meines Orts erkläre mich ungescheut, daß in meinen Augen der rechtschaffenste Mann auch der größte ist. Der Rezensent, der unfehlbar eben so denkt, nahm aber das Wort groß hier vermuthlich in der gemeinen Bedeutung; in dem Sinne worinn man L u d w i g X I V . mit recht einen großen König, und den Kardinal R i c h e l i e u einen großen Staatsmann zu nennen pflegt; und da erinnere ich mich sehr deutlich, vor mehr als zehn Jahren einen selbst großen Staatsmann unsers Jahrhunderts eben so, wie der Rezensent, von dem sel. B . urtheilen gehört zu haben. Ich selbst maaße mir zwar nicht an, die Größe des verehrenswerthen Mannes nach d i e s e m Maas-
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stab zu bestimmen: aber das weiß ich, daß ich lieber alle das Gute was B e r n s d o r f gethan hat, gethan haben und der Unterste auf Fama’s fliegendem Zettul seyn wollte, als R i c h e l i e u mit aller seiner Größe und M a z a r i n mit allen seinen Millionen. 2. Von den Beyträgen, die seit 3 Monaten, als eine freywillige Hebe, zum Theil weither, eingeschickt worden, soll soviel Gebrauch gemacht werden als
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möglich und schicklich seyn wird. Nur bittet der Herausgeber des M. Alle, die nicht schon in Verbindung mit ihm stehen, besonders diejenigen die ihn zuweilen mit ziemlichen Ladungen auf bloßes Gerathewohl heimsuchen, ihre Briefe und Pakette entweder zu frankieren, oder durch gute Gelegenheiten ohnentgeldlich an ihn gelangen zu lassen. W.
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Logogryph. Neun Elemente, die (nach Epikurs Gesetzen) zwar körperlich doch nicht mehr theilbar sind, sind meines Wesens Stoff: und wenn ihr am Versetzen und Rathen euren Sinn zu wetzen bey edlem Müßiggang vielleicht Belieben findt, so sucht in mir — (1) den Vogel, dem an Haaren die Schönen gerne ähnlich sind; (2) ein Instrument, das gern sich mit Gesang verbindt, 10
die Abendlust von manchem schönen Kind als Laute noch und Cyther Mode waren; (3) des hohen Alters dritten Fuß; (4) womit die Korydons im Schatten sich ergötzen; (5) und was den Jupitern, die sich mit Nymfchen letzen, im stillen Busch zum Sopha dienen muß; (6) was Adler nur auf hohe Felsen setzen; (7) was ohne größte Noth kein Rheinbewohner trinkt; (8) Womit die Muselmanns sich Bart und Glatze salben; (9) den Mann, der Amts und Standeshalben
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nur im Kalendertittel hinkt; (10) den Sitz, worauf ein S c h a c h der Ruh im Divan pfleget; (11) was man aus dicken Tannen säget; (12) und was das tapfre Volk, das für drey Kreuzer dient, mit allem Ungemach des Heldenthums versühnt; Dann rathet noch, (13) wie Bauren meistens reiten; (14) Ein Stück des Priesterschmucks; (15) des Himmels Zier bey Nacht; (16) den kühlen Trank, den Türken gerne schlürfen; (17) was manchen Graeculus zum Weisen einst gemacht, und Rußlands P o p e n sich nicht kappen lassen dürfen;
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(18) was niemand je bey kaltem Blut, im Fieber oft, im Jachzorn meistens thut;
L o g o g r y p h ¼„Neun Elemente, die …“½
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(19) was Tugendfreunde mehr wie Molch und Natter fliehen; (20) was Esel tragen, Pferde ziehen; (21) was ohne Zähne Eisen frißt; (22) und was der armen Hammelsrippen zu Wien alltäglich Schicksal ist; (23) Ein Opfer von bezahlten Lippen, das mancher R a b e schon mit seinem Fraß gebüßt; womit man insgemein erzwungnes Lob beschließt; (24) (25) Ein Zeug zu leichten Sommerkitteln; und einen von den S i p p s c h a f t s - T i t t e l n , (26)
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der manchen Haus-Roman schon überschleyert hat; Sucht noch den Namen auf von einer schönen Stadt im Schweizerland, die stets viel manufakturierte, (27) (28) und eines Herrn, der einst zu Syrakus regierte, (29) und den gemeinsamen, den eine Zauberin in Tausend Einer Nacht getragen, und zu Lion die s c h ö n e S e i l e r i n , (30) in deren Stricken einst viel tapfre Herzen lagen; dann rathet, wie der Patriarche hieß, der sich in seinen alten Tagen von seinen Töchtern noch zum Narren machen ließ (31) — und nun genug! — Ich meines Orts, ich finde mir wird bey diesem Spaß ein wenig gähnerlich; nur Eins noch eh ich wieder schwinde: Mein Ganzes ist ein leichtes Spiel der Winde, und j e n e r S y b a r i t (32) — doch still! sonst habt ihr mich.
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Zweytes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. April 1778.
Fragmente von Beyträgen zum Gebrauch derer, die sie brauchen können oder wollen. Lehrgebäude. Fragmente. Beyträge. — „Als wir weiter vorrückten, entdeckten wir verschiedene feine Tempel von allerley Bauart, deren Baumeister und Priester uns entgegen kamen, um uns jeder in den seinigen, mit ernstlicher Verwarnung vor den übrigen A f t e r t e m p e l n , einzuladen. Das Gedräng und die Mannichfaltigkeit des Schauspiels nahm zu, je näher wir kamen. Es gab E y f e r e r unter diesen Leuten, die nicht genug daran hatten, ihr Götzentempelchen für das einzige a u s z u g e -
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b e n ; sie wollten auch daß es würklich das einzige s e y n s o l l t e ; stürmten also mit Mauerbrechern und Hebebäumen, Fackeln und Pechkränzen herbey, die übrigen anzuzünden und zu zerstören. Die Besatzung von innen wehrte sich mit Zähnen und Klauen; aber der Erfolg betrog ihre Hofnung! Da die Gebäude, hinter denen sie sich wehrten, meistens nur von Holz oder gar nur von Leimen und Stroh waren, so fiengen sie Feuer wie Zunder, und fielen auf den ersten Stoß zusammen. — Weiter hin sahen wir die prächtigen Ruinen morgenländischer und griechischer Tempel, zu denen vormals stark gewallfartet wurde; die zerbrochnen Marmorsäulen ragten aus wildem Gebüsch hervor. Ein Trupp Werkleute, von einem neuen Baumeisterlein angeführt, bemächtigte sich dieser Materialien, schleppte sie fort; der Meister flickte an einem andern Orte, nach einem neuen Riß, ein n e u e s Tempelchen zusammen; und, wo es ihm an Marmor gebrach, stopfte er die Lücken womit er konnte. Oft fiel das neue Bauwerk aus Mangel an festem Grunde wieder ein, eh die Hauptmauern stunden; oder, wenn es auch fertig ward, und dem Baumeister bey dem gaffenden Volk Ehre machte, so sah man doch wohl, daß es nicht Vestigkeit und Haltung genug hatte, um manche Generation auszudauren. Und wie sollt’ es auch solchem Flickwerk besser ergehen, als jenen herrlichen Tempeln von Porphyr, Jaspis, Marmor, Gold und Elfenbein, von Tr i s -
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m e g i s t u s , Z o r o a s t e r , P l a t o und A r i s t o t e l e s erbaut, die, so stattlich und ehrwürdig auf ihren dicken Pfeilern ruhend, oder so schön und lüftig und zierlich auf ihren Ionischen oder Korinthischen Säulen schwebend, dem Zahn der Zeit und der verwüstenden Tatze der Barbarey zu trotzen schienen, und doch endlich zusammen stürzten? —“ Es ist eben noch nicht so lange, da d i e s F r a g m e n t , einer Reise durch das Land der Philosophie den Zustand dieses Landes und die vornehmste Beschäftigung seiner Einwohner ziemlich getreu darstellte. Aber die Zeiten haben sich indessen sehr geändert. Und in der That, wenn etwas ist, woraus sich 10
der Fortschritt abnehmen läßt, den der menschliche Verstand in diesen unsern Tagen gemacht hat, so ist es dies: daß wir von der Sucht Lehrgebäude zu bauen zurückgekommen sind, und, es sey nun daß sich unser Geist in ein kleiner Format zusammengezogen, oder daß die Natur größer und ehrwürdiger in unsern Augen geworden ist, vor der Hand den Gedanken aufgegeben zu haben scheinen, sie übersehen, und, nach der Weise der ehmaligen Goldschmiede zu Ephesus, ins Kleine bringen zu wollen. Nicht als ob wir die Hofnung, den großen Babylonischen Thurm, dessen Spitze sich in den Wolken verliehren soll, endlich noch zu Stande zu bringen, gänzlich aufgegeben hätten — sondern weil wir, wie es scheint, nach gemachtem Überschlag gefunden
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haben, daß es, bey allem dem was uns seit einigen Jahrtausenden vorgearbeitet worden, noch immer an M a t e r i a l i e n fehlt, und daß man diese erst herbeyschaffen und Stückweise bearbeiten müsse, ehe man daran denken könne, ein Pantheon aufzuführen, das der Gottheiten die es bewohnen sollen würdig sey. Und so schreiben wir dann, seit geraumer Zeit, nichts als Beyträge und Fragmente, und Fragmente von Beyträgen, oder Beyträge von Fragmenten, und werfen sie in den großen Löwenrachen der Zeit; es ruhig den künftigen Jahrhunderten oder Jahrtausenden (wenn anders die Komödie noch so lange dauren sollte) überlassend, ob und was sie für Gebrauch von unserm Nachlaß machen wollen oder können.
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Es ist nicht zu läugnen, daß diese Mode ihre Vortheile hat. Denn fürs erste verschaft sie einem jeden, der eben keinen Anspruch an besondre Geschicklichkeit in der B a u k u n s t macht, das Vergnügen, doch auch etwas zu dem großen Zauberwerk, an welchem die Geister im Stillen arbeiten, beyzutragen; sodann führt sie das Gute mit sich, daß auf diese Art nicht leicht was zu Grunde gehen kann; weil ein jeder das was er hat, es sey nun Gold, Silber, Elfenbein,
F r a g m e n t e v o n B e y t r ä g e n ¼…½. L e h r g e b ä u d e . F r a g m e n t e . B e y t r ä g e .
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Marmor, Jaspis, Lazur, Cedernholz, Ebenholz, Mahagony, oder Leimen, Kühhaar, Sand, Backsteine, Mauerschutt, alt Eisen, u. s. w. herbeyführt, in gegründeter Hofnung, daß man bey einem so großen Bau alles brauchen könne. Ferner ist sie der Absicht derjenigen günstig, welche gern r e c h t v i e l thun möchten; denn es ist klar, daß einer hundertmal mit dem Karren fahren und einen gewaltigen Hauffen zusammenschütten kann, während ein andrer in irgend einem Winkel sitzt und an einem Basrelief arbeitet das nicht zwey Spangen groß ist. Kurz, die Mode hat ihr vieles Gutes, und wenn es auch nur die Bequemlichkeit wäre, ohne b e s t i m m t e n Zweck zu arbeiten, und so oft als einem die Lust ankommt, oder als es just die Erforderniß der Sache mit
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sich bringt, sich selbst widersprechen zu dürfen. Das einzige, was den Gelehrten, die sich auf diese Art um die Welt verdient machen, allenfalls zu rathen seyn möchte, wäre: sich zu hüten, daß sie sich nicht vor der Zeit einfallen lassen, die Baumeister zu machen, und mitten unter die rohen Materialien, die sie zusammenführen, in aller Eile hier eine Wand, und dort ein Stück von einem Säulengang aufzurichten; welches ihnen freylich, während daß sie so hinter dem Karren gehen und ihnen allerley Gedanken, was man nun aus diesen Steinen machen könnte, durch den Kopf kreuzen, gar leicht begegnen kann, in der That aber zu nichts gut ist. Denn auf diese Art kommt am Ende doch weder Halbes noch Ganzes heraus, und der Hauptbau, um dessentwillen
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sie sich doch alle die Mühe geben, wird eben soviel gehindert als gefördert. Ich hätte wohl Lust noch einen Einfall zu hazardieren, und das wäre: ob es nicht überhaupt weit räthlicher wäre, keine so große Gebäude, sonderlich auf eigene Kosten und Gefahr, zu unternehmen; Gebäude, wo zur bloßen Herbeyschaffung der Baumaterialien das Leben eines einzigen Menschen kaum hinreicht? Wozu denn auch am Ende diese ungeheuren Pyramiden, Louvres, Labyrinthe, u. s. w. für Menschen, die einen Augenblick zu leben haben, und deren Anschläge und Unternehmungen eben so flüchtig und hinfällig sind als ihr Daseyn? Wär’ es nicht besser, bescheidner, menschlicher, jeder baute sich allforderst eine Hütte für sich selbst, und wenn sie auch nur, wie des Propheten Jonas seine, von einem Kürbis beschattet würde; allenfalls eine Hütte für sich und seinen Freund; oder, wenn er’s ja im Vermögen hat, und sein Herz ihn drängt auch für die zu sorgen die sich nichts um ihn bekümmern, irgend einen Ruhesaal oder ein Caravanserai an die Landstraße, wo ermüdete Wanderer einkehren und sich laben könnten? Mit einem solchen Gebäude kann
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ein Mann doch noch fertig werden und Freude daran haben, und läuft nicht Gefahr sein ganzes Leben an einem Bau zu bauen, über dem er vielleicht zu Grunde geht eh er ihn unter Dach gebracht hat, den seine Nachkommen unvollendet stehen lassen, und dessen Schicksal am Ende seyn wird, daß Eulen und Käuzlein ihre Nester darein haben, und etwa nach Jahrhunderten ein Vorüberreisender stille steht, und die prächtigen Ruinen mit gedankenvollen, oder gedankenlosen Blicken anstaunt. — Doch wozu hilft so was zu sagen? Ein jeder machts und treibts doch wie er k a n n , w i l l und m u ß ; und seinem Schicksal ist noch niemand entronnen. 10
Daher trage dann auch ich hiermit meine kleine Gabe zur gemeinen Nothdurft bey, bestehend in allerley theils rohen, theils nur aus der ersten Hand verarbeiteten M a t e r i a l i e n , so gut als sie auf meinem Grund und Boden gewachsen sind. Es soll mir lieb seyn, wenn sich hier und da jemand findet, der sie zu was brauchen kann. Wie man sehen wird, sind auch einige V i c t u a l i e n mit darunter, die sich, zum Theil nicht lange aufbewahren lassen möchten, und also frisch genossen werden müssen, wenn sie Jemanden zu gut kommen sollen. Ein Schelm giebts besser als ers hat. Wenigstens ists einfache gesunde Kost, woran sich niemand den Magen verderben wird — der ihn nicht schon vorher verdorben hat. Und für solche kann gelegenheitlich auch mit Digesti-
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ven und Abführungsmitteln gesorgt werden.
Wahrheit. Wa s i s t Wa h r h e i t ? — Die Frage ist dadurch, daß sie schon so manchesmal durch den Mund eines Pilatus gieng, nicht desto schlechter worden. Wessen Augen blinzen nicht, wenn er mit dieser Frage überrascht wird? Schon tausend und zehntausendmal entschieden, wird sie immer wieder als ein Räthsel aufgeworfen werden, und in Millionen Fällen ein Unauflößbares bleiben. Aber, so gewiß dies ist, wehe den K a r n e a d e n , die eine boshafte Freude darinn finden, der Schwäche unsers Gesichts dadurch zu helfen, daß sie uns vollends blind machen! Das Wahreste von allem was jemals wahr genennt 30
worden, ist dies: daß mitten unter all dem Trug von Erscheinungen, Gespenstern und Traumbildern, wovon wir umgeben sind, jeder Sterbliche gerade soviel Wahrheit auffaßen kann, als er zu seiner eignen Nothdurft braucht.
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Die Wahrheit ist, wie alles Gute, etwas verhältnismäßiges. Es kann Vieles für die menschliche Gattung wahr seyn, was es für höhere oder niedrigere Wesen nicht ist; und eben so kan etwas von d i e s e m Menschen mit der innigsten Überzeugung als w a h r empfunden und erkannt werden, was ein andrer mit gleich starker Überzeugung für Irthum und Blendwerk hält. Die Übereinstimmung eines Gefühls oder einer Vorstellung mit den allgemein anerkannten Grundwahrheiten der Vernunft ist eben so wenig als der Zusammenhang einer Vorstellung mit allen übrigen, welche die gegenwärtige innere Verfassung eines Menschen ausmachen, ein sicheres Merkmal der Wahrheit. J e n e läßt uns weiter nichts als die M ö g l i c h k e i t der Sache erken-
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nen: und d i e s e r kann eben sowohl bey der wahresten Vorstellung fehlen, als bey der täuschendesten zugegen seyn. Begegnet nicht öfters was jedermann für unmöglich hielt? Und wie oft betrügt die höchste Wahrscheinlichkeit? Erweitert sich nicht der Kreis der Möglichkeiten mit unsrer Kenntnis der Natur und mit dem Anwachs unsrer Erfahrung? Daher, zum Theil, die Leichtgläubigkeit, die eine charakteristische Eigenschaft des hohen Alters ist, und, was seltsam scheinen mag, neben dem Unglauben besteht, der es nicht weniger ist. Kinder sind leichtgläubig aus Unwissenheit dessen was möglich oder unmöglich ist; Alte sind es, weil sie so oft unglaubliche Dinge begegnen gesehn haben, daß ihnen nichts mehr unglaublich scheint: Jene glauben Alles, weil sie
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das Mißtrauen noch nicht kennen; bey diesen ist Mißtrauen eine der bittern Früchte des Lebens, und macht sie eben so geneigt an allem zu zweifeln, als die Erfahrenheit auf der andern Seite, alles für möglich zu halten. Die subtilste und kaltblütigste Vernunft hat von jeher die subtilsten Zweifler hervorgebracht. K a r n e a d e s , P y r r h o , S e x t u s , L e Va y e r , B a y l e , H u m e , waren Männer von großer Vernunft — und ich frage einen Jeden, der sich nicht erst seit ehegestern in der Welt umgesehen hat, was ist es, als gerade die kaltblütige, spitzfündige, immer zurückhaltende, immer argwöhnische, immer voraussehende, immer räsonnirende Vernunft, was von jeher am geschäftigsten gewesen ist, G l a u b e n u n d L i e b e , die einzigen Stützen unsers armen Erdelebens, zu untergraben und umzustürzen? — Ich erkenne sehr dankbar alles Gute was der Mensch diesem innwohnenden Stral der Gottheit, dem wir den so sehr gemißbrauchten Namen Vernunft geben, schuldig ist: sie kann nichts dafür, daß Sophisten und Witzlinge von jeher ihren natürlichen Gebrauch in den Unnatürlichen verwandelt haben; aber da der Mensch nun
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einmal diesen unglücklichen Hang hat; wehe ihm, wenn seine Ve r n u n f t die einzige Führerin seines Lebens ist! Man hat sich schon so lange über die Leute aufgehalten, die ein unerklärbares I n n e r e s L i c h t zum Leitstern ihres Glaubens und Lebens machen. Man hat sie in Schimpf und Ernst bestritten, zu Boden gespottet und zu Boden räsonniert. Indessen haben doch unläugbar alle Menschen etwas das die Stelle eines solchen innern Lichts vertritt, und das ist — das innige Bewußtseyn dessen was wir fühlen. Unter allen Kennzeichen der Wahrheit ist dies unläugbar das sicherste; vorausgesezt, daß ein Mensch überhaupt gesund und des 10
Unterschieds seiner Empfindungen und Einbildungen sich bewußt ist. Beweiset einem Menschen, seine Vernunft sey eine Zauberin, die ihn alle Augenblicke täusche und irre führe; das wird ihn noch nicht verwirren: beweiset ihm, daß er seinen Sinnen, seinem innern Gefühl nicht trauen dürfe; d a s verwirrt ihn! Und wenn’s möglich wäre daß euer Beweis seine volle Würkung auf diesen Menschen thäte: so blieb’ euch nichts übrig, als ihn stehendes Fußes ins Tollhaus zu führen. Zum Glück ist der Glaube an sein eignes Gefühl gerade das was sich der Mensch am schwersten und seltensten nehmen läßt — und was sich schwerlich irgend ein Mensch, so schwach er sey, in irgend einem Falle nehmen läßt, wo er sich innigst bewußt ist, d a ß er gefühlt hat was er
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gefühlt zu haben glaubt. Das einzige wodurch er in diesem Falle dahingebracht werden könnte, an der Wahrheit seines eignen Gefühls, d. i. an sich selbst und seinem eignen Daseyn zu zweyfeln, wäre der Fall worein (in einer der A r a b i s c h e n E r z ä h l u n g e n , die Hr. G a l l a n d le Dormeur eveille´ *) betitelt) der Calife Harun Alraschid den armen Kaufmann Abou-Hassan durch einen Betrug, den dieser unmöglich entdecken konnte, versezt; der aber auch, unvermeidlicher weise, die Folge hatte, daß Abou-Hassan darüber in Raserey verfiel, und nicht anders als durch Entdeckung des Betrugs wieder völlig hergestellt werden konnte. Aber, sagt man, wie häuffig sind die Fälle, wo ein Mensch durch seine Sinne,
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durch sein inneres Gefühl betrogen wird? Wo er, ohne darum ganz wahnsinnig zu seyn, für Empfindung hält was bloße Einbildung ist? Wo er den Gegenstand durch das falsche Medium der Leidenschaft oder des Vorurtheils sieht? u. s. w. *)
S. L e s m i l l e e t u n e N u i t . Tom. V. nach der Pariser Ausgabe von 1726.
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Unstreitig sind diese Fälle häuffig. Und eben so häuffig begegnets, daß von zweyen, die einander durch ihr Gefühl widerlegen, beyde betrogen werden; daß, während der eine Jupiter ist, und die sündige Welt mit Feuer zu zerstören droht — der Andre uns dagegen seines gnädigen Schutzes versichert, weil er Neptunus ist, und durch seine Gewässer den Brand gar leicht wieder löschen kann. — Aber all diese Fälle vermögen gleichwol nichts gegen die Grundfeste des allgemeinen Menschensinnes, und der Glaube, den ein Jeder an sein eigen Gefühl hat, bleibt nichts desto minder in seiner vollen Kraft. Ich kann von der Natur, von unsichtbaren Mächten, kurz von Ursachen, die ich nicht kenne, getäuscht werden: aber so lang ich mir bewußt bin, d a ß ich etwas gefühlt,
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beschaut, betastet habe — so glaube ich meinem Gefühl mehr als einer ganzen Welt, die dagegen zeugte, und als allen Philosophen die mir a priori beweisen wollten, daß ich träume oder rase. Freylich ist es ein verdächtiges Zeichen, wenn ein Mensch i n S a c h e n d e s G e f ü h l s eine ganze Welt, oder, was nicht viel besser ist, d i e v e r n ü n f t i g s t e n L e u t e in der Welt w i d e r s i c h hat? Oder wenn er in sehr zusammengesetzten und verwickelten Dingen, in Sachen die von scharfer Zergliederung, und von Combinierung einer Menge von Begriffen, welche selbst wieder Resultate von einer Menge andrer sind, abhangen, den Weg der scharfen Untersuchung ausweicht, und immer nur auf s e i n G e f ü h l oder u n s e r G e f ü h l
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p r o v o c i e r t . Aber was wollen wir mit ihm anfangen, wenn er uns nicht zur Untersuchung stehen will? Und wenn wir ihn auch dazu nöthigen könnten; wer soll zwischen s e i n e r Empfindung und der u n s r i g e n , oder zwischen u n s r e r Ve r n u n f t und s e i n e m G e f ü h l o d e r G l a u b e n Richter seyn? Wo ist der A r e o p a g u s , wo sind die A m p h i k t y o n e n , deren Ausspruch man in solchen Fällen sich unterwerfen k ö n n t e , w o l l t e , m ü ß t e ? In metaphysischen und ästhetischen Dingen, d. i. in Sachen wo das Meiste auf Imagination und Sinnesart ankömmt, wäre das B i l l i g s t e , einen jeden im Besitz und Genuß dessen w a s e r f ü r Wa h r h e i t h ä l t , ruhig und ungekränkt zu lassen, so lange er andre in Ruhe läßt. Wer hat ein Recht in seines Nachbars Verzäunung einzudringen und den Frieden seiner Hausgötter zu stören? Mag doch seine Melusine einen Fischschwanz unter ihrem Rocke tragen; was geht das Andre an? Aber freylich, sobald der Mann die Kreuz und die Queer auf allen Landstraßen herumreitet, und alle, die da ruhig ihres Weges gehen, anhalten und mit eingelegter Lanze zwingen will, zu bekennen, daß
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seine Prinzeßin s c h ö n e r ist als die ihrige, oder wohl gar daß s i e a l l e i n schön, und jedes andre Gesicht ein Meerkatzengesicht ist — das ist etwas sehr unangenehmes für Leute die keine Lust haben sich zu balgen; und wiewohl die irrenden Ritter, die solche Thaten thun, in den Augen kluger Leute ihre Entschuldigung unter dem Hute tragen: so mögen sie sichs doch selbst zuschreiben, wenn sie dann und wann unter Mauleseltreiber und Preller fallen, die nicht so säuberlich mit ihnen fahren. Die Wahrheit (wenn wir noch einen Augenblick mit dem Gleichniß spielen dürfen) flieht vor der keuchenden Verfolgung ihrer feurigsten Liebhaber, um 10
in die Arme dessen zu lauffen, der sie weder erwartete noch suchte. Der e i n f ä l t i g s t e M e n s c h e n s i n n findet sie am ersten und genießt ihrer wie der Luft die er athmet, ohne daran zu denken. Der G r ü b l e r , der sie überall sucht, findet sie nirgends, just darum, weil er sich nicht einbilden kann, daß sie ihm so nahe sey. Und sobald ihrer Zween sich über ihren ausschließenden Besitz in die Haare gerathen, so darf man sicher rechnen, daß sie es ihnen macht, wie A n g e l i k a den beyden Rittern im A r i o s t o : während daß die tapfern Männer sich bey den Köpfen haben, geht die Dame davon, und mockiert sich über beyde. Ist dies Bild zu k o m i s c h ? — Nun, so ist hier ein anders, das eben so gut
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zur Sache paßt. Die Wa h r h e i t ist weder hier noch da — Sie ist, wie die Gottheit, und das Licht worinn sie wohnt, a l l e n t h a l b e n ; ihr Te m p e l ist die N a t u r , und wer nur f ü h l e n , und seine Gefühle zu G e d a n k e n erhöhen, und seine Gedanken in ein Ganzes z u s a m m e n f a s s e n und e r t ö n e n lassen kann, ist ihr P r i e s t e r , ihr Z e u g e , ihr O r g a n . Keinem offenbart sie sich ganz; jeder sieht sie nur stückweise, nur von hinten, oder den Saum ihres Gewandes; aus einem andern Punkt; in einem andern Lichte; jeder vernimmt nur e i n i g e Laute ihres Göttermundes, keiner die nehmlichen — Und was haben wir also zu thun? Anstatt mit einander zu hadern, wo die Wahrheit sey? wer sie besitze? wer
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sie in ihrem schönsten Lichte gesehen? die meisten und deutlichsten Laute von ihr vernommen habe? — laßt uns im Frieden zusammengehen, oder, wenn wir des Gehens genug haben, unter den nächsten Schattengebenden Baum hinsitzen, und einander offenherzig und unbefangen erzählen, w a s jeder von ihr gesehen und gehört hat, oder g l a u b t gesehen und gehört zu haben; und ja nicht böse darüber werden, wenn sichs von ungefehr entdeckt,
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daß wir falsch gesehen oder gehört, oder gar (wie es brünstigen Liebhabern, die ihr z u nah kommen wollen, öfters begegnet) eine Wolke für die Göttin umarmt haben.
Bescheidenheit. Lasset uns den Himmel bitten, lieben Brüder, daß er uns vor der Krankheit bewahre, unsre Meynungen für Axiome und unumstößliche Wahrheiten a n z u s e h e n , und Andern als solche v o r z u t r a g e n . Es ist ein widerlicher harter Ton um den Ton der Unfehlbarkeit; aber es giebt einen, der noch unausstehlicher ist — der Ton eines E n e r g u m e n e n , der, auf dem heiligen Dreyfuß sitzend, alle seine Reden als Orakelsprüche von sich giebt. — B e -
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s c h e i d e n h e i t kann uns vor dem einen und vor dem andern sicher stellen. Wenn ein Mann auch so alt wäre wie Nestor, und so weise wie siebenmal Sieben Weise zusammengenommen, so müßt’ er doch — eben darum weil er so alt und so weise wäre — einsehen gelernt haben: daß man immer weniger von den Dingen begreift je mehr man davon weiß — daß, gegen Eine l i c h t e S t e l l e die wir in d e r u n e r m e ß l i c h e n N a c h t d e r N a t u r erblicken, Zehentausend in D ä m m e r u n g , und zehnmal Zehntausend im D u n k e l n vor uns liegen — und daß, wenn wir auch von diesem E r d k l ü m p c h e n , das wie ein ungeheures Weltall vor uns liegt, uns bis zur S o n n e aufschwingen, und in ihrem Lichte dies ganze P l a n e t e n s y s t e m , mit all seinem Inhalt und Zu-
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behör, so deutlich übersehen könnten, wie ein Mann von der Spitze einer Terrasse seinen Garten übersieht — dies nehmliche Planetensystem nun abermal nichts mehr für uns wäre als — e i n e l i c h t e S t e l l e i n d e r u n e r m e ß l i c h e n N a c h t d e r N a t u r . Und wenn dann der weise Mann in einer so langen Lehrzeit auch noch gelernt hätte, daß eben diese U n e r m e ß l i c h k e i t und U n b e g r e i f l i c h k e i t , die für uns Erdebewohner eine Eigenschaft der g a n z e n N a t u r ist, sich auch i n j e d e m e i n z e l n e n S t ä u b c h e n befindet; daß in jedem einzelnen Punkte der Natur Stralen aus allen übrigen zusammenlauffen, und wie unbegreiflich alle diese Stralen, Beziehungen, Aus- und Einflüsse aller Dinge auf Jedes, und jeden Dinges auf Alle einander durchschneiden und durchkreuzen — und wie unmöglich es also ist, nur ein einziges Ding, eine einzige Erscheinung, eine einzige Bewegung oder Würkung eines einzi-
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gen T h e i l c h e n s der Natur, recht zu erkennen, ohne zugleich die g a n z e Natur eben so zu durchschauen wie Der in dem sie lebt und webt und ist: — Beym Himmel! ich denke das müßte den weisen Mann b e s c h e i d e n gemacht haben; und es sollte mich nicht wundern, wenn er alle seine Urtheile und Meynungen in einem Ton vorbrächte, den ein Mann wie E l i h u , * ) der Sohn Barachiel von Bus, des Geschlechts Ram, mit allem Unwillen eines ehrlichen überzeugten D o g m a t i k e r s , für b a a r e n S k e p t i z i s m u s halten müßte. Ein anders ist, wenn ein E s e l , dem der H e r r den Mund aufthut, mit Zuversichtlichkeit spricht; dafür ist aller Respekt zu tragen; denn es ist nicht 10
der Esel, sondern ein Gott (dem es gleichviel gelten kann durch welches Organ er sich hörbar macht) der durch den Esel spricht. Einem Menschen aber — es sey dann er führe den Beweiß, daß er sich im Falle des besagten Esels befinde — ziemt es, ungeachtet des aufgerichteten Angesichts und des Blicks gen Himmel der ihm gegeben ist, von Zeit zu Zeit auf seine Füße zu sehen und — bescheiden zu seyn !
Philosophie — Kunst zu leben — Heilkunst der Seele. Die Menschen haben gelebt, und vielleicht Jahrtausende gelebt, eh einer von ihnen auf den Gedanken kam, daß L e b e n — eine K u n s t seyn könnte; und, 20
nach aller Wahrscheinlichkeit, ist jede andre Kunst, von den Künsten Tu b a l k a i n s an bis zur Kunst F l i e g e n z u f a n g e n (von welcher S c h a c h B a h a m , ein Peritus in arte, versichert, daß es keine so leichte Sache sey als viele Leute sich einbilden) schon längst erfunden gewesen: als endlich die scharfsinnigen *)
Das ist der junge Mann im Buche H i o b , der, nachdem er dessen ältern Freunden lange
stillschweigend zugehört hatte, und es nicht mehr länger ausstehen konnte, sie so mächtig deraisonnieren und zuletzt doch vor Hiob verstummen zu sehen, endlich im Unmuth seiner Seelen ausbricht, sich d e r g u t e n S a c h e G o t t e s anzunehmen, und im Eingang seiner Rede sagt: denn ich bin der Rede so voll, daß mich der Odem in meinem Bauch ängstet ; Siehe, mein Bauch ist wie der Most der zugestopft ist, der die neuen Fässer zer30
r e i ß t — u. s. w. Man muß übrigens gestehen, der Fall, der den ehrlichen Elihu in solchen Nothdrang setzte, ist einer von den wenigen, wo es einem jeden, er sey jung oder alt, erlaubt seyn mag, in Eyfer zu gerathen. Denn wen sollt es nicht verdrießen, einen Menschen zu sehen, der gegen unsern Herrngott Recht haben will?
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G r i e c h e n , mit andern schönen Wissenschaften und Künsten, auch diese berühmte K u n s t z u l e b e n , vulgo ` d i e P h i l o s o p h i e genannt, wo nicht gänzlich erfunden, doch zuerst in formam artis gebracht und auf den höchsten Grad der Verfeinerung, dessen sie fähig ist, getrieben haben. Bey weitem der größte Theil der Menschenkinder ließ sich nie etwas von einer solchen Kunst träumen. Die Leute lebten ohne zu wissen, wie sie es damit machten; ungefähr wie H e r r J o u r d a i n sein Lebenlang Prose gesprochen hatte, oder wie wir alle athemholen, verdauen, uns auf mancherley Art bewegen, wachsen und gedeyhen, ohne daß unter Tausenden nur einer weiß oder zu wissen verlangt, nach was für mechanischen Gesetzen und durch
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welche Verbindung von Ursachen das alles geschehe. Und in diesem dicken Nebel der Unwissenheit leben bis auf diese Stunde nicht nur alle die unzähligen Völker in Asia, Africa, America und den Inseln des Südmeers, weiße und olivenfarbe, schwarzgelbe und pechschwarze, bärtige und unbärtige, beschnittne und unbeschnittne, tättoyierte und nicht tättoyierte, mit und ohne Ringen durch die N a s e , von den Riesen in Patagonien bis zu den Gezwergen an der Hudsonsbay, etc. — sondern auch selbst von dem größten Theil der Einwohner unsers aufgeklärten Europa’s läßt sich mit gutem Fug behaupten, daß sie von besagter K u n s t z u l e b e n eben so wenig wissen, und sich eben so wenig darum bekümmern, als das leichtsinnige Völkchen in O t a h e i t e und
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U l i e t a , oder als die halberstarrten Bewohner des F e u e r l a n d s , die kaum etwas mehr als wandelnde Bildsäulen sind. Das wunderbarste bey der Sache ist, daß alle diese Menschen, (die nach einer sehr billigen Berechnung, ungefehr — d a s g a n z e m e n s c h l i c h e G e s c h l e c h t , w e n i g e r ein Minimum, ausmachen) gleich ihren Voreltern bis auf A d a m u n d E v a — die von wohlbesagter Schönen Kunst auch nichts wußten — dem ungeachtet so herzhaft draufloßleben, als ob sie die größten Meister darinn wären; ja, daß der größte Theil dieser Pfuscher sich so wohl dabey befindet, daß in Absicht der sämtlichen w e s e n t l i c h s t e n und w i c h t i g s t e n Verrichtungen des menschlichen Lebens nicht leicht einer von den auf- und abgedrungenen Meistern und Professorn der Kunst sich neben ihnen sehen lassen darf. Der redselige Cicero sagt irgendwo: d i e N a t u r s e y Dux optima vitae, welches vermuthlich soviel sagen soll, sie zeige uns am besten, wie wir uns durch dies Erdenleben durchhelfen können: — ingleichem: M a n k ö n n e g a r
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n i c h t f e h l e n , w e n n m a n s i c h v o n i h r f ü h r e n l a s s e . — Darauf müssen sich nun wohl von jeher die Menschen verlassen haben. „Eben diese Natur (dachten sie) die uns athmen, essen und trinken, Hände und Füße brauchen lehrt, u. s. w. lehrt uns auch unsre Sinne, unser Gedächtniß, unsern Verstand, alle unsre übrigen Kräfte brauchen; lehrt uns auch was sich für uns schickt oder nicht. Es bedarf nur so vieler Aufmerksamkeit, als uns jeder Gegenstand selber a b n ö t h i g t , so sehen oder fühlen wir, ob er F r e u n d oder F e i n d ist; unsre Nase und unsre Zunge lehren uns, ohne allen andern Unterricht, welche Früchte, Kräuter, Wurzeln, u. s. w. gut zu essen sind; im Nothfall lehrts uns 10
auch wohl der Hunger, ohne viel Umstände. Für alle unsre dringenden Bedürfnisse hat die Natur selbst gesorgt. Entweder ist die Sache die wir brauchen schon da; so haben wir was vonnöthen ist sie zu ergreiffen und zu nießen; oder wenigstens sind die Materialien dazu da; so haben wir just soviel Verstand, und Kraft, und natürliches Geschicke in unsern Gliedmaaßen, um sie zu unserm Brauch und Zweck zu formen. Was dann aufs erstemal nicht geht, geht beym zehnten oder zwanzigsten; und reichen zween Arme nicht zu, so werdens vier, sechs oder achte zu Stande bringen. Jeder neue Versuch setzt etwas zu unserm Begriff von der Sache und zu unsrer Geschicklichkeit zu; wir l e r n e n durch i r r e n und f e h l e n , und werden M e i s t e r durch Ü b u n g ,
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ohne zu merken wie es zugegangen ist. Und eben diese Natur, die uns s o weit bringt, v e r b i r g t i m m e r v o r u n s , w a s z u w e i t v o n u n s l i e g t , a l s d a ß w i r s d a , w o w i r s i n d , e r r e i c h e n k ö n n t e n ; lehrt uns zufrieden seyn mit dem was wir haben, macht uns d u r c h U n w i s s e n h e i t glücklich, und hat uns diese wohlthätige Tr ä g h e i t , worüber die Weltverbesserer täglich soviel Klagens erheben, *) bloß dazu gegeben, damit wir nicht, vor ewiger Unruh
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*) Die Herren Weltverbesserer klagen über die Trägheit der Menschen ungefehr aus eben dem Grunde, warum die Wucherer immer über nahrungslose Zeiten klagen, und meistens, wenn die Zeiten am besten sind. Es ist natürlich, daß ein Mann, der sich bewußt ist, daß er einen herrlichen Entwurf zur Verbesserung des Zustandes eines ganzen Volkes gemacht hat, seine Idee gerne realisirt haben möchte: so wie einer, der ein Schauspiel gemacht hat, es gerne aufgeführt sieht. Alle Köpfe, meynt er, sollten sich also geschwinde nach dem seinigen drehen, und alle Arme nach seinem Winke rudern. Thun sie es nicht (wie dies dann gemeiniglich der Fall ist) so schmählt er auf die Trägheit der Menschen; und das ist i h m zu verzeyhen, w e i l E r d a b e y v e r l i e h r t . Aber diese nehmliche Trägheit schützt die Leute vor der Gefahr alle Augenblicke das Opfer eines Projekts und einer angeblichen Verbesserung unwissender Adepten zu werden; und dies, denke ich, ist ihnen auch zu verzeyhen, w e i l s i e d a b e y g e w i n n e n . Denn selten bezahlt das zehnte Project, wenn es auch anschlägt, den Schaden von den Neunen, die fehlgeschlagen haben.
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unsern Zustand zu bessern, aus dem Regen in die Trauffe gerathen, und es uns nicht alle Augenblicke ergehe wie Jenem, der, um sich besser zu befinden, sich zu todt arzneyte, und zur Grabschrift erhielt: Per star meglio, sto qui.“ S o lehrt die Natur alle Menschen l e b e n , die der guten Mutter nicht aus der Lehre und Zucht gelauffen sind, und in all dem ist, wie Ihr seht, k e i n e K u n s t . Es ist d i e l e i b h a f t e N a t u r s e l b s t . Das berühmte Qvam mvltis non egeo jenes alten Weisen ist die angebohrne Philosophie aller S a m o j e d e n , L a p p e n , E s q u i m a u x , u. s. w. in der es meine guten Freunde, die N e u - H o l l ä n d e r , oder N e u - Wa l l i ß e r (wie sich die ehrlichen Leute nach Willkühr d e r g e b i e t e n d e n H e r r e n m i t d e n F e u e r r ö h r e n nennen las-
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sen müssen) am weitesten gebracht zu haben scheinen. Man komme mir nicht und sage: ein solches Leben sey A u s t e r n - L e b e n . Nennt es, wenn ihr wollt, f o r t d a u r e n d e K i n d h e i t : aber betet an zur Erde vor der Natur, die diese ihre Kinder auf dem kürzesten Weg zu jenem G l ü c k l i c h l e b e n (beate vivere) führt, wohin wir aufgeklärten Leute, vor lauter Menge der Wege die dahin führen, so selten oder gar nie gelangen können. Der weise T h e o p h r a s t (nicht P a r a c e l s u s , sondern der Schüler und Thronfolger des g ö t t l i c h e n A r i s t o t e l e s ) lebte 90 Jahre, und als er nun zu sterben kam, beklagte er sich über die Natur: „daß sie dem Menschen so wenig Zeit zum Leben gegeben habe, und ein ehrlicher Kerl gerade dann sterben
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müsse, wenn er die Kunst zu leben endlich in etwas ergriffen habe.“ — Wo hat ein N e u - H o l l ä n d e r jemals eine so unbillige Beschwerde geführt? Wenn er hundert Jahre alt geworden (das bey ihnen nichts seltnes ist) so hat er just h u n d e r t J a h r e g e l e b t , und steht von dem Gastmal der Natur gesättigt auf — und wahrlich von einem Gastmal, wo die Natur so schlecht zu essen giebt, daß der strengste Kandidat der Heiligsprechung ohne Bedenken mithalten dürfte. Aber — im Vorbeygehn zu sagen — ich glaube nichts weniger als daß T h e o p h r a s t die Sottise gesagt habe, die man ihn sagen läßt. Die Leute an seinem Bette verstunden ihn nicht recht, und dann kam irgend ein Schulmeister lange hinter drein, wollte Sinn draus machen, und machte daß es eine Albernheit wurde. Ich wollte wetten, Theophrast meynte weder mehr noch weniger damit als: er bedaure, daß er vor 60 oder 70 Jahren nicht schon so klug gewesen sey, zu sehen, daß er sich die Mühe ersparen könne, das als Kunst und Wissenschaft zu studieren, was ihn die Natur ohne Studium weit besser und sichrer
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würde gelehrt haben, wenn er Einfalt des Sinnes gehabt hätte auf sie zu merken. — Nicht die unschuldige Natur, sondern seine eigne Thorheit klagte er an, wie die Meisten es in seinem Falle zu machen pflegen; wiewohl sie’s (unter uns) eben so mehr bleiben lassen könnten: denn wozu hilft Reue, wenn man keine Zeit mehr hat, besser zu machen? Bey allem dem ist meine Meynung keinesweges, der mehrwohlgedachten K u n s t z u l e b e n ihren Werth, soviel sie dessen haben mag, streittig zu machen. Es ist irgendwo gesagt worden: „ d i e K u n s t s e y i m G r u n d e n i c h t s 10
anders als die Natur selbst, die durch den Menschen, als ihr v o l l k o m m e n s t e s We r k z e u g , d a s j e n i g e , w a s s i e g l e i c h s a m n u r flüchtig entworfen oder angefangen, unter einem andern Nam e n , a u s b i l d e u n d z u r Vo l l k o m m e n h e i t b r i n g e . “ We n n die Kunst d a s ist, und s o f e r n sie das ist, gebührt ihr alle Hochachtung. Ja, auch alsdann, wenn sie bloß der g e s c h w ä c h t e n oder v e r d e r b t e n N a t u r zu Hülfe kömmt, ist sie, wie die Arzneykunst, zuweilen wohlthätig, obgleich eben so ungewiß, und oft eben so unvermögend. Wo die Natur nicht mehr zum Leben hinreichend seyn will, muß die Kunst freylich flicken und stützen, kleistern und quacksalben so gut sie kann. Oder, richtiger zu reden: auch auf diesen Fall
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hat die gute allgemeine Mutter für ihr Lieblingskind gesorgt; hat Mittel in ihren Vorrathskammern für jede Wunde oder Krankheit des äussern und inwendigen Menschen, so daß der Kunst nichts übrig bleibt als d a r z u r e i c h e n und z u b e o b a c h t e n . Je einfacher dann ihre Mittel sind, je weniger sie daran künstelt, desto besser für den Leidenden. Der Erfolg aber muß doch immer von der Natur allein erwartet werden. Hat sie noch Kräfte genug sich an der Hand der Kunst aufzurichten, gut: wo nicht, so bleibt auch Dieser nichts übrig als den Kranken sterben zu lassen, und den Todten allenfalls — einzubalsamiren. Lebenskraft kann sie nicht geben, wo keine ist. Es ist schon lange, daß man der Philosophie, wegen dieser Ähnlichkeiten
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mit der Arzneykunst, den Namen d e r M e d i c i n f ü r d i e S e e l e gegeben hat; und würklich scheint diese Qualification geschickter zu seyn, ihr Zutritt zu verschaffen, als wenn sie Prätension macht uns nach den Regeln ihrer Kunst leben zu lehren. Denn welcher Mensch, der den freyen Gebrauch seiner natürlichen Kräfte hat, fühlt nicht, daß er ohne sie leben kann? Sobald sie sich hingegen nur als Arzt anbietet, so wissen die Gesunden, daß sie nichts mit ihr
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zu verkehren haben. Die Indianer in den Inseln der Südsee kennen, wie es scheint, keine Arzneyen; aber sie wissen auch nichts von Krankheiten. Kleine Wunden oder Unpäßlichkeiten heilen bey ihnen vonselbst, und an den tödlichen sterben sie — wie wir auch. Und weil sie so glücklich sind von e i n e r S e e l e a n u n d f ü r s i c h b e t r a c h t e t keinen Begriff zu haben, sondern ein Mensch für sie immer e i n g a n z e r M e n s c h ist: so wissen sie auch nichts von b e s o n d e r n S e e l e n k r a n k h e i t e n ; und wenn sie ja zuweilen einen Anstoß dieser Art bekämen, so ist d i e H u n g e r - K u r , wozu sie mehr als zuviel Gelegenheit haben, ordentlicher Weise das kräftigste Heilmittel. Ist es hingegen bey einem Volke mit der Ve r f e i n e r u n g schon soweit ge-
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kommen, daß Leib und Seele — anstatt daß sie beyde E i n e P e r s o n seyn sollten — als zween Potentaten von verschiednem Interesse behandelt werden, wo (wie bey unartigen Ehleuten) jedes s e i n e e i g e n e W i r t h s c h a f t hat: was ist natürlicher als daß aus einer so heillosen Ehe böse Folgen entstehen müssen? Der Mensch ist dann nicht mehr das edle Geschöpf, an dem Alles Sinn und Kraft und Seele, oder, so zu sagen, alles Körperliche geistig und alles Geistige körperlich ist: er ist ein u n n a t ü r l i c h e r C e n t a u r a r t i g e r Zwitter von T h i e r und von G e i s t , wo eines auf Unkosten des andern lebt; das Thier sich Bedürfnisse, der Geist Leidenschaften, Entwürfe und Entzwecke macht, die der N a t u r m e n s c h nicht kannte; jedes das andre nach Vermögen drückt,
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zerrt, ängstigt und erschöpft, und endlich eine ungeheure Menge Leibes und Seelenkrankheiten die Früchte sind dieser S c h e i d u n g d e s s e n w a s G o t t z u s a m m e n g e f ü g t h a t . Da mag nun wohl, wenn das Übel aufs höchste gestiegen ist, jene S e e l e n - A r z n e y k u n s t ihre Hülfe zuweilen mit einiger Würkung anbieten; und entweder — purgando, saignando et clysterizando diesem oder jenem Patienten einige E r l e i c h t e r u n g — oder, wenigstens durch angenehme Opiate etwas betrügliche R u h e verschaffen. Aber man hat doch nie gesehen, daß sie fähig gewesen wäre, das Übel a u s d e m G r u n d e zu heilen; und man darf kühnlich behaupten: daß ein Volk, das einmal in die Hände d e r b e y d e n H e i l g ö t t i n n e n gefallen, schon zum voraus unwiderbringlich verlohren ist. Nicht eben, als ob man nothwendig von ihren Arzneyen bersten müßte: sondern, weil, sobald man seine Zuflucht zu ihnen nimmt, das Übel schon zu weit gekommen ist, um eine völlige Wiederherstellung zuzulassen. Ich sagte vorhin: Die Philosophie könne als Arzneykunst für die Seele um so
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Mai 1778)
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eher ihren Platz behaupten, weil die Gesunden dann wißten, daß sie nichts mit ihr zu schaffen hätten. Allein, wie alle Künste sich gerne wichtiger machen als sie sind, so hat auch diese ein Mittel gefunden, sich aller Welt als unentbehrlich aufzudringen. Sie gesteht nemlich (so, wie ihre Schwester, die leibliche Arzneykunst) keinem Menschen zu, d a ß e r g e s u n d s e y . Ihren Lehrsätzen und ihrem I d e a l von Gesundheit nach, ist die ganze Erde Ein großes Narrenund Siechenhaus, und nicht Einer befindet sich wohl genug, um ihrer Vorschriften entbehren zu können. Zum Glück ist dies eine Prätension, aus der man ihnen nichts gehen läßt. Die Natur weiß nichts von Idealen. So lang ein 10
Mensch sich gesund fühlt, hat er auch recht, sich für gesund zu halten; und, ohne sich zu bekümmern, ob Jemand was dagegen einzuwenden habe, lebt er geradezu als ein Gesunder, und ließt keinen Buchstaben von allen den gelehrten Dissertationen, worinn ihm die Herren a ` priori beweisen, daß er unmöglich gesund seyn könne. Es giebt freylich Fälle, wo ein Kranker eben darum desto gefährlicher krank ist, weil er sein Übel nicht fühlt: aber diese Fälle sind höchst selten, und können dem großen Hauffen der sich wohl befindenden an ihrem Rechte gesund zu seyn keinen Abtrag thun. W.
F r a g m e n t e v o n B e y t r ä g e n ¼…½. P h i l o s o p h i e — K u n s t z u l e b e n
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Logogryph. Ich bin an Reimen reich, und, wenn ihr meinen Schwanz zum Kopfe macht und mich des Bauchs entladet, bin ich was R o l a n d (1) war. Dann nehmt mich wieder ganz, und laßt (was manchem nichts an seinen Ehren schadet) den Kopf nur weg, so stell ich dar was Rhadamanth in Plutons Hofrath war. (2) Nun schneidet, wenn ihr wollt, das zweyte meiner Glieder heraus, und — machtet ihr mich gern zum O s s i a n , H o m e r , H a n s S a c h s — so gebt den Kopf mir wieder,
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den so ein Mann nicht wohl entbehren kann. (3) Nehmt abermal mein Mittelstück und noch ein T hinweg, so trete ich in den Rang der ältsten teutschen Städte, die keiner andern Glück beneidet, seit sie der beste Fürst mit seinem Krummstab weidet. (4) Laßt dann das T aus meiner Hälfte aus, so wird ein schlankes Thier daraus, das eure Wälder ziert; (5) und gebt das T ihm wieder
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und flickt das sechste meiner Glieder daran, so ists ein Ding das weder Mensch noch Fisch, noch Baum noch Vogel, Käfer, Schlange, noch Polypus, und dennoch ein Gemisch von allem diesem ist. (6) — Nun (um mich nicht zu lange zu plagen) gebt euch selbst die Müh, zerstückt und leimet mich nach eurer Phantasie, und sucht in mir — was bey Admetens Heerden Apollo war (7) Was jeder Sohn der Erden in dubio zu haben steiff vermeynt (8) wie uns zu Muthe wird sobald nach nassen Tagen
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Mai 1778)
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und trüber Luft die Sonne wieder scheint (9) und was sich, mit Respekt zu sagen, auf jenes reimt (10) Sodann das Tausendköpf’ge Thier mit dessen Armen sich, der Himmel weiß wofür, die Könige auf unserm Rücken schlagen (11) Zum Schluß, ein Prädicat, das aus Bescheidenheit A u g u s t u s ehmals ausgeschlagen, und izt, zum Zeichen unsrer Zeit, die Knechte wie die Herrn in gleichem Sinne tragen, (12) 10
denn gar nichts, oder gar zuviel ist offenbar nur — Wörterspiel.
L o g o g r y p h ¼„Ich bin an Reimen reich …“½
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Das Wort des L o g o g r y p h e n im M ä r z ist R o s e n b l a t t . Es enthält folgende Wörter: 1) R a b e . 2) Te o r b a . 3) S t a b . 4) B l a s e n . 5) R a s e n . 6) N e s t . 7) B o r n . 8) S a l b e . 9) B o t e . 10) Tr o n . 11) B o l e n . 12) R a s t e n . 13) Tr a b e n . 14) S t o l e . 15) S t e r n e . 16) S o r b e t . 17) B a r t . 18) To b e n . 19) L a s t e r . 20) L a s t . 21) R o s t . 22) Auf dem R o s t g e b r a t e n zu werden. 23) L o b . 24) A b e r . 25) B a s t . 26) B a s e . 27) B a s e l . 28) B e l o n . 29) L a b e . 30) Louise L a b e´, ditte L a b e l l e C o r d i e r e . 31) L o t . 32) beschwehrte sich daß er nicht habe schlafen können, weil ein R o s e n b l a t t auf seiner Matratze gefaltet gelegen sey.
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Der Teutsche Merkur. May 1778.
Schach Lolo. * ) Regiert — darinn stimmt Alles überein — regiert muß einmal nun die liebe Menschheit seyn, das ist gewiß: allein Quo Jure, und v o n w e m ? in diesen beyden Problemen sehen wir die Welt sich oft entzweyn. Doch, schon zur Zeit der blinden Heyden, (als noch was Rechtens sey sich Krantor und Chrysipp nach ewigen Gesetzen zu entscheiden anmaßten) fand der Sohn des listigen Philipp,
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man komme kürzer weg, den Knoten zu zerschneiden. Seit dieser Zeit fieng man gewöhnlich dabey an, was P y r r h u s , C ä s a r , M i t h r i d a t e s , und M u h a m m e d und G e n g i s k a n , und mancher der nicht gern genannt ist, stets gethan, sich förderst in Besitz zu setzen. Das R e c h t kommt dann von selbst! das sind Subtilitates, Juris Deliciae, woran die knasterbärtigen Doktoren sich ergötzen. Die Freude gönnt man ihnen gern.
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Das Jus Divinum, liebe Herrn, steht also, wie ihr seht, so feste, und fester als der Kaukasus: Befiehlt wer kan, gehorcht wer muß ; ein jedes spielt mit seinem Reste und unser Herr Gott thut das Beste.
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Das S ü j e t ist die Erzählung vom griechischen König und vom A r z t D u b a n im ersten
Theil der Contes Arabes.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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„Ja, sagt ihr, aber daß ein Schach, ein Narr, ein Kind, ein N e r o , ein K a l i g e l , ein H e l i o g a b a l u s , die Zügel des Schicksals führen soll?“ — Und warum n i c h t ? Regiert nicht eine Windsbraut oft, und rührt in einen garst’gen Brey die liebe Welt zusammen? setzt euch in einem Huy das größte Schloß in Flammen, bricht Dämme durch, spült manchen schönen Ort mit Jung und Alten weg, reißt Ufer, Wälder fort, 10
und alles das unläugbar Jure Divino, liebe Herrn! die Sach ist sonnenklar. S o wird die Welt regiert, und eine ganze Fuhre von Syllogismen macht’s nicht mehr noch minder wahr. Izt Sonnenschein und schöne warme Tage, wie ihr gewünscht: doch freylich, nur ein Paar zuviel, so wird der Sonnenschein zur Plage, wie jüngst der Regen war, auf den ihr nun mit Schmerzen harrt. Euch immer Recht zu thun ist schwer. Allein die Welt, die dreht in ihrem Kreise
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sich unbekümmert fort, und der, der mitten drinn im Centro sizt und einen großen Sinn fürs Ganze hat, regierts nach seiner Weise. Der winzigste Deunculus machts eben so in seinem Spangenkreise, nur nicht so gut; behauptet frisch sein Jus Divinum über Weib und Kinder, Haus, Hof und Haabe, Schaf und Rinder, und giebt nicht Rechenschaft davon, als — wenn er muß. „ D i e R e d’ ist, sprecht ihr, w i e e s s o l l t e
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nicht wie es ist — “ So? wie es sollte? Also wißt Ihrs besser? S o , s o sollts — Ja, wenn es w o l l t e ! Allein es will nun nicht! All der Ideenkram der Weltenflicker, sagt, was hat er je gebessert?
Schach Lolo
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Verschoben hat er viel! und weß ist da die Schaam? E s s o l l t e — nein, ihr Herrn; v e r k l e i n e r t u n d v e r g r ö s s e r t nur nicht, w a s i s t i n e u r e r P h a n t a s i e , s o i s t s j u s t r e c h t ; und euch ersparts die Müh dem lieben Gott in seine Kunst zu pfuschen. Es geht ja manchmal wohl ein wenig konterbunt und garstig zu auf diesem Erdenrund, das läßt sich freylich nicht vertuschen; allein, dann gehts just w i e e s k a n n ; und dafür ist gesorgt, daß doch nichts überwieget,
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daß ungestraft nicht leicht ein Mann sein werthes Selbst an Bösesthun vergnüget, nicht ungestraft ein Schalk — ein Flegel — ist, nicht ungestraft ein Schach, nicht ungestraft ein Nero. Das Maas, womit das Schicksal wiedermißt, ist immer billig. — Schwimmt Mis H e r o in trüber Nacht bey oftbewölktem Mond mit liebestrunknem Blick dem schönen Freund entgegen, der, durch Begier und Schwierigkeit verwegen, den stets gefäll’gen Hellespont
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schon manche heitre Nacht durchschwommen, und dann an ihrer schönen Brust den süssen Lohn der Arbeit eingenommen: O! so mißgönnt doch nicht die theurerkaufte Lust den ihrer Pflicht entirrten holden Seelen! Sie liessen ja so gerne sich vermählen! Warum trennt harter Eltern Groll Stolz oder Geiz, was Gott zusammenfügte? „Allein, sie that doch was kein frommes Mädchen soll !“ Ja, leider! und das Schicksal rügte den Fehltritt wahrlich streng genug. Denn, wie sie so im süssen Hofnungstrug voll Ungeduld des lieben Jünglings harret in dieser trüben Nacht, und nun auf einmal stürmt der Wirbelwind daher — wie Fels’ auf Fels gethürmt
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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stürzt Well’ auf Well’, und ach! in jeder stürmt der schreckliche Gedank ob dem ihr Blut erstarret: „Ha! wenn ihn dieser wilde Sturm ergriffen hat“ — und nun (was zu beschreiben mein Herz sich mir versagt) die Wellen an den Thurm vor ihre Füße hin den starren Leichnam treiben — sagt, Grausame, ist sie gestraft genug ? „Ja, d e n k t Ihr, nur zu hart wird ein verstohlner Zug aus Amors Lustkelch so gerochen? 10
die armen Liebenden! So schwer bestraft zu seyn und ihr Vergehn im Grunde doch so klein! Was haben sie so schrecklichs dann verbrochen?“ O nicht doch! Lästert nicht, indem ihr sie beklagt, des Schicksals Billigkeit! Es hat für alles Leiden sie ja vorausbezahlt! Sind’s etwa kleine Freuden für die ein junger Mann so rasch sein Leben wagt? Und rechnet ihr für Nichts, daß, ihn zu überleben verachtend, Hero, treu dem schönen Liebesbund, sich zur Gefährtin ihm ins Todtenreich gegeben?
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Für nichts, mit ihm zu sterben Mund auf Mund, und Arm in Arm mit dem geliebten Gatten hinabzugehn ins stille Land der Schatten? Erkennet dann: das irdische Geschlecht murrt ohne Grund; die Götter sind gerecht, und lassen, wo ihr Plan das Übel nicht verhütet, kein Unrecht unbestraft, kein Leiden unvergütet. Ein jedes Ding in dieser Unterwelt ist niemals was es scheint — und scheint, nachdem ihrs stellt, ist klein von fern, wird größer wie ihrs näher
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beschaut, und, je nachdem sichs gegen e u c h verhält, bald gut, bald bös. Der wahre Seher ist der sich allemal ans rechte Plätzchen stellt.
Schach Lolo
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Das hält oft schwer! Gesunde Augen erforderts auch; denn (wie ein Weiser spricht) wenn die an einem Mann nichts taugen so helfen ihm zehn Sonnen nicht. Doch, über dem Philosophieren, das doch, Gott weiß! so wenig nützt, verliehren wir unsern Weg. Es war euch ärgerlich daß, wie Ihr meynt, die guten Götter sich so — wenn mans sagen darf — so — grob prostituiren, die Welt, zum wenigsten manch hübsches Stück von ihr,
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(so schlecht es sey ists immer Schade für!) wie dann und wann geschieht, durch — S c h a c h e zu regieren. Der Meynung bin ich nicht. Mir däucht, just umgekehrt, das Volk stets seines Schachs, der Schach des Volkes werth, und schwerlich wird ein einzig Beyspiel fehlen. Die T i t u s , ja, die M a r k - A u r e l e n , die sind wohl allenfalls für ihre Zeit zu gut: allein ein K l a u d i u s , mit seiner feinen Brut von Weibern und von Favoritten, ein U z i m - O s c h a n t e y , ein B a h a m , S c h a h r i a r ,
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die wurden just so zugeschnitten wie ihre Zeit sie würdig war. Der beste Schach ist freylich, wenn wir billig im Urtheil sind, nur zu gewiß Persona miserabilis. Zuerst so gut, so fromm, so willig es recht zu machen! Gieng es schief, nun, so vergriff er sich; er griff zu hoch, zu tief, gemeynt war’s recht. Allein, da hebt man Aug und Hände, und klatscht und jubiliert, als hätt ein Gockelhahn ein Ey gelegt. Daß nur ein einzger D a n i s c h m e n d e mit guter Art dem Herrchen auf den Zahn
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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zu fühlen wagte! — So, gewöhnt er sich daran, und nimmt das Schmeichlerlob am Ende wie Jupiter den Weyhrauch an. Das Schlimmst’ ist, wenn er meynt er habe was gethan, kommt ein Wessier und stellt das Ding behende so auf den Kopf, daß just von seinem Plan das Gegentheil erfolgt: und er, in seiner Blende, nimmt drüber gar noch Komplimente an. So füllen nach und nach sich ganze dicke Bände, mit Thaten die er — nicht gethan;
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und ihm wird weiß gemacht, es stände in Famas Namenbuch der seinig’ oben an. Nun, sagt mir, wenn ein Schach, den Weiber und Kastraten sein Lebenlang gegängelt wie ein Kind, es endlich müde wird, und doch nicht in sich findt allein zu gehn, und läßt sich nun von Jedem rathen weil Alle ihm verdächtig sind; wenn er, in seinem ganzen Leben vom Füsseleckenden verrätherischen Geschmeis raubgier’ger Masken stets belagert und umgeben,
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den Biedermann zulezt nicht mehr zu finden weiß, und fänd’ er ihn, den Mann nicht zu ertragen vermag; im Weyhrauchdampf worinn man ihn erstickt nicht Menschen mehr, Vampyren nur erblickt die an ihm saugen und ihn nagen; und, endlich gar, als läg ein schweres Interdikt auf seiner Burg, die Guten sich nicht wagen ihm mehr zu nahn; und nun der arme Schach, zum Nero nicht zu bieder, nur zu schwach, durch Nichtsthun, Furcht der Wahrheit nachzufragen,
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Unschlüßigkeit, Mißtrauen, Wankelmuth, mehr Böses oft als zehn Tyrannen thut: //
Wer hat die Schuld? Und wer ist zu beklagen?
Schach Lolo
127—191
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Gewiß, dem Schach gebührt noch viel heraus! Daß manchmal auch dabey ein braver Mann gelitten und leiden wird, das bleibt wohl unbestritten. Doch sorget nicht! Den führt aus jedem Straus sein Genius gewiß heraus, und wer dabey am schlimmsten fähret ist doch zulezt der Schach — wie L o l o’ s Beyspiel lehret. * * * S c h a c h L o l o , erstgebohrner Sohn des Firmaments, Oheim von Sonn’ und Mon,
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Herr im Zodiakus, des großen Bären Vetter, Gebieter über Wind und Wetter, etcätera, — regierte, wie man’s heißt, zur Zeit, wo alles das geschehen wovon sogar Freund We n k die Quellen nicht mehr weißt, im g r o ß e n S c h e s c h i a n . Kein sonderlicher Geist! Die reine Wahrheit zu gestehen, er überließ das Werk den Göttern und den Feen; und wenn’s darum nicht desto besser gieng so war’s nicht seine Schuld. Von seiner Art zu leben
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euch nur ein kleines Bild zu geben, nehmt Einen Tag; denn wie er d e n begieng so gieng es Tag vor Tag in seinem ganzen Leben. Es war das ächte Quasi - L e b e n d e r G ö t t e r E p i k u r s . — Nachdem er Nachts zuvor, allmählich eingelullt von faden Sängerinnen, den lezten Dienst erschlappter Sinnen in Strömen süssen Weins verlohr; und, matt und welk wie ein zerknicktes Rohr, nun zwischen zwo Cirkasserinnen (die er, damit sie doch zu Etwas brauchbar sind, für Polster braucht) das alte Wiegenkind entschlummert ist, und ohne sich zu regen die Nacht durch weintodt dagelegen:
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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entrüttelt ihn, so wie zum Frühgebet der I m a n ruft, ein Kämmerling dem Schlummer. S c h a c h L o l o streckt sich, gähnt, bohrt in der Nase, dreht die Augen, und so fort — kurz, steht ein wenig dummer als gestern auf, verrichtet sein Gebet, wird dann gekämmt, gewaschen, angezogen, beräuchert, nimmt sein Frühstück, geht in seinen Divan — wo, sobald die goldne Thüre in ihren Angeln knarrt, die Emirn und Wessire, 10
als Erdgeschöpfe, die den Glanz der Majestät mit bloßen Augen nicht ertragen, an seines Thrones Fuß die Sclavenstirnen schlagen. Der Großwessir verrichtet nun sein Amt, und Lolo, der indeß mit hohen Augenbrauen im Staate sizt und sich mit B e t e l -Kauen die Zeit vertreibt, begnadigt und verdammt, so wie sichs trift, die Bösen und die Frommen. Indessen wirds Mittag; die Kämmerlinge kommen, es öfnet sich zum hohen Göttermaal
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ein Augenblendender gewölbter Speisesaal. Das Maal (um kurz zu seyn) wird reichlich eingenommen, und nun paßiert mein Schach in einen zweyten Saal, noch größer, herrlicher, und schimmernder als jener, wo, zum Verdauungswerk bestimmt, ein weicher Lehnstuhl ihn in seine Arme nimmt. Zween Chöre Nymfen, eine schöner als wie die andre, weiß und rund von Armen, blau von Aug, und schwarz von Augenwimpern, die Zithern in der Hand, stehn schon mit ofnem Mund,
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ihn wieder in den Schlaf zu singen und zu klimpern. Das Mittel würkt bey vollem Magen stracks. S c h a c h L o l o schläft zwoo Stunden wie ein Dachs; wacht endlich wieder auf; gähnt seinen Philomelen aus höchster Machtgewalt gerad ins Angesicht, fängt seine Finger an zu zählen,
Schach Lolo
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und hascht nach Fliegen, die ihm nicht Stand halten wollen: Unterdessen kommt unvermerkt die Zeit zum Abendessen. Eröfnet sich ein dritter Saal, noch schimmernder als jene beyde, illuminirt mit Lampen ohne Zahl, wo lauter Ambra brennt — und abermal im Luftgewand von rosenrother Seide zwoo Reihen Töchterchen der Freude, die zum Empfang des Herrn die Kehlen schon gewezt;
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und unter einem Thron, der, wie aus Sonnenstralen gewebt, durch seinen Glanz die Augen schier verlezt, ein goldner Tisch mit sieben großen Schaalen von Japans reichstem Tohn besezt, wo, schöner als ein Mahler sie zu mahlen im Stand ist, Früchte aller Art hochaufgethürmt Geruch und Aug entzücken. Nur keinem S c h a c h ! Der siehts mit ungereizten Blicken. Doch, weil des Thrones Pflicht hier seine Gegenwart vonnöthen macht, geruht er sich zu setzen,
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nachdem zuvor zwoo Nymfchen, schön und zart, die Glatze und den Knebelbart ihm eingesalbt. Die Scene zu veredlen stehn andre sechs mit großen Fliegenwedeln in Rosenöl getaucht; auch glimmt auf goldnen Pfannen ein ganzer Wald von Sandelholz und Zimmt und treibt das Mückenvolk von dannen. Indessen nun die Chöre wechselsweis des großen L o l o Ruhm und Preis mit Sang und Klang den Wänden vorerzählen, läßt S c h a c h (der wohl von allen Menschenseelen am wenigsten von seinen Thaten weiß) sich gähnend einen Apfel schälen; und wartet in Geduld bis endlich abermal
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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die Stunde schlägt, die in den vierten Saal ihn rufen wird. Sie schlägt, und — laßt euchs nicht verdriessen! es öfnet sich der liebe vierte Saal, wohin wir ihm schon werden folgen müssen. Daß alles drinn erschrecklich glänzt und gleißt, und wieder Räucherpfannen brennen, und, wie sich hinter ihm die goldne Pforte schleußt, ein neues Nymfen-Chor ihm stracks die Zähne weißt, ist was wir leicht vermuthen können. 10
Ein neuer Polsterthron, ein neuer Tisch, besezt mit allem was den Gaum zum Trinken wezt, und dann, die Kehle wohl zu baden, ein Schenktisch reich von zwanzig Sorten Wein stehn links und rechts in vollem Glanz, und laden den Schach zum lezten Akt des Monodramas ein. Sechs Nymfen, schlank wie baare Oreaden, bedienen ihn dabey, indeß ein andrer Chor von Grazien in dünnem Silberflor, damit der gute Mann beym Schenktisch nicht erkaltet,
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des Reitzes schlauste Kunst im leichten Tanz entfaltet: bis endlich gegen Mitternacht das königliche Vieh, berauscht an allen Sinnen, nach altem Brauch, die zwoo Cirkasserinnen die nun das Unglück trift — zu seinen Polstern macht. Bey solcher Lebensart, was Wunder wenn ihn zulezt, wie die Geschichte sagt, vom Haupt zu Fuß Egyptens Aussatz plagt? Gesunder an Seel und Leib
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ist freylich der, dem Arbeit Zeitvertreib und Nothdurft Wollust ist; der, wenn er spät vom Acker zur Hütte kehrt, zwar müde, doch noch wacker, an rauhem Brodt und seinem braunen Weib sich auf des Morgens Arbeit labet!
Schach Lolo
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Was hilft es nun dem Schach, der unter einem Thron von goldnem Stoff als wie Sanct Job sich schabet, was hilft ihm, daß er Sonn und Mon zu Neffen hat? Staubleckende Wessiere zu Sclaven hat, und Weiber von Kaschmire zum Unterpfühl? Was hilft ihm Sang und Saitenspiel und all der Kitzel stumpfer Sinnen, und all sein Nymfenheer und seine Tänzerinnen? Umsonst ist seiner Ärzte Müh
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sein schwarzes Blut durch Säuren zu verdünnen. Zwey Jahre schon erschöpften sie treufleißigst ihr Gehirn und alle ihre Büchsen; versuchtens, da nichts Lindrung schaft, erst mit e l e c k t r i s c h e r dann mit m a g n e t s c h e r Kraft, dann mit der frischen Luft und endlich mit der f i x e n , ja, aus Verzweiflung gar zulezt mit S c h i e r l i n g s s a f t . Vergebens sieht man sie durch Berg und Wiesen trotten nach Kräutern, die Galen und Celsus nicht gekannt; die K a c h e x i e des Schachs scheint ihrer nur zu spotten,
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und täglich nimmt das Übel überhand. Von ungefehr (wie meistens alles Gute) kam, da es just am schlimmsten stand, ein Fremdling an aus einem fernen Land; ein Mann, dem Ansehn nach von stillem ernsten Muthe, und der (das sieht der Wirth ihm flugs am Nasloch an) ein wenig mehr als Fünfe zählen kann. Zufällig hört der Fremde von dem Jammer des armen Herrn. Er sagt darzu kein Wort. Nach einer Weile geht er fort in seine Kammer. Was er darinn gemacht ist unbekannt; denn, wie er sich allein befand, schob er den Riegel vor und ließ den Vorhang nieder.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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Genug, er kam mit etwas in der Hand das einem Schlägel glich, in einer Stunde wieder. „Laß mich zum Sultan führen, Freund“ spricht er zum Wirth. — D a s i s t s o l e i c h t n i c h t a l s e s s c h e i n t , ihr werdet schwerlich angenommen — „Sagt ihm, es sey ein fremder Arzt gekommen, der, wenn er ihn in kurzer Zeit von seinem Aussatz nicht befreyt, den Kopf bereit ist zu verliehren.“ 10
Wie L o l o diese Bothschaft hört denkt er: es ist der Probe gleichwohl werth, der Mann hat doch dabey nicht wenig zu verliehren; und er befiehlt ihn vorzuführen. Der Fremde kommt — ein feiner langer Mann mit schwarzem Bart und einer Art von Nase die L o l o just am besten leiden kann. „Herr, spricht der fremde Mann, ich blase nicht gern mich selber aus: genug, die Fakultät hat deiner Heilung sich verziehen;
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ich heile nicht mit Pillen, Kräuterbrühen, noch Rindenmehl; allein, wenn deine Majestät sich mir vertrauen will, soll binnen sieben Tagen dein ganzer Leib so frisch und rein wie eine Mayenrose seyn, wo nicht, so werde mir der Schädel abgeschlagen!“ S c h a c h L o l o spricht: daß du mit deinem Leben assekurieren sollst was andre aufgegeben, das wolle Alla nicht!
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Doch leiste was du mir zu hoffen befiehlst, und sey der Zweyt’ in meinem Reich! Mit L o l o’ s Herzen steh zugleich
Schach Lolo
329—394
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sein Hof, sein Schatz, sein Harem selbst dir offen! Verdoppelt gleich mein Dank den höchsten Flug den deine Wünsche sich erlauben: noch werd’ ich immer nicht genug für dich gethan zu haben glauben! „Herr, spricht der Arzt, an deiner Dankbarkeit zu zweifeln, wär’ ein Majestätsverbrechen: allein davon ists immer Zeit, wenn du genesen bist, zu sprechen. Das Mittel, Herr, zu dieser Wunderkur
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wird, wie gesagt, nicht innerlich genommen; es geht von aussenher und durch die Poren nur ins Blut; doch muß es selbst vorher in Schwingung kommen. Groß sind die Wunder der Natur! Dies, ich gesteh es, ist ganz ausserhalb der Regel, mit Einem Wort: es steckt in diesem Schlägel.“ I n d i e s e m S c h l ä g e l ? ruft der Schach von Scheschian, und vor Erstaunen bleibt der Mund ihm offen stehen. „In diesem Schlägel, Herr! Du wirst die Würkung sehen. Natürlich ist ein Talisman
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dabey im Spiel — genug, in sieben Tagen! Und daß wir keine Zeit verliehren, führe man des Sultans Leibpferd her, um nach der Mallje-Bahn stracks seine Hoheit hinzutragen.“ Gesagt, gethan. S c h a c h L o l o langt an Ort und Stelle an, und mit dem Schlägel, den ihm D u b a n nachgetragen, (so nennt der Fremde sich) muß er in stetem Jagen den schweren Ball so lange schlagen bis ihm der Schweiß aus allen Poren bricht. „Der Talisman hat seine Pflicht für heut gethan, spricht D u b a n : unverzüglich
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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ins Bad nunmehr! Und seyd ihr da genüglich gewaschen und frottirt, dann flugs ins Bett, und deckt euch doppelt zu, und schlaft bis euch der Iman weckt.“ Den nächsten Tag wirds eben so getrieben. Der Schlägel däucht den Schach schon minder schwehr und lustiger das Spiel als Tags vorher; er schlägt den Ball mit immer kräftgern Hieben, schwitzt wieder, geht ins Bad, wird tüchtig abgerieben, und schläft die Nacht durch wie ein Bär. 10
Mit jedem Tage wächst sein Glauben und Belieben an Dubans Talisman; und wie die heilge Sieben vollendet ist, steht er am achten früh, nach Dubans Wort, so munter auf, als wie er kaum in seinen ersten Hosen gewesen war — so blühend und so frisch als hätten für Cytherens Bett’ und Tisch die Grazien ihn mit lauter jungen Rosen gefüttert — rein und glatt wie Lilien auf der Flur, starck wie ein Löw, gerade wie ein Kegel,
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von Aussatz nirgends keine Spur! Mit einem Wort — der Mailleschlägel hat große Ehre von der Kur. Doch diese (wie’s in solchen Fällen zu gehen pflegt) kommt lediglich auf D u b a n’ s Rechnung. S c h a c h , vor Freuden ausser sich, herzt, küßt und drückt den Mann daß ihm die Ohren gellen; weiß nicht woher er Worte nehmen soll, und giebt just nichts, weil er, des Danks zu voll, gleich Alles geben möcht’. Indessen
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wenn Duban Ehre geizt, so kann er diesmal sich bis zur Genüge dran erletzen. Er muß, da L o l o feyerlich den ganzen Hof traktiert, sich ihm zur Seite setzen; ihm wird ein Kaftan umgethan
Schach Lolo
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von purem Gold- und Silber-Lahn; und nah an L o l o’ s eignen Zimmern eins eingeräumt, das kaum vor Schönheit und vor Schimmer bewohnbar ist. Er hat sogar ins Schlafgemach den Zutritt; kommt dem holden Schach den ganzen Tag nicht von der Seiten, muß in den Divan ihn begleiten, muß mit ihm jagen, mit ihm reiten, wohin es geht, muß D u b a n mit, selbst in den vierten Saal — kurz, ist der Favoritt;
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und Ohr in Ohr wird starck davon geflüstert, der Großwessir sey seinem Falle nah. Daß Dubans Gunst ihn wenigstens verdüstert, war was bey Hof sogar der Hundewärter sah. Der Großwessir, der in der Kabbala sehr viel gethan, war nicht der letzte der es sah, das ist, der sich an Dubans Stelle setzte, und dessen Sinnesart nach seiner eignen schätzte. Denn Duban freylich war zu ehrlich und zu klug zu solcher Politik, und höher aufzufliegen
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als ihn just itzt die Luft und seine Schnellkraft trug, war ihm noch nie zu Kopf gestiegen. Doch R u k h , der Großwessir, war wie gesagt ein Mann der seinen Posten scharf bewachte, ein Mann der Rechnung hielt, sein Facit täglich machte, und was ein Anderer gewann sich als Verlust in Ausgab brachte. Ein solcher Mann ist nicht pro forma Großwessir. Natürlich gab es ihm kein sonderlich Vergnügen, daß D u b a n so im Sturm des Sultans Gunst erstiegen; und also bat er sich durch die geheime Thür Gehör bey L o l o aus. In allen seinen Zügen war Unruh, gleich als graute ihm vor dem was ihm die Pflicht nicht zuließ zu verheelen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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Herr, spricht er, bey erhabnen Seelen muß mit der Güte stets die Weisheit sich vermählen. Das alte Sprüchwort, t r a u , s c h a u w e m , läßt Königen sich nicht genug empfehlen. Wer hätte je so weit im Argwohn ausgeschweift, daß dieser fremde Unbekannte den Deine Majestät mit Gnaden überhäuft, und der, dem Anschein nach, von heisserm Eyfer brannte als alle deren Treu der längste Dienst bewährt; wer hätte den Verdacht genährt,
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daß dieser Mann, den du so hoch geehrt, ihm dein Vertraun, dein ganzes Herz gegeben, mit dem du ofner als mit einem Bruder bist, ein schändlicher Verräther ist, (mit Schaudern sag ich es) nach deinem theuren Leben, zu trachten, und in Dir nach unser Aller Leben, an deinen Hof gekommen ist? Wie? (spricht der Schach) Wessir! Du wagst es so zu lästern den Mann, den L o l o liebt? Verwegner, traust du mir die Schwachheit zu, zu glauben, was ich Dir
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und einer ganzen Welt nie glauben werde? „Lästern? versetzt ganz ruhig der Wessir; kennt deine Majestät mich etwan erst seit gestern?“ O! Kennen? — ruft der S c h a c h : da fehlt’s nicht! Haben Zeit dazu gehabt! — Kabale, Mißgunst, Neid! — Es wäre viel davon zu sprechen — Daß ich ihn liebe, das, das ist sein groß Verbrechen! Allein, ihr irrt euch stark. Gleich diesen Augenblick will ich ihn dreymal höher heben,
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ihm viermal mehr Geschenke geben, und wenn ihr alle die Kolik davon bekämt! Das eben //
daß ihr ihn haßt, das macht bey mir sein Glück.
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„Herr, wenn du willst, wer darf dir widerstreben? erwiedert R u c k h ; du hast zu thun was recht dir däucht. Verkenn in deinem alten Knecht den treuen Freund — ich muß mich drein ergeben. Doch hier ist die Gefahr nicht mein! Hier, muß ich meine Stimm’ erheben, Herr! oder ein Verräther seyn! Ein bloßes Schwerdt hängt über deinem Leben, an einem Haare schwebts — und schweben sollt ich es sehn, und schweigen? Nein!
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Hier ist mein Haupt, ich legs zu deinen Füßen; laß, wenn’s Verbrechen ist dir zu getreu zu seyn, laß michs mit meinem Leben büßen: nur leide, daß der letzte Hauch der mir entflieht, dich warne vor der Schlange die du im Busen wärmst!“ — Dem Heuchler glüht die Wange indem er’s spricht. Der S c h a c h , nach seinem Brauch wenn etwas ihn bestürzt, schlägt sich mit beyden Händen vor seinen königlichen Bauch;
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Wie? spricht er, sollte mich mein böser Geist verblenden? Und Duban sollte fähig seyn — Mein Freund? mein Retter? nach dem Leben mir stellen? — Guter R u k h , dein Eyfer täuscht dich! Nein! Ich glaub es nimmermehr! Ihm hab ich ja dies Leben zu danken — wem, als ihm allein? Wenn er mirs rauben will, wozu mirs wiedergeben? Er konnte, wenn er nur an meinem Übel mich verderben ließ, sich einen Mord ersparen! Wessir, du bist mir treu, ich weiß es, bist erfahren, und kennst die Welt; doch diesmal, sicherlich, betrügst du dich! „O Herr, erwiedert R u k h , wie sollte michs nicht schmerzen mit diesem königlichen Herzen —
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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so argwohnlos, so gut! betrogen dich zu sehn? O! eben dies vergrößert das Vergehn des Mannes, der, so nah an deinem Herzen, des schwarzen Anschlags fähig ist! Der durch den Anschein, sich verdient gemacht zu haben, erst dein Vertrauen stiehlt — mit Gaben sich überschütten läßt — um, wenn du, keiner List gewärtig, bey verschloßnen Thüren, einst unbeschützt in seinen Händen bist, 10
um soviel sicherer den Mörderstoß zu führen!“ Bey diesen Worten fährt dem S c h a c h ein kalter Schauder übern Rücken; er sieht den falschen Freund, mit Dolchen in den Blicken, sich schleichen in sein Schlafgemach, und fühlt den Stahl schon zwischen seinen Rippen. Was ist zu thun, ruft er mit blassen Lippen, Was räthst du mir? Zwar, glauben kann ichs nicht — und doch besorg ich schier — Wer kann ins Herz des Menschen schauen?
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Dem Besten, wie du sagst, ist nicht zu viel zu trauen. Ein Mensch kann sich verstellen, das ist klar; und Duban — kurz — wer weiß — er ist ein Mensch! — ich denke es ist am sichersten wir machen ihm Geschenke, und schicken ihn zurück nach seinem Kandahar? „Zurück ihn schicken, und Geschenke noch oben drein? — Nein, Herr! — (erwiedert R u k h , der, wie er seinen Schach bereit sieht nachzugeben, nur einen einzgen frischen Druck noch nöthig findt) Herr! läge nicht dein Leben
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hier auf dem Spiel, so sagt’ ich nichts dazu. Doch, deine Sicherheit und deiner Völker Ruh zu wagen, bloß um einen Mann zu schonen der, wie ich sicher weiß, dir nach dem Leben steht,
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und ihn dafür noch zu belohnen daß ihm sein Streich mißlungen ist — das geht zu weit! Ein Übermaas von Güte wird Schwachheit, Herr! — Auch ich bin zum Verzeyhn geneigt; doch diesesmal müßt’s ein Verräther seyn der deiner Hoheit nicht zum Weg der Strenge riethe.“ Was meynst du denn, versetzt der theure Schach, was ist zu thun? „Den Kopf ihm vor die Füße legen!“ In diesem Stück, spricht L o l o , bin ich schwach,
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ich sag es frey; es sträubt sich was dagegen in meinem Herzen — „Wie? hat er nicht siebenfach den Tod verdient? Wenn’s auch nur Argwohn wäre, in solchen Fällen hat ein Sandkorn Zentner-Schwehre. Ist etwa deine Sicherheit nicht werth mit eines Sclaven Leben erkauft zu seyn? Es ist die höchste Zeit; die Stunde Frist die wir ihm geben kann deine letzte seyn!“
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Wessir, ich gebe mich, ruft der erschreckte S c h a c h : du siehst in solchen Dingen gewöhnlich richtiger als ich. Befiehl ihn stracks herbeyzubringen! Mein D u b a n kommt mit ruhigem Gesicht, bückt nach Gebrauch sich an des Thrones Stuffen und steht erwartend da. „Kannst du errathen, spricht der S c h a c h zu ihm, warum wir dich beruffen?“ Nein, Herr, das kann ich nicht.
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„So will ich dirs in wenig Worten sagen: es ist — den Kopf dir abzuschlagen.“
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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Den Kopf mir abzuschlagen, Herr ? W i e ? b i s t d u n i c h t g e h e i l t ? Wa s h ä t t i c h d e n n v e r b r o c h e n ? Du scherzest, wie ich seh. „Verkappter Lucifer, das hilft dir nichts! Dein Urtheil ist gesprochen! Wir kennen nun den Schalk der dir im Busen steckt; Verräther! Alles ist entdeckt! daß meine Feinde dich bestochen, daß du ein Bube bist — der darum bloß 10
an meinen Hof sich einschlich, darum bloß mein Arzt, mein trauter Freund geworden, um auf der Freundschaft sicherm Schoos mich desto sichrer zu ermorden — O! ich weiß alles, Bösewicht! Drum nieder auf die Knie, und nichts von leeren kahlen Entschuldigungen! Fort! dein Kopf soll mir bezahlen! Bindt ihm die Augen zu, und nicht ein Wort!“
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Der gute D u b a n steht als wie vom Blitz getroffen. Daß Neid und Bosheit ihm dies Wetter angeschürt ist klar; doch, wie entfliehn? Wo ist ein Ausweg offen? Die Unschuld eben ists was ihm den Kopf verliert. Den Schach kennt er zu gut um viel von ihm zu hoffen. Zum Unglück hat er den nur äusserlich kurirt; dem innern unheilbaren Schaden dem hilft kein Schwitzen und kein Baden! Das Einzge was ihm bleibt, ist, auf gerathewohl, des Sultans Menschlichkeit durch Flehen zu erregen.
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Er thuts nach äusserstem Vermögen; allein das Herz, an das er schlägt, ist hohl, S c h a c h L o l o ist nicht zu bewegen. Itzt soll man sehn ob ich so wankelmüthig bin als wie die Leute immer sagen,
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denkt L o l o bey sich selbst; fast könnt ich ihn beklagen — allein ich halte fest. — F o r t (ruft er) k n i e e h i n , du flehst umsonst ! „Nun, bist du s o entschlossen, so werde dann unschuldig Blut vergossen! Nur Eine Bitte, Herr, wollst eh ich sterbe mir aus Königsmilde noch gewähren! Gieb eine Stunde nur mir Aufschub, heimzukehren, den Meinigen den letzten Abschiedskuß zu geben, und was ich verlassen muß,
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das Wenige, noch unter sie zu theilen. Es wird nicht lange mich verweilen. Das meiste sind, ich muß gestehn, nur Bücher; aber die in guter Hand zu sehn, liegt mir nicht wenig am Herzen — Eins voraus, das man den König von allen Büchern nennen kann, und würdig, daß kein mindrer als ein König sein Erbe sey.“ Wa s i s t d e n n d r a n
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s o s o n d e r l i c h s ? fragt L o l o . „Großer K a n , es ist der Nachlaß eines Weisen, der über hundert Jahre dran gesammelt hat, die Frucht von großen Reisen und tieffem Forschen der Natur. Das ganze Buch hat zwanzig Blätter nur, allein auf jedem Blatt den Schlüssel zu einem Wunderding. Zum Beyspiel: — im Moment, worinn das Schwerdt mein Haupt vom Rumpfe trennt, werd’ es in eine goldne Schüssel, die auf dies Wunderbuch gestellt wird, aufgefaßt: so wirst du, Herr, ein Wunder sehen wie du noch keins gesehen hast. Mein Blut wird plötzlich still in jeder Ader stehen,
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und in der Schüssel wird im gleichen Augenblick mein Kopf sich von sich selbst erheben, und sprechen, und auf jedes Fragestück laut und vernehmlich Antwort geben, das du, mein gnäd’ger Herr und Fürst, ihm aus dem sechsten Blat des Buches vorzulegen geruhen wirst.“ „ D a s w ä r e ! ruft der S c h a c h ; N u n , d i e s e s Wu n d e r s w e g e n sey denn noch eine Stunde Frist 10
i n G n a d e n d i r g e s c h e n k t ! D i e Wa c h e s o l l z u r S e i t e n ihm immer gehn, und ihn zurückbegleiten ; und daß er ja das Buch mir nicht vergißt !“ Mein D u b a n betet an zur Erde und wird hinweggeführt. Und überall bey Hof und in der Stadt erschallt des Günstlings Fall, und daß bey seinem Tod sich was ereignen werde, was noch kein Mensch gesehn. Der große Divans Saal wallt wie ein See von Menschen ohne Zahl, die alle vor Begierde brennen
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das große Wunder auch zu sehn; man hätte durch den Saal, so dichte wie sie stehn, auf lauter Köpfen gehen können. (Um — Nichts zu sehn läßt sich kein besser Mittel denken) Auch ist kein Herz, das nicht von Mitleid überfließt mit Dubans Fall, und doch in großen Ängsten ist der Schach möcht’ ihm das Leben schenken. Der Seiger schlägt. Mein D u b a n , wohlbewacht, wird mit dem Schlag herbeygebracht.
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Die Wache macht sich Platz. Die goldne Flügelthüre fährt auf; das ganze Vorgemach ergießt sich in den Saal; dann Emirn und Wessire,
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und dann ein Zwischenraum, und dann zulezt der S c h a c h , vom Großwessir, der diese Lust bereitet, und von dem Oberhaupt der H ä m m l i n g e begleitet. Der S c h a c h besteigt den Thron, und D u b a n , züchtiglich doch ohne Furcht, tritt zwischen vier Trabanten mit einem mächt’gen Folianten im Arm zum Throne vor, bückt bis zur Erde sich, legt dann das Buch am Fuß des Thrones nieder, und wiederhohlt was er dem Schach davon bereits gesagt. Drauf wird zum Werk geschritten.
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Ein Scharlachrothes Tuch deckt, mitten im Saal, des Bodens goldne Pracht, der Kreis um Duban her wird räumiger gemacht, der Henker zückt das Werkzeug kalter Schrecken, und seitswärts steht ein Sklave mit dem Becken. Der D u b a n war im Grund ein guter Tropf, und, minder um sich selber einen Kopf zu sparen, als dem Schach die Quaal zuspäter Reue, kniet er noch einmal hin, und schwört ihm seine Treue und Unschuld, bittet, fleht, sogar
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mit Thränen — das nun freylich nicht allzurühmlich war an einem Mann von Geist — Genug, beym S c h a c h gewann er nichts damit: „ d e i n K o p f , m e i n F r e u n d , m u ß f l i e g e n , u n d w ä r e s a u c h n u r u m’ s Ve r g n ü g e n zu hören was er sagen kann, wenn er herunter ist.“ Nun gut, so sey es dann, spricht D u b a n , lößt gelassen seinen Kragen vom Halse, schließt die Augen als ein Mann, und — ritsch! ist ihm das Haupt herabgeschlagen. Das goldne Becken faßt, auf Dubans Buch gestellt, den Kopf, so wie er blutend fällt, im Fallen auf. Stracks hört er auf zu bluten,
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der Rumpf bleibt stehn als wär ihm nichts gethan, und, gegen aller Welt Vermuthen, hebt sich der Kopf und fängt zu reden an: „Nun, Herr der Welt, wenn du’s mit einer Frage versuchen willst, und hören was darauf ein Kopf zu sagen hat: so schlage das sechste Blat des Wunderbuches auf; auf dessen linker Seite stehn drey Fragen oder vier in großen goldnen Lettern.“ S c h a c h L o l o spricht: w i r w o l l e n’ s s e h n !
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Man reicht das Buch ihm hin, und er beginnt zu blättern. „Sezt, ruft der Kopf, wenn ihr so gut seyn wollt, Mich, während daß er sucht, auf meinen Rumpf, und bindet den Faden von gedrehtem Gold, den ihr in meiner Tasche findet, mir um den Hals.“ — Der Sultan, um zu sehn was noch draus werden soll, läßt alles gern geschehn, und blättert, unterdeß daß man den Faden bindet, auf seinen Thron zurückgelehnt,
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in D u b a n s Buch. Nun hatte L o l o , neben mehr Unmanieren, auch sich diese angewöhnt, daß er, so oft ein Blat in einem Buch zu heben und umzuwenden war, bey jedem Blat den Finger erst an seiner Zunge nezte, bevor er ans Papier ihn sezte. Da nun die Blätter etwas glatt und klebricht waren, schien’s hier um so mehr vonnöthen. So schlägt er nach und nach, den Finger stets am Mund, bis auf das Sechste um, beguckt es ernstlich, rund
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herum, und ist gar mächtiglich betreten, //
zu sehen, daß darauf nicht eine Sylbe stund.
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„Da ist ja Nichts !“ Nur zwey drey Blätter weiter, ruft D u b a n s Kopf, der nun ganz frey und heiter auf seinem Rumpfe stund; ich habe mich am Blatt geirret, scheints. S c h a c h L o l o blättert weiter, doch, eh er drey noch umgeschlagen hat, ist schon das Gift, das er von jedem Blatt mit feuchtem Finger seiner Zungen unwissend mitgetheilt, ihm bis ins Herz gedrungen.
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Ein wilder Schmerz fährt zuckend wie ein Blitz durch sein Gebein, ihm schwindelts im Gehirne, und dunkel wirds um seine kalte Stirne, er stürzt herab von seinem goldnen Thron, und liegt in Zuckungen, und ringet mit dem Tode. Wohlan (ruft D u b a n s K o p f , der nun in seinen Rumpf sich wieder eingesenkt) du nickende Pagode! am Herzen kalt, an Sinnen stumpf, Hab’s an dir selbst! Ich bin an deinem Tode unschuldiger als du. — Doch spotten deines Fall’s
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kann D u b a n nicht — Als ich um meinen Hals zum letztenmale dir mit heißen Thränen flehte, war’s Menschlichkeit was mich dazu betrog: dein böser Dämon überwog; nun kömmt die Reu — und die Moral zu späte. Bey diesem Wort entfuhr dem armen Schach der lezte Hauch; betäubt von Schrecken rannen die Emirn aus dem Saal, das Volk den Emirn nach, und D u b a n gieng mit seinem Kopf von dannen. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
D i e S c h r e i b t a f e l . S e c h s t e Lieferung. M a n n h e i m bey C. F. S c h w a n , Hofbuchhändler. 1778. Diese Sammlung unterhaltender poetischer und prosaischer Aufsätze empfiehlt sich immer mehr durch Manichfaltigkeit und gute Wahl der Stücke. Unter vielen artigen und witzigen Kleinigkeiten, Fabeln, Epigrammen und andern Miscellanien, ragt C r e u z n a c h , ein nicht versifiziertes poetisches Stück von M a l e r M ü l l e r , hervor: einem jungen Künstler, den die Natur, bey dem wärmsten und gefühlvollsten Herzen, mit allen Talenten die einen großen D i c h t e r - M a h l e r oder M a h l e r - D i c h t e r machen, aufs freygebig10
ste ausgesteurt hat. Dieser Aufsatz ist (wie die meisten des V.) zwar mehr S k i z z e als ausgemahltes Stück; aber vielleicht eben darum, weil es, so glühend wie es aus seiner begeisterten Imagination und aus seinem überwallenden Herzen hervorgeströmt, kunstlos aufs Papier gegossen ist, dem wahren Liebhaber der Natur und Kunst, so wie dem eigentlichen Kenner, nur desto schätzbarer. Eine gewisse Keckheit des Pinsels, und besonders die häuffigen vom S p r a c h g e b r a u c h abweichenden K o n s t r u c t i o n e n und Wo r t s t e l l u n g e n gehören zu seiner e i g n e n M a n i e r , und machen oft würkliche Schönheit; aber die leztern werden doch, wenn sie zu häuffig und auch wo sie keinen guten Effect machen vorkommen, dem Leser auffallend, und verdun-
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keln manche Schönheit anstatt sie zu erheben — ein Wink, den wir mehr den Nachahmern als dem Verfasser zu geben nicht unterlassen konnten. — Unter den übrigen Stücken dieser Lieferung haben wir mit besonderm Vergnügen das P r o t o k o l l oder Journal des sogenannten M u r r k o p f s gelesen, der, mit der murrkaterischen Laune eines komischen Alten, dem nichts mehr recht ist, weil Alles anders ist als damals, da er selbst noch Etwas war, den Vorzug seiner Zeit vor der itzigen behauptet, und, wiewohl seine Einfälle als eine Satyre auf Beyde angesehen werden können, den verständigen Leser doch gar nicht im Zweifel läßt, daß der Verfasser es eigentlich auf unsre an Thorheiten so reichen Zeiten gemünzt hat, wo die Leute vor lauter Verfeinerung, Neue-
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rungssucht, Empfindeley, Starkgeisterey, Philanthropisterey, u. s. w. nicht mehr wissen was sie wollen.
¼Rezension: Schwan½ D i e S c h r e i b t a f e l
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¼Frage an das teutsche Publikum über die Erhaltung der poetischen Werke des alten teutschen Meister-Sängers Hans Sachsens.* ) …½ *)
Als ich im April des Jahres 1776 (S. T . M . von diesem Monat S. 97.) meines
Vorsatzes, eine neue Ausgabe der auserlesensten Stücke von Hans Sachsen in einem oder zween Octavbänden zu veranstalten, Erwähnung that, glaubte ich, aus verschiedenen Ursachen, die Liebespflicht, die ich diesem zu sehr vergessenen alten teutschen Dichter zu erweisen wünschte, auf einen bloßen Auszug beschränken zu müssen; doch gesteh ich, daß meine geringe Hofnung, einer
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neuen Ausgabe seiner sämtlichen poetischen Werke in unsern Tagen den zu Bestreitung der Kosten nöthigen Absatz zu verschaffen, den meisten Theil daran hatte. Habe ich unserm Publiko zu wenig zugetraut, so zeigt sich hier eine Gelegenheit meinen Unglauben zu beschämen, indem einer meiner Freunde eine Ausgabe aller poetischen Werke des Fürsten der Meistersänger in a c h t Q u a r t b ä n d e n auf Bedingungen ankündigt, die nicht billiger verlangt werden können. — Ein Vorhaben, wodurch ich mich einer Art von Verbindlichkeit, deren ich mich in meiner Lage kaum, und nie ohne Nachtheil andrer mir vielleicht angemeßnerer Beschäftigungen hätte erledigen können, mit desto größerm Vergnügen entbunden sehe: da ich überzeugt bin, daß Hans Sachs schwerlich einen Herausgeber hätte finden können, der in jeder Betrachtung zu dieser Unternehmung geschikter gewesen wäre, und solche entweder mit mehr Eifer betrieben oder mit mehr Sorgfalt ausgeführt hätte als Hr. B . Den Beweggründen zu Unterstützung derselben, die allen patriotischen Teutschen in gegenwärtiger Anfrage ans Herz gelegt werden, noch ein Wort beyzufügen, wäre Überfluß, da die Sache so stark für sich selbst spricht. — W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte Mai 1778)
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¼Ankündigung einer vollständigen Ausgabe aller lateinischen Schriftsteller des Alterthums. …½
* * * Wo h l f e i l e r können diejenige, die nicht schon versehen sind, unmöglich zu einer schönen, bequemen und einförmigen Ausgabe aller Latein. klaßischen Autoren kommen! Diejenigen Herren Schullehrer, welche sich verhoffentlich auch in hiesigen Gegenden zu Beförderung eines so gemeinnützigen Vorha10
bens verwenden wollen, belieben sich, wenn sie eine Anzahl Subscribenten beysammen haben, bey dem Herausgeber des T. M. zu melden. W.
¼Zusatz: Hahn½ A n k ü n d i g u n g e i n e r v o l l s t ä n d i g e n A u s g a b e
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Bescheidne Antwort auf eine unbescheidne Frage. Ich bin vor einiger Zeit von einem Ungenannten in einem Tone, dessen nur ein Mensch, der sich auf seine Unsichtbarkeit verläßt, oder ein beleidigter junger Autor fähig ist, zur Rede gestellt worden: „warum ich im ersten Viertel dieses Jahres ein so h o l z s c h n i t t m ä ß i g e s Kupfer, im Februar und März hingegen gar keines gegeben hätte? Ich bin (sezt er hinzu) einer von ihren ältesten Abonenten, und glaube also e i n R e c h t z u h a b e n , Sie um die Ursache dieses Verfahrens zu fragen.“ — Es ist unangenehm, Antworten geben zu müssen, die der Fragende mit der allerkleinsten Besinnung sich selbst eben so gut hätte
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geben können. Wenn dieser Anonymus, der von dem Umfang seiner Rechte und Gerechtsame eben nicht den nettesten Begriff zu haben scheint, den Merkur von Anfang an, also vom Jahr 1773. mitgehalten, und diese Zeit her nur mit so viel Aufmerksamkeit gelesen hat als ein Intelligenzblatt: so hätte ihm nicht unbekannt seyn sollen: daß der T. Merkur in den Jahrgängen 1773. 74. und 75. g a r k e i n e K u p f e r s t i c h e lieferte, und daß der Herausgeber bey Unternehmung dieses Journals und bey Festsetzung des Preises sich nicht anheischig gemacht, jemals Bildnisse oder ander Kupferstiche dazu zu geben. Aus dieser kundbaren Thatsache wär’ es ihm dann sehr leicht gewesen die Folgen zu ziehen: daß die Kupferstiche, die man mit dem Jahrgang 1776. zu geben ange-
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fangen, ein bloßes opus supererogationis, eine freye und willkührliche Gabe gewesen, sintemal der bisherige Preiß des T. M. ihrentwegen nicht um einen Deut erhöht worden, ungeachtet sich der Herausgeber dadurch jährlich einige hundert Thaler Ausgaben mehr aufgehalset; daß also kein Abonent berechtigt seyn könne, ihn weder wegen der würklichen oder vermeynten H o l z s c h n i t t m ä ß i g k e i t e i n i g e r oder der M e i s t e n oder auch A l l e r dieser Bildnisse zur Rede zu setzen, zumal da er die Kupfer nicht selbst sticht noch druckt, und nicht so reich ist, dem Publico weder monatlich noch quartaliter mit einem Kupferstich von einem W i l l e oder B a u s e ein Präsent zu machen; ja, was noch mehr ist, daß niemand sich im mindesten rechtmäßig zu beschwehren hätte, wenn der T. M. gar keine Kupfer mehr lieferte, da diese
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niemals eine Bedingung desselben gewesen sind. — Überdies hätte der Anonymus noch aus den bittern Klagen, die der H. zu verschiednenmalen über die Art, wie er bald von dem Kupferstecher, bald von dem Kupferdrucker, bald von Beyden zugleich bedient worden, im Merkur anzustimmen sich nicht entbrechen konnte, einen sehr billigen Grund ziehen können, ihm nicht zu verargen, daß er, um sich diese Last in etwas leichter zu machen, mit dem itzigen Jahre nur zu jedem Quartal Ein Bildnis zu geben angefangen. Die Absicht des H. war dabey, und ist es noch: dafür zu sorgen, daß die Liebhaber durch die größere Schönheit dieser Vier Bildniße, vergleichungsweise mit den vorigen 10
Zwölfen, wegen der mindern Anzahl schadlos gehalten werden möchten. Weniger aber besser, war seine Intention: und wenn das Bildniß des C o m m i n e s dieser Absicht gegen alles Verhoffen nicht entsprochen hat, so liegt wohl zum Theil die Schuld davon an der Eilfertigkeit und wenigen Sorgfalt des in Abwesenheit des H. gebrauchten Kupferdruckers; theils zeigt das von Hrn. Ve r e l s t in Mannheim zum 2ten Quartal verfertigte Bildniß des X i m e n e s , wie angelegen es dem Herausgeber gewesen, einem solchen Vorwurf, in soweit solcher durch die Wahl des Künstlers zu hoffen ist, fürs künftige zuvor zu kommen. Überhaupt würde der H. nie auf den Gedanken gekommen seyn, Bildnisse
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zum Merkur zu geben, wenn er nicht damals, da er sich dazu entschloß, eine sehr nahe Hoffnung gehabt hätte, einen geschickten Kupferstecher nach W. zu bekommen. Wäre diese Hofnung erfüllt worden, so würde es ihm vielleicht möglich gewesen seyn, unter seinen eignen Augen monatlich Bildniße zu liefern, an denen er selbst hätte Freude haben können. Aber unter allen den Hindernissen und Schwierigkeiten, womit er bisher kämpfen mußte, wurde es in die Länge unmöglich, und Sanct Jobs Gedult würde zulezt ausgegangen seyn. In der That wär es Unsinn gewesen, länger auf einer Sache bestehen zu wollen, von welcher den Liebhabern so wenig Nutzen oder Vergnügen, ihm hingegen mehr Mühe, Verdruß und Zeitverlust zugieng, als zehnmal bessere
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Kupfer werth gewesen wären. W.
Bescheidne Antwort auf eine unbescheidne Frage
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Das Wort des lezten Logogryphen ist Tr i c h t e r . Die darinn enthaltnen können die Liebhaber solcher Spiele nun leicht selbst errathen.
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Druckfehler. Im April des T. M. ist, aus Versehen des Setzers und Correctors, auf der 56sten Seite, durch Auslaßung zwoer Zeilen, eine Art von Druckfehlern veranlaßt worden, die einem Autor den Muth zum Schreiben wenigstens auf 4 Wochen niederschlagen können. Die Stelle ( Z e i l e 3 u. f.) muß so gelesen werden: „Die Älteste trat dichte vor mich, und fragte mich: ob sie nicht abscheulich aussähe? indeß die Jüngste hinten um mich herumschlich, um auszuspähen, ob ich nichts vom Stallgeruch an mir hätte.“
Druckfehler
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Der Teutsche Merkur. Jun. 1778.
Albrecht von Haller. Kurzgefaßte Nachrichten von dessen Leben, Charakter und Werken. Nachrichten von den merkwürdigsten Lebensumständen und Schicksalen kürzlich verstorbner berühmter Männer unsrer Nation — vornehmlich von dem was sie zum Besten der Wissenschaften, oder ihres Vaterlandes, ihrer Zeit, und der Menschheit überhaupt g e t h a n , g e l i d t e n , v e r s u c h t , g e w a g t , g e r u n g e n haben — auch (sofern es möglich ist) zuverläßige Nachrichten von ihrem persönlichen Charakter; ihrem häuslichen Leben, ihren Tugenden und Fehlern, u. s. w. würden däucht uns, einen nüzlichen, angeneh-
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men, und diesem Journal sehr angemeßenen Artikel, der demselben bisher abgegangen, ausmachen. Der Herausgeber hat sich daher vorgesezt, diese Lücke, so gut als es ihm mit Hülfe seiner Freunde und Mitarbeiter möglich seyn wird, auszufüllen; und er wünscht in den Stand gesezt zu werden, künftig von jedem in seiner Art vortreflichen und verdienstvollen Mann, dessen Existenz der Nation Ehre gemacht, und dessen Tod als ein Verlust des gemeinen Wesens anzusehen ist, eine solche — vermöge der Natur dieses Journals zwar ins Kurze zusammengezogene, aber doch hinlängliche — Nachricht mittheilen zu können. Da die G e l e h r t e n , in der engern Bedeutung dieses Wortes, weder die
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einzigen, noch immer die wichtigsten Personen dieser Art sind: so wünscht er gar sehr, diesem Artikel einen weitern Umfang zu geben, und auch dem Andenken vortreflicher und (wenn gleich mit weniger S c h i m m e r ) um ihren Staat besonders verdienter Männer, im Civil- und Militär-Stande, vorzüglicher Künstler, und überhaupt, auch ohne C e l e b r i t ä t , (die nicht immer für den größten innerlichen Werth oder wahres Verdienst Gewähr leistet) jedem als Beyspiel der Tugend, d. i. ausgebreiteten thätigen Wohlwollens und edler Würksamkeit in seinem besondern Kreise, merkwürdigen und also der Menschheit wahrhaft Ehre machenden Charakter, einen Platz widmen zu können. Kein Stand, keine Classe sollte davon ausgeschlossen seyn. Wie viele
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Große, oder wie viele unter denen, die den meisten Lerm in der Welt gemacht haben, verdienen wohl so sehr das Ehr- und Liebevolle Andenken der Nachwelt, oder sind so geschickt durch ihr Beyspiel noch nach ihrem Tode Gutes zu thun, als so ein Landmann, wie der S o k r a t i s c h e Bauer K l e i n - J o g g ? oder so ein Fabricante, wie der wackre Dragoner, Va l e n t i n D e g e n h a r d , der Stifter der Wollenmanufakturen im Eichsfelde, welchem Hr. S c h l ö t z e r im XIIIten Hefte seines höchstinteressanten B r i e f w e c h s e l s ein eben so ver-
dientes als lehrreiches Denkmal gestiftet hat? Und warum sollten nicht auch v o r t r e f l i c h e F ü r s t e n — sie, die, nach 10
unsrer National-Verfassung, in der edelsten Bedeutung dieses Wortes die e r s t e n B ü r g e r d e s Te u t s c h e n R e i c h e s sind — Sie, deren Tugenden, nicht weil sie h ö h e r s t e h e n , und also mehr g l ä n z e n , sondern weil sie einen höhern Grad von innrer Güte und Festigkeit ihrer Natur oder von Anstrengung, Kampf und Selbstbezwingung voraussetzen als die Tugenden der meisten Privatleute, um soviel verdienstlicher sind, — warum sollten nicht auch Fürsten — denen die Stimme ihres Volkes, nach ihrem Tode — wo sie Stimme der Wahrheit wird — das ehrenvolle Zeugnis giebt, daß sie edle, gute, biederherzige Menschen, daß sie Väter ihres Volkes gewesen, und, wo nicht immer das Vermögen, doch wenigstens festen und thätigen Willen gehabt, alles Gute
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zu befördern und allem Bösen zu steuern — warum sollten nicht auch solche Fürsten, zumal wenn nicht die Geburt, sondern persönliches Verdienst sie zu dieser Würde erhoben, und derselben würdig gezeigt hätte — nach ihrem Abgang vom Weltschauplatz, wenn der Verdacht der Schmeicheley weniger statt findet, die Stimme der Wahrheit freyer ertönen darf, und der Tod, der alles gleich macht, ihnen, wie jedem andern Menschen, nichts als den Werth ihrer persönlichen Eigenschaften übriggelassen hat — einen Platz unter den Andenkenswürdigen Männern einer Nation erhalten, welcher das Andenken weiser und guter Fürsten um so heiliger seyn muß — je seltner sie sind? Indem der Herausgeber diesem neuen Artikel in der Folge einen so ausge-
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breiteten Umfang zu geben wünschet, ist er weit entfernt, sich zu eigentlichen Lobreden, oder was unsre redseligen Nachbarn jenseits des Rheins Morceaux d’Eloquence nennen, anheischig zu machen. Und, wahrlich, wenn ihm auch alle die Geister eines P a u l u s J o v i u s , S c ä v o l a d e S . M a r t h e , M i r ä u s , B ü l l a r t , P e r r a u l t , F o n t e n e l l e , u. s. w. ja, was über sie alle geht, der Elogen-Geist des Hrn. T h o m a s selbst zu Gebote stünde: würde er doch nicht
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über sich erhalten können, Gebrauch von ihrem Beystande zu machen. Wahres Verdienst bedarf keines E l o g e , oder wird vielmehr dadurch, wie eine schöne Gestalt durch die großen, schwerfälligen Falten einer weiten dichtstoffigen Drapperie, nur verdunkelt und unterdrückt. Ein g r o ß e r Mann zeugt am besten von sich selbst durch das was er gethan hat. — Stille Größe kann, wie ein e r h a b n e r G e d a n k e , nie einfach genug ausgedruckt werden; und die keusche Schönheit der Tugend durch Wortgepränge erheben, heißt ein edles reines Weib durch den schimmernden, hinterlistigen Putz einer Kokette verschönern wollen. Selbst die würklich gefühlte Begeistrung, womit e i n L i e b h a b e r , oder
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(was im Grunde eben das saget) e i n E n t h u s i a s t , von seiner Geliebten, von seinem Freunde, von jedem Gegenstande seiner Bewunderung spricht, macht selten eine große Würkung auf diejenigen, die er dadurch mitbegeistern möchte. Je mehr Superlativi, je kälter der Zuhörer. Auch hier treffen die entgegengesetzten Enden zusammen. Kaltblütige Leser (wie man die meisten immer voraussetzen muß) werden durch das gewaltige Aushohlen und durch die Stärke der Ausdrücke, womit wir die Vollkommenheiten einer Person anpreisen, nur stutzig und mißtrauisch gemacht. Der gelaßne Ton gefühlter Wahrheit, die simple unbefangne Erzählung dessen was wir selbst gesehen, oder getreue Überliefrung dessen, was wir von andern gehört haben, ohne
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Vergrößerung, ohne Ausschmückung, ohne Trompeten und Pauckenschall, würckt mehr Beyfall und Glauben, als der pompöseste Vortrag. Je mehr Witz und Kunst der Lobredner verschwendet, je mehr seine Absicht, unserm Urtheil Schlingen zu legen, in die Augen fällt, desto weniger rechne er drauf, sie zu erreichen. Seine Beredsamkeit, seine zierlich geflochtnen und geschwungnen Perioden, die Stärke und Kühnheit seiner Figuren, der Reichthum seiner Farben, sein emphatischer Ton können unsere Imagination ergötzen, unsern Witz kitzeln, unser Ohr füllen — überzeugen werden sie uns gewißlich nicht. Aber freylich ist das auch gerade das woran ihm am wenigsten gelegen war. Wär es ihm d a r u m zu thun gewesen, so hätt’ er all den Aufwand von Rednerkünsten ersparen können — hätte nur nicht daran gedacht, daß er ihn zu machen nöthig habe. Man wird mich hoffentlich nicht im Verdacht haben, daß ich hiemit dem was man Plattheit im Vortrag nennt das Wort reden wolle. Ich bin sonst gewöhnlich kein grosser Liebhaber davon. Aber wo es blos auf historische Dar-
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legung ankömmt, besonders in Lebensbeschreibungen grosser Männer, ziehe ich die flachste oder holzschnittmäßigste Erzählung dessen was der Mann gethan und erfahren hat, der sinnreichsten, zierlichsten Einkleidung vor — und ich glaube, es werden unter allen, die in dem Gebiete der Geschichte etwas bewandert sind, wenige seyn, die es nicht öfters bemerkt haben, daß man den plattesten alten Chronikschreiber oft mit mehr Theilnehmung und Wahrheitsgefühl ließt als einen L i v i u s oder G u i c c i a r d i n . Gerade das, daß wir keine Eloges liefern wollen, schließt alle diejenigen aus diesem Artickel aus, deren Leben und Thaten, um einigermassen lesenswerth 10
zu werden, fremder Zierrathen und künstlicher Aufstützung bedürfen. Wer nicht ein Mann war, von dem man bloß zu sagen braucht, w a s e r w a r , und w a s e r g e t h a n h a t , für den haben wir keinen Platz; und so können unsre Leser vor der Besorgnis sicher seyn, daß dieser Artickel, ungeachtet des Umfangs, den wir ihm, um ihres Nutzens und Vergnügens willen, zu geben wünschen, so leicht übersetzt werden dürfte. Was indessen einem jeden von selbst in die Augen leuchten wird, ist die Nothwendigkeit worinn wir uns sehen, zu Ausführung dieses Vorhabens um fremde Unterstützung und Mitwürkung anzusuchen. Wir sind diese etliche Jahre her (ausser manchen schätzbaren Stücken von genannten und unge-
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nannten Verfassern, die wir mit Dank empfangen und mit Vergnügen unsern Lesern mitgetheilt haben) mit ungebetnen und unbrauchbaren Beyträgen, sonderlich aus dem leidigen Fache der Poeterey, nur zu sehr überhäuft worden. Sollten wir uns zuviel schmeicheln, wenn wir hoften, für diesen neueröfneten Artickel, wo uns Beyträge u n e n t b e h r l i c h sind, von Männern unterstützt zu werden, deren Beystand wir uns zur Ehre schätzen könnten? Wir ersuchen hier die Herren Lacher, sich nicht zu viel auf den spaßhaften Einfall zu gut zu thun, daß wir uns nun in dem Fall der sogenannten Undertakers in London befänden, und um unsers Nutzens willen wünschen müßten, daß eine Mortalität unter die berühmten Leute kommen möchte, damit
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wir fein viel litterarische Leichenbegängnisse zu besorgen bekämen — So lang uns die Lebenden so reichliche Gelegenheiten darbieten, unsre Steckenpferde in Schimpf und Ernst herumzutummeln, haben wir nicht vonnöthen, jemand zu Tode zu beten; und wiewohl wir mit gutem Gewissen eben nicht sagen könnten, daß kein vortreflicher Mann unsrer Zeit abscheiden könne, ohne daß wir einen Freund weniger hätten: so ist doch auch dagegen wahr,
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daß wir keinen zu nennen wissen, dessen Tod uns aus irgend einer Ursache lieber als sein Leben gewesen wäre. Aber — genug, omnes eodem cogimur — die Reyhe wird von einem zum andern endlich an jeden kommen; und so wenig auch der Ärmste unter uns verlassen mag, so wird er doch wenigstens einen Freund hinterlassen, dem es tröstlich seyn wird, das Andenken seines Verstorbenen nicht nur in seinem eignen Herzen zu pflegen, sondern auch in so vielen andern als ihm möglich ist, zu bauen und zu vervielfältigen. Vollkommenheit — was kein Mensch, der nur eine Ahndung davon hat was Vollkommenheit ist, von irgend einem Menschenwerke fodert — kan am allerwenigsten von solchen Biographischen Schattenrissen, wovon hier die Rede
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ist, erwartet werden. Unzählige Ursachen, theils in der Natur der Sache, theils in den Personen die dabey zu thun haben, theils in den Umständen liegend, werden es in jedem Falle unmöglich machen, von berühmten — oder unberühmten — Männern ganz getreue Abbildungen zu geben; Abbildungen, die nichts verschönern, noch verhäßlichen, nichts vergrössern noch verkleinern, nichts verbergen noch übertünchen, nichts schief noch in falsches Licht stellen, kurz, die nie weder in Ideal noch in Karrikatur ausarten. — Der Hauptfehler aller solcher Beschreibungen wird immer der seyn, daß man uns z. Ex. mehr einen g r o ß e n M a n n i n s e i n e r G a t t u n g als d i e s e n Mann in seiner individuellen Art, in seiner P e t r e i t ä t oder P a u l e i t ä t (wie’s die Scholasti-
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cker nannten) vormahlen, und anstatt l e b e n d i g e r Z ü g e (deren gleichwohl sein Leben einem scharfsinnigen Bemerker genug, die sich fassen und wiedergeben lassen, dargeboten haben müßte) uns fast immer mit a l l g e m e i n e n F o r m e l n abfinden wird. Es wäre ein Buch davon zu schreiben, warum das immer so gewesen ist, und wohl immer so bleiben wird. Auch hier also wird man so billig seyn, uns das Kaddynamin eërdein etc. des alten Hesiodus zu statten kommen zu lassen — das n a c h Ve r m ö g e n o p f e r n , das S o k r a t e s so oft im Munde zu führen und auf alle Gelegenheiten, wo man Fremden oder guten Freunden Ehre anthun möchte, als eine Regel anzuwenden pflegte. Wenn jemals ein Gelehrter in dem Falle war, daß die simpelste Erzählung dessen was er gethan, die beste Lobrede ist, die man ihm halten kann: so war es der große Mann, dessen Andenken wir diese Blätter widmen. Sie sind ein Auszug aus der Gedächtnisrede, die Ihm von Herrn B e r n h a r d Ts c h a r n e r , des souverainen Raths zu Bern und Alt-Landvogten von Aubonne, einem der würdigsten und verdienstvollsten Männern dieser Republik, in der Ökonomi-
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schen Gesellschaft, deren Präsident H a l l e r war, gehalten, und auf Befehl der hohen Regierung zu Bern durch den Druck bekannt gemacht worden. Das Bild, das uns darinn von dem außerordentlichen Manne gemacht wird, ist freylich nur ein Schattenriß. Eine P l u t a r c h i s c h e Biographie, mit allen den kleinen individuellen Zügen und Geschichtchen von seinem moralischen, bürgerlichen, häuslichen und litterarischen Leben etc. würde etwas mehr seyn; würde sich dagegen ungefähr wie ein von Hans Holbein gemahltes Bildnis zu einem Schattenriß verhalten. Aber auch eine Plutarchische Lebensbeschreibung, was wäre sie gegen eine von dem großen Manne selbst, mit der Offen10
herzigkeit des alten L u c i l s : ut omnis votiva pateat veluti descripta tabella vita Senis —
ohne Rücksicht auf die Welt b l o ß s i c h s e l b s t erzählte physiologisch-psychologische Geschichte seines Geistes und innern Lebens — wenn wir den Mystickern dieses Wort abborgen dürfen. Welch ein kostbareres Vermächtniß könnte ein solcher Mann der Nachwelt hinterlassen? Und wenn er den M u t h gehabt hätte so tief in sich selbst hinein zu schauen als der Blick des Bewußtseyns eindringt, und die A u f r i c h t i g k e i t , sich so zu zeichnen, wie er sich 20
selbst kannte: welch ein lehrendes Beyspiel wäre eine Beschreibung dieser Art? — Doch, vielleicht (sagt eben der tiefsinnige Denker, mit dessen Worten wir hier reden) wär’ es nicht einmal gut und nüzlich, das tiefste Heiligthum in uns, das nur Gott und wir kennen sollen, jedem Thoren zu verrathen. *) Wir setzen hinzu: Auch die gebrechliche Seite eines vortreflichen Menschen, die Flecken die sein Glanz bedeckte, die geheimen Narben seiner Seele, die Grenzen seiner Tugenden u. s. w. jedem Thoren zu verrathen, möchte nicht nüzlich seyn. Und am Ende, wo ist der Sterbliche, dem es zukommt, in demjenigen was wir an Menschen Verdienst und Tugend nennen, das ächte und reine genau von dem zu scheiden, was in dem allbewährenden Feuer einst verzehrt, oder als
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Schaum ausgeworfen und als Schlacken zu Boden gestürzt werden wird? * * * *)
Vom Erkennen und Empfinden der Menschl. Seele. S. 22.
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¼ A l b r e c h t H a l l e r wurde den 16ten Octbr. 1708 in Bern geboren. Seine Mutter war eine geborne Engel. Sein Vater Emanuel Haller war zuerst Advokat, und erhielt nachher die Stelle eines Kanzlers der Landvogtey Baden. So bald er lesen und schreiben konnte, waren diese Hülfsmittel des Unterrichts sein liebster Zeitvertreib. Er durchlaß alle Bücher die er aufbringen konte, selbst einen Bayle und Moreri, zu einer Zeit da sich die Jugend nur mit Mährchen nährte. Schon damals versuchte er jedes Muster nachzuahmen, und sammelte mit grösten Fleiße, alles was in die GelehrtenGeschichte einschlagen konnte. Diese seine so früh angefangne Sammlung zur GelehrtenGeschichte hat er bis an seine akademische Reisen fortgesezt, und auf einige tausend Artikel von Gelehrten gebracht; nachher aber als eine unvollkommne Arbeit unterdrükt. Er genoß des
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Hausunterrichts eines gewissen Abraham Baillodz, der wegen seiner sonderbaren Meynungen von der Pfarre abgedankt worden war. Dieser Mann hatte ihn so strenge behandelt, daß er einem Freunde eingestanden: Er habe, lange Jahre nachdem er diesem Pädagogen entzogen worden, bey gelegentlichem Anblicke desselben, jedesmal eine Erinnerung der ehmaligen Furcht wieder empfunden. Die trokne Lehrart dieses Mannes diente indessen den Fleiß des jungen Hallers zu verdoppeln. Er zeichnete für sich Wörter, Erklärungen, Thatsachen auf, beschäfftigte sich mit den Regeln der Sprachfügung und der Rechenkunst ohne Anleitung. Im neunten Jahr übersezte er aus dem Griechischen und hatte den Anfang mit dem Hebräischen gemacht. Im 13ten Jahr brachte ihn der Tod seines Vaters wieder nach Bern zurück, und hier zeichnete er sich vor andern in den öffentlichen Schulen aus. Er legte seine klaßische Proben
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unter dem bestimmten Alter ab, und lieferte in Griechischer Sprache das Thema, das man in Lateinischer von ihm gefordert hatte. Achtzehn Monate brachte er hier im öffentlichen Unterrichte zu, und begleitete nachher einen seiner jungen Freunde nach Biel, wo er von dem Vater desselben, einem gelehrten Arzte, in der Philosophie angeführt werden sollte. Der Vormund und seine Verwandten hatten ihn zum Predigtamt bestimmt; der Aufenthalt in diesem Hause aber entschieden seine Wahl für die Arzneywissenschaft. Mit Antritt des 16ten Jahres gieng er nach Tübingen und studierte unter Camerarius und Duvernoy. Er legte bald öffentliche Proben seines Fleisses ab, und disputirte über eine vorgebliche Entdeckung eines Speichelganges von Coschwizen; dessen irrige Vermuthung Duvernoy durch anatomische Untersuchungen an Thieren, und Haller durch Zergliederungen an menschlichen Leichnamen widerlegten. Er wendete überall den ganzen Tag und oft einen Theil der Nacht auf seine Studien, ohne sich durch jugendliche Ergötzungen zerstreuen zu lassen. Boerhavens Ruhm führte ihn nach Leyden, wo er im Jahr 1725 eintraf. Hier fand er, neben dem mündlichen Unterrichte dieses großen Mannes, einen wohlunterhaltnen botanischen
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Garten, ein ordentlich bedientes anatomisches Theater, reiche Sammlungen von Naturalien, den vollständigsten Büchervorrath. Der junge Albinus zeigte schon außerordentliche Kenntnisse in der Anatomie; und in Amsterdam lebte noch der berühmte Ruysch, der Erfinder der Injektion, und arbeitete noch in dem 90sten Jahre seines Alters. Einige Schwächung seiner Gesundheit machte ihm eine Reise zur Erholung nöthig, die er mit zween Freunden aus Bern durch die Provinzen von Niederteutschland unternahm. Hier machte er viele nüzliche Bemerkungen, und besuchte einige Höfe, mit denen er nachher in Verbindung kam. Nach seiner Rückkunft in Leyden erhielt er die Doktorwürde in seinem 18ten Jahre. Hier10
auf trat er seine Reise an, und machte mit England den Anfang. In London trat er in eine genaue Verbindung mit dem Ritter Hans Sloane, dessen Naturaliensammlung schon damals eine der ersten in Europa war, mit dem Hrn. Plumtree und Cheselden, Direktoren des großen Thomas-Spitals, und mit Hrn. Douglas, der mit so vielem Ruhm anatomische Vorlesungen hielt. Nach einem kurzen Besuch zu Oxford gieng er nach Frankreich über, und ward ein fleißiger Zuhörer Winslows zu Paris. Hier besuchte er auch oft den berühmten Wundarzt Le Dran in dem Spital der Charite´. Im Febr. 1728 gieng er nach Basel, unter Joh. Bernoulli die höhere Mathesis zu studieren, und es finden sich unter seinen Papieren noch die Proben des glücklichsten Fleisses in dieser
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Wissenschaft. Hier erwarb er sich die Freundschaft des Hrn. Stähelin, nachmaligen Professors zu Basel, und des nochlebenden Prof. und Chorherrn Geßners zu Zürich. In der Gesellschaft des leztern unternahm er die erste Reise nach den Alpen, und legte also den ersten Grund zu seinem großen botanischen Werke. Im 21sten Jahr kam er als Mann und Gelehrter in seine Vaterstadt zurück. Er widmete sich anfangs der ausübenden Arzneywissenschaft. Er ward bald, gleich den ältern Ärzten, zur Besorgung des Krankenspitals gezogen. Er erhielt obrigkeitliche Unterstützung, öffentliche Zergliederungen anzustellen. Man übergab ihm auch die Besorgung der Bibliothek, wobey er Gelegenheit hatte, seine Kenntnisse von Büchern, Alterthümern und Münzen an den Tag zu legen.
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Ohngeachtet seines kurzen Gesichts war die Botanik immer seine liebste Ergötzung. In den Sommer-Monaten von 1730—1736. that er wiederholte botanische Reisen auf den Jura und die Alpen, bis an die Eisberge; und fand im Bezirke seines Vaterlandes, die ausgedehnteste Sammlung von Pflanzen, von den Norwegischen bis an die der äussersten Gegenden Italiens. Durch seine Gedichte, wo sich der Philosophische Geist überall in das herrlichste poetische Gewand kleidet, erwarb er sich einen frühen Ruhm; so wie seine botanische und anatomische Schriften
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ihn der gelehrten Welt als ein selten Phänomen auf der andern Seite ankündigten. Die Kön. Schwedische Akademie zu Upsala nahm ihn frühzeitig zu ihrem Mitglied auf. Im Jahr 1736. erhielt er bey Stiftung der Universität Göttingen den Beruf als Professor der Medicin, Anatomie und Botanik. Er unternahm die Reise mit einer Familie von 3 jungen Kindern, und hatte das Unglück, einen Monat nach seiner Ankunft seine geliebte Mariane zu verliehren, die von den Folgen eines gleich bey der Einfahrt in Göttingen geschehenen Falles, starb. Siebenzehn Jahre, als den Zeitlauf seines thätigsten Lebens, brachte er hier zu. Viele bey der Universität noch mangelnde Anstalten beförderte er. Unter seiner Aufsicht ward ein anatomisches Theater errichtet, der Medicinische Garten angelegt, und zur Bequemlichkeit der fernern Aufsicht zunächst an demselben eine eigene Wohnung für ihn angebaut. Junge Mahler
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wurden von ihm zu anatomischen und botanischen Zeichnungen angeführt, eine Sammlung von Präparatis angeschafft, die Einrichtung einer Gesellschafft von Wundärzten, und eine Schule für Hebammen besorgt. Auch ward ihm die Ausführung der Anstalten für die Reformirte Kirche zu Göttingen aufgetragen: und er hatte den vornehmsten Antheil an der ersten Einrichtung der dortigen Königl. Gesellschaft der Wissenschaften. Sein erstes Werk das seinen Ruhm in ganz Europa entschieden hat sind die Auslegungen über die Akademische Vorlesungen Börhave’s. Diese Arbeit zog ihm einen heftigen Streit mit Hambergern in Jena zu. Dieser war der alten Theorie des Galenus zugethan, nach welcher das Athemholen einer zwischen dem Brustfelle und der Lunge befindlichen und durch das wechselweise Anziehen der unter den Rippen liegenden Muskeln gepreßten oder freygelassenen
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Luft zugeschrieben wird. Auch die Consultationen Börhavs und seine Anleitung zu den Studien eines Arztes sind durch Hallers Bemerkungen brauchbarer gemacht worden. Indessen gab er seine Schweizerische Pflanzen heraus, die ein Auszug aus 20 Folianten gesammleter Kräuter und botanischer Beschreibungen waren. Auf diese folgten seine anatomische Tabellen, in denen besonders die Lage und Verbindung der Schlagadern beleuchtet wird. Nachher gab er den Umriß seiner Physiologie heraus. Der berühmten Minister von Münchhausen that, aus Liebe zu den Wissenschaften, und aus Achtung für Hallers Verdienste, alles was er konnte, ihm seinen Aufenthalt angenehm zu machen. Er bekam bald den Charakter als Leibarzt und Kön. Hofrath. Ao. 1749. beschenkte ihn der König mit einen vom Kays. Hofe ausgewürkten Adelsbrief; und nachher ward er zum beständigen Präsidenten der Kön. Akademie der Wissenschaften ernannt. Nach dem Wunsche, den der berühmte Dillenius auf seinem Sterbebette geäussert hatte, ward er an desselben Stelle nach Oxfort beruffen worden. Eine ähnliche Einladung hatte er nach Utrecht erhalten, nachdem der jüngere Albinus zu der Versammlung der Staaten befördert worden.
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Von Seiten des Königs in Preussen ergieng ein gleicher Antrag an ihn, mit der Anerbietung sich seine Bedingungen selbst zu setzen wies ihm beliebte. Im Jahr 1745. ward er zu einem Mitgliede des grossen Raths in Bern ernennt. Diese Beförderung, und das Verlangen, einen freyen Gebrauch seiner Zeit zu gewinnen, erweckte in ihm die Sehnsucht nach dem Vaterland. Die feuchte Luft in Göttingen ward ihm von Tag zu Tag beschwerlicher. Die gespannten Nerven wurden immer empfindlicher; eine Lähmung der Hand machte das Schreiben beschwerlicher; er besorgte die Verminderung des Muths zur Arbeit, die für einen geschäftigen Geist den angenehmsten Genuß des Lebens ausmacht. Im März 1753. trat er mit Einwilligung der Hannöverischen Regierung diejenige Reise 10
nach der Schweitz an, die sein Schicksal für die übrige Zeit seines Lebens entschieden hat. Er erhielt durch das Loos das Amt eines Ammanns, eine Vorbedienung mit welcher besondere Vortheile für seine Kinder verbunden waren; nähmlich das Vorrecht, bey sich ereignender Ergänzung des grossen Raths ein Subjekt zu empfehlen. Nachher hat er das Amt eines Oberdirektor der Salzwerke zu Roche und beynahe zwey Jahr lang zugleich die Stadthalterschaft in der Landvogtey Ählen bekleidet. Ausserdem hat er dem Staat bey ausserordentlichen Aufträgen, und durch seinen Rath als Beysitzer besondrer Dikasterien, die wichtigsten Dienste geleistet, und zwar zuerst bey dem höchsten Ehgericht und nachher bey dem Oberappellationsgericht der Teutschen Lande. Das Waysenhaus zu Bern hat ihm seine erste Einrichtung zu danken. Die Schriften der Göttingischen Akademie der Wis-
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senschaften bereicherte er durch seine Aufsätze. Die Göttingischen Anzeigen haben unzähliche Auszüge merkwürdiger Schriften mit der zuverläßigsten Berichtigung von ihm erhalten. Bey seinem ungemein ausgedehnten Briefwechsel war er jederzeit genau und fleißig in jedem Geschäfte. Seine erste Muße in der Vaterstadt wandte er dazu an, Beobachtungen über die Entwiklung des thierischen Keims in den Eyern anzustellen. Er hatte schon ehedem, bey Erklärung der Börhavischen Lehre, von einigen sehr genauen Beobachtungen über die dunkle Theorie der Erzeugung Gebrauch gemacht. Einige Jahre nachher widerlegte er mit vieler Bescheidenheit die Meynung des Hrn. von Buffon von den innern Formen und den organischen Körperchen. Er zergliederte selbst viele Weibchen vierfüßiger Thiere kurze Zeit nach der Beschwängerung,
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und überzeugte sich, daß der Embryon ursprünglich der Mutter eigen sey. Bey den Eyern fand er, daß das Gelbe oder der Dotter, welcher auch bey unbefruchteten Eyern sich befindet, den wesentlichen Urstof des künftigen Vogels ausmache. So stellte er auch Bemerkungen über den Wachsthum der Gebeine, und ihre Wiederherstellung nach zufälligem Bruch, über die innere Gestalt des Gehirns und der Augen bey Vögeln und Fischen, auch über die Augen einiger vierfüssigen Thiere an.
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Die beträchtlichste seiner gelehrten Arbeiten ist indessen die ausführliche Behandlung der Physiologie. Er war willens sie noch Psychologisch zu behandeln, wenn er länger gelebt hätte; nehmlich die Bildung des Leibes als eines Werkzeugs der Wirksamkeit der Seele zu betrachten, und den Einfluß des Willens und der Leidenschaften auf einzelne Theile des menschlichen Körpers zu erklären. Die Botanik und Anatomie hat ihm unzähliche neue Beobachtungen und Aussichten zu danken. In der Organisation des menschlichen und thierischen Körpers vermuthete er eine eigene Kraft, von welcher alle Triebe des Lebens abhangen, und die von der elastischen Eigenschaft fester Körper verschieden seyn muß. Dieses Vermögen, das in der Reizbarkeit des Herzens,
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der Muskeln, der Eingeweide und verschiedner kleinerer Theile besteht, und mit der Empfindsamkeit der Nerven nichts gemein hat, stellte Haller unter unzähligen anatomischen Versuchen immer deutlicher und überzeugender dar. Die Würkungen desselben zeigen sich in Oscillationen des ersten sichtbaren Punctes in dem Keime eines durch die Bebrütung erwärmten Eyes; und es muß für den Ursprung des ersten Triebes zum Wachsthum und Leben erkannt werden. Wenn man ihn auch nicht für den Erfinder der Lehre von der I r r i t a b i l i t ä t d e r F i b e r n erkennen wollte: so gehört ihm doch der Ruhm, dieses Vermögen in seiner ganzen Ausdehnung an den Tag gelegt, und dadurch das Geheimnis der Natur in unserm körperlichen Leben aufgedeckt zu haben. So wie die Fibern, hat auch das G e b l ü t e i n e b e s o n d r e K r a f t z u
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r e i z e n von dem Schöpfer erhalten; diese gegenseitige Wirkung erklärt auf die einfachste Weise die fortgesetzte Bewegung des Herzens und den Umlauf des Geblüts durch alle Adern. Nimmt man ferner an, daß die Fibern der Muskeln oder andrer Theile des Körpers so bestimmt sind, daß ihre Reizbarkeit durch eigne Flüßigkeiten erwekt wird: wie in eben Muskeln durch den Nervensaft, in den Eingeweiden durch den Chylus oder die Dauungssäffte, in den Drüsen durch die Feuchtigkeiten, die sich in denselben sammlen und vervollkommen: so können wir uns von dem ganzen animalischen Triebwerk einen Begriff machen. Mit eben so vieler Gründlichkeit hat Haller das Leibnitzische System von dem Ursprung des gegenwärtigen Zustandes der Oberfläche unsrer Erde, und die hierüber vom Hrn. del Moro, einen gelehrten Italiäner, vorgebrachten Gründe, widerlegt. Wer kennt nicht seine in der Manier Fenelons geschriebene Romanen, die in alle Sprachen übersezt sind, seinen U s o n g , A l f r e d , F a b i u s und C a t o ? Auch seine Bemühungen, die Wahrheit der Christlichen Religion gegen den Deismus zu vertheidigen, verdienen allen Dank. Wir schweigen bloß deswegen hier von seinen Gedichten, weil ihr Werth vom Vaterlande längst anerkannt und durch so viele Übersetzungen bey den Ausländern bestätigt ist. Tiefer
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Sinn, starker blühender Ausdruck, sind ihr Charakter, der sich unter allen fremden Verkleidungen beständig erhalten hat. Im Umgang war Haller, unter Leuten die an Wissenschaft und Unterricht einen Gefallen hatten, mehrentheils gefällig und aufgeweckt. Er besaß eine gründliche Kenntnis aller Theile der Naturlehre, der neuern und ältern Geschichte, auch einzelner Staaten, besonders was ihre Kultur und Produkte anbelangt. Alle Entdeckungen in allen Welttheilen nach allen Umständen waren ihm aus Reisebeschreibungen bekannt. Er hatte sogar eine große Belesenheit in Romanen und Schauspielen. Er war von langer, ansehnlicher Gestalt; seine Physionomie war, theils wegen des kurzen 10
Gesichts, theils wegen der angewöhnten Spannung der Muskeln, gemeiniglich ernsthaft, voll Ausdrucks, und je nach der lebhaften Abwechslung der Gedanken verschieden. Die zunehmende Stärke des Leibes, die schon bemerkte Schwachheit des Gesichts, die Gewohnheit einer kleinen fast unleserlichen Handschrift, mußten ihm die Arbeit erschweren. Er konnte sich nicht enthalten des Tages gleich nach den Mahlzeiten, und noch bey später Nacht, zu lesen und zu schreiben. Bey dem allen gelangte er an die siebenzig Jahre. Er starb den 12ten December 1777. Seine erste Gemahlin war Mariane, die älteste Tochter Hrn. Samuel Weißen, Herr zu Mathod und La Mothe; von dieser Ehe leben noch ein Sohn und eine Tochter. Die Zweyte war Elisabeth, eine Tochter Hrn. Buchers, Mitglied des engern Raths und Venners der Republick.
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Die Dritte noch jeztlebende ist eine Tochter des berühmten Teichmeyer zu Jena. Von dieser Ehe sind drey Söhne und drey Töchter bey Leben. Er war Erbherr zu Goumoens Le Jux und Eclaguens, des großen Raths der Stadt und Republick Bern, ehedem Obersalzdirektor zu Roche und Landvogt zu Ählen, Präsident der Kön. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen und der Ökonomischen Gesellschaft zu Bern; der Kön. Akademie der Wissenschaften zu Paris, auch vieler andern berühmten Akademien und gelehrten Gesellschaften Mitglied; Königl. Großbritt. Leibarzt, Ritter des Königl. Schwedischen Ordens des Polarsterns, und Kurhanövrischer Hofrath.½
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¼ D i e We r k e d e s H o m e r u s , aus dem Griechischen übersezt von dem D i c h t e r d e r N o a c h i d e . Z ü r i c h bey O r e l l e t c . 1778. 2 Bände, in groß 8. Mit Vergnügen sieht man den verdienten Greiß sich von neuem in die Laufbahn wagen. Wie mancher von uns würde glauben, durch dies einzige Werk seinen Stuhl auf dem Parnaß auf ewig befestigt zu haben! Die Übersetzung ließt sich an den meisten Orten sehr gut, besonders wenn man die Hexameter nicht so genau mit den Griechischen vergleicht, * ) und der Gang derselben ist so stät wie der des Originals. Das große Verdienst des teutschen Dichters ist, daß er seinem Original selten einen Nebenbegriff unterschiebt, sondern, soviel möglich die sinnlichen Ideen des alten Vaters aus seiner Patriarchenzeit wiederzugeben sucht. Das Mährchen des Homers ist um keine Folie brillianter geworden, und das allein wäre genug und mehr als
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genug, um dem Übersetzer zu verzeyhen, daß er nicht — H o m e r s e l b s t i s t . ½
Zusatz des Herausgebers. Wiewohl vorstehende kurze Anzeige nicht a l l e s gute von dieser B o d m e r s c h e n Übersetzung Homers sagt, noch in ihrer zweckmäßigen Kürze sagen konnte, was man, um ihr vollständige Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, sagen müßte: so ist doch izt weder Raum noch Noth, in eine genaue Untersuchung dessen was Bodmer geleistet oder nicht geleistet hat, was beym Umsetzen des Homerischen Gesangs in teutsche Hexameter nothwendig verloh*)
Ich glaube, man könne mit gleich vieler Wahrheit beydes sagen, sie g e -
w i n n e n und v e r l i e h r e n durch die Vergleichung mit dem Original. Bey sehr vielen, sonderlich vorzüglich schönen Stellen, habe ich die besondere Mühe wahrgenommen, die sich Hr. B . mit glücklichem Erfolg gegeben, dem Wohlklang und Numerus des Originals nahe zu kommen. Wo er zurückbleibt, liegt die Schuld meistens nicht an ihm, sondern an unsrer von der Griechischen wahrlich sehr verschiedenen Sprache; wie jeden, der es versuchen will da oder dort b e s s e r z u m a c h e n , bald die eigne Erfahrung lehren wird. Experto credite. W.
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ren gehen mußte, u. s. w. uns einzulassen. Also, nicht als einem kunstliebhabenden oder kunstrichterlichen Leser, sondern blos als einem alten Freunde des lieben ehrenwerthen Greises, sey mir erlaubt, hier einen Augenblick mein Herz reden zu lassen — mich einen Augenblick in die glücklichen Tage meiner Jugend zurückzuträumen, als ich in den Jahren 1753. und 54. in seinem Hause lebte, und in seliger, ach! nimmer, nimmer wiederkehrender Beschränktheit, Weltunerfahrenheit, und jugendlicher Herzensfülle, d i e B r i e f e d e r A b g e s t o r b e n e n und A b r a h a m s P r ü f u n g in eben dem Museo, an eben dem Tische schrieb, wo B o d m e r wechselsweise bald den Eingebungen seiner pa10
triarchalischen Muse horchte, bald sich von der Homerischen, ihrer Schwester, tiefer hinab in das Heldenalter der Griechen führen ließ, und schon damals (vielleicht nur als Spiel und um seine Kräfte wie an Ulyssens Bogen zu versuchen) einige Bücher der Ilias und Odyssee zu übersetzen anfieng. Es wäre fanatisch von mir, wenn ich von Tausenden, die den vortreflichen Mann nicht kennen wie ich, — nicht bey und mit ihm gelebt haben wie ich, nicht Vaterzärtlichkeit und Vatersfürsorge von ihm genossen haben wie ich, nicht Gelegenheit gehabt haben seinen ganzen Charakter, seinen ganzen Geist und Sinn, sein so zartfühlendes, unverdorbnes, von keiner Thorheit keinem Laster seines Jahrhunderts angestecktes, allem Guten (das ihm allein S c h ö n war)
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offenes Herz, die Reinheit seiner Sitten, und die wahrhaft Homerische Einfalt seiner Lebensart so manche Jahre lang anzuschauen wie ich — erwarten oder fodern wollte, daß ihnen der unvermuthete Anblick der auf einmal vollendet hervortretenden Ilias und Odyssee, von d i e s e m Mann, der mir einst soviel war — ein Werk von solchem Umfang, solchen unermeßlichen Schwierigkeiten, von dessen ersten Anfängen ich vor mehr als 24 Jahren Augenzeuge gewesen war — diese lange Zeit über in der unscheinbaren Stille der Häuslichkeit und Abgeschiedenheit seines Urhebers immer warmgehalten und mit ächtem Homerischen Sinn und unverwandtem Hangen an seinem alten Lieblingsdichter ausgebrütet, endlich im 80sten Jahre seines Lebens auf einmal
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vollendet, und, eben so still und Prunklos wie sein ganzes Leben war, in die Welt hingegeben zu sehen — es wäre fanatisch, sage ich, wenn ich von Tausend andern, die nicht in meinem Falle waren, fodern wollte, daß ihnen dieser Anblick eben die innige Freude hätte machen sollen wie mir. Ich kann ihnen ihre Kälte so gut verzeyhen als sie mir hoffentlich meine Wärme verzeyhen können. Aber dies, liebe Teutschen, ist doch nicht zuviel, wenn ich von dem
¼Anmerkung und Zusatz: Bodmer½ D i e We r k e d e s H o m e r u s
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Herzen eines jeden braven Mannes unter Euch — der seit 50 oder 40 oder 30 oder 20 oder auch nur seit den nächsten 10 Jahren an dem Zustande unsrer Litteratur, und an den Schritten, welche die Nation, diese Zeit über, in Gefühl des Guten und Schönen, Geschmack, Aufklärung, u. s. w. vor- seit- oder rückwärts gethan hat, einigen Antheil genommen — gut genug denke, um ihm zuzutrauen: daß dieses an sich selbst in jeder Betrachtung schätzbare Werk mit destomehr gutem Willen und — (warum sollt’ ich mich scheuen das rechte Wort zu nennen?) mit destomehr von dem ehrerbietigen Gefühl das man dem verdienst- und ehrenvollen Alter schuldig ist, werde aufgenommen werden, da es das lezte Geschenk eines 80jährigen Mannes ist, der sich seit mehr als
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einem halben Jahrhundert so viele und so wahre Verdienste um seine Nation und Zeit, und in beyden um die Nachwelt, gemacht hat. Herzerfreulich ist es für seine Freunde, daß er uns dies Geschenk noch selbst bey frohem gutem Muthe hat machen können; und lange möge die Vorsehung noch die Tage eines Mannes vermehren, dessen Geistesmunterkeit und unermüdete Thätigkeit bey solcher innerer Ruhe des Gemüths, in einem Alter an das so wenige Menschen reichen, ihn zum lebendigen rührenden Beyspiel des Segens und der Glückseligkeit eines in frommer altväterlicher Einfalt und Rechtschaffenheit mit der Weisheit und den keuschen Musen zugebrachten Lebens macht! B o d m e r ist nun, nachdem Vo l t a i r e endlich vom Schauplatz der Eitel-
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keit, auf welchem er seine Rolle bis zum Plaudite rein ausgespielt hat, abgetreten seyn soll, soviel ich weiß, der Ältervater aller Dichter in Europa. Man kann sich wohl keine größere Ungleichheit denken als in dem Charakter des Lebens und der Werke dieser beyden Männer herrscht; und dies untersagt natürlicher Weise alle Vergleichung. Auch sey es ferne von mir, den (wiewohl nicht piis) Manibus eines Mannes Hohn sprechen zu wollen, dessen Geist und Talente und — Verdienste (denn wer wird ihm auch diese absprechen?) nach vielen Jahrhunderten noch ein Wunder in den Augen unsrer Nachkommen seyn werden! Aber gleichwohl, am Ende der Laufbahn, welcher Mensch, an dessen Kopf und Herzen noch etwas gesundes ist, würde nicht Henriade, Zayre, Philosophie de l’Histoire, Pucelle, und die Seigneurie de Ferney oben drein, darum geben, lieber Bodmer als Voltaire gewesen zu seyn? W.
