Weltanschauung in den Kämpfen unserer Tage [Reprint 2021 ed.] 9783112591529, 9783112591512


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Weltanschauung in den Kämpfen unserer Tage [Reprint 2021 ed.]
 9783112591529, 9783112591512

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Götz Redlow WELTANSCHAUUNG

GÖTZ REDLOW

WELTANSCHAUUNG in den Kämpfen unserer Tage

AKADEMIE-VERLAG•BERLIN 19 6 9

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 Copyright 1969 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/14/69 Herstellung: IV/2/14 V E B Werkdruck, 445 Gräfenhainichen • 3227 Bestellnummer: 5743 - ES 3 B 2 6.-

Denn was wäre die Schönheit Der Natur nütze, Wenn in dieser schönen Natur Die Menschenschönheit darniederliegt Und verkümmert. (JOHANNES R. BECHER)

Inhalt

Politik - Partei - Weltanschauung 9 Die praktische Universalität des Menschen - Quelle der Weltanschauung 41 Steigende Universalität des Menschen im Sozialismus 61 Weltanschauung und Wissenschaft 75

Politik-Partei-Weltanschauung

Die Entwicklung und Verschärfung des geistigen Klassenkampfes zwischen Imperialismus und Sozialismus und die praktischen und geistigen Probleme der Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus machen uns erneut und in zunehmendem Maße die steigende Aktualität weltanschaulicher Fragen bewußt. Die entscheidende Schlacht zwischen Imperialismus und Sozialismus wird nicht ausschließlich im ökonomischmateriell-technischen Bereich, sondern in entscheidendem Maße auch auf geistigem Gebiet, auf dem Gebiet der geistigen Werte und Ideen geschlagen. Geistige Grundlage dieses Ringens war, ist und bleibt die Weltanschauung der Klassen und sozialen Ordnungen, die sich in der Gegenwart gegenüberstehen, der Kampf zwischen den imperialistischen und den marxistischen weltanschaulichen Ideen. Die in der sozialistischen Staatengemeinschaft bestehende sozialistische Ordnung und die große geistige Revolution, die Marx und Engels auf dem Gebiet der Philosophie vollzogen haben, bieten uns in der Gegenwart alle objektiven und geistigen Voraussetzungen, diesen nicht zu unterschätzenden und uns vor stets neue Aufgaben stellenden Kampf erfolgreich zu bestehen. Aber gerade die wissenschaftlich-technische Revolution und die positive Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems sowie besonders die Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft stellen uns vor weltanschauliche Aufgaben und Probleme, die Marx und Engels, welche im Kampf gegen den Kapitalismus die revolutionäre Philosophie des Marxismus als Instrument der Befreiung des Proletariats schufen, noch nicht in dem Maße philosophisch-weltanschaulich berühren konnten wie die ökonomisch und politisch befreite Arbeiterklasse, die der von ihr geschaffenen Gesellschaft und Menschengemeinschaft einen den Bedingungen unserer Zeit 9

entsprechenden konstruktiven weltanschaulichen Gehalt geben muß. Die Ausarbeitung der weltanschaulichen Grundlagen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft kann in ihrer Bedeutung für die Existenz und Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auf der 9. und 10. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und bei anderer Gelegenheit wurde wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß es ein verhängnisvoller Irrtum wäre, zu glauben, eine einwandfrei funktionierende Ökonomie und die Meisterung der technischen Revolution beantworteten quasi von allein und spontan alle weltanschaulichen Fragen der Menschen im Sinne des Sozialismus. J e umfassender die entwickelte sozialistische Gesellschaft gestaltet wird, je besser die wissenschaftlich-technische Revolution gemeistert wird, desto dringender wird die Beantwortung hierdurch neu aufgeworfener weltanschaulicher Fragen; je differenzierter die sozialistische Gesellschaft ausgebaut wird, je besser die praktischen ökonomisch-technischen Probleme gelöst werden, desto differenzierter und anspruchsvoller muß der geistige Überbau gestaltet sein. Die optimale Lösung der Probleme der wissenschaftlich-technischen Revolution unter sozialistischen Bedingungen ist eine notwendige materielle Voraussetzung für die Gestaltung und das Aufblühen der sozialistischen Gesellschaft, aber sie bringt nicht automatisch den adäquaten geistigen Überbau hervor. Noch immer, ja in der Gegenwart mehr denn je, gilt, daß, wo die Unterschätzung der marxistischen sozialistischen Weltanschauung zugelassen wird, die feindliche bürgerliche Weltanschauung Möglichkeiten erhält, auch Bürger sozialistischer Länder zu beeinflussen. Ohne funktionierende Technik und Ökonomie können wir auf die Dauer kein sinnerfülltes Leben führen. Aber es ist ein großer und verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, die funktionierende Ökonomie höbe die Frage nach dem Sinn des Lebens auf; im Gegenteil, sie stellt sie viel intensiver und umfassender. Tatsächlich folgt aus der bestmöglichen Regulierung der Ökonomie und einem hohen materiellen Lebensstandard keineswegs spontan und automatisch ein sinnerfülltes Leben. Hoher Lebensstandard kann auch, wie es der moderne Imperialismus beweist, zur völligen Sinnentleerung des Lebens führen. 10

Es ist ein Gesetz der sozialen und geistigen Entwicklung des Menschen, daß steigender materieller Wohlstand ohne die ständige Hebung des Niveaus in kultureller, moralischer, politischer und nicht zuletzt gerade in weltanschaulicher Hinsicht zur totalen geistigen und sittlichen Verarmung des menschlichen Lebens führt. Es ist aber auch ein Gesetz unserer Epoche, daß der steigende Lebensstandard und die verlängerte Freizeit nur mehr durch die sozialistische Gesellschaftsordnung auf menschliche Weise gemeistert werden können. Viele bürgerliche Ideologen erkennen mit Sorge, daß gerade die technische Revolution die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach den bestimmenden Werten unseres Lebens neu und verschärft stellt: „Entweder immer mehr materieller Genuß und damit Leere, Ziellosigkeit und Frustration; oder zunehmendes Interesse für gesellschaftlich produktive Aufgaben, etwa für soziale Hilfsdienste." 1 Sie befürchten, die bloße Steigerung des materiellen Lebensstandards werde „eine große Zunahme der Selbstsucht, ein steigendes Desinteresse an Staat und Gesellschaft insgesamt sowie eine Zunahme der mehr antisozialen Formen des Egoismus für sich und vielleicht den engsten Familienkreis" 2 nach sich ziehen. Das in der gegenwärtigen bürgerlichen Literatur immer wieder beschworene Gefühl der „inneren Leere", der „Sinnlosigkeit des Daseins" ist ein Aspekt der geistigen Krise der gegenwärtigen imperialistischen Gesellschaft, die sich durch die technische Revolution und ihre sozialen Folgen ungemein verschärft und auch als Krise der bürgerlichen Weltanschauung in Erscheinung tritt. Aber auch aus der einfachen Formel - technische Revolution plus sozialistische Produktionsverhältnisse - ergibt sich nicht automatisch ein sinnerfülltes Leben. Die Herausbildung einer sinnerfüllten sozialistischen Lebensführung ist komplizierter als die Schaffung der materiell-technischen und ökonomischen Basis des Sozialismus; denn sie erfordert die Veränderung des Menschen, seiner geistigen und moralischen Haltung, seiner Art und Weise, die Welt anzuschauen, seines Charakters, eben die Herausbildung eines neuen, sozialistischen Menschen, einer 1

Donald W. Michael, Psychologische Folgen der Automation,

in:

atomzeitalter,

März 1964, S. 86. 2

H. Kahn/A. G. Wiener, The Year 2000, A Framework for Speculation on the Next thirty-Three Years, N e w York 1967, S. 199.

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sozialistischen Menschengemeinschaft. Walter Ulbricht wies darauf hin, daß gerade darin der Grundfehler mancher sozialistischer Politiker besteht, „daß sie glauben, es sei alles getan, wenn man die Fragen des technischen Fortschritts meistert. Das ist nicht wahr. Die Arbeiterklasse hat die politische Macht im Interesse der Menschen, im Interesse der Schaffung einer menschlichen Lebensweise, einer menschlichen Gemeinschaft erobert, im Interesse der Erhöhung des Lebensstandards und des gesamten kulturellen und Gemeinschaftslebens der Menschen: Es geht also nicht nur darum, daß die Automaten richtig funktionieren. Das muß man besonders betonen. Deshalb ist es so wichtig zu verstehen, daß die sozialistische Staatsmacht die Sache des ganzen Volkes ist" 3 . Unter den Bedingungen der Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus stellt sich deshalb die Bedeutung der weltanschaulichen Integrität der marxistisch-leninistischen Partei, die Einheit von Politik, Partei und Weltanschauung auf neue Weise. Im März 1843 schrieb Karl Marx an Rüge, er habe an Feuerbach zu kritisieren, „daß er zu sehr auf die Natur und zu wenig auf die Politik hinweist. Das ist aber das einzige Bündnis, wodurch die jetzige Philosophie eine Wahrheit werden kann" 4 . Dieses Bündnis zwischen Politik und Weltanschauung gehört zu den bewährten Traditionen des revolutionären Marxismus. Es ist ebenso eine alte Tradition der Revisionisten, die Einheit von Politik, Partei und Weltanschauung anzugreifen und zu zerstören. Bereits Bernstein vertrat den Standpunkt, daß Politik, Partei und marxistische Weltanschauung streng zu trennen seien. E r schrieb, die Partei solle lediglich die „Anerkennung der Beschlüsse der Partei als bindend für das Verhalten ihrer Mitglieder" fordern, und lehnte eine einheitliche, bindende Weltanschauung ab. „Es handelt sich (bei der Partei) um keinen Glaubens- und Gewissenszwang." 5 An anderer Stelle meint er, eine einheitliche Weltanschauung sei nicht möglich, weil die Partei zu viele Menschen umfasse. 6 3

Walter Ulbricht, D i e weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, 9. Tagung des Z K der S E D , Berlin 1968, S. 63.

4

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, B d 27, Berlin 1965, S. 4 1 7 .

5

Eduard Bernstein, W i e ist wissenschaftlicher Sozialismus möglich? Berlin 1901, S. 3 1 .

6

Derselbe, Zur Geschichte und Theorie des Sozialismus, Berlin 1 9 0 1 .

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Die „moderne" Form dieses alten Opportunismus besteht in der These, der heutigen sogenannten pluralistischen Gesellschaft müsse auch eine Pluralität der Weltanschauungen entsprechen. Diese Meinung finden wir bei dem ideologischen Vater des „Godesberger Programms" der SPD, Eichler, ebenso wie bei den modernen Revisionisten. Es ist eine ihrem Wesen nach bürgerliche Anschauung, eine konkrete Form der ideologischen „Koexistenz" auf philosophischem Gebiet, die direkt zur geistigen Entwaffnung der proletarischen Bewegung führt; denn der Pluralismus der Revisionisten schließt zwar die Existenz aller möglichen Apologetik des Imperialismus ein, eine öffentliche Betätigung im Sinne der marxistischen Weltanschauung jedoch aus, wofür das Verbot der K P D in der Bundesrepublik ein beredtes Zeugnis ist. Die ideologische „Koexistenz" der Revisionisten erweist sich damit als eine spezifische Form des ideologischen Klassenkampfes der Imperialisten gegen die Arbeiterklasse. Die Vertreter der Monopole in Westdeutschland sparen deshalb auch nicht mit offenem Lob für die geistige Entwaffnung und Entideologisierung, oder besser Umideologisierung, der sozialdemokratischen Partei auf der Grundlage der „Weltanschauungsfreiheit". „Die sozialdemokratische Partei hat schon 1946 ein übriges getan, als sie den Marxismus für ihren Bereich des Weltanschauungscharakters entkleidete und auf die Funktion einer politisch-ökonomischen Denkmethode reduzierte"7, schreibt Rolf Spaethen. Die marxistisch-leninistische Weltanschauung ist jedoch der Kern der sozialistischen Ideologie, sowohl im Kampf um die Macht als auch bei der umfassenden Gestaltung des Sozialismus. Wer diesen Kern zugunsten einer verschwommenen Pluralität der Weltanschauungen preisgibt, öffnet der bürgerlichen Ideologie Tür und Tor, nimmt der Arbeiterklasse die philosophische Grundlage ihres Selbstbewußtseins und ihrer Selbstverwirklichung, d. h. des wissenschaftlichen Bewußtseins ihrer Lage und ihrer Aufgaben. Die weltanschauliche Einheit der marxistisch-leninistischen Partei ist daher geistige Grundvoraussetzung für den Sieg des proletarischen Klassenkampfes, ob im Kampf gegen den Imperialismus oder bei der Vollendung der sozialistischen Gesellschaft. Es ist daher nicht zufällig, 7

„Industriekurier" v. 1 2 . 12. 1968, S. 2.

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wenn das Verhältnis von Ideologie-Politik, Partei und Weltanschauung eine große Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Revisionismus spielt. Während Opportunisten und Revisionisten die verschiedenen bürgerlichen Weltanschauungen pluralistisch gleichberechtigt in die Partei tragen und damit die einheitliche Ideologie, die Einheit von Weltanschauung und Politik der Arbeiterklasse untergraben, wahrt die marxistisch-leninistische Partei in ihren Reihen die ideologische Integrität und grenzt sich auf dem Gebiet der Weltanschauung von ihren Verbündeten, den anderen antiimperialistischen Kräften, ab und bezieht sie zugleich in ihr politisches Bündnis ein. Verwischung der Unterschiede der proletarischen Weltanschauung und der linksbürgerlichen, kleinbürgerlichen u. a. Weltanschauungen schadet der Arbeiterklasse und macht sie geistig unfähig, ihre historische Mission zu erfüllen, Führerin im praktischen und geistigen Kampf gegen den Imperialismus und bei der Gestaltung des Sozialismus zu sein. Es ist ein Irrtum, zu glauben, das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den anderen antiimperialistischen Kräften würde leichter zu verwirklichen sein, wenn die Arbeiterklasse auf die Integrität ihrer Weltanschauung verzichtete. Denn innerhalb einer revolutionären Arbeiterpartei kann es auf weltanschaulichem Gebiet keine Kompromisse und keine Koexistenz geben. Die revolutionäre Praxis beweist, daß es nur den Parteien gelingt, die antiimperialistischen Kräfte für Frieden, Demokratie und Sozialismus zu sammeln und unter Führung der Arbeiterklasse zu einen, die an der weltanschaulichen Einheit ihrer Partei festgehalten haben. Andere Parteien, die bürgerliche und kleinbürgerliche weltanschauliche Gedanken in die Partei eindringen ließen, mußten dagegen schwere Niederlagen hinnehmen. Die Stärke und der Erfolg der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands bei der Einbeziehung aller antiimperialistischen Kräfte in den aktiven Kampf gegen den Imperialismus und seine Ideologie, bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus und der Ausarbeitung der sozialistischen Ideologie haben ihre tiefen geistigen Wurzeln in der weltanschaulichen Einheit der SED auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus. Die Politik und die Ideologie der SED beruhten stets auf der marxistischen Weltanschauung, auf der Einheit von marxistisch-leninistischer Ideologie und;.Weltanschauung. 14

Das befähigte die Partei, die Arbeiterklasse und ihre Bündnispartner im Osten Deutschlands in zwei Revolutionen mit Erfolg zu führen. Die unlösliche Einheit von revolutionärer Politik und marxistischleninistischer Weltanschauung ist in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem modernen Revisionismus ein Faktor von größter Bedeutung. Die Revisionisten der Gegenwart behaupten wie ihre geistigen Väter, marxistisch-leninistische Weltanschauung, Partei und Politik müßten bewußt getrennt werden, da es zwischen ihnen keinen notwendigen, für die politische Bewegung lebensnotwendigen Zusammenhang gäbe. Sie sagen, die Partei sei keine philosophische Partei, sondern eine politische Partei, und die Philosophie müsse man von der politischen Partei trennen, da der Sozialismus keine allgemein verbindliche Philosophie verlange und mit mehreren Weltanschauungen verbunden sei. Die Trennung von Partei, Politik und marxistisch-leninistischer Weltanschauung wurde ganz bewußt von den Revisionisten propagiert, weil ihr Streben nach „Revision" des Marxismus, ihre Forderung nach „Weltanschauungsfreiheit" in der Partei, nach direkter Zerstörung der weltanschaulichen Einheit der Arbeiterbewegung, die revolutionäre Partei die Arbeiterklasse selbst zerstören sollte. Die wissenschaftliche Gesellschafts- und Revolutionstheorie des Proletariats beruht auf den Fundamenten der marxistisch-leninistischen Philosophie und ist ohne diese einfach nicht möglich und umgekehrt. Noch immer gilt das Wort von Marx: „Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen." 8 Und es ist klar, daß die geistige Waffe des Proletariats für seine Befreiung nicht die bürgerliche Ideologie sein kann. Die These von der Pluralität der Weltanschauungen innerhalb der proletarischen Partei ist die Kehrseite der These von der weltanschaulichen Neutralität der Partei bzw. der Trennung von marxistischer Philosophie und praktischer Arbeiterbewegung. Wenn sie bei Bernstein als Forderung nach der Pluralität der Weltanschauungen auftrat, nimmt sie nach der erfolgreichen Wiedervereinigung von marxistischer Philosophie und proletarischer Arbeiterbewegung durch Lenin und ihrer Bewährung in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution die Form. 8

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd i, Berlin 1956, S. 391.

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der direkten Forderung nach Trennung von Philosophie und Partei an. Lenin hatte durch die Wiedervereinigung von proletarischer politischer Bewegung und marxistischer Philosophie bewiesen, daß nur in dieser Einheit eine echte Weiterentwicklung der marxistischen Philosophie entsprechend den neuen Bedingungen des Klassenkampfes in der Epoche des Imperialismus möglich ist. Karl Korsch behauptete Anfang der zwanziger Jahre, daß sich die marxistische Theorie und Philosophie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts außerhalb der praktischen Arbeiterbewegung entwickelt hätten. Bestimmte Gruppen von Intellektuellen, modernen Revisionisten und Marxismuskritikern, die von der Arbeiterbewegung in Westeuropa losgelöst leben, meinen, eine solche Situation sei in der Gegenwart wieder eingetreten. Nicht zufällig können wir daher seit Anfang der 6oer Jahre einen bewußten Rückgriff auf Korschs Begründung der Trennung von Politik, Partei und Philosophie beobachten. Diese Intellektuellen, die nicht imstande sind, die Bedeutung der theoretisch-bewußten und organisierten Arbeiterbewegung zu verstehen und den Weg zu ihr zu finden, halten sich selbst - außerhalb und unabhängig von der marxistischen proletarischen Partei - für berufen, die marxistische Theorie und Philosophie auszuarbeiten und zu entwickeln. In diesem Sinne schrieb Korsch bereits im Jahre 1923: „Die immer höhere theoretische Vollendung der Marx-Engels-Theorie ist jetzt mit der Praxis der Arbeiterbewegung nicht mehr unmittelbar verbunden, sondern beide Prozesse, die Fortbildung der in einer vergangenen geschichtlichen Epoche entstandenen alten Theorie unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen und die neue Praxis der Arbeiterbewegung gehen relativ selbständig nebeneinander her." 0 Diese Auffassung beruhte auf einer merkwürdigen Mischung von Anbetung der Spontaneität und einer Art hegelianisch-idealistischer Auffassung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt in der Gesellschaft, die darauf hinauslief, daß sich nur in der unmittelbaren, spontan revolutionären Aktion die Einheit von Theorie und Praxis, Philosophie und Politik manifestiere und verwirkliche. Das war im Wesen ein Angriff auf die von Lenin vollzogene Wiedervereinigung von Partei und Philo9

16

K a r l Korsch, Marxismus und Philosophie, Leipzig 1923, S. 20.

sophie in der Partei neuen Typus, auf die marxistisch-leninistische Auffassung von der Notwendigkeit des theoretischen Bewußtseins der Arbeiterklasse als Voraussetzung ihres Sieges. Korsch, der die materialistische Abbildtheorie ablehnte 1 0 , den Gegensatz von Materialismus und Idealismus leugnete und als veraltet hinstellte 11 , war der Auffassung, nur in der unmittelbaren proletarischen Aktion verwirkliche sich die Einheit von Subjekt und Objekt, von Theorie und Praxis, von Philosophie und Politik. Diese Auffassung führte zu einer anarchosyndikalistischen Theorie, einem Revolutionarismus, der auf die planmäßige und systematische Vorbereitung der revolutionären Aktion durch die Partei, auf das bewußte Hineintragen des Bewußtseins durch sie in das Proletariat verzichtet, davor ausweicht und damit die revolutionäre Bewegung in der Praxis um keinen Deut vorwärtsbringt. Die Revisionisten, Marxologen, Ideologiekritiker u. ä. Richtungen der bürgerlichen Marxismusliteratur werden nicht müde, der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern und in den sozialistischen Ländern dieses alte Rezept der geistigen Entwaffnung und, wie die historischen Erfahrungen zeigen, des politischen Selbstmordes zu empfehlen. Die Bewahrung und schöpferische Weiterführung der Leninschen Tradition der untrennbaren Einheit von politischem Kampf des Proletariats und marxistisch-leninistischer Philosophie sind die unverzichtbare Grundlage nicht nur bei der Durchführung der antifaschistisch-demokratischen und der sozialistischen Revolutionen, sondern auch bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus und darf niemals aufgegeben werden. In den sozialistischen Staaten ist die Existenz und Weiterentwicklung der marxistischen Philosophie nur möglich und fruchtbar, wenn sie die praktischen und geistigen Entwicklungsprobleme der Gestaltung des Sozialismus' mithilft zu lösen. Eine Entwicklung der Philosophie in esoterischen Intellektuellenkreisen außerhalb der Lösung der realen Probleme des Kampfes um den Sozialismus und gegen den Imperialismus ist nicht möglich. Gibt sich die Partei als Träger der marxistisch-leninistischen Weltanschauung auf, gibt sie sich auch als Partei auf. Die Einheit der revo10

Karl Korsch, Marxismus und Philosophie, Wien 1966, S. 53/54.

11

Ebenda, S. 61.

