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German Pages 654 [661] Year 1977
AUTORENKOLLEKTIV DIE GERMANEN • BAND 1
BAND
4/1
VERÖFFENTLICHUNGEN des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR HERAUSGEGEBEN
VON
JOACHIM HERRMANN
DIE GERMANEN Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa
Ein Handbuch in zwei Bänden Ausgearbeitet von einem Autorenkollektiv unter Leitung von B R U N O K R Ü G E R
Band i: Von den Anfängen bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung Mit 62 Tafeln,
Abbildungen und 3 Karten
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1976
Autorenkollektiv: Günter Behm-Blancke, Hans-Dieter Berlekamp, Peter Donat, Heinz Grünert, Fritz Horst, Horst Keiling, Achim Koppe, Bruno Krüger, Rudolf Laser, Achim Leube, Wolfgang Morgenroth, Christian Müller, Karl-Heinz Otto, Karl Peschel, E r i k a Schmidt-Thielbeer, Heinz Seyer, Rosemarie Seyer, Manfred Teichert, Theodor Voigt, Volker Weber.
An der wissenschaftlichen Vorbereitung wirkten m i t : Dr. Oskar August, Dr. Wilfried-Dietmar Buck, Dr. Rolf Breddin, Dipl.-Phil. Joachim Dölle, Dipl.-Ing. Franz-Joachim Ernst, Dipl.-Phil. Horst Geisler, Dr. Hans-Jürgen Gomolkaj, Dr. Siegfried Griesa, Dr. Günther Guhr, Dipl.-Phil. Gisela Gustavs, Dr. H a n s K a u f m a n n , Dr. Elsbeth Lange, Dr. E l m a r Meyer, Dipl.-Phil. Detlef Müller, Dipl.-Phil. Karin Peschel, Dr. Berthold Schmidt, Dipl.-Phil. Rainer Schulz, Dr. H e r b e r t Ullrich, Dr. H a r r y W ü s t e m a n n . An der wissenschaftlich-technischen Vorbereitung wirkten m i t : H e r b e r t Spantekow sowie Gerda Eitner, Bernd Fischer, Charlotte Heinze, Brigitta John (graphische Arbeiten); Klaus H a m a n n (Fotoarbeiten); Marianne Wagner, R e n a t e Wieland, P e t r a Schumann, Sven Gustavs (wiss.-techn. Arbeiten). Redaktion: D a n k w a r t R a h n e n f ü h r e r Dietlind Schieferdecker
Inhalt
I.
Einleitung.
II.
Zur Forschungsgeschichte
13
1. Allgemeine Übersicht. Von Karl-Heinz Otto 2. Zum Stand der Forschung über den Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme. Von Fritz Horst
13 30
Antike Nachrichten. Von Rosemarie Seyer
37
III.
Von Bruno Krüger
9
1. Nachrichten zu germanischen Siedlungsgebieten bis zum Beginn unserer Zeitrechnung 2. Berichte über germanische Stammesgebiete und über die Gliederung der Germanen im 1./2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung 3. Antike Hinweise zum Namen „Germanen" und zu ethnogenetischen Problemen IV.
V.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse im nördlichen Mittel- und südlichen europa vor Herausbildung der germanischen Stämme. Von Fritz Horst
38 49 55
Nord64
1. Siedlungsgebiete 2. Hausbau und Siedlung 3. Die wirtschaftliche Entwicklung a) Viehzucht und Ackerbau b) Handwerkliche Tätigkeit c) Austauschbeziehungen 4. Sozialökonomische Verhältnisse 5. Bestattung und Kult
65 66 69 69 72 74 76 78
Die Herausbildung der germanischen Stämme (ab etwa 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung)
83
1. Die Entstehung der Jastorfkultur und zeitgleicher Kulturen im RheinWeser-Gebiet und deren geographische Verbreitung. Von Horst K e i l i n g . . . 83 a) Hallstatt- und Latene-Einflüsse auf die gesellschaftliche Entwicklung . . 83 b) Die Siedlungsgebiete der Jastorfkultur 87 c) Thesen zur Herausbildung der germanischen Stämme 95 d) Zum Problem der autochthonen Entwicklung 99 2. Zur Herausbildung der germanischen Stämme nach sprachwissenschaftlichen Forschungen. Von Wolfgang Morgenroth 102
6 VI.
INHALT
Die germanischen Stämme bis zum Beginn unserer Zeitrechnung
118
1. Die wirtschaftlichen Grundlagen (vom 6. Jahrhundert vor bis zum Beginn unserer Zeitrechnung). Von Heinz Seyer a) Haus und Siedlung. Von Fritz Horst b) Erzeugung und Verwertung der Nahrungsmittel (Pflanzenanbau, Viehwirtschaft, Jagd und Fischfang). Von Heinz Seyer c) Erzeugung der Gebrauchsgüter (Eisengewinnung und -Verarbeitung, Bronzeverarbeitung, Töpferei, Spinnen und Weben). Von Heinz Seyer d) Austausch und Handel. Von Heinz Seyer 2. Zur Bevölkerung aus anthropologischer Sicht (bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung). Von Christian Müller a) Die Quellen b) Geschlechtsauf bau und Altersstruktur c) Krankheitsbelastung d) Konstitution e) Germanendarstellungen und Literaturerzeugnisse im Vergleich mit den anthropologischen Befunden f) Moorleichenfunde (Hominidenmoorfunde) g) Siedlungsgröße 3. K u l t und Bestattungswesen. V o n Theodor Voigt a) Der K u l t als gesellschaftliche Erscheinung b) Fruchtbarkeitskult c) Totenkult und Bestattungszeremonien d) Bestattungsarten e) Anlage und Belegungsart der Bestattungsplätze 4. Die regionale Gliederung der Kulturen der vorrömischen Eisenzeit — Stammesgebiete — erste Wanderungen. Von Heinz Seyer a) Die Nienburger Gruppe an Weser und Aller b) Die Jastorfgruppen von der Niederelbe bis zum Mittelgebirgsrand . . . c) Die Regionalgruppen der Jastorfkultur d) Spuren frühgermanischer Besiedlung in Nordwestböhmen e) Die Südwanderung der Kimbern und Teutonen f) Die Sueben unter Ariovist am Rhein 5. Siedlungs- und Stammesgebiete in den Jahrzehnten um den Beginn unserer Zeitrechnung. Von Rosemarie Seyer a) Siedlungsräume und Besiedlungsverlauf — Materielle und geistige Kultur b) Zur germanischen Stammesentwicklung
198 200 216
VII.
Germanen und Kelten. Von K a r l Peschel
232
VIII.
Gesellschaftsstruktur und Verfassung der germanischen Stämme in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung. Von Bruno Krüger und Heinz Seyer 255
IX.
Auseinandersetzungen der gentilgesellschaftlichen römischen Sklavenhaltergesellschaft
germanischen
118 118 121 132 155 160 161 162 166 167 169 171 173 177 177 178 179 183 184 186 188 189 191 195 196 197
Stämme mit der 260
1. Die römische Sklavenhaltergesellschaft in der Republik und am Übergang zum Kaiserreich. V o n Volker Weber 260 a) Grundzüge der gesellschaftlichen Entwicklung bis zum Prinzipat . . . . 260 b) Der Prinzipat des Augustus. Ritterstand, Munizipalaristokratie und Militär als Stützen des Staates 263
INHALT
7
2. Römisch-germanische Beziehungen und die Angriffe des Imperiums gegen Germanien. Abwehrkämpfe germanischer Stämme und römische Germanienpolitik bis um die Mitte des 1. Jahrhunderts. V o n Rudolf Laser a) Römisch-germanische Auseinandersetzungen in Gallien und am Rhein bis zu den Drusus-Zügen b) Kriegszüge des Drusus und Tiberius nach Innergermanien c) Germanischer Aufstand und Niederlage der Römer im Teutoburger Wald d) Angriffskriege des Germanicus und germanische Abwehrkämpfe. Römischer Rückzug bis zum Rhein e) Sicherung und Ausbau der Rheingrenze. Römische Einflußnahme auf benachbarte germanische Stämme 3. Der Aufstand der Bataver und die Sicherung der Reichsgrenze (Limesbau) im 1. und frühen 2. Jahrhundert. V o n Rudolf Laser a) Bataveraufstand b) Römische Eroberungen zwischen Oberrhein und Donau c) Die Errichtung des Limes. Erste germanische Durchbrüche nach Rätien und Obergermanien 4. Wirtschaftliche Auswirkungen der römisch-germanischen Beziehungen. Von Rudolf Laser a) Landwirtschaft b) Technologie c) Römisches Einfuhrgut X.
Materielle und geistige Kultur. Stammesgebiete im 1. und 2. Jahrhundert
. . . .
267 267 269 272 274 277 280 280 287 290 295 296 299 300 309
1. Grundzüge der materiellen und geistigen K u l t u r 309 a) Hausbau und Siedlung. Von Peter Donat 309 b) Gegenstände des täglichen Gebrauchs. V o n Achim Leube 318 c) Tracht und Schmuck. Von Achim Leube 324 334 d) Bewaffnung und Kampfesweise. V o n Achim Leube e) Künstlerisches Schaffen. Von Achim Leube 343 f) K u l t und Ideologie. Von Günter Behm-Blancke 351 2. Stammes- und Siedlungsgebiete 374 a) Die nördlichen Elbgermanen und die angrenzenden Stämme bis zur Oder. Von Achim Leube 374 b) Die südlichen Elbgermanen. Von Erika Schmidt-Thielbeer 387 c) Rhein-Weser-Germanen. Von Hans-Dieter Berlekamp 394 d) Germanische Stämme an der Nordseeküste. V o n Achim Koppe 403 XI.
Die wirtschaftliche Entwicklung im 1. und 2. Jahrhundert
425
1. Die Nahrungsmittelproduktion a) Pflanzenanbau, Ernte, Speicherung und Verarbeitung. V o n Heinz Grünert b) Viehwirtschaft (Umfang und Bedeutung der Haustierhaltung; Größe und Phänotyp. V o n Manfred Teichert. Die Betriebsweise der Viehwirtschaft; Produkteverwertung. Von Heinz Grünert) c) Jagd und Fischfang. Von Manfred Teichert und Heinz Grünert d) Überreste der Sammelwirtschaft. V o n Heinz Grünert e) Kochsalzproduktion. V o n Heinz Grünert 2. Die Gebrauchsgüterproduktion. Von Heinz Grünert a) Keramikproduktion b) Eisenproduktion und Eisenverarbeitung
426 426
436 450 453 454 455 456 459
8
XII.
XIII.
XIV.
XV.
INHALT
c) Verarbeitung von Bunt- und Edelmetallen d) Produktion und Verarbeitung von Textilien e) Verarbeitung von Häuten und Fellen f) Holzverarbeitung g) Verarbeitung von Knochen, Geweih und Gehörn h) Verarbeitung von Stein i) Weitere Zweige der hauswirtschaftlichen Produktion 3. Austausch und Handel. Von Heinz Grünert a) Austausch- und Handelsgüter b) Formen des Austausches und des Handels c) Verkehrswege und Verkehrsmittel d) Zu W e r t und Äquivalent
473 478 482 484 486 488 488 489 491 494 496 499
Die Gesellschaft. Entwicklung und Strukturen. Von Achim Leube
508
1. 2. 3. 4.
508 513 516 521
Der Die Die Die
Stamm Verfassungsorgane Sippe und Großfamilie Bevölkerungsstruktur
Innergermanische Stammesauseinandersetzungen Provinzialgebiet. V o n Bruno Krüger
und Einfälle
in das römische
Der Entwicklungsstand der gentilgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse des 2. Jahrhunderts. Von Bruno Krüger
529 am Ende 538
Anhang
542
1. Nachweise a) Abkürzungsverzeichnis b) Sigelverzeichnis c) Quellenverzeichnis und Literaturausweis d) Ergänzung zu den Abbildungsnachweisen 2. Register a) Ortsnamen b) Personen-, Stammes- und Götternamen c) Anschriften der Autoren
542 542 543 544 551 552 552 560 567
I.
Einleitung
Die Geschichte der germanischen Stämme in Mitteleuropa steht in engem Zusammenhang mit den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes. Kulturelle und sprachliche Traditionen aus der germanischen Frühzeit Mitteleuropas sind über mehrere Geschichtsperioden wirksam geblieben. Viele ehemalige Stammesnamen leben z. B. als Landschaftsbezeichnungen auch heute noch weiter. Der Name der Alamannen wurde bei den westlichen Nachbarn ebenso zum Synonym für die Deutschen wie der allgemeine Name der Germanen selbst. In dem Herausbildungsprozeß des deutschen Volkes sind aber auch keltische, romanische und slawische Einflüsse enthalten, wie andererseits germanisches Kulturgut und Menschen germanischer Stämme in den Herausbildungsprozeß anderer europäischer Völker Eingang gefunden haben. Der starke Anteil der germanischen Stämme an der Herausbildung des deutschen Volkes war demzufolge auch ein Gegenstand historischer Untersuchungen im Rahmen der bürgerlichen Geschichtsforschung; er war aber auch ein Quell für patriotische Schwärmerei und Begeisterung, für Nationalgefühl und schließlich auch für Chauvinismus. Nach anfänglich tastenden, bereits im Mittelalter einsetzenden Versuchen, das germanische Altertum zu erhellen, erlebte das Interesse an ihm seit dem Hervortreten und in engem Zusammenhang mit der Festigung des Bürgertums einen zunehmenden Aufschwung. Er begann mit der Renaissance, die die antike Literatur erschloß, darunter die Schriften von Tacitus, Ammianus Marcellinus und anderen Autoren des römischen Sklavenhalterstaates, die die wichtigsten schriftlichen Quellen zur Geschichte der germanischen Stämme bilden. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den materiellen Hinterlassenschaften der Stämme, den archäologischen Quellenzeugnissen, setzte erst im 19. J h ein, wo nach den Freiheitskriegen die sogenannte vaterländische Forschung an Raum gewann. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurde die germanische Altertumskunde mehr und mehr in den Dienst der Einigungsbestrebungen des erstarkenden deutschen Bürgertums gestellt. Da dieses jedoch seit der Mitte des 19. Jh. seine progressive gesellschaftliche Rolle verloren hatte, erhielt auch seine gesellschaftliche Betätigung besonders seit dem Übergang zum Imperialismus eine reaktionäre Funktion. Es wurde ein verzerrtes Germanenbild geschaffen, eine Art germanischer Mythos, den später der deutsche Faschismus zu einer der Grundlagen seiner Ideologie machte. Die faschistische Rassentheorie und das mit ihr eng verbundene menschheitsfeindliche Postulat vom „Herrenmenschentum", beide aus angeblichen Wesenszügen der Germanen abgeleitet, lieferten aber eine nur zu durchsichtige pseudowissenschaftliche Kulisse, hinter der der deutsche
10
EINLEITUNG
Faschismus das eigene Volk und viele Völker der Welt mit Terror und Mord überzog, unter dem ganz besonders unsere östlichen Nachbarn gelitten haben. Die historisch-archäologische Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik fand und findet ihren Auftrag und ihre Verpflichtung darin, die inneren Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der genannten Geschichtsepoche zu untersuchen und darzustellen. Ausgehend von den Grundsätzen und Normen der sozialistischen Gesellschaft und aufbauend auf den Forschungen der Klassiker des Marxismus, die sich wiederholt mit Fragen der germanischen Geschichte sowie prinzipiell mit der Auflösung der urgesellschaftlichen Produktionsverhältnisse beschäftigt hatten, haben die Autoren das vorliegende Werk geschrieben. Als die wahrscheinlich wichtigsten Elemente bei der Herausbildung germanischer Stämme dürfen vor allem diejenigen Bevölkerungsgruppen angesehen werden, die seit der Mitte des ersten Jahrtausends v. u. Z. in den Gebieten zwischen der Weser und der Oder gelebt haben. Die Darstellung berücksichtigt aber auch die Bevölkerungsgruppen, die westlich der Weser ansässig gewesen sind und die zumindest in den Kontaktgebieten am ursprünglichen Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme beteiligt waren. Diese Menschengruppen waren besonders für die Herkunft bzw. Herausbildung der im letzten Jahrhundert v. u. Z. im nordmainischen westdeutschen Gebiet überlieferten germanischen Stämme von Bedeutung. Sowohl dieser Herausbildungsprozeß, der gleichermaßen am Anfang der Untersuchung zur Geschichte der germanischen Stämme steht, als auch die sozialökonomische, politische, ideologische und kulturelle Entwicklung sind Schwerpunkte in der Darstellung. Die Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung im Rahmen der gentilen Ordnung, die besonders seit dem letzten Jahrhundert v. u. Z. und verstärkt im ersten und zweiten Jahrhundert u. Z. Tendenzen der Auflösung dieser Gesellschaftsordnung erkennen lassen, wurden unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Fortschritts analysiert und hinsichtlich ihrer historischen Stellung und Bedeutung gewertet. Schließlich wurde auch den Beziehungen der germanischen Stämme zu ihren sozialökonomisch weiter fortgeschrittenen Nachbarn nachgegangen und deren Auswirkung auf die einzelnen Lebensbereiche bzw. auf die stammesgeschichtliche Entwicklung behandelt. Seit dem 2-/3. Jh. u. Z. festigten sich die Großstämme und Stammesverbände. Mit ihnen waren wesentliche Voraussetzungen für die späteren deutschen Volksstämme entstanden. Sowohl ihr Werdegang im allgemeinen und im konkreten als auch der gesellschaftliche Differenzierungsprozeß, vorrangig die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln, Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse sowie der Ausbau der Macht des Gentiladels, wurden als wichtige Faktoren dieses Prozesses teils im Detail, teils in den Grundzügen untersucht und dargestellt. Die urgesellschaftliche Ordnung löste sich vor allem bei den Franken und den Alamannen in der Auseinandersetzung mit der ebenfalls in Auflösung begriffenen römischen Sklavenhaltergesellschaft auf. Franken und Alamannen zerschlugen in weiten Gebieten westlich des Rheins und südlich der Donau die Einrichtungen des römischen Klassenstaates. Sie schufen damit sowohl für die einheimische provinzialrömische als auch für die sich in diesen Gebieten ansiedelnde germanische Bevölkerung bessere Bedingungen für den Weg zum Feudalismus. Das Frankenreich entwickelte sich in Mittel- und Westeuropa als erstes zum feudalen
EINLEITUNG
11
Staat. Unter Führung Chlodwigs aus dem Adelsgeschlecht der Merowinger, gestützt auf die militärische Stärke, die in dieser Zeit noch vorrangig aus den Aufgeboten freier Bauern und der Kampfkraft der Gefolgschaften erwuchs, richtete sich die Expansionspolitik der Franken von Anfang an auch gegen die Stämme und Stammesverbände östlich des Rheins, die in relativ kurzer Zeit unter fränkische politische Oberhoheit gerieten. Im 6. Jh. reichte die Macht der Franken bis an die Saale und Elbe, teilweise noch darüber hinaus. Mit den Auswirkungen dieser Expansionspolitik mußten sich auch einige westslawische Stämme, insbesondere die Sorben, auseinandersetzen. Mit den Ausführungen über diese Zeitabschnitte — sie sind durch die Überlieferung zahlreicher Namen und Fakten bis in die heutige Zeit hinein besser bekannt als die Frühphasen der germanischen Stammesgeschichte — schließt die Gesamtdarstellung ab. Als Beitrag zur Erforschung und Darstellung der Geschichte des deutschen Volkes behandelt das vorliegende Handbuch bevorzugt die Gebiete, die in den Ablauf der Geschichte des deutschen Volkes unmittelbar einbezogen worden sind. Um wesentliche direkte ünd indirekte Beziehungen zu germanischen Stämmen in historischen Sitzen zu berücksichtigen, greift es jedoch — soweit erforderlich — auf Nachbar- und Grenzgebiete über. Insgesamt ergab sich für das Autorenkollektiv die Aufgabe, für mehr als ein Jahrtausend die Geschichte der germanischen Stämme zu schreiben, ihren Anteil am allgemeinen Prozeß der Überwindung gentilgesellschaftlicher Verhältnisse, ihre Mitwirkung bei der Ablösung der römischen Sklavenhaltergesellschaft und beim Ubergang zu frühfeudalen Produktionsverhältnissen herauszuarbeiten und damit auch ihren Beitrag für die Bildung des deutschen Volkes auszuweisen. Sowohl das zu behandelnde Gebiet als auch der relativ große zeitliche Rahmen machten selbst bei Konzentration auf die wichtigsten Entwicklungserscheinungen eine Teilung des Gesamtwerkes in zwei Bände erforderlich. Die seit den letzten Jahrhunderten vor Beginn u. Z. bei den germanischen Stämmen sichtbar werdenden Veränderungen der Produktionsverhältnisse leiteten die Endphase der Gentilordnung ein. Es entstanden Vorformen von neuen Produktionsverhältnissen, die in Widerspruch zum gentilen Stammeswesen gerieten. Als höhere Organisationsform bildeten sich spätestens seit dem 2. Jh. u. Z. die Stammesverbände heraus, die mit der Erwähnung der Alamannen im Jahre 213 erstmals schriftlich bezeugt sind. Damit ist eine historisch begründete Zäsur gegeben, die auch der Teilung in die beiden Bände zugrunde liegt. Der Leser wird im Band 1 die Entwicklung der germanischen Stämme bis zur ersten nachweisbaren Stammesverbandsbildung verfolgen können. Vereinzelte Ausblicke auf die weitere Entwicklung berühren dabei nur streiflichtartig das historische Geschehen im 3. Jh. Der Band 2 behandelt die Geschichte der Stammesverbände, Großstämme und Stämme bis zur Errichtung der politischen Vorherrschaft der Franken gegen Ende des 5. und im 6. Jh. Herangezogen und berücksichtigt wurden alle Quellenkategorien, die zur gesellschaftlichen Entwicklung der Stämme und zu ihrer Umwelt — hier vor allem die natürlichen Gegebenheiten der Siedlungsgebiete als Bestandteil der Umweltfaktoren mit ihren Voraussetzungen und möglichen Einflüssen auf die Entwicklung der verschiedenen Bereiche des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens — Aussagen erlauben. Von Anbeginn der Arbeiten wurde die auf den gesamthistorischen Prozeß aus-
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EINLEITUNG
gerichtete Darstellung angestrebt. Das umfangreiche Quellenmaterial ist von dieser Aufgabenstellung her gesichtet, ausgewertet und in die Darstellung mit aufgenommen worden. Eine stärker quelleneditorische Arbeit hätte nicht nur den gesetzten Rahmen gesprengt, sondern auch den Leserkreis mehr auf die Fachhistoriker spezieller Zweige eingegrenzt. Um eine möglichst allseitige Auswertung des Quellenmaterials zu gewährleisten, haben an der Textausarbeitung neben Archäologen, Althistorikern und Mediävisten auch Philologen, Rechtshistoriker, Ethnographen und Vertreter naturwissenschaftlicher Fachdisziplinen, wie Zoologen, Botaniker, Chemiker und Anthropologen, mitgearbeitet. In ihrer Arbeit wurden sie für einige Gebiete außerhalb der DDR durch Spezialuntersuchungen von Fachvertretern des Auslandes unterstützt. Detailuntersuchungen sind im Laufe der Jahre bereits in Fachzeitschriften der DDR veröffentlicht worden und vertiefen die Darstellungen im Handbuch, das jedem als Hilfe dienen möge, der sich über die gesellschaftliche Entwicklung der germanischen Stämme informieren will.
II.
Zur
Forschungsgeschichte
i.
Allgemeine
Übersicht*
Die Erforschung der Germanengeschichte hat eine bis in die Gegenwart reichende wechselvolle Vergangenheit. Eine Beurteilung der sich auf sie gründenden Geschichtsschreibung kann davon ausgehen, daß der fragmentarische Charakter der Quellengrundlagen sowie die unterschiedlichen Aspekte und Methoden der kritischen Quellenaufbereitung bei den beteiligten Disziplinen nicht mehr und nicht weniger dazu beigetragen haben, als es vergleichsweise bei anderen frühgeschichtlichen Forschungsgegenständen auch der Fall gewesen ist. Ganz anders verhält es sich bei den weltanschaulichen und ideologisch-philosophischen Grundhaltungen der Forscher zu ihrer Zeit bzw. bei den bewußten und gezielten Axiomen politischen Charakters, mit denen man Emotionen wecken und politische Ziele verfolgen wollte. Die antike Berichterstattung über die Germanen begann mit den ersten Nachrichten des Pytheas von Massilia über seine Nordfahrt um 340 v.u.Z. Im wesentlichen resultierte die Geschichtsschreibung in der folgenden Zeit jedoch vor allem aus der Auseinandersetzung zwischen den zwei grundverschiedenen Gesellschaftsordnungen angehörenden Germanen und Römern. Das bestimmte auch Inhalt und Grad der Zuverlässigkeit der Berichterstattung. Die Darstellungen waren eingeengt durch ein unzureichendes Blickfeld oder beeinflußt durch Rücksichtnahme auf die politische Situation in der antiken Klassengesellschaft, der sich Gewährsmänner und Autoren verpflichtet fühlten. Zur Zeit des sich herausbildenden Feudalismus war der Fundus griechisch-römischen Wissens über die Germanen verlorengegangen. Geblieben war die mündliche Überlieferung vergangenen Geschehens. Neben die ältere erzählende Ereignisdichtung waren Helden- und Preislieder getreten, die in der zur militärischen Demokratie fortgeschrittenen germanischen Gesellschaft und im Übergang zum Frühfeudalismus von der führenden Adelsschicht zur Verherrlichung genutzt wurden. Im 14. und 15. Jh. war es das Städtebürgertum als neue gesellschaftliche Kraft und Träger der Ideologie des Renaissance-Humanismus, das an das Erbe der Antike an* Die überwiegende Menge der Fakten, Publikationen und Auffassungen zur Germanenforschung im vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Schrifttum ist von T h . Bieder 1921 — 1922, 1925; von K . H. Jacob-Friesen 1928; von H. Gummel 1938 und von P. H. Stemmann 1939 dargelegt worden; genannt sei hier außerdem nur noch H. Kirchner 1938. Vorgenannte Arbeiten werden benutzt, soweit ihre umfangreichen Angaben geeignet sind, die wesentliche
Einflußnahme
philosophischer,
theoretischer,
ideologisch-politischer
bzw. weltanschaulicher Art auf den Gang der Forschungsgeschichte durch die dort zusammengetragenen Fakten usw. zu beleuchten.
14
FORSCHUNGSGESCHICHTE
knüpfte. Aufkeimendes nationales Selbstbewußtsein als frühbürgerlich-humanistisches Element im antifeudalen Klassenkampf gegen Adel, Kirche, Scholastik für ein einheitliches Land trugen mit dazu bei, die Beschäftigung mit der Germanengeschichte in die geistigen Auseinandersetzungen dieser Zeit einzubeziehen. Das Interesse für die Vergangenheit erlebte nach der Französischen Revolution und mit dem sich durchsetzenden Kapitalismus zu Beginn des 19. Jh. einen großen Aufschwung, als die nationale Frage stark in den Vordergrund rückte. Der Kampf für nationale Unabhängigkeit fand den klassischen Humanismus und die deutsche Romantik an seiner Seite. Die Hinwendung dieser Geistesströmungen, namentlich der Romantiker, zur Geschichtsschreibung der älteren deutschen Geschichte und das Interesse für Freiheitskämpfe anderer Völker im Laufe ihrer Geschichte gaben der weiteren Erforschung der germanischen Geschichte neuen Auftrieb. Da die Romantik jedoch zugleich die feudale Konterrevolution stützte, leistete sie freilich auch nationalistischen Tendenzen Vorschub. Die zweite Hälfte des 19. Jh. brachte mit der organisierten deutschen Arbeiterbewegung die Lehre des Marxismus, den wissenschaftlichen Kommunismus, hervor. In dieser Zeit entstand jedoch auch der Imperialismus, mit dessen aggressiven Zielen offener Nationalismus und Chauvinismus ihr Haupt im Deutschen Reich erhoben. Sofern die Ur- und Frühgeschichtsforschung, speziell die Germanenforschung, anfing, sich mit dieser Ideologie zu identifizieren, artikulierte sie sich zum Beipsiel mit einem solchen charakteristischen Satz: „Uns Deutsche und mit uns alle anderen Glieder germanischen Stammes kann es aber nur mit Stolz erfüllen, und bewundern müssen wir die Kraft des kleinen nordischen Urvolkes, wenn wir sehen, wie seine Söhne in Urzeit und Altertum ganz Skandinavien und Deutschland erobern und im Mittelalter über Europa, in der Neuzeit über ferne Erdteile sich ausbreiten" (G. Kossinna, 1896). Zu dieser Zeit hatten Karl Marx und Friedrich Engels der Arbeiterklasse mit dem dialektischen und historischen Materialismus bereits das weltanschauliche Rüstzeug im Kampf für die wahren Interessen der ganzen Nation in die Hand gegeben. In zahlreichen Schriften und in grundlegenden großen Werken — auch solchen zur konkreten Geschichte des deutschen Volkes und seiner germanischen Vorfahren — haben sie in konsequent materialistischer Auffassung programmatisch dargelegt, wie Theorie und Methodologie zur Erforschung der objektiven historischen Prozesse zu handhaben seien. Als der Imperialismus nach dem ersten Weltkrieg den Faschismus hervorbrachte, begann für die Geschichte der Germanenforschung eine Periode schwerster Belastung durch Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus in den extremsten Formen. Heute spiegeln sich in der Geschichtswissenschaft auf der einen Seite die in der modernen kapitalistischen Gesellschaft verunsicherte, jedoch diesem Gesellschaftssystem verpfüchtete und in seinem Sinne wirkende Geschichtsauffassung und auf der anderen Seite die marxistisch-leninistische Geschichtsauffassung der sozialistischen Gesellschaft wider. In der Antike ist unschätzbares Wissen über die Germanen zusammengetragen worden (vgl. Kap. III „Antike Nachrichten"). Kenntnisse und Vorstellungen über die Germanen hatten für die letzten Jahrhunderte v. u. Z. einschließlich des 1. Jh. u. Z. ein erstes Bild über die Germanen ergeben. Seine bedeutendste Darstellung hat es durch Publius Cornelius Tacitus in seiner „De origine et situ Germaniae" im Jahre 98
ALLGEMEINE
15
ÜBERSICHT
erfahren.1 Verständlicherweise mußte dieses später noch erweiterte Bild lückenhaft und ideologisch-politisch gefärbt bleiben. Aus heutiger Kenntnis besteht zu Recht kein Zweifel darüber, daß es in vielen Aussagen von der Realität abwich. 2 Philosophische Auffassungen, wie die des hervorragenden Materialisten der Naturbetrachtung T. Lucretius Carus (etwa 99 bis 55 v. u. Z.)3 als auch die idealistische Weltanschauung des bedeutenden römischen Redners, Schriftstellers und Politikers Marcus Tullius Cicero (106 bis 43 v. u. Z.)4, des Ideologen der aristokratisch-republikanischen Staatsform, haben sicher Einfluß auf die antike Berichterstattung über die Barbarenvölker genommen. Ciceros der römischen Aristokratie gut bekannte und ihren Interessen entsprechende Weltanschauung einer Verachtung der Volksmassen und deren Freiheit konnte nicht ohne Auswirkung auf die historische Berichterstattung bleiben, insbesondere nicht auf politische Werke, wie z. B. Gajus Julius Cäsars „Commentarii de bello Gallico" 5 , eine der wichtigsten Geschichtsquellen über Kelten und Germanen. Vieles in Cäsars Aufzeichnungen entspricht offizieller „Sprachregelung", abgesehen von seinem Bestreben, durch seine Darstellungen zugleich sein Handeln nachhaltig zu rechtfertigen und seine Pläne und Absichten zu verschleiern. Zu der Zeit, als das Römische Reich unter starker kaiserlicher Gewalt seine Macht entfaltet hatte (1. und 2. Jh. u. Z.), jedoch wirtschaftliche Schwierigkeiten, gesellschaftliche Widersprüche im Inneren, zugleich aber auch Schwächen des Imperiums in den Kriegen gegen Germanen und andere Barbarenvölker sichtbar zu werden begannen, erschienen in den Schriften dieser Zeit die ersten oppositionellen Stellungnahmen. Man wandte sich der fernen Vergangenheit zu und nahm Gedanken wieder auf, die bis in das 5. Jh. v. u. Z. zurückreichen und in der humanistischen Gesinnung griechischer Philosophen und Dichter ihren Ursprung finden. Damals erkannte man die Prinzipien der klassenlosen Gesellschaft wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Liebe, Friede, Glück, Wohlstand, Lebensfreude längst vergangener Zeiten als Aufgabe und Ziel menschlichen Handelns.6 Als Protest gegen eine als ungerecht und unmenschlich 1
I m Laufe des nachkarolingischen Mittelalters ging die Kenntnis seiner Schriften verloren. I m 14. — 1 6 . Jh. gelangten sie wieder ans Tageslicht. Der erste Druck erfolgte 1467, eine kritische Ausgabe wurde 1574 von Lipsius herausgegeben.
2
R . Hachmann, G. Kossack, H. Kuhn 1962, vgl. dazu Germania 42, 1964, S. 49ff., S. 3 i 3 f f .
3
Titus Lucretius Carus' unvollendetes Werk ist von Cicero herausgegeben und dadurch überliefert worden. Vgl. Menaldt, Lucretius Carus, Pauly Wissowas Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Bd. 13, 2, 1927.
4
Insbesondere „ D e re publica". Vgl. Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte, 4. Aufl. 1929.
6
Gaius Iulius Caesar (100—44 v -
6
Piaton
u-
Z.).
(427 — 347 v. u. Z.) als bedeutendster Idealist der Antike entwickelt dabei in
seinen Schriften über den Staat utopische reaktionäre Vorstellungen von einer aristokratischen Gesellschaft mit kommunistischer Konsumtion. Hier wird u. a. ausgeführt, daß ursprünglich kein Privateigentum existierte und Krieg im Zusammenhang mit Privateigentum und Gelderwerb entstand. Bei Aristoteles (384 — 322 v. u. Z.), den K . Marx den größten Denker des Altertums genannt hat, finden sich in seiner „Politik", in der er sich selbst als Ideologe mittlerer Schichten der herrschenden Klasse erweist, Verweise auf Persönlichkeiten, die einen Zusammenhang zwischen Vermögen und Aufruhr sahen und die natürliche Gleichheit der Menschen vertraten.
i6
FORSCHUNGSGESCHICHTE
empfundene gesellschaftliche Ordnung wurde die Vergangenheit mit „paradiesischem Leben" und „goldenem Zeitalter" identifiziert und idealisiert gepriesen: so bei Ovid (43 v. u. Z. bis etwa 18 u. Z.)7 und Vergil (70 bis 19 v. u. Z.).8 Auch das mag nicht ohne Auswirkung auf andere Autoren geblieben sein. So erinnerte Tacitus 9 an die „Sitten der Vorväter" und stellte dem verderbten Treiben in Rom die „Einfachheit der Sitten" bei den noch in der Urgesellschaftsordnung lebenden Germanen gegenüber. Fortschritte wissenschaftlicher Erkenntnis sind seit dem 3. Jh., als die Krise des Römischen Reiches einen Höhepunkt erreichte, kaum erzielt worden. Die Philosophie, jetzt ganz vom Idealismus pessimistischen und dekadenten Charakters beherrscht, inneren Problemen zugewandt und schließlich im Mystizismus versinkend, fand bis auf die Nachrichten des Dio Cassius und Ammianus Marcellinus keinen nennenswerten Niederschlag in der historischen Literatur, sofern diese sich überhaupt mit den Germanen oder anderen Barbarenvölkern befaßte. Aus der Spätzeit dieser Epoche wurde uns die Berichterstattung des byzantinischen Geschichtsschreibers Prokop (etwa 500 bis 565) über den Vandalen- und den Ostgotenkrieg Justinians I. überliefert.10 Eine Gotengeschichte von Cassiodor (etwa 490 bis 583)11 ist lediglich auszugsweise bei dem ostgotischen Geschichtsschreiber des 6. Jh., Jordanes12, erhalten, dessen 551 geschriebene Geschichte der Goten auf der später verlorengegangenen Vorlage des Cassiodor beruht. Mit dem Ende des römischen Imperiums und mit dessen endgültiger Überwindung durch den Feudalismus wandelten sich die Bedingungen, die Aspekte und Betrachtungsweisen der Geschichtsschreibung. Der fränkische Geschichtsschreiber Gregor von Tours (538 bis 594)13 steht mit seinem wichtigsten Werk, der „Historia Francorurn", welches die Merowingerzeit behandelt, schon diesseits der klassischen antiken Geschichtsschreibung. Dieses Werk bildet jedoch gewissermaßen einen Nachhall römischer Art der Berichterstattung über die Germanen und gilt als die bedeutendste Quelle aus dem 6. Jh. Jedoch wird hier über germanische Stämme außer7
Publius Ovidius Naso in „Metamorphosen", die mit der Weltschöpfung beginnen und mit der Verherrlichung des Kaiserhauses enden.
8
Publius Vergilius Maro in der 4., der berühmtesten seiner 10 Eklogen
(ausgewählte
Gedichte). 9 10
Tacitus, Germ., u. a. 18, 19, 20, 21. Prokopios, Geschichte der Kriege gegen die Perser, Vandalen und Goten, 8 Bücher; vollendet um 555. Deutsche Übersetzung des Vandalen-und Ostgotenkriegs von D. Coste. In: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 6 und 7, 1885, 3. Aufl. 1913 und 1922.
11
Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus bekleidete unter Theoderich und dessen Nachfolgern wichtige staatliche Ämter.
12
Jordanes (Jordanis), vielleicht Alane, rechnete sich selbst zu den Goten. Seine auf Cassiodor beruhende Geschichte der Goten von ihrem Ursprung bis zum Sturz der Gotenherrschaft in Italien „ D e origine actibusque Getarum" wurde von T h . Mommsen in den Monumenta Germaniae Histórica, Auetores antiquissimi, Bd. 5, T. 1, 1882 herausgegeben.
Deutsch
von W . Martens. In: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 1884, 3. Aufl. 1913. 13
Georgius Florentius, römischer Herkunft und seit 573 Bischof von Tours. Die Historiae Francorum libri X
(auch Fränkische Kirchengeschichte oder Historia ecclesiastice oder
Gesta Francorum genannt) wurden herausgegeben von Arndt, Bonnet und Krusch in den Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 1
(Hannover
1884—1885), deutsch von Giesebrecht. In: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 2 Bde., 1851, 3. Aufl. von Hellmann 1911.
ALLGEMEINE ÜBERSICHT
17
halb des fränkischen Gebietes, wie Friesen, Sachsen, Thüringer, wie auch später bei dem fränkischen „Fredegar" (bis 642)14, nichts Wesentliches berichtet. Im Frankenreich entstanden danach für längere Zeit keine nennenswerten historischen Schriften mehr, wenn man von der 790 verfaßten Langobardengeschichte des Paulus Diakonus (um 720 bis 799)15 absieht. Freilich flössen in Form der Aufzeichnung germanischer Stammesrechte, in überlieferten Verzeichnissen, Kapitularien, Annalen und Viten weiterhin Quellen zur Geschichte der Germanen auch nach dem 6. und 7. Jh. Lediglich einige literarische Werke schöpften im westgermanischen Gebiet aus der Geschichte germanischer Stämme oder aus germanischen Sagen. So vermittelt das spätestens um 820 im Fuldaer Kloster von einer älteren Vorlage abgeschriebene Fragment des Hildebrandliedes18 einen seltenen Einblick in die durch Individualismus, überspitzte Ehrideologie und Aristokratengesinnung geprägte moralische Grundhaltung des frühfeudalen Adels. Einen Ausschnitt sittenbildlichen Charakters zeigt auch das Waltharilied.17 Vor dem Hintergrund alemannisch-fränkischer Gegnerschaft werden germanische Freundesund Vasallentreue, unbezwingbares Heldentum hochadliger Einzelkämpfer, trotz sinnloser Verstümmelung der Kämpfenden, verherrlicht und dabei das den Christen verpflichtende Gebet für die Erschlagenen sowie die von Gott erbetene Absolution für die beteiligten Kämpfer eingeschlossen. Es dauerte lange, bis das feudale Gesellschaftssystem den mit der Auflösung und Überwindung der antiken Klassengesellschaft verbundenen Niedergang, vor allem das Verlöschen der antiken Gelehrsamkeit, überwinden konnte. Ideologie und Philosophie der Herrschenden waren schon in der römischen Kaiserzeit mit der Religion verschmolzen. Das im Feudalismus zwischen Kirche und weltlicher Macht eingegangene Bündnis hatte die Philosophie zur Dienerin von Religion und Kirche gemacht. Und die Kirche mit ihren Einrichtungen, den Kloster- und Bischofsschulen, war es auch, die auf geistigkulturellem Gebiet die Voraussetzungen für intellektuelle Tätigkeit mitbrachte, wobei die Wissenschaft ganz als Zweig der Theologie, im Geiste der Scholastik, der Unterordnung des Wissens und der Wissenschaft unter die kirchlichen Dogmen, fungierte. Geistliche Autoren beherrschten das Feld des literarischen Schaffens, einschließlich der historischen Darstellungen. Die Anknüpfung an christlich-spätantikes Gedankengut ließ ein Interesse am Altertum und gar an der Geschichte der Vergangenheit im Gebiet 14
15
18 17
Seit 1598 Name des angeblichen Autors einer bis zum Jahre 642 reichenden, zusammenfassenden allgemeinen Geschichte und der fränkischen Geschichte, die jedoch von mehreren Verfassern stammt und später bis 768 fortgesetzt worden ist. Der Fredegar gehört zu den Hauptquellen für die fränkisch-elbslawischen Beziehungen im 7. Jh. Herausgegeben von B. Krusch in Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores rerum Merovingicarum, Bd. 2, Hannover 1888). In: Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Bd. 7, T. 2, 3. Aufl. 1888. Vgl. Schnürer, Die Verfasser der sog. Fredegarchronik, 1900. Paulus Diakonus, langobardischer Geschichtsschreiber, verfaßte die „Historia Langobardorum" (bis 744), nachdem er 786/787 den Hof Karls wieder verlassen und in das Kloster Monte Cassino zurückgekehrt war. Ausgabe in den Monumenta Germanicae Histórica, Scriptores in usum scholarum, Sonderausgabe 1878, Neudruck 1930; deutsch von R. Jacobi 1877. Vgl. E . Erb 1963, S. 167ff. Vgl. ebenda, S. 4igff.
2 German en — Bd. 1
i8
FORSCHUNGSGESCHICHTE
nördlich der Alpen nur schwer wieder aufkommen. Die „Germania" des Tacitus ist damals offenbar nur von einem einzigen, dem Mönch Rudolf von Fulda (865 gestorben), benutzt worden.18 Erst in der zweiten Hälfte des 10. Jh. entstand wieder eine sich auf Quellen gründende historische Darstellung zur Geschichte germanischer bzw. deutscher Stämme. Im Kloster Corvey schrieb der sächsische Mönch Widukind 19 im Jahre 967 eine Sachsengeschichte. Sie ist eine der Hauptquellen zur Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen den deutschen Feudalherren und den slawischen Stämmen im 10. Jh. In der folgenden Zeit ist weiterhin germanischer Sagenstoff in die Literatur eingegangen. So wurde Anfang des 13. Jh. das Nibelungenlied zum denkmalhaften Ausdruck der Literatur der herrschenden Klasse. Zugleich fand eine solche Liedschöpfung über germanische Sagenhelden (Siegfried) offenbar auch eine aus der sich zuspitzenden Klassenlage erklärbare Aufgeschlossenheit in breiteren Schichten des Volkes vor.20 Als das Bürgertum im 14. und 15. Jh. neben den Klassen der Feudalbauern und Feudalherren in den Klassenkampf eintrat, änderten sich die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung. Im Zuge der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung wuchs das Interesse nicht nur an Fragen der Naturwissenschaften und der Technik, sondern auch an historischen Aufzeichnungen, Betrachtungen und Darstellungen.21 Auf gesellschaftlichem Gebiet knüpften die frühbürgerliche Kultur und die wissenschaftliche Tätigkeit wieder an das Erbe der antiken Kultur an und bemühten sich in Gegnerschaft zur religiösen Ideologie um fortschrittliches Denken. Die Beschäftigung mit den Germanen nahm nun einen Verlauf, der schließlich zur wissenschaftlichen Germanenforschung auch auf deutschem Gebiet führte. Die „Germania" des Tacitus wurde nun eigentlich erst richtig wiederentdeckt und nachgedruckt (Venedig 1470, Nürnberg 1473/74). Auch Cäsars „Bellum Gallicum" wandte man sich wieder zu. In den dreißiger Jahren des 16. Jh. traten auch die „Annalen" des Tacitus
18
Vgl. A . Mennung 1925, S. 39; dazu M. G u m m e l 1938, S. 3.
19
Drei Bücher sächsischer Geschichte (Widukindi monachi Corbeiensis R e r u m
gestarum
Saxonicarum libri tres), herausgegeben v o n P . Hirsch und H . E . L o h m a n n in M o n u m e n t a Germaniae Hannover
Histórica, 1935.
In:
Scriptores
rerum
Geschichtsschreiber
Germanicarum der
in
deutschen
usum
Vorzeit,
scholarum, 2.
5. A u f l .
Gesamtausgabe,
B d . 33, 1931. 20
F. Engels (1962c!, S. 166): „ T r ä g e r einer der Gesellschaft entfremdeten M a c h t , müssen sie in R e s p e k t gesetzt werden durch Ausnahmegesetze, k r a f t derer sie eine besondere Heiligkeit und Unverletzlichkeit geniessen . . . aber der mächtigste F ü r s t und der größte Staatsmann oder Feldherr der Zivilisation k a n n den geringsten Gentilvorsteher beneiden um die ungezwungene und unbestrittene A c h t u n g , die ihm gezollt wird. Der eine steht eben mitten in der Gesellschaft, der andere ist genötigt, etwas vorstellen zu wollen außer und über ihr." Zum Nibelungenlied selbst v g l . E . E r b 1963.
21
F. Engels
(1962 h, S. 533): „ D a s Bürgertum gebrauchte zur E n t w i c k l u n g seiner indu-
striellen Produktion eine Wissenschaft, die die E i g e n s c h a f t e n der Naturkörper und die Betätigungsweisen der N a t u r k r ä f t e untersuchte. Bisher aber war die W i s s e n s c h a f t nur die demütige M a g d der Kirche gewesen, . . . kurz, sie war alles gewesen, nur keine Wissenschaft. J e t z t rebellierte die Wissenschaft gegen die K i r c h e ; das B ü r g e r t u m brauchte die Wissenschaft und machte die Rebellion m i t . "
ALLGEMEINE ÜBERSICHT
19
wieder zutage, und eine Ausgabe des Vellerns Paterculus brachte 1520 Beatus Rhenanus heraus. Vieles andere ist allerdings nie wieder aufgetaucht. 22 Als Initiator der wissenschaftlichen Auswertung der taciteischen „Germania" gilt Enea Silvio Piccolomini23, der 1458 zum erstenmal nach Tacitus in einem „Germania" genannten, allerdings erst 1496 in Leipzig herausgebrachten Traktat, auf der Grundlage des antiken Werkes über die Germanen schrieb. Seitdem erschienen eine ganze Reihe allgemeiner Abhandlungen und Darstellungen über die Germanen. So schrieb 1506 der Humanist und Altertumswissenschaftler Conrad Peutinger die „Sermones convivales de mirandis Germanicae antiquitatibus" 24 und Beatus Rhenanus 1531 das Werk „Rerum germanicorum Libri III". 2 5 Sebastian Münster26 behandelte in seiner Kosmographie in den vierziger Jahren des 16. Jh. auch den Ursprung der Germanen. Auf der Suche nach Erkenntnis, wissenschaftlicher Wahrheitsfindung und Wissen reihte sich dieses Beginnen wissenschaftlicher Betrachtung der germanischen Geschichte ein in den Kampf um ein Bildungsziel humanistischer Gesinnung und in die Auseinandersetzung der für Renaissance und Humanismus eintretenden Kräfte — der „größten progressiven Umwälzung, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte" (F. Engels, 1962 f, S. 312) — mit der geistigen Herrschaft der klerikalen Scholastik. Wissenschaftliche Kritik an antiken Autoren tritt z. B. bei Beatus Rhenanus und in dem einflußreichen Werk des Philipp Cluverius27, „Germaniae antiquae libri tres", aus dem Jahre 1616 sichtbar hervor. Für eine wirkungsvolle Opposition zum scholastischen Denken im Bereich der germanischen Altertumskunde war die kritische Wertung antiker Quellenschriften freilich noch zu schwach entwickelt. Es war noch ein langer Weg bis zur systematischen Sammlung von Tatsachen und deren kritischer Analyse. Das Studium der literarischen Quellen weckte in dieser Zeit bei Philologen und Historikern vornehmlich das Interesse für die Fragen des Ursprungs und der Lokalisierung der germanischen Stämme sowie an dem germanischen Sieg über die Römer
22
E s ist bekannt, d a ß sich a m H o f e O t t o s I I I . A b s c h r i f t e n antiker A u t o r e n wie L i v i u s und Persius befanden, m i t denen sich offenbar in ottonischer Zeit niemand befaßte.
23
E n e a Silvio Piccolomini (1405 — 1464), 1442 Kanzleischreiber bei K ö n i g Friedrich I I I . ,
24
Conrad
1458 P a p s t (Pius II.). Peutinger
quitatibus, stellung
(1465 — 1547),
Straßburg
Sermones
1906; nach K . - H .
germanischer
Urgeschichte,
convivales
de
Jacob-Friesen,
noch
ganz
Germanicae
anti-
1928, ist es die älteste
mirandis
Dar-
philologisch
aufgefaßt.
Er
bereitete
die Herausgabe einer ihm v o n Conrad Celtis überlassenen römischen Straßenkarte vor. Der A u t o r ist unbekannt. Seit ihrer Herausgabe durch K . Millter 1888 wird sie Peutinger T a f e l genannt. 25
B e a t u s Rhenanus beginnt sein W e r k m i t der Zeit, „ w o die Berührung des Germanentums mit
der
Römerwelt
eine sichere N a c h p r ü f u n g der geschichtlichen Ereignisse wie der
Völkerbewegungen g e s t a t t e t " . V g l . T h . Bieder 1921, S. 27t. N e b e n den Franken w i d m e t er sich vor allem auch den Alamannen. 26
3. B u c h der Weltchronik, älteste A u s g a b e wahrscheinlich 1541. V g l . V . H a n t z s c h , Sebastian Münster. I n : A b h a n d l u n g e n der philologisch-historischen Klasse der Königlichen Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften B d . 18 Nr. I I , Leipzig 1898, S. i 5 3 f f . , nach H . G u m m e l 1938, S. 11 A n m . 4.
27
Philipp Cluverius (Philipp Klüwer, 1580—1623). Sein W e r k gilt für seine Zeit als u m fassendste Zusammenstellung v o n Material z u m germanischen A l t e r t u m .
2*
20
FORSCHUNGSGESCHICHTE
in der Schlacht im Teutoburger Wald. 28 Hier hegen in besonderem Maße die Hauptgründe für die Intentionen dieser Zeit, sich der Germanengeschichte mehr zuzuwenden. Das sich herausbildende frühbürgerlich-humanistische Weltbild einerseits sowie die Verstärkung von Elementen nationalen Charakters in Wirtschaft und Kultur andererseits, vor allem auch im antifeudalen Klassenkampf der heranreifenden frühbürgerlichen Revolution, ließen nämlich allmählich ein nationales Selbstbewußtsein erwachen. Die Hinwendung zum germanischen Altertum spielte in diesem Zusammenhang, neben den Hauptentwicklungsrichtungen der Wissenschaften und des literarischen und anderen Kunstschaffens, eine gewisse Rolle. Im 16. und 17. Jh. gibt es erste vage und oft noch unkritische Versuche, archäologische Bodenfunde und ihre Verbreitung mit den Germanen oder sogar mit der Wanderung der Kimbern in Verbindung zu bringen, so z. B. bei Georg Agrícola in „De natura fossilium" 1546, bei Johann Daniel Major in „Bevölckertes Cimbrien" 1692 und bei Christoph Olearius in „Mausoleum in Museo" 1701, nachdem bereits Johannes Aventinus (1477 bis 1534) mit Hinweis auf Kastelle, Münzen und Grabdenkmäler zwischen römischem und germanischem Gebiet rechts und links der Donau unterschieden hatte. 29 Archäologische Funde führten beim Vergleich mit Schilderungen Cäsars und Tacitus' zu weiteren kritischen Überprüfungen der Angaben antiker Überlieferungen. Einige Autoren meinten, damit eine „Ehrenrettung der alten Deutschen" gegenüber einer vergröbernden oder unrichtigen Beschreibung von Details ihrer materiellen Kultur und ihrer Lebensweise verbinden zu müssen. So Andreas Rhode (1682 bis 1724), der zugleich forderte, man solle die Vergangenheit der alten Deutschen so erforschen, daß stets die Wahrheit zugrunde liegt.30 Neben den weltfremden Gelehr tengeist, der lange Zeit auch der Beschäftigung mit der Germanengeschichte seinen Stempel aufgedrückt hatte, war nun mit dem Bürgertum eine progressive gesellschaftlich engagierte Gelehrtenarbeit getreten, deren Schrifttum nationale bzw. patriotische Haltung erkennen läßt. Die geistige Bewegung der Aufklärung im 18. Jh., die für die Überwindung der überholten Gesellschaftsordnung vielfältig kämpfte — „Religion, Naturanschauung, Gesellschaft, Staatsordnung, alles wurde der schonungslosesten Kritik unterworfen" (F. Engels, 1962 g, S. 16) —, hatte dieser Haltung entscheidende Impulse gegeben.
28
29
30
Mit Armius von Viterbo entstand erstmalig auch die Version v o m asiatischen Ursprung der Germanen. Die Fälschung „ H u n i b a l d " des Abtes Tristanius (1514) enthält die Vorstellung von der trojanischen Herkunft. S. Münster (1489—1552) dachte an Skandinavien als germanisches Ursprungsgebiet. Mit der Lokalisierung der Varusschlacht befaßten sich u. a. Cincinnus 1539, nachdem bereits Otto von Freising Mitte des 12. Jh. dazu Stellung genommen hatte. Chronicon, herausgegeben von A . Hofmeister in Monumenta Germaniae Histórica, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum, 2. Aufl. Leipzig 1912; Phillip Melanchton 1557 in einem Germaniakommentar zu einer Ausgabe des Huttnerschen Arminius. Die Zahl der angenommenen Lokalitäten ist in der Folgezeit ziemlich groß geworden. G. Agricola (1494—1555) deutet im 7. Buch seines Werkes Leichenbrandurnen als germanisch, indem er sich gegen „ i m Boden gewachsene T ö p f e " wendet. J. D. Major (1634 — 1693) schloß auf Grund der Häufigkeit bestimmter Gräber auf Wanderungen der Kimbern. J. Ch. Olearius (1668—1747) erklärte einen Grabfund in Thüringen in gleicher Weise. Zu J. Aventinus vgl. P. H. Stemmermann 1934, S. 34. A. A. Rhode 1719/20, S. 227 (2. Aufl. 1828).
ALLGEMEINE ÜBERSICHT
21
Man darf jedoch nicht übersehen, daß daneben auch erste Elemente nationalistischer Denkweise auftraten. Nicht immer läßt sich deshalb ausreichend erkennen, wo der Patriotismus endete und nationalistische Gesinnung begann. Ganz deutlich sagt es allerdings eine Vorlesung von Ewald Friedrich von Hertzberg, die er 1780 an der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin gehalten hatte. Unter dem Thema „Gründe für die Überlegenheit der Germanen über die Römer" wurden nicht nur antike Schriftsteller einseitig zur Begründung der These von den über der römischen Lebensart stehenden germanischen Tugenden interpretiert. Hertzberg stellte ausdrücklich und ganz bewußt darauf ab, einerseits jene germanischen Stämme auf den Tugendschild zu heben, die einst auf dem Territorium des Königreiches von Preußen gelebt haben sollen, und andererseits die nach der Völkerwanderungszeit einwandernden slawischen Stämme charakterlich zu diskreditieren.31 Der Nährboden dieser tendenziösen Entwicklung wurde von der bereits überlebten herrschenden Klasse des reaktionären absolutistischen Feudaladels bereitet. Großmachtdenken und glorifizierende Selbstdarstellung ließen ihre Vertreter auf diese Weise u. a. auch gegen eine tatsächlich verbreitete, durch eine engstirnige Antikerezeption hervorgerufene naiv-abwertende Vorstellung von der Geschichte und Kultur der germanischen Stämme reagieren. Diese Tendenz wurde in der Folgezeit offenkundig z. B. durch Hegel gestützt, der als Bewunderer des absolutistischen preußischen Staates die Menschheit in „psychologische" Rassencharaktere einteilte und hierbei die Deutschen als „höchste Nation" bezeichnete, ihnen das Recht zusprach, sich als ein „historisches Volk" zu bezeichnen und dieses Recht den Slawen vorenthielt. 32 Insgesamt hielten sich die erreichten wissenschaftlichen Fortschritte in der Germanenforschung bis zum 18. Jh. in engen Grenzen; die Methodologie z. B. hatte kaum erste Gesichtspunkte entwickelt. Demzufolge wurden die archäologischen Quellen im wesentlichen noch mehr oder weniger spekulativ den Germanen, den Kimbern und Teutonen, und dann höchstens noch den Slawen und Römern zugeschrieben. Das änderte sich erst im 19. Jh. Der bürgerlichen nationalen Entwicklung war jetzt im Zuge der immer stärkeren Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise 31
Graf Ewald Friedrich von Hertzberg, Staatsminister und Akademiemitglied hielt diese Vorlesung auf einer öffentlichen Sitzung der Akademie am 27. 1. 1780. Unter Zugrundelegung der taciteischen Germaniakapitel 37 und 44 und unter Berufung auf Cicero, Sallust usw. wird die militärische und charakterliche Überlegenheit der Germanen (Goten, Sueben, Vandalen, Langobarden, Angeln, Rugier, Heruler und anderer) dargelegt. Ferner wird festgestellt, daß der Norden Germaniens zwischen Rhein und Weichsel, insbesondere das Gebiet des Königlichen Preußens, die ursprüngliche Heimat jener „heroischen Nationen" gewesen sei, die in der Völkerwanderungszeit das Römische Imperium zerstört und die die wichtigsten Staaten Europas begründet und bevölkert hätten. Schließlich wird ausgeführt, daß, nachdem die Germanen das zuvor beschriebene Heimatgebiet verlassen hatten, der bis dahin herrschende germanische Charakter und Geist der Tugenden, der sittlichen K r a f t , der Stärke, der Energie usw. verloren gegangen und bei den Slawen zu vermissen gewesen sei, bis diese Eigenschaften mit den Deutschen nach der Zurückeroberung der Gebiete zwischen Elbe und Oder dann im 12. Jh. wieder zurückgekehrt seien. Ein Jahr später wiederholte v. Hertzberg diese Passage in einem weiteren an gleicher Stelle publizierten Vortrag zu einem anderen Thema nachdrücklichst.
32
G. W . F. Hegel (1770—1831) 1821 (Philosophie des Geistes); ders. 1828.
22
FORSCHUNGSGESCHICHTE
auch in den deutschen Territorien der Weg besser geebnet. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh., als sich die volksrevolutionären Bewegungen verstärkten und sich die nationale Kultur, die klassische bürgerliche Philosophie, die klassische Kunst und Literatur herausbildeten, trat auch eine von revolutionär-demokratischem Sinn getragene Geschiehts- und Altertumswissenschaft in Erscheinung. Ihre humanistische Grundhaltung wurde von der Erkenntnis befruchtet, daß der historische Fortschritt einen gesetzmäßigen Prozeß darstelle.33 Nationales Denken gewann im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft und für nationale Unabhängigkeit weiter an Boden. Die großen Humanisten der Klassik wie Lessing, Herder, Goethe, Schiller, Kant, Fichte, Hegel, Feuerbach und Humboldt hatten die Ziele humanistischen Strebens in ihren Arbeiten formuliert. So erkannte Herder nicht nur einen Zusammenhang von Humanität und Bildung, sondern er forderte, daß Humanität und Bildung sich in den Dienst des Volkes und der Nation zu stellen hätten. Die seit Ende des 18. Jh. und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. gegründeten Geschichts- und Altertumsvereine sahen größtenteils ebenfalls darin einen wesentlichen Aspekt ihrer Tätigkeit. Die Erforschung der Geschichte, insbesondere der germanischen, war nationales Anliegen geworden. Aber ihre Leistungen bezeugen trotz Deutschtümelei, romantischer Vorstellungen und Auffassungen fortschrittlichen Optimismus, beträchtliche Erweiterung des Wissens von der Geschichte und Fortschritte in der Methodik des Forschens. Die bei der Quellenkritik erreichte Qualität trug wesentlich dazu bei, daß sich die Altertumskunde in den Rang wirklicher wissenschaftlicher Forschungsarbeit erhob. Philologen, Historiker, Archäologen widmeten sich mit größeren Erfolgen der Erforschung der germanischen Geschichte. Davon zeugt z. B. das 1836 erschienene „Handbuch der germanischen Alterthumskunde" von Gustav Friedrich Klemm (1802—1867), dessen vielseitiger Inhalt die Lebensweise, das öffentliche Leben in Krieg und Frieden, die Kultur und die Religion der Germanen seit den schriftlichen Überlieferungen aus der Zeit Cäsars behandelt und in dem die archäologischen Befunde zur materiellen Kultur eine gebührende Rolle spielen. Der gleiche Autor erweist sich allerdings wenige Jahre später mit dem 1843 herausgegebenen ersten Band seines zehnbändigen Werkes „Allgemeine Kulturgeschichte der Menschheit", die in den zwei letzten Bänden Europa behandelt, als einer der Mitbegründer unwissenschaftlicher Rassentheorien, deren bekanntester Ideologe in der Mitte des 19. Jh. Arthur Graf Gobineau wurde.34 33
Hegel v e r t r a t die A u f f a s s u n g , d a ß die Geschichte als ein einheitlicher
gesetzmäßiger
Prozeß, als eine progressive E n t w i c k l u n g der Gesellschaft zu verstehen sei. Entsprechend seiner idealistischen philosophischen Position sah er jedoch diese E n t w i c k l u n g v o n der Gesetzmäßigkeit des Geistes getragen. Hegel, Sämtliche W e r k e — Jubiläumsausgabe in 20 B ä n d e n seit 1927, B d . 1 1 , S. g g f . ; v g l . I. S. K o n , 1964. 34
G. F . K l e m m , 1836; ders., 1843 — 1852. I m H a n d b u c h ist im wesentlichen der v o m Verfasser erkannte Stand der archäologischen Forschungen im allgemeinen und bezüglich der Germanenforschung einbezogen worden. D a s W e r k h a t demzufolge zunächst als bemerkenswerte Leistung Anerkennung gefunden, zumal der A u t o r auch zur archäologischen Methode beigetragen hat. Die
Allgemeine
Kulturgeschichte jedoch disqualifiziert sich durch die ihr zugrunde liegende und sich in der Folgezeit als außerordentlich schwere Belastung, namentlich auch der
Germanen-
ALLGEMEINE ÜBERSICHT
23
Beginn und Aufstieg wissenschaftlich archäologischer Arbeitsweise liefen zusammen mit einer historischen Entwicklung, die aus den aufgezeigten Gründen dazu führte, daß man die Germanenforschung als nationales Anliegen empfand. Zugleich zeigten sich erste Deformationserscheinungen der im bürgerlichen Kampf um einen einheitlichen deutschen Staat gewachsenen nationalen Gesinnung in Gestalt nationalistischer Elemente. Und diese gingen ihrerseits konform mit der Herausbildung unwissenschaftlicher Rassentheorien, die als Rassismus dem Geist des klassischen Humanismus diametral entgegenstanden. Nationalismus und Rassismus fanden bald Eingang bei Vertretern der Archäologie. Das muß hier betont werden, weil dadurch eine theoretische Plattform vorgebildet wurde, die später der Imperialismus zu nutzen wußte und die jahrzehntelang ideologisch und politisch in ganz besonderem Maße die Forschungen zur Geschichte und Kultur der Germanen bestimmte und beeinträchtigte. Die Verbindung der historischen Forschung mit der Sprachwissenschaft bzw. mit der Philologie und mit der Archäologie wurde jetzt enger, nachdem jede dieser Disziplinen auf ihrem Gebiet Fortschritte erzielt hatte. Das gilt vor allem für die Quellenedition auf archäologischem Gebiet. Die dabei fortschreitende Systematisierung des Fundmaterials schuf auch entscheidende Vorbedingungen für eine spätere wissenschaftliche Bearbeitung archäologischer Quellen aus germanischer Zeit. Für den Bereich der historischen Wissenschaft regte Reichsfreiherr vom und zum Stein 1819 die Gründung einer Gesellschaft für Deutschlands ältere Geschichtskunde und das Unternehmen „Monumenta Germaniae Histórica" an. Nicht mehr in politischen Ämtern, widmete er sich historischen Studien und nutzte die mit nationalen Emotionen verbundene ausgedehnte Beschäftigung mit dem germanischen Altertum für seinen weiteren Kampf mit dem Feudaladel.36 Die „Monumenta Germaniae Histórica" sollten die wichtigste Sammlung mittelalterlicher Quellen zur deutschen Geschichte werden. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte hat dieses Werk die Germanenforschung auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Schriftsteller, germanische Volksrechte, Kapitularien (Verordnungen der fränkischen Könige), Formelbücher aus der Merowinger- und Karolingerzeit und altgermanische Rechtsquellen wurden der Wissenschaft damit in großangelegter Weise zugänglich. forschung,
auswirkende
Irrlehre v o n der Ungleichwertigkeit
der Rassen und
Völker.
K l e m m legte m i t diesem W e r k einen Grundstein für den den Nationalismus begleitenden und m i t ihm konform gehenden Rassismus. Gobineau ( 1 8 1 6 — 1 8 8 2 ) , französischer Schriftsteller, ist als einflußreichster Vertreter der feudalen Rassenideologie in die Geschichte pseudowissenschaftlicher Theorienbildungen eingegangen.
I n seinem
Hauptwerk,
Essai
sur l'inégalité
des races,
1. A u f l .
1835/36
(Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen) wird der Rassenkampf zur T r i e b k r a f t historischer Prozesse deklariert und d a m i t ein wesentlicher Bestandteil der faschistischen Ideologie vorweggenommen. V g l . K . H . Jacob-Friesen, philosophie
Klemms,
Gobineaus
und
anderer
einen
1928, S. 30 ff., der der Rassen-
Platz
unter
den
Wissenschaften
abspricht. 35
Heinrich Friedrich K a r l Reichsfreiherr v o m und z u m Stein ( 1 7 5 7 — 1 8 3 1 ) ,
1825 erschien
der erste B a n d der Monumenta Germaniae Histórica. Seit 1847 wurden Übersetzungen der wichtigsten Quellen in den „Geschichtsschreibern der deutschen V o r z e i t " gegeben.
heraus-
24
FORSCHUNGSGESCHICHTE
Die vergleichende Sprachwissenschaft begann Anfang des ig. Jh., Sprachfamilien und deren Ursprache zu erforschen.36 Die Erschließung bzw. die Rekonstruktion einer indogermanischen Ursprache spielte dabei eine besondere Rolle. Sofern es bei zahlreichen Linguisten um die Konzeption „Ursprache", aber nicht, wie es sich später durchsetzte, um die „Grundsprache" des Indogermanischen handelte, war damit logischerweise die Frage nach der Urheimat gestellt. Man suchte sie zwischen Asien und Norddeutschland bzw. Südskandinavien. Mit dieser Sprachfamilie wurde die „Arische Völkerfamilie" identifiziert und daraus schließlich die Herkunft der Indogermanen (Indoeuropäer) aus Asien abgeleitet (s. S. 104).37 Die sich aus den sprachwissenschaftlichen Forschungen ergebende Schlußfolgerung, daß vor den Germanen eine andere Bevölkerung in Europa und auf später-deutschem Gebiet existiert haben müsse, und schließlich die Erkenntnis, daß es archäologische Befunde höheren Alters aus der Zeit vor der angenommenen germanischen Einwanderung geben müsse, veranlaßte die Ur- und Frühgeschichtsforschung, sich eingehender mit Fragen der zeitlichen und ethnischen Zuordnung der archäologisch überlieferten materiellen Kultur zu befassen.38 Es wurde versucht, germanische und keltische, germanische und römische sowie germanische und slawische Funde auseinanderzuhalten. Für die von nationaler Gesinnung getragenen archäologischen und sprachwissenschaftlichen Forschungen war die germanische Vergangenheit ein Hauptgegenstand der Untersuchungen. Dabei ergab sich jedoch, daß die Germanenforschung, allerdings selbst nicht mehr frei von Elementen einer „Germanomanie", eine Auseinandersetzung mit der „Keltomanie" und der „Phönikomanie" führte. Schließlich glaubte man auch, sich gegen eine „Slawomanie" wenden zu müssen. Zweifellos waren Art und Weise der F. Schlegel, Über die Sprache und Weisheit der Inder, Heidelberg 1808; F. Bopp, Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache, Frankfurt/M. 1816; A. Schleicher, Kompendium der indogermanischen Sprachen, Weimar 1861. 37 Das war lange Zeit die überzeugte Auffassung führender Sprachwissenschaftler wie F. Bopp, K . Zeuß, J. Grimm. 38 Diese Problematik stand zu dieser Zeit überhaupt auf der Tagesordnung, zumal die Archäologie im Begriff war, durch Forschungen über Europa hinaus, in den Mittelmeerraum hinein den Geschichtsraum und die zeitliche Tiefe der menschlichen Geschichte weit über den bis dahin bekannten Rahmen auszuweiten. Vgl. dazu V. G. Childe 1945, S. 2ff. Beispiele: K . Levezow, Andeutungen über die wissenschaftliche Bedeutung der allmählich zu Tage geförderten Altertümer germanischen, slavischen und anderweitigen Ursprungs der zwischen Elbe und Weichsel gelegenen Länder, und zwar in nächster Beziehung auf ihre Geschichte, Pommersche Provinzial-Blätter 6, 1825, S. 401 ff.; F. A . Wagner, Die Tempel und Pyramiden der Urbewohner auf dem rechten Elbufer, unweit dem Ausfluß der schwarzen Elster, Leipzig 1828 (betr. archäologische Abgrenzung der Semnonen); G. C. Lisch, Andeutungen über die altgermanischen und slawischen Altertümer Mecklenburgs, Schwerin 1837; L . Giesebrecht, Über die neueste Deutung der norddeutschen Grabaltertümer, Baltische Studien 5, H. 2, 1838 (betr. Datierung der Germanen und Slawen in die Eisenzeit); J. J. A. Worsaae, Dänemarks Vorzeit durch Alterthümer und Grabhügel beleuchtet, Kopenhagen 1844 (betr. Identifizierung bronzezeitlicher Befunde mit der germanischen Bronzezeit); W . u. L . Lindenschmit, Das germanische Totenlager bei Selzen, Mainz 1848 (betr. Identifizierung von fränkischen Gräbern). 36
ALLGEMEINE ÜBERSICHT
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jeweils geführten Polemik oftmals von nationalistischen Einstellungen geprägt. Dieser Meinungsstreit, der schon in der ersten Hälfte des 19. Jh. begonnen hatte, half dennoch, abwegige Interpretationen zu korrigieren, irrige Auffassungen über angeblich germanischen, etruskischen, keltischen, phönikischen oder römischen Ursprung archäologischer Befunde zu beseitigen und zu richtigen Quelleninterpretationen zu gelangen. Naturwissenschaftliche Entdeckungen und Fortschritte förderten ganz allgemein solch Bemühen. In den vierziger Jahren, am Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49, als sich industrielle Revolution und kapitalistische Produktionsweise weiter durchsetzten, begann ein grundlegendes revolutionäres Umdenken in Philosophie und Gesellschaftswissenschaft: Neben der Aristokratie und der sich als Klasse formierenden Bourgeoisie bildete sich die Arbeiterklasse heraus, und es entwickelte sich die Lehre des Marxismus auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus. 1848 erschien das programmatische Dokument der wissenschaftlichen marxistischen Weltanschauung, das „Manifest der Kommunistischen Partei" (MEW 4), das unter anderem Darlegungen zur materialistischen Geschichtsauffassung, die Begründung der gesetzmäßigen Prozesse des Übergangs von einer Produktionsweise zur nächsten und eine klassenmäßige Analyse der verschiedenen Strömungen feudalen, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Denkens enthält. Hatte die klassische deutsche Philosophie bereits nach der Synthese der wissenschaftlichen Forschung gefragt (Immanuel Kant 1724—1804) und die innere Widersprüchlichkeit als Triebkraft der Entwicklung gelehrt sowie die Frage nach der Gesetzmäßigkeit des Geschichtsprozesses gestellt (Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1770—1831), so wurde dieses wertvolle Gedankengut über die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens jetzt durch den Marxismus qualitativ weiterentwickelt, indem an Stelle idealistischer Ausgangs- und Grundpositionen, die die fortschrittlichen Erkenntnisse und Lehren hemmten, der dialektische und historische Materialismus zur philosophischen Grundlage wurde. Die bürgerliche Geschichtsforschung wollte auf die revolutionäre marxistische Geschichtstheorie und ihre politischen Konsequenzen zunächst mit Schweigen reagieren, bis in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die Geschichtsschreibung selbst gravierenden Veränderungen unterlag. Offensichtlich von der marxistischen Theorie angestoßen, bezog man wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme in historische Untersuchungen ein und versuchte, Zusammenhänge zu ermitteln. Das bedeutete eine Entfernung von der traditionellen deskriptiven Geschichtswissenschaft. Hier suchte und fand jedoch die positivistische Philosophie des 19. Jh. ihr Wirkungsfeld. Einerseits förderte der Positivismus unter anderem die Systematisierung und Klassifikation historischer Quellen und Erscheinungen sowie die disziplinspezifische Methodik und überhaupt wirtschafts- bzw. gesellschaftswissenschaftliche Arbeiten. Andererseits führte diese idealistisch-philosophische Richtung zum Schematismus in der Geschichtswissenschaft und zu einer Faktologie, die die Frage nach den Ursachen der Erscheinungen und nach ihrem Wesen als unfruchtbar erachtete. Die allgemein zu verzeichnende Intensivierung der Geschichtsforschung bezog sich auch auf die archäologische Ur- und Frühgeschichtsforschung und damit die Germanenforschung. Um so gewichtiger wurden die jeweils eingenommenen geschichtstheoretischen Positionen. Aus einem forschungsgeschichtlich bedingten eingeschränkten Blickfeld heraus hatte sich in der bürgerlichen Forschung ein Europazentrismus von großer
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FORSCHUNGSGESCHICHTE
Nachhaltigkeit entwickelt. Auch Hegel vertrat die europazentristische Geschichtstheorie und leistete damit späteren chauvinistischen Ideen gewissermaßen Vorschub. Demgegenüber enthält „der Marxismus nichts . . . , was einem Sektierertum im Sinne irgendeiner abgekapselten, verknöcherten Lehre ähnlich wäre, die abseits von der Heerstraße der Weltzivilisation entstanden ist" (W. I. Lenin 1968, S. 3). Neben der vielfach wiederholten Bezugnahme auf die deutsche Nation zwecks Förderung der deutschen Altertumskunde und der deutschen Sprachwissenschaft als „echt nationale Wissenschaftszweige" war das Germanische im literarischen Schaffen und in der bildenden und darstellenden Kunst des 19. Jh. sehr im Schwange. Für weite Kreise des Bürgertums wurde das Bild von den Germanen dadurch entscheidend mit geformt. Kleists „Hermannsschlacht" 1808, Hebbels „Nibelungen" 1862 und Wagners „Ring der Nibelungen" 1876 sind einige kennzeichnende Beispiele dafür, wie wenig bereits gewonnenes echtes Wissen über die Germanen im künstlerischen Bereich dieser Zeit verarbeitet worden war und wie sehr die Romantik das einer großen Öffentlichkeit gebotene Germanenbild weiterhin prägte. In der monumentalen Bildhauerei ist das Hermannsdenkmal bei Detmold (1838—1846, 1875) zum Symbol kitschiger Verherrlichung eines historisch bedeutenden Ereignisses und der Persönlichkeit des Arminius geworden.39 Nach der Niederlage der Revolution von 1848/49 klangen romantische Einstellungen ab. Die sich nun mit dem junkerlich-monarchistischen Staat für den „preußischen Weg" zur Bildung eines einheitlichen Nationalstaates verbindende Bourgeoisie wandte sich ideologisch von den früheren fortschrittlichen Traditionen des Denkens und den demokratisch-humanistischen Idealen ab. Teilweise nahm die bürgerliche Grundhaltung zu den verschiedenen philosophischen Spielarten stark reaktionäre Züge an. Bei Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844—1900) widerspiegelte sich bereits eine philosophisch fest ausgeprägte rassistische Ideologie.40 Daneben bemühten sich liberal eingestellte Vertreter der Bourgeoisie um die Wahrung der kulturellen Traditionen und um Fortschritte in der Verallgemeinerung wissenschaftlicher Erkenntnisse, oft in Gegnerschaft zum Materialismus und Atheismus. Der sich in Deutschland weit verbreitende Neukantianismus, die dem Positivismus nahestehende philosophische Ideologie vor allem der liberalen Bourgeoisie, akzeptierte für die Gesellschaftswissenschaften ausschließlich die traditionelle Beschreibung von Erscheinungen der Vergangenheit und eine Beurteilung der Ereignisse nach Gesichtspunkten der sogenannten ethischen und kulturellen „Werte". Von dem stärkeren Eindringen positivistischen Denkens in die gesellschaftswissenschaftlichen Einzeldisziplinen, insbesondere der Auffassung, die Geschichte habe 39
F . E n g e l s (1962b, S. 4 4 7 ) : „ S o kindisch auch das dem Arminius bei D e t m o l d errichtete Phantasiestandbild ist . . . , so richtig bleibt es, daß die Varusschlacht einen der entscheidendsten W e n d e p u n k t e in der Geschichte bildet. M i t ihr war die U n a b h ä n g i g k e i t Deutschlands v o n R o m ein für allemal entschieden . . . sicher ist, d a ß ohne sie die ganze Geschichte eine andere R i c h t u n g eingeschlagen h ä t t e . "
40
F . W . Nietzsche, ein E x p o n e n t einer der reaktionärsten idealistischen Strömungen der deutschen Bourgeoisie, w a n d t e sich in einer Periode scharfer Zuspitzung kapitalistischer Widersprüche gegen den proletarischen Klassenkampf. Repräsentant antihumanistischer Grundhaltung, vertrat er Positionen der Herrenmoral und einer extremen rassistischen Ideologie. Durch ihn wurde der geistige Ü b e r g a n g eines Teils des Bürgertums in das Lager der R e a k t i o n in der Periode des Imperialismus vorbereitet.
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es nur mit Fakten zu tun, zwischen denen kein Zusammenhang herzustellen sei, wurden auch die an der Germanenforschung beteiligten Disziplinen berührt. Die Notwendigkeit, Fakten, namentlich die archäologischen und linguistischen Quellen, für die germanische Geschichte aufzuarbeiten und zu beschreiben, förderte diese Tendenz. Sie bestimmte die Arbeitsweise des 1852 geschaffenen Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine und des zur gleichen Zeit gegründeten Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz oder der 1870 ins Leben gerufenen Deutschen Gesellschaft für Anthropologie und Urgeschichte. Solche verdienstvollen Gründungen korrespondierten mit einer solchen Geschichtsauffassung.41 Erste grundlegende und wegweisende analytische Arbeiten mit umfassender Berücksichtigung der Fakten und der wesentlichen Aspekte einer weiterführenden Geschichtsschreibung entstanden auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus. In den achtziger Jahren entstand Friedrich Engels „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" (MEW 21, ig62d, S. 25ff.). 42 Schon 1881/82 hatte Engels einige weitere Manuskripte begonnen und mehr oder weniger weit vorangebracht, die als Vorarbeiten für eine von ihm beabsichtigte Darstellung der deutschen Geschichte gedacht waren. Diese Entwürfe beschäftigten sich ebenfalls mit der Geschichte der Germanen, und zwar behandelten sie die Gesellschaftsordnung, die Auseinandersetzung zwischen Germanen und Römern, Stammesgliederung und Wohnsitze der Germanen, die Entwicklung der materiellen Kultur von der Zeit des Tacitus bis zur Völkerwanderung sowie schließlich die Entwicklung der Agrarverhältnisse in merowingischer und karolingischer Zeit und die damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse bei den Franken. Aus diesen Jahren stammt ferner eine unvollendet gebliebene Arbeit über den fränkischen Dialekt (MEW 19, 1962c, S. 494ff.), ein erstes Beispiel für die Anwendung des historischen Materialismus auf die Sprachwissenschaft und für die Anwendung der Ergebnisse in der Frühgeschichtsforschung.43 Eine Arbeit über „Die Mark" (1882) stellt einen Ausschnitt aus grundlegenden Erkenntnissen über die Geschichte des Grundeigentums in Deutschland dar (MEW 19, 1962a, S. 315ff.). Wie weit voraus war doch diese marxistische Geschichtsbetrachtung und Geschichtsschreibung gegenüber der zeitgenössischen bürgerlichen germanischen Altertumskunde! Welch anregendes und fruchtbares Germanenbild wurde hier entwickelt, frei von 41
Siehe dazu die S t a t u t e n des Römisch-Germanischen
Zentralmuseums Mainz und
ihre
E n t w i c k l u n g bis in die Gegenwart. 42
D a s W e r k entstand auf Grund v o n umfangreichen Vorarbeiten v o n K . M a r x in V o l l f ü h r u n g eines Vermächtnisses.
E s erschien in der ersten A u f l a g e
1884. K a p i t e l
VII
(S. 127 ff.) behandelt speziell die Gens bei den K e l t e n und den Germanen, K a p i t e l V I I I (S. 141 ff.) die Staatsbildung der Deutschen. 43
E s handelt sich im Einzelnen u m folgende Ausarbeitungen:
„ C ä s a r und T a c i t u s "
(F.
E n g e l s 1962b, S. 425ff.), „ D i e ersten K ä m p f e m i t den R ö m e r n " , Ausarbeitungen über Fortschritte in der Zeit bis zur Völkerwanderung — ohne T i t e l — (ders. 1962 b, S. 450 ff.), „ A n m e r k u n g : Die deutschen S t ä m m e " ,
„ D i e U m w ä l z u n g der
Grundbesitzverhältnisse
unter Merovingern und Karolingern (F. Engels 1962 e, S. 474ff.), „ G a u und H e e r v e r f a s s u n g " (ders. 1962e, S. 485). Sämtliche Arbeiten sind unter dem T i t e l F . Engels, Zur Geschichte und Sprache der deutschen Frühzeit, als Sammelband in der Reihe Bücherei des Marxismus-Leninismus B d . 35, Berlin 1952, erstmals in Deutschland erschienen.
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FORSCHUNGSGESCHICHTE
nationaler Überheblichkeit, ganz zu schweigen von allen jenen ins Antihumanistische, Nationalistisch-Rassistische und Chauvinistische ausartenden Denk- und Handlungsweisen. Die Frage nach der Herkunft der Germanen, der Meinungsstreit über den asiatischen oder europäischen Ursprung, blieb in diesen Jahrzehnten unbeantwortet. Für die meisten Germanisten war in der ersten Hälfte des 19. Jh. die europäische Heimat der Germanen noch völlig indiskutabel. Dennoch hatte die Auffassung vom europäischen Ursprung der Germanen nicht wenige neue Vertreter gefunden. Darunter kamen aber auch Autoren zu Wort, die, wie z. B. Wilhelm Lindenschmit, es für denkbar hielten, daß die nordwesteuropäische Bevölkerung der megalithischen Zeit den Hintergrund des Germanentums bildete und diese „sich von Norden her in die südlichen Länder verbreitete und als Grundlage der ganzen europäischen Bevölkerung diente". 44 Auch Philologen plädierten jetzt seit R. G. Latham 1851 und 186245 verschiedentlich für die europäische Germanenheimat. Die theoretische und methodologische Leistung, die speziell Friedrich Engels zur Geschichte der Germanen erbracht hatte, blieb in der offiziellen bürgerlichen Wissenschaft, sowohl bei den Archäologen als auch bei den Linguisten und Historikern, in diesen Jahrzehnten ohne Echo. Dafür aber fanden die auf der Grundlage des historischen Materialismus gewonnenen Erkenntnisse Aufnahme bei der sich organisierenden Arbeiterklasse, gerade für deren sich herausbildendes marxistisches Weltbild die Klassiker des Marxismus ihre Werke und zahlreichen weiteren Beiträge verfaßten. Die bürgerliche Germanenforschung, insbesondere die archäologischen Arbeiten zur Geschichte der Germanen, machte seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jh. und vor allem mit Beginn des 20. Jh. große Fortschritte, insbesondere was die Erweiterung der Quellenbasis, die Methoden der Quellenaufbereitung, ihre Systematisierung und ihre Kritik anbelangt. Seit den sechziger Jahren des 19. Jh. hatte sich in den beteiligten Wissenschaftszweigen die Vorstellung über die Ausdehnung der Germania magna verdeutlicht. Man ging den Fragen der Stämme und Völkerschaften und ihrer Wohnsitze intensiv nach.46 Zu den bereits vorliegenden Darstellungen über einzelne Germanenstämme trat eine größere Zahl weiterer hinzu. 44
45
46
W . Lindenschmit, Archiv des Hennebergischen altertumsforschenden Vereins 4. H e f t 1842. Wenige Jahre später wurde in einer weiteren Schrift der Raum von der Donau bis nach Skandinavien als engere Heimat der Germanen bezeichnet, um den herum halbgermanische Stämme angenommen wurden. Vgl. Th. Bieder 1922, S. 32. Z . B . R . G . Latham, Ausgabe der „Germania" 1851, Elements of comparative philology, 1862. Für F. Engels war die Frage nach der ursprünglichen Heimat der Germanen nicht das Wesentlichste. E r folgte der damals herrschenden Lehrmeinung der führenden Sprachwissenschaftler und nahm an, daß die Germanen mit den Ariern, Griechen, Latinern, Skythen und Kelten bis zur Mitte des letzten Jahrtausends v. u. Z. eingewandert seien. K . Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde 1. Lieferung 1880 gliederte im 3. Band des Werkes die germanischen Stämme in Ost- und Westgermanen. Die Behandlung des germanischen Gebietes erfolgte für den Raum zwischen Rhein und Weichsel (seit K . Zeuß 1837). Die älteste West- und Südgrenze wurde mit einer Linie von der Rheinmündung über das norddeutsche Tiefland zum Erzgebirge und von dort über Nordböhmen und Nordmähren bis zu den Weichselquellen verlaufend angegeben (R. Much 1887, S. i54ff.).
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Den ersten umfassenden Versuch, das frühgermanische Siedlungsgebiet in erster Linie aus archäologischen Quellen zu erschließen, hat Gustaf Kossinna 1885 unternommen.47 Er umschrieb diesen Raum: Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Jütland, Dänische Inseln und Südschweden. Dieser Versuch und sein Ergebnis bestimmten bis in die Mitte des 20. Jh. die Arbeitsweise, die Konzeption der Interpretation der archäologischen Befunde und die weltanschauliche Umsetzung der Erkenntnisse bei einer großen Zahl von Ur- und Frühgeschichtsforschern, ganz besonders aber bei den sich mit der Germanengeschichte befassenden Archäologen. Für die deutsche Forschung ist es daher außerordentlich tragisch, daß der bei Kossinna unverkennbare Ansatz zu einer archäologisch-historischen Forschungsweise durch ihn selbst mit Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus verbunden und damit die Germanenforschung ein Mittel für die imperialistische Politik und schließlich für die faschistische Ideologie wurde. Kossinnas Kritiker konnten nur bis zur Machtübernahme der Faschisten bestehen.48 Kossinnas archäologische Arbeiten führten bald zu der uneingeschränkten Behauptung einer ungestörten Entwicklung des germanischen Ethnos seit dem Mesolithikum, wobei Südskandinavien, Dänemark und Schleswig-Holstein seit dem Spätneolithikum als „rein germanischer Boden" galten. Bezeichnenderweise trägt das meist verbreitete Buch Kossinnas den Titel „Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft", Würzburg 1912 (7. Auflage Leipzig 1936). Der Grundtenor in den Veröffentlichungen Kossinnas und seiner großen Anhängerschaft blieb immer der gleiche, wie Kossinna ihn bereits in seinem Kasseler Vortrag 1885 formuliert hatte: „Uns Deutsche und mit uns alle anderen Glieder germanischen Stammes kann es aber nur mit Stolz erfüllen, und bewundern müssen wir die Kraft des kleinen nordischen Urvolkes, wenn wir sehen, wie seine Söhne in Urzeit und Altertum ganz Skandinavien und Deutschland erobern und im Mittelalter über Europa, in der Neuzeit über ferne Erdteile sich ausbreiten." Gewissermaßen das Fazit dieser Periode der archäologisch-historischen Germanenforschung bis zum Ende des zweiten Weltkrieges liegt in der vom faschistischen „Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte" und von dem sogenannten „Reichsamt für Vorgeschichte der N S D A P " initiierten und von Hans Reinerth herausgegebenen „Vorgeschichte der deutschen Stämme", Leipzig/Berlin 1940 in drei Bänden vor. Zur Erinnerung und zur Abschreckung seien die ersten Zeilen dieses Werkes als Dokument üblen imperialistisch-faschistischen Zeitgeistes zitiert: „Die deutsche Vorgeschichtsforschung hat den überzeugenden Beweis erbracht, daß die Quelle der höheren Gesittung Alteuropas, der Ursprung seiner großen kulturellen und politischen Erfolge, im Norden liegt. Von dort, vom Gestade der Ostsee, aus dem Herzen Deutschlands, sind nach dem untrüglichen Ausweis der Bodenfunde die NordVölker, die die Sprachwissenschaft die Indogermanen nennt, im 3. Jahrtausend v. d. Z. ausgegangen. Überall im neugewonnenen Lande wurden sie zu Kündern nordischer Art und Gesittung, überall, 47
48
G. Kossinna (1858 — 1931), Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland (Vortrag auf der 26. Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft am 9. 8. 1885 in Kassel), Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1896. Die Kritik setzte fast ausnahmslos lediglich bei der Methodendiskussion an. Eine rechtzeitige politische, ideologische Distanzierung von der offen politischen Tendenz aller wesentlichen Arbeiten Kossinnas erfolgte nicht, es sei denn, daß hier und dort der Vorwurf falsch verstandenen Patriotismus laut wurde.
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am Ozean im Westen, am sonnigen Mittelmeer und in den Steppen Asiens, erkämpften sie nordischem Denken, nordischer Sitte, Technik und Kunst Aufstieg und Raum. Jahrtausende haben ihre Taten nicht auszulöschen vermocht. Je näher aber die neuen Völker Europas der alten Heimat saßen, um so kraftvoller und artreiner war ihr Wirken." Diese Bände spiegeln zugleich einige geschichtsphilosophische und politische Grundzüge der imperialistischen Epoche wider: die chauvinistische Irreführung der Bürger, das System der imperialistischen Konzeption auf allen Gebieten des geistigen Lebens der Bourgeoisie in Deutschland, den negativen Einfluß des Neopositivismus und der Phänomenologie auf die Wissenschaft. Daß man von der marxistischen Geschichtstheorie Kenntnis nahm und sich mit ihr. auseinandersetzte, kam wohl verschiedentlich bei Historikern, jedoch noch nicht bei den Ur- und Frühgeschichtsforschern vor. Nach dem zweiten Weltkrieg und nach der Entstehung von zwei deutschen Staaten verlaufen die Entwicklung der Gesellschaftswissenschaften und mit ihr auch die der Ur- und Frühgeschichtsforschung unterschiedlich. In der DDR kann sich die Geschichtsforschung auf der theoretischen Grundlage des historischen Materialismus ungehindert und voll entwickeln. Die Erkenntnis, daß der historische Materialismus die einzige Geschichtsmethodologie ist, die es ermöglicht, Analysen und Synthesen, Verallgemeinerung und Beschreibung, Gesetzmäßigkeit und Zufälligkeit bei der Aufhellung historischer Prozesse zu berücksichtigen und richtig miteinander zu verbinden, bestimmt die wissenschaftlichen Arbeiten auch in der Urund Frühgeschichtsforschung, im Detail, in den Vorlaufforschungen und in den analytischen Arbeiten. Auch die archäologische Germanenforschung bemüht sich, die Vergangenheit nicht als eine Aufeinanderfolge oder ein Nebeneinander existierender Kulturen, sondern als einen dynamischen, gesetzmäßigen, primär auf sozialökonomischen Vorgängen basierenden gesellschaftlichen Prozeß zu erfassen. Die Geschichte der Kulturen wird als Bestandteil der sozialökonomischen Geschichte und nicht umgekehrt erforscht.
2.
Zum Stand der Forschung über den Herausbildungsprozeß der germanischen
Stämme
Ein Anliegen bei der Erforschung früher ethnischer Gemeinschaften ist die Klärung ihrer Entwicklung zu selbständigen gesellschaftlichen Einheiten mit ihren jeweiligen Besonderheiten. Wiederholt ist von den in Frage kommenden Wissenschaftsdisziplinen (u. a. Sprachwissenschaft, Anthropologie und Archäologie) auch zum Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme Stellung genommen worden, ohne daß bisher umfangreichere Ergebnisse vorliegen, die ein der historischen Realität nahekommendes und durch sichere Belege gestütztes Bild der einstmaligen Entwicklung widerspiegeln; das ist vor allem auf die vielgestaltigen Schwierigkeiten zurückzuführen, die sich bei der Aufhellung der seinerzeit verlaufenden Prozesse auf tun. Für die Darstellung des Herausbildungsprozesses der germanischen Stämme gibt es Quellen unterschiedlicher Art. Dabei handelt es sich in erster Linie um sprachliche und archäologische Hinterlassenschaften. Die bisher vorliegenden, in ihren Ergebnissen vereinzelt auch divergierenden For-
ZUM HERAUSBILDUNGSPROZESS DER GERMANISCHEN STÄMME
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schungsergebnisse zum Herausbildungsprozeß der germanischen Stämme sind Bestandteil der bürgerlichen Forschung, die hierzu beachtenswerte Arbeiten beigesteuert hat. Auch der neueste Forschungsstand wird durch sie bestimmt, weil von der materialistischen Geschichtsauffassung getragene Untersuchungen zu diesem Problem bisher nicht vorliegen. Mit der Erforschung der indoeuropäischen Sprachfamilie sind vielfach auch Fragen der germanischen Altertumskunde erörtert worden. Nach dem derzeitigen Forschungsstand gehört das Germanische zur Westgruppe des Indoeuropäischen, geographisch also in das europäische Gebiet, in dem sich auch die Herausbildung der germanischen Stämme vollzogen haben muß. Die neuesten Forschungen hierzu grenzen diesen Raum auf das norddeutsch-dänische sowie südschwedische und südnorwegische Gebiet ein. Es gab jedoch auch Versuche, denselben Bereich auf Nordeuropa (sogenannte „nordische" Theorie) zu beschränken. Dem standen Ansichten, die vereinzelt auch heute noch vertreten werden, von einer südosteuropäischen Herkunft gegenüber. Seit die Sprachgeschichte „mit sprachlichem Material und mit der Methode sprachvergleichender Grammatik historische Stammeskunde treibt", bietet sie ein wichtiges „Beurteilungsmittel" für die Umreißung „sprachlich-ethnischer Gemeinschaften" (G. Kossack 1962, S. 71). Die Sprachgemeinschaft gibt nach R. Wenskus (1961, S. 93) den Rahmen ab, in dem „sich ein Ethnos oder auch mehrere nebeneinander entwickeln können". Die Feststellung der regelmäßigen Veränderung der germanischen Verschlußlaute, als erste germanische Lautverschiebung bezeichnet (s. S. 110 f.), versetzt die Sprachwissenschaft in die Lage, den Vorgang der Absonderung der germanischen Sprache aus der indoeuropäischen Sprachfamilie nachzuzeichnen. Auf der Grundlage von verschobenen alteuropäischen Gewässernamen kann das Gebiet umrissen werden, in dem sich die sprachliche Absonderung germanischer Bevölkerungsgruppen/Stämme von den Nachbargemeinschaften vollzog. Während die Ausdehnung der von der Lautverschiebung erfaßten Gebiete in den vorstehend genannten Territorien mit einiger Sicherheit nachzuweisen ist, konnte die Frage nach dem Beginn dieses für die germanische Geschichte so wichtigen Prozesses immer noch nicht befriedigend beantwortet werden. Die Sprachwissenschaft selbst kann dazu keinen begründeten Beitrag liefern. Man griff deshalb auf die chronologisch besser fixierten Quellen der archäologischen Forschung zurück, ohne daß eine sichere Koordinierung von sprachwissenschaftlicher und archäologischer Quelle möglich ist. Weitgehende Ubereinstimmung besteht jedoch darin, daß sich dieser Vorgang in der zweiten Hälfte des letzten Jahrtausends v. u. Z., während der vorrömischen Eisenzeit, vollzog. Vereinzelt wird erwogen, ob die Tenues-Verschiebung nicht doch in ältere Zeiten, vom archäologischen Quellenmaterial her betrachtet, in die jüngere Bronzezeit zurückzuverlegen sei (H. Birkhan 1970, S. 103,107L). Der hypothetische Charakter derartiger Aussagen liegt auf der Hand. Es verwundert deshalb nicht, wenn ihnen gegenüber große Skepsis entgegengebracht wird. Andererseits wird aber eingeräumt, daß „manche kulturelle, politische und ethnische Überlieferung aus dieser Zeit in das Germanentum hineinragen mag". Trotzdem habe die nordische Bronzezeitkultur „noch keinen ausgesprochen germanischen Charakter" besessen (R. Wenskus 1961, S. 254). Während Raum und Zeit der Herausbildung germanischer Sprache bzw. Stammesdialekte Gegenstand bevorzugter Forschungen waren, wurde die Frage nach den
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FORSCHUNGSGESCHICHTE
Ursachen bzw. nach den Triebkräften für die Herausbildung germanischer Stämme entweder mit untergeordneter Bedeutung oder gar nicht gestellt. Erst in Arbeiten aus jüngerer Zeit, zu denen nun auch solche von Vertretern der materialistischen Geschichtsauffassung geschriebene gehören, wurde dieser wichtigen Seite der Germanenforschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die Bedeutung der ökonomischen Verhältnisse, die im vermutlichen Herausbildungszeitraum durch die Verschlechterung der Großklimalage mitbestimmt wurden, war für K.-H. Otto (i960, S. 105) Anlaß, auf Bewegungen hinzuweisen, die die „engen Kontakte zwischen den Stämmen ausgelöst haben''. Andererseits wurden aber auch Zweifel darüber geäußert, die Ursachen in erster Linie im ökonomischen Bereich suchen zu wollen. J. Herrmann (i960, S. 1446) hat sich z. B. für primäre Anstöße zur Herausbildung aus den politischen Verhältnissen heraus ausgesprochen. Eine ähnliche Ansicht vertrat nur ein Jahr später R. Wenskus (1961, S. 253ff-). Das auf sprachwissenschaftlichem Weg umrissene Entstehungsgebiet der germanischen Dialekte ist weitgehend mit dem Siedlungsraum der Bevölkerung der Jastorfkultur (s. S. 87 ff.) identisch. Es ist also nicht verwunderlich, wenn Vertreter der sprachwissenschaftlichen Forschung in diesem Gebiet auch die Herausbildung der germanischen Stämme lokalisieren und diese als germanisch bezeichnen. Aber auch im Falle der Koordinierung der Quellen dieser beiden verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß es keine ausreichenden Kriterien gibt, um das Verhältnis zwischen Sprachgebiet und archäologisch erschlossenem Kulturgebiet eindeutig festzustellen. In diesem Zusammenhang machte H. Jankuhn (1970, S. 58) darauf aufmerksam, daß eine „archäologische Kulturprovinz" einerseits nicht mit einer „Sprachprovinz" identisch zu sein braucht bzw. zum anderen eine „archäologische Kulturprovinz" mehrere sprachlich unterschiedliche ethnische Gemeinschaften umfassen kann. Außerdem muß man damit rechnen, daß sich eine sprachlich abgrenzbare ethnische Gemeinschaft über das Gebiet mehrerer „archäologischer Kulturprovinzen" erstrecken kann. Sicher scheint dagegen zu sein, daß die Sprache auf das engste mit der Formierung stabiler Gemeinschaften „auf einem bestimmten Territorium, mit einem gemeinsamen Wirtschaftsleben und mit einer für diese Gemeinschaft charakteristischen Kultur" verbunden war (K.-H. Otto 1964, S. 48). Was nun die Konsolidierung der entsprechenden Bevölkerungsgruppen im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa zu germanischen Stämmen anbetrifft, handelt es sich bei diesem Prozeß nach den neuesten Darstellungen nicht um Ergebnisse von „Bewegungen mit Eroberungscharakter" aus dem Siedlungsgebiet der Jastorfkultur. So ist nach R. Wenskus (1961, S. 584) möglicherweise auch mit einem „Zusammenwachsen" von Bevölkerungsgruppen zu rechnen, das sich auf der Grundlage eines „Wechsels in der (ethnischen, d. Verf.) Selbstzuordnung", verbunden mit einem „Sprachwechsel", vollzogen haben könnte. Aus der Gesamtproblematik des Forschungsstandes und der einleitend umrissenen Quellensituation ergibt sich aber, daß auch diese Ansicht quellenmäßig nicht gestützt werden kann. Neben der Sprachwissenschaft war und ist besonders die Ur- und Frühgeschichtsforschung an der Lösung dieses Entwicklungsabschnittes der germanischen Geschichte beteiligt. Ausgehend von der Überzeugung einer Siedlungskonstanz von der ausgehenden Steinzeit bis zur ersten schriftlichen Erwähnung germanischer Stämme durch antike Geschichtsschreiber (s. S. 37 ff.) hielt man jahrzehntelang die Herausbildung der germa-
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nischen Stämme für das Ergebnis eines sog. Verschmelzungsprozesses der Träger der „nordischen Megalithbevölkerung" mit den „Einzelgrableuten". Weiter wurde gefolgert, daß die „einheitliche Volkswerdung der Germanen mindestens um das Jahr 1200" v. u. Z. abgeschlossen gewesen war. Die nordische Bronzezeitkultur wurde damit zur „offenkundigen Quelle für alles Germanische der folgenden Jahrhunderte" erklärt (E. Sprockhoff 1936, S. 255). Diese Ansicht erreichte in den dreißiger Jahren den Charakter einer offiziellen Lehrmeinung. Noch heute werden diese Ergebnisse der Forschungen der zwanziger und der dreißiger Jahre von anderen Wissenschaftsdisziplinen zur Stützung der eigenen Forschungen herangezogen, wie das beispielsweise aus der 1956 veröffentlichten Arbeit „Zur germanischen Stammeskunde" von E. Schwarz und auch aus dem Beitrag von C. J . Hutterer in der kleinen Enzyklopädie „Die deutsche Sprache" (1969) hervorgeht. In der Nachkriegsforschung war eine Art Resignation Ursache für die starke Zurückhaltung gegenüber dieser Problematik. Die Forscher bevorzugten mehr „den Bereich rein antiquarischer Untersuchungen" (R. Hachmann 1970, S. 177). Erst mit dem Erscheinen der Arbeit von R. Wenskus (1961) lebte die Diskussion um die methodischen Grundlagen der Ethnogeneseforschung wieder auf. Weitere kleinere und auch größere Arbeiten bürgerlicher Forscher schlössen sich an (R. Hachmann — G. Kossack — H. Kuhn 1962; H. Jankuhn 1970; R. Hachmann 1970). Die Ansicht, daß im Laufe der vorrömischen Eisenzeit die Herausbildung der germanischen Stämme erfolgte und daß zumindest die Träger der Jastorfkultur, vor allem auf Grand der sprachlichen Belege Germanen waren, hat sich im letzten Jahrzehnt sowohl in der bürgerlichen als auch in der marxistischen Ur- und Frühgeschichtsforschung gefestigt. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch immer noch über die Herausbildung der Jastorfkultur. Der These von der Einwanderung ihrer Träger, also der Germanen, — insbesondere mit dem Namen des Archäologen G. Schwantes verbunden — stand und steht in immer stärkerem Maße die Auffassung von der autochthonen Herausbildung gegenüber.49 Auf der Grundlage eines mangelhaften Forschimgs- und Bearbeitungsstandes für den Zeitraum der jüngeren Bronze- bzw. vorrömischen Eisenzeit im nördlichen Mittel- und 49
Diese Auffassung wird durch die Forschungsergebnisse zahlreicher polnischer und sowjetischer Sprachwissenschaftler, Historiker und Archäologen gestützt: Im Zusammenhang mit der Erforschung der Herausbildung der slawischen Stämme wird allgemein angenommen, daß sich die „Urslawen" gemeinsam mit den „Urbalten" am Ende des Neolithikums von der indoeuropäischen Sprachgemeinschaft abzusondern begannen („balto-slawische Gemeinschaft"). Die Aufspaltung dieser Gemeinschaft soll sich dann in der Bronzezeit, wobei überwiegend das 2. J t . v. u. Z. in Betracht gezogen wird, vollzogen haben. Als Siedlungsgebiet der „urslawischen" Stämme wird der Raum zwischen Oder und mittlerem Dnepr angegeben. Dieser Bereich entspricht in etwa den Wohngebieten der Stämme des östlichen Bereiches der Lausitzer Kultur, der sich durch Unterschiede in der materiellen und geistigen Kultur vom westlichen Verbreitungsgebiet der Lausitzer Kultur abhebt. Zu den zeitgenössischen Nachbarn der „Urslawen" gehörten u. a. „urthrakische", „urkeltische" und „germanische" Stämme. Auf sprachlichem Wege wurde dabei erschlossen, daß sich im Nordwesten des „urslawischen" Siedlungsgebiets, also westlich der Oder, die Wohnsitze der germanischen Stämme befunden haben müßten (A. Gardawski 1968; W . Hensel i960, 1964, 1968, 1971, 1973, 1974; J- Kostrzewski 1965; T. tehr-Splawinski 1963; H. tomiariski 1963; St. Rospond 1968).