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B i b l i o t h e k d e r R o m a n e . Erster Band. B e r l i n 1778. bey C. F. H i m b u r g , 8. 302. S. Dieser erste Band liefert unter V . R u b r i k e n , I . R i t t e r r o m a n e , 1) eine Abhandlung von alten Ritterwesen, 2) einen Auszug aus dem teutschen Ritterbuch H e r k u l e s und Va l i s k a , 3) kurze Nachricht von der Ta f e l r u n d e und den F r a n z ö s i s c h e n Auszug aus dem Roman de Merlin und dem von K ö n i g A r t u s , in 12 Seiten zusammengeschmolzen. I I . Vo l k s r o m a n e , einen Auszug aus der bekannten Historia von D . F a u s t . I I I . Te u t s c h e R o m a n e , 1) des Herrn v o n L o e n , r e d l i c h e n M a n n a m H o f e , nebst 10
Geschichte des Romans, oder vielmehr Nachricht vom Verfasser desselben, 2) Geschichte der Miß Fanny Wilkes. IV. Ausländische Romane, 1) d i e e n t l a r v t e n M ö n c h e , ein Spanischer komischer Roman, 2) B e r t o l d o , B e r t o l d i n o und K a k a s e n n o , drey Italiänische Volksromane, wovon der erste eigentlich das Original ist; nach unserm Sinn das beste Stück in diesem Bande. V . E p i s o d e n o d e r k l e i n e G e s c h i c h t c h e n . Die Schäferstunde von M. Dorat aus dem Journal des Dames, so gut übersezt als sichs Mr. Dorat nur immer wünschen kann. Der Herausgeber erklärt sich in der Vorrede, daß ihm Beyträge, Auszüge, von fremder Hand allezeit willkommen seyn werden; und erwartet übrigens, nicht aus den drey ersten Bänden, sondern nur aus der
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längern Fortsetzung beurtheilt zu werden. Die Frage wie viel oder wenig Nutzen von dieser neuen Litterarischen Unternehmung zu erwarten sey, käme also noch zu früh. Alles wird auch hier (wie überall) von der Güte der A u s f ü h r u n g abhangen. So ein frivoles Ding ein Roman in den Augen der meisten ernsthaften Leute ist, so gehören doch sehr ernsthafte gescheidte und gelehrte Männer dazu, uns eine Bibliothek der Romane zu geben, durch welche die Litteratur und die Menschenkenntniß gewinne. Man kann sich von den ungenannten Verfassern der gegenwärtigen, nach diesem ersten Bande zu urtheilen, vieles versprechen — wiewohl wir nicht bergen, daß die Stelle in der Vorrede, wo man uns sagt: „von den Ältesten
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und wenig bekanntesten der Innländischen Romane, und den interessantesten und neuesten der Ausländischen die S k i z z e n oder den G e i s t zu geben, und gleichsam ihre M i n i a t u r g e m ä h l d e aufzustellen, ist eine Sache die
¼Rezension: Reichard½ B i b l i o t h e k d e r R o m a n e
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dem Leser die beste und anziehendste Unterhaltung gewähret“ uns ein wenig aufgefallen ist. Denn entweder hat der Verf. hier seine Feder einen Augenblick allein gehen lassen, oder wir müssen glauben, daß er eine S k i z z e von einem Werk geben, und den G e i s t davon geben, und ein M i n i a t u r g e m ä h l d e davon aufstellen, für Ausdrücke halte, deren einer den andern erläutert, und die im Grund einerley sagen wollen. Unsers wenigen Ermessens ist die S k i z z e eines guten Dichterwerkes, ein bloßes G e r i p p e , höchstens dem Kenner brauchbar, aber sehr wenig anziehend für den Liebhaber, der dies Gerippe mit Fleisch und Blut bekleidet und belebt, und mit G e i s t beseelt sehen will, um Genuß davon zu haben. Der G e i s t eines Werks ohne den L e i b ist ein zu
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feines flüchtiges Wesen, und verduftet gewöhnlich unter der Operation des Ausziehens. Und M i n i a t u r g e m ä h l d e von großen Romanen erinnern uns an die kleinen zwey oder drey Daumen breiten Bildchen, worinn man uns ohnlängst von den Meisterwerken der Galerie zu Düsseldorf eine Idee hat geben wollen. Bey einem R o m a n , wie bey allen andern Gedichten, machen die eigene Art der Ausführung und Behandlung, die lebendige Darstellung, die Kraft und Wahrheit des Kolorits, die Schönheiten des Detail, und der Effekt den das alles wieder im Ganzen zusammen thut, gerade den Werth des Werks aus; der G e i s t lebt und webt in dem allen. Ihn davon abzuziehen, ist unmöglich; ihr würdet einen todten Leichnam übrigbehalten, und der Geist
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wäre euch unter den Händen entschlüpft. Der G r a f v o n Tr e s s a n , von dem einige weitläuftige Auszüge aus den alten Französischen Ritterromanen, Gyron le Courtois, Tristan de Lionnois u. a. in der Französischen Bibliotheque des Romans stehen, hat daher, ungeachtet der ungemeinen Gabe die er hat, einen Auszug durch die Lebhaftigkeit und das Geistreiche seines Styls interessant zu machen, für nöthig befunden, oft mit den eigenen Worten seines Originals zu sprechen, oft ziemlich große Stellen von etlichen Seiten wörtlich daraus abzuschreiben, und gerade diese F r a g m e n t e d e r O r i g i n a l e sind das Interessanteste in seinen Auszügen. Da nun diese in den A u s z ü g e n seiner A u s z ü g e , die man uns hier unter der Rubrik R i t t e r r o m a n e verspricht, verlohren gehen, so geht just alles verlohren. Ist die Absicht des Verfassers dieser B. ein Werk zu unternehmen, das würklich für Gelehrte und Liebhaber zugleich interessant seyn soll: so möchten wir ihnen rathen, uns z. Ex. Auszüge aus den alten t e u t s c h e n Romanen und Gedichten von der Ta f e l r u n d e zu liefern, die in einigen Bibliotheken, z. Ex. zu Wolfenbüttel, Dres-
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den, Insprugg u. s. w. noch in Handschriften liegen, und den w e i s e n K ö n i g , den T h e u e r d a n k , und ihresgleichen nicht aus ihrem Plan auszuschliessen. Dagegen möchten sie bey den Vätern und Müttern unter ihren Lesern und Leserinnen mehr Dank verdienen, wenn sie aus der Rubrik E p i s o d e n und k l e i n e G e s c h i c h t c h e n solche Werkchen ausschlössen, wie die S c h ä f e r s t u n d e , die freylich, wie sie sagen piquant und nur g a r z u p i q u a n t geschrieben ist. Die Herausgeber gestehen, sie sey e t w a s f r e y : (aber setzen sie hinzu,) „wir glaubten, was in einem Journal für Damen stehn könnte, würde sich eben so gut für eine Bibliothek der Romane schicken.“ Und hierinn haben 10
sie sich unstreittig geirret. Denn in Paris und in dem Zirkel, worinn Hr. D o r a t lebt, sind unter dem Wort Dames auch etliche Tausend hohe und niedrige Catins begriffen. So weit aber ists mit uns Teutschen noch nicht gekommen. Unsre Schwestern, Weiber und Töchter, auf welche es doch wohl mit dieser Bibliothek am meisten gemünzt ist, sind — wenigsten a ` potiori — k e i n e D o r a t s c h e Dames, sondern e h r l i c h e M ä d c h e n u n d We i b e r , a n d e nen noch was zu verderben ist. W.
¼Rezension: Reichard½ B i b l i o t h e k d e r R o m a n e
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¼ D r e y E p i s c h e G e d i c h t e : M a k a r i a , S i g o w i n u n d A d e l b e r t . Zürich, bey Orell und Comp. 1778. Das erste, nach der von Euripides behandelten Geschichte der Makaria: die zwey andern, Sigowin und Adelbert, sind aus den Ritter- und Pilgrim-Zeiten, und haben würklich das Verdienst der mahlerischen Poesie im Epischen, die wir aus dortigen Gegenden seit langen Zeiten zu erhalten gewohnt sind. Der Schweizerische Dichter sieht doch etwas von dem, was er uns zeigen will: da hingegen die unsrigen meistens nichts gesehen haben, und alles ohne Standort und festen Grund für ihre Figuren aus den Lüfften zusammenweben. —½
(Ich müßte mich
sehr irren, wenn diese drey Stücke nicht von dem Verfasser der Noachide und Übersetzer des Homers selbsten herrühren sollten. W . )
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Nachrichten. 1. Die lezthin angekündigte v o l l s t ä n d i g e S a m m l u n g L a t e i n i s c h e n A u t o r e n betreffend. Da die sich so nennenden H e r a u s g e b e r d e r a u s l ä n d i s c h e n s c h ö n e n G e i s t e r ganz neuerlich unterm Dato M a n n h e i m , 1 . J u n . d . J . ein Ankündigungsblättchen haben ausgehen lassen, das die Überschrift E n t wurf der angekündigten Herausgabe der alten Klaßischen S c h r i f t s t e l l e r an der Stirne führt, und dies gar leicht im Publiko veranlaßen könnte, diese neuangekündigte Herausgabe der Klas. Autoren mit der10
jenigen zu verwechseln, welche wir im Namen einer Gesellschaft gelehrter Männer in Zweybrücken im Monat May dieses Journals S. 188. u. f. bekannt gemacht haben: so haben wir für nöthig erachtet, unsre Leser hierüber zu prävenieren; und können, aus Überzeugung von der vorzüglichen Geschicklichkeit und würklich gemeinnützigen Absicht der bemeldten Zweybrückischen Gelehrten, nicht umhin zu wünschen, daß die Liebhaber sich durch jene K o n k u r r e n t e n um so weniger irre machen lassen mögen, als die vorgespiegelte E r n i e d r i g u n g d e s P r e i s e s , da nehmlich der Band um 6 Batzen, also um einen Batzen wohlfeiler, versprochen wird, im Grunde eher E r h ö h u n g ist, weil die Konkurrenten den Band nur zu 20 Bogen in Klein 8.
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versprechen, die Zweybrückischen Herausgeber hingegen ein vollständiges Alphabet in Groß 8. um 7 Batzen oder 6¼ Ggr. Sächs. Currant zu liefern sich anheischig machen. Überdies haben die leztern in dem Innern ihres Plans einige beyfallswürdige Veränderungen gemacht. Sie werden nehmlich 1) die merkwürdigsten Va r i a n t e n unter dem Text anmerken, und 2) jedem Autor ein R e g i s t e r , und zwar den H i s t o r i k e r n ein Historisch und Geographisches, allen aber ein hinlänglich erklärendes Register, ohne das Werk darum voluminoser zu machen, beyfügen. Die Schrift zum Text ist die sogenannte k l e i n e Cicero antiqua. Auch wird man dem Äußern noch mehr Zierde geben als man versprochen, wiewohl dem Publiko mehr an wohlfeilen und kor-
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rekten, als an zierlichen Ausgaben gelegen ist. Die auswärtigen Gönner und Freunde dieses Instituts werden ersucht, sich unmittelbar entweder an den
N a c h r i c h t e n ¼1. Nachricht: vollständige Sammlung lateinischer Autoren½
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Hrn. Professor E m b s e r oder Hrn. Prof. E x t e r zu Zweybrücken zu wenden. 2. Die Übersetzung der F o r s t e r i s c h e n n e u e s t e n R e i s e u m d i e We l t betreffend. Die Herren Haude und Spener, Buchhändler in Berlin, haben die von Hrn. Georg F o r s t e r herausgegebne Beschreibung der höchstmerkwürdigen R e i s e u m d i e We l t , welche er mit unserm berühmten Landmann D . J o h . R e i n h o l d F o r s t e r , seinem Vater, auf einem von Sr. Großbrittannischen Majestät auf Entdeckungen ausgeschikten und durch den Capitain C o o c k geführten Schiffe in den Jahren 1772—75. unternommen, aus dem Englischen
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von dem Verfasser selbst ins Teutsche übersezt, herauszugeben angefangen. Da diese neueste Reise um die Welt als eine unmittelbare F o r t s e t z u n g der Hawkesworthischen Geschichte der Englischen Seereisen und E n t d e c k u n g e n im S ü d m e e r , wovon bekanntermaßen im Jahre 1775. eine teutsche Übersetzung a 3 Quartbände, mit 52 Kupfern, im Haude und Spenerschen Verlage herauskam, anzusehen ist: so haben die Verleger zum Behuf der Besitzer dieses Werkes die F o r s t e r i s c h e R e i s e u m d i e We l t , in gleichem Format, als den V i e r t e n B a n d d e s s e l b e n abdrucken lassen. Wer aber das vorhergehende Werk nicht besitzt, kann lezteres unter dem Titel: F o r s t e r s R e i s e u m d i e We l t , e r s t e r T h e i l
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einzeln bekommen. Es beträgt 2 Alphabet 16 Bogen in gr. 4. mit verschiedenen Kupfern; und der zweyte und lezte Band, oder, der F ü n f t e jenes größern Werkes etc. wird zu Michaelis dieses Jahres, ebenfalls mit Kupfern und einer allgemeinen Charte aller bisherigen Entdeckungen in der Südsee, erscheinen. Der Preiß für j e d e n B a n d ist d r e y T h a l e r . Da es aber unmöglich war, um diesen sehr billigen Preiß alle Kupfer, welche die Englische Admiralität zu dieser Reise stechen lassen, (als welche in 37 vortreflich gestochnen Platten bestehen und theils sehr mahlerische Landschaften aus den neuentdeckten Ländern, theils Gesichtsbildungen und Trachten der Einwohner, theils historische Begebenheiten vorstellen,) so erbieten sich bemeldte Verleger, d i e s e s ä m m t l i c h e n K u p f e r von dem berühmten Hrn. D a n i e l B e r g e r in Berlin getreulich den Englischen Originalen nachgestochen, und unter seiner Aufsicht abgedruckt, gegen Vo r s c h u ß e i n e s S p e c i e s D u k a t e n , welchen
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jeder Interessent bey einem Buchhändler seines Ortes deponieren könnte, besonders zu liefern, in soferne sich bis gegen Michaelis d. J. so viel Interessenten finden, daß sie diese Unternehmung ohne Einbuße wagen können. Solchenfalls soll dann sogleich in nächstkünftigen Winter der Anfang mit dem Nachstechen gemacht, und die ganze Samlung von 6 zu 6 Monaten in drey Lieferungen ausgegeben, von den Interessenten aber sodann noch e i n D u k a t e n Nachschuß bezahlt werden. Da diese Forsterische Reise um die Welt eines der merkwürdigsten Bücher unsrer Zeit ist, so behalten wir uns vor, solches unsern Lesern künftig durch 10
einen ausführlichen raisonnierten Auszug dessen was uns darinn am interessantsten geschienen hat, bekannter zu machen.
N a c h r i c h t e n ¼2. Nachricht zu Forster: Reise um die Welt½
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Drittes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Julii 1778.
Auszüge aus Hrn. D. Johann Reinhold Forsters, Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften zu London, Göttingen, Madrid, Upsal, u. s. w. Reise um die Welt, während den Jahren 1772—75. beschrieben, und ins Teutsche übersezt von dessen Sohn, Hrn. G e o r g F o r s t e r , Mitglied der Ges. d. W. zu London, Madrid etc. „Drey verschiedene Seereisen waren unter G e o r g d e s I I I . Regierung bereits aus der edeln Absicht Entdeckungen zu machen, gethan, als die vierte,
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auf Befehl dieses erleuchteten Monarchen, nach einem vollkommnern Plan unternommen ward. Der erfahrenste Seemann unsrer Zeiten, (der Kapitän C o o k ) zween geschickte Sternkundige, (die Hrn. Wa l e s und B a y l e y ) ein Gelehrter, der die Natur in ihrem Heiligthum studiren (Hr. F o r s t e r ) ein Mahler der die schönsten Formen derselben nachahmen sollte (Hr. H o d g e s ) wurden auf Kosten der Nation dazu erlesen.“ Sie haben ihre Reise in den Jahren 1772— 75. vollbracht, und die unmittelbar folgende Jahre dazu angewandt, die Welt an ihren verschiedenen Entdeckungen Antheil nehmen zu lassen. „Die Brittische Regierung (sagt Hr. F o r s t e r in seiner Erzählung weiter) schickte und unterhielt meinen Vater auf dieser Reise als einen N a t u r k ü n d i g e r , aber nicht etwa bloß dazu, daß er Unkraut trocknen und Schmetterlinge fangen: sondern, daß er a l l e seine Talente in diesem Fache anwenden und keinen erheblichen Gegenstand unbemerkt lassen sollte. Mit einem Wort, man erwartete von ihm eine P h i l o s o p h i s c h e G e s c h i c h t e d e r R e i s e , frey von Vorurtheil und gemeinen Trugschlüßen, worinn er seine Entdeckungen in der Geschichte des Menschen und in der Naturkunde überhaupt, ohne Rücksicht auf willkührliche Systeme, bloß nach allgemeinen menschenfreundlichen Grundsätzen darstellen sollte; d. h. e i n e R e i s e b e s c h r e i -
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b u n g , d e r g l e i c h e n d e r g e l e h r t e n We l t b i s h e r n o c h k e i n e w a r v o r gelegt worden.“ Es scheint nicht, daß dieser Plan und diese Absicht, weder was die Reise selbst noch was die Beschreibung derselben betrift, in ihrem ganzen Umfang und in der Vollkommenheit, die man sich g e d a c h t , ausgeführt worden sey. Aber welcher Mensch, welcher Künstler, welcher andre Unternehmer, von dem, der es versucht einen bloßen Traum seiner Seele im Vorübergehen zu erhaschen, und, was er auf einmal gesehen und gefühlt, uns stückweise in Worten vorzubilden, bis zu dem der auf Entdeckung neuer Welten oder auf 10
Philosophische Berichtigung älterer Entdeckungen ausgeht, hat jemals seine Idee v o l l k o m m e n ausgeführt, seinen Zweck g a n z erreicht? Besonders ist das Vorhaben des letztern so unendlich kompliziert, hängt von Augenblick zu Augenblick von so unendlich vielen Umständen, die zum Theil ausser den Grenzen menschlicher Gewalt oder Klugheit liegen, ab, und stößt bey jedem Schritt auf so unsäglich viele Schwierigkeiten, daß es ihm schlechterdings unmöglich ist, sich anders als bedingungsweise zu Ausführung irgend eines vorgezeichneten Plans anheischig zu machen. Aber nicht nur auf der R e i s e , sondern auch da es nach der Zurückkunft um die B e s c h r e i b u n g derselben zu thun war, mußte Hr. D. F o r s t e r , von
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Seiten der Englischen Admiralität, besonders des Grafen von S a n d w i c h , und wie es scheint des Capt. C o o k selbsten eine Begegnung erfahren, die künftig einen jeden Ausländer abschrecken könnte, sich jemals zu einer ähnlichen Unternehmung gebrauchen zu lassen. Dies gieng so weit, daß man ihm nicht nur seinen Antheil an den 2000 Pf. St. welche die Admiralität ihm und Hrn. Cook, zu Bestreitung der Kupfer nach den Zeichnungen des oben benannten Mahlers, (womit ihre g e m e i n s c h a f t l i c h e Reisebeschreibung ausgeziert werden sollte) zu gleichen Theilen geschenkt hatte, wieder nahm; sondern ihm zuletzt sogar das Recht, die Reise zu b e s c h r e i b e n absprach, und dadurch den Hauptzweck seiner Reise zu vereiteln suchte.
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Ohne in die besondern Umstände dieser Cabale eindringen zu wollen, freuen wir uns, daß d e r j ü n g e r e H r . F o r s t e r (der während der ganzen Reise ein geschickter und muthvoller Gehülfe seines Vaters gewesen war) sich entschlossen, wenigstens, wie seine Bescheidenheit sich ausdrückt, einen Versuch zu wagen, an dessen Stelle und mit Zuziehung seiner Tagbücher eine Philosophische Beschreibung dieser merkwürdigen Seereise zu verfertigen.
A u s z ü g e ¼aus: Forsters Reise um die Welt½
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Das Publicum ist dadurch hinlänglich entschädigt, und der Leser findet wenig oder keine Ursache, seines Nutzens oder Vergnügens wegen einen andern Geschichtsschreiber zu wünschen. Bekanntermaßen ist zwar auch aus den Papieren und unter der Aufsicht des Kapt. C o o k eine Beschreibung eben dieser Reise um die Welt zusammengetragen worden. Allein man würde sich sehr irren, wenn man um derentwillen Hrn. Forsters Arbeit für überflüßig halten wollte. „Man muß in Erwägung ziehen, daß wichtigere Vorfälle durch die verschiedne Erzählung zwoer Augenzeugen in stärkeres Licht gesetzt werden. Auch (fährt Hr. F o r s t e r fort) waren unsre Beschäftigungen im Haven sehr verschieden. Kapit.
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C o o k hatte alle Hände voll zu thun, um das Schiff mit Lebensmitteln zu versehen, und wieder in Stand zu setzen: dagegen ich den mannichfaltigen Gegenständen nachgieng, welche die Natur auf dem Lande ausgestreuet hatte. Überdies bemerkt er sehr richtig, daß der Gesichtspunkt woraus ein S e e m a n n der beynahe sein ganzes Leben in diesem Elemente zugebracht, die Gegenstände ansieht, von demjenigen eines L a n d m a n n s — und wir setzen hinzu, eines j u n g e n M a n n e s von so vielen Talenten und von so ausgebreiteter Wissenschaft als Hr. F o r s t e r ist — sehr verschieden seyn müße. Außerdem befindet sich noch der wesentliche Unterschied zwischen ihren beyden Beschreibungen, daß Cook m e h r für S e e f a h r e r , und F o r s t e r mehr
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für die ganze übrige Welt geschrieben, und alles was nur jene allein intereßiren konnte, aus seiner Erzählung weggelassen hat. Doch genug von dem worüber Hr. F . in seiner lesenswürdigen Vorrede das Publicum präveniren zu müßen geglaubt hat. Wir eilen zur Hauptsache. Unsre Leser mögen aus dem Auszug, den wir ihnen von allem was uns in dieser Reisebeschreibung vorzüglich bemerkenswerth und unterhaltend geschienen hat, vorlegen wollen, selbst urtheilen, ob wir Recht haben, dieses Buch, als Reise eines P h i l o s o p h e n der zugleich ein M a n n v o n G e f ü h l ist, für e i n z i g i n s e i n e r A r t zu halten. Es ist immer sehr der Mühe werth j e d e m Manne zuzuhören, der d i e R e i s e u m d i e We l t gemacht hat. Wenn seine Entdeckungen auch an sich selbst nicht die wichtigsten wären: so ists uns doch als ob sie dadurch einen neuen Werth erhielten, daß sie ihn so viel gekostet, daß er so oft seine ganze Existenz dran setzen mußte, um uns etwas neues erzählen zu können. Ist nun der Mann, der soweit gereißt ist, noch dazu ein Mann von vorzüglichen Fähigkeiten, von aufgeklärtem Geiste, von Kenntni-
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ßen die ihn in den Stand setzten besser zu sehen, scharfsinniger zu vergleichen, richtiger zu schliessen als gemeine Seefahrer — um so schätzbarer werden uns seine Nachrichten; und ist es vollends ein noch j u n g e r Mann, ein Mann, deßen warmes Herz jedem Eindruck der Natur noch reiner und tiefer auffaßt, den neuen Gegenständen, die sie ihm darstellt, noch mit Liebe entgegen wallt, und der, wenn er sich des Schönen und Großen, was er nicht nur gesehen, was er g e n o ß e n hat, wieder erinnert, mit Feuer und Begeisterung davon spricht (welches dann gerade der Fall bey unserm Philosophischen Seefahrer ist): so weiß ich nicht welches Gedicht, wenn gleich das Werk der reich10
sten und glänzendsten Einbildungskraft, uns soviel Vergnügen machen könnte, als eine solche Reisebeschreibung; zumal wo das Neue und Wunderbare, das Erstaunliche und Schreckliche, das Schöne, Anmuthige und Liebvolle, kurz, alles wodurch der Epische und Dramatische Dichter die Seele faßt und in alle Arten sympathetischer Leidenschaften setzt, hier immer abwechselnd sich vereinigen, die nehmlichen Eindrücke auf uns zu machen, und das Herz beständig in theilnehmender Bewegung zu erhalten. Man kann diese neueste Reise um die Welt aus zween hauptsächlichen Gesichtspunkten betrachten; einmal in Absicht auf die von dem Englischen Admiralitäts-Kollegio dem Kap. Cook vorgeschriebene Verhaltungsbefehle oder
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den Hauptzweck der ganzen Reise; und dann in Rücksicht auf das, woran Leser, denen es vorzüglich um Erweiterung und Berichtigung ihrer Naturund Menschenkenntnis und überhaupt um Bilder und Schilderungen einer für uns noch immer n e u e n We l t zu thun ist, am meisten Antheil nehmen. So wichtig der erste Gesichtspunkt für die Erdbeschreibung und Schiffahrt ist, so können wir doch davon, was von dieser Seite durch die Cookische Reise würklich gewonnen worden, nicht wohl eher, als bis wir auch den zweyten Theil des vorliegenden Werkes in Händen haben, Rechenschaft geben. Für izt werden wir uns also auf den zweyten Gesichtspunkt einschränken, aus der Menge bemerkenswürdiger Sachen, die uns Hr. F o r s t e r vorlegt, vornehm-
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lich die reichsten Gemählde von schöner und großer Natur, und die Erzählungen ausheben, die zu Befriedigung des Verlangens, die Bewohner der Südsee näher kennen zu lernen, am meisten beytragen können — doch mit Vorbehalt der Freyheit, auch bey andern merkwürdigen Dingen, auf die wir in unserm Autor stoßen werden, wo wir es für gut finden, uns mehr oder weniger aufzuhalten.
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Das e r s t e H a u p t s t ü c k enthält die Fahrt des Schiffes, die R e s o l u t i o n , worauf sich unser philosophischer Seefahrer befand, von Portsmouth nach M a d e r a , und eine Beschreibung dieser reitzenden Insel, wozu der Verfasser den Stoff gröstentheils aus dem Munde verständiger Engländer, die lange dort gelebt, gesammelt hat. M a d e r a ist ohngefähr 55 Englische Meilen lang, und 10 breit; und wird in zwoo C a p i t a n e a s abgetheilt, wovon die eine (nach der Hauptstadt F u n c h a l benannt) 26 Kirchspiele, und die andre, Nahmens Maschiko oder Maxiko, deren 17 enthält. Die Anzahl der Einwohner belief sich im Jahr 1768. auf 63,913 Personen; aber in eben diesem Jahr übertraf die Anzahl der Gestorbenen die Gebohrnen (deren 2198 waren um 3045 — und v e r -
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m u t h l i c h rührte dies (sagt Herr Forster) von einer epidemischen Krankheit her. Dies v e r m u t h l i c h ist unangenehm: Warum fragte er nicht nach? — Übrigens ist das Klima vortreflich, die Witterung meistens, auch im Winter sehr gelinde, und die Sommerhitze in den höhern Gegenden sehr gemäßigt; folglich die ganze natürliche Beschaffenheit der Bevölkerung ungemein günstig. Die Stadt Funchal, so schlecht sie von innen beschaffen ist, giebt von der Seeseite einen sehr mahlerischen Anblick. „Sie liegt auf einem sanft anlaufenden Grunde der Vorberge, in Gestalt eines Amphitheaters, rund um die Rhede her. Die Gebäude und Häuser sind meist weiß angestrichen, viele zwey Stockwerke hoch, haben flache Dächer, das ihnen eine Ähnlichkeit mit der mor-
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genländischen Bauart und Simplicität giebt — die nahgelegenen Höhen, auf welchen man überall Weinberge, umzäunte Gründe, Pflanzungen und Buschwerk nebst Landhäusern und verschiednen Kirchen erblickt, machen die Schönheit der Landschaft vollkommen. Alles (sagt Hr. F.) erweckte den Begriff einer bezauberten Insel, und gab uns eine Idee von den Gärten der Semiramis. — Das wichtigste Produkt dieser Zauberinsel ist der berühmte Wein, wovon der beste von Reben die ehmals aus C a n d i a dahin verpflanzt worden kömmt und M a d e r a - M a l v a s i e r genennt wird. Die P i p e jede zu 110 G a l l o n s , kostet auf der Stelle 40 bis 42 Pf. Sterl. Es ist ein köstlicher süßer Wein, fällt aber nur sparsam. Die nächste Sorte, die stark nach England verfahren wird, ist ein trocken Beeren-Wein, die Pipe zu 30— 31 Pf. Sterl. Die geringern Sorten, die meist nach Ost- und West-Indien und Nord-Amerika gehen, kosten von 20 bis zu 28 Pf.“ Ein Jahr ins andre werden etwa 30,000 Pipen gewonnen; davon 13000 ausgeführt, und die übrigen theils auf der Insel verbraucht, theils zu Brandwein und Eßig verwandt werden.
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Die Weinberge sind so angelegt, daß der Boden immer von Unkraut rein, und durch eingeleitete Wässerungs-Kanäle feucht erhalten wird, und die Trauben im Schatten reiffen; welches ihnen dann jenen treflichen Geschmack und das markigte, oder die Eigenschaft den Mund recht zu füllen (wie sich Hr. F. ausdrückt) giebt, das dem Maderawein eigenthümlich ist. Es wird auch Getreide gebaut, aber nicht der vierte Theil dessen, was die Einwohner brauchen; das übrige ziehen sie aus Nordamerika. Die Weinberge werden jährlich verpachtet; vom Gewächse bezieht der Pachter vier Zehntheile, viere der Grundherr, eines die Geistlichkeit und eines der König. Bey so bewandten 10
Sachen bekommen die armen Winzer wenig von dem Göttertrank den sie bauen zu kosten. Überhaupt, sagt der V. lebt das Landvolk zu M a d e r a schlecht — (und ists nicht beynahe in ganz Europa eben so?) Sie nähren sich mehrentheils nur von Brodt und Zwibeln, oder anderm Wurzelwerk und etwas Fleisch, und ihr gewöhnlicher Trank ist Wasser, oder ein dünnes Getränk aus Wasser und Weinträbern. H. F. meynt, die Unterdrückung, unter welcher die armen Leute hier leben, müsse ihnen natürlicher Weise Muth und Hofnung niederschlagen; und freylich so s o l l t e u n d m ü ß t e es in Gemäßheit unsrer so scharf demonstrierten P h y s i o k r a t i s c h e n T h e o r i e n seyn. Aber es ist recht als ob sich die Natur eine eigne Freude daraus mache, andre Wege zu
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nehmen, als wir ihr vorzeichnen. Auch hier trift just das Widerspiel zu, von dem wie es seyn s o l l t e u n d m ü ß t e . „Die Leute sind bey aller Unterdrükkung l u s t i g u n d v e r g n ü g t , s i n g e n b e y d e r A r b e i t , und v e r s a m meln sich Abends, um nach dem Schall einer einschläfernden G u i t a r r e * ) z u t a n z e n u n d z u s p r i n g e n . “ Wunderbar genug, daß sich Hr. F. über so was verwundern konnte! C a n t a b i t vacuus &c. Auch sehen diese armen Landleute, wie billig, g e s u n d e r und w e n i g e r h ä ß l i c h aus als die edlen Bürger zu Funchal und Mexico. Vermuthlich muß ihnen ihr säurlicher Trebernsaft besser bekommen als ihren Herren der herrliche Malvasier, dessen trinkbares Feuer man wahrlich unter der Breite von 32 Graden nicht
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sehr vonnöthen hat. *)
Hier hat den Hrn. F. sein Philosophischer Genius einen Augenblick verlassen, wenn die
Guitarre e i n s c h l ä f e r n d f ü r s i e wäre, würden sie nicht dazu tanzen und springen. Alle Würkung der Musik ist relativ; der Nordbrittische Bauer tanzt und springt zum Dudeldum einer schnatternden Sackpfeife, der Maderische zum Geklimper einer Zither; jenen würde die Maderische Zither einschläfern, diesen die Schottische Sackpfeife betäuben.
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Z w e y t e s H a u p t s t ü c k . Den 1. August 1772 reiseten sie von Madera wieder ab, paßierten am 5ten die Insel F e r r o , und hatten nunmehr bey immer schönem Wetter und günstigen Winden, welche die Farth zwischen den Wendezirkeln zwar sicher und ruhig aber äusserst einförmig machen, Muße genug, sich an der Jagd der B o n n i t e n und D o r a d e n auf die f l i e g e n d e n F i s c h e , die sich hier in großer Menge aufhalten, zu belustigen, und Homiletische Betrachtungen darüber anzustellen, die wir Hrn. F. um so lieber übersehen wollen, weil die Probe, die er uns davon zu kosten giebt, sehr — kurz ist. Die fliegenden Fische fliegen nicht b l o ß g e g e n d e n W i n d , wie K a l m zu glauben scheint, sondern nach allen Richtungen, und zuweilen auch in krummen Linien. Von
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dieser Zeit an, (sagt Hr. F.) bis wir den heissen Himmelsstrich verliessen, hatten wir fast täglich das Schauspiel, unabsehliche Züge und Heere dieser Fische um uns her zu sehen. Von ihren ewigen Feinden, den Bonniten und Doraden verfolgt, verlassen sie dann ihr Element, um in der Luft Sicherheit zu suchen; aber auch da geschieht es oft, daß die armen Flüchtlinge neue Feinde antreffen, und ein Raub des T ö l p e l s (Pelicanus Piscator) und des t r o p i s c h e n Vo g e l s , werden; oder, wenn sie dem Verdeck eines Schiffes zu nah kommen, gar dem allgemeinen Feinde alles Lebendigen unter der Sonne, dem Menschen, in die Hände fallen. Am 11ten August erblickten sie B o n a v i s t a , eine der Inseln des grünen
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Vorgebürges. Diese Inseln, glaubt Hr. F. könnten einträglich und wichtig gemacht werden, wenn sie einem arbeitsamen, unternehmenden und Handlungtreibenden Volke zugehörten. Die Coschenill-Pflanze, der Indich, einige Gewürze und vielleicht auch Kaffee würden, dem Anschein nach, in diesem brennend heissen Klima wohl fortkommen, und gewiß völlig hinreichen, den Einwohnern alle Bequemlichkeiten des Lebens zu verschaffen, wofern sie einer so wohlthätigen Regierung genößen wie — die Englische. Alsdann (sagt er) würde statt des itzigen kümmerlichen Unterhalts von Wurzelwerk ihr Tisch mit Überfluß besezt und ihre elenden Hütten in bequeme Häuser umgeschaffen werden. Den 9. September paßierten sie die Linie, und den 27ten, da sie nun den 25° Grad südlicher Breite erreicht hatten, machten sie einen Versuch die Strömung und Wärme des Seewassers in großer Tiefe zu bestimmen. Das Thermometer stand in freyer Luft auf 72½. Gleich unter der Oberfläche des Wassers fiel es auf 70, und in einer Tiefe von 80 Faden sank es auf 68°. Es blieb
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15 Minuten unter Wasser, und zum Heraufziehen wurden 7 Minuten erfordert. Der nemliche Versuch war den 3ten September gemacht worden, wo es von 75½ Graden des W. auf 74, und in einer Tiefe von 85 Faden auf 66° gefallen war. Es war 30′ unter Wasser geblieben, und man hatte zum Wiederheraufziehen 27½ Minuten Zeit gebraucht. Am 12ten October wiederhohlten sie diese Untersuchung zum drittenmal. Sie liessen das Thermometer 20 Minuten lang in einer Tiefe von 100 Faden, und nachdem es innerhalb 7 Minuten wieder heraufgezogen worden war, fand sich daß es auf 58° stand. Dicht unter der Oberfläche hatte es 59 und in freyer Luft 60° Grad angegeben. 10
Am 29sten October entdeckten sie das äusserste Ende von Africa. „Kaum war es Nacht worden, (wir lassen Hrn. F. wieder selbst reden) als die See rund um uns her einen großen bewundernswürdigen Anblick darbot. So weit wir sehen konnten, schien der ganze Ocean in Feuer zu seyn. Jede brechende Welle war an der Spitze von einem hellen Glanz erleuchtet, der dem Lichte des Phosphorus glich; und längst den Seiten des Schiffs verursachte das Anschlagen der Wellen eine feurige Linie. Hiernächst konnten wir auch g r o ß e l e u c h t e n d e K ö r p e r im Wasser unterscheiden, die sich bald geschwind bald langsam, izt in einerley Richtung mit dem Schiff, dann wieder von uns weg, bewegten. Zuweilen sahen wir ganz deutlich, daß diese Körper als F i -
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s c h e gestaltet waren, und daß die kleinern den größern aus dem Wege giengen. Um dies wunderbare Phänomen genauer zu untersuchen, liessen wir einen Eimer solchen Seewassers aufs Verdeck hohlen; und es fand sich, daß unzähliche leuchtende Körperchen von rundlicher Figur, die mit großer Geschwindigkeit darinn herumschwommen, jenen glänzenden Schein hervorbrachten. Nachdem das Wasser eine Weile gestanden hatte, schien die Zahl der Funken sich zu vermindern; so bald wirs aber umrührten, ward es wieder so leuchtend als zuvor. Auch bemerkten wir, wenn das Wasser nach und nach ruhig ward, daß die hellen Körper w i d e r den Strom desselben schwammen, ob sie gleich, bey stärkerem Rühren, der Richtung, nach welcher das Wasser
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alsdann sich bewegte, nicht widerstehen konnten.“ Um sich selbst den Zweifel aufzuklären, ob nicht vielleicht das Schwanken des Schiffes die wahre Ursache der Bewegung dieser anscheinenden Thierchen sey, liessen sie den Eimer freyschwebend aufhängen. Dieser Versuch setzte ihre eigenthümliche Bewegungskraft außer Zweifel, und bewieß zugleich, daß die Bewegung des Wassers das Leuchten zwar nicht hervorbringe, aber doch befördre; denn
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wenn das Wasser ganz ruhig war, so verminderte sich das Funkeln nach und nach, kam aber bey der geringsten Bewegung desselben wieder stärker, und nahm in eben dem Maaße zu wie jene verstärkt wurde. Hr. F. brachte auch eins von diesen hellen Körperchen, das ihm an der Hand hängen geblieben war, unter das gewöhnliche Glas des verbesserten R a m s d e n s c h e n Mikroscops, da es sich dann in einer kugelförmigen Gestalt, etwas bräunlich und durchsichtig als Gallert zeigte; mit dem stärksten Glase aber entdeckte sich an diesem Atom die M ü n d u n g e i n e r k l e i n e n Ö f n u n g , und darinn v i e r b i s f ü n f D a r m s ä c k e , die unter sich selbst und mit jener Öfnung zusammenhiengen. Hr. F. wollte noch mehrere und genauere Versuche mit diesen
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Thierchen anstellen; sie wurden aber durch die geringste Berührung sehr beschädigt, und so bald sie todt waren, sah man nichts mehr an ihnen als eine unzusammenhängende Masse von Fibern. Kurz, alle angewandte Bemühung, eines davon lebendig unters Glas zu bringen, war vergebens gewesen. Ob diese kleinen Geschöpfe die Brut einer Medusen-Art, oder ein eignes Geschlecht seyen, läßt Hr. F. wie billig unentschieden, und bemerkt noch, daß ihre Gestalt mit den I n f u s i o n s t h i e r c h e n d e r M a y b l u m e übereinzukommen scheine. Da wir zu Gegenständen, die unsrer Absicht näher sind, eilen müssen, übergehen wir die im d r i t t e n H a u p t s t ü c k enthaltene Nachricht von ihrem
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Aufenthalt auf dem K a p , und von der dortigen Kolonie — um unsern Seefahrern auf einer Reise die noch niemand von ihnen unternommen hatte, auf ihrer Farth nach dem A n t a r k t i s c h e n Z i r k e l , wiewohl nur mit Einem Blicke zu folgen. Die Hauptabsicht der Englischen Regierung bey dieser neuen Entdeckungsreise war, sich gänzlich zu vergewissern, ob der fünfte australische Welttheil, dessen Daseyn nun schon so lange als höchstwahrscheinlich vorausgesezt worden, würklich vorhanden sey oder nicht? Zu diesem Zweck war Hr. C o o k angewiesen: vom Kap aus Südwärts zu laufen, und wo möglich das Cap de la Circoncision zu finden, welches Hr. De Loziers Bouvet den 1sten Jenner 1730. im 54ten Grad südlicher Breite und 11ten östlicher Länge von G r e e n w i c h , gesehen zu haben geglaubt hatte. Fände er solches, so sollte er untersuchen: ob es nur ein Theil einer Insel sey, oder ob es zu dem in Hypothesi vorausgesezten festen Lande gehöre. Im leztern Falle sollte er von diesem neuen Welttheil alle nur mögliche Erkundigungen einziehen, und besonders auch mit den Einwohnern freundlichen Umgang pflegen. Ließ es
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der Zustand der Schiffe und Lebensmittel zu, so sollte er die Entdeckungen fortsetzen, und so weit als nur möglich gegen den Südpol zu dringen suchen. Wäre aber jenes B o u v e t s c h e Vorgebürg nur Theil einer Insel, oder könnt’ es gar nicht gefunden werden: so solle er, so lang er noch Hofnung hätte ein großes oder festes Land zu finden, südwärts steuern, alsdann aber seinen Lauf nach Osten richten, um in hohen südlichen Breiten, so nah am Pol als thunlich, rund um die Welt zu seegeln. Übrigens war ihm, wie natürlich, überlassen, so oft die Jahrszeit den längern Aufenthalt in hohen Breiten gefährlich machte, sich unter milde Himmelsstriche an irgend einen bekannten Ort zu10
rückzuziehen, und überhaupt, in allen äussersten Nothfällen nach Gutdünken zu verfahren. Das Unternehmen, im Bauch des künstlichen hölzernen Sturmvogels den wir ein Schiff nennen, durch unbekannte nie befahrne Meere auf Entdeckung einer n e u e n E r d e , neuer Menschen, einer vielleicht in allen ihren Produkten neuen Natur, auszureisen, hat in der bloßen Idee etwas so über alles was wir kennen Großes und Anziehendes: daß man sich nicht enthalten kann, die Glücklichen, denen ein solcher Vorzug vor so vielen Millionen Menschen zutheil wird, mit beneidenden Augen anzusehen. In dem bloßen Umstand, nach Vollendung des großen Abentheuers sich all der überstandnen unsäglichen
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Beschwerden und Gefahren wieder zu erinnern, und sich selbst sagen zu können: das alles hast du e r f a h r e n — das alles hast du a u s g e h a l t e n , liegt ein Abgrund von Vergnügen und herzerhöhendem Selbstgefühl, das allein hinreichend ist einen Mann auf sein ganzes Leben glücklich zu machen; werth durch edles Daransetzen seines Lebens erkauft zu werden! Indessen ist all das Ungemach, das unsern neuen Argonauten auf dieser kühnen Fahrt nach dem südlichen Polarzirkel aufstieß — das was sie, aller zum voraus genommenen Verwahrungsmittel ungeachtet, in diesen sturmvollen, kalten, unwirthlichen Weltgegenden würklich zu leiden hatten — die immer neuen, immer wachsenden G e f a h r e n und fürchterliche Aussichten in ungewiße aber doch immer
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vorschwebende noch größere Übel, nicht gerechnet — ich sage, dies Ungemach, diese Beschwerlichkeiten und Leiden von so mancherley Art sind gleichwohl so beschaffen, daß bey ihrer bloßen Vorstellung den Herzhaftesten ein Grauen ankommen muß. Wir können, wie gesagt, unserm Autor auf diesem Theil seiner Reise, den er, nicht wie ein Seemann, sondern wie ein N a t u r f o r s c h e r , und wie ein M e n s c h (mit unter auch wie ein junger Mann
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dem das Lesen der Alten und Neuern Dichter noch in frischem Andenken liegt) beschreibt, nur von ferne und gleichsam mit einem Blicke folgen; wir müßten alles abschreiben wenn wir alles bemerkenswürdige ausheben sollten. Seeleute von Profeßion sind der Stürme und alles Ungemachs, dem sich ein Landthier, wie der Mensch ist, in diesem furchtbaren Element aussetzt, zu gewohnt, und überdieß im Schreiben meistens zu wenig geübt, um uns Landleuten von solchen Scenen so lebhafte und detaillirte Schilderungen zu machen, wie wir sie verlangen. Hier ists einer aus u n s e r m M i t t e l , der uns beschreibt wie einem Jeden von uns an seinem Platze zu Muthe gewesen wäre; und dieser Umstand macht allerdings für Leser vom Gefühl jeden Zug seiner
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Erzählung doppelt interessant. Schon am zweyten Tage nach ihrer Abfahrt aus der Ta f e l b a y (den 24sten Novemb.) giengen die Stürme an, von denen sie nun 4 Monate lang kaum wenige einzelne Tage oder Stunden Ruhe haben sollten. Man stelle sich unsern Philosophen vor, dem in den friedlichen Meere zwischen den Wendezirkeln die Reise um die Welt so leicht und angenehm vorgekommen war — izt, wie auf einmal, in den ewigen Sitz heulender Winde und rasender Stürme versetzt, mitten unter fürchterlichen Wogen die das Schiff aufs heftigste hin und wieder schaukeln, und, indem sie sich häuffig über demselben brechen, alles mit einem Platzregen von Seewasser überschwemmen. Wer kein Seemann war (sagt Hr. F. mit aller Naivität eines Er-
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desohnes, der die Linie zum erstenmale paßirt hatte) wußte sich in diese neue Lage gar nicht zu schicken. Zwar gab es, aus Gelegenheit des heftigen Schwankens, wodurch täglich unter den Tassen, Gläsern, Weinflaschen, Schüsseln, Tischen und übrigem Hausgeräthe der Herren Reisenden greuliche Verwüstung angerichtet wurde, mit unter noch Scenen, wobey sie lachen mußten: aber, das war im Grunde doch nur ein schwacher Ersatz für einen Verlust der in ihrer Lage eben so wichtig als unersetzlich war. „Das übelste dabey war (fährt Hr. F. fort) daß die Decken und Fußboden in allen Kajüten gar nicht trocken wurden; und das Heulen des Sturms im Tauwerk, das Brausen der Wellen, nebst dem gewaltigen Hin- und Herwerfen des Schiffes, welches fast keine Beschäftigung verstattete, waren neue fürchterliche und höchstbeschwerliche Scenen. Hiezu kam noch, daß, ungeachtet wir uns erst im 42° südliche Breite befanden, die Luft doch schon sehr kalt und scharf zu werden anfieng, gleichwie auch der häuffige Regen dem Schiffsvolk den Dienst noch schwerer machte.“ — Indessen war das alles nur Spielwerk gegen das was
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ihnen noch bevorstund. Nachdem sie bis zum 5ten December immer stürmisches Wetter, an diesem Tage aber, zum erstenmale seit ihrer Abreise vom Kap, wieder so gemäßigten Wind gehabt hatten, daß die höchsten Bramsegel aufgesetzt werden konnten: fiel am nehmlichen Nachmittag schon wieder Regenwetter ein; in der Nacht ward es so kalt, daß der Thermometer von 44 auf 38° fiel, und Morgens früh gabs etwas Schnee; der Wind nahm zu, und stürmte den 7ten so heftig, daß sie wiewohl unter Begleitung immer zunehmender Schaaren von Sturmvögeln, nur noch mit einem Seegel fahren konnten. Am 8ten gab ihnen der sogenannte S e e - B a m b u ( fucus buccinalis L i n n e i ) der 10
sich in Hauffen um das Schiff sehen ließ und verschiedne P i n g u i n s die unter einer Menge Pintaden und Albatrossen erschienen, Hofnung, bald Land zu finden. Denn von dergleichen Felsenkraut und besonders von den Pinguins hatte man sonst immer geglaubt, daß sie niemals fern von der Küste angetroffen würden. Aber die Erfahrung bewies die Unzuverläßigkeit dieser Zeichen. In der Nacht vom 9ten fieng das Wasser in den Gefäßen schon an am Rande zu gefrieren, wiewohl sie noch nicht weit über den 50sten Grad südl. Br. waren. Des folgenden Morgen war ein großer Eisklumpen, dem sie kaum noch ausweichen konnten, das erste was ihnen in die Augen fiel. Ein andrer von gleicher Größe lag dicht vor ihnen, und ein dritter ragte ohngefehr zwey See-
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meilen von dem Wind wie ein weisses Vorgebürg aus dem Meer hervor. Nachmittags fuhren sie bey einem andern Eisberge vorbey, der ungefehr 2000 Fuß lang, 400 breit und 200 hoch war. Da die Masse des Eises über dem Wasser sich zu jener, die unter dem Wasser bleibt, wie 1 zu 9 verhält: so müßte dies Stück, gesetzt daß es ein regelmäsiges Viereck gewesen, im Ganzen 2000 Fuß hoch gewesen seyn, und solchemnach 1600 Millionen Kubikfuß Eis enthalten haben. Am 11ten lieffen sie an einer Eisinsel vorbey, die wenigstens eine halbe Englische Meile lang war. Das Thermometer war vorher, wegen des schönen Sonnenscheins, von 36° auf 41 gestiegen; wie sie aber dem Eis gegenüber kamen, sank es nach und nach auf 37½ herab, und sobald sie vorbey waren, stieg
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es wieder zu 41. Die Wellen brachen sich mit solchem Ungestüm gegen diese Eisinsel als ob es ein unbeweglicher stehender Felsen gewesen wäre, und schlugen, ungeachtet sie nicht viel niedriger als die vorhergedachte Eismasse war, dennoch so hoch heran, daß der Schaum oft weit darüber hinaussprützte, welches bey dem schönen Wetter einen herrlichen Anblick gab. Das Seewasser, welches solchergestalt aufs Eis gejagt wird, friert wahrscheinlicherweise
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dort fest, und dies kann zu Erklärung der Entstehungsart und Anhäufung desselben, wie Hr. F. meynt, viel Licht geben. (Die Fortsetzung nächstens.)
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Auszug aus J. Forsters Reise um die Welt. (Fortgesezt von S. 75. N o . 7 . ) Der Mensch glaubt leicht was er hoft, und sieht bald was er sehen w i l l . Unsre Abentheurer sollten und wollten ein neues Land entdecken, und wenn’s auch nur ein Südliches Grönland wäre — wozu ihnen wenigstens einige Wallfische, die sich zwischen dem Eise zeigten, große Hofnung machten. Sie waren nun gerade unter der Polhöhe, in welcher B o u v e t das Kap de la Circoncision gefunden haben wollte. Die Menge der Eis-Massen hatte bisher täglich zugenommen, und die Einbildung des Schifvolks stieg in gleichem Verhältnis. Der 10
geringste Umstand (sagt Hr. F . ) wenn es auch nur ein schwarzer Fleck am Eise war, machte unsre ganze Aufmerksamkeit rege; die vor uns liegenden Wolken wurden alle Augenblicke sorgfältig beobachtet, ob nicht irgend eine Bergspitze zum Vorschein käme: denn jeder wollte gerne der erste seyn, L a n d zu rufen. Unter andern hatte die Idee von Bouvets Entdeckung die Einbildungskraft eines der Schifleutnants so erhitzt, daß er einmal übers andre auf den Mastkorb kletterte, und endlich am 14ten Decemb. morgens 6 Uhr dem Kapitän sehr ernsthaft entdeckte, er sehe ganz deutlich Land. Alles kam aufs Verdeck. Wie man aber recht schaute, fand sich, daß es nichts als ein großes flaches Eisfeld war, hinter welchem, so weit das Auge reichte, eine
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Menge Eisinseln von allerley Größe und Figuren emporstiegen; und was einigen Berge schienen, war ein bloßer Effekt der Stralenbrechung. Indessen konnte doch vielen die Einbildung, daß sie hier Land gesehen hätten, nicht eher benommen werden, als bis Kapt. Cook im Februar 1775 auf seinem Wege vom Kap H o r n nach dem Vorgebürg der guten Hofnung just über diesen nemlichen Fleck wegsegelte wo aber damals weder Land noch Eis mehr zu sehen war. Da unsre Seefahrer nunmehr gegen Süden hin lauter große Eisfelder vor sich fanden, und also, ungeachtet verschiedner, aber immer vergeblicher, Versuche sich zwischen dem Eise durchzuarbeiten, alle Hofnung aufgeben muß-
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ten, auf diesem Striche weiter vorzudringen: so steuerten sie nun, oft mitten
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durch große Strecken P a c k e i s (gebrochnes Eis) gegen Osten. Schwehre Hagel und Schneeschauer verdunkelten die Luft beständig, und sie sahen sich überall von so großen Eisinseln umgeben, daß dieser Anblick ihnen nun schon eben so gemein war als Wolken und See. Indessen verlohren sie doch ihre Bestimmung nie aus den Augen, und lenkten ihren Lauf, sobald die See nur irgendwo etwas freyer und ofner war, wieder mehr nach Süden; aber immer mit einerley Erfolg. Den 17ten Jenner 1773 paßierten sie endlich den A n t a r k t i s c h e n Z i r k e l , und traten also in den eigentlichen k a l t e n E r d g ü r t e l d e r s ü d l i c h e n H a l b k u g e l , der bis dahin noch allen Seefahrern verschlossen geblieben war. Hier fanden sie eine neue Art von Sturmvögeln
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(Petrels) braun von Farbe, mit weissem Bauch und Rumpf, und mit einem weissen Fleck auf den Flügeln gezeichnet, nicht mehr einzeln, wie etliche Tage zuvor, sondern bey Zwanzigen und Dreyßigen auf einmal; daher sie ihnen den Namen des Antarktischen Sturmvogels beylegten. Um 5 Uhr Nachmittags sahen sie mehr als 30 große Eisinseln vor sich, und am Horizont einen starken weissen Schein in der Luft, der noch mehr dergleichen verkündigte. Kurz nachher paßierten sie durch viel kleines Brucheis, das löchericht, schwammicht und schmutzig aussah, und sich endlich so sehr anhäufte, daß, ungeachtet eines sehr frischen Windes, die wellenförmige Bewegung des Meeres dadurch gehemmt ward, und die See ganz eben zu seyn schien. Über dieses
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Brucheis hinaus aber erstreckte sich gegen Süden, soweit das Auge vom Mast reichen konnte, ein unabsehliches Feld von festem Eis. Da nun keine Möglichkeit war, auf diesem Striche weiter durchzudringen, ließ K. Cook unter dem 67° 15’ südl. Br. die Schiffe umwenden und g e g e n N o r d o s t z u N o r d steuern. Sie hatten also auf dieser ganzen südlichen Farth nirgends Land, und, außer Albatrossen, Pintaden, Penguins, Sturmvögeln und Wallfischen, keine Spur von lebendigen Wesen angetroffen. Zwischen dem 19. und 29sten Jenner zeigten sich ihnen wieder einige zweydeutige Anzeigen, das Land in der Nähe seyn könnte — als der große n ö r d l i c h e M e w e (Larus Catarractes) und ein kleiner schwarz und weisser Vogel, der eine Art von Eisvogel schien. Weniger zweydeutig schien der Umstand, daß die See, ungeachtet des frischen Windes, ziemlich ruhig und eben war. Da nun zween Französische Seefahrer, die Herren von K e r g u e l e n und S t . A l l o u a r im Januar 1772 in dieser Gegend Land entdeckt haben sollten; so gab sich K. Cook viel Mühe diese Entdeckung zu verificieren. Wiewohl aber
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alle seine Versuche fruchtlos abliefen; so scheint doch soviel daraus mit Gewißheit geschlossen werden zu können: daß jene Französische Entdeckung nichts weiter als eine kleine Insel, und nicht, wie man vermuthet, die nördliche Spitze eines unter diesem Himmelsstriche liegenden g r o ß e n f e s t e n L a n d e s sey. Am 8ten Jenner verlohren sie in einem außerordentlich dicken Nebel ihre bisherige treue Gefährtin, die A d v e n t u r e , und sahen sich, nach zween zum Aufsuchen derselben vergebens angewandten Tagen, zu ihrem großen Leidwesen genöthigt, in dem wieder begonnenen beschwehrlichen und gefahrvol10
len Lauf nach Süden allein fortzufahren. In der Nacht vom 16ten, und verschiedene folgende Nächte hintereinander, gab ihnen die Natur, zu einiger Versüßung ihres Kummers, ein schönes Feuerwerk zum Besten. Es bestand in langen Säulen eines hellen weissen Lichts, die sich am östlichen Theile des Gesichtskreises fast bis zum Scheitelpunkt herauf erhoben und nach und nach über den ganzen südlichen Theil des Himmels verbreiteten. — Kurz, es war eine (noch von keinem Reisenden, wie F. glaubt) bemerkte Aurora australis, und von unsern Nordlichtern bloß darinn, daß sie nie eine andre als weißlichte Farbe hatte, verschieden. Die Sterne sah man, wiewohl bey klarem Himmel, entweder gar nicht, oder nur ganz
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blaß durchschimmern; und die Luft war dabey so scharf, daß das Thermometer gemeiniglich auf dem Gefrierpunkt stund. Den 24sten Februar beschloß Hr. Cook endlich, da sie unterm 62° südl. Br. abermals nichts als Eisfelder antrafen, und die nunmehrige Jahreszeit fernern Entdeckungen in diesen Meeresgegenden allzuungünstig war, für diesmal nicht weiter nach Süden zu gehen; doch steurte er bis zum 17ten März, zwischen dem 61. und 58°, noch immer Ostwärts; während welcher Zeit ein Ostwind, der gemeiniglich Nebel und Regen brachte, sie mehr als einmal in Gefahr sezte, an den hohen Eisinseln zu scheitern. Diese machten izt ihren beynahe einzigen, zwar gefährlichen und schauervollen, aber eben dadurch
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desto interessantern, Zeitvertreib aus. „Ihre Gestalt (sagt Hr. F.) war mehrentheils sonderbar und des zertrümmerten Ansehens wegen oft mahlerisch genug. Unter andern kamen wir an einer vorbey, die von außerordentlicher Größe war, und in der Mitte ein Grottenähnliches Loch hatte, das durch und durch gieng, so daß man das Tagslicht an der andern Seite sehen konnte. (Das wäre was für Herrn J o h a n n B u n k e l gewesen!) Einige waren wie Kirch-
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thürme gestaltet; noch andre gaben unsrer Einbildungskraft freyes Spiel, daraus zu machen was sie wollte, und dienten uns die Langeweile zu vertreiben; weil der tägliche Anblick von Seevögeln, Meerschweinen, Seehunden und Wallfischen den Reiz der Neuheit längst verlohren hatte.“ Ungeachtet aller der guten (im Vorberichte dieses Werks umständlich angegebnen) Präservative, womit sie sich auf die Reise ausgerüstet, namentlich des S a u e r k r a u t s , und der B i e r w ü r z e , wovon sie die besten Dienste erfahren hatten, zeigten sich nun bey einigen ihrer Leute starke Symptome vom Schaarbock, und alle waren des Ungemachs, das sie seit ihrer Abreise vom Vorgebürg in diesen stürmischen und kalten Himmelsgegenden ausgestan-
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den, vom Herzen überdrüßig. Auch die Landthiere, die sie am Boord hatten, konnten’s nicht länger ausdauern. Ihre Schafe, die zum Geschenk an die Einwohner der Südsee-Inseln bestimmt waren, waren kräzig geworden, wollten nicht mehr fressen; und die Ziegen und Schweine hatten zwar geworfen, aber die Jungen kamen entweder todt zur Welt, oder verklamten bald darauf vor Kälte. Da es bey sobewandten Umständen hohe Zeit für sie war, die höhern südlichen Breiten zu verlaßen und einem Erfrischungsorte zuzueilen: so richteten sie ihren Lauf Nordostwärts, in der Absicht, das Süd-Ende von N e u S e e l a n d zu erreichen. Herr F. stellt hier alle die Mühseligkeiten, die sie auf dieser ihrer ersten
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Fahrt gegen den Südpol überstanden, so zusammen, daß sie die Skizze zu mehr als Einer großen Schilderey für künftige Mahler und Dichter enthalten, die sich diese Reise zu Nutze zu machen wissen werden, um die Natur von ganz neuen Seiten darzustellen. — Wir wollen ihn wieder selbst reden lassen. — „Die schrecklichen Würkungen und Folgen fürchterlicher Stürme, die der trefliche Geschichtschreiber von A n s o n s R e i s e n mit so natürlichen schwarzen Farben geschildert hat, waren gewissermaßen nur die geringsten unsrer Plagen. Noch außer diesen mußten wir mit der Strenge eines ungewöhnlichen rauhen Klima’s kämpfen; Matrosen und Officiere waren beständig Regen, Hagel, oder Schnee ausgesezt; das Tau und Takelwerk war durchaus mit Eis überzogen, und wehe den Händen, die daran arbeiten mußten! Unser Vorrath von frischem Wasser konnte nicht anders als mit Treibeis ersezt werden, und das Aufnehmen desselben aus eiskaltem Seewasser gieng ohne erfrorne und blutige Hände nicht ab; unaufhörlich mußten wir befürchten gegen die hohen Eismassen anzulauffen, womit der unermeßliche südliche Ocean gleichsam
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angefüllt ist; und dergleichen Gefahr kam oft so schnell und vielfältig, daß die Leute selten ihre gewöhnlichen Ruhestunden genießen konnten, sondern den Wachthabenden alle Augenblicke zu Hülfe kommen mußten. — Zu diesen Unahnnehmlichkeiten gesellte sich noch die düstre Traurigkeit, die unter dem Antarktischen Himmel herrscht, wo wir oft ganze Wochen lang in undurchdringliche Nebel verhüllt zubringen mußten, und des erfreulichen Anblicks der Sonne nur selten theilhaft wurden; ein Umstand, der allein schon vermögend ist den Entschlossensten und Lebhaftesten niedergeschlagen zu machen. u. s. w.“ 10
Man kann sich also leicht vorstellen, wie entzückend ihnen, nach einer mit so viel Mühseligkeit und Elend verknüpften Fahrt von 120 Tagen, der Anblick der Küste von Neu-Seeland seyn mußte, an deren äußersten Nordwestlicher Spitze (der einzigen, welche Kap. C o o k auf seiner ersten Reise noch nicht untersucht hatte) sie den 26. März 1773. anlangten. Die Scene, die uns Hr. F . hier schildert, durch das Medium der vorherigen Beschreibung, und also aus der Seele unsrer Seefahrer, gesehen und gefühlt, hat (nach unsrer Empfindung wenigstens) soviel Anziehendes, und beyde zusammen machen, ohne Kunst der Komposition, durch die bloße Wahrheit der Natur, ein so großes rührendes Ganzes, daß wir uns nicht enthalten können, die ganze Stelle aber-
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mals mit den eignen Worten unsers Geschichtschreibers herzusetzen. „Das Wetter war schön, und in Verhältnis zu demjenigen, das wir bisher hatten empfinden müssen, recht erquickend warm. Sanftwehende Winde führten uns nach und nach bey vielen felsichten Inseln vorbey, die alle mit Bäumen und Buschwerk überwachsen waren, deren manchfaltiges dunkleres Immergrün mit dem durch die Herbstzeit verschiedentlich schattirten Grün des übrigen Laubes mahlerisch vermischt war, und sehr angenehm gegen einander abstach. Ganze Schaaren von Wasservögeln belebten die felsigten Küsten, und das Land ertönte überall vom wilden Gesang der gefiederten Waldbewohner. Je länger wir uns nach Land und frischen Gewächsen gesehnt hatten,
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desto mehr entzückte uns nun dieser Prospect, und die Regungen der innigsten Zufriedenheit, welche der Anblick dieser neuen Scene durchgängig veranlaßte, waren in eines jeglichen Augen deutlich zu lesen. Um drey Uhr Nachmittags kamen wir endlich unter der Spitze einer Insel vor Anker — wo wir der Küste so nah waren, daß man sie mit einem kleinen Tau erreichen konnte. Kaum war das Schiff in Sicherheit, als unsre Matrosen ihre Angeln auswarfen;
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und in wenig Augenblicken sah man an allen Seiten des Schifs eine Menge vortreflicher Fische aus dem Wasser ziehen, deren vielversprechender Anblick die Freude über unsre glückliche Ankunft in der D u s k y - B a y ungemein vermehrte. Da wir so lange darauf gefastet hatten, so war es kein Wunder, daß uns diese erste Neu-Seeländische Mahlzeit als die herrlichste in unserm ganzen Leben vorkam. Zum Nachtisch ergözte sich das Auge an der vor uns liegenden wildnisartigen Landschaft, die S a l v a t o r R o s a nicht schöner hätte mahlen *) können. Sie war ganz im Geschmack dieses Künstlers, und bestand aus Felsen mit Wäldern gekrönt, deren Alter in die Zeiten vor der Sündflut hinauf zu reichen schien, und zwischen welchen sich aller Orten
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Wasserbäche mit schäumendem Ungestüm herabstürzten. Doch hätte es (wie Hr. F . weislich hinzusezt) bey weitem nicht so vieler Schönheiten bedurft, um uns zu entzücken; denn nach einer langen Entfernung vom Lande ist es wahrlich sehr leicht, selbst die ödeste Klippe für das herrlichste Land in der Schöpfung anzusehen. Und aus diesem Gesichtspunkt muß man auch die feurigen Beschreibungen der wilden Klippen von J u a n F e r n a n d e z und der undurchdringlichen Wälder von T i n i a n * * ) betrachten.“ Da die an D u s k y - B a y angrenzende Gegend ihnen alle ihrem gegenwärtigen Bedürfnis angemeßne Bequemlichkeiten anbot, so beschloß Kap. Cook, hier einige Zeit zu verweilen. Unsre Naturforscher wandten diese Zeit an, sich
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mit den Reichthümern der Natur so bekannt zu machen, als es die schon ziemlich weit fortgerückte herbstliche Jahreszeit zuließ. Was uns Hr. F. davon mittheilt, ist immer genug, um als ein nicht unbeträchtlicher Zusatz zu der weitläufigern Beschreibung von Neu-Seeland in dem Hawkeswortischen Werke angesehen zu werden. Der Hafen, wo sie vor Anker lagen, war eine kleine Bucht, so nah am Ufer, daß es mit einem Gerüste von wenigen Planken erreicht werden konnte. Die Natur selbst schien ihnen den Zugang durch einen großen Baum erleichtern zu wollen, der vom Ufer aus in horizontaler Richtung schief über das Wasser hin gewachsen war. Am Ufer selbst fanden sie nicht weniger Bequemlichkeit *)
Ein großes Kompliment, das Hr. F. der Einbildungskraft und Kunst dieses berühmten
Mahlers — a u f U n k o s t e n d e r N a t u r macht! Soviel ist gewiß, daß ich diese Neuseeländische Landschaft lieber von einem Salvator Rosa als von Hrn. Forster oder irgend einem Wortkünstler in der Welt gemahlt haben möchte. **)
In A n s o n s Reise um die Welt.
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für das was izt ihre dringendste Bedürfniße ausmachte. Die Bäume stunden so nah am Schiffe, daß die Äste bis an die Masten hinreichten, und ein schöner Strom frischen Wassers floß nur einen Pistolenschuß weit hinter dem Schiffe. Sie ließen es nun ihre erste Arbeit seyn, einen nahgelegnen Hügel von Holz kahl zu machen, um die Schmiede und Sternwarte daselbst aufzustellen, und zugleich wurden für die Seegelmacher, Böttger, Wasserträger und Holzhauer am Wasserplatz Zelten aufgeschlagen. Diese Arbeiten gaben ihnen Gelegenheit, bald genug von der allzugünstigen Meynung zurückzukommen, die sie in der Entzückung des ersten Anblicks von diesem Lande gefaßt hatten. Denn die 10
ungeheure Menge von Schlingstauden, Dornen, Strauchwerk und Farnkraut, womit die Wälder überall durchwachsen und überlauffen waren, machte es ungemein mühsam, ein Stück Landes zu reinigen. In der That (sagt unser A.) ist es nicht nur historisch wahrscheinlich, daß in diesem südlichen Theile von Neu-Seeland die Wälder noch unangetastet in ihrem ursprünglich wilden ersten Stande der Natur geblieben sind: sondern der Augenschein beweiset solches beynahe unläugbar. Wir fanden es nicht nur des obgedachten überhand genommenen Unkrauts wegen fast unmöglich darinn fortzukommen: *) sondern es lag auch überall eine Menge von verfaulten Bäumen im Wege, die entweder vom Wind umgeworfen oder vor Alter umgefallen und durch die
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Länge der Zeit zu einer fetten Holzerde geworden waren, aus welcher bereits neue Generationen von jungen Bäumen, parasitischen Pflanzen, Farnkräutern und Moosen reichlich wieder aufsproßten. Oft bedeckte eine täuschende Rinde das innere verfaulte Holz eines solchen umgefallnen Stammes, und wer es wagte darauf zu treten, fiel gemeiniglich bis mitten an den Leib hinein. Auch das Thierreich lieferte seiner Seits einen Beweis, daß dieser Theil des Landes bis izt noch keine Veränderung von Menschen erlitten haben müsse; denn eine Menge kleiner Vögel schienen noch nie eine menschliche Gestalt gesehen zu haben, so unbesorgt blieben sie auf den nächsten Zweigen sitzen, oder hüpften wohl gar auf den äußersten Enden unsrer Vogelflinten herum,
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und betrachteten uns als fremde Gegenstände mit einer Neugierigkeit, die der unsrigen einigermaßen gleichkam.“ Es ist leicht zu erachten, daß es in einem so beschafnen Lande an neuen *)
Ein gleiches war den Herren B a n k s und S o l a n d e r auf Cooks erster Reise in andre Ge-
genden von Neuseeland begegnet. s. Th. II. S. 396.
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Gegenständen für unsre Naturforscher nicht fehlen konnte. Zwar sezte ihnen theils eben diese Wildheit desselben (indem das ganze Land um die D u s k y oder D ä m m e r u n g s - B a y * ) aus steilen felsichten Bergen besteht, die durch Klüfte von einander abgesondert und unterhalb mit dicken Wäldern bewachsen sind) theils die Jahrszeit und das fast immer nasse Wetter große Schwierigkeiten entgegen. Indessen wurde ihre Mühe doch durch Entdeckung vieler neuer Pflanzen- und Vögel-Arten, und durch den Anblick großer herrlicher Naturscenen belohnt, unter denen wir, unsrer Absicht gemäß, nur die mahlerische Beschreibung eines Wasserfalls, mit den Worten des Verfassers mittheilen wollen.
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Als sie, nach einem Wege von anderthalb Engl. Meilen, bey demselben angelangt waren, mußten sie den Berg, von welchem er sich stürzt, wenigstens 600 Fuß hoch hinanklettern, eh sie ihn völlig zu Gesichte bekamen. Von dort aus fanden sie die Aussicht groß und prächtig. Das erste was ihnen in die Augen fiel, war eine klare Wassersäule, die etwa 24 bis 30 Fuß im Umfang hält, und sich mit reißendem Ungestüm über einen senkrechten Felsen aus einer Höhe von ungefähr 300 Fuß herabstürzt. Am vierten Theile der Höhe trift diese Wassersäule auf ein hervortretendes Stück desselben Felsens, der von da an etwas abhängig wird, und schießt sodann, in Gestalt einer durchsichtigen, ungefähr 75 Fuß breiten Wasserwand, über den durchscheinenden
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flachen Felsenrücken hinweg. Während des schnellen Herabströmens fängt das Wasser an zu schäumen, und bricht sich an jeder hervorragenden Ecke der Klippe, bis es unterhalb in ein schönes Becken stürzt, das ungefähr 180 Fuß im Umfang hält, und an drey Seiten durch eine ziemlich senkrechte Felsenwand, vorn aber von großen unordentlich übereinander gestürzten Steinmassen eingeschlossen ist. Zwischen diesen drängt es sich wieder heraus, und fällt am Abhang des Berges schäumend in die See herab. Mehr als 300 Fuß weit (fährt Hr. F. fort) fanden wir die Luft umher mit Wasserdampf und Dunst angefüllt, der von dem heftigen Fall entsteht, und so dicht war, daß er unsre Kleider in wenig Minuten dermaßen durchnäßte, als ob wir in dem heftigsten *)
Kap. C o o k hatte ihr diesen Namen schon auf seiner ersten Reise um Neuseeland, wo er sie
nur g e s e h e n , beygelegt. An der Stelle, wo das Schiff izt vor Ancker lag, verursachte das vom Ufer herhängende Buschwerk eine solche Dämmerung, daß es in den Kajüten, selbst bey hellem Wetter, immer dunkel blieb, und man bey bewölktem Himmel oft am Mittage Licht anstecken mußte.
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Regen gewesen wären. Wir ließen uns aber diese kleine Unannehmlichkeit nicht abhalten ein so schönes Schauspiel noch von mehrern Seiten zu betrachten, und stiegen zu solchem Ende auf die höchsten Steine vor dem Bassin. Wenn man von hier aus in dasselbe herabsah, so zeigte sich ein vortreflicher Regenbogen, der bey hochstehender Mittagssonne in den Dünsten der Caskade völlig zirkelrund und sowohl vor als unter uns zu sehen war. Außer und neben diesem Licht- und Farbenkreise war der Wasserstaub mit Prismatischen Farben, aber in verkehrter Ordnung, gefärbt. Zur Linken dieser herrlichen Scene stiegen schrofe braune Felsen empor, deren Gipfel mit überhän10
gendem Buschwerk und Bäumen gekrönt waren. Zur Rechten lag ein Haufen großer Steine, den allem Ansehn nach die Gewalt des vom Berge herabströmenden Wassers zusammengethürmt hatte. Über diesem hinaus erhob sich eine abhängige Felsenschicht zu einer Höhe von etwa 150 Fuß, und auf dieser war eine 75 Fuß hohe senkrechte Felsenwand mit Grün und Buschwerk überwachsen. Weiter zur Rechten sah man Gruppen von gebrochnem Felsen, durch Moos, Farnkraut, Gras und allerley Blumen verschiedentlich schattiert, den dort herkommenden Strom aber zu beyden Seiten mit Bäumen eingefaßt, die vermöge ihrer Höhe von ungefähr 40 Fuß das Wasser deckten. Das Getöse des Falls war so heftig und hallte von den benachbarten Felsen so
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stark zurück, daß man keinen andern Laut davor unterscheiden konnte. Die Vögel schienen sich deßhalb etwas davon entfernt zu halten; weiter hin aber ließ sich die durchdringend helle Kehle der Drosseln, die tiefere Stimme des Bartvogels (Wattle-Bird) und der bezaubernde Gesang verschiedner B a u m l ä u f e r an allen Seiten hören, und machte die Schönheit dieser wilden romantischen Gegend vollkommen. Als wir uns umwandten, sahen wir die weite Bay, mit kleinen waldichten Inseln besät, unter uns; über sie hinaus an der einen Seite das feste Land, dessen hohe mit Schnee bedeckten Berge bis an die Wolken reichten; an der andern aber verlohr sich das Auge in den unabsehlichen Flächen des Oceans. Dieser Prospekt (sezt Hr. F. hinzu) ist so bewun-
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dernswürdig groß, daß es der Sprache an Ausdrücken fehlt, die Majestät und Schönheit desselben der Natur gemäß zu beschreiben, und daß nur der künstliche Pinsel des auf diese Reise mitausgeschickten Mahlers, Hrn. H o d g e s , im Stande war, dergleichen Scenen mit meisterhafter Täuschung nachzuahmen. Unsre Leser sehen, daß wir, bey unserm Auszug, hauptsächlich auf G e -
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m ä h l d e ausgehen, welche die gewöhnlichste Einbildungskraft ohne Mühe nachmahlen kann; und wir glauben ihnen dadurch einen angenehmern Dienst zu thun, als durch trockne Nomenklatur neuer Pflanzen, Fische und Vögel, wovon man, ohne getreu nach der Natur gemachte, illuminierte Abbildungen, auch durch die genaueste Beschreibung sich gleichwohl keine wahre lebendige Vorstellung zu machen imstand ist. Die Kenntnis, die wir von den Einwohnern von Neu-Seeland durch Kap. Cooks erste Reise bekommen, hat durch diesen zweyten Besuch keinen sonderlichen Zuwachs erhalten. Die Dusky-Bay, in deren Gegend sie sich meistens aufhielten, macht einen Theil des südlichen Endes der Insel To v y -
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P o ä n n e m u , oder der südlichen Hälfte von Neu-Seeland aus, auf welcher man im Jahre 1770 größtentheils gar keine Einwohner angetroffen hatte. Dieser Umstand, nemlich die wenige Bevölkerung dieses wildern und gebürgigern Theiles von Neu-Seeland, hat sich auch durch diesen zweyten Besuch bestättigt. Unsre Reisende faßten zwar anfangs eine beßere Hofnung, da sie wenige Tage nach ihrer Ankunft ein paar Kähne mit Indianern zu sehen bekamen; allein diese (deren Zahl sich zusammen nicht über 14 erstreckte) waren so scheu, daß sie weder durch Freundschaftszeichen zum Annähern, noch durch die in ihren Hütten und Kähnen zurückgelaßnen Geschenke zum Wiederkommen zu bewegen waren. Einige Tage hernach aber kam der Kapitän, da
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er mit den beyden Herren Forstern und dem Mahler Hodges in einem Boot ausgefahren war, um die Nordseite der Bay genauer zu untersuchen und Zeichnungen aufzunehmen, bey einer kleinen Insel, die eine weithervorragende Felsenspitze hatte, vorbey, wo sie einen Menschen sehr laut rufen hörten. Dies bewog sie näher heranzukommen, und da zeigte sichs, daß es ein Indianer war, der, mit einer Streitaxt bewafnet, auf der Felsenspitze stand; und hinter ihm erblickten sie in der Ferne, am Eingang eines Waldes, zwoo mit Speeren bewafnete Frauenspersonen. Sie riefen ihm in der Sprache von O-Taiti (von welcher die Neuseeländische nur ein Dialekt ist) freundschaftlich zu, näher zu kommen; er blieb aber unbeweglich auf seine Keule gelehnt stehen, und hielt in dieser Stellung eine lange Rede, die er bey verschiednen Stellen mit großer Heftigkeit aussprach und alsdann auch zugleich die Keule um den Kopf schwenkte. Hr. Cook fuhr fort, ihm sein Ta y o , h a r r e m a i (Freund, komm her) zuzurufen und ihm zugleich einige Schnupftücher zuzuwerfen; aber ohne Würkung. Endlich stieg Cook, unbewafnet und bloß mit
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einigen Bogen w e i ß P a p i e r * ) in der Hand, auf den Felsen, und reichte dem Wilden das Papier hin. Dieser zitterte nun am ganzen Leibe, nahm zwar das Papier an, verlor aber seine Furcht nicht eher, als bis der Kapitän seine, des Indianers, Nase mit der seinigen berührte, welches in Neu-Seeland die Art einander zu grüßen ist. Dieses Merkmal von Freundschaft machte den Wilden auf einmal so zahm und zutrauisch, daß er sogleich den beyden Weibern rief herbeyzukommen. Dies thaten sie auch ungesäumt, und es erhob sich nun zwischen den Indianern und Hrn. Cook und seinen Begleitern eine Unterredung, die um soviel interessanter war, weil — kein Theil den andern recht 10
verstand. Hr. Hodges zeichnete indessen ihre Gesichter ab. Der Mann hatte ein ehrliches gefälliges Ansehen, und die eine von den beyden Frauenspersonen, die sie für seine Tochter hielten, sah gar nicht so unangenehm aus als sich’s Hr. Forster von einer Neuseeländerin vermuthet hatte; die andre hingegen war desto häßlicher, und hatte ein ungeheures garstiges Gewächs an der Oberlippe. Sie waren alle olivenfarbigt, schwarz und lockicht von Haaren, und am obern Theile des Körpers wohl gebildet; die Beine hingegen außerordentlich dünne, übelgestaltet und krumm — welches sie in der Folge bey allen andern Neu-Seeländern, die ihnen zu Gesicht kamen, eben so fanden. Man bot den Indianern einige Fische und Endten an, sie warfen solche aber zurück;
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und gaben zu verstehen, daß sie daran keinen Mangel hätten. Da die einbrechende Nacht unsre Reisende zum Abschied nöthigte, sah ihnen der Mann in ernsthafter Stille und mit einer Aufmerksamkeit nach, welche tiefes Nachdenken anzuzeigen schien; das junge Mädchen hingegen, die während ihrer Anwesenheit i n e i n e m f o r t und mit so geläufiger Zunge als keiner von ihnen je gehört zu haben sich erinnerte g e p l a u d e r t h a t t e , fieng nunmehr an zu tanzen, und fuhr fort eben so laut zu seyn als vorher. Des folgenden Tages kehrten sie mit Geschenken von Beilen, Nägeln und andern Sachen zu diesen Indianern zurück. Der Mann begriff nicht nur beym ersten Anblick den vorzüglichen Werth und Gebrauch der Beile und großen Nägel, sondern sah
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auch überhaupt alles mit Gleichgültigkeit an, was ihm keinen Nutzen zu haben schien. Hr. F. sieht dies als ein Zeichen einer vorzüglichen Sagacität und Beurtheilungskraft an: uns dünkt es bloß ein Zeichen, daß ihm der Gebrauch *)
Denn die weisse Farbe ist auch in Neuseeland ein Friedenszeichen, wovon Hr. Forster
verschiedne Beyspiele anführt.
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der Beile und Nägel schon bekannt war. Denn aus allem was Hr. F. von ihm erzählt ist zu vermuthen, daß er sich in dieser wilden Gegend bloß als ein Flüchtling aufhielt, der vor seinen Feinden sonst nirgends sicher war. Sie lernten bey diesem Besuche seine ganze Familie kennen, die aus zwoo Frauen (worunter die mit dem Gewächs an der Lippe war) dem obgedachten jungen Mädchen, einem Knaben von etwa 15 Jahren, und drey kleinen Kindern bestund, wovon das jüngste noch an der Brust lag. Es wäre zu wünschen, daß unser Philosoph diese kleinen Kinder werth geachtet hätte, sie genauer zu besehen; wär’ es auch nur gewesen, um uns deutlicher zu machen, ob die Ungestalt der Neuseeländer an den Schenkeln, Knieen und Beinen ein Werk
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der Natur oder zufälliger Umstände sey. Sie giengen mit diesen Indianern nach ihrer Wohnung, die wenige Schritte im Walde lag, und aus zwoo Hütten von der simpelsten und primitivsten Bauart bestand. Denn es waren bloß etliche pyramidenförmig in der Spitze zusammengelehnte Stangen, mit Blättern ihrer Flachspflanze und drüberher mit Baumrinde gedeckt. Um die Geschenke des Hrn. Cook zu erwiedern, ließen sie sichs etliche Streitäxte kosten; von den Speeren, die ihnen das Unentbehrlichste scheinen mochten, wollten sie keinen abgeben. Die zwischen dieser indianischen Familie und unsern Seefahrern angefangne Freundschaft wurde durch verschiedne Besuche und Gegenbesuche fortgesezt: sie konnten es aber, ungeachtet einer ihrer Seesolda-
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ten ziemlich viel von der Landessprache verstehen wollte, nie bis zu einer mündlichen Unterredung bringen, weil diese Familie eine besonders harte und unverständliche Aussprache hatte. Vielleicht war es ein besonderer Dialekt, der in einer Gegend gesprochen wurde, wohin Hr. Cook auf seiner ersten Reise nicht gekommen war, und wo das Haupt dieser Familie vor der Revolution, die vielleicht seine Horde zerstört und ihn selbst in diese kleine Insel am wildesten und unbewohntesten Ende des Landes zu flüchten gezwungen, eine angesehene Person oder gar einen Anführer vorgestellt hatte. Vielleicht hatten die Feinde seines H i p p ä h , oder seiner Horde, den über sie erlangten Sieg den Beilen und Nägeln zu danken, die sie bey Cooks erstem Aufenthalt in Neu-Seeland bekommen; und so erklärte sich dann auf eine ganz natürliche Art sowohl sein oben bemerktes nachdenkendes Wesen, als der Werth, den er sogleich beym ersten Anblick auf Beile und Nägel zu setzen schien. Ein Umstand, der die Vermuthung, daß dieser Neuseeländer kein gemeiner Mann gewesen, wahrscheinlicher macht, scheint dasjenige zu seyn, was Hr. F. bey
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Gelegenheit eines Besuchs den er auf dem Schiffe ablegte, von seiner natürlichen Unerschrockenheit erzählt: da er nemlich, wie er ihre Leute schießen sah, Lust bekam es auch zu versuchen; und ungeachtet das junge Mädchen, seine vermeynte Tochter, ihn fußfällig mit den größten Zeichen der Angst davon abzuhalten suchte, das Gewehr drey oder viermal hintereinander abfeurte, ohne einige Furcht blicken zu lassen. Auch von diesem Mädchen, das er damals ganz allein mit sich auf das Schiff genommen hatte, und das, so wie er selbst, mit einem Speer bewafnet war, erzählt uns der V. einen merkwürdigen Zug. Sie hatte, verschiedne Tage zuvor, als unsre Reisende zu ihnen an ihr Ufer 10
hinübergekommen waren, eine besondre Neigung und Zudringlichkeit zu einem jungen Matrosen gezeigt, den sie, ihrem Betragen nach, für eine Person ihres Geschlechts zu halten schien; nachher aber wollte sie ihm, ohne daß man eine andre Ursache errathen konnte, als daß er sich vielleicht einige Freyheiten bey ihr herausgenommen, nie wieder erlauben ihr nahe zu kommen. An Menschen, mit denen man nicht reden kann, wird alles zum Räthsel. Was unsre obige Vermuthung am meisten zu bekräftigen scheint, ist dies: daß diese Familie mit allen von den Europäern empfangenen Geschenken eines Morgens, in Abwesenheit des Kap. Cook auf einmal unsichtbar wurde. Der Mann (sagte das Schifsvolk) hätte bey seinem Abzug durch Zeichen zu ver-
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stehen gegeben, e r w o l l e a u f s t o d t s c h l a g e n a u s g e h e n , und dazu die Beile gebrauchen. Vermuthlich glaubte er sich nun im Stande, seine zerstreuten Anhänger wieder zusammen zu bringen, sie vortheilhafter zu bewafnen, und solchergestalt wieder die Oberhand über seine Feinde zu erhalten. Außer dieser Familie kamen unsern Abentheurern nur wenige andre Eingebohrne zu verschiednen Zeiten und an verschiednen Orten zu Gesichte, so daß die ganze Bevölkerung der Dusky-Bay sich vielleicht nicht über drey oder vier Familien erstreckte. Ungeachtet dieser geringen Anzahl, schienen diese Indianer den Gedanken „daß sie sich verkriechen müßten“ nicht ertragen zu können; wenigstens verstecken sie sich nicht, ohne vorher versucht zu haben,
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ob sie mit den Fremden in Verbindung kommen, und erfahren können, wie sie gesinnt sind. Bey der Menge von Inseln und Buchten, und der dicken Wälder wegen, die es hier giebt, würde es uns (sagt Hr. F . ) unmöglich gewesen seyn, die Familie ausfündig zu machen, die wir auf der kleinen Insel sahen, wenn sie sich nicht selbst entdeckt und die ersten Schritte zur Bekanntschaft gethan hätte. Auch würden wir d i e s e Bucht hier (diejenige wo sie noch mit zwoo
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oder drey Familien bekannt wurden) verlassen haben, ohne zu wissen daß sie bewohnt sey, wenn die Einwohner bey Abfeurung unsers Gewehrs uns nicht zugerufen hätten. In beyden Fällen ließen sie, meines Erachtens, eine offenherzige Dreistigkeit und Ehrlichkeit blicken, die ihrem Charakter zur Empfehlung gereicht; denn hätte selbiger die mindeste Beymischung von heimtückischem Wesen gehabt, so würden sie (was ihnen sehr leicht gewesen wäre) gesucht haben uns unversehens zu überfallen. etc. In der That läßt sich aus allem, was man uns von den Neuseeländern meldet, der Schluß ziehen, daß eine Anlage in ihnen liegt, aus der eine gewisse Kultur eine sehr edle Art von Menschen machen könnte. Indessen wissen wir doch von ihren dermaligen
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Sitten und Gebräuchen unsern verfeinerten Landesleuten kaum etwas anders z u r N a c h a h m u n g anzupreisen, als die Mode einander m i t B e r ü h r u n g d e r N a s e n z u g r ü ß e n , oder, wie es die Englischen Matrosen nennten, einander zu n a s e n ; und wir können nicht umhin, anstatt des minder ehrerbietigen und allzuvertraulichen K ü s s e n s , (welches überdies zuweilen noch andre Unbequemlichkeiten hat) die Einführung des N a s e n s , beym Grüßen und Abschiednehmen, mit allgeziemendem Respekt, wie hiemit geschieht, in Vorschlag zu bringen. Eh wir Dusky-Bay verlassen, sey uns erlaubt noch ein Gemählde von derjenigen Art, worinn unser V. ein Meister ist, auszuziehen, das die Veränderung
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betrift, die ein einziges Europäisches Schiff in wenigen Tagen in der Gestalt dieses wilden Heiligthums der Natur hervorbrachte. Ein Gemählde, das uns dadurch um soviel lieber wird, weil es, beynahe sollte man denken, ohne Absicht des Verfassers, ein wahres Bild der großen menschlichen Vanitas Vanitatum, und gleichsam ein kurzer Auszug ist der ganzen Geschichte u n s e r e r h o c h g e r ü h m t e n K ü n s t e und des ewigen E n t s t e h e n s und Ve r s c h w i n d e n s aller Werke, womit Menschenwitz und Menschenhände den Erdboden zieren und — verunzieren. „Die Vorzüge einer civilisierten Verfassung über den rohen Zustand des Menschen fielen durch nichts deutlicher in die Augen (sagt unser V.) als durch die Veränderungen und Verbesserungen, die auf dieser Stelle (die sie nun im Begriff waren wieder zu verlassen) vorgenommen worden waren. In wenig Tagen hatte eine geringe Anzahl unsrer Leute das Holz von mehr als einem Morgen Landes weggeschaft, welches funfzig Neuseeländern mit ihren steinernen Werkzeugen in drey Monaten nicht würden zu Stande gebracht haben.
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Den öden wilden Fleck, wo sonst unzählbare Pflanzen sich selbst überlassen wuchsen und wieder vergiengen, hatten wir zu einer lebendigen Gegend umgeschaffen, in welcher 120 Mann unabläßig auf verschiedene Weise beschäftigt waren: quales apes aestate nova ˆ etc. V i r g i l . *)
Wir fällten Zimmerholz, das ohne Uns durch Zeit und Alter umgefallen wäre und verfault seyn würde, und unsre Bretschneider sägten Planken daraus, oder es ward zu Brennholz gehauen. Hier, an einem rauschenden Bache, dem 10
wir einen bequemern Ausfluß in die See verschaften, stand die Arbeit unsrer Böttcher, ganze Reyhen von neuen oder ausgebesserten Fässern, um mit Wasser gefüllt zu werden. Dort dampfte ein großer Kessel, in welchem aus inländischen bisher nicht geachteten Pflanzen ein gesundes wohlschmeckendes Getränke für unsre Arbeiter gebraut wurde. Ohnweit davon kochten unsre Leute vortrefliche Fische für ihre Kameraden, die zum Theil an den Aussenseiten und Masten des Schiffes arbeiteten, um solches zu reinigen, zu kalfatern und das Tauwerk wieder in Stand zu setzen. So verschiedne Geschäfte belebten die Scene und ließen sich mit mannichfaltigem Geräusche hören, indeß der benachbarte Berg von den abgemeßnen Schlägen der Schmiede-
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hämmer laut wiederhallte. Selbst die schönen Künste blühten in dieser neuen Kolonie auf. Ein Anfänger in der Kunst zeichnete hier in seinem Novitiat die verschiednen Thiere und Pflanzen dieser unbesuchten Wälder; die romantischen Prospekte des wilden rauhen Landes hingegen standen mit den glühenden Farben der Schöpfung geschildert da, und die Natur verwunderte sich gleichsam, auf des Künstlers Staffeley so richtig nachgeahmt zu erscheinen. Auch die höhern Wissenschaften hatten diese wilde Einöde mit ihrer Gegenwart beehrt. Mitten unter den mechanischen Werkstätten ragte eine Sternwarte empor, die mit den besten Instrumenten versehen war, durch welche der Sternkundigen wachender Fleiß den Gang der Gestirne beobachtete. Die
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*)
Das G l e i c h n i s thut hier unstreitig das Beste — und beweißt am Ende doch, daß die
Menschen um das Gemählde ihrer künstlichen Geschäftigkeit zu v e r s c h ö n e r n , der N a t u r die F a r b e n abborgen müssen.
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Pflanzen, die der Boden hervorbrachte, und die Wunder des Thierreichs in Wäldern und Seen beschäftigten die Weltweisen, deren Stunden bestimmt waren, ihren Unterschied und Nutzen auszuspähen. Kurz überall, wo wir nur hin blickten, sah man die Künste aufblühen, und die Wissenschaften tagten in einem Lande, das bis izt noch eine lange Nacht von Unwissenheit und Barbarey bedeckt hatte. — Allein dies schöne Bild der erhöhten Menschheit und Natur war von keiner Dauer. Gleich einem Meteor verschwand es fast so geschwinde als es entstanden war. Wir brachten unsre Instrumente und Werkzeuge wieder zu Schiffe, und ließen kein Merkmal unsers Hierseyns als — ein Stück Land, das von Holz entblößt war. Zwar hatten wir eine Menge von Eu-
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ropäischem Garten-Gesäme der besten Art daselbst ausgestreut; allein das Unkraut umher wird jede nützliche Pflanze bald genug wieder ersticken, und in wenig Jahren wird der Ort unsers Auffenthalts nicht mehr zu kennen, sondern zu dem ursprünglichen chaotischen Zustande des Landes wieder herabgesunken seyn. Sic transit Gloria mundi! Augenblicke oder Jahrhunderte der Kultur machen in Betracht der vernichtenden Zukunft keinen merklichen Unterschied.“ Diese lezte Reflexion, wiewohl an sich nur ein Gemeinplatz, macht an dieser Stelle den lezten Strich, um das Gemählde zu vollenden: und Herr Jacob Forster ist um dieses Sic transit Gloria mundi willen, in meinen Augen, mehr Mann von Verstand und Gefühl, als wegen Neun Zehenteln seines ganzes Buchs. (Wird fortgesezt.)
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Auszüge aus Forsters Reise um die Welt. (Fortgesetzt von No. 8. S. 164.) Den 5ten May 1773. segelten unsre Abentheurer aus D u s k y - B a y in NeuSeeland nach dem aus Cap. Cooks erster Reise bekannten Charlotten-Sund, wo sie den 18ten anlangten, und die nicht mehr gehofte Freude hatten, die A d v e n t u r e , von der sie den 8ten Jenner während eines ausserordentlichen Nebels getrennt worden waren, wiederzufinden. Sie hielten sich nicht länger hier auf, als vonnöthen war, um beyde Schiffe wieder seegelfertig zu machen. Das Meiste, was Hr. F. während solchen kurzen Aufenthalts von den Ein10
wohnern dieses merkwürdigen Landes wahrgenommen, bestättiget das Gute, was im 9. Hauptst. des III. Bandes des H a w k e s w o r t h i s c h e n Werkes von ihnen gesagt worden. So nachtheilig eine größere Cultur und Bekanntschaft mit unsern Künsten und feinern Bedürfnissen den glücklichen, nichts bedürfenden Lieblingskindern der Natur, in O - Ta i t i und den übrigen G e s e l l s c h a f t s - I n s e l n , aller Wahrscheinlichkeit nach seyn möchte: so viel hätten hingegen die Neuseeländer dabey zu gewinnen, gegen welche sich die Natur so karg erwiesen hat, daß sie sich, ohne Hülfe unsrer Künste und Einrichtungen, unmöglich jemals aus ihrem armseligen Zustande empor arbeiten können. Denn eben dieser allzu-
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dürftige Zustand scheint die einzige, aber ohne fremde Beyhülfe unüberwindliche Ursache zu seyn, warum dies Volk, in welchem so viel herrliche Kräfte und Fähigkeiten zu schlummern scheinen, nie zur Entwickelung derselben gelangen wird, so lange es sich selbst überlassen bleibt. Es ist würklich ein trauriger Anblick, wenn wir ein Volk, das sich, unter günstigern Umständen, und mit den gehörigen Hülfsmitteln, in wenigen Jahrhunderten vielleicht zu etwas Bessern als Spartaner und Römer ausbilden könnte, durch die bloße Schwierigkeit ihr Leben zu erhalten, genöthigt sehen, sich selbst unter einander aufzureiben, und gerade durch die daher entstehende Entvölkerung ihres Landes, und Trennung der Einwohner in lauter sehr kleine, in ewigem Kriege
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unter einander lebende Gesellschaften, die Möglichkeit eines glücklichern Zu-
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standes sich selbst immer an der Wurzel abzuschneiden. Was die Erfahrung längst als eine große Wahrheit bestättigt hat, daß Noth und Dürftigkeit auch die edelsten Naturen endlich zusammendrückt, abwürdiget, kleinmüthig, mißtrauisch und der niedrigsten Handlungen fähig macht, zeigt sich vielleicht nirgends in einem stärkern Licht als unter den Indianern von Neuseeland. Von Natur herzhaft, unerschrocken, großmüthig und zutraulich, macht sie das Gefühl ihrer Schwäche feig, mißtrauisch und menschenscheu. Sie scheinen den Werth der friedsamen häuslichen Glückseligkeit so stark zu fühlen als irgend ein Volk in der Welt, und leben immer unsicher, in einem ewigen Hobbesianischen Kriegsstande. Ihr Herz ist offen, treu, dankbar, gefühlvoll
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für Ehre und Schmach, mit einem Wort, edel und menschlich — und sie sind Menschenfresser. Ungeachtet ihre sittlichen Gefühle nicht zu deutlichen Begriffen und zusammenhangenden Grundsätzen entwickelt seyn können, so glaubt man doch, selbst durch die Hülle der höchstunvollkommnen Nachrichten, die uns unsre Europäische Abentheurer von ihnen geben können, das Selbstgefühl einer edlern Natur durchscheinen zu sehen, die unwillig darüber ist, sich durch die Noth erniedriget zu sehen, zu thun oder zu leiden was eines Menschen unwürdig ist. Der unendliche Nutzen, den ihnen in ihrem armseligen Zustande das Europäische Eisenwerk, Beile, Messer, grosse Nägel u. dergl. schaffen können, sezt zwar ihre erregte Begierlichkeit der Verführung unsrer Seefahrer aus; sie geben, um dieses Gewinstes
willen, *)
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ihre Schwe-
stern und Töchter Preis; aber man sieht daß sie es ungern thun, und nichts kann sie dahin bringen, auch ihre verheyratheten Frauen der Entehrung zu überlassen; und Hr. Forster (der überhaupt nicht dazu gestimmt scheint, die Neuseeländer in einem verschönernden Lichte zu sehen) gesteht, daß, auch unter jenen Weibsbildern, manche nicht anders als mit d e m ä u s s e r s t e n W i d e r w i l l e n , und durch ihre eigenen Verwandten g e z w u n g e n , dahin zu bringen gewesen, „sich den Begierden solcher Kerls Preis zu geben, die ohne Empfindung i h r e T h r ä n e n sehen und i h r We h k l a g e n hören konnten.“ Die e m p f i n d s a m e Anmerkung, welche Hr. F . bey dieser Gelegenheit macht, über den moralischen Schaden, womit die Neuseeländer die wenigen
*)
Man vergesse gleichwohl nicht, daß ein Paar grosse Nägel für eine Neuseeländerin wenig-
stens eine eben so grosse Versuchung sind, als eine Riviere von Diamanten für eine hübsche Putzmacherin in Paris oder London.
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Vortheile, so sie von dem Besuch der Engländischen Seefahrer gezogen, bezahlen müßten, ist nur zu sehr gegründet — und, wenn wir uns nicht sehr irren, kan das ihnen dadurch zugefügte U n r e c h t auf keine andre Weise vergütet werden, als daß man sich ein ernstliches Geschäfte daraus mache, sie nun völlig zu polizieren, und ihnen, da sie doch einmal etwas von unsern gefährlichen Gaben gekostet haben, lieber vollends A l l e s gebe — die ganze Büchse der Pandora, mit allem Guten und Bösen, was sie enthält. In ihren Umständen haben sie nichts mehr dabey zu verliehren, hingegen sehr viel zu gewinnen. Aber, was ficht die Europäer der Zustand eines armen rohen Volkes 10
am Ende der Welt an, bey dem nichts zu holen ist, als, wenn’s hoch kömmt, Mastbäume und ein paar Raritäten für Kunst- und Naturalien-Cabinetter, deren man um eine Hand voll Nägel genug von ihnen haben kan? Wir eilen, mit unsern Argonauten, nach diesem berühmten O - Ta h i t i , * ) welches seit der ersten Nachricht, die uns Hr. von B o u g a i n v i l l e davon gegeben, eine Art von Schlaraffenland, oder Pais de Cocagne für unsre Europäer geworden ist — nach dieser glücklichen Insel, wo wir mit Recht so erstaunt sind, unsre Lieblingsträume von Arkadischer Unschuld, Einfalt, Ruhe, und Kummerfreyem Wohlleben eines Volkes, das in ewiger, unbesorgter, lieblicher Kindheit an den Brüsten der Natur hängt — realisiert zu sehen — nach
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dieser Insel, wo der weniger dichtrische Menschenforscher selbst, so unbefriedigend er alle bisherige Nachrichten von ihren Bewohnern findet, doch immer genug sieht, um nach einer genauen vollständigen, durchaus wahren Kenntnis derselben, lüstern zu werden. Was uns Hr. F. nach einem blos vierzehntägigen Aufenthalt davon saget und sagen kan, ist zwar ein bloßer Nachtrag zu dem ausführlichern Bericht, den wir dem Herrn von B o u g a i n v i l l e und dem Beschreiber der ersten Reise des Cap. Cook zu danken haben. Denn Hr. F . wollte nichts wiederholen, was man dort schon gelesen hat — aber unterhaltend und schätzbar ist dieser Nachtrag durch viele kleine Anekdoten, und individuelle Züge, die uns diesen holden Geschöpfen, in denen wir die
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Natur sich verjüngern und das kindliche Alter der Menschheit wiederkehren sehen, näher bringen und die dem Weisen unendlich willkommener sind, als *)
So muß man, wie Hr. F. ausdrücklich bemerkt, den Namen dieser Insel im Teutschen
aussprechen und schreiben.
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abgezogene Resultate, studierte Hypothesen und idealisirte Abbildungen oder vielmehr Vorspieglungen, womit wir uns so oft, anstatt ächter Geschichtserzählungen und lebendiger Bilder, abspeißen lassen müssen. Das achte und neunte Hauptstück des vor uns liegenden Werkes wird uns Materialien und Betrachtungen an die Hand geben, womit wir unsre Leser in diesem Artikel eben so nützlich als angenehm zu unterhalten hoffen. „Ein Morgen war’s! ( s i n g t Hr. Forster im höhern Ton) schöner hat ihn schwerlich je ein Dichter beschrieben, *) an welchem wir die Insel O - Ta h i t i zwey Meilen vor uns sahen. Der Ostwind, der uns bis hieher begleitet, hatte sich geleget; ein vom Lande wehendes Lüftgen führte uns die erfrischendsten
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und herrlichsten Wohlgerüche entgegen, und kräuselte die Fläche der See. Waldgekrönte Berge erhoben ihre stolzen Gipfel in mancherley majestätischen Gestalten und glühten im ersten Morgenstral der Sonne. Unterhalb denselben erblickte das Auge Reihen von niedrigern sanft abhängenden Hügeln, die den Bergen gleich mit Waldung bedeckt und mit verschiedenem Grün und herbstlichen Braun schattiret waren. Vor diesen her lag die Ebne, von tragbaren Brodfrucht-Bäumen und unzählbaren Palmen beschattet, deren königliche Wipfel weit über jene hervorragten. Noch erschien alles im tiefsten Schlaf; kaum tagte der Morgen und stille Schatten schwebten noch auf der Landschaft dahin. Allmählig aber konnte man unter den Bäumen eine
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Menge von Häusern unterscheiden, und Canots die auf den sandigten Strand herauf gezogen waren. Eine halbe Meile vom Ufer lief eine Reihe niedriger Klippen parallel mit dem Lande hin, und über diese brach sich die See in schäumender Brandung; hinter ihnen aber war das Wasser spiegelglatt, und versprach den sichersten Ankerplatz. Nunmehr fieng die Sonne an, die Ebene zu beleuchten. Die Einwohner erwachten, und die Aussicht begann zu leben.“ Kaum ward das Schiff bemerkt, so eilte alles dem Strande zu, und einige Kähne stiessen ab, um die Neuangekommnen mit Darbietung eines grünen P i s a n g - S c h o s s e s und häuffigem Zuruf des Worts Ta y o (Freund) zu begrüssen und sich ihrer Freundschaft zu versichern. Der grüne Pisangzweig wurde auf ihr Verlangen an das Tauwerk des Hauptmasts befestiget, wo er von je*)
Hr. F. (noch ein junger Mann) ist noch sehr voll von seinen Dichtern, und hat, als er diese
Zeile hinschrieb, wohl nicht bedacht, daß seine Dichter sich glücklich geachtet haben würden, einen solchen Morgen, wie ihm hier zu Theil ward, würklich zu sehen — und daß die Einbildungskraft in solchen Dingen immer u n t e r der Natur bleibt.
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dermann gesehen werden konnte, und das Zutrauen der Insulaner zu den Fremden unverletzlich befestigte. Die zuerst herbeygekommnen kehrten zu den ihrigen ans Land zurück, und bald war das ganze Ufer mit Menschen bedekt. Das Schiff sah sich in kurzer Zeit von einigen hundert Kähnen umgeben, in jedem 2, 3 bis 4 Mann; alle, zum Beweis ihres ganz argwohnlosen Vertrauens, unbewafnet. Von allen Seiten her erschallte das süsse freundschaftliche Tayo, und wurde von den Neuangekommnen so gut erwiedert als sie konnten und wußten. Mich, ich gesteh es unverhohlen, wenn ich mir den Contrast denke zwischen der offnen, warmen, kunstlosen Gutherzigkeit die10
ser Kinder der Natur, und aller der Freundlichkeit und Gutartigkeit, deren ein Schiff voll — Engländischer Seeleute fähig ist, mich wandelt dabey ein Schauder an; und es ist mir ungefehr eben so dabey zumuthe, als wenn ich einen Zieraffen von einer wohldressierten und auf ihre Kunst einstudierten Französischen Gouvernante einem holden kleinen Mädchen von dritthalb Jahren liebkosen sehe. Hr. Forster fieng sogleich an durch die Cajüten-Fenster mit seinen neuen Freunden — u m N a t u r a l i e n z u h a n d e l n . In einer halben Stunde hatte er schon etliche Vögel und eine Menge Fische; die Farben der letzten waren, so lange sie lebten, von ausnehmender Schönheit; daher Hr. F. auch sogleich
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diesen Morgen dazu anwendete sie zu zeichnen und die hellen Farben anzulegen, eh sie mit dem Leben verschwanden. — Ich bemerke diesen Umstand nicht um Hrn. F. zu tadeln; er war nun einmal ein Naturalien-Forscher und Samler; Vögel, Fische und Pflanzen nach der Natur abzuzeichnen war ein wesentlicher Theil seiner B e s t i m m u n g und P f l i c h t . Ich bedaure nur, daß bey einer solchen Reise nicht auch einmal einer bestellt wird, der keine andere Pflicht noch Bestimmung hat, als die neuen M e n s c h e n die ihm vorkommen, zu forschen und n a c h d e m L e b e n abzuzeichnen. Menschen sind doch wohl auch N a t u r a l i e n , was auch die königliche Gesellschaft zu London davon denken mag.
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Indessen ließ Hr. F. gleichwohl die Menschen nicht ganz aus der Acht, und was er von ihnen sagt, bestättiget den liebenswürdigen Charakter, der den Einwohnern der Societäts-Inseln von allen Europäern, die zu ihnen gekommen, beygelegt wird, und sie von allen Völkern der Welt unterscheidet. Die Leute, die uns umgaben, sagt er, hatten so viel S a n f t e s in ihren G e s i c h t s -
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z ü g e n als G e f ä l l i g e s in ihrem Betragen — Es dauerte nicht lange, so kamen verschiedene dieser guten Leute an Bord. Das ungewöhnlich sanfte Wesen, der Hauptzug ihres National-Characters, leuchtete sogleich aus allen ihren Geberden und Handlungen hervor — die äusseren Merkmale, wodurch sie uns ihre Zuneigung zu erkennen zu geben suchten, waren von verschiedener Art; einige ergriffen unsre Hände, andre lehnten sich auf unsre Schultern, noch andre umarmten uns. Zu gleicher Zeit bewunderten sie die weisse Farbe unsrer Haut, und schoben uns zuweilen die Kleider von der Brust, als ob sie sich erst überzeugen wollten, daß wir eben so beschaffen wären, als sie. *) Man erinnere sich aus Bougainville’s und D. Hawkesworths Nachrichten,
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daß eben diese so ungemein s a n f t e n Menschen die e m p f i n d l i c h s t e n Geschöpfe von der Welt sind; daß es ihnen nicht an Muth f e h l t Beleidigungen zu rächen, daß sie mit ihren Waffen sehr wohl umzugehen wissen, und mit einigen Völkerschaften benachbarter Inseln in beständiger Fehde leben. Ihre Sanftheit und Güte ist also nicht flegmatische Schwäche. D i e s e höchste Sanftheit, mit so reizbaren Sinnen, solchem Feuer der Leidenschaften, so viel Herz und Unerschrockenheit macht zusammen den schönsten, menschlichsten Geschlechts-Charakter aus, den ich — der die weite Welt nur aus Büchern kennt — in allen Zeiten und Strichen des Erdbodens jemals gefunden habe. Hundertmal, wenn ich die unaussprechliche Liebenswürdigkeit der mensch-
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lichen Natur im zweyten und dritten Jahre der Kindheit — diese so wunderbar angenehme und reizvolle Composition von Unwissenheit und Neugierde, Sorglosigkeit und Aufmerksamkeit, Liebe und Selbstheit, traulicher Gutherzigkeit und äusserster Zornfähigkeit, Nachgiebigkeit und Eigensinn, Schlauheit und Einfalt; diese ofne Unbefangenheit der Seele; dieses Aufdämmern der Vernunft aus dem dunkeln Gewirr des Gefühls; diese zarte Beweglichkeit aller Sinne; diese lautre Reinheit jedes Naturtriebs, diese Wahrheit und Innigkeit aller Begierden, Zuneigungen und Bewegungen des Herzens, in Lust *)
Das nehmliche wiederfuhr dem Herrn von Bougainville, der einige Monate nach dem Cap.
Wallis, Otahiti entdeckte. — „Wir wurden von einer Menge Menschen beyderley Geschlechts empfangen, die sich nicht satt an uns sehen konnten. Die dreistesten faßten uns an, hoben unsre Kleider auf, um zu sehen ob wir eben so wie sie gemacht wären — Sie wußten nicht, wie sie ihre Freude uns zu sehen genug ausdrücken sollten.“ R e i s e u m d i e We l t . S. 158. nach der Teutschen Übersetzung.
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und Schmerz, Freude und Betrübnis, Liebe und Haß; diese glückliche Disposition, alles Übels, sogleich wie es nicht mehr gegenwärtig gefühlt wird, aller Beleidigungen im Moment, wie sie aufhören, wieder zu vergessen; diese reine Stimmung aller Sayten des Gefühls zu Allem in der Natur, was Beziehung auf sie hat; diese beständige Aufgelegtheit sich zu freuen, zu geniessen; dieses ewige Leben im Augenblick, diese gänzliche Verschlossenheit für die Zukunft; dieß nichts Böses wollen, nichts Böses ahnen — wenn ich, sag’ ich, das alles, in der so unbeschreiblich feinen und lieblichen Mischung, wie es in den ersten Jahren des kindischen Lebens sich äussert, sehe, es zu einer Zeit 10
sah, da — noch von keinem O-Tahiti die Rede war — wie oft dacht ich dann: was für Geschöpfe wären wir, wenn wir zur Blüthe und Kraft des Jünglingsalters heranwachsen, und die Vollkommenheit unsrer Natur erreichen könnten, ohne von allem, was die Kindheit so liebenswürdig, so glücklich macht, mehr zu verliehren, als, vermöge der absoluten Nothwendigkeit der Sache verlohren gehen muß, wenn Dämmerung zum Morgen, und Knospe zur Blume wird! Ich weiß, wenn ich wieder kalt bin, so gut als ein anderer, in welche Classe ein solcher Wunsch gehört, und was mir jeder hochgelehrte Knabe, der so eben seinen Cursum von Logik, Metaphysik, Moral, Dogmatik, u. s. w. absolviert
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hat, mit dem magistralischen Ton, den ich von solchen Knaben so gewohnt worden bin, dagegen einwenden kann — Aber ich freue mich doch zu denken, daß wenigstens der beste und glücklichste Theil der Bewohner der Gesellschafts-Inseln lebendige Beweise sind, daß die Natur in einigen kleinen Inselchen der Südsee w ü r k l i c h g e m a c h t hat, was bey mir und andern ehrlichen Wünschern und Träumern bloßer Wunsch und Traum der freundlichen Einbildung war. — Freylich geht etwas, und ziemlich viel davon ab, daß Würklichkeit je so schön, so glänzend, so e r w ü n s c h t sey als was F e e M a b * ) mit einem Schlag ihres Mohnstengels vor unserm innern Sinn vorbeyzaubert. Die Kinder von O-Tahiti sind freylich keine Halbengel aus einer idealischen U n -
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s c h u l d s w e l t — Aber, so wie sie sind, wer ist der Mensch, der sie nicht lieben muß? Wo die gute Seele, die sich nicht zu ihnen wünscht?
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S. Shakespears R o m e o u n d J u l i e , erster Act. Scene zwischen Romeo, Mercutio und
Benvoglio.
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Herr F . war kaum in O-Tahiti angekommen, als er schon die Wirkungen der leutseligen und gefälligen Gemüthsart der Einwohner erfuhr. „Da sie merkten, sagt er, daß wir Lust hätten ihre Sprache zu lernen, weil wir uns nach den Benennungen der gewöhnlichsten Gegenstände erkundigten, oder sie aus den Wörterbüchern voriger Reisenden hersagten: so gaben sie sich viele Mühe uns zu unterrichten, und freuten sich, wenn wir die rechte Aussprache eines Wortes treffen konnten.“ — Herr F. setzt verschiedenes, was jedoch aus seinen Vorgängern schon bekannt war, zum Lobe dieser Sprache hinzu. Sie besteht aus lauter reinen Sylben, und hat noch viel weniger Mitlauter als die Griechische; sie ist noch singbarer als die Italienische, oder vielmehr sie ist an sich
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selbst schon Gesang. — Auch erinnert er ausdrücklich, daß der wahre Name dieser Insel nicht O t a h e i t e (wie die Engländer ihn schreiben und aussprechen) sondern O-Tahiti sey, und daß also, da die Vorsylben O und E Artikel sind, Herr von Bougainville den wahren Namen, Ta h i t i richtig angegeben; nur daß die Einwohner es mit einer leichten Aspiration, ungefehr wie Ta h i t i aussprechen. B o u g a i n v i l l e , in dessen Ausdrücken von dieser Zauberinsel und ihren Bewohnern man Schwärmerey einer verschönernden Imagination vermuthete, hat nicht zuviel gesagt, wenn er jene als ein Paradies, und diese als glückliche Geschöpfe beschreibt. Herr F. fühlte es gerade eben so, und die
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Gemählde, die er davon macht, sind sehr geschickt, auch uns etwas von seinem Genusse mitzutheilen — „Ungeachtet, der späten Jahrszeit wegen, Laub und Gras schon durchgehends mit herbstlichem Braun gefärbt war, so bemerkten wir doch bald, daß diese Gegenden in der Nähe nichts von ihren Reitzen verlöhren. — Wir befanden uns in einem Walde von Brodfruchtbäumen, auf denen aber bey dieser Jahrszeit keine Früchte mehr waren; und beym Ausgang des Gehölzes sahen wir einen schmalen von Gras entblößten Fußpfad vor uns, vermittelst dessen wir bald zu verschiednen Wohnungen gelangten, die unter mancherley Buschwerk halb versteckt lagen. Hohe Cocos-Palmen ragten weit über die andern Bäume empor, und neigten ihre hängenden Wipfel auf allen Seiten gegen einander hin. Der Pisang prangte mit seinen schönen breiten Blättern, und zum Theil auch noch mit einzelnen traubenförmigen Früchten. Eine schattenreiche Art von Bäumen, mit dunkelgrünem Laube, trug goldgelbe Äpfel, die den würzhaften Geschmak und Saft der Ananas hatten. Der Zwischenraum war bald mit jungen Chinesischen
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Maulberbäumen *) besetzt, deren Rinde von den Einwohnern zu Verfertigung der hiesigen Zeuge gebraucht wird, bald mit verschiednen Arten von Arum- und Zehrwurzeln, mit Yams, Zuckerrohr und andern nutzbaren Pflanzen besetzt. Die Wo h n u n g e n der I n d i a n e r lagen e i n z e l n , jedoch ziemlich dicht neben einander, im S c h a t t e n d e r B r o d f r u c h t b ä u m e , auf der Ebne umher, und waren mit m a n c h e r l e y w o h l r i e c h e n d e n S t a u d e n umpflanzt. Die e i n f a c h e B a u a r t , und die R e i n l i c h k e i t derselben stimmte mit der kunstlosen Schönheit des um sie herliegenden Wa l d e s überaus gut zusammen. — Sie bestanden, mehrentheils, nur aus ei10
nem Dach, das auf etlichen Pfosten ruhte, und pflegten übrigens an allen Seiten o f f e n und o h n e W ä n d e zu seyn — (glücklicher Beweis, daß die Einwohner weder Schirm vor der Ungunst der Witterung und des Klima, noch die mindeste Verwahrung gegen einander selbst vonnöthen haben!) — Vor jeder Hütte sah man eine k l e i n e G r u p p e von Leuten, die sich ins weiche Gras gelagert hatten, oder mit kreuzweis über einander geschlagnen Beinen beysammen saßen, und ihre glücklichen Stunden entweder verplauderten oder ausruhten. Einige standen bey unsrer Annäherung auf, und folgten dem Hauffen, der mit uns gieng; viele aber, besonders Leute von reifferem Alter, blieben unverrückt sitzen, und begnügten sich uns im Vorübergehen ein
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freundschaftliches Ta y o ! zuzuruffen. Da unsre Begleiter gewahr wurden, daß wir Pflanzen sammelten, so waren sie sehr emsig dieselben Sorten zu pflücken und herbeyzubringen, die sie von uns hatten abbrechen sehen (ein wahrer Zug von Kindheit). Es gab auch in diesen Plantagen in der That eine Menge von allerhand wilden Arten, die untereinander in jener schönen Unordnung aufsproßten, die über das steiffe Puzwerk künstlicher Gärten immer unendlich erhaben ist — Vornehmlich fanden wir verschiedene G r a s a r t e n die, ohnerachtet sie zarter und feiner als unsre nördlichen waren, dennoch, weil sie im Schatten wuchsen, ein sehr frisches Ansehen hatten und einen weichen Rasen ausmachten. Sie dienten zugleich das Erdreich feucht zu er-
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halten, und solchergestalt den Bäumen Nahrung zu verschaffen, die auch ihrerseits im vortreflichsten Stande waren. Mancherley kleine Vögel wohnten in ihren Zweigen und sangen sehr angenehm, dem Wahn zu Trotz, den man in Europa hegt, als ob es den Vögeln in den heissen Ländern an harmonischen *)
Morus papyrifera.
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Stimmen fehle. In den Gipfeln der höchsten Cocosbäume pflegte sich eine Art kleiner schöner saphirblauer Papagayen aufzuhalten, und eine grünliche Art mit rothen Flecken sah man häuffig unter den Pisangbäumen — Ein Eisvogel von dunkelgrünem Gefieder und rings um den weissen Hals mit einem ringförmigen grünen Streif gezeichnet, ein großer Kuckuk, und verschiedene Arten von Tauben hüpften fröhlich auf den Zweigen herum, indeß ein bläulichter Reyger gravitätisch am Seeufer einhertrat, um Muscheln, Schnecken und Würmer aufzulesen. Ein schöner Bach, der über ein Bette von Kieseln rollte, kam in schlängelndem Lauf das schmale Thal herab, und füllte beym Ausfluß in die See unsre Fässer mit silberhellem Wasser.“ — Ich besorge nicht, daß
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meine Leser diese ausgeschriebne Stelle zu lang finden werden. Solche individuelle Gemählde geben eine lebendigere Vorstellung als allgemeine Beschreibungen; und wem muß es nicht angenehm seyn, zu sehen, mit welcher Liebe die Natur an der Wiege ihrer Schooskinder gearbeitet hat? Desto verdrieslicher ist gleich darauf zu lesen, wie der Herr Capit. Cook, vermuthlich in einem Anstoß übler Seemännischer Laune, fähig war, um eines sogenannten Diebstals willen, dessen sich einer von den beyden Söhnen ihres bisherigen Begleiters O - P u e , von seiner kindischen Begierlichkeit verleitet, schuldig gemacht hatte, d. i. um einer Beleidigung willen, die in O-Tahiti gar keine Beleidigung war, den Frieden dieser glücklichen Wohnungen zu stören,
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und die trauliche Sorglosigkeit dieses Volks von Kindern durch Flintenkugeln und V i e r p f ü n d e r zu schrecken. O ihr hassenswürdigen Europäer mit euerm zur Unzeit angebrachten P u f f e n d o r f ! — „Was? (wendet man ein) Man hatte dem K e r l schon o h n e n t g e l t l i c h eine Menge Sachen gegeben, und er hat noch die Unverschämtheit, d i e G e s e t z e d e r G a s t f r e y h e i t a u f e i n e s o h ä ß l i c h e A r t z u ü b e r t r e t e n “ und — ein Messer und einen zinnernen Löffel zu mausen! War es bey solcher Bewandnis des Herrn Capitains Hochwohlgebohren zu verdenken, daß Wohlderselbe „ a u s U n w i l l e n ü b e r d a s s c h ä n d l i c h e B e t r a g e n d i e s e s K e r l s “ sich nicht enthalten konnte, ihm eine Flintenkugel über den Kopf hinzufeuern — und als sogar der dritte Schuß nichts fruchten wollte, und die entfernten Indianer (die von alle dem Spuk nichts begriffen, und nur einige der Ihrigen mit Flintenschüssen von den fremden Herren verfolgt sahen) vom Strand aus mit Steinen nach den Herren zu werfen anfiengen, sie durch einen Vierpfünder in Respect zu setzen; auch
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ihnen zu wohlverdienter Straffe und andern zum Schrecken, für Kosten, Schaden und Satisfaction, zwey doppelte Canots wegnehmen zu lassen? — O des herrlichen Europäischen Natur und Völkerrechts! — Ey, Ey, lieber Herr Forster, — wo war in diesem Augenblick ihre Pilosophie? — Wie können Sie von dem jungen Menschen verlangen, daß er ihren Puffendorf und Barbeyrac gelesen haben soll? Wie können Sie sich einbilden, daß er das Messer und den zinnernen Löffel aus einer andern Ursache, als aus kindischem Instinct oder höchstens aus unbesonnenem, arglosem, Muthwillen genommen hat? Was würden Sie dazu sagen, wenn ein Friedensrichter in England ein Kind von 2 10
oder 3 Jahren, weil es einen Löffel oder was sie sonst wollen, gemaust hätte, pillorisiren lassen wollte? Der O-Tahitische Junge hier verstand wahrlich von der Moralität seiner Handlung, die Sie ein schändliches Betragen nennen, nicht mehr als das vorbesagte Kind. Das Kind und der junge Kerl von O-Tahiti hat einen Naturtrieb zu allem, was ihm gefällt, und weiß nichts anders, als daß die ganze Welt mit allem, was drinn ist, sein gehört. Du sollst nicht stehlen! ist ein positives bürgerliches Gesetz, zu dessen Beobachtung wir g e z o g e n werden müßen. Man hat an dessen Übertretung in den meisten bürgerlichen Gesellschaften S c h a n d e und entehrende Strafen hängen müssen; aber was geht das die Bewohner von O-Tahiti an? Und wenn es, der Folgen wegen, nöthig
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war, dem kindischen Trieb dieses Völkchens zu allem, was ihnen ansteht, Einhalt zu thun: konnte das nicht auf eine freundlichere Art und ohne Vierpfünder geschehen? Man kann sich des Unwillens schwerlich enthalten, wenn man (wie nur zu oft Gelegenheit ist) dergleichen Probstückchen ließt von dem herrischen Betragen, das die Europäischen Seemänner sich über Menschen herausnehmen, die von ihnen nicht abhängen, und nur durch den Vorzug tödlicherer Waffen gezwungen sind sich von ihnen mißhandeln zu lassen. Aber freylich ist es — ihrer würdig, und ganz von Einem Stücke mit der Unverschämtheit, womit diese Herren, im Nahmen ihrer allergnädigsten Könige, von jeder
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Insel und Halbinsel der Südsee, auf die sie Wind und Wetter oder Bedürfniß sich zu erfrischen verschlägt, f e y e r l i c h B e s i t z n e h m e n , ohne daß es ihnen einfällt, die uralten Einwohner derselben zu fragen, was sie zu dieser Besitznehmung zu sagen haben. Ein herrliches Völkerrecht! Und das sind die aufgeklärten, philosophischen, rechtshochgelahrten Herren, die einen weggemaußten zinnernen Löffel mit Vierpfündern rächen!
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Der Vierpfünder indessen würckte. Die Herrn erreichten ihren großen Zweck; denn er jagte den O-Tahitern ein solches Schrecken ein, daß sie sich zwey doppelte Canots (und wahrlich noch zehnmal soviel, wenn die Herren Vierpfünder gewollt hätten) ohne Widerrede wegnehmen liessen. Freylich war nun das Vertrauen der guten Insulaner verscherzt — und das hatten die Europäischen Herrn gleichwohl noch vonnöthen, weil sie wenigstens eben so großen Appetit zu den Hühnern und Schweinen der Indianer hatten, als diese zu ihren Messern und Löffeln. Aber das war ja auch leicht wieder zu gewinnen. Die Bewohner waren „ s o f r e u n d s c h a f t l i c h e , g u t h e r z i g e L e u t e ! “ — Gleichwohl waren sie, sagt Herr F. wegen des Vorgefallnen etwas scheuer und
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zurückhaltender als zuvor (sie hatten wohl groß Unrecht daran?) Es währete etliche Tage, bis man sie wieder zutraulich machen konnte, und Herr Cook mußte sich am Ende doch entschliessen die genommnen Kähne wieder zurück zu geben. Doch — weg von diesen unangenehmen Betrachtungen! Herr F . versöhnt uns wieder mit sich durch ein Paar ziemlich getreu, wie es scheint, und nicht ohne Liebe nach dem Leben gemahlte O-Taitische Familienstücke, die ich nicht um das beste von G r e u z e geben möchte. Hier hätte der Mahler H o d g e s , den unsre Seefahrer bey sich hatten, wenn etwas von Greuzens Geist in seinen Augen und in seinem Herzen gewesen wäre, Stoff zu Bildern und Grup-
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pen bekommen können, womit er mehr Dank von uns verdient hätte, als mit den reichen, idealisierten, g r i e c h e n z e n d e n Kompositionen, die er uns für Natur, und Natur aus den Südseeinseln, aufheften will. Die Herrn F . waren mit einigen Begleitern früh Morgens aufs Botanisiren gegangen. Zufälligerweise bekamen sie im Walde Gelegenheit einigen Weibern von der niedrigsten Classe, zuzusehen, wie sie den in diesen Inseln gewöhnlichen Zeug aus der fasrichten Rinde junger Maulbeerbäume bereiteten. Von da gelangten sie zuletzt in ein schmales Thal. Ein wohlaussehender Mann, bey dessen Wohnung sie vorbeykamen, lag im Schatten da, und lud sie ein, neben ihm auszuruhen. Sobald er sah, daß sie dazu nicht abgeneigt schienen, streute er Pisangblätter auf einen mit Steinen gepflasterten Fleck vor dem Hause, und setzte einen kleinen Stuhl hin, auf welchen er denjenigen, der ihm der Vornehmste unter ihnen schien, niederzusitzen bat. Nachdem auch die übrigen sich ins Gras gelagert hatten, lief er ins Haus, hohlte eine Menge gebackner Brodfrucht, und setzte ihnen solche auf den Pisangblättern vor.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1778)
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Nächst diesem brachte er noch einen Mattenkorb voll Tahitischer Äpfel, einer Frucht, die der Ananas im Geschmack ähnlich ist, und nun bat er sie zuzulangen. Die Herrn ließen sichs wohl schmecken, fanden die Früchte vortreflich und die Tahitische Art, die Brodfrucht vermittelst heisser Steine in der Erde zu backen, unendlich besser als ihre eigne Art sie zu kochen; weil bey jener aller Saft besser beysammen bleibt, und durch die Hize noch mehr verdickt wird; beym Kochen hingegen sich viel Wasser in die Frucht saugt, und vom Geschmack und Saft viel verlohren geht. Zum Nachtisch brachte ihnen der freundliche Wirth fünf Cocosnüsse; er öfnete sie, goß den kühlen hellen Saft in 10
eine reine Cocosschale, und reichte sie einem jeden nach der Reyhe zu. Unsre Reisenden wurden von der zuvorkommenden und uneigennützigen Gastfreyheit dieses Mannes sehr eingenommen, schenckten ihm das Beste, was sie von Corallen und Nägeln bey sich hatten, und begaben sich nun wieder an ihre Arbeit; die zwar nicht ganz unbelohnt blieb, aber doch, theils wegen der schon vergangnen Jahrszeit, theils aus einem andern wesentlichen Grunde, nicht sehr ergiebig war. Diese war, wie Herr F. sehr richtig zu urtheilen scheint, die hohe Kultur der Insel O-Taiti. Wäre sie weniger angebaut, sagt er, so würde das Land, dem herrlichen Boden und Klima nach, überall mit hunderterley Arten von Kräutern wild überwachsen gewesen seyn, anstatt daß itzt dergleichen
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kaum hie und da einzeln aufsprossen. Bey Anbruch des folgenden Tages giengen sie wieder ans Land, und ostwärts den Gegenden um den Haven A i t e p i e h a zu, wo die Ebne immer breiter, die Pflanzungen immer ansehnlicher, und die Wohnungen zahlreicher wurden, auch reinlicher und neuer aussahen, als in der Gegend des Ankerplatzes. Sie spatzierten ungefehr zwey Meilen weit beständig in den anmuthigsten Wäldern und Pflanzungen von Cocos- und Brodfruchtbäumen fort, und sahen, wie die Leute aller Orten wieder an ihr Tagwerk giengen; vornemlich hörten sie die Zeugarbeiter fleißig klopfen. Gleichwohl sammelte sich, wo sie hinkamen, bald ein großer Hauffen um sie her, der ihnen den ganzen Tag
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so unermüdet folgte, daß manche darüber ihr Mittagsbrod versäumten. „Doch giengen sie (sagt Herr F.) nicht so ganz ohne Nebenabsicht mit. Im Ganzen war ihr Betragen allemal gutherzig, freundschaftlich und dienstfertig; aber sie paßten auch jede Gelegenheit ab, eine oder die andre Kleinigkeit zu entwenden, und damit wußten sie ausnehmend gut Bescheid. Wenn wir sie freundlich ansahen, oder sie anlächelten, so hielten manche es für die rechte
A u s z ü g e a u s F o r s t e r s R e i s e u m d i e We l t ¼Fortsetzung½
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Zeit, von unserm guten Willen Gebrauch zu machen, und in einem bittenden Tone ein: Ta y o , p o e ! ( F r e u n d , e i n C o r a l l c h e n ? ) hören zu lassen.“ — Ich, meines Orts, sehe in diesem kinderhaften Zug nichts als die klare ungeschminkte Menschheit, wie wir sie alle Tage an unsern Kindern von zwey oder drey Jahren sehen, und auch an denen von fünf und sechs noch sehen würden, wenn wir nicht genöthigt wären, ihnen baldmöglichst beyzubringen, daß es unanständig sey, seine guten Freunde anzubetteln. Warum übrigens die Leute von O-Tahiti die einzigen in der Welt seyn sollten, die o h n e a l l e R ü c k s i c h t a u f s i c h s e l b s t gutherzig, freundschaftlich und dienstfertig wären — oder mit welchem Recht diese Rücksicht auf sich selbst den Werth ihrer Gutherzigkeit in unsern Augen verringern sollte, seh’ ich nicht; zumal, da Herr F. selbst hinzusetzt: wir mochten ihnen willfahren oder nicht, so brachte dieß doch niemalen eine Änderung in ihrem Betragen hervor, sondern sie blieben so aufgeräumt und freundlich als vorhin. Ich dächte, dieß wäre würklich mehr als man von den Meisten unter den Wohlgezogensten und Moralisiertesten von uns Europäern sagen kann! W. (Die Fortsetzung künftig.)
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Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels, mit hinzugefügten Bemerkungen und Meynungen. Und Sechzehn Kupferstichen v. Chodowiecky. Berlin, bey Friedrich Nicolai, 1778. Practica est mvltiplex. Vor einigen Jahren kam in Paris kein Büchlein, Prosa oder Verse, in deßen Succeß Autor und Verleger einiges Mißtrauen setzten, 10
zum Vorschein, ohne daß es durch eine Anzahl Vignetten von E i s e n unterstützt wurde. Bey uns Teutschen ist itzt C h o d o w i e c k y der Nothhelfer; und, wahrlich wenn der Gewinn, den ein Teutscher Verleger durch ihn macht, des Franzosen seinen so weit überträfe als Chodowiecky über Eisen ist, so wär es keinem Buchhändler zu verdenken, wenn er einer so glänzenden Versuchung nicht widerstehen könnte. Im Grunde haben die Liebhaber, falls auch das Buch an und für sich selbst ihre Erwartung übel betrogen hätte, sich gar nicht zu beschweren, wenn sie z. Ex. für ihre Pränumerierten 3 Thlr. 12 Gr. Conventionsmünze — 16 K u p f e r s t i c h e v o n C h o d o w i e c k y v o n d e n b e s t e n A b d r ü c k e n , und, nach billigem Abzug eines halben Alphabets für das B e -
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s t e was das Buch allenfalls enthalten möchte, noch wenigstens vier baare Alphabete Makulatur, in den Kauf, bekommen. Ob dies bey gegenwärtigem Buche der Fall sey, sollen unsre Leser selbst entscheiden, wenn wir ihnen getreulich und ohne Gefährde referiert haben werden, wie wirs finden. Bey tausend andern Büchern, die, ohne Ankündigung mit Trompeten und Paukken, auf ihre eigene Gefahr in die Welt treten, würde eine Zergliederung ganz überflüßig seyn; und neunhunderten wenigstens unter Tausend würde dadurch zuviel Ehre geschehn. Aber einem Werke wie dies, e i n e r e i g n e n L e -
Z e r g l i e d e r u n g d e s B u c h s , g e n a n n t : L e b e n ¼…½ J o h a n n B u n k e l s
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bensbeschreibung, die ein funfzigjähriger Mann schreibt, indem er auf sein wohlgelebtes Leben, mit gutem Gewissen und völligem Bewußtseyn, unbescholten und nützlich gewesen zu s e y n , z u r ü c k s i e h t , u. s. w. — einem Schriftsteller von welchem man uns durch den Mund der Monthly Reviewers versichert: „daß er v o l l k o m m e n e i n z i g f ü r s i c h , und i n s e i n e r A r t s o o r i g i n a l sey, als S h a k e s p e a r und S a m u e l R i c h a r d s o n — daß er der s o n d e r b a r s t e der l a u n i g s t e , der a n g e n e h m s t - s e l t s a m s t e S c h r i f t s t e l l e r sey, d e r j e d i e F e d e r g e f ü h r t h a b e : einem solchem Werke, einem solchen Autor kan man nicht zuviel Ehre anthun! Jedermann m u ß t e , nach einer solchen Ankündigung
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und von einem so berühmten Manne wie Hr. N i c o l a i garantirt, erwarten, daß hier noch mehr als C e r v a n t e s , F i e l d i n g und S t e r n e seyn werde; und jedermann erwartete es auch würklich. Es wird also gewiß, zu mehr als einem Zwecke, nützlich und interessant seyn, zu sehen, wie die allgemeine Erwartung der Teutschen Leser erfüllt worden sey. Ist sie erfüllt worden, und wär es auch gleich mit einem ziemlichen Rabatt: so kan ein so außerordentlich angenehmes und gutes Buch nicht genug bekannt gemacht und empfohlen werden: ist sie getäuscht worden; nun, so mögen Leser, Reviewers, Verleger und Übersetzer sich die Nutzanwendung daraus nehmen, die dann von selbst daraus fließen, und zur neuen Bestätigung der sehr alten Wahrheit dienen wird:
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daß kein Buch so elend ist, aus dem sich nicht wenigstens eine Moral ziehen ließe, womit ein Mann, wenn er sie beym rechten Ende nimmt, auf die eine oder andre Art soviel gewinnen kan als das Buch werth ist. * * * Wessen man sich zu Herrn J o h a n n B u n k e l , was seine Fähigkeiten betrift, zu versehen habe, lernen wir von einem Zeugen gegen dessen Glaubwürdigkeit nichts einzuwenden ist von Hrn. Johann Bunkel selbst. „Ich habe (sagt er S. 288. I.) wenig Recht auf eine außerordentliche Erkenntniß Ansprüche zu machen, da ich nur einen l a n g s a m e n K o p f habe, w i e m a n i h n g e w ö h n l i c h b e y d e r n i e d r i g e r n A r t v o n G e l e h r t e n a n t r i f t . Damit man aber gleichwohl begreiffen könne, woher so viel Philologische, Metaphysische, Mathematische, Theologische, Mineralogische, Chemische etc. etc. Schul- und Collectaneen-Gelehrsamkeit in seinen langsamen Kopf gekommen sey, setzt er hinzu: Aber ich bin s e h r f l e i ß i g gewesen, und mein g a n z e s L e b e n ist
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mit L e s e n und D e n k e n z u g e b r a c h t . Aus diesem Zeugnis von sich selbst sehen wir, daß wir von seinem Witze wenig zu erwarten haben; und so könnten wir uns billig wundern, wie die erlauchten Monthly Reviewers diesen langsamen Alltags-Kopf mit S h a k e s p e a r n und R i c h a r d s o n zusammenstellen, und sagen konnten: wenn Jener Vortreflichkeit aus angebohrnem, u n c u l t i v i e r t e m Genie *) hergerührt, so scheine hingegen Hrn. Johann Bunkels e r h a b e n e S o n d e r b a r k e i t die Frucht eines G e n i e s und einer E i n b i l d u n g s k r a f t zu seyn, die durch r o m a n t i s c h e s We s e n und durch r e l i g i o s e n E y f e r wie in einem Treibhaus erhitzt und zum Sprossen getrieben 10
worden. Unstreitig verdient über diesen Punct B u n k e l selbst, und sein getreuer Zeuge, sein vor uns liegendes Werk, mehr Glauben, als die Reviewers; und was liegt uns am Ende auch daran, wenn Hr. Bunkel kein dichtrisches Genie hat? Non omnia possumus omnes. Da er sein Leben mit Lesen und Denken zugebracht, so muß er, trotz der Langsamkeit seines Kopfs, ein desto s t ä r k e r e r , desto t i e f f e r e r D e n k e r geworden seyn; und so können wir uns darauf verlassen, reichlich für das was ihm an Imagination und Witz abgeht, entschädiget zu werden. Was für n e u e tiefgeschöpfte reichhaltige B e m e r k u n g e n , was für eine merkwürdige lehrreiche G e s c h i c h t e s e i n e s G e i s t e s , haben wir von einem solchen D e n k e r zu erwarten!
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Unglücklicher Weise findet sich aber auch von dem allen in seinem Buche — wenigstens in dem, was der Hr. Herausgeber uns davon hat zukommen lassen wollen, — N i c h t s , was man Nichts heißt. Nicht z w o o n e u e B e m e r k u n g e n von einiger Erheblichkeit! nicht einmal die Gabe, den Lieux-Communs, wovon das ganze Buch bis zum Eckel voll ist, nur einen Anstrich von Neuheit zu geben! Zehnmal wird uns das nemliche wässerichte, kühle, sophistische Gewäsche gegen gewisse ihm verhaßte Artickel des Christlichen Lehrbegrifs, bald in etwas veränderten Worten, bald durch andre Personen, aufgetischt — und so ein erklärter, heftiger, und unermüdeter Gegner des A t h a n a s i s c h e n B e k e n n t n i s s e s Hr. Johann Bunkel, und alle die schönen
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Dogmatisch-Polemischen Damen und Herren, die er auftreten läßt, sind, (denn offenbar ist das ganze Buch bloß darum geschrieben, seiner herzlichen Erbitterung gegen dieses Symbolum und gegen die Englische Kirche Luft zu machen) so findet sich doch im ganzen Buche nicht ein einziger Einwurf gegen *)
C l a r i s s a , das Werk eines uncultivierten Genies? — O ihr Reviewers!
Z e r g l i e d e r u n g d e s B u c h s , g e n a n n t : L e b e n ¼…½ J o h a n n B u n k e l s
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die Orthodoxen, nicht ein einziger Grund für seinen c h r i s t l i c h e n D e i s m u s , der nicht schon wer weiß wie oft von seines gleichen, und meistens weit besser, vorgebracht worden wäre. — Und so ein Mann sollte die Hälfte seines Lebens mit D e n k e n zugebracht haben? Noch lustiger ists, wenn man die Versicherung die er uns S. 7. I. giebt — daß er auf der Schule mit besonderm Fleiß L o c k e’ s Buch ü b e r d e n m e n s c h l i c h e n Ve r s t a n d studiert und nichts anders vorgenommen habe, als bis er dieses Werk d r e y m a l d u r c h g e l e s e n , und den richtigen Gebrauch seines Verstandes daraus erlernt habe — ich sage, noch lustiger ists, wenn man diese Versicherung, und die angehängte Vermahnung an die liebe Jugend, nur den
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L o c k e recht zu studieren, w e i l s i e d a d u r c h z u d e r R i c h t i g k e i t und Wa h r h e i t d e r E r k e n n t n i ß g e l a n g e n w ü r d e n , w e l c h e d i e g r ö ß t e Vo l l k o m m e n h e i t e i n e s v e r n ü n f t i g e n We s e n s s e y “ — mit seinem Buche vergleicht, mit der ganz erbärmlichen Verworrenheit und Seichtigkeit seiner Begriffe und Raisonnements vergleicht, die der Übersetzer — der zwar auch ein R a t i o n a l i s t aber doch ein ganz andrer Mann ist als Master Bunkel — beynahe so oft zu verbessern nöthig findet, als oft Bunkel seinen lehrreichen Mund zum — Y- a a a n e n aufthut. Und Johann Bunkel hätte von Johann Locke Begriffe bilden, unterscheiden, verbinden gelernt? Das soll er Kindern weiß machen! Wahrlich wenn dem so wäre, so wär’ er eines der no-
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tabelsten Beyspiele, daß dem, den die Natur an Verstande verkürzt hat, weder Aristoteles noch Baco, Locke noch Leibniz, Verstand eintrichtern können! Eh der Mann zu Erzählung der wichtigsten Begebenheiten seines Lebens fortgeht, fängt er in einem sehr weisen und frommen Ton’ an, uns seiner wahren Gottergebenheit, und Hofnung einer bessern Zukunft zu versichern. „In d i e s e m Leben, sagt er, sey ihm d a s L o o s nur k ü m m e r l i c h g e f a l l e n ; aber er hoffe einst Welten vortheilhaft zu verwechseln.“ Man sieht augenscheinlich, daß der Autor des Buchs (der wohl in jeder Betrachtung ein armer Schlucker seyn mag) hier in einem unfreywilligen Retour sur lui meˆme plözlich vergißt, daß e r und J o h a n n B u n k e l , ex hypothesi, nur Eine Person seyn sollen. Denn, daß Bunkel unverschämt genug seyn könnte, sein Loos in dieser Welt k ü m m e r l i c h zu finden; er, der achtmal das große Lotterieloos des menschlichen Lebens, achtmal das beste, weiseste, frömmste, zärtlichste, schönste und reizendste Weib, das nur immer ein Plato denken und ein Pygmalion schnitzeln könnte, gezogen, mit jeder dieser acht Frauen ein an-
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sehnliches Vermögen erheyrathet, immer nichts gethan als was ihm beliebte, den besten Theil seines Lebens in lauter Paradiesischen Einsiedeleyen und Zauberinseln, mit den besten Menschen, im Genuß alles dessen, was sich der wollüstigste Schüler eines St. Evremond für Seele und Leib nur immer wünschen könnte, zugebracht, dann die Reise um die Welt gemacht, u. s. w. — daß er das alles nur für ein kümmerliches Loos halten sollte, das läßt sich doch unmöglich denken! Es wäre der lezte vollendende Zug zum Charakter eines Menschen, für dessen Ve r k e h r t h e i t gar kein Name in irgend einer Sprache wäre. 10
Den Panegyricus, den er auf der 3. S. seinem eignen moralischen Charakter hält, hätt’ er billig ersparen sollen, da er im Begriff war ein dickes Buch von seinem L e b e n zu schreiben. Denn da heißts: Zeige mir deinen Glauben aus deinen We r k e n ! Er bekennt, „sein Leben sey nicht von großen Vergehungen freygeblieben. Allein bey dem allen hab er doch stets mit den Betrübten Mitleid gehabt, fremde Noth tief empfunden, und um andern Gutes zu erweisen, weder Mühe noch Kosten gescheut. D a h e r habe er das Vertrauen, daß wenn er einst von dieser Erde genommen werde, er aus einem dunkeln und wolkichten Horizont zu den Gegenden der Freude, des Lichts und einer völligen Offenbarung werde erhaben werden. Dieser Glaube, spricht er, erheitert meine
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Tage bey allen Zufällen, unterstützt mich in allen Trübsalen, und macht mich fähig, daß ich überhaupt mein Leben in beständiger Zufriedenheit und Freude erhalten kann.“ Wer, der mit aller Gutherzigkeit, die man nur immer zum Lesen eines neuen Buchs bringen kann, s o w e i t gelesen hat, würde sich nun vorstellen, daß das ganze Leben eines so weisen und frommen Mannes, wenigstens alles was er uns davon erzählt, darauf hinauslieffe: daß er in den Gebürgen, d u r c h die Gebürge, und u n t e r den Gebürgen von Westmoreland, Cumberland, Durham, u. s. w. herum klettert, immer aus dem wildesten, unzugangbarsten, schauerlichsten Chaos von Felsen, Hölen und Wasserfällen, in irgend ein ro-
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mantisches Thal, ein kleines Elysium, kömmt, wo er stracks auf einen Engel von einem Mädchen stößt, die so aufblühend wie Hebe, so schön wie Venus, und wenigstens so gelehrt und eine so grosse Virtuosin, Philologin und Theologin als Anna Maria von Schurmann ist — sich gleich ex abrupto mit ihr in ein weitläuftiges Dogmatico-Polemisches C o l l o q u i u m gegen das Athanasische Symbolum, gegen die göttliche Eingebung der H. Schrift, u. s. w. einläßt; her-
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nach sich zu einer Sybaritischen Tafel hinsetzt, und etliche Tage, wie jedes andre Weltkind, mit ländlichen Ergötzungen, Fischen, Jagen, Kartenspielen, Tanzen, Essen und Trinken hinbringt; dann wieder geht, wieder kommt, das schöne Wundermädchen heyrathet, bald darauf wieder begräbt; dann w i e d e r k l e t t e r t , und krack! wieder eine r o m a n t i s c h e E i n s i e d l e y , und wieder ein E n g e l mit dem G e i s t d e s A r i s t o t e l e s im Kopf einer P h r y n e und mit d e m H e r z e n e i n e r C h r i s t i n im Busen einer Ve n u s ; und wieder auf den A t h a n a s i u s und die E n g l i s c h e K i r c h e losgedrescht, und w i e d e r g e s c h m a u ß t und g e h e y r a t h e t und b e g r a b e n ; und w i e d e r g e k l e t t e r t — und kurz die ganze Komödie von fünf Acten so oft wiederhohlt
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bis alle die Engel von Schönheit, Deisterey, Talenten und erstem Christenthum der Reyhe nach durchgeheyrathet sind; endlich (da der Hr. Autor des Dinges selbst überdrüßig zu werden anfängt) brevissimis all sein Vermögen (das zwar eigentlich seinen K i n d e r n gehört, von denen aber, als einem ganz unerheblichen Gegenstande, nie die Rede ist) in Einer Nacht verspielt; dann, um sich wieder en fonds zu setzen, eine reiche Erbin entführt, die er, da sie noch vor der Kopulation in eine lange Ohnmacht gefallen, eilends begraben läßt; bald darauf wieder eine andre freyet, sie aber sobald wieder verliehrt; dagegen seine begrabene Braut als Frau Doctorin Stanville wiederfindet, und weil der Hr. Doctor so höflich ist, ihm über Hals und Kopf Platz zu machen, sie
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nun im Ernste heyrathet; darauf das Vergnügen hat, seinen Vater (deßen Orthodoxie die erste gelegenheitliche Ursache aller Abentheuer unsers AntiTrinitarischen Helden war) zwar auf dem Sterbebette, aber — o Freude und Jubel! durch Meditirung der zurückgelassenen Manuscripte seines heterodoxen Herrn Sohnes, ganz zum r e i n e n C h r i s t l i c h e n D e i s m u s b e k e h r t , anzutreffen; sodann seine Frau wieder durch die Blattern verliehrt; darauf d e n E i n f a l l b e k o m m t zur See zu gehen, und, wiewohl er vom Seewesen nichts versteht, als C a p i t ä n seines eignen Schiffes in der Welt herum zu streichen — endlich im 50sten Jahre seines Alters zurückkömmt, ein Landguth kauft, und nun — sich unter dem Schatten seines Feigenbaums hinsetzt, um auf ein so w o h l g e l e b t e s Leben mit völligem Bewußtseyn u n b e s c h o l t e n und n ü t z l i c h gewesen zu seyn, zurückzusehen, und aus dieser schönen Kette von Landstreicherey, Heyrathen, naseweisen Religionsgesprächen, kahlen Predigtfragmenten und Schattengefechten mit dem Gespenste des Athanasius — das schaalste, platteste, impertinenste Buch zusammenzuflicken,
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das je aus dem Gehirn eines N o n - C o n f o r m i s t i s c h e n , Stoisch-christliche Moral s c h w a t z e n d e n und Bachanalia l e b e n d e n , mißgeschaffnen D r i t t e l d i n g v o n D e i s t e r e y , P i e t i s t e r e y und E p i k u r i s m u s hervorgegangen! Das laß mir, als B e y s p i e l betrachtet, d a s L e b e n e i n e s C h r i s t e n ; oder, als ein p o e t i s c h e s We r k , ein Original-Meisterstück von E r f i n d u n g und Z u s a m m e n s e t z u n g seyn! Wahr ists, wir werden zwischen den Akten dieser feinen Komödie mit allerley unerwarteten, lehrreichen, erbaulich-lustigen Zwischenspielen regaliert, als da sind — die wundervolle A n t i t r i n i t a r i s c h e F r a u e n z i m m e r 10
R e p u b l i k der schönen Azora — die Bekehrungsgeschichte eines Bösewichts, der nachdem er alle Unthaten, Sünden und Schanden begangen, die ein menschliches Vieh und ein eingefleischter Teufel begehen kann, zulezt ein Einsiedler und (wie natürlich) ein A n t i t r i n i t a r i s c h e r Einsiedler wird — der Besuch bey d e n P h i l o s o p h e n z u U l u b r ä , wo ein merkwürdiger Zweykampf zwischen Ritter F l o h und Held L a u s , durch ein doppeltreflektierendes Telescop beobachtet, mit großer Darstellungskunst beschrieben wird — u. dgl. m. Aber, unglücklicher Weise, ist der Autor von dem AntiAthanasischen Teufel so schrecklich besessen, daß er uns auch keines von seinen Intermezzi geben kann, ohne daß wir durch Anhörung einer langwei-
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ligen wortreichen und kläglich raisonnierten Anti-Trinitarischen Deduktion, oder ascetischen Predigt dafür bezahlen müssen. Denn auf das was man eigentlich D i a l o g nennt, findet er, aus Ursachen, für gut sich niemals einzulassen. Wenn er zwoo oder mehrere Personen über irgend einen Artickel seiner Heterodoxen Theologie sprechen läßt, so ists doch immer nur Eine die das Wort führt; die andern sind allerseits schon voraus von dem was gesagt werden wird überzeugt, oder wenn ja eine Einwendung zum Vorschein kommt, so greift man doch mit Händen, daß es nur pro forma geschieht, um dem Sprecher oder der Sprecherin Gelegenheit zu geben, irgend ein Loch, das der Herr Autor in seinem System gewahr worden, nach Möglichkeit zuzustopfen.