2 Rcdlow

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lutionären Weltanschauung ist eine konkrete Form der Einheit von marxistischer Theorie und marxistischer Praxis, welche die Grundlage der großen Erfolge der kommunistischen Weltbewegung war und ist. So wie die revolutionäre Weltanschauung der philosophische Kern der theoretischen Bewußtheit des Kampfes der Arbeiterklasse unter Führung der Partei ist, so war und ist gerade dieser Kampf - ob nun gegen den Imperialismus oder für den Aufbau des Sozialismus - die entscheidende Quelle der Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse. Die marxistische Weltanschauung verdorrt ohne die proletarische Partei und diese sinkt zur Spontaneität ab ohne marxistische Weltanschauung. Im „Manifest der Kommunistischen Partei" haben Marx und Engels bewiesen, daß die Vereinigung von marxistischer Weltanschauung und revolutionärer proletarischer Bewegung nur durch die Partei des Proletariats möglich ist und Wirklichkeit wird. Marx und Engels betrachteten daher die lebendige Einheit von revolutionärer Philosophie und revolutionärer Arbeiterbewegung als die Quintessenz ihrer philosophischen Lehre. Wird diese Einheit zerstört, verliert die marxistische Philosophie ihre Lebenskraft. So wie die revolutionäre marxistisch-leninistische Weltanschauung der philosophische Kern der theoretischen Bewußtheit der Arbeiterklasse unter Führung der Partei im Kampf gegen den Imperialismus und um die rationelle Beherrschung, Planung und Leitung der sozialistischen Gesellschaft ist, so war und ist gerade diese Praxis des Kampfes der Arbeiterklasse die entscheidende Quelle und Triebkraft der Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung, der durch nichts zu ersetzende Boden ihrer Lebenskraft. In der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft wird die Weltanschauung der Arbeiterklasse für alle Mitglieder der sozialistischen Menschengemeinschaft zu einer aktiven und schöpferischen Kraft, zur geistigen Grundlage der wachsenden politisch-moralischen Einheit des. Volkes. D i e Verschmelzung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit der sozialistischen Revolution führt notwendig zum Wachstum der führenden Rolle der Arbeiterklasse als einer die politische Macht ausübenden und die Produktion planmäßig organisierenden Klasse. Dieses objektive Wachstum der führenden Rolle der Arbeiterklasse ist in der wissenschaftlich-technischen Revolution eng verbunden mit dem Wachs18

tum ihrer geistig-produktiven Tätigkeit, nicht zuletzt ihres weltanschaulichen Denkens. E s ist daher nicht zufällig, daß Auffassungen, welche die Entwicklung der marxistischen Weltanschauung außerhalb der Partei plazieren wollen, in der Gegenwart eng verbunden sind mit der Leugnung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei. A n die Stelle der Arbeiterklasse werden die Intellektuellen gesetzt, die angeblich zur Führung der Gesellschaft und zu den eigentlichen Trägern und damit zur Entwicklung der Philosophie berufen sind. D i e Argumente, die dafür benutzt werden, sind alt, sie sind philosophisch mehr oder weniger junghegelianischer Subjektivismus. Solche Auffassungen begründen deshalb erneut bürgerliche Elitetheorien, die von der Verachtung der werktätigen Massen ausgehen und meinen, nur Geist und Verstand einer elitären Minderheit wären imstande, wissenschaftliche Erkenntnisse aufzunehmen und in Aktionen umzusetzen. Marx dagegen ging prinzipiell davon aus, daß die Theorie, die die Interessen der Werktätigen wissenschaftlich zum Ausdruck bringt, erst dann und nur dann zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift. 12 Ohne revolutionäre proletarische Partei aber wird die Theorie nicht zur materiellen Gewalt, kann sich die Philosophie nicht verwirklichen. W e r die marxistische Weltanschauung von der Arbeiterklasse und ihrer Partei losgelöst und die Intellektuellen, unabhängig von der Partei, zur Trägerin und Hüterin der Weltanschauung der Arbeiterklasse macht, erhebt wie einst die Junghegelianer die auserwählten Wenigen zum „kritischen Gewissen" der „unkritischen Massen". D i e Trennung der marxistischen Weltanschauung von der revolutionären Arbeiterbewegung und ihrer Partei, die Überschätzung der Rolle der Intellektuellen hat eine stark idealistische Komponente, wie wir sie zum Beispiel auch in der Wiederaufnahme des Hegeischen Idealismus bzw. der idealistischen Geschichtsdialektik bei Korsch, Marcuse, Adorno, Horkheimer und anderen Vertretern der „linken" Variante des „dritten" Weges sehen können, in ihrer Verherrlichung der K r a f t rein geistiger Tätigkeit und ihrem Unverständnis der objektiven Determiniertheit von

12



Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd i, a. a. O., S. 385.

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gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewußtsein. Diese im Wesen idealistische Geschichtsauffassung findet dann ihre politische Entsprechung in der Leugnung der revolutionären Kraft des Proletariats und seiner welthistorischen Rolle. Wer wie Korsch und andere heutige Revisionisten davon ausgeht, die „kritische Theorie" könne nur die Minderheit der Gesellschaft, eben die Intellektuellen ansprechen und nicht die einzige reale gesellschaftliche Kraft, welche die Gesellschaft nicht nur in Gedanken, sondern in der Realität umzugestalten vermag, das Proletariat, gerät unweigerlich in eine resignierende, skeptizistische Haltung zu den brennenden Problemen unserer Epoche, ja zur Leugnung der Möglichkeit einer Befreiung der durch den Imperialismus unterdrückten werktätigen Massen durch ihre eigene revolutionäre K r a f t und Aktivität. Letztlich ist diese Trennung der Theorie, der Philosophie von der realen Veränderung der Welt, der revolutionären Praxis der Arbeiterbewegung der Verzicht auf das revolutionäre Wesen der marxistischen Weltanschauung und ist Ausdruck der Kapitulation vor den realen Widersprüchen und Schwierigkeiten des Klassenkampfes im Imperialismus und des Kampfes um die Vollendung der sozialistischen Gesellschaft. „Aus der Überschätzung der Macht des imperialistischen Systems und der völligen Losgelöstheit von den Existenzbedingungen und den realen Kämpfen der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen ergibt sich also eine resignierende, machtlose Philosophie der gesellschaftlichen .Unbehaustheit', auf die die Worte von Marx zutreffen: Der Umgestaltungsakt der Gesellschaft reduziert sich auf die Hirntätigkeit der kritischen K r i t i k . " 1 3 Die Trennung der marxistischen Weltanschauung von der Politik, vom Klassenkampf, von der revolutionären Arbeiterbewegung und ihrer Partei durch die modernen Revisionisten und „linken" Theoretiker im Namen des „wahren" Marxismus setzt an die Stelle der praktischen revolutionären Tätigkeit und Veränderung einen scheinrevolutionären Anarchismus und führt damit in Wirklichkeit zur Verewigung der bestehenden imperialistischen Verhältnisse. Die reine Hirntätigkeit der kritischen Kritik als Umgestaltungsakt der Gesellschaft ist Verewigung des Bestehenden. So sehr diese Theoretiker die Gesellschaft des staats13

Kurt Hager, Die philosophische Lehre von K a r l Marx und ihre aktuelle Bedeutung, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderausgabe 1968. S. 23.

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monopolistischen Kapitalismus im einzelnen auch äußerst treffend kritisieren mögen, kann ihr sogenannter „unabhängiger", „kritischer" Geist in eine willkommene Stütze der Herrschaft der Monopole verwandelt werden. Ihre Klassenunabhängigkeit, ihre Unabhängigkeit vom Kampf der Massen bindet sie und ihre Ideologie letztlich an die Politik der Monopole. Indem sie sich von der einzigen realen gesellschaftlichen K r a f t der Veränderung der Gesellschaft distanzieren, verurteilen sie sich zur Machtlosigkeit, zur praktisch unfruchtbaren Kritik am Kapitalismus, die leicht zu einem willkommenen Ventil für die herrschende Monopolbourgeoisie wird und dadurch dieses System stützt. Die philosophische Hirntätigkeit bleibt unfruchtbar, sieht sie sich nicht nach materiellen sozialen Waffen um, die die theoretische Kritik in eine praktische Kritik und Negation des Imperialismus umsetzen können. Die einzige materielle Waffe der Philosophie zur revolutionären Umgestaltung des Imperialismus ist und bleibt das revolutionäre Proletariat, die entscheidende revolutionäre K r a f t unserer Epoche. Nach wie vor gilt das Wort von Marx „Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie" 14 . Wird der marxistischen Philosophie die Kraftquelle ihrer Einheit mit der Politik, dem Klassenkampf, genommen, wird sie von der marxistisch-leninistischen Partei gelöst, verliert sie ihren revolutionären Gehalt, ihren Klassencharakter und wird zu einer kastrierten Weltanschauung. Dieser „Marxismus" hat nichts mit der revolutionären Weltanschauung von Marx, Engels und Lenin zu tun, die nicht das Eigentum einer vom Volk gelösten geistigen Elite ist, sondern das Eigentum von Millionen die Welt verändernder Kommunisten in der ganzen Welt. „Die marxistische Philosophie ist nicht das ausschließliche Eigentum einiger begabter Theoretiker, ungewöhnlicher Persönlichkeiten, so groß auch deren Beitrag zu ihrer Entwicklung sein mag. Sie ist zuerst und vor allem der geistige Ausdruck des Kampfes der Arbeiterklasse und zugleich die Richtschnur für diesen Kampf. Sie ist tief in das Denken der Erbauer des Sozialismus und von Millionen Kommunisten 14

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd i, a. a. O., S. 391.

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in der kapitalistischen Welt eingedrungen. Die marxistische Philosophie kann nicht fruchtbar sein und verwirklicht werden ohne die organisierte Aktion der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Sie wird bereichert und weiterentwickelt durch die gesamte Partei der Arbeiterklasse auf der Grundlage der konkreten Erfahrungen der revolutionären Bewegung." 15 Als vereinzelter Einzelner gewinnt kein Mensch, weder im Kapitalismus noch im Sozialismus, reale Macht über die gesellschaftlichen Verhältnisse, das ist nur möglich in der sozialistischen Gemeinschaft und in der bewußten organisatorischen Aktion der Arbeiterklasse und aller Werktätigen. Zum Subjekt des historischen Prozesses, zum Gestalter und Herr seines eigenen Lebens wird das Individuum nur als bewußter schöpferischer Teil eines Ganzen, der Arbeiterklasse und der sozialistischen Menschengemeinschaft. Mit Hilfe ihres sozialistischen Staates, der politischen Organisation der Werktätigen, üben die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik Macht in ihrem eigenen Interesse aus. „Wir tun alles, um dem werktätigen Menschen, dem Schöpfer aller Werte, die gebührende gesellschaftliche Stellung einzuräumen, so daß er sich in dieser wahren Menschengemeinschaft zum Subjekt der gesellschaftlichen Prozesse erhebt." 16 Aber wie gesagt, zum Subjekt des gesellschaftlichen Prozesses wird der Einzelne nur in enger Gemeinschaft. Um diese historische Aufgabe bewußt und verantwortungsvoll erfüllen zu können, braucht jedes Mitglied unserer Gesellschaft den Blick für das Ganze, für die große historische Verantwortung unseres Staates, für den Sinn der Arbeit jedes einzelnen. Jeder einzelne muß wissen, welchem großen Ganzen er angehört und wo er hingehört. Bei der Bildung dieses Bewußtseins spielt die Weltanschauung eine durch nichts zu ersetzende Rolle. Der sozialistische Staat der Werktätigen vereint die mannigfaltigen Initiativen der Einzelnen, bringt sie zu gesellschaftlicher Macht und macht dadurch die Werktätigen als Individuum und als Klasse zu Herrschern ihres eigenen sozialistischen Lebensprozesses, erhebt sie in der sozialistischen Menschengemeinschaft zum Subjekt der gesellschaftlichen Prozesse. In diesem Prozeß ist die Weltanschauung der Arbeiterklasse das einigende 15

Kurt Hager, D i e philosophische Lehre von Karl M a r x . . . , a. a. O., S.

16

Walter Ulbricht, D i e weitere Gestaltung . . . , a. a. O., S. 79.

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n.

geistige Band, das den Einzelnen mit den Aktivitäten seiner Klasse und seiner sozialistischen Menschengemeinschaft verbindet. Die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus macht in der sozialistischen Gesellschaft bewußt, daß der einzelne Werktätige nur als schöpferischer Teil eines Ganzen, seiner Klasse und der sozialistischen Gesellschaft, Herr über sein Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Die marxistisch-leninistische Weltanschauung läßt den Menschen begreifen, daß der Einzelne außerhalb seiner Klasse und außerhalb der sozialistischen Menschengemeinschaft ohnmächtig ist und unfähig wird, sein eigenes Schicksal zu meistern. Auf diese Weise wird die Weltanschauung „immer mehr zu einem vorwärtstreibenden Element der gesellschaftlichen Bewegung, indem sie die sozialistischen Beziehungen, die schöpferischen Kräfte der Menschen fördert und als einigendes geistiges und sittliches Band entscheidend zur Entwicklung der sozialistischen Gemeinschaft beiträgt" 17 . Auch nach dem Sturz der Macht der Bourgeoisie, beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft bleibt das Verhältnis von Partei und Weltanschauung im Prinzip erhalten, allerdings erfährt es eine wesentliche Weiterentwicklung, die sich aus der Veränderung der Aufgaben der marxistischen Weltanschauung nach dem Sturz der Bourgeoisie und dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse ergibt. Unter sozialistischen Verhältnissen gewinnen die Aufgaben der marxistischen Weltanschauung eine neue Qualität. Entstanden und ausgearbeitet wurde sie im wesentlichen als Kritik am Kapitalismus und als weltanschaulicher Kompaß der Arbeiterklasse im Kampf um ihre Befreiung. Im Sozialismus bestätigen sich auf völlig neue Weise die weltverändernde historische Kraft und der konstruktive Geist der revolutionären Weltanschauung der Arbeiterklasse. Die allseitige Durchdringung des Bewußtseins der sozialistischen Menschen und des sozialistischen Überbaus, ja aller Teilbereiche der sozialistischen Gesellschaft, mit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung ist kein äußeres philosophisches Beiwerk einer Gesellschaft, die ebenso auch ohne diese weltanschauliche Durchdringung existieren würde. Im Gegenteil, die marxistisch-leninistische Weltanschauung, 17

Kurt Hager, Die philosophische Lehre von Karl M a r x . . a . a. O., S. 15.

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ihre Existenz im Handeln und Bewußtsein der Werktätigen ist eine unabdingbare Notwendigkeit für die Existenz, Stabilität und Effektivität des Sozialismus als Ganzes. D i e sich in den modernen sozialistischen Produktivkräften äußernde universale Vergegenständlichung des sozialistischen Menschen führt unter sozialistischen Eigentumsverhältnissen zu einem ständig zunehmenden Prozeß der harmonischen Vergesellschaftung aller Lebensbereiche der sozialistischen Gesellschaft und zugleich zu einem ständig sich erhöhenden und intensivierenden gesellschaftlichen Wesen der sozialistischen Menschen selbst, welche geradezu erzwingen und zugleich möglich machen, daß die sozialistische Gesellschaft zum erstenmal in der Geschichte der Menschheit nach einem einheitlichen Gesamtwillen und Gesamtplan aufgebaut werden kann und muß. In diesem einheitlichen Gesamtwillen und Gesamtplan bestimmt die marxistische, d. h. materialistische Weltanschauung, die die Interessen der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringt, das zu erreichende Ziel und wesentlich auch den zu beschreitenden Weg. In diesem gesamtgesellschaftlichen gemeinschaftlichen Werk aller Werktätigen wird die Weltanschauung zu einem entscheidenden systemstabilisierenden Faktor. E r macht die volle Entfaltung der inneren Vorzüge und des inneren Entwicklungsprinzips der sozialistischen Gesellschaft möglich in der Verbindung zwischen der zentralen staatlichen Planung und Leitung und der Initiative und Eigenverantwortung des einzelnen Individuums, der Betriebe und Gemeinschaften. E r garantiert ihre Einheit vom Bewußtsein der Werktätigen her, indem ihnen ihre Stellung und Rolle im Ganzen bewußt gemacht wird. D i e praktische Universalität des Menschen, sein gesellschaftliches Wesen erhöht sich im Sozialismus und unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution gewaltig. Jeder einzelne nimmt in wachsendem Maße in der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit an der Gestaltung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben teil; er wird immer mehr objektiv, ob er will oder nicht, in das gesellschaftliche Ganze verflochten und hat unmittelbaren Anteil am Erfolg des ganzen, der ganzen Gesellschaft. Diese objektive Verflochtenheit des einzelnen Werktätigen in das gesellschaftliche Ganze gewinnt einen neuen Aspekt durch die doppelte Stellung der sozialistischen Werktätigen als Produzenten der materiellen Güter und kollektive Eigentümer der Produktionsmittel.

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Die aus dieser doppelten Funktion erwachsende Verantwortung für das Ganze der Gesellschaft erfordert ein hohes Bewußtsein1, das ohne weltanschauliche Komponente weder existiert noch wirksam werden kann. Einen solchen konstruktiven Geist und eine solche reale geschichtsbildende geistige Kraft wie die Weltanschauung der befreiten Arbeiterklasse hat es in der Geschichte noch nicht gegeben. Die marxistische Weltanschauung ist in der Periode der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems als Ganzes eine umfassende konstruktive geistige Kraft; denn alle einzelnen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gilt es zielstrebig und bewußt so zu entwickeln und zu gestalten, daß sie mit dem prinzipiellen Systemcharakter der sozialistischen Gesellschaft, mit ihrem Wesen allseitig harmonisch übereinstimmen und in ihrer fruchtbaren wechselseitigen Beziehung und Einwirkung den lebendigen Prozeß der sich dynamisch entwickelnden sozialistischen Gesellschaft ergeben. Durch die Entwicklung aller Seiten, aller Elemente der sozialistischen Gesellschaft in ihrer Einheit, wird sie „zu einer unwiderstehlichen Anziehungskraft. . ., sowohl in materieller wie auch in politischer und geistig-moralischer Hinsicht". 18 Eine solch hohe Aufgabe, bewußt und planmäßig durchzuführen, hat sich noch keine andere Gesellschaftsordnung vornehmen und in die Tat umsetzen können. Die unabdingbare objektive Voraussetzung und Grundlage für diesen Prozeß sind das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln und die sozialistische Staatsmacht sowie die sich daraus ergebende objektive Übereinstimmung der Grundinteressen aller Werktätigen. Die unabdingbare geistige Grundlage der Gestaltung des Sozialismus als Ganzes ist die sozialistische Ideologie, deren Kern die marxistische Weltanschauung ist. Die marxistische Weltanschauung ist das einheitliche geistige Band, das die Totalität aller spezifischen gesellschaftlichen Bereiche, der objektiven wie der subjektiven, durchdringt und vereinigt. Sie kann geistiges und sittliches Band der ganzen sozialistischen 18

Walter Ulbricht, Die Verfassung des sozialistischen Staates deutscher Nation, Rede auf der 7. Tagung der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zur Begründung des Entwurfs der Verfassung, in: „Neues Deutschland" v. 1. 2. 1968.

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Gesellschaft sein, weil sie die Philosophie der Arbeiterklasse ist, die „kraft ihrer dominierenden Stellung in der materiellen Großproduktion, in Staat und Gesellschaft fähig (ist) als einigende Kraft zu wirken" i 9 , und weil sie die einzige Philosophie ist, die mit den Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und den Ergebnissen der Wissenschaften in Übereinstimmung steht und durch den raschen Fortschritt der Wissenschaft - besonders unter den Bedingungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution immer aufs neue bestätigt und bereichert wird. Die geistige Einheit der sozialistischen Gesellschaft liegt in der alle Menschen verbindenden Weltanschauung der Arbeiterklasse. Auf der Grundlage dieses einheitlichen geistigen Bandes entsteht im Sozialismus die Notwendigkeit und Möglichkeit, die Totalität der sozialistischen Ideen und Bewußtseinsinhalte zur Bildung der sozialistischen Persönlichkeit voll zu nutzen. Die politischen, moralischen, rechtlichen, künstlerischen u. a. Ideen, d. h. die sozialistische Ideologie als Ganzes ist von der marxistischen Weltanschauung durchdrungen und einheitlich auf das Ziel der sozialistischen Menschengemeinschaft zusammengeschlossen. Damit befindet sie sich in Übereinstimmung mit •der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung und in Übereinstimmung mit den historischen Gesetzen, bildet und entwickelt sich zugleich auf deren Grundlage immer weiter. Der geistige Universalismus, den die marxistisch-leninistische Weltanschauung vermittelt, orientiert auf die wirklichen gesellschaftlichen und geschichtlichen Zusammenhänge, auf die Dynamik der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse in der technischen Revolution, auf die Grundgesetze und den Charakter der modernen Epoche, auf die Entwicklung des sozialistischen Staatsbewußtseins und des sozialistischen Eigentümerbewußtseins, auf Klarheit über die historische Überlebtheit des Imperialismus, auf den sozialistischen Internationalismus und die Festigung der sozialistischen Staatengemeinschaft, auf die Überzeugung vom Sieg des Sozialismus in der weltweiten Auseinandersetzung mit dem Imperialismus. Diese grundlegenden Probleme unseres 19

Walter Ulbricht, D i e Rolle des sozialistischen Staates bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, in: „Neues Deutschland" v. 16. 10. 1968, S. 4.

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Kampfes stellt die marxistisch-leninistische Weltanschauung nicht subjektiv moralisierend, sondern konkret-historisch, eben materialistisch. Der konkrete Charakter der marxistisch-leninistischen, materialistischen Weltanschauung äußert sich in der Verbindung dieser grundlegenden praktischen Probleme mit dem konkreten Handeln und der konkreten Initiative der Werktätigen in ihrem Bereich. Indem die marxistisch-leninistische Weltanschauung die wirklichen universalgeschichtlichen Zusammenhänge bewußt macht, richtet sie das Handeln der Menschen nicht auf unerfüllbare Wunschbilder, sondern auf die notwendig zu lösenden und real lösbaren Probleme. Dadurch macht sie den Einzelnen in der sozialen Gemeinschaft seiner Klasse tatsächlich handlungsfähig im historischen Sinne, zum historischen Subjekt, zum schöpferischen Teil eines von ihm aktiv mitgestalteten Ganzen. Dieser konkrete Charakter der marxistisch-leninistischen Weltanschauung gewinnt mit der steigenden Eigenverantwortung der sozialistischen Betriebe und jedes einzelnen Werktätigen ständig an Bedeutung. Der kollektive Eigentümer der Produktionsmittel kann als Einzelner seine hohe Eigenverantwortung nur wahrnehmen, wenn er die Gesamtzusammenhänge erkennt, wenn er fähig ist, seine individuelle Arbeit in das Ganze der Volkswirtschaft und der Gesellschaft zu stellen, wenn er den Sinn seiner Arbeit als Kampf um die Stärkung der D D R begreift, wenn er die Stärkung der D D R als notwendigen Faktor der Entwicklung des sozialistischen Weltsystems einerseits und als entscheidenden Friedensfaktor in Europa und für die Welt andererseits versteht, wenn er, kurz gesagt, den Blick für das Ganze besitzt. Aus einer inneren Verbindung der konkreten Aufgaben jedes einzelnen in seinem Bereich mit dem Ganzen erwächst das weltanschauliche Bewußtsein, seinen Platz in der Gesellschaft gefunden zu haben und auszufüllen, d. h. eine sinnvolle Arbeit zu leisten, wächst das Bewußtsein der eigenen Stärke und Unentbehrlichkeit, das Vertrauen in die eigene Kraft, wächst die Überzeugung vom historischen Sieg des Sozialismus, kurz, entwickelt sich der historische Optimismus der Arbeiterklasse, der mit den Gesetzen der Geschichte in Ubereinstimmung steht. Diesem historischen Optimismus des Sozialismus steht der Geschichtspessimismus der westdeutschen Bourgeoisie gegenüber, wie wir 27

ihn erst jüngst wieder in einem Buch von Strauß 20 finden. Dieses Buch ist gekennzeichnet durch einen tief pessimistischen Ausgangspunkt, der die Mißerfolge des westdeutschen Imperialismus in der inneren und äußeren Politik sowie seine historische Unfähigkeit reflektiert, in der dritten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus eine konstruktive Alternative zur Idee und Praxis des Sozialismus auszuarbeiten. So schreibt Strauß: „Niemand kennt einen Weg in die gemeinsame Zukunft der Menschen, der Völker, der Staaten unseres Erdteils." 21 Im Sinne dieser geschichtsphilosophischen Begründung des Geschichtsnihilismus der historisch zum Anachronismus gewordenen spätkapitalistischen Gesellschaft verleugnet Strauß die bürgerliche französische Revolution als einen „Höhepunkt" der „inneren Auflösung in der europäischen Welt", die „in der Periode von 1914-1945 . . . beinahe apokalyptischen Charakter hatte" 22 . Aus dieser pessimistischen Grundhaltung heraus preist er die reaktionäre „Heilige Allianz" von 1815, weil sie ein konterrevolutionäres „Europa der Staaten" 23 schuf, das Europa der damals reaktionärsten Staaten Europas gegen die europäische Revolution und nationale Befreiung. Die demokratische Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus wird zu einer neuen Quelle und Triebkraft weltanschaulichen Denkens, ja sie zwingt geradezu philosophisch, d. h. im Großen und Ganzen zu denken. Zum erstenmal ist auf der objektiven Grundlage der sozialistischen Gesellschaft die Verwirklichung des Traumes der klassischen deutschen Humanisten möglich geworden: das geistige harmonische Universum in der Individualität der sozialistischen Persönlichkeit als Widerspiegelung nicht nur des natürlichen Universums, sondern auch der gesetzmäßig geordneten einheitlichen sozialistischen Gesellschaft. Die Universalität der marxistischen Weltanschauung ist zur notwendigen geistigen Voraussetzung für das sozialistische Individuum geworden, ein ganzer Mensch zu werden, ist zugleich entscheidende geistige 20

Franz Josef Strauß, Herausforderung und Antwort Stuttgart 1968.

21

Ebenda, S. 1 3 .

22

Ebenda, S. 18.

23

Ebenda, S. 19.

