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German Pages 330 [331] Year 2005
Dietrich Denecke
Wege der Historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung Ausgewählte Beiträge Herausgegeben von Klaus Fehn und Anngret Simms
Geographie Franz Steiner Verlag
Dietrich Denecke Wege der Historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung
Dietrich Denecke
Wege der Historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung Ausgewählte Beiträge
Zum 70. Geburtstag herausgegeben von Klaus Fehn und Anngret Simms
Franz Steiner Verlag 2005
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-515-08680-3
Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2005 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Printservice Decker & Bokor, München Printed in Germany
INHALT Geleitwort Klaus Fehn und Anngret Simms ........................................................................ I.
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Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze 1. Entwicklungen in der deutschen Landeskunde und Kulturlandschaftsforschung ................................................................. 2. Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze der Betrachtung räumlicher Prozesse, Systeme und Beziehungsgefüge ....
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs-und Flurgenese 1. Wüstungsforschung als siedlungsräumliche Prozess- und Regressionsforschung ........................................................................... 2. Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurbegrenzungen sowie im Gelände ausgeprägter Flurrelikte ............
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III. Historische Geographie der Stadt 1. Der geographische Stadtbegriff und die räumlich-funktionale Betrachtungsweise bei Siedlungstypen mit zentraler Bedeutung in Anwendung auf historische Siedlungsepochen .................................... 111 2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung und komplexe geographische Analyse einer Stadt ...................................................... 132 3. Soziale Strukturen im städtischen Raum: Entwicklung der sozialtopographischen Stadtgeschichtsforschung ................................ 152 IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie der historischen Kulturlandschaft 1. Zur Entstehung des Verkehrs ............................................................... 168 2. Altwegerelikte: Methoden und Probleme ihrer Inventarisation und Interpretation ........................................................................................ 190
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Inhalt
V. Der Anwendungsbezug in der Historischen Geographie 1. Frühe Ansätze anwendungsbezogener Landesbeschreibung in der deutschen Geographie (1750–1950) ..................................................... 2. Quellen, Methoden, Fragestellungen und Betrachtungsansätze der anwendungsorientierten geographischen Kulturlandschaftsforschung ................................................................. 3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung im System Denkmalpflege ........................................................................ 4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum: Konzeptionen der Dokumentation und Vermittlung ............................
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Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung Dietrich Denecke ............................................................................................... 297 Über die Grenzen Deutschlands hinweg: Ein Gespräch mit Dietrich Denecke Anngret Simms .................................................................................................. 307 Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen von Dietrich Denecke ............ 319
GELEITWORT In dem vorliegenden Sammelband werden dreizehn grundlegende Beiträge von Dietrich Denecke, einem der führenden Vertreter der Historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung, wiederabgedruckt und in einen systematischen Zusammenhang mit der gegenwärtigen Forschungssituation in Mitteleuropa gestellt. Die Auswahl aus dem umfangreichen Werk des Autors war schwierig. Bei dem beschränkten Umfang des Sammelbandes war es nur möglich, die wichtigsten thematischen Forschungsfelder durch ausgewählte Beiträge repräsentativ vorzustellen. Sehr wertvoll erscheint den Herausgebern die zukunftsorientierte Einordnung der Beiträge in die heutigen wissenschaftlichen Zusammenhänge durch Dietrich Denecke selbst in einem ausführlichen Ausblick mit der Überschrift „Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung“. Hier nennt er, ausgehend von seinen eigenen Forschungsansätzen, weiterführende Problemstellungen, gibt Anregungen für zukünftige Schwerpunkte und kennzeichnet Bereiche, die nach seiner Meinung noch nicht systematisch genug oder in ausreichender regionaler Breite behandelt worden sind. In vielen der abgedruckten Beiträge spielt die Auseinandersetzung mit anderen einschlägigen Publikationen aus dem In- und Ausland eine große Rolle. Die Herausgeber haben auf ein Register verzichtet, da in den ausgewählten Beiträgen es durchweg nicht um die Darstellung von Einzelergebnissen geht, sondern um die breit angelegte Behandlung von wissenschaftlichen Zusammenhängen. Die Gesamtveröffentlichungsliste, die dem Auswahlband beigegeben ist, zeigt eindrucksvoll die zeitliche Breite der Arbeiten. Chronologisch sind alle historischen Epochen von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart vertreten; Schwerpunkte liegen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Bemerkenswert ist der im Laufe der Zeit immer stärkere Anwendungsbezug, der den Autor von der „historisch-geographischen Landesaufnahme“ bis zur „geographischen Kulturlandschaftspflege“ führte, was auch eine intensive Beschäftigung mit Landschaftsmuseen beinhaltete. Unter den Publikationen Deneckes finden sich aber auch zahlreiche Regionalund Lokalstudien vor allem zum niedersächsischen Raum und zur Stadt Göttingen. Diese Beiträge konnten in dem Sammelband wegen der Ausrichtung auf allgemeinere und überregionale Fragestellungen nicht berücksichtigt werden. Diese starke Verbindung Deneckes zur Mikroebene muss bei der Beurteilung seiner Ausführungen zur Meso- und Makroebene immer mitbedacht werden. Der Leitfaden, der sich durch Dietrich Deneckes Forschungswerk zieht, ist der Versuch, die entscheidenden Prozesse in der Herausformung der mitteleuropäischen Kulturlandschaft zu verstehen und diese in detaillierten Fallstudien darzustellen. Besonderes Augenmerk richtete Denecke dabei auf die Altstrassen, die Wüstungen, die städtische Sozialtopographie, den frühen Bergbau und das vor- und protoindustrielle Gewerbe. Sein Hauptinteresse gehörte den historisch-geographischen Pro-
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Geleitwort
zessen, ohne aber die Formen und Strukturen zu vernachlässigen. So hat er systematisch die Wüstungs- und Kolonisationsforschung zu einer historisch-geographischen Prozessforschung weiterentwickelt. Diese Arbeiten waren von dem steten Bemühen um eine stimmige Fachterminologie begleitet. Er hat vor allem in die verworrene Terminologie der frühen Stadtentstehung und der historischen Flurformen zahlreiche klärende Gedanken eingebracht. Denecke betrachtet die Historische Geographie als eine „immer wieder aktualisierte Teildisziplin der geographischen Wissenschaft“. Unter dieses Motto stellte er seine Abschiedsvorlesung am 4. Juli 2000 im Geographischen Institut der Universität Göttingen. Damit machte er deutlich, dass er die Historische Geographie als einen unverzichtbaren Teil der geographischen Wissenschaft ansieht. Dementsprechend bezeichnete Denecke sich auch immer als Geograph und hatte Vorbehalte gegenüber den Vorstellungen von einem selbständigen Fach „Historische Geographie“. Dies verdient vor allem deshalb festgehalten zu werden, da das vom Autor beherrschte Spektrum von den gegenwartsorientierten geographischen Methoden über die historische Archivarbeit bis zur archäologischen Feldforschung reicht. Dietrich Denecke wurde am 9. Juni 1935 in Berlin geboren und erlebte das Kriegsende in der zerstörten Stadt. Von 1946 bis 1951 lebte er in Schleswig-Holstein, bevor sich seine Familie 1951 in Göttingen niederließ. Diese Stadt wurde nicht nur privat, sondern auch akademisch seine Heimat. In Göttingen, wo sein Vater als Bibliotheksrat an der Universitätsbibliothek tätig war, schloss er zunächst seine Schulausbildung mit der 10. Klasse ab, um die mittlere Laufbahn im Bergbau einzuschlagen. Die praktische Ausbildung endete mit der Hauerprüfung. Es folgte die Reifeprüfung nach dem Besuch der Abendschule, was das Studium der Geographie, Germanistik und Vor- und Frühgeschichte in Göttingen, Tübingen und an der Freien Universität Berlin ermöglichte. Im Jahre 1967 wurde Denecke in Göttingen von Hans Poser mit einem Thema über historisch-geographische Wegeforschung promoviert, wobei ihm bei der Feldarbeit sein bei der Bergmannsausbildung gewonnener Praxisbezug sehr zugute kam. Es folgte 1969 das Erste Staatsexamen. In der Folgezeit war der Autor über 30 Jahre am Geographischen Institut der Universität Göttingen tätig. Die wichtigsten Stationen waren dabei die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit 1971, die Habilitation 1987, die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor 1992 und die Pensionierung 2000. Dietrich Denecke ist Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Institutionen im In- und Ausland, wobei es sich durchweg um interdisziplinär orientierte Gremien vor allem im Übergangsbereich zwischen Geographie, Geschichte und Archäologie handelt. Besonders zu nennen ist die Kommission für Landeskunde der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Wichtig für seine Arbeiten sind die vielen Auslandskontakte, die auch zu teilweise längeren Forschungsaufenthalten führten. Besonders intensiv sind die Verbindungen zu Großbritannien, Irland, den USA und Israel, wodurch wichtige Forschungsberichte entstanden. Diese ungewöhnliche Vertrautheit mit den verschiedensten Forschungstraditionen erlaubte es ihm, scheinbar Unvereinbares wie z.B. die Objekt- und Landschaftsbezogenheit der deutschen „klassischen“ historisch-geographischen Forschung und die Prozess- und Mentali-
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tätsforschungen der „modernen“ angelsächsischen Historischen Geographie zusammenzuführen. Denecke hält wenig von dem Bestreben, eine allgemein verbindliche Definition für die Aufgaben der Historischen Geographie festzulegen. Er plädiert vielmehr für eine wachsende Zahl von verschiedenen Historischen Geographien. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes zeigen eindrucksvoll die Bedeutung weitgespannter historisch-geographischer Forschungen in einer zunehmend umweltund kulturlandschaftsbewußt werdenden Zeit auf. Die Aufsatzsammlung beginnt mit einer Würdigung des Historischen Geographen Helmut Jäger durch Dietrich Denecke und auf diese Weise wird an die Historische Geographie in Deutschland in den Jahren zwischen 1950 bis 1970 erinnert, woran Deneckes Arbeiten anknüpfen. Mit diesem Sammelband wollen die beiden Herausgeber einen anerkannten Kollegen und guten Freund zu seinem 70. Geburtstag ehren. Die beiden Herausgeber haben in unterschiedlicher Weise über viele Jahrzehnte mit Dietrich Denecke zusammengearbeitet. Die entscheidende gemeinsame Plattform für Klaus Fehn war der 1974 von ihm federführend gegründete und von 1974 bis 2004 geleitete „Arbeitskreis für genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa“. In diesem interdisziplinären Wissenschaftlerverbund betätigte sich Denecke sehr intensiv als Vorstandsmitglied, als Mitherausgeber der Zeitschrift Siedlungsforschung, als Organisator von Tagungen und vor allem als federführender Betreuer der anspruchsvollen laufenden Bibliographie zur europäischen Siedlungs-, Kulturlandschaft- und Stadtforschung (unter besonderer Berücksichtigung des deutschsprachigen Mitteleuropas) in der Siedlungsforschung (1983 bis 2002). Anngret Simms begegnete Dietrich Denecke erstmals auf dem sechsten Symposium der Permanent European Conference for the Study of the Rural Landscape in Belfast im Jahre 1971. Er wurde ein guter Partner in dem Bemühen, Brücken zwischen der deutschen und der ausländischen, vor allem der englischsprachigen Historischen Geographie zu bauen, worauf in einem Beitrag am Ende dieses Sammelbandes noch ausführlicher hingewiesen wird. Die Herausgeber danken Prof. Dr. Winfried Schenk, dem Inhaber der Professur für Historische Geographie der Universität Bonn, für die Unterstützung des Vorhabens vor allem durch die großzügige Freistellung des Kartographen des Bereichs Historische Geographie, Herrn Stefan Zöldi, für umfangreiche EDV-Arbeiten. Diesem fühlen sich die Herausgeber besonders verpflichtet, da er in beispielhafter Weise die über die Jahre hinweg entstandenen Datengrundlagen betreut hat. Mit gutem Rat haben die Professoren Eckart Ehlers, Helmut Jäger und Eike Gringmuth-Dallmer den Herausgebern beigestanden. In Dublin gilt unser Dank Dr. Daniel Simms, der bei der vom Verlag vorgegebenen Formatierung des Textes entscheidend mitgeholfen hat. Dank sagen die Herausgeber auch den verschiedenen Verlagen und Institutionen, die die Erlaubnis zum Abdruck der in diesem Sammelband enthaltenen Beiträge gegeben haben. Frau Susanne Henkel und Frau Angela Höld vom Franz Steiner Verlag haben die Herausgabe des Sammelbandes verständnisvoll begleitet. Jeder, der mit Dietrich Denecke im Gelände gewesen ist, hat die Erfahrung gemacht, dass für ihn Landschaft nicht nur Objekt und Abbild einer Wirklichkeit ist, sondern auch erfahrene, erlebte und imaginäre Umwelt. Diese Unmittelbarkeit, ver-
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Geleitwort
bunden mit der nötigen kritischen Distanz des Wissenschaftlers, verleiht diesem Historischen Geographen eine große Überzeugungskraft. Prof. Dr. Klaus Fehn
Prof. Dr. Anngret Simms
Bonn und Dublin im Dezember 2004
I. DER WEG DER FORSCHUNG UND ALLGEMEINE BETRACHTUNGSANSÄTZE 1. ENTWICKLUNGEN IN DER DEUTSCHEN LANDESKUNDE UND KULTURLANDSCHAFTSFORSCHUNG* 1. Die komplexe genetische Kulturlandschaftsforschung im Rahmen der geographischen Forschungsgeschichte und der Forschungsinstitutionen „Unser heutiges Landschaftsbild erhält sein Gepräge durch die Tätigkeit des Menschen. Er hat aus der ursprünglichen Naturlandschaft Kulturlandschaften geschaffen. Diese erschließen sich unserem Verständnis nur bei einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise. Sie wird besonders in der Siedlungsgeographie gepflegt.“ (Jäger 1953, 3). In diesen Sätzen kommen eine Betrachtungsweise und ein geographischer Forschungsansatz zum Ausdruck, die in der siedlungs- und kulturgeographischen Arbeit Helmut Jägers von Beginn an (1951) angelegt waren und die in den folgenden Jahrzehnten von ihm konsequent weiterentwickelt worden sind. Aufgenommen wird hier die geographische Arbeitsweise seines Lehrers Hans Mortensen, kritisch angeknüpft wird – weiter zurückgreifend – an die Kulturlandschaftsforschung von Robert Gradmann und Otto Schlüter. Grundlegend für das Aufgreifen und die spätere Weiterentwicklung des kulturlandschaftsgenetischen Betrachtungsansatzes ist jedoch für Jäger die am Anfang stehende eigene empirische Regionalstudie im Rahmen seiner von Göttingen aus betriebenen Dissertation gewesen, die Untersuchung der „Entwicklung der Kulturlandschaft im Kreise Hofgeismar“ (Jäger 1951). Hier hat sich Jäger das Rüstzeug erworben, aus dem heraus er sehr bald den Forschungsansatz einer kulturlandschaftsgenetischen Betrachtungsweise für die Siedlungs- und Kulturgeographie als wissenschaftliches Konzept und Leitlinie allgemein wie auch in Regionalstudien herausarbeitete (vgl. bes. Jäger 1953; 1954c; 1963; 1963a). War diese Richtung für die Kultur- und Siedlungsgeographie in Deutschland in dieser Zeit in der allgemeinen siedlungs- und kulturgeographischen Forschungsentwicklung auch konsequent und in vieler Hinsicht vorgegeben, so hat Jägers Arbeit in den 50er und 60er Jahren doch sehr wesentlich dazu beigetragen, den Forschungsansatz der Kulturlandschaftsentwicklung vor allem für andere Folgearbeiten in der Geographie der 60er Jahre grundlegend methodisch auszubauen und zu profilieren. Daneben stand bereits seit 1956 die methodisch fundierte und exemplarische Regionalstudie H. Uhligs (1956) mit ihrer allgemeinen Auseinandersetzung mit dem Forschungsansatz der genetischen Kulturlandschaftsentwicklung, hier auch in einem internationalen Rahmen, die direkt und indirekt eine Reihe weiterer Arbeiten *
Entwicklungen in der deutschen Landeskunde: Helmut Jäger und die genetische Kulturlandschaftsforschung. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 67, 1993, S. 6–34.
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
zur genetischen Kulturlandschaftsforschung angeregt hat (vgl. bes. Röll 1966 und Engelhard 1967). Mit K. Scharlau hat sich dann in Marburg ein weiteres Zentrum entwicklungsgeschichtlicher Forschung gebildet, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der spätmittelalterlichen Wüstungsphase und damit besonders gerichtet auf die Siedlungsund Flurgenese, vornehmlich auf der Grundlage einer historisch-geographischen Feldforschung. Martin Born hat diese Arbeitsrichtung in Marburg weitergeführt, jedoch zunehmend mit der Zielsetzung einer allgemeinen genetischen Siedlungsgeographie, ausmündend in typogenetischen Formenreihen (Entwicklungsgang von Formideen). Unter H. Poser sind in Braunschweig, dann aber besonders in Göttingen, eine Reihe kulturlandschaftsgenetischer Arbeiten entstanden. Sie sind vor allem charakterisiert durch die Herausarbeitung von Gewerbe- und Verkehrsnetzen im Rahmen der Kulturlandschaftsentwicklung (Rippel 1958; Düsterloh 1967; Denecke 1969). Damit waren diese Arbeiten eine wesentliche Ergänzung zur agrarlandschaftlich betonten Arbeit von Mortensen, Scharlau und Jäger. Die Einengung auf bestimmte Entwicklungsphasen und auf besondere kulturlandschaftsprägende Vorgänge wird bei den nur noch wenigen Arbeiten der jüngeren Zeit immer deutlicher (vgl. z. B. Budesheim 1984; Döppert 1987). Der komplexe landschaftliche Ansatz befindet sich seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre in Auflösung begriffen, obgleich erst ein geringer Teil der Pläne einer flächendeckenden „genetischen Erforschung der deutschen Kulturlandschaft“ verwirklicht worden ist und die von Jäger angeregten Aufgaben noch keineswegs erfüllt sind. Helmut Jäger hat bei aller analytischen Arbeit stets die Synthese gesucht, die ihn immer wieder zur Landschaftskunde und später auch zur Länderkunde hinführte. Er ist nicht der reinen Analyse, der Typologie, der Problemorientierung oder der Theorie anheimgefallen, die seit den 70er Jahren in der Anthropo- und Sozialgeographie die Oberhand gewannen. Sein Werk ist im Rahmen einer fundierten Tradition geographischer Forschung zu sehen, die in das vorige Jahrhundert zurückgeht, in den 20er Jahren vor allem mit Schlüter an tragender Bedeutung gewann und die dann in den 50er und 60er Jahren, entscheidend mitgetragen von Helmut Jäger, eine vielschichtige methodische Verbesserung erfuhr. Wesentlich war dabei die systematische Forschung vor allem vieler benachbarter Disziplinen, die er aufzugreifen und in die Kulturlandschaftsforschung zu integrieren verstand. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Mittelalterarchäologie bzw. der Siedlungsarchäologie, der Sprachforschung, der Geschichte und der Volkskunde, besonders aber auch mit den relevanten Naturwissenschaften (Paläoethnobotanik, Bodenkunde u. a.) hat H. Jäger im Rahmen vielfacher fachlicher wie auch persönlicher Kontakte gepflegt und genutzt. Charakteristisch hierfür ist H. Jägers Arbeit als Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (Kommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas), die Mitarbeit am Reallexikon für Germanische Altertumskunde oder auch die Beziehung zum Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (vgl. als Beispiele Jäger 1973a; 1979). Sein eigener Beitrag bezog sich dabei allgemein auf die Verdeutlichung des geographischen (landschaftskundlichen) Betrachtungs- und Forschungs-
1. Entwicklungen in der deutschen Landeskunde und Kulturlandschaftsforschung
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ansatzes im Zusammenhang und Vergleich mit den übrigen beteiligten Disziplinen. Ein wesentlicher Gesichtspunkt war aber auch stets die Integration der Ergebnisse der systematischen vielfältigen Einzelforschung in die landschaftsräumliche Betrachtung der Kulturlandschaftsentwicklung. Dieser traditionellen geographischen Betrachtungsweise ist Helmut Jäger immer treu geblieben, sie wird als geographischer Forschungsansatz auch stets ihre Berechtigung behalten. Allerdings kündigen sich bereits verschiedene weiterführende Wege an, die den traditionellen Betrachtungsansatz der Kulturlandschaftsentwicklung in den 80er Jahren in den Hintergrund treten lassen. Mit der notwendigen Integration systematischer allgemeiner Detailforschungen in die kulturlandschaftsgenetische Forschung werden die Arbeitsmethoden und die für einen fundierten Ansatz landschaftsgeschichtlicher Forschung notwendigen „Voruntersuchungen“ so differenziert und aufwendig, daß sie – wenn nicht schon genügend Vorarbeiten vorliegen – von einem einzelnen Bearbeiter für eine größere Raumeinheit nicht zu leisten sind. Allgemein drohen auch landschaftskundliche Synthese und problembezogene Sachanalyse auseinanderzufallen. Die einzelne Methode und Sachanalyse verselbständigt sich und tritt in den Vordergrund. Bezeichnend, wenn auch von H. Jäger so wohl nicht beabsichtigt, ist der Titel seines einführenden kleinen Handbuches, der lautet: „Entwicklungsprobleme europäischer Kulturlandschaften“ (Jäger 1987). Kündet der Titel den landschaftskundlichen Ansatz der Kulturlandschaftsentwicklung an, so ist der Inhalt auf analytische Methoden und theoretische Konzeptionen bezogen, auf Arbeitsweisen, die zur Kulturlandschaftsgenese etwas beitragen, sowie auf Kulturlandschaftsrelikte. Die Kulturlandschaftsforschung selbst ist dann allgemein thematisch aufgegliedert, die Kulturlandschaftsforschung wie auch die komplexe Kulturlandschaft sind in Bestandteile aufgelöst. Der Begriff der Kulturlandschaft und die Forschungsrichtungen, die sich mit ihr befassen, bekommen mit den 80er Jahren aber auch ganz andere Facetten und Ausrichtungen. Grundlage hierfür sind die anwendungsorientierte landschafts- und denkmalpflegerische Forschung wie auch die Umweltforschung, mit der deutlich wird, daß die Eingriffe des Menschen auch in der vermeintlichen Naturlandschaft allenthalben greifbar sind und daß gerade diese Eingriffe besonders auch in ihrer irreversiblen „Schädlichkeit“ herauszuarbeiten sind. Von Beginn an hat sich H. Jäger in seinem wissenschaftlichen Ansatz der geographischen Kulturlandschaftsforschung in eine Wissenschaftstradition hineingestellt, die angeregt und geprägt war durch Hans Mortensen und die von ihm geführte „Göttinger Schule“ der genetischen Kulturlandschaftsforschung. Mortensen wie auch Jäger knüpfen wissenschaftsgeschichtlich in ihren Fragestellungen immer wieder an die Kultur- und Siedlungsgeographie von Gradmann und Schlüter an und stellen ihre Arbeit in den Dienst einer Weiterentwicklung, Differenzierung und kritischen Korrektur mit Hilfe neuer Arbeitsmethoden. Verbindend ist der kulturlandschaftsgenetische Ansatz der Geographie allgemein, Weiterentwicklung und Kritik liegen vor allem in der Erkenntnis der Dynamik des Entwicklungsganges, gekennzeichnet besonders durch Expansions- und Regressionsphasen unterschiedlicher Intensität und Ursachen. Gerade auch auf dem Hintergrund der stark formal und
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
entwicklungsgeschichtlich statischen Sicht von Meitzen, die der Kritik und Erkenntnis der weiteren Forschung nicht mehr standhalten konnte, war der Siedlungs- und Kulturlandschaftsforschung die Aufgabe gestellt, wieder zu einem tragfähigen Forschungs- und Lehrgebäude zu kommen. Helmut Jägers endgültiger Fortgang von Göttingen im Jahre 1963 durch die Berufung auf einen Lehrstuhl für Kultur- und Wirtschaftsgeographie an der Universität Würzburg hat sich für die weitere Entwicklung der genetischen Kulturlandschaftsforschung allgemein, vor allem aber für die südniedersächsisch-nordhessische Region gravierend ausgewirkt. Jäger, der 1951 bis 1953 als Forschungsassistent bei Hans Mortensen in Göttingen gearbeitet hatte, übernahm 1958 die wissenschaftliche Geschäftsführung des neu gegründeten „Institut für Historische Landesforschung“ an der Universität Göttingen. Dieses interdisziplinäre Institut war auf die geschichtliche Landeskunde Niedersachsens gerichtet. Ihm war die Aufgabe gestellt, „alle Wissenschaften, die sich mit einer historischen Fragestellung dem Lande Niedersachsen zuwenden, zu einer die Fächer und Fakultäten übergreifenden Arbeitsgemeinschaft zusammenzuführen und ihre Untersuchungen aufeinander abzustimmen“ (Jäger 1965c, V). Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den im Direktorium des Instituts vertretenen verschiedenen Fachrichtungen hat Jägers breit angelegte Grundlagenarbeit gefördert und ihn in der Erkenntnis ihrer Notwendigkeit für die landeskundliche Arbeit bestärkt. Er ist es aber auch gewesen, der den einzelnen Disziplinen die übergeordnete landeskundliche Synthese vor Augen gestellt hat, das heißt, die geographische Betrachtungsweise der kulturlandschaftsgenetischen Forschung. Das von ihm wesentlich strukturierte „Methodische Handbuch für Heimatforschung in Niedersachsen“, das er als Band 1 der „Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen“ 1965 herausgab, wie auch vor allem das großzügig angelegte Werk der „Historisch-landeskundlichen Exkursionskarte von Niedersachsen“, das er mit der Herausgabe des Blattes Duderstadt 1964 eröffnete und das laufend fortgesetzt wurde, zeigen sehr deutlich, daß mit diesem historisch-landeskundlichen Institut eine neue Richtung interdisziplinärer landeskundlicher Forschung eingeschlagen werden sollte, bei der der geographischen Landeskunde eine führende Rolle zukam. Dieser für die Landeskunde Niedersachsens sehr hoffnungsvolle Ansatz eines Instituts, das in seiner Organisation und Aufgabenstellung über die traditionellen, hemmenden und eingrenzenden Fachgrenzen hinausging, ist der im engeren Sinne historisch-geographischen Landesforschung verlorengegangen, mit der Umwidmung zu einem „Institut für Landesgeschichte“. Die beiden von Jäger herausgegebenen ersten Veröffentlichungen des Instituts lassen auch deutlich werden, daß eine Anleitung, Lehre und Bildung auf dem Gebiet der geschichtlichen Landeskunde angestrebt wurde, eine Verbreitung dieser Betrachtungsweise und Forschung an der Universität, der Schule und im Rahmen einer Heimatforschung. Forschung und Lehre waren hier eng miteinander verknüpft, diese Aufgabe war Helmut Jäger auf den Leib geschrieben. Die beiden ersten Dissertationen, die H. Jäger in Göttingen betreute, waren der genetischen Kulturlandschaftsforschung gewidmet (Witte 1964; Marten 1969). Parallel entstanden die von H. Poser in Göttingen betreuten Arbeiten von Rippel (1958),
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Düsterloh (1967), Denecke (1969) und Fliedner (1970), mit denen die kulturlandschaftsgenetische Forschung thematisch spezieller ausgerichtet und vertieft wurde. 2. Forschungsmethoden für das Forschungsziel des kulturlandschaftlichen Ansatzes Im Zuge eines eindeutigen Bekenntnisses zur empirischen Arbeitsweise der Geographie hat die Entwicklung, Überprüfung und exemplarische Anwendung verschiedenster geographischer und historischer Arbeitsmethoden eine wesentliche Rolle in allen Arbeiten von H. Jäger gespielt. Die Beschreibung und Systematisierung der Arbeitsmethoden wie auch ihre kritische Bewertung und letztlich ihre Zusammenstellung in Übersichten und einführenden Handbüchern (Jäger 1965c; 1969; 1987) hat Jäger als eine selbständige wissenschaftliche Aufgabe angesehen, als einen Beitrag zur wissenschaftlichen Lehre und Ausbildung. Wenn auch stets der Zweck dieser Arbeitsmethoden und die Zielsetzung der Einzeluntersuchung auf eine komplexe Landschaftsanalyse hin erkennbar sind, so ist doch auch deutlich, daß sich die „Methodenlehre“ Jägers gegenüber der regionalkulturlandschaftlichen Arbeit zunehmend verselbständigt, was in dem Band „Entwicklungsprobleme europäischer Kulturlandschaften“ (1987) besonders klar zum Ausdruck kommt, aber auch bei einem Überblick über das Gesamtwerk. In die Forschungsmethoden werden durchaus auch Arbeitsweisen benachbarter Disziplinen hineingenommen, aber stets nur soweit, wie sie der geographischen Aufgabe der Kulturlandschaftsforschung dienlich sein können. Theoretische Erörterungen sowie Arbeits- und Lösungshypothesen sind für Jäger keine Instrumentarien, sie passen nicht in die empirische und induktive Forschungsweise hinein, sie gehören nicht zum soliden wissenschaftlichen Handwerk einer landschaftsbezogenen Forschung. So hat sich Jäger in seinen Veröffentlichungen auch nicht in die Debatte der beginnenden 70er Jahre um die Landschafts- und Länderkunde eingelassen, sie wäre dem Ansatz der genetischen Kulturlandschaftsforschung auch kaum förderlich gewesen. Jäger hat, breit angelegt, immer wieder verschiedene allgemeingeographische Teilaspekte exemplarisch dargestellt, die zu dem komplexen Ziel einer genetischen Kulturlandschaftsforschung hinführen und beitragen. Sie werden „Hilfsmittel“ oder auch „Methoden“ genannt. Zu ihnen gehören Arbeitsweisen am Archivmaterial wie auch die Erfassung und Interpretation von Altlandschaftsrelikten im Gelände. In besonderer Weise hat sich Jäger mit den Quellen zu mittelalterlichen Wüstungen befaßt. Sind die für eine genetische Kulturlandschaftsforschung relevanten Arbeitsweisen zunächst in einzelnen regionalen Studien und Forschungsübersichten oder auch spezifischen Abhandlungen dargestellt, so werden sie in einer jeweiligen Übersicht im Sinne einer Arbeitsanleitung zunächst in dem von Jäger konzipierten und herausgegebenen „Methodischem Handbuch für Heimatforschung in Niedersachsen“ (1965), in dem für die Lehre vielfach benutzten kleinen Studienbuch „Historische Geographie“ in der Reihe „Das geographische Seminar“ (1969) und letztlich unter dem Titel „Entwicklungsprobleme europäischer Kulturlandschaften“ in der
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
Reihe „Einführungen“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (1987) zusammengefaßt dargestellt. 3. Die Kulturlandschaft als Landschaftsbild und als agrare Siedlungslandschaft Die Kulturlandschaft in der Kulturlandschaftsforschung Helmut Jägers ist vornehmlich die agrare Siedlungslandschaft. Diese ist nicht nur am weitesten verbreitet und im Landschaftsbild dominant, sondern sie ist auch entwicklungsgeschichtlich primär, sie „ist den städtischen und industriellen Kulturlandschaften vorausgegangen“ (Jäger 1953, S. 3). Der Gedanke der langfristigen Entwicklung und Gestaltung der Kulturlandschaft steht hier im Vordergrund, der Mensch, der durch seine agrare Nutzung die Naturlandschaft, das heißt besonders den Wald, verdrängt und eine offene Siedlungslandschaft geschaffen hat. Städtische Funktionen und eine zunehmend verstädterte Bevölkerung spielen als junge und zudem auch noch nicht vorherrschend prägende Elemente der Landschaft eine untergeordnete und unwesentliche Rolle. 4. Kulturlandschaft als Siedlungslandschaft: Siedlungsgeographie als Kulturlandschaftsforschung und Kulturlandschaftsforschung als Siedlungsgeographie „Im Vordergrund der siedlungsgeographischen Forschung steht die Frage nach der Entwicklung unserer agraren Kulturlandschaft.“ (Jäger 1953, S. 3). Die Siedlungsgeographie als wesentlicher Kern der allgemeinen Kulturgeographie bezieht ihre Erkenntnisse vornehmlich aus der Kulturlandschaftsforschung, die Entwicklung der Kulturlandschaft wird andererseits erhellt durch die entwicklungsgeschichtliche Erforschung des Siedlungsbildes (Verbreitung, Dichte u. a.). Damit sind allgemeine Geographie und regionale Geographie grundlegend miteinander verknüpft, sie bedingen einander gegenseitig. Wenn auch für Jäger – wie auch schon für Gradmann, Schlüter und Mortensen – die „Siedlungskunde“ als Teildisziplin der Geographie im Vordergrund der wissenschaftlichen Analyse steht, so ist das übergeordnete Ziel doch die Kulturlandschaft, im Sinne einer Siedlungslandschaft. Die gegenseitige Verknüpfung von Siedlung und Landschaft, allgemeiner Siedlungsgeographie und Kulturlandschaftsforschung resultiert vor allem daraus, daß die Siedlung und die Siedlungsgeographie vornehmlich in ihren räumlichen Zusammenhängen gesehen werden. In der geographischen Analyse der räumlichen Entwicklung der Siedlungslandschaft und ihrer Ausprägung vereinen sich „Siedlungskunde“ und „Landschaftskunde“. In Bezug auf die Siedlung ist es damit nicht das einzelne Objekt oder Kulturlandschaftselement in seiner formalen oder funktionalen Genese, das von Interesse ist, sondern die Siedlung im Sinne von „Besiedlung“ im Rahmen eines räumlichen Besiedlungsvorganges. Aus diesem Betrachtungsansatz heraus, den die deutsche Siedlungsforschung bis in die 60er Jahre hinein verfolgte, war es dann auch verständlich, daß die „Siedlung“ definiert worden ist als räumliche Einheit von Siedlungsplatz (Ortschaft) und zugehöriger Flur (vornehmlich das Offenland).