3 Germanen — Bd. l
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FORSCHUNGSGESCHICHTE
südlichen Nordeuropa folgerte G. Schwantes (1950 und 1955), daß die Träger der Jastorfkultur aus dem skandinavischen Bereich eingewandert sein müßten (sogenannte „Jastorfstörung"). Aber auch er kam nicht umhin, die weitgehenden Übereinstimmungen in der materiellen und geistigen Kultur zwischen der jüngeren Bronzezeit und der eisenzeitlichen Jastorfkultur zu erwähnen. Aus diesem Grunde hält er „Volkseinbrüche" aus anderen Gebieten auch für unwahrscheinlich (G. Schwantes 1955, S. 100). Für derartige Ansichten lassen sich keine Belege beibringen. Das trifft auch für die Theorie des Forschers A. Leydeh (1957, S. 270ff.) zu, der einen kulturellen Bruch zwischen der jüngeren Bronze- und vorrömischen Eisenzeit voraussetzt, mit dem „Eindringen" der Jastorfkultur auf dem Elbweg rechnet und annimmt, daß im Zusammenhang damit wahrscheinlich auch neue Menschen eingewandert" sind. Das gilt aber auch für die Auffassungen von G. Hermes (1937, S. 105 ff.) und H. Rosenfeld (1961, S. 20), die einen „abrupten Abbruch" der jungbronzezeitlichen Kultur zu erkennen glauben und als Ursachen dafür „völkische Auseinandersetzungen" verbunden mit der Einwanderung „neuer kriegerischer Scharen" ansehen. Das Problem der autochthonen Herausbildung der Jastorfkultur, das die Ablehnung der Einwanderungsthese beinhaltet, hat besonders in den letzten Jahren die Forschung stärker beschäftigt. Zahlreiche Untersuchungen auf jungbronze- bzw. eisenzeitlichen Fundplätzen sowie die intensive Bearbeitung bereits vorliegenden Quellenmaterials haben zahlreiche weitere Belege für die autochthone Entstehung der Jastorfkultur erbracht (vgl. S. 95 ff.). In der vorliegenden Darstellung der Geschichte und Kultur der germanischen Stämme wird von dieser neuen, sich auf eine immer breitere Quellenbasis stützende Ansicht der autochthonen Herausbildung der germanischen Stämme ausgegangen. Aus diesem Grunde erfolgt auch die Einbeziehung der jüngeren Bronzezeit in die Untersuchungen über den Herausbildungsprozeß germanischer Stämme.
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36
FORSCHUNGSGESCHICHTE
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III.
Antike
Nachrichten1
Die archäologischen Quellen zur Geschichte und Kultur der germanischen Stämme werden durch die antiken Berichte wesentlich bereichert. Ohne diese Überlieferung könnte für die frühe Zeit nur „namenlose" Geschichte geschrieben werden; wir wüßten nichts von „Germanen" und ihren Einzelstämmen. Die Abgrenzung der Siedlungsgebiete germanischer Stämme mit Hilfe archäologischer Funde allein stößt noch immer auf große Schwierigkeiten. Erst die Verbindung siedlungsarchäologischer Ergebnisse mit den Nachrichten und deren mitunter retrospektiver Auswertung läßt hoffen, bei dem Problem der Lokalisation germanischer Stämme weiterzukommen. Schon lange hat sich die Forschung mit den antiken Schriftzeugnissen beschäftigt. 2 Bei der Auswertung dieser Berichte ist eine Prüfung ihres Charakters bzw. eine intensive Quellenkritik von besonderer Wichtigkeit (s. S. 13,15f.). Die letzten Jahrhunderte v. u. Z. zeigen uns den langsamen Niedergang der griechischen Staaten und den Aufstieg des Römischen Reiches. Wissenschaftliche Traditionen der Griechen wurden vielfach von den Römern aufgenommen und weitergepflegt; dabei bediente man sich nicht selten ethnographischer Klischees. Doch kaum ein antikes Zeugnis erhellt jenes Gebiet, in dem sich nach dem heutigen Stand der Forschung die Herausbildung der germanischen Stämme vollzogen haben muß. Da alle Berichte über diese zunächst Zufallskenntnisse vermitteln und in der Regel nur Bestandteil von Darstellungen zur römischen Geschichte sind, ist auch eine eingehende Stellungnahme antiker Autoren zu ethnogenetischen Vorgängen bei den germanischen Stämmen kaum zu erwarten. Nur die „Germania" des Tacitus bietet einige Hinweise. Doch liegt für Tacitus der Zeitraum der Herausbildung der Germanen schon sehr weit zurück. Zur Zeit der Kimbernkriege (Ende 2. Jh. v. u. Z.), die eine neue Epoche mit langdauernden Kämpfen zwischen Römern und Germanen einleiteten, wußten die Römer vermutlich noch nichts von den ethnischen Unterschieden zwischen „Germanen" und Kelten. Diese Erkenntnis begann sich erst im Laufe der ersten Hälfte des 1. Jh. v. u. Z., besonders seit Poseidonios und dann seit Cäsar durchzusetzen. Bis dahin kannte man ganz allgemein nur Skythen, Keltoskythen, Kelten bzw. Gallier. 1
Zu den antiken Berichten vgl. die Zusammenstellung S. 540 f.
2
Vgl. hierzu u.a. O. Bremer 1904; C. W o y t e 1922; T h . Bieder 1921, 1922; J. Buehler 1922; R . Much 1920, 1925, 1937, ^ 6 7 ; W . Capelle 1937 T h . Steche 1937
u-
u-
1939> S. Gutenbrunner 1936 u. 1939;
1942; E . Nack 1963; E . Schwarz 1956 u. 1967; R . Seyer 1968; H. Jan-
kuhn, Kommentare zu Much 1967.
38
ANTIKE NACHRICHTEN
Die militärischen Auseinandersetzungen, insbesondere in den Jahrzehnten um den Beginn u. Z., verfolgten das Ziel, die Reichsgrenze bis zur Elbe vorzuschieben, wodurch vorübergehend bestimmte germanische Stämme in den römischen Machtbereich einbezogen wurden. Auf Grund dieser Tatsache sowie durch germanische Söldner und durch die Beziehungen, die germanische Adelige mit den Römern aufnahmen, war die Möglichkeit gegeben, die Germanen und ihr Land nun besser kennenzulernen. Nachdem die Römer trotz zahlreicher kriegerischer Versuche (s. S. 269—277) das Ziel, die Gebiete bis zur Elbe unter ihre Oberhoheit zu bringen, aufgeben mußten und sich nach dem Jahre 16 im wesentlichen mit einer Defensivstellung an Rhein und Donau begnügten, fanden sie jedoch auch weiterhin Mittel und Wege, die innergermanischen Verhältnisse zu beeinflussen. Sie nutzten Zerwürfnisse zwischen den Stämmen aus, bewirkten an den Grenzen Umsiedlungen und schufen Klientelverhältnisse zu einigen Stämmen (vgl. z. B. E. Schwarz 1967, S. 11). Aber bereits mit dem Bau des obergermanBch«en Limes um das Jahr 83 (s. S. 290) und der damit verbundenen Beschränkung auf dies? Linie wurden die Berichte wieder spärlicher.
1.
Nachrichten zu germanischen Siedlungsgebieten bis zum Beginn unserer Zeitrechnung
Die erste Quelle über mittel- und nordeuropäische Gebiete ist die Beschreibung des Pytheas von Massilia3 über seine Reise nach dem Norden in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v. u. Z. (Abb. 1). Pytheas hat als erster Kelten und Skythen unterschieden und Nachrichten über später als germanisch erkannte Gebiete und deren Bewohner übermittelt. Er kannte die Bezeichnung „Germanen" noch nicht, sondern sprach von Skythen, die das ganze Gebiet nördlich und östlich von Gallien bewohnten. Sein Bericht ist uns leider nur auszugsweise bei späteren Autoren erhalten geblieben, über Timaios, Xenophon, Philemon, Hipparch und Erathosthenes bei Diodor (5, 23), Mela (Chorographia 3, 31 u. 55) und Plinius (Nat. hist. 1, 4, 94; 2, 4, 95; 3, 26, 2 ff. u. 37, 45). 5. Gutenbrunner (1939, S. 63 f.) hat nach diesen Angaben den letzten Breitengrad auf keltischem Gebiet mit 52° 17' n. Br. berechnet, was mit der Hauptmündung des Rheins im Altertum zusammentrifft. Außer der Schilderung des Wattenmeeres an der Nordsee verdanken wir Pytheas eine Beschreibung der Bernsteininsel Abalus, die man allgemein als die Insel Helgoland identifiziert. Die Inselbewohner verkauften den Teutonen, die dem Festland am nächsten wohnten, Bernstein (bei Plinius 37, 35—53). Danach halten die meisten Forscher die Westküste Schleswig-Holsteins und Nordjütlands für die Heimat der Teutonen. Unsicher ist die Deutung des Namens Guionen oder Gutonen, die als Anwohner des „aestuariums" genannt werden und die Plinius (3, 26, 2ff.) mit dem Zusatz „gens Germaniae" versah. Interessant ist die Auslegung dieses Namens als Verschreibung aus Ingvaeonibus u. a. bei D. Detlefsen (1904, S. 26), wonach die Ingvaeonen zu so früher Zeit in demselben Gebiet erscheinen würden, in das sie viel später Tacitus verweist. Ein Beweis hierfür konnte aber bisher nicht angetreten werden (vgl. D. Stichtenoth 1959, S. 90 und R. Wenskus 1961, S. 286). Tatsache bleibt nur die 3
Pytheas von Massilia, griechischer Autor, Schüler des Aristoteles; W e r k : „ U b e r den Ozean", Seereise bis zur Küste Norwegens und die Nähe des Polarkreises.
S I E D L U N G S G E B I E T E BIS ZUM BEGINN U. Z.
39
Abb. l . Nachrichten des Pytheas von Massilia aus dem 4. J h . v. u. Z. über das mitteleuropäische Gebiet.
40
ANTIKE NACHRICHTEN
Nennung der Teutonen, die Jahrhunderte später zusammen mit den Kimbern die Römer in Schrecken versetzten. Durch Polybios 4 ist überliefert, daß im 3. Jh. v. u. Z. auf der Balkanhalbinsel die später als germanisch erkannten Bastarnen und Skiren in Kämpfe mit den Römern verwickelt wurden. Noch ungeklärt ist, ob eine Verbindung zwischen diesen Stämmen und den eine germanische, vermutlich suebische Neuzuwanderung anzeigenden archäologischen Funden in Rumänien und der Sowjetunion aus dem 2./1. Jh. v. u. Z. besteht. 5 Doch dürften diese Erscheinungen als Anzeichen der nunmehr aus dem germanischen Raum sich anbahnenden expansiven Bestrebungen zu werten sein. Ungeklärt blieb die ethnische Zugehörigkeit der Gaesaten, die für die zweite Hälfte des 3. Jh. v. u. Z. im Wallis an der Rhone genannt werden. Schon in der Ora Maritima in der Übersetzung des Avienus, die im 4. Jh. v. u. Z. abgefaßt wurde, und deren Vorlage eine in Massilia entstandene Beschreibung der Küste Westeuropas im 6. Jh. v. u. Z. sein soll, erscheinen für das Rhonetal Stämme mit angeblich germanischen Namensbildungen: die Tylangier und Daliterner, die später immer wieder in den antiken Quellen vorkommen (bei Cäsar Tulingi). Die Triumphalfasten in Rom berichten von einem Sieg „De Galleis insubribus et German" im 3. Jh. v. u. Z., wobei der Name „Gaesat" wohl bei einer späteren Ausbesserung durch „German" ersetzt wurde.8 Livius 7 (Ab urbe condita 21, 38,8) spricht später von „semigermanischen" Stämmen am oberen Rhönelauf. Wahrscheinlich handelt es sich hier aber um gallische Stämme. Eine wichtige Quelle für die Germanenforschung stellen die um 80 v. u. Z. vollendeten Historien der Zeit von 146 bis ca. 96 v. u. Z. des Poseidonios8 dar. Leider sind uns auch diese Schriften nicht erhalten geblieben, doch haben viele spätere Autoren sie nachweislich als Quelle benutzt (vor allem Plutarch, Livius, Appian, Marius). Athenaios überliefert (4, 153 E, vgl. F. Jacoby 1926, S. 222ff.) ein Fragment aus dem 30. Buch, 4
Polybios (ca. 201 — 120 v . u. Z.), ein nach 166 in R o m als Geisel lebender griechischer Staatsmann. V o n seiner 40 Bücher umfassenden Weltgeschichte sind im wesentlichen nur die 5 ersten B ä n d e (Zeitraum 221 — 1 4 4 v . u. Z.) erhalten.
5
Zu den Funden v o n Poienc§ti, L u k a s c h e w k a bei Kischinew, Zarubincy u. a. v g l . allem R . V u l p e (1953 u. 1955), I. Nestor (1956), G. B . Fedorow (1957 Petrow
(1959), R . H a c h m a n n
u-
vor
1960)1 V . P .
(1957), K . T a c k e n b e r g (1963). D a s H e r k u n f t s g e b i e t der
Einwanderer des 1./2. Jh. v . u. Z. u m f a ß t danach das Jastorfgebiet, speziell Brandenburg (Hachmann)
bzw.
(Tackenberg).
das Mittelelbegebiet,
Dies wäre die erste
die Niederlausitz
archäologisch
exakt
und
Teile
nachweisbare
Niederschlesiens suebische
Aus-
wanderung. 6
Gaisatoi =
„ S p e e r b e w a f f n e t e " , v g l . Polybios 2, 22, 7 ; Orosius 4, 13. F ü r germanische
E t h n i z i t ä t nach R . M u c h (1925 u. 1932) auch S. Gutenbrunner (1938), für K e l t e n u. a. R . Heuberger (1938 u. 1956). A l s germani im Sinne v o n Söldnertruppen, nicht als V o l k s name, interpretiert J. de Vries i960, S. 5 7 f f . , diese A n g a b e (vgl. z u m Gaesatenproblem auch H . S c h m e j a 1967). 7
Livius (59 v. u. Z . — 17. u. Z.), bedeutender römischer Historiker. Geschichte seit Gründung der S t a d t R o m ( „ A b urbe condita") in 142 Büchern, z u m großen Teil verlorengegangen, aber kurze Inhaltsangaben (Periochae) erhalten.
8
Poseidonios aus A p a m e a , Syrien (um 135 — 51 v . u . Z.), zuletzt auf Rhodos, und
Historiker,
Forschungsreisender.
Fortsetzung des Polybios.
Historia,
Universalgeschichte
in
52
Philosoph Büchern,
SIEDLUNGSGEBIETE BIS ZUM BEGINN U. Z.
41
das die älteste gesicherte Erwähnung des Namens Germanen enthält: „Die Germanen genießen zum Frühstück gliederweise gebratenes Fleisch und trinken dazu Milch und den Wein ungemischt." Poseidonios benutzte den Namen Germanen für die Grenznachbarn der Kelten auf dem rechten Ufer des Oberrheins (Abb. 2). Inwiefern er Germanen, Kelten und Skythen wirklich zu scheiden wußte, entzieht sich unserer Kenntnis. Wie weit die geographisch-ethnographischen Kenntnisse des Poseidonios nach Norden und Osten reichten, ist unbekannt. Doch darf man annehmen (R. Nierhaus 1966, S. 215), daß nicht Poseidonios der Urheber der Suebenethnographie des Strabon (Geographica, 7, 1, 3, p. 290 f.) ist, wie dies R. Hachmann (1962, S. 49,56) und G. Walser (1956, S. 55 ff.) behaupten. Poseidonios kann als der beste Kenner der Kriege gegen die Kimbern und Teutonen, die in seine Berichtszeit fallen, bezeichnet werden. Doch Neues über die Heimat dieser Stämme erfahren wir nicht; auch ihr Wanderweg (Abb. 51) läßt sich nur vermuten: 9 Allgemein wird ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet an der Kimbrischen Halbinsel in Nordjütland und an der nördlichen Westküste Schleswig-Holsteins lokalisiert. Die Namen „Himmerland" bzw. „Himmersyssel" und „Tytesyssel" weisen noch heute auf entsprechende Zusammenhänge hin. Reste der Kimbern und Teutonen blieben in der Heimat, ferner sind Stammesteile in der Umgebung von Teutoburgium an der Donau sowie von Miltenberg und Heidelberg im Norden und Süden des Odenwaldes zu suchen. Auch die Aduatuker in Belgien werden von ihnen hergeleitet. Wichtig ist die Feststellung, daß mit den Kimbern- und Teutonenzügen — wie schon mit dem Auftauchen der Bastarnen und Skiren im Südosten — die beginnende Auseinandersetzung zwischen germanischen Stämmen und fremden Völkern in deren Heimtländern bzw. Machtbereichen deutlich wird. Die Erkenntnis verschiedener Ethnika mag auch im Zusammenhang mit den Sklavenkriegen in Rom 73 —71 v. u. Z. gefördert worden sein. Die Uberlieferung berichtet von ethnischen Gruppierungen der Rebellen, wie Trakern, Kelten, Germanen (H. Nesselhauf 1953 [1951], S. 75). Bis zu diesem Zeitpunkt scheint das Wissen der Griechen und Römer über die Germanen noch recht unzureichend. Erst im Zusammenhang mit der Ankunft der Sueben und anderer germanischer Stämme am Rhein und deren Zusammenstößen mit Kelten und Römern gibt eine neue, sehr wichtige Quelle Einblick in die Verhältnisse an diesem Strom und in dessen östlichem Hinterland. Es war Cäsar 10 , der in seinen Berichten über den Gallischen Krieg erstmals den ethnischen Gegensatz zwischen Kelten und Germanen hervorhob (vgl. insbesondere den Germanenexkurs) und so der allgemeinen Verbreitung des Germanenbegriffs in der antiken Welt zum Siege verhalf (vgl. u. a. F. Beckmann 1930, G. Walser 1956). 11
9
Zu dieser F r a g e h a t kürzlich u . a . E . Schwarz (1967) Stellung genommen. E r verarbeitet auch alle anderen späteren Berichte antiker Autoren sowie die Literatur
zu
diesem
Problem. 10
Gaius Iulius Caesar (100—44 v -
u-
Z.), römischer Feldherr und Staatsmann. „Commentarii
de bello Gallico", geschrieben u m 52 v . u. Z. (zu Germanen besonders 1, 31 — 54; 2, 4; 4. 19; 5. 1 9 — 2 8 ) . 11
A u c h Cicero stellte im Jahre 56 v . u. Z. die K e l t e n den Germanen gegenüber (H. Nesselhauf
1953 [1951], S. 75 m i t A n g a b e „ d e prov. cons." 13,33). Cicero ( 1 0 6 — 4 3 v . u. Z.),
römischer Redner, Politiker und Philosoph.
42
ANTIKE NACHRICHTEN
Abb. 2. Antike Nachrichten über das mitteleuropäische Gebiet vor Cäsar, insbesondere von Poseidonios (um 80 v. u. Z.).
SIEDLUNGSGEBIETE BIS ZUM BEGINN U. Z.
43
Nach Cäsar (Bell. Gall. i , 36, 7) ist die Anwesenheit des Ariovist 12 mit seinen Leuten etwa seit 72 v. u. Z. am Rhein und im Elsaß wahrscheinlich. Er besiegte Ariovist, den Anführer der germanischen Stämme im Jahre 58 v. u. Z. im Elsaß und überschritt in den Jahren 55 und 52 den Rhein. Seine Berichte ergaben sich aus diesen Auseinandersetzungen und können wegen der direkten Kontakte (auch mit germanischen Hilfstruppen) weitgehend als glaubwürdig gelten; doch werden z. B. seine Zahlenangaben nur mit Vorsicht auszuwerten sein. Leider berichtet auch Cäsar nicht, woher die Stämme, die seine Gegner waren, kamen. Dies ist umso bedauerlicher, weil vom archäologischen Quellenmaterial her keine Aussagen zu dieser wichtigen Frage möglich sind. 13 So spricht z. B. R. v. Uslar (1938a, S. 211) lediglich von Hinweisen durch die Südwestausbreitung gewisser keramischer Formen aus dem Elbgebiet vom Ende des 1. Jh. v. u. Z. Von den bei Cäsar genannten 16 germanischen Stämmen lassen sich nicht alle genau lokalisieren (Abb. 3). Viele Angaben sind nur in ihrem relativen Verhältnis zueinander auswertbar. Als progressives Element dieser Zeit werden die Sueben 14 deutlich erkennbar. Cäsar (4, 1, 3) stellt sie in seinem Suebenexkurs besonders vor und hebt ihre Bedeutung heraus. Klar wird auch, daß die Germanen den Römern nicht als einheitliches „ V o l k " entgegentraten, sondern als in viele größere und kleinere Stämme gegliedert, deren Zusammengehörigkeitsbewußtsein noch wenig entwickelt war. Cäsar nennt (1, 51, 2) Sueben im Heer des Ariovist neben den Markomannen, Haruden, Tribokern, Wangionen, Nemetern und Sedusiern. Dieser Zusammenschluß von Stämmen wird als Kennzeichen der inneren Unruhe im germanischen Raum angesehen. Cäsar (1, 53, 4 und 1, 51, 2) bezeichnet die Sueben als natio, in seinem Suebenexkurs (4, 1, 3) als gens. Über ihr Wohngebiet berichtet er (4, 9—10), daß der Bacenis die Cherusker und Sueben voneinander scheide. Da er aber dieses Waldgebirge nicht genau lokalisiert, lassen sich die Siedlungsgebiete dieser beiden Stämme nicht eindeutig bestimmen. 58 v. u. Z. lagerten Angehörige von „100 Gauen" der Sueben am Rhein (1, 37, 3), um den Fluß unter der Führung von Nasua und Cimberius zu überschreiten und Ariovist zu unterstützen. Doch zogen sie sich nach dessen Niederlage zurück (1, 54, 1). Drei Jahre später 12
13
14
Nach K. Müllenhoff 1900, S. 29, stellt das älteste Zeugnis für den Namen Sueben ein Fragment aus dem Geographischen Handbuch des Cornelius Nepos bei Mela, Chorographia 3. 5. 45 und Plinius, Nat. hist. 2, 170 dar, wo Ariovist rex Sueborum (bei Mela verderbt Botorum) im Zusammenhang mit Ereignissen im Jahre 62 v. u. Z. genannt wird, als Metellus Celer Prokonsul in Gallien war. Vgl. dazu besonders K. Schumacher 1914, S. 23off.; R. v. Uslar 1938b, S. 249ff.; H. Behagel 1943, S. i 3 o f f . ; W. Kersten 1948, S. 5ff.; J. de Vries 1951b, S. 7ff.; H. Nesselhauf !953 ( 1 9 5 1 ) . S. 76ff.; H. Schönberger 1952, S. 21 ff.; W. Jörns 1953, S. 97, 102; F. Behn 1957, S. 98ff.; J. de Vries i960; R. Hachmann, G. Kossack, H. Kuhn 1962; R. v. Uslar 1963, S. 142ff.; W. Schrickel 1966 (1964), S. i 3 8 f f . ; R. Nierhaus 1966, S. i o f f . ; G. Mildenberger 1969a, b; ders. 1972, S. 635 ff. Der Name Sueben wurde unterschiedlich gedeutet, s. z. B. „die Schlafmützen" (die in der Kultur Zurückgebliebenen), „die Schweifenden", „die dem eigenen Verband Angehörenden", „die Freien" oder „freie Männer" (vgl. u. a. K. Müllenhoff 1887, S. 236; R. Much 1937, S. 29, 33off.; W. Steinhauser 1954, S. 55; H. Rosenfeld 1961, S. 128; E. Schwarz 1972, S. XXIV). Für die Deutung als „Freie" könnte sprechen, daß Tacitus später unter diesem Namen die östlich der Elbe wohnenden Germanen zusammenfaßt, also die Bewohner eines Gebietes, das die Römer weder durchzogen noch unterworfen hatten.
Abb. 3. Cäsar (Bell. Gall.) zu germanischen Stammesgebieten (um 58 v. u. Z.).
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vertrieben Sueben die Usipeter und Tenkterer (4, 4—15; 4, 1 , i f . ) ; auch die Ubier wurden bedrängt (4, 16—19). Nach diesen Angaben wird man annehmen dürfen, daß die Sueben östlich des Mittelrheins, im wesentlichen nördlich des unteren Maingebietes wohnten, wo sie 9 v. u. Z. von Drusus geschlagen wurden (Dio Cassius 15 35, 1). R . Nierhaus (1966, S. 195, 224f., 2 3 i f f . ) deutet die literarischen Berichte dahingehend, daß die Sueben Cäsars, da sie nur auf Stämme nördlich der Mainmündung, besonders die des Niederrheins (Ubier, Usipeter, Tenkterer, Sugambrer) einen Druck ausübten, in Niederhessen einschließlich des Ostteils des rechtsrheinischen Schiefergebirges und im nördlichen Teil von Oberhessen gewohnt haben müssen, wobei das Lahntal bzw. die Rhein-Weser-Wasserscheide die Südgrenze bildete. Die Grenze zu den Cheruskern setzt er in den Bereich der Weser zwischen Hannoversch-Münden und Hameln, also nördlicher als bisher allgemein üblich (vgl. E . Schwarz 1962, S. 40; 1967, S. 32f.). Cäsar berichtet ferner (4, 10) von den Batavern auf der Insel zwischen Rhein und Waal (wenn diese Angabe nicht eine jüngere Interpolation darstellt), von den Menapiern an der Rheinmündung (4, 4—15), von den Sugambrern neben den Usipetern und Tenkterern „stromaufwärts" nahe dem Rhein (4, 1 6 — 1 9 , 35—42; 5, 35ff.), von den Ubiern südlich der Sugambrer (1, 54; 4, 16—19), von den Usipetern und Tenkterern am Niederrhein (4, 1 , 1 ; 4, 4 — 1 5 ; 4, 35), von den Treverern am Oberrhein (4, 1 0 ; 3, 1 1 , 2) und von den Mediomatrikern (4, 10), wobei die beiden zuletzt Genannten wohl Kelten waren. Am Oberrhein lebten (1, 5 1 , 2) auch die Nemeter, Triboker und Wangionen. Die Zeit der linksrheinischen Ansiedlung dieser drei Stämme wird neuerdings wieder viel diskutiert. Bisher nahm man an, daß dies in die Zeit des Ariovist fiel. Archäologisch gesehen kann nur von „spätestlatenezeitlichen" und „frühkaiserzeitlichen" Spuren auf linksrheinischem Boden gesprochen werden, so daß nach Meinung von H. Nesselhauf (s. vorn) und R . Nierhaus (1966, S. 219ff.) die Triboker erst unter Augustus, die Nemeter und Wangionen erst in frühclaudischer Zeit im heutigen Gebiet von Straßburg, Speyer und Worms angesiedelt wurden. Nach Strabon 1 6 (Geographica 4, 3, 4) sind die Triboker „ein germanisches, aus der Heimat herübergekommenes Volk". E . Schwarz (1967, S. 32) hält eine suebische Abstammung für wahrscheinlich. Die zum Heer des Ariovist zählenden Charuden und Markomannen („Grenzmänner", „Markleute") erfahren von Cäsar keine nähere Ortsbestimmung. Das Land nördlich Augsburgs wird als „Marcomannis" und der Schwarzwald als „Marciana silva" bezeichnet. Von Dio Cassius (55, 10, 2) wissen wir, daß 3 v. u. Z. Hermunduren in einem Teil des ehemaligen Markomannenlandes gegenüber Regensburg nördlich der Donau angesiedelt wurden. Noch in neuerer Zeit sind die Markomannen sehr unterschiedlich angesetzt worden, so z. B . von F . Behn (1957, S. 98ff.) nach Starkenburg (GroßGerauer Gruppe), von Th. Voigt (1958, S. 455f.) nach Thüringen (Großromstedter Gruppe) und von R. Wenskus (1961, S. 347) ins Maingebiet. E . Schwarz (1967, S. 40; 1972, S. X X I ) sieht die beiden Flüßchen Schwabach als Grenze der Markomannen gegen die Sueben an. 15
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Dio Cassius aus Nicäa in Bitkynien (ca. 150—ca. 235), römischer Beamter und Historiker, Römische Geschichte in 80 Büchern von der Gründung Roms bis 229 u. Z., teilweise erhalten, z. B . die Bücher 36—60 für die Zeit von 68 v. u. Z. bis 47 u. Z. Strabon aus Amaseia (ca. 64/63 v. u. Z. —ca. 20 u. Z.), griechischer Geograph und Historiker. Die „Geographica" wurde um 18 u. Z. abgeschlossen.
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ANTIKE NACHRICHTEN
Cäsar nennt, wie schon Poseidonios, als Grenze zwischen Kelten und Germanen den Rhein, trotzdem überliefert er eine Anzahl linksrheinischer Germanenstämme. „Die meisten Belgae stammen von den Germanen ab und seien vor alters über den Rhein geführt worden. Wegen des fruchtbaren Bodens hätten sie sich dort niedergelassen und die Gallier, die diese Gegenden bewohnten, verjagt" (Bell. Gall. 2, 4). Diese Angabe ist insofern interessant, als Cäsar hier wie auch 1,28 über die Einwanderung germanischer Stämme in helvetisches Gebiet als Grund die Güte des Bodens angibt. Danach sind diese frühen Wanderbewegungen germanischer Stämme nicht nur als räuberische Kriegszüge, sondern auch als Landnahmezüge zu werten. Die Problematik der Germani Cisrhenani,17 von denen die Bezeichnung Germanen herrühren soll, wird im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung des Namens Germanen erörtert (s. S. 55f.). Das Gebiet im Innern Germaniens ist den Römern zur Zeit Cäsars also noch weitgehend unbekannt. Bis zum Beginn u. Z. fehlen weitere direkte Nachrichten. Doch gibt es Berichte, die zu Beginn u. Z. oder später entstanden und frühere Zeiten berühren. Hier sei z. B. die „Geographica" des Strabon genannt, der in seinem 4. Buch (3, 3—5) die linksrheinischen, im 7. Buch (1, 2—3) die rechtsrheinischen Siedlungsverhältnisse zur augusteischen Zeit und teilweise auch davor beschrieb. Unsicher ist die geographische Abgrenzung des suebischen Siedlungsgebietes. Strabon sagt (4, 194), daß hinter dem Flußgebiet des Rheins die unter dem Namen Sueben lebenden Germanen wohnen, die sich durch Macht und Größe auszeichnen, eine Angabe, die sich wahrscheinlich noch auf die Verhältnisse in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts v. u. Z. bezieht. Dagegen dehnt Strabon (7, 290, 1) den Suebenbegriff auch auf die Gebiete östlich der Elbe aus, allerdings ohne Abgrenzung nach Osten. Weiter berichtet er (7, 294) über den südlichen Teil Germaniens jenseits der Elbe, der hauptsächlich von den Sueben besiedelt wird. Es mehren sich nun die Berichte über kriegerische Auseinandersetzungen und die Bestrebungen der Römer, ihre Reichsgrenze weiter nach dem Nordosten zu verlegen. Dem Augenschein nach lernten sie durch die Drusus-, Tiberius- und Germanicuszüge das Gebiet bis zur Elbe kennen. Bereits im Jahre 1 u. Z. hatte als erster römischer Feldherr Domitius Ahenobarbus die Elbe überschritten (Tacitus, Ann. 4, 44; Dio Cassius 55, 10). Die unter Augustus 7 u. Z. vollendete Erdkarte des Agrippa 18 zeigt sogar, daß die Weichsel bekannt war. Leider ist diese Karte nur in ungenauen Auszügen erhalten. Auswertbare Berichte darüber sowie weitere Nachrichten zur augusteischen Zeit gibt es jedoch bei Livius, Vellerns Paterculus 19 , Pomponius Mela20, Plinius 21 , 17
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Vgl. hierzu besonders zuletzt H. Birkhan 1970, S. i 8 i f f . , und dazu W . Meid 1972, S- 631t. Agrippa, 62 — 12 v. u. Z., Oberbefehlshaber unter Augustus, ließ 13 v. u. Z. das Reichsgebiet vermessen und eine geographische K a r t e entwerfen. Vellerns Paterculus, römischer Offizier in den Feldzügen des Tiberius in Germanien und Pannonien. Römische Geschichte (Historiae Romanae) in 2 Bänden, 20 u. Z. abgeschlossen. Pomponius Mela, römischer Geograph, um 43/44 u. Z. geschriebene Chorographie („De chorographia"), Kap. 3,3 zu Germanen. Plinius der Ältere (Secundus, 23 — 79 u. Z.), römischer Staatsbeamter, Offizier (u. a. an Rhein und Elbe) und Schriftsteller. U m 77 Naturgeschichte („Naturalis historia") in 37 Büchern. Zu Germanen besonders Buch 4,27ff., 94 — 104; 7, 29off. Die 20 Bücher des Plinius über die germanischen Kriege zum größten Teil verloren.
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Tacitus 22 , Dio Cassius, die mitunter auch die Zeit vor Beginn u. Z. behandeln (Abb. 4). Die sich nun häufenden Berichte über Germanien und seine Bewohner resultierten jedoch nicht nur aus der besseren Kenntnis, sondern die herrschende Schicht des dem Höhepunkt seiner Macht zustrebenden Römischen Reiches war an Darstellung und Verherrlichung der römischen Geschichte selbst sehr interessiert, wobei auch Berichte über die „Barbaren" mit einflössen. Literarische Quellen über den Verbleib der Sueben nach 9 v. u. Z. sind unbekannt. Neuerdings hat E. Schwarz (1967, S. 33) wieder die schon vielfach vertretene Meinung (z. B. S. Gutenbrunner 1938, S. 10) unterstützt, wonach die Quaden die Nachfolger der Sueben bzw. mit diesen im wesentlichen identisch seien.23 Sie sind vermutlich mit den Markomannen nach Böhmen und weiter nach Mähren gezogen. Dieser Abzug aus dem Rhein-Main-Neckargebiet, ein Eingeständnis der Unmöglichkeit, hier gegen die römische Macht anzukämpfen, beendete vorläufig die germanische Ausbreitung in südwestlicher Richtung. Durch Inschriften belegt sind noch für das 1. Jh. u. Z. die Suebi Nicreti, die nach neueren Forschungen aus der Unterneckargruppe der Oberrheinsueben hervorgegangen sein sollen (R. Nierhaus 1966, S. 233f.). Außer diesen Oberrheinsueben der augusteischen und frühen Kaiserzeit kommen für dieses Gebiet Sueben in der antiken Literatur zunächst nicht mehr vor. 24 Der Name selbst findet in der späteren Zeit in der Hauptsache als Sammelbegriff für verschiedene germanische Stämme im östlichen und südöstlichen Germanien Verwendung (vgl. u. a. E. Obermeyer 1948).25 Schon für das Jahr 11 v. u. Z. wird erstmalig über die Chatten, und zwar in einem Teil des ehemaligen suebischen Gebietes, berichtet (Dio Cassius 54, 33, 2; 54, 36, 3; 55, 1). Die für das Jahr 3 v. u. Z. erwähnten Donauhermunduren (s. o. und Tacitus, Germ. 41) sind nicht ohne weiteres mit den Hermunduren, die für Mitteldeutschland erstmalig 5 u. Z. (z. B. Vellerns Paterculus, Hist. Rom. 2,104,2 ff.) genannt sind, zu identifizieren. Sie können allenfalls ein Teil von ihnen sein. E. Schwarz (1967, S. 40) setzt die Donauhermunduren den Eudosen des Ariovist gleich und zieht auch eine Verbindung zu den um 270 erstmals genannten Juthungen (Dexippos 3, 682ff., Frag. 65). Rückblickend ist zu den frühesten antiken Nachrichten über die Germanen festzustellen, daß sie zum Problem der Ethnogenese und Herkunft leider kaum Hinweise enthalten. Die frühesten Erwähnungen beziehen sich auf das Rheinland. Jenes Gebiet, das in zunehmendem Maße als eines der wichtigsten Zentren der Konsolidierung der 22
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Publius Cornelius Tacitus (ca. 55—ca. 120 u. Z.), römischer Staatsmann und Historiker. Wichtigste Werke: 98 „Agricola" und „Germania" (De origine et situ Germanorum), bis 116 die „Historiae" in 14 Büchern (für die Jahre 69 — 96 u. Z.) und „Annales" in 16 Büchern (für die Jahre rückblickend bis zum Tode des Augustus), letztere nur z. T. erhalten. E . Schwarz (1972, S. X X I V ) stellt die Frage, warum zeitweilig der Name Sueben durch den Spottnamen Quaden — „die Schlechten" — verdrängt wurde. Die im Rheinland gefundenen Matronensteine (s. S. 360) tragen u. a. die Weihinschrift „matribus Suebis". Tacitus erwähnt außerdem (Agricola 28,3) Sueben im Zusammenhang mit einer Schiffsreise der Usipeter im Jahre 82 u. Z., doch bleibt die Frage offen, ob diese Sueben in der Nähe der unteren Scheide oder an der Westküste Schleswig-Holsteins zu suchen sind (vgl. Tacitus, R . Till, Kommentar, 1941, S. 71). Auch werden noch im Widsith (61) auf der kimbrischen Halbinsel Sueben erwähnt (vgl. Schwabstedt).
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ANTIKE NACHRICHTEN
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A b b . 4. Antike Berichte zu germanischen Stammesgebieten der augusteischen Zeit,
STAMMESGEBIETE UND GLIEDERUNG IM 1 . / 2 . J H .
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germanischen Stämme in der vorrömischen Eisenzeit angesehen wird — das Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur —, liegt vor Beginn u. Z. noch außerhalb der Betrachtung antiker Berichterstatter. Daß aber gerade im Rheinland in voraugusteischer Zeit keine Germanen gesiedelt haben sollen, wie R. Hachmann, G. Kossack und H. Kuhn (1962) herauszuarbeiten versuchten, erscheint aus der Sicht der antiken Quellen sehr unwahrscheinlich. Dabei bleibt insbesondere das Problem zu klären, wie groß die sichtbaren Unterschiede im archäologischen Material sein müssen, um von einem ethnischen Unterschied oder Wandel sprechen zu können (s. S. 200ff.).
2.
Berichte über germanische Stammesgebiete und über die Gliederung der Germanen im i.l2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung
Die Kämpfe der Bastarnen und Skiren, der Zug der Kimbern und Teutonen sowie die Auseinandersetzungen germanischer Stämme unter Ariovist mit Cäsar in rheinnahen Gebieten zeigten den deutlich gewordenen Drang zur Ausweitung, die tiefe innere Unruhe und Bewegung innerhalb der germanischen Stämme. Die äußeren Anlässe konnten verschiedenartiger Natur sein, die innere Ursache wird jedoch in der beginnenden Wandlung der sozialökonomischen Struktur zu suchen sein. Die antiken Quellenzeugnisse über germanische Stämme, die aus dem 1. Jh. u. Z. recht zahlreich überliefert sind, machen deutlich, daß dieser allgemeinen Bewegung und Unruhe nunmehr auf Grund der eingangs skizzierten politischen Konstellation eine Phase der relativen Ruhe und Konsolidierung folgte.26 Nach den militärisch und politisch unruhigen Jahrzehnten vor und zu Beginn u. Z. waren die ersten beiden Jahrhunderte eine Zeit ruhigerer Entwicklung. Es formierten sich neue Stämme und Gruppierungen; ältere Stammesnamen erscheinen z. T. nicht mehr (z. B. die Marser). Für das 1. Jh. sind die bereits genannten Werke auszuwerten, für das folgende können im wesentlichen nur noch die Schriften des Marinos27 und insbesondere die des Ptolemaios23 herangezogen werden. Schon Melas Berichte zeigen eine bessere Kenntnis über Germanien als die Strabons. Er berichtet genauer über die Gebiete bis zur Elbe. So nennt er (Chorographia 3, 31) als Bewohner des „äußersten" Germanien erstmals die Herminonen. Nach der überlieferten Fahrt eines römischen Ritters in das Bernsteingebiet erscheint nun auch die Ostsee in den antiken Berichten. Diese enthalten jetzt wiederholt Nachrichten über verschiedene germanische Stämme ostwärts der Oder (wie z. B. die Wandalen) und in Skandinavien. Aus den Quellen sprechen aber nicht nur die allgemein erweiterten Kenntnisse der Römer über Germanien. Vergleicht man die Berichte des 1. Jh. v. u. Z. mit denen des 26
27
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4
Diese Entwicklungstendenz wird auch anhand des archäologischen Fundgutes in der weiteren Darstellung zu verfolgen sein. Marinos von Tyros, griechischer Geograph, Beginn des 2. Jh. u. Z. Berichtigung der geographischen Erdkarte. Klaudios Ptolemaios aus Alexandria (nach 83 —nach 161 u. Z.), Astronom, Mathematiker und Geograph, Nachfolger des Marinos. Lehrbuch der Geographie (zu Germanen besonders Buch 2,11) um die Mitte des 2. Jh. u. Z. Germanen—Bd. 1
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ANTIKE NACHRICHTEN
folgenden Jahrhunderts, so sind Hinweise auch auf eine innere Entwicklung bei den Germanen nicht zu übersehen. Dies gilt sowohl für die wirtschaftliche, geistigkulturelle und soziale Seite als auch die speziell ethnisch-stammesgeschichtliche Entwicklung. Für die Berichterstatter erscheinen jetzt die germanischen Stämme in Kult verbänden, Stammesgruppierungen und zeitweisen Stammesbünden formiert, die ebenfalls kultisch, aber auch politisch begründet sein können und größere Gebiete umfassen. Während Mela nur die Herminonen nennt, so weiß Plinius (Nat. hist. 4, 99) bereits von weiteren ähnlichen Strukturen zu berichten. Er kennt die Ingväonen als Küstenbewohner, zu denen die Kimbern, Teutonen und Chauken gehören. Die Istväonen lokalisiert er in rheinnahen Gebieten und führt als Beispiel die Sugambrer an. Zu den Herminonen, die Plinius wie Mela für die Mitte (das „Binnenland") überliefert, zählt er die Sueben, die Hermunduren29, Chatten und Chersuker30. Die Vandilier, zwischen Oder und Weichsel beheimatet, umfassen insbesondere die Burgunden, Variner, Chariner und Gutonen. Ferner berichtet Plinius von den Peukinern und Bastarnen, die den Dakern benachbart wohnen, und den Hillevionen in Skandinavien. An der Einordnung der verschiedenen Stämme in das Gliederungsschema des Plinius hat sich offensichtlich auch die Sprachforschung bei ihrer Gliederung der Germanen in Irminonen, Illevionen, Ingväonen und Istväonen stark orientiert. So läßt man aus den Irminonen die Elbgermanen und Oder-Weichsel-Germanen hervorgehen, aus den Ingväonen die Nord- und Nordseegermanen und aus den Istväonen die Rhein-WeserGermanen (vgl. F. Maurer 1952). Tacitus überliefert in seiner Germania (2) nur drei Kultverbände bzw. Abstammungsgemeinschaften: die Ingävonen an der Meeresküste, die Istävonen im Westen und die Herminonen31 in der Mitte des Landes. Diese Gruppierungen werden auf die drei Söhne des Mannus zurückgeführt. Tacitus erwähnt auch die Möglichkeit einer älteren Gliederung, wonach der Gott mehr Söhne gehabt habe und so die Namen der Marser, Gambrivier, Sueben und Vandilier32 echten und älteren Ursprungs wären, Angaben, die auf Livius zurückgeführt werden, (s. S. 57f.). Tacitus hat direkte Zuweisungen der im einzelnen genannten Stämme zu den Kultverbänden vermieden. Es bleibt fraglich, ob seine Dreiteilung nur für den Westen Germaniens gilt oder ob der östliche Raum einbezogen ist.33 In den Kapiteln 38—45 berichtet er über die Sueben, zu denen er die Semnonen, Langobarden und die Nerthus29
N a c h Plinius gehören die Hermunduren also nicht zu den Sueben!
80
Die beiden zuletzt genannten S t ä m m e hätten eher eine Zuordnung zu den dem R h e i n a m nächsten W o h n e n d e n erwarten lassen. Archäologisch gesehen bilden die
plinianischen
Herminonen keine Einheit. 31
I n der Literatur werden die N a m e n Herminonen, Erminonen, Hermionen und Irminonen für denselben Begriff benutzt.
32
H . Rosenfeld (1961, S. 450) weist darauf hin, d a ß nach Plinius und T a c i t u s Sueben und Vandilier die ältesten umfassenden N a m e n der Germanen gewesen seien. Die Bezeichnung Suebi f a ß t er als die Benennung für die „ a n der Urheimat h a f t e n d e n A l t g e r m a n e n " im Gegensatz zu den n a c h dem W e s t e n abgezogenen Istväonen auf.
33
Zu dieser Gliederung H . Rosenfeld 1961, S. 30: „ E s dürfte sich nicht u m K u l t v e r b ä n d e handeln, da für eine Dreiteilung des gesamten Germanengebietes in zentrale K u l t v e r b ä n d e jede Voraussetzung f e h l t . "
STAMMESGEBIETE UND GLIEDERUNG IM 1 . / 2 . JH.
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stamme34, die Hermunduren, Narister, Markomannen, Quaden und alle Stämme ostwärts der Oder rechnet, Stämme, die herkunftsmäßig nicht durchweg Sueben, ja nicht einmal alle Germanen waren. Dem bei Tacitus in der Germania so weit gefaßten Suebenbegriff steht die Anwendung dieses Namens in seinen Annalen entgegen, wo er als Sueben die Markomannen und Quaden sowie die Semnonen und Langobarden, nicht aber die Hermunduren ansieht. Ptolemaios, der uns eine sehr ausführliche Beschreibung des Landes Germanien und seiner Bewohner gibt, folgt den römischen Itinerarien36 und zählt daher die germanischen Stämme reihenweise auf. Leider ist nicht immer klar zu erkennen, aus welcher Zeit die Quelle für seinen jeweiligen Bericht stammt. Die ptolemäische Karte zeigt ein einem Streifen gleichkommendes suebisches Siedlungsgebiet, das von den „langobardischen Sueben" im Westen über die „angilischen Sueben" bis zu den „suebischen Semnonen" und dem Fluß Suebos reicht. Die antiken Autoren sind bei der Zuweisung der einzelnen Stämme zu den genannten Kultverbänden bzw. anders gearteten Gruppierungen recht unterschiedlicher Meinung, was wohl mit der Sachkenntnis des einzelnen als auch mit der verschiedenen Wertigkeit dieser Gruppierungen zusammenhängt. So können diese Gruppierungen alte Kultverbände sein, die oft auf naher ethnischer Verwandtschaft der einzelnen Stämme fußen, oder auch historisch-politischen Charakter tragen. Eine Zuweisung aller in der antiken Literatur erwähnten germanischen Stämme zu einer der obengenannten Gruppierungen erscheint nicht möglich. So läßt sich auch auf Grund dieser Quellen die Frage nach dem Verhältnis der Begriffe Herminonen und Sueben schwerlich klar beantworten, obwohl eine Identität der Begriffe ausgeschlossen scheint. Ferner dürfte das Problem interessieren, wie sich der Begriff Elbgermanen zu dem der Herminonen und Sueben verhält und was sich archäologisch hinter diesem Namen verbirgt (s. S. 2i7ff.). Die Untersuchung dieser Fragen würde dazu beitragen, ethnogenetische Prozesse der Geschichte der Germanen erkennen zu helfen. Es hat in der archäologischen Forschung nicht an Versuchen gefehlt, überlieferte Stammesnamen bzw. übergeordnete Begriffe mit den archäologischen Hinterlassenschaften zu verbinden (zu dieser Frage z. B. R. v. Uslar 1938 a, 1952/1972). Es ist bis heute schwierig, bestimmte Fundgruppen aus den beiden ersten Jahrhunderten u. Z. mit schriftlich überlieferten Stammesnamen und den größeren Stammesgruppierungen in Zusammenhang zu bringen. Diese Schwierigkeiten sind um so größer, als die Archäologen im allgemeinen nur einige Erscheinungen der materiellen und geistigen Kultur erfassen können. Außerdem ist weitgehend unbekannt, welche Kriterien die antiken Autoren bei ihrer Zuweisung einzelner Stämme an bestimmte Gruppierungen bzw. zu den Germanen überhaupt anwandten. Einige solcher Merkmale nennt uns Tacitus (Germ. 46), wenn er sagt, daß die Bastarnen nach Sprache, Lebensweise, Seßhaftigkeit und Häuserbau zu den Germanen zu rechnen seien. Diese Aussage ist jedenfalls umfassender als die Angabe des seitlichen Haarknotens für die suebische Haartracht, denn diesen Haarwulst finden 34
35
4*
Die taciteischen Nerthusstämme (Reudigner, Avionen, Angeln, Variner, Eudosen) wären geographisch gesehen eher den Ingväonen zuzuordnen. Itinerarien sind römische Reiseführer, die die Straßen und Stationen, meist auch die Entfernungen verzeichnen.
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ANTIKE NACHRICHTEN
wir nachweislich auch bei anderen germanischen Stämmen.38, Zusammenfassend ist zu sagen, daß die antiken Quellen hinsichtlich der Gliederung der Germanen und der Zuweisung von Stämmen zu den Gruppierungen nicht immer die erwünschte Klarheit bringen. Deshalb müssen Archäologen auf Grund ihrer andersartigen Quellengrundlage bemüht sein, selbständige Kriterien bzw. spezifische Charakteristika zu finden. Die Karte (Abb. 5) zeigt die relative Ausdehnung der germanischen Siedlungsgebiete zueinander. Den vielen kleinen Stämmen im Westen Germaniens stehen nach der Berichterstattung im mittleren und östlichen Teil größere Stämme und sogar zeitweilig Stammesgruppierungen gegenüber. Hier können nicht im einzelnen die germanischen Stämme behandelt werden, dies geschieht bei der Darstellung der archäologischen Forschungsergebnisse (s. S. 374ff.), doch sei auf einige Veränderungen, Schwierigkeiten der Lokalisation und wichtige Großstämme hingewiesen. Besonders im nordwestlichen Teil Germaniens gibt es Siedlungsgebietsveränderungen einiger Stämme. Deutlich wird eine Süd- und Südwestausbreitung der Großen und Kleinen Chauken, die bis zur Ems und Hase gelangten. Dem Druck wichen die Amsivarier und Chasuarier nach Westen aus. Im Jahre 98 verdrängten die Angrivarier und Chamaver die Brukterer über die Lippe. Die Ursachen für diese Stammesverschiebungen, die man früher oft in der Anziehungskraft des fortgeschritteneren römischen Bereiches sah, könnten in stammesgeschichtlichen Entwicklungsprozessen liegen, vielleicht auch in einem Druck aus dem Gebiet nordöstlich der Unterelbe, der möglicherweise mit der Entstehung der Sachsen in Zusammenhang steht. Das Problem der Erwähnung der Sachsen bei Ptolemaios (Geographica 2, 11), welche er nach Osten bis zum Fluß Chalusos reichen läßt, war Gegenstand zahlreicher Diskussionen, zumal Tacitus noch keine Sachsen kannte. Oft bleibt unklar, aus welcher Zeit Ptolemaios seine Angaben bezieht, d. h., ob er hier schon aus augusteischen Quellen schöpft, wie man teilweise annimmt37, oder zeitgenössischen Angaben folgt. Zumindest erscheint es denkbar, daß u. a. die taciteischen Reudigner mit den späteren Sachsen in einem genetischen Zusammenhang stehen. Die größeren germanischen Stämme, die in dem ehemaligen Gebiet der Jastorfkultur siedelten, erscheinen leider nicht in dem für uns wünschenswerten Umfang in der römischen Berichterstattung. Die Langobarden und die Semnonen bilden im Gegensatz zu den Sueben der Südostgebiete nicht so häufig den Berichtsgegenstand, da sie außerhalb der Kontaktgebiete mit den Römern siedelten. Wie bei den Semnonen und dem Hauptstamm der Hermunduren finden die Langobarden die erste Erwähnung in Verbindung mit dem Zug des Tiberius in den Jahren 4—6 (Vellerns Paterculus, Hist. Rom. 2, 104, 2ff.). Im gleichen Zusammenhang überliefert Strabon (Geographica 7, 290ff.) von den Langobarden, daß sie — wie die Hermunduren — sowohl links als auch rechtselbisch wohnten und sich vor den Truppen des Tiberius nach Osten zurückzogen. Tacitus berichtet in seiner Germania (40) von ihrer Wildheit und Kampfkraft sowie von ihrem Siedlungsgebiet an der Elbe in der Nachbarschaft der Reudigner und Avionen. Die Angaben des Ptolemaios (Geographica 2, 1) über das Siedlungsgebiet der Langobarden 36
37
Beispiele hierfür aus der antiken Literatur und anhand archäologischer Funde (Moorleichen) s. H. jankuhn, Kommentar zu R . Much 1967, S. 428. So nimmt u. a. auch H. Jankuhn die Erkenntnisse der römischen Flottenexpedition im Jahre 5 u. Z. als Quelle für die Erwähnung der Sachsen bei Ptolemaios an (1954, S. 1 8 1 ; 195Ö, S. 9; 1957, S. 6).
STAMMESGEBIETE UND GLIEDERUNG IM 1 . / 2 . JH.
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Abb. 5. Antike Nachrichten über germanische Stammesgebiete im 1. und 2. J h .
54
ANTIKE NACHRICHTEN
sind ungenau und kaum verwertbar. 38 Nach der Schilderung des Paulus Diaconus in seiner Langobardengeschichte (Buch 1) sind „die Winniler, d. h. das Volk der Langobarden", von Skandinavien eingewandert. Deshalb und auf Grund festgestellter Ähnlichkeiten der langobardischen Sprache und Rechtsvorstellungen mit entsprechenden Erscheinungen im Norden nehmen einige Forscher an, daß die Langobarden eingewandert sind und ursprünglich keine Sueben waren.39 In den ersten Jahrhunderten u.Z. gehören sie kulturell eindeutig in den Bereich der elbgermanischen Kultur (s. S. 374 ff.). Im Gebiet der Semnonen, des nach Tacitus (Germ. 39) ältesten und vornehmsten Stammes der Sueben, trafen sich regelmäßig Abgesandte der anderen suebischen Stämme, um im heiligen Hain dem obersten Gott („regnator omnium deus") Opfer darzubringen (s. S. 352,357,382). Das Gebiet der Semnonen wird nicht in seiner genauen räumlichen Ausdehnung beschrieben. Hat dieser Stamm ursprünglich wohl z. T. auch linkselbisch gewohnt, so scheinen die Berichte für die ersten Jahrhunderte u. Z. nur für Siedlungsgebiete östlich der Elbe zu sprechen. Velleius Paterculus (Hist. Rom. 2, 105f.) berichtet, das römische Heer habe den Elbstrom erreicht, der am Gebiet der Hermunduren und Semnonen vorbeifließt. Unklar ist die Angabe im Monumentum Ancyranum 26, wonach „die Kimbern, Haruden und Semnonen und andere Völker derselben Gegend" genannt werden. Strabon (Geographica 7, 290ff.) bezeichnet die Semnonen als ein großes „Volk" der Sueben, gibt aber keine genaue Ortsbestimmung. Auch Tacitus berichtet in der Germania nur, daß sie großes Ansehen besitzen, zahlreich seien und 100 Gaue40 bewohnen. Wenn Vibius Sequester davon spricht, daß die Elbe die Sueben und Cherusker trenne, so könnte angenommen werden, daß hier die Semnonen gemeint sind.41 Ptolemaios (Geographica 2, 11) setzt die Semnonen vom mittleren Elblauf bis zum Fluß Suebos und dem Gebiet der Burgunden an. Es ist noch nicht geklärt, ob unter dem Namen Suebos die Oder bzw. die Spree-Havel oder ein anderer kleinerer Fluß zu verstehen ist. Übrigens ist die zuletzt erwähnte Quelle die einzige Stelle in der antiken Literatur, die Aussagen über das Siedlungsgebiet der Burgunden in dieser frühen Zeit enthält. Angaben über die Hermunduren finden sich bereits im Zusammenhang mit den Langobarden und Semnonen. Eine geographische Verbindung der schon für das Jahr 3 v. u. Z. genannten Donauhermunduren mit den Hermunduren Mitteldeutschlands geht aus den antiken Quellen nicht eindeutig hervor,42 wohl aber deren Nachbarschaft 38
39
40
41
42
Er spricht v o n suebischen Langobarden in Rheinnähe und v o n Lakkobarden in der Nachbarschaft der Angrivarier. Eine Zusammenstellung und Auswertung der für dieses Problem wichtigsten Literatur gibt R. H a c h m a n n (1970). Er spricht sich gegen eine skandinavische Herkunft der Langobarden aus. Die Angabe „100 Gaue" dient trotz des vielleicht formelhaften Charakters Tacitus' Absicht, die Semnonen als einen großen S t a m m zu beschreiben. E s ist zu beachten, daß schon Cäsar gerade für die Mainsueben ebenfalls v o n 100 Gauen berichtet. Vgl. R. Much 1918/19, S. 166. Sequester „ D e fluminibus" 2 (ed. Bursian); (vgl. R. Wenskus 1961, S. 551). Die Angaben des Tacitus (Germ. 41), daß die Hermunduren jenseits der Donau wohnen und bis nach Rätien hinein Handel m i t den Römern treiben dürfen, scheinen auf ältere Zeiten zurückzugehen, als die Donau noch eine offene Grenze bildete (vgl. E . Norden 1959. S. 276f.).
55
GERMANENNAME UND ETHNOGENETISCHE PROBLEME
zu den Semnonen und Chatten (Tacitus, Ann. 53—57). Auch berichten die Quellen mehrmals vom Eingreifen der Hermunduren in markomannisch-quadische Angelegenheiten (z. B. Tacitus, Ann. 2, 44—46; 12, 27—30) und von ihrer Beteiligung an den Markomannenkriegen (z. B. Scriptores Historiae Augustae 4, 21, 6—22, 2 und 27, 9f.), so daß vermutlich ihr Machtbereich recht groß gewesen sein muß. Unklar bleibt nach den antiken Berichten wie schon für die Langobarden so auch für die Hermunduren die Frage nach der ursprünglichen Zugehörigkeit zu den Sueben.
3.
Antike Hinweise zum Namen ,,Germanen'' und zu ethnogenetischen Problemen
Die Fragen nach der Herkunft und der Deutung des Namens „Germanen" finden bis heute in der Forschung recht unterschiedliche Beantwortung. Zu den Deutungsversuchen von althistorischer und linguistischer Seite hat sich ein großes Schrifttum entwickelt. 43 Wir haben gesehen, daß die Germanen selbst keine gemeinsame Bezeichnung kannten, vermutlich als Folge der sozialen und politischen Verhältnisse. Doch werden sich spätestens im letzten Jahrhundert v. u. Z. gewisse kulturelle, sprachliche und anthropologische Gemeinsamkeiten herausgebildet haben, die Anlaß waren, daß diese Stämme in der antiken Literatur unter dem Namen Germanen zusammengefaßt erscheinen. Direkte Hinweise antiker Autoren zum Namen Germanen geben nur wenige Berichte; an ihnen hat sich später die Diskussion entzündet. Hier wäre vor allem der berühmte Namensatz in Tacitus' Germania (2) zu zitieren. „Die Bezeichnung Germanien sei dagegen jüngeren Ursprungs und vor nicht allzulanger Zeit aufgekommen; denn die Leute, die zuerst den Rhein überschritten und Gallier vertrieben hätten, die jetzigen Tungrer, hätten damals Germanen geheißen: der Name eines einzelnen Stammes, nicht des Gesamtvolkes habe sich allmählich in der Weise durchgesetzt, daß zunächst die Gesamtheit der Germanen wegen des Schreckens, der dem Namen anhaftete, von dem Sieger so genannt wurde, sich dann aber auch selbst so bezeichnete44, nachdem der Name einmal aufgekommen war" (nach A. Mauersberger 1971, S. 28f., s. Tacitus). Danach nimmt man allgemein an, daß der Name eines Einzelstammes, der zuerst den Rhein überschritten hat, auch auf die rechtsrheinischen Stämme übertragen worden ist.48 Cäsar berichtet, daß die meisten Belgae von den Germanen abstammen und in 43
V g l . besonders T h . B i r t
1917; W . Krogmann
1933; E . Bickel
1934, S. i f f . ; R .
Much
zuletzt 1936, S. 5 0 7 f f . ; S. Gutenbrunner 1941 (mit Besprechung älterer Interpretationen); B . Collinder 1944; A . B a c h 1952, S. 3 i 9 f i . , S. 266; F . F o c k e 1952, S. 31 f f . ; W . Steinhauser 1954 (Germanen v o n indogermanisch gü hermos = warm) und 1955; J. de Vries i960, S. 46, 5 5 — 6 0 ; H . Rosenfeld 1961, S. 1 7 ; R . H a c h m a n n 1962; M. Schönfeld 1 9 1 1 (1965); B . Melin 1963; R . v . Uslar 1965, S. i 4 i f f . ; K . K r a f t 1970; T . P e k k a n e n 1 9 7 1 ; W . Meid
1972;
E . Schwarz 1972. 44
Sowohl die Belgae (Caesar, Bell. Gall. 2,4) als auch die Treverer und Ubier
(Tacitus,
Germ. 28) berufen sich auf ihre germanische H e r k u n f t ! 45
A l s Beispiel dafür, d a ß Völkernamen o f t v o n N a c h b a r n geprägt wurden, diese vielfach v o n d e m zunächstwohnenden S t a m m ausgehen, sei hier nur die Bezeichnung A l l e m a n d s für die Deutschen durch die Franzosen angeführt.
56
ANTIKE NACHRICHTEN
früherer Zeit über den Rhein gekommen seien (Bell. Gall. 2,4), daß Condrusen, Eburonen, Caeroser und Paemaner „mit einem Namen Germanen" genannt werden. Daß diese germanischen Stämme schon sehr früh den Rhein überschritten haben, dafür sprechen auf Grund der Namensforschung das weitgehende Fehlen der germanischen Lautverschiebung bei ihnen und Ähnlichkeiten ihrer mit der in Nordwestdeutschländ üblichen Sprache. Die Übertragung des Namens auf alle linksrheinischen Germanenstämme sowie die Ausdehnung auf alle weiteren, auch rechtsrheinisch lebenden Stämme muß jedenfalls vor der Zeit Cäsars liegen, vermutlich schon vor oder zur Zeit des Poseidonios. Doch bedarf noch der Klärung, ob die Eburonen (die späteren Tungern) schon in ihrer ursprünglichen Heimat den Beinamen Germanen führten (so W . Steinhauser 1955, S. 15) oder ob sie diesen erst bei ihren Zusammenstößen mit Kelten und Römern in linksrheinischem Gebiet erhielten. Etymologische Ableitungsversuche des Namens hat es aus dem lateinischen, keltischen, germanischen, illyrischen, griechischen, litauischen, altindischen und hebräischen Sprachschatz gegeben (s. Anm. 43), ohne daß man zu endgültigen Ergebnissen gelangt wäre. Hielte man sich nur an die antiken Quellen, so geht diese Gesamtbezeichnung auf die Römer zurück, denn Strabon (Geographica 290, nach Th. Birt 1917, S. 38) berichtet: „Gleich jenseits des Rheins nun also, im Osten, wenn wir von den Kelten kommen, wohnen Germanen, die von der keltischen Rasse sich um ein weniges durch gesteigerte Wildheit, Körpergröße und blonde Haarfarbe unterscheiden, im übrigen aber an Gestalt, Sitten und Ernährungsweise ähnlich sind, wie wir die Kelten geschildert haben. Deshalb haben ihnen auch die Römer, wie mir scheint, den Namen gegeben, indem sie sie nämlich wohl als .echte Gallier' haben bezeichnen wollen; denn .germani' heißt in der römischen Sprache die Echten." Danach könnten die Germanen zunächst als Kelten, als echte Gallier (Galli germani), angesehen 46 und von den Römern benannt worden sein. Die Deutung aus dem Lateinischen würde gut mit der Nachricht des Plinius (Nat. hist. 3, 25) korrespondieren, der von einem vermutlich keltiberischen Stamm am Nordabhang der Sierra Morena in Spanien berichtet: „Oretani qui et Germani cognominantur", und zwar werden die eigentlichen echten Oretani („Oretani germani") dem zweiten Teil der Oretani, den sogenannten Mentesani, gegenübergestellt. 47 Außer dieser zufälligen Namensgleichheit auf Grund der Interpretation als die „Echten . . . " bestünde auch hypothetisch die Möglichkeit, daß diese Germani Oretani einen vom Rhein nach Spanien vorgedrungenen Stamm darstellen (R. Wenskus 1961, S. 289f.). Sprachliche Schwierigkeiten treten sowohl bei der Ableitung des Namens aus dem Keltischen 48 als auch aus dem Germanischen selbst 49 auf. Für eine Herkunft aus dem 46
Lat.
a d j . germanus
=
denselben E l t e r n entsprossen; v e r w a n d t
(brüderlich),
leiblich,
s t a m m e c h t ; leibhaftig, unvermischt, echt, wirklich (W. Steinhauser 1955, S. 17). 47
V g l . u. a. T h . B i r t 1917, S. 63; E . B i c k e l 1934, S. 19; J. de Vries i960, S. 5 5 ; H . Rosenfeld
48
Einen Überblick zu der entsprechenden Literatur (z. B . J. Schnetz 1923) gibt S. G u t e n -
1961, S. 17. brunner 1941. 49
Besonders R . Much 1920 u. 1936; S. Gutenbrunner 1 9 4 1 ; A u ß e r ga-6rman6z = v o l k " und germanöz =
„Gesamt-
„die B e f r e u n d e t e n " wird der N a m e auch als „die G r i m m i g e n " ,
„die Schreier", „die Dinggenossen", „die Hervorragenden" interpretiert.
GERMANENNAME UND ETHNOGENETISCHE
57
PROBLEME
Illyrischen ist in letzter Zeit wiederholt mit Nachdruck Stellung genommen worden50, zumal die Sprachforschung immer mehr dazu neigt, eine Germanisierung der nordwestdeutschen, westfälischen Gebiete erst für die letzten Jahrhunderte v. u. Z. anzunehmen, und mit dem Weiterleben starker venetoillyrischer Bevölkerungsanteile rechnet. 51 Dies würde allerdings dafür sprechen, daß der Name schon aus der ursprünglichen Heimat mitgebracht wurde. Analog zu den Schwierigkeiten um die Herkunft und Deutung des Namens Germani stellen sich die Probleme um den Namen „Germania", der zuerst bei Cäsar (Bell. Gall. 4, 10; 5, 11; 6, 24, auch als Adjektiv „bellum Germanicum", 4, 16) und später häufig erscheint. Als Urheber dieses Landesnamens für Siedlungsgebiete der linksrheinischen Germanen und der Verallgemeinerung für den gesamten germanischen Raum gelten im allgemeinen die Römer (W. Steinhauser 1955, S. 14). Später, nach Einrichtung der Provinzen „Germania superior" und „Germania inferior", wurde der Name im wesentlichen auf diese Rheingebiete beschränkt. Die rechtsrheinischen Gebiete gelten später im allgemeinen als das Land der Sueben, so daß auf der Peutingerschen Tafel 52 die Bezeichnung „Suevia" erscheint53 bzw. daneben ähnliche Bildungen wie „Francia" bei späteren Autoren auftreten. 51 Fragen der Herausbildung der germanischen Stämme tangiert im wesentlichen nur das Kapitel 2 der „Germania" des Tacitus. 55 Nach seiner Meinung sind die Germanen Ureinwohner und nicht mit anderen „Völkern" vermischt. Diese Auffassung ist verständlich, da Tacitus zu einer Zeit lebte, als der Konsolidierungsprozeß vermutlich unterschiedlicher Substrate weitgehend abgeschlossen gewesen sein dürfte. Tacitus berichtet an gleicher Stelle über den mythologischen Ursprung der Germanen: „Die Germanen preisen in uralten Liedern, der einzigen Art von geschichtlicher Überlieferung, die es bei ihnen gibt, den erdentsprossenen Gott Tuisto. Ihm weisen sie einen Sohn Mannus als den Urahn und Stammesvater ihres Volkes zu, dem Mannus (wieder) drei Söhne, nach deren Namen die unmittelbar an der Küste des Ozeans 50
E. Norden 1934, S. 261 f f . ; W. Steinhauser 1955, S. 12, 16, 28; H. Rosenfeld 1961, S. 17; W . Meid 1964, S. i o 8 f f . ; H. Kuhn i960, 1961, 1962, 1968. Mit Germanus
zusammengesetzte
Personen- und Ortsnamen kommen im
Illyrischen
häufig vor, während die z. B. im Fränkischen auftretenden, mit Germen- als erstem Bestandteil zusammengesetzten Personennamen nicht immer eindeutig aus dem germanischen Namengut erklärbar zu sein scheinen (Rosenfeld s. o.). 51
Als eines der Hauptbeispiele aus dem Namengut dieser Gebiete werden stets germanische Zusammensetzungen mit dem proillyrischen -apa angeführt, was die Vermischung beider Bevölkerungsteile voraussetzt (H. Rosenfeld 1961, S. 2 1 ; W. Meid 1964, S. 108ff.; H . K u h n s. Anm. 50). Archäologisch gesehen könnte es sich um Anteile der Urnenfelderkultur bei der Ethnogenese der Germanen handeln.
52
Tabula Peutingeriana, im 12./13. Jh. angefertigte Kopie einer antiken römischen Straßen-
53
Vgl. Th. Birt 1917, S. 116, mit Literaturhinweisen.
karte. 54
Zusammenstellung bei R . Wenskus 1961, S. 535.
55
Hinweise zu Entwicklungsprozessen der Stämme erscheinen in der antiken
Literatur
dagegen recht zahlreich, z. B. zur Abstammung der Bataver von den Chatten (Tacitus Germ. 29; Hist. 4, 12 — 37) oder zur Entwicklung der Sueben (Tacitus, Germ. 39).
ANTIKE NACHRICHTEN
58
lebenden Stämme Ingävonen, die Völker in der Mitte des Landes Herminonen, die übrigen Istävonen heißen sollen. Manche behaupten, wie es bei einer so weit zurückliegenden Zeit leicht zu vertreten ist, der Gott habe mehr Söhne gehabt und es gebe (entsprechend) mehr Stammesnamen — Marser, Gambrivier, Sueben, Vandilier — , und dies seien die echten, alten Namen" (nach A. Mauersberger 1971, S. 27, s. Tacitus). Der Stabreim setzt sowohl die erste germanische Lautverschiebung voraus, so daß vermutlich die durch den Stabreim gebundenen drei Namen nicht älter als 1. Jh. v. u. Z. sein können (H. Rosenfeld 1961, S. 30)56, als auch das Bewußtsein einer gewissen Zusammengehörigkeit, das sich gerade in dieser Zeit zu entwickeln begonnen haben mag. Wiederholt ist auf die Verwandtschaft der germanischen Entstehungsmythe besonders mit der skythischen, 57 aber auch anderen indogermanischen Kultlegenden aufmerksam gemacht worden. Daher wird es sich wahrscheinlich um einen gemeinindogermanischen Mythos handeln (H. Rosenfeld 1961, S. 29L; A. Mauersberger 1971, S. 126, s. Tacitus), wie überhaupt religionsgeschichtliche Untersuchungen58 neben solchen der Sprachwissenschaft wichtige Hinweise für die indogermanische Herkunft und die Verwandtschaftsbeziehungen der Germanen lieferten. Das Indogermanenproblem selbst ist auch heute in der sprachwissenschaftlichen Forschung noch Gegenstand der Diskussion.59 Doch geht wohl in bezug auf die Herausbildung der germanischen Sprache bzw. der germanischen Dialekte des 1./2. Jh. u. Z. die allgemeine Auffassung dahin, daß verschiedene indogermanische und vorindogermanische Substrate mitgewirkt haben werden. Kehren wir zum Kapitel 2 der Germania zurück, so erhebt sich die Frage, ob Tacitus hier nicht selbst — vermutlich unbewußt — auf verschiedene Wurzeln für die Ethnogenese der Germanen hinweist. Geht man nämlich nicht davon aus, daß die drei Kultverbände alle im nordwestdeutschen60, erst im Verlauf der letzten Jahrhunderte v. u. Z. germanisch gewordenen Gebiet zu Hause sind, dann müßte man für die drei bzw. vier angeblich älteren taciteischen Gruppierungen (denen fünf bei Plinius gegenüberstehen) 56
Vom
archäologischen
Standpunkt
bezeichnet
allerdings
K.
Tackenberg
(1962,
S. 69)
diese drei Gruppen als „bedeutsame uralte Sonderbildungen", die bis in das 7-/6. Jh. v . u. Z. zurückverfolgbar seien. 57
Überliefert bei Herodot 4, 5 — 1 5 . Herodot v o n Halikarnassos in Kleinasien (ca. 4 8 0 — c a . 430 v. u. Z.), „ D a r l e g u n g der Forschungen" in 9 Büchern, historische B e t r a c h t u n g e n mit geographischen und ethnographischen E x k u r s e n . Zur K u l t m y t h e v g l . u. a. H . N a u m a n n 1934, S. 23.
58
V g l . u. a. J. d. Vries 1 9 5 1 a mit älteren Literaturhinweisen; H . Rosenfeld 1961, S. 2 7 f f .
59
V g l . H . Dannenbauer 1935; E . Schwarz 1952, S. I 9 3 f f . u. 1972, S. X X V f . ; H . K r ä h e 1959; H . Rosenfeld 1961, S. i 7 f f . ; A . Scherer (Hrsg.) 1968; W . P . Schmid 1968; M . Gysseling 1970; G. Cardona, H . M. Hoenigswald,
A . Senn (Hrsg.) 1970. Z u m Gesamtproblem s.
S. 103ff., dort weitere Literaturhinweise. 60
R . H a c h m a n n (1962, S. 51) verweist die drei M a n n u s s t ä m m e in das nordwestdeutsche Gebiet westlich der Sueben. Dafür, d a ß auch die Herminonen zu den Mannusstämmen des Westens gehörten, könnte sprechen, d a ß gerade dort später Namensbildungen m i t ahd. irmiu, erman, iormun, ags. yrmen, eormen auftreten (K. Müllenhoff
1879, S. 2 f . ; im
Sanskrit irma), und d a ß auch die Irminsäulen nur im Gebiet westlich der E l b e erscheinen. I n der Fränkischen V ö l k e r t a f e l aus dem 7-/8. Jh. u. Z. werden v o n den drei Brüdern Istio, Erminus und I n g n o verschiedene Völkerschaften abgeleitet (E. Zöllner 1970, S. 6).
GERMANENNAME UND ETHNOGENETISCHE PROBLEME
59
verschiedene Herkunft, verschiedene Substrate, die auch archäologisch greifbar sein müßten 61 , verantwortlich machen; auch innerhalb der größeren Gruppierungen werden vermutlich verschiedenartige Bevölkerungsanteile an der Herausbildung mitgewirkt haben. So wird Tacitus' These von der gemeinsamen Herkunft aller im 1. Jh. als Germanen bezeichneten Stämme sowohl von den übrigen taciteischen Angaben her als auch durch die fortschreitende sprachwissenschaftliche, religionsgeschichtliche und archäologische Forschung immer mehr in Frage gestellt.
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Zu den verschiedenen im Ethnogeneseprozeß wirksam werdenden Bestandteilen wird m a n außer der eigentlichen germanischen Komponente auch keltische Elemente im südlichen K o n t a k t g e b i e t z u m Keltenbereich sowie nach der Sprachforschung venetoillyrische Elemente im sogenannten Nordwestblock rechnen müssen, letztere vermutlich im Zusammenhang mit der Urnenfelderkultur stehend, wie diese schon a m Beginn des Herausbildungsprozesses wesentliche Impulse aus dem Süden geliefert haben wird.
6o
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ichen Mittel- und südlichen Nordeuropa. 1 und 2 Fundplätze im Heraus1. Z., 2 zeitlich nicht sicher eingrenzbar; 3 Harpstedt-Nienburger-Gruppen; pommersche-, 9 Usedom-Wolliner-Gruppe.
LITERATURVERZEICHNIS
6l
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IV.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa vor Herausbildung der germanischen Stämme
In der Forschung zur jüngeren Bronzezeit hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß sich im mitteleuropäischen Gebiet historisch-kulturelle Bereiche herausgebildet haben, die sich geographisch voneinander abgrenzen lassen. Im Mittelpunkt solcher Darstellungen standen der „Nordische Kreis" und der im Westen und Südwesten angrenzende „Urnenfelder-" bzw. der im Süden, Südosten und Osten anschließende „Lausitzer Kreis". Der „Nordische Kreis" spielte dabei im Zusammenhang mit der Herausbildung der germanischen Stämme in der Forschung eine besondere Rolle. Die aus diesem Raum stammenden archäologischen Quellen wurden auch als Nachweis für germanische Stämme (s. S. 32f.) in diesem Gebiet herangezogen. Dabei ging man von der These aus, daß es im nördlichen Mitteleuropa und im südlichen Nordeuropa eine kontinuierliche Besiedlung vom Endneolithikum bis in die Zeit hinein, in der in diesem Gebiet germanische Stämme schriftlich bezeugt sind, gegeben habe. Nach wie vor bleibt aber unklar, ob eine Übereinstimmung zwischen einer sogenannten protogermanischen bzw. germanischen Bevölkerung mit einem bestimmten historisch-kulturellen Bereich, in diesem Falle dem sogenannten Nordischen Kreis der jüngeren Bronzezeit1, besteht oder nicht. Die vorliegende Darstellung geht von der Prämisse aus, daß der Prozeß der Herausbildung der germanischen Stämme möglicherweise schon in der jüngeren Bronzezeit eingesetzt hat, jedoch erst für die vorrömische Eisenzeit faßbar wird. Dieser Prozeß verlief jedoch nicht ausschließlich in dem Raum, der kulturell durch die Jastorfkultur repräsentiert wird. Da es in den betreffenden Siedlungsgebieten genügend Belege für eine autochthone Herausbildung der Jastorfkultur bzw. der Harpstedt-Nienburger-Kultur (R. Gensen 1963; K. Tackenberg 1934; D. Zoller 1965) und damit eine Beziehung zum Siedlungshorizont der ausgehenden Bronzezeit gibt, wird zum besseren Verständnis des Gesamtprozesses, gewissermaßen als Einführung in die gesellschaftliche Entwicklung, insbesondere zum Stand der Produktivkräfte und zur Produktion bei der Bevölkerung im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa in der jüngeren Bronzezeit Stellung genommen.
1
Unter jüngerer Bronzezeit versteht man den Zeitabschnitt vom Einsetzen des Lausitzer Einflusses (Periode M b bzw. B —D/H —A 1) bis zum Auftreten der Jastorfkultur (Periode V I bzw. H - D 2).
SIEDLUNGSGEBIETE
1.
65
Siedlungsgebiete
Der Ort für die Anlage von Siedlungen wurde zu jener Zeit noch weitgehend von den geographischen Faktoren bestimmt. Man bevorzugte Hochflächenränder an den Niederungsgebieten sowie Uferzonen der Bach- und Flußläufe und der Seen. Auch Dünen und Lehm- bzw. Sandinseln in den Talauen sind besiedelt worden. Die feuchten und ständig von Überschwemmungen bedrohten Niederungsgebiete, die Flußniederungen und die Urstromtäler sowie die großen, ungegliederten, wasserlosen Talsandinseln und die Hochflächen wurden gemieden. Im niederländisch-nordwestniedersächsischen Raum bildeten große Moorgebiete und sandige Höhenrücken Siedlungsgrenzen. Im anschließenden Südniedersachsen und im nördlichen Westfalen waren es siedlungsfeindliche Gebirgszüge, wie z. B. das Wiehen- und Wesergebirge, sowie die ihnen vorgelagerten Niederungsgebiete, weiter westlich die Aller- und Ohreniederung und weiter nördlich die wasserlosen, ungegliederten Endmoränenzüge der Lüneburger Heide, des Drömling und der Kolbitz-Letzlinger Heide. Im Bereich der Mittelelbe und des Havellandes stellte die dem Fläming unmittelbar vorgelagerte Fiener-Brück-Baruther Talniederung, unter Einbeziehung der Zauche-Hochfläche, eine Siedlungsgrenze dar. Im weiteren Verlauf sind dazu auch die Teltow-, Barnim- und Lebuser-Platte, die Uckermärkischen Kuppen- und Hügelgebiete sowie die Uckermünder Heide, das Kleine Haff und schließlich der Peene-Strom zu rechnen. Ebenso blieben Gebiete mit vorwiegend schweren bzw. extrem schweren Böden, wie die Elbtalniederung mit ihren Naßböden auf Ton und dem hohen Grundwasserstand im Frühjahr, bei der Besiedlung ausgespart. Im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa herrschen sandige bis lehmige Sandböden vor. Nur ganz vereinzelt sind bessere Böden anzutreffen, sie beeinflußten kaum die Wahl der Siedlungsplätze. Der allgemein niedrige Nutzbarkeitsgrad der Böden wurde durch das schnelle Abtrocknen und die leichte Bearbeitbarkeit aufgewogen. Die Zahl der bekanntgewordenen Siedlungen ist im Verhältnis zur Gesamtfundplatzzahl immer noch gering. Daher hat die Auswertung der überaus zahlreichen Gräberfelder besondere Bedeutung. Hinzu kommen einige wenige Kult- und Opferplätze sowie eine große Zahl von Hort- und Einzelfunden. Eine auf dieser Quellengrundlage erarbeitete Besiedlungskarte für das nördliche Mittel- und südliche Nordeuropa (Karte 1) weist neben dichtbesiedelten Gebieten auch Räume mit lockerer Fundplatzverteilung aus. Bei den Fundplatzkonzentrationen handelt es sich um klein- und großräumige Siedlungsareale (Abb. 6). In einigen Fällen — besonders im unteren und mittleren Elbgebiet — waren offensichtlich mehrere Siedlungsgebiete zu größeren Gruppierungen in deutlich ausgeprägten geographischen Räumen zusammengeschlossen. Zwischen ihnen gab es fundleere Zonen bis zu 30 km Breite. Dies könnten Hinweise auf mögliche Stammesgebiete sein. Folgende territoriale Gruppen treten im Gesamtsiedlungsbild hervor: Im küstennahen Geestgebiet zwischen der Ems- und Elbmündung ist die Nordniedersächsische Gruppe (K. Tackenberg 1939, S. 153ff.; M. Claus 1952, S. 46) verbreitet. An diese schließt im östlich angrenzenden Unterelbegebiet die Ilmenau-Gruppe (M. Claus 1952, S. 46) an. Zu ihrem Siedlungsbereich gehören der nordöstlichste Teil Niedersachsens, das hannoversche Wendland, die westliche Altmark und Teile des Hamburger und lauenburgischen Gebiets. Die Elbe grenzt die Ilmenau-Gruppe von der Prignitz-Gruppe (F. Horst 1972, Abb. 19—20) ab. Diese Gruppe erstreckt sich über die 5 Germanen —Bd. 1
66
GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE
westliche und über Teile der östlichen Prignitz. Südlich schließt sich im westlichen Teil des Havelgebiets und in der östlichen Altmark die Elb-Havel-Gruppe an (F. Horst 1972, S. 97ff., Abb. 19—20). Die fundleeren Luchgebiete (Havelländisches und Rhin-Luch) bilden die Grenze zur Rhin-Gruppe im östlichen Havelland. Für andere Landschaften lassen sich wegen lockerer Fundplatzstreuungen und wegen spärlicher archäologischer Befunde noch keine Siedlungskonzentrationen und größere Gruppierungen herausarbeiten.
Abb. 6. Die spätbronzezeitlichen Fundplätze der Siedlungskammer von Osterburg. 1 Siedlung, 2 Gräberfeld, 3 Einzelfund, 4 Kultplatz.
Trotz bestehender Besonderheiten in der materiellen und geistigen Kultur innerhalb der einzelnen großen Siedlungsgebiete überwog doch insgesamt das Gemeinsame in der Kultur, das die hier lebende Bevölkerung auch von der im südlichen Mitteleuropa unterschied. Dazu gehörten zahlreiche Gegenstände der materiellen Kultur, fast alle aus Metall hergestellten Geräte, Waffen und Schmucksachen sowie ein großer Teil der Stein- und Knochengegenstände. Ebenso viele Ubereinstimmungen weisen die Grabformen, die Bestattungs- und die Beigabensitten auf. So darf man zusammenfassend sagen, daß die Gesamtverbreitung der Fundplätze nicht nur einen Uberblick über die allgemeine Siedlungssituation gibt, sondern mit Hilfe der Quellen auch die vorstehend erarbeitete Gruppierung möglich war. 2.
Hausbau und Siedlung
Wegen der schlechten Quellenlage sind unsere Kenntnisse immer noch gering. Deshalb sind nur wenige Aussagen über Form, Größe und Aufbau einzelner Häuser bzw. Siedlungen möglich.
HAUSBAU UND SIEDLUNG
67
Im Gebiet des nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa kann man vorerst drei Hausformen herausstellen: zwei verschiedenartige ebenerdige Pfostenbauten, die als Wohnbauten dienten, und Grubenhäuser, die vermutlich auch als Produktionsstätten bzw. Speicher benutzt wurden. Bei den Wohngebäuden handelt es sich um dreischiffige Wohnstallhäuser und um erheblich kleinere rechteckige und in der Regel einräumige Gebäude. Beide Hausformen schließen sich in ihrer Verbreitung weitestgehend aus. Wohnstallhäuser sind vorwiegend im Bereich der Nordseeküstengebiete und in Jütland, die andere Hausform dagegen im Binnenlande nachgewiesen. Im Gebiet der Niederlande2 und in Dänemark 3 konnten bereits zahlreiche dreischiffige Wohnstallhäuser aus der jüngeren Bronzezeit untersucht werden. Vom deutschen Gebiet hegen entsprechende Untersuchungen von Siedlungen aus Jemgum, Kr. Leer, und Boomberg-Hatzum, Kr. Leer, vor (W. Haarnagel 1965, S. 132ff., Abb. 5—6; ders. 1969, S. 58ff., Abb. 3—4). Obwohl in Jemgum (W. Haarnagel 1957, S. 2ff., Plan 6—7; ders. 1965, S. 141) nur ein Ausschnitt aus einer offenbar größeren Siedlung durch die Grabung bekannt geworden ist, ermöglicht er doch gute Aussagen über ein dreischiffiges Hallenhaus in Pfostenbohlenkonstruktion. Die Wände des 7,5 m langen und 4,5 m breiten Hauses bestanden aus liegenden, von Zangenpfosten gehaltenen Bohlen. An beiden Längsseiten befanden sich Eingänge, über die das Dach laubenartig vorragte. Das zweigeteilte Hausinnere bestand aus einem Wirtschaftsraum mit einer Herdstelle und einem mit Brettern ausgelegten Wohn-Schlafraum. In Boomberg-Hatzum sind bisher auf einer zusammenhängenden Fläche von 3510 m 2 vier Wohnstallhäuser freigelegt worden.4 Es handelt sich um 10,0—13,5 m lange und 5,3—5,8 m breite dreischiffige Wohnstallhäuser mit einem nördlichen Wohnteil und einem südlichen Stallteil. Die Gebäude standen am Hang und umgaben einen freien Platz, der nach Norden zum Wasser hin (Hauptpriel) geöffnet war. In der Mitte dieses Platzes befand sich ein Bohlenpfostenhaus von 8,5 m Länge und 6,5 m Breite, zu dem weder Stallungen noch Speicher gehörten. In beiden Siedlungen fanden sich in unmittelbarer Nähe der Häuser Speicher für die Bevorratung der Futterbestände. In E l p (Prov. Drente, Niederlande) wurden zahlreiche Hausgrundrisse, darunter mehrere dreischiffige Hallenhäuser von 10 —40 m Länge und 4,60 —5,60 m Breite, freigelegt. Anhand des archäologischen Materials und der C-14-Bestimmungen ist eine Datierung in die jüngere Bronzezeit gesichert. E s handelt sich somit um das bisher älteste Vorkommen dreischiffiger Hallenbauten (H. T. Waterbolk 1964, S. 97ff., Fig. 2—6, 11, Plan; M. Müller-Wille 1965, S. 81 f.). 3 Während von den dänischen Inseln bisher etwa 20 jungbronzezeitliche Siedlungsplätze bekannt, jedoch noch nicht untersucht worden sind, konnte man auf Jütland etwa ein Dutzend jungbronzezeitlicher Ansiedlungen aussondern und davon drei in größeren Ausgrabungen untersuchen: Fragtrup (Westhimmerland), Ristorf (Westjütland), Spjald (Westjütland). Bei den genannten Untersuchungen traten mehrere Grundrisse von dreischiffigen Pfostenbauten von ca. 20 m Länge und etwa 6 m Breite zutage. Der Eingang der vorwiegend ost-west-orientierten und in einen westlichen Wohn- und einen östlichen Stallteil gegliederten Häuser befand sich jeweils an einer Längsseite. Der Wohnraum wies immer eine Feuerstelle auf, sie befand sich in allen Häusern am westlichen Ende des Raums (J. Br0ndsted 1962, S. 253ff., 3 0 2 ! ; C. J. Becker 1968, S. I52ff.; ders. 1972b, S. I3ff., Taf. 1 — 2; ders. 1972a, S. 5ff., Fig. 5 — 10). 4 Suchschnitte und Bohrungen haben ergeben, daß sich die Siedlung insgesamt über eine Fläche von etwa 12000 m 2 erstreckte (W, Haarnagel 1957, S. 28ff.).
2
5*
68
GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE
Die bisher bekannt gewordenen Häuser bzw. Siedlungsanlagen aus dem Binnenland beschränken sich auf das untere und mittlere Elb- bzw. das Havelgebiet. 5 Zu den in Hamburg-Boberg entdeckten fünf Hausgrundrissen gehören drei ebenerdige Pfostenbauten von 7,5—10,5 m Länge und 3,0—3,5 m Breite. Die restüchen zwei Gebäude wurden als leicht eingetiefte Grubenhäuser mit Feuerstelle angesehen; sie hatten eine Größe von 11,5 bzw. 12,5 m in der Länge und 4,0 bzw. 5,0 m in der Breite. Aus dem mittleren Elb- und Havelgebiet gibt es gegenwärtig Hinweise auf 59 Hausgrundrisse der jüngeren Bronzezeit, und zwar handelt es sich vorwiegend um Pfostenbauten mit einer durchschnittlichen Größe von 3,5 —6 m in der Breite und 5,0—8,5 m in der Länge (Abb. 7a). Die Mehrzahl der Häuser ist einräumig. Außer der
0 A b b . 7. Ausgewählte Hausgrundrisse a Pfosten-, b Grubenhaus.
5
der jüngeren Bronzezeit
von Zedau, Ot. v.
Osterburg.
Feuerstelle, die sich immer an der hinteren Wand befand, gehörten verschiedentlich auch Kellergruben zu diesen Häusern. Vorratsgruben, Abfallgruben und Wasserbehälter lagen außerhalb der Häuser. Ähnlich wie in Hamburg-Boberg konnten auch in Zedau, Ot. v. Osterburg, neben den Pfostenhäusern bis zu 0,9 m eingetiefte Grubenhäuser von 3,0—4,0 m Breite und 4,0—6,0 m Länge (Abb. 7b) nachgewiesen werden. Wohl fehlten in ihnen Feuerstellen, sie lagen aber außerhalb der Häuser. Bronzegußreste, tönerne Gußformen, Tonlager und Fehlbrände von Tongefäßen 5
Es handelt sich u m die Siedlungsplätze von Hamburg-Boberg (R. Schindler i960, S. 92 ff., Abb. 27—30, 32); Krinitz und Warlow, beide K r . Ludwigslust (Ortsakten des Museums für Urgeschichte Schwerin); Lenzersilge (W. Böhm 1934, S. 204ff.; dies. 1937, S. 56ff., Taf. 41—42); Perleberg (W. Böhm 1937, S. 56ff., Abb. 52) und Yiesecke, alle K r . Perleberg (W. Böhm 1964, S. i 7 5 f f . , A b b . 2 — 4); Breddin, K r . K y r i t z (A. Kiekebusch 1912, S. 426); Zedau, Ot. v. Osterburg (F. Horst 1971b, S. 22f.); Wutzetz, Kr. Nauen (A. Kiekebusch 1915, S. 33ff., A b b . 3 — 4), und Schmerzke, Kr. Brandenburg (P. Krause 1 9 4 1 , S. 42, Taf. 5)-
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WIRTSCHAFT
verdeutlichen allgemein einen Bereich handwerklicher Produktion, zu dem die Grubenhäuser gehört haben.® Über die Größe und die Formen der Siedlungen gibt der Befund von Perleberg wichtige Aufschlüsse (Abb. 8). Die hier entdeckten gleichgroßen Häuser verteilen sich
Abb. 8. Plan der jungbronzezeitlichen Siedlung von Perleberg (nach W . Böhm 1937, A b b . 52).
um einen freien Platz und lassen ein gewisses Ordnungsprinzip im Grundriß erkennen. Die wenigen Hinweise deuten zunächst erst an, daß die lockere Weilerform ein möglicher Hauptsiedlungstyp der damaligen Zeit war. 3.
Die wirtschaftliche
Entwicklung
a) Viehzucht und Ackerbau Auch in der jüngeren Bronzezeit bildeten Viehzucht und Ackerbau die Hauptzweige der Nahrungsmittelproduktion. Zahlreiche Knochen funde in Siedlungen und an Opferplätzen lassen die gehaltenen Haustierarten und den Umfang der Viehzucht erkennen. 6
Auf die Siedlungsplätze mit gleichartigen Wohnbauten aus dem Lausitzer Siedlungsgebiet wird in diesem Rahmen nicht näher eingegangen: Berlin-Buch (A. Kiekebusch 1923); Berlin-Lichterfelde (A. v. Müller 1964); Berlin-Tegel (R. Maczijewski 1970, S. 73 ff., Tai. 12); Hasenfelde, K r . Fürstenwalde (A. Kiekebusch 1911, S. 287ff., A b b . 2—4); Nieder-Neundorf, Kr. Niesky (H. A. Schultz 1938, S. 73 ff.); Potsdam-Sacrow, Römerschanze (C. Schuchhardt 1909, S. 209ff., Tai. 22); Senftenberg (J. Herrmann 1970, S. 87ff., A b b . 18—19); Tornow, K r . Calau (R. Breddin 1973, S. i i 2 f f „ A b b . 55).
70
GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE
Wichtigstes Haustier war nach den bisherigen Befunden das Rind. Osteologische Statistiken weisen immer einen besonders hohen Anteil an Rinderknochen aus (70—80%). Das festgestellte Schlachtalter für Tiere, die man als Haustiere hielt, beträgt bis über 31/2 Jahre. Allerdings werden die meisten gehaltenen Tiere früher geschlachtet (M. Teichert 1964, S. 107 ff.). In der unterschiedlich langen Haltungsdauer der Tiere drücken sich nicht nur die Bemühungen um die nötige Versorgung der Menschen mit Fleisch, sondern auch Überlegungen zur Nachzucht und, wie im Falle der Rinder, solche zur Milchgewinnung aus. Daß man die Milch nicht nur im ursprünglichen Zustand, sondern auch verarbeitet genoß, zeigen in den Siedlungen gefundene Siebgefäße, die auf eine Weiterverarbeitung der Milch zu Käse schließen lassen. Wichtige Fleischlieferanten waren weiterhin Schwein, Schaf und Ziege. Zu den Haustieren gehörte auch der Hund, der wohl in erster Linie als Wächter in der Siedlung und auf der Weide, der aber auch in seiner Hilfeleistung bei der Jagd geschätzt wurde. Die Haustiere wurden regional unterschiedlich gehalten. Da es bis jetzt für das Binnenland keine Hinweise auf Stallhaltung gibt, muß mit einer naturmäßigen Viehhaltung gerechnet werden. Aus dem Nordseeküstengebiet und aus Jütland haben wir dagegen Belege für die Einstallung des Viehs (dreischiffige Wohnstallhäuser). Die Frage nach den Ursachen der unterschiedlichen Viehhaltung in den jeweiligen Siedlungsgebieten könnte mit Gründen, die mit der Verschlechterung der Großklimasituation zusammenhängen, die sich vor allem auf die küstennahen Gebiete stärker ausgewirkt hat als auf das Binnenland, beantwortet werden. Über den Ackerbau haben wir im Vergleich mit der Viehwirtschaft weitaus geringere Kenntnisse, weil die Quellensituation hierzu noch schlechter ist. Trotzdem darf man davon ausgehen, daß die zum Ackerbau verwendeten Geräte denen der vergangenen Jahrhunderte weitgehend ähnelten. Gepflügt wurde mit dem einfachen Holzpflug, den wir aus Moorfunden (Abb. 9) und aus Darstellungen auf Felsbildern im südschwedischen Raum (P. V. Glob 1951, S. i4ff., Fig. 5) gut kennen. Bei diesem Hakenpflug bestanden Krummbaum, Sohle und Schar aus einem Stück. Die Sterze mit Handgriff war in das rückwärtige, überstehende Ende hinter dem Krummbaum eingepaßt und mit Holzkeilen befestigt. Ein Ziehhaken am Krummbaum diente zum Anspannen der Zugtiere. Mit den vorzugsweise aus Eichenholz gefertigten „Haken" konnte der Boden nur gelockert, aber nicht gewendet werden. Um dem Acker eine möglichst starke Lockerung zu geben, mußte man ihn kreuzweise pflügen, wie Pflugspuren sicher belegen (s. auch S. 125 f.). Zugtier war das Rind. Ein Felsbild aus der Umgebung von Litsleby in Bohuslän, Südschweden, zeigt sogar das Anschirren der Tiere (Abb. 10), mittels eines hölzernen Jochs.7 Der Anbau umfaßte Gerste, Emmer, Zwergweizen, Dinkel, Einkorn und Rispenhirse, ferner Erbsen, Pferdebohnen und Linsen sowie Flachs und Dötter (J. Grüß 1935, S. 212ff.). Zum Ernten verwendete man Bronze-, vereinzelt auch Flintsicheln; für das Schärfen der Metallsicheln wurden Wetzsteine benutzt. Das Getreide wurde wie seit der Jungsteinzeit mit faustgroßen Reibsteinen auf Steinplatten zerquetscht und verbacken.8 7
8
Die Längslinien zu beiden Seiten des Pflugbaumes sind möglicherweise als Zügel zu deuten. Die Zeichnung zeigt außerdem, daß der Pflüger einen Behälter trägt, der sehr wahrscheinlich für das Saatgut bestimmt war. Hirsebrot wurde bei der Untersuchung der jungbronzezeitlichen Siedlung von Wutzetz, Kr. Nauen, nachgewiesen (A. Kiekebusch 1915, S. 44).
WIRTSCHAFT
71
In den Bereich der Nahrungsbeschaffung gehörten auch Jagd und Fischfang. Der Anteil der geborgenen Reste gejagter bzw. gefangener Tiere ist aber so gering, daß beide Tätigkeiten diesbezüglich keine große Rolle gespielt haben. Gejagt wurde mit Pfeil und Bogen sowie dem Speer. Als Belege dafür gibt es bronzene und knöcheren
A b b . 9. Hölzerner Hakenpflug von Walle, Kr. Aurich (BRD) (nach H. Jankuhn 1969a, Tai. 6a).
Abb. 10. Darstellung eines Hakenpfluges vom Walle-Typ auf einer Felszeichnung von Litsleby, Bohuslän (Schweden) (nach P. V . Glob 1951, Fig. 24).