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Ein Programm für Europa,

Kraft bei der Einbeziehung der Menschen in die Mitgestaltung des Ganzen. Wenn J. R. Becher von der Literatur sagt, daß sie sich an den ganzen Mensch wendet und dadurch im Menschen Ordnung, Einheit erzeugt 24 , so gilt das in noch viel höherem Maße von der philosophischen Weltanschauung, die die Totalität der unterschiedlichen Bereiche und Ideen der sozialistischen Gesellschaft zum geistigen sozialistischen Universalismus „zusammendenkt". Auf sozialistischer Basis ist die Einheit von Weltanschauung und Politik, von Weltanschauung und Leitung der Gesellschaft auf neue Weise eine zwingende Notwendigkeit geworden. Nicht einige wenige Philosophenkönige - wie sie Piaton im Staat empfiehlt sondern das ganze Volk soll mitdenken und mitregieren. Die im Westen immer noch lebendige elitäre Herrscherideologie Piatons will das Volk geistig blind in die Teilung der Arbeit einbinden, um es unfähig zu halten, das Ganze der Gesellschaft zu erkennen und die res publica mitzubestimmen. „Ihr Profitinteresse bewegt sie, die akademische Jugend in diesem Bereich zu logischem, selbständigen Denken anzuhalten; ihre Klasseninteressen zwingen sie aber zugleich, alles zu versuchen, um diese jungen Menschen in ,Fachidioten' zu verwandeln, denen außerhalb ihres engen Ressorts jedes Denkvermögen und jede Neigung zum Denken abgehen soll." 25 Es entspricht der menschlichen Natur aber schon von ihrem Wesen her, bei der universalen Aneignung der Welt in allen1 Lebensbereichen aufs Ganze zu gehen, es ist daher wissenschaftlich unhaltbar, wenn Salvador de Madariaga meint, daß im „grundsätzlichen Gegensatz zwischen Kommunismus und menschlicher Natur . . . der Kern des Konflikts"26 unserer Zeit liegt. Im Gegenteil, die sozialistische Gesellschaft schickt sich an, den einzelnen Menschen in Übereinstimmung mit dem Ganzen der Gesellschaft zu bringen. Sie tut alles, um den sozialistischen Menschen so zu bilden, daß er fähig ist, über seinen Arbeitsplatz hinauszuschauen und das Ganze zu verstehen. 24

Johannes R. Becher, Über Kunst und Literatur, Berlin 1962, S. 33.

25

Walter Ulbricht, Ein Verfassungsauftrag wird erfüllt, Schlußbemerkungen auf der

26

Salvador de Madariaga, Der Westen: Heer ohne Banner, Bern-Stuttgart-Wien 1 9 6 1 ,

16. Sitzung des Staatsrates der D D R , N D v . 5. 4. 1969. S. 129.

29

Damit wird die Weltanschauung eigentlich zum erstenmal zu einer demokratischen Angelegenheit, die alle angeht, die zum Wesen der gebildeten Nation gehört. Diesen „Demokratismus" der marxistischleninistischen Weltanschauung können die Ideologen der „formierten" Gesellschaft, die Anhänger des absolut manipulierten Menschen nicht genug verketzern. „Unverkennbar ist heute die Neigung, die Demokratie zur verbindlichen Weltanschauung zu steigern. Dieser Demokratismus ist eine eminente Gefahr für die Freiheit und Würde des Menschen und für alle menschlichen und sozialen Gebilde" - glaubt Götz Briefs warnen zu müssen. Und es zeugt von seinem völligen Unvermögen, das Wesen des geistigen sozialistischen Universalismus zu verstehen, wenn er schreibt: „Demokratismus ist die logische Form zum totalen Kollektiv, in dem alle menschliche Würde und Freiheit von totalitären Gewalten absorbiert wird." 27 Nun haben wir gerade in der DDR nicht zugunsten des neuen Eliteideals der Manager und Technokraten die humanistischen Ideale der deutschen Klassik vom geistigen Universum in der Individualität der Persönlichkeit preisgegeben, sondern haben sie aufbewahrt und weiterentwickelt und schicken uns an, sie zu verwirklichen. Ja, das Wesen der sozialistischen Ordnung, die Gestaltung des Sozialismus als Ganzes, erfordern geradezu eine Persönlichkeit, die fähig ist, die Ganzheit der sozialistischen Gesellschaft individuell geistig in der Weltanschauung zu erleben, d. h. aber nichts anderes als geistige Übereinstimmung mit der sozialistischen Ordnung, als sich in ihr geborgen, „zu Hause" zu wissen und zu fühlen. In der Deutschen Demokratischen Republik werden die materiellen und geistigen Voraussetzungen geschaffen, um jeden Bürger zu befähigen, die sozialistische Gesellschaft und Menschengemeinschaft sowohl im Einzelnen als auch im Ganzen mitzugestalten, im bewußten Dienst am Ganzen seine individuellen Kräfte zur Persönlichkeit zu entfalten. Dabei lehrt gerade das weltanschauliche Denken, daß diese individuellen Kräfte des Einzelnen nur persönlichkeitsbildend werden, wenn sie harmonischer und schöpferischer Teil der gesamtgesellschaftlichen Willensbildung und -handlung sind. Anarchistisch handelnde, außerhalb 27

30

Götz Briefs, Gesellschaftspolitische Kommentare 1 5 / 1 9 6 5 , S.

171.

der Gemeinschaft und Gesellschaft handelnde Individuen scheitern unweigerlich; ihrem Handeln fehlt die historische Kraft. Der Sozialismus strebt keine Typisierung von Verstand und Seele des Menschen an, sondern einen Menschen mit bewußt gesamtgesellschaftlichen Denkund Verhaltensweisen, der weiß und fühlt, daß er seine persönlichen Ziele nur erreicht, wenn er die gesamtgesellschaftlichen Ziele aktiv,, mit seinen individuellen Fähigkeiten, vorantreibt. Spezifische Ausprägung und gestaltende Kraft gewinnt der Einzelne nur im gesamtgesellschaftlichen Denken und Handeln, in dem sich die mannigfaltigen Begabungen und Aktivitäten vereinen zur geschichtsbildenden Kraft der Arbeiterklasse und des Volkes, zur Herrschaft über den eigenen sozialistischen Lebensprozeß. So wird in der Gemeinschaft des Ganzen das Spezifische des Einzelnen überhaupt erst wirksam und kommt zur E n t faltung. Gerade auf der Grundlage der gesellschaftlichen Natur und Bedingtheit des Menschen, der Übereinstimmung der persönlichen und gesellschaftlichen Ziele und Interessen im Sozialismus wird es im Sozialismus möglich, die Probleme des Reichtums und der Mannigfaltigkeit des Individuums stärker zu beachten und zur Entfaltung zu bringen. Diese Übereinstimmung von Persönlichem und Gesamtgesellschaftlichem, diese Entfaltung des Einzelnen in der gesamtgesellschaftlichen Aktion ist für die Werktätigen in den kapitalistischen Ländern im. Rahmen des staatsmonopolistischen Kapitalismus nicht möglich; sie ist. nur möglich im organisierten Kampf gegen den Imperialismus, gegen den Zwangsrahmen imperialistischer Machtausübung, der das Individuum nicht zur Entfaltung kommen, sondern geistig verkümmern läßt. Schwarz hat daher nur für die Lage des Menschen im Imperialismus, recht, wenn er schreibt: „Doch heute scheint mit der Proklamierung des ,Normalmenschen' als Bildungsfall, mit der Typisierung auch der geistigen und seelischen Bereiche, der Einebnung aller individualen Markierungen, mit der Bekämpfung des Einmaligen, das nur als Produkt der gestaltenden Umwelt gesehen wird und daher keine spezifische, prägende Funktion im Leben der Kultur und der Gesellschaft mehr besitzen will, die Idee einer humanistischen Persönlichkeitsentwicklung fast unreal geworden zu sein." 28 28

Richard Schwarz, Humanismus und Humanitätsidee in der modernen Welt, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament" v. 23. 12. 1964, S. 6.

31

Die Gestaltung des Sozialismus als Ganzes erfordert einen aktiven Menschen, einen Menschen mit Überblick, der seine geistigen Potenzen nicht nur partiell und vielfältig erhöht - wie es der Manager vom Anpassungsartisten auch verlangt sondern auch auf universale Weise. Sich und seine Tätigkeit auf das Ganze beziehend, wird der Einzelne nicht nur objektiv als Mitglied der sozialistischen Gesellschaft, sondern auch subjektiv Herr des Prozesses der sich ständig weiterentwickelnden Vergesellschaftung unseres Lebens, Was wiederum geistige Voraussetzung dafür ist, daß er auch als einzelnes Individuum in seinem unverlierbaren und unwiederholbaren Dasein ein sinnvolles Leben in objektiver und subjektiver Übereinstimmung mit dem Ganzen der Gesellschaft führen kann. Es ist ein für die sinnvolle Gestaltung des Lebens in der Gemeinschaft wesentliches Wissen und Lebensgefühl, welches die marxistische Weltanschauung vermittelt - die volle und bewußte Übereinstimmung des Einzelnen mit der Gestaltung des Sozialismus. Dieses Wissen und Gefühl ist von größter Bedeutung. Denn das gesellschaftliche System des Sozialismus und sein Kernstück, das ökonomische System, existieren nicht neben oder losgelöst von den Menschen. Es kann nur von ihnen selbst durch ihre historische Tat geschaffen werden. Auf der Grundlage der Übereinstimmung von persönlichen und gesellschaftlichen Interessen im Sozialismus wurde die zentrale Idee des ökonomischen Systems des Sozialismus formuliert, das in optimalen harmonischen, auf ein Ziel hinwirkenden Initiativen und Handlungen der zentralen staatlichen Organe und der einzelnen Werktätigen bzw. Gruppen von Werktätigen besteht. „Alle unsere Erfahrungen beweisen, daß diese zentrale Idee des ökonomischen Systems des Sozialismus starke Wirksamkeit erlangt hat . . . Diese zentrale Idee entspricht dem Streben der Werktätigen nach gemeinschaftlichem Handeln und wirkt nicht nur auf ihre Gehirne, sondern auch auf ihre Gefühle." 29 Die bisherige Entwicklung der D D R hat bewiesen, und beweist tagtäglich, daß die Durchführung der technischen Revolution und die Gestaltung des entwickelten Systems des Sozialismus nur das Werk bewußt handelnder, schöpferisch tätiger Menschen sein kann, die unter 29

Waltet Ulbricht, D i e weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, Referat auf der 9. Tagung des Z K der S E D , Berlin 1968, S. 40.

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Führung von Partei und Staat ihr geistiges Antlitz, ihre weltanschaulich-politische Bewußtheit, kurz ihre Persönlichkeit in dem Prozeß ihrer Einbeziehung in die Planung und Leitung und damit der realen Veränderung der Gesellschaft und der Menschen selbst entwickeln, d. h., sich im Prozeß der bewußten Umgestaltung von Gesellschaft und Natur selbst wandeln, selbst verändern. In der 3. seiner• Thesen über Feuerbach schrieb Karl Marx: „Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden." 30 Für die gegenwärtige Periode sozialistischer Entwicklung heißt das: „Das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus kann nicht als pragmatische Politik in Teilfragen verwirklicht werden. Mehr noch: Das sozialistische System steht nicht über den Menschen, sondern die Menschen müssen unter Führung der Partei und des Staats selbst die neuen Probleme erkennen, schöpferisch an ihnen arbeiten und sie meistern." 31 Das bedeutet für sozialistische Verhältnisse, wo dieses Verändern der Umstände nur Ergebnis der Tätigkeit und Selbstveränderung von Millionen Menschen sein kann, daß, je besser, je mehr und je umfassender, je „weltanschaulicher" also jeder dieser Millionen Werktätigen die objektiven Möglichkeiten und Notwendigkeiten, den Sinn des Sozialismus erkennt, er um so aktiver und bewußter an der Lösung der Aufgaben in allen Bereichen der gesellschaftlichen Entwicklung teilnehmen kann. Der Sozialismus ist also bei der Gestaltung seines gesellschaftlichen Systems keineswegs bereit, auf die spezifische, prägende aktive Funktion der individuellen Persönlichkeit zu verzichten, ja er kommt ohne sie nicht zum Ziel. Die umfassende Gestaltung des Systems des Sozialismus erfordert, die vielfältigen und komplexen Beziehungen zwischen den einzelnen Teilsystemen zu meistern. Die Erkenntnisse der Systemtheorie, der Kybernetik, der Operationsforschung u. a., müssen dabei helfen, das gesellschaftliche System des Sozialismus und die komplexen Beziehungen seiner Teilsysteme untereinander so effektiv wie möglich zu gestalten. Aber das allein reicht nicht aus, um den Sozialismus als Gan30

K a r l Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 3, Berlin 1958, S. 5/6.

31

Walter Ulbricht, Die Rolle des sozialistischen S t a a t e s . . . , a. a. O., S. 5.

3 Rcdlow

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zes aufzubauen und zu vollenden. Jeder Bürger unseres Staates ist aufgerufen, an seinem Arbeitsplatz, in seinem Teilbereich, in Ubereinstimmung mit dem Charakter des Sozialismus, unsere Gesellschaft als Ganzes zu gestalten. Jeder Bürger, der daran wo auch immer beteiligt ist, sollte das im Bewußtsein des inneren Zusammenhangs seiner Tätigkeit in seinem Bereich mit dem Ganzen der sozialistischen Gesellschaft tun. Nur im Bewußtsein vom Ganzen, von der Einordnung seiner Arbeit in dieses Ganze wird ihm der eigentliche Sinn seiner freien Arbeit klar, ihr unterschiedlicher Charakter zur Zwangsnatur der Arbeit im Kapitalismus. Bei der Entwicklung dieses Bewußtseins spielt das weltanschauliche Denken eine hervorragende Rolle. Manche Menschen sind geneigt, die einzelwissenschaftlichen Techniken des Zusammenspiels von Teilsystemen und Gesamtsystemen zu verabsolutieren. Sie verzichten damit auf den Einsatz einer großen geistigen Kraft für die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus. Wenn selbst durch die Anwendung moderner Wissenschaften ein effektives Zusammenwirken der Teilsysteme zu einem Gesamtsystem garantiert würde, aber unabhängig vom sozialistischen Bewußtsein der Menschen und ihrer Führung durch die Partei, dann kann das zu einer allmählichen Aushöhlung des sozialistischen Sinngehaltes der Ökonomie, der Wissenschaft wie überhaupt jeder Tätigkeit im Sozialismus führen. Im Bewußtsein der objektiven Tatsache, daß z. B. die Ökonomie nur ein, wenn auch entscheidend wichtiges, Teilsystem des Gesamtsystems des Sozialismus ist, verhindert die Partei die Verselbständigung dieses Teilbereiches. Sie versteht die Ökonomie in Übereinstimmung mit den Prinzipien unserer Weltanschauung als Mittel zum Zweck, nicht als Selbstzweck; sie geht aus von der Einheit von Ökonomie und Politik. Das weltanschauliche Denken aber ist ein wichtiges Instrument der sozialistischen Ideologie, die den Sozialismus als Ganzes durchdringt, seine materielle Basis ebenso wie seinen politischen Überbau. Die marxistische Weltanschauung verleiht auch bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus als Ganzes unserer Tätigkeit Richtung, Sinn und Wert. Wird dieser Gesichtspunkt außer acht gelassen, zerläuft unser Tun unkontrolliert, werden die Teilbereiche „entideologisiert" und wird das Ziel, die Vollendung des Sozialismus, aus den Augen verloren. 34

Die Forderung nach geistiger Einheit der Persönlichkeit, nach der Fähigkeit, die Einheit der Wissenschaft und der Gesellschaft zu begreifen und zugleich schöpferisch hervorzubringen, ist inhärenter Bestandteil sozialistischer Bildung. Durch die von der marxistischen Weltanschauung durchdrungene Bildung ist der sozialistische Mensch nicht nur von den sozialen Verhältnissen her, sondern auch geistig fähig, Verantwortung für seine Arbeit wie für das Ganze der Gesellschaft zu erkennen und aktiv wahrzunehmen. Walter Ulbricht sagte dazu auf der 7. Tagung der Volkskammer der D D R : „Jeder Bürger hat das Recht auf eine Bildung, die es ihm ermöglicht, Herr der gesellschaftlichen Prozesse zu sein." 32 Den Menschen zu befähigen, Herr der gesellschaftlichen Prozesse zu sein, dabei spielt die marxistische Weltanschauung eine hervorragende Rolle. Sie zu unterschätzen, würde dazu führen, daß die Menschen unfähig werden, dieses verfassungsgemäße Recht und diese Pflicht auszu^ üben; denn die Verfassung der D D R fixiert sowohl das Recht als auch die Pflicht umfassender Mitgestaltung durch den sozialistischen Staatsbürger. Im Artikel 21,1 der Verfassung vom 6. April 1968 heißt es: „Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten. Es gilt der Grundsatz: .Arbeite mit, plane mit, regiere mit!'" 3 3 Bei der Verwirklichung dieses Grundsatzes kommt der weltanschaulichen Bildung große Bedeutung zu. Den Werktätigen die höhere Sicht der weltanschaulichen Warte zu vermitteln, ist ein wichtiger geistiger Aspekt der Durchsetzung der Demokratie. Das Mitplanen und Mitregieren „erfordert heute allseitig gebildete Menschen, die sich aus Überzeugung für das Gemeinwohl einsetzen . . . Die Verwirklichung des sozialistischen Bildungssystems ist also ein wesentlicher und unentbehrlicher Bestandteil der sozialistischen Demokratie. Das sozialistische Bildungssystem vermittelt unseren Bürgern die Grundlagen für selbständiges Denken, für eine selbständige Orientierung. Diese Fähig32 33

Ebenda. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April

1968,

Berlin

1968, S. 2 1 .

3*

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keiten und Eigenschaften aber sind notwendig, um in echter Freiheit die eigene Initiative und die eigenen Kräfte voll zu entfalten und bewußt den richtigen Weg zu gehen." 34 Das Anliegen der Weltanschauung ist es, dem Handeln des Einzelnen einen Sinn zu geben, den Einzelnen und sein Handeln sinnvoll, d. h. auf menschliche Weise in das Ganze der Gesellschaft zu integrieren. Saint-Exupere sagt: „Wer mit der Hacke arbeitet, möchte den Sinn seines Hackenschlags kennenlernen . . . Das Bagno liegt dort, wo die Hackenschläge keinen Sinn haben, wo der, der sie führt, durch sie nicht mit der menschlichen Gemeinschaft verbunden ist." 35 Diese alte philosophische Wahrheit gewinnt in der sozialistischen Gesellschaft, die die wissenschaftlich-technische Revolution meistert, neue, tiefere und umfassendere Bedeutung und Wirkung; denn wir begegnen in der sozialistischen Gesellschaft einer neuen Entwicklungsstufe des gesellschaftlichen Wesens des Menschen. Die Revolution in Wissenschaft und Technik einerseits und die soziale Revolution in den Beziehungen der Menschen untereinander haben praktisch wie noch nie bewiesen, daß kein Mensch mehr allein von seinem individuellen Vermögen her die komplizierten Probleme der modernen Technik und der Planung und Leitung der Gesellschaft meistern und beherrschen kann, sondern nur in Gemeinschaft und in ständiger Wechselwirkung der individuellen Fähigkeiten des Einzelnen mit denen der anderen und damit den universalen Kräften des Ganzen. Im Sozialismus fordert deshalb die technisch-wissenschaftliche Revolution eine Vertiefung und Vervollkommnung der sozialen Bildungsfähigkeiten des Einzelnen und seine feste, bewußte, gewollte Bindung an die sozialistische Menschengemeinschaft. Auf eine völlig neue Weise bestätigt sich bei uns die alte humanistische Wahrheit, daß der Reichtum der Individualität des einzelnen Menschen abhängt vom Grad seiner Integration in das Ganze einer Gemeinschaft, von der vollen Entfaltung seines gesellschaftlichen Wesens, bringt er doch nur so seine individuellen menschlichen Wesenskräfte voll zur Entwicklung. Dieser objektiven Einordnung des Menschen in die Gesellschaft muß 34

Neujahrsbotschaft des Vorsitzenden des Staatsrates der D D R , Walter Ulbricht, zum Jahreswechsel (vom 31. 12. 1966), Dokumentation der Zeit, Heft 374/1967, S. 31.

35

36

A . de Saint-Exupere, Romane-Dokumente, Düsseldorf 1966, S. 566.

eine subjektive Bewußtheit entsprechen, eine geistige Bindung an das Ganze der Gesellschaft, die ihm Maß und Sinn seine? Handelns gibt. Die bewußte Bindung des Einzelnen an die Gesamtgesellschaft und ihre Interessen wird im Sozialismus möglich durch die objektive prinzipielle Übereinstimmung von gesellschaftlichen und individuellen Interessen. Realität findet diese tätige, aktive Verknüpfung de,s Individuellen mit dem Gesamtgesellschaftlichen in der steigenden Teilnahme aller Menschen an der verantwortlichen Planung und Leitung gesamtgesellschaftlicher Probleme von der Ökonomie bis zu Fragen des Rechts, des Staates, der Freizeit und des Erziehungswesens, also der res publica im klassischen Sinne. Um diese staatsbürgerlichen demokratischen Tugenden im echten Sinne des Wortes bei allen Menschen zu entwickeln, kämpft die Partei der Arbeiterklasse so zielstrebig um die Erweiterung des Gesichtskreises aller Werktätigen. Sie tut das vor allem in dem Bewußtsein, daß die Vermittlung des Einzelnen mit dem Ganzen der Gesellschaft ein echtes Problem ist, das sich auch im Sozialismus nicht spontan löst. Es ist nicht möglich, mit der ganzen Gesellschaft an sich als solcher in Berührung zu kommen - weil sie ja nicht in dieser reinen Form existiert sondern eben nur vermittelt über ihre vielen Seiten, jeder Mensch anders, an anderem Ort und zu anderer Zeit. Und eben diese Vermittlung de,s Einzelnen zum Ganzen der Gesellschaft hin ist oft verdeckt, kompliziert und nicht leicht erkennbar. Es ist jedoch ein Grundsatz des sozialistischen Humanismus, daß der Mensch nur dann ein sinnerfülltes Leben führen kann, wenn und indem er tätig und bewußt an seinem Platz - ob an der Werkbank oder an leitender Stelle - das Ganze der Gesellschaft mitgestaltet. Das ideologische Ringen um die Erweiterung des Horizonts des sozialistischen Menschen macht sehr eindrucksvoll die führende Rolle der Partei bei der Gestaltung des gesellschaftlichen System^ des Sozialismus in seiner Ganzheit deutlich. Die Partei ist die Trägerin der marxistischen Weltanschauung und das wissenschaftliche Planungs- und Leitungszentrum der Gesellschaft, das die Planung und Leitung der Gesellschaft nicht nur schlechthin wissenschaftlich gestaltet, sondern auf der Grundlage der marxistischen Weltanschauung allen Menschen ein einigendes geistig-sittliches Band vermittelt, das ihrem Handeln einen 37

Sinn verleiht, der mit den Gesetzen der Geschichte in1 Übereinstimmung steht. . In dem wissenschaftlichen Führungs- und Planungszentrum der marxistisch-leninistischen Partei ist Wissen und Macht, Weltanschauung und Leitung des Landes zum Nutzen des ganzen Volkes vereint. In der D D R nimmt die Überwindung der Trennung von Geist und Macht auf der Grundlage der Entwicklung der Produktivkräfte in der wissenschaftlich-technischen Revolution und der sozialistischen Produktionsverhältnisse bei der Gestaltung der sozialistischen Menschengemeinschaft bereits in der nächsten Perspektive reale Gestalt an: Walter Ulbricht sagte: „Im Perspektivzeitraum gewinnt die weitere Teilnahme der Werktätigen an der Leitung von Staat, Wirtschaft und Kultur zunehmend an Bedeutung." 36 Der in der Verfassung verankerte Grundsatz vom Mitplanen, Mitregieren, Mitarbeiten ist Ausdruck unseres Ringens um die Vereinigung von Arbeit und Leitung, deren geistiger Aspekt die ständige Erweiterung des Gesichtskreises, die Fähigkeit, in Gesamtzusammenhängen zu denken ist. Diese Forderung könnte aber auch unter sozialistischen Machtverhältnissen nicht voll verwirklicht werden, wäre sie nicht mit dem Prozeß der Überwindung der großen Arbeitsteilung von Kopf- und Handarbeit verbunden. In der bereits genannten Rede sagte Walter Ulbricht weiter: „Die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft wird durch die Tendenzen der sozialen Annäherung der Klas,sen und Schichten und des Wachsens der politischmoralischen Einheit der Bevölkerung gekennzeichnet werden. In diesem Prozeß entfaltet die Arbeiterklasse ihre führende Rolle. Sie hat als Klasse einen Vergesellschaftungsgrad erreicht, dem - bestimmt durch die objektiven Gesetze der sozialistischen und der wissenschaftlich-technischen Revolution - die Klasse der Genossenschaftsbauern und die anderen sozialen Gruppen sich zunehmend annähern. Dabei vollzieht die Arbeiterklasse selbständig ihre Entwicklung. Davon ausgehend, umfaßt die Arbeiterklasse nicht mehr nur vorwiegend körperlich im unmittelbaren Produktionsprozeß Arbeitende, 30

W a l t e r Ulbricht, D i e Bedeutung des Perspektivplanes

1971/75

des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der D D R ,

f ü r die

Gestaltung

R e d e auf der Sitzung

der Perspektivplankommission des Politbüros und des Ministerrats am 26. 9 . 1 9 6 8 in: „ N e u e s D e u t s c h l a n d " v . 28. 9. 1 9 6 8 , S. 4.