1. Entwicklungen in der deutschen Landeskunde und Kulturlandschaftsforschung
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Jede Untersuchung einzelner Elemente der Landschaft (Siedlung, Flur, Wald, Nutzungssysteme u. a.) ist bei Jäger der Erforschung der Kulturlandschaft und ihrer Entwicklung unterstellt. Es gelingt ihm, diesen Zusammenhang immer wieder herzustellen und damit im Bereich einer komplexen, ganzheitlichen geographischen Analyse und Betrachtung zu bleiben. Von der grundsätzlichen Fragestellung ausgehend und in der Synthese der Einzelergebnisse auch wieder einmündend in die regional-geographische Kulturlandschaftsforschung kommt Jäger auch nicht in die Gefahr, die wissenschaftstheoretisch mit der Bemühung um eine allgemeine Kulturgeographie verbunden ist, sich von dem individuellen Objekt der geographischen Betrachtung wie auch von der gegebenen Zeit und dem zugehörigen Raum zu lösen. Ist die regionale wie auch die epochale Differenzierung der Kulturlandschaft die zentrale und reizvolle Aufgabe der Kulturlandschaftsforschung, so sind diese Axiome für den Ansatz einer allgemeinen Kulturgeographie eher verwirrend. Erst mit einer zunehmenden Lösung vom Objekt der Kulturlandschaft oder von einzelnen Kulturlandschaftselementen und mit der Hinwendung zu räumlichen Aktionen oder räumlichem Verhalten wird eine allgemeingültige Ebene erreicht, die einer allgemeingeographischen Betrachtungsweise entsprechen kann. Jäger gibt jedoch das für ihn zentrale Objekt geographischer Forschung, die Landschaft, nicht auf. 5. Entwicklungsgeschichtliche, retrogressive und genetische Betrachtungsweisen in der Kulturlandschaftsforschung Helmut Jäger hat grundlegend dazu beigetragen, vor allem den Betrachtungsansatz (bei Jäger allgemein „Methode“) der entwicklungsgeschichtlichen Kulturlandschaftsforschung genauer zu fassen und zu definieren. Bei der „historisch-geographischen Methode“, die später auch als retrogressiver Forschungsansatz bezeichnet wird, geht die Landschaftsuntersuchung von dem Bild der Gegenwart aus und schreitet Schritt für Schritt in die Vergangenheit zurück, um in verschiedenen Zeitschnitten deren kulturlandschaftliche Verhältnisse zu erhellen bzw. zu rekonstruieren (Jäger 1953, S. 3f). Beruhte die Rekonstruktion historischer Querschnitte zunächst (vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis in die 40er Jahre) vornehmlich auf der Auswertung archivalischer Quellen und alter Karten, so kam vor allem durch die mikromorphologische Arbeitsweise von Mortensen seit den 50er Jahren die Geländeuntersuchung von Altlandschaftsrelikten hinzu, die von Scharlau und auch von Jäger mit aufgegriffen und praktiziert worden ist. Als spezifisch geographische Arbeitsweise, systematisiert als „Historisch-geographische Landesaufnahme“ (Denecke 1972), ist dieser Arbeitsansatz von Jäger für die historisch-geographische Kulturlandschaftsforschung immer hoch eingeschätzt worden. So sehr Jäger mit der in der Kulturgeographie weit verbreiteten retrogressiven Betrachtungsweise vertraut war (besonders vertreten von Meitzen, Schlüter, Krenzlin, Nitz u. a.), die Kulturlandschaftsverhältnisse der Vergangenheit rückschreitend zu erschließen, womit dieser Betrachtungsansatz als der eigentlich historisch-geographische anzusehen ist, so sehr steht er diesem in all seinen Arbeiten und in seiner ganzen Auffassung doch skeptisch gegenüber. „Seitdem uns vor allem die Wüstungsforschung eine Vorstellung
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
davon gegeben hat, wie tiefgreifend auch kulturlandschaftliche Veränderungen der Vergangenheit sein können, ist die Frage berechtigt, ob die retrogressive Forschung überhaupt noch in dem bislang erwarteten Maße der historischen Geographie dienen kann. Für manche Themen bietet sich jedenfalls schon jetzt die progressive Methode an.“ (siehe hierzu die verschiedenen Regionalstudien zur Kulturlandschaftsentwicklung: Rippel 1958; Röll 1966; Engelhard 1967; Tesdorpf 1972; Budesheim 1984; Döppert 1987). „Sie schreitet von einem älteren landschaftlichen Zustand zur Gegenwart hin fort, und zwar ebenfalls stufenweise.“ (Jäger 1968, S. 246). Jägers Betrachtungsansatz ist der genetische, die Entwicklungsgeschichte dient der Erklärung der gewordenen, gegenwärtigen Kulturlandschaft, so daß er der Kulturgeographie als solcher und ganzer verbunden ist und nicht nur einer Historischen Geographie als abgetrennter Teildisziplin. Der genetische Betrachtungsansatz in der Kulturlandschaftsforschung ist in den 50er und 60er Jahren als ein Paradigma der Kulturgeographie etabliert worden, als Leitlinie, Zielvorstellung oder theoretischer Rahmen für eine Vielzahl siedlungsgeographischer und kulturlandschaftlicher Studien. Als Forschungsobjekt wurde die gegenwärtige Kulturlandschaft herausgestellt. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen sollten dem Verständnis und der Erklärung des heutigen Kulturlandschaftsbildes dienen. Die Untersuchungen und Darstellungen gehen allerdings allgemein nicht von einer Analyse der heutigen Kulturlandschaft aus, sondern sie folgen progressiv dem Entwicklungsgang, behandeln zusammenhängend und komplex einzelne historische Epochen als Entwicklungsphasen und enden dann in der Neuzeit, oft gar nicht einmal in der Gegenwart. Unterstützt wird das gesetzte Paradigma durch das Bemühen, solche Phasen der Kulturlandschaftsentwicklung bzw. ausgewählte Kulturlandschaftselemente besonders herauszuarbeiten, die prägend für die weitere Landschaftsentwicklung gewesen sind. Je detaillierter die für die Rekonstruktion des historischen Bildes notwendigen Archiv- und Geländestudien jedoch werden, desto mehr Eigendynamik und Eigengewicht bekommen die Darstellungen einzelner historischer Epochen für sich selbst, es werden komplexe Behandlungen historischer Querschnitte. Als solche haben viele dieser Arbeiten dann auch ihre eigentliche wissenschaftliche Bedeutung, die genetische Erklärung der Gegenwart ist nur aus dem durchgehenden chronologischen Entwicklungsgang mehr oder weniger strukturiert herauszufinden. Damit stellt sich wissenschaftsgeschichtlich und rückblickend die Frage, weshalb der genetische Ansatz überhaupt immer wieder beschworen worden ist, wenn doch in Wirklichkeit die geographische Erforschung historischer Epochen und Vorgänge im Vordergrund der Forschungen standen. Hier nun steht ganz sicher die Stellung historischer Arbeitsweise und Betrachtung innerhalb der geographischen Disziplin wie auch der Zusammenhang und die Gegenüberstellung mit der Geschichtswissenschaft (geschichtliche Landeskunde) im Hintergrund. Vertreter historischer und entwicklungsgeschichtlicher Betrachtungsweisen hatten sich innerhalb der Geographie deutlich zu bekennen zu dem Selbstverständnis der geographischen Disziplin als Gegenwartswissenschaft. Das Paradigma der genetischen Erklärung bot und garantierte diese Klammer, die historische Geographie und die
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Untersuchung der Vergangenheit bot sich an als Medium geographischer Analyse und Erklärung schlechthin. „Wenn wir Geographen uns mit der mittelalterlichen deutschen Kulturlandschaft beschäftigen, so ist das, auch wenn wir dabei historische Arbeitsmethoden ausgiebig mit verwenden müssen, kein Irrweg der Geographie, sondern eine besonders dringliche Aufgabe deutscher landeskundlicher Forschung.“ (Mortensen 1958, S. 361). Jäger (1958, S. 5) unterstreicht diese Bedeutung und dieses Selbstverständnis der historischen Geographie im Rahmen der geographischen Wissenschaft: „Den Grund zur geographischen Wissenschaft legt neben anderen Zweigen des Faches die historische Geographie.“ Die genetische Betrachtungsweise „ist grundlegend zum Verständnis der heutigen Landschaft.“ Zugleich konnte der genetische Ansatz der Geschichtswissenschaft gegenüber als spezifisch geographische Arbeits- und Betrachtungsweise vorgestellt werden, man lief nicht Gefahr, als Historiker vereinnahmt zu werden oder als fachfremder Konkurrent aufzutreten. Dies hat auch zu der besonderen Eigenständigkeit der historischen Geographie als geographischer Teildisziplin in Deutschland geführt, im Vergleich zu England oder Frankreich oder auch Italien, wo das Beziehungsfeld zwischen Geographie und Geschichte im Forschungsansatz wie auch in der Lehre weit enger ist als in Deutschland. Es gibt jedoch noch eine zweite, sehr wesentliche Begründung für die vor allem von Mortensen angeregte und von Jäger so konsequent verfolgte Konzeption einer genetischen Kulturlandschaftsforschung. Sie liegt in der Parallelität zum morphogenetischen Forschungsansatz zur Erklärung der Morphologie der Naturlandschaft, die zum eigentlichen Forschungsfeld von H. Mortensen gehörte. Hier ist der Bezug zum unmittelbar gegebenen Landschaftsbild implizit, die genetische Erklärung aus dem gegenwärtigen Bild heraus ist der einzig mögliche Weg, bei dem die Zustände zeitlicher Querschnitte als solche eine untergeordnete Rolle spielen. Ohne Zweifel ist auch hier, wie immer wieder in der Geographie bis in die 70er Jahre, der Transfer naturwissenschaftlicher auf geisteswissenschaftliche Forschungstheorien wirksam geworden. Die Verselbständigung der Untersuchung historischer Siedlungs- und Landschaftszustände zum eigentlichen Forschungsobjekt mußte zu einer zunehmenden Abkopplung der historischen Geographie von der Geographie selbst führen. Im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit der Archäologie und der Geschichte hat sich die historische Geographie dabei allerdings auch sehr eigenständig entwickelt. Erst in jüngerer Zeit bahnt sich wieder eine festere Bindung an die Erforschung der heutigen Kulturlandschaft an, nunmehr in der Tat von der gegenwärtigen Landschaft und gegenwärtigen Entwicklungsproblemen ausgehend, im Rahmen einer anwendungsorientierten historisch-genetischen Kulturlandschaftsforschung. In den 80er Jahren hat sich ein Weg von der genetischen Kulturlandschaftsforschung zur anwendungsorientierten Kulturlandschaftsforschung entwickelt, dessen wissenschaftliche Tragfähigkeit sich noch erweisen muß. Die Zielsetzung der genetischen Kulturlandschaftsforschung wird damit keineswegs abgelöst, sie ließe sich vielmehr – an Jägers Arbeit direkt anknüpfend – auch für sich und als solche weiterentwickeln. H. Jäger braucht seinen so beharrlich und konsequent gegangenen Weg nicht zu verlassen. Jäger hat keineswegs nur allgemein oder in zusammen-
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fassenden Überblicken die Ansätze der genetischen Kulturlandschaftsforschung formuliert, sondern er hat auch immer wieder empirische Regionalstudien erarbeitet, die seinen Forschungsansatz exemplifizieren (Jäger 1951; 1954a; 1957; 1961; 1963a; 1966). Ein auf der Auswertung zeitgenössischen Quellenmaterials beruhender Querschnitt ist zum Beispiel die Studie über „Die mainfränkische Kulturlandschaft zur Echterzeit“ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Jäger 1973). Die genetische Kulturlandschaftsforschung wurde nicht als ein spezifischer oder separater Ansatz einer historischen Geographie verstanden, sondern als der allgemeine, weiterentwickelte Ansatz der geographischen Landeskunde überhaupt. Begründet war dieses Selbstverständnis vor allem dadurch, daß es dem genetischen Ansatz wesentlich um die entwicklungsgeschichtliche Erklärung der gegenwärtigen Kulturlandschaft ging. Dieser Ansatz hatte seine Tradition, Gradmann wie auch Schlüter haben sich als Siedlungs- und Landeskundler, als Kulturgeographen verstanden, nicht aber explizit als Vertreter einer Historischen Geographie. Die 70er Jahre haben hier eine Veränderung innerhalb der geographischen Disziplin erbracht, mit der Entwicklung der historischen Geographie als einer Teildisziplin, mit der Entwicklung einer Siedlungsarchäologie und letztlich auch einer „Landscape Archaeology“. Grund hierfür war einerseits die eigenständige Profilierung der historischen Geographie mit eigenständigen Methoden und Fragestellungen, wie auch eine Hinwendung zu einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit der Siedlungsarchäologie und der Geschichte. Andererseits verstand sich nunmehr die Kultur- oder Anthropogeographie zunehmend als gegenwarts- und zukunftsbezogene Sozial- und Wirtschaftsgeographie, ausgerichtet auf planungs- und anwendungsorientierte Arbeit. Der historische und genetische Ansatz wurde der historischen Geographie als kulturgeographischer Teildisziplin überlassen, die sich in der Forschung sehr deutlich der Zusammenarbeit mit der Mittelalterarchäologie und der Geschichte zuwandte und sich löste von der neueren Entwicklung der allgemeinen Anthropogeographie (Sozialgeographie) und auch von der jüngeren Entwicklung der regionalen Geographie. Diese Abkopplung der historisch-genetischen Betrachtungs- und Arbeitsweise mag dann auch unter anderem begründen, daß H. Jäger – wie auch die deutsche historische Geographie insgesamt – nicht aktiv in die kritische Diskussion der 70er Jahre um die Landes- und Länderkunde eingegriffen hat. Jäger hat die Kritik an der Landes- und Länderkunde in keiner Weise akzeptiert, er hat sich durch die Hinwendung zu einer allgemeinen problemorientierten Sozialgeographie nicht beirren lassen. In Vorlesungen, Seminaren und Exkursionen stand die landschaftskundliche Betrachtung und Analyse immer wieder im Vordergrund, und mit den beiden Länderkunden von Großbritannien (1976) und Irland (1990) hat Jäger einen beispielhaften Beitrag zur Weiterführung der klassischen deutschen Länderkunde geleistet. Vom Betrachtungsansatz, der Fragestellung und Zielsetzung her ist es dabei entscheidend, daß Jäger in seinem gesamten Werk der analytischen Arbeitsweise, die der geographischen Disziplin grundlegend immanent ist, verpflichtet blieb. Die oft empfundene Krise der Geographie wie auch das verunsicherte Selbstverständnis der geographischen Disziplin, die zu einem wesentlichen Teil dadurch bedingt sind, daß Profil und Progression des Faches in der Lösung vom analytischen Forschungs-
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ansatz gesehen werden, sind von H. Jäger aufmerksam und kritisch verfolgt worden. Er hat jedoch an der komplexen analytischen Betrachtungsweise unbeirrt festgehalten. Allerdings ist auch deutlich zu beobachten, daß Systematik und Methodik sowie allgemeine Forschungsübersichten in jüngerer Zeit gegenüber den früheren Regionalanalysen im Vordergrund seiner Arbeiten stehen. Die kulturlandschaftliche Analyse und Darstellung hat sich nicht nur bei Jäger, sondern ganz allgemein in der historischen Geographie in Teilaspekte aufgelöst, wenn man so will – im Sinne Jägers und der klassischen kulturlandschaftsgenetischen Forschung – in Vorarbeiten und Vorstudien zu einer möglichen kulturlandschaftlichen Betrachtung. Ein konkreter Weg hierzu ist in den 70er und 80er Jahren allerdings noch kaum zu erkennen. 6. Naturlandschaft und Kulturlandschaft und die Verbreitung des Waldes im Zuge der Kulturlandschaftsentwicklung In der Erforschung der Kulturlandschaftsentwicklung spielte das Verhältnis und der Gegensatz von Wald und Offenland schon seit R. Gradmann eine hervorragende Rolle. War es zunächst die Vorstellung eines natürlich gegebenen Gegensatzes von siedlungsfeindlichen Wäldern und siedlungsfreundlichen Landschaften mit einer offenen Vegetation, die vom Menschen bevorzugt aufgesucht worden sind (Gradmann), so folgte dieser das Bild der allmählichen Verdrängung des Waldes durch zunehmende Rodung (Schlüter). Sehr deutlich vom großräumigen Landschaftsbild ausgehend, aber auch in der Erkenntnis und den Forschungsmethoden kritisch über Gradmann und Schlüter hinausführend, wird das Verhältnis von Wald und Offenland in seiner Entwicklung seit dem Mittelalter von Jäger zu rekonstruieren versucht, wiederum im Gesamtzusammenhang der Kulturlandschaftsentwicklung. Ausgehend von dem heute landschaftsprägenden Bild der großen geschlossenen Forsten, die sich mit durchlaufenden Grenzen klar vom umgebenden Umland absetzen, wird die Frage aufgeworfen, wie es zu diesem deutlichen Nebeneinander gekommen ist. Erwähnungen kleinerer Waldflecken in den Quellen, besonders aber die Feststellung von Orts- und Flurwüstungen in heutigen Waldgebieten weisen darauf hin, daß viele große Forstgebiete im Mittelalter kleiner waren als heute, teilweise aufgelöst durch Rodungsinseln, daß aber heute weite offene Flächen häufig noch kleine Restwälder aufweisen, die in nachmittelalterlicher Zeit verschwunden sind. Die Kernwaldgebiete sind also als verbliebene Altwälder nach den mittelalterlichen Rodungsphasen mit der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode wieder gewachsen, und auch die offenen Flächen haben sich arrondiert, es hat sich eine Entmischung von Wald- und Siedlungsland vollzogen (so bereits Mortensen 1951, S. 359). Ausgehend von der Kartierung von Wüstungsfluren und der Verbreitung von Wüstungen überhaupt, wird ein großräumiges Bild der Veränderungen im Verhältnis von Wald und Offenland entworfen (bes. Jäger 1954 b, S. 169), das bei dem lückenhaften Forschungsstand und bei der kleinräumigen Differenzierung des deut-
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schen Raumes freilich sehr stark generalisiert bleiben muß. Es wird jedoch eine tragfähige Arbeitsmethode entwickelt und auch eine generelle Lösungshypothese formuliert, was zu weiteren bestätigenden oder differenzierenden Regionalstudien unter dieser Fragestellung herausfordert. Jäger selbst hat diese Problemstellung immer wieder aufgegriffen (vgl. bes. Jäger 1954b; 1959; 1966a; 1968a; 1984), von einem geschlossenen und differenzierten Bild der Entwicklung sind wir jedoch auch heute noch weit entfernt. Aus dem komplexen landeskundlichen Betrachtungsansatz heraus ist für Jäger der naturräumliche Aspekt bzw. die naturräumliche Entwicklung unter dem Einfluß des Menschen ein wesentliches Anliegen. Während sich die historische Geographie der 70er und 80er Jahre sehr deutlich Problemfeldern zugewandt hat, die im allgemeinen Bereich des menschlichen Handelns blieben, hat Jäger auch die naturräumlichen Voraussetzungen und Veränderungen stets als Betrachtungsbereiche der historischen Geographie angesehen und in seinen Arbeiten vertreten. So hat er unter anderem für das einst geplante historisch-siedlungsgeographische Handbuch das einführende Kapitel zu den naturräumlichen Voraussetzungen verfaßt. Verstehen sich die meisten historischen Geographen der Generation der 60er und 70er Jahre als explizite Kulturgeographen im Rahmen der Human- und Sozialwissenschaften, so sieht Jäger die Geographie betont als eine Einheit von natur- und kulturräumlichen Aspekten. Bei aller notwendigen Detailforschung allgemeingeographischer Fragestellungen ist doch die landschaftskundliche Synthese und Zusammenschau stets mit im Blickfeld. Von hier aus findet Jäger dann auch – anders wie bei vielen anderen – den Weg zu einer historisch-geographischen Umweltforschung, der er sich letztlich intensiv zugewandt hat (1992a, b und c, 1994). Landschaft und Umwelt können in vieler Hinsicht als identisch angesehen werden. Die geschichtliche Entwicklung des Umfeldes des Menschen unter seinem Einfluß und seiner Prägung – hier lassen sich viele Fäden der landschaftsgenetischen Betrachtung wieder aufgreifen! Fragt man danach, in welcher Weise sich der kulturlandschaftsgenetische Forschungsansatz der 50er und 60er Jahre, den Jäger so grundlegend gefördert hat, in den folgenden Jahren weiterentwickelte, so muß man zunächst feststellen, daß er weit in den Hintergrund getreten ist. Weder konzeptionell noch durch konkrete kulturlandschaftsgenetische Fallstudien hat dieser Forschungsansatz eine merkliche Förderung erfahren, und auch Jäger selbst hat diesen Rückgang nicht aufhalten können. Die historisch-genetische Umweltforschung mag hier eine tragfähige Fortführung des Weges weisen, den es allerdings zunächst freizuräumen gilt. Wenn in der genetischen Kulturlandschaftsforschung die naturräumlichen Voraussetzungen wie auch die Auswirkung der Landnahme oder Siedlungsregression in der Naturlandschaft eine zentrale Rolle spielen, so sind doch Gedanken einer Umweltforschung noch nicht entwickelt. Die Verdrängung des Waldes durch Rodungen, die Auswirkungen der Rodung auf Bodenbildung und Erosion wie auch der Nachweis der Bildung von Sekundärwäldern mit der Aufgabe ehemals gerodeter Flächen, dies sind Fragestellungen, die dem Wirkungsgefüge zwischen Mensch und Natur nachgehen, in einem landschaftlichen Zusammenhang. So wird auch die Kulturlandschaft keineswegs völlig isoliert dieser Naturlandschaft gegenüberge-
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stellt, sondern Kulturlandschaft wird als die vom Menschen gestaltete und genutzte „Naturlandschaft“ verstanden. Dabei mag allerdings die Behauptung, daß „der Begriff der Kulturlandschaft… sich stets auf die Auseinandersetzung des Menschen, als Individuum oder zusammengeschlossen in Gruppen, mit der ihn umgebenden Umwelt als Naturlandschaft“ bezieht etwas zu weit gegriffen sein (Mücke 1988, 151). Es kommt hinzu, daß die genetische Betrachtungsweise in der Kulturgeographie in einem ursächlichen Zusammenhang mit der naturgeographischen Arbeitsweise steht. Es muß gerade hier besonders hervorgehoben werden, daß H. Jäger einer der ganz wenigen historischen Geographen ist, der die Naturlandschaftsgeschichte im Zusammenhang mit der Menschheitsgeschichte ganz bewußt mit in den Forschungsbereich der historischen Geographie einbezogen und diese nicht allein der allgemeinen physischen Geographie überlassen hat. Aus diesem Zusammenhang heraus liegt es nahe, daß von der genetischen Kulturlandschaftsforschung Wege zu einer historisch-geographischen Umweltforschung führen. H. Jäger trug dem Rechnung, indem er augenblicklich intensiv an einer Darstellung zur historisch-geographischen Umweltforschung arbeitet. Wieweit hier wiederum oder noch an die Landeskunde angeknüpft wird, bleibt abzuwarten. Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme einer genetischen Landschaftsforschung sind jedenfalls im Zusammenhang mit einer regionalen Umweltgeschichte noch nie so folgerichtig und günstig gewesen wie jetzt. Auch andere Disziplinen kommen einem solchen Weg entgegen, von der historischen Seite von der sogenannten „Landscape History“ her, von archäologischer Seite von der „Landscape Archaeology“. Die deutsche geographische Landschaftsforschung braucht bei dieser Herausforderung und auf diesem günstigen Nährboden neue und weiterführende Initiativen. Auch theoretische Überlegungen der geographischen Disziplin zielten auf dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung der Umweltforschung schon früh in diese Richtung (Wöhlke 1969; Wirth 1979). 7. Kulturlandschaftsentwicklung im Spiegel der Raum- und Geländenamen Der geographischen Namenforschung schrieb Jäger im Rahmen der genetischen Kulturlandschaftsforschung allgemein große Bedeutung zu. Er versuchte diese über die traditionelle geographische Ortsnamenforschung im Rahmen der genetischen Siedlungsgeographie hinaus zu erweitern durch eine vermehrte Heranziehung auch der Raum- und Geländenamen (Landschafts- und Flurnamen), um auch damit der komplexen Landschaftskunde näherzukommen. Um Geländenamen in ihrer allgemeinen Bedeutung in ihrer landschaftsgeschichtlichen Aussage richtig interpretieren zu können, „müssen wir nach den landschaftlichen Zuständen der Zeit der Namengebung fragen“ (Jäger 1971, S. 119). Dies bedeutet, daß die Namenforschung selbst der Erkenntnisse einer Altlandschaftsforschung bedarf. Die in den 50er und 60er Jahren bedeutend weiterentwickelte Gelände- und Archivforschung bietet nach Jäger nunmehr „die Voraussetzung zu einer geographischen Beurteilung der Geländenamen auf dem Hintergrund einer umfassenden Kulturlandschaftsgeschichte“. Die Vorstellung ist, mit der Erschließung der landschaftlichen Verhältnisse zur jeweili-
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gen Zeit der Namengebung die Namen selbst sinnvoll und sachbezogen interpretieren zu können (Vordringen zum ursprünglichen Beziehungsverhältnis zwischen Wort und Sache: Landschaftsgeschichte als Orientierungshilfe zum besseren Verständnis der Geländenamen). Im Gegenzug können dann aber auch einmal auf diese Weise zu erklärende und zeitlich in etwa einzuordnende Geländenamen korrespondierend und vergleichend zur Erschließung landschaftsgeschichtlicher Vorgänge herangezogen werden (Jäger 1996). Auch in diesem Zusammenhang teilt Jäger die landschaftsgeschichtliche Entwicklung von der ersten noch wirksamen Landnahme bis in die Gegenwart in charakteristische Entwicklungsphasen der Expansion, der Stagnation oder auch der Regression ein. Aus der Periodisierung der Landschaftsentwicklung läßt sich jedoch nur dann eine Periodisierung von Raum- und Geländenamen ableiten, wenn die Entwicklungsvorgänge der Landschaft in ihrer oft differenzierten Dynamik detailliert genug bekannt sind und wenn genügend beachtet wird, daß sich die Bedeutung von Bezeichnungen mit dem Wandel der Landschaftsverhältnisse auch ändern kann. 8. Expansion, Regression und Wiederbesiedlung im Verlauf der Kulturlandschaftsentwicklung: Die Wüstungsforschung im Dienste der Kulturlandschaftsforschung Der Gedanke der expansiven Landnahme seit prähistorischer Zeit, verbunden mit der Vorstellung der Gestaltung der Kulturlandschaft durch den Menschen im Zuge einer Verdrängung der Naturlandschaft, vor allem des Waldes, durch Rodung für die ständig sich erweiternde Besiedlung und den Ackerbau, hat in der älteren Forschung einen evolutionistischen Charakter angenommen. Landnahme und Siedlungsgründung waren die zentralen Fragen der frühen Siedlungsgeographie, rückschreitend vor allem gerichtet auf die primären Siedlungs- und Flurformen der jeweiligen Gründungszeit. Dies Hineinnehmen der zunächst von historischer Seite im Zuge historischer Topographien und Ortsnamenverzeichnisse erarbeiteten Erkenntnis, daß ganz besonders in der Zeit des späten Mittelalters viele Siedlungen und auch Flurbereiche wüstgefallen sind, in die entwicklungsgeschichtliche Kulturlandschaftsforschung, hat die Gradlinigkeit der Kulturlandschaftsentwicklung als Landnahmeprozess grundlegend differenziert und dynamischer gemacht. Die geographische Wüstungsforschung sollte einen entscheidenden Beitrag zur genaueren Kenntnis der Kulturlandschaftsentwicklung seit dem späten Mittelalter liefern. Mit dieser konzentrierten Hinwendung auf die Phase des späten Mittelalters gerieten in der Geographie die vorher betonten früh- und hochmittelalterlichen Landnahmen, besonders aber auch die prähistorischen Besiedlungsvorgänge, in den Hintergrund des Interesses. Über den reinen Siedlungsschwund und den Verlust an wirtschaftlicher Nutzfläche hinaus ist auch im Gedankengang der nachwüstungszeitlichen Weiterentwicklung der Kulturlandschaft der Frage der Wiederbesiedlung und der Neurodung nachgegangen worden. Sie ist vielfach nachzuweisen und tritt oft in kleineren Gebieten konzentriert auf (Marten 1969). Gerade diesen kulturlandschaftlichen Vorgang hat
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Jäger in verschiedenen Arbeiten in besonderer Weise verfolgt (Jäger 1967), im Zuge des längsschnittlichen Ansatzes der entwicklungsgeschichtlichen Kulturlandschaftsforschung oder im Bestreben, die Vorgänge der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode in ihren Auswirkungen bis zum gegenwärtigen Bild der Kulturlandschaft zu verfolgen und damit den entscheidenden Anspruch des kulturlandschaftsgenetischen Forschungsansatzes wesentlich zu unterstützen. Zu den Vorgängen und Ursachen der Wiederbesiedlung hat auch Nitz (1983) in einem H. Jäger gewidmeten Beitrag Stellung genommen. Dieser ist ein schönes Beispiel dafür, wie im gleichen Untersuchungsraum in jüngerer Zeit an Jägers Forschungen und Fragestellungen angeknüpft werden kann. „Eine Untersuchung der Wüstungen in geographischer Sicht hat diese als Elemente der Landschaften und der Länder aufzufassen. Daraus folgert, die Wüstungen nicht isoliert, sondern in ihren Beziehungen zu all den anderen Landschaftselementen und landschaftlichen Institutionen zu beachten, die in irgendeiner Weise kausal oder funktional mit ihnen verbunden waren.“ (Jäger 1967, S. 16). Die geographische Wüstungsforschung, die von H. Mortensen angeregt, dann aber vor allem von Scharlau und Jäger, von Masuhr (1953), von Bethe (1952) sowie von Kirbis (1952) von Göttingen aus durchgeführt worden ist, wurde nicht von der Seite der allgemeinen Siedlungsgeographie her entwickelt. Zielsetzung und Zweck waren es vielmehr, einer Phase der Kulturlandschaftsentwicklung nachzugehen, die sich nachhaltig im Siedlungs- und Landschaftsbild ausgewirkt hat. Hauptanliegen der geographischen Wüstungsforschung war es damit, nicht der Entwicklung der einzelnen Siedlung oder der Rekonstruktion mittelalterlicher Siedlungsstrukturen nachzugehen, wobei die geographischen Arbeitsmethoden ohnehin sehr bald in archäologische Untersuchungsmethoden hätten übergehen müssen, sondern siedlungsräumliche Vorgänge, in diesem Fall die deutliche Regression während der spätmittelalterlichen Entwicklungsphase der Kulturlandschaft aufzuhellen. Alle methodischen und konzeptionellen, alle allgemeinen und regionalen Studien von geographischer Seite wurden im Zusammenhang mit einer genetischen Kulturlandschaftsforschung gesehen, die Wüstungsforschung stand im Dienste der Kulturlandschaftsforschung. Dies bedeutet, daß Inventare, die Verbreitung und Lokalisation wüster Ortsstellen, die flächenhafte Erfassung mittelalterlicher Kulturlandschaftsrelikte und Regionalstudien ausgewählter Gebiete im Vordergrund der Arbeit standen. Die vor allem von Göttingen und Marburg aus entstandenen Regionalarbeiten zeigen dies deutlich an. Jäger hat diesen landschaftskundlichen Betrachtungsansatz konsequent durchgeführt und beibehalten, auch bei aller intensiven Beschäftigung mit methodischen wie auch allgemeinen siedlungs- und wirtschaftsgeographischen Detailfragen der Wüstungsforschung (Jäger 1994a). Wenn die Wüstungsforschung der 50er und 60er Jahre auch zahlreiche Regionalstudien hervorgebracht hat, basierend auf der Auswertung der schriftlichen Quellen und der Durchführung von Lokalisierungen im Gelände (quellenkombinierende historisch-geographische Methode), so ist das Bild der Verbreitung mittelalterlicher Wüstungen in Mitteleuropa auch heute noch äußerst lückenhaft. Der Aufbau eines Wüstungsarchivs am Geographischen Institut in Göttingen durch Mortensen und Jäger, mit dem Ziel einer für das ehemalige deutsche Reichsgebiet flächendek-
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kenden Übersicht über die Verbreitung der Ortswüstungen, ist in den ersten Anfängen steckengeblieben (Jäger 1952). Die enge konzeptionelle Bindung der geographischen Wüstungsforschung an die genetische Kulturlandschaftsforschung hat dazu geführt, daß die siedlungs- und agrargeographischen Aspekte im Rahmen einer detaillierten Untersuchung einzelner Siedlungen selbst von der Geographie zu wenig weiterverfolgt worden sind. Die Frage nach Siedlung, Gehöft und Haus, nach der Sozial- und Wirtschaftsstruktur, vor allem aber nach dem chronologisch differenzierten Verlauf des Siedlungswandels vom Beginn bis zum Ende einer Siedlung, ist in die Hand der Siedlungsarchäologie übergegangen, die tragfähige und breit angelegte Methoden hierzu entwickelt hat (Denecke 1994). 9. Von der Entwicklungsgeschichte der Kulturlandschaft zur Geschichte der Kulturlandschaft: Hauptperioden der Kulturlandschaftsgestaltung Haben Gradmann und Schlüter in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Ansatz der Siedlungs- und Kulturlandschaftsgeographie der primären Phase der Gründung sowie auch dem Vorgang einer jeweiligen Siedlungsexpansion ihre vornehmliche Aufmerksamkeit gewidmet, im Rahmen der Vorstellung einer progressiven Evolution, so betont Jäger, vor allem nach dem Erkennen der bedeutenden Regressionsphase im späten Mittelalter, daß die Kulturlandschaftsentwicklung in recht divergente Phasen zu teilen ist. Die einzelnen Phasen sind für sich zu untersuchen, aber auch in ihrem Zusammenhang von Phase zu Phase. Besonderes Augenmerk ist dabei auf den jeweiligen „Anteil der verschiedenen Perioden am Zustandekommen der gegenwärtigen Kulturlandschaft“ zu richten. Treten einige Perioden in ihrer Wirksamkeit und Persistenz besonders hervor (Hauptperioden der Gestaltung), so haben andere für die Erklärung der gegenwärtigen Kulturlandschaft eine geringere Bedeutung. Die Untersuchung gerade dieser Epochen und Vorgänge ist für Jäger ein besonders Anliegen gewesen. Es sind vor allem die Wendepunkte im Zuge der Entwicklung. Zu diesen Perioden landschaftsgeschichtlich hervorragender und bis heute wirksamer Bedeutung gehören die frühgeschichtliche Landnahmezeit, die fränkische Staatskolonisation, der Landesausbau im frühen Mittelalter, die Kolonisation im hohen und teilweise noch im späten Mittelalter, die Wüstungsperiode des späten Mittelalters, der frühneuzeitliche Landesausbau, sowie der absolutistische Landesausbau (zum Teil Wiederbesiedlung). Gekennzeichnet sind diese Entwicklungsphasen meist durch Rodung und Ausdehnung des Siedlungsraumes. Allerdings hat es auch immer wieder rückläufige Entwicklungen gegeben, in der Flur wie auch in der Verbreitung der Siedlungen, wobei sich ein besonders deutlicher Rückgang im späten Mittelalter vollzogen hat. Hinweise auf einzelne gestaltgebende Elemente finden sich immer wieder. Auch fehlt es nicht an Beobachtungen zu gewissen Transformationen im Laufe der jüngeren Entwicklungsgeschichte bis zur Gegenwart hin. Die Herausarbeitung kulturlandschaftsgeschichtlicher Entwicklungsstadien war angeregt durch Arbeiten von Mortensen (1946/47). Von Kirbis (1952) und von Jäger (1958) ist sie weiterführend auf eine regional-vergleichende Ebene gehoben
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worden, mit den beiden generellen Feststellungen, daß in den Flur- und Ortsformen im germanisch-keltischen Raum – im Gegensatz zur Auffassung von Meitzen – keine wesentlichen Unterschiede bestehen, daß vergleichbare oder ähnliche Entwicklungsphasen der agraren Kulturlandschaft durchlaufen werden. Großräumig lassen sich für die Länder des Nordseeraumes drei große Phasen der Kulturlandschaftsentwicklung erkennen, die urgeschichtlichen Perioden, die mittelalterliche Periode und die neuzeitliche Entwicklungsphase. Auch in jüngerer Zeit sind vergleichende kulturlandschaftsgenetische Untersuchungen hier und da wieder angestellt worden, allerdings immer weiter eingeengt auf spezifische Vorgänge oder Sachverhalte, auf ausgewählte raumbildende Prozesse. Damit wird der ganzheitliche und kulturlandschaftliche Forschungsansatz verlassen, und er muß bei der Zunahme an Detailkenntnissen und Detailfragen auch verlassen werden. Im Rahmen eines Überblicks über die „Erträge der Forschung“ hat Born (1974) die „Phasen der Agrarlandschaftsentwicklung“ charakterisiert und in ihrer Abfolge hervorgehoben. 10. Landschaftsräume als Forschungsobjekt der Geographie und Räume gleicher kulturlandschaftlicher Entwicklung Eine landschaftskundliche empirische Arbeitsweise, Dokumentation und Argumentation bewegt sich auf weit auseinanderliegenden Maßstabsebenen, von der eigenen Kartierung im Gelände bis hin zu einer umfassenden Landes- und Länderkunde. H. Jäger hat es nicht nur verstanden, seinen Blickwinkel auf die unterschiedlichen Maßstäbe der Betrachtung einzustellen, sondern er hat die verschiedenen Ebenen auch – in Aussage und Beleg sich gegenseitig stützend – miteinander verknüpft. Ein – wenn auch ideales und nicht erreichbares – Ziel war es für ihn, die Landschaft des deutschen Kulturraumes in ihrem Entwicklungsgang geschlossen zu erfassen, auf dem Wege einer systematisch angesetzten Untersuchung einer Vielzahl von Teilregionen. Ist einmal weit vorausschauend der deutsche Raum im Blick, historisch gesehen den gesamten ehemaligen deutschen Osten einschließend, so werden die Untersuchungsmethoden und detaillierten Rekonstruktionen historischer Landschaftszustände andererseits auch an kleinen ausgewählten Teilgebieten exemplifiziert. Der Ausgang kleinräumiger Regionalstudien auf der Basis von Feldarbeiten lag, von Göttingen aus betrieben, im nordhessisch-südniedersächsischen Raum. Ein anderer Kernraum der Arbeit ist, von Würzburg aus, das Frankenland. Sehr zielstrebig wurde anfangs von Göttingen ausgehend die Untersuchung weiterer Teilgebiete vorangetrieben, von Jäger selbst und vor allem im Rahmen von Dissertationen, die Hans Mortensen oder Helmut Jäger betreuten. Einen organisatorischen Rahmen sollte die systematische und letztlich flächendeckende Arbeit bekommen durch die Einrichtung der „Stelle für Wüstungs- und Kulturlandschaftsforschung am Geographischen Institut der Universität Göttingen“, die H. Jäger betreute. „Ziel der Arbeiten ist die Erforschung der Verteilung von Siedlungen, Wald, offenem Land und Flurformen in Deutschland im späten Mittelalter. Alle Arbeitsvorhaben sollen die historische Tiefenschichtung unserer Landschaft aufdecken. Erst wenn diese zu Tage
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tritt, wird es möglich sein, das Wesen unserer heutigen Kulturlandschaft klar zu erkennen. Die Stelle für Wüstungs- und Kulturlandschaftsforschung erstrebt die Zusammenarbeit mit allen, die auf dem Gebiet der mittelalterlichen Wüstungsforschung tätig sind.“ (Jäger 1952, S. 123). Das großräumige Arbeits- und Dokumentationsprojekt ist über erste Anfänge nicht hinausgekommen, und bis heute ist die Erfassung mittelalterlicher Kulturlandschaftsrelikte in Deutschland noch äußerst bruchstückhaft geblieben. Der Ansatz der Gewinnung großräumiger Erkenntnisse und großräumig differenzierter Bilder der Kulturlandschaftsentwicklung in Deutschland (vgl. bes. Kirbis 1952) mußte sehr bald zurückgenommen werden. Auch heute fehlt uns noch immer eine historische Geographie des deutschen Raumes, für die die Arbeiten und Arbeitsansätze von Helmut Jäger einen so wegweisenden Grund gelegt haben. Forschungsprogramm und Arbeitsmethoden sind der geographischen Forschung vor allem in dem hierfür in dieser Zeit zentralen Publikationsorgan vorgestellt worden, in den „Berichten zur deutschen Landeskunde“, in denen Helmut Jäger in der Zeit zwischen 1953 und 1963 allein acht verschiedene Arbeiten veröffentlicht hat. Mit dem kulturlandschaftsgenetischen Forschungsansatz soll nicht nur dem Entwicklungsgang allgemein nachgegangen werden. Jäger (1954 a, S. 197) formuliert vielmehr auch das Konzept, durch eine Vielzahl von regionalen oder lokalen Detailstudien über den ganzen deutschen Raum hin Teilräume und Perioden abgrenzen zu können, die eine weitgehend einheitliche Kulturlandschaftsentwicklung aufweisen. Am Ende einer solchen Arbeit stünde eine Übersichtskarte über das Werden der gesamten deutschen Kulturlandschaft. Ein solches Gesamtbild der Kulturlandschaftsgenese des deutschen Raumes (genetische Raumtypen) wäre deutlich über die von Schlüter bearbeitete Karte der bloßen Unterscheidung von Jungsiedelland und Altsiedelland hinausgegangen. Die Idee dieses Arbeitsansatzes ist reizvoll, sie ist jedoch bis heute leider nicht erfüllt. „Es wird eine Aufgabe künftiger kulturlandschaftlicher Forschung sein, Räume gleicher Kulturlandschaftsentwicklung herauszuarbeiten“ (Jäger 1954b, S. 157). Einen Beginn auf diesem Wege sieht Jäger in dem methodischen Ansatz der „Göttinger siedlungsgeographischen Forschung“, die gezielt durch eine Gruppe von landschaftsgeschichtlichen Detailstudien (Archiv und Gelände) im südniedersächsisch-nordhessischen Bereich, zumindest für die Zeit zwischen 1300 und 1600, ein Gebiet mit einer einheitlichen Entwicklung ausmachen konnte. Archivund Geländestudien im Bereich der westlich der Weser gelegenen Fürstenauer Hochfläche (Jäger 1954 a) ließ dann erkennen, daß sich auch dieses Gebiet entwicklungsgeschichtlich zu dem südniedersächsischen Raumtypus stellen läßt. “Es finden sich von Landschaft zu Landschaft Unterschiede im Eintritt, im Ausmaß und in der Dauer von bedeutsamen landschaftlichen Strukturwandlungen derselben Art“ (Jäger 1954 b, S. 157). Der allgemeine räumliche Prozeß vergleichbarer Ursachen, Auswirkungen und Formgebungen ist also allein regional differenziert, durch eine unterschiedliche Intensität des Vorganges sowie durch Unterschiede der Zeitstellung. Es wird von einer Gleichartigkeit des Allgemeinen ausgegangen und gesucht nach der Differenzierung in Zeit und Raum. Die „Strukturwandlungen derselben Art“ allerdings wären in ihrer Gleichartigkeit zu hinterfragen.