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In s o fern muß man allerdings diesem theuren Rüstzeug sein gebührendes Lob ertheilen, daß er den großen und lezten Haupt-Endzweck seines Werkes nie aus den Augen verliehrt, indem selbst die Zwischenspiele, Episoden und Abschweifungen unversehens zu würklichen Theilen des Ganzen werden, zu zweckmäßigen Mitteln, sein System von Christlichem Deismus und Deistischem Christenthum zu befestigen oder auszuzieren oder zu zäunen und zu
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verpfählen dienen müssen. Nur ist (wie der scharfsinnige Verfasser der Anmerkungen und Zusätze mehr als einmal bemerkt) zu bedauren, daß Herr Johann Bunkel sich selbst und der großen Diana R a t i o n a l i s m u s nicht immer getreu bleibt, sondern, eh man sichs versieht, gegen seine notorische Grundsätze, wie ein M y s t e r i k e r spricht; welches denn dem besagten gelehrten Ungenannten daher zu kommen scheint, weil Hr. Johann Bunkel, (als ein Mann der seinen L o c k e dreymal durchstudiert hat) sehr oft die Sachen von denen er schwazt, nur in einem Nebel sehe, d. i. es teutsch heraus zu sagen, nicht immer so eigentlich wisse was er wolle; — eine Hypothese, die unsers wenigen Ermessens, das Problem zwar hinlänglich auflößt, aber die Sache
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selbst nicht um ein Haar besser macht. Noch etwas, weswegen wir Hrn. J. B. sehr belobenswürdig finden, ist die Mannichfaltigkeit, welche sein fruchtbares Genie, zu Vermeidung der aus der ungemeinen Simplicität seines Plans sonst zu besorgenden Monotonie, in die Art und Weise gebracht, wie er seine Amoureuses, oder die schönen Engel, die so nach und nach, unter Garantie des Franziscaner-Mönchs Vater F l e m i n g , die ehliche Decke mit ihm beschlagen, sowohl aufführt als wieder abtreten läßt. Mit Miß N o e l , welche jedoch unglücklicher Weise unmittelbar vor dem Beylager stirbt, wird er zuerst in einem Garten-Tempelchen, mitten unter schönen Büchern und mathematischen Instrumenten an ihrem Schreibtisch
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sitzend bekannt. Seine erste würkliche Frau, Miß C h a r l o t t e M e l m o t h , lernt er auf einem Schiffe kennen, das von Dublin nach dem lieben Old-England gehen sollte; und hat gleich in der ersten Nacht Gelegenheit, sie n a k k e n d und fast ohne Sinne aus ihrer Kajüte, worinn sie beynahe ertrunken wäre, heraus ins Trockne zu tragen, welches dann, wie leicht zu erachten, zu einem der intressantsten unter den 16 Chodowieckischen Kupferstichen erwünschte Gelegenheit gegeben. Miß S t a t i a H e n l e y , seine zwoote Frau, findet er „an einem S p r i n g b r u n n e n , wo auf jeder Seite des Wassers eine s c h ö n e und v o r t r e f l i c h e i n g e r i c h t e t e Rasenbank unter dem Schatten einer stets grünen breitblättrigen Steineiche sich befand“ neben ihrem Großvater, einem alten ehrwürdigen Mann mit silberweißen Haaren, auf einer dieser Bänke sitzen. Mit seiner dritten Hauskrone, Miß A n t o n i a C r a n m e r , fängt sich die Bekanntschaft zwar auch in einem Garten an, aber mit dem Unterschiede: daß Herr Johann Bunkel, als ein weidlicher junger Wittwer der auf eine neue Frau ausgeht, über einen zwischen ihr und ihm liegenden Gra-
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ben rüstig hinübersezt, und „ n a c h d e m e r m i t s e i n e m H u t i n d e r H a n d i h r s e i n e E r g e b e n h e i t b e z e u g t “ * ) die Kühnheit seines unvorbereiteten Besuchs entschuldigt und im nemlichen Athemzug, eine wohl gedrehte Liebeserklärung auf das vater- und mutterlose 19jährige Mädchen abdrückt; die sich mit ihrer schönen Base, A g n e s i a Va n e , hier in einer gar romantischen Einsiedley allein befindet, und nichts pressanters hat, als den holden Johann Bunkel baldmöglichst zum Herrn und Inhaber ihrer schönen h i m m l i s c h e n Person und ihres großen Vermögens zu machen. Sein Liebesverständnis mit Jungfer S p e n c e , seiner vierten Gemahlin, fängt sich zwar, auf eine sehr 10
alltägliche Weise, beym Gesundbrunnen zu Harrogate an: allein, da Mis Spence eine Dame war, die ihren Virgil aus der Grundsprache zu citieren wußte, so biß sie nicht so hastig in den Angel wie die liebehungrige Antonia, sondern nahm die Sache auf Bedenkzeit; und diese Verzögerung giebt nicht nur zu einer romanhaften unvermutheten Zusammenkunft mit einer andern schönen Dame, bey der unser Pilgrim nach der seligen Ewigkeit sich ohne einiges Bedenken etliche Tage sehr weltlich-lustig macht, sondern sogar zu einer der besten Thaten seines wohlgelebten und unbescholtnen Lebens Gelegenheit, nemlich durch studierte Betrügerey zwey hübsche Mädchen zu entführen, oder, wie e r die preißwürdige Heldenthat zu nennen beliebt, aus der
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S c l a v e r e y bey ihrem geizigen Vormunde zu befreyen — wovon künftig ein Mehreres. Wir wollen indessen nicht dafür gut seyn, daß nicht jede der vorbemeldten Arten, wie Herr Bunkel seine erste Aufwartung bey seinen Damen macht, schon vor ihm in andern Romanen vorgekommen; aber von Einer wenigstens getrauen wir uns zu versichern, daß sie ganz original ist, und wiewohl sie einen treflichen Effekt macht, vor ihm noch von keinem andern Autor, weder Epischen noch Dramatischen gebraucht worden; und das ist die Art und Weise wie er mit der Schwester seines Freundes Carl Turner bekannt wird. **) Er war, nach seiner löblichen Gewohnheit, im Begriff, auf einem ganz unwegsamen
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Weg über steile Felsen, wo jeder Mißtritt Tod war, zu den Philosophen von Ulubrä zurückzukehren: als er nahe an der Spitze eines sehr hohen Berges eine Höle gewahr wurde, in welche man als auf einer Treppen herabsteigen *) **)
Das heißt man doch H o m e r i s c h e M a n i e r im Erzählen! S. 78. u. f. im IIten Theil.
Z e r g l i e d e r u n g d e s B u c h s , g e n a n n t : L e b e n ¼…½ J o h a n n B u n k e l s
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konnte. Aus dieser Höle gieng seitwärts ein andrer aber viel steilerer Gang, der durch eine immer enger werdende Öfnung in eine andre Höle führte, welche gegen den Tag offen zu seyn schien. Bunkel, wie er immer ein großer Waghals ist, entschließt sich herabzuklettern. Die Abfahrt war in gerader Linie 479 Ruthen lang, und endigte sich in eine bezaubernd schöne Aussicht von W i e s e n , zerstreuten B l u m e n und S t r ö m e n . Dieser Fleck Landes enthielt etwa 24 Morgen, war mit den fürchterlichsten Anhöhen umgeben, und zeigte in der Mitte ein sauberes artiges kleines Landhaus. Hr. Bunkel entdeckte durch sein Fernglas ein h ü b s c h e s j u n g e s F r a u e n z i m m e r , das mit einiger Art von Nadelarbeit *) beschäftigt vor der Thüre saß, und daß nicht weit
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davon eine andre Z a u b e r i n stand, welche Fische angelte. Zwey hübsche Mädchen! in einer so romantischen Gegend! das war für Master Bunkel was eine goldfarbige Fliege am Angel für die gierige Makrele ist. Er hatte ungefehr noch 6 Ruthen um wieder ans Tageslicht zu kommen; aber weil der junge Herr „vor Ungedult die zwoo Zauberinnen kennen zu lernen“ nicht mehr wußte wo er war noch was er that, glitscht’ er mit dem Fuß aus, und r o l l t e a u s d e m B e r g a u f e i n e g e w a l t i g e u n d e r s t a u n l i c h e A r t herunter. Es war eben Mittag (fährt er fort) als ich bey den Frauenzimmern anlangte, und da sie mich nicht eher sahen als bis sie sich von ungefehr umwandten: so waren sie über meinen Anblick so erschrocken, daß sie die Farbe veränderten und die Eine
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laut zu schreyen anfieng. Aber diese Furcht vergieng bald, wie ich sie versicherte, d a ß i c h i h r g e h o r s a m s t e r D i e n e r s e y , u. s. w. Vermuthlich ist diese ganze Stelle eine von denjenigen, um derentwillen es dem Hrn. Nicolai gefällig gewesen ist, Hrn. J. B. zum l a u n i g s t e n , a n g e n e h m s t - s e l t s a m s t e n Schriftsteller, der je die Feder geführt hat, zu creiren. Es ist würklich eine gar drollige, affentheurliche Art sich zum gehorsamen Diener zu erklären. Aber freylich, wenn nicht auch noch dann und wann so ein angenehmstseltsamster Schnak, oder eine schöne Beschreibung einer unterirrdischen Reise, eines bezauberten Thals, oder eines schönen, jungen, Religion und Wollust athmenden h i m m l i s c h e n Mädchens mit unter liefe: wo sollte einer die Geduld hernehmen, sich durch den dumm-ernsthaften Theil des Buchs, der zulezt doch wenigstens 7/8 vom Ganzen ausmacht, durchzuarbeiten? *)
Welche P r ä c i s i o n im Styl! — m i t e i n i g e r A r t v o n etc. anstatt schlechtweg, mit Na-
delarbeit. Hr. Bunkel ist ein Muster in dieser Art von Präcision.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Juli 1778)
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Wir müssen gestehen, in der Art, wie Hr. Bunkel seiner schönen Weiber wieder loß wird, zeigt sich nicht der Reichthum von Erfindungskraft, den wir eben bewundert haben, und in diesem Stücke bleibt er weit hinter H o m e r zurück. Dieser läßt bekanntermaßen von den vielen Wunden, die in der Iliade gegeben und empfangen werden, nicht Eine der andern gleich seyn. Hr. B. hingegen richtet vier von seinen Sultaninnen durch die nemliche Todesart hin. Miß N o e l stirbt vierzehn Tage vor der Hochzeit an den Blattern, welche in sieben Tagen „ d i e f e i n s t e m e n s c h l i c h e B i l d u n g in den s c h e u s l i c h s t e n und w i d e r l i c h s t e n Klotz verwandelten. Das liebenswürdigste der 10
menschlichen Geschöpfe“ ü b e r a l l schändlich zugerichtet, (überall? Hr. B. muß sehr vorwitzig gewesen seyn) wurde das g a r s t i g s t e und u n e r t r ä g l i c h s t e S c h a u s p i e l . — O Bunkel! Bunkel! — Seine liebe C h a r l o t t e stirbt, nach einem e n t z ü c k e n d e n Z e i t l a u f von zwey Jahren, worinn er der glücklichste Mann in der Welt war, an einem hitzigen Fieber. S t a t i a , die ihm, wenige Tage darauf, sein Leid ergötzt, geht e b e n f a l l s a n d e n B l a t t e r n drauf, und B. wurde a l s o w i e d e r i n t i e f e Tr a u e r g e s e z t . Wohl ihm, daß es noch mehr hübsche Mädchen gab! daß es eine schöne und reiche A n t o n i a C r a n m e r gab, die ein Mann wie Er nur ansprechen durfte. Das Mädel w a r g u t w i e e i n E n g e l ; aber nach zwey Jahren starb Antonia g l e i c h f a l l s a n
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d e n B l a t t e r n , und wurde — v i e r g a n z e r Ta g e beklagt. Miß S p e n c e , die nächste an welche die Ehre kommt mit unserm betrübten Wittwer zu Bette zu gehen, stirbt wie No. 2. Aber dafür werden wir durch die Todesart der Miß Tu r n e r , seiner fünften ( r e s p e c t i v e sechsten) Gemahlin schadlos gehalten, die eine von den ungewöhnlichsten ist: denn sie stirbt an einem Sturz, da die Pferde mit dem Wagen, worinn Mann und Weib saßen, durchgiengen. Unglücklicherweise für uns Arme — kam Hr. Bunkel frisch und gesund davon! Mit der reichen A g n e s i a D u n k , die er hiernächst ihrem Vater entführt (aber freylich war es auch nur ein Tr i n i t a r i e r und ein B ö s e w i c h t ! ) spielt seine Phantasie noch wunderlicher; d i e wird gar zweymal tod gemacht. Ein-
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mal bloß zur erlaubten Gemüthsergötzung der Leser, an k e i n e r Krankheit; das zweytemal aber im vollen Ernst an den leidigen B l a t t e r n ; nachdem der liebe Mann vorher seine Interimsgemahlin, J u l i a F i z g i b b o n s , d. i. diejenige die er sich in der Zwischenzeit seiner doppelten Verheyrathung mit Fräulein Agnesia antrauen ließ, in einem Bache, wo sie fischen wollte, jämmerlich ertrinken lassen. Also Eine ertrunken, eine von Pferden geschleift, zwoo am
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hitzigen Fieber, und vier an den Blattern! In Summa Acht Weiber in 10 Jahren! Chaucers berüchtigtes Wife of Bath hatte nur f ü n f Männer in 50; aber die war dann auch nur ein gottloses Trinitarisches Belialskind! Das macht freylich einen Unterschied! Die Fortsetzung nächstens. W.
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Joh. Bunkels Leben u. Meynungen etc. (Fortgesezt von S. 90. N o . 7 . ) Und haben wir denn unsern Lesern würklich eine solche Fortsetzung versprochen? Das war unbarmherzig gegen uns selbst! Aber weil’s nun einmal versprochen ist, so muß es auch gehalten seyn; so schwehr es uns ankömmt, uns dem Eckel, den dieses a n g e n e h m s t - s e l t s a m s t e aller Bücher aus allen Blättern duftet, noch einmal auszusetzen. Man kann die J o h a n n - B u n k l i a d e , als ein d r e y l e i b i c h t e s Ungeheuer, unter dreyerley verschiednen Gestalten betrachten — als R o m a n ; als 10
T h e o l o g i s c h e s L e h r b u c h ; und als Vo r b i l d und B e y s p i e l s i t t l i c h e r und c h r i s t l i c h e r Vo l l k o m m e n h e i t . Was sie als Roman, Werk der Einbildungskraft, historisch-poetische Komposition ist, haben wir im lezten Stücke gesehen. Was sie von ihrer Theologischen, Dogmatico-Polemischen Seite werth sey, ergiebt sich schon aus den häuffigen Anmerkungen und Zusätzen des U n g e n a n n t e n , worinn die erbärmlichen Fehlschlüsse, die verworrene Vorstellungsart und Inconsequenz, und die groben Irthümer dieses l a n g s a m e n Kopfs, der den Locke dreymal durchstudiert hat, um denken zu l e r n e n , * ) meisterlich, obwohl, wie leicht zu erachten, auch so s ä u b e r l i c h
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als es das Interesse des Hrn. Verlegers erfoderte, gerüget werden. Diese Manier, ein elendes Buch durch die Anmerkungen und Zusätze paßlich zu machen, ist einer von den schlausten Kniffen unsers S o s i u s . Er gleicht, was dies betrift, einem Manne, der ein großes Gastmal (wohlverstanden, a 3½ Thlr. Leipz. Courant für die Portion) ausgerichtet hätte, wo die ganze Tafel mit einer Menge zwar größtentheils saft- und kraftloser, unverdaulicher, übelzugerichteter, eckelhafter und ungesunder Speisen besezt, jedoch neben jeder Schüssel weislich ein besonderes Pulverschächtelchen oder Arzneygläschen *)
Es ist ungefehr als wenn jemand H e q u e t s Buch von der Digestion studieren wollte, um
verdauen zu lernen.
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gestellt wäre, damit ein jedes, das von jener gegessen hätte, sogleich auch das Gegengift zu sich nehmen und seinen innern Menschen dadurch wieder ins gehörige Gleichgewicht setzen könnte. Nun wollen wir uns die Mühe nicht verdrießen lassen, dem e h r w ü r d i g e n J o h n B u n k e l , auch a l s B e y s p i e l u n d Vo r b i l d d e r L e h r e d i e e r p r e d i g t , etwas näher unter die Augen zu leuchten. Es ist nicht zu läugnen, bey aller seiner Bosheit gegen den Heil. Athanasius und die Englische oder vielmehr gegen die a l l g e m e i n e Kirche, hat der Mensch doch ziemlich reine orthodoxe Begriffe von dem was zum thätigen Christenthum gehört. Ein C h r i s t ist, nach seiner T h e o r i e , ein Mensch, der
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seinen Glauben an Gott und Jesum Christum dadurch beweiset, daß er „ n a c h d e n Vo r s c h r i f t e n d e s E v a n g e l i u m s h a n d e l t ; daß er in D e m u t h und S a n f t m u t h , in E r t ö d t u n g und S e l b s t v e r l ä u g n u n g , in E n t s a g u n g w e l t l i c h e r G e s i n n u n g , e t c . “ C h r i s t o ä h n l i c h i s t ; ja, daß er sich sogar bestrebt, „ G o t t , das vollkommenste der verständigen Wesen, in allen seinen moralischen Vollkommenheiten n a c h z u a h m e n , und nach seinem Vermögen *) v o l l k o m m e n z u s e y n , w i e G o t t , heilig, wie Gott heilig ist, barmherzig, wie Gott barmherzig ist“ u. s. w. — und als einen solchen Christen erklärt und bekennt sich J o h a n n B u n k e l unzählichemal durch sein ganzes Buch. Wer ihn s c h w a t z e n hört, und gewohnt ist die Leute nach dem was sie
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schwatzen zu beurtheilen, sollte ihn für einen Heiligen halten. Wenigstens ist man berechtigt, von einem Manne, der solche G r u n d s ä t z e und G e s i n n u n g e n vorgiebt, ein mit denselben übereinstimmendes Leben zu erwarten; und hätte der Verfasser seinen Johann Bunkel in den verschiednen Verhältnissen und Auftritten des Lebens als einen Mann voll edler gemeinnützlicher Thätigkeit dargestellt: so könnte sein Buch (so dumm und langweilig es übrigens, nach dem Einstimmigen Zeugnis der meisten Pränumeranten, ist) wenigsten von dieser Seite noch einigen Nutzen geschaft haben. Aber Nichts weniger als das. Johann Bunkel s c h w a z t zwar immer — nicht wie ein C h r i s t — denn d i e schwatzen nicht — sondern a l s o b e r e i n e r w ä r e : l e b t aber immer wie alle Z ö l l n e r und S ü n d e r auch leben — bringt seine *)
Diese moralische C l a u s u l a s a l v a t o r i a steht hier nicht bloß pro forma da. Denn wenn
Meister Bunkel (wie am Tage liegt) ein gar elender Nachahmer Gottes ist, so kann er sich immer mit seinem wenigen Vermögen entschuldigen. Das schlimmste, ist nur, daß jeder Schurke eben das sagen kann, und mit so gutem Fug als er.
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Zeit mit gut essen und trinken, scherzen, spielen, tanzen, herumschwärmen und müßiggehen zu — verliebt sich in ein schönes Mädchen nach dem andern; heyrathet eine nach der andern; begräbt eine nach der andern; liegt schon wieder bey einer neuen, eh die vorige recht erkaltet ist, und rechtfertigt sich deßwegen — der garstige Bock! mit seinem Te m p e r a m e n t ! — verspielt sein ganzes Vermögen in Einer Nacht — entführt einem Vormund durch die n i e d e r t r ä c h t i g s t e n R ä n k e seine Pflegtöchter, einem Vater sein einziges Kind — kurz, ist, von vorn und hinten besehen, weder mehr noch weniger als ein Selbstischer, Gott und der Welt unnützer, anti-trinitarischer Müßiggän10
ger, Wollüstling und Libertiner — und hat die Unverschämtheit sein L e b e n zu schreiben! Bedarf es Beweise dieser Beschuldigungen? Sein ganzes Buch wimmelt davon. Man rechne alles davon ab was G e s c h w ä t z ist, und sehe, was übrig bleibt! Einige Pröbchen, wie viel der Mann auf Essen und Trinken hält — nur aus dem zweyten Theile, der mir just zu nächst liegt — S. 14. „Hierauf wurde das Mittagsmahl aufgetragen und die Herren (die P h i l o s o p h e n z u U l u b r ä ) setzten sich mit mir bey v e r s c h i e d n e n v o r t r e f l i c h e n S c h ü s s e l n nieder. Hier fand sich d a s B e s t e v o n j e d e r A r t
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S p e i s e u n d Tr a n k , und es war alles a u f s z i e r l i c h s t e a n g e r i c h t e t . Ihr We i n besonders war a l t u n d e d e l , * ) und wurde n i c h t s p a r s a m eingeschenkt. Wir trunken nach der Mahlzeit ein fröliches Glas und l a c h t e n e i n i g e S t u n d e n auf eine vergnügte Weise w e g . “ — Bald darauf, nachdem sich Hr. Bunkel bey Hrn. Harcourt und seiner a p o k a l y p t i s c h e n Tochter Miß Henriette Eusebia, **) als ein christlicher Pilgrim und Märtyrer introduciert, wird (S. 41.) an einer v o r t r e f l i c h b e s e z t e n und mit einem g r o ß e n S c h e n k t i s c h benachbarten Tafel tüchtig geschmaußt, und d e r N a c h m i t t a g abermals mit S c h e r z z u g e b r a c h t . Aber freylich bezahlt Hr. J o h a n n beym Spaziergang für seine Mahlzeit durch eine sehr ernsthafte Katheder-
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rede gegen die Lehre von der Dreyeinheit. Bald darauf p u r z e l t er, auf die neulich beschriebne Art, zu Miß Turner und Miß Jaquelot herab, die er als ein *)
Schade für den edlen alten Wein, den so ein Schuft getrunken hätte — wenn’s wahr wäre.
Aber das Beste ist, daß der Mensch, allem Ansehen nach, nur in seiner Imagination trinkt und schwelgt. **)
Von welcher nebst den übrigen merkwürdigen Frauenzimmern ein andermal.
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paar — scharmante Prinzessen beschreibt. „Mit diesen Frauenzimmern, sagt er, brachte ich drey Tage zu, und wir v e r t r i e b e n u n s d i e Z e i t mit R e den, Spazieren, Spielen und Lachen. Wir waren ein glückliches K l e e b l a t u. s. w.“ Indessen mußt’ es doch geschieden seyn! Aber auf unsern Anti-Trinitarier warten lauter glückliche Abentheuer. Er kommt wieder in eine bezauberte Gegend, zu einem bezauberten Landgut, springt an seiner Stange über den tiefen Graben eines bezauberten Gartens, verirrt in eine Bibliothek, wo er über eine Stelle aus dem E p i k t e t moralisiret, (d. i. Wasser ins Meer gießt) und findet endlich den Besitzer aller dieser Herrlichkeiten, Herrn Berrisfort, der nach einer kleinen Unterredung bemerkt — d a ß e s i z t
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z e h n U h r s e y , und man also ans F r ü h s t ü c k denken sollte. Die Schwester des Hrn. B. wird ersucht, s o g l e i c h A n s t a l t d a z u z u m a c h e n ; und bald sieht Herr J o h a n n zu seiner großen Freude v e r s c h i e d n e B e d i e n t e e i n s c h ö n e s u n d v o r t r e f l i c h e s F r ü h s t ü c k hereinbringen. B u n k e l c h e n wird eingeladen, und bringt abermals etliche Tage auf Kosten anderer Leute mit Vergnügen zu. Vormittags wird sechs Stunden lang mit H u n d e n und Nachmittags mit F a l k e n gejagt. Dann finden sie zu Hause allemal e i n h e r r l i c h e s M i t t a g - u n d A b e n d e s s e n . D a s b e s t e E s s e n u n d Tr i n k e n w a s d e r G e s c h m a c k n u r w ü n s c h e n k a n n , sezt Bunkel, als einer dem von der Erinnerung noch das Maul wässert, hinzu; und als ob es an dem
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h e r r l i c h e n Beywort noch nicht genug gewesen wäre! — Da Bunkel, nächst gutem Essen und Trinken, nichts in der Welt lieber hat, als ein schön Mädel, so folgt auch hier eine hübsche Beschreibung der Miß Berrifort. Ihr einziger Fehler war, daß sie eine ganz abscheuliche Fuchsjägerin war, und immer bey den Hunden seyn mußte, es mochte über Schlagbäume oder über die gefährlichsten Gräben und Pfähle gehen. „Jeden Augenblick (sagt Meister Bunkel) erwartete ich, daß sie sich d e n H a l s , d e n l i l i e n w e i s s e n H a l s , brechen würde. Sonst wurd’ ich von allen, die mich kannten, für einen d e s p e r a t e n R e u t e r * ) gehalten; aber mit diesem jungen Frauenzimmer konnt ich nicht fortkommen u. s. w. Doch, sezt er hinzu, wenn Ehre ruft und Schönheit uns leitet, wer kann da an Sicherheit denken und verzagt zurückbleiben?“ Diese edle Art zu denken kostete unserm geistlichen Ritter schon am zweyten Tage einen erschrecklichen Fall, wobey er doch, leider! mit einem blauen Auge und *)
Eine feine Qualität an einem Evangelisten und Reformator!
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einer zerquetschten Seite davon kam. Dafür hatte er aber auch die Satisfaction, daß die schöne Diana, Julie Berrisfort, nach einer halben Stunde, indem sie über einige Pfähle setzen wollte, ebenfalls tüchtig stürzte — wiewohl es Gottlob! ohne Schaden ablief, sondern bloß zu einer nähern zärtlichen Bekanntschaft zwischen ihnen beyden Anlaß gab, und bald darauf b e y e i n e r v o r t r e f l i c h e n M i t t a g s m a h l z e i t und einigen F l a s c h e n a l t e n u n d e d l e n We i n s alles wieder vergessen wurde; auch nachher bey einer Pfeiffe Tabac über den lehrreichen und weisen Satz: daß der Lehrbegriff der Orthodoxen die wahre Ursache vom großen Verfall des Christenthums sey, und 10
über die Ächtheit der Heil. Schrift, eine feine Unterredung erfolgte — wo, unter andern N e u i g k e i t e n von diesem Schlag, auch die ganz neue Entdekkung mitgetheilt wird: daß Gott — Gott sey. — Die Unterredung schließt sich auf eine sehr erbauliche Art mit der Apostrophe: „Wir wollen daher, mein theurer Robert, C h r i s t e n s e y n , den Aposteln gehorchen, und uns nach den Vorschriften der Offenbahrung also beherrschen und aufführen, daß wenn J . C . einst wiederkommen wird, uns nach dem Evangelio zu richten, wir mit ihm zu den herrlichen Gegenden des ewigen Tages auffahren etc.“ — und in Gemäsheit dieser guten Entschließung, begiebt sich der apostolische Mann Bunkel m i t s e i n e r S t a n g e wieder auf den Weg, und springt über Graben,
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Stock und Stein wieder zu den Philosophen zu Ulubrä zurück, um — ihnen die Abentheuer seiner u n t e r i r d i s c h e n R e i s e zu erzählen und b i s u m M i t t e r n a c h t mit ihnen zu zechen. — Wir würden unsern Lesern Überdruß verursachen, wenn wir noch mehr Beyspiele häuffen wollten, mit welcher thierisch-sinnlichen schmatzenden Behaglichkeit Herr Johann Bunkel alle seine schönen und vortreflichen Mahlzeiten vor den Augen der ganzen ehrbaren Welt w i e d e r k ä u t . Das Buch ist bis zum Eckel eines satten — und bis zum Neid eines hungernden Lesers voll davon. Wohlverstanden, Herr Bunkel und Compagnie! Man nimmt dem Herrn nicht übel, daß er gern was Gutes ißt und trinkt, sondern nur daß er soviel Aufhebens davon macht, und dieser und
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andern sinnlichen Vergnügungen, durch die Art wie er davon spricht, einen so großen Werth beylegt. Und auch dies nimmt man ihm nur darum übel, weil es sich für einen Menschen, der den Religionsverbesserer und apostolischen Mann macht, nicht geziemt, in mehr als Epikurischem Ton von gut Essen und Trinken zu reden. Ein jeder andrer der sich für nichts als einen ehrlichen Kerl glattweg ausgiebt, mag ungetadelt seinem Gaum gütlich thun, und in guter
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fröhlicher Gesellschaft scherzen und lachen, und sich seines Lebens freuen, so lang er will und kann. Aber einem Menschen, der immer im Munde führt, d a ß e i n C h r i s t s i c h n i c h t d e r We l t g l e i c h s t e l l e n m ü s s e , ihre E i t e l k e i t e n , G e w o h n h e i t e n und M o d e n , A u f z ü g e und t h e a t r a l i s c h e Vo r s t e l l u n g e n , u. s. w. w e i l s i e z u m L a s t e r v e r l e i t e n , nicht mitmachen, sondern sich vielmehr a l s e i n We s e n , d a s z u e i n e r a n d e r n We l t gehöre, ansehen und sich nach geistigen Grundsätzen bilden m ü s s e * ) — einem solchen Menschen steht es wahrlich übel an, sich d i e Z e i t mit Zechen, Spielen und Lachen z u v e r t r e i b e n , und es klingt aus seinem Munde ganz unsinnig, wenn er uns erzählt: daß er mit einem Dutzend
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Herrn und Damen, d i e a l l e s o l u s t i g u n d e i n n e h m e n d w a r e n a l s d i e w o h l e r z o g e n s t e n L e u t e s e y n k ö n n e n , z e h n Ta g e nichts gethan habe, als t r i n k e n , l a c h e n , t a n z e n , s i n g e n , s c h w a t z e n , und sich an H a r l e k i n e n und L u f t s p r i n g e r n e r g ö t z e n * * ) — und von allem diesem just in dem Ton spricht, wie ein Jünger von M i l o r d C h e s t e r f i e l d , oder wie das ungöttlichste aller Weltkinder nur immer sprechen kann. Das ists was wir dem Wesen, das zu einer a n d e r n g e i s t i g e n We l t gehört, übel nehmen; und um so mehr übel nehmen, weil wir nirgends sehen, durch was für eine Art gemeinnützlicher Würksamkeit und Erfüllung auch nur seiner bürgerlichen Pflichten, er das Recht, sich zehn Tage lang durch Ergötzlichkeiten zu
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erholen, erlangt habe. Es ist Unsinn, und mehr als Unsinn, es ist Ärgerniß und unverschämte Verspottung aller gesunden Grundsätze, einen solchen Menschen zu einem B e y s p i e l e i n e s w o h l g e f ü h r t e n L e b e n s aufzustellen! Ich sehe, daß ich mich unvermerkt ereifere — und, weil ich gerade keinen guten Freund bey mir habe, der mir, auf gut Tristrammisch, durch ein Tw i t t e l - D i d d e l , D i d d e l - D i d d e l , Tw i t t e l - D i d d e l - D u m ! wieder in den Ton helfen könnte — so wollen wir versuchen, ob Herr Johann Bunkel V. C. nicht selbst dazu gut ist. Ziehen wir doch ein wenig, in aller Ehrbarkeit, den Vorhang weg, und sehen, wie sich der Mann mit seinen schönen Mädchen und Weibern — in der E r t ö d t u n g und S e l b s t v e r l ä u g n u n g übt. Wir werden
*) **)
III. Th. S. 109. f. II. Th. S. 347. u. f.
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finden, daß der ehrliche wohlselige R o b e r t v o n A r b r i s s e l nur ein Kind gegen Herrn S a n c t J o h a n n B u n k e l ist. W. (Der R e s t muß aus Mangel des Raums aufs nächste Stück verspart werden.)
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Auszüge aus der Johann-Bunkliade. (Fortgesetzt von S. 172. No. 8.) Wir haben neulich den Anfang gemacht, den Christlichen Deisten und anmaaßlichen Wiederhersteller der Unschuld und Heiligkeit der ersten Christen-Gemeine, Hrn. J o h a n n B u n k e l , als Vorbild der Evangelischen Sittenlehre, die er predigt, in seinem L e b e n zu zeigen: was wir davon gesehen haben, war hinlänglich, auch den Gleichgültigsten zum Unwillen zu reitzen. Aber das Erbaulichste ist noch zurück. Wir versprachen unsern Lesern, sie auch zu Zeugen zu machen, wie er sich mit seinen schönen Mädchen und Weibern in dieser S e l b s t v e r l ä u g n u n g und E r t ö d t u n g übe, von welcher
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er an mehr als einem Orte seines Buches, als einem der w e s e n t l i c h s t e n G e s c h ä f t e d e s w a h r e n C h r i s t e n spricht — und dies ists was wir nun halten wollen. Seinen ersten verliebten Ausfall, da er der hochwohlgelahrten M i s s N o e l , in freundlicher Antwort auf ihre Philologisch-Kritische Vorlesung ü b e r d i e e r s t e S p r a c h e , „ein H a l b d u t z e n d K ü s s e v o n i h r e n b a l s a m i s c h e n L i p p e n r a u b t , “ * ) wollen wir, als einen ungezogenen Bubenstreich, um so eher übersehen, da Miss Noel selbst so schnell ist, ihm zu verzeyhen, und er gleich darauf sich wieder so a r t i g aufführt, als man von irgend einem Akademischen Stutzer erwarten kan. „Anfangs zwar, sagt er, fand sie sich da-
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durch sehr beleidigt. Allein da ich sie um Vergebung bat, und ihr vorstellte, daß keine muthwillige G r o b h e i t , sondern die Z a u b e r k r a f t i h r e r m a j e s t ä t i s c h e n A u g e n * * ) und die glänzenden Eigenschaften ihrer Seele mich *)
I. Th. S. 75. Möchte noch hingehen, wenn er der Jungfer M a g i s t e r i n dadurch hätte insi-
nuiren wollen, daß es sich für ein so hübsches junges Mädchen nicht schicke, Catheder-Reden über die erste Sprache zu halten, und über die C h e r u b i m und E l o h i m eine besondere Meynung zu haben. Aber das ist es nicht. Bunkel raubt sein Halbdutzend Küsse wie ein wahrer junger Satyr in vollem Ernst — dumm! **)
Bunkel ist wohl der erste, auf den M a j e s t ä t eine solche Faunische Würkung thut. Aber
dafür ist auch nie ein Buchmacher gewesen, der sich weniger ums Schickliche bekümmert hätte
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so entzückt und hingerissen habe, so wurde das gute Vernehmen wiederhergestellt, und sie fragte mich o b w i r K a r t e n s p i e l e n w o l l t e n ? M i t F r e u d e n , antwortete ich, und sogleich wurde ein Spiel hereingebracht. Wir setzten uns nieder zu C r i b b a g e u. s. w.“ Nach einigen Spielen wurde Miß Noel gewahr, daß eine Flöte aus seiner Rocktasche hervorguckte. Sir, sagte sie, Sie spielen wohl auf diesem Instrument? Sie werden mich verbinden, mir ein Stück darauf vorzuspielen. *) Nun denken wir, wird der Pursche sein Stückchen blasen. Mit nichten! Um ihr zu zeigen, daß er auch Verse mache, nimmt er aus seinem Taschenbuch einige Zeilen hervor, die er ihr vorliest, und sagt: 10
daß er sie den vorigen Tag zu einer Arie des — L u l l i (warum nicht gar zu einer Arie des J u b a l , von dem herkommen sind die Geiger und Pfeiffer?) gemacht habe; und sogleich, setzt er hinzu, fieng ich an a u f d a s l i e b l i c h s t e — w i e i c h k o n n t e , z u b l a s e n . Aber auch dabey ließ er’s nicht bewenden. Um alle seine kleinen Talente auf einmal auskramen zu können, muß der Jungfer Noel alter eisgrauer Vater dazu kommen, und sogleich v e r m u t h e n , daß Mr. Bunkel ohnezweifel eben so gut s i n g e , als spiele. Mit beydem will ich aufwarten so gut ich kan, antwortet der junge Pennal, und straks fängt er an sein Lied zu singen (vermuthlich eine Arie des L u l l i ) das dem alten Herrn, „nicht nur wegen des artigen Gesangs, sondern auch wegen des m o r a l i -
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s c h e n I n h a l t s “ (denn es handelte von der E i n s a m k e i t ) so wohl gefällt, daß der alte Herr (der v e r m u t h l i c h vor Alter wieder zum Kinde geworden war) dem jungen Löffel sogleich eine Liebeserklärung thut, und nach Verlauf von zween Monaten schon die Heyrath zwischen ihm und Miss H e n r i e t t e n festgesetzt wird — welche dann auch ein Jahr darauf vollzogen worden wäre, wenn nicht, schon erzähltermaaßen, die fatalen Blattern „das liebenswürdigste der menschlichen Geschöpfe, ü b e r a l l s c h ä n d l i c h z u g e r i c h t e t , i n d e n s c h e u s l i c h s t e n und w i d e r l i c h s t e n K l o z u n d i n d a s g a r s t i g s t e und u n e r t r ä g l i c h s t e S c h a u s p i e l verwandelt hätten.“ — Im Vorbeygeals er. Das sibi convenientia fingere ist eine Regel, wovon er, seinem L o c k e zu Trotz, gar keinen
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Begriff zu haben scheint. *)
Eigentlich im Grundtext: „Sie werden mich verbinden, w e n n S i e b e l i e b e n w o l l e n , mir
ein Stück darauf vorzuspielen.“ Diese schändliche Art von wortreicher Höflichkeit beobachtet der Duns durch sein ganzes Buch, und amplificiert es in diesem Geschmack, zum herzlichen Ekel der Leser, um viele Bogen. Das muß man ihm lassen: in Complimenten a ` la M e n a n t e s und in Ta v t o l o g i e n sucht er seinesgleichen.
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hen gesagt, r o m a n h a f t denkt und fühlt Hänschen Bunkel nun wahrlich nicht, was auch die Herren Reviewers sagen mögen. Man erinnere sich nur, wie S t . P r e u x in Rousseaus neuer Heloise, am Bette seiner an eben so scheuslichen Blattern tödlich darnieder liegenden Geliebten, sich beträgt, und vergleiche dessen S p r a c h e und B e t r a g e n mit Bunkels! Einem wahren Liebenden, ich will nicht sagen, einem Wesen, das sich nach g e i s t i g e n Grundsätzen gebildet hat, würde freylich unmöglich gewesen seyn, über die Leiche seiner zum Engel entfalteten Geliebten ein solches Nachtbecken voll scheuslichster Beywörter herabzuschütten — Aber einem Kerl von Bunkels Te m p e r a m e n t ists allerdings nicht so sehr zu verdenken, wenn er grisgrä-
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mig darüber wird, daß ihm ein so schöner Bissen, als Miss Noel v o r den Blattern war, so nahe am Hochzeittag, von dem garstigen Knochenmann vorm Maule weggeschnapt werden soll! Doch, dies nur im Vorbeygehen — wie uns freylich hier öfters begegnet — denn wer wollte oder könnte solch ein Buch methodisch analysiren? Wie gesagt, das Halbdutzend so ex abrupto geraubte Küsse ausgenommen, führt sich Bunkel in seiner ersten Liebe ganz leidlich ehrbar auf. Bey M i s s C h a r l o t t e M e l m o t h , seiner zwooten Geliebten, treibt er die Bescheidenheit und Enthaltung sogar bis zum Heroismus. Ungeachtet sich ihre Bekanntschaft damit anfängt, daß er sie so n a c k e n d , wie sie Gott geschaffen hat,
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aus ihrer Kajüte trägt — ungeachtet diese Miss a u s s e r o r d e n t l i c h s c h ö n war, und Bunkel d r e y g a n z e r Wo c h e n i m W i r t h s h a u s e Ta l b o t mit ihr verblieb, und s i e s e l t e n v o n e i n a n d e r w a r e n ( a u s g e n o m m e n w e n n w i r s c h l i e f e n , setzt der vorsichtige Mensch hinzu) so erhielt sich ihre gegenseitige Liebe doch in den Schranken der r e i n s t e n u n d e d e l s t e n F r e u n d s c h a f t ; denn in wenigen Tagen waren sie einander „ d u r c h e i n e w u n d e r b a r e Z a u b e r k r a f t in ihren Begriffen, Neigungen, Gemüthsart und Gesinnungen so ähnlich geworden, daß sie zweene g e i s t i g e S o s i a s s e oder Kopeyen eines von des andern Seele waren.“ *) A u f d e n L e i b , sagt er, ward gar nicht gesehen. Ihre feine empfindungsvolle Seele m a c h t e m e i n e e i n z i g e F r e u d e a u s . — Bravo, Master Bunkel! das ist doch eine Aufführung, wie sich’s für einen feinen empfindungsvollen Liebhaber, und für einen Menschen aus der andern Welt geziemt! — Aber freylich *)
Th. I. S. 101.
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merkt der Mensch, so dumm er sonst ist, gleichwohl hier selbst, daß auch bey den leichtglaubigsten seiner Leser einiger Zweifel über die M ö g l i c h k e i t einer so platonischen Liebe bey einem so brutalen Temperament, wie das seinige, bey einem dreywochigen steten Beysammenseyn in einem Wirthshause, und zu einer so ausserordentlich schönen Person, die man nackend aus ihrer Kajüte getragen hat, entstehen könnte; und er scheint sich dieses Phänomen selbsten nicht wohl anders, als durch die Macht, welche das Bild der schönen M i s s N o e l noch über seine Sinnen hatte, erklären zu können. Er meynt, wenn’s länger als drey Wochen gedau’rt hätte, so könnt’ er nicht sagen, was aus 10
dieser platonischen Liebe hätte werden mögen. Und in der That, wenn man betrachtet, was für ein ungeduldiger Popanzischer Mädchenfresser Hr. Johann wurde, sobald er einmal von diesem b e z a u b e r t e n Fleische gekostet hatte, so läst sich für nichts stehen. Indessen müssen wir doch ihm und der schönen Melmoth die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, zu sagen, daß sie auf ihrer Seite alles mögliche gethan, um dem bösen Widersacher das Concept zu verrücken. Sie blieben zwar jeden Abend b i s u m M i t t e r n a c h t allein beysammen: aber — „anstatt von d e r Ve n u s u n d i r g e n d e i n e m a u s i h r e m G e f o l g e zu reden, unterhielten sie sich mit den m o r a l i s c h e n We r k e n d e s Cicero, mit seinen Academicis und de Finibus, u. s. w. mit der Frage: ob
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Oedipus oder Elektra die beste Tragödie des Sophokles sey, und in welchen Scenen Plautus oder Terenz den Vorzug hätten?“ Kurz sie schwazten von einer Menge Dingen — „von der B i b e l an bis zu den Wo l k e n des A r i s t o p h a n e s und von Griechischen und Römischen Lust- und Trauerspielen bis zur M i n e r v a des S a n c t i u s und H y c k e s n o r d i s c h e m T h e s a u r u s “ * ) — und da konnte ihnen der A s m o d e u s freylich nichts anhaben. Es war gerade, als ob sie den grossen Rosenkranz zusammen gebetet hätten. Die Lehre, welche sich unsre liebe Jugend hieraus ziehen kan, ist die einzige Moral im ganzen Buch, die man nicht längst auf allen Dächern predigen gehört hat: nehmlich, Buben und Mädchen mögen ohne Schaden und Gefährde bis Nachts zwölf Uhr
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Teˆte a ` teˆte in Wirthshäusern beysammen sitzen, insofern sie nur die Vorsicht gebrauchen, immer d e n T i s c h z w i s c h e n s i c h z u h a b e n , u n d v o n n i c h t s a n d e r n z u r e d e n a l s v o n Cicero de Finibus, Hykes Thesaurus und Sanctii Minerva. Wenn die Pränumeranten mit ihren 3 und einem halben *)
S. 102. 103.
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Thaler auch nichts gewonnen hätten, als dieses feine Arcanum, so könnten sie wahrlich wohl zufrieden seyn. Herr Bunkel war ungefehr im 23sten Jahre, als er diese Probe von Platonischem Heldenthum und Stoischer Kälte ablegte; und wir finden, unmittelbar nach seinem Abschied von Miß Melmoth, während seinem Aufenthalt bey der frommen Frau M a r t h a P r i c e , und so fort, bis zu seiner Vermählung mit vorbesagter Miß Melmoth, eben nichts, was als ein Flecken an seiner Jungfräulichkeit angesehen werden könnte; es wäre dann d e r s t a r c k e E i n d r u c k , den, seinem Geständniß nach, die Dame A z o r a (Stifterin und Großmeisterin der herrlichen Frauenzimmer-Republick, die uns im ersten Theil
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der Länge nach beschrieben wird) in ihrem theaterhaften S c h ä f e r a n z u g , und „mit ihren w o h l g e s t a l t e t e n F ü ß c h e n , d i e s i c h b e y i h r e r k u r z e n K l e i d u n g , i n s c h w a r z s e i d n e n S c h u h e n und den f e i n s t e n w e i s s e n S t r ü m p f e n , s e h e n l i e s s e n , “ auf ihn machte; welches ihm jedoch, als eine Anwandlung von menschlicher Schwachheit, die übrigens ohne Folgen blieb, billig zu verzeyhen ist — zumahl da das Ärgernis, wofern hier eines statt hatte, offenbar ein g e g e b n e s war — denn wer hieß eine junge Dame, die sich an die Spitze eines religiösen Frauenzimmerordens gestellt hat, einen so kurzen Rock tragen? Was aber den zweyjährigen Ehstand betrift, worinn er, ungefehr bis in sein
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25stes Jahr in Ortons Einsiedeley (die nicht durch seinen, sondern des ehrlichen Nachbar F l e m i n g s Fleiß, zu einem kleinen Paradeise gemacht worden) mit der schönen Philologin, Charlotte Melmoth, lebt: so mögten wir wohl sehen, was denn Herr Bunkel, als einer, der in Selbstverleugnung und Ertödtung zu leben versprochen hat, in diesem seinem häuslichen Stande thut, um sich seiner erhabnen Grundsätze würdig darzustellen. Man sieht nicht einmal, was er thut, um nur werth zu seyn, daß er die Früchte der Erde verzehren helfe. Er spricht zwar von seiner Ehe, als einem Aufenthalt in den Vorhöfen des Himmels, und scheint sich viel damit zu wissen, „ d a ß e r g e g e n s e i n e F r a u (die, seinem Sagen nach, ein Engel von Vollkommenheiten war) a l l e s , w a s i h m d i e Vo r s i c h t i g k e i t , K l u g h e i t u n d G e r e c h t i g k e i t v o r schrieb, beobachtet, und sich also in seiner Ehe so aufgeführt, wie die geoffenbarte Religion, und die damit übereinstimmend e N a t u r , e s e r f o d e r t . “ — Aber außerdem, daß er ein Ungeheuer hätte seyn müßen, um mit einem solchen Engel ü b e l zu leben, so sind das alles nur
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kahle allgemeine F o r m e l n , womit uns ein Biograph im Grunde — Nichts sagt, und es scheint doch wohl keine übertriebne Foderung, wenn wir von einem Menschen, der sich zu einem g ö t t l i c h e n L e b e n anheischig gemacht, etwas mehrers erwarten, als ein Daseyn, in wollüstiger Ruhe und an einer steten Kette sinnlicher Ergötzungen hingeschlendert. „Ganze Tage brachten wir zu, sagt er, daß wir fischten, und in einer kühlen Grotte am Rande des Wassers, oder unter einem alten Baum am Ufer irgend eines lieblichen Flußes speiseten. *) — Zu andern Zeiten hatten wir unsre Lust, so viele Karpen und Schleien, als wir wollten, in einem großen stehenden Wasser zu 10
fischen u. s. w. In den schönen Sommertagen belustigten wir uns auch mit der Schießjagd vor dem Hund. Charlotte l i e b t e d i e s e n Z e i t v e r t r e i b ü b e r a l l e s , und gieng manche Stunden mit mir, um zuzusehen, wie ich dieses Vogelwerk niederschoß, bis wir des Abends spät über die felsichten Berge zu unserm reinlichen, geruhigen kleinen Hause zurückkehrten und bey unsern Vögeln eine so köstliche Abendmahlzeit genossen, als die Großen sie halten u. s. w. Nach dem Abendessen schwatzten wir entweder bey einer kleinen Punschschale auf eine angenehme Weise bis zur Schlafzeit, oder ich spielte auf meiner Flöte, wobey Charlotte ihre göttliche Stimme hören ließ. S o g l ü c k l i c h l e b t e n w i r ! Selbst der Winter — fiel uns nicht zu strenge. Wir hatten
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einen v o r t r e f l i c h e n Vo r r a t h von allerhand Art r e i c h l i c h aufgehoben, u. s. w. Unsre Bedienten und Mägde verschaften uns ein bequemes Leben, ersetzten unsre Bedürfniße, und machten unsre Glückseligkeit vollkommen. — Kurz, jede Jahreszeit, jede Stunde ergötzte uns, und machte uns Freude.“ — Auch der gute Thomas Fleming, ihr Freund, und Nachbar trug dazu das Seinige ehrlich bey. „Es war unmöglich, sagt Bunkel, in seiner Gesellschaft mißvergnügt zu seyn. Seine Gemüthsart und sein Singen bey einer Punschschale waren schon zureichend den Milzsüchtigsten aufzumuntern, und den Verdrieslichsten zum Lächeln zu bringen.“ — All gut, Herr Bunkel! Aber das sagt uns immer nur, wie ihr euch gute faule Tage gemacht, und was ihr genossen,
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*)
Bunkel glaubte vermuthlich durch dergleichen eingemischte Bilderchen seine platte Le-
bensbeschreibung interessanter zu machen. Aber was geht das u n s an, wenn er sichs unter einem alten Baum oder in einer kühlen Grotte wohl schmecken ließ? Gut für I h n , und Prosit die Mahlzeit! Uns braucht er nicht zu Zuschauern dabey zu machen. Solche Züge werden nur interessant, wenn uns die Personen, wovon die Rede ist, sehr lieb geworden sind. Aber wer könnte Herrn Johann Bunkel und seine aus der Luft gegriffenen Weiber lieb haben?
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nicht wie ihr die Pflichten des Lebens erfüllt, nicht was ihr g e t h a n . Essen und Trinken, und müßig gehen, und sich erlustigen, und andre für sich arbeiten lassen, ist, wenn ihr wollt, eine gute Art von Sardanapalischen, Sybaritischen, Schlaraffenländischen Wolleben; aber e x e m p l a r i s c h und einer Biographie würdig ist es wahrlich nicht! Das heißt weder leben, wie ein C h r i s t , noch braucht man ein Christ zu seyn, um s o zu leben; der gemeinste Heyde im ganzen Heydenthum kann das eben so gut, und ohne daß er sich darum einbildet, um ein Haar besser als ein andrer zu seyn. Indessen stirbt Madam Bunkel, nach zween so glücklich mit ihrem theuren Ehwirth verlebten Jahren, ganz unvermuthet an einem Fieber. Unglücklicher
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weise werden auch Freund Thomas Fleming, und ein Bedienter nebst zwoo Mägden des Herrn Bunkel von der nehmlichen Krankheit weggeraft. Die Art wie sich Bunkel bey dieser Prüfung beträgt ist — s e i n e r w ü r d i g : denn er beträgt sich dabey weder als ein Mensch, noch als ein Weiser, noch als ein Christ, sondern als — J o h a n n B u n k e l . Wie untröstbar mußte ihr Gatte seyn! ruft er aus, und dieser untröstbare Gatte setzt sich u n t e r d i e L e i c h e n hin, und stellt eine G e m e i n p l a t z - B e t r a c h t u n g über den To d an; das schändlichste Gewäsche, das jemals ein Jesuiterschüler in der R h e t o r i s c h e n C l a s s e als ein Schulexercitium zu Markte gebracht hat, aus den abgetragensten Lumpen von Sententzen und eiskalten Antithesen zusammen-
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geflickt — als (um nur ein kleines Pröbchen zu geben) — „ d e r To d i s t e s , der den E r o b r e r sich seines Namens schämen lässet etc. d e r To d ist es, der den S t o l z e n und Übermüthigen sagt, daß sie Niederträchtige sind etc. d e r To d ist es, der den R e i c h e n zur Rechenschaft fodert und ihm beweiset, daß er ein Bettler, ein nakter Bettler, ist etc. d e r To d i s t e s , der vor die Augen der S c h ö n e n ein Glas hält, und sie darinn ihre Scheußlichkeit erblicken läßt. etc. — Welchen keiner belehren konnte, den hast d u , o To d überzeugt; was keiner sich unterstehen durfte, das hast d u gethan, u. s. w. Doch, m ä c h t i g e r To d , du vermagst noch mehr! Du führest zur Auferstehung vom Tode, zum Tage des Gerichts etc. D u , o To d , sey daher Morgens und Abends der Gegenstand unsrer Betrachtung. L e h r e u n s , daß alle menschliche Dinge übel sind u. s. w. L e h r e u n s daß wir nicht zu Menschen, zu denkenden, vernünftigen Wesen, in der Absicht gemacht worden, daß wir alle unsre Gedanken und Zeit in Sinnlichkeit und Vergnügungen, Essen und Trinken und Ergötzlichkeiten ( w i e i c h J o h a n n B u n k e l , hätt’ er hinzusetzen sollen) verschwenden
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sollen; sondern daß wir uns auf die Stunde des Todes vorbereiten, damit wir, wenn Gott uns abruft u. s. w.“ — Wir haben von jeher große Dunse in unserm lieben Teutschland gehabt, und sind dato noch im Überfluß damit versehen: aber von d e m Grad der Dunsheit und Eseley, der dazu gehört, um solche muffige Brocken von der ersten besten Leichenpredigt herabzuschneiden, und sie einem mit u n v e r w a n d t e n B l i c k e n v o r d e m L e i c h n a m d e r g e l i e b t e s t e n G a t t i n s i t z e n d e n z ä r t l i c h e n E h e m a n n , als B e t r a c h t u n g e n , in den Mund zu stecken — davon haben wir doch unter allen unsern Dunsen kein Beyspiel. — O Bunkel, Bunkel! du lehrreichster, du originalster, 10
du launigster, du angenehmst-seltsamster aller Schriftsteller! Für einen Menschen, dem es um Ertödtung seines alten Adams, und Vorbereitung auf die Todesstunde zu thun gewesen wäre, war nun keine Entschließung natürlicher, als in Ortons Einsiedeley zu bleiben; oder allenfalls sich noch tiefer ins Gebürge hineinzuarbeiten, um den Rest seines Lebens als ein ächter Eremit daselbst in Enthaltung, Gebet und Abgeschiedenheit zuzubringen. Oder hätte Bunkel sich etwan erinnert, daß ein Christ nicht zur Abgeschiedenheit, sondern zur edelsten Thätigkeit in den Verhältnissen des geselligen Lebens beruffen ist; so hätte er diesen Tod seiner Gattin als einen Ruf angesehen, aus seiner Einsiedeley hervorzugehen, und sich irgend einer ehr-
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lichen und nützlichen Lebensart zu widmen. Aber Bunkel läßt sich so was gar nicht einfallen. Er verläßt zwar seinen bisherigen Auffenthalt, aber bloß „weil es ihm, in dem Gemüthszustande, worinn er war, unmöglich fiel, in seiner Wildniß fortzuleben.“ Denn seine Philosophie und Religion verläßt ihn allemal just, wo er sie nöthig hat. Er geht fort, aber doch mit der Hofnung, daß ihn d a s S c h i c k s a l wohl einst wieder dahin zurückführen könnte. Denn, sagt er, „es ließ sich ja gedenken, daß herzliche Freundschaft, Fröhlichkeit und geselliges Leben noch einmal hier wieder Platz finden könnten. Die Erfahrung lehrt, welche w u n d e r b a r e Dinge (als ob es dazu ein Wunder gebraucht hätte!) durch d e n Z u f a l l können bewürkt werden.“ — Des feinen Christen, der
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in den Trübsalen des Lebens keinen Trost findet, als den er vom S c h i c k s a l und vom Z u f a l l erwartet! Wie dem auch sey, Meister Bunkel wird von diesem Gedanken auf einmal wieder lustig, und „macht sich auf, nicht (sagt er) wie Don Quischotte in Hofnung ein Königreich zu erobern, oder eine schöne Princessin zu heyrathen; sondern um zu sehen, ob ich nicht ein andres g u t e s L a n d m ä d c h e n
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zur Frau für mich ausfindig machen, und ein wenig mehr G e l d erlangen könnte. „Denn (setzt er mit einer unbegreiflich stupiden Naivität hinzu) d i e se beyden Dinge zusammengenommen waren allein vermögend m i c h w ü r k l i c h g l ü c k l i c h z u m a c h e n . “ Sein Diener O - F i n n muß also an einem schönen Morgen sein Felleisen m i t k a l t e r K ü c h e und e i n i g e n F l a s c h e n versehen, und Bunkel zieht aus — und langt auch noch selbigen Tages in einem sehr anmuthigen Lustwalde bey dem S k e l e t von weiland C a r l H e n l e y an, welches eine Rolle Pergament in der Hand hat. Und was sollte auf diesem Pergament anders geschrieben stehen, als wieder e i n S t ü c k L e i c h e n p r e d i g t ? — Aber freylich ein schönes Stück, und über
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einen Text, über den sich schon was — extemporisieren läßt. Denn es handelt von den l e t z t e n D i n g e n , und endigt sich, wie leicht zu erachten, mit einem „Nimm dieß daher zu Herzen, weil es noch Zeit ist, Sterblicher ! etc.“ Voller Ve r w u n d e r u n g — vermuthlich über seine eigne guten Einfälle — verläßt Bunkel diesen Ort, und in der billigen Vermuthung, daß ein Skelet nicht der einzige Bewohner eines so schönen Landgutes seyn werde, rückt er weiter vor, bis er bey dem alten silberhaarichten Herrn B a s i l v o n B a s i l h o l z anlangt, der nebst seiner Enkelin auf der neulich belobten s c h ö n e n u n d v o r t r e f l i c h e i n g e r i c h t e t e n R a s e n b a n k an einem Springbrunnen sitzt. Der Mann war beynahe 100 Jahre alt, das Mädchen aber zu gutem Glück
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erst 20, hatte g r o ß e , s c h w a r z e , f u n c k e l n d e , s e h r s c h ö n e A u g e n , eine s t a t t l i c h e L e i b e s l ä n g e , w a r i m G e s i c h t v o l l k o m m e n s c h ö n g e b i l d e t , u. s. w. Man denke, ob Bunkeln der Mund wässerte? — „ I h r e S c h ö n h e i t , sagt er mit seiner gewöhnlichen Offenherzigkeit, e n t z ü n d e t e m e i n H e r z s o g l e i c h , und flößte m e i n e r S e e l e eine Zärtlichkeit ein, die ich noch nie v o r h e r so stark empfunden hatte.“ — Bunkel macht sein Compliment, und wird so gut aufgenommen, als er sichs nur wünschen kann — in ein h e r r l i c h e s Z i m m e r geführt, w o der Tisch bald mit kalten Speisen besetzt wurde, w o b e y sie sich niederließen. *) Bunkel muß seine Geschichte erzählen, und der alte kindische Herr findet großes Belieben daran, daß Bunkel alle seine angebliche Trübsale sich dadurch zugezogen, d a ß e r s i c h g e g e n e i n e f a l s c h e R e l i g i o n * * ) e r k l ä r t . Morgen früh um 8 Uhr beym *)
Diese scheusliche Schreibart und Manier zu erzählen herrscht durchs ganze Buch.
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Nicht zu vergessen daß hierunter die Religion der Griechischen und Lateinischen, Römisch-Katholischen und sämmtlichen Protestantischen Kirchen gemeynt ist!
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F r ü h s t ü c k (wir hätten sonst denken können, morgen Abends um 8 Uhr beym Frühstück) sollen Sie erfahren, sagte er, was ich für sie thun will, „ w i r w o l l e n i z t d a s ü b r i g e a u s u n s r e r F l a s c h e z u u n s n e h m e n — und dann zu Bette.“ Morgens früh beym Frühstück erklärt der alte Großpapa, daß er entschloßen sey, Bunkels Anti-Trinitarische Standhaftigkeit durch seine Enkelin S t a t i a mit den großen, schwarzen, funkelnden, sehr schönen Augen und einem großen, funckelnden, sehr schönen Vermögen zu belohnen. — Nur setzt er die unwillkomne Clausel hinzu: daß er noch warten müßte, bis das Mäd10
chen das 22te Jahr zurückgelegt. Bunkel, dessen große Bescheidenheit wir schon kennen, antwortet, wie man’s in allen schalen Romanen zu lesen gewohnt ist: es sey ihm z w a r viel Ehre; a b e r er besitze nicht Eitelkeit genug zu glauben, daß er die Zuneigung der jungen Dame gewinnen könnte, und daß sie dazu gezwungen werden sollte — d e n Gedanken könnte er n i c h t e r t r a g e n ; i n d e s s e n , weil er doch so großmüthig dazu eingeladen werde, wolle er sich einige Monate zu Basilholz aufhalten und „der Miß Henley die Versicherung geben, d a ß e r i h r g e h o r s a m e r D i e n e r s e y e t c . “ Dictum factum! Er bleibt den Winter und den folgenden Frühling da, und wird in dieser Zeit von Jungfer S t a t i a s e h r b e z a u b e r t . Soll auch niemand kommen und sa-
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gen, er habe seine Zeit wie ein Müßiggänger zugebracht! Denn „vormittags saß er gemeiniglich in der Bibliothek, und machte Auszüge aus seltnen Handschriften und r a r e n Büchern; und nachmittags spielt’ er mit Miß Henley Karten.“ — Zu Anfang des Märzen starb der alte Großpapa; und sobald er begraben war meynte Bunkel, nun sey weiter nichts zu thun als zu heyrathen. Ich wollte, sagt er, schon nach dem Franziskaner Fleming schicken — (denn dieser Mönch ist der Mann, von dem unser Anti-Trinitarier alle seine sieben Ehen — pro forma — sanctificiren läßt.) Aber Fräulein Statia, „wie sie sah, daß sie nun ihre eigene Gebieterin war, und ein g r o ß e s Ve r m ö g e n , b a a r Geld und ein Gut hatte, so — hatte dieß alles (wer hätte sichs träumen lassen sol-
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len?) einen E i n f l u ß a u f i h r e D e n k u n g s a r t , und m a c h t e e i n e Ve r ä n d e r u n g . “ Kurz die junge Dame gab unserm heißhungrigen Wittwer eine Art von Hofbescheid, woraus er deutlich abnehmen konnte, daß sie keine Lust hätte, sich und ihr Vermögen dem ersten Abentheurer, der ihr aufstieße, und wenn er zehnmal soviel für den Christlichen Deismus gelitten hätte, an den Hals zu werfen. Allein sie hatte es mit einem Burschen zu thun, der sich nicht
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so leicht abweisen ließ. Bunkel hielt mit Zähnen und Klauen, und da sonst nichts verfangen wollte, richtete er seine Batterie gegen die Neigung, die sie (freylich nicht in ganzem Ernste) gegen das e h e l o s e L e b e n geäussert hatte. Er demonstrierte ihr, einem schönen, gesunden, vollblühenden, reichen Mädchen von 20 Jahren — der Gimpel! — aus Vernunft und Schrift — daß die Ehe eine gar gute Einsetzung sey, und behauptete, sie könne ihre Abneigung gegen dieselbe „vor dem weisen und gütigen Vater der Welt nicht verantworten, da sie e i n e C h r i s t i n s e y , und als eine solche die Ta u f e f ü r e i n D e n k m a l d e s G n a d e n b u n d e s e r k e n n e n m ü s s e . “ — Es ist Schade, daß wir, weil diese Auszüge sonst leicht selbst zu einem Buch von vier Bänden anschwellen
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möchten, unsern Lesern nicht die ganze Deduction voranalysiren können; um ihnen recht begreiflich zu machen, wie daraus, daß die Taufe ein Denkmal des Gnadenbundes ist, nothwendig folgt, daß Jungfer Statia sich von Herrn Johann Bunkel heyrathen lassen muste. Diese Deduction nimmt nicht weniger als fünf Seiten ein, und ist die angenehmst- seltsamste Art sich um ein Frauenzimmer zu bewerben, die jemals einem Original zu Sinn gekommen, oder teutsch herauszusagen, das vollkommenste Ideal von Impertinenz und Aberwiz, das jemals aus einem menschlichen Hirnkasten herausgeschüttelt worden. Nur etwas weniges davon zur Probe! — „Betrachten Sie, v o r t r e f l i c h e S t a t i a , sagt der theure Mann, der von L o c k e so gut räsoniren gelernt hat,
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wenn der Allerhöchste mit A b r a h a m den Bund in diesen Worten aufrichtete: ich will dein Gott seyn und deines Saamens nach dir, u. s. w. Bedenken Sie, sage ich, daß diese unschätzbare Segnungen etc. nicht allein mit der größten Dankbarkeit angenommen, sondern auch bis ans Ende der Welt durch ein verordnetes Zeichen dem Nachdenken künftiger Geschlechter eingeschärfet werden. Die B e s c h n e i d u n g war das erste bestimmte Denkmal u. s. w. und als das N e u e Te s t a m e n t an die Stelle des Gesetzes kam, so m u ß t e der Bund, an welchem die Kinder Theil hatten, durch das Zeichen, welches die Ta u f e genennt wird, bestätigt werden, indem diese Handlung bestimmt ist, der künftigen Nachkommenschaft einen Antheil an der Liebe Gottes u. s. w. (kurz) an jedem Segen des Bundes zu verschaffen. Aber was wird aus diesem großen himmlischen Vorrechte, wenn C h r i s t l i c h e F r a u e n z i m m e r e t c . sich zu einem einzelnen Leben entschließen, und dadurch künftige Geschlechtsfolgen abhalten an der Ehre und den Vorzügen der Kirche Jesu Christi Theil zu nehmen u. s. w. Seyn Sie daher vorsichtig, v o r t r e f l i c h e S t a -
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t i a . — Es ist ein großes Verbrechen, die r e g e l m ä ß i g e * ) Fortpflanzung von Menschen zu verhindern; lassen Sie daher alle Gedanken von einem jungfräulichen Leben fahren — verehlichen sie sich, r u h m w ü r d i g e S t a t i a , v e r e h l i c h e n S i e s i c h , und l a s s e n S i e d e n S e g e n A b r a h a m s ü b e r d i e H e y d e n k o m m e n ! Setzen Sie sich nicht dem Evangelischen Bund entgegen, sondern gedenken an die tröstliche Verheissung: ich will meinen Geist auf deinen Saamen gießen u. s. w. Dieß fodert ihre heilige Religion von Ihnen; und wenn wir uns nun — zum B u c h e d e r N a t u r wenden, finden wir hier nicht deutlich vor unsern Augen aufgezeichnet, daß es in dem Herzen der Menschen 10
B o s h e i t seyn müsse, welche bey der Zerstörung und dem Untergang des künftigen Menschengeschlechts unbekümmert bleiben, und welchen nur soviel guter Wille mangelt, ein Geschöpf auf eine rechtmäßige und geheiligte Art in die Welt zu setzen. — P r e i s w ü r d i g e S t a t i a , was sagen Sie dazu? weil sie eine aufrichtige Christin sind, werden sie sich zum Ehstande entschließen? Und darf ich auf die h o h e E h r e hoffen, an dem g e g e n s e i t i g e n Ve r g n ü g e n , w e l c h e s d i e E r f ü l l u n g einer so wichtigen Pflicht gewähret, Theil zu nehmen?“ Wie ist euch zu Muth, liebe Leser? Und was für eine Würkung, denkt ihr, daß eine solche Standrede, mit all dem dummen Ernst, dessen so ein Brutum,
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wie dieser Bunkel, fähig ist, vorgetragen, auf die preiswürdige Statia habe machen müßen? die Würkung einer tüchtigen Dose von Ypecacuanha oder Tartarus Emeticus, vermuthet ihr? Unfehlbar, wenn Miß Statia etwas bessres als ein Geschöpfe des Herrn Bunkel selbst gewesen wäre, ein Werk seiner Hände, das er so albern machen konnte, als er’s zu seinem Zweck vonnöthen hatte. — Aber s o lief es freylich günstiger für den lieben Mann ab, als es sonst menschlicherweise zu vermuthen war. Unter dieser meiner f r o m m e n Vorstellung, sagt er, verbreitete sich ein L ä c h e l n auf dem Gesichte der Statia, und die Ve r w u n d e r u n g leuchtete aus allen ihren Gebehrden hervor; und als ich meine Rede geendigt hatte sagte diese Schöne zu mir: „ich danke Ihnen,
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Sir, für den Unterricht, den sie mir gegeben haben. Ich bin eine Christin. In meinem Herzen ist keine Bosheit — lassen Sie den Va t e r F l e m i n g kommen und ich will Ihnen meine Hand geben.“ — Bezauberndes Wort! ruft der Mann *)
Herr B. gewinnt nichts durch dieses eingeschobene r e g e l m ä ß i g e ; denn sein Beweis gilt
eben soviel von der unregelmäßigen. Der Franciscaner Fleming thut hier gar nichts zur Sache.
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in seinem Drang den Himmel zu bevölkern aus, und eilends wird O-Finn nach dem Mönch gesandt, und der Knoten zugestrickt. Bunkel lebt nun abermals z w e y Jahre zu O r t o n s - L o d g e „in einem Stande der Freude, daß man sich denselben auf 1000 Jahre hätte w ü n s c h e n m ö g e n “ — ohne daß er uns zu eröfnen würdigt, ob und wieviel diese Ehe v o n d e m S e g e n A b r a h a m s ü b e r d i e H e y d e n g e b r a c h t h a b e . — Ein hübsches Geschichtchen, in jeder Betrachtung! Indessen da Herr Bunkel beschlossen hat, binnen den nächsten fünf oder sechs Jahren noch mit fünf schönen Mädchen zu Bette zu gehen, so muß sich Madam Statia nach Verfluß der zwey Jahre, so gut wie ihre Vorgängerin, über
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Kopf über Hals an den Blattern aus der Welt trollen. Bunkel macht diesmal nicht soviel Ceremonien als bey seiner ersten Frau. Doch versichert er uns „er habe in d r e y Ta g e n die Augen nicht aufgeschlagen“ — d r e y g a n z e r Ta g e um eine liebe Frau zu trauern, ist freylich eine sehr denkwürdige That; es war aber auch alles, was Fleisch und Blut, bey einem Manne wie der unsrige, fähig war. Am vierten Morgen ließ er sich sein Pferd satteln und zog — wieder auf die Freyte. Der Zufall bringt ihn zu einer Gesellschaft von zehn Ehpaaren, die in großer Abgeschiedenheit von der Welt, nach einem Entwurf des ehemals berüchtigten Labadistischen Predigers Yv o n , der C h r i s t l i c h e n Vo l l k o m m e n h e i t nachjagten. Daß es bey dieser Gelegenheit wieder D e c l a m a t i o -
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n e n über den Ve r f a l l d e s C h r i s t e n t h u m s bey den herrschenden Kirchen auf Seiten Meister Bunkels absetzt, kann man sich leicht vorstellen. Übrigens, sagt er am Schluß einer kleinen Beschreibung von diesem würklich liebenswürdigen Institut: „ e i n K l o s t e r von dieser A r t h a t m e i n e n B e y f a l l ; e s i s t e i n g ö t t l i c h e s L e b e n . “ Aber Theil an diesem göttlichen Leben zu nehmen, dazu spürte er keinen Beruf. Denn man mußte da a r b e i t e n , sehr eingezogen leben, Kinder nicht nur zeugen, sondern auch erziehen, kurz, Pflichten erfüllen, die nicht immer so a n g e n e h m sind als diejenige, zu deren Erfüllung er die hochpreisliche Statia aufgefodert hatte, — und ein solches Leben war nun einmal seine Sache nicht. Er reitet also fürder, und geräth, wie gewöhnlich, in eine einsame Zaubergegend, wo sich ein reiches schönes Mädchen von 18 Jahren, Namens A n t o n i a C r a n m e r , eine Vater- und Mutterlose Waise zuweilen aufhielt, *) ein *)
Die Erzählung von dieser und andern seiner Wanderungen würde wegen der Beschreibun-
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Mädchen, das alle Eigenschaften hatte, um die Beute des ersten besten Taugenichts, der sich ihr in einer gefälligen Maske präsentiren mochte, zu werden. Auf die erste Nachricht, die ihm eine Art von Einsiedler giebt, wird der Gedanke in ihm rege: das wär’ ein Mädel für ihn! und sogleich denkt er drauf, wie er ihrer habhaft werden könnte. Die arme Statia war zwar kaum wenige Tage begraben; aber was kümmerte das Bunkeln? Eine begrabne Frau hinterließ bey ihm keine andere Erinnerung, als die ihn ungeduldig machte, ihre Stelle wieder mit einer lebenden zu besetzen. In diesem Stücke war sein Horror vacui ganz ausserordentlich. Er präsentierte sich also vor der jungen A n 10
t o n i a , die „ s o v o r t r e f l i c h g e b i l d e t w a r , a l s — e i n F r a u e n z i m m e r s e y n k a n n “ (d. i. sie hatte alle 33 Schönheiten) und — was mußte in mir vorgehen, ruft er aus, als ich ein solches himmlisches Mädchen zu Gesichte bekam! — Nun Herr Bunkel, das können wir uns ungefehr einbilden! ohne daß ihr euch deutlicher erklärt. Gut für euch, daß das Mädchen, „ d e s s e n B e g r i f f v o n e i n e r M a n n s p e r s o n n i c h t w e i t r e i c h t e “ so gierig war nach euch zu schnappen! Denn da er sich nach dem Frühstück empfehlen wollte, bat sie ihn beym Mittagessen zu bleiben; und nach dem Mittagessen ließ sie ihn nicht gehen, bis er auch zu Nacht bey ihr gegessen hatte — und so frühstückten, dinierten und soupierten sie etliche Wochen lang zusammen, bis der
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gute Mönch Fleming herbeygerufen wurde, die neue Winckelehe so gut er konnte zu vidimiren. Nun giengs wieder ans Geniessen! — Unsre gegenseitige Liebe g i e n g b i s z u r A u s s c h w e i f f u n g , sagt der gottselige Bunkel, und das was menschliche Glückseligkeit heißt, genossen wir in vollem Maaße. Sie war gut wie ein Engel, und wir lebten zwey Jahre in einem u n a u s s p r e c h l i c h e n Ve r g n ü g e n beysammen. Das beste war indessen, daß es auch nicht länger als zwey Jahre daurte; denn im ersten Monat des dritten Jahres starb der liebe Engel ebenfalls an den Blattern, und hinterließ den armen Mann „ u n t r ö s t l i c h “ — s o untröstlich, daß nachdem er seine Augen v i e r Ta g e l a n g ( e i n e n g a n z e n Ta g m e h r
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als um Frau Statia) in T h r ä n e n g e b a d e t , er sich aufmacht, und nach dem Gesundbrunnen zu Härrogäte reiset, um sich — die vierte Frau zu hohlen. Das
gen sonderbarer Gegenden, und Naturerscheinungen, die er darinn aus seinen Collectaneen zusammenhäuft, noch immer eine Art von Interesse geben, wenn die Schreibart des Menschen nur nicht so unausstehlich platt, ungelenkig und hölzern wäre!
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infamste dabey ist, daß ihm immer die R e l i g i o n zum Feigenblatt vor die Blöße seines böckischen alten Adams dienen muß. Denn, wenn wir seinem Geschwätze mehr als seinen Handlungen glauben wollten, so verließ er Ortons-Lodge bloß, um, w i e e s i h m d i e R e l i g i o n a u f l e g t e , sein Leben zu erhalten. Und hier ists, wo den seltsamen Menschen endlich einmal eine Art von Schaam anwandelt, da er im Begriff ist schon auf die vierte Frau auszugehen, ohne daß er „bey seinen verschiedenen Ehen das mindeste von K i n d e r n erwähnt habe.“ Die Antwort, die er seinen L e s e r n hierüber giebt, würde aus dem Mund eines jeden Mannes auffallen; aber im Mund eines angeblichen
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Weisen und Christen klingt sie gar zu schändlich. Damit ich also hierauf e i n f ü r a l l e m a l eine allgemeine Antwort gebe, sagt der rohe Topinambu in einem spöttelnden Ton, als ob die Frage die armseligste Kleinigkeit beträfe: so halte ich es schon zureichend anzuführen, daß ich eine zahlreiche Geschlechtsfolge angeben könnte, weil ich würklich v i e l K i n d e r habe. Aber da sie in k e i n e m w i c h t i g e n G e s c h ä f t e v e r f l o c h t e n s i n d , und auch, s o v i e l i c h g e h ö r t h a b e , niemals etwas merkwürdigers verrichtet haben, als aufstehen und frühstücken, lesen und herumlaufen, essen und trinken: so würde es n a c h m e i n e r E i n s i c h t nicht schicklich seyn, sich bey der Erzählung ihrer Geschichte aufzuhalten.“ — So? und was merkwürdigers verrichtet
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den J. Bunkel selbst, und wo sind die wichtigen Geschäfte, in denen er verflochten ist? Elender Mensch, der von den Knospen der Menschheit, die in jeder Stuffe ihrer Entfaltung so interessant, in ihrer angebohrnen Reinheit und Unschuld so lieblich und herzrührend, in der Fülle unbewußter Kräfte, die in ihrem ganzen Wesen zwar noch schlummern, aber bey jeder Berührung aufzittern, und mit der Schwäche und Ungeübtheit ihrer kleinen Organe ringen, so merkwürdig — so unendlichmal merkwürdiger einer aufmerksamen Beobachtung sind, als alle Ungeziefer seiner Philosophen zu Ulubrä — Elender Mensch! (wiederhohl’ ich zum zweyten und drittenmal) der Va t e r ist, und von K i n d e r n , von S e i n e n Kindern, in diesem kalten, untheilnehmenden, verächtlichen Ton e i n f ü r a l l e m a l sprechen kan! Deine E i n s i c h t reicht freylich nicht weit, wenn du die Morgendämmerung des Menschenlebens, die Jahre der ersten Entwiklungen, der ersten Eindrücke, des reinsten Spiels der noch unverstimmten Natur und ihrer ersten so viel bedeutenden Winke, für unbedeutender hältst als die schalen Mährlein, die du uns von deinen eignen
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männlichen Jahren zu erzählen hast! — Doch wozu sich ereyfern? Warum sollte Johann Bunkel nicht überall sich selbst gleich seyn? Auch würde freylich die Geschichte seiner Kinder *) von i h m erzählt, ein erbärmliches Gelese seyn! Zehnmal lieber wollt’ ich sie mir von ihrer Wärterin erzählen lassen. W. (Die Fortsetzung nächstens.)
*)
Und wer verlangte denn auch eine G e s c h i c h t e seiner Kinder von ihm? Kann ein Vater,
der die Geschichte seiner sieben Ehen schreibt, von seinen Kindern nicht mit Gefühl reden, nichts interessantes von ihnen sagen, ohne gleich ihre Geschichte zu schreiben?
Auszüge aus der Johann-Bunkliade
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Fortsetzung des Auszugs aus der Johann-Bunkliade. (Von S. 75. N o . 1 0 . ) Wittwer Bunkel trabt also (wie gesagt) nach Harrogäte, in fester Zuversicht, unter der schönen Welt, die der Gesundbrunnen dahin zieht, wohl wieder eine junge Dame zu finden die eines Mannes bedürftig sey. Und wo denken wir, daß unser Heiliger die erste Bekanntschaft mit seiner künftigen vierten Frau macht? Wo anders, als auf — d e m Ta n z b o d e n . Die Dame nannte sich Miß S p e n c e , und war eine Art von Komposition, wie man diesseits des grossen Hundssterns noch keine gesehen hat; denn „sie hatte d e n K o p f d e s A r i -
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s t o t e l e s , d a s H e r z eines e r s t e n C h r i s t e n , und die G e s t a l t der Ve n u s v o n M e d i c i s . “ Das heist nun allerdings mit drey Zügen eine Halbgöttin darstellen, vor der sich sogar L u c i a n s P a n t h e a beugen muß; und Hr. Bunkel ist noch sehr bescheiden, daß er sie nicht auch noch, als eine zwoote Pandora, mit dem Non plus ultra aller übrigen Gaben und Vollkommenheiten der Natur und Kunst ausgestattet hat. Denn warum sollte die vierte Frau eines Mannes, wie er, nicht auch noch den Griffel Homers, den Meissel des Phidias, und den Pinsel des Apelles, führen? Bey solcher Bewandnis kann ihm dann freylich niemand übel nehmen, „daß er nicht lange Zeit in ihrer Gesellschaft zubrachte, ohne sich ä u s s e r s t i n s i e z u v e r l i e b e n — und ihr seinen An-
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trag zu machen. Miß Spence w a r n i c h t g r a u s a m , aber sie wollte doch auch nicht gleich in den Hamen beissen. Wer Lust hat, lese in unserm Autor selbst die Plattitüden nach, die er sie darüber sagen läst, und die Plattitüden, die er ihr in seiner eignen, weitausgehohlten, steifflächerlichen und dummernsthaften Manier, dafür zurückgiebt. Indessen läßt ihm Mademoiselle doch Hofnung; bescheidet ihn zu sich auf ihr Gut zu Cleanor, und reiset ab. Bunkel hatte im Grunde zwar zu Harrogäte nichts weiter zu suchen, und hätte also gleich mitreisen können. Aber weil das Buch auf diese Weise bälder zu Ende gewesen wäre, als es seine Rechnung mit seinem Verleger erforderte: so läßt er die christliche Venus mit dem Aristoteles-Kopf voran reisen, und ihr gehor-
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samster Diener folgt einige Tage darauf nach, verirrt sich aber auf dem Wege zweymal — und jedesmal aus weisen Autorabsichten, d. i. um verschiedener Episoden willen, die (wie alle übrigen, aus deren ungefährer Zusammenflikkung eigentlich das Ganze dieser unvergleichlichen Komposition besteht) ohne mindesten Schaden des Übrigen auch hätten nicht daseyn können. Die erste Verirrung bringt ihn zu einer gewissen Miß Wo l f , mit der er im Jahr 1715 d. i. in seinem Knabenalter, in Irland (denn Bunkel ist ein gebohrner I r l ä n d e r ) manchen Contretanz getanzt, auch Komödie gespielt hatte, wo s i e seine I m o i n d a , und e r ihr Va l e n t i n gewesen war. In dem Augenblik, 10
wie er diese alte Bekanntschaft so unverhoft wieder erkennt, f a ß t e r s i e i n s e i n e Arme und e r s t i c k t s i e b e y n a h e m i t K ü s s e n . Und so glücklich ist Va l e n t i n B u n k e l bey den Damen, daß Miß Wolf, „anstatt über seine Ausschweifungen ungehalten zu werden, vielmehr ü b e r d i e s e n s e l t s a m e n E i n f a l l von Herzen lacht.“ Nun erzählt jedes dem andern, wie gewöhnlich, seine Geschichte; dann gehts „zu einem a u s e r l e s e n e n M i t t a g s m a h l , wobey sich s e c h s sehr hübsche Damen und s e c h s Herren, u n d a l s o (sezt Bunkel mit seiner gewöhnlichen Deutlichkeit hinzu) i h r e r z w ö l f e i n f a n d e n . “ Nach dem Caffe wurde e r s t l i c h in der Karte gespielt, und hernach Contretänze getanzt, und die reitzende Imoinde war seine Beytänzerin. „ I n
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d i e s e m h e r r l i c h e n Ve r g n ü g e n b r a c h t e i c h v i e r z e h n Ta g e z u “ ruft unser neuer Apostel aus — und komm uns einer von den zwölf a l t e n der so was von sich sagen kann! Bunkel nimmt endlich von Miß Wolf Abschied, des ernsten Vorsatzes, nun spornstreichs zu Miß Spence zu reiten: aber m e i n S c h i c k s a l , sagt er, führte mich einen andern Weg. Natürlicher Weise denkt der Leser, das Schicksal müße dies um irgend einer erheblichen Absicht willen gethan haben; denn man mischt doch sonst die Götter nicht nur so für die Langeweile ins Spiel. Aber es war bloß um Bunkeln in einem Wirthshaus mit einem gewissen Hrn. W i n c u p zusammenzubringen, der sich ihm durch seine gute Laune sowohl empfiehlt, d a ß e r m e h r t r i n k t , a l s e r W i l l e n s
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w a r , und sich also leicht bewegen läßt mit ihm nach Woodcester zu gehen, um in einer lustigen Gesellschaft von zwölf Damen und zehn jungen Herren, zehn Tage lang r e c h t v e r g n ü g t zu leben. „Wir t r a n k e n , sagt er, t a n z t e n , sangen, schwazten, und dann war es Nacht. Tänze aber waren u n s r e v o r n e h m s t e n Ve r g n ü g e n ; und meine Beytänzerin war nicht allein schön von Gesicht und Person, sondern auch in ihren Bewegungen be-
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wundernswürdig. Dies war M i ß Ve y s s i e r e von Cumberland, d a s t h e u r e G e s c h ö p f ! “ — Und hier ergreift der heilige Mann die Gelegenheit, uns zu berichten, daß er in seiner Jugend ein eben so fierer Tänzer gewesen als er ein toller Reuter war. „Der berühmte P a d d y M u r p h y , sagt er, gemeiniglich der k l e i n e S t u t z e r genannt, und der in Lucas Caffehause zu Dublin wohl bekannt ist — Dieser Herr, und L a n g h a n , e i n M ü l l e r , welche alle Nacht bey des berühmten S t r e t c h e s Puppenspiel tanzten, ehe der Vorhang aufgezogen wurde, wurden beyde wegen ihres vortreflichen Tanzes bewundert; jedoch übertraf ich sie weit: aber gegen Miß Veyssiere konnte ich nicht aufkommen. Ihre Schritte waren u n e n d l i c h , und sie wußte solche mit einer solchen
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B e h e n d i g k e i t zu machen, daß sie e i n i n d e r L u f t t a n z e n d e r E n g e l schien. W i r t a n z t e n a c h t N ä c h t e z u s a m m e n , und die ganze Gesellschaft sagte, d a ß w i r r e c h t f ü r e i n a n d e r g e b o h r e n w ä r e n . Sie hatte mich auch dermassen eingenommen, daß ich mich (des Engagements mit der Aristotelischen Venus-Christin ungeachtet) u m i h r e L i e b e w ü r d e b e w o r b e n h a b e n , wenn Wincup mir nicht gesagt hätte, daß ihr Vater willens wäre, sie einem alten Manne, der ihr Großvater seyn könnte, um ein grosses Leibgeding, aufzuopfern u. s. w.“ — Man möchte sich ausschütten über den Pinsel, der mit solcher Commerenhafter Spinnstuben-Waschhaftigkeit seine eigne Schande aufdeckt, noch da-
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mit prahlt, und bey jeder Gelegenheit, wo ihn sein e i g n e r Charakter überrascht, denjenigen, den er angenommen hat, so gänzlich vergißt, wie die in eine Frau verwandelte Katze in der Fabel, da sie eine Maus erblickte. Das muß man gestehen, dergleichen Stellen, wo man nolens volens lachen muß, giebts hier und da in diesem Wunderbuche; aber freylich nicht über die Laune des Verfassers, sondern über seine Dummheit, die so ganz über allen Begriff geht; und man lacht nie über ihn, ohne daß man ihm zugleich Maulschellen geben möchte. Am 1. Jun. 1731. M o r g e n s um 5 Uhr nahm er von dem ehrlichen Wincup Abschied, um nun in ganzem Ernst zu Miß Spencen nach Cleator zu wallen. Aber das Schicksal spielt schon wieder blinde Kuh mit dem lieben Manne. Er verliehrt seinen Weg abermals, und kömmt — „ z u e i n e m a n e i n e m steilen einsamen Ort b e l e g e n e n Bierhause, welches d i e K a t z e u n d S a c k p f e i f e zum Zeichen hatte wo er, zu seiner grossen Freude, Landeskraft, nehmlich den Irländer To m m y C l a n c y antrift, der pro tempore den Wirth in dieser
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kleinen Schenke machte. Tommy g a b i h m e i n g u t e s A b e n d e s s e n — (ey so friß!) w e l c h e s a u s F o r e l l e n , s c h ö n e m B i e r , u n d e i n e r S c h a l e P u n s c h b e s t a n d “ — und des folgenden Tages machte er ihn mit der Geschichte zwoer Dorfprinzessinnen bekannt, die sich bey ihrem Vormund, einem alten Rechtsgelehrten, Nahmens C o c k , auf einem nahgelegenen Gute aufhielten. Man kennt, besonders aus Fieldings und Smollets Werken die eigne Manier, die den Irländern Schuld gegeben wird, eine Geschichte so zu erzählen, daß sogar der, dem sie begegnet ist, zulezt nichts mehr davon begreift. Da nun hier ein Irländischer Dorfschenke e r z ä h l t , und ein Irländischer Esprit, 10
wie Herr Johann Bunkel, z u h ö r t : so kan man sich vorstellen, was aus der an sich selbst sehr alltäglichen Historie zwoer reicher junger Mädchen und eines alten geitzigen Vormunds werden muste. Jeder vernünftige Mensch hätte darinn nichts weiter gesehen, als einen alten Vormund und ein Paar junge Mädchen, wie sie ordentlicher Weise je und allezeit gewesen sind, und seyn werden. Die Mädchen hätten gerne hübsche Kleider, Equipage, Zeitvertreib, Lustbarkeiten, Anbeter, und (je bälder je lieber) einen Mann nach ihrem Herzen und — nach ihren A u g e n ; der Vormund ein Mann der seine besten Jahre unter Acten und Geschäften verbracht hat, in allen diesen Dingen, wie Salomon, nichts als Eitelkeit sieht, und den Werth des Geldes und guter Wirth-
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schaft kennt — hat sich in den Kopf gesetzt, daß ein Paar leichtsinnige, unerfahrne, naseweise Dirnen, nichts bessers thun könnten, als sich von einem grauen, kaltblütigen, altklugen Vormund regieren zu lassen. Man sieht, was aus so stark kontrastirenden Charakteren folgen muß. Die Mädchen sehen den alten runzlichten Vormund für einen P o p a n z , und sich selbst für ein Paar arme Prinzessinnen an, die in einem verwünschten Schlosse gefangen gehalten werden; und der erste beste Abentheurer, der sich anbeut sie zu befreyen, ist willkommen. Aber wer würde es einem gescheidten, gesezten Mann verzeyhen, die Sache mit den Augen der jungen romanhaften Küchelchen anzusehen? — Gut! aber einem Bunkel ist a l l e s zu verzeyhen — oder
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nichts; denn er ist Bunkel, d. i. ein Narr und ein Schuft unter Einem Hut, der je und allezeit in dem einem oder andern Charakter handelt, und ziemlich oft in beyden zugleich. Was Wunder also, daß er, auf die erste Nachricht eines so würdigen Zeugen, wie Thomas Glancy, Wirth zur Katze und Sackpfeiffe in einem einsam belegenen Bierhause, alsbald den christlöblichen Entschluß faßt, diese verwünschten Damen zu erlösen, d. i. auf gut Teutsch, sie ihrem
Fortsetzung des Auszugs
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Vormunde zu e n t f ü h r e n . Nichts kann erbärmlicher seyn als die Tr u g s c h l ü s s e , womit uns der Mensch bereden will, diese nach allen göttlichen und menschlichen Gesetzen höchst unerlaubte und strafbare That für eine tugendhafte Handlung anzunehmen. — Wahrlich, es giebt keine Übelthat, die sich, unter gewissen Umständen, nicht vermittelst der nehmlichen Trugschlüsse rechtfertigen ließe. Stehlen, Ehebrechen, falsch Zeugnis geben, Kirchenraub, Giftmischerey, das Ärgste, mit Einem Wort, ist, nach Bunkels Art zu raisonniren, erlaubt, sobald man sich e i n b i l d e n kann, daß ein guter Zweck dadurch befördert, oder einem bösen Menschen sein Concept verrückt werden könne. — Um die an dem alten Cok verübte Büberey vermuthlich noch
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mehr zu beschönigen, macht er uns sowohl von seiner äusserlichen Gestalt, als von seinem Inwendigen die eckelhafteste Carricatur; Kurz, Bunkel — angeblicher Nachfolger Jesu, Apostel und Reformator — entführt (es sey nun aus welchem Beweggrund) zwoo junge Mädchen ihrem rechtmäsigen Vormund, und bewerkstelliget eine so gesetzwidrige, schändliche That durch ein noch schändlicheres Mittel, nehmlich durch ein ganzes Gewebe vorsetzlichen Betrugs, dessen Detail er uns noch dazu mit der lotterbübischen Freude eines Kerls ohne alles Gefühl von Ehre erzählt, *) der mit seiner Schande prahlt, und sich was grosses darauf zu Gute thut, einen nichts Böses von ihm besorgenden alten Mann, durch die niederträchtigste Art von Betrügerey, durch verstellte
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Hochachtung und Ergebenheit, übertölpelt zu haben. — Bunkel würde übel dabey bestehen, wenn wir Zeit und Lust hätten, ihm in seiner Erzählung S c h r i t t v o r S c h r i t t zu folgen. Aber wir besorgen bereits mehr Zeit an ihn verschwendet zu haben, als er werth ist; und es sind noch so viel Bunklische Thaten übrig, die wir w e n i g s t e n s b e r ü h r e n müssen, da uns nun einmal der fast allgemeine Wunsch der Pränumeranten, die das Buch selbst unmöglich lesen können, und doch für ihre viertehalb Thaler e i n i g e n G e n u ß d a v o n h a b e n m ö c h t e n , zu Verlängerung dieses Artikels verleitet hat Man erlaube uns also, nur noch so lange bey der saubern Entführungshistorie zu verweilen, bis wir die Mädchen wenigstens sicher unter Dach gebracht sehen. Was diese Heldenthat erst recht und vollkommen B u n k e l m ä ß i g macht, ist, daß er die beyden noch unmündigen Erbinnen, jede mit 30 Guineen in der Tasche, sechzig englische Meilen weit vom Hause ihres Vor*)
S. II. Th. S. 357—60.
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munds wegführt, und nach einem kleinen Wirthshaus in einem abgelegenen Thale bringt, ohne zu wissen, w a s e r w e i t e r m i t i h n e n a n f a n g e n w i l l . Dafür läst er die Waldvögel sorgen. Genug für ihn, daß „ s i e i h r F r ü h s t ü c k , M i t t a g - u n d A b e n d e s s e n i n F r e u d e u n d Ve r g n ü g e n m i t e i n a n d e r v e r z e h r e n . Zu Hause, setzt er hinzu, spielten wir entweder Karten, oder wir sungen, oder ich unterhielt sie mit meiner Flöte — u. s. w.“ Kurz, „ d i e g a n z e d o r t i g e L e b e n s a r t w a r w ü r k l i c h a n g e n e h m , und da d i e M ä d c h e n m u n t e r u n d l e b h a f t , und in Ansehung ihrer jungen Jahre im g e r i n g s t e n n i c h t u n w i s s e n d waren: so würde ich gewünscht haben viel länger da 10
zu bleiben.“ Aber das wollte sich freylich für die Mädchen nicht recht schikken, und er selbst mußte sein der Miß Spence gegebenes Wort halten. Ja, sagte er, wenn d a s nicht gewesen wäre, so hätte ich gleich entweder d i e s c h ö n e Miß To l s t o n , oder d i e n o c h s c h ö n e r e Miß L l a n d s o y * ) — (oder warum nicht lieber a l l e b e y d e ? um d e n S e e g e n A b r a h a m s ü b e r d e s t o m e h r H e y d e n z u b r i n g e n —) heyrathen können — „Aber freylich“ (setzt er gleich wieder weislich hinzu) „wenn eine von ihnen in der Minderjährigkeit als Frau gestorben wäre, s o k o n n t e i c h n i c h t s g e w i n n e n , u n d h ä t t e v i e l l e i c h t K i n d e r o h n e Ve r m ö g e n z u e r z i e h e n g e h a b t . “ — Er sah sich also genöthiget den Damen am dritten Tage mit vielem Wortgepränge zu er-
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klären: er achte sich verbunden, sie wenigstens an einen s i c h e r n O r t zu bringen — und wo meynen wir daß er sie nun hinbrachte? — Wohin anders als in seine Einsiedlerey O r t o n - L o d g e — einen Ort, wo sie wenigstens s i c h e r waren, daß die böse Welt nicht darüber afterreden konnte, weil sie nicht — wußte, wo die Landläufferinnen hingekommen waren. Man vermuthet leicht, daß Creaturen, die so bereit waren sich von dem ersten besten breitschultrichten Landstreicher entführen zu lassen, nichts dagegen einzuwenden hatten. Au contraire, sie sähen ihn als i h r e n S c h u t z e n g e l an, (sagten sie) und wären bereit, sich je eher je lieber von ihm an d e n s ü s s e n O r t d e r R u h e führen zu lassen. Am zweyten Abend waren sie schon angelangt, nachdem sie
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Eine Nacht ihr Lager auf dem Gebürge im F a r r e n k r a u t hatten nehmen müssen. Die beyden Mädel erstaunten, als der Schutzengel seine Vorrathshäuser aufschloß, und ihnen eine Menge „ g u t e r S a c h e n , Z w i e b a c k , a l l e r h a n d F l e i s c h i n T ö p f e n , e i n g e m a c h t e S a c h e n , und v e r s c h i e d n e *)
So hiessen seine beyden entführten Romanheldinnen.
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G e t r ä n k e hervorbrachte.“ Nun gieng wieder ein Leben a ` la B u n k e l an, und der heilige Epikurer v e r d a u t e bis zu Ende des Junius mit d i e s e n s c h ö n e n j u n g e n G e s c h ö p f e n sehr wohl und glücklich. „Bey ihren s c h ö n e n G e s i c h t e r n u n d P e r s o n e n (setzt er gleich hinzu) waren sie sinnreich, munter und einnehmend, und v e r s ü ß t e n mir j e d e n A u g e n b l i k . (Wer sollte das gedacht haben?) Hätte ich mich bereits nicht mit Miß Spence eingelassen, so wäre ich gewis bey diesen zwoo jungen Damen (was auch daraus hätte werden mögen) geblieben, und in ihrer Gesellschaft würde mir Ortons-Lodge ein E d e n gewesen seyn. (Ey, gar ein d o p p e l t e s Eden, A d a m B u n k e l ! ! denn der erste Adam hatte nur E i n E v g e n ! ) S i e w a r e n b e y d e
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reizende Frauenzimmer. Miß Llandsoy war ein recht göttliches M ä d g e n . “ Bey allem dem, mußt’ er der Miß Spence Wort halten. Er setzt sich also den ersten Julius auf seinen Rosinante, und reitet wieder auf Harrogäte zu; geräth aber unvermerkt in ein langes Thal, von da in eine Reyhe fürchterlicher felsichter Berge, endlich auf einen sehr schmalen Paß durch die Felsen, auf dem es so finster war als in der schwärzesten Nacht. Bunkel schikt seinen Sancho-Pansa, O - F i n n , voraus, um zu erkundigen, wie lange das so fort gehe, und „ w a s f ü r e i n e A r t v o n L a n d u n d E i n w o h n e r n “ hinter den Bergen sich befinde? Da aber O-Finn nach sechs Stunden noch nichts wieder von sich hören läßt, geht er ihm nach, und watschelt beynah eine halbe Meile
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gerade vorwärts auf einem rauhen Boden schenkeltief im Wasser. Zuletzt endigt sich dieser unlustige Pfad, wie alle unlustige Pfade unsers Abentheurers — in einer schönen blumenreichen Gegend, ungefehr zwanzig Morgen Landes groß — kurz, der Mann (nachdem er seinen O-Finn lange vergebens gesucht, endlich wiedergefunden, dann sein Mittagsmahl aus dem Felleisen gehalten, und hierauf sechs schrecklich hohe Berge hinter einander überstiegen) verirrt sich in ein gar s c h ö n e s Thal, wo er ein g a r a r t i g e s k l e i n e s H a u s antrift, und g a r w o h l a n g e l e g t e mit den schönsten Zwergbäumen u. s. w. versehene Gärten, alles an einem gar schönen See gelegen, und mit gar schön hervorragenden Felsen überschattet, von denen sich in geringer Entfernung dem Hause gegenüber gar schöne Wasserfälle in den See stürzen. — „Ich bin weiter in Norden und Süden gewesen (sagt der lügenhafte Prahler) als die meisten Menschen: ich bin mit Nationen umgegangen, die n o c h v i e l e G r a d e hinter den eiskalten Lapländern leben: ich habe unter Barbaren mich aufgehalten, welche in der heissen Himmelsgegend versengt werden: aber in
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keinem Theile der Welt hab ich etwas so schönes und rührendes a l s d i e s G a n z e w a r , gesehen!“ — Aber freylich wäre d i e s G a n z e weder so schön noch so rührend gewesen, wenn Hr. Bunkel, indem er durchs Stubenfenster guckte, nicht eine s c h ö n e j u n g e D a m e sitzen gesehen hätte, die ein musicalisch Buch in der Hand hatte, und g a r m e i s t e r l i c h sang. Bunkel g a f f t e noch immer, als noch eine junge Dame ins Zimmer trat; und auf einmal besann er sich, daß er diese hübsche Mädchen schon anderswo gesehen hätte. Zum Unglück für ihn hatten sie noch eine Mutter. Seines Bleibens in diesem Hause konnte also nicht länger als drey Tage seyn. Sodann bestieg er wieder 10
seinen Gaul, speisete den 5ten Jul. bey dem M ö n c h F l e m i n g in seinem Hause in Richmond-Shire; ritt von da nach einem Cartheuserkloster, an dessen einsame Bewohner ihn der Mönch Fleming empfohlen hatte, und wurde von den gastfreyen Söhnen des heil. Bruno mit g u t e n F i s c h e n , g u t e m B r o t , We i n , (ob gut oder schlecht, hat er uns zu sagen vergessen) v o r t r e f l i c h e n F r ü c h t e n u n d s c h ö n e n G a r t e n g e w ä c h s e n b e w i r t h e t . Den 8ten Jul. reisete er weiter, und gelangte endlich, wo Cumberland und Northumberland an einander gränzen, in der Gegend von Wardrow, gegen Nordwest von Thielwall-Castle, zu einer wunderbaren Schwefelquelle, und von da zu der Hütte einer beynah eben so wunderbaren Art von Einsiedler, des ein-
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zigen Bewohners dieser höchstwilden Gegenden. Er hieß Claudius Hobart, „ein Gelehrter und Edelmann, der in der Welt unglücklich gewesen war, und sich n a c h d i e s e n E l i s ä i s c h e n F e l d e r n begeben hatte, um seine übrige Lebenszeit d e r R e l i g i o n z u w i d m e n . “ Dieser Mann bewirthete unser theures Rüstzeug mit einer v o r t r e f l i c h e i n g e s a l z n e n F o r e l l e , Z w i e b a k , s c h ö n e n F r ü c h t e n , u n d h e r r l i c h e m H o n i g . Auch hatte er die Gabe, aus einem halben Nösel Rum und etwas Cremor Tartari einen guten Punsch zu machen, und redete dabey als ein Mann, der Verstand, Erziehung und aufgeräumtes Wesen hat. Als die Punschschale geleert war, wischte Bunkel sein Maul und zog seine Straße; der Einsiedler aber schenkte ihm noch eine
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Handschrift auf den Weg, d i e R e g e l d e r Ve r n u n f t und e i n i g e G e d a n k e n ü b e r d i e O f f e n b a r u n g , betittelt — wovon uns Bunkel sofort d a s W i c h t i g s t e in einem Auszug mittheilt. Lese wer mag und kann das platte wortreiche L o c u s - C o m m u n i s -Gewäsche und Schul-Exercitium über allgemeine Wahrheiten, an denen kein Mensch zweifelt, und den ekelhaften PotPourri der schon zehnmal aufgewärmten Socinianischen Meynungen über
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Christenthum, Geheimnisse, Dreyeinheit, Erlösungswerk, u. s. w. Man schläft freylich bald genug darüber ein; aber wenigstens ist es keines von den angenehmsten Schlafmitteln. Bunkel kommt, wir wissen nicht warum, von Knaresborough nach Harrogäte zurük, und findet da einen alten Brief von Miß Spence an ihn, worinn sie ihn ersucht sie nach London zu begleiten, und zu dem Ende seinen Weg über Westmoreland zu der Chester Landstrasse zu nehmen. Dieser Brief setzte ihn in Ve r w u n d e r u n g . Ja, theure Seele, sagt er, ich werde über Westmoreland meinen Weg nach London nehmen! Er steigt also Morgens um 4 Uhr zu Pferde und trift Abends um 6 Uhr zu Cleator ein — „nachdem ich, sagt er, des Tags 75
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Meilen zurückgelegt, nehmlich von Harrogate nach Knaresborough 8 Meilen. von da nach Cataric 22 — von Cataric nach Gretabridge 15 — von Gretabridge nach Bows 6 — von Bows nach Brugh in Westmoreland 12 — von da nach Kirkby Steven bey Whartonhall 6 — von Kyrkby Steven nach Cleator 6 — u n d a l s o z u s a m m e n g e r e c h n e t 75 Meilen.“ Hat man je gehört, daß ein Biograph seines eignen Lebens die Welt umsonst
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und um nichts, sogar mit Auszügen aus seinem Postbuche regaliert hat? Aber vermuthlich meynte der Langohr durch dergleichen kleine Details uns seinen albernen Roman desto leichter für würkliche Geschichte aufzuheften. Er findet nun endlich die so lange im Nebel gesuchte Miß Maria Spence; und wir — übergehen alle Erläuterungen, die er dieser Dame über seine Person ertheilt, und alle die Flaschen Wein, die er mit ihrem Vetter ausleert — einem alten Geistlichen, den er sehr lieb gewinnt „weil er ein eyfriger Anhänger des Durchlauchtigen Hauses Hannover zu seyn schien“ — und alle die Herrlichkeiten, die er uns von besagter seiner geliebten Maria meldet, — als, von ihrer Stärcke im „Lesen, Reiten, Fischen, in der Geschichte und Mathematik, besonders in der Rechnung der Fluxionen, u. s. w. vor allem aber ihrer Stärcke im C h r i s t l i c h e n D e i s m u s , als dem großen E i n s i s t N o t h unsers neuen Evangelisten — wir übergehen alles dieses, um unsern Lesern die interessante Nachricht zu geben; daß Hr. Bunkel „mit diesem vortreflichen jungen Frauenzimmer, und ihren zwey Bedienten, n e m l i c h i h r e m L a c k e y und i h r e r
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C a m m e r j u n g f e r , den 31. Jul. von Cleator abreisete, den 10 August s e h r w o h l mit ihnen zu London ankam, und den letzten Tag dieses Monats d i e Ehre und das Glück hatte mit dieser Dame verehlichet zu werden.“ Und nun, liebe Leser, schaut auf! und bewundert, wie fein der Mann uns auf die nächste Begebenheit, die er uns erzählen wird, v o r z u b e r e i t e n weiß! — „Der Mensch handelt weise, sagt er, der sich sowohl auf seinen als seiner Freunde Tod vorbereitet.“ „Schon am Morgen, als ich mich mit d e r s c h ö n e n u n d s i n n r e i c h e n Miß Spence ehlich verband, stellte ich mir den Verlust als 10
möglich vor, und entschloß mich, wenn er über mich verhängt würde, durch diese Widerwärtigkeit eine f r i e d s a m e F r u c h t d e r G e r e c h t i g k e i t in mir würcken zu lassen.“ — Nun sehe man einmal, wie k l ü g l i c h der Mann daran gethan hatte — denn S i e s t a r b , n o c h e h e i n h a l b e s J a h r v e r f l o ß — an einem bösartigen Fieber, dessen Geschichte nebst der Art, wie solches von vier berühmten Ärzten behandelt worden, er uns umständlich mittheilt; auch am Ende weitläuffig und kunstmäßig darthut: daß, wenn die Herren bey der kranken Frau in Zeiten zur Aderlas geschritten, und ihr anstatt der verderblichen Alexipharmacorum die Conserua luiulae in emulsione ex semine fr. cum Amygd. in aqua hordei gegeben hätten, sie ohne Zweifel
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mit Gotteshülfe glücklich curiert worden wäre. Warum er aber diesen guten Einfall nicht eher gehabt, als bis sie todt war, davon sagt er uns kein Wörtchen. Genug, sie war nun todt, und Bunkel ließ (wie er sagt) N a t u r , G n a d e u n d Z e i t d a s I h r i g e t h u n , d i e Wu n d e z u h e i l e n . S o l l t e i c h (setzt der lästerliche Bursche hinzu) d e n K e l c h n i c h t t r i n k e n , d e n m i r m e i n Va t e r g e g e b e n h a t ? J a i c h w i l l ! — Und s o g e h t e r d a n n , nachdem er seine todte Frau auf ihrem Gute zur Erde bestattet, „ w i e d e r i n d i e We l t , s i c h a u f z u m u n t e r n , und n o c h e i n m a l s e i n G l ü c k z u v e r s u c h e n . “ Dießmal geht der Weg nach London. Unterwegens macht er zu Nottingham im Wirthshaus mit einem gewissen d ü n n e n Menschen, Namens Mr. R i b b e l
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Bekanntschaft, der ihm eine gar hübsche Vorlesung über die Diät schwindsüchtiger Leute, und über C h y m i e , A l c h y m i e , S p i e s g l a s , W i s m u t h , Z i n k , A r s e n i c u m und G o l d h ä l t , auch seine E r z ä h l u n g „mit einer — m o r a l i s c h e n A n w e n d u n g (im Geschmack der Bänckelsängermoral: Ihr lieben Christen insgemein, wenn wollt ihr euch verbessern?) b e s c h l i e ß t . — Bald darauf geräth unser Wanderer wieder in eine sehr stattliche Gegend, wo
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er auf einen Herrn von vierzig Jahren, Namens M o n k t o n stößt, der ihm ein Nachtquartier auf seinem Landgut anbeut. Bunkel ist kein Mann, eine solche Gelegenheit zum Essen und Trinken von der Hand zu weisen. Herr Monkton führt ihn also in sein Haus, und giebt ihm eine s c h ö n e M a h l z e i t . „Nach dem Essen tranken wir noch ein Paar Flaschen, sagt Bunkel, redeten von t a u s e n d S a c h e n (das mag ein schönes Salmigondy gewesen seyn!) und begaben uns darauf zur Ruhe.“ Die beyden Herren nahmen einander so gut an, daß Bunkel sechs Tage da blieb, und Herrn Monkton etliche Dutzend Flaschen leeren half. Dieser Herr Monkton war würklich ein merkwürdiger Mann — wie unsre Leser aus seiner kurzen Ehstandsgeschichte, die uns Meister Bunkel
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mittheilt, zu ersehen belieben werden. — Herr Av e r y M o n k t o n , ein langer und sehr schmaler Mann, bewirbt sich in seinem fünf und zwanzig Jahr, um ein schönes Frauenzimmerchen, in die er sich verliebt hat. Er hat große Mühe, sie endlich vermittelst eines starken Witwengedings dahin zubringen, sich in das H. Sacrament der Ehe mit ihm zu begeben; „denn s i e h a t t e s i c h s t e i f i n d e n K o p f g e s e t z t , daß die christliche Vollkommenheit in einem j u n g f r ä u l i c h e n L e b e n bestehe.“ Indessen gieng es drey ganzer Monate recht gut; die Leutchen liebten einander, die junge Frau g a b i h m i h r e L i e b e a u f e i n e e n t z ü c k e n d e We i s e — z u e r k e n n e n , * ) und Monkton h ä t t e g e glaubt, hundert Jahre so zugebracht, könnten nur Minuten
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s e y n — als es sich begab, daß er in Geschäften eines Morgens früh nach der Stadt reisen mußte. — Leider! sehen unsre werthen Leser schon voraus, was weiter kommen, und wie das Ding enden wird. Weil Herr Monkton e i n i g e P a p i e r e v e r g e s s e n h a t t e , mußt’ er wieder umkehren, und machte sich sogleich einen großen Spaß aus dem Gedanken, seine geliebte Hälfte, die er i n s ü s s e m S c h l a f e anzutreffen hofte, a u f e i n e a n g e n e h m e We i s e z u ü b e r f a l l e n . „Ich kam durch die Thüre des Waschhauses hinein, fährt der liebe Hahnrey fort, gieng l e i s e nach meiner Stube, faßte das Schloß sanft an, und wollte, wenn m e i n e Z a u b e r i n schlummerte, diesem A b g o t t m e i n e s H e r z e n s einen Kuß geben. Aber da ich die Thüre öfnete, sah ich“ — Nun? Leser und Leserinnen! Was meynen sie, daß der Mann sah? Sie errathen d i e
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Wir können’s unsern jungen Autoren nicht genug empfehlen: um s c h r e i b e n zu lernen,
brauchen sie nichts als Bunkels Vortrag und Styl zu studieren. N e o l o g i s c h ist er gewiß nicht, das wird ihm niemand nachsagen!
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S a c h e ; aber ich setze alles daran was ich werth bin, Sie errathen die n e u e und h ö c h s t d e l i c a t e We n d u n g nicht, die ein Mann wie Bunkel zu nehmen weiß, um uns eine so ärgerliche Sache auf eine sittsame und feine Art zu verstehen zu geben — „ s a h i c h — e i n e n M a n n a n d e r S e i t e d e s B e t t e s , und — m e i n e z ä r t l i c h e g e t r e u e F r a u — d i e i h m — d i e B e i n k l e i d e r a u f k n ö p f t e . “ — Das war nun freylich eine V i s i o n , die sogar einen Bunkel, mit allen den moralischen und biblischen Sprüchen, womit er sich in der Noth so gut zu helfen weiß, hätte stutzen machen können. „Ich gerieth in die äusserste Bestürzung — aber nicht in Wuth, sagt Herr Cornifiz; ich sagte bloß: ist 10
das Louise, die ich sehe? und schmiß die Thüre zu. Ich gieng sogleich die Treppe herunter, und denselbigen Weg wieder hinaus, den ich hereingekommen war — und von der Zeit an hab’ ich meine Frau niemals wieder gesehen.“ — Eine gar feine Historia — in ein Lesebuch für Handwercksbursche und Waschnymfen! O Bunkel! Bunkel! — Und o ! w a s s o l l e n w i r v o n D i r s a g e n , preißwürdiger, hochverdienter H e r a u s g e b e r u n d Ve r l e g e r eines so a n g e n e h m s t - s e l t s a m s t e n , so e r h a b e n - s o n d e r b a r e n , so e r b a u l i c h s t - l e h r r e i c h e n O r i g i n a l - We r k e s ? — Und was von dir, treufleissiger L a d e n j u n g e , der du durch eine s o w ü r d i g e Ü b e r s e t z u n g eines s o l c h e n Operis der Welt schon in deiner zarten Jugend gezeigt hast,
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was sie von einem Ganskopf und drey Schreibfingern, wie die deinigen, dereinst noch zu erwarten hat! W. (Der Beschluß dieses Artikels nächstens.)
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Beschluß der Auszüge aus Johann Bunkels Leben etc. (Fortgesetzt von S. 173. N o . 1 1 . ) „Wie? viermal aufgewärmten B u n k e l ? das ist zu arg — hören wir unsre Leser ruffen — Es ist freylich arg genug. Wenn sie aber gleichwohl bedenken, daß sie eigentlich e i n We r k v o n 1 6 6 2 O c t a v s e i t e n hätten lesen sollen, und daß wir ihnen den E x t r a c t davon in v i e r b i s f ü n f B o g e n geben, und Sie also für 3 gl. 8 Pf. bekommen, was die Herren und Damen, die in Herrn Nicolais’s Netz eingegangen sind, baare vierthalb Thaler gekostet hat; so werden sie, hoffentlich, desto geneigter seyn, uns zu gut zu halten, daß wir, aus
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Gefälligkeit gegen diese leztern (die doch eine Anzahl von mehr als 700 Köpfen ausmachen) einen so kleinen Theil unsers Journals dazu anwenden, sie für den Einkauf dieser theuren Makulatur in etwas zu entschädigen. Wem diese Rücksicht noch nicht hinlänglich scheint, den bitten wir in Betracht zu ziehen: daß die Rede von einem Buche ist, daß man uns mit dem grösten Prunk angekündigt, und im entscheidendsten Ton als eines der herrlichsten Produkte des menschlichen Verstandes, als ein unendlich angenehmes, lehrreiches und erbauliches Buch empfohlen hat — und das so viele ehrliche Leute lediglich auf Treu und Glauben des wohl berühmten Namens, der sich für die Zuverläßigkeit dieser Anpreisung öffentlich zum Bürgen machte, für das, wofür mans
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ihnen gab, gekauft haben. Daß nun alle Käuffer o h n e A u s n a h m e (wie man wenigstens mit der höchsten Wahrscheinlichkeit voraussetzen kann) so unglücklich sind, dieses nehmliche Buch, von dem sie sich bona fide soviel Unterhaltung, Vergnügen und Nutzen versprochen hatten, so langweilig, abgeschmackt, platt, impertinent, ärgerlich, mit einem Wort so detestabel, daß es gar nicht zu geniessen ist, zu finden, das ist freylich — ein Unglück von einer so seltsamen Art, daß man seit Erfindung der edlen Buchdruckerkunst nichts ähnliches gesehen hat; aber eben dadurch wird B u n k e l in gewissem Sinn, eines der merkwürdigsten Bücher aller Zeiten; und so verlohnt es sich am Ende doch der Mühe, eine Erscheinung, die in ihrer Art e i n z i g ist, etwas
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näher zu betrachten. Übrigens versichert der Verfasser dieses Artikels, daß er, wenn er bloß auf sich selbst hätte sehen wollen, auf die Belustigung, die damit verbunden seyn mag, gerne Verzicht gethan hätte; und daß er gar wohl fühlt, was es auf sich hat, sich der Ungnade eines Mannes auszusetzen, der die a l l g e m e i n e Te u t s c h e B i b l i o t h e k und den k l e y n e n A l l m a n a c h herausgiebt. — Aber, was thut man nicht aus Liebe zum gemeinen Besten? — so wenig Gedächtnis auch das liebe Publikum für das was man zu seinem Nutzen oder Vergnügen thut, haben soll! Wir sind immer noch daran, uns an dem w o h l g e l e b t e n L e b e n des theu10
ren J o h a n n B u n k e l zu erbauen. Durch was für eine Zauberbrille muß der Mann gegukt haben, um (wie sein berühmter Lobredner sagt) mit g u t e m G e w i s s e n und mit dem v ö l l i g e m B e w u ß t s e y n u n b e s c h o l t e n u n d n ü t z l i c h g e w e s e n z u s e y n , auf dieß sein Leben zurücksehen zu können? Und doch ist alles, was wir bisher von ihm gehört haben, nur Vorspiel zu den großen Scenen, die er noch spielen wird. Er ist nun auf dem Wege sich d i e f ü n f t e F r a u zu holen, und sein moralischer Charakter zeigt sich bey jeder neuen Freyerey und in jeder neuen Wittwerschaft in höherm Licht. — Erinnern sich unsre Leser noch der schönen M i ß Tu r n e r , zu welcher Bunkel im zweyten Theil S. 78. so abentheurlich einen holen Berg herabgetaumelt kam?
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Diese (wer hätte sich dessen versehen?) ist das erste, was ihm, sechs Stunden nach seiner Abreise von Hrn. Monkton, in einem a b g e l e g n e n W i r t h s h a u s e , wo er z u s e i n e r E r q u i c k u n g einkehrt, mit ihrer Kammerjungfer und zwey Bedienten, aufstößt. Bunkel erkennt sie nicht gleich wieder, weil sie indessen v i e l f e t t e r und w e n n’ s m ö g l i c h i s t (sagt er) e t w a s h ü b s c h e r geworden war. Aber sein Bedienter O-Finn hatte eine feinere Nase. Genug es war Miß Turner, die durch den Tod ihres Bruders ihr eigner Herr geworden, und im Begriff war, nach Londen zu gehen, und s i c h d o r t i n d e r g r o ß e n We l t a u f z u h a l t e n . Bunkel, der für die kleine Welt war, trägt sich ihr statt dessen ohne Umschweif zum Manne an, und meynt, sie würden „in irgend
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einem stillen angenehmen Aufenthalt so vergnügt mit einander leben, als zwey junge Sterbliche es hier auf Erden seyn könnten.“ Was sagen sie hiezu, Miß Turner? fragt er sie — und, zu einer Probe, wie es in Miß C ä s i a Tu r n e r s Kopf aussah, hören wir einmal ihre Antwort: „Sie sollen, Sir, i n w e n i g e n Ta g e n meine Gesinnung hierüber erfahren. Aber da ich einmal auf dem Wege nach London begriffen und schon so weit gekommen bin, so halt ich es
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wohl für das rathsamste bey meinem Vorsatze zu bleiben. Die Stadt kann mir einen neuen Geschmack für die Einsamkeit einflößen; es kan aber auch das Stadtleben mir alle Lust und Liebe zum Lande benehmen. Doch da ich die Sache noch einmal überlege, entschliesse ich mich kurz und gut, n i c h t nach dieser Hauptstadt zu reisen. Ich will nach S k e l s m o r e - T h a l zurückkehren. So bin ich i t z t gesinnt; wie ich aber m o r g e n denken werde, das kann ich nicht sagen. Unterdessen haben sie die Gewogenheit K a r t e n z u f o d e r n und lassen sie uns diesen Abend bey dem Spiele zubringen.“ — Ey, du holdes, wakkelichtes Schwindelköpfgen! — „Aber, ehe wir noch einige Stunden gespielt hatten, (sagt B.) sah ich schon, d a ß d i e s e t h e u r e S e e l e ganz die Meinige
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war. Sie saß vor mir a l s d i e e r r ö t h e n d e S c h ö n e a u f d e m G e m ä h l d e in der G a l e r i e d e r Ve n u s “ (wo mag das wohl seyn, Herr Bunkel?) „ g e d a n k e n v o l l , w a r m v o n Ve r l a n g e n , und v o n z ä r t l i c h e n E m p f i n d u n g e n e i n g e n o m m e n . Ich wünschte mir nur meinen Freund, den Pater Fleming, bey der Hand zu haben, u m d e n e i n g e p f l a n z t e n Antrieb rechtmäßig zu machen u. s. w.“ — O-Finn mußte sich also über Hals über Kopf fortmachen, den alten Mönch zu hohlen. Der allezeit bereitwillige Mönch kam, verrichtete sein Amt, an welches unser religiöser Freydenker in diesem Stück einen unbegreiflichen Glauben hat, und so sezten sie sich, noch des Abends, da er anlangte, als Mann und Frau zum Abendessen nieder. Und was
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denken wir, daß der Mann Gottes den Leuten, die es ein wenig unartig finden, daß Er, dessen vierte Frau noch nicht vier Monate im Grabe liegt, schon wieder mit einer andern schönen, fetten Jungfer zu Bette geht — was denken wir, daß er ihnen antwortet? Er schilt sie kurzweg m ü r r i s c h e K e r l s , Tr ä u m e r und D u m m k ö p f e . I c h a n t w o r t e i h n e n k u r z (sagt er) e i n e t o d t e F r a u e n s p e r s o n i s t k e i n e E h e f r a u , und d e r E h s t a n d i s t i m m e r rühmlich. Es ist eine göttliche Einsetzung ; es ist besser freyen a l s B r u n s t l e i d e n , o d e r — u. s. w. Nach diesen Vordersätzen hätte nun freylich Bunkel so viele Weiber nach einander wegheyrathen können, als jemals ein morgenländischer Schach a u f e i n m a l gehabt hat; und man muß es ihm noch zu großer Bescheidenheit anrechnen, daß er sich an S i e b e n genügen lassen. Es gefiel dem neuen Ehpaar sowohl in dem e i n s a m e n W i r t h s h a u s e , daß sie sechs Wochen dort verblieben; und es läßt sich nicht mit Worten ausdrücken (sagt der große Sponsirer der Frauen) welch eine dauerhafte Glück-
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seligkeit wir zu besitzen schienen. Endlich fiel es der jungen Frau ein, auf etliche Wochen nach London zu gehen. Unterwegs aber, da sie an der Seite eines steilen Hügels fuhren, wurden die Pferde scheu. — O des glücklichen, dreymal glücklichen Mittels, das sich dem lieben Mann so unverhoft darbietet, wieder eine Frau loß zu werden! Man sieht es aus der Eilfertigkeit, womit er von der Sache spricht, wie preßiert er ist, sich wieder an eine andre machen zu können. — „Die Pferde wurden scheu, l i e f f e n h e r u n t e r , u n d m e i n e G e l i e b t e k a m u m s L e b e n . “ Doch lebte sie (nachdem sie ums Leben gekommen war) beynahe noch eine Stunde, indem sie mehr als einmal folgende 10
Zeilen a u s d e n A n t i q u i t ä t e n d e s B o i s s a r d wiederhohlte: Nil prosunt lacrymae, nec possunt fata moueri, Nec pro me queror; hoc morte mihi est tristius ipsa. M o e r o r A t i m e t i coniugis i l l e mihi.
Dieses Leiden hätte sich die gute Frau ersparen können. Denn so groß auch die Traurigkeit ihres Atimetus, seinem Vorgeben nach, war; so behielt er doch kaltes Blut genug, um sich der erhabnen Wahrheit zu erinnern, „ d a ß e s g a n z f r u c h t l o s f ü r i h n w ä r e , b e s t ä n d i g w e h z u k l a g e n . “ Das war auch seine Sache ganz und gar nicht. Er bestattete ihren Leichnam hurtig auf dem nächsten Kirchhof zur Erde, und ritt hierauf, so geschwind er konnte, nach 20
London, um sich durch Zerstreuungen auf andre Gedanken zu bringen. In London macht er sich mit dem berüchtigten Buchhändler C u r l bekannt, nimmt ein Zimmer in dessen Hause, und regaliert uns bey dieser Gelegenheit mit der Geschichte einer bekehrten Sünderin; einer Locus-Communis-Geschichte, die durch seine eingestreuten Betrachtungen blos ein wenig platter wird, als sie an sich selbst ist. Sodann kommt er wieder auf sich selbst, zurück, um uns zu erzählen, wie er mit zween Irländischen Gentlemans, J e m m y K i n g , und dem berühmten Sachwalter, der die schöne N e l l y H a y d e n verführte, in Bekanntschaft gerathen, mit ihnen in ein Spielhaus gegangen, und da all sein Haab und Gut bey einer Würfelbank zurückgelassen. „ I c h w u ß t e
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z w a r , sagt der unbegreifliche Pinsel, daß d i e s e M ä n n e r d i e r u c h l o s e s t e n L e u t e v o n d e r We l t w a r e n , daß sie k e i n e R e l i g i o n s b e g r i f f e h a t t e n , daß sie sich d e n L ü s t e n e r g a b e n , j e d e n g e s u n d e n G e d a n ken und jede Besorgniß durch niedrige, lasterhafte und un-
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m ä n n l i c h e Ve r g n ü g u n g e n w e g j a g t e n ; “ — allein, wiewohl er das alles wußte, macht’ er doch, ohne mindeste Noth oder vernünftige Absicht, Kameradschaft mit ihnen, weil er, a l s e i n g r o ß e r L o g i k u s , glaubte, „ d a ß sie doch, nach dem gewöhnlichen Begriffe, noch Ehre im Leibe h ä t t e n . “ — Was für ein B e g r i f f mag das wohl seyn, vermöge dessen s o l c h e Leute noch E h r e i m L e i b e haben können? Oder wenn dies der g e w ö h n l i c h e Begriff von der Ehre ist, was für ein Thor und Unsinniger muß der seyn, der in eine s o l c h e E h r e nur einen Gran mehr Vertrauen sezt, als in die Großmuth eines Wucherers, oder in die Keuschheit einer öffentlichen Metze? Doch genug! B u n k e l w a r d i e s e r T h o r ; denn wiewohl er wußte, daß
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sie gewissenlose Bösewichter waren, so wußte er doch nicht, daß sie all das Ihrige in Irland verspielt hatten, und nun in England vom Spiel leben wollten. Er ließ sich also bereden mit ihnen in eine Spielgesellschaft zu gehen, wo, ihrem Vorgeben nach, von den ehrlichsten Männern Bank gehalten und ganz redlich gespielt würde. Sie stellten ihm vor, daß er nur etliche Guineen wagen und vielleicht Hunderte gewinnen könnte. Nun wissen wir, daß Johann Bunkel, ausser einem hübschen Mädchen, nichts lieber hat, als klingende Münze. Wie hätt’ er also einer so lockenden Stimme widerstehen können? Bey seinem Eintritt ins Gemach sah er über zwanzig wohlgekleidete Herren um einen Tisch sitzen, auf welchem ein grosser Hauffen Gold lag. So w o h l g e k l e i d e t e
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H e r r e n mußten ja nothwendig, aufs wenigste nach dem g e m e i n e n Begriff, E h r e i m L e i b e haben! Bunkel sezte sich also hin, würfelte, und gewann in zwoo bis drey Stunden einige hundert Pfund. Nun war’s Zeit aufzuhören; aber der weise Mann, der gern den ganzen großen Hauffen Gold gehabt hätte, spielte fort, und e h’ e s M o r g e n w a r , verlohr er nicht allein, was er gewonnen h a t t e , sondern bis auf etliche Pfund, auch „ A l l e s , w a s e r i n d e r We l t h a t t e , a l l e Ta u s e n d e , d i e e r v o n s e i n e n v e r s c h i e d e n e n F r a u e n hatte, deren Güther er verkauft, und das Geld bey einem Banq u i e r n i e d e r g e l e g t h a t t e .“ Die beyden Irrländer verschwanden, die wohlgekleideten Herren giengen, einer nach dem andern weg, „und mich, sagt der l i e b e Mann, überliesen sie dem bittern Gedanken, wer ich vor einigen Stunden gewesen, und in welcher Lage ich mich izt befände.“ Nun, es ist freylich nicht zur Nachfolge geschrieben, daß ein Wiederhersteller der Reinheit der Lehre und des Lebens der ersten Christengemeine so leichtsinnigerweise alles mit fünf reichen Weibern zusammengeheyrathete
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grosse Vermögen, und, was wohl zu merken ist, (wiewohl Bunkel selbst sich darüber nicht den mindesten Scrupel macht) ein Vermögen, d a s n i c h t s e i n w a r , sondern seinen vielen Kindern zugehörte, an unbekannte Spitzbuben in einem Winkel-Spielhause verliehrt. Gleichwohl — man hat Beyspiele, daß die größten Heiligen in einer unseligen Stunde dem Versucher Gehör gegeben haben, und noch tiefer gefallen sind, als Bunkel. — Aber vielleicht wird sein Betragen n a c h der That desto lehrreicher, seine Reue desto rührender, sein folgendes Leben desto exemplarischer seyn? Erwarten sollte mans wenigstens — von jedem andern — nur nicht von Johann Bunkel. — Laßt hören, wie 10
sich d e r dazu anschickt! Ich war ganz ausser mir, sagt er, und wir wollens ihm gerne glauben. Aber nun die Reflexionen, die er macht! „Was hatte ich beym Spiel zu thun? Mir fehlte ja nichts! und nun haben Spitzbuben d u r c h e i n W ü r f e l - S p i e l , w e l c h e s a u c h d e n Te u f e l b e t r ü g e n k ö n n t e , mir alles Meinige genommen! Hier hab ich mich niedergesetzt, um mich durch Spitzbuben und falsche Würfel zu Grunde richten zu lassen? Bey dieser Überlegung erstarrten meine Sinne eine Zeitlang; und d a r a u f s p r a n g i c h a u f , w a r w i l d u n d r a s e n d . “ Und das ist die ganze Geschichte seiner Buße und Bekehrung. Sehr lehrreich! Sehr christlich! Wie die Raserey vorüber war, wurde der theure Mann tiefsinnig. Sein
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Freund C u r l merkte bald, wo ihn der Schuh drückte; Bunkel entdeckte ihm alles, und Curl that ihm bey einem Glase Wein im Caffeehause, den Vorschlag, die einzige Tochter und Erbin eines sehr reichen alten Geizhalses, Nahmens D u n k , zu entführen, der nur zwanzig englische Meilen von London, in e i n e m Wa l d e lebte, und mit welchem C u r l so bekannt war, daß er sich im Stande sah zur Entführung allen möglichen Vorschub zu thun. Dieser Vorschlag war eines Curls, eines Buben, der seine Ehre und seine Ohren längst am Pillory gelassen hatte, nicht unwürdig. Aber was mußte derjenige seyn, der einen so schändlichen Vorschlag eines so schändlichen Kerls mit den Grundsätzen und Gesinnungen des rechtschafnen Mannes und des Christen reimen
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konnte? B u n k e l m u ß t e r s e y n ! weiter nichts. Dem steigt bey so einem Antrag nur nicht die kleinste Anwandlung von Bedenklichkeit zu Kopfe. Denn „wenn Jungfer Dunks Vater stirbt, so hat sie jährlich tausend Pfund Einkommen, wenn er auch sein eignes Vermögen andern vermachen sollte“ — und Bunkel, der alles verspielt hat, braucht Geld. Er reiset also mit allem, was er zu Ausführung seiner vorhabenden Schandthat nöthig hat, nach des alten Dunks
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Landhaus; übergiebt der Miß sein Creditiv von dem edeln Curl; thut ihr seinen Antrag; spricht von seiner schönen Einsiedlerey Ortons-Lodge; verspricht ihr dort z u e i n e m r u h i g e n L e b e n z u v e r h e l f e n , und unterstüzt alles dies (wie ihm dann das Christenthum bey jeder Gelegenheit entweder zum Deckmantel oder Werkzeug seiner Lüste und Bubenstücke dienen muß) durch die Vorstellung, „daß ein Christ sich nicht dieser Welt gleich stellen, sondern sich vielmehr als ein Wesen, das zu einer andern Welt gehöre, ansehen, und nach geistigen Grundsätzen bilden müße“; woraus (setzt er hinzu) r i c h t i g f o l g e , „daß eine anmuthige Landgegend für ein glückliches Ehepaar angenehm genug sey.“ Miß A g n e s i a D u n k , als eine Person „ d i e e i n e f e i n e D e n -
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k u n g s a r t h a t t e , jedoch b e y d e r s c h ö n s t e n B e u r t h e i l u n g s k r a f t b l ö d e u n d m i ß t r a u i s c h a u f i h r e E i n s i c h t w a r , “ bat sich — eine ganze halbe Stunde Bedenkzeit aus, um dem Hrn. Curl die Antwort schriftlich zu geben, die sie dem Hrn. Bunkel nicht mündlich geben wollte. Bunkel komt mit dem Briefe zurück, worinn die junge Dirne sich erklärt: „daß ihr der Mann z u e i n e m F ü h r e r d u r c h d i e W i l d n i ß schon recht wäre, wenn sie sich nur darauf verlassen könnte, daß sein Herz so g e s u n d sey a l s s e i n Ve r s t a n d . “ — Arme Agnesia! wo war dein eigner? — Diese Bedenklichkeit war nun leicht zu heben; denn Curl brauchte ja nur seine unbescholtne Ehre zum Pfand für Bunkels gutes Herz einzusetzen — Seine Ohren hätt’ er freylich
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nicht verpfänden können, denn die waren zu London am Pranger angenagelt — Bunkel geht sogleich wieder mit Curl’s Pfandbriefe ab; übergiebt dem Alten, der das Bette hüten muß, Parlamentsacten; trift die schöne Agnesia in einer Rosenlaube in der artigsten Nachtkleidung, d i e s o n e t t u n d s a u b e r a l s m ö g l i c h w a r , und wird noch selbigen Tages g u t m i t i h r b e k a n n t . Kurz, nachdem er sie vier Wochen lang, unter m a n c h e r l e y Vo r w a n d v o n G e s c h ä f t e n , d i e d e r s i n n r e i c h e C u r l erdachte, besucht hatte, willigte Agnesia in die Entführung; und so giengen sie um Mitternacht mit einander davon. Das ist die zwoote E n t f ü h r u n g , die Herr Johann Bunkel auf seiner armen Seele hat, und er scheint also beym ersten Anblick bloß sich selbst kopiert zu haben. Aber man muß ihm doch die Gerechtigkeit erweisen, zu gestehen, daß er in der zwooten sich selbst übertroffen hat. Als er die beyden Mündel des alten C o o k s entführte, handelte er bloß a l s N a r r und o h n e e i g e n n ü t z i g e R ü c k s i c h t ; aber hier bestiehlt er einen Vater um sein einziges Kind,
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u m i h r G e l d i n s e i n e G e w a l t z u b e k o m m e n . Dort war er b l o s D o n Q u i s c h o t ; hier ist er S c h u r k e — Es ist also klar, daß er h i e r m e h r B u n k e l ist, als dort. Zum Beweis, wie vollkommner er’s ist, hat er sogar noch die Unverschämtheit, zu behaupten, Miß Agnesia habe recht daran gethan, ohne Wissen und Willen ihres Vaters mit ihm davon zu lauffen. Das Raisonnement, womit er uns dies weiß machen will, ist eines von den Meisterstücken der Bunklischen Logik. „Leidender Gehorsam (sagt er) ist in einer Privatfamilie, eben so viel Unverstand, als in der Regierung eines Fürsten. Der Vater muß, wie der König, ein ernährender Vater, ein vernünftiges, leutseliges Oberhaupt 10
seyn, und so lange er dies ist, gebührt ihm aller Dienst und Gehorsam. Aber, wenn der Vater, wie der Fürst, Tyrann wird; seiner Tochter a l l e n a t ü r l i c h e Rechte und Freyheit nimmt ; ihr kein vergnügtes Leben gestatt e t ; sondern sie in Banden und Elend hält: dann giebt die Selbsterhaltung und i h r g e r e c h t e r A n s p r u c h auf die Ergötzungen ihres Lebens etc. ihr ein Recht, ihren Zustand zu verbessern. Wenn sie bey einem ehrlichen Manne Brod, heitre Tage, Freyheit und Friede haben kann: so handelt sie gerecht gegen sich selbst, wenn sie mit einem solchen Erretter davon geht. Ve r n u n f t und O f f e n b a r u n g rechtfertigen Sie.“ Meister Bunkel macht, wie wir sehen, kurzen Proceß mit den Vätern und den Königen. Giebt der Fürst nicht allen
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seinen Unterthanen zu essen: ist er nicht ein n a c h i h r e m U r t h e i l vernünftiges und leutseliges Oberhaupt — gestattet der Vater seinem Töchterchen nicht alle ihre natürliche Freyheit und ein nach ihrem Sinn vergnügtes Leben: so ist der Fürst und der Vater ein Tyrann, und Unterthan und Kind sind aller Pflicht gegen sie entbunden. Herrliches Haus- und Staatsrecht! — Und sieht der stumpfsinnige Mensch denn nicht, daß die Redensarten v e r n ü n f t i g und l e u t s e l i g s e y n , und n a t ü r l i c h e F r e y h e i t und v e r g n ü g t e s L e b e n blosse schaale Wörter sind, wobey Unterthanen und Kinder denken können, was sie wollen? sieht er nicht, daß i h r e Launen und Leidenschaften ewig die Ausleger ihrer Rechte und Freyheiten, und die Richter zwischen ihnen und
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ihrem Fürsten oder Vater seyn würden? und daß es Unsinn ist, Unterthanen und Kinder zu Richtern in ihren eignen Sachen zu machen? — Zudem hat uns Bunkel auch nicht einmal den Schatten eines Beweises gegeben, daß der alte Dunk mit seiner Tochter als ein Ty r a n n verfahren sey. Alles beruht auf der bloßen u n b e w i e s e n e n Aussage eines ehrlosen Kerls (des Curls) der gleichwohl weiter nichts sagt, als: „Dunk schränke seine Tochter sehr ein, und gehe
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in allen Stücken grausam mit ihr um.“ — Jedermann weiß, daß dieß (zumal in einer Geschichte, sie mag würklich oder erdichtet seyn) n i c h t s gesagt ist. Man muß uns sagen, w o r i n n er sie einschränkt, und was er für U r s a c h e n dazu hat, und in w e l c h e n Stücken er grausam mit ihr umgeht; oder wir wissen nichts von der Sache, und sind berechtigt, alles Böse, was ihm in etlichen allgemeinen Ausdrücken nachgesagt wird, für baare Verleumdung zu halten, denn: Quilibet praesumitur bonus, donec contrarium probetur. Hier, liebe Leser, spüre ich, daß der Eckel, einem so elenden Menschen länger in dem, was er sein Leben und seine Meynungen nennt, zu folgen, unausstehlich zu werden anfängt. Allem Vermuthen nach ists euch eben so.
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Im ganzen Ernst, es ist so arg, daß ich, um zu begreiffen, wie ein Mensch in d i e s e m G r a d e v e r w i r r t d e n k e n , v e r k e h r t h a n d e l n und e l e n d s c h r e i b e n könne, keinen andern Weg sehe, als vorauszusetzen, daß es in seinem Kopfe nicht richtig gewesen. Wäre seine Narrheit noch von der belustigenden Art, und hätte man uns den Narren für das, was er ist, gegeben — so möcht’ es noch hingehen; aber das Buch eines miserablen Menschen, der in einer Art von Verrückung schreibt, und an dem menschlich und christlich gehandelt worden wäre, wenn man ihn in einem Spital versorgt hätte — so ein Buch für die Blüthe und Quintessenz eines Geistes, der mit Shakespearn, Richardson und Sterne im Reyhen geht, auszugeben — in der That, das hieß das berühmte P h l e g m a der t e u t s c h e n Nation auf eine Probe setzen, der sogar das l a p p l ä n d i s c h e hätte unterliegen müssen. W.
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Asmvs omnia sua secvm portans, oder S ä m t l i c h e We r k e d e s Wa n s b e k k e r B o t e n , d r i t t e r T h e i l . Beym Verfasser, und in Commißion bey G o t t l . L ö w e n , in B r e ß l a u , zu haben. (Preiß, 16 Gr.) G e d i c h t e von Gottfr. August B ü r g e r , Göttingen, gedruckt und in Commißion bey J. C. Dietrich, 1778. Beyde Werke mit Kupfern von C h o d o w i e c k y . Hier waren freylich die Kupfer nicht nothwendig, weder um Käufer anzuködern noch um sie in E t w a s zu entschädigen: aber sie schaden wenigstens nichts, und man sieht einen Chodowiecky immer lieber zu Bürgers Gedichten 10
und Asmus Prosa zeichnen als zu Johann Bunk — doch, es ist schon Profanation, nur den Namen so eines Strohmanns neben jenen Menschen Gottes zu nennen! Die beyden vorbenannten Bücher selbst sind keine von denen die man recensiert; sie sind von denen die man ließt, und noch einmal ließt, und so oft man sich recht viel zu gut thun will, wieder ließt. Wer, in kurzem, wird nicht B ü r g e r s G e d i c h t e auswendig wissen? In welchem Hause, in welchem Winkel Teutschlandes werden sie nicht gesungen werden? — Ich wenigstens kenne in keiner Sprache etwas vollkommneres, in dieser Art; nichts das dem Kenner und Nichtkenner, dem Jüngling und dem Manne, dem Volk und der Clerisey,
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jedem nach seiner Empfänglichkeit, so g l e i c h angemessen, genießbar, lieb und werth seyn müsse als Bürgers Gedichte. — Die meisten scheinen, so lebendig und rein und ganz wie sie da stehen, auf einmal (uno actu) aus dem We s e n des Dichters hervorgekommen zu seyn, wie Minerva aus Jupiters K o p f e — Wahre Vo l k s p o e s i e — und doch alles, was nicht blos Ausguß der Burlesk-komischen Laune eines Augenblicks ist, so schön, so poliert, so vollendet! und bey allem dem doch so leicht, so wie durch einen Hauch hingeblasen! und bey aller dieser Leichtigkeit und Grazie, doch so lebendig und markicht, so voll Saft und Kraft! Leib und Geist, Bild und Sache, Gedanke und Ausdruck, innere Musik und äussere Melodie der Versification, immer Alles
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so Ein Ganzes! — Und in welchem Dichter fließt das vtile dulci reiner, lieblicher, kräftiger zusammen als in diesem? Nur durch das einzige Lied, Männerkeuschheit (S. 299.) wird Bürger m e h r zum Wo h l t h ä t e r unsrer Söhne
¼Rezensionen: Claudius½ S ä m t l i c h e We r k e ¼und: Bürger½ G e d i c h t e
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und Enkel werden, als wenn er ein dickes Buch voll der schönsten moralischen Dissertationen und Declamationen über diese Materie geschrieben hätte. — Über ein und anders, woran wir in der Vorrede gestossen sind, behalten wir uns ein Wörtchen auf nächste Gelegenheit vor. W.
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D e r M a n n v o n G e f ü h l . Nach der 3ten Londner Ausgabe aufs neue übersezt. B e r l i n bey H i m b u r g . 8. 1778. Das Englische Original von diesem Mann von Gefühl verdient aus dem großen Haufen der schaalen Nachahmungen von Yoriks empfindsamer Reise und dem was in Tr i s t r a m S c h a n d y von ähnlicher Art ist, ausgehoben zu werden. Es ist ein Mann von G e f ü h l , mit dem sich allenfalls auch ein Mann von Verstande befreunden kann; und die eigentlich empfindsamen Seelen, für die diese Fragmente besonders geschrieben sind, werden zwar wenig Neues, aber doch auch weniger süßen Schaum und mehr substantielle Nahrung dar10
inn finden, als in den meisten Büchelchen, womit diese Klasse, weit über das wahre Bedürfnis unsrer Zeit, übersezt ist. Vorzüglich rührend ist die Geschichte des alten Edwards, und überhaupt wird das Buch immer besser, je näher es zum Ende geht. Wir hatten schon eine seynsollende Verteutschung dieses Man of Feeling; aber sie war von der schlechtesten Art Händewerk, eilfertig von einem Menschen hingehudelt, der (wie das so oft der Fall ist) weder Englisch noch Teutsch, noch seinen Autor, noch sich selbst verstund, und daher auch von niemand verstanden wurde. Hr. Himburg glaubte also ein gutes Werk zu thun, indem er diese neue Übersetzung veranstaltete, die uns das Original mit so wenig Verlust liefert, als man bey solcherley Waare nur
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immer verlangen kann. Der Mann von Gefühl, der vorhin soviel Unsinn vorbrachte, fühlt und spricht nun so, daß ehrliche Leute mitfühlen und verstehen können, was er will. Gleichwohl stößt man hie und da (z. Ex. im Schluß der 4ten Periode auf der 26. S.) auf eine Stelle, wo das leztere kaum möglich ist. Dem Übersetzer möchten wir fürs Künftige mehr Aufmerksamkeit auf die R e i n i g k e i t d e r S p r a c h e empfehlen. W.
¼Rezension der Übersetzung Selles: Mackenzie½ D e r M a n n v o n G e f ü h l
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¼Ich bin bewogen worden, die Herausgabe des Dieterichschen Musenalmanachs, der wie bisher fortdauren soll, nach Abgang des Herrn G o e c k i n g k zu übernehmen. Auf Verlangen des Verlegers mache ich solches hierdurch bekannt, und bitte, in seinem Namen, die vaterländischen Musen um hübsche Beyträge, wofür er, nach wie vor, erkenntlich zu seyn sich erbietet. Da meine anderweitigen Geschäfte mir keine weitläuftige Korrespondenz gestatten, so kann ich die Einladung nur per Proklama ergehen lassen. Es wird sich daher Niemand für übergangen und an wohlverdienten Ehren und Würden für gekränkt achten, der nicht besonders hierum begrüßt wird. — Ich muß hierbey ein für allemal dies bevorworten, daß diejenigen, die etwa günstig von mir und meinen Einsichten urtheilen, nicht schlechterdings was extrafeines von Almanach erwarten. Das hängt nicht von mir, sondern von den Beyträgen ab. Sind diese
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hübsch — ey! so wollen wir auch schon ein hübsches Almanächle komponiren. Aber — ex nihilo nil fit! Die Bogen müssen voll werden. Über das Wie? wasche ich meine Hände in Unschuld. Also ja h ü b s c h e Beyträge, und nicht so entsezlich viel Schofelzeug, als ich in dem alten Almanachsarchiv antreffe! G. A. Bürger.½
N i c h t s o v i e l S c h o f e l z e u g — das ist eine harte Rede! Wer mag sie tragen? — Aber sollte denn das was uns andern Schofel ist, (außer dem Makulaturgebrauch, wozu man es dem Publiko ohnehin von Messe zu Messe an reichlichen Vorrath nicht mangeln läßt) nicht noch einen andern g e m e i n n ü t z l i c h e n Nießbrauch zulassen? Was ist am Ende so schlecht, widerlich,
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lumpicht, faul und stinkend, was die Natur oder die Kunst nicht zu etwas brauchbarem zu verarbeiten wüßte! Sollte z. Ex. poetischer M i s t in seiner Art nicht eben sowohl als D ü n g e r benuzt werden können, wie andrer Mist in der seinigen? Und kann man nicht, nach Beschaffenheit des Bodens, auch mit Kreide, Mauerkalch, Sand, Kieselsteinen, Gerberlohe, Pappierabschnitzeln, u. s. w. düngen? — Auch im Merkur-Archiv findet sich, außer dem was etwa von dieser Art, vt nihil humani a ` nobis alienum est, in den Merkur selbst gekommen seyn mag, solchen Zeugs seit 5—6 Jahren noch die schwere Menge. Wie, wenn wir unsern Schofel zusammenwürfen, und liessens als eine neue periodische Samlung, etwa (weil man uns den Titel O l l a P o d r i d a schon
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weggeschnappt hat) unter dem Namen K a p u z i n e r - S u p p e *) zum B e s t e n d e r A r m e n , monatlich drey bis vier Bogen, drucken, so lange Vorrath da wäre? Das wäre wenigstens ein Ausweg, wie die Verfasser (es wäre dann, daß sie als A r m e a n G e i s t den Nutzen selbst beziehen wollten) durch diesen Abgang ihres Gehirns noch zu Wohlthätern werden könnten. Denn daß unsre Kapuzinersuppe nicht Liebhaber finden sollte, daran dürfen wir gar nicht zweifeln. Wo ist etwas in der weiten Gottes-Welt, daran sich nicht irgend eine Art von Geschöpfen weide und labe? — Ich will also den Vorschlag hiermit zu überlegen geben. Er ist, zumal in gegenwärtigen bedenklichen Zeitläuften, 10
nicht so schlechtweg zu verachten. W.
*)
Eine Art von Olla Podrida, so vor den Kapuzinerklöstern an gewissen Tagen den Bettelleuten
ausgetheilt wird.
¼Zusatz zu: Bürgers Anzeige½ G ö t t i n g e r M u s e n a l m a n a c h
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A l g e r n o n S i d n e y , dessen Bildnis (besser gestochen als abgedruckt) wir in diesem Quartal liefern, ist eben der, dessen T h o m s o n , in seinem S o m m e r , als des Brittischen C a s s i u s , der mit seinem Freunde R u s s e l für die Sache der Freyheit geblutet, erwähnt. „Er war, spricht er, von hohem entschlossenem Geist, von rauher Tapferkeit, durch Kenntnis des Alterthums zu erleuchteter Liebe der alten Freyheit erwärmt.“ — Den Auszug aus seiner Lebensbeschreibung, die der Ausgabe seiner Werke vom J. 1772. vorgesezt ist, müssen wir aufs nächste Stück schuldig bleiben.
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Der Teutsche Merkur. August 1778.
¼Auszug eines Schreibens an den Herausgeber* ) über Herrn P. Ahlemanns Leben und Charakter des sel. Grafen von Bernsdorf. …½ *) Daß ich dieses Schreiben hier publiciere, ist die beste Antwort, die ich darauf
geben kann. Über den Inhalt und die Merita Causae urtheile nun jeder wie er kann oder will. W.
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Druckfehler. S. 165. in der Note leset H e q u e t für Hacquet.
Druckfehler
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Der Teutsche Merkur. September 1778.