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sondern ist in ihrer Entwicklungstendenz als eine produktiv tätige und machtausübende Klasse gekennzeichnet, bei der körperliche und geistige Tätigkeit zu einer Einheit werden. Das bestimmende Merkmal besteht darin, daß der Anteil der geistigen Tätigkeit - als produktiv-geistige Tätigkeit in der Wirtschaft und durch die Teilnahme an der Leitung des Staates und der Gesellschaft - rasch zunimmt." 37 Eine der wichtigsten geistigen Voraussetzungen für die humanistische Herausbildung und Gestaltung dieser neuen, in der Geschichte noch nicht dagewesenen, von den Besten der Menschheit erträumten, Einheit von körperlicher und geistiger Tätigkeit ist die Aneignung der marxistischen Weltanschauung. Es kann aber nur dann gelingen, eine harmonische Einheit von körperlicher und geistiger Arbeit für jeden einzelnen Bürger unseres Staates herzustellen, wenn diese Einheit von der marxistischen Weltanschauung durchdrungen und zugleich mit ihrer Hilfe geistig transparent und angeeignet wird. In einer Gesellschaft, in der die objektive, materielle universale Vergegenständlichung des Menschen mit ihrer geistigen universalen Vergegenständlichung verschmilzt, wächst auch die Rolle der Weltanschauung, der geistigen Durchdringung dieses Prozesses gesetzmäßig an, sowohl für das ganze Volk als auch für jeden einzelnen. Tatsächlich entwickeln sich durch die weitere Veränderung des Charakters der Arbeit, das wachsende Bildungsniveau und die zunehmende Teilnahme an der Planung und Leitung gesellschaftlicher Prozesse neue geistige Bedürfnisse. Zu diesen neuen geistigen Bedürfnissen gehört ein um ein vielfaches gesteigertes weltanschauliches Bedürfnis, das betätigt und befriedigt werden muß. Der sozialistische Mensch, der beginnt, die jahrtausendealte Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit bewußt aufzuheben, tut das auf humanistische Weise, indem er naturwissenschaftlich-technische und weltanschauliche Bildung in der sozialistischen Persönlichkeit harmonisch vereinigt. Im Sozialismus entstehen aus der zunehmenden persönlichen Teilnahme an der Planung und Leitung der Gesellschaft solche neuen geistigen Bedürfnisse, wie das Interesse am Entdecken und Anwenden der Gesetze der gesellschaft37

Ebenda.

39

liehen Entwicklung, der moralischen und rechtlichen Normen der Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen auf humanistische Weise, kurzum, das Interesse an der Gestaltung der res publica wächst. Johannes R. Becher schrieb einmal: „In dem Maße, wie die res politica zu einer res humana wird, wird sie auch zu einer res poetica. Der Staat, der sich vermenschlicht, der selber die Gestalt eines menschlichen Wesens annimmt, eines Kollektivwesens, wird in zunehmenden Maße auch eine poetische Gestalt annehmen, und die Sprache der schönen Künste wird auch eines seiner Ausdrucksmittel werden. Ein denkender Staat, ein wissender Staat, ein Staat der Schönheit - dieser Staat ist es, dem wir entgegenleben. Darin erblicken wir unsere Freiheit, alles das zu verwirklichen, was dem Kommen diesen Menschenreichs, dem Aufbau dieses Menschenstaats dient." 3 8 Dieser denkende, wissende Staat sieht die Einheit der Bildung seiner Bürger in der marxistisch-leninistischen Weltanschauung, deshalb fordert Walter Ulbricht „die weltanschaulich-ethische und die aesthetische Bildung konsequent in alle Formen der ideologischen Arbeit zu integrieren" 39 . 38

Johannes R. Becher, Über Literatur und Kunst, a. a. O., S. 65.

39

Walter Ulbricht, Die Bedeutung des Perspektivplanes 1971/75 . .

a. a. O., S. 4.

Die praktische Universalität des Menschen Quelle der Weltanschauung

Der Begriff der marxistisch-leninistischen Weltanschauung ist umstritten und nicht eindeutig fixiert; er wird umfassender und enger verstanden. D i e Weltanschauung ist verbunden mit der Politik, durchdringt die Kunst, die Wissenschaft, die Ratio und die Emotionen. Dialektischer und historischer Materialismus und marxistisch-leninistische Weltanschauung sind nicht einfach identisch. D i e Weltanschauung ist umfassender als die Philosophie. D i e marxistisch-leninistische Philosophie wird insofern zu einer umfassenden Weltanschauung, als sie sich mit dem Ganzen der Welt und allen Fragen befaßt, die sich daraus für den Menschen ergeben, also sowohl den Naturwissenschaften als auch den Gesellschaftswissenschaften Grundlage wird. Auf die Naturwissenschaften bezogen, schrieb W . I. Lenin, daß sie in unserer Zeit tiefgehenden revolutionären Umbruchs „ohne philosophische Schlußfolgerungen unter keinen Umständen auskommen" können. 1 Das sind Fragen nach der Ewigkeit und Unendlichkeit der Materie, der Priorität von Materie und Bewußtsein, der Erkennbarkeit und Veränderbarkeit der Natur und Gesellschaft, der Existenz der Materie und' des Menschen, Tod und Leben, Sinngebung und Sinn des Lebens des Einzelnen wie der Geschichte einer Klasse, einer Nation und der Menschheit, der gegenwärtigen wie der zukünftigen Standortbestimmung der Klassen, der Nationen und einzelnen Menschen. Aus der Frage nach der Einordnung und Stellung des Menschen in das Ganze erwachsen die Fragen nach dem: Woher kommen wir? W o stehen wir? Wohin gehen wir? Diese allgemeinen Fragen werden in jeder Zeit konkret gestellt, aber von den gegensätzlichen Klassen der Gesellschaft in gegensätzlicher Weise beantwortet. 1

W. I. Lenin, Werke, Bd 35, Berlin 1962, S. 220/221.

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Solange es Klassen und Klassenkampf gibt, war und ist die weltanschauliche Bestimmung des Weges der Menschheit und der Individuen nie abstrakt und für alle Menschen gemeinsam und einheitlich. D i e Weltanschauung gab immer bestimmten Klassen das Bewußtsein ihrer Herkunft, ihrer Stellung und ihres Zieles. Dem Menschen an sich als vereinzeltem Einzelnen wurden die weltanschaulichen Fragen nie beantwortet und können objektiv von ihm nie gestellt werden. E r stellt und beantwortet alle weltanschaulichen Fragen stets als Angehöriger einer bestimmten Klasse, und zwar auch dann, wenn er, der Bourgeoisie angehörend, verkündete, im Namen „aller Menschen" zu sprechen. Gerade deshalb widerspiegelt sich die Auseinandersetzung der Klassen von Anbeginn der Geschichte der Philosophie, im weltanschaulichen Kampf von Materialismus und Idealismus. D i e konkreten sozialen Existenzformen in der Klassengesellschaft waren derart, daß sich auch die allgemeine weltanschauliche Bestimmung des Weges der ganzen Menschheit in der konkreten historischen Form des Kampfes von Klassen vollzog und im kapitalistischen Teil unserer Welt auch heute noch vollzieht. Und diese aus der jeweiligen historischen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des konkreten Menschen hervorgehenden Fragen kann die Weltanschauung begrifflich lösen, „denkerisch"; dazu benutzt sie den speziell zu diesem Zweck entwickelten Begriffs- oder Kategorienapparat der Philosophie. E r besteht aus solchen Kategorien, wie Quantität, Qualität, Maß, Widerspruch, Materie, Bewußtsein, Wahrheit, Bewegung, Basis, Überbau, Produktivkräfte, Produktionsverhältnisse etc., den Kategorien des dialektischen und historischen Materialismus. Diese Kategorien unterliegen nicht nur selbst einer ständigen Entwicklung, sondern werden durch neue Kategorien erweitert. Diese philosophischen Begriffe sind unentbehrliche Hilfsmittel der weltanschaulichen Durchdringung und Bewältigung sowie der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Menschen auf begriffliche Weise. D i e weltanschauliche Aneignung der Welt und die auf ihr beruhende Bestimmung des Weges der Menschheit waren aber immer, solange sich die Menschen Fragen dieser Art stellen, nicht nur begrifflicher, sondern auch künstlerischer Art. Nicht nur Philosophen, sondern in gleichem Maße und oft in noch weit höherem Maße waren es die Künstler, die

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das weltanschauliche Bewußtsein ihrer Klasse ausarbeiteten und wirkungsvoll propagierten. Philosophen und Künstlern ist gemeinsam, sich auf das Ganze der Welt zu beziehen und darauf aufbauend ihrer Klasse das Bewußtsein ihrer Stellung im ganzen und ihrer historischen Aufgaben zu vermitteln, kurzum zu ihrem Selbstverständnis beizutragen. Sie unterscheiden sich lediglich in den geistigen Mitteln der weltanschaulichen Aneignung der Welt. Arnold Zweig hat nicht unrecht, wenn er sagt: Der Philosoph müsse der einheitlichen Welt, in der wir leben und die keine Lücke aufweist, ein ebenso einheitliches Gebilde des Begreifens gegenübersetzen, das Dasein intellektuell abbilden oder spiegeln und es dadurch für den menschlichen Geist verarbeitbar, transparent machen, „so wie ein Kunstwerk Leben und Existenz der menschlichen Gesellschaft für das Gefühl anschaulich zu machen die Aufgabe hat" 2 . Der Philosoph trägt seinen Teil bei zum Selbstverständnis, zur Gestaltung der Lebensweise seiner Klasse mit begrifflichen, gedanklichen Mitteln, der Künstler mit bildhafter Anschaulichkeit. Beide Formen der v/eltanschaulichen Aneignung der Welt und Bestimmung des Weges einer Klasse existieren jedoch nicht in reiner Form; in der Philosophie herrscht die begriffliche, in der Kunst die bildhafte weltanschauliche Orientierung vor. Die ideologische Funktion einer jeden Philosophie bringt den ihr eigenen weltanschaulichen Kern zum Ausdruck; jede Philosophie war zuerst und vor allem Weltanschauung, gerade weil in den weltanschaulichen Ideen sich ihr Klassencharakter und ihre Aufgabe im Kampf der Klassen am deutlichsten manifestierte. Doch die Philosophie hat nicht nur weltanschauliche Aufgaben, in bezug auf die Methode der Erkenntnis und Veränderung der Welt ist sie umfassender als die Weltanschauung. So pflegt und entwickelt die marxistische Philosophie systematisch das Begriffs- oder Kategoriensystem der materialistischen Dialektik und des philosophischen Materialismus, welches unentbehrliches und notwendiges Instrument des Kampfes der weltanschaulichen Ideen ist und bleibt. Auf dem Kategoriensystem baut sich die philosophische Methodologie der naturwissen2

Arnold Zweig, Baruch Spinoza, Porträt eines freien Geistes, 1 6 3 2 - 1 6 7 7 , . . . 1 9 6 1 , S. 46.

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schaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnis immer mehr einzelwissenschaftlichen Charakter annimmt.

auf,

die

D i e Philosophie kann aber nicht auf ihren weltanschaulichen Kern und damit auf ihren parteilichen Charakter verzichten und eine reine Kategorien- und Methodenlehre werden. Sie müßte ihre Aufgabe verleugnen, ein tragender geistiger Pfeiler der herrschenden Klasse einer Gesellschaft zu sein. Das Betreiben des Kategoriensystems an sich, in der Art eines hochgezüchteten Glasperlenspiels, ist unfruchtbar für den Menschen und die Methode selbst. Die Geschichte der Philosophie und der Literatur zeigt uns sehr anschaulich, wie sich die philosophische, d. h. die begrifflich weltanschauliche Aneignung der Welt und der Selbstbestimmung des Menschen aus der ursprünglichen, auf der geringen Teilung der Arbeit beruhenden Einheit von Denken und Kunst, Ratio und Emotio entwickelte. D i e Geburt der Philosophie, der philosophischen Theoria, ihre Herausschälung aus der ursprünglichen geistigen Einheit von begrifflicher und künstlerischer Aneignung der Welt und Bestimmung des Menschen, ihre Trennung von Religion und Mythos ist das große und bewußte Programm, die Erklärung der Welt und die Bestimmung des Menschen durch Denken, durch Wissenschaft zu geben. Darin liegt die Größe und Bedeutung der ersten griechischen Philosophen. Der unentwickelte Stand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der Produktivkräfte der Sklavenhaltergesellschaft brachte es notwendig mit sich, daß dieses große Programm, die Welt und die menschlichen Probleme durch Wissenschaft, durch wissenschaftliches Denken zu erklären und zu bestimmen, noch sehr undifferenziert war. E r schloß so gut wie alle Probleme ein, die nicht auf mythische, poetische oder religiöse, sondern auf wissenschaftliche Weise als zu lösen erkannt wurden. Das heißt, die Geburt des philosophischen Denkens ist weitgehend identisch mit dem ersten wissenschaftlichen, begrifflichen Denken überhaupt. Ursprünglich ist daher auch die Philosophie Liebe zum Wissen, Streben nach Kenntnissen; die Philosophen haben Lust am Lernen und Liebe zum Denken; sie lieben die Wahrheit zu schauen, wie Piaton in seiner Schrift über den Staat sagte. Aber dieses Wissen von der Welt ist noch

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eine einheitliche, im Keim zwar schon gegliederte, aber noch ungetrennte Wissenschaft von der ganzen Welt. Die sich herausbildenden einzelnen Wissenschaften von der Natur und der Gesellschaft hatten sich noch nicht verselbständigt. Die Wissenschaft selbst war noch nicht zum großen Gebiet der gesellschaftlichen Arbeitsteilung geworden wie in der Gegenwart. Die ersten Formen der einzelnen Wissenschaften hatten sich noch nicht von der Philosophie losgelöst und verstanden sich selbst wesentlich als Philosophie, als Liebe zum Denken und Wissen. Diese ursprüngliche Einheit von Wissenschaft und Philosophie beruhte auf dem niedrigen Stand der Produktivkräfte und des Wissens. Diese ursprüngliche, naive, aber der Sache nach richtige Anschauung von der gesamten Welt durch die Griechen beruhte auf der unexakten Kenntnis der Einzelheiten. Friedrich Engels bemerkte dazu, daß „diese Anschauung, so richtig sie auch den allgemeinen Charakter des Gesamtbildes der Erscheinungen erfaßt", nicht genügt, um „die Einzelheiten zu erklären, aus denen sich dies Gesamtbild zusammensetzt; und solange wir dies nicht können, sind wir auch über das Gesamtbild nicht klar" 3 . Mit dem allmählichen Ansteigen genauerer, meßbarer, experimentell prüfbarer Kenntnisse von der Natur löste sich die ursprünglich einheitliche und ungegliederte Wissenschaft auf. Dieser Prozeß begann zwar in den Anfängen bereits in der alexandrinischen Periode, setzte aber mit voller Wucht erst mit dem Aufschwung der exakten Naturwissenschaften im 15. Jahrhundert ein. Der Aufbau der mittelalterlichen Universität verdeutlichte diesen Loslösungsprozeß. Die mittelalterliche Universität bestand aus den medizinischen, juristischen, theologischen und philosophischen Fakultäten. Medizin war faktisch die einzige Naturwissenschaft, die sich bereits verselbständigt hatte, alle anderen Naturwissenschaften wurden im Rahmen der philosophischen Fakultät betrieben, und es ist noch nicht lange her, daß sich die mathematischnaturwissenschaftlichen Fakultäten von der philosophischen Fakultät abspalteten. Die gegenwärtige Vereinzelung des Wissens, die weitgehende Differenzierung der Wissenschaft führt den Prozeß, der im 15. Jahrhundert 3

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 20, Berlin 1962, S. 20.

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begonnen hat, mit gewaltiger Dynamik und Wucht weiter: Die Philosophie entläßt - bildlich gesprochen - die letzten Einzelwissenschaften aus ihrem Schoß. Je mehr Bereiche der Materie und des Denkens im einzelnen exakt erkannt werden, desto mehr bisher noch von der Philosophie bearbeitete Wissenszweige konstituieren sich als selbständige Wissenschaften. In unserer Zeit ist der Differenzierungsprozeß der Wissenschaften dem Wesen nach nicht mehr ein Prozeß der Loslösung von der Philosophie, sondern vielmehr der Neuentstehung von Wissenschaften außerhalb der Philosophie. Doch die zunehmende Differenzierung der Naturund Gesellschaftswissenschaften geht auch heute noch bis in den Kern bislang rein philosophisch verstandener Disziplinen, wie zum Beispiel der Erkenntnistheorie. Immer detaillierter und exakter vermögen heute Physiologie, Chemie, Biophysik, Biochemie, Neurokybernetik, Informationstheorie, Psychologie und andere Wissenschaften die Verwandlung eines äußeren Reizes in eine Bewußtseinstatsache abzubilden und auf diese Weise wissenschaftlich exakt Grundthesen der materialistischen philosophischen Abbildtheorie zu beweisen. Die modernen Wissenschaften bestätigen heute mehr und mehr im einzelnen, daß das Bewußtsein abgeleitet und Widerspiegelung der primären Materie ist. Die subtilen erkenntnistheoretischen Spekulationen Lockes und Condillacs, Kants und Hegels, von denen der Neukantianer, Phänomenologen oder Neothomisten ganz zu schweigen, sind überlebt, ganz einfach, weil die erkenntnistheoretische Grundthese des Materialismus von der Priorität der Materie und der Erkennbarkeit der Welt immer mehr zu einer wissenschaftlichen Tatsache wird, die nicht auszulöschen und die auch mittels keiner idealistischen Spekulation mehr zu überspringen ist. Damit soll nun nicht etwa der ironischen Bemerkung B. Russells vom Wesen der Philosophie das Wort geredet werden, wonach Wissenschaft das ist, was wir wissen, und Philosophie das, was wir nicht wissen, bzw. nicht wußten. Unter historischem Aspekt ist an dieser Bemerkung insofern ein rationeller Kern, als in der Zeit der ungenügenden Kenntnis der konkreten Eigenschaften der Materie viele Probleme der jetzt neu entstandenen und entstehenden Disziplinen von der Philosophie spekulativ behandelt wurden. Viele umständliche metaphysische Systeme und Spekulationen entstanden aus dem ungenügenden Stand 46

der Einzelwissenschaften. Jede Verselbständigung einer Wissenschaft bringt aber die Gefahr mit sich, daß sie den Boden philosophischer Erkenntnis verläßt und damit weltanschaulich unfruchtbar wird. Gerade die wissenschaftliche Exaktheit erfordert eine adäquate weltanschauliche Konsequenz. Um es ganz einfach zu sagen: Die Erforschung der nuklearen Energie zwingt den Forscher, sich zu entscheiden, ob er das weltanschaulich fundierte Grundanliegen seiner wissenschaftlichen Forschung in der massenhaften Vernichtung menschlichen Lebens, im Verzicht auf menschliche Moral, auf den humanistischen Inhalt der Wissenschaft sieht, oder in der Entwicklung immer besserer Bedingungen für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit. Die Entscheidung, ob sein Wissen Fluch oder Segen für die Menschheit ist, kann er aber nur weltanschaulich beantworten und nur philosophisch begründen: im Sinne des dialektischen Materialismus und damit der Arbeiterklasse und der sozialistischen glücklichen Zukunft der Menschheit oder im Sinne des philosophischen Idealismus der heutigen kapitalistischen Gesellschaft und der ihr immanenten Dehumanisierung der Wissenschaft mit der Gefahr des Atomkrieges. Die marxistische Philosophie, die Weltanschauung der Arbeiterklasse, war und ist die einzige Philosophie, die diesem Prozeß konsequent gerecht wurde und wird. Marx und Engels waren vom Beginn ihrer marxistischen philosophischen Entwicklung an antispekulativ, sie meinten, daß die philosophische Spekulation dort ihren Boden verliert, wo der praktische Entwicklungsprozeß exakt erkannt ist. „Da, wo die Spekulation aufhört", schrieben sie in der Deutschen Ideologie, „beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewußtsein hören auf, wirkliches Wissen muß an ihre Stelle treten. Die selbständige Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium. An ihre Stelle kann höchstens eine Zusammenfassung der allgemeinsten Resultate treten, die sich aus der Betrachtung der historischen Entwicklung der Menschen abstrahieren lassen." 4 Was Marx und Engels hier in Auseinandersetzung mit der spekulativen idealistischen Geschichts4

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 3, Berlin 1958, S. 27.

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philosophie der Junghegelianer vor allem in bezug auf die Geschichtsauffassung schrieben, gilt heute für das ganze System unseres Wissens von Natur und Gesellschaft. Die Zeit der alten „systemschaffenden" Philosophie, welche die Lücken des Wissens durch das spekulative System scheinbar schloß, ist vorbei. Die einzige Philosophie, die der wissenschaftlichen Entwicklung von Anfang an auf ebenfalls wissenschaftlicher Weise gerecht wurde und wird, ist die marxistische Philosophie. Die marxistische Philosophie tritt nicht nur mit diesem Anspruch auf, sie verwirklicht ihn konsequent. Das hat vor allem seine Ursachen in der klassenmäßigen Bindung dieser Philosophie an das Proletariat, den Totengräber des Kapitalismus und den Schöpfer der neuen sozialistischen Gesellschaft. Die Arbeiterklasse ist durch keinerlei Klassenschranken an der Erkenntnis der philosophischen Wahrheit, •die unserer Zeit gemäß ist, gehindert. In der bürgerlichen Philosophie der Gegenwart, die durch ihre Bindung an die Bourgeoisie und ihre Klassenschranken objektiv unfähig ist, •die philosophischen Konsequenzen der Wissensexplosion zu ziehen, führt dieser Prozeß zu einer tiefen, im Rahmen der idealistischen Philosophie ausweglosen Krise. Der Widerspruch zwischen ihren philosophischen Spekulationen, die Klasseninteressen der Bourgeoisie ausdrückenden Prämissen, und den wissenschaftlichen Tatsachen, die jeden Tag entdeckt werden, ist für sie unlösbar. Steinbuch charakterisiert die idealistische Philosophie der Bundesrepublik treffend: „Sie lebt von der Existenz solcher unbegreiflicher Reste, unter ihrer Fuchtel hat Wissenschaft nicht der Klärung, sondern der Konservierung von Rätseln zu dienen." 5 Der dialektische Materialismus dagegen, die geistige Grundlage der sozialistischen Staatengemeinschaft, erstarkt, er wird bestärkt und bekräftigt. Was die Materialisten jahrtausendelang theoretisch vertreten haben, ist heute unumstößliche praktische wissenschaftliche Wahrheit geworden. Deshalb ist es gesetzmäßig, wenn gerade die marxistische materialistische Philosophie, die mit der führenden progressiven sozialen Kraft der Gegenwart, der Arbeiterklasse untrennbar verbunden ist und deren Lage und Interessen weltanschaulich reflektiert, dem Prozeß der 5

48

K . Steinbuch, Falsch programmiert, Stuttgart 1968, S. 88.