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GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE
Pfeilspitzen bzw. bronzene Speerspitzen. Jagdtiere waren vor allem Elch, Auerochse, Hirsch, Reh, Wildschwein und Hase, aber auch Bär, Wolf, Fuchs, Wildkatze, Luchs, Dachs, Biber und Otter sowie Adler, Gans, Schwan und Möwe. Weiterhin stellte man hölzerne Wildfallen auf, um Eichhörnchen, Igel, Marder, Iltis und Wiesel zu fangen (E. Schuldt 1959, S. i97ff., Taf. 31—32, Abb. 2). Nach den zur Verfügung stehenden Fischresten erstreckte sich der Fischfang in den Binnengewässern vor allem auf Hecht, Wels, Zander und Salm. Ost- und Nordsee lieferten insbesondere Hornfische, Dorsche und Flundern, vereinzelt auch gestrandete Robben, Grönland- und Pottwale sowie Delphine. Für das Fischen kannte man Einbäume, Netze mit Senkern aus Ton und Stein (R. Indreko 1956, S. 16 ff.; F. Horst 1966, S. I2iff.) sowie Schwimmer aus Borke (H. Lies 1963, S. 109, Taf. l b — c ) , aber auch Harpunen und Angelhaken (E. Sprockhoff 1937, Taf. 26/21; U. Schoknecht i960, Abb. 48a—b). Durch Sammeln wurden Bucheckern, Eicheln, Haselnüsse und Honig (H. Lehmann 1966, S. 45 ff.) zusammengetragen und zum Teil in Vorrat gehalten. An den Küsten und Ufern gehörten auch Muscheln und Schnecken zur Ausbeute der Sammler (W. Coblenz 1958, S. 22ff.; F. Horst 1966, S. 85).
b) Handwerkliche Tätigkeit Handwerklich wurden hauptsächlich Ton, Bronze, Stein, Knochen und Holz verarbeitet (F. Horst 1975). Aus Ton entstanden vor allem Gefäße, dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte entsprechend noch im Hauswerk. Nur ganz vereinzelt gibt es Hinweise auf eine spezialisierte Tätigkeit in diesem handwerklichen Bereich. 9 Die Gefäßformen (Abb. 11), insbesondere große Kegelhalsgefäße und doppelkonisch-bauchige Terrinen,
Abb. 11. Typische spätbronzezeitliche Keramikformen aus dem Mittelelb-Havel-Gebiet. 1:8.
9
Anlaß zu dieser Feststellung bieten acht Gefäße aus der Umgebung von Brandenburg/ Havel, die offensichtlich von derselben Person hergestellt wurden. Alle acht stellen den Versuch einer Nachbildung eines Metallgefäßes dar (s. hierzu F. Horst 1972, S. 127, Abb. 18, 18a, 24 a, 27, 29; die Fundliste K ist durch die Vorkommen von Brielow, Kr. Brandenburg, und Groß Demsin, Kr. Genthin [Staatl. Museen Westberlin — Museum für Vor- und Frühgeschichte II 40290 und 40648] zu ergänzen).
WIRTSCHAFT
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sowie verschiedene Schalen, Schüsseln, Näpfe, Kannen, Tassen und Becher zeigen in ihrer Gestaltung und Ausführung starke Einflüsse durch die Stämme im südlichen Mitteleuropa. Metall wurde in unterschiedlichem Umfange verarbeitet. Arbeitsgeräte, Waffen und Schmuckgegenstände entstanden aus Bronze, die wegen fehlender Erzlagerstätten (Kupfer und Zinn) eingeführt werden mußte. Man bezog das Material aus dem Alpengebiet, Ungarn, Baden-Württemberg, der Rheinpfalz, dem Frankenwald, vom Südrand des Thüringer Waldes, vom Süd- und Ostrand des Harzes und aus dem Hochharz 10 , und zwar gelangte der Rohstoff zumeist in Form stabförmiger Barren auf dem Tauschwege zu den Stämmen im nördlichen Mitteleuropa und südlichen Nordeuropa. 11 Wahrscheinlich dienten landwirtschaftliche Produkte, wie Vieh und Häute, aber auch Erzeugnisse des Fischfanges (Trockenfisch) und vielleicht auch Bernstein als Äquivalent. Der Produktionsprozeß zur Herstellung von Geräten, Waffen und Schmuckgegenständen verlangte spezielle technische Kenntnisse. Vermutlich hatten sich in den Siedlungskollektiven einzelne diese Kenntnisse angeeignet und haben dann Messer, Beile, Sicheln, Speerspitzen, Nadeln, Rasiermesser, Pinzetten und andere Gegenstände hergestellt. Ob zu diesen Produktionsfertigkeiten z. B. auch die recht komplizierte Herstellung der sogenannten Wendelringe (Taf. 1) gehörte, läßt die zusätzliche Frage entstehen, ob es am Ende der Bronzezeit nicht schon Spezialisten in der Metallverarbeitung gab, die längere Zeit vorwiegend dieser Beschäftigung nachgingen. 12 Die Metallgegenstände sind in erster Linie als Beigaben in den Gräbern oder als Hortfunde überliefert. Doch fehlen die Beigaben bei den meisten Bestattungen (etwa 90%). Nur in einzelnen Fällen stieß man auf Beigaben aus Bronze, vor allem Nadeln und Fingerringe. Mehr oder weniger zahlreiche Beigaben, darunter Geräte, Waffen, Kultgegenstände und bestimmte Schmuckgarnituren, begegnen lediglich in einigen wenigen Gräbern (ca. 10%). Auch in den Hortfunden ist der zahlenmäßige Anteil der Bronzegegenstände unterschiedlich. Das zahlenmäßig abgestufte Auftreten der Metallgegenstände in den Gräbern bzw. den Hortfunden unterstreicht den Wert dieser begehrten „Reichtümer", deren Erwerb sich sicher nach der wirtschaftlichen Lage des einzelnen richtete. Außer Bronze verarbeitete man vereinzelt auch Gold, das aus dem südlichen Karpatengebiet nach Norden gelangte. Der bekannte Goldfund von Eberswalde (C. Schuchhardt 1914) umfaßt z. B. mehrere Stücke Rohgold, darunter einen Barren. Goldsachen wurden aber vorwiegend als Fertigprodukte eingeführt, so daß die spezielle Verarbeitung dieses Edelmetalls ohne nennenswerte Auswirkung auf die Entwicklung der handwerklichen Produktion bleiben mußte. 10
11
12
Die genannten Gebiete sind durch quantitative Spektralanalysen der Metallgegenstände als Ausfuhrgebiete des Rohstoffes für die Bronzeherstellung ermittelt worden (H. Otto, W . Witter 1952; W . Witter 1938). Rohmaterial in Barrenform und Rohgußstücke sowie fehlerhafte Erzeugnisse aus Bronze in einem Gesamtgewicht von mehr als 13 k g sind in einer endbronzezeitlichen Siedlung am Stadtrand von Calbe, Kr. Schönebeck/Elbe, gefunden worden (W. Hoffmann 1959, S. 222 ff.). Bronzebarren liegen ferner von Fundplätzen aus Gandow, Kr. Perleberg, und Trieplatz, K r . K y r i t z , vor (F. Horst 1971a, S. 204). G. Stimming 1903, S. 7f.; H.-J. Hundt 1955,'S. 95ff.; F. Horst 1966, S. 6 i f f . ; ders. 1
975-
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GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE
c) Austauschbeziehungen Als gegen Ende der Bronzezeit (etwa seit dem 9. Jh. v. u. Z.) im östlichen Urnenfelderbereich 13 kriegerische Auseinandersetzungen einsetzten (H. Müller-Karpe 1959, S. 167, 208), wurden auch die Austauschbeziehungen der hier ansässigen Stämme zu denen im Gebiet Mittel- und Nordeuropas empfindlich gestört. Die Metallieferungen blieben aus. Offensichtlich konnte der Rohstoffbedarf auch nicht aus anderen Gebieten, wie dem nordwestalpinen Raum, im erforderlichen Umfange gedeckt werden. D a man den Prozeß des Abbaues und der Verarbeitung des Raseneisensteines im nördlichen Mittelund südlichen Nordeuropa noch nicht kannte, griff man wieder stärker auf andere heimische Rohstoffe, wie Knochen und Stein, zurück. Aus Knochen und Steinen entstanden in dieser Zeit Nadeln, Perlen, Anhänger, Fingerringe und Knöpfe. Dagegen blieb der Anteil der aus diesen Rohstoffen angefertigten Produktionsinstrumente (Steinbeile und Steingegenstände mit Rille) gering. Zu Waffen, wie Hirschgeweihäxten und Pfeilspitzen, verwendete man ebenfalls nur vereinzelt entsprechendes organisches Material. Bereits gegen Ende des 9. und im 8. Jh. v. u. Z. gelangten aus dem südlichen Mitteleuropa Gegenstände in den Norden, die aus einem bisher in diesen Gebieten noch unbekannten Material, aus Eisen, waren. Sehr gut läßt sich an der Fundanzahl ablesen, daß die Einfuhr eiserner Gegenstände im 7. und 6. Jh. v. u. Z. stark angestiegen war. Gegenstände aus diesem Rohstoff waren denen aus Bronze, vor allem aber denen aus Stein und Knochen, in der Qualität weit überlegen. Da bei der Bevölkerung des Nordens die Technologie der Erzverhüttung und die der Eisenverarbeitung zunächst unbekannt war, gelangten ausschließlich Fertigprodukte in ihre Hände. Die Kartierung derartiger Funde aus dem 7. und 6. Jh. v. u. Z. (Abb. 12) zeigt die unterschiedliche Streuung auf die verschiedenen Siedlungsgebiete. Der zahlenmäßig größte Anteil läßt sich bei unmittelbarer Nachbarschaft zu den Herstellungsgebieten der eisernen Gegenstände beobachten. Darüber hinaus finden wir eine besondere Häufigkeit nur noch in den Gebieten entlang der Verbindungswege, und zwar differenziert nach Zahl und typenmäßiger Zusammensetzung. Das südwestliche Mecklenburg und das mittlere Weser-/untere Aller-Leine-Gebiet treten gegenüber den anderen durch eine besonders hohe Zahl importierter Erzeugnisse hervor. Eine bemerkenswerte Sonderstellung nimmt in dieser Hinsicht das Gebiet der Prignitz ein, in die u. a. sehr viele Waffen gelangten. Bronzene und eiserne Hallstattschwerter und Teile des Pferdegeschirrs beschränken sich in ihrer Verbreitung nahezu auf diesen 13
Im 13. Jh. v. u. Z. setzen historische Veränderungen ein, die weite Gebiete Europas erfassen und als Urnenfelderbewegung bezeichnet werden. Namengebend dafür sind die großen Urnenfelder mit Brandbestattungen (H. Müller-Karpe 1959; W. Kimmig 1964, S. 220 ff.).
Abb. 12. a Verbreitung der Eisengegenstände des 7./6. Jh. v. u. Z. im nördlichen Mitteleuropa; I ein Gegenstand, II zwei bis vier, III fünf und mehr Gegenstände, b Prozentualer Anteil der Typengruppen an den Eisengegenständen aus dem 7-/6. Jh. v. u. Z. im Gebiet zwischen Weser und Oder; 1 Harpstedt-Nienburger-Gruppen, 2 Seddiner-, 3 Elb-Havel-, 4 Hausurnen-, 5 Göritzer-, 6 Billendorfer Gruppe; a Schmuck/Tracht, b Toilettenbestecks, c Arbeitsgeräte, d Waffen.
WIRTSCHAFT
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Raum. Möglicherweise standen die in diesem Gebiet lebenden Menschen in besonders intensiven Tauschbeziehungen mit der Bevölkerung im südlichen Mitteleuropa, was durch die günstige geographische Lage, gegeben durch den Elbeweg Unterstützung gefunden haben könnte. Die im Fundgut sich ausdrückenden stärkeren Beziehungen zum sozialökonomisch weiter fortgeschrittenen südmitteleuropäischen Raum, wo sich ersteStaaten herausgebildet hatten, lassen aber auch Einflüsse auf den politisch-gesellschaftlichen Bereich vermuten. Obwohl die Verbreitung entsprechender Funde allgemeine Hinweise auf mögliche Einflußwege gibt, begegnet die spezielle Erschließung der Verkehrs- und Verbindungswege zum bzw. vom Süden großen Schwierigkeiten. Sicher werden Flußläufe als Verkehrswege benutzt worden sein. Es ist möglich, daß z. B. die mittlere Elbe und Saale eine solche Verbindung nach Bayern und die Werra und Weser eine andere von Süden nach Niedersachsen hergestellt haben. Der Rhein spielte als Verbindungsweg zu den Stämmen im nördlichen Mitteleuropa nur eine untergeordnete Rolle. Auch der Oderweg berührte die Siedlungsräume der Stämme im Norden nur am Rande. Aus den nordwestungarischniederösterreichisch-west-slowakischen Gebieten der Hallstattkultur gelangten Rohstoffe und Fertigprodukte entlang der March/Morava, Becvaundder Oder über das schlesische Siedlungsgebiet der Stämme der Hallstattkultur 14 und der Stämme der Lausitzer Kultur (Biüendorfer und Göritzer Gruppe) 15 sowie schließlich über die Ostsee nach Bornholm und auf das südschwedische Festland (E. Nyl&i 1970, S. 193 ff.). Sicher mögen auch Landwege ihre Bedeutung für die Beziehungen gehabt haben. Sie sind aber nicht mehr nachweisbar.16 Insgesamt deuten die bisher erschlossenen Quellen auf umfangreiche Beziehungen zum südlichen Mittel- und zu Südeuropa, die die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse bei den Stämmen des Nordens in starkem Maße mitbestimmt haben mögen. 4.
Sozialökonomische
Verhältnisse
Sichtbarer Ausdruck der vorstehend dargestellten Entwicklung sind sozialökonomische Differenzierungsprozesse bei den Stämmen im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa, die ihren möglichen Niederschlag nicht nur im stärkeren Besitz u. a. von Eisen14
15
16
Die früheisenzeitliche Periode wird in großen Teilen Europas durch eine K u l t u r geprägt, die man nach einem Fundort in Oberösterreich als Hallstattkultur bezeichnet (G. Kossack 1959; M. Gedl 1971, S. 1 ff.). In der frühen Eisenzeit bilden sich aus der Lausitzer Kultur u. a. die Billendorfer und Göritzer Gruppe heraus. Namengebend für diese beiden Kulturgruppen sind die Gräberfelder bei Billendorf/Bialowice in Polen bzw. bei Göritz/Gorzyca in Polen (S. Griesa 1969, S. 1 1 5 f f . ; F. Horst 1971a, S. 192ff.; D. W . Buck 1972). Als Ausnahmen haben sich Reste von Bohlenwegen im Moor erhalten. Neben einfachen Wegen, aus übereinandergelegten Birkenzweigen, wie der W e g über das Ipweger Moor (zwischen Oldenburg und Varel), gab es Bohlenwege, für deren Bau ein erheblicher Arbeitsaufwand erforderlich war. So erforderte der Bau des 2,12 km langen und 3,20 bis 3,40 m breiten Bohlenweges, der zwischen den Ortschaften Lohne, Kr. Vechta und Aschen, K r . Grafsch. Diepholz, über das Moor führte, allein 6500 Belagbohlen (G. Jacob-Friesen 1963, S. 362ff.).
SOZIALÖKONOMISCHE
VERHÄLTNISSE
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gegenständen hatten, sondern vor allem im Bestattungswesen Ausdruck fanden. Gräber eines sozial und ökonomisch besser gestellten Personenkreises wurden nicht nur auffallend reich ausgestattet; sie zeichnen sich auch durch besondere Grabaufbauten aus. Außerdem wurden sie in der Regel einzeln, abseits von den anderen Grabstellen, an besonderen Geländepunkten errichtet. Auch die Niederlegung von „Totenschätzen" als Ausstattung für ein erwartetes Weiterleben nach dem Tode hatte wahrscheinlich enge Beziehunge nzu den Personen, die zu den sozial Bevorrechtigten innerhalb der damaligen Stammesbevölkerung zählten (H. J. Hundt 1955, S. 122f.; F. Horst 1966, S. 61 ff.). Ein weiterer Einfluß aus den gesellschaftlich fortgeschritteneren Gebieten des südlichen Mitteleuropa zeigt sich in der Strukturveränderung bestimmter Gräberfelder. Ähnlich wie im balkanisch-donauländischen Raum erfolgten jetzt auch Bestattungen in geordneten, mehrfach nebeneinanderliegenden Reihen; so lagen z. B. auf dem Gräberfeld von Bresch, Kr. Perleberg, die einzelnen Gräber in einem Abstand von 1,0—1,5 m in Reihen geordnet, diese wiederum in einem Abstand von 4,0—6,0 m voneinander (W. Böhm 1937, S. 50). Bemerkenswert ist, daß diesen in Reihen geordneten Gräbern im gesamten Mittelelbe-Havel- und unteren Elbegebiet eine zweite Besonderheit an die Seite gestellt werden kann, die durch gesonderte, auffällig gebaute und reich ausgestattete Grabanlagen charakterisiert wird. Gräber dieser Art enthalten Kultgegenstände, eingeführte prunkvolle Trinkservice, Waffen, Pferdegeschirrteile, kunstvolle Schmuckgarnituren und Toilettenbestecks. Zu diesen wenigen Ausnahmen gehört das Grab von Voldtofte auf Fünen in Dänemark (J. Brandsted 1962, S. 196). Hier lag in einem großen Hügelgrab in einer Steinkiste der Tote. Dessen verbrannte Reste befanden sich in einem importierten Bronzegefäß, das mit Wollstoff und Fellen umwickelt war. Ein Bronzedeckel diente als Verschluß. An Beigaben fand man einen goldenen Armring, vier goldene Knöpfe — wahrscheinlich Reste der Bekleidung —, zwei Rasiermesser, ein Beil und drei Trinkschalen aus Bronze. Der weitaus größte Hügel bzw. das reichste Grab dieser Art im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa hegt aber bei Seddin, Kr. Perleberg (A. Kiekebusch 1928). Unter einem Hügel von 90 m Durchmesser und von 11 m Höhe, zu dessen Aufbau etwa 30000 m s Steine benötigt wurden 17 , befand sich in einer neuneckig gerundeten Grabkammer von* 2 m Durchmesser und 1,6 m Höhe der Tote. Den oberen Abschluß der Kammer hatten die Erbauer durch ein falsches Gewölbe erreicht. Die Grabkammer ist innen verputzt und mit einem voluten- bzw. mäanderartigen Dekor in roter Farbe versehen worden. In der Grabkammer stand ein 46,5 cm hohes Tongefäß, in dem sich eine importierte Bronzeurne (Taf. 2) mit dem Leichenbrand des Verstorbenen, eines 30—40 Jahre alten Mannes, befand. Auf dem Leichenbrand lagen ein Armring, eine Bronzetasse, ein Messer und eine Axt. Auf dem Boden der Grabkammer verstreut standen zwei Bronzeschalen, lagen ein Halsring, eine Kette aus Glasperlen, eine weitere Kette mit einem kammförmigen Anhänger, mehrere Arm- und Fingerringe, zwei eiserne Nadeln, mehrere Knöpfe, ein Toilettenbesteck (Rasiermesser und Pinzette), ein Meißel und ein Schwert sowie weitere Kleinigkeiten. Die Bedeutung des Toten wird dadurch unterstrichen, daß wahrscheinlich ihm zu Ehren zwei junge Frauen getötet und mitbestattet worden sind. 17
Berechnungen haben ergeben, daß 150 Menschen bei einer achtstündigen Arbeitszeit ein Jahr gebraucht hätten, um den Hügel herzurichten (A. Kiekebusch 1928, S. 7).
78 5.
GESELLSCHAFTLICHE VERHÄLTNISSE
Bestattung und Kult
Die meisten Toten wurden in einfachen Flachgräbern der Erde anvertraut. Nur ganz vereinzelt ist die Urne von einem Steinmantel umgeben worden. Auch Umfang und Art der Beigaben hielt sich allgemein in Grenzen, so daß — wenn nicht rituell bedingt — dieser Befund auf eine ärmere bäuerliche Bevölkerung schließen läßt. Verbrannt wurden die Leichen auf Verbrennungsplätzen am Rande der Gräberfelder. Nur in Ausnahmefällen fand die Einäscherung an der Grabstelle statt. Zu einer Siedlung gehörte meist nur ein Gräberfeld mit durchschnittlich 20—35 Gräbern. Es gab auch große zentrale Bestattungsplätze mit mehreren hundert, die größten mit fast 600 Gräbern. Auf diesen großen Bestattungsplätzen (Schollene Ot. Molkenberg, Kr. Havelberg; Premnitz, Kr. Rathenow; Radewege, Kr. Brandenburg) 18 sind die Gräber in Gruppen angeordnet. Das spricht dafür, daß die Verstorbenen mehrerer Siedlungen zwar auf einem gemeinsamen Gräberfeld, jedoch nach Siedlungsgemeinschaften getrennt, bestattet wurden. Nach den ermittelten Belegungszeiten wurde auf den Gräberfeldern zum Teil nur eine kurze Zeit lang beigesetzt, andererseits sind auf ihnen wahrscheinlich auch mehrere Generationen bestattet worden. Zum Totenkult gehörte das Niederlegen von Hort- und Einzelfunden mit Hortcharakter. Dem Toten wurden nicht nur die Beigaben in das Grab gegeben, sondern auch wertvolles Sachgut aus seinem ehemaligen Besitz für ein erwartetes Leben nach dem Tode in Mooren, sumpfigen Niederungen und Gewässern niedergelegt (B. Stjernquist 1963, S. 5ff.)In den kultischen Vorstellungen spiegelten sich im wesentlichen das allgemeine Verhältnis der Stammesgemeinschaften zur natürlichen Umwelt wider. Die Menschen verehrten Sonne und Erde und brachten ihnen Opfer dar. Auch die verschiedensten Ornamente an den Gefäßen (Kreisriefen, Kreuze, Spiralen, Vierfeldermuster u. ä.), an Metall-, Knochen- und Steingegenständen (Pferde- und Vogeldarstellungen, Schiffsdarstellungen, Dreiwirbel, Würfelaugen, Spiralen, Kreuze usw.) haben symbolischen Bezug zur Sonnenverehrung oder zu anderen Naturerscheinungen sowie zum bäuerlichen Fruchtbarkeitskult. Andere symbolisieren Abwehr gegen Naturgewalten, gegen das Böse im allgemeinen. Von Erwachsenen und Kindern getragene Anhänger hatten offenbar nicht nur Schmuckcharakter, sondern Funktionen des Kultes und des Zaubers im Zusammenhang mit bestimmten Abbildern, wobei Pferd, Hund und Hirsch einen festen Platz im Sonnenkult eingenommen haben.19 Andere Anhänger kann man als Amulette deuten, die dem Besitzer Kraft verleihen und ihn vor Krankheiten und Unfällen schützen sollten. Für die Ausübung von Kulthandlungen besaßen einige Siedlungen eigene, in unmittelbarer Nähe gelegene Opferplätze (Abb. 13). Es gab auch zentrale Kult- und Opferplätze für größere Siedlungsgruppierungen, die möglicherweise sogar für größere Siedlungsgebiete Bedeutung hatten. In der Mehrzahl handelt es sich um besondere Stellen an offenen Gewässern, verlandenden Seen und Mooren oder inmitten von Wäldern auf 18
19
A. Voß, G. Stimming 1887, A b t . II, Tai. 1 - 2 ; F. Horst 1966, S. 21 ff.; R. Breddin 1973, S. 115; Ortsakten des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam. G. Kossack 1954, S. 53ff.; W . Schulz 1964, S. 435ff.; F. Horst 1970, S. I 7 7 f f .
BESTATTUNG UND K U L T
79
Hochflächen, wo sie durch einen riesigen Findling gekennzeichnet waren. Auf anderen Kultplätzen trifft man zahlreiche, größtenteils in Reihen angeordnete Feuerstellen (Taf. 3)20 an.
Abb. 13. o Lage der jungbronzezeitlichen Siedlung und des Kultplatzes von Zedau, Ot. v. Osterburg. 1 Siedlungsplätze, 2 Gräberfeld, 3 Kultplatz/Feuerstellenreihe.
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V.
Die Herausbildung der (ab etwa 6. Jahrhundert
germanischer?Stämme vor unserer Zeitrechnung)
i.
Die Entstehung der Jastorfkultur und, zeitgleicher Kulturen im Rhein-Weser-Gebiet und deren geographische Verbreitung a) Hallstatt- und Latene-Einflüsse auf die gesellschaftliche Entwicklung
Im 6. Jh. v. u. Z. bzw. am Ende der Hallstattzeit standen sich in Mitteleuropa zwei große kulturell unterschiedlich geformte Bereiche gegenüber: der der sozialökonomisch hochentwickelten Hallstattkultur im süddeutsch-österreichischen Alpenraum bis hin an den Rand des Thüringer Waldes, der mit fortschreitender Entwicklung und räumlich erweitert bald von den Trägern der Latene-Kultur, den Kelten, eingenommen wurde (s. S. 232 ff:), und der nördlich daran anschließende bis zur Nord- und Ostsee verbreitete und stark von den Kelten beeinflußte aber wirtschaftlich nicht so weit fortgeschrittene Bereich, in dem sich als markanteste kulturelle Erscheinung des seinerzeitigen Entwicklungsstandes der gesellschaftlichen Verhältnisse die Jastorfkultur herausgebildet hatte, deren Träger später sicher Germanen waren und die bis in das letzte Jahrhundert v. u. Z. hinein unmittelbare Nachbarn der Kelten blieben (s. S. 190). Die Siedlungsgebiete im Norden standen im 6. und 5. Jh. v. u. Z. unter dem Einfluß der vorstehend erwähnten Hallstattkultur (Taf. 4 und 5). Durch die Übernahme der Eisenproduktion hatte sich im süddeutschen-österreichischen Raum auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet ein Umwandlungsprozeß vollzogen, der auch im archäologischen Bereich einen sichtbaren Niederschlag erfuhr. Als kontinuierliche Weiterentwicklung der bronzezeitlichen Urnenfelderkultur zeichnete sich mit der Grabform, d. h. mit der Umwandlung der gleichförmig ausgestatteten Flachgräberfelder in Hügelgrabanlagen ein neues Bild ab. Als Ausdruck einer nun faßbaren gesellschaftlichen Differenzierung sind die unvermittelt auftretenden Grabhügel mit Holzkammereinbauten zu werten, in denen reich ausgestattete Tote beerdigt wurden (s. S. 237 ff.). Männern und Frauen hat man wertvollen, aus Gold, Bernstein, Elfenbein, Glas, Bronze und Eisen gefertigten Schmuck beigegeben. Die kunstvoll gefertigte Tonware, mit geometrischen Mustern verziert und mit bunter Bemalung versehen, läßt ein Übergehen von der herkömmlichen Haustöpferei zur serienmäßigen Erzeugung in Werkstätten vermuten. Die oftmals mit Wagen ausgestatteten Häuptlingsgräber weisen darauf hin, daß Wagen eine große Bedeutung besessen und eine wesentliche Weiterentwicklung erfahren haben. Die Ursachen des wirtschaftlichen Aufschwunges dürften in der Errichtung von bereits spezialisierten Metallwerkstattzentren und der Entwicklung eines weitreichenden Tauschhandels mit den Produkten der Werkstätten sowie mit bergmännisch gewonnenen Salzen und Erzen beruhen. Die Bildung von großem Reichtum in den Händen einer 6*
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HERAUSBILDUNG DER GERMANISCHEN STÄMME
sozial bereits herausgebildeten Oberschicht und ein infolge der Tauschhandelsbeziehungen bestehender ständiger Kontakt zu den führenden Bevölkerungsschichten des Mittelmeerraumes, wo sich bereits die antike Sklavenhaltergesellschaft herauszubilden begann, führten zu einer stärkeren Abgrenzung des Gentiladels von der Masse der Bevölkerung. Im Siedlungswesen äußerte sich dieser Vorgang im Auftreten von Herrscherburgen (z. B. Heuneburg), um die bald bedeutende Handwerkszentren entstanden. Während dieser wirtschaftlichen Blüte der stark differenzierten „Hallstatt-Gesellschaft" erreicht ihr Einfluß auf die benachbarten Siedlungsräume bis hin nach Skandinavien ihren Höhepunkt. Vermittelt wurde nachweislich Kulturgut des persönlichen Bedarfs wie Nadeln und Fibeln. Das ästhetische Empfinden der Bevölkerung im Jastorfkultur-Bereich und darüber hinaus wurde dadurch maßgeblich mitbestimmt. Auch am Niederrhein finden wir in der sog. Grabhügelkultur Hallstatt-Elemente. Über diesen Raum hinaus wurde das Gebiet westlich der Ems und das bis zur Weser und Aller beeinflußt. Die Bevölkerung der im Bergland zu beiden Seiten des Mittelrheins verbreiteten Hunsrück-Eifel-Kultur mit ihren Hügel- und Flachgräberfriedhöfen konnte sich ebensowenig diesem Einfluß entziehen wie die Träger der Thüringischen Kultur der älteren Eisenzeit. Die östlich der Elbe verbreiteten, als Spätphase der Lausitzer Kultur anzusehende Billendorfer und Göritzer Kultur erhielten mit der östlich das Jastorfgebiet begrenzenden Ostpommerschen Kultur 1 ihre HallstattImpulse überwiegend aus dem osthallstättischen, dem heutigen südwestpolnischen und tschechoslowakischen Gebiet. Die Träger dieser, der Jastorfkultur benachbarten Gruppen traten als Vermittler der Hallstatt-Einflüsse auf, die sie vorerst selbst aufgenommen hatten und entsprechend der Stärke ihrer bodenständigen Kulturtradition zu dem ihnen eigenen Kulturgefüge unterschiedlich stark umgebildet haben. 2 Die Beziehungen der Germanen zu den Kelten wirkten sich anders aus als die der Kelten zu den Völkern des Mittelmeerraumes. Abgesehen von der Grenzzone zwischen Germanen und Kelten, die eine gewisse Sonderstellung in kultureller Hinsicht durch die starke Anreicherung hochwertiger keltischer Erzeugnisse aus Metall und scheibengetöpferter Keramik einnahm, tauchte im Kerngebiet des Jastorfkreises, das in Nordostniedersachsen, in Schleswig-Holstein, Mecklenburg, der Altmark, der Prignitz und dem Havelgebiet zu suchen ist, eine Reihe von Schmuckstücken, Trachtbestandteilen und Gebrauchsgegenständen auf, die eindeutig dem Formengut der Hallstattund Latene-Kultur entlehnt worden sind. Während der Späthallstatt- und Frühlatenezeit wurden im Norden beispielsweise Schmucknadeln hergestellt, deren vasenförmige, kugelige und scheibenartige Köpfe als Nachahmungen von Hallstattformen zu betrachten sind. Auch die schwanenhalsförmigen, stufen- und kropfartigen Halsbiegungen der Nadeln gehen auf südliche Vorbilder zurück. Vereinzelt treten im Norden sogar Originalnadeln aus dem Süden auf. Diese Beobachtung trifft gleichfalls für die Gewandschließen, die Fibeln, zu. Die für 1
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Zu vorstellend genannten Kulturen siehe folgende ausgewählte Literatur: W . Kersten 1948, S. 5ff.; H. E. Joachim 1968 und 1969; M. Claus 1952. Während die Bevölkerung der Gebiete westlich der Ems und im Weser-Aller-Raum sowie im Bereich der Verbreitung der Hunsrück-Eifel-Kultur allmählich in die Herausbildung und Festigung der germanischen Stämme einbezogen wurde, blieben die anderen genannten Gebiete außerhalb dieses Prozesses.
ENTSTEHUNG DER JASTORFKULTUR
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die Späthallstattkultur charakteristische Doppelpaukenfibel wird aus Bronzeblech und Eisen im norddeutschen Raum nachgebildet. Auch die Certosa-Form entsprach dem Geschmack der Germanen, und bis in das nordbrandenburgische Gebiet treten vereinzelt echte Kahnfibeln auf. J e weiter man nach dem Norden in den schleswigholsteinisch-mecklenburgischen Raum vordringt, desto seltener werden Originalgegenstände aus dem Hallstatt-Kulturbereich. Bei den Armringen, den Halsringen und den Gürtelschließen spiegelt sich ebenfalls der südliche Einfluß deutlich wider. Im Bereich der Bekleidung wurde offenbar von den reiternomadischen Völkern des Südostens in jener Zeit die Hose übernommen. Im Gegensatz zu den Kelten, bei denen die Bereitschaft bestand, nicht nur die Formgebung von Gegenständen des Mittelmeerraumes zu übernehmen, sondern auch die technischen Verfahren ihrer Herstellung bzw. die Erzeugnisse selbst einzuführen, überwiegen im Norden die Nachbildungen hallstattzeitlicher Gegenstände. Die von der Bronzetechnologie abweichende Eisenherstellung und -Verarbeitung fand aber Übernahme und weite Verbreitung. Zum Prozeß der Übernahme der Kenntnis der Verhüttung und Verarbeitung des Eisens aus dem Hallstatt-Kreis geben die archäologischen Befunde des mittelholsteinischen Raumes Aufschlüsse (H. Hingst 1964, S. 233). Im Räume von Neumünster befanden sich mehrere Verhüttungsreviere mit Eisenschlacken aus der frühen Eisenzeit. Inmitten der Rendsburger Erzabbaugebiete liegen auch alle wichtigen und größeren Friedhöfe aus dieser Zeit, obwohl die Ackerböden dort ausgesprochen dürftig sind. Im Bereich dieser Verhüttungsreviere tritt außerdem eine fremde, von der Jastorfkeramik sich weniger durch die Formgebung als durch den Dekor deutlich unterscheidende Tonware auf. So fand man in Gadeland, Höbek und Jevenstedt Grabgefäße der späthallstattzeitlichen Formgebung, deren helle Wandungen mit rötlichbraunen Mustern bemalt sind. Gefäßbemalung ist für mehrere Gruppen der Späthallstattkultur (z. B. in Böhmen und Schlesien) charakteristisch, wurde aber von den Menschen der Jastorfkultur nicht angewendet. Verhältnismäßig häufig tritt in diesem Gebiet auch Metallsachgut auf, das hallstättischen Formen nachgebildet ist (z. B. Dreipaß und Nadeln, wie die sog. Bombenkopfnadel). Das isolierte Auftreten bemalter Gefäße zu Beginn der Eisenzeit in einem nachweislich produzierenden Eisenverhüttungsrevier Mittelholsteins läßt deshalb die begründete Vermutung aufkommen, daß aus der Hallstattkultur eingewanderte Eisenwerker in diesem Verhüttungszentrum angesiedelt worden waren. Die älteste Eisenverhüttung im Norden wird demnach zum großen Teil in den Händen von Personen gelegen haben, die aus dem Hallstatt-Gebiet zugewandert sind, sich aber nicht lange als selbständige Gruppe gehalten haben dürften. Analog den Vorgängen bei der Herausbildung keltischer Stämme im Süden formten sich in jener Zeit im Norden ebenfalls feste Gemeinschaften, ohne daß es heute möglich ist, diesen Herausbildungsprozeß im einzelnen nachzuzeichnen. Die über Jahrhunderte währenden friedlichen Beziehungen stellten einen entscheidenden, in seiner ganzen Bedeutung gegenwärtig sicher noch nicht faßbaren Einfluß auf die wirtschaftliche und soziale und über diese hinaus auch auf die ethnische Entwicklung der germanischen Stämme dar. Erst unter ihrem Einfluß ging die bäuerliche Bevölkerung des Nordens zur allgemeinen Nutzung des Eisens über, das ihr zwar aus eingeführten Fertigprodukten bekannt war, das aber bisher nur in geringem Umfange aus den reichen einheimischen Raseneisenerzvorkommen durch die eigene Verhüttung
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gewonnen wurde (H. Hingst 1964, S. 233ff.). Damit trat auch das später germanische Gebiet in die erste Phase der voll ausgeprägten Eisenzeit ein. Nunmehr im Besitz von Kenntnissen zur Verarbeitung eigener Metallrohstoffe konnte man auf den Erwerb größerer Bronzemengen verzichten und war nicht mehr gezwungen, wegen fehlender Bronzeimporte auf Knochen und Stein als Ausgangsmaterialien für die Herstellung von Geräten und Schmuckgegenständen zurückgreifen zu müssen (s. S. 74). Die Verarbeitung von Bronze wurde allerdings nicht ganz aufgegeben3 (z. B. Abb. 35b). Die Verwertung eines für die Weiterentwicklung der Produktivkräfte so bedeutenden einheimischen Rohstoffes hatte nicht nur die Stärkung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Stämme zur Folge, sondern war möglicherweise der Grund für einen auch im archäologischen Quellenmaterial spürbaren Rückgang der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Stämmen, die im Bereich der Hallstattkultur gelebt haben. Die parallel zum Rückgang der Verwendung von Bronze zur Herstellung von Schmuck und Gebrauchsgegenständen verlaufende bedeutende Abschwächung der Beziehungen zu den Stämmen im Hallstattkulturbereich bewirkte im Norden offenbar auch eine zwar nur langsam sich durchsetzende Lösung vom hallstättischen Form- und Geschmacksempfinden in der überlieferten materiellen Kultur. Andererseits dürfte durch diese Vorgänge ein großer Metallbedarf entstanden sein, der sicherlich zur Beschleunigung der Entwicklung der Abbau- und Verhüttungstechnik beigetragen hat. Die Eisenverhüttung wurde anfangs nur saisonmäßig im Haushandwerk von der bäuerlichen Bevölkerung betrieben. Einzelne Verhüttungszentren (z. B. Jevenstedt, Kr. Rendsburg) deuten auf Werkplätze von Gemeinschaften hin. Eindeutige Hinweise auf einen bereits arbeitsteiligen Prozeß, d. h. daß ausschließlich bestimmte Personen der Erzverhüttung nachgingen, lassen sich jedoch für diese Zeit nicht erkennen. Mit den Veränderungen, die die Metallproduktion auf wirtschaftlichem Gebiet mit sich brachte, gingen folgerichtig soziale Veränderungen einher. Betrachtet man die Verarbeitung des gewonnenen Roheisens unter dem Aspekt der in den Grabanlagen auftretenden Beigaben, so würde sie sich weiterhin wie am Ende der Bronzezeit vorwiegend auf die Herstellung von kleinen Gebrauchs- und Schmuckgegenständen und nur in Einzelfällen auf Produktionsinstrumente von verhältnismäßig untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung (z. B. dolchartiger Messer und Schermesser), nicht aber auf Werkzeuge und Waffen erstreckt haben. Sicher ist dies aber nicht der Fall. 4 Der Besitz eigener Rohstoffe führte allmählich zur ökonomischen Stärkung der Stämme; er war sicherlich auch mit einer Bewußtseinsstärkung der Stammesangehörigen im Sinne von fester Stammeszugehörigkeit verbunden. Mit dem Austausch der Eisenerzeugnisse mußten sich auch die Kommunikationsmöglichkeiten erweitern. Sie wurden 3
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Vielleicht liegt in der Weiterführung der Tradition der Bronzeverarbeitung eine der Ursachen dafür, daß die Germanen gegen Ende des letzten Jh. u. Z. relativ unvermittelt und mit viel Können wieder zur stärkeren Verwendung der Bronze übergehen konnten (s. S. 138ff.). Bedauerlicherweise fehlen in diesem wichtigen Bereich der damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse Quellen für beweiskräftige Aussagen. Vermutlich wurden aber durch die Erweiterung der Eisenproduktion auch Prozesse hervorgerufen, die zur Festigung der Stammesgesellschaft und auch der Stammesbeziehungen beigetragen haben mögen.
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sehr wahrscheinlich ein wichtiges Bindeglied zwischen den Stämmen überhaupt. Eine bevorzugte Stellung im Entwicklungstempo nahmen die großen Siedlungsräume am Elbelauf ein, und zwar nicht nur durch die bemerkenswerte Besiedlungsdichte, sondern auch durch den gezielten Abbau der Eisenerze und die Verarbeitung des Metalls zu Gebrauchsgegenständen. 5
b) Die Siedlungsgebiete der Jastorfkultur Dem Fundmaterial von Jastorf, Kr. Uelzen, dem namengebenden Bestattungsplatz für die ganze Kultur (G. Schwantes 1950, S. n g f . ) entspricht weitgehend das Kulturgut Holsteins, Nordostniedersachsens, großer Teile der Altmark und Westmecklenburgs. Deshalb wird dieser Raum auch als „engerer Jastorfkreis" bezeichnet bzw. als „Jastorfkultur im eigentlichen Sinne" betrachtet. Formengut und Stilelemente dieser Kulturgruppe reichen bis in die Siedlungsgebiete im Norden der jütischen Halbinsel, in den westpommerschen Raum und in das Elster-Mulde-Saalegebiet (Karte 2). Je weiter wir uns jedoch vom engeren Verbreitungsgebiet entfernen, desto stärker tritt die sittenund formenmäßige Eigenständigkeit der Kulturgruppen hervor, so daß die Entscheidung schwer fällt, ob die am Rande gelegenen Gruppen noch zur Jastorfkultur zu rechnen sind oder nicht. Das betrifft vor allem die nordjütische Gruppe, die Besiedlungsbelege auf den dänischen Inseln und in Südschweden sowie die Gruppen im Weser-AllerGebiet. 6 Das während der älteren vorrömischen Eisenzeit durch eine Bevölkerung mit jastorfartigem Kulturgut besiedelte Gebiet erstreckt sich demnach von Nordjütland bis in das ostsächsische Elbegebiet, von Nordostniedersachsen bis Westpommern. Als Siedlungsanzeiger dienen in erster Linie die Wohnplätze, aber auch die stets in ihrer unmittelbaren Nähe liegenden Friedhöfe. Die Besiedlung verlief in dem genannten Gebiet keineswegs gleichmäßig, denn nicht jede Landschaft war siedlungsgünstig. 7 Wie in den vorangegangenen Jahrhunderten siedelte man bevorzugt an kleinen Bächen und fließenden Gewässern und bewirtschaftete vorwiegend leichte Sand- und mittelschwere Böden. Lößböden wurden nur dort besiedelt, wo in Gewässernähe leichte Böden inselartig ein-
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Diese Schlußfolgerungen stützen sich aber im wesentlichen nur auf die Grabausstattung. Verhüttungsplätze wurden ebenfalls freigelegt, Werkstätten von Schmieden sind noch nicht ausgegraben worden. In der materiellen Kultur zeigt Nordjütland zu Beginn der vorrömischen Eisenzeit einen fließenden Ubergang zu Mitteljütland, das wiederum enge Beziehungen zum sehr stark jastorf-beeinflußten südjütischen Gebiet aufweist. Die Kulturbeziehungen berechtigten dazu, das mittel- und nordjütische Gebiet der „Jastorfkultur im weiteren Sinne" einzugliedern. Die inseldänisch-südschwedischen Fundplätze lassen dagegen eine derartig enge kulturelle Verbundenheit zum Festland nicht erkennen, wenn sie auch weitläufig Beziehungen der Formen (z. B. Nadeln mit Kröpfung) nicht ausschließen. Das WeserAller-Gebiet stellt eine Peripherie-Gruppe der Jastorfkultur im Westen mit einer eigenständigen Bestattungssitte dar (vgl. auch G. Kossack 1962, S. 88). Weite wasserarme Sanderflächen, landwirtschaftlich schwer bearbeitbare Böden, durch Überschwemmungen gefährdete Niederungen, Höhenzüge und Gebirge (z. B. Fläming und Harz) waren siedlungsfeindlich.
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gelagert sind. Die Bodenart hatte nicht nur für den Bewuchs bzw. für die Bewaldung eine besondere Bedeutung, sondern bot auch entsprechende Bedingungen für die Bearbeitung wie für die natürliche Pflanzen- und Tierwelt als Voraussetzung für eine gesicherte Nahrungsmittelproduktion. Diese Gesichtspunkte spielten bei der Wohnplatzwahl eine entscheidende Rolle, weniger hingegen das Vorhandensein natürlicher Rohstoffe und das Bedürfnis nach Schutz vor benachbarten und fremden Siedlungsgemeinschaften .8 Mehrere Siedlungsplätze bildeten eine Siedlungskammer, die sich oft auf der Karte gleich einer Insel in der dicht bewaldeten Umgebung abhebt (Abb. 14). Die Siedlungs-
A b b . 14. "Von Waldgebieten umschlossene „Siedlungskammern" im Kreis Ludwigslust während der späten Bronze- und der vorrömischen Eisenzeit. 1 Siedlungsplatz, 2 Bestattungsplatz der späten Bronzezeit; 3 Siedlungsplatz, 4 Bestattungsplatz der vorrömischen Eisenzeit.
kammern zeigen nicht nur unterschiedliche Größe und Fundplatzdichte, sie sind entsprechend den geomorphologischen Bedingungen auch unregelmäßig verteilt. Das Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur besteht fast ausschließlich aus Tiefland mit vielfältigen Gliederungsgegebenheiten, so daß sich Siedlungsräume herausheben, die durch breite natürliche Grenzbereiche getrennt sind und aus mehreren Siedlungskammern bestehen. Daß unterschiedliche Fundplatzverbreitungsbild wird neben kulturhistorischen und siedlungskundlichen Gegebenheiten, vor allem durch die Morphologie der Landschaft bestimmt. Zur Abgrenzung der einzelnen Siedlungsräume tragen ausgedehnte Waldgebiete und
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Das schließt nicht aus, daß in begrenzten Gebieten der Landschaft mit weniger fruchtbaren Böden, aber wichtigen Eisenerzvorkommen die Besiedlung erfolgte, um die günstige Rohstofflage zu nutzen (H. Hingst 1964, S. 232 t.).
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Sümpfe, größere Gewässer (Seen), weite Niederungen, Flußebenen, Höhenzüge und Gebirge bei. Fließende Gewässer bildeten in der Regel keine natürliche geographische Grenze zwischen den Fundplatzgruppierangen, sondern verbanden als Wirtschafts- und Verkehrsadern die Siedlungsbereiche. Man findet deshalb die Fundplätze an Gewässern oft perlenkettenartig aneinandergereiht. Die Verbreitung der „Jastorfkultur im weiteren Sinne" umfaßt folgende Siedlungsgebiete (Abb. 15), die auf der Besiedlungskarte nach den oben angeführten Kriterien in Verbindung mit bestimmten Besonderheiten und Unterschieden in der materiellen Kultur voneinander abgegrenzt werden können: Südholstein-Westmecklenburg läßt sich in zahlreiche Siedlungskammern und zusammenhängende Siedlungsgebiete gliedern. Eine ausgedehnte Fundplatzkonzentration gibt es von Pinneberg über Hamburg in Richtung Bad Oldesloe bis zur Trave. Ein Ausläufer befindet sich im Gebiet des Sachsenwaldes und lockert sich nach Osten hin etwas auf. Im Nordosten finden wir zahlreiche kleinere Fundplatzgruppierungen, dazwischen mitunter größere unbesiedelte Gebiete. Am Ostrande dieses Raumes zieht sich auf dem Sanderplateau rechtsseitig der Sude ein dichtes Band von Fundstellen, den Fluß am Oberlauf überschreitend, von der Elbe bis zum Schweriner See hin. Im Süden sind die Elbe und im Osten die Sudeniederung, die Lewitz und der Schweriner See klare Verbreitungsgrenzen. Vom Nordende des Schweriner Sees bis zum Mittellauf der Trave und weiter nach Westen erstreckt sich ein vergleichbarer fundarmer Saum. Die Abgrenzung zum ostholsteinischen Besiedlungsbereich läßt sich nicht immer einwandfrei durchführen. Die Grenze zum westholsteinischen Siedlungsgebiet bildet der weite fundleere Stör-Mündungsraum. Nur an wenigen, vorwiegend von Westholstein her beeinflußten Plätzen finden wir flache Hügelgräber. Charakteristisch sind große Flachgräberfelder mit Urnen in Steinpackungen, unter ovalen und runden Steinsetzungen sowie unter Steindecken. In steinarmen Gegenden (z. B. der Elbeniederung) hat man oftmals Mahlsteine als Schutz verwendet, und ein großer Teil der Gräber liegt ungeschützt im Sande. Das Prignitzgebiet wird im wesentlichen durch die Eide, Löcknitz, Stepenitz, Karthane und Dosse markiert. Im Südwesten bildet die Elbe eine natürliche Begrenzung, im Nordwesten die weite fundleere Sudeniederung, die ihre Fortsetzung im Forst Jasnitz und im Lewitzgebiet findet. Im Nordosten schließt sich auf der Linie Schwerin—Parchim — Wittstock eine fundleere Zone an, die im Osten durch die südlich der Müritz liegenden, aneinandergrenzenden großen Waldgebiete (Wittstocker Heide, Rossower Heide, Forst Neu Glienicke) bis hin zum Rhinluch verläuft. Aus dem vorwiegend aus Niederungen bestehenden Gebiet zwischen Friesack und Havelberg sind nur einzelne Fundplätze bekannt. Somit bilden die Havel- und Dosseniederung sowie das Rhinluch auch im Süden eine morphologische Begrenzung. Die Prignitzgruppe besteht aus mehreren eng beieinanderliegenden Fundkonzentrationen. Ihr Schwerpunkt liegt im Raum zwischen Lenzen, Warnow und Perleberg. In den weniger stark besiedelten Gebieten, wie zwischen Eide und Sude im K . Ludwigslust, lassen sich die einzelnen Siedlungskammern gut abgrenzen (Abb. 14). Charakteristisch sind umfangreiche Flachgräberfelder mit und ohne Steinsetzungen, mit Platten- und Feldsteinpackungen und einzelnen Schutzsteinen für Urnengräber und Leichenbrandhäufchen (Knochenlager). Auch Urnenfriedhöfe mit umfangreichen Steindecken treten auf.
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Das nordostniedersächsische Jastorfgebiet dehnt sich über einen annähernd gleichmäßig breiten Raum entlang der Elbe mit einem Ausläufer zwischen Oste und Wümme und einer kleinen peripheren, aber unbedeutenden Siedlungskammer im Kreise Soltau aus. Infolge des zeitlich-räumlichen Kontaktes zwischen Jastorf und den nahe verwandten Weser-Aller-Gruppen läßt sich im Grenzraum des Wümme-Weser-Bereiches nicht immer klar entscheiden, zu welchem der beiden Kulturgruppen ein Fundplatz gehört. Südöstlich ist die Scheidung durch die weite fundleere Zone der Lüneburger Heide erkennbar, die ihre Fortsetzung im Drömling und der Kolbitz-Letzlinger-Heide findet. Das küstennahe Gebiet zwischen Weser- und Elbemündung ist weitgehend fundleer; es wird erst in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit besiedelt. Diese Fundleere verwundert umso mehr, da auf der anderen Seite der Elbemündung das Fundballungszentrum des westholsteinischen Gebietes hegt. Es lassen sich mehrere Siedlungsgebiete abgrenzen. Besonders klar hebt sich die größere Fundplatzgruppierung am Oberlauf der Jeetze im nordwestlichen Teil der Altmark ab. In den Dichtezentren finden wir vorwiegend größere Flachgräberfriedhöfe mit Urnengräbern und Knochenlagern in und ohne Steinschutz. Das nördliche Mittelelbe-Havel-Gebiet der Jastorfkultur bestehend aus dem dichtbesiedelten Raum östlich der fundleeren Linie Drömling—Forst—Klötze—Jeggeleben — Forst Gartow hat im Süden bis zur Ohremündung einen Ausläufer, der nach Westen durch das fundleere Gebiet der Kolbitz-Letzlinger Heide begrenzt wird und elbeaufwärts die Verbindung zu der Fundplatzgruppierung des Magdeburg-Zerbster Raumes (zwischen Fläming und Elbe) darstellt. In der Altmark ist die größte Funddichte des gesamten Jastorfgebietes zu beobachten. Während der altmärkische Bereich im Westen gut von den nordostniedersächsischen Fundplatzgruppierungen abgegrenzt ist, geht er im Norden in die lediglich durch den Elbelauf geschiedene, ebenfalls Siedlungsdichte Prignitzgruppe über. Im Südosten ist er eng mit den Fundplatzgruppierungen des Havelraumes verbunden. Von den Fundpunkten an der Havel durch die Havelseen getrennt, liegt im Osten vom Spreemündungsgebiet bis zum niederen Fläming ein aus mehreren Fundgruppen bestehender Siedlungsbereich, dem offensichtlich die isoliert stehende Siedlungskammer im Gebiet um Luckau ihre Entstehung verdankt. Die vier Siedlungsräume zeigen eine bemerkenswerte kulturelle Eigenständigkeit. Die Flachgräberfriedhöfe, insbesondere die des altmärkisch-havelländischen Raumes, weisen eine starke Belegung und eine bedeutende Größe auf. Hier gibt es vielfältige Steinpackungen und -Setzungen, bemerkenswert sind weiter die im Verhältnis zum übrigen Jastorfgebiet reichen Ausstattungen mit Grabbeigaben. Das betrifft sowohl die Quote der mit Beigaben versehenen Gräber als auch die Anzahl der Beifunde in einem Grab. Kulturelle Beziehungen lassen sich auch zum engeren Jastorfgebiet nachweisen, während der Havel-Spree-Raum besonders im keramischen Bereich durch eine stark regional verbreitete Stilgebung gekennzeichnet ist. Besonderheiten beobachtet man aber auch bei den Beigabenformen und den Grabanlagen (H. Seyer 1965). Abb. 15. Siedlungsgebiete in der älteren vorrömischen Eisenzeit (etwa 600 bis 200 v. u. Z.): 1 Südholstein/Westmecklenburg, 2 Prignitz, 3 Nordostniedersachsen (Jastorfgebiet), 4 Mittelelbe/Havel, 5 Elster/Mulde/Saale, 6 östliches Mecklenburg und nördliches Brandenburg, 7 Mittel- und Ostholstein, 8 Westholstein (Jastorfgebiet), 9 Südjütland, 10 Mittel]ütland, 1 1 Nordjütland, 12 Inseldänemark und Südschweden, 13 Weser/Aller.
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Im Bereich von Elster, Mulde und Saale erstrecken sich die Fundplätze auf die verhältnismäßig dünn besiedelten Landstriche westlich der Schwarzen Elster bis westlich der Saale. Ballungsgebiete finden wir in der Gegend von Leipzig, Würzen bis Grimma und Riesa. Ausgedehnte Flachgräberfelder fehlen. Kleinere Friedhöfe (A. Mirtschin 1933; H. Grünert 1957; H. Kaufmann 1968, S. 323), Einzelgräber und vereinzelt auch Nachbestattungen in bronzezeitlichen Hügeln (V. Geupel und H. Kaufmann 1967, S. 213 ff.) bestimmen das Fundbild. Das Kulturgut umfaßt neben echten Jastorfformen zahlreiche Funde mit Merkmalen südlicher Beeinflussung. Wie im Norden ist auch hier Metallsachgut in den ältesten Urnengräbern verhältnismäßig selten anzutreffen. Im mittelmecklenburgisch-nordostbrandenburgischen Gebiet verteilen sich die Fundplätze locker und weiträumig. Eine verhältnismäßig dichte Fundplatzkonzentration befindet sich lediglich im Gebiet zwischen Rerik, Kühlungsborn, Kröpelin und Neubukow. Im Gebiet der Seen liegen Fundplatzansammlungen bei Mirow, Blankensee, Malchin, Neubrandenburg, Prenzlau und Gransee. Die westliche Grenzlinie dieses Siedlungsbereiches verläuft von der Wismarer Bucht in Richtung Süden über den Schweriner See und die Lewitz zur Eide. Wittstocker Heide, Forst Neu Glienicke, Rhinluch, Forst Sachsenhausen, Berliner Stadtforst, die Forsten Finowtal, Grimnitz, Chorin, Eberswalde und Freienwalde bilden im Südwesten und Süden eine natürliche Grenze. Im Osten reicht das Gebiet nur vereinzelt über die Oder hinaus und bezieht dabei vor allem das Flußgebiet der Ina in die Besiedlung mit ein. Die Flachgräberfriedhöfe sind meist von geringer Ausdehnung und Belegungsstärke. Neben Urnengräbern findet man auch vereinzelt Leichenbrandhäufchen (Knochenlager) in den unterschiedlich stark aus Feldsteinen oder Platten errichteten Grabanlagen. Auch ungeschützte, im Boden stehende Urnen wurden festgestellt. Darüber hinaus gibt es Belege für Brandgruben und Hinweise auf Brandschüttungsgräber. Vereinzelt findet man Urnenbestattungen auch unter Hügeln (Mankmoos, Kr. Sternberg) und in Steinkreisen (z. B. Netzeband, Kr. Greifswald; Forst Tarnow, Kr. Bützow). Die Gräber zeichnen sich durch Beigabenarmut aus. Die Friedhöfe im Süden dieses Raumes sind in der Mehrzahl ausgedehnt und stärker belegt. Urnengräber, Knochenlager und Brandgrubengräber kommen neben Gräbern mit verschiedenartigen Steinschutzbauten und flächigen Steinsetzungen vor. In der Stilisierung, Formgebung und Ornamentierung des Kulturgutes finden wir zahlreiche lokale Elemente. Andererseits werden Kultureinflüsse derwestlich benachbarten Gruppen sichtbar. Der mittel- und ostholsteinische Raum läßt sich in der älteren vorrömischen Eisenzeit nur bedingt vom südholsteinischen Siedlungsgebiet abgrenzen. Grenzlinien sind im Süden die Trave und im Norden die Eider. Im Osten reichen die Fundplätze bis zur Wismarer Bucht. Die Begrenzung zum westholsteinischen Fundplatzballungsgebiet ist durch eine breite landschaftlich bedingte fundleere Zone gekennzeichnet. In Ostholstein reihen sich die Fundpunkte entlang der Flüsse perlenkettenartig an. Die Bestattungen auf Urnenfriedhöfen gleichen denen Südholsteins. Nur findet man vereinzelt auch als Ergebnis des Kontaktes zum südjütischen Gebiet Friedhöfe mit kreisförmigen Steinpflastergräbern von 2 —3 m Durchmesser. Das Grabgefäß im Zentrum des Pflasters steht in einer Rollsteinpackung wie auf den gewöhnlichen Urnenfriedhöfen, die für die Bestattung in Mittel- und Ostholstein allgemein charakteristisch sind. Auch rechteckige Setzungen und Steinreihen wurden beobachtet. Die Bestattung auf den Friedhöfen mit
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K a r t e 2. Die Besiedlung der älteren vorrömischen Eisenzeit (6-/5. bis 4. J h . v. u. Z.) im nöi 2 H a r p s t e d t - N i e n b u r g e r - G r u p p e n ; 3 nachlebende Jungbronzezeitgruppen i m südlic 7 Göritzer-, 8 Ostpommersche Gruppe.
) im nördlichen Mittel- und südlichen Nordeuropa, l Fundplätze der Jastorfkultur; m südlichen Nordeuropa; 4 bis 5 Frühlatene-Gruppen Thüringens; 6 Billendorfer-,
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besonderen Steineinbauten bricht überwiegend im Laufe der älteren vorrömischen Eisenzeit ab, während Bestattungen auf den ausgedehnten Flachgräberfriedhöfen sehr häufig weitergingen. Als Besonderheiten des mittelholsteinischen Gebietes gelten die bemalten Frühjastorfgefäße von Gadeland und Jevenstedt, Kr. Rendsburg, die hallstättischen Kultureinfluß bezeugen (Taf. 5). Das Siedlungsgebiet zwischen Eider und Treene (Angeln und Schwansen) besitzt nach H. Hingst (1964, S. 184L) in der Formenentwicklung der Keramik eigene, landschaftsgebundene Züge, zeigt aber zu Süd- und Ostholstein zahlreiche Beziehungen. Vereinzelt auftretende Gräberfelder mit flachen Hügeln bilden ein Element, das das mittelund ostholsteinische mit dem südjütischen Gebiet verbindet. Allgemein beerdigte man auf großen Flachgräberfriedhöfen. Die Fundgruppe zwischen Eider und Treene ist mit wenigen Ausnahmen wohl als nördlicher Ausläufer des mittel- und ostholsteinischen Siedlungsraumes aufzufassen. Das westholsteinische Jastorfsiedlungsgebiet umfaßt die Kreise Steinburg und Rendsburg. Durch die unbesiedelte Eiderniederung im Norden, die Sanderflächen und die Störniederung im Süden sowie den kuppigen Altmoränenriegel zwischen Hohenwestedt und Innien im Osten grenzt sich der westholsteinische Siedlungsraum scharf von seiner Umgebung ab. Die Fundplatzverbreitung läßt sich landschaftlich bedingt in drei verhältnismäßig eng beisammenliegende Teilgebiete mit unterschiedlicher Fundkonzentration gliedern. Neben charakteristischen Jastorf Urnenfriedhöfen finden wir Hügelgräberfelder, die in den flachen, 5 —6 m im Durchmesser messenden Hügeln 1—6 Urnenbestattungen in Rollsteinpackung enthalten können. Gräber liegen auch zwischen den Hügeln. Charakteristisch sind Nachbestattungen in älterbronzezeitlichen Hügeln sowie die Anlage der Urnenfriedhöfe in der Nähe von bronzezeitlichen Hügelgräbern. Westholsteinische Modeerscheinungen gibt es vor allem bei der Keramik, die den Sonderformen Mittel- und Südjütlands entsprechen (H. Hingst 1964, S. i66ff.). Der südjütische Siedlungsbereich umfaßt Nordschleswig und den größten Teil des Amtes Ribe sowie Südschleswig etwa bis zur Treene (einschließlich Nordfriesland). Die Gruppierung läßt sich im Norden und Süden durch annähernd fundleere Zonen von den benachbarten Gruppen scheiden. Das Ballungsgebiet der Fundplätze liegt in Nordschleswig und zieht sich von Varde nach Haderslev quer durch Jütland. Bei beiden Orten befinden sich Fundplatzkonzentrationen, während der dazwischenliegende Raum gleichmäßig besiedelt war. Nach Norden streut der Fundbezirk ein wenig zum Ringkbingfjord und weiter östlich zum mitteljütischen Fundgebiet aus. Im Süden reicht die leichte Fundplatzstreuung bis zur Treene. Bekannt geworden sind einige Siedlungsund viele Grabfunde. Im Osten finden wir Flachgräberfelder mit Urnen in kleinen Steinpackungen. Im Westen gibt es neben diesen noch Friedhöfe mit niedrigen breiten Erdhügeln ohne Steinsetzungen, die am Fuß von einem Kreisgraben umschlossen werden („tuegrave"). Die Hügel haben einen Durchmesser von 2—12 m (Aarre). Mehrfach gruppieren sich die Anlagen um einen älteren Grabhügel. Außerdem gibt es Gräber oftmals als Nachbestattungen in bronzezeitlichen Grabhügeln. Durch Metallsachgut (dreieckiger Gürtelhaken, Sonderform der Holsteiner Nadel) und Keramiktypen (Töpfe mit Schutzklappen oder Schwalbennesthenkeln und große Schüsseln mit verziertem Rand) hebt sich der jütische Raum vorwiegend von den südlich benachbarten Fundgebieten, aber auch vom Norden kulturell ab. Trotz deutlicher enger Kulturbeziehungen zum eigentlichen Jastorfgebiet trägt die Gruppe zahlreiche lokale Züge (C. J . Becker 1961, S. 288).
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Mitteljütland gliedert sich in zwei Fundbereiche, den weniger dicht besiedelten Landesteil im Westen zwischen Ringkbing- und Limfjord und einen Fundbereich jenseits einer weiten fundleeren Zone im Osten, der etwa zwischen Vejle und Randers liegt. Neben zahlreichen Siedlungsplätzen und einzelnen Grabfunden zeichnet er sich vor allem durch kleine Urnenfriedhöfe und durch außergewöhnlich viele Depotfunde in Mooren (Ringe, Keramik) aus. Urnen-, Brandschüttungs- und Brandgrubengräber kommen nebeneinander vor. Starke Formbeziehungen zum Kulturgut des südjütischen Siedlungsgebietes bestehen, abgesehen von einer Anzahl Lokaltypen, insbesondere beim Metallsachgut (C. J. Becker 1961, Abb. 227—230). Die kulturellen Beziehungen zum engeren Jastorfkreis sind verhältnismäßig gering. Das nordjütische Siedlungsgebiet besteht aus einer mäßigen Fundplatzstreuung (Urnengräber und Brandgruben) vorwiegend im Raum von Vendsyssel auf Himmerland. Ein kleiner Urnenfriedhof und eine Anzahl Wohnplätze sind außerdem bekannt. In der Umgebung von Viborg verbindet eine Fundplatzballung den nord- mit dem mitteljütischen Siedlungsraum. Die Beziehungen zum Formenschatz der Jastorfkultur sind verhältnismäßig gering (C. J. Becker 1961, S. 289, Abb. 227—228). Im inseldänisch-südschwedischen Gebiet und Gotland gibt es nur wenige Grabfunde aus der älteren vorrömischen Eisenzeit, in der Mehrzahl Brandgräber, die teilweise mit eisernen Kropfnadeln ausgestattet sind (E. Nylen 1970, S. 193ff.). Der Einfluß der Jastorfkultur wird lediglich im Kulturgut der Gräber auf Gotland deutlich. Er zeigt sich sowohl in Brand- als auch in Körpergräbern. Charakteristische Grabbeigaben sind auch hier bronzene und eiserne Kropfnadeln. Große Friedhöfe mit ausschließlich Brandgrubengräbern findet man in Bornholm. Insgesamt gesehen kann der inseldänisch-südschwedische Raum als Peripheriegebiet (Cullberg 1973) mit nur losen Beziehungen zur Jastorfkultur gelten. Auf eine Kartierung der Fundplätze wurde deshalb verzichtet. Das Weser-Aller-Gebiet mit seinen zahlreichen nach Norden führenden Flüssen ist im Westen bis hin zur Ems, die nur in Einzelfällen überschritten wurde, dicht besiedelt. Im Nordosten wird es durch die breite fundleere Zone der Lüneburger Heide vom nordostniedersächsischen Jastorfraum geschieden. Diese Zone findet ihre Fortsetzung im Ohregebiet. Im Süden bildet die Lößgrenze vom Nordharzvorland im Osten bis zum Weser- und Wiehengebirge eine bedingte Scheide, denn südlich davon findet man entlang der Flüsse noch eine aufgelockerte Fundplatzstreuung etwa bis in Höhe des Solling. Neben Hügelgräberfeldern gibt es hier auch Flachgräberfriedhöfe von zum Teil bedeutender Ausdehnung, jedoch fehlen in der Mehrzahl die Steinschutzbauten um die Urnengräber und um die Leichenbrandhäufchen. Die Hügel sind überwiegend am Ende der Bronzezeit (7. Jh. v. u. Z.) angelegt worden. Bis in die Mittel- und Spätlatänezeit hat man sie mit Nachbestattungen versehen. Eine lokale Bestattungssitte spiegeln die Scheiterhaufenhügelgräber der frühen Eisenzeit wider. So erkennt man Beziehungen zur Gruppe der Kreisgrabenfriedhöfe, die mit der niederrheinischen Hügelgräber-Kultur zusammenhängt. Außerdem treten Brandgrubengräber auf. Die Beigefäße, Deckschalen, verschiedene Keramiktypen, Kropfnadeln, Gürtelhaken, Segel- und Spiralohrringe, Glasperlen, Halsringe, Pinzetten und Rasiermesser zeugen von einer engen Bindung des Weser-Aller-Raumes an das Jastorfgebiet. Nach rein typologischen Merkmalen an der Keramik (z. B. Harpstedter Typ, Nienburger Tasse und Halsdoppelkoni) wurde der Raum in mehrere kulturelle Bereiche untergliedert (K. Tacken-
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berg 1934; P. Schmid 1957, Taf. 3) und mit bestimmten für das letzte Jahrhundert v. u. Z. historisch überlieferten germanischen Stammesgebieten gleichgesetzt (s. S. 200 ff.). c) Thesen zur Herausbildung der germanischen Stämme Die Behandlung der Siedlungsverhältnisse im Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur in Verbindung mit den kulturellen Besonderheiten der verschiedenen Siedlungsräume hat deutlich gemacht, daß dieser Kultur ein einheitliches Gepräge fehlt. Vielmehr setzt sie sich aus zahlreichen Teilgebieten zusammen, die in vielen Fällen wiederum vielgestaltig, aber miteinander verwandt sind. Während sich in den Bestattungssitten und -gebrauchen (Flachgräberfriedhof, Hügelgräber, Steinschutzbauten usw.) vor allem die Uneinheitlichkeit der Jastorfkultur und ihrer Teilgruppen zeigt, besteht weitgehende Ubereinstimmung in der allgemeinen Formgebung bzw. Stilentwicklung zahlreicher materieller Kulturgüter. Die Keramik aller Jastorfgruppen zeichnet sich durch eine verhältnismäßig gleichverlaufende Stilentwicklung von den engmündigen, vasenartigen Gefäßen und groben Zweihenkeltöpfen zu flachen, weitmündigen Terrinen aus. Auch die vermutlich nicht einheitliche Tracht läßt einen Wandel erkennen. Zum Zusammenstecken des Schulterumhanges diente anfangs eine recht feine Nadel mit einem schmuckvoll geformten Kopf. Noch am Ende der Hallstattzeit beginnt die Tendenz zum Monströsen, die man sowohl in der Größe der Nadeln als auch ihrer Köpfe (z. B. Bombenkopfnadeln Taf. 4 b) oder ihres Gewichtes (z. B. die massiven Holsteiner Nadeln) erkennt. Anstelle der Nadel wurde zuerst nur vereinzelt, später fast ausschließlich, eine Fibel unterschiedlicher Form verwendet (z. B. Fibeln vom Tinsdahler Typ und Pommersche Fibeln). Selbst die von den Kelten eingetauschten oder nach keltischen Vorbildern gefertigten feingliedrigen Fibeln des sogenannten Latene-Schemas wurden zumindest örtlich in diese Entwicklung einbezogen (Kugelfibeln mit Kranz). Einen wichtigen Bestandteil der vor allem durch die Grabbeigabensitte über viele Jahrhunderte überlieferten Tracht bildeten die Gürtelverschlüsse. Sie gehen wahrscheinlich auf die Übernahme der Hosentracht von reiternomadischen Völkern des Ostens zurück. Die Hose dürfte über den unteren Donauraum zu den Germanen gelangt sein. Der Gürtelhaken — später mit Gürtelring — wird im Norden mit dem Beginn der Eisenzeit zum charakteristischen Trachtenbestandteil. Auch die Sitte, große, massive Halsringe zu tragen, ging auf Vorbilder des Mittelmeerraumes und des Keltengebietes zurück. Im Norden traten zu den üblichen Typen eigene entwickelte Formen, die für die Träger Unbequemlichkeiten mit sich brachten (Scharnierhalsringe, Kronenhaisringe). Innerhalb der Siedlungsgebiete haben zwischen den Siedlern enge Beziehungen bestanden, die einen engen wirtschaftlichen Kontakt und auch einen Erfahrungsaustausch vermuten lassen. Vieles spricht deshalb für eine doch weitgehend einheitliche Bevölkerung, die in vorstehend beschriebenen, geographisch abgrenzbaren Siedlungsgebieten gelebt hat. Ein derartiges Siedlungsgebiet mit einer politischen Einheit, einem Stamm oder Stammesteil zuzuweisen, ist jedoch nicht möglich.9 9
Die Beziehungen zu den westlich, südlich und östlich verbreiteten Kulturgruppen waren nicht so stark entwickelt, um die Selbständigkeit der E n t w i c k l u n g in diesem Gebiet verändernd beeinflussen zu können.
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In der Fachliteratur besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß der Jastorfformenschatz die älteste archäologische Kultur bildet, deren Träger mit großer Wahrscheinlichkeit „Germanen", ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Stämmen, gewesen sind. Die Heimat sowohl der ältesten überlieferten germanischen Gemeinschaften (z. B. der Kimbern), die mit der Kultur der jüngeren vorrömischen Eisenzeit in Zusammenhang stehen, als auch die einiger bedeutender, um die Wende u. Z. bekannt gewordener Stämme, hegt im Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur im weiteren Sinne. Aus der kontinuierlichen Benutzung zahlreicher Friedhöfe die gesamte vorrömische Eisenzeit hindurch, mehrfach bis in die frührömische Kaiserzeit hinein, gab Anlaß, die Träger der Jastorfkultur als Germanen zu bezeichnen. Diese retrospektive Verfahrensweise hat sicherlich ihre Berechtigung, doch müssen die Grenzen ihrer Anwendung eingehend definiert werden. Der Germanenbegriff entstammt der historischen Überlieferung. Durch die Römer Cäsar und Tacitus ist der Zeitraum gegeben, in dem er in der Erstphase seiner Erwähnung am häufigsten in den Quellen genannt wird. Zu jener Zeit befanden sich die als germanisch bezeichneten Bevölkerungsgruppen in einem ganz bestimmten sozialökonomischen Entwicklungsabschnitt; sie besaßen kulturelle, sprachliche und andere Gemeinsamkeiten. Von hier aus hat man, ohne Berücksichtigung des jeweiligen Entwicklungsstandes de;r Produktivkräfte und der speziellen Produktionsverhältnisse, die kulturelle und bevölkerungsgeschichtliche Entwicklung in großen Teilen des Verbreitungsgebietes, teilweise über mehrere Entwicklungsabschnitte hinweg, angeblich „lückenlos" zurück verfolgt. 10 Ohne Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeiten des historischen Entwicklungsprozesses aber muß die Anwendung der retrospektiven Methode zwangsläufig zu Fehlschlüssen führen. Ausgehend von der archäologisch nachweisbaren Kultur der germanischen Stämme des Elbegebietes zur Regierungszeit des ersten römischen Kaisers Augustus (27 v. u. Z. —14 u. Z.) (R. Seyer 1968, Abb. 4), lassen sich bis zum Beginn des 1. Jh. v. u. Z. germanische Stämme durch schriftliche Nachrichten nachweisen. Hier besteht ein Zusammenhang mit der materiellen Kultur, die sich kontinuierlich entwickelt hat. Um den Beginn des letzten Jahrhunderts v. u. Z. erreicht nach Aussage des Fundgutes die materielle Kultur des unteren und mittleren Elbegebietes seit Beginn der selbständigen Eisenerzeugung ihren ersten Höhepunkt. Das zeigt sich vor allem in der zahlen- und größenmäßigen Zunahme technisch wesentlich verbesserter Metallgegenstände. Es tauchen immer mehr mit außergewöhnlichen Metallbeigaben ausgestattete Grabanlagen auf, jetzt auch Gräber mit Waffen. Diese erkennbaren sozialökonomischen Veränderungen begannen mit dem Einsetzen der selbständigen Verhüttung des Raseneisensteins und der Herstellung von Eisenerzeugnissen in diesem Raum. In der Jungbronzezeit vorbereitet, wird diese Entwicklung mit der Erweiterung der Produktion (Eisen) eingeleitet, so daß der sich gewiß langsam vollziehende Prozeß der Herausbildung erster germanischer Stämme in die ältere vorrömische Eisenzeit datiert werden kann. Auf die engen Beziehungen zu Gebieten mit einer weiter fortgeschrittenen gesellschaft10
Diese eher emotionale als wissenschaftlich ausreichend begründete Auffassung war viele Jahre hindurch Lehrmeinung; noch in neuerer deutschsprachiger Fachliteratur (G. Schwantes 1958, S. 386) bezeichnet man frühbronzezeitliches Kulturgut als germanisch.
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liehen Entwicklung wurde bereits mehrfach hingewiesen. Trotzdem ist deren Bedeutung auch für die Herausbildung der germanischen Stämme von so großer Wichtigkeit, daß hier noch einmal auf sie eingegangen sei. Diese Verbindungen waren letztlich Ausdruck allgemein gesellschaftlicher Veränderungen im eurasischen Raum, als deren Folge auch auf dem europäischen Gebiet nicht nur Klassengesellschaften sich herauszubilden begannen, sondern auch ethnische Prozesse verliefen, die zur Herausbildung und Festigung der seit dieser Zeit bekannten Skythen, Etrusker, Kelten und sehr wahrscheinlich auch der Germanen beigetragen haben. 11 Die kulturellen Unterschiede zwischen Jungbronze- und älterer Eisenzeit sind — wie bereits betont — in der Mehrzahl auf die sich langsam ändernde Rohstofflage und die damit verbundenen allmählichen Veränderungen in den Produktionsverhältnissen zurückzuführen. In diesem Zusammenhang werden auch Veränderungen im archäologischen Quellenmaterial sichtbar. Die für die Jungbronzezeit charakteristischen reich ausgestatteten Grabhügel (Seddin, Kr. Perleberg; Kemnitz, Kr. Pritzwalk), die überwiegend räumlich getrennt zu den ärmlich mit Metallbeigaben ausgestatteten Flachgräberfeldern (z. B. Blievenstorf, Kr. Ludwigslust) angelegt worden sind und das kulturelle Gepräge der Jungbronzezeit maßgeblich bestimmten, finden keine Fortsetzung. Bei den in Hügeln Bestatteten wird es sich um Angehörige einer Oberschicht handeln, deren hauptsächliche Ernährungsgrundlage die Viehzucht gewesen sein dürfte, aus der sich die zeitweilige Erzeugung eines Mehrproduktes noch am ehesten realisieren ließ. Möglicherweise hat die bäuerliche, auf ausgedehnten Flachgräberfriedhöfen bestattete Bevölkerung der jüngeren Bronzezeit, deren Existenz auch zahlreiche Siedlungsplätze bezeugen, in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dieser Oberschicht gestanden. Dabei ist jedoch eine politische Führung der scheinbar sozial herausgehobenen Schichten innerhalb der bäuerlichen Stämme ebenso wenig bewiesen, wie deren Zugehörigkeit zu einer Art Stammesadel. Fraglich bleibt, ob die zum Teil gewaltigen Hügelgräber von dem in dieser Form bestatteten Personenkreis allein errichtet worden sind. Die zahlenmäßig wesentlich größere übrige Bevölkerung hat bei ihrer Errichtung gewiß maßgeblich mitgewirkt. Am Ende der Bronze- und zu Beginn der Eisenzeit verschwinden nicht nur die reicher ausgestatteten Hügelgräber, sondern auch die umfangreichen Bronzehorte. Zwischen dem Verschwinden beider dürfte ein Zusammenhang bestehen. Vermutlich waren die Angehörigen der in den Hügeln bestatteten Gruppe auch Vermittler von Bronze-Rohmaterial und -Fertigprodukten zwischen den Erzeugern im Süden und den bäuerlichen Abnehmern im Norden. Mit der Eisenerzeugung im Norden ging die Nachfrage an den Bronzeerzeugnissen zurück, und 11
Die Frage nach der Entstehung bzw. Herkunft der germanischen Siedlerverbände und ihrer Kultur ist umstritten. G. Schwantes hat bereits mit seinen Arbeiten aus den Jahren 1909 und 1911 die Grundlage für die sog. Wanderungshypothese geschaffen, die mehrfach überprüft und überarbeitet zu der bis in die fünfziger Jahre gängigen Lehrmeinung geworden war (G. Schwantes 1950, S. i36ff.). Aber wenig später (1955, S. 75ff. bes. S. 100) machte auch er auf die Rolle des autochthonen Anteils an der Entwicklung aufmerksam. Eine andere Auffassung, die mehr für eine Einwanderung aus dem Süden spricht; vertrat A. Leyden in einer 1957 erschienenen Arbeit. Für beide Auffassungen gibt es jedoch keine echten quellenmäßig belegten Beweise. Die Verbreitungskarten 1 und 2 zeigen vielmehr eine Kontinuität in der Besiedlung des in Frage kommenden Gebietes. Siehe zum Gesamtproblem auch H. Keiling 1968, S. 161 ff. und B. Nerman 1924, S. l ß f f .
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damit dürften die vom Tausch lebenden Personen einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage verloren haben. Die Urnenfriedhöfe der älteren vorrömischen Eisenzeit weisen im engeren Jastorfgebiet, aber auch teilweise darüber hinausgehend, in Anlage, Ausstattung und Charakter kaum Unterschiede zu den jungbronzezeitlichen Flachgräberfeldern auf, wenn man den sich in der Formgebung äußernden chronologischen Unterschied unberücksichtigt läßt. Das allmähliche Überleiten von der Bronze- zur Eisenzeit läßt sich besonders gut in dem dichtbesiedelten Gebiet Westholsteins beobachten. Bereits früher (G. Schwantes 1950, S. 129) wurde betont, daß Jastorf „im Grunde weiter nichts als eine Fortsetzung bronzezeitlicher Überlieferung im eisenzeitlichen Rahmen" sei. Die bronzenen Nadeln mit gestreckten und schwanenhalsförmig gebogenem Schaft erscheinen z. B. in der Jastorfkultur als eiserne Nadeln. Der Schwanenhals ist allgemein zum Kropf umgebildet worden, doch sind Schwanenhalsnadeltypen in einigen Randgebieten (z. B. in Schleswig-Holstein und im Gebiet der mecklenburgischen Seen) noch länger im Gebrauch, z. T. bis an den Beginn der jüngeren vorrömischen Eisenzeit. Anderes in Gräbern oftmals anzutreffendes Kleingerät wie Pinzetten, Rasiermesser, Spiralschmuck, Glasperlen und einfache Bronzeringe läßt sich von endbronzezeitlichen Stücken nach Rohstoff und Form in vielen Fällen nicht unterscheiden. Die Tinsdahler Fibeln gehen auf Plattenfibeln, die Hohlwülste, Spiralarmringe und Wendelringe auf entsprechende bronzezeitliche Vorformen zurück. Besonders deutlich tritt der allmähliche Formenwandel von bronze- zu eisenzeitlichen Typen bei der Keramik zutage. 12 Auf durchgehend benutzten Gräberfeldern — z. B. Lanz, Kr. Ludwigslust — findet man zahlreiche Zwischenformen, die weder der Endbronze noch der älteren vorrömischen Eisenzeit sicher zugeordnet werden können. Im engeren Jastorfgebiet besteht eine Kontinuität sowohl in Grabaufbau und -anlage (Steinschutzbauten) als auch im Grabtypus (Urnengrab, Knochenlager, Brandgrube usw.). Die Beigabensitte hat sich ebenfalls nicht geändert. Die allmähliche Wandlung der Schmuck- und Trachtsitten hat die Grabausstattung in ihrem Formenbestand etwas erweitert. So treten jetzt Ohrringe, Gürtelgerät und Urnenharz als Grabbeigaben neu hinzu. Weitgehend fehlen Arbeitsgeräte und Waffen in der älteren vorrömischen Eisenzeit ebenso wie schon in den jungbronzezeitlichen Gräbern. Zu den Ausnahmen gehört der Fund eines eisernen Ambosses (Abb. 32 c) aus einem Grab in Boddin, Kr. Hagenow. Selbst auf jungbronzezeitliche Elemente des Bestattungsbrauches, wie die Verwendung von Gefäßen mit sogenannten Seelenlöchern, stößt man auch in der Jastorfkultur (H. Keiling 1968, S. 167). In Süd- und Mitteljütland machten sich verschiedene bronzezeitliche Traditionen an ältereisenzeitlichen Funden bemerkbar (C. J. Becker 1961, S. 286ff.), so daß auch in diesem Gebiet von der Periode V I der Bronzezeit bis in die frührömische Kaiserzeit nirgends ein kultureller Bruch hervortritt.
12
Im Gegensatz zu der Auffassung, daß sämtliche Typenreihen der Bronzezeitkultur am Ende dieser Periode aufhören (A. Leyden 1957, S. 271 f.) kann H. Hingst (1964, S. i65f.) im Typenbestand der Stufe I a Schleswig-Holsteins sowohl Keramik als auch Metallgeräte nachweisen, deren Vorformen in der Jungbronzezeit zu finden sind. Es wird auch dabei auf „das Weiterleben bronzezeitlicher Bestattungssitten im Grabritus der frühen Eisenzeit" verwiesen.
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d) Zum Problem der autochthonen Entwicklung Die allgemeine kulturelle Kontinuität von der Jungbronze- zur älteren Eisenzeit ist allein noch kein ausreichender Beweis für die Herkunft der Träger der Jastorfkultur. Weitere Untersuchungen hierzu müßten sich auf drei Ebenen erstrecken: 1. Die Platzkontinuität? 2. Die Kontinuität der Siedlungskammer? und 3. Die Kontinuität im Siedlungsraum? 1. Die Frage der ununterbrochenen Benutzung von Wohn- und Bestattungsplätzen in der Jungbronze- und vorrömischen Eisenzeit ist in Verbindung mit der Erörterung der „swebischen Landnahme" (G. Schwantes 1958, S. 38iff.) aufgetreten. Neuere Untersuchungen haben ergeben, daß es besonders im engeren Jastorfgebiet zahlreiche Fundplätze, vor allem Friedhöfe gibt, die von der Jungbronzezeit an ununterbrochen benutzt worden sind (H. Keiling 1968, S. 170). Dazu gehören u. a. Gräberfelder von Lanze, Kr. Herzogtum Lauenburg, Lanz, Kr. Ludwigslust, Bollensen, Kr. Uelzen, Molkenberg, Kr. Havelberg und Wachow, Kr. Nauen (Abb. 16). Außerdem sind von einer Anzahl von Plätzen jungbronze- und ältereisenzeitliche Funde bekannt geworden. In diesen Fällen muß der Platz nicht unbedingt kontinuierlich benutzt worden sein. Es kann sich auch um eine Wiederbenutzung durch spätere Siedler handeln. Das trifft besonders für das mecklenburgische Gebiet östlich der Linie Wismarer Bucht —Plauer
Abb. 16. Bestattungsplätze, die von der späten Bronzezeit bis in die vorrömische Eisenzeit kontinuierlich benutzt worden sind. 1 Benutzungskontinuität gesichert, 2 vermutet. 7*
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See und für den sächsischen Elster-Mulde-Raum zu, wo auffallend viele Plätze diesen Befund lieferten. Dort gibt es keinen eindeutig durchgehend belegten Fundplatz; die älteste Jastorfphase, die etwa den Stufen I a der Einteilungsschemata des Nordens (Schleswig-Holstein, Prignitz) entspricht, fehlt hier offenbar völlig. Die Besiedlungslücke ist hier so deutlich, weil die Fundplätze nicht zu Beginn, sondern erst im Laufe der vorrömischen Eisenzeit einsetzen, d. h. später als im engeren Jastorfraum. Zu berücksichtigen ist bei der Erforschung des Beginns der eisenzeitlichen Fundplätze, daß nur an wenigen Stellen systematische Untersuchungen stattgefunden haben. Diese ergaben eine in der Regel beträchtliche Ausdehnung der Friedhöfe im engeren Jastorfgebiet, wobei die belegte Fläche häufig weit über einen Hektar hinausgeht. Innerhalb dieser ausgedehnten aber unregelmäßig in Gruppen belegten Friedhöfe konnte mehrfach der Belegungsablauf beobachtet werden. Die Bestattungen der verschiedenen Zeitgruppen liegen auf kleinen Räumen beisammen. Von den meisten der Friedhöfe fehlen aber größere Flächenabdeckungen. Unsere Kenntnisse über die Benutzungszeit der Friedhöfe und Siedlungen beruhen also auf zufälligen Ausschnitten, die nur angenommene Mittelwerte repräsentieren können. 2. Der Siedlungs- und Bestattungsplatz kann aus verschiedenen Ursachen aufgegeben worden sein, ohne daß die Bevölkerung die Siedlungskammer bzw. den bisherigen Wirtschaftsraum verließ. Beispiele hierzu gibt es aus Mecklenburg. In Camin, Kr. Hagenow, liegen mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Siedlungen mit den dazugehörigen Friedhöfen auf den Talrandhöhen von Motel und Schilde. Mit dem Auflassen eines Siedlungsplatzes wurde hier offenbar auch der Friedhof nicht weiter benutzt. In der Nähe des jeweils weiter flußabwärts angelegten neuen Wohnplatzes entstand dann auch ein neuer Urnenfriedhof. Ein derartiger Wohnplatz- und Friedhofswechsel ließ sich auf der natürlich begrenzten Großflur Camin, Kr. Hagenow, von etwa 500 v. u. Z. bis in das 2. Jh. u. Z. am archäologischen Fundmaterial mehrmals belegen. Auf Gotland erwies sich eine derartige Fundplatzverlagerung an vier kleineren Urnenfriedhöfen, die am Ende der Bronzezeit einsetzen und mit der jüngeren vorrömischen Eisenzeit enden. Der älteste Fundgegenstand auf diesen Plätzen entsprach jeweils zeitlich dem jüngsten des vorhergehenden Friedhofes (E. Nylen 1962, S. 274ff.). Auch hier sprechen keine Anzeichen für einen Bevölkerungswechsel. Es ist kein Fall aus der vorrömischen Eisenzeit bekannt, wo Siedlungskammern mit dichter Fundplatzstreuung plötzlich fundleer werden, d. h. ohne Besiedlung sind. Die durch eine Vielzahl von Seen und Höhenunterschieden reich gegliederte Siedlungskammer um Granzow, Kr. Neustrelitz, (Abb. 17) wird im Norden, Osten und Süden durch ausgedehnte Waldgebiete, nach Westen hin durch die Müritz und eine sich in Südrichtung fortsetzende Kleinseenkette begrenzt. Bei den sieben nur durch Zufallsfunde bekannt gewordenen Fundplätzen der vorrömischen Eisenzeit in dieser Siedlungskammer handelt es sich um sechs Urnenfriedhöfe und um eine Siedlung. Die Siedlung und zwei Gräberfelder sind bereits in der Jungbronzezeit benutzt worden. Trägt man in das Kartenbild zu diesen drei Plätzen die bekannten Funde aus den Perioden V und VI der Bronzezeit (9. —6. Jh. v. u. Z.) ein, so wird deutlich erkennbar, daß die Siedlungskammer bereits während der Jungbronzezeit bestanden haben muß. Ähnlich hegen die Verhältnisse in großen Teilen des engeren Jastorfraumes, wo sich wegen geringer morphologischer Gliederung bei einer Vielzahl von Besiedlungsbelegen die Siedlungskammern meist nicht so scharf abgrenzen lassen. Als gut abgrenzbare
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Beispiele seien noch aussagegleiche Siedlungskammern aus dem Ludwigsluster Raum zwischen Eide und Sude genannt (Abb. 14). Bei den untersuchten Objekten fanden sich keine ausreichenden Hinweise auf einen Siedlungsabbruch. Vielmehr lassen die Befunde allgemein eine ständige Besiedlung in der Jungbronze- und vorrömischen Eisenzeit vermuten.
Benutzungsdauer der Wohn- und Bestattungsplätze sowie Siedlungsraumkontinuität in der Siedlungskammer um Granzow, Ot. v. Mirow, Kr. Neustrelitz. 1 späte Bronzezeit, 2 ältere vorrömische, 3 jüngere vorrömische Eisenzeit, 4 römische Kaiserzeit.
3. Aus der vorrömischen Eisenzeit sind zahlreiche siedlungsfreundliche Räume bekannt, die als Fundballungsgebiete auf der Karte 2 erscheinen. Die westholsteinische Gruppe gibt ein Beispiel für ein solch geschlossenes Gebiet. Da derselbe Raum auch während der jüngeren Bronzezeit auffallend dicht besiedelt war, spricht diese Situation nicht für eine Zuwanderung neuer Siedler. Im Gegenteil, die nördlich der Treene gelegenen Fundplätze fehlen sogar in der Jastorfzeit, und selbst die westholsteinische Gruppe hat sich gegenüber der Bronzezeit räumlich ein wenig verengt.
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Die Übereinstimmung der Siedlungsräume mit Fundballungen während der Jungbronze- und vorrömischen Eisenzeit finden wir auch in Südholstein, Westmecklenburg, der Prignitz, Nordostniedersachsen und der Altmark, im Havelgebiet, auf den nordfriesischen Inseln und im südjütischen Gebiet, andererseits aber auch in zahlreichen Kleinräumen, wie z. B. in Mecklenburg östlich des Schweriner Sees (z. B. Gegend um Rerik). In weiten Teilen Mecklenburgs hat sich die Fundplatzzahl in der Jastorfzeit gegenüber der ausgehenden Bronzezeit sogar merklich verringert. Die Gründe für zahlreiche andere, indes unbedeutende Unterschiede liegen vermutlich im gegenwärtigen Forschungsstand begründet. Nicht nur der jungbronzezeitliche Formenschatz hat sich also allmählich zum ältereisenzeitlichen gewandelt, sondern es ließen sich auch auf einigen Fundplätzen (Friedhöfen, Siedlungen), in zahlreichen Siedlungskammern und in den oben beschriebenen, überwiegend geschlossenen Siedlungsräumen bemerkenswerte Anzeichen für eine Besiedlungskontinuität von der Bronze- zur Eisenzeit feststellen. Der Übergang vollzieht sich allerdings in den einzelnen Räumen unterschiedlich, im Norden offenbar zeitlich etwas später als im mittleren und unteren Elbegebiet. Die Entstehung der Jastorfkultur geht demnach nicht auf eine Einwanderung ihrer Träger zurück. Ebenso fehlen Hinweise für eine Abwanderung der Bronzezeitbevölkerung. Das schließt natürlich nicht aus, daß innerhalb des Jastorfgebietes bereits damals Umsiedlungen stattfanden und daß Bevölkerungsteile ihre Wohngebiete wechselten. Im Zuge der Bevölkerungsbewegungen können auch von Skandinavien Stämme oder Stammesteile zugezogen sein. Es bleibt zu prüfen, inwieweit das Aufhören der Belegung von Friedhöfen und der Benutzung von Siedlungsplätzen zu Beginn und während der vorrömischen Eisenzeit mit diesen Wohnplatz Verlegungen zusammenhängt. 13 Die Jastorfkultur als wahrscheinlich älteste kulturelle Erscheinung der sich herausbildenden germanischen Stämme hat sich aus der bodenständigen Jungbronzezeitkultur entwickelt. Zwar lassen sich die für Fragen der ethnischen Kontinuität zutreffenden Kriterien, wie Sprache, Bewußtsein und Kult, nicht aus der überlieferten materiellen Kultur bzw. nur andeutungsweise aus ihr erkennen. Die Änderung der Produktionsverhältnisse im Süden während der Hallstattzeit schuf die Grundlage zur Entstehung des Keltentums, im Norden wurde durch diese Änderung offensichtlich ein ähnlich verlaufender Ethnogeneseprozeß beschleunigt, dessen Ergebnis die Entstehung der germanischen Stämme bildete. 2.
Zur Herausbildung der germanischen Stämme nach sprachwissenschaftlichen Forschungen
Nachdem festgestellt werden konnte, „daß der Jastorfformenschatz die älteste archäologische Kultur bildet, die man mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Bezeichnung Germanen, einem Sammelbegriff für eine Vielzahl von Stämmen, verbinden 13
Auf einigen systematisch untersuchten Friedhöfen (Glövzin, K r . Perleberg, Lanz, K r . Ludwigslust, Schwissel, K r . Segeberg) konnte festgestellt werden, daß die Anzahl der Bestattungen aus der Anfangs- und Schlußphase der Belegung im Verhältnis zu der dazwischen liegenden Zeit sehr gering ist. Vielleicht verbirgt sich hinter dieser Erscheinung der allmähliche Zustrom der Menschen bzw. das ständige Verlassen des Platzes.
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kann" (s. S. 96 ff.), bleibt zu klären, ob diese Erkenntnis durch den sprachwissenschaftlichen Befund gestützt wird. Für den Linguisten ist „germanisch" zunächst die Bezeichnung einer Gruppe von Sprachen in Vergangenheit und Gegenwart, die zwar untereinander eine Reihe von Verschiedenheiten aufweisen, aber doch durch eine Anzahl wesentlicher Übereinstimmungen als enger zusammengehörig erwiesen werden. Diese Sprachgruppe gehört zur übergeordneten, größeren Gruppe der indoeuropäischen Sprachen, die neben den germanischen Sprachen die indischen und iranischen Sprachen, das Armenische, Griechische, Albanische, das Latein und die romanischen Sprachen, die keltischen, baltischen und slawischen Sprachen umfaßt. Außerdem sind das Hethitische, das Tocharische und eine Reihe weiterer heute ausgestorbener Sprachen dieser Familie zuzurechnen. Die Mehrzahl der Forscher bejaht auch heute noch — trotz gelegentlichen Einspruchs (z. B. N. Trubetzkoj 1939, S. 82) — die Möglichkeit, mittels der historisch-vergleichenden Methode Vorformen der historisch überlieferten Sprachen zu erschüeßen. Freilich haben sich unsere Ansichten über diese Vorformen stark gewandelt. Heute denkt niemand mehr daran, eine Fabel in das erschlossene „Urindogermanisch" zu übersetzen, wie es A. Schleicher um die Mitte des 19. Jh. tat. Wir sind uns im klaren, daß die Rekonstruktion nur einen Näherungswert zur sprachlichen Realität der damaligen Zeit darstellt, der jeweils vom Stand unserer Kenntnisse abhängt und deshalb wandelbar ist. 14 Wir erreichen keine völlig einheitliche Grundsprache, und wir geraten mit den erschließbaren Formen sicherlich auch in verschiedene zeitliche Schichtungen; was wir — freilich nur in Umrissen — erschließen können, ist eine Gruppe von Dialekten, die über lange Zeiträume existiert hat, so daß Isoglossen sehr unterschiedlicher Ausdehnung entstehen konnten. Als Beweis für die Unmöglichkeit, eine völlig einheitliche Grundsprache zu rekonstruieren, sei hier nur der Genitiv singularis der o-Stämme angeführt: So weisen das Indische (ai. aävasya), Iranische (aw. ahurahya) und Griechische (hom. imzow) auf eine Vorform -o-sio. Ähnlich, aber nicht identisch sind die germanischen Genitive (z. B. got. dagis, ahd. tages), die auf eine Vorform -e-so/-o-so weisen, welche sonst nur im Altpreußischen vorkommt (deiwas). Das Lateinische, Keltische und Illyrische haben die völlig abweichende Endung -1 (lat. lupi, kelt. gall. Segomari, messap. Platorrihi), während das Baltische (außer dem Altpreußischen) und Slawische die Ablativendung -öd für den Genitiv verwenden (lit. vyro, aksl. raba). Die Frage nach der Entstehung dieser Dialektgruppe hat in den letzten Jahrzehnten einen heftigen Meinungsstreit heraufbeschworen. So interpretiert eine Forschergruppe 14
Die
Realität
der
Rekonstruktion
kann
jedoch nicht geleugnet werden.
Einen
guten
Ü b e r b l i c k über den S t a n d der Diskussion m i t einer wohlbegründeten Stellungnahme g i b t A . Szulcz (1973, S. l i y f f . ) . N i c h t alles w a s die Rekonstruktion in der Vergangenheit als gemeinsamen
Besitz
der
indoeuropäischen
Sprachen
herausgestellt
hat,
dürfte
einer
P r ü f u n g standhalten. Zu vieles wurde für alle Sprachen vorausgesetzt, was nur in einigen bezeugt war (z. B . beim Verbsystem). So ist an der K r i t i k G. L a n e s (1949, S. 333ff.) nicht zu zweifeln, der die herkömmliche Rekonstruktion als „ein schönes Gemisch v o n Griechisch und Sanskrit m i t einigen lateinischen, gotischen, litauischen Ingredienzien, die d a würzen sollen, wo dadurch der allgemeine G e s c h m a c k des Gerichtes nicht verändert werden k a n n " (zit. nach V . Pisani 1953, S. 43), bezeichnet hat.
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die rekonstruierte Dialektgruppe als erste Aufspaltung der mit der historisch-vergleichenden Methode nicht mehr erreichbaren, aber als Vorstufe vorauszusetzenden einheitlichen Grundsprache.15 Bei dieser Annahme ist davon auszugehen, daß der Dialekt eines Stammes bereits durch Ausbreitung und Unterwerfung anderer Stämme einen so großen Raum einnahm, daß sich Sprachneuerungen, die in dieser Zeit entstanden, schon nicht mehr ohne weiteres auf den gesamten Raum erstreckt haben. Außerdem floß aus den Sprachen der unterworfenen Stämme Sprachmaterial in die siegreiche Stammessprache ein, so daß das rekonstruierte Bild entstand. Andere Forscher interpretieren die erschließbare Dialektguppe als Sprachbund. Danach hat es eine einheitliche Grundsprache als Vorstufe der erschließbaren Dialektgruppe nie gegeben, sondern nur eine meist nicht genauer genannte Zahl von verschiedenen Stammessprachen. Über diese Stammessprachen habe sich in einer langandauernden Zeit der Nachbarschaft eine Reihe von Isoglossen ausgebreitet, woraus sich sowohl die Übereinstimmungen als auch die Unterschiede der Dialekte erklären. Die letztere Meinung ist seit 1936 und in den letzten Jahren immer aufs neue vor allem von V. Pisani vertreten worden. Eine gute Zusammenfassung seiner verschiedentlich publizierten Meinung gibt V. Pisani (1953, S. 68ff.) im Forschungsbericht Indogermanistik. Er versteht unter Indogermanisch (indoeuropäisch) „ein von allen indogermanischen Sprachen durchgemachtes Stadium, als sie noch in wechselseitigem Verhältnis standen". Es ist „nur die zur Zeit der ersten Auswanderung bestehenden Phase in einer Entwicklung, die seit Jahrtausenden dauerte und möglicherweise aus dem Zusammenfließen einiger Sprachen entstanden war". V. Pisani (1953, S. 9if.) beruft sich auf C. C. Uhlenbeck, der seit 1935 mehrfach das Indoeuropäische als das Ergebnis des Zusammenfließens zweier verschiedener Sprachen herausstellte: Die ural-altaische Komponente habe dabei die regelmäßige Flexion, die kaukasische Komponente die Heteroklitika und Suppletiva beigesteuert. Die Überprüfung des historischen Materials ergibt aber, daß die Sprachbundtheorie keine ausreichende Stütze findet. Man kann zwar darauf verweisen, daß einige wenige Formen des Zeitwortes „sein" und die Akkusative der Personalpronomina aus dem Slawischen in rumänische Dialekte gelangt sind, doch kommt die Übertragung solcher grammatischen Formen von einer Sprache in die andere in historischer Zeit so selten vor, daß sie zur Erklärung der außerordentlich zahlreichen Übereinstimmungen im Formenbau der indoeuropäischen Sprachen bis in Unregelmäßigkeiten hinein nicht ausreicht. Einzelheiten hierzu finden sich bei A. Scherer (1956, S. 3ff.) und L. Hammerich (1955, S. 4). Die These vom Indoeuropäischen als Sprachbund hat aber zum Neudurchdenken der sogenannten Ausgliederung der indoeuropäischen Sprachen geführt. Zwar wurde die Auffassung von der stammbaumartigen Verzweigung der Sprachen innerhalb einer Sprachfamilie, deren Unhaltbarkeit bereits F. Engels in seiner Arbeit über den fränkischen Dialekt (1962, S. 506) erkannte, in der Theorie aufgegeben, praktisch jedoch bestimmte sie in den Handbüchern die Darstellung oft bis in die letzten Jahrzehnte hinein. In Wirklichkeit liegen die Dinge so: Bereits in der Zeit der unmittelbaren 15
Zur einheitlichen Grundsprache sucht man mit den Mitteln der strukturalistischen Sprachwissenschaft vorzustoßen; vergleiche dazu F. Adrados 1968, S. i f f .