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11. Das Paradigma der genetischen Kulturlandschaftsforschung Helmut Jäger ist in seinem gesamten Werk, in Forschung und Lehre, dem landeskundlichen, in engerem Sinne dem kulturlandschaftsgenetischen Forschungsansatz verpflichtet, im Sinne der traditionellen Geographie, die auch sein Lehrer Hans Mortensen vertreten hat. Das die geographische Disziplin ausmachende und legitimierende Forschungsobjekt ist die Kulturlandschaft. Die geographische „Methode“ ihrer Untersuchung bzw. der geographische Forschungs- und Betrachtungsansatz ist die ganzheitliche Analyse, die Zusammenschau und Synthese von Einzelanalysen verschiedener Arbeitsmethoden und die Interpretation von Forschungsergebnissen auch benachbarter Teildisziplinen. Die Trennung von allgemeiner und regionaler Geographie, die letztlich den Weg bereitete für eine Überbetonung und Verselbständigung der allgemeinen Geographie im übergeordneten Rahmen der analytischen Wissenschaftstheorie, wird von Jäger nicht vollzogen. Kulturgeographie, Siedlungsgeographie oder Historische Geographie sind integrierte Bestandteile der im Mittelpunkt, am Anfang und am Ende stehenden Kulturlandschaftsforschung. Der historischen Geographie kommt in der Kulturlandschaftsforschung eine besondere Bedeutung zu. „Die historische Geographie ist eine empirische Wissenschaft mit reduktiven Methoden. Den Anfang jeder Forschung bildet die Analyse landschaftlicher Erscheinungen, die mit genetischen Methoden (Betrachtungsweisen, Fragestellungen) so erforscht werden, daß bei naturgeographischen Zusammenhängen eine Erklärung, bei entscheidender Mitwirkung des Menschen ein Verstehen möglich ist.“ (Jäger 1969, S. 11). Der in der Wissenschaftstheorie klassische Gegensatz von Erklären und Verstehen, von nomothetischem und ideographischem Ansatz im Rahmen einer Gegenüberstellung der Natur- und der Geisteswissenschaft ist zwar geläufig, wird aber – nicht nur von Jäger – keineswegs als gegensätzlicher Ansatz eingehalten. Vielmehr geht es auch in der Kulturlandschaftsforschung als wissenschaftliche Aufgabe um die Erklärung, die vornehmlich über den historisch-genetischen Ansatz erreicht werden soll. Entscheidend für die Wissenschaftlichkeit dieses Ansatzes ist dabei, daß die wissenschaftliche Erklärung nicht nur deskriptiv die Abfolge von Entwicklungsphasen verfolgt oder die zurückliegende Entstehung der in der heutigen Kulturlandschaft noch wirksamen Landschaftselemente, sondern daß in der Entwicklung genetische, allgemeinen Prinzipien folgende Entwicklungszusammenhänge bestehen, die es aufzudecken gilt. „Die einzeln erörterten aufeinanderfolgenden Phasen müssen sich für ihre Funktion durch mehr qualifizieren als durch die Tatsache, daß sie eine zeitliche Abfolge bilden und daß sie alle der letzten Phase vorangehen, die erklärt werden soll. In einer genetischen Erklärung muß gezeigt werden, wie jedes Stadium zum nächsten führt und durch ein allgemeines Prinzip mit seinem Nachfolger verbunden ist, welches das Auftreten des letzteren wenigstens angemessen wahrscheinlich macht, wenn das erste gegeben ist.“ (Hempel 1966, S. 112 f.; Matzat 1975, S. 66f.). Um diese Art von Erklärung genetischer Zusammenhänge, prinzipiell verbunden mit der geographischen Erforschung der heutigen Kulturlandschaft geht es Jä-
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ger in all seinen Arbeiten, auch dann, wenn einmal allgemeine Sachverhalte allein untersucht werden. Dahinter steht die besonders auch von Mortensen sehr deutlich vertretene Ansicht, daß das Verstehen wie auch die Erklärung der heutigen Kulturlandschaft nur über die genetische Analyse erreicht werden kann, die zumindest bis in das Mittelalter zurückgehen muß. „Die Kenntnis der mittelalterlichen Kulturlandschaft Deutschlands ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Deutung des heutigen Landschaftsbildes. Wir können unsere heutige Landschaft nur dann ausreichend verstehen, wenn wir klar herausschälen, welche ihrer Züge vorwiegend traditionell bestimmt sind und auf welche Entstehungszeit die jeweilige Komponente zurückgeht.“ (Mortensen 1958, S. 361). Der geographische Forschungsansatz der genetischen Kulturlandschaftsforschung, wie ihn H. Jäger aufgegriffen, weiterentwickelt und durchgehend behauptet hat, wird stets seine Berechtigung und auch seinen wissenschaftlichen Anspruch im Rahmen einer empirisch-analytischen Forschung behalten, auch dann, wenn seine Bedeutung in der zu einer Aktualforschung reduzierten und sich in Detailfragen auflösenden Geographie in den Hintergrund getreten ist. Auch im Kontext der heutigen Geographie hat eine genetische Kulturlandschaftsforschung und Landeskunde ihren wissenschaftlichen Stellenwert, wenn es gelingt, entwicklungsgeschichtliche Prozesse und Ursachengefüge sowie Regelhaftigkeiten hinter der gewachsenen Kulturlandschaft deutlicher in den Vordergrund zu bringen und zugleich zu zeigen, wie wirksam traditionelle Kräfte auch im Rahmen der heutigen Kulturlandschaftsgestaltung sind. Helmut Jäger spricht immer wieder von „unserer“ Kulturlandschaft, und dies hat seine innere Bedeutung. Autor wie Leser, aber auch ganz allgemein jeder Mensch wird hineingestellt in die ihn umgebende und von ihm täglich erlebte und mitgestaltete Umwelt. Jeder sieht und erlebt die historisch gewordene und entwickelte Kulturlandschaft, und der Geograph erarbeitet die Instrumentarien und stellt die Betrachtungsweisen bereit, uns diese heutige Landschaft, in der wir leben, entwicklungsgeschichtlich zu erklären. Dabei steht Jäger selbst sehr bewußt aufmerksam beobachtend und mit einer realen Vorstellung in der Landschaft drin, seine Veröffentlichungen sind nicht allein am Schreibtisch entstanden, sondern aus einer erwanderten gründlichen Kenntnis der Landschaft heraus. Die Beschäftigung mit den Arbeiten von H. Jäger ist nicht nur lehrreich, sondern vor allem auch äußerst anregend. Es werden Fragestellungen und Arbeitsmethoden im Rahmen eines recht geschlossenen Lehrgebäudes an die Hand gegeben, die alle hinführen auf vertiefte Kenntnisse und ein vermehrtes Wissen über die Entwicklung der Kulturlandschaft, die jedem von uns vor Augen ist. Immer wieder werden auch Arbeitsanleitungen gegeben, ein gerade von Jäger besonders gepflegtes Prinzip der Belehrung und der Aufforderung zur Mitarbeit (vgl. bes. Jäger 1953b; 1963a; 1965c; 1987). Jägers Landschaftskunde ist für die geographische Wissenschaft kein abgeschlossenes Kapitel. Forschungsansatz, Fragestellungen wie auch Arbeitsmethoden sind so angelegt, daß sie auch heute und in der Zukunft tragfähig sind, auch dann, wenn sich die Schwerpunkte geographischer Betrachtungsweisen verändern. Die Landschaft bleibt ein zentrales geographisches Forschungsobjekt und die genetische Kulturlandschaftsforschung wird mit der geographischen Disziplin stets verbunden bleiben. Hierzu hat Helmut Jäger einen grundlegenden Teil beigetragen.
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Veröffentlichungen zur historisch-genetischen Kulturlandschaftsforschung von Helmut Jäger: (Alle zitierten Arbeiten von Helmut Jäger befinden sich in diesem Verzeichnis). 1951
Die Entwicklung der Kulturlandschaft im Kreise Hofgeismar. – Göttingen (1951) (Göttinger Geographische Abhandlungen, 8). 1952 Stelle für Wüstungs- und Kulturlandschaftsforschung am Geographischen Institut der Universität Göttingen. – In: Die Erde, 4 (1952), S. 123. (gemeinsam mit H. Mortensen). 1953 Methoden und Ergebnisse siedlungskundlicher Forschung. – In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 1(1953), S. 3–16. 1953a Wüstungsfluren als Hilfsmittel für die Erforschung des mittelalterlichen Landschaftsbildes in Deutschland. – In: Kosmos, (1953), S. 159–161. *1953b Arbeitsanleitung für die Untersuchung von Wüstungen und Flurwüstungen. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 12 (1953), S. l5–19. 1954 Die Wüstungsforschung in ihrer Bedeutung für die geschichtliche Landeskunde in Franken. – In: Die Mainlande, 5 (1954), S. 33–34 und 39–40. 1954a Heiligengeisterholz und Kapenberg. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Kulturlandschaft. – In: Ergebnisse und Probleme moderner geographischer Forschung. Hans Mortensen zu seinem 60. Geburtstag.– Bremen-Horn (1954) (Raumforschung und Landesplanung, Abhandlungen, 28), S. 197–205. 1954b Zur Entstehung der heutigen großen Forsten in Deutschland. Göttinger Beiträge zur Entwicklung der heutigen deutschen Kulturlandschaft. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 13(1954), S. 156–171. 1954c Zur Wüstungs- und Kulturlandschaftsforschung. – In: Erdkunde, VIII (1954), S. 302–309. 1955 Flurwüstungen im Landschaftsbild. – In: Natur und Volk. Berichte der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, 85 (1955), S. 51–57. 1957 Kulturgeographie des südlichen Mainvierecks. – In: Beiträge zur Geographie Frankens. Festschrift zum 31. Deutschen Geographentag in Würzburg (1957). – (Würzburger Geographische Arbeiten, 4/5), S. 125–156. 1958 Entwicklungsperioden agrarer Siedlungsgebiete im mittleren Westdeutschland seit dem frühen 13. Jahrhundert. – Würzburg (1958) (Würzburger Geographische Arbeiten, 6) 1958a Wege der agraren Kulturlandschaftsentwicklung in den Randländern der Nordsee. – In: Tagungsberichte und wissenschaftliche Abhandlungen des 31. Deutschen Geographentages in Würzburg 1957. –Wiesbaden (1958), S. 386–398. ..1959 Die Ausdehnung der Wälder in Mitteleuropa über offenes Land. – In: Géographie et Histoire Agraires. Actes du colloque international organisé par la Faculté des Lettres de l’Université de Nancy. Annales de l’Est, 21, S. 300–312. 1959a Die Entwicklung der deutschen Agrarlandschaften. – In: Geographische Rundschau, 11 (1959), S. 85–92. 1960 Das Luftbild im Dienste der historischen Landeskunde. – In: Das Luftbild in seiner landschaftlichen Aussage. Schriftenfolge des Instituts für Landeskunde in der Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung, Bad Godesberg (1960) (Landeskundliche Luftbildauswertung im mitteleuropäischen Raum, 3), S. 17–23. 1961 Agrarische Reliktformen im Sandsteinodenwald in ihrer Bedeutung für die Landschaftsgeschichte. – In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 9 (1961), S. 169– 188 (gemeinsam mit J. Schaper). 1961a Die Allmendteilungen in Nordwestdeutschland in ihrer Bedeutung für die Genese der gegenwärtigen Landschaften. – In: Geografiska Annaler, XLIII (1961), (Papers of the Vadstena Symposium), S. 138–150. 1963 Zur Geschichte der deutschen Kulturlandschaften. – In: Geographische Zeitschrift, 51(1963), S. 90–143. 1963a Zur Methodik der genetischen Kulturlandschaftsforschung. Zugleich ein Bericht über eine
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Exkursion zur Wüstung Leisenberg. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 30 (1963), S. 158–196. 1963b Zur Erforschung der mittelalterlichen Landesnatur. – In: Studi Medievali, 3a, Serie IV (1963), S. 1–51. 1965 Neuere Arbeiten zur Genese schwedischer Kulturlandschaften. – In: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 217 (1965), S. 295–311. *1965a Hans Mortensen als Siedlungsforscher. – In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, 13 (1965), S. 1–11. 1965b Der agrarlandschaftliche Umbau des 19. Jahrhunderts. – In: Unterfranken im 19. Jahrhundert. – Würzburg (1965) (Mainfränkische Heimatkunde XIII), S. 210–243. *1965c Methodisches Handbuch für Heimatforschung in Niedersachsen. –Hrsg. v. H. Jäger. Hildesheim (1965) (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen, 1). 1966 Die fränkische Agrarlandschaft und ihr historisches Erbe. – In: Frankenland, Beiheft 1(1966), S. 1–10. *1966a Alte Kiefernbestände im fränkischen Laubholzgebiet. – In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, 26 (1966), S. 217–237. 1967 Dauernde und temporäre Wüstungen in landeskundlicher Sicht. – In: W. Abel (Hrsg.), Wüstungen in Deutschland. Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Sonderheft 2 (1967), S. 16–27. 1967a Der Dreißigjährige Krieg und die deutsche Kulturlandschaft. – In: H. Haushofer, W. A. Boelcke (Hrsg.), Wege und Forschungen der Agrargeschichte, Günther Franz zum 65. Geburtstag. – Frankfurt (1967), S. 130–l45. *1968 Reduktive und progressive Methoden in der deutschen Geographie. –In: Erdkunde, 22(1968), S. 245–246. *1968a Der Wald im nördlichen Süddeutschland und seine historisch-geographische Bedingtheit. – In: Mélanges de Géographie, offert à M. Omer Tulippe, vol. 1, Gembloux (1968), S. 597–613. *1969 Historische Geographie. – Das Geographische Seminar. Braunschweig (1969). 1970 Die mainfränkische Kulturlandschaft im Spiegel handgezeichneter Karten. – In: Volkskultur und Geschichte, Hrsg. D. Harmening u. a. (Festgabe für J. Dünninger). – Berlin (1970), S. 170–189. 1971 Raumnamen und Geländenamen als landeskundliche Zeugnisse. – In: Braunschweiger Geographische Studien, 3 (1971), S. 119–133. 1971a Kulturlandschaft. – In: Meyers Kontinente und Meere, Europa, Bd. 1(1971), 5. 33–45. 1973 Die mainfränkische Kulturlandschaft zur Echterzeit. – In: F. Merzbacher (Hrsg.), Julius Echter und seine Zeit. – Würzburg (1973), S. 7–35. 1973a Altlandschaftsforschung. – In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 1. Berlin (1973), S. 225–233. 1974 Kulturlandschaftswandel durch Wüstungsvorgänge. – In: H. Grees (Hrsg.), Die europäische Kulturlandschaft im Wandel. Festschrift für Karl Heinz Schröder. – Kiel (1974), S. 33–40. *1976 Großbritannien. – Wissenschaftliche Länderkunden, 11. Darmstadt 1976. 1977 Die spätmittelalterliche Kulturlandschaft Frankens nach dem Ebracher Gesamturbar vom Jahr 1340. – In: G. Zimmermann (Hrsg.), Festschrift Ebrach 1127–1977. – Volkach (1977), S. 94–122. 1978 Zur Erforschung der mittelalterlichen Kulturlandschaft. – In: Westfälische Geographische Studien, 35 (1978), S. 5–24. 1979 Wüstungsforschung in historischer und geographischer Sicht. – In: H. Jankuhn u. R. Wenskus (Hrsg.): Geschichtswissenschaft und Archäologie. Sigmaringen (1979). (Vorträge und Forschungen, 22), S. 193–240. *1980 Historische Methoden in der geographischen Forschung. – In: Geographie und Schule, 2, 3 (1980), S. 12–21.
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*1981
Das Vereinigte Königreich. Eine Landeskunde. – In: R. Hill, H. Jäger, R. W. Leonhardt und R. Seelmann-Eggebert. – Großbritannien, München und Luzern (1981), S. 108–158. 1982 Reconstructing Old Prussian Landscapes, with special reference to spatial organization. – In: A. R. H. Baker and M. Billinge, eds., Period and Place. Research Methods in Historical Geography. – Cambridge (1982), S. 44–50 and 321–322. *1982a Revolution oder Evolution der historischen Geographie? – In: Erdkunde, 36 (1982), S. 119–123. *1984 Territorienbildung, Forsthoheit und Wüstungsbewegung im Waldgebiet westlich von Würzburg. – Würzburg (1984) (Mainfränkische Studien, 29), (gemeinsam mit W. Scherzer). 1987 Entwicklungsprobleme europäischer Kulturlandschaften: Eine Einführung. – Darmstadt (1987). *1990 Irland. – Wissenschaftliche Länderkunden, 34. Darmstadt (1990). 1992 Die Agrarlandschaft (in Unterfranken). – In: P. Kolb und E.-G. Krenig (Hrsg.), Unterfränkische Geschichte, Bd. 2. – Würzburg (1992), S. 471–493. *1992a Die Altlandschaft Fünens in siedlungsgeographischer Sicht mit besonderer Beachtung der Völkerwanderungszeit. – In: K. Hauck (Hrsg.), Der historische Horizont der Götterbild – Amulette aus der Übergangsepoche von der Spätantike zum Frühmittelalter. – Göttingen (1992), S. 267–298. *1992b Mittelalterlich – frühneuzeitliche Umweltwahrnehmung, vornehmlich nach Quellen aus dem südlichen und mittleren Deutschland. – In: Geographie und ihre Didaktik. Festschrift für Walter Sperling, Teil 1. Materialien zur Didaktik der Geographie 15 (1992), S. 167– 182. *1992c Die naturgeographischen Verhältnisse im Gebiet der Germania zur taciteischen Zeit. – In: G. Neumann und H. Seemann (Hrsg.), Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, Teil II. Göttingen (1992), S. l24–152. *
Zitierte Arbeiten, die nicht unmittelbar zur genetischen Kulturlandschaftsforschung gehören.
Literatur Bethe, C.: Die Entwicklung der Kulturlandschaft im Bereich des Unter-Eichsfeldes. Diss. Göttingen 1952 (maschinengeschrieben). Born, M.: Die Entwicklung der deutschen Agrarlandschaft. – Darmstadt 1974 (Erträge der Forschung, 29). Born, M.: Die frühneuzeitliche Ausbauperiode in Mitteleuropa. Bemerkungen zum zeitlichen Ablauf. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 48 (1974), S. 111–128. Budesheim, W.: Die Entwicklung der mittelalterlichen Kulturlandschaft des heutigen Kreises Herzogtum Lauenburg unter besonderer Berücksichtigung der slawischen Besiedlung. – Besiedlung. – (Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, 74) Wiesbaden 1984. (Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, 74) Denecke, D.: Methodische Untersuchungen zur historisch-geographischen Wegeforschung im Raum zwischen Solling und Harz. Ein Beitrag zur Rekonstruktion der mittelalterlichen Kulturlandschaft. – Göttingen 1969 (Göttinger Geographische Abhandlungen, 54). Denecke, D.: Die historisch-geographische Landesaufnahme. – In: Göttinger Geographische Abhandlungen, 60 (1972), S. 401–436. Denecke, D.: Historische Siedlungsgeographie und Siedlungsarchäologie des Mittelalters. Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt interdisziplinärer Zusammenarbeit. – In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, 3 (1975), S. 7–36. Denecke, D.: Wüstungsforschung als siedlungsräumliche Prozess- und Regressionsforschung. In: Siedlungsforschung, 3 (1985), S. 9–35. Döppert, M.: Die Entwicklung der ländlichen Kulturlandschaft in der ehemaligen Grafschaft Schlitz
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unter besonderer Berücksichtigung der Landnutzungsformen, von der Frühneuzeit bis zur Gegenwart. – Mainz 1987 (Mainzer Geographische Studien, 29). Düsterloh, D.: Beiträge zur Kulturgeographie des Niederbergisch – Märkischen Hügellandes. Bergbau und Verhüttung vor 1850 als Elemente der Kulturlandschaft. Göttingen 1967 (Göttinger Geographische Abhandlungen, 38). Engelhard, K.: Die Entwicklung der Kulturlandschaft des nördlichen Waldeck seit dem späten Mittelalter. – (Gießener Geographische Schriften, 10). Gießen 1967. Fehn, K.: Zukunftsperspektiven einer historisch-geographischen Landeskunde. Mit einem wissenschaftsgeschichtlichen Rückblick 1882–1981. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 56 (1982), S. 113–131. Fliedner, D.: Die Kulturlandschaft der Hamme – Wümme – Niederung. Gestalt und Entwicklung des Siedlungsraumes nördlich von Bremen. – Göttingen 1970 (Göttinger Geographische Abhandlungen, 55). Gradmannn, R.: Das mitteleuropäische Landschaftsbild nach seiner geschichtlichen Entwicklung. – In: Geographische Zeitschrift, 7 (1901), S. 361 ff. und 435 ff. Helmfried, S.: Ostergötland “Västanstang“. Studien über die ältere Agrarlandschaft und ihre Genese. – In: Geografiska Annaler, 44 (1962), S. 1–277. Helmfried, S.: Räume und genetische Schichten der skandinavischen Agrarlandschaft. – In: J. Hagedorn, J. Hövermann und H.-J. Nitz (Hrsg.): Gefügemuster der Erdoberfläche. Festschrift zum 42. Deutschen Geographentag. Göttingen 1979, S. 187–226. Hempel, C. G.: Explanation in science and in history. – In: Dray, W. H. (Hrsg.): Philosophical analysis in history. New York 1966. S. 95–126. Kern, H.: Siedlungsgeographische Geländeforschungen im Amöneburger Becken und seinen Randgebieten. Ein Beitrag zur Erforschung der mittelalterlichen Kulturlandschaftsentwicklung in Nordhessen. – Marburg 1966 (Marburger Geographische Studien, 27). Kirbis, W.: Siedlungs- und Flurformen germanischer Länder, besonders Großbritanniens, im Lichte der deutschen Siedlungsforschung. – Göttingen 1952 (Göttinger Geographische Abhandlungen, 10). Marten, H. R.: Die Entwicklung der Kulturlandschaft im alten Amt Aerzen des Landkreises Hameln – Pyrmont. – Göttingen 1969 (Göttinger Geographische Abhandlungen, 53). Masuhr, J.: Anwendung neuerer Methoden zur Erforschung der mittelalterlichen Siedlungslandschaft im südlichen Weser – Leine – Gebiet. – Diss. Göttingen 1953 (maschinengeschrieben). Matzat, W.: “Genetische“ und “historische“ Erklärung in der Geographie und die analytische Wissenschaftstheorie. – In: Rhein – Mainische Forschungen 80 (1975), S. 59–80. Mortensen, H.: Fragen der nordwestdeutschen Siedlungs- und Flurforschung im Lichte der Ostforschung. – In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-hist. Kl. 1946/ 47, S. 37–59. Mortensen, H.: Neue Beobachtungen über Wüstungsfluren und ihre Bedeutung für die mittelalterliche Kulturlandschaft. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 10 (1951), S. 341–361. Mortensen, H.: Die mittelalterliche deutsche Kulturlandschaft und ihr Verhältnis zur Gegenwart. – In: Deutscher Geographentag Würzburg 1957. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen. Wiesbaden 1958. S. 361–374. Mücke, H.: Historische Geographie als lebensweltliche Umweltanalyse. Studien zum Grenzbereich zwischen Geographie und Geschichtswissenschaft. – Frankfurt 1988 (Europäische Hochschulschriften III, 369). Nitz, H.-J.: Spätmittelalterliches Fehdewesen und regionale Wüstungsmassierung. Eine Untersuchung ihres Zusammenhangs am Beispiel der umstrittenen welfisch-kurmainzisch-landgräflichhessischen Territorialgrenzzone im oberen Leinegebiet. – In: Genetische Ansätze in der Kulturlandschaftsforschung. Festschrift für Helmut Jäger. Würzburg 1983 (Würzburger Geographische Arbeiten, 60), S. 135–154. Pinkwart, W.: Helmut Jäger zum 60. Geburtstag. Mit einem Verzeichnis der Veröffentlichungen von Helmut Jäger. – In: Genetische Ansätze in der Kulturlandschaftsforschung. Festschrift für Helmut Jäger. Würzburg 1983 (Würzburger Geographische Arbeiten, 60), S. 13–26.
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Rippel, J. K:: Die Entwicklung der Kulturlandschaft am nordwestlichen Harzrand. – Hannover 1958 (Schriften der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft. Zum Studium Niedersachsens, 69). Röll, W.: Die kulturlandschaftliche Entwicklung des Fuldaer Landes seit der Frühneuzeit. – (Gießener Geographische Schriften, 9) Gießen 1966. Tacke, E.: Die Entwicklung der Landschaft im Solling. – (Schriften der wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens) Oldenburg 1943. Tesdorpf, J. C.: Die Entstehung der Kulturlandschaft am westlichen Bodensee. – Stuttgart 1972 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B, 72). Uhlig, H.: Die Kulturlandschaft. Methoden der Forschung und das Beispiel Nordostengland. – Köln 1956 (Kölner Geographische Arbeiten, 9/10). Wirth, E.: Theoretische Geographie. Grundzüge einer theoretischen Kulturgeographie. – Stuttgart 1979. Witte, L.: Die Kulturlandschaft des Osteroder Oberharzes und seines südwestlichen Vorlandes seit dem 17. Jahrhundert. – Phil.Diss. Göttingen 1964 (maschinengeschieben). Wöhlke, W.: Die Kulturlandschaft als Funktion von Veränderlichem. – In: Geographische Rundschau 21(1969), S. 298–308.