Auszug aus einem Schreiben an einen Freund in D** * über die Abderiten im 7ten St. des T. M. d. J. Was Sie mir von den Bewegungen melden, welche die neuliche Fortsetzung der Abderiten in M** erregt haben soll, würde mich weniger befremden, wenn Sie nicht eine Ursache davon angäben, von der ich gar nichts begreiffe. Wie? Ich soll glauben, daß es Leute gebe, welche Schiefheit oder bösen Willen genug haben von dem was ich im 16ten Kapitel vom Abderitischen Theaterwesen erzählte, Anwendungen auf Männer von wahren Talenten, auf meine öffentlich erklärten Freunde, zu machen? Mich zu beschuldigen, daß ich
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diese Anwendungen im Sinne gehabt, daß ich diese Personen vorsetzlich habe lächerlich machen wollen? Und meine Freunde selbst können mich d e s s e n fähig halten? — Ich falle aus den Wolken, m. Fr. und weiß nicht ob ich träume oder wache? — Alles was ich Ihnen sagen kann, ist, daß ich meine Freunde beleidigen und mich selbst hinwerfen würde, wenn ich eine solche Beschuldigung nur eines einzigen Wortes von Apologie würdigen wollte. Aber dies mag wohl nicht überflüßig seyn, wenn ich diese Gelegenheit ergreiffe, ähnlichen Mißdeutungen, deren mir schon manche zu Ohren gekommen sind, wo möglich dadurch vorzubeugen, daß ich Ihnen und allen meinen
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Lesern, Freunden und Nicht-Freunden, freymüthig mittheile, was ich über die Abderitengeschichte auf dem Herzen habe. Wer Spaß liebt sollte auch Spaß verstehen — Aber wahrlich! Meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß es unserm Publiko, mehr als irgend einem andern, am leztern fehlt. Schon der g o l d n e S p i e g e l hatte das Unglück (sonderlich in gewissen Gegenden) ganz jämmerlich mißverstanden, und tausendmal zu unartigen Anwendungen, an die der Verf. nicht einmal hatte denken können, mißbraucht zu werden. Den Abderiten ists noch ärger ergangen. Zwar, daß man überhaupt von dergleichen Schriften Anwendungen macht, ist natürlich: aber daß man sie ohne Discretion macht, ist zwar — sehr Abderitisch, nur
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kann der Dolch nichts dazu, wenn er in der Hand eines Unvorsichtigen oder Boshaften einen Unschuldigen verlezt. Man sollte so etwas nicht sagen müssen — da es sich so sehr von selbst versteht — aber es giebt gleichwohl noch immer Leser genug, denen man s a g e n muß, was sich von selbst versteht. Diesen sag ichs also: Die Geschichte der Abderiten ist eine Dichtung — wie alles andre Dichterwerk — eine Komposition von Wahrheit und Lüge, von Licht und Schatten. Wer sie als Komposition betrachtet, kann Freude daran haben. Dem, der sie als einen kleinen Taschenspiegel, bloß zu seinem eignen Gebrauch, führen will, kann sie zu10
weilen Dienste thun. Aber wer sie als einen Reflexionsspiegel brauchen will, mag sich in Acht nehmen! Ich hab’ es schon ehmals erinnert — Man kann nicht sagen, h i e r ist Abdera, oder d a ist Abdera! Abdera ist allenthalben, und — w i r s i n d g e w i s s e r m a ß e n a l l e d a z u H a u s e . Wo ist der Menschensohn, der nicht mehr als einmal in seinem Leben was Abderitisches gesagt oder gethan hätte? Indessen ist richtig, daß es Erdstriche und Gegenden giebt, wo der Abderitismus mehr als in andern floriert. Wo Menschen sind, bey denen sich ein immerwährendes Gemisch von Dummheit und schiefem Witz, mit rascher Einbildung und langsamen Verstand, und mit einem starken Zusatz von Eitelkeit und Selbstbe-
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trug, in ihrem öffentlichen und Privatleben, zeigt — da wehet, man verlasse sich darauf! der Geist von Abdera. Aber doch ist dies noch nicht alles. Die alten Abderiten waren rohe L y c i s c h e B a u r e n in T h r a z i s c h e n Boden verpflanzt, und erst kürzlich mit A t t i s c h e n Grazien und Künsten oculiert. Unter jedem Volke, in jeder Stadt, wo ähnliche Umstände und Ursachen statt finden, müssen ähnliche Würkungen erscheinen; und wer wird sich also wundern, wenn es in dieser Hälfte des 18ten Jahrhunderts soviel Abderiten und Abderitheit in unserm werthen teutschen Vaterlande giebt? Dies ist — Credite, posteri! würklich mehr als ich selbst wußte, da ich anfieng die Abderiten zu schreiben. Denn weil ich nie im Sinn hatte, einzelne
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Orte oder Personen weder zu conterfeyen, noch zu Caricaturen zu machen, und so einem unedlen Gelächter preiß zu geben — da meine Absicht bloß war, den A b d e r i t e n - C h a r a k t e r , so wie ich ihn mir in abstracto dachte, vermittelst einer Reyhe von erdichteten Begebenheiten in concreto darzustellen; — da ich überdem in den meisten Städten und Provinzen Teutschlandes in meinem Leben nicht gewesen bin, und keine Seele dort kenne, noch von den
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besondern Idiotismen und Anekdoten derselben unterrichtet seyn kann: so mahlte ich, in der Unschuld meines Herzens — oder Dumpfheit meines Sinnes — oder in beyden — was sich meiner Imagination darstellte; und vermuthete um so weniger, daß ich, ohn’ es selbst zu wissen, so viele Portraite mahle, da ich mir alle Mühe gegeben hatte, meine Abderiten und Abderitiden so sehr mit Ungereimtheit zu überladen als es, ohne ihnen alle Ähnlichkeit mit Menschen Natur und Wesen zu benehmen, nur immer möglich war. Ich glaubte nun damit das Nöthigste gethan zu haben, was ein Dichter in solchen Fällen thun, und in der That alles was man von ihm fodern kann. Wessen Schuld war es also, daß man sich in mehr als 50 Städten Teutschlands in den Kopf gesezt zu
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haben schien, es sey auf diese einzelne Städte besonders abgesehen? Wessen Schuld war es, wenn man in allen Kreisen, Provinzen, Fürstenthümern, Grafund Herrschaften, und besonders in allen größern und kleinern Städten, von A * * bis Z * * , A r c h o n t e n und N o m o p h y l a x e , und k l e i n e d i c k e R a t h s h e r r n , und S y k o p h a n t e n , und Z u n f t m e i s t e r P f r i e m e n , und P r i e s t e r S t r o b y l u s s e , und S a l a b a n d e n , K l o n a r i o n s , L y s a n d e r n u. s. w. fand, oder finden wollte, die den Abderitischen so ähnlich sehen sollten, als ob sie von ihnen herabgeschnitten wären? D i e Ä h n l i c h k e i t k o n n t e w a h r s e y n ; und da verhielt sichs dann just so damit, als wenn hier und da und dort jemand dem O r g o n , Ta r t ü f f e ,
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H a r p a g o n , G e o r g D a n d i n , oder irgend einer andern komischen Person des M o l i e r e gleich sieht. Wehe dem Dichter, dessen Gemählde n i e m a n d e n gleich sehen! — Dergleichen Ähnlichkeiten müssen sich desto häuffiger ereignen, je mehr der Dichter seine allgemeinen Charaktere oder Ideale, bey ihrer Darstellung in concreto zu i n d i v i d u a l i s i e r e n gewußt hat; ein Talent, ohne welches er nur ein elender Darsteller ist. Lassen Sie mich, bloß zur Erläuterung, ein Beyspiel anführen, wovon ich am besten unterrichtet seyn kann, weil es mich selbst betraf. Als ich im 2ten izt 3ten Theile des Agathons den H o f d e s D i o n y s i u s schilderte, wunderte sich jedermann, woher ich H ö f e und H o f l e u t e so gut kenne; man fand meine D i o n y s e , P h i l i s t e , T i m o k r a t e n , B a c c h i d i o n s und K l e o n i s s e n nach dem L e b e n gemahlt; und ich erhielt von den erfahrensten Weltleuten beyderley Geschlechts große Komplimente darüber. Auch fehlte es, weiß der Himmel! beynah an keinem Hofe in Teutschland an p e r s ö n l i c h e n Anwendungen. Gleichwohl hatte ich damals noch keinen Hof gesehen, sondern immer in größern oder
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kleinern Republiken gelebt, und kannte so wenig einen Philistus oder eine Kleonisse oder einen Dionysius, als den großen Lama von Thibet. Das ganze Geheimnis lag darinn, daß ich etwas von der Gabe hatte, meinen I d e a l e n so viel Persönlichkeit und Leben zu geben, daß sie wie e i n z e l n e Menschen auszusehen s c h i e n e n . — Mit den Abderiten war’s nun freylich nicht allerdings der nemliche Fall. Ich hatte der Abderiten und Abderitenstückchen viele gesehn und erwandert, als ich der Stimme des Geistes (— ater an albus?) gehorchte, der an einem Herbstmorgen des Jahres 1773 im obern Hinterzimmer des Söllnerischen Freyhauses zu Weimar, zu mir sprach: Setze dich hin und 10
schreib die Abderiten! Aber, wie gesagt, mein ernstlicher Vorsatz w a r es wenigstens, und ist es allezeit g e b l i e b e n , ein Mährchen von Narren und Närrinnen, die man in ihrer Art ü b e r a l l antrifft, zu erzählen; und wenn auch hier und da Züge von einzelnen Personen entlehnt worden sind: so ist es entweder ohne Vorsatz, oder auf eine Art geschehen, worüber sich niemand beklagen kann; weil es wider die Natur der Sache wäre, von einem Dichter zu verlangen, daß er seine Personen alle aus der Luft greiffe. Als H o m e r seinen T h e r s i t e s mahlte, waren gewiß viele hundert Griechen, unter Hohen und Niedrigen, die dies oder jenes von der äusserlichen oder innerlichen Gestalt des Thersites hatten — und als F i e l d i n g seinen Tw a k u m , seinen S k w e i r
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We s t e r n , seine Lady B e l l a s t o n , u. s. w. schilderte, gab es gewiß zu diesen Bildern Originale genug in England. Aber welchem vernünftigen Menschen ist jemals eingefallen, dem einen oder dem andern ein Verbrechen daraus zu machen? „Allein Gemählde dieser Art werden sehr oft m i ß b r a u c h t , und, um g e r i n g e r ausserwesentlicher Ähnlichkeiten willen, auf die unrechten Personen angewandt.“ Nur allzuwahr! Aber dergleichen Anwendungen macht der Unverstand, oder die Bosheit; und dies zu verhüten, ist so wenig in der Gewalt eines Dichters, welcher M e n s c h h e i t , (von w e l c h e r S e i t e und in w e l c h e m L i c h t er wolle) n a c h d e r N a t u r m a h l t , als es in der Gewalt des
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rechtschaffensten und vorsichtigsten Mannes liegt, so zu leben, daß Tadelsucht und Verläumdung ihm niemals etwas anhaben könnte. Das schändliche und beleidigende solcher Anwendungen fällt auf den zurück, der sie macht; und vernünftige Leute, denen so etwas widerfährt, sollten davon eben so wenig Notitz nehmen, als von dem was in Bierhäusern und Kunkelstuben von ihnen geplappert wird — oder als ein Mann, der Werke gemacht hat, die ihn
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und seine Zeit überleben werden, von den Neckereyen irgend eines schöngeisterischen Thersites Notitz nehmen soll, der ihn gerne nöthigen möchte, sich mit ihm abzugeben, und die Welt dadurch zu benachrichtigen, daß er auch dasey. Ich bin bisher im allgemeinen stehen geblieben. Erlauben Sie mir, mein Freund, daß ich Ihnen nun auch noch den Schlüssel zu dem, was ich von dem Abderitischen T h e a t e r w e s e n gesagt habe, gebe. Ich selbst muß wohl am besten wissen, was ich damit gewollt habe. Auch hier ist mir nur nicht in den Sinn gekommen, eine Satyre auf das Theaterwesen irgend einer einzelnen Stadt in Teutschland zu schreiben — Aber was ich geschrieben habe, paßt,
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däucht mich, so ziemlich auf das, was a n und b e y allen unsern teutschen, herumziehenden oder festsitzenden, vergangnen, gegenwärtigen und zukünftigen Schaubühnen, in Rücksicht auf die Einrichtung, oder die Stücke, oder die Schauspieler, oder die Zuschauer, seit mehr als 30 Jahren A b d e r i t i s c h gewesen ist. Daß keine dieser Schaubühnen in einer oder der andern, oder auch vielleicht in allen besagten Rücksichten zugleich, von Abderitismen i m m e r und g ä n z l i c h frey gewesen, oder noch sey, ist, was der verständigere Theil des Publikums aller Orten selbst willig zugeben wird. Und wenn ich nun diese verstreuten Züge zusammengefaßt und daraus ein Abderitisches Nationaltheater gemacht hätte, wo wäre da die Sünde? — Aber auch dies war es
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nicht. Denn man kann nicht weniger Kenntnis der verschiednen Schaubühnen in T. noch Belesenheit in unsern Schauspielen haben, als ich. Was war es also? Ich stellte mir, nach den Datis, die wir von den Abderiten bereits haben, vor, wie ein Abderitisches Theater hätte beschaffen seyn müssen — wenn die Abderiten eines gehabt hätten. Aus diesem Gesichtspunkt muß die ganze Nachricht, die ich davon gebe, angesehen werden; oder man geht mit seinem Urtheil irre, und beleidigt sowohl den Verfasser als diejenigen, auf die man ungerechte, erzwungene und ungereimte Anwendungen macht. Ich zweifle keinesweges, daß viele Züge auf diesen und jenen Ort treflich passen — Aber m i r wenigstens ist kein einziger Zug bewußt, der nur auf E i n e n Ort paßte — und was geht es überhaupt mich an, wenn dieser oder jener mehr oder weniger Abderit ist, oder zu seyn glaubt? Mich, der weiter nichts als eine Art von U t o p i a , oder M o r o p o l i s oder N e p h e l o c o c c y g i a dichtet, und gar nicht schuldig ist zu wissen, ob es Leute in der Welt giebt, die seine Dichtungen realisieren?
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Überdies bitte ich Sie, m. Fr. zu bemerken, daß ich das Abderitische Theaterwesen nicht l ä c h e r l i c h m a c h e , sondern blos erzähle, w i e e s w a r , und also ganz unschuldig daran bin, wenn es l ä c h e r l i c h war; — daß ich nicht das sogenannte Nationaltheater zu ** oder zu ** oder zu — was weiß ich wo? — sondern das A b d e r i t i s c h e Nationaltheater, dem Lachen derer, die Lust zu lachen haben, preiß gebe. Wiewohl ich, meines Orts, mit Niemand einen Krieg anfangen werde, der bey dieser Gelegenheit auch über diejenigen lachen — oder weinen will, die unter einer Nation, die k e i n e g e m e i n s a m e H a u p t s t a d t h a t , und so lange sie ihre itzige gesetzmäsige Verfassung behält, keine 10
haben k a n n , von Nationaltheatern reden, oder das teutsche Theater ihres Hofes, ihrer Stadt, eigenmächtig zum Nationaltheater erheben wollen. — Doch dies nur im Vorbeygehen, in Kraft der lieben teutschen Freyheit, vermöge deren, (wie man uns versichert) jedem ehrlichen Teutschen und Deutschen erlaubt seyn soll, über N a t i o n a l - A n g e l e g e n h e i t e n seine unmaßgebliche Meynung zu sagen. Die Frage, welcher teutsche dramatische Schriftsteller unter dem Namen T l a p s , B l e m m i a s , H y p e r b o l u s , P a r a s p a s m u s , gemeynt sey, ist eine unverständige Abderitische Frage, die keiner Antwort werth ist. Denn es ist eben so, als wenn man fragte, wer unter allen den Namen, die in R a b n e r s
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S a t y r e n oder in Toussaints Buch von den S i t t e n , und in allen CharakterKomödien der ganzen Welt, vorkommen, gemeynt sey. Alle, auf die der C h a r a k t e r ungezwungen paßt; oder niemand, wenn er auf keinen paßt. Aber mit welchem Recht kann man, z. Ex. vorgeben, daß unter der Abderitischen Thlapsödie, die g a n z e G a t t u n g der sogenannten D r a m e n , oder der M e n a n d r i s c h e n oder Te r e n z i s c h e n K o m ö d i e , lächerlich gemacht sey? Ich dächte der Geschichtschreiber der A. hätte sich deutlich genug erklärt, daß der Spott nicht die G a t t u n g , oder die g u t e n S t ü c k e , die man uns darinn gegeben hat, oder künftig geben wird, sondern die Abderitische Art wie Thlaps sie ausführte, trift. Eine T h l a p s ö d i e ist nicht ein j e d e s
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bürgerliches oder häusliches Drama, sondern ein e l e n d e s ; so wie nicht jedes Trauerspiel, wovon S c h r e c k e n die Hauptwürkung ist, sondern ein Trauerspiel, worinn Charakter und Leidenschaften und Erregung des Entsetzens bey den Zuschauern bis zum offenbaren Unsinn übertrieben wird, ein G r i ß g r a m m i s c h e s Werk ist. Übrigens erlauben Sie mir noch zu sagen, daß Ä h n l i c h k e i t e n und A n -
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s p i e l u n g e n suchen und finden, eine auch dem schwächsten Kopfe sehr l e i c h t e , und für kleine bösartige Schöngeisterlein eine sehr a n g e n e h m e , aber auch in den Augen ehrlicher Leute eine sehr v e r ä c h t l i c h e Beschäftigung ist. Als der Dechant Swift in seinen Güllivers Reisen das Ungereimte in der Naturforscherey und Philosophie, d. i. die Thorheiten der unächten Prätendenten in diesem Fache, unter dem Bilde der Akademie von Lagado mit aller Schärfe seines bis auf die Knochen beissenden Witzes pfefferte, merkte wohl jedermann, daß es manchem ehrsamen Fellow d e r k ö n i g l i c h e n G e s e l l s c h a f t gelten möchte; aber doch war wenigstens unter denen, die nicht seine erklärten Feinde waren, niemand so unbillig, ihn zu beschuldigen, daß
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er einen N e w t o n , einen B o y l e , habe lächerlich machen wollen. Ich sehe nicht warum der Verf. der Abderiten nicht berechtigt seyn sollte, wenigstens von seinen Freunden und von der unpartheischen Welt gleiche Billigkeit zu erwarten —
N. S. Diesen Augenblick erhalte ich aus M** ein Exemplar von N i o b e , einem lyrischen Drama, das meinen Freund, den M a h l e r M ü l l e r , zum Verfasser, und erst kürzlich die Presse verlassen hat — und da ich, bald darauf, aus Veranlassung des gegenwärtigen Aufsatzes, das 16te Capitel der Abderiten in No. 7. des T. M. durchblättre, find ich, daß ich den Abderiten P a r a s p a s m u s
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eine N i o b e hatte machen lassen, und von dem Succeß derselben ein langes und ein breites erzählt hatte. — Nun, m. Fr. wird mir auf einmal klar, was mir, da ich mich hinsetzte, Ihnen zu schreiben, eben so unbegreiflich war, als wenn Sie mir gemeldet hätten, man beschuldige mich zu M** eines Brudermords. Es ist der tollste unter allen Abderitenstreichen, die mir d e r Z u f a l l in meinem ganzen Leben gespielt hat! Denn Z u f a l l — so widersinnig es klingen mag — bloßer Z u f a l l ist es, und mein Herz und Wille wenigstens ist so schuldlos dabey, als es Cephalus war, da er seinen zum Unglück immer treffenden Wurfpfeil im Walde nach einem Thiere schoß, und seine geliebte Prokris traf. Ich bin es mir selbst und meinem Charakter schuldig, I h n e n u n d m e i n e n F r e u n d e n aufrichtig zu erzählen, wie es zugieng. Ich weiß, s i e werden mir g l a u b e n , denn sie kennen mich. D i e We l t — ist nicht so un-
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billig als man gemeiniglich glaubt, denn sie läßt sich berichten. Meine F e i n d e — mögen glauben was sie wollen. Ich unterwerfe mich dem Hohngelächter der verächtlichsten Art von Abderiten, als einer Strafe die ich verdient habe, da ich mich in dieser Sache nicht gänzlich von Etourderie frey sprechen kann. Denn ich will nichts zu meiner Entsündigung dichten, sondern Ihnen die reine Wahrheit erzählen. Von dem Augenblick an, da ich den M a h l e r M ü l l e r kennen lernte, erkannte ich in ihm den herrlichen Geist, das gefühlvolle, warme, edle Herz, und die ausserordentlichen Talente, die diesen jungen Mann der Freundschaft 10
der besten Menschen würdig machen; ich gewann ihn lieb wie einen Bruder, und ich kann dies hier um so dreister öffentlich sagen, da, außer seinem eignen Herzen, auf das ich mich berufe, verschiedene gemeinschaftliche Freunde in M.. auch einige Personen von der ersten Klasse daselbst, so wie alle meine Freunde in W. F. D. E. und anderswo, am besten wissen, wie ich von ihm gesprochen habe. Auch dem Publiko hab ich (im M a y des T. M. d. J.) etwas davon gesagt, wiewohl mit wenigem; weil ich, ohne Noth, nicht gerne von denen, die ich liebe, mit der Welt spreche. Genug, wie ich von I h m d e n k e , und wie ich für ihn g e s i n n t bin, ist eine bekannte Sache, und einem jeden, dem ich nicht ganz fremde bin, muß es schlechterdings unmöglich seyn zu glauben; daß ich
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zu eben der Zeit, da ich ö f f e n t l i c h von ihm und seinen Werken als der wärmste Freund sprach, hätte fähig seyn können, seiner öffentlich zu spotten. Nun hören Sie weiter. Als ich im J u n i u s d. J. das 16te Cap. der Abderiten schrieb, und damit bis zu den zween Nebenbulern des Hyperbolus, (ich brauche Ihnen nicht zu wiederholen, daß diese Nebenbuler, so wie Hyperbolus selbst, bloße Geschöpfe meiner Imagination und momentanen Laune waren, mit denen ich schlechterdings keinen besondern Menschen, geschweige e i n e n F r e u n d bezeichnen wollte) gekommen war, hatte ich den N a m e n einer Tragödie vonnöthen, die ich meinem neugebohrnen Paraspasmus machen lassen wollte. Ich sann hin und her auf ein höchst tragisches Sujet, und da just
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mein Lieblingsbild, d i e B ü s t e d e r N i o b e , in meinem Gesicht stund, so fiel mir sogleich ein, meinen Abderiten eine N i o b e machen zu lassen. Die C o m b i n a t i o n — e i n A b d e r i t — e i n e N i o b e , hatte in der Laune, worinn ich war, (und worinn man seyn m u ß , um Abderiten zu schreiben) etwas so lustiges für mich, daß ich diesen Einfall nicht um viel Geld gegeben hätte. Kurz zuvor war mir auch M e d e a als ein bequemes Sujet beygefallen: aber der Gott
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des Himmels ist mein Zeuge, daß ich es sogleich, und b l o s d a r u m verwarf, weil ein Dichter den ich schätze, und mit dem ich ehemals in einiger Verbindung gestanden, eine Medea gemacht hat, und weil ich den Gedanken nicht ertragen konnte, Anlaß zu falschen Urtheilen zu geben, wenn ich meinen Abderiten auch eine Medea machen liesse. Nun bitte ich alle ehrliche Seelen in der Welt, zu bedenken, ob ich die N i o b e gewählt haben würde, wenn ich damals g e w u ß t oder m i c h e r i n n e r t hätte, daß Müller, den ich so herzlich liebte, von dem ich nie ohne Enthusiasmus sprechen konnte, für dessen Schicksal ich mich wie für einen Bruder intereßierte — eine N i o b e in der Arbeit, oder vielleicht schon fertig habe? — — Bey allem dem, ists möglich
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(wiewohl ich mich dessen nicht besinnen kann) daß er selbst mir im lezten Winter vielleicht mit zwey Worten davon gesprochen; aber da ich oft ziemliche Distractionen habe, und überhaupt mich alles, was noch nicht d a i s t , wenig intereßiert — oder wie es sonst damit zugegangen; kurz, ich hatte es gänzlich vergessen; und da M a h l e r M ü l l e r und ein A b d e r i t i s c h e r P o e t gar keine Wesen sind, die in meiner Imagination c o e x i s t i e r e n können; so kam mir während der ganzen Zeit, da ich an diesem Kapitel schrieb, der Sinn so wenig an Müllern oder seine Niobe, als an Pabst Clemens den XIV. und seine Bulle gegen die Jesuiten. — Nun muß ich Ihnen, m. Fr. noch einen Umstand von mir sagen, der ihnen unglaublich vorkommen mag, aber doch nicht weniger wahr,
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und bey mir eine gewöhnliche Sache ist. Und das ist — der Bogen D im 7ten Stücke des Merkurs war kaum acht Tage abgedruckt, so hatte ich die Niobe meines Paraspasmus schon wieder rein vergessen; und ich konnte die Büsten dieser Halbgöttin und ihrer Töchter des Tages zwanzigmal sehen, und den Namen Niobe zwanzigmal nennen hören, — in sofern nur der, der ihn aussprach, kein Abderite war, so fiel mir niemals wieder ein, daß ich meinen Abderiten eine Niobe hatte — violieren lassen. Dies mag als ein P s y c h o l o g i s c h e s P h ä n o m e n seltsam scheinen; aber ich halte es nicht für unmöglich, eine ganz natürliche Erklärung davon zu geben. Nemlich, ich glaube, und finde es wenigstens häufig bey mir selbst, daß ungewöhnliche und ungereimte A s s o c i a t i o n e n , die man nur in einer gewissen sehr komischen, leichtfertigen, S c h ä n d y s c h e n Laune macht, nicht im Gedächtniß eines Menschen haften, bey dem diese Laune (wie bey mir) selten ist. Wie dem auch sey; das Factum ist, so wie ichs erzähle, die reinste Wahrheit; und, um es kurz zu machen — Müller selbst schrieb mir einige Zeit darauf, am Ende eines Briefes,
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nur mit zwey Worten, er würde mir ehestens seine Niobe schicken — und ich freute mich darauf gar herzlich, und kündigte es dem ersten Freunde, den ich sah, im Triumph an — ohne daß mir oder diesem (der vermuthlich den Merkur gar nicht gelesen hatte) zu Sinne stieg, ich hätte meinen Abderiten auch eine Niobe machen lassen. Noch mehr. Als Sie mir etwas von dem Rumor meldeten, so das 16te Kapitel der Abderiten in M** erregt, konnt’ ich gar nichts davon begreifen, und schob alle Schuld lediglich auf einige Schöngeister daselbst, die, vermöge einer gewissen Antipathie, die zwischen unsern Naturen vorwaltet, das Unwesen, aus bloßer angebohrner Neigung zum — Guten, an10
gezettelt hätten. Daß ich diesen lieben Herren unwissenderweise selbst das Messer, womit sie mich nun würgen, in die Hände gegeben hätte, war das einzige, was mir nicht einfiel. Sogar an dem ganzen Abend, da ich von einem Freund ein Exemplar der Müllerischen Niobe, mit bittern aber nur in allgemeinen Ausdrücken verfaßten Vorwürfen begleitet, empfieng — war mein erster Gedanke bloß — u n d d u a u c h , B r u t u s ? — Mir wurde immer unbegreiflicher, wie Müller, und ein paar andre meiner Freunde in M** mich hätten fähig halten können, bey Abschilderung des Abderitischen Theaterwesens a n s i e zu denken. Und selbst beym Lesen dieser Niobe, fühlte ich die Freude, die ich allemal habe, wenn ich, es sey von einem Freund oder einem Unbe-
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kannten, ein sehr herrliches Werk vor mir sehe, ganz rein, ohne daß mein schlafendes Gedächtnis mich einen Augenblick störte. Mit einem Wort, erst diesen Morgen, da ich nach langem Hin- und Wiedersinnen endlich darauf falle, den Merkur No. 7. vorzukriegen, und mit aller Bedachtsamkeit, deren ich fähig wäre, zu sehen, ob ich dann würklich zur Beschuldigung einer Sünde, deren ich mich so ganz unfähig fühlte, einigen Anlaß gegeben hätte, entwikkelt sich mir das ganze Räthsel. Stellen Sie sich vor — wie — nur heraus mit dem Wort! wie d u m m ich dastund, da mir auf der 50sten Seite das Wort N i o b e ins Gesicht blizte, — und sagen Sie sich nun alles übrige selbst — ich finde keine Worte dazu.
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Hier haben Sie die unverfälschte Geschichte. Sie wäre keinen Heller werth, wenn ich sie erdichtet hätte: aber sie ist w a h r , und so wird sie dem Menschenforscher immer willkommen seyn. Ich war diese Erzählung m e i n e m H e r z e n schuldig, wiewohl ich voraussehe, wie sehr sie auf gewisse Leute zu meinem Nachtheil würken wird. Mir ist izt nur gar zu klar, wie es zugieng, daß meine Freunde in M** und vielleicht auch anderswo, an mir irre werden muß-
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ten, und welch ein Frohlocken (wiewohl ’s von kurzer Dauer seyn wird) ich unwissender Weise allen Sch— zubereitet habe, die am Übel, das edle Menschen einander zufügen, Freude haben. Mein Herz spricht mich zwar los; aber ich werde über den Zufall selbst immer untröstbar seyn. — O wie sehr recht hattest du, ehrlicher Bruder Tr i s t r a m , — mit Sr. Eminenz, dem Erzbischof von Benevent, J o h a n n d e l l a C a s a , zu behaupten, daß immer zehntausend Teufel aus der Hölle um einen Schriftsteller herumschnurren, zumal um den, der in gutem sorglosen Muth auf den schlüpfrigen Pfaden des Witzes und der Laune daherschlendert; und daß es kaum menschenmöglich ist, sich vor dem Einsumsen und Zuflüstern aller dieser bösen Widersacher, die durch jede Öfnung unsrer äussern und innern Sinnen auf einmal einzudringen suchen, genugsam in Acht zu nehmen. — Sie sehen hieraus abermal, liebe Herren und Freunde, daß ich das Sprüchlein: homo sum, nihil humani a me alienum puto, nicht vergeblich in Mund und Herzen führe — „Aber so solltet ihr wenigstens keine Abderiten schreiben!“ — Nein, darinn irren Sie sich; eben deswegen schreib ich Abderiten. W.
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¼Johann Heinrich Lambert. … Sein vornehmstes metaphysisches Werk ist seine A r c h i t e k t o n i k , zu deren Herausgabe er sich nur mit Mühe bereden ließ, weil er bey dem Geschmacke unserer Zeiten in der Philosophie voraussah, wie wenig sie sich allen den Beyfall versprechen könnte, welchen sie verdiente. Die Absicht davon war, die Anwendung der Logik in der Metaphysik, und die Möglichkeit, es darinnen zur algebraischen Gewißheit und Leichtigkeit zu bringen, welche er selbst empfand, auch andern zu zeigen und begreiflich zu machen. Die schärfste Analyse, ausführliche Bestimmung und ausgebreitete Anwendung der ersten und einfachsten Begriffe menschlicher Erkenntniß zeichnen dieses Werk so aus, daß es unsterblich seyn würde, wenn bey 10
einem metaphysischen Werke Unsterblichkeit möglich wäre. * ) …½
Zusatz des Herausgebers. Meine Furchtsamkeit, von einem Manne zu sprechen, dessen größte Verdienste ausserhalb meines eignen Kreises liegen, bewog mich, die Verfertigung dieses Aufsatzes einem gelehrten Freunde aufzutragen, der vermöge seiner Geschicklichkeit in der mathematischen Philosophie den Werth dieses großen Mannes richtiger schätzen konnte, als ich. Was die Liebhaber des Französischen Elogen-Styls daran vermissen mögen, wird durch die Wahrheit und Zuverläßigkeit der mitgetheilten Nachrichten, wie ich glaube, reichlich ersezt. Sie sind getreulich aus einer beträchtlichen 20
Anzahl von Papieren ausgezogen, die sich (außer einem Originalaufsatz von dem sel. Lambert selbst) von lauter Männern, die ihn entweder von Jugend an gekannt, oder doch mehrere Jahre in näherer Verbindung mit ihm gestanden, herschreiben, und für deren Mittheilung ich ihnen allen, besonders dem verdienstvollen Freunde, dessen unmittelbarer Verwendung ich solche schuldig bin, hiermit öffentlich danke. L a m b e r t war von allen seinen Seiten ein so merkwürdiger und außeror*)
Und w a r u m nicht? F r . d . H .
¼Anmerkung und Zusatz: Reinhard?½ J o h a n n H e i n r i c h L a m b e r t
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dentlicher Mann, daß diese gegenwärtige Skizze seines Charakters und Lebens in jedem Leser den Wunsch erwecken muß, beydes ausführlicher, vollständiger und vollkommener, als es hier möglich war, von einem seiner Freunde dargestellt zu sehen.
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Auszug aus dem Leben des Algernon Sydney. Dieser b r i t t i s c h e C a ß i u s , wie ihn der Dichter T h o m s o n nennt, stammte von einem sehr alten und an großen Männern fruchtbaren Geschlecht ab. Er war der zweyte Sohn R o b e r t s , G r a f e n v o n L e i c e s t e r , aus der Ehe mit Dorotheen, der ältesten Tochter Henry Pyercy’s, Grafen von Northumberland, die sein Vater im Jahr 1618. heyrathete. Sein eigentliches Geburtsjahr weiß man nicht gewiß; doch mag es wohl das 1622ste gewesen seyn. Sein Vater trug große Sorge, ihm eine gute Erziehung zu geben, und nahm ihn deswegen 10
mit, da er im Jahr 1632, als Gesandter nach Dännemark gieng. Eben dieses that er auch im Jahr 1636, während seiner Gesandtschaft am Französischen Hofe: wo er sich (wie aus einem Briefe seiner Mutter erhellt,) bereits durch die Lebhaftigkeit seines Witzes und die Anmuth seines Umgangs auf eine sehr vortheilhafte Art bemerken machte. Wir finden sonst keine weitere Nachricht von seiner Erziehung; aber sein Werk von der Republik, und die Grundsätze, denen er in seinem Leben gefolgt, lassen nicht zweifeln, daß er schon in seiner Jugend aus den Schriften der alten Griechen und Römer diese Republikanische Sinnesart, und diesen herzlichen Haß gegen Tyranney und Tyrannen eingesogen, der ihn sein ganzes Leben durch beseelt, und wovon er endlich das
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Opfer geworden. Nach dem Ausbruch der Rebellion in Irland, ganz am Ende des Jahrs 1641, erhielt er das Commando über eine Companie zu Pferde beym Regimente seines Vaters, welcher dazumal Lord-Lieutenant dieses Königreichs war. Er reißte mit seinem ältesten Bruder, Lord Viscount Lisle dahin, und zeichnete sich bey allen Gelegenheiten d u r c h s e i n g e l i n d e s Ve r f a h r e n m i t d e n R e b e l l e n aus. Im Jahr 1643. erhielt er vom König Erlaubniß wieder nach England zurückzugehen; als er aber im folgenden August zu Lancaschire landete, wurde er auf Befehl des Parlements nach London in Verhaft gebracht, und zur Annahme eines Commando’s daselbst vermocht.
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Den 10ten May, im Jahr 1644, machte ihn der Graf von Manchester, Generalmajor verschiedener Grafschaften, zum Capitain einer Companie zu Pfer-
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de bey seinem eignen Regimente. Sein Bruder, Lord Viscount Lisle, welcher kurz darauf General-Lieutenant von Irland und Befehlshaber über die dortigen Völker wurde, gab ihm das Commando über ein Regiment zu Pferde, um in dem Feldzuge daselbst zu dienen, und aus dem geschriebenen Tagebuche des Grafen, seines Vaters sieht man, daß er gleichfalls General-Lieutenant der Cavallerie von Irland, und Gouverneur von Dublin war, und daß er vor seiner Reise in dies Königreich das Gouvernement von Chichester hatte, und der Schlacht bey York und verschiedenen andern Actionen beygewohnt. Den 2ten May empfieng der Oberste Sydney den Dank vom Parlement für seine guten Dienste in Irland, und wurde nachher zum Gouverneur von Dover
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bestellt. Im Januar 1648 wurd er zu einem von König Carls Richtern ernannt, gieng aber nicht in ihre Versammlung. Warum er dies nicht that, wissen wir nicht. Indessen ist offenbar, daß er sowohl aus Neigung, als Grundsätzen ein eifriger Republikaner, und deswegen ein eben so abgesagter Feind von Olivier C r o m w e l l war, so bald dieser die höchste Gewalt im Staat an sich zog, als er vorher, und so lange er Hofnung hatte, die Verfassung Englands die Gestalt eines auf dauerhaften Grund gebauten Freystaates gewinnen zu sehen, ein erklärter Gegner der unbeschränkten Monarchie gewesen war. Als aber nach der Abdankung des Protektors Richard, Cromwell das Parlement im May 1659 wieder aufgerichtet, und eine Erklärung ergangen war,
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die Sicherheit und das Eigenthum des Volkes, beydes als Menschen und als Christen, ohne einzelnen Regenten, königliche Würde, oder Versammlung der Lords, in Sicherheit zu stellen, so stimmte er mit hierzu, und wurde selbst zu einem von den Räthen des Staats, und den 5ten Jun. darauf ernannt, mit Sir Robert H o n e y w o o d und Bulstrode W h i t e l o c k e Esq. als Bevollmächtigter in den Sund zu gehen, um zwischen dem König von Schweden und Dännemark Frieden zu negociiren; wie wohl Whitelocke Mittel fand, sich von diesem Auftrag wieder loszumachen, und einen andern an seiner statt ernennen zu lassen. Alsbald nachher alle Umstände sich zur Wiedereinsetzung König C a r l s I I . anliessen, schrieb der Oberste Sydney, in der Nachschrift eines Briefes an seinen Vater: „Ich sage izt nichts von meinen eignen Entschliessungen in Rücksicht auf die Ereignisse, die theils schon vorüber sind; theils täglich noch erwartet werden. Das Wahre davon ist: ich weiß sie selbst noch nicht. Die Sache ist zu schwer, als daß ich in so großer Entfernung darüber urtheilen könnte: zumal da ich nicht weiß, was in meiner Macht oder Wahl stehen wird.
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Wenn ich keine neuen Befehle empfange, werd ich so eilfertig als möglich zurückkommen, und dann den Weg gehen, welchen Ew. Gnaden mir zu gehen befehlen, oder ihre besten Freunde mir rathen, und das so lang ich kann, ohne die Grundsätze der Ehre oder des Gewissens zu beleidigen; wiewohl ich überzeugt bin, daß mir weder von Ew. Gnaden, noch den übrigen, deren Meynungen ich achte, so etwas kann zugemuthet werden. So lang ich hier bin, dien ich England, und werde mit allem nur möglichen Bedacht und Eifer das Interesse desselben zu erhöhen suchen, und den Vorschriften derer nachleben, die es regieren. Die Bestimmung andrer Punkte verspar ich bis zu mündlichen Un10
terredungen.“ Die R e s t a u r a t i o n des Königs, (wie diese Epoche in der Englischen Geschichte genennet wird,) erfolgte bekanntlich den 8ten May 1660, und aus einem Briefe, den Sydney an seinen Vater den 16ten Jul. aus Stockholm erließ, zeigt sich, daß er und seine Collegen von dem Staatsrath zwar die Erlaubniß nach England zurückzukehren erhielten, daß er aber für seinen Theil, ungeachtet der persönlichen Freundschaft des General M o n k , sich in großer Verlegenheit befand, da er, so wie die Sachen stunden, weder mit Anstand seinen bisherigen Charakter zu Stockholm behaupten konnte, noch Ursach hatte, sich in England für sicher zu halten, ungeachtet der General M o n k , (der, als
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das vornehmste Werkzeug der Restauration, damals alles beym Könige vermochte) immer viel persönliche Achtung für ihn gezeigt hatte. Er äussert die nemliche Verlegenheit in einem andern Briefe vom 22sten Jul. und bittet seinen Vater um Anweisung, wie er sich in seiner sehr mißlichen Lage zu verhalten habe. Die Antwort des Grafen von Leicester ist vom 30. August datiert, und enthält unter andern folgendes: „Ich halt’ es für undienlich, und fast gar für unsicher, daß du izt nach England zurückgehest. Denn Powel wird dir gesagt haben, daß er bey seinem Aufenthalte hier gehört: Du solltest von der allgemeinen Begnadigung ausgeschlossen seyn, und ob ich gleich nicht weiß, was du gethan, oder hie und da gesprochen haben magst; so hab’ ich doch
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verschiedentlich gehört, daß man von dir so eine schlimme Meynung als von irgend einem, so gar von denen hat, welche den lezten König zum Tode verurtheilt haben. Als ich noch glaubte, es fände keine andre Einwendung gegen dich statt, als daß du von der Gegenparthie gewesen: sprach ich mit dem General M o n k zu deinem Besten, und erhielt die Antwort: Du wärest übel beym König angeschwärzt worden; er wolle aber sein Möglichstes für dich
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thun. Ich wollte darauf noch mit Jemand sprechen — Du magst rathen, wen ich meyne; — allein seit dem habe ich solche Dinge von dir gehört, daß auch blos in der Ungewißheit ihres Grundes, wohl niemand seinen Mund für dich aufthun möchte. Ich will dir einige Punkte erzählen, und du wirst wohl thun, wenn du dich deswegen rechtfertigest. Es heißt: die Universität zu Kopenhagen hätte dir ihr Album geschickt, damit du etwas hineinschreiben möchtest, und du hättest dann diese Worte — Manus haec inimica tyranis Ense petit placidam sub libertate quietem.
hineingeschrieben, und deinen Namen darunter gesezt. Wenn dies wahr ist; so
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kann’s nicht anders als öffentlich bekannt seyn. Auch heißt es: ein Minister, der eine gewisse L a d y L a u r e n c e , hier zu Chelsea geheyrathet, izt aber zu Kopenhagen wohnt, wäre dort mit dir in Gesellschaft gewesen, und hätte zu dir gesagt: ich glaube, Sie waren keiner von den Richtern des lezten Königs, oder schuldig an seinem Tode?“ — Wa s ? — hättest du gesagt: — S c h u l dig ? — Nennen Sie das Schuld ? — Es war die gerechteste und b r a v s t e T h a t , d i e j e i n E n g l a n d o d e r i r g e n d w o g e s c h e h e n i s t , und darauf hättest du noch verschiedne Reden von eben der Art ausgestossen. Ferner heißt es: als du erfahren, daß man damit umgehe, dich in Verhaft zu nehmen, hättest du dem König von Dännemark selbst davon Nachricht gege-
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ben, und gesagt: ich höre, daß man Willens sey, sich meiner zu bemächtigen; aber wer will das? Est ce notre bandit? und dadurch sollst du den König gemeint haben. Überdies will man dich in heftigen und verächtlichen Ausdrücken von des Königs Person und Familie haben sprechen hören, welches dir schwerlich vergeben oder vergessen werden wird, dafern du dich nicht rechtfertigen kannst. Denn solche persönliche Beleidungen machen tiefere Eindrücke, als öffentliche Handlungen im Krieg oder Frieden, u. s. w. Das Resultat von dem allen war, daß ihm sein Vater rieth, bis auf weitern Bescheid, sich in Hamburg aufzuhalten. * * * Der Mangel an Raum nöthigt uns diesen Artickel hier abzubrechen und sowohl dessen Beendigung als die Fortsetzung der G e s c h i c h t e d e s H r n .
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O h e i m s , wie auch der Auszüge aus der F o r s t e r i s c h e n R e i s e u m d i e We l t , und der J o h a n n B u n k l i a d e auf das nächste Quartal auszusetzen. Aus dem nemlichen Grunde müssen wir auch eine ziemliche Anzahl interessanter B ü c h e r a n z e i g e n , so wie die inzwischen aus K . eingelaufne F o r t s e t z u n g d e s H u d i b r a s und andre dahin gehörige Dinge auf den nächstkünftigen und die folgenden Monate versparen.
Auszug aus dem Leben des Algernon Sydney
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Beschluß des Auszugs aus Algernon Sidney’s Lebensbeschreibung. (Fortgesetzt von S. 284. No. 9.) Nachdem er sich einige Zeit unter den Musen Italiens und ihren Kunstwerken und Alterthümern aufgehalten hatte, hielt er’s für dienlich sich seinem Vaterlande wieder zu nähern. Auf seiner Reise besuchte er den ehmaligen Parlamentsgeneral L u d l o w , einen der rechtschaffensten Männer seiner Parthey, (selbst nach dem Geständniß der gegenseitigen) und seine übrigen Freunde auf ihren Ruhesitzen in der Schweitz, bey denen er sich etliche Wochen aufhielt, und sich ein rechtes Geschäfte daraus machte, sie öffentlich als
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seine Freunde zu erkennen, und ihnen so viel gute Dienste zu leisten, als er konnte. Von seinem Aufenthalt in den nächstfolgenden Jahren ist nichts bekannt, ausser daß er sich im Jahr 1665 in Augsburg befunden, wohin (wenn den Memoirs des General Ludlow hierinn zu glauben ist) König Carl II. zehen Männer abgeschickt haben soll, um ihn heimlich aus dem Wege zu räumen, die aber ihren Zweck verfehlt hätten, weil Algernon kurz zuvor wieder nach Holland abgegangen. Er blieb bis ins Jahr 1677 außerhalb seines Vaterlandes, nemlich so lange, bis er endlich durch Vermittelung des Sir Henry Saville, damaligen englischen
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Abgesandten am französischen Hofe, vom Könige begnadigt wurde, und dem zufolge die Erlaubniß erhielt wieder nach England zurückzukommen. Im Jahre 1678. bewarb er sich um die Parlamentsstelle der Stadt Guilford in Surrey; allein, da der Hof sich seiner Wahl widersetzte, hielt er es, ungeachtet er nicht unterließ seinen Wählern das unregelmäßige Verfahren der Regierung in dieser Sache, mit seiner gewöhnlichen Freymüthigkeit, vorzustellen, doch nicht für dienlich, seine Bewerbung durchsetzen zu wollen. Eben so unglücklich war er im nächstfolgenden Jahre bey seiner Bewerbung um die Stelle des Fleckens Bramber in Sussex, weil die Sache schon vorher von Sir John Pellham, und der Familie der Sydney’s, welche die Hitze und den Muth seines
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Geistes bey solchen Gelegenheiten fürchtete, zum Vortheil seines Bruders, Heinrich Sydney, nachmaligen Grafen von Romney, ausgemacht war. Im Jahr 1683. wurd er angeklagt: als sey er in dem bekannten Rye-House Complot *) verwickelt gewesen, und wurde deßwegen, als der Proceß des Lord Russels geendiget war, vor den König und den geheimen Rath gebracht. Er erklärte sich: er würde sich gehörig zu vertheidigen wissen, wenn sie irgend einen Beweiß gegen ihn hätten; aber ihren Vermuthungen durch dieses oder jenes, das er etwa sagen möchte, Stärke zu geben, sey er nicht Willens. Auf diese Art war seine Untersuchung sehr kurz. Er lag darauf einige Zeit im 10
Tower; wurde aber endlich vermittelst eines Habeas corpus den 7ten Novembr. 1683. dem Kings-Bench-Gericht überliefert, und des Hochverraths öffentlich angeklagt. Der wegen seines ungerechten und grausamen Charakters in der englischen Geschichte gebrandmarkte J e f f e r i e s war damals Lord Oberrichter; und diesem schon mit dem Blute so vieler Unschuldigen und Edeln befleckten Unmenschen war es ein leichtes, eine partheyische Jury dahin zu bringen, die Unschuld selbst schuldig zu finden. Nie ist ein ähnlicher Proceß tumultuarischer und rechtswidriger geführt worden. Der einzige Zeuge, welcher wider den Sydney aussagte, war der Lord H o w a r d ; weil aber das Gesetz zween
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Zeugen erforderte: so fiel man auf ein seltsames Mittel, um diesen Mangel zu ersetzen. Als man das Studierzimmer des Gefangenen durchsuchte, fanden sich einige Abhandlungen über die Regierung, worinn er Grundsätze behauptete, welche zwar der Freyheit günstig, aber doch so beschaffen waren, daß (wie H u m e sagt) die besten und gehorsamsten Unterthanen in allen Zeiten dieselben bekannt haben: Nemlich, den Originalvertrag, die Quelle der Macht aus der Bewilligung des Volkes, die nach dem Gesetz erlaubte Freyheit dem Tyrannen zu widerstehen, den Vorzug der Republikanischen Verfassung vor der Regierung einer einzigen Person, u. dergl. Von diesen Schriften behauptete man, daß sie so gut wären, als ein zweyter Zeuge, ja, so gut, als viele
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Zeugen. Der Gefangne antwortete: sie hätten keinen andern Grund, warum sie ihm diese Papiere zuschrieben, als die Ähnlichkeit der Hand; ein Beweiß, den man in gerichtlichen Untersuchungen niemals annähme. Wenn er auch zugäbe, daß er der Verfasser wäre: so hätte er sie doch nur bloß zu seinem *)
S. H u m e’ s Geschichte von Großbrittanien II. Band S. 343. a. d. T. Übers.
Beschluß des Auszugs
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eigenen Vergnügen aufgesezt, und der Welt niemals bekannt gemacht, ja nicht einmal einer einzigen Person gezeigt. Wenn man sie recht wohl ansähe, so würde man aus der Farbe der Dinte finden, daß sie schon vor vielen Jahren geschrieben wären, und sie würden ganz unstatthafter Weise als Zeugniße von einer itzigen Verschwörung wider die Regierung vorgezeigt; und da das Gesetz ausdrücklich zwey Zeugen foderte: so könnte ein Zeuge nicht zureichen, wenn er auch die überzeugendsten Umstände aussagte. Alle diese Gründe, ob sie gleich der Gefangne mit grossem Muth und Stärke am Verstande vortrug, verschlugen nichts. Partheyische, gewissenlose, und der Krone unbedingt leibeigene Richter fanden ihn schuldig, und er empfieng also sein Todes-Ur-
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theil. Die Vollziehung desselben aber wurde, ungewöhnlicher Weise, drey Wochen länger aufgeschoben, um dem allgemeinen Unwillen, den seine Inquisition, als ein Verfahren von der ungeheuersten Ungerechtigkeit, erregt hatte, Zeit zu lassen, sich wieder zu setzen. In dieser Zwischenzeit ließ er dem Könige durch den Grafen von Halifax, seinen Neffen durch Heyrath, ein Papier überreichen, das die Hauptgründe seiner Rechtfertigung und eine Appellation an Se. Majestät enthielt, mit Bitte, daß der König die ganze Sache von neuem untersuchen lassen möchte. Da aber der Oberrichter Jefferies sich verlauten ließ, entweder er oder Sidney müsse sterben *) so achtete der König nicht auf die gerechte Bitte eines Mannes, dessen Grundsätze und Charakter ihm alle-
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zeit verhaßt gewesen waren; und so wurde das Todesurtheil den 7ten December 1683. auf einem zu Tower-Hill errichteten Schaffot an ihm vollzogen. Während seines Verhafts hatte er einigemal nach Predigern von der I n d e p e n d e n t e n - P a r t h e y geschickt, und sich mit ihnen als ein Christ auf sein bevorstehendes Schicksal vorbereitet. Izt gieng er dem Tod mit der Unerschrockenheit entgegen, die dem Manne ziemte, der sich den M a r c u s B r u t u s zum Vorbilde genommen hatte. Er war nur wenige Minuten auf dem Schaffot; er sprach wenig, und sein Gebet war sehr kurz. Das Haupt wurde ihm auf einen Streich abgeschlagen, und der Leichnam des folgenden Tags bey seinen Voreltern zu P e n s h u r s t (dem alten Familiensitz der Sydneys) beygesezt. Das Papier, das er vor seiner Hinrichtung den Sherifs übergab, enthält eine kurze Vorstellung des gesetzwidrigen Verfahrens seiner Richter, und der in seinem Manuscripte enthaltnen Grundsätze. Es endet sich mit diesem *)
B u r n e t s Gesch. I. p. 572.
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merkwürdigen Schlusse: „Gott vergebe diese böse Praktiken (er hatte zuvor von denenjenigen gesprochen, die an ihm ausgeübt worden) und wende all das Unheil ab, das die Nation durch sie bedroht. Der Herr heilige dieses mein Leiden in mir, und, wiewohl ich als ein Opfer von Götzen falle, dulde er nicht, daß Götzendienst in diesem Lande Wurzel fasse! Segne dein Volk und rette es! Erwecke die Kraftlosen; leite die Willigen; stärke die Wankenden; und gieb Weisheit und Lauterkeit Allen! Ordne alle Dinge zu deiner größten Verherrlichung, und gieb daß ich so sterbe, wie es demjenigen ziemt, der durch dein besonderes Verhängnis auserwählt worden ist, a l s e i n Z e u g e d e i n e r 10
Wa h r h e i t , u n d (nach dem selbsteignen Bekenntniß meiner Widersacher) für diese gute alte Sache zu sterben, der ich von meiner Jugend a n a n g e h a n g e n , und für welche du dich oft und auf eine wundervolle Weise selbst erklärt hast.“ — Das Motto, welches er, während dem Parlamentskriege mit Carl I. gewöhnlich statt Schild und Wappen führte, — sanctvs amor patriae dat animvm, war also kein Motto, wie so manche Motto’s, die man aus Ostentation, oder, Gott weiß warum, zu führen pflegt, und die gemeiniglich gerade das Widerspiel von dem Leben derer, die sie führen, sind. Diese heilige Liebe zum Vaterland war die einzige Leidenschaft seines Herzens; er lebte für sie, und noch im Tode war’s ihm süß, für sie zu sterben.
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Das Gefühl dessen, was die Nation der Unschuld und dem Andenken dieses edlen Mannes schuldig sey, war fünf Jahre nach seinem Tode noch so lebendig und würksam, daß die Acte vom 13ten Februar 1688/9, wodurch das Parlament den ganzen Proceß seiner Inquisition und Verurtheilung als für gesetzwidrig erklärt und vernichtiget, eine der ersten Handlungen des Parlaments n a c h d e r R e v o l u t i o n gewesen ist. Die Mühe, die sich der bekannte S i r J o h n D a l r y m p l e vor einigen Jahren gegeben, den ehrwürdigsten Patrioten unter Carl des IIten heilloser Regierung, und unter ihnen auch dem Obersten A l g e r n o n Sydney, durch beurkundete Beweise, daß sie P e n s i o n e n von L u d w i g X I V . angenommen, ei-
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nen Flecken anzuschmitzen — und die mancherley Schreibereyen pro und contra, die dadurch damals in London veranlaßt worden, sind vielleicht wenigen von unsern Lesern unbekannt. Die ganze Sache ist kaum der Erwehnung werth. Auch zugegeben, daß es mit diesen Urkunden seine Richtigkeit habe, so hat doch der verhaßte Triumph, den Sir John Dalrymple über die Tugend der R u s s e l und S y d n e y dadurch erhalten zu haben vermeynt, ei-
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nen sehr schwachen Grund. Wenn Sydney auch Pension von Ludwig XIV. gezogen hat (und es war würklich sehr wenig) so ist doch unerwiesen, und wird wohl ewig unerwiesen bleiben, daß er sich darum zu einem Sclaven des Französischen Hofes gegen sein Vaterland verkauft habe. Dieser hatte freylich dabey andre Beweggründe und Absichten als die Patrioten; aber die letztern, die entweder ihren Charakter aufgeben, oder mit Carl des IIten Art zu regieren äusserst unzufrieden seyn mußten, konnten (wenigstens i h r e r Überzeugung nach) gar wohl auf Gelegenheit lauren, die Republicanische Verfassung wieder herzustellen, oder wenigstens eine eingeschränktere Regierungsart, als die willkührliche Monarchie der Stuarte, festsetzen zu helfen, und den Um-
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ständen nach, für dienlich und nöthig erachten, sich den Weg, von Frankreich unterstüzt zu werden, offen zu erhalten — ohne darum weniger Enthusiasten für bürgerliche Tugend und politische Freyheit zu seyn; oder vielmehr eben darum, weil sie es waren, konnten sie, ohne Nachtheil ihres Charakters, sich durch Zeit und Umstände genöthigt finden, Mittel und Wege einzuschlagen, die sie unter glücklichern Umständen verworfen hätten. Der Charakter, den Bischof Burnet von Algernon macht, wiewohl er mit einem ziemlich rauhen Pinsel und in der gesudelten Manier, die diesem Prälaten gewöhnlich war, hingeklekt ist, und von einem Manne herrührt, der nicht fähig war einem I n d e p e n d e n t e n völlige Gerechtigkeit wiederfahren
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zu lassen, ist mir gleichwohl lieber als ein Eloge, weil das Gute, das er von ihm sagt, beynahe wider Willen aus seiner Feder geflossen zu seyn scheint; ungefehr wie sich in Bileams Munde Fluch in Segen verwandelte. „Er war (sagt der Bischof in seiner Geschichte) ein Mann von dem ausserordentlichsten Muthe — standhaft bis zur Hartnäckigkeit; aufrichtig, aber von einem rauhen stürmischen Temperament, das keinen Widerspruch ertragen konnte. Er schien ein Christ zu seyn“ (wenn ein Mann wie A l g e r n o n S y d n e y etwas zu seyn s c h e i n t , Hochwürdiger Herr, so i s t er’s!) „aber auf seine eigne Weise“ (eben darum weil ihms Ernst damit war) „er glaubte es müßte wie eine göttliche Philosophie in der Seele seyn“ (ein großer Sinn, undeutlich ausgedruckt) „aber er war gegen allen öffentlichen Gottesdienst, und gegen A l l e s w a s w i e e i n e K i r c h e a u s s a h “ (doch wohl cum grano salis?) „Er hielt steiff an allen Republicanischen Grundsätzen, und war so ein Feind v o n a l l e m w a s w i e e i n e M o n a r c h i e a u s s a h , (sollte heissen: was wie w i l l k ü h r l i c h e G e w a l t aussah) daß er sich C r o m w e l l n heftig entgegensetzte, sobald er zum
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Protector gemacht war. Er hatte die Geschichte der bürgerlichen Regierung, in allen ihren Zweigen, mehr studiert als irgend ein Mann den ich kenne“ — Es befinden sich unter den Familienpapieren der Sydneys zu Penschurst noch verschiedene Tractate in Lateinischer und Italiänischer Sprache, und ein Versuch über tugendhafte Liebe, Englisch geschrieben, von ihm; aber seine D i s c u r s e ü b e r b ü r g e r l i c h e R e g i e r u n g allein werden seinen Namen verewigen, und sind hinlänglich uns wegen des Verlusts von Cicerons Sechs Büchern de Republica zu trösten — sagt der Herausgeber der neuen Ausgabe von 1772. und ich bin (ungeachtet ich weder von Republik und Monarchie, 10
noch von göttlichem Recht und Originalcontract gänzlich so denken kann, wie Sydney) völlig seiner Meynung „daß dieses Werk eines der e d e l s t e n Bücher ist, die der menschliche Verstand jemals hervorgebracht hat.“ W.
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H e l l a s , von Ernestine Christine R e i s k e . E r s t e r B a n d . Mitau, bey Jac. Friedr. H i n z , 1778. (260. S. 8.) Unter diesem Titel liefert uns die verdienstvolle Wittwe eines der größten Philologen unsers Jahrhunderts, vormals seine Schülerin und Gehülfin in seinen rastlosen gelehrten Arbeiten, den 1sten Band einer Sammlung neuer Übersetzungen aus dem Griechischen, welcher uns, nach dem Titel zu schliessen, noch zu vielen folgenden Hofnung macht. Denn unter den Namen Hellas läßt sich alles bringen, was wir von den Fragmenten des Orpheus an, bis auf die spätesten Früchte des mittlern Griechenlandes aufzuweisen haben, und vermuthlich will sich Mad. Reiske dadurch die Freyheit vorbehalten, uns nach
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und nach mit noch unübersezten Stücken aus a l l e n A l t e r n der Griechischen Litteratur zu beschenken. Diesesmal fiel ihre Wahl auf einige Discurse oder Reden des D i o n C h r y s o s t o m u s , (dessen sämmtliche Werke Sie aus den hinterlassenen Papieren ihres verstorbenen Ehegatten herauszugeben begriffen ist) und auf die L i e b e s g e s c h i c h t e d e s I s m e n i a s u n d d e r I s m e n e , einen Roman eines gewissen E u m a t h i u s , (auch Eustathius genannt) den wir, mit Erlaubniß der liebenswürdigen Übersetzerin, eher für eine wollüstige Träumerey eines Phantasiereichen jungen Mönchs, als für den Schwanengesang eines guten Greisen halten möchten. Indessen hat auch dieses Produkt des spätesten Alters der Griechischen Litteratur seinen Werth,
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zumal da es zum Maasstabe dienen kann, wie erstaunlich die Griechen der mittlern Zeiten, auch in Werken des Gefühls, der Imagination und des Witzes, aus der Art ihrer Vorgänger im goldnen und silbernen Alter geschlagen. Da unser Raum keine genauere Beurtheilung gestattet, so begnügen wir uns, die ruhmwürdige Übersetzerin zu Fortsetzung dieser H e l l a s , als eine Unternehmung, die allen gelehrten und ungelehrten Liebhabern der Griechischen Musen willkommen seyn muß, so viel an uns ist, aufzumuntern. Fehler aufzusuchen, wo das Ganze Lob verdient, wäre um so unbilliger, da Mad. R. sich erklärt, daß sie solche selbst fühle, und in der Folge zu verbessern suchen werde. Wir haben besonders die Übersetzung des Romans vom Ismenias mit dem Original verglichen, und sie überhaupt viel besser und getreuer als die Lateinische des G a u l m i n gefunden. Um aber wenigstens eine Kleinigkeit zu
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rügen, wünschten wir, daß die Fr. U. das Wort Paruenow nicht J u n g f e r , sondern J u n g f r a u übersezt hätte; indem jenes nur in der komischen Sprache brauchbar ist. Man sagt z. Ex. die heilige Jungfrau, statt M a r i a , aber es würde auffallend klingen, die h e i l i g e J u n g f e r zu sagen; und eben das gilt von Minerva, Diana, u. s. w. oder von den Tugenden, die in jungfräulicher Gestalt von Mahlern und Dichtern personificiert werden. W.
¼Rezension: Reiske½ H e l l a s . E r s t e r B a n d
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Vo l k s - u n d a n d e r e L i e d e r , mit Begleitung des Fortepiano, in Musik gesezt von S i e g m u n d F r e y h . v o n S e c k e n d o r f . We i m a r , bey Carl Ludolf Hoffmann, 1779. Zuversichtlich können wir dieser kleinen Sammlung von Volks-Liedern und Romanzen vom gesangliebenden Publico eben den warmen Beyfall versprechen, den sie bisher in dem engern Cirkel der Freunde des Freyh. v. S. erhalten haben. Es sind 12 Stücke — größtentheils aus den Vo l k s - L i e d e r n ; verschiedene von dem Verfasser der Musik selbst, welchem mehr als eine Muse günstig ist. Die meisten empfehlen sich durch einen eben so leichten und angenehmen als geistreichen und dem Inhalt jeden Stückes anpassenden
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Schwung des Gesangs. Vorzüglich glücklich ist der Herr V. in dem eigentlichen R o m a n z e n - To n , in Stücken von der gefühlvollen, schauerlichen und phantasiereichen Art, worinn sich das erste Lied dieser Sammlung, d e r F i s c h e r (von Göthe) das Zauberlied E l v e r s h ö h , das Lied des w a h n s i n n i g e n M ä d c h e n s (beyde aus den Volks-Liedern) und D a u r a’ s Tr a u e r (nach Oßian) so besonders ausnehmen, daß man glauben möchte, jedes dieser vortreflichen Lieder wäre zugleich mit der Melodie in Einem Moment entstanden, und beydes von Einem Genius eingehaucht worden. Aber freylich möchten wir wünschen, daß uns der Herr V. seine Art solche vorzutragen, hätte mittheilen können; denn es ist mit dem Singen und Accompagniren just wie
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mit dem L e s e n eines Gedichts; das Schönste, Rührendste, Erhabenste geht oft verlohren, wenn es demjenigen, der es vorträgt, an der Wahrheit, Zartheit und Innigkeit des Gefühls und Anschauens fehlt, das den Dichter und Tonkünstler im Moment der Composition beseelte. Es ist eine der vorzüglichsten und die eigentlich c h a r a k t e r i s t i s c h e Schönheit der gegenwärtigen Gesänge, daß die Melodie jeden Stückes fast durchaus auch jeder Strophe angemessen ist, insofern nur der Sänger den Ausdruck und Accent, das M e h r und We n i g e r , worauf in Sachen des Gefühls so viel ankömmt, kurz das, was die Seele des Gesangs ausmacht, bey jeder Strophe, nach Beschaffenheit des Inhalts, gehörig zu modificieren weiß — d. i. insofern er würklich f ü h l t , was er vorträgt. Wir zweifeln nicht, alle Liebhaber werden mit uns wünschen, daß der Herr V. sich bewegen lassen möge, uns bald mit einer zwooten Sammlung
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von Liedern zu beschenken, die sich so glücklich von dem Leyerwerk unsrer gewöhnlichen Liedersetzer unterscheiden. W.
¼Rezension: Seckendorff-Aberdar½ Vo l k s - u n d a n d e r e L i e d e r ¼1. Sammlung½
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Viertes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. October 1778.
¼Schreiben* ) eines Landedelmanns über eine Stelle aus dem dritten Theil der Könige von Scheschian. an Herrn R. R. L. M. in A. …½ *)
Aufrichtig mit unsern Lesern zu seyn, dieser Aufsatz wurde uns schon im
Jahr 1773. zugeschickt. Wie es sich zufälliger Weise unter unsern Pappieren verlohren und erst neulich eben so von ungefähr wieder vorgefunden — all dieß verschlägt den Lesern nichts, wenn sie das Stück nur lesenswerth finden — wie wir aus Respect für sie alle nicht zweifeln wollen.
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Ein von einem ungenannten Gelehrten eingeschicktes lesenswürdiges Manuscript, „Versuch über den Widerspruch der Philosophie, in Verdammung des Selbstmordes und Vertheidigung der Todesstrafen“ betittelt, ist dem H. richtig zugekommen. Da es seiner Weitläuftigkeit wegen keinen Platz in diesem Journal erhalten kann, so erbittet man sich Anweisung, an wen solches zurückgeschickt werden soll.
¼Nachricht an Anonymus: Vertheidigung der Todesstrafen½
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Da man auf das zu diesem Quartal gehörige Bildnis, welches zu Mannheim gestochen wird und dessen Ausbleiben die Ausgabe des gegenwärtigen Stücks um etliche Tage verzögert hat, nicht länger warten kann, so ist man genöthiget solches ohne Bildnis auszugeben; versichert aber, daß dieses mit dem künftigen Stücke unfehlbar folgen soll. W.
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Der Teutsche Merkur. November 1778.
Die Wünsche. Der Weise, spricht man, nimmt zufrieden das Böse wie das Gute an, das ihm Frau N e m e s i s , nach einem sichern Plan, wovon wir Regenwürm’ hienieden nicht viel verstehn, zu seinem Loos beschieden; mit Wünschen wird er nie der Götter Ohr ermüden, und was sie thun, das ist ihm wohlgethan. In dieser Tugend scheint der Dümmste von allen Dümmlingen dem Weisen sehr verwandt;
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er wünscht aus Dummheit nichts, wie jener aus Verstand: Es läuft auf Eins hinaus. Auch ists wohl nicht das Schlimmste in wohlbesagtem Plan, daß alles so darinn sich kompensiert, Ve r l u s t auf d i e s e m Blat, G e w i n n auf einem andern ist, und wenn ihr denn am Ende zusammenrechnet, just die Rechnung sich saldiert. So gebt einander dann die Hände, Ihr Weisen und ihr Narr’n, und lebt, wie sichs gebührt, in brüderlicher Lieb’ als Kinder Einer Mutter! Die Welt hat Raum genug für euch:
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auf Einer Wiese frezt, hascht, schnappt und saugt zugleich Ochs, Storch und Frosch und Schmetterling sein Futter. * * * Doch still! wie wenn ich euch, statt aller der Moral, der hübschen Mährchen eins erzählte, wovon, zu euerm Trost, noch eine feine Zahl in meinem Schubsack steckt? —
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— „O das ist, was uns fehlte! Nur Mährchen, lieber Mann, in vollem Überfluß, zumal in diesen Nebeltagen, und Honny soit dem Herrn Anonymus dem eure Feen nicht behagen!“ Wohlan! — * * *
Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen. *) Erster Theil.
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Es war einmal, ich denke zu S a l e r n , ein König, Namens — ja! — die Namen, die Namen, die vergeß ich gar zu gern! Am Ende, sagt man, sinds ja auch nur — R a h m e n , und, wie ihr wißt, die Schaale, nicht der Kern — — Nein doch! der Kern, und nicht die Schaale, wollt ich sagen, macht Alles aus! — Nennt, ohne viel zu fragen, ihn Wolfram, Astolf, Holofern, Hengst oder Horst — genug, von allen feinen Herr’n 20
Italiens, dem Land der schönen Va s e n , der dicken Augenbraun und großen Römernasen, war keiner, der — zum mindsten in Salern — den Schönheitspreis dem König streitig machte. Was dieser oder der vor seinem Spiegel dachte, das stund ihm frey. Indessen, wie es geht, *)
Wer gern aus der Quelle schöpft, kann das Original dieses Gedichts, welches eigentlich ein
uraltes Neapolitanisches Ammen-Mährchen ist, finden in dem P e n t a m e r o n e del Cavalier Giovan Battista Basile, overo, lo Cunto delli Cunti, trattenemiento de li Peccerille, di Gian Alesio Abbatutis. Napoli 1674. (conf. Biblioth. Univ. des Romans. J u i n . et S e p t e m b r e . 1777.)
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die Zeit kam doch, und kam mit schnellem Flügel, wo seiner Majestät sonst treudevotster Spiegel den Dienst nicht mehr so gut versah, wie ehedem. Doch blieb ihm n o c h ein Spiegel, worinn er täglich sich mit vieler Lust besah, die Erbprincessin Va s t o l a , die ihm — der ganze Hof beschwur’s — so ähnlich sah, als wäre sie ihm aus dem Aug geschnitten. Dieß ist gewiß, so wie man mitten
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in ihrer Damenschaar daher sie schweben sah, und wenn sie auf die Jagd mit Seiner Hoheit ritten, fühlt jeder, dem’s ihr nachzuschauen glückt, sich in die Götterzeit verzückt. S o , denckt man, sah die Heldenzucht der Alten, so sah’n die O m f a l e n , die D e j a n i r e n aus, die eines Herkules Umarmung auszuhalten vermochten — foderten mit solchem trotzigkalten sich selbst bewußten Blick die Herr’n der Welt heraus, und tändelten, indeß im Chor der Mägde
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der Göttersohn Flachs an die Kunkel legte, in seine Löwenhaut gehüllt mit seiner Keul’, als wär’s ein Sonnenfächer — Gott steh uns bey! Wir armen Schächer der Afterwelt! — Uns nimmt d a s b l o ß e B i l d in G i p s von Weibern dieses Schlages gleich allen Muth! — doch freilich, dazumal, ihr lieben Herrn, war’s nicht wie heutigs Tages. Umringt von Freyern ohne Zahl gieng Va s t o l a , sah ganze Legionen Marggrafen, Grafen, und Baronen erbötig, sollt’s ums Leben gehn, das Abentheuer zu bestehn. Allein von diesen Freyern allen war keiner schön genug, der Stolzen zu gefallen,
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geschweige als Gemahl zur Seiten ihr zu stehn. Zwar, daß die Herr’n, vom Hofnungsgeist belogen, sich athemlos an ihrem Wagen zogen, das mochte Sie wohl leiden, lohnt’ auch wohl mit einem Zauberlächeln, mit einem Blick, den lieben Herrn die Müh: Doch immer war in dieses Zauberlächeln, in diesen Blick, der sie zum Nichtermüden frischt, ein Trotz, der freylich ihr gar schön ließ, eingemischt, 10
mit zwey, drey Gran Verachtung, quantum satis, versetzt, womit sie euch ganz sachte von sich stieß, und, jemals anders ihr als gratis zu dienen, wenig Hofnung ließ. Der König, der, sich Großpapa begrüßen zu hören, eben noch nicht sehr gelüstig war, ließ bis ins zweymal zehnte Jahr der mädchenhaften Lust sein Töchterchen genießen; und Va s t o l a , der Abgott von Salern, indem sie ringsumher die liebessiechen Herrn
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an ihrer Sonnenglut, Schneemännchen gleich, zusammen hinschmelzen sah, blieb mitten in den Flammen nach wahrer Salamanderart stets unversengt, eiskalt, und kieselhart. * * * Nun lassen wir, um weiter vor zu gehen, die schöne Va s t o l a mit ihrem Zauberstab, und hören, was im Walde sich begab, den wir, dort rechter Hand, die Höhen der Gegend von Salern mit Schatten decken sehen.
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Da steht bey einem Bündel Reiß ein junger Kerl — Ja! wer, zu Lob und Preis der Schöpferin Natur, den Burschen mahlen könnte! so, wie er da, im Kopf sich kratzend, stund,
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im dicksten Kopf, den je der weite Sund von einem Ochsenmaul in zwoo Halbkugeln trennte, mit rothem Haar garniert, das borstenweise stund, und um die schmale Stirne rund wie angezündte Stoppeln brennte, die Ohren ellenlang, die Nase kurz und dick wie Hals und Leib, die Schultern breit, die Beine wie Pfosten — kurz, der K r u d i t ä t e n eine des alten Mütterchens — ein Kautz, für deßen Glück ich Bürge bin! Denn wahrlich, das Geschick,
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sagt was ihr wollt, verfährt doch immer billig, und nimmt Figuren dieser Art in seinen sondern Schutz, stets gut zu machen willig was Mutter Isis dran gespart. Der junge Kerl, so schön als wir ihn eben geschildert, war der einz’ge Erb’ und Sohn von einer guten Frau, die manchen Winter schon im Wittibstande sich und ihrem Sohn das Leben mit Spinnen fristete — ein braves flinckes Weib, das früh und spat sich Müh zu geben
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gewohnt ist, keinen Zeitvertreib als ihres Haspels Knarren kennet, und sehr zufrieden ist, wenn auf dem kleinen Heerd ein wenig dürres Reiß zur Mittagssuppe brennet, wirthschaftlich dann den Rest zusammenkehrt und in den Ofen trägt, der in der engen Hütte dem scharfen Frost nur sparsam wehrt. Bey dieser Lebensart und Sitte war ihre einzge Plage die, daß sie, mit aller ihrer Müh, aus ihrem lieben Sohn P e r v o n t e nichts ziehen, und zu nichts den Lümmel brauchen konnte. Da war auch keine Spur von Neugier noch Verstand;
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nichts gieng in seinen Kopf, nichts gieng ihm von der Hand; So Tagelang, mit halbgeschloßnen Augen am Ofen auf die Streu der Länge nach gestreckt, an seinen kurzen Fingern saugen, und, wenn die Mutter ihn zur Arbeit scheltend weckt, sich über Rückenweh beklagen, mit Noth drey Späne Holz zur Küche stöhnend tragen, auch dann und wann mit großer Apathie die Gänse aus dem Garten jagen, war alles, was das Faulthier, je und je
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Gewalt sich that zum Haushalt beyzutragen; im Übrigen ein gutes Vieh, den nie der Kitzel stach, nach wann, warum, und wie, bey irgend einem Ding zu fragen, und den, ist nur sein Wanst, womit es sey, gefüllt, nichts weiter in der Welt bekümmert; das wahre Seitenstück zum Bild des We i s e n b e y m H o r a z , dem’s mächtig gleichviel gilt wozu die Götter wohl dieß schöne Rund gezimmert, dem Sonne, Mond und Stern stets unbewundert schimmert,
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kurz, der fein warm und dicht in — Dummheit eingehüllt, nichts liebt noch haßt, nichts billigt und nichts schilt. Als eines Morgens nun die Mutter den Topf zum Feuer setzen will, gebrachs an Holz. Mein Flegel, mäuschenstill, saß auf der Schwell’ und aß sein Brod und Butter. P e r v o n t e , sprach sie, sey einmal zu Etwas gut! Du siehst, der Topf kann ohne Holz nicht kochen; frisch auf, mein Sohn! Nimm deinen Hut, lauff in den Wald! da liegt schon abgebrochen
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des dürren Reisichts viel umher; mach einen Bündel draus, so schwer du tragen kannst — auf, rege deine Glieder, //
und mach es hübsch, und komm bald wieder!
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P e r v o n t e , der an diesem Morgen just bey Laune war, so wenig Lieb’ und Lust er auch zur Arbeit hat, — so raft er doch am Ende sich auf, und schlendert in den Wald; steht da und gaft, als ob er gar besonders fände, wie all die Bäume in den Wald gekommen; schreitet drauf zum Werk, speyt in die Hände, kriecht untern Bäumen rum, und bringt so ziemlich bald
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sein Bündel dürres Holz zusammen; stellt sich dann hin dazu, und denkt: Ja, wer mich nun mit meinem Bündel da in einem Huy zu Ammen nach Hause trüg’! — Allein, da war nun nichts zu thun, als selbst den Bündel frisch auf seinem breiten Rücken zu nehmen und zu gehn. — Die Sonne fieng schon an, als er aus dem Gebüsch hervorkam, starck zu drücken. Von ungefehr erblickt er auf dem Plan drey Frauen, jung, und schön von Farbe, Wuchs und Zügen, die schlafend an der Sonne liegen;
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bleibt stehn, betrachtet sie vom Haarband bis zum Schuh, drückt vor Behaglichkeit die kleinen Augen zu, guckt dann aufs neu, und denckt so bey sich selber: „’s ist Schade doch für diese Dirnen da, so in der Sonne, wie die Kälber, zu liegen, unbeschirmt! — der Busch ist nah, ich geh und schneide Zweig und steck sie in die Erde, und mach ein Obdach um sie her.“ Nun sagt mir noch, daß auch der dümmste Bär nicht durch die Zaubermacht der Schönheit menschlich werde! Gedacht, gethan! Er haut sechs Stangen oder acht, befestigt sie so gut er kann, und macht ein grünes Dach um diese schönen Kinder,
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und spreitet dann sein Wams und Halstuch drüber hin. Nie gieng ihm, weil er lebt, geschwinder die Arbeit von der Faust. Und nun, in seinem Sinn gar starck mit sich vergnügt, schlägt er ein herzlich Lachen ob seinem Einfall auf, und yahnt aus vollem Rachen so laut als eine Eselin, bis unsre Nymfen dran erwachen. „Bist du’s, fragt ihn die Eine, der so gut gewesen ist, uns dieses Dach zu machen?“ 10
P e r v o n t e schmunzelt, dreht den Hut, und schweigt, den Blick gesenckt zur Erden. „Dein gutes Herz verdient belohnt zu werden, fährt jene fort; das ist nun unsre Pflicht. Vernimm, P e r v o n t e , wir sind Feen. Man legt uns viel zur Last; allein, das sollst du sehen, undankbar mindstens sind wir nicht. Ve r l a n g e w a s d u w i l l s t , e s s o l l g e s c h e h e n ! “ Mit diesem Wort verschwanden alle drey. P e r v o n t e guckt noch immer nach dem Orte,
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wo nichts mehr ist, und brummt bey sich: Ey, ey! Um dieses Edelvolk! Was Sie mir gute Worte und Augen gab! Ich dachte, wie geschwind Sie mir den Sack mit Thalern füllen würde! Nun seh ich wohl, ’s war alles lauter Wind! Mein Bursche kehrt zu seiner Bürde zurück, lupfts auf, krazt hinterm Ohr, beginnt am Ende doch den Bündel aufzupacken, und wie er ihn so ziemlich drückend findt spricht er: „da soll ich mich dich heimzutragen placken?
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Ich wollte wohl, du müßtest m i c h
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nach Hause tragen!“ Kaum entschlich P e r v o n t e n dieses Wort, so scheint ein thierisch Leben auf einmal in dem Holz zu weben; der Bündel schlüpft so sanft, als wär’ es Pflaum, dem Burschen zwischen beyde Beine, hebt ihn empor, und läuft euch über Stock und Steine mit ihm davon, so schnell als einen kaum der schnellste Klepper tragen konnte. Ha, ha! Das geht ja gut, ihr Feen! ruft P e r v o n t e ; ich sagt’ es nur im Spaß, und ihr macht Ernst daraus? Nun, weil’s denn s o ist, frisch, mein Gäulchen! g’rad nach Haus! Der nächste Weg nach seiner Mutter Hütte gieng durch Salern, beym Schloß vorbey. Nun denkt den Lerm, den solche Reuterey da machen muß! Bey jedem Schritte nimmt Zulauf, Drang, Gelächter und Geschrey so überhand, daß man sein eigen Wort nicht hörte. P e r v o n t e , der sich wenig scheerte um all den Spuck, trabt seines Weges fort. Der Bündel, dem das Volk zu nah kommt, schlägt auf Mord zur Recht’ und Lincken aus, und weiß sich Platz zu machen. S o langt dann, unter lautem Lachen der ganzen Stadt, mein Kauz am Schloßplaz an. Princeßin Va s t o l a und ihre Damen sahn durchs Fenster, wie der neue Reiter vorüber trabt; und, weil die Hoheit just nicht mit dem rechten Fuß aus ihrem Bett gestiegen, macht ihr der Gegenstand der allgemeinen Lust Verdruß und Eckel statt Vergnügen. Sie rümpft die Nase, wirft sich in die Brust, und ruft: „Seht doch den Bärenhäuter, den Vogelschreck! — Sein Pferd ist freylich schlecht, und doch ists noch zu schön für einen solchen Knecht. Das mißgeschafne Thier!“
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P e r v o n t e n s lange Ohren, wiewohl sein Witz so dick war als sein Fell, verlohren kein Wort von diesem Lobe — „So? Mamsell Princessin, ruft er, bin ich nicht nach ihrem Schnabel? Gut! Wär’ ich auch der große Bel zu Babel, so wünsch ich, daß sie auf der Stell mit Zwillingen, versteht sie, schwanger gienge, und das von mir! 10
Dann wollten wir doch sehn, eh sie von Thür zu Thür mit ihren Krabben betteln gienge, ob sie dem mißgeschafnen Thier mit Freuden nicht, sich an den Gürtel hienge!“ Mit diesen Worten sprengt mein Laur ganz stolz davon, und langt in kurzer Frist, gesund und wohlbehalten, zu mächtiger Bestürzung seiner Alten, auf seinem Steckenpferd bey ihrer Hütten an. Sie frägt erstaunt, wie sichs begeben habe? Er sagt ihr was er weiß, bringt Feen auf die Bahn,
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Princessen, Bündel — kurz, ihm mangelt blos die Gabe der Deutlichkeit: das Ding wird immer minder werth, je mehr er dran erläutert und erklärt. Die Mutter hört zuletzt zu fragen und er zu trätschen auf; man denkt nicht weiter dran. P e r v o n t bleibt was er war, lebt ohne Zweck und Plan, gelüstet nichts, als täglich seinen Magen zu füllen, und auf seinem Schragen zu flacken wie bisher, befindt sich wohl dabey, und alles andre ist ihm völlig einerley.
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W.
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Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen. (Fortgesetzt von N o . 11. S. 240.) Indessen zu Salern im Schlosse stund es leider! so ruhig nicht. Fünf Monden waren kaum vorbey, so muß bereits der Kammerschneider der schönen Vastola ganz ingeheim mehr Raum für Ihrer Hoheit Weichen machen. Mit ihren Freyern zwar da spielt sie noch den Drachen, da ist nicht einer, der sich auch
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der kleinsten Gunst von ihr zu rühmen hätte: Bey allem dem schwillt ihr der jungferliche Bauch, und kurz, man bringt (nicht ohne viel Gespötte und Achselzuckerey bey Hof und in der Stadt) sie, die den Ruhm der sprödsten Kälte hat, bey hohem Wohl mit — Zwillingen zu Bette. Des Königs Wuth, die ungeduld’ge Schaam der stolzen Vastola, die es sehr übel nahm, daß gegen ihren Ruhm, so rein und unbescholten, die kleinen Zwillinge für Zeugen gelten sollten; Das wichtge Air der jungen Herrn Marggrafen, Grafen und Baronen von Salern, als ob ein Jeder hier viel zu verschweigen hätte, der seine Unschuld doch ganz ingeheim bedaurt, und auf den Schuldigen an diesem Wochenbette in jedem andern hämisch laurt; Die Stille in den Vorgemächern, der Inhaltschwere Blick, das Zischeln hinter Fächern,
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Januar 1779)
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das Ärgernis der Tugend- Ehr- und Zuchtbegabten Raths- und Bürger-Weiber, der Jungfern Angst vor gleicher Wassersucht, die Scherze platter Zeitvertreiber, und all die undankbare Müh der Herrn von der Akademie, durch gar sinnreiche Hypothesen, mit A p l u s B und Kupfern ausstaffiert, ganz klärlich darzuthun: d a ß d e r B e g r i f f v o m We s e n 10
des Dings die Möglichkeit unläugbar in sich führt, wie die Prinzeßin, unberührt von einem Mann, zwey Keimchen aufgelesen, die, per calorem dann gepflegt und evolviert, zulezt so weit gedieh’n, bis Sie, wie sichs gebührt, der holden Töchterchen zu rechter Zeit genesen: Dies alles, und was jedermann bey einem solchen Fall moralisiren kann, und daß der Großpapa vor Gift und Galle gelber als eine Quitte wird, und sich nicht trösten kann,
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von einem u n g e n a n n t e n Mann so grob vexiert zu seyn — versteht sich von sich selber. Genug, die Hauptperson dabey, betheu’rt mit reinestem Gewissen, daß die Begebenheit ihr unbegreiflich sey: Und damit wird man sich für itzt begnügen müssen. Die beyden Töchterchen (die, wie wir alle wissen, ein bloßer Wunsch gezeugt) die wuchsen nun heran. Sie waren lieblich anzuschauen, und, hätten Ammen, Kammerfrauen
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und Gouvernanten nicht gethan, so hättens wohl, mit Gottes Seegen, ganz gute Mädchen werden mögen. Und als sie nun zum sechstenmal die Rosen blühen sahn, da trat der S e n e s c h a l ,
P e r v o n t e ¼Erster Theil. Fortsetzung½
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ein Mann von großem Kopf, zum König, strich seinen Bauch und sprach: „ich lese ziemlich wenig, denn Unsereinem bleibt vor Amtsgeschäftigkeit zum Bücherlesen keine Zeit; indessen fällt mir bey, daß ich vorlängst gelesen, wo, weiß ich nicht — ich denk in einem Versebuch, ja, ja, es ist so was gewesen, sie nannten’s, ist mir recht, Te r e n t i i E v n u c h — es sey so ein — I n s t i n c t u s von Doctoren genannt, den Kindern angebohren,
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wodurch sie sicher sind aus einem ganzen Heer von Vätern flugs den wahren auszuspüren.“ Der Einfall, spricht der König, ist nicht leer, wir könnens wenigstens probieren. Und ein Gebot geht aus, es soll am nächsten Fest, vom Hühnerstopfer an bis zu dem Herrn mit Stäben, was königlich sich schreibt, nach Hofe sich erheben. Die Zwillinge, die man nicht merken läßt w a r u m , erscheinen auch. Man läßt bey ofnen Thüren in einem ungeheuren Saal
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die Herren allerseits vor ihnen defiliren zum ersten andern dritten mal; allein, da läßt sich kein I n s t i n c t u s spüren. Gut, spricht der Seneschal zum König, das ist klar daß es von diesen keiner war! Doch gegen mein System kann das noch nichts probieren. Wir gäben, dächt ich, nun den Bürgern einen Ball in ganz Salern — Ey, ey, Herr Seneschal, ihr denkt nicht was ihr sagt! (fällt ihm sein Herr, der König ins Wort) so tief kann meine Tochter nicht gesunken seyn! — Ich bitte unterthänig, versetzt der Seneschal; zu glauben ist es nicht,
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allein — was wollen wir? Gelegenheit macht Diebe, das Fleisch ist schwach und blind die Liebe, spricht mein Terentius. — Da spricht er freylich wahr; versezt der Fürst: Wohlan, den Ball gegeben! Wir tanzen mit, Herr Seneschal, nicht wahr? Man findt da im gemeinen Leben oft manches feine Augenpaar, und Busen, die sich noch aus eigner Kraft im Schweben zu halten wissen — kurz, erschlappten Magen thut auch grobe Kost mit unter gut.
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Der Ball versammelt nun was innerhalb den Pfählen der Stadt Salern zur schönen Welt sich zählt; Allein der grosse Zweck wird abermal verfehlt. Die beyden Grazien, mit Flittern und Juwelen reich ausgeziert, sind, wie man schließen kann, zuerst dabey. Umsonst! für keinen einz’gen Mann spricht die Natur ein Wort zu ihren jungen Seelen. Nun, sagt der Seneschal, ist nichts, was auf die Spur uns bringen kann, als ein C o c a g n e nur; Dies, gnäd’ger Herr, dies muß den Ausschlag geben.
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Top, ruft der Fürst, das lieb ich für mein Leben; nur Anstalt stracks darzu gemacht, und daß nichts fehl’ an Zierlichkeit und Pracht, Herr Seneschal! — Sogleich am Fuß der grossen Treppe wirds bey Trompetenschall dem Volke kund gemacht. Bald langt was eßbar ist, Gans, Ente, Truthahn, Schneppe, Kaninchen, Rebhuhn und Fasan, Rinds-Zungen, Schincken, Bretzeln, Wecken, und Würste, groß und klein, zu ganzen Fudern an, die Pyramide zu umstecken,
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die man an diesem Freudenfest //
dem Volk zu plündern überläßt.
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Als nun, erharret mit Verlangen von Jung und Alt, der grosse Freudentag erschienen war, an dem, noch eh er aufgegangen, in ganz Salern kein Mensch zu Bette lag, die Trommeln trommelten, Trompet und Cymbeln klangen, rings um den grossen Platz die Fenster überall schon mit geputzten Köpfen prangen, die ganze Stadt ertönt von Jubelschall, und wogenweis in wimmelndem Gedränge aus allen Gassen schon die Menge
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sich auf den Platz ergoß, mit Augen voller Durst den Raub verschlang und kaum erwarten konnte bis man zum Angriff blies: spricht zu P e r v o n t e die Mutter: geh, du auch; du wirst doch eine Wurst zum wenigsten von diesem Spaß erhaschen; lauf was du kannst! — Der Hof, der gern bey jedem Fest, um desto reitzender zuletzt zu überraschen, fein lange sich erwarten läßt, der Hof war eben angekommen,
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und hatte Schichtenweis auf einem Schaugerüst, zu grossem Trost des Volkes, Platz genommen; und was dem Volk dabey das Liebste ist, das sind die Zwillinge, die in gar schönen Mützen am Fuß der Pyramiden sitzen. Wie nun zum grossen Reyhentanz die Jugend hin sich stellt in einen bunten Kranz, kommt plötzlich mitten in den Hauffen mein Rothkopf keuchend angelauffen. Und nun hört Alle was geschah! Kaum werden sein, so schmutzig als er da in seiner Jacke steht, mit ungekämmten Haar und ohne Schuh, die Kinderchen gewahr,
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Januar 1779)
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so lauffen sie, zu aller Welt Erstaunen, mit offnen Armen auf ihn zu. Hm! sagt ichs nicht? — beginnt in grosser Ruh der alte Seneschal dem König zuzuraunen. O! der Instinctus hielt sich gut! Verdammt sey dein Instinct, fährt in der grösten Wuth der König aus: Was? ich, den Schimpf erleben! Ha! Meine Tochter! Mir! von einem solchen Strolch! Mir Enkelchen von solchem Schuft zu geben! 10
Das ist zu grob! Gift, Feuer, Strang und Dolch sind zu gelind, die Majestät zu rächen, die so entheiligt ward! — Die arme Vastola, sich keiner Schuld bewußt, will sprechen; allein der König droht ihr Arm und Bein zu brechen. Es war vielleicht ihr Glück, daß er das Faß ersah, das, nach des Fests Gewohnheit, neben der Pyramide stund, voll ziemlich saurem Wein, den man gesonnen war, die Herzen zu erfreun,
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dem Pöbel gnädigst Preis zu geben. Man schlag den Boden aus und werfe sie hinein, ruft der ergrimmte Fürst; fort, ohne Widerstreben! Sie und den herrlichen Galan und ihr Gezücht! Fort in den Ocean! Des Königs strenges Wort wird ungesäumt vollzogen. Man steckt die Kinderchen, die gar erbärmlich schreyn, und Vastola, und den, den man vom Schein betrogen für ihren Bulen hält, stracks in das Faß hinein, und überläßt sie nun den Winden und den Wogen. W.
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(Der zweyte Theil künftig.)
P e r v o n t e ¼Erster Theil. Fortsetzung½
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Pervonte oder die Wünsche. Zweyter Theil. Nun denkt euch eine O m p h a l e , Alkmene, Danae, Latone, kurz, eine Va s t o l a — von ihrem Schönheitsthrone herabgestürzt, der unwirthbaren See in einer Tonne preiß gegeben, mit Zwillingen, wozu sie um ihr Leben sich nicht bekennen kann, und doch ein Mutterherz zu ihnen fühlt; und — was vor Schaam und Schmerz
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sie zur M e d e a machen möchte — gesperrt zu einem solchen Hechte! und diesen feinen Seladon, das Ideal von einem Besenbinder, so öffentlich zum Vater ihrer Kinder erklärt! — die Situation war neu und einzig, sollt ich meynen: Zumal, wenn ihr den Raum bedenkt, der die Princessin, ihre Kleinen, und unsern Kauz so eng zusammenschränkt,
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daß sie mit Armen und mit Beinen bey jedem neuen Wellenstoß sich mehr verwickeln, seine Nase all Augenblick an ihres Halstuchs Gase behangen bleibt, und oft zwoo Linien bloß den schönen Mund von seinem Rüßel trennen. Gesteht, das sollte wohl die Obermeisterin der Spröden mürbe machen können! Doch Vastola’s erhabner Fürstensinn zeigt just im Unglück, wo die Blöße
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Februar 1779)
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gemeiner Seelen sich am schnellsten offenbart, die Majestät der angestammten Art in ihrer ganzen Heldengröße; zeigt durch den kalten Stolz, womit ihr Blick Pervonten niedertritt, daß Kränkungen ihr Herz nur höher schwellen. P f u y d e s G e d a n k e n s ! ruft sie: I c h bey einem Alp wie du mir Zwillinge bestellen ? „O, meiner Treu! das könnt ihr sicherlich 10
mir glauben, Frau, (versezt der ungeschlachte Lümmel) den großen Spaß gesperrt zu seyn mit euch in dieses müff’ge Faß, und zwischen Wasser, Luft und Himmel zu schaukeln, hätt ich auch entbehren können! — Dumm! Zu euern Zwillingen als Vater stehn zu müßen! Wenn ihr nicht besser wißt warum als ich —“ Wa s s o l l i c h b e s s e r w i s s e n ? Ich, die dich nie in meinem Leben sah ?
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„Was das betrift Frau Donna Vastola, da möchtet ihr die Wahrheit ziemlich sparen.“ Ach ! nun besinn ich michs — an deinen rothen Haaren und an dem weitgespaltnen Maul — Bist du vielleicht der Schuft, der auf dem Steckengaul bey unserm Schloß vor sieben Jahren vorbeygeritten kam ? „Ey freylich, bin ich der! Ich weiß es noch als wärs von gestern her; besinne mich gar wohl, wie ihr das Näschen rümpftet,
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und wie ein Sperling auf mich schimpftet, und hießt mich Vogelschreck und Zeidelbär, und was vors Maul euch kam — Es kroch mir übern Magen, das läugn’ ich nicht; und, mit Respect zu sagen, da wünscht’ ich euch, ihr möchtet straks von mir mit Zwillingen ein wenig schwanger gehen:
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Ihr solltet, dacht ich, Spaß verstehen; Wie ihr Ernst draus gemacht und zu den Püppchen hier gekommen seyd, da möcht ihr selber sehen. Ich, wie ihr wißt, weiß weder Gicks noch Gacks davon. Das weiß ich nur: ich hatt’ es von den Feen daß damals, was ich wünschte, stracks geschehen mußte.“ Wie ? das hattest du von Feen ? „Nicht anders! Meine Reuterey auf einem Bündel Reis bey euerm Schloß vorbey
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kam bloß daher.“ So hast du diese Gabe Wo h l i m m e r n o c h ? „Nicht daß ich wüßte.“ Wie ? Du hast es nie erforscht ? „Der Anlaß gab sich nie. Kann seyn es ist vorbey, kann seyn vielleicht ich habe sie noch; mir stieg es nie zu Kopf das Ding erkundigen zu wollen;
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An Suppe fehlte’s nie in meiner Mutter Topf und nie zum Topf an Holz; was hätt’ ich wünschen sollen?“ Ein Philosoph von feinem Schrot ! Die Dummheit, wie ich seh, macht auch Diogenesse sowohl und besser als die Noth, ruft Va s t o l a : d o c h i n d e r P r e s s e w o r i n n w i r s i n d , d a u n s e i n n a s s e r To d b e y j e d e m A t h e m z u g i n j e d e r We l l e d r o h t , w i r d d e i n e We i s h e i t w o h l n i c h t l ä n g e r A n s t a n d n e h m e n zu sehn, daß Feen uns itzt sehr zu statten kämen. Ve r s u c h e s ! — w ü n s c h e d i r — „Ich? wünschen? und wofür? Ich bin ein Alp, ein Schuft, ein dummes Thier, ein Philosoph, hab Eselsohren,
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und hinten einen Sterz, nicht wahr? Zum Wetter auch, die Schmeicheleyn sind rar! Wenn ihr nichts bessers habt, so laßt mich ungeschoren. Zum Wünschen bin ich gut genug!“ Ey, ey, Pervonte, bist du klug ? We r w i r d d e n Wo r t e n g l e i c h d i e s c h l i m m s t e D e u t u n g g e b e n ? Es war nicht so gemeynt — Komm, Männchen, bis so gut ! Laß dich erbitten — „So? Nun, da es Noth euch thut, nun könnt ihr gute Worte geben!
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Ich dachte ja wir würdens noch erleben! Allein, Pervonte hat sein Köpfchen auch, mein Schatz; wohlfeiler als um einen derben Schmaz wird meiner Mutter Sohn sich nimmermehr ergeben.“ Schwer lag die Hand des Schicksals einmal nun auf Vastola; die Wahl, was hier zu thun, ist wahrlich hart für eine Dejanire. Allein, aut, aut! wiewohl sich Magen, Herz und Niere entgegensträubt — Gut, daß der Grobian noch s o bescheiden ist! Eh sie die Wasserspinnen
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zu füttern sich bequemt, was hätte sie gethan? Kurz, da dem Tode zu entrinnen kein ander Mittel war, hielt sie den Athem an, die Augen zu, und that was sie — nicht lassen konnte. „Che gusto! Ah! noch einen! ruft P e r v o n t e ; und nun, Madonna, eh die alte Tonne voll mit Wasser ist, sagt was ich wünschen soll?“ Daß sie sich in die schönste kleine Barke verwandle, wohl versehn mit allem, was uns noth zur Seefahrt ist, und zwanzig junge starke
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Matrosen drinn, und ein Pilot, //
a n B a j a’ s U f e r u n s z u f ü h r e n .
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Pervonte, wie ihr wißt, ein wenig schwach von Kopfe, läßt sichs repetieren, und spricht den Wunsch von Wort zu Worte nach. Und wie er’s sprach, verwandelt sich die Tonne ins schönste Schiff, worauf die liebe Sonne geschienen, seit K l e o p a t r a in einer Glorie von Reiz und Liebeswonne der Cydnus dem A n t o n entgegen schwimmen sah. Von ihren Sinnen hält sich Vastola belogen, wie sie die seidnen Wimpel sah,
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die Zephyrsflügeln gleich hoch in die Lüfte flogen, die Ruder all mit Silber überzogen, die Segel Purpur, Gold die Stängen samt dem Raah, und jede Stang’ umwebt mit einem Blumenkranze; das Rudervolk gepuzt als wie zum Tanze, belebten Bildern gleich, die, ohne auszuruhn, die Arbeit nach dem Takt in tiefster Stille thun; Kurz, alles so wie mans erwarten konnte von einem Feenwerk. — Princessin Vastola, vor deren Augen hier geschah,
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was ihr ein Mährchen däucht, begonnte Pervonten nun für etwas mehr, als was er schien, und würklich war, zu halten. Doch er, er bleibt in seinen vor’gen Falten, und bildet sich nicht minder und nicht mehr auf eine Gabe ein, die ihm so fremde sitzet wie jener Eselin die Redeseligkeit. Der große Schild, der ihn zu aller Zeit vor F r a g e n und vor W ü n s c h e n schützet, ist Wo l f e n s goldnes I s t w a s I s t : das Schiff ist einmal da, und weil es ist, ist gegen sein Daseyn mit Gebühr kein Zweifel mehr zu hegen; Es s c h e i n t nur, dächt’ ein Platonist; allein Pervont, der keiner ist, hält steiff und fest sich, gegen zehn Platonen,
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An die Realität der Mundprovisionen, womit das Schiff versehen war; To be or not to be — das kümmert ihn kein Haar; Genug, wo Futter ist, da ist für ihn gut wohnen. Indessen nun Pervont, für den nichts existiert als was er schmeckt, das Magazin durchnistert, und Vastola, die alles gleich verliehrt, so wie sie’s hat, nach neuen Wünschen lüstert, schwimmt unvermerkt die Barke fort, dubliert 10
ein Vorgebürg, und langt bey gutem Wind und Wetter vor Abend noch am schönsten Ufer an. Es schien im Abendroth ein Sitz der Frühlingsgötter, ein Zaubergrund, ein wahres Tinian; doch wie sie’s in der Nähe sahn, da war’s ein einsam Thal, von Hügeln eingeschlossen, mit Wäldchen hier und da und Büschen untermischt, wo Bäche unter Rosen flossen, und ungestört im Gras die Sommergrille zischt. Hier, spricht die Dame, laß uns länden,
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der Ort gefällt mir; doch, um leidlich da zu seyn, mein guter Freund, fehlt, wie du siehst, allein, die Feen n o c h um einen Wunsch zu pfänden. H a ! i c h v e r s t e h e u c h — m e i n e r Tr e u , d e r Wu n s c h i s t g u t — i c h b i n d a b e y ! daß alle Zweige hier, sobald wir es verlangen voll Brezeln und voll Leberwürsten hangen ? Das wäre drollig ! Meynt ihr nicht ? Still, Dumkopf! Muß ich denn mich deiner ewig schämen! ruft Va s t o l a mit glühendem Gesicht.
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Laß, eh die Feen dir die Gabe wiedernehmen, die du so schlecht verwaltest, mich in Wünschen deinen Platz vertreten;
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Begnüge dich mir nachzubeten: Das Schiff verwandle — hörst du? Sprich mir jede Sylbe nach! — Das Schiff verwandle sich flugs in das schönste Schloß, das Augen sehen mögen! Es sey mit Pracht und Eleganz möbliert, die Decken und die Fensterbögen mit Stuckadur und Mahlerey geziert, die Zimmer reich vergoldet und lackiert; nichts fehle drinn, Gemählde, Marmorköpfe,
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Bildsäulen, Basreliefs, Dreyfüß’, Etrur’sche Töpfe, Japanisches Geschirr, kurz, nichts was sich gebührt daß unser eines für möbliert sich halten kann; und weils nur wünschen gilt, so ziehe sich rings ums Schloß ein Garten her, noch schöner als der beste im Homer, wo alles ewig grün’ und blühe, und dufte wie ein Balsam-Meer! Auch wünsch ich mir im dunkelsten der Büsche ein Marmorbad, so schön, daß Venus selber gleich
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darinn sich baden möcht’, und einen Schwanenteich, und einen Schmerlenbach, der sanft durch Blumen zische, und einen Hühnerhof, und eine Meyerey, und hübsches Schäfervolk dieß alles zu verwalten, und Jungfern, wie aus Leda’s Ey gekrochen, und Lakayn, und — kurz, was Hof zu halten erfodert wird — He ! ists noch nicht vorbey ? d i e F e e n k ö n n e n’ s j a n i c h t a l l i m K o p f b e h a l t e n : Ihr wollt auch gar zu viel auf einmal !
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Aber, eh Pervonte noch das letzte Wort vollendet, hebt ein Palast vor ihm sich luftig in die Höh, woran die Feerey all ihre Kunst verschwendet. Selbst die Princessin steht von seinem Glanz verblendet;
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der zu Tarent, den sie zum Muster nahm, war nur ein Bürgerhaus dagegen. Pervonte starrt und gafft. Nun seh ich, spricht Madam, nichts, was ich wünschen kann, geht über dein Vermögen. Sie tritt hinein, die Kinder an der Hand, und auf der Treppe schon schallt ihr Musik entgegen; doch was Pervont bey diesem neuen Seegen am schönsten fand, war, daß für Viere schon gedeckt die Tafel stand. 10
Sie setzten sich; er aß bis ihm das Athemholen beschwerlich ward, und schien von all dem Glanz, und von dem neuen Tag, den hundert Girandolen durch zwanzig Zimmer strahlten, ganz verblüft und außer sich. Oft lacht’ er überlaut vor Freuden, rief: die Feen sollen leben, ließ noch ein Glas sich auf ihr Wohlseyn geben, und that beym Nachtisch schon so heimlich und vertraut mit seiner präsumtiven Braut, daß Vastola, vor seiner plumpen Hände
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zu ausdrucksvoller Zärtlichkeit, den Sessel nach und nach bis an des Tisches Ende zu rücken nöthig fand. — Und gleichwohl war es Zeit sich selber zu gestehn, was alle Sprödigkeit und aller Stolz der Welt ihr nicht verbergen konnte. Des Lustspiels Ausgang war zu klar! So plump, so ungestalt Pervonte, so dick sein Kopf, so roth sein struppicht Haar, so Eseltreiberhaft sein breiter Rücken war, was half ihr das? Die Zwillinge, die Tonne
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entschieden ein für allemal ihr Schicksal! Kurz, entweder eine Nonne, wo nicht, Pervonten zum Gemahl. Nun, freylich eine Morgengabe, wie er zu geben hat, erleichtert sehr die Wahl. Allein, dann wieder — ein Gemahl
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wie E r , für Va s t o l a ? — Ein Rabe am Wagen Cypriens gespannt zu einem Schwan? Es war zu arg! es gieng unmöglich an! P e r v o n t e , spricht zuletzt die Dame, deine Feen sind sehr gefällig; aber doch, mein guter Freund, fehlt, däucht mich, etwas noch. Du hast wohl nie im Spiegel dich gesehen? Da, schau hinein, und sey so billig zu gestehen, wofern sie dich von Fuß auf um und um verwandelten, du würdest nichts verliehren?
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Ve r w a n d e l n ? M i c h ? v e r w a n d e l n ? U n d w a r u m ? „Um schön zu seyn —“ M e i n f e i n e s L i e b , d a r u m , d a s g l a u b t m i r , m ö c h t’ i c h e u c h n i c h t e i n e n F i n g e r r ü h r e n . Ich war mir selber immer recht, so wie ich bin. — Doch, wenn euch ein Gefallen damit geschieht, meinthalben ! Laßt, vom Ballen zum Schopf, mich seyn wie ihr mich haben möcht ! Nicht gar zu schön ist oft nur desto besser, denkt Va s t o l a : Sey immer ein Adon, nur muskelhaft dabey wie M i l o v o n K r o t o n ;
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nicht allzuschlanck; zween Daume höchstens größer als ich — kurz minder zart als derb und ritterlich, so bist du schön genug für mich! Daß Va s t o l a nicht laut so offenherzig dachte versteht sich. Rathet nun, was sie für Augen machte, da sie von Wort zu Wort Pervonten, wie sie sich ihn in Gedanken ausgeschnitten, leibhaftig vor sich sah; so ganz aus Einem Guß, ein Ideal, vollkommen in der Mitten vom H e r k u l e s und vom A n t i n o u s ! Ein lauter Schrey entfuhr ihr, von den Feen
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bey Wünschen, deren sie sich selber kaum bewußt zu seyn geglaubt, sich so ertappt zu sehen. Sie wurde roth bis an die Brust, sah hin und her, unruhig und verlegen, und hätte gern ein wenig trotzen mögen. Allein der Undank schrie zu laut. Das Beste war, in seiner neuen Haut den jungen Herrn stillschweigend anzunehmen, und sich der Mildigkeit der Götter nicht zu schämen. 10
Wir wollens nur gestehn, (bedungen, daß ihr guter Nahme nicht drunter leiden soll) die liebe Dame schien in der Dankbarkeit beynah zu weit zu gehn. Drey Tage lang, und, wie wir schier besorgen, die Nächte noch dazu, vom frühsten Sommer-Morgen — (daß Feerey dabey im Spiele war, ist sonnenklar!) Drey Tage, wie gesagt, vom Morgen bis in die Nacht, war alle ihre Zeit
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dem holden Korydon geweyht. Sie trug ihn, wie ein Kind die neubescheerte Puppe, in ihrem neuen Eigenthum, von Plaz zu Plaz wie im Triumph herum. Wohin man sah, stand die verliebte Gruppe, strich Arm in Arm durchs Grüne, oder saß in Lauben, oder lag beysammen tief im Gras, mit Küssen nur den Fluß der Stunden messend, sich selbst genug, sonst alles rein vergessend. Pervonte, der nunmehr d e r P r i n z P e r v o n t e hieß,
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war übrigens so dumm geblieben, als wie er war, eh ihn zum Amadis die Feen umgeschmelzt. Für seine Art zu lieben schien in gewissem Sinn
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der Schade klein dabey, beträchtlich der Gewinn. Hätt’ er ihr etwa baß mit Witz die Zeit vertrieben? Was uns in dieser Meynung stärkt, ist, daß acht Tage voll verflossen, eh Va s t o l a den Mangel nur bemerkt. Sie hatte während dem viel Einerley genossen; die Spitze der Begier erstumpft sich im Genuß, dies bringt Ersättigung, und dann folgt Überdruß; kurz, Amors Köcher war verschossen. Ein Herkules, der ruhen muß,
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giebt wenig Trost; und ein Antinous der nur die Zähne weißt, ist, jenen abzulösen, nicht das geschickteste der Wesen. Izt endlich merckt die Dame, wo es fehlt. I c h d ä c h t e , spricht sie einst zu ihrem Cicisbeen, ich dächte, Freund, es wäre Zeit, die Feen um etwas anzugehn, woran dirs stark gebricht. „Was wäre das? —“ Ve r s t a n d ! E i n w e n i g m e h r G e h i r n e Pervonte, sollte, dächt ich, nicht
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so übel gehn zu dieser schönen Stirne ? „Ein toller Wunsch! versetzt der Haubenstock, ich glaube gar, verzeyh mir meine Sünden! ihr haltet mich für einen Sägeblock? Warum nicht gar Verstand! was gilt davon das Schock? Ich hatte stets genug um meinen Mund zu finden, und, wie ihr wißt —“ S t i l l ! ruft Sie, S t i l l ! und hält, aus Furcht was Albernes zu hören, die Hand ihm vor den Mund; F r e u n d , d i e s e Wa a r e f ä l l t nicht ins Gewicht ; du kannst die Dose zehnfach mehren ; je mehr du hast, je leichter trägst du dran. „Nun gut, mein Schatz! ich lasse mich belehren. Wa s soll ich wünschen? Gebt mirs an!“
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N i c h t s a l s Ve r s t a n d , Ve r s t a n d u m z u v e r s t e h e n ; D i e s e i n z g e Wo r t s a g t a l l e s . „Nun wohlan, s o g e b t m i r d a n n Ve r s t a n d , i h r l i e b e n F e e n , und zwar vom guten ! Denn es heißt, es sey nicht alles Gold, was gleißt.“ Auch diesesmal erhörten ihn die Feen, und mehr als Vastola vermuthlich gerne sah. 10
Princeßin, spricht P e r v o n t , wir haben der Wünsche nun genug. Der Feen Gütigkeit ist groß; doch immer neue Gaben erpressen, wäre Geiz und Unbescheidenheit. Laß durch Genuß uns nun verdienen, was wir haben! Uns lieben, Vastola, und alles um uns her mit unserm Glück erfreuen und beleben, sey unser Loos! Was könnten wir noch mehr uns wünschen, oder was die Feen mehr uns geben? (Die Fortsetzung künftig.)
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Kunstsachen. Unsere Leser erinnern sich vielleicht, daß wir Ihnen bey der ersten Anzeige der teutschen Ausgabe von D . F ö r s t e r s R e i s e u m d i e We l t (No. 6. S. 294.) zugleich angekündigt haben, daß die Verleger dieses Werkes willens seyen, die sämtlichen Kupfer, welche die Englische Admiralität zu dieser zweyten unter Anführung des Cap. C o o k unternommenen Reise um die Welt stechen lassen, von dem berühmten Berlinischen Künstler Herrn D a n i e l B e r g e r getreulich den Englischen Originalen nachgestochen, und unter seiner Aufsicht abgedruckt, besonders zu liefern, in so fern sich eine genugsame Anzahl Interessenten dazu finden würden. Da wir gegenwärtig ein Exemplar des Eng-
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lischen Originals, von den besten Abdrücken, vor uns haben: so sehen wir uns im Stande, und glauben unsern Lesern dadurch einen nicht unangenehmen Dienst zu thun, von dem Inhalt und der Beschaffenheit dieses Kupferwerkes einige nähere Nachricht zu geben. Es besteht solches aus 37 größern und kleinern Platten, welche, nach den Originalzeichnungen des Mahlers, W i l l h e l m H o d g e s (der bekanntermaßen diese Reise um die Welt mit gemacht) von verschiednen Meistern, nemlich dem Herrn P o u n c y , L e r p e r n i e r e , M i c h e l , Wa l l s , H a l l , S h e r w i n , C a l d w a l l , B y r n e , Wo o l l e t , B a r t o l o z z i , S m i t h , B a s i r e , und Te l l i a m e d , gestochen worden; und zwar (bey so verschiednen dazu gebrauchten
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Händen) nicht von gleicher Güte, doch zum Theil sehr schön, und mit großem Verständnis des Effects gearbeitet sind. Das, was sie vorstellen, sind theils Landschaften aus den neuentdeckten Ländern, theils Gesichtsbildungen, Trachten und Kunstwerke der Einwohner, theils Begebenheiten, die sich auf gewisse Stellen der Geschichtserzählung dieser Reise beziehen. Wir werden sie aber nicht nach diesen drey Rubriken, sondern in der Ordnung anzeigen, wie sie in dem vor uns liegenden Hefte auf einander folgen. No. 1. Ein Seeprospect auf einige von den Eisinseln, welche Herr Cook über den 50 Grad Südlicher Breite angetroffen. Vorzüglich schön gearbeitet. 2. Die F a m i l i e , welche unsre Seefahrer in der N e u s e e l ä n d i s c h e n D u s k y b a y kennen lernten, und deren sich die Leser aus unserm Auszuge
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(No. 8. S. 157. 58.) erinnern können. Es ist ein stehender Mann, auf eine Art von Keule gestützt, und zwoo Frauenspersonen; die eine mit einem langen Speer in der Hand neben ihm stehend; die andre, nach Art der Wilden, auf dem Boden huckend, mit einem Kind auf dem Rücken, wovon bloß der krauslockichte Hinterkopf aus ihrem Mantel hervorguckt. Diese Figuren entsprechen der Beschreibung ganz wohl, die Herr Forster an angezognem Orte von den Originalen macht. 3. 4. Z w e e n K ö p f e , wovon der erste einen andern Neuseeländischen Mann, den sie auf ihrer Rückreise von den Societäts Inseln nach Charlotten10
Sund kennen gelernt, und der andere eine Neuseeländische Schöne, vorstellt. Beyde, dem Ansehen nach sehr charakteristisch, und nicht ungeschickt, die Meynung zu bekräftigen, daß in dieser Nation eine Naturanlage sey, die durch die Ausbildung viel gewinnen würde. 5. D i e I n s e l O - Ta h i t i , wie sie sich von der Südostseite in einer gewissen Entfernung vom Lande dem Mahler darstellte, nebst verschiednen Fahrzeugen der Einwohner etc. Diesem folgen einige Brustbildnisse verschiedener von den merkwürdigsten Personen, welche unsre Seefahrer in O - Ta h i t i , und R a j e t e a , einer andern von den Societätsinseln, kennen gelernt; und zwar
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6. O t o o ( O - Tu ) König von dem größern Theil der Insel O-Tahiti. Er war (sagt Herr F ö r s t e r ) der größte Mann auf der Insel; denn er maß völlige 6 Fuß, 3 Zoll. Er hatte starke, wohlproportionierte Gliedmaßen, und war im Ganzen eine schöne Figur. Ohngeachtet sich etwas Finstres und vielleicht Schüchternes in seinem Ansehen fand: so leuchteten doch Majestät und Verstand daraus hervor; auch fehlte es seinen lebhaften schwarzen Augen gar nicht an Ausdruck. Er hatte einen starken Knebelbart, der gleich dem Unterbart und dem starken lockichten Haupthaar pechschwarz war. „Das Bild entspricht dieser Beschreibung sehr wohl. Die Art, wie sein Haupthaar gewachsen ist, welches einer überall gleich dickgekräuselten Perüke ziemlich ähnlich
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ist, hatte er mit seiner ganzen Familie gemein.“ 7. Te i n a i - M a i , eine junge Frauensperson von Stande aus der Insel O - R a j e t e a , * ) deren erste Bekanntschaft unsre Reisenden bey Gelegenheit eines *)
In der Hawkesworthischen Beschreibung von Cooks erster Reise wird sie unrichtig U l i e -
t e a genennt.
K u n s t s a c h e n ¼Kupfer zu Forsters Reisen½
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H i w a , oder Ballets machten, welches ihnen O r e a , Befehlshaber über einen Distrikt dieser Insel, gab, und wovon die schöne Tochter dieses Mannes, und eben diese Teinai-Mai die Tänzerinnen waren. Sie war eine lange wohlgebildete Frau, von vorzüglich schönem Gesicht und Farbe. Herr Hodges zeichnete sie bey einem Besuch, den U - r u h , König von Rajetea, bey Herrn Cook abstattete, wo sie sich unter den Frauenzimmern seines Gefolges befand. „Ihr langes unverschnittnes Haar, (sagt Herr F . ) war mit einem schmalen Streiff weissen Zeuges nachläßig durchflochten, und fiel in natürliche Locken, schöner als die Fantasie eines Mahlers solche je geformt hat. Ihre Augen blickten voll Feuers und Ausdrucks aus dem rundlichen Gesicht hervor, über welches
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ein angenehmes Lächeln verbreitet war. Herr Hodges suchte sie abzuzeichnen, ihre Lebhaftigkeit und Flüchtigkeit aber machten’s ihm sehr schwer, ja schier ohnmöglich. Es ist also kein Wunder, daß es ihm mit diesem Bildnis nicht so gut als sonst geglückt hat. So meisterhaft dasselbe auch von Herrn Sherwin in Kupfer gestochen ist: so bleibt es dennoch unendlich unter der Delicatesse des reitzenden Originals.“ — dieß ist allerdings um so mehr zu beklagen, da dieses Bild das einzige ist, das uns Herr Hodges von den vielen in der Reisebeschreibung angepriesenen Tahitischen und Rajeteischen Schönheiten geliefert hat. „Indessen (setzt Herr F. hinzu) könne man es doch als eine Probe von der gewöhnlichen Gesichtsbildung dieser Insulaner gelten las-
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sen, und nach demselben sich einen ziemlich richtigen Begriff von einem zehnjährigen Tahitischen Knaben machen.“ — Wenn man das offenbar verfehlte im B l i c k d e r A u g e n , und im U m r i ß des Gesichts, in Gedanken nach der Forsterischen Beschreibung verbessert, und sich das ü b e r d a s g a n z e G e s i c h t a u s g e g o s s n e L ä c h e l n hinzudenkt, so könnt’ es der Kopf einer Grazie seyn. Izt möcht’ es kein unfeines Modell zu einer jungen F a u n a abgeben. 8. P a t a t o w ( P o t a t a u ) ein Befehlshaber des Distrikts A t t a h u r u auf Groß-Tahiti, dessen in der ersten Reise des Cap. Cook (2. Band S. 169. der H a w k e s w . Geschichte) nicht zum Besten gedacht ist. Hr. Forster macht uns hingegen ein sehr edles Bild von ihm. P o t a t a u , sagt er, war Einer der grösten Männer, die wir auf der Insel gesehen hatten, dabey so stark von Gliedern, daß sein Schenkel völlig so dick war, als unser stärkster Matrose im Leibe. Dabey waren seine Gesichtszüge so voller Sanftmuth, Schönheit und Majestät, daß Hr. Hodges sich gleich daran machte, nach ihm, als einem der edelsten Mo-
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delle in der Natur, zu zeichnen. — In der That däucht uns der Kopf, den wir hier vor uns haben, ein Patriarchen-Kopf, der der schönsten Raphaelschen Komposition Ehre machen würde — und doch scheint er unter Hrn. Hodges Händen eher verlohren als gewonnen zu haben. 9. O - H e d i d e e , O h e d i d i auch M a h e i n e genannt, „ein O-Pureischer schöner Jüngling von ungefehr 17 Jahren, seiner Farbe und Kleidung nach von guter Herkunft, und dem zufolge, was er nachmals von sich selbst erzählte, ein Verwandter des Königs von Borabora, O-Puni, der sich vor kurzem die Inseln Taha und Rajetea unterwürfig gemacht hatte.“ Dieser junge Mensch 10
war durch nichts abzuhalten, den Cap. Cook auf seiner fernern Reise zu begleiten, und er gab auf dieser Reise mancherley Proben der feinesten Sinnesart und des edelsten Herzens. Wir behalten uns vor, unsre Leser in dem Verfolg unsrer Auszüge aus der Forsterschen Reisegeschichte bekannter mit ihm zu machen. In dem Bildnis, das uns Hr. Hodges von diesem edeln, zarten Jüngling gegeben, finde ich eine Reinheit der Form, eine Offenheit und Empfänglichkeit des Sinnes, und einen Ausdruck von Gutherzigkeit und Wahrheit, die beym ersten Blick für ihn einnehmen. 10. O - M a i , ein andrer iunger Mensch aus Tahiti, von der niedrigsten Classe, aber seinem Herzen nach von der besten Menschenart. Er drang sich dem
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Cap. Cook auf, die Reise nach England mit ihm zu machen, wo er sich bekanntermaassen etliche Jahre aufgehalten hat, und ist nun auf Cap. Cooks dritter Reise wieder in sein Vaterland zurückgeführt worden. Wir werden anderswo Gelegenheit haben, mehr von ihm zu reden. Forster versichert, daß ihnen auf allen Societätsinseln wenig Gesichter vorgekommen, die nicht schöner gebildet gewesen als das seinige. „Dem ungeachtet hatte er ein gefühlvolles Herz, und einen offnen Kopf, der bald etwas begriff; war dankbar, mitleidig, lebhaft, aber auch flüchtig.“ — Sein Bildnis scheint all dieses zu bestättigen. Man kann ihn nicht ansehen, ohne sich auf sein ganzes Leben einen solchen Menschen — zum Bedienten zu wünschen.
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11. D i e F l o t t e v o n Ta h i t i , zu Oparee versammelt — ein ziemlich gleichgültiges Stück, da die Gestalt der Tahitischen Fahrzeuge schon bekannt genug ist. 12. E i n Tu p a p a u , oder Begräbnißgerüste, mit der Vorstellung des vornehmsten Trauermanns in seinem Ceremonien-Habit. 13. F a h r z e u g e aus den f r e u n d s c h a f t l i c h e n I n s e l n , E a - U w h e ,
K u n s t s a c h e n ¼Kupfer zu Forsters Reisen½
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und To n g a - Ta b u , ehemals von Ta s m a n , der sie im Jahr 1643. entdeckte, Middelburg und Amsterdam genannt. 14. L a n d u n g auf der freundschaftlichen Insel M i d d e l b u r g . Eine feine Composition, in L e B r ü n s Geschmack, aber zum Unglück ein blosses Spielwerk der Imagination und Kunst des Hrn. Hodges, ohne alle Treue und Wahrheit — wie beym ersten Anblick jedem in die Augen fällt. „Der Vorwurf (sagt Hr. F.) den man denen zu Cap. Cooks erster Reise gestochnen Kupfern, mit Recht gemacht hat, daß sie, statt I n d i a n i s c h e r Gestalten, nur schöne Figuren vorstellten, die, sowol der Form als Drapperie nach, im Geschmack der Antiken gezeichnet wären: eben dieser Vorwurf trift auch diese Kupfertafel. Ja
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man sollte fast glauben, Hr. Hodges habe seine nach der Natur gemachte Original-Skizze verlohren, und hernach eine bloß idealische Zeichnung aus seiner Fantasie entworfen. Denn Kenner finden in dieser Platte G r i e c h i s c h e C o n t o u r e u n d F o r m e n , dergleichen es in der Südsee nie gegeben hat, und bewundern ein schönes fliessendes Gewand, das Kopf und Körper bedeckt, da doch in dieser Insel die Frauensleute Schultern und Brust fast niemals bedecken. Die Figur eines alten ehrwürdigen Mannes mit einem langen weissen Barte ist sehr schön; nur gehörte sie nicht nach Ea-Uwhe, wo die Männer den Bart nicht wachsen lassen, sondern ihn mit Muschelschalen kurz zwicken.“ —
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15. O t a g o , oder A t t a h a ( A t t a g h a ) wie ihn Hr. F. nennt, ein Mann von Ansehn aus der freundschaftlichen Insel To n g a - Ta b u — das einzige wahre Bildnis, das uns einigen anschauenden Begriff von diesem Volke geben kann, dem Hr. F. so viele Vorzüge vor dem von Tahiti beylegt. Ungeachtet der Schwierigkeit, diesen Indianer eine kurze Zeit zum Stillsitzen zu bringen, gerieth doch (wie F. versichert) die Zeichnung sehr gut. Hr. Hodges hat die Stellung gewählt, da Attaha einen eisernen Nagel, den man ihn geschenkt, zum Zeichen der Danksagung über den Kopf empor hält. — Hätte uns doch dieser geschickte Mahler, statt jenes leidigen historisch seyn-sollenden Lügenwerks, das so ganz und gar keinen Werth noch Nutzen hat, mehr solche Abbildungen einzelner Personen eines so liebenswürdigen Volkes gegeben! 16. E i n B e g r ä b n i s - P l a t z in der Insel To n g a - Ta b u . Eines der angenehmsten und sonderbarsten Landschaftsstücke in dieser Sammlung. 17. E i n e G e g e n d der Insel R o t t e r d a m , oder A n a m o k a . 18. A l t e M o n u m e n t e oder Ruinen aus der O s t e r - I n s e l , deren es aus-
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serordentlich viele auf dieser Insel giebt. Sie scheinen einen ehmals ungleich blühendern Zustand dieser Insel zu beweisen, welche vermuthlich durch Erdbeben und Vulkanische Ausbrüche zu ihrem gegenwärtigen entvölkerten und elenden Zustand herabgekommen ist. 19. 20. Eine We i b s - und M a n n s - P e r s o n aus der O s t e r - I n s e l . Traurige Geschöpfe! 21. Die R e s o l u t i o n - B a y in M a r q u e s a s . 22. Eine We i b s p e r s o n aus der Insel S t . C h r i s t i n a . 23. D a s O b e r h a u p t d i e s e r I n s e l — eine Figur, die in einer Masque10
rade nicht übel paradieren würde. 24. Ein M a n n aus der Insel M a l l i c o l o . Eine fürchterliche Art menschlicher Affen. 25. L a n d u n g z u M a l l i c o l o , einer der N e u e n H e b r i d e n . 26. L a n d u n g auf Ta n n a , einer andern Insel von den N e u e n H e b r i d e n . Dem Ansehen nach eine sehr idealisierte und a n t i q u i r t e Komposition. 27. 28. M a n n und We i b a u s d i e s e r I n s e l . 29. E i n e G e g e n d d e r s e l b e n . Ein schönes Landschaftsstück von Wo o l let.
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30. L a n d u n g auf einer andern der Neuen Hebriden, E r r a m a n g a genannt. Wieder feine Gruppen und Stellungen von — A t h l e t e n und G l a d i a toren. 31. E i n e G e g e n d aus N e u - C a l e d o n i e n . 32. 33. Eine M a n n s - und We i b s p e r s o n aus N e u C a l e d o n i e n . Eine bessere Menschenart! das Weibsbild, dem Ansehen nach, ein gutherziges, großgewachsnes Kind; nicht erdrückt, aber noch ganz unentwickelt; bloßer dumpfer Sinn. 34. E i n e G e g e n d aus der Insel P i n e s . 35. P o s s e s s i o n - B a y in S ü d - G e o r g i e n .
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36. C h r i s t m a s - S o u n d in Te r r a d e l F u e g o . 37. Ein (wie es scheint) auf der untersten Stufe der Entwickelung stehender, oder vielmehr i n d e r K n o s p e e r f r o r n e r E i n w o h n e r dieses für menschliche Bewohner so wenig gemachten Landes. 38. Das Bildnis des Capitain C o o k s — ein Meisterstück — der Natur — des Mahlers — und des Kupferstechers — und eines der stärksten unzweydeutig-
K u n s t s a c h e n ¼Kupfer zu Forsters Reisen½
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sten Zeugnisse für die Realität der Physiognomik, die uns jemals vor Augen gekommen sind. Wir haben von allen den Stücken von Nr. 21. bis 37. nicht viel mehr als die blosse Unterschrift der Kupfertafeln hersetzen können, weil der 2te Band der Forsterischen Reisebeschreibung, der die Aufschlüsse dazu enthält, noch nicht in unsern Händen ist. * * * Dieses sind also die Kupfer, wovon die Herren H a u d e u n d S p e n e r in B e r l i n dem teutschen Publiko einen N a c h s t i c h anbieten, für dessen Richtigkeit und Schönheit uns der Ruhm eines so geschickten Künstlers, wie Hr.
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Daniel Berger, hinlängliche Bürgschaft leistet. Man a b o n n i e r t sich zu diesem Werk mittelst Vorschuß e i n e s S p e c i e s d u c a t e n . Die ganze Sammlung soll in drey Lieferungen, von 6 Monat zu 6 Monat, ausgegeben werden; und bey Empfang der letzten zahlen die Interessenten einen Speciesdukaten nach. Das Werk ist so interessant und der Preis so gering, daß wir kaum zweifeln können, daß es die erfoderliche Unterstützung finden werde. Hier in Weimar kan man sich noch bis Ende dieses Jahres bey Hrn. Hofbuchhändler H o f f m a n n oder (wem es gelegner seyn sollte) auch bey dem Herausgeber des T. Merkurs auf dieses Kupferwerk abonniren. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1778)
Da diesesmal verschiedene Artikel, die nicht wohl zurückgesetzt werden konnten, ungeachtet der größte Theil dieses Stücks mit kleinen Lettern abgesetzt worden, keinen Raum für B ü c h e r a n z e i g e n übriggelassen: so soll dieser Abgang im künftigen Monat desto reichlicher ersetzt werden.
¼Redaktionelle Nachricht zur Rubrik: Bücheranzeigen½
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Der Teutsche Merkur. December 1778.
Die Abgötterey unsers Philosophischen Jahrhunderts. Erster A b g o t t . E w i g e r F r i e d e . M a n n h e i m , bey C. F. S c h w a n . 1779. 8. 204 Seiten. Eines der würcksamsten Mittel, wodurch die Masse der Warheiten und Irrthümer, die dem menschlichen Verstand zu seinen Antheil hienieden zugefallen sind, in einigem Gleichgewicht erhalten werden, ist unstreitig dieses: daß, wenn die Menge in einem gewissen Zeitpunct von dem Strom irgend einer Meynung, es sey nun mißverstandne Wahrheit oder zufälliger Irthum, sich dahinreissen läßt; immer jemand sich findet, der sie durch muthige Behauptung der entgegenstehenden Meynung vom Strande wegboogsiret, gegen
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den sie in Gefahr waren anzulauffen. Gemeiniglich wird auf beyden Seiten der Sache zuviel gethan, und die Wahrheit lieget zwischen den beyden Extremen in der Mitte; aber eben dadurch, daß der eine behauptet, die Verfeinerung (zum Beyspiel) sey ein Gut, und der andere sie sey ein Übel, findet sichs am Ende, daß sie weder das eine noch das andere, sondern (wie alle menschlichen Dinge) eine Mixtur von beyden ist; und so passieren wir zwischen den beyden entgegengesezten Meinungen, die Diagonal-Linie, und treffen auf die Wahrheit. Der sinnreiche Verfasser dieser Schrift scheint, nach dem Titel zu schliessen, sich vorgesezt zu haben, die Götzenaltäre der Modephilosophie unserer Zeit der Reihe nach, umzustürzen; eine Bilderstürmerey, die allem Ansehen
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nach, für Staat und Kirche sehr unschädlich ablauffen wird, und deren verschiedenen Auftritten wir also geruhig zusehen können. Der Anfang wird hier mit dem E w i g e n F r i e d e n gemacht, der, so schimärisch er auch immer seyn mag, doch von jeher der e w i g e Wu n s c h des Menschengeschlechts gewesen ist. Der Verfasser behauptet im 1ten Abschnit seines Buchs: daß der Entwurf des guten Abbe` de St. Pierre nicht practicabel sey; und darinn ist wohl, zwey oder drey ausgenommen, jedermann seiner Meynung; im zweyten: der Entwurf des ewigen Friedens, wenn er auch m ö g l i c h wäre, d ü r f t e n i c h t ausgeführet werden, weil ewiger Friede die Menschen äusserst elend machen würde: und wie er dies beweise, werden wohl viele zu sehen neugierig seyn. Er hätte hiezu keinen schicklichern Zeitpunct wählen können, als gerade den, da Europa unter der Gefahr eines allgemeinen Krieges banget, und die
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Januar 1779)
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Länder, wo er bereits ausgebrochen ist, nach Frieden, wie ein dürres Land nach Regen, schmachten. Ein Buch, worinn paradoxe Wahrheiten mit Wiz, Belesenheit und Wohlredenheit behauptet werden, bedarf keiner Anpreisung. Zu Prüfung einiger darin behaupteter Sätze finden wir vielleicht im künftigen Jahre Muße. Übrigens zeigen wir an, daß der Hr. Verleger bereits auch eine avthentische Französische Übersetzung dieses Buchs zum Gebrauch der Ausländer und der Teutschen die nicht gerne teutsch lesen, veranstaltet hat. W.
¼Rezension: Embser½ D i e A b g ö t t e r e y ¼…½. E r s t e r A b g o t t
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Der Herausgeber an die Leser. Ich hoffe von allen billig denkenden nicht nur entschuldigt, sondern auch gebilligt zu werden, wenn ich das Bildnis des Ritters Franz von Sickingen (wiewohl es, was Arbeit und Abdruck betrift, vielleicht das beste unter allen ist) das lezte seyn lasse, und damit meiner K u p f e r l i e f e r u n g , unde laboris plus haurire mali est, quam ex re decerpere fructus, ein Ende mache. Was die Abonnenten etwa darunter verliehren möchten, soll Ihnen auf andere, den Meisten vielleicht angenehmere Art, ersezt werden. Eine historische Nachricht von diesem berühmten Ritter, soll in bevorstehendem Jenner 1779. folgen; wenn anders der sehr beschäftigte Gelehrte, der
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solche auszuarbeiten übernommen, Wort halten kann. Wäre die ausführliche Geschichte desselben aus Archiv und Familien-Urkunden, wozu uns Hr. Kirchenrath Wund in Heidelberg Hofnung gemacht, schon erschienen: so hätte es dieser Interims-Arbeit nicht bedurft. Der Mangel an Raum, gestattet mir dermalen nichts hinzuzusetzen, als daß ich zu gut fühle, was ich dem Publiko und mir selbst schuldig bin, um eines andern Antriebs nöthig zu haben, die Fortsetzung des T. Merkurs des Beyfalls, womit ihn das Publikum bereits sechs Jahre lang begünstigt hat, so würdig zu erhalten, als es mir und meinen Gehülfen möglich ist. Vos valete et res vestras agite feliciter.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Januar 1779)
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Erstes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Januar 1779.
Jeder Leser, der dieses Journal monatlich franco erhalten will, kann sich, nach Gelegenheit der Lage seines Aufenthalts entweder unmittelbar oder vermittelst des P o s t a m t s s e i n e s O r t e s , bey den Oberpostämtern zu E r f u r t , Leipzig, Halle, Halberstadt, Magdeburg, Hannover, Minden, Aachen, Cöln, Frankfurt am Mayn, Nürnberg, Heilbronn, Ulm, S c h a f h a u s e n , u. s. w. a b o n n i r e n und mit den benöthigten Exemplarien versehen. Die Kayserl. Ober-Post-Amts-Zeitungs-Expedition zu E r f u r t besorgt die General-Spedition, und bey dieser belieben alle übrigen Postämter die Bestellungen zu machen.
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Für die Abonnenten in der Mark Brandenburg, Schlesien, Preußen, Pommern, Polen, Curland, Liefland und Rußland leistet das K ö n i g l i c h e H o f p o s t a m t z u B e r l i n die Hauptlieferung. Zu H a m b u r g , besorgt das K a y s e r l . p r i v i l e g i r t e A d d r e ß - u n d Z e i t u n g s - C o m t o i r das Abonnement für alle diejenigen, denen es, ihrer Lage nach, gelegen ist, sich an selbiges zu addreßiren. Der P r ä n u m e r a t i o n s - P r e i ß ist, bis an die Gränzen Teutschlands Franco geliefert, nicht mehr als e i n h a l b e r a l t . L u i s d o r . Wofür sich jeder Abonnent monatlich die richtigste Lieferung versprechen kann; hingegen aber auch sich nicht entgegen seyn lassen wird, sogleich b e y E m p f a n g d e s e r s t e n M o n a t s - S t ü c k s die Pränumeration zu erlegen. Vierteljährlich wird dieses Journal wie bisher in allen Buchläden zu haben seyn. Die Leser können mit jedem Monat im Jahr antreten, doch so, daß zugleich die bereits erschienenen Monate des Jahrganges mitgenommen werden.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Februar 1779)
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¼Auszug aus einem vertraulichen Schreiben, eines in Italien reisenden Mineralogen und Chemikers.* ) …½ *) Ich bin gewiß, durch die Mittheilung dieses Briefes, wenigstens
e i n e r Clas-
se der Leser des Merkurs, wiewohl nicht der zahlreichsten, Vergnügen zu machen — und für diese bedarf die kunstlose Nachläßigkeit des Styls keiner Entschuldigung. Die übrigen sind gewiß zu billig, als übel zu finden, daß wir, soviel möglich, für alle Arten von Liebhabern sorgen. 10
d. H.
¼Anmerkung: Merck½ A u s z u g a u s e i n e m v e r t r a u l i c h e n S c h r e i b e n
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In der F e l s e c k e r i s c h e n B u c h h a n d l u n g , F r a n k f u r t u n d L e i p z i g , erscheint mit Anfange dieses Jahres eine neue Monatsschrift, unter dem Titel: C h r o n o l o g e n , e i n P e r i o d i s c h e s We r k von We k h r l i n . Monatlich soll ein Stück von 8 Bogen in 8°. davon herauskommen. Der Verleger verlangt kein Abonnement, sondern nur, daß man wenigstens e i n g a n z e s Q u a r t a l bestehe, indem keine einzelne Stücke ausgegeben werden. Das Quartal soll 1 fl. 12 Kr. Convent. Geld kosten. Hr. We k h r l i n will unter diesem Titel liefern: „Denkwürdige Geschichtfälle mit einem Raisonnement begleitet: Historische Discurse: Rezensionen aus der neuesten Geschichte. etc. Dies ist mein Plan, sagt er: ich habe ihn bloß auf die Geschichte, und zwar, auf die neueste heutige litterarische und politische Geschichte gegründet.“ — Also, „V i e l G l ü c k u n d S e e g e n , u n z ä h l b a r i n S c h n u p f t u c h s H a g e l r e g e n ! “ Nur (um das Gegenkompliment mit gutem Gewissen zu verdienen) möchten wir dem Hrn. V. rathen, dem armen kleinen Hincketeufel, der ihm das Gespräch zwischen Ta c i t u s und M a g i s t e r S c h ö n f l e k aus dem Reich der Todten hinterbracht hat, je bälder je lieber den Abschied zu geben. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Februar 1779)
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Der Teutsche Merkur. Februar 1779.
¼Homers Odyssee, Vierzehnter Gesang. Übersetzt von Johann Heinrich Voß. …½
* * * Daß Herr Vo ß an einer Übersetzung der Odyssea arbeite, ist schon ziemlich lange bekannt. Da er dieses Werk nunmehr zu Ende gebracht, und eine Ausgabe desselben auf Pränumeration zu veranstalten gedenkt, so hat er sich der Gelegenheit des Merkurs bedienen wollen, dem Publiko wieder eine Probe davon vorzulegen. Wo die Arbeit selbst den Meister lobt, wie hier, bedarf es unsrer Anpreisung nicht; wir sind überzeugt, daß Männer von Geschmack,
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die den Homer in seiner eignen Sprache lesen, und also mit den Übersetzungen vergleichen können, (nach vorstehender Probe vom Ganzen zu urtheilen) nicht nur Homers Geist, und kräftigen Ausdruck, sondern, soweit als der Teutsche Hexameter dem Homerischen sich nähern kann, selbst den edlen, freyen, männlichen Gang seines Verses und die Musik seines Gesanges in dieser Vossischen Übersetzung wieder finden werden. Ohne gegen die verdienstvolle Arbeit unsers alten ehrwürdigen Freundes, deren Werth wir bey einer andern Gelegenheit anerkannt haben, ungerecht zu seyn, freuen wir uns, diesen U l y s s e s b o g e n nun auch von einem jüngern Mann gespannt zu sehen, und hoffen, daß die Folge ihn überzeugen wird, für den Ruhm keiner undankbaren Nation gearbeitet zu haben.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1779)
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Abgenöthigter Nachtrag zur Johann-Bunkliade. Als ich beym Beschluß meiner Auszüge aus J o h a n n B u n k e l s L e b e n u n d M e i n u n g e n , im Vorbeygehen sagte: „ich wisse wohl, was es sey, sich der Ungnade des Buchhändlers N i c o l a i auszusetzen — konnte mir zwar von der Broschüre, die er vor einigen Wochen wider mich herausgegeben, *) noch nichts bekannt seyn: ich konnte aber leicht voraussehen, daß e i n M a n n w i e E r die Freymüthigkeit, womit ich über seinen B u n c k e l , und nebenher auch über die Art und Weise, wie er solchen dem Teutschen Publiko aufzuhängen 10
gewust hat, in öffentlichem Druck gesagt, was Tausende in Zimmern, Buchläden und überall, wo zween Pränumeranten zusammentrafen, einander mündlich gesagt hatten — Daß er, sage ich, diese Freymüthigkeit als eine schwere Beleidigung aufnehmen, und aufs empfindlichste zu rächen suchen würde. Was ich vorher sah, ist nun erfolgt. Herr N i c o l a i hat seine Rache genommen, und (was bey einer so unheilbaren Sache, wie die seinige, eben so leicht vorauszusehen war) d i e R a c h e e i n e s Ve r z w e i f e l t e n . Denn was h a t er gethan, als d e n g a n z e n S t r e i t s t a n d ü b e r J o h a n n B u n k e l n (wenn anders über den Werth oder Unwerth eines solchen Buchs ein Streit unter ge-
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scheuten Leuten möglich ist,) z u v e r ä n d e r n , und, da er alle Hofnung seinen Bunkeln retten zu können, verlohren geben muß, den Spieß nun gegen *)
Sie besteht aus zween Bogen in 8vo, betittelt: E i n p a a r Wo r t e , b e t r e f f e n d J o h a n n
B u n k e l und C h r i s t o h (soll ohne Zweifel Christoph heissen) M a r t i n W i e l a n d , von F r i e d r i c h N i c o l a i . Berlin und Stettin. 1779. Ich würde dieses feine Geistesprodukt des Hrn. Friedrich Nicolai, um es zu seiner verdienten Ehre möglichst bekannt machen zu helfen, mit Vergnügen im T. M. haben abdrucken lassen, wenn Hr. N. nicht bereits rühmlichst dafür gesorgt hätte, daß es alle nur mögliche Publicität erhalte. Denn er versichert uns auf der andern Seite des Tittelblats, daß dieser Aufsatz auch in der a l l g e m e i n e n Te u t s c h e n B i b l i o t h e k , Anhang zum X V . b i s X X X V I . B a n d e , i n d e r e r s t e n A b t h e i l u n g zu finden sey; wohin ich also 30
diejenigen hiermit verwiesen haben will, welche besagten merkwürdigen Aufsatz etwa nicht als Broschüre habhaft worden sind; wiewohl es Hr. Nicolai, wie leicht zu erachten, an einer starken Auflage nicht wird haben fehlen lassen.
Abgenöthigter Nachtrag zur Johann-Bunkliade
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mich zu drehen, mir s c h l e c h t e L e i d e n s c h a f t e n und A b s i c h t e n Schuld zu geben, und, durch gehässige Gegenbeschuldigungen, die Verachtung des Publikums, wo möglich, von sich ab, und a u f m i c h zu wältzen? Was Herr N i c o l a i gegen meine Z e r g l i e d e r u n g und A u s z ü g e a n s i c h s e l b s t vorbringt, ist so, daß es keiner Antwort bedarf. Er fühlt selbst zu wohl, daß dies s e i n e s c h w a c h e S e i t e ist, und begnügt sich also, hinter dem Schilde der Monthly Reviewers hervor, so leise als möglich, ich weiß nicht was zu Vertheidigung des elenden Buches zu sagen, blos d a m i t e r e t w a s g e s a g t z u h a b e n s c h e i n e . Er läugnet, daß er es für ein vortrefliches Werk gegeben habe; und will uns weiß machen, die G u t h e r z i g k e i t , die in allen Blättern
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seines Bunkels athme, habe ihn (den g u t h e r z i g e n N i c o l a i — scilicet!) so eingenommen, daß er auf seine Fehler nicht geachtet habe. Er stellt sich: als ob ihm das allgemeine Mißvergnügen der Pränumeranten verborgen wäre; als ob ich der Einzige sey, dem sein Bunkel nicht gefallen habe, u n d a l s o b d a s e i n Wu n d e r s e y , d a s s i c h u n m ö g l i c h e r k l ä r e n l a s se, wenn man nicht voraussetze, daß Zorn und Rachgier gegen i h n , (den Pflegvater des mißgeschaffnen Mondkalbs) m i r n i c h t g e s t a t t e t h ä t t e n , d e n Ve r d i e n s t e n d e s s e l b e n G e r e c h t i g k e i t w i e d e r f a h r e n z u l a s s e n . Glaub’ ihm das, wer Lust hat! Aber Wer wirds ihm glauben? B u n k e l ist ja, Dank sey den v o r s i c h t i g e n Maasregeln welche Hr. Nicolai
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genommen! in mehr als siebenhundert Häusern anzutreffen. Der T . M e r k u r auch. Es sind also Leute genug da, die mit ihren eignen Augen sehen können; oder vielmehr, d i e b e r e i t s g e s e h e n h a b e n , w a s z u s e h e n w a r . Die Art, wie m e i n e A u s z ü g e aufgenommen worden, ist mir Bürge dafür, das Publikum sey überzeugt, daß ich B u n k e l n kein Unrecht gethan. Keinem Menschen (ausser Hrn. N i c o l a i ) ists z w e i f e l h a f t vorgekommen, o b i c h i n g u t e r o d e r b ö s e r L a u n e gewesen, da ich die Anti-Bunkels (wie ich sie itzt Kürze halber nennen will) geschrieben. Im Gegentheil, die gute Laune, worinn sie geschrieben sind, hat sich auch den Lesern mitgetheilt; und beynahe hätte man um der Auszüge willen, dem Herrn N i c o l a i das unausstehliche Buch vergeben, das sie veranlaßte. Wer wird nun, gegen das Zeugniß seines eignen Bewußtseyns und Gefühls, e i n e m M e n s c h e n , d e r s o o f f e n b a r a l l e s R e c h t i n S a c h e n J o h a n n B u n k e l s u n d K o n s o r t e n (die so sehr seine eigne ist) z u s t i m m e n u n d z u u r t h e l n v e r l o h r e n h a t , a u f s e i n Wo r t g l a u b e n : daß meine Behandlung seines Bunkels „eine p l u m p e
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1779)
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Ve r u n s t a l t u n g sey“ — daß ich mit diesem treflichen Werke umgegangen sey, „ w i e e i n S c h l a c h t e r m i t e i n e m S c h l a c h t v i e h , kurz, daß ich von E i g e n s i n n , Z o r n , ü b l e r L a u n e und R a c h g i e r , besessen gewesen, da ich über Bunkeln geschrieben“, u. s. w. Aber Hr. Nicolai führt ja einen Beweis dieser letztern Bes c h u l d i g u n g ? Ein feiner Beweis! Ein Beweis aus lauter Ve r m u t h u n g e n gewebt, und aus so schlechtersonnenen Vermuthungen, daß man Mitleiden mit dem Manne haben möchte, der zu solchen Behelfen seine Zuflucht nehmen muß. Aber freylich, wenn einer nun keine bessere hat? — Und dann i s t 10
j a a u c h g e g e n e i n e n s o b o s h a f t e n , so v e r ä c h t l i c h e n M e n s c h e n , wie i c h die Ehre habe in den Augen des H e r r n F r i e d r i c h N i c o l a i zu seyn, A l l e s e r l a u b t ! — Also — „wenn die Zergliederung Bunkels (sagt Hr. N.) n i c h t e i n e g a n z b e s o n d e r e Ve r a n l a s s u n g gehabt hätte, wie käme es, daß ein Mann, wie Wieland *) ein Buch, das ganz elend, äusserst schaal und platt seyn soll, so ä u s s e r s t g e n a u , so ä u s s e r s t w e i t l ä u f t i g , so ä u s s e r s t h ä m i s c h zergliedert hätte?“ Die Antwort auf die Frage, w a r u m i c h s o v i e l e Z e i t a u f e i n s o e l e n d e s B u c h v e r w a n d t , steht (weil ich sie leicht voraussah) s c h o n z w e y o d e r d r e y m a l g a n z l e s e r l i c h g e d r u c k t i n m e i n e n A u s z ü g e n aus der Johann-Bunklias; und wenn Hr. N. sich die
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Mühe nicht nehmen mag, sie dort zu lesen, so kann ich sie ihm hier mit zwey Worten wiederholen. Sie ist: w e i l e r d i e s e s e l e n d e B u c h , ein Buch, das kein Mensch von Verstand und Geschmack, ohne vor Eckel krank zu werden, durchlesen kann, i n e i n e m ä u s s e r s t w e i t l ä u f t i g e n , u m s t ä n d l i c h m o t i v i e r t e n Av e r t i s s e m e n t , d e m P u b l i k o a l s e i n s e h r g u t e s , s e h r i n t e r e s s a n t e s We r k , a n g e p r i e s e n , u n d d u r c h d i e s e A n p r e i sung eine Menge ehrlicher Leute verleitet hatte, auf seinen Cred i t h i n , a u f d i e s e s b e s a g t e B u c h z u p r ä n u m e r i r e n . Hätte der Herr Buchhändler N. es mit diesem Buche gemacht, wie hundert andre seines Gewerbes es mit hundert andern schlechten Originalen und schlechten Überset-
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zungen schlechter Engländischer und Französischer Bücher machen; hätte er, weil e r doch einmal in der Meynung stund, daß Johann Bunkel einen *)
Dies e i n M a n n w i e W i e l a n d kömt sehr häuffig in der Nicolaischen Broschüre vor, und
alle ehrliche Leute finden freylich, daß ein Mann wie Wieland zwischen einem Manne, wie Bunkel, und einem Manne, wie der Buchhändler Nikolai ist, auf dem Tittelblatt dieser Schmähschrift sehr hervorsteche.