Verwissenschaftlichung des Lebens und der Erkenntnis konsequent gerecht wird. In den sozialistischen Ländern, wo der dialektische Materialismus zur herrschenden Philosophie und geistigen Grundlage der Gesellschaft wurde, ist zum erstenmal in der Geschichte der Prozeß der umfassenden wissenschaftlichen Fundierung aller Lebensbereiche harmonisch verbunden mit der humanistischen Gestaltung der sozialen Verhältnisse, mit der immer bewußteren, von wissenschaftlicher Einsicht und Bildung getragenen Handlungsweise der Menschen. Auf der Grundlage ihrer sozialen und politischen Befreiung beherrschen sie ihren Stoffwechselprozeß mit der Natur in zunehmendem Maße und als Gesellschaftskörper wissenschaftlich, können sie den gesellschaftlichen Prozeß ihres wechselseitigen Handelns durchschauen und kontrollieren. Die Träger der weltanschaulichen Ideen des Marxismus, die Menschen der sozialistischen Gesellschaft werden in Übereinstimmung und in Verwirklichung' dieser Weltanschauung zu selbstbewußten Gestaltern ihres Schicksals und ihrer selbst. Das weltanschauliche Fragen des Menschen ist nicht subjektiver Natur, e,s hat objektive, ständig wirkende Quellen. Eine grundlegende objektive Quelle des „ewigen" menschlichen Bedürfnisses nach Weltanschauung ist die praktische Universalität des Menschen, seine universelle Lebenspraxis. Diese praktische Universalität oder universelle Lebenspraxis des Menschen existiert in zwei notwendigen Formen, verwirklicht sich sowohl in der universalen Aneignung der Natur durch die materielle Produktion als auch in der universalen sozialen Organisation und Aneignung dieses Prozesses in den Produktionsverhältnissen. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch die universelle Aneignung seiner materiellen Umwelt in der und durch die Produktion. „Die Universalität des Menschen erscheint praktisch eben in der Universalität, die die ganze Natur zu einem unorganischen Körper macht, sowohl insofern sie i. ein unmittelbares Lebensmittel, als inwiefern sie [2.] die Materie, der Gegenstand und das Werkzeug seiner Lebenstätigkeit ist." 6 Im Unterschied zum Tier ist der Mensch nicht spezialisiert, er besitzt die größte Anpassungsfähigkeit an wechselnde Anforderungen der Um6

Karl Marx/Friedrich

Engels, Werke, Ergänzungsband,

Erster Teil, Berlin

1968,

S. 5 1 5 / 5 1 6 . 4 Redlow

49

weit, er kann sich den verschiedenen

unterschiedlichen

Situationen

ge-

mäß verhalten. Die Tiere dagegen sind hochgradig spezialisiert. Die Universalität des Menschen zeigt sich in der Unspezialisiertheit seiner Organe, z. B. der Hände, die alle möglichen Arbeiten und Funktionen erfüllen können. „Die Verrichtungen, denen unsre Vorfahren im Übergang vom Affen zum Menschen im Lauf vieler Jahrtausende allmählich ihre Hand anpassen lernten, können daher anfangs nur sehr einfache gewesen sein . . . Aber der entscheidende Schritt war getan: Die Hand war frei geworden und konnte sich nun immer neue Geschicklichkeiten erwerben, und die damit erworbene größere Biegsamkeit vererbte und vermehrte sich von Geschlecht zu Geschlecht." 7 Demgemäß können die Menschen plastisch auf die Reize der Umwelt, die Tiere jedoch nur stereotyp antworten. Die Universalität der Produktion stellt den Menschen über das Tier und die Natur macht ihn zu einem freien Wesen, zu einem bewußten Gattungswesen, d. h. einem Wesen, „das ,sich zu der Gattung als seinem eignen Wesen oder zu sich als Gattungswesen verhält" 8 . Die Spezialisierung des menschlichen Gehirns ist eine gesetzmäßige und unumgängliche biologische Komponente des einheitlichen, biologisch-gesellschaftlich determinierten Prozesses der Herausbildung des Menschen durch die Arbeit aus dem Tierreich. Die Entwicklung des zugleich hochdifferenzierten wie komplexen menschlichen Gehirns macht es möglich, daß der Mensch so völlig unspezialisierte Organe wie die Hand haben kann; denn das Gehirn hat sich darauf spezialisiert, mit Hilfe eines Systems nervöser Rückkopplungsmechanismen die einzelnen Organe auf konkrete Situationen einzustellen, also sie nur jeweilig und zeitweilig zu spezialisieren. Damit wird die starre, feste Spezialisierung der Organe verhindert und ihre Beweglichkeit als Voraussetzung der Universalität des Menschen erhalten. Durch die Spezialisierung des menschlichen Gehirns auf das Denken, dessen materielles Substrat es ist, wird es den Menschen möglich, sich die Welt auf universale Weise anzueignen, sich über sie zu erheben und Bewußtsein zu entwickeln. Das Tier dagegen „ist 7

Karl Marx/Friedrich Engels, Wecke, Bd 20, a. a. O., S. 445.

8

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Ergänzungsband, Erster Teil, a. a. O., S. 516/

51750

unmittelbar eins mit seiner Lebenstätigkeit. Es unterscheidet sich nicht von ihr. Es ist sie. Der Mensch macht seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtseins. Er hat bewußte Lebenstätigkeit. Es ist nicht eine Bestimmtheit, mit der er unmittelbar zusammenfließt. Die bewußte Lebenstätigkeit unterscheidet den Menschen unmittelbar von der tierischen Lebenstätigkeit."9 Dieser bewußte Charakter der menschlichen Lebenstätigkeit steht in enger Wechselwirkung mit der Universalität der menschlichen Lebenspraxis, vor allem aber der Universalität der Produktion materieller Güter, die das Bewußtsein geschaffen hat und ohne Bewußtsein nicht möglich ist. Universalität der menschlichen Lebenspraxis existiert in der sich ständig vertiefenden Spezialisierung und Mannigfaltigkeit der Formen der Aneignung der Natur. Diese Spezialisierung verfestigt sich aber nicht im Unterschied zum Tier, sondern das Gehirn macht uns fähig, sie durch eine andere zu ersetzen und sie weiterzuentwickeln. Die Aneignung der ganzen Natur, die nur dem Menschen gegeben ist, ist nur möglich in der einzelnen Aneignung ihrer mannigfaltigen Entwicklungsformen, also durch Spezialisierung. Und diese Spezialisierung provoziert geradezu das philosophische Bedürfnis, sich die Universalität, die in dieser Spezialisierung existiert, auch geistig anzueignen. Das Bedürfnis nach Weltanschauung entsteht also in dem praktischen Erzeugen einer gegenständlichen Welt. „Zwar produziert auch das Tier. Es baut sich ein Nest, Wohnungen, wie die Biene, Biber, Ameise etc. Allein es produziert nur, was es unmittelbar für sich oder sein Junges bedarf; es produziert einseitig, während der Mensch universell produziert; es produziert nur unter der Herrschaft des unmittelbaren physischen Bedürfnisses, während der Mensch selbst frei vom physischen Bedürfnis produziert und erst wahrhaft produziert in der Freiheit von demselben; es produziert nur sich selbst, während der Mensch die ganze Natur reproduziert; sein Produkt gehört unmittelbar zu seinem physischen Leib, während der Mensch frei seinem Produkt gegenübertritt. Das Tier formiert nur nach dem Maß und dem Bedürfnis der species, der es angehört, während der Mensch nach dem Maß jeder species zu produzieren weiß und überall 9

4*

Ebenda, S. 516.

51

das inhärente Maß dem Gegenstand anzulegen weiß; der Mensch formiert daher auch nach den Gesetzen der Schönheit."10 Die Einheit der praktischen Aneignung der universalen Welt in einer hochspezialisierten Produktion mit der Entwicklung des Bewußtseins, der Geistigkeit, der Fähigkeit, die Universalität zu überschauen, beweist eigentlich äußerst überzeugend die Unhaltbarkeit der typisch bürgerliche Aufsplitterung des Menschen in den homo faber, homo creator etc. etc. Der praktischen gegenständlichen Universalität entspricht die Geistigkeit, die Bewußtheit des Menschen; denn in der hochspezialisierten Produktion, die universalen Charakter annimmt, lernt der Mensch die gemeinsamen Eigenschaften der Dinge und Erscheinungen der Außenwelt, ihre Einheit, ihre Gesetze kennen, und letztlich stößt er auf die Einheit der Welt in ihrer Materialität, die eben nur die Philosophie wissenschaftlich abzubilden vermag. Das Bedürfnis nach Weltanschauung entsteht also nur auf der Grundlage der universellen Produktion des Menschen. Ohne Arbeit verbliebe er wie das Tier im Einzelnen, die Existenz des Allgemeinen käme ihm gar nicht zum Bewußtsein. Die Erkenntnis der Arbeit als der eigentlichen Quelle des weltanschaulichen Fragens ist den Idealisten nicht gegeben, sie verharren bei der Erklärung der Tatsache, die sie ursächlich erklären wollen, bleiben innerhalb dieser Tatsache selbst stecken und drehen sich so im Kreise. Ein Beispiel solcher Denkart gibt Ortega y Gasset: „Woher stammt - wird man fragen - dieser Appetit auf das Universum, auf die Welt als Ganzes, der Wurzelgrund der Philosophie ist? Ganz einfach: dieser Appetit, der wie eine Besonderheit der Philosophie anmutet, ist die ursprüngliche und spontane Haltung unseres Geistes im Leben. Denn leben heißt soviel wie mehr oder minder deutlich hinleben auf eine umfangende Welt, von der wir fühlen oder ahnen, daß sie eine Ganzheit ist." 1 1 Das praktische Aneignen der Materie in der materiellen Produktion ist immer ein historischer Prozeß. Natürlich eignet sich die Menschheit die unendlich und ewig sich entwickelnde einheitliche Materie 10

Ebenda, S. $17 (Hervorhebungen von mir - C. R.).

11

Ortega y Gasset, Was ist Philosophie?, München 1967, S. 60.

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nie absolut an. Das ist ein ebenso unendlich fortschreitender Prozeß wie die Erkenntnis der Materie durch den Menschen. Engels schreibt: „Die Menschen finden sich also vor den Widerspruch gestellt: einerseits das Weltsystem erschöpfend in seinem Gesamtzusammenhang zu erkennen, und andrerseits, sowohl ihrer eignen wie der Natur des Weltsystems nach, diese Aufgabe nie vollständig lösen zu können. Aber dieser Widerspruch liegt nicht nur in der Natur der beiden Faktoren: Welt und Menschen, sondern er ist auch der Haupthebel des gesamten intellektuellen Fortschritts und löst sich tagtäglich und fortwährend in der unendlichen progressiven Entwicklung der Menschheit". 12 Mit anderen Worten, wir können uns die Materie als Ganzes praktisch nie aneignen, das können wir nur geistig im weltanschaulichen Denken oder Bild. Der objektive Widerspruch zwischen dem endlichen Menschenkopf und dem unendlichen Weltall ist für uns nicht absolut aufhebbar, nur im Einzelnen, im unendlichen Prozeß der Erkenntnis der Materie im Einzelnen, in dem wir das Allgemeine ebenfalls erkennen, setzten und lösen wir diesen Widerspruch ständig neu. Engels meinte daher, daß „das menschliche Denken ebensosehr souverän wie nicht souverän und seine Erkenntnisfähigkeit ebensosehr unbeschränkt wie beschränkt" i,st. „Souverän und unbeschränkt der Anlage, dem Beruf, der Möglichkeit, dem geschichtlichen Endziel nach; nicht souverän und beschränkt der Einzelausführung und der jedesmaligen Wirklichkeit nach." 13 Indem wir die qualitativ mannigfaltigen einzelnen Entwicklungsformen der einheitlichen Materie erkennen, erkennen wir die in dieser lebendigen Entwicklungsmannigfaltigkeit existierende Einheit der Materie, das Ganze der Welt. Denn das Allgemeine existiert, wie Lenin bewies, objektiv im Einzelnen. Ebenso eignet sich der gesellschaftliche Mensch in der arbeitsteiligen Produktion auf universale Weise die Materie praktisch an, und daran hat der einzelne Mensch auf seine spezifische Weise und an seinem spezifischen Platz in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung Anteil, der ihm geistigen Universalismus möglich macht. 12

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 20, a. a. O., S. 55.

13

Ebenda, S. 80/81.

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Die Menschen haben also immer eine durch praktische und geistigwissenschaftliche Beherrschung und Erkenntnis der Materie bestimmte historische Vorstellung vom Ganzen der Welt, die einer ständigen Entwicklung unterliegt. Auch in der historischen Form, in der sie für den Meeschen immer existieren wird, ist die materielle Einheit der Welt objektive Grundlage und Möglichkeit der Herausbildung der Spezifik des menschlichen Bewußtseins und Handelns. Aber diese Möglichkeit verwandelt sich erst in Wirklichkeit, wenn sich der Mensch diese einheitliche materielle Welt in der gegenständlichen Tätigkeit universell aneignet. Die gegenständliche Berührung mit der Einheit der Welt, vermittelt durch spezialisierte arbeitsteilige Produktion, erzeugt das Bedürfnis nach Weltanschauung. Das Bedürfnis nach weltanschaulicher Betätigung entsteht aus der gegenständlichen produktiven Verteilung der ganzen Natur in der materiellen Produktion. Da? erklärt auch, warum in der Gegenwart, da die Spezialisierung und gleichzeitige Universalität der Produktion gewaltig zugenommen hat, der Ruf und das Verlangen nach Weltanschauung lauter denn je zu hören ist. Aber die arbeitsteilige praktische Aneignung der Materie in der materiellen Produktion ist nicht die einzige Grundlage und Quelle weltanschaulichen Fragens und Denkens. Die universale Aneignung der Materie durch den Menschen in der Produktion hat immer eine soziale Existenzform, ohne die sie nicht möglich ist. Der jeweilige historische Charakter der materiellen Produktion in Gestalt der Produktivkräfte einer Gesellschaft bedingt die soziale Existenzform der Menschheit in unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen. Im Kapitalismus erscheint die universale gegenständliche Aneignung der Natur in den Produktivkräften „als ganz unabhängig und losgerissen von den Individuen, als eine eigne Welt neben den Individuen, was darin seinen Grund hat, daß die Individuen, deren Kräfte sie sind, zersplittert und im Gegensatz gegeneinander existieren, während diese Kräfte andererseits nur im Verkehr und Zusammenhang dieser Individuen wirkliche Kräfte sind. Also auf der einen Seite eine Totalität von Produktivkräften, die gleichsam eine sachliche Gestalt angenommen haben und für die Individuen selbst nicht mehr die Kräfte der

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Individuen, sondern des Privateigentums [sind], und daher der Individuen nur, insofern sie Privateigentümer sind." 14 Die Trennung von den Produktivkräften beraubt die Produzenten, d. h. die Masse der Menschen, „alles wirklichen Lebensinhalts". Sie erhalten ihr Leben nur, indem es in der Arbeit verkümmert. Die kapitalistische soziale Existenzform der Produktivkräfte hat für die Werktätigen nicht die dem universalen Charakter dieser Produktivkräfte entsprechende gesellschaftliche Universalität. Tatsächlich hat der universelle Charakter der Produktion im Kapitalismus und durch die wissenschaftlich-technische Revolution in der Gegenwart eine qualitativ neue Stufe erreicht. Während die universelle Aneignung der Materie bisher, bedingt durch den niedrigen Stand der Produktivkräfte, immer in bornierter Form vor sich ging, hat sie durch den Kapitalismus eine qualitativ neue Stufe erreicht, die aber in einem tiefen Widerspruch steht zu ihrer zersplitterten kapitalistischen sozialen Existenzform, die die Universalität des Menschen bis zur geistigen und körperlichen Vereinseitigung und Verkrüppelung deformiert. „Es ist also jetzt so weit gekommen, daß die Individuen sich die vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbetätigung zu kommen, sondern schon überhaupt um ihre Existenz sicherzustellen. Diese Aneignung ist zuerst bedingt durch den anzueignenden Gegenstand - die zu einer Totalität entwickelten und nur innerhalb eines universellen Verkehrs existierenden Produktivkräfte. Diese Aneignung muß also schon von dieser Seite her einen den Produktivkräften und dem Verkehr entsprechenden universellen Charakter haben. Die Aneignung dieser Kräfte ist selbst weiter nichts als die Entwicklung der den materiellen Produktionsinstrumenten entsprechenden individuellen Fähigkeiten."15 Die neue Stufe der Universalität, die die Produktivkräfte und die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus erlangen, machen ihre Fesselung durch das Privateigentum so deutlich wie noch nie.16 „Wir haben gezeigt, daß die gegenwärtigen Individuen das Privateigentum aufheben müssen, weil die Produktivkräfte und die Verkehrs14

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd }, a. a. O., S. 67.

15

Ebenda, S. 67/68.

16

Vgl. ebenda, S. 424.

55

formen sich soweit entwickelt haben, daß sie unter der Herrschaft des Privateigentums zu Destruktivkräften geworden sind, und weil der Gegensatz der Klassen auf seine höchste Spitze getrieben ist." 17 Der Zusammenhang der Individuen, ihre Verhältnisse zur Natur und miteinander, sind trotz der neuen, umfassenden Stufe der Universalität der Produktivkräfte zerrissen, deformiert und verkrüppelt. Unter der Herrschaft des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln wird die neue Stufe der praktischen Universalität für den Menschen zu einer negativen Kraft, die den einheitlichen Menschen aufsplittert und zerstört. Die umfassende Vergesellschaftung der Arbeit oder gegenständliche Universalität des Menschen stehen in tiefem Widerspruch zu ihrer privaten sozialen Aneignungsform im Kapitalismus, die die Individuen daran hindert, in einem dieser Vergesellschaftung entsprechenden universellen Zusammenhang zu treten und ihre universalen Fähigkeiten als Individuum zu entwickeln. „Innerhalb der kommunistischen Gesellschaft, . . . ist sie bedingt eben durch den Zusammenhang der Individuen, ein Zusammenhang, der teils in den ökonomischen Voraussetzungen besteht, teils in der notwendigen Solidarität der freien Entwicklung Aller, und endlich in der universellen Betätigungsweise der Individuen auf der Basis der vorhandenen Produktivkräfte." 18 Die freie Individualität der Menschen „gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität, als ihres gesellschaftlichen Vermögens" 19 , dieses große Ideal ist nur das Proletariat imstande zu erreichen und zu verwirklichen. Marx und Engels haben das bereits in der Deutschen Ideologie sehr eindrucksvoll nachgewiesen. „Nur die von aller Selbstbetätigung vollständig ausgeschlossenen Proletarier der Gegenwart sind imstande, ihre vollständige, nicht mehr bornierte Selbstbetätigung, die in der Aneignung einer Totalität von Produktivkräften und der damit gesetzten Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten besteht, durchzusetzen. Alle früheren revolutionären Aneignungen waren borniert; Individuen, deren Selbstbetätigung durch 17

Ebenda.

18

Ebenda, S. 424/425.

19

Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 75.

56

ein beschränktes Produktionsinstrument und einen beschränkten Verkehr borniert war, eigneten sich dies beschränkte Produktionsinstrument an und brachten es daher nur zu einer neuen Beschränktheit . . . Der moderne universelle Verkehr kann nicht anders unter die Individuen subsumiert werden, als dadurch, daß er unter Alle subsumiert wird. Die Aneignung ist ferner bedingt durch die Art und Weise, wie sie vollzogen werden muß. Sie kann nur vollzogen werden durch eine Vereinigung, die durch den Charakter des Proletariats selbst wieder nur eine universelle sein kann, und durch eine Revolution, in der einerseits die Macht der bisherigen Produktions- und Verkehrsweise und gesellschaftlichen Gliederung gestürzt wird und andererseits der universelle Charakter und die zur Durchführung der Aneignung nötige Energie des Proletariats sich entwickelt." 20 Das Krisenbewußtsein der gegenwärtigen bürgerlichen Philosophie beruht u. a. auf dem sich ständig vertiefenden Widerspruch zwischen dem zunehmenden gesellschaftlichen und universalen Charakter der Arbeit und ihrer privatkapitalistischen Aneignung und der Zersplitterung und Vereinseitigung der Kräfte und Fähigkeiten der Werktätigen, der inadäquaten sozialen Form der universalen Vergegenständlichung des Menschen in den Produktivkräften. Die Werktätigen, die in der imperialistischen Gesellschaft durch ihre Arbeit die Kräfte der Natur auf universale Weise beherrschen, werden durch die private Aneignung an der totalen Aneignung des von ihnen geschaffenen Reichtums wie an ihrer eigenen universalen Entwicklung gehindert. Damit führt die privatkapitalistische Form der modernen Produktivkräfte zu einer tiefen Deformierung der ganzen imperialistischen Gesellschaft, in besonderem zu einer Vereinseitigung des Menschen „und ergreift die individuelle Arbeitskraft an ihrer Wurzel." 2 1 Diese Zerstörung des Individuums, diesen tiefen, in der Gegenwart durch die wissenschaftlich-technische Revolution aufs äußerste zugespitzten Widerspruch zwischen dem universalen Charakter der Produktivkräfte und der sozialen Vereinseitigung und Verkrüppelung des 20

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, B d 3, a. a. O., S. 68.

31

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 23, Berlin 1962, S. 3 8 1 .

57

Menschen widerspiegelt sich in der Krise und Ausweglosigkeit der bürgerlichen Philosophie der Gegenwart. Albert Schweitzer konstatiert daher völlig zu recht, daß die geistige Krise der bürgerlichen Welt in dem Sinne eine totale sei, „daß die Grundkoordinaten der Weltinterpretation zweifelhaft geworden sind. Ein Grundbedürfnis des Menschen, von dessen Erfüllung zweifellos seine Sicherheiten und Gewißheiten letzter Instanz abhängen, ist jedenfalls ungedeckt". 22 Die Blüte und der Aufschwung des weltanschaulichen Denkens in den sozialistischen Ländern dagegen beruht auf der Übereinstimmung von praktisch-gegenständlicher und sozialer Universalität des Menschen. Wenn die Deformierung der menschlichen Universalität durch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse das Individuum im Imperialismus an seiner Lebenswurzel ergreift, so ist die Übereinstimmung der Universalität der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse im Sozialismus tiefste Ursache und Grundlage der radikalsten Tatsache und größten Errungenschaft der sozialistischen Staatengemeinschaft, die revolutionäre Veränderung des ganzen Menschen. „Die universal entwickelten Individuen, deren gesellschaftliche Verhältnisse als ihre eignen, gemeinschaftlichen Beziehungen auch ihrer eignen gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen sind, sind kein Produkt der Natur, sondern der Geschichte." 2 3 Die konsequente und erfolgreiche Vereinigung von wissenschaftlich-technischer Revolution und sozialistischer Revolution in der D D R , die wissenschaftlich-geistige Entwicklung des sozialistischen Produzenten, der Eigentümer der Produktionsmittel und Organisator der Produktion ist, beweist überzeugend, „daß das Privateigentum nur aufgehoben werden kann unter der Bedingung einer allseitigen Entwicklung der Individuen, weil eben der vorgefundene Verkehr und die vorgefundenen Produktivkräfte allseitig sind und nur von allseitig sich entwickelnden Individuen angeeignet, d. h. zur freien Betätigung ihres Lebens gemacht werden können" 24. 22

A . Schweitzer, Verfall und Wiederaufbau der Kultur, München 1951, S. 53.

23

Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, a. a. O., S. 79.

24

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 3, a. a. O., S. 424.