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
2. HISTORISCH-SIEDLUNGSGEOGRAPHISCHE FORSCHUNGSANSÄTZE DER BETRACHTUNG RÄUMLICHER PROZESSE, SYSTEME UND BEZIEHUNGSGEFÜGE* Die Geographie ist eine beschreibende, darüber hinaus aber auch analysierende und erklärende Wissenschaft. Die Betrachtung räumlicher Verhältnisse sowie das Verhältnis des Menschen zum Raum und zu seiner natürlichen, gebauten wie auch sozialen Umwelt stehen im Vordergrund der Untersuchungen der Anthropo- oder Kulturgeographie. Die Untersuchung verschiedener Zeiträume (Querschnitte), die Verfolgung von Entwicklungsvorgängen im historischen Ablauf (Längsschnitte) wie auch die entwicklungsgeschichtliche Erklärung gegenwärtiger geographischer Verhältnisse (retrospektive oder „genetische“ Analyse) sind die wesentlichen Betrachtungsweisen einer historischen Geographie. In ihrer Beschreibung, aber auch in ihrer Analyse und Erklärung räumlicher Verhältnisse, räumlicher Gliederungen oder räumlicher Anordnungsmuster bleibt die historische Geographie in ihrer Betrachtung vornehmlich statisch, das heißt auf Zustände gerichtet. Dynamisch wird die Betrachtung und Analyse dann, wenn räumliche Systeme, Beziehungsgefüge und Prozesse in ihren funktionalen, ökonomischen, politischen und sozialen Zusammenhängen untersucht werden. Diese dynamisch-funktionale Betrachtungsweise fand bereits in den 30er Jahren in der Geographie ihren Eingang und gewinnt heute mehr und mehr an Bedeutung. Mit ihr verschieben sich die Untersuchungen auch immer mehr von der vorhandenen, gewordenen oder gestalteten Landschaft hin zu den raumgestaltenden Aktionen, den raumwirksamen Aktivitäten und ihren steuernden Faktoren. In bezug auf die Beziehungen zwischen den historischen und geographischen Disziplinen und ihren Arbeiten bedeutet dies, daß sich die historische Geographie heute stärker als zuvor historischer, das heißt auf den Menschen und sein Handeln gerichteten Betrachtungen zuwendet. Eng verknüpft ist eine entwicklungsgeschichtliche Analyse mit der dynamischen Betrachtung von Vorgängen und steuernden Faktoren besonders bei der Betrachtung geographischen Wandels, bei Veränderungen in der Landschaft, im Raumgefüge oder seiner Gestaltung. Dieser Forschungsansatz ist besonders in der Geographie der 70er Jahre verfolgt worden. Die Geographie, wie auch die historische Geographie, verfolgen verschiedene Arten räumlicher Betrachtungsweisen oder Raumkonzepte, die forschungsgeschichtlich einander ablösen, die aber auch alle grundlegend von bleibender Gültigkeit sind.1 Allgemein werden auch oft mehrere dieser Raumkonzepte in geographischen Arbeiten miteinander verknüpft. So kann der Raum, in unserem Zusammenhang der Siedlungsraum, zunächst als Einheit betrachtet werden, als „umgrenzter Inhalt“, als weitgehend geschlossenes System (Regionalgeographie: Region, Gebiet, Soziotop u.a.). Der Raum kann * 1
In: Denecke, D. und Fehn, K. (Hrsg.): Geographie in der Geschichte. Erdkundliches Wissen 96. Stuttgart, 1989, S. 51–71. Zu Kategorien des Raumes in Zusammenhang mit dem Faktor Zeit und der Geschichte.vgl. u.a. die theoretischen Arbeiten von P. Schöller 1970, K. Litz 1982a und 1982b, D. Fliedner 1984 und 1987b und H. F. Gorki 1987
2. Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze
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sich zweitens aus einem Raummuster, aus einer räumlichen Anordnung oder Verbreitung einzelner Elemente konstituieren, er stellt ein offenes räumliches System dar, ein räumliches Gefüge, mit räumlichen Beziehungen zwischen einzelnen im Raum befindlichen Elementen (räumliches Siedlungsmuster u.a.). Der Siedlungsraum kann dann weiterhin Aktionsfeld menschlichen Handelns, Gestaltens oder Verhaltens sein, von einzelnen Stationen ausgehend und sich zu weiteren hin entwickelnd, in unterschiedlichsten Richtungen, Qualitäten und Intensitäten. Siedlungsräumliche Gestaltung kann dann viertens auch ein ideales Konzept, ein Modell, eine Formidee oder räumliche Idee als sinnvolle Ordnung verfolgen. Die räumliche Betrachtung geht dann von einem Konstrukt aus, das durch eine Anwendung raumgestaltend und raumwirksam werden kann. Letztlich besteht und bildet sich Raum, Siedlungsraum und Umwelt auch als Raumbewußtsein oder Regionalbewußtsein, gesteuert durch von außen wirkende oder auch innere Faktoren des Menschen. Veränderungen des Raumes und im Raum ergeben sich im historischen Zeitablauf in der Form von räumlichen Prozessen: 1. in Grenzverschiebungen und Wandlungen der Raumaufteilungen 2. in Veränderungen im Anordnungsmuster, in der Qualität und Quantität der Elemente 3. in der Richtung des räumlichen Handelns 4. in der idealtypischen Optimierung oder dem Verfall von idealen Konzepten, Siedlungsformen, Siedlungsmustern oder Siedlungssystemen 5. in der Erweiterung, Verengung oder Umstrukturierung der Raumvorstellungen Bei der Betrachtung räumlicher Prozesse stehen offene räumliche Systeme und Aktionsfelder sowie vor allem die Veränderungen des Raumes und der inneren Raumstrukturen im Vordergrund. Ausgehend bei einer prozessualen Betrachtung von einem offenen Raumkonzept, bildet sich der Raum aus einer Raumorganisation und Anordnung einzelner Elemente, in dem sich die Elemente im Inneren (Siedlung selbst) wie auch das räumliche System (Siedlungsmuster, Siedlungssystem) in verschiedenen Prozessen verändern. Siedlungsforschung als räumliche Prozeßforschung ist ein wissenschaftlicher Forschungsansatz, der erst in jüngerer Zeit in Teilaspekten gesehen und verfolgt wird. Der Forschungs- und Diskussionsstand ist dabei so, daß ein tragfähiges Betrachtungssystem einer Siedlungsprozeßforschung weder in der deutschen noch in der internationalen Forschung erreicht ist. Eine Weiterführung im Grundkonzept ist in der Tat notwendig.2 Eine neueres allgemeines Konzept einer Geographie der ländlichen Siedlungen hat zuletzt Born in seiner 1977 erschienenen „Geographie der ländlichen Siedlungen“ vorgelegt.3 Eine größere Zahl von Einzelstudien bietet, von einer allgemeinen theoretischen Konzeption her gesehen, nur Einzelaspekte. Das von Lienau zusammengestellte jüngste kleine Handbuch zur Siedlungsgeographie4 zeigt die vielfachen Fortschritte der Siedlungsforschung der letzten 10 Jahre auf, 2 3 4
Zur theoretischen Forschung in England vgl. H. Prince 1971 und 1980 sowie L. B. Rowntree 1988 M. Born 1977 C. Lienau 1986
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
eine weiterführende Grundstruktur im Betrachtungsansatz bietet Lienau jedoch nicht. Die bisherige lange Phase der Bemühungen um eine allgemeine, d. h. also um eine von der regionalen und örtlichen Individualität abgehobenen Siedlungsgeographie war bestimmt von einer wissenschaftlichen Systematisierung von Typologien, bezogen auf den Raum im Rahmen länderkundlicher Betrachtungen und bezogen auf das einzelne Element, das der Siedlungen. Formale Siedlungstypen, Gemeindetypen, genetische Siedlungstypen und letztlich sozio-kulturelle Typen sind die Ergebnisse, die ein wesentliches Fundament der Siedlungsgeographie auch heute bilden. Die Siedlungsforschung ist in diesem Sinne eine vornehmlich statische und beschreibende Objektforschung, gerichtet auf das Sein, die Existenz, das kulturlandschaftliche Inventar. Durch die Einbringung des Faktors Zeit als vierte Dimension5 – und zwar nicht nur im Sinne von Stadien, Querschnitten oder Sequenzen und Sukzessionen, sondern als geschlossener Entwicklungsprozeß im Zeitablauf – wird die Betrachtung und Analyse auf die Veränderlichkeit des Objektes (der Siedlung) gelenkt, auf das Werden und den Wandel, in der Erklärung jedoch zugleich auf das Wirkungsgefüge des verändernden Prozesses selbst.6 Expansion und Regression, das heißt Ausbreitungs- und Wachstumsvorgänge einerseits und Schrumpfung wie Rückentwicklung von Siedlung und Siedlungsräumen andererseits werden nunmehr als Siedlungsprozesse zur eigentlichen Fragestellung einer interdisziplinären Erforschung von Siedlungsräumen erhoben.7 Gestaltungsvorgänge im Ablauf der Geschichte einer Siedlung wie Transformationen, das heißt Wandlungen und hinter diesen stehende Einflüsse und Handlungen treten in den Vordergrund räumlich-geographischer Untersuchungen und Analysen. Diese Weiterentwicklung in der Betrachtungsweise bedeutet, daß das Instrumentarium einer Siedlungsforschung einer Veränderung und Erweiterung bedarf, von theoretischen Konzepten über den Gegenstand der Analyse bis hin zu den Arbeitsmethoden und zur Fachterminologie. I. RAUMWIRKSAME PROZESSE Raumwirksame Prozesse sind im wesentlichen Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen einer Raumorganisation. Diese Vorgänge sind herauszuarbeiten, zu analysieren und zu interpretieren, aus dem, was letztlich im Raum (Landschaft) seinen Niederschlag gefunden hat, faßbar geworden ist und eine überdauernde Gestalt angenommen hat, sowie aus den zeitgenössischen Quellen und Belegen, die den raumorganisatorischen Vorgang direkt beleuchten. Dabei würde der Geograph traditionellerweise den ersten Weg gehen, der Historiker den zweiten. Entscheidend ist jedoch, daß beide von der gleichen raumbe5 6 7
D. Klingbeil 1980 Vgl. u.a. W. Wöhlke 1969 und 1983; J. Langton 1972; Medieval Settlement 1976; Medieval Villages 1985 Vgl. hierzu die allgemeine Darstellung von D. Denecke 1985a. Siehe auch W. Scherzer 1983
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zogenen Fragestellung ausgehen, um zu einer historisch-geographischen Aussage zu kommen. Raumorganisation kann sich im Laufe einer Zeit durch praktische Erfahrung und sukzessive Maßnahmen einstellen, sie kann durch Übernahme und Nachvollzug gegeben sein, sie kann durch gezielte private Initiative oder letztlich vom Staat oder der öffentlichen Hand (raumwirksame Staatstätigkeit) angeordnet oder gesteuert werden (aktive Prozeßregler / Träger einer Maßnahme). Die Ermittlung der beteiligten Akteure und Träger einer raumwirksamen Maßnahme, die Erschließung des Maßes ihrer Beteiligung sowie ihr Zusammenspiel ist ein Fragenkomplex, der grundlegend, jedoch von der Raumgestaltung selbst noch weit entfernt ist (z.B. Biographien von Planern im Rahmen einer Planungsgeschichte). Die weiterführende Frage ist die nach dem Entscheidungsgrundsatz, dem Ziel, der Theorie oder Ideologie der Entscheidungssteuerung. Hier nun werden verschiedene Philosophien verfolgt, die in jüngster Zeit auch in der historischen Geographie fruchtbar gemacht worden sind. Hierzu gehört vornehmlich der marxistische / materialistische Ansatz, der von einer besonders in England vertretenen und aus Frankreich angeregten (annales school) „marxist geography“ getragen wird.8 Demgegenüber steht eine idealistische historische Geographie9, die von einem rationalen Denken und Entscheiden ausgeht, d.h. von dem Grundansatz, daß alles Handeln und jede Geschichte – und hier speziell die Organisation und Gestaltung der Umwelt, des Siedlungs- und Wirtschaftsraumes – vom denkenden Menschen, von der Verwirklichung seiner Ideen ausgeht.10 Diese neuen grundlegenden Paradigmen der historischen Geographie sind erst in ihren Umrissen formuliert worden. Sie werden von nur wenigen Vertretern getragen, die nun versuchen, ihren Ansatz in konkreten Fallstudien zu verifizieren. Letztlich stellt sich die Frage, auf welche Weise, mit welchen Instrumentarien, durch welche Maßnahmen die Raumorganisation und -gestaltung durchgesetzt worden ist. Politische, rechtliche, soziale, materielle und finanzielle Zugeständnisse waren oft die Lockungen, mit denen Kolonisationsmaßnahmen, Ansiedlungen, Peuplierungen, neue wirtschaftliche Unternehmungen, Stadtgründungen u.a. attraktiv gemacht worden sind. Raumgestaltende und raumorganisierende Gesetze und Verordnungen (Bauverordnungen, Umweltverordnungen, Zollverordnungen, Zunftverordnungen u.a.) wirkten sich oft entscheidend auf eine siedlungs- und wirtschaftsräumliche Entwicklung aus. Den Auswirkungen des Einsatzes dieser Instrumentarien auf die Siedlungs- und Kulturlandschaft nachzugehen ist eine zukunftsweisende Aufgabe, die wiederum den Historiker eng an historisch-geographische Fragestellungen heranrückt. Äußerst kritisch ist die bisherige Literatur der Siedlungsforschung zu sichten in Bezug auf das, was hier unter Prozessen in der Geographie verstanden wird. Um die Forschung nicht in hoffnungslose Mißverständnisse verstrickt zu sehen, wird es notwendig sein, den ganzen Komplex geographischer Prozesse, das heißt das, was 8 A. R. H. Baker 1972,1979 und 1982; R. A. Butlin 1982; D. Gregory 1978 und 1982; Explorations in Historical Geography 1984 9 L. Guelke 1982; vgl. auch M. S. Kenzer 1987 10 Vgl. hierzu allgemein D. Fliedner 1979; H. Hambloch 1983; H. Mücke 1988
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sich, als Beispiel auf die Siedlungsgeographie bezogen, unter den Termini „Siedlungsentwicklung“ und „Siedlungsprozeß“ verbirgt, zu differenzieren. So sind allgemein folgende siedlungsräumliche Prozesse auseinanderzuhalten: 1. Historischer Prozeß – der Prozeß als Entwicklung des geographischen Objektes (Siedlung, Siedlungsraum) im historischen Zeitablauf: unklar oft „genetischer Prozeß“; meist dargestellt in Stadien, Querschnitten, markanten Epochen 2. Formgebende Prozesse, formgebende Faktoren a) ungelenkte, spontane Siedlungsprozesse, Selbstorganisationsprozesse b) Siedlungsweise, Siedlungsorganisation c) räumliche Anordnung, räumliche Ordnung d) Formgestalt, ungeregelte/geregelte Form e) Formenabfolgen, Sukzessionen, Reorganisation 3. Wandlungsprozeß – der Prozeß als formale, funktionale oder soziale Veränderung der Siedlung: Transformation, „Dynamik“; Veränderung von Gestalt und räumlicher Anordnung im Gegensatz zur Persistenz 4. Innovationsprozeß – der Prozeß als Entstehung, Neuerung, Innovation, Herausbildung, Nachahmung oder Übertragung im Raum 5. Expansionsprozeß – der Prozeß als räumliche Ausbreitung, Diffusion, Expansion: primäre Herausbildung von Anordnungs- und Verbreitungsmustern (Raumbildungsprozeß) 6. Regressionsprozeß – der Prozeß als räumliche Schrumpfung, Regression, Extensivierung, Konzentration 7. Aktionsprozeß – der Prozeß als raumwirksame Aktion, Gestaltung, Organisation, angeregt, gesteuert und durchgeführt durch Akteure, Prozeßregler, Katalysatoren (Gestaltungsprozeß, Planungsprozeß) 8. Konfliktprozeß – der Prozeß als Konflikt, als Anpassungsvorgang, als Ursache und Auslöser von Folgeerscheinungen 9. Typogenetischer Prozeß – der Prozeß als Formierung einer Idee, eines idealen Formkonzepts, allgemein hin zu einer Normierung und Optimierung: Typogene, genetische Typologie; Übertragung, Konvergenz 10. Bewußtseinsprozeß – der Prozeß als Bewußtseinsbildung: Raumbewußtsein, Raumvorstellung, Regionalbewußtsein; Bildung von räumlichen Empfindungen und Reflektionen (perception), Bildung eines geographischen Image 11. Verhaltensprozeß – der Prozeß der Entwicklung räumlichen Verhaltens und räumlicher Verhaltensmuster. Einige der genannten Prozesse sollen an Beispielen näher erläutert werden, wobei in der Überschrift jeweils ein Hinweis auf die einschlägige Nummer in der vorstehenden Auflistung erfolgt. 1. Raumgestaltung im Zuge von Formgebungsprozessen Die Beschreibung und Analyse sowie die Verfolgung der Entwicklung der Kulturlandschaft oder auch des Lebensraumes durch den Menschen ist ein wesentliches Anliegen kulturgeographischer Forschung. Die räumliche Anordnung verschiede-
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ner Gestaltung oder Formgebung wird auf der Grundlage formbeschreibender, ordnender und typisierender formaler Merkmale zu erfassen gesucht. Der reale historische Entwicklungsvorgang einer Siedlung, einer Flur oder eines Wegenetzes wird dabei in einem historischen (querschnittlichen) oder einem entwicklungsgeschichtlichen (längsschnittlichen: Wandel/Veränderung) Ansatz verfolgt.11 Demgegenüber versucht der typogenetische Ansatz ideale formengenetische Reihen aufzustellen, die die Entwicklung eines Formtyps von einer Ausgangsform über eine Hochform (ausgereifte Idealform) zu einer Verfallsform postuliert.12 Beide Ansätze sind nicht nur formbeschreibend, sondern sehr wesentlich auch als raumgestaltende Prozesse anzusehen, als Vorgänge, bei denen der Mensch gestaltend oder „raumwirksam“ in die Landschaft eingreift, was bleibende und oft lang überdauernde Formgebungen hinterläßt (Persistenz). Ist nun die gegebene oder die sich wandelnde Form als solche Gegenstand einer statisch-formalen Betrachtung, so geht eine prozessuale Betrachtung den Vorgängen der Formgestaltung selbst nach, d.h. etwa dem Prozeß einer primären Formgestaltung (Gründungsformen, Planungsformen), dem Prozeß einer formalen Entwicklung (Transformation, Wandel, Veränderung, Umgestaltung) oder dem Prozeß der Übertragung bzw. Entwicklung einer Formvorstellung (formtypologisches Vorbild, Gestaltungsprinzip). Entwirft eine beschreibende, statische Formtypologie Verbreitungskarten von Siedlungsformen, Hausformen oder Flurformen, so geht eine auf den Raum bezogene Prozeßforschung darauf aus, die Formgebungsvorgänge im Raum zu verfolgen: 1. Ein mehr oder weniger planmäßiger Vorgang einer Raumerschließung oder Raumgestaltung wird in seiner räumlichen Auswirkung verfolgt und abzugrenzen versucht (Kolonisations-/Landnahmevorgang, planmäßige Erschließung).13 2. Räumliche Verbreitung formaler Veränderungen und Umgestaltung auf der Grundlage der Analyse der verschiedenen, die Transformation jeweils steuernden Faktoren (z.B. von der Stadt ausgehende Elemente der Verstädterung, staatlich und kommunal gesteuerte Vorgänge der Aussiedlung, Flurbereinigung, Dorferneuerung u.a.).14 3. Wege der Übertragung von Formvorstellungen und Räume bzw. Zeiten konvergenter Formentwicklung. Die konkreten Ergebnisse einer solchen auf raumgestaltende Prozesse ausgerichtete Forschung sind etwa: 1. Karten mehr oder weniger geschlossener, planmäßiger Besiedlungsvorgänge/ Kolonisationsmaßnahmen. 2. Karten regional wirksam gewordener, ähnliche Merkmale zeigender formaler Veränderungen und Umgestaltungen. 3. Karten der Verbreitung gleicher oder ähnlicher Gestaltungsprinzipien, die nach11 12 13 14
Vgl. zum letzteren u.a. A. R. H. Baker 1975 und R. A. Butlin 1982 M. Born 1977; B. K. Roberts 1982a, 1982b und 1985 Vgl. hierzu den systematischen Ansatz bei D. Denecke 1976a Vgl. hierzu u.a. G. Knorr 1975 und D. Denecke 1981
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weislich in andere Räume übertragen bzw. dort nachgebildet wurden oder die ohne Kontakt zueinander in ähnlicher Weise entstanden sind. Es wird deutlich, daß eine solche Prozeßforschung durch ihre Ausrichtung auf die formgebenden Prozeßträger sowie auf die den Prozeß steuernden Faktoren und Entscheidungen historischen Quellen, Arbeitsweisen und Fragestellungen näherkommt als eine formtypologische Ordnung und Beschreibung von Erscheinungen in der Kulturlandschaft. Ein Blick auf den Forschungsstand in der Geographie zeigt, daß die Siedlungsund Flurformenforschung den Schritt zu einer räumlichen Prozeßforschung (im Raum ablaufende, den Raum dauerhaft gestaltende formgebende Prozesse) erst in wenigen Ansätzen getan hat. Hier jedoch liegt eine wesentliche Zukunft, die die Forschungen der Geographie einerseits und der Historiker andererseits näher zusammenbringen wird. 2. Wandlungsprozesse Unter Wandlungsprozessen sind in der Siedlungsgeographie u.a. Wachstums- und Schrumpfungsprozesse einer ländlichen Siedlung, Hofteilungen und Zusiedlungen oder auch innerörtliche Wüstungsvorgänge oder Wiederaufsiedlungen zu verstehen. Eine sehr wesentliche Arbeitsmethode zur Erfassung von Wandlungsprozessen in Siedlungen basiert auf Hofrückschreibungen, wie sie vor allem von Krenzlin, August, Rippel und Marten entwickelt worden sind. Sie ermöglichen die Rekonstruktion von Prozessen einer inneren Siedlungsentwicklung im Zuge von Hofteilungen und Zusiedlung (inneres Wachstum) oder Hofvakanz und Aufgabe (innere Regression, partielle Ortswüstung). Meist lassen sich diese Vorgänge nicht bis in die mittelalterlichen Anfänge zurückbelegen, und in ihrem Verlauf sind sie – quellenbedingt – meist nur in Querschnitten zu fassen. Die entstehenden Bilder, Hof für Hof, mit allen Teilungsbeziehungen, den Grundherrschaften sowie dem sozialen Status der Höfe können oft recht kompliziert sein, in der Form von Stammbäumen, wie sie Marten für die Siedlungsentwicklung im alten Amt Aerzen bei Hameln erstellt hat.15 Im Mittelpunkt dieser entwicklungsgeschichtlichen Analysen steht allgemein die Flurentwicklung und damit auch eine Darstellung der besitzrechtlichen Flurstruktur in Zeitschnitten seit dem späten Mittelalter. Auf der räumlichen Anordnung oder Nachbarschaftslage beruht dann auch, mit Hilfe der sogenannten Korrespondenzmethode,16 die Rekonstruktion der Hofteilungen. Auf die Hofstellen und den Siedlungskörper bezogen sind Entwicklungsprozesse dieser Art bisher kaum in der Siedlungsforschung, in der Siedlungstypologie oder in kartographischen Darstellungen angewandt worden. Hier wäre im Rahmen einer Siedlungsprozeßforschung eine fruchtbare Weiterentwicklung möglich. In gleicher Weise wie die Zunahme im Hofbestand ist auch die Abnahme oder Aufgabe von Höfen zu rekonstru15 H.R. Marten 1969 16 J. K. Rippel 1961
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ieren, was jedoch nur selten durch entsprechende Quellen abgedeckt ist. Marten ist dies für sein Untersuchungsgebiet äußerst instruktiv gelungen. Er zeigt das anteilige spätmittelalterliche Wüstungsausmaß in Flur und Siedlung, der Wüstungsprozeß wird also im Detail quantifiziert. Darüber hinaus zeigt er auch den Wiederaufsiedlungsprozeß in seinem Ablauf und setzt dies auch in Kartensymbole um. Bis heute konnten dieser Arbeit keine vergleichbaren Untersuchungen und Darstellungen an die Seite gestellt werden. Auf die innere formale Entwicklung einer Siedlung gerichtet und die Veränderung in Umriß, Größe und Struktur im Zuge von Entwicklungsstadien verfolgend hat B. Roberts in den letzten Jahren ein entwicklungsgeschichtliches Betrachtungssystem beziehungsweise einen Rahmen von Stadien einer formalen Siedlungsentwicklung entworfen und in einem Schaubild oder Modell veranschaulicht.17 Dieses Schema entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung führt über die statische Klassifikation von Siedlungsformentypen hinaus zu einer Erfassung, Analyse und Typisierung formalen Wandels (Transformation, Wandlungsprozeß) im Ablauf einer Siedlungsgeschichte. Roberts ist der führende und zugleich einer der ganz wenigen morphogenetischen Erforscher der agraren Siedlungen in Großbritannien.18 Er arbeitet losgelöst und weitgehend ohne Kenntnis der deutschen Siedlungsmorphologie, was seine Konzeptionen und Klassifikationen im Vergleich zu den Betrachtungsansätzen in Deutschland besonders interessant macht. Von den beschreibenden, allgemeinen formalen Grundstrukturen ausgehend (Reihung, Anordnung um einen Platz, Agglomeration) unter dem weiterhin grundlegend differenzierenden Gesichtspunkt regelmäßiger und unregelmäßiger Grundstrukturen kommt Roberts zu einer Herausarbeitung wesentlicher formverändernder Prozesse im Ablauf der Geschichte einer Siedlung. Er unterscheidet dabei an verändernden Vorgängen die Persistenz oder Fortdauer von Siedlungselementen oder Siedlungsteilen, eine innere Erweiterung im Rahmen einer Verdichtung (Aggregation) der Siedlung durch Teilung, Zusiedlung und Auffüllung des alten Kernes oder eine neue Angliederung von Siedlungsteilen (Expansion). Dem Siedlungswachstum wird eine innere Schrumpfung (Kontraktion) gegenübergestellt, bedingt durch Abwanderung, Zusammenlegung oder partielles Wüstfallen. Weiterhin werden eine mögliche Reorganisation des Gemeinwesens oder des Siedlungsgrundrisses sowie kleinräumige Siedlungsverlegungen in Rechnung gestellt. Das sich ergebende Ordnungsschema der Klassifikation wäre vierdimensional, wenn man auch den Wandel des Aufrisses bzw. der Grundstruktur der Häuser mit hineinnähme, was Roberts nicht tut. Er bleibt bei der Analyse und Darstellung der Grundrißstruktur. Die Expansion oder Reduktion einer ungeregelten oder planvollen (geregelten) Grundrißentwicklung der Siedlung wird von Roberts dann in Kartensymbole umgesetzt, um damit auch die räumliche Verbreitung formaler Entwicklungsstadien und somit räumliche Siedlungs- und Kulturlandschaftsentwicklung zu veranschaulichen. Hier wird ein Weg einer allgemeinen historisch-siedlungsmor17 B. K. Roberts 1982a, 1982b und 1985 18 Zur Siedlungsgeographie in Großbritannien vgl. auch Medieval Settlement 1976; Medieval Villages 1985, D. Denecke 1988a und 1988b
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phologischen Betrachtung ländlicher Siedlungen beschritten, der vor allem unter dem Gesichtspunkt von Entwicklungsprozessen und Veränderungsvorgängen ausbaufähig ist und der besonders für die englische Siedlungsforschung, in der Ansätze dieser Art bisher weitgehend fehlen, von Bedeutung sein wird. Die Transformation, d.h. die innere Umgestaltung des Siedlungsbildes eines Dorfes durch Abriß, Neubauten und besonders durch Umbauten ist ein Siedlungsprozeß, der vor allem auch für die Gegenwart und die letzten Jahrzehnte untersucht und analysiert wird, im Rahmen von Arbeiten um Probleme der Verstädterung und des sozioökonomischen Wandels im ländlichen Raum, aber auch im Rahmen der Bemühung um eine anwendungsorientierte Siedlungsgeographie.19 Anwendungsbereiche sind dabei besonders die erhaltende Dorferneuerung, die als planerische und subventionierte gezielte Maßnahme zur Raumordnung ländlicher Gebiete von Behörden, Gemeinden und privaten Planungsbüros durchgeführt wird. 3. Innovationsprozesse Auch die räumliche Innovationsforschung ist schon in ihren Anfängen von Modellvorstellungen ausgegangen, die den Ablauf von Innovation und Diffusion generalisierend veranschaulichen. Aber auch hier zeigt sich, daß über die sehr allgemeinen Grundstrukturen hinaus räumlich sehr spezifische Ausbreitungsmuster auftreten, abhängig etwa von Besonderheiten des Innovationsobjektes und den zahlreichen regional und zeitgenössisch bedingten Steuerungsfaktoren. So weist – als Beispiel – die Ausbreitung der Kartoffel in Mitteleuropa rekonstruiert auf der Basis einer repräsentativen Auswahl von Erstnennungen verschiedene, auf eine lange Zeitspanne verteilte Innovationsphasen auf, die sich durch Ziel und Art des Anbaus unterscheiden.20 Die erste Phase von 1587 bis in die Mitte des 18. Jhs. war dadurch gekennzeichnet, daß über große Entfernungen hin einzelne potentielle Innovationszentren entstanden. Gebunden war die Übertragung an Fürsten, Landesherren und Geistliche, bzw. an ihr botanisches Interesse an neuen Pflanzen aus den neu entdeckten entfernten Ländern der Erde. Sie gaben sie unter sich weiter und hegten sie in ihren botanischen Gärten und Sammlungen. Das Pflanzen der Kartoffel als Grundnahrungsmittel im Hausgarten folgte als weitere Innovationsphase am Ende de 17. bis zur Mitte des 18. Jhs. Innovationsschwerpunkte lagen in den Mittelgebirgen, wo die Ernährungsgrundlagen durch geringe Erträge und eine Bevölkerungszunahme besonders schlecht war. In der Mitte des 18. Jhs. nahm dann die Phase eines Anbaus der Kartoffel als Hackfrucht auf dem Brachfeld ihren Aufschwung, weitgehend von den Mittelgebirgen ausgehend und stark auf den lokalen Bedarf gerichtet. Letztlich hat sich dann der Kartoffelanbau in der 2. Hälfte des 19. Jhs. in Gebiete mit leichten Böden (Heide u.a.) verlagert, als eine wichtige Handelsfrucht vor allem für die wachsenden Städte.
19 G. Knorr 1975; D. Denecke l981, H.J. Nitz 1982 20 Vgl. D. Denecke 1976a, für die spätere Zeit auch Ch. Borcherdt 1961
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Die Innovationsforschung, die etwa zwischen 1965 und 1975, besonders von Geographen und Soziologen getragen, einen bedeutsamen Aufschwung nahm, ist in jüngerer Zeit nicht mehr recht vorangekommen. Sie ist auch von Historikern nicht in genügender Weise aufgegriffen worden, obgleich gerade dieser Ansatz an die Wirtschafts- und Sozialgeschichte weiterzugeben ist, da neue und detaillierte Ergebnisse nur auf der Basis umfangreicher Daten- und Quellenarbeit zu erreichen ist. Aber gerade diese Voraussetzung ist auch eine wesentliche Ursache für die Stagnation in diesem Bereich einer räumlichen Prozeßforschung, da die gezielte Suche nach Anfangs- und Ausbreitungsdaten eine endlose Bemühung ist, die zudem stets lückenhaft bleiben muß. Damit kommt auch die theoretische Arbeit nicht recht voran, die mit einem weiteren Fortschreiten zunehmend auch auf empirischen Erkenntnissen aufbauen muß. Hier, wie auch in manchen historisch-geographischen Forschungsbereichen sind eine größere Zahl von Regionalstudien notwendig, um auf dieser Basis erneut allgemeinere Schlüsse ziehen zu können. Die wirtschaftsgeschichtliche Forschung hat sich auch eher mit den Zyklentheorien beschäftigt, d.h. mit den Auf- und Abschwüngen in ihren technischen und ökonomischen Bedingungen als mit regionalen Ausbreitungsmustern und ihren kausalen Analysen.21 4. Expansions- und Regressionsprozesse Jede Siedlung wie auch jeder Siedlungsraum ist progressiven wie auch regressiven Entwicklungen unterworfen. Das Wachstum von Städten und Dörfern ist auf der Basis von Grundrißanalysen formal-beschreibend und chronologisch zuordnend vielfach untersucht worden. Die Weiterentwicklung dieser Frage geht jedoch zunehmend auch den funktionalen Zusammenhängen sowie den politischen und sozialen Hintergründen nach, d.h. den das Wachstum tragenden oder steuernden Faktoren und Prozeßreglern. Auf die Stadt bezogen gehören hier die zahlreichen Studien der jüngeren Zeit zur Urbanisierung her, d.h. Arbeiten, die der Expansion der Städte in das Umland und dem Ausgreifen städtischer Funktionen, Bauweisen, Lebensweisen und Verhaltensweisen (Phänomen der Verstädterung) nachgehen. Räumliche Wachstums- und Überformungsprozesse gehen hier Hand in Hand. In ähnlicher Weise verlief auch die Ausbreitung der Industrialisierung mit all ihren wirtschaftlichen und sozialen Begleiterscheinungen. Besonders drastisch hat sich der Eingriff des Menschen in die natürliche Umwelt beim Vorstoß der Besiedlung am Rande der Ökumene ausgewirkt. Dies zeigen zum Beispiel neue Untersuchungen auf Island auf der Grundlage von Pollendiagrammen, die zum Teil in die absolute Tephrachronologie der Hekla- sowie der Katla-Ausbrüche und vor allem der C 14 datierten „Landnám Layer“ (um 850–900) eingeordnet sind.22 Verschiedene Diagramme, besonders das von Mosfell-Grimsens zeigen einen drastischen Rückgang der Birke am Ende des 9. Jahrhunderts, nach21 Vgl. u.a. D.Fliedner1974, 1987a, 1989. 22 M. Hallsdottir 1987
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dem sich diese nach einem schon vorherigen deutlichen Rückgang nochmals erholt hatte. Zwischen 900 und 950 gehen die Birkenpollen innerhalb kurzer Zeit auf etwa 10% zurück. Mit und kurz nach dem Rückgang der Birke setzt ein erstmaliges Auftreten von Offenlandpflanzen ein (Klappertopf, Herzblatt, Dreizack), die auf feuchte Wiesen hinweisen. Auch Spitzwegerich und Vogelknöterich treten erstmalig auf. Vor allem aber ist eine deutliche Zunahme der Gramineen zu erkennen. Erstmalig zeigen sich auch am Ende des 9. Jahrhunderts Getreidepollen, Gerste und Hafer. Wir erkennen in diesem Bild der Pollendiagramme einen Rodungsvorgang bzw. eine sehr rasche, im Laufe von rund 800 Jahren erfolgte Zerstörung des Waldbestandes, den Beginn einer Grünlandvegetation in den ehemaligen Waldbereichen und den Beginn eines Getreideanbaues um 850, dessen Höhepunkt schon um 950 erreicht ist und der in Island ganz allgemein um 1600 abbricht. Es handelt sich hier um den Vorgang der wikingerzeitlichen Landnahme auf Island. Der Prozeß der räumlichen Ausbreitung einer Besiedlung in seiner zeitlichen Abfolge wie auch in dem Nacheinander der Kriterien der Siedlungen und der Herausbildung eines Verbreitungsmusters der Siedlungen läßt sich bei jüngeren Landnahmevorgängen oft im Detail nachvollziehen. Als Beispiele seien Untersuchungen im nördlichen Schweden23 oder in den mittelatlantischen Kolonien von Nordamerika24 genannt. So läßt sich z.B. auf der Grundlage der Landpatente für Pennsylvania bis in das frühe 18. Jahrhundert zurückreichend der Aufsiedlungsvorgang bzw. die Entwicklung eines Siedlungsmusters, eine selektive Standortwahl sowie die Bildung von Tochtersiedlungen recht genau rekonstruieren. Der ganze Komplex von Landnahmemustern bzw. räumlicher Landnahmeprozesse ließe sich systematisieren, ausgehend von der Rekonstruktion von Landnahmekarten, d.h. von genau datierten Abläufen von Besitznahmen und Siedlungsgründungen. Für eine Generalisierung oder eine Bildung von Kolonisationsmodellen reichen die wenigen vorliegenden Einzelstudien aus verschiedenen Räumen allerdings noch nicht aus. Die Untersuchung von Regressionen in der Siedlungs- und Kulturlandschaft ist in der Geographie bisher vor allem verbunden gewesen mit einer kulturlandschaftsgeschichtlich ausgerichteten Wüstungsforschung. Die völlige oder teilweise Aufgabe von Siedlungen wie auch eine Minderung oder Extensivierung in der Nutzung sind aber in entscheidendem Maße Prozesse, die von wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Vorgängen abhängen und gesteuert werden, es sind Prozesse, deren letztlich sichtbares Resultat in der Landschaft die Wüstungserscheinung ist. Regressionen in der Besiedlung können mit einer Dezimierung der Bevölkerung durch Kriege oder Seuchen zusammenhängen, aber auch mit einem Abzug oder Umzug der Bevölkerung. Dieser Abzug kann durch Push-Faktoren am Ausgangsort bewirkt werden (z.B. schlechte Böden, Rückgang der Erträge, periphere Lage, Unsicherheit u.a.), aber auch durch Pull-Faktoren am Zielort (Attraktion der Städte, wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg in der Stadt, Sicherheit u.a.) Phasen des Verlaufs von Wüstungsvorgängen, die Qualität und Intensität von Regressionserscheinungen, die räumliche Differenzierung von Regression, Regres23 1. Egerbladh 1987 24 D. Denecke 1976b
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sionen im Zuge von Siedlungsverlagerungen und Rückzügen der Besiedlung im Bereich von Siedlungsgrenzen – dies sind im Siedlungsraum ablaufende Prozesse, deren steuernde Faktoren zu untersuchen sind. An systematischen Arbeiten hierzu fehlt es bisher noch weitgehend, und auch ein Konzept allgemeiner Fragestellungen ist noch kaum erarbeitet.25 5. Aktionsprozesse – Planungsprozesse Eng mit der Frage raumwirksamer Prozesse verknüpft ist die in jüngster Zeit einen bedeutsamen Aufstieg nehmende Planungsgeschichte bzw. die Geschichte von Planungsvorgängen. Ein traditionelles Feld der Siedlungs- und Flurgeographie ist die Interpretation vor allem geregelter Siedlungs- und Flurformen auf eine planmäßige Entstehung hin, zu einem wesentlichen Teil rückschließend, ohne direkte zeitgenössische Belege dafür beibringen zu können. Von einer ganz anderen Seite her kommt nun die historische, architekturhistorische und planungsgeschichtliche Forschung, die vornehmlich das planerische Werk großer Stadtplaner des 19. und 20. Jahrhunderts behandelt wie auch einige der wesentlichen Konzeptionen dieser Zeit. Eine internationale Arbeitsgruppe in England (Planning History Group), eine Informationszeitschrift (Planning History Bulletin), vier neue Zeitschriften bzw. Reihen (Studies in History, Planning and the Environment, London; Planning Perspectives, Cambridge; Stadt-Planung-Geschichte, Aachen; Urbanismo Revista, Madrid) sowie eine eigene Arbeitsgruppe in Deutschland machen die neuen bemerkenswerten Aktivitäten deutlich. Die historische Geographie hat auf diesem Gebiet noch wenig eigene Fragestellungen entwickelt, wenn auch bereits einige Arbeiten zur allgemeinen Thematik beigetragen worden sind. 6. Typogenetische Prozesse Die Entwicklung typogenetischer Reihen von Siedlungsformen (Grundrißtypen) ist in den sechziger Jahren vor allem von W. Czajka und seinem Schüler R. Krüger entscheidend vorangebracht und dann von M. Born zur Grundlage eines Konzeptes einer allgemeinen Betrachtung ländlicher Siedlungsformen gemacht worden.26 Born steht mit diesem allgemeinen genetische Ordnungssystem der Grundrißformen ländlicher Siedlungen Mitteleuropas durchaus noch in der Tradition der Formtypologie, obgleich er bereits die Bedingtheit der Siedlungsform durch „prägende Vorgänge“, d. h. durch Prozesse formgebender Gestaltung durch den Menschen sieht. Den auf Primärstrukturen beruhenden und aus den Kartenquellen des 18. und 19. Jahrhunderts abgeleiteten, zunächst statischen oder überzeitlichen Charakter der Siedlungsformentypologie versucht Born genetisch zu vertiefen, und damit den Faktor der Zeit und der Formentwicklung in die Siedlungstypologie einzubringen. Die Sied25 Vgl. hierzu ausführlich D. Denecke 1985 26 W. Czajka 1964; R. Krüger 1967; M. Born 1977
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lungsformentypen werden bei Born wesentlich von der Flurform her bestimmt, d. h. also von der formal ausgeprägten Besitzstruktur, entsprechend der geographischen Definition der Siedlung, was jedoch für eine Weiterentwicklung der allgemeinen Siedlungsgeographie bzw. für einen Betrachtungsrahmen der Ansiedlungen selbst zu vielfältigen Problemen führt. Born geht bei seiner Formentypologie von angenommenen Gestaltungskonzeptionen oder übergeordneten Gestaltungsprinzipien aus. Seine Formenreihen, eine genetische Abfolge abstrakter Formtypen einzelner Grundmuster (Streusiedlung, Haufendorf, Platzdorf, Angerdorf, Straßendorf, Zeilendorf, Reihendorf) weisen eine konsequente, formal logische, typogenetische Anordnung auf. Bei Czajka werden die typogenetischen Formenreihen auch „Formenserie“ oder „Formtypensukzession“ genannt, bei Nitz „Typenabfolge“.27 In diesen typogenetischen Formenreihen äußert sich der Gedanke von evolutionistischen Entwicklungsstadien eines jeweiligen Gestaltungsprinzips, von einer Initialform über eine Grund- und Hochform (Idealform) hin zu einer Kümmerform. Es handelt sich bei diesem Ordnungssystem um Grundmerkmale von Typen in logisch entwickelter Abfolge, die mit der Vorstellung einer Optimierung oder formalen Vervollkommnung abläuft. Mit der Fortentwicklung eines Formtyps innerhalb einer Reihe nimmt die Standardisierung der Siedlungsform zu und damit auch ihr übertragbarer Charakter als Modell. Die mögliche Anwendung eines solchen Modells im Zuge von Siedlungsgründungen wäre die reale Umsetzung eines geistigen formtypologischen Entwicklungsprozesses in Stadien, hin zu einer Standardisierung oder zu einem formalen Idealtypus. Bei diesem Vorgang einer Verwirklichung muß allerdings allgemein mit Formvarianten und besonderen Regionalformen gerechnet werden. Durch den Begriff der „Siedlungsformensequenz“, einer sich in Stadien vollziehenden Aufgabe bzw. Auflösung oder Überprägung der primären Siedlungsgestalt, bringt Born dann unmittelbar neben die abstrakte typengenetische Reihe die reale Siedlungsvorgänge beschreibenden Formen der Auflösung oder des Zerfalls (Wachstum, Neuanlage, Siedlungskonzentration, Überformung).28 Die von Born genannte allgemeine Prämisse, daß die Entwicklung der Formidee und die folgenden entwicklungsgeschichtlichen Veränderungen „die Funktion von Vorgängen“ sind, die die Formgebung bestimmen, ideal wie auch real, wird in seiner „Geographie der ländlichen Siedlungen“ allerdings nicht konkret ausgefüllt. Es ist bemerkenswert, daß dieser jüngste Entwurf eines Systems einer allgemeinen Geographie der Formen ländlicher Siedlungen auf Mitteleuropa beschränkt blieb. Er hat weder eine wissenschaftliche Diskussion hervorgerufen, noch hat sich dieser spezifisch deutsche Entwurf in der allgemeinen Siedlungsgeographie durchgesetzt. Nur kurz wird er von Lienau in der kleinen „Geographie der ländlichen Siedlungen“ dargestellt, jedoch ohne eine grundlegende kritische Auseinandersetzung.29 In der internationalen Forschung fehlt dieser Ansatz bisher ganz. Ein wesentlicher Grund dafür ist meines Erachtens, daß der theoretische und systematisierende An27 W. Czajka 1964; H.-J. Nitz 1980 und 1985 28 M. Born 1977 29 C. Lienau 1986, S. 135–138
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satz von Born unklar ist, vor allem da Typogenese und reale historische Entwicklung nicht deutlich genug voneinander getrennt sind und weil die formbildenden Vorgänge nicht analysiert oder modellhaft systematisiert werden. Gerade diese Problemstellungen müssen heute im Zusammenhang mit dem Streben von einer beschreibenden und ordnenden Kultur- und Siedlungsgeographie hin zu einer dynamischen, prozessualen und analytischen Sozial- und Verhaltensgeographie besonders gefordert werden. H.J. Nitz hat dann auch gerade hier mit seinem Born posthum gewidmeten Beitrag „außereuropäische Siedlungsräume und ihre Siedlungsformen“ anknüpfend den auf H. Bobek fußenden Ansatz der gesellschaftlichen Entfaltungsstufen in die Siedlungsforschung und Formentwicklung hineinzubringen versucht.30 II. RÄUMLICHE SYSTEME 1. Zentralörtliche Systeme Jede Siedlungslandschaft oder jedes Siedlungsnetz und Siedlungsmuster weist in sich eine hierarchische Gliederung auf, unter dem Gesichtspunkt der Lage (zentral/ peripher), der Größenordnung der Siedlungen, der rechtlichen Struktur, des wirtschaftlichen Potentials, der funktionalen Bedeutung und der Reichweite der Umlandbeziehungen. Die Orte unterschiedlichen Ranges stehen nicht nur nebeneinander in einem Anordnungsmuster, sondern sie stehen in einem funktionalen Beziehungssystem zueinander. Aus dieser grundlegenden Beobachtung heraus hat W. Christaller 1933 ein räumlich-funktionales Modell entworfen, ein theoretisches oder ideales, hierarchisch aufgebautes Zuordnungssystem von Siedlungen unterschiedlicher Rangstufe. Daraus ergeben sich konkrete Fragestellungen, die auf Siedlungsgebiete jeder Zeitstellung bezogen werden können, bzw. auch – im historischen Zeitablauf – auf Veränderungen innerhalb des hierarchischen Systems und funktionalen Beziehungsgefüges.31 So läßt sich eine zentralörtliche Forschung richten auf die funktionale zentralörtliche Ausstattung eines Ortes selbst, auf Einzugs- und Verteilbereiche von Gütern und Dienstleistungen im zentralörtlichen Umfeld wie letztlich auch auf die Prozesse, die zur Herausbildung eines zentralörtlichen Siedlungssystems führen sowie auf Veränderungen in der hierarchischen Stellung eines Ortes wie auch in einem größeren System zentraler Orte. Die bisherigen, auf historische Zeiträume bezogenen Arbeiten hierzu, fast alles regionale Fallstudien, zeigen eine deutliche Entwicklung in der Fragestellung. Zunächst ging es um die funktionale Ausstattung (zentralörtliche Bedeutung) der Orte selbst und um davon abgeleitete Rangstufen.32 Danach richtete sich die Forschung auf die Ausstattung und Struktur des zentralörtlichen Umlandes.33 30 31 32 33
H.J. Nitz 1985 D. Denecke 1976c R. Klöpper 1952; K. Fehn 1970; M. Mitterauer 1971 K.D. Vogt 1968
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
Die zentralörtliche Struktur und ihr Wandel in einer größeren Region ist von H. H. Blotevogel für Westfalen in einer grundlegenden Studie verfolgt worden.34 Wirtschaftliche Umlandbeziehungen zwischen Stadt und Land in historischen Epochen sind letztlich ein Forschungsfeld, das in besonderer Weise dynamische Beziehungsfelder erschließt.35 Die Forschungen haben sich somit im Ansatz von einer statischen Beschreibung und generalisierten Ranggliederung weiterentwickelt zu einer Untersuchung einzelner zentralörtlicher Indizes (Einzugs- und Verteilerbereiche) hin zu detaillierten Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zwischen Stadt und Land. Die tägliche Versorgung mit Agrarprodukten, die Sicherung der Zulieferung von Brennholz und Holzkohle sowie von Braugetreide und Handelsgetreide über den städtischen Markt und Exporthandel, dies sind Fragen der städtischen Wirtschaft, die in entscheidendem Maße nicht nur wirtschaftsgeschichtlich zu behandeln sind, sondern räumliche Beziehungsgefüge deutlich werden lassen, die kartographisch darstellbar sind.36 Sie sind durch räumliche Bedingungen (Produktionsgebiete, Transportwege, Verkehrsverhältnisse und -hindernisse), durch stadtorientierte Handelsbeziehungen und Besitzungen wie auch durch grundherrliche oder territoriale Verbindungen gesteuert. Die städtische Wirtschaft hatte auch vielfache direkte und indirekte Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Agrarstruktur des Umlandes, etwa durch Sonderkultur- und Milchwirtschaft zur täglichen Versorgung der Stadt, Anbau von Braugerste für die Stadt, Anbau von Roggen für den städtischen Getreidehandel, Kontrolle der Leinenproduktion durch städtische Leggen, städtische Produktion im Umland im Verlagswesen oder auch durch den Zustrom von Lehrlingen und Dienstpersonal aus dem Umland in den nächstgelegenen zentralen Ort. Diese konkreten wirtschaftlichen und sozialen Bindungen bestimmten auch das räumliche Umfeld und Bezugsfeld in der Vorstellung und im Leben der Stadt- und Landbewohner, das erst im 19. Jh. über das zentralörtliche Umfeld hinauszuwachsen begann. Mit der Verengung der Fragestellungen und einer Vertiefung im Detail werden vermehrt schriftliche Quellen herangezogen, Einzelquellen aber auch größere Datenmengen. Konkrete kartierte Verbreitungsmuster von Bezügen oder Zulieferungen zeigen nun, daß die räumlichen Modellvorstellungen die räumlichen Bezugssysteme weder adäquat beschreiben noch befriedigend erklären können. Es wird deutlich, daß regionale Spezialisierungen vorliegen, die keineswegs allein an den Faktor der Entfernung gebunden, sondern durch natürliche, grundherrliche, preisliche oder traditionelle Standortbezüge bestimmt sind. Die Struktur von Umlandbeziehungen in ihrem räumlichen Anordnungsmuster wirft spezifische wirtschafts- und sozialgeschichtliche Fragen auf, die ohne die räumliche Rekonstruktion und Darstellung der komplexen Wirtschaftslandschaft und Wirtschaftsbeziehung nicht formulierbar wären.