Abgenöthigter Nachtrag zur Johann-Bunkliade
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g a n g b a r e n A r t i k e l abgeben könnte, das Buch in aller Stille übersetzen lassen, hätt’ es dann, wie andre Fabrikwaaren dieser Art, auf die Messe gebracht, und es nun darauf ankommen lassen, ob es Liebhaber finden werde oder nicht: hätt’ e r s o verfahren, so kann er versichert seyn, ich würde s e i n e m B u n k e l die Ehre, ihn näher zu beleuchten, eben so wenig erwiesen haben, als andrer Makulaturwaare dieses Gelichters, womit Teutschland überschwemmt wird. Oder wenn dessen ja unter der Rubrik: B ü c h e r a n z e i g e n , erwähnt worden wäre, so wär es mit zwey Worten gethan gewesen. Aber die Art, wie Er ein solches Buch herausgegeben ; die Art, wie er e s a l s e i n i n t e r e s s a n t e s , e r b a u l i c h e s , g e m e i n n ü t z i g e s We r k d e m
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P u b l i k o a u f g e s c h w a z t ; dies machte B u n k e l n einer genauern, umständlichern Zergliederung und Beleuchtung würdig. Natürlich ists übrigens, daß der g e r e c h t e Ve r d r u ß , den so viele hundert ehrliche Leute mit mir darüber empfanden, sich in ihrer Erwartung auf eine so unerhörte Art betrogen zu sehen, a u c h einigen Einfluß hatte. Wahrlich, wenn es nicht gerecht wäre, über so etwas unwillig zu werden, so möcht ich wohl wissen, worüber man unwillig werden dürfte? Und wenn ich bey aller guten Laune, und beym festesten Vorsatz, über Bunkel, in so fern er ein T h o r und a l b e r n e r Tr o p f ist, bloß zu l a c h e n , doch zuweilen durch seine ganz unausstehliche Ve r k e h r t h e i t genöthigt wurde, ernsthafter zu sprechen, und U n w i l l e n a u s -
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z u d r ü k e n , w o k e i n e h r l i c h e r M a n n l a c h e n k a n n : so möcht ich den sehen, dem es (sofern er sich überwinden könnte, das ganze Buch, wie ich gethan, durchzulesen) nicht eben so ergehen sollte? Es bedarf also, um das Phänomen, worüber sich Hr. N i c o l a i so befremdet stellt, zu erklären, keiner andern Bewegursachen, als d e r i n n e r n B e s c h a f f e n h e i t d e s B u c h e s selbsten; und er hatte gar nicht nöthig, zu einer so armseligen Hypothese seine Zuflucht zu nehmen, als die Voraussetzung ist: i c h h ä t t e g e g l a u b t , d a ß ich noch ein Hühnchen mit ihm zu pflücken habe. Die Deduktion, die er hierüber macht, ist, so wie das ganze Libell, eines Herausgebers und Lobredners Herrn Johann Bunkels vollkommen würdig. Man werde sich erinnern, sagt Er, daß ich im ersten Vierteljahr des T. Merkurs von 1775. sehr u n b e s t i m m t e u n d g ä n z l i c h u n b e w i e s e n e K l a g e n w i d e r d i e A l l g e m . T . B i b l . u n d i h n b e k a n n t g e m a c h t ; und daß Er mich hierauf im XXV. Bande der besagten Bibliothek ö f f e n t l i c h a u f g e f o r d e r t , die Beweise davon öffentlich der Welt vorzulegen. D i e s h ä t t i c h n i c h t g e -
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1779)
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k ö n n t ; u n d h ä t t e a l s o s c h w e i g e n m ü s s e n . „Dies erzwungene Stillschweigen (setzt der Mann, der so scharfsinnig in meinem Inwendigen liest, hinzu) mag ihm (Hrn. W i e l a n d ) eine unangenehme Stunde gemacht haben, weil er wohl empfinden muste, in welchem z w e y d e u t i g e n L i c h t e er dadurch vor dem ganzen Teutschen Publiko erschiene. Er hatte sich aber vermuthlich die Sache hinters Ohr geschrieben. Nun dachte er m i c h bey dem Leben Bunkels auf einer s c h w a c h e n S e i t e ertappt zu haben: daher brach er loß, denn er glaubte, itzt dürfe er mir wieder eine unangenehme Stunde machen.“ 10
Es eckelt mir, auf dies alberne Geschnatter der lächerlichen E i t e l k e i t dieses Menschen antworten zu müssen. Meine Antwort wird aber sehr kurz seyn. Die Rede ist hier von einer T h a t s a c h e , und von einer Thatsache, d i e i c h w o h l a m b e s t e n w i s s e n m u ß , nehmlich, v o n d e m G r u n d e , w a r um ich zu seiner öffentlichen Aufforderung in der allgemeinen T . B i b l i o t h e k g e s c h w i e g e n h a b e . Herr N i c o l a i stellt sich, als ob er diese Ursach wisse, und versichert mit der ihm eignen F r e c h h e i t : i c h h a b e schweigen m ü s s e n , weil das, was ich ihn oder seine allgemeine T. Bibliothek beschuldiget, n i c h t w a h r s e y . Ich will ihm besser sagen, warum ich geschwiegen habe. S a l o m o sagt zwar in seinen Sprüchwörtern: antworte
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dem Narren nach seiner Narrheit; aber eben dieser S a l o m o sagt auch unmittelbar darauf: antworte dem Narren n i c h t nach seiner Narrheit — und er überläßt es dem Verständigen, selbst zu urtheilen w o und w a n n es sich für ihn schicke zu antworten oder nicht zu antworten. — Ich hatte (bey einer Gelegenheit, wo ich von einer bereits vergeßnen Broschüre des Herrn N. vielleicht allzugünstig geurtheilt hatte) zu Rechtfertigung meiner Unpartheylichkeit, hinzugesetzt: man würde mir sehr Unrecht thun, wenn man glaubte, daß ich H e r r n N i c o l a i z u G e f a l l e n s o u r t h e i l e . Er sey nie mein Freund gewesen; ich wäre in s e i n e r A . B i b l i o t h e k f a s t i m m e r s c h i e f a n g e k l a g t , o f t m u t h w i l l i g m i ß h a n d e l t , und nicht ein einzigmal (daß ich
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wüßte) d u r c h a u s u n p a r t h e y l i c h b e u r t h e i l t w o r d e n . Herr Nicolai schrieb mir hierüber, und verlangte, daß ich diese Stelle w i d e r r u f e n , oder b e w e i s e n sollte. I c h antwortete ihm, daß ich j e n e s n i c h t t h u n würde, und d i e s e s f ü r s e h r u n n ö t h i g hielte. Er schrieb wieder und drohte! I c h ließ es dabey bewenden. Ein g e m e i n s c h a f t l i c h e r F r e u n d i n B e r l i n schrieb mir darauf: Herr N. wäre sehr ungehalten auf mich, und stünde im
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Begriff, mir öffentlich den Krieg anzukündigen; er, (der Freund) wollte mir seine bona officia angeboten haben, diese unangenehme Fehde noch in Zeiten gütlich beyzulegen. Ich antwortete ihm ohngefehr des Inhalts: was ich im Vorbeygehen über die Beurtheilungen meiner Werke in der allgemeinen T. Bibliothek gesagt hätte, wäre e i n e n o t o r i s c h e , v o r a l l e r We l t A u g e n l i e g e n d e S a c h e , und b e d ü r f e k e i n e s B e w e i s e s . Ich hielte mich nicht verbunden, mich mit N. in einen F e d e r k r i e g einzulassen, d e r s e i n e r N a t u r n a c h e i n Proce´s sans fin w e r d e n m ü ß t e . Hr. N. könnte thun, was er wollte u. s. w. Der Freund zog also seine Hand ab; die Kriegserklärung des Herrn Nicolai erschien ( w i e i c h h ö r t e , d e n n g e l e s e n h a b’ i c h s i e n i e )
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in öffentlichem Drucke. Ich blieb bey meinem Vorsatz, keine Notitz davon zu nehmen; und ich bleibe noch dabey, weil ich überzeugt bin, daß ein jeder, der im Stand ist von solchen Dingen richtig zu urtheilen, m e i n e S c h r i f t e n und die b e s a g t e n B e u r t h e i l u n g e n nur zu lesen braucht, um zu sehen, daß ich sie recht qualificiert habe. Die unpartheyische Welt, und die Nachwelt (wenn anders von meinen Werken und der allgemeinen Teutschen Bibliothek alsdenn noch die Rede seyn wird) mag Richter zwischen uns seyn! Und eben diese Welt mag urtheilen, o b d i e P a r t h e y z u s c h w e i g e n , w o r e d e n o d e r schreiben überflüßig und in mehrern Rücksichten unverantwortlich wäre, nicht die beste ist, die ein Mann, der sich seiner
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g u t e n S a c h e b e w u ß t i s t , e r g r e i f f e n k a n n ? Denn, (um nur zwey Worte davon zu sagen) wie könnte ich den ganz unnöthigen Beweiß, den mir Hr. Nicolai abfordert, führen, ohne mich in eine genaue Beurtheilung und Analyse meiner eignen Schriften einzulassen? Mit welcher Anständigkeit könnt’ ich das? In welchen Detail würd’ es führen? Wenn sollte das Schriftenwechseln aufhören? Was läßt sich nicht anklagen, vertheidigen und entschuldigen? Worüber läßt sich nicht schikaniren? Und würde, wenn ich auch Jahre lang mit einem so eckelhaften Schriftenwechsel zugebracht hätte, Herr Nikolai nicht doch immer d a s l e t z t e Wo r t b e h a l t e n ? — Es wäre lächerlich, nur eine Sylbe mehr über eine so u n s i n n i g e Z u m u t h u n g zu verliehren. Es ist also nicht erzwungenes, sondern h ö c h s t f r e y w i l l i g e s S t i l l s c h w e i g e n , daß ich zu seiner Aufforderung geschwiegen habe, und schweigen werde, so lange ich noch von irgend einem Theil meiner Existenz einen bessern Gebrauch zu machen weiß. Es ist also auch n i c h t w a h r , daß ich, wie er sagt, eine unangenehme Stunde darüber gehabt habe, oder, daß ich nur
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einen Augenblick geglaubt, um eines so gerechten, und mir so anständigen Stillschweigens willen, in einem z w e y d e u t i g e n L i c h t e vor der Welt zu erscheinen. Ich scheue keine Art von Beleuchtung; und, mit der zartesten Empfindlichkeit für das Urtheil der verständigen und guten Menschen, wie mit der herzlichsten Verachtung alles dessen, was moralischer Pöbel in der Verkehrtheit seines Sinnes von mir denken und sagen mag, erwart’ ich das Urtheil der unbestechlichen Zeit mit Bescheidenheit und Ruhe. Ich habe viele edle und gute Menschen zu Freunden, und bin mir bewust, keinen Feind zu verdienen. 10
Das Publikum kann also nun über diesen Punkt urtheilen, was es für Recht hält. In Sachen, wo es auf Ja oder Nein ankömmt, gilt mein N e i n wenigstens so viel, als des Herausgebers von Johann Bunkel sein J a , und wenn er es auch mit zehnmal mehr vermeyntlichen Präsumtionen zu seinem Vortheil ausstaffiren könnte. Indessen geht Hr. N i c o l a i doch von diesen luftigen Präsumtionen aus, mich in den e h r e n r ü h r i g s t e n A u s d r ü c k e n , mit den s i c h t l i c h s t e n Ve r d r e h u n g e n d e s S i n n e s m e i n e r Wo r t e , und mit einer Konsequenzenmacherey, deren sich ein abderitischer Sykophant beynahe schämen würde, zu beschuldigen: d a ß i c h i h n a n s e i n e r b ü r g e r l i c h e n E h r e a n g e -
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g r i f f e n . Laßt sehen, wie er auch hier mit seinem Beweise bestehen wird! Ich hatte meine Anti-Bunkels mit dem Weidspruch Practica est multiplex angefangen. Der Sinn dieses Sprüchworts ist jedermann bekannt; er ist eben so weitläuftig, als die Anwendung, die täglich davon im gemeinen Leben gemacht wird. Jeder Stand, jedes Handwerk hat seine Practicam und seine K n i f f e ; und w o e s d e r g a n z e n We l t o f f e n k u n d i g v o r A u g e n l i e g t , d a ß e i n M a n n s i c h s o l c h e r Practica u n d K n i f f e b e d i e n t h a t , da ist es auch erlaubt, die Anwendung jenes Sprüchworts auf ihn zu machen. Daß J o h a n n B u n k e l s L e b e n u n d M e y n u n g , so wie der Buchhändler Nicolai es uns geliefert hat, in jeder Betrachtung, es sey nun als eine w a h r e
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L e b e n s g e s c h i c h t e , oder als ein p h i l o s o p h i s c h - c h r i s t l i c h e r R o m a n ; als ein We r k d e s G e n i e , W i t z e s o d e r G e s c h m a c k s , oder als ein z u m U n t e r r i c h t u n d B e y s p i e l g e s c h r i e b e n e s S i t t e n b u c h betrachtet, ein höchstplattes Geschmiere, eine mit schaalen Predigtfragmenten, übelraisonnirten Raisonnements, falschen Grundsätzen und ärgerlichen Beyspielen, angefüllte Rhapsodie sey; daß dieses alles d e n g r ö ß t e n T h e i l davon
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ausmache; daß selbst die w e n i g e n r o m a n t i s c h e n S i t u a t i o n e n und i n t e r e s s a n t e n N a t u r g e m ä l d e , die das Beste davon sind, durch den äusserst elenden Styl des Autors und Übersetzers so verhudelt sind, daß dem Leser alle Freude daran verkümmert wird; daß die Hauptabsicht des Verfassers offenbar keine andre ist, als unter dem beliebten vehiculo romanhafter Liebes- und Heyrathsgeschichten, d i e L e h r e d e r a l l g e m e i n e n K i r c h e von der Dreyeinigkeit und andere für wesentliche Glaubensart i c k e l v o n i h r a n g e n o m m e n e L e h r e n z u b e s t r e i t e n ; daß diese vorgegebene L e b e n s g e s c h i c h t e eines Menschen, der immer die Nachahmung Christi im Munde führt, der Lebenslauf eines Menschen sey, dem kein ver-
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nünftiger, ehrlicher Mann gleich zu sehen wünschen kann, u. s. w. Alles dies bedarf keines andern Beweises, als daß ein Mensch, dem Gott Vernunft und fünf Sinne gegeben hat, sich auch das Maas von Geduld erbitte, das erfordert wird, dieses Buch zu lesen; und sich dann hinsetze, und es aufmerksam von Anfang bis zu Ende durchlese; oder, wenn es ja eines mehrern Beweises bedarf, so hoffe ich ihn in meinen A n t i - B u n k e l n , so weit es nöthig war, zur vollen Genüge geführt zu haben. Sobald nun das Buch würklich erschien, war das Mißvergnügen, sich in der Erwartung, welche Hr. N i c o l a i erweckt hatte, so gröblich getäuscht zu finden, allgemein, und äusserst lebhaft. Und a u f w e n schob man die Schuld?
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A u f w e n k o n n t e man sie schieben? Wer war denn der Mann, der dieses Buch, in einer Nachricht an das Publikum, vier mit kleiner Schrift gedruckte Octavblätter stark, so umständlich und mühsam angepriesen hatte? Wer war der Mann, der sich auf das Zeugniß der Monthly Reviewers berufen hatte, daß dieses Buch in seiner Art so original, als S h a k e s p e a r und R i c h a r d s o n sey; — daß B u n k e l der s o n d e r b a r s t e , der l a u n i g s t e , der a n g e nehmstseltsamste Schriftsteller sey, der jemals die Feder gef ü h r t h a b e ? Wer war der Mensch, der die Stirne hatte zu sagen: e s s e y d i e Lebensbeschreibung eines Mannes, der auf sein wohlgeführtes L e b e n , m i t g u t e m G e w i s s e n und mit v ö l l i g e m B e w u ß t s e y n , u n b e scholten und nützlich gewesen zu seyn, zurücksieht ? Friedrich N i c o l a i w a r d i e s e r M a n n ! Die Urkunde, worinn er das Alles der Welt vorgespiegelt hat, liegt in öffentlichem Druck, und ist auf alle mögliche Art bekannt gemacht worden. Ich selbst, da ich mir nicht beygehen lassen konnte, daß jemand unverschämt genug seyn könnte, ein Buch so weitläuftig, so nach-
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drücklich anzupreisen, wenn es nicht wenigstens d e s L e s e n s w e r t h wäre *), habe mich mißbrauchen lassen, es bekannter machen zu helfen. Warlich nach einer solchen Ankündigung v o n e i n e m B u c h h ä n d l e r , d e r s e l b s t e i n S c h r i f t s t e l l e r i s t , von dem jedermann die Präsumtion hatte, daß er überzeugt seyn werde, das Buch sey d a s wirklich, wofür er es dem Publiko gab, daß er es also v o r h e r g e l e s e n u n d g e p r ü f t h a b e n m ü s s e , oder sonsten gewis nicht i n s o l c h e n A u s d r ü c k e n , m i t s o l c h e r G e w i ß h e i t s e i n e r S a c h e , davon gesprochen, und das Publikum durch Pränumeration zu einem Kauf angelokt haben würde, wobey kein R e u k a u f 10
möglich war: — N a c h e i n e r s o l c h e n A n k ü n d i g u n g , unter einer s o l c h e n G a r a n t i e , wie konnte man weniger erwarten, als ein Buch, daß die grösten und seltensten Vollkommenheiten in sich vereinige? Nach den Ausdrücken, worinn die Reviewers und Herr N i c o l a i davon sprachen, konnte man nicht anders. E n t w e d e r d i e H e r r e n w u ß t e n n i c h t , w a s s i e s a g t e n , oder B u n k e l m u ß t e (ich wiederhohl’ es) m e h r a l s C e r v a n t e s , F i e l d i n g u n d S t e r n e s e y n . Als nun statt dessen den Pränumeranten ein Werk in die Hände geliefert wurde, wie B u n k e l w ü r k l i c h ist — das ist (um itzt von allen seinen übrigen Gebrechen zu abstrahiren) d a s l a n g w e i l i g ste, platteste, Genie- Witz- und Geschmackloseste Buch, das
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vielleicht seit Jahrhunderten in Europa erschienen ist : mußte d a s P u b l i k u m s i c h n i c h t f ü r h i n t e r g a n g e n h a l t e n ? Und ü b e r w e n k o n n t e m a n s i c h b e s c h w e r e n ? Natürlicherweise über Niemanden, als H r n . N i c o l a i . Haben ihn die Reviewers betrogen, so bleibt ihm sein Regreß an die Reviewers unbenommen: aber w i r h a l t e n u n s a n I h n . Denn v o n I h m kam die A n k ü n d i g u n g ; E r ist der Herausgeber; I h m haben wir geglaubt; I h m haben wir bezahlt; aus S e i n e r H a n d haben wir d e n h ä ß l i c h e n We c h s e l b a l g e i n e s I r l ä n d i s c h e n N o n k o n f o r m i s t i s c h e n Z w i t t e r s v o n S c h w ä r m e r u n d F r e y g e i s t für ein angenehmnützliches, geistreiches, erbauliches Werk erhalten.
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Aber wie? E r i s t j a n u r d e r Ve r l e g e r ; m i t w e l c h e m R e c h t e k a n n e r f ü r d e n We r t h o d e r U n w e r t h d e s s e l b e n r e s p o n s a b e l s e y n ? —
*)
Ein Buch, das d i e s ist, nennt man mit Einem Wort ein sehr e r b a u l i c h e s Buch, wiewohl
Hr. N i c o l a i gerade das Wort nicht gebraucht. Es ist einerley, ob er’s mit E i n e m Wort, oder mit vielen sagt.
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Wie? Er wäre blos Verleger? Warlich, ein Verleger, der ein Buch s o ankündiget, es durch s o l c h e A n s t a l t e n ausbreitet; es noch zum Überfluß durch eine weitläuftige Vo r r e d e in die Welt einführt; ein solcher Verleger ist ein H e r a u s g e b e r , und man kann wenigstens von ihm fodern, d a ß e r w i s s e , was er thue. Alles, was ich bisher von der Nicolaischen Ausgabe des Bunklischen Buches gesagt habe, sind Thatsachen: was nun folgt, ist ein R ä s o n n e m e n t , und, wenn ich nicht irre, ein sehr bündiges. Entweder hatte Herr Nicolai, da er Bunkeln ankündigte, das B u c h g e l e s e n , o d e r n i c h t . Hat er es n i c h t g e l e s e n : so war es u n v e r -
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a n t w o r t l i c h e U n v o r s i c h t i g k e i t , auf das bloße Wort der Reviewers das ganze Teutsche Publikum zur Pränumeration auf ein Buch einzuladen, das v i e l l e i c h t das n i c h t w a r , wofür es jene gaben, und von diesem Buche in selbsteigner Person, a u f f r e m d e s , n a m e n l o s e s Z e u g n i ß h i n , eine so vortheilhafte Meynung zu erwecken. H a t e r’ s a b e r g e l e s e n , und seine Herausgabe darum unternommen, weil er es wirklich für ein vortrefliches Buch hielt: was soll die Welt von seinem K o p f e , oder, im entgegengesetzten Fall, von seinem C h a r a k t e r denken? Man kann freylich Niemanden ins Herz sehen. Aber ich frage die ganze unpartheyische Welt: o b e s w a h r scheinlich sey, daß Herr Nicolai nicht, wenigstens nahezu,
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h a b e w i s s e n k ö n n e n , w a s a n s e i n e m B u n k e l s e y ? Und gesetzt auch, es lasse sich denken, daß er bona fide geglaubt, er gebe uns was Gutes: ist es der Welt, die den Mann bloß nach seinen Handlungen beurtheilen kann, zu verargen gewesen, wenn sie, bey s o l c h e r Beschaffenheit eines auf s o l c h e Weise ihr aufgeschobnen Buches, glauben mußte, daß die ganze Geschichte des n i c o l a i s c h e n B u n k e l s weder mehr noch weniger, als ein Verlegerkniff und also ein hübsches Exempelchen zu dem Sprüchwort: Practica est multiplex sey? Und was will also der Mann mit seiner lächerlichen Aufforderung: „ w e n n Herr Wieland irgend einige Praktiken und Kniffe, irgend einige Ränke, irgend eine Unredlichkeit von mir weiß : so mache er sie bekannt ; so will ich öffentlich meine Schande gestehen. Kann er aber nichts anzeigen und beweisen : so bleibe die Schande der Ve r l ä u m d u n g a u f i h m , u n d e r h ü t e s i c h i n s k ü n f t i g e m i t d e m g u t e n L e u m u n d e i n e s e h r l i c h e n M a n n e s z u s p i e l e n . “ — Im Ernste,
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meynt Herr N i c o l a i mit dem Ton, womit er d i e s e e l e n d e P l a t t i t ü d e vorbringt, der vernünftigen Welt Staub in die Augen zu werfen? Glaubt er, wir sollen nicht merken, wie er mit der Vieldeutigkeit aller Worte und Ausdrücke seiner Schreibart sein Spiel treibt? Was nennt er P r a k t i k e n , und K n i f f e , und R ä n k e und U n r e d l i c h k e i t ? Versteht er Handlungen darunter, auf welche die bürgerlichen Gesetze den Staupbesen gesetzt haben? — Wo h a b i c h i h n j e m a l s s o l c h e r H a n d l u n g e n b e s c h u l d i g e t ? — Sind aber unter P r a k t i k e n und K n i f f e n die n u r a l l z u g e w ö h n l i c h e n Ve r l e g e r k ü n s t e gemeynt, w o d u r c h m a n d e m P u b l i k o e i n s c h l e c h t e s B u c h 10
oder eine elende Übersetzung eines guten Buches für gut aufh e f t e t : so bedarf es keines andern Beweises, a l s d e n d e r H e r r N i c o l a i , durch die Pränumerationssache auf seinen Johann Bunkel, vor a l l e r We l t A u g e n s e l b s t g e f ü h r t h a t ? Und nie werd’ ich ihm auf jene schaamlose Aufforderung eine andere Antwort geben, als diese: We r h a t Johann Bunkeln mittelst eines weitläufftigen anpreisenden Programms, auf Pränumeration mit Kupfern von Chodowiecky, herausgegeben? *) Ich habe immer gehört und gesehen, daß sich die Leute nie ärger geberden, als wenn man sie da anrührt, wo sie sich bewußt sind, daß sie keine Untersu-
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chung aushalten könnten. Hr. N i c o l a i , der sonst, wie ich höre, ein feiner weltkluger Mann seyn soll, muß gewaltig vom Zorn übereilt worden seyn, als er durch die ungeberdige Art, wie er die sanfteste Züchtigung seiner an dem Publiko begangnen Sünde aufnimmt, eben dieses Publikum reizte, die Sache in genauere Erwägung zu ziehen. Der Herausgeber J o h a n n B u n k e l s hat immer eine verlohrne Sache, er mag sich winden und krümmen wie er will. Aber Hr. N i c o l a i läßt es nicht am H e r a u s f o d e r n bewenden; er r e c r i m i n i e r t auch; und seine Recriminationen machen mehr als die Hälfte seines Libells aus. Ich müßte gänzlich vergessen haben, was ich m i r s e l b s t , und, noch mehr, ich müßte die Achtung vergessen haben, die ich der g e s u n -
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d e n Ve r n u n f t u n d E h r l i c h k e i t m e i n e r Z e i t g e n o s s e n schuldig bin, *)
Ich tadle nicht überhaupt daß man den Werth eines Buches, daß man herausgeben will,
vorher anzeigt; ich tadle nicht, daß man ein Buch auf Vorschuß herausgebe, nicht, daß man es mit Kupfern von Chodowiecky ziere: Aber daß man alles dies vornehme, e i n B u c h w i e B u n k e l i s t dem Publiko aufzuhängen, d a s ist nicht zu entschuldigen. Gegen den Sophisten mit dem ichs hier zu thun habe, und gegen ihn allein, war eine solche Anmerkung nothwendig.
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wenn ich mich in eine Beantwortung seiner Gegenbeschuldigungen einlassen wollte. I c h k a n d i e s e E r ö r t e r u n g m i t v o l l k o m m e n s t e r R u h e d e m P u b l i k o a n h e i m s t e l l e n . Um nur zwey Worte (und beynah ists an diesen zu viel) darüber zu sagen: hätte Hr. N. b l o ß a u f d e n e r s t e n T h e i l seines Bunkels Pränumeration verlangt, und es den Käuffern freygelassen, ob sie nach Lesung desselben auch auf die übrigen pränumeriren wollten oder nicht: so würden ihm zum zweyten wohl nicht sehr manche übrig geblieben seyn. Unfehlbar wäre dies mein Fall auch gewesen, wenn ich das Publikum d u r c h d e n M e r k u r b e t r o g e n h ä t t e , wie N. mit der schaamlosen F r e c h h e i t vorgiebt, die ihn, gleich dem Z e i c h e n K a i n s , auf eine so auffallende Art
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auszeichnet. Dieses Journal würde sich nicht, trotz so vieler nachtheiliger Umstände, ungeachtet der inzwischen entstandenen Menge ähnlicher periodischer Werke, ungeachtet der Menge von Mißvergnügten, die der Herausgeber eines Journals dieser Art wider Willen m a c h e n m u ß , u. s. w. dennoch schon sechs Jahre durch erhalten haben: wenn die Welt, welche ohne Leidenschaft urtheilt, so davon dächte, wie Hr. N i c o l a i — dem seine unverständige Wuth so wenig Urtheilskraft und Geschmack übrig gelassen hat, daß er die P a l m b l ä t t e r d e s A b u l f a o u a r i s als ein Document m e i n e r s c h l i m m e n G e s i n n u n g g e g e n d i e R e l i g i o n anführt, und das Gedicht S c h a c h L o l o mit Naserümpfen in die Rubrik S i e b e n s a c h e n und L ü c k e n b ü ß e r wirft.
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So ruhig als ich über den vermeyntlichen, aber schon beym ersten Anblick so absurden Parallelismus, den er zwischen seinem Bunkel und meinem Merkur ziehen will, die ganze unpartheyische Welt urtheilen lasse: so gewiß bin ich auch, daß ich in der P r ä n u m e r a t i o n s s a c h e a u f d i e v e r b e s s e r t e u n d v e r m e h r t e A u s g a b e d e s A g a t h o n , welche Hr. N i c o l a i , mit seiner würdigen Wendungen in Erinnerung bringt, keinen seiner gehässigen und schändlichen Vorwürfe verdiene; so kränkend es mir auch damals war, daß der Gang, den diese Sache ohne meine Verschulden nahm, ein falsches Licht auf mich werfen konnte. Die ganze Sache war ein gutherziger Einfall einiger warmen Freunde, die von dem Teutschen Publiko (wie der Erfolg auch zeigte) nicht zu edel zu denken glaubten, wenn sie es fähig hielten, zu Gunsten eines Schriftstellers, der der Nation lieb zu seyn schien, eine Subscription auf eines seiner (wie sie glaubten) vorzüglichsten Werke gutzuheißen, w o b e y e s nicht um einen wohlfeilen Preis, sondern um eine Aufmunter u n g f ü r d e n Ve r f a s s e r z u t h u n w ä r e . Ich hatte auf einen weit niedri-
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gern Subscriptionspreis gedrungen; aber meine Freunde bestanden auf dem höhern. Da meine damalige Lage mir schlechterdings keine Zeit ließ, die Auflage selbst zu besorgen, so nahmen sie freywillig den ganzen Detail davon auf sich. Aber sie waren über 40 Meilen von mir entfernt, und dies, nebst unvorhergesehenen wichtigen Veränderungen in meinen Umständen und in den ihrigen, verzögerte nicht nur den Druck; sondern machte es ihnen endlich gar unmöglich, solchen, ihrem ersten Vorsatz und Versprechen nach, zu bewerkstelligen. — Diese Umstände waren die Ursachen jener mir unvermeidlichen Folgen, die nur ein Mann, wie der Buchhändler Nicolai, fähig ist, e i n e r v o r 10
s e t z l i c h e n b e t r ü g e r i s c h e n G e w i n n s u c h t beyzumessen, einem Laster, das gerade unter allen möglichen dasjenige ist, dessen mich alle Menschen, die jemals mit mir gelebt haben, am unfähigsten kennen — Aber, a u c h diese Sache von ihrer schiefsten, nachtheiligsten Seite betrachtet, wie wenig läst sie sich mit der Bunklischen vergleichen ? Ich gab meinen Pränumeranten den A g a t h o n ; N i k o l a i gab den seinigen den J o h a n n B u n k e l . I c h gab den Meinigen ein Buch, d a s s i e g r ö s t e n t h e i l s s c h o n k a n n t e n ; E r den seinigen ein Buch, d a s N i e m a n d k a n n t e . I c h gab den Meinigen ein Buch, dessen B e s c h a f f e n h e i t und I n h a l t N i e m a n d s E r w a r t u n g b e t r o g . (Denn daß die versprochene Geschichte des
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A r c h y t a s daran fehlte, kam von Hindernissen her, die ich nicht hatte voraussehen können; und die Welt fand meine Entschuldigung gültig, weil sie anerkannte, daß es nicht so in der Gewalt eines Schriftstellers sey, binnen einer gewissen bestimmten Zeit einen Archytas zu schreiben, als es in der Gewalt eines Schusters steht, binnen der versprochnen Zeit ein paar Stiefeln zu liefern; wiewohl auch dem Schuster ehhafte Hindernisse vorfallen können.) Hr. N i c o l a i hingegen gab s e i n e n Pränumeranten ein Buch, d a s g e r a d e d a s G e g e n t h e i l v o n A l l e m w a r , w a s e s s e i n e m Ve r s p r e c h e n nach seyn sollte, da es doch nur von ihm abgehangen hatte, es f ü r d a s z u g e b e n , w a s e s w a r , u n d w o f ü r e s a l l e Ve r n ü n f t i g e
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h a l t e n . Denn hätt’ er d a s gewollt, so brauchte er es nur ohne Practica, ohne A n p r e i s u n g e n , ohne e i n e d a d u r c h e r s c h l i c h e n e P r ä n u m e r a t i o n , und o h n e A n k ü n d i g u n g C h o d o w i e c k i s c h e r K u p f e r , auf seine eigne Gefahr in die Welt lauffen und sein Glück versuchen lassen. — Doch, wozu noch mehr Worte, wo die Sache selbst schon so laut spricht? Hr. N i c o l a i hätte also das Seinige gethan, mich, w o m ö g l i c h , z u i h m
Abgenöthigter Nachtrag zur Johann-Bunkliade
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h i n a b z u z i e h e n . Nachdem er so bündig bewiesen hat, w a s f ü r e i n v e r ä c h t l i c h e r M e n s c h einer von den g r ö ß t e n S c h r i f t s t e l l e r n (wie es ihm beliebt mich zu schelten) ist: so kann er nun i n e b e n d e r M e t h o d e auch beweisen, was für ein v e r ä c h t l i c h e r S c h r i f t s t e l l e r dieser verächtliche Mensch sey. Es wird ihm nicht um einen Deut mehr Aufwand von Sophisterey und Unverschämtheit kosten. M i r aber wird sein Schelten just so viel, als sein Lob, und sein Lob just so viel, als sein Schelten seyn; und alle Rache, die ich jemals dafür nehmen werde, soll darinn bestehen, d a ß i c h d i e Opera omnia, d i e e s i h m b e l i e b e n w i r d g e g e n m i c h z u s c h r e i b e n , z u s a m m e n d r u c k e n l a s s e , u n d d a s We r k m i t s e i n e m B i l d n i s e r l ä u t e r t , (wo möglich von C h o d o w i e c k y ) a u f a l l e B i b l i o t h e k e n i n Te u t s c h l a n d s t i f t e , d a m i t s e i n e s N a m e n s u n d C h a r a k t e r s G e dächtniß bleiben möge für und für. Wieland.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang März 1779)
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Vor kurzem ist zu P a r i s von einem Ungenannten ein Bildnis des verstorbnen Berlinischen Akademikers und Professors L a m b e r t * ) mit seinem Namen, Geburtsjahr, Sterbeiahr und einigen Französischen Versen gestochen worden. Unten stehen die Worte: grave´ a ` Paris d’apre´s une esquisse de Mr Daniel Codowiecky. Auf ausdrückliches Verlangen des Herrn C h o d o w i e c k y wird diesem Vorgeben hiemit öffentlich widersprochen. Der Kupferstecher hat keine Esquisse von Chodowiecky’s Hand, sondern nur eine Kopey nach einer Karikatur, die Herr Chodowiecky ehmals gemacht hatte, und die zu nichts weniger, als zu einem Kupferstich bestimmt war; „und jedermann weiß (sind 10
die eignen Worte unsers großen Künstlers an den Herausgeber des M.) wie sehr die Kopey eines mit Laune charakterisierten Zuges verliert. Ein gutes und getreues Bild dieses verdienstvollen Mannes würde unstreitig allen Gelehrten und insonderheit denen, die ihn gekannt haben, sehr willkommen seyn; man kann auch d i e s e m a l s K a r i k a t u r b e t r a c h t e t , nicht alle Ähnlichkeit absprechen; nur hätte man es sollen ungestochen lassen. Eine Karikatur ist wie eine Bon mot; was in der Zeichnung drollicht war, wird, gestochen und 1000 oder 2000 mal abgedruckt, höchst abgeschmackt.“
*)
Von dessen Leben und Charakter wir im September abgewichnen Jahres eine zuverläßigere
Skizze gegeben haben, als die, von welcher hier die Rede ist.
¼Anzeige zu Anonymus: Bildnis Lamberts½
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Der Teutsche Merkur. März 1779.
¼Ohngefähre Bilanz der Literatur des vergangnen Jahrs. …½
* * *
Zusatz und Beschluß vom H. Was in dem ganzen Umfang der P o e t i s c h e n K u n s t , oder überhaupt in Werken, die vornemlich von E i n b i l d u n g s k r a f t , W i t z , L a u n e , G e s c h m a c k , K o m p o s i t i o n und D a r s t e l l u n g abhangen, im vergangnen Jahr unter uns geleistet worden, genauer zu erwägen, muß auf eine andre Gelegenheit ausgesetzt bleiben. — B ü r g e r hat seine Gedichte gesammlet;
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M ö s e r seine Patriotische Phantasien mit einem 3ten Theil vermehrt; A s m u s sein zweytes B ü c h e l drucken lassen. S t i l l i n g s Wa n d e r s c h a f t beschließt ein Buch, das mehr wie ein We r k d e r N a t u r als der Kunst zu betrachten ist, woran d i e s e eigentlich keinen Antheil hat, das aber sowol wegen des Interesse einer individuellen, höchstsonderbaren Geschichte, als wegen der aufrichtigen, Herzgewinnenden Sprache des Gefühls und der Wahrheit, die es fast durchaus spricht, unter den schätzbarsten Produkten unserer Zeit seine Stelle immer behaupten wird. — Und nun was weiter? Wenn man die angefangnen L e b e n s l ä u f e i n a u f s t e i g e n d e r L i n i e , die uns einen n e u e n Tr i s t r a m versprechen, einige Gedichte in den Musenallmanachen, und vielleicht hier und da einige Aufsätze in andern bekannten Sammlungen ausnimmt, so wird sich der Originalmarkt sehr bald ausfeilschen lassen. — Gleichwohl sind der Arbeiter in diesem Felde noch nie so viel gewesen als dermalen; und, ohne daß uns ein A u g u s t o d e r M ä c e n bekannt wäre, auf dessen schlimmen Geschmack oder übelangebrachte Freygebigkeit wir die Schuld schieben könnten, scheint es in diesem Stücke bey uns eben so herzugehen, wie in R o m zu H o r a z e n s Zeiten. Die Ähnlichkeit ist so groß, daß ein C e n t o von allen hieher gehörigen Stellen in seinen S a t y r e n und B r i e f e n
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1779)
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das getreueste Gemälde des gegenwärtigen Zustandes unsers Poetischen Wesens zu seyn scheinen würde. Nie ist m e h r g e s c h r i e b e n u n d m e h r g e l e s e n w o r d e n ; aber nie ist überhaupt weniger G e s c h m a c k unter uns gewesen, und nie scheinen Autoren und Leser weniger gewußt zu haben, was sie wollen. Personen von allen Ständen, Klassen, Professionen und Handthierungen, geben sich mit der S c h ö n g e i s t e r e y ab; und es gewinnt das Ansehen, das man bald an jedem Hauptort jedes einzelnen Ländchens, aus deren so vielen unser liebes Teutsches Vaterland zusammenhängt, einen Staatswirthsschafts-Punct daraus machen werde, s e i n e e i g n e n B e l - E s p r i t s - F a b r i 10
k e n z u e r r i c h t e n , und durch ausschliessende Privilegien möglichst aufzumuntern. Jedermann schreibt Verse oder Prose, Sinn oder Unsinn, wie und in welcher Form es ihm lüstet; wer nicht graben mag und sich zu betteln schämt, wird ein S c h ö n e r G e i s t ; und wer s o n s t zu nichts fähig ist, glaubt wenigstens ein Schauspielchen, es sey a ` la S h a k e s p e a r oder a ` la P e t e r S q u e n z , machen, oder aufwärmen zu können. Daher ist vorzüglich im D r a m a t i s c h e n F a c h e die Fruchtbarkeit des abgewichenen Jahres so groß gewesen, daß es kein Wunder wäre, wenn diese Art Poetischer Denre´e endlich unter allen Preis fiele, und gar keine Abnehmer mehr finden würde. Doch fehlt es auch nicht in den übrigen Arten; und seitdem unsere studirende Jugend die
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bequeme Entdeckung gemacht hat, daß man weder Erziehung, noch Lebensart, noch Gelehrsamkeit, noch Menschenkenntniß, noch Geschmack, noch irgend etwas, als entweder guten Appetit und tüchtige Muskeln, oder viel Hypochondrie und Empfindeley brauche, um ein D i c h t e r oder sonst ein Original zu seyn: kommen täglich neue Arten von Geschöpfen zum Vorschein, die darum nichts desto besser organisiert sind, weil sie g a r n i c h t s g l e i c h s e h e n . Man muß jedoch gestehen, daß die Klasse der N a c h ä f f e r , wie natürlich, immer die zahlreichste bleibt. Jeder von unsern Dichtern, der sich in seiner eignen Manier hervorgethan, oder irgend einen Ton zuerst und glücklich angegeben hat, schleppt wider Willen einen größern oder kleinern
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Schweif von servis pecoribus hinter sich nach, die a u c h in dieser Manier — sudeln, a u c h aus diesem Tone — pfeiffen oder yaanen wollen, und denen der ehrliche Magister H i l a r i u s den lehrreichen Spruch, cacatum non est pictum, vergebens zur Beherzigung empfohlen hat. Daher ist es bereits so weit gediehen, daß auch in den kleinsten Landstädtchen, fast durch alle Provinzen Teutschlands, wenig andre H o c h z e i t s - G e -
Z u s a t z u n d B e s c h l u ß v o m H . ¼zu Merck½ O h n g e f ä h r e B i l a n z
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b u r t s - u n d L e i c h e n - C a r m i n a mehr gemacht werden, als im O s s i a n s c h e n To n ; und das Lustigste dabey ist, wenn man Gelegenheit hat, zu sehen, wie ganz sinnlose Produkte dieses Gelichters in dem Zirkelchen, für welches sie gemacht sind, w ü r c k e n , und immer mit desto größrer B e w u n d r u n g aufgenommen werden, je weniger die Leute von dem Schwall harter Worte und durcheinander geworfner Bilder begreiffen, die der kleine sich besessenstellende Poetische Bettler in seiner affektierten Begeisterung heraussprudelt. Es ist heutigs Tags d i e M o d e so, denkt das Volk, und lästs damit gut seyn. — Andre, denen die launische Versart des neuen Amadis oder des Wintermährchens eine große B e q u e m l i c h k e i t mit sich zu führen
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schien, glauben nun auch gar mächtig L a u n e zu haben, wenn sie, — in dem scherzhaft-seyn-sollenden Ton der schlechten Gesellschaft, in der sie aufgekommen sind — in einer Sprache, die vor lauter Platheit und Licenz gar keine Sprache mehr ist — und in Versen, die bald Ellenlang, bald des kleinen Fingers breit sind, und, aus Mangel alles Ebenmaaßes und Takts, sich ganz und gar nicht lesen lassen — quicquid in buccam venit, von sich geben. Uns sind sogar verschiedne Bell-Lettristen sowol von d i e s e r Klasse, als von den Hudlern im Barden- und Volkslieds-Ton, vorgekommen, die sich noch recht viel darauf zu gut thaten, daß sie nicht wüßten, was ein Jambus oder Trochäus sey, u. s. w. — Wie viel bey diesem täglich zunehmenden lächerlichen oder kläglichen Ver-
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fall der sogenannten schönen Literatur das Publikum überhaupt a n G e s c h m a c k und selbst an U n t e r h a l t u n g und Ve r g n ü g e n gewinne, und ob die unvermerkt epidemisch werdende Sucht, Originalen, die gar nicht nachgeahmt werden w o l l e n noch s o l l e n , nachzuäffen, verbunden mit der offenbarsten Unwissenheit in der Sprache und Gelehrsamkeit der A l t e n , und mit der zügellosesten Verachtung aller Gesetze, die den besten Schriftstellern sonst immer heilig waren, aller Regeln der Sprache, der Politur und Urbanität, und des gesunden Denkens und guten Schreibens überhaupt — bey derjenigen Classe von Skribenten, die eben darum, weil sie in dem p o p u l a r s t e n F a c h e der Gelehrsamkeit arbeitet, den meisten momentanen Einfluß auf die Nation hat — ob, sage ich, diese Affektation, Unwissenheit und Ungebundenheit, und überhaupt die ganze Wendung, welche die S c h ö n g e i s t e r e y seit Kurzem bey uns genommen, als eine so unbedeutende Sache anzusehen sey, daß es nicht vielmehr hohe Zeit wäre, wenn alle wahre Gelehrten und ächte Liebhaber der Musenkünste, mit zusammengesetzten Kräften, diesem Un-
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1779)
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wesen Einhalt zu thun suchten — geben wir allen denen zu bedenken, welche etwas bedenken können. Gewiß ist, daß, wenns noch eine Weile so fortgeht, unsre Nation dadurch den Ausländern verächtlich werden, und zulezt der blosse Anblick eines Teutschen Gedichts, dem feinern Theil unsers eignen Publikums selbst, Ekel und Bewegung zum Erbrechen geben muß — und dies gerade zu einer Zeit, wo wir eine Anzahl vortreflicher Schriftsteller in allen Arten aufzuzeigen haben, welche unter jeder andern Nation als der unsrigen, hinlänglich wäre, für Aufklärung, Geschmack, Sitten, und Ruhm der Nation, die glänzendste Revolution zu bewürken. 10
Man vergebe uns (wofern es anders Vergebung nöthig hat) diese zufällige Ejakulation, die uns durch die fast allgemeinen Klagen des poliertern und gelehrtern Publicums abgedrungen worden ist. In einem Journal dieser Art steht keine Wahrheit am unrechten Orte. Wir haben indessen nur einen Theil, und gleichsam nur den äussersten Rand des Geschwürs berührt, und behalten uns auf andre Zeit und Gelegenheit vor, den Schaden tiefer und genauer zu untersuchen. Das Z u f r i e d e n s e y n m i t d e m g e g e n w ä r t i g e n Z u s t a n d e d e r R e p u b l i k ist nicht allemal ein Zeichen eines guten Bürgers. Nichts ist uns angenehmer, als wahren Talenten, und Werken, die in ihrer Art vortreflich sind, die verdiente Ehre zu erweisen. Aber, wiewohl es dem Herausgeber
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eines Journals, v o r t h e i l h a f t e r seyn mag, mit dem Strome zu schwimmen, und alles zu loben, was gerne gelobt seyn möchte: so wollen wir uns doch lieber den gewöhnlichen unangenehmen Folgen der kritischen Freymüthigkeit unterwerfen, als gegen unsre Überzeugung r e d e n — oder s c h w e i g e n .
Z u s a t z u n d B e s c h l u ß v o m H . ¼zu Merck½ O h n g e f ä h r e B i l a n z
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Über Linguets Annales Politiques, Civiles et Litteraires du XVIII. Siecle. Hr. L i n g u e t hat durch seine Beredsamkeit als Sachwalter und als Schriftsteller — durch seine Neigung beynahe über alles in der Welt andrer Meynung zu seyn als andre Leute — und durch seine Händel mit der ehrsamen Innung der Parlaments-Advocaten zu Paris, die ihn aus ihrem sogenannten Tableau ausgewischt haben, und mit dem Parlament selbst, bey welchem er gegen diese Vergewaltigung vergebens Schutz gesucht — seinen Nahmen seit einigen Jahren allzubekannt gemacht, als daß er irgend einem unsrer Leser ganz fremde seyn könnte.
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Von seiner schimmernden Seite gesehen, scheint er einer der letzten Sterne zu seyn, welche die zunehmende Verfinsterung des Französischen literarischen Himmels s i c h t b a r e r machen. Seine Talente sind mannichfaltig, seine Kenntnisse ausgebreitet (wiewohl eben deswegen fast immer seicht und unzuverläßig) und in der berüchtigten Kunst, die an Sokrates und Plato so unversöhnliche Gegner hatte, der Kunst e i n e s c h l i m m e S a c h e b e s s e r z u m a c h e n , ist er vielleicht der erste Meister unsrer Zeit. Es ist beynahe unmöglich, daß die Profession, die er vormals, mit einem Erfolg der vielleicht die Hauptquelle seines nachmaligen Unglücks war, getrieben, einem so lebhaften Geiste nicht einen besondern Schwung gegeben
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haben sollte, der ihn als Schriftsteller aus den Meisten seiner Sprach- und Zeitgenossen ausheben mußte. Ich meyne hier nicht sowohl die Gewohnheit, D e k l a m a t i o n e n f ü r R a i s o n n e m e n t z u v e r k a u f e n , die zwar (vor und nach dem großen C i c e r o ) allen gerichtlichen Rednern mehr oder weniger (je nachdem ihre Sache schlechter oder besser war) beygewohnt hat, worinn er aber gleichwohl allenthalben eine Menge Gesellen hat, die niemals Sachwalter gewesen sind: ich meyne vielmehr die Neigung — S ä t z e z u b e h a u p t e n , bey denen er sich zumvoraus eines a l l g e m e i n e n W i d e r s p r u c h s versehen kann — Sätze zu b e s t r e i t e n , die m i t d e m B i l d u n d d e r Ü b e r s c h r i f t g r o ß e r M ä n n e r z u g a n g b a r e n und überall ohne Widerspruch angenommenen M e y n u n g e n g e s t e m p e l t w a r e n ; gegen P e r s o n e n , die schon
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1779)
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Jahrhunderte lang i m B e s i t z d e r a l l g e m e i n e n H o c h a c h t u n g gewesen, den Aduocatum Diaboli zu spielen — und Andre g e g e n d i e g a n z e We l t in Schutz zu nehmen, deren Sache man längst als unheilbar aufgegeben hatte. Diese Art von Verdienst scheint Hr. L i n g u e t als Sachwalter und als Schriftsteller hauptsächlich ambitioniert zu haben: und man muß gestehen, daß man verzweifelte Händel nicht scharfsinniger und mit einer täuschendern Beredsamkeit vertheidigen kann als er. Die Fertigkeit, die er hierinn erlangt hat, ist ihm so sehr zur Natur geworden, daß sie auch, nachdem ihn die Verfolgungen seiner Widersacher zu einer sogenannten f r e y w i l l i g e n Entfer10
nung aus seinem Vaterlande getrieben, noch immer die Seele seiner ganzen Thätigkeit ist. Herr L i n g u e t blieb mitten in London was er noch izt — ich weiß nicht wo? ist — immer S a c h w a l t e r , immer, und mehr als jemals, der redselige und unermüdliche Verfechter jeder Meynung, wo er, wie L u c a n’ s Cato, der e i n z i g e v o n s e i n e r P a r t h e y zu seyn hoffen kann; nur mit dem Unterschied, daß er, anstatt daß er ehmals seine Talente mehr in Vertheidigung schlimmer Privatsachen übte, sich nun zum Advokaten d e r (leider!) v e r z w e i f e l t e n S a c h e d e r M e n s c h h e i t , und zum allgemeinen Kontradiktor aller und jeder aufwirft, welche ihm auf irgend eine Weise unbillige Ansprüche an sie zu machen, oder ihren Rechten und Freyheiten zu nahe zu
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treten scheinen. Dieß ist, däucht mich, der vortheilhafte Gesichtspunct, woraus seine im Jahr 1777. angefangnen und bisher mit großem Succeß fortgesetzten Annales Politiques, Civiles & Litteraires du XVIII. Siecle betrachtet werden können; ein Periodisches Werk, dessen Ansprüche nichts Geringers, als — a l l e g ö t t l i c h e n u n d m e n s c h l i c h e n D i n g e umfassen, und, welches wenn die Ausführung der erregten Erwartung nur einigermaaßen zusagen sollte, einen alles überschauenden Verstand, und (da Hr. L . sich dessen ganz allein unterfängt) in einem einzigen Kopfe einen Umfang von Kenntnissen und Einsichten voraussetzt, den man kaum der ansehnlichsten gelehrten Gesellschaft, zu-
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sammengenommen, zutrauen dürfte. Bey einer solchen Unternehmung möchte man wohl ausruffen: Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu?
Aber ein so rüstiger Kämpfer, wie Hr. L i n g u e t , erschrickt vor keinem Aben-
Über Linguets Annales
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theuer. Wenn es Gefühl seiner Kräfte ist, was ihn so außerordentlich zuversichtlich macht: so muß man gestehen, kein Andrer hat jemals den Nahmen eines P h i l o s o p h i s c h e n H e r k u l e s mehr verdient; und er ist, trotz aller Verfolgungen der Rabulisten, Encyklopädisten, Ökonomisten und Akademisten zu Paris, der Beneidenswürdigste aller Sterblichen. In der That läßt der Ton, worinn er seine Annalen angekündigt, und in welchem er sich bisher unverändert erhalten hat, nichts anders glauben, als daß dieser Mann sich selbst für das große Organ halten müsse, durch welches die Vernunft ihre Göttersprüche ertönen lasse. Nie hat irgend ein Schriftsteller zugleich m i t m e h r a n s c h e i n e n d e r K a l t b l ü t i g k e i t , mit w e n i g e r
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M i ß t r a u e n i n s i c h s e l b s t , und mit w e n i g e r Achtung für Andre geschrieben; und es sey nun, daß man ihn als H e r o l d d e r Wa h r h e i t , oder als G e s c h ä f t s t r ä g e r d e s m e n s c h l i c h e n G e s c h l e c h t s , oder (welches der Charakter ist, worinn er sich am meisten zu gefallen scheint) als O b e r r i c h t e r ü b e r d i e V ö l k e r u n d F ü r s t e n d e s E r d k r e i s e s — die ihm aus seinem Kosmopolitischen Augenpunkt als so viele e i n z e l n e auf unserm Erdenklose herumkrabbelnde We l t b ü r g e r l e i n erscheinen — auftreten sieht, um mit einer Mine und einem Ton, für die ich keine Vergleichung kenne, die Erdenbewohner zu belehren, zu züchtigen und zu richten: So weiß man nicht, was man am meisten bewundern soll — ob den Mann, der in der süßen Trun-
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kenheit seines Eigendünkels d i e U n f e h l b a r k e i t d e r a l l g e m e i n e n Ve r n u n f t für ein Attribut der seinigen hält? — oder die theure Leserschaar, die sich durch allen den Fracas imponiren läßt, und der man sich nur, mit anhaltender Dreistigkeit, für was man will zu geben braucht, um von ihr dafür gehalten zu werden; oder wenigstens (wie die Taschenspieler und Geisterbanner vom gemeinen Volke) mit einer Art von grauenhaftem Respekt als ein Wundermann angesehen zu werden, um den sich Alles herdrängt, weil man Zeichen und Wunder von ihm erwartet; und dem gleichwohl niemand zu nahe zu kommen, oder recht unter die Augen zu schauen sich getraut, weil man sich vor eben dieser Zaubermacht f ü r c h t e t , von der man sich so gerne b e l u s t i g e n läßt. Etwas diesem ähnliches muß es doch wohl seyn, was die Augen der wackern Leute blendet, welche einem Schriftsteller wie Linguet das Compliment machen können: „man finde in j e d e m A r t i k e l seiner Politischen Annalen die G r ü n d l i c h k e i t d e s R ä s o n n e m e n t durch die Annehmlichkeit der
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1779)
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Schreibart verschönert, und was ihnen d e n g r ö ß t e n We r t h gebe, sey, d e r To n von Freymüthigkeit und Wa h r h e i t , der darinn herrsche.“ *) Der weise Verfasser des Schreibens, das sich mit diesem Compliment anfängt, bekennt, daß ihm dieser To n v o n Wa h r h e i t ein Ve r t r a u e n zu Hrn. Linguet einflöße, welches ihn alle Nachrichten, die er uns gebe, b l i n d l i n g s g l a u b e n mache. — Es wäre zu beklagen, wenn dieses blinde Vertrauen in die Wahrhaftigkeit des Hrn. Linguet von so weitem Umfang wäre, als der Geschmack an der Sachwalterischen Wohlredenheit seines Vortrags; und noch schlimmer wär es, wenn sich dies blinde Vertrauen bis auf seine U r t h e i l e , und auf alle 10
die dreisten Behauptungen erstreckte, die er so vorbringt, a l s o b e s T h a t s a c h e n w ä r e n , wiewohl es im Grunde bloße Urtheile und Meinungen sind; und zwar Urtheile und Meinungen über Dinge, wovon Hr. Linguet oft nicht den mindesten Begriff hat, der ihm ein Recht gäbe, seine Meinung davon zu sagen. Wir können nicht so klein von dem Verstande des größern Theils seiner Leser denken, um zu befürchten, daß er einen so schädlichen Vortheil jemals über sie erhalten werde. Indessen ist doch nur zu gewiß, daß die außerordentliche Zuversichtlichkeit seines Tons viele dahinreißt; und es wäre allerdings nicht gleichgültig, wenn dieser Ton (wie es das Ansehen gewinnt) auch unter
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uns Nachahmer fände, die, durch den Succeß einiger Franzosen aufgemuntert, sich die bekannte Trägheit unsers Publicums auf ähnliche Art zu Nutze machen wollten. Wir glauben also, daß es keine übelangewandte Zeit seyn werde, wenn wir einen kleinen Artickel dazu anwenden, mit Hrn. Linguet im Nahmen der Wahrheit ein wenig abzurechnen; und an einigen von den unzähligen Beyspielen, wovon seine Blätter wimmeln, zu zeigen, wie sehr man Ursache habe, bey denjenigen auf seiner Huth zu seyn, die am meisten Lerm mit ihrem Eifer für die Sache der Wahrheit machen. Niemand hat sich selbst je ein wichtigers Air gegeben als Herr L i n g u e t .
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Das sogenannte Avertissement vor dem vierten Bande seiner Annalen enthält auf allen Blättern Proben davon, die bis zum Lächerlichen gehen. Da bey diesem Manne alles P h r a s e o l o g i e und We n d u n g und selbstbeliebige A r t s i c h d i e S a c h e n v o r z u s t e l l e n ist, und da seine Sprache ihm dazu, mehr *)
S. das Avertissement vor dem IV. Tom. der Annales Politiques p. 21.
Über Linguets Annales
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als irgend eine andre thun könnte, die größten Bequemlichkeiten darbeut: so weiß er beynahe einem jeden Federzug, den er thut, das Ansehen eines Ve r d i e n s t s zu geben, und sogar die eckelhaften Ergießungen seiner Galle über D a l e m b e r t , M a r m o n t e l , l a H a r p e , A r n a u l t , und andre seiner literarischen Widersacher, adelt er zu D i e n s t e n , die er d e m S t a a t erweist, und „ s e i n H e r z g e n i e ß t d a b e y le plaisir de faire le Bien Public.“ Das ist nun freylich ein Tic, den er mit dem geringsten F r i s e u r und Ta n z m e i s t e r c h e n seiner Nation gemein hat; aber man übersieht auch an einem Friseur, was man einem Manne, der sich für einen Philosophen giebt, nicht übersehen kann. Immerhin mag jener seine Locke, um die Probe über ihre Dauerhaf-
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tigkeit zu machen, i n d e n O c e a n t a u c h e n ; man lächelt, und damit ists wie zuvor. Aber wenn der S o p h i s t , der S c h w ä t z e r , der P h i l o s o p h i s c h e Ta s c h e n s p i e l e r L i n g u e t von dem nunmehrigen geheimen Ort des Drucks der Lessons qu’ il donne aux Hommes sagt: „ M e i n d e r Wa h r h e i t g e h e i l i g t e s We r k s o l l i n d e m B r u n n e n g e d r u c k t w e r d e n , w o r e i n d i e Ve r k e h r t h e i t d e r M e n s c h e n d i e s e To c h t e r d e s H i m m e l s s i c h z u v e r b e r g e n g e n ö t h i g t h a t : “ so weiß man nicht, ob man über die Thorheit, welche bona fide so spricht, die Achseln zucken; oder was man der Unverschämtheit thun soll, die der Welt durch solche Phrases Staub in die Augen zu werfen vermeynt. Gerne, wo es nur immer möglich ist, wollen wir glauben,
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daß der so ganz über allen Begriff gehende T h r a s o n i s m u s dieses Mannes ein Fehler seines Verstandes, oder eine zur Gewohnheit gewordene Ungezogenheit sey, deren er sich selbst nicht mehr bewußt ist; und daß es ihm dabey wie jenem alten G a d r i g a gehe, der seine Lüge so lange erzählt hatte, bis er sie endlich selbst glaubte. Und würklich scheint dies der Fall zu seyn, sobald er v o n s i c h s e l b s t spricht, welches ihm so oft begegnet, daß ein großer Theil seiner Annalen blos mit dem Wind, den er von sich selbst macht, aufgeblasen ist. Es ist ziemlich begreiflich, wie ein Autor, der schon etliche Jahre gewohnt ist, d a s g a n z e E u r o p a zum Confident seiner kleinen Privatangelegenheiten, seiner kleinen Zwistigkeiten und Fehden mit Parisischen Advokaten und Schöngeistern, und aller der kleinen oder grossen Ve r f o l g u n g e n , die er von seinen F e i n d e n erlitten haben soll, gemacht hat, sich endlich in die Illusion hineinschwazt, sich für einen sehr wichtigen Mann zu halten, und allen seinen kleinen Schicksalen und Zufällen in seiner Einbildungskraft das Ansehen großer Abentheuer und wichtiger Weltbegebenheiten zu geben. Daher läßt sich
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z. B. erklären, warum er sich so pompöser Bilder bedient, da er uns erzählt, wie es zugegangen sey, daß er in seiner Hofnung, in der S c h w e i z eine Freystatt für den Druck seiner Annalen zu finden, sich betrogen gefunden habe. Wäre Hr. Linguet ein bescheidner Mann, so würde er mit dieser Begebenheit (wenn er ja glaubte daß d i e We l t davon unterrichtet seyn müsse) in etlichen Zeilen haben fertig werden können. Er würde sich begnügt haben zu sagen: man habe zu Genf, oder Bern, oder wo er sonst um die Freyheit seine Marktschreyers-Bude aufzuschlagen nachgesucht haben mag, aus politischen Rücksichten Bedenken getragen, ihm solche zu gestatten. Damit wär es gut gewe10
sen, und kein Mensch würde ein Mehreres davon zu wissen verlangt haben. Jedermann hätte ungefähr so viel Weltkenntniß gehabt, um sich das Wahre von der Sache vorzustellen — als, zum Exempel: daß die Vorsteher jener Helvetischen Republiken weder den Hrn. Linguet noch seine Annalen für wichtig genug gehalten, sich um ihrentwillen auch nur d e r g e r i n g s t e n U n a n n e h m l i c h k e i t auszusetzen, die daraus hätte erfolgen können, wenn Blätter, worinn nicht nur so viele öffentliche Corps und Gesellschaften in Frankreich aufs heftigste angegriffen werden, sondern selbst über Nationen, Könige, Fürsten und öffentliche Welthändel mit C y n i s c h e r Freyheit ins Gelach hinein raisonniert wird — wenn, sage ich, Blätter dieses Schlags ö f f e n t l i c h aus
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einer Helvetischen Druckerey hervorgegangen wären. Aber freylich eine solche Vorstellungsart paßte nicht zu der Eitelkeit unsers Sachwalters der Wahrheit und des menschlichen Geschlechts. Er mußte also der Sache einen erhabnern Schwung geben. „ M a n b e t r a c h t e t e (sagt er) in der Schweiz meine Feder als einen e l e k t r i s c h e n C o n d u k t o r , welcher fähig wär den B l i t z allenthalben hinzuziehen, wo man e s w a g e n w ü r d e sie zu fixiren. Es schien, als ob b e y E r ö f n u n g m e i n e s P o r t e f e u i l l e a l l e M i n i s t e r i a l Rachwerkzeuge auf den Ort, der dieser furchtbaren Büchse der P a n d o r a Aufenthalt gäbe, z u s a m m e n s t ü r z e n , und die Gegend in den Abgrund versenken würde, welche unvorsichtig genug wäre, einem n e u e n
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T i t a n Zuflucht zu gestatten.“ — Es fällt stark in die Augen, daß all dies Persifflage die guten Helvetier lächerlich machen soll. Und freylich, wenn sie fähig gewesen wären, ein Männchen wie Hr. Linguet für einen neuen T i t a n und sein Portefeuille für die B ü c h s e d e r P a n d o r a anzusehen, so würden sie bald aufhören fähig zu seyn vor Gericht Zeugniß abzulegen, ein Testament zu machen, oder irgend eine andre bürgerliche Handlung zu verrichten. Aber
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Hr. L . soll uns nicht bereden, so unwürdig von ehrwürdigen und weisen Männern zu denken. Der elektrische Conduktor, die Blitze, die furchtbare Büchse der Pandora, und der himmelstürmende Titan sind bloße Meteore seiner eignen lächerlichen Eitelkeit und affektierten Schöngeisterey; und vergebens hoft er, in ganz Europa einen Kopf schwach genug zu finden, um ihm durch so schülerhafte Rhetorskniffchen so unendlich kleine Gegenstände w i c h t i g e r zu machen, als sie an sich selbst sind. Der geringste Mensch kann durch die geringste Handlung, unter gewissen Umständen, die Aufmerksamkeit des wichtigsten Mannes, ja die öffentliche Aufmerksamkeit erregen: aber deßwegen soll er nicht so albern seyn, sich gleich einzubilden, daß er darum selbst
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ein wichtiger Mann sey. Doch, wie gesagt, man möchte dem Hrn. L . seine Eitelkeit immer hingehen lassen, wenn sie nicht die Mutter einer I n s o l e n z wäre, deren Würkungen oft allzugroß sind, um mit dem Charakter eines Wahrheitliebenden Mannes bestehen zu können. Für diesmal mag es an Einer Probe genug seyn, die in einer Anmerkung in dem schon angezognen Vorbericht zum 4ten Theil der politisch-literarischen Annalen zu finden ist. Linguet, der in diesem Vorbericht den Herrn Dalembert und Marmontel noch schlimmer als jemals mitspielt, hatte (dem Ansehen nach, bloß um sich zu jener Anmerkung Gelegenheit zu machen) gesagt: D i e F i g u r d e s H r n .
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Dalembert könnte Bildhauern zu einem Modell von Majestät d i e n e n . Nun lese man die Note zu diesem Text. — „Ich kann nicht umhin (sagt Hr. L.) dem Hrn. Dalembert bey dieser Gelegenheit eine Anekdote mitzutheilen, die ihm vielleicht unbekannt ist, und die ihm unfehlbar sehr schmeicheln muß. I c h w e i ß n i c h t , w a s f ü r e i n Docteur Allemand *) h a t e i n d i c k e s B u c h (un gros traite´) ü b e r d i e P h y s i o n o m i e n g e s c h r i e ben ; er offenbart die Kunst, aus den Lineamenten des Gesichts d i e Ta l e n t e , d e n i n n e r n We r t h (le merite) k u r z , d i e S e e l e u n d d a s Herz eines Menschen herauszufinden. Er versichert, daß es noch nie einen grossen Mann gegeben, auf dessen Nase, und in *)
Ich lasse dies Docteur Allemand wie es ist, weil es mit allen den Nebenbegriffen, die in
Französischen Köpfen mit den Worten Docteur Allemand associirt sind, nicht Teutsch gemacht werden kann. E i n g e w i s s e r t e u t s c h e r S c h u l m e i s t e r oder P e d a n t — würde vielleicht dem, was die Herren Franzosen durch je ne sai quel Docteur Allemand sagen wollen, am nächsten kommen.
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dessen Zügen man nicht die Grundlagen seiner Reputation find e . E r c i t i e r t d e n H r n . D a l e m b e r t a l s e i n B e y s p i e l . Wa h r i s t s , e r g e s t e h t , e r h a b e n i e d e n Tr o s t g e h a b t i h n z u s e h e n ; a b e r nach seinen gestochnen Bildnissen, die er sehr studiert hat, versichert der Herr Doktor, sehr wohl bemerkt zu haben, daß diese Nase und diese Züge keinem gemeinen Menschen zugehör e n . “ — Ich brauche keinem teutschen Leser zu sagen, daß die Rede hier von L a v a t e r seyn soll. Aber wer muß der Mensch seyn, der in diesem impertinenten Ton von Persifflage von einem Mann wie Lavater, und von einem Werk 10
wie die P h y s i o g n o m i s c h e F r a g m e n t e sind, schwatzen kann? Seit wenn ist Lavater ein Docteur, oder ein Docteur A l l e m a n d ? Woher hat Hr. Linguet ein Recht, einen durch seinen bürgerlichen und sittlichen Charakter ehrwürdigen Geistlichen und Pfarrern in der ersten Stadt von Helvetien, als je ne sai quel Docteur Allemand zu traktiren? Glaubt er, daß ihm das besser anstehe, als wenn irgend ein teutscher Exadvokat und Annalist den Cure´ de St. Sulpice zu Paris, oder welchen andern Pfarrern er will, und wenn es auch nur der Pfarrer zu Peirehurade oder Pierrebuffiers wäre, je ne sai quel pre´tre Franc¸ois nennen wollte? Sonderlich wenn, nach einstimmigem Urtheil der ganzen Nation, dieser Pfarrer einer ihrer größten Männer wäre? Freylich ist
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klar, daß Hr. L i n g u e t weder den Mann, auf dessen Unkosten er den ihm verhaßten D a l e m b e r t lächerlich machen will, noch das Werk kennt, von dem er in einem Ton spricht, der nur dem albernsten Produkt eines Imbecille angemessen seyn kann. Es ist klar, daß er nicht einmal das Titelblat davon gesehen hat, und vermuthlich weiß er auch nicht Teutsch genug um es zu verstehen. Aber entschuldigt ihn diese Unwissenheit? Was soll man von einem Manne denken, der Annales litteraires du XVIII Siecle schreibt, Annalen, deren Umfang sich über ganz Europa erstrecken soll, und dem so wenig daran liegt, sich von dem Zustande der Wissenschaften ausserhalb seinem eignen kleinen Zirkelchen besser zu unterrichten? Der von Lavatern und seinem
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Werke verächtlich spricht, und nicht einmal weiß, wer Lavater ist, und was das Werk auf sich hat, das er durch die unverständige Benennung d’un gros traite´ sur les Physionomies verächtlich machen will? Stund es nicht bey ihm, besser unterrichtet zu werden? Hatte er nicht wenigstens bey seinem Aufenthalt in der Schweitz dazu die beste Gelegenheit? Man weiß zwar wohl, daß L . auch in der Schweiz seine Gegner und Verkleinerer hat. Aber ob Gott will, ist doch
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wohl keiner von ihnen s o ungerecht oder s o arm am Geist, ihm nicht wenigstens den Vorzug außerordentlicher Fähigkeiten — und seinem P h y s i o g n o m i s c h e n We r k den Werth einer Menge grosser und tiefsinniger Gedanken, einer Menge neuer Bemerkungen, und weitgrenzender Blicke in das, was noch u n b e k a n n t e s L a n d auf der Karte der menschlichen Erkenntniß ist, einzugestehen? Hätte Hr. Linguet nicht bey der geringsten Erkundigung wenigstens so viel erfahren können, daß Lavaters Werk nicht das Hirngespinst eines Träumers, sondern das mühvolle Unternehmen eines N a t u r f o r s c h e r s ist? Daß er die Physiognomik nicht wie eine alte Zigäunerin die Chiromantie, oder wie Hr. Linguet die Politik und Litteratur, sondern wie ein
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weiser Mann behandelt hat, der ein neues und fast unermeßliches Feld der Naturgeschichte zu bearbeiten anfängt: und dem die Nachwelt, was sie auch von diesen oder jenen einzelnen Theilen oder Stellen seiner Fragmente urtheilen mag, doch gewiß seinen Platz neben den Bacon, Locke, Bonnet, Büffon, u. s. w. weder versagen k a n n noch versagen w i r d ? Unstreitig hätt’ es in Genf oder Bern oder Lausanne Leute gegeben, die ihm das alles gesagt hätten, wenn er sich hätte erkundigen wollen? Aber freylich, was bekümmert sich der größte Theil der sich selbst genugsamen Französischen Literatoren um die Verdienste der Teutschen oder andrer Ausländer? Und gerne wollten wir auch Hn. Linguet das Vorrecht zugestehen, nicht zu wissen, was ihn, seiner Mey-
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nung nach, nicht angeht — und nichts lernen zu wollen, wenn er bereits alles was lernenswerth ist zu wissen glaubt. Aber nur soll er alsdann auch von dem s c h w e i g e n , was er nicht weiß! — Oder sollte er etwa die Verachtung, die er der Teutschen und Helvetischen Nation durch diese abschätzige Art von einem ihrer anerkannten grösten Männer zu sprechen, dadurch zu rechtfertigen vermeynen, wenn er uns sagte: „ich hab es nie der Mühe werth gehalten, mich um den Zustand der Wissenschaften bey euch, und wie viel oder wenig eure Gelehrten gethan haben, zu bekümmern?“ — Doch, wir wollen den einzigen möglichen Fall setzen, der Hrn. Linguet zu einigem Vorstand gereichen könnte: daß er das Wenige, was er von dem je ne sai quel Docteur Allemand und von seinem Gros Traite´ sur les Physiognomies gehört hat, von irgend einem irrenden Französchen, B a r b i e r oder F r i s e u r , mit dem er in einer Auberge bekannt worden, aufgeschnappt habe. Entschuldigt ihn das? Für tausend junge wandernde Herrchen seiner Nation möcht es genug seyn. Aber wahrlich der Mann, der sich für den noch allein übrig gebliebnen Propheten
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und Priester der Wahrheit ausgiebt; der Mann, der seine Blätter in dem Brunnen drucken läßt, wohin sich diese Tochter des Himmels verborgen hat; der Mann, der alle Augenblicke auf seine Unpartheylichkeit und E x a c t i t u d e pocht, und den nehmlichen Aufsatz, worinn er solche Proben davon giebt, mit den Worten beschließt: je ne me piquerai plus du tout d e p r o u v e r p a r l e r a i s o n n e m e n t q u e j e s u i s e x a c t , je me contenterai d e l’ eˆ t r e — Dieser Mann muß gewichtigere Garanten seiner Urtheile haben als Barbiergesellen, oder vielleicht einen Journalisten, der nicht besser urtheilt als jene. Von einem solchen ist die Welt berechtigt mehr zu fodern; und sollt’ ich mir auch dadurch 10
bey Gelegenheit die Ehre zuziehen, von Hrn. L . als ein je ne sai quel petit Poe¨terau et obscur Periodiste allemand tractiert zu werden, so muß ich die Ehre haben ihm zu sagen: daß noch eine einzige solche preuve d’exactitude, wie er da vor den Augen der ganzen ehrbaren Welt abgelegt hat, hinlänglich ist, seine Sendung zum Apostolat der Wahrheit in Europa sehr verdächtig zu machen. Aber freylich müssen wir nicht vergessen, daß der Schriftsteller, von dem wir hier reden, der nehmliche e x a c t e A n n a l i s t des XVIII. Jahrhunderts ist, der dem Dictionaire Encyclopedique sein ganzes Recht angethan zu haben glaubt, wenn er es als eine Compilation bigarre´e qui seroit infinement dan-
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gereuse si elle n’etoit ridicule qualificiret; der die ganze A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n z u B e r l i n , wegen einer Preisaufgabe, die er nicht versteht oder nicht verstehen will, wie einen Hauffen blödsinniger Knaben, die nicht wissen was sie wollen — die F ü r s t e n G e r m a n i e n s wie eben so viel kleine Junkern — und einen der größten Menschen, die jemals auf dem Schauplatz der Zeit die Rolle eines großen Königs gespielt haben, ungefehr wie einen von den Königlein, deren A b r a h a m mit dreyhundert und achtzehn Hausknechten i h r e r f ü n f e a u f e i n m a l aus dem Felde schlug, behandelt. — Einem Skribenten von diesem Schlage muß man freylich ein Priuilegium contra omnia Priuilegia gelten lassen; oder woher sollte sonst die Geduld kom-
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men, womit man alle seine Incartaden, gegen ganze Nationen wie gegen einzelne Personen, und sein politisches Radotage über Welthändel, von denen seine Unwissenheit ihm alles Recht seine Meynung zu sagen verbeut, bisher ertragen hat? Von einem Autor, der bey jeder Gelegenheit dem ganzen Corps Germanique so wenig Achtung zeigt, ist freylich nicht zu erwarten, daß er einem einzelnen teutschen Gelehrten anständig begegne. Im Grunde war es
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ihm auch, da er jene Note hinschrieb, bloß darum zu thun, dem H e r r n D a l e m b e r t einen Streich zu versetzen. Daß es sich nun just fügte, daß ein angeblicher Docteur Allemand zugleich mitgetroffen wurde, war zwar vielleicht nicht, was er eigentlich wollte; aber da es doch ein Mittel zu seinem Zweck war, so schien es ihm wenigstens eine sehr kleine Peccadille. Denn er versündigte sich ja nur an einem Docteur Allemand, d. i. (nach einer Denkart, die er mit hundert Französischen Witzlingen gemein hat) in corpore vili, das sich zu einem Französischen Bel-Esprit ungefehr verhält, wie die alten K a r a i b e n zu den S p a n i e r n , ihren Bezwingern; und wo sich also noch fragen läßt, ob man sich überall an ihnen versündigen könne? — Bey allem dem wünschen wir zur Ehre der Druckerey, die Hr. Linguet in dem Brunnen der Wahrheit angelegt hat, daß er sein Ouvrage consacre´ a ` la Verite´ künftig von dergleichen Flecken rein halten möge. Denn es ziemt demjenigen, der bey jeder Gelegenheit seinen Encyklopädistischen Gegnern vorwirft, daß ihre F r e y h e i t — freche A u s g e l a s s e n h e i t sey, noch weniger als irgend einem andern, die Freyheit, die man seiner eignen Feder zuläßt, mit so weniger Bescheidenheit zu gebrauchen. W.
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Auszug aus einem Schreiben des Hrn. A ** D* V* ** an — über die Entdeckung einer sehr wichtigen Handschrift der Werke des Homers. ¼Venedig, den 23. Jenner 1779. „Sie fragen mich, ob ich unter dem ansehnlichen Schatz von Handschriften in der St. MarkusBibliothek (wo ich, Dank sey der Höflichkeit der hiesigen Edeln, alle Morgen 7 Stunden, ungeachtet der entsetzlichsten Kälte, zubringe) nicht irgend einen neuen griechischen oder lateinischen Dichter aufgespürt habe? Das hab’ ich nicht; aber ich habe gleichwohl etwas 10
gefunden, das eben so schätzbar ist — eine alte Handschrift des H o m e r aus dem zehnten Jahrhundert, in sehr großem Folio, und mit überaus klein geschriebenen Randnoten. Diese Noten enthalten e r s t e n s den g a n z e n K o m m e n t a r d e s b e r ü h m t e n D i d y m u s v o n A l e x a n d r i e n * ) ü b e r d i e I l i a s , und die kritische Untersuchung eben dieses Didymus über *)
Dieser D i d y m u s , der zu Julius Cäsars und Augusts Zeiten geblüht hat,
war der berühmteste von den Schülern des Aristarchus, und selbst der Stifter einer ansehnlichen Schule von Grammatikern, wie man damals diejenigen Gelehrten nannte, die sich mit d e r P h i l o s o p h i e d e r S p r a c h e , und der kritischen Auslegung der alten Dichter beschäftigten. Sein Kommentar über den Homer wurde um so höher geschäzt, da er die Arbeit seines berühmten Vor20
gängers dadurch v o l l e n d e t zu haben schien. Man hatte aber bisher alle Ursache solchen für verlohren zu halten. Denn die Scholien, die man lange Zeit für die Arbeit dieses Didymus gehalten, und die unter dem Nahmen sxolia palaia bekannt sind (wovon sich ein Exemplar der ersten unter Leo X. zu Rom 1517. veranstalteten seltnen Ausgabe, die Scholia über die Ilias enthaltend, auf hiesiger Fürstlichen Bibliothek befindet) sind, wie J . A . F a b r i z i u s bewiesen hat, nichts weniger als dieser Kommentar des D i d y m u s C h a l c e n t e r u s , sondern allenfalls das Werk eines viel jüngern Grammatikers dieses Nahmens, oder vielmehr ein Mischmasch von notis Variorum, worunter auch Didymus seyn mag, unbekannt wann und von wem, zusammengetragen. Wenn also dies
¼Anmerkungen und Zusatz: d’Ansse de Villoison½ A u s z u g a u s e i n e m S c h r e i b e n
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die Ausgabe des Homer, welche A r i s t a r c h u s herausgegeben, und über die Noten dieses berühmten Kritikers. Dieses schätzbare Werk, dessen Verlust man bisher beklagt hat, und welches gewiß mehr werth ist, als alles, was bis auf unsre Zeiten über den Homer geschrieben worden * ), weil es die Frucht der Bemühungen des größten Kritikers des Alterthums ist, enthält die Aufklärung aller dunkeln und bisher unverständlichen Stellen der Ilias. Z w e y t e n s enthalten die Noten dieser in ihrer Art einzigen Handschrift das g a n z e We r k des H e r o d i a n u s * * ) über die Ve r s i f i c a t i o n , P r o s o d i e , und Accentuation der Verse Homers. Dieses Werk, das man ebenfalls für verlohren hielt, wurde von den Alten sehr geschäzt, und verdient es. D r i t t e n s befindet sich in diesen Noten das ganze, bisher ebenfalls unbekannte Werk des N i k a n o r * * * )
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über die richtige Punctuation der Homerischen Verse, von welcher der Sinn unendlich vieler
neuentdeckte Mscpt. die ä c h t e und v o l l s t ä n d i g e Ejhghsin des besagten Didymus enthielte, so wäre solches allerdings ein wichtiger Fund. *)
Von G r a m m a t i k e r n nehmlich.
**)
Dieser H e r o d i a n , der von vielen Gelehrten irrig mit dem weit spätern
Geschichtschreiber eben dieses Nahmens vermengt worden, war ein berühmter G r a m m a t i k u s aus A l e x a n d r i e n . P r i s c i a n gesteht ihm unter diesen eine der obersten Stellen zu, und A m m i a n u s M a r c e l l i n u s nennt ihn, Artium minutissimum sciscitatorem. Was die beste Meynung von ihm erwecken kann, ist, daß er bey dem Kayser M. Antoninus Philosophus in ganz vorzügli-
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cher Achtung gestanden. Er hat unendlich viel geschrieben, wovon das Meiste, und besonders sein Hauptwerk, Prosodia catholica genannt, verlohren gegangen. In dem Verzeichnis, welches Fabrizius von seinen nicht mehr vorhandenen Arbeiten giebt, befindet sich auch die ëOmhrikh prosvdia, welche Hr. v . V . in dem Manuscript, wovon hier die Rede ist, ganz wiedergefunden hat. Conf. F a b r i c . Bibl. Graeca. Vol. VII. p. 10. ***)
Der N i k a n o r , von welchem hier die Rede ist, war ebenfalls ein Gram-
matikus zu Alexandrien, der zu K. H a d r i a n s Zeiten blühte, und, weil er sich besonders große Mühe gab, die Materie von der Punctuation auf wissenschaftliche Genauigkeit zu bringen, von ungelehrten Lachern mit dem Spottnahmen Stigmatias bezeichnet wurde. Das Werk dieses Nikanors, welches Hr. v . V . wiedergefunden hat, wird vom Suidas unter dem Titel: Vo n d e n P u n c t e n i m H o m e r , und von d e m U n t e r s c h i e d i m Ve r s t a n d e d e s Te x t s d e r s i c h d a d u r c h e r g i e b t , angeführt.
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Stellen dieses großen Dichters abhängt. Dies Werk gab dem Nikanor den Zunahmen des zweyten Homers. * ) Über all dieses finden sich auch am Rande dieser Handschrift a l l e Va r i a n t e n der sämmtlichen Ausgaben, welche die Griechen vom Homer verfertigt haben, als der beyden vom A r i s t a r c h u s , der vom A r i s t o p h a n e s , * * ) der von C h i o , der von M a s s i l i e n , u. s. w. imgleichen die Noten des Ty r a n n i o n und aller Kritiker des Alterthums. Endlich, und was dieser Handschrift den Vorzug über alle andern in Europa giebt, findet man auch neben jedem Verse die Obelisken und Asterisken des Aristarch, welche, bekanntermaßen, die Zeichen sind, deren sich dieser große Kunstrichter bediente, um die unächten und verfälschten Verse im Homer, diejenige, wo die Lesart verdächtig ist, und diejenigen, welche 10
einer Verbesserung nöthig haben, nebst der Art sie zu verbessern, anzugeben. *** ) *)
Eigentlich des n e u e n Homers. Es war immer ein unverständiger Bey-
nahme, von Leuten, die nicht recht wußten was sie sagten; so groß auch das Verdienst dieses Grammatikers um die richtige Punctuation der Homerischen Verse gewesen seyn mag. **)
Hier verstehe ich entweder den Herrn von *** nicht recht, oder es ist ihm
(wie den Gelehrtesten am leichtesten begegnet) ein kleiner Gedächtnißfehler entwischt — vielleicht ein bloßer Irthum der eilenden Feder. Der Grammatikus A r i s t o p h a n e s v o n B y s a n z , der unter dem Ptolom. Philadelphus Vorsteher der Alexandrinischen Bibliothek war, hat keine neue Ausgabe, sondern 20
blos eine neue Divruvsin oder E m e n d a t i o n des Homers gegeben, auf welche sich Eustathius häuffig bezieht, und die man bisher für verlohren gehalten; die sich aber nun, nach der Versicherung unsers gelehrten Reisenden, in dem merkwürdigen Manuscript der St. Marcusbibliothek wiederfindet. Sein Schüler und Nachfolger A r i s t a r c h , der seinen Nahmen allen strengen Kunstrichtern zum Erbe hinterlassen hat, glaubte, daß sein Vorgänger in seiner Arbeit noch nicht Schärfe genug bewiesen habe; er gieng noch weiter, und lieferte eine neue Ausgabe des Homer, mit seinen eignen Anmerkungen; und dies ist eben die berühmte Ausgabe mit den O b e l e n und S t e r n c h e n , welche ihm einen so grossen Nahmen unter den Kunstrichtern, aber auch schon zu seiner Zeit
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den Widerspruch und Tadel andrer gelehrten Männer von seiner Profession zugezogen hat. ***)
Fabrizius erwähnt gleichwohl einer Handschrift vom Homer, welche
1701. zu Dordrecht in der Auction der Johann von Wittischen Bibliothek vorgekommen, und mit den Obelis des Aristarchs versehen sey. Wo solche hingekom-
¼Anmerkungen und Zusatz: d’Ansse de Villoison½ A u s z u g a u s e i n e m S c h r e i b e n
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Diese Handschrift ist also, wie Sie sehen, ein wahrer Schaz; denn sie giebt uns die ächte Lesart und führt uns zum wahren Verständnis des Fürsten der Dichter. Ich lese den Homer schon so lange, daß ich ihn auswendig weiß; und gleichwohl hab ich in dieser Handschrift den Sinn einer unzählichen Menge von Stellen gefunden, die vorher weder ich noch irgend jemand recht verstanden, und welche auch, ohne diese Handschrift, wohl immer unerklärbar geblieben wären. Das Sonderbare dabey ist, daß sie bisher noch Niemanden bekannt gewesen; daß sie in dem Verzeichnis der Handschriften dieser Bibliothek sehr übel rubriciert ist; kurz, daß man sie bisher gar nicht wahrgenommen: da man hingegen aus einer andern Handschrift eben dieser Bibliothek weit minder erhebliche Noten gezogen und publiciert hat.“½
* * *
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Der Urheber dieses Schreibens hat eine starke Präsumtion für sich, daß er den Werth seines gefundnen Schatzes nicht höher angegeben habe, als er seinem innern Gehalt nach würklich ist. Gesezt aber auch, er wäre nicht ganz so wichtig, als er ihn bey der ersten ungefähren Schätzung und in der ersten Freude über einen so unverhoften Fund sich vorgestellt; gesezt daß wir durch diese Handschrift zu mehrerer Berichtigung des Homerischen Textes und zu vollkommnerem Verständnis desselben, nicht ganz so viel gewännen, als uns Hr. v. V*** zu versprechen scheint: so bleibt die Entdeckung dieses bisher vernachläßigten und vor allen andern bekannten Handschriften der Homerischen Werke so vorzüglichen Manuscripts noch immer für alle Freunde der
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wahren Gelehrsamkeit eine höchst interessante Begebenheit; und ist es um so viel mehr, da sie schwehrlich von Jemanden hätte gemacht werden können, der sie zu benutzen geschickter wäre als Hr. v. V***. Seine Stärke in der Sprache Homers und in der Griechischen Literatur überhaupt ist ungewöhnlich, und seine Liebe zu dieser Art von Wissenschaften, sein Eyfer für ihre Beförderung, übertrift alles. Er ist gegenwärtig begriffen, diesen ganzen Codex eigenhändig abzuschreiben; und wir haben Ursache zu hoffen, daß die Frucht dieser Bemühung eine neue Ausgabe des Homers seyn werde, die alle bisherigen an Vollkommenheit weit hinter sich lassen wird. Indessen wünschen und hoffen wir, mit allem Respekt, den wir den alten Alexandrinischen Grammatikern, Exegeten und Emendatoren des Homers schuldig sind, daß Hr. v. V. men, sagt er nicht; und ich würde mich demjenigen verbunden achten, der mir davon Nachricht geben wollte.
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sich bey dieser Gelegenheit einer Stelle aus L u c i a n s w a h r e r G e s c h i c h t e erinnern werde, welche (ungeachtet des Persifflage das durch dieses ganze Stück des witzigsten aller Spottgeister herrschet) den Aristarchen und Bentleyen alter und neuer Zeiten einen sehr nöthigen Wink zu geben scheint. Er erzählt nemlich: als er auf seiner wundervollen Reise in die Insel der seligen Schatten gekommen, habe er, während seines Aufenthalts daselbst, sich auch mit Vater Homer bekannt gemacht, und sich unter andern bey ihm erkundiget: was es mit den Versen, die ihm von den Grammatikern abgesprochen worden, für eine Bewandnis habe? Homer aber habe diese Verse allesammt 10
für die seinigen anerkannt. Ich konnte also nicht umhin, sezt Lucian hinzu, die frostige Spitzfündigkeit (Cyxrologian) der Grammatiker Z e n o d o t u s und A r i s t a r c h u s (welche besser hatten wissen wollen, was Homer geschrieben habe als Homer selbst) sehr sträflich zu finden.“ — Man kann mit einer unermeßlichen Sprachgelehrsamkeit sehr stumpf an dichterischem Sinne seyn; und H a n n i b a l , da er dem Schulmeister, der ihm mit einem tiefen Bückling einen von ihm verbesserten Homer präsentierte, das Buch an den Kopf warf und sagte: wenn du der Mann wärst, der den Homer verbessern könnte, so brauchtest du wahrlich kein Hosenpauker zu seyn — hatte wohl so unrecht nicht; wiewohl er den ehrlichen Schulmeister auf eine weniger soldatische Art
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hätte zurechte weisen können. Es sey ferne, daß ich hierdurch das Verdienstliche der B e m ü h u n g e n der alten Grammatiker und gelehrten Neuern, die ächte Lesart des Homers oder irgend eines andern treflichen Schriftsteller herzustellen und über dunkle Stellen Licht zu verbreiten, im geringsten mißkennen wolle! Alles was ich damit sagen will ist bloß: daß man sich eben so sehr zu hüten habe, den Arbeiten der alten Kritiker einen a l l z u g r o ß e n Werth beyzulegen; daß man kaum genug Vorsicht und scharfe Beurtheilung anwenden könne, eh man Verbesserungen eines Dichers von jemanden annimmt, der nicht selbst ein Dichter ist; und daß in tausend Fällen die Entscheidungsgründe zwischen einer gewissen Lesart und einer vorgeschlagnen
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Verbesserung, selbst für die scharfsinnigsten Richter, schwebend und zweifelhaft bleiben. Eine Anmerkung, wozu uns, wofern es nöthig wäre, die Kommentatoren, Emendatoren und Übersetzer der S h a c k e s p e a r i s c h e n We r k e eine Menge Beyspiele an die Hand geben könnten. W.
¼Anmerkungen und Zusatz: d’Ansse de Villoison½ A u s z u g a u s e i n e m S c h r e i b e n
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Von Herrn B a u s e’ s neuesten Werken haben wir anzuzeigen: 1) Das B i l d n i s des berühmten reformierten Predigers Z o l l i k o f e r , nach dem Originalgemählde von G r a f ; ein vortrefliches Bild, sehr ähnlich, und, wie man zu fühlen glaubt, mit aller der Liebe gearbeitet, die der würdige Mann, dessen Geist darinn zu athmen scheint, denjenigen die ihn hören und kennen, einzuflößen pflegt. Die so seltne Kunst, die Arbeit des strengsten und mühsamsten Fleißes, unter dem Scheine einer anmuthsvollen Leichtigkeit zu verbergen, eine Kunst, die sich Hr. Bause ganz eigen gemacht hat, ist auch in diesem Stücke vorzüglich bewundernswerth. 2) und 3.) Zwey Blätter nach Original-Zeichnungen von O e s e r n , aus dem
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W i n k l e r i s c h e n Kabinet in Leipzig; das eine A b r a h a m a u f M o r i a , und das andre A b r a h a m s B r a n d o p f e r betittelt. Jenes stellt den Moment dar, da der erscheinende Engel dem auf seinen Knien liegenden Patriarchen die Zufriedenheit Jehovahs mit seinem Gehorsam und Glauben ankündigt, und auf das Opferthier zeigt, das er statt seines Kindes dem Herrn zum Opfer bringen soll. D i e s e s die Darbringung dieses Opfers; Abraham auf seinen Knien, den rechten Arm um seinen stehend zum Himmel auf betenden Knaben geschlungen; indem der Rauch des Opfers vom Altar vor ihnen emporsteigt. In beyden Stücken ist uns vorzüglich die Einheit des Gedankens, und die Energie des Gefühls, wovon die Personen durchdrungen sind — ein wunder-
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bares Gemisch von Menschlichem- und Gottesgefühl — einleuchtend gewesen. In beyden scheint der Detail dem grossen Effekt des Ganzen aufgeopfert zu seyn; aber ganz vorzüglich schön und groß ist in dem ersten die Austheilung des Lichts und Schattens, und die dadurch hervorgebrachte Würkung. Übrigens hat der Erfinder der Zeichnung diese beyden Stücke, wie es scheint, ohne Beziehung auf einander gedacht und ausgeführt. Denn in dem einen ist Isaac ein Kind von ungefehr drey oder vier Jahren, und in dem andern ein Knabe von acht oder neun. Noch ist bemerkenswerth, daß Hr. Bause auch das Eigne in der Manier des berühmten Meisters, nach dessen Zeichnung er hier gearbeitet hat, durch die Art der Behandlung, sehr glücklich anzudeuten gewußt hat. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang April 1779)
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An die Leser. 1. Das Leben des Ritters F r a n z v o n S i c k i n g e n habe ich zwar bereits vor einigen Wochen von dem Verfasser fertig erhalten; es hat aber, weil es sich nicht wohl auf einmal geben läßt, und anderer Ursachen wegen, auf die nächstfolgenden Stücke verspart werden müssen. 2. Von einem Freund in Petersburg ist mir schon vor etlichen Monaten eine neue Übersetzung des ersten Gesangs des H u d i b r a s zugeschickt worden, die, vielleicht nicht so wörtlich getreu als diejenige ist, die wir in vorigem Jahr aus Königsberg erhalten und unsern Lesern vorgelegt haben, hingegen sich 10
überhaupt, wie uns dünkt, angenehmer ließt, weil der Verfasser seinen Knittelversen (die doch auch in ihrer Art Musik in sich haben müssen, so gut wie andre) meistens einen minder schweren Gang und mehr Rundung gegeben hat. Weil die Vergleichung beyder Versuche unter sich und mit dem Original manchen unsrer Leser vielleicht Vergnügen machen wird, gedenken wir eine Probe dieser neuen Übersetzung in dem künftigen Stücke mitzutheilen. 3. Der Verfasser der in den beyden vorgehenden Monatsstücken angefangnen Beurtheilung des Voss. Musenalmanachs ist durch eine Krankheit verhindert worden, solche für gegenwärtiges Stück, wie seine Absicht war, zu vollenden.
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4. Noch muß ich anzeigen, daß, durch einen leidigen Zufall, ein paar Blätter des Manuscripts der zu Anfang des gegenwärtigen Stücks befindlichen B i l a n z etc. während des Drucks verlohren gegangen. Ich finde nöthig diese Anzeige zu thun, weil besagter Artikel dadurch, ohne Schuld des Verfassers, weniger hält als er im Eingang verspricht. W.
An die Leser
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Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Zweytes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. April 1779.
¼An den Herausgeber des T. Merkurs.*) …½ *)
Dieser Aufsatz ist mir von unbekannter Hand zugeschickt worden. Er hat
keine Rubrik; aber es sind, wie Salomo sagt, g ü l d e n e Ä p f e l a u f e i n e r s i l b e r n e n S c h a l e ; und ich finde weiter nichts daran auszusetzen, als daß er zu bald abbricht. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Mai 1779)
¼Hudibras. Erster Gesang.*) …½ *) Dies ist die letzthin erwähnte Probe einer neuen Übersetzung des Hudibras,
die uns aus Petersburg zugeschickt worden.
¼Anmerkung zu Soltaus Übersetzung: Butler½ H u d i b r a s . E r s t e r G e s a n g
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Z. N. Die zwey Gedichte, welche mir von einem Ungenannten unter dem Dato Berlin den 3ten April zugeschickt worden, können aus einer Ursache, die ich demselben, wenn er sich mir zu erkennen geben will, zu eröfnen bereit bin, nicht in den Merkur eingerückt werden.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Mai 1779)
Der Teutsche Merkur. May 1779.
¼Homers Odüßee wird seit dreytausend Jahren für eines der vollkommensten Gedichte gehalten. Sie ist nicht so erhaben, als seine Ilias, aber für uns unterhaltender, weil sie mehr solche Empfindungen und Schönheiten der Natur darstellt, die in jedem Zeitalter und unter jeder Himmelsgegend Eindruck machen. Von diesem Gedichte denke ich eine Übersetzung in zwey Bänden groß Octav, mit erklärenden Anmerkungen, auf Pränumeration herauszugeben, und habe für feines holländisches Schreibpapier und neue Lettern gesorgt. Der Preis ist 2 Rthlr. in Golde, den Louisd’or zu 5 Rthlr. gerechnet. Ich ersuche die Herren Collecteurs und meine Freunde, diese Nachricht in ihren Gegenden auszubreiten, und Pränumeration anzunehmen. Wer für zehn Exemplare bezahlt, bekömmt das eilfte umsonst. Gegen Ende des August bitte ich mir die Gelder und die Namen der Pränumeranten, die vorgedruckt werden sollen, postfrey unter der Addreße: A n d e n R e k t o r Vo ß i n O t t e r n d o r f , a b z u g e b e n b e y d e r F r . P a s t o r in A l b e r t i a u f K a t h a r i n e n K i r c h h o f i n H a m b u r g : einzusenden. Zur Ostermesse 1780 erscheint das ganze Werk. Wer nicht pränumerirt hat, bezahlt alsdann für ein Exemplar auf Druckpapier 2 Rthlr. 8 Gr., und auf Schreibpapier 2 Rthlr. 16 Gr. in Golde. J . H . Vo ß . ½
Hier in Weimar erbietet sich der Hofrath Wieland, Bestellung und Pränumeration auf dieses Werk anzunehmen.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juni 1779)
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Der Teutsche Merkur. Junius 1779.
¼Etwas vom Herrn Abt Winkelmann. (Aus einem Sendschreiben.) … — Leben Sie wohl!* )½ *)
Ich theile diesen Aufsatz den Liebhabern dieser Art von Litteratur unverändert mit, wie ich ihn erhalten habe. Ich habe kein Interesse, und kann keines haben, den Nachruhm eines Mannes verkleinern zu wollen, den, in so fern er ein Mann von eminentem Genie, und einer der besten Schriftsteller unsrer Nation war, niemand höher schäzt, als ich. Aber — in Rücksicht auf den großen Hauffen artistischer und antiquarischer Kleinmeister, von denen es unter uns wimmelt, die so gern mit N a h m e n Abgötterey treiben, und für die alles, was Winkelmann als A n t i q u a r i u s gesagt hat, Orakel ist — schien es mir vielleicht nicht ohne Nutzen zu seyn, wenn sie durch die Proben, die der Abbate B r a c c i von den Übereilungen unsers Landsmanns in seinen Urtheilen von alten und neuern Kunstwerken und dahin gehörigen Dingen, der Welt vorgelegt hat, gewarnt würden, selbst behutsamer zu seyn, und nicht so sinnlos, unter dem Schutz und Vortheil eines Winkelmannen nachgeäften Enthusiasmus, über Künste, Künstler und Kunstwerke zu urtheilen, von denen sie nichts verstehen — Geschieht das am grünen Holz, was wird am dürren werden! — Man kann ein Mann von Genie und in den Alten sehr bewandert seyn, und mit hoher Begeisterung über den Vaticanischen Apollo pindarisiren, u. s. w. und doch in dem antiquarischen Studio tief unter einem andern seyn, der weder ein Genie ist, noch über irgend einen Gegenstand pindarisiren kann — Übrigens bedarf es kaum der Erinnerung, daß B r a c c i geschickter ist, die Fehler und Schwachheiten W i n k e l m a n n s zu rügen, als gegen seine Vorzüge und Verdienste gerecht zu seyn. Die Art, wie er mit W . zu Werke geht, verräth zu viel üble Laune, persönlichen Widerwillen, Tadelsucht und Rachgier über würkliche oder eingebildete Beleidigungen, als daß er den mindesten Glauben verdienen könnte, wenn er nicht Beweise beybrächte, die auch im Mund eines Feindes ihre Kraft nicht verliehren. Anmerk. des Herausg.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juli 1779)
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¼An den Herausgeber des Teutschen Merkurs. Verzeihen Sie, mein Herr, daß ich eben so unbekannter als ungelehrter Weise mich unterfange, an Sie, den eben so bekannten als gelehrten * ) Herausgeber des teutschen Merkurs, zu schreiben, und in einer Gelehrtenangelegenheit mir guten Rath von Ihnen zu erbitten. Ich werde zwar hiesigen Orts selbst zu den Gelehrten gerechnet, und muß mich wegen meines Amtes, wozu nur solche genommen werden, die auf Universitäten gewesen sind, und wegen des fori priuilegiati, zu ihrer Innung halten, habe auch wirklich mein akademisches D r i t t h a l b e n n i u m richtig absolviert; ich bin aber in der That kein Gelehrter, und mag daher auch 10
nicht so genennt werden, noch vielweniger gar unter ihnen paradiren. Mein gesunder Menschenverstand, den ich mir durch kein System, habe ermorden lassen, macht immer einen himmelbreiten Unterschied unter einem S t u d i e r t e n und einem G e l e h r t e n ; und dieser Unterschied scheint mir in der Sache selbst so sehr gegründet zu seyn, daß ich wünschte, es möchte allgemeiner Sprachgebrauch werden, G e l e h r t e und S t u d i e r t e zu unterscheiden. Der Nahme G e l e h r t e r , glaub ich, wird lächerlich, wenn er sogleich jedem, der auf Universitäten Geld verthan, oder auch fleißig daselbst studiert hat, beygelegt werden soll; ja mancher rechtschaffene Prediger, Advocat oder Arzt, dächt ich, müßte sich ordentlich beleidigt fühlen, wenn man ihn einen Gelehrten nennt, indem er es gewöhnlicherweise nicht ist, oft auch, seiner Berufsgeschäfte wegen, weder eben seyn soll, noch auch seyn kann, wenn er seine
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Profession ehrlich und mit Nutzen treiben will. Doch wo gerathe ich hin? Ich wollte, mich zu entschuldigen, nur sagen, daß der Mißbrauch des Nahmens G e l e h r t e r Schuld hat, daß ich in einer Sache angegangen worden bin, derentwegen ich mich wieder an Sie, mein Herr, wenden muß. Der ganze, doch kurze Verlauf der Sache ist folgender: Es hat sich die Wittwe eines wirklich gelehrten Mannes seit einiger Zeit in unserer kleinen Stadt, vermuthlich aus ökonomischen Ursachen, häuslich niedergelassen, und sucht durch *)
Wollte Gott, der gute Herr sagte die Wahrheit, was das g e l e h r t betrift! —
Ich bin auf keine Art ein Freund von Komplimenten; aber dies mußte um der E u p h o n i e und der A n t i t h e s e willen, stehen bleiben. Woran sich also niemand ärgern wolle! 30
W.
¼Anmerkungen: Stockmann½ A n d e n H e r a u s g e b e r
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Versilberung alles ihres izt bey uns entbehrlichen Geräthes ihr kleines Kapital zu vergrößern. Unter andern findet sich darunter ein Kasten, den ihr seliger Eheherr sehr sorgfältig bewahrt hat, darinnen aber, bey Eröffnung desselbigen, weiter nichts als beschriebenes Papier angetroffen wurde. Man rieth ihr, dasselbe von einem Gelehrten durchsuchen zu lassen, weil vielleicht etwas Brauchbares darunter seyn könnte; und die gute Frau, verführt durch die hiesige Art zu reden, glaubt sich an mich wenden zu müssen. Mein Erstaunen, meine Entschuldigungen, u. s. w. können Sie sich leicht vorstellen. Ich that alles, um den Auftrag abzulehnen, konnte aber ihren zutraulichen Bitten endlich doch nicht widerstehen; durchsuchte also und fand, daß es kleine Aufsätze und hingeworfene Gedanken waren, die zwar noch kein zusammenhängendes Ganzes ausmachen, doch aber eine solche Beziehung auf einander haben, daß es
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scheint, es hat etwas Ganzes werden sollen. Zu meinem größten Vergnügen betreffen sie eine Materie, die mich interessiert, und auch für mich nicht zu gelehrt ist, nemlich die praktische Religion, z. B. „Hat Jesus, der Christ, eine Religion im eigentlichen Verstande stiften wollen? — Über Beichte — Privatcommunion — Eide — Patriotismus — Liturgie — Vermehrung und Verminderung der Zeremonien, u. s. w. Nun wünschte ich wohl, nicht allein zum Besten der Wittwe, sondern auch des allgemeinen Bestens willen, daß das Nützlichste dieser Papiere gedruckt werden möchte; wie soll ich aber dies angreiffen? Das Buchmachen habe ich nicht gelernt; und gesezt auch, es würde nicht allezeit Gelehrsamkeit dazu erfodert, so verstehe ich auch Handwerksgebrauch und Gewohnheit nicht. In dieser Verlegenheit nehme ich meine Zuflucht zu Ihnen, mein Herr, und erbitte
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mir Ihren guten Rath. Noch lieber aber wäre es mir, wenn ich Ihnen einige Stücke aus dem Kasten nach und nach zuschicken dürfte, und Sie dieselben in ihr Journal mit unterstecken wollten. Über beydes wünschte ich gar sehr ihre Meynung in einer kurzen Antwort zu vernehmen, welche Sie so geneigt seyn wollen, in ihren Merkur einzurücken; wo ich sie gewiß finden, und mich darnach achten will. Einige Nachricht von dem Verfasser selbst will ich Ihnen doch geben, damit Sie im Voraus auf die Beschaffenheit und den Werth der Aufsätze einigermaaßen Schlüsse machen können. Es war ein so rechtschaffener als gelehrter Prediger in * * * *, welcher mit vielen Gaben noch eine schöne Kenntniß der Theologie, der Natur, des Menschen, der Welt, und sogar der Bibel verband; so daß sich anfangs jedermann verwunderte, wie er, aller bisherigen Observanz zuwider, den Ruf nach besagter Stadt habe bekommen können. Sein Vortrag war gründlich und einnehmend: denn er predigte nichts, als was er für wahr hielt, und nach einer gesunden Auslegung aus der Bibel beweisen zu können glaubte; und dies nicht in hebräischer oder hellenistischer Sprache, sondern bloß teutsch, welches er aber sehr gut sprach, ob es gleich seine Muttersprache war. Freylich war dies in seiner Stadt lauter N e u e s; doch würde er
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davon nicht gestorben seyn, wenn er nur, da er doch sein reichliches Brod hatte, es beym Essen und Trinken, Predigen und Schlafen hätte sein Bewenden haben lassen, und nicht immerfort studiert hätte, wovon er kränklich wurde, und in kurzer Zeit starb. Einige vorwitzige Köpfe wollten es zwar besser wissen, und sprengten aus, er habe sich über die Demuth der Pharisäer und über den Stolz der Schriftgelehrten seines Orts zu Tode geärgert, und dadurch zeigen wollen, daß er auch noch ein Mensch gewesen sey. Allein zu beyden war er gewiß zu klug. Welcher kluge Mensch, der zwey gesunde Augen hat, wird sich darüber zu Tode ärgern, daß andere nur eines haben, oder mehr als zwey zu haben vorgeben? Und gesezt, er hätte auch nach der Liebe (die, auf Befehl einiger Generalpachter der Wahrheit und Gerechtigkeit, in foro 10
diuino immer das Ärgste präsumiren soll, bis das Contrarium erwiesen ist) von seinen Zuhörern präsumiert, sie wüßten es nicht, daß er ein Mensch sey: so würde er es viel klüger angefangen haben, sie davon zu belehren. Wenigstens hätte er sie hiervon nur mit Worten zu überzeugen gebraucht. Denn, wenn er einmal in einer Predigt gesagt hätte: „Ich bin auch ein Mensch, wie ihr seyd;“ so hätten es seine Glaubigen aufs Wort für wahr angenommen, und von den Unglaubigen würde ohnehin keiner daran gezweifelt haben. Nun, dächt’ ich, wüßten Sie, mein Herr, alles, was Sie zu wissen brauchten, um dieses ehrlichen Mannes Wittwe und mir in dieser Gelehrtenangelegenheit zu rahten und zu helfen; nur kommt es noch darauf an, ob Sie können und dürfen. Nicht zwar in der Meynung, als wenn ich an ihrer Fähigkeit und Willigkeit nur im geringsten Zweifel trüge: sondern weil Sie, be-
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sonders in Absicht auf das Einrücken in den Teutschen Merkur, nicht bloß von sich, sondern auch vom Publikum abhängen; und mir daher schon selbst die Bedenklichkeit erwachsen ist, ob dergleichen Aufsätze in ihrem Merkur wohl eine Stelle haben dürften? Ich habe mir aber diesen Zweifel nicht allein gemacht, sondern auch schon zu heben gesucht; zumal da ich in meinem Kasten unter den Rubriken J o u r n a l e , G e m e i n n ü t z i g e S c h r i f t e n , M o r a l , L e k t ü r e , einige artige Gedanken fand, die meine Hebung der Zweifel sehr unterstüzten. Erlauben Sie mir daher, daß ich Ihnen das Resultat von dem allen hier im Voraus vorlegen darf, indem ich zugleich Ihnen damit eine Probe von der Denkungsart unsers Verfassers geben kann: denn es werden meistens seine Gedanken und nur meine Worte seyn. Der teutsche Merkur hat doch die Absicht, allgemeinnützig zu seyn, und davon kann das,
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was Gottesverehrung und Tugend befördert, nicht ausgeschlossen werden. Beydes hat keinen Zweifel. Die große Frage ist nur das W i e ? Würde der teutsche Merkur, wenn er Wörter von sich hören liesse, die man sonst nur in der Kirche zu hören gewohnt ist, nicht vielleicht ausgelacht werden? Würde er nicht den edelsten * ) Theil seiner Leser damit verscheuchen? Die *)
In welchem Sinn den e d e l s t e n ? d. H. ¼Anmerkungen: Stockmann½ A n d e n H e r a u s g e b e r
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thätige Entscheidung dieser und ähnlicher Fragen bleibt billig und wie sichs von selbst versteht, Ihnen, mein Herr, allemal allein überlassen. Mir kommt es indessen so vor, als wenn dergleichen Dinge für die Artigkeit des teutschen Merkurs nicht allein nichts Unschickliches, sondern seiner Absicht, recht allgemeinnützig zu werden, wahre Pflicht wären. Lassen Sie mich ausplaudern, und hören Sie mein teutschpatriotisches Geschwätz mit Geduld bis zu Ende an. Die französischen Philosophen, welche der französischen und französisirenden Welt den Ton angeben, haben in ihren Schriften und in aller guten Gesellschaft alle Kirchenworte, sogar das Wort G o t t selbst, dafür sie im Nothfalle N a t u r sagen, abgeschaft. Könnte denn der teutsche Merkur, der gewiß kein französischer Affe seyn will, sich nicht auch dadurch unter-
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scheiden, daß er das Gegentheil wagte, und der teutschen guten Gesellschaft diesen Ton angäbe, christliche Worte mit in ihre Lectüren und Gespräche aufzunehmen? Vielleicht thäte das Ungewohnte und Unverwartete auch hier seine gute Wirkung. Ich finde überhaupt etwas der ernsten teutschen Nation Unanständiges und Geziertes in der ängstlichen Vermeidung solcher Worte. So pedantisch es läßt, wenn einige Pfarrer im gemeinen Leben immer über das zweyte oder dritte Wort eine geheiligte Floskel oder ein Kirchenwort in ihre Reden einmischen — ob es ihnen gleich am leichtesten zu verzeihen ist, indem die Gewohnheit stärker und schneller wirkt als die Überlegung, und überhaupt in einem Stande, wo das Gedächtniß vorzüglich kultiviert wird, die Beurtheilungskraft nicht leicht anders als vernachlässigt werden kann: eben so und noch mehr pedantisch sieht es aus, wenn Leute von der guten Gesellschaft
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so schülerhaftig stottern und husten, wenn ihnen unversehens ein christliches Wort in den Hals kommt, als wenn sie im Examen lateinisch reden sollten, und sich etwas Küchenlatein unter ihre gelernten ciceronianischen Phrasen mischen wollte. Diesen Übelstand würde sich die artige Welt bald abgewöhnen, wenn sie vernähme, daß es der im teutschen Merkur autorisierte gute Ton wäre, mit unter auch religiöse Wörter zu brauchen. Und, im Grunde betrachtet, würde man sich bey dieser neuen Mode so wohl befinden, wie bey der Mode der grossen Schnallen: denn wie diese für Menschen und Vieh, zu Schuhen so gut wie zu Pferdegeschirren, zu gebrauchen sind: so würde man auch bey jener Mode den Vortheil haben, sich in der Welt und ausser derselben allezeit ohne Stottern und gut zu enunziiren. Allein ich gehe noch weiter, und mache es dem teutschen Merkur zur Pflicht, Epoche hierinnen zu machen. Ich bins von Ihnen, dem Herausgeber desselben, völlig überzeugt, daß sie das Beste der Menschheit suchen, und es gewiß auch durch ihre Schriften zu befördern streben. Wissen Sie aber wohl, daß den witzigen sowohl als den ganz moralischen Schriften das größte Hinderniß jene Absicht zu erreichen, noch immer im Wege liegen bleibt, so lange noch der tolle Unterschied unter We l t l i c h und G e i s t l i c h nicht aus den Gemütern und aus den
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Reden und Schriften der Menschen weggeschaft worden ist? — Eine ganze Triade, die ich hier aus meinem Kasten zur Erläuterung des Lächerlichen und Schädlichen in diesem Unterschiede, vorlegen wollte, erlasse ich Ihnen itzt, und bleibe sie Ihnen schuldig, bis Sie mich darum mahnen. — G e m e i n n ü t z i g und m o r a l i s c h g u t sind gleichbedeutend, und was den Menschen bessert und glücklich macht, das ist weltlich, oder nach den Absichten des Schöpfers zum Besten der Welt. Gemeinnützige Schriften, wie der teutsche Merkur, müssen daher nicht, wie Schriften, die einzelne Künste und Wissenschaften behandeln, Gränzlinien ziehen zwischen Geist, Herz, Witz, Geschmack der Menschen, sondern das Motto haben: Homo sum, humani nihil a me alienum puto. Solche Schriften, geschrieben für die Nation, sind die Schule, 10
wo man lernen muß, wie man Schönes und Gutes verbinden, ein rechtschaffener und ein artiger Mensch, witzig und fromm, oder wenn sie wollen, geistlich und weltlich zugleich in einer Person seyn soll. Gedanken also über Liturgie, Religionsverfassung, Verbesserungen und Änderungen derselben u. s. w gehören mit in den Plan solcher Nationalschriften, und stehen hier allein an ihrem rechten Orte. Schöne Wissenschaften, Belles-Lettres, Humaniora, die Worte im ernstlichen Verstande genommen, und Religionsanstalten, sind immer in ihrer Verbesserung und Vervollkommung zu gleichen Schritten gegangen, und sollten daher auch in Büchern sich immerfort fein zusammen halten. In theologischen Schriften und Journalen stehen dergleichen Dinge, als in meinem Kasten liegen, fast ganz vergebens, und richten daselbst oft mehr Schaden als Nutzen an. Wer sind da die Leser? Theologen, Theologaster und
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Theologischgesinnte, d. i. Leute die es zum Theil schon wissen; oder Prediger und Lehrer, die nichts ändern und einführen können, auch n i c h t s o l l e n , (selbst Superintendenten haben selten den nöthigen Einfluß hierzu) oder schwache, stumpfe und von ihrem Schulmeister verwahrlosete Seelen, die sich darüber ärgern, Ach und Weh schreyen; oder endlich junge vorwitzige Schreyer, die aus Mangel der nöthigen Fähigkeit zu lehren, ihre Stunden mit Reformiren hinbringen wollen. — Das sind hier die Leser; und die, so es eigentlich brauchen könnten und sollten, kriegen es gar nicht zu Gesichte. Und wer sind denn diese? Wer? — Die Leser des teutschen Merkurs — Fürsten, Räthe, Konsistorialpräsidenten, Justizdirectoren, und alle denkende Köpfe unter den sogenannten Layen, die hier rathen, helfen, bessern, und den grossen Haufen mit sich fortnehmen können. Sie hören ja wohl aus den Zeitungen, und
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schliessen aus den Buchhändlerzänkereyen, daß es in der Kirche Lärm gebe; was es aber eigentlich sey, wissen die allerwenigsten; und die höchsten Kollegia müssen sich vielleicht, wenn Buchhändler des Nachdrucks wegen in Sorgen sind, von angeregten vornehmen Bücherzensoren weiß machen lassen, die Gottheit, der Christus, und der westphälische Friede seyen in der äußersten Gefahr. Wie allgemeinnützig wäre es da nicht, wenn solche Schriften, wie der teutsche Merkur, solchen Leuten Kenntniß der Sache in die Hand spielten, und über-
¼Anmerkungen: Stockmann½ A n d e n H e r a u s g e b e r
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haupt das denkende Publikum in den Stand setzten, über dergleichen Dinge mit zu sprechen, und ein vernünftiges Urtheil zu fällen? Denn mehrentheils theilt sich der große Haufe, wovon ich rede, in solche, die nichts, und solche, die alles glauben, was ihnen der Schulmeister eingepläuet hat, und beyde pflegen ihr Nichts und ihr Alles R e l i g i o n zu nennen. Jene würden durch den Merkur sich immer eher, als durch den Schulmeister unterrichten lassen, daß sie eben so oft Unrecht als Recht hätten: und diese würden vielleicht mit Vergnügen belehrt werden, das alle Spötterey und Neuerung nicht das Wesen der Religion, sondern die willkührlichen Anstalten jedes Landes zur klugen Einrichtung einer Liturgie betreffe; wobey es denn wohl auf neue Landesgesetze aber gewiß nicht auf ein neues Naturgesetz, ein neues Wort Gottes, oder eine neue Religion abgesehen seyn dürfte. Über alles dieses stünden auch der-
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gleichen Sachen im teutschen Merkur deswegen an ihrem rechten Orte, weil doch hoffentlich hier der Verdacht wegfiele, als wollte etwa ein Neuerer unter dem Schutz eines Älteren Lärm blasen. Hier wären es gemeinnützige Raisonnements eines Kosmopoliten; und wollte ein Mitarbeiter sich etwa weiter vergreifen, so könnte der Kaduzeus des Merkurs ihn bald auf die Finger treffen, und ihm zu sterben gebiethen. Wenn, dem allen ungeachtet, was ich zur Beförderung und Rechtfertigung der Aufnahme der Fragmente aus meinem Kasten in den T. M. hier vorgebracht habe, Merkurius seine Weigerung doch immerfort, mit der Verzärtelung seiner Leser entschuldigen sollte; so gäbe ich endlich noch zu bedenken: ob man nicht, die merkurialische Toleranz dieser Fragmente zu erhalten, sich des Vehikulums der M e n s c h e n l i e b e bedienen, und das lesende Publikum
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durch Anzeige, daß man dieselben zum Besten einer armen Wittwe einrücke, das Herbe derselben mit verschlucken lassen könnte? Es würde ihm sicherlich nicht übel bekommen. Sie, mein Herr, hätten dießfalls völlige Freyheit, das Nöthigste aus diesen meinem Schreiben, oder nach Befinden es auch ganz als vorläufige Nachricht und Rechtfertigung ihrer Unschuld, oder auch als Anfrage, in ihrem Merkur abdrucken zu lassen. Ich zweifele fast nicht an einem guten Erfolge. u. s. w. * )
*)
Der Verfasser wird mir vergeben, daß ich die Periode, womit er schließt,
für nichts mehr als ein „Ich habe die Ehre mit aller Hochachtung“ etc. angesehen, und also weggelassen habe. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juli 1779)
Antwort des Herausgebers. Mein lieber Ungenannter, Sie leben in einer kleinen Stadt, und haben vielleicht wenig Gelegenheit zu erfahren, wie es in der weiten Welt steht. Dies macht mir begreiflich, wie Sie bona fide auf den Irrthum haben kommen können, daß der teutsche Merkur so viel Ansehen in der a r t i g e n We l t habe, als Sie ihm zutrauen. Denn daß Sie mir damit kein fades Kompliment haben machen wollen, ist aus dem ganzen Inhalt und Ton Ihres Aufsatzes klar. Ich denke aber nicht, daß eine so gute Sache wie diejenige, so Sie behaupten, ein ander Ansehen zu ihrer Unterstüt10
zung bedürfe, als ihr eigenes. Auch bin ich noch nicht so sehr mit der lesenden Welt brouilliert, oder, um es teutsch heraus zu sagen, ich denke nicht so übel von ihr, daß ich das vorgeschlagene Ve h i k u l u m d e r M e n s c h e n l i e b e für nöthig halten sollte, um bey dem grössern Theil der Leser des T. Merkurs To l e r a n z (wie Sie’s nennen,) für die angebotnen Fragmente ernsthaftern Inhalts zu erbetteln. Mit Einem Worte, lieber Herr, ich denke nicht, daß hier die E r n s t h a f t i g k e i t des Inhalts entscheide. Die ernsthafteste Schreiberey ist f r i v o l , wenn sie e l e n d , und das frivolste Werkgen sehr e r n s t h a f t , wenn es i n s e i n e r A r t s e h r g u t ist. Es wird also wohl lediglich darauf ankommen: ob die Fragmente, die Sie mir und durch mich den Lesern des
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Merkurs anbieten, werth sind von vernünftigen Leuten gelesen zu werden? Der Charakter, den Sie uns von dem Urheber der besagten Fragmente machen, und Ihr eigner, scheint mir für die Bejahung dieser Frage Bürgschaft zu leisten; und ich müßte mich sehr irren, wenn auch die We l t l i c h s t e n unter den Lesern des T. Merkurs nicht begierig seyn sollten, zu lesen, was ihnen ein Geistlicher von einem Schlag, wie man so wenige sieht, über so interessante Materien als diejenige sind, deren Sie Erwähnung thun, zu sagen haben mag. Immerhin lassen Sie uns also mit einem oder dem andern Stück aus der Verlassenschaft Ihres wackern Predigers den Versuch machen! Ich nehm es auf meine Gefahr. Gesezt auch, daß die Leserinnen oder Leser, welche l a u t oder
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i n g e h e i m , lieber M ä h r c h e n , als philosophische Gedanken über religiöse und moralische Gegenstände, lesen, ein wenig murren, oder den Merkur deswegen gar aufgeben sollten; sey es drum! Jede gute That belohnt sich selbst, und bleibt, meinem festen Glauben nach, auch vom Schicksal nicht unbe-
A n t w o r t d e s H e r a u s g e b e r s ¼zu Stockmann: An den Herausgeber½
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lohnt. — Allenfalls — hab’ ich was in meinem Schreibtische, das sie, seiner Zeit, schon wieder zurückrufen wird. W.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juli 1779)
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Drittes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. Julius 1779.
Pandora. Ein Lustspiel in zwey Aufzügen. * ) Personen. Pr o m e t h e u s . Me r k ur. Pa n d o r a . Hy l a s, Lalagens Liebhaber. Gl a u k o n, ein Alter. Ko r i d o n, ein reicher Bauer. La l a g e.
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My r a, ihre Mutter. Ko r o n is , ihre Tante. Chloe , ihre Base. Ein Haufen bewaffneter Bauern im Gefolge Koridons. Einige andre, die mit Hylas und Glaukon auftreten. Die Scene ist am Fuß des Kaukasus.
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Dieses für den Gebrauch eines Liebhabertheaters bestimte Stück gehört unter die Art von
kleinen Schauspielen, die man d r a m a t i s c h e S c h e r z e nennen könnte, weil Witz und Laune freyer darinn spielen und meistens das ganze Interesse davon ausmachen. Die Idee und einige Scenen sind aus einem kleinen Stück genommen, welches L e S a g e im Jahre 1721. für die Truppe des Sr. Francisque, die damals a ` la Foire de St. Laurent zu Paris spielte, verfertigt hat. Der Gedanke, auch den Prometheus auftreten zu lassen, dem Merkur die Harlekinsmaske abzunehmen, und überhaupt dem Ding etwas mehr Sinn, Gestalt und Rundung zu geben, verursachte, daß aus dem, was anfangs bloß Übersetzung seyn sollte, beynahe ein ganz neues Stück wurde. Indessen hat man das Beste aus der Französischen Boe¨te de Pandore beybehalten, wie jeder, der Lust dazu hat, aus dem vierten Theil des Theatre de la Foire, worinn sie befindlich ist, sich selbst davon überzeugen kann.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
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Erster Aufzug. (Der Schauplatz stellt einen offnen Wald vor; im Grunde zeigt sich auf einer Seite ein Felsengebirge, auf der andern eine ländliche Gegend mit zerstreut liegenden Hütten.) P r o m e t h e u s tritt auf.
Prom eth eus . Es ist nun endlich wieder einmal Zeit zu sehn, was meine guten Menschen machen — Wie doch aus Scherz so leicht Ernst werden kann! Da ich mit meinen lieben Vettern im Olymp, 10
und ihren Weibern, Töchtern, Günstlingen, und Hofgesind, mich länger nicht vertragen konnte, stieg ich zur Erd herab, um etwa da, so lang es gehen wollte, mit den Thieren zu leben, die in jenen Tagen noch die einz’gen Erdbewohner waren. Eine Zeitlang ergötzte mich des thierischen Instinkts manchfaltges Spiel; und als ich an Betrachtung dessen was jeder Art natürlich, jeder eigen ist, mich lang genug belustigt hatte,
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laß sehen, dacht’ ich, ob die Kunst vielleicht die engen Schranken der organischen Natur erweitern kann? — Ich machte den Versuch mit den gelehrigsten. Den Elefanten lehrt’ ich, des nervenvollen Rüssels sich wie einer Hand bedienen, lehrte den Hund ins Wasser gehn, den Affen tanzen, den Papagey die Göttersprache schwatzen. Auch dessen ward ich endlich überdrüßig. Des Elefanten Rüssel war doch keine Hand,
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und meine Affen tanzten just so ungebehrdig, als meine Papageyen albern schwatzten. Was war zu thun? Vor lauter Langerweile
Pandora. Erster Aufzug
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kam mir der Einfall, zu versuchen, was sich wohl aus Leim und Wasser machen ließe. Der Teig war gar zu mürb; da knätet’ ich ein wenig Luft und Sonnenfeuer drein, und fieng nun an zu formen; drückte, bildete, und bildete und drückte, ohne Plan und Absicht, bis unversehns ein gabelförmiges possierlichs, embryon’sches Ding zum Vorschein kam, so ungefehr, als wenn ein ungeschickter Bildner aus einem feigenbaum’nen Klotz euch einen Gott
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karrikaturenmäßig schnitzeln wollte. Denn, wie’s auch einer anfängt der was machen will, am Ende kömmt doch immer was heraus, das seines Machers Bild und Umschrift trägt. Und da ich nun mein Händewerk besah, auf einmal blizt mir der Gedanken auf, es könnte, aus dem absichtlosen Spiel der Laune, noch was leidlich Gutes werden. Der Leimen war so folgsam! — bildete mit jedem Druck sich schöner — Kurz, ich brütete
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mit Liebe über dem, was ich aus Grille begonnen hatte; formte, lekte, puzte so lange dran, bis nun das neue Leimgeschöpfe dem Ideal in meinem Kopf so ähnlich sah, als — Leim und Wasser es erlauben wollten. Und wie ich fertig war, da stand’s so schön vor meinen Vateraugen da, daß ich dem Drang nicht widerstehen konnt’, es zu beseelen, um es glücklich machen zu können: und so wurden — Menschen draus, ein drolligt Mittelding von Thier und Gott; und ich, ich hatte meine Lust daran, zu wohnen unter ihnen, meines überlästigen Vorzugs vergessend, Theil an ihren kindlichen schuldlosen Freuden nehmend, mit den Menschen
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ein Mensch, mit Kindern Kind zu werden. Denn weil ich glücklich, ohne Mischung glücklich sie machen wollte, hatt’ ich sie so gut gemacht, als möglich; aber freylich auch so gut, so gut — daß es doch warlich in die Länge nicht bey ihnen auszudauren war. — Ich zog mich also, in aller Still’, in meine Werkstatt, dort in jenen Fels, zurück — Schon sechzigmal erneuerte den Lauf der Jahreszeiten 10
die Sonne, seit ich dort, zu meinen dichtenden Gedanken eingeschlossen, sinn und sinne, und rastlos einen mißgerathenen Versuch anstelle nach dem andern, wie es wohl zu machen wäre, daß die guten Leutchen einander nicht — und auch sich selber nicht — so gar einförmig ähnlich sähen, etwas weniger langweilig wären, etwas mehr von Thätigkeit und Geist und Leben überkämen, ohne darum minder fromm und gut zu seyn. — Am Ende bin ich nun
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des ewigen mißlingenden Versuchens überdrüßig worden; und warlich auch der leidgen Einsamkeit! Denn selbst uns andern Göttern taugt es nicht, zu lang allein zu seyn, und auch die frostigste Gesellschaft ist zulezt doch immer besser als keine. — Überdies gelüstet’s mich, zu sehn was wohl in all der Zeit aus meinen Menschen geworden seyn mag? Ob sie immer noch so gut, so glücklich immer noch, und — immer so langweilig sind, als wie ich sie vor sechzig Jahren
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verlassen habe — (Musik. Pandora zeigt sich von der einen Seite, langsam aus dem Walde hervorkommend.)
Wie? was hör ich? — Was erscheint mir dort? — So ähnlich des Olymps Bewohnerinnen an Gestalt, und doch mir unbekannt?
(Er tritt hinter einen Baum.)
Pandora. Erster Aufzug
28—95
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Pa n d o r a . Willkommen, ihr lieblichen grünen Gefilde, ihr schattenden Lauben, wie freundlich, wie gut! Geblendet vom Glanz der Himmelsbewohner, verlechzt in der reinen ätherischen Gluth, wie süß in eurer erfrischenden Milde die Brust sich dehnt, das Auge ruht! Willkommen, ihr lieblichen Schattengefilde, ihr duftenden Lauben, so freundlich, so gut! (Sie schaut umher, erblickt den Prometheus, stuzt, und tritt ein wenig zurück. Die Musik schweigt.)
Pr o m .
10
(vor sich)
Kein Werk von meinen — und doch keine Göttin! (zu Pandora.)
Sag an, mit welchem Namen, schöne Nymfe, grüß’ ich dich, und was ists, Absicht oder Zufall, das dich zur Erde führt? Pa n d. Pandora nannten mich die Götter, als sie mich, ein athemloses Bild
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von Elfenbein, gebildet vom Vulkan, belebten, und mit ihren Gaben in die Wette beschenkten — Und du, göttergleicher Mann, täuscht mich mein Auge nicht, so bist du der, zu dem sie mich gesandt? Pr o m . Wie ist sein Name? Pa n d . Prometheus. Pr o m .
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Und die schöne Büchse da
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in deiner Hand ist ohne Zweifel auch der Gaben eine, womit so reichlich dich die Götter beschenkten? Pand. Nein, die ist für dich; sie dir zu überbringen komm ich — Pr o m. Mir? Pand. 10
Wenn du Prometheus bist? Pr o m. Die Herren des Olympus also senden dich zu mir, aus ihrer Hand mir ein Geschenk zu bringen? Pand. Und verboten mir mit großem Ernst, die Büchse nicht zu öfnen, eh ich sie in deine Hand gestellt. Pr o m.
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Geöfnet also soll sie gleichwohl werden? Pand. Warum nicht? Nur v o n d i r ! Pr o m. Das sagten sie? die guten lieben Herren! — Schöne Nymfe! ich danke dir; doch von den Herrschern des Olymps Geschenke an Prometheus — sind verdächtig! Wir kennen sie! Pandora. Erster Aufzug
96—137
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Pa n d. Wie? du verschmähst der Götter Gab’ — und mich? Pr o m . Beym Himmel, d i c h nicht! Dank, viel Dank für dich den Herren des Olymps! Willkommners hätten sie in meiner Einsamkeit mir nichts verehren können — Auch Dank für dies! es ist eine schöne Büchse, ein Werk Vulkans, ein schönes zierlichs Stück! Ich glaube nicht, je eine schön’re Büchse gesehn zu haben — Nur, v e r s c h l o s s e n wollen wir
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sie lassen! Pa n d. Nicht eröfnen? und warum? Pr o m . Die Schale, wie gesagt, ist gut genug, allein, dem Kern darinn, dem Kern, Pandora, dem trau’ ich nicht! — Wir haben ohne das uns hier ganz wohl befunden; besser als es unsern Freunden im Olympus lieb seyn mochte! Das Klügste ist, wir bleiben wie wir sind. Gieb nur — auf ein Kamin zu stellen, ists ein feines Stück; nur ihren Deckel aufzuheben, möchte nicht rathsam seyn — Gieb immer her! Pa n d. Warum so übeltrauend? Pr o m . Gieb nur! Pa n d. Du versprichst mir doch,
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daß du sie öfnen willst? Ich möchte gar zu gerne sehn, was drinn ist — ganz gewiß was Schönes! Pr o m. Gewiß nichts, was d i c h schöner machen kann. Pand. Wer weis? Auf Juno’s Nachttisch sah ich einsmals just so eine Büchse — Pr o m. Still! ich sehe Leute sich uns nahen — 10
Komm, reizende Pandora, laß in meine Wohnung dich führen; komm, wir können dort die Sache bequemer überlegen; und, mich däucht, nach einer Reise vom Olymp hieher wird dir Erfrischung nöthig seyn und Ruhe.
(Sie gehen ab.)
L a l a g e und H y l a s von verschiednen Seiten.
La l a g e
(auf ihn zueilend).
Ah, da kömmst du ja wie gerufen, Hylas! ich suchte
dich überall. Hy l a s. Wie das zusammentrift! Ich suchte dich auch allenthalben — Höre, Lalage! ich weis dir gar nicht mehr, wie mir zu Muth’ ist; wenn ich dich nur 20
eine halbe Stunde nicht gesehen habe, so wirds mir gleich so wunderlich, so eng ums Herz — es ist, als wenn ich gar nicht mehr Athem holen könne, wenn d u nicht bey mir bist. La l a g e. Mir ists just eben so; ich kann mich nirgends freuen, wo ich dich nicht sehe. Woher das wohl kommen mag? Hy l a s. Das macht wohl, weil wir uns lieb haben, Lalage! Ach! wenn ich’s dir nur zeigen könnte, wie lieb ich dich habe! Und doch bin ich dein Mann noch nicht. La l a g e. Ha! da erinnerst du mich eben recht! Vor lauter Freude, daß ich dich sah, hätt’ ichs schier vergessen. Du wirst heute noch mein Mann wer-
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den, heute noch.
Pandora. Erster Aufzug
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Hy l a s. Heute noch?
(er thut einen Sprung vor Freude.)
Heute noch?
La l a g e. Meine Mutter, meine Tante, meine Base Chloe, alle werden gleich hier seyn und die Sache vollends richtig machen. Hy l a s. O! das ist ja herrlich! Für die gute Nachricht muß ich dir auch gleich im Gebüsche dort die schönste Rose pflücken.
(Sie hüpfen mit einander weg.)
M e r k u r tritt aus der vordersten Scene hervor.
Me r k u r
(vor sich)
Jupiter schickt mich herab zu sehen, wie Pandora ihren
Auftrag ausrichten wird, und ein wenig nachzuhelfen, falls es nöthig seyn sollte. Wenn Prometheus, wie nicht zu zweifeln ist, sich weigert die Büchse zu öffnen, so soll ich Pandorens Neugier reizen, es selbst zu thun. Die Olym-
10
pier wollen sich die Kurzweil machen, zu sehen, was die Leidenschaften unter der feinen Töpferarbeit, womit Prometheus die Erde ausmöbliert hat — für einen Spuk anrichten werden. Ein Bischen Schadenfreude mag wohl auch mit dabey seyn. — Weil sie aber doch nicht für die Urheber des Bösen angesehen seyn möchten; so soll alles so eingeleitet werden, daß Prometheus oder Pandora am Ende sich selbst die Schuld geben müssen. — Aber wo ist mir Pandora schon hingeschlüpft? — Daß man doch ein hübsches Mädchen keinen Augenblick aus dem Gesicht verlieren darf! H y l a s und L a l a g e zurückkommend werden den Merkur gewahr.
Hy l a s. Ey sieh doch, Lalage, was für ein seltsames Geschöpf das ist — Es hat
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Flügel an den Ohren und an den Fersen! La l a g e. Seltsam! und doch läßt’s ihm gut. — Ein hübscher Mann, gar ein hübscher Mann, nicht wahr, Hylas? Hy l a s. Gefällt er dir? So wollen wir näher zu ihm gehen. La l a g e. Das wollen wir. Me r k u r
(vor sich)
(Sie hüpfen zu ihm hin.)
Die guten Geschöpfe! — Ich will mich an sie machen; sie
können mir vielleicht auf Pandorens Spur helfen.
(Zu Hylas und Lalage)
Gu-
ten Tag, Kinder! Wünsche viel Glück! Ihr sollt ja heute Mann und Frau werden? Hy l a s. Und das wißt ihr schon? Me r k u r. Ich weiß alles. La l a g e. Ist’s möglich? So wißt ihr wohl auch, warum mir gleich das Herz so schlägt, wenn ich den Hylas kommen sehe, und mir doch so wohl dabey ist? Hy l a s. Und warum ich die Lalage so lieb habe, da sie doch meine Frau noch nicht ist?
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Merk ur. Allerdings. Ich weiß auch, daß der alte Glaukon, der die großen Heerden und die vielen Kornfelder hat, die schöne Lalage gern zur Frau haben möchte. Hy l a s. Das glaub ich! Aber er kommt zu spät — Nu, nu! er wird sich schon ein andres hübsches Mädchen zur Frau aussuchen. Mer k ur. Habt ihr einander denn im Ernst so lieb, Kinder? Hy l a s. O! ich habe meine eigne Mutter nicht lieber als sie
(auf Lalagen wei-
send.)
La l a g e. Ich kann die Stunde kaum erwarten, bis er mein Mann wird. 10
Merk ur.
Was das unschuldig ist!
(vor sich)
(zu Hylas und Lalage)
Ihr werdet
also ein gar gutes Ehepaar abgeben? Hy l a s. Ich will Tag und Nacht auf nichts anders sinnen, als wie ich meiner Lalage Freude mache. La l a g e. Ich will alles thun, was ich meinem Hylas an den Augen ansehen kann. Mer k ur.
(vor sich)
Das ist was anders als unsre Ehen im Olymp! — Die guten
Kinder! Schade drum, daß sie aus einer Dumpfheit gezogen werden sollen, durch die sie so glücklich sind! M y r a und K o r o n i s zu den Vorigen. Merkur tritt auf die Seite. 20
La l a g e. Ah, da kommen sie, da kommen sie! Myra.
(zu Hylas)
Ey, mein künftger Schwiegersohn! mich freut ja recht, daß
ich ihn so allein bey meiner Tochter antreffe. Mer k ur.
(bey Seite)
Koron is .
(zu Lalage)
Das gute Mamachen! Nichte, du hast da eine recht gute Wahl an dem jungen
Hylas getroffen! und ich freue mich, daß du so glücklich mit ihm seyn wirst. Ich hatte zwar selbst willens seine Frau zu werden; aber ich habe mich bedacht, daß du dich besser für ihn schickst als ich. La l a g e.
(mit einem Knicks)
Danke schönstens, liebe Tante; ich habe das auch
gedacht. 30
Hy l a s. Ihr habt recht wohl daran gethan, Koronis; denn ich habe Lalagen lieber als euch. Koron is . Da hast du recht; sie ist auch viel liebenswürdger als ich. Mer k ur. Das nenn’ ich eine Tante! Myra. Nun, Kinder, schüttet euer Herz frey vor eurer Mutter aus! Hylas, was verlangst du, daß ich meiner Tochter zur Mitgift geben soll?
Pandora. Erster Aufzug
425
Hy l a s. Ich verlange nichts als Lalagen. La l a g e. Wenn ich nur meinen Hylas habe; das Übrige kümmert mich nichts. My r a. Hört nur! Ich gebe meinem Mädchen zum Brautschatz mein großes Feld dort am Hügel mit allen Früchten darauf. Hy l a s. Nein, nein, liebe Mutter! Behaltet ihr euer Feld für euch! Haben wir nicht meinen Garten und Lalagens Heerden? davon wollen wir unsre Haushaltung schon bestreiten. La l a g e. Hylas ist gar ein guter Gärtner; er wird mirs an nichts fehlen lassen. My r a.
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(indem sie Merkuren gewahr wird)
Was habt ihr da für einen Fremden bey
euch? Hy l a s. Es ist ein guter Freund von uns; er kennt uns alle, wenn schon wir ihn nicht kennen. Me r k u r. Ich bin ein Diener von beyden Familien; ich will einer von den Brautführern seyn, wenn’s euch nicht entgegen ist. My r a, Hylas
und
Lalage. Soll uns sehr angenehm seyn.
G l a u k o n und C h l o e zu den Vorigen.
Gl a u k o n. Guten Tag, Lalage! Guten Tag, Myra! guten Tag, Koronis! guten Tag, Hylas!
(Er schüttelt ihm freundlich die Hand.)
20
Ch l o e. Guten Tag der ganzen Gesellschaft! My r a. Ihr allein fehltet uns, um unsre Freude ganz zu machen. Hy l a s. Willkommen Glaukon! Ich besorgte schier, ihr würdet nicht kommen. Gl a u k o n. Warum das? Hy l a s. Weil ich Lalagen heyrathe, die ihr auch zur Frau haben wolltet; da dacht’ ich, ihr würdet vielleicht nicht gerne bey meiner Hochzeit seyn wollen. Gl a u k o n. Wer? Ich? Ich wünsche ja nichts, als daß sie recht glücklich sey. Weil sie mit dir glücklicher seyn wird als mit mir, so verdreußt michs gar nicht, daß du den Vorzug bekommen hast. Me r k u r
(zu Glaukon.)
Ihr seyd ein sehr gefälliger Nebenbuler.
Gl a u k o n. Ich habe Heerden in Menge, und meine Scheunen und Kornböden sind voll bis oben an. Das alles steht dem jungen Hylas zu Dienste, weil ihn Lalage liebt.
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Hy l a s
(umarmt ihn.)
Ihr seyd auch gar zu gut, Vater Glaukon. Gebt mir einen
Kuß; ich versprech’s euch, ich will ihn Lalagen hernach in euren Namen wiedergeben. Gl a u k o n. Ich verlange nichts weiter von ihr, als daß ich euch zuweilen besuchen darf. Wenn ich sie nur sehe, so bin ich schon zufrieden. Mer k ur. Ein genügsamer Mann! Chloe
(zu Lalage.)
Base, mich freut recht herzlich, daß ihr den Hylas heyra-
thet. Es ist ein hübscher Junge, ich bin ihm immer gut gewesen. Wenn er nicht euer Mann würde, so hätt’ ich wünschen mögen, daß er der meinige 10
geworden wäre. Myra. Nun, Kinder, wozu all das Gerede? die Hauptsache wär’ also richtig! Geht, ihr Mädchen, und holt eure Blumenkränze. Die ganze Gesellschaft ist (zu Lalagen)
komm, und
hilf mir alles vollends zum Empfang unsrer Gäste anordnen.
(Myra, Chloe
hiemit in meine Hütte zur Hochzeit eingeladen! Du und Koronis gehen ab.)
La l a g e Merk ur
(zu Hylas im Weggehen) (vor sich.)
Komm bald nach, Hylas!
(geht ab.)
Auf meine Ehre, es ist Jammerschade um die guten Leut-
chen, wenn Pandora ihre Büchse öffnet. Was das für eine Hochzeit gewesen wäre! Eine Mutter, die nicht eigennützig ist! Eine Tante, die sich nicht ziert, 20
um ihre Nichte zu verdunkeln! Braut und Bräutigam, beyde so unschuldig, wie die Kinder! Ein reicher Alter, der die Billigkeit hat, einem jungen Nebenbuler freywillig zu weichen, und sein Vermögen aus purer Gutherzigkeit mit ihm theilen will! Verliebte ohne Eifersucht; junge Mädchen ohne Neid; eine Versammlung von Anverwandten ohne Hader! — Wahrlich, so etwas wird man in allen künftigen Zeiten nicht wiedersehen. — Aber das Schicksal muß seinen Lauf haben — Wo find’ ich Pandoren? — und Hylas)
(zu Glaukon
Hört, gute Freunde! ist euch diesen Morgen keine fremde Jung-
frau in diesem Walde vorgekommen? Hy l a s. Eine fremde Jungfrau? Mir nicht, das ich wüßte. 30
Gl a u k o n. Mir auch nicht. Wie sah sie denn aus? Merk ur. Ihr würdet ihr gleich angesehen haben, daß sie keine Eingebohrne dieser Gegend ist — Sie kann nicht weit seyn. Wollt ihr mir sie ein wenig suchen helfen? Gl a u k o n. Hy l a s. Von Herzen gern. P a n d o r a kömmt bald darauf aus einer andern Gegend des Waldes hervor.
Pandora. Erster Aufzug
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Pa n d o r a
(sich schüchtern umsehend.)
Er folgt mir doch nicht nach? — Und
doch — wofür fürcht’ ich mich? — Ich sah wohl, daß ich ihm nicht gleichgültig war. Beynah hätt’ ich ihn überwältigt. Zauberin, rief er, wer kann deinen Blicken, deinen Liebkosungen widerstehen? — O wenn das wahr wäre, sagt’ ich, du würdest mir so eine Kleinigkeit nicht abschlagen. Wenn du mich nur ein wenig lieb hättest — „Wollte der Himmel daß ich dich weniger liebte! rief er; Warum haben die Olympier dich zu mir geschickt? Konnten sie mir nicht einmal den Augenblick von Ruhe gönnen, den ich auf der Erde fand?“ — Wie? du wolltest mich lieber gar nicht gesehen haben? und du nennst das Liebe? — „Ach, Pandora! was kann
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mir Liebe ohne Gegenliebe helfen?“ — O, sagt’ ich, ist’s nur das? Ich will dich gewiß recht sehr lieb haben, wenn du die Büchse öffnest — Du? sprach er, und sah mir scharf in die Augen; Du willst mich lieben? Du, lieben? Die Olympier haben dich zu reichlich begabt — du kannst nichts lieben, als dich selbst. — Nun merkt’ ich, daß ich alles über ihn erhalten könnte. Ich verdoppelte meine Bitten, meine Liebkosungen. Er wußte sich gar nicht mehr zu helfen. Laß mich, rief er zulezt — ich will gehen — aber versprich mir bey deiner Hand, daß du die Büchse indeß nicht öffnen willst — ich will gehn, und das Schicksal fragen — Ich begreife nicht, was er damit sagen wollte. Es war wohl nur eine Ausrede, denk’ ich —
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Genug, ich versprach ihm alles. Ich bin bald wieder bey dir, sagt’ er, und gieng tief in seine Felsenwohnung hinein. Aber ich wartete seine Zurückkunft nicht ab. Ich weiß nicht, was für ein Grauen mich ankam, da ich mich in seiner Werkstatt mitten unter all den wunderbaren Göttergestalten allein sah — Es war wohl auch Neugier dabey, was er anfangen würde, wenn er mich nicht mehr fände. Kurz, ich lief davon — und da bin ich nun mit meiner Büchse — und möchte für mein Leben gerne wissen, was drinnen wäre, und — getraue mir doch nicht, sie aufzumachen! — Wenn er nur bald käme! Er soll sie mir ganz gewiß aufmachen, da bin ich gut dafür!
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C h l o e mit Blumenkränzen geputzt, tritt auf.
Pa n d. Ey! Was kömmt da für ein Mädchen gegangen? Eines von Prometheus Geschöpfen ohne Zweifel. Sie gefällt mir. Ich will sie anreden. Chloe:)
Ch l o e
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(zu
Wohin, schönes Mädchen? (stutzt bey Pandorens Anblick.)
Wer bist du Schöne — weiß nicht, wie
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ich dich nennen soll? Keine von den unsrigen, das seh’ ich wohl — und doch lieb’ ich dich, als ob du schon lange meine Gespielin gewesen wärst. Wie nennst du dich? Pand. Pandora. Chloe . Welch ein schöner Name! Und wo kommst du her? Pand. Vom Olymp. Chloe . Vom Olymp? Was ist das für ein Ort? Pand. Die Götter wohnen da, deren Werk ich bin. Chloe . Die Götter wohnen da? Was nennst du Götter? 10
Pand. Wie? kennt man bey euch die Götter nicht? Chloe . Nicht daß ich wüßte; ich habe nie von ihnen reden hören. Pand. Kennst du auch den Prometheus nicht? Chloe . Dem Namen nach wohl; gesehen hat ihn niemand von den Meinigen. Aber wir lieben und ehren ihn dennoch unbekannterweise. Denn man sagt, er hab’ unsern Voreltern das Leben gegeben, und alles, was wir haben, all unser Glück sey sein Geschenk! Es muß ein gar guter Herr seyn! Aber er hat sich schon lange lange dort in die schrecklichen Felsen zurückgezogen; und niemand getraut sich, ihn da zu suchen. Die Leute sagen, man verirre sich darinn, wenn man ihn suchen wolle, und es sey
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nicht möglich sich wieder herauszufinden. Man kann ihn nur sehen, wenn er sich einem von selbst sehen lassen will, welches Verschiednen aus den Unsrigen schon begegnet seyn soll. Sie können nicht genug rühmen, was es für ein liebenswürdiger gütiger Herr sey. Wir haben ihm Feste und Opfer anstellen wollen; aber er verbat sichs; er brauchte das nicht, sagte er; wenn wir nur immer gut und glücklich blieben, so wär er schon zufrieden. — Aber, was hast du da für ein schönes glänzendes Gefäß im Arm? Pand. Es ist eine goldne Büchse, die mir die Götter zum Geschenk mit gegeben haben. — Es sind gar schöne, gar gute Sachen drinn, daß bin ich
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versichert; aber, ich darf sie nicht öfnen. Chloe . Und warum nicht? Pand. Die Götter haben mirs verboten. Prometheus soll sie öfnen, sagten sie; aber der weigert sich’s; er meynt, man könne nicht wissen — es möchte was Böses drinn stecken. Chloe . Zeig doch her! Ich möchte sie selbst in Händen haben.
Pandora. Erster Aufzug
429
Pa n d.
(giebt ihr die Büchse.)
Da!
Ch l o e. O, wie schön das ist! Wie zierlich! So was hab’ ich mein Lebtage nicht gesehen! Was da erst für schöne Dinge drinn seyn mögen! Pa n d. Das denk ich auch. Ch l o e. Ich hätte grosse Lust, den Deckel ganz sachte, ganz sachte ein wenig aufzuheben. Pa n d. Was du verwegen bist! Gieb her!
(Sie nimmt ihr die Büchse.)
Es muß
doch seine Ursache haben, daß Prometheus so hartnäckig darauf besteht, die Büchse nicht aufzumachen. Ch l o e. Aber was könnt’ es denn seyn?
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Pa n d. Das begreif ich nicht. Ch l o e. In einer so schönen Büchse wird man doch gewiß nichts Schlechtes, nichts Garstiges verschließen! — Und — sagtest du nicht, sie sey ein Geschenk von den Göttern, und die Götter wollen, daß sie geöfnet werde? Pa n d. Ja, aber nur von Prometheus. Ch l o e. Nun, wenn Prometheus sie aufmachen darf, warum solltest du’s nicht auch dürfen? Pa n d. Mir däucht, da hast du recht. Ch l o e. Du hebst den Deckel nur ein wenig, ein klein wenig auf, und guckst hinein — du kannst ihn ja geschwinde wieder zumachen, wenns
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nöthig seyn sollte. Pa n d. Gut! willst du’s wagen? Da hast du die Büchse — probier’s! Ch l o e.