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Die Betätigung und Befriedigung des weltanschaulichen Bedürfnisses im philosophischen Denken und in der künstlerischen Anschauung ist für den Menschen lebensnotwendig und kein äußerliches Beiwerk. Die Materie in ihrer natürlichen und sozialen Existenzform geistig als Ganzes zu verarbeiten und sich anzueignen, ist eine das Humane auszeichnende Tätigkeit. Im weltanschaulichen Denken betätigt und befriedigt der Mensch ein echt menschliches Bedürfnis. Heinrich Mann sagt: „Das Geistige, der Überblick über das Leben, seine Ordnung, Klärung und die Kunst, die Gesetze der Gesellschaft herauszufinden: das ist das eigentliche für jeden Menschen, der wirklich l e b t . . . Ein vollständiger Mensch werden wir doch nur durch den Überblick wie durch das Handeln." Gerade diese große geistige Potenz des Überblicks im Theoretischen wird unter der Herrschaft des kapitalistischen Privateigentums von den eigentlichen Produzenten getrennt. Marx hat im Kapital nachgewiesen, daß die Verselbständigung der Produktionsmittel als Kapital gegenüber dem Arbeiter, die Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln, auch die Loslösung der geistigen Potenzen der Produktion vom Produzenten mit sich bringt. „Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbständige Bauer oder Handwerker, wenn auch auf kleinem Maßstab, entwickelt, wie der Wilde alle Kunst des Kriegs als persönliche List ausübt, sind jetzt nur noch für das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Potenzen der Produktion erweitern ihren Maßstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten verschwinden. Was die Teilarbeiter verlieren, konzentriert sich ihnen gegenüber im Kapital. Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozeß beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt. 59

In der Manufaktur ist die Bereicherung des Gesamtarbeiters und daher des Kapitals an gesellschaftlicher Produktivkraft bedingt durch die Verarmung des Arbeiters an individuellen Produktivkräften." 26 In den sozialistischen gesellschaftlichen Verhältnissen, die auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln beruhen, stehen den Werktätigen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses nicht als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüber. Beide Potenzen, die des einzelnen Werktätigen und die der Produktion im Ganzen vereinigen sich wieder zu einer produktiven Einheit. So wie der Mensch im Unterschied zum Tier sich in der gegenständlichen Tätigkeit die ganze Natur aneignet, so ist es das zutiefst humanistische Anliegen der Weltanschauung, von der geistigen Aneignung des Einzelnen zur geistigen Aneignung des Ganzen zur theoretischen Einsicht und zur bewußten praktischen Teilnahme in und an der Gestaltung des Ganzen zu kommen. Diesen produktiven Trieb und diese Anlage des Menschen unterdrückt und zerstört die kapitalistische Form der materiellen Produktion, indem sie, den Arbeiter verkrüppelnd, sein Detailgeschick treibhausmäßig fördert. 27 Marx spricht davon, daß die kapitalistische Arbeitsteilung das Material zur industriellen Pathologie liefert. Marx zitiert im Kapital D. Urquhart „Einen Menschen unterabteilen, heißt ihn hinrichten, wenn er das Todesurteil verdient, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht verdient. Die Unterabteilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines Volkes." 28 2ß

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, B d 23, a. a. O., S. 382/385 von mir - G . R.).

27

Vgl. ebenda, S. 578 ff.

28

Ebenda, S. 385.

(Hervorhebungen

Steigende Universalität des Menschen im Sozialismus

Der modernen Wissenschaft und den modernen Produktivkräften ist die stetig fortschreitende Spezialisierung und Integration wesenseigen. Die weitere Vertiefung der Arbeitsteilung ist eine Gesetzmäßigkeit der modernen Produktion. Auch der Sozialismus kann die Arbeitsteilung weder aufheben noch auch nur einschränken. Im Gegenteil: Im Sozialismus tritt der Mensch in immer engeren und allseitigeren Stoffwechsel mit der Materie nur durch die ständige Ausdehnung der Arbeitsteilung. Wenn Karl Marx von der Aufhebung der Arbeitsteilung sprach, dann meinte er nicht die sich immer weiter entwickelnde Spezialisierung von Produktion und Wissenschaft, sondern die Teilung in geistige und körperliche Arbeit, in Lohnarbeit und Kapital. Die sozialistische Gesellschaft stellt sich daher nicht die Aufgabe, die Arbeitsteilung in immer spezialisiertere Produktionsvorgänge aufzuheben, sondern vertieft im Prozeß der Verschmelzung der sozialistischen Revolution mit der technisch-wissenschaftlichen Revolution die Spezialisierung der Produktionsvorgänge und verbindet sie fortschreitend mit den modernsten technisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Sozialismus ist aber die Aufhebung jener Gesellschaft, die, wie der Kapitalismus, den Menschen in der arbeitsteiligen Produktion geistig vereinseitigt und verkrüppelt. Der Sozialismus hebt die für die kapitalistische Gesellschaft charakteristischen sozialen Verhältnisse auf, unter denen die Arbeitsteilung den Menschen zerstückelt und die - wie Karl Marx schrieb - „die Spezialitäten, die Fachleute und mit ihnen den Fachidiotismus erzeugt" 1 . Die Universalität gehört aber zum Wesen des gesellschaftlichen Menschen; sie zeichnet ihn eben als Menschen aus und unterscheidet 1

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 4, Berlin 1959, S. 157.

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ihn vom Tier. Die kapitalistische Form der Arbeitsteilung hat diese eigentliche menschliche Eigenschaft immer weiter deformiert und zwischen den Menschen und ihren Fähigkeiten einerseits sowie ihren Kenntnissen andererseits tiefe Gräben gezogen. Karl Marx zitierte in diesem Zusammenhang zum Beispiel Adam Smith, daß „in Wirklichkeit die Verschiedenheit der natürlichen Anlagen zwischen den Individuen weit geringer ist, als wir glauben" 2 . Und er selbst schrieb dann: „Ursprünglich unterscheidet sich ein Lastträger weniger von einem Philosophen als ein Kettenhund von einem Windhund. Es ist die Arbeitsteilung, welche einen Abgrund zwischen beiden aufgetan hat." 3 Die Arbeitsteilung der modernen Industrie und Wissenschaft hebt diesen „Abgrund" zwar der Möglichkeit nach auf, aber nur unter sozialistischen gesellschaftlichen Bedingungen, andernfalls wird er noch vertieft. Der prinzipielle Unterschied im geistigen Antlitz des Menschen im Sozialismus und im Kapitalismus spiegelt den qualitativen Unterschied wider, der zwischen der Durchführung der technisch-wissenschaftlichen Revolution in den beiden unterschiedlichen Gesellschaftssystemen hinsichtlich der Auswirkung auf den Menschen besteht. Die sozialistische Gesellschaft tut alles, um die ursprüngliche Universalität des Menschen auf einer höheren Stufe ihrer Entwicklung zu neuer Entfaltung zu bringen; die imperialistische Gesellschaft• nutzt nicht nur die Möglichkeit menschlicher Universalität nicht aus, die von den modernen Produktivkräften für alle Menschen gleichermaßen hervorgebracht wird, sondern unterdrückt oder verhindert die menschliche Universalität - im Widerspruch zum Charakter der Produktivkräfte - und systematisiert die Vereinseitigung des Menschen. Diese antihumanistischen Bestrebungen der Monopole stehen in einem tiefen Widerspruch zu den Möglichkeiten der in der modernen automatisierten Produktion zu erreichenden Universalität des Menschen, zu den modernen automatisierten Produktivkräften, die geradezu menschliche Allseitigkeit erfordern. Bereits in seiner Schrift „Das Elend der Philosophie" hatte Karl Marx die Bedeutung der automatisierten Produktion für die Herausbildung des universalen Menschen vorausgesehen: „Was die Teilung der Arbeit in der mechanischen Fabrik kenn2

Ebenda, S. 145.

3

Ebenda, S. 146.

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zeichnet, ist, daß sie jeden Spezialcharakter verloren hat. Aber von dem Augenblick an, wo jede besondere Entwicklung aufhört, macht sich das Bedürfnis nach Universalität, das Bestreben nach einer allseitigen Entwicklung des Individuums fühlbar. Die automatische Fabrik beseitigt die Spezialisten und den Fachidiotismus." 4 Karl Marx meint hier nicht die Arbeitsteilung und Spezialisierung überhaupt, sondern eben die verkrüppelnde Spezialisierung des Arbeiters in der kapitalistischen Produktion, seine Festlegung auf eine bestimmte unveränderliche Tätigkeit an einem Arbeitsplatz, die lediglich spezifische Verausgabung von körperlicher und geistiger Energie, von Fertigkeiten und Kenntnissen, die fortschreitende einseitige Beanspruchung seiner Fähigkeiten, die ihn immer mehr in einen Roboter verwandelt. Wenn Marx davon sprach, die automatische Fabrik beseitige die Spezialisten und den Fachidiotismus, so heißt das, jeder Vorwand für die Verewigung der Existenz des nur einseitig gebildeten und tätigen Produzenten ist beseitigt; der universal gebildete und tätige Mensch ist zur Notwendigkeit geworden. Die automatisierte Produktion macht den Produzenten als Lückenbüßer des technischen Prozesses der Produktion endgültig überflüssig und setzt vom Stand der Entwicklung der Produktivkräfte her den universal gebildeten Menschen auf die Tagesordnung. Auf neue und sehr eindringliche Weise bestätigt sich in der Gegenwart das Marx-Wort, „daß die ganze Geschichte nur eine fortgesetzte Umwandlung der menschlichen Natur ist" 5 . Diese auf der Tagesordnung der Geschichte stehende revolutionäre Umwandlung der Natur des Menschen, die den von ihm selbst hervorgebrachten Produktivkräften entspricht, ist nur im Sozialismus möglich; denn die Veränderung des Menschen hat eine unabdingbare soziale Seite. Obwohl auch in den hochentwickelten imperialistischen Industrieländern die Produzenten in zunehmendem Maße neben den unmittelbaren Produktionsprozeß treten und damit aus der engen Spezialisierung entlassen werden, hält sie das imperialistische Herrschaftssystem künstlich im Joch einer der einseitigen Arbeitsteilung entsprechenden geistigen Verkrüppelung, indem ihnen eine den modernen 4 5

Ebenda, S. 157. Ebenda, S. 160.

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Produktivkräften entsprechende allseitige, universale Bildung systematisch unmöglich gemacht wird. Da jedoch auch der Mensch in der modernen kapitalistischen Produktion wenigstens über eine gewisse Bildung verfügen muß, wenn er hochproduktive Automaten bedienen bzw. warten soll, wird auch seine Bildung vereinseitigt. Darüber hinaus wird er durch eine zielstrebig gelenkte Vergnügungsindustrie zum passiven Genuß erzogen, wird seine Freizeit ausgefüllt mit solchen Produkten der Vergnügungsindustrie, die ihn zur Passivität erziehen und ihn an seiner bewußten Selbstverwirklichung hindern. Die körperliche Verkrüppelung des Menschen im kapitalistischen Produktionsprozeß wird heute immer mehr durch seine geistige Verkrüppelung ersetzt. Der qualitative Unterschied zwischen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung im Imperialismus und im Sozialismus liegt also nicht darin, d a ß der Sozialismus die Arbeitsteilung aufhebt. Die fortschreitende Arbeitsteilung in Produktion und Wissenschaft ist vielmehr eine Grundbedingung des Sieges des Sozialismus über den Imperialismus. Aber der Sozialismus hebt im wesentlichen Unterschied zum Imperialismus den Gegensatz zwischen produktiver Arbeit einerseits und Planung und Leitung der Gesellschaft andererseits auf, entsprechend dem in der neuen Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik enthaltenen „Grundsatz ,Arbeite mit, plane mit, regiere mit!'" 6 Karl Marx sagte: „Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf größrem Maßstab bedarf mehr oder minder •einer Direktion, welche die Harmonie der individuellen Tätigkeiten vermittelt und die allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe entspringen. . . . Diese Funktion der Leitung, Überwachung und Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die ihm untergeordnete Arbeit kooperativ wird." 7 Im Kapitalismus wird also die Funktion der Leitung zu einer spezifischen Arbeit der herrschenden Kapitalisten. Für den Arbeiter ist die Arbeit •einem fremden Willen und einer fremden Intelligenz unterworfen, von 6

Artikel 21,1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April

7

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 23, Berlin 1962, S. 350.

1968, Berlin 1968, S. 22.

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denen sie geleitet wird, „ihre seelenhafte Einheit außer sich habend".8 Die Aufhebung dieser dem Menschen feindlichen Teilung der Arbeit ist, wie Karl Marx nachwies, „ohne die Gemeinschaft nicht möglich"9, das heißt, sie ist nicht möglich ohne den So2ialismus, ohne die sozialistische Menschengemeinschaft. Sie allein ist imstande, jedem Individuum die Voraussetzungen zu schaffen, „seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden"10 und damit „die persönliche Freiheit" zu erlangen 1 1 . Die sich vertiefende Arbeitsteilung der Industrie und Wissenschaft, befreit vom deformierenden Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital, ermöglicht und erfordert die universal gebildete sozialistische Persönlichkeit. Die Übereinstimmung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, ihre ungestörte Universalität ist die Grundlage des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems, der Bildungspolitik von Partei und Regierung. Sie gibt dem sozialistischen Menschen die wissensmäßige Voraussetzung, die universalen Möglichkeiten der modernen Produktivkräfte für sich auszuschöpfen und in enger Wechselwirkung damit zugleich Herr des nunmehr endgültig universalen gesellschaftlichen Prozesses zu werden. Sozialistische Bildung erfordert hohe wissenschaftlich-technische Kenntnisse als Voraussetzung der Beherrschung und Entwicklung moderner Produktivkräfte. Aber zur sozialistischen Bildung gehört in gleichem Maße auch die Kenntnis der Entwicklungsgesetze der Gesellschaft, um den sozialen Prozeß in seiner Gesamtheit aktiv mitgestalten zu können und ihn kollektiv zu beherrschen. Die wissenschaftlich-technische Revolution kann nur dann im Dienste des Menschen vollzogen werden, wenn die Produzenten ihre gesellschaftlichen Verhältnisse in Übereinstimmung mit der objektiven Universalität der modernen Produktivkräfte gestalten und regeln. Dieser Prozeß geht nicht unabhängig vom Handeln und Bewußtsein der Menschen vor sich. Ohne Wissen vom Wesen der gesellschaftlichen Prozesse wird er in seiner Universalität nicht wirksam. Ihrem Wesen und ihrem Ziel nach muß daher die Bildung des sozialistischen Menschen allseitig sein; denn er muß sein eigenes Leben allseitig, uni8 9 10

5

Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953. S. 374Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 3, Berlin 1958, S. 74. 11 Ebenda. Ebenda. Rcdlow

65

versal beherrschen und gestalten, um mit den gesellschaftlichen Interessen der sozialistischen Menschengemeinschaft übereinzustimmen. Erst im Sozialismus, in „der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit". 12 Die sozialistische Gesellschaft bringt das massenhafte Streben der Werktätigen nach geistiger und praktischer Universalität hervor, dem Partei und Regierung im Bildungssystem auf moderne Weise gerecht werden. Dieses massenhafte Streben nach Allseitigkeit erwächst als ein notwendiger objektiver Faktor aus der Meisterung der sozialistischen Produktion und aus der demokratischen Mitwirkung in der Lenkung und Leitung der sozialen Prozesse, kurz, aus der bewußten Selbstverwirklichung des Menschen in der sozialistischen Gesellschaft. Dieses Streben gehört zu den prägnantesten neuen weltanschaulichen Bedürfnissen des sozialistischen Menschen; es ist das entscheidende treibende Element ihres ständig zunehmenden Wissens- und Bildungsdranges. Dieses Streben der Menschen in der sozialistischen Gesellschaft nach allseitiger Bildung und Wissen ist zudem nicht nur auf die Beherrschung der modernen Produktivkräfte und die Lenkung und Leitung der Gesellschaft gerichtet, sondern kommt auch in der bewußten Aneignung der Kultur des eigenen Volkes und anderer Völker und in der aktiven Teilnahme an der Gestaltung des geistig-kulturellen Lebens der sozialistischen Gesellschaft und in der kulturellen und künstlerischen Selbstbetätigung zum Ausdruck, womit die Universalität des Menschen eigentlich erst vollständig wird. Die sozialistische Persönlichkeit zeichnet sich aus durch die Aneignung und Gestaltung der ganzen Welt, des ganzen Reichtums der sozialen und natürlichen Welt. Die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus durch die Werktätigen unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, bestätigt die geniale Prognose von Karl Marx und Friedrich Engels, wonach die allseitig entwickelten Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse eben „nur von allseitig sich entwickelnden Individuen angeeignet, d. h. zur freien Betätigung ihres Lebens gemacht werden können", was nur möglich ist innerhalb „der l 2 Ebenda.

66

kommunistischen Gesellschaft, der einzigen, worin die originelle und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist". 13 Das einheitliche sozialistische Bildungssystem in der D D R ist deshalb darauf gerichtet, alle Werktätigen zu befähigen, die durch die objektive Universalität unserer Gesellschaft entstehenden neuen geistigen Bedürfnisse nach dem Verständnis allgemeiner Zusammenhänge, nach Erweiterung des Gesichtskreises, nach geistiger Universalität, dem Stand der modernen Wissenschaft gemäß zu befriedigen. Sozialistische Kultur- und Bildungspolitik werden diesem Streben durch die kluge Verbindung von technisch-wissenschaftlicher, politischer, ökonomischer und kultureller Bildung aller Werktätigen gerecht. „Indem die sozialistische Kultur die alte Teilung der Gesellschaft in eine kultivierte Elite und die von der Kultur ferngehaltene Masse überwindet, wird sie zur nationalen Volkskultur. Sie hilft allen Bürgern unserer Republik, sich mit ihrer Weltanschauung und Lebensauffassung auf den Klassenstandpunkt des Sozialisten zu erheben. Sie stärkt ihr menschliches Selbstbewußtsein, indem sie die Werktätigen lehrt, die großen Leistungen in der Produktion, der Technik und Wissenschaft, der Kultur und Kunst als ihre eigenen Errungenschaften zu erkennen, mit eigenen Leistungen für die sozialistische Menschengemeinschaft den gesellschaftlichen Reichtum zu vermehren und materiell und kulturell wirksamer in Erscheinung zu treten. Sie vermittelt ihnen Freude am gemeinsamen Vorwärtsschreiten, am fortschrittlichen Verändern der Gesellschaft; sie läßt sie den Kampf zur Überwindung von Schwierigkeiten und das ständige Lernen als normale Verhaltensweisen des tätigen Menschen empfinden." 14 Im Imperialismus steht der Freude der Menschen am Wissen, ihrem Drang nach Bildung, die systematische Verengung des geistigen Horizonts und die Vereinseitigung des Wissens durch die herrschende Monopolbourgeoisie entgegen. Geistig findet die kapitalistische Arbeitsteilung ihre Widerspiegelung in der Deformierung der Universalität 13 14

Ebenda, S. 424. Walter Ulbricht, Die gesellschaftliche Entwicklung in der Deutschen

Demokra-

tischen Republik bis zur Vollendung des Sozialismus, in: Protokoll der Verhandlungen des V I I . Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 17. bis 22. April 1967, 1. bis 3. Beratungstag, Berlin 1967, S. 267.

5*

67

des Menschen, einem Attribut der strukturellen Deformation der Industrie, der industriellen „Pathologie". Man kann A. Schweitzer daher nur zustimmen, wenn er bemerkt: „Für die Gesamtheit wie für den Einzelnen ist das Leben ohne Weltanschauung eine pathologische Störung des höheren Orientierungssinnes." 15 Das weltanschauliche Denken hilft dem Menschen, sich in der Mannigfaltigkeit der Welt nicht zu verlieren, hilft ihm, sich die Welt auf eine dem Menschen gemäße Weise anzueignen. Karl Marx sagte, daß der Mensch sich nur dann nicht in seinen Gegenstand „verliert . . ., wenn dieser ihm als menschlicher Gegenstand oder gegenständlicher Mensch wird. Dies ist nur möglich, indem er ihm als gesellschaftlicher, Gegenstand, und er selbst sich als gesellschaftliches Wesen, wie die Gesellschaft als Wesen für ihn in diesem Gegenstand wird" 1 6 . Die imperialistische Manipulationsindustrie unternimmt alles, um die Werktätigen für immer in die kapitalistische Arbeitsteilung zu verstricken und damit ihren Horizont zu verengen, sie unfähig zu machen, sich geistig über die Spezialisierung ihrer Arbeit zu erheben. Ihr Ideal ist der Mensch als spezialisierte Ameise, welche die Grenzen der Arbeitsteilung weder praktisch noch geistig zu überschreiten vermag und eben dadurch leichter Objekt der Manipulierung wird. Aufhebung der Arbeitsteilung wird nur dem Sachwalter der Monopole zugestanden, ihren politischen, ökonomischen und militärischen Führern. Tatsächlich wirken jedoch in der differenzierten Arbeitsteilung der modernen Produktion Faktoren, die nicht nur die Leiter, sondern auch den unmittelbaren Produzenten vor die Notwendigkeit stellen, die Fähigkeit des theoretischen einheitsfindenden Denkens zu entwickeln. Die verwissenschaftlichte Produktion erhöht den geistigen Gehalt der Arbeitstätigkeit, sie erhöht ständig die intellektuellen Anforderungen an den Produzenten und nicht nur einfach im Sinne größerer wissenschaftlicher Kenntnisse, „sondern vielmehr um die spezifische Befähigung des einzelnen Arbeiters, überschauend, z. B. planend - prognostisch zu denken" 17 . 15

V g l . A . Schweitzer, Verfall und Wiederaufbau der Kultur, München 1 9 5 1 , S. 52.

10

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Ergänzungsband, Erster Teil, Berlin 1968, S. 541.

17

Interview mit Prof. Dr. W . Hacker, Wieviel geistige Arbeit verträgt der Mensch?, in: „Neues Deutschland" v. 16. 3. 1968.

68

Das heißt, die moderne Produktion führt nicht nur vom Grad ihrer Produktivität, sondern auch von ihrem Charakter her den jahrtausendealten Vorwand ad absurdum, die Existenz einer herrschenden Klasse sei notwendig, um den „Herrn des Überblicks" 18 zu spielen, im Gegensatz zu den absolut in der Arbeitsteilung befangenen Sklaven, Bauern und Lohnarbeitern. Die technische Revolution fordert den geistig aktiven Produzenten, der durch die produktive Zerteilung des verwissenschaftlichten Produktionsprozesses selbst zum Überschauen angeregt und und stimuliert wird. Und es zeigt sich, daß nicht so sehr Kraft und Geschicklichkeit, auch nicht die Motivation allein heute zu Höchstleistungen führen, „sondern vor allem die mit einer weitentwickelten Einstellung zur Arbeit gepaarte Befähigung, die jeweilige Arbeitstätigkeit zu überschauen" 19 und selbst nach einem umfassenden Plan und nicht nur je nach Anfall der Arbeit zu arbeiten. Die Revolution in Wissenschaft und Technik erweitert die universale gegenständliche Aneignung der Natur in noch nicht gekanntem Maße. J e universaler Produktion und Wissenschaft werden, desto größer wird das Bedürfnis nach weltanschaulicher Durchdringung und Beherrschung der praktischen Universalität. Diese zunehmende praktische Universalität fordert geradezu, die Grenzen des jeweiligen Spezialfaches zu überschreiten und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, d. h. den komplexen Charakter der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklungsprozesse zu erkennen, zu überschauen und zu beherrschen. E s ist daher nicht zufällig, wenn selbst in kapitalistischen Ländern von den Vertretern unterschiedlicher weltanschaulicher Richtungen, von' Politikern und Managern, Literaten, Dichtern und Philosophen die Forderung nach Weltanschauung erhoben wird. Nur eine Weltanschauung kann jedoch heute dieser für den modernen Menschen lebenswichtigen und humanen Forderung in konsequenter Weise nachkommen: die wissenschaftliche, materialistische Weltanschauung der Arbeiterklasse mit der marxistisch-leninistischen Philosophie als Grundlage. 18

Thomas Mann, Gesammelte Werke, Bd 4, Berlin 1 9 5 5 , S. 247.

19

Interview mit Prof. D r . W . H a c k e r . . . , a. a. O .