34 H.H. Blotevogel 1975a. Vgl. dazu auch allgemein H.H. Blotevogel 1975b 35 H. Ammann 1963; K. Fritze 1967; K. Greve 1987; D. Denecke 1985b 36 Vgl. die Beispiele bei H. Ammann 1963 und D. Denecke 1985b
2. Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze
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2. Verkehrssysteme Die Geschichte einzelner Verkehrswege ist als Geschichte jeweiliger Individuen in einer Reihe von Beispielen dargestellt worden, von Historikern, Lokalhistorikern und Geographen, z.B. der westfälische Hellweg, der Ochsenweg in Jütland oder die Lüneburger Salzstraße. Für viele Teilgebiete ist auch bereits die Entwicklung des Wegenetzes rekonstruiert und beschrieben worden, besonders für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit. Verkehrsnetze bilden aber oft auch geschlossene oder offene Verkehrssysteme, deren Zusammenhang auf eine besondere Planung, Pflege, Nutzung oder wirtschaftspolitische Zielsetzung zurückging. Träger oder Trägergruppen standen hinter der Schaffung und Erhaltung dieser Verkehrssysteme, eng verbunden mit wirtschaftlichen Zielen, Wirtschaftsorganisationen oder Wirtschaftssystemen. So ist schon das Netz der Flur- und Gemarkungswege einer Siedlung ein geschlossenes Verkehrssystem, das mit der ersten Anlage der Siedlung und Flur in Grundzügen bereits ausgelegt war. Siedlungsgrundriß (Orts- und Flurgrundriß) und das Netz der Gemarkungswege bedingten einander. Typisch für dieses System der Gemarkungswege ist ihr Ausfächern vom Siedlungskern aus und ihr Ende in den Wirtschaftsfächern der Gemarkung. Kann sich nun eine topographische und monographische Wegeforschung mit der Rekonstruktion von Verlauf, Gestalt und Entwicklung der Wegestraßen und Wegenetze begnügen, so ist die Frage nach Verkehrssystemen auf räumlich-funktionale Zusammenhänge aus und auf Veränderungen, die allgemein in einem Wandel des Systems begründet sind. So hat etwa das Wegenetz einer Gemarkung grundlegende Veränderungen erfahren durch den Ausbau von Ortsverbindungen und Durchgangsstraßen seit dem späten Mittelalter, durch eine grundlegende Veränderung der Besitzstruktur und der Parzellierung im Zuge der Verkopplung sowie letztlich der Flurbereinigungen. Weitere Verkehrssysteme waren z.B. das Netz von Kohlenwegen in Waldgebieten einer Holzkohlegewinnung, das auf eine Erzhütte gerichtete Zubringernetz, das Netz der Stadt- oder Marktwege, das eine Stadt mit seinem Umland verband, das System von Geleitstraßen eines Geleits, das System von Botenwegen und Postwegen. Spezifische Nutzungen und Organisationen standen hinter diesen Systemen und an ihrer Geschichte, ihrem Aufschwung, Wandel oder Niedergang hing auch das Schicksal des zugehörigen Verkehrssystems. Damit wird deutlich, daß in dieser Frage der räumlichen Organisation des Verkehrs und seines Netzes historische und geographische Fragestellungen besonders eng verknüpft sind. Es ist bemerkenswert, daß die Altstraßenforschung gerade diesen Weg bisher kaum beschritten hat. Sie ist vornehmlich mit der Rekonstruktion und kartographischen Darstellung von Verkehrsbeziehungen, Routen, Wegenetzen und Wegetrassen befaßt. Eine Betrachtung historischer Verkehrsnetze und Verkehrsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt von Verkehrssystemen ist vor allem deshalb erschwert, weil sich verschiedene Systeme, Verkehrsarten des Straßenverkehrs (z.B. Fußweg, Fahrweg) oder Routennetze (Fernverkehrsweg/Nahverkehrsweg oder Frachtstraße/Poststraße) überlagern und weil die geschlossene Rekonstruktion von Systemen keineswegs immer gelingen kann.
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
3. Sozialräumliche Systeme Die Entwicklung einer modernen Sozialgeographie in den 60er und 70er Jahren hat sich in Deutschland nur wenig auf die historische Geographie ausgewirkt. Allein der Ansatz einer sozialräumlichen Gliederung der Stadt und seine Weiterentwicklung zur Sozial- und Berufstopographhie ist ein breiteres Forschungsfeld geworden, das auch von Historikern in einer Reihe von Arbeiten aufgegriffen worden ist.37 Ging es zunächst um die Ausgliederung sozial in sich weitgehend homogener Stadtteile oder Quartiere, so ist dann in den 70er Jahren fortgeschritten worden zu einer Rekonstruktion und Analyse sozialtopographischer Anordnungsmuster (Verbreitung sozialer Indizes: Beruf, Vermögen, Steuerklasse u.a. pro Haus bzw. Familie). Die Interpretation der Verbreitungsmuster sowie ihrer Konstanz oder Veränderung im Laufe der Geschichte führt nunmehr weiter zur Frage von Anordnungstypen, berufsspezifischen Standortmustern oder auch zu der Bindung sozialtopographischer Muster an bestimmte Gesellschaftsordnungen. Erst auf diesen sozialräumlichen Gliederungen und Verbreitungsmustern können dann Fragestellungen aufbauen, die den sozialräumlichen Beziehungen, räumlich-sozialen Interaktionen und Kontakten nachgehen und damit sozialräumlichen Verflechtungen oder Systemen. Hierzu gehören Untersuchungen zum innerstädtischen Umzugsverhalten (innerstädtische Mobilität), die allgemein zeigen, daß die soziale Bindung und Schichtenzugehörigkeit das Ziel des Wohnungswechsels wesentlich bestimmt und einengt. Hierzu muß allerdings gesagt werden, daß Untersuchungen zur historischen innerstädtischen Mobilität, die wegen der Quellenbedingungen weitgehend erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzen können, in Deutschland noch äußerst rar sind.38 Hier ist die amerikanische Forschung bereits weiter, vor allem auch in bezug auf die sozialen Hintergründe, die Motivationen und die allgemeine Ursachenanalyse. Über die Rekonstruktion von räumlichen Strukturen der Systeme hinausgehend steht hierjeweils spezifisches soziales Verhalten im Vordergrund der Untersuchungen. Ein anderer Bereich, in dem sozialräumliche Beziehungen und Beziehungssysteme im Detail deutlich werden, ist mit historischen Heiratskreisen in ihrer räumlichen Darstellung gegeben. Bisher vorliegende Untersuchungen sind allerdings meist auf zwischenörtliche Heiratsbeziehungen ausgerichtet, die Einzugsbereiche von Ehepartnern in eine Stadt anzeigen, nicht aber auf räumliche Muster innerörtlicher Heiratsbeziehungen, die mit der sozialräumlichen Gliederung korreliert werden könnten. Auch dies ist, noch für das 18. und 19. Jahrhundert, ein gravierendes Quellenproblem, daß der Wohnstandort (Hausnummer) der Ehepartner im Ort allgemein in den Kirchenbüchern nicht angegeben ist. Die Einzugsbereiche zuziehender Partner haben sich etwa im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts in charakteristischer Weise verändert. Der Anteil zuziehender Ehepartner nimmt gegenüber Ortsheiraten seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemein zu, mit der verstärkten Zuwanderung von Handwerkern, Lehrlingen und Dienstpersonal in die Städte. Der 37 D. Denecke 1988a und 1988b 38 Vgl. D. Denecke 1987
2. Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze
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Anteil der einheiratenden weiblichen Personen war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts höher als der der männlichen. Erst danach stieg der Anteil der zuziehenden Männer deutlich an (berufsbezogener Zuzug). Die Distanz der Herkunftsorte der einheiratenden Männer lag durchgehend höher als die der Frauen, die zu einem großen Teil als Dienstmädchen aus der näheren Umgebung in die Stadt kamen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die meisten auswärtigen Ehepartner aus einem näheren Umkreis (bis etwa 40 km). Die Entfernung der Herkunftsorte nahm bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu. Danach, allgemein mit dem Anschluß an die Eisenbahn, lagen die meisten Herkunftsorte auswärtiger Partner bereits mehr als 50 km von der Stadt der Eheschließung entfernt. Dieses sind allgemeine Tendenzen, die sich aus den wenigen bisher vorliegenden Einzelstudien ablesen lassen. Dieser historisch-sozialräumliche Forschungsansatz steht erst in den Anfängen, vor allem wenn das Ziel verfolgt werden soll, Vergleiche anzustellen und Unterschiede zwischen Städten verschiedener Struktur und Größenordnung, Phasenverschiebungen der wesentlichen Veränderungen u.a. zu erkennen. 4. Räumliche Wanderungssysteme Ein wesentliches Verhalten des Menschen im Raum ist seine Mobilität im Sinne einer Verlagerung seines Wohnstandortes. In der Statistik wird diese Wanderung am Ort als Zuzug oder Fortzug erfaßt. Räumlich unterscheidet man nach der Entfernung die innerstädtische/örtliche Wanderung (Umzüge innerhalb einer Gemeinde), die Binnenwanderung (Wanderung innerhalb eines Landes) und die Auswanderung. Über die quantitative Erfassung von Zuwanderung und Abwanderung hinaus rükken Wanderungsräume und Wanderungssysteme in den Blick der Betrachtung durch eine Beobachtung vorherrschender Wanderungsrichtungen und Wanderungszyklen. So ist etwa die Land-Stadt-Wanderung eine Wanderungsbewegung, die seit der Städtebildung im Mittelalter immer wieder Höhepunkte erlebt hat. Vor allem in jüngeren Untersuchungen ist nun versucht worden, Wanderungswegen im Lebenszyklus nachzugehen oder Weiterwanderungen nach der Einwanderung zu verfolgen und in ihrem Ablauf Systeme (offene Systeme) zu erkennen. So lassen etwa Untersuchungen in Amerika für das 18. und 19. Jahrhundert erkennen, daß Einwanderer zunächst meist in der Hafenstadt der Ankunft blieben, was dort zu deutlich ausgeprägten nationalen Vierteln führte, daß von dort – oft nach Jahren – eine erste Ansiedlung im weiteren Umland vorgenommen wurde und dann oft weitere Stationen folgten, meist verbunden mit neuem Landerwerb. Der Ausbzw. Einwanderung folgte also eine in mehrere Stationen gegliederte Binnenwanderung. Mit der Frage nach den Ursachen werden auch die Push- und Pull-Faktoren deutlich, die hinter den Entscheidungen zu einer Wanderung standen. Bemerkenswert ist dabei, daß die Entfernungen eine untergeordnete Rolle spielten. Es waren vielmehr Vorstellungen besserer Verdienst- und Arbeitsmöglichkeiten, der Wunsch nach größerer Eigenständigkeit und besonders Bindungen zu Verwandten oder Freunden, die die Entscheidung zu einem erneuten Aufbruch bestimmten.
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
Ausblick In diesem Beitrag konnten nur ausgewählte Bereiche aus dem gesamten Komplex historisch-geographischer Forschungsansätze39 in knapper Form dargestellt werden. Ein ausführlicherer Überblick auf der Grundlage bisher vorliegender Fallstudien und vor allem auch unter Heranziehung der ausländischen Literatur fehlt bisher. Einige allgemeine neue Forschungsentwicklungen der englischen Humangeographie lassen sich der Einführung von D. Gregory entnehmen.40 Manche neuen Wege sind zwar in der einen oder anderen jüngeren empirischen oder theoretischen Arbeit schon gewiesen, es fehlt jedoch an einer allgemeinen kritischen Auseinandersetzung und einer breiteren Anwendung der jeweiligen Richtung in empirischen Regionalstudien. So mag diese Darstellung einige Forschungsrichtungen andeuten und vielleicht zukünftige Arbeiten mit Ansätzen dieser Art anregen. Literatur Ammann, H.: Vom Lebensraum der mittelalterlichen Stadt. Eine Untersuchung an schwäbischen Beispielen. Berichte zur deutschen Landeskunde, 31 (1963), S. 284–316 Baker, A. R. H.: Rethinking Historical Geography. In: Progress in Historical Geography. Hrsg. von A. R. H. Baker. Newton Abbot 1972, S. 11–28 Baker, A. R. H.: Historical Geography and Geographical Change. Aspects of Geography. London 1975. Baker, A. R. H.: Historical Geography: a New Beginning. Progress in Human Geography 2 (1979), S. 560–570 Baker, A. R. H.: On Ideology and Historical Geography. In: Period and Place: Research Methods in Historical Geography. Hg. von A. R. H. Baker and M. Billinge. Cambridge 1982, S. 233–243 Baker, A. R. H., Gregory, D. (Hrsg.): Explorations in Historical Geography, Interpretative Essays. (Cambridge Studies in Historical Geography 5). Cambridge 1984 Blotevogel, H. H.: Zentrale Orte und Raumbeziehungen in Westfalen vor der Industrialisierung (1780–1850) (Bochumer Geographische Arbeiten 18). Paderborn 1975 (1975a) Blotevogel, H. H.: Die Theorie der zentralen Orte und ihre Bedeutung für die Volkskunde und Kulturraumforschung. In: Stadt-Land-Beziehungen. Verhandlungen des 19. Deutschen Volkskundekongresses in Hamburg 1973. Göttingen 1975, S. 1–20 (1975b) Borcherdt, C.: Die Innovation als agrargeographische Regelerscheinung. In: Arbeiten aus dem Geographischen Institut der Universität des Saarlandes, 6. Saarbrücken 1961, S. 13–50 Born, M.: Geographie der ländlichen Siedlungen. 1. Die Genese der Siedlungsformen in Mitteleuropa (Teubner Studienbücher der Geographie). Stuttgart 1977 Butlin, R. A.: The Transformation of Rural England, ca. 1580–1800. A Study in Historical Geography. Oxford 1982 Czajka, W.: Beschreibende und genetische Typologie in der ostmitteleuropäischen Siedelformenforschung. In: Schriften des geographischen Instituts der Universität Kiel, 23. Kiel 1964, S. 37–62 Denecke, D.: Innovation and Diffusion of the Potato in Central Europe in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. In: Fields, Farms and Settlement in Europe. Hrsg. von R. H. Buchanan, R. A. Butlin u. D. McCourt. Belfast 1976, S. 60–96 (1976a)
39 Vgl. dazu zusanmenfassend H. Jäger 1987 40 D. Gregory 1987
2. Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze
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I. Der Weg der Forschung und allgemeine Betrachtungsansätze
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2. Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze
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II. PHASEN UND PROZESSE DER SIEDLUNGSUND FLURGENESE 1. WÜSTUNGSFORSCHUNG ALS SIEDLUNGSRÄUMLICHE PROZESS- UND REGRESSIONSFORSCHUNG* I. WÜSTUNGSFORSCHUNG – BEGRIFF UND UNTERSCHIEDE DER ZIELSETZUNGEN Wenn sich auch in der Geographie seit längerer Zeit der Begriff der Wüstungsforschung durchgesetzt hat und diese als ein besonderer Zweig der historisch-geographischen Siedlungs- und Kulturlandschaftsforschung – vor allem des späten Mittelalters – angesehen wird (evident etwa in eigenen Forschungsberichten: Scharlau 1957, Bönisch 1960, Abel 1967, Jäger 1968, Bohm 1969, Beresford 1971, Quirin 1973, Henkel 1975, Lob 1976, Simms 1976, Jäger 1979, Mangelsdorf 1982, Salvesen 1982, Denecke 1981/1983/1985, Fehn 1983), so liegt doch diesem, in den 50er und 60er Jahren verstärkt entwickelten Forschungszweig keineswegs eine einheitliche Zielsetzung und wissenschaftliche Konzeption zugrunde. Die Wüstungsforschung hat vielmehr verschiedene Stadien unterschiedlicher Zielsetzungen durchlaufen und ist auch von verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen zeitlichen Schwerpunkten in der Forschungsgeschichte betrieben worden, was zu weiteren verschiedenartigen Ansätzen geführt hat. Der traditionelle Begriff der Wüstungsforschung umfaßt einmal die siedlungsgeschichtliche Untersuchung wüstgefallener Ortsstellen und Fluren, zum zweiten eine Kulturlandschaftsforschung besonders des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit – sowie drittens eine allgemeingeographische analytische Regressionsforschung, ausgehend von Fragen nach den Ursachen und Prozessen eines Siedlungsrückganges. Es sind damit zunächst grundlegend drei verschiedene siedlungsgeographische Problemstellungen, die mit diesem Begriff der Wüstungsforschung gefaßt werden und die bisher in der Forschung nicht genügend voneinander getrennt worden sind. Ich halte diese Differenzierung jedoch für wesentlich, um den Zielsetzungen der einzelnen Fragestellungen und ihren Forschungsfeldern erneut ein schärferes Profil zu verleihen und um die Forschung damit in jedem Problemkreis für sich zielstrebiger voranzubringen. Die Trennung dieser Forschungsbereiche von ihrem *
Wüstungsforschung als siedlungsräumliche Prozess- und Regressionsforschung. In: Siedlungsforschung. Archäologie – Geschichte – Geographie 3, 1985, S. 9–35. Der Beitrag geht hervor aus einem Vortrag zum Gedächtniskolloquium zum fünfzigsten Geburtstag von Martin Born, gehalten am 5. Dezember 1983 in Bonn. Der Vortrag stand unter dem Thema: Historisch-geographische Wüstungsforschung – Siedlungsarchäologie des Mittelalters – interdisziplinäre historische Siedlungsforschung. Entwicklungen von Forschungsfeldern und Forschungskonzeptionen.
1. Wüstungsforschung als siedlungsräumliche Prozess- und Regressionsforschung
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Ansatz her ist keineswegs eine individuelle Neuerung, sondern sie ergibt sich aus der Entwicklung der Forschung während der letzten 10 bis 15 Jahre. Die Untersuchung verlassener Siedlungs- und Wirtschaftsplätze per se mit dem Ziel, aus den exemplarischen Befunden einen Abschnitt einer regionalen Siedlungsgeschichte zu erschließen, ist meines Erachtens keine Wüstungsforschung im eigentlichen Sinne, sondern archäologische, historische oder auch historischgeographische Siedlungsforschung. Der wüste, offene und nicht wieder überbaute Siedlungsplatz ist, vornehmlich aus methodischen und ganz einfach auch praktischen Gründen Untersuchungsobjekt der Erschließung früherer Siedlungszustände und Siedlungsentwicklung. Auf den bloßen Zustandsbildern einer durch archäologische Forschung erschlossenen bzw. rekonstruierten Siedlung allein läßt sich jedoch keine auf einen Wüstungsprozeß gerichtete Wüstungsforschung aufbauen. So ist es auch bezeichnend und sicher auch folgerichtig, daß sich in der Siedlungsarchäologie, wo ja fast immer eine total wüste Ortsstelle Forschungsobjekt ist, die Bezeichnung einer „Wüstungsforschung“ für ihr Tun nicht durchgesetzt hat, obgleich Janssen (1968 und 1975), gekennzeichnet durch die Benutzung des Begriffs „archäologische Wüstungsforschung“, in diese Richtung einige Anstrengungen gemacht hat. Auch die interdisziplinäre britische Arbeitsgruppe, die vornehmlich siedlungsarchäologisch arbeitet, hat ihren Namen von „Deserted Medieval Village Research Group“ geändert auf „Medieval Village Research Group“. In Jankuhns „Einführung in die Siedlungsarchäologie“ (1977) taucht der Begriff der Wüstungsforschung als Untersuchung aufgelassener Ortsstellen oder Fluren gar nicht auf. Hier ist dies „Siedlungsarchäologie“. Der Archäologe Paul Grimm formulierte das Selbstverständnis der Archäologie 1938 im Titel eines Aufsatzes so: „Möglichkeiten der Unterbauung siedlungsgeographischer Fragen durch vorgeschichtliche Methoden“. Im Vergleich zu dem heutigen Selbstverständnis der mittelalterlichen Siedlungsarchäologie zeigt sich damit sehr deutlich die wachsende Verselbständigung und auch Entfernung der Archäologie von der geographischen Siedlungsforschung des Mittelalters. Diese Siedlungsarchäologie (Archäologie ländlicher Siedlungen), an den Universitäten, getragen von Archäologen des Faches Ur- und Frühgeschichte, deckt heute zu einem wesentlichen Teil Forschungsfragen ab, die von der geographischen Wüstungsforschung in den 50er und 60er Jahren schon formuliert worden sind, die jedoch ohne den Schritt zu einer archäologischen Forschung nicht weiterführend zu lösen waren. Und diese zwingende methodische Weiterentwicklung ist von der geographischen Forschung aus in Deutschland nicht betrieben worden. Sie wurde vielmehr der ur- und frühgeschichtlichen Disziplin überlassen, die ihre archäologische Forschung in das Mittelalter hinein erweiterte und eine „Mittelalterarchäologie“ geschaffen hat, die sich inzwischen international zu einer eigenständigen Disziplin entwickelte. Gemeint sind diejenigen Problemstellungen, die sich auf die innere Struktur der Siedlungen, auf Konstruktion und Funktionen der Gebäude, auf Wirtschaftsweise und agrare Produktion, auf die soziale Organisation wie auch besonders auf die Datierung der Siedlungsdauer beziehen (Jankuhn 1977, Janssen 1979). Aus der Zielsetzung einer Kulturlandschaftsentwicklungsforschung und dem außer Zweifel im späten Mittelalter landschaftsprägend auftretenden Siedlungs-
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rückgang heraus und letztlich auch von der Tatsache ausgehend, daß die erhaltenen Siedlungs- und Flurrelikte den mittelalterlichen Zustand zum Zeitpunkt der Aufgabe repräsentieren, ist Wüstungsforschung zweitens auch als Siedlungsund Kulturlandschaftsforschung des späten Mittelalters schlechthin betrieben worden (z. B. Jäger 1951 und 1958, Born 1957, 1961a, 1970, Rippel 1958, Eisel 1965, Kern 1966, Engelhard 1967, Deisting 1973). Die Wüstungsperiode des späten Mittelalters wurde darüber hinaus als eine spezifische Epoche der Kulturlandschaftsentwicklung gesondert behandelt. Dies hat immer wieder zu der berechtigten Kritik geführt, daß Wüstungserscheinungen und Substanzverluste auch während anderer Siedlungsepochen zu verzeichnen sind (vgl. u.a. Janssen 1968, S. 36–45), wenn auch in historischer Zeit in Mitteleuropa nicht wieder in einem solchen Ausmaß wie im späten Mittelalter. Problematisch ist der methodische Ansatz einer Kartierung und Interpretation der obertägigen Relikte von Orts- und Flurwüstungen als Grundrißelemente der Aufgabezeit, da diese noch faßbaren Strukturen im Gelände zeitlich keineswegs nur einschichtig sind, sondern von verschiedenen Entwicklungsstadien her stammen, die in der horizontalen Stratigraphie und möglichst auch archäologisch differenziert werden müssen. Es kommt hinzu, daß viele Relikte noch nach der Aufgabe durch weitere Eingriffe verändert worden sind. Hier sind der Untersuchung und Kartierung obertägiger Befunde bzw. anthropogener Kleinformen Grenzen gesetzt. In diese Problematik war vor allem die hessische, von Marburg ausgehende Wüstungsforschung hineingeraten (Mortensen und Scharlau 1949, Scharlau 1962, Mortensen 1962, Born 1961b), die dann Korrekturen durch Born (zusammenfassend 1979) und Seel (1963) notwendig machte. Wüstungsforschung im Rahmen einer entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung der mittelalterlichen Kulturlandschaft (Jäger 1958) behält ganz sicher auch heute ihre wissenschaftliche Bedeutung, sie ist jedoch kaum noch zu betreiben ohne eine detaillierte Analyse der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und bevölkerungsgeschichtlichen Prozesse, die hinter diesen Regressionsvorgängen standen und auch nicht mehr ohne eine differenzierte chronologische Zuordnung der verschiedenen Vorgänge. Dies zeigen beispielhaft einzelne jüngere, archäologisch fundierte Arbeiten für den mitteldeutschen Raum (vgl. besonders Gringmuth-Dallmer 1983). So ist Wüstungsforschung drittens und letztlich im engeren Sinne ausgerichtet auf die analytische Untersuchung regressiver Siedlungsprozesse, im Gegensatz zu Vorgängen einer Siedlungsexpansion (Kolonisation, Landnahme). Siedlungsprozeßforschung oder hier speziell historisch siedlungsgeographische Regressionsforschung wären treffendere Bezeichnungen für dieses Forschungsfeld. Das von Scharlau (1933) entworfene und vielfach erweiterte und modifizierte Wüstungsschema (Born 1972, bes. S. 216, Düsterloh 1972, bes. S. 34–39, Fehn 1975, bes. S. 141, Nagel 1981, S. 59–71) als ein Ordnungssystem des historisch-geographischen Forschungsansatzes einer Wüstungsforschung kann den Anforderungen einer systematischen, vergleichenden und analytischen Erforschung von Regressionsprozessen nicht gerecht werden. Es bleibt ein statischer terminologischer Rahmen, bezogen auf das Substrat des aufgegebenen Siedlungs- oder Wirtschaftsplatzes, auf den Zustand als Wüstung. Dieses Ordnungsschema wird zudem noch überlastet
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durch wiederholte Versuche einer Integration aller einem Substanzverlust und einer Intensitätsminderung in der Nutzung ausgesetzten Kulturlandschaftselemente. Die Prozeßforschung verlangt dagegen als theoretisches, allgemeines und dynamisches Konzept Modelle regressiver Siedlungsvorgänge in ihrem vielfältigen Gefüge von Ursachen und Wirkungen bzw. steuernden Faktoren oder Prozeßreglern. Auch in diesen unterschiedlichen Forschungskonzepten, veranschaulicht im Wüstungsschema einerseits und in Modellen dynamischer Vorgänge andererseits, trennen sich eine regional und auf bestimmte Siedlungsphasen bezogene kulturlandschaftsgeschichtliche Wüstungsforschung und eine allgemeine, auf Siedlungsprozesse gerichtete Regressionsforschung. Wenn es bei der Diskussion um das Wüstungsschema auch stets um Probleme der Definition ging, so ist die Terminologie der Wüstungsforschung bisher doch kaum präzis genug herausgearbeitet worden, leider auch nicht im Rahmen der Bemühungen um die Terminologie der Agrarlandschaft (Uhlig und Lienau 1972). Diese grundlegende terminologische Diskussion bedarf heute sehr dringend einer Weiterführung. Auch der Bedeutung der Begriffe „wüst“, „Wüstung“ u.a. in den Quellen sowie im etymologischen Zusammenhang ist bisher noch zu wenig unter systematischen, auf Prozeßabläufe bezogenen Gesichtspunkten nachgegangen worden. Dabei führt gerade die Analyse des historischen Kontextes und Bedeutungszusammenhanges zu aufschlußreichen Differenzierungen des Sachverhaltes „wüst“, die Wüstungsvorgänge und auch Wüstungsursachen näher erschließen. Dies zeigen die quellenkritischen Ansätze von Mortensen (1964), Wendling (1965), Born (1968), Jakob (1968) oder Staerk (1976). Letztlich erfordert eine analytische Erforschung von Regressionsprozessen klare Theorien und Modellvorstellungen von Regressionsabläufen, die eine systematische Erhellung von Ursachen und Wirkungen ermöglichen, die meist außerordentlich komplex sind. Um Prozeßgefüge dieser Art erschließen zu können, sind vor allem auch jüngere Regressionsvorgänge in der Kulturlandschaft zu analysieren, deren Wirkungsgefüge unmittelbar im Ablauf studiert werden kann (vgl. u.a. Degener 1964, Lichtenberger 1965, Fehn 1969, Wieger 1982). Weiterhin ist allgemein die Fachterminologie siedlungsgeographischer Prozesse auszubauen und zu präzisieren, über den terminologischen Rahmen der bisherigen „Siedlungsobjektforschung“ hinaus. Ansätze hierzu sind durchaus in den vor allem geographischen Arbeiten der 70er Jahre zu finden (vgl. die Diskussion um Sozialbrache, Extensivierungserscheinungen, Wüstungsvorgänge im Rahmen von Abwanderungen – vornehmlich bedingt durch großräumige wirtschaftliche Umstrukturierungen, Abwanderungen in Gastarbeiterländern oder Land – Stadt – Wanderungen in Entwicklungsländern). Sehr bald wurde von der mittelalterlichen Wüstungsforschung her der Bezug zu aktuellen Extensivierungs- und Regressionserscheinungen in der modernen Kulturlandschaft hergestellt (vgl. Scharlau 1958, Wendling 1965, Born 1968, Schulze-von Hanxleden 1972, Fehn 1975). Die Diskussion war jedoch zu eng auf die Gegenüberstellung der spätmittelalterlichen Wüstungsvorgänge einerseits und der sozioökonomisch bedingten Extensivierungserscheinungen im Zuge einer Industrialisierung andererseits bezogen, so daß von hier aus noch nicht zu einer allgemeinen Regressionsforschung vorgestoßen wurde.
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Auch stand immer wieder der Bezug zur Kulturlandschaftserscheinung im Vordergrund, der den Weg zu einer allgemeinen analytischen Prozeßforschung verstellte (vgl. z.B. die Gegenüberstellung von Flurwüstung und Sozialbrache bei Born, 1968, S. 150f.). Dies soll jedoch nicht heißen, daß der kulturlandschaftliche Ansatz der Wüstungsforschung, den Scharlau, Mortensen, Jäger und vor allem auch Martin Born konsequent verfolgten, nicht fruchtbar gewesen wäre. Dieser Ansatz wird in der geographischen Forschung immer seine Bedeutung behalten, wenn er auch heute nicht das wesentliche Ziel der Forschung ist. II. REGRESSIONSVORGÄNGE (WÜSTUNGSPROZESSE) 1. Grundlagenforschungen zu Regressionsprozessen Freilich, die Entwicklung der Wüstungsforschung zu einer Prozeßforschung setzt sehr weitgespannte Grundlagen voraus, die über die Ansprüche einer kulturlandschaftlichen Betrachtung weit hinausgehen. Hier ging es um die Entwicklung der Siedlungslandschaft, so daß der Verlust an Siedlungsplätzen (totale Orts- und Flurwüstungen) im Vordergrund der Betrachtung stand, bis hin zu einer regional-quantitativen Interpretation (Wüstungsquotient). Aber nicht einmal dieser erste Schritt einer Inventarisation wüster Ortsstellen des Mittelalters ist im entferntesten bisher für den deutschen Raum erreicht worden, obgleich hiermit bereits vor rund 100 Jahren begonnen wurde, im Rahmen der Erarbeitung historischer Ortsnamenverzeichnisse. Es folgten aus schriftlichen Quellen erarbeitete spezielle Wüstungsverzeichnisse (vgl. als jüngere regionale Arbeiten mit siedlungsgeschichtlichen Erläuterungen Neuß, 1969 und 1971) auf der Auswertung von schriftlichen Quellen beruhende Verbreitungskarten von Wüstungen (zu dieser Entwicklung vgl. Quirin 1973; vgl. hierzu auch die Übersichtskarten in verschiedenen historischen Regionalatlanten einzelner Bundesländer) erläuternde und kulturlandschaftsgeschichtlich auswertende Inventararbeiten als Regionalstudien (Jäger 1951, Eisel 1965, Kern 1966, Lob 1970, Machann 1972, Henkel 1973, Staerk 1976), Inventare und Übersichtskarten auf der Grundlage archivalischer Quellen, der Auswertung von Flurnamensammlungen und vor allem detaillierter Geländearbeiten, d.h. Oberflächenkartierungen (vgl. als regionale Beispiele Denecke, 1969, Katalog und Kartenbeilage, Janssen 1975, oder als begonnenes großräumiges Projekt Kühlhorn, Historisch-Landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen). Mit dem Ziel einer siedlungsstrukturellen Forschung geht die Aufnahme dann weiter ins Detail, zur Luftbildauswertung, zu Phosphatanalysen und zur Kartierung von Oberflächenfunden auf der einzelnen Ortsstelle selbst, was schließlich zur archäologischen Querschnitt- und Flächengrabung führt (Denecke 1972). Eine Übersicht über den Stand, den Maßstab und die Art bisher vorliegender Verzeichnisse und Karten von Ortswüstungen für den deutschen Raum fehlt bisher, obgleich Mortensen und Jäger (1952) bereits 1950 das Projekt einer Gesamtinventarisation des gesamten Deutschen Reiches planten. Für Schleswig-Holstein und Niedersachsen ist beispielhaft eine Bestandsaufnahme des Forschungsstandes vorgenommen worden (Denecke 1975, S. 21–25).