(verschüttelt sich)
Nein, nein! Behalte nur, Pandora; du kannst’s eher
wagen als ich. Pa n d. Aber was wird da auch am Ende viel zu wagen seyn? In einem so kleinen Gefäße kann doch wahrlich kein Ungeheuer stecken! — Ch l o e. Mir ists gar nicht ums Aufmachen; wenn ich nur wüste, was drinnen wäre. Pa n d. Das ist es eben. Weißt du was, Mädchen? Ich will den Deckel aufheben, so sind wir auf einmal aus dem Wunder —
(Sie versuchts, wiewohl
furchtsam, den Deckel aufzurücken.) M e r k u r und H y l a s zu den Vorigen.
Me r k u r
(vor sich.)
Wie ich sehe, hätten mir die Götter eine Müh ersparen
können. Pandora ist ein Mädchen, und sollte nicht vorwitzig seyn? Hy l a s
430
(auf Chloen zueilend.)
He, Chloe! bist du da? wo hast du meine Lalage?
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
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Merk ur. zieht)
(Zu Pandoren, die, sobald sie ihn erblickt, die Hand vom Deckel zurück
Pandora!
Pand. Ah! Merkur! Wie kommst du hieher? Mer k ur Als die Zephyre dich auf die Erde herabtrugen, befahl mir Jupiter, dir nachzueilen, und ein wenig Acht auf dich zu haben. Beynah wär’ ich, wie ich sehe, zu spät gekommen. Pand o r a . Wie so? Merk ur. War’st du nicht im Begrif, die Büchse zu öfnen? Pand. Und was wär’ es denn, wenn ich sie auch geöfnet hätte? Was kann 10
denn drinn seyn, das man nicht sollte sehen dürfen? Merk ur. Hast du sie dem Prometheus schon gebracht? Pand. Er will nichts damit zu thun haben. Er traut den Göttern nicht. Merk ur. Da hat er Unrecht. Pand. Das denk’ ich auch. Ich wollte um meine Augen wetten, daß die schönsten Sachen von der Welt drinn sind. Mer k ur. Deine Augen? — Daß wollt’ ich dir doch nicht rathen! Pand. Merkur, laß mich nicht so lang am Messer — Sag mir, was in der Büchse ist; du weißt es ganz gewiß. Mer k ur. Sagen kann ich dirs leicht — Die Büchse ist bis oben an mit
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L e i d e n s c h a f t e n gefüllt. Pand. Ch l o e . Mit Leidenschaften? Hy l a s. Mit Leidenschaften? Was sind das für Thierchen? Merk ur. Zum Theil gar artge! glatt und schlüpfrig wie Schlangen, und wuslicht, wie ein Hut voll Mayenkäfer. Sie schlüpfen einem ins Herz, wie die Regenwürm’ in einen lockern Boden, und dann wird einem so warm, so wohl, so — Chloe . O, das müssen ja allerliebste Geschöpfe seyn! Mer k ur. Daß will ich eben nicht sagen. Es ist mit den Leidenschaften, wie — mit Allem in der Welt — Wenig schadt wenig — Zuviel ist immer
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ungesund; und Wasser, das gut zum Trinken ist, taugt nichts in den Schuhen. Pand. Ich verstehe nicht recht, was du damit sagen willst. Merk ur. Ich will damit sagen, es kommt bey den Leidenschaften alles auf Maas und Ziel, Zeit und Ort an. Sie können gut oder böse seyn, je nachdem man sie zu behandeln weiß.
Pandora. Erster Aufzug
431
Pa n d. Sie sind also nicht an sich selbst schlimm? Me r k u r. Das eben nicht! Im Gegentheil! Es kann unendlich viel Gutes und Schönes aus ihnen entstehen. Aber — Pa n d. Was a b e r ? Me r k u r. Auch unendlich viel Böses. Pa n d. O! vor dem Bösen wollen wir uns schon in Acht nehmen. Me r k u r. Da werdet ihr wohl dran thun. Aber — Ch l o e. Schon wieder ein A b e r ? Me r k u r. Sie werden euch viel zu schaffen machen; viel Unruhe, viel Schmerzen, viel —
10
Ch l o e. Hylas . Schmerzen? Pa n d. Wie so, Schmerzen? Me r k u r. Die Leidenschaften machen Schmerzen, oder Unruhe, wenigstens e h sie befriedigt sind. Pa n d. Aber wenn sie befriedigt werden? Me r k u r. Dann machen sie auch großes Vergnügen, daß muß ich gestehen. Hy l a s. So ist’s ja damit, wie mit Hunger und Durst? Oder, wie wenn ich meine Lalage einen Tag nicht gesehen habe? Me r k u r. So ungefehr. Pa n d. Ich will dir was sagen, Merkur — ich mache den Deckel auf.
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Me r k u r. Du hast deinen freyen Willen, Pandora! Gerathen will ich dir’s nicht haben! Pa n d. Ich darf also, wenn ich will? Me r k u r. Wenn du willst, so kannst du. Der Deckel ist leicht aufzudrücken. Aber überlege wohl, was du thust! Pa n d. Ich hab’ alles überlegt. Ich mache den Deckel auf. Ch l o e. O ja, Pandora! das thu doch! Me r k u r.
(vor sich)
O, Prometheus! Du hättest deine Geschöpfe an der
blinden Seite besser verwahren sollen! Pa n d.
(Indem sie den Deckel aufdrücken will)
Das ist wunderlich — es fährt mir
ganz kalt über den Rücken hin, da ich den Deckel aufdrücken will — Me r k u r.
(sehr ernsthaft)
Es ist vielleicht eine geheime Warnung der Götter,
Pandora. Pa n d . Ah! Du willst mich wieder abschrecken? — Me r k u r. Es würde nicht viel helfen.
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Pand. Nein wahrhaftig nicht! Mer k ur. Es ist deine Sache! mich gehts nichts an. Pand. Herzhaft!
(geht ab.)
(Sie macht die Büchse auf. Auf einmal verfinstert sich der Schau-
platz, und verschiedene kleine geflügelte Ungeheuer steigen in einem dicken Dampf, unter Blitz und Donner aus der Büchse auf, und verbreiten sich zu beyden Seiten. H y l a s und C h l o e rennen mit Angstgeschrey davon. Alles dies wird durch eine der Sache angemeßne Musik begleitet. P a n d o r a , die Büchse noch immer erschrocken in der Hand haltend, bleibt allein auf dem Schauplatz. Indem erscheint P r o m e t h e u s . P a n d o r a erblickt ihn, läßt die Büchse vor Schrecken fallen, und flieht.) 10
Prom eth.
(auf einmal dazukommend ruft ihr nach)
Unglückselige!
O was hast du gethan?
(geht ab.)
Zweyter Aufzug. (Der Schauplatz bleibt unverändert.)
Merk ur
allein.
Ey, ey, Pandora! was hast du angestellt? Was wird Prome-
theus dazu sagen, wenn er kömmt, und sein ganzes Machwerk auf den Kopf gestellt findet? — te)
(deklamirend, als ob er eine Stelle aus einem Trauerspiel parodier-
O du schönes, liebliches goldnes Alter, lächelnde Kindheit der Welt,
holdes friedsames Schäferleben! selige Gleichheit brüderlicher Menschen, süße Eintracht und tiefe Ruhe! schöner, lieblicher, goldner Traum — wo 20
bist du hin? — Sie waren so glücklich in ihrer Beschränktheit! bedurften so wenig! und ihr Weniges war so viel für sie! — Alle Menschen waren gleich! Alle Menschen waren gut! Alle Menschen befanden sich wohl! — natürlichen Ton)
(in seinem
Das alles hat nun ein Ende! Die Leidenschaften haben sich
ihrer Herzen bemeistert, und wir werden bald ein schönes Gewirre in der guten Familie sehen, die kaum noch lauter Harmonie und Liebe war. Sie selbst merken nichts von der Veränderung, und sind itzt mit eben der Treuherzigkeit verkehrt, womit sie vorhin gerad und fromm waren — Da kömmt Hylassens gutherziger Nebenbuler, und die wohlbedächtliche Tante Koronis — Laß doch sehen, wie ihnen die Eröffnung der Büchse zuge30
schlagen hat. Merkur. Koronis. Glaukon.
Pandora. Zweyter Aufzug
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Ko r o n is .
(zu Glaukon, der in Gedanken ist)
Wie, Herr Glaukon? Es gereut euch
schon, daß ihr meine Nichte dem jungen Hylas so gutwillig abgetreten habt? Me r k u r.
(vor sich)
H e r r G l a u k o n ? Was die Leutchen schon höflich ge-
worden sind! Gl a u k o n. Ich war ein Narre wie ich das that! Es ist mir aber ganz anders gekommen. Was? Ich sollte leiden, daß mir der Geelschnabel so einen lekkern Bissen vor dem Maul wegschnappte? Me r k u r. Da haben wir’s! Ko r o n is
(indem sie sich ziert und einen kleinen Mund macht)
Aber, Herr Glaukon,
10
giebt es denn sonst nichts Liebenswürdiges in unserm Dorf, als meine Nichte? — Ich dächte doch — in der That — seht ihr denn keine andre, die eurer Aufmerksamkeit werth ist? Me r k u r.
(vor sich)
Die Koketterie ist nicht im Bodensatz geblieben, wie ich
sehe. Gl a u k o n.
(ohne auf K o r o n . acht zu geben)
Der Lümmel sollte vor meinen
Augen mit einem so hübschen Mädchen zu Bette gehen? Ich möchte toll werden! Me r k u r.
(zu Glaukon)
Aber, Herr Glaukon (weil’s doch g e h e r r t seyn muß)
ihr umarmtet ja den Hylas vor einem Augenblick noch so treuherzig? Gl a u k o n.
(zornig.)
Ey was, izt möcht ich ihm den Hals umdrehen!
20
(er hustet.)
Me r k u r. Nehmt euch in Acht, daß euch der Athem nicht selbst im Halse stecken bleibt! —
(vor sich)
Da haben wir den Husten an der Spitze der
neuausgeflognen Krankheiten; der ist auch aus der Büchse! Gl a u k o n.
(ganz ausser sich)
Ah! wenn ich ihn hier hätte, ich zerriß’ ihn in
Stücken. Ko r o n is . Erzürn’ er sich nur nicht so, Herr Glaukon. Ich wollt’ ihm lieber rathen, sich an meiner Nichte, die ihm den dummen Jungen vorzieht, zu rächen, und — eine andre zu lieben. Sie ist ein albernes Ding, das einen Mann, wie Er ist, nicht zu schätzen weiß.
30
Gl a u k o n. Ich will auch gleich zu Myra hingehen, und ihr vorstellen, was sie für einen dummen Streich macht, mir einen armseligen Gärtner vorzuziehen; mir, der hundertmal mehr im Vermögen hat! Ko r o n is . Das ist würklich das Beste, was er thun kann. Ich will mitgehn, und seine Vorstellungen bey meiner Schwester unterstützen. —
434
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
(Glaukon geht)
(vor sich)
und sehen daß ich den Hylas für mich bekomme. Denn wahrlich,
das will ich mir nicht nachsagen lassen, daß ich Jungfer bleiben und den Verdruß haben soll, meine Nichte verheyrathet zu sehen.
(geht dem Glaukon
nach.)
Merk ur.
Ein hübscher Anfang! Eyfersucht, Haß, Wuth, Neid, Ver-
(allein)
läumdung, Koketterie — das wird eine feine Gährung geben! — Aber, da kömmt ja Hylas mit seiner Lalage? — Wie er das Maul hängt! Wie sie so spröde und vornehm thut! — Ein hübscher Anfang, beym Styx, ein hübscher Anfang! 10
H y l a s . L a l a g e , (geputzter als zuvor, mit Blumen und Federn in den Haaren.)
Hy l a s.
(vor sich)
Daß ich das erst izt gewahr worden bin! Chloe ist doch weit
hübscher, und — ich glaube, sie hat mich auch lieber. — La l a g e.
(vor sich)
Hylas ist freylich jünger und schöner, aber dafür ist Glau-
kon reicher als Hylas. Mer k ur. Hy l a s.
(vor sich)
wohl räsonniert!
(zu L a l . ziemlich brüsk)
Ey, hör sie, Jungfer Lalage, was soll denn das
bedeuten, daß sie sich da soviel Blumen und Federn an den Kopf gesteckt hat? Mer k ur. 20
(vor sich)
Die Eitelkeit hat sie einsweilen angesteckt, bis die Dia-
manten und Perlenschnüren aus Indien angelangt seyn werden. La l a g e.
(zu Hylas)
Was hat Moßjeh Hylas sich drum zu bekümmern, was ich
anstecke? Hy l a s. Was ich mich drum zu bekümmern habe? Eine schöne Frage! Ich habe mich sehr viel darum zu bekümmern, wenn sie meine Frau werden will. Komm sie mir nicht so, Jungfer Lalage! Weiß sie wohl, daß ihre Base Chloe — Sieht sie, wenn sie mich böse macht — La l a g e.
(schnippisch)
Nun? Wenn ich ihn böse mache — was dann?
Hy l a s. So — heyrath ich gleich Chloen. La l a g e. Nichts als das? I, das kann er meinthalben! 30
Hy l a s.
(sich brüstend und spreissend)
Chloe ist ein hübsches Mädchen, und —
wir haben die Ehre ihr nicht zu mißfallen. Mer k ur.
(klopft dem Hylas auf die Schulter)
Es lebe K l e i n m e i s t e r d e r e r s t e !
La l a g e. Ich weiß auch gar nicht, wo ich meine Sinnen hatte, da ich mir einfallen ließ, mich an einen Gärtner wegzuwerfen! Hy l a s. Der wahrlich wohl die Tochter der Madam Myra werth ist!
Pandora. Zweyter Aufzug
435
La l a g e. Da kommt ja meine Base wie gerufen! Ich will euch nicht hinderlich seyn.
(sie thut als ob sie gehen wolle.)
Merkur. Hylas. Lalage. Chloe.
Ch l o e.
(zu Lal.)
Du fliehst mich, Base?
La l a g e. Nicht dich, nur den Hylas. Ch l o e. Wie? nur den Hylas? La l a g e. Ja, ihn. Ch l o e.
(vor sich, mit ausbrechender Freude)
Ah! Sie haben sich gewiß überwor-
fen — das geht gut! Hy l a s.
(zu Chloen)
Du wirst sie doch nicht aufhalten wollen? Laß sie gehn!
10
La l a g e. Adieu, Mühmchen! behalt Hylassen nur für dich; ich mache dir ein Present mit ihm!
(geht ab.)
Hy l a s. Ey, das ist meine Sache; ich selbst schenke mich dir, liebe Chloe. Ch l o e. Du scherzest. Hy l a s. Wahrlich nicht! Es ist mein baarer Ernst. Ch l o e. Wenn man sich darauf verlassen könnte, so — Hy l a s. Meiner Treu, es ist mein ganzer Ernst; frag nur i h n hier! (auf Merkur weisend.)
Me r k u r. Es ist sein Ernst; du kannst dich ihm ohne Gefahr entdecken. Ch l o e. Nun, Hylas, wenn das ist, so will ich dir sagen: — ihm)
(sie tritt etwas näher zu
20
Lalage gestand mir gestern Abend im Vertrauen, daß sie nur so der-
gleichen thue als ob sie dich liebe — Me r k u r.
(vor sich)
Gestern Abends? Die kleine Spitzbübin! Da ist sie gleich
mit der ersten Lüge heimlich niedergekommen. Ch l o e. Aber im Grunde sey’s ihr gar nicht so um’s Herz. Hy l a s. Wer bekümmert sich drum? Ch l o e. Wenn ich an deiner Stelle wäre, ich wollte mich schon zu rächen wissen. Me r k u r. Das ist wahr! Ich heyrathete gleich Chloen, die eine viel zu gute Verwandtin ist, um nicht zu allem die Hand zu bieten, was ihre Base verdrießen kann. Hy l a s. Das will ich auch. Ich will mich rächen! O, es muß gar was Angenehmes seyn, sich zu rächen! Gleich stehenden Fußes will ich gehn — Komm, Chloe, mit zu deiner Tante — ich will mein Wort zurückziehen, und dich vor ihrer Nase heyrathen.
436
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
30
Merk ur. Viel Glücks! Merk ur.
(allein)
(Hylas und Chloe gehn ab.)
Die Süßigkeit der Rache! — Armer Hylas! Arme, arme
Leimgeschöpfe! Was wollt ihr, so schwach, so zerbrechlich wie ihr seyd, mit G ö t t e r l e i d e n s c h a f t e n anfangen? Wie wollt ihr sie handhaben? — Jupiter ist doch grausam, daß er sich so ein Spiel aus eurem Glücke macht! — Aber, so sind wir andere! Wenn nur sein Groll gegen Prometheus befriedigt wird, auf Glück oder Unglück einer Welt voll armer Menschlein kömmts ihm nicht an! — Doch, in dem Allen ist des Schicksals Hand. Wir regieren Himmel und Erde, und sind doch nur Werkzeuge einen Plan auszuführen, 10
den wir weder gemacht haben, noch kennen — Da kömmt Myra mit Lalage und dem Alten. Nun werden wir die neuen Familientugenden bald beysammen haben. Merkur. Myra. Lalage. Glaukon.
Myra. Was ich höre, Vater Glaukon, so habt ihr also noch nicht auf meine Tochter Verzicht gethan? Gl a u k o n.
Ich, ich thu auf nichts Verzicht.
(hustend)
Mer k ur. Ihr habt doch da einen Husten, däucht mich, der euch nöthigen wird auf allerley Verzicht zu thun. Gl a u k o n. Das wird sich schon geben, wenn ich die schöne Lalage geheyra20
thet habe. Merk ur. Ich sollt es selbst glauben, daß es sich geben wird. Myr a. War ich nicht eine Närrin, meine Tochter einem armen Gärtner geben zu wollen? Ein reicher Bauer schickt sich doch wohl besser für sie? Gl a u k o n. Das dächt’ ich! Myra. Ihr habt Vermögen; das ist just was meine Tochter braucht. Gl a u k o n. O! ich hoffe noch viel mehr vor mich zu bringen. Ich will sparen, will mir abbrechen, will mir das Brod vor’m Mund abbrechen, um Reichthum zu sammeln. Merk ur.
30
(vor sich)
Bravo! Es wollte mich schon Wunder nehmen, wo der
Geitz bliebe? — Nun will ich doch geschwind einen kleinen Flug nach dem Olympus thun, um Jupitern Bericht abzustatten, wie seine Büchse würkt. — Der ehrliche Prometheus! Der ist garstig angeführt! So ein Tausendkünstler er ist — was Pandora heute verdorben hat, macht er in Ewigkeit nicht wieder gut.
(geht ab.)
H y l a s und C h l o e zu den Vo r i g e n .
Pandora. Zweyter Aufzug
437
Hy l a s.
(zu Myra)
Wir suchen euch überall, Frau Myra.
My r a. Was wollt ihr meiner? Hy l a s. Wollt’ euch nur sagen, daß ich eure Tochter nicht mehr verlange. La l a g e. Und sie dich noch weniger. My r a. Ihr kommt mir nur einen Augenblick zuvor, Moßje Hylas. Ich gebe meine Tochter dem Glaukon.
(Glaukon hustet.)
Hy l a s. Ah! ich merke wohl wie das gemeynt ist. Ihr gebt sie dem Glaukon seines Hustens wegen. Gl a u k o n. Wie so? Was wollt ihr damit sagen, Moßje Hylas? Hy l a s. I, zum Wetter, das ist ja leicht zu verstehen. Seht ihr denn nicht, daß
10
ihr euch bald zu Tode husten werdet, und daß sie sich dann mit der Haut des Alten einen jungen Mann kauffen will? Gl a u k o n. Ihr seyd ein Flegel. Hy l a s.
(Chloen bey der Hand nehmend)
Komm, Chloe, wir wollen gehen, und das
wohlgegattete Paar lassen wo es ist. Mögen sie doch reich seyn. Vergnügen geht über Reichthum. Komm!
(sie wollen gehen.)
K o r o n i s . Die Vo r i g e n .
Ko r o n is
(zu Lalage)
Wie, Nichte? was giebts hier?
La l a g e . Ein unverhoftes Brautpaar, wie ihr seht! Ko r o n is .
(vor sich)
I, verwünscht! daß ich doch immer zu spät kommen
muß! —
(zu Hylas)
Hör er, Moßje Hylas, nur ein Wort!
20
(sie nimmt ihn beym
Arm, und zieht ihn auf die Seite.)
Hy l a s. Aber fein ein kurzes, ich kann mich nicht aufhalten. Ko r o n is . Er wird doch kein Thor seyn, und das grüne Mädchen da mit Nichts und wieder Nichts heyrathen wollen? Hör’ er nur, weil ich doch mit der Sprache heraus muß — ich bin ihm schon lange gut gewesen. Er weiß, ich habe Vermögen. Chloe hat nichts — Ich bin zwar — ein paar Jährchen älter — Hy l a s
(indem er sie scharf ansieht)
Ein paar Jährchen?
Ko r o n is . Aber was thut das? Ich bin jung genug für einen Mann, und ich kann ihn glücklicher machen als Chloe. Glaukon darf ihm dann seine Armuth nicht mehr vorrücken, und Lalage wird vor Ärger gelb werden, wenn sie sieht, daß Hylas so dicke thun kann als der Beste im Dorfe. Besinn’ er sich wohl, Hylas, und laß er das Mädel gehn! Ich will ihm bis Morgen Bedenkzeit geben. Hy l a s. Bedenkzeit? Nun ja, Bedenkzeit kann ich schon brauchen. Wir wollen
438
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
30
sehen. Die Sache ist schon überlegenswerth. Wenn ich das hätte denken können — Koron is . Laß er sich nur noch nichts gegen Chloen merken. Chloe
(sich ihnen nähernd)
Nu, was habt ihr da für Geheimnisse?
(zu Koronis)
Höre sie nur, Jungfer Koronis, es gefällt mir gar nicht, daß sie so vertraut mit Hylas thut. Koron is . Was will das Mädchen? Ich glaube, sie ist nicht klug! Hy l a s.
(zu Chloe)
Bis ruhig, Chloe! es ist nichts.
Chloe . O nur gar zu klug! Ich merke wohl, was sie für Absichten hat. Aber 10
wahrhaftig, so ein altes Ding, wie Sie ist, sollte sich schämen —
(weinend)
einem jungen Mädchen seinen Bräutigam abspenstig zu machen. Koron is . Was? Wie? Altes Ding? Abspenstig machen? Dir, deinen Bräutigam abspenstig machen? Das hab ich wohl vonnöthen! — Ich weiß nicht, was mich abhält, daß ich dir nicht gleich die Augen auskratze.
(Chloe läuft mit
einem Schrey davon. Hylas folgt ihr.)
La l a g e
und
Glaukon.
(die Koronis zurückhaltend)
Nu, nu, Tante, halte sie
Fried! Erboße sie sich nicht so! Koron is . Laßt mich! Ich will nicht so weit gegangen seyn, um stehen zu bleiben. 20
(geht ab.)
(Man hört ein Getöse von Trompeten und Trommeln.)
Myra. Was ist das für ein Getöse? Gl a u k o n. Meiner Lebetage hab ich so was nicht gehört! La l a g e. Ich zittre an allen Gliedern. K o r i d o n , von einem Hauffen bewafneter Bauren begleitet. M y r a . G l a u k o n . L a lage.
Ko r i d o n.
(zu seinen Leuten)
Laß sehen, ob sich die auch erst lange bey den
Ohren ziehen lassen werden. Myr a.
(zu Gl. und Lal.)
Es ist Koridon, der reichste Bauer in unsrer Gegend.
Gl a u k o n. Eh, guten Tag, Nachbar. 30
Einer v o n d e n Ba u r e n
zu G l a u k o n (indem er ihm den Hut vom Kopfe schlägt)
Will dich Respekt lehren, du alter Krautschuft! Kannst’n Hut nit ’runternehmen, wenn du mit deinem gnädigen Herrn sprichst? Gl a u k o n. Was Herrn? Wir haben keinen Herrn hier. Myr a. Er ist ein Bauer wie wir. Gl a u k o n. Wir wissen ja, zum Wetter! wer Koridon ist.
Pandora. Zweyter Aufzug
439
Ko r i d o n. Du sollst wissen, ich heiße nicht mehr Koridon; ich bin nun der Herr von Koridon von und zu Koridonshausen. La l a g e. I, wo wollt ihr mit dem langen Namen hin?
(lacht.)
Ko r i d o n. Es ist nur, um euch mehr Prospekt für meine Parson einzuflößen, versteht ihr? Ich habe mich zum Herrn dieser Gegend aufgeworfen. My r a. Da habt ihr kein Recht zu, das ist unbillig! Ko r i d o n. Kein Recht? Wer sagt euch das? Will euch mein Recht schon fühlen lassen! — Kein Recht! Ihr sollt wissen, ich hab Courasche im Leib wie ein Bär, und hohen Muth und Thatkraft. Will euch weisen, ob ich ’n Recht hab, ihr Lumpenvolk!
10
Gl a u k o n. Was für ein toller Einfall? Ein schlechter Bauer — Ko r i d o n. Willst’s Maul halten, alter Murrkater? Du sollst gleich der erste seyn, der sich vor mir demüthigt. Gl a u k o n. Das werd’ ich fein bleiben lassen. My r a. Und ich wahrlich auch. Ko r i d o n. Will’s euch schon lehren! Hab schon drey solche Flegel mausetodt geschlagen, weil sie sich nicht unterwerfen wollten. Gl a u k o n. Ich will von niemand abhangen; lieber sterben! Ko r i d o n. Nu, so habt’s an euch selber!
(zu seinen Leuten)
Kinder, nehmt mir
die Rebellen da beym Kopfe!
20
(Die Bauren schicken sich an, seinen Befehl zu vollziehen.)
Gl a u k o n. My r a.
(sich ihm zu Füssen werfend)
Ach! gnädiger Herr, wir bitten
um Barmherzigkeit. La l a g e.
(kniend)
Wir wollen uns nicht weiter sträuben, gnädiger Herr Kori-
don von und zu Koridonshausen! Ko r i d o n. Beym Element, das dacht ich ja, daß ich euch zur Räson kriegen würde! M e r k u r . D i e Vo r i g e n .
Me r k u r. Ey, ey, sein Diener, Herr von Koridon! Ko r i d o n. Wer ist der?
30
Me r k u r. Gut Freund, und zur Zeit wohlbestellter Brautdiener bey Lalagens Hochzeit. Ko r i d o n. Wen heyrathet sie denn? Me r k u r.
(auf Glaukon weisend)
Da, dies grauköpfige Liebchen hier, wenn ihr
nichts entgegen habt.
440
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
Ko r i d o n. Zum Element! ich hab’ aber sehr viel entgegen. Wie? der alte Kerl da sollte so ’n hübsches Mädel zur Frau haben? das werden wir nicht zugeben. Mer k ur. Da habt ihr auch recht. Lalage schickt sich viel besser für einen braven Edelmann, wie Ihr seyd, den Vater der Nobilität, das ist keine Frage. Ko r i d o n. Zum Wetter! das denk ich just auch. Gl a u k o n. Ich laß mir eher das Leben nehmen, als Lalagen. Ko r i d o n. Blitz und Hagelwetter! Was? der Kerl räsonniert noch? Gleich, packt ihn an, steckt ihn ins Loch, fort mit ihm! 10
(Die Bauren schleppen den Glaukon mit Gewalt fort.)
Merk ur.
(vor sich)
Die Ambition hat in meiner Abwesenheit gewaltig um sich
gefressen, wie ich sehe.
(zu Koridon)
Courasche, Herr von Koridonshausen;
es ist schön, daß ihr so gute Zucht und Ordnung unter den Menschen einführen wollt. Ko r i d o n. Das ist mir so auf einmal zu Kopf gestiegen. Dacht ’s müste hübsch seyn, wenn einer so Herr über die andern wär, und nur befehlen könnt, wie’s ihm in’n Sinn käm —
(zu Lalage)
Nu, Heyda, mein Hühnchen! wollen
dir die Ehre erweisen, und dich zu unsrer Hausfrauen erwählen. Du sollst nichts beym Tausch verliehren. 20
La l a g e.
(mit einem Kniks)
Es soll mir große Ehre seyn.
Ko r i d o n. Alle Weiber im Lande müssen dir dann Platz machen, und aufwarten. La l a g e.
(ausser sich vor Freude)
Heysa! Das wird schön seyn!
Ko r i d o n. Du sollst alle Tage so geputzt gehen, wie eine Braut an ihrem Hochzeittag. La l a g e.
(mit einem Sprung in die Höhe)
Das ist herrlich!
Mer k ur. Eu. Gnaden können sich dann einen sechsellenlangen Schweif nachtragen lassen, wenn’s beliebt. (Man hört einen Lerm hinter der Scene.) 30
Ko r i d o n. He! was giebts da? —
(zu seinen Leuten)
Holla, ihr dort, paßt auf!
G l a u k o n , H y l a s , und etliche Bauren mit Stangen und Knitteln bewafnet. D i e Vo rigen.
Hy l a s. Wo ist er, der Großpraler, der Schnapphahn, der Jauner, der uns zu Sclaven machen will? Gl a u k o n. Und ehrlichen Leuten ihre Bräute vorm Maul wegnimmt?
Pandora. Zweyter Aufzug
441
Ko r i d o n. Wie? Was? Alle Wetter! Ich glaube die Lumpenhunde unterstehen sich gar, mir Trotz zu bieten? —
(zu seinen Leuten)
schlagt zu! Schlagt sie zu Boden!
Allons! Frisch ihr Pursche,
(Sie werden handgemein. M y r a und L a l a g e
erheben ein Geschrey, und flüchten sich hinter M e r k u r . )
Hy l a s.
(auf Koridon losgehend)
Ich will dir den Edelmann aus dem Schädel
klopfen, du Mistfinke! La l a g e.
(dazwischen lauffend)
O, lieber Hylas, halt ein! Vergreif dich nicht an
meinem Gnädigen Herrn Bräutigam. Me r k u r.
(vor sich)
(das Getümmel nimmt überhand.)
Blut soll diesmal nicht vergossen werden. Ich muß mich
ins Mittel schlagen — Aber, da kömmt ja, zu gutem Glück, Prometheus selbst.
10
(Donner und Blitz.)
P r o m e t h e u s . D i e Vo r i g e n . (Sie fahren alle auseinander, und stehen wie versteinert.)
Pr o m e t h e u s .
(mit Unwillen)
Wie? Welch ein Unfug? Welch ein Lermen? Muß ich kommen, und Friede machen unter euch? Elendes Töpferwerk! was hält mich, daß ich nicht mit Einem Streich ein Werk vernichte das mir Schande macht, und euch, soviel ihr seyd, nichtswürdige Gefäße, angefüllt mit meiner Feinde Unrath, allesamt zu Scherben schmettre? Weg, Augenblicks! — und wehe dem von euch,
20
der gegen seinen Bruder einen Finger nur zu heben sich erkühnt!
(Sie rennen alle in ängstlicher Verwirrung davon.)
Me r k . Ereyfre dich nicht so, Prometheus — was geschehn ist, ist geschehn. Pr o m . Wohl! Wohl! Ihr habt da eine große That vollbracht! Könnt stolz drauf seyn mit eurem Jupiter! Ihr habt euch schön gerochen! Was ich gut gebildet, habt ihr verhunzt! Aus meinen lieblichen gutartigen Geschöpfen eine Brut von Narr’n und Schurken
442
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
30
gemacht, zu elend um gehaßt, und kaum noch gut genug, um kalt bedaurt zu werden! Für Götter, wie ihr seyn wollt, ein gewaltiges glorreiches Unternehmen, über ein Gemächt von nassem Leim so obgesiegt zu haben! — Wohl! Sag deinem Vater Zevs, er soll hinfürder nichts, zum wenigsten nichts, das der Müh sich lohnt, von meiner Arbeit verderben können. Was ich jemals wieder bilde 10
soll Marmor seyn, und ewig Marmor bleiben, bis es die Luft zerbeizt, die Zeit zerfrißt; und diese Erdbewohner, einst mein Lieblingswerk, an deren Unschuld, Eintracht, Kinderfreuden, ich mein Vergnügen hatte — diese nun verdorbene, besudelte Geschöpfe, vom Wurm gestochne Knospen, — ich begebe mich alles Rechts an sie — ihr habt sie euch geeignet, nun so behaltet sie, und macht daraus was euch gefällt.
20
Merk . Vetter Prometheus, wenn die böse Laune, die dich in Jamben sprechen macht, dir anders Freyheit läßt, Vernunft zu hören, so höre an! Ich will die Herren des Olympus weder tadeln noch rechtfertigen. Auch ists natürlich, wenn im ersten Augenblick es dich verdreußt, daß Zevs die schwache Seite von deinem Mittelding von Thier und Gott so bald gefunden, und zu seiner und
30
der andern Götter Kurzweil so benuzt, wie du gesehen hast. — Doch, laß es seyn! Das Schicksal, dem wir alle, ungern oder gern, gehorchen müssen, hat’s mit deinen Menschen so übel nicht gemeynt. Sie sind auf gutem Wege, nun
Pandora. Zweyter Aufzug
1—49
443
zu werden, was du sie seit sechzig Jahren so gerne machen wolltest, und nicht konntest — Pr o m . Nicht konnte? Freylich wollte und nicht konnte, weil ich, um vollkommner sie zu machen, sie darum nicht minder gut und glücklich haben wollte. Me r k . Pandorens Büchse hat nicht mehr gethan als das beschleunigt, was am Ende doch die Zeit, auch ohne sie, bewürken mußte.
10
Pr o m . Ein feiner Trost! Me r k . Und dann, bedenke, Vetter! daß wenn die Einzelnen, wenn Hylas, Chloe, Lalage und Glaukon, und so weiter, bey der Katastrophe verliehren, — doch das Ganze sehr dabey gewinnt. Und selbst die Einzelnen gewinnen! Immer Einerley, auch wenn das Einerley aus lauter Freuden gewebt ist, ist, beym Himmel! doch kein Leben.
20
Veränderung, Wechsel, ist des Lebens Würze. Auf Schmerz ist Wollust desto süßer, Ruh auf Arbeit, aus Dissonanzen webt der Musen Kunst die Zauberey’n der Harmonie; und Glück, mit Sorgen, Kampf, Gefahr, und angestrengter Müh errungen, lohnt im Augenblicke des Genusses die Kosten tausendfach. Pr o m . Wohl, Hermes, weils nun ist, wie’s ist, so kann’s und soll’s denn auch nicht anders seyn!
444
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
30
Daß aus dem Bösen selbst, durch unsre Kunst, was Gutes gezogen werden kann, ist freylich Trost, wiewohl kein Trost für mich! Ich liebe reine Formen, und eure Mischerey von Licht und Finsterniß, von Süß und Bitter macht mir keine Freude. Am Ende, Freund! ist all das Gute, das im Treibhaus eurer Leidenschaften je hervorgezwungen werden wird, für alles Böse nur ein ärmlicher Ersatz. Dem Unglückseligen, an dessen Eingeweide 10
des Schmerzens Geyer nagt, dem ists kein Labsal daß andre Wollust athmen. Merk . Auch für dies hat Zevs gesorgt. Pr o m. Er? — Sprich nichts weiter mir davon! Merk . Zwar eigentlich nicht Zevs: das Schicksal selbst hat für die Übel, die Pandorens Vorwitz den Menschen aufgeladen, auch Arzney bestimmt,
20
und durch Pandoren selbst — Horch! Horch! Sie nähert sich — die Lüfte um sie her zerfließen in Harmonie — Ein Zeichen guter Vorbedeutung!
(Musik.)
P a n d o r a . D i e Vo r i g e n .
Pand.
(zu Prom.)
Prometheus — kannst du mir verzeyhn? Pr o m. Du bist ein Weib, Pandora — deine Hand, wiewohl vom Vorwiz ausgestreckt, war nur das Werkzeug einer andern unsichtbaren — ich verzeyhe dir.
Pandora. Zweyter Aufzug
50—97
445
Me r k . Und beyde höret nun des Schicksals Spruch aus meinem Mund. Pandora soll die Gattin des Menschenbilders seyn; soll eine göttergleiche Tochter ihm gebähren, die auf ewig bey den Menschen wohne, und, aller ihrer Leiden süße Trösterin, sie stets begleit’, im Leben und im Tode sie nie verlaß’, und H o f n u n g sey ihr Nahme! Pr o m . Pa n d. Geheimniß des Schicksals!
10
wir beten dich an.
Pr o m . Me r k . Was lebet und strebet ist dein Organ.
Pa n d. Wir taumeln, wir irren auf nächtlichen Pfaden nach deinem Plan,
Pa n d. Pr o m.
a ` 2.
und wähnen zu würken was du gethan.
Al l e d r e y . Geheimniß des Schicksals! wir beten dich an.
W.
446
D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
20
An den Herausgeber des T. M. So eben eingeschickt. ¼Bis hiehin noch kein einziges Wörtchen im Merkur, von unsern vorlängst zugeschickten Grillen?* ) Das ist zu hart! Es war doch nicht Alles Schofel? — …½ *)
Dem H . ist nichts davon erinnerlich.
¼Zusatz und Anmerkung: Anonymus½ A n d e n H e r a u s g e b e r d e s T . M .
447
¼ F i l o s e t t e von Simon Dach. Die Compos. von Hrn. Kammer-Mus. K r a n z . …½
Dieses im Monat May d. J. des T. M. zuerst gedruckte Lied von unserm mit Unrecht vergeßnen S i m o n D a c h hat für mich den Werth, den für Moliere’s Misantropen das ehrliche Si le Roi m’avoit donne´ Paris sa grand’ville hatte. Ich gebe einen Theil unsrer modernen witzelnd empfindelnden Fratzen um die naive Herzlichkeit eines solchen alten Liedes. Eh, riez donc Messieurs!
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
Der Teutsche Merkur. August 1779.
¼Anzeige, die Voßische Übersetzung der Odyssee betreffend. Die Subscription auf meine Übersetzung der Odyssee, die mit dem August d. J. geschlossen werden sollte, bleibt, gewisser Ursachen halber, noch bis zum Ende des künftigen Februars offen; und das Werk, wenn es Unterstützung findet, erscheint zwischen Johannis und Michaelis 1780. Ich bitte jezt meine Gönner und Freunde, mir gegen den genannten Termin nur die Namen ihrer Subscribenten postfrey zu schicken, und das Geld erst dann, wenn ich in den Zeitungen bekannt mache, daß der Druck zu Ende gehe. Da man sich von den versprochenen Anmerkungen einen falschen Begriff zu machen scheint; so muß ich hier anzeigen, daß sie mit denen, die unter M . D a c i e r s , P o p e n s und D a m m s Übersetzungen stehn, wenig gemein
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haben werden. Mein Vorsatz ist, die Odyssee den Teutschen so verständlich zu geben, als sie’s Homers Zeitgenossen war; und nichts weiter. Daher fallen weg, alle Spitzfündigkeiten und Zwiste über die Schönheiten und Fehler des Gedichts, alle mystische Deutungen der Göttermährchen, und alle Vergleichungen mit andern Dichtern, die nichts aufklären. Aber die alten Gebräuche, Meynungen und Künste, Homers Fabellehre, und ihre Veränderungen bey den Neuern, die Erdkunde und Geschichte jener Zeit, und einige Stellen, die wegen alter Ideenverbindungen uns fremde sind, kurz alles, was zum Verstehn des Gedichts erfodert wird, denke ich, so weit mein Fleis und Büchervorrath reicht, zu erklären. Die Sprachanmerkungen, die mir während der Arbeit aufgestoßen sind, dachte ich anfangs für eine neue Ausgabe der griechischen Odyssee aufzuheben. Da aber die neulich entdeckte Handschrift in Venedig eine weit bessere Ausgabe Homers erwarten läßt; so will ich jezt hinter jedem Bande die Gründe, warum ich von andern Erklärern abweiche, anführen. Diese wenigen Bogen, die ich schenke, und die der Besitzer auch wegwerfen kann, wenn sie ihm nicht gefallen, sind eigentlich nur das, was man gelehrt nennt; das Übrige ist für jedermann, der nur so viel Verstand und Gefühl hat, als man bey einem Roman haben muß. Otterndorf, den 15ten Jul. 1779. Vo ß . ½
Ich wünsche und hoffe, daß der edlere Theil des Publikums sich durch die täglich zunehmende Menge von Subscriptionen auf Bücher, d i e m a n n i c h t
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1779)
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k e n n t , sich nicht werde abhalten lassen, diese Voßische Übersetzung der Odyssee zu begünstigen, deren Werth bereits aus den mitgetheilten Proben bekannt ist, und die durch die Anmerkungen, welche Hr. V . hier verspricht, für die Liebhaber Homers, die nicht Gelehrte von Profession sind, einen neuen Werth bekommen wird. Dürft ich den Hrn. V. im Namen vieler von seinen Freunden um etwas bitten, so wär’ es: sich durch den v e r m e y n t l i c h e n Fund der neulich entdeckt seyn sollenden H a n d s c h r i f t in Ve n e d i g (einen S c h a t z , der sich wahrscheinlicherweise in K o h l e n verwandeln dürfte) nicht von seinem Vorhaben einer neuen Ausgabe der G r i e c h i s c h e n Odys10
see abhalten zu lassen, und die S p r a c h a n m e r k u n g e n , anstatt solche seiner Übersetzung hinten beyzufügen, für diese neue Ausgabe des Texts aufzusparen. Übrigens zeige ich hiermit nochmals an, daß diejenigen, die in hiesigen Gegenden auf die Voßische Odyssee subscribiren wollen, sich deßhalb an mich wenden können. Wieland.
¼Zusatz: Voß½ A n z e i g e , d i e Vo ß i s c h e Ü b e r s e t z u n g d e r O d y s s e e
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¼Ankündigung einer Revision der A. D. Bibliothek. An das Publikum. Es haben etliche hiesige und auswärtige Gelehrte und Kenner der Litteratur den Entschluß gefaßt, eine unparteyische und ohne alle Leidenschaften abgefaßte R e v i s i o n d e r a l l g e m e i n e n t e u t s c h e n B i b l i o t h e k des Berlinischen Buchhändlers Nikolai herauszugeben. Die ganz unerhörte Grobheiten, Unbilligkeiten und Sottisen, die sich einige seiner Rezensenten gegen die verdienstvollesten Männer und gegen die nützlichsten Schriften, mit Hintansetzung aller Wahrheit und Billigkeit, erlauben, wird, so wie ihre Unverschämtheit, Unwissenheit und Widersprüche in das helleste Licht gesetzet, und b e w i e s e n werden, wie sehr die
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Nikolaischen Rezensenten manche unwissende Leser ihrer Bibliothek täuschen. Man weis gar wohl, daß auch rechtschaffene Rezensenten daran arbeiten, welche die Bücher d u r c h l e s e n u n d v e r s t e h e n , die sie beurtheilen; aber schon längst klagten viele Leser, daß öfters unter zehn Rezensionen kaum drey zweckmäsig, richtig und unparteyisch sind. Der erste Theil dieser R e v i s i o n wird den 37sten, und den neuesten Supplementenband der allgemeinen teutschen Bibliothek zum Gegenstande haben, und so wird bey jedem der folgenden Bände fortgefahren werden, so lange man es für gut befindet. Es stehet jeder auswärtigen ansehnlichen Buchhandlung frey, sich noch vor der Michaelismesse an mich p o s t f r e y , wegen der Verlagsbedingnisse, zu wenden, welche höchst billig und uneigennützig sind, weil man gerne eine Auswahl haben möchte. Es werden auch Einsendungen angenommen, wenn sie bescheiden, und der strengesten Wahrheit gemäß seyn werden. Nürnberg, den 9ten August 1779. Christoph Gottlieb von Murr.½
Ich habe es dem Herrn v o n M u r r nicht versagen können, diese Nachricht an das Publikum, deren heftiger Ton schwehrlich Beyfall finden wird, auf sein Ansuchen hier einzurücken. Ich erkläre aber zugleich ein für allemal, daß ich an dieser vorhabenden R e v i s i o n der A . D . B . weder unmittelbar noch mittelbar Theil habe, noch Theil nehmen werde. Wieland.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang September 1779)
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Der Teutsche Merkur. September 1779.
¼Die ersten Menschen, eine morgenländische Geschichte. … (Wenn dieß Stück des T. M. würdig ist, soll der S c h l ü s s e l dazu nachgeschickt werden, sobald der Herr Herausgeber, im Merkur selbst, die Erlaubniß dazu mir bekannt machen wird.) E.½
Wenn der V. dieses Stücks einen Schlüssel dazu für n ö t h i g hält, so steht ihm der Merkur zu Dienste. Manchen dürfte wohl eher eine Apologie wegen der kleinen Änderungen, die der Erzähler in der Geschichte gemacht, nöthig scheinen. d. H.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1779)
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¼Die Ros’ im Thale*). An Herrn M. K. …½ *)
Der ungenannte Verfasser dieses Gedichtes ist, soviel er sich mir hat ent-
decken wollen, ein noch sehr junger Jüngling, welcher wissen möchte, ob er durch die Versuchung zum Dichten und Versemachen, von welcher er schon geraume Zeit angefochten wird, zum G u t e n oder zum B ö s e n versucht werde. Da ich, aus vielen Gründen, den Auftrag, über seinen Beruf zum MusenPriesterthum zu entscheiden, nicht annehmen kann, und er gleichwohl 10
schlechterdings wissen will, woran er sey: so hab’ ich für das Beste gehalten, diese Probe, seinem Wunsche gemäß, einzurücken, und e s nun ihm zu überlassen, auf das Urtheil der Kenner, oder auch, wenn er lieber will, auf die Stimme des Volkes, acht zu geben, und dann — zu thun was er will, oder zu lassen, was er lassen kann.
¼Anmerkung: Anonymus½ D i e R o s’ i m T h a l e
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D r u c k f e h l e r in No. 9. des T. Merkur. S. 237. Z. 13. leset: d i e Wassersprache. S. 240. Z. 15. l. g r a s s e s t e n statt größesten.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Oktober 1779)
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät zugeeignet. Mit Königl. Preuß. und Churfürstl. Brandenburg. gnädigstem Privilegio.
Viertes Vierteljahr. Weimar.
Der Teutsche Merkur. November 1779.
¼An Herrn Heinr. Christ. Lemker, Pastor zu Müden an der Aller, bey der Feyer seiner funfzigjährigen Amtsführung. Den 28. Jun. 1779. von Conrad Arnold Schmid * ). … So soll, wenn wir fein fröhlich sind, Der Ruf von unserm Fest in Müden, Durch Ost und West, durch Nord und Süden, Von Mund zu Munde, pfeilgeschwind,
Mit diesem Kränzgen, bunt und schön,
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Dem Vivat, das ich euch gesungen, Dem Gläsgen, das hier angeklungen, Zur spätsten Nachwelt übergehn **)!½
*)
Wir glauben nicht zu irren, wenn wir diesen Aufsatz unter die Gelegen-
heitsgedichte zählen, die aus dem grossen Hauffen ausgehoben zu werden verdienen. Was die Empfindung eingegeben hat, kann keinem Leser, dem ein mitfühlend Herz zu Theil geworden, verächtlich seyn. Vielleicht ist es vielen von den unsrigen angenehm, bey dieser Gelegenheit wieder an jene B r e m i s c h e n B e y t r ä g e erinnert zu werden, welche dem Geschmack unsrer Nation vor dreyßig Jahren die erste glückliche Wendung gegeben haben, und an einen Mitarbeiter derselben, der sich durch verschiedene schätzbare Gedichte einen ehrenvollen Platz unter den Dichtern seiner und unsrer Zeit erworben hat. **)
So eben sehen wir aus dem 175. St. der Hamburg. Neuen Zeitung, daß der
würdige Greis, an den dieses gerichtet ist, den 13ten vorigen Monats in seinem 77. Jahre verstorben.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1779)
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Anekdoten des Herrn von Voltaire lezte Lebensauftritte betreffend. (Aus dem Journal d’un observateur, ou Anecdotes secrettes pour servir a l’histoire de la Republique des lettres en France depuis 1762. jusqu’a ` nos jours gezogen.) Diese Anekdoten enthalten so viel Interessantes für den Menschenforscher, und werfen so viel Licht über den Charakter des außerordentlichsten Mannes unsers Jahrhunderts, daß man vielen unsrer Leser, denen das Journal d’un 10
observateur so leicht nicht zu handen kommen möchte, durch Mittheilung derselben, einen angenehmen Dienst zu thun geglaubt hat. Der Verfasser ist nicht zuverläßig bekannt, und hat seine Ursachen, des Ruhms, den ihm dieses Buch zugezogen haben mag, in der Verborgenheit zu geniessen. Es ist leicht zu sehen, daß er kein Freund des ehmaligen Philosophen von Ferney ist, und überhaupt weder zur Parthey der sogenannten P h i l o s o p h e n , noch zu den ebenfalls so genannten Devots, ihrer Gegenparthey, gehört; welches leztere nur zu oft aus dem Ton, worinn er von seiner Geistlichkeit spricht, erhellt. Kurz, wenn er zu einer Parthey gehört, so mag es wohl die der Persiffleurs seyn, welche, wiewohl sie die meisten Lacher auf ihrer Seite hat, doch keines-
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wegs die hochachtungswürdigste ist. Unbefangene Leser werden daher mehr als einmal Ursache finden, in das L i c h t , worinn er den Helden stellt, und in die F a r b e n und R e f l e x e , womit er Personen und Fakta koloriert, einiges Mißtrauen zu setzen! Indessen sind wir doch von Personen, deren Zeugniß Gewicht hat, der Glaubwürdigkeit seiner Nachrichten versichert worden; und es scheint wenigstens nicht schwer zu seyn, das, was darinn historisch wahr ist, von dem Medium, wodurch es der Verfasser gesehen hat, oder dem Helldunkel, worein er es geflissentlich stellen wollte, zu unterscheiden. * * *
A n e k d o t e n d e s H e r r n v o n Vo l t a i r e
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D e n 1 2 t e n F e b r . 1 7 7 8 . Herr v o n Vo l t a i r e ist vorgestern Nachmittag wirklich zu Paris angekommen. Er stieg in der Rue de Beaune bey dem Hrn. M a r q u i s d e V i l l e t t e ab, und machte eine Stunde darauf ganz vergnügt und zu Fuße dem Hrn. C o m t e d’ A r g e n t a l auf dem Quai d’Orc¸ay seinen Besuch. Der Aufzug, den er mit seiner Kleidung machte, war so sonderbar, (er war nemlich in einen weiten Pelz gehüllt, hatte eine wollene Perücke, und eine rothe Pelzmütze oben drauf) daß ihn die kleinen Kinder, weil es eben Karneval ist, für einen Fastnachtsnarren ansahen, und hinter ihm drein liefen und schrieen. Gestern ist er den ganzen Tag in Schlafrock und Nachtmütze geblieben, und
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hat in diesem Aufzug die Besuche von Hof und Stadt angenommen. Er gab zur Entschuldigung, er sey äußerst abgemattet, und überhaupt gar nicht wohl. Er sprach beständig davon, daß er sich zu Bette legen müsse, legte sich aber doch nicht. Mit dem Cerimoniel ward es so gehalten. Man wurde in eine Reihe von prächtigen Zimmern geführt, wo die Frau Marquise de Villette, als Frau vom Hause, und Mad. D e n i s , als Nichte des Hrn. von Voltaire, die Honneurs machten. Sie hielten Cercle. Ein Bedienter sagte dem Hrn. von Voltaire allezeit, wer käme. Der Hr. Marquis de Villette und der Comte d’Argental präsentierten, ein jeder auf seiner Seite, diejenigen an den Philosophen, die er noch nicht kannte, oder wieder vergessen hatte. Er empfieng das Kompliment
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des Neugierigen, antwortete ihm ein paar höfliche Worte, und begab sich wieder in sein Kabinet, um seinem Sekretär Verbesserungen zu seinem Trauerspiel I r e n e zu diktiren. Allem Ansehen nach hat seine väterliche Zärtlichkeit für dieses Stück, welches er gar zu gern aufführen sehen möchte, keinen geringen Antheil an seiner Wiederkunft nach Paris gehabt. Aber wie groß war sein Schmerz, da er hörte, daß l e K a i n nur eben gestorben sey! D e n 1 4 t e n F e b r . Hr. von Voltaire hütet noch beständig sein Zimmer, um Visiten anzunehmen, und Verbesserungen über seine Irene zu diktiren. Wegen le Kains Verlust war er so empfindlich gerührt, daß ihm ganz übel wurde, wie ihm der Abbee M i g n o t auf einmal die Krankheit und den Tod dieses großen Schauspielers ankündigte. Er hat auch Herrn Tr o n c h i n wegen der anhaltenden Verstopfungen, über die er klagt, und wegen der geringen Wirkung der Kaßia, die er, um der Natur zu Hülfe zu kommen, wöchentlich dreymal genommen hat, um Rath gefragt.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1779)
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Der Doktor antwortete ihm: in seinem Alter sey weiter nichts zu thun, als Gedult zu haben. Unterdessen hat er ihm doch einige Mittel angerathen, die der Kaßia noch nachhelfen sollten. Übrigens lebt der Philosoph fast wie zu Ferney. Er hat sein eignes Hauswesen bey dem Hrn. von Villette, und hat alles, was dazu gehört, bis auf die kleinsten Geräthe, anschaffen lassen. Er gesteht selbst, daß er nicht im Stande sey, seine Freude über die außerordentliche Aufnahme, die ihm hier wiederfahren ist, auszudrücken. Am Donnerstage war die Akademie versammlet, und beliebte für schicklich zu 10
halten, ihn durch eine besondere Deputation komplimentiren zu lassen. Es scheint, daß nicht viele mitgehen werden. D e n 1 6 t e n F e b r . Hr. von Voltaire hat diese Tage über noch immer — nicht Visiten, sondern H u l d i g u n g e n empfangen. Am Sonnabend schickten die französischen Schauspieler Deputierte an ihn. Hr. Bellecour hielt die Anrede an ihn, und Hr. v. V. antwortete ihm, nachdem er erst, gewohntermaaßen, von seiner Unpäßlichkeit gesprochen hatte: „Fürs Künftige kann ich blos für Sie und durch sie leben.“ Darauf wandte er sich zu Mad. Vestris, und sezte hinzu: „ M a d a m e , i c h h a b e d i e s e N a c h t f ü r S i e g e a r b e i t e t , w i e e i n J ü n g l i n g v o n 2 0 J a h r e n * ) . “ Er meinte damit seine Verbesserungen, die er
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zu seinem Stücke gemacht, und mit deren Einschaltung er die ganze Nacht zugebracht hatte. Die Deputation der Schauspieler gieng wieder ab. Einer von ihnen sagte: Mr. Bellecour habe seine Anrede in einem sehr pathetischen Ton gehalten, und die Zuhörer seyen beynah bis zu Thränen gerührt worden. J a , j a , antwortete er: w i r h a b e n u n s r e R o l l e r e c h t g u t g e s p i e l t , e i n e r w i e d e r a n d r e . Nach dieser Cerimonie gab man den Schauspielern zu verstehen, weil Hr. v. V. den C i n n a immer für das Meisterstück des Corneille gepriesen, so hätten sie auf nächsten Montag dieses Stück anstatt des Heraklius geben sollen. Sie haben versprochen, sich darnach zu achten, und Hr. v. V. hat sich anhei-
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schig gemacht selbst zu kommen, wenn es ihm anders Hr. Tronchin erlauben werde.
*)
Madame, j’ai travaille´ pour Vous cette nuit comme un jeune homme de 20 ans. Wie galant!
und wie emphatisch, wenn man sich das Alter und die Figur des Greisen, der so witzige Zweydeutigkeiten sagt, hinzudenkt. — Die große Perüke und den Schlafrock nicht zu vergessen!
A n e k d o t e n d e s H e r r n v o n Vo l t a i r e
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Während der ganzen Audienz, die er heute gab, war er sehr munter. Er sprach viel über politische Gegenstände, und zeigte einen Brief vom König von Preussen, den er vor Kurzem empfangen hätte. Er bemerkte, daß dieser Monarch darinn als einen Grundsatz annehme: man müsse sich nichts zueignen, was einem nicht gehöre. „Gleichwohl, fügt’ er lächelnd hinzu, möcht’ er izt gern ein Stückchen vom Churfürstenthum Bayern miterben; aber ohne Zweifel hat er auch Recht dazu *).“ „Was den Kaiser betrift, so muß ein großer Monarch, wie er, so viel Land besetzen, als er kann, um seine Majestät in einem weiten und anständigen Raum bewegen zu können.“ D e n 1 7 t e n F e b r . 1 7 7 8 . Hr. v. V. hat gestern nicht in den C i n n a gehen
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können. Er leidet seit Sonntag viel an der Harnstrenge, und deswegen hat ihm Hr. Tronchin nicht erlaubt auszugehen. Die Ungewißheit, den Philosophen wo anders, als in seinem eignen Hause zu sehen, macht nun den Auflauf desto größer. Selbst Leute, die ihn nicht kennen, und auch sonst nichts vor sich haben, weswegen sie sich selbst präsentiren könnten, lassen sich ihm durch andre vorstellen. Übrigens geht es da wie bey den Audienzen der Minister zu. Spricht mit ihm wer will, und viele sind schon vergnügt, wenn sie ihn nur gesehen oder gehört haben. D e n 1 8 t e n F e b r . Am Montage hat Hr. v. V. wegen seiner Unpäßlichkeit vom Sonntag keine ö f f e n t l i c h e A u d i e n z geben können; doch sind einige
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Personen privatim angenommen worden, trotz der Sorgfalt des Hrn. von Villette, für eine so kostbare Gesundheit zu wachen, und die Zudringlichen zurückzuhalten. Die Vornehmsten unter denen, die so glücklich waren, d e n P h i l o s o p h e n zu sehen, waren der Doktor F r a n k l i n , Madame N e c k e r , der E n g l i s c h e G e s a n d t e und Hr. B a l b a s t r e . Man hat seine Geschicklichkeit, die Unterhaltung für so verschiedene Akteurs zu modificiren, und vornemlich die Grazie, die Lebhaftigkeit und die Menge von Witz bewundert, womit er d e r F r a u d e s G e n e r a l d i r e k t o r s d e s F i n a n z w e s e n s zu gefallen gesucht hat. Ob er gleich über Kopfweh klagte, wollte er doch auch die Eitelkeit des berühmten Künstlers (des Hrn. Balbastre) kitzeln, der ihm seine Verehrung zu bezeigen gekommen war. Er bat ihn um ein Stück auf dem Klavier, und *)
Für einen Korrespondenten war Hr. v. V. also sehr schlecht von den Absichten des Königs v.
P. benachrichtigt.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1779)
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dieser geschickte Mann schien die Beschwerden des Kranken dadurch zu bezaubern. D e n 1 9 t e n F e b r . Hr. v. V. war den ganzen Montag über sehr matt, und wandte sich deswegen an den D. Tronchin. Dieser fand seine Füße geschwollen, und befahl ihm, sich zu legen; zugleich aber erklärte er sich, daß er ihm nicht acht Tage mehr für sein Leben stehen könnte, wenn er nicht anders lebte, und sich in einer gänzlichen Ruhe hielte. Dieser Drohung zufolge sieht der erschrekte Greis niemand mehr, und läßt auch Personen vom ersten Rang nicht mehr vor. Seine Gesundheit, sagt er, sey ihm kostbarer, als alle Ehren10
bezeugungen, die man ihm anthun will. Indessen kann er doch nicht von der Arbeit lassen, sondern überhäuft seinen Sekretär Va g n i e r e s mit Schreibereyen für dies unglückliche Trauerspiel, das ihm zur Folter wird. Die Eitelkeit des Hrn. v. V. wurde zu einer so ungelegenen Zeit um desto mehr gekränkt, da der Hr. Graf von Artois ihn seiner Gewogenheit und des Vergnügens versichern ließ, das er haben würde, ihn in der Komödie zu sehen; und ihn zugleich ersuchte, ihm den Tag wissen zu lassen, wenn er hineingehen würde. D e n 2 2 s t e n F e b r . An dem Tage, da D. Franklin bey dem Hrn. v. V. seinen Besuch machte, stellte er ihm seinen Enkel vor, und bat ihn — *) um seinen
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Seegen vor den Kleinen. Der Philosoph, der seine Rolle nicht schlechter spielte, als der Doktor, stund auf, legte dem kleinen Unschuldigen die Hände auf, und sprach mit emphatischem Ton diese drey Worte über ihn aus: G o t t , F r e y h e i t und To l e r a n z . Hr. v. V., der im Physischen nicht weniger als im Moralischen ein Wunder ist, befand sich am Donnerstage um vieles besser. Die Geschwulst an seinen Füssen hatte sich gesezt, und er beschäftigte sich mit Austheilung der Rollen zu seinem Trauerspiele. Niemand als der Marschall von R i c h e l i e u hatte die Erlaubniß, ihn, in Rücksicht auf dieses Geschäfte, zu sehen. Es war ein seltenes Schauspiel, diese beyden Greise zu beobachten und zu hören. Sie sind
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beynah von gleichem Alter. Der Duc ist etwas jünger, sah aber, trotz seiner Toilette und Dekoration, noch weit älter aus, als Hr. v. V. in Nachtmütze und *)
par une a d u l a t i o n i n d e c e n t e , p u e r i l e , b a s s e , & meˆme suivant certains devots
d’une i m p i e t e´ derisoire sezt der Verfasser dieser Anekdoten hinzu. Da diese häßlichen Beywörter nur Farben sind, die er dem Fakto anstreicht, und nicht das Faktum selbst, so glaubt man besser zu thun, sie hier (und ähnliche an mehrern Stellen) wegzulassen.
A n e k d o t e n d e s H e r r n v o n Vo l t a i r e
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Schlafrock. Der leztere hat sich vorgenommen, nächsten Sonntag zur ersten Probe ins Komödienhaus zu gehen, und zwar mit dem Manuscript in der Hand, um die Fähigkeiten eines jeden Akteurs kennen zu lernen. Am Freytag arbeitete Hr. v. V. so viel, daß er seinem Sekretär nicht einmal Zeit zum Ankleiden ließ. Nachmittag ließ sich die C o m t e s s e D u B a r r y bey ihm zu Besuch melden; es hielt sehr schwer, den alten Kranken dahin zu bringen, daß er sie annahm. Seine Eitelkeit litt dabey, daß er vor dieser Schönheit ohne Toillette und Zubereitung erscheinen sollte. Endlich gab er dennoch ihren Bitten nach, und ersezte das durch die G r a z i e n d e s G e i s t e s , was ihm etwa an äußrer E l e g a n z abgehen mochte.
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D e n 2 2 s t e n F e b r . 1 7 7 8 . Der Hr. Marquis d e V i l l e t t e fragte Mademoiselle A r n o u x * ) , nachdem diese seine Frau gesehen hatte, was sie von ihr hielt. Sie antwortete ihm: E s i s t e i n e s e h r s c h ö n e A u s g a b e d e r P u c e l l e . Man muß sich erinnern, daß die Marquise de Villette, eine gebohrne Demoiselle d e Va r i c o u r t , mehrere Jahre in Voltaire’s Hause erzogen worden war. D e n 2 2 s t e n F e b r . 1 7 7 8 . Gestern hat sich bey dem Hrn. v. V. die Geschwulst an den Füßen in etwas wieder eingefunden. Er hat sich den ganzen Tag inne gehalten, und Niemand als sein Arzt ist vor ihn gekommen. Man zweifelt, daß er heute im Stande seyn werde, in die Komödie zu gehen, oder
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auch nur die Schauspieler zu sich kommen zu lassen, wie man ihm vorgeschlagen hatte. Ob ihm gleich verboten worden ist, etwas zu thun, hat er doch den ganzen Tag gearbeitet. D e n 2 4 s t e n F e b r . Hr. v. V. glaubte am verwichnen Sonntag ungeachtet seiner geschwollenen Füße doch im Stande zu seyn, die Schauspieler anzunehmen. Er vertheilte die Rollen zur I r e n e unter sie und gieng sie mit ihnen durch. Der Marschall von Richelieu war bey der Scene zugegen, und es war ein liebliches Schauspiel, die beyden Greise sich unter diesem Hauffen von Histrionen herumtreiben zu sehen. Abends fand sich der Dichter sehr abgemattet, und mußte schon um 8 Uhr zu Bette gehen. Obgleich d e r K ö n i g erklärt hat, daß er den Hrn. v. V. weder liebe noch schätze, und, als der Hr. v o n M a u r e p a s die Gesinnungen seiner Majestät in *)
Bekanntermaaßen eine Schauspielerin, die ihres Witzes wegen eben so berühmt, als durch
ihre Galanterieen berüchtigt ist.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1779)
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Ansehung des Verlangens, welches Hr. v. V. geäußert hatte, nach Versailles kommen zu dürfen, auszuforschen suchte, ihm zur Antwort ertheilte: es sey schon genug, daß Er (der König) die Augen zu seinem Aufenthalt in Paris zuschließe: so hat es doch der Comte d’ A n g i v i l l i e r s so weit gebracht, daß den Statuen, welche der Bildhauerakademie zu verfertigen aufgetragen worden sind, auch des Hrn. v. V. seine beygefügt worden ist. Dieser Generaldirektor des Königlichen Bauwesens konnte nicht genug eilen, dem Helden eine seiner Eitelkeit so schmeichelhafte Neuigkeit wissen zu lassen, und er glaubte, daß Hr. P i g a l , dem diese Arbeit aufgetragen war, der angenehmste Bote 10
seyn würde, den er deshalb an ihn senden könne. Der große Dichter, voll von dieser Nachricht, antwortete dem Künstler, dem auch die Statue des Marschall de Saxe aufgetragen ist, in folgenden sechs Versen: Le Roi connoıˆt votre talent: Dans le p e t i t & dans le g r a n d Vous produisez oeuvre parfaite. Aujourd’hui, contraste nouveau! Il veut que votre heureux ciseau Du h e r o s descende au t r o m p e t t e *) .
D e n 2 8 s t e n F e b r . Ungeachtet der großen Menge von Anhängern und Be20
wunderern, die Hr. v. V. hat, hat er doch noch mehr Feinde. Die ganze Parthey der Andächtigen und der Geistlichkeit ist gegen ihn. Sie wurden durch das Aufsehen, das seine Ankunft hier erregte, und die unglaublige S e n s a t i o n , die solche machte, äußerst aufgebracht. Sie hofften anfangs, es würden vielleicht Verordnungen vorhanden seyn, kraft deren ihm verboten wäre, wieder in der Hauptstadt zu erscheinen, und schlugen deshalb alle Bücher (Registres) der Polizey, des Departement von Paris und desjenigen der ausländischen Angelegenheiten nach, um zu sehen, ob sich nicht etwa irgend ein Fetzgen von einer Lettre de Cachet fände, dessen sie sich bedienen könnten, ihn in aller christlichen Liebe bey dem König vollends zu stürzen, der ohnehin schon
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*)
Wir hätten gerne mit einer Übersetzung in ähnlichen Knittelreimen aufwarten wollen,
wenn sich nur ein brauchbarer Reim auf Tr o m p e t e r fände, welches nothwendig das lezte Wort seyn muß, wenn dies Madrigal nicht alle seine Grazie verlieren soll.
A n e k d o t e n d e s H e r r n v o n Vo l t a i r e
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nicht sehr günstig von ihm denkt. In diesem Vorhaben hofften sie auch von Monsieur (le Comte de Provence) begünstigt zu werden, der kein Freund von dem Chorführer der Modephilosophie ist. Unglücklicherweise zeigte sichs, daß niemals ein schriftlicher Befehl vorhanden gewesen war, der dem Hrn. v. V. die Stadt untersagt hätte: sondern daß seine lange Abwesenheit blos seiner natürlichen unruhigen Gemüthsart und gewissen wörtlichen Bedeutungen zuzuschreiben sey. Ohne Zweifel hätten eine Menge seiner durch den Scharfrichter verbrannten Schriften zum Vorwande dienen können, ihm den Prozeß zu machen. Aber er hat ja keine derselben unterschrieben und besiegelt. Sie sind alle entweder
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ohne Namen oder unter einem falschen Namen erschienen; und überdies müßte eine förmliche Instruktion darüber abgefaßt werden, die nun freylich in unserm aufgeklärten Jahrhundert etwas Allzuverhaßtes wäre; und wozu auch das Parlament sich nicht einmal gebrauchen lassen würde, als in welchem Voltaire Anverwandte, Freunde und Bewunderer hat. Der Fanatismus ist also dahin gebracht, auf einer Seite grobe Intriguen gegen ihn anzuzetteln, auf der andern über Ärgerniß zu schreyen, und überhaupt den Aufenthalt dieses Apostels des Unglaubens in dieser Stadt zu beseufzen. Der Hr. Erzbischof, der bey seiner Vertreibung am meisten intereßiert, und in Vertheidigung der Religion der eifrigste ist, hat deswegen
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unmittelbar an den König geschrieben. Aber man hat Sr. Majestät dagegen vorgestellt, daß dieser Greis, der von der Veränderung seines Aufenthalts bey itziger Jahrszeit, von der langen Reise und von der Menge der Besuche, die er empfangen, sich noch nicht erholt habe, und den der Gedanke, dem Monarchen zu mißfallen, noch mehr betrüben und niederschlagen müßte, nicht gleich stehenden Fußes nach Ferney zurückgehen könnte; daß es Grausamkeit seyn würde, ihn dazu zu zwingen; daß es sein Tod seyn könnte, und daß es der Gnade Sr. Majestät gemäß sey, ihn von selbst wieder abreisen zu lassen, wie er ohnehin willens sey. So stunden die Sachen, als Hr. v. V. von einem Bluthusten überfallen und sehr krank wurde. Dieses macht nun den geistlichen Herren neue Unruhen. Die Frage ist, wie es anzufangen sey, um zu dem Kranken einzudringen und ihn zu bekehren, oder wenigstens zu einer äußerlichen Religionshandlung zu vermögen, auf die sie sich hernach berufen und triumphiren können. Dies ist es, was diejenigen, die ihn umgeben, so behutsam macht, und wes-
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wegen sie genöthigt sind, ihre Unruhen zu verbergen, und keine unangenehme Nachrichten von seinem Zustande verlauten zu lassen. Der Krankenzeddel wird nur an bekannte Freunde gegeben. D e n 1 s t e n M e r z 1 7 7 8 . Die Freunde des Hrn. v. V., da sie einsehen, daß er sich wegen des Geschreys der Andächtler und der Geistlichkeit schwerlich lange werde hier aufhalten können; und da sie überdies für seine Gesundheit besorgt sind, die sich seit seiner Ankunft sehr verändert hat, denken itzt ernstlich darauf, ihn in Sicherheit zu bringen. Mad. d e S t . J u l i e n insbesondere, die in sehr enger freundschaftlicher Verbindung mit ihm steht, hat ein eignes 10
Gefährte für ihn besorgt, um ihm die Rückreise so bequem als möglich zu machen. Aber es ist sehr zu befürchten, daß diese Anstalten zu spät kommen. Der Bluthusten, der ihn am Mittwoch überfallen hat, ist wahrscheinlicherweise der Anstrengung zuzuschreiben, die ihm am vorigen Sonntag die Probe seines Stücks verursachte; weil er es beynahe ganz deklamiren mußte, um einem jeden Akteur den Ton seiner Rolle zu lehren. Und da dieser Zufall die Folge einer außerordentlichen Ermüdung war, will man es nicht vor gut befinden, daß ihm unter solchen Umständen und in seinem Alter zur Ader gelassen worden ist. Er sieht niemanden mehr, als seine Anverwandten; alle Arbeit ist ihm untersagt, und er liegt fast immer zu Bette. Indessen zeigt er
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sich sehr gesetzt, und sucht die Umstehenden immer dadurch zu beruhigen, daß er zu ihnen sagt, es sey nichts. Man verspürt immer mehr und mehr große Bewegungen unter der Geistlichkeit, um zu verabreden, wie man sich gegen den Korypheen der Philosophie zu benehmen habe; die Philosophen hingegen verdoppeln ihrerseits ihre Bemühungen, um ihr Oberhaupt nichts thun zu lassen, das seiner unwürdig sey. D e n 2 t e n M e r z 1 7 7 8 . Eh Hr. v. V. krank wurde, hatte Madame Dudeffant ihn schriftlich eingeladen, mit ihr in den R o l a n d zu gehen, und folgendes Billet zur Antwort von ihm empfangen:
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De ce Roland que l’on vous vante Je ne puis avec vous aller, oˆ Dudeffant, Savourer la musique & douce & ravissante: Si Tronchin le permet, Quinault me le defend.
A n e k d o t e n d e s H e r r n v o n Vo l t a i r e
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Dieser epigrammatische Schluß trifft Hrn. M a r m o n t e l , dem es der Dichter indirekte verweiset, daß er sich unterstanden habe, das Werk des Quinault zu verändern. Zu Ferney pflegte er immer zu sagen, er könne nicht mit Freuden sterben, wenn er nicht noch vor seinem Ende eine französische Komödie und eine öffentliche Sitzung der Akademie gesehen hätte. Er war itzt sehr nahe dabey, dieses doppelte Schauspiel, oder besser, diesen doppelten Triumph zu genießen; und gleichwohl ist zu besorgen, daß er dessen auf ewig werde beraubt werden, denn sein Zustand wird immer bedenklicher, und er hustet noch beständig etwas Blut.
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Übrigens weiß man nicht, ob die öffentliche Versammlung der Akademie nicht einige Schwierigkeit würde gefunden haben. Wenigstens hätten sich die Prälaten gewiß viel Mühe gegeben, die Erlaubniß vom Könige zu hintertreiben. Sie waren durch die Deputation der Akademie an den Oberpriester des Unglaubens schon geärgert genug. Denn außerdem, daß diese Feyerlichkeit an sich viel Aufsehen machte, kam auch ein Theil dieser öffentlichen Huldigung auf die Rechnung der Geistlichen, da ihm solche im Namen der ganzen Akademie, folglich auch verschiedener Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte gemacht worden, welche Mitglieder der Akademie sind, und folglich auch dafür angesehen wurden, als ob sie an der Verabredung Theil gehabt
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hätten. Die ganze Parthey der Devots ist darüber grißgrämisch worden, und hat den P r i n c e d e B e a u v e a u , der das Wort dabey führte, anathematisiert. Die Spasmacher lachten blos darüber, und sagten: e s w ä r e n d i e G l i e d e r , die den Leib suchten. D e n 3 t e n M e r z 1 7 7 8 . Einer von den Philosophen, die den Hof des Hrn. v. V. ausmachen, sagte zu ihm, als er ihn sehr mißvergnügt darüber sah, daß er nicht auf die feyerliche Art, wie er gewünscht hatte, nach Versailles gehen könnte: „Sie sind wohl sehr gut! Wissen Sie wohl, wie es Ihnen da würde gegangen seyn? Ich will’s Ihnen sagen: der K ö n i g hätte Ihnen mit seiner gewöhnlichen A f f a b i l i t ä t ins Gesicht gelacht, und von ihrer Jagd zu Ferney gesprochen; die K ö n i g i n von ihrem Theater; M o n s i e u r hätte Sie nach ihren Einkünften gefragt; M a d a m e ein Paar von ihren Versen citiert; die C o m t e s s e d’ A r t o i s hätte Ihnen — n i c h t s gesagt, und der C o m t e — hätte Sie von der P u c e l l e unterhalten.“ Die Verse des Marquis de Villette an Hrn. v. Voltaire bey Gelegenheit seiner
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vorgeblichen Wiederherstellung, die ins Journal de Paris eingerückt sind, können für nichts Bestimmtes über den eigentlichen Zustand des Greises gelten. Der Marquis und Er sind sehr ungehalten gewesen, daß in besagtem Journal so viel Aufhebens von seiner Krankheit gemacht wurde: und der Sammler ist unter der Hand gebeten worden, nichts weiter davon zu reden — um die Wachsamkeit der Geistlichkeit einzuschläfern, und wenn etwa Priester zu ihm wollten, sie ohne Skandal abweisen zu können. Indessen giebt man sich alle Mühe, ihn aufzuheitern, oder wenigstens mit seinen Lieblingsgegenständen zu unterhalten. Deswegen las ihm Mr. d e l a 10
H a r p e verwichnen Sonntag einen Gesang aus seiner P h a r s a l i e vor. Er that dies mit solcher Anstrengung seiner mächtigen Lungenflügel, daß man ihn im ganzen Hause, und sogar auf der Straße hören konnte. Die Hoffnung, mit in das Testament des Papa Grand-Homme zu kommen, verdoppelt den Eifer und die Sorgsamkeit dieses Dichterlings und seiner Frau bey seinem Krankenbette. D e n 5 t e n M ä r z 1 7 7 8 . Hr. v. V. seit seiner Zurückkunft nach Paris wird in kurzer Zeit den interessantesten Kontrast für ein philosophisches Auge dargestellt haben. Als er ankam, empfieng er die glänzendsten Huldigungen, Ehrenbezeugungen, die kaum glaublich sind; genoß, mit einem Wort, einer
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Herrlichkeit, die ohne alles Beyspiel ist. Man verehrte ihn als einen in seiner Art einzigen Genius, als einen Gott, der nichts mit den andern Sterblichen gemein habe. Itzt ist er nichts, als ein Anblick, der die Menschheit traurig macht. Sein Leib hat alle ihre Gebrechen, seine Seele alle ihre Schwachheiten. Zwar kann man nicht eigentlich sagen, wie weit er heruntergekommen sey, da er mit niemanden spricht; doch läßt sichs aus folgenden kleinen Begebenheiten abnehmen. Mr. d e l a H a r p e hatte am Sonntage, anstatt den Kranken aufzuheitern, ihn durch seine harte und schneidende Deklamation äußerst ermüdet, und das um so mehr, weil Hr. v. V. sich nicht enthalten konnte, immer dies und
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jenes an seinen Versen auszusetzen. Hr. Tronchin hat also scharf verboten, ihn mit jemand reden zu lassen, und man begnügt sich daher, ihn den Personen, welche ihn besuchen wollen, b l o ß z u z e i g e n . Einige nimmt er bey der Hand und lächelt sie an. Andern hingegen giebt er durch ein abscheuliches Geschrey (par des cris affreux) zu erkennen, daß sie ihm mißfallen. Er hatte von Ferney einen jungen Menschen kommen lassen, welcher dem
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Hrn. Va g n i e r e s , seinem Sekretär, in seinen Schreibereyen helfen sollte. Da dieser nun selbst nicht mehr viel zu thun hat, so hat er jenen auf die unbarmherzigste Art wieder fortgeschickt, und Mad. Denis mußte ihn, wider Wissen ihres Onkels, unterstützen, daß er nur unter Dach kam, und nicht Hungers sterben muste. Seit acht Tagen lebt er von nichts als Tisane und Bouillon coupe´. Das macht ihm den Kopf leer, und nimmt ihm die noch übrigen wenigen Kräfte, so daß das Husten ihm sehr sauer wird. Gleichwohl sind seine Augen noch so lebhaft und gut, daß er noch immer alle Broschüren liest, die ihm zugeschickt werden. Doch ist izt diese Art von Beschäftigung bey ihm mehr mechanisch als
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geistig. Man stellte ihm vor, sein Zustand erfodre, daß er des Nachts bewacht werde; weil aber seine Domestiken durch einen Dienst, den sie nicht gewohnt wären, zu sehr würden ermüdet werden, und solchen also nicht allein versehen könnten, so müste er sich eine Wärterin annehmen. Das gieng er denn auch ein, doch unter der Bedingung, daß sie jung und hübsch wäre, um ihn in seinem langweiligen Zustande ein wenig ermuntern zu können; und so hat er nun eine von zwanzig Jahren. Er will aber bey gegenwärtigem Anfang der Fastenzeit durchaus nicht haben, daß sie Fastenspeise esse *). Am Fastnachtsmontag hat er gebeichtet, und zwar ohne Vorbereitung und mit der grösten Willfährigkeit. Mit diesem sonderbaren Vorfall gieng es fol-
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gendermaaßen zu. Als die Geistlichkeit glaubte, daß der Augenblick ihres Triumphs gekommen sey, hielt sie ein C o n c i l i a b u l u m übers andre, um sich zu berathschlagen, wie sie mit diesem Großmeister des Philosophenordens zu Werke zu gehen hätte, und es wurde beschlossen, erst einen guten einfältigen Mann als Kundschafter an ihn zu schicken, der das Land ausspähen sollte. Zu dieser Mißion wählte der Pfarrer zu S t . S u l p i c e den Abbee G a u t h i e r . Der Abbee präsentierte sich bey dem Marquis d e V i l l e t t e , und da dieser die Gefahr dieses hinterlistigen Besuchs merkte, nahm er sich wohl in Acht ihn abzutreiben; sondern empfieng ihn vielmehr sehr höflich, und führte ihn zu dem Hrn. v. V. Der Philosoph ließ sich mit ihm in ein geistliches Gespräch ein, und
*)
Für alle diese Anekdoten, womit der Verf. den vorgegebnen Verfall der Geisteskräfte des
Hrn. v. V. in dieser Krankheit beweisen will, möchten wir eben nicht Bürge seyn, wiewohl sie ihm ziemlich ähnlich sehen.
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erlaubte ihm sein Gewissen auszufegen. Der Geistliche machte sich den ofnen Weg zu Nutze, kam bald wieder und hielt die zweyte Unterredung mit dem Kranken. Hierauf stattete er dem Hrn. Erzbischoff von Allem Bericht ab, und man ist nun in Erwartung, wenn ihm das Sacrament gereicht werden soll. Indeß ist der Fastnachtsdienstag und Aschermittwoch vergangen, ohne daß sich einer von diesen Herren wieder sehen lassen. D e n 7 t e n M e r z . Da doch die Wahrheit in den kleinsten Umständen was Wesentliches und auch das Mindeste, was Hrn. v. V. betrift, von Wichtigkeit ist, wegen des Antheils den man an diesem großen Manne nimmt, und wegen 10
der Begierde, womit das Publikum alles aufraft, was ihn betrift: so ist es nöthig, einige Unrichtigkeiten in den vorerzählten Umständen zu berichtigen. Von der Zeit an, da ganz Paris wegen der schweren Krankheit des Hrn. v. V. in Allarm gesetzt war, hatten sich verschiedene Priester bey ihm präsentiert, aber ohne den mindesten Erfolg, bis endlich Hr. Tr o n c h i n , welcher, ungeachtet er ein Protestant ist *) seine Berufspflichten doch sehr gewissenhaft erfüllt, sich verbunden glaubte, dem Kranken die Gefahr seines Zustandes zu entdecken. Um aber seine Einbildungskraft desto besser zu treffen; (weil er sie gern so erschüttern wollte, daß er sich gänzlich Meister von ihr machen, und ihm dadurch diejenige völlige Ruh verschaffen könnte, die er zur Gene-
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sung bedurfte,) sprach er in sehr emphatischen Ausdrücken, wie wir davon eine Probe in dem Stück des Journal de Paris No. 51, gesehen haben. Er sagte ihm unter andern: Er müsse beständig wie Damokles ein Schwerd über seinem Haupte sehen, das nur an einem Faden hienge. Diese Drohung erschütterte den Philosophen bis aufs Mark, und in dem Augenblick kam der A b b e e Gauthier. Dieser war vom A b b e e l’ A t t a i g n a n t abgeschickt, dem berühmten Chansonnier **), einem alten Sünder, aus der Zahl der Büßenden, die dieser Enthusiast bekehrt hat. Er strahlte noch ganz von der Heldenthat, den A b b e e d e V i l l e m e s e n s der Kirche wieder gewonnen zu haben; und so trat er dann
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*)
Da der Verfasser nicht sowohl den Protestanten, als einem gewissen Theil seiner eignen
Religionsverwandten durch dies quoique Protestant eins versetzen will, so mögen die letztern zusehen, wie viel Dank sie ihm für das Kompliment schuldig sind. **)
Man muß sehr oft die französischen Worte in Aufsätzen dieser Art beybehalten. Wir Teut-
schen denken uns bey dem Worte L i e d e r d i c h t e r einen ganz andern Mann als ein französischer Chansonnier ist.
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in vollem Triumph zu Hrn. v. V. hinein, warf sich ihm zu Füßen, sagte ihm, er sey ein Bote Gottes, und komme ihn zu beschwören, daß er sich die wenigen Tage, die ihm zu Bereuung seiner Sünden noch übrig gelassen wären, zu Nutze machen, und auf das große Geschäfte seiner Seligkeit denken sollte. Hr. v. V. Mitglied der Academie Franc¸oise, und Gentilhomme ordinaire du Roi, auf den die Geistlichkeit und der Hof die Augen gerichtet hatten, von der Furcht Ärgerniß zu geben, und der noch größern Furcht vor dem Tod eingenommen, geschwächt durch den starken Blutverlust, durch eine Aderlässe, durch ein Krankenlager, durch strenge Diät, und noch ganz erschüttert von der schrecklichen Weissagung des Doktor Tronchin — wurde überrascht, und schickte
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sich an, den Befehlen des Himmels zu gehorchen, die ihm dieser Fanatiker in einem so imposanten Ton angekündigt hatte. Inzwischen erschien der Pfarrer zu S t . S u l p i c e , der seinerseits auch benachrichtigt worden war, und nichts von dem Vorgange mit dem Abbee Gauthier wußte. Er fand sehr übel, daß man ihm zuvorgekommen war, und machte deshalb dem Enthusiasten Vorwürfe, dem es vermuthlich der Hr. Erzbischof verboten hatte, seine Hand an einen fremden Pflug zu legen. Der Abbe Gauthier ließ sich also nicht weiter bey dem Hrn. v. V. sehen; der Pfarrer hingegen hat ihn alle Tage, bis auf den Freytag exclusive, besucht, und ist am Donnerstag besonders über zwey Stunden bey ihm gewesen.
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Der Hr. Marquis de Villette, dem die Geduld ausgieng, sein Haus immer von Geistlichen belagert zu sehen, und dadurch zu all dem Gerede, das in Paris herumgieng, Anlaß zu geben, kam, (weil mit dem D. Tronchin doch nichts anzufangen war,) auf den Einfall sich an den Doktor L o r r y zu wenden, einen Arzt, der alles rosenfarb sieht, und ein Petitmaitre und witziger Kopf ist, und den er also desto eher auf die Seite legen konnte, wo er ihn haben wollte. Würklich ließ sich dieser schon williger finden, dem Hrn. v. V. wieder Muth zu machen, und sagte ihm: seine Genesung hange blos von ihm selbst ab; und um die Hitze der Geistlichen *) ein wenig zu dämpfen, wurde er mit dem Marquis *)
Der Autor, der a ` la mode der Witzlinge seiner Nation immer affectiert in einem verächt-
lichen Ton von den Geistlichen zu reden, braucht beständig das Wort preˆtres, welches bekanntermaaßen bey den Franzosen izt eben die Bedeutung hat, wie bey uns das Wort P f a f f e n . Überhaupt nehmen wir an der ganzen leichtfertigen Art, wie er diesen Hergang vorträgt, keinen Antheil, und bergen nicht, daß sie uns die Zuverläßigkeit des ganzen Berichts, den er davon macht, verdächtig machen könnte, wenn nicht andre Umstände derselben das Wort redeten.
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einig, anstatt einen Aufsatz, wodurch er sich hätte compromittiren können, unter seinem eignen Namen auszustellen, sich von dem Marquis de Villette ein Billet schreiben zu lassen, welches man im Journal de Paris No. 64 bekannt machen wollte, und worauf man fußen könnte, um die Hoffnung einer baldigen Genesung zu verbreiten. — Übrigens ist richtig, daß sich der Kranke um ein Merkliches besser befindet. Die Unterredung, die Hr. v. V. mit dem D. Lorry hielt, als dieser Arzt zum erstenmal zu ihm kam, bestätigt die Vermuthung, daß er seinen Kopf nicht ganz in seiner Gewalt gehabt. Er war der erste, der ihm erzählte, d a ß e r 10
g e b e i c h t e t h a b e . Und da er sahe, daß ihn der unglaubige Doktor mehr mit Mitleid als Beyfall anlächelte, fuhr der Kranke fort: „Sie müssen mich also für sehr gottlos halten.“ Jenen unterstützte sein Gedächtniß sogleich mit einem Verse, den er glücklicherweise citierte, und er antwortete ihm: Vous craignez qu’on l’ignore & vous en faitez gloire.
„Und wenn auch, erwiederte Hr. v. V., so will ich doch nicht, daß man meinen Leichnam auf den Schindanger werfe. Ich habe großes Mißfallen an all dem Wesen; das Pfaffengeziefer (cette Preˆtraille) wird mich noch umbringen; aber ich bin nun einmal in ihren Händen, und muß schon sehen, wie ich mich von ihnen losmache. Sobald ich nur wieder einen Wagen ertragen kann, will ich 20
abreisen; ich hoffe nicht, daß mich ihr Eifer bis nach Ferney verfolgen soll? Wär ich dort gewesen, so sollte das alles nicht begegnet seyn.“ Vom Donnerstag bis zum Freytag hat er eine sehr gute Nacht gehabt; der Bluthusten hat aufgehört, und Hr. Tronchin, an den der Greiß noch immer festen Glauben hat, hat ihm erlaubt ein Ey zu essen. Er hat die Tisannen abgestellt, und dafür Wasser und Wein verordnet. Das hat den Kranken wieder munter gemacht; die dramatischen Ideen sind wieder gekommen, und er hat am Freytag seine Nichte Mad. Denis zu dem Hrn. Marschall von Richelieu geschickt, wahrscheinlicherweise um den Schauspielern empfehlen zu lassen, sich mit seinem Trauerspiel zu beschäftigen, das sonst mit ihm würde be-
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graben worden seyn; denn man sagt, daß es sehr frostig sey. Alles bisherige zusammengerechnet, so besteht wohl das Beste, was der Pfarrer vom Hrn. v. V. gezogen hat, in sehr ansehnlichen Spendungen an die Armen seines Kirchspiels, und damit ist nun seine Rolle zu Ende, wenigstens so lange, bis es mit dem alten Philosophen wieder schlimmer wird.
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D e n 9 t e n M e r z 1 7 7 8 . Sonnabends hat Hr. v. V. an der Tafel gespeißt, und zwar in seinem Schlafrock, den er seit seiner Ankunft noch nicht abgelegt hat. Sein Geist ist wieder da, er hat seine Stärke wieder, und ist mit seinem Sekretär verschlossen geblieben, und hat ihm viele Briefe diktiert. Alles dies giebt die Vermuthung, daß man sich in Ansehung der Krankheit dieses Greises, der im Physischen und Moralischen gleich außerordentlich ist, geirrt habe, und daß das Blut, das er ausgeworfen hat, nicht von der Brust gekommen sey. Seine Beichte hat auf zwey Punkten beruht: erstlich auf einem W i d e r r u f s e i n e r We r k e , den er für überflüßig erklärte, weil er nichts zu desavouiren
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brauche, was er niemals avouiert habe; und dann auf seinem G l a u b e n . Die Priester rühmen sich, daß er in Ansehung des letztern ein schriftliches Bekänntniß ausgestellt hat, das nun in den Händen des Hrn. Erzbischofs ist, und von dem man gewiß sagen wird, was N i n o n ( L e n c l o s ) von dem schriftlichen Versprechen, daß sie ihrem Geliebten (dem Marquis de la Cha ˆtre) gab, sagte: O, die gute Verschreibung, die La Cha ˆtre von mir in Händen hat! Die Leute seines Hauses versichern, daß es nun das n e u n t e M a l sey, daß sie ihn unter solchen Umständen haben beichten gesehen. Wie dem auch sey, spürt man in seinem Hause, anstatt der allgemeinen Freude, die seine Wiederherstellung darinn verbreiten sollte, nichts, als eine
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allgemeine Bestürzung, und sogar seine Bedienten scheinen sich der Kleinmüthigkeit zu schämen, die ihr Herr bewiesen. Der Hr. Marquis d e C o n d o r c e t , Herr d’ A l e m b e r t und andre Philosophen sind ausdrücklich gekommen, und haben ihm tüchtig den Leviten gelesen; er selbst fragt alle Welt, was man in Paris von seiner Beichte denke? und sein gewöhnlicher Refrain ist dann: er wolle nicht haben, daß sein Leib auf den Wasen geworfen werde. Da nun die erste Schaam vorüber ist, spricht er nicht mehr vom Abreisen, sondern denkt itzt auf nichts, als auf sein Trauerspiel, das er noch vor Ostern aufführen lassen will. D e n 1 1 t e n M e r z . Da die Anhänger des Hrn. v. V. seine Beichte, die nun einmal zu sehr im Publiko ausgebreitet ist, nicht läugnen können: so suchen sie wenigstens den bösen Effekt, den sie machen könnte, dadurch zu vermindern, daß sie ihr den Anstrich geben, als ob er die Geistlichen nur damit habe zum Besten haben wollen. Zum Beweis dessen führen sie folgenden merkwürdigen Spruch an, den er dem Pfarrer gesagt haben soll, der ihn ermahnte,
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wieder in den Schoos der Kirche zurückzukehren. — „ S i e h a b e n R e c h t , Hr. Pfarrer ! man muß im Glauben seiner Väter sterben ; und wär i c h a n d e n U f e r n d e s G a n g e s , s o w o l l t’ i c h n i c h t a n d e r s , a l s m i t e i n e m K u h s c h w a n z i n d e r H a n d v e r s c h e i d e n . “ Aber, außerdem, daß alle, die damals um ihn waren, bezeugen, daß ihm wirklich Angst gewesen sey; und daß man aus seinen Handlungen vor, bey, und nach diesem Aktus gesehen hat, daß er nicht Gegenwart des Geistes genug gehabt habe, um damals Komödie zu spielen: so würde auch eine solche Komödie eines Mannes von Genie, eines guten Bürgers und ehrlichen Mannes ganz und gar unwürdig seyn. 10
Übrigens beweist der Eifer, womit er, seit dem es wieder in seinen Kräften steht, sich angelegen seyn läßt, sein Trauerspiel aufführen zu lassen, daß seine Bekehrung, wenn sie auch im Augenblick aufrichtig gewesen, doch nicht lange gedauert habe. Er hat sich seitdem wieder soviel damit zu thun gemacht; und den Verordnungen des D. Tronchins so schlecht nachgelebt, daß in der Nacht vom Sonntag zum Montag der Bluthusten wieder gekommen ist. Er hat sich also vom neuen der Diät, dem Eyeressen, und vornehmlich dem S t i l l s c h w e i g e n unterwerffen müssen. Seine Glaubenserklärung lautet also: „Ich Endesunterschriebener bekenne hiermit, daß, nachdem ich vor vier Ta-
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gen, in einem Alter von 84 Jahren von einem Bluthusten überfallen worden, und mich nicht zur Kirche habe verfügen können, der Hr. Pfarrer zu St. Sulpice aber seine guten Werke noch dadurch hat vermehren wollen, daß er mir den Hrn. Abbee Gauthier zugeschickt, — ich diesem gebeichtet habe, und daß, wofern mich Gott abrufen sollte, ich in der heiligen katholischen Religion, in der ich gebohren bin, sterbe, von der göttlichen Barmherzigkeit verhoffend, daß sie mir gnädig alle meine Sünden vergeben werde; und daß, wofern ich der Kirche Ärgerniß gegeben haben sollte, ich Gott und sie um Verzeihung bitte. (Unterzeichnet) Voltaire, den 2ten Merz 1778. Im Hause des Hrn. Marquis de Villette, in Gegenwart des Hrn. Abbee Mignot, meines Neffen, und des
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Hrn. Marquis de Villevieille, meines Freundes.“ Am Dienstage früh stellte er auf seinem Salon eine Probe seines Trauerspiels an, hatte aber den Verdruß, ihr nicht vorstehen zu können. Da ihn der Husten die ganze Nacht zu sehr ermüdet hatte, muste man ihm wieder forthelfen; und als er wieder zu Bette war, befahl ihm der Dokt. Tronchin darinn zu bleiben, und sogar die Vorhänge zugezogen zu halten, damit ihn um so
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weniger die Lust ankommen möchte, mit den Leuten, die in seinem Zimmer wären, zu reden; aber man könnte ihm die Zunge binden, er würde doch immer was zu sagen haben. Was ihm am wehsten thut, ist, daß er fürchtet, der ersten Vorstellung seiner Irene nicht beywohnen zu können. Der D. Tronchin will es nicht zugeben: aber diejenigen, so sich nicht viel um die Folgen kümmern, machen ihm noch mehr Lust zu dem, wozu er ohnehin die gröste Begierde hat. Der abermalige Anfall seiner Krankheit hat sein Verlangen wieder rege gemacht, fortzugehen, sobald sein Stück gegeben ist, und die Reise mit Sicherheit geschehen kann. Da ihm seine Freunde und Bewundrer immer an-
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lagen, sich in Paris festzusetzen, oder wenigstens einen Wohnsitz daselbst zu haben; wollte er sich das Haus miethen, aus dem der C o m t e d’ H e r o u v i l l e so eben ausgezogen war. Dieses Hotel, das an die Champs Elyse´es stößt, gefiel ihm in allen möglichen Rücksichten. Außer einem prächtigen darangelegenen Garten, einer gesunden Luft und weiten Aussicht, die er da hätte genießen können, hätt’ er sich da sehr leicht dem Geräusch seines Hauses und der Stadt entziehen, und zu Fuß oder fahrend im Cours spazieren können; und das hätte ihn dann wieder in seine gewohnte Lebensart zurückgesetzt, da er Tag vor Tag, wenn es das Wetter erlaubte, einige Stunden in seinem Walde zu Ferney herumzuschleichen pflegte.
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Seine Krankheit, die Verdrießlichkeiten, die er hier erfahren hat, vielleicht auch ein Befehl von höherer Hand, haben ihm diesen Vorsatz wieder benommen, der sich aber gewiß wieder finden wird, dafern sich kein neues Hinderniß zeigt, und er den Sieg erlebt, den er sich von seinem Trauerspiel verspricht. Er ist beständig sehr eigenwillig gewesen, und Alter, Leibesschwachheiten und Schmeicheley haben ihn freylich nicht von diesem Fehler geheilet. D e n 1 3 t e n M e r z 1 7 7 8 . Hr. v. V. hat vom Dienstag bis Mittwoch wieder eine böse Nacht gehabt. Er hat viel helles Blut ausgeworfen, das, wie man meynt, von der Brust kommen mag, und der Doktor Tronchin hat ihm deswegen Eselsmilch verordnet. Im Hause nimmt man sich sehr in Acht, um einen zweyten Anfall von Seiten der Priesterschaft zu verhüten; aber man ist in Unruh, und die Familie versammlet sich unausgesetzt bey ihm, und läßt ihn keinen Augenblick aus dem Gesichte. Weil er gewohnt ist, von Monat zu Monat sein Testament zu verändern oder zu revidiren, um diejenigen, so gerne
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daran Theil haben wollten, immer in der Hoffnung zu erhalten: so befürchten seine Verwandten, die Anzahl möchte hier zu Lande allzusehr anwachsen, und natürlicherweise wollen sie sich eine so ansehnliche Erbschaft nicht vor der Nase wegputzen lassen. Da es kein Mittel giebt, ihn zum Liegen, zur Ruh und zum Stillschweigen zu bringen, hat man sich vorgenommen, ihn über diese Punkte nicht weiter zu quälen. Mad. Ve s t r i s kam zu ihm, um sich über gewisse Stellen in ihrer Rolle Raths bey ihm zu erholen; er wollte sie aber nicht sehen; er überlasse, sagte er, diese Sorge der Madame Denis. Und auf die Vorstellung, daß eine Hauptprobe 10
in seinem Hause nöthig seyn werde, antwortete er: „Wozu das? Soll ich die Schauspieler kommen lassen, damit sie mir das Weyhwasser geben können?“ Er war diesen Tag eben in seiner Kleinmüthigkeit, und sein Stück schien ihn gar nichts mehr anzufechten; besonders erklärte er sich, daß er ihm nicht beywohnen werde; und schickte alle, welche Billets verlangten, an Mad. Denis. Gestern sollten ihrer nicht mehr als 24 ausgegeben werden, aber heute ist die Rede von 150. Gegenwärtig ist der nächste Montag zur ersten Aufführung der Irene festgesetzt. D e n 1 4 t e n M e r z 1 7 7 8 . Am Donnerstag war Hr. v. V. sehr darnieder, und alle, die ihn sahen, fanden, daß er sich seit diesen vier Tagen mehr verändert
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habe, als in den letzten vier Jahren. Er sagte zu denen, die ihn besuchten: Vo l t a i r e s t i r b t ,Vo l t a i r e h u s t e t B l u t . Er hatte die Eselsmilch noch nicht angefangen, sondern trank Kaffe mit sehr wenig Milch. Die Bestürzung war äußerst in seinem Hause. Mad. Denis weinte; aber um sich doch äußerlich nichts merken zu lassen, haben sie und Mad. de Villette sich die Gewalt angethan, sich in der Oper sehen zu lassen. Die Akademie hat, auf die Nachricht des abermaligen Zufalls dieses so kostbaren Mitglieds, heut eine Deputation an ihn geschickt, um ihm den Antheil, den sie an seinem Zustand nimmt, zu bezeugen. Sie kam in dem Wagen des Prinzen von Beauveau, konnte aber nicht vor den Kranken gelassen werden,
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weil er eben ruhte. Es ist nun (in Paris) von weiter nichts die Rede als von der I r e n e , und wie man es anstellen wolle, um der ersten Vorstellung beywohnen zu können. Man war nicht einig in Ansehung des Platzes, den man dem Autor geben wollte. Einige setzten ihn in einem Fauteuil aufs Theater, damit ihn das Publikum bequem sehen könnte. Andre thaten ihm die Ehre an, ihn in die Loge der
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Königin zu versetzen, wo er dann hinter Ihrer Majestät seinen Platz haben sollte. Die es am weisesten zu machen glaubten, setzten ihn in die Loge der Kammerjunker. Aber bis itzt scheint es noch unmöglich, daß der Sterbende dieses Triumphs werde genießen können. Wenn man gewisse Nachricht von seinem Zustand erhalten, und an der Hoffnung ihn zu sehen verzweifeln sollte, möchte das wohl die Hitze der vielen Neugierigen mindern, denen es mehr darum zu thun ist, den Dichter, als sein Trauerspiel zu sehen. D e n 1 5 t e n M e r z 1 7 7 8 . Am Donnerstage hatte Hr. v. V. seine ganze Lebhaftigkeit verlohren. Der Comte de Villevieille, ein Vertrauter vom Hause, der dem Philosophen Verbindlichkeiten hat, aus Eifer für seine Person, und ver-
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muthlich durch ein heroisches Mittel, das er aber für nöthig hielt, ihn wieder zum Leben zu bringen, brachte ihm Verse gegen seine Irene. Hr. v. V. las sie, und gab sie ihm wieder zurück, ohne nur ein Wort zu sagen, oder sonst eine Empfindlichkeit zu zeigen. Das gefiel den Umstehenden nicht; sie machten sich Sorge darüber, und hielten nun für ausgemacht, daß er sehr krank sey. Da die Marquise d e V i l l e t t e , die an dem Aufsehen, das Hr. v. V., ihr Beschützer macht, soviel Antheil hat, itzt eine große Rolle spielt, und doch viele falsche Erzählungen in Ansehung ihrer Geburt, ihrer Person, und ihres Verhältnisses mit dem Greise von Ferney herumgehen: so wird es nicht übel seyn, dasjenige, was man zuverläßiges hievon weiß, hier beyzubringen.
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Madame de Villette, gebohrne d e Va r i c o u r t , ist die Tochter eines Officiers von der Leibgarde, der wenig zu leben und zwölf Kinder hatte. Man war gesonnen, diese junge Person ins Kloster zu thun, weil die Familie nicht die mindeste Hoffnung hatte, sie verheyrathen zu können. Mademoiselle de Varicourt, die von der Wohlthätigkeit des Hrn. v. V. gehört, bediente sich ihres Witzes, einen schönen Brief an ihn zu schreiben, worinn sie sich über ihr widerwärtiges Schicksal beklagte. Gerührt von diesem Briefe suchte er Mad. Denis, und sagte ihr: man müsse dem Teufel diese Seele entreißen, die man Gott zu widmen vorgäbe; und seine Nichte mußte ihm versprechen, es bey der Familie der Mademoiselle de Varicourt dahin zu bringen, daß man ihr erlaube, sich einige Zeit in Ferney aufzuhalten. Hier betrug sich nun die junge Person so gut, daß sie sich den Zunamen Belle & Bonne (comme qui diroit, die S c h ö n g u t e , oder das G u t s c h ö n c h e n ) erwarb, und deßwegen entschloß sich auch der Herr Marquis de Villette, sie durch seine Hand glücklich zu machen.
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D e n 1 5 . M e r z 1 7 7 8 . Es ist nicht lange, daß Herr v. V. sich, ungeachtet seiner Krankheit, noch in das Innere seines Hauswesens mischte. Es war die Rede von einer Bettdecke, die er seiner Wärterin geben wollte. Der Kaufmann, welcher weit zu gehen gehabt hatte, wollte sie dem Philosophen um 17 Livres lassen; dieser bot ihm nur 15 darauf, und wollte schlechterdings nichts zulegen. Der Verkäufer mußte wieder fortgehen, und fluchte wie ein Landsknecht, daß man ihm vergebliche Müh und Versäumniß gemacht hätte. Diese kleinen Umstände, die in jedem andern Falle nicht verdienten angeführt zu werden, sind hier merkwürdig, weil sie dienen, den wahren Charakter dieses großen 10
Mannes festzusetzen, der ein Gemisch von so wunderbaren Widersprüchen ist. D e n 1 7 t e n M e r z 1 7 7 8 . Ungeachtet der übertriebnen Lobsprüche, die an den Hrn. v. V. durch die Journalisten und durch seine Schmeichler, bey Gelegenheit seines Trauerspiels I r e n e , verschwendet worden sind, müssen wir doch zur Steuer der Wahrheit versichern, daß die zween ersten Akte zwar aufrichtig applaudiert wurden, und wirklich hie und da schöne Züge enthalten; daß aber die drey leztern völlig daran leer und bis zum Gefrieren kalt sind. Im Ganzen finden sich einige edle Scenen, einige herzrührende Stellen, aber nichts wahrhaft tragisches, nichts von der kräftigen Sprache, von wel-
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cher man so viele Beyspiele im O e d i p u s , in der A l z i r e , im M a h o m e t , u. s. w. findet. Was den Dialog betrift, der ist matt, weitschweifig, plauderhaft und voller Wiederholungen. Die Charaktere sind das Beste darinn. Man hat sie wohlgetroffen, wahr und ausgeführt gefunden; aber sie entwickeln sich nicht viel anders als in Worten, weil das Stück fast gar keine Aktion enthält. Mit einem Worte, dieses Trauerspiel dient zu weiter nichts, als die Anzahl der leztren mittelmäßigen Stücke seines Verfassers zu vermehren. D e n 2 0 s t e n M e r z 1 7 7 8 . Hr. v. V. that am Sonntag der Arbeit zu viel, denn er arbeitete zwölf Stunden ununterbrochen fort, und hatte deswegen eine sehr schlimme Nacht. Alle Lobsprüche, die seine Schmeichler, als sie aus
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der Komödie giengen, an ihn verschwendeten, waren nicht im Stande, ihm seinen beschwerlichen Zustand zu erleichtern. Er konnte da jenen berühmten Spruch eines Kirchenvaters über die Nichtigkeit des Ruhms so vieler großen Männer, die auf dieser elenden Welt vergöttert werden, während daß sie in der Hölle brennen, auf sich anwenden: Laudantur ubi non sunt, Cruciantur ubi sunt. (Sie werden gelobt wo sie nicht sind, und wo sie sind, gepeinigt.) Eine
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Anekdote, worüber er vor Freuden würde gehüpft haben, wenn ihm nicht ganz anders zu Muthe gewesen wäre, war diese, daß die Königin immer den Bleystift in der Hand hatte, und die schönsten Verse des Stücks nachzuschreiben schien. Man vermuthet, es werden hauptsächlich diejenigen gewesen seyn, die sich auf Gott und die Religion bezogen, weil in diesen der Dichter so erbaulich spricht, daß ein Spasmacher überlaut sagte: M a n s i e h t w o h l , d a ß e r z u r B e i c h t e g e w e s e n i s t ! Dem sey wie ihm wolle, genug man vermuthete, Ihre Majestät wollten sie dem König citiren, um den Patriarchen der Philosophie, der so beschrieen von den Priestern und der ganzen Geistlichkeit ein Abscheu ist, in Ansehung seiner wahren Gesinnungen zu rechtferti-
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gen. Am Montag und Dienstag war der Philosoph noch nicht wohl; man ließ niemanden vor ihn, selbst nicht den Generaldirektor des Finanzwesens, der sich einen Augenblick von seinen wichtigern Geschäften weggestohlen hatte, um ihn zu besuchen; auch nicht einmal den C o m t e d’ A r g e n t a l , der sein Freund seit funfzig Jahren, sein Vertrauter, sein Maitre in der Politik ist, und dessen Gesellschaft bisher den Kranken immer bezaubert hatte. Zu Ende der zweyten Vorstellung der I r e n e verlangte das Parterre zu wissen, wie es um den Dichter stünde, und der Akteur, welcher annoncierte, sprach ihm Trost ein.
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Am Donnerstage ist Hr. v. V. z u m d r i t t e n m a l v o m To d e a u f e r s t a n d e n . Er hat Besuch angenommen, unter andern den D u c d e P r a s l i n ; er hat sich Pferde angeschafft, und spricht von Promeniren. Es geht ihm wie den Seefahrern, die während des Sturms versichern, daß sie nicht wieder aus dem Hafen weichen wollen, und bald darnach wieder abseegeln: er denkt nicht mehr an die Abreise, und wird sich schwerlich von hier loswinden können, zumal zu einer Zeit, da man ihn stärker als jemals mit dem schmeichelhaftesten Weyhrauch einduftet und ihm weiß macht, daß sein Trauerspiel ewig auf dem Theater bleiben und Epoche machen werde. D e n 2 4 . M e r z 1 7 7 8 . Verwichnen Montag (den 16ten dieses Monats) als an dem Tage, da I r e n e zum erstenmal aufgeführt wurde, während daß man spielte, wurde gleich nach dem zweyten Akt von den Komödianten ein Bote an Hrn. v. V. geschickt, der ihm ankündigen sollte, wie gut sie aufgenommen würde; nach Endigung des vierten kam ein zweyter, der den Auftrag hatte, die fast allgemeine Kälte, mit welcher man den dritten und vierten Akt aufgenom-
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men hatte, zu bemänteln. Zu Ende des fünften war M r . D u p u y der Erste, der ihm sagte, daß seine I r e n e einen vollkommnen Succeß erhalten habe. Ein Freund, der bald darauf kam, fand den Hrn. v. V. zu Bette, schreibend, ganz geschwollen von den Lobeserhebungen, die er empfangen, und im Begriff, den Plan zu einem zweyten Trauerspiele, A g a t h o k l e s , in Ordnung zu bringen. Der Philosoph stellte sich anfangs sehr phlegmatisch, und antwortete dem Komplimenteur nichts als dieses: Wa s s i e m i r s a g e n , t r ö s t e t m i c h , a b e r e s m a c h t m i c h n i c h t g e s u n d . Indessen wollt’ er doch wissen, welche Stellen, welche Tiraden, welche Verse den größten Effekt gemacht 10
hätten; und als er hörte, daß die Stellen gegen die Geistlichkeit sehr applaudiert worden wären, schien er ganz entzückt darüber, daß sie wieder beym Publiko gut machen würden, was seine Beichte verdorben hätte. Da in den folgenden Tagen mehr als dreyßig Ritter vom Heiligen GeistOrden sich bey ihm auf den Glückwünschungszeddel hatten schreiben lassen, war es nicht anders möglich, als daß die süße Täuschung von seinem erhaltnen Sieg immer größer werden mußte; und was sie vollends aufs höchste brachte, war die Deputation der Academie Franc¸oise, die ihn Donnerstags darauf des Antheils versicherte, den die Gesellschaft an seinem Triumphe nähme. Der Dichter wird nun um so weniger aus diesem angenehmen Irrthum gezogen
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werden, da (eben um dieses zu verhüten) den Journalisten verboten worden ist, von ihm und seinem Trauerspiel zu reden, es wäre denn, daß sie loben wollten. Seit dieser Zeit träumt Hr. v. V. nichts, als Trauerspiele. Man versichert, daß er außer seinem Agathokles noch ein drittes entworfen habe, und daß er sich nun weiter mit nichts als dieser Art von Arbeit zu beschäftigen willens sey. Er hat seinen Emissarien aufgetragen, sein Vergnügen und seine Erkenntlichkeit unter dem Publiko auszubreiten, und es zu versichern, daß er sich ernstlich vorgenommen habe, dem Parterre in eigner Person zu danken, sobald es ihm seine Gesundheit erlauben werde.
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(Der Beschluß nächstens.)
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Beschluß der Anekdoten aus des Herrn von Voltaire lezten Lebensauftritten. D e n 2 5 s t e n M e r z 1 7 7 8 . Hr. v. V. durch seine Eitelkeit, die nun ihren höchsten Punkt erreicht hat, wieder neu belebt, fand sich am Sonnabend im Stande, zu Wagen zu steigen. Er fuhr in Paris herum, unter dem Vorwande, die Place de Louis XV. zu besuchen; und da die Pferde einen langsamen Schritt giengen, zog das ganze Volk und eine Menge Neugieriger hinter drein, welches dieser Spazierfahrt das Ansehen eines kleinen Triumphes gab. Als er wieder nach Hause war, empfieng er eine Deputation von der Loge d e s N e u f - S o e u r s . Sie war zu Fuß, ungefähr 40 an der Zahl gekommen, und
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von vielen Kutschen, die einigen Freymäurern gehörten, begleitet worden. M . d e l a L a n d e , als Venerable, war derjenige, welcher das Wort führte. Diese Herren hatten eine glückliche Stunde getroffen; der Greis war frisch und munter, und die freye Luft hatte ihn ganz rüstig gemacht. Er schien der Gesellschaft sehr liebenswürdig. Weil er sich nicht mehr auf die Formeln besinnen konnte, stellte er sich, als ob er niemals Bruder gewesen wäre, und wurde deswegen vom neuen eingeschrieben. Er unterzeichnete die Gesetze auf der Stelle, und versprach zur Loge zu kommen. Als ihm darauf M . d e l a L a n d e die gegenwärtigen Brüder, die ihm etwa bekannt seyn möchten, nach der Reihe genennt hatte, sagte er einem jeden etwas Verbindliches, das sich auf
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Schriften oder Handlungen bezog, welche sie zu charakterisiren geschickt waren. Nachmittag trat seine schlimme Laune wieder ein. Er hatte sich anheischig gemacht, ein Apartement in der Nähe zu miethen, und ließ nicht nach, bis Mad. Denis es dahin brachte, daß ihm sein Wort wieder zurück gegeben wurde. Er fand nun auch, daß seine Wärterin zu jung sey; er wäre ein züchtiger Mann, sagte er, und es könnte leicht begegnen, daß er ihr beym An- und Ausziehen seiner Beinkleider mehr zeigen müste, als eine Agnese von diesem Alter sehen dürfte; kurz, er wollte eine k a n o n i s c h e Wärterin, und so hat er nun eine von 40 Jahren. Am Sonntag hat er eine leichte Anwandlung von einem Fieber gehabt, und
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am Montag über seine Harnstrenge geklagt, die bis zum Dienstag angehalten hat und sogar mit etwas Geschwulst begleitet war. Aber dies alles beunruhigt nun niemand mehr, so sehr ist man der wunderbaren Leichtigkeit gewohnt, womit er sich aus den schwersten Zufällen zu ziehen pflegt. D e n 2 8 s t e n M e r z 1 7 7 8 . Hr. v. V. hat sich am Donnerstag, zum erstenmal, seitdem er hier ist, ordentlich angekleidet, und seine ganze Toilette gemacht. Er hatte ein rothes Kleid an mit Hermelin gefüttert; auf dem Kopf eine große Perüke a ` la Louis XIV. schwarz und ungepudert, und in welcher seine abgemergelte Figur so tief begraben lag, daß man nichts als seine beyden 10
Augen, die wie Karfunkel glänzten, gewahr werden konnte. Oben drauf trug er eine rothe Pelzmütze, in Form einer Krone, die nur so drauf gelegt schien; in der Hand ein Stöckchen mit einem krummen Haaken. Das Publikum von Paris, das ihn in diesem Aufzuge zu sehen noch nicht gewohnt ist, hat sich sehr daran belustigt. Dieser durchaus sonderbare Mann will ohnezweifel nichts mit der gewöhnlichen Gesellschaft gemein haben. Er kündigt beständig an, daß er nun gewiß in die Komödie gehen werde, und verschiebt es immer wieder mit einer Art von Scharlatanerie, die den Komödianten so wohl als dem Succeß seines Stückes sehr ersprießlich ist, welches, dieses Umstandes wegen, noch immer eben so großen Zulauf hat, als
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da es zum erstenmal aufgeführt wurde. Seine Emissarien vertheilen sich unter das Volk und bringen mit guter Art die Sage bey jeder Vorstellung aus, daß der Autor an diesem Tage wohl die Versammlung überraschen könnte. Deswegen waren noch heute die Gänge der Tuillerieen von Gruppen der Neugierigen voll. Die Munterkeit dieses fruchtbaren Greises ist wieder gekommen, und die Bonmots fangen an wieder zu fließen. Ohnlängst wollte Mad. d e l a V i l l e m e n u e , die noch von der Begierde zu gefallen, geplagt wird, die Macht ihrer abgetragnen Reitze an dem Philosophen versuchen. Sie präsentierte sich ihm mit aller ihrer Waare, und nahm die
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Gelegenheit von einer Galanterie, die er ihr sagte, und von einigen Blicken, die er zu gleicher Zeit auf ihren sehr entblößten Busen warf. „Wie, sagte sie geschwind, Herr von Voltaire, denken sie noch an diese kleinen Schelme?“ Die Antwort des alten Spottgeistes läßt sich, weil die Pointe in einer Zweydeutigkeit besteht, nur mit seinen eignen Worten geben: petits coquins, Madame? ce sont bien de grands p e n d a r d s .
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Heute, während daß man den Hrn. v. V. in der Komödie erwartete, war er bey dem Hrn. Exminister Tu r g o t , um Politik mit ihm abzuhandeln, und die Konferenz hat lange gedauert. D e n 3 1 s t e n M e r z 1 7 7 8 . Eine sehr lustige Scene den Hrn. v. V. betreffend, ist vorgestern auf den Champs Elyse´es oder vielmehr auf der Place de Louis XV vorgefallen. Es war ein Scharlatan da, der sich Mühe gab, kleine Büchelchen zu verkaufen, worinn er allerley geheime Künste mit Karten lehrte. „Da ist eine, rief er, die ich zu Ferney gelernt habe, von dem großen Mann, der hier so viel Aufsehens macht, von dem berühmten Vo l t a i r e , der unser aller Meister ist (qui est notre maitre a ˆ tous).“ Einige gescheute Leute, die von
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ungefähr vorbey giengen, als der Scharlatan dies sagte, fanden das Kompliment sehr epigrammatisch, lachten überlaut und erzählten’s weiter. D e n 1 s t e n A p r i l . Hr. v. V., entschlossen den Triumph zu genießen, der ihm schon so lange zugedacht war, bestieg am Montag seinen himmelblauen mit Sternen besäeten Wagen — eine so bisarre Mahlerey, daß ein Spasmacher sagte, es wäre d e r Wa g e n d e s E m p y r e u m s . Er begab sich zuerst in die Academie Franc¸oise, die an diesem Tag eine Privatversammlung hielt. Sie bestund aus zweyundzwanzig Mitgliedern. Keiner von den Prälaten, Äbten oder andern Gliedern des geistlichen Standes hatte Lust zugegen zu seyn, und an den ausserordentlichen Berathschlagungen Theil zu nehmen, die auf dem
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Tapet waren. Die Akademie gieng dem Hrn. v. V. entgegen, um ihn zu empfangen. Er wurde zum Sitz des Direkteurs geführt, und von diesem sowohl als von den übrigen Mitgliedern gebeten, solchen einzunehmen. Man hatte sein Bild über seinem Fauteuil aufgehangen. Die Versammlung, ohne, wie es sonst gewöhnlich ist, zu lesen, fieng ihre Arbeit damit an, ihn durch A k k l a m a t i o n zum Direkteur des April-Vierteljahrs zu ernennen. Der Alte, der bey Laune war, würde allem Ansehen nach was Tüchtiges geschwazt haben, wenn er nicht unter dem Vorwande, daß man zu sehr für seine Gesundheit besorgt sey, um ihm zuzuhören, zum Schweigen wäre gebracht worden. Herr d’ A l e m b e r t las darauf, so lange die Sitzung währte, seine Lobrede auf den B o i l e a u vor, womit er die Akademie schon bey einer öffentlichen Feyerlichkeit regaliert, und in welche er nur noch einige schmeichelnde Dinge für den anwesenden Philosophen gebracht hatte. Hr. v. V. wünschte hierauf zu dem Sekretär der Akademie hinauf zu gehen,
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der eine Treppe höher wohnt. Er blieb einige Zeit bey ihm, und begab sich endlich auf den Weg nach der Comedie Franc¸oise. Der Hof, so groß er ist, war ganz voll von Leuten, die auf ihn warteten. So bald man seinen in seiner Art einzgen Wagen erblikte, erhob sich das Geschrey: D a k ö m m t e r ! Die Savoyarden, die Äpfelweiber und alles Lumpengesindel des ganzen Quartiers war herbeygelaufen, und das Geschrey: E s l e b e Vo l t a i r e ! erschallte als ob es gar nicht wieder aufhören wollte. Der Marquis de Villette, der schon da war, kam herbey, um ihn beym Aussteigen aus dem Wagen zu empfangen, in welchem er mit dem Prokurator C l a u s e sas. Beyde reichten ihm den Arm, und 10
konnten ihn kaum aus dem Gedränge retten. Als er in das Komödienhaus trat, drängte sich eine schönere Welt, vom wahren Enthusiasmus des Genie’s hingerissen, um ihn her. Die Frauenzimmer hauptsächlich stellten sich ihm in den Weg, und hielten ihn auf, um ihn desto besser betrachten zu können. Man hat einige mit großer Andacht seine Kleider berühren, und andere sogar Haare aus seinem Pelzfutter rupfen gesehen. Der Heilige, oder vielmehr der Abgott des Tages sollte in der Loge der Kammerjunker, des Grafen von Artois seiner gegenüber, seinen Platz bekommen. M a d . D e n i s und M a d . d e V i l l e t t e hatten schon ihre Plätze, und das Parterre hatte Konvulsionen vor Freuden, in Erwartung des Augenblicks, da
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der Dichter erscheinen sollte. Es wurde nicht eher ruhig, bis er sich in die erste Reihe nach den Damen begeben hatte. Sogleich wurde gerufen: D i e K r o n e ! und der Komödiant B r i s a r d kam und setzte sie ihm auf. O Gott! wollen sie mich denn völlig ums Leben bringen? rief Hr. v. V. aus, vor Freuden weinend, und wollte diese Ehre nicht annehmen. Endlich nahm er die Krone in die Hand, und präsentierte sie der Belle & Bonne *). Diese wehrte sich so lange, bis endlich der Prinz v o n B e a u v e a u den Lorbeer ergriff, und ihn dem S o p h o c l e s * * ) wieder aufsetzte, der für diesmal nicht widerstehen konnte. Man spielte das Stück, und es wurde stärker als gewöhnlich applaudiert; aber doch nicht so stark, wie man es bey einem solchen Triumph hätte erwar-
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ten sollen. Indessen waren die Komödianten sehr verlegen, was sie ihrerseits thun wollten, und während daß sie noch berathschlagten, war das Trauerspiel zu Ende. Der Vorhang fiel, und der Tumult im Parterre war unmäßig, bis er *)
Der M a d . d e V i l l e t t e .
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Du jour, versteht sich.
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wieder aufgezogen wurde, und man ein Schauspiel erblickte, welches der Feyerlichkeit der Centenaire gleich kam. Die Büste des Hrn. v. V., die seit kurzem im Ankleidungszimmer der Comedie franc¸oise gestanden, war aufs Theater getragen worden, und stund auf einem Piedestal. Die sämtlichen Komödianten stunden in einem Halbzirkel um sie herum, mit Palmen und Blumenkränzen in den Händen; eine Krone hatte die Büste schon auf. Das Lermen der Pfeiffer, Pauker und Trompeter hatte die Zeremonie verkündiget, und Madame Ve s t r i s hielt ein Papier in der Hand, welches, wie man bald erfuhr, Verse waren, die der Hr. Marquis d e S a i n t - M a r c auf diesen Anlaß verfertigt hatte. Sie deklamierte solche mit einer Emphase, die der Tollheit des gan-
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zen Aufzugs angemessen war. Es waren folgende: Aux yeux de Paris enchante´, Rec¸ois en ce jour un hommage, Que confirmera d’a ˆge en a ˆge La se´vere posterite´. Non, tu n’as pas besoin d’atteindre au noir rivage Pour jouir des honneurs de l’immortalite´; Vo l t a i r e , rec¸ois la couronne Que l’on vient de te pre´senter; Il est beau de la me´riter,
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Quand c’est l a F r a n c e qui la donne!
Es wurde bis gerufen, und die Schauspielerin fieng noch einmal an. Darauf wand jedes seinen Blumenkranz um die B ü s t e . Mademoiselle F a n i e r , in einer fanatischen Entzückung k ü s t e s i e , und alle übrigen Schauspielerinnen folgten ihr nach. Diese Zeremonie dauerte sehr lange, und es wurde ohne Aufhören Vivat dazwischen gerufen. Der Vorhang fiel zum zweytenmal; und als er für die N a n i n e (ein bekanntes Lustspiel des Hrn. v. V.) wieder aufgezogen wurde, sah man seine Büste auf der rechten Seite des Theaters, und da blieb sie, so lange die Vorstellung währte. Der Hr. Graf v o n A r t o i s wollte sich nicht zu öffentlich zeigen, sondern er hatte Befehl gegeben, daß man ihn benachrichtigen sollte, so bald Hr. v. V. in der Komödie seyn würde, und auf diese Nachricht hin, war er incognito ge-
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kommen, und man glaubt, daß der Greis in einem Augenblick, wo er unter dem Vorwand einer geheimen Angelegenheit beyseite gieng, die Ehre gehabt habe, seiner Königlichen Hoheit die Cour zu machen. Als N a n i n e geendigt war, wurde die Bescheidenheit des P h i l o s o p h e n durch ein neues Geklatsche und Geschrey in Verlegenheit gesetzt. Er war schon in seinen Wagen, und man wollte ihn nicht fortfahren lassen; man stürtzte auf die Pferde los, man küßte sie; ja man hörte sogar einige junge Dichter rufen: man sollte die Pferde aus- und s i e d a f ü r einspannen, um den modernen Apollo nach Hause zu fahren. Unglücklicherweise fanden sich 10
nicht Enthusiasten genug, die so gutwillig waren, und er erhielt endlich die Freyheit fortzufahren, nicht ohne eine Menge Vivats, die er noch auf dem Pont-Royal, und sogar aus seinem Hotel nachschallen hören konnte. Als er wieder zu Hause war, weinte er vom neuen, und versicherte bescheidentlich, er würde nimmermehr in die Komödie gegangen seyn, wenn er hätte vorhersehen können, daß man solche Thorheiten begehen würde. Den Tag darauf gieng eine ordentliche Prozession aus der Stadt nach seinem Hause, welche nach und nach kam, um alle die Lobeserhebungen en detail zu wiederholen, die er Abends zuvor en Chorus empfangen hatte. Er konnte nun allem diesem unbegrenzten Wohlwollen und aller dieser Glorie
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nicht länger wiederstehen, und entschloß sich auf der Stelle e i n H a u s z u kaufen. D e n 6 t e n A p r i l 1 7 7 8 . Alles ist in diesem Leben mit Bitterkeiten vermischt, und der schönste Triumph wird oft von Demüthigungen begleitet: so hat auch Hr. v. V. verschiedene erfahren, wovon die geringste schon hinreichend wäre, das Glück eines Mannes, der so viel Eitelkeit besizt, zu vergiften. 1) Am Tage seiner Krönung wuste er, daß die Königin in die Oper gekommen war, aber mit dem geheimen Vorsatz incognito die Come´die Franc¸oise zu besuchen; aber sie hat ihm dieses Vergnügen nicht gemacht. Man versichert, daß sie in ihrer Loge ein Billet bekommen, das sie von ihrem ersten
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Vorsatz zurückgebracht habe. Man will sogar sagen, daß es I. M. schon auf dem Weg überbracht worden sey. 2) Seine I r e n e ist zwar am verwichnen Donnerstag bey Hof gespielt worden; aber man hat ihm nicht wissen lassen, sich dabey einzufinden, wie er sich geschmeichelt hatte. Statt dessen hörte man, indeß sich der König die Stiefeln ausziehen und zur Komödie ankleiden ließ, die treulosen Höflinge, dem Mon-
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archen zu Gefallen, welcher bekanntermaaßen den Hrn. v. V. nicht liebt, ihm das Trauerspiel zum voraus verächtlich machen, und dadurch seine Langeweile beschleunigen, die sich hernach nur zu deutlich gezeigt hat. 3) Der Greis von Ferney, der bey allem dem Weyhrauch, womit er izt genährt wird, doch das S o l i d e nicht vernachlässigt, sondern seine Angelegenheiten als ein Mann besorgt dem sie sehr stark am Herzen liegen, gieng ohnlängst zu einem Prokurator vom Parlement, H u r e a u genannt, um mit ihm wegen eines Prozesses zu sprechen, von welchem dieser aber gar keinen Begriff mehr hatte. Er hatte den Verdruß zu sehen, daß ihn dieser Priester der Themis ganz und gar nicht kannte; ihn ohne alle Umstände wie einen gewöhn-
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lichen Klienten behandelte, und ihn sogar nöthigte, ihm seinen Namen zu sagen; so daß er glauben muste, dieser unglückliche Praktikus lebe in einer so schändlichen Indolenz, daß er nicht einmal wisse, d a ß H r . v o n Vo l t a i r e i n P a r i s s e y . Wahr ists, daß der Prokurator bey dem Namen Vo l t a i r e Augen und Ohren aufriß, daß sogleich das ganze Haus davon ertönte, und daß der Philosoph, weil das Gerücht sogleich von Mund zu Mund gegangen war, beym Einsteigen in seine Kutsche, sich von dem ganzen Pöbel des Quartiers angefallen sah. D e n 6 t e n A p r i l 1 7 7 8 .* ) Durch die verschiedenen Formen, durch alle die Schleyer, in welche die Pense´es de Pascal gekleidet und eingehüllt worden
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sind, hat man in Betreff der n e u e n A u s g a b e derselben, die zugleich mit dem Buche: Prix de la justice et de l’humanite´ betitelt, erschienen ist, folgende Umstände herausbringen können. Es ist jedermann bekannt, daß Hr. von Voltaire ehemals Anmerkungen über die Pense´es de Pascal gemacht hat. Seine Absicht dabey war, die Wirkung zu vermindern, die dieses Buch zu Gunsten der Religion bey denen hervorbringen könnte, die sich durch den großen Namen seines Verfassers blenden ließen. **) Der Herr Marquis d e C o n d o r c e t , so viel man ihn vermittelst einer gesunden Induktion hat errathen können, fand einige Raisonnements, welche jener auf Gerathewohl hingeworfen hatte, und die geschickter waren, *)
Man hat diese Anekdote, wiewohl sie den Hrn. v. V. nur von der Seite berührt, interessant
genug gefunden, um ihr hier Platz zu geben. **)
Wir brauchen wohl kaum zu erinnern, daß Pascals Gedanken (wiewohl manche mehr
schimmernd als gründlich sind) den Namen ihres Verfassers nicht nöthig haben, um auf alle denkende Menschen Eindruck zu machen.
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die Gründe und Schlüsse des Philosophen lächerlich zu machen als sie zu zernichten, zu schwach; er hielt es daher für nöthig, einen Kommentar beyzufügen, und diesem ein anmaaßliches Eloge des Pascal voranzuschicken, welches auf die nachfolgende Widerlegung vorbereiten, und durch Verkleinerung des Autors auch den Werth des Buchs zum voraus herabwürdigen sollte. Er rückte eine Piece mit ein, unter dem Tittel: B e t r a c h t u n g e n ü b e r Pascals und Lockes Beweis der Möglichkeit eines zukünftigen L e b e n s , v o n H e r r n v o n F o n t e n e l l e , und schickte alles zusammen an den Philosophen zu Ferney, welcher dann die besagte Ausgabe besorgte, aber 10
es nicht lassen konnte, vorher noch andre Randglossen, die er einem zweyten Herausgeber zuschreibt, darinnen anzubringen. Wir können versichern, daß nunmehr die Pense´es de Pascal, Dank sey es allen diesen Kommentatoren! das allergottloseste Buch gegen die christliche Religion geworden ist, ein Buch, das völlig dazu eingerichtet ist, Materialisten, Deisten und Atheisten zu ziehen. Da dies ohnezweifel die Absicht dieser Herren war, so muß man gestehen, daß sie solche im höchsten Grad erreicht haben. Was die Abhandlung, die dem F o n t e n e l l e beygemessen wird, betrift, so läst sich hundert gegen eins wetten, daß sie nicht von diesem berühmten Man-
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ne herrührt; sondern daß es nur eine Verkappung ist, unter welche sich der iztmalige Sekretär der Academie des Sciences *) versteckt hat. D e n 7 t e n A p r i l 1 7 7 8 . Man hat nicht ermangelt einen Kupferstich auf den Triumph des Hrn. v. V. zu verfertigen. Er ist darauf sehr ähnlich, stehend und die beyden Hände auf sein Stöckchen haltend, vorgestellt. Er hat den Hut unterm Arm, und eine Lorbeerkrone auf seiner ungeheuren Perüke. Er ist mit Wahrheit gezeichnet, aber so lächerlich, da es einer Karrikatur sehr ähnlich sieht. Oben drüber steht: l’homme unique a tout age! ein Ausdruck eines gewissen Abbe´ d e L a u n a y in den nonsensikalischen Versen, womit er ihn bey seiner Ankunft in Paris bewillkommte. Zur Unterschrift stehen die Verse
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des Marquis d e S a i n t - M a r c . Man hat ohnezweifel diesen Kupferstich in seinem Hause gut aufgenommen, denn er wird an seine Freunde ausgetheilt. D e n 9 t e n A p r i l 1 7 7 8 . Auf die Verse des Herrn d e S a i n t - M a r c auf Hrn. v. V. an seinem Krönungstage ist eine Parodie verfertigt worden, welche *)
Hr. d’Alembert.
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F r a n k r e i c h in den Mund gelegt wird. Man meint, daß dieses Stück von einem Soldaten herrühre. Je ne suis point une infidelle, O Franc¸ois, je n’ai qu’un Epoux; L’aimer est mon soin le plus doux Et ma tendresse est e´ternelle. Pour partager mon coeur, il en est trop jaloux. J’honore ce savant, sa Gloire est immortelle; Mais, quoiqu’il ait pu me´riter, La France n’a q’une Couronne,
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C’est a ` L o u i s qu’elle la donne, Lui seul est fait pour la porter!
Platt genug! — D e n 1 0 t e n A p r i l 1 7 7 8 . Am Montag fand Hr. v. V. sich stark genug, zu Fuß aus seinem Haus in die Akademie zu gehen, und man kann sich vorstellen, was er für eine Menge Volks hinter sich drein gezogen habe. Dienstags früh begab er sich zur Loge des N e u f - S o e u r s , seinem Versprechen zufolge, das er den Deputierten deshalb gegeben hatte. Die Brüder haben vor großen Freuden einige Indiskretionen begangen, so daß, ungeachtet der Heimlichkeit dieser Art von Zeremonien, verschiedene
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Umstände von der Aufnahme dieses Greises ausgekommen sind. Man verband ihm die Augen nicht, sondern es waren zwey Vorhänge vorgezogen, durch welche der Venerable ihn f r a g t e ; und als er nach verschiedenen Fragen mit dieser beschloß: ob er über alles, was er sehen würde, Verschwiegenheit angelobte? gab er zur Antwort: er schwüre es, und versicherte, daß er es in diesem ängstlichen Zustande nicht mehr aushalten könne. Er bat, man möchte ihm doch das Tageslicht sehen lassen. Die beyden Vorhänge wurden auf einmal geöfnet, und dieser Mann von Genie stund wie betäubt vor den pompösen Kindereien *) des Schauspiels, das sich ihm darstellte. So leicht kann *)
Der ehrwürdige Maurerorden wird verzeihen, daß man diesen Ausdruck gelassen hat, wie
er im Original lautet. Dem Verfasser scheint wenig oder gar Nichts heilig zu seyn. Edeldenkende Menschen spotten wenigstens nicht über etwas, das Andern ehrwürdig ist; am wenigsten, wenn sie, (wie vermuthlich hier der Fall ist) nicht einmal wissen, worüber sie spotten.
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sich der Mensch durch etwas täuschen lassen, daß seine Sinnen überrascht! Man merkte sogar, daß die erste Betäubung den Philosophen so sehr getroffen hatte, daß es während der ganzen Sitzung um diesen Muthwillen in der Unterhaltung, der ihm so eigen ist, um diese Saillien, die wie Blitze auf einander folgen, wenn er in seinem Wesen ist, gänzlich geschehen war. Er begab sich beyzeit wieder nach Hause; und ließ sich Abends auf seinem Balcon dem Volke sehen, das sich unten versammlet hatte. Er stand zwischen dem Comte d’ A r g e n t a l und dem Marquis de T h i b o u v i l l e . Abends gieng er um die Belle Arsene *) zu sehen zu Madame d e M o n t e s s o n . Gestern gieng 10
er wieder in dies Schauspiel; und es soll ihm zu Gefallen der Amant romanesque zum zweytenmal, und die N a n i n e zum Nachspiel gegeben werden. D e n 1 3 t e n A p r i l . Hr. v. V. hat am Donnerstag im Schauspiel bey Mad. d e M o n t e s s o n beynah dieselben Ehrenbezeugungen, wie in der Come´die Franc¸oise genossen, nur die Krönung ausgenommen. Er ist von allen Damen und Herren dieses großen Hofes auf die schmeichelhafteste Art empfangen worden. Da der Herzog v o n C h a r t r e s ihm die Erlaubniß ertheilt (um die er bey seiner Hoheit angesucht) den jungen Prinzen aufwarten zu dürfen, so begab er sich am Sonnabend früh zu ihnen. Der Herzog ließ ihn zu sich bitten; er wollte
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stehen bleiben; aber seine Hoheit nöthigten ihn zum Sitzen, unter dem Vorwande, Sie wollten seine Gesellschaft gerne länger genießen. Die Herzogin war noch zu Bette; aber sobald sie von seiner Ankunft benachrichtigt wurde, ließ sie sich in aller Eil ankleiden, und kam in des Herzogs Zimmer — Neue Verwirrung für den Philosophen! Er wollte sich ihr zu Füßen werfen, und in dieser Stellung bleiben; aber man nöthigte ihn, sich zum zweytenmal zu setzen, um ihm zuzuhören. Er ergoß sich in Komplimenten über Ihrer Hoheiten kleine Familie, und besonders über den Herzog von Va l o i s ; er wollte behaupten, er gliche dem Duc Regent **). Alle diese eiteln Ehrenbezeugungen, die so geschickt sind, die Eigenliebe
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des Hrn. v. V. zu kitzeln, machen die Klerisey immer wüthiger, und diese Fasten über haben verschiedene Prediger dieser Hauptstadt sich heftige Aus*)
Eine komische Oper, die öfters auf dem Theatre Italien gegeben worden, und die viel
Schauspiel für die Augen und sehr wollüstige Tänze hat. **)
Dem berühmten Herzog Philipp von Orleans, Bruderssohn von Louis XIV, der bekannter-
maaßen unter Ludwig XV. Minderjährigkeit Regent von Frankreich gewesen.
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fälle gegen ihn erlaubt. Sie würden ihn aber wenig gekümmert haben, wenn derjenige nicht geschehen wäre, den der Abbt d e B e a u r e g a r d , ein Exjesuit, als er zu Versailles vor dem König predigte, gegen ihn that. Dieser geistliche Redner, der großen Zulauf hat, seufzte darüber, daß man sich so beeiferte, den verwegnen Anführer einer gottlosen Sekte, den Zerstöhrer der Religion und der Sitten, mit Ehrenbezeugungen zu überhäufen, und beschrieb den Greis von Ferney so deutlich, daß er gar nicht zu verkennen war. Dieser vermuthete, der König hätte diese e v a n g e l i s c h e D i a t r i b e * ) eben nicht gemißbilligt, und müßte folglich noch das widrige Vorurtheil haben, das man Ihm gegen ihn beygebracht hat; das ihn nun freylich nicht wenig schmertzt, weil ihm
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dadurch die Hoffnung benommen wird, jemals dem Monarchen näher zu kommen. D e n 1 7 t e n A p r i l 1 7 7 8 . Hr. v. V. hat sich, nachdem er lange genug an einer Wohnung gewählt hat, so eben auf Lebenslang für sich und Mad. Denis ein Hotel in der R u e d e R i c h e l i e u , demjenigen des D u c d e C h o i s e u l gegenüber, gekauft. Eh er es aber beziehen will, hat er sich eine Reise nach Ferney vorgenommen; nur muß der Nordwind und die Kälte erst nachlassen, und ihm erlauben, sich auf den Weg zu begeben. Man beschäftigt sich wirklich damit eine Relation von der Erscheinung dieses großen Mannes in der Loge d e s N e u f - S o e u r s zu drucken; und es
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sollen ihr alle Verse, welche die beliebten Poeten, an denen diese Loge großen Überfluß hat, über diese Gelegenheit zur Welt gebohren haben, beygefügt werden. Sie schmeicheln sich, daß ihr neuer Bruder auch das Seinige dazu beytragen werde; wenigstens hat er bekannt, daß dies das einzige Mittel sey, wodurch er Ihnen seine Erkenntlichkeit und seinen guten Willen bezeugen könne. Vor der Hand sind diese Herren sehr bescheiden, und wollen dem Publiko nichts von ihren Produkten mittheilen. Unterdessen folgt hier eine Strophe, die man als die witzigste aus einem Liedchen, welches dem Bruder l a D i x m e r i e zugeschrieben wird, ausgehoben hat.
*)
Nach des Verfassers Absicht, soll der Ausdruck Diatribe evangelique ein spashafter Aus-
druck seyn. Wahrscheinlich kennt er die Bedeutung des Worts Diatribe nicht; eine Art von Unwissenheit, die unter den französischen Witzlingen ziemlich gemein ist, und oft zu qui pro quo’s Anlaß giebt.
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Au seul nom de l’illustre Frere Tout Mac¸on triomphe aujourd’hui; S’il rec¸oit de Nous l a l u m i e r e Le Monde la rec¸oit de lui.
D e n 2 0 s t e n A p r i l 1 7 7 8 . Der feinste Zug aus dem Diskours des Abbe´ d e B e a u r e g a r d , worinn er seine Explosion gegen den Hrn. v. V. und dessen Anhänger macht, ist derjenige, wo er die Kleinmüthigkeit des S i e g e l b e w a h r e r s ansticht, der, aus Furcht vor den Philosophen, verboten hatte, daß irgend eine Kritik über ihren Obermeister, so lang er sich in Paris aufhalten 10
würde, den Druck passiren sollte. Herr d e M i r o m e s n i l war so beschämt, seine Schwachheit dem König indirecte aufgedeckt zu sehen, daß er, aus Furcht es möchte zu einer Erklärung kommen, sein Verbot in aller Geschwindigkeit wieder aufhob. D e n 2 0 s t e n A p r i l . Es gehen Kopien von der Korrespondenz, welche zwischen dem Hrn. v. V. und dem Pfarrer zu S t . S u l p i c e gepflogen worden seyn soll, im Publiko herum. Man schließt daraus, daß, auf das Gerüchte von der Beichte dieses großen Mannes zu den Füssen des A b b t G a u t h i e r , der besagte Pfarrer dem Marquis d e V i l l e t t e seinen Verdruß, sich dieses Schäflein entwischen zu sehen, bezeugt, daß der Marquis den Kranken davon benach-
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richtigt, und dieser am 4ten Merz morgens um 8 Uhr einen Brief an den Pfarrer geschickt habe. Hr. v o n Te r s a c (so heißt der Pfarrer) wollte ihm nichts schuldig bleiben und antwortete also. Beyde Stücke sind goldeswerth, und in dem wahren Geist der Briefsteller geschrieben. Man sieht aus dem Briefe des Philosophen, daß er vollkommen wieder in sich selbst zurückgetreten war, da er ihn schrieb, und diesen Ton von höflichem Persifflage wieder gefunden hatte, über den man unmöglich böse werden kann. Aber, wie man in Wald ruft, so schallts wieder. Der Diener des HErrn, ohne von seinem gewohnten Ernst abzugehen, und mit Wendungen von Bewunderung, die dem Mann, an den er schreibt, angemessen sind, giebt ihm auf eine ganz feine Art Spott
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für Spott, indem er ihm zu gleicher Zeit die harten Wahrheiten sagt, die er ihm von Amtswegen sagen muste.
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H e r r v o n Vo l t a i r e a n d e n P f a r r e r z u S t . S u l p i c e . Den 4ten Merz 1778. „Mein Herr, Der Hr. Marquis de Villette hat mich versichert, daß, wenn ich mir die Freyheit genommen hätte, mich in Ansehung d e s n ö t h i g e n S c h r i t t s , den ich gethan habe, an Sie selbst zu wenden, Sie die Gütigkeit würden gehabt haben, ihre wichtigern Geschäfte zu beseitigen, und sich herabzulassen, diejenigen B e r u f s g e s c h ä f t e an mir in eigner Person zu verwalten, die ich bey Fremden, welche sich zufälligerweise in ihrem Kirchspiel befinden, nur für Subalternen schicklich glaubte.
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Der Abbe´ G a u t h i e r hatte mit einem Brief angefangen, den er mir auf das bloße Gerücht von meiner Krankheit schrieb. Er kam hernach aus eignem Betrieb mir seine Dienste darzubieten, und ich hatte Grund zu glauben, daß er von Ihnen geschickt sey, da er in Ihrem Kirchspiel wohnt. Ich betrachte Sie, mein Herr, als einen Mann vom ersten Rang im Staate. Ich weiß, daß Sie die Armen unterstützen, wie ein Apostel, und sie zur Arbeit anhalten, wie ein Minister. Jemehr ich ihre Person und ihren Stand verehre, desto mehr fürchtete ich ihre außerordentliche Gütigkeit zu mißbrauchen. Ich habe weiter auf nichts Rücksicht genommen, als was ich ihrer Geburt, ihrem Amte und ihrem Verdienst schuldig bin. Sie sind ein General, den ich um einen Soldaten ge-
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beten habe. Ich bitte Sie inständigst um Verzeihung, daß ich ihre Willfährigkeit, mit welcher Sie sich bis zu mir würden herabgelassen haben, nicht gewust habe. Verzeihen Sie auch die Zudringlichkeit dieses Briefes; Sie sollen sich seinetwegen mit keiner Antwort bemühen; ihre Zeit ist zu kostbar.“ Ich habe die Ehre zu seyn, u. s. w. Dieser Brief wurde dem Hrn. Pfarrer zu S t . S u l p i c e morgens um 8 Uhr überbracht; er antwortete auf der Stelle, und durch den nemlichen Überbringer. A n t w o r t d e s H r n . P f a r r e r s z u S t . S u l p i c e a n H r n . v o n Vo l t a i r e . „Alle meine Pfarrkinder, mein Herr, haben ein Recht an meine Sorge, die ich nur im äußersten Nothfall mit meinen Gehülfen theile. Aber ein Mann, wie
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Herr von Voltaire, muß nothwendig alle meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sein Ruhm, welcher die Augen der Hauptstadt von Frankreich und sogar von Europa auf ihn heftet, ist gar wohl der Pastoralsorge eines Pfarrers werth. Der Schritt, den Sie gethan haben, war nur in sofern n ö t h i g , als er Ihnen in der Gefahr Ihrer Krankheit nützlich und beruhigend seyn konnte. Mein Amt hat das wahre Glück des Menschen zum Gegenstande, indem es die von seinem Zustand unzertrennlichen Übel zu seinem Nutzen anwendet, und durch den Glauben die Finsternisse zerstreut, die seine Vernunft umhüllen, 10
und ihn in den engen Kreis dieses Lebens einschränken. Urtheilen Sie nun, mit welchem Eifer ich es einem Manne anbieten muß, der durch seine Talente so berühmt ist, dessen bloßes Beyspiel viel tausend andre glücklich, und vielleicht die wichtigste Epoche machen würde für die Sitten, die Religion, und alle die wahren Grundsätze, ohne welche die Gesellschaft nie etwas anders seyn kann, als ein Haufen unglücklicher Thoren, die durch ihre Leidenschaften getrennt, und durch ihre Gewissensbisse gefoltert werden. Ich weiß, daß Sie wohlthätig sind; wenn Sie mir also erlauben wollen, Sie zuweilen zu besuchen: so hoffe ich Sie ganz leicht davon zu überzeugen, daß Sie durch Annehmung der erhabnen Philosophie des Evangeliums das größte
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Gute befördern, und mit dem Ruhm, den menschlichen Geist auf die höchste Stufe seiner Kenntnisse geführt zu haben, auch das Verdienst der reinsten Tugend verbinden könnten, von welcher die göttliche Weisheit, in unsre Natur gekleidet, uns den wahren Begriff gegeben, und zugleich das vollkommenste Muster vorgestellt hat, das wir sonst nirgends finden können. Sie überhäuffen mich mit verbindlichen Dingen, die Sie mir zu sagen belieben, und die ich keinesweges verdiene. Es würde über meine Kräfte seyn, sie zu beantworten, da ich mich dadurch unter die Zahl der Gelehrten und schönen Geister mischen würde, die Ihnen mit so vielem Eifer huldigen und ihren Tribut darbringen; ich meines Orts habe nichts, das ich Ihnen anbieten könn-
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te, als den Wunsch für ihr wahres Wohl, und die Aufrichtigkeit der Gesinnungen, mit welcher ich die Ehre habe zu seyn, u. s. w.“ D e n 2 4 s t e n A p r i l 1 7 7 8 . Hr. v. V., welcher einen Ruhm darinn sucht, alle Pflichten des Wohlstandes mit der äußersten Genauigkeit zu beobachten, ist nicht weniger pünktlich in Gegenvisiten, als in Beantwortung der Briefe, die
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er empfängt. Seitdem er völlig eingerichtet ist, ist er viel ausgewesen. Er hat hauptsächlich die beyden Osterwochen zu Visiten bey Prinzen und Großen des Reichs, die ihn zu bewundern gekommen waren, angewandt; er ist auch zu Privatpersonen gegangen, und hat sich sogar herabgelassen, die berühmtesten L a i d e n dieser Zeit zu besuchen, und also hat man ihn auch am Sonnabend der Charwoche bey Mademoiselle A r n o u x gesehen. Am Mittwoch, als am 22sten, hatten die Komödianten, da sie in ihren besondren Geschäften versammelt waren, die unvermuthete Freude, den alten Kranken bey sich ankommen zu sehen. Er überhäufte sie mit Danksagungen für den Eifer, womit sie die Vorstellung seiner I r e n e beschleuniget, und
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ihren Succeß beym Publiko befördert hätten. Er sagte Ihnen, er sey im Begriff eine Reise von zwey Monaten nach Ferney zu thun. Er nähme die Manuskripte von seinem Trauerspiel A g a t h o c l e s und von der Komödie du Droit du Seigneur mit sich, um einige nöthige Veränderungen darinnen vorzunehmen. Was die letzte betrift, so ist sie im Jahr 1762 unter dem Titel: l’Ecueil du Iuge gegeben worden. Sie ist mittelmäßig, und es heist, er wolle sie in drey Akte bringen. D e n 2 7 s t e n A p r i l . Hr. v. V. hatte seine Abreise nach Ferney angekündiget, und sie sollte den Montag nach Quasimodogeniti, als heute, vor sich gehen. Aber die Frau Marquisin v o n V i l l e t t e ist dieser Tage mit einer un-
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zeitigen Geburt in die Wochen gekommen, und man glaubt nicht, daß er seine liebe Belle et Bonne in diesen Umständen verlassen werde. Dieser Vorfall kömmt desto ungelegner, weil es ein interessantes und seltnes Schauspiel gewesen wäre, den Philosophen als Pathe des Kindes in der Kirche zu sehen, wie er endlich auch Gott einmal eine Seele gebracht hätte, nachdem er dem Teufel so viele gegeben *). D e n 2 t e n M a y . Verwichnen Montag, als am 27sten April, gieng Hr. v. V. in eine Privatversammlung der Academie Franc¸oise. Der Abbe´ d e L i l l e las daselbst einige Stellen aus seinem Gedicht über die Kunst die Natur zu verschönern und zu geniessen, und eine Übersetzung des berühmten Briefes von P o p e an den Doktor A r b u t h n o t . Während dieser Vorlesung erinnerte sich *)
Daß es dem Verf. nicht Ernst mit dieser harten Beschuldigung sey, versteht sich von selbst.