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Nachbarschaft aller späteren indoeuropäischen Sprachen hat es mit Sicherheit Verschiebungen zwischen den einzelnen Stämmen gegeben, in deren Ergebnis es zu neuen Nachbarschaften oder Überlagerungen auf der einen und zum Verlust alter Nachbarschaften auf der anderen Seite kam. Sicherlich nicht gleichzeitig haben die bezeugten indoeuropäischen Sprachen dann die Verbindung mit der Gruppe verloren, einige gingen noch ein Stück des Weges gemeinsam und bildeten so neue Isoglossen aus (z. B. Indo-Iranisch); andere konnten — in der alten Gemeinschaft nicht unmittelbar benachbart — zu Nachbarn werden, woraus sich neue Übereinstimmungen ergaben (z. B. verschmolzen das Latino-Faliskische und Oskisch-Umbrische wohl erst auf der Apenninenhalbinsel zum Italischen). Dabei führten die neuen Kontakte vor allem im Wortschatz zur Aufnahme fremden Wortgutes (Substrateinfluß). Wenn man also die Gliederung der alten Dialektgruppe feststellen will, muß man versuchen, die verschiedenen Schichten abzutragen und zu den ältesten Gemeinsamkeiten vorzudringen. Ganz wird das nicht gelingen, doch dürfte folgendes Bild der historischen Wahrheit nahekommen: Germanen „Italiker" Veneter Illyrer Balto-Slawen Kelten Tocharer (Albanesen) Thrako-Phryger-Armenier Griechen Hethiter Iranier-Inder Dieses Untersuchungsergebnis von W. Porzig (1954) stellt das Germanische in besonders engen Zusammenhang mit dem „Italischen", Venetischen, Illyrischen; nicht so sehr mit dem Baltischen und vor allem nicht mit dem Keltischen, das erst sehr spät zum direkten Nachbarn des Germanischen wurde. Da es nicht möglich ist, in diesem Zusammenhang alle Gemeinsamkeiten des Germanischen mit den Nachbarsprachen aufzuführen, seien deshalb nur einige besonders beweiskräftige Übereinstimmungen genannt: Germanisch-,,Italisch":
Germanisch-Venetisch:
Germanisch-Illyrisch:
Perfektformen mit langem Wurzelvokal got. qemum — lat. venimus; Präsensform vom Typ Capio ahd. heffu, hevis, hevit — lat. capio, capis, capit; Distributivzahlen mit -no anord. tvennr — lat. bini; Ortsadverbien von Bildungen auf -tro got. jainjjro dorther — lat. contra gegen; besondere Beziehungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, bestehen zwischen Germanisch und Umbrisch als Teil des Italischen; Umbildungen des Personalpronomens got. mik (nach ik) — ven. mego (nach ego); Identitätspronomen (nur germanisch/venetisch) ahd. der selbo — ver. sselboi (Dat.); Bildungsweise des Possessivpronomens stimmt überein ahd. sin — messap. veina (aus *sveino-);
io6 Germanisch-Balto/Slawisch:
Germanisch-Keltisch:
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Bildung des Dativs Pluralis mit m-Suffix got. dagam — vgl. lit. rankomis, aksl. rokami Bildung bestimmter Zahlwörter got. twalif — lit. dvylika; nur Wortgleichungen.
Bevor wir die Ausgliederung des Germanischen behandeln, sei der Forschungsstand zu den sehr schwierigen Fragen des Alters und der Urheimat der von uns erschlossenen indoeuropäischen Dialektgruppe skizziert. Wenden wir uns zunächst der Zeitfrage zu. Da das Hethitische, das Indische und das Griechische (unter Voraussetzung, daß die Entzifferung von Linear B richtig ist) bereits um die Mitte des zweiten Jahrtausends v. u. Z. als voll ausgebildete Einzelsprachen belegt sind, müssen sie eine mehrhundertjährige Entwicklung als Einzelsprachen hinter sich haben. Nach Meinung der Mehrzahl der Forscher dürften sie sich nicht viel nach 2500 v. u. Z. von den anderen Sprachen getrennt haben. Die indoeuropäische Dialektgruppe hat also vermutlich in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends v. u. Z. bestanden. Wie weit sie in das vierte Jahrtausend zurückreicht, ist ungewiß. Wo aber hat diese Dialektgruppe bestanden? Da die Sprache von Anfang an Verständigungsmittel der Menschen ist und zu keiner Zeit losgelöst vom Sprachträger existiert, besteht die Frage nach den Trägern der indoeuropäischen Dialekte zu Recht. Allerdings sei mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß die Linguistik über die ethnische Zugehörigkeit der Sprachträger keinerlei Auskünfte geben kann. Nur so viel läßt sich sagen: Es muß in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends v. u. Z. irgendwo eine Gruppe von Stämmen gegeben haben, deren Sprachen im obengenannten Sinne eng miteinander verbunden waren. Zur Bestimmung des Ortes der Sprachgemeinschaft muß man von den gegenwärtigen Räumen der indoeuropäischen Sprachen in Europa und Asien ausgehen. Einige der heute von indoeuropäischen Sprachen besetzten Räume fallen von vornherein als ,,Heimat" aus, da sie nachweislich erst später von Menschen indoeuropäischer Zunge besiedelt wurden. Das gilt für den indischen Subkontinent ebenso wie für die Balkan- und Apenninenhalbinsel. Der verbleibende Raum ist noch groß genug; er erstreckt sich von Innerasien bis nach Westeuropa. Auf der Suche nach der „Urheimat", dem gemeinsamen Ausgangspunkt der indoeuropäischen Sprachen, bedienten sich die Forscher lange Zeit allein der „linguistischkulturhistorischen" Methode. An Hand der Bedeutungsinhalte der für die Grundsprache erschlossenen Wörter wurde ein Bild des Kulturbesitzes der damaligen Zeit entworfen. Man ermittelte, welche Haustiere es gab, welche klimatischen Bedingungen herrschten, ob Ackerbau, ob Schiffahrt schon bekannt waren und anderes mehr. Auf Grund des so gewonnenen Bildes wurde mit Hilfe der Pflanzengeographie, der Geschichte der Haustiere, der historischen Klimakunde usw. versucht, innerhalb des vorstehend skizzierten Raumes eine Gegend ausfindig zu machen, auf die alle erschlossenen Gegebenheiten zutreffen. Diese Gegend glaubte man dann als Heimat der indoeuropäischen Grundsprache (Dialektgruppe) ansehen zu können. Eine solche Verfahrensweise hat jedoch bisher nicht zu tragfähigen und allgemein anerkannten Ergebnissen geführt. Da die einzelnen Forscher verschiedene Gesichtspunkte in den Vordergrund rückten, die sie teilweise dann auch noch überbewerteten, kamen sie zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Es gibt kaum einen Raum zwischen Inner-
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asien und Westeuropa, den man nicht für die „Heimat" in Anspruch genommen hätte. Bereits um die Jahrhundertwende standen sich die Europathese von H. Hirt (1905) und die Eurasienthese (nach ihr liegt die Heimat im Steppengebiet nördlich des Kaspischen Meeres) von O. Schräder und A. Nehring (1917) gegenüber. Diese Kontroverse flammte in den dreißiger Jahren wieder auf, und zwar durch Beiträge in der Festschrift für Hermann Hirt (1936 — Europathese) und im 4. Band der Wiener Beiträge zur Kulturgeschichte und Linguistik (1936 — Eurasienthese), wobei die Europathese in das Fahrwasser der nazistischen Rassentheorie geriet. In neuerer Zeit hat sich P. Thieme — unter ausdrücklicher Ablehnung der Rassentheorie — erneut für die europäische Heimat (Stromgebiet der Weichsel, Oder, Elbe, Weser) ausgesprochen (1954). Demgegenüber verweist L. Hammerich darauf, daß ein 1952 unter Leitung von Holger Pedersen in Kopenhagen veranstaltetes Symposium, ,,in der alten Streitfrage über östlichen oder westlichen Ursprung der idg. Urheimat ... die Waagschale zugunsten der asiatischen These entscheidend gesenkt" habe (1955, S. 8). Einen vermittelnden Standpunkt vertritt in mehreren Publikationen A. Scherer, der — ähnlich wie W. Brandenstein 1936 — eine ältere und eine jüngere Heimat annehmen möchte: „Wenn in der Urheimatfrage die Argumente der beiden Parteien nach verschiedenen Richtungen deuten, so muß daraus nicht notwendig der Schluß gezogen werden, daß die der einen von ihnen alle falsch sind. Für das östliche und nördliche Mitteleuropa sprechen nämlich die Gründe, die ihrer Natur nach eine Aussage über das Ausbreitungsgebiet unmittelbar vor der Völkertrennung erlauben, während dagegen diejenigen, die sich auf das Zustandekommen der idg. Sprache und Kultur beziehen, eher weiter nach dem Osten hin zu weisen scheinen" (1956, S. 8). Zur Problematik, die aus der Anwendung der „linguistisch-kulturhistorischen" Methode folgt, sei hier nur auf ein Beispiel eingegangen. Die Vertreter der europäischen Heimat stützen sich im starken Maße auf das sogenannte Buchenargument. Aus der Pflanzengeographie wissen wir zuverlässig, daß östlich der Linie Kaliningrad—Halbinsel Krim die Buche nicht vorkommt. Da diese Forscher behaupten, es habe in der Grundsprache ein Wort für Buche bereits gegeben, scheint gesichert, daß die Heimat westlich der Buchengrenze gelegen habe. Als Beweis für ihre Behauptung führen die Vertreter der „Westhypothese" an: ahd. buchha, lat. fägus „Buche", gr. (p-qyoc, „Speiseeiche", kurd. buz „Art Ulme", russ. 6y3 „Holunder". Jedoch fragen die Gegner der Westhypothese nach der Berechtigung, dem erschlossenen Wort *bhägos die Bedeutung Buche beizulegen. Es sind auch andere Bedeutungen möglich. Da die Schwierigkeiten, die sich aus der Anwendung der linguistisch-kulturhistorischen Methode ergeben, fortbestehen, erlangen andere Klärungsversuche mehr und mehr Bedeutung. Ihnen liegt die Überlegung zugrunde, Einzelsprachen rückwärtsschreitend zu erforschen. So hat J. Pokorny (1949) versucht, an Hand der festgestellten ältesten Wohnsitze der einzelnen indoeuropäischen Völker das Ausbreitungszentrum der Indogermanen näher zu bestimmen, wobei er den Raum vom mitteldeutschen Gebiet bis zur mittleren Wolga einbezieht. Anders ist H. Krähe an das Problem herangegangen. Die Ergebnisse seiner Flußnamenforschung hat er 1949—1962 in einer Reihe von Arbeiten niedergelegt. Darin geht er von der allgemein bekannten Tatsache aus, daß die Gewässernamen Europas historisch geschichtet sind. Die ältesten Namen zeigen eine größere Verbreitung als die der Einzelsprachen, in deren Bereich sie bezeugt sind. Ausgehend
io8
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von diesen ältesten Namensschichten hat Krähe (1962)18 folgende Thesen aufgestellt: „1. Diese Hydronomie ist in ihrem Wortschatz und in ihren formalen Bildungsmitteln indogermanischer Herkunft, umfaßt aber nicht den Gesamtbereich der indogermanischen Sprachen, sondern nur einen bestimmten, fest umgrenzbaren Teil von ihnen. Sie ist in einer noch voreinzelsprachlichen Periode des westlichen indogermanischen Raums entstanden, gehört also nicht einer der aus historischen Zeiten bekannten Sprachen allein an. 2. Das Verbreitungsgebiet der alteuropäischen Hydronomie reicht einerseits von Skandinavien bis nach Unteritalien, andererseits von Westeuropa bis zu den baltischen Ostseeländern. Von den drei südeuropäischen Halbinseln ist Italien am stärksten, die Balkanhalbinsel am wenigsten (fast nur mit ihren nördlichen Gebieten) beteiligt. 3. Während die alteuropäische Hydronomie nördlich der Alpen dem ältesten uns überhaupt noch erreichbaren Sprachgut zugehört, ist sie in Südfrankreich und den Mittelmeerländern erst sekundär eingeführt und hat dort ältere Schichten überlagert. 4. Aus dem Raum dieser Hydronomie stammen von historisch bezeugten indogermanischen Einzelsprachen das Germanische, Keltische, Illyrische, die sogenannte italische Gruppe, d. h. Latino-Faliskische und Oskisch-Umbrische mit dem Venetischen, ferner das Baltische, während das Slawische nur geringen Anteil daran hat. Diese Sprachen sind auch durch andere Merkmale des Wortschatzes und der Grammatik miteinander verbunden und gegen die übrigen indogermanischen Sprachen abgegrenzt. 5. Die alteuropäische Hydronomie ist strukturell und semasiologisch von hoher Altertümlichkeit. Sie muß bereits in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends voll ausgebildet sein." H. Krahes Forschungen zur alteuropäischen Hydronomie begegneten in Fachkreisen geteilter Aufnahme. Auch hat es an ablehnenden Stimmen nicht gefehlt. 17 Die Kritik blieb jedoch zu pauschal und ohne weiterführende Auseinandersetzung. Zweifellos werden viele dieser Flußnamen, gerade auch die verbreitetsten, von Krähe sehr überzeugend aus dem Indoeuropäischen erklärt. Dabei verdient allerdings eine Beobachtung unsere Aufmerksamkeit, die A. Scherer 1956 gemacht hat. Genaugenommen lassen sich nämlich zwei Schichten unterscheiden. Die eine sieht in jeder Beziehung indoeuropäisch aus, z. B. *moi-no-s Main, *rei-no-s Rhein, *daneu-io-s Donau, *neid-a Neide. Die andere, die das eigentliche System Krahes mit dem Wechsel zwischen bestimmten Suffixen (besonders -antia und -ara) bildet, enthält in der Wurzelsilbe fast immer den im Indoeuropäischen seltenen Laut a, zuweilen auch i und u. Flußnamen wie Alba, Ara, Avara, Adula, Adria und Aturia entsprechen in ihrem lautlichen Charakter ganz vorindogermanischen Reliktwörtern Südeuropas und haben dort auch direkte Entsprechungen. Zu beachten ist, daß das a im Indoeuropäischen doch sonst sehr selten vorkommt. A. Scherer erwägt deshalb die Möglichkeit, „daß diese Flußnamenschicht sich letzten Endes auf einer bereits vor dem Sieg des Indogermanischen vorhandenen 16 17
Vergleiche dazu H. Krähe, Germanische Sprachwissenschaft, Bd. 1, 6. Auflage, 1966. R. A. Crossland 1957, S. i 6 f f . ; A. Sommerfeit 1958, S. 442; E. Risch i960, S. 90; H. Kronasser 1962, S. 23 (Krahes Entgegnung 1964/65, S. 211); V . Georgiev 1967, S. 690ff.; W. Meid 1964.
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Hydronomie aufbaut. Daß vielfach Etyma im Indogermanischen zu finden sind, könnte auf einer starken Durchsetzung bereits des voreinzelsprachlichen idg. Wortschatzes mit Substratwörtern beruhen" (1956, S. 9). Erweisen sich diese Beobachtungen als richtig, dann muß man wohl annehmen, daß die Vorformen der späteren westindogermanischen Sprachen, d. h. also die eng miteinander verwandten Dialekte, die das Alteuropäische bildeten, aus einem östlicheren Gebiet nach Mitteleuropa gekommen sind. Hier hätten sie im 2. Jahrtausend längere Zeit nebeneinander bestanden, zu einer Zeit, als Indo-Iranisch, Hethitisch und Griechisch — mitunter räumlich schon weit entfernt — ihre Eigenart bereits voll ausprägen konnten. Diese Sprachen werden nach W. P. Schmid von Krähe zu Unrecht ausgeschlossen (1968), denn nach eigener Prüfung kommen die grammatischen Erscheinungen, die für die Flußnamen charakteristisch sind, auch in den genannten Einzelsprachen vor. Die von Krähe erschlossene Hydronomie ist keine west-indogermanische (west-indoeuropäische), kein Zwischenglied zwischen Indoeuropäisch und den Einzelsprachen, sondern es ist die gemeinindoeuropäische. An dieser Hydronomie haben früh ausgegliederte Sprachen nur deshalb keinen Anteil, weil sie in Gebiete gelangten, in denen die Flüsse bereits Namen trugen. Die Grenzen der alteuropäischen Hydronomie sind die Grenzen der indoeuropäischen Gemeinsprache (Dialektgruppe). Das Alter der Flußnamen wäre bei dieser Annahme um 1000 Jahre höher anzusetzen (3000—2500 v. u. Z.). Wenden wir uns nun der Ausgliederung des Germanischen aus der indoeuropäischen Gemeinschaft zu. Die germanischen Sprachen sind durch Isoglossen aus dem Kreis der übrigen indoeuropäischen Sprachen herausgehoben. Neben den Ubereinstimmungen bestanden von Anfang an Verschiedenheiten. Ein einheitliches Urgermanisch hat es wohl nie gegeben, obwohl wir im nordgermanischen Bereich die Aufspaltung des anfangs nahezu einheitlichen Urnordisch in die späteren Einzelsprachen deutlich verfolgen können. Als Gemeinsamkeiten aller germanischen Sprachen seien genannt: 1. die erste oder germanische Lautverschiebung, 2. die Festlegung des ie-freien Wortakzents auf die erste Silbe eines jeden Wortes, 3. die Entwicklung der ie sonantischen r, 1, m, n, zu ur, ul, um, un, 4. der Zusammenfall von a und o in a sowie von ä und ö in ö, 5. die allgemeine Schwächung des Wortauslautes, 6. der systematische Ausbau der ererbten Ablauterscheinungen und ihre funktionale Nutzung, 7. die Ausbildung paralleler Adjektiv-Deklinationen (stark und schwach), 8. die Schaffung eines schwachen Präteritums beim Verbum. Von diesen Gemeinsamkeiten ist für unsere Fragestellung die Durchführung der germanischen Lautverschiebung die wichtigste, da sie gestattet, einige Schlüsse auf die Zeit der Herausbildung der germanischen Sprachen zu ziehen. Freilich sind nahezu alle Fragen, die mit der germanischen Lautverschiebung zusammenhängen, heiß umstritten. Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal die Fakten: 1. Die stimmlosen Verschlußlaute des Indoeuropäischen werden im Germanischen zu stimmlosen Reibelauten: lat.: porto — got. /ara lat.: ¿res — got. ^reis lat.: centum — got. Aund
lat. cle^o — got. hli/a lat.: verio — weir^a lat.: pzcu — got. fai/iu
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2. Wo den stimmlosen Verschlußlauten des Indoeuropäischen im Germanischen stimmhafte Reibelaute oder deren Nachfolger entsprechen, sind die stimmlosen Reibelaute, die nach der germanischen Lautverschiebung entstanden waren, noch unter dem Einfluß des indoeuropäischen Wortakzents stimmhaft geworden: gr. ujiep — ahd. u&ar ai.: pi/är — got. fadar (Vok.) gr.: sxupa — ags. sweger ahd. fater 3. Die stimmhaften aspirierten Verschlußlaute des Indoeuropäischen werden im Germanischen zu stimmhaften Reibelauten (und in vielen Positionen bald zu stimmhaften Verschlußlauten): lit.: Jalä — ags. pol aksl.: slaö — anord. slä/>r lat.: ¿omus — got. ¿imrjan gr. dor. 71 cos pö(d)s — got. föius lat.: gelidus — got. Äalds Ob die Verschiebung der Tenues über die Tenues aspiratae geführt hat oder nicht, darf in diesem Zusammenhang unbehandelt bleiben. Unberührt bleibt auch die Frage, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen der germanischen und der hochdeutschen Lautverschiebung gibt, ob die Vorgänge ähnlich oder grundverschieden waren. Wichtig ist dagegen das Problem des zeitlichen Ablaufs und damit verbunden der Reihenfolge der oben skizzierten Vorgänge. Die germanische Lautverschiebung war ein langandauernder, viele Jahrhunderte währender Prozeß. Ihre Heraushebung aus den übrigen Lautwandlungen läßt sich nur dadurch rechtfertigen, daß sie zu einer völligen Umwandlung des Konsonantismus geführt hat. Seit A. Scherers Arbeiten hat sich die Ansicht sehr verbreitet, daß die Verschiebung der Tenues zuerst erfolgte, danach die der aspirierten Medien und darauf die der einfachen Medien. Schon früh wurde aber auch die dritte der möglichen Auffassungen vertreten, nach der die aspirierten Medien zuerst verschoben worden seien. Die eingehenden Untersuchungen von L. Hammerich (1955, S. lff.; 165 ff.) geben Anlaß, dieser Auffassung zu folgen. Die Veränderung der indoeuropäischen aspirierten Medien ist nicht typisch germanisch, sondern kam wohl auch den Vorstufen des Italischen und Keltischen zu, so daß man diesen Vorgang mit Hammerich sogar aus der germanischen Lautverschiebung ausklammern könnte. Auf die Verschiebung der aspirierten Medien folgte die Verschiebung der Tenues und zuletzt die der Medien. Die Veränderungen sind von bestimmten Orten ausgegangen, sie haben die einzelnen Teile des germanischen Raumes zu verschiedenen Zeiten erreicht. Der Zeitpunkt der Verschiebung hing von der Position des betroffenen Lautes im Wort ab. Das Material, das Schlüsse auf die Unterschiede und auf die absolute Zeit der Lautverschiebung erlaubt, ist dürftig und meist auch noch umstritten. Deshalb gehen die Ansichten der Forscher auseinander. Während J . Grimm auf der Grundlage seiner These von den seeüschen Erschütterungen der „Völkerwanderungszeit" als Ursache der Lautverschiebung für das 1. bis 3. Jh. u. Z. plädiert, läßt H. Meyer (1901, S. 101) die Lautverschiebung als zusammenhängenden Prozeß bereits um 1000 v. u. Z. entstehen, zu einer Zeit, da nach seiner Auffassung die Germanen noch in den Karpaten saßen
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und durch Bergsteigen „zu einer Verstärkung des Hauchs, der Expiration kamen". Die anderen Meinungen hegen zwischen diesen beiden Extremen. 18 In den letzten Jahren hat sich A. Bach (1965, S. 55) für einen verhältnismäßig frühen und V. Pisani für einen verhältnismäßig späten Zeitpunkt ausgesprochen (1949, S. 136). Nach Bach waren Lautverschiebung und Akzentverlagerung bereits um 500 v. u. Z. abgeschlossen, Pisani datiert den Übergang von ie. k zu germ. h im Inlaut im nordwestdeutschen Gebiet erst in die Zeit zwischen 100 v. u. Z. und dem Jahre 100 u. Z. Für den Beginn der Lautverschiebung gibt es nur wenig Anhaltspunkte. Wer ihn in die Zeit nach 500 v. u. Z. setzt, beruft sich auf Lehnwörter wie Hanf (zuerst wohl R. Much 1893, S. 63). Den germanischen Wörtern ahd. hanaf, ags. haenep, aisl. hanpr steht ein griechisches xdtvvaßu; gegenüber (mit k statt germ. h und mit b statt germ. p.). Da diese Pflanze nach Herodot (4, 74) den Griechen erst im 5. Jh. v. u. Z. von den Skythen her bekannt wurde, kann sie nach Meinung dieser Forscher den Germanen kaum früher zur Kenntnis gekommen sein, zumal diese längst nicht so enge Beziehungen zu den Skythen hatten. Die Anerkennung dieses Argumentes würde einen Terminus post quem setzen, weil die Entlehnung vor der Verschiebung der Tenues und der Medien liegen muß. Die Beweiskraft des Wortes „Hanf" hat aber bereits 1901 H. Meyer (S. 123) mit guten Argumenten in Zweifel gezogen. Nach V. Pisani (1949, S. 138) wurde Hanf im 3. Jh. v. u. Z. an der Rhone angebaut. Ohne hierfür Gründe zu nennen, behauptet er aber, daß die Germanen wahrscheinlich ihn erst später kennengelernt hätten. Die Hauptmasse der vor der Lautverschiebung entlehnten keltischen Wörter (z. B. kelt. katu — Kampf zu germ. ha^u-, kelt. vik — kämpfen zu germ. wlh-, kelt. rig — König zu germ. rlk-, kelt. Volcae zu germ. Walha-, kelt. Perkunia zu ahd. Fergunna) ist nach T. E. Karsten (1928, S. 201) in der Blütezeit des Keltenreiches, nach Pisani lange vor der germanischen Lautverschiebung entlehnt worden. Für den Abschluß der Lautverschiebung haben wir mit dem Helm B von Negau (Jugoslawien) ein besseres Belegstück vor uns. Dieser Bronzehelm zeigt in seiner mit nordetruskischen Buchstaben angebrachten Inschrift hari Xasti (d. h. „dem Gotte Harigast" oder „der Gott Harigast"), daß die germanische Lautverschiebung in allen ihren Stufen bereits durchgeführt war: ie. k zu germ. h, ie. gh zu g (hier X geschrieben), ie. d. zu t. Leider entstanden an der ursprünglich ziemlich einhelligen Datierung des Helmes in der jüngeren Vergangenheit Zweifel. Während man früher die Inschrift meist in das 3. Jh. v. u. Z. stellte, verweist P. Reinecke (1950, S. ii-7ff.) ihre Entstehung in das 6. —9. Jh. u. Z. Aus schritt- und religionsgeschichtlichen Erwägungen wird hier, gestützt auf Arbeiten von W. Krause (1953, S. 114), der Helm in das 2. Jh. v. u. Z. datiert. Zu dieser Zeit scheint also die erste Lautverschiebung zumindest in bestimmten Gegenden abgeschlossen gewesen zu sein. Für den äußersten Nordwesten hat V. Pisani einen wesentlich späteren Termin zu erschließen versucht. Da die Waal, der südliche Mündungsarm des Rheines, bei Cäsar (Bell. Gall. 4, 10) Vacalus, bei Tacitus (Ann. 2, 6) aber Vahalis heißt und da ferner die Römer von Cimbri sprechen, in Dänemark aber ihr Heimatbezirk Himbersysael (Himmerland) heißt, verlegt Pisani die Verschiebung k zu h dort in das 1. Jh. v. u. Z. 18
Nur einige seien hier genannt: R. Much 1893 — 3. Jh. v. u. Z.; G. Kossina 1895 — 4. Jh. v. u. Z.; W . Streitberg 1896 — 400 — 250 v. u. Z.; Willmanns 1911 — 400—100 v. u. Z.
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Aus diesen Beispielen könnte man einen Verlauf der Lautverschiebung von Südosten nach Nordwesten folgern. Auf die Möglichkeit der Lautsubstitution bei den c-Schreibungen hat aber neuerdings auch W. Krause (1953, S. 114) hingewiesen, der diese Erklärung der von Pisani vorzieht. 19 Diese Ausführungen zeigen die Schwierigkeiten, die der räumlichen und zeitlichen Einordnung der Lautverschiebung entgegenstehen. Ein Voranschreiten der Lautverschiebung vom Süden oder Osten20 muß durchaus kein Zeugnis für Wanderbewegungen sein, weil sprachliche Neuerungen sich auch wellenförmig ausgebreitet haben können. Unter Auswertung zahlreicher Ortsnamen hat H. Kuhn (1962, S. 105ff.) auf der Grundlage älterer Publikationen 21 jedoch nachzuweisen versucht, daß es im letzten Jh. v. u. Z. (oder noch früher) eine von Osten nach Westen gerichtete Wanderbewegung, gegeben haben soll. Nach Kuhn gibt es östlich der Linie Unterweser, Aller, Harz kaum Ortsnamen, deren Konsonantenbestand von der ersten Lautverschiebung unberührt ist. Kuhn betrachtet diesen Raum, über dessen östliche Ausdehnung er nichts sagt, als germanisches Stammland. Westlich der genannten Linie findet er ein reiches vorindogermanisches Namengut, in dem mehrere Schichten sichtbar werden: sowohl indoeuropäische wie auch andersartige, die sich mit dem alten Namenbesitz verschiedener Teile der Mittelmeerländer berühren. In diesem Raum, der von der Nordsee bis in das nördliche Thüringen und Hessen und von der Aller südwestwärts über den Rhein hinüberreicht, gibt es z. B. viele aus dem Indoeuropäischen ableitbare Ortsnamen mit erhaltenem p, die darüber hinaus z. T. auch noch ein unverschobenes k-Suffix tragen (z. B. Peseke, Name eines Baches im Nordharz). Diese alten, unter jüngeren Schichten Hegenden Ortsnamen beweisen nach H. Kuhn, daß zwischen den Germanen und Kelten in der letzten Hälfte des letzten Jahrtausends andere Stämme saßen, die er — sicherlich in Anlehnung an Krahes Alteuropathese — als „die letzten Reste der westlichen Indogermanengruppe" ansehen möchte (1962, S. 127), „aus der sich nach und nach die Kerne der großen bekannten Einzelgruppen ausgesondert hatten, als letzte die der Kelten und Germanen (und wenig vorher vielleicht die Römer)." Die Grenze dieses von Kuhn Nordwestblock genannten Gebietes sind im Nordosten und Osten die Unterweser, die Aller und der Harz, im Süden von Ost nach West das Erzgebirge, der Main, die obere Oise und die Somme. Südlich davon saßen die Kelten, östlich davon die Germanen. Letztere haben den Nordwestblock, der auffälligerweise im Gegensatz zu den Gebieten östlich davon von den Wanderungen 19
20 21
Bei V. Pisani findet sich übrigens ein auffälliger Widerspruch. E r nimmt auf S. 138 (1949) an, daß got. Krekos aus lat. Graeci stammt, daß die Entlehnung durch die Ostgoten im 2. Jh. erfolgt sei und daß zu dieser Zeit die Verschiebung der Medien also noch nicht erfolgt sein kann (G wird j a erst noch K), während die Verschiebung der Tenues offensichtlich bereits stattgefunden hat (C blieb K). Auf der nächsten Seite heißt es dann: „Übrigens scheint der Wandel der Mediä zu Tenues beträchtlich älter zu sein als derjenige der Tenues zu stummen Spiranten." Letzterer fand im Nordwesten nach V . Pisani im 1. Jh. v. u. Z. statt. W. Krause 1953, S. 114: Von Süden; H. K u h n 1962: Von Osten. Anlautend p im Germanischen (Zeitschr. f. dt. Mundartforschung 28, 1961, S. i f f . ; Vorund frühgermanische Ortsnamen in Norddeutschland und den Niederlanden (Westfälische Forschungen 12, 1959, S. 5 ff.
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nicht betroffen wurde und ungeräumt blieb, allmählich germanisiert, nachdem sie ihn im Norden (entlang der Nordsee) und im Süden (durch Thüringen und Hessen) bereits zangenförmig umfaßt hatten. Beweise für diese Umklammerung findet Kuhn in frühen germanischen Neubildungen und Namenstämmen, die der Nordwestblock nur an seinem Rande kennt, die aber jenseits seiner Grenzen in weiten Räumen zu Hause sind: vor allem im Suffix -nd (hochdeutsch -nt), z. B. Aland — im Norden/Alant — im Süden. „Südwärts ... führt eine schüttere Reihe dieser Bildungen um den Harz herum nach Thüringen und Hessen, und westwärts, entlang der Wasserkante in ähnlicher Weise zur Rheinmündung und rheinauf bis in die Kölner Bucht" (1962, S. 119). Da das an vorgermanischen Namen reiche Land dazwischen keine solche Bildungen aufweist, vermutet Kuhn, „daß die Germanen, von zwei Seiten kommend, unseren Nordwestraum fast umgangen hatten, ehe das Zwischenland in ihre Hände fiel" (1962, S. 119). Diese These wird nach seiner Meinung durch die ähnliche Verbreitung einiger seltener Namenstämme (Aid-, Fabr-, Kald-) gestützt, die ebenfalls auf beiden Flügeln gebraucht werden und im Zwischenland fehlen. Im Südosten sind die Germanen, wie ihr „Walchen" für „Volcae" beweist, noch vor Abschluß der ersten Lautverschiebung mit den Kelten in Berührung gekommen. Namen wie Truse, Aldaha, Schmalkalden und Floh bezeugen, daß der Weg bei Schmalkalden über den Thüringer Wald und dann über die Rhön zum Mainknie bei Hanau bzw. Werratal abwärts ins nordwestliche Hessen ging. Über die Zeit sagen die Namen nichts aus. H. Kuhn folgert aus Nachrichten Cäsars, daß dieser Vorstoß einige Jahre vor 60 v. u. Z. stattfand. 22 Der nördliche Vorstoß ist nach Kuhn „wahrscheinlich unterhalb Bremens über die Weser gegangen ... Links der Weser wird die Expansion sich bald auch landeinwärts gerichtet haben. Wie ähnlich im Harzvorland sind ihre Spuren da gering, ebenso aber auch die Reste des Älteren. Im Emsraum nehmen sie wieder zu. Von hier an sind die frühen germanischen Namenzeugnisse bis zum Rhein auf den engsten Küstensaum beschränkt. Hier muß im allgemeinen der Seeweg benutzt worden sein, mit nur schwachen Stützpunkten an der Küste. An einigen Stellen haben hier vor- und frühgermanische Namenformen nebeneinander bestanden, aber die älteren haben sich durchgesetzt. Borkum ist im Altertum als Burcana und auch, mit germanischem ch statt ka, als Burchanis bezeugt. Ems und Hunse haben heute noch ihr ursprüngliches s, aber die ältesten mittelalterlichen Quellen nennen die Gaue an ihrem Unterlauf auch Emerund Hunergewe, mit demselben r, statt s, das bei der Weser zu der zweiten Form Werra geführt hat ... Weiter westlich haben sich in Egmond, Walcheren und vielleicht auch Eiden (bei Arnheim) nach langer Konkurrenz die germanisierten Formen durchgesetzt ... In einigen brabantischen und flämischen Namen konnte sich neben der germanischen Form des Flämischen (mit D im Anlaut) im Französischen die ältere (mit T-) bis heute erhalten ... Für uns sind diese Formenpaare deshalb wertvoll, weil sie die besten Zeugen dafür sind, daß sich das Germanische auf der verfolgten Linie, bis nach Tourney im Hennegau, schon vor oder während unsererer Lautverschiebung festgesetzt hat" (1962, S. 121). Aus dem Vorkommen gleicher Namen und Bildungsmittel folgert Kuhn, daß der nördliche Vorstoß in demselben Zeitraum stattfand wie der südliche. Da Cäsar die 22
Sueben in Hessen; vorher schon Rheinübergang unter Führung von Ariovist.
8 Germanen — Bd. 1
ii4
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Scheide bereits mit ihrem germanischen Namen nennt (Scaldis statt des älteren Tabula) dürfte ihr Flußgebiet nach Kuhn bereits vor Mitte des letzten Jahrhunderts stark germanisiert gewesen sein. Die Stammesbezeichnung Chatt-warier, die mit Sicherheit germanisch ist, und die Waldbenennung Caesia, wahrscheinlich germanisch, faßt er mit Namen wie Vahalis (die Waal) und Asci-burgium zusammen als Beweis dafür, daß Casars Angaben über linksrheinische Germanen als durchaus glaubwürdig erscheinen. Das Land zwischen Harz und Rhein war nach demselben Autor in der Zeit der Angriffskriege Roms gegen die germanischen Stämme von der Germanisierung erfaßt, jedoch nicht völlig. Zum Beweis nennt er vor allem Namen mit erhaltenem ie. o z. B. Logina neben Lagina im Namen der Leine. Kuhns Ausführungen haben in der Fachwelt eine überwiegend kritische Aufnahme gefunden.23 Ohne Zweifel sind sie scharfsinnig und bemerkenswert. Fraglich bleibt aber, ob das Material so weitreichende Schlußfolgerungen erlaubt. So sind die zitierten Formen oft doppeldeutig; außerdem scheinen die von Kuhn gezogenen Grenzen zumindest teilweise recht willkürlich.24 Gut geklärt wurde dagegen durch Kuhns These die tatsächlich auffallende Beständigkeit und Ruhe der Stämme des Nordwestens. Da das weiter östlich gelegene Gebiet in den späteren Jahrhunderten einem langsamen Entsiedlungsprozeß unterworfen war, besteht durchaus die Möglichkeit, daß in diesen Gebieten vorher die gleichen sprachlichen Schichten vorhanden waren. Unbefriedigend ist H. Kuhns Erklärung des Fehlens kultureller Spuren für den nördlichen Vorstoß der Germanen zum Schelde-Rhein-Gebiet. Natürlich darf man die Schwierigkeiten nicht übersehen, die einer Zuordnung der unabhängig voneinander gewonnenen Arbeitsergebnisse entgegenstehen.25 Willkürliche Identifikationen, die in der Vergangenheit nur zu oft chauvinistischen und rassistischen Zielen dienten, muß man mit aller Konsequenz vermeiden. Wenn wir auf beiden Gebieten, d. h. auf dem Gebiet der Sprach- wie der Ur- und Frühgeschichtsforschung, an das historisch Bezeugte anknüpfen und von dieser Grundlage aus schrittweise in die Vergangenheit vordringen — wobei im Zweifelsfalle die Variante mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat, die die bestmögliche Deckung der Ergebnisse bringt — so können wir folgendes feststellen: Die durch eine Reihe von Gemeinsamkeiten charakterisierten germanischen Sprachen sind uns erst spät überliefert (gegen die Mitte des 1. Jahrtausends v. u. Z. oder noch später). Wann die Gesamtheit ihrer gemeinsamen Merkmale ausgebildet war, wissen wir nicht. Einige Anhaltspunkte gibt es hinsichtlich der ersten Lautverschiebung. Die Verschiebung der aspirierten Medien liegt den übrigen Veränderungen so weit voraus und kommt nicht nur dem Germanischen zu, so daß es gerechtfertigt erscheint, diese Wandlungen aus der germanischen Lautverschiebung herauszunehmen. Sie spielen für unsere Frage keine Rolle. Die Wandlung der Tenues und die Verschiebung der Medien haben — abhängig von der Stellung im Wort, aber im ganzen doch wohl in dieser Reihenfolge — wahrscheinlich bald nach 500 v. u. Z. begonnen und waren 23
24 25
Vergleiche S. Gutenbrunner, Germanistik 4, 1963; R. v. Uslar in: Nachrichten Niedersachsens Urgesch. 32, 1963. H. K u h n 1962, S. 122 ist sich dessen teilweise selbst bewußt. Verfasser hat auf einer Tagung die Zusammenarbeit zwischen historisch vergleichender Sprachwissenschaft und der Ur- und Frühgeschichtsforschung gefordert (Zeitschr. f. Phon. Sprachw. und Kommunikationsforschung 1971, S. 136).
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möglicherweise im Süden im 2. Jh. v. u. Z., im Nordwesten aber erst im 1. Jh. v. u. Z. im wesentlichen beendet. Die Zeit, in welche die Jastorfkultur einzuordnen ist, deckt sich also mit der Zeit der Ausgliederung des Germanischen (der germanischen Dialektgruppe) aus der westindoeuropäischen Dialektgruppe. Gegenwärtig fehlen allerdings Belege dafür, daß dieser Prozeß bereits mit der Herausbildung der Jastorfkultur begonnen hat. Andererseits spricht der sprachwissenschaftliche Befund aber durchaus dafür, daß die Träger dieser Kultur die späteren Sprecher germanischer Dialekte waren. Im Gebiet der Jastorfkultur und darüber hinaus erhielten sich alle germanischen Namen. Ob das zu beobachtende Vordringen der ersten Lautverschiebung von Osten (Südosten?) nach Westen auf wellenförmiger Ausbreitung einer sprachlichen Neuerung oder auf Germanisierung nichtgermanischer Stämme beruht, bleibt auch nach den Arbeiten von H. Kuhn unentschieden. Das Problem ist, daß wir uns nur auf eines der germanischen Sprachmerkmale, nämlich die Lautverschiebung, beziehen können. Tatsache bleiben andererseits sprachliche Kriterien, die weit im Westen schon zu Cäsars Zeiten Germanen vermuten lassen. Die Ausdehnung der westindogermanischen Dialektgruppe, aus der sich die germanischen Dialekte herausentwickelt haben, entspricht der Verbreitung der alteuropäischen Hydronomie: Skandinavien bis Italien und Britische Inseln bis zum Baltikum. Diese Dialektgruppe muß im 2. und 1. Jh. v. u. Z. in diesem Gebiet bestanden haben. Inwieweit man bestimmte Vorstufen der späteren Einzelsprachen den in diesem Raum gemachten Funden zuordnen kann, bedarf aber noch weiterer Untersuchungen. Vermutlich ist die westindogermanische Dialektgruppe aus weiter östlich gelegenen Gebieten eingewandert, was daraus hervorgeht, daß es eine vorindoeuropäische Namenschicht in diesem Gebiet gibt.
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VI.
Die germanischen Stämme bis zum Beginn unserer Zeitrechnung
i.
Die wirtschaftlichen Grundlagen (vom 6. Jahrhundert vor bis zum Beginn unserer
Zeitrechnung)
Bei der Anlage von Siedlungen im Gebiet der Jastorfkultur wurden schwere Böden im allgemeinen gemieden1, Sandgebiete dagegen bevorzugt. Die hydrologischen Verhältnisse spielten bei der Wahl des Siedlungsplatzes auch in dieser Zeit eine wichtige Rolle. Dichte Siedlungszentren haben sich immer dort gebildet, wo Niederungen kleinere Flächen sandiger Böden umgaben. Selbst kleinste Talsandinseln sind besetzt worden. In einigen Gebieten der Jastorfkultur ist auch der Ausbau des Siedlungsraumes deutlich zu erkennen, z. B. die Neubesiedlung des Kreises Gransee in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit. Der Neuanlage von Siedlungen und Äckern mußte in diesem Falle die Rodung vorausgehen. Leider ist es bis heute nicht gelungen, die dafür notwendigen Werkzeuge in genügender Anzahl nachzuweisen. Siedlungsverschiebungen lassen sich an zahlreichen Beispielen belegen. Die Aufgabe der Talauen hatte schon am Ende der jüngeren Bronzezeit begonnen. Die Feuchtperiode in der ältesten Jastorfzeit ist auch der Grund dafür, daß es zur Besiedlung und Bewirtschaftung der wasserdurchlässigeren sandigen Böden durch die Germanen dieser Zeit kam, wogegen in ausgesprochenen Trockenperioden kein Ertrag mehr zu erwarten war. Weitere Siedlungsverlagerungen in späterer Zeit sind im Fundmaterial ablesbar. Diese Verschiebungen über kleine und kleinste Räume dürften ökonomische Ursachen gehabt haben. Ausschlaggebend für die mehrfache Verlegung der Siedlungen kann die Erschöpfung des Bodens infolge des Pflanzenanbaus auf sandigen Böden gewesen sein. In der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. u. Z. wurden größere Siedlungsgebiete aufgegeben (s. S. 191). a) Haus und Siedlung Die Quellenlage für die Darstellung und Wertung von Haus und Siedlung im frühgermanischen Siedlungswesen des Gebietes zwischen Rhein und Oder ist nicht besonders günstig.2 Im Gegensatz zur großen Zahl der bekannt gewordenen Gräberfelder der vor1
Als Ausnahme dürfte die Besiedlung des mitteldeutschen Lößgebietes angesehen werden
2
Für die einzelnen Landschaften bestehen noch forschungsgeschichtlich bedingte Unter-
(H. Grünert 1957, S. 17). schiede im Wissen über das frühgermanische Siedlungswesen. Aus dem Gebiet zwischen E m s und Weser-Aller (Harpstedt-Nienburger-Kultur)
gibt es bisher so g u t wie keine
Anhaltspunkte (E. Schlicht 1965, S. 38of.; B. Trier 1969, S. I 7 8 f f . ; W . Strautz
1959,
S. 69ff.; R . Dehnke 1965, S. 92). E t w a s günstiger liegen die Verhältnisse im Bereich
119
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
römischen Eisenzeit wurden nur verhältnismäßig wenige Siedlungsplätze entdeckt; sie wurden so gut wie kaum untersucht. Genügend Anhaltspunkte über Hausbau, -form und -große sowie über Siedlungsformen und über Siedlungsgröße fehlen deshalb. Aus diesem Grund werden die niederländischen und jütländischen Befunde berücksichtigt, zumal man in diesen Gebieten mit der gleichen Bevölkerung wie im Darstellungsgebiet rechnen kann. In den frühgermanischen Siedlungsbereichen des nördlichen Mitteleuropa lassen sich gegenwärtig drei verschiedene Haustypen aussondern. Diese Hausformen treten dabei in gegeneinander abgegrenzten geographischen Räumen auf. Die seit der jüngeren Bronzezeit (s. S. 66 ff.) nachzuweisenden dreischiffigen Wohnstallhäuser bleiben ebenso wie in dieser Zeit auch in der vorrömischen Eisenzeit noch im großen ganzen auf den südlichen Nordseeküstenraum3 beschränkt. Im Unterelbe-, mittleren Elbe- und Havelgebiet sowie im Elster-Saale-Elbe-Bereich ist ein anderer Haustyp vertreten. Auf den Siedlungsplätzen in diesen Gebieten wurden rechteckige Pfostenhäuser freigelegt, die offensichtlich an gleichartige Bauten der jüngeren Bronzezeit anknüpfen. Es handelt sich um relativ kleine ebenerdige Bauten, deren Größe in der Regel 5 — 7 m in der Länge und etwa 3—4 m in der Breite betrug. Die besten Befunde lieferten in den Jahren 1952—1956 die großflächigen Ausgrabungen auf einem Siedlungsplatz in der Harth bei Zwenkau, Kr. Leipzig (Abb. 18 b). Hier wurden mehrere Hausgrundrisse freigelegt, von denen man acht als Wohnbauten der beschriebenen Art und fünf andere Bauten als Wirtschaftsgebäude (Speicher?, Ställe?) erkannte. Bei den Wohnbauten handelte es sich um sechs etwa gleichgroße einräumige Häuser mit einer Grundfläche von durchschnittlich 25 m2. In der Umgebung dieser Häuser stieß man dann auch auf die als Wirtschaftsgebäude gedeuteten Pfostenbauten von 2—3 m Breite und 4—5 m Länge. Von den beschriebenen Häusern heben sich durch ihre Größe und eine andere Bauweise zwei weitere Wohnbauten ab, und zwar ein in zwei Räume unterteiltes Pfostenhaus von 6,1 m Breite und 9,0 m Länge sowie ein dreiräumiger Pfostenbau von 6,2 m Breite und io,o m Länge. Beide Häuser wiesen laubenartige Vorbauten auf, die an den anderen Wohnhäusern in der Regel fehlten. Schleswig-Holsteins und im Gebiet zwischen E l b e - S a a l e und Oder (Jastorfkultur). A b e r auch hier kennzeichnen landschaftliche Unterschiede den Forschungsstand.
So ist die
Zahl der ermittelten W o h n s t ä t t e n im schleswig-holsteinischen (H. H i n g s t 1964, S. 2 1 1 ff.), ostniedersächsischen (E. Sprockhoff 1940, S. 243 f f . ; H . K r ü g e r 1961, S. 20) und mecklenburgischen Mittelelb-
(H. und
Keiling
1969,
Havelgebiet
S. 17 ff.) Siedlungsraum
(H.
verschwindend
Seyer 1965, S. i 3 7 f f . ) liegen dagegen
klein.
Aus
dem
umfangreichere
Beobachtungen vor. A u ß e r Hausgrundrissen stehen für siedlungskundliche Auswertungen die
B e f u n d e aus einer großflächigeren (1400 m 2 ) A u s g r a b u n g
Tangermünde,
Kr.
Stendal
(H.-J.
Gomolka
1970,
(1927 — 1928,
1947)
S. 4 7 7 f f . ) , zur V e r f ü g u n g .
von
Weitere
Hinweise e n t n i m m t man darüber hinaus den Untersuchungsergebnissen ( 1 9 6 9 — 1 9 7 3 ) in Zedau, O t . v . Osterburg (F. Horst 1971, S. 22ff.). 3
G. H a t t 1928, S. 2 5 5 f f . ; ders. 1938, S. i i 7 f f . ; W . Haarnagel 1939, S. 2 6 7 f f . ; G. H a t t 1 9 5 7 ; ders.
1959,
S. 2 o i f f . ; J.
Brondsted
1963, S. 22 f.,
ioiff„
387; W .
S. 1 2 4 f f . ; P. Triis, P. L . Jensen 1966, S. 3 i f f . ; C. J. Becker
Haarnagel
1964a,
1968, S. 7 4 f f . ; S. 2 3 5 f f . ;
W . A. v . E s 1968, S. i 8 7 f f . ; P. V . Glob 1968, S. 2 i o f f . ; B . Trier 1969, S. 159t., 1 7 8 f f . , T a f . 2.
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Abb. 18. Ausgewählte Hausgrundrisse der vorrömischen Eisenzeit aus dem germanischen Siedlungsgebiet, a Gaunitz, K r . Oschatz (nach G. Neumann 1954, A b b . 65); b Harth bei Zwenkau, Kr. Leipzig (nach H. Quitta, Berlin); c Zedau, Ot. v. Osterburg.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
121
Das mit deutlichem Abstand größte Gebäude stammt aus Gaunitz, Kr. Oschatz (Abb. 18a), (G. Neumann 1954, S. 248ff., Abb. 65). Es handelt sich um einen Hausgrundriß von 21 m Länge und 5—6 m Breite. Der rechteckige Bau bestand aus über 50 Pfosten und war in drei klar zu erkennende Räume untergliedert. Das aus dem 2. Jh. v. u. Z. stammende Gebäude aus dem südlichsten frühgermanischen Siedlungsgebiet erklärt sich offensichtlich nur aus der unmittelbaren Nachbarschaft keltischer Stämme (F. Schubert 1972, S. 120f., Beil. 5). Neben den beschriebenen zwei unterschiedlichen Formen der frühgermanischen Wohnbauten läßt sich seit der jüngeren vorrömischen Eisenzeit ein weiterer Haustyp, das sogenannte Grubenhaus, nachweisen. Bisher sind diese Bauten nur im Elbe-OderRaum zu belegen. Zum Unterschied von den anderen Häusern dieses Gebietes waren die Grubenhäuser kleiner (Abb. 18c), und zwar im Durchschnitt 4—6 m lang und 3 —4 m breit. In der Regel befanden sich an den Seitenwänden der bis zu 0,4 m eingetieften Häuser zwei bzw. drei Pfosten. Hinzu kam gelegentlich an den Giebelseiten ein weiterer Pfosten, der sogenannte Firstträger. Verschiedene Befunde deuten an, daß es sich bei diesen eingetieften Häusern, zum Unterschied von den als Wohnbauten angesprochenen ebenerdigen Pfostenhäusern, um Wirtschaftsgebäude gehandelt hat, die als Speicher dienten bzw. in denen sich die Produktionsstätten befanden. Dafür sprechen die Lage dieser Häuser am Rande der Siedlungen sowie die in ihrer unmittelbaren Umgebung angetroffenen zahlreichen Feuerstellen, Back- und Keramikbrennöfen. Funde und Befunde der ausgeführten Siedlungsplätze des Elbe-Havel-Gebietes geben zwar einige Hinweise, gestatten jedoch keine verbindliche Aussage über die frühgermanischen Siedlungsformen. Es deutet sich an, daß im 6. — 4. Jh. v. u. Z. weilerartige Siedlungen vorherrschten. Seit dem 3. Jh. v. u. Z. kommen dann anscheinend auch Gehöftanlagen auf. Als Belege dafür darf man die Ergebnisse der Ausgrabungen in Kablow, Kr. Königs Wusterhausen (G. Behm-Blancke 1956, S. l ö l f f . ) , und Plänitz, Kr. Kyritz (G. Behm 1943, S. 98; Ortsakten des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam), heranziehen. In Plänitz wurden zwei Gehöfte aus dem 1. Jh. v. u. Z. freigelegt, bei denen jeweils hinter dem Wohnhaus mitLehmdielung ein kleineres, leicht eingetieftes Gebäude (Speicher, Stall oder ähnliches) stand. 4 b) Erzeugung und Verwertung der Nahrungsmittel (Pflanzenanbau, Viehwirtschaft, Jagd und Fischfang) Den umfangreichsten Einblick in die wirtschaftliche Situation dieser Zeit boten die Häuser bzw. die ausgegrabenen Reste davon. Hier fanden sich neben den speziellen Wohnteilen der Gebäude ganze Stalleinrichtungen mit Viehboxen sowie Futterspeicher. Groß ist inzwischen die Zahl der ermittelten alten Ackerfluren, die in Heidelandschaften durch Ackerraine, Terrassenkanten, Lesesteinhaufen und Wege heute noch oberflächlich zutage treten oder die man bei Freilegung der Ackerfurchenspuren erkennt. Aufschlüsse über den Entwicklungsstand der landwirtschaftlichen Produktion geben auch die Holzpflüge, die infolge der konservierenden Eigenschaften der Moore 4
P. Quente
1922, S. 6 j i f . ; P. Grimm
1931, S. l o f f . ; W . B ö h m
1937, S. 1 7 1 ;
G. B e h m
1943, S. 98; ders. 1956, S. 1 6 1 ; H . Hanitzsch 1956, S. 83; H . Q u i t t a 1956, S. 66; H . Seyer 1965, S. 1 3 6 f f . ; F . D e h m l o w 1970, S. 9 5 f f . ; H . - J . G o m o l k a 1970, S. 4 7 9 f f .
122
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
vereinzelt erhalten blieben. Schließlich geben auch Ackergeräte wie Sicheln und Sensen oder die Zugjoche für Rinder über die Betriebstechnik des Pflanzenanbaus Auskunft. Die Quellen zur Nahrungsmittelproduktion sind räumlich sehr unterschiedlich gestreut. Am besten erforscht gelten bisher die Gebiete an der Nordseeküste und auf der jütischen Halbinsel. Die beiden Haupternährungszweige wurden als Kombination von Pflanzenanbau und Viehwirtschaft betrieben, die in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit und Bedingtheit standen. Pflanzenanbau: Zu den wichtigsten Nutzpflanzen, die die Germanen in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. anbauten, zählen Gerste, Weizen, Hafer, Rispenhirse und Flachs. Dagegen spielte der Roggen eine unbedeutende Rolle. Der Anbau von Weizen, der in der jüngeren Steinzeit und auch noch in der Bronzezeit bemerkenswert war, ging zurück. 5 In dieser Zeit war wichtigste Nutzpflanze offenbar die Gerste, was die meisten Belege sowohl im Küstengebiet als auch im Binnenland nachweisen. Zunehmend nutzte man jetzt auch Hafer, jedoch sei dahingestellt, ob als Futtergetreide oder für menschliche Nahrungszwecke. Der im Jahre 1971 geborgene, überaus umfangreiche Getreidefund (120 kg) von Hetzdorf, Kr. Strasburg, (Taf. 6) belegt sehr anschaulich die wirtschaftliche Bedeutung der Gerste bei gleichzeitigem Zurücktreten anderer Nutzpflanzen (E. Lange 1972, S. 259ff.). 8 Den umfangreichsten Einblick in den Anbau von Nutzpflanzen gestatten alte Ackerfluren (sogenannte Oldtidsagre, celtic fields), die von annähernd 250 Fundstellen in den nordöstlichen Niederlanden, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und besonders Dänemark herrühren.7 Während es bisher so schien, als hätten sich diese Ackerfluren nur im Küstengebiet erhalten, belegen neuere Entdeckungen sie auch für das Binnenland. So stieß man im Zentrum der Jastorfkultur, im Kreis Uelzen (Niedersachsen), ebenfalls auf fossile Ackerfluren. 8 Diese Fluren bieten topographisch ein sehr charakteristisches Bild. Sie liegen überwiegend auf sandigen Standorten und heben sich oberflächlich als flache Wälle im ebenen Gelände oder als Terrassenkanten an Hängen ab. Die sichtbaren Flurraine bildeten in damaliger Zeit die Parzellengrenzen der einzelnen Ackerstücke und zeigen, daß die Äcker kammerartig nebeneinander lagen. Die Parzellengrößen sind unterschiedlich. Als Beispiel seien Fluren von Skerbaek Hede (Amt Älborg, Dänemark), 5
Zusammenfassend bei H . H e l b a e k
1954, S. 2 5 0 f f . ; vergl. auch M. Müller-Wille
1965,
S. 91 ff. D a H e l b a e k nur die Getreidefunde D ä n e m a r k s behandelt, folgen hier alle bekannten F u n d e aus dem Gebiet der D D R : A l t Zachun, K r . H a g e n o w ; Falkensee, Nauen;
Hetzdorf,
Osternienburg,
Kr.
Kr.
Strasburg;
Kothen;
Lanz,
Kr.
Schlagenthin,
Ludwigslust;
K r . Genthin,
Meseberg,
Kr.
Schwerin-Lankow;
Kr.
Osterburg; Zwenkau,
K r . Leipzig. 6
Die Untersuchung Emmer
ergab folgende Pflanzenanteile: Gerste
(Triticum dicoccon) 5 , 5 % ; H a f e r ( A v e n a sativa)
(Hordeum vulgare)
92,6%;
1 , 8 % ; sonstige N u t z p f l a n z e n
und K r ä u t e r (Lein, Leindotter, Ackerbohne, Gänsefuß, Melde, Trespe) 0 , 1 % . 7
K a r t e n der Ackerfluren finden sich bei G. H a t t 1949, S. 6, A b b . 1; H . J a n k u h n
1958a,
S. i 4 8 f f . ; M. Müller-Wille 1965, A b b . 4 - 5 u. 10. 8
K u r z e E r w ä h n u n g bei H . J a n k u h n 1961, S. 7, A n m . 19; auch im westdeutschen M i t t e l gebirge stieß man auf Ackerfluren, die den Oldtidsagre im K ü s t e n g e b i e t vergleichbar sind, s. K . Scharlau 1957, S. 13 ff.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
123
(Abb. 19) mit 0,1—0,5 ha Größe erwähnt (G. Hatt 1949, S. 41), die zu den eindrucksvollsten Zeugnissen frühgermanischer Landwirtschaft gehören. Insgesamt umfaßten die Ackerfluren ein großes Areal von etwa 100 ha; doch bleibt zu berücksichtigen, daß das gesamte Ackerfeld nicht gleichzeitig genutzt wurde. Die Formen der einzelnen Zellenfluren wechseln von kurzen breiten zu langen schmalen Äckern. Da bestimmte
Abb. 19. Ackerfluren bei der Siedlung Skarbaek Hede, A m t Älborg (Dänemark). 1 deutliche, 2 weniger deutliche Ackerwälle; 3 deutliche, 4 weniger deutliche Terrassenkanten; 5 Siedlungsstelle (nach G. H a t t 1949, Plan 1).
Formen aber immer wiederkehren, darf man Maßeinheiten für die Parzellierung vermuten. Der Maßstab mit Einkerbungen, gefunden bei Borremose (Nordjütland, Dänemark)9, belegt diese Annahme. Interessante Beobachtungen lassen auf Teilungen von ehemals größeren Parzellen in Form von Erbteilungen des Hofbesitzes schließen (G. Hatt 1955, S. 122). Das topographische Bild der Fluren bietet an sich keine Anhaltspunkte für ihre 9
Bei dem Eichenmeßstab von Borremose geht es um den ältesten Fund eines datierten Meßstabes (etwa 3-/2. Jh. v. u. Z.). E r hat eine Länge von 1,35 m und ist durch Einkerbungen in etwa 16,5 cm lange Abschnitte eingeteilt. D. Hannerberg 1955, S. 8, A b b . 1, deutet diese Abschnitte als Halbfüße. C. J. Becker bezweifelt, daß es sich um einen Meßstab handelt; vgl. J. Brandsted 1963, S. 391, Anm. zu S. 52 u. 54.
124
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
zeitliche Einordnung. In Jütland gelang es aber, an mehreren Fundplätzen die Gleichzeitigkeit der Fluren mit zugehörigen Siedlungen festzustellen. Als bekanntestes Beispiel gilt die Siedlung bei Nerre Fjand (Amt Ringk0bing, Dänemark). Unter einem Siedlungshorizont der jüngeren vorrömischen Eisenzeit kamen an mehreren Stellen Furchenspuren zum Vorschein, die von einem Hakenpflug herrühren.10 Vereinzelt fand man in den alten Lesesteinhaufen in der Nähe der Ackerfelder auch datierende Keramikreste, wie in Grantoft (Amt Ringkebing, Dänemark). Mit der Flur verbunden und direkt benachbart lagen hier zwei größere Siedlungen, die nach dem Ergebnis der planmäßigen Untersuchungen von der älteren bis zur jüngeren vorrömischen Eisenzeit bewohnt waren. 11 Auch die Häuser der erwähnten Siedlung von Sk0rbaek Hede traten am Rande des zugehörigen Ackersystems zutage. Die genannten Furchenspuren (Taf. 7b) sind indirekte Belege für Hakenpflüge (den sogenannten Ards oder Arder), die man seit der Bronzezeit im nördlichen Mitteleuropa benutzte. Furchenspuren und Arder lassen einige wesentliche Aussagen zur Arbeitsweise und Bewirtschaftung der eisenzeitlichen Äcker zu. Danach bildete der Haken nahezu das einzige Hauptgerät zur Bodenbearbeitung in den Jahrhunderten v. u. Z. Ergänzend mögen auch der Holzspaten 12 und der Furchenstock 13 in Benutzung gewesen sein. Im 1. Jh. v. u. Z. muß es dann zur Verwendung eines schollenwendenden Pfluggerätes gekommen sein. Dafür spricht eindeutig der Befund unter der ältesten Siedlungsschicht von Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde (Niedersachsen), (Taf. 7a); denn dort zeichneten sich 0,22 m breite Schollen ab, die von einem Pflug mit Wendevorrichtung bzw. Streichbrett stammen. 11 Der Befund von der Feddersen Wierde steht zunächst isoliert da, 15 denn der Hakenpflug dominierte auch in späterer Zeit beim Feldbau. Hakenpflüge sind auch wieder überwiegend aus Mooren Dänemarks bekannt. Ein Teil der Funde datiert aus dem hier behandelten Zeitabschnitt. 18 Da an diesen Ardern eine Wendevorrichtung fehlt, wurde der Acker überkreuz geritzt bzw. durchgewühlt, um den Boden gut zu lockern. Am einfachsten sind die Hakenpflüge des Walletyps 10
Die 1934—1940 ausgegrabene umfangreiche Siedlung von Narre F j a n d förderte etwa 60 Hausgrundrisse mit Wohnstallhäusern zutage. (G. H a t t 1957).
11
G. H a t t 1949, S. 84—88; C. J. Becker 1965, S. 209ff.; ders. 1968, S. 7 4 f f . ; ders. 1969, S. 235ff.; ders. 1971, S. 79ff.
12
In Rethwisch, Kr. Stormarn, fand man im Moor einen Holzspaten. Solche Spaten tauchen vereinzelt in der vorrömischen Eisenzeit auf, jedoch meist im Zusammenhang mit Torfstichen (vgl. H. Hingst 1964, S. 239t.).
13
Über den Furchenstockbau Vereinzelt
benutzte
man
als Vorstufe des Pflugbaus vgl. H. Kothe
Furchenstöcke
offenbar noch in dieser Zeit
1953, S. 28ff. (J.
Br0ndsted
^63). 14 15
W . Haarnagel 1961c, S. 45 und Taf. 17,2; vgl. auch ders. 1962, S. 152. Ein Wendeeffekt ließ sich auch schon durch Schräghalten des symmetrischen Hakenpfluges erzielen. Doch erscheinen die Schollen von der Feddersen Wierde hierfür zu breit.
16
P. V . Glob 1951. In neuerer Zeit wurden einige Haken durch C-14-Bestimmung datiert; dazu K . Laegdsmand 1968, S. 61 (Datierung: Mors 160 ± 100 v. u. Z.); G. Lerche 1968, S. 58ff. (Hendriksmose 350 ± 100 v. u. Z.). Fundlisten der Hakenpflüge auch bei M. Müller-Wille
1965,
S. 102 — 106.
Abgesehen
von
C-14-Datierungen,
wird
bei
einigen
Funden die Datierung in die vorrömische Eisenzeit durch unmittelbar danebenliegende Tongruben oder Opferstellen wahrscheinlich (vgl. M. Müller-Wille 1968/69, S. 36).
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
125
gebaut, da Pflugbaum, Sohle und Schar aus einem Stück Holz (langer Ast und Teil des Stammes) bestehen. Der Sterz ist in ein nach hinten überstehendes durchbohrtes Ende gesteckt (Abb. 20a). Neben diesen Ardern gab es einen mehrteiligen Haken vom Döstrup-Typ. Der Fund von Döstrup (Dänemark) gehört zu den bekanntesten Haken (Abb. 20 b), da er komplett erhalten ist. Hier steckt der Sterz in einem gekrümmten Pflugbaum und bildet zugleich mit zwei weiteren Scharteilen am unteren Ende den arbeitenden Teil des Pfluges (Vorschar und Hauptschar). Auch diese Pflüge bestehen aus Holz, wobei man Holzarten wie Eiche, Esche, Linde, Birke und Hasel bevorzugte. Eiserne Pflugscharen sind bisher nur aus dem germanisch-keltischen Grenzbereich bekannt geworden (H. Grünert 1968a, S. 47ff.). Sie fanden aber seit dem Beginn u. Z. mehr und mehr Anwendung.
A b b . 20. a Hakenpflug von Vebbestrup, A m t Älborg (Dänemark); ca. Mitte des 1. Jt. v. u. Z. (nach A . Steensberg 1945, Fig. 3). b Hakenpflug von D0strup, A m t Viborg (Dänemark); ca. Mitte des 1. Jt. v. u. Z. (nach P. V. Glob 1951, S. 36).
Die Hakenpflüge wurden wohl ausschließlich durch Rinder gezogen. Darüber geben spätbronzezeitliche Felsbilder und einige Jochfunde aus der vorrömischen Eisenzeit Auskunft, die die Jochanschirrung belegen. Das Joch von Lundgärdshede (Amt Viborg, Dänemark) ist z. B. durch C-14-Datierung in das Jahr 330 v. u. Z. zu setzen. Diesem Joch sind eisenzeitliche Funde aus den bekannten Siedlungen von Ezinge in (Niederlande) (Abb. 21), Finderup, Jordrup, Sevel und Dejbjerg (Dänemark) an die Seite stellen.17 Die Furchenspuren der Arder konnten an zahlreichen Fundplätzen gesichert werden, und zwar in oder über Kulturschichten, an der Basis von Grabhügeln oder innerhalb 17
G. Lerche 1968, S. 59; W . Jacobeit 1953, S. 97; ders. 1950, S. 171 — 174; A . E. van Giffen 1936, Beilage 5,2.
126
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
der beschriebenen Ackerfluren. Soweit genauere Beobachtungen vorliegen, hoben sie sich als 2—8 cm breite und 1—2 cm tiefe Rillen ab. In Pestrup, Kr. Oldenburg, erhielten sich Furchenspuren im Bereich eines Grabhügels in Abständen von 25 —30 cm. Der Komplex gehört nach Auffassung des Ausgräbers in das 5. Jh. v. u. Z. und wurde als rituelles Pflügen beim Totenkult gedeutet. Eine gleiche Vermutung besteht bei den Pflugspuren auf dem Kultplatz der älteren Jastorfzeit von Hohenaverbergen, Kr. Verden. 18 Umfangreiche Spuren fand man auch bei Spanjaardsberg (Niederlande) hier als mehrfach überwehte Furchenrillen einer vierschichtigen Siedlung. Siedlung und Äcker gehören in die ältere vorrömische Eisenzeit (P. J. Modderman 1960/61, S. 210). Ähnliche Beobachtungsergebnisse liegen vom nordwestdeutschen Gebiet für den Schlußabschnitt der Jastorfperiode aus Holßel, Midlum und Barward, Kr. Wesermünde, vor. 19
0
50
cm
Abb. 21. Joch aus Ezinge, Prov. Groningen (Niederlande); etwa 4. Jh. v. u. Z. (nach J. H. G. van der Poel 1960/61, Abb. 18 oben). Jochanschirrung (nach O.-F. Gandert 1966, A b b . 2).
Über Aussaat und Pflegearbeiten gibt es bisher keine sicheren Quellenbelege. Sie sind auch nur in bescheidenem Maße zu erwarten. Eggen z. B. aus so früher Zeit fehlen ebenso wie Hacken. Außerdem zeigen die botanischen Untersuchungsergebnisse, daß auf Pflege der Kulturen ohnehin nicht allzuviel Wert gelegt wurde. Die Felder müssen stark verunkrautet gewesen sein, weil die Getreidefunde immer von größeren Unkrautbeimengungen begleitet sind. Einige Forscher messen den Unkräutern sogar für die menschliche Ernährung eine gewisse Bedeutung zu.20 In einem Wohnstallhaus von 18
19
20
Zu Pestrup s. J. Pätzold i960, S. i8gff. Pätzolds Auffassung, die Pflugspuren stammten von einem Pflug mit Streichbrett, kann nicht zugestimmt werden. Mögliche Bestätigung für kultisches Pflügen auf dem Kultplatz der sogenannten Nienburger Gruppe bei Hohenaverbergen, Kr. Verden (D. Schünemann, H. Oldenburg 1968, S. 63 — 65, Taf. 4, A b b . 9-10). W. Haarnagel 1964a, S. 142; P. Schmid 1955, S. 125t.; W. D. Asmus 1942, S. 178; weitere Furchenspuren nennt M. Müller-Wille 1965, S. i34ff. und Karten A b b . 32 — 33. H. Helbaek 1951, S. ö s f f . ; Nachweis der Quecke in Zwenkau, K r . Leipzig (s. H. Grünert 1957, S. 115, Anm. 139), für die ältere Jastorfzeit.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
127
Gording Hede stand beispielsweise ein Gefäß, dessen verkohlter Pflanzenresteinhalt aus zwei Dritteln Gerste und einem Drittel Unkrautsamen bestand. Zu den Schutzmaßnahmen für bestellte Felder zählten Umzäunungen, die herumstreifendes Vieh fernhielten. Diesen Zweck sollte wahrscheinlich auch der palisadenartige Zaun von Grantoft erfüllen (C. J. Becker 1965, S. 212). Die Ernté beschränkte sich nicht allein auf die Ährenbergung; vielmehr läßt die zunehmende Stallhaltung auch die Bedeutung des Strohs erkennen. Aus einer zufälligen Anmerkung Pythias von Massilia vom Ende des 4. Jh. v. u. Z. entnehmen wir, daß das ungedroschene Getreide mindestens teilweise bevorratet und erst bei Bedarf im Winter in den Häusern gedroschen wurde (J. Brandsted 1963, S. 106). Erntegeräte tauchten nur in geringer Zahl auf. Während Sicheln und Sensen bei den Kelten allgemein in Benutzung waren, bevorzugten die Germanen wahrscheinlich die Sichel. Eiserne Sicheln stammen aus einem kleinen Wohngebäudekomplex von Plänitz, Kr. Kyritz, (1. Jh. v. u. Z.) und aus einem nicht ganz gesicherten Fund von Calbe, Kr. Schönebeck, aus älterer Zeit. Die wenigen gefundenen eisernen Sicheln ließen vermuten, daß die j ungsteinzeitlichen Feuersteinsicheln noch bis in die Eisenzeit hinein Verwendung fanden (H. Jankuhn 1969, S. 75). Tatsächlich gibt es den Nachweis einer solchen Flintsichel für den Beginn der Eisenzeit aus der Emssiedlung bei Jemgum, Kr. Leer, (W. Haarnagel 1957, S. 36). In den Jahrhunderten v. u. Z. war die Sichel das Haupterntegerät. In der kurzschäftigen Sense von Uggerby (Nordjütland, Dänemark) darf man ganz sicher eine Ausnahmeerscheinung sehen. Die Datierung in die vorrömische Eisenzeit dürfte jedoch kaum anzuzweifeln sein, da die Sense als Beigabe in einem Brandschüttungsgrab lag (A. Steensberg 1939, S. 281; J. Brandsted 1963, S. 106). Die Bevorratung, besonders von Getreide, spielte eine große Rolle. Getreide lagerte man zu einem großen Teil in Körnerform, wobei man durch Anrösten, wie z. B. in einem der Öfen von Falkensee, Kr. Nauen, in dem Getreidekörner lagen, Fäulnis und Schimmel vorbeugte. Einfache Erdgruben, Vorratsgefäße, aber auch aufwendigere, mit Holz und Lehmüberbau versehene Vorratsspeicher dienten zur Aufbewahrung. Für ähnliche Anlagen mag hier der Grubenspeicher von Hetzdorf, Kr. Strasburg, stehen, der etwa 2 x 2 m maß und 120 kg Getreide barg. Ebenerdige Speicherbauten mit Pfosten zählten schon seit der älteren vorrömischen Eisenzeit außer den Wohnstallhäusern zum Charakteristikum der Wirtschaftsbetriebe. 21 Vielfach lassen sich die mit 4, 6 oder auch 12 Pfosten errichteten Speicher den Wohnstallhäusern zuordnen. Die sehr mühevolle Zubereitung der pflanzlichen Nahrung, insbesondere der Getreideprodukte, lag sicherlich in den Händen der Frauen. Zum Zerkleinern der Körner diente die seit den frühesten Zeiten des Pflanzenbaues benutzte Reibemühle, die aus einem sattelförmigen Mahltrog und einem beweglichen Läuferstein bestand (Abb. 22). Das grobe Mahlprodukt wurde zu Brei oder Fladen verarbeitet und warm oder kalt genossen. Als Backteller für Fladen hat man vermutlich flache Tonscheiben mit erhabenen Rändern verwendet.22 Auf den in relativ großer Zahl bei Grabungen entdeckten offenen Herdstellen, die überwiegend im Wohnteil der Häuser, aber auch außerhalb lagen, standen die Kochgefäße. Die Palette der zur Zubereitung der Nahrung benutzten Arbeits21 22
So die Siedlung von Boomborg-Hatzum, Kr. Leer (W. Haarnagel 1969, S. 58ff.). Für die Jastorfkultur belegt z. B. in der Siedlung von Berlin-Wittenau (F. Dehmlow 1970, S. 102f. und Taf. 5,8 und 14); zur Funktion H. Behrens 1963, S. \z7ii.
128
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
geräte läßt sich nur erahnen, wenn man sich der Holzgeräte aus dem Moorfund von Hj ortspring (Südostjütland, Dänemark) erinnert. Lediglich Löffel sind auch aus Ton hergestellt worden, vereinzelt gehören sie zu den Grabbeigaben Verstorbener. ViehWirtschaft: „Auf Ackerbau legen die Germanen keinen Wert, ihre Nahrung besteht zum großen Teil aus Milch, Käse und Fleisch" (Bell. Gall. 6, 22) oder „Getreide macht nur einen kleinen Teil ihrer Nahrung aus, zumeist leben sie von Milch und vom Fleisch ihrer Herden" (ebenda 6,1); so schilderte G. J. Cäsar die Bedeutung der einzelnen Nahrungszweige bei den germanischen Stämmen im 1. Jh. v. u. Z. Bisher sind die archäologischen Quellen zur Viehhaltung und Viehzucht nicht umfangreich, vor allem nicht für das innergermanische Gebiet. Aber schon aus den vorhandenen Unterlagen geht die große Bedeutung der Viehhaltung hervor.
Abb. 22. Reibemühle zum Zerkleinern des Getreides von Sk0rbaek Hede, A m t Alborg (Dänemark). E t w a 1 : 5 (nach J. Brendsted 1963, S. 106).
Die germanischen Bauern hielten Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Hunde, vereinzelt Geflügel sowie das Pferd. Das wichtigste Haustier war das Rind. Das belegen die Tierreste der teiluntersuchten Siedlung von Tangermünde (H. Teichert 1970, S. 499ff.), bei denen die Rinderknochen überwogen. Man schlachtete Rinder unterschiedlichen Alters und hat vermutlich die über vier Jahre alten Tiere als Milchvieh und Zugtiere genutzt. Zum Schlachtvieh zählten aber auch Schweine, Schafe und Ziegen. Daß Hund und Pferd ebenfalls den Fleischbedarf mit gedeckt haben, zeigen zerschlagene Knochen dieser Tiere, die man in Siedlungen fand. Möglicherweise aß man auch Pferdefleisch. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung scheint die Schaf- und Ziegenhaltung erst in einigem Abstand von der Rinder- und Schweinehaltung zu folgen. Die Schafe glichen nach ihrer Größe der kleinsten deutschen Landschafrasse, den Heidschnucken. Dagegen lassen sich nach osteometrischer Beurteilung die Schweine mit heutigen Rassen kaum vergleichen, was in der unzureichenden Ernährung seinen Grund findet. Die Schweine, schmal und hochbeinig, ähnelten im Phänotyp dem europäischen Wildschwein, waren aber bedeutend kleiner. Die Rinderhaltung stand sicher schon zur vorrömischen Eisenzeit im Vordergrund der Viehwirtschaft, da in den Siedlungen die Rinderknochen nach den statistischen Werten immer an der Spitze stehen. Bemerkenswerterweise waren die Rinder aus dieser
Tafel 1. Wendelringe, wie dieser aus dem Hortfund von Zootzen, K r . Nauen, stammende, sind seit der späten Bronzezeit bekannt. Sie gehören zu den schönsten Bronzegegenständen ihrer Zeit und spiegeln das hohe technische Können der Hersteller wider. 2 13. Mus. f. Ur- u. Frühgeschichte Berlin. (Zu K a p . IV.)
Tafel 2. Bronzegefäß aus dem sog. Königsgrab von Seddin, Kr. Perleberg. E s diente als Urne einer ehemals sozial hochstehenden Persönlichkeit, deren Grabkammer unter einem Hügel von 90 m Durchmesser und u m Höhe lag. 1 : 3 . Mark. Mus. Berlin, z. Z. Mus. f. Vor- und Frühgeschichte (West-)Berlin. (Zu Kap. IV.)
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Tafel 3. In unmittelbarer Nähe der jungbronzezeitlichen Siedlung Zedau, Ot. v. Osterburg, wurden Hinweise auf einen gleichzeitigen Opferplatz entdeckt. E s handelt sich um Feuerstellen, die in einer leicht gebogenen Reihe von etwa 340 m Länge dem Verlauf einer Talsandinsel folgen. Die außerhalb der Schnittflächen liegenden Feuerstellen wurden im Ergebnis von Oberflächensondagen eingetragen. (Zu K a p . IV.)
Tafel 4. Charakteristische Metallgegenstände aus Bestattungen der späten Bronze- und älteren vorrömischen Eisenzeit. Bronzener Doppelspiralschmuck (a) von Schwissel, Kr. Segeberg ( B R D ) ; große Schmucknadel mit verziertem Hohlkopf aus Bronze (b; „ B o m benkopfnadel") von Schrum, Kr. Süderdithmarschen ( B R D ) ; Schwanenhalsnadel (c) aus der späten Bronzezeit von Kreien, K r . L ü b z ; eiserne Kropfnadel (d) von Ludwigslust; bronzener Hohlwulst-Armring (e) von Schwissel, K r . Segeberg (BRD), a, b, e 2 : 3 ; c, d 1 : 1 . Mus. Schleswig (a, e), Schwerin (c, d) und nach H. Hingst 1964, Abb. 3 d (b). (Zu K a p . V.)
Tafel 5. Bemalte Gefäße wie die beiden von Jevenstedt, K r . Rendsburg (BRD), sind Fremdformen im Keramikbestand der Jastorfkultur. E s lassen sich Beziehungen zur Tonware der ausgehenden Hallstattzeit Südwestdeutschlands und Böhmens feststellen. Diese Keramik könnte von eingewanderten Eisenwerkern in Schleswig-Holstein hergestellt worden sein. 1 : 3 . Mus. Schleswig. (Zu K a p . V.)
Tafel 6. Gerstenährenabdruck (a) auf einem Gefäßrest von Meseberg, K r . Osterburg. E i n größerer Getreidefund der Jastorfkultur liegt aus Hetzdorf, Ot. v. Lemmersdorf, K r . Strasburg, vor: E m m e r (b), Gerste (c), H a f e r (d). a 1 : 1 ; b — d 4 : 1 , Mus. Osterburg (a), Waren/Müritz ( b - d ) . (Zu K a p . V I . )
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d
Tafel 7- a) Feddersen Wierde, K r . Wesermünde ( B R D ) . Spuren eines schollenwendenden Pfluges unter der ältesten Siedlungsschicht des 1. J h . v. u. Z. Ihre Breite betrug 0,22 m. Ansicht im Profil, b) Grontoft, Amt Ringkobing (Dänemark). Hakenpflugspuren vom Kreuzpflügen aus dem Bereich des Hauses E 10. Landesinstitut Wilhelmshaven (a), C. J . Becker, Kopenhagen (b). (Zu K a p . VI.)
Tafel 8. Halber Doppelspitzbarren aus dem 7-/6. Jh. v.u.Z. von Leipzig-Wahren. Doppelpyramidenfömige Eisenbarren kamen gelegentlich als Importgegenstände aus keltischen Gebieten zu den germanischen Stämmen. Das Eisen des Fundes, zu dem auch Ringe gehörten, hatte ein Gesamtgewicht von etwa 3,5 kg. 2:3. Mus. Leipzig. (Zu Kap. VI.)
Tafel ga. Im Verlauf der vorrömischen Eisenzeit führte die erweiterte Eisenproduktion auch zur Herstellung materialaufwendigerer Schmuckstücke wie des Kettenplattengehänges von Bülstringen, K r . Haldensleben. 1 : 2 . Mus. Haldensleben. (Zu K a p . VI.) T a f e l g b und Tafel 10. Die besondere gesellschaftliche Stellung des Schmiedes kommt durch die Beigabe von entsprechenden Produktionsinstrumenten auch in einem Grabe aus Dessau zum Ausdruck. T a f . g b 1 : 3 ; Taf. 1 0 2 : 3 . Mus. Dessau. (Zu K a p . VI.)
Tafel 10
T a f e l 11. Teile eines G ü r t e l s aus dem 1. J h . v . u. Z. v o n T h o r s t o r f , Ot. v . B ö s s o w , K r . G r e v e s m ü h l e n . D e r a r t i g e G ü r t e l bestehen aus H a k e n , großer breiter E n d p l a t t e , zahlreichen kleineren B l e c h p l a t t e n und V e r b i n d u n g s r i n g e n . Sie gehören zu den besten E r z e u g n i s s e n der S c h m i e d e v o r B e g i n n u. Z. Die P l a t t e n bestehen aus E i s e n und sind mit verzierten B r o n z e b l e c h e n belegt. 1 : 2 . Mus. Schwerin. (Zu K a p . V I . )
Tafel 12. Handgearbeitetes Gefäß (a) aus der Lutherstadt Wittenberg; es werden Bemühungen des Töpfers um Nachahmung keltischer Drehscheibengefäße deutlich (Wülste, konzentrische Bodenrillen); l . J h . v. u. Z. Rekonstruktion des Töpferofens (b) von ErmlitzOberthau, K r . Merseburg, dessen Feuerraum und Brennkammer mittels einer durchlochten Platte voneinander getrennt sind, a 1 : 4 ; b etwa 1 : 1 0 . Mus. Halle. (Zu K a p . VI.)
Tafel 13. Seit dem 4-/3- J h . v. u. Z. kam durch Produktenaustausch keltisches Kulturgut in die germanischen Stammesgebiete. Drehscheibenkeramik, die bis in den Mittelelb- H a v e l - R a u m hinein nachgewiesen werden kann, w a r besonders begehrt. Flasche (a) und Schale (b) aus Friedersdorf, Terrine (c) aus Wolfen, sämtlich K r . Bitterfeld. 1 : 3 . Mus. Zörbig. (Zu K a p . VI.)
Tafel 14. Webebrettchen wie jenes von Dejbjerg (a), A m t Ringkobing (Dänemark), sind wahrscheinlich eine Erfindung der vorrömischen Eisenzeit, da ältere Funde bisher unbekannt blieben. Sie dienten vor allem zum Weben von Bändern und K a n t e n (s. Webversuch an rekonstruiertem Gerät im Mus. Brandenburg; b). a 1 : 1 ; nach W. L a B a u m e 1955, Abb. 1 1 2 u. S. 140. (Zu K a p . VI.)
Tafel 15. Gewebeabdruck (a) auf einem Gefäß von Heidenau, K r . Pirna. Der Abdruck weist auf ein lockeres Gewebe in der häufigen Leinenbindung hin. Ausschnitt von einem Kleidungsstück (b), das in Huldremose, A m t Randers (Dänemark), gefunden wurde. Deutlich ist die Drehung des Wollfadens zu erkennen, der auf dem senkrechten Gewichts Webstuhl verarbeitet worden ist. a 1 : 2 , b 1 : 1 . Mus. Dresden (a) und nach M. Haid 1950, Fig. 3 3 b (b). (Zu K a p . VI.)
a
Tafel. 16. Frauengewänder von Huldremose, Amt Randers (Dänemark). Sie vermitteln einen guten Eindruck von der Bekleidung germanischer Frauen der vorrömischen Eisenzeit und spiegeln den bereits hohen Stand ihrer Herstellung wider, wozu Rundweben, Färbung, Streifen- und Kantendrell gehörten. Die Frauen trugen, wie die Funde von Huldremose zeigen, lange Kleider, lange Röcke und Tücher, aber auch Fellumhänge. Mus. Kopenhagen. (Zu .Kap. VI.)
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
129
Zeit beträchtlich kleiner als z. B. die Tiere der jüngeren Steinzeit. Die Bedeutung des Rindes bei den Germanen u. Z. drückte sich auch in seiner kultischen Verehrung aus. In spätlatenezeitlichen Siedlungsablagerungen von Kablow, Kr. Königs Wusterhausen (O.-F. Gandert 1939, S. 32) und Berlin-Zehlendorf lagen Rinderknochen auf der Herdstelle als Opfer und belegen damit Beziehungen zum Nerthuskult (s. S. 158 f.),der wiederum mit dem Fruchtbarkeitsritus zusammenhing (O.-F. Gandert 1958, S. 145). In den kultischen Bereich wurde schon zur Jastorfzeit sehr wahrscheinlich auch der Hund mit einbezogen, was aus einer Hundebestattung in einer Siedlungsgrube von Osternienburg, Kr. Kothen, hervorzugehen scheint. 23 Durch die Funde bei Tangermünde ließ sich erstmalig mit Sicherheit für das germanische Gebiet die Haltung der Hausgans nachweisen (M. Teichert 1970, S. 503). Jedoch blieb die Geflügelhaltung in dieser Zeit noch unbedeutend. Reichen Aufschluß über die Viehwirtschaft gibt das Studium der freigelegten Hausgrundrisse im Nordseeküstengebiet. Hier hatte sich in frühgermanischer Zeit das dreischiffige Wohnstallhaus voll durchgesetzt, was einen erheblichen Aufschwung in der Viehhaltung mit sich brachte. Im Binnenland entwickelte sich dieser Haustyp anscheinend erst später. 24 Doch auch hier zeigt die auffällige Konzentration der Siedlungen im Bereich der Flußniederungen mit ihren guten Weiden, daß die Viehhaltung ein wichtiger ökonomischer Faktor im Leben der Siedler war. 25 Das Wohnstallhaus, dessen Anfänge bis in die späte Bronzezeit zurückreichen, ermöglichte eine ständige Aufstallung des Viehs. Vielfach sieht man die Gründe für die Unterbringung des Viehs in Ställen in dem Klimawechsel am Übergang von der Bronzezur Eisenzeit, was zu längeren Wintern und kühlen, feuchten Sommern führte (J. Brandsted 1963, S. 105). Die Wohnstallhäuser erreichten Längen bis mehr als 20 m. Blieb der Wohnteil im großen und ganzen gleich groß, so richtete sich der Stallteil nach der Zahl der Boxen für das Großvieh. Danach hatten die aus der Anordnung der Hausgrundrisse erschließbaren Höfe (s. S. 310ff.) ganz unterschiedliche Viehbestände. In Ezinge (Westfriesland) z. B. standen neben einem Wohnstallhaus aus dem 4-/3. J h . v. u. Z. mit mindestens 14 Viehboxen kleinere Bauten mit nur 4—8 Boxen. In einer jüngeren Phase der Siedlung besaß ein Hof 26 Großvieheinheiten, was in dieser Größe bisher für die damalige Zeit einmalig ist. Bei anderen, kleineren Wohnhäusern fehlten dagegen Viehställe überhaupt (A. E. v. Giffen 1936, Beil. 1 u. 6). Im ursächlichen Zusammenhang mit der Stallhaltung des Viehs stehen Speicher mit 4, 6 oder sogar 12 Pfosten. Besonders deutlich zeigten sich diese Beziehungen bei der Ausgrabung der Siedlung von Boomborg-Hatzum, Kr. Leer, die auf das 5-/4- J h . v. u. Z. zurückgeht (s. Anm. 2 u. 21). Hier verfügten einige Höfe auch in der älteren vorrömischen Eisenzeit schon über 10 Stück Großvieh. Doch konnte ein Viehbestand in der Größenordnung des bei Ezinge festgestellten aus dem 2. J h . v. u. Z. weder hier noch 23
24
25
Der Fund ist noch unveröffentlicht. Kurze Erwähnung der Hundebestattung durch H. Behrens 1955, S. 207. Die Wohnstallhäuser von Kablow, Kr. Königs Wusterhausen, belegen den T y p erst für das 2. u. 3. Jh. u. Z. (vgl. G. Behm-Blancke 1956, S. 166). Möglicherweise liegt hier eine Forschungslücke vor. Das Haus von Gaunitz, Kr. Oschatz, zeigt das zweischiffige Langhaus im Binnenland (G. Neumann 1954, Abb. 20b nach S. 192); das Haus von Vehlow, Kr. Kyritz, ließe sich auch zu einem Langhaus ergänzen. Vgl. die Ausführungen hierzu bei H.-J. Gomolka 1970, S. 492.
9 Germanen - Bd. 1
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
woanders nachgewiesen werden. Eine entsprechende Analyse der Siedlungen Jütlands bestätigt allerdings die in Ezinge beobachtete Tendenz. Ein Vergleich der Grundrißpläne der beiden Siedlungen von Grantoft (Abb. 23) zeigt auch hier eine Vergrößerung der Stallteile im jüngeren Teil. Während im älteren Siedlungsbereich aus dem 5./4.JI1. v. u. Z. die Zahl des Großviehs pro Gehöft im Höchstfalle auf 8—10 Stück angewachsen war, standen in den fünf großen Wohnstallhäusern der jüngeren Siedlung aus dem 3-/2. Jh. v. u. Z. etwa doppelt soviel Tiere in den jeweiligen Häusern (Haus 6 mit 20 Boxen). In der älteren Ansiedlung lagen die Viehstände z. B. nur an einer Seite des Hauses, später stand das Vieh in zwei Reihen.26 Danach dürften zumindest in den nördlichen Gebieten die Produktionskollektive ihre Wirtschaftsstärke im Laufe der vorrömischen Eisenzeit erheblich gesteigert haben. Jagd und Fischfang: Neben Ackerbau und Viehhaltung dienten Jagd und Fischfang ebenfalls dem Nahrungserwerb. Die Menge an geborgenen Wildtierknochen blieb in der Regel aber gering gegenüber der weitaus größeren Anzahl Knochenreste von Haustieren. In der Siedlung von Tangermünde, Kr. Stendal, stieß man auf die Reste von Rothirsch, Ur, Wildschwein und Biber (M. Teichert 1970, S. 499). Geweihe vom Hirsch wurden als Abwurfstangen eingesammelt, weil man sie als Rohstoff zur Geräteherstellung benötigte. Andere Siedlungsstellen lieferten zu wenig Knochenmaterial, um statistische Auswertungen zuzulassen. Sie scheinen aber das Bild, wie es sich anhand des Materials von Tangermünde ergibt, zu bestätigen. In einer anderen Siedlung fand man ein Rehgeweih. Eine Bärenkralle, die als Anhänger gefaßt war, herrührend aus einem Gräberfeld von Börnicke, Kr. Nauen,27 zeigt, daß auch der Bär gejagt wurde. Das Wildbret mag zur Erweiterung des Speisezettels beigetragen haben; es nahm aber im Rahmen der Nahrungsbeschaffung keinen entscheidenden Platz ein. Jagd- und Fischfanggeräte und die daraus abzuleitenden Jagd- und Fangmethoden entzogen sich bisher weitgehend der Erforschung. Die feinen Fischreste haben sich nicht so gut erhalten wie die Knochen der großen Haustiere. Daher läßt sich der Anteil des Fischfangs an der Nahrungsmittelproduktion nicht real einschätzen. Er lag aber generell hinter der Bedeutung des Pflanzenanbaus und der Viehhaltung. In Westjütland am Nissum-Fjord (Dänemark) erbrachten die Ausgrabungen der Siedlung Nerre Fjand durch zahlreiche kleine Wohnbauten, in denen Beschwerer von Fischnetzen lagen, glaubwürdige Belege für eine Fischersiedlung (G. Hatt 1957). Daneben gab es hier aber auch Wohnstallhäuser. Für das Ostseeküstengebiet (Eckernförder Bucht) ist eine Gruppe von Fundplätzen bekannt, die auf die Sammeltätigkeit von Muscheln hinweisen. Hier traten teilweise ausgedehnte Muschelhaufen, durchsetzt mit zahlreichen Siedlungsschichten, zutage. Herdstellen, Hinweise auf hausartige Anlagen und auch Eisenschlacken lassen insgesamt erkennen, daß hier einstmals Dauersiedlungen bestanden, deren Bewohner speziell das Einsammeln von Muscheln betrieben (O. Harck 1973, S. 40ff.; H. Hingst 1964, S. 220L). 26 27
C. J. Becker 1965, S. 209ff.; ders. 1968, S. 74ff. Bei der Bärenkralle handelt es sich um die vierte Phalanx vom Vorderfuß; vgl. E. Reinbacher 1963, S. 44, Grab 264.
Abb. 23. Siedlungsgrundrisse von Grantoft, A m t Ringkobing (Dänemark), a Phase 1, 574. Jh. v. u. Z.; b Phase 2, 3./2. Jh. v. u. Z. (nach C. J. Becker 1966, S. 211).
W I R T S C H A F T L I C H E GRUNDLAGEN
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
c) Erzeugung der Gebrauchsgüter (Eisengewinnung und -Verarbeitung, Bronzeverarbeitung, Töpferei, und Weben)
Spinnen
Eisengewinnung und -Verarbeitung: Die vollentwickelte Eisenzeit begann im Norden etwa um 500 v. u. Z., ohne die Bronze völlig zu verdrängen. Der Mangel an Bronze war aber deutlich spürbar. Über längere Zeit versah man die Eisengegenstände nur noch mit Bronzeblechauflagen (vor allem bei Nadelköpfen). Die Eisen Verarbeitung wuchs im Verlauf der vorrömischen Eisenzeit ständig an und erreichte in den letzten beiden Jahrhunderten v. u. Z. einen ersten Höhepunkt. Bei der Aneignung der Eisenbearbeitungstechnik spielte die Nachbarschaft der sozialökonomisch fortgeschritteneren Kelten eine wesentliche Rolle. Die von ihnen ausgehenden Anregungen und Einwirkungen auf Technologie und Formgestaltung wirkten sich in der materiellen Kultur ständig aus. Die Spuren der örtlichen Eisenverhüttung erkennt man im Gelände meist in der dichten Streuung von zerflossenen und traubenförmigen Eisenschlacken. Wo man auf die Rohstofflager traf, bildeten sich naturgemäß zeitweise sogar Zentren der Eisenverhüttung. Die Gewinnung des Eisens erfolgte ausschließlich im Rennverfahren. Aus dem Eisenerz wurde durch Reduktion mittels Holzkohle direkt schmiedbares Eisen in zähflüssigem Zustand gewonnen. Die für die Reduktion erforderliche Holzkohle stellte man in eingetieften Gruben (Krampnitz, Kr. Potsdam; R. Hoffmann 1941, S. 572) her. Ausgrabungen zur Erforschung des Verhüttungsprozesses lieferten den Nachweis, daß reduziertes Eisen in Rennfeueröfen verschiedener Bauart gewonnen worden ist.28 Bei den freistehenden Rennfeueröfen mit natürlichem Zug handelt es sich um nichteingetiefte Öfen, die häufig von hufeisenförmigen Schlackenhügeln umgeben waren. Diese Rennfeueröfen mit einer Höhe von ca. 1 m und einem Durchmesser von 2 m verjüngten sich nach oben zur Gicht und endeten schornsteinartig im Gichtmund. Die Schlacke mußte unten regelmäßig durch einen Kanal abgestochen werden. Für die Frischluftzufuhr sorgten Blasebälge (Abb. 24 a). Der eingebaute und eingetiefte Rennfeuerofen wurde entweder in einen Hang mit günstiger Windlage eingebaut oder in eine ausgeschachtete Grube eingelassen. Während im ersteren Fall die Hanglage die Windzufuhr in die Kuppel bewirkte, benötigte man beim Grubenofen einen davorliegenden etwas tieferen Grubenabschnitt, der die Windzufuhr und auch den Schlackenabfluß gewährleistete (Abb. 24 b). Bei der Ofengrube handelt es sich um eine einfache, meist beuteiförmige Schmelzgrube von ca. 1 m Durchmesser. Diese einfache in die Erde eingetiefte Ofengrabe kommt neben den Kuppelöfen vor. Bevor man die Öfen beschickte, mußte das Raseneisenerz zerkleinert und möglicherweise von Mineralverunreinigungen und organischen Bestandteilen befreit werden. Die Öfen wurden zunächst mit Holzkohle vorgeheizt, danach lageweise Erz und Holzkohle aufgegeben. Bei Temperaturen zwischen 1050 °C und 1150 °C entstand nach mehreren Stunden ein zähflüssiger Schlackenbrei. In den oberen Zonen des Breies sammelten sich reduzierte Eisenteile; sie bildeten einen Schlackenkuchen, die Luppe. Im unteren Teil 28
Zum folgenden zusammenfassend H. Hingst 1953, S. 28ff.; ders. 1958, S. 258ff.; F.-J. Ernst 1966.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
133 A b b . 24. a Freistehender Rennfeuerofen v o n Stits, Gemeinde Stafstedt, Kr. Rendsburg (BRD). Rekonstruktion und Schema der Ofenfüllung. 1 Ofenmantel, 2 — 3 Schichten von Holzkohle und Erz, 4 Schlackenbrei mit Eisenstückchen, 5 kohliger Sand, 6 Mantelschlacke, 7 Laufschlacke, 8 Bleichsand, 9 anstehender Sand (nach H. Hingst 1964, Abb. 48). b eingetiefter Rennfeuerofen von Stenderup, Kr. Flensburg (BRD). 1 rotgebrannter Lehm, 2 Feldsteinpackung, 3 kohliger Sand, 4 anstehender Kies (nach H. Hingst 1964, Abb. 46).
A b b . 25. a Bombennadel mit Eisenschaft und Bronzekopf aus Mankmoos, Kr. Sternberg; 5. Jh. v. u . Z . 1:2. Mus. Schwerin. b — e eiserne Nähnadel (b), Zungengürtelhaken (c), bronzene Segelohrringe (d, e) und Spinnwirtel (f) aus einem Urnengrab von Plötzin, Kr. Potsdam; etwa 5. Jh. v. u. Z. 1:2. Mus. Potsdam.
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
des Ofens wurde die zähflüssige Schlacke entfernt, oder sie sammelte sich in einer Grube. Nach Beendigung des Schmelzvorganges mußte man den Ofenmantel öffnen, um die Luppenstücke herauszuschlagen. Die Schlackenbeimengungen ließen sich mechanisch beim mehrmaligen Wiedererhitzen entfernen. Das Ausheizen der Luppen konnte in eigens dafür gebauten Ausheizherden geschehen. Als Unterlage zum Herausschlagen der Schlackenteile dienten Steinambosse, die neben den ausgegrabenen Hüttenanlagen ebenfalls zutage traten. Die übrigbleibenden Schmiedeeisenstücke wurden zu größeren Eisenbarren geformt. Diese Barren kommen in Form von Schwertrohklingen (Eisenach, Wartburg) oder Spitzbarren vor (Leipzig-Wahren. — Taf. 8). Der Umfang der eigenständigen Erzverhüttung im nördlichen Mitteleuropa läßt sich nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht eindeutig festlegen. Von den in SchleswigHolstein entdeckten Verhüttungsanlagen und Schlackenfundplätzen gehören 20—25% der vorrömischen Eisenzeit an, davon wiederum fällt der überwiegende Teil in die jüngere vorrömische Eisenzeit. Die in dieser Zeit gestiegene einheimische Eisenverhüttung spiegelt sich auch in der stark angewachsenen Mitgabe von eisernen Schmucksachen in den Gräbern wider. Aber bereits im älteren Abschnitt der vorrömischen Eisenzeit waren die Germanen zur selbständigen Verhüttung der lokalen Eisenerze übergegangen. So entfallen in Schleswig-Holstein rund 7 — 8 % auf den älteren Abschnitt. Als Beweise für die Eisenverhüttung in der älteren Jastorfkultur können auch die gut-
Abb. 26. Reich ausgestattetes Urnengrab von Stendell, Kr. Angermünde. Urne mit Deckschale (a);
Abb. 26. mit Ohrring (b), Nadeln (c), Bronzehalsring (d), Doppelpaukenfibeln (e —g), Bommelkette (h—k) und Gürtel (m —p); etwa 4. J h . v . u . Z. a 1 : 4 ; b —p 1 : 2 . Mus. Schwedt.
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
datierten Gräber der älteren vorrömischen Eisenzeit gelten. Gelegentlich kommt es vor, daß Urnen mit Schlackenbrocken umsetzt sind. In den zugehörigen Siedlungen waren demnach Eisenschmelzen in Betrieb. In Lanz, Kr. Ludwigslust (H. Keiling 1962, S. 162), stand die Urne 66 in einer Packung aus Steinen und Eisenschlackenstücken. Das Grab gehört in den ältesten Abschnitt der Jastorfkultur (6. Jh. v. u. Z.).
Abb. 27. Eiserner Plattengürtelhaken aus Wotenitz, Kr. Grevesmühlen. 1:4. Mus. Schwerin.