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Über die Anzahl und Verbreitung total wüster Ortsstellen hinaus verlangt eine auf Regressionsvorgänge gerichtete Forschung auch eine quantitative Erfassung partieller und temporärer Wüstungserscheinungen (Jäger 1967). Durch den Fortbestand der Siedlungen als solche sind diese teilweise und zeitweise immer wieder auftretenden Aufgaben einzelner Gehöfte und Flurteile, die jedoch meist nur temporär waren, nur schwer zu fassen, etwa durch die Auswertung von Zinsverzeichnissen, von Schadensberichten bei Kriegszerstörungen u.a. Ein solches Material läßt sich jedoch nur im Rahmen kleinräumiger Fallstudien bei besonders günstiger Quellenlage erarbeiten (vgl. z.B. Krenzlin 1959, S. 161). Ähnlich ist es mit der weiteren notwendigen Forderung, ein temporäres, totales oder auch partielles Wüstliegen für geschlossene Gebiete nachzuweisen und auch in seiner Dauer zu fixieren. Einzelne regionale Fallstudien haben bereits gezeigt, daß ein temporäres Wüstliegen heute bestehender Orte im 14. und 15. Jahrhundert Ausmaße annehmen kann, die bisher nicht annähernd erfaßt und in Rechnung gestellt sind (vgl. z.B. Pongratz 1955/56, Marten 1969, S. 54–57, bes. Fig. 7). Zu den temporären Wüstungserscheinungen gehören auch die wüsten Höfe und Hausstellen, die in den ländlichen Siedlungen und den Städten im Zuge von Pestepidemien und vor allem während des Dreißigjährigen Krieges entstanden sind. Die meisten von ihnen sind nach einer gewissen Zeit wieder besetzt worden, zum Teil aber auch im Zuge gezielter Aufsiedlungsmaßnahmen. 2. Siedlungsverluste im großräumigen Vergleich Dem geographischen Ansatz der räumlich-vergleichenden Analyse kommt es zu, Regressionsvorgänge im Siedlungsbestand sowie mit einem Rückgang an Siedlungssubstanz verbundene Umstrukturierungen im Siedlungsmuster zu verfolgen. Schon Abel (1943, S. 10ff.), Mortensen wie auch sein Schüler Pohlendt (1950) haben versucht, eine Gesamtübersicht über die Wüstungsvorgänge in Mitteleuropa zu gewinnen, räumliche Vergleiche zu ziehen und darauf auch Erklärungsansätze für die räumlich unterschiedlichen Wüstungsausmaße zu finden. Dies war ein dem Forschungsstand weit vorauseilender Lösungsversuch, der in der Erkenntnis der viel zu lückenhaften Inventarisationsgrundlage bis heute nicht erneut aufgegriffen worden ist. Die notwendige qualitative wie quantitative Differenzierung der Wüstungserscheinungen bzw. des Ausmaßes von Regressionen, der außerordentlich unterschiedliche Forschungsstand in den einzelnen Gebieten Mitteleuropas, aber auch die unterschiedliche Verläßlichkeit und Intensität der Forschung lassen den Entwurf eines großräumigen Verbreitungsbildes von Siedlungsregressionen auf der Grundlage eines so heterogenen Materials kaum zu. Ganz eindeutig ist die Forschung nach diesem ersten Versuch von Pohlendt bereits in den 50er Jahren von der großräumigen Betrachtung abgerückt und hat sich betont der Wüstungsforschung im Kontext einer regionalen historischgeographischen Siedlungsforschung zugewandt (Martin Born und die Marburger Forschung: nördliches Hessen; die von Göttingen ausgehende Forschung: südliches Niedersachsen; Seel und Janssen: Rheinlande), um sich letztlich auf die möglichst
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vollständige, kleinräumige Untersuchung mehr oder weniger geschlossener „Siedlungskammern“ oder auf Spezialforschungen am Einzelbeispiel zu konzentrieren. 3. Bevölkerungsverluste durch Seuchen Die Pest und andere Seuchen sind nicht nur im Volksmund, sondern auch in der siedlungsgeschichtlichen Forschung immer wieder als Ursache für die Aufgabe dörflicher Siedlungen verantwortlich gemacht worden. Dies liegt auf der Hand, liegen doch einige der großen Pestkatastrophen, besonders die erste große Pestwelle von 1348/50 etwa in der Zeit, in der auch der Wüstungsprozeß in vielen Gebieten einen gewissen Höhepunkt erreichte. Trotzdem ist der zeitliche und ursächliche Zusammenhang zwischen Pest und Siedlungsaufgabe, d.h. ein einfaches Aussterben der Bevölkerung eines Dorfes als Wüstungsursache für einzelne Siedlungen eines größeren Gebietes bisher kaum sicher nachgewiesen. Sind Daten einzelner Epidemien, ihre räumliche Verbreitung und auch einzelne Angaben über die Verluste an Menschen vor allem im Rahmen des Deutschen Städtebuches, aber auch in einzelnen regionalen Arbeiten für viele deutsche Städte zu einem Teil bereits zusammengestellt (vgl. hierzu Bulst 1979 und 1985), so ist doch die Frage, inwieweit die Epidemien jeweils auch den ländlichen Raum erfaßt hatten, nur annähernd für kleinere Teilräume zu klären (vgl. hierzu z.B. Hullmeine 1948, Schauermann 1949). Hier wird auch künftig nur in Einzelfällen ein genaues Bild zu erarbeiten sein, weil großräumig die Belege fehlen. Bisher fehlende Angaben und Untersuchungen für den ländlichen Raum lassen jedoch vermuten, daß die Dörfer, vor allem im näheren Einzugsbereich der Städte, in ähnlicher Weise wie diese von den grassierenden Epidemien erfaßt worden sind. Ohne somit allgemein genaue Angaben über die Verbreitung und die Höhe bzw. Anteile der Verluste für die dörflichen Siedlungen zu haben, ließen sich damit auf der Basis dieser Prämisse wenigstens die für die Städte überlieferten Daten von Pestjahren durchaus auch auf das jeweilige Umland übertragen. Um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Siedlungsaufgabe und möglichem Bevölkerungsverlust durch die Pest herstellen zu können, ist eine einigermaßen gesicherte Datierung des Wüstfallens notwendig, absolut oder wenigstens relativ. Zu einer solchen abgesicherten Korrelation zwischen Siedlungsverlust und Bevölkerungsverlust durch Pestepidemien gibt es bisher noch nicht viele Arbeiten (vgl. als Beispiel Jakob 1968). Eine besondere Rolle hat die Herstellung dieser Zusammenhänge in der norwegischen Wüstungsforschung gespielt (vgl. dazu Sandnes 1981). In deutschen Arbeiten zur Bevölkerungsgeschichte des späten Mittelalters und auch zur Siedlungsgeschichte der Wüstungsperiode sind viele einzelne Belege und Zusammenhänge verstreut genannt, eine systematische Verfolgung dieser spezifischen Fragestellung über größere Räume hin fehlt jedoch bisher. Aber auch dann, wenn ein Zusammenhang zwischen einer Pest und der Aufgabe von Siedlungen wahrscheinlich gemacht werden kann, stellt sich die Frage, ob der Bevölkerungsverlust am Ort oder auch im Umland nicht nur ein auslösender Faktor gewesen ist, dem eine Abwanderung folgte (Push-Faktor) oder vakant gewordene Höfe oder Hausstellen eine Zuwanderung in Gang brachten (Pull-Faktor). Für eine
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solche vermehrte städtische Zuwanderung gerade unmittelbar nach Pestepidemien gibt es mehrfache Belege. Weiterhin läßt sich feststellen, daß sehr oft, trotz großer oder auch totaler Bevölkerungsverluste, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert, ländliche Siedlungen sehr bald wieder aufgesiedelt und nicht aufgegeben wurden. Dies bedeutet, daß der Bevölkerungsverlust allein nicht immer ausreichte, um zu einer Aufgabe von Siedlungen und Nutzflächen zu führen. Gerade erhöhte Sterbeziffern sind offensichtlich im Zusammenhang mit einem Verlust im Siedlungsbestand ein Faktor, der selten als alleinige Ursache auftritt. Er führt allerdings zu einer allgemein nur kurzfristigen Verminderung der Bevölkerung eines ganzen Siedlungsraumes, was dann wiederum Umstrukturierungen in der Bevölkerungsverteilung hervorrufen kann, verbunden mit einer erhöhten Bevölkerungsmobilität. 4. Phasen des Verlaufs von Wüstungsvorgängen Hat vor allem die geographische Wüstungsforschung die spätmittelalterlichen Wüstungsvorgänge immer wieder in den Mittelpunkt der Untersuchungen gestellt, so haben die zunehmenden archäologischen Forschungen wie auch Untersuchungen von Regressionsvorgängen in der heutigen Kulturlandschaft in vielen Gebieten der Erde dazu geführt, rückläufige Entwicklungen im Siedlungsbestand als einen immer wieder und überall auftretenden Vorgang zu betrachten. Die Siedlungsregression ist neben den Vorgängen der Kolonisation und der Verstädterung einer der grundlegenden siedlungsräumlichen Prozesse überhaupt (Jäger 1975). Rein statistisch lassen sich immer wieder Höhepunkte einer Regression feststellen, wobei allerdings die Materialgrundlage oft zu dürftig ist, um wirklich eine „Wüstungsperiode“ nachzuweisen. Allgemein ist die Zahl der einigermaßen sicher datierten Auflassungen von Siedlungen zu gering, um deutlich ausgeprägte Schwerpunkte ausmachen zu können. Aber auch dort, wo Daten vorhanden sind, wird oft eher ein mehr oder weniger kontinuierlicher Wüstungsprozeß deutlich als eine markante Wüstungsperiode. Trotzdem zeichnet sich bisher wohl doch ab, daß um Christi Geburt, im 3./4. Jahrhundert, in der Mitte des 5. Jahrhunderts, besonders markant in der Mitte des 9. Jahrhunderts, im 12. und teilweise noch im 13. Jahrhundert wie auch von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts die Aufgabe von Siedlungsplätzen in Mitteleuropa besonders stark auftritt (vgl. u.a. Krenzlin 1959, Janssen 1968, S. 38–41, Waterbolk 1979 und 1982, Donat 1980, GringmuthDallmer 1981 und 1983, Mangelsdorf 1983a und 1983b). Eine eigene, regional differenzierte Statistik ist für die Regressionsvorgänge der Neuzeit in den verschiedenen Gebieten der Erde zu erstellen (vgl. als Beispiel für die österreichischen Alpen Lichtenberger 1965, S. 43f.). Hier, wie auch für jede frühere Zeit, ist die regionale Eingrenzung einzelner Regressionsvorgänge genauer vorzunehmen und nicht etwa großräumig zu verallgemeinern. Kartographische Übersichten für größere Räume über bisher festgestellte Daten von Siedlungsverlusten fehlen bisher. Das Bild wäre für den mitteleuropäischen Raum auch noch äußerst lückenhaft.
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Entscheidend ist jedoch, daß der Ausgang bei dem Nachweis von Wüstungsphasen allein von der Summe feststellbarer Enddaten einer jeweiligen Besiedlung allgemein zu falschen Vorstellungen über die Regressionsvorgänge führt. Jeder Prozeß eines in sich geschlossenen Ursachen- und Wirkungsgefüges ist vielmehr in den jeweiligen Ausmaßen für sich zu verfolgen und darzustellen. Die Feststellung des gesamten Ausmaßes einer Regression allein reicht für eine Prozeßforschung nicht aus. Hier kommt es vielmehr darauf an, etwa monokausale Vorgänge zu trennen von Interferenzen unterschiedlicher Prozesse, die zu einer Summierung des Wüstungsausmaßes führen können, aber auch zu einer ursächlichen Verstärkung des einzelnen Vorganges. Vor allem ist zu trennen zwischen absoluten, einseitigen Siedlungsverlusten und Siedlungsaufgaben im Zuge von Umsiedlungen, Siedlungsverlagerungen oder Siedlungskonzentrationen. Über die Feststellung von Wüstungsausmaßen hinaus ist die räumliche wie zeitliche Dynamik des einzelnen Regressionsvorganges selbst genauer zu verfolgen. Dies setzt jedoch eine mehr oder weniger geschlossene Datenkurve voraus, die allgemein nur für Vorgänge der jüngeren Zeit greifbar ist. Erste Anstöße, der Beginn einer Abwanderung, der Höhepunkt, der Verbleib einer Restbevölkerung bis hin zu einer gänzlichen Aufgabe wären einzelne Stationen des Prozeßablaufs. Räumlich ist allgemein auch ein Ausbreitungsvorgang zu erkennen bzw. eine regionale Differenzierung im zeitlichen Verlauf, was vor allem bei in sich abgeschlossenen, benachbarten Teilgebieten recht gut zu beobachten und auch zu erklären ist (vgl. als Beispiel Lichtenberger 1965, S. 44, Abb. 1). Ein großer Teil des bisher veröffentlichten Beobachtungs- und Datenmaterials zu Wüstungsvorgängen ist unter diesen Gesichtspunkten zu differenzieren, systematisch zusammenzutragen und vergleichbar wie auch übersichtlich darzustellen. 5. Qualität und Quantität von Regressionsvorgängen Rückgänge im Siedlungsbestand und in der Nutzungsintensität können sich auf verschiedene Bereiche beziehen: auf eine Besitzrechtsqualität, auf den Besatz einer Hofstelle, auf die Bewirtschaftung, auf die Nutzung an sich und die Nutzungsintensität, wie auch auf die Rente oder Zinseinnahme, die eine Hofstelle oder auch Nutzland abwirft. Die Rückläufigkeit kann dann weiterhin absolut und vollständig sein, in dem einen oder anderen Falle oder auch in jeder Hinsicht, sie kann aber auch nur abgestuft oder teilweise eintreten. So kann Eigenland zu Pachtland werden, zu Land, das gegen geringes Entgelt für eine extensive Nutzung überlassen wird oder zu Land, das für eine allgemeine Nutzung offen ist. Die Zinseinnahme kann durch Verluste im Betrieb (z.B. Mißernten, besondere Belastungen, Kriegseinwirkungen) oder durch eine rückläufige Nutzung und Produktion reduziert werden; die Rente kann als Pacht oder Miete einkommen oder auch ganz aussetzen. Auf eine Hofstelle (Hausstelle) bezogen kann diese verlassen, jedoch erhalten sein, bei Fortzahlung des Zinses durch einen Eigentümer. Die Hofstelle kann erhalten, vom Stelleninhaber oder Eigentümer jedoch verlassen sein, bei einer Fortnut-
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zung durch einen anderen als Mieter oder Pächter, der den Betrieb weiterführt oder auch nicht. Die Hofstelle kann weiterhin verlassen, aber erhalten und wieder besetzt sein. Diese Hofstelle wird in den Quellen oft ebenso als „wüst“ bezeichnet wie ein verlassenes und ruinöses Haus oder eine bereits vollkommen beseitigte oder eine nicht mehr bebaute Haus- oder Hofstelle. Diese Unterscheidungen mögen für einen kurzfristig ablaufenden totalen Wüstungsprozeß unwesentlich erscheinen, es ist jedoch, vor allem bei der Angabe wüster Hausstellen in Städten („wüst“, „vacat“, „neglectum“ u.a.), durchaus bedeutsam zu erfassen, ob es sich um nicht mehr besetzbare, weil zerstörte Häuser handelt, oder um Hausstellen, die weitergenutzt werden konnten und auch wirklich wieder besetzt worden sind. Diese vorübergehenden Auflassungen lassen sich vor allem für Pestzeiten und für die Zeit des 30jährigen Krieges häufiger nachweisen. Im Zuge eines Kolonisationsprozesses ausgetane, jedoch noch nicht in Besitz genommene oder noch nicht bebaute Hausstellen, die in den Quellen auch als „wüste“ Stellen bezeichnet werden können, sind ein besonderes Phänomen. Hier geht es jedoch nicht um eine Regression, sondern eher um eine Stagnation im Zuge eines Aufsiedlungsprozesses. Auf Nutzland bezogen kann eine Extensivierung der Nutzung durch den Stelleninhaber vorliegen, was dann auch zu einer Verringerung der Zinsabgaben führen könnte. Es kann weiterhin ein vom Hufner aufgegebenes, aber von anderen gepachtetes und mehr oder weniger intensiv genutztes Land sein, aufgelassenes Land, das zum Teil mit oder ohne Berechtigung weitergenutzt wurde (Weidenutzung, allgemeine Waldnutzung), oder letztlich Land, das gar keiner Nutzung mehr unterlag. Die Aussage der Quellen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in denen mit den Begriffen „wüst“, „verwüstet“, „brach“ oder „müßig“ eine Rückläufigkeit konstatiert wird, ist nun keineswegs immer eindeutig in Bezug auf die Qualität und die Quantität der Regression. Dies heißt nicht, daß als „wüst“ verzeichnete Hufen oder Höfe zerstört, vollkommen verschwunden oder mit Wald überzogen sein müssen, sondern daß die Hofstellen im Augenblick nicht mit einer zinspflichtigen, vollgültigen Bauernstelle besetzt sind oder auch, daß die Hufe augenblicklich keinen Zins abwirft. Die Grundrechte, Gebäude und Ackerland, ja sogar eine teilweise Nutzung durch andere, können dabei durchaus erhalten und gegeben sein. Diese Problematik wird besonders deutlich bei der Interpretation von Zinsausfällen in Zinsverzeichnissen. So hat z.B. Hoffmann (1981, bes. Tab. 4 und 5, S. 180–184) die Vizedominatsrechnungen des Braunschweiger Blasiusstifts in Bezug auf die Erträge aus den Zinsgütern für das 14. Jahrhundert ausgewertet. Dabei zeigt sich, daß nach einer Pestwelle von 1358 im Jahre 1361 (die Jahre dazwischen sind nicht belegt) sehr plötzlich für einen großen Teil der Güter die Kornabgaben ausfielen. Im nächsten erfaßten Jahr, 14 Jahre später (1375), stehen bei einigen Orten die Abgaben noch immer aus, von anderen kommen sie wieder ein. Bei den Geldabgaben wird in dem verstärkten Auftreten der Ausfälle für die Jahre 1380 und 1381 vermutlich die Pestwelle von 1375 deutlich (Jahre dazwischen nicht belegt). In den 90er Jahren setzen die Geldabgaben jedoch in den meisten Fällen wieder ein. Welche konkreten Ursachen und auf den Siedlungsbestand und die Bevölkerung bezogenen Rückläufigkeiten hinter diesen zum größten Teil temporären Aus-
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fällen der Abgaben stehen, ist schwer zu ermitteln. Immerhin ziehen sich die Ausfälle bei vielen Gütern über mehrere Jahrzehnte hin, setzen dann aber auch meist wieder ein, so daß mit einer temporären Aufgabe der Siedlung und Wirtschaft gerechnet werden muß. In der Zeit um 1375/81 lieferten 2/3 der Güter des Kapitels keine Abgaben, was mit einem Rückgang der ländlichen Bevölkerung und damit der agraren Produktion zusammenhängen muß. Dieser wiederum wirkte sich in einer allgemeinen wirtschaftlichen Depression aus. Extensivierungserscheinungen und Regressionsprozesse können damit außerordentlich differenziert und in Einzelheiten auch schwer zu fassen sein. So ist es auch kaum möglich und sinnvoll, für jede Art und jeden Grad einer Regression einen „Wüstungstyp“ und Wüstungsbegriff zu schaffen, wie dies in der Diskussion der 50er und 60er Jahre und auch in der mehrfachen Differenzierung des Wüstungsschemas zum Teil versucht worden ist. Nicht statische Typen von Wüstungen oder Wüstungszuständen sind festzulegen, um damit einen objektbezogenen, landschaftlichen Zustand zu umschreiben, sondern den beteiligten und steuernden Faktoren von Regressionsprozessen ist nachzugehen, um damit Prozeßabläufe rekonstruieren zu können. 6. Regressionsvorgänge im Zuge von Umstrukturierungen im Siedlungsgefüge Regressionsvorgänge bedeuten nicht immer absoluten Siedlungs-, Nutzungs- oder Intensitätsverlust, sondern sie können auch die Folge einer Siedlungsentwicklung und Intensivierung der Produktion an anderer Stelle sein. Insgesamt vollzieht sich damit eine Umstrukturierung im großräumigen Siedlungsgefüge und nicht allein eine einseitige Regression. Diese Vorgange eines Strukturwandels im Zuge von Umsiedlungsvorgängen oder auch Abwanderungen haben gerade auch im 14. und 15. Jahrhundert, in der sogenannten Wüstungsperiode, eine bedeutende Rolle gespielt. Bei den großräumigen Siedlungsregressionen der jüngeren Zeit steht dieser Vorgang einer Bevölkerungsverschiebung oder Siedlungskonzentration fast ausschließlich allein im Vordergrund. Regionale Untersuchungen von Wüstungsvorgängen lassen mit Regressionen verbundene Siedlungsstrukturveränderungen, Siedlungsverlagerungen sowie Konzentrationsvorgänge im Siedlungsraum erkennen, die jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Eine Strukturveränderung tritt ein, wenn innerhalb, oder besonders am Rande der bebauten Ortsfläche Verschiebungen in der Bebauung auftreten, d.h. einzelne Hofstellen aufgegeben werden, an anderer Stelle jedoch, meist an die alte Dorfstelle anschließend, neue Höfe errichtet werden. Dieser Vorgang von Verschiebungen im Ortsbereich ist bei größeren Siedlungsgrabungen häufiger erschlossen worden (vgl. als Beispiel die Siedlung Speyer-Vogelgesang: Bernhard 1982). Oft nicht sicher zu klären ist, ob es sich hier um den Vorgang einer unmittelbaren Verlagerung von Gehöften handelt oder um eine Verlegung der Ortsstelle nach einer totalen oder partiellen Zerstörung oder Aufgabe. Zur regressiven Siedlungsstrukturveränderung gehört auch der Vorgang des Bauernlegens, der Gutsbildung oder der Reduktion
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einer Gruppensiedlung bis hin zu einem einzelnen Resthof. Häufig ist diese Umstrukturierung gezielt betrieben worden, um die Wirtschaft von einzelnen Bauernbetrieben auf einen Großbetrieb umzustellen. In den deutschen Kolonisationsgebieten im Osten (vgl. u.a. Mortensen 1955, Krenzlin 1959 und 1976) oder bei der Zisterzienserwirtschaft (Bildung von Grangien) waren dies großräumige Vorgänge in der mittelalterlichen Kulturlandschaft. In vielen Gebieten des übrigen Mitteleuropa läßt sich der Vorgang der Gutsbildung nachweisen, der sich vor allem während der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode vollzogen hat, aber auch noch später, so etwa in Mecklenburg und Vorpommern auf ehemaligem ritterschaftlichen Boden in der Zeit nach dem 30jährigen Krieg. Zu einer gewissen Reduktion oder Stagnation der Muttersiedlungen, wenn auch durchaus nicht immer zu Wüstungserscheinungen, hat auch die Gründung von Tochtersiedlungen geführt. Die Bezeichnungen Neu- und Alt- weisen auf Vorgänge dieser Art hin, häufig sind jedoch die Zusammenhänge durch die Ortsnamen allein nicht zu erschließen. Klarer faßbar und auch in planmäßigen Maßnahmen greifbar werden die Vorgänge von Aussiedlungen (Vereinödung), die zu partiellen oder gar totalen Ortswüstungen geführt haben. Dies sind Vorgänge, mit denen auch in der archäologisch zu erschließenden Vor- und Frühzeit zu rechnen ist. Eine Siedlungsverlegung oder Umsiedlung liegt dann vor, wenn eine Ortsstelle planmäßig verlegt worden ist, meist innerhalb der zugehörigen alten Gemarkung und bei Beibehaltung des Ortsnamens. Dies läßt sich in vielen einzelnen Fällen bei heute noch bestehenden Siedlungen nachweisen, wobei die Verlegungen meist in das späte Mittelalter zu datieren sind. Die Ursachen der Verlegung sind nicht immer klar. Es können Verlegungen nach Bränden, Zerstörungen oder Überflutungen gewesen sein oder auch Maßnahmen einer Verbesserung des Standortes (vgl. hierzu Bendixen 1937, bes. S. 88–96 oder Herrmann 1959). Es zeigt sich jedoch auch, daß das Nebeneinander der wüsten Ortsstelle einer Vorgängersiedlung und einer benachbarten jüngeren Siedlung auf eine Wiederbesiedlung nach einem temporären Wüstliegen zurückgehen kann. Ein bedeutsamer und großräumiger Vorgang, der in jüngerer Zeit vor allem für das frühe und hohe Mittelalter archäologisch erschlossen werden konnte durch eine kleinräumig detaillierte Lokalisation aller wüsten Ortsstellen und eine möglichst genaue Datierung der jeweiligen Besiedlungsdauer ist das mehr oder weniger gleichzeitige Wüstfallen und Entstehen von Siedlungen im gleichen Raum. Eine Zusammenstellung von Anfangs- und Enddaten von rund 360 archäologisch untersuchten frühmittelalterlichen Siedlungsplätzen in Mitteleuropa (nach dem Katalog von Donat 1980) zeigt, daß im gesamten Zeitraum vom 6. bis 11. Jahrhundert in verschiedenen Teilen Europas Siedlungen gegründet wurden, die meisten jedoch während des 8. und 9. Jahrhunderts. Diese Phase der frühmittelalterlichen, zu einem wesentlichen Teil durch die fränkische Staatstätigkeit initiierten Kolonisation ist – durch schriftliche Quellen belegt – bereits wohl bekannt, nun jedoch auch in archäologischen Daten nachgewiesen. Andererseits geben die archäologischen Daten aber zu erkennen, daß während des 9. und 10. Jahrhunderts auch ein Maximum an Wüstungen auftritt. Mehr als 50% der Siedlungen, die während des 7. und 8. Jahrhunderts angelegt worden waren, haben nicht länger als 150 Jahre bestanden, etwa 10% we-
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niger als 100 Jahre. Besonders die im 11. Jahrhundert gegründeten Siedlungen wurden meist schon nach weniger als hundert Jahren wieder aufgegeben. Eine größere Dauer der Siedlungen zeigt sich in Polen (50–60% länger als 300 Jahre). Dies wird mit der länger anhaltenden Stabilität der politischen Organisation und der bemerkenswert konservativen Entwicklung der slawischen Gesellschaft zusammenhängen, was auch in der Langlebigkeit der Siedlungsformen und Haustypen erkennbar ist. Für das späte Mittelalter lassen sich vergleichbare Angaben noch nicht machen, da archäologische Daten in dieser Weise noch nicht zusammengestellt wurden. Es stellt sich hier die Frage, ob es sich um mehr oder weniger parallel verlaufende, voneinander getrennte Kolonisations- und Wüstungsvorgänge handelt oder ob hier in sich zusammenhängende Umstrukturierungen im Siedlungsgefüge vorliegen, im Zuge kleinräumiger oder auch weiträumiger Umsiedlungen. Auf Vorgänge kleinräumiger Umsiedlungen mehr oder weniger innerhalb der Gemarkung während des frühen Mittelalters weisen die detaillierten archäologischen Untersuchungen von Waterbolk (1979) im Raum Drenthe. Waterbolk entwarf für einzelne als weitgehend konstant angenommene Gemarkungen Diagramme, die zunächst die Anzahl von Siedlungsplätzen zeigen, die für die Zeit von Christi Geburt bis ins frühe Mittelalter innerhalb einer Gemarkung lokalisiert werden konnten. Die Dauer der Besiedlung jedes Platzes ist in der Form eines Chronodiagramms gezeigt. Angedeutet sind mögliche Beziehungen zwischen einzelnen Siedlungen (Ausgangs- und Zielort bei Umsiedlungen). Darüber hinaus sind auch jeweils zugehörige Fluren oder Gräberfelder dargestellt, soweit diese nachweisbar sind. Die Zusammenstellung archäologischer Daten und Befunde zeigt für die Siedlungsvorgange im Raum Drenthe seit der Eisenzeit folgendes: 1. Eine Anzahl kleiner, vermutlich wandernder Gruppen von Einzelhöfen im Bereich der jeweils zugehörigen Flur (celtic fields) während der Eisenzeit. 2. Eine Organisation von Dauersiedlungen in Form von Gruppensiedlungen in der Zeit um Chr. Geburt. Die Form der eisenzeitlichen eingehegten Blockfluren und die Einzelhofsiedlung wurden aufgegeben. Die Bevölkerung konzentrierte sich in dörflichen Gemeinschaften. 3. Bis zum 9. Jahrhundert bestanden immer nur ein bis zwei Siedlungen gleichzeitig in der räumlichen Einheit einer Gemarkung, die jedoch gewöhnlich jeweils nur rund hundert Jahre an einer Stelle existierten. 4. Während der Mitte des 9. Jahrhunderts wurde eine größere Zahl von permanenten Gruppensiedlungen angelegt, die Fluren wurden in der Form von Langstreifen aufgeteilt und erweitert. Kurz vorher, während des 8. und 9. Jahrhunderts, gab es in einigen Fällen eine Zahl kleiner Streusiedlungen, die während des 9. Jahrhunderts aufgegeben worden sind. 5. Während des 12. Jahrhunderts erfolgte eine letzte Expansion der Besiedlung. Eine Anzahl von Tochtersiedlungen wurde gegründet, weitgehend ohne einen gleichzeitigen Siedlungsverlust. 6. Die spätmittelalterliche Wüstungsperiode des 14./15. Jahrhunderts wird im Drenthegebiet nicht deutlich.