69

Der festen Verankerung dieser Philosophie in der revolutionären Arbeiterbewegung entspricht ihre völlige Übereinstimmung mit den Ergebnissen der modernen Natur- und Gesellschaftswissenschaft. Die Arbeiterklasse, deren Interessen und Ziele die materialistische Weltanschauung widerspiegelt, ist die einzige soziale Klasse der Gegenwart, die rückhaltlos, ohne alle Vorbehalte an der Aufdeckung der Wahrheit in Natur und, Gesellschaft interessiert ist, an der Aufdeckung nicht nur von Teilwahrheiten über Teilbereiche, sondern auch der Wahrheit im Ganzen. Die Ideen der marxistischen Klassiker sowie die auf ihnen beruhenden Beschlüsse der marxistisch-leninistischen Parteien unserer Zeit sind nicht illusionär und utopisch; sie bringen die wissenschaftliche Erkenntnis der ganzen Wahrheit zum Ausdruck. Historische Wahrheit,, wissenschaftliche Wahrheit und die Klasseninteressen der Arbeiterklasse stimmen überein. Antagonistisch ist dagegen der Widerspruch von objektiver Wahrheit und Klasseninteressen der imperialistischen Monopole. Sie haben nicht das geringste Interesse daran, die Wahrheit im Volke zu verbreiten. Die Wahrheit im Besitz der Volksmassen ist ihnen vielmehr ein Dorn im Auge. Die Ideologen des Imperialismus unternehmen deshalb alles, um die Wahrheit über die Welt als Ganzes zu verschleiern, zu entstellen, müßten sie doch sonst ihre eigene historische Überlebtheit zugeben. Zwar wendet sich auch die Bourgeoisie mehr und mehr der wissenschaftlichen Durchdringung einzelner Bereiche der Gesellschaft zu. Mit äußerster Akribie untersuchen Soziologen, Sozialkybernetiker, Sozialpsychologen, Meinungsforscher, Semiotiker, Ökonomen u. a. Wissenschaftler soziale Erscheinungen, aber eben soziale Teilbereiche. Das Ergebnis ihrer Analysen ist darum stets Teilwahrheit, oft genug aus Gründen politischer Opportunität in eine Apologie des Imperialismus umgemünzt. Die Bourgeoisie ist eben zu einer wissenschaftlichen Theorie, die ihre Detailerkenntnisse harmonisch zu einer Theorie von der Gesellschaft als Ganzes zusammenfaßt, außerstande. Diese Leistung vollbrachte bis jetzt nur der Marxismus, der die Theorie des historischen Materialismus schuf und die gesetzmäßige Ablösung der kapitalistischen Ordnung durch die sozialistische Gesellschaft exakt nachwies. 70

Die zunehmende Vereinheitlichung und gleichzeitige Verzweigung des einen großen Baumes menschlicher Erkenntnis hat bis heute nur der Marxismus-Leninismus konsequent philosophisch verarbeitet und gemeistert. Zum erstenmal gelang es einer philosophischen Weltanschauung, die Welt als Ganzes konsequent und wissenschaftlich auf materialistische Weise zu erfassen. Für die marxistisch-leninistische Weltanschauung existiert nicht die Schizophrenie des bürgerlichen Denkens zwischen Natur- und Gesellschaftserkenntnis. Bereits Karl Marx hat bewiesen, daß das Bemühen um das Ganze nicht wie Weizsäcker sagt, eine leere Hoffnung ist. Weizsäcker konstatiert besorgt, daß der „tiefste Riß, der heute durch den Bau der Wissenschaften geht, . . . die Spaltung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften" ist.20 Die philosophische Weltanschauung des Marxismus-Leninismus ist die einzige philosophische Lehre der Gegenwart, welche die materialistische Erklärung von Natur und Gesellschaft einheitlich in sich begreift und vereint, in einer, wie Max Steenbeck schrieb, umfassenden wissenschaftlichen „Schau von einleuchtender Klarheit, die in bester Vereinbarkeit steht mit dem naturwissenschaftlichen Weltbild" 21 . Indem die marxistische Weltanschauung durch ihre spezifischen begrifflichen Mittel das Ganze nicht nur der Natur, sondern auch der historisch-sozialen Prozesse - in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - erkennt und dadurch überschaubar macht, befähigt sie die Arbeiterklasse und den einzelnen Menschen, dem Handeln, dem Leben eine solche Richtung und einen solchen Sinn zu geben, der in Übereinstimmung mit den Gesetzmäßigkeiten von Natur und Gesellschaft steht. Durch diese Sinn und Richtung gebende Funktion wird die materialistische Weltanschauung zu einem grundlegenden Bestandteil des proletarischen, des sozialistischen Klassenbewußtseins. Der unabhängig von seinem Willen in den natürlichen und gesellschaftlichen Kosmos integrierte Mensch empfindet und erkennt die Integrierung in das Ganze der Welt, seine Stellung im Ganzen, seine Möglichkeiten und Grenzen und vor allem seine Handlungsnotwendigkeiten in der Weltanschauung. 20

C. F. von Weizsäcker, D i e Geschichte der Natur, Göttingen 1964, S. 8.

21

Max Steenbeck, Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 12/1963, S. 1483.

71

Weltanschauliches Denken geht nie individualistisch vor, getrennt von der Klassenzugehörigkeit des Menschen, es ist deshalb stets parteilich. Jeder echte und wahrheitsliebende Philosoph wird zugeben, daß in der Einzelwissenschaft Objektivität in dem Sinne möglich ist, daß eine theoretisch und praktisch begründete Erkenntnis von den Fachvertretern unabhängig von ihrer Nationalität und Klasse, ihrer Zeit und ihrem Raum als wahr anerkannt wird; denn sonst wäre kein technisch-wissenschaftlicher Fortschritt möglich. Das kann man von der in den kapitalistischen Ländern herrschenden Weltanschauung keineswegs behaupten. Solange es antagonistische Klassen auf der Erde gibt, kann die Weltanschauung nicht das Eigentum der ganzen Gesellschaft sein, sondern immer nur bestimmter Klassen. Für die in Klassen gespaltene Gesellschaft gibt es keine Einheit der philosophischen Wahrheit. Eine solche Einheit ist erst nach Beseitigung der antagonistischen Klassen möglich. Der parteiliche Charakter einer jeden Weltanschauung bringt sehr deutlich den speziellen schöpferischen und aktiven Charakter der weltanschaulichen Erkenntnis zum Ausdruck. Im Unterschied zur Einzelwissenschaft, deren Aufgabe es ist, in schöpferischer Arbeit die Gesetzmäßigkeiten der Materie exakt zu erforschen, trifft das weder auf die Kunst noch auf die Weltanschauung zu. Die Weltanschauung ist nicht einfach nur Spiegel des Universums, sie ist mehr. Brecht schreibt: „Wir müssen nicht nur Spiegel sein, welche die Wahrheit außer uns reflektieren. Wenn wir den Gegenstand in uns aufgenommen haben, muß etwas von uns dazukommen, bevor er wieder aus uns herausgeht, nämlich Kritik, gute und schlechte, welche der Gegenstand vom Standpunkt der Gesellschaft aus erfahren muß." 22 Das trifft auch auf die Philosophie zu. Auf der Grundlage ihrer sozialen Klassenbindung an konkrete Produktionsverhältnisse und der Verallgemeinerung der Ergebnisse der Wissenschaften mit Hilfe ihres speziellen philosophischen Kategorienapparates nimmt sie die Welt als Ganzes in sich auf, spiegelt sie wider und stellt den Menschen in dieses Ganze, gibt seinem Handeln Richtung und Sinn. Dieser aktive Verallgemeinerungsprozeß, dieser aktive sinngebende Prozeß ist aber 22

Bertold Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Bd II, Berlin und Weimar 1966, S. 341.

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direkt eingebettet in die Klassenzugehörigkeit und abhängig von ihr, von der Stellung des Menschen zu den Produktionsmitteln, der diesen Denkprozeß vornimmt. Das, was von. den Menschen dazukommt, ist der Standpunkt der Klasse, der sie angehören, das Klasseninteresse, das sich objektiv und gesetzmäßig aus der Stellung des Menschen zu den Produktionsmitteln ergibt. Die weltanschauliche Orientierung ist bereits eine Bewertung des vorliegenden wissenschaftlichen und objektiven Tatsachenmaterials, eine subjektiv geprägte Schöpfung unseres philosophischen Verstandes. „Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins" sagte Marx, ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. „Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe. Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewußtsein kann nie etwas Andres sein als das bewußte Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß." 23 In die Bildung der weltanschaulichen Ideen geht immer unvermeidlich als objektive Determinante die Klassenzugehörigkeit des Philosophen ein. Der einzelne Philosoph gibt lediglich noch seine persönliche Färbung hinzu, die auf seiner besonderen Bildung, seinen individuellen Erfahrungen und Eigenschaften sowie anderen mehr oder weniger zufälligen Faktoren beruht. Mit anderen Worten, die Weltanschauung ist Ausdruck eines aktiven Verhältnisses des Subjekts zur Realität, in dem das Subjekt, die Realität exakt erkennend, schöpferisch die Aufgaben seiner Klasse formuliert. Verschiedene Klassen sehen die Welt auf verschiedene Weise an. Karl Marx schrieb in der Deutschen Ideologie: „Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhältnisse wie in einer Camera 23

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 3, a. a. O., S. 26.

73

obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebensosehr aus ihrem historischen Lebensprozeß hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen." 24 Der objektiv durch seine Stellung zu den Produktionsmitteln determinierte Klassenstandpunkt des jeweiligen philosophischen Betrachtens der Welt wirkt wie ein Prisma, so daß verschiedene Klassen die Welt auf verschiedene Weise ansehen, die gleichen Fragen verschieden beantworten. Sie wollen sie, wie die Imperialisten, im Zustand der kapitalistischen Ausbeutung erhalten, sie wollen sie, wie die Kommunisten, verändern und den Sozialismus errichten. Wenn wir also durch Vermittlung von marxistischer Weltanschauung die Menschen „sehen lehren", dann lehren wir sie auf „sozialistische Weise die Welt sehen und entsprechend handeln", d. h. die Interessen, Pflichten und Aufgaben ihrer Klasse zu erkennen und praktisch wahrzunehmen. Dieses „Sehenlernen" der Welt, besonders der Gesellschaft, formt den sozialistischen Menschen ganz entscheidend. Das Prisma der marxistischen Weltanschauung läßt uns die Welt tiefer, klarer und schärfer sehen, weil Objektivität und Wissenschaftlichkeit der marxistischen Weltanschauung darauf beruhen, daß die Klasseninteressen des Proletariats im Imperialismus und der Werktätigen der sozialistischen Gesellschaft sich in Übereinstimmung befinden mit den von der marxistischen Gesellschaftswissenschaft entdeckten dialektischen Entwicklungsgesetzen der Gesellschaft. Das Klasseninteresse des Proletariats an der realen Veränderung des kapitalistischen Eigentums der ganzen imperialistischen Gesellschaft stimmt mit den Gesetzen der Geschichte überein, die die Monopolbourgeoisie zum Hemmschuh der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung verurteilt haben. Deshalb erwächst aus dem materiellen Lebensprozeß des Proletariats die wissenschaftliche Wahrheit, die wahre Widerspiegelung der Realität, kein verkehrtes, verzerrtes Bild von der Welt wie in der camera obscura der bürgerlichen Ideologie, die falsches Bewußtsein produziert. Das Prisma der sozialistischen Weltanschauung läßt uns die Welt nicht verzerrt und einseitig sehen, wie die bürgerliche Weltanschauung, sondern wir sehen die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft klarer und tiefer, kurz, wissenschaftlich. 24

74

Ebenda.

Weltanschauung und Wissenschaft

Es gibt keine Bildung ohne Begriff oder ein geistiges Bild vom Ganzen der Welt. Jede Bildung geht ihrem Wesen nach über das Einzelne hinaus auf den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Allgemeinem, dem Ganzen, dieses abbildend und zugleich bildend, widerspiegelnd und schöpferisch hervorbringend. Das geistige Bild vom harmonisch, gesetzmäßig geordneten Ganzen der Welt, vom Kosmos war eines der Ideale sowohl der griechischen Philosophie als auch des klassischen deutschen Humanismus, dessen konstruktives Erbe der marxistische Humanismus aufnimmt und weiterführt. Wenn Humboldt das humanistische Bildungsideal darin erblickte, daß der einzelne Mensch sich das Universum, das Ganze der Welt schöpferisch zu erschließen vermag, so zielte er damit auf weltanschauliche Aktivität ab. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, die in den kapitalistischen Ländern tagtäglich erneut bewiesen wird, daß die Beschäftigung mit Wissenschaft allein noch nicht zu einer Bildung führt, die man humanistisch oder gar sozialistisch nennen kann. Weder eine einzelne Gesellschaftswissenschaft, wie etwa die Ökonomie, noch eine einzelne Naturwissenschaft, wie etwa die Physik, so gravierend ihre Bedeutung und ihr Einfluß auf das menschliche Leben auch sind, sind von sich aus imstande, ein geistiges Bild vom Ganzen der Welt zu geben. Sie können als einzelne Wissenschaft weder die Stellung und den Weg der Menschen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begreifen, noch ihrer Tätigkeit einen mit den Grundgesetzen unserer Epoche übereinstimmenden Sinn und eine zukunftsträchtige Richtung verleihen. Keine Einzelwissenschaft kann diese spezifische Aufgabe der Weltanschauung übernehmen. „Was einmal in Raum und Zeit eintritt, das 75

muß sich auch in die Gesetze von Raum und Zeit fügen" schrieb bereits Ludwig Feuerbach. „Der Gott der Grenze steht als Wächter am Eingang in die Welt. Selbstbeschränkung ist die Bedingung des Eintritts. Was auch immer wirklich wird, es wird nur wirklich als ein Bestimmtes. Eine Inkarnation der Gattung in ihrer ganzen Fülle in einer Individualität wäre ein absolutes Wunder, eine gewaltsame Aufhebung aller Gesetze und Prinzipien der Wirklichkeit - wäre in der Tat der Untergang der WeltZ'1 Die Selbstbeschränkung auf das Besondere ist die Bedingung des Eintritts einer jeden Einzelwissenschaft in das System der Wissenschaft, die Selbstbeschränkung der Philosophie liegt in ihrer Beschränkung auf das Allgemeine. Es hat in der Geschichte der Wissenschaft zahlreiche Versuche von Vertretern der Fachwissenschaft gegeben, auf der Grundlage der Erkenntnisse ihrer Disziplin eine Weltanschauung aufzubauen. In einer Zeit des relativ geringen Wissensstandes bzw. der ungleichmäßigen Entwicklung der einzelnen Wissenschaften war dieses Bemühen verständlich und gerechtfertigt. In der Gegenwart jedoch, in der die Wissenschaft einem tiefgehenden Prozeß der Vereinzelung unterworfen ist, verlieren die Fachwissenschaften immer mehr die Fähigkeit, aus sich heraus ein geistiges Wild vom Ganzen der Welt zu entwickeln. An dieser Tatsache ändert auch nichts der parallel verlaufende Integrationsprozeß der modernen Wissenschaft, welcher zur Entstehung der sogenannten Querschnittswissenschaften geführt hat. Auch diese Querschnittswissenschaften, wie die Kybernetik, Mathematik u. a., sind nicht zur weltanschaulichen Integration der Wissenschaften imstande. Im Gegenteil, selbst Vertreter dieser Querschnittswissenschaften in kapitalistischen Ländern erheben den Ruf nach Weltanschauung immer lauter. K. Steinbuch schreibt: „Philosophie kennt keine Narrenfreiheit: Schlechte Philosophie erzeugt falsches Verhalten. Wir sollten Philosophie deshalb sehr ernst nehmen." 2 Das ist nicht zufällig, drängt sich doch gerade ihnen die Notwendigkeit auf, ihre Wissenschaft sinnvoll für den Menschen anzuwenden. 1 2

76

Ludwig Feuerbach, Zur Kritik der Hegeischen Philosophie, Berlin 1955, S. 25. Karl Steinbuch, Falsch programmiert, Stuttgart 1968, S. 98.

Man sollte deshalb unterscheiden zwischen dem Weltbild, das eine oder mehrere Wissenschaften gemeinsam entwerfen und einer einheitlichen Weltanschauung, die aus der Verallgemeinerung aller Wissenschaften und aller praktischen Erfahrungen der Menschheit entsteht und sich deshalb tatsächlich auf das Ganze der Welt bezieht und von daher auf jedes Besondere und Einzelne. Die Weltbilder der Physik, der Biologie waren und sind von größter Bedeutung für das geistige Leben der Zeit ihrer Entstehung. Ihre Entwicklung, ihr „Umsturz" übt unmittelbaren und gravierenden Einfluß auf das philosophische Denken ihrer Zeit aus. Das Weltbild Newtons zum Beispiel beeinflußte und prägte lange die materialistische Philosophie, gab dem bürgerlichen Materialismus seinen mechanistischen Charakter, ebenso wie das von Darwin entworfene biologische Weltbild der Evolution der Tiere und Pflanzen entscheidend dazu beitrug, diesen Mechanizismus zu überwinden und der Dialektik den Weg zu bahnen. Ähnliches konnten wir in der allerjüngsten Gegenwart beobachten, als unter dem Einfluß der Kybernetik ein stark mechanistischer Zug im philosophischen Denken aufzukommen drohte, eine Wiederbelebung der These von L'homme machine Lamettries, die erst unter dem gewaltigen Eindruck der Entwicklung der Biologie wieder überwunden wurde. Ohne die Kenntnis des Weltbildes der entscheidenden Naturwissenschaften, der Physik, der Kosmologie, Kosmogonie, Biologie, Geologie, Kybernetik u. a. gibt es keine wissenschaftliche Weltanschauung von der Gesamtheit der Welt, jedoch ist das begrenzte Bild der Wissenschaft von der Entwicklung und Bedeutung ihres jeweiligen Gegenstandes mit der universalen Weltanschauung nicht identisch. Aber sie hat, wie Max Planck sagte, „im Kampf um die gesamte Weltanschauung ein gewichtiges Wort mitzureden".3 Die Weltanschauung integriert die Einzelwissenschaften unter dem spezifischen Aspekt des Ganzen der Welt, d. h., sie stellt sie in den natürlichen und sozialen Gesamtzusammenhang und weist ihr dadurch ihre eigentliche Aufgabe im Kampf der Klassen, ihren humanistischen 3

E . Zimmer, Umsturz im Weltbild der Physik, München 1957, Geleitwort von M a x Planck, S. 5.

77

Auftrag zu, bestimmt ihren Standort in der politischen und geistigen Auseinandersetzung unserer Zeit. Die moderne Wissenschaft hat die Welt bis auf den Grund entzaubert. Bürgerliche Philosophen sprechen klagend von der offenbaren Geheimnislosigkeit der durch den Fortschritt der Wissenschaft entzauberten Welt. Zwar fürchtete bereits Kant, daß die neue mechanische Weltansicht zu einer „unheiligen Weltwissenschaft" werden könnte und ihre Fürsprecher zu Apologeten des Atheismus, doch heute beklagen bürgerliche Denker den Fortschritt der Wissenschaft, weil er ihre idealistischen weltanschaulichen Thesen endgültig als wissenschaftlich haltlos beweist. Der Widerspruch zwischen der Wissenschaft, die die materielle Einheit der Welt einzelwissenschaftlich in zunehmendem Maße und unleugbar nachweist, und den Grundthesen bürgerlichen Philosophierens ist eine entscheidende Grundlage der Krise der bürgerlichen Philosophie. Diesem Krisenbewußtsein bürgerlichen Denkens steht die zunehmende Stärke des dialektischen Materialismus gegenüber, dessen Kraft gerade darauf beruht, daß die Wissenschaft in der Gegenwart exakt und ohne Spekulation in zunehmenden Maße den natürlichen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang im einzelnen nachzuweisen vermag. Die Welt wird nicht - wie bei den Griechen - einfach als Ganzes, im ganzen und großen unabhängig vom Einzelnen angeschaut. Die moderne Wissenschaft ist eine unerschöpfliche, stabile Quelle des materialistischen Denkens und der materialistischen Weltanschauung in der Gegenwart. Die ersten Materialisten mußten noch eine spekulative Schau der Welt im großen und ganzen ohne analytische Erkenntnis der einzelnen Zusammenhänge vertreten. Sie waren sich dieses Mangels bewußt und mit dem niedrigen Stand ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse unzufrieden; die Wahrheit liege tief im Brunnen verborgen, klagte Demokrit. Um so höher sind ihre geistige Leistung und ihr Mut zu bewerten: die Entwicklung und Verteidigung des Materialismus. Heute ist die Wahrheit aus dem Brunnen geholt, und die Idealisten sind an der Reihe zu klagen. Auf der Grundlage des unerschöpflichen Füllhorns der wissenschaftlichen Erkenntnis kommt der Materialismus zum erstenmal zu einer materialistischen Einsicht in den allgemeinen Zusammenhang über das Verständnis des Einzelnen. 78

Das ist ein gravierendes geistiges Ereignis in der menschlichen Geschichte, besonders in der Geschichte des Denkens. Dadurch sieht sich die Menschheit vor das große Problem der Bewältigung dieser Wissensmassen gestellt. Das Wissen muß organisiert werden, greifbar sein, um wirklich angewendet und nutzbar zu werden. Gelingt das nicht, entsteht der eigenartige Widerspruch, daß das Gehirn des Menschen die von ihm erkannten Tatsachen selbst nicht mehr in ihrer Gesamtheit aufnehmen, speichern und verallgemeinern kann. „Während der letzten beiden Generationen hat sich die Zunahme des Wissens so ungeheuerlich beschleunigt, daß sogar das erhabenste und gelassenste Gehirn heute nur ein Tausendstel davon speichern und betrachten kann" schreibt der englische Neurophysiologe W. Grey Walter in seinem Buch „Das lebende Gehirn": „Die Menschheit ist in einen kritischen Zustand geraten, einen viel gefährdeteren als unter den Lebensbedingungen des Dinosaurus und beim Turmbau zu Babel. Die Spezialisierung kann nicht so uferlos fortschreiten: Die Koordination muß ihr zu Hilfe kommen. Die Wurzel des Übels besteht darin, daß Tatsachen sich viel schneller anhäufen als die Möglichkeiten ihrer Bewältigung. Wenn Fakten sich anhäufen, steigt die Anzahl der möglichen Beziehungen zwischen ihnen mit ungeheurer Geschwindigkeit an. Das einzige Mittel zur Bewältigung scheint darin zu liegen, daß man vermeidet, menschliche Gehirne mit mechanischen Aufgaben zu überbürden. Wie Norbert Wiener leidenschaftlich erklärt hat, macht diese Überbürdung die Wissenschaft lächerlich und verdirbt die menschlichen Beziehungen. Es bestehen bereits Pläne für Geräte, die diese Knechtung des Gehirns beenden und die niederen, aber wesentlichen Aufgaben der Tatsachenordnung Maschinen anvertrauen sollen, wie dies bei der körperlichen Handarbeit schon längst der Fall ist." 4 Walter schreibt, daß die kybernetischen Maschinen dadurch die Möglichkeiten des organischen Hirns ebenso erweitern wie Werkzeugmaschinen Erweiterungen der anatomischen Organwerkzeuge des Menschen sind. Aus dem ganz natürlichen und auch nicht überspringbaren Widerspruch von endlichem Menschenkopf, Menschengehirn und unendlichen 4

W. Grey Walter, Das lebende Gehirn, Köln-Berlin 1961, zitiert bei:

H. Schirm-

beck, Ihr werdet sein wie Götter — Der Mensch in der biologischen Revolution, Düsseldorf-Köln 1966. S. 193/194.

79

"Wissensfakten, der tatsächlich dazu führt, daß weder der einzelne Mensch noch die Gesamtheit der Gattung Mensch ihr Wissen in der alten Weise verfügbar haben, ziehen nun manche den Schluß, das Gehirn sei unterentwickelt, sei nicht mehr auf der Höhe der Aufgaben unserer Zeit. In Wirklichkeit ist das Gehirn genauso vollkommen und unvollkommen wie das Auge oder das Ohr, deren irdische Bedingtheit der Mensch selbst weitgehend überwunden hat durch Fernrohr, Mikroskop •etc. Ebenso überwindet der Mensch die „Spezialisierung" des Gehirns in zunehmendem Maße durch die kybernetischen Maschinen, die den stetig anschwellenden Strom der Erkenntnis koordinieren und den Menschen zur Verfügung gehalten werden. Man kann sich daher nicht Pierre Bertaux anschließen, der meint, „die weitere Geschichte des Lebens auf Erden ist nicht mehr die Geschichte des Menschen, sondern die Geschichte der Apparate" 5 . An anderer Stelle schreibt er, „Durch nichts ist uns verbürgt, daß das nächstkommende Glied in der Kette der biologischen Entwicklung noch der Mensch sein wird." 6 Bertaux spricht von einer biologischen Mutation des Menschen, die die bisherige Evolution korrigieren würde. Tatsächlich liegt diesen Prophezeiungen zugrunde, daß Bertaux den aktiven und universalen Charakter der menschlichen Arbeit nicht begreift, die keine einfache quantitative Vergegenständlichung der menschlichen Wesenskräfte ist, die sich nicht nur im Begrenzten, Spezialisierten äußert, sondern in der Aneignung der ganzen Natur, in der Universalität. Je wissenschaftlicher dieser Aneignungsprozeß ist, desto mehr tritt der Produzent neben den unmittelbaren Produktionsprozeß, indem er, nicht mehr wie früher, den „modifizierten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern den Naturprozeß, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert" 7 . 5

Pierre

Bertaux:

maschine,

in:

Bergedorfer

Entwicklungstendenzen

der

Protokolle, modernen

Maschine-Denkmaschine-StaatsIndustriegesellschaft,

Hamburg-

Berlin 1 9 6 } , S . 2 5 . G

Derselbe, D i e geistige Bewältigung des Fortschritts, in: D i e Wissenschaft und die Z u k u n f t des Menschen, München

7

•80

1965, S.