Es ist blos darum zu thun, einen witzigen Einfall anzubringen, und die Herren seines Gelichters könnten sich eben so leicht die Nasen abschneiden, als einen epigrammatischen Einfall zurück halten.
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Hr. v. V. an die englischen Verse von Pope, verglich sie mit der Übersetzung, und zog diese dem Original vor. Bey dieser Gelegenheit beklagte er sich über die Armuth der französischen Sprache. Er sprach von einigen Wörtern, die er wohl eingeführt wissen möchte. Z. B. das Wort Trage´dien um einen Akteur in einer Tragödie auszudrücken. „Unsre Sprache ist eine stolze Bettlerin,“ sagte er, indem er von der Schwierigkeit neue Wörter einzuführen sprach, „man muß ihr wider ihren Willen Allmosen geben.“ Darauf gieng er in die A l z i r e . Er stund da incognito in einer kleinen Loge; 10
aber das Parterre entdeckte ihn, und unterbrach das Stück länger als drey Viertelstunden mit Applaudiren. Mitten in dem allgemeinen Enthusiasmus ereiferte sich auch der Chevalier d e L e s c u r e , Offizier bey dem Infanterieregimente von Orleans; er gieng aus seiner Loge, und präsentierte dem modernen Sophocles folgendes Impromptu: Ainsi chez les Incas, dans leurs jours fortune´s, Les enfans du Soleil, dont nous suivons l’exemple, Aux transports les plus doux etoient abandonne´s Lorsque de ses rayons il eclairoit leur temple.
Hr. v. V. antwortete auf dieses bösliche Quatrain mit den zween Versen aus 20
der Z a i r e , die man in seinem Munde sehr impertinent angebracht fand: Des Chevaliers Franc¸ois tel est le Caractere; Leur noblesse en tout tems me fuˆt utile et chere.
D e n 1 3 t e n M a y 1 7 7 8 . Es scheint nun gewiß, daß Hr. v. V. nicht nach Ferney zurückgehen werde. Er hat sich endlich entschlossen, sich einige Zeit seines Sekretärs Va g n i e r e s zu entäußern, und diesen hinzuschicken, damit er das Nöthige da besorge, und ihm seine Bibliothek herbey schaffen lasse. Die Entfernung, in welcher der Philosoph vom Hof geblieben ist, hat ihn besorgen gemacht, es möchte ein Sturm über ihn ausbrechen, wenn er sich entfernte. Das allgemeine Bündniß der Geistlichkeit, keinen Fuß in seine 30
Wohnung zu setzen, ist allzufürchterlich, und es hätte wirklich geschehen können, daß ihm die Wiederkunft untersagt worden wäre.
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D e n 1 6 t e n M a y . Dieser Tage war Hr. v. V. bey der Fr. Marschallin v o n L u x e n b u r g . Die Rede war vom Kriege. Diese Dame bejammerte die unglücklichen Folgen desselben und wünschte, daß die Engländer und wir das Beste der Menschheit und unser eignes beherzigen, und unsre Händel ohne Blutvergießen durch einen guten Friedenstraktat beylegen möchten. Madame, sagte Hr. v. V., indem er auf den Degen des dabey stehenden M a r s c h a l l s v o n B r o g l i o wieß, d a s i s t d i e F e d e r , w o m i t m a n d e n Tr a k t a t u n terzeichnen sollte. D e n 2 2 s t e n M a y . Hr. v. V. ist dieser Tage über von seiner Harnstrenge sehr beunruhigt worden, befindet sich aber nun wieder besser.
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D e n 2 4 s t e n M a y . Die gute Gesundheit des Marschalls D u c d e R i c h e l i e u , der noch zu Pferde steigt, wie ein junger Kriegsmann der seine Exercizien macht, hat den Hrn. v. V. so bezaubert, daß er den Marschall gefragt hat, wie er es anfange, daß er schlafen könne. Der Marschall hat ihm ein vortrefliches Mittel gegen die Schlaflosigkeit, das er selbst besitzt, angerathen und versprochen, ihm solches mitzutheilen. Er hat ihm eine gewisse Quantität auf verschiedene male geschickt. Der alte Philosoph, der große Lust noch länger zu leben hat, hat eine so starke Dosis davon genommen, daß er sich sehr übel darauf befunden hat. Es scheint daß unter diesem Elixir zu viel Opium sey, und seit dieser Zeit nennt er den Marschall v o n R i c h e l i e u seinen B r u d e r
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K a i n . Dieser harte Zufall, der ihm so unvermuthet gekommen ist, hat ihn wieder auf den Vorsatz gebracht, sich nach Ferney zu begeben, um da, wie er spricht, seinem Grabe näher zu seyn. Doch die Schmeicheley, die man vom neuen in so starker Dosis an ihn verschwendet, wird ihn ohnezweifel zum zweytenmal von diesem Gelüsten heilen. D e n 2 8 s t e n M a y . Herr v. V. ist nichts weniger, als von dem Zufall, den ihm das fatale Geschenk s e i n e s B r u d e r s K a i n zugezogen hat, befreyt; er befindet sich im Gegentheil noch schlechter; und wiewohl man bey dem tiefen Stillschweigen, das seine Domestiken, Anverwandten und Freunde beobachten, seinen eigentlichen Zustand nicht erfahren kann, und ob man gleich dem Publiko im Journal de Paris hat Hoffnung machen wollen: so hat man doch alle Ursache zu fürchten, daß er diesmal unterliegen werde. Man sieht wohl, daß die Furcht, es möchten abermals Priester herbey kommen und ihn zu einem Schritte bringen, der für eine Bekräftigung des erstern gelten könnte, der wahre Grund ist, warum man in seinem Hause so geheim-
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nißvoll thut. Indessen fulminiert die Klerisey, und droht, den Sterbenden nicht in geweyhten Boden begraben zu lassen, wenn er fortführe Ärgerniß zu geben, und nicht wenigstens dem Äußerlichen ein Genüge thät. D e n 3 1 s t e n M a y 1 7 7 8 . Hr. v. V. ist gestern Abends um 11 Uhr gestorben. Weil die Geistlichen seine Beerdigung nicht gestatten wollen, und man es nicht wagt, seine Leiche nach Ferney, wo indessen sein Grab auf ihn wartet, zu schaffen, so sinnt man izt auf eine Erfindung, wie der Sache zu helfen seyn möchte. D e n 1 s t e n J u n i u s . Nachdem die Fakultät den Hrn. v. V. verdammt hatte, wurden bey dem Hrn. Erzbischof von Paris verschiedene Versammlungen 10
gehalten, und das Resultat derselben war, dasjenige ins Werk zu setzen, was die Kirche dem Oberpriester des Unglaubens schon lange gedräut hatte, nemlich, ihm kein christliches Begräbniß zu gestatten. Der Herr Pfarrer zu St. Sulpice hatte zwar den Kranken verschiedene Male besucht; aber dieser machte allezeit den Stummen, und der Pfarrer konnte nichts aus ihm bringen; so daß er auch nicht einmal die letzte Ölung empfangen hat. Indeß verzweifelt man noch nicht an der Hoffnung mit Hülfe eines höhern Ansehens die Hartnäkkigkeit der Priesterschaft, die man im Nothfall mit einer ansehnlichen Summe zahm machen wird, überwinden zu können. D e n 2 t e n J u n i u s 1 7 7 8 . Die Bewegungsgründe, um derentwillen man
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mit der Leiche des Hrn. v. V. heimlich durchgegangen, werden so verschiedentlich erzählt, und die Meinungen über das, was man mit besagter Leiche angefangen, oder noch anfangen wird, sind so getheilt, daß sich zur Zeit noch kein einzges Faktum mit Wahrheit bestimmen läst. Es scheint, daß er seine Geisteskräfte bis auf den letzten Augenblick behalten, und noch am Abend seines Todes gearbeitet habe. Ausser den verschiedenen Werken, die er unter der Arbeit hatte, seitdem er zur Würde eines Direkteurs der Academie Franc¸oise gestiegen war, hatte er sich die Verherrlichung derselben stark zu Herzen genommen, und gieng mit nichts Geringerm um, als ihr Dictionnaire umzuschmelzen.
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D e n 5 t e n J u n i u s . Mit der Abreise der Leiche des Hrn. v. V. ist es, so viel man hat entdecken können, folgendergestalt zugegangen. Da seine Anverwandten nicht wusten, was sie mit ihr anfangen sollten, und besorgen musten, der Bischoff von A n n e c y , mit dem der Verstorbne schon sehr hitzige Händel gehabt hatte, möchte, wenn er erführe, was in Paris vorgegangen wäre, den Fanatismus des Erzbischofs mit dem seinigen unterstützen: entschlossen sie
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sich, die Leiche einstweilen, bis auf weitern Bescheid, nach S c e l l i e r e s , einer Abtey in C h a m p a g n e , die dem Hrn. Abbt M i g n o t gehört, in Verwahrung zu bringen. Sie wurde von einem vertrauten Domestiken geführt; und inzwischen giebt man sich alle mögliche Mühe beym Gouvernement, um eine endliche Entscheidung über das Schicksal dieses großen Mannes zu bewürken. Man weiß noch nicht, wo die Mönche ihn hingelegt haben, ob in die Kirche, oder an einen besondern Ort im Kloster. D e n 1 2 t e n J u n . 1 7 7 8 . Die Academie Franc¸oise hat sich an die Franziskaner gemacht, um für die Seelenruh des Hrn. v. V. Messe lesen zu lassen; aber diese Mönche, die sonst eben nicht die bedenklichsten sind, haben sich erklärt,
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daß es ihnen verboten sey. Darüber hat die Akademie eine Deputation an den Hrn. Grafen v o n M a u r e p a s geschickt, aber zur Antwort erhalten: es lasse sich sogleich stehenden Fußes nichts in dieser Sache thun, die Herren möchten sich gedulden. Diesem zufolge hat die Akademie beschlossen, keine Seelmesse für irgend eines ihrer Mitglieder lesen zu lassen, bis Hr. v. V. die seinige bekommen hätte. D e n 1 2 t e n J u n . 1 7 7 8 . Das Testament des Hrn. v. V. hat bey seiner Eröfnung alle Welt in Erstaunen gesezt. Man glaubte darinn Vermächtnisse zu finden, die seinem Geist und seinem Herzen Ehre machen würden. Aber
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nichts weniger. Es ist so platt als möglich, und verräth einen hartherzigen Mann, der sich um Niemand kümmert, und der keiner Erkenntlichkeit fähig ist. Was den Unwillen noch vermehrt, ist, daß es von zwey Jahren her datiert, und folglich mit möglichst reifer Überlegung gemacht worden ist. Die vornehmsten Artickel sind folgende: An Hrn. Va g n i e r e s , seinen Sekretär, seine rechte Hand, ohne den er nicht leben konnte, den er seinen Freund, seinen Fidus Achates nennte, 8000 Livres, ein für allemal gezahlt; nichts für Frau und Kinder. An seinen Domestiken, l a V i g n e , der ihm 33 Jahr gedient hat, e i n e i n ziges Jahr Lohn. An die Barbaras, seine Gouvernante de confiance, 800 Livres ein für allemal. Den Armen zu Ferney 300 Livres ein für allemal. Sechs englische Pfund an einen gewissen M. D u r i e u ; und übrigens keiner Seele was.
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An Mad. D e n i s 80,000 Livr. an Renten und 400,000 Livr. an baarem Gelde, sintemal er sie zu seiner Universalerbin eingesezt hat. Nur 100000 Livres an den Hrn. Abbe´ M i g n o t , und eben so viel an Hrn. d’ H o r n o y , seinen andern Neffen. D e n 1 4 t e n J u n i u s 1 7 7 8 . Es scheint, daß die Geistlichkeit zu der auffallenden Strenge gegen den Leichnam des Hrn. v. V. lediglich durch die eiserne Noth gedrungen worden, und weil es unmöglich war, der Hartnäckigkeit, womit der Sterbende in seinem Unglauben beharrte, irgend einen leidlichen Anstrich zu geben. Der Pfarrer zu S t . S u l p i c e wartete blos auf so einen 10
Augenblick, wie derjenige war, wo der Abbe´ G a u t h i e r so glücklich gewesen war, den Hrn. v. V. von der Drohung des Dokt. Tr o n c h i n schon mürbe zu finden. Aber unglücklicherweise war der Großmeister der Ungläubigen beständig mit Philosophen umgeben, die unter dem Vorwand, ihm in seiner Krankheit beyzustehen, ihn durch ihre Gegenwart aufzustützen und die letzten Funken seiner Eitelkeit noch aufzublasen suchten. Endlich nahte sich doch der Pfarrer, dessen christliche Liebe nicht zu ermüden war, kurz zuvor, eh er starb, zu ihm ans Bette, und fragte ihn, o b e r d i e G o t t h e i t J e s u C h r i s t i g l a u b e ? Der Sterbende stockte eine Minute, und sagte endlich: Herr Pfarrer, lassen Sie mich in Frieden sterben! *) Er drehte sich herum und
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starb wirklich, und so machte er vor den Augen seiner Jünger die Kleinmüthigkeit wieder gut, die er bey dem ersten Anfall seiner Krankheit bewiesen hatte. Der Pfarrer fand also keine Möglichkeit, von der Politesse, auf deren Hülfe er gerechnet hatte, Gebrauch zu machen, und sah sich genöthigt, die Standhaftigkeit des Unglaubens, die er durch dieses Betragen bewiesen hatte, gewissermaaßen selbst anzuerkennen und zu bekräftigen. D e n 2 7 s t e n J u n . Man spricht viel von zwey handschriftlichen Briefen, die Pendans zu denen abgeben sollen, welche zwischen dem Hrn. v. V. und dem Pfarrer zu S t . S u l p i c e gewechselt worden sind. Sie betreffen beynah dieselbe Materie. Es ist der Brief des Hrn. Bischofs zu Tr o y e s an den Prior zu
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S c e l l i e r e s , und die Antwort des Priors an den Prälaten.
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Auf einem der folgenden Blätter rektificiert der Verfasser diese Anekdote folgendermaa-
ßen. Der Pfarrer hätte den Sterbenden zuerst gefragt: ob er an Gott gläube? worauf dieser geantwortet: Ja, wie alle seine Schriften bezeugen könnten. Da nun der Pfarrer auch die andere Frage gethan, habe Hr. v. V. erwiedert: Ah mon Dieu, ne m’en parlez pas.
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Der Brief des Bischoffs. „Ich höre so eben, Monsieur, daß die Anverwandten des Hrn. von Voltaire, welcher vor einigen Tagen gestorben ist, sich entschlossen haben, seine Leiche nach Ihrer Abtey zu schaffen, um sie darinn begraben zu lassen, und dies, weil der Pfarrer zu S t . S u l p i c e sich erklärt habe, daß er ihm in heiliger Erde kein Begräbniß gestatten könne. Ich wünsche sehr, daß Sie noch keine weitern Anstalten zu dieser Beerdigung gemacht haben mögen; welches verdrüßliche Folgen für Sie haben könnte; und wenn die Beerdigung, wie ich hoffe, wirklich noch nicht vor sich gegangen ist, so dürfen Sie nur sagen, Sie könnten darinn nichts weiters thun,
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ohne ausdrückliche Ordre von mir zu haben. Ich habe die Ehre mit aller Aufrichtigkeit zu seyn, Monsieur, Ihr u. s. w. † Der Bischoff von Troyes.“ Antwort des Priors. Scellieres, den 3ten Junius. „Den Augenblick, Monseigneur, Nachmittag um 3 Uhr, empfang ich mit dem grösten Erstaunen den Brief, welchen Sie gestern, unterm 2ten Junius, an mich zu erlassen geruhen wollen. Es sind bereits schon über 24 Stunden, daß die Leiche des Hrn. von Voltaire in unsrer Kirche vor einer ansehnlichen Menge Volks beerdiget worden ist. Erlauben Sie mir, Monseigneur, daß ich Ihnen
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erst den ganzen Vorgang umständlich erzehle, eh ich mich unterstehe, Ihnen meine Gedanken darüber vorzulegen. Am Sonntag Abends, als am 31sten May, kam der Hr. Abbe´ M i g n o t , königlicher Rath im Grand Conseil, unser Abbe´ commandataire, der sich in unserm Kloster ein Apartement gemiethet hat, weil seine Abbatialwohnung nicht bewohnbar ist, in aller Eile bey uns an, um Besitz von diesem Apartement zu nehmen. Er sagte mir nach den ersten Komplimenten, daß er das Unglück gehabt habe, den Hrn. von Voltaire, seinen Onkel, zu verliehren, und daß dieser Herr in seinen letzten Augenblicken gewünscht habe, nach seinem Tode auf sein Gut zu Ferney gebracht zu werden; daß aber die Leiche, ungeachtet sie einbalsamiert wäre, unmöglich eine so weite Reise machen könnte; daß er und seine Anverwandten wünschten, wir möchten sie in dem Gewölbe unsrer Kirche in Depositum nehmen; und daß die Leiche unter Begleitung
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dreyer Anverwandten schon auf dem Wege sey. Zugleich zeigte mir der Herr Abbe´ M i g n o t eine Einwilligung des Hrn. Pfarrers zu St. Sulpice vor, die von diesem Pfarrer unterschrieben war, daß die Leiche des Hrn. von Voltaire ohne Zeremonien fortgeschaft werden könnte. Überdies zeigte er mir eine von eben diesem Pfarrer zu St. Sulpice kollationierte Kopie eines Bekenntnisses des Katholischen Apostolischen und Römischen Glaubens vor, das Hr. von Voltaire unter den Händen eines bevollmächtigten Priesters in Gegenwart zweyer Zeugen, des Hrn. M i g n o t , unsers Abts und Neffen des Beichtenden, und eines gewissen Herrn Marquis d e l a V i l l e v i e i l l e , abgelegt hatte. Er zeigte mir 10
endlich noch einen Brief von dem Minister von Paris, Hrn. A m e l o t , der an ihn und H r n . d e D a m p i e r e d’ H o r n o y , Neffen des Hrn. Abt Mignot und Petit-Neveu des Verstorbnen addressiert war, durch welchen diese Herren autorisiert wurden, ihren Onkel nach Ferney, oder wohin sie wollten, zu schaffen. In Rücksicht dieser Zeugnisse, die ich für avthentisch hielt und noch dafür halte, würd ich geglaubt haben, meiner Pastoralpflicht entgegen zu handeln, wenn ich mich der geistlichen Dienste geweigert hätte, die wir einem jeden Christen, besonders aber dem Onkel einer Magistratsperson, die seit 23 Jahren Abt von dieser Abtey ist, und die wir zu schätzen viele Ursach haben, schuldig sind. Es hat mir nicht zu Sinne kommen können, daß der Hr. Pfarrer
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zu St. Sulpice das Begräbniß einem Manne hätte verweigern können, dessen Glaubensbekenntniß er selbst legalisiert, und dessen Hinwegschaffung er so kürzlich nach dem Augenblicke seines Todes erlaubt hatte. Übrigens wuste ich nicht, daß man Jemanden, wer er auch sey, der als ein Glied der Kirche gestorben, das Begräbniß verweigern könne; und ich gestehe, daß ich, nach meinen schwachen Einsichten, noch immer nicht glaube, daß dies geschehen könne. Ich habe also in der Geschwindigkeit alles Nöthige besorgt. Den folgenden Morgen kamen zwey Kutschen im Hof unsrer Abtey an. In der einen war der Leichnam des Verstorbnen, in der andern saß Hr. d’ H o r n o y , ein Rath vom Parlement von Paris und Petit-Neveu des Hrn. von Voltaire, Herr
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M a r c h a n d d e Va r e n n e s , Maitre d’Hotel des Königs, und Hr. d e l a H o u i l l i e r e , Brigadier der Armeen, beyde Neffen des Verstorbnen. Nachmittags übergab mir der Abt Mignot die Leiche seines Onkels in der Kirche feyerlich in depositum; wir sangen Vigilien, und die Leiche ist die ganze Nacht durch, mit Wachslichtern umgeben, in der Kirche bewacht worden. Den andern Morgen nach fünf Uhr haben alle Geistliche der Nachbarschaft, von wel-
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chen die meisten Freunde des Hrn. Abt Mignot sind, in Gegenwart der Leiche Messe gelesen, und ich habe selbst um 11 Uhr vor der Beerdigung, die vor einer zahlreichen Versammlung geschehen ist, das Hochamt gehalten. Die Familie des Hrn. von Voltaire ist diesen Morgen, vergnügt über die seinem Andenken erzeigte Ehre, und über die Gebete, die wir für die Ruhe seiner Seele zu Gott geschickt haben, wieder abgereist. Dies sind die Fakta, Monseigneur, nach der strengsten Wahrheit. Erlauben Sie mir nun, obgleich unsre Häuser nicht unter der Jurisdiktion des Ordinarii stehen, mein Verfahren vor ihren Augen zu rechtfertigen. Was auch die Freyheiten eines Ordens seyn mögen, so müssen doch seine Glieder sichs jederzeit zum Ruhm anrechnen, das Episkopat zu
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verehren, und sie machen sich eine Ehre daraus, alle ihre Handlungen so wohl als ihre Sitten der Untersuchung unsrer Herren Bischöffe zu unterwerfen. Wie konnt ich vermuthen, daß man dem Hrn. von Voltaire das Begräbniß verweigern würde oder verweigern k ö n n t e , da ich um selbiges ersucht wurde von seinem Neffen, der seit 23 Jahren unser Abbe´ commandataire und seit 30 Jahren königlicher Rath ist, der als Geistlicher lang in dieser Abtey gelebt hat, und in großer Achtung bey unserm Orden steht; von einem Rath vom Parlament von Paris, der Petit-Neveu des Verstorbnen ist; von Offiziren vom höhern Rang, welche alle Anverwandte und respektable Männer sind? Unter welchem Vorwand hätte ich glauben können, daß der Hr. Pfarrer zu St. Sul-
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pice dem Hrn. von Voltaire das Begräbniß verweigert habe, da dieser Pfarrer mit eigner Hand ein Glaubensbekenntniß, das der Verstorbne erst vor zwey Monaten abgelegt, legalisiert hatte; da er eine Einwilligung, diese Leiche ohne Zeremonieen fortzuschaffen, geschrieben und mit eigner Hand unterzeichnet hatte? Ich weiß nicht, was dem Hrn. von Voltaire zur Last gelegt wird; ich kenne seine Werke mehr durch ihren Ruhm, als auf andre Art; ich habe sie nicht alle gelesen; ich habe seinen Hrn. Neffen, unsern Abt sagen gehört, daß man ihm deren sehr bösliche Schuld gebe, zu denen er sich nie habe bekennen wollen; aber ich weiß nach den Kirchenrechten, daß man das Begräbniß keinem verweigert, er müste denn lata ˆ Sententia ˆ exkommuniciert seyn, und ich darf sicher glauben, daß Hr. von Voltaire nicht in diesem Falle gewesen ist. Ich glaube daher durch seine Beerdigung, um die ich von einer angesehenen Familie ersucht worden bin, meine Schuldigkeit gethan zu haben, und kann michs unmöglich reuen lassen. Ich hoffe, Monseigneur, daß dieser Vorgang keine verdrüßlichen Folgen für mich haben werde; die allerverdrüßlichste
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würde gewiß diejenige seyn, wenn ich Ihre Achtung dadurch verliehren sollte. Doch nach der Erklärung, die ich Ihnen hier vorzulegen, die Ehre gehabt habe, sind Sie zu gerecht, als daß Sie mir solche entziehen sollten. Ich bin mit tiefster Hochachtung, u. s. w.“ D e n 2 5 s t e n A u g u s t 1 7 7 8 . Heute ist in der öffentlichen Sitzung der Academie Franc¸oise am Tage des heil. Ludewigs, wo die Preise ausgetheilt werden, im Auditorio eine Grabschrift auf Hrn. v. V. vorgelesen worden. Seine Büste stund über dem Direkteur, und da sie die einzige im ganzen Saale war, so sah es just so aus, als ob das der Götze wäre, dem die Versammlung ihre 10
Verehrung bringen wollte. Die Grabschrift selbst wird M. d e l a P l a c e zugeschrieben; sie ist folgende: O Parnasse, fre´mis de douleur et d’effroi, Muses, abandonnez vos lyres immortelles; Toi, dont il fatigua les cent voix et les a ˆ iles, Dis que Vo l t a i r e est mort, pleure et repose toi *).
Eine nicht weniger außerordentliche Neuerung, die gewiß die Geistlichkeit sehr erbittern wird, ist diese, daß die Akademie, durch eine besondre Ausnahme von dem Reglement, nach welchem sie den Konkurrenten zum jährlichen Preise in Zukunft ein Stück aus dem Homer zu übersetzen aufgeben wollte, 20
einen neuen Gegenstand, nemlich: E i n We r k i n Ve r s e n z u m L o b e d e s H r n . v o n Vo l t a i r e , gewählt hat. Der Preis soll, wie gewöhnlich, eine goldne Medaille, 500 Livres am Werthe seyn; und um ihn ansehnlicher und seines Gegenstandes würdiger zu machen, hat ein Freund des Hrn. v. V. noch 600 *)
Diese Grabschrift ist freylich nicht so witzig, aber doch wenigstens nicht so ungerecht, als
eine andre, die (vermuthlich mit Unrecht) dem berühmten J. J. Rousseau zugeschrieben worden, und von welcher nur der Verfasser dieser Anecdotes secrettes (aber auch nur er und seines gleichen) Bosheit genug hat, uns zu sagen, daß sie unter allen, die auf Voltairen gemacht worden, die wahrste und unpartheylichste sey. Hier ist sie: Plus bel-Esprit que grand Genie, 30
Sans loi, sans moeurs, & sans vertu, Il est mort, comme il a vecu, couvert de gloire & d’infamie.
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Livres dazugegeben, so daß das Ganze nun eine goldne Medaille von 1100 Livres betragen wird. Nicht zufrieden mit dieser literarischen Apotheose nahm Hr. d’Alembert, bey Vorlesung seines Eloge du Crebillon, als er eben von dem g u t e n W i l l e n des Gouvernements, diesem großen Tragikus ein Monument errichten zu lassen, sprach, Gelegenheit, hievon auf Hrn. v. V. zu kommen. Er weissagte, es werde ein Tag kommen, an welchem dieses nemliche Gouvernement es nicht blos bey dem Wollen gegen einen Genie, der seiner Nation, nicht nur in dem nemlichen Fache, sondern auch in so vielen andern noch weit mehr Ehre mache, bewenden lassen werde. Er sagte, die Ausländer giengen hierinnen
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Frankreich schon mit gutem Beyspiel vor. Die Akademie könnte nicht umhin, einen so glücklichen Zeitpunkt durch ihre Wünsche und durch ihr Flehn zu beschleunigen, und wenigstens nur sein schwaches Bildniß den Zuschauern wieder vor Augen bringen. Bey diesen Worten wandt er sich mit dem Schnupftuch in der Hand und mit Thränen in den Augen gegen die Büste, und der allgemeine Enthusiasmus, der sich schon bey Ankündigung des Preises und allemal, wenn der Name Vo l t a i r e genennt wurde, geäußert hatte, verdoppelte sich izt; Alles klatschte in die Hände, weinte und schluchzte. — Daß von den Prälaten und andern geistlichen Mitgliedern kein einziges bey dieser Sitzung gegenwärtig gewesen, kann man sich leicht vorstellen.
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D e n 2 3 s t e n S e p t e m b e r 1 7 7 8 . Alle Bücherliebhaber und Neugierige sehen sehr ungern, daß die Bibliothek des Hrn. v. V. nach Rußland kommen soll. Sie war kostbar, nicht wegen Schönheit der Ausgaben, oder wegen besondrer Seltenheit und Wichtigkeit der Bücher, sondern wegen der Noten von seiner Hand, mit denen er Buch vor Buch bereichert hatte. In seinem encyklopädischen Diktionnaire soll alles davon wimmeln. D e n 4 t e n O c t o b e r . Obgleich der Hr. Abbe´ M i g n o t (so wie auch H r . d’ O r n o y ) nicht mehr, als 400,000 Livr. mit denen ihn der Greis von Ferney abgespeist, zu seinem Erbschaftsantheil empfangen hat: so will er doch aus lauter Großmuth zur Ehre des Hrn. v. V. in seiner Abtey zu S c e l l i e r e s ein Mausoleum errichten lassen. Er muß also den Gedanken haben fahren lassen, die Asche seines Onkels nach Ferney zu schaffen; sondern sie auf immer und ewig behalten wollen. Ein Bildhauer, Namens C l o d i o n , soll das Monument verfertigen. * * *
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Hier mögen sich diese Auszüge endigen. Die Anmerkungen und Betrachtungen, welche sowohl die Sachen selbst, als die immer witzige, und nicht selten schalkhafte Art, wie sie der Autor vorträgt, reichlich darbieten, überlassen wir den Lesern, als ein Vergnügen, das ihnen zugehört, und das einzige beynahe, wodurch ihnen Geschichten und Anekdoten interessant werden können.
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Der Herausgeber an die Abonenten auf den T. Merkur. Ich habe mich schon im Jahre 1773. da ich den T. Merkur herauszugeben unternahm, anheischig gemacht, alles was ich künftig drucken lassen würde, in diesem Journal zu publiciren; und ich werde dieses Versprechen halten, so lange der Merkur fortdauren wird. Diesem zufolge kann ich nicht umhin, auch ein ziemlich großes poetisches Werk, worauf ich seit anderthalb Jahren meine meiste Zeit verwendet, und wovon ich weiter nichts als dies voraus zu sagen habe, im Merkur abdrucken zu lassen. Weil aber dieses Gedicht, welches im Druck wenigstens 18 Bogen betragen wird, ohne die Leser vielleicht um
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den größten Theil des Vergnügens, den es ihnen machen könnte, zu bringen, nicht zerstückelt, und in sechs oder acht Monaten nach und nach herausgegeben werden kann: so bleibt mir, um es a u f e i n m a l g a n z zu geben, kein anderer Weg übrig, als das E r s t e Q u a r t a l des Merkurs vom künftigen Jahrgang 1780. völlig damit anzufüllen, und also, anstatt für J e n n e r , F e b r u a r und M ä r z 1780. (wie gewöhnlich) monatlich ein besonderes Stück zu liefern, g e g e n M i t t e , oder s p ä t e s t e n s g e g e n E n d e d e s M ä r z e n das e r s t e V i e r t e l j a h r a u f e i n m a l an die Abonenten versenden zu lassen. Ich habe sie also dessen hiemit voraus benachrichtigen wollen; und hoffe, daß diese Einrichtung, da sie durch die Natur der Sache nothwendig gemacht wird, ihnen nicht entgegen seyn werde. Wieland.
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Der Teutsche Merkur. December 1779.
Gedichte der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen z u S t o l l b e r g , herausgegeben von Heinr. Christian B o i e . Mit Kupfern. Jedermann wer den Werth von Früchten wahren Dichtergeistes zu schätzen weiß, und die Ehre fühlt, welche diese vortreflichen Brüder unsrer Nation und unserm Zeitalter machen, wird es dem Hrn. Herausgeber Dank wissen, diese Gedichte, wovon die meisten seit mehrern Jahren die Zierde so vieler Sammlungen gewesen sind, ausgehoben und vereinigt, und die Herren Verfasser auch zu Mittheilung derjenigen Stücke vermocht zu haben, welche anfangs nur für Freunde bestimmt waren, und gerade durch die besonderste Stimmung der Seele, wo sie entstanden, die lebendigere Energie und Wärme, wo-
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von sie der Ausguß sind, mit zu den vortreflichsten dieser Sammlung gehören, wie z. B. das Gedicht H e l l e b e c k , die E l e g i e vom Graf F r . L e o p o l d an seinen Bruder, der s i e b e n t e N o v e m b e r an ebendenselben u. s. w. Auch die Verschiedenheit in dem Dichtercharakter dieser edeln Brüder, trägt nicht wenig dazu bey, diese Sammlung desto interessanter und zur einzigen in ihrer Art zu machen. Die Gedichte des ältern unterscheiden sich als Kinder des sanften Gefühls, von jenen des feurigern Genius, welchem die Stücke höherer Art, die Hymnen und Dithyramben zugehören, wo die Bilder der aufgebrachten Einbildungskraft wie im Titanenkrieg über einander herstürmen. Jene scheinen in glücklicher Stille der Seele, wie freywillige liebliche Blumen her-
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vorgesprossen, vom Geschmack gepflegt und ausgebildet; diese, oft unfreywillig, in dem ekstatischen Zustand entstanden, wo die Seele, des Musengottes voll, nicht eigene Gedanken in eigener Sprache, sondern höhere Eingebungen in der Sprache der Götter, hervorzuströmen scheint. Von jenem rühren auch die Übersetzungen aus Anakreon und Theokrit her, welche in jedem Leser von Geschmack den Wunsch erregen werden, diese beyde Griechen, die wahren Lieblinge und Priester der Grazien, von einem ihnen so verwandten Dichter, ganz in unsre Sprache übergetragen zu sehen. So verschieden indeß der poetische Charakter der beyden Brüder ist, so fühlt man doch in beyden Werken Etwas das man Familienähnlichkeit nennen möchte, und das was beyden gemein ist, und beyden alle Herzen gewinnen muß, ist das wärmste Gefühl für Natur, Freundschaft, und alles was je den edlern Menschen lieb und theuer
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gewesen ist, das aus allen ihren Gedichten athmet. — Die Lieder und Romanzen oder Balladen, nähern sich oft dem einfachsten, lieblichsten, klarsten Gesange; und es ist eben so angenehm als bewundernswerth, zu sehen, daß die Hymne auf die S o n n e und auf die E r d e , oder der Dithyrambe, die M e e r e , und das liebliche A b e n d l i e d e i n e s M ä d c h e n s den nehmlichen Verfasser haben — Unter den Stücken von jener Art sind vielleicht einige, wo der angefangne kühne Flug durch Zufälle unterbrochen wurde, und nachher nicht fortgesetzt werden konnte; aber dagegen auch Stücke der kühnsten Unternehmung, die bis ans Ende aufs glücklichste durchgesetzt sind. Alle aber, 10
ohne Ausnahme, zeugen von einer Imagination, die an den reinsten Quellen der Natur und der alten Dichter genährt ist. — Ausländern sollte es (meynte jemand) schwehr fallen von unsrer neuesten Mythologie einen Begriff zu geben, wo Sonne, Mond und Erde zu Göttinnen und Nymfen personificiert werden, in deren Schoos der Dichter ruht, indessen er wieder an den Urgeist, den Allliebenden, Allschaffenden, glaubt. Doch dies ists nicht eben was wir tadeln möchten; da die Personification oder Verwandlung aller Arten von Naturkräften in Geister und Poetische Wesen mit dem Glauben an den Urgeist und Allvater gar wohl in der Poetischen Mythologie bestehen kann. Hingegen ist nicht zu läugnen, daß manche Bilder bald zu groß und g i g a n t i s c h , bald
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wieder zu l u f t i g scheinen, um umfaßt und gezeichnet zu werden; und daß wir uns vermuthlich bald wieder zu dem gemeinen Maasstab von ohngefähr 6 Fuß, und zur gewöhnlichen menschlichen Gestalt werden entschließen müssen, außer welcher wohl zu Göttern, Heroen, und Personificationen aller Art kein Typus für Menschen vorhanden ist — wenn anders bestimmte Formen in der Imagination der Leser entstehen sollen.
¼Rezension: Merck und Wieland½ G e d i c h t e d e r B r ü d e r ¼…½ z u S t o l l b e r g
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H i r z e l an G l e i m über S u l z e r d e n We l t w e i s e n . Erste Abtheilung. Zürich und Winterthur, bey Füeßli und Heinr. Steiner u. Komp. in 8. S. 286. Eben da der lezte Bogen unsers lezten Monatstücks d. J. gesezt wird, erhalten wir diese ungemein interessante Schrift, durch welche ich einen meiner lebhaftesten Wünsche auf die angenehmste Art erfüllt und befriediget sehe. Zeit und Raum gestattet diesmal fast nichts weiter, als das Daseyn derselben anzuzeigen, und sie allen Liebhabern des Wahren und Guten aufs wärmste anzupreisen. Es ist angenehm und geziemt sich, das Leben eines so verdienstvollen, so vortreflichen Mannes, wie S u l z e r war, von einem seiner Freunde beschrieben zu sehen, der in so vielerley Betrachtung dazu berufen und qua-
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lifiziert ist; von einem Manne, der, in seinem eignen edeln Wirkungskreise, als Mensch, als Hausvater, als Arzt, als republikanischer Staatsmann, als Gelehrter und als Schriftsteller, selbst unter die Besten seines Volks und seiner Zeit gehört. Herr D. und Rathsherr H i r z e l in Zürich, der uns schon vor vielen Jahren im Leben und Charakter des durch ihn so berühmt gewordenen K l e i n - J o g g s , einen S o k r a t i s c h e n B a u e r n , und erst kürzlich in seinem dem Andenken des Zürchischen Bürgermeister H a n s C o n r a d H e i d e g g e r aufgerichteten Denkmal einen p h i l o s o p h i s c h e n S t a a t s m a n n (in eben dem Sinne des Worts, wie Klein-Jogg ein philosophischer Bauer ist) dargestellt hat, beschenkt uns hier mit einer Abschilderung S u l z e r s d e s We l t w e i -
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s e n ; und mehr brauch ich wohl nicht zu sagen, um alle Edeln und Guten der Nation auf dies Buch aufmerksam zu machen, das mit der dem Hrn. H . eignen Klarheit des Geistes und Wärme des Herzens geschrieben ist, und worinn uns nicht nur gezeigt wird was Sulzer w a r und g e t h a n hat, sondern w i e er das w u r d e was er war, w i e er fähig wurde zu thun, was er gethan hat, und wieviel das w e r t h ist, was er zur Erweiterung des Reichs nützlicher Wissenschaften, zur wahren Aufklärung und Besserung seiner Zeitgenossen gewürkt hat. Dies letztere leistet der V. besonders durch ungemein wohl verfaßte Auszüge aus den wichtigsten Schriften des seligen Sulzers, welche vielen Lesern, besonders jungen Studirenden, Lust und Anleitung geben können, jene Schriften selbst, und mit desto größerm Nutzen, sich eigen zu machen. Auch die in Sulzers Leben überall eingeflochtne Nachrichten und Anekdoten zur Ge-
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schichte der Litteratur und des Geschmacks unsrer Nation in den leztverfloßnen v i e r z i g J a h r e n (in einem Zusammenhang, wodurch vielen, die erst in der zwooten Hälfte dieses Zeitraums in die Welt zu gucken angefangen haben, ein nöthiges Licht aufgehen kann) trägt vieles bey, diese Schrift des Hrn. H. um so interessanter zu machen, da diese Nachrichten aus lauter ächten Quellen, aus einer genauen persönlichen Verbindung mit dem seligen Sulzer, und gröstentheils aus dessen mit B o d m e r n — einem Mann, der uns nun in seinem 80sten Jahr nachgerade merkwürdig zu werden anfängt, nachdem die Nation die nüzlichen Einflüsse und Wirkungen seiner so mannichfaltigen Ver10
dienste 50 Jahre lang unerkannt genossen hat — gepflogenem vieljährigen vertrauten Briefwechsel hergeflossen sind. — Doch ich behalte mir auf eines der Monatstücke des künftigen Jahrgangs vor, wieder zu diesem merkwürdigen Buche zurückzukommen, dessen baldiger Fortsetzung alle Leser desselben mit mir begierig entgegen sehen werden. W.
¼Rezension½ H i r z e l a n G l e i m ü b e r S u l z e r d e n We l t w e i s e n
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¼Incerta½
Herr S c h u m m e l , Conventual des Klosters Lieben Frauen in M a g d e b u r g , kündigt in einem Av e r t i s s e m e n t vom 17ten Jenner des itztlauffenden Jahres dem Publikum einen zum L e s e b u c h f ü r A n f ä n g e r i n d e r F r a n z ö s i s c h e n S p r a c h e bestimmten Auszug aus G a l l a n d’ s A r a b i s c h e n E r z ä h l u n g e n , die unter dem Nahmen der Mille et une Nuit bekannt sind, an. Herr S c h . beklagt sich mit bestem Recht über den Mangel eines solchen Französischen Lesebuchs, zum Gebrauch beym Schul-Unterricht, das „so recht eigentlich und ganz für K i n d e r wäre, das sie mit recht heißhungriger Begierde verschlängen, und wobey ihnen Mund, Augen und Ohren offenstän10
den“ — welches doch (wie Er sehr wohl bemerkt) nöthig ist, wenn Kinder zu einer ihnen noch fremden Sprache Lust bekommen sollen. „Vergebens (fährt er fort) hatte ich lange nach einem Lesebuch dieser Art gesucht als ich bey Gelegenheit des W i n t e r m ä h r c h e n s im Teutsch. Merkur einmal die Französischen Mille et une Nuit nachschlug, um zu sehen wieviel oder wenig der Verfasser draus genutzt hätte. Dies brachte mich weiter auf den Einfall, das Mährchen, so weit es sich thun ließe, meinen Kleinen in der Französischen Stunde vorzulesen. Ich that es, und die Würkung fiel ü b e r a l l e m e i n e E r w a r t u n g * ) aus. Alle, soviel ihrer waren, kleine und große, träge und feurige vereinigten sich in Einem Puncte: Alles war Ohr, alles horchte begierig den
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Wundern entgegen, die da kommen sollten. Selbst die schwächsten Anfänger erriethen izt aus dem bloßen Zusammenhang die fremdsten Worte, und wenn sie zum zweytenmal wiederkamen, hatten sie sie ins Gedächtnis gefaßt. Weil nun das Mährchen zu Ende war, wollt’ ich wieder abbrechen und zu dem gewöhnlichen Lesebuch zurückkehren; aber daran war nicht zu gedenken. Die ganze Classe ließ mir keine Ruhe, bis ich die Ta u s e n d u n d e i n e N a c h t wiederbrachte. Das aber w a r f ü r m i c h k e i n e g e r i n g e P l a g e . Oft las ich ein u n g e h e u e r l a n g e s Mährchen vorher durch, und am Ende konnt ich’s gar nicht gebrauchen, weil es an irgend einer Stelle den guten Sitten und der kindischen Unschuld anstößig war, die mir heiliger ist als die größten dich-
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Wunderbar! Wie Hr. S c h . was anders erwarten konnte? — Aber uns gefällt wenigstens die
Naivetät, womit er seinen casum erzählt.
¼Rezension: Schummel½ R e c u e i l d e p l u s j o l i e s C o n t e s
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terischen Schönheiten. Um nun diese Quaal mit eines loszuwerden, beschloß ich ein ganzes Exemplar der Mille et une Nuit aufzuopfern; ackerte alle 12 Bände von Anfang bis zu Ende mehr als einmal durch, strich die ganze Einleitung, alle die 1001 Intermezzos der Sheherazade und Dinarzade, ganze lange Mährchen und einzelne Stellen ohne Ende aus, k ü r z t e d e n l a n g w e i l i g e n a s i a t i s c h e n S t y l ab, setzte hier und da an den Rand kleine Anmerkungen und Erklärungen: kurz, preßte 9 bis 10 Alphabet in 30 Bogen zusammen, und hoffe nun ein Lesebuch zu Stande gebracht zu haben, das in aller Absicht für Anfänger gerecht ist.“ Dieses Lesebuch kündigt Hr. C o n v e n t u a l S c h u m m e l dem Publico,
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und besonders seinen Brüdern und Schwestern im Schulwesen unter dem Titel: Recueil des plus jolis Contes, tire´s des Mille et une Nuit a u f P r ä n u m e r a t i o n an. Der P r e i ß ist E i n G u l d e n , oder 1 6 G r . C o n v e n t i o n s G e l d . Der Vorschuß soll spätestens bis zur Ostermesse 1778 an Herrn S c h u m m e l selbsten eingesandt werden. Dagegen verspricht derselbe, das Werklein i m S e p t e m b e r dieses Jahres ohnfehlbar dahin, wohin es bestellt werden wird, zu liefern. Diejenigen welche, zu Förderung der Sache, Pränumerationen sammeln wollen, bekommen das z e h n t e Exemplar frey: und wenn das Buch das Glück haben sollte, i n S c h u l e n eingeführt zu werden: so will Hr. S c h . zu jeden 9 Exemplaren, ein Zehntes für einen armen und lehr-
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begierigen Knaben zum Geschenk beylegen. Wir können nicht umhin, diesem Vorhaben des Hr. S c h . soweit als es, ohne die Art und Weise der Ausführung vor Augen zu haben, möglich ist, unsern ganzen Beyfall zu geben, und sowohl Eltern als öffentliche und PrivatSchul-Lehrer und Lehrerinnen aufzumuntern, dieses neue Lesebuch überall zu empfehlen, und Gebrauch davon zu machen. Wir finden, daß Hr. S c h . in seiner Wahl auf kein schicklicheres Buch hätte verfallen können, als auf die Mille et une Nuit: ein Buch, das weit mehr wahren Werth in sich hat, als man sich gemeiniglich vorstellt, und wovon Hr. S c h . noch viel Gutes hätte sagen können, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen. Es ist i n j e d e r B e t r a c h t u n g das l e h r r e i c h s t e , u n s c h ä d l i c h s t e und a n z i e h e n d s t e Lesebuch für Kinder, das wir kennen. Der Einwurf, der Ve r s t a n d der Kinder möchte durch das ( s o g e n a n n t e ) Unnatürliche in dergleichen Mährchen v e r d e r b t werden, verdient allerdings gar kein Gehör. Hr. S c h . giebt mit Recht dagegen zu bedenken: „Die Kinder haben nun einmal ihre Mähr-
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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chenzeit, die man ihnen j a lassen sollte, weil es die glücklichste Zeit im ganzen Leben ist; diese Zeit vergehe mit den Jahren von selbst; gerade die klügsten Kinder ergötzten sich am meisten an guten Mährchen, u. s. w.“ W i r setzen hinzu: die Mährchenzeit daurt für a l l e Menschen, nur sehr wenige (a ` leur Dam) ausgenommen, ihr Lebenlang, und gerade die Klügsten unter uns alten Kinder ergötzen sich am meisten an gescheidten Mährchen u. s. w. Hr. S c h . ist allzugefällig gegen die m o r o s e n Leute die nicht Verstand genug haben den Werth eines Mährchens, und den Unterschied zwischen Mährchen und Mährchen einzusehen, wenn er sagt: „welches Kind so einfältig seyn wer10
de, zu glauben, die Geschichten in Tausend und einer Nacht seyen w ü r k l i c h e Geschichten und können sich jemals auf Erden zugetragen haben?“ — Dies kann sich allenfalls blos auf das Wunderbare, Übernatürliche und Übertriebene darinn beziehen; allein das ist gerade das Wenigste darinn. Was die Arabischen und auch die P e r s i s c h e n Mährchen (Les Mille et un Jour) vorzüglich empfiehlt, ist die wahre Abschilderung der menschlichen Natur überhaupt, und insonderheit der morgenländischen Sinnes- und Landesart, Sitten und Gebräuche; ist, die naive und lebhafte Art der Erzählung, wodurch die Kinder lauter bestimmte, anschauliche, lebendige und zusammenhängende Vorstellungen von den Sachen bekommen. Wir kennen kein besseres Mittel
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gerade d e n Ve r s t a n d d e r K i n d e r z u b i l d e n als durch Erzählungen von diesem Schlag; und wo haben wir solche, die in diesem Stücke den A r a b i s c h e n an die Seite gesetzt zu werden verdienten? — Aus dieser Betrachtung haben wir sehr ungern gelesen, daß Hr. S c h . den ( v o r g e b l i c h e n ) l a n g w e i l i g e n a s i a t i s c h e n S t y l dieser Mährchen a b k ü r z e n will. — Langweilig? We m ? Wohl schwerlich s e i n e n K i n d e r n ? Wenn E r das U m s t ä n d l i c h e in der Art der Erzählung (wodurch gerade den Kindern die Personen und Begebenheiten so ganz anschaulich vordramatisiert werden, und, w i e das alles sich zugetragen, so äusserst klar und faßlich wird) langweilig findet: so mag das wohl aus eben dem Grunde seyn, warum die Wür-
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kung des Mährchens vom G e n i e u n d d e m F i s c h e r auf seine Kinder ü b e r a l l e s e i n e E r w a r t u n g ausfiel. Ich besorge, wir Ä l t e r n sind manchmal die Kinder, und wir thäten wohl wenn wir an unsern Kleinen lernten was menschlich Natur und Wesen ist. Ist nicht die U m s t ä n d l i c h k e i t , die in den Arabischen Erzählungen herrscht, gerade das was am H o m e r so hoch gepriesen wird? — und was freylich L a M o t t e , Te r r a s s o n und andre große
¼Rezension: Schummel½ R e c u e i l d e p l u s j o l i e s C o n t e s
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Beaux-Esprits, Mathematiker, u. s. w. ebenfalls sehr l a n g w e i l i g an ihm fanden. (Confer. die Gedanken über den Mangel des E p i s c h e n Geistes etc.) Diese Umständlichkeit ists eben, was ihm, und seinen Brüdern, den asiatischen Dichtern, mehr Wa h r h e i t giebt als in Zehentausend hochgelahrten ernsthaften Dickwanstigen Büchern zu finden ist; ists eben, was das Wunderbare einwickelt und angenehm macht, das an sich allein nur ein dummes Erstaunen hervorbringen und in die Länge unerträglich seyn würde: kurz, was die T ä u s c h u n g hervorbringt, worinn eigentlich der ganze Spaß liegt, und der sich nicht nur Kinder, sondern selbst die gescheidesten Leute so gern überlassen; und die z. E. b e y d e m M ä h r c h e n v o n A l a d d i n u n d s e i n e r
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L a m p e (das dem Hn. S c h . so wohl zu gefallen scheint) und bey zwanzig andern auf einmal verschwinden würde, sobald man’s ins kurze zusammenzöge. Wir wünschten daher, daß Hr. S c h . anstatt die Mährchen, die Er in seinem Recueil zu liefern gedenkt, abzukürzen, sie lieber so lassen wollte wie sie sind, und uns dafür, anstatt Eines einzigen, lieber in der Folge noch einen Band lieferte; welches, außer dem angeführten Grunde, auch von darum bey allen Vernünftigen Beyfall finden würde, weil die Mille et une Nuit in Absicht der S c h ö n h e i t u n d R e i n h e i t d e r F r a n z ö s i s c h e n S p r a c h e ein wahres Claßisches Buch, und in dieser Rücksicht beynahe allen neuern Litterarischen Produkten dieser Nation, zumal z u m S c h u l g e b r a u c h , vorzuziehen sind. Hier in Weimar nimmt H e r r R a t h B e r t u c h Pränumeration auf dieses Lesebuch an.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Ende Februar 1778)
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Erinnerungen aus dem Leben des Grafen Johann Hartwig Ernst v o n B e r n s t o r f . Leipzig bey Weidmanns Erben und Reich, 1777. Herr Regierungs- und Justitzrath S t ü r z , der ehmals als Legationsrath lange unter dem seel. Grafen B e r n s t o r f in dem Departement der auswärtigen Geschäfte gearbeitet hat, und einer seiner Hausgenossen gewesen ist, unterzeichnet sich als der V. dieses Aufsatzes. Die Schreibart dieser Erinnerungen ist edel und geschmückt, voll wahrer philosophischer Bemerkung. B e r n s t o r f wird gegen viele Einwürfe vertheydigt, und das Chor seiner Tugenden gemustert. Indessen wäre auch hier zu wünschen, daß man, statt der 10
Blumen der Deklamation, mehr e i g n e i n d i v i d u e l l e Z ü g e , und A n e k d o t e n erblickte, wie z. B. die von s e i n e m B e t r a g e n b e y E m p f a n g s e i ner Erlassung.
¼Rezension: Sturz½ E r i n n e r u n g e n
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A u s z u g a u s E d u a r d B l o n d h e i m s g e h e i m e n Ta g e b u c h e . Ein Beytrag zur Geschichte von Genie und Charakter. Leipzig in der Dykischen Buchhandlung. Ein Student hat des jungen We r t h e r s Leiden gelesen, und glaubt nun ein Gleiches zu thun, wenn er auch in abgesetzten Datis an irgend einen Wilhelm die Geschichte seines Herzens schriebe, und dann, wenn das eigne Zeug nicht weiter halten wollte, ein großes Stück O ß i a n einflickte. Er sagt von sich p. 17. Den 9ten Junii „Ich bin so voll von K l o p s t o c k s Ideen, daß ich eifriger, als jemals, über 10
mein Heldengedicht her bin; aber der Gesang den ich fertig habe, ist mir so hölzern, so steif, so leer gegen K l o p s t o c k , daß ich ihn gern wegwerfe, und noch einmal arbeite; vielleicht bring ich etwas dem K l o p s t o c k ähnliches heraus.“ Derselbe Heldendichter stiehlt nachher bey Gelegenheit seinem trunknen Kameraden die Börse und diamantne Repetiruhr, alles nur — um die Folgen des Lasters, und das Schröcken der Gewissensbisse zu schildern. — Was ist am Ende von unsern Zeiten zu halten, wo solche Autoren Verleger finden?
¼Rezension: Hase½ A u s z u g a u s ¼…½ B l o n d h e i m s g e h e i m e n Ta g e b u c h e
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Vo r l e s u n g e n ü b e r M a h l e r e y , K u p f e r s t e c h e r k u n s t , B i l d h a u e r k u n s t , S t e i n s c h n e i d e k u n s t , und Ta n z k u n s t , von Hrn. Professor S c h u b a r t . Herausgegeben von einem seiner ehmaligen Zuhörer. Münster bey Perrenon, 1777. Drey Bogen sehr weitläuftig gedruckt, und mit sehr kahlen, schiefen Ideen über alle Künste insgesamt angefüllt. Wäre Hr. S . auch nur in dem äussersten Vorhof ihres Tempels eingeweiht gewesen, so müßte ihm doch etwas mehr entfallen seyn, als hier dieser Knabe in seiner Schürze aufgerafft hat. Diese Ideen sind noch Überreste der Klozischen Kunstkrankheit, die sich vor ohn10
gefähr 8 Jahren über halb Teutschland verbreitet hatte; und, wie alle solche Epidemien, nun wieder durch andre verdrungen wird.
¼Rezension: Schubart½ Vo r l e s u n g e n ü b e r M a h l e r e y
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Ü b e r d e n G e n i u s d e s S o k r a t e s . Auch eine philosophische Untersuchung. Frankfurt und Leipzig, 1777. in der Felseckerischen Buchhandlung. So wie man von einer Persona miserabilis sagt: Es ist doch auch ein Mensch: so ist auch dieß eine philosophische Untersuchung. Keine der gewöhnlichen Evangelisten-Paraphrasen hat sich je an Gott und Menschen versündigt, wie dieser V. in der Paraphrase die er dem Sokrates in Mund legt. Ein bischen Griechisch, ohne Übersetzung, in den Noten, dient zur Dekoration des Ganzen.
¼Rezension: König½ Ü b e r d e n G e n i u s d e s S o k r a t e s
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M i n e r v a , e r s t e s O p f e r . Halle, 1778. Unter diesem vielversprechenden Titel will ein junger Pursche seine poetische und prosaische Kruditäten, worunter sogar in den Noten etwas griechische A b c schützen-Kunde mit unterfließt, gern unter die Leute bringen — hoft Beyträge, die an den Verleger eingesendet werden sollen u. s. w. Von der poetischen Einheit sey nur dieß eine Probe — In dem G e d i c h t e a n M i n e r v a ist der Anfang: Nicht Euch Neunen! Nicht Apollens Heiligthum: Dir Minerva! sey dies frohe Lied geweiht. 10
Sieh herab! u. s. w.
Und der Schluß ist folgender: Nur in dir, Jehovah, ist der Grund zu finden, Urquell aller Kenntniß, Einsicht, Wissenschaft!
Weder von poetischer Geisterseherey, noch von poetischer Sprache, auch nur A b c - Sprache, noch von Sylbenmaas ist kein Fünkchen irgendwo zu spüren, sondern durchgehends abgeschmackter Gernwitz, Zwang und Drang und Ohnmacht. Der V. nennt dieses Pröbgen nur eine L i b a t i o n , wofür er 8 Groschen vom Publiko Remuneration verlangt, und bemerkt dabey weißlich, daß es keine Hekatombe sey, wofür uns auch der Himmel künftig bewahren wolle!
¼Rezension: Brumbey½ M i n e r v a , e r s t e s O p f e r
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Fragmente aus der Geschichte eines liebenden Jünglings. Für E m p f i n d s a m e . Halle, 1778. bey Hendel. Durch dieß Wasser der Empfindsamkeit ist nicht durchzuwaten, ein zeitiger Rezensente mag sich auch noch so gut dazu gerüstet haben. S e l i g e Tage mit h e r r l i c h e n M ä d g e n werden in u n a u s s p r e c h l i c h e r Wo n n e d a h i n g e w e i n t , daß es noch betrübter dabey zugeht, als bey der K l o s t e r g e s c h i c h t e . So findet jeder Topf seinen Deckel, jeder Schriftsteller seinen Nachahmer. Doch dieser Hr. V. ahmt drum auch mit unter große Leute nach; so ist die Ouvertüre in der Vorrede in Soi-disant Goethischem Geschmack, 10
und auf dem Titel steht statt für Liebende: F ü r E m p f i n d s a m e . Was wollen wir weiter? — Nur von der Schreibart ein Wörtgen Beschreibung einer Trennung in Prosa: — „ D i e S t u n d e n f l o h e n — u n d s c h n e l l s t a n d s i e d a — mit a l l e n i h r e n S c h r e c k n i s s e n u m g e b e n — d i e S t u n d e d e r Tr e n nung. — Carolinens Auge in ihrer ganzen fürchterlichen Gestalt sichtbar — aber in Gustavs geblendetem Blick — eine Linderung b r i n g e n d e r E n g e l . “ — Der V. ist ein leibhaftiger Dragoner: In dem Stückchen M i n e r v a betitelt, dient er zu Prose, wo es zu Verse gehen sollte; und hier zu Verse, wo es zu Prose gelten soll.
¼Rezension: Brumbey½ F r a g m e n t e a u s d e r G e s c h i c h t e
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A n s e l m u s R a b i o s u s R e i s e d u r c h O b e r t e u t s c h l a n d . Salzburg und Leipzig. 1778. Der V. hat sich durch ein Motto einer Wiener Wochenschrift sein Prognosticon selbst gestellt: O f t s a g t e i n l e i c h t s i n n i g e r S c r i b e n t a u c h e t w a s w a h r e s . Der V. sagt viel Wahres, und sagts oft sehr gut. Über die Flekken und Mängel der Schrift werden sich Sachkundige eben so bald ohne unsre Hülfe zurecht zu finden wissen, als über die Flecken und Mängel der Länder, die der V. aufdeckt, oder aufzudecken glaubte. Von der Fürtrefflichkeit der Staatsverwaltung der Österreichischen Lande, und der weisen Regierung des 10
Markgrafen von Baaden konnte nicht Gutes genug gesagt werden: so wie nicht Übels genug von der Litteratur und Theatersucht gewisser Gegenden.
¼Rezension: Wekhrlin½ A n s e l m u s R a b i o s u s R e i s e
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A l m a n a c h d e r t e u t s c h e n M u s e n auf das Jahr 1778. Leipzig in der Weygandischen Buchhandlung. Voran steht das Bildniß des Hrn. Prof. Eschenburg. Die Poetische Notitz ist das Beste in dieser Unternehmung, weil sie uns von dem Daseyn einer Menge Litterarischer Moose, Flechten, Würmer und Sommervögel Nachricht giebt, auf die nicht jedermann so genau Acht hat, als der Sammler derselben. Es ist wenigstens alles in ein Bündlein gebunden, und kann am Ende des Jahrs losgesprochen oder ins Feuer geworfen werden. Der Ton der Kritik säubert sich von Jahr zu Jahre mehr, und das Heterogene prä10
cipitirt sich. Unter den Gedichten sind einige recht artige. Zu verwundern ist es auch nicht; denn es sind unter der Anzahl längst berühmte Namen. Vor allen aber ragt G l e i m s Abdu Bedulla hervor, das im Geschmack des Halladat geschrieben ist.
¼Rezension½ A l m a n a c h d e r t e u t s c h e n M u s e n
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L e b e n s l ä u f e n a c h a u f s t e i g e n d e r L i n i e . B e r l i n b e y Vo ß m i t 5 f ü r treflichen Chodowiekischen Kupfern. Der V. dieses Romans scheint uns ein wahrer Abkömmling Yoriks und ein leibhaftiger Vetter von Freund Asmus zu seyn. Da er nach Genieweise einmal allen Recensenten, weß Alters und Würde sie auch seyn mögen, cavalierement begegnet, und glaubt: ein Mensch müsse wenig bedeuten, der sein Privaturtheil gedruckt ins Publikum werfe; so ließe sichs hier weidlich wett machen, wenn wir gekommen wären die B l ö ß e des Landes zu beschauen. Bey einem so vorzüglichen Talent, wie dieses, wär es aber Sünde zu rechten, wie 10
und warum dieß oder jenes hätte anders seyn können. Das Werk ist ganz im Tristramschen Geschmack, d. h. immer ist für die Unterhaltung des Lesers gesorgt, und alles der lebenden Conversation nahe gebracht. So wie man nun in der Conversation auch nicht alle Worte zählt, wie in einem Proceß oder Codicill, so muß man auch nicht hier fragen, warum dieß oder jenes so lang oder so kurz ist. Genug unter dem Anschein von Radotage sind die herrlichsten Wahrheiten gesagt; die feinsten Züge der Natur im Vorbeygehn abgestohlen; eine Zusammenstellung von Verhältnissen gewagt, die gewiß nicht gemein ist. Der Schandismus der Personagen ist auf Curischem Boden gewachsen, und wird beynahe immer aus einer unversiegbaren Quelle ge-
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schöpft. Die Anmerkungen des Vaters und die Instruction der Mutter sind unverbesserlich; nur wünschten wir, daß das Yorikische burleske Colorit den biblischen Sprüchwörtern nicht zuoft angestrichen würde. Auch sind einige Scenen, die offenbar verunglückt sind, ganz aus der Imagination und dem Ideal herausgehauen; so wie wir in den Societäts-Stücken etwas mehr Bindung und Treue in den Übergängen der Conversation wünschten. Yorik hat hierinn eine Correktheit, die man nicht eher fühlt, als bis man sieht, wie wenig sie auch von denen, die ihm nacheifern, erkannt wird.
¼Rezension: Hippel½ L e b e n s l ä u f e n a c h a u f s t e i g e n d e r L i n i e
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Anekdote. „ C a y e t , Unterhofmeister von H e i n r i c h d e m V i e r t e n , erzählt: Als Johanna von A l b r e t im Begriffe gewesen, ihrem Gemahl in den Pikardischen Krieg zu folgen, habe der König ihr Vater zu ihr gesagt: Wenn sie schwanger würde, sollte sie die Frucht, die sie in ihrem Leibe trüge, zu ihm bringen, um in seinem Hause zu gebähren; er selber wollte das Kind auferziehen laßen, es mögte Sohn oder Tochter seyn. … Diese Prinzeßinn habe sich im neunten Monat ihrer Schwangerschaft von C o m p i e g n e wegbegeben, sey durch ganz Frankreich gereist bis zu den Pirenäen, und nach vierzehn Tagen zu P a u , im 10
Be´arnischen, angekommen. … Sie war neugierig, fügt dieser Geschichtschreiber hinzu, das Testament ihres Vaters zu sehen. Es war in einer großen goldnen Kapsel, woran noch eine goldne Kette war, die man fünf und zwanzig oder dreyßig mal um den Hals gewunden hätte. Sie bat ihn um die Kette. Sie ist dein, sagt’ er, sobald du mir dein Kind wirst gezeigt haben; und auf daß du mir nicht ein Greinding oder einen Murrkopf zur Welt bringst, so versprech’ ich dir alles zusammen, wenn du nur während der Geburt ein Be´arnisches Lied singst; denn ich will dabey seyn. … Zwischen Mitternacht und ein Uhr, den 13ten December 1553, fiengen der Prinzeßin ihre Wehen an; ihr Vater wurde benachrichtigt und kam herunter. Als sie ihn kommen hörte, sang sie das
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Be´arnische Lied, welches anhebt: H e i l’ g e J u n g f r a u a m E n d e d e r B r ü k k e ! S t e h m i r b e y z u d i e s e r S t u n d * ) —. Da sie entbunden war, hieng der Vater ihr die goldne Kette um den Hals, und gab ihr die goldne Kapsel, worinn sein Testament war, und sagte: das ist dein, meine Tochter; aber dieß ist mein, indem er das Kind in seinen weiten Schlafrock nahm, und, ohne zu warten bis man es zurecht gemacht, es in seine Kammer trug. … Der kleine Prinz wurde so genährt und aufgezogen, daß man ihn zu Arbeit und Beschwerden tüchtig machte. Oft bekam er nur grobes Brod zu eßen. Der gute König, sein Großvater, befahl es also; denn er wollte nicht, daß der Enkel gehätschelt und verleckert würde, sondern daß er von Jugend auf sich in Noth schicken lernte.
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*)
Notre-Dame du bout du pont, aidez moi en cette heure.
A n e k d o t e ¼„Cayet, Unterhofmeister …“½
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Oft hat man ihn, nach der Sitte des Landes, unter den andern Kindern aus dem Schloß und Dorfe Coirazze, barfuß mit blossem Kopfe gesehen, im Winter sowohl als im Sommer. … Und wer war dieser Prinz? H e i n r i c h d e r V i e r te !“*) Der Mann war es, der, so groß durch sein Herz, und oft durch die Reitzbarkeit seiner Sinne so schwach, so eisenfest in Gefahren, und so gutmüthig gegen Freund und Feind, im Leben S ü l l y zum Vertrauten, im Tode Vo l t a i r e zum Sänger hatte; den bis auf den heutigen Tag sein Volk zärtlicher liebt als Einen seiner Vorgänger und Nachfolger; und welchen diese Liebe vergöttert. Eine Probe solcher Vergötterung legten die Franzosen noch im vorigen Jahr
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ab. „Es wird nemlich in der Hauptstadt der Provinz B e´ a r n die Wiege von Heinrich dem Vierten wie eine Kostbarkeit aufbewahrt, und auf dem Schloße mit der größten Sorgfalt bewacht. Man bat um Vergünstigung, sie zur Ausschmückung eines Festes zu gebrauchen, welches der Wohlthätigkeit eines der Abkömmlinge dieses guten Fürsten gefeyert wurde, und der Befehlshaber hielt es für billig die Bitte zu gewähren. Er ließ die Wiege in die Stadt bringen, nachdem verschiedne angesehene Bürger sich dazu verstanden hatten, daß sie bis zur Wiedergabe als Geißeln zurückblieben. Man trug sie, mit Blumenketten geziert, im Triumph durch die Gaßen, beym Getöse der Canonen, der Kriegsinstrumente, und beym Klang einer melodiereichen Symphonie. Unter
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den Zuschauern herrschte ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen, wie bey einer gottesdienstlichen Proceßion. Kein Bürger, der nicht den Hut abnahm! Viele warfen sich auf die Knie. Man setzte sie nieder unter einem Gewinde von Lorbeern, das gleich einem Triumphbogen sie bedeckte, über einer gewölbten Pforte, am Eingang in der Stadt, wo die königlichen Commissarien durch mußten. An diese geschah hier die Anrede, und sie stiegen ab, um das kostbare Denkmal näher zu betrachten.“ **) So neigten sich die B e´ a r n e r vor der Wiege, worinn jener große Geist seine Kinderträume begann, worinn er der milden Vaterpflege genoß, die er als König an seinen Unterthanen zu vergelten schien.
*)
Essais historiques sur Paris de Mr. de Saintfoix. T. I.
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Anecdotes du Re´gne de Louis XVI. etc. Anne´e 1777.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Dezember 1778)
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Anekdote aus Frankreich von diesem Jahre. Herr P i v e r t , Pfarrer zu I v o i in S o l o g n e , meldet eine sonderbare Begebenheit, wovon er Zeuge gewesen, und deren Mittheilung dem Leser nicht unangenehm seyn wird. „Den 23sten May war mein Küster Morgens gegen vier Uhr in die Kirche gegangen, zum Angelus zu läuten; hatte die Thür’ offen, und Spuren von Einbruch gefunden, und sich nicht getraut hineinzugehen. Er kam mir es zu berichten, und sagte: die Kirche müsse bestohlen seyn. Ich lief in derselben Meynung hin, mit so mehrerem Grunde, da seit Kurzem andre Kirchen des 10
Cantons waren beraubt worden; auch sah’ ich ohne Verwunderung die Küsterbank zersplittert. Aber als ich hineintrat, und auf dem Boden ausgestreckt einen Mann bemerkte, in seinem noch rauchenden Blut; neben ihm zur Einen Seite den heiligen Michael, halb zerbrochen, zur andern den Teufel, welcher die Zähne fletschte: so muß ich bekennen, ob ich gleich nicht furchtsam bin, daß mich dieser Anblick auf einige Minuten erschütterte. Als ich mich erhohlt hatte, wollt’ ich versuchen, ob ich die Ursache vom Tode des Räubers entdekken könnte. Ich sah, daß er die Hand auf einer Lanze liegen hatte, welche über der linken Brust hinein, und queer durch auf der andern Seite, ohngefähr zwey Zoll, herausgieng. Ich urtheilte gleich, daß es die Lanze wäre, mit der
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man den Heiligen bewaffnet hatte, um ihn streitend mit seinem Widersacher vorzustellen. Weil ich glaubte, sie wäre von Holz, und dazu sehr abgenutzt, so war ich im Begriff über Wunder zu schreyen, als mein Küster mir sagte: dies sey eine alte Hirschfänger-Klinge, die er von Hause mitgebracht habe, um die hölzerne zu ersetzen, welche in den Staub gefallen wär’, als er in den letzten Fasten die Heiligen zugedeckt. Meine Bestürzung hörte auf; denn ich bildete mir ein, daß der Fall des Erzengels samt dem Fußschemel durch die Gewalt veranlaßt worden, welche die Räuber angewendet, die Thüre der Sacristey zu eröfnen, über welcher der gute und der böse Engel ihre Stelle hatten, wo aber jene nicht hineinkamen. Vermuthlich fürchteten diejenigen, die zurückblie-
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ben, der Würgengel möchte sich mit Einem ihrer Cameraden nicht begnügen,
Anekdote aus Frankreich
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und suchten schnell ihre Rettung außer der Kirche. Ich ließ die Sturmglocke läuten, damit ein Theil meiner Pfarrkinder mit eigenen Augen diesen Vorfall sähe, der vielen ein Wunder scheint, und mit dem, so ausserordentlich er ist, es doch sehr natürlich zugieng.“
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang /Mitte Januar 1779)
Von Herrn B a u s e ist seit kurzem das Bildnis des P r i n z e n H e i n r i c h v o n P r e u s s e n , nach einem Gemählde von G r a f gestochen, ans Licht getreten, und bey dem Verfasser in Leipzig zu haben. Die Welt weis schon lange, daß Herr G r a f einer von den seltnen Bildnismahlern ist, die, ohne den bekannten Grundsatz des berühmten R e y n o l d s aus den Augen zu verliehren, sich des individuellen Charakters eines jeden Gesichts zu bemächtigen wissen, und dadurch, vorzugsweise, Mahler der Seele und des Geistes genannt zu werden verdienen. In diesem Bildniß scheinen beyde Künstler, von der Größe des Gegenstandes empor gehoben, das Sublime ihrer Kunst erreicht zu haben. 10
Das Verständnis, der Geschmack, die Freyheit und Gewißheit, welche den Herrn B a u s e bey diesem vortreflichen Blat die Hand geführt haben — die Stärcke, womit der Charakter des ganzen Gesichts, besonders der durchdringende Blick der Augen, und die Züge, die zugleich den Helden und den Menschenfreund ankündigen, ausgesprochen sind — die Grazie, die er über den mühsamsten Fleiß wie einen geistigen Schleyer geworfen hat, der nur das Mühsame verbirgt, und dem Ganzen eine Leichtigkeit und Sanftheit giebt, die der Reinheit der Ausführung und der Kraft des Ausdrucks nichts nehmen — alles dies macht dieses Bildnis zu einem Werke, das den Künstler seines bereits verdienten Platzes neben den größten Meistern seiner Kunst auf ewig versi-
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chert.
¼Nachricht zu Bause: Bildnis Heinrichs von Preußen½
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P h y s i o g n o m i s c h e R e i s e n , voran ein p h y s i o g n o m i s c h Ta g e b u c h , heftweise herausgegeben. 1 s t e r u n d 2 t e r H e f f t . Jean Jaques sagt: wir schreiben eigentlich nicht mehr Bücher, sondern wir geben heut zu Tage dem Publico les Reˆves de quelques mauvaises nuits zum Besten. Dies ist hier der Fall. Nichts weniger als physiognomische Reisen, sondern Radotage über Allerley, worüber der Verfasser beliebt zu radotiren, als da ist: Litteraturwesen, Moralitätwesen, Empfindung- und Empfindleywesen unsrer Zeit. Mitunter kommt er zum Schein immer auf sein Thema, Physiognomik, zurück, und sucht in das erste Kolorit wieder einzufallen, da10
mit der Titel doch nicht gar umsonst da stehe. Die Schreibart ist a ` la Schubart, und soll schnurricht seyn. Einzelne gute Stellen, und nicht übel ausgeführte Allegorien finden sich hier und da. Allein der Mann hat sich einmal zur Schnurre verpfändet, und die will er überall und durchaus bestehen; darüber geht er aber zu Grunde, und man kann ohnmöglich durch.
¼Rezension: Musäus½ P h y s i o g n o m i s c h e R e i s e n ¼1. und 2. Heft½
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Der Fieldingische Roman, To m J o n e s hat sich schon lange unter der unzählbaren Menge seiner ältern und jüngern Brüder so vortheilhaft ausgezeichnet, daß man sich eine sehr überflüssige Mühe machen würde, wenn man ihn jetzt erst dem Publikum empfehlen wollte. Darstellung des Menschen, wie er wirklich ist, nicht, wie ihn die Dichter zum Ideal verkünsteln, wahre und feine Lektionen über die Klugheit des menschlichen Lebens, Wiz und Laune von der ächtesten Art, und noch mehrere Vollkommenheiten sind die längst erkannten Vorzüge dieses Fieldingischen Meisterstücks. Man übersezt und ließt in Teutschland so viele mittelmäßige Romane, die 10
gegen den To m J o n e s , wie Äpfelmost gegen das beste rheinische Gewächs schmecken, und To m J o n e s ist doch bisher fast so viel als unübersezt geblieben — Denn die schon vor 29 Jahren in Hamburg herausgekommene Übersezung ist ihres Originals bey weitem nicht würdig. Man darf nur etliche Seiten lesen, und man wird sogleich wahrnehmen, wie viel von dem Fieldingischen Geiste weggedünstet ist, von der steifen und unbehülflichen Sprache gar nichts zu gedenken. Die J o h a n n G e o r g L o c h n e r i s c h e B u c h h a n d l u n g i n N ü r n b e r g hoft also nicht nur den Beyfall, sondern auch die Unterstüzung des teutschen Publikums zu erhalten, wenn sie eine ganz n e u e Ü b e r s e z u n g d e s To m
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J o n e s , die des Originals gewiß nicht unwürdig seyn soll, ankündigt. Ein Übersezer, welcher der englischen Sprache vollkommen kundig ist, und dem das Publikum schon unter unsern besten teutschen Schriftstellern und Dichtern einen ehrenvollen Plaz angewiesen hat — warum sollen wir ihn nicht nennen? — Herr Professor F r i e d r i c h S c h m i t , an der Ritter-Akademie zu Liegniz — kann unser Versprechen nicht anders als erfüllen — wo nicht übertreffen. Hier sind noch diejenigen Punkte, welche das Publikum wissen muß: ¼1. Der teutsche To m J o n e s soll in 4 Bänden in ordinair Oktav, auf gutes Schreibpapier mit schöner Schrift gedruckt erscheinen.
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2. Jeder Band wird mit einem Titelkupfer und mit einer Vignette, von C h o d o w i e k i gezeichnet, und von G e y s e r gestochen, geziert werden.
¼Anzeige von Schmits Übersetzung: Fielding½ To m J o n e s
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3. Man verlangt nichts als Subscription, und wird die Namen der Herren Subscribenten dem ersten Bande vorsetzen. 4. Ob sich gleich die Bogenzahl so genau noch nicht bestimmen läßt, jeder Band aber gewiß mehr als ein Alphabet ausmachen wird: so will man doch für die Subscribenten den mäßigen Preis von 4 Thalern, den Louisd’or zu 5 Thlr gerechnet, bestimmen. Nachher kostet das Exemplar 1 Louisd’or. 5. Der Subscriptions-Termin bleibt bis Michaelis 1779 offen; das ganze Werk aber soll bis Ostern 1780 erscheinen. 6. Wer 10 Exemplare sammelt, erhält das 11te frey. 7. Die Subscription übernehmen die jedes Orts bekannte Buchhandlungen und diejenigen Freunde, welche diese gedruckte Nachricht ausgeben werden. Nürnberg, den 8ten April 1779. J o h a n n G e o r g L o c h n e r i s c h e Buchhandlung.½
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang Juni 1779)
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Wo l d e m a r . E i n e S e l t e n h e i t a u s d e r N a t u r g e s c h i c h t e Erster Band. Flensburg und Leipzig in der Kortenschen Buchhandlung 1779. Diejenige Leser, welche im T. M. Allwills Papiere und Freundschaft und Liebe mit so vielem innigen Antheil aufgenommen haben, werden sich freuen, wenn wir ihnen sagen, daß nun aus diesen so schätzbaren Bruchstücken ein eignes Ganzes zusammengesetzt worden. Schade, daß man auch hier vom neuen bedauren muß, das Gebäude nicht vollkommen übersehen zu können, indem immer noch die folgenden Theile ermangeln. Der V. zeichnet uns, verglichen mit dem ärmlichen Zustand der uns umgebenden sittlichen Welt, lei10
der! wahre Seltenheiten aus der Naturgeschichte vor, und es wird auch unter sonst ganz klugen Leuten nicht an Richtern über diese Characktere fehlen, die die Sachen aus dem ungehörigen Gesichtspunkt betrachten. Dergleichen Menschen, wie S. 40, Woldemar gezeichnet wird, sind freylich nur wenige; aber wird das Bild dadurch unwahr? Die Situation S. 80. sind nur wenige Menschen zu ertragen fähig. Man wird hier wieder, wie bey der Physiognomik Lavaters, über diese Cotteriesprache von Tugenden seufzen; aber hört darum ein Cabinetsstück auf ein wahres Produckt der Natur zu seyn, weil man dergleichen Exemplare nicht überall auf der Landstraße auflesen kann? Aus dem Individuellen der Characktere scheint das Ganze ein Familienstück zu seyn,
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und mit dem eignen Geiste des Verfassers tingiert. Gerade aber dieß ist für jedes Kunstwerk der vortheilhafteste Gesichtspunkt; und so manches Buch erhöht dadurch seinen allgemeinen Werth, worauf das Gros des Publikums Anspruch machen kann, durch das reflectierte Vergnügen des feinern Lesers, der aus dem Werke den Meister aufspäht, und aus den einzelnen Zügen seiner aufgestellten Personen, die Triebfedern seiner eignen Seele, die Grösse seines Geistes, die Intensität seiner Kräfte und Talente zusammensetzt.
¼Rezension: Jacobi½ Wo l d e m a r
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P h y s i o g n o m i s c h e R e i s e n , 3 t e s H e f t . Altenburg in der Richterschen Buchhandlung 1779. Ohngeachtet der V. dieses Hefts, hier und da anzuzeigen scheint, daß sich der T. Merkur zuweilen sehr in seinen Beurtheilungen irre, so werden doch unsre Leser finden, daß es einige Ausnahmen von dieser Regel gebe, wie z. E. wenn wir mit Vergnügen anzeigen, daß das 3te Heft, der allgemeinen Regel zuwider, ungleich besser ausgefallen sey, als das erste, und daß der V. davon, als ein Mann von Witz, Laune und Combinationsgabe, allerdings das Recht habe sich an dem Lächerlichen der Nation zu üben, wes Standes und Würden 10
es sey.
¼Rezension: Musäus½ P h y s i o g n o m i s c h e R e i s e n ¼3. Heft½
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D i e We l t , e i n e Wo c h e n s c h r i f t v o n A d a m F i z - A d a m . E r s t e r B a n d . Altenburg, in der Richterschen Buchhandlung 1779. Wir haben nichts weiter zu sagen als noch: verteutscht von d e m Ü b e r s e z e r Tr i s t r a m s , des L a n d p r i e s t e r s u. s. w. Bey dem grossen Mangel an guten teutschen Lesebüchern war es ein wahrer Dienst für das teutsche Publikum, ihm diese Schrift genießbar zu machen, wo Laune, Weltkenntniß, Ironie, moralische Absicht, und das wahre Talent der Komposition in einem so vorzüglichen Grade überall sichtbar ist.
¼Rezension der Übersetzung Höltys oder Bodes: Fiz-Adam½ D i e We l t
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G i l B l a s v o n S a n t i l l a n a , n e u ü b e r s e z t . 1 — 4 t e r T h e i l . Bey Himburg in Berlin. 8vo auf feines Pappier, mit Kupfern von Chodowiecky. Der G i l B l a s wird schon lange für das Meisterstück des L e S a g e , und für einen der angenehmsten und lehrreichsten Romanen allgemein anerkannt. Er gehört weder in die l e i c h t f e r t i g e noch e m p f i n d e l n d e Klasse, und kann also, ohne Gefahr, auch Knaben und Jungfrauen in die Hände gerathen. Wenige verdienen den Namen eines S p i e g e l s d e s m e n s c h l i c h e n L e b e n s mit besserm Rechte. Der Plan ist, wiewohl ohne Verwicklung, doch nicht ohne Kunst; die Begebenheiten sind, ohne Hülfe des Wunderbaren, immer unter10
haltend, und unter der unendlichen Menge von Personen und Charakteren, die theils in die Hauptgeschichte verflochten sind, theils nur vorübergehen, ist Alles nach Natur und Leben geschildert, nichts aus der Luft gegriffen, nichts idealisiert, nichts verzerrt. Überall, auch wo es darum zu thun ist, das Lächerliche hervorspringen zu machen, sind doch die wahren Lineamenten der Natur beybehalten; und wiewohl fast durchaus in Le Sage’s Vorstellungsart und Styl ein Ton von muntrer Laune regiert, der seine Art zu erzehlen sehr piquant macht, so fällt er doch selten in den Fehler derjenigen, d i e s i c h z u r S c h n u r r e v e r p f ä n d e t h a b e n . Man kann ihn mit gleich viel Recht unter die moralischen, als unter die komischen oder satyrischen Romane rechnen;
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oder, richtiger zu reden, er ist, w i e a l l e k o m i s c h e n u n d s a t y r i s c h e n K o m p o s i t i o n e n , m o r a l i s c h ; denn wär’ er dies nicht, so wär er auch jener Namen nicht werth. Gil Blas war also allerdings einer bessern teutschen Übersetzung würdig, als diejenige, womit man sich bisher beholfen hatte. Der neue Übersetzer ist eben derjenige, der uns den K a n d i d e geliefert hat. Wer Französisch versteht, wird freylich solche Werke lieber im Original lesen: aber dem grössern Theil des lesenden Publikums, der sich mit seiner Muttersprache behilft, können wir diese Übersetzung, als eine Kopey empfehlen, die zwar nicht immer den guten Ton des Originals, aber doch viel von seiner Laune hat, und sich überhaupt ganz wohl lesen läßt. Vermuthlich würde sie noch besser
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gerathen seyn, wenn der Übersetzer sich ein für allemal den grossen Unterschied zwischen dem Spanischen Don Quixotte und dem Französischen Gil Blas deutlicher gedacht, und sich in Absicht des Ausdrucks und Tons lieber an
¼Rezension von Mylius’ Übersetzung: Lesage½ G i l B l a s v o n S a n t i l l a n a .
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sein Original gehalten, als den teutschen Don Quixotte hätte nachahmen wollen. Die Manchfaltigkeit des Styls, der immer dem S t a n d und C h a r a k t e r der redend eingeführten Personen anpaßt, ist überall, (zumal in einem komischen Werk) ein Verdienst; aber der Übersetzer hätte doch fühlen sollen, daß nicht alle pöbelhafte komische Ausdrücke, die im Munde des lustigen Bauren S a n c h o wohlklingen, sich just auch für die niedrigern Personen im Gil Blas schicken. Dergleichen sind z. B. — d a g i e n g s e r s t a u s d e m h o h e n F F . — e s w u r m t m i c h und eine Menge Redensarten dieses Schlags, die mit
der eleganten Sprache des Originals mächtig abstechen; besonders das dem teutschen Sancho Pansa abgeborgte W i e’ n D a v i d c h e n . Z. B. Ich k e n n e
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s i e w i e’ n D a v i d c h e n — e i n M a n n , d e r K o p f h a t , w i e’ n D a v i d c h e n und dergl. — Die heilige N i c h t r ü h r a n (Th. III. S. 19.) ist eine Heilige, die wohl kein Teutscher, der nicht Französisch versteht, kennen wird; da hingegen Sainte Nitouche in Frankreich jedermann bekannt ist, wiewohl sie auch nicht im Kalendario Romano glänzt. Und doch möchte die heilige N i c h t r ü h r a n immer noch eher hingehen als im Munde der A u r o r a das — s o s o l l H u s c h h u s c h d i e g a n z e P o s s e z u E n d e g e s p i e l t s e y n (je suis d’avis d e b r u s q u e r l’avanture) oder das zukrichte S c h ö n l i n c h e n , anstatt die s c h ö n e K a t a l i n a (S. 287. Th. IV.) — Daß der Übersetzer nach dem Beyspiel der Herren B o d e und B e r t u c h , auch veraltete Wörter und Provinzialred-
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arten wieder in Dienste nimmt, ist wohl nicht schlechtweg zu tadeln; wiewohl jene bey Tr i s t r a m und D o n Q u i x o t t Ursachen dazu hatten, die im Gil Blas nicht eben so gültig seyn möchten. Wenigstens ist nicht abzusehen, was Gil Blas oder die teutsche Sprache durch Aufnahme des p ö b e l h a f t - s c h w ä b i s c h e n Worts L u g e n gewinnen soll, welches das gemeine Volk in Schwaben für s c h a u e n gebraucht; zumal da das Original gar kein B e l u g e n fordert. Die Rede ist von einem Lichte, welches Don Rafael und seine Gesellschaft von ferne zwischen den Bäumen sehen. Lamela steigt auf einen Baum, um zu sehen, was es ist — et regarde avec toute l’attention que la chose lui paroit meriter, sagt L e S a g e : und b e l u g t e a l s d a n n die s i c h i h m d a r s t e l l e n d e n G e g e n s t ä n d e , w e i l s i e’ s i h m z u v e r d i e n e n s c h i e n e n , sagt der Übersetzer. Warum nicht lieber geradezu, wie sein Autor? und s c h a u t e (oder g u k t e , welches im Hochteutschen just so viel als L u g e n im Schwäbischen ist) m i t a l l e r A u f m e r k s a m k e i t , d i e i h m d i e S a c h e z u v e r d i e n e n s c h i e n . — Eben so wenig Glück möchte wohl das alte Wort H e e r -
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Anfang August 1779)
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g e r ä t h e (Th. III. S. 36.) für E q u i p a g e eines jungen Officiers machen; denn die Rede ist hier nicht von einem alten Ritter. In Gedichten, zumal in Epopeen oder Erzählungen romantischen Inhalts, können dergleichen veraltete Wörter zuweilen einen sehr schicklichen Platz finden, und sind dort keinem Leser von Geschmack anstößig: aber in einem Romane, der sehr moderne Begebenheiten und Sitten schildert, erwarten wir, die Sprache unsers eignen Zeitalters, der guten Gesellschaft und des gemeinen Lebens zu hören; und da klingt es dann gar seltsam in unsern Ohren, wenn wir z. Ex. das Französische: le Prince prit insensiblement tant de gout pour moi, que cela donna de l’om10
brage aux Courtisans travestiert hören: Der Fürst fand unvermerkt so viel B e h a g e n an mir, daß die H o f s c h r a n z e n b a n g t e n , ich möchte ihnen ganz den Rang ablauffen. (Th. III. S. 202.) — Warum der Übersetzer französische Worte o h n e N o t h beybehält, ist auch zu fragen. Te i n t heißt zu teutsch G e s i c h t s f a r b e , und eine französische Cousine ist wohl nicht m e h r Cousine, als eine teutsche B a s e oder M u h m e ? — Noch klingt es seltsam, daß er die Excellenz des Ministers D u c a v o n L e r m a in eine Durchlaucht verwandelt. Das weiß doch jeder Teutsche, oder soll es wenigstens wissen, daß die Spanischen, Französischen und Englischen adlichen Herzoge keinen so hohen Anspruch machen, und daß einem Duca, Duc oder Duke, der ein Minister ist,
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seines D u k a l i s c h e n P r ä d i k a t s ungeachtet, weder mehr noch weniger als die E x c e l l e n z gegeben wird, gerade so, wie einem Grafen, Baron, simplen Edelmann oder Nobilitierten, wenn er eine Würde bekleidet, womit der Titel E x c e l l e n z verbunden ist. — Dergleichen Dinge wären freylich noch viele zu rügen; es mag aber, zur Probe, an diesem genug seyn.
¼Rezension von Mylius’ Übersetzung: Lesage½ G i l B l a s v o n S a n t i l l a n a .
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Von Herrn K r a u s zu Weimar sind uns sechs neue Blätter zu Gesichte gekommen, von ihm selbst gezeichnet, und radiert. 1) Eine Aussicht bey Oberweimar. 2) Im Mühlthale bey Jena. 3) Jena selbst. 4) Ilmenau. 5) Jagdschloß zu Ettersburg. 6) Schloß Allstedt. Überall wird man mit Vergnügen die vollkommenste Perspektiv, und eine sehr kluge Behandlung des Helldunkeln wahrnehmen. Die Umrisse sind hier etwas schärfer gehalten, als in dem erstern Hefte, weil der meiste Theil der Herren Subscribenten in der ehmals mehr mahlerischen Behandlung etwas zu Wolliges und Unbestimmtes zu sehn glaubte. Für diese ist daher gesorgt 10
worden, und man muß diese Schärfe und zu genaue Bestimmtheit als eine Willfahrung ansehen, die dem allgemeinen Geschmack zu gute geschehen ist, und von dem tiefen Gefühl der Haltung sich aus den Handzeichnungen des V., die nun in so vielen Kabinettern von Europa zerstreut sind, des nähern unterrichten lassen.
¼Anzeige von Kraus: Sechs Ansichten½
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Unmaasgebliche Gedanken eines Laien über Herrn D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntnis. Der Fall, worinn ein der Augspurgischen Confession verwandter Theologus die Ehre haben kann, K a y s e r l i c h e r M a j e s t ä t sein Glaubensbekenntnis in öffentlichem Drucke zu Füssen zu legen, ist unstreitig einer von den ausserordentlichsten, die einen teutschen Mann, er sey Clericus oder Laie, treffen können. Denn da in Gemäsheit der Grundverfassung des teutschen Reichs nur die drey bekannten christlichen Religionen darinn öffentlich etabliert 10
sind, und also für jeden Einwohner Teutschlands, der kein Hebräer ist, die Präsumtion von rechtswegen vorwaltet, d a ß e r e i n e r v o n d i e s e n d r e y e n z u g e t h a n s e y : so kann ordentlicherweise niemand so leicht in die Umstände kommen, bey Strafe der Verweisung aus dem H. R. R. zu Ablegung eines öffentlichen Glaubensbekenntnisses angewiesen zu werden. So ungewöhnlich es indessen seyn mag, so ist es doch immer ein casus dabilis; und es könnte auch dem rechtglaubigsten protestantischen Schriftsteller begegnen, daß er von einem H e r r n R e i c h s - B ü c h e r c o m m i s s a r i u s , (welcher, bekanntlich, ein bloßer Mensch, und also nicht unfehlbar ist,) u n s c h u l d i g e r w e i s e angeklagt würde, als ob er Lehrmeinungen vor-
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getragen habe, welche, nach der Reichsverfassung, nicht öffentlich vorgetragen werden dürfen, folglich auch nicht öffentlich geduldet werden können. Und eben darum wird demjenigen, der etwan zufälligerweise in eine so unangenehme Lage gerathen ist, auferlegt, sich über seinen Glauben deutlich und kategorisch zu erklären. Denn, wofern er von wohlbesagtem ReichsBücher-Commissarius u n s c h u l d i g e r w e i s e angeklagt worden, so muß seine Unschuld auf diesem Wege nothwendig an den Tag kommen; und gesetzt auch, daß er durch unvorsichtige, oder einer nachtheiligen Auslegung fähige Ausdrücke zu der Anklage s c h e i n b a r e n A n l a ß gegeben: so wird es durch das ihm auferlegte öffentliche Bekenntniß in seine Gewalt gestellt,
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diesen Fehler wieder gut zu machen, und sich so deutlich zu erklären, daß
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seine Orthodoxie keinem rechtmäßigen Zweifel ferner ausgesetzt bleiben kann. Aber daß ein öffentlicher Lehrer, den der Reichs-Bücher-Commissarius wegen öffentlicher Behauptung solcher Lehrsätze angeklagt, die sowohl in der Römisch-Katholischen als der Evangelisch-Lutherischen und Reformirten Kirche für G r u n d - I r r t h ü m e r , für Sätze, die dem uralten Glauben der Christenheit geradezu widersprechen, erklärt sind, und — daß ein solcher Lehrer sich dadurch zu rechtfertigen vermeynt, wenn er dem Kayser in seinem übergebenen Glaubensbekenntniß, mit aller nur möglichen Deutlichkeit, versichert: daß er besagten Irrsätzen, deren er angeklagt worden, würk-
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lich zugethan sey, hingegen die ihnen entgegenstehenden Sätze, die von Anbeginn des Christenthums von der allgemeinen Kirche für Hauptartikel des christlichen Glaubens gehalten, und als solche auch von den A. C. Verwandten bey ihrer Absonderung von der Gemeinschaft mit der RömischKatholischen Kirche beybehalten worden, für v e r n u n f t - u n d s c h r i f t w i d r i g e Irrthümer erkenne, und in Gemäßheit dessen von Sr. K. Maj. in Gnaden angesehen und bey seinen Lehrmeynungen geschützt zu werden hoffe: dies ist eine so außerordentliche Begebenheit, daß ich zweifle, ob jemals, seitdem der H. Bonifazius die Thüringer und Hessen vom Heidenthum und rohen Pferdefleisch bekehrt hat, etwas ähnliches im H. R. Reich erhört worden ist.
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Wenn sich ja noch etwas seltsamers denken läßt, so müßte es nur dies seyn, daß eben dieser Doctor Theologiae A. C. — der so öffentlich erklärt, daß er weder der Augspurgischen Confession noch dem Nicänischen Symbolo zugethan sey — seiner Kayserl. Majestät ansinnet, ihn oder andere seinesgleichen, welche (wie er sagt) K r a f t u n d M u t h h a b e n , a n d e m g r o ß e n A n l i e g e n d e r M e n s c h h e i t zu arbeiten, nehmlich den uralten Christenglauben nach seiner, des Hrn. Doctors, Ve r n u n f t und E i n s i c h t umzuschmelzen, oder, wie er’s nennt, z u s e i n e r u r s p r ü n g l i c h e n L a u t e r k e i t u n d E i n f a l t z u r ü c k z u f ü h r e n , in Ihren Kayserlichen Schutz zu nehmen, und dadurch die glückliche Zeit zu beschleunigen, „da alle die für Christen gehalten werden, welche Jesum Christum verehren und seine Lehren befolgen,“ (also auch die M a h o m m e d a n e r , welche das Erste t h u n und zum Andern sich wenigstens durch ihren Koran verbunden erkennen) „ohne gezwungen zu seyn, sich Kefisch oder Paulisch oder P a p i s c h , oder C a l v i n i s c h oder L u t h e r i s c h zu nennen, und auf M e n s c h e n w o r t z u s c h w ö r e n . “
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Es ist in der That schwer zu begreiffen, wie ein Gelehrter, der sich so stark über die U n v e r n u n f t des bisherigen christlichen Religionssystems ereifert, so unschuldig und neu in der Welt seyn kann, sich einzubilden, daß seine herzbrechende Ausdrücke und Wünsche „ A c h a l l e r g n ä d i g s t e r K a y s e r , K ö n i g u n d H e r r , m i r b l u t e t d a s H e r z , w e n n i c h s e h e u. s. w. O möchten doch Eu. Kayserl. Maj. von Gott erkohren seyn, alle d i e j e n i g e v o r d e r Wu t h d e r Ve r f o l g u n g z u s c h ü t z e n u. s. w. M ö c h t e u n t e r A l l e r h ö c h s t D e r o R e g i e r u n g d e r Ta g a n b r e c h e n etc.“ vielleicht die Würkung haben könnten, einen Monarchen, dem als Römischem 10
Kayser und vermöge seiner Wahlkapitulation d i e A d v o c a t i e d e r C h r i s t e n h e i t obliegt, zu bewegen, daß er sich, der Vernunft eines dissentirenden Doctors Theologiä zu Gefallen, mit dem Heil. Stuhl zu Rom und mit der ganzen werthen Christenheit abwerfe, um öffentlich den Beschützer des Religionssystems des besagten Doctors zu machen. Indessen gestehe ich, daß ich, meines Orts — eben darum, weil sich nicht begreiffen läßt, wie ein Mann, der irgend eine z e i t l i c h e A b s i c h t bey seinem Unternehmen hat, s o zu Werke gehen könnte — keinen Augenblick zweifle, daß Hr. D . B . in allen diesem bona fide v e r f ä h r t , und von der Wahrheit und Vernunftmäßigkeit seines Glaubensbekenntnisses vollkommen
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überzeugt ist, folglich auch i n s o f e r n er „seinem allerhöchsten Richter lieber das Innerste seines Herzens offenherzig entdecken, als mit Verletzung seines Gewissens Menschengunst zu erschleichen suchen wollen“ a l l e H o c h schätzung verdient. Aber mit welchem Recht Er sich einen u n s c h u l d i g Ve r f o l g t e n nennen, oder von Sr. K. Majestät erwarten könne, daß Sie sein Glaubensbekenntniß i n G n a d e n annehmen, und i h n d a b e y gegen das, was er die Wuth seiner Verfolger nennt, s c h ü t z e n w e r d e ? — dies, ich gesteh es, geht über meinen Begriff. In welchem Lande der Welt kann man denn die eingeführte Religion und deren Glaubenspunkte öffentlich angreiffen und für Irrthümer
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erklären, ohne daß man sich dadurch böse Händel zuziehen sollte? Kann man das Verfolgung nennen, was bloße Strafe der Übertretung des Gesetzes ist? Wie würde mit demjenigen zu Konstantinopel oder Aleppo verfahren werden, der sich vor eine Moschee hinstellen, und den glaubigen Muselmannen bey allem, was heilig ist, zuschwören wollte, daß Mahommed kein Abgesandter Gottes sey? Wurde nicht selbst in dem w o h l p o l i z i e r t e n , f r e y e n und phi-
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losophischen A t h e n der weise Sokrates zum Tode verurtheilt, weil er (mit Recht oder Unrecht) angeklagt worden war, d a ß e r d i e j e n i g e n , d i e d a s G e s e t z f ü r G ö t t e r e r k l ä r e , n i c h t d a f ü r e r k e n n e n w o l l e ? Die christliche Religion, in so fern sie R e l i g i o n e i n e s S t a a t s , öffentlich eingeführte L a n d e s r e l i g i o n ist, kann hierinn vor andern nichts besonders haben. Niemand im Heil. Röm. Reich wird g e z w u n g e n , P a p i s c h (wie es Hr. B . nennt), L u t h e r i s c h oder C a l v i n i s c h zu seyn, wenn er lieber aus dem Lande ziehen, als zu einer von den öffentlich geduldeten Kirchen sich halten will. Aber will er bleiben, so ist auch nicht mehr als billig, daß er sich, in Rücksicht auf die Religion (wie in allen übrigen Dingen) den Gesetzen
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unterwerfe. Der Vorschlag des Hrn. Doktors, daß man bey einer Nation, die aus 24 Millionen Menschen besteht, die eingeführten Glaubensvorschriften, Symbola und Lehrbegriffe abschaffen, und einen jeden, nicht nur glauben, sondern auch öffentlich lehren lassen soll, was er kann und mag, (denn darauf lieffe doch am Ende und in Concreto die Sache hinaus) mag meinethalben in abstracto eine ganz hübsche Schimäre seyn, so gut und unschuldig an sich selbst, als des Abbe´ de St. Pierre e w i g e r F r i e d e , oder die G e m e i n s c h a f t d e r We i b e r u n d G ü t e r und die a l l g e m e i n e G l e i c h h e i t und Freyheit, die der Verfasser des Code de la Nature gerne eingeführt sehen wollte. Die-
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jenigen, die am Ruder sitzen, und ungefehr wissen müssen, w a s s i c h t h u n u n d n i c h t t h u n l ä ß t , lachen über solche Grillen, und verfolgen niemand deswegen, so lange man sie für Grillen und Träume gelten lassen kann. Aber wenn ein Lehrer, in Kraft eines Lehramts, das ihm nicht aufgetragen worden wäre wofern er sich nicht zu der Religion des Staats bekannt hätte, sich in der Folge anmaaßt, die öffentlichen Formen öffentlich zu verwerfen, und den Lehrbegriff, der ihm zur Richtschnur, wenigstens dessen was er n i c h t lehren soll, vorgeschrieben ist, für irrig, vernunftswidrig und unmoralisch zu erklären: so sieht man ihn nicht länger als einen süssen menschenfreundlichen Tr ä u m e r an, sondern behandelt ihn als einen Störer der öffentlichen Ordnung und des gesellschaftlichen Vertrags, durch welchen sich alle Glieder eines Staats zum Gehorsam gegen die Gesetze, zur Unterwerfung unter die rechtmäßige Obrigkeit und zur öffentlichen Bekennung der eingeführten Religion, zwar stillschweigend, aber eben so kräftig, als ob es überlaut geschehen wäre, anheischig machen. Ist dies etwa hart oder grausam? Oder weiß nicht
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jeder, m u ß nicht jeder wissen, daß s o l c h e Handlungen s o l c h e Folgen haben werden? Hr. D. B . spricht von Wu t h d e r Ve r f o l g u n g . Es ist nur allzuwahr, daß es an blinden Eiferern auch noch zu unsern Zeiten nicht fehlt, welche, wenn sie einen auch noch so redlichen und guten Menschen, der in Religionssachen eine andre Vorstellungsart als sie hat — martyrisiren dürften, glauben würden Gott einen Dienst daran zu thun. Aber wenn der Hr. D . das, was ihm zeither, seiner öffentlich bekannten Heterodoxie wegen, Unangenehmes begegnet ist, Verfolgung nennt: so nimmt er dies Wort in einem sehr ungewöhnlichen Sin10
ne. Ja, wenn er ein Opfer heimlicher Ankläger und Cabalen geworden wäre; wenn gehässige Consequenzenmacher seine Lehrsätze verdreht, seine Ausdrücke mißverstanden, und ihm Irrthümer zur Last gelegt hätten, die nur ein Schalksauge in seinen Schriften hätte sehen können: dann möchte er mit gutem Fug über Verfolgung klagen. Aber wenn einer sich öffentlich erklärt, daß er zu keiner von den gesetzmäßig geduldeten Religionen sich halten könne noch wolle; wenn er gar so weit geht, das für U n s i n n zu erklären, was in diesen G l a u b e n s a r t i k e l ist: wie kann er erwarten, daß die Handhaber der Gesetze ihn am Umsturz eines Gebäudes, zu dessen Aufrechthaltung sie bestellt sind, ungestört arbeiten lassen werden?
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Bey allem bisher Gesagten betrachtete ich die Sache des Hrn. D. B . bloß aus dem bürgerlichen, oder wenn man lieber will, politischen Gesichtspunkt, worinn sie sich einem unbefangnen Laien beym ersten Anblick darstellt. Aber, wie wenn der Mann gleichwohl in der Hauptsache Recht hätte? Wenn die eingeführten Lehrbegriffe würklich irrig, und diese Irrthümer so verderblich wären, als er behauptet? Wenn unsre protestantischen Kirchen (denn von der R. Katholischen ist bey ihm explicite die Rede nicht) würklich Unsinn lehrten und Unsinn glaubten? — Welcher Mensch kann v e r b u n d e n s e y n Unsinn zu glauben? Ist derjenige nicht ein wahrer H e r o s und Wohlthäter seines Volkes und der Menschheit, der sie von der unerträglichen Sclaverey
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des Aberglaubens und Gewissenszwangs, selbst mit Wage und Aufopferung alles dessen, was dem Menschen sonst das Liebste ist, befreyen will? — Unstreitig, wenn d a s hier der Fall wäre, so würde es die Thesin mächtig ändern! Aber, wiewohl ich nur ein Laie bin, so däucht mich doch, m e i n e Vernunft überzeugt mich, aus sehr gültigen Gründen, daß sich der H r . D . durch s e i n e Ve r n u n f t gar übel habe hinters Licht führen lassen, da er sich eingebil-
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det: d i e Ve r n u n f t a l l e r L e h r e r d e r C h r i s t e n h e i t , welche beynahe alle die Artikel, die Er für v e r n u n f t w i d r i g erklärt, seit mehr als siebenzehn Jahrhunderten für s c h r i f t m ä ß i g e Wa h r h e i t e n gehalten und gelehrt haben, hätte, so viele Jahrhunderte durch e i n e s o s c h r e c k l i c h e Ve r f i n s t r u n g e r l i d t e n , und so viele Tausend sonst vernünftige Männer hätten gleichwohl nicht Vernunft genug gehabt, so simple, sonnenklare Wahrheiten, als H r . B . neuerlich ans Licht gebracht zu haben vermeint, einsehen zu können. Zwar, wenn wir ihm glauben wollen, so ist er bey weitem nicht der einzige Protestant, dem dieses neue Vernunftslicht aufgegangen ist. Der Nahme derer, die mit ihm in diesem Lichte wandeln, ist, seinem Vorgeben nach, L e g i -
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o n . Denn sagt er nicht in der Schlußanrede an Se. K. Maj. mit dürren Worten: „ihm sey höchstwahrscheinlich, daß dies sein Bekenntniß zugleich das Bekenntniß e i n e s s e h r g r o s s e n und a n s e h n l i c h e n T h e i l s d e r t e u t s c h e n N a t i o n sey?“ Ja, was ihm in d i e s e m A u g e n b l i c k nur h ö c h s t w a h r s c h e i n l i c h ist, wird ihm den n ä c h s t e n A u g e n b l i c k d r a u f sogar zur G e w i ß h e i t . „Ta u s e n d u n d Ta u s e n d (sagt er nun ganz positiv) d e n k e n s o w i e i c h : nur daß sie k e i n e G e l e g e n h e i t oder Ve r b i n d l i c h k e i t oder auch nicht genug F r e y m ü t h i g k e i t haben mögen e s l a u t z u s a gen.“ Wenn dies wahr ist, so wird sichs bald zeigen müssen. Diese n e u e u n -
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s i c h t b a r e K i r c h e wird nicht lange mehr, wie ein unter einem Scheffel stehendes Licht verborgen bleiben können. Niemand kann sich nun weiter mit Mangel an G e l e g e n h e i t und Ve r b i n d l i c h k e i t entschuldigen. Denn Hr. D . B . hat dafür gesorgt, seinen Glaubensgenossen jene zu v e r s c h a f f e n , und diese a u f z u l e g e n . Auch den Mangel an F r e y m ü t h i g k e i t werden sie sich nun nicht länger zu Schulden kommen lassen dürfen. Wenn die Sache von solcher Wichtigkeit ist, wie Er glaubt — wenn der bisherige Protestantische Lehrbegriff, oder, mit andern Worten, die A u g s p u r g i s c h e C o n f e s s i o n , von der wir im H. R. Reich benahmset werden, die Quelle so großen Unheils, die eigentliche Ursache des überhandnehmenden Unglaubens und des Mangels an thätigem Christenthum ist — wenn Tausend und aber Tausend (wie er dem Kayser ferner sagt) mit Ihm, Hr. D . B . s i c h n a c h R e f o r m e s e h n e n , mit Ihm um die Rechte der Menschheit und des Gewissens fleh e n , (die ihnen also bisher vorenthalten und verweigert worden sind, und noch verweigert werden) — wenn dies alles nicht leere Wortblasen sind: so
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werden diese Myriaden aus ihrem bisherigen Dunkel ans Taglicht treten, ihren Mund aufthun, und ihre Stimmen erheben, daß man sie vom Aufgang bis zum Niedergang hören wird. Aber, wie wenn der Herr Doctor auch dies sich nur so eingebildet hätte? Wie wenn Er — ut homines sumus — in seinem Anstoß von geistlichem Don Quixottismus (denn Hr. G o t t f r i e d W i l d g o o s e ist wohl nicht der einzige g e i s t l i c h e D o n Q u i x o t e ) die Kirchenväter für — böse einäugige Riesen, die symbolischen Bücher für Drachennester, alte unschuldige Wahrheiten für gefährliche Irthümer, sein eignes Vernunftslämpchen für das Licht das die 10
Welt erleuchten soll, und den aufgeklärten Theil der Protestanten nur darum für seine furchtsamen und verborgnen M i t b e k e n n e r , ansähe, weil Er wohl wünschen möchte, daß es so wäre ? Ich gebe diese M ö g l i c h k e i t e n itzt noch nicht für Wahrheit. Aber wenn sie nun mehr als bloße Möglichkeiten wären, — wenn die kleinste Anwendung der g e s u n d e n Ve r n u n f t , auf die sich Hr. B . so oft beruft, einen jeden ehrlichen Protestanten überzeugen müßte, daß der Hr. Doctor Allen diesen Lerm u m N i c h t s gemacht — daß es nicht so elend um den Glaubensbegriff unsrer Vorfahren stehe — daß es nur an Ihm gelegen habe, sich, ohne eines gesunden Menschen Widerspruch, eben diese Lehrpunkte auf eine schrift-
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mäßige Art vorzustellen, ohne darum weder gegen den Menschenverstand, noch gegen die Pflichten eines A. C. verwandten Lehrers zu verstoßen, — wenn auch ein bloßer Laie Ve r n u n f t genug hätte dies einzusehen, und die Vernunft von Ta u s e n d e n und a b e r Ta u s e n d e n hierinn mit diesem Laien einstimmig wäre — Wie dann? Aufrichtig zu reden, der Gedanke dies zu versuchen ist die einzige Ursache, warum ich in dieser Sache, die Hr. D. B . gewissermaßen zu einer Angelegenheit aller Protestanten gemacht hat, die Feder ergriffen habe. Zwar bin ich von langem her um ein gutes Theil mißtrauischer in m e i n e Ve r n u n f t als der Hr. D . in die seinige zu seyn scheint. Auch behalt’ ich mir vor, eh ich schließe,
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noch ein paar Worte über die vorgeblichen S o u v e r ä n e t ä t s r e c h t e oftbesagter Vernunft i n G l a u b e n s s a c h e n beyzufügen, und mich darüber zu erklären, warum ich der a l t e n M e y n u n g zugethan bin und bleibe, daß Ve r n u n f t und G l a u b e zwar keine f e i n d l i c h e , aber doch zwey g a n z v e r s c h i e d e n e , Principia oder Kräfte sind, die ihren g a n z v e r s c h i e d n e n W ü r k u n g s k r e i s haben, und von denen die erste, nach dem Rath des Apo-
Unmaasgebliche Gedanken
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stels, g e f a n g e n g e n o m m e n w e r d e n m u ß , so bald sie unrechtmäßige Einfälle in das Gebiet des Glaubens thun will. Ich sage also, ich will, nach meiner besten Überzeugung, und ohne darum aus meinem Laienzirkel herauszutreten, einen Versuch machen, den Glauben und die Lehre unsrer Vorfahren gegen die Vorwürfe und schiefe Vorstellungsart des Hrn. D . zu rechtfertigen, und seinem Bekenntniß ein andres entgegenzusetzen, von welchem ich mit vielem Grunde vermuthen kann, daß es das Bekenntniß des gesundesten Theils der protestantischen Laien seyn werde; wiewohl es keinesweges so beschaffen ist, daß wir deßwegen nöthig haben sollten, (wie Hr. D. B . ) Kayserliche Majestät und die Stände des Reichs mit einer neuen Reformation bemühen zu wollen. (Die Fortsetzung nächstens.)
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Fortsetzung und Beschluß der Gedanken eines Laien über Hrn. D. Bahrdts Glaubensbekenntniß. Ich habe mich, denke ich, genugsam voraus erklärt, daß man keine t h e o l o g i s c h e Streitschrift gegen Herrn D. B a h r d t , keine g e l e h r t e Erörterung der 10 Artikel, in welche ihm beliebt hat, das was er glaubt und was er nicht glaubt zu verfassen, von mir zu erwarten habe. Der größte Theil derer, die dies lesen werden, sind Laien wie ich selbst; sie haben sich bisher, wie ich auch, in Dingen, welche gesehen werden müssen, mit den Augen, und in Dingen, die 10
geglaubt werden müssen, mit dem Glauben beholfen; haben nicht mit den O h r e n s e h e n , nicht mit der spekulirenden Ve r n u n f t glauben wollen, und sind zufrieden gewesen, wenn ihr inneres Gefühl sie überzeugt hat, daß sie nichts Unmögliches, nichts sich selbst Widersprechendes glauben. Diese werden dann auch ohnezweifel zufrieden seyn, wenn ich, ohne einigen Aufwand theologischer Schulgelehrsamkeit, und ohne mich in dogmatische Subtilitäten, die uns Laien nichts angehen, einzulassen, mit aller Einfalt eines Menschensohns, der sich in Dingen, wo seine Vernunft nicht hinreicht, mit seinem Sensus communis behilft, darzuthun versuche: daß der Glaube der christlichen und evangelischen Kirche, in Absicht der besagten zehn Punkte, die
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schmählichen Vorwürfe des Hrn. D. B. nicht verdiene; und daß, wofern auch s e i n e Vernunft (welche, wie er sich bescheiden wird, nicht die Ve r n u n f t s e l b s t ist) sich nicht herablassen konnte, m i t u n s zu glauben, sie doch unrecht daran gethan habe, u n s e r n G l a u b e n für u n g e r e i m t , u n m o r a l i s c h , und für den H a u p t g r u n d d e s ü b e r a l l e i n r e i ß e n d e n U n g l a u b e n s zu erklären. Also nun, ohne weitere Vorrede, zur Beleuchtung dessen, was Hr. D. B. glaubt und nicht glaubt; insoferne nemlich, als er uns durch die Vorwürfe, die er dem christlichen Lehrbegriff überhaupt, und dem lutherischen insbesondere im Angesicht des Kaysers und der ganzen Welt gemacht, zu dieser Beleuchtung selbst berechtigt hat.
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I. „Ich glaube (sagt der Hr. D. B.) daß ich und alle Menschen Sünder sind,
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welche der Gnade und Erbarmung Gottes bedürfen. Daß aber dieses uns a n g e b o h r e n sey, und daß a l l e Menschen mit d e r N e i g u n g z u a l l e m B ö s e n auf die Welt kommen, daran zweifle ich. Vielmehr scheinen mir die Menschen an ihrem Verderben selbst Schuld zu haben. Denn i c h b e m e r k e an ihnen von Natur so viele herrliche Anlagen zur Tugend, so viele angebohrne edle Gefühle und Neigungen, daß v i e l l e i c h t nur eine andre E r z i e h u n g s m e t h o d e und von Ty r a n n e y und L u x u s entfernte Lebensart nöthig wäre, um der Menschheit ihre ursprüngliche Güte wiederzugeben.“ Welch ein seltsames Gemenge verworrener schiefer Begriffe, unrichtiger Folgerungen, und träumerischer philantropischer Vermuthungen in so we-
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nigen Zeilen! Wie viel Vertrauen werden Kayser und Reich auf einen Reformator setzen können, der seine Geschicklichkeit zu einem so mißlichen Werke gleich anfangs durch ein solches Pröbchen seines Scharfsinns und seiner Einsichten darthut? Hr. B. bezweifelt die Lehre von der a l l g e m e i n e n und a n g e b o h r n e n Verderbniß der Menschheit, welche unstreitig eine Grundlehre des christlichen Glaubens ist, und ihm s c h e i n e n vielmehr die Menschen an ihrem Verderben selbst Schuld zu haben. D e n n , sagt er, i c h b e m e r k e so viele herrliche Anlagen zur Tugend, so viele a n g e b o h r n e edle Gefühle und Neigungen u. s. w. Welch eine Art sich auszudrücken! Ist der Herr Doktor etwa der erste,
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der diese herrlichen Anlagen bemerkt? Oder was für angebohrne edle Gefühle und Neigungen bemerkt er, die nicht schon seit manchem Jahrtausend von jedem, der durch ein Sieb sehen kann, auch bemerkt worden sind? Ferner: K ö n n e n die Menschen nicht von ihren ersten Stammeltern und so weiter fort durch alle Zeugungen bis auf den Moment, da jeder gebohren wird, Anlagen zu physischem und moralischem Übel geerbt haben, ohne daß darum geläugnet werden kann, daß sie auch (mehr oder weniger) Anlage zu allem dem, was in physischem und moralischem Sinne zu einem gesunden, vollständigen und in seiner Art guten, d. i. zu Erfüllung seiner Bestimmung tauglichen Menschen gehört, mit auf die Welt bringen? Und von welchem vernünftigen Menschen ist dies je geläugnet worden? Aber wer hat auch jemals so geschlossen: Weil den Menschen viel herrliche Anlagen und edle Gefühle und Neigungen angebohren sind; ergo bringen sie, nach Leib und Seele, die ursprüngliche Reinheit, Unschuld und Güte, in welcher die ersten Menschen erschaffen worden, mit aus Mutterleibe? Oder wer hat je so geschlossen: Weil die Menschen
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an ihren Übertretungen selbst Schuld haben; so giebt es kein natürliches, kein angebohrnes Verderbniß? Als ob diese beyde Sätze einander gänzlich und nothwendig ausschlössen? Das Wahre an der Sache ist: daß jeder Mensch die unbestimmte Anlage zu allem Bösen und zu allem Guten, dessen die menschliche Natur und seine Individuität fähig ist, mit auf die Welt bringt, und daß dies gerade das ist, was ihn zum M e n s c h e n macht. Dies ist eine Thatsache, die durch die allgemeinste Erfahrung vorlängst außer allen Zweifel gesezt ist; eine Wahrheit, die von uralten Zeiten her von allen Weisen anerkannt worden, und, meines Wissens, von Karneades und Pyrrho dem Sceptikus selbst nie 10
bezweifelt worden ist. Wenn also die Christen als einen Glaubenssatz annehmen: daß der Fall der ersten Stammeltern des Menschengeschlechts ein gewisses Erb-Übel, eine Disposition zu dem, was in theologischem und philosophischem Sinn Sünde heißt, (diese Disposition bestehe nun in einem überwiegenden Hang zur Sinnlichkeit, in einem Mangel des gehörigen Gleichgewichts zwischen Verstand und Willen, oder wie man sich solche auf andre Weise vorstellen oder benennen mag) über ihre Nachkommen gebracht haben; wenn sie annehmen: daß die Menschen mit dem Keim des moralischen Übels gebohren werden; und so wie sie laut der a l l g e m e i n e n G e s c h i c h t e v o n j e h e r g e w e s e n s i n d , so
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wie sie laut der a l l g e m e i n e n E r f a h r u n g n o c h s i n d , und, so lange diese Welt bestehen wird, höchst wahrscheinlicherweise, aller Philantropinen und Kosmopolitien ungeachtet, i m m e r b l e i b e n w e r d e n , von dem I d e a l m e n s c h l i c h e r Vo l l k o m m e n h e i t , welche die Schrift d a s B i l d G o t t e s nennt, mehr oder weniger zu moralischer Karikatur ausgeartet seyen: — so ist dieser Satz, (der noch auf hundertfältige Weise mit andern Redensarten ausgedruckt worden ist und werden kann, aber unter allen Einkleidungen immer die nehmliche Wahrheit bezeichnet,) — so ist dieser Satz just einer von denjenigen Artikeln der christlichen Lehre, die durch die Vernunft am stärksten ins Licht gesezt und bestätiget werden; ein Satz, den die christliche Religion fast
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mit allen andern gemein hat; der im strengsten philosophischen Sinn wahr ist, und der nur durch eine ganz verkehrte Vorstellungsart und ganz unverständige Anwendung, kurz nur in dem Gehirne und unter den Händen eines sehr unwissenden, sehr albernen Menschen zur Lüge werden kann. Hat es, wie ich nicht zu läugnen begehre, hier und dort unter den Geistlichen so ungeschickte Handhaber einer an sich selbst so augenscheinlichen Wahrheit gegeben: was
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geht dies den Hrn. D. B. oder mich oder irgend einen andern Christenmenschen an? Wer wehrt es ihm oder mir oder jedem andern, uns diese Lehre so vorzustellen, wie sie der Bibel, der allgemeinen Erfahrung, und dem allgemeinen Menschenverstand am gemäßesten ist? Warum an der Sache selbst zweifeln? Und aus einem Grund daran zweifeln, der, sobald man nur die Worte bestimmt, zum erbärmlichsten Sophism wird? Lustig übrigens ists zu lesen, wenn der Herr D. sagt: es brauchte vielleicht nichts als eine andre Erziehungmethode, und eine von Tiranney und Luxus entfernte Lebensart, um der Menschheit ihre ursprüngliche Güte wiederzugeben? — Dieser Meister in Israel ist also noch nicht einmal soweit gekom-
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men, um einzusehen, daß man durch platonische Republiken, Utopien, Severambengeschichten, Idealische Erziehungsplane, mit Einem Worte, daß man durch M ä h r c h e n und Tr ä u m e den Menschen ihre ursprüngliche Güte nicht wiedergiebt? Und gesezt auch, man könnte das; wie lange meynt er, daß die Herrlichkeit dauern würde? — Doch der Hr. D. bedingt sich freylich n o c h e i n e K l e i n i g k e i t a u s , — nur eine von T i r a n n e y und L u x u s entfernte Lebensart. — Und hat er, wie er das so hinschrieb, auch wohl gedacht, was er sage? Was nennt er T i r a n n e y und L u x u s ? Wo hat je eine Republik, eine Staatsverfassung, von welcher Form man will, (sogar die berühmte L y k u r g i s c h e nicht ausgenommen,) in vollkommner Harmonie der
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natürlichen Freyheit mit der b ü r g e r l i c h e n Einschränkung, nur hundert Jahre existiert? Und wenn es ein Volk in gänzlicher Entfernung von Allem, was jeder Mensch zu seiner Erhaltung nicht unentbehrlich bedarf, auch Jahrhunderte ausgehalten hätte, ist es darum glücklicher und vollkommner gewesen? Hat Hr. D. B. sich wohl je entwickelt, ob es m ö g l i c h sey, daß Menschen, so lange sie Menschen bleiben, (denn in Ideale wird sie doch wohl keine E r z i e h u n g s m e t h o d e verwandeln können,) ohne eine Regierung, die aus tausendmal tausend Ursachen, von Zeit zu Zeit, bald im Besondern, bald im Ganzen von dem Ideal der Gerechtigkeit und Billigkeit abweicht, abweichen m u ß , den Erdboden bewohnen könnten? Hat er wohl je durchgedacht, was für eine ungeheure Zerrüttung, für unsägliches Elend daraus entspringen würde, wenn izt auf einmal durch einen Schlag mit einer Zauberruthe alles, was die Herrn Weltverbesserer Luxus nennen, aus der Welt verbannt werden könnte? Oder wie kann sich seine Philosophie vorstellen, daß — wenn auch der Zauberer, d e r d a s k ö n n t e , sich über diese Schwierigkeit hinwegsetzen,
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und mit der u r s p r ü n g l i c h e n G ü t e d e r n e u e n We l t , die aus diesem Chaos hervorgehen würde, sich wegen all des momentanen Jammers der Zerstörung d e r g e g e n w ä r t i g e n trösten wollte, — die ursprüngliche Güte seiner neuen Welt länger bestehen würde, als die ursprüngliche Güte der Welt, welche Gott der Herr erschaffen hat? Daß doch diese Homunculi sich einbilden können, eine bessere E r z i e h u n g s m e t h o d e für die g a n z e M e n s c h h e i t erfinden zu können, als diejenige ist, wodurch Gott selbst das ganze Menschengeschlecht schon seit so manchen Jahrtausenden erzieht? Daß sie sich einbilden können, in ihren aus abstrakten Schattenbegriffen zusammen10
geträumten Schlaraffenländern würde das Menschengeschlecht besser regiert werden, als in dieser großen allgemeinen Monarchie, wovon die unendliche Macht und Weisheit selbst sich die gesetzgebende und vollziehende Gewalt vorbehalten hat! Daß sie sich sogar im Fieber träumen lassen können, ihre angeblichen A n s t a l t e n , die Menschheit zu ihrer ursprünglichen Güte zurückzubringen, seyen klüger ausgedacht und würden von größerer Würkung seyn, als die Anstalten, wodurch Gott selbst die Menschheit — freylich nicht zu ihrer ursprünglichen Güte zurückbringen will, — denn Gott macht keine schimärische Plane, — sondern nur, soweit als es bey der Schwäche und Verderbniß ihrer Natur möglich ist, vor gänzlichem Verderben bewahrt, und
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dem Endzweck ihres Daseyns näher bringt, und zu einem künftigen bessern Zustand vorbereitet! Doch wir müssen billig seyn: der Herr Doktor giebt sein Arkanum, uns samt und sonders in lauter unschuldige Brey-essende Kindlein zu verwandeln, für kein unfehlbares Mittel. — V i e l l e i c h t , sagt er, würd’ es die versprochne Wirkung thun. Also, v i e l l e i c h t a u c h n i c h t . Und dies Vielleicht, so lächerlich es auch den Meisten an d i e s e r Stelle, und in dem Munde eines n e u e n G l a u b e n s v e r b e s s e r e r s vorkommen mag, ist ein g a r w e i s e s Vielleicht. Denn hätte er sein Mittel für unfehlbar ausgegeben; so hätte man ihm sagen können: „Der Herr Doktor kann also mehr als Christus und das Evan-
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gelium; denn d i e habens s o w e i t nicht bringen können; wozu brauchen wir also überall noch ein Gespenst von christlicher Religion beyzubehalten? Wozu hat der Hr. D. nöthig, Sr. Kayserl. Majestät zu sagen, wie viel oder wenig er von derselben glaube? Man schaffe sie lieber gar ab, und halte sich an die E r z i e h u n g s m e t h o d e d e s H r n . D . B a h r d t s und an d a s P r o j e k t z u A b s c h a f f u n g d e r T i r a n n e y u n d d e s L u x u s , welches er vermuthlich schon
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ausgearbeitet in seiner Tasche bey sich führen wird! Wenn der ganzen Menschheit so leicht, so unfehlbar zu helfen ist, wozu uns noch länger mit Palliativen und Flickwerken behelfen?“ — Diesem Einwurf beugt nun das besagte V i e l l e i c h t weislich vor, — aber dafür können wir auch nicht läugnen, daß es, in andrer Rücksicht, einen sehr böslichen Effect macht. Denn ein Reformator, der seine Vorschläge zu Wiederherstellung des Standes der Unschuld und des goldnen Alters auf den nagelneuen Grundsatz, „daß die Menschen ganz unverderbt mit lauter herrlichen Anlagen, und edlen Gefühlen und Neigungen auf die Welt kommen“ gründet, sollte freylich seiner Sache gewisser seyn; und wenn er dem Kayser, wenigstens indirecte, zu verstehen giebt: daß, um die
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Menschheit in seinen Staaten in integrum zu restituiren, die ganze Verfassung derselben auf den Kopf gestellt werden müsse: sollt’ er diesem Monarchen, der zwar ein Menschenfreund, aber auch ein Menschenkenner ist, den glücklichen Erfolg einer so gefährlichen Culbute mit etwas soliderm als einem bloßen V i e l l e i c h t garantiren können — und einem Vielleicht, das noch dazu von seinem an sich geringen Gewichte, in dem Munde eines solchen Logikers wie Hr. D. B., wenigstens Neuntausend Neunhundert und Neun und Neunzig Zehntausendtheilchen verlohren hat. II. Der Herr Doktor glaubt ferner: „daß der Mensch zwar alles moralische
Gute, das in ihm sey, d e r G n a d e G o t t e s schuldig sey; daß aber Gott die
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Besserung selbst wirke, und der Mensch n i c h t s t h u t a l s G o t t s t i l l h a l t e n , ist wider die Schrift (sagt er) und beruhet dieser Irrthum größtentheils auf dem Wort G n a d e , welches die meisten Lehrer der Kirche bisher gemißbraucht haben.“ Der Herr Doktor hat auch hier wieder das Unglück ideas confusas zu haben, die ihm jedes Kompendium hätte auseinander setzen können, wenn ihm sein bekannter Abscheu vor Kompendien jemals erlaubt hätte, eines derselben mit Aufmerksamkeit zu lesen. Daß die mancherley Bilder und figürlichen Ausdrücke, unter welchen der Apostel Paulus und Christus selbst — nicht die Verbesserung des Menschen, denn dies ist ein viel zu unbestimmter Ausdruck — sondern d a s n e u e g e i s t i g e L e b e n derjenigen, die aus dem Zustande, der in der Sprache des N. Testaments der g e i s t l i c h e To d genennt wird, zum Glauben und zur Nachfolge Christi erweckt wurden, bezeichnen, daß, sage ich, diese mancherley Bilder von Manchen auf mancherley Art miß-
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verstanden worden; daß Metaphern unschicklicherweise in theologische Lehrsätze verwandelt, über die Gebühr ausgedehnt, und der wahre Sinn darüber verlohren worden — dies Alles mag seine Richtigkeit haben. Aber wenn die bewährtesten Lehrer der Kirche in alten und neuern Zeiten die Sinnesänderung der Menschen welche im biblischen Sinne ohne Gott in der Welt leben, der Wirkung Gottes zuschreiben — wenn sie sagen, daß der Mensch in dem Moment, da die göttliche Gnade durch die gewöhnlichern oder ungewöhnlichern Mittel auf sein Herz würkt, weiter nichts thun könne, noch zu thun habe, als n i c h t z u w i d e r s t e h e n ; so geschieht dies immer auf eine schrift10
mäßige und der Natur unsrer Seele keinesweges widersprechende Art. Die Beschaulichkeit und Fühlbarkeit des Allgegenwärtigen in der ganzen Natur, die stille Sprache aller Geschöpfe, die Stimme unsers eignen Herzens und Gewissens, die Stimme der Wahrheit in der Natur und in jedem Worte Gottes, kurz alle den Menschen überhaupt von ihrem Schöpfer, und der christlichen Kirche insonderheit von ihrem göttlichen Stifter, ertheilte Mittel der Erleuchtung und des geistlichen Lebens sind die gewöhnlichen Wege, wodurch das, was im N. Testament die Gnade Gottes und unsers Herrn Jesu Christi genennt wird, sich uns mittheilt. Es ist der Sprache der h. Schrift gemäß, alle diese Würkungen Gott zuzuschreiben; und indem wir glauben, daß Gott durch die-
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se und andere Mittel seiner Gnade auf uns würke, und daß wir, indem dies geschieht, weiter nichts thun können noch sollen, als s t i l l e h a l t e n : so glauben wir etwas, das weder schrift- noch vernunftwidrig, sondern im Gegentheil der Natur der Seele sehr gemäß ist. Hätte der Herr Doktor sich die Mühe geben wollen, mit einigem Bedacht zu lesen, was so viele der aufgeklärtesten Männer unter allen christlichen Gemeinen geschrieben haben, um die uralte Lehre der Kirche über diese Materie gegen die Einwürfe der verschiedenen Irrlehrer, welche dem sich selbst überlaßnen Menschen zuviel zugeschrieben haben, zu rechtfertigen; so würde er sich ohnezweifel genöthigt gesehen haben, entweder etwas Gründliches vorzubringen, oder — was freylich das Beste
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gewesen wäre — zu schweigen. Daß der Mensch zu seiner Besserung gar nichts beytragen könne; daß Gott auf ihn als auf eine Maschine würke; daß er sich in dem ganzen Geschäfte dessen, was in der biblischen Sprache Erleuchtung, Sinnesänderung (Buße) und Heiligung heißt, i m m e r n u r l e i d e n d zu verhalten habe, sind freylich irrige und ungereimte Sätze; aber darum hat sie auch nie kein vernünftiger Theolog behauptet, geschweige daß sie je der Glau-
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be der allgemeinen oder evangelischen Kirche gewesen wären. Unschickliche Ausdrücke alter Schultheologen verbinden niemand, sie nachzusprechen; und es ist der evangelischen Freyheit sehr gemäß, sich, wenn man über solche Materien zu reden verbunden ist, derjenigen Ausdrücke zu bedienen, von welchen man überzeugt ist, daß sie dem wahren Sinne der h. Schrift, der dem gesunden Menschensinn nie entgegen seyn kann, am gemäßesten seyen. Dieser Freyheit hätte sich auch der Hr. D. bedienen können, ohne daß er darum auf irgend eine Weise nöthig hatte, mit der Lehre der Protestanten von der Gnade entweder ungereimte Begriffe zu verbinden, oder in seinem Dünkel für irrig, vernunftwidrig und der Gottseligkeit nachtheilig auszugeben, was nie-
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mand, der die Bibel gelesen hat, als schriftmäßig, und niemand, der das A B C der Psychologie gefaßt hat, als philosophischrichtig mißkennen kann. III. Was der Herr D. in seinem dritten Artikel von der Vergebung der Sün-
den sagt, ist, wenn ich nicht sehr irre, der Glaube aller Christen, und ich hätte also nichts dabey zu erinnern, wenn es ihm nicht beliebt hätte hinzuzusetzen: „daß aber Gott b l o ß u m e i n e s M e n s c h e n o p f e r s w i l l e n die Flecken meiner Tugend übersehe, das ist wider meine Vernunft, und habe ich auch nie etwas davon in heil. Schrift gefunden. — “ Und wenn hat denn je die christliche Kirche, welche seit 1700 Jahren über den Artikel, den der Herr Doktor hier anführt, im Grunde nur Einen Glauben gehabt hat, wenn hat sie je behauptet,
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daß Gott um eines M e n s c h e n o p f e r s w i l l e n die Flecken der Tugend des Herrn Doktors oder irgend eines andern Menschen übersehe? Die Christenheit glaubt freylich an kein M e n s c h e n o p f e r , indem sie an Jesum Christum, und an die durch ihn gestiftete Versöhnung glaubt; sie hat einen höhern Begriff von dem, den sie für ihren Mittler, Erlöser und Seligmacher erkennt; und es sind nun, wie gesagt, mehr als 17 Jahrhunderte, daß unzähliche Menschen, (worunter gewiß Myriaden waren, vor deren Verstand und Wissenschaft die Vernunft des Hrn. D. sich gar tief hätte bücken müssen) die apostolische Lehren von Jesu Christo geglaubt, und also n i c h t w i d e r ihre Vernunft befunden haben. Denn ihre Vernunft war vernünftig genug, sie einsehen zu machen; daß es im Himmel und auf Erden gar viel Dinge gebe, wovon nichts in unsrer Philosophie steht; daß etwas darum noch lange nicht vernunftwidrig ist, weil wir keinen klaren Begriff haben, w i e es s o ist als es uns s c h e i n t , oder als wir es zu glauben Ursach haben; daß nur dem G l a u b e n , nicht der z e h l e n d e n und m e s s e n d e n , noch der g r ü b e l n d e n und
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faselnden Ve r n u n f t , erlaubt sey, in die Tieffen der Gottheit hineinzublikken, u. s. w. Daß nun seine Vernunft, die g r o ß e D a m e d e r G e d a n k e n des Hrn. Doktors, so eigensinnig ist, und besonders, daß sie ihm den schlimmen Streich gespielt hat, ihn zum K i r c h e n l e h r e r aufzuwerfen, eh er sich die Mühe genommen — zu l e r n e n , und die unreiffen, höchst verdächtigen Eingebungen seiner besagten Vernunft durch die besseren Einsichten derer, die vor ihm waren, zu berichtigen, — das ist nun freylich ein Unglück für ihn; aber ich zweifle doch, ob er durch sein Glaubensbekenntniß irgend einen Vernünftigen überzeugen wird, daß es nicht bloß an ihm gelegen habe, seine Vernunft 10
ein wenig besser zu regieren. — Denn, wie z. E. sollte sich ein so dreistes Vorgeben wie das ist: „Er habe von der Lehre der Kirche die Vergebung der Sünden um Christi Willen betreffend, n i e e t w a s i n h e i l . S c h r i f t f i n d e n k ö n n e n “ — entschuldigen lassen, wenn man nicht annimmt, der Herr Doktor habe entweder nichts davon in heil. Schrift gefunden, weil er nie darinn gesucht was er an so vielen Orten augenscheinlich hätte finden müssen, oder er habe es nicht gefunden, weil er sich die Freyheit vorbehalten, immer seinen eignen Sinn in die Worte der Evangelisten und Apostel und Jesu Christi selbst zu legen, und in heil. Schrift alles zu finden oder nicht zu finden, was ihm beliebt oder nicht beliebt; wie aus seinen N e u e s t e n O f f e n b a r u n g e n an
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unzählichen Orten zu ersehen ist. Bey seiner Art in der Schrift zu forschen, ist es denn wohl kein Wunder, daß er besage des IVten und Vten Artikels seines G. B. auch von der Gottheit Christi und des heil. Geistes nichts in diesem Buche finden kann. Entweder muß also die christliche Kirche von Anbeginn bis auf diesen Tag sich mächtig geirrt, und sie, welche von Jesu Christo bey seinem Scheiden aus dieser Welt die Versicherung empfieng, daß er ihr an seiner Statt den heil. Geist senden wolle, der sie i n a l l e Wa h r h e i t leiten werde, müßte übel von demselben geleitet worden seyn, oder der Geist, der den Herrn Doctor leitet, dürfte wohl vom Geschlecht jenes Geistes seyn, der in die 450 Propheten des Königs Ahab ge-
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fahren war, als sie dem König weissagten, was er gerne hörte. (II. Chron. 18.) Wenigstens ist es doch ganz sonderbar, daß der gute Mann beynahe nichts in der Bibel finden kann, was die ganze Christenheit je und allezeit darinn gesehen hat. Die alte Kirche ist durch bekannte und bedauerliche Streitigkeiten, von denen sie im dritten und vierten Jahrhundert zerrüttet wurde, veranlaßt wor-
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den, einige von denen in dem sogenannten apostolischen Symbolo verfaßten Glaubenspunkten genauer zu bestimmen, und besonders gewisse Formeln und Redensarten festzusetzen, derer sich die Rechtgläubigen im Vortrag der Lehre von Christo als dem Sohne Gottes und dem heil. Geist bedienen sollten, um sich von denen zu unterscheiden, deren Meinung auf der allgemeinen Kirchenversammlung zu Nicäa als der apostolischen Lehre zuwiderlauffend war verworfen worden. Die A. C. Verwandten haben vermöge ihres erklärten Gehorsams gegen die Verordnungen der vier ersten allgemeinen Concilien, auch die besagten Formeln beybehalten; jedoch ist eine bekannte Sache, daß Luther selbst kein Freund von theologischen Kunstwörtern (wenn ich so sagen
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darf) war, und jedermann weiß, daß ein protestantischer öffentlicher Lehrer, der sich über d i e M y s t e r i e n d e r c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n nicht anders als mit den eignen Worten der heil. Schrift ausdrückt, von niemand deswegen angefochten wird. Auch der Herr D. B. hätte sich dieser evangelischen Freyheit, ohne jemandes Widerspruch bedienen können. Aber da er sich nun einmal berufen glaubt, das Seinige pro virili zu einer neuen Art von christlicher Religion, die sich ohne Mysterien behilft, beyzutragen: so glaubt er sich deutlich erklären zu müssen, daß er die Lehre von der Gottheit Christi und des heil. Geistes, in dem Sinne, wie die Kirche sie lehrt, für irrig und in der Schrift nicht gegründet halte. Was den heil. Geist betrift, mit diesem macht ers kurz
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ab. „Ich finde, sagt er, dies Wort in keiner andern Bedeutung, als daß es entweder göttlich gewürkte Gaben und Kräfte anzeigt, oder d a s Nomen Dei s e l b s t , welcher solche mittheilt.“ Also entweder Gaben, oder ein bloßes Nomen; hingegen scheint er die Streitfrage zwischen A t h a n a s i u s und A r i u s oder S a b e l l i u s , über die Person Christi, anfangs als eine (seiner Meynung nach) unerhebliche Sache, schweben lassen zu wollen. Jedoch besinnt er sich unmittelbar darauf wieder anders, und erklärt sich ganz positiv, daß ihm bis zur höchsten Evidenz erweislich scheine: „daß Christus und der einzige Gott Jehovah nicht in dem nemlichen Sinn Gott heissen; gestalten dann er, Christus, sich selbst Joh. 10. e h r l i c h g e n u g , (ein seltsamer Ausdruck, den man ohne übermäßige Strenge sehr i m p e r t i n e n t finden könnte,) darüber erklärt habe.“ — Wollte Gott, der Herr Doctor hätte die Worte Christi auch e h r l i c h g e n u g ausgelegt! Laßt doch einen Augenblick sehen, wie ehrlich und sachkundig er dabey zu Werke geht! Wie Christus sich gegen die Juden vertheidigte, da sie ihn steinigen wollten, weil er gesagt hatte, i c h u n d d e r
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Va t e r s i n d E i n s , — kann im zehnten Kap. Johannis vom 32sten bis zum 38sten V. gelesen werden. Es ist aus dem ganzen Zusammenhange klar, daß Christus mit diesen Juden, (wie bey verschiedenen andern Gelegenheiten,) sich nicht sowohl einließ, um sie zu b e l e h r e n , wer er sey, als um sie ihres Unrechts gegen ihn aus ihrem eignen Gesetze zu überführen. Steht nicht, spricht er, in eurem Gesetz: i c h h a b e g e s a g t i h r s e y d G ö t t e r , — d. i. ich selbst hab’ euch Götter genennt. Diese Stelle steht im 82sten Psalm, (der von Anfang bis zu Ende an die Obrigkeiten und Richter in Israel gerichtet ist,) und sie bezieht sich hinwieder auf zwey Stellen im 21sten und 22sten Kap. des 2ten 10
Buchs Mose, wo die Obrigkeit schlechtweg d i e G ö t t e r genannt wird. Nun sagt Christus: wenn in eurem Gesetz diejenigen Götter genennt sind, z u d e n e n das Wort Gottes geschah; wie könnt ihr denn zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat, sprechen, du lästerst Gott, darum daß ich sage, ich bin Gottes Sohn. — Mich däucht, nichts kann klärer seyn, als daß Christus hier die unartigen Juden, die er vor sich hatte, bloß durch einen Schluß vom Kleinen aufs Größere überweisen wollte, daß sie, nach ihrem eignen Gesetz, Unrecht an ihm thäten. Aber Herr Doctor B. der für das, was Christus ist, nicht viel mehr Sinn zu haben scheint als diese Juden, kann es von s e i n e r Ve r n u n f t erhalten, kann es ü b e r s e i n H e r z bringen, durch eine
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handgreifliche Verdrehung aus diesen Worten Christi erzwingen zu wollen: „daß er wohl gewust habe, er sey nicht mehr Gott als diejenigen, die im Gesetzbuch Mosis und im 82sten Psalm Götter genennt würden, und daß er auch ehrlich genug gewesen sey es einzugestehen.“ Was kann ein Mann, der sich erlaubt, die Schrift s o auszulegen, nicht darinn finden? Ists Wunder, daß er, weil er sich die Mühe nicht gab, weder den 82sten Psalm, noch die Stellen des Buchs Mose, auf die sich derselbe bezieht, nachzuschlagen, auch die Worte Christi, zu d e n e n d a s Wo r t d e s H e r r n g e s c h a h falsch auslegt, indem er dreiste vorgiebt, sie wollten eben soviel sagen, als: „ d i e g ö t t l i c h e A u f k l ä r u n g e n z u B e l e h r u n g d e r M e n s c h e n e r h a l t e n h a b e n , “ — da
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doch in besagten Stellen von nichts weniger als von P r o p h e t e n , sondern von w e l t l i c h e r O b r i g k e i t die Rede ist, welche niemals Ansprüche an göttliche Aufklärung zu B e l e h r u n g d e r M e n s c h e n gemacht hat. — Und was Wunder, daß auch der Ausdruck Christi: d e n d e r Va t e r g e h e i l i g t h a t , in die Wassersprache des Hrn. Doctors übersezt, nichts mehr sagen soll, als: „ d e n d e r Va t e r s o g a n z b e s o n d e r s a u s g e z e i c h n e t h a t . “ — Sollte man
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nicht bald auf den Gedanken kommen müssen, der Herr Doctor habe uns durch diese feine Auslegung zu verstehen geben wollen, daß er ein eben so gutes Recht an göttliche Würde habe als Christus? Denn ist er, s e i n e r Meynung nach, nicht auch ein Mensch, der göttliche Aufklärungen zu Belehrung der Menschen erhalten hat? Und hat ihn der Vater der Götter und Menschen nicht auch g a n z b e s o n d e r s a u s g e z e i c h n e t ? — Oder, sollte ihn nicht vielmehr eine kleine Rücksicht auf sich selbst belehrt haben, daß g e h e i l i g t und a u s g e z e i c h n e t wohl zwey ganz verschiedene Dinge bedeuten müßten? VI. Der Hr. D. ist in seinem 6ten Glaubensartikel so höflich „ d e n G l a u b e n
an Christum für eine unausbleibliche Bedingung zur Seligkeit
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für die Christen zu erkennen. (Ich nenn’ es Höflichkeit, weil er mit dem Wort Glauben an Christum einen ganz andern Begriff verbindet, als derjenige ist, den die Kirche von jeher damit verbunden hat; und weil er also eben sowohl hätte das Gegentheil sagen können, ohne daß er weniger damit gesagt hätte, als mit diesem Compliment.) Daß sich aber diese Verbindlichkeit auch auf die Nichtchristen erstrecke, hält er für u n v e r n ü n f t i g , u n m e n s c h l i c h und s c h r i f t w i d r i g . Und daß dieser Glaube in einer Ergreiffung des Verdienstes Christi bestehe, erklärt er für e b e n so f a l s c h , und kann davon so wenig im Neuen Testament finden, daß er gar nicht begreiffen kann, wie die Lehrer der Kirche je darauf haben fallen können.“
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Hr. B. ist würklich zu beklagen, daß er auch die aller handgreiflichsten Dinge nicht begreiffen kann. Das Wort Glauben wird bekanntermaaßen in der h. Schrift bald in einem weitern, bald engern Sinne genommen. Daß die E r g r e i f u n g d e s Ve r d i e n s t e s C h r i s t i (eine Redensart, deren ganz vernünftige und dem Sinne der apostolischen Schriften gemäße Auslegung er in unzählichen Lehrern der Kirche hätte finden können, wenn er nicht immer lieber hätte lehren als l e r n e n wollen) ein wesentliches Stück des Glaubens an Christum sey, darauf sind die Lehrer der Kirche g e f a l l e n , weil es unmöglich ist, die Briefe Pauli zu lesen, ohne alle Augenblicke d a r a u f z u f a l l e n . Nichts geht natürlicher zu, und das Unbegreifliche wäre bloß, wie der Hr. D. über alle die Stellen, wo uns Christus als der Mittler zwischen Gott und Menschen, als das Söhnopfer für die Sünden der Welt, als derjenige, durch dessen Gerechtigkeit wir vor Gott gerechtfertigt werden u. s. w. vorgestellt wird, h i n w e g s t o l p e r n kann — wenn bey seiner Art die Bibel zu erklären noch
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unbegreiflich seyn könnte, wie er alles, was er will, darinn zu finden oder nicht zu finden weiß. Seine D r e i s t i g k e i t ist wohl in allem diesen das Einzige, was schwer zu begreiffen ist. We r n i c h t g l a u b t w i r d v e r d a m m t w e r d e n — hat C h r i s t u s selbst mit dürren Worten gesagt. Wie diese Worte aus dem Zusammenhange der Rede Christi, und der Analogie seines ganzen Evangeliums, schriftmäßig zu erklären seyen, dies hätte der Hr. D. längst von den bewährtesten Lehrern der evangelischen Kirche, oder, noch kürzer, aus dem Evangelio selbst lernen können — wenn das Ding, das er s e i n e Ve r n u n f t nennt, nicht so außerordent10
lich ungelehrig wäre. Er weiß gar wohl, oder könnte wenigstens wissen, daß man von den allzuharten und unschicklichen Ausdrücken, deren sich manche von den ältern Theologen in dieser Materie bedient haben, schon lange zurückgekommen ist, und daß bescheidene christliche Lehrer, des großen Wortes Ve r d a m m e t n i c h t , eingedenk, und aus Überzeugung, daß die Allgemeinheit der Gnade Gottes durch Jesum Christum kein bloßes Spiel mit Worten sey, sich gerne enthalten, aus jenen Worten Christi und andern dahingehörigen Stellen u n m e n s c h l i c h e und s c h r i f t w i d r i g e Folgerungen zu ziehen. Kurz, er kann wissen, und muß wissen, daß die evangelische Kirche niemand verdammt, sondern das Urtheil über das ewige Schicksal jedes Men-
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schen dem Richter der Welt überläßt. Warum er aber demungeachtet die Kirche einer unvernünftigen, unmenschlichen und schriftwidrigen Lehre über diesen Punkt beschuldiget — das mag Er wissen und verantworten. Der VII. und VIII. Glaubensartikel des Hrn. D. betrift die Ewigkeit der Höllenstrafen, und die Lehre der allgemeinen Kirche von den bösen Geistern. Von j e n e r scheint er den grassesten Begriff vorauszusetzen, den jemals ein schwärmender Bußprediger, von Begierde, seine Zuhörer zu ihrem Besten zu schrecken, hingerissen, davon gegeben hat; und von d i e s e n spricht er so unbestimmt und verworren, daß man nicht genau weiß, ob es nur dem P. Gaßner und den Spinnstubengesellschaften, oder ob es den Evangelisten
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selbst gelten soll. Daß die altkatholische Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen in der lutherischen Kirche, hauptsächlich seit den Zeiten des D. P e t e r s e n , aus allen möglichen Gesichtspunkten ventiliert worden, und daß es schwerlich möglich sey, etwas Neues pro oder contra mehr darüber zu sagen, ist bekannt. So weit indessen aber auch die philantropischen Verfechter der End-
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lichkeit der Höllenstrafen ihre Gründe treiben mögen, so bleiben sie am Ende doch nur w a h r s c h e i n l i c h . Die Kirche hat für ihren Glauben immer die deutlichsten Ausdrücke der Bibel anzuführen, und die Vernunft selbst kann kein Bedenken tragen, die Strafe der Verdammten insofern e w i g zu nennen, als die F o l g e n d e s d u r c h s i e v e r u r s a c h t e n B ö s e n , und besonders die Folgen der Beraubungen des größern Guten, so sie sich durch ihre eigene Schuld zugezogen, e w i g s i n d . Und gerade d i e s ist von ganz orthodoxen Lehrern schon oft genug öffentlich gesagt worden, wie der Ve r n u n f t des Hrn. D. nicht unbekannt seyn kann. Was will er also? Mit welchem Recht lästert er die Kirche wegen eines Lehrpunkts, der in den deutlichsten Aus-
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sprüchen der Bibel gegründet, und zugleich einer sehr vernunftmäßigen Auslegung fähig ist? Was die Engel und Teufel betrift, so kann man freylich einem Manne, d e r s o w e n i g g l a u b t , nicht wohl zumuthen, daß er von ihnen auch nur den zehnten Theil dessen glauben soll, was so viele der We i s e s t e n und B e s t e n nicht nur unter den Christen, sondern auch die vortreflichsten Männer des sogenannten Heidenthums davon geglaubt haben. Mag er doch über diesen und jeden Artikel der Geisterlehre glauben, was er will und kann! Genug für uns — die wir uns an die Bibel halten, daß u n s e r K i r c h e n s y s t e m Engel und Geister für nichts ausgiebt, was nicht mit den deutlichsten Schriftstellen
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belegt werden kann. Kann die Vernunft des Hrn. D. oder seine b e k a n n t e t i e f e E i n s i c h t i n d i e N a t u r w i s s e n s c h a f t , sich damit nicht vergleichen: so bekenne ich dagegen, daß m e i n e Ve r n u n f t nichts Anstößiges daran findet; und daß ich denjenigen wohl zu kennen wünschen möchte, welcher beweisen könnte, daß in demjenigen, was die Kirche davon glaubt, etwas U n m ö g l i c h e s oder der Natur unsrer Seele Widersprechendes sey. — Die Lehre des Kirchensystems, d. i. das, was man uns allen im Catechismus davon sagt, ist theils t r ö s t l i c h und a u f m u n t e r n d z u m G u t e n ; indem wir glauben, daß wir Engel Gottes zu unsichtbaren F r e u n d e n , B e s c h ü t z e r n und Z e u g e n unsrer Handlungen haben: theils w a r n e n d und a b s c h r e c k e n d v o m B ö s e n ; indem wir glauben, daß es böse Geister giebt, die uns zwar nicht zum Bösen zwingen, aber doch reizen und versuchen können; daß es also um so mehr Pflicht für uns sey, über unser Inwendiges zu wachen, und uns vor allem Bösen, das eine geistige G e m e i n s c h a f t zwischen unsrer Seele und den bösen Geistern eröfnet, desto sorgfältiger zu hüten.