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In dieses Bild der Siedlungsprozesse in Drenthe passen sich viele Einzelbeobachtungen der jüngeren Zeit aus Westfalen und Norddeutschland für die Eisenzeit und das frühe Mittelalter recht gut ein. Ein anderes Beispiel für einen mittelalterlichen Wandel eines Siedlungsmusters ist die Studie über ausgewählte Gebiete in Mecklenburg und Brandenburg (s. Gringmuth-Dallmer 1981 und 1983), wo die germanische Kolonisation im Territorium früherer slawischer Besiedlung ebenfalls mit ausgedehnten Wüstungsprozessen verbunden gewesen ist (vgl. hierzu bereits Krenzlin 1959, Herrmann 1959, Bohm 1969). So zeigt sich in dem detailliert untersuchten Gebiet des Greifswalder Bodden, daß während des 11. und 12. Jahrhunderts eine große Zahl slawischer Dörfer in den Talzonen liegt, dominiert von einem zentralen Burgort (Wusterhausen). Während der frühen Periode der germanischen Kolonisation wurde dann (im Jahre 1199) ein Kloster (Eldena) gegründet, dem das ganze Gebiet grundherrlich unterstellt worden ist. Im 13. Jahrhundert begann daraufhin ein Konzentrationsprozeß im Siedlungsgefüge. Die Bevölkerung wurde offensichtlich zusammengezogen in einigen der bestehenden Dörfer und besonders im alten Zentrum Wusterhausen. Die meisten der slawischen Kleinsiedlungen wurden verlassen und fielen wüst. Ähnliche Vorgänge ließen sich in Neubrandenburg rekonstruieren (Mangelsdorf 1983a). Hier bestanden im 11. und 12. Jahrhundert zahlteiche kleine slawische Gruppensiedlungen. Einige dieser Siedlungen weisen u.a. germanische Keramik auf, so daß in dieser Zeit offensichtlich bereits Kontakt zu germanischen Siedlungen oder Siedlungsgebieten bestand. Im 13. Jahrhundert fielen dann die meisten der slawischen Siedlungen wüst, andere wurden umgestaltet zu planmäßig ausgelegten Zeilen- oder auch Angerdörfern. Planmäßig gestaltete kleine Gruppensiedlungen, oft alten slawischen Siedlungsplätzen zugeordnet, wurden angelegt, sehr wahrscheinlich für germanische Neusiedler. Im weiteren Verlauf entstanden nach 1236 weitere planmäßig angelegte Dörfer für germanische Kolonisten. Als ein neues städtisches Zentrum wurde 1248 die Stadt Neubrandenburg gegründet. Diese auf flächendeckenden archäologischen Geländeaufnahmen beruhenden Rekonstruktionen durchgehender Siedlungsprozesse zeigen ganz neue Möglichkeiten für die Erschließung ur- und frühgeschichtlicher Kulturlandschaftsentwicklungen, die mit Wüstungsprozessen verbunden gewesen sind. Vor allem wird hier auch deutlich, daß Regressionsprozesse sehr häufig an Umstrukturierungen des Siedlungsgefüges gebunden waren und nicht nur einen einseitigen, wie auch immer begründeten Siedlungsverlust darstellen. Diese Umstrukturierung wiederum wurde offensichtlich häufig ausgelöst durch eine politische und ökonomische Umorganisation eines Territoriums. Diesen Momenten ist von einer Siedlungs- und Regressionsforschung bei weitem mehr Beachtung zu schenken als bisher. Auch in der modernen Zeit sind Vorgänge dieser Art abgelaufen, so etwa im Zuge der staatlichen Neuordnung des Siedlungssystems in Tanzania/Afrika, wo im gesamten Staatsgebiet die Einzel- und Streusiedlung zugunsten planmäßig angelegter Dorfsiedlungen zwangsweise aufgegeben worden ist. Bei der Erfassung dieser Prozesse einer Umstrukturierung des Siedlungsgefüges zeigt sich besonders deutlich, daß die Schlüsselfrage der Rekonstruktion von Wüstungs- und Siedlungsprozessen die genaue Datierung des Wüstfallens des einzel-
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nen Siedlungsplatzes ist. Für die frühe Zeit ist die historische und geographische Forschung hierbei weitgehend auf archäologische Forschungsergebnisse angewiesen. Ein bedeutender Vorgang, vor allem während des späten Mittelalters, war die totale oder partielle Siedlungsaufgabe im Zuge einer Siedlungs- und Bevölkerungskonzentration. Hierzu gehört vor allem die Zusammensiedlung von Einzelhöfen oder kleinen Weilern zu größeren geschlossenen Gruppensiedlungen (Verdorfung). Dieser Vorgang, der zu einem weiträumigen Wüstfallen von Einzelhöfen führte, hat sich im späten Mittelalter im südwestdeutschen Raum vollzogen. Bisher weniger gut faßbar, aber wahrscheinlich von großer Bedeutung, war die Umstrukturierung von einer Einzelhofsiedlung zu dörflichen Gruppensiedlungen. 7. Regressionsvorgänge in peripheren Siedlungsräumen und am Rande der Ökumene Der Schwund an Siedlungen und die Aufgabe von Nutzflächen ist allgemein keineswegs auf die Peripherie von Siedlungsräumen beschränkt, doch diese sind in besonderem Maße anfällig in Bezug auf die Einwirkung von Ungunstfaktoren (PushFaktoren) oder Gunstfaktoren in anderen Gebieten (Pull-Faktoren), die beide zu einem Abzug der Bevölkerung führen können. Die Gebiete am Rande der Ökumene der Kontinente, die Hochgebirge wie auch viele der Mittelgebirge und zum Teil auch weniger siedlungsgünstige Flachländer sind Bereiche, in denen Siedlungsvorstöße und Regressionen im Laufe der Besiedlungsgeschichte besonders häufig wechselten. Es ist bemerkenswert, daß diese Wüstungsprozesse in ihrem historischen Ablauf und in ihrer jeweiligen wirtschafts- und siedlungsgeschichtlichen Bedingtheit bisher kaum systematisch als eine besondere historisch-siedlungsgeographische Fragestellung verfolgt worden sind. Dies liegt vor allem daran, daß diese Räume erst in jüngerer Zeit in ihrem Siedlungsverlust untersucht worden sind, am besten noch eine Reihe von Mittelgebirgen. Die Wüstungsforschung in den Almregionen der Alpen hat gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren einen gewissen Aufschwung genommen, vor allem durch archäologische Untersuchungen (Geiser 1973, Meyer 1979, Grass 1980). Systematische Geländeaufnahmen fehlen jedoch bisher. Auch die zunehmenden, zum Teil interdisziplinären Untersuchungen im nördlichen Norwegen und Schweden sowie in Island (vgl. als Übersicht Gissel u.a. 1981, Salvesen 1982) fallen in diese Fragestellung hinein. Gerade unter geographischen Gesichtspunkten bei Einbeziehung geringer Klimaschwankungen, eines Wassermangels und Bodenabtrags, eines allgemeinen Bevölkerungsverlusts sowie peripher-zentraler Bevölkerungsbewegungen als Ursachengefüge ist eine Untersuchung von Regressionsvorgängen an der Peripherie der Siedlungsräume besonders ertragreich. Die historisch-geographische Siedlungsforschung wird hier einen systematischen Vorstoß machen müssen, allerdings ohne dabei einem Geodeterminismus zu verfallen, wohin der Weg in diesem Zusammenhang nur zu leicht führt. Wenn klimatischen Verhältnissen und Klimaschwankungen als unmittelbaren Ursachen einer Regression auch nur ein geringer Stellenwert im Zusammenhang
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mit Wüstungsvorgängen im mitteleuropäischen Raum einzuräumen ist, so gewinnen diese doch am Rande der Ökumene und im Hochgebirge ganz sicher an Bedeutung. Auch hier ist ein genaueres Verbreitungsbild totaler und partieller Wüstungsvorgänge sowie ihre zeitliche Differenzierung Voraussetzung für den Versuch, eine ursächliche Korrelation herzustellen mit Klimaverschlechterungen, die auch ihrerseits in Zeitstellung und Verbreitung erarbeitet sein müssen (vgl. zum Forschungsstand Flohn 1984). Bei den Untersuchungen von Wüstungen in Norwegen und Finnland ist der Faktor der Klimaschwankungen immer wieder berücksichtigt worden. Die jüngsten Forschungsergebnisse zeigen, daß den Klimaschwankungen wohl doch mehr Gewicht einzuräumen ist als – nach den bisherigen Auffassungen der norwegischen Forschung – dem schwarzen Tod. Einer Korrelation von Klimaschwankungen und Siedlungsregressionen versucht die nordische Forschung vor allem mit einer Verdichtung von Pollenuntersuchungen näherzukommen (Teitsson 1981, S. 174–176; vgl. auch die Arbeiten von Holmsen 1974, Salvesen 1982). Ist die Almwirtschaft oder auch die Höhengrenze der Dauersiedlungen in ihrem Vorstoß wie auch in ihrer Regression sicher wesentlich abhängig von den sich hier besonders stark auswirkenden Klimaschwankungen, so können doch auch Umstrukturierungen in der Bevölkerung, Siedlung und Wirtschaft sehr wesentlich an diesen Vorgängen beteiligt gewesen sein. Ein Versuch, die gerade für die Alpen recht gut untersuchten Klimaschwankungen mit Regressionsvorgängen zu korrelieren, ist großräumig noch nicht gemacht worden. Dies liegt vor allem an den Schwierigkeiten genauerer Datierungen für beide Bereiche. Auch in der Gegenwart sind die Regressionserscheinungen in den peripheren Gebieten an der Grenze der Ökumene (vgl. als Beispiel Eberle 1982, Wieger 1982), im Hochgebirge (vgl. Degener 1964, Lichtenberger 1965 und 1975), in strukturschwachen Randgebieten (vgl. Leister 1956, Wehling 1982) sowie in peripheren Mittelgebirgsräumen (Kühne 1974, Blohm 1976) bedeutsam (vgl. allgemein Nitz 1982). Hier sind jedoch ökonomische und soziale Faktoren, besonders Pull-Faktoren im Rahmen der Industrialisierung und Urbanisierung wirksam, die in der frühen Zeit noch nicht in diesem Maße gegeben waren. Die Untersuchung dieser Vorgänge gehört jedoch unmittelbar in die Regressionsforschung hinein. Hier hat sie u.a. ihre aktuelle und angewandte Bedeutung, und von hier lassen sich Modelle von Vorgängen erarbeiten, die auch für Regressionsprozesse der historischen Zeit Erklärungsansätze bieten. 8. Regressionsvorgänge im Zuge großräumiger ökonomischer Umstrukturierungen Wüstungsprozesse größten Ausmaßes laufen heute in vielen Teilen der Welt ab (Jugoslawien, Griechenland, Türkei, USA, Afrika u.a.). Stellt die Erfassung und Beschreibung des Siedlungs- und Kulturlandschaftsverfalls der Forschung keine besonderen Probleme, obgleich eine großräumige Aufnahme der Regressionserscheinungen eine notwendige und aufwendige Aufgabe ist, so ist eine genauere Er-
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fassung des Verlaufs der Regressionen und eine Untersuchung des Ursachengefüges sowie der Steuerungsfaktoren der Prozesse eine Fragestellung, die von der geographischen Forschung verstärkt aufzugreifen ist (vgl. als Übersicht für den europäischen Raum Henkel 1978; s. auch Nitz 1982). Es ist erstaunlich, daß hier bisher noch kaum systematische und vergleichende Forschungen angestellt worden sind, die dann auch für frühere Regressionsvorgänge oder Wüstungsperioden Modellcharakter haben könnten. Geographische Wüstungsforschung ist keineswegs nur auf historische Epochen beschränkt, sondern auch mit den Prozeßabläufen und Regressionserscheinungen der jüngeren Zeit befaßt. Diesen Weg hatten bereits Scharlau (1958), Born (1968) oder sein Schüler Schulze-von Hanxleden (1972) mit der Untersuchung von Extensivierungs- und Sozialbracheprozessen beschritten. Über Regionalstudien hinaus ist hier zu einem allgemeinen Forschungsansatz vorzustoßen, der sich einreiht in die Untersuchungen von Regressionsvorgängen vergangener Epochen. Sind die Anregungen in der historischen Geographie in vielen Forschungsbereichen „retrogressiv“ von der geographischen Untersuchung gegenwärtiger Vorgänge her in historische Epochen hineingenommen oder „übertragen“ (Zentralitätsforschung, Innovationsforschung, sozialräumliche Forschung u.a.), so hat die Wüstungs- und Regressionsforschung eher von der Untersuchung spätmittelalterlicher Vorgänge in Untersuchungen der Gegenwart hineingewirkt. Dies hat auch in der Forschungsdiskussion spezifische Auswirkungen gehabt. Die Untersuchungen rezenter Regressionsvorgänge und Wüstungserscheinungen bedürfen einer eigenen vergleichenden Analyse, die hier nicht geleistet werden kann. III. ENTWICKLUNG DER NUTZUNGS- UND RECHTSVERHÄLTNISSE NACH DER AUFGABE EINER SIEDLUNG Mit dem Verlassen einer Siedlung oder der Aufgabe der Nutzung einer Flur war die besitz- und nutzungsrechtliche Entwicklung des Siedlungsplatzes und der zugehörigen Gemarkung keineswegs abgeschlossen (Grees 1968). Das Land wurde weiterhin als Grundbesitz vergeben, Zins wurde erhoben, an Besitz- und Nutzungsrechten wurde festgehalten, Friedhof und Kirche bestanden oft weiter und wurden auch wenigstens zeitweise genutzt und letztlich blieb oft auch das Land weiter unter dem Pflug, mehr oder weniger ohne Verlust an Intensität. Diese Beziehungen zu einer wüsten Ortsstelle und Gemarkung von einer anderen, meist nahegelegenen konstanten Gemeinde aus werfen allgemein auch ein Licht auf den Vorgang der Wüstwerdung selbst. Besonders deutlich greifbar wird ein direktes Fortleben an Besitz- und Nutzungsrechten und damit eine unmittelbare Beziehung zu der wüstgefallenen Siedlung in den in einigen Gebieten Deutschlands bis in das 18. und 19. Jahrhundert hinein bestehenden Erbenschaften. Dies sind Körperschaften in einer Gemeinde, die Rechte und Pflichten an einer allgemein in der Nähe liegenden wüsten Gemarkung wahrnehmen. Allgemein tragen diese Erbenschaften auch jeweils den Namen des ehemaligen Ortes. So hat es z.B. in Northeim fünf Erbenschaften gegeben
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(Sonderhagener, Stadt-, Medemer, Sultmer und Holtenser Erben; vgl. Frankenberg 1931) oder in Gieboldehausen im Eichsfeld drei Erbenschaften (Werxhauser, Marsfelder und Ecker Erben; vgl. Denecke 1985). Es kann davon ausgegangen werden, daß diese Erbenschaften auf ehemalige Dorfbewohner einer jeweiligen Wüstung zurückgehen, die in die benachbarte Siedlung umgesiedelt sind. In einigen Fällen lassen sich sogar besondere geschlossene Dorf- oder Stadtteile ausmachen, in denen diese Erbenkollegien vornehmlich ansässig waren. Wenn auch nicht immer ein direkter Umzug einer mehr oder weniger geschlossenen Gemeinde in das Dorf des Sitzes der später nachweisbaren Erbenschaft angenommen werden kann, so muß doch ein unmittelbarer Bezug auch bereits während des Wüstungsvorganges angenommen werden. Allerdings ist in einigen Fällen auch nachzuweisen, daß eine Erbenschaft ganz oder zum Teil durch Ankauf von Land in einer aufgegebenen Gemarkung zustandegekommen ist. In jedem Fall lassen die für das 18. und 19. Jahrhundert reichlicher vorhandenen Akten der Erbenschaften und vor allem die Verhandlungen im Zuge ihrer Auflösung in dieser Zeit vielfältige Schlüsse auf den Vorgang der Auflösung einer Siedlung und Aufteilung bzw. Zuordnung einer Gemarkung zu. Sie weisen meist auf Vorgänge einer Umsiedlung bei einer Beibehaltung der Nutzungsrechte oder auf eine Übernahme auf Erbenzins. Ein anderer Weg des Nachweises derjenigen, die die Nutzung und Rechte an Hofstellen und Flurbesitz übernommen oder aufrechterhalten haben, geht über die Rekonstruktion der Zinszahler einer wüsten Gemarkung in späterer Zeit, wobei sich ebenfalls meist mehr oder weniger geschlossene Gruppen in unweit liegenden Dörfern oder Städten ergeben. Auch die Tradition kirchlicher Rechte zeigt oft an, daß „Erben“ der Gemeinde vorhanden waren, die an der Erhaltung und Nutzung „ihrer“ Kirche und „ihres“ Kirchhofes festhielten. Systematische und regionale Arbeiten über Erbenschaften zur Erhellung spätmittelalterlicher Wüstungsvorgänge und Bevölkerungsverschiebungen stehen noch aus. Oft wurde an besonderen Nutzungsrechten festgehalten, etwa an einer Gartennutzung, so daß solche Parzellen lange Zeit gesondert aus dem späteren Waldland oder der allgemeinen Waldweide – z.B. als Sundern – herausgenommen waren. Sie konnten gesondert eingehegt werden und waren auch besitzrechtlich ausgenommen. Auch die Einrichtung von Weidehöfen oder Rinderställen in alten Gebäuden, auf ehemaligen Ortsstellen oder zumindest im Bereich einstiger Feldfluren, die Anlage von Schwaighöfen (Viehhöfen), von Schäfereien oder von Forsthöfen knüpfte häufig an bewahrten Besitz- und Nutzungsrechten an. Eine besondere Kontinuität in den Nutzungsrechten sowie in den vorhandenen Einrichtungen ist allgemein bei Mühlenwerken gegeben. Obgleich die Betriebe, oft wegen Rohstoffmangel, häufig stillgelegt oder ganz aufgegeben wurden, sind hier Umnutzungen allgemein zu beobachten, unter Beibehaltung der Wasserrechte und vorhandener Anlagen (Wassergräben, Antrieb u.a.). Hüttenwerke oder Hammerwerke wurden so oft zu Sägemühlen, aber auch Ölmühlen, Getreidemühlen, Pulvermühlen, Papiermühlen u.a. lösten häufiger einander ab. Hier sind also temporäre Stillegungen und Umnutzungen charakteristisch, wobei der Zeitraum der Unterbrechung sehr unterschiedlich lang sein kann.
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1. Die Entwicklung der geographischen Wüstungsforschung zu einer siedlungsräumlichen Prozeßforschung Wenn ich diese Betrachtungen im Gedenken an Martin Born angestellt habe, so legte ich in vollem Bewußtsein das Schwergewicht auf die kritische Analyse und mögliche Weiterentwicklung der Forschungsansätze einer Wüstungsforschung, die Born in der Tradition von Scharlau fortgeführt hatte. Forschungsfortschritt und wissenschaftlich fundierte, vor allem empirische Arbeit waren Borns inneres Anliegen, für das er sich bis zuletzt eingesetzt hat, stets, in seinem Bereich geographischer Forschung, an der Forschungsfront bleibend. Viele Probleme der allgemeinen und regionalen historisch-geographischen Siedlungsforschung hat Born in ihrer Lösung weiter vorangetrieben, er hat neue Akzente gesetzt und immer wieder, das bisher erreichte kritisch analysierend, weiterführende Forschungsansätze gesucht (als Beispiel in diesem Zusammenhang vgl. bes. Born 1977 und 1979). Der geographische Beitrag zur Wüstungsforschung ist im Laufe der 70er Jahre in eine sichtbare Krise geraten: die methodische Basis der Geländeforschung ist durch die unvergleichlichen Möglichkeiten der Siedlungsarchäologie zu einem großen Teil überholt oder abgelöst worden, die historisch-genetische Kulturlandschaftsforschung ist im Zuge der Kritik an der Landschafts- und Länderkunde in den Hintergrund getreten, das späte Mittelalter als eine bevorzugte Epoche historischsiedlungsgeographischer Forschung ist in Deutschland, wie aber vor allem auch in England abgelöst durch ein vornehmliches Interesse am 18. und 19. Jahrhundert, und letztlich ist die Definition des eigentlichen Forschungsobjektes durch eine immer weiter notwendige Differenzierung aus den Fugen geraten, so daß Born (1979, S. 43) mit Recht feststellt, daß sich in den jüngeren geographischen Untersuchungen zur Wüstungsforschung „ein beträchtliches divergierendes Verständnis über Objekte der Wüstungsforschung und der Periodisierung der Entsiedlungserscheinungen“ findet. Born (1979) versuchte deshalb „Objektbestimmungen und Periodisierungen als Problem der Wüstungsforschung“ kritisch zu analysieren und auf den weiteren Forschungsweg hin zu formieren. Ich messe diesem erst posthum 1979 erschienenen Beitrag einen wichtigen Stellenwert in der Geschichte der Wüstungsforschung zu, weil er ein letzter Versuch ist, mit dem Ansatz der geographischkulturlandschaftlichen Wüstungsforschung der 50er und 60er Jahre weiterzukommen, bei dem das Objekt Wüstung, die Periodisierung großräumiger Wüstungsvorgänge, eine Quantifizierung des Wüstungsausmaßes sowie letztlich die Darstellung einer Siedlungs- und Kulturlandschaftsentwicklung Ausgang und Ziel der Forschung waren. Dieser physiognomisch-statische, landschaftlich-objektbezogene Ansatz wird jedoch, ohne daß dies Born vielleicht voll bewußt war und ohne daß er den notwendigen weiteren Schritt bereits vollzogen hätte, von ihm selbst – wenigstens im Ansatz – bereits überwunden: Regressionen, Substanzverluste und Extensivierungen, Begriffe, die er selbst in seinen letzten Arbeiten in der Auseinandersetzung mit der Wüstungsforschung in die Diskussion bringt, sind siedlungs-geographische, räumlich-funktionale Prozesse, die zu einer analytischen Prozeßforschung führen. Die Regressions-, Destruktions-, Kontraktions-, Mutations- und Extensivierungsvorgän-
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ge von Siedlung, Bevölkerung und/oder Nutzfläche sowie ihre Abläufe, Ursachen und Steuerungsfaktoren werden in Zukunft in den Vordergrund vor allem des geographischen Forschungsansatzes treten. Gerade im Bereich der historisch-geographischen Wüstungsforschung ist seit dem genannten letzten allgemeinen Beitrag von Martin Born eine Stagnation eingetreten, nicht nur vom Forschungsansatz her, sondern auch in der empirischen Erforschung von Wüstungsvorgängen und der mit dem Wüstungsproblem besonders verbundenen spätmittelalterlichen Siedlung überhaupt. Born hat jedoch bereits manchen weiterführenden Weg gewiesen, vor allem in dem letztgenannten Aufsatz. Er deutet hier an, daß eine weiterführende Forschung über den Ansatz einer Kulturlandschafts- und Objektforschung hinausgehen muß. Und Born wußte neue Zeichen zu setzen. Die Arbeit enthält am Ende den Satz: „Der künftigen Wüstungsforschung stellen sich neue Aufgaben“.2 Literatur Abel, W.: Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters. Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 1. Jena 1943 (2. Aufl. Stuttgart 1955, 3. Aufl. ebd. 1976). Abel, W. (Hrsg.): Wüstungen in Deutschland. Ein Sammelbericht. Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie. Sonderheft 2. Frankfurt 1967. Bendixen, J.A.: Verlagerung und Strukturwandel ländlicher Siedlungen. Ein Beitrag zur Siedlungsgeographie, ausgehend von Untersuchungen in der südwestlichen Priegnitz. Schriften des Geographischen Instituts der Universität Kiel 7, 2. Kiel 1937. Beresford, M. und Hurst, J.G. (Hrsg.): Deserted Medieval Villages. London 1971. Bernhard, H.: Die frühmittelalterliche Siedlung Speyer-Vogelgesang. In: Offa, 39, 1982, S. 217– 234. Blohm, E.: Landflucht und Wüstungserscheinungen im südöstlichen Massif Central und seinem Vorland seit dem 19. Jahrhundert. In: Trierer Geographische Studien, 1. Trier 1976. Bönisch, F.: Der Stand der Wüstungsforschung in der Niederlausitz. In: Abhandlungen und Berichte des Naturkundemuseums, Forschungsstelle Görlitz 36, 1960, S. 9–51. Bohnt, E.: Zum Stand der Wüstungsforschung in der Mark Brandenburg zwischen Elbe und Oder. In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 18, 1969, S. 289–318. Born, M.: Siedlungsentwicklung am Osthang des Westerwaldes. In: Marburger Geographische Schriften, 8. Marburg 1957. Born, M.: Wandlung und Beharrung ländlicher Siedlung und bäuerlicher Wirtschaft. Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Kulturlandschaftsgenese im Schwalmgebiet. Marburger Geographische Schriften, 14. Marburg 1961 (1961a). Born, M.: Frühgeschichtliche Flurrelikte in deutschen Mittelgebirgen. In: Geografiska Annaler, 43, 2, 1961, S. 17–24 (1961b). Born, M.: Wüstungen und Sozialbrache. In: Erdkunde, 22, 1968, S. 145–151. Born, M.: Studien zur spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Siedlungsentwicklung in Nordhessen. Marburger Geographische Schriften 44. Marburg 1970. Born, M.: Wüstungsschema und Wüstungsquotient. In: Erdkunde 26, 1972, S. 208–218. Born, M.: Stand und Aufgaben der Wüstungsforschung im Saarland. In: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend, 25, 1977, S. 193–206. 2
Die wichtigsten Aufsätze von Martin Born zur Wüstungsforschung wurden 1980 von Klaus Fehn in einem Sammelband mit dem Titel „Siedlungsgenese und Kulturlandschaftsentwicklung in Mitteleuropa“ herausgegeben.
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
2. TERMINOLOGIE UR- UND FRÜHGESCHICHTLICHER FLURPARZELLIERUNGEN UND FLURBEGRENZUNGEN SOWIE IM GELÄNDE AUSGEPRÄGTER FLURRELIKTE* Eine fachwissenschaftliche Terminologie wird allgemein nicht als einheitliches, langjährige Forschungen abschließendes und in sich stimmiges Begriffssystem entworfen, sondern sie entsteht im Anfangsstadium eines wissenschaftlichen Forschungsablaufs und wird im weiteren Fortschreiten der Forschung nach Bedarf jeweils ergänzt oder modifiziert. Mit der Entdeckung neuer Objekte oder Probleme werden auch, durch den einzelnen Wissenschaftler, neue Termini eingeführt, die sich dann im wissenschaftlichen Schrift- und Sprachgebrauch meist sehr rasch verfestigen1. Dabei sind die Begriffsinhalte historischer und geographischer Fachtermini meist nicht auf eine formale Beschreibung beschränkt, sondern mit ihnen wird auch die Deutung eines Entwicklungsprozesses sowie einer funktionalen, sozialen oder ethnischen Zuordnung zum Ausdruck gebracht. Diese Art der Bildung wissenschaftlicher Termini ist typisch für die Forschung bis in die zwanziger und dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts, aber auch heute ist ein derartiger Vorgang des Ausbaus einer Fachsprache noch allgemein üblich. Sind in eine solche deutende Terminologie Erkenntnisse eingegangen, die im Laufe der Weiterentwicklung der Forschung differenziert oder gar revidiert werden müssen, so steht der Forscher vor dem Problem bereits üblich gewordener, den richtigen Sachverhalt aber nicht mehr treffenden Fachbegriffe. Der wörtliche Begriffsinhalt des Terminus kann so weit von der gemeinten Sache oder der erst später als wirklich zutreffend nachgewiesenen Deutung des zu beschreibenden Sachverhalts abrücken, daß er sich wissenschaftlich als unpräzis, irreführend oder auch als sachlich falsch herausstellt. An dieser Stelle steht heute die Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Fluren zum Beispiel mit dem Oberbegriff der „celtic fields“2, der in *
1
2
Zur Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurbegrenzungen sowie im Gelände ausgeprägter Flurrelikte. Grundzüge eines terminologischen Schemas. In: Beck, H., Denecke, D. und H. Jankuhn (Hrsg.); Untersuchungen zur eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Flur in Mitteleuropa und ihrer Nutzung, Teil I, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, Folge 3, 115. Göttingen, 1979, S. 410–440. Zu allgemeinen Problemen der fachsprachlichen Terminologie, der Begriffsforschung und der Begriffssysteme vgl.: Wüster, E.: Die terminologische Sprachbehandlung, 1953 und ders., Begriffs- und Themaklassifikationen. Unterschiede in ihrem Wesen und ihrer Anwendung, 1971. Zur Entwicklung der ur- und frühgeschichtlichen Terminologie vgl. Pittioni 1950. Der Begriff wurde erstmals von Crawford (1923) und Curwen (1923) angewandt und hat sich in der englischen Literatur sehr bald, später aber auch in der deutschen Literatur durchgesetzt. In Dänemark (Hatt 1931) und den Niederlanden (v. Giffen 1928) ist er zunächst nicht aufgegriffen worden. In den Niederlanden hielt van Giffen in allen seinen Arbeiten an den Begriffen fest, die von den ihm selbst widerlegten älteren Deutungen ausgingen, indem er die Fluren als „zoogenaande heidensche of romeinsche legerplaatsen“ bezeichnete. Hatt bevorzugte den allgemeineren Begriff „oldtidsagre“. Die in der vor- und frühgeschichtlichen Forschung der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen bedeutsame Phase der ethnischen Deutung, die vor allem von Kossinna vertreten worden war, hat die Fragestellung der archäologischen Forschung dieser Zeit entscheidend geprägt.
2. Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurbegrenzungen
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der Fachsprache immer noch gebraucht (vgl. Müller-Wille 1967, 43ff., Koster 1970, Newcomb 1971), aber meist bereits in Anführungsstriche gesetzt wird (vgl. z.B. Brongers 1973 u. 1976, Manneke 1974, Zimmermann 1976, 1976a u. 1979 u. Müller-Wille 1979). Die verschiedensten mit diesem Sammelbegriff bezeichneten urund frühgeschichtlichen Fluraufteilungen oder Flurrelikte können, wie sich dies bereits lange herausgestellt hat, in keinen eindeutigen oder auch ausschließlichen Zusammenhang mit dem Kulturkreis der Kelten gebracht werden. Hier ist sicherlich bereits die Grenze einer sinnvollen und vom Wort her verstehbaren Fachsprache überschritten. Eine solche Fachterminologie führt zu falschen Vorstellungen, zu Mißverständnissen und Fehldeutungen vor allem dort, wo die Begriffe von fachfremden Forschern ohne die notwendige Kenntnis der Forschungsgeschichte übernommen werden. Der für einen komplexen Zusammenhang stehende, die Sache in Kurzform treffend umschreibende oder zum Teil auch kausal deutende Fachbegriff kann durch die Weiterentwicklung der Forschung zu einem sinnentleerten terminus technicus oder zum bloßen Etikett eines Typus werden. Je mehr eine Wissenschaft noch an neuen Erkenntnissen zu erwarten hat, desto gefährdeter ist ihre noch im Aufbau begriffene Fachterminologie. Die Erforschung der ur- und frühgeschichtlichen Agrarlandschaft steht erst in ihren Anfängen und ist durch die jüngsten Arbeiten in Großbritannien (vgl. Bowen u. Fowler 1978), in den Niederlanden (vgl. Brongers 1974 u. 1976) und in Deutschland, insbesondere im Raum Oldenburg/Ostfriesland (vgl. Zimmermann 1976 u. 1976a), aber auch im niedersächsischen Bergland zu einer Fülle neuer Ergebnisse gekommen, die die bisherigen Kenntnisse entscheidend modifizieren. Die immer erneute Überprüfung und Präzisierung der Terminologie ist in diesem Stadium der Forschung nicht nur notwendig für ein gegenseitiges Verständnis in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sondern sie verdeutlicht auch die weiterführenden Problemstellungen und Fortschritte in den Erkenntnissen der Forschung selbst. Dieser Beitrag kann somit nicht allein bei einer Diskussion von Fachbegriffen bleiben, sondern er muß zugleich in die Mitte der den augenblicklichen Forschungsstand kennzeichnenden Forschungsprobleme hineinführen. Das Bemühen um ein terminologisches Schema frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurrelikte setzt zugleich auch den Entwurf eines Systems der auftretenden Formen im Grundriß (Parzellierung) wie auch der im Gelände auftretenden morphologischen Erscheinungen (agrares Kleinrelief) voraus. Eine Terminologie für die Agrarlandschaft und ihre einzelnen Elemente ist von Agrarwissenschaftlern und vor allem von Siedlungs- und Agrargeographen (Scharlau 1957, Manshard 1957, Uhlig/Lienau 1967, Fénelon 1970, Uhlig/Lienau 1971, Uhlig 1971, Adams 1976) für das Mittelalter und die Neuzeit bereits seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (Hanssen 1880, Meitzen 1895), verstärkt jedoch erst während der letzten 20 Jahre, entwickelt worden. Das allgemeine Phänomen der Parzellierung landwirtschaftlicher Nutzflächen ist in jeder Zeit aber auch in jedem Raum grundsätzlich das gleiche. Deshalb wäre es sicher nicht sinnvoll, für die allein aus dem Geländebefund erschließbaren Altfluren eine spezielle Terminologie zu entwickeln, die einem anderen Gliederungssystem und terminologischen Rahmen folgt als die agrargeographische Terminologie, von der, den Grundriß der
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
Parzellarstruktur wie auch das Kleinrelief betreffend, auch für vor- und frühgeschichtliche Fluren auszugehen ist. Dabei muß allerdings der grundsätzliche Unterschied beachtet werden, daß die agrargeographische Terminologie ganz allgemein die in einer Gemarkung vorherrschenden oder als primär angenommenen Formen einer Besitzparzellierung zugrunde legt, während eine auf Geländerelikten aufbauende Terminologie ur- und frühgeschichtlicher sowie mittelalterlicher Fluren allein von den im Gelände einst markierten oder auch sekundär entstandenen und erhaltenen bzw. rekonstruierbaren Begrenzungen ausgehen muß. So ist die Terminologie der in Geländerelikten erkennbaren Altfluren bisher weitgehend von geographischer Seite im Zusammenhang mit der Untersuchung agrarwirtschaftlich oder agrartechnisch bedingter Kleinformen entwickelt worden (vgl. Schaefer 1954, 1957 u. 1958, Scharlau 1957, Ewald 1969, Sperling/Zigrai 1970)3. Die agrargeographische Terminologie der allein aus den Flur- und Katasterkarten des 18. und 19. Jahrhunderts entnommenen oder rekonstruierten Besitzparzellen und Besitzparzellengefüge, die von einem privaten Bodenrecht mit individueller Eigenbewirtschaftung ausgeht, steht damit einer Terminologie von Parzellenund Flurformen gegenüber, deren Begrenzungen allein im Gelände beobachtet und kartiert sind und damit in ihrer Funktion allgemein unbestimmt bleiben. Dieser weitgehend quellenbedingte Unterschied im jeweiligen Ansatz der Betrachtung läßt sich kaum überbrücken. Es soll jedoch versucht werden, die physiognomisch ausgeprägten Flurbegrenzungen und Flurformen in das System der Terminologie der Besitzgefüge zu integrieren, ohne dabei den zu wahrenden Unterschied zwischen Besitzparzellengefüge und Betriebsparzellengefüge zu verwischen. Für eine einheitliche, auch den ur- und frühgeschichtlichen Zeitraum einbeziehende Terminologie der Agrarlandschaft ist allerdings die gesicherte Kenntnis der in die Begriffe eingehenden beschreibenden wie deutenden Aussagen eine unabdingbare Voraussetzung. Wenn diese Forderung auch selbstverständlich klingt, so scheint sie mir doch das Hauptproblem der terminologischen Erfassung ur- und frühgeschichtlicher Siedlungen und Fluren zu sein. Letztlich war auch der Anlaß, das Thema „Terminologie“ hier aufzugreifen, die für den Befund in Flögeln noch nicht gesicherte Frage der Entstehung, Funktion und ehemaligen Nutzung der 10 bis 20 m breiten aufgewölbten Streifen, die sich ungefähr rechtwinklig schneidend, blockförmige Areale umgrenzen und, wie auch in der älteren Literatur zu eisenzeitlichen Fluren anderer Gebiete, als „Wälle“ bezeichnet wurden (vgl. Zimmermann 1976, 1976a u. 1979 sowie Gebhard 1976). Bei der morphographischen Untersuchung der Relikte von Altfluren sowie einer Systematik der Formen und deren Termini sind grundsätzlich zwei verschiedene Bereiche von Geländeformen zu unterscheiden: morphologisch ausgeprägte ehemalige Parzellenbegrenzungen einerseits und das Kleinrelief der ehemals beackerten Flächen andererseits. Die Formen beider Bereiche lassen sich dann in der morphographischen Systematik in Hohlformen und Vollformen aufteilen (vgl. Denecke 1975, 12–15). In dem hier behandelten Zusammenhang soll es vornehmlich um die 3
Zu einer allgemeinen Systematik anthropogener (technogener) Oberflächenformen vgl. Zapletal (1969), Denecke (1975, S. 12–15), Gellert (1976, S. 340–346) und Sperling (1978).
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Parzellenformen und ihre linearen Begrenzungen gehen, das heißt um die allgemeine Fragestellung der Fluraufteilung. Das Kleinrelief der Ackerflächen dagegen steht in einem engeren Zusammenhang mit den Techniken der Bodenbearbeitung und einer flächenhaften Beeinflussung und Veränderung der Bodenoberfläche beziehungsweise des Bodenprofils. I. BEZUGSKATEGORIEN EINER TYPOLOGIE UND TERMINOLOGIE UR- UND FRÜGESCHICHTLICHER ALTFLUREN Eine klar abgrenzbare wissenschaftliche Terminologie setzt eine systematische Typologie des Forschungsgegenstandes voraus. Die hier in einem Schema übersichtlich und sinnvoll aufeinander bezogen zu ordnenden Fachtermini sind als Typenbezeichnungen zu verstehen. Eine Typologie der Flurparzellengefüge sowie der Flurbegrenzungen und eine daran gebundene Terminologie kann von verschiedenen Bezugskategorien ausgehen, die auf unterschiedlichen Betrachtungsweisen und Fragestellungen beruhen. Die Ableitung eines Typus und einer Typenbezeichnung von einem individuellen Befund bzw. nach einem „locus typicus“ ist in der archäologischen Forschung allgemein üblich (vgl. hierzu allgemein: Pittioni 1950). Eine solche „Fundorttypologie“ ist zwar für eine vergleichende Betrachtung ähnlicher, meist formaler Befunde durchaus hilfreich, jedoch für eine Terminologie von Flurtypen, wie diese von Müller-Wille in seinem Vortrag vor der Akademiekommission vorgeschlagen worden ist, kaum anwendbar, da die Fluren als sehr komplexe Gebilde zu wenig typenspezifische Merkmale aufweisen beziehungsweise eine gleiche Form in ihrer Entwicklung wie auch Funktion oft sehr verschieden gedeutet werden kann. Die formalen Unterschiede sind zunächst allgemein durch die natürlichen örtlichen Verhältnisse (Gestein, Böden, Relief u. a.) oder auch die jeweilige lokale Siedlungsund Flurentwicklung oder den jeweiligen Entwicklungsstand bedingt. Außerdem setzt ein nach einem Fundort benannter Typus in der wissenschaftlichen Diskussion jeweils die genaue Kenntnis des lokalen Befundes und seiner typischen Merkmale voraus. Dies ist jedoch bei den landschaftsgebundenen und anschaulich nur kartographisch darstellbaren Flurparzellierungen kaum möglich. Eine chronologische Typologie und die von der Zeitstellung abgeleiteten übergeordneten Gattungsbegriffe für spezifische Formtypen ermöglichen eine nur sehr allgemeine Zuordnung. Die Begriffe „Altflur“ oder „Altacker“ bezeichnen die Fluren ur- und frühgeschichtlicher, mittelalterlicher sowie auch neuzeitlicher Epochen, die in ihrer Parzellarstruktur und ehemaligen Art der Nutzung heute nicht mehr bestehen und sind nicht synonym mit den Bezeichnungen „oldtidsagre“ (dän.) oder „Vorzeitäcker“ (so z. B. bei Mortensen-Scharlau, 1949). Die Begriffe „Vorzeitäkker“, „urgeschichtliche Flur“, „ancient fields“, „prehistoric fields“, „prehistorische Akkers „(ndl) und „oldtidsagre“ bezeichnen Fluren verschiedener urgeschichtlicher oder auch geschichtlicher Epochen. Sie schließen die Fluren der Eisenzeit mit ein, mit ihnen kann aber nicht die eisenzeitliche Flur allein gemeint sein (so vor allem bei Hatt, 1949), für die die Bezeichnungen „eisenzeitliche Ackerfluren“, „iron age
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square endosures“, ijzertijd akkers (ndl.) und entsprechende Termini zur Verfügung stehen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß es bereits seit dem Neolithikum Fluraufteilungen gegeben hat und damit für eine zeitliche Einordnung die Angabe der jeweiligen historischen Epoche unmißverständlich und zugleich auch wirklich „bezeichnend“ sein muß. Dabei sollte dieser chronologische Typenbegriff allerdings nicht ohne Bedenken zugleich auch auf einen spezifischen Formtypus bezogen werden, da während einer Epoche, und dies gilt nachweislich auch für die Eisenzeit, sehr verschiedene Flurparzellierungen üblich gewesen sein können. Brongers (1974, 7 u. 1976, 48) hat auf der Grundlage seiner Untersuchungen in der Veluwe bei Vaasen, Gem. Eple, die prähistorischen Flurformentypen generell zwei aufeinanderfolgenden Phasen zugeordnet, die er als „pre Celtic Field fase“ – PCF (1000–500 v.Chr.) und als „Celtic Field fase“ -CF (500 v.Chr.–200 n.Chr.) bezeichnet. Abgesehen vom Problem der Allgemeingültigkeit der Zeitmarken dieser Phasen, die allein an C14-Daten des einen Untersuchungsortes orientiert sind, scheint es doch auch problematisch, diese vermutlich regional beschränkten Flurtypen undifferenziert zum Charakteristikum zweier verschiedener prähistorischer Epochen zu erheben. Die ethnische Zuordnung der eisenzeitlichen Fluren durch die Bezeichnung „celtic fields“ ist ein Erbe aus der forschungsgeschichtlichen Phase der ethnischen Deutung (vgl. Anm. 2). Die ethnische Bindung eingehegter Kleinblock- und Streifenfluren an den Kulturkreis der Kelten hat sich im weiteren Verlauf der Forschung als unhaltbar erwiesen, so daß dieser Begriff, wenn auch bis in die jüngste Zeit in der Literatur gebraucht (Brongers 1974 u. 1976, Zimmermann 1976, 1976a u. 1979) nicht nur in Anführungsstriche zu setzen ist, sondern vollkommen gemieden werden sollte. Auch beim Hinweis darauf, daß der Begriff „celtic fields“ bei der Kenntnis des Forschungsstandes, der sich mit dem Begriffsinhalt nicht mehr deckt, doch als „terminus technicus“ weiterhin anwendbar sei (vgl. Brongers 1976, 18), entspricht dieser Terminus nicht mehr den Anforderungen des heutigen Forschungsstandes, sondern er hat nur noch forschungsgeschichtliche Bedeutung. Für die Typologie und Terminologie von Flurformen sind vor allem formalgeometrische (morphographische) Kategorien von Bedeutung, die auf den Grundriß der Parzellierung bezogen sind. „Blockflur“, „Kleinblockflur“, „square enclosures“, „Kammerflur“, „Zellenflur“, „Netzflur“, „netformige akkerkomplexen“ (ndl), „Wabenflur“ oder „raatakkers“ (ndl) sind allgemeine formtypologische Begriffe, wenn auch etwa mit den Termini „Zellenflur“ oder „Kammerflur“ nach den Definitionen von Scharlau (1957), Born (1958 u. 1961) oder Seel (1962 u. 1963) bereits besondere, regional gebundene Formtypen gemeint sind4. Eine Zeitstellung wird mit diesen formal-beschreibenden Begriffen nicht ausgedrückt, wenn auch der Typ der Kleinblock- und Kurzstreifenflur offensichtlich in der Eisenzeit vorherrscht. Die neueren Versuche der „Internationale(n) Arbeitsgruppe für die geographische Terminologie der Agrarlandschaft“, die agrargeographischen Fachtermini zu revidieren und diese im Sinne einer Terminologienormung ordnend in ei4
Trotz der Erkenntnis der Besonderheit der im Mittelgebirge festgestellten Formen setzt Scharlau zuweilen die Begriffe „Kammerflur“, „celtic field“ und „oldtidsagre“ gleich (Scharlau 1957).