Die meist kleinen Eisengegenstände der älteren Jastorfzeit stellen überwiegend Schmuck- und Trachtbestandteile dar. Zungengürtelhaken (Abb. 25 c) waren anfangs nur wenige Zentimeter lang; drahtförmige Nadeln erforderten ebenfalls nur wenig Rohstoff. Reicher ausgestattete Grabfunde, wie z. B. von Stendell, Kr. Angermünde (Abb. 26), oder aufwendigere Schmuckstücke, wie Keltenplattenschmuck (Taf. 9 a), kommen nur relativ selten vor. Erst seit der jüngeren vorrömischen Eisenzeit erreichten die Tracht- und Schmuckbestandteile größere Ausmaße (Abb. 27), wie z. B. die Band-
Abb. 28. Brustschmuck des 4-/3. Jh. v. u. Z. aus dreiköpfigen Eisennadeln — Nadelköpfe mit Bronzebelag — und Bronzegehängen (Rekonstruktion). 1:3.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
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gürtelhaken von mehr als 30 cm Länge29 oder die großen dreiköpfigen Schildnadeln (Abb. 28), die auf eine Mehrproduktion von Eisen hindeuten. Die gestärkte ökonomische Basis machte nunmehr die Mitgabe auch dieser Gegenstände in die Gräber möglich. Erhebliche Materialmengen stecken insbesondere in Gräbern mit eisernen Waffen (Abb. 29, 30). Auf den Wert jedes einzelnen Stückes deuten andererseits zahlreich vorgenommene Reparaturen hin (Abb. 31). Auch mehrfach nachgewiesene Grabberaubungen beweisen, wie hoch man den Wert des Eisens schätzte (H. Keiling 1962, S. 31). Der komplizierte Verhüttungsprozeß setzte hohes Wissen und große Arbeitserfahrung voraus. Die Rennfeueranlagen dürften also von Spezialisten betrieben worden sein. Wenn diese Eisenwerker auch gewiß nicht ganzjährig ihrer Arbeit nachgingen, so dürften sich doch saisonmäßig immer wieder dieselben Personen mit der Eisengewinnung befaßt haben. Ungeklärt ist, ob die Hüttenspezialisten gleichzeitig auch als Schmiede fungierten. Vermutlich war dies der Fall. Das Vorkommen von Eisenschlacken und Verhüttungsspuren auf vielen Siedlungsplätzen deutet darauf hin, daß die meisten Siedlungsgemeinschaften den Bedarf an Eisen selbst deckten. Die Arbeitsergebnisse der Schmiedetätigkeit in der vorrömischen Eisenzeit sind uns aus zahlreichen Grabinventaren erhellten. Schmiedewerkzeuge fanden sich dagegen nur selten in Gräbern. Die ältesten Schmiedewerkzeuge stammen aus dem Ende der vorrömischen Eisenzeit. Die in den Endabschnitt der vorrömischen Eisenzeit fallenden Gräber von Leipzig-Thekla (R. Moschkau 1962, S. 83ff.) und Dessau (Th. Voigt 1940, S. 86, Taf. VIII, 1—5) bezeugen die Verwendung von Feile, Hammer, Zange und Schere (Abb. 32a—b u. Taf. gbu. 10). Diese Geräte stimmen formenmäßig mit keltischem Schmiedewerkzeug weitgehend überein. Kürzlich barg man in Boddin, Kr. Hagenow, (Abb. 32c) in einem Grab einen Amboß aus Eisen (H. Keiling 1972, S. 176ff.). Bereits in den Jahrhunderten v. u. Z. gehörten zur notwendigen Grundausstattung des Schmiedes Hammer, Feile, Zange, Punzen, Amboß und Durchschlageisen. Der Stand der Schmiedetechnik läßt sich an den erzeugten Produkten ablesen. Vielfach ist aber schwer zu entscheiden, ob die betreffenden Gegenstände aus heimischen Werkstätten stammen oder Importe sind. Wahrscheinlich wurden sehr häufig auftretende Gegenstände, wie Gürtelhaken, Nadeln oder Fibeln (Abb. 33), von den einheimischen Produzenten hergestellt, wohingegen Waffen anscheinend häufiger aus dem keltischen Gebiet eingeführt wurden. Sicher darf man als einheimische Produkte die in großer Variation in der Jastorfkultur vorkommenden Kropfnadeln ansehen, da die Kelten solche Formen nicht kannten. Die den keltischen Typ nachahmenden Gegenstände dürften am ehesten unter solchen Dingen zu suchen sein, die von den Vorbildern in irgendeinem Detail abweichen oder insgesamt gröber gearbeitet sind (Abb. 34). Im allgemeinen begegnet eine Unterscheidung zwischen Importfunden und nachgeahmten einheimischen Erzeugnissen aber großen Schwierigkeiten. Schweißen, Nieten, Treiben, Schleifen, Schärfen, Lochen, Biegen oder Rollen gehörten zum Rüstzeug des germanischen Schmiedes dieser Zeit. Die meisten Gegenstände entstanden wahrscheinlich durch Warmverformung. Das Härten mittels Aufkohlung, 29
A l s Beispiel sei genannt ein Gürtelhaken v o n Plötzin, K r . P o t s d a m (Grab 145), mit einer L ä n g e v o n 32 c m und einer Breite v o n m a x i m a l 4 cm.
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wie es z. B. die Kelten betrieben (R. Pleiner 1962, S. 244ff.), kannten die Germanen noch nicht. Den Hüttenleuten blieb es also noch versagt, Stahl zu gewinnen. Sie wußten auch noch nichts von den Aufkohlungsprozessen, die zur Metallhärtung führen (J. Piaskowski 1969, S. 328). Allerdings reichen die wenigen gefundenen Gegenstände noch nicht aus, um zu einer Verallgemeinerung für alle Gebiete zu gelangen. Die soziale Stellung der Metallwerker folgt aus der Bedeutung des Eisens für die meisten Bereiche des Lebens. Wie betont, räumte schon die Beherrschung der technischen Prozesse den metallbearbeitenden Spezialisten eine gewisse gesellschaftliche Sonderstellung ein. Die wenigen bekannten Schmiedegräber sind im Vergleich mit dem übrigen Material gut ausgestattet. Bronzeverarbeitung: Die Bronzeverarbeitung ist in der vorrömischen Eisenzeit nie völlig aufgegeben worden; sie scheint sogar zu Beginn der jüngeren vorrömischen Eisenzeit noch einmal aufzuleben. Sieht man wiederum von den Importgegenständen ab, ist die Bronzeverarbeitung in der vorrömischen Eisenzeit insgesamt als relativ gering zu bezeichnen. Sie hat in Händen derselben Personen gelegen, denen auch die Eisenverarbeitung oblag, denn häufig kommen kombinierte Gegenstände aus Eisen und Bronze vor, die in einem Arbeitsgang hergestellt werden mußten. Dazu gehören beispielsweise
Abb. 29. Urnengrab des 1. Jh. v. u. Z. von Gräfenhainichen mit Lanzenspitze, Schildbuckel, Rasiermesser, Lanzenschuh und Fibel, a 1 : 4 ; b —f 1 : 2 (nach G. u. S. Gustavs, Potsdam).
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
A b b . 29.
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Abb. 30. Geschlossener Fund von Kunersdorf, Kr. Bad Freienwalde. Verbogenes Schwert, Schwertscheidenteile (beides Eisen) sowie Bronzekessel mit eisernem R a n d ; 1. Jh. v . u . Z . 1:4. Mus. Bad Freienwalde.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
141 Abb. 31. Mit Eisenband ausgeführte Reparatur an einem Bronzegürtelhaken des 1. Jh. v. u. Z. von Gräfenhainichen. 1 : 4 (nach G. u. S^ Gustavs, Potsdam).
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Abb. 32. Zange (a) und Meißel (b) aus Gräbern von Leipzig-Thekla. 1 : 4 (nach R . Moschkau 1962, S. 85, Abb. 1.). Eiserner Amhoß (c) aus Boddin. Kr. Hagenow, auf rekonstruierter Unterlage. 1:2. Mus. Schwerin.
Eisennadeln mit massiven Bronzeköpfen, Doppelpaukenfibeln mit Eisenkonstruktion (Abb. 35 b), große Nadeln mit blechartigem Bronzekopf (Abb. 36 a), des öfteren auch nur bronzeplattierte Nadelköpfe (Abb. 36b, c). Aus Bronze wurden gefertigt: massive Bronzefibeln, einheimische Wulsthalsringe (Abb. 37 u. Abb. 49), Gürtelhaken, Beschläge und die zahlreiche Gruppe der Schild- bzw. Segelohrringe (Abb. 38). Die Bronze trug zweifellos zum schmückenden Charakter der Gegenstände bei (Abb. 39), zumal Edelmetall feist unbekannt war. Daß die Bronzegegenstände tatsächlich im Norden auch weiterhin selbst gegossen wurden, beweist eine tönerne Gußform für einen Nadelkopf aus Genthin (Abb. 40). Fraglich ist aber die Beschaffung des Rohstoffs. Bei der relativ geringen Menge des benötigten Metalls wird es sich hier in erster Linie um eine Sekundärverarbeitung von Altmaterial gehandelt haben. Indes ist der Import von Rohmaterialien aber nicht völlig auszuschließen. Die Technik der Bearbeitung von Bronze ähnelt teilweise der des Eisens. Auch hier wurde getrieben, gebogen und gelocht. So knüpften das Bronzegußverfahren und seine Kenntnis an alte Traditionen an. Daß ein größerer Teil der Bronzegegenstände auch über einen Tonkern gegossen wurde, hängt sicherlich mit der Bronzeknappheit zusammen. Bei zahlreichen Schmuckgegenständen sieht man
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
b
Abb. 33. Charakteristische Metalltypen der Jastorfkultur der älteren (a) und der jüngeren (b) vorrömischen Eisenzeit. 1:8 (schwarz = Eisen, weiß = Bronze).
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WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
A b b . 34. Eiserne Fibel aus Ragösen, K r . B e i z i g ; m ö g l i c h e r w e i s e einheimische vergröberte Nachahm u n g eines k e l t i s c h e n T y p s ; 3. J h . v . u. Z . 1 : 2 .
A b b . 35. B r o n z e n e D o p p e l p a u k e n f i b e l (a) a u s B o r n u m , K r . Z e r b s t ; 6. J h . v. u. Z . 1 : 1 . Mus. D e s s a u . D o p p e l p a u k e n f i b e l (b) a u s R a d e k o w , K r . Angermünde. P a u k e n aus Bronze, Konstruktion aus Eisen; 5-/4. J h . v . u. Z. 1 : 2 . M u s . S z c z e cin.
A b b . 36. Nachbildung einer Bombennadel und zweier Scheibennadeln nach F u n d e n v o n Schwissel, K r . B a d S e g e b e r g ( B R D ) . S c h ä f t e aus E i s e n , K ö p f e a u s B r o n z e ; e t w a 1 : 2 (nach R . - H . B e h r e n d s 1968, B e i l a g e 4,8 u n d 2,3 u. 4).
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Abb. 37. Grabfund von Wachow, Kr. Nauen, mit Bronzehalsring (a), zwei Bronzefibeln (b —c) und eisernem Zungengürtelhaken (d). 1:2. Mus. Potsdam.
Grabfund aus Plötzin, K r . Potsdam, mit reich verzierter Urne (a), eisernem Zungengürtelhaken (b) und bronzenen Schildohrringen (d); 675. Jh. v. u. Z. a 1 : 4 ; b - d i : 2 . Mus. Potsdam.
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
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Abb. 39. Nachbildungen von Fibeln der Typen Tinsdahl (a), Heitbrack (b) und Malente (c) aus Schwissel, Kr. Bad Segeberg (BRD). Platten aus Bronze, Konstruktion aus Eisen; 5-/4. Jh. v. u. Z. 1 : 2 (nach R.-H. Behrends 1968, Beilage 2, i b . 2b. 6).
das Bestreben, nur die Schauseite aus Bronze zu arbeiten oder gar nur mit dünnen Bronzeblechüberzügen, wie bei den Holsteiner Gürteln, zu versehen (Taf. 11). Beispielsweise fällt auch bei den bronzenen Doppelpaukenfibeln auf, daß die späthallstättischen Vorbilder massiver gearbeitet sind, während die germanischen Formen nur aus dünnem Bronzeblech bestehen (Abb. 35 a). Etwas mehr Bronze erforderten lediglich die Halsringe, die z. T. auch über einen Tonkern gegossen wurden, oder beispielsweise die ostmecklenburgische Dreiknopffibel (sogenannte Pommersche Fibel), bei der nur die Nadel aus Eisen bestand (Abb. 41). Töpferei: Töpferanlagen sowie Töpfergeräte sind nur selten erhalten geblieben oder noch nicht erschlossen. Die Erzeugnisse dieser Tätigkeit stellen dagegen in den Museen des nördlichen Mitteleuropa nach der bronzezeitlichen Tonware das umfangreichste Fundgut dar. Natürlich hängt dies damit zusammen, daß die Jastorfkultur vor allem aus ihren Urnenfriedhöfen bekannt wurde. Die wenigen teilweise erschlossenen Siedlungsstellen förderten nur bescheidenes Keramikmaterial zutage. Die geringe Zahl der bekannt gewordenen Töpferöfen erklärt sich vorrangig aus dem erreichten Forschungsstand; andererseits gewinnt die Auffassung immer stärker an Gewicht, daß man die Gefäße auch in einfachen Brenngruben oder frei auf Holzmeilern 1 0 Germanen —Bd. 1
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G E R M A N I S C H E S T Ä M M E BIS ZUM B E G I N N U. Z.
brannte. Das Brennen im ebenerdigen Feuer hatte allerdings den Nachteil, daß viel Wärmeenergie verlorenging und die Brennware nicht von allen Seiten gleichmäßig gebrannt wurde. Bronzeguß
Abb. 40. Tönerne Gußform für einen bronzenen Nadelkopf von Genthin. Der Schaft der Nadel bestand aus Eisen; etwa 4-/3. Jh. v. u. Z. 3:4. Mus. Geni-hin.
Abb. 41. Bronzefibel vom Pommerschen T y p aus Pöglitz, Ot. v. Gremersdorf, Kr. Stralsund. 1:2. Mus. Stralsund.
Die im Jahre 1935 entdeckten, aus Lehm gebauten Töpferöfen von Falkensee, Kr. Nauen, sind bisher die einzigen aus dem Jastorfbereich geblieben. Nach dem Befund bei Ofen 1 (G. Behm 1941, S. 220 ff.) handelt es sich um einen liegenden Töpferofen mit nacheinander angeordnetemFeuerungs- undBrennraum von insgesamt2,5o mLänge. Der kuppeiförmige, oben offene Brennraum maß 1,30 X 1,15 m und konnte mehrere Gefäße aufnehmen. Die Rohlinge standen auf prismatischen Stützen, damit die Hitze auch an die Gefäßböden gelangen konnte. Die Öffnung der Kuppel ließ sich mittels eines flachen Steines verkleinern bzw. verschließen. So war eine Regulierung des Brennvorgangs möglich. Der stehende Brennofen bedeutete einen Fortschritt in der Brenntechnik, da er eine Isolierung des Brenngutes von der offenen Flamme durch die Brennplatte brachte.
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WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
Diese Platte wies eine Anzahl runder Öffnungen, die Zuglöcher, auf, durch die die Heißluft vom Schürraum in die Brennkuppel gelangte. Die thermische Isolation, der Hauptvorzug dieser Öfen, ermöglichte es, das Brenngut über eine längere Zeit konstant bleibenden Temperaturen auszusetzen. Solche Töpfer Öfen waren im südlichen und westlichen Mitteleuropa seit der ausgehenden Bronzezeit bekannt. In der späten Lat6nezeit gelangte dieser Ofentyp zunächst in das keltisch-germanische Kontaktgebiet. Als Beispiele seien die Öfen von Ermlitz-Oberthau, Kr. Merseburg (Taf. 12 b), Niederroßla, Kr. Apolda, und Gotha genannt. Aber bereits um den Beginn u. Z. trat der stehende Töpferofen auch im Küstengebiet z. B. in Weddinghusen, Kr. Norderdithmarschen, und auf anderen Fundplätzen auf.30 Die Vermittlung dieses Ofentyps nach Norden ging zeitlich konform mit dem Import von gedrehten Gefäßen. Im Kontaktgebiet wurde darüber hinaus, wenn auch nur zeitweilig, die Scheibentöpferei selbst ausgeübt (K.-H. Otto, H. Grünert 1958, S. 405). Die germanischen Siedlungskollektive im keltennahen Raum waren der stärksten Beeinflussung seitens der Kelten ausgesetzt, was ihre eigene sozialökonomische Entwicklung sehr förderte. Sie übernahmen die Töpferscheibe und den keltischen Töpferofen, weil vorübergehend ein Bedürfnis dafür entstanden war. Wie schon hervorgehoben, wurde die übergroße Zahl der heimischen Gefäßarten mit der Hand geformt. Die hauptsächlichsten Gefäßtypen waren Terrinen, hohe Töpfe, Kannen, Flaschen, Schalen und Näpfe. Dazu kamen spezielle Formen, wie Siebgefäße und hohe Vorratsgefäße. Im Rahmen dieser Tätigkeit fertigte man weiterhin Spinnwirtel, Löffel und Webgewichte. Als Rohmaterial diente ausschließlich der im Siedlungsgebiet anstehende Lehm, seltener Ton. Aus diesem Rohstoff, gewonnen aus offenen oder leicht anzulegenden Aufschlüssen, entstand durch Wasserzugabe und Magerung mit Sand bzw. zerriebenem Stein die formbare Töpfermasse. Die Formung der Gefäße erzielte man durch Wülstung aus freier Hand, ein Verfahren, das seit dem Beginn der Gefäßherstellung aus Lehm üblich war. Diese Technik läßt sich an Gefäßen gut erkennen. Im Hinblick auf Schwierigkeiten bei der Formung sehr großer Gefäße, die im freien Wulstverfahren schon im weichen Zustand infolge ihres Eigengewichtes zusammenzusinken oder zumindest zu deformieren drohten, kann man sich vorstellen, daß Hilfsmittel, wie stationäre oder bewegliche Formschüsseln zur Anwendung kamen (P. Faßhauer 1955, S. 649ff. und 1956, S. 329ff.). Belege für derartige Formhilfen fehlen jedoch bisher. Die Verzierung der Gefäße bestand aus Rillen, Dellen, Linien, die, teilweise zu Sparrenmustern, Dellengruppenreihen, Kammstrich usw. vereinigt, gefällige Dekors ergaben. Verzierungen tragen vor allem die Schulterpartien der Gefäße. Arbeitsgeräte der Töpferei gehören nur ausnahmsweise zum Fundmaterial; hierzu zählen Modellier- und Formhölzer, wie viele Spuren an der Tonware beweisen. Formhölzer dienten in erster Linie zum Ebnen und Glätten, während man zur Verzierung relativ spitze Gegenstände benötigte. Fingertupfen oder Fingernagelkerben genügten vielfach vollauf den Anforderungen. Zur Formung wird man eine Formunterlage aus Holz, Geflecht oder Stein verwendet haben, um das Gefäß beim Aufbau drehen zu können. Auch diese ebenen Unterlagen 30
V . T o e p f e r 1952 (1953), S. 7 2 f f . ; E . Schirmer S. 4 3 6 f f . ; K . W . S t r u w e 1944, S. I 7 9 f f .
10*
1941, S. 2 2 f f . ; H . K a u f m a n n
1962/63,
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
fehlen bisher im Fundmaterial fast völlig. Hinweise hierzu enthält aber ein Gefäßboden von Halle aus dem Beginn der Eisenzeit mit dem Abdruck eines Geflechtes am Boden (V. Toepfer 1961, S. 21). Unmittelbar nach Fertigstellung wurde das Gefäß getrocknet und danach bei etwa 900 °C in den vorstehend beschriebenen Töpferöfen gebrannt. Im Ergebnis des Brennprozesses entstanden mittelharte, in allen Brauntönen variierende, gelegentlich auch durch stärkere Hitzekonzentrationen rotgebrannte Gefäße. Gegen Ende der vorrömischen Eisenzeit dominieren graue bzw. grauschwarze Gefäße. Die beabsichtigten dunklen Farbtöne erzielte man durch Brand unter Luftmangel, also mit stark rußender Flamme. Die Kohlenstoffpartikel lagerten sich auf die Gefäßoberseite ab bzw. in diese ein (P. Faßhauer 1959, S. 254). Im Verlaufe der vorrömischen Eisenzeit machte die Tonware einen Formenwandel durch, der von zunächst ungegliederten hohen Gefäßen zu dreigliedrigen, dann schließlich wieder zu einfacheren Gefäßen mit scharf ausladendem Rand führte (Abb. 42). So brachten die Hersteller Modeerscheinungen in Form und Verzierung zum Ausdruck. Obwohl über weite Gebiete ähnliche Keramiken entstanden — Gefäße aus der Küstenzone lassen sich von Töpfen aus dem mitteldeutschen Kontaktgebiet kaum unterscheiden —, gab besonders die Musterung Differenzierungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen regionalen Gruppen der Jastorfkultur. Den Hauptteil des Bedarfs an Keramik deckten die Angehörigen der Siedlungskollektive selbst. Einige besonders exakt und formschön getöpferten Gefäße lassen den Schluß auf eine gelegentliche Spezialistentöpferei zu. Diese Produkte scheinen von einem Zentrum aus im Tauschwege in einen bestimmten Umkreis gelangt zu sein. Dies läßt sich wahrscheinlich für den Magdeburger Elbbogen belegen (H. Lies 1964, S. 193ff.). Hier kann man aus einer völlig einheitlichen Keramik mit gemeinsamen Merkmalen darauf schließen, daß diese Stücke auch an einer Stelle produziert wurden. Zahlreiche Autoren haben wiederholt auf die kleinen Fingertupfen und Fingernagelkerben hingewiesen und, hiervon ausgehend, die Töpferei als weibliches Tätigkeitsfeld angesehen. Da auch bei rezenten, noch in urgesellschaftlichen Produktionsverhältnissen lebenden Völkerschaften die Keramikherstellung in Frauenhänden hegt, könnte diese Auffassung auch für die Germanen einige Wahrscheinlichkeit für sich haben. Bei den südlicheren Jastorfgruppen im Saale-Unstrut-Gebiet, im südlichen Niedersachsen sowie im Mittelelb-Havel-Gebiet kam es in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit frühestens seit etwa 300 v. u. Z. zur begrenzten Verwendung von Drehscheibengefäßen. Sie stammen aus keltischen Töpfereien und drangen zunächst zögernd (Abb. 43), dann in der Spätlatenezeit verstärkt in die germanischen Siedlungsgebiete ein (Abb. 44). Zu den älteren scheibengedrehten Gefäßen gehören im keltisch-germanischen Kontaktgebiet die sogenannten Braubacher Schalen, die durch ihre reiche und gefällige Stempelverzierung auffallen (Abb. 45). Ein Dichtezentrum der Drehscheibenware entstand im Saale-Unstrut-Gebiet (Th. Voigt 1958, S. 431, Abb. 10). Charakteristisch sind Gefäße mit Horizontalbandrillungen (Abb. 46), die man zerscherbt auch in den Töpferöfen fand. In das Mittelelb-Havel-Gebiet sind die Gefäße sehr wahrscheinlich aus den Töpfereien im keltisch-germanischen Kontaktgebiet bzw. aus dem Keltengebiet importiert worden. Die Variationsbreite der Scheibenkeramik umfaßt Töpfe, Terrinen, Schalen und eiförmige Gefäße mit enger Mündung (Taf. 13). Gelegentlich war man bestrebt, die S c h e i b e n gedrehten Gefäße in einheimischer Handtöpfertechnik nachzuahmen (Taf. 12 a).
Abb. 42. Charakteristische Keramiktypen der Jastorfkultur; ältere (a—m) und jüngere vorrömische Eisenzeit. 1 : 8 .
(n—y)
15°
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM B E G I N N ü . Z.
Abb. 43. Verbreitung der Drehscheibenkeramik im Unstrut-Saale-Elbe-Gebiet während des 4-/3. J h . v. u. Z. 1 bis zu 30 Gefäßen, 2 über 30 Gefäße (vereinfacht nach H. Grünert 1968c, Karte 9; ebenda, Materialteil, Anlage 7, S. 248ff.; Keltengrenze nach K . Peschel, Jena).
Trotz der großen Möglichkeiten, die die rotierende Töpferscheibe und die stehenden Töpferöfen für die Steigerung der Produktion boten, blieb auch im Saale-UnstrutGebiet die Keramikerzeugung allgemein in den Grenzen des eigenen Bedarfs. Es verwundert deshalb nicht, daß der Anteil der Scheibenware im Fundmaterial des Kontaktgebietes nur zwischen 5 und 10% betrug. Im Mittelelbgebiet kommen unter mehreren hundert handgemachten Urnen dann nur noch ein bis zwei gedrehte Gefäße vor. Die Siedlungskollektive konnten sehr wahrscheinlich Spezialisten noch nicht ständig für
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A b b . 44. Verbreitung der Drehscheibenkeramik im Unstrut-Saale-Elbe-Gebiet während des 2./1. Jh. v. u. Z. 1 bis zu 30 Gefäßen, 2 über 30 Gefäße, 3 Töpferofen (vereinfacht nach H. Grünert 1968c, Karte 10; ebenda, Materialteil, Anlage 7, S. 251 ff.; Keltengrenze nach K . Peschel, Jena).
diese Tätigkeit freistellen. Andererseits darf man vermuten, daß keltische Töpfer die Scheibentöpferei im Saale-Unstrut-Gebiet betrieben. Sicher werden sich auch germanische Töpfer zumindest zeitweilig dieser verbesserten Technologie bedient haben (H. Grünert 1968, S. 240). Spinnen und Weben: Schon seit der jüngeren Steinzeit verarbeitete man im nördlichen Mitteleuropa Tierfasem zu Kleidungsstücken. Zu Beginn der Eisenzeit war die
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Abb. 45. Drehscheibenschale vom Braubacher T y p aus Zehmen, Ot. v. Großdeuben, Kr. Leipzig; 4. Jh. v. u. Z. a 1 : 2 ; b 1 : 4 (nach H. Grünert 1956, S. 351, Abb. 2).
Technik des Spinnens und Webens der Fasern allgemein bekannt und entwickelt. Ja, innerhalb der wirtschaftlichen Tätigkeiten in einer germanischen Siedlungsgemeinschaft stellte die Herstellung von Textilien eine wesentliche Beschäftigung dar. Die große Zahl der Spinnwirtel, die besonders im südlichen Jastorfgebiet auch als Grabbeigaben erscheinen (Abb. 25 f), und Webstuhlgewichte bezeugen, daß Spinnen und Weben einen wichtigen Platz in der Hauswirtschaft einnahmen. Als Rohmaterial zur Herstellung von Textilien stand vor allem Wolle zur Verfügung. Flachs ist zwar schon für die vorrömische Eisenzeit durch Originalfunde nachgewiesen; er war aber besonders wegen seines Samenöls geschätzt. Originalreste von Textilien und Wolle sind selten bis in die heutige Zeit erhalten geblieben. Die wenigen Funde gestatten aber gute Einblicke in die Spinntechnik der damaligen Zeit. Das Verspinnen der aufbereiteten Wollfasern geschah mit der seit langem schon in Gebrauch gewesenen Handspindel. Bis auf wenige Ausnahmen sind
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
die sich von stab
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Spinnwirtel aus T o n hergestellt. D e r Spindelstab bestand aus H o l z u n d h a t nur in A u s n a h m e f ä l l e n erhalten. Einen solchen A u s n a h m e f a l l bot der Mooropferplatz Hjortspring (Insel Alsen, Dänemark). D e r v o n hier stammende hölzerne Spindel(J. B r a n d s t e d 1963, S. 37, A b b . h) gehört z u den seltenen F u n d e n (Abb. 4 7 a ) .
-
v
A b b . 46. Grabfund von Kleinkorbetha, Ot. v. Großkorbetha, K r . Weißenfels. Drehscheibengefäß (a) mit Horizontalrillenband und eingeglätteter Wellenlinie; zu den Beigaben gehören zwei korallenbesetzte Bronzefibeln (b) und eine mit einer Tierdarstellung versehene Bronzepinzette (c). a 1 : 4 ; b 1 : 1 ; c 1:2 (a nach T h . Voigt 1958, Abb. 6 c ; b —c nach O. Förtsch 1900, A b b . 1—3).
Abb. 47. Handspindel (a) aus dem Moorfund von Hjortspring, Insel Alsen (Dänemark). 1 : 4 (nach J. Brandsted 1963, S. 37, A b b . h). Rekonstruierte Handspindel mit Wirtel als Schwungrad (b). Pyramidenförmiges Webstuhlgewicht (c) aus Lanz, K r . Ludwigslust. 0 1 : 4 . Mus. Schwerin.
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Die Arbeit mit der Handspindel war einfach. Während die eine Hand das Spinngut hielt, zupfte die andere Hand die Fasern aus dem Spinngut heraus. Indem die Spindel sich dreht, wobei der Spinnwirtel als Schwungrad dient, drillt sich der Faden ein. In der Regel wurden anschließend zwei Fäden miteinander verbunden (Zwirnung). Das gewonnene Garn verwebte man auf dem senkrechten Gewichtswebstuhl (Abb. 48). Ein Webstuhl ließ sich im germanischen Gebiet nicht nachweisen. Archäologisch ist der stehende Webstuhl aber durch die aus fast allen Siedlungen vorliegenden pyramidenförmigen Webstuhlgewichte, die zum Spannen der senkrechten Kettfäden dienten, indirekt belegbar (Abb. 47 c). Die Webstühle dürften in kleineren Bauten, sogenannten Webhütten, gestanden haben. In der Siedlung Krampnitz, Kr. Potsdam, die in der
A b b . 48. Darstellung eines senkrechten Webstuhles auf einer griechischen Vase (a), um 500 v. u. Z. (nach K . Schlabow 1965, A b b . 22) Neuzeitlicher Gewichtswebstuhl von den Färöer Inseln (b) zum Vergleich (vereinfacht nach K . Schlabow 1965, Abb. 14).
jüngsten vorrömischen Eisenzeit angelegt worden ist, fanden die Ausgräber eine solche eingetiefte Webhütte, die als Reste des vergangenen Webstuhls noch 24 Webstuhlgewichte enthielt. Diese Zahl an Webstuhlgewichten deutet auf einen kompletten Satz hin. In Morsum, Kr. Verden/Aller, war eine Urne der älteren Jastorfperiode mit 13 Webgewichten umstellt (D. Schünemann 1972, S. 60). Die wenigen nachgewiesenen Gewebe verdanken wir günstigen Erhaltungsbedingungen in Mooren. Außerdem haben sich in Gräbern an Eisengegenständen durch Oxydation angesinterte Gewebeabdrücke erhalten. Nach den Gewebefunden kannten die Germanen zwei Webarten. Die technisch einfachste Art war die Leinenbindung oder Tuchbindung, die in der vorrömischen Eisenzeit anscheinend noch häufig ausgeübt wurde. Aber auch die Köperbindung war bekannt. Diese Webart bedingt die Konstruktion des vier-
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schäftigen Webstuhles und fand besonders bei Herstellung von Decken und Kleidern Anwendung. Auf Leinenbindung geht das Gewebe im Grab aus Heidenau, Kr. Pirna, (Taf. 15 a) zurück. Unter dem Namen „Huldremosegruppe" (Taf. 1 5 b u. 16) faßte man eine Anzahl von Gewebeteilen aus Jütland zusammen, die in die vorrömische Eisenzeit gehört und aus Mooren stammt (M. Haid 1950). Die Kleidungsstücke für beide Geschlechter zeichnen sich dadurch aus, daß sie alle nur links gesponnen und locker gewebt sind. Es handelt sich meist um Köpergewebe. Zur Huldremosegruppe gehören als Bestandteile der Frauentracht ein rundgewebtes Kleid, ein rundgewebter Rock, karierte Tücher, ein karierter langer Rock, eine in Sprangtechnik gearbeitete Mütze und ein Fellumhang; als Bestandteil der Männertracht ein Fellmantel, ein Fellwams, mehrere Fellumhänge, einige Beinhüllen aus Stoff, Decken und Fellschuh. Die Kleidungsgegenstände von Huldremose bezeugen außerdem, daß man den Rundwebstuhl kannte. Die Gewebe sind sämtlich aus Wolle hergestellt. Eine besondere Sorgfalt erfuhren die Stoffkanten (Borten), die teils geflochten, teils gewebt sind. Für die Kanten bediente man sich nicht selten der Brettchenwebetechnik. Die ältesten bis jetzt entdeckten Vierlochbrettchen aus Holz wurden zusammen mit dem Wagen des 1. Jh. v. u. Z. im Dejbjergmoor (Dänemark; Taf. 14a) gefunden (M. Haid 1962, S. 74, Abb. 65). Größere Stoffgewebe liegen aber nicht nur vom Küstengebiet vor. Im Bereich der Nienburger Gruppe (Neddenaverbergen, Kr. Verden) trat 1926 ein rechteckiges Tuch zutage (2,50 X 1,70 m), das die Kenntnis der doppelbindigen Köperbindung im Binnenlande schon im 6. Jh. v. u. Z. beweist. Hiervon zeugt auch ein Stoffabdruck im engeren Jastorfgebiet von Dehnsen, Kr. Lüneburg, der auf der Technik der vierschäftigen Köperbindung beruht. Gleiches läßt sich an einem Fund aus Niedersachsen von Suttorf, Kr. Neustadt, (W. v. Stokar 1938, S. 110) beobachten. Beide Funde stammen aus Gräbern der Frühjastorfzeit (5. Jh. v. u. Z.). Die ausgewählten Beispiele belegen die Kenntnis und Neueinführung von hochentwickelten Webetechniken, wie Köper, Brettchenweben, Anfertigung von Webkanten usw., während man die Leinentechnik schon vorher kannte. Ebenso belegt ist die Textilfärbung. Blaugefärbt mit Indigo (Färberwaid) war z. B. das Manteltuch aus Neddenaverbergen. Darüber hinaus nutzte man die verschiedenen Farbnuancen der Schafwolle zur Musterung, die die Stoffe kariert erscheinen ließen. Die gesamte Textilherstellung lag sehr wahrscheinlich in den Händen der Frauen. Archäologische Zeugnisse aus antiken und diesen benachbarten Gebieten (griechische und hallstättische Gefäßdarstellungen), die der Jastorfkultur teilweise zeitgenössisch sind, zeigen ausschließlich Frauen am Webstuhl und mit der Spindel arbeitend. Im Hauswerk bildete die Weberei ein umfangreiches Tätigkeitsfeld, weil die Textilarbeiten einen sehr großen Zeitaufwand forderten. Bei der Aufwendigkeit der Textiltechnik dürfte die Produktion aber nicht den Eigenbedarf überschritten haben. d) Austausch und Handel 1933 fand ein Einwohner aus Samswegen, Kr. Wolmirstedt, eine Goldmünze der Kelten (Taf. 17 a). Einen noch interessanteren Fund, sieben keltische Goldmünzen, hob man aber schon Ende des 19. Jh. in Thießen, Kr. Wittenberg. Keltische Münzen sind wichtige Zeugnisse für keltisch-germanische Austauschbeziehungen. Gegenwärtig kennen wir
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
zehn Exemplare von vier Fundorten im germanischen Gebiet. 31 Die Streuung dieser Fundmünzen im mitteldeutschen Raum zeigt, daß sie sich vom Keltengebiet aus einerseits entlang der Saale nach Norden ausbreiteten, andererseits ihren Weg von Böhmen aus über die Elbe genommen haben könnten. Für letzteren Weg sprechen die Funde von Meißen, Thießen, Wittenberg und Gödnitz. Die spezielle Funktion der Münzen im germanischen Gebiet und ihre Rolle in den Beziehungen zwischen Kelten und Germanen sind im einzelnen jedoch noch unbekannt. Der Schatzfund von Thießen deutet aber auch den Wert an, den die Germanen offenbar den Münzen beigemessen haben. Dahinter mag auch das Bewußtsein gestanden haben, daß die Münzen als Äquivalente gegen andere Produkte austauschbar waren. Die wenigen Münzen hatten im keltisch-germanischen Austausch allein geringere Bedeutung. Sie stehen aber im Zusammenhang mit der großen Zahl anderer Gegenstände, die seit dem 4-/3. Jh. v. u. Z. ins germanische Gebiet gelangten. Bis dahin lebten die Germanen des nördlichen Mitteleuropa weitgehend isoliert vom Süden. Anders war es noch zu Beginn der Eisenzeit, wo mannigfache Schmuckgegenstände (Paukenfibeln, bemalte Tonware, Posamenteriefibeln, Ohrringe, Gürtelbleche und anderes mehr) auf die Austauschbeziehungen zur Hallstattkultur hinweisen. Erst nach Abschluß der Expansionsperiode der Kelten veränderte sich die Situation grundlegend. Jetzt entwickelten sich die Austauschbeziehungen auch zu den germanischen Stämmen, was sich in der Zunahme fremder Güter bemerkbar machte. Bei den südlichen Jastorfgruppen von Havel bis Oberelbe drückt die keltische Kultur im jüngsten Abschnitt der vorrömischen Eisenzeit der germanischen sogar ihren Stempel auf. Allerdings zeigte sich bei den Germanen auch bald die Tendenz, keltische Produkte nachzuahmen. Es ist deshalb nicht immer möglich, einheimische Nachahmungen von Importen zu unterscheiden. Im 4 . - 2 . Jh. v. u. Z. gelangten nur Produkte keltischer Werkstätten ins nördliche Mitteleuropa, im 1. Jh. v. u. Z. neben keltischen auch Gegenstände aus italischen Bronzegießereien. Zum auffälligsten keltischen Fundgut nördlich der Mittelgebirge gehört die Drehscheibenware, die seit dem Übergang vom 4. zum 3. Jh. v. u. Z. in das keltennahe Saale-Elbe-Gebiet gelangte und dann hier selbst produziert wurde (s. S. I48ff.). In das nördliche Mittelelbe-Havelgebiet kamen Drehscheibengefäße dagegen nur über den Austausch. Soweit datierbar, gehören sie hier nur dem 2./1. Jh. v. u. Z. an. Das Küstengebiet wurde von diesem Austausch nach Lage der Funde nicht mehr erfaßt. Mit dem handgearbeiteten graphitierten Gefäß von Groß Soltholz, Kr. Flensburg, deutet sich allerdings an, daß vereinzelt auch Graphit als Rohstoff eingetauscht wurde (K. Raddatz 81
Es handelt sich um folgende Fundorte: Gödnitz, Kr. Zerbst; Merseburg; Samswegen, Kr. Wolmirstedt; mit je einem Exemplar und der Schatzfund von Thießen, Kr. Wittenberg, mit sieben Exemplaren. Bei den Münzen von Meißen, Wittenberg und Beizig sind Fundort und -umstände nicht gesichert. Der Vollständigkeit halber seien hier alle Stücke aus Thüringen aufgeführt, deren Fundorte gesichert sind, aber außerhalb des eindeutig germanischen Gebietes liegen: Arnstadt; Bauerbach, Kr. Meiningen; Elxleben, K r . Arnstadt; Geba, K r . Meiningen; Gelmeroda, K r . Weimar; Gotha; Gräfendorf-Dobian, Kr. Pößneck; Haina, Kr. Meiningen; Jüchsen, Kr. Meiningen; Langenhain, Kr. Gotha; Rastenberg, Kr. Sömmerda; Schwarza, Kr. Suhl; Seebergen, Kr. Gotha; Theuern, K r . Sonneberg; Wandersleben, Kr. Gotha; vgl. H.-J. Kellner und G. Neumann 1966, S. 253ff. (mit Karte).
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
157
1952, S. 333). Die letzten Zeugnisse keltischer Scheibentöpfereien im Germanengebiet sind Vasen mit engem Hals und Bemalung. Sie beschränken sich auf den unmittelbaren Grenzsaum. 3 2 Die Beziehungen waren nördlich der Mittelgebirge am ausgeprägtesten. Hierher dürften keltische Produzenten und Händler öfter gekommen sein, während die wenigen Drehscheibengefäße im Havelgebiet die Anwesenheit eines keltischen Händlers nicht zwingend beweisen. Die Tendenz der A b n a h m e keltischer Produkte mit der Entfernung v o m Herstellungszentrum zeigt auch die Verbreitung entsprechender Metallgegenstände. Die Grenze des massenhaften Auftretens keltischer bzw. nachgeahmter Gegenstände liegt im nördlichen Mittelelbe-Havel-Raum. Die Latenefibeln umfassen nicht nur zahlenmäßig den größten Anteil, sondern sie belegen auch eine deutliche Zunahme der Austauschbeziehungen. Während sich anfangs der Import von keltischen Fibeln mit freistehendem Fußteil (Frühlateneschema) noch in relativ bescheidenen Grenzen hielt, stieg in den letzten beiden Jahrhunderten v. u. Z. die Zahl der importierten Fibeln jüngeren T y p s (Mittelund Spätlateneschema) stark an. Besonders beliebt war bei den Germanen die kleine, hochgewölbte Bronzefibel (sogenannte Var.-J. Fibel), die mit weit über 100 Exemplaren im Jastorfgebiet vertreten ist und aus keltischen Werkstätten stammt. Im Austausch scheint die Alteburg bei Arnstadt eine besonders bedeutungsvolle Rolle gespielt z u haben. Hier konnten mindestens 20 Exemplare einschließlich Halbfabrikate nachgewiesen werden (R. Behrend 1968/69, S. 126). A u s der älteren Jastorfzeit stammen vereinzelt noch Wendelringe, die seit dem E n d e der Bronzezeit bekannt waren (s. Taf. 1). Anderer Halsschmuck fand sich nur selten. Deshalb zeigten die Germanen an den schmückenden keltischen Halsringen mit Schälchenenden starkes Interesse (Abb. 37 a). Diese Ringe gehörten keltischen Kriegern und reichen Frauen (J. Filip 1961, S. 8gi.). A u c h bei den Römern, die das Tragen des Halsringes von den Kelten übernahmen, stellten sie eine A r t Statussymbol dar. Goldene Ringe dieser A r t fanden sich in keltischen Fürstengräbern. Die imponierenden und schweren Halsringe mit Schälchenenden sind dementsprechend als Importgüter und Nachahmungen im Jastorfgebiet häufiger anzutreffen (Th. Voigt 1968, S. 206). Besonderer Beliebtheit erfreuten sich diese Ringe bei den Siedlern des Havelgebietes, während völlig isoliert nur zwei Einzelstücke bei Stralsund zutage traten (Karte A b b . 49). So bestätigt auch die Verbreitung der Halsringe die A n s i c h t , daß die Austauschbeziehungen nur sporadisch über Mittelelbe und H a v e l hinausgingen. D e r bisher genannten Gruppe bevorzugter keltischer Importgegenstände in der Jastorfkultur steht eine Gruppe zahlenmäßig weniger umfangreicher Schmuck- und Trachtbestandteile gegenüber. D a z u gehören Armringe, durchbrochen gearbeitete Bronzegürtelhaken, korallenbesetzte Fibeln (Abb. 46 b), Ringstabgliederketten (Taf. 18), Perlen, vereinzelt Glasarmringe und als Unikat der Gürtelhaken von Leipzig-Connewitz (Taf. 17 b). Bei Schmuck- und Trachtbestandteilen wurden Bronzeerzeugnisse bevorzugt. Z u den meist eingeführten Gegenständen gehören auch die W a f f e n , Waffenteile und evtl. Werkzeuge. Abschließend sei auf eine Gruppe dänischer Großfunde der jüngeren vorrömischen Eisenzeit verwiesen, die alle als Import in Frage kommenden Gegenstände u m f a ß t . 32
K . Peschel 1966, S. 25ff. Eine Ausnahme bildet die bemalte Vase von Berlin-Britz, über deren Fundumstände jedoch leider genaue Unterlagen fehlen. Vgl. G. Dorka 1961, Taf. 36,1.
158
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Abb. 49. Verbreitung der bronzenen Wulsthalsringe zwischen Weser und Oder. 1 Brandgrab, 2 wahrscheinlich Brandgrab, 3 Körpergrab, 4 unbestimmte Bestattungsart (vereinfacht nacü Th. Voigt 1968, Abb. 32).
Wenn man sich des breiten Streifens zwischen Unterelbe und Oder erinnert, wo nur sporadisch Funde keltischer Provenienz zutage traten, steht man angesichts der hervorragenden Bronzekessel von Bra und Gundestrup oder des Dejbjergwagens (Taf. 19—20) zunächst vor einem Rätsel. Es sind ausgezeichnete Arbeiten des keltischen Kunsthand-
WIRTSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN
159
werks, wie der Kessel von Brä (Durchmesser 1,20 m) mit Stier- und Eulenköpfen oder der berühmte Silberkessel von Gundestrup mit keltischen Götterdarstellungen, die als Opfergaben in die Erde kamen. Auch der Wagen von Dejbjerg entstammt nach seinen stilistischen Merkmalen einer keltischen Werkstatt. Vervollständigt wird das Bild durch kleinere Funde keltischer Importsachen aus Opferfunden und Gräbern. Hier muß auch der prachtvolle keltische Goldhalsring mit Schälchenenden von Dronninglund in Vendsyssel (Dänemark) Erwähnung finden, der ebenfalls auf dem norddeutschen Festland nicht seinesgleichen hat. Alle diese Funde gehören in den Zeitraum von etwa dem 3. Jh. v. u. Z. bis zum Beginn u. Z. Sie verteilen sich über das gesamte Gebiet Dänemarks, liegen also auch im Bereich der mit Sicherheit zur Jastorfkultur zählenden Äarregruppe. Der Einfuhrweg dieser Gegenstände über das norddeutsche Festland dürfte wegen der erwähnten Fundsituation ausscheiden. Es ist durchaus möglich, daß diese Funde im Zusammenhang mit dem Kriegszug der Kimbern und Teutonen (s. S. lgöf.) stehen und im Opferritual Verwendung fanden. Nach den Ergebnissen der dänischen Forschung werden sowohl der Kessel von Gundestrup als auch der Goldring von Dronninglund als ostkeltische Importstücke angesehen. Andere Funde und Befunde weisen auf Beziehungen zum westkeltischen Gebiet (Frankreich und England) hin. Dänemark — in der mittleren und jüngeren vorrömischen Eisenzeit sozialökonomisch ein bereits fortgeschrittenes Gebiet — hätte danach im Schnittpunkt kultureller Strömungen zwischen Ost und West (J. Brandsted 1963, S. 118) gelegen. Die Niederlage der Kelten durch die Römer bereitete auch den keltischen Werkstätten einen erheblichen Abbruch. Römer und Germanen wurden Nachbarn, was zur Folge hatte, daß jetzt auch Produkte römischer Werkstätten nach Germanien gelangten. Diese Beziehungen begannen sich im 1. Jh. v. u. Z. zu entwickeln, blühten aber erst im ersten Jahrhundert u. Z. richtig auf. Zu den Erzeugnissen, die größtenteils aus den berühmten Bronzegießereien in Capua kamen, gehörten Stamnoi, Situlen, Eimer, Becken, Kannen und Pfannen. Dagegen dürften die einfachen Bronzekessel mit eisernem Rand noch aus keltischen Werkstätten herrühren. Bemerkenswerterweise erfaßte der Import der kampanischen Bronzen im Gegensatz zu den keltischen Prunkgefäßen vorwiegend das norddeutsche Festland und Polen. Nur ganz sporadisch gelangten frühe italische Gefäße bis nach Skandinavien, wie die wenigen Situlen mit Delphin- bzw. Herzblattattaschen belegen. Zum Schluß sei die Frage nach der Organisation des Handels gestellt. Die Schriftquellen erwähnen sowohl Händler bei den Kelten in Gallien als auch berufsmäßige Kaufleute bei den Römern. Die Fundverteilung zeigt, daß sich die Einflußsphäre dieser Händler vor allem auf einen mehr oder weniger breiten Grenzsaum im germanischen Gebiet beschränkte. Als Importausgangspunkte kennen wir einerseits z. B. die keltischen Oppida, andererseits römische Städte, wie Carnuntum. Auf germanischer Seite gab es noch keine Personengruppe, die nur vom Handel leben konnte. Noch Tacitus berichtete, daß die „Binnenvölker nach einfacher alter Art Tauschhandel betreiben" (Germ. 5). Um so mehr vollzog sich in der vorrömischen Eisenzeit zwischen den einzelnen Gruppen der einfache Produktenaustausch. Für die Beantwortung der Frage, was die germanischen Stämme den keltischen und römischen Tauschpartnern als Gegengabe lieferten, bietet das archäologische Material bis heute keine Anhaltspunkte. Doch sind die hauptsächlichsten germanischen Austauschprodukte sicherlich aus der Nahrungsmittelproduktion gekommen. Die Vieh-
i6o
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
haltung lieferte schon in dieser Zeit ein Mehrprodukt, das dafür zur Verfügung stand. Vieh bildete sicher auch in einigen Austauschbeziehungen den Wertmesser für die angebotenen Gegenstände. Inwieweit andere in späteren antiken Berichten erwähnte germanische Produkte, wie Bernstein, Sklaven, Frauenhaar, Kriegsgefangene, schon in der vorrömischen Eisenzeit in den Austausch gelangten, muß unbeantwortet bleiben. Die Bevölkerung im Jastorfbereich hat z. B. an dem Austausch mit Bernstein, dieses im Römischen Reich so begehrten Produktes, keinen nennenswerten Anteil. Möglicherweise bewegte sich der Handel mit Bernstein zeitweilig auch in engen Grenzen, weil seit dem 5. Jh. v. u. Z. der Bernsteinverbrauch in Italien stark nachgelassen hatte und erst wieder in den ersten Jahrhunderten u. Z. anstieg (C. W. Beck, M. Dusek 1969, S- 253). Natürlich spielte auch der Austausch innerhalb der germanischen Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Siedlungsräumen eine Rolle. Schon die Erwähnung der Werkstattkeramik im Magdeburger Elbbogen verdeutlicht dieses. Als weitere Beispiele für den Austausch seien die dreiköpfigen Schildnadeln herausgegriffen (Abb. 28), die als aufwendiger Modeschmuck nur im östlichen Havelland Verbreitung fanden, während die Zungengürtelhaken zu einem häufigen Gürtelbestandteil im gesamten Jastorfbereich wurden. Austauschverbindungen erzwang auch die ungleichmäßige Verteilung der Raseneisenerzvorkommen. Man darf vermuten, daß Hüttenzentren wie Jevenstedt, Kr. Flensburg (H. Hingst 1951, S. 312), benachbarte Siedlungskammern mit Eisen belieferten. Schließlich machen Stilmerkmale in der Keramik und einzelne Metallerzeugnisse deutlich, daß die Siedler im Elb-Havel-Gebiet während der älteren Jastorfperiode Verbindungen zu den Siedlern des Göritzer Kulturbereiches an der Oder aufrechterhielten. Der nicht allzu große Austausch zwischen den germanischen Siedlungsgemeinschaften beschränkte sich auf den Produktenaustausch und umfaßte in der Hauptsache Tracht- und Schmuckbestandteile. Eine Serienproduktion, die zu lebhaften und zentral geplanten Tauschbeziehungen hätte führen müssen, darf für den Bereich nördlich der Mittelgebirge, insbesondere dem norddeutschen Tiefland in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. ausgeschlossen werden. Doch ging mit der zunehmenden Spezialisierung im Verlauf der vorrömischen Eisenzeit und mit der Verbesserung und Steigerung der Eisenproduktion auch eine merkbare Erweiterung des innergermanischen Austausches einher.
2.
Zur Bevölkerung aus anthropologischer Sicht (bis zum 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung)
Nach Behandlung der Voraussetzungen zur Entstehung der germanischen Stämme und nach Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei den Stämmen sollen nunmehr die Menschen Gegenstand der Untersuchung sein. Auch die Beantwortung der Fragen nach dem erreichten Durchschnittsalter, nach dem Altersaufbau von Bevölkerungsgruppen, nach der Geschlechtszusammensetzung, nach der Konstitution und der Krankheitsbelastung und auch nach der Zahl der Bewohner einer Siedlung ist erforderlich, um die damaligen Lebensbedingungen und Entwicklungsprozesse rekonstruieren zu können. Diese Fragen tragen durchaus zur Klärung der gesellschaftlichen Verhältnisse der
Tafel 17. Durch Güteraustausch zwischen Kelten und Germanen gelangten vereinzelt auch keltische Münzen in das germanische Gebiet. Eine ziemlich weit nördlich gefundene Goldmünze (a) von Samswegen, Kr. Wolmirstedt (2./1. J h . v. u. Z.), stammt aus dem böhmischen R a u m . Keltischen Stil repräsentiert auch ein Bronzegürtelhaken (b) von Leipzig-Connewitz in Form einer menschlichen Gestalt mit Wickelhosen und Torques, 3. J h . v. u. Z. E i n Zeugnis für frühen keltischen Import im Jastorfgebiet ist die Bronzefibel (c) von BerlinNiederschönhausen mit menschlichen Masken und Widderkopf, 5. J h . v. u. Z. a 3 : 1 ; b, c 1 : 1 . Mus. Halle (a), Mus. f. Ur- u. Frühgeschichte Berlin (b, c). (Zu K a p . VI.)
T a f e l 18. Ringstabgürtelkette von Nitzow, K r . Havelberg. Keltisches Importstück oder keltischen Formen nachgebildet. 1 : 2 . Mus. Havelberg. (Zu K a p . VI.)
Tafel ig. Wagen von Dejbjerg, A m t Ringk0bing (Dänemark). Die 1881 und 1883 im Praestegärdmoor gefundenen, aus kultischen Gründen hier abgestellten beiden vierrädrigen Wagen sind im keltischen Stil ausgestattet. E s wurden Eschen- und Buchenholz verwendet, die Beschläge sind aus Bronze und zum Teil mit durchbrochener sowie getriebener Verzierung versehen (Männermasken, Bögen, Triskel, S-Haken, Kreise, Dreipunkt, Dreiwirbel u. a.). Die Wagen werden einerseits als Importe aus keltischem Gebiet, andererseits als vom Latenestil beeinflußte einheimische Erzeugnisse angesehen. Länge des Wagenkastens etwa 2,70 m; 1. J h . v. u. Z. Mus. Kopenhagen. (Zu K a p . VI.)
Tafel 20. Der Silberkessel von Gundestrup, A m t Älborg (Dänemark), wurde 1891 in einem Moor (,,Raevemose") gefunden. E s handelt sich um eine ostkeltische Arbeit. Der Kultkessel wurde aus einem runden Bodenteil und aufsteigenden Innen- und Außenplatten zusammengenietet. Die vergoldeten Silberplatten zeigen Darstellungen von Göttern und Heroen (z. B . Gott Cernunnos), Menschenopfern, Kriegergruppen, Reitern und Tieren, wie Hirsch, Vögel, Löwen, Schlange, Widder oder Wolf. Einige Gottheiten tragen den für die Kelten charakteristischen Torques am Hals. Gesamtgewicht fast 9 kg. Wahrscheinlich 1. J h . v. u. Z. E t w a 1 : 5 . Mus. Kopenhagen. (Zu K a p . VI.)
Tafel 21. Männliche (a) und weibliche (b) Kultfigur — stark stilisiert — aus dem Wittemoor bei Berne, Kr. Wesermarsch ( B R D ) . Sie standen zu beiden Seiten eines über eine Furt führenden Bohlenweges. E t w a l : 8. Mus. Oldenburg. (Zu Kap. VI.)
Tafel 22. Haartracht (Suebenknoten) der beiden Moorleichen von Osterby, K r . Eckernförde (a) und Dätgen, K r . Rendsburg (b; beide B R D ) . Mus. Schleswig. (Zu K a p . VI.)
Tafel 23. Gesichtsrekonstruktion auf einem männlichen Schädel aus Gnoien, K r . Teterow; 1. J h . (Rek.: H. Ullrich, Berlin.) (Zu K a p . VI.)
T a f e l 24. Kopf einer Moorleiche aus Tollund, Mitteljütland (Dänemark), in gutem Erhaltungszustand. Trotz der Schrumpfung (etwa 1 2 % ) ist die Gesichtspartie in ihren Proportionen deutlich erkennbar. E s handelt sich um einen männlichen Toten in mittlerem Alter aus den Jahrhunderten v. u. Z. Mus. Kopenhagen. (Zu K a p . VI.)
ANTHROPOLOGIE
l6l
damaligen Zeit bei. So vermittelt auch die anthropologische Forschung historische Kenntnisse. Grundsätzlich gilt die Abkehr vom Germanenidol vergangener Jahrzehnte, und zwar nicht nur von den einseitigen Vorstellungen über die Kopf- bzw. Schädelform der Germanen. Die rassistische Lehre von der vorgeblichen Überlegenheit der Germanen über andersrassige Menschen führte schließlich zur Vernichtung angeblich minderwertiger Rassen. An dieser unheilvollen Rassentheorie des sogenannten Dritten Reiches waren die Ur- und Frühgeschichtsforschung wie auch die Anthropologie — ob nun gewollt oder ungewollt — nicht unbeteiligt. Um so mehr besteht die Verpflichtung, die Germanen so darzustellen, wie es die Quellen möglich machen. Als Quellen stehen uns neben einigen Nachrichten antiker Schriftsteller, Reliefdarstellungen und Plastiken, besonders die Überreste der Menschen selbst zur Verfügung, letztere meist in Form von Skeletten, jedoch auch als „Moorleichen". Dabei überwiegen die Skelettreste, während die Funde aus Mooren ihrer Menge nach eine geringere Rolle spielen. Der Zustand des Untersuchungsmaterials schränkt die Aussagen von vornherein ein. Während wir zuverlässige Informationen zum Altersaufbau und den sich daraus ergebenden Rückschlüssen auf die Lebensbedingungen und zum Körperbau gewinnen können, erfahren wir dagegen kaum etwas über Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie über den Unterhautfettansatz, der ja zum guten Teil die menschlichen Körperformen mitgestaltet. Krankheiten sind nur insoweit faßbar, als sie am Skelett ihre Spuren hinterließen.
a) Die Quellen 1. Zu den zeitgenössischen Nachrichten über die Germanen gehören vereinzelte Angaben antiker Schriftsteller sowie Darstellungen auf Reliefs und Plastiken. Sie betreffen meist den Körperbau und das Aussehen der Germanen. Strenggenommen handelt es sich dabei nicht um anthropologische Zeugnisse. 2. Moorleichenfunde (Hominidenmoorfunde): Ein weiteres Sachquellenmaterial zum Vervollständigen unserer Kenntnisse über die Menschen haben wir in solchen Funden vor uns, die aus Mooren geborgen wurden. Es ist oft schwierig, sie ethnisch und chronologisch richtig einzuordnen. Wir kennen Moorleichen aus ganz Europa mit einer Häufung im Küstengebiet der Nord- und Ostsee. Da für die hier in Frage kommende Zeit aus dem norddeutschen Raum recht wenig Funde vorliegen, wurden die Befunde von Moorleichen aus einigen Nachbarländern in die Auswertung mit einbezogen (Dänemark, Niederlande, Belgien). 3. Körperbestattungen: Nur ausnahmsweise wurden während des Darstellungszeitraumes die Toten unverbrannt bestattet. Die wenigen erhaltenen Skelette aus Körpergräbern sind um so wertvoller, als sich Leichenbrände für Fragen z. B. des Körperbaues und der Konstitution weniger gut eignen. 4. Leichenbrände: Ganz überwiegend stehen für die hier zu behandelnden Jahrhunderte die Skelettreste aus Brandgräbern, als sogenannte Leichenbrände zur Verfügung. Die Schwierigkeit für den Untersucher liegt darin, daß er von meist recht kleinen, in mehrfacher Hinsicht stark veränderten Fragmenten des ehemaligen Knochengerüstes auf Verhältnisse am ganzen Knochen schließen muß. Durch systematische Unter1 1 Germanen —Bd. 1
1Ö2
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
suchungen möglichst vieler Leichenbrandserien lassen sich jedoch zuverlässige populationsgeschichtliche Aussagen gewinnen. Von dieser letzten Gruppe von Funden als der zahlenmäßig stärksten wird im folgenden ausgegangen. Ergebnisse aus den Gruppen 1—3 sollen jeweils nur angefügt werden. Leider sind von den vielen bekannten Brandgräberfeldern anthropologisch noch nicht viele untersucht, so daß Tabelle 1 nur den schon bearbeiteten Bestand widerspiegelt. In dieser Tabelle ist die geographische Gliederung der Funde nach den heutigen Ländern vorgenommen. Die Tabelle enthält zu Vergleichszwecken auch einige nicht-germanische Serien. b) Geschlechtsaufbau
und
Altersstruktur
Die Geschlechtszusammensetzung beträgt etwa 1 : 1 . In urgeschichtlichen Skelettserien finden wir jedoch häufig etwas anderes. Bei Körpergräbern überwiegt meist die Anzahl der als männlich, bei Leichenbränden der als weiblich diagnostizierten Skelette. Ihre Anzahl ist mit einigen Unterschieden im einzelnen in den bisher untersuchten Serien um 2 — 1 2 % höher als die der männlichen. Das Problem der Männer- und Frauenfriedhöfe bzw. der getrennten Bestattung von Frauen und Männern auf ein und demselben Friedhof ist noch nicht gelöst worden. Die Diagnosen Männer- bzw. Frauenfriedhof, aufgestellt von Archäologen, konnten von anthropologischer Seite — soweit überhaupt Untersuchungen vorliegen — nicht bestätigt werden. Zwei anthropologisch bearbeitete Serien, in denen sich keine oder keine sicheren Männerskelette fanden — Preetz, Kr. Plön, und Hornbek, Kr. Hzgt. Lauenburg —, sind unvollständig untersucht, so daß sich die Ergebnisse nicht verallgemeinern lassen. Bei der Serie von Hamfelde, Kr. Hzgt. Lauenburg, anthropologisch vollständig untersucht (U. Aner 1971, S. 58ff), soll es sich um einen Männerfriedhof handeln, da 40 Gräber (von ca. 800) eindeutige Männerbeigaben aufweisen. Von den etwa 500 sicher Erwachsenen konnte bei 117 — das sind etwa 24% — das Geschlecht anthropologisch bestimmt werden. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Männer. So auffällig dieser Befund auch sein mag, er ist nicht beweiskräftig genug, und das um so weniger, als U. Aner (S. 68) selber die Schädeldecken als z. T. auffallend dünnwandig bezeichnet. Das würde eher auf Frauen hindeuten, ebenso wie die teils niedrigen Körperhöhen. Das Sterbealter eines Individuums, die durchschnittliche Lebenserwartung und der Altersaufbau einer Population bieten wie kein anderes Verfahren Anhaltspunkte zur Beurteilung des Gesundheitszustandes und der Lebensverhältnisse des einzelnen wie auch ganzer Bevölkerungsgruppen. Der Anteil der Nichterwachsenen an der Gesamtzahl der Individuen beträgt zwischen 11 und 59%. Die Ursache dafür liegt wohl eher darin, daß manche Bestattungsplätze nur unvollständig ausgegraben und untersucht sind. Im Durchschnitt werden 27—36% Kinderskelette gefunden. Eine Erhöhung oder eine Verminderung der Kindersterblichkeit läßt sich nicht erkennen; ethnische Differenzen (germanisch-nichtgermanisch) scheinen auch nicht zu bestehen. Wir haben in den Leichenbrandserien etwa den Anteil an Nichterwachsenen, den wir von zeitlich vorher und unmittelbar nachher anschließenden Serien von Körper-
ANTHROPOLOGIE
Serie
163
Anzahl der Individuen
Nichterwachsene Individuen
Sölten, Kr. Recklinghausen Krankenhagen, Kr. Grafsch. Schaumburg
126
75
59.5%
29
5
17.2%
B
Lanz, Kr. Ludwigslust Blievenstorf, Kr. Ludwigslust Remplin, Kr. Malchin
395 208 18
105 75 6
26,6% 36,0% 33,3%
C
Stendell, Kr. Angermünde
76
27
35,5%
D
Gräfenhainichen Fischbeck, Kr. Havelberg
123 78
33 18
26,8% 24,7%
69
26
37.7%
762 29 678 45
155 4 112 27
23,8% 13,8% 16,5% 37.8%
22
3
13,6%
A
Vergleichsserie aus der VR Polen (Oksywia-Kultur): Gliricz Nowy, Kr. Kartuzy Jh. u. Z. Hamfelde, Kr. Hzgt. Lauenburg Preetz, Kr. Plön Kemnitz, Kr. Potsdam-Land Cammer, Kr. Beizig
1.-3.
A C E
Prositz, Kr. Meißen
Gräberfelder aus den Jahrhunderten v. u. Z. (ausgewählte Fundplätzeaus Tab. 1) Die Serien beginnen z. T. bereits in der Jungbronzezeit und reichen kontinuierlich bis in die vorrömische Eisenzeit. Da sie sich zeitlich nicht trennen lassen und außerdem zu den größten und am besten untersuchten Serien gehören, wurden sie in der nachstehenden Übersicht belassen. gräbern kennen. Das bedeutet, daß trotz sozialer Veränderungen die Lebensbedingungen biologisch über einen langen Zeitraum hinweg einigermaßen konstant — also ziemlich hart — geblieben sind, und zwar unabhängig von einer ethnischen Zugehörigkeit. Die am höchsten gefährdete Altersstufe ist das frühe Kindesalter. Dennoch wurden kleinstkindliche Skelette (o—l Jahr) relativ wenig gefunden. Kleine und zarte Knochen mit noch geringer Kalkeinlagerung halten sich offensichtlich nicht lange im Boden. Vielleicht wurden auch nicht alle gestorbenen Kleinkinder auf dem Friedhof bestattet. Jedenfalls dürfte die tatsächliche Kindersterblichkeit höher gewesen sein, als es sich im vorliegenden Quellenmaterial widerspiegelt. Zwar gibt es Schätzungen (P. Donat u. H. Ullrich 1971, S. 234ff.), wonach (vollständige!) Serien etwa zur Hälfte aus Kinderskeletten bestehen müßten, es handelt sich jedoch dabei um Erwägungen. Mit steigendem Alter und dadurch bedingter Festigung der Konstitution nimmt die hohe Sterblichkeit ab, so daß der Anteil der Juvenilen nur noch 1 3 % der Nichterwachsenen beträgt. Die Gruppe „infans" enthält diejenigen Individuen, die auf Grund 11*
164
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
ihres schlechten Erhaltungszustandes unter den Begriff „nicht erwachsen" fallen. Wenn auch der Anteil an infans I fast überall der höchste ist, so bestehen doch Unterschiede zwischen den einzelnen (größeren) Serien _ (Tab. 2). Größere Abweichungen finden ihre Ursache zunächst darin, daß ein Teil der Serien unvollständig ist. Aber auch andere Gründe, wie etwa Epidemien mit zahlreichen Todesfällen, also „echte" Sterblichkeitsunterschiede, sind durchaus denkbar.
Nichterwachsene:
infans I 0 — 6 Jahre
infans II 6—14 Jahre
juvenil 14 —18 —20 Jahre
„infans"
511
294
122
66
29
57,5%
23,9%
13,0%
5.7%
(aus 14 Serien)* * Sölten, Vörde-Ork, Krankenhagen, Damp, Preetz, Länz, Blievenstorf, Remplin, Stendell, Kemnitz, Cammer, Fischbeck, Gräfenhainichen. Entsprechend der niedrigen Lebenserwartung ist bei den Erwachsenen die Altersstufe adult (18/20—40 Jahre) am stärksten vertreten, dagegen liegt die Zahl der zwischen 40 und 60 Jahren Gestorbenen wesentlich niedriger. Das Greisenalter (über 60 Jahre) wurde nur selten und in den nachstehend aufgeführten Plätzen überhaupt nicht erreicht. Serien
Erwachsene insgesamt
adult
matur
senil
„erw."
11«
1519
853 56.2%
263
0 0
399
17.3%
26,2%
* Vörde-Ork, Krankenhagen, Damp, Blievenstorf, Lanz, Stendell, Cammer, Fischbeck Kemnitz, Gräfenhainichen, Hamfelde.
In einigen großen Serien (Tab. 3) macht der Anteil der adulten Individuen 50% oder mehr der Erwachsenen aus. Nur in einem Falle sind etwa ebensoviel mature wie adulte Individuen nachgewiesen: in Blievenstorf. Diese Serie ist jedoch unvollständig. Unterschiede zwischen der vorrömischen Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit lassen sich in der Tabelle nicht erkennen. Geht man vom Durchschnittsalter nach Jahren, also nicht von den Altersklassen aus, dann sind sowohl die Unsicherheit aus der Unvollständigkeit der Serien als auch die schlechten Erhaltungsbedingungen für Kinderskelette zu berücksichtigen. D a aber das Durchschnittsalter einer Population u. a. von der Anzahl der Nichterwachsenen abhängt, muß zur Vermeidung einer dadurch bedingten Verfälschung der Altersschätzung außer dem Gesamtdurchschnittsalter auch das Alter der Erwachsenen angegeben werden. Ein Teil der Altersangaben zeigt zwei Werte, z. B. 30—38 Jahre. Hierbei handelt es sich um die Mittelwerte aus den unteren und den oberen Grenzen der
165
ANTHROPOLOGIE
Individual-Schätzwerte. Wir können auch aus dieser Tabelle entnehmen, daß sich das durchschnittliche Sterbealter im Laufe von mehreren hundert Jahren nicht verändert hat. Alter in
Jahren
Zeit
Bestattungsplatz
EZ
Gielow Lanz
Erwachsene 33 ca. 600 v. u. Z.
Stendell Gräfenhainichen
ca. 100 v . u. Z.
Remplin Britz
KZ
—
26 — 37
19 — 22
30 — 38
20—26
35 — 40
15 — 26
—
e t w a 21 30
Stare Polaszki
29
Kemnitz
1 . — 4 . Jh. u . Z . 2-/3. Jh. u. Z.
18 — 25
31 — 39
Glincz
Prositz
ganze Serien
30 — 39
— 18,1 21 — 31
22
Die Kindersterblichkeit war hoch. Aber auch die Erwachsenen wurden nicht alt: im Mittel Anfang bis Mitte dreißig. Das Durchschnittsalter ganzer Siedlungsgemeinschaften (also mit den Kindern) betrug 18—25 Jahre. Die einigermaßen konstanten Zahlen bedeuten, daß sich von der früheren bis zur späteren Zeit an den biologischen Auswirkungen der Lebensbedingungen nichts oder doch nur wenig verändert hat. Ethnische Unterschiede scheinen nicht mitzusprechen: Die Germanen lebten offenbar nicht unter günstigeren Bedingungen als ihre nichtgermanischen Nachbarn. Die Frauen erreichten das Alter der Männer nicht ganz. Die Altersdifferenz ist nicht überall gleichgroß (Tab. 4). Die beiden größten geschlechtsbedingten Altersunterschiede finden sich bei kleineren und unvollständigen Serien, bedingt durch den Fehler der kleinen Zahl. Vier größere Siedlungskollektive (mit einem x bezeichnet) aus der D D R weisen — unabhängig von der Zeitstufe und der Lage des Fundortes — einen Unterschied von zwei bis drei Jahren auf. Diese Konstanz ist ein Kriterium für die Zuverlässigkeit der Altersdifferenz. Herausragen die beiden Serien aus der V R Polen mit ihrer großen Altersdifferenz Männer/Frauen trotz größerer Individuenzahl. Bei der allgemein niedrigen Lebenserwartung dürfte das Heiratsalter der Frauen nicht über 18—20 Jahren gelegen haben.33 Also umfaßte das gebärfähige Alter nur wenige Jahre. Und in dieser Zeit mußten so viele Kinder auf die Welt kommen, daß trotz der hohen Kindersterblichkeit die Bevölkerungszahl nicht zurückging. Während heute je Ehepaar durchschnittlich 3—4 Kinder erforderlich sind, um die Personenzahl eines Volkes konstant zu halten, dürften bei den Germanen diese Zahlen eher höher gelegen haben. Deshalb führten Heiraten zu zahlreichen und dicht aufeinander folgenden Geburten. Sicherlich taten unzureichende hygienische Verhältnisse während des 33
„ W e r a m längsten keusch bleibt, erntet unter den Seinen das größte L o b ; die Keuschheit, meinen sie, fördert den W u c h s und stärkt die M u s k e l k r a f t . Geschlechtsumgang v o r d e m zwanzigsten L e b e n s j a h r vollends gilt als eine g a n z große S c h a n d e " (Caesar, Bell. Gall. 6,21).
i66
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
GeburtsVorganges ein übriges, so daß die Sterblichkeit der Frauen im Kindbett hoch gewesen sein dürfte. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Kindersterblichkeit groß war. Aber auch die Erwachsenen wurden nicht alt. Die Gefährdung der Frauen im Kindbett und die recht zahlreichen und dicht aufeinander folgenden Geburten führten dazu, daß das Durchschnittsalter der Frauen noch unter dem der Männer lag. c) Krankheitsbelastung Nach den damaligen Lebensbedingungen ist anzunehmen, daß die Menschen stark unter Krankheiten gelitten haben. Paläopathologische Untersuchungen haben das bestätigt. Eine große Bedeutung hatten Infektionskrankheiten und Seuchen. Schwere körperliche Arbeit und eine für heutige Verhältnisse mangelhafte medizinische Behandlung von Verwundungen und Verletzungen führten ebenfalls zu frühzeitigen Alters- und Aufbraucherscheinungen. Das Untersuchungsmaterial zeigt uns nur die Krankheiten, die die Knochen befallen bzw. dort Spuren hinterlassen haben. Tabelle 5 spiegelt daher das tatsächliche Ausmaß der Krankheitsbelastung unvollständig wider. Unterschiede zwischen den einzelnen Serien beruhen besonders auf einem unterschiedlichen Erhaltungszustand. Erkrankungen des Gebisses werden am häufigsten beobachtet. An zweiter Stelle stehen Knochenwucherungen an Wirbelkörpern (Spondylose). Manchmal sind Spuren von Arthritis an den Gelenken der Extremitätenknochen, gelegentlich auch Frakturen u. a. zu erkennen. Kombinationen von mehreren Skelettveränderungen treten ziemlich häufig auf. Das vorliegende Quellenmaterial läßt bereits für die vorrömische Eisenzeit auch im germanischen Siedlungsgebiet auf häufigere Zahn- und Kiefererkrankungen schließen. Kariöse Zahnkronen sind nur selten erhalten, da der Zahnschmelz unter Hitzeeinwirkung leicht zerspringt. Krankhaft veränderte Wurzeln traten dagegen häufig zutage. An Kiefererkrankungen kommen Paradontose und entzündliche Einschmelzungen im Bereich der Wurzelspitzen (Wurzelhautentzündung) und Kieferabszesse, gelegentlich auch Zahnstellungsanomalien vor. Diese Gebißschäden, die oft als Zivilisationsschäden gelten, sind also nicht erst Erscheinungen der heutigen Zeit, sie waren bereits bei der germanischen Bevölkerung häufig. Da manche Krankheitsbilder längere Zeit zur vollen Entwicklung brauchen, läßt sich unschwer abschätzen, wie lange z. B. erhebliche Zahnschmerzen bestanden haben müssen. Solche Erkrankungen der Zähne und des Zahnhalteapparates haben unter Umständen weitergehende Konsequenzen: So kann es durch Behinderung des Kauens (infolge von Zahnschmerzen) zu Ernährungsstörungen kommen. „Beherdete" Zähne sind Gefahrenquellen für den ganzen Körper, bei umfangreichen Vereiterungen liegt ein tödlicher Ausgang (Sepsis) durchaus im Bereich des Möglichen. Unter den pathologischen Erscheinungen am postkranialen Skelett steht der Häufigkeit nach die Spondylose der Wirbelkörper an erster Stelle (Tab. 5). Sie kommt bei beiden Geschlechtern vor und ist häufig, jedoch nicht immer, ein Anzeichen vorgerückten Alters. Die geringe Zahl spondylotischer Wirbel bei der größten Serie (Kemnitz) beruht wohl auf deren Erhaltungszustand, sagt aber nichts über eine geringere Krankheitsbelastung aus.
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ANTHROPOLOGIE
An einem Toten vom Gräberfeld aus Gräfenhainichen, Kr. Gräfenhainichen, fanden sich zwei von ventral her durchbohrte Brustwirbel ohne Heilungsvorgänge. Da dabei vorher die Organe der Brusthöhle durchbohrt wurden, dürfte es sich um eine tödliche Verletzung handeln. Abgelaufene Knochenhautentzündungen mit sekundärer Knochenauflagerung werden bei Körpergräbern nicht ganz selten entdeckt, sie gehören jedoch in Leichenbränden zu den Seltenheiten. Sicherlich hatte der Tote aus Grab Nr. 568 von Kemnitz, Kr. Potsdam, eine derartige Krankheit überstanden. Häufiger treten verknöcherte Muskelansätze auf, besonders an der Kniescheibe und am Fersenbein. d) Konstitution Eines der Hauptanliegen bei der anthropologischen Untersuchung prähistorischer menschlicher Skelette ist die Rekonstruktion des Körperbaues einzelner Menschen wie auch ganzer Populationen. Bei Leichenbränden stößt ein solches Vorhaben wegen des Erhaltungszustandes der Knochenreste auf Schwierigkeiten. Wichtige Konstitutionsmerkmale sind zunächst die der Geschlechtsbestimmung dienenden: Das weibliche Skelett ist im allgemeinen kleiner und graziler als das männliche. Will man aber Näheres über die Robustizität einer Population ermitteln, müssen zuvor geschlechtsbedingte Robustizitätsunterschiede eliminiert werden. Aus dem Bereich des Schädels finden sich häufig Knochen oder Teile von solchen, die Hinweise auf das eine oder andere Merkmal geben. Sie stehen jedoch etwas vereinzelt da und sind auch brandbedingt deformiert, so daß eine typologische Einordnung nicht möglich ist. Differenzen zwischen den Funden verschiedener Gräberfelder lassen sich bisher ebensowenig herausarbeiten. Postkraniales Skelett: Zur Untersuchung der Konstitution relativ gut geeignet und daher auch am meisten bearbeitet (bei Leichenbränden) sind die langen Röhrenknochen. Wir wollen uns hier auf Körperhöhe und Robustizität beschränken. Die Körperhöhe wird so ermittelt, daß aus häufig erhaltenen Teilen von Langknochen die Länge des ganzen Knochens und daraus nach einer der üblichen Formeln die Körperhöhe errechnet wird.
Körperhöhe in cm (nach Chr. Müller) (N = Anzahl)
EZ
KZ
männlich
weiblich
Vörde-Ork u. Vörde-Emelsum Glincz Nowy Lanz Stendell Gräfenhainichen
1 6 5 - 1 6 6 (N = 2) 163 (N = 2) 160—165 (N = 2)
155—160 (N = 2) 151 (N = 9) 1 4 8 - 1 5 5 (N = 1) ohne KH-Werte 158 (N = 4)
Damp Preetz Hamfelde Kemnitz
1 6 5 - 1 6 6 (N = 2) ohne KH-Werte 1 5 8 - 1 7 3 (N = 57!) 160 (N = 4)
! 5 7 — 1 6 3 (N = 2) 163
(N = 3)
160 (N = 1) 1 4 7 - 1 4 9 (N = 6) Männerfriedhof ? 156 (N = 8)
i68
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Die Anzahl der Individuen, bei denen eine derartige Schätzung durchführbar ist, ist gering. Vergleiche zwischen verschiedenen Serien lassen sich daher nur bedingt ziehen. Die Geschlechtsunterschiede in der Körperhöhe sind jedoch erkennbar. Die Aussage „relativ groß" bzw. „relativ klein" ist häufiger möglich. Sie bezieht sich auf die Stellung eines Individuums innerhalb einer Population. Dabei stehen die Männer meist in der Kategorie der relativ großen und die Frauen in der der relativ kleinen Individuen. Analog der relativen Hoch- oder Kleinwüchsigkeit läßt sich bei einem Teil der Skelette eine relative Robustizität oder auch Grazilität feststellen. Eine Ausnahme scheinen die Germanen von Kemnitz, Kr. Potsdam, zu machen. Hier sind merkwürdig viele als klein und grazil bezeichnete Männer bestattet worden. Die Bewohner der zu diesem Gräberfeld gehörenden Siedlung waren möglicherweise kleiner und graziler als die von anderen. Dazu ein Vergleich: Anzahl der Männer
Stendell Gräfenhainichen Lanz Kemnitz
20
45 86 166
grazil N % 4 4 12
51
20
9,5 13.9 32
robust N % 8 16
44 35
40
35-5 21
Die Serien mit dem höchsten Anteil graziler Männer weisen den niedrigsten an robusten auf und umgekehrt. Die Serie von Kemnitz enthält deutlich mehr grazile Männer als die anderen (die weiblichen Skelette eignen sich für derartige Vergleiche weniger gut, da sie ohnehin kleiner und graziler sind). An Körperbestattungen aus den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung liegen nur wenige, meist so schlecht erhaltene Skelette vor, daß sie Aussagen zur Konstitution, zur Größe und zu Krankheitsmerkmalen nur bedingt möglich machen. Zu Vergleichszwecken mögen zwei Arbeiten über keltische Gräberfelder dienen. H. Preuschoft (1964, S. 3iff.) untersuchte die Funde von Nebringen und M. Stloukal (1962, S. i55ff.) die Reste von etwa 30 Skeletten aus einigen mährischen Fundorten. Neben grazilen fanden sich auch robuste Skelettindividuen, die in ihrem Schädeltyp und im postkranialen Skelett, besonders der Körperhöhe, den germanischen ähneln. Aus dem Ostseeraum liegen für die ersten beiden Jahrhunderte unserer Zeitrechnung Skelettreste aus einer Reihe von Fundorten vor, größtenteils aus Rügen und Mecklenburg. 34 Auch hier überwiegt bei beiden Geschlechtern (Erwachsene!) die Altersstufe adult (18/20—40 Jahre). Das stimmt mit der bereits aus Brandgräberfeldern bekannten Alterszusammensetzung überein. Hinsichtlich des Körperbaues gilt das bereits Gesagte. An pathologischen Erscheinungen ist nicht viel erhalten bzw. registriert. So sind beim Skelett Rubitz 1 (weiblich, 35- bis 4oj ährig) ein intravitaler Zahnverlust im linken 34
Die Reste von etwa 40 Individuen wurden untersucht von G. Asmus (1939, S. 62 ff.), H. Grimm (1961, S. 88ff.) und H. Ullrich (in A. Leube 1968, S. i34ff.). Eine Zusammenfassung brachte A. Leube (1970, S. i97ff.).
ANTHROPOLOGIE
169
Unterkieferbereich sowie eine Spondylose der Lendenwirbel festzustellen. Spondylotische Erscheinungen weist auch das Skelett eines im Alter von 50—60 Jahren gestorbenen Mannes von einem Bestattungsplatz in Alt-Schönau, Kr. Waren, auf, der außerdem eine Fraktur der linken Ulna hatte. e) Germanendarstellungen und Literaturerzeugnisse im Vergleich mit den anthropologischen Befunden Von den Römern wird die germanische Hochwüchsigkeit übereinstimmend erwähnt. 35 Als Körperhöhe werden 6—7 Fuß, d. h. 1,70—1,80 angegeben (G. Ammon 1913, S. 54). Tacitus (Germ. 4) spricht von riesigen Leibern und von der Einheitlichkeit des Aussehens. Ähnliche Aussagen finden wir auch bei anderen Autoren. Da den Römern das Äußere der Germanen weniger geläufig war, bemerkten sie zwischen diesen zunächst keine Unterschiede. Diese Einheitlichkeit hatte aber wohl doch ihre Grenzen, denn wir lesen weiter, daß z. B. die Sueben (Tacitus, Germ. 38) nicht so einheitlich aussahen wie die Chatten und die Tenkterer, was mit der Größe des von ihnen bewohnten Territoriums erklärt wird. Auch Robustizitätsunterschiede wurden beobachtet. Während der Körperbau meist als robust bezeichnet wird, schreibt Tacitus an anderer Stelle, daß die Chatten strammere Gliedmaßen hatten und ausdauernder waren als andere Germanen, z. B. die Bataver. Neue anthropologische Erkenntnisse bestätigen Unterschiede im Körperbau. Leichenbranduntersuchungen ergaben Körperhöhen von 160—166 cm für die Männer und 148—160 cm für die Frauen. H. Preuschoft (1964, S. 3 i f f . Körpergräber) berechnete nach den Funden von Nebringen eine Körpergröße von 166—177 cm für die Männer (also ziemlich hochwüchsig) und von etwa 160 cm für die Frauen. Die Männer der mährischen Fundorte waren 160 —176 cm und die Frauen 163—165 cm groß. Aus den zeitlich späteren germanischen Reihengräberfeldern kennen wir Körperhöhen der Männer von 170 cm und mehr und für die Frauen von ca. 160 cm. Die schon erwähnten 170—180 cm passen durchaus in das Bild hinein, das sich aus den anthropologischen Untersuchungen ergibt. Aus der immer noch zu geringen Zahl der untersuchten Individuen kann man Verallgemeinerungen nicht wagen. Andererseits sind aber auch antike Literaturnachrichten mit großer Skepsis aufzunehmen. Schwankungen in der Körperhöhe gibt es in jeder Population! Mit der Robustizität ist es nicht anders. Bereits aus den Leichenbränden ergab sich, daß die Bewohner aus der Siedlung von Kemnitz, Kr. Potsdam, offensichtlich graziler waren als die von anderen Orten. Auch unter den Körpergräbern gibt es mäßig robuste und robuste Skelettindividuen, was Unterschiede in der Statur belegt. H. Preuschoft fand z. B. unter den Skeletten von Nebringen zwei Typen. Beim ersten ist der Schädel breit und abgerundet, das Hinterhaupt manchmal steil abgeplattet. Bei den anderen T y p haben wir es mit einem schmalen und hohen Schädel zu tun, der etwa dem nordischen Reihengräbertyp entspricht. Im mährischen Material stieß man ebenfalls auf schmal- und breitschädelige Komponenten. Die erstere ist jedoch grazil und somit nicht als nordisch anzusehen. Die mecklenburgischen Schädel der frühen Kaiserzeit (germanisch) sehen nicht einheitlich aus. Es sei hier daran erinnert, daß der germanische Reihengräbertyp heterogen 35
Erwähnung bei Caesar, Bell. Gall. 1, 39 und 5, 14; Tacitus, Germ. 4, 30, 31, 32, 38; Plinius, Nat. hist.; Strabon, Geographica; Plutarchos, Marius.
170
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
ist. Und von den Ausgangstypen findet sich anscheinend in Mecklenburg noch einiges wieder. Die Schädel sind mittelgroß bis groß, lang, relativ schmal und mittelhoch bis hoch, das Obergesicht ist mittelbreit, die Augenhöhlen sind niedrig bis mittelhoch, die Stirn ist häufig breit, die Überaugenbögen meist stark ausgeprägt, die Stirn neigt sich mäßig bis stärker zurück. In der Hinterhauptansicht ist der Schädelumriß meist hausförmig, die Oberschuppe des Hinterhauptbeines ist häufig etwas vorgewölbt. 36 Zur Haut-, Haar- und Augenfarbe vermag die Anthropologie kaum etwas zu sagen. Da die Mediterranen wohl vorwiegend dunkel- (schwarz-) haarig waren, fiel den Römern sicher die hellere Haarfarbe der Germanen auf. Sie bezeichneten sie als rutilus, flavus und auricomus. Unter den Begriff flavus (blond) fällt aber auch dunkelblond. Eine rötlichblonde Haarfarbe gehörte anscheinend nicht zu den Seltenheiten. Nach Tacitus wurde das Haar häufig zurück oder zur Seite gekämmt und in einen Knoten geschlungen. Dieser „Suebenknoten" findet sich auch bei nichtsuebischen Stämmen, er diente also nicht ausschließlich der Stammeskennzeichnung. Strabon schreibt, daß die Germanen heller und größer waren als die Kelten. Die blauen Augen blickten nach den antiken Überlieferungen trotzig. Hiermit wollte man den Gegner zur Hervorhebung der eigenen Erfolge als besonders gefährlich schildern. Die Erklärung Tacitus' für die Hochwüchsigkeit der Germanen ist auffällig. Die Ursache dafür Hegt nach seiner Ansicht in der geschlechtlichen Enthaltsamkeit vor dem 20. Lebensjahr. Gleichgültig wie er zu dieser Ansicht gekommen ist oder von wem er sie übernommen hat, könnte ein wahrer Kern darin stecken. Der Eintritt der Geschlechtsreife ist unter anderem klimatisch bedingt und beginnt in kalten Landstrichen später als in warmen. Damit ist aber eine andere Körpergröße verbunden. Da in kalten Klimaten das Größenwachstum später aufhört als in warmen, böte dies vielleicht eine biologische Grundlage für die germanischen Moralauffassungen. Zu den Germanendarstellungen haben die Germanen selber nur wenig beigetragen. Wir finden Abbildungen von ihnen auf Siegessäulen und anderen Reliefdarstellungen, es gibt auch Plastiken bzw. Büsten von ihnen. Hier erscheinen sie als hochwüchsige, breitschulterige und muskulöse Gestalten mit meist hohen, schmalen Schädeln und Gesichtern. Dagegen dürften die Vollbärte nur in seltenen Fällen der Wirklichkeit entsprochen haben; sie sollen wohl mehr die Germanen als Barbaren kennzeichnen. Die Nasen sind meist lang und schmal, die Nasenwurzeln wenig eingezogen. Die Stirn ist nicht über mittelhoch und mittelbreit, die Kieferpartie oft breit und kräftig. Wir bemerken meist dichtes und welliges Haar, der Suebenknoten kommt häufig vor. Es sind aber auch Germanen abgebildet mit breiten und gerundeten Gesichtern und Schädeln, andere Darstellungen zeigen schmale und hohe Nasen mit nicht eingezogener Nasenwurzel („griechisches" Profil). H. Koethe (1938, S. io5ff.) bildet zwei ebenfalls breite, runde Köpfe aus Welschbillig, Kr. Trier, ab, die sich von einem Negerkopf nur dadurch unterscheiden, daß sie kein Kraushaar haben wie dieser. Bei der Darstellung der Köpfe taucht die Frage auf, wieweit sie überhaupt porträtähnlich sind und ob nicht
36
Dieser sogenannte nordische T y p ist aus mindestens zwei Ausgangsrassen entstanden. E s kann demzufolge erwartet werden, daß das Mischungsverhältnis nicht überall das gleiche ist. E s ist auffällig, daß die keltische Serie aus der B R D eine so starke nordische Komponente hat. Die Germanen sind nicht alle nordisch. Besonders in den Randzonen ihres Verbreitungsgebietes ist mit Fremdeinschlägen zu rechnen.
171
ANTHROPOLOGIE
primär die Tracht von Haar, Bart und Kleidung das Barbarische charakterisieren sollte. Germanen- und Keltenköpfe lassen sich in ihrer Form oft kaum oder gar nicht voneinander unterscheiden. Der T y p der Germanen ist im allgemeinen wohl richtig wiedergegeben : also Körperbau und Größe, auch die ungefähre Schädelform. Eine größere Porträtähnlichkeit im einzelnen jedoch wird man den Darstellungen wohl kaum unterstellen können. Die nach der Methode des sowjetischen Anthropologen M. M. Gerasimov von H. Ullrich, Berlin, ausgeführte plastische Rekonstruktion der Gesichtsweichteile auf dem Schädel des Mannes aus Gnoien 37 ist dagegen als weitgehend individuelles, d. h. proträtähnliches Abbild zu betrachten. Geprägt wird das mittelbreite, hohe Gesicht des etwa 40- bis 45jährigen Mannes durch die schmale, hohe Nase mit deutlich eingezogener Nasenwurzel und fast gerade verlaufendem Profil, durch den vor allem in den Schleimhautanteilen auffallend dünnlippigen, breiten Mund, das mittelkräftige, insgesamt wenig durchmodellierte, im Profil deutlich vorspringende Kinn und die kräftige Glabellarpartie. Die Stirn ist schräg geneigt (Taf. 23). Tacitus hält die Germanen für die Ureinwohner des von ihnen bewohnten Landes (Germ. 2). Sie seien noch nicht durch Heiraten mit anderen Völkern „verfälscht" (infectus; hier wohl nicht mit „vergiftet" zu übersetzen, sondern eher mit „verfälscht", „vermischt" oder „verändert"). Die Germanen konnten Durst und Hitze nicht ertragen, wohl aber Hunger und Kälte als Anpassung an das Klima. Wie denn auch schon die alten Autoren die helle Komplexion (Haar-, Haut- und Augenfarbe) mit dem Klima in Verbindung bringen. /) Moorleichenfunde
(Hominidenmoorfunde)
Für die Auswertung liegen weiterhin insgesamt 69 Moorleichen bzw. Teile davon (Tab. 6) vor, die sich auf alle Altersklassen verteilen, deren Hauptanteil aber Erwachsene ausmacht. Die Mehrzahl hatte ein Sterbealter von 25—60 Jahren, während bei einem Teil der Funde sich das Alter (N = 10) oder das Geschlecht (N = 18) nicht mehr bestimmen ließ. An 263 von über 700 Moorleichen konnte A. Dieck (1965, S. 40ff.) die Todesursache feststellen. 38 37
38
Der für die plastische Rekonstruktion der Gesichtsweichteile ausgewählte Schädel von Gnoien läßt die für die frühkaiserzeitlichen Funde Mecklenburgs aufgezeigten Merkmalskombinationen größtenteils in ausgesprochen guter Ausprägung erkennen. Das von M. M. Gerasimov entwickelte Verfahren liefert die methodischen Voraussetzungen für weitgehend individuelle Gesichtsrekonstruktionen des frühgeschichtlichen Menschen, die als wissenschaftliche Dokumente mit hohem Aussagewert zu betrachten sind (H. Ullrich 1972, S. 91 ff.). In der vorliegenden Rekonstruktion sind die wesentlichen Formgebungen und Gesichtszüge entsprechend der Form bzw. als Ausprägungsgrad des darunter gelegenen Knochenmantels rekonstruiert. Für die Rekonstruktion des Ernährungszustandes, für die Modellierung der Ohrmuscheln und für die Kopf- und Brauenbehaarung fehlen entsprechende Hinweise am Schädel. Bei den vorstehend erwähnten 69 Moorleichen konnte für 35% aller Toten die Todesursache nicht mehr ermittelt werden; weitere 29% erlitten einen gewaltsamen Tod durch Mord, im Kampf, durch Hinrichtung oder durch Opferung. Eine bewußte Bestattung lag in etwa 1 5 % der Fälle vor. Ausschließlich Unglücksfälle als Todesursache waren für nur 4 % zu ermitteln.
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U . Z.
Der Erhaltungszustand der Leichen wird durch den Chemismus des Moores bestimmt, in dem die Menschen ihr Ende fanden bzw. in das sie nach ihrem Tode hineinkamen. Der jeweilige Grad von Gerbsäuren und anderen organischen Säuren, besonders bei Torfmooren, bewirkte eine unterschiedliche Erhaltung bestimmter Gewebe des Körpers. Huminsäuren können eiweißhaltige Substanzen unter Umständen lange Zeit konservieren. Meist sind dann die Haut sowie bindegewebige Substanzen dauerhaft gegerbt, während z. B. Muskeln aufgelöst sind. Die Knochen werden entkalkt und dadurch weich, biegsam und schrumpfen auch etwas ein. Gehirn, Fettgewebe und Eingeweide schrumpfen stark bzw. vergehen ganz. Durch die Aufweichung des Stützgerüstes werden Moorleichen häufig plattgedrückt und von Torfmoospflanzen fest eingehüllt. In anderen Fällen jedoch hat sich das Skelett erhalten, während die Weichteile vergangen sind. Manche Moorleichen zerfallen an der Luft sehr schnell, andere trocknen mumienartig ein. Trotzdem lassen sich noch viele Einzelheiten des Körperbaues erkennen und unter Umständen sogar noch histologisch untersuchen. Bei der Frau aus dem Moor von Marx-Stapelstein, Kr. Wittmund, war der Schädel relativ breit und gerundet, während von den dänischen Funden (P. V. Glob 1966) viele einen schmalen Kopf und ein schmales Gesicht hatten. Die Länge des Haupthaares hing wohl auch damals schon weitgehend von der Mode ab. Bemerkenswerterweise war das Haar anscheinend oft blond und flachwellig. Eine Barttracht war anscheinend nicht üblich, denn die bisher bekannten Moorleichen weisen keine Bärte auf. Die Hautoberfläche ist manchmal gut erhalten, so daß man Abdrücke der Hautleisten von Händen und Füßen abnehmen konnte. Wir dürfen auch auf eine gar nicht seltene sorgfältige Körperpflege schließen. Allerdings deuten gutbeschnittene Finger- und Zehennägel evtl. auf eine höhere soziale Stellung hin, da ein solcher Zustand der Nägel mit schwerer körperlicher Arbeit nicht vereinbar ist. Die ursprüngliche Körpergröße dieser Personen läßt sich infolge von Schrumpfungsvorgängen oft nicht mehr feststellen. Der Magen-Darm-Kanal dreier dänischer Moorleichen enthielt eine Grütze aus Gerste, Leinsame, Knöterich, Ackersperk, vermengt mit weiteren zahlreichen Unkrautsamen. Nur in einem Falle fanden sich Anzeichen für Fleischgenuß (Henkersmahlzeit?). Die letzte Mahlzeit des bei Dätgen gefundenen Mannes bestand aus Hirse, Weizen und Fleisch. Obwohl bei einigen Moorleichen makroskopisch innere Organe noch gut erkennbar waren, erbrachte die mikroskopische Untersuchung nur wenig Aufschlüsse.39 Der Mann aus dem Moor von Grauballe, Jütland (P. V. Glob 1966, S. 33ff.) wies Frakturen der linken Tibia und des rechten Stirnbeines auf, die er erst kurz vor seinem Tode erlitten haben kann (Mißhandlung?), die Brustwirbel waren spondylotisch, das Gebiß trug Spuren von sicherlich sehr schmerzhaften Zahn- und Kiefererkrankungen. Zum Abschluß sei noch auf einen Röntgenbefund des Mädchens von Windeby, Kr. Eckernförde, aufmerksam gemacht. Hier zeigt das distale Ende der Tibia sogenannte Wachstumslinien, die auf Stockungen des Wachstums, bedingt durch Ernährungsschwierigkeiten, schließen lassen (im Winter?). 39
An inneren Organen waren bei den drei dänischen und einer deutschen Moorleiche (Tollund 1950, Grauballe 1950, Borremose 1946, Windeby I) das Gehirn, Lunge, Leber und die Verdauungsorgane ziemlich gut erkennbar. Die mikroskopische Untersuchung brachte jedoch wenig Aufschlüsse. Bei dem Mädchen von Windeby waren am Gehirn Rinde und Mark noch unterscheidbar, sonst war die Färbung diffus.
ANTHROPOLOGIE
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g) Siedlungsgröße Für die Darstellung der Lebensverhältnisse ist die Beantwortung der Frage nach der jeweiligen Siedlungsgröße bzw. nach der durchschnittlichen Anzahl der Bewohner der zu einem Gräberfeld gehörenden Siedlung wichtig. Zur Schätzung der Einwohnerzahl nach G. Acsädi und J. Nemeskeri (1957, S. 133 ff.) muß man 1. die Anzahl der Individuen (vollständige Serien?), 2. die Belegungsdauer des Friedhofes und 3. das durchschnittliche Sterbealter der Menschen kennen. Von dem vorliegenden Material aus der D D R erfüllen nur zwei Serien diese Ansprüche: die von Lanz und die von Kemnitz. Die Berechnungen gehen davon aus, daß es möglich war, die genannten drei Faktoren richtig zu beurteilen. 1. Lanz, Kr. Ludwigslust. Eisenzeit, 392 Individuen, Belegungsdauer des Friedhofes etwa 600 Jahre; mittleres Sterbealter: 25 Jahre. 2. Kemnitz, Kr. Potsdam. Frühe römische Kaiserzeit, 688 Individuen, Belegungsdauer etwa 100 Jahre; mittleres Sterbealter: 26 Jahre. Nach der Methode von Acsädi ergibt sich für Lanz eine durchschnittliche Zahl von etwa 18, für Kemnitz eine solche von etwa 273 Menschen. Wegen der großen Differenz zwischen beiden Werten müssen weitere Untersuchungsergebnisse zur Siedlungsgröße abgewartet werden. Eine Unsicherheit für die Beurteilung des Gräberfeldes von Lanz liegt auch darin, daß eine gleichbleibende Besiedlung über einen Zeitraum von 600 Jahren schwer vorstellbar ist. In Skandinavien gab es nach R. Hachmann (1970, S. 404ff.; 1956, S. 7ff.) in der vorrömischen Eisenzeit meist kleine Siedlungen mit nur geringer Kopfzahl. Wohl darf man eine Bevölkerungszunahme vermuten, sie verlief jedoch langsam und unregelmäßig. Der Friedhof von Kyrkbacken auf Gotland (R. Hachmann 1970, S. 405 ff.) wurde etwa 300 Jahre benutzt (etwa zu Beginn unserer Zeitrechnung), also von 9—12 Generationen. Hier kann man mit maximal 9—12 Familien rechnen. Tabelle 1 A.
Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein. V o r Beginn unserer Zeitrechnung Die Serien beginnen z. T . bereits in der Jungbronzezeit und gehen
(kontinuierlich)
in die Eisenzeit über. D a sie sich zeitlich nicht trennen lassen, wurden sie im ganzen in die Tabelle übernommen. 1. Sölten, K r . Recklinghausen, N = 2. Vörde-Ork, K r . Dinslaken, N =
124 (nach H . K r u m m b e i n 1935, S. 240 ff.) 17 (U. Schäfer 1961, S. 3o8ff.)
3. Krankenhagen, K r . Grafsch. Schaumburg, N = 29 (U. T h i e m e 1939, S. 3off.) A n kleinen Serien und Einzelfunden liegen vor (N = unter 10): 4. Pinneberg, K r . Pinneberg (I. K ü h l 1967, S. 135) 5. Gönnebek, K r . Segeberg (I. K ü h l 1967, S. 134) 6. V ö r d e - E m e l s u m , K r . Dinslaken (U. Schäfer 1961, S. 308 ff.) 1. — 3 . Jh. u. Z. 7. D a m p , K r . Eckernförde, N =
15 (I. K ü h l 1967, S. 137)
8. Preetz, K r . Plön, N = 24 (U. Schäfer i960, S. 101 ff.) 9. Hamfelde, K r . H z g t . Lauenburg, N = 762 (U. Aner 1 9 7 1 , S. 58ff.) A l s Vergleichsserie soll b e n u t z t werden (nicht germanisch): 10. Horath, K r . Bernkastel, N = e t w a 200 (G. M a h r 1967, S. i 2 g f f . )
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
174 Fortsetzung Tabelle 1 B . - E . D D R , (West-) Berlin und V R Polen B.
Bez. Schwerin, Bez. Neubrandenburg, Bez. Rostock Späte Bronzezeit und ältere Eisenzeit 1. 2. 3. 4. 5.
C.
Lanz, K r . Ludwigslust, N = etwa 40040 (Ch. Müller 1964a, S. 5ff.) Blievenstorf, Kr. Ludwigslust, N = 200 (H.-H. Müller 1964, S. 39f.; 1968, S. 221 f.) Gielow, K r . Malchin, N = 11 (Ch. Müller 1965, S. I35ff.) Remplin, K r . Malchin, N = 18 (Ch. Müller 1967, S. 239ff.) Güstow, K r . Rügen (H. Grimm 1959, S. 88ff.)