186.

K a r l M a r x , Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S . 592/593.

Marx bezeichnet die Maschinen als natürliches Material, „verwandelt in Organe des menschlichen Willens über die Natur oder seiner Betätigung in der Natur. Sie sind von der menschlichen Hand geschaffne Organe des menschlichen Hirns; vergegenständlichte Wissenskraft" 8 . Und eben solche, von der menschlichen Hand geschaffene, Organe des menschlichen Hirns sind die kybernetischen Maschinen, die das Hirn gewissermaßen zwischen sich und das gesammelte Wissen schiebt, um es rationell verarbeiten zu können. Sie helfen dem Menschen eine spezielle Aufgabe lösen, wie die Fernrohre oder die akustischen Verstärker. In ihrem Falle beseitigen sie die'Überlastung des Gehirns bei der Aufgabe der Tatsachenordnung. Das ist aber eine äußerst spezielle Aufgabe. Die Maschine geht gewissermaßen nur einen mathematischen, der Mensch dagegen einen viel reicheren und universellen Stoffwechsel mit der Materie ein. Und deshalb ist das Ersatzorgan des menschlichen Hirns, die elektronische Rechenmaschine zwar ein unentbehrlicher Helfer bei der Regulierung des von den Menschen selbst hervorgerufenen Informationsstromes und insofern auch bei der geistig-weltanschaulichen Bewältigung der Wissensmassen. Aber auch nicht mehr; denn die „Entzauberung" der Welt durch die Wissensexplosion ist ein äußerst widerspruchsvoller Prozeß, der nicht mit Notwendigkeit und spontan zur Anerkennung materialistischer Positionen führen muß. Sie kann sogar, wenn es den Materialisten nicht gelingt, das rasch zunehmende Wissen auf dialektisch-materialistischer Grundlage neu zu deuten, zur zeitweiligen Verfestigung religiöser oder idealistischer Anschauungen führen, und zwar gerade auf dem Gebiet der Weltanschauung. In der Gegenwart ist der Wissensstoff einer einzelnen Wissenschaft wie erst recht der aller Wissenschaften für den endlichen einzelnen Menschenkopf nicht mehr überschaubar und die weltanschaulichen Konsequenzen lassen sich spontan aus diesem Wissensstoff von allein weder ablesen noch ableiten. Das heißt, es besteht heute die reale Gefahr, daß sich die durch die Wissensexplosion freigesetzten Wissensmassen von Natur und Gesellschaft geistig verselbständigen. Aber gerade diese Tendenz und Gefahr der Verselbständigung des 8

Ebenda, S. 594.

6 Redlow

81

Wissens von Natur und Gesellschaft ruft in verstärktem Maße das Bedürfnis nach ihrer weltanschaulichen Durchdringung hervor, kurz nach Weltanschauung, nach der praktischen und geistigen Bestimmung des Menschen in dieser von ihm neu geschaffenen technischen und wissenschaftlichen Welt. D i e weltanschauliche Verselbständigung dieser Wissensmassen zu verhindern, ist eine der Kardinalaufgaben der marxistischen Weltanschauung in der Gegenwart. D i e weltanschauliche Verarbeitung und Durchdringung der Wissensmassen von den Eigenschaften der Materie ist, wie gesagt, kein spontan und automatisch verlaufender Prozeß. Auch die sozialistische Gesellschaftsformation, die den Widerspruch zwischen entfalteter gegenständlicher Universalität und ihrer sozialen und geistigen Deformation im Imperialismus durch die Schaffung sozialistischer Eigentumsverhältnisse und durch die Aneignung der gesellschaftlichen Totalität durch den Einzelnen praktisch aufhebt, ist nicht automatisch vor der Gefahr einer solchen Verselbständigung gefeit. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse, die die soziale Deformation und Verkrüppelung der Universalität des Menschen aufheben, sind eine gewaltige objektive weltanschauliche

Potenz und Quelle weltanschaulichen Denkens, denn:

„Mit der Aneignung der totalen Produktivkräfte durch die vereinigten Individuen hört das Privateigentum a u f . " 9 Aber

es bedarf

auch

geistiger Anstrengungen weltanschaulichen

in der

Potenzen

der sozialistischen Gesellschaft marxistisch-leninistischen der

neuen

großer

Partei,

Eigentumsverhältnisse

diese frei

zu setzen und wirksam werden zu lassen, um den Wissensstrom im Sinne der weltanschaulichen

Positionen

des

Marxismus-Leninismus

zu durchdringen. Gerade die Einheit von sozialistischer und wissenschaftlich-technischer Revolution erzwingt in hohem Maße, die naturwissenschaftlich-technische mit der weltanschaulichen Bildung zu verknüpfen. Kant war der erste, der die neue Lage, die durch die Naturwissenschaft geschaffen worden war, auf seine Weise klar erkannte. „Er hat die Eroberung der Welt durch objektivierende Wissenschaft ohne Vorbehalt anerkannt. E r hat aber auch ihre Unverbindlichkeit für alle 9

82

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 5, Berlin 1958, S. 68.

Lebenserscheinungen und für den Menschen als moralischer Person durchschaut und deshalb die theoretische Vernunft von der praktischen getrennt und die eigentliche menschliche Sphäre nicht auf das theoretische Wissen der Wissenschaft, sondern auf moralische Postulate gestellt." 10 Kant spiegelte die in der Klassengesellschaft typische Spaltung von Wissenschaft und Moral, von Wissenschaft und wissenschaftlicher Weltanschauung wider, indem er die theoretische Vernunft konsequent von der praktischen Vernunft trennte. Marx war von der bildenden Kraft des Wissens und der Wissenschaft überzeugt, und zwar allen Wissens, von der Geschichte über die Philosophie bis zu den Gesellschaftswissenschaften, Naturwissenschaften und technischen Wissenschaften einschließlich der ursprünglichen Humanoria, den alten Sprachen und der antiken Literatur. Aber er war sich immer bewußt, daß dieses Wissen der philosophischen Durchdringung bedarf. Fehlt dem Wissenschaftler das weltanschauliche Bewußtsein, das seine spezielle Tätigkeit in den Gesamtzusammenhang einordnet, ihm die gesellschaftlichen Aufgaben und Bezüge seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bewußt macht, wird er - nur auf qualifiziertere Weise - wie der materielle Produzent im Imperialismus Lückenbüßer im Produktionsprozeß, lebendiges Äquivalent eines technischen Mittels zum Zweck. Die Gefährlichkeit der „wertfreien", „reinen Wissenschaft" wurde bereits in der Zeit des Faschismus deutlich. Der westdeutsche Imperialismus hat diese Gefahr noch potenziert. „Die Wissenschaftspolitik ist ein wesentliches Element der Globalstrategie geworden." 11 Wissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten allein veredeln daher den Menschen nicht mit Notwendigkeit, wie die Praxis beweist, er kann durchaus ein wissenschaftlicher Zwerg (Brecht) bleiben, der für und gegen alles käuflich ist, auch gegen den Geist, die Ideen und gegen die Praxis des Humanismus. Einstein hat außerordentlich eindrucksvoll die Rolle der Weltanschauung für den modernen, technisch aus10

Karl Löwith, Das Verhängnis des Fortschritts, in: D i e Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt, München 1964, S. 25.

11

Walter Ulbricht, D i e weitere Gestaltung des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, 9. Tagung des Z K der S E D , 22.-25. 10. 1968, Berlin 1968, S. 36.

6*

83

gebildeten Menschen beschrieben: „Es ist nicht genug, den Menschen ein Spezialfach zu lehren. Dadurch wird er zwar zu einer Art benutzbarer Maschine, aber nicht zu einer vollwertigen Persönlichkeit. Es kommt darauf an, daß er ein lebendiges Gefühl dafür bekommt, was zu erstreben wert ist. Er muß ein lebendiges Gefühl dafür bekommen, was schön und was moralisch gut ist. Sonst gleicht er mit seiner spezialisierten Fachkenntnis mehr einem wohlabgerichteten Hund als einem harmonisch entwickelten Geschöpf." 12 Bloßes Wissen, expertenmäßige wissenschaftliche Ausbildung ist noch kein sozialistisches Bewußtsein, aber gerade die Verschmelzung der sozialistischen und der wissenschaftlich-technischen Revolution hat zur Voraussetzung, die unlösliche Verknüpfung von fachlichem Wissen und weltanschaulicher Bildung, die das Antlitz der sozialistischen Persönlichkeit prägt. Ein moderner Computer „weiß" eine Fülle von Kenntnissen, die er aufgespeichert hat, und wenn er entsprechend programmiert ist, kann er auch mit ihnen arbeiten, aber er hat kein ideologisches Bewußtsein, er besitzt kein Bewußtsein vom Ganzen. Der Imperialismus ist bestrebt, die Menschen in solche Rechenmaschinen zu verwandeln, in gewissermaßen biologische wissenschaftliche Maschinen, die Großes leisten im Partikulären, ohne Sinn und Bedeutung ihrer Arbeit und Leistung im Ganzen zu erkennen, ohne zu erkennen, daß ihre fachliche Leistung der Verewigung des imperialistischen Systems und seiner aggressiven antihumanistischen Politik dient. Die Beherrschung des Einzelnen erhält aber ihren humanistischen Gehalt erst in der Einheit und Wechselwirkung mit dem Ganzen, d. h. die Beherrschung des Einzelnen findet erst ihren humanistischen Sinn im Interesse und zum Zweck ihrer sinnvollen Einordnung in die Gesellschaft. Diese sinnvolle Einordnung in die Gesellschaft ist in der Gegenwart nur noch im Sozialismus möglich. Erst durch den praktischen Universalismus der sozialistischen Gesellschaft und seiner Übereinstimmung mit dem geistigen Universalismus des sozialistischen Menschen, der in der marxistisch-leninistischen Weltanschauung höchsten Ausdruck findet, wird das Wissen des Menschen von der Materie und 12

84

Albert Einstein, Mein Weltbild, Frankfurt a. M . 1955, S. 26.

von sich selbst zu einer Quelle des theoretischen und praktischen sozialistischen Humanismus, zu einer Quelle reeller humanistischer Ideale und Werte, zu einer die Menschen real veredelnden Kraft, wie die Existenz des neuen sozialistischen Menschen praktisch beweist. Die geistige und praktische Humanisierung des Wissens durch die sozialistische Weltanschauung und Gesellschaft ist von größter Bedeutung für die Auseinandersetzung mit der zunehmenden Dehumanisierung, welche die Wissenschaft im Imperialismus erfährt. Welch große Bedeutung die marxistische materialistische Weltanschauung für die humanistische Sinngebung der Natur- und Gesellschaftswissenschaft hat, lehrt das Beispiel Nietzsches. Er hat aus der „Entzauberung" der Welt, oder wie er es als erster nannte „Gott ist tot", ganz andere, antihumanistische Schlüsse gezogen: „Das größte neuere Ereignis, daß ,Gott tot ist', daß der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen. Für die wenigen, deren Augen, deren Argwohn in den Augen stark und fein genug für dies Schauspiel ist, scheint eben irgend eine Sonne untergegangen, irgend ein altes tiefes Vertrauen in Zweifel umgedreht: ihnen muß unsere alte Welt täglich abendlicher, mißtrauischer, fremder, ,älter' scheinen." Viele, meint Nietzsche, haben noch nicht begriffen, „was alles, nachdem dieser Glaube untergraben ist, nunmehr einfallen muß, weil es auf ihm gebaut, an ihn gelehnt, in ihn hineingewachsen war: zum Beispiel unsere ganze europäische Moral" 1 3 . Nietzsche sieht eine Fülle von Folgen von Abbruch, Zerstörung, Untergang und Umsturz eintreten und fragt: „Woran liegt es doch, daß selbst wir ohne rechte Teilnahme für diese Verdüsterung, vor allem ohne Sorge und Furcht für uns, ihrem Heraufkommen entgegensehen?" 14 und antwortet darauf: „In der Tat, wir Philosophen und .freien Geister' fühlen uns bei der Nachricht, daß der ,alte Gott tot' ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt; . . . endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, . . . endlich dürfen unsere Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, vielleicht gab es noch niemals ein so .offenes Meer'." 1 5 13 14 15

Friedrich Nietzsche, Werke, Bd 3, Leipzig 1930, S. 235. Ebenda, S. 236. Ebenda, S. 1 1 2 .

85

Nietzsche begrüßt den „Tod Gottes", weil mit ihm alle alten christlichen Werte, wie Nächstenliebe etc., die an die Religion gebunden waren, außer Kraft gesetzt werden können und die weltanschauliche Tür für die „Umwertung aller Werte" endlich offen steht. Der „Tod Gottes" führt zum Chaos der alten christlichen Werte, der Weg für die „Werte", welche den „Übermenschen" ausmachen, ist frei. Dieser, durch keine traditionellen Werte gebundene „Übermensch" beherrschte die faschistischen Konzentrationslager, in denen der Mensch nichts mehr galt. Nietzsche forderte noch offen und direkt, so unmoralisch zu sein wie die Natur. Heute beobachten wir im Imperialismus die stetige, bewußte und planmäßige allmähliche Aushöhlung aller ethischen Werte und damit eine zunehmende Enthumanisierung des menschlichen Lebens. Die bürgerlichen Ideologen sind sich im übrigen durchaus bewußt, daß die moderne Wissenschaft zum „Tode Gottes" geführt hat. „Im Grunde bestimmt heute ein mit dem Glauben an die Omnipotenz der modernen Wissenschaft einhergehender offener oder geheimer Atheismus die Struktur der zivilisierten Welt." 1 6 „Das Leben als Lebensmöglichkeit ohne Gott hat eine breite Bewußtseinslage eingenommen, die von dem postulatorischen, systemgebundenen, kollektivistischen und sozialistischen Atheismus bis zu dem existentiellen, konstruktiven, praktischen Atheismus reicht." 17 Die bloße atheistische Antwort auf die Entzauberung der Welt durch Wissenschaft ist, wie sich zeigt, ideologisch-weltanschaulich völlig offen. Mit anderen Worten, der Atheismus ist mit unterschiedlichen Weltanschauungen unterschiedlicher Klassen und Schichten zu verbinden. Der „Tod Gottes" in der modernen Wissenschaft entbindet die marxistischen Philosophen nicht, die den Interessen der Arbeiterklasse und des Sozialismus entsprechenden weltanschaulichen Konsequenzen aus diesem wichtigen Prozeß der Gegenwart zu ziehen. Tun wir das nicht, entsteht ein ideologisches Vakuum, das der Gegner sofort auf seine Weise schließen würde. Schwarz zeigt, daß man auf solche ideologische 16

Richard Schwatz, Krise oder Erfüllung, Probleme der menschlichen und geschichtlichen Existenz in der modernen Welt, in: Menschliche Existenz und moderne Welt, Berlin 1967, S. 674.

17

86

Ebenda, S. 675.

Nachsicht von unserer Seite spekuliert, um eine Konvergenz im ideologiefreien „Leben ohne Gott" im Kapitalismus und Sozialismus anzustreben, und auf diese Weise die Ideologie des Marxismus-Leninismus auszuhöhlen. „,Das Leben ohne Gott', nach dem Tode Gottes, ist eine Merkmaligkeit, die heute den Osten und den Westen weithin bestimmt und verbindet." 18 Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall; denn die marxistische Weltanschauung zieht direkt entgegengesetzte Schlußfolgerungen aus der Wissensexplosion als der existentielle, konstruktive oder praktische Atheismus, weil sie entgegengesetzte Klasseninteressen vertritt als Existentialismus oder uitilitaristischer Pragmatismus. Die typisch bürgerliche Trennung von Wissenschaft und Moral beruht auf dem Widerspruch von gegenständlicher Universalität in den Produktivkräften und ihrer Deformierung in den Produktionsverhältnissen, der zur deformierenden Zerrissenheit des Menschen führt. Tiefer noch als Kant wußte Goethe um die weltanschaulich-ethische Problematik der durch Wissenschaft und Technik geprägten bürgerlichen Gesellschaft. In einem Brief aus dem Jahre 1825 charakterisiert er die Folgen der geistig und gesellschaftlich unbewältigten Technik für den Menschen in geradezu seherischer Weise: „Alles ist jetzt ultra, alles transzendiert unaufhaltsam, im Denken wie im Tun. Niemand kennt sich mehr, niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt, niemand den Stoff, den er bearbeitet... Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen. Reichtum und Schnelligkeit ist was die Welt bewundert und wonach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellpost, Dampfschiffe, alle möglichen Fazilitäten der Kommunikation sind es worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden, und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren. Das ist auch das Resultat der Allgemeinheit, daß eine mittlere Kultur gemein werde. Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum Höchsten begabt sind." 19 18

Ebenda, S. 676.

19

Johann Wolfgang von Goethe, Werke, I V . Abteilung, Bd 39, Weimar 1907, S. 216.

87

Trotz dieser Erkenntnis der Gefahren des „Veloziferischen" bekämpfte gerade Goethe sein Lebtag die von Kant vorgenommene Trennung von praktischer und theoretischer Vernunft und verteidigte leidenschaftlich die Einheit und Übereinstimmung von Natur und Mensch. Goethe, ein sinnlicher Materialist, der nach außen gerichtet war und die idealistische Innenschau als reaktionär verabscheute, litt jedoch unter der für die bürgerliche Gesellschaft typischen Spannung von universaler Vergegenständlichung des Menschen in der Arbeit und seiner Deformierung durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die den „veloziferischen" Menschen, d. h. den Vertreter des bürgerlichen Menschenbildes hervorgebracht hat, der nur noch in den Begriffen Leistung, Beherrschbarkeit, Schnelligkeit, Macht, Reichtum zu denken vermag. Löwith meint, daß Goethe in der Pandora in Prometheus und Epimetheus den Zwiespalt der kommenden Zeit versinnbildlichen wollte. „Epimetheus als Urbild des Schauenden, Sinnenden, Entsagenden, der die Welt noch als Kosmos erlebt, und ihm gegenüber Prometheus als das Urbild des Faust, der rastlos Planende, unentwegt Tätige, alles Nutzende, der homo faber." 2 0 Dieser Zwiespalt ist der der bürgerlichen Gesellschaft, in der die gegenständliche universale Aneignung der Natur in einem tiefen Widerspruch zu ihrer sozialen Form in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen steht. Dieser innere Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft spiegelt sich in der Zerrissenheit des bürgerlichen Menschenbildes wider, das unfähig ist, den Menschen in seiner Totalität zu konstituieren. Anschauliches Zeugnis dieser bürgerlichen Zersplitterung des Menschen ist die Aufteilung des Einen gesellschaftlichen Menschen in den homo faber, homo universale, homo creator, homo laborans, homo oeconomicus, homo technologicus u. a. Dieser Widerspruch, diese Zerrissenheit des Menschenbildes ist unter kapitalistischen Bedingungen nicht aufhebbar. Die sozialen Verhältnisse des Kapitalismus zerstören den einheitlichen, universalen Menschen. Die einheitliche, allseitig und universal 20

88

Karl Löwith, Das Verhängnis des Fortschritts..., a. a. O., S. 25.

gebildete und entwickelte Persönlichkeit ist nicht das Ziel und der Zweck der kapitalistischen Produktion. Das Privateigentum ist objektives Hindernis für die Herausbildung des einheitlichen harmonisch entwickelten Menschen, ebenso wie das „Privateigentum nur aufgehoben werden kann unter der Bedingung einer allseitigen Entwicklung der Individuen, weil eben der vorgefundene Verkehr und die vorgefundenen Produktivkräfte allseitig sind und nur von allseitig sich entwickelnden Individuen angeeignet, d. h. zur freien Betätigung ihres Lebens gemachti werden können" 21 .

Die Beherrschung der Materie hat in der Gegenwart endgültig universalen Charakter, sogar bereits in kosmischer Beziehung, angenommen, und die Gesellschaft ist nicht mehr existenzfähig ohne geistige Aneignung des Ganzen der Welt. Die zunehmende Integration der Wissenschaft und universale Beherrschung der natürlichen und sozialen Materie hat ihre weltanschaulich-theoretische Durchdringung zu einer Notwendigkeit gemacht, zu einer Existenzbedingung der Gesellschaft. Die geistige Aneignung der einheitlichen Materie ist Bedingung ihrer Beherrschung im einzelnen und damit die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus zugleich eine echte Produktivkraft. Sowohl das einseitige rein theoretische Lebensideal als auch das ebenso einseitige, das praktische Lebensideal auf die Spitze treibende, utilitaristische Lebensideal des amerikanischen Pragmatismus - wahr ist, was mir Nutzen bringt - sind an der Realität der universal verwissenschaftlichten Welt gescheitert. Planen und gesamtgesellschaftlich leiten im Interesse der ganzen Gesellschaft kann man in der Gegenwart nur noch mit marxistischem theoretischem Denken, mit Überblick, der das prognostische Denken notwendig einschließt. Der sozialistische Mensch muß planen, vorausschauen, die Dinge in ihrem gesetzmäßigen Gesamtzusammenhang und in ihrer Entwicklung sehen, und übt auf dieses Weise in der sozialistischen Gesellschaft eine bewußte schöpferische, d. h. geschichtsbildende Tätigkeit aus. Auf diese Weise ist der Grundsatz des Marxismus bestätigt worden, daß sich Bildung nicht nur im schöpferischen Gestalten eines geistigen Bildes vom Ganzen der Welt bewährt, sondern daß die Bewährung der Bildung vor allem auch in der gegenständlichen universalen An21

Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd 3, a. a. O., S. 4*4-

89

eignung der Welt in der materiellen Produktion, in der Wissenschaft, in der Planung und Leitung der Gesellschaft und der Förderung der schöpferischen Kräfte der Menschen liegen muß, in der Übereinstimmung von geistiger - und praktischer Universalität. Der praktische, gegenständliche Universalismus unserer Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus ist eine unübersehbare Tatsache, die in der sozialistischen Gesellschaft klar und unverfälscht zum Ausdruck kommt, im Imperialismus in verzerrter und deformierter Weise. So vergleicht z. B. ein amerikanischer Manager seine Tätigkeit mit dem Dirigenten „eines Symphonieorchesters, durch dessen Einsatz, Schau und Führung die einzelnen Instrumente, die als solche nur Lärm machen würden, zum lebendigen Ganzen der Musik verschmelzen. Doch der Dirigent hat die Partitur des Komponisten, er ist nur der Interpret. Der Manager aber ist beides gleichzeitig, Komponist und Dirigent."

22

Drucker legt hier selbstverständlich die elitäre Auffassung des USAManagement dar, in welchem dem Werktätigen nicht die geringste Mitsprache,

nicht

das geringste „Mitkomponieren" der Partitur zu-

gestanden wird. Dieser elitären Auffassung stehen der demokratische Charakter der Politik des sozialistischen Staates und die marxistisch-leninistische Weltanschauung entgegen. Sehr deutlich hat diesen demokratischen Charakter Walter Ulbricht zum Ausdruck gebracht: „Das Mitregieren setzt richtiges Informieren voraus. Das Bewußtsein der Werktätigen, als Arbeiter kollektive sozialistische Eigentümer der Produktionsmittel und mitverantwortlich für die Staatsmacht zu sein, formt sich vor allem in der entfalteten sozialistischen Demokratie. Hohe Bildung ist nicht nur zur Meisterung der modernen Produktivkräfte notwendig. Sie ist Bedingung für das Uberschauen und Mitgestalten gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge und für die Ausprägung der sozialistischen Persönlichkeit. Unsere Gesellschaft weckt in jedem Menschen höhere geistigkulturelle Ansprüche."

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P. F . Drucker, Praxis des Managements, Düsseldorf

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Interview des „Neuen Deutschlands" mit dem Ersten Sekretär des Zentralkomitees

1956, S. 210.

der S E D , Genossen Walter Ulbricht, zu den Parteiwahlen, „Neues v. 5. 2. 1969, S. 4.

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Deutschland"