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Wo ist nun das U n m o r a l i s c h e dieser Lehre? — Und wenn die Vernunft eines Z o r o a s t e r , eines P y t h a g o r a s , eines S o k r a t e s , eines X e n o p h o n und P l a t o , u. s. w. Gründe gefunden hat, sich von dem Daseyn und den Einflüssen g u t e r u n d b ö s e r D ä m o n e n zu überzeugen: wo ist das U n v e r n ü n f t i g e davon? Oder wo sind die neuen Vernunftsgründe, die uns der Hr. D. über diese Materie zu offenbaren hat, und die er uns wenigstens vorher hätte offenbaren sollen, eh er unsern Glauben unvernünftig schilt? Der Hr. D. hat bisher, indem er die Lehre der allgemeinen Kirche in wesentlichen Punkten des christlichen Glaubens für irrig erklärt, sich a u f d i e 10
S c h r i f t b e r u f f e n ; zugleich aber auch, indem er für s c h r i f t w i d r i g erklärt, oder n i c h t i n d e r B i b e l f i n d e n k a n n , was die ganze Kirche seit so vielen Jahrhunderten darinn gefunden hat, schon zumvoraus die Meynung erweckt, daß er eine ganz eigene Art die Schrift zu lesen haben müsse. Um uns nun über diesen Punkt ein wenig aus dem Wunder zu helfen, erklärt er sich im 9ten u. 10ten Artikel seiner Confession zuerst über die Autorität des Neuen Testaments, und sodann über das Recht, das, seiner Meynung nach, jeder Protestant, und insbesondere jeder protestantische Lehrer haben soll, sich eine Religion nach seinem Dünkel und Geschmack aus besagtem Buche zu extrahiren.
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In Betreff des ersten Punkts besteht sein Glaube in folgenden zween Sätzen: 1) Der Hr. D. glaubt, das neue Testament sey immer ein so gutes Buch als — Plato’s Dialogen, oder Cicero de Natura Deorum, oder Plutarchs moralische Werke, Epiktets Handbüchlein, oder irgend ein andres gutes ehrliches Buch in der Welt. Dies sagt er nun zwar nicht mit eben diesen Worten: aber es folgt ohne alle Consequenzenmacherey ganz natürlich aus dem, was er sagt. „Ich bin gewiß, (spricht er) daß die göttlichen Schriften des N. Testam. g ö t t l i c h e B e l e h r u n g e n z u r G l ü c k s e l i g k e i t d e r M e n s c h e n e n t h a l t e n , denen wir alles Ve r t r a u e n u n d a l l e n G e h o r s a m s c h u l d i g s i n d . “ Nun kann, seiner oben gegebenen Erklärung zufolge, weil Gott der Urheber alles Guten
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ist, alles Gute i n s o f e r n göttlich genannt werden: folglich können auch Plato’s Dialogen, Cicero de Natura Deorum u. s. w. insofern sie B e l e h r u n g e n z u r G l ü c k s e l i g k e i t d e r M e n s c h e n enthalten, göttlich genannt werden, und verdienen insofern alles Vertrauen und allen Gehorsam. Das ist klar wie Tageslicht. Hat der Herr D. m e h r sagen wollen, der h. Schrift m e h r Autorität, d i e Autorität, die ihr der allgemeine Glaube der Christen beymißt,
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eingestehen wollen; so durft’ er nur reden. An Ausdrücken konnt es ihm dazu nicht gebrechen. 2) „Daß aber j e d e s Wo r t des N. T. von Gott eingegeben worden, das glaubt der Hr. D. nicht.“ — Wie listig! Und wie unnöthig und ohne allen Nutzen listig! Die Frage ist ja nicht von jedem Wort, nicht von jedem kai und de ; sondern, wenn er aufrichtig hätte zu Werke gehen wollen, hätte er sich darüber erklärt: ob er, mit der Kirche, glaube, d a ß d i e g a n z e h . S c h r i f t v o n G o t t e i n g e g e b e n s e y oder nicht — oder vielmehr, er hätte geradezu bekannt: er glaube n i c h t , daß sie von Gott eingegeben sey; denn daß er dies nicht glaubt, ist doch wohl aus dem ganzen Zusammenhange seiner Confession, und aus seinem
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9ten Artikel besonders sehr deutlich zu ersehen. Wiewohl am Ende ist es auch ganz gleichgültig, was er davon glaubt, da er einem jeden ein Recht zugesteht, dies Buch nach seiner eignen Manier zu handhaben. Sollt ich ihm durch diese Beschuldigung etwa zu viel thun? Wir wollen ihn selbst hören, und dann sehen, was aus seinen Worten natürlich folgt. „Daß alle Christen (sagt Hr. B.) die Religionslehren der Schrift, welche o h n e K u n s t a u s l e g u n g e n darinn zu finden sind, zu glauben und zu befolgen verbunden sind, ist gewiß.“ — Sollt es dem Hrn. D. mit dieser Behauptung wohl so Ernst seyn, wie die Worte lauten? Welches sind dann, seiner Meynung nach, die Religionslehren, die ohne Kunstauslegungen in der Schrift zu finden
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sind? Sind es nicht hauptsächlich gerade die, welche er für Irrthümer erklärt hat? Was für K u n s t a u s l e g u n g e n braucht es etwa, um die Lehren von der Gottheit Christi und des heil. Geistes, von der Untüchtigkeit des thierischen Menschen zu geistlichen Dingen, von den Würkungen der Gnade, von dem Versöhnungsopfer Jesu Christi, und alle andere, die Hr. B. in seiner Confession verwirft, in der Schrift zu finden? Oder braucht es nicht vielmehr sehr künstliche, sehr gedrehte und spitzfündige Auslegungen, um sie n i c h t darinn zu finden? „Daß aber (fährt er fort) der Kirche, worunter ich mir doch nichts anders als plurima vota der Geistlichkeit denke, die NB. NB. zu keiner Zeit das Vorurtheil der t i e f e n E i n s i c h t , G e l e h r s a m k e i t und u n p a r t h e y i s c h e n P r ü f u n g s g a b e gehabt hat, das Recht zustehe, mir aus den Sätzen der Schrift k ü n s t l i c h g e f o l g e r t e L e h r e n u n d B e g r i f f e aufzudringen, das glaub’ ich nicht.“ — Nun, lieber Herr, dies Recht gestünden auch wir andern protestantischen Laien weder der Majority noch Minority der Klerisey gerne zu, wiewohl wir übrigens keine so verächtliche Meynung von der-
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selben hegen als Eur. Hochwürden. K ü n s t l i c h g e f o l g e r t e Lehren und Begriffe werden vermuthlich soviel heissen sollen, als Lehren und Begriffe, die durch sophistische, dialektische K u n s t g r i f f e aus den Sätzen der h. Schrift gefolgert worden sind, in der That aber keinesweges daraus folgen: und gegen alle solche Sätze protestiren wir so laut als irgend ein nonconformistischer Doctor in der Christenheit. Aber, sollte die Kirche, wenn sie das Unglück gehabt hat, durch Gnostiker und Schwärmer aller Gattung auf der einen, und durch Räsonnirer, Metaphysiker, und Spitzköpfe auf der andern Seite, in Verwirrung gesezt zu werden, nicht das Recht haben, um guter Ord10
nung willen, und damit nicht endlich die armen Laien, von jedem W i n d d e r L e h r e oder w i n d i c h t e n L e h r e r hin und her getrieben, zulezt gar nicht mehr wissen, was sie glauben sollen, — sollte sie, in solchen Fällen und zu solchem Ende, nicht das Recht haben, per plurima vota eine gewisse Regel der Lehre, und des Glaubens fest zu setzen? Und sollte nicht diese Regel alle diejenigen, welche zum Lehramt der Religion berufen werden, eben so scharf verbinden, als die eingeführte gesetzmäßige Staatsverfassung alle Bürger verbindet, s i e z u r e s p e c t i r e n , und n i c h t s g e g e n d i e s e l b e z u u n t e r n e h m e n ? Ich denke, ja; und meine Vernunft begreift nicht, wie eine große religiöse oder bürgerliche Gesellschaft ohne dies lange und wohl bestehen
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könnte. Allein der Hr. D. scheint nicht dieser Meynung zu seyn, und dem bekannten Spruch: „ P r ü f e t a l l e s u n d d a s G u t e b e h a l t e t “ eine Ausdehnung geben zu wollen, welche allzu schlimme Folgen hat, als daß sie dem Sinn des Apostels gemäß seyn könnte. Er meynt, n a c h d e n G r u n d s ä t z e n d e s P r o t e s t a n t i s m u s , wäre er in Absicht seines Glaubens an keines Menschen A n s e h e n gebunden, und habe das Recht alles zu prüfen, und nur das zu behalten, wovon er sich aus Gottes Wort überzeugt fühle. „Ja, als ein p r o t e s t a n t i s c h e r L e h r e r , hätte er noch ein f e t t e r e s R e c h t ; denn als ein solcher s e y e r e i n T h e i l d e r r e p r ä s e n t i r e n d e n K i r c h e , und sey daher nicht nur verpflichtet die Lehrsätze seiner Kirche zu prüfen, sondern auch das
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Resultat seiner Prüfung seinen Brüdern vorzulegen.“ Hat der Hr. D. da er dies so hinschrieb, auch wohl recht bedacht, w i e v i e l er damit sage? Die Rede ist hier nicht von Vo r s t e l l u n g s a r t e n einer Lehre, nicht von bloßen Arten sich a u s z u d r ü c k e n , nicht von Punkten, die zu dem Geheimnis der Gottseligkeit nicht wesentlich gehören. Die Rede ist von den wesentlichen Glaubenslehren der christlichen und der evangelischen Kirche insonderheit. Diese sind einmal
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festgesezt. Es ist jedem, der sich zu ihnen nicht bekennen will, erlaubt, sich der Gemeinschaft mit der Kirche und denen damit verbundnen Vortheilen zu entschlagen. Aber wer sich zur Kirche bekennt, unterwirft sich auch eo ipso ihren Gesetzen, und hält sich an das, was ihre öffentliche Confession ist. Erstreckte sich das Prüfungsrecht so weit als es der Herr D. ausdehnt, so hätte jeder naseweise Klügling ein Recht die Schrift auszulegen wie er wollte; so bekämen wir zulezt so viel Religionen als Köpfe; kein Lehrer würde mehr Gehör finden, weil es seine Zuhörer immer würden besser wissen wollen; am Ende würde die Kirche nicht mehr eine Gemeinde, sondern ein anarchisches Chaos, nicht mehr Ein Leib, sondern ein aufgelößter Leichnam, ein Raub der
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Würmer und der Verwesung seyn, und die Religion selbst würde darüber zu Grunde gehen. Das Vo r u r t h e i l d e s A n s e h e n s hat seine Mißbräuche und Inconvenienzien, wie alle menschlichen Dinge; a b e r e s i s t u n e n t b e h r l i c h . Ohne Autorität kann kein Hauswesen, kein Staat, keine Religionsgesellschaft bestehen. Die Menschen von d i e s e m B a n d e frey machen wollen (ich rede hier nicht von den außerordentlichen Fällen, die äußerst selten sind, und ihre eigne Regel haben) heißt das Band aller menschlichen Ordnung und Ruhe auflösen wollen. Am allergröblichsten aber irrt sich, meiner Meynung nach, der Hr. D., wenn er glaubt, er habe als ein protestantischer Lehrer, die Pflicht auf sich, die L e h r s ä t z e s e i n e r K i r c h e z u p r ü f e n , u. s. w. Nichts weni-
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ger! D i e P r ü f u n g m u ß v o r h e r g e h e n , eh sich der Herr zum Lehrer machen läßt. Findet er in dieser Prüfung die Lehrsätze seiner Kirche nicht so beschaffen, daß er sie mit gutem Gewissen annehmen oder unangefochten lassen kann, s o m u ß e r k e i n L e h r e r w e r d e n . Aber ist er’s einmal, so bleibt ihm nichts übrig, als entweder sich z u c o n f o r m i r e n oder s e i n A m t n i e d e r z u l e g e n und z u s c h w e i g e n i n d e r G e m e i n e . — Doch, ich besinne mich, es giebt noch mehr Auswege. Er kann z. E. versuchen, ob er nicht Stänkerey anrichten, und sich zum Haupt einer neuen Sekte, zum Stifter einer neuen Religion, aufwerfen könnte. Aber in unsern Zeiten möchte dies ein Unternehmen seyn, vnde laboris plus haurire mali est, quam ex re decerpere fructus.
Wenn der Hr. D. mit irgend einem solchen Anschlag umgehen sollte, so wollt’ ich ihm wohlmeynend gerathen haben, es etwa bey den N e u s e e l ä n d e r n zu
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versuchen. In Europa möcht’ es ihm, ungeachtet alles dessen, was unsre philosophirenden Theologen vorgearbeitet haben, so leicht nicht damit von statten gehen. Ja, ich zweifle stark, ob es ihm selbst in Neuseeland gelingen dürfte. Denn eine d u r c h a u s r ä s o n n i e r t e R e l i g i o n scheint mir just so ein Ding zu seyn, wie e i n S t a a t , w o r i n n a l l e M e n s c h e n f r e y u n d g l ü c k l i c h s i n d . Man muß ein Prometheus seyn, und sich erst ganz neue Menschen erschaffen haben, eh man sich einfallen lassen kann, solche Projecte realisiren zu wollen. Ich habe bisher, aus schuldiger kosmopolitischer Höflichkeit, vermöge de10
ren man einen jeden für das passiren läßt, wofür er sich ausgiebt, dem Hrn. D. B. den Charakter eines Doktors der Theologie ohne Bedenken zugestanden, und maaße mir auch keinesweges an, ihm solchen abzusprechen. Indessen wenn man so alle Umstände bedenkt, so kann sich unser einer des Gedankens kaum erwehren: ob der Herr Doctor nicht besser gethan hätte, mit der althergebrachten Christlichen Religion, von welcher er sich in seinem Glaubensbekenntniß so feyerlich loßsagt, auch dem Titel und den Rechten eines Doctoris Theologiae zu entsagen. Denn wenn nun einer käme, und sagte ihm: Lieber Herr, die Christliche Kirche in abstracto hat, wie Ew. Ehrwürden wissen, keine Theologiae Doctores; aus waserley Macht also nennen sie sich
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einen protestantischen Doktor? Nicht wahr, die theologische Fakultät, die Ihnen diese Würde ertheilt hat, war eine der A. C. verwandte Fakultät? Und da Sie diese Würde empfiengen, mußten Sie versprechen, und versprachen auch, sich zur A. C. verwandten Kirche zu halten, und nichts zu lehren, das Ihrer öffentlich angenommenen Glaubensregel zuwider wäre? Und die besagte Fakultät konnte Ihnen auch die Doktorwürde und die damit verbundnen Gerechtsame n u r u n t e r d i e s e r B e d i n g u n g ertheilen? Wie haben Sie nun diese Bedingung erfüllt? Sie haben sich in den Fall gesezt, daß Ihnen von Kayserl. Majestät wegen auferlegt werden mußte, ein öffentliches Bekenntniß Ihres Glaubens abzulegen. Und w i e haben Sie dieses Bekenntniß abgelegt?
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Sie haben sich nicht entblödet, eben diese Kirche, von welcher Sie, kraft Ihrer Würde, ein Lehrer, eben diese Religion, von welcher Sie ein Bekenner seyn sollten, öffentlich vor dem Kayserl. Throne zu denunciiren und zu beschuldigen, daß sie v e r n u n f t - u n d s c h r i f t w i d r i g e I r r t h ü m e r enthalte, I r r t h ü m e r , d i e t h e i l s d e r G o t t s e l i g k e i t s c h a d e n , t h e i l s durch ihr der Vernunft Anstößiges d i e Q u e l l e d e s U n g l a u b e n s u n d d e r R e l i g i o n s -
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v e r a c h t u n g b e y Ta u s e n d e n w ü r d e . — Das haben Sie gethan: und Sie geben sich für einen protestantischen Doktor der Theologie? Sie berufen Sich noch vor dem Kayser selbst auf die Rechte eines protestantischen Lehrers? Sie wollen als ein Theil der repräsentirenden Kirche angesehen seyn? Sie, der diese Kirche so öffentlich, so heftig angreift und schändet, sich öffentlich von ihren Lehrsätzen loßsagt, und sich also ipso facto außer allem Theil und Erbe an ihrer Gemeinschaft sezt? — Wenn jemand das Alles dem Herrn Doktor sagte: was könnte der Herr Doktor wohl darauf antworten? Und gesezt, es käme dann noch irgend ein ehrlicher Katholik dazu, und spräche: Mein lieber protestantischer Herr Doktor Theologiä, Sie haben ein
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Glaubensbekenntniß drucken lassen, worinn Sie Sr. Kayserl. Majestät (der, wie Sie wissen, ein katholischer Fürst ist,) entdecken und anzeigen: „daß u n s e r protestantisches Religionssystem (was wollten Sie doch mit dem Wörtlein U n s e r in einem Glaubensbekenntniß, das a n d e n K a y s e r gerichtet ist, sagen?) eine häßliche Pfütze von Ketzereyen gegen Vernunft, Schrift und Moralität, sey, und einer neuen Reformation höchstnöthig bedürfe.“ Sie, mein protestantischer Herr Doktor, haben den Kayser und die Stände des Reichs, also auch die Katholischen Erzbischöffe, Bischöffe, und sämmtliche Reichsprälaten aufgefodert, unverzüglich Hand ans Werk zu legen; und haben also nicht nur, Ihrerseits, dem Kayser und den Katholischen Reichsständen ein
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dem Religions- und westphälischen Frieden schnurstracks zuwiderlaufendes Recht, ein Recht, dessen sich anzumaaßen dem Kayser und den Ständen Kathol. Antheils nie in Sinn gekommen ist, zugestanden, sondern es Ihnen auch durch die beweglichsten Bitten sogar zur Gewissenspflicht machen wollen, das friedsame römische Reich durch eine solche Reformationsanmaaßung in Feuer und Flammen zu setzen. Aber das ist lange noch nicht das Ärgste, was Sie gethan haben. Denn, sehen Sie einmal, Herr Doktor, eben diese Lehrsätze, um deren willen Sie die protestantische Kirche so häßlich bey Kayserl. Majest. anschwärzen, s i n d (einen einzigen etwa ausgenommen) G l a u b e n s a r t i k e l d e r K a t h o l i s c h e n K i r c h e ; und indem Sie diese Lehrsätze das Ärgste, was nur gesagt werden kann, schelten, und den Kayser zu einer neuen Reformation auffordern, so lästern Sie dem Kayser seine eigne Religion ins Angesicht, und muthen Ihm zu, daß Er den uralten Grundartikeln des nehmlichen Glaubens, dessen oberster Beschützer Er ist, öffentlich den Krieg ankündigen soll? Unmöglich, Herr Doktor, (verzeihen Sie meine Offenherzigkeit) unmöglich
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können Sie recht bey sich selbst gewesen seyn, wie Sie dies thaten? Denn daß Sie in Ihrem ordentlichen Zustande nicht wissen sollten, was jedes Kind weiß, läßt sich doch unmöglich denken; und noch unmöglicher können Sie verwegen genug seyn, sich einzubilden, der Kayser wisse so wenig von seiner eignen Religion, d a ß e r’ s n i c h t m e r k e , oder, sie sey ihm so gleichgültig, daß er’s nicht übel finden werde, wenn Sie so mit ihr zu Werke gehen. Würklich, Herr Doktor, es muß nicht so ganz richtig in Ihrer Zirbeldrüse stehen; Sie werden wohl thun, wenn Sie je bälder je lieber mit Ihrem Arzt aus der Sache sprechen. — Wenn ein Katholik so mit dem Herrn D. spräche, was könnt’ er ant10
worten? Man sieht übrigens aus dem ganzen Zusammenhang und Ton des Bahrdtischen Glaubensbekenntnisses, daß er sich der Gründe prävaliren zu können glaubt, auf welche vor dritthalbhundert Jahren L u t h e r und seine Gehülfen sich stüzten, da die Vorsehung sich ihrer bediente, eine Reformation zu bewirken, die bekanntermaaßen das Objekt verschiedener Kirchenversammlungen im 15ten Jahrhundert und lange der fast allgemeine Wunsch der Christenheit, besonders der teutschen Nation gewesen war. Es ist hier nicht der Ort, diese Sache von allen ihren Seiten zu betrachten. Genug, daß unter verschiedenen Umständen das Nehmliche, was zu Einer Zeit nothwendig und
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insofern recht war, zu einer andern ganz unschicklich und unzulässig seyn kann. Die großen Revolutionen werden freylich nur durch außerordentliche und anomalische Bewegungen bewirkt; aber dafür können von ihnen auch keine Regeln für den ordentlichen und ruhigen Lauf der Dinge hergenommen werden. In dem verwirrten, schwebenden, anarchischen Zustande, der eine solche Revolution begleitet, reissen, oder relaschiren sich wenigstens die stärksten Bande der Gesellschaft; die heiligsten Vorurtheile werden nicht mehr geachtet, die entschiedenste Autoritäten in Zweifel gezogen, die verjährtesten Gerechtsame und Titel einer neuen Untersuchung unterworfen; die Menschen treten in ihre natürliche Freyheit zurück; jeder gilt soviel als er
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behaupten kann, und die Stärke giebt endlich den Ausschlag. Aber ein so gewaltsamer Zustand kann nicht lange dauren. Der Körper, der von solchen Convulsionen erschüttert und zertrümmert wird, muß unter irgend einer Gestalt wieder in Ruhe und Ordnung kommen. Alles nimmt dann wieder einen gesetzmäßigen ruhigen Gang. Die Freyheit wird wieder in ihre Schranken gesezt; und in dem Moment, da die alte Verfassung wieder hergestellt, oder
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eine neue festgesezt ist, hört das Recht sie zu untersuchen und zu kontroliren auf. Dies ist, der Natur der Sache gemäß, von jeher die Geschichte aller Revolutionen gewesen; und die Anwendung hievon auf die Religionsunruhen des 16ten Jahrhunderts ist so leicht, daß ich sie einem jeden selbst zu machen überlassen kann. Wie konnte nun Hr. D. Bahrdt auf die Gedanken kommen, zu einer Zeit, da die Christliche Kirche einer Ruhe genießt, die unsern Vorfahren so theuer zu stehen gekommen ist — in einem Reiche, wo die dermalige Religionsverfassung mit der politischen Grundverfassung so enge verbunden ist, daß keine ohne die andre fallen kann — wie konnte er auf den Gedanken kommen, sich
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selbst und andern als ein Jus quaesitum vindiciren zu wollen, was nur in dem außerordentlichen Zeitpunkt einer lange vorbereiteten und endlich zum Ausbruch reif gewordnen großen Revolution Platz findet? Oder — wo ist die Nothwendigkeit einer neuen Reformation? Wo sind die Gebrechen, denen nicht anders als durch Schneiden und Brennen geholfen werden kann? Wo sind die Anstalten, die Vorbereitungen, die verhältnismässigen Kräfte zu einem solchen Unternehmen — wenn es auch nöthig wäre? Ich bin der menschlichen Dinge so unkundig nicht, zu behaupten, daß die Lutherische Kirche, die der Herr Doktor vor dem Kayserlichen Thron auf eine so ungeziemende Weise angeklagt hat, ohne alle Mißbräuche und sowohl im
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Allgemeinen als Besondern nicht in mancherley Betracht vieler stufenweiser Verbesserung fähig sey. Ohnezweifel ist es natürlich, daß die seit 200 Jahren immer gewachsene Aufklärung aller Wissenschaften auch auf die Theologie, und besonders auf die Auslegung der heil. Bücher nüzliche Einflüsse verbreitet. Ein Homuncio, der kaum groß genug ist, Luthern die Schuhriemen aufzulösen, kann izt mit den Hülfsmitteln, die man im Überfluß hat, die Bibel in vielen Stellen besser übersetzen als Luther; und selbst manche Glaubenslehren können, wo nicht auf eine an sich bessere, doch den Begriffen, der Sprache und dem Bedürfniß u n s r e r Zeit angemeßnere Art vorgetragen werden. Auch ist dies bisher geschehen, und kann noch ferner geschehen, ohne daß es darum nöthig wäre, großes Aufsehen zu machen, oder gar das Haus an allen Ecken anzuzünden, unter dem Vorwand, daß man dann ein neues bauen könne. Aber freylich Hr. D. Bahrdt, der augenscheinlich mit nichts Geringerm umgeht, als die Christliche Religion, nach des berühmten J o h a n n B u n k e l s
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Weise, von Allem, was sie zur Christlichen Religion macht, zu entkleiden, ja nicht nur zu entkleiden, sondern sie zu entfleischen, bis auf die Knochen abzuschälen, und nichts als ein bloßes Gerippe von kahlem Deismus, mit moralischen Bettlerslappen behängt, übrig zu lassen — freylich kann er, bey solchen Absichten, nicht weniger thun, als er thut; und, insofern er aufrichtig genug ist, das öffentlich zu thun, was izt so Manche andre nur heimlicher und mit etwas mehr Beobachtung des Wohlstandes treiben, verdient er gewissermaaßen Dank. Denn mit Ihm weiß man doch woran man ist; und so wie Ers angreift, hat man nicht zu befürchten, daß er viele Proselyten zu seiner neuen 10
Religion machen werde. Zwar, wenn man Ihn hört, so kann nichts dringenders seyn, als die Nothwendigkeit seiner vorgeschlagnen neuen Kirchenverbesserung; denn das alte Glaubenssystem ist, seinem Vorgeben nach, eben so u n v e r n ü n f t i g als u n m o r a l i s c h , und gerade das was seit siebzehn Jahrhunderten der Glaube der Christen gewesen, ist die wahre Quelle des Unglaubens und ungöttlichen Lebens, worein beynahe die ganze Christenheit versunken seyn soll. Aber wen glaubt er durch diese Vorspieglung auf seine Seite zu bringen? Die C h r i s t e n doch wohl schwerlich; denn die werden ihm nicht nur ihre e i g e n e , sondern die Erfahrung einer so langen Reyhe von Jahrhunderten, die Beyspiele so vie-
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ler Myriaden entgegenhalten, bey denen eben dieser Glaube der Grund und die Quelle eines heiligen Lebens, der reinsten Sitten und der höchsten Tugenden gewesen ist. Bisher war man, von Anbeginn des Christenthums bis auf diesen Tag überzeugt, daß der Unglaube ganz andre Quellen habe, als die vorgebliche Unvernunft des christlichen Lehrbegrifs; man fand, daß er seinen eigentlichen Sitz nicht im K o p f e der Unglaubigen, sondern in ihrem H e r z e n oder wohl gar in ihrem U n t e r l e i b e habe, und die Erfahrung hatte diese Bemerkung bisher unzählichemal bestätigt. Herr D. B. ist meines Wissens der erste Theologus, der (wenigstens ö f f e n t l i c h ) die Gefälligkeit gegen die Gegner der Christlichen Religion so weit treibt, ihnen alles, was sie wollen, ein-
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zugestehen, und uns bereden zu wollen: das beste Mittel aus der Sache mit ihnen zu kommen, sey, vom Christenthum nichts als noch etwa e i n i g e a l t e N a m e n beyzubehalten, und alles übrige der vorgeblichen Vernunft einer Handvoll kalter Räsonneurs und einem Haufen muthwilliger Witzlinge und Spötter aufzuopfern. Der k ü r z e s t e Weg ist es allerdings. Aber wenn er glaubt diese Herren dadurch im Ernste zu gewinnen; sie durch Aufopferung
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dessen, was von jeher das Glaubenssystem der Christen gewesen ist, wirklich zu Christen im Sinne des Evangeliums und der ersten apostolischen Kirche zu machen; so betrügt er sich gar übel. Alles, was er bey ihnen gewinnen wird, ist, daß sie seiner Schwäche spotten, und ihn für einen Menschen halten werden, der selbst nicht weiß was er will; für einen Halbkopf, der aus bloßer Ungeschicklichkeit die Sache des Christenthums zu behaupten, und aus der mauvaise honte eines kleinmeisterischen Pfäfchens, das sich seines Berufs schämt und unter den Weltleuten gerne für einen Philosophen und starken Geist angesehen werden möchte, zum Verräther an der Religion, die er bekennen sollte, geworden ist. Ich sage dies aus langer und vielfältiger Beobachtung dessen,
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was in diesen Dingen der Welt Lauf ist; und habe oft zu sehen Gelegenheit gehabt, daß ein einfältiger Mönch, der sich durch kein Räsonnement von der Welt in seinem Glauben irre machen ließ, wenigstens durch seine Standhaftigkeit Eindruck machte, und mehr Achtung erhielt, als ein Andrer, der sich zu einer Art von Kapitulation mit der Freygeisterey bequemte, und indem er ein Stück von seinem Glauben nach dem andern fahren ließ, zulezt nackend und bloß davon zu laufen, oder sich auf Discretion zu ergeben genöthigt war. Da dieser Aufsatz bereits die Grenzen, die mir dazu angewiesen worden, überschreitet, so muß ich die Mittheilung meiner Gedanken über Ve r n u n f t , G l a u b e n und U n g l a u b e n auf eines der nächsten Stücke versparen, und
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beurlaube mich hiemit von meinen Lesern, indem ich mir die Erlaubnis ausbitte, noch eine einzige Betrachtung beyzufügen. Der Herr D. Bahrdt sagt dem Kayser am Schlusse seines Bekenntnisses: „Tausend und aber Tausend wünschen und sehnen sich mit mir n a c h R e f o r m e , n a c h F r e y h e i t ; weil sie sehen, daß diese Freyheit das s i c h r e und e n t s c h e i d e n d e Mittel seyn werde, d e n S i e g d e r R e l i g i o n J e s u a l l g e m e i n z u m a c h e n , a l l e n U n g l a u b e n z u b e s c h ä m e n , und i n K u r z e m eine a l l g e m e i n e Ve r b r ü d e r u n g a l l e r R e l i g i o n s p a r t h e y e n herzustellen.“ Es ist schwer zu begreifen, was der Herr Doctor bey diesen Worten gedacht haben kann; und man hat Mühe zu glauben, daß der Mann würklich so ehrlich und aufrichtig zu Werke gehe, als ich ihm neulich, vielleicht allzugutherzig, eingestanden habe. Was nennt er denn die Religion Jesu? Wie wenig muß er den Geist dieser Religion, und wie wenig die Menschen kennen, wenn er sich einbilden kann, daß ihr Sieg so leicht, so bald allgemein werden könne! Was für ein feines Mittel den Unglauben zu b e s c h ä m e n , wenn man ihm alles aufopfert, was
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ihm anstößig ist? Was für ein feines Mittel, die christliche Religion allgemein zu machen, wenn man sie zu purem putem Deismus destilliert? Und was soll das für eine Freyheit seyn, nach welcher Er und seine angebliche Confratres sich sehnen? Wenn ihnen an der Freyheit der Protestanten (die vielleicht zum Schaden der Religion bereits schon zu groß ist) nicht genügt, was für eine Freyheit wollen sie? Eine Freyheit ohne Grenzen? Freyheit von allem Ansehen, aller Subordination? Ein ungebundnes Recht alles zu verwerfen, was der Vernunft der Herren nicht anständig ist? — Und eine solche Freyheit soll das sicherste Mittel seyn, eine allgemeine Verbrüderung unter der römischka10
tholischen, lutherischen, reformierten, anglicanischen, griechischen, armenianischen, koptischen und abyssinischen Christenheit in Kurzem zu Stande zu bringen? Die Vernunft des Hrn. D. kann bey so grobem Unsinn etwas denken? Kann so platte Schimären im Ernst für praktikabel halten? Schämt sich nicht sie dem Kayser selbst vorzuschwatzen? — F r e y h e i t , F r e y h e i t — das große Cheval de bataille, oder vielmehr der große Esel, auf dem sich heutigs Tages so manche Windköpfe herumtummeln! Politische Freyheit! Religionsfreyheit! Schöne große Wörter! Und wenn sich die Herren dann erklären sollen, was sie damit wollen; so kommt heraus: sie möchten gerne, daß alles auf dem ganzen Erdenrund in den herrlichen Stand der natürlichen Ungebun-
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denheit und Wildheit zurückgesezt würde. — Wie viel die Menschheit dabey gewönne oder verlöhre, ist eine Untersuchung und Berechnung, womit sich die Herren die Köpfe nicht zerbrechen. Genug, daß diejenigen, die sich nach dieser seligen Freyheit sehnen, gemeiniglich Leute sind, die bey dem allgemeinen Umsturz der gegenwärtigen Verfassung nichts zu verliehren hätten, und sich vielleicht noch zu verbessern hoffen könnten, wenn alles auf den Kopf gestellt würde. Die Freyheit, nach der sich der Hr. D. sehnt, muß wohl auch eine Grille von diesem Schlage seyn. Oder in welchem F r e y s t a a t der Welt darf jeder glauben, lehren und schreiben was er will? In welchem Freystaat der Welt ist je die Religion so frey gegeben worden, daß sie keiner Vorschrift,
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Autorität, Zucht und Ordnung sollte unterworfen gewesen seyn? Wenn man der sogenannten Vernunft des Hrn. D. und andrer seines Schroots Freyheit geben soll, die Religion nach Gutdünken zu beschneiden, oder zu dehnen und zu recken, zu faßonnieren, zu raffiniren, zu simplificiren und zu allkoholisiren so viel und lange sie wollen, — wer wollte sich nicht gleichen Rechtes anmaaßen dürfen? Wo und wenn sollte das Räsonniren und Simplificiren end-
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lich aufhören? Was würde zulezt von der Religion übrig bleiben? Und wenn diese Vernunftsmänner (wie man sich sehr darauf verlassen kann) nun unter sich selbst uneins würden, und soviel Meynungen und neue Systeme herauskämen als Köpfe, und es wäre nun kein Richter in Israel mehr? — Nun, so gienge es dann auch wie ehmals; jeder thäte was ihm recht däuchte. — Aber die allgemeine Verbrüderung aller Christen — wo bliebe d i e ? Die Religion — was würde aus d e r ? —
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Vo n H r n . P r o f . S c h l ö z e r s interessantem B r i e f w e c h s e l haben wir das XXV. u. XXVI. Heft zugleich, und nun auch das XXVII. erhalten. Tröstlich muß
es für jeden Patrioten seyn, aus der ungestörten Fortdauer dieser periodischen Sammlung und dem allgemeinen Beyfall, womit sie aufgenommen wird, den Schluß ziehen zu können, daß die teutsche Freyheit, worauf sich unsre Alten ehedem soviel zu Gut thaten, und die in unsern Tagen so schwer zu definiren ist, noch nicht bis zum bloßen Nahmen abgezehrt sey, sondern, wie die Nymfe Eccho, wenigstens noch L a u t e von sich gebe. Zwar mögen wohl manche Rubriken und Noten unterm Texte hier und da hart auffallen; aber 10
der Herausgeber, einzig (wie er sagt) um die Zuverlässigkeit und Wahrheit seiner Nachrichten besorgt, scheint über die Furcht, Lust oder Unlust dadurch zu geben, gänzlich wegzuseyn. Denjenigen, deren Nationalstolz einige Abkühlung nöthig haben mag, und jedem, der sich die Aufklärung unsrer Zeiten durch merkwürdige Beyspiele wahr zu machen sucht, empfehlen wir vornehmlich die Artikel 6. 8. und 11. im XXV. Heft. Der letztere besonders (die Bücher-Inquisition in Prag betreffend) enthält Anekdoten, die beym ersten Anblick die Vermuthung erwecken, daß die Einsichten gewisser Personen mit ihrem Eyfer für das gemeine Beste nicht in dem gehörigen Gleichgewichte stehen dürften.
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Indessen müßte freylich, eh man ein ganz richtiges Urtheil von diesem Handel fällen könnte, auch der andre Theil gehört werden; und es ist wohl unläugbar, daß einige sonst verdienstvolle Männer durch kleine Unvorsichtigkeiten, und viele ihrer unreiffen Schüler durch den unzeitigen Eyfer, alles, was sie Aberglauben, Vorurtheile und Mißbräuche nennen, (und oft mit sehr weniger Diskretion so nennen,) bey jeder Gelegenheit braviren zu wollen, Gelegenheiten zu tragikomischen Auftritten geben, die mit etwas mehr Klugheit und Mäßigung hätten verhütet werden können. Überhaupt ists eben nicht immer Barbarey und Blödigkeit des Geistes, wenn an manchen Orten Männer von Ansehen der Naseweisheit und Neuerungssucht gewisser Leute, die alles
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besser wissen wollen als ihre Väter, Einhalt zu thun suchen. So dürfte es z. B. wohl auch, bey näherem Nachfragen, mit der Anekdote beschaffen seyn, die S. 65. des XXV. Hefts von einem gewissen ( b e y m H o f e zu W * * * nemlich)
¼Rezension: Schlözer½ B r i e f w e c h s e l ¼XXV. bis XXVII. Heft½
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v i e l g e l t e n d e n O r d e n s g e i s t l i c h e n erzählt wird; da er, als vor kurzem über die Einführung eines neuen Schulsystems gestritten worden, zur — gesagt haben soll: „Wollen Eu. — diese neue Lehrart einführen, und die Leute dadurch mehr verfeinern und aufklären, so geht g e w i ß d i e g a n z e R e l i g i o n v e r l o h r e n . Wollen aber Eu. — die R e l i g i o n , d i e d o c h d i e H a u p t s a c h e i s t , erhalten: so müssen wir beym Alten bleiben und den Leuten nicht mit solchen philosophischen und freygeisterischen Grübeleyen d i e K ö p f e v e r d e r b e n ; denn s o n s t g l a u b e n s i e g a r n i c h t s “ — Das tönt nun freylich graß genug; aber wer steht uns dafür, daß der Prälat, von dem hier vermuthlich die Rede ist, (und den wir zu errathen glauben) so graß
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gesprochen habe? Wenn wir uns nicht völlig in der Person irren, so ist hier ein Mann gemeynt, der nichts weniger als ein finstrer Kopf und blinder Eyferer ist; der vielmehr mit den besten Köpfen zu W. in Verbindung steht, und selbst unter die aufgeklärtesten seines Standes zu zählen ist; kurz ein Prälat, von dem sich gar nicht denken läßt, daß er aus S c h i e f h e i t sich gegen das (uns übrigens unbekannte) neue Schulsystem erklärt habe. Wer weiß nicht, daß manche Neuerungen, die in abstracto betrachtet, sehr löblich und ersprieslich scheinen, gleichwohl gerade zu d i e s e r Zeit, an d i e s e m Orte, unter d i e s e n Umständen, mehr Schaden als Nutzen stiften können? Wir können uns hier nicht über diese Materie in Rücksicht auf die vorliegende Anekdote
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ausführlicher erklären. Aber wem bekannt ist, wie sehr es seit zehn bis funfzehn Jahren in **** von seichten milchbärtigen Belletristen, Dichterlingen, Kunstschwätzern, Allwissern, Reformatoren und Projektmachern wimmelt, deren Unbescheidenheit und Unverstand der guten Sache mehr Schaden thut, als die Vorurtheile aller alten Mönche in der ganzen Christenheit: dem wird es eben nicht sehr auffallen, daß ein sonst wohldenkender Mann Bedenken finden kann, Entwürfe zur Ausführung zu befördern, deren rechte Zeit vielleicht noch nicht gekommen ist; oder wobey in der Folge, seiner Rechnung nach, die großen Vortheile, die der Verfasser des Entwurfs abgezielt hatte, von dem zwar zufälligen, aber doch unter den dermaligen Umständen unausbleiblichen Schaden vielleicht gar zu sehr überwogen würden. — Doch dies nur im Vorbeygehen! Sonderbar wird vielleicht vielen Lesern des Schl. Briefwechsels, die in Sammlungen dieser Art keiner Ironie gewärtig sind, vorkommen, daß der Artikel 14. im XXV. Heft, „Extract aus dem von der Hildburghausischen Com-
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mission vorgeschlagenen Z a h l u n g s p l a n “ betittelt, weiter nichts enthält, als eine zusammengezogne Specification der jährlichen Einnahmen und Ausgaben von S. Hildburghausen, und des Status passivi; vermöge deren die jährlichen Revenüen auf 71827 Fl. die jährl. Ausgaben auf 56643 Fl. und die Schulden, welche von dem Überschuß bezahlt werden sollen, auf 4,183’544 Fl. berechnet sind. Von dem Zahlungsplan aber, wie nehmlich v i e r M i l l i o n e n mit jährlichen 15000 Fl. bezahlt werden sollen, sagt der Extract kein Wort; und das war doch wohl das Problema, worauf die Erwartung des lernbegierigen Lesers gespannt war?
¼Rezension: Schlözer½ B r i e f w e c h s e l ¼XXV. bis XXVII. Heft½
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Der H. S. Weimarische Cammerherr, S i e g m u n d F r e y h e r r v . S e c k e n d o r f , hat sich die Liebhaber des schönen Gesangs durch eine z w o o t e S a m m l u n g von Vo l k s - u n d a n d e r n L i e d e r n mit Begleitung des Fortepiano ( We i m a r , bey Karl Ludolf Hoffmann 1779.) verbindlich gemacht. Das allgemeine Vergnügen, womit die erste Sammlung dieser Lieder aufgenommen worden, welche sich durch ihren geistreichen Ausdruck und liebliche Melodie so weit über das Koax Koax so mancher alltäglicher Liedersetzer, die ihre krächzenden Stimmen aus den Sümpfen des Parnasses hören lassen, erheben, hat bey allen Liebhabern Wünsche und Erwartungen erregt, die 10
durch diese neue Sammlung gewiß eher übertroffen als getäuscht worden sind. Sie besteht aus zwölf Stücken, wovon zwey aus G ö t h e’ s Monodrama P r o s e r p i n a und die übrigen alle, (bis auf eines, das den Hrn. v . S . selbst zum Verfasser hat) aus dem 1sten und 2ten Theil der Vo l k s l i e d e r genommen sind. Wiewohl unter Stücken von so verschiedner Art, wo jedes den ihm angemeßnen Geist, Ton und Ausdruck hat, eigentlich keine Auswahl noch Vergleichung statt findet, so glauben wir doch, ohne ungerecht gegen die übrigen zu seyn, vermuthen zu können, daß d i e G e w a l t d e r L i e b e , Ä n n c h e n v . T h a r a u , d e r M o r g e n g e s a n g , das Schakespearische S ü ß e r To d , das B e t t e l l i e d , und die beyden A r i o s o’ s der Proserpina, am allge-
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meinsten gefallen, und um ihres leichtfaßlichen, anmuthigen und empfindungsvollen Gesangs willen bald überall aus allen schönen Lippen ertönen werden. In E d w a r d (aus dem 2ten Th. der Volkslieder) einem Meisterstück erhabner pathetischer Einfalt und Stärke, scheint die Musik mit dem Text zugleich aus Einem Strom schaurlichen Gefühls sich ergossen zu haben. Möchte die Muse des Freyh. v . S . ihre und seine Freunde bald wieder durch ein so schätzbares Geschenke sich verbindlich machen!
¼Rezension: Seckendorff½ Vo l k s - u n d a n d e r e L i e d e r
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Moralische Novellen des Miguel de Cervantes Saavedra ; zum ers t e n m a l e a u s d e m O r i g i n a l e ü b e r s e t z t . L e i p z i g , bey Dodsley und Comp. 1779. Unter einem Paar Dutzend Novellen-Schreibern der Spanier, die ich kenne, theils Originalen, theils Nachahmern und Übersetzern, verdiente keiner mehr das teutsche Gewand, als C e r v a n t e s . Sein Name schon bürgt jedem Leser dafür, daß er hier keine gemeine oder l o o s e S p e i s e zu fürchten habe. C e r v a n t e s brach, so wie in mehrerem, auch in diesem Felde, bey seiner Nation die Bahn. Er sahe den Hunger, den sie nach Novellen hatte, und wie sie 10
sich elend genug mit Übersetzungen Italienischer und Französischer Waare behelfen mußte; und er war also der E r s t e , der den Spaniern Originale lieferte. Auch dieß Werk zeigt überall seinen Meister; durchaus herrscht darinn die individuelle Cervantesische Laune, der tiefe Blick ins menschliche Herz, die praktische Moral, die feinste Delikatesse der Behandlung seiner Gegenstände, und der philosophische Geist, der sich über alle seine Werke verbreitet. Der Hr. Kammerherr v o n S o d e n zu Anspach, dem wir diese vortrefliche Übersetzung zu danken haben, hat alles geleistet, was einem Übersetzer des C e r v a n t e s , der, außer den allgemeinen Schwierigkeiten Spanischer Schriftsteller, bey diesem noch mit ganz eigenen zu kämpfen hat, nur möglich war.
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Er ist höchst glücklich durch die Klippen einer zu freyen Paraphrase und zu ängstlichen Treue, die hölzerne Trockenheit macht, hindurchgeseegelt. Die Übersetzung liest sich wie ein Original; und hat drum doch immer ihren fühlbaren Nationalgeschmack. Mehr gute Spanische Schriftsteller s o bearbeitet, würden uns bald die Binde des Vorurtheils gegen die Spanische Litteratur von den Augen nehmen, und zur unterhaltenden Lecktüre, die doch ein so wesentlich Bedürfniß unsers Publikums ist, ein sehr wichtiger Beytrag seyn.
¼Rezension zu von Sodens Übersetzung: Cervantes½ N o v e l l e n
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¼Revision eines neuerlich über das Kartenspielen gefällten Urtheils. Das Kartenspielen nimmt unter den gewöhnlichen Ergötzungen der menschlichen Gesellschaften einen so wichtigen Platz ein, daß ein Schriftsteller, der es unternimmt, von der Sittlichkeit der Vergnügungen in einem eigenen Buche zu handeln, dasselbe so wenig übergehen kann, daß er vielmehr gleich imvoraus die sichere Erwartung veranlaßt, endlich einmal etwas recht Gründliches und Ausführliches darüber zu lesen. Und wenn dann ein Mann, wie der Herr Prof. E h l e r s in Kiel, dieser Schriftsteller wird: welche günstige Vermuthung muß ein denkender Leser da nicht schon mitbringen, sobald er sein Buch in die Hände nimmt! Hat er 10
aber vollends den ersten Theil desselben durchgelesen, und darinn so manche deutliche Probe gründlicher Einsichten und menschenfreundlicher Gesinnungen gefunden; stößt endlich auf die 25ste Betrachtung, sieht aus der Überschrift: Vo n d e n S p i e l e n d e r G e s c h i c k l i c h k e i t u n d d e s Z u f a l l s , daß hier das gesellschaftliche Kartenspielen sehr genau von den selbst durch Gesetze hier und da verbotenen Spielen des Zufalls abgesondert wird, und liest überdies noch d i e g e w i s s e Ve r s i c h e r u n g , d a ß i n P r ü f u n g d i e s e r S p i e l e (der gesellschaftlichen Kartenspiele) k e i n e d a g e g e n e r w e c k t e L e i d e n s c h a f t , k e i n e N e i g u n g , eine etwa angenommene Meynung nun zu verfechten, oder irgend etwas anders, das die Menschen hindern kann, Alles sorgfältig zu betrachten, und r i c h t i g , w i e e s i s t , z u f a s s e n , d i e G e d a n k e n d e s Ve r f a s s e r s g e l e i t e t h a b e * ); so
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wird er es gewiß kaum erwarten können, das Resultat der Untersuchung oder das Endurtheil über das gesellschaftliche Kartenspielen zu vernehmen. Allein wie wird nicht auch mancher solcher erwartungsvolle Leser stutzen, wenn er dann am Schlusse der Betrachtung folgende mit andern Lettern gedruckte Zeilen stehen sieht: d a ß , w e n n a l l e n t h a l b e n r e i f l i c h über die Sache nachgedacht würde, ordentlich und tugendhaft lebende Menschen gewiß diese Spiele als eine Pest der menschlichen Glückseligkeit und Tu g e n d m e i d e n , v i e l w e n i g e r i n i h r e n H ä u s e r n v e r a n l a s s e n o d e r d u l d e n w ü r *)
B e t r a c h t u n g e n ü b e r d i e S i t t l i c h k e i t d e r Ve r g n ü g u n g e n , i n z w e e n T h e i l e n ,
v o n M a r t i n E h l e r s , P r o f e s s o r d e r P h i l o s o p h i e z u K i e l . Flensburg und Leipzig 1779. 2ter Th. S. 174 und 175. wo aber im Buche selbst etwas ausgelassen ist, das ich hier, nach dem 30
Zusammenhange, ergänzt habe.
¼Anonymus½ R e v i s i o n e i n e s n e u e r l i c h ¼…½ g e f ä l l t e n U r t h e i l s
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d e n * ) ! Ich wenigstens, der ich nach denselben Grundsätzen, dergleichen Herr E. in dieser Betrachtung ** ) seinen Zuhörern, die einst Prediger werden wollen, einzuprägen sucht, in dem Hause meines Vaters, der selbst ein Prediger war, erzogen worden bin, auch nach eigener reifer Prüfung sie noch gut finde — ich wenigstens, sage ich, hätte doch selbst einen solchen harten Ausdruck nicht erwartet, als der ist: P e s t d e r m e n s c h l i c h e n G l ü c k s e l i g k e i t u n d Tu g e n d . Ja ich erwartete überhaupt kein Urtheil weiter, nachdem ich einige Blätter vorher schon so viel gelesen hatte, d a ß w i r a l s p a t r i o t i s c h e We l t b ü r g e r , s o v i e l a l s i n u n s e r m Ve r m ö g e n i s t , u n d a l s w i r v o n u n s e r n B e m ü h u n g e n g l ü c k l i c h e E r f o l g e e r w a r t e n k ö n n e n , d i e s e n (den) s o a l l g e m e i n h e r r s c h e n d e n K a r t e n s p i e l e n e n t g e g e n z u a r b e i t e n v e r p f l i c h t e t s i n d * * * ) . Dies schien mir schon stark genug ge-
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urtheilt zu seyn, und ist auch wohl, deucht mich, Alles gesagt, was sich nach der strengsten Sittenlehre, mit Bestande der Wahrheit über diesen Punkt sagen läßt. Indessen muß ein Urtheil, und wenn es noch so hart schiene, doch nicht ohne genauere Untersuchung für ungültig gehalten oder ganz verworfen werden. Dies ist besonders hier der Fall; denn nach allen dem, was bis izt über diese Materie geschrieben worden ist, und da selbst ein P l a c e t t e , P i c t e t , M i l l e r , L e ß , u. a. die innere Zulässigkeit des Kartenspiels anerkennen, ist die stärkste Vermuthung da, daß ein Mann, der das, was Andere für zulässig oder gleichgültig ansehen, für Pest der menschlichen Glückseligkeit und Tugend hält, gewiß starke Gründe dazu haben müsse. Ich war daher am Ende der Betrachtung verdrießlich über mich selbst, weil ich vermuthete, die vorhergehenden Gründe eines solchen Endurtheils zu flüchtig
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überlesen, und deswegen ihre Beweiskraft nicht gefühlt zu haben. Ich las also die Betrachtung wieder von vorn an durch, strich vor, merkte an, las abermal, und fand — im Einzelnen immer wieder viel Wahres und Gutes, im Ganzen aber das Gesagte nicht treffend, die Schlüsse nicht bündig, und die Moral übertrieben. Ich hatte meine Anmerkungen aufgeschrieben, aber zuerst blos für mich, und mache sie nun hier öffentlich bekannt, gewiß nicht um das Lob, welches die Schrift des Hrn. E. nach Verdienst erhalten hat, zu benagen; sondern unter andern gerade auch in derselben Absicht, in welcher Hr. E. seine Betrachtung aufgesezt hat: nehmlich, als patriotischer Weltbürger auch etwas diese Sache betreffendes, nur auf eine andere Weise, zum gemeinen Besten beyzutragen. Das Publikum mag richten, welcher von beyden Wegen, die beyde zu einem Orte führen sollen, der leichteste und sicherste ist. Es nehme sich aus den verschiedenen Gedanken zweyer Menschen, die sich beyde guter Absichten bewußt
*)
2ter Th. S. 178.
**) ***)
2ter Th. S. 175. 176. ebendas. S. 172.
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sind, das Beste heraus; und würde dann vielleicht etwas Gutes geschafft, so soll es mir fürwahr einerley seyn, ob es dem Hrn. E. oder mir in Rechnung gebracht wird. Vor allen Dingen kann ich es nicht billigen, daß Hr. E. auch nicht mit Einem Worte daran denkt, etwa zu untersuchen oder zu beweisen, ob das Kartenspielen a n s i c h erlaubt oder unerlaubt sey. Bey einer Betrachtung über die Sittlichkeit der Kartenspiele sollte dies doch immer das Erste und gleichsam der Grund seyn, worauf alles Übrige hernach gebaut wird; wenn auch gleich kein gewissenhaftiger Mensch sich eine Ergötzung blos und allein deswegen allemal erlauben wird, weil er sie für a n s i c h rechtmäßig hält. Ein anders ist, eine Sache abhandeln, ein anders sie thun. Allein Hr. E. hat diese ganze Untersuchung übergangen, und 10
scheint es mit allem Vorbedachte gethan zu haben; welches ich daraus schließe, weil er in der Betr. seinen Zuhörern dieses Verfahren selbst als eine Klugheitsregel zu empfehlen sucht. So ermahnt er unter andern diejenigen von ihnen, die einst Prediger werden wollen, sich den Spielen aus allen Kräften zu widersetzen; nur sollen sie mit Klugheit zu Werke gehen. S. 175. Und worinnen besteht diese Klugheit? Sie sollen, heißt es ebendaselbst, das Spielen als eine Sache, die bey recht guten Menschen wenig Böses (aber doch Böses allemal?) wirken kann, doch nicht mit Heftigkeit geradezu verdammen, Spielenden die Seligkeit nicht absprechen, noch weniger die Catechumenen darüber, daß sie nicht spielen wollen, vereiden. In Gesellschaften sollen sie nicht wider das Spiel reden; aber auf der Kanzel mit Wärme darwider predigen. S. 176. (Vielleicht, weil man in der Gesellschaft antworten und Einwendungen ma-
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chen kann; auf der Kanzel aber sie vor beyden gesichert sind?) Sollten sie ja in Gesellschaften deswegen befragt werden, und sie könnten nicht wohl der Antwort gar ausweichen: so möchten sie nur kurz und gut sagen, sie hielten das Spiel für etwas sehr Verderbliches; welches oft mehr wirken werde, als g r ü n d l i c h e A u s e i n a n d e r s e t z u n g . S. 177. In ihren Häusern sollen sie n i e spielen lassen; doch leide es eine Ausnahme, wenn sie etwa hohe und vornehme Gäste hätten. Ebend. Gegen junge Leute sollen sie aufs Kartenspielen ja nicht schimpfen, noch schelten; den Gedanken nur sollen sie suchen herrschend bey ihnen zu machen, daß es eine Pest der menschlichen Glückseligkeit und Tugend sey. S. 178. Mir behagen diese Klugheitsregeln so wenig, als überhaupt die ganze von vielen noch gebrauchte Kasuistik mir je gefallen wird: nach welcher man den sogenannten Laien Sachen, die man von ihnen nicht gethan
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wissen will, geradezu als wie anderes Böse verbieten, und gar nicht merken lassen soll, daß es eigentlich a n s i c h wohl erlaubt wäre; oder daß man öffentlich gegen gewisse Dinge eifern müsse, die man hingegen in Gesellschaften und bey Vornehmern so genau nicht zu nehmen habe. Meinen Begriffen von Wahrheit und meinen Empfindungen von Ehrlichkeit widersteht so etwas geradezu; und ich halte dafür, der Moralist auf der Kanzel und der Moralist in der Gesellschaft muß einerley seyn, und was er in Gesellschaften nicht geradezu verdammen darf,
¼Anonymus½ R e v i s i o n e i n e s n e u e r l i c h ¼…½ g e f ä l l t e n U r t h e i l s
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das muß er auch auf der Kanzel nicht verdammen wollen. Da ist mir der milzsüchtigste Schwärmer ehrwürdiger, der vor dem Anblick eines Kartenblattes wie vor dem T…l flieht, und mit jenem H. Kirchenvater * ) das Spielen für offenbare Abgötterey hält; er behauptet sich doch immer, bey allen schiefen Einsichten seines Verstandes, als ein Mann von ehrlichem Herzen, und handelt doch allenthalben nach festen und ebendenselben, ob auch irrigen, Grundsätzen. Hier gilt, was der sel. Graf B e r n s t o r f bey Gelegenheit, da eine Separatistin, die sich im Hospital unerträglich machte, ausgeschlossen werden mußte, die er aber anderwärts auf seine eigene Kosten versorgte, sagte: E s i s t d o c h i m m e r g u t , G e w i s s e n z u h a b e n . Aus dem Angeführten scheint es mir nun von selbst zu folgen, daß die Schlüsse des Hrn. E. nicht allemal bündig und treffend seyn können; denn man nehme nun an, da er sich selbst
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nicht ausdrücklich darüber erklärt, er halte das Spielen für gleichgültig, oder für a n s i c h unerlaubt, allemal bleibt er, glaub’ ich, mit sich selbst im Widerspruche. Hält er es für unerlaubt, wie kann er Predigern rathen, was er ihnen da gerathen hat? Ist das Kartenspielen an sich böse: so muß es, gleich anderem Bösen, schlechterdings als sündlich anerkannt und geradezu verdammt, und Personen, die spielen, müssen, wie andere öffentliche Sünder, nach den Rechten des Landes und der Kirche behandelt werden. Nie müsse dann das Ansehen der Vornehmern, oder die Gegenwart hoher Gäste, dafern nicht Gewalt gebraucht wird, irgend jemand, am wenigsten den Prediger dahin vermögen, daß er in seinem Hause spielen lasse. Hält er aber das Kartenspielen für gleichgültig und für etwas an sich Erlaubtes, das nur leicht böse und schädlich werden kann: wie kann er es geradezu für Pest der Tugend ausgeben? Alles,
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was er dann noch so Wahres sagen mag, trifft allemal doch nur den Mißbrauch des Kartenspielens, nicht das Kartenspielen selbst. Wollte man aber, mit gethaner Verzicht auf Bestimmtheit und Vollständigkeit, die Überschrift der 25sten Betr. Vo n d e n S p i e l e n d e r G e s c h i c k l i c h k e i t u n d d e s Z u f a l l s in die: W i d e r d e n s o g e m e i n e n M i ß b r a u c h d e s K a r t e n s p i e l e s u n d d e s s e n S c h ä d *)
St. Cyprianus in einem Traktate vom Spielen spricht: Merkur, der Heiden Gott, habe das
Kartenspielen erfunden, sein Bildniß darauf setzen lassen, und befohlen, daß man ihm allemal zu Anfange des Spiels eine Ehre erzeigen solle, als: die Karten oder Würfel küssen, oder dem Bilde zu Ehren etwas Wein vergießen. — Die Christen hätten nur die Bilder verändert, und anstatt des Merkurs und anderer heidnischen Bilder einen König, Buben und dergleichen darauf mahlen lassen. Wer demnach in der Karte spielte, der hätte seine Lust an den Werken des Teufels — und erneure die alte Abgötterey. Wenn gespielt würde, so wäre der Teufel zugegen, halte sich versteckt, uns zu betrügen, und wenn es ihm geglückt wäre, so hätte er darüber die allergrößte Freude. P i c t e t , aus dessen S i t t e n l e h r e ich dieses genommen habe, und der es verantworten mag, wenn der h. Cyprian dies etwa nicht gesagt haben sollte, merkt dabey an, d a ß e r d e r S a c h e z u v i e l t h u e , im VII. B. 17. Kap. S. 972.
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l i c h k e i t abändern; so würde ich zwar die Ausführung im Ganzen gegründeter finden, einzelnen Behauptungen und Schlüssen aber darum doch nicht, oder nicht ganz beystimmen können. Es heißt doch wohl die Sache ein wenig übertreiben, wenn S. 148 die schändliche Gewinnsucht als das Hauptinteresse alles Kartenspielens angegeben und daraus behauptet wird, daß dadurch also edelmüthige und wohlthätige Gesinnungen unterdrückt würden; zumal wenn man sich erinnert, daß in der vorhergehenden Betrachtung das Billard- und Schachspiel, wo doch auch um Geld gespielt, und außer der Gewinnsucht, noch der Ehrgeiz so rege gemacht wird, so unbeschränkt gelobt und empfohlen worden ist. Man darf nur nie zu hoch spielen, so wird der sittliche Schade so groß nicht werden. Was überdieß vom Mißvergnügen 10
beym Verlieren beygebracht wird, hebt sich gleichfalls durch Beobachtung jener Regel, oder es beweist zu viel, d. i. nichts. Es würde auch folgen, daß der Handel sündlich sey, weil man dem Mißvergnügen des Verlierens dabey ausgesetzt sey. Offenbar giebt Hr. E. auch dem Spiele Schuld, was nur auf die Rechnung der Spielenden zu schreiben wäre, z. B. das Guken in Anderer ihre Karten, das Zanken der mit einander spielenden Gehülfen, wenn einer glaubt, daß der andere etwas versehen habe. Das sind aber Ungezogenheiten der Menschen, welche auch ohne Kartenspielen ungezogen seyn würden. Und widerspricht sich denn Hr. E. nicht selbst, wenn er S. 157 von Betrügereyen, Fluchen und Zanken, als F o l g e n d e s S p i e l s redet, und doch hinzusetzt: We n n s i c h d i e ß n i c h t b e y a l l e n f i n d e t ; s o r ü h r t e s d a h e r , weil manche Menschen durch Anlage oder Erziehung zu viele Uneigennützig-
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keit und großmüthige Gesinnungen bekommen haben, als daß die beym Spiele natürlich erfolgenden Anwandlungen zum Gegentheil mächtig genug werd e n k ö n n t e n ? Eben so wenig pertinent möchte auch seyn, was S. 154 von dem Falschspielen und Nichtbezahlen des Frauenzimmers gesagt wird. Auch bedarf das, was von der Verstellungskunst, die man beym Spielen lernen soll, gesagt wird, noch manche Berichtigung. Diejenigen wenigstens, welche, wie hier auch erinnert wird, so fluchen, stampfen und lärmen, wenn sie verlieren, beweisen, daß sie durchs Spiel nicht zur Verstellungskunst sind verführt worden. Könnte aber das Kartenspielen Verstellungskunst lehren, so dürfte es eher zu empfehlen als zu tadeln seyn. Sich verstellen können, das heißt, sich nicht alles merken lassen, was man willens ist, sich nicht durch seine Minen selbst verrathen, an sich halten, Verdruß ver-
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beißen, kurz im Umgange mit Menschen sich beherrschen und in der Gewalt haben können, ist gewiß eine große und jedem rechtschaffenen Herzen sehr nöthige Tugend. Daß Kartenspielen zu Berufsgeschäften untüchtig mache, ist, wenn nicht von Ausschweifungen des Spiels geredet werden soll, so wenig wahr, daß aus der Erfahrung, auf die sich doch Hr. E. so oft beruft, gerade das Gegentheil eben so sicher bewiesen werden könnte. Überhaupt herrscht in dieser Betrachtung eine solche Art zu schließen, nach welcher sich recht leicht auch beweisen
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ließe, daß Essen, Trinken, Schlafen, Studiren, Handeln u. s. w. eben so schädlich wären, als Kartenspielen, weil nehmlich dabey das Maaß auch leicht überschritten werden kann. Am allerstärksten aber ist mir der auf S. 159. befindliche Schluß aufgefallen: Weil Spieler von Profession, die fast immer auch Betrüger sind, so viel Böses anrichten; — wie können wir Kartenspiele für ein Unterhaltungsmittel ansehen, das der Gesellschaft keinen Schaden brächte? Wie, wenn nun jemand dieses Räsonnement so parodierte? „Wenn wir nun endlich bedenken, daß die Religion es größtentheils mit ist, deren sich Religiosen von Profession, die fast immer auch Heuchler oder Betrüger sind, bedienen, um andere ihres Vermögens zu berauben, und junge unerfahrne in die große Welt hineintretende Leute, (Jünglinge und Mädchen) nachdem sie sie vorher noch dazu auf andere Abwege gebracht, und in manche Unord-
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nung hineingezogen haben, um ihr Geld zu bringen (welches dann ins Kloster vermacht werden muß) — — wie können wir uns denn bewogen finden, die Religion für ein Besserungsmittel anzusehen, das der menschlichen Gesellschaft keinen Schaden brächte, und wowider man nicht zu eifern hätte?“ Fürwahr, ein solcher Schluß vom Tartüffe auf die ganze Religion oder auf ihre Schädlichkeit ist gerade so bündig, als der von einem Gauner auf das ganze Spielen und dessen Schädlichkeit überhaupt. So scheint mir auch die Untersuchung der Frage: ob das Kartenspielen nicht als ein kleineres Übel zu dulden sey, um ein grösseres zu verhüten? hier nicht an ihrem Orte zu seyn; denn es war ja noch gar nicht ausgemacht, ob es ein Übel sey? Und für die Sittlichkeit einer Handlung ist immer nicht viel gewonnen, wenn auch erwiesen wird, daß nach der Politik sie in einem Staate als ein kleineres Übel zu dulden ist, um ein
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größeres zu verhüten. Allein bey allen dem, was ich nach meiner Einsicht so offenherzig gesagt habe, bitte ich Hr. E. versichert zu seyn: daß ich das viele Gute in dieser Betrachtung, besonders aber die rechtschaffene Absicht, dem so arg eingerissenen und schädlichen Mißbrauche des Kartenspielens entgegen zu arbeiten, und besonders junge Studirende davor zu bewahren, so wenig verkenne, daß ich mich vielmehr dadurch aufs neue angereizt gefühlt habe, auch das Meinige, nur nach meiner Art, zur Beförderung so heilsamer Absichten beyzutragen. Nicht die Absicht, sondern die Art und Weise, dieselbe zu erreichen, ist es, worinnen ich mit Hrn. E. nicht zusammenstimme. Etwas, davor man warnen will, in Carricaturbildern darstellen, muß seines Zwecks, däucht mich, allezeit verfehlen; denn man lernt die Sache, welche gemieden werden soll, auf diese Weise gar nicht kennen, sondern sieht nur ein garstiges Bild, welches dieselbe vorstellen soll. Oder meynt man, es sey zuweilen nöthig, den Mund recht voll zu nehmen, und etwas, das sich wohl noch entschuldigen ließe, jungen und gemeinen Leuten lieber geradezu als äußerst böse und schädlich vorzupredigen, als sie mit Bestimmungen davor warnen zu wollen; so streitet folgendes sehr darwider. Wer zu viel verlangt, erhält gemeiniglich nichts,
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oder gar das Gegentheil davon, und oft etwas noch Schlimmeres. Es wird auf solche Weise keine wahre Überzeugung, sondern mehr nur eine Übertäubung bewirkt. Nach und nach forscht der Mensch selbst, sieht ein, daß eine Sache an sich etwa nicht böse ist, glaubt betrogen worden zu seyn, thut was er für verboten hielt nun als erlaubt, und gemeiniglich so, daß er von einem Äußersten auf das andere verfällt. Oft aber forschen Menschen nur halb, bleiben im Zweifel, thun heute etwas, weil sie vermuthen, es könne auch wohl erlaubt seyn, machen sich morgen Vorwürfe deswegen, und meiden die That wieder einige Zeit, nach welcher sie sie doch wieder ausüben; und so entsteht aus solchem zu weit greifenden und schwankenden Moralisiren die unselige Gewohnheit, mit betäubtem Gewissen wider Gewissen zu handeln. Eine 10
gelindere aber allemal s t r e n g w a h r e Sittenlehre kann diesen Schaden nie anrichten. Zum Beweise dessen, was ich von der allenthalben durchscheinenden menschenfreundlichen Absicht des H. E. und meiner Übereinstimmung damit gesagt habe, will ich doch — zwar nicht eine ausführliche Abhandlung über die Sittlichkeit des Kartenspiels schreiben, sondern nur einen Entwurf vorlegen, wie ich glaube, daß man bey Ausführung einer solchen Materie zu Werke zu gehen habe. E r s t e n s müßte gleich als wahr zum Grunde gelegt werden, daß Kartenspielen an sich nichts Böses, und das Gegentheil dieser Behauptung nicht zu erweisen sey. Ich sehe weder hier noch in hundert ähnlichen Fällen ein, warum sich so viele moralische Schriftsteller die überflüßige Mühe geben, alle Wahrheiten zu beweisen; es wäre denn eine ökonomische Ab-
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sicht dabey, das Buch dicker zu machen. Wer Lust hat, sie zu bezweifeln, dem liegt es ob, zu beweisen, daß die Wahrheit nicht mehr sey: und dann ist es immer noch Zeit, seine Zweifel zu untersuchen und zu heben, und auf seine Einwendungen zu antworten. Nun ist mir aber im Leben kein Beweis wider die innere Zulässigkeit des Kartenspiels vorgekommen, der gültig gewesen wäre; die besten und frömmsten darunter haben immer wenigstens den Fehler, daß sie zuviel beweisen. So hat man sich z. B. auf die Heiligkeit des Looses berufen, und das Kartenglück mit dem Loose verglichen; hieraus aber den Schluß gezogen, daß hier ein Mißbrauch einer Sache herrsche, welche die Vorsehung zu Kundmachung ihres Willens gebraucht habe. Allein hieraus würde folgen, daß die Hand der Vorsehung, welche allenthalben mitwirkt, gerade im Kartenspielen am stärksten und fast außerordentlich wirksam sey, und
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daß man, wenn die Schlußfolge richtig wäre, auch nicht die Trompete blasen dürfte, weil sie bey der Einnahme von Jericho geblasen worden ist. Nicht besser ist die Einwendung, daß man mit Verlust des Andern zu etwas komme, ohne ihm etwas dargegen zu geben: denn so dürfte man auch kein Geschenk annehmen. Blendender ist, was man sogar aus dem Naturrechte hat herholen wollen, daß nemlich ein bloßes Kartenblatt kein Recht zu des anderen seinem Gelde verschaffe. Allein das Recht beruht ja nicht auf dem Kartenblatte, sondern auf dem Vertrage,
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den die Spielenden mit einander eingegangen sind. Es ist also allemal ehrlicher und sicherer, gerade vorauszusetzen, oder zuzugestehen, daß Kartenspielen an sich nichts Böses ist. Ich hielte sogar z w e y t e n s für rathsam, daß der Moralist selbst das Angenehme und Nützliche, welches in manchen Fällen aus dem Kartenspielen entstehen kann, nicht mit Stillschweigen übergehen, sondern offenherzig anzeigen möchte. Schwer würde es ihm nicht fallen, vieles dergleichen dabey aufzufinden. Ich will nur etwas davon anzeigen. Für die Klasse von Menschen, die sich vornehmlich mit Geistesarbeiten beschäftigen, ist es eine recht angemessene Zerstreuung, oder erquickende Beschäftigung. Sie wollen ausruhen, aber sie wollen auch nicht gern gar nichts denken * ); „sie wollen nicht gänzlich Ruhe haben, sondern suchen Erholung, wobey diejenigen Vermögensfähigkeiten ruhen, deren Ermüdung erfolgt
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ist, und wobey andere Kräfte wieder geübt werden, die bey der gewöhnlichen Berufsarbeit nicht genuzt werden. Diese Thätigkeitsäußerungen nennen wir zum Theil auch deswegen Vergnügungen, weil wir durch keine Betrachtung und durch keinen Umstand genöthigt werden, die dazu nöthigen Kräfte bis zur Ermüdung zu gebrauchen, und weil wir dabey das angenehme Gefühl der Wiederherstellung unserer ermüdeten Kräfte zugleich mit haben.“ Gerade alle diese Absichten kann eine Parthie Tarock oder l’Hombre unter guten Freunden, die alle gut spielen, recht vortreflich erfüllen. Für kränkelnde Gelehrte, bey übler Witterung, oder wenn sie bey Lichte nicht viel Anstrengendes lesen dürfen, ist oft nichts Besseres zur angenehmen Unterhaltung zu ersinnen, als eben dieses. Was für ein gutes Auskunftsmittel ist nicht auch das Kartenspiel bey großen nothwendigen Gesellschaften, bey feyerlichen Gast-
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mahlen, Hochzeiten und dergleichen, wo Leute von allen Ständen, Fremde und Einheimische, Gelehrte und Ungelehrte zusammen müssen! Womit will man sie beschäftigen? Wie will man so viele Köpfe unter einen Hut bringen? Sezt man einige Spieltische hin, so werden einige sitzen und spielen, andere zusehen, diese mit jenem abwechseln, und eines um das andere Zeit haben, mit jedem insbesondere bekannt zu werden und zu sprechen, und — dem Hauswirth und der Hausfrau wird auf die anständigste Art Freyheit geschaft, Luft zu schöpfen, und die Anstalten des Tisches oder des Beherbergens desto bequemer zu besorgen. Wenn der Sittenlehrer dieses und mehr desgleichen aufrichtig angezeigt hätte, dann wäre es Zeit und Pflicht, auch d r i t t e n s das Bedenkliche und Gefährliche dieses Erholungsmittel vorzulegen, liebreich vor dessen Mißbrauch zu warnen, Rathschläge zu geben, wie man sich nach den verschiedenen Verhältnissen, in denen man steht, weislich zu benehmen habe, hier
*)
Ich bediene mich hier einiger schönen Gedanken des H. P. Ehlers, die S. 164 und 165 zu
finden sind, woraus er zwar Folgen wider das Kartenspielen zieht, die mir aber mehr dafür als darwider zu seyn scheinen.
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nicht auf zwoo Seiten zu fehlen, und zu zeigen, was ein jeder hier für sich zu thun oder zu lassen habe, wenn er seine Tugend und Glückseligkeit nicht verwahrlosen will. Hier könnte er beybringen, 1) daß das Spielen, wegen der angenehmen Beschäftigung, wegen der Gesellschaft, und wegen des Gewinnstes, einen gar starken Reiz verursache, öfter zu spielen, gar bald Leidenschaft werde und in Spielsucht ausarte, kurz d a ß , wie neulich jemand sagte * ), Eichen pflanzen, in Karten spielen, und Physiognomisiren einander vollk o m m e n d i e Wa a g e h a l t e . 2) Daß es den Berufsgeschäften, der Gemüthsruhe, und daher, wie auch wegen des Sitzens, besonders, wenn in die Nacht hinein gespielt wird, der Gesundheit gar leicht äußerst nachtheilig werde. 3) Daß überhaupt dieses Erholungsmittel viele 10
Menschen zu sehr von ihren Familien und Haushaltungen entferne, denen sie doch ihre Ruhestunden weit eher zu schenken schuldig wären. 4) Daß es endlich leicht zu andern unnützen Aufwande nöthige oder verführe, und vielfältig eine Quelle der ärgsten Laster und Verbrechen, des Betrugs, des Diebstahls, des Selbstmords und der grausamsten Untreue, bey Menschen, die das gewiß nicht wollten, geworden sey. Da aber, bey aller solcher Gefährlichkeit des Kartenspielens, das Spielen selbst darum nicht gänzlich als böse untersagt werden kann; so würden an Statt aller rednerischen Deklamationen dawider, hier vielmehr einige Regeln an ihrem rechten Orte stehen, als: Überlaß dich dem Spiele nie, weil es an sich unschuldig ist, sondern prüfe sorgfältig, ob es nicht ein subjektivisches Übel etwa sey, das wegen deiner besonderen Verhältnisse, wegen deines Tem-
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peraments, und anderer Ursachen halber, deiner Gesundheit, deiner Tugend, deinem guten Namen, deinen Geschäften, deinem Glücke u. s. w. nachtheilig ist. Meide es unter gewissen Umständen ganz! Mache es nie zur täglichen Gewohnheit! Widme ihm nie zu vieler Zeit, am wenigsten die Nacht! Brauche es nie anders als zur nöthigen Erholung, und zuweilen Andern gefällig zu seyn, und den Wohlstand nicht ohne Noth zu beleidigen! Suche dich davon zu entwöhnen, sobald es dich zur Stunde ruft; nun ists Leidenschaft, und du spielst nicht mehr als Herr, sondern als Sklave! Spiele nie zu hoch, und lieber etwas niedriger, als deine Umstände sonst vertragen können, damit der Gewinn dich nicht reize und der Verlust dich nicht kränke! Allein was werden alle Regeln helfen? Allemal soviel und mehr als die heftigste Dekla-
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mation. Was aber zu thun, wenn die Raserey des Spiels alle Dämme durchzubrechen scheint, und zum merklichen Schaden der bürgerlichen Gesellschaft fast alle Glieder derselben von der Spielseuche angesteckt werden? Dann müßte die gesetzgebende Gewalt Einhalt thun; des Sittenlehrers Aufgabe wäre es aber immer auch, Obrigkeiten, Vorgesezte, Leute von Ansehen
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S. Physiognomische Reisen. Drittes Heft. S. 123.
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und alle Patrioten nicht nur ernstlich aufzufodern, dem Übel zu steuern, sondern auch Vorschläge zu thun, wie ihm etwa zu steuern wäre. So würde ich z. B. an Orten, wo die Spielsucht zu sehr überhand nähme, rathen, das Spielen für eine bestimmte Zeit und bis auf weitere Verfügung auf einmal ganz und gar zu verbiethen; nach einiger Zeit das Verbot nur auf einige besonders eingerissene Spiele einzuschränken; die übrigen aber an öffentlichen Orten nur etliche Tage in der Woche, nur bis zu gewissen Stunden, und nur um einen genannten Preiß zu spielen, zu erlauben. Wenn solche und ähnliche Mittel das Übel gleich nie ganz heben können, so milden und mindern sie es doch, und machen die Menschen, zumal wenn die Gesetze und Verordnungen von Zeit zu Zeit erneut, verändert und jedesmal absichtsmäßiger eingerichtet werden, aufmerksam auf die Vorschriften der Sittenlehre; und manche unterlassen dann
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vielleicht ganz, was ihnen unter gewissen Einschränkungen immer noch erlaubt gewesen wäre. Auch wäre mein Vorschlag, Aufsehern und Lehrern in Schulen, wie auch Lehrherren und Meistern aufzugeben, ihren Untergebenen, Schülern und Lehrlingen das Kartenspielen nie zu erlauben. Junge Leute von den Jahren haben andere und ihnen gesundere Erholungen, als Ballspielen u. s. w. können das Kartenspiel, ohne daß ihnen zu wehe geschieht, ganz entrathen, und wenn es ja seyn muß, noch allemal es lernen. So würden sie es vielleicht zum Theil gar nicht lernen, zum Theil aber erst dann lernen, wenn sie schon fähiger sind, selbst zu prüfen, was und wieviel ihnen hiervon gut ist. Ingleichen könnten Herrschaften ihre Bedienten selbst einschränken, indem sie dieselben nur unter der Bedingung in Dienste nehmen und bey sich behalten dürften, daß sie niemals, oder nie anders als mit ihrer Erlaubniß in Karten
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spielen wollten. Neben solchen und bessern Vorschlägen würde denn eine solche Ermunterung, als die ist, welche Hr. E. seiner Betrachtung einverleibt hat, an ihrem rechten Orte stehen, und gute Wirkung thun müssen. Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, einen guten Theil davon von Wort zu Wort herzusetzen. „Nun werden Sie, meine geliebten Freunde, aus Allem, was wir über die Kartenspiele mit einander überlegt haben, gewiß von selbst die Folge ziehen, daß wir als patriotische Weltbürger, so viel als in unserm Vermögen ist, und als wir von unsern Bemühungen glückliche Erfolge erwarten können, diesen (den) so allgemein herrschenden Kartenspielen entgegen zu arbeiten verpflichtet sind. Die Beyspiele derer, welche Ämter bekleiden, die dazu bestimmt sind, Recht und Gerechtigkeit zu handhaben, über die Haltung der Gesetze zu wachen, richtige Kenntnisse über alles was wahr, gut und pflichtmäßig ist, unter den Menschen zu verbreiten, und Tugend und Glückseligkeit zu befördern, sind immer vorzüglich wirksam. Es giebt immer in allen Ständen eine Menge gemächlicher Menschen, die selbst den Werth der Dinge zu erforschen sich nicht die Mühe geben mögen; die, wenn ihnen nicht augenscheinlich das Gegentheil in die Augen leuchtet, gern glauben, der Mensch sey doch wohl das, was er seyn solle, und die also auch in den Handlungen der
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Menschen, deren Beruf es vorzüglich ist, nach dem, was recht und wahr ist, zu forschen, und das, was sie erforscht haben, Andern vorzutragen, und selbige zur Beobachtung alles dessen, was recht und gut ist, hinzuleiten, deren Glaubenssystem glauben finden zu müssen, und die sich also berechtigt halten, den Beyspielen dieser Leute zu folgen, indem sie denken, selbige müßten nothwendig das Beste kennen, und würden es dann auch ausüben. Wie viele Verpflichtung haben also alle, die Leiter und Regierer anderer Menschen sind, ihr ganzes Leben ihren Glauben predigen zu lassen, jeden Schritt im Denken und Glauben vorsichtig zu thun, und noch sorgfältiger den erlangten Kenntnissen gemäß zu wandeln! Würden alle diese Leute sich dieser Spiele enthalten, wären sie sonst sichtbar von aller Scheinheiligkeit und Heu10
cheley entfernt, und ließen sie aus ihrem Wandel und aus ihren Urtheilen jedem es hell und deutlich sehen, daß Gottesfurcht und Menschenliebe sie in Allem leiteten: dürften wir dann, wie herrschend auch die hier geprüften Kartenspiele sind, nicht hoffen, daß, wenn eine solche gegenwirkende Kraft bey den angesehensten und besonders zur Nachfolge reizenden Menschen sich eine lange Zeit fände, nach und nach dieser herrschenden Sitte wieder ein Ende gemacht, (oder ihr gehöriges Ziel und Maaß gesezt) werden könnte? Ganz vorzüglich werden wir aber von den Predigern und allen Lehrern der Religion und aller menschlichen Pflichten es erwarten, daß sie nicht nur nicht an diesen so viel Verderben und Unglück in die Welt hineinbringenden Spielen Theil nehmen, sondern auch durch gründlichen Unterricht und sanften freundschaftlichen Rath dem Fortgange dieser Spiele möglichst viele und starke Hin-
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dernisse in den Weg legen * ).“ Solche Warnungen in der Stellung, wo nicht vom gesellschaftlichen Kartenspielen überhaupt, sondern von der eingerissenen Raserey des Spiels wäre geredet worden, würde ich mit einer geringen, oder unter gewissen Umständen auch mit gar keiner Einschränkung herzlich gern unterschreiben; nicht aber das oben angeführte Endurtheil, daß o r d e n t l i c h u n d t u gendhaft lebende Menschen alle Kartenspiele als eine Pest der menschlichen G l ü c k s e l i g k e i t u n d Tu g e n d m e i d e n s o l l e n . Dieses harte Endurtheil mag Hr. E. selbst und allein, zwar eben nicht bey mir, der ich gewöhnlich gar nicht spiele, aber bey andern o r d e n t l i c h u n d t u g e n d h a f t l e b e n d e n M e n s c h e n , die zuweilen spielen und in ihren Häusern spielen lassen, verantworten, oder bey einer neuen Auflage seines Buchs, die ich
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wünsche, reformiren.½
* * *
*)
2ter Th. S. 172 u. f.
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Zugabe zu vorstehender Revision. Vielleicht ist es manchem Leser nicht unangenehm, zu erfahren, daß diese gelindere aber vielleicht einzig wirksame Art, über das Kartenspielen zu moralisiren, bereits wirklich, und sogar auf der Kanzel, angewendet worden ist. Herr F r a n z L a f i t a u , Bischof zu Sisteron, hat vor dem Könige in Frankreich eine eigene Predigt v o m S p i e l e über den Text Joh. 8, 46. gehalten, welche man unter seinen F a s t e n p r e d i g t e n im IIIten Theile als die 5te findet. Ich will doch den Anfang derselben zur Probe hersetzen. „ S i r e , fängt er an, es sey mir erlaubt, heute eine der heftigsten Leidenschaften, die wir zu bestreiten haben, anzugreiffen; ich meyne die Leidenschaft des Spielens. Sie kommt mir
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so viel gefährlicher vor, als selbst diejenigen, die sich ihr auf die ausschweifendste Art ergeben, noch ein Recht zu haben vermeynen, uns zu fragen: Wer unter euch kann uns überführen, daß das Spielen eine Sünde sey? We l c h e r u n t e r e u c h k a n n m i c h d e r S ü n d e z e i h e n ? Glaubet indessen nur nicht, daß ich aus einem übertriebenen Eifer jezt alle Arten von Spielen überhaupt, ohne Ausnahme und weitere Rücksicht, verdammen wolle. Gehöret ihr zu denen, welche zuweilen gewisse Spiele spielen, die nach allen Gesetzen erlaubt sind, vor welchen die Beobachtung eurer Pflichten allezeit hergeht und auch darauf folgt, die nach dem christlichen Wohlstande eingerichtet, in Absicht auf den Gewinnst und Verlust gemäßigt, und niemals weder von der Spiel-
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sucht befohlen, noch von der Habsucht eingegeben, noch auch gar zu lange fortgesezt und zu weit getrieben werden; so sage ich euch, gleich bey dem Eingange dieser Predigt, ausdrücklich, ich trete heute wider euch nicht auf. Gehöret ihr aber zu denen, bey welchen das Spielen eine Leidenschaft und zur Raserey wird, so seyd ihr diejenigen, welche ich angreife. Ihr werdet dabey die zeitlichen Güter verlieren; dieß ist der erste Theil. Ihr werdet dabey auch die ewigen Güter verlieren; dieß ist der zweyte Theil. Bey einem jeden zu weit getriebenen Spiele verliert man alles, was die Annehmlichkeit des Lebens und die Wohlfahrt der Seele ausmacht. Man mag das Spiel betrachten wie man will, so muß man, sobald man sich in dasselbe einläßt, oder sich ihm ergiebt, es nothwendig entweder als eine Erholung von der Arbeit, oder als ein Band der bürgerlichen Gesellschaft, oder als ein Mittel, die Güter, die man besizt, zu vermehren ansehen. Nun möget ihr euch, m. H. durch das Spielen entwe-
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der eine nöthige Erquickung zu verschaffen suchen, oder ihr möget es als eine Gelegenheit, eine anständige und angenehme gesellschaftliche Verbindung einzugehen, betrachten, oder ihr möget es endlich als ein Mittel, eure Einkünfte zu vermehren, ansehen: so sage ich euch, sobald man der Sache zu viel zu thun sich angewöhnt, so ist das Spiel weder eine Erquickung, noch eine ergötzende Unterhaltung, noch auch ein Nutzen und Vortheil mehr für euch! Ihr werdet sehen, daß es nicht erquickend, nicht unterhaltend, nicht vortheilhaft ist. Lasset uns mehr sagen und zeigen, daß die Ausschweifung im Spielen, anstatt den Geist zu erquicken, ihn nur beschwert; daß sie, anstatt die bür10
gerliche Gesellschaft zu unterhalten, dieselbe oftmals nur stöhrt; und daß sie, anstatt eure Güter zu vermehren, dieselben gemeiniglich nur vermindert. Kurz, ihr werdet dabey eure Ruhe verlieren, ihr werdet eure Freunde verlieren, und ihr werdet auch euer Vermögen verlieren. — Ich räume zuvörderst mit euch ein, m. H. daß unser Geist nicht immer kann angestrengt werden, und daß unser Körper eine anhaltende Arbeit nicht lang ausdauren kann. Ich gestehe also, daß wir nothwendig einer Erholung und Ruhe bedürfen. Ich räume ferner ein, daß es erlaubte Spiele giebt. Ich gebe sogar zu, daß jedes unschuldige Spiel eine bequeme Gelegenheit, euch zu erquicken, abgeben kann. Ich gestehe also gleichfalls auch, daß, überhaupt davon zu reden, das
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Spiel zu eurer Erholung dienen kann, ohne daß wir es tadeln können. Ihr werdet aber auch zugleich mit mir einräumen, daß, wenn das Spiel geschickt seyn soll, eurem Geiste eine Erholung zu verschaffen, es nothwendig ein gemäßigtes Spiel seyn müsse; ein gemäßigtes in Ansehung der Neigung, die man dazu hat, in Ansehung der Zeit, die man darauf verwendet, und gemäßigt in Ansehung des Geldes, um welches man spielt. Denn wenn das Spiel mit Leidenschaften unternommen wird, so ist es Raserey und kein Zeitvertreib. Wenn es anhaltend ist, so ist es eine Beschäftigung und keine Erholung. Und wenn es eigennützig ist, so ist es Geldbegierde und kein Vergnügen, u. s. w.“
Zugabe zu vorstehender Revision
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¼Über die Sittlichkeit des Luxus und der Singspiele, veranlaßt durch des Herrn Prof. E h l e r s über beyde angestellte Betrachtungen*). …½ * ) Es sind die XV. XVI. und XVIII. Betr. aus dem 1sten Theile seines im T. Mer-
kur d. J. im Monat August angezeigten Buches: Ü b e r d i e S i t t l i c h k e i t d e r Ve r g n ü g u n g e n .
¼Anmerkung: Anonymus½ Ü b e r d i e S i t t l i c h k e i t d e s L u x u s
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¼Briefe das Erziehungswesen betreffend. Dritter Brief. …½
Nachweisung. Wenn etwa einige Leser des Merkurs, nach Lesung dieser Briefe, ein Verlangen tragen sollten, die merkwürdigsten Dinge dieses Philanthropins, aus den vorigen Jahren, ihrem Gedächtnisse wieder zu erneuern; die verweise ich auf des T. Merkurs Monat May 1775, auf das Jahr 1776 Monat Februar, Merz, May, imgleichen auf die A u s f ü h r l i c h e A n z e i g e d e r p ä d a g o g i s c h e n U n t e r 10
h a n d l u n g e n , welche im Monat Merz 1777. befindlich ist.
N a c h w e i s u n g ¼zu Feder?½ B r i e f e ¼…½. D r i t t e r B r i e f
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¼Anzeigen einiger neuer historischer Werke mit Kupfern. … Endlich haben wir noch eine A b b i l d u n g a l l e r g e i s t l i c h e n u n d w e l t l i c h e n O r d e n , nebst einer kurzen Geschichte derselben von ihrer Stiftung bis auf unsre Zeit e n , anzukünden, welche der Chur-Pfälzische Hof-Cammerrath und Hofbuchhändler H e r r C . F . S c h w a n , in M a n n h e i m , unternommen hat …½
Hier in Weimar ist der H o f r a t h W i e l a n d ersucht worden, Pränumeration auf dieses Werk anzunehmen. Falls sich hier oder in benachbarten Gegenden Liebhaber dazu finden sollten, können die ersten Probe-Cahiers, den Orden 10
der M a g d a l e n e r i n n e n zu Paris, und den K a r m e l i t e r - O r d e n betreffend, nebst v i e r g e m a h l t e n P r o b e k u p f e r n , zu beliebigen Augenschein in desselben Behausung eingesehen oder auch abgelangt werden.
¼Pränumerationsanzeige zu Schwan: Abbildung aller ... Orden½
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Von Hrn. Joh. Rud. S c h e l l e n b e r g in Winterthur, einem jungen Schweizerischen Künstler, dessen wir schon im Februar d. J. bey Gelegenheit der zehn P r o s p e k t e aus dem Lauterbrunnenthal rühmliche Erwähnung gethan haben, hat vor kurzem E i n D u t z e n d S c h w e i z e r p r o s p e k t e , n a c h d e r N a t u r g e z e i c h n e t u n d g e ä z t , in gr. 4. herausgegeben, welche von der S t e i n e r s c h e n B u c h h a n d l u n g , zu W i n t e r t h u r , in den Leipziger Messen um Z w e y R e i c h s t h a l e r verkauft werden. Auch diese sehr wohlgewählten und interessanten Prospekte empfehlen sich Kennern und Liebhabern durch die besondere Reinheit der Umrisse, und durch eine überaus nette, kräftige und 10
fleißige Ausführung. Daß er in Absicht j e n e r von der ihm zuweilen noch anklebenden Härte sich immer mehr befreyen, und in d i e s e r der Natur, die er so fleißig studiert, immer mehr von ihren Geheimnissen ablernen werde, läßt sich von einem Künstler erwarten, der in kurzer Zeit schon so merkliche Fortschritte gethan hat, und auch in dieser Rücksicht von den Freunden der Kunst alle mögliche Aufmunterung verdient. Bey vorbesagtem Hrn. Steiner und Compagnie sind auch die beliebten B i b l i s c h e n K u p f e r von eben diesem Künstler, und zwar die Kupfer zum A l t e n Te s t a m e n t um 3 Reichsthaler, und die zum N e u e n um 3 Rthlr. 12 ggl. in 8. zu haben. Wer sie in Quart-Format haben will, bezahlt 8 ggl. mehr.
¼Anzeige: Schellenberg½ E i n D u t z e n d S c h w e i z e r p r o s p e k t e
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¼XXIV. Kupfer zu den Leben und Thaten des Don Quixote von Mancha ; nach H r n . B e r t u c h s Ü b e r s e t z u n g . E r s t e L i e f e r u n g . Tab. I. — XII. L e i p z i g 1 7 7 9 . b e y Fritsch. Don Quixote hat schon seit länger als hundert Jahren Mahler, Zeichner und Kupferstecher beschäftigt, aber nie ist er glücklicher, verständiger und wahrhaftig dichterischer von einem Künstler behandelt worden, als hier von Hrn. Chodowiecki. C o y p e l , P i c a r t l e R o m a i n , Va n d e r b a n c k , die ihn bearbeiteten, waren zwar gute Zeichner und Mahler, aber es fehlte ihnen an Dichtersinn und das Talent, ihren Schriftsteller nicht allein ganz zu fühlen, sondern auch ganz darzustellen. Daher die Leblosigkeit ihrer Figuren. Keine hat Charakter; keine 10
handelt; in unsers C h o d o w i e c k i s Blätter hingegen ist Alles Seele und Leben, jeder Strich Commentar über seinen Schriftsteller. Man sieht da, nicht wie gewöhnlich, Marionetten, sondern Menschen, und gerade dieselben, die der Dichter schuf. Scenen, die schon vielmal von ihm bearbeitet worden, erscheinen von seiner Hand immer wieder neu, und man fühlt augenblicklich, daß man sie s o noch nie gesehen hat. Kurz, wir hoffen gewiß, daß nicht leicht ein fleißiger Leser des Don Quixote das Vergnügen wird entbehren wollen, diesen vortrefflichen bildlichen Commentar, worinn jedes Blatt auch von Seiten der Kunst höchst schätzbar ist, bey seinem Exemplar zu besitzen.½
Eines einzigen Versehens, das uns in diesen 12 Blättern aufgestoßen ist, müssen wir gedenken, damit unser gerechter Beyfall, den wir diesem Werke ge20
ben, nicht den Anstrich der Partheylichkeit habe. Auf dem VII. Blatte nemlich ist die schöne Z o r a i d a zur Schwarzen oder Negerin gemacht. Dies ist falsch, und Herr Chodowiecki hat sich durch den Mißbrauch des Worts M o r , M o r i n , der leider unter uns noch so gemein und fälschlich mit S c h w a r z e n , N e g e r , Synonim ist, dazu verleiten lassen. Moren, Maurus, Moro, heißen in allen alten Ritterbüchern und Reisebeschreibungen die Araber, oder Mauritanier, die sonst den südlichen Theil Spaniens inne hatten; und diese waren so weiß und schön als irgend sonst Europäer.
¼Zusatz: Daniel Chodowiecki½ X X I V . K u p f e r z u D o n Q u i x o t e
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Schreiben an einen Freund. Von einem teutschen Leser der französischen gelehrten Zeitung, die in Zweybrücken ausgegeben wird. Sie thun mir in der That großes Unrecht an, wenn Sie im Ernste glauben, ich hätte das nur gesagt, w e i l e s f r a n z ö s i s c h e Z e i t u n g e n w ä r e n . Möchten nur die Verfertiger dieser gelehrten Gazette so rein von falscher Schwachheit seyn, als ich es gewiß bin! Von jeher bin ich ein erklärter Freund der französischen Litteratur gewesen; nie aber hat diese Neigung es bey mir dahin ge10
bracht und wird es auch nicht dahin bringen, daß ich, wie noch immer viele teutsche Herren und Damen thun, Frankreich auf Unkosten meines teutschen Vaterlandes erheben sollte. Die Herren Journalistes de Deuxponts sind nicht immer so unpartheyisch, sondern lassen noch hie und da viel Prädilection für das französische Element blicken; und scheinen es noch nicht recht der Mühe werth zu achten, sich in Ansehung teutscher Sitten, Sprache und Einrichtungen, gehöriger Genauigkeit zu befleißigen. Sie verhunzen teutsche Namen, nehmen es mit Sachen, die bey uns anders sind, nicht so genau, und machen sich nicht allein des Nationalstolzes verdächtig, sondern auch mancher Unrichtigkeiten schuldig. Eben dieses lag mir im Kopfe, da ich bey un-
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serem gemeinschaftlichen Freunde No. 46. von diesem Jahre auf dem Tische liegend fand, und ich konnte mich daher nicht enthalten, bey Lesung der beyden ersten Zeilen *) auszurufen: Ey, ey! daß nur kein teutscher Journalist diese zwoo Zeilen im Ernste nimmt! Er dürfte leicht etwas finden, wodurch sein Mißverstand gar noch bestärkt werden könnte, wenn er suchen wollte. Daß Sie meiner billigen Denkungsart es zugetraut haben, ich könne dieses nicht in vollem Ernste gemeint haben, dafür danke ich Ihnen herzlich; ob es gleich nur Gerechtigkeit ist, die Sie mir, der ich niemanden gern etwas Un*)
Sie lauten in der Gazette universelle de Litterature pag. 361. also: Pour nous, profanes
Journalistes, gens ordinairement minutieux, tre`s ignorans —
Schreiben an einen Freund
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höfliches sage, wiederfahren lassen. Allein daß Sie hinzugesetzt haben, ich hätte es nur gesagt, w e i l e s f r a n z ö s i s c h e Z e i t u n g e n w ä r e n , dies ist mir empfindlich gewesen, und hat mich bewogen, Ihnen einige Belege meiner im Scherz vorgebrachten Behauptung vorzulegen, welche zeugen können, daß nicht kindische Nationalpartheylichkeit, sondern wirklich etwas Wahres mir die Veranlassung zum Scherze gegeben habe. Wer in einer Stadt des heil. römischen Reichs teutscher Nation g e l e h r t e Zeitungen schreibt oder besorgt, der soll doch, er sey nun Katholik, Lutheraner oder Reformierter, wenigstens so viel wissen, daß die Unkatholischen, oder die Lutheraner und Reformierten, unter dem gemeinschaftlichen Na-
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men, P r o t e s t a n t e n , begriffen sind, und zum allerwenigsten dies, daß Lutheraner auch Protestanten heissen. Was sagen Sie nun dazu, wenn in ihrer Gazette Anne´e 1779. No. 3. pag. 23. in der Nachricht von dem toleranten Anbauer der Sierra Morena in Spanien, Olavides, geschrieben steht: Mais par malheur le reverend Pe´re Inquisiteur et l’essaim vigilant et pieux du St. Office decouvrirent, que la pluˆpart de ces cultivateurs e´toient l e s u n s P r o t e s t a n t s , l e s a u t r e s L u t h e r i e n s . Ich möchte es beynahe für Affectation halten, teutsche die Religion betreffende Sachen gar nicht zu wissen; und erinnere mich bey der Gelegenheit, daß Vo l t a i r e in seiner sogenannten Geschichte Karls des XII. auch einmal sagt: Karl habe als ein eifriger Lutheraner
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fest an die P r ä d e s t i n a t i o n (ein Dogma des Calvin) geglaubt, und eben deswegen sey er so blind ins Feuer gegangen. Den Gens profanes et tre`s ignorans vergiebt man so etwas gern; aber den Historiens et Journalistes minutieux wird billig die Unrichtigkeit in dergleichen minuties als großer Fehler angerechnet. Wie rein die Verfasser der Gazette de litterature von der Nationalschwachheit sind, die Sie mir Schuld geben, davon will ich Ihnen doch auch ein Paar Pröbchen vorzeigen. In No. 15. d. J. werden pag. 119. Particularite´s, concernant Mr. de Haller beygefügt, die auf einer einzigen Quartseite eine Nachlässigkeit, einige historische Unrichtigkeiten und viel Partheylichkeit für die französischen und wider die teutschen Gelehrten enthalten. Wenn auch die Jahrzahl 1705, in welchem Jahre Haller den Boerhaaven zum erstenmale gesehen haben soll, hier kein Versehen des Verfassers, sondern des Setzers seyn sollte, so ist doch der Irrthum so auffallend, daß er wenigstens, wenn er auch einem ungelehrten Corrector entgangen wäre, in einem folgenden Blatte hät-
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte/Ende Januar 1780)
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te angezeigt werden sollen. Es muß 1725 heißen; denn Haller ist erst 1708 gebohren worden. So ist auch viel Unbestimmtes und manches Unrichtige in folgenden Zeilen S. 120. „En 1749 le roi de la Grande Breˆtagne l’ a n n o b l i t , mais sans lui donner le titre de B a r o n , comme on l’a souvent dit et `ecrit: a p r `e s a v o i r e´t e´ Pre´sident de la Societe´ royale de Goettingen la voie du sort le fit Magistrat de Berne &c.“ Der Verfasser der Particularitäten giebt sich hier das Ansehen der Genauigkeit, und ahndet es, daß Haller oft ist B a r o n genennt und geschrieben worden. Allein der Fehler ist so groß nicht, als er denkt. B a r o n oder F r e y h e r r wird im gemeinen Leben jeder Edelmann 10
genennt, und kann auch ohne Schaden so genennt und geschrieben werden; wenn es nur nicht mit dem Zusatze Baron d u S t . E m p i r e oder R e i c h s f r e y h e r r geschieht. Wäre der Verf. dafür lieber in seiner eigenen Nachricht genauer gewesen. Zum Baron von Großbrittannien hat der König Hallern nicht machen w o l l e n , und zum teutschen Baron oder Edelmann hat er ihn weder als Roi de la Grande Breˆtagne, noch als Churfürst von Hannover machen k ö n n e n . Die wahre Geschichte ist so, wie sie im t e u t s c h e n M e r k u r v. J. 1778. Monat J u n i u s S. 261, welchen doch der V. bey seinem Aufsatze vor Augen gehabt hat, erzählt wird: Ao. 1749 b e s c h e n k t e i h n d e r K ö n i g m i t e i n e m v o m K a y s e r l . H o f e a u s g e w i r k t e n A d e l s b r i e f e ; dies ist aber
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durch le roi l’annoblit grammaticalisch und historisch unrichtig übersetzt. Und Pre´sident de l’academie royale ist er auch als Magistrat de Berne und bis an sein Ende geblieben; daher das apre`s avoir `ete´ Pre´sident hier undeutlich ist, und leicht einen Irrthum veranlassen kann. Von der angezeigten Partheylichkeit kann der ganze Aufsatz zeugen. Es ist zu sichtbar, daß der IV. Artikel des angezeigten St. vom teutschen Merkur, wo H a l l e r gelobt, und der gewöhnlichen Eloges der Franzosen als nicht der richtigsten Mittel, einen lobverdienenden Mann zu loben, gedacht wird, die Gelegenheit dazu gegeben und die französische Empfindlichkeit ein wenig gereizt hat. Hieraus läßt sich nun auch erklären, warum fast lauter u n r ü h m -
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l i c h e Particularite´s, concernant Mr. de Haller angeführt worden sind, und dem bel e´sprit Allemand, Mr. Wieland zugerufen wird: Fontenelle, ou ` es-tu? Nur bleibt es mir unerklärbar, wie bloße Nationalpartheylichkeit einen Schriftsteller so gar verleiten kann, Hallers Charakter anzutasten. Doch wird er hier u n r u h i g und u n v e r t r ä g l i c h (d’un caracte´re inquiet et d’un commerce e´pineux) genennt, wegen seines Commentars über den Boerhaaven un-
Schreiben an einen Freund
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ter die Zahl der U n d a n k b a r e n (dans le catalogue de fils ingrats) gesetzt, und der Grund von seiner Correspondenz in seiner E i t e l k e i t und G e w i n n s u c h t wahrscheinlich gefunden (la gloriole et meˆme le lucre paroissent avoir influe`). Und in Ansehung der Hallerischen Romane, gesezt es wäre auch zwischen Alfred und Usong und Telemaque et Sethos die große Kluft, die sich der V. denkt, ist es doch allemal Unbilligkeit, sie trocken und schimärisch zu nennen, oder mit allem Nachdrucke der französischen Kraftsprache zu sagen: ils sont la secheresse meˆme, et contiennent bien des vues chimeriques. Nun auch ein Pröbchen, wo nicht blos einigen Teutschen, sondern der ganzen Nation, kurz allen die teutsch reden, auch den Schweizern zugleich mit,
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eins angehängt wird. Die Gelegenheit dazu muß auch Haller geben. In No. 21. wird das Eloge de Mr. de Haller par Mr. Vicq d’Azyr rezensiert, und daraus der Umstand angeführt, daß der junge Haller, da er noch zu Tübingen studiert, sich einmal betrunken habe, so bald er aber wieder nüchtern geworden, den festen Vorsatz gefaßt, so lange er lebe, keinen Wein wieder zu trinken, welchen er auch bis ans Ende seines Lebens pünktlich gehalten und treulich ausgeführt habe. Da Haller seinen Fehler so rühmlich selbst wieder gut gemacht hat, so war es gar nicht nöthig, etwas zu seiner Entschuldigung zu sagen, noch weniger aber den Fehler so zu vermindern, daß man ihn zum Laster zwoer Nationen macht. Der Rezensent aber, nachdem er erzählt hat: il
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lui arriva une fois de se livrer a ` un exce´s de vin, beliebt die Anmerkung einzuschalten: imprudence, dont il seroit aussi trop dur, de faire un crime a ` un e´tudiant a l l e m a n d , et qu’on ne reproche seulement pas a´ un S u i s s e . Lord Chesterfield hielt dergleichen Einfälle für elenden Alltagswitz, und verbot seinem Sohne schlechterdings niemals über ganze Nationen und Gesellschaften, nicht einmal über die Geistlichen zu spotten und zu witzeln; nicht allein, weil solcher Scherz allemal ungerechte Beschuldigung, sondern vornemlich, weil er zu trivial sey. Übrigens bemerke ich nur noch, daß dieser Rezensent wenigstens nicht zu den Journalistes minutieux gehöre: denn er nimmt die Sachen eben nicht so genau, wie gleich die beyden ersten Zeilen der Rezension geben: Le Baron de Haller, (das soll er ja nicht seyn, sondern nur Mr. de Haller) Seigneur de — et d’Emaglens, (so heißt es nicht, sondern Eclaguens) Conseiller d’Etat (das war er nicht, sondern Conseiller de la cour). Solche Nachlässigkeiten aber sind in dieser Gazette etwas sehr gewöhnliches, und besonders sind weder die Rezensenten, noch der Redacteur, noch
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte/Ende Januar 1780)
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der Corrector in teutschen Namen pünktlich. Zum Beweise nur einige auffallende Beyspiele. In No. 37. d. J. unter der Rubrik Biographie wird die französische Übersetzung der Gedächtnißrede, welche Herr B e r n h a r d Ts c h a r n e r auf H a l l e r n gehalten hat, angezeigt, und nicht nur in der Anzeige des Titels heißt der Verfasser M. V. Tschener, sondern auch durch die ganze Rezension durch bleibt er M. Tschener, daß es also unmöglich für einen Druckfehler angesehen werden kann, oder ein sehr grober seyn müste. In No. 40. auch unter der Rubrik Biographie heißt das berühmte, frühzeitig kluge und gelehrte Lübeckische Kind des Malers H e i n e c k e , dessen neuaufgelegte Le10
bensbeschreibung von Ch. von Schöneich hier angezeigt wird, Christian — Henri Heinelle de Lubeck, für Chreˆtien Henri Heinecke, de Lubeck. Und in No. 43. pag. 343. würde mancher schwer errathen, wer der Jean Bunde sey, ob er gleich durch den Zusatz heros d’un Roman a m p h i g o u r i q u e dem, der dies lezte Wort versteht, sehr deutlich charakterisiert seyn mag; wenn nicht die in der Rezension des H a r m o n i d e s von Clodius bey den Haaren herbeygezogene Fehde zwischen Wieland und Nicolai erkennen ließe, daß es Buncle heißen soll. Doch dergleichen Verunstaltungen teutscher Namen in dieser Gazette de Litterature der vorigen Jahre sind, denk ich, schon sonst öfters gerügt worden.
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Der kräftigste und lustigste Beleg meiner Behauptung aber ist, wenigstens meiner Empfindung nach, in No. 34. zu finden, und ich habe ihn auch deswegen, zu ihrer Überzeugung und Ergötzung bis zulezt aufgehoben. Es ist der Artikel Ascetique, unter welchem Considerations sur les oeuvres de Dieu — pour tous les jours de l’anne´e. Traduit de l’Allemand, de M. C. C. Sturm, par Constance, angezeigt werden; und wobey es Ihnen selbst schwer werden sollte, zu entscheiden, welches von den drey Wörtern, profanes, minutieux, ignorans, hier im Scherze oder Ernste anzuwenden sey. Man sieht es dem Verfasser dieses Artikels an, daß er sein liebstes Steckenpferdt reitet. „Betrachtungen über die Werke Gottes, in Teutschland von einem M ö n c h e her-
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ausgegeben und in Frankreich übersezt comme de raison von einer N o n n e , sagt der V., sind etwas ganz besonders“ und er hat daher seinen großen Spaß mit diesem M o i n e d’une imagination peu juste, mais brulante, den er bald mit Pe´re schlechtweg, bald mit Reverend Pe´re bekomplimentiert, wie auch mit Soeur Constance, Religieuse e´merveille´e de la vaste erudition du C e´n o b i t e Germanique, de ses ide´es gigantesques, de ses prie`res presque Capuci-
Schreiben an einen Freund
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nales et de ses mysticite´s dans le gout de celles de Marie a ` la coque. Wie aber, wenn nun Herr S t u r m weder M ö n c h noch K l o s t e r b r u d e r , und Schwester Constance keine N o n n e , ja nicht einmal F r a u e n z i m m e r wäre? Mich dauert der fröhliche Mann fast, daß ich ihm seinen Spaß so verderben und berichten muß, daß er sich wenigstens in Ansehung des Herrn S t u r m sehr geirrt hat. Herr S t u r m ist ein ehrlicher verheuratheter lutherischer Pfarrer und kein Mönch; war, als er seine Betrachtungen schrieb, Prediger in Magdeburg, und steht izt als Pastor in Hamburg. Wäre nun etwa die Nachricht, welche in der Allgemeinen deutschen Bibliothek, im 2ten St. des XXXVIIIsten Bandes, S. 626. gegeben wird, vollends gar richtig, daß S t u r m s B e t r . —
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neulich v o n e i n e m g e w i s s e n C o n s t a n c e z u P a r i s wären ins Französische übersezt worden; so würde es um das ganze Späßchen noch übeler stehen. Allein ich will doch zum Worte Constance hoffen, daß der Übersetzer ein Frauenzimmer und eine Nonne seyn und bleiben werde, wiewohl in solchen Fällen auf grammaticalische Gründe eben nicht viel zu bauen seyn mag. Ob übrigens das von i h m oder i h r übersezte Buch hier richtig und billig beurtheilt worden sey, verlangen Sie wohl von mir so wenig zu erfahren, als ich im Stande bin, es Ihnen genau zu sagen; doch kann ich Ihnen nicht bergen, daß mir wenigstens die Reflexion über Sturms Berechnung der täglich Sterbenden und der Summe der einst Auferstehenden „On voit, qu’en Allmagne,
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comme ailleurs, on peut eˆtre infinement pieux, sans eˆtre pour cela plus raisonnable,“ nicht sonderlich gefallen hat, und daß sie selbst vielleicht gar mit zu meiner Vertheidigung angeführt werden könnte; welches ich aber nicht thun will. Das bereits Angezeigte kann, glaub ich, schon hinreichend seyn, alle Journalisten, und besonders die französischen, zu warnen, mit dem Witze behutsam umzugehen, und wenigstens nicht so mit sich selbst zu spaßen, daß ihr Scherz leicht als wirkliche Satyre auf sie selbst gedeutet werden könne; vornemlich aber Sie, mein Herr, zu überzeugen, daß Sie mir Unrecht gethan haben, und sie zu bewegen, mir künftighin mehr Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. In solcher Hoffnung verharre ich etc. N a c h s c h r i f t . Eben da ich diesen Brief fortschicken will, und der Sicherheit wegen die Gazette noch einmal durchblättere, zu sehen, ob ich die Nummern richtig angezeigt habe, fallen mir gleich noch etliche Belege in die Augen. In No. 62 werden von S c h m i d l i n s C a t h o l i c o n die Buchstaben H und J angezeigt. Hier wird dieses nützliche französische Wörterbuch von einem
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte/Ende Januar 1780)
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Teutschen verfaßt nicht nur singulier genennt, sondern auch wegen dessen, was andere loben würden, z. E. wegen der Genauigkeit, auch die geringsten Sprüchwörter nicht vergessen zu haben, getadelt. Und den Beschluß macht auch hier eine verächtliche Anmerkung über die Allemands. „Diese, heißt es, scheinen es als ein großes Geschenk anzunehmen, bewundern das savoir universel des Verfassers, und werden sich einbilden, wenn das Werk fertig ist, sie haben ihm einen wirklichen Schatz zu danken. Werden sie vollends Französisch schreiben, und die Phrasen aus dem Catholicon nehmen, so soll das die lustigste Carricatur geben.“ Was ist das doch für ein elendes französisches 10
Gelafer! In No. 69 werden N i c o l a i’ s v e r m i s c h t e G e d i c h t e angezeigt und mit Recht gelobt. Allein dieses Lob auch wird so gegeben, daß die teutsche Nation doch dabey getadelt wird. Herr N i c o l a i hat zwar rien d’affecte´ ni de pre´cieux, point d’enfantillage, dafür aber sind dieses defauts trop communs dans les P o e t e s A l l e m a n d s , q u i o n t a u j o u r d’ h u i l e p l u s d e r e p u t a t i o n . Ich werde diese Fehler unserer Dichterlinge in Ewigkeit nicht Schönheiten nennen; wer berechtigt denn aber den Verfasser, den teutschen Geschmack so zu beschimpfen, daß er sagen darf, diese Dichterlinge hätten le plus de reputation? Auf eben dieser Seite wird es gelobt, daß man das Buch
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nicht durch Hülfe der Vignetten und Kupfer habe schön machen wollen; dafür heißt dies aber gleich eine Mode, die von Frankreich nach Allemagne gekommen ist, und c o m m e d e r a i s o n y a e´te´ pousse´e a ` l’exce`s. In No. 71 soll der Roman R e i z e n s t e i n , oder d i e G e s c h i c h t e e i n e s t e u t s c h e n O f f i c i e r s beurtheilt werden; aber auch dies kann nicht geschehen, ohne von den Allemands überhaupt spöttisch zu reden. Die Rezension hebt wie eine feurige Rede des Cicero wider den Catilina oder den Antonius an. Ich will das Pathetische durch keine Übersetzung schwächen, sondern den Anfang im Originale hersetzen, und alles was Ohren hat, höre: La digue est rompue; le torrent se deborde avec furie; les Allemands sont deve-
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nus Romanciers a ` outrance. Wenn das nicht elende Nationalpartheylichkeit ist, so weiß ich fast nicht, was man sonst so nennen soll. Mir ekelt es, mehr aufzusuchen, und noch etwas davon zu sagen. Wer Lust hätte, solche französische Einfälle aufzujagen, dürfte vielleicht aus jeder Anzeige eines teutschen Buchs einen oder ein Paar hervorspringen sehen. Mich wundert nur, wie diese Herrn Gazettiers das Ding
Schreiben an einen Freund
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nicht selbst zum Ekel kriegen. Es ist doch ein ewiges Einerley. Sollten sie aber, welches ich kaum glauben kann, so stumpf seyn, so etwas nicht zu merken; so geschähe ihnen vielleicht eine Wohlthat, wenn sie jemand aufmerksam darauf machte. Und wer hätte dazu mehr Verbindlichkeit, als Sie, mein Herr, der Sie sich ihrer so annehmen? Wenn Sie meinen Brief für geschickt dazu halten, so gebe ich es Ihnen hiermit frey, ihn wie er da ist, in das nächste beste periodische Werk mit einrücken zu lassen. Vielleicht kriegen ihn die Herrn da zu lesen, lernen sich schämen und — bessern sich.
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D e r Te u t s c h e M e r k u r (Mitte/Ende Januar 1780)
Inhaltsverzeichnis Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Erstes Vierteljahr Der Teutsche Merkur. Jänner 1778
.....
1
..............................
3
[251.1]
Nachricht [ 219.1]
[251.2]
La Philosophie endormie. Eine Conversation en Pot-Pourri . . . . . . . . . .
4
[251]
[251.2.0]
Prologus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
[251.2.1]
Erste Scene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
[251.2.2]
Zwoote Scene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
[251.2.3]
Dritte Scene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
[251.2.4]
Vierte Scene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
[251.3]
Nachtrag zur Geschichte der schönen Rosamund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
[251.4]
¼Rezension: Johann Gottlieb Schummel½ Recueil des plus jolies Contes, tire´s des Mille et une Nuit [ Incerta] Druckfehler in gegenwärtigem Stücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[252]
¼Notiz½ Geofroy Rudell. [ ¤ 252]14.2
[253]
Der Teutsche Merkur. Februar 1778
............................
33
35
[253.1]
Nachricht [ 219.1]
[253.2]
Hann und Gulpenhee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
[253.3]
¼Übersetzung: Frances Brooke½ Die Lustreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
[253.3.0]
¼Einleitung zur Übersetzung: Brooke½ Die Lustreise . . . . . . . . . . . . .
45
[253.3.1]
Die Lustreise. Erste Abtheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
[253.3.2]
Die Lustreise ¼Fortsetzung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Der Teutsche Merkur. März 1778
................................
53
[254.1]
Nachricht [ 219.1]
[254.2]
Der Vogelsang, oder die drey Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
[254.3]
¼Anmerkung: Marcus Herz½ Apollodorus und Philonus,
[254]
ein Gespräch die Immaterialität der Seele betreffend . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis
637
69
[254.4]
[254.5] [254.5.1]
¼Rezension der Übersetzung Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius’: Voltaire½ Kandide, oder die beste Welt, aufs neue verteutscht . . . . . . .
70
Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
1. ¼Antwort. Rechtfertigung der Rezension: Georg Ludwig Ahlemann: Über das Leben und den Charakter des Grafen ... von Bernstorff½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[254.5.2]
[254.6]
„Teutschen Merkur“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Logogryph ¼„Neun Elemente, die …“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Zweytes Vierteljahr [255] [255.1] [255.2]
72
2. ¼Antwort. Bitte um Frankierung der Sendungen an den
Der Teutsche Merkur. April 1778
..
77
................................
79
Nachricht [ 219.1] Fragmente von Beyträgen zum Gebrauch derer, die sie brauchen können oder wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
[255.2.1]
Lehrgebäude. Fragmente. Beyträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
[255.2.2]
Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
[255.2.3]
Bescheidenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
[255.2.4]
Philosophie — Kunst zu Leben — Heilkunst der Seele . . . . . . . . . . . .
89
[255.3]
¼Rezension: Helfrich Peter Sturz½ Erinnerungen aus dem Leben des Grafen Johann Hartwig Ernst von Bernstorf [ Incerta]
[255.4]
¼Rezension: Friedrich Traugott Hase½ Auszug aus Eduard Blondheims geheimen Tagebuche [ Incerta]
[255.5]
¼Rezension: Christian Friedrich Daniel Schubart½ Vorlesungen über Mahlerey, Kupferstecherkunst, Bildhauerkunst, Steinschneidekunst, und Tanzkunst [ Incerta]
[255.6]
¼Rezension: Johann Christoph König½ Über den Genius des Sokrates [ Incerta]
[255.7] [255.8]
¼Rezension: Karl Wilhelm Brumbey½ Minerva, erstes Opfer [ Incerta] ¼Rezension: Karl Wilhelm Brumbey½ Fragmente aus der Geschichte eines liebenden Jünglings [ Incerta]
[255.9]
¼Übersetzung: Frances Brooke½ Die Lustreise. ¼Fortsetzung½ [ 253.3.2]
[255.10]
Logogryph ¼„Ich bin an Reimen reich …“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
[255.11]
¼Auflösung des März-Logogryphen½ [ 254.6] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
638
Inhaltsverzeichnis
[256]
Der Teutsche Merkur. May 1778
.................................
99
[256.1]
Nachricht [ 219.1]
[256.2]
Schach Lolo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
[256.3]
¼Rezension: Wilhelm Friedrich Ludwig Wekhrlin½ Anselmus Rabiosus Reise durch Oberteutschland [ Incerta]
[256.4]
¼Rezension:½ Almanach der teutschen Musen auf das Jahr 1778 [ Incerta]
[256.5]
¼Rezension: Christian Friedrich Schwan½ Die Schreibtafel. Sechste Lieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
[256.6]
¼Anmerkung: Friedrich Johann Justin Bertuch½ Frage an das teutsche Publikum über die Erhaltung der poetischen Werke des alten teutschen Meister-Sängers Hans Sachsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
[256.7]
¼Zusatz: Ludwig Philipp Hahn½ Ankündigung einer vollständigen Ausgabe aller lateinischen Schriftsteller des Alterthums . . . . . . . . . . . . 127
[256.8]
Bescheidne Antwort auf eine unbescheidne Frage ¼zu den Kupferstichen im „Teutschen Merkur“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
[256.9]
¼Auflösung des April-Logogryphen½ [ 255.10] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Druckfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
[257]
Der Teutsche Merkur. Jun. 1778
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
[257.1]
Nachricht [ 219.1]
[257.2]
¼Johann Heinrich Merck und Wieland½ Albrecht von Haller . . . . . . . . . 134
[257.2.1]
¼Einleitung zu: Johann Heinrich Merck½ Albrecht von Haller . . . . . 134
[257.2.2]
¼Johann Heinrich Merck½ Albrecht von Haller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
[257.3]
¼Anmerkung und½ Zusatz des Herausgebers ¼zur Rezension: Johann Jakob Bodmer½ Die Werke des Homerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
[257.4]
¼Rezension: Heinrich August Ottokar Reichard½ Bibliothek der Romane. Erster Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
[257.5]
¼Zusatz zur Rezension: Johann Jakob Bodmer½ Drey Epische Gedichte: Makaria, Sigowin und Adelbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
[257.6] [257.6.1]
Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Die lezthin angekündigte vollständige Sammlung Lateinischen Autoren betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
[257.6.2]
2. Die Übersetzung der Forsterischen neuesten Reise um die Welt betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
Inhaltsverzeichnis
639
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Drittes Vierteljahr [258]
Der Teutsche Merkur. Julii 1778
[258.1]
Nachricht [ 219.1]
[258.2]
Die Abderiten
[258.2.1]
An den Leser [ 191.I.3.5.0]
[258.2.2]
15. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.5.1]
[258.2.3] [258.3]
. . . . 157
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
16. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.5.2] Auszüge aus Hrn. D. Johann Reinhold Forsters ¼...½ Reise um die Welt, während den Jahren 1772—75 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
[258.3.1]
¼1½ Auszüge aus Hrn. D. Johann Reinhold Forsters ¼...½ Reise um die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
[258.3.2]
¼2½ Auszug aus J. Forsters Reise um die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
[258.3.3]
¼3½ Auszüge aus Forsters Reise um die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
[258.4]
¼Rezension: Christoph Friedrich Nicolai½ Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels . . . . 203
[258.4.1]
Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
[258.4.2]
Joh. Bunkels Leben u. Meynungen etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
[258.4.3]
Auszüge aus der Johann-Bunkliade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
[258.4.4]
Fortsetzung des Auszugs aus der Johann-Bunkliade . . . . . . . . . . . . . . 238
[258.4.5]
Beschluß der Auszüge aus Johann Bunkels Leben . . . . . . . . . . . . . . . . 250
[258.5]
¼Rezension½ Sämtliche Werke des Wansbecker Boten, dritter Theil. ¼von Matthias Claudius, und½ Gedichte von Gottfr. August Bürger . . 259
[258.6]
¼Rezension der Übersetzung Christian Gottlieb Selles: Henry Mackenzie½ Der Mann von Gefühl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
[258.7]
¼Zusatz: Gottfried August Bürgers Anzeige des Göttinger Musenalmanachs½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
[258.8]
[259]
¼Nachricht zum Bildnis Algernon Sidneys½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Der Teutsche Merkur. August 1778
[259.1]
Nachricht [ 219.1]
[259.2]
Die Abderiten
[259.2.1] [259.3]
640
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
¼17. Kapitel½ [ 191.I.3.6.1] Auszug aus J. Forsters Reise um die Welt [ 258.3.2]
Inhaltsverzeichnis
[259.4]
¼Rezension: Christoph Friedrich Nicolai½ Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels
[259.4.1] [259.5]
Joh. Bunkels Leben u. Meynungen etc. [ 258.4.2] ¼Anmerkung: Martin Ehlers½ Auszug eines Schreibens an den Herausgeber über Herrn P. Ahlemanns Leben und Charakter des sel. Grafen von Bernsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Druckfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
[260]
Der Teutsche Merkur. September 1778
[260.1]
Nachricht [ 219.1]
[260.2]
Die Abderiten
[260.2.1]
18. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.7.1]
[260.2.2]
19.¼Kapitel½ [ 191.I.3.7.2]
[260.2.3]
20.¼Kapitel½ [ 191.I.3.7.3]
[260.3]
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Auszug aus einem Schreiben an einen Freund in D * * * über die Abderiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
[260.4]
¼Anmerkung und Zusatz: Adam Friedrich Christian Reinhard?½ Johann Heinrich Lambert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
[260.5]
Auszug aus dem Leben des Algernon Sidney . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
[260.5.1]
Auszug aus dem Leben des Algernon Sidney . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
[260.5.2]
Beschluß des Auszugs aus Algernon Sidney’s Lebensbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
[260.6]
¼Rezension: Ernestine Christine Reiske½ Hellas. Erster Band . . . . . . . . 294
[260.7]
¼Rezension: Karl Friedrich Siegmund von Seckendorff-Aberdar½ Volks- und andere Lieder. ¼1. Sammlung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1778. Viertes Vierteljahr [261]
Der Teutsche Merkur. October 1778
[261.1]
Nachricht [ 219.1]
[261.2]
Die Abderiten
[261.2.1] [261.3]
. . . . 299
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
¼21. Kapitel½ [ 191.I.3.8.1] ¼Anmerkung: Johann Heinrich Merck½ Schreiben eines Landedelmanns über eine Stelle aus dem dritten Theil der Könige von Scheschian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
Inhaltsverzeichnis
641
¼Rezension: Christoph Friedrich Nicolai½ Zergliederung des Buchs,
[261.4]
genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels Auszüge aus der Johann-Bunkliade [ 258.4.3]
[261.4.1]
¼Rezension: Theodor Gottlieb Hippel½ Lebensläufe nach
[261.5]
aufsteigender Linie [ Incerta] ¼Nachricht an Anonymus: Einsendung des „Versuch über den
[261.6]
Widerspruch der Philosophie, in Verdammung des Selbstmordes und Vertheidigung der Todesstrafen“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 ¼Nachricht zum Bildnis des Franz von Sickingen½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
[261.7]
Der Teutsche Merkur. November 1778
[262]
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
[262.1]
Nachricht [ 219.1]
[262.2]
¼Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
[262.2.0]
Die Wünsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
[262.2.1]
Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen. Erster Theil . . . . . . . . . 307
[262.2.1.1]
Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen. Erster Theil . . . . . . 307
[262.2.1.2]
Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen. ¼Erster Theil. Fortsetzung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
[262.2.2] [262.3]
Pervonte oder die Wünsche. Zweyter Theil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Die Abderiten.
[262.3.1]
22. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.9.1]
[262.3.2]
23.¼Kapitel½ [ 191.I.3.9.2]
[262.3.3]
24. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.9.3]
[262.3.4]
25. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.9.4]
[262.3.5]
26. ¼Kapitel½ [ 191.I.3.9.5]
[262.4]
Auszüge aus Forsters Reise um die Welt [ 258.3.3]
[262.5]
Anekdote [ Incerta]
[262.5.1] [262.5.2] [262.6]
¼1.Anekdote: „Cayet ... erzählt ...“½ ¼2. Anekdote: „Eine Probe solcher Vergötterung...“½ ¼Rezension: Christoph Friedrich Nicolai½ Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels
[262.6.1]
Fortsetzung des Auszugs aus der Johann-Bunkliade [ 258.4.4]
[262.7]
Kunstsachen ¼Kupfer zu Forsters Reisen½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
[262.8]
Beschluß des Auszugs aus Algernon Sidney’s Lebensbeschreibung [ 260.5.2]
642
Inhaltsverzeichnis
[262.9]
[263]
¼Redaktionelle Nachricht zur Rubrik: Bücheranzeigen½ . . . . . . . . . . . . . 341
Der Teutsche Merkur. December 1778
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
[263.1]
Nachricht [ 219.1]
[263.2]
¼Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen½
[263.2.1]
Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen ¼Erster Theil. Fortsetzung½ [ 262.2.1.2]
[263.3]
¼Rezension: Christoph Friedrich Nicolai½ Zergliederung des Buchs, genannt: Leben, Bemerkungen und Meynungen Johann Bunkels
[263.3.1]
¼Beschluß der Auszüge aus Johann Bunkels Leben½ [ 258.4.5]
[263.4]
Anekdote aus Frankreich von diesem Jahre [ Incerta]
[263.5]
¼Rezension: Johann Valentin Embser½ Die Abgötterey unsers Philosophischen Jahrhunderts. Erster Abgott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
[263.6]
Der Herausgeber an die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
Der Teutsche Merkur. Vom Jahr 1779. Erstes Vierteljahr [264]
Der Teutsche Merkur. Januar 1779
. . . . 347
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
[264.1]
¼Nachricht½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350
[264.2]
¼Pervonte. Ein Neapolitanisches Mährchen½
[264.2.1] [264.3]
Pervonte oder die Wünsche. Zweyter Theil [ 262.2.2]
Onockiamaxia oder der Proceß um des Esels Schatten
[264.3.0]
Einleitung [ 191.I.3.10.0]
[264.3.1]
1. ¼Kapitel½ Veranlassung des Prozesses, und Facti Species [ 191.I.3.10.1]
[264.3.2]
2. ¼Kapitel½ Verhandlungen vor dem Stadtrichter Philippides [ 191.I.3.10.2]
[264.4]
¼Anmerkung: Johann Anton Merck½ Auszug aus einem vertraulichen Schreiben, eines in Italien reisenden Mineralogen und Chemikers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
[264.5]
¼Anzeige von Wilhelm Friedrich Ludwig Wekhrlin: Chronologen. 1. Quartal½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
[265] [265.1]
Der Teutsche Merkur. Februar 1779
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
¼Nachricht½ [ 264.1]
Inhaltsverzeichnis
643
[265.2]
¼Zusatz: Johann Heinrich Voß½ Homers Odyssee, Vierzehnter Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
[265.3] [265.3.1]
Der Proceß um des Esels Schatten [ 191.I.3.11] 3. ¼Kapitel½ Wie die Partheyen sich höhern Orts um Unterstützung bewerben [ 191.I.3.11.1]
[265.3.2]
4. ¼Kapitel½ Gerichtliche Verhandlung. Relation des Assessor Miltias. Urthel, und was daraus erfolgt [ 191.I.3.11.2]
[265.4]
Abgenöthigter Nachtrag zur Johann-Bunkliade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
[265.5]
¼Kunstnachrichten½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
[265.5.1]
2. ¼Nachricht: Johann Friedrich Bause: Bildnis Prinz Heinrichs von Preußen½ [ Incerta]
[265.5.2]
[266]
3. ¼Anzeige zu Anonymus: Bildnis Johann Heinrich Lamberts½ . . . 369
Der Teutsche Merkur. März 1779
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
[266.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[266.2]
Zusatz und Beschluß vom H. ¼zu Johann Heinrich Merck½ Ohngefähre Bilanz der Literatur des vergangnen Jahrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
[266.3] [266.3.1]
Der Prozeß über des Esels Schatten 5. ¼Kapitel½ Gesinnungen des Senats. Tugend der schönen Gorgo, und ihre Würkungen. Der Priester Strobylus tritt auf, und die Sache wird ernsthafter [ 191.I.3.12.1]
[266.3.2]
6. ¼Kapitel½ Abdera theilt sich in zwoo Partheyen. Die Sache kommt vor Rath [ 191.I.3.12.2]
[266.4]
Über ¼Simon Nicolas Henri½Linguets Annales Politiques, Civiles et Litteraires du XVIII. Siecle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
[266.5]
¼Jean Baptiste Gaspard d’Ansse de Villoison½ Auszug aus einem Schreiben des Hrn. A * * D * V * * * an — über die Entdeckung einer sehr wichtigen Handschrift der Werke des Homers . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
[266.5.1]
¼Anmerkungen½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
[266.5.2]
¼Zusatz½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390
[266.6]
¼Rezension: Johann Karl August Musäus½ Physiognomische Reisen ¼1. und 2. Heft½ [ Incerta]
[266.7] [266.7.1]
¼Kunstsachen½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 ¼Johann Friedrich Bause½ Bildnis Georg Joachim Zollikofers ¼nach Anton Graff½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
644
Inhaltsverzeichnis
[266.7.2] [266.7.3] [266.8]
¼Adam Friedrich Oeser: Abraham auf Moria½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 ¼Adam Friedrich Oeser: Abrahams Brandopfer½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 An die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
[266.8.1]
¼1. Zum Leben Franz von Sickingens½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
[266.8.2]
¼2. Zu Soltaus Übersetzung des „Hudibras“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
[266.8.3]
¼3. Zur Rezension des Vossischen Musenalmanachs½ . . . . . . . . . . . . . . 393
[266.8.4]
¼4. Verlust einiger Manuskriptseiten von Mercks „Ohngefähre Bilanz der Literatur des vergangnen Jahres“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Zweytes Vierteljahr [267]
Der Teutsche Merkur. April 1779
[267.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[267.2]
Die Onoskiamachie fortgesetzt
[267.2.1]
. . . 395
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
7. ¼Kapitel½ Gute Ordnung in der Kanzley von Abdera. PräjudizialFälle, die nichts ausmachen. Das Volk will das Rathhaus stürmen, und wird von Agathyrsus besänftigt. Der Senat beschließt die Sache dem großen Rath zu überlassen [ 191.I.3.13.1]
[267.2.2]
8. ¼Kapitel½ Politik beyder Partheyen. Der Erzpriester verfolgt seinen erhaltenen Vortheil; die Schatten ziehen sich zurück, und der entscheidende Tag wird festgesetzt [ 191.I.3.13.2]
[267.3]
¼Anmerkung: Johann Heinrich Merck½ An den Herausgeber des T. Merkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
[267.4]
¼Anmerkung zu Dietrich Wilhelm Soltaus Übersetzung: Samuel Butler½ Hudibras. Erster Gesang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
[267.5]
Z¼ur½. N¼achricht½. ¼Zu zwei eingesandten Gedichten eines Ungenannten½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
[268]
Der Teutsche Merkur. May 1779
[268.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[268.2]
Die Onoskiamachie
[268.2.1]
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
9. ¼Kapitel½ Was für eine Mine der Priester Strobylus gegen seinen Kollegen springen läßt. Zusammenberufung der Zehnmänner. Der Erzpriester wird vorgeladen, findet aber Mittel, sich sehr zu seinem Vortheil aus der Sache zu ziehen [ 191.I.3.14.1]
Inhaltsverzeichnis
645
[268.2.2]
10. ¼Kapitel½ Agathyrsus beruft seine Anhänger zusammen. Substanz seiner Rede an sie. Er ladet sie zu einem großen Opferfeste ein. Der Archon Onolaus will sein Amt niederlegen. Unruhe der Parthey des Erzpriesters über dieses Vorhaben. Durch was für eine List sie solches vereitelten [ 191.I.3.14.2]
[268.3]
¼Subsriptionshinweis: Johann Heinrich Voß½ Homers Odüßee . . . . . . . 402
[268.4]
¼Anzeige von Friedrich Schmits Übersetzung: Henry Fielding½ Tom Jones [ Incerta]
[269]
Der Teutsche Merkur. Junius 1779
[269.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[269.2]
Beschluß der Onoskiamachie
[269.2.1]
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
11. ¼Kapitel½ Der Entscheidungstag. Maasregeln beyder Partheyen. Die Vierhundert versammeln sich, und das Gericht nimmt seinen Anfang. Philantropisch-patriotische Träume des Herausgebers dieser merkwürdigen Geschichte [ 191.I.3.15.1]
[269.2.2]
12. ¼Kapitel½ Rede des Sykophanten Physignatus [ 191.I.3.15.2]
[269.2.3]
13. ¼Kapitel½ Antwort des Sykophanten Polyphonus [ 191.I.3.15.3]
[269.2.4]
14. ¼Kapitel½ Bewegungen, welche die Rede des Polyphonus verursachte. Nachtrag des Sykophanten Physignatus. Verlegenheit der Richter. Unvermuthete Entwicklung der ganzen Komödie und Wiederherstellung der Ruhe in Abdera [ 191.I.3.15.4]
[269.3]
¼Anmerkung: Christian Joseph Jagemann½ Etwas vom Herrn Abt Winkelmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
[269.4]
¼Anmerkungen und½ Antwort des Herausgebers ¼zu: August Cornelius Stockmann½ An den Herausgeber des Teutschen Merkurs . . . . . . . . . . . 405
[269.4.1]
¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
[269.4.2]
¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
[269.4.3]
¼Anmerkung 3½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
[269.4.4]
Antwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Drittes Vierteljahr [270] [270.1]
646
Der Teutsche Merkur. Julius 1779 ¼Nachricht½ [ 264.1]
Inhaltsverzeichnis
. . . . 413
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
[270.2]
Pandora. Ein Lustspiel in zwey Aufzügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
[270.2.1]
Erster Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
[270.2.2]
Zweyter Aufzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
[270.3]
¼Rezension: Friedrich Heinrich Jacobi½ Woldemar [ Incerta]
[270.4]
¼Rezension: Johann Karl August Musäus½ Physiognomische Reisen,
[270.5]
¼Rezension der Übersetzung Ludwig Christoph Heinrich Höltys oder
[270.6]
¼Rezension zu Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius’ Übersetzung von
3tes Heft [ Incerta]
Johann Joachim Christoph Bodes: Fiz-Adam½ Die Welt [ Incerta]
Alain Rene´ Lesage½ Gil Blas von Santillana, neu übersezt [ Incerta] [270.7]
¼Zusatz und Anmerkung:½ An den Herausgeber des T. M. ¼Nachfrage eines Lesers zu eingesandten Werken½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
[270.8]
¼Anzeige von Georg Melchior Kraus: Sechs Ansichten½ [ Incerta]
[270.9]
¼Anmerkung zur Musik-Beilage: Simon Dach und Johann Friedrich Kranz½ Filosette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
[271]
Der Teutsche Merkur. August 1779
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
[271.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[271.2]
Unmaasgebliche Gedanken eines Laien über Herrn D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntnis [ Incerta]
[271.2.1]
Unmaasgebliche Gedanken eines Laien über Herrn D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntnis
[271.2.2]
Fortsetzung und Beschluß der Gedanken eines Laien über Hrn. D. Bahrdts Glaubensbekenntniß
[271.3]
¼Rezension: August Ludwig Schlözer½ Briefwechsel ¼ XXV. bis XXVII. Heft½ [ Incerta]
[271.4]
¼Rezension: Karl Friedrich Siegmund von Seckendorff-Aberdar½ Volks- und andere Lieder ¼2. Sammlung½ [ Incerta]
[271.5]
¼Rezension von Friedrich Julius Heinrich von Sodens Übersetzung: Miguel de Cervantes Saavedra½ Moralische Novellen [ Incerta]
[271.6]
¼Zusatz: Johann Heinrich Voß½ Anzeige, die Voßische Übersetzung der Odyssee betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
[271.7]
¼Zusatz zu: Christoph Gottlieb von Murr½ Ankündigung einer Revision der A¼llgemeinen½. D¼eutschen½. Bibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . 452
Inhaltsverzeichnis
647
[272]
Der Teutsche Merkur. September 1779
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
[272.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[272.2]
¼Zusatz: Anonymus½ Die ersten Menschen, eine morgenländische Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
[272.3]
¼Anmerkung: Anonymus½ Die Ros’ im Thale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
[272.4]
Fortsetzung und Beschluß der Gedanken eines Laien über Hrn. D. Bahrdts Glaubensbekenntniß [ 271.2.2] Druckfehler in No. 9. des T. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
[273] [273.1]
Wielands Neueste Gedichte. III. Theil Das Sommermährchen, oder des Maulthiers Zaum. Eine Erzählung aus der Tafelrunde-Zeit [ 241.2]
[273.2]
An Olympia. Den 24sten October 1777 [ 245]
[273.2.1]
I. ¼„Der Götterstand (sprach einst ...)“½ [ 245.1]
[273.2.2]
II. ¼„Von feinerem Gefühl getrieben ...“½ [ 245.2]
[273.2.3]
III. ¼„Dies alte Wunder zu erneu’n ...“½ [ 245.3]
[273.3]
La Philosophie endormie. Eine Conversation en Pot-Pourri [ 251.2]
[273.3.1]
Prologus [ 251.2.0]
[273.3.2]
Erste Scene [ 251.2.1]
[273.3.3]
Zwoote Scene [ 251.2.2]
[273.3.4]
Dritte Scene [ 251.2.3]
[273.3.5]
Vierte Scene [ 251.2.4]
[273.4]
Der Vogelsang, oder die drey Lehren[ 254.2]
[273.5]
Schach Lolo [ 256.2]
[273.6]
Der verklagte Amor [ 199.I.2]
[273.6.1]
Der verklagte Amor. Erstes Buch [ 199.I.2.1]
[273.6.2]
Der verklagte Amor. Zweytes Buch [ 199.I.2.2]
[273.6.3]
Der verklagte Amor. Drittes Buch [ 199.I.2.3]
[273.6.4]
Der verklagte Amor. Viertes Buch [ 199.I.2.4]
Der Teutsche Merkur vom Jahr 1779. Viertes Vierteljahr [274] [274.1]
648
Der Teutsche Merkur. October 1779 ¼Nachricht½ [ 264.1]
Inhaltsverzeichnis
. . . . 457
[274.2]
¼Anonymus½ Revision eines neuerlich über das Kartenspielen gefällten Urtheils [ Incerta]
[274.2.1]
¼Anonymus½ Revision eines neuerlich über das Kartenspielen gefällten Urtheils [ Incerta]
[274.2.2]
[275]
Zugabe zu vorstehender Revision [ Incerta]
Der Teutsche Merkur. November 1779
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459
[275.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[275.2]
¼Anmerkungen: Conrad Arnold Schmid½ An Herrn Heinr. Christ. Lemker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
[275.2.1]
¼Anmerkung 1½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
[275.2.2]
¼Anmerkung 2½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
[275.3]
¼Anmerkung: Anonymus½ Über die Sittlichkeit des Luxus und der Singspiele [ 219.1]
[275.4]
Anekdoten des Herrn von Voltaire lezte Lebensauftritte betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
[275.4.1]
Anekdoten des Herrn von Voltaire lezte Lebensauftritte betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
[275.4.2]
Beschluß der Anekdoten aus des Herrn von Voltaire lezten Lebensauftritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
[275.5]
Nachweisung ¼zu: Christoph Friedrich Feder? Briefe das Erziehungswesen betreffend. Dritter Brief½ [ Incerta]
[275.6]
¼Pränumerationsanzeige zu Christian Friedrich Schwan: Abbildung aller geistlichen und weltlichen Orden½ [ Incerta]
[275.7]
¼Anzeige von Johann Rudolf Schellenberg: Ein Dutzend Schweizerprospekte½ [ Incerta]
[275.8]
Der Herausgeber an die Abonenten auf den T. Merkur ¼Ankündigung des „Oberon“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
[276]
Der Teutsche Merkur. December 1779
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
[276.1]
¼Nachricht½ [ 264.1]
[276.2]
Beschluß der Anekdoten aus des Herrn von Voltaire lezten Lebensauftritten [ 275.4.2]
[276.3]
¼Johann Heinrich Merck und Wieland: Rezension½ Gedichte der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stollberg . . . . . . . 512
Inhaltsverzeichnis
649
[276.4]
¼Rezension: Johann Kaspar½ Hirzel an Gleim über Sulzer den Weltweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
[276.5]
¼Zusatz: Daniel Chodowiecki½ XXIV. Kupfer zu Don Quixote [ Incerta]
[276.6]
Schreiben an einen Freund. Von einem teutschen Leser der französischen gelehrten Zeitung, die in Zweybrücken ausgegeben wird [ Incerta]
Incerta [251.4]
¼Rezension: Johann Gottlieb Schummel½ Recueil des plus jolies Contes, tire´s des Mille et une Nuit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
[255.3]
¼Rezension: Helfrich Peter Sturz½ Erinnerungen aus dem Leben des Grafen Johann Hartwig Ernst von Bernstorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
[255.4]
¼Rezension: Friedrich Traugott Hase½ Auszug aus Eduard Blondheims
[255.5]
¼Rezension: Christian Friedrich Daniel Schubart½ Vorlesungen über
geheimen Tagebuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
Mahlerey, Kupferstecherkunst, Bildhauerkunst, Steinschneidekunst, und Tanzkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 [255.6]
¼Rezension: Johann Christoph König½ Über den Genius des Sokrates
[255.7]
¼Rezension: Karl Wilhelm Brumbey½ Minerva, erstes Opfer . . . . . . . . . 531
[255.8]
529
¼Rezension: Karl Wilhelm Brumbey½ Fragmente aus der Geschichte eines liebenden Jünglings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
[256.3]
¼Rezension: Wilhelm Friedrich Ludwig Wekhrlin½ Anselmus Rabiosus Reise durch Oberteutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
[256.4]
¼Rezension:½ Almanach der teutschen Musen auf das Jahr 1778 . . . . . . 537
[261.5]
¼Rezension: Theodor Gottlieb Hippel½ Lebensläufe nach aufsteigender Linie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
[262.5] [262.5.1]
Anekdote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 ¼1. Anekdote: „Cayet, Unterhofmeister von Heinrich dem Vierten, erzählt ...“½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
[262.5.2]
¼2. Anekdote: „Eine Probe solcher Vergötterung ...“½ . . . . . . . . . . . . . 542
[263.4]
Anekdote aus Frankreich von diesem Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543
[265.5]
¼Kunstnachrichten½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
650
Inhaltsverzeichnis
[265.5.1]
2. ¼Nachricht: Johann Friedrich Bause: Bildnis Prinz Heinrichs von Preußen½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545
[266.6]
¼Rezension: Johann Karl August Musäus½ Physiognomische Reisen ¼1. und 2. Heft½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547
[268.4]
¼Anzeige von Friedrich Schmits Übersetzung: Henry Fielding½
[270.3]
¼Rezension: Friedrich Heinrich Jacobi½ Woldemar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
[270.4]
¼Rezension: Johann Karl August Musäus½ Physiognomische Reisen,
Tom Jones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549
3tes Heft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 [270.5]
¼Rezension der Übersetzung Ludwig Christoph Heinrich Höltys
[270.6]
¼Rezension zu Wilhelm Christhelf Siegmund Mylius’ Übersetzung:
oder Johann Joachim Christoph Bodes: Fiz-Adam½ Die Welt . . . . . . . . . 555
von Alain Rene´ Lesage½ Gil Blas von Santillana, neu übersezt . . . . . . . 557 [270.8]
¼Anzeige von Georg Melchior Kraus: Sechs Ansichten½ . . . . . . . . . . . . . . 561
[271.2]
Unmaasgebliche Gedanken eines Laien über Herrn D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
[271.2.1]
Unmaasgebliche Gedanken eines Laien über Herrn D. Carl Friedrich Bahrdts Glaubensbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563
[271.2.2]
Fortsetzung und Beschluß der Gedanken eines Laien über Hrn. D. Bahrdts Glaubensbekenntniß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571
[271.3]
¼Rezension: August Ludwig Schlözer½ Briefwechsel ¼ XXV. bis XXVII. Heft½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597
[271.4]
¼Rezension: Karl Friedrich Siegmund von Seckendorff-Aberdar½ Volks- und andere Lieder ¼2. Sammlung½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601
[271.5]
¼Rezension von Friedrich Julius Heinrich von Sodens Übersetzung: Miguel de Cervantes Saavedra½ Moralische Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . 603
[274.2]
¼Anonymus½ Revision eines neuerlich über das Kartenspielen gefällten Urtheils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
[274.2.1]
¼Anonymus½ Revision eines neuerlich über das Kartenspielen gefällten Urtheils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
[274.2.2] [275.3]
Zugabe zu vorstehender Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 ¼Anmerkung: Anonymus½ Über die Sittlichkeit des Luxus und der Singspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
[275.5]
Nachweisung ¼zu: Christoph Friedrich Feder? Briefe das Erziehungswesen betreffend. Dritter Brief½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621
Inhaltsverzeichnis
651
[275.6]
¼Pränumerationsanzeige zu Christian Friedrich Schwan: Abbildung aller geistlichen und weltlichen Orden½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623
[275.7]
¼Anzeige von Johann Rudolf Schellenberg: Ein Dutzend Schweizerprospekte½ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
[276.5]
¼Zusatz: Daniel Chodowiecki½ XXIV. Kupfer zu Don Quixote . . . . . . . . 627
[276.7]
Schreiben an einen Freund. Von einem teutschen Leser der französischen gelehrten Zeitung, die in Zweybrücken ausgegeben wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
652
Inhaltsverzeichnis