Bez. Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus, Berlin, (West-)Berlin, V R Polen Vor unserer Zeitrechnung 1. Stendell, K r . Angermünde, N = 73 (U. Sikora u. Ch. Müller 1964, S. 82ff.) 2. Blönsdorf, Kr. Jüterbog, N = 51 (K. Marschalleck 1926, S. 49ff.) Fünf kleinere Serien (N = unter 10) und Einzelfunde: 3. Seddin, Kr. Perleberg (A. Kiekebusch 1928, S. 21 ff.) 4. Wachow, K r . Nauen (W.-D. B u c k 1966, S. 142ff.) 5. Radensieben, K r . Neuruppin (K. Grebe 1962, S. H3ff.) 6. Frankfurt/Oder (S. Griesa 1967, S. I44ff.) 7. Casekow, Kr. Angermünde (W. Weiss u. H. Geisler 1965, S. I40ff.) 8. Kemnitz, Kr. Potsdam, N = 678 (H. Westphal u. Ch. Müller) 9. Cammer, Kr. Beizig, N = 45 (H.-H. Müller 1967 u. Ch. Müller 1963) 10. Berlin-Neukölln (Britz), N = 12 (H. Grimm 1953, S. 59ff.) 11. Stare Polaszki, Okr. Köscierzyna, 5. —2. Jh. v . u . Z., N = 67 (J. Gladykowska 1965, S. 105 ff.) 12. Glincz N o w y , Okr. Kartuzy, Oksywia-Kultur, N = 69 (J. Giadykowska 1968, S. 241 ff.)
D.
Bez. Halle, Magdeburg Vor Beginn unserer Zeitrechnung 1. 2. 3. 4.
Randau, K r . Schönebeck, N = 14 (H. Grimm u. G. Theiß 1954, S. 196ff.) Menz, K r . Burg, N = 50 (V. Geupel u. H.-H. Müller 1967, S. 259ff.) Gräfenhainichen, Kr. Gräfenhainichen, N = 126 (Ch. Müller 1966a, S. 55ff.) Fischbeck, Kr. Havelberg, N = 78 (H.-H. Müller 1962, S. 231 ff.) 1 . - 3 . Jh. u. Z. 5. Burg, Kr. Burg, N = 42 (N. Arendt 1958/59, S. 3i9ff.) Zwei kleinere Serien (N = unter 10): 6. Naumburg, K r . Naumburg (E. Speer 1968, S. 233ff.) 7. Bornitz, Kr. Zeitz (U. Thieme 1940, S. 253ff.) E.
Bez. Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt Vor unserer Zeitrechnung 1. Zaasch, Kr. Delitzsch, N = 22 (H. Kaufmann 1968, S. 324)
40
Arbeiten des Autors zu Fragen der Untersuchungsmethodik: Ch. Müller 1958/1959, S. 229ff.; 1964b, S. 2ff.
ANTHROPOLOGIE
175
Fortsetzung Tabelle 1 Sechs kleinere Serien (N = unter 10) und Einzelfunde: 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Harth b. Zwenkau, Kr. Leipzig (V. Geupel 1967, S. 213 ff.) Zauschwitz, K r . Borna (H. Grimm 1969, S. 24off.) Groitzsch, K r . Borna (H. Kaufmann 1968, S. 324) Klein-Sermuth, Kr. Grimma (H. Kaufmann 1968, S. 568) Seegeritz, K r . Leipzig (H. Kaufmann i960, S. 235ff.) Dommitzsch, Kr. Torgau (H. Kaufmann 1966, S. 72ff.) 1. —3. Jh. u. Z. 8. Prositz, Kr. Meißen, N = 22 (W. Fricke i960, S. 32off.)
Tabelle 2 Anteil der Altersgruppe 0 — 6 Jahre an den Nichterwachsenen (BZ) — E Z Sölten Blievenstorf Lanz Stendell Gräfenhainichen Menz Frühe Kaiserzeit Kemnitz Cammer
= = = = = =
88,0% 57,8% 59,1% 44,5% 51,5% 56,5%
= 50,9%
Tabelle 3 Anteil der adulten Individuen an den Erwachsenen Eisenzeit Serie
Erw. N
adult N
in % der Erwachsenen
Blievenstorf Lanz Stendell Gräfenhainichen
122 255 47 90
55 182 36 66
45,1 71,4 76,7 73,4
Frühe Kaiserzeit Kemnitz Cammer Hamfelde
442 28 457
257 17 199
58,2 60,7 43,7
176
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Tabelle 4 Altersunterschiede Männer/Frauen Serie
Alter in Jahren
Zeit
Gielow Lanz* Stendell* Gräfenhainichen* Remplin Glincz Nowy (Polen) Stare Polaszki (Polen) Kemnitz*
(BZ) EZ (BZ + ) EZ EZ EZ EZ EZ EZ Ksz.
männlich
weiblich
Differenz
53 36 34 36 43 39 36
29 34 32 33 3° 27 26
24 Jahre 2 2 3 .. 13 „ 12 10
35
32
3 Jahre
Tabelle 5 Pathologische Erscheinungen an: Serie Stendell Gräfenhainichen Lanz Kemnitz
(13) (24) (28) (58)
Schädel
davon Zähne
Gebiß, Kiefer
Postkr. Skelett
davon Wirbel
anderes
7 19 20 48
1 6 4 35
6 15 20 30
7 9 11 11
5 6 10 5
3 6 5
In Klammern gesetzte Zahlen: Anzahl der Individuen mit pathologischen Veränderungen. Zahlen in den übrigen Rubriken jeweils Anzahl der Individuen mit den entsprechenden Erkrankungen. Anzahl der Individuen mit spondylotischen Erscheinungen Serie
Halswirbel
Stendell Lanz Gräfenhainichen Kemnitz
Brustwirbel 2 5 2 3
Tabelle 6 Hominidenmoorfunde Dänemark Niederlande Belgien BRD DDR
N N N N N
= 18 = 8 = 3 = 36 = 4 69
3 8 2 0
Lendenwirbel 4 7 2 1
unbest. 1 1 1 1
K U L T UND BESTATTUNGSWESEN
3.
Kult und
177
Bestattungswesen
a) Der Kult als gesellschaftliche Erscheinung
Kult und Kulthandlungen der germanischen Bevölkerung in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. trugen noch archaische Züge, die durch historisch überlieferte Vorstellungen eines Seelen-Ahnen-Kultes geprägt waren. Hier handelt es sich um echte Bestandteile des Überbaus einer von der landwirtschaftlichen Produktion bestimmten Entwicklung, in der erst im letzten Jahrhundert vor Beginn u. Z. Bedingungen für sozialökonomische Differenzierungen herangereift waren. Das stabilste Element im Kult der germanischen Stämme stellten entsprechend der vorherrschenden Wirtschaftsweise die Fruchtbarkeitsgötter dar. Einflüsse, wie sie etwa aus dem keltischen Bereich kamen41, konnten ihre Bedeutung nicht im Grundsatz ändern, eher noch vertiefen. Lediglich in kriegerischen Zeiten gewann im Zuge der militärdemokratischen Entwicklung der Kriegsgott, dem vor allem der Adel und seine Gefolgsleute huldigten, an Bedeutung. Als Folge der sozialen Stellung, der Anschauungen, Lebensbedürfnisse und politischen Zielstellungen der verschiedenen Bevölkerungsschichten, deren Götter den eigenen Lebensinteressen entsprachen bzw. diesen Bedürfnissen gemäß geschaffen wurden, ergab sich mit fortschreitender Entwicklung dadurch eine Art Polarität in der germanischen Religion. In steter Wechselbeziehung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre glaubte man an Schutzgottheiten als Regler der Tätigkeit und der Verhaltensnormen ihrer Verehrer in den einzelnen Stammesgebieten.42 Kult und Kulthandlungen standen in engem Wechselverhältnis zu den noch urkommunistischen Lebensverhältnissen und unterschieden sich demzufolge von den Kulthandlungen, die von der in ihren sozialökonomischen Verhältnissen bereits weiter fortgeschrittenen Bevölkerung im keltischen Gebiet ausgeübt wurden. So gab es im germanischen Kult dieser Zeit keine größeren Kultbauten, es fehlen Viereckschanzen mit tiefen Opferschächten43, und es fehlen auch sogenannte Aschenaltäre, wie in der Zone unmittelbar nördlich der Alpen (H. Jankuhn 1967, S. 1 1 7 , Anm. 4 und 6). Dagegen begegnen als Zeichen ehemaligen kultischen Lebens Moorfunde, darunter auch Moorleichen wie auch Quellfunde (s. S. 366 ff.). Neben einfachen Opferplätzen gab es aber auch andere Stätten, mit einem oder mehreren Steinhaufen, auf denen anthropomorphe, stark phallische Holzfiguren gestanden haben können. 41
42
43
Bisher beliebte Götter konnten dadurch verdrängt werden. In späterer Zeit sind sie noch genannt, aber es ist ihnen kein Kult mehr gewidmet; die Erinnerung an sie verblaßte allmählich. An einer solchen Legitimation war vor allem der Adel interessiert. E r nahm für sich in Anspruch, allein mit der Gottheit eng verbunden, ja sogar verwandt zu sein. Die Wurzeln dieser besonders in der Wikingerzeit hervortretenden Anschauungen gehen bis dorthin zurück, wo der Adel entsprechend seiner gesellschaftlichen Stellung die Lebensbedürfnisse veränderte. Siehe hierzu K. Schwarz (1958, S. 203ff.). Ob die sogenannten Opferschächte von Lossow, Kr. Eisenhüttenstadt, in diesem Zusammenhang zu sehen sind, ist nach den neuesten Untersuchungen und den daraus gewonnenen Altersansetzungen dieser Anlagen und ihrer kultischen Zuordnung zu nichtgermanischen Bevölkerungsgruppen sehr fraglich, s. hierzu H. Geisler (1969, S. 132 ff.); hier auch weitere Literaturhinweise auf die Gesamtproblematik der Deutung der Schächte, die auch K. Tackenberg (1962, S. 55ff.) behandelt hat.
1 2 Germanen —Bd. i
178
G E R M A N I S C H E S T Ä M M E BIS ZUM B E G I N N U . Z.
Bei der Erklärung von Naturerscheinungen überwogen alte naturmythologische Züge. Einige später überlieferte Stammesnamen lassen noch totemistische Relikte erkennen, wie z. B. der Name der Cherusker, der von „heruz", d. i. junger Hirsch, herzuleiten ist.44 Weit verbreitet war die Magie, die Heil- und Vorbeugezwecken diente. Beschwörungsformeln, das Feuer und mancherlei Amulette spielten hierbei eine wichtige Rolle. Hinzu kam die Mantik, die Wahrsagekunst, aus dem Vogelflug, aus dem Verhalten der heiligen, weißen Pferde und vor allem aus Losstäbchen mit eingeschnitzten Kennzeichen. Die Wahrsagekunst übten oft Frauen aus. Sogar bei Entscheidungen über kriegerische Angelegenheiten wurde ihr Rat gehört und berücksichtigt. Selbst ein so bedeutender Anführer germanischer Stammeskontingente wie Ariovist konnte sich diesen Aussagen nicht entziehen (Dio Cassius 38, 45, 3—50). Das Jahr begann mit dem Vollmond zwischen September und Oktober. Insgesamt wurde nach Wintern und nach Nächten sowie nach Monden gerechnet (R. Goette 1920, S. 41, 79). Daher waren Voll- und Neumonde wichtige Daten für das Thing, auch für den Beginn einer entscheidenden Aktion. b)
Frucktbarkeitskult
Die bäuerliche Lebensweise ließ jahreszeitlich bedingte Fruchtbarkeitskulte entstehen, die das persönliche Leben, aber auch die Umwelt (Land, Gewässer, Sonne, Regen, Wind) günstig beeinflussen sollten. Flurumgänge, Wald- und Feldkulte mit der Verehrung von Dingen, die in der Natur vorkamen, haben sich daraus entwickelt. Zu den Opferplätzen zählten Seen, Moore, Flüsse, Steinhaufen und die Siedlungen der Opfernden selbst. Als Fundobjekte begegnen häufig Tiere oder Teile von Tieren (Rind; Schaf/Ziege; Schwein; Pferd; Hund) sowie von Menschen; außerdem noch verschiedene Gegenstände, wie Holzgeräte, Pflöcke und Halfter, die auf Viehhaltung, sowie Metallgegenstände und Tongefäße, meist Becher, die auf Trinkopfer (?) schließen lassen. Oft fand man Pferde- und Hundeteile (Schädel; Extremitäten) beeinander niedergelegt. Seit dem 3. Jh. v. u. Z. sind mehrfach Gefäß-Depots belegt, bei denen man über kleinere, vermutlich mit Speiseopfern gefüllte Gefäße, große Vorratsgefäße gestülpt hatte (H. Seyer und F. Horst 1972, S. 203 ff.). Alle Fundplätze Hegen innerhalb landwirtschaftlich genutzter Gebiete, was mitgefundene Getreidepollen bestätigen. Mithin gehören sie, wie auch die Mooropferplätze, in den Bereich kleiner Siedlungsinseln, die aus einigen Gehöftgruppen oder Siedelplätzen bestanden. Es waren also kleine Kultplätze (H. Jankuhn 1967, S. 115ff.). Die Reste von jungen Tieren scheinen das Frühjahr bzw. den Herbst als bevorzugte Opfer44
S. A. Tokarew (Berlin 1968). Als Quellen zur altgermanischen Religion führt er folgende, von ihm als wesentlich bezeichnet, auf: 1. Archäologische Denkmäler, 2. Berichte griechischer und römischer Schriftsteller, 3. Unterlagen aus der mittelalterlichen christlichen Literatur wie z. B.
Predigttexte,
bischöfliche Rundschreiben und
Synodalbeschlüsse,
4. die unter dem Namen „ E d d a " bekannten mittelalterlich skandinavischen Sammelwerke (die sog. Ältere oder Poetische E d d a —
10. bis 12. Jh.), eine Sammlung germanischer
Götter- und Heldenlieder und die sog. Jüngere oder Prosaische E d d a — 12. bis 13. Jh. — , eine religiös mythologische Darstellung, 5. die in der volkskundlichen Literatur geschilderten Überreste der altgermanischen Religion im Glauben und in den Sitten des Volkes (ebenda, S. 275 f.).
KULT UND BESTATTUNGSWESEN
179
Zeiten des Jahres auszuweisen, so daß auch sie Opfer für den Vegetationsgeist und für Fruchtbarkeitsgottheiten gewesen sein dürften. Auf anderen Opferplätzen waren Steinhaufen errichtet, in die jeweils eine lange Stange mit einer geschnitzten, stilisierten anthropomorphen Figur gesteckt war. Die von Tacitus genannten ,,arae" könnten solche Steinmale gewesen sein (Tacitus, Ann. 1, 61). Dazu fand man verschiedene einfache Holzidole (Taf. 21) an Hohlwegen und auf Mooropferplätzen. Aus letzteren konnten sowohl Gefäße und Reste davon als auch Tier- und Menschenknochen geborgen werden. Opferplätze waren auch stehende Gewässer, in denen unter anderem Tiere, besonders Pferde und Hunde, aber auch Menschen geopfert wurden. Weiterhin können lange Feuerstellenreihen und von Holzpfählen umhegte Stellen Opferplätze gewesen sein, wie derartiges verschiedentlich bei Ausgrabungen zutage kam. 45 c) Totenkult und Bestattungszeremonien Im Zyklus vom Werden und Vergehen spielte der Totenkult eine bedeutende Rolle. Seine Erscheinungsformen sind wegen der günstigeren Quellenlage besser überliefert als die des Fruchtbarkeitskultes. Mit der Herausbildung des Adels und der sich daraus ergebenden sozialen Schichtung der Bevölkerung, mit der auf Führung und Herrschaft ausgerichteten politischen Zielstellung der Angehörigen dieser Schicht und mit dem Beginn des gewaltsamen Erwerbs fremden gesellschaftlichen Mehrproduktes durch Raub und Krieg begannen sich noch vor Beginn u. Z. religiöse Vorstellungen über ein jenseitiges Herren- und Kriegerparadies herauszuentwickeln, das insbesondere die Angehörigen der vom Adel geführten Gefolgschaften verherrlichte und deshalb auch von adligen Germanen gefördert wurde. Die breiten Bevölkerungsschichten wurden von dieser speziellen, eng mit Ideologie und Politik verknüpften Entwicklung kaum direkt erfaßt. Ihre Zeremonien beim Totenkult mit dem Verbrennen des Toten und dem Bestatten blieben im Wesen die gleichen. Sie waren regional zwar unterschiedlich, insgesamt aber einfach und prunklos (Tacitus, Germ. 27). Dabei anfallende Pflichten oblagen sicher der Familie, Sippe oder Hofgemeinschaft. Es ist anzunehmen, daß die Bestattungszeremonie mit traditionellen Handlungsriten am Leichnam nebst seinem Transport zur Ustrine begann, in der heimische Hölzer, wie Eiche, Kiefer, Birke, Pappel zum Verbrennen aufgestapelt wurden. Nur bei den Adligen kamen besondere Holzarten zur Verbrennung (Tacitus, Germ. 27).46 In der Regel fand wohl eine totale Verbrennung statt. Deshalb überrascht Durch die Ausgrabungsergebnisse von Zedau, Ot. v. Osterburg, konnte erst in jüngster Zeit eine solche Feuersteinreihe mit sehr wahrscheinlich kultischer Bedeutung für den Siedlungshorizont der späten Bronzezeit nachgewiesen werden (F. Horst 1971, S. 22ff.). Weitere Anlagen dieser A r t und aus demselben Zeithorizont sind bekannt (Vgl. Kap. IV, Anm. 20). 46 Zweifellos fußen Nachrichten, insbesondere über Kult und Bestattungswesen, auf Gewohnheiten, die aus älterer Zeit stammen, da Traditionen kultischer Angelegenheiten außer, ordentlich langlebig zu sein pflegen. Da Tacitus (Germ. 10) sowohl hier als auch in seinen Annalen und Historien vielfach auf älteren Quellen fußt und gewisse Traditionen vorausgesetzt werden können, ist es berechtigt, ihn in diesem Zusammenhange zu zitieren, obwohl seine Niederschriften gegenüber der Jastorfzeit jüngeren Datums sind. 45
12*
i8o
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
es umsomehr, daß fast nie die gesamte Leichenbrandmenge mit oder ohne Beigaben in die Urne bzw. in das Grab gelangte, und zwar auch dann nicht, wenn man eine unvollständige Erhaltung der Brandreste annimmt. Bisher ließ sich in vielen Fällen die anatomisch geordnete Einfüllung der Brandreste in die Urne bestätigen. Fast durchweg bleibt unbekannt, ob der Tote bekleidet oder zugedeckt worden war. Mitunter weisen kalzinierte Bärenkrallen in Gräbern auf die Mitgabe eines Bärenfelles hin.47 Zur Bestattungszeremonie scheinen Wegzehrung oder Brandopfer gehört zu haben; aus den wenigen, erst in letzter Zeit nachgewiesenen Tierresten bei Leichenbranduntersuchungen aus germanischen Gräberfeldern wäre eine solche Deutung möglich.48 Seit der späten Bronzezeit ist im Elbe-Oder-Gebiet, wenn auch zunächst vereinzelt, das sogenannte Urnenharz bekannt. Es kommt besonders häufig in Urnen des letzten Jahrhunderts v. u. Z. und des 1. bis 3. Jh. u. Z. im Elbegebiet vor. Die fladen- oder tropfenförmigen Harzstücke auf dem Urnenboden, die häufig auch mit Leichenbrandstücken oder mit Beigaben versintert sind, stammen von brennenden, vor dem bzw. bei dem Einfüllen des Leichenbrandes in die Urne benutzten Fackeln.49 Mitunter haftet eine breit geflossene Harzmasse fest am Urnenboden. Stückanalysen haben ergeben, daß solche Urnenharzstücke hauptsächlich aus Teilen geschwelter Birkenhölzer und Wachs bestehen. Zahlreiche Gewebeabdrücke auf solchen Klumpen sowie deren Formen lassen den Schluß zu, daß die Masse stangenförmig gezogen und gedreht und mit verschiedenen Stoffteilen umwickelt als Fackel diente. Mitunter lassen glatte Endenstücke, Kniffspuren oder querrandige Aufwulstungen erkennen, daß die Fackeln in hohlen Holz- oder Tonröhren gesteckt hatten. Es ist möglich, daß sie auch am Sterbe- oder Totenbett aufgestellt abbrannten und der Rest in die Urne getan wurde.50 Die Sitte einer „Beigabe" für den zu Bestattenden resultiert einmal aus der sehr alten Auffassung vom personengebundenen Besitz der individuell gebrauchten Objekte und zum anderen aus der Vorstellung des Fortlebens nach dem Tode. Das führt zu der an sich berechtigten Annahme, daß man dem Toten nicht nur die Kleidung, sondern auch das Trachtzubehör, den Schmuck sowie die sonstige Ausrüstung nebst Wegzehrung (auch Tiere) mitgab. Die Mehrzahl der erhaltenen Beigabestücke sind aus Metall. In den Anfängen dieses Entwicklungsabschnittes überwog auch hier die Bronze; erst später sind es Gegenstände aus Eisen. Edelmetall kommt in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. in den Gräbern kaum vor; das gilt im besonderen für Goldgegenstände. Funde aus Knochen und Geweih begegnen dagegen als Bestandteile der Tracht und 47
48
49
50
Unerkannt bleiben zumeist Dinge, die aus organischen oder flüssigen Stoffen hinzugetan wurden, wie der Brennvorgang verlief, ob der Holzstoß mehrmals geschichtet werden mußte und wie der Leichenbrand der Asche entnommen wurde. Im Gegensatz zum germanischen Gebiet sind derartige Funde besonders zahlreich von keltischen Bestattungsplätzen, auch von solchen der Lausitzer Kulturgruppen (H.-H. Müller 1962). Weitere Literatur hierzu: R . Stimming 1914, S. 192; W. v. Stokar 1935, S. 41 ff.; G. Behm 1948, S. 275ff.; R. Laser 1962, S. 3 i g f f . Bei einer Anzahl solcher Urnenharzstücke aus dem Elbe-Havel-Gebiet wurden bereits vor 200 Jahren zahnartige Abdrücke erkannt. Neuerdings wurde aus derartigen Bißspuren gefolgert, daß solche Harzstücke zum Mundverschluß bei Toten dienten (R. Laser 1962, S. 3 ig f.). Das bedingt aber, daß sie vor dem Brande wieder herausgenommen und in die Urne getan worden sein müssen.
K U L T UND BESTATTUNGSWESEN
l8l
des Schmucks, jedoch häufiger erst mit der fortschreitenden Entwicklung in jüngeren Zeiten. Seltener dagegen sind Gegenstände aus Glas mitgegeben, die nicht aus der einheimischen Produktion stammten, sondern zum sogenannten Einfuhrgut zählten. Aus kultisch-religiösen Gründen wurden im mitteldeutschen Gebiet verschiedentlich Steinbeile mit in die Urnengräber gelegt. Ähnliche Funde stammen aus der ÖSSR (Böhmen). Organische Materialien, wie Stoffe, Leder, Holz, sind selten, meist nur an metallischen Oxyden als sogenannte Abdrücke faßbar. Neben gewöhnlicher Gebrauchskeramik wurden als Urnen auch schwarzglänzend oder rotbraunglänzend polierte Tongefäße benutzt. Die später auf ihnen vorkommende mäandrierende Rollstempelzier könnte auf Ritualgefäße hinweisen. Da dem Toten nicht immer alles aus seinem Besitz mitgegeben wurde, muß man eine Voll-, Teil- oder Rest-Mitgabe unterscheiden. Verschiedentlich läßt sich eine zweimalige Beigabe feststellen, wenn neben verschmolzenen völlig unzerstörte und unverbrannte Stücke im Grab gefunden werden. Die rituelle Behandlung der Beigaben durch die Bestattenden ist außerordentlich mannigfach. Diese Beigaben sind teils mitverbrannt oder nicht, teils ganz oder verbogen oder zerbrochen oder fragmentarisch, teils im Etui oder umhüllt oder nicht mitgegeben worden. Die Zerstörung, das „Töten der Objekte", die man „beseelt" glaubte, geschah vor oder nach dem Brande. Sie wurde besonders an bestimmten Schmuck- und Trachtgegenständen, wie Nadeln, Fibeln, Gürtelteilen sowie an Waffen und Werkzeugen geübt. Kleinere Objekte scheinen mehr oder weniger ausgenommen gewesen zu sein. Vielleicht lag infolge Raummangels beim Unterbringen sehr langer Stücke in einem Behältnis außer der rituellen Gepflogenheit auch ein praktischer Zweck zugrunde. Nur in der älteren Jastorfperiode sind bei den nördlichen Gruppen mehrfach kleine Beigefäße auf den Leichenbrand gestellt worden, wie in Börnicke, Kr. Nauen, Lanz, Kr. Ludwigslust, und Wachow, Kr. Nauen. Seltener kommen sie auf den Gräberfeldern im östlichen Niedersachsen, in der Altmark und im Elb-Havel-Gebiet vor. Es handelt sich hierbei um einheimische, aus der späten Bronzezeit überlieferte Gepflogenheiten. Die Beigaben-Objekte, wie Zubehörteile zur Tracht, zum Schmuck, zum Handwerk, zur Kriegsausrüstung, zur Jagdausrüstung und schließlich Amulette und Talismane kommen aus den verschiedensten Lebensbereichen. Bemerkenswerterweise wurden landwirtschaftliche Gegenstände, wie Pflug, Spaten, Sichel, Pflanzstock, Hacke, Hippe, Beil, Axt, Tau (Seil), Lederzeug, Wagen, kaum als Beigaben verwendet. Auch Webegewichte findet man nur selten in Gräbern.51 Andere Geräte, wie z. B. Hammer, Zange, Wirtel, Schere, Messer, Nadel mit Öhr, werden dagegen wiederholt angetroffen. Da Beigaben aus organischen Stoffen kaum erhalten blieben, kam nur ein kleiner Teil dieser materiellen Güter zu unserer Kenntnis. Er besteht zumeist aus Schmuckgerät, das überwiegend Frauen getragen haben. Erst durch die Beigabe von Waffen seit dem letzten Jh. v. u. Z. wird eine Widerspiegelung beider Geschlechter besser erkennbar. Trotz gleichbleibender Gewohnheiten werden jetzt bezüglich Auswahl und Anzahl der Beigaben auch soziale Unterschiede individueller Art sichtbar. Außerdem scheint sich besonders seit dem 2. Jh. v. u. Z. die Beigabenquote ganz allgemein zu erhöhen. 51
Das Webgestell könnte gemeinschaftlich genutzt worden sein. Die Mitgabe von Teilen desselben in ein Einzelgrab würde dadurch weitgehend entfallen.
182
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Eine Besonderheit sind hervorragend angelegte Monumentalgrabbauten aus steinkistenartigen oder dicht umpackten Rollsteinlagern sowie aus flach geschlagenen Steinplatten, die die Urne mantelartig umhüllen (Grab 29 von Stendell, Kr. Angermünde). Grabanlagen dieser Art fand man stets vereinzelt auf den Gräberfeldern. Ihre Bedeutung unterstreicht eine starke Hügelüberdeckung, die mit einzelnen Großsteinblöcken, auch Holzpfählen, wie in Börnicke, Kr. Nauen, eingefriedet war. Die unter dem Namen „Steintänze" in die Literatur eingegangenen Gräber sind vor allem in den Küstengebieten der südlichen Ostsee, aber auch vereinzelt im Binnenland bis zur Altmark und bis zum Havelgebiet (Börnicke, Kr. Nauen) verbreitet. 52 Die Bedeutung der Monumentalgrabbauten für die Beurteilung der gesellschaftlichen Verhältnisse läßt sich nur annähernd bestimmen. Sehr wahrscheinlich gehören sie zu den Grabanlagen besonderer Personen, deren Stellung im Rahmen der jeweiligen Bevölkerungsgruppen dadurch auch nach dem Tode Ausdruck verliehen wurde. Es wurde bereits an anderen Stellen darauf hingewiesen, daß die Entwicklung bei den germanischen Stämmen durch Einflüsse aus dem keltischen Gebiet mitbestimmt worden ist. Hierzu gehört auch die Sitte der rituell verbogenen Waffen, wie das einschneidige kurze Nahkampf-Stoßmesser mit mittelachsiger Griffangel in den Gräbern seit etwa dem 3. Jh. v. u. Z. belegen. Man wird die Toten mit derartigen Beigaben, die keineswegs eine allgemein germanische Eigenart darstellen, evtl. als „Reisläufer" bezeichnen können. 53 Neues offenbart sich mit den seit dem letzten Jahrhundert v. u. Z. im elbgermanischen Bereich vereinzelt anzutreffenden Bestattungen mit zweischneidigem Schwert, Schild und Lanze. Insbesondere aber dann seit seinen letzten Jahrzehnten mit den zahlreichen unterschiedlichen Waffengräbern. Unter ihnen treten vor allem solche hervor, die neben anderen Waffen ein einschneidiges Schwert führen, das nunmehr als eine rein germanische Waffe anzusehen ist. Beide Erscheinungen sind sehr wahrscheinlich sichtbare Hinweise auf Prozesse innerhalb einer sogenannten Adelsschicht, die sich allmählich herausbildete. Diese zahlreichen Waffengräber sind Ausdruck beginnender militärdemokratischer Verhältnisse. Eigenartig und nach wie vor nicht sicher gedeutet ist eine Anzahl bisher bekannt gewordener Schädelbestattungen, deren Fundumstände zum Teil Kult oder Opfer (?) vermuten lassen. Sie stammen vor allem aus dem Übergang von der jüngeren Bronzezur frühen Eisenzeit und sind z. B. aus den Fundorten Schollene, Kr. Havelberg, Görzke, Kr. Beizig, Triglitz, Kr. Pritzwalk, Jeserig, Kr. Brandenburg-Land und aus Brandenburg-Neuendorf nachweisbar. Parallelen hierzu gibt es im südlichen Hallstattgebiet. Im Kult der germanischen Stämme fanden auch Importgegenstände aus dem südlichen Bereich Verwendung, wie bronzene etruskische und keltische Prunkkessel. Sie 52
53
An das geschlossene Gebiet der Verbreitung von Brandbestattungen in Flachgräbern, mitunter auch in Hügelgräbern, grenzte im Süden des eigentlichen germanischen Siedlungsraumes die in gleicher Weise Totenverbrennung ausübende Bevölkerung der Hausurnenkultur. Noch weiter südlich folgten birituell bestattende Bevölkerungsgruppen, wie z. B. im Saale-Weser-Gebiet. An weiteren Waffen sind zweischneidige Eisenschwerter mit Blechscheide, eng zusammengerollt, seit dem Ende der vorrömischen Eisenzeit von Dänemark bis nach Thüringen nachgewiesen. Sie entsprechen mittel- bis spätlatenezeitlichen keltischen Typen.
KULT UND BESTATTUNGSWESEN
183
werden vorwiegend auf Jütland-Fünen-Seeland gefunden. Darunter befindet sich als bekanntestes Stück der im Gundestruper Moor gefundene Silberkessel mit seinen Kulthandlungsszenen auf vergoldeten Reliefplatten. 54 Seit dem Ausgang des letzten Jahrhunderts v. u. Z. gelangten dann vom gallischen Gebiet her die ältesten Typen der Bronzekessel mit eisernem Facettenrand in das Weser-Elbe-Gebiet; desgleichen auch kampanische Gefäße, wie Situlen mit Delphin- und Trapezattaschen, ferner frühe steilwandige Becken und Ausgußbecken, Kannen mit nach unten geschwungenem Henkel, zylindrisch-konische Eimer, Pfannen vom T y p Aylesford und einzelne andere Importstücke. Im Unterschied zu den Moorfunden werden letztere nur in Brandgräbern gefunden (H. J. Eggers 1951, S. 38ff.). Die Importe im Jastorfgebiet, die im ausgehenden Jahrhundert v. u. Z. bzw. in den ersten Jahrzehnten u. Z. angefertigt wurden, bewegen sich zahlenmäßig in sehr engen Grenzen. Die Beigaben in solchen Bronzegefäßen, zum Teil mit Gebrauchsspuren, sind meist nicht zahlreicher als in anderen Urnengräbern, auch Waffen fehlen zumeist noch bei ihnen. Jedoch läßt ihre Verwendung ein beginnendes Herausheben aus den anderen Brandbestattungen erkennen. Während die Situlen und andere Bronzegefäße starke Beziehungen zu den Werkstätten in Capua/Mittelitalien andeuten (H. Drescher 1969, S. 17ff.), weisen viele Kleingeräte aus Bronze oder Silber, die vorwiegend zur Tracht, zu den Waffen und sonstigen Dingen persönlichen Bedarfs als Beschläge gehören, auf Kontakte zum norisch-pannonischen Raum. d) Bestattungsarten Im germanischen Gebiet fanden, soweit solche Beobachtungen möglich waren, Verbrennen und Beisetzen an zwei verschiedenen Stellen, aber auch auf dem gleichen Platze statt. Die gebräuchlichste Bestattungsart war das Einbetten eines beliebig aus organischem oder anorganischem Material gefertigten, zumeist mit Leichenbrand, mit oder ohne Beigaben, gefüllten Behältnisses in eine Erdgrube mit oder ohne Steinschutz. 55 Nur ganz vereinzelt sind auch Schlackenumstellungen bei Urnen bekannt geworden (H. Hingst 1964, S. 231). In den älteren Perioden wurden die Behälter mit einem anderen verschlossen, häufig auch durch einen flachen Stein oder mit mehreren, z. T. pflasterartig überdeckt, mitunter auch entsprechend unterlegt. Vermutlich wollte man dem Toten-Geist eine bleibende Wohnstatt geben. Steinschutz und Überdecken traten allmählich zurück und verschwanden im 1. Jh. u. Z. Bei Verwendung von Behältern oder Abdeckungen aus organischem Material blieb nur das „reine" Knochenlager (Leichenbrand-Nest; -Säulchen; -Häufchen) übrig. Letzteres trat auf fast allen früheisen- und frühkaiserzeitlichen germanischen Brandgräberfeldern zutage. 56 Im Gefolge der Hallstattkultureinflüsse legte die Bevölkerung in Mittel- und Nordeuropa am Ausgang der Bronzezeit sowohl Urnengräber mit Brandschüttung als .auch 54 65
56
E. Nyl6n 1970a, S. 75ff.; ders. 1972, S. i8off. Hierzu K . Tackenberg 1934, K . Wilhelmi 1967, R.-H. Behrends 1968, H. Keiling 1962, ders. 1969, H. Seyer 1965, K . Nuglisch 1965. Die aus ihrem zahlenmäßig überwiegenden Vorhandensein, z. B. im östlichen Niedersachsen, gezogenen Schlüsse sind zu revidieren, da mit ihnen auch dort „das Urnengrab" als Bestattungsart überwiegt.
184
G E R M A N I S C H E S T Ä M M E B I S ZUM B E G I N N U . Z.
reine Brandgruben 57 für die Bestattung an. Beim sogenannten Brandschüttungsgrab wurden in der Grube Urne und Brandreste zusammen aber unterschiedlich eingebettet, so daß letztere z. T. unterhalb, z. T. neben, z. T. oberhalb der Urne bzw. des Knochenlagers zu liegen kamen. 58 Diese Brandschüttungsgräber kommen auf fast allen jastorfzeitlichen Bestattungsplätzen vor. Sie sind überhaupt östlich des Rheins für die hier in Betracht kommende Zeit nachgewiesen und können demzufolge auch nicht als „östlicher" Indikator betrachtet werden. Das Brandgrubengrab dagegen ist für die Jastorfbevölkerung eine fremdartige Erscheinung (z. B. im Gräberfeld Zauschwitz, Kr. Borna; E. Meyer 1969, S. 80). In den frühen Jastorfstufen fehlt es im Kerngebiet überhaupt, es taucht in der mittleren und späten Jastorfzeit nur vereinzelt auf den Bestattungsplätzen in West-Mecklenburg und im östlichen Niedersachsen auf (G. Schwantes 1950, S. n g f f . ) . A m stärksten verbreitet sind die Brandgrubengräber, jedoch mit regional unterscheidbaren Eigenheiten, sowohl in nord- und mitteleuropäischen (Südskandinavien/ Jütland und Westpolen) 59 als auch in nordwesteuropäischen Gebieten (zwischen WeserRhein und Rheinischem Schiefergebirge und Nordsee). Das Vorkommen der westgermanischen Brandgrubengräber und der Urnengräber mit Brandschüttung („Brandschüttungsgräber") gestattet keine klare Abgrenzung zwischen den archäologischen Gruppen im Weser-Rhein-Gebiet einerseits und denen im Nordsee-Gebiet andererseits. Die sogenannten Leergräber lassen eine Gedenkstätte oder Pflichtbezeugung oder den Rest einer Klein(st)kindbestattung vermuten. Man trifft sie als einfache Erdgrube, als „leeres" Gefäß oder auch als Steinpackung auf den Gräberfeldern an. Solche „Kenotaphien" begegnen später öfters auf langobardischen Gräberfeldern, als diese außerhalb ihres Stammesgebietes kriegerische Aktionen begannen.
e) Anlage und Belegungsart der Bestattungsplätze Die jeweils angetroffenen gleichzeitigen Siedel- und Bestattungsplätze der Jastorfbevölkerung liegen nicht allzu weit entfernt voneinander. Daß mehrere Siedelflecke zu einem gemeinsamen Bestattungsareal gehören, ist nirgends eindeutig bewiesen. Wohl aber werden mitunter innerhalb einer Gemarkung die Plätze gewechselt (H. Keiling 1970a, S. lösff.). 57
58
59
Diese besondere Bestattungsart unterscheidet sich von allen Varianten der Urnengräber. Reste des Leichenbrandes, des Scheiterhaufens, Beigaben und Gefäßfragmente gelangten ungeordnet in eine muldenförmige Grube. Mit dem römischen „bustum" hat das Brandgrubengrab nichts zu tun. Die Überbetonung dieser spezifischen Eigenart führte zur Bezeichnung „Brandschüttungsgrab". Da aber in allen solchen Gräbern ein beliebiges Behältnis für den Leichenbrand benutzt wurde, fallen auch sie unter den Oberbegriff Urnengrab. Ein Kennzeichen von Brandgrubengräbern skandinavischer bzw. westpolnischer Herkunft sind verschlackte Gefäßreste, die besonders zahlreich in Westpolen vorgefunden werden. Derartige Bestattungen lassen sich im Elbe-Oder-Gebiet zum Beispiel nur im Streifen westlich der Oder, außerdem in der ÖSSR (Tisice/Melnik/Cechy, Kolstolnä pri Dunaji/ Galanta/Slowakei) und auch vereinzelt im mitteldeutschen Gebiet (Brücken, Kr. Sangerhausen) und in Hessen nachweisen.
KULT UND BESTATTUNGSWESEN
185
Wie in vorangegangenen Zeiten bestattete auch die germanische Bevölkerung die Toten möglichst auf einer Anhöhe (Sander, Düne), an ihren Hängen oder nahe einem Flußlauf auf Terrassen; aber auch alte Grabhügel auf natürlichen Anhöhen dienten diesem Zweck. Die Urnengräber aus Jastorf, Kr. Uelzen (BRD), dem namengebenden Fundplatz, lagen in Hochäckerbeeten der Siedlung — eine Position für einen Bestattungsplatz, wie sie nicht wieder beobachtet wurde. Die Bestattungsareale sind unterschiedlich locker und dabei völlig unsystematisch belegt worden. Sie wuchsen aus vielen, z. T. gleichzeitig belegten kleinen Grabgruppierungen allmählich zusammen. Die Räume zwischen den Grabstellen schwanken erheblich. Zumeist lassen sich zwar mehrere Zentren mit unterschiedlicher Belegungsdichte und lockerer bestückten oder bis hundert und mehr Quadratmeter leeren Zwischenräumen unterscheiden, weit schwerer fällt aber die Einteilung nach älteren und jüngeren Grabfeldkomplexen. Im Ostteil des Gräberfeldes Wachow, Kr. Nauen, wurde mit 112 Bestattungsstellen auf einem Flecken von nur 18 m 2 die bisher dichteste Belegungsquote auf einem Gräberfeld dieser Zeit nachgewiesen (D.-W. Buck 1966, S. 142ff.). Bei dieser Art von Gräberfeldern mit Grabgruppierungen erkennt man noch keine Gemeinschaftsbildung. Vielmehr wird man eine gleichzeitige und fortwährende Belegung des Platzes an verschiedenen Stellen durch eine Anzahl von Familien vermuten dürfen. Erst am Ausgang der frühen Jastorfzeit begegnen im norddeutschen Gebiet hier und da dicht belegte, gemeinsam benutzte kleinere Bestattungsplätze auf engem Raum, die durch zwei bis drei Meter hohe Findlingsblöcke umhegt waren, wie z. B. in Netzeband, Kr. Greifswald. Auf verschiedenen Bestattungsplätzen von Nord-Mecklenburg bis zur Altmark wurden jeweils eine Anzahl Urnen unter einem geschlossenen Steindamm (Rollsteinpflaster) entdeckt. Auch hier könnte ein engerer Zusammenhang zwischen den so Bestatteten vermutet werden. Vielleicht handelte es sich dabei um Angehörige einer Siedlungseinheit. Auf den Bestattungsstellen der Jastorfkultur werden eingetiefte Erdgruben, mit oder ohne Inhalt, mit und ohne Steine, angetroffen. Unter ihnen fallen insbesondere mit Steinen ausgelegte, oder einfache, ovale Gruben von etwa zwei Quadratmetern Größe auf, die Ustrinen, in denen die Toten verbrannt wurden. Außer vielfachen Brandascheschichten enthalten sie vereinzelt wenige Leichenbrandreste. Solche Ustrine diente zu wiederholten Malen als Verbrennungsstelle; denn stets kamen bei vollständig ausgegrabenen Bestattungsplätzen mit über hundert Grabstellen nur wenige zutage. Auch sie unterlagen Veränderungen hinsichtlich ihrer Bauweise. Eine andere Eigenart konnte im nördlichen Jastorfgebiet auf spätbronze-früheisenzeitlichen Brandgräberfeldern beobachtet werden. Bei mehreren Grabstellen bestand jeweils dicht neben einem Urnengrab eine weitere Erdgrube mit Brandrestbeständen, darunter manchmal Objektteilen, die zu solchen Brandresten aus dem dazugehörigen Urnengrab gehörten. Vielleicht kann man diese doppelte Grabanlage für Urne und Brandreste als eine Art Vorläufer für jene Grabform ansehen, in der dann (später) Urne oder Knochenlager zusammen mit Brandschüttung vorkommen. Unbekannt ist, welche Bedeutung sog. Holzkohlenstellen beizumessen ist, die ab und an auf Gräberfeldern angetroffen worden sind (Opfer am Grabe?). Völlig unvermittelt begegnen sogenannte Wagengräber vor allem im nördlichen Dänemark, aber auch im südöstlichen Ostseegebiet. Sie waren zum Teil reichlich und mit Waffen ausgestattet, wie die von Kraghede, Grab A-i, und von Langaa auf Fü-
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
nen, Grab l. Gräber mit Wagenresten stammen auch von Husby, Kr. Flensburg (K. Raddatz 1967). Alle diese Wagen sind zweiachsig. Die gut inkrustierte Zeichnung einer „kultischen Fahrt" zeigt eine Gesichtsurne der Ostpommerschen Kultur (L. J. Luka 1969, Abb. 5—6 auf S. 456I). Das späte Auftreten dieser Wagen in Hügelgräbern und ihre häufige Verwendung im Totenkult deuten darauf hin, daß sie zum Opferbrauch gehörten, was zweifellos die Wagen im Dejbjerg-Moorfund bezeugen (K. Raddatz 1964). Sie könnten für eine (gemeinsame) kultische Eigenart sprechen. Daß die Benutzung von Wagen besonders den auf Wanderschaft begriffenen germanischen Stämmen nicht unbekannt war, zeigen die Berichte über die Sueben Ariovists sowie auch noch ältere über die Kimbern und Teutonen, in denen jeweils von Wagenburgen die Rede ist. Auch alte Ortsnamen deuten auf solche ehemals vorhanden gewesenen Wagenburgen hin, besonders der häufige Ortsname „Karrodunum" im keltischen Gebiet (R. Wenskus 1961, S. 403). Kult und Bestattungswesen haben sich bis zum letzten Jahrhundert v. u. Z. bei den germanischen Stämmen entsprechend der relativ langsamen Entwicklung der Produktivkräfte bzw. der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Grundtendenz kaum bzw. gar nicht verändert. Im Mittelpunkt kultischer Handlungen stand der Gedanke, durch sie die Lebensverhältnisse zu verbessern bzw. die Lebensbedürfnisse möglichst weitgehend zu befriedigen. Der Fruchtbarkeitskult mit seinen wohl verschiedenartigen, durch Quellen für diese Zeit allerdings bisher nur ungenügend belegten Erscheinungsformen fand in diesbezüglichen Handlungen und Zeremonien seinen Ausdruck. Er blieb auch, wie wir aus jüngeren Quellen, insbesondere durch die antike schriftliche Uberlieferung wissen (s. S. 351), in den nachfolgenden Jahrhunderten der wichtigste Kult der breiten Masse der Stammesbevölkerung. Im Prozeß von Werden und Vergehen war der Tod mit inbegriffen, dessen Bedeutung für Familie, Sippe und Stamm sich im Totenkult zeigte. Auch er widerspiegelt über Jahrhunderte hinweg die einfache bäuerliche Lebensweise. Erst mit der Veränderung der sozialökonomischen Verhältnisse seit dem letzten Jahrhundert v. u. Z. traten auch Veränderungen in den Kulthandlungen bei der Bestattung auf. Der Übergang zur Mitgabe von Waffen in den Gräbern ist sichtbarer Ausdruck der sich entwickelnden militärdemokratischen Verhältnisse, in denen der freie germanische Bauer mit Haus- und Hofbesitz auch gleichzeitig Krieger seines Stammes war. Ebenso fand die im sozialen Bereich sich vollziehende Aufspaltung der Bevölkerung ihre Widerspiegelung darin, daß die Vertreter der sich entwickelnden Adelsschicht religiöse Vorstellungen über ein j enseitiges Herren- und Kriegerparadies verbreiten ließen, die sich insbesondere im Wodankult auszudrücken begannen. 4.
Die regionale Gliederung der Kulturen der vorrömischen Eisenzeit — Stammesgebiete — erste Wanderungen
Der germanische Siedlungsraum war in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. wesentlich kleiner als später. Das Land zwischen den Mittelgebirgen und den Alpen, zwischen Main und Donau, war ebensowenig germanisch wie die Rheinlande, die ihre Prägung durch die Kelten und ihre Kultur erfahren hatten. Im 2./1. Jh. v. u. Z. und verstärkt nach dem Beginn u. Z. änderte sich die historische Situation aber grundlegend, als germanische
REGIONALE GLIEDERUNG, STAMMESGEBIETE, ERSTE WANDERUNGEN
187
Bevölkerungsgruppen und Stammesteile anfingen, auf Wanderung zu gehen oder sich auf benachbarte Landschaften auszubreiten. An Ereignissen von historischer Tragweite sind an erster Stelle der Aufbruch der Kimbern und Teutonen vor Beginn u. Z. nach Süden und der Zug Ariovists zum Rhein zu nennen. Die Hauptsiedelgebiete erstreckten sich in den fünf Jahrhunderten v. u. Z. (s. Karte 2) insbesondere im Raum des Elbe-Flußsystems sowie auf den Aller-Weser-Raum. Im gesamten Siedlungsraum zeigen die archäologischen Hinterlassenschaften eine auffällige Verwandtschaft, die sich nicht auf das Elbegebiet beschränkte, sondern östlich über die mecklenburgische Seenplatte bis nach Westpommern, im Norden bis zum Küstengebiet, im Süden bis nach Nordwestböhmen und im Westen bis zur Weser reichte. Doch bringen Unterschiede im Bestattungsbrauch, aber auch bei Tracht und Schmuck viele lokale Eigenarten zum Ausdruck, die es gestatteten, verschiedene Fundgruppierungen herauszustellen, die sowohl für die allgemeine Geschichte der germanischen Stämme als auch für deren Herausbildung von Bedeutung sind. Zu diesen Kulturgruppen gehört im Westen die Nienburger Gruppe und im Flußsystem der Elbe und östlich davon die Jastorfkultur, die verbreitungs- und fundmäßig die stärkste ist und ihrerseits wieder in Lokalgebiete untergliedert werden muß. Auf dem Territorium der V R Polen schließen sich an Oder, Warta und unterer Weichsel die Oksywie- und Przeworsker-Gruppen an, die ebenfalls in gewissem Umfang noch Anteil an der Geschichte der germanischen Stämme hatten, sich aber erst gegen Ende der vorrömischen Eisenzeit herausbildeten. In den Siedlungsgebieten wohnten eine Reihe von Einzelstämmen. Sie sind uns aber für diese Zeit namentlich noch unbekannt. Sie konsolidierten sich allmählich, vor allem gegen Ende der vorrömischen Eisenzeit, und werden in den ältesten Schriftquellen nun auch namentlich genannt. Die Kimbern und Teutonen sind schon für das 2. Jh. v. u. Z. bezeugt, andere wie Sueben, Cherusker oder die bei Cäsar (Bell. Gall.) genannten Kleinstämme aber erst für die 1. Hälfte bzw. Mitte des 1. Jh. v. u. Z. Im 2./1. Jh. v. u. Z. hatten die Stammesbildungen und Zusammenschlüsse im Jastorfgebiet ihren sichtbaren Ausdruck gefunden. Vorher dürfte es vielfach noch zu Neuoder Umbildungen von Stämmen gekommen sein; eine Vermutung, die aus den stammlichen Veränderungen während des 1. und 2. Jh. u. Z. abgeleitet werden kann. Die Fundgruppen leiten sich aus dem Mangel an Siedlungsfunden nur vom Inhalt der Gräber ab. Die Formengruppen entstanden im Zuge der territorialen Entwicklung von beieinanderwohnenden Bevölkerungsgruppen. Die archäologisch-kulturellen Gemeinsamkeiten beziehen sich auf Bestattungsritus, Kleidung, Trachtsitten, Keramikherstellung und -Verzierung. Gegenstände aus diesen Bereichen wurden vielfach als ethnische Merkmale empfunden, während andere ethnische Kriterien wie Stammesbewußtsein, Sprachgemeinschaft, Stammesname, gemeinsame Abstammung u. ä. sich der Erfassung mittels archäologischer Quellen entziehen. An Hand des archäologischen Quellenmaterials kann man für die vorrömische Eisenzeit zwei große germanische Siedlungsräume im norddeutschen Tiefland gegenüberstellen, die sich archäologisch-kulturell über den gesamten Zeitraum immer wieder abzeichneten. Das ist einmal das große Territorium beiderseits der Elbe. Hier liegt das Hauptverbreitungsgebiet der Jastorfkultur. Zum anderen schließt sich jenseits der Lüneburger Heide die Nienburger Gruppe an, vom Jastorfraum teilweise getrennt durch unbesiedelte Landschaften (Abb. 50).
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Abb. 50. Regionale Verbreitung der Jastorfgruppen und der Nienburger Gruppe im Weser-Aller-Gebiet. 1 nordjütische Gruppe, 2 mittel]ütische, 3 südjütische 4 Jastorf-, 5 Warnow-Odermündungs-, 6 Seen-, 7 nördliche Mittelelb-Havel-, 8 Elbe-Saale-, 9 Nienburger Gruppe.
a) Die Nienburger Gruppe an Weser und Aller Die Nienburger Gruppe bildet an Weser und Aller und östlich fortsetzend bis ins nördliche Harzvorland das westliche geschlossene Gebiet germanischer Besiedlung. 60 Die nur aus Gräbern bekannte materielle Kultur an Weser und Aller wird gekennzeichnet durch besondere Grabsitten (Nachbestattung in älteren Hügelgräbern, Scheiterhaufengräbern unter Hügeln), keramische Erzeugnisse (Nienburger Tasse, Rauhtöpfe mit oder ohne gewelltem Rand vom Harpstedter Typ, Gefäße vom T y p Lauingen, Deckschalen mit paarigen Randlöchern) und besondere Metallsachen. Eiserne Zungengürtelhaken, Kropfnadeln oder Segelohrringe belegen die Verbindung zum Jastorfgebiet, andererseits trug man hier aber bronzene Scheibenohrringe mit konzentrischen Rillen und Buckeln. Auch eiserne Segelohrringe wurden nur an Weser und Aller gefertigt, ebenso schmückte man sich nur hier mit Ohrringen aus mäanderartig gebogenem Bronzedraht und aufgeschobenen blauen Perlen. 61 60
61
Die Nienburger Gruppe wurde zusammenfassend behandelt bei K . Tackenberg 1934; neuere Fundvorlagen durch K. Raddatz 1955, S. 354ff.; E. Sprockhoff 1959, S. 152ff.; D. Schünemann 1972, S. 45 ff. (dort weitere Literatur über kleinere Fundvorlagen). Zum Beispiel bei K . Tackenberg 1934, Taf. 11, 16 — 17; D- Schünemann 1972, S. 52, Abb. 5 re. unten.
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Ohrringschmuck spielte bei allen frühgermanischen Stämmen eine große Rolle. Den gleichen symbolischen Charakter wie der Torques bei den Kelten mögen die Ohrringe, die einzeln oder gebündelt das Ohr schmückten, bei den Germanen gehabt haben. Den Ohrringformen an Weser und Aller kommt daher zur kulturellen und vermutlich auch ethnischen Abgrenzung besondere Beachtung zu, weil im Elberaum andere Ohrringarten dominieren. Die Bevölkerung der Nienburger Gruppe war keltischen Importsachen gegenüber besonders aufgeschlossen. Die Schmuckscheibe von Stedebergen, Kr. Verden, vermag dies u. a. besonders zu unterstreichen, weil ein ähnlicher Fund aus dem germanischen Binnenland nicht bekannt ist.62 Jenseits der Grenzen von Weser und Aller kann man ausgehend von der materiellen Kultur bis in das letzte Jahrhundert v. u. Z. hinein nicht von Germanen sprechen. Hier lebte die „vorgermanische" Bevölkerung bis weit in die vorrömische Eisenzeit fort. Eine Änderung brachten erst die Ereignisse im 1. Jh. v. u. Z. (s. S. 200ff.). Vor rund 40 Jahren wurde die Nienburger Gruppe den Cheruskern und Angrivariern zugeschrieben (K. Tackenberg 1934, S. n6f.). Die Cherusker erwähnte schon Cäsar im Zusammenhang mit den kriegerischen Ereignissen des Jahres 53 v. u. Z. Danach wohnten sie am „unendlich großen Wald namens Bacenis", der ihre natürliche Grenze zu den Sueben bildete. Die genaue Lage des Bacenis hat Cäsar nicht näher beschrieben.63 Etwas genauer sind die Berichte des griechischen Historikers Dio Cassius. Nach dessen Berichten existieren die Cherusker im 1. Jh. v. u. Z. — also noch im Schlußstadium der Nienburger Gruppe — bereits als Stamm. Das zur Verfügung stehende archäologische Material rechtfertigt aber nicht, die Cherusker retrospektiv bis an die Anfänge dieser Kultur zurück verfolgen. Unklar muß auch bleiben, ob nicht die Angrivarier, die 16 u. Z. erstmalig genannt werden, erst um die Zeitenwende entstanden sind. b) Die Jastorfgruppen
von der Niederelbe
bis zum
Mittelgebirgsrand
Das Schwergewicht der germanischen Besiedlung lag im Elberaum. Besonders an unterer und mittlerer Elbe reihte sich Siedlungsplatz an Siedlungsplatz, Siedlungskammer an Siedlungskammer. Von der Elbe erstreckte sich die Besiedlung in östliche Richtung über Mittel- und Ostmecklenburg bis nach Westpommern (VR Polen), von der Mittelelbe vor allem in das Havel-Spreemündungsgebiet, während an Saale und Mulde nur einige Landschaften, wie z. B. die Leipziger Tieflandsbucht, stärker bewohnt waren. Das archäologisch-kulturelle Bild wird überall durch die Funde mit Jastorfcharakter bestimmt. Verglichen mit dem Nienburger Gebiet, ist das Siedlungsgebiet der Jastorfkultur um ein mehrfaches größer. Aus der Verwandschaft der kulturellen Erscheinungen im Elberaum schließt man auf lange Verkehrs- bzw. Austauschverbindungen zwischen den Stämmen, die sich über fünf Jahrhunderte entfalteten und festigten. Die Jastorfkultur mündete ohne Unterbrechung in die elbgermanische Kultur ein und bildete deren Grundlage. In ihren Kernlandschaften beiderseits der Elbe decken sich Jastorfkultur und elbgermanische Kultur. Daher findet man in älterer und neuerer 62
Die Zierscheibe wird erstmals vorgelegt v o n H . Oldenburg, D. Schünemann 1969, S. 11 ff. ; umfassende Behandlung bei W . K i m m i g 1972, S. i 4 7 f f .
63
C. W o y t e vertrat z. B. in den Anmerkungen zu G. J. Cäsar 1945, S. 318, die A u f f a s s u n g , daß m i t Bacenis der Thüringer W a l d gemeint sei; v g l . dazu weiterhin R . Seyer S. 238.
1968,
190
GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Literatur die fast selbstverständliche Aussage, die Jastorfkultur sei mit Recht als suebisch zu bezeichnen, wobei auf die Kontinuität der kulturellen Entwicklung verwiesen wird. In der Tat gibt es viele Belege für die Kontinuität in der Belegung der Gräberfelder, teilweise auch schon der Siedlungen und Siedlungskammern über fünf Jahrhunderte. Dennoch fielen schon früh Gräberfelder auf, die entweder nur in der älteren vorrömischen ( 6 . - 4 . Jh. v. u. Z.) oder nur in der jüngeren vorrömischen Eisenzeit (3.—1. Jh. v . u . Z . ) belegt wurden. Neuerdings konnte sogar anhand von Bestattungsplätzen nachgewiesen werden, daß sich in der mittleren Jastorfzeit (3. Jh. v. u. Z.) ein Traditionswandel auch auf durchgehend benutzten Gräberfeldern vollzogen hatte. In der älteren Jastorfzeit hatte man die Gräberfelder kontinuierlich nach einem Plan belegt. Im 4-/3. Jh. v. u. Z. ging die Belegung desselben Friedhofes zwar weiter, es fehlte aber die planmäßige Fortführung. Die älteren Gräber wurden nicht respektiert, die Belegung ging über sie hinweg.64 Der Beginn der jüngeren vorrömischen Eisenzeit bedeutete einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Jastorfstämme. Der unmittelbare Kontakt zu den Kelten führte allmählich zur Umformung der gesamten materiellen Kultur. Die „interethnische Berührung" übte auf die Entwicklung der germanischen Stämme einen wesentlichen Einfluß aus65, wobei die Unterschiede in Sprache, Kult und Sitten, Tracht 66 usw. hervortraten. In dieser Zeit scheinen die ethnischen Prozesse, die zu den germanischen Einzelstämmen führten, vielfach begonnen zu haben. Die Jastorfkultur darf man vorerst nicht als Ausdruck der „suebischen Landnahme" ansehen, die von Inseldänemark und Skandinavien aus zum Elberaum ausgegangen sein soll.67 Vor allem trifft dies für die ältere Jastorfzeit zu. In Südskandinavien sprechen nämlich die Funde gegen eine Besiedlungsleere im sogenannten Auswanderungsgebiet. 68 Ebenso konnte eine erhebliche Fundzunahme im Zuwanderungsgebiet nicht festgestellt werden.69 Die neuere Forschung will den Begriff „suebisch" nur an die engere Jastorfgruppe gebunden wissen.70 Das mittlere Elbe- und Havelgebiet darf also nicht ausgeschlossen bleiben, wenn nach dem Kerngebiet der Sueben gesucht wird 71 , zumal nach den antiken Nachrichten die Semnonen sich als die ältesten und angesehensten unter den Sueben ansahen und sich sogar für das „Haupt der Sueben" hielten. 64
Durch M. Menke ist dieser U m b r u c h kürzlich anschaulich belegt worden, 1973, S. 58 ff.
65
Hierzu R . W e n s k u s 1961, S. 8 g f f .
66
E i n e Reihe germanischer S t ä m m e benannte sich nach ihrer T r a c h t : Langobarden, Friesen, C h a t t e n ; s. R . W e n s k u s 1961, S. 103f.
67 68
Diese A u f f a s s u n g wird v o n G . Schwantes 1933, S. 187 begründet. Zusammenfassend j e t z t die A r b e i t v o n E . N y l e n 1970b, S. i 9 3 f f . m i t umfangreicher L i t e ratur.
69
I m H a v e l g e b i e t ergab die F u n d a u f n a h m e der jüngeren Bronze- und vorrömischen Eisenzeit eine konstante Besiedlung in allen Einzellandschaften, f u n d m ä ß i g eher eine leichte A b nahme der Besiedlungsdichte; v g l . F . Horst (1966); H . Seyer (1965).
70
E i n e diesbezügliche Äußerung findet sich z. B . bei R . v . Uslar 1952, S. 24: „ W e n n wir den Begriff (elb-)suebisch für die Jastorfgruppe reservieren, dann ist es die südliche germanische Gruppe . . . durch die nördlich-südlich gerichtete Transgression der ausgehenden Latenezeit geworden."
71
Zusammenfassend zur Problematik der Sueben bei R . Seyer (1972), S. i 3 3 f f .
REGIONALE GLIEDERUNG, STAMMESGEBIETE, ERSTE WANDERUNGEN
191
c) Die Regionalgruppen der Jastorfkultur Von der vorhergehenden Urnenfelder-Kultur verschieden stark beeinflußt, durch unterschiedliche Formen in Tracht- und Schmuckbestandteilen gekennzeichnet, heben sich im Verbreitungsgebiet der Jastorfkultur mehrere lokale Sondergruppen ab. Solchen Gruppen kommt gegenwärtig noch nicht der Status einer „archäologischen Kultur" zu, da sie nur den durch die Grabsitten ausgewählten Teil der materiellen Kultur repräsentieren. Quellen zum Bodenbau und zur Viehhaltung, zur Technik, zum Hausbau und zur Siedlungsweise müssen bei der Fundsituation also zwangsläufig unberücksichtigt bleiben. Die Unterelbegruppe (auch engere Jastorfgruppe) Im Verbreitungsgebiet der Unterelbegruppe der Jastorfkultur, das Holstein, Westmecklenburg, Nordostniedersachsen und die Altmark umfaßt, Hegt ein Funddichtezentrum, wie es keines der anderen Jastorfgebiete aufzuweisen hat. Die Eigenheiten in der materiellen Kultur hatten sich hier schon seit dem 6-/5. Jh. v. u. Z. herausgebildet und entwickelten sich bis ins 1. Jh. v. u. Z. Als charakteristische Gegenstände der materiellen Hinterlassenschaften an der Unterelbe finden wir Holsteiner Nadeln, Haftarmgürtelhaken, Plattengürtelhaken, Holsteiner Gürtel, Flügelnadelfibeln, Fibeln vom Tinsdahler und Heitbracker Typ, Flügelnadeln, Bombennadeln, Ösenringe, Spiral- und Schleifenohninge. Bei der Keramik sind Gefäße der Stilvarianten Jastorf a—c, Ripdorfterrinen und Terrinen mit verdicktem Trichterrand als Leitformen zu zu nennen. Die Stilentwicklung von Keramik und Metallerzeugnissen verlief kontinuierlich über alle fünf Jahrhunderte vor Beginn u. Z. Gerade um Hamburg und Harburg befinden sich die meisten durchgehend belegten Urnenfelder. Daher ist es nicht verwunderlich, daß man vielfach die hier seit den Tiberius-Zügen (4. —6. u. Z.) belegten Langobarden bis an den Beginn der Jastorfzeit zurückverfolgt hat. Doch sei gerade hier noch einmal an den Traditionswandel in Sitten und Gebräuchen zu Beginn der mittleren Jastorfstufe erinnert. 72 Ein weiteres Problem stellt die Neuanlage einer Reihe von Gräberfeldern im 1. Jh. v. u. Z. dar, die auf einen Zuzug von Bevölkerungsgruppen schließen läßt. 73 Es spricht also vieles dafür, daß erst die Integration der zugewanderten Bevölkerung mit den Gruppen, die hier seit Beginn der Jastorfzeit ansässig waren und die über diesen langen Zeitraum historisch-kulturelle Traditionen entwickelten, mit der Stammesbildung der Langobarden gleichzusetzen ist. Im Zusammenhang mit der Neuanlage von Gräberfeldern bzw. der Wiederbelegung alter Bestattungsplätze im 1. Jh. v. u. Z. wird vielfach auf die bekannte Wandersage der Langobarden verwiesen, wonach diese ursprünglich in Skadinavia als Winniler wohnten und sich nach einem Streit mit den Wandalen den Namen Langobarden zulegten. Die Wanderung — bisher jedoch nicht nachgewiesen — könnte um 100 v. u. Z. liegen. 74 72 73
71
Vgl. Anm. 64. Als jüngstes Beispiel veröffentlichte W. Wegewitz das Gräberfeld von Putensen, Kr. Harburg (1972), das die Zeit vom 1. Jh. v. u. Z. bis zum 3. Jh. u. Z. umfaßt. In der Einleitung führt Wegewitz alle anderen Gräberfelder im unteren Elbegebiet auf, die erst im 1. Jh. v. u. Z. einsetzen (Karte auf S. 24). Vgl. die Argumentation bei R. Wenskus 1961, S. 487. Der Versuch einer karthographischen Darstellung der Kimbernzüge u. a. bei E. Schwarz 1956, S. 192, Abb. 21.
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GERMANISCHE STÄMME BIS ZUM BEGINN U. Z.
Die jütischen Gruppen in Nordschleswig und Dänemark Durch gemeinsame Kulturelemente verbunden, erstreckt sich von Schleswig bis Jütland ein Fundgebiet, das insgesamt zur Jastorfkultur zu rechnen ist. In Richtung auf Nordjütland dünnt die Besiedlung aus, und auch die Verbindungen zum Jastorfgebiet nehmen ab. Die dänische Forschung erarbeitete auf der Halbinsel Jütland eine Südjütische (auch Äarre-Gruppe genannt), eine Mittel- und eine Nordjütische Gruppe, die sich durch einzelne Lokalformen in Keramik und Metall unterscheiden.75 Inseldänemark und Südschweden liegen dagegen an der Peripherie der Jastorfkultur. Trotzdem müssen auch diese nur mit wenigen Funden der Jastorfkultur ausgestatteten Gebiete Berücksichtigung finden. Ein geschlossenes Siedlungsareal befindet sich vor allem in Südjütland und Nordschleswig. Diese südjütische Gruppe der Jastorfkultur wird gekennzeichnet durch Bestattungen in Hügeln (sogenannte tuegrave), keramische Sondererzeugnisse wie randverzierte Schüsseln, Töpfe mit Innenhenkeln, SpezialVarianten der Holsteiner Nadeln, dreieckige Gürtelhaken und bestimmte Fibelvarianten, was eine gute Trennung vom holsteinischen Fundgebiet ermöglicht. Die stammesgeschichtliche Interpretation der Funde der jütischen Halbinsel ist für die Zeit vor Beginn u. Z. noch nicht befriedigend gelungen. Die durch die dänische Forschung erarbeitete Dreiteilung Jütlands läßt sich mit den ältesten Schriftstellernachrichten, wonach Kimbern und Teutonen die ganze Halbinsel bewohnten, nicht in Einklang bringen. Bekanntlich werden die Teutonen und Guionen (?) schon im Bericht über die Fahrt des Pytheas von Massalia in das Bernsteinland um 350 v. u. Z. erwähnt. Damit tauchen zum ersten Male überhaupt Stammesnamen auf, wenngleich Pytheas die ethnische Zugehörigkeit verborgen blieb. Von archäologischer Seite wurde versucht, die ursprünglichen Siedlungsgebiete der Kimbern an Hand der Verbreitung der sogenannten Rettichgefäße abzugrenzen (K. Waller 1961, S. Ö7ff.). Diesen Gefäßtyp benutzte man im Küstenraum zwischen Elbe und Weser sowie auf der jütischen Halbinsel. Gefäßgattungen für ethnische Fragen mit heranzuziehen ist methodisch zwar nicht völlig abwegig, reicht aber bei weitem nicht aus. Kimbern und Teutonen erlangten im Zusammenhang mit ihrer Südwanderung großes Ansehen (s. S. 196f.). Die archäologische Gruppierung in Mittel- und Ostmecklenburg Abweichend vom Elbegebiet weisen die Landschaften zwischen Schweriner See und Oder nur eine lockere Besiedlung auf. Im Osten überschreiten die Fundplätze von Jastorfcharakter die Oder; sie laufen an der Ina allmählich aus. Die materielle Kultur dieses Raumes läßt zwei große regionale Gruppen erkennen (H .Keiling 1968, S. löiff.). Im Küstenraum der Ostsee, vom Schweriner See bis in die V R Polen hinein, erstreckt sich die Warnow-Odermündungs-Gruppe. Als Leitformen dieser Formengruppe gelten Pommersche Fibeln, Rauten- und Kreuzkopfnadeln, Flügelnadeln vom klassischen Typ, dreiteilige Gürtelhaken u. a. Deutlich unterscheidet sich die Keramik von der im Unterelberaum dadurch, daß man Töpfe und Terrinen mit be75
Zusammenfassend für Mittel- und Südjütland die Arbeit von C. J. Becker 1961.
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Abb. 64. Der Bataver-Aufstand in den Jahren 69/70.
BATAVERAUFSTAND UND SICHERUNG DER REICHSGRENZE
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symbolische Vorgang sollte das römische Bewußtsein stärken, daß nunmehr der germanische Gegner endgültig besiegt und die nördlichen Reichsgrenzen für immer gesichert seien. Auf die ganze Fragwürdigkeit dieser Vorstellungen spielt Tacitus in seiner kaum zwei Jahrzehnte später geschriebenen „Germania" an, wenn er die Weite des Landes und den Freiheitswillen seiner Bewohner ausführlich schildert, während das Germanenproblem offiziell als bewältigt galt. Ob nach dem Zusammenbruch der Saturninus-Erhebung im Winter 88/89, an der auch chattische Verbände auf Seiten der Aufständischen teilnahmen,71 Domitian in das chattische Gebiet vorstieß, ist ungewiß. Die beträchtliche Vorverlegung der Reichsgrenzen in den Jahren nach 83 läßt jedoch auf mehrere größere vorangegangene römische Unternehmungen schließen. So erstreckte sich der römische Machtbereich bis zu etwa 170 km von Mogontiacum landeinwärts, während die Militärgrenze innerhalb dieses Gebietes weit zurück verlief. Dabei kamen mehrere chattische Teilstämme sowie die aus dem Lippegebiet verdrängten Usipeter, die um 70 östlich der Chatten etwa zwischen Kinzig und Fulda saßen, zum Imperium. Die frühesten Befestigungen im Taunus sowie südlich des Maines, im Odenwald und der Schwäbischen Alb fallen in diese Zeit. Im Neckargebiet, dem einstigen „helvetischen Ödland", das bis zu ihrem Abzug nach Böhmen zumindest teilweise von den Markomannen besiedelt war, glichen die Verhältnisse denen am Unterrhein. Auch hier ist eine dem römischen „Interessengebiet" vorgelagerte Grenzlinie anzunehmen, innerhalb derer germanische Niederlassungen nur in besonderen Fällen geduldet wurden. In den drei archäologisch faßbaren suebischen Gruppen im Oberrheingebiet sieht man neuerdings Milizen oder Militärsiedler72 aus dem Machtbereich Marbods, die im Vorfeld des Reiches mit römischer Billigung siedelten. Dann aber, nach der regulären Besetzung des östlichen Oberrheingebietes unter Vespasian, verloren die suebischen Stammesteile ihre Selbständigkeit. Vermutlich erst unter Trajan, nachdem die germanische Kultur längst erloschen war, entstand aus der „civitas Sueborum Nicretum" eine Art Verwaltungsgebiet. 73 Mit dem Feldzug des Pinarius Clemens74 im Jahre 73 begannen erneut römische Angriffe über den Rhein. Zur selben Zeit wurde die von Argentoratum (Straßburg) über Offenburg, durch Kinzigtal und Schwarzwald führende strategische Straße erbaut, die bei Brigobane (Hüfingen, Kr. Donaueschingen) die obere Donau erreichte. Unter Domitianus bildete die durch Kastelle wie Vicus Murrensium (Benningen, Kr. Ludwigsburg), Grinario (Köngen, Kr. Eßlingen), Sumelocenna (Rottenburg, Kr. Tübin-
71
Vermutlich wurde das A u s m a ß der chattischen Beihilfe b e w u ß t übertrieben, u m
von
innerrömischen M a c h t k ä m p f e n und deren politischen Folgen abzulenken. Z u d e m konnte nach römischer Tradition nur über einen besiegten äußeren Feind ein T r i u m p h gefeiert werden. 72
N a c h R . Nierhaus oblagen den suebischen Ansiedlern Vorposten- und Kundschafterdienste. Ihre Hinterlassenschaften heben sich durch R e i c h t u m , besonders an Metallsachen, v o n denen anderer germanischer S t ä m m e ab. D a b e i werden starke Verbindungen z u m keltogermanischen Stil in B ö h m e n sichtbar (K. Nierhaus 1966, S. 231 f.).
73
Civitates waren m i t R o m durch Vertrag (foedus) verbunden; sie besaßen Selbstverwaltung und eine eigene Rechtsordnung.
74
19
Cn. Pinarius Cornelius Clemens war u m 70 L e g a t des obergermanischen Heeres. Germanen — Bd. l
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AUSEINANDERSETZUNGEN MIT ROM
gen) geschützte Neckarlinie die Reichsgrenze. Das neugewonnene Gebiet wurde der Provinz Obergermanien als „agri decumates" 75 einverleibt. Kleinere Verstöße gingen auch von Rätien aus über die Donau. c) Die Errichtung des Limes. Erste germanische Durchbrüche nach Rätien und Obergermanien Wichtigstes Ergebnis des Chattenkrieges war zweifellos die Errichtung des Limes, und zwar im Sinne einer militärisch gesicherten Grenze (s. Anm. 38). In seiner Baugeschichte spiegelt sich das römische Vordringen zwischen Oberrhein und Donau wider (Abb. 65); Entstehungs- und Ausbauphasen zeigen die taktische und strategische Konzeption des Römischen Reiches zum freien Germanien an. Über die Gründe seines Baues sagt Frontinus 78 (Strategemata 1, 3, 10): „Als die Germanen nach ihrer Gewohnheit aus Bergwäldern und dunklen Schlupfwinkeln unsere Truppen überfielen und jedesmal einen sicheren Rückzug in die Tiefe der Wälder hatten, ließ der Kaiser Domitianus Augustus „limites" über eine Länge von 120 Meilen anlegen und veränderte hierdurch nicht nur die Kriegslage, sondern unterwarf auch die Feinde seiner Gewalt, da er ihre Zufluchtsorte aufgedeckt hatte." Erste Baulichkeiten waren besonders im Taunus und unteren Maintal von einem ringförmigen Graben umgebene Holztürme, die als Postenstände vorwiegend der Beobachtung dienten. Ob zu den frühesten Anlagen bereits Kleinkastelle gehörten, ist ungewiß. Die Standorte der Auxilien lehnten sich vorwiegend an die von Mainz durch die Wetterau führende Straße an. Einige Kastelle hingegen, wie Nida (Frankfurt-Heddernheim) und Hanau, waren bereits mainaufwärts vorgeschoben. Zerstörungen dieser Befestigungen sowie Neubauten werden als Folge der chattischen Mitbeteiligung am SaturninusAufstand (s. S. 289) gedeutet. Es bleibt fraglich, ob zu dieser Zeit schon Kastelle am Mittellauf des Neckars standen. In den neunziger Jahren waren aber einige Kastelle, wie Stockstadt/Main und Stuttgart-Bad Cannstatt/Neckar, bereits belegt, ohne daß sich der Verlauf des domitianischen Limes in Obergermanien lückenlos verfolgen ließe. Im frühen 2. Jh. verlagerte sich das Schwergewicht der römischen Militärpolitik zunehmend in das Donaugebiet. Trajan, der als einstiger Statthalter von Niedergermanien (97/98) die Verhältnisse aus eigener Anschauung kannte, veranlaßte bedeutsame taktische Veränderungen in der Grenzsicherung. Er stellte bewegliche, schnell verschiebbare Einheiten auf, die an der Grenze, aber auch als „Eingreifreserven" im Hinterland lagen. Die Hälfte, nämlich vier der in Germanien stationierten Legionen wurden abgezogen sowie Noviomagus und Vindonissa als Legionslager aufgegeben. Die in Ar75
76
Die Bezeichnung decumates agri (wie die richtige Wortstellung lautet) kommt nur bei Tacitus, Germ. 29 vor. Darunter wird das Gebiet zwischen Rhein, Main und Neckar verstanden. Die Erklärung des Namens ist nicht völlig sicher. Als hauptsächliche Möglichkeiten kommen „Zehnt- oder Zehnland" im Steuer- oder verwaltungstechnischen Sinne in Betracht, wobei der „Zehnlandtheorie", fußend auf der keltischen kantonalen Flureinteilung, zunehmend die größere Wahrscheinlichkeit eingeräumt wird. Sex. Iulius Frontinus war im Jahre 97 „curator aequarum" (Direktor der Wasserversorgung) in Rom, zuvor höherer Offizier in Britannien; um 100 gestorben. Schrieb u. a. über Feldmeßkunst (gromatici), Wasserleitungen (commentarius de aquis), Kriegslisten und -taten (Strategemata) sowie ein Handbuch des militärischen Wissens (de re militari).
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gentoratum, Mogontiacum77, Bonna und Vetera belassenen Legionen, aber auch die bundesgenössischen Kontingente blieben meist bis über das 2. Jh. hinaus die gleichen; ihre stärkere Bindung an einen Standort ergab sich aus den Erfordernissen einer linearen Grenzverteidigung. Unter Trajan entstand die „Odenwaldlinie", womit die Lücke zwischen Main und Neckar (von Wörth bis Bad Wimpfen) durch einen Riegel meist kleinerer Erdkastelle geschlossen war. Am Mittellauf des Neckars verband der Limes nunmehr das rechtsrheinische Obergermanien mit dem rätischen Gebiet an der oberen Donau. Zur selben Zeit wurde die rätische Grenze über die Donau nordwärts vorgerückt, wo sie bei Iciniacum (Günzenhausen) ihren Scheitelpunkt erreichte. Dem einher ging der Bau einer wichtigen Straße von Biriciana (Weißenburg) zum Donauübergang bei Abusina (Eining) und von dort über Castra Regina (Regensburg), Sorviodurum (Straubing) stromabwärts bis nach Dakien. Der bislang offene, durch Wachtürme und Befestigungen markierte obergermanische Limes wurde unter Hadrian mit einer Holzpalisade geschlossen. Wahrscheinlich lag der Baubeginn um 121/122, als der Kaiser die germanischen Provinzen besuchte. Hierzu (Script. Hist. Aug. 1, 12, 6f.) verlautet: „Um diese Zeit ließ er auch anderswo in zahlreichen Landschaften, in denen die Barbaren nicht durch Flüsse, sondern durch Grenzwälle (von uns) geschieden waren, mächtige Baumstämme als einen mauerartigen Zaun tief in den Erdboden einrammen und miteinander verbinden und erreichte so eine Scheide zwischen uns und den Barbaren." Dadurch gelang es, den Verkehr auf bestimmte, leicht zu überwachende Plätze zu beschränken und ein wirksames Annäherungshindernis gegen kleinere in das aufblühende Grenzland zielende germanische Uberfälle zu schaffen. Dagegen war der Limes zu keiner Zeit eine Befestigungs- oder gar Festungsanlage zum Schutze der römischen Reichsgrenze gegen anrennende germanische Stämme. Weder seine Baulichkeiten noch die Besatzungen in den 0,3 bis 1 km voneinander entfernten Wachtürmen oder rückwärtigen Kastellen (Taf. 28 b) waren dazu fähig. Allerdings wird die ständige Demonstration waffentechnischer Überlegenheit und organisierter Bereitschaft ihre Wirkung auf die benachbarten germanischen Stämme nicht verfehlt haben. Den Grenzschutz in gebirgigen und bewaldeten Gegenden versahen meist die zahlreichen neuen, leichten Verbände, die sogenannten nationalen numeri,78 während Alen und Kohorten im freien Gelände operierten. Unter Antoninus Pius (138—161) (Taf. 27t) wurde der obergermanische Limes durch den Bau neuer Numeri-Kastelle verstärkt. Die kleinen Steinbefestigungen von kaum o,6 ha, wie Neckarburken-Ost, waren 145/146 von brittonischen Numeri belegt. Dem war 77
78
In der Germania superior waren um 120 zwei Legionen stationiert, die X X I I . Primigenia in Mainz und die V I I I . Augusta in Straßburg. Dazu kamen zwei Alen sowie 21 Kohorten, von denen sieben rätische und vier vindelikische Einheiten waren. Numeri waren Truppenkörper niederen Ranges (Milizen oder Hilfstruppen). Ihre Stärke lag zwischen 200 und 400 Mann. Meist waren sie anderen Einheiten, aus denen auch ihre Führer kamen, beigeordnet. Bisweilen sind sie als selbständige Kundschafterverbände (exploratores) überliefert. Ohne Aussicht, das römische Bürgerrecht zu erlangen, dienten ihre Angehörigen in den Landesteilen, wo sie ausgehoben wurden (s. H. Callies 1954, S. 173«-)-
19*
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AUSEINANDERSETZUNGEN MIT ROM
die zwangsweise Ansiedlung unruhiger mittelenglischer Bevölkerungsteile vorausgegangen, die man nach dem römischen Vorstoß bis zu Clyde und Firth of Förth (Antoninus-Wall) durch Lollius Urbicus (140) in das Neckargebiet deportiert hatte. Zwischen 1 4 5 — 1 6 1 wurde der obergermanische Limes im Bereich des Odenwaldes fast um 30 km auf die Linie Miltenberg/Main—Lorch a. d. Rems vorgeschoben. Die neue, ebenfalls aus Palisaden und den ersten steinernen Wachtürmen bestehende Grenzsicherung verlief über weite Strecken, bis zu 80 km, völlig gerade trassiert. Im Remstal, auf dessen Nordufer sie nach Osten umbog, wurde nahe vom Kastell Haghof die Grenze zu Rätien erreicht, von wo sich dann im frühen 3. Jh. die „rätische Mauer" anschloß. Bis zum Fall des obergermanischen Limes blieb diese Streckenführimg im wesentlichen unverändert. Sie verlief durch kaum besiedelte Räume. Die Kerngebiete germanischer Stämme befanden sich weitab im Landesinnern. Wichtigster Grund für seine letzte Verlegung war wohl, jene Gefilde dem Imperium einzuverleiben, die östlich der Neckarlinie im römischen Machtbereich lagen. Vermutlich spielte dabei auch die Absicht mit, die besonders im Neckargebiet angesiedelten zum Militärdienst verpflichteten Brittonen besser überwachen zu können. Unter Marcus Aurelius ( 1 6 1 — 1 8 0 ) (Taf. 2 7 U ) und Commodus ( 1 8 0 — 1 9 2 ) (Taf. 2 7 V ) wurden noch einige Kastelle neu errichtet (Niederbieber, Kr. Neuwied), bestehende erweitert (Osterburken, Kr. Buchen/Odenwald) oder in Stein umgebaut (Zugmantel, Untertaunuskreis). In die Zeit Caracallas ( 2 1 1 — 2 1 7 ) (Taf. 27x) fiel die Verstärkung des 382 km langen obergermanischen Limes durch Wall und Graben (Abb. 66a), während in Rätien eine massive Bruchsteinmauer ohne Spitzgraben („Teufelsmauer") von 166 km Länge die hölzerne Palisade ablöste (Abb. 66 b). Ursprünglich stand das Umland der Befestigungen mit seinen Äckern, Weiden, Wäldern sowie Siedlungen unter militärischer Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Um die aufgelassenen Kastelle im Limeshinterland bildeten sich Siedlungen mit weitgehend selbständigen kommunalen Einrichtungen. Dieser Vorgang läßt sich besonders gut am Beispiel von Nida verfolgen, wo nach dem Abzug der dort stehenden Reitereinheit sich aus der canabae79 des Lagers eine Siedlung entwickelte, die bald zum wirtschaftlichen und politischen Mittelpunkt der „civitas Taunensium" (um Friedberg/Hessen) aufstieg. Eine umfangreiche kaiserliche Domäne (Saltus) lag am oberen Neckar um Sumelocenna. Im späten 2. Jh. wurde sie in eine civitas umgewandelt. Daneben bestanden, wohl teilweise auch von Veteranen der Grenztruppen bewirtschaftete, große bäuerliche Einzelhöfe (villae rusticae). Diese, wahrscheinlich auch mit Sklaven arbeitenden Betriebe, belieferten nicht nur den örtlichen Markt, sondern versorgten auch die in der Nähe Hegenden Truppen, deren Ersatz die wachsende Bevölkerung der germanischen Provinzen zunehmend selbst stellte. Nach der Eroberung von Rätien 15 v. u. Z. waren in Oberhausen bei Augusta Vindelicorum Legionstruppen stationiert, die um 16 u. Z. nach Vindonissa abzogen. An deren Stelle traten vorwiegend einheimische Verbände aus den umhegenden Alpenländern. 79
Canabae bedeutet soviel wie „Buden- oder Barackensiedlung". E s waren zivile Niederlassungen in der Nähe und im Schutze ständiger Militärlager. Ihre Bewohner, meist Handwerker und Händler, aber auch Frauen, versorgten die Truppe mit den verschiedensten Gütern und Dienstleistungen. Aus den canabae erwuchsen später häufig bedeutende Märkte und städtische Gemeinwesen.
BATAVERAUFSTAND UND SICHERUNG DER REICHSGRENZE
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Die ersten Auxiliarkastelle an der oberen Donau, wieBrigobane, entstanden in claudischer Zeit an beherrschenden Punkten im Bereich von Flußübergängen und wichtigen Straßen. Nach 75 folgten Kastelle bis zur Innmündung, der Grenze zur Provinz Noricum. Erst unter Domitian, offenbar im Zusammenhang mit den Angriffen vom Rhein in das Main-Neckar-Gebiet, stießen die Römer auch von Rätien aus über die Donau nordwärts vor. Dafür mögen taktische Erwägungen, wie die Weiterführung der „Via Claudia" (Opitergium-Tridentum-Augusta Vindelicorum) bis zur Donau und darüber hinaus mitgespielt haben. Um 90 war dieser Vorgang mit dem Bau einer Befestigungskette
Abb. 66. Der obergermanisch-rätische Limes (a, b) (nach F. Koepp 1926, Abb. 52)
294
AUSEINANDERSETZUNGEN MIT ROM
im eroberten Gebiet nördlich des Flusses weitgehend abgeschlossen. Wie in Obergermanien gaben die Römer auch in der Raetia rückwärtige Kastelle auf, die Etappen früheren Vordringens bezeichneten, so nach dem Bau der wichtigen Verbindungsstraße Mainz—Augsburg in frühtrajanischer Zeit (s. Abb. 65). Der rätische Limes entstand vorwiegend in den ersten Jahrzehnten des 2. Jh. Wie im Neckargebiet diente auch hier als hauptsächliche Grenzsperre eine Palisade mit Holztürmen. Als Besonderheit des rätischen Limesteiles gilt ein Flechtwerkzaun, der jünger als die Palisade zu datieren ist. In der Regierungszeit des Antoninus Pius waren 13 Kohorten und vier Alen in der gesamten Provinz stationiert. Nach Ende des 1. Markomannenkrieges (175), in dem anfangs den Germanen tiefe Einbrüche nach Rätien gelangen, wurde unter Marcus Aurelius die Grenzverteidigung erheblich verstärkt. So war 179 die Legionsfestung Castra Regina als Eckpfeiler römischer Macht an der oberen Donau vollendet und mit der Legio III Italica belegt worden.80 Bald nach den Chatten- und Alamanneneinfällen des Jahres 213 trat anstelle von Palisaden und Flechtwerkzaun eine Bruchsteinmauer. Untersuchungen zeigten, daß die Mauer sowohl als jüngeres Bauelement an die Seiten älterer Steintürme herangeführt als auch mit solchen gleichzeitig errichtet wurde. Das Steinmaterial stammte meist aus der unmittelbaren Umgebung des Bauplatzes, in dessen Nähe man auch den Kalk zur Mörtelbereitung brannte. Auf unsicherem Gelände in den Niederungen dienten eingerammte Pfähle als Gründung. Mit 1—1,3 m Stärke und einer Gesamthöhe zwischen 2,5—3 m erscheint der Verteidigungswert recht fragwürdig. Wehrgänge oder sonstige Aufbauten scheiden allein wegen der geringeren Mauerstärke aus. Auf der Innenseite waren kleine Strebepfeiler angebracht; auch Wasserdurchlässe fehlten nicht. Ihre wohl vorwiegend symbolische Aufgabe erfüllte die „rätische Mauer", wenn überhaupt, kaum zwei Jahrzehnte. Daß der Limes bereits im 2. Jh. kein unüberwindliches Hindernis darstellte, zeigen die ersten größeren chattischen Einbrüche nach Obergermanien, als infolge des Abzuges römischer Einheiten zum Krieg gegen die Parther die nördliche Reichsverteidigung geschwächt war. Über die Kämpfe, in deren Verlauf die Eindringlinge vom Provinzstatthalter Gaius Aufidius zurückgeworfen wurden, ist wenig bekannt. Weitaus schwerer wog der chattische Durchbruch an der oberen Donau (163) in die Raetia, von dort über die Alpen bis nach Oberitalien, wo Opitergium81 zerstört wurde. Auf eine relative Befriedung, nach dem Ende des 2. Markomannenkrieges (178—180), folgten bereits unter Caracalla wieder schwere Grenzkämpfe. 213 drangen Chatten und die erstmals genannten Alamannen in das Dekumatenland ein. Im Spätsommer desselben Jahres stießen die Römer unter Caracalla über den Limes hinaus in das Maingebiet vor und erfochten oder erkauften einen Sieg. Das Rhein-Donaugebiet sollte von nun an nicht mehr zur Ruhe kommen. Die langjährigen Auseinandersetzungen in der römischen Militärmacht, aber auch zahlreiche friedliche Berührungen mit einer hochentwickelten Klassengesellschaft 80
Ein Kohortenkastell entstand bereits zwischen 77 und 81 auf dem Königsberg; es wurde im 1. Markomannenkrieg zerstört. Von der an anderer Stelle nahe der Donau errichteten Legionsfestung ist teilweise die im 3. Jh. umgebaute Porta Praetoria erhalten. Bis in das späte Mittelalter dienten Ost- und Südmauer der römischen Anlage als Stadtbefestigung.
81
Stadt,
Kolonie und Straßenknotenpunkt
Venetien; jetzt Oderzo.
(Aquileia-Verona sowie Aquileia-Trident)
in
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN
295
führten zu bedeutsamen Veränderungen im sozialökonomischen Gefüge der sich im LimesVorfeld stauenden germanischen Stämme und Stammesteile. Bewaffnung und Kampfesweise ihrer Krieger hatten die Germanen entscheidend verbessert und den taktischen Erfordernissen angepaßt. Damit war den Römern ein nahezu ebenbürtiger Gegner erwachsen, der mit jenem zu Beginn der römischen Angriffskriege nur noch seine ethnische Herkunft gemein hatte. Wohl erstmals entwickelte sich innerhalb der entstehenden Stammesverbände, angesichts der eigenen Stärke, das Selbstbewußtsein dauerhafter Zusammengehörigkeit, was die Verschmelzung der einzelnen Stämme wesentlich förderte und beschleunigte. Aus diesen vielschichtigen und komplizierten Vorgängen treten uns als erster großer Stammesverband die Alamannen entgegen.
4.
Wirtschaftliche Auswirkungen der römisch-germanischen Beziehungen
Als die römische Klassengesellschaft in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts v. u. Z. an Rhein und Donau mit den keltischen und germanischen Stämmen in Berührung kam, hatte bei diesen bereits ein Prozeß sozialer Differenzierung begonnen. Kriegerische, mehr noch friedliche Kontakte der germanischen Nobilitas zum römischen Reich förderten diesen Vorgang, den die Römer stets, wenn auch aus wechselnden Gründen, unterstützten. Den römischen Plänen, die Nordgrenzen des Reiches durch Klientelstaaten abzusichern, kommt dabei vorrangige Bedeutung zu. In den Jahrzehnten nach der gescheiterten Germanicus-Offensive des Jahres 17 (s. S. 277), änderten sich auch die Methoden politischer Einflußnahme auf die innergermanischen Angelegenheiten (s. S. 278 u. Anm. 35). Dadurch, daß die germanischen Stammeshäuptlinge (reges, reguli, optimates) als Partner der Römer auftraten, erhöhte und festigte sich deren Ansehen und Machtstellung. Obwohl für diesen Zeitabschnitt schriftliche Quellen jene Vorgänge nur indirekt erhellen (Tacitus, Germ. 5), ist anzunehmen, daß erhebliche Zuwendungen an den germanischen Adel Verbindungen und Bündnisse vorbereiten und festigen halfen. Wertvolle Silber- und Bronzegefäße, Gläser, Sigillaten, Textilien, Wein82 — wahrscheinlich auch Zuchtvieh 83 — gelangten in dieser frühen Phase römisch-germanischer Beziehungen84 wohl vorwiegend als Ehrengeschenke in das freie Germanien. Im römischen Heer als Offiziere dienende oder in Rom erzogene Germanen machen die Ausstrahlungs82
83
84
Den Nachweis hierfür liefern indirekt die zahlreichen im Landesinnern gefundenen aus Weinsieb und Schöpfkelle bestehenden Trinkservices. Reste tönerner Weinamphoren bleiben auf das limesnahe Gebiet beschränkt. Bei der germanischen Wertschätzung von Viehbesitz als Maßstab von Ansehen und Reichtum ist zu erwarten, daß die Römer dem durch Geschenke von Zuchttieren Rechnung trugen. Die gegenüber der vorrömischen Zeit zu beobachtende Zunahme der Widerristhöhe beim Rind ließe sich neben verbesserter Stallhaltung auch mit Einkreuzungen römischer Schläge erklären. Gegen die Auffassung, daß die kostbaren Erzeugnisse, wie sie in den Adelsgräbern des Lübsow-Horizontes zutage treten, überwiegend Handelsgüter darstellen, spricht, daß im 2. J h . bei bedeutend erweiterten und vertieften Handelsbeziehungen qualitätsvolle Stücke dieser Art immer seltener vorkommen, obwohl die ökonomische Macht des am Fernhandel führend beteiligten Adels gewachsen war.
296
AUSEINANDERSETZUNGEN MIT ROM
kraft des Imperiums auf die einheimische Führungsschicht besonders deutlich. So änderten sich allmählich, in den grenznahen Gebieten mehr und schneller als im Landesinnern, Lebensgewohnheiten und sozialer Status der herrschenden Familien. In den gleichartigen Bestattungssitten des höheren germanischen Adels im frühen 1. Jh. offenbaren sich weiträumige, über ethnische Grenzen hinausgehende Verbindungen (s. S. 518). a)
Landwirtschaft
Die Landwirtschaft der Germania Romana beruhte nicht auf den bodenständigen Traditionen der besetzten Gebiete, wo bereits eine von Kelten und Galliern entwickelte Agrarwirtschaft bestand, sondern auf den Grundlagen der römischen Klassengesellschaft mit ihren unterschiedlichen Eigentumsformen an Grund und Boden sowie Produktionsmitteln. Eine umfassende wissenschaftliche Behandlung von Acker- und Obstbau sowie Viehzucht an Rhein und oberer Donau fehlt bisher ebenso wie die des Siedlungswesens. Einzelheiten des Übergangs von der einheimischen zur römischen Landwirtschaft lassen sich kaum erkennen. Denn eine archäologische Trennung der bereits im 1. Jh. weitgehend romanisierten bäuerlichen Bevölkerung, vorwiegend keltischer Herkunft, aber auch integrierter germanischer Gruppen, von den römischen Veteranen, zugewanderten Galliern oder aus anderen Reichsteilen zwangsweise umgesiedelten Ethnika (s. S. 291 f) ist kaum möglich (umfassend H. Jankuhn 1969, S. 122 ff.). Der überwiegende Teil des Provinzbodens war Gemeindeland und unterstand der örtlichen Zivilverwaltung. Besonders an der Rheingrenze, im Limeshinterland und im Bereich größerer militärischer Einrichtungen besaß die Armee ausgedehnte Ländereien (territorium legionis). Zum kaiserlichen Privatvermögen zählten die umfänglichen saltus caesares, wie etwa um Rottenburg (Sumelocenna), in den Ardennen oder an der Eifel. 85 Im Zuge des gesamtwirtschaftlichen Aufschwunges entstand im militärisch gesicherten Gebiet eine bedeutende Anzahl von Gutshöfen (villae rusticae) unterschiedlicher Größe (bis über 400 ha), deren großwirtschaftliche Erzeugung die fortgeschrittenste Produktionsform der römischen Agrarwirtschaft darstellte. Dazu gehörten auch Handwerksbetriebe verschiedenster Art, Metallwerkstätten, Töpfereien, Kalkbrennereien, Steinbrüche sowie Anlagen zur Gewinnung und Verhüttung von Erzen. Über den eigenen Bedarf hinaus wurden Waren für den Markt erzeugt. Hauptabnehmer waren meist benachbarte Siedlungen (vici oder civitates), canabae oder Miütäreinheiten. Die Rentabilität dieser Güter, die vorwiegend mit Kolonen wirtschafteten, beruhte nicht zuletzt auf ihrer verkehrsoffenen Lage und dem hochentwickelten dichten Straßen- und Wegenetz.86 Als Besitzer ähnlicher Großwirtschaften tauchten auch führende germanische Adlige auf, wie aus dem Hinweis des Tacitus über den Bataver Civilis hervorgeht (s. Anm. 64). Nirgends lassen schriftliche Uberlieferung oder archäologische Aufschlüsse erkennen, daß die Verwendung von Sklaven in der Landwirtschaft des Rhein- und oberen Donau85
Der Landmauerbezirk von Bitburg, dem frühen 4. Jh. zugehörig, umschloß durch eine 72 k m lange Mauer annähernd 220 km 2 mit etwa ioo vülae rusticae.
86
Während
die häufig gepflasterten,
auch für schwere Transportfahrzeuge
geeigneten
Staatsstraßen von der Armee gebaut und unterhalten wurden, hatten Gemeinden und villae für die untergeordneten Verkehrswege zu sorgen. E i n erheblicher, kaum
mehr
meßbarer Teil des Güterumschlages wird auf den schiffbaren Flüssen getätigt worden sein.
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN
297
gebietes — auch auf den großen Gütern — eine wesentliche Rolle gespielt hätte. Tragende Kräfte waren freie Klein- und Mittelbauern sowie Pächter. Der Kolonat 87 gewann erst im frühen 3. Jh. an Bedeutung, als die Viehwirtschaft zugunsten des einträglicheren, aber arbeitsintensiven Getreideanbaues zurücktrat und ein erheblicher Teil freier Arbeitskräfte zu abhängigen Zinsbauern wurde. Die hohe Produktivität der römischen Landwirtschaft beruhte vorrangig auf ihrer überlegenen technischen Ausrüstung. Zahlreiche, teils hochspezialisierte Werkzeuge, Geräte und Vorrichtungen genügten funktionell allen Ansprüchen. Außerdem besaß der römische Bauer beachtliche Kenntnisse und Erfahrungen, was auch die Werke der römischen Agrarschriftsteller verdeutlichen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil für die römische Landwirtschaft lag darin, daß sie auf erfahrene einheimische Arbeitskräfte in beliebiger Zahl zurückgreifen konnte. Als wichtigste Arbeitsgeräte wurden der für leichtere Böden geeignete römische Hakenpflug (aratrum) und der im keltischen Gebiet nördlich der Alpen erfundene Scharpflug (Wendepflug)88 benutzt. Die nach Plinius (Nat. hist. 18, 30; 296) von den Treverern in Nordostgallien entwickelte Mähmaschine (vallus) fand in den großen Getreideanbaugebieten der Belgica, des Mosel-, Saar- und südlichen Eifelgebietes Verwendung. In anderen Teilen des Reiches ist diese etwa 4 m lange und 1,5 m breite Erntemaschine nicht belegt,89 ein Beweis für die fortgeschrittene, teilmechanisierte Getreidewirtschaft des kelto-gallischen Raumes. Zur Bodenverbesserung und Ertragssteigerung wurden sowohl von einheimischen als auch römischen Ackerbauern (Plinius, Nat. hist. 17, 42 u. 47) mineralische Düngemittel (Kalk, Mergel) sowie organischer Dünger (Stallmist, Jauche) ausgebracht. Angebaut wurden alle bekannten Getreidearten, Hülsenfrüchte sowie Obstarten (s. K.-H. Knörzer 1966, S. 433ff.); von den Römern eingeführt, kamen Aprikose, Pfirsich, Zwetschke und Sauerkirsche hinzu. Bereits im 1. Jh. wuchsen italische oder südgallische, vielleicht auch veredelte einheimische Reben an Rhein und Mosel. Unter 87
Der K o l o n a t , v o n lat. colere (bebauen), ist die wichtigste F o r m der kleinen B o d e n p a c h t im Römischen Reich. D e r Kolone (colonus) wandelte sich v o n einem freien P ä c h t e r im 1. Jh. v . u. Z. mehr und mehr zu einem erst ökonomisch, später auch rechtlich
vom
Großgrundbesitzer abhängigen Pachtbauern. Sowohl auf den kaiserlichen D o m ä n e n als auch privaten Latifundien entwickelte sich der K o l o n a t , welcher in den verschiedenen Reichsteilen eine abweichende Ausgestaltung erfuhr. I n der landwirtschaftlichen
Pro-
duktion löste im 2. Jh. der K o l o n a t die Sklaverei weitgehend ab. Die wirtschaftliche und soziale
Lage
der
Kolonen
verschlechterte
sich
zunehmend
in der
späten
Kaiserzeit
(Dominat). E i n 332 v o n Constantinus I. erlassenes Gesetz band sie an den B o d e n (adscriptus glebae). 88
Die zur Bearbeitung schwerer Böden eingesetzten Scharpflüge der einheimischen völkerung waren das „ p l a u m o r a t u m "
der Rätier
Be-
(Plinius, N a t . hist. 18, 172) und die
„ c a r r u c a " der Beigen. Z u m rätischen P f l u g gehörte ein zweirädriges Vorgestell. B i s auf Schar und Sech bestanden alle anderen Teile aus Holz. M i t d e m plaumoratum k o n n t e der B o d e n aufgeschnitten und umgeworfen werden. Ä h n l i c h war auch die carruca konstruiert. M i t nur geringen A b w e i c h u n g e n blieb die v o n den R ö m e r n technisch verbesserte P f l u g f o r m über das Mittelalter hinaus bis in die Neuzeit in Gebrauch. £9
Rekonstruktionen anhand v o n Reliefdarstellungen sowie Näheres zur Arbeitsweise geben J. Mertens 1958, S. 388, A b b . 3 (Buzenol/Luxemburg) (Trier).
und H . Cüppers 1964, S. 1 5 1 ff.
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AUSEINANDERSETZUNGEN MIT ROM
Probus (276—283), der vom Heer Weinberge anlegen ließ, erlebte die Rebkultur eine Blütezeit. Die zu Lagerung und Versand benutzten Fässer aus Weißtannenholz gelten als gallo-germanische Erfindung. Die besondere Bedeutung des Obst- und Weinbaues im Romanisierungsprozeß zeigt sich wohl am besten darin, daß zahlreiche römische Pflanzennamen sowie Bezeichnungen von Spezialwerkzeugen und Geräten in die germanische Sprache eingingen und sich bis heute erhielten. Gemessen an den wichtigsten germanischen Haustieren, besaßen die Römer wesentlich leistungsfähigere Rinder- und Pferderassen. Die kleineren, kurzhornigen Rinder der vorrömischen Zeit wurden von größeren, langhornigen Schlägen verdrängt.90 Ob es sich dabei um Tiere aus dem ehemaligen Keltengebiet handelt, dessen Viehwirtschaft der römischen kaum nachstand, oder um solche italischer Herkunft, ist unbekannt. Die Widerristhöhe der wichtigsten Haustiere im freien Germanien (s. S. 439) belegt, daß die Individuen um so größer, den vergleichbaren römischen Werten um so mehr entsprachen, je näher die betreffenden Siedlungen zu den Grenzen des Reiches lagen. Es kann als sicher gelten, daß durch Handel, als Beute oder Geschenk91 in die Kontaktbereiche gelangte Tiere auch in die germanischen Schläge eingekreuzt wurden. Bei den germanischen Opferplätzen gilt es zu berücksichtigen, daß man wahrscheinlich ausgesuchte Tiere den Gottheiten darbrachte, so daß die hier gewonnenen Indizes von denen der dazugehörigen oder benachbarten Siedlungen abweichen können. Der ärchäologische Nachweis darüber, ob, seit wann und in welchem Maße germanische Stämme Erkenntnisse und Verfahren aus der überlegenen römischen Landwirtschaft übernahmen, läßt sich schwer führen. Analog mit anderen Erscheinungen begannen in grenznahen oder von wichtigen Handelsbahnen berührten Gebieten römische Einflüsse allgemein früher und stärker zu wirken. Obwohl in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung die Bestattungen eiserne Werkzeuge und Gerätschaften nur spärlich enthalten, sich ehedem Vorhandenes auch der Bestimmung entzieht, ist das völlige Fehlen landwirtschaftlicher Arbeitsgeräte römischer Herkunft, und zwar auch in Siedlungen, bemerkenswert genug. Das historische Geschehen — die Einfälle römischer Legionen in das westliche Innergermanien und in das Mündungsgebiet von Ems, Weser und Elbe von See her, vor allem aber die wiederholten Racheaktionen in frühtiberischer Zeit, mit dem erklärten Ziel, die wirtschaftliche Kraft der germanischen Stämme zu brechen, — schloß eine Übernahme römischer Agrarmethoden überhaupt aus. Stammeskämpfe größeren Ausmaßes, wie zwischen Cheruskern und Markomannen, seit dem Jahre 17, sowie die ständigen Fehden zwischen ersteren und Chatten, besonders um die Mitte des 1. Jh., hatten wahrscheinlich langdauernde, über die Beteiligten hinaus spürbare wirtschaftliche Folgen. Günstigere Möglichkeiten, römische Erfahrungen zu übernehmen, boten sich erst nach dem Bataveraufstand (s. S. 287), als eine bis über die Mitte des 2. Jh. währende Periode relativen Friedens an Rhein und oberer Donau auch die innergermanische 90
Mit dem A b z u g der Römer gingen auch die Größenindizes bei Rind, Pferd und Schwein wieder zurück. E i n Beweis dafür, daß entwickeltere Zuchtmethoden kaum noch geübt wurden.
91
Die Untersuchung osteologischen Materials aus germanischen Adelssitzen könnte dazu, auch wenn die sicher besseren Haltungsbedingungen allgemein größere Tiere erwarten lassen und damit eine Klärung erschweren, bedeutsame Aufschlüsse liefern.
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WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN
Konsolidierung förderte. Der im freien Germanien archäologisch zu belegende Landesausbau, mit dem auch die Bewirtschaftung schwerer Löß- und Schwarzerdeböden einherging, steht vermutlich auch mit dem Gebrauch des eisernen Wendepfluges in Beziehung. Bedeutsam war auch die verbesserte Getreidevermahlung mittels Handdrehmühlen (H. Lies 1963, S. 313). Mahlsteine aus Basaltlava von Mayen/Eifel 92 wurden weithin, besonders in die steinarmen friesischen Küstengebiete ausgeführt. Eine Werkstätte für Drehmühlenherstellung befand sich auch in dem spätkeltischen Oppidum Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberge bei Römhild, Kr. Meiningen (G. Neumann 1953,706). Danach beruhten diese technischen Fortschritte wohl vorrangig auf keltischen Traditionen und begannen schon nach Innergermanien auszustrahlen, ehe römische Einflüsse jemals wirksam werden konnten. Wenn überhaupt im 1. Jh. Kulturpflanzen sowie Verfahren der römischen Landwirtschaft in die Germania libera gelangt waren, dann müßten diese zuerst und vor allem im hermundurischen Herrschafts- und Einflußgebiet, das zu jener Zeit und danach von der Donau bis nach Mitteldeutschland reichte, festzustellen sein.93 Überzeugende Beweise dafür liefern jedoch weder archäologische noch naturwissenschaftliche Untersuchungen, wie die betreffenden botanischen Aufschlüsse zeigen (E. Lange 1973, S. 173f.). Offenbar hatten die innergermanischen Stämme entwickeltere Formen des römischen Ackerund Pflanzenbaues nicht übernommen. Zur Ablösung gentiler Agrarverhältnisse kam es zuerst in den vorher meist keltischen Gebieten der Germania Romana, und zwar so gründlich, daß es kaum noch Spuren früherer Formen gibt. Die besonderen militärischen und politischen Gegebenheiten ließen im 4. Jh. die Verbindungen zwischen den Rheinprovinzen und dem nordöstlichen Gallien und der Belgica abreißen. In diesem Raum bahnte sich eine fortgeschrittenere, frühfeudale Züge tragende Entwicklung an, die von den Franken entscheidend mitbestimmt wurde. b) Technologie Sehr wahrscheinlich übernommene römische Technologien und Erfahrungen trugen ganz allgemein zur Verbesserung der germanischen Produktion bei. Archäologisch lassen sich die erzielten Fortschritte, wie besonders in der Eisengewinnung und -Verarbeitung, zwar gut erkennen, jedoch in ihren Wurzeln kaum fassen. Bisher gelang es noch nicht, die offenbar enge Verbindung zwischen einheimisch-germanischer Entwicklung, keltischer Tradition und provinzialrömischen Einflüssen zu trennen und deren Anteil zu bestimmen (R. Pleiner 1964 [1965], S. 47). Verbesserungen gab es auch bei der Weiterverarbeitung des Roheisens. Jedoch ist 92
Die Steinbrüche lieferten seit der späten Latenezeit oder schon früher das
begehrte
Material, das an O r t und Stelle handwerklich verarbeitet wurde. D a s A b s a t z g e b i e t der noch im 4. Jh. florierenden Basaltindustrie erstreckte sich bis nach Obergermanien, wie eine im R h e i n bei Straßburg gesunkene Schiffsladung Mayener Mahlsteine zeigt (H. A u b i n 1925, S. 16). 93
D i e stets m i t
den Römern
befreundete hermundurische Stammesgruppe nördlich der
D o n a u besaß wichtige Sonderrechte. So d u r f t e n deren K a u f l e u t e ungehindert den F l u ß überschreiten
und
römische
besuchen (Tacitus, Germ. 41).
Handelsplätze,
wie
Augusta
Vindelicorum
(Augsburg),
300
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eine brauchbare Stählung kaum vor dem l . Jh. erzielt worden. 94 Qualitativ erreichten die im späten 2. Jh. und danach hergestellten Waffen, Werkzeuge und Gerätschaften eine beachtliche Höhe. Technische Anregungen mögen wohl auch erbeutete römische Waffen, Werkzeuge und Geräte geliefert haben. Bunt- und Edelmetalle wurden besonders zu Schmuck, allerlei Zierrat, Geräten zur Körperpflege sowie Kleinwerkzeugen verarbeitet. Im weitesten Sinne römische Anregungen erstreckten sich auf Filigran, Granulierung, Feuervergolden, Belegen mit Email und Zellenschmelz. Im allgemeinen erlaubten die wirtschaftlichen Verhältnisse Innergermaniens aber noch nicht, Fertigungsverfahren sowie Methoden römischer Arbeitsorganisation direkt und größeren Ausmaßes zu übernehmen. Meist waren es formale Anregungen, die, von germanischen Handwerkern aufgegriffen, den heimischen Traditionen angepaßt oder auch in andere Materialien umgesetzt wurden. Das gilt besonders für die spätere Zeit. Gering entfaltete Produktivkräfte sowie eine unzulängliche Infrastruktur (Wege, Straßen, Brücken, Märkte) erschwerten und verzögerten jedoch die Übernahme fortgeschrittener Technologien. c) Römisches Einfuhrgut Auch die eingeführten römischen Industrieerzeugnisse nahmen nach Anzahl und Vielfalt erheblich zu. Neue Fundgattungen, wie Fibeln, Waffen, vor allem Terra sigillata und Gläser, erscheinen hauptsächlich als Grabbeigaben. Auf der von H. J. Eggers 1951 gegebenen Übersichtskarte der Importe 95 (Abb. 67) zeichnen sich im freien Germanien bestimmte Gebiete mit auffallender Funddichte ab. Bis auf wenige aber bedeutsame Ausnahmen bleiben diese „Ballungsräume" längere Zeit, oftmals bis in das frühe 4. Jh. hinein bestehen. Die wichtigsten sind: 1. Ostseite Jütlands und die dänischen Ostseeinseln (Fünen, Seeland, Laaland, Falster, Moen), 2. Westfriesisches Küstengebiet, 3. Östliches Niederrheingebiet zwischen Lippe und Sieg, 4. Zentrales Mitteldeutschland zwischen Fläming und Thüringer Wald, 5. Böhmisches Becken. Als weniger charakteristisch im Sinne einer selbständigen Fundprovinz erscheinen die Altmark und das angrenzende westliche Unterelbgebiet sowie Westmecklenburg. Im Weichselmündungsraum deutet sich, durch neuere Funde noch verstärkt, eine auf Bernsteingewinnung und -handel98 beruhende Häufung an. 94
Noch im 2. Jh. waren, die germanischen Schwerter teilweise so wenig gestählt, daß sie, wie das rituelle Verbiegen zeigt, mehrfach geknickt oder spiralig zusammengerollt werden konnten.
35
Wären die seit 1951 überall vermehrten Funde in gleicher Weise auch für die Gebiete außerhalb der D D R berücksichtigt worden, so käme das einer aus vielerlei Gründen nicht zu bewältigenden Neuaufnahme gleich. U m das zumindest v o m Bearbeitungsstand der späten vierziger Jahre her „ausgewogene" B ü d nicht regional einseitig zu verzerren, wurde bewußt darauf verzichtet, die zahlreichen Neufunde zwischen Ostsee und Thüringer Wald der Eggersschen Karte 4 (Der Import der älteren Kaiserzeit — Stufe B) hinzuzufügen.
96
Der im samländischen Küstenbereich gefundene Bernstein wurde besonders im 1. und frühen 2. Jh. in bedeutender Menge über Noricum und Pannonien nach (Aquileia) ausgeführt. Die an den Haupthandelswegen
(„Bernsteinstraße")
Oberitalien gelegenen
germanischen Stammesgebiete hatten am Transit erheblichen Gewinn. Der Bernstein-
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handel ging, wahrscheinlich durch den Wandel der Mode im Reich, gegen Ende des 2. Jh. zurück; auch die Markomannenkriege werden bestehende Verbindungen gestört oder unterbrochen haben.
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Bezeichnend ist für sämtliche Hauptfundgebiete, daß bestimmte Sachgüter dominieren, während andere kaum oder gar nicht vorkommen. Ursachen hierfür waren die Entfernung zum Imperium und den jeweiligen Industrien, die Lage zu wichtigen Fernhandelsbahnen und Seeverbindungen. Archäologisch schwer zu fassen, obwohl historisch belegt (Tacitus, Germ. 5), spielten auch römische Ehrengeschenke und Subsidien — meist kostbare Luxusgüter — eine große Rolle. Diese flössen dem germanischen Adel aus den verschiedensten Anlässen zu. Bronze-, Silber- und Glasgefäße stammen vorwiegend aus Gräbern, Sigillaten aus Siedlungen, während die meist der spätrömischen Zeit (Stufe C 1 und C 2) angehörenden Bronzestatuetten 97 , einst als Opfer niedergelegt, in Mooren, Gewässern aber auch Siedlungen gefunden wurden (Abb. 130 a). Auf Jütland und den dänischen Inseln überwiegen Bronzegefäße. Bestimmte Formen, wie gewellte steilwandige Becken (Eggers Typ 77; Karte 27) (Abb. 130 b), kommen fast ausschließlich in Dänemark vor. Auch Kasserollen mit rundem Griffloch (Typ 139—144; Karte 41—42) (Abb. 130c), schmalschaftige Kelle-Sieb-Garnituren (Typ 162; Karte 47) (Abb. i3od) sowie Situlen mit Gesichtsattachen (Typ 24—29; Karte 16) (Abb. 130 e), diese häufig in Gräbern der Lübsow-Gruppe, sind hier am stärksten verbreitet. Glasgefäße des 1. Jh. zählen in der gesamten Germania libera zu den größten Seltenheiten. Im frühen 3. Jh. und danach weist das dänische Gebiet die dichteste Fundhäufung auf. Römische Waffen und Rüstungsteile, die sich oftmals einer genauen zeitlichen Zuordnung entziehen, sind vergleichsweise stark vertreten. Die meisten dürften ebenfalls der spätrömischen Zeit angehören. Römische Bronzestatuetten, vorwiegend als Moorfunde geborgen, häufen sich im Inselbereich. Dagegen sind Fibeln, gemessen an der Fülle anderer Exportgüter, nur schwach vertreten. Nach H. J. Eggers scheint frühe Terra sigillata völlig zu fehlen. Noch in spätrömischer Zeit kommt diese Quellengattung, im Gegensatz zu den meisten anderen Hauptfundgebieten, sehr selten vor (s. H. J. Eggers 1951, Karte 62). Im westfriesischen Küstengebiet dominiert, wie bei keinem anderen Einfuhrgut, Terra sigillata. Auch im frühen 2. Jh. und später (Stufe C 1 und C 2) kommen nur wenige Bronzegefäße hinzu. Dafür ist die Anzahl der besonders im Bereich der Siedlungen gefundenen Bronzestatuetten — vor allem Merkur, Mars und Jupiter — sehr hoch. Fibeln und Gläser fehlen auch weiterhin. Im östlichen Niederrheingebiet ist, wie überall im Kontaktbereich zum Imperium, Terra sigillata führend vertreten. Fibeln und Bronzegefäße folgen in beträchtlichem Abstand. Gläser sind nach H. J. Eggers 1951, Karte 4 nicht belegt. In spätrömischer Zeit verlagert sich das Gros der Funde, bei annähernd gleichbleibendem Sachanteil, von der Lippe rheinwärts. Neu erscheinen lediglich Gläser, sicher aus Kölner Manufakturen stammend. Römische Waffen tauchen kaum häufiger auf als in Innergermanien. 97
Die meist zwischen 10 und 15 cm großen Stücke spielten im germanischen Kultwesen, wahrscheinlich den einheimischen Gottheiten angepaßt, eine bedeutsame Rolle (s. P. L a Baume 1971, S. i43ff., Taf. 1,4 u. 2 — 7).
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Im Gebiet zwischen Fläming und Thüringer Wald hebt sich zur frühen Kaiserzeit eine Fundgruppe ab, in der sämtliche römischen Industrieerzeugnisse, meist als Grabbeigaben, vorkommen. Es überwiegen Bronzegefäße.98 Ziemlich häufig treten noch in die erste Hälfte des 1. Jh. zu datierende Bronzekessel mit eisernem Rand (Eggers Typ 4—10; Karte 11) (Abb. 130 f) auf, deren Hauptverbreitung zwischen Saale und Elster sowie dem östlichen Harzvorland liegt. Bronzeeimer vom Östlandtyp (vorwiegend Typ 40; Karte 19) (Abb. 130g), vor allem am Übergang zur späten Kaiserzeit eingeführt, bleiben auf mitteldeutsches Gebiet und die südliche Altmark beschränkt. Bis in das Thüringer Becken hingegen sind Kasserollen mit rundem Griffloch (Abb. 130 c) sowie frühe Kelle/Siebgarnituren mit ruderförmigen Griffen (Typ 159—160; Karte 45) (Abb. 130h) verbreitet. Provinzialrömische Fibeln, darunter Emailscheibenfibeln sind mehrfach belegt. Frühe südgallische Sigillaten, wie von Deetz, Kr. Zerbst (Taf. 29 c) (Th. Voigt 1962, S. 307ff. u. Taf. 37—38) und Vippachedelhausen, Kr. Weimar (K. Peschel 1969, S. l i y f f . , Taf. 29) kommen selten vor; ebenso Gläser (Taf. 62). In spätrömischer Zeit, etwa um 180, füllt sich das mitteldeutsche Fundgebiet besonders im Raum zwischen Unterharz und Saale auf. Verstärkt kommen Gläser als Grabbeigabe vor. Im Thüringer Becken ist Terra sigillata meist aus Siedlungen belegt, was beweist, daß römische Keramik hier schon im beginnenden 3. Jh. allgemein benutzt wurde. Die verhältnismäßig geringe Entfernung zur Reichsgrenze (ca. 150 km Luftlinie) läßt an einen Handelsweg durch die Wetterauer Senke, etwa der heutigen Autobahntrasse Fr ankfurt/Main—Eisenach folgend, denken. Der Reichtum des westthüringischen Raumes, sowohl an Denarschätzen als auch Einzelmünzen aus Siedlungen, könnte dafür sprechen, daß dieses Gebiet bis in das 4. Jh. hinein der Nähe und günstigen geographischen Lage zum Römischen Reich seine später zweifellos fortgeschrittene sozialökonomische Entwicklung verdankt. Die meisten Funde kamen während der langen, bis in das späte 2. Jh. andauernden, erst durch die Markomannenkriege beendeten Friedensperiode an Rhein und oberer Donau in das Land. Obwohl uns schriftliche Quellen darüber keine Aufschlüsse geben, sieht es so aus, als ob die Verbindungen des von größeren Einfällen bis dahin verschont gebliebenen Rhein-Main-Gebietes zu den germanischen Stämmen Mitteldeutschlands weniger berührt wurden und erst dann abbrachen, als in spätseverischer Zeit (233) die Kämpfe auf das Limesgebiet übergriffen. Im Böhmischen Becken, dem Kerngebiet des Markomannenreiches, überwiegen die im frühen 1. Jh. eingeführten Bronzegefäße italischer Herkunft." Zahlenmäßig an erster Stelle stehen Kasserollen mit Schwanenkopfbügel (Eggers Typ 131; Karte 39) (Abb. i3oi), die als in sich geschlossene Gruppe nur hier, und zwar besonders auf den Brandgräberfriedhöfen von Dobrichow, Bez. Kolin und Tiebusice, Bez. Slany, vorkommen. Aber auch die weitverbreiteten Bronzeeimer vom Östland-Typ oder Situlen mit Gesichtsattachen (Abb. 130g, e) tauchen häufig auf. 98
99
Untersuchungen germanischer Brandgräberfelder der ersten drei Jahrhunderte mit ihren oftmals stark deformierten Resten römischen Bronzegeschirres, aber auch andere Neufunde haben diese Quellengattung zahlenmäßig stark vermehrt. Zentrum der italischen Bronzeindustrie war schon im 2. Jh. v. u. Z. Capua (Campania). Die technisch hervorragend gearbeiteten, meist gegossenen und dann abgedrehten Gefäße wurden weithin exportiert. Mit dem Aufstieg der gallischen und niederrheinischen Werkstätten verlor Capua im 2. Jh. zunehmend an Bedeutung.
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Unter den zahlreichen Importfibeln nehmen norisch-pannonische Stücke breiten Raum ein. Bezeichnenderweise fehlen Gläser, und zwar auch in spätrömischer Zeit (H. J. Eggers 1951, Karte 61), ebenso Bronzestatuetten und römische Waffen (Karte 63 u. 64). Sigillaten, meist Rheinzaberner Herkunft, kamen erst im frühen 3. Jh., wohl über Carnuntum (Pannonien) gehandelt, nach Böhmen; es dominieren Siedlungsfunde. Die mit dem Zerfall des Marbod-Reiches (s. S. 389) einhergehenden machtpolitischen Verschiebungen innerhalb der Germania libera hatten zur Folge, daß die böhmische Importprovinz 100 rasch an Bedeutung verlor und ihr Rang nunmehr dem sächsischthüringischen Raum zufiel. Im Fundgut der Altmark und in dem benachbarten Unterelbgebiet deuten sich für die frührömische Zeit Ubereinstimmungen an, die wohl hauptsächlich auf dem gemeinsamen Elbehandelsweg beruhen. Gleiches gilt auch für das westliche Mecklenburg mit seinen reich ausgestatteten Brandgräberfeldern wie Hagenow und Körchow, Kr. Hagenow. Im 3. Jh. verlagerte sich das Schwergewicht des zuvor westlich der Unterelbe vorhandenen Importreichtums in das mittlere Wesergebiet zwischen unterer Aller und oberer Ems. Hier überwiegen Bronzegefäße. Leitform ist der Hemmoorer Eimer 101 (Eggers Typ 55—66; Karte 23—24) (Abb. 130j). Terra sigillata kommt im unteren Elbe- wie im mittleren Weserraum reichlich vor. Die für Mecklenburg und das ehedem vorpommersche Gebiet bis zur Oder auffallend lockere Streuung römischen Einfuhrgutes (H. J. Eggers 1951, Karte 4) ist durch zahlreiche Neufunde erheblich verdichtet worden. Anscheinend beginnt sich ein größeres, südwestlich orientiertes Fundgebiet frühkasierzeitlichen Importes abzuheben, das aber später keine Auffüllung mehr erlebte. Allgemein gilt, daß römische Massenware wie Terra sigillata besonders in den germanischen Grenzzonen sowie in vom Seehandel berührten Küstengebieten gehäuft vorkommt (H. J. Eggers 1951, Karte 62). Die wertvolleren Erzeugnisse aus Silber, Bronze und Glas, wie sie als Beigaben der zwischen Jütland und Mittelpolen verbreiteten LübsowGräber auftauchen, finden sich vorwiegend im Landesinnern, in Gebieten also, die von den römisch-germanischen Kämpfen des frühen 1. Jh." nicht betroffen waren. Ihre Besitzer repräsentieren eine von gleichen Vorstellungen und Traditionen geprägte Gesellschaftsschicht, deren zur Schau gestellter Reichtum vielleicht aus den Erträgen des mit Rom getätigten und über Carnuntum abgewickelten Bernsteinhandels (Plinius, Nat. hist. 37, 3) herrührte. Was die ausgesprochen kostbaren Tafelgeschirre betrifft, so dürfte es sich vermutlich um römische Geschenke an den germanischen Adel handeln. 100
101
Römisches Interesse am Handel mit dem Marbod-Reich wird aus dem Bericht des Tacitus (Ann. 2, 62) deutlich. Bei Erstürmung der Königsburg durch Catualda (s. S. 494) befanden sich dort auch römische Marketender und Kaufleute. Die in Niedergermanien wahrscheinlich nahe der Galmeigruben von Gressenich bei Aachen etwa seit der Mitte des 2. Jh. wohl in oder bei Köln hergestellten Messigeimer haben einen zylindrischen Gefäßkörper, der zum konisch abgesetzten F u ß stark einschwingt. A m Rande sitzen zwei Ösen, Attachen, in denen sich der Henkel bewegt. Manche Stücke sind unter dem Rande mit einem umlaufenden Fries figürlicher Szenen geschmückt. Häufigkeit und weite Verbreitung (Ostengland bis Polen, Westnorwegen bis Ungarn) lassen auf leistungsfähige, wahrscheinlich bis um das Jahr 260 florierende Werkstätten schließen.
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Demgegenüber machten Beute und Tribute im 1. und frühen 2. Jh. noch keinen entscheidenden Herkunftsanteil aus. Wichtige Aufschlüsse zu den römisch-germanischen Beziehungen vermitteln uns die im freien Germanien geborgenen Fundmünzen. Ihre Kartierung zeigt eine regional unterschiedliche Häufung, die sich im wesentlichen mit den Zentren des übrigen römischen Einfuhrgutes deckt. Ihre räumliche Verbreitung läßt die monetäre Durchdringung germanischer Siedlungsgebiete sowie Richtung und Verlauf von Verkehrsbahnen erkennen. Aus der Gesamtschau vieler Einzelfaktoren werden Beziehungen zum Römischen Reich deutlich, von denen die schriftliche Überlieferung schweigt und andere archäologische Quellen nur wenig aussagen. Wahrscheinlich seit dem späten 1. Jh. v. u. Z. bis in frühbyzantinische Zeit, also über eine Spanne von sechs Jahrhunderten und daher unter jeweils anderen politischen Bedingungen, gelangten römische Münzen in die Germania libera. Aus dem mengenmäßig unterschiedlichen Zustrom läßt sich auf die Intensität der Kontakte zwischen dem Imperium und den germanischen Stämmen während bestimmter Zeitabschnitte schließen. Älteste römische Fundmünzen sind republikanische Denare, von denen wohl die wenigsten schon in spätkeltischer Zeit nach Innergermanien gelangten. Ihre Verbreitung läßt besonders in Mitteldeutschland das Einströmen aus westlicher Richtung gut erkennen. Von insgesamt 20 Fundorten liegen 19 westlich der Elbe, davon allein 16 im westsaalischen Raum. Nahezu gleiches Vorkommen zeigen die vermutlich im gallorömischen Bereich geschlagenen, mehr oder minder stark barbarisierten Silberdenare (10). 102 Auch die meisten augusteischen und tiberischen Prägungen, überwiegend Kupfermünzen (Asse), stammen aus westelbischem Gebiet. Offenbar deuten sich hier die zwischen 13 v. u. Z. bis 17 u. Z. und danach überlieferten militärischen und politischen Aktivitäten an. Dennoch erlaubt es die gesamtarchäologische Quellenlage vorerst noch nicht, diese Funde etwa einem mit der historisch überlieferten römischen Vorstöße nach Mitteldeutschland (vgl. S. 269f.) direkt zu verbinden. Um die Mitte des 1. Jh. setzte ein verstärkter Münzzustrom ein, der unter Antoninus Pius (138—161) den höchsten Stand erreichte. Dieser Abschnitt umfaßt die schon mehrfach erwähnte Zeit anhaltenden Friedens an den Nordgrenzen des Reiches. Bereits unter Marcus Aurelius zeichnet sich als Folge beider Markomannenkriege (167—175 und 178—180) ein leichter Rückgang ab. Diese Erscheinung beschränkt sich aber nicht allein auf die unmittelbar betroffenen Gebiete, sondern läßt sich großräumig zwischen Limes und Weichsel sowie Südskandinavien und oberer Donau, nicht aber im Reiche selbst verfolgen. Die unter Commodus (180—192) offen zutage tretende Krise des Imperiums äußerte sich auch in einer plötzlichen und allgemeinen Verringerung des Münzzuflusses nach Innergermanien. Das gilt vor allem für Einzelfunde, während die Zahl der Denarschätze, besonders solcher mit Schlußmünzen des Commodus, noch ansteigt. Um diese Zeit und danach sind offenbar gut eingespielte Verbindungen ab102 Vorbild war ein weitverbreiteter, zwischen etwa 2 v. u. Z. bis 14 u. Z. geprägter Denar des Augustus, der auf der Rückseite Gajus und Lucius (Adoptivsöhne des Kaisers) mit Speer und Schild sowie Opfergerätschaften zeigt (H. Mattingly, E . A. Sydenham 1923, S. 90 Nr. 35o/35i)20
Germanen — Bd. 1
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gerissen und nicht wieder hergestellt worden. Auch die mit fortschreitender Zerrüttung des römischen Finanzwesens einhergehenden inflatorischen Veränderungen wirkten sich besonders störend aus. Den unter Septimius Severus (193—211) (Taf. 27 w) im Feingehalt erheblich verschlechterten Denar lehnten die Germanen ebenso ab wie den seit 215 von Caracalla ausgebrachten Antoninian. Dieser nur noch einen sich ständig verringernden Silberzusatz (3%) enthaltende Doppeldenar hatte um die Mitte des 3. Jh. den alten Denar beinahe völlig verdrängt. Von der Mitte des 1. Jh. bis zum späten 2. Jh. standen Handel und Austausch für den Zufluß der Münzen an erster Stelle. Seit den ersten größeren germanischen Vorstößen in die Germania superior und nach Rätien (232) ist dagegen verstärkt mit Beute zu rechnen. Archäologisch kaum nachweisbar dürften römische Tributzahlungen und Bestechungsgelder sein, mit denen der Frieden erkauft (Dio Cassius, Hist. Rom. 77, 14) oder Verbündete im Rücken der gegen Rom kämpfenden Stämme gewonnen wurden. 103 Darunter fallen auch die aus verschiedenen Anlässen dem germanischen Adel gezahlten Subsidien. Wahrscheinlich befindet sich erst unter den im 4. Jh. und später eingeflossenen Münzen dann auch häufiger Sold germanischer Krieger. Eine bedeutsame Frage ist, ob die im freien Germanien gefundenen römischen Münzen dort als Zahlungsmittel dienten. Nach Tacitus (Germ. 5) bevorzugten die Germanen bestimmte spätrepublikanische Denare, und zwar „serrati" (Roma—Dioskurenpaar) sowie „bigati" (Roma-Victoria auf Zweigespann), wegen ihres vollen Gewichtes und hohen Silbergehaltes.104 Dieselbe Quelle berichtet aber auch, daß die Bewohner im Inneren des Landes am gewohnten Tauschhandel festhielten. In Grenznähe wird man Wert und Vorteile römischen Geldes genau gekannt und sich seiner, besonders der kleinen Nominalsorten, im Handel bedient haben. Im Austausch zwischen den germanischen Stämmen haben römische Münzen als „Geld" wohl keine Rolle gespielt. Viel eher könnte dabei das Münzmetall gehandelt worden sein. Wahrscheinlich lieferten eingeschmolzene Edelmetallmünzen zu einem beträchtlichen Teil das Rohmaterial für die Herstellung von Schmucksachen. Bei den meist im späten 2. Jh. niedergelegten Denarschätzen, die sich unter anderem im Thüringer Becken, besonders aber in Polen und der ÖSSR häufen (J. Wielowiejski 1970, S. 134, Tab. 39), handelt es sich wohl vorwiegend um Edelmetallreserven. Einer, und sei es auch noch so bescheidenen Geldwirtschaft standen die wenig entwickelten sozialökonomischen Verhältnisse des germanischen Binnenlandes entgegen. Warenproduktion und Warenaustausch, die den Gebrauch gemünzter Metalle erst notwendig machen, fehlten in der Germania libera ebenso wie Städte oder stadtähnliche Siedlungen. Dagegen trugen im römischen, aber auch ehedem keltischen Gebiet diese wirtschaftlich progressiven Zentren, in denen meist auch die politische Macht lag, wesentlich zum Entstehen eines regionalen, freilich nur kurzlebigen Münzwesens bei. 103 104
A. Radnoti 1967, S. 8, nimmt das vor allem für die mitteldeutschen Stämme an. Diese Angabe wird für die Entstehungszeit der „Germania", um das Jahr 98, kaum noch zutreffen.
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN
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X.
Materielle und geistige Kultur. Stammesgebiete im 1. und 2. Jahrhundert
l.
Grundzüge der materiellen und geistigen
Kultur
a) Hausbau und Siedlung In den germanischen Siedlungen zwischen Rhein und Oder gab es in gegenseitig abgegrenzten Gebieten drei unterschiedliche Hausformen. Im größten Teil des niederländisch-nordwestdeutschen Flachlandes konnten dreischiffige Wohnstallhäuser nachgewiesen werden. In den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. noch in wesentlichen auf die küstennahen Gebiete beschränkt (s. S. 118ff.) sind sie etwa mit dem Beginn u. Z. in einer breiten Zone des Tieflandes zwischen Rhein und Elbe anzutreffen (B. Trier 1969, S. 46ff., Taf. 12). Einzelne, zum Teil aber jüngere Siedlungen östlich der Elbe 1 lassen vermuten, daß auch in den Nordgebieten der D D R Wohnstallhäuser verbreitet waren. Südlich davon erbrachten Ausgrabungen in Westfalen (B. Trier 1969, S. 52f., Taf. 2) und im Elbe-Saale-Gebiet 2 Grundrisse von ebenfalls rechteckigen, aber kleineren Häusern. Sie dienten ausschließlich als Wohnbauten. Konstruktiv unterscheiden sie sich von den Wohnstallhäusern, da sie im Innenraum meist keine Pfosten besaßen. Ein Querbalken verband die lediglich in der Wandflucht stehenden Außenpfosten, in deren Mitte aufgesetzte sogenannte Firststiele den Dachfirst trugen. Diese Bauweise gestattete die ungehinderte Nutzung des gesamten Innenraumes. In keiner der Siedlungen fanden, dem Verbreitungsgebiet der Wohnstallhäuser vergleichbar, umfangreichere Ausgrabungen statt. Daher läßt sich auch nicht sicher beurteilen, ob, wie im Norden, die Stallhaltung des Viehs bereits stärker verbreitet war. Möglicherweise dienten leicht gebaute Häuser ohne Herd, wie man sie vereinzelt antraf, als Ställe. In dem verhältnismäßig großen Haus II von Haldern, Kr. Rees, (R. v. Uslar 1949, Abb. 4) könnte allerdings ein Stallteil mit quer zur Längsachse angeordneten Stallboxen B. Trier 1969, S. 153) abgetrennt gewesen sein. In mehreren Siedlungen fanden sich Speicher, die wahrscheinlich ähnlich wie im Verbreitungsgebiet der Wohnstallhäuser direkt neben den Wohnhäusern standen (B. Trier 1969, S. 33). Bislang hat man allein in Haldern neben den Pfostenhäusern auch 1
Hierzu gehören die Siedlungen von Kablow,
Kr. Königs Wusterhausen, und
Nauen.
Teile von dreischiffigen Häusern wurden ferner in (West-)Berlin (A. v. Müller 1964, S. 45) und
Greifswald
aufgedeckt. Diese wenigen
Fundstellen
erhalten
dadurch
besondere
Bedeutung, weil sie zugleich die einzigen nennenswerten Grabungen in Mecklenburg und dem mittleren Brandenburg darstellen. 2
Wesentliche erwarten.
Aufschlüsse sind
von
der Ausgrabung bei
Dienstedt,
Kr. Arnstadt, zu
3io
MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.
Grubenhäuser freigelegt. Diese fehlten bei allen anderen in größerem Umfange untersuchten westgermanischen Siedlungen aus dem l . Jh. und 2. Jh. Das ist deshalb bemerkenswert, weil schon Plinius (Nat. hist. 19, 1.2.9.) davon berichtet, daß die Germanen solche Grubenhäuser als Webhäuser benutzten. Das Verbreitungsgebiet kurzrechteckiger Wohnhäuser ist schwer abzugrenzen. Wahrscheinlich reichte es aber nicht wesentlich in Richtung Osten über die Elbe und Saale hinaus. Im Odergebiet und in der Lausitz wurden andere Hausformen freigelegt, die allerdings bereits dem 3. Jh. bzw. einer noch jüngeren Zeit angehörten. In Tornow, Kr. Calau (J. Herrmann 1973, S. 15ff.) wurde eine zweiphasige Siedlung aus dem 3. Jh. untersucht, von einer Reihe weiterer Siedlungen gibt es größere Abdeckungen. Eindeutig rechteckige Grundrisse begegnen bei den Wohnhäusern nur vereinzelt, wie überhaupt typische Hausformen schwer zu erkennen sind. Eine Ausnahme bilden kleine bis mittelgroße Häuser mit Firstpfostenreihe und jeweils einer abgerundeten Schmalseite (A. Leube 1973, S. 57ff.), sowie die charakteristischen gestelzten Speicher mit sechs oder neun Pfosten. Hauswände werden oft durch dicht nebeneinanderstehende Pfosten markiert; paarweise angeordnete Pfosten fehlen ganz. 3 Diese auffallende Bauweise findet ihre besten Parallelen im mittleren Oder- und Weichsel-Gebiet (Przeworsk-Kultur). Sie trat dort auch in Siedlungen der ersten Jahrhunderte u. Z. zutage (K. Godlowski 1969). Das dreischiffige Wohnstallhaus stellte nicht nur die am besten bekannte, sondern auch eine der verbreitesten Hausformen der Germanen dar.4 Wohnstallhäuser fanden sich in einem breiten Streifen entlang der südlichen Nordseeküste, und vereinzelt in den nördlichen Teilen der DDR, aber auch in Dänemark, Südwestnorwegen und auf den großen Ostseeinseln. Das Wohnstallhaus vereinigte Wohnraum und Stallteil unter einem Dach, wobei Größe und Bauweise des Hauses maßgeblich durch den Stallteil bestimmt waren, der vor allem zur Unterbringung von Rindern diente. Ein sehr gut erhaltenes Haus von der Feddersen Wierde bei Bremerhaven verdeutlicht dieses Prinzip (Abb. 68 a). Von einem Mittelgang zweigte beiderseits je eine Reihe Boxen von 2 m Breite ab, in denen wahrscheinlich je zwei Tiere standen. 5 An den Boxenreihen führten Jaucherinnen vorbei. Aus diesem Aufstallungsprinzip ergibt sich eine Mindestbreite der Häuser von etwa 5 m; bei größeren Häusern bis zu 7 m. In der Regel schloß sich an den Stall eine Diele 3
4
Daher wurde von J. Herrmann (1973, S. 366) an eine Art Palisadenbau gedacht. Starke Flechtwerkwände, in welche die dicht nebeneinanderstehenden Pfosten einbezogen waren, sollen so massiv gearbeitet worden sein, daß sie die Last eines über einem Wandrähm konstruierten Daches tragen konnten. Diese Deutung bleibt vom Standpunkt der Hausforschung her unbefriedigend. Vergleiche die zusammenfassende Darstellung aller vorliegenden Einzelergebnisse durch B. Trier (1969), weitere Aussagen allgemeiner Bedeutung enthalten die Arbeiten von W . H a a r n a g e l (1939, 1950a, 1963b), W . A . v a n E s (1967b), A . E . v a n G i f f e n (1958), H . H i n z
5
(1953. 1955) und A. Zippelius (1953)Nicht in allen bisher bekannten Stallteilen solcher Häuser hatten die Viehboxen nach dem Ausgrabungsbefund diese Breite. Sowohl in Gröntoft, Westjütland, (C. J. Becker 1969) als z. B. auch in Kablow, Kr. Königs Wusterhausen, (G. Behm-Blancke 1956, S. 161 ff.) betrugen sie lediglich bis zu 1 m Breite.
G R U N D Z Ü G E D E R M A T E R I E L L E N UND G E I S T I G E N K U L T U R
311
an, mit je einem etwa 1 m breiten Hauseingang von beiden Seiten. Durch eine Mitteltür in der etwa 2 m hohen Trennwand trat man in den Wohnteil mit Herd. Bei der häufigen Ost-West-Orientierung der Häuser befand sich der Stall auf der windabgewandten
Abb. 68. Grundriß (a) und Rekonstruktion (b) eines Wohnstallhauses von der Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde (BRD) (a nach W. Haarnagel 1958, Abb. 2).
Hausseite. Größere Häuser hatten einen weiteren Eingang an der östlichen Giebelseite. Die radiale Anordnung der Häuser auf der Feddersen Wierde, die sich den von der Wurt gegebenen Voraussetzungen anpaßte, ließ eine einheitliche Ost-West-Ausrichtung natürlich nicht zu. Die Verwendung von Flechtwänden machte es nötig, daß das Dach von einem Pfostengerüst getragen wurde. Wegen der Art und Weise der geschilderten Viehauf S t a l l u n g e n
312
MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.
in Boxen, die über einen Mittelgang erreicht wurden, konnten in der Hausmitte keine Firstträger gesetzt werden. An ihre Stelle traten zwei Pfostenreihen, die zugleich die innere Begrenzung der Boxen bildeten. Die paarweise aufgestellten Pfosten waren in Dachhöhe durch Querbalken verbunden. Wahrscheinlich setzte man in diese kurze Firststiele ein, auf denen dann der Firstbalken ruhte.6 Meist außerhalb der Flechtwand
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A b b . 69. Grundriß (a) und Rekonstruktion (b) eines gestelzten Speichers v o n Wijster, Prov. Drente (Niederlande) (n nach W . A . v a n E s 1967 b, A b b . 42,2).
stehende, ebenfalls paarweise angeordnete Pfosten trugen die untere Dachlast. Diese vier Pfostenreihen ergaben eine dreifache Längsaufgliederung der Häuser und führten zu der Bezeichnung „dreischiffiges Wohnstallhaus" (Abb. 68b). Während die Abstände der Pfostenpaare im Stallteil bei fast allen sorgfältig untersuchten Häusern zwischen 1,8 und 2,0 m liegen, wurden sie im Wohnteil verdoppelt, um so mehr freien Raum zu gewinnen. Im allgemeinen gehörte zu jedem Haus ein Speicher.7 Typisch sind solche mit sechs 6
7
Zum Problem der Dachkonstruktion und ihrer Interpretation an archäologischen B e funden vergleiche insbesondere B . Trier (1969, S. io6ff.) in Auseinandersetzung mit den Forschungen v o n A . Zippelius (1953, S. 23ff.). Zum Beispiel Feddersen Wierde (W. Haarnagel 1963b, A b b . 2 und 3), K a b l o w , K r . Königs Wusterhausen (G. B e h m - B l a n c k e 1958a, S. 269), Deventer, 1 P r o v . Overijssel (R. Moddermann 1955, A b b . 7), Wijster, P r o v . Drente, Periode 1 (W. A . v a n E s 1967b, Plan IV), Zeijen, Gem. Vries, P r o v . Drente (A. E . v a n Giffen 1958, A b b . 5 und 6).
GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
313
oder neun meist starken Pfosten. Diese Anordnung belegt, daß der eigentliche Speicherbau auf einer oberirdischen Plattform stand (Abb. 69). In einigen Siedlungen unmittelbar an der Küste, insbesondere wiederum auf den Wurten, fehlten Getreidespeicher. Die Lagerung der Futtervorräte muß ebenfalls in Speicherbauten geschehen sein, da die Konstruktion der Wohnstallhäuser eine Ausnutzung des Dachraumes dafür nicht zuließ. Möglicherweise dienten hierzu vor allem zu ebener Erde angelegte kleine Gebäude mit
A b b . 70. Gehöftgruppen (1—4) mit Brunnen (Br.) von Fochteloo, Prov. Friesland (Niederlande) (nach A. E . van Giffen 1958, Abb. 14).
vier Pfosten (B. Trier 1969, S. 34).® Ein langes und nur 2 m breites Pfostengerüst für Wiesenheu stand wahrscheinlich neben einem Wohnhaus der Siedlung von Kablow, Kr. Königs Wusterhausen (G. Behm-Blancke 1956, S. 167). Darüber hinaus wurden in Fochteloo in Westfriesland (Abb. 70) und einigen anderen Siedlungen sehr große Speicherbauten beobachtet, deren Nutzung im einzelnen aber unklar ist. Brunnen und außerhalb der Häuser liegende Backöfen ergänzten den Baubestand bäuerlicher Gehöfte. Einzelne Befunde aus kleineren Grabungen aus dem Verbreitungsgebiet der Wohnstallhäuser weisen auch auf Grubenhäuser hin, deren Datierung muß aber oft fraglich bleiben.9 Von allen planmäßig ausgegrabenen Siedlungen mit Wohn8
9
Im Gegensatz zu dieser Auffassung betonte G. Behm-Blancke (1956, S. 167), daß sich Getreidereste in Kablow zwar bei ebenerdigen, nie jedoch bei gestelzten Speichern fanden. Die erste zusammenfassende Darstellung vgl. W . U. Guyan 1952, insbesondere Abbildungen. Eine kritische Bewertung von allen früh datierten Häusern bei C. Ahrens 1966, S. 208, 212ff. Sicher datiert ist dagegen ein frühes Haus des 1. Jh. u. Z. von MidlumNord, Kr. Wesermünde (BRD), (W. Haarnagel 1964a, S. n 6 f f . ) .
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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.
stallhäusern traten Grubenhäuser erstmals in der zweiten Hälfte des 2. Jh. in Wijster auf (W. A. van Es 1967b, S. 363, Plan IV) auf. Es handelt sich um kleine rechteckige Bauten mit einer Grundfläche von durchschnittlich 12 m2. Sie besaßen zwei oder sechs Pfosten sowie in Flechtwerktechnik gearbeitete Wände und waren 0,5—1,0m in die Erde eingetieft. Häufig fand man in ihnen tönerne Webgewichte, Reste der vergangenen Handwebstühle. Schon Plinius (Nat. hist. 19.1.2.9.) hat ausdrücklich beschrieben, daß die eingetieften Bauten als Webhäuser dienten. Zu dessen Lebzeiten (1. Jh. u. Z.) sind Grubenhäuser wahrscheinlich häufiger im Rheinland, aber weniger in den nördlichen und östlichen Siedlungsgebieten verbreitet gewesen.10 Erst später erfuhren sie eine allgemeinere Verbreitung. Nach den bisherigen Grabungsbefunden bestand die bäuerliche Hofwirtschaft des 1. und 2. Jh. in der Regel aus einem Wohnhaus und Stall — gebietsweise als Wohnstallhaus kombiniert — mit beigeordneten Speichern. Der Wohnteil des Hauses bzw. das Wohnhaus diente als Wohn-, Arbeits- und Schlafraum in einem, da es für notwendige hausgewerbliche Arbeiten eigene Baulichkeiten noch nicht gab. Hinweise auf gemeinschaftliche Produktion, wie sie anscheinend noch in den Jahrhunderten vor Beginn u. Z. in einigen Gebieten bestanden hat, fehlen jetzt. Vielmehr machten eine Reihe moderner Siedlungsgrabungen die relative Selbstständigkeit der Hofwirtschaften direkt erkennbar. In Wijster (W. A. van Es 1967b, S. 44ff., Plan II) hatten sich die Spuren von Flechtzäunen gut erhalten. Sie umgaben quadratische oder rechteckige Hofgrundstücke von 1500—2500 m 2 Größe, wobei in manchen Fällen offen blieb, ob innerhalb dieser nur ein Wohnhaus stand. Auch die vier bei Fochteloo, Prov. Drente, erforschten Höfe waren eingezäunt und die Wohnstallhäuser zusätzlich mit einem Graben umgeben (Abb. 70). Allerdings erreichten die Hofgrundstücke nur 400—500 m 2 Größe (A. E. v. Giffen 1958, Abb. 14). Ähnliche Abmessungen konnte man für die erste, noch als Flachsiedlung angelegte Phase der Wurt Ezinge ermitteln (A. E. v. Giffen 1936, S. 46 f.). Auch auf den Wurten ist die Selbständigkeit der Höfe gut erkennbar. Sobald das Ansteigen des Meeresspiegels eine Erhöhung des Wohnhorizontes erforderte, wurde für jedes Wohnstallhaus mit seinen Speichern einzeln ein neuer, trocken gelegener Bauplatz aufgeschüttet, so daß in Wahrheit mehrere kleine, eingezäunte Hofwurten nebeneinander zu stehen kamen. Diese Einzelwurten wuchsen im Laufe der Zeit zu einer einzigen großen Anlage zusammen, was z. B. bei den Forschungen auf der Feddersen Wierde gut beobachtet wurde. Ausgrabungen bezeugen also, daß die Siedlungen aus Hofgrundstücken bestanden, die eingezäunt und nur zu einem Teil bebaut waren. Dieser Befund entspricht dem von Tacitus (Germ. 16) übermittelten Bild. Von diesem Prinzip scheint man in befestigten Siedlungen abgewichen zu sein. In Zeijen, Prov. Drente, entdeckte man eine ungefähr 4500 m 2 große quadratische Siedlung (A. E. v. Giffen 1958, S. 48, Beil. 1), außen von einer doppelten Palisade umgeben, der in etwa 2 m Abstand nach innen zu eine dritte folgte. Vermutlich war der Zwischenraum mit Erde ausgefüllt. Hinter der Palisadenmauer standen sechs oder sieben Wohnstallhäuser mit dazugehörigen Speichern. Die mehrschichtige Siedlung von Vries, Prov. 10
Auch im brandenburgischen Raum stellen die Grubenhäuser erst seit dem 3. J h . u. Z. eine verbreitete Erscheinung dar (G. Behm-Blancke 1954, S. 1 0 1 ; J . Herrmann 1973. S. 3 i o f f . ) .
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GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
Drente, hatte einen abgerundeten rechteckigen Grundriß und war annähernd gleich groß wie die von Zeijen. Auch hier entdeckte man mehrere Palisaden und dazu einen Graben. Im einzelnen sind die Ursachen für solche Unterschiede in der Hof- und Siedlungsstruktur schwer zu ergründen. Die meisten der ganz oder teilweise untersuchten Siedlungen im Marschen- und Geestgebiet umfaßten gleichermaßen selbständige, von einfachen Zäunen umgebene Höfe. Nur ausnahmsweise, und wie es scheint, besonders im Gebiet zwischen Ems und Niederrhein, wurden einzelne Siedlungen mit starken Palisaden befestigt. Der regelmäßige und an römische Militärlager erinnernde Grundriß der befestigten Siedlung von Zeijen beweist die planmäßige Anlage. Dennoch handelt es sich ihrem Charakter nach um bäuerliche Siedlungen, was auch aus der Bebauung mit Wohnstallhäusern und Speichern hervorgeht. Planmäßig legte man auch Wurtensiedlungen an. Auf der Feddersen Wierde entstand bei niederem Wasserstand zunächst eine Siedlung aus nebeneinanderliegenden Wohnstaühäusern. Aber bereits bei der ersten Aufhöhung ging man nach einem geplanten Grundriß vor (W. Haarnagel 1961b, S. 68). So wurden die Häuser nunmehr kreisförmig um einen freien Platz angelegt. Obwohl zunächst noch jeder Hof seinen eigenen kleinen Wurthügel baute, war damit die Voraussetzung für das Zusammenwachsen zu einer hochwassergeschützten Großsiedlung gegeben. Die üblicherweise regellose Anlage der Siedlungen in Form eines Haufendorfes darf also nicht über den Organisationsgrad germanischer Siedlungsgemeinschaften täuschen. Obwohl bislang nur einzelne Siedlungen vollständig oder wenigstens in großen Teilen ausgegraben werden konnten, treten erhebliche Größenunterschiede hervor. Von den möglichen Siedlungsformen ließen sich bisher in den ersten Jahrhunderten u.Z. Einzelhöfe nicht nachweisen 11 , dagegen wurden kleine weilerartige Gehöftgruppen und große Siedlungen untersucht. Ein Weiler bei Fochteloo, Prov. Friesland (Niederlande), bestand aus einem isoliert liegendem Gehöft und einer Gruppe von drei weitaus kleineren Höfen (Abb. 70). Im Gegensatz dazu gab es auf der Wurt Feddersen Wierde im 1. —2. Jh. mehr als 15 selbständige Höfe 12 , während in Ezinge zur gleichen Zeit etwa 20 Höfe bestanden. Die nur wenig jüngeren Siedlungen von Nauen und Wijster beweisen, daß solche großen Siedlungen keineswegs auf die Wurten beschränkt waren (H. Jankuhn 1969, S. H7ff.). Weiler- und dorfartige Siedlungen bestanden nebeneinander und prägten das Bild kaiserzeitlicher Siedlungen. Der Anteil von Einzelhofsiedlungen läßt sich gegenwärtig nicht bestimmen. Zwischen den Besitzern der bäuerlichen Hofwirtschaften bestand keine volle ökono11
Verschiedentlich wurde ein großes G e h ö f t v o n Fochteloo als Einzelhof angesehen (A. E . v a n G i f f e n 1958, S. 5 3 f f . , H . J a n k u h n 1969b, S. 117). D o c h konnte an dieser Fundstelle nur ein T e i l s t ü c k untersucht werden, und mehrere über die Grabungsfläche reichende Zaunspuren lassen vermuten, d a ß in den angrenzenden Teilen weitere H ö f e lagen. A u c h in Wijster, Phase I a , konnte nicht sicher entschieden werden, ob es sich um einen einzelnen Hof handelt oder ob sich weitere Gebäude außerhalb der Grabungsflächen befanden.
12
Diese A n g a b e s t ü t z t sich auf den Grabungsstand v o n 1961 (W. Haarnagel 1963b, A b b . 2). Zaunspuren lassen erkennen, d a ß v o n den insgesamt 25 Wohnstallhäusern nicht nur die im Ostteil der W u r t liegenden zu dem herausragenden
Hofverband
zusammengefaßt
sind, sondern in fünf weiteren Fällen je ein größeres und ein kleineres Wohnstallhaus zu einem G e h ö f t gehören dürften.
316
MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . JH.
mische und soziale Gleichheit. Es gab z.B. beträchtliche Unterschiede in der Hausgröße. Während die Breite einheitlich zwischen 5 bis 7 m lag, erreichten die kleinsten Häuser nur etwa 10 m Länge, die größten dagegen mehr als 30 m. Obwohl auch die Wohnteile der Häuser unterschiedliche Abmessungen aufweisen, wirkte sich das vor allem auf den Stallteil aus. Haus 2 der Wurt Einswarden, Kr. Wesermünde, hatte nur 6 Boxen, enthielt also Aufstallungsmöglichkeiten für 12 Rinder. Bereits das danebenliegende
Feddersen Wierde, Kr. Wesermünde (BRD), Horizont I B (nach W. Haarnagel 1961b, Abb. 2). Haus 3 konnte 18 Tiere aufnehmen (W. Haarnagel 1939, S. 25öff.). In Haus 3 der Schicht I I b von der Feddersen Wierde gab es mindestens 32 Stallplätze. Im Vergleich mit den eisenzeitlichen Siedlungen erreichten die Häuser allerdings allgemein größere Abmessungen. In den meisten Fällen boten sie Platz für 25—30 Tiere. In Ezinge Heß sich dieser Ubergang gut erkennen. Während zu den Bauhorizonten des 5. — 1 . Jh. v. u. Z. etwa 10 m lange Wohnstallhäuser mit vier bis sechs Boxen gehörten, traten seit dem 1. Jh. v. u. Z. wesentlich größere, durchweg über 20 m lange Häuser auf (A. E. van Giffen 1936, S. 42ff.). Auch auf der Feddersen Wierde war zu beobachten, daß etwa zu Beginn des 1. Jh. u. Z. die Zahl der Stallplätze deutlich zunahm. Trotz dieser Tendenz zur Vergrößerung der Stallteile waren innerhalb einzelner Siedlungen die Viehbestände unterschiedlich groß. Neben Häusern mit großen Ställen standen wesentlich kleinere, was angesichts der bedeutenden Rolle des Viehs auf die
GÜRNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
317
ökonomische und wahrscheinlich auch soziale Ungleichheit der Hofbesitzer hinweist. Bei Fochteloo lag z. B. ein großer Hof abgesondert von einer Gruppe kleiner, wahrscheinlich selbständiger Wirtschaften (Abb. 70,1). Auch zu diesen kleineren Höfen gehörten
Speicher und eingezäunte Hofplätze. Ein weitaus tiefgreifenderer Prozeß sozialökonomischer Differenzierung spielte sich auf der Wurt Feddersen Wierde ab (W. Haarnagel 1961b, 1964a). Im Ostteil der Wurt ging man über fünf Bauperioden der Entwicklung eines großen Gehöftes für das 1. und 2. Jh. nach. Im Horizont I B (Abb. 71) erstmals klar erkennbar, umfaßte es zunächst drei, später vier Wohnstallhäuser. Zwei bzw.
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drei an der Südseite hintereinander angeordneten Häusern stand eines auf der nördlichen Langseite gegenüber. Bereits gegen Ende des 1. Jh. überragte dieses Haus mit einer Länge von 30 m und 32 Stallplätzen die anderen um ein mehrfaches. Im folgenden Siedlungshorizont III (Ende des 1. Jh. bis etwa Mitte des 2. Jh.) wurde das Gehöft erneut vergrößert und umfaßte nun sechs verschieden große Wohnstallhäuser zu beiden Seiten eines Weges (Abb. 72). A m Ende desselben wurde ein großes, offenbar als Gemeinschafts- und Versammlungshaus dienendes Gebäude angelegt. Östlich davon stand ein nur 15 m langes, aber sehr sorgfältig gebautes Haus ohne Stall. Dieses abgesonderte Gebäude war der Wohnsitz des Hofbesitzers. A m Ende des 2. Jh. u. Z. gehörten zum nochmals vergrößerten Gehöft neben dem inzwischen 20 m langen Wohnhaus des Besitzers das Versammlungshaus, acht mittelgroße Wohnstallhäuser, meist mit Speicher, und eine im Nordteil angelegte Werkstätte für Bronze- und Eisenverarbeitung. Zur selben Zeit existierten auf der Feddersen Wierde noch mindestens zehn weitere selbständige Höfe, mit zumeist nur einem Wohnstallhaus, was die herausgehobene Stellung des größten Hofes noch mehr verdeutlichte. In der Feddersen Wierde haben wir jedoch im germanischen Siedlungsbild der älteren Kaiserzeit eine isolierte Erscheinung vor uns, wobei besonders günstige Umstände den Prozeß der sozialökonomischen Entwicklung gefördert haben mögen. Nicht bei allen Stämmen werden sich z. B. Angehörige des Adels — der Hofbesitzer auf der Feddersen Wierde könnte diesen Sozialstatus durchaus besessen haben — bereits zu dieser Zeit aus der Sphäre der Produktion haben lösen können. Neben diesen Befunden, die auf Abhängigkeitsverhältnisse schließen lassen, steht jedoch eine weit überwiegende Zahl selbständiger und annähernd gleichgroßer Höfe. Die Mehrheit der Bauern dürfte demnach nicht nur rechtlich, sondern auch ökonomisch gleichgestellt gewesen sein. b) Gegenstände des täglichen Gebrauchs Die Töpfereierzeugnisse bildeten einen charakteristischen Bestandteil der materiellen Kultur. Form und Verzierung knüpften an die Keramik des vorangegangenen Zeitraumes an. Daher war die Fortführung dieser traditionellen Elemente eine wesentliche Grundlage für die unterschiedliche Gestaltung der Keramik im Rhein-Weser-, Nordseeküsten- und Elbe-Oder-Gebiet. Die Gefäße wurden weiterhin im Hauswerk ohne Verwendung der Töpferscheibe hergestellt (s. S. 145ff.). Häufig zeichnen sie sich durch eine regelmäßige Gestalt aus, was den Gebrauch technischer Hilfsmittel (wie Schablonen, Formhölzer, Bodendrehen) durch Spezialisten voraussetzt. Das gilt für eine fast ausschließlich im Elbe-Oder-Gebiet genutzte schwarzglänzende, dünnwandige Keramik mit reichem Dekor geometrischer Motive. Hierzu gehören relativ hohe, weitmündige Gefäße, die, als „Terrinen" bezeichnet, einen gerundeten, aber doch gegliederten Körper haben (Taf. 30 b). A m Ausgang des 1. Jh. erweiterte sich die Formgestaltung durch die Anfertigung einhenkliger Krüge sowie hoher vasenförmiger und weitbauchiger Töpfe (Taf. 30a, 3 1 a und 32), die zu den prächtigsten Töpfereiprodukten dieser Zeit zählen. Recht häufig haben sie einen massiven oder hohlen Standfuß, wodurch einige hohe Gefäße pokalförmige Gestalt annehmen (Taf. 56 a). Auf der schwarzglänzenden Keramik des Elbe-Oder-Gebietes entstanden die Ornamente durch Abrollen eines gezackten Rädchens (Abb. 121; s. S. 458). Die Inkrustierung (Kreide oder Kalk) der dadurch entstandenen Punktreihen ergab eindrucksvolle Kon-
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traste. 13 Im 1. Jh. erreichte die Verzierung mit der Aufnahme römischer Stilelemente ihren Höhepunkt. Zunehmend motivärmer und nachlässiger ausgeführt, erlischt sie in der zweiten Hälfte des 2. Jh. Nur in der Altmark hielt sie sich noch ein Jahrhundert. Die unterschiedlichen Motive der Rädchenverzierung hatten mitunter einen magischen Sinn. So kommt im langobardischen Niederelbgebiet ein schachbrettähnliches Ornament vor, das als Regen- oder Wassersymbol gedeutet wird. Dagegen erscheint häufiger ein hakenkreuzförmiger Mäander, vielleicht ein Sonnensymbol, im semnonischen ElbeHavel-Gebiet (Abb. 73).
Abb. 73. Verbreitung der (langobardischen) Schachbrett- (1) und (semnonischen) Hakenkreuzmäanderverzierung (2) in Rollrädchentechnik.
Die Herstellung der schwarzglänzenden Keramik wurde in der Mitte des 2. Jh. aufgegeben. An ihre Stelle traten braun bis grau getönte schalenförmige einfache Gefäße. Sie bildeten den formenmäßigen Ausgangspunkt für die Produktion der sogenannten Schalengefäße des 3. und 4. Jahrhunderts. Einfacher ausgeführt und seltener verziert sind Töpfe mit einer engen Öffnung. Dazu gehören die „Dreiknubbentöpfe" (Taf. 31a) und „Zweihenkeltöpfe", die es im nördlichen Elbegebiet schon vor Beginn u. Z. gegeben hatte und die später allgemeine Aufnahme in der Kultur des übrigen Elbgebietes fanden. Schwarzglänzende Keramik, rädchen13
Zur Entstehung der sogenannten Rädchenverzierung s. S. 210. Zu ihrer östlichen Ausbreitung: J. Kostrzewski 1921, S. 8aff.; Z. Holowiriska 1948, S. 73ff.: Th. Voigt 1959, S. i68ff. Ausgewählte Literatur zu Gefäßformen des unteren Elbgebietes: F. Tischler 1937 u - 1954; W . Wegewitz 1937, 194°> 1944, 1962, 1964a, 1965 u. 1972; W.-D. Asmus 1935; R. Beltz 1921, S. 1 ff.; H. Doerges 1959, S. 47ff.; H. Schubart 1958, S. 84ff. Mittleres Elbgebiet: R . Guthjahr 1934; A. v. Müller 1957; R. Seyer 1972; F. Kuchenbuch 1938, P. K u p k a 1927, S. 65ff.; Th. Voigt 1940 u.,1961, S. 234ff.; E. Schmidt-Thielbeer 1967; E. Meyer 1961. Oberes Elbgebiet: K . Motykovä-Sneidrovä 1963 u. 1965, S. i03ff., 1967; R. M. Pernicka 1966. Odergebiet: H. Schubart 1955b, S. 53ff.; R. Laser 1971, S. 23ff.; A. Leube 1975.
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verziert, fand Verwendung im südlichen Ostseeküstenstreifen und im Odergebiet, wobei die traditionellen Formen von denen des Elbgebietes abwichen. Es handelt sich hier um Pokale, Flaschen und weitmündige Gefäße mit schärferen Konturen (s. S. 384 und Abb. 107). Die im Rhein-Weser- und Nordseeküstengebiet hergestellte Keramik (s. S. 403) ist oft betonter gegliedert und hat einen hohen schrägen Rand (Taf. 57). Häufig versah man die Gefäße mit Hohlfüßen, die bei einigen sorgfältig gestalteten Töpfen stengelartig ausgezogen waren (Abb. 1 1 3 b). Eine flächendeckende Verzierung aus Eindrücken, Tupfen, Wulstgruben u. ä. beschränkte sich in der Regel auf das Gefäßunterteil. Abb. 74. Tönerne Schüssel (a Bargensdorf, Kr. Neubrandenburg), Becher (b Neu Gaarz, Ot. v. Lärz, Kr. Neustrelitz), Tasse (c Neuderben, Ot. v. Derben, Kr. Genthin) und Fußgefäß (d Cammin, Kr. Neubrandenburg). 1:8. Mus. Neubrandenburg (a, d), Waren (b), Genthin (c).
Unterschiedlich große rundbauchige Töpfe (Abb. 74d), Schüsseln (Abb. 74a) und Näpfe gehörten ebenfalls zur Gebrauchskeramik. Spezielle Siebgefäße (Abb. 119) fertigte man für die Zubereitung der Milchprodukte (Quark/Käse, Butter) an. Diese recht einheitliche Keramik wurde durch in der Form kaum bekannte Behältnisse aus organischem Material (Holz, Leder, Bast, Borke usw.) ergänzt. Einige kennen wir von den Mooropferplätzen aus dem mitteldeutschen Gebiet und dem nördlichen Mitteleuropa.14 Es handelt sich um Tassen mit sorgfältig und vielgestaltig geschnitzten Henkeln. Vereinzelt versuchte man, diese Formen auch in Ton umzusetzen, wie es die eigenartigen spitzen Henkel kleinerer Tassen (Abb. 74 e) vermuten lassen. Auch aus Ton gefertigte kleine Becher mit Wulstrippung (Abb. 74 b), Falzdeckel mit Griffknubbe und viereckige Schatullen (z. B. aus Satrupkirchenholz, Kr. Schleswig) deuten auf Vorbilder aus organischem Material hin. Grob gearbeitete, längliche hölzerne Schüsseln (Abb. 75) hat man bereits mehrfach geborgen. Den Nachweis geflochtener Körbe erbrachten Funde aus dem Moor bei Oberdorla, Kr. Mühlhausen.15 Auf die Böttcherei weisen zylindrische Holzdaubeneimer mit Metallbeschlägen hin, 14
15
Zu den Moorfunden: C. Engelhardt 1863, 1865 u. 1866; G. Behm-Blancke 1958b, S. 264ff.; U. E . Hagberg 1967. Diese Plätze erbrachten ferner den Nachweis von Holzlöffeln, geflochtenen Behältnissen aus Bast, Spulen, einem sogenannten Butterfaß oder Eimer und zahlreichen Gerätschaften unbekannter Verwendung. Holzgeräte treten bisher stark zurück: z. B.Tofting bei Tönning, Kr. Eiderstedt (Löffel — A. Bantelmann 1955) >' Möhnsen, Kr. Hzgt. Lauenburg (K. Kersten 1951, S. 1 0 1 ) ; Wees, Kr. Flensburg (J. Röschmann 1963, S. 82); (West-)Berlin-Spandau (Schlüssel, Keule oder Schlegel — A. v. Müller 1972); Paddepoel bei Groningen (Schüssel u. a. W. A. van E s 1968; S. 242t., Fig. 19 — 24). Hölzerne gedrechselte (?) Gefäße sowie Trinkhörner befanden sich in einem Grab einer reichen Frau bei Laiendorf, Kr. Güstrow (H. Keiling 1973, S. I27ff.).
Tafel 33- Die verzierte Bronzeschere (a) aus einem Grab von Klein Plasten, Kr. Waren, gehört zu einer nicht sehr häufigen, aus dem Markomannengebiet Böhmens eingetauschten Form. Selten sind auch die kleinen „Tafelmesser" mit massivem, verziertem Bronzegriff (c; Groß Kelle, Kr. Röbel). Einzigartig ist das Messer (b) aus Putensen, Kr. Harburg (BRD), mit einem bronzebeschlagenen Holzgriff. Halbmondförmige Messer ohne Griff (d; Putensen) werden als Rasiermesser gedeutet. 2 : 3 . Mus. Schwerin (a, c), HelmsMus. Hamburg (b, d). (Zu Kap. X.)
Tafel 34. Geflickte Kniehose (a) aus dem „Großen Moor" bei Dätgen, K r . Rendsburg (BRD). Das 74 cm lange Exemplar ist an den Enden gesäumt und geschlitzt. Keilstücke setzte man an den Innenseiten und der Gesäßpartie ein. Seit dem Beginn u. Z. kommen metallene Schnallen auf, von denen rechteckige (b; Nitzahn, K r . Rathenow) besonders in der Männertracht verwendet wurden. Häufig sind kreis- (c; Nitzahn) und halbkreisförmige (d; Fohrde, Kr. Brandenburg) Typen. Die sog. Krempenschnallen (e; Hohenferchesar, K r . Brandenburg) weisen auf römischen Einfluß hin. a etwa 1 : 8 ; b —e 1 : 1 . Mus. Schleswig (a), Genthin (b —e). (Zu K a p . X . )
Tafel 35. Große mehrteilige Bronze- und Silberschnallen wurden im 1. J h . angefertigt und von Angehörigen des Adels getragen. Vorbild für die dekorativ gestalteten Exemplare von Neuendorf, Ot. v . Kemnitz, K r . Greifswald (d), und Bietikow, K r . Prenzlau (e), w a r offenbar der römische Militärgürtel (cingulum). Die eingerollten Bügelenden weisen auf römische Pflanzenornamentik, das vasenförmige Beschlagstück (d) ist im kennzeichnenden Karniesprofil gehalten. — Römischen Ursprungs ist auch die Sitte, das lose Ende des Gürtels mit Riemenzungen (a, b ; Hohenferchesar, K r . Brandenburg, und Rauschendorf, Ot. v. Sonnenberg, K r . Gransee) zu beschweren. — Eine Schnalle von Kalübbe, Ot. v. Breesen, K r . Altentreptow (c), mit bescheidener Verzierung stammt aus einem reichen Grab. 3:2. Mus. Genthin (a), Potsdam (b), Neubrandenburg (c), Universitätssammlung Greifswald (d), Mus. f. Ur- u. Frühgeschichte Berlin (e). (Zu K a p . X . )
i
Tafel 36. Nadelschmuck war besonders bei den Stämmen des Elbgebietes beliebt und wurde vornehmlich in der Haartracht verwendet. E s sind lange Bronzenadeln mit einem gegliederten Kopfteil, das eine kreuzförmige (b; Jägerhof, Ot. v . Lohme, K r . Rügen) oder eine runde (c, d; Neubrandenburg und Fohrde, K r . Brandenburg) Durchbrechung besitzt. Einen körbchenförmigen Aufsatz (a) trägt eine Bronzenadel von Hohenferchesar, K r . Brandenburg. Nadeln mit winklig abgebogenem und profiliertem Kopf (e; Kemnitz, K r . Potsdam) sind oft aus Silber gefertigt. Daneben kommen dachförmige (f; Fohrde) sowie glatte vierkantige (h; Fohrde) Abschlüsse vor. Als Nähnadel (g) ist das Stück von Hohenferchesar zu deuten, a, b, d —g 1 : l ; b (Ausschnitt), c 2 : 1 , h 1 : 2 . Mus. Genthin (a, d, f —h), Stralsund (b), Neubrandenburg (c), Potsdam (e). (Zu K a p . X.)
Tafel 37. Bildliche Darstellungen aus der Antike vermitteln interessante Details von körperlicher Erscheinung und Tracht der Germanen. A m bekanntesten ist die Bronzefigur eines knieenden Germanen mit einer eigenartig gewundenen Haarfrisur. Die Kleidung besteht aus der Hose mit einem Gürtel und dem Mantel. Gesamthöhe 12 cm. Bibliothèque Nationale Paris. (Zu K a p . X . )
Tafel 38. Der aus Elchgeweih geschnitzte Kamm, (a) von Varbelvitz, Ot. v. Ummanz, K r . Rügen, zeigt die seltene Darstellung von zwei stilisierten Tieren. Eine ähnliche Form weist derkerbschnittverzierte K a m m (b) von Hagenow auf. 3 : 2 . Mus. Stralsund (a), Schwerin (b). (Zu K a p . X . )
Tafel 39. Reich verzierte und dekorativ gestaltete Gewandspangen (Fibeln) wurden auf semnonischen Gräberfeldern des 2. J h . geborgen. Zwei bronzene Fibeln aus Rauschendorf, Ot. v. Sonnenberg, K r . Gransee, tragen einen gestanzten Silberblechbelag. Die übrigen silbernen Fibeln mit Filigran und Granulation (links unten und Mitte) sowie eine mit einer Rollenkappe versehene stammen aus Kemnitz, Kr. Potsdam. E t w a 1 : 1 . Mus. Potsdam. (Zu K a p . X . )
Tafel 40. Als Anhänger dienten neben Perlen auch metallene Berlocken, die antiken Vorbildern nachgestaltet wurden. Seltene Formen von Kapselberlocken wurden auf der Insel R ü gen gefunden (a, b ; Unrow, Ot. v. Ummanz, und Marlow, Ot. v. Sagard, beide K r . Rügen). Zu den ältesten sog. Eimeranhängern gehört ein eisernes E x e m plar (c) von Kleinzerbst, K r . Kothen. 2 : 1 . Mus. Stralsund (a, b), Kothen (c). (Zu K a p . X . )
Tafel 4 1 . Ringschmuck führten die Germanen oft in Edelmetall aus. Drahtförmige Armringe (a; Kemnitz, K r . Potsdam) konnten verstellt werden. Die seltenen Halsringe (b; Kemnitz) verschloß man mit S-förmigen Haken, die oft mit Filigran und Granulation bedeckt waren und entweder aus Silber (c; Fohrde, K r . Brandenburg) oder Gold (d; Unrow, Ot. v. Ummanz, K r . Rügen) gefertigt wurden, a, b 3 : 2 ; c, d 3 : 1 . Mus. Potsdam (a, b), Genthin (c), Stralsund (d). (Zu K a p . X . )
Tafel 42. Lanzen und Speere waren die wichtigsten Waffen. Lanzen (germ. framea) mit einer weidenblattförmigen Spitze aus Eisen besaßen o f t einen Mittelgrat (a, c; Putensen, K r . Harburg, B R D ; Kemnitz, Kr. Potsdam). Seit dem Ende des 2. J h . wurden sie mit magischen Heilszeichen versehen. Selten gebrauchte der Krieger Speere, deren Spitzen zwei Widerhaken und eine langausgeschmiedete Tülle besaßen (b; Putensen). 1 : 2 . Helms-Mus. Hamburg (a, b), Potsdam (c). (Zu K a p . X.)
Tafel 43- Ein Langschwert (a) aus Putensen, K r . Harburg (BRD), war dem verstorbenen Krieger senkrecht neben das Grab gestellt worden. Außerdem kämpfte man mit einschneidigen Hiebschwertern (b; Putensen), bei denen der Griff selten gebogen ist. 1 : 3 . HelmsMus. Hamburg. (Zu K a p . X.)
Tafel 44. Speerspitze mit Widerhaken (a) aus Hamfelde, K r . Hzgt. Lauenburg (BRD). — Metallene Schildbuckel mit Stangen- (b; Putensen, K r . Harburg, B R D ) oder stachelförmig (c; Hohensaaten, K r . B a d Freienwalde) ausgezogener Spitze. Die Handhabe (Schildfessel) besteht selten aus Bronze (d, e; Hamfelde, Putensen). 1 : 2 . Mus. Schleswig (a, d), Helms-Mus. Hamburg (b, e), B a d Freienwalde (c). (Zu K a p . X.)
Tafel 45- Silbervergoldeter Stuhlsporn aus einem reichen Adelsgrab von Hagenow; 2. J h . Der silberne Befestigungsteil mit seinen filigranverzierten M e t e n ist außerdem von Scheinnieten umgeben. Der eiserne Stachel wurde mit einem Gittermuster aus silbernen Fäden tauschiert. Die Basis des Stachels trägt ein Muster aus imitiertem Perl- und Flechtband. Höhe des Sporns 5,2 cm. E t w a 2 : 1 . Mus. Schwerin. (Zu K a p . X . )
Tafel 46. Zwei goldene birnenförmige Anhänger des 1. J h . von einem bedeutenden Bestattungsplatz der Hermunduren bei Kleinzerbst, Kr. Kothen. 3: 2. Mus. Kothen. (Zu K a p . X.)
Tafel 47. Edelmetallschmuck der Hermunduren. Stilisierte silberne Schlangenkopfarmringe aus Kleinzerbst, Kr. Kothen, und Gommern, K r . Burg (oben). Silberne Spange (Fibel) mit trompetenförmig gestaltetem Kopfteil aus Kleinzerbst, Kr. Kothen. E t w a 1 : 1 . Mus. Kothen, Magdeburg (oberer Armring). (Zu K a p . X . )
Tafel 48. Silbervergoldete Beschläge aus einem reichen Adelsgrab (vgl. auch RosettenTaf. 45) von Hagenow. artige Formen (a; D m . 1,6 cm) können Schuhe geschmückt haben und waren auf Lederriemchen aufgenietet. Rechteckige Beschläge und Bügel (b —d) waren auf Ledergürteln befestigt. Ihre Ausgestaltung mit Flechtbändern, Perldrähten und umrandeten Ziernieten lehnt sich provinzialrömischen Motiven an. a 3 : 1 ; b —d 2 : 1 . Mus. Schwerin. (Zu K a p . X.)
GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN U N D GEISTIGEN KULTUR
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deren Typ in den Eimerberlocken (Taf. 40c) nachgestaltet ist. Kleinere Formen dienten als Trinkgefäße, größere als Kübel und Schöpfgefäße. 16 Den Gebrauch von Schnitzmessern legen verschließbare Holzkästchen mit Metallbeschlägen seit dem 1. Jh. nahe. Diese kleinen, bis 30 cm langen Behältnisse wurden aus einem Holzstück geschnitzt. Der Deckel war vermutlich mit einer Fallriegelkonstruktion gesichert, zu der man einen Schlüssel (Abb. 77 c) benötigte. In diesen Kästchen bewahrten die Frauen ihren Schmuck auf.17
A b b . 75. Grobe hölzerne Schüssel oder Mulde aus einemMoor beiNydam, A m t Sonderborg (Dänemark); 1 : 6 (nach C. Engelhardt 1865, Taf. X I V , 25).
Zum Haushalt der Adligen gehörte in stärkerem Maße römisches Eß- und Trinkgeschirr, darunter bronzene und silberne Kannen, Eimer, Becher, Kasserollen und Siebe sowie aus Terra sigillata gefertigte Becher und Schüsseln (s. S. 300ff.). Der Adel schätzte auch die Verwendung von Trinkhörnern. Dabei faßte man die Horner des Urs (bos primigenius) und des Wisents (bos bonasus) am Rand und an der Spitze mit Metall ein und benutzte sie bei „prunkvollen Gastmählern" (Caesar, Bell. Gall. 6, 28). Die Trinkweise erinnert an die der heutigen „Stiefelgefäße", die man drehend in einem Umtrunk leert. Bei einem jütischen Moorfund von Skrydstrup bei Hadersleben enthielt ein Horn Reste von Honigmet und ein zweites Bier aus Emmer (J. Grüß 1931, S. i8off.). Die Spitzen der Trinkhörner endeten in einem metallenen Knauf, der bei einigen Stämmen im nördlichen Teil Europas die Form eines Rinderkopfes zeigte (F. Tischler 1950, S. 374ff.; O.-F. Gandert 1958, S. 108ff.). Zu den wichtigsten Gerätschaften gehörte das eiserne Messer. Die Frauen und Männer trugen es am Gürtel. Über Taschen oder Scheiden wissen wir wenig. Eine aus sehr gut gegerbtem Leder zusammengenähte unverzierte Hülle rührt aus einem Moor bei Bernuthsfeld, Kr. Aurich her (H. Hahne 1920, S. 49ff.). Bei dieser Hülle lag die Naht an der geraden Rückenseite. Variabel gestaltet sind die Messergriffe, von denen einfache zylinderförmigen Knochen- oder Holzgriffe selten Verzierungen trugen (Abb. 76 d). 16
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• Zu den Holzeimern: L. F. Zotz 1942, S. i 5 8 f f . ; J. Zeman 1956, S. 86ff.; W . Heiligendorff 1957, s - 125 ff., 1958, S. 153ff. Die bisherigen Rekonstruktionsversuche sind weitgehend unbefriedigend (Ch. Pescheck 1970, S. 5ff.). — Obwohl die Kästchen mit einer genannten Schloßkonstruktion im 2. Jh. sich einer größeren Beliebtheit erfreuten, wurden sie im 3. Jh. durch größere und variabler gestaltete Kästchen mit Einsteckriegelschlössern abgelöst. Germanen — Bd. i
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Abb. 76. Eiserne Messer; a, b mit gebogener Klinge (Kemnitz, Kr. Potsdam; Neubrandenburg); c mit sichelförmiger Klinge in Ledertasche, grifflos, als Rasiermesser gedeutet (Harsefeld, Kr. Stade, B R D ; Rekonstruktion nach H. Drescher 1954, S. 3öff.); d mit gerader Klinge und Holzgriff (Nydam, Amt Senderborg, Dänemark; nach C. Engelhardt 1863, Taf. XV,2). a, c, d 1 : 2 ; b 3:4. Mus. Potsdam (a), Neubrandenburg (b).
Bei einem anderen Messertyp war die Klinge gebogen. Diese „Bogenmesser", vorwiegend von den Hausfrauen benutzt, hatten gerade und geschwungene Griffe, teils mit, teils ohne Heft (Abb. 76 a). Zum Geräteinventar des Mannes zählten dagegen Messer mit halbmondförmiger Klinge (Taf. 33 d), die als Rasiermesser bzw. Gerb- oder Leder-
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messer18 gedeutet werden. Die Männer trugen die „Rasiermesser" in Ledertaschen mit Bronzebeschlägen am Gürtel (Abb. 76 c). Eine solche Tasche zu rekonstruieren gelang H. Drescher (1954, S. 3Öff.). Die U-förmige Bronzefassung hielt zwei Lederstücke zusammen und war durch ein Scharnier am Bronzebügel befestigt, der über die Fassung klappte. Ein entgegengesetzt angebrachter Ring fungierte als Verschlußstück, ein weiterer diente als Aufhängevorrichtung. Von diesen einfachen Messern unterscheiden sich
A b b . 77. Eiserne Geräte des H a u s h a l t e s : Schere m i t h a l b k r e i s f ö r m i g e m B ü g e l (a Markendorf, O t . v . Frankfurt/Oder), Pinkeisen oder F e u e r s t a h l (b N i t z a h n , K r . R a t h e n o w ) und h a k e n f ö r m i g e r Schlüssel (c Markendorf). 1:2. Mus. f. Ur- und F r ü h g e s c h i c h t e Berlin (a, c), G e n t h i n (b).
einige besonders reichgestaltete, die vor allem von Adligen benutzt wurden. Es handelt sich um gerade Messer mit einem massiven Bronzegriff, der mit Wülsten abgesetzt und ornamental verziert ist (Taf. 33 e). Diese markomannischen bzw. quadischen Erzeugnisse gelangten durch Tausch in das Innere Germaniens. 18
N a c h T h . V o i g t (1940) und U . E . H a g b e r g (1967, S. 1 1 5 ff.) w a n d t e m a n „ h a l b m o n d - " und „ b o g e n f ö r m i g e " Messer h a u p t s ä c h l i c h in der L e d e r v e r a r b e i t u n g an. Die S c h ä f t u n g w ü r d e bei „ h a l b r u n d e n " Messern in der M i t t e ansetzen, w o die Messer m a n c h m a l eine D u r c h l o c h u n g aufweisen. A u f f a l l e n d selten k o m m e n diese Messer in den G r ä b e r n des Ostseeküsten- und Odergebietes vor.
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Von weiterem Gebrauchsgerät sind Scheren zu nennen (Abb. 77 a), die den heutigen Schafscheren gleichen. Angehörige des Gentiladels gebrauchten kleinere, bronzene Bügelscheren mit reicher Verzierung (Tai. 33 a). Solche, wahrscheinlich auch im markomannisch-quadischen Gebiet hergestellte Scheren, trug man vermutlich in Ledertaschen am Gürtel. In der germanischen Mythologie spielten Spinnen und Weben eine große Rolle. 19 Von der Spindel hat sich der tönerne Spinnwirtel in einer scheibenförmigen oder doppelkonischen Gestalt erhalten. Er ist im Unterschied zu den im nördlichen Elbe-OderGebiet gebräuchlichen Sandsteinwirteln (Abb. 127) seltener verziert. Zur Aufnahme des Garns benutzte man wahrscheinlich Schafknochen mit einer Durchbohrung im Mittelteil und hölzerne Spulen (C. Engelhardt 1863, Taf. 18, 27; A. Bantelmann 1955, S. 7if.). Mit zierlichen Öhrnadeln (Taf. 36g) aus Bronze oder Eisen wurde genäht. Knochennadeln mit einem verbreiterten durchlochten Oberteil mögen auch zur Reparatur und Herstellung von Fischnetzen gedient haben (A. Bantelmann 1955, S. 71). Eine intensive Lederverarbeitung belegen die häufig anzutreffenden eisernen Ahlen oder Pfriemen (Abb. 129) mit mannigfaltig gestalteten Holzgriffen. Andere trugen in der Mitte einen Knochenmantel als Griff.
Abb. 78. Eiserne A x t aus einem Moor bei Nydam, A m t Sanderborg (Dänemark); 1:8 (nachC. Engelhardt 1865, Taf. X V , 10).
Gestein lieferte das Material zu Wetz- und Schleifsteinen (Quarzite, Sandsteine u. a.), muldenförmigen Mahl- und Drehmahlsteinen, von denen letztere seit dem 2. Jh. häufiger auftreten und in der Nordseeküstenzone oft aus eingeführter Basaltlava des Eifelgebietes bestehen. Aus Wurtensiedlungen stammen auch faustgroße Schlag- und Reibesteine für verschiedene Verwendungszwecke. Feuer schlug man mit Quarziten und Feuersteinen unter Zuhilfenahme von „Pinkeisen" bzw. Feuerstahl (Abb. 77b). Die hauptsächlich in der Holzbearbeitung verwendete eiserne A x t befestigte man auf einem längeren Stiel, der mitunter in einen knaufartigen Kopf auslief (Abb. 78). Eine zusätzliche Befestigung durch Lederschnüre ist durch ein Fundstück von Bliesen, Kr. Königs Wusterhausen, überliefert. Weitere eiserne Geräte, wie Hämmer, Meißel und Tüllenäxte, sind nur vereinzelt nachweisbar. c) Tracht und Schmuck Der bäuerlichen Lebensweise entsprach die einfache und zweckmäßige Ausführung der germanischen Kleidung. Sie blieb für den Bauern in ihrer Grundlinie bis in den Feudalismus hinein bestehen. 20 Kurzlebige Modeerscheinungen erkennt man in der größeren 19
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Im Opfermoor von Oberdorla, Kr. Mühlhausen, lag inmitten von Pfählen und Ruten eine zerschlagene weibliche Kultfigur mit einem hölzernen Spinnwirtel als Emblem (G. BehmBlancke 1958b, S. 2Ö4ff.). Zur Beurteilung der germanischen Tracht sind besonders heranzuziehen: G. Girke 1922; H. Hahne 1920; W. Schulz 1939, S. l ß f f . ; W. Schmid 1939, S. 28ff.; K . Schlabow 1951a; M. Haid 1962; P. V. Glob 1966; M. Gebühr 1971.
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Variationsbreite des Schmuckes, der jetzt Einflüssen des römischen Kunststiles unterlag. Die Bedingungen für die Erhaltung der Kleidung sind verständlicherweise schlecht, weshalb den Textilfunden aus Mooren des nördlichen Weser-Ems-Gebietes, SchleswigHolsteins, Jütlands und der dänischen Inseln um so größere Bedeutung zukommt. 21 Ergänzende Aussagen enthalten die wenigen antiken Berichte. Außerdem findet man Darstellungen von Germanen in der römischen Plastik und auf Bildsteinen.22 So zeigen uns die Reliefs der in Rom stehenden Trajans- (errichtet 113) und der Markussäule (180 dekretiert und bis 193 fertiggestellt) sowie das Tropaeum Traiani von Adamklissi in der Dobrudscha (109 errichtet) wichtige Einzelheiten der germanischen Tracht. Gewisse Vorsicht in der Deutung ist schon deshalb geboten, weil die römischen Künstler in der Regel keine Alltagsszenen des germanischen Lebens darstellten. Außerdem spielte bei der Darstellung eine Art Barbarentopos mit.23
A b b . 79. Zwei Germaninnen mit peplosartigem Kleid, das auf der Schulter zusammengehalten wurde (als Illustration umgezeichnet nach Darstellung auf der Markussäule in Rom aus A. Furtwängler 1896, Taf. 82 B). 21
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23
In geringem Maße befanden sich nachweisbar auch Stoffreste in Gräbern, die oft als Diagenese nur für die Webtechnik aussagefähig sind. — Textilien aus Mooren: C. Engelhardt 1863; M. Haid 1950 u. 1972; A. Dieck 1965 u. 1972. Den Aussagen antiker Bildsteine, Büsten u. ä. zur germanischen Frauentracht ist mit großer Vorsicht zu begegnen, da die Frauen meist in römische Gewänder gekleidet erscheinen. Die niederrheinischen Matronensteine sind wie die norisch-pannonischen Grabsteine nur als mögliche Analogien zu werten. Zu den Bildsteinen: G. Behrens 1927, S. 51 ff.; J. Garbsch 1965; J. P. Wild 1968, S. 67ff. (mit Literatur). — Römische Germanenplastiken: S. Paulovics 1934, S. I28ff.; K . Schumacher 1935. Zur römischen Triumphalskulptur: A. Furtwängler 1896, S. 49ff. ; K . Lehmann-Hartleben 1925, S. 3 i 9 f f . ; M. Wegner 1931, S. 61; G. Begatti 1957; F. B. Florescu 1969.
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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.
Abb. 80. Germaninnen in einer Tracht mit lose übergezogenen Ärmeln (als Illustration umgezeichnet nach Darstellung auf der Markussäule in Rom aus A. Furtwängler 1896, Tai. 1 1 3 A ) .
Zur Kleidung wurde vor allem Schafwolle und weniger Leinen verarbeitet. Beides verwebte man in der Technik der Tuch- bzw. Leinen- und Körperbindung zu Stoffen. Besonders gute Wollstoffe stellten die Friesen — danach der Name „Fries" — und die Bataver am Niederrhein her. Auch römische Feldherren trugen ihre mehrfarbigen Mäntel (Tacitus, Hist. 2,20und5,23). Die gemusterten Einfassungskanten größerer Tücher und Mäntel entstanden in der Brettchenweberei (s. S. 155). Häufig mit Fransen verziert, waren diese Kanten ein zusätzlicher Schmuck der Oberbekleidung. Naturfarbene Wolle in hellen bis dunklen Tönen wurde bevorzugt. Blaufärbung, zu der man den blauen Färberwaid (Isatis tinctoria) nahm, trat vereinzelt auf. Auch die Pelz- und Lederbekleidung (besonders vom Schaf, seltener vom Rind, Reh, Hund oder Wolf) ist belegt. Bemerkenswerterweise fand edles Pelzwerk (z. B. Biber) nach den Moorfunden in der Kleidung wohl seltener Verwendung. Wahrscheinlich war die Pelztracht eher im Norden verbreitet (Tacitus, Germ. 17; G. Mildenberger 1972, S. 57). Typisch für die Frauentracht war ein ärmelloses langes Gewand von hemdartigem Schnitt, das an den Schultern durch Fibeln zusammengahlten werden konnte (Abb. 79). Dieses hübsche faltenreiche Kleid hatten einen betonten Ausschnitt und wurde unter der Brust gegürtet. Durch Raffung des Stoffes um die Hüften entstand ein tunikaartiger Überfall, der stark an den antiken „Peplos-Typ" erinnert. Untergewänder, Blusen und Halstücher ergänzten die Kleidung. Eine Besonderheit bildeten einzelne lange Stoffärmel (Abb. 80). Wie Tacitus berichtet, trugen die Frauen häufiger eine Leinenkleidung als die Männer (Germ. 17). Beweise hierfür haben sich allerdings nicht erhalten.
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GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
So läßt sich auch eine Leinenunterkleidung nicht nachweisen. Die Wollkleidung ist mit Leinenfädchen zusammengenäht. Kurze Wollröcke gehörten möglicherweise zur Jungmädchentracht. So fand man im Ruchmoor bei Damendorf, Kr. Eckernförde, ein nur 30 cm langes Stück, mit kleinen Schlaufen am oberen Rocksaum und Knoten zur Befestigung von Schulterträgern. Man trug zu diesen Röcken unter anderem kleinere Pelzumhänge ähnlich der Abb. 84. Ein solches Bekleidungsstück gehörte zu dem 1952 im Moor von Windeby, Kr. Schleswig, gefundenen vierzehnjährigen Mädchen aus der Zeit vor etwa 2 000 Jahren. Ihr Umhang bestand aus doppeltem zusammengenähten Rinderfell, wobei die roten Haare nach außen und die dunklen nach innen gekehrt waren. Das lange blonde Haar der Frauen, mitunter zu einem Haarkranz geflochten, hielt ein Haarnetz oder ein Kopftuch zusammen, wie es antike Abbildungen zeigen. Mit Nadeln steckte man offenbar diese Kopfbedeckung fest. Zur Kleidung des Mannes gehörten Hose, Kittel und Mantel sowie ein kleiner Pelzumhang. Die enganliegende lange Hose wurde mit angenähten Füßlingen getragen; sie fand
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Abb. 81. Lange Wollhose mit angesetztem F u ß aus einem Moor bei Thorsberg, K r . Schleswig (BRD) (nach C. Engelhardt 1863, Tai. 2).
A b b . 82. Kittel, in Rautenköper gewebt, an den Seiten durch Bänder verschließbar. E r wurde wie die Hose (Abb. 81) bereits 1858/61 in einem Moor bei Thorsberg, K r . Schleswig (BRD), gefunden (nach C. Engelhardt 1863, Taf. 1).
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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.
auch als kurze Kniehose (ahd. bruch) Verwendung.24 Sie wurde aus zwei Großteilen (heute benötigt man vier) sowie Keilstücken aus Vorder- und Rückseite angefertigt. Die einzige Naht lag an der Innenseite. Die engansitzenden Füßlinge deuten darauf hin, daß man gestrickte Wollstrümpfe nicht kannte. So ähnelte die germanische Hose einer heutigen Skihose (Abb. 81). Gehalten wurde sie durch einen in Schlaufen sitzenden Leder- oder Wollgürtel. Die Form der kürzeren Kniehose (ähnlich der römischen „braca") zeigt uns ein Moorfund von Daetgen, Kr. Rendsburg (Taf. 34 a). Die römischen Reliefdarstellungen des 2. Jh. zeigen faltenreiche Hosen, während die in Mooren geborgenen dem Körper eng angepaßt waren (ähnl. Tacitus, Germ. 1 7 ; K. Schlabow 1950). Möglicherweise gab es stammesmäßig oder landschaftlich Unterschiede in Form und Schnitt der Hosen. Den halbrunden Ausschnitt der Hose von Damendorf, Kr. Eckernförde, begegnen wir z. B. auf einer römischen Germanendarstellung (Taf. 37)Nach antiken Darstellungen trugen auch Frauen lange Hosen, jedoch handelt es sich dabei vielleicht um Amazonen oder um symbolhafte Gestalten (A. Alföldi 1937, S. 97 ff.). Die kurze Hose konnte man mit Binden (0,75—3,61 m Länge nachgewiesen) in der Art der Wickelgamaschen ergänzen. Aus einer späteren Zeit sind die für die Langobarden kennzeichnenden weißen Beinbinden überliefert (Paulus Diaconus 1,24). Damals gab es außerdem Beinhüllen aus Wollgewebe, die unterhalb des Knies ansetzten. Am bekanntesten ist ein blaugefärbtes Exemplar von Daugbjerg auf Jütland (M. Haid 1950). Als Beinhüllen dienten auch Fellstücke, die mit den Haaren nach innen getragen und durch Lederriemen befestigt wurde, was ein Fund von Rendswühren, Kr. Plön, in Holstein belegt. Zur männlichen Oberbekleidung gehörte weiter ein Kittel von hemdartigem Schnitt. Er wurde meist über der Hose getragen, gegürtet und fiel dann bis auf die Oberschenkel herab (Abb. 82). Die Ärmel waren zuweilen von einer Borte oder einem Pelzbesatz eingefaßt, während man die Halsfassung umsäumte oder einen kleinen Stehkragen annähte. Die Längsseiten eines Kittels aus dem Thorsberger Moor bei Schleswig waren allerdings nicht zusammengenäht, sondern wurden durch eingesetzte Schnüre nach Belieben zusammengehalten. Unter den ärmellosen Kitteln trug der Mann sicher noch langärmlige Unterkleider aus Wolle oder Leinen.25 Das Hauptbekleidungsstück, der Mantel, bestand aus einem großen viereckigen Wolltuch, dessen Kanten durch farbige Borten und Fransen verziert waren. So glich er dem antiken griechischen Mantel. Die großen Tücher (bis zu 3 m Länge und 1,8 m Breite) wurden doppelt gelegt, ihre Enden über die linke Schulter gezogen und dann auf bzw. an der rechten Schulter mit einer Fibel festgesteckt (Abb. 83). Das ermöglichte ein 24
25
Die Einführung der Hose als Bekleidungsstück fällt in die Jahrhunderte v. u. Z. Die bisher gefundenen Exemplare gehören erst dem 3. und 4. J h . an. S. S. 3 2 7 ; leinene Unterkleidung wird erstmalig im Jahre 470 erwähnt (G. Girke 1922). Danach führte die Bezeichnung ahd. hemidi von germ. *hamithia im Mittelalter zum heutigen Namen „ H e m d " . — Feingewebtes Leinentuch hatte sich in einem reich ausgestatteten Grab bei Putensen, Kr. Harburg, konserviert (W. Wegewitz 1972). E s gehört bereits in den Beginn u. Z.
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GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
A b b . 83. Mantel, durch eine Fibel Abb. 5 - 7 ) .
zusammengehalten
(rekonstruiert
nach
K.
Schlabow
1950,
ungehindertes Gehen und die freie Bewegung der Arme. Außerdem konnte der Träger den Körper nach eigenem Ermessen einhüllen.26 Zur Oberbekleidung gehörten auch Pelze. Ein kleiner rekonstruierbarer Pelzumhang aus mehreren gegerbten, im Saumstich zusammengefügten Rehfellteilen stammt z. B. von Osterby, Kr. Eckernförde (Abb. 84). An dem nur 60 cm langen Kleidungsstück fiel ein sorgfältig gearbeiteter Halsausschnitt auf (K. Schlabow 1949, S. ßff.). Das Schuhwerk entsprach dem bis in das Mittelalter hinein üblichen knöchelhohen Bundschuh, der aus einem Stück Leder bestand. Die Verschnürung auf der Oberseite geschah mittels Lederriemen, die zwischen am Rand eingebohrten Löchern bzw. Schlaufen liefen (Abb. 85). Vereinzelt zeigt sich infolge römischen Einflusses das Oberleder durchbrochen und mit Kerbschnitt verziert (K. H. Marschalleck 1959, S. 68ff.; M. Haid 1972). Lederschuhe mit Bronzebeschlägen kannte man bereits zu Beginn des 1. Jh. (W. Wegewitz 1972). 26
Die Bezeichnung lat. sagum für den Mantel ist aus dem Keltischen entlehnt. Spätere germanische Namen hackul, feldr, lachan, trembil, vries und lodo weisen auf die mannigfaltige Verwendung und Herstellungsart dieses Universalkleidungsstückes hin (G. Girke 1922). Den wahrscheinlich ältesten nachweisbaren Mantelfund stellen konservierte Wollreste (feingewebte Randstücke mit Fransen) von Putensen, K r . Harburg, aus den ersten Jahrzehnten u. Z. dar (W. Wegewitz 1972).
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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . J H .
Die selten getragene Kopfbekleidung des Mannes bestand aus Leder- oder Fellhauben mit Schnurbefestigung (Tacitus, Germ. 6). Auch auf den antiken Bildnissen erscheinen die Germanen allerdings fast immer barhäuptig (F. Schlette 1972, S, 117).
Abb. 84. Kurzer Pelzumhang aus Rehfell, gefunden in einem Moor bei Osterby, Kr. Eckernförde (BRD); 1 : 1 0 (nach K . Schlabow 1949, Abb. 2,1).
Abb. 85. Schuh mit durchbrochenem Oberteil als Fußbekleidung einer männlichen Leiche aus einem Moor bei Oberaltendorf, Ot. v. Altendorf, Kr. Land Hadeln (BRD) (nach G. Girke 1922, Taf. 50c).
Stärkere Abnutzungsspuren und Flicken auf Hosen und Kitteln zeugen von langer Benutzung. Ein aus dem 3. Jh. stammender Kittel von Bernuthsfeld, Kr. Aurich, bestand aus 43 Gewebestücken mit mindestens 1 1 verschiedenen Webmustern. Hinzu kamen weitere aufgesetzte Flicken. Die Kappe war aus 9 Stoffteilen geschneidert. Dazu bildeten die sauber gewebten und gefärbten Tücher bzw. Umhänge einen deutlichen Kontrast. 27 Der Grund dürfte darin liegen, daß sie ebenso wie die sorgfältig durchbrochen gearbeiteten und verzierten Schuhe nur von Angehörigen des Adels getragen wurden. In diesem Sinne wird auch die Äußerung des römischen Geschichtsschreibers Vellerns Paterculus aus dem Jahre 5 über einen semnonischen Adligen zu verstehen sein: ,,... wie seine Kleidung zeigte, war es ein Mann von hohem Rang" (Hist. Rom. 2, 106). Auch in der Zusammensetzung der Kleidung kamen soziale Unterschiede zum Ausdruck. So trugen nach Auffassung einiger Forscher nur Angehörige dès Stammesadels Kittel und Mantel, während die übrigen den Oberkörper unbedeckt ließen oder sich nur 27
An dem leuchtend blauen Mantel aus dem Thorsberger Moor müßten nach der berechneten Arbeitszeit zwei Weberinnen ein J a h r gearbeitet haben (K. Schlabow 1951a).
GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
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mit dem Mantel begnügten.28 Daraus wäre zu schließen, daß die vollständig bekleideten Germanen auf der Markus-Säule zur Adelsschicht ihres Stammes gehörten (Abb. 86). Als wesentliches Trachtenmerkmal des freien Mannes galt seine Frisur. Bei einigen Stämmen trug man das Haar zu Zöpfen geflochten und meist an der rechten Schläfe zu einem Knoten zusammengezogen (K. Schlabow 1949, S. 3ff.) (Abb. 87).29 Dieser Knoten war nach Tacitus (Germ. 38) Kennzeichen der im Elbegebiet ansässigen Sueben („Suebenknoten"). Belege aus den Niederlanden, aus Dänemark und aus
Abb. 86. Hinrichtung vollständig mit Hose, Kittel und Mantel bekleideter, gefangener Germanen (als Illustration umgezeichnet nach Darstellung auf der Markussäule in R o m aus A . Furtwängler 1896, Taf. 70 A). 28
29
Bezieht man sich aber nur auf die römische Triumphalskulptur, dann sind dort vorwiegend Kriegsszenen dargestellt. Im Kampf aber legte der Germane — wie auch der Gallier — seine Oberbekleidung weitgehend ab (G. Girke 1922; R . Much 1967, S. 265ff.). Dem Haarknoten kommt neben dem praktischen Bedürfnis der Haarbändigung auch eine symbolische Bedeutung zu, da das Haupthaar zugleich die Lebenskraft symbolisierte. Danach besitzt der Haarknoten eine magische Gewalt (H. Fischer 1911, S. 183ff.; W. Schmidt 1939, S. 29ff.; F. Schlette 1972, S. 113t.).
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MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1 . / 2 . J H .
anderen germanischen Stammesgebieten Südosteuropas bestätigen aber seine größere Beliebtheit. Sicher gab es in der Haartracht auch stammesmäßige Unterschiede. So zeigt eine bronzene Germanenfigur aus der Bibliotheque Nationale in Paris einen hornartigen Haaransatz, der wohl mit Harz und Pomade erzielt wurde (Taf. 37). Eine „SchopfSchnürung" läßt sich aus der kranzförmig gelegten Wollschnur der Moorleiche von Bernuthsfeld, Kr. Aurich, erkennen. Die schleswig-holsteinischen Moorfunde belegen eine einfache Frisur, bei der im Beispiel von Damendorf, Kr. Eckernförde, das Haar ponyartig kurz geschnitten war. Eine „lockige" Frisur gab es bei den Chauken (Lucan, Pharsalia 1, 419 ff.).
Abb. 87. Der Suebenknoten (nach K . Schlabow 1949, Abb. 1).
Über die Barttracht sind wir nicht so gut unterrichtet. Auf den römischen Kunstwerken werden alle Germanen bärtig dargestellt. Der Bart war das Kennzeichen des „Barbaren". Eine Bartlosigkeit der Moorleichen mag rituell bestimmt sein. Immerhin läßt der Stammesname der Langobarden auf eine spezielle Barttracht („Langbärte") schließen, die ähnlich wie bei den Chatten ein Kennzeichen der Krieger war. Auf Haarund Bartpflege legten die Germanen großen Wert.30 Vereinzelt gehörten auch Kämme, Scheren, Rasiermesser, aber seltener Pinzetten zur Totenausstattung. Auch gebot die Sitte, Haar und Bart lang und wild wachsen zu lassen, bis man einen Feind getötet oder ein bestimmtes kriegerisches Ziel erreicht hatte. Die gefährlichsten Krieger der Chatten trugen mitunter diese „Strubbeifrisur" ihr Leben lang. Zur germanischen Tracht gehörte vielfältiger Schmuck, dessen Gestaltung auf engen kulturellen Verbindungen zu den römischen Rhein-Donau-Provinzen und den markomannisch-quadischen Stammesgebieten beruhte (s. S. 344). Die kennzeichnende Schmuckform bildete die Fibel, die besonders in der Frauentracht beim Zusammenhalten des Kleides auf beiden Schultern und eines möglichen Ober- bzw. Untergewandes am Hals Verwendung fand. Nach den Grabbeigaben zu urteilen, kam die Fibeltracht allerdings selten vor und war stärkeren regionalen Besonderheiten unterworfen. Die beiden auf der Schulter befestigten Fibeln sind immer auffallend einheitlich. Eine dritte Fibel — oft die modisch jüngere — ist in der Regel kleiner oder größer. Mit einer 30
So gebrauchten sie Seifenkugeln aus der Wiesbadener heißen Quelle, den „pilae Mattiacae". Aus Holzasche gewonnene Lauge diente dem Aufhellen des Haares und wird besonders für die Chatten und Bataver erwähnt.
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Fibel konnte auch der Mantel des Mannes, meist auf der rechten Seite in Schulterhöhe, gehalten werden. Ein Kittel aus dem Moor von Reepsholt, Kr. Wittmund, war auf einer Schulterseite durch eine von aufgenähten Ösen gehaltene Fibel verschlossen.31 Die Nadel fand Verwendung beim Kopfputz (M. Gebühr 1971). Nach den zeitgenössischen niederrheinischen Bildsteinen scheint das Kopftuch oder der Schleier mit zwei oder mehr Nadeln im Haar befestigt worden zu sein. Es sind dies oft große, verzierte Schmucknadeln (Taf. 36 a — d), die an die späteren sogenannten Haarpfeile erinnern. Häufiger gebrauchten die Frauen kleinere Nadeln mit gebogenen Köpfen (Taf. 36 e). Sie sind Modeformen, die aus dem Mitteldonau-Gebiet nach Norden gelangten.32 Die schönsten Schmucknadeln sind aus Edelmetall. Auf ihnen befand sich ein Berlockkopf mit traubenförmiger Goldgranulation und Filigranverzierung. Daneben nutzte man die traditionellen knöchernen Nadeln mit geschnitzten Köpfen. Einer Veränderung unterlag auch der Gürtelverschluß aus Haken und Ring, soweit man nicht weiterhin den einfachen Schnurgürtel trug. Jetzt kam die Schnalle (Taf. 34b—e) auf, deren Grundform sich bis heute gehalten hat (K. Raddatz 1957). Ihre Gestaltung unterlag römischem Kultureinfluß. Einige außergewöhnliche Formen stammen noch aus dem norisch-pannonischen Trachtengut des 1. Jh., wie die „achterförmigen" Bronzeschnallen mit volutenförmigen Bügelenden (Taf. 35 d — e). Eine Schnalle aus Ketzin, Kr. Nauen, trägt auf ihrer verbreiterten Dornwurzel einen Tierkopf (Taf. 49 b). Der römische Standardtyp der Krempenschnalle wurde übernommen und weitergestaltet. Besonders behebt waren diese Formen (Taf. 35 c) im 2. Jh. Das schmale Ende des Ledergürtels konnte in metallenen Riemenzungen (Taf. 35 a—b) auslaufen. Auch hier handelt es sich um die Übernahme aus der spätkeltischen Kultur und der römischen Militärtracht. Im übrigen trugen die Gürtel selten Zierbeschläge, von denen als Ausnahme die aus einem reichen Grab von Hagenow (Taf. 48) herrührenden besonders herausragen. Schmuckstücke wie Kämme, Anhänger, Ringe und Ketten gehen häufig auf antike Vorbilder zurück und gehörten zur. Tracht der sozial herausragenden Schicht. Die einteiligen Kämme kennen wir mit einer Reliefverzierung (Taf. 38) oder einem durchbrochenen Griff. Ein aus Elchgeweih geschnitzter, bemerkenswert schöner Kamm trat in Varbelvitz, Kr. Rügen, zutage (Taf. 38 a). Armringe trug man seltener, wogegen sehr sauber gearbeitete Ringe mit Schlangenkopfenden bekannt wurden. Attraktive silberne Exemplare barg man u. a. auch in Gommern, Kr. Burg (Taf. 39 a). Erwähnt seien weiterhin einfache Armringe aus bronzenem Draht (Taf. 39 a), sogar verstellbare Halsringe aus Edelmetall und Halsketten wurden durch kleine Schließhaken (Taf. 39b—c) zusammengehalten. Kugelige weiße und gerippte Emailperlen, einfarbige blaue plankonvexe oder zylindrisch längsgerippte flaschengrüne Glasperlen gelangten durch römische Vermittlung besonders seit dem 2. Jh. ins Land. Man trug sie mit metallenen 31
In der norisch-pannonischen Frauentracht k a n n t e m a n besonders im 2. Jh. ein kimonoartiges, fibelloses Kleid, das v o n einem vorn geknoteten schmalen Schnurgürtel zusammengehalten wurde (J. Garbsch 1965). Auf den zeitgleichen Reliefdarstellungen (einschließlich der Grabsteine) fehlen gleichfalls die Fibeln. Zahlreicher sind Fibeln auf den Grabsteinen des 1. Jh. im westlichen Rheingebiet (z. B. Blussusstein v o n Weisenau bei Mainz) wiedergegeben (G. Behrens 1927, S. 51 ff.).
32
Eine
Zusammenstellung
von
Metallnadeln
aus den ersten vier
Jahrhunderten
ergab
immerhin 137 T y p e n , die im 1. Jh. bereits ausgeprägt waren (B. B e c k m a n n 1966, S. 5 f f . ) .
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kapsel- oder eimerförmigen Anhängern (Taf. 40) auf Leder- oder ganz selten Goldschnüren. 33 Zu den schönsten Schmuckformen gehören birnen- und kugelförmige Anhänger aus Edelmetall, oft mit einer Filigran- und Granulationsverzierung (Taf. 46). Sie wurden auch einzeln an Ketten au silbergeflochtenem Draht getragen. d) Bewaffnung und Kampfesweise Im Leben der Germanen erlangten seit dem Beginn u. Z. kriegerische Auseinandersetzungen mit benachbarten Stämmen wie auch innerhalb des eigenen Stammes (z. B. Sippenfehden oder Blutrache) eine immer größere Bedeutung (Tacitus Germ. 6—8, 13—15). Noch in späteren Jahrhunderten übte man schonungslos Blutrache. Über diese Verpflichtung zur Sühne eines Totschlages durch Blutsverwandte berichtet uns Tacitus (Germ. 21). In der Phase der sich auflösenden Urgesellschaft verband sich die Blutrache zweifellos mit den Machtkämpfen der einzelnen Sippen. Bereits Cäsar (Bell. Gall. 6, 23) erwähnte Raubzüge von Gefolgschaften in andere Stammesgebiete. Die Größe eines Gefolges schwankte zwischen einem Dutzend und einem halben Tausend Kriegern, und zwar kamen die Gefolgsleute bereits aus verschiedenen Stämmen; wahrscheinlich standen sie in einer bestimmten Rangfolge. Ausgerüstet mit Pferd und Lanze wurden sie durch den Gefolgsherrn (Tacitus, Germ. 13 — 15). Im Küstengebiet entwickelte sich auf gleicher Grundlage eine beträchtliche Seeräuberei. So warb in der Mitte des 1. Jh. der Cannenefate Gannascus bei den Chauken Teilnehmer für Beutezüge zur gallischen Küste. Offensichtlich bildete sich in der germanischen Gesellschaft eine ausgeprägte Form der „militärischen Demokratie" heraus. Wesentlichen Antrieb zu ständiger Kampfbereitschaft und Kriegsführung erhielten viele germanische Stämme durch die Eroberungszüge römischer Legionen, vor allem in der ersten Hälfte des 1. Jh. 34 Das führte zu Verteidigungskriegen, an denen sich zu beteiligen Recht und Pflicht aller Wehrfähigen des Stammes war. Diese Kriege erhielten durch sakrale Weihen einen besonderen Status (W. Schlesinger 1953, S. 231). In späterer Zeit entwickelte sich hieraus das vom Thing zu beschließende Stammesaufgebot (anord. ütbod, leidangr.). Aber schon im 1. Jh. v. u. Z. kämpften Germanen auch für fremde Interessen gegen Sold. Seit Kaiser Augustus umgaben sich römische Herrscher oft mit einer germanischen Leibwache (M. Bang 1906; H. Callies 1965, S. i3off.). Sicherlich handelte es sich um Gefolgschaften unter einem adligen Anführer, der den Rang eines römischen Offiziers erhielt (z. B. die Cherusker Arminius und Flavus). Dadurch kamen die Germanen mit fremden Waffenarten in Berührung und erlernten eine neue Kampftechnik und Kriegsführung, die sie bei der Erhebung im Jahre 9 und danach anzuwenden verstanden. Dieser erfolgreiche Befreiungskampf führte zu einem allgemeinen Interesse der Geschichtsforschung an der germanischen Bewaffnung und Kampfesweise. In der nationalistischen Geschichtsschreibung diente das zur Glorifizierung des Führer- und Gefolgschaftsprinzips, zur Begründung der Überlegenheit einer „germanischen" Rasse und einer entsprechend hochstehenden „Kriegskunst". Auf die moralische Überlegenheit der Germanen, die sich aus ihrer gentilen Ordnung erklärte, und andererseits auf die in 33 34
A. v. Müller 1958, S. 93ff.; K . Raddatz 1957; W. Heiligendorff 1959, S. 42ff. Zwangsaushebungen für das römische Heer bei den unterworfenen Stämmen stießen dagegen längere Zeit auf Widerstand (z. B. Tacitus, Hist. 4,14).
GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN UND GEISTIGEN KULTUR
335
einer Krise stehende römische Klassengesellschaft verwies bereits F. Engels (1962, S- 425ff.). In den ersten beiden Jahrhunderten wurde auf Beweglichkeit im Kampf orientiert. Die Ursachen hierfür lagen teilweise in einem zumindest regional bedingten Mangel an geeignetem Eisen für die Waffenherstellung (Tacitus, Germ. 6; H. Jankuhn 1967, S. 128ff.; K. Raddatz 1966a, S. 429ff.). Entscheidend war ein in den letzten Jahrhunderten v. u. Z. erfolgter starker keltischer Einfluß, dem man einige Schildformen, Lanzen mit langem geflammten Blatt und Ausschnitten sowie das Hiebschwert mit eiserner und bronzener Scheide entlehnte.36 Bedeutung erlangte auch die Wurfwaffe, deren Spitze zwei Widerhaken trug. Dagegen gehen Kampfmesser mit Griffzungen und die meisten Lanzenspitzen auf germanischen Ursprung zurück. In der Auseinandersetzung mit dem stark gepanzerten römischen Legionär unterlagen einige Waffentypen (Lanze und Hiebschwert) in den ersten Jahrzehnten u. Z. einem schnellen Wandel. Wenn das auch die germanische Kampfesweise zu einer größeren Wirksamkeit führte, kam es doch zu keiner direkten Übernahme römischer Waffenformen.
A b b . 88. Kämpfer mit Holzkeulen, vermutlich Germanen (als Illustration umgezeichnet nach Darstellung auf der Trajanssäule in Rom aus F. B. Florescu 196g, Taf. X X I X ) . 35
Die Vermittlung übernahm das östliche Keltentum (R. Hachmann 1957, S. i6f., Karte 3; K . Peschel 1970, S. iff.). Ältere Verbindungen zum Keltentum deutet der Fund von 20 Kettenpanzern aus einem Moorfund von Hjortspring auf Alsen an (G. Rosenberg 1937). Südosteuropäischen Einfluß vermutet K . Raddatz (1967a, S. 441) außerdem in einer sensenartigen Schwertform, die aus demselben Moorfund zutage trat.
336
MATERIELLE UND GEISTIGE KULTUR, STAMMESGEBIETE IM 1./2. JH.
n
Abb. 89. Germanische Krieger mit Suebenknoten und Langhose. Am Balteus über dem freien Oberkörper hängt das Schwert (als Illustration umgezeichnet nach Darstellung auf der Trajanssäule in Rom aus F. B . Florescu 1969, Taf. XCII).
Typische Waffe für Reiter und Fußkämpfer war die Lanze. Neben dem Schwert kam ihr die größte Bedeutung zu. Angriffswaffen aus organischem Material blieben uns weitgehend unbekannt. Dagegen sind hölzerne Keulen auf der Markussäule abgebildet (Abb. 88), auch die Westgoten haben sie später benutzt. Wurfhölzer, ähnlich dem Bumerang, barg man im Opfermoor von Oberdorla, Kr. Mühlhausen. Die einzige Schutzwaffe — der Schild — bestand fast ganz aus Holz, Leder oder ähnlichen organischen Material. Pfeil und Bogen gewannen erst seit dem 3. Jh. an Bedeutung. Nach den antiken Berichten hieß die Lanze mit schmaler und kurzer Eisenspitze bei den Germanen „framea". 38 Sie unterlag aber seit dem Beginn u. Z. einem schnellen Wandel. In der allgemein einsetzenden Verkürzung des eisernen Lanzenblattes und im Wegfall des bisherigen scharfen Mittelgrates drückt sich der Wandel von der Stoßzur Wurfwaffe aus (Taf. 42a, c).37 Den Gebrauch der Lanze im Fern- und im Nahkampf entnehmen wir antiken Berichten und bildlichen Darstellungen. Danach führten auch Reiterkrieger Schild und „framea" (Tacitus, Germ. 6; P. G. Hamberg 1936, S. 2iff.). Als eigentliche Wurfwaffen dienten Speere mit Spitzen, die beidseitig Widerhaken aufwiesen und pilumartig ausgezogen wurden (Taf. 42 b, 44 a). Die hölzernen Lanzenschäfte sind nach antiken Darstellungen recht kurz gewesen und erreichten etwa Mannshöhe. 36
37
Die Namensdeutung „ f r a m e a " ist noch ungewiß und ihr gesamtgermanischer Charakter bestritten (R. Much 1967, S. 135f.). Offensichtlich setzte sich die Bezeichnung *gaiza = Ger durch. Die Länge des eisernen Lanzenblattes schwankt zwischen 12 und 25 cm, vgl. dazu M. Jahn 1916, S. 78ff.; H. Schirnig 1965, S. l g f f . Die Angaben des Germanicus über im Feuer gehärtete Holzspieße (Tacitus, Ann. 2,14) werden oft als Übertreibung abgetan, jedoch tritt H. Kuhn (i960, S. loyff.) aus sprachlichen Gründen dafür ein.
GRUNDZÜGE DER MATERIELLEN U N D GEISTIGEN KULTUR
337
Seit der zweiten Hälfte des 2. Jh. trat wieder die Lanze als Stoßwaffe mehr in den Vordergrund, allerdings mit verlängertem Blatt und Schaft, die metallene Spitze durch Punzverzierungen geschmückt (Taf. 42 a; K. Raddatz 1967 b, S. 3 ff.; H. Steuer 1970, S. 358f.)Framea, Schild und Schwert gehörten bei der Heirat zur Morgengabe (Tacitus, Germ. 18). Unter dem Einfluß römischer Kampftechnik wurde das bisherige Schwert immer kürzer und glich sich der Form des römischen Kurzschwertes (Gladius) der Fußtruppen an. Diese Stoßschwerter eigneten sich zum Nahkampf mit den Römern besser als die langen Hiebschwerter (M. Jahn 1916, S. 131). Zugleich fiel die bisherige metallene Schwertscheide weg zugunsten einer hölzernen mit Schlaufen und Tragösen (römisches Vorbild!), deren Spitze bei den zweischneidigen Schwertern in ein metallenes Endstück, das sogenannte Ortband, ausläuft.38 Die Schwerter wurden von den in römischen Diensten stehenden Germanen an einem Wehrgehänge (Balteus) quer über einer Schulter zur Hüfte getragen (Abb. 89; L. Lindenschmit 1882). Vielleicht kann man in den einschneidigen Hiebschwertern (Taf. 43 b) eine Fortentwicklung der keltischen Kampfmesser sehen; sie führten im späteren germanischen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Sachs" (germ. *sahsa, altfränk. skramasahs = „Wundenmesser"). Vermutlich wurde für den Stamm der im östlichen Nordseeküstengebiet ansässigen Sachsen der „Sachs" namengebend. Man hat diese Schwerter oft mit den von Tacitus zitierten „breves gladii" (kurze Schwerter) identifiziert, die für Stämme im südöstlichen Ostseeküstenund Oder-Weichsel-Raum (Abb. 90, 91) charakteristisch wurden (Germ. 43).39 Zwei-
Abb. 90. Verbreitungskarte von einschneidigen Hiebschwertern aus dem 1. J h . v. u. Z. (nach M.-D. und R. Woiagiewiczowie 1963a, Abb. 7). 38
39
Die Schwertlänge betrug 60—65 cm (vorher 90—100 cm) bei den zweischneidigen und 55—60 cm bei den einschneidigen Schwertern. In entlegenen Gebieten (z. B. in Angeln) spielte das Kampfmesser eine größere Rolle (K. Raddatz 1967b, S. 3ff.). Auch aus Finnland ist eine größere Zahl dieser Schwertformen bekannt, während sie im übrigen Skandinavien anscheinend erst im 3. und 4. J h . aufkommen (U. Salo 1968, S. 1 2 1 ff.). Im nördlichen Oder-Weichsel-Raum wurden Waffen nicht den Toten mitgegeben.
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Germanen — Bd. i
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schneidige Hiebschwerter gehörten gleichfalls zur Bewaffnung der Bevölkerung zwischen Rhein und Oder (Tai. 43 a), wobei die Gestaltung der Schwertscheide und des -griffes bisher unbekannt blieben. In Skandinavien konnte man lederüberzogene Holzscheiden mit Bronzebeschlägen bergen (M. Jahn 1916, S. 150; E. Nylen 1963, S. 185ff.). Ähnlichkeiten mit römischen Kurzschwertern veranlaßten einige Forscher für diese Exemplare einen römischen Ursprung zu vermuten.
Abb. 91. Verbreitungskarte von einschneidigen Hiebschwertern aus den ersten beiden Jahrhunderten u. Z. (u. a. nach Angaben von Magister M. Biborski, Kraköw).
Im 2. Jh. gewannen Schwerter größere Bedeutung. Veränderte Kampftechnik (z. B. allgemeines Aufkommen einer stärkeren Panzerung) zwang zu einer Verlängerung der Klinge und zur Herstellung schwerer Hiebwaffen. Diese Langschwerter hießen in den folgenden Jahrhunderten „Spatha" (K. Raddatz 1967b, S. iof.). Die Streitaxt gehörte noch nicht zur germanischen Bewaffnung. Sie kam erst im ausgehenden 2. Jh. in Gebrauch und trat seit dem 5. Jh. unter dem Namen „Franziska" als Wurfaxt in Erscheinung. Den Krieger, der im Kampf oft seine Oberbekleidung ablegte, schützte der hölzerne Schild (Abb. 92 a; Tacitus, Germ. 6). Da er wenig wog, eignete er sich für aktives Parieren und Ableiten von Stößen und Wurfgeschossen. Der Germane hielt ihn am linken Arm durch eine bzw. zwei Handhaben (vgl. Abb. 88). Es gab runde und langovale Formen von geringer Größe (0,5—0,6m Durchmesser), die lediglich metallene Schildbuckel, -fesseln und Randbeschläge aufwiesen (Abb. 92b, 93).40 Auf römischen Skulpturen ist der Schild oft mit einer hölzernen Mittelrippe versehen. Nicht wenige 40
Runde Schilde als Kennzeichen östlicher Stämme erwähnt Tacitus (Germ. 43). Bedenken dazu äußern M. Jahn (1916, S. 218) und K . Raddatz (1967a, S. 439). Römische Darstellungen zeigen oft recht- und sechseckige Formen. Aus Gräbern in Wachow, Kr. Nauen, und Körchow, Kr. Hagenow (Grab 40), stammen Reste eckiger Schilde. — Moorfunde aus späterer Zeit ergaben, daß man zu ihrer Herstellung leichtere Hölzer, wie Esche, Ahorn und Erle (selten Eiche) verwendete.
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Schilde bestanden nach antiken Angaben nur aus zusammengefügten Holzbrettern oder waren aus Zweigen geflochten und mit Leder überzogen. Daß der Schild hochgeschätzt wurde, zeigt seine reiche Ausschmückung, die bis in die Jahrhunderte v. u. Z. zurückreicht (z. B. Vaedebro bei Skanderborg). Mit großer Sorgfalt widmete man sich einer Schildbemalung, welche die Unterschiede der Stämme und vielleicht auch der Sippen widerspiegelte (Tacitus, Germ. 6; R. Much 1967, S. 141). Im 1. Jh. schätzte der Krieger reich profilierte bronzene Schildfesseln und große fingerhut-
A b b . 92. Rekonstruktion eines ovalen Schildes mit metallenem Randbeschlag (a) (nach W. Wegewitz 1937, A b b . 39). Schnitt durch Buckel und Fessel (b) (nach M. Jahn 1916, Abb. 23).
A b b . 93. Entwicklungsschema der Schildbuckelformen, die im 2. Jh. lang ausgezogene Spitzen oder Stangen besaßen.
förmige Nieten. Aus dem 2. Jh. datiert eine besonders reich verzierte Bronzeschildfessel, die man in Hamfelde, Kr. Lauenburg, barg (Taf. 44 d). Hier sind die viereckigen Nietplatten, befestigt durch vier silberne Fingerhutnieten, mannigfaltig durchbrochen, und ein verbindender Steg zeigt eine gedrückte Vasenform. Schmuckloser sind die eisernen Fesseln des 2. Jh. Schilde mit Edelmetallbeschlägen blieben sicher dem Adel vorbehalten. Auch eiserne Schildbuckel (Taf. 44 b, c und 92 b) zeigen lokale Unterschiede. So wurden sie im Elbegebiet zu einer stangenförmigen (bis zu 1 6 c m Länge!) und im
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Oder-Weichsel-Raum zu einer stachelförmigen Spitze ausgezogen (Abb. 94). Diese Schildbuckelformen bestätigen, daß der Schild auch als Angriffswaffe diente. So berichtet Tacitus von den Batavern, daß sie beim Kampf gegen die Britannier „mit den Schildbuckeln drauflosstießen und die Gesichter übel zurichteten" (Tacitus, Agricola 36). Zu Beginn des 3. Jh. klang diese Entwicklung ab. Mit einer stärkeren Rundung des Buckels bezweckte man bei den im westlichen Germanien lebenden Stämmen nur eine Anpassung an den römischen Schildbuckel (umbo.). Der Verlust des Schildes wurde streng geahndet (Tacitus, Germ. 7), da dieser nicht nur dem eigenen, sondern auch dem Schutz der gemeinsamen Front diente.
Abb. 94. Verbreitungskarte von Stangen- (1) und stachelförmigen (2) Schildbuckeln.
Außerordentlich selten waren eiserne Panzerhemden aus zusammengeschweißten oder zusammengenieteten kleinen Ringen. Sie gehören dem 2. Jh. und einer späteren Zeit an. Über Form und Größe dieser besonders im unteren Elbgebiet und in Dänemark gefundenen Exemplare ist nichts bekannt. Zweifellos gehörten wertvolle und kostbare Ringpanzer zur Rüstung des Adels. Selten trug man Helme (cassis), von denen ein rundkappiger mit verzierten Wangenklappen zusammen mit einem Ringpanzer aus einem reichen Kriegergrab von Hagenow stammt. Er ähnelt einigen Helmen aus dem Rhein-Weser-Gebiet und ist römischen Ursprungs. Erst mit den Markomannenkriegen und den Einfällen germanischer Stammesteile in das Limesgebiet erscheinen als Beutegut römische Ringpanzer, Schwerter und Äxte in den Gräbern (K. Raddatz 1961 au. b, S. 1 7 f f . und S. 26ff.; K. Dabrowski und J . Kolendo 1967, S. 383ff.). Im Rhein-Weser-Gebiet dürften römische Waffen zwar einen stärkeren Anteil an der Rüstung gehabt haben, lassen sich aber als Bodenfunde nicht nachweisen.41 41
Waffenfunde im Rhein-Weser-Gebiet: R . v. Uslar 1 9 3 8 ; C. Redlich i960, S. 1 6 1 ff. — Ergänzungen für das Neckargebiet und das pfälzische Rheintal: R . Nierhaus 1966; H . - J . Engels 1972, S. 1 8 3 f f .
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Über die Zusammensetzung und Größe der Stammesaufgebote für das 1. und 2. Jh. läßt sich nichts Sicheres ermitteln. Nach den antiken Berichten konnte die Stärke eines Stammesaufgebotes bei 5000—6000 Kriegern liegen (H. Delbrück 1966 u. 1895, S. 47iff.). Wahrscheinlich gab es in der Bewaffnung und in der Bedeutung der Reiterei bzw. der Fußtruppen stammesmäßige Besonderheiten. So besaßen die Bataver, Tenkterer, Usipeter, Sugambrer, Friesen und Wandalen eine hervorragende Reiterei, während sich die Chatten durch ihre Fußtruppen auszeichneten. Im Elbe-Oder-Gebiet dominierte nach den Ausgrabungsbefunden der mit Lanze und Schild bewaffnete Kämpfer zu Fuß (H. Schirnig 1965, S. 19ff.; T. Capelle 1971). Krieger, die zusätzlich noch ein Schwert trugen, bekleideten in der Gemeinschaft eine besondere Stellung und bildeten den Kriegeradel. Aus ihm gingen die Anführer der Gefolgschaften und der im Krieg gewählte Stammesführer (dux) hervor. Tacitus charakterisiert sie: „Denn bei den Germanen erweckt einer um so mehr Vertrauen, je kühner er ist; er gilt daher in unruhigen Zeiten als der Stärkere" (Ann. 1, 57). Ihnen stand auch der Reiterdienst zu, denn er erforderte eine bessere Ausbildung und eine kostspieligere Ausrüstung. A b b . 95. Zierlicher Knopf- (a), kräftiger Stuhl- (b) und reichverzierter Plattensporen mit drei Kreisscheiben (c) aus Fohrde, Kr. Brandenburg, Hamburg-Marmsdorf (BRD) und Putensen, K r . Harburg ( B R D ) ; 1 : 4 (nach A .v. Müller 1962, Komplex 218c, W. Wegewitz 1964a, Taf. 23, 80, ders. 1972, Taf. 165, 503).
Die Sitte des Sporentragens beim Reiten hatten die Germanen von den Kelten übernommen (M. Jahn 1921). Es entwickelten sich aus den sogenannten Knopfsporen (Abb. 95 a) regional unterschiedliche Formen. Dazu gehören die im gesamten Elbgebiet geborgenen Stuhlsporen (Taf. 45 u. Abb. 95b), von denen jene mit drei Kreisscheiben einen speziellen Typ des nördlichen Elbegebietes darstellen (W. Wegewitz 1972). Besondere Prachtstücke sind vergoldet, wie ein Exemplar aus einem Adelsgrab von Hagenow (Taf. 45). Die Form des Knopfsporens behielten die Reiter im östlichen Germanien bei. Die leichte Bewaffnung gestattete den Kriegern eine große Beweglichkeit im Kampf und befähigte sie zur offensiven Taktik. Eine von Cäsar für das Jahr 58 v. u. Z. übermittelte Kampfesweise, die möglicherweise schon früher üblich war, behielt ihre Geltung noch später (K. Raddatz 1966, S. 443): „Zu 6000 Reitern gehörten ebenso viele sehr schnelle und sehr tapfere Fußsoldaten, die sie aus der ganzen Masse, jeder einen sich zum Schutze, ausgewählt hatten; mit ihnen gingen die Reiter in den Kampf; zu ihnen zogen sie sich zurück; diese Fußsoldaten eilten herbei, wenn es recht hart herging; wenn einer schwer verwundet vom Pferde gefallen war, nahmen sie ihn in ihre Mitte; wenn es galt, irgendwohin weiter vorzugehen oder sich schneller zurückzuziehen, da war ihre Schnelligkeit durch die Übung so groß, daß sie mit den Pferden, die sie bei den Männern faßten, Schritt hielten" (Bell. Gall. 1, 48). Diese aus Reitern und Fußkämpfern gemischte Einheit wird auch von Tacitus bestätigt (Germ. 6). Man zog die besten Krieger zu einer Eliteformation zusammen, in der 100 Mann Fußvolk (centeni ex
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singulis pagis) gemeinsam mit 100 Reitern aus jedem „Gau" kämpften. Sie wurden „Hundertschaften" (centeni) genannt und trugen diese Bezeichnung als Ehrennamen. Mit einem alleinigen Einsatz der Reiterei wollte man häufig durch überfallartige Angriffe und notfalls schnelle Rückzüge Erfolge erreichen (Tacitus, Germ. 30). Oft sprangen die Reiter „ihrer Kampfesweise gemäß ab, stachen den Angegriffenen die Pferde unter dem Leibe nieder und warfen dadurch eine Anzahl von ihnen aus dem Sattel" (Caesar, Bell. Gall. 4, 12), wobei die Pferde an den ihnen zugewiesenen Platz stehen blieben. Die Stärke des germanischen Aufgebots lag jedoch in seinem Fußkämpfern (Tacitus, Germ. 6 und 30). Bei den Sueben konnte ein „Gau" (pagus) angeblich 100 Reiter und 2000 Fußkrieger aufbieten (Caesar, Bell. Gall. 4, 1 ; Tacitus, Germ. 6).42 Das „stehende Heeresaufgebot" des markomannischen Stammesführers Marbod umfaßte nach römischen Angaben 4000 Reiter und 70 000 Fußkämpfer, darunter wohl Krieger verschiedener Stämme. Selbst wenn diese Zahlen mit Recht bezweifelt werden, so dürfte die Proportion (etwa 1 Reiter auf 20 Fußkämpfer) real sein.43 Die taktische Ordnung sah den deltaförmigen Schlachtkeil (cuneus) vor, der nach allen Seiten durch große Schilde gesichert war und an dessen Spitze die erfahrensten Krieger kämpften (Tacitus, Germ. 6f.; Hist. 5, 16; 4, 20). Die Angehörigen verwandter Familien und Sippen standen eng nebeneinander (Tacitus, Germ. 7). Diese Anordnung hieß bei den Germanen später „Eber- oder Schweinskopf" (germ. *rani) und hat sich bis in das Mittelalter hinein bewährt.44 Eine Vorstellung von der Größe dieser Schlachtkeile könnte uns die Mitteilung des Dio Cassius (38, 49) vermitteln, wonach die Germanen in Gruppen von je etwa 300 Mann dicht zusammengeschlossen fochten und so in einer zweiten Kampfaufstellung eine Schildburg (anord. skialdborg) bildeten (ähnliche Angaben auch bei Orosius 6, 7—9). Die Bildung dieser Schlachtkeile und ihr taktisches Operieren gründet sich auf militärische Übungen, auf die Cäsar hinweist (Bell. Gall. 1, 52: ex consuetudine sua; F . Miltner 1954, S. 1 3 1 ff.). Hiernach wollte man durch das Schleudern kleinerer Speere (missilia) und durch schnelles Vorstoßen der Fußkämpfer mit gefällter Lanze in einem frontalen Ansturm, besonders in Auseinandersetzungen mit den Römern, die feindliche Schlachtlinie durchbrechen, dem üblichen Pilumwurf zuvorkommen und dann einzeln oder in Gruppen von Kriegern im Nahkampf streiten (z. B. Caesar, Bell. Gall. 1 , 5 1 ; Tacitus, Germ. 6; 42
43
44
Zur Kampfesweise: F. Engels 1952, S. 52ff.; H. Delbrück 1966 (mit berechtigten Einwänden gegen die Zahlenangaben bei Cäsar und Tacitus); H. G. Gundel 1937 u. 194°> S. 188ff.; A. Küsters 1939; H. Kuhn 1951, S. 98ff.; F. Miltner 1954, S. 131 ff. Nur jeder fünfte Mann wurde mit Waffen beigesetzt, darunter jedoch jeder fünfundzwanzigste mit einem Schwert. Für das westlangobardische Stammesgebiet stellten Schwerter keine Standeszeichen dar (M. Gebühr 1970, Diagramm 2, S. 108). Ob Unterschiede in den Waffenbeigaben Rangstufen einer überregionalen Kriegerordnung kennzeichnen, wie R. Hachmann (1957, S. 15) vermutete, bestätigte sich für die Elbgermanen bisher nicht (S. Hennig-Albert 1961, S. 97ff.). Cuneus: Am deutlichsten beschrieben durch Agathias in der Schlacht bei Capua 554 (zwischen Goten und Byzantinern unter Beiisar) unter der griechischen Bezeichnung syös kephal6, d. h. Eber- oder Schweinskopf, vgl. auch K. Müllenhoff 1887, Beil. 4, S. 170 ff.
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Ann. 2, 14). Dieser ungestüme Ansturm bildete insofern den Krisenpunkt der Schlacht, als die Germanen hierbei ihre gesamte K r a f t und alle Krieger eingesetzt hatten (A. Küsters 1939). Bei Märschen und Auszügen größerer Stammesteile, aber auch in wichtigen K ä m p f e n standen oft Frauen und Kinder in unmittelbarer Nähe und unterstützten ihre K ä m p f e r durch Kampfgeschrei und Hilfeleistungen. Vereinzelt sollen sich sogar Frauen (Amazonen) an den K ä m p f e n beteiligt haben, z. B . bei den Langobarden und Goten. Die nach Ort und Zeit festgelegte offene Feldschlacht w a r die übliche F o r m des K a m p f e s . Voraus gingen bestimmte kultische Handlungen (Kriegstänze, -gesänge, Gelage, Prophezeiungen, Weihung des Feindes und der B e u t e an die Gottheit u. a. (s. S. 35 l f f.)). Vor den Schlachtreihen nahmen die Standarten mit Tierköpfen und ähnlichen Symbolen Aufstellung. In der Auseinandersetzung mit den nach B e w a f f n u n g und Ausbildung überlegenen römischen Legionen gaben die Germanen wenigstens zeitweise den offenen direkten K a m p f auf und wandten geeignetere Taktiken an, wobei sie es verstanden, wie beispielsweise in der Varus-Schlacht und auch in den K ä m p f e n 15 u. Z. gegen die acht Legionen des Germanicus und in der Schlacht bei Idistaviso im Jahre 16, die natürlichen Gegebenheiten des Geländes zu nutzen (H. G. Gundel 1940, S. 188ff.). Dabei machten die Gefechte mit germanischen Heeren von einigen Tausend Kriegern eine gewisse Absprache der Unterführer mit dem Heerführer Arminius notwendig, die ein taktisches Verständnis in der K a m p f f ü h r u n g und Möglichkeiten einer Befehlsübermittlung während des K a m p f e s einschlössen (Tacitus, Hist. 4, 12 u. 55; 5, 20; F . Miltner 1954, S. l ß i f f . ) . Dennoch hatten die Anführer keine große Befehlsgewalt, das entsprach den gentilen Verhältnissen (Tacitus, Germ. 7). Der Anführer beschränkte sich während des K a m p f e s meist darauf, durch eigenes Vorbild und anfeuernde Reden die K a m p f m o r a l z u heben (Tacitus, Ann. 1, 65; 2, 15 u. 45; Hist. 4 , 1 6 — 1 7 u - 5. 17)Marbod und Arminius gelang es offenbar für kurze Zeit, ein durchgegliedertes Heer nach römischem Vorbild aufzustellen. D a z u gehörte die Aufstellung v o n Reserven, das Gebot, dem Feldzeichen unbedingt zu folgen und den Befehlen des Anführers zu gehorchen (Tacitus, Ann. 2, 45). Eine ähnliche Anpassung an die römische Disziplin und Kampfesführung überliefert Tacitus, allerdings rhetorisch betont, für die F u ß k ä m p f e r der Chatten (R. Much 1967, S. 384): „Sie stellen auserwählte Männer an ihrer Spitze, gehorchen ihren Vorgesetzten, bleiben in Reih und Glied, verstehen es, günstige Gelegenheiten zu erfassen, schieben einen Angriff auch einmal auf, teilen die Arbeit des Tages zweckmäßig ein und schützen sich in der N a c h t durch eine Verschanzung" (Germ. 30). Veränderte gesellschaftliche Verhältnisse zwangen z u einem bedeutenden A u s b a u des Gefolgschaftswesens und zu einer Stärkung des Adels. Seit dem Ausgang des 2. Jh. war dem römischen Imperium ein Gegner erwachsen, der eine immer größere militärische A k t i v i t ä t entwickelte. e) Künstlerisches
Schaffen
I m 1. und 2. Jh. ist bei der Produktion einiger materieller Güter eine Qualität erreicht worden, in der man die Anfänge einer angewandten K u n s t sehen darf. J e t z t war die Arbeitsteilung so weit fortgeschritten, daß Spezialisten sich längere Zeit hinweg hand-
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werklich betätigen konnten. Die soziale Differenzierung der Gesellschaft bewirkte eine graduelle Abstufung des Bedarfes nach qualitativen Erzeugnissen, wobei der Adel ein besonderes „Repräsentationsbedürfnis" entwickelte („Adelskultur"). Die Beziehungen zum römischen Imperium haben diesen Prozeß entscheidend gefördert. So strahlte im l. Jh. in weite Gebiete Germaniens die auf keltischen Traditionen beruhende Kultur des Mitteldonauraumes aus, die unter dem Einfluß eines klassischen Stiles stand, den provinzialrömische Handwerker ausübten. Eine vermittelnde Stellung nahmen hierbei die Markomannen in Böhmen und die Quaden in Mähren und der Westslowakei ein. Mit der Eroberung dieser Gebiete durch Germanen wurden keltische „Werkstätten" übernommen, die bereits zuvor die germanischen Stämme beliefert hatten.45 Die gallische Kultur hatte zwar am Rhein eine geringere Ausstrahlungskraft, erfaßte aber immerhin das nördliche Rhein-Weser-Gebiet. Durch die Übernahme neuer Werkstoffe wie Gold und Silber, durch qualitativ verbesserte und jetzt sehr häufig verwendeten Bronzeguß und die Einführung neuer Technologien (Granulation und Filigran) ergaben sich weitere Möglichkeiten einer künstlerischen Gestaltung. Die handgemachten Töpfereiwaren wurden noch in traditionellen Formen gefertigt. Anzeichen dafür, daß deren Herstellung besonders qualifizierten Spezialisten oblag, bestehen bei einigen Gefäßformen im Elb-Oder-Gebiet. Deren regelmäßig tektonischer Aufbau wird eine zonenartige Gliederung der Ornamente unterstrichen (z. B. Taf. 30b). Dabei setzen sich die Motive aus einer lineargeometrischen Ornamentik zusammen, wobei figürliche Darstellungen bewußt fehlen. Wir finden vorwiegend Zickzack-, schräge parallel- und sparrenartig gegeneinander gestellte Striche, die in waagerechter Reihung oder Symmetrie angeordnet sind (G. Schwantes 1915, S. 45ff.; G. Kossinna 1907, S. 165f.). Dieser stilisierenden Ornamentik kommt ein Teil des römischen Kunststiles entgegen, wobei sich besonders die Mäander und Stufenlinien, den germanischen Motiven einfügten oder hier bereits in Protoformen vorgebildet waren.46 Dagegen wurde die auf Akanthus-Ranke und Palmetten beruhende römische Pflanzenornamentik abgelehnt oder umgewandelt. Das Verhältnis zwischen Grund und Muster hatte sich inzwischen verändert. Bereits im 1. Jh. v. u. Z. erschien ein lederbraun- oder schwarzglänzender Grund, auf dem in Linien- und Punkttechnik sowie später im 1. Jh. durch Abrollen eines Rädchens (Abb. 121) ein weiß inkrustiertes Motiv als „positives Muster" wirkte. Diese strenge zonenartige Gliederung von Gefäßkörper und Ornamentik hörte schon Ende des 1. Jh. auf. Man bevorzugte eine noch stärkere Heraushebung des Musters und ging daher zu großen mehrzeiligen Rollrädchen über. So entstanden zusammenhängende, unteilbare Motive (z. B. Lebensbaum; Taf. 32a) oder Hakenkreuzmäander. Ein besonders im langobardischen Gebiet beliebter Wechsel von Grund und Muster in der Aneinander45
46
Zum keltischen und provinzialrömischen Kultureinfluß um den Beginn u. Z.: O.Almgren 1913, S. lösff.; O. Klindt-Jensen 1950 u. 1 9 5 3 ; J . Werner 1952a, S. i 3 3 f f . und 1952b, S. 423ff.; C. J . Becker 1958, S. 49ff.; H.-J. Hundt 1964, S. i62ff. Nachahmungen römischer Toreutik und Keramik wie Imitationen von Kesseln, Kannen, Glasgefäßen usw. belegen weiteren Einfluß (R. v. Uslar 1938, S. 23 u. 79; J . Werner 1966, S. 5)-
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reihung gemusterter und leerer Rechtecke zeigte sich im Schachbrettmotiv (Taf. 25 a; Abb. 73; Th. Voigt 1959, S. 168ff.). Seit der Mitte des 2. Jh. nahm das „positive" Muster eine untergeordnete Rolle ein. Gefäßrauhung und -schlickung wechselten mit glatten Streifen und fanden ihre Ergänzung durch einfache Motive in Rillen- und Furchentechnik. Eine ähnliche Ornamentik brachte die Bevölkerung des Rhein-Weser-Gebietes an ihrer Keramik an. Hier standen im Vordergrund einfache lineare Muster, Tupfen, Eindrücke und Einstiche, die nun aber das Gefäßunterteil bedeckten. Die Gefäße zeichnen sich durch einen symmetrischen Aufbau und durch eine Gliederung aus (Abb. 113). Eine streng tektonische Gliederung zeigen Gefäße aus dem Ostseeküstenund Odergebiet (Abb. 107, 109). Auf schwarzglänzendem Grund erscheinen eine Fülle von Motiven in Lineartechnik. Eine im 1. und beginnenden 2. Jh. zu beobachtende gewisse künstlerische Gestaltung einiger Tongefäße des Elbegebietes ging in der folgenden Zeit verloren. Jetzt bewirkte ein Stilwandel die Ausbildung verzierungsärmerer und gering gegliederter Schalengefäße und Töpfe, die dann einige Jahrhunderte in Gebrauch waren. Ein abweichendes Gefäßdekor kam dagegen während des späten 2. Jh. im Rhein-Weser-Gebiet auf. Das führte zu einer mannigfaltigen Kombination zusammengesetzter Ziermotive und wurde durch eine plastische Belebung des Profils (Rippen, Wülste, Faltungen u. ä.) ergänzt. Das Neue im künstlerischen Schaffen kam im wesentlichen in metallenen Schmuckund Trachtgegenständen zum Ausdruck. Die einfachen, auf funktionelle Zweckmäßigkeit orientierten Fibeln behielten ihre einheitliche Grundform, jedoch gestattete die zunehmende Bedeutung des Bronzegusses eine größere Darstellungsbreite, z. B. bei der Ausbildung des Bügels oder der Spiralkappen (Abb. 96). Gestalterisch anregend wirkte hier eine römische Fibel vom sogenannten Aucissa-Typ, die gleichfalls Impulse zur Änderung des Dekors, des Bügels und der Kopfpartie germanischer Fibeln, insbesondere bei der Herausbildung der Augenfibel (Abb. 96]), gab (O. Klindt-Jensen 1950, S. 36ff.). Zugleich erwuchs das Bedürfnis ihrer Träger nach wertvolleren, repräsentativen Schmuckstücken. Besonders der Adel gab jetzt hochwertige Arbeiten in Auftrag und stellte damit höhere Anforderungen an den Produzenten. 47 Die zunächst großen und massiven Bronzefibeln wurden unter spätkeltischem Einfluß betonter gegliedert. Geperlte oder gezwirnte Silber- und Golddrähte verzierten Bügelkanten und -Scheiben. Damit betonte man jetzt besonders die markanten Umrisse, während die anfangs wenig verzierten Flächen durch ihre Glätte und Breite wirkten. Dem sich entwickelnden Schmuckbedürfnis kam man am Ausgang des 1. Jh. nach, indem die Fibeln kleiner und mit breiteren Schauseiten gestaltet wurden. Sie konnten jetzt eine flächendeckende Filigran Verzierung aufnehmen. Den Höhepunkt dieser Entwicklung erreichte man im späten 2. Jh., als gestanzte Silberbleche mit Schnur- und Flechtmuster auf die Fibelbügel gelötet wurden (Taf. 41). Während die übrigen Motive sich eng an die Fibelform banden, lag in diesen Zierblechen eine eigenständige künstlerische Aussage neben der Fibel als Schmuckträger. Auch die übrige Ausschmückung
47
Die einheimische N a c h a h m u n g eines römischen Silberbechers, der sich wie das Vorbild in den sogenannten Fürstengräbern bei Lubieszewo, K r . Gryfice, fand, spricht für eine Herstellung in unmittelbarer N ä h e dieses Ortes (H. J. Eggers 1964, S. i 7 f f . ) .
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Abb. 96. Entwicklungsschema einiger Fibeltypen in ihrer Abhängigkeit von den einheimischen und provinzialrömischen Ausgangsformen. 1 : 3 .
durch gravierte Perlstreifen, eingeschlagene Dreiecke und Kreisaugen kommen aus einer geometrischen Formenwelt (W. v. Jenny 1938 und 1940; H. J . Eggers 1964, S. 5ff.). Der traditionelle offene Nadelhalter wurde nun geschlossen. Aus dem Keltischen übernahm man zunächst gegitterte und kreisförmige Durchbrüche und man ging dazu über, den vollen Nadelhalter zuweilen mit Tremolierstich (Taf. 41) zu verzieren. Die dekorative Gestaltung der Fibel brachte im 1. und 2. Jh. etwa 150 Typen und
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Varianten hervor, die für kulturelle und zeitliche Untersuchungen „Leitfossilien" darstellen.48 Stark traditionell bestimmt sind sogenannte bronzene Armbrustfibeln mit breitem Bügel (Abb. 97), die man besonders im unteren Elbegebiet antrifft. P I
Abb. 97. Charakteristische Fibeln des frühen 1. Jh. Im unteren Elbegebiet bevorzugte man in der Tracht Armbrustfibeln mit breitem Fuß (aHeidekamp, Kr. Stormarn) während Augenfibeln (b Neubrandenburg) offenbar auf römischen Ursprung zurückgehen; 1:2 (b Mus. Neubrandenburg; a nach Th. Voigt 1964a, Abb. 1 1 1 a — b).
Eine der beliebtesten Schmuckformen bildete die „Rollenkappenfibel", deren Ausbildung auf keltische Einflüsse und einheimische Traditionen zurückgeht. So besitzen die Fibeln noch ein geschweiftes Profil und zunächst eine schmale Spiralkonstruktion, die durch die namengebenden lappenförmigen Kappen überdeckt wird (Abb. 111b). Anfangs überwiegen einfache eiserne Fibeln in schlichter Ausführung. Aber schon die bronzenen Exemplare kontrastieren durch eine sorgfältige Formgebung und reiche Verzierung mit Perlstreifen, Kreisen und Dreiecken. Silberne Fibeln sind mit einer Filigran Verzierung aus gezwirntem Golddraht auf den Rollenkappen und Bügelscheiben belegt und weisen eingestempelte goldplattierte Kreisaugen auf. Sie gehörten sicher zur Adelstracht. Während im Elbegebiet ein an der Rollenkappe erkenntlicher sogenannter Sehnenhaken als Konstruktionselement (Abb. 111b) auftritt, läuft im Oder-Weichsel-Gebiet die Sehne in einer Hülse (Abb. 96 i). Eine besonders herausragende Form stellt die sogenannte Augenfibel dar (Abb. 97). A m Kopfende des Bügels sind zwei „Augen" angebracht, die als Löcher, Schlitze oder eingestempelte Doppelkreise erscheinen können und offensichtlich apotropäischen Sinngehalt hatten. Eine andere Fibelgruppe zeichnet sich durch eine reiche Profilierung des Körpers aus. Diese Fibeln tragen an der Bügelmitte und am Bügelende Knöpfe oder Scheiben und sind mit Filigran und Granulation verziert (Taf. 41). Ihre Untergliederung richtet sich sehr oft nach der Gestaltung ihres Bügelhalses. Er kann „trompeten-" oder sackförmig, 48
Allgemeines zu den Fibeln: O. Almgren 1923; H. Preidel 1928, S. 79ff.; H. Schubart 1955a, S. 106ff.; H. Drescher 1957, S. 8off.; A. K . Ambros 1966, S. i f f . ; J. Garbsch 1965; K . Wilhelmi 1967; K. Motyková-Sneidrová 1963, S. 103ff. u. 1967; I. PeSkar 1972. — Zu den einzelnen Fibelgruppen: U. Fischer 1966, S. 229ff.; H.-J. Hundt 1964, S. ió2ff.; R. Jamka 1964, S. 7ff.; G. Kossack 1962, S. i25ff.; Th. Voigt 1964a, S. i75ff.
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scharf abgeschnitten oder mit einem Knopf bzw. Kamm versehen sein. Diese Schmuckformen zählen zu den geschmackvollsten dieser Zeit. Im 2. Jh. gab man die Profilierung auf und begann, breite „blech"artige Exemplare zu bevorzugen, sogenannte Dreisprossen-, Kopfkamm-, Knie- und Deckplattenfibeln (Taf. 41, Abb. 96 c — d i , k—1). Indem weiteren metallenen Trachtzubehör sind gleiche stilistische Entwicklungen erkennbar, wobei an die Stelle der aufgegebenen Profilierungen eine Verbreiterung der Gegenstände tritt. Ein weiteres Stilkennzeichen bildete das der antiken Kunst entlehnte S-förmige Karniesprofil, das sich fließend aus einem konvexen und konkaven Teil zusammensetzt. Die ältere Ausführung ist lang und birnenförmig, später — besonders im 2. Jh. — erschienen zusammengedrückte Formen mit schärferen Konturen. Am deutlichsten ist das Karniesprofil an Schnallen und zugehörigen Riemenplatten zu erkennen. Die zunächst immer großen repräsentativen Schnallen wurden von den germanischen Herstellern technisch vereinfacht, kleiner und oft in Eisen nachgestaltet. Die aus Bronze und Silber gefertigten Nadeln tragen einen oft reich profilierten Kopf (Taf. 36 a—e), der sich aus einer Vielzahl kleinerer gerundeter Scheiben und Wülste sowie einem vasenförmigen Mittelteil zusammensetzt (B. Beckmann 1966, S. 5ff.). Im 2. Jh. gestaltete man das Mittelteil um und gab ihm eckige Konturen, wobei die Wülste zu schmalen Scheiben zusammengedrückt wurden (Taf. 36 c). Zu den gelungensten Schmuckformen gehören die Erzeugnisse einer sich entwickelnden Gold- und Silberschmiedekunst. Offenbar kamen dazu auch stärkere Anregungen aus dem dakisch-thrakischen Raum (Rumänien) und dem nördlichen Schwarzmeergebiet, die ihrerseits griechischem Kultureinfluß unterlagen (E. Nylen 1970, S. 75 ff. und 1972, S. i8off.). So übernahmen die nordgermanischen Stämme unmittelbar vor dem Beginn u. Z. die Technik der Edelmetallbearbeitung und wendeten im 1. Jh. v. u. Z. Stilelemente und Verzierungstechniken (Filigran und Flechtwerk) an, die allerdings erst im 1. und 2. Jh. zusammen mit dem Punzieren und Granulieren besonders im westlichen Ostseegebiet zur Blüte gelangten (Abb. 98) ,49 Die Metallornamentierung setzte sich aus ähnlichen geometrischen Mustern in einer zonenartigen Gliederung zusammen, wie man sie aus dem Keramikdekor kennt. Silbervergoldete Beschläge mit einer Auflage aus Flechtbändern, Perldrähten und Ziernieten zierten Gürtel und wohl auch Schuhe Adliger, deren Gräber man z. B. bei Hagenow und Marwedel, Kr. Lüchow-Dannenberg, fand (Taf. 48).50
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Zu den ältesten Goldfunden gehören vier Goldberlocken aus Gotland sowie ein weiterer aus Västergötland (E. N y l 6 n 1955, S. 507f. u. 1970, S. 75ff.). Sie gehören m i t großer W a h r scheinlichkeit d e m 1. Jh. v . u. Z. an. Bereits aus den ersten Jahrzehnten u. Z. s t a m m t ein mit filigranverzierten Goldperlen ausgestattetes reiches Mädchengrab v o n B o auf ö l a n d (U. E . H a g b e r g 1968, S. 52ff.). — D a s A u f t r e t e n v o n Kugelberlocken in der spätkeltischen K u l t u r legt die vermittelnde Stellung der K e l t e n nahe (K. R a d d a t z 1957, S. 138t.; ähnlich auch O. Klindt-Jensen 1950, S. 30).
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Zu den Beschlägen v o n H a g e n o w : R . B e l t z 1910; E . Schuldt 1961, T a f . 32; zu den B e schlägen v o n Marwedel: F . Krüger 1928; G . Körner 1952, S. 3 4 f f . — N a c h der F u n d l a g e in Marwedel und eines Grabes aus Putensen, K r . Harburg, können die rosettenartigen Beschläge an den Lederriemen zur B e f e s t i g u n g der Sporen angebracht (W. W e g e w i t z 1972, S. 84).
gewesen
sein
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Eine besondere künstlerische Gestaltung zeigen die getriebenen birnenförmigen Berlocken, die als Anhänger (Tai. 46) oder als Nadelköpfe dienten (A. v. Müller 1956, S. 93ff. und 1959, S. 98ff.). Kleine Kunstwerke entstanden aus der Anwendung von flächendeckender Filigranverzierung und Pyramiden- oder Traubengranulation. Einzelne Gold- oder Silberanhänger gehörten zu geflochtenen Edelmetallketten, wie man sie vom provinzialrömischen Bereich her kannte (H. Potratz 1956, S. 77ff.; T. Capelle 1971).
A b b . 98. Verbreitung der Goldschmiedearbeiten im 1. und 2. Jh. 1 einzelner Goldfund, 2 mehrere Goldfunde, 3 gehäuftes Vorkommen von Goldfunden (bes. nach E . Nyl6n 1970a, A b b . Seite 93; für das Elbe-Odergebiet ergänzt).
Der provinzialrömischen Kultur verdankt auch die Form der bronzenen Kapsel (Taf. 40a—b) und eisernen Eimerberlocks (Taf. 40c) ihre Herkunft. Diese Anhänger bildeten mit römischen Glasperlen (seltener Ton- und Bernsteinperlen) einen beliebten Halsschmuck (W. Heiligendorff 1959, S. 42ff.). Als Kettenverschlüsse dienten S-förmige Schließhaken aus Bronze, Silber und Gold mit profilierten Enden (Taf. 39b—d). Die kostbaren Exemplare fielen durch eine Granulation und Filigranverzierung auf. Auch einige Ringformen übernahmen die Germanen aus der keltischen und römischen Kultur (Ch. Beckmann 1969, S. 5ff.). Mehrfach gewundene römische Schlangenarmringe gelten als Vorbilder der germanischen Schlangenkopfringe (H. J. Eggers 1964, S. 45). Bei den im Elbgebiet üblichen Formen finden sich spitzauslaufende Köpfe und zuweilen plastisch herausgearbeitete Augen (Taf. 47). Der flachgehämmerte Ring ist u. a. mit einem Zickzackband im Tremolierstich bedeckt, das die Bänderung des Schlangenleibes wiedergibt. Runde Köpfe und ein reliefartiges Wellenband in der Mitte des Ringes kommen bei den Formen des Oder-Wechsel-Gebietes vor (Taf. 49 a). Daneben gab es einfache Halsringe aus Edelmetall und einfache bronzene Reifen mit verstellbarer Größe (Taf. 39 a). Von einer bildenden Kunst haben wir nur wenige Zeugnisse. Das Fehlen einer
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Skulpturtechnik stand einer bildhaften Darstellung entgegen. Man beschränkte sich im anthropomorphen Schaffen auf die Gestaltung hölzerner Götter- und Idolfiguren (Taf. 53 a). Bei einer im Opfermoor von Oberdorla, Kr. Mühlhausen, geborgenen Kultfigur (Beginn u. Z.) fällt eine primitive Kopfgestaltung auf, bei der nur eine Kerbe den Mund andeutet, während Augen und Nase völlig fehlen. Auch der übrige Körper von mindestens 1,04 m Länge ist völlig unbearbeitet. Dagegen weisen die im 3. Jh. geschnitzten Idole von Oberdorla und Possendorf, Kr. Weimar, (Taf. 52 b) eine sorgfältigere Gestaltung auf, die aber gleichfalls auf eine naturalistische Wiedergabe verzichtet.51 Auch bei den Germanen war es nicht üblich, die Gottheit porträthaft darzustellen (Tacitus, Germ. 9; F. Schlette 1972, S. 187). Einfache Gestaltung kennzeichnet auch zwei kleine Tonköpfe von Hodorf (Abb. 99), Kr. Steinburg (K. Kersten 1939, S. 135). Auf einigen Gefäßen im unteren Elbgebiet sind die Henkelattaschen zu mensch-
Abb. 99. Tönerne Plastik eines menschlichen Kopfes aus einer Siedlung des 2.¡3. J h . bei Hodorf, K r . Steinburg ( B R D ) ; 1 : 2 (nach K . Kersten 1 9 3 9 , Abb. 1 4 8 ) .
lichen Händen, ähnlich der Possendorfer Figur (Taf. 52 b), in Adorationshaltung geformt52, wobei der Henkel der menschlichen Figur entspricht. Im künstlerischen Schaffen stoßen wir auch selten auf eine zoomorphe Darstellungsweise. Bemerkenswert ist daher eine Gruppe von Trinkhörnern, deren Endbeschläge als Rinderköpfe auslaufen. Hierbei verraten die detaillierte Darstellung des Maules mit leicht geöffenten Lippen, eingeritzten linearen Mustern auf Hals und Kopf sowie eingestempelte Punktkreise als Augen genaue Beobachtung und ausgezeichnete Wiedergabe des Gesehenen.53 Diese Trinkhörner halten sich offenbar an keltische Vorbilder (Kultgefäße?) und waren besonders im westlichen Ostseeküstengebiet verbreitet. Sehr selten stößt man auf Ritzungen von Figuren auf Tongefäßen oder Schmuckgegenständen. Das trifft auch auf die einmalige 61
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Hölzerne Götterfiguren: A. Dauber 1950, S. 227ff.; P. Riisirwller 1952, S. n g f f . ; G. B e h m - B l a n c k e 1 9 5 7 , S . i 2 g f f . u. 1 9 5 8 b , S . 2 6 4 f f .
Wegewitz 1964a, Taf. 10 u. 35; 1972, S. 196, Taf. 91, 1 1 0 , 145, Abb. 2 3 ; F. Kuchenbuch 1938, Taf. 11,4. Auffallend ist die stilistische Übereinstimmung mit der Kleinplastik der Hallstattzeit, was man formal mit einem „Stilkonservatismus" erklärte (z. B . 0rsnes-Christensen 1949, S. 2 3 i f f . ) . Kugelkrönungen und andere Stilelemente der Rinderhornspitzen weisen jedoch auf spätkeltische Einflüsse hin (F. Tischler 1950, S. 374ff.; O.-F. Gandert 1958, S. 108ff.). Bestimmte Formen des Opus interrasile an den Mündungsbeschlägen von Trinkhörnern gehen außerdem auf römische Pferdegeschirre zurück (J. Werner 1952b, S. 423ff.).
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Darstellung eines gezäumten Pferdes in Rollrädchentechnik auf einem Gefäß aus Hohenferchesar, Kr. Brandenburg, zu (Taf. 58) ,54 Etwa in die gleiche Zeit fällt die Eingravierung zweier stark stilisierter Tiere auf dem reich ornamentierten, kerbschnittverzierten Kamm aus Varbelvitz, Kr. Rügen (Taf. 38 a). So fehlen Ansätze für die später den germanischen Kunststil bestimmende Tierornamentik noch gänzüch. Erst im 3. Jh. regten u. a. die Motive von Jagdszenen und Zirkusspielen auf römischen Eimern neben der größeren Nachfrage nach wertvollen Silber- und Goldschmiedearbeiten, zu figürlichen Darstellungen an. 55 Daß Schilde mit leuchtenden Farben bemalt wurden, wissen wir von Tacitus (Germ. 6). Offenbar handelt es sich um Kennzeichen einzelner Stämme und Sippen. Als Schildfarben lassen sich weiß, schwarz, rot und blau nachweisen. Die Stammesgeschichte überlieferte man in mündlichen Berichten und gedachte in Liedern der Taten berühmter Helden, z. B. des Arminius (Tacitus, Germ. 3; Ann. 2, 88; O. L. Jiriczek 1974, S. H3ff.). So war die Abstammungssage der sogenannten Mannusstämme als Merkgedicht im Stabreim gebunden. Über Musik und Tanz ist nur wenig überliefert. So berichtet Tacitus: „Außerdem haben sie eine Art Lieder, durch deren Vortrag — sie nennen ihn Barditus — sie sich zum Kampfe Mut machen . . . Hauptsächlich kommt es ihnen auf Rauheit des Tones und auf dumpf dröhnenden Widerhall an. Deshalb halten sie ihre Schilde vor den Mund. So hallt der Ton in der Wölbung wider und schwillt zu größerer Fülle und Wucht an'' (Germ. 3). Derartige Gemeinschaftsgesänge in den Nächten vor Beginn einer Schlacht erschienen den oft niedergeschlagenen römischen Truppen als unharmonisch und wild (Tacitus, Hist. 5, 15). Eine Art von Waffentanz wird für die Ambronen überliefert. Diese riefen vor Kampfbeginn ihren Stammesnamen, schlugen im Takt die Waffen zusammen und hielten gleichen Schritt (Plutarch, Marius 19). Mit einem ähnlichen Kriegstanz eröffneten im Jahre 70 die unter dem Bataver Civilis angetretenen Germanen eine Schlacht gegen die Römer (s. S. 28off.). Sie schlugen die Waffen zusammen und vollführten einen „dreischrittigen Kriegstanz" (Tacitus, Hist. 5, 17). Bekannter ist der Bericht des Tacitus über einen Schwertertanz der Jünglinge: „Nackt stürzen sich Jünglinge, denen das Vergnügen macht, im Sprunge zwischen Schwerter und feindlich drohende Framen. Die Übung hat Gewandheit, die Gewandheit Anstand erzeugt, doch nicht um Gewinn oder Lohn: so gewagt auch der Mutwille ist, es belohnt ihn nur das Vergnügen der Zuschauer" (Germ. 24; K . Meschke 1931; K . Beck 1968, S. iff.). /) Kult und Ideologie Zur Religion in den Jahrhunderten um den Beginn u. Z. liegen nun auch Überlieferungen griechischer und römischer Schriftsteller vor. Vom älteren Zeitabschnitt berichten vor allem Plutarchos und Strabon, Cäsar und Orosius, über den jüngeren Tacitus. Letzterem verdanken wir mehrere Nachrichten über Naturheiligtümer, die im religiösen Leben der Germanen eine wichtige Rolle gespielt haben. Als Haine männlicher Gottheiten (Stam54
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Ein Tierfries, der eine Jagdszene darstellt, auf einem Gefäß von Kraghede bei Hj0rring in Jütland gehört dem 1. Jh. v. u. Z. an und deutet auf keltische Vorbilder (O. KlindtJensen 1950, S. 1 5 7 ! ) . Eine Pferdedarstellung der gleichen Zeit ist auf einer Tonscherbe aus Pfikazy bei Olomouc (Mähren) erhalten (R. M. Perniöka 1966, Taf. 19, 11). J. Werner 1941 u. 1966; O.-F. Gandert 1958, S. io8ff.
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mes-Heiligtümer) werden allein solche des „Allherrschenden" (Regnator omnium deus) bei den Semnonen und dem Kultverband der Sueben (Tacitus, Germ. 39; s. S. 218), des „Hercules" im Wesergebiet (Tacitus, Ann. 1, 55—71) und der „Alcis" bei den Nahanarvalen (Tacitus, Germ. 43) überliefert. Von den in Hainen gelegenen Stammesheiligtümern weiblicher Gottheiten werden die der Nerthus (Tacitus, Germ. 40) und der Baduhenna (Tacitus, Ann. 4, 71—74) erwähnt. In der Mitteilung von Tacitus (Ann. 1, 51) über die Zerstörung des bei den Marsern berühmten Heiligtums der Göttin Tamfana durch die Römer unter Germanicus im Jahre 4 u. Z. wird zwar kein Hain genannt, man darf ihn aber hier auch vermuten. Von besonderem Wert ist eine Überlieferung, die indirekt auf bedeutende Quell- und Flußheiligtümer im Bereich der sakralen Stammesgrenzen hinweist (Tacitus, Hist. 13, 53—57). So kämpften die Hermunduren und Chatten im Jahre 58 hart um einen salzhaltigen „heiligen" Grenzfluß. Salzquellen, welche die „Huld der Götter" offenbarten, waren dem Himmel nahe. Gerade dort würden die Götter die Gebete der Menschen aus nächster Nähe hören. Aus diesen antiken Berichten ergeben sich folgende Kennzeichen und Funktionen der heiligen Haine als Stammesheiligtümer: Im Hain wurde das Idol der Gottheit aufgestellt,56 es wurden hier Altäre errichtet,57 Menschenopfer dargebracht,68 heilige Gegenstände59 als Kriegsbeute80 aufbewahrt, er war eine Versammlungsstätte,61 wo 56
Die Schilderung des Nerthuskultes von Tacitus (Germ. 40) erlaubt es, die Anwesenheit eines Idols im heiligen Hain anzunehmen, obwohl er betont, es widerspreche der germanischen Anschauung von der Größe des Himmlischen, die Götter menschlich darzustellen. Sie würden auch nicht „in Wände eingeschlossen", sonach gab es nur geweihte Haine und Wälder, die den Namen der dort verehrten Gottheit trugen. 57 Nahe beim Schauplatz der Varusschlacht sollen die Germanen in Waldlichtungen Altäre errichtet haben. Auf ihnen wurden angeblich die Tribunen und Centurionen ersten Grades geopfert (Tacitus, Ann. 1, 55 — 7 1 ; 15 u. Z.). 58 C. Valerius Procillus, ein Vertrauter Cäsars, wurde nach der Niederlage des Ariovist aus der Gefangenschaft befreit und sagte aus, dreimal sei das Los befragt worden, ob er sofort den Feuertod erleiden solle (Caesar, Bell. Gall. 1, 30 — 35; um 60 v. u. Z.). Über das für den „Regnator omnium deus" im suebischen Zentralheiligtum der Semnonen dargebrachte Menschenopfer erfahren wir nur, daß es die Feier des „grauenhaften barbarischen Festes" einleitete (Tacitus, Germ. 39). Die „Sklaven", die den Kultwagen und das Idol der Nerthus im verborgenen See wuschen, „verschlang der See" — sie wurden offenbar ertränkt (Tacitus, Germ. 40). 59 Den Prozessionswagen der Nerthus zogen Rinder (Tacitus, Germ. 40). Die Schimmel, die vor ein anderes, zum Orakeln benutztes Gefährt gespannt wurden, hielt man in heiligen Hainen und Wäldern (Tacitus, Germ. 10). In der Schilderung des Bataver-Aufstandes der Jahre 69 bis 70 heißt es, die Germanen hätten vor dem Kampf „Nachbildungen" wilder Tiere aus ihren Hainen geholt (Tacitus, Hist. 4, 12—37). I n der Germania (7) erwähnt Tacitus Bilder und Zeichen, die in den Hainen aufbewahrt würden und die Kriegerin die Schlacht begleiteten. Es handelte sich dabei um Standarten. Von römischen Darstellungen kennen wir Eber- und Schlangenstandarten. 60 In ihren Hainen hängten die Germanen die erbeuteten römischen Feldzeichen zu Ehren der dort verehrten Götter auf (Tacitus, Ann. 1, 55 — 71, 15 u. Z.). 61 Die Krieger der mit den Cheruskern verbündeten Stämme trafen sich vor dem Kampf nachts im heiligen Hain des „Hercules" und beschlossen dort einen Sturm auf das römische Lager (Tacitus, Ann. 1, 55 — 71).
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wichtige Stammesangelegenheiten beraten und durch Eid beschlossen wurden,62 und es fanden dort Feste sakraler Bedeutung statt. 63 Durch die Zerstörung des Heiligtums sollte der Feind aus religiösen Gründen zur Aufgabe des Kampfes gezwungen werden. Das Heiligtum der Tamfana wurde z. B. ohne Gegenwehr vernichtet; beim Hain der Baduhenna fielen dagegen 900 Römer (Tacitus, Ann. 4, 72—74). Da die Germanen die Kriegsgottheit auch an den Stätten ihres Sieges durch Opfer ehrten, ist der vorstehend erwähnte Zusammenhang auch hier gegeben (Orosius 5 , 1 6 , 1 — 7 ) . Kimbern und Teutonen vernichteten 105 v. u. Z. in Erfüllung eines unbekannten und ungewöhnlichen Schwures die gesamte Beute.64 Auch vor der Schlacht zwischen Hermunduren und Chatten um den Salzfluß hatten beide Parteien geschworen, das unterlegene Heer dem Mars (Wodan) und dem Merkur (Tiwaz) zu weihen (Tacitus, Ann. 13, 53—57).65 Nach den Vorstellungen stand den Kriegern ein Gott zur Seite (Tacitus, Germ. 11). Zur sakralen Sphäre des Krieges gehörten der Kriegstanz,66 die Keilordnung des Kriegeraufgebotes (s. S. 342), die Folgen eines unehrenhaften Verlustes des Schildes (Germ. 6) und der Schlachtgesang „barditus" (s. S. 351). Weiterhin kennzeichneten Gelübde und Männerbünde diese sakrale Sphäre des Krieges. Chattische Jünglinge ließen Haar und Bart als „geweihte Tracht des Hauptes" erst dann abschneiden, wenn sei einen Feind getötet hatten (Tacitus, Germ. 31). Die Tapfersten bekräftigten dieses Gelübde noch, indem sie einen eisernen Ring als „Symbol der Bindung" trugen, den viele auch nach dem Sieg nicht ablegten (Germ. 31). Besonders deutlich treten dämonische und chthonische Züge beim Kriegsaufgebot der „Harier" hervor, einer Kriegergemeinschaft, die sich offenbar mit Wodan verbunden glaubte.67 Der sakral gebundene Eid der Germanen im Kriegs- und Rechtswesen und der Schwur der antiken Völker88 scheinen sich in einigen entscheidenden Punkten geähnelt zu haben. So üeßen die Kimbern die Besatzung eines römischen Kastells an der Etsch wegen ihrer tapferen Haltung unbehelligt abziehen; sie schlössen aber einen Vertrag 62
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Julius Civilis lud im Bataver-Aufstand die Edlen und besten Männer aus dem Volk zu einem „Gastmahl" in einen heiligen Hain. Hier gewann er sie für einen Krieg gegen die Römer. Die Männer wurden „nach barbarischem Brauch und unter altherkömmlichen Verwünschungen" im Hain vereidigt (Tacitus, Hist. 4, 12 — 37). Auch im Zusammenhang mit der Zerstörung des marsischen Tamfana-Heiligtums wurden Festlichkeiten und Gelage erwähnt. Die Gewänder der 80 000 Gefallenen wurden zerrissen und in den Kot getreten, Gold und Silber in den Fluß geworfen, die Panzer der Römer zerhauen, der Schmuck der Pferde zerstört, die Pferde in den Strudeln des Stromes ertränkt und die Menschen mit Stricken um den Hals an den Bäumen aufgehängt (Orosius, Hist. 5, 16, 1 — 7). Helm (1946) zieht auf Grund der Textstelle in Erwägung, ob die Chatten die Kriegsbeute dem Wodan, die Hermunduren dem Tiwaz weihten. Tacitus, Hist. 5, 14 — 26; Plutarchos, Marius 19; Tacitus, Germ. 24. Ihre Schilde seien schwarz gefärbt, ihre Körper bemalt. Durch das „grauenvolle Dunkel ihres Totenheeres" und durch den „ungewohnten höllischen Anblick" versetzten sie den Feind in Schrecken (Tacitus, Germ. 43). Man rief einen Gott oder mehrere Götter als Zeugen an und als Rächer für einen Eidbruch oder Meineid. Ein beim Eid geopfertes Tier galt als fluchbeladen und wurde daher nicht verzehrt. Ein falscher Schwur beim Opfer rief den Zorn der angerufenen Götter hervor. Germanen — Bd. 1
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mit ihr, der bei einem Stier beschworen wurde (Plutarchos, Marius 22). Der quadische Fürst Vitrodorus, Agilimund sowie andere Adlige und Anführer verschiedener Stämme schworen den Römern Treue mit gezückten Schwertern, „die sie wie Götter verehren" (Ammianus Marcellinus 17, 12, allerdings eine Nachricht für das 4. Jh.). Julius Civilis verpflichtete die im heiligen Hain anwesenden Männer durch einen von „altherkömmlicher Verwünschung" begleiteten Schwur zum Krieg gegen die Römer (Tacitus, Hist. 4, 12—37). Von Tacitus wird uns auch ein „heiliger" Fluch des Amsivariers Boiocalus gegen die römische Willkür überliefert (Ann. 13, 55—56). Diese Verwünschung entspricht offenbar einem bei den Himmelskörpern geschworenen germanischen Eid. Priester, Priesterinnen und Seherinnen spielten in der religiösen Welt der Germanen eine bedeutende Rolle. Als „Hauspriester" betätigte sich der Familienvater beim Losorakel (Tacitus, Germ. 10). Die Priester, die bei der Volksversammlung eine öffentliche Funktion ausübten, werden wahrscheinlich nach der Bedeutung des Dingplatzes (s. hierzu Tacitus, Germ. 12) verschiedene Rangstufen eingenommen haben.69 Priester hatten z. B. auf dem Ding Befehlsgewalt, auch das Recht der Bestrafung stand ihnen zu (Germ. 11). So war es in Kriegszeiten nur dem Priester, nicht aber einem anderen Anführer erlaubt, jemanden hinrichten, fesseln oder auspeitschen zu lassen, „gleichsam auf Befehl der Gottheit, an deren hilfreiche Anwesenheit im Kampfe sie glauben" (Tacitus, Germ. 7). Der „sacerdos civitatis" nahm offenbar die Kulthandlungen im Namen der gesamten „civitas" als „rex sacrorum" vor.70 Ein Priester ist jeweils für das Nerthus- und das Alcisheiligtum überliefert. Die „weibliche Kleidung" (muliebris ornatus) des Alcis-Priesters wird als Phänomen des Transvestismus und als Nachklang des weiblichen Schamanentums gedeutet (S. A. Tokarew 1968, S. 286). Vorzeichen und Loswerfen waren bei Germanen und auch Galliern wichtige Voraussetzungen sowohl für das private wie für das offizielle Orakel. Beim primitiven Staborakel betete der Familienvater als „Hauspriester" zu den Göttern. Die Losstäbe waren aus dem Zweig eines fruchttragenden Baumes, und trugen eingeritzte Zeichen, die verschiedene Aussagen ermöglichten (Tacitus, Germ. 10). 71 Als Vorsteher eines Gau- oder Stammesheiligtums („sacerdos civitatis") handhabte der Priester das offizielle Losorakel in Friedenszeiten in gleicher Weise wie der Familienvater. Den Pferden schrieb man göttliches Wissen zu. Angeblich offenbarte es sich in ihrem Wiehern und Schnauben (Tacitus, Germ. 10), das außer von den „Dienern der Götter" von der Bevölkerung als Vorzeichen sorgfältig beobachtet wurde. Schimmel, die durch keinerlei Arbeit im Dienst der Menschen entweiht sein durften, hielt man in heiligen
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Weitere Quellenbelege fehlen. Anscheinend bestand jedoch bei den Germanen keine so ausgesprochene Priester-Hierarchie, wie sie durch die keltischen Druiden errichtet worden war. Wahrscheinlich war der von Germanicus als Repräsentant des besiegten chattischen Volkes im Triumphzug durch Rom geführte Priester Libes ein solcher „rex sacrorum" (Strabon, Geographica 6, 1,4). Fiel die Antwort günstig aus, wurde durch andere Vorzeichen, die sich z. B . aus den Stimmen und der Flugrichtung der Vögel ergaben, eine Bestätigung gesucht. War die Antwort negativ, so verzichtete man auf eine Fortsetzung des Losorakels.
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Hainen und Wäldern. Sie zogen heilige Wagen, die Priester und das Oberhaupt der Gemeinschaft begleiteten. 72 Ob man in eine Schlacht ziehen sollte oder nicht, bestimmte bzw. beeinflußte nach Cäsar (Bell. Gall. 1,30—54) der Orakelspruch der „Familienmütter". Wie eine bevorstehende schwere Schlacht ausgehen würde, erforschten die Germanen dadurch, daß sie einen Kriegsgefangenen mit einem ihrer auserlesenen Männer kämpfen ließen, jeden „mit den Waffen seiner Heimat" (Tacitus, Germ. 10). Blut- und sogenannte Eingeweideorakel in Verbindung mit Menschenopfern sind von den Kimbern bezeugt (Strabon, Geographica 7, 294). Priesterinnen gingen barhäuptig, mit einem Schwert in der Hand, in das Lager der Kriegsgefangenen, bekränzten die für das Opfer Vorgesehenen, führten sie zu einem ehernen Mischkessel und weissagten aus dem in diesen Kessel strömenden Blut der getöteten Gefangenen. Andere wiederum weissagten aus den Eingeweiden der Toten. 7 3 Der Glaube an die seherische Gabe bewirkte eine göttliche Verehrung einiger Schicksalsverkünderinnen und deren bedeutenden Einfluß auf die Politik. Die berühmteste Seherin war wohl Veleda aus dem Stamm der Brukterer. Sie bewohnte einen Turm, und die an sie gerichteten Fragen und ihre Antworten übermittelte ein von ihr dazu bevollmächtigter Verwandter „wie ein Dolmetscher einer Gottheit". 7 4 Ihr Wort galt bei Verträgen und bei Entscheidungen über Krieg und Frieden (Tacitus, Hist. 4, 5 4 - 7 9 ! 5, 1 4 - 2 6 ; s. S. 397). Nur einmal erwähnt die Überlieferung einen Seher, den der römischer Kaiser Domitian aus Germanien an seinen Hof kommen ließ. Dieser Seher wurde vom Kaiser zum Tode verurteilt, weil er, wegen eines Blitzschlages befragt, einen „Umschwung der Dinge" prophezeit hatte. Domitian soll am gleichen Tage der Weissagung gestorben sein (Suetonius, Domitian 16). Die antiken Überlieferungen lassen neben vielen wichtigen, wertvollen Einzelheiten andererseits auch deutliche Lücken im Wissen über Kult und Religion bei den germanischen Stämmen erkennen. Wir erfahren von mehreren heiligen Hainen und im Falle des Marser-Heiligtums von einer „Zerstörung" durch die Römer. Es muß also dort etwas gegeben haben, was zerstörbar war; vielleicht ein Idol, einen Sakralbau oder gar nur Einhegungen. Über die kleinen Heiligtümer der Siedlungen und über die dort verehrten Mächte haben Tacitus und auch andere Geschichtsschreiber der Antike ebenfalls keine näheren 72
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Weiße Tiere waren für eine zölare, schwarze für eine chthonische Gottheit bestimmt. Diese Farbsymbolik wandten die Germanen auch anderweitig an. Die Frauen der geschlagenen Kimbern legten z. B. schwarze Gewänder an, bevor sie die fliehenden Krieger ihrer Sippe, ihre Kinder und sich selbst töteten (Plutarchos, Marius 1 1 — 2 7 ) d i e Mitglieder des Kriegerbundes der Harier färbten sich und ihre Schilde schwarz, um ihre Verbindung zur Totenwelt und zum dämonischen Totenheer zu bekunden. Durch diese Schau sollte vor einer Schlacht der Ausgang vorausgesagt werden und das Töten eines Gefangenen stellvertretend für alle Gegner sein. Das Menschenblut-Orakel der Kimbern dürfte den gleichen Sinn gehabt haben. Als Zeichen der Verehrung erhielt sie während des Bataveraufstandes viele kostbare Geschenke (Tacitus, Hist. 4, 54 — 79; 5, 14 — 26). Zu den Seherinnen gehörten auch Albruna (Tacitus, Germ. 8) und Ganna. Diese begleitete den Semnonenkönig Masyos auf einer Reise nach Rom zum Besuch des Kaisers Domitian (Dio Cassius 67, 5, 3).
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Ausführungen gemacht. Man wird wohl von diesen Kultplätzen gehört haben, maß ihnen aber vom Standpunkt des Gegners keine besondere Bedeutung bei. Wir erfahren zwar von Menschenopfern in den Stammesheiligtümern, aber daß es verschiedene Arten solcher Opfer gab, blieb den Römern offenbar verborgen. Von Tieropfern wird nur allgemein gesagt, daß sie Hercules (Donar) und Mars (Tiwaz) gnädig stimmen sollen (Tacitus, Germ. 9). Und was die kriegerischen Männerbünde bei den Germanen betrifft, so läßt uns Tacitus nur durch wenige Andeutungen ihre Existenz ahnen. Merkur (Wodan) war nach antiker Darstellung der am meisten verehrte Gott. Diese Feststellung ist aber nur für Perioden kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Römern und Germanen richtig, nicht für friedliche Zeiten, in denen andere Götter im Mittelpunkt des Kultes standen. Wenn es heißt, Merkur (Wodan) empfange allein Menschenopfer, Mars (Tiwaz) und Hercules (Donar) aber nur gewöhnliche Opfer, dann steht diese Mitteilung im Gegensatz zu einer anderen, nach der die Hermunduren und Chatten ihre Gegner den Göttern Wodan und Tiwaz geweiht hätten. Unter Heranziehung jüngerer religionsgeschichtlicher Überlieferungen des Nordens, der vergleichenden Religionswissenschaft, durch die Auswertung der auf Votivsteinen überlieferten germanischen Götternamen, schließlich durch die Betrachtung einiger bemerkenswerter archäologischer Einzelfunde läßt sich das von den antiken Schriftstellern entworfene Bild der Glaubensvorstellungen erweitern. An guten Ernten und an gesundem Vieh waren alle interessiert, weil die Nahrungsgrundlage eine unabdingbare Voraussetzung für das Leben in den Gemeinschaften war. Der Agrarkult sprach deshalb die gesamte Stammesbevölkerung gleichermaßen stark an. Der Tätigkeits- und Wirkungsbereich des Adels war, soweit er die Agrarsphäre überschritt, sakral „abgesichert". Den Krieg als ein Mittel, auf einem schnelleren Weg zu Reichtum zu gelangen (s. S. 529I), mußte ebenfalls die Gottheit sanktionieren. Nach Tacitus (Germ. 12) stand dem Krieger ein Kriegsgott zur Seite.75 Zu einer Kultgemeinschaft konnten sich die Bewohner des Hauses, die Angehörigen einer oder mehrerer Sippen und auch eines Stammes zusammenschließen. Als Einheiten des Stammes stellten Familie, Sippe und Sippenverband in der Religion, im friedlichen Alltag und im Krieg gewichtige Faktoren dar.76 Das Gemeinschaftsbewußtsein schloß auch die verstorbenen Familienmitglieder mit ein. Man glaubte, in den Nachkommen könnten die Ahnen der Familie zurückkehren; deshalb erhielten die Kinder auch die Namen der Vorfahren. Totenverehrung und religiöse Hinwendung zu den chthonischen Mächten, bei denen die Toten vermeintlich weilten, waren zusammengehörige Teile einer Glaubens Vorstellung. Die Lebenden festigten die Bindung zu den Toten durch Opfergaben und hofften, die mit großer Weisheit ausgestatteten Ahnen würden ihre Blutsverwandten durch Ratschläge und Weissagungen gemeinsam mit den unterirdischen göttlichen Mächten unterstützen. Von den Mächten nahm man an, sie herrschten über Leben und Tod, Werden und Vergehen, und seien daher für die Fruchtbarkeit in der Natur, bei Mensch und Tier verantwortlich. 75
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Die beiden Pole in der germanischen Religion könnten nicht besser symbolisiert sein als durch die uns von Tacitus (Germ. 25) überlieferte Brautkaufgabe des freien Mannes oder Adligen: Zusammengejochte Rinder seien Sinnbild des Friedens; das zum Kampf gezäumte Pferd und die Waffen Sinnbilder des Krieges. Reitergruppen und Fußtruppen wurden nach Familien- und Sippenverbänden aufgestellt (Tacitus, Germ. 7). Die Bindung des Blutes galt den Germanen als heilig (Tacitus, Germ. 20).
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Gemeinsame Glaubensvorstellungen und gemeinschaftliche Kultveranstaltungen selbständiger gesellschaftlicher Einheiten festigten auch das Stammesbewußtsein. Dieses Bewußtsein war so stark ausgeprägt, daß man bei einer Abspaltung von Stämmen vom „Mutterstamm", z. B. der suebischen Stämme von den Semnonen (s. S. 217), das Gemeinschaftsgefühl in einer traditionellen Kultfeier bewahrte (Tacitus, Germ. 39). Zu jeder germanischen Ansiedlung gehörte sehr wahrscheinlich ein „Heiligtum". Die miteinander verwandten Bewohner benachbarter Siedlungen könnten in einem „Bezirksheiligtum" zu gemeinsamen Opferhandlungen zusammengekommen sein. Größere Feiern wurden in den „Gauheiligtümern" und schließlich in den „Stammesheiligtümern" abgehalten.77 Auch das unter göttlichem Schutz stehende ungebotene und gebotene Ding, das wohl in nächster Nähe vom Heiligtum abgehalten worden ist, war wahrscheinlich je nach seiner Bedeutung in Kategorien unterteilt. Stammesversammlungen berief man für die Zeit des zunehmenden Mondes oder des Vollmondes ein, weil diese Tage angeblich für wichtige Entscheidungen die günstigsten waren. Daß der Priester das Ding eröffnete und den Beratungen beiwohnte (Tacitus, Germ. 11) bestätigt den sakralen Charakter einer solchen Zusammenkunft. Die Natur bestimmte nicht nur den Arbeitsrhythmus der Bauern, sondern auch die Termine für die Opferfeste (Säeopfer, Ernteopfer, Dreschopfer). Solche Feste konnten für den Norden nachgewiesen oder sogar rekonstruiert werden.78 Auch diese Feiern richteten sich anscheinend nach Mondphasen, die von alters her den Lunarkalender, insbesondere aber alle kultischen Zusammenkünfte bestimmten (J. de Vries 1956, s. 358 ff.). Uber die entsprechenden Feiern der Festlandgermanen wissen wir dagegen weniger. Sicher ist, daß die Nerthusfeier im Frühling stattfand und daß die Römer im Spätsommer in die Festlichkeiten zu Ehren der Tamfana einbrachen.79 Die Götter unterlagen, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen, Veränderungen, die sich aus der Entwicklung ergaben. Mit der weiblichen Fruchtbarkeitsgottheit, deren Wesensart nach Meinung skandinavischer Forscher neue Aspekte erhält (P. V. Glob 1966, S. 131, 134; 138; J. Brandsted 1962, S. 275f., S. 116), trat am Ende der Bronzezeit im Norden ein Element auf, das später in der germanischen Religion die Wanen kennzeichnet.80 Grob umrissen war dagegen die sog. Asenreligion 77
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Die obzwar junge Gutasaga beschreibt eine solche sicherlich auf eine lange Tradition zurückgehende Staffelung, die sicher nicht nur für die Insel Gotland Gültigkeit hatte. Das höchste Opfer war dort das „Landesopfer"; in jedem Drittel der Insel gab es eine Stätte für das „ G a u o p f e r " sowie viele kleine Plätze für „Bezirksopfer" und „Dorfopfer". Im Herbst — Mitte Oktober; zu Mittwinter — zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar und zu Frühlingsanfang zwischen Mitte März und Mitte April. Die großen Kultfeiern in den Stammesheiligtümern mußten so anberaumt sein, daß sie die landwirtschaftliche Arbeit und die Dorfopferfeste nicht beeinträchtigten. So wurde das große Fest in Uppsala zwischen Januar und Februar gefeiert, und zwar alle neun Jahre. Dagegen traf man sich zum Gauopfer vielleicht alle drei Jahre und zum Opferfest in den Siedlungen alljährlich. Dänische Opferfunde der Bronzezeit lassen in den Perioden I — V I einen auffallenden Wechsel in der Auswahl der Objekte erkennen. In der Periode I wurden nur Gegenstände geopfert, die zum Manne gehörten. Sie treten in der Periode II auf 40% und in den Perioden V und V I auf 2 5 % und 1 0 % zurück, während Opferobjekte der weiblichen Sphäre
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die Religion der Gentilaristokratie und ihres Gefolges; der „König" regierte im Auftrage der höchsten göttlichen Macht (Wodan, Odin oder Ziu/Tyr), und er führte auch in ihrem Auftrage die Krieger in die Schlacht. Dieser sozial bereits herausgehobenen Gesellschaftsschicht standen die Bauern gegenüber. Sie waren die Anhänger der Wanenreligion, deren Inhalt im großen und ganzen der Fruchtbarkeitsgedanke bestimmte. Von der Idee her paßte sich diese Polarität in der germanischen Religion harmonisch der realen Polarität in der Gesellschaft an: der Krieger war als Beschützer, der Bauer als Ernährer der Bevölkerung geachtet. Diese Harmonie wurde aber von der führenden Schicht, dem Adel, durch Aggressivität gestört. 81 Im Mittelpunkt vieler Fruchtbarkeitskulte stand eine Erdgottheit, eine „Mutter Erde", welche die landwirtschaftliche Tätigkeit und das Wirtschaftsleben schlechthin betreuen und beschützen sollte. Religiöse Überlegungen gaben dieser Muttergottheit als Partner einen Himmelsgott zur Seite, der sie befruchtete (K. Goldammer i960, S. 40f., 88—104). Nach den Kultfahrzeugen gibt es zwei miteinander verwandte Göttinnen, die jeweils einen Typ verkörpern; zur einen gehört ein Prozessionswagen, zur anderen ein Kultschiff. Die Nerthus gehörte zum ersten Typ. 82 Für diese „Terra Mater" verlief das Kultfest in mehreren Etappen. Zu Ehren des Festes schloß man alle Waffen ein.83 Im heiligen Hain stand der mit einem Tuch bedeckte Prozessionswagen (s. Taf. 19). Durch Anzeichen, wohl mit dem Wetter und der Vegetation zusammenhängend, kündigte sich dem Priester das Nahen der Göttin an, woraufhin die dem Kult geweihten Rinder vor den Kult wagen gespannt wurden. Nun begleitete der Priester als Diener den Kultwagen mit der Göttin bzw. mit ihrem Idol. Die Prozession berührte bestimmte Orte, die „die Göttin ihrer Ankunft und ihres Besuches würdigt". 84 Da Kultgefährt und Idol nach der Fahrt zu einem heiligen See gebracht und von den „Sklaven" gewaschen wurden, dürfte der See somit zum Heiligtum gehört haben. Der Brauch, das göttliche Bild
auf 75 bis 9 0 % ansteigen. D a v o n der Periode I V an weibliche Bronzefiguren, offenbar sakralen und Amulettcharakters, erscheinen, sieht P. V . Glob (1966, S. 131 ff.) darin einen Zusammenhang
mit
dem sich ständig verstärkenden weiblichen Charakter der
Metallopfergegenstände, die er als Gaben für eine Vorläuferin der Wanengöttin Nerthus anspricht. 81
Deshalb deuten einige Religionswissenschaftler den in jüngeren Quellen beschrieben mythologischen Götterkampf zwischen Asen und Wanen als Widerspiegelung der sozialen Polarität, siehe hierzu u. a. J. de Vries 1956, S. 211, 213.
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E s gibt mehrere etymologisch annehmbare Deutungen ihres Namens, die entweder auf ihre vegetativen Kräfte oder auf ihre Verbindung mit der Unterwelt hinweisen. Wichtig ist, daß ihr Name mit dem des im Norden verehrten männlichen Fruchtbarkeitsgottes NjQrör sprachlich übereinstimmt (s. S. 360).
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Diese symbolische Handlung ist kennzeichnend für den K u l t einer Wanengöttin, die den Frieden hütet. Mehrere Überlieferungen besagen, daß NjQrör und Freyr Frieden sowie vielfältige und reiche Jahreserträge bringen (J. de Vries 1957, S. 174, 177). Das Rind gehörte als Symbol weiblicher Gottheiten z. B. auch zur argivischen Hera und zur Cybele.
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D a zum germanischen Sakralfest auch heilige Mahlzeiten und Umtrünke gehörten, wurden an den Haltepunkten der Prozession sicherlich solche Kulthandlungen abgehalten. Die Feierlichkeiten dürften also mehrere Tage gedauert haben.
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zeremoniell in einen Fluß oder in eine Quelle zu tauchen, begegnet öfters.85 Nach der „lavatio" verschlang der See die Sklaven (Tacitus, Germ. 40). Zum äquivalenten Kreise der Nerthus gehörte wahrscheinlich auch die „Sandraudiga"; sie bescherte Fülle und Reichtum (S. Gutenbrunner 1936, S. 96ff. -1-; J. de Vries 1957, S. 322!) und die „Tamfana" der zwischen Lippe und Ruhr siedelnden Marser. Die von sprachkundlichen Untersuchungen bis in die ersten Jahrhunderte u. Z. zurückverfolgten „Merseburger Zaubersprüche" nennen außer germanischen Göttern des Festlandes, von denen einige aus der nordischen Mythologie bekannt sind und somit als gemeingermanisch bezeichnet werden dürfen, als Schwester der Frija eine Göttin „Volla" (E. Brate 1919, S. 295; F. Genzmer 1949, S. 55ff.). Ihr Name (Fülle) weist sie als eine echte Fruchtbarkeitsgöttin des Nerthus-Kreises aus. Zum kriegerischen Bereich gehörte besonders Baduhenna (die Kampfwütige). Die Aestier, die nach Tacitus den Sueben ähnelten (Germ. 59), die aber nicht mit Sicherheit Germanen waren, verehrten eine „Göttermutter", indem sie Eberbilder trugen, die als göttliche Zeichen angeblich Waffen ersetzten, Schutz in allen Gefahren und Sicherheit inmitten von Feinden boten (Tacitus, Germ. 45).86 Ein Teil der Sueben huldigte einer Göttin, die nach der Interpretatio Romana „Isis" genannt wurde (Tacitus, Germ. 15) und deren Sinnbild ein Boot gewesen sei.87 Sicherlich übersetzte Tacitus den Namen der Göttin nicht nur ihres Schiffssignums wegen mit „Isis". Gewisse Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen in ihrem Wesen und in ihrem Wirkungsbereich werden ihn bewogen haben, die germanische mit der römischen Gottheit, die allen Lebewesen und der Natur reichen Segen schenkte, zu identifizieren.88 Auf der Insel Walcheren hatte man der Göttin Nehalennia 22 Altäre errichtet. Zu ihren Emblemen gehörten außer einem Schiff andere aus dem römischen Isis-Kult bekannte Symbole wie Früchte, Ruder und der Hund (s. J. de Vries 1957, S. 314). In ihrem Kult waren anscheinend germanische und römische Vorstellungen zusammengeflossen. Die Namen verehrter weibücher „Kollektivwesen" bezeugen die ihnen außerhalb 85
Gebadet wurde auch die S t a t u e der Athene. I n Argos und auf Samos fanden ähnliche Reinigungen statt, und auch v o n der Hera werden sie überliefert (Hochzeitsbad?). D a s Idol der römischen M a g n a Mater wurde im Flusse A l m o gewaschen, desgleichen
der
K u l t w a g e n . O b durch die Berührung mit d e m Wasser auch die K r a f t der Fruchtbarkeitsgöttin magisch beeinflußt werden sollte, bleibt offen, ist aber denkbar. 86
Der zeugungskräftige, aber auch kriegerische E b e r als Sinnbild einer mütterlichen G o t t h e i t läßt vielleicht auf eine Vereinigung des weiblichen und des männlichen Prinzips schließen. A u c h F r e y j a ritt auf d e m E b e r ihres Bruders.
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Tacitus bezeichnet es als „liburnica", ein schnelles Schiff, das die in D a l m a t i e n siedelnden Liburner benutzten. D a das Schiffssymbol bei den Sueben fremd anmute, sei nach seiner A n s i c h t die G ö t t i n v o n auswärts zu ihnen gekommen.
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Die archäologischen Untersuchungen des K u l t p l a t z e s v o n Oberdorla haben ein „ S c h i f f s heiligtum" nachgewiesen. Der N a m e
„ N e h a l e n n i a " wird verschieden gedeutet: Freundliche Geberin, Todesgöttin,
G ö t t i n der Schiffahrt, Beistandsgewährende, Totenbergerin. F . K a u f m a n n (1892, 20off.) sieht in ihr die „ I s i s " des Tacitus, H . Jaekel (1892, 289ff.) die H a u p t g ö t t i n der F e s t l a n d germanen. J. de Vries (2, 316) m i ß t ihr nur lokale B e d e u t u n g zu und stellt sie zur ingwäonischen Nerthus, da beiden ein kultischer U m z u g — entweder auf d e m Schiff oder auf dem W a g e n — zukam.
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der Germania libera nach römischem Vorbild errichteten Votivsteine und Weihealtäre. Ihre Beinamen zeigen, daß sie sowohl im K u l t der Familie als auch einer größeren Gemeinschaft eine Rolle spielten (S. Gutenbrunner 1936; J . de Vries 1957, S. 2 9 1 — 2g6.)sa Sowohl die Germanen als auch die Kelten verehrten diese fast immer als drei zusammengehörige Gestalten dargestellten Muttergottheiten, die alten indoeuropäischen Vorstellungen entsprachen. Ihre germanischen Namen deuten zum Teil auf den Tätigkeitsbereich der skandinavischen „disir" und der von Beda bezeugten angelsächsischen „Mütter" (Beda 1 3 ; de J . Vries 1957, S. 296). Körbe mit Früchten, Füllhorn und Wickelkind sind Attribute römischer A r t und verdeutlichen ihre Beziehungen zur Fruchtbarkeit und zur Mutterschaft. Neben diesen Matronen, die sich in der Darstellung von den in Gallien gefundenen nur geringfügig unterscheiden, riefen keltische und germanische Siedler die „Matres" an.90 Den Wirkungsbereich der Matres lassen ihre Beinamen erkennen. In die Gruppe der hilfreichen, segenspendenden Göttinnen gehörten die „ G a b i a e " und die „ A l a g a b i a e " ; die Gastfreundschaft schützten die „ A r v a g a s t a e " ; die ,,Haveae" behüteten die Kinder; Fruchtbarkeit spendeten die mit dem Wasser verbundenen „ V a t v i a e " ; Lebenskraft vermittelten die „ A f l i a e " und die „Alaferhuiae". Tacitus hat uns keinen Partner der Nerthus überliefert, keinen Himmelsgott, der sie befruchtet. Archäologische Funde aus den ersten Jahrhunderten u. Z. bestätigen allerdings einen männlichen Gegenspieler (Phallusgott) der Nerthus-Variante. 91 In den Kultbereich der männlichen Fruchtbarkeitsgottheiten fällt alles, was mit Zeugung und Ernährung, dem Ernteglück zu tun hat. I m übertragenen Sinne auch die Hilfe bei speziellen menschlichen Tätigkeiten. Nj