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nen systematisierenden terminologischen Rahmen einzufügen, bauen die formalbeschreibenden Merkmale weiter aus, um zu einer additiven, morphographischen Terminologie zu kommen (vgl. Uhlig/Lienau 1967 u. 1970, Lienau 1971). Dieser Weg hat sich in der geographischen Forschung bereits mit einigem Erfolg durchgesetzt, wenn er auch Gefahr läuft, hier und da an die Grenzen eines baren Formalismus zu stoßen, der über eine mathematisch-statistische Aussage nicht hinausgeht und damit das angestrebte übergeordnete Ziel, Grundlage für eine Typologie und Terminologie entwicklungsgeschichtlicher, ökonomischer oder auch sozialer Zusammenhänge sein zu können, nicht erreicht5. Der Ansatz, zunächst aus den Formtypen Rahmenbegriffe oder „theoretisch gesetzte Normen“ und durchgehend einheitliche Grundelemente zu schaffen, auf denen dann eine alle anderen siedlungsgeschichtlich wesentlichen Aspekte einer historisch-genetischen Fluranalyse berücksichtigende Terminologie aufbauen kann (vgl. Uhlig/Lienau 1970), ist für die allein aus dem Gelände erschließbaren Formen ur- und frühgeschichtlicher Fluren ganz sicher wegweisend, für die Erfassung der jüngeren Flurgeschichte mit weit über die formale Parzellarstruktur hinausreichenden Quellen und Merkmalen jedoch zu einseitig oder als Grundlage überhaupt unbrauchbar. Für die eisenzeitlichen Fluren hat Müller-Wille (1965, 40–56) durch morphometrisch-statistische Analysen der bisher bekannten und kartierten urgeschichtlichen Altfluren (Größenklassen der Parzellen, regelmäßige bzw. unregelmäßige geometrische Grundformen) eine gewisse Grundlage für eine formtypologische Klassifikation des parzellaren Gefüges der Fluren geschaffen. Diese Systematik nach geometrischen Formen und Größen der Parzellen und Parzellenkomplexe kann jedoch nicht zu einer allgemein brauchbaren Typologie führen, weil sie kaum über die reine Beschreibung der formal ähnlichen, entwicklungsgeschichtlich jedoch häufig völlig unterschiedlichen Parzellierungen hinausgeht. Von dem Grundriß einer Fluraufteilung in Besitz- wie auch Betriebsparzellen ist die historische Entwicklung der Flur und ihrer Begrenzungen im Gelände nicht zu trennen. Als ein die formale Typologie entscheidend bedingendes Element sind die historische Formentwicklung wie auch die formale Typogenese mit in den terminologischen Rahmen einzubeziehen. Eine solche entwicklungsgeschichtliche und morphogenetische Terminologie geht durch die zusätzliche historische wie auch genetische Aussage über die nur morphographische Terminologie hinaus. „Gehegte Kleinblockflur“, „eingehegte Kleinblockparzelle“, „sekundär quergeteilte Breitstreifenflur“ oder auch „sekundär zusammengelegte Großblockflur“ sind Begriffe, die das für eisenzeitliche Fluren so typische Merkmal der markierten Abgrenzung und Einhegung mit erkennen lassen oder auch den Vorgang der Formenentwicklung mit beschreiben. Wenn auch mehrgliedrige Begriffe in der Handhabung etwas schwerfällig zu sein scheinen, so sind sie doch in ihrer Aussage mehrschichtig und präziser und dabei von einem terminologischen System aus absolut transparent. Wenn auch die individuelle formale Entwicklung einer Flurparzellierung allgemein sehr eng mit der formalen Typogenese zusammenhängt, so soll hier doch mit 5
Vgl. dazu z.B. die Rezensionen der Materialien zur Terminologie der Agrarlandschaft Bd. 1 (Uhlig/Lienau 1967) von H.J. Keuning in Erdkunde, 23, 1969, S. 331 und des Bandes 2 von D. Denecke in Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, 3, 1975, S. 320f.
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aller Deutlichkeit der grundsätzliche Unterschied zwischen diesen beiden Entwicklungsvorgängen herausgestellt und beachtet werden. Ist mit der historischen Entwicklung von Fluraufteilungen der individuelle, geländegebundene und damit lokale Ablauf von der primären Anlage über sekundäre Umgestaltungen, Erweiterungen, Teilungen oder Zusammenlegungen bis hin zu der Endform zum Zeitpunkt der totalen Aufgabe der Flur gemeint, so ist die Typogenese ein allgemein theoretisch rekonstruierter Prozeß einer Fortentwicklung von einer Ausgangsform (Initialform) über eine Hochform hin zu Spätformen, bezogen auf die Genese einer formal-geometrischen Konzeption. In dem folgenden Versuch, Grundzüge eines terminologischen Schemas für die wissenschaftliche Untersuchung und Darstellung von Altfluren zu entwerfen wird die Grundkategorie der historischen Formentwicklung in den Vordergrund gestellt werden. Unter entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten lassen sich die im Gelände noch sichtbaren Relikte der Altfluren am treffendsten terminologisch fassen. Auf die Entwicklung der im Gelände erhaltenen Relikte und Grundrisse einer Parzellierung sind auch allgemein die Fragestellungen der Untersuchungen gerichtet, deren Ergebnisse es terminologisch zu fassen gilt. Grundsätzlich ist zu beachten, daß ein aus Geländerelikten rekonstruierter Flurplan und eine auf dieser erst erarbeiteten Quelle beruhende formale, entwicklungsgeschichtliche oder gar besitzrechtliche Interpretation zu ganz andersartigen Fragestellungen und Aussagen führen muß als die Besitz- und Katasterkarten des 18. und 19. Jahrhunderts, von deren Bild die gesamte geographische Terminologie der besitzrechtlich definierten Flurformen abgeleitet worden ist (s. u.). Agrarwirtschaftliche, soziale oder besitzrechtliche Bezugskategorien seien hier nur am Rande behandelt, da sie für ur- und frühgeschichtliche Altfluren kaum greifbar sind und somit für den Aufbau eines terminologischen Schemas zu wenig gesichert erscheinen. Das schließt nicht aus, daß die Flurrelikte auf diese Fragen hin zu untersuchen sind und daß dort, wo bisher bereits gesicherte Erkenntnisse erzielt wurden oder auch in Zukunft noch zu erwarten sind, diese auch in das terminologische Schema eingehen. II. MORPHOGRAPHISCHE TYPOLOGIE UND TERMINOLOGIE VON ALTFLURPARZELLIERUNGEN 1. Geometrische Formtypen: Morphographie der Parzellenschnitte und Flurgrundrisse Der Grundriß der einzelnen Parzelle, aber auch formal in sich einheitlicher Teile von Parzellenverbänden und Parzellenkomplexen muß zunächst von der geometrischen Form her terminologisch erfaßt werden. Dabei sind die rechtwinkligen (regelmäßigen) Formen, Vierecke mit 2 oder 4 gleichen Seiten (Rechtecke und Quadrate), von den nicht rechtwinkligen (unregelmäßigen) Formen, Dreiecken, Rhomben, Trapezen oder Polygonen mit allgemein unterschiedlichen Seitenlängen und Winkeln, zu unterscheiden. Eine weitere Differenzierung nach Form und Größe er-
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Übersicht 1 Geometrische Grundformen, Grenzmaße und morphographische Terminologie im Gelände ausgeprägter Flurparzellierungen
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folgt durch Schwellenwerte, die durch Konvention gesetzt wurden (vgl. Übersicht 1; dazu auch: Müller-Wille, W., 1962, 297; Müller-Wille, M., 1965, 45; Uhlig/ Lienau 1967, 38–41). Danach können Blöcke einerseits und Streifen andererseits einander gegenübergestellt werden, deren Grenze mit einem Seitenverhältnis von 1:2,5 definiert worden ist (Block 1:2,5). Eine Unterteilung nach der Flächengröße erfolgt durch festgelegte Schwellenwerte der Seitenlängen. Leider sind diese abgrenzenden Werte von verschiedenen Autoren bisher unterschiedlich festgelegt worden. Auch die Bezeichnungen von Blöcken, Rechtecken oder Streifen ist bei älteren Definitionsversuchen nicht einheitlich gehandhabt worden. Die Flächengrößen der ur- und frühgeschichtlichen Altfluren sind im großräumigen Vergleich allgemein sehr unterschiedlich (vgl. Müller-Wille 1965, 42–44). Häufig variiert die Größe jedoch auch innerhalb eines geschlossenen Flurkomplexes. Die Unterschiede der Anteile der Parzellen an verschiedenen Größenklassen sind im Vergleich verschiedener Flurkomplexe oft sehr markant (vgl. Müller-Wille 1965, 42, Tab. 8 u. 9). Allgemein ist eine breite, gleitende Streuung zwischen extrem kleinen und extrem großen Parzellen erkennbar, bei einer gewissen Häufung in der Größenklasse von 1000–2500 m2. Bemerkenswert ist jedoch, daß bei einer vergleichenden Betrachtung aller bisher bekannten urgeschichtlichen Altfluren bisher keine Standardgröße besonders hervortritt. Dies kann damit zusammenhängen, daß hier Altfluren unterschiedlicher Entwicklungsstadien, vor allem in bezug auf das unterschiedliche Ausmaß sekundärer Teilungen, miteinander verglichen werden. Es könnte jedoch auch darauf deuten, daß die Aufteilungen individuell nach Gesichtspunkten der Nutzung und nicht nach besitzrechtlichen, zu genormter Gleichheit tendierenden Prinzipien vorgenommen worden sind. Letztlich spielen auch die Erhaltungsbedingungen der Abgrenzungen eine gewichtige Rolle bei der Auswertung aufgemessener und rekonstruierter Grenzraine. Die Terminologie der geometrischen Formtypen bleibt rein beschreibend und läßt Entwicklungsstadien wie auch besitzrechtliche Bedingungen außer acht. So ist etwa eine Parzellarstruktur langer, paralleler Streifen keineswegs identisch mit einer als „Langstreifenflur“ bezeichneten Parzellierung6, und eine Fluraufteilung in rechtwinklige Kleinblöcke kann auf eine primäre Streifenflur zurückgehen und muß keineswegs eine besitzrechtlich definierte Kleinblockflur sein. In der rein formalen Beschreibung der morphographischen Typologie und Terminologie liegt auch ihre Beschränkung in der Aussage für weiterführende Fragestellungen.
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Vgl. z.B. die von Mortensen und Scharlau (1949) vorgenommene und inzwischen widerlegte (Born 1967 und 1979) Rekonstruktion langer, hangparalleler Streifenparzellen auf der Grundlage der Kartierung von Flurrelikten. Diese vermeintlichen Streifenparzellen wurden als „Langstreifenflur“ bezeichnet, obgleich sie weder formal noch von der Besitzstruktur her mit der besitzrechtlich definierten Langstreifenflur identisch sind.
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2. Allgemeine Typologie und Terminologie der Flurentwicklung und der entwicklungsgeschichtlichen Fluranalyse Die Fluren der eisenzeitlichen Altlandschaft, das heißt die parzellierten agraren Nutzflächen einzelner Siedlungs- und Wirtschaftsverbände, sind durch die aufgehöhten Grenzraine der Parzellen oder die Anlage von Flurwällen und Flurgräben als anthropogen bedingte Kleinformen, als oberirdische Relikte einer Bodenbewirtschaftung, als Bewuchs- oder Bodenmerkmale im Luftbild oder als fossile Relikte in der Form von anthropogen gestörten Bodenprofilen erhalten. Mit diesen Resten lassen sich zunächst allein die Endformen nachweisen, das heißt das letzte Stadium einer längeren Flurentwicklung während einer zugehörigen Siedlungs- und Wirtschaftsphase vgl. Übersicht 2). Die im einzelnen unregelmäßige Form und Größe der Parzellen, die unterschiedlichen Mächtigkeiten und Breiten der aufgehöhten Raine, die oft vom Zentrum zum Rand der Flur hin abnehmen, sowie auch ein häufiges Nebeneinander von Parzellenkomplexen in sich ähnlicher aber im Vergleich doch unterschiedlicher Parzellenformen und -größen sind Indizien dafür, daß die meisten rekonstruierbaren Parzellierungen entwicklungsgeschichtlich komplexe Formen sind. Die Komplexität der formalen Entwicklung wird einerseits in den Sekundärformen, andererseits in den Ausbau- und Reduktionsformen deutlich. Sekundärformen einer Umformung oder Teilung im Laufe einer Siedlungs- und Flurentwicklung konnten mehrfach mit einiger Sicherheit nachgewiesen werden. Ein schon von van Giffen 1939, von Hatt (1949, 43 u. 1955), von Jankuhn 1955 und dann besonders von Hannerberg (1955, 20–24 u. 1958, 30–32) wie auch von Müller-Wille (1963, 22 u. 1965, 50–55) aufgegriffenes Problem ist der Versuch eines Nachweises von Teilungsformen (Spaltfluren). Für eine Klärung dieses Problems liegen noch zu wenige archäologisch und bodenkundlich gesicherte Belege sekundärer Parzellenteilungen vor. Wenn auch eine vergleichsweise geringe Mächtigkeit und Breite von Hochrainen oder Flurwällen sekundäre Grenzziehungen vermuten lassen, so sind Teilungen doch erst im Bodenprofil bzw. durch überlagerte Bodenbearbeitungsspuren sicher nachzuweisen. Die Interpretation einander benachbarter Parzellen, die in einem numerischen Größenverhältnis zueinander stehen, als geteilte Besitzparzellen, ähnlich der bei der Analyse von Katasterkarten angewandten Methode der Flurkorrespondenz, kann bisher nur als Hypothese angesehen werden. Verdichtungsformen, die aus verschiedenen, zunächst isoliert gelegenen Flurteilen im Laufe einer Zurodung zusammengewachsen sind, nahm Hatt (1955, 122) für verschiedene Flurkomplexe in Jütland an. Läßt sich eine vollständige Umlegung oder eine Neuanlage nach einer Siedlungsunterbrechung nachweisen, so müßten die in einem alten Flurbereich neu angelegten, völlig anders strukturierten Parzellen als Neu f o r m e n bezeichnet werden, so z.B. die Überlagerungen gehegter Kleinblockparzellen von einer jüngeren Esch- oder Gewannflur (Beispiele bei Brongers 1976 und Zimmermann 1976). Eine entwicklungsgeschichtlich-formale Analyse von Altflurrelikten und Altflurplänen führt retrogressiv letztlich zu der Frage nach den Primärformen (der Erstanlage oder Kernflur) und nach den Prozessen einer sukzessiven Umformung, Über-
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Übersicht 2 Allgemeine Terminologie der entwicklungsgeschichtlich-formalen Fluranalyse (Rekonstruktion einer Entwicklung der Flurparzellierung). Systematische Übersicht
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formung oder Teilung (Sekundärformen) und vor allem zu der Frage nach der entwicklungsgeschichtlichen Erweiterung der Parzellierung nach außen hin (Ausbauformen). Dieses Problem der Rekonstruktion einer Flurentwicklung wird im folgenden nochmals aufgegriffen werden. 3. Die Terminologie des Parzellargefüges (Nutzungsgefüge und/oder Besitzgefüge, polystadiales Entwicklungsgefüge) ur- und frühgeschichtlicher Altfluren Die Flur ist definiert als „parzellierte agrarische Nutzfläche eines Siedlungs- und Wirtschaftsverbandes“ (Uhlig/Lienau 1967, 46). Von den übrigen Nutzflächen einer Gemarkung, den nicht parzellierten Grünland-, Wald- oder Ödlandflächen, unterscheidet sich die Flur durch ihre Aufteilung in Besitzparzellen und bzw. oder in Betriebsparzellen (Nutzungsparzellen oder Arbeitsparzellen). Den größten Teil der Flur nimmt allgemein die kontinuierlich oder auch periodisch ackerbaulich genutzte „Ackerflur“ ein. Die besitzrechtliche Aufteilung oder die Grundrißgestalt des besitzrechtlichen Grenzliniensystems in einer Flur wird mit den Begriffen „Flurgliederung“, „Flureinteilung“ (z.B. bei Hanssen 1880 und Meitzen 1895) oder auch mit dem jüngeren und heute allgemein üblichen Begriff der „Flurform“ bezeichnet7. Die Aufteilung einer Flur für unterschiedliche Nutzungen wird als „Nutzungsgefüge“ bezeichnet, das von dem Netz der Grenzlinien des Besitzgefüges streng zu unterscheiden ist. Bei der Analyse der Relikte und Rekonstruktion ur- und frühgeschichtlicher Fluren stehen wir vor dem Problem, daß wir das Besitzgefüge vom Nutzungsgefüge nicht trennen können, daß sich Besitzgrenzen von Betriebsgrenzen nur in seltenen Fällen und meist nicht auf gesicherter Grundlage unterscheiden lassen und daß die Zuordnung einzelner Parzellen zu einem Besitzer bei einem Anteil mehrerer Partner wegen der fehlenden Quellen überhaupt ausgeschlossen ist. Das führt zu dem terminologischen Paradoxon, daß wir über die „Flurformen“ im Sinne eines Besitzgefüges für die ur- und frühgeschichtlichen Fluren allgemein keine gesicherten Aussagen machen können. Das Grundwort „-form“ ist durch die Arbeitsgruppe für die geographische Terminologie der Agrarlandschaft erneut mit Nachdruck auf besitzrechtlich abgegrenzte Einheiten bezogen worden7, die mit formal-geometrischen Flächenmustern, Parzellenzuschnitten oder physiognomischformalen Ausprägungen einer Landaufteilung im Gelände zunächst nichts zu tun haben. Für die physiognomische Ausprägung einer Fluraufteilung oder die aus den erhaltenen Parzellengrenzen rekonstruierten Altfluren gibt es bisher keinen übergeordneten Terminus. Dies führt nicht nur bei der Behandlung von Altfluren zu Mißverständnissen und unpräziser Anwendung von Flurbegriffen8, sondern allgemein 7
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„Nur das Besitzliniensystem wird durch den Begriff Flurform erfaßt und nur auf ihm kann eine Flurformentypologie aufgebaut werden“. Flurformen sind zu „definieren als die durch das besitzrechtliche Liniensystem geschaffene Grundrißgestalt einer Flur“. (Uhlig/Lienau 1969, S. 51 u. S. 97). So ist es in der Literatur fast allgemein üblich, den Begriff der „Flurform“ in gleicher Weise auf
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auch dort, wo es sich um Parzellierungen einer im Staats- oder Großgrundbesitz befindlichen Flur handelt, die von Großbetrieben aus beziehungsweise kollektiv bewirtschaftet werden. Hier werden allgemein, ohne Beachtung der festgelegten Definition, auf das Besitzgefüge bezogene Flurformenbegriffe auf das Nutzungsgefüge übertragen. Aber auch eine Gleichsetzung des Nutzungsgefüges mit der physiognomisch wahrnehmbaren oder in Relikten von Begrenzungen erhaltenen Parzellierung ist nicht haltbar, da Begrenzungen jeder Art im Gelände markiert oder ausgeprägt sein können. Der Terminologie der besitzrechtlich definierten Flurformen ist eine Terminologie physiognomisch markierter Flureinteilungen gegenüberzustellen. Viele Altfluren sind nur noch in Teilbereichen erhalten, so daß ihre Gesamtfläche und Abgrenzung zur übrigen Gemarkung, d.h. die Flurgrenze, nur in wenigen Beispielen sicher zu ermitteln ist. Durch umlaufende Raine, Wälle oder vielleicht auch Wallhecken markierte und gesicherte Flurbegrenzungen konnten bisher nur in einzelnen Fällen in Großbritannien gefunden werden. Meist laufen die Spuren der Parzellenbegrenzungen im Gelände allmählich aus, zum Teil sicherlich auch bedingt durch spätere Zerstörung, oder die Parzellierung endet mit einer Kette randlicher Parzellen, ohne daß die Außengrenze in besonderer Weise markiert wäre. Vermutlich ist für die eisenzeitliche gehegte Flur eine offene Flurgrenze charakteristisch. Typisch für eine offene Flurgrenze sind auch die häufig vorkommenden, isoliert liegenden Flurteile (z.B. Asdal uggerby hede, Skörbek hede u.a.). Die gestreute Lage einzelner gehegter Parzellengruppen an der Peripherie größerer zusammenhängender Flurteile scheint auch darauf hinzudeuten, daß sich die Fluren der Eisenzeit aus einer Streuflur, das heißt aus verschiedenen kleineren Flurkernen in Streulage zu größeren zusammenhängenden Flurkomplexen entwickelt haben. Eine Gliederung der eisenzeitlichen Kleinblock- und Kurzstreifenfluren in Parzellenkomplexe (meist gemeinsam begrenzte, formale Einheit mehrerer Parzellenverbände) und weiter in Parzellenverbände (Zusammenschluß mehrerer Parzellen gleicher Form: formal gleichartiges Parzellengefüge), wie dies allgemein für die Fluren des Mittelalters und der frühen Neuzeit möglich ist, deutet sich bei den bisher bekannten Fluren der Eisenzeit nur in seltenen Fällen an. Die allgemeine Unregelmäßigkeit in Form und Größe läßt kaum Parzellen gleicher Form erkennen, die zu Parzellenverbänden zusammengefaßt werden könnten. Auch fehlt für einen solchen Versuch die Kenntnis der formalen Entwicklung wie auch der Besitzgliederung. Die zentrale Frage der Anlage und der Weiterbildung zusammenhängender eisenzeitlicher Flurkomplexe konnte bisher kaum zufriedenstellend beantwortet werden. Geht man davon aus, daß die aus den Relikten rekonstruierbaren Endformen entwicklungsgeschichtlich mehrschichtig (polystadial) sind, so stellt sich die wichtige Frage, ob die im Gelände erkennbare regelmäßige und unregelmäßige Kleinblock- und Kurzstreifenflur der vor-römischen und römischen Eisenzeit zu einem großen Teil aus Sekundärformen, das heißt insbesondere aus Teilungsformen beParzellierungen aus dem Gelände rekonstruierter Altfluren wie auch auf Formen der Besitzparzellierung zu beziehen.
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steht, oder ob auch Verdichtungs- und Erweiterungsformen einen bedeutenden Flächenanteil einnehmen. Diese Frage kann nur durch regionale Befunde geklärt werden. Brongers (1974,8) hat bei seinen Untersuchungen bei Vaassen, Gem. Epe, Prov. Drenthe durch Rodungswälle getrennte Streifenfluren als Primärformen erkannt, die sekundär in kleine Blöcke aufgeteilt wurden zur Unterteilung der Feldarbeit und Nutzung sowie zur Anpassung an die Bearbeitung mit dem Arder. Brongers zieht daraus den Schluß, daß die Auffassung, die „celtic fields“ seien Blockfluren, das heißt unplanmäßig ausgelegte, unregelmäßige Blockparzellen, hiermit abgetan wäre. Wenn auch die neuen Untersuchungsergebnisse in den Niederlanden in dieser Weise nicht verallgemeinert werden dürfen, so ist doch zu betonen, daß die rekonstruierbaren Flurgrundrisse Endformen sind und die Rekonstruktion von Primärformen, Sekundärformen oder auch Erweiterungsformen ein bisher weitgehend ungelöstes Problem ist. Es ist ganz allgemein problematisch, die rekonstruierbaren Flurgrundrisse generell als Fluren der Eisenzeit anzusprechen und diese auf Grund verschiedener Parzellierungen in einzelne Formtypen zu gliedern, wenn es sich eventuell allein um verschiedene Entwicklungsstadien von Fluraufteilungen handeln kann. III. MORPHOGRAPHISCHE, ENTWICKLUNGSGESCHICHTLICHE UND MORPHOGENETISCHE TYPOLOGIE UND TERMINOLOGIE DER PARZELLENBEGRENZUNGEN Der Rain als nicht bearbeiteter, flacher Grenzstreifen zwischen ackerbaulich oder auch als Grünland genutzten Parzellen ist die einfachste Grundform der Parzellenbegrenzungen (vgl. zu den folgenden Ausführungen Übersicht 3). Grenzrain, Feldrain, Ackerrain oder Ackersaum sind synonym gebrauchte Begriffe. Die morphologische Grundform des Raines ist der Flachrain. Die Entstehung wie auch die Funktion von Rainen können unterschiedlich sein (zu Vorgängen der Entwicklung eines Raines vgl. Übersicht 4). Die unbearbeiteten Streifen können als Grenzmarkierungen bei der Anlage benachbarter Feldeinheiten belassen worden, also Grenzraine im engeren Sinne sein. Raine können aber auch, und so wird die Entstehung von langen, bis zu 8 m breiten Rainen (banks, earthen banks) neuerdings wieder von Brongers (1976) gedeutet9, im Zuge der Rodung durch Ablagerung von Rodungsabfällen (Busch, Strauch, Stubben und Äste, Steine) in einem zugleich als Grenze dienenden Streifen entstanden sein. Man könnte durch diesen Vorgang gebildete Raine als „Rodungsraine“ bezeichnen. Letztlich kann einem Rain, wenn auf ihm ein Zaun errichtet ist oder wenn er zur Abgrenzung mit Busch und Hecken bestockt ist, auch die Funktion eines Grenzzaunes zukommen (Zaunrain, Heckenrain, Knick) oder auch die eines Windschutzes (Baumrain, Windschutzrain). Sehr wahrscheinlich ist diese ehemalige Grenzfunktion vor allem dort vorhanden gewesen, wo parallel zum Rain die Anlage eines einseitigen oder auch 9
Die Deutung von Hochrainen als Rodungsraine findet sich bereits bei Hatt (1931, S. 124).
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
Übersicht 3 Terminologie morphogenetischer Typen der Parzellenbegrenzungen. Systematische Übersicht
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
2. Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurbegrenzungen
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Übersicht 4 Prozesse und Stadien der Morphogenese von Parzellenbegrenzungen: Verlauf der Entwicklung eines Raines oder Breitraines. Schematisierte Darstellung einer maximalen Anzahl möglicher Entwicklungsstadien
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beidseitigen Grabens nachweisbar ist (Grabenrain). Künstlich angelegte Gräben, die nicht einer Entwässerung gedient haben, lassen zumindest mit einiger Sicherheit annehmen, daß eine Abgrenzung von Parzellen beabsichtigt war. Dabei ist der Aushub aus den Gräben meist gleichzeitig für den Aufschlag eines begleitenden kleinen Walles benutzt worden. Durch allmähliche Akkumulation von Bodenmaterial durch Flächenspülung, besonders aber auch durch äolische Ablagerung, oder durch geringen Auftrag von Unkraut und vereinzelten Lesesteinen auf die nicht bearbeiteten und bestellten Grenzraine wurden diese im Laufe der Zeit aufgehöht. Diese aufgehöhten Raine sind als Hochraine (50 schon Jankuhn 1956/57, 180), Akkumulationsraine oder Wölbraine zu bezeichnen. Ihre Breite liegt zwischen 2 und 8 m. Die ursprüngliche Breite von Wölbrainen ist in den Relikten meist nicht genau zu fassen, wenn diese nicht von Grenzgräben begleitet werden. Noch nicht zufriedenstellend geklärt ist der Vorgang der Akkumulation im Bereich der Raine, wenn ein unmittelbarer Aufschlag des Bodens durch den Menschen ausgeschlossen werden kann. Geht man von der wohl sicheren Annahme aus, daß das aufgetragene Bodenmaterial aus dem Bereich der Ackerfläche selbst stammt, so ist bei einer im Zuge der Beackerung allmählichen Aufhöhung zunächst von einem über längere Zeit festliegenden Grenzrain auszugehen. Dies ist eine Vorbedingung, die auch für die Bildung von Ackerterrassen gilt, die allgemein, allein von der Hangneigung abhängig, mit den Hochrainen vergesellschaftet sind. Als akkumulierender Prozeß ist von Müller (1911) und Hatt (1931, 124 u. 1949, 120ff.) die Bearbeitung des Bodens mit der engzinkigen Egge angenommen worden, durch die stetig das Bodenmaterial zu den Grenzrainen hin gezogen worden sei. Dieser Vorgang ist allerdings nur dann möglich, wenn die Egge stets unmittelbar auf den Grenzrain gezogen worden und wenn sie bei der allgemein zu beobachtenden gleichmäßigen Mächtigkeit der Wölbraine stets an alle 4 Grenzen eines Ackers gezogen worden wäre. Wo sich diese Deutung einer Entwicklung der Hochraine als richtig erweisen ließe, wären die aufgehöhten Parzellengrenzen als Anwand bzw. als hohe Anwand oder Ackerberg, vielleicht sogar als Anwender zu bezeichnen. Gerade die auffällige gleichmäßige Ausprägung der Hochraine und die als gesichert anzunehmende Voraussetzung einer langen Konstanz der Grenzraine kann jedoch auch zu einer anderen Deutung führen. Ein allmählicher Bodenauftrag setzt voraus, daß die Grenzraine nicht in gleicher Weise wie der Acker selbst bearbeitet wurden, so daß sie von Busch- und Feldrainpflanzengesellschaften bewachsen waren. Die Beobachtung der gleichmäßigen Höhe der Hochraine über weite Flächen, die deutlich stärkere Materialanhäufung jeweils im Bereich der Rainkreuzungen, der allgemein festgestellte sehr allmähliche Übergang der aufgehöhten Streifen in die häufig konkaven, d.h. erodierten ehemaligen Ackerflächen (Jankuhn 1957, 180; Hatt 1949; Brongers 1976), vergleichende Korngrößenanalysen, die im Rainbereich ein deutliches Vorherrschen geringerer Korngrößen erbrachten, Untersuchungen an rezenten Feldrainen und Wallhecken, die auffällige Verbreitung der bisher bekannten Vorkommen an wenig bindige Böden mit hohen Anteilen sandiger Komponenten sowie schließlich die Lage des Gesamtverbreitungsgebietes im Einflußbereich des Nordseeküstenraumes mit den relativ hohen Windgeschwindigkeiten sind Be-
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lege dafür, daß sich die Hochraine durch die Anwehung von Material aus den beakkerten Flächen entwickelt, zumindest aber beträchtlich weiterentwickelt haben dürften. Dieses Problem der Winderosion und -akkumulation im Bereich von Ackerflächen ist vor allem an rezenten Vorgängen vielfach untersucht worden (vgl. u. a. Kuron 1940, Chepil 1946 u. 1950, Steckhan 1950, von Gehren 1953 u. 1954, Vogt 1953, Oehler 1955, Jakobow 1959, van Eimern 1960 und Richter 1965). Die Ergebnisse all dieser Arbeiten sind allerdings vornehmlich unter dem Gesichtspunkt moderner agrartechnischer Maßnahmen ausgewertet worden und nur selten auch herangezogen für die Rekonstruktion morphogenetischer Prozesse im Bereich von Altfluren (vgl. dazu allgemein Hempel 1954, Vogt 1958, Schultze 1965, Linke 1965, Machann 1970). Speziell mit der Winderosion auf eisenzeitlichen Fluren hat sich Koster (1970) in den Niederlanden befaßt. Mit bodenkundlichen und mikromorphologischen Untersuchungen ur- und frühgeschichtlicher Altfluren wird der allgemeinen Frage der Morphogenese der Parzellenbegrenzungen wie auch des Parzellenkleinreliefs weiter nachgegangen werden müssen, um damit auch eine typologische Zuordnung und das darauf aufbauende terminologische System absichern zu können. Der größte Teil der bisher bekannten Parzellenbegrenzungen der gehegten Block- und Streifenfluren der Eisenzeit gehört zu dem Typ des Hoch- oder Wölbraines und seiner reliefbedingten Variante, des Stufenraines. Die Beteiligung der Windakkumulation an der Bildung der Hochraine erklärt meines Erachtens auch das Fehlen dieser sichtbaren Ackerrelikte im Mittelgebirgsraum. Es ist anzunehmen, daß auch hier in der Eisenzeit der gleiche Typ der mit Ackerrainen gehegten Kleinblock- und Kurzstreifenfluren üblich gewesen ist. Heute nachweisbar sind hier allerdings nur diejenigen Raine, die sich als Stufenraine ausgebildet haben oder durch die Anhäufung von Lesesteinen dauerhaft markiert worden sind. Da Ackerterrassen sich auch im mittelalterlichen und neuzeitlichen Flursystem entwickelt haben und formal allgemein keinerlei Unterschied zu vorgeschichtlichen Terrassen besteht, lassen sich urgeschichtliche Stufenraine hier kaum mit Sicherheit belegen. Der einzige Weg, eisenzeitliche Fluren im Mittelgebirge zu fassen, geht über die Beobachtung, Kartierung und Untersuchung von Lesesteinrelikten, die immer nur an flachgründige Böden gebunden sind. Eine Altflur dieser Art konnte auf dem Lindenberg bei Lödingsen (Kr. Göttingen) festgestellt werden, die genau vermessen worden ist, die sich bisher jedoch noch nicht sicher datieren ließ. In ihrem Grundriß gleicht diese Altflur den gehegten Block- und Streifenfluren der Eisenzeit. Ähnliche Altfluren konnten an verschiedenen Stellen im südlichen Niedersachsen festgestellt, aber noch nicht untersucht werden. Durch ein späteres Überackern können Hochraine auseinandergezogen und damit auch verflacht worden sein. Diese Reliktformen lassen sich vor allem dort nachweisen, wo das Profil eines sekundären Podsols im Scheitelbereich eines ehemaligen Hochraines gekappt ist. Viele der nur im Luftbild erkennbaren alten Feldbegrenzungen sind derartige Relikte von Hochrainen. Problematisch ist es allerdings, Hochraine größerer Breite (bis etwa 20 m) von vornherein als Reliktformen anzusehen, wenn nicht unmittelbare Nachrichten oder aber die Bodenprofile dies auswei-
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sen (vgl. z. B. Asdal Uggerby Hede, Hatt 1949, 19–26). Hier könnte es sich um Endformen einer Primärform handeln. Die offensichtlich primär in einer festen Breite ausgelegten oder im Zuge der Rodung angelegten und teilweise von Gräben begrenzten Feldraine sind im Laufe der Ackernutzung nicht nur aufgehöht worden, sondern sie sind nachweislich oft auch in der Breite gewachsen. Der kaum gestörte Bewuchs der Raine hat sich stetig zur Ackerfläche hin ausgebreitet und mußte durch eine saubere Bearbeitung bis zur Grenze hin immer wieder zurückgedrängt werden. Wurde die Ausbreitung, die vor allem in Brachejahren an Boden gewann, nicht zurückgeschnitten, so verbreiterten sich die Hochraine über die ursprünglichen Grenzen und eventuell vorhandenen Grenzgräben hinaus und engten die Feldflächen immer stärker ein. Diese Sekundärformen von Ackerrainen oder Hochrainen sind vor allem dort sicher nachgewiesen, wo im Profil eine Überdeckung ehemaliger Grenzgräben durch die Ausbreitung der Hochraine erkennbar ist. Genauere Nivellements eisenzeitlicher Ackerfluren, die bisher erst an sehr wenigen Beispielen durchgeführt worden sind, zeigen, daß die Hochraine sehr häufig relativ große Breiten aufweisen (vgl. dazu vor allem die Vermessungen der Flurrelikte von Vaassen [Brongers 1976) und Flögeln-Haselhörn [Zimmermann 1976 u. 1979) mit Höhenlinien in einer Äquidistanz von 10 cm). Die neuen Befunde von Flögeln passen in die bisher gewonnene Typologie der gehegten Kleinblockfluren sowie ihrer Begrenzungen nicht hinein. Wenn auch das Grundrißbild der Altfluren dem anderer eisenzeitlicher Fluren entspricht, so sind doch die große Breite der vermutlichen Hochraine (bis zu 16 m) und vor allem die gegenüber den Innenflächen sehr hohen Phosphatgehalte des Bodenmaterials der aufgehöhten Streifen sehr auffällig. Zur Deutung dieses Befundes soll hier im einzelnen nicht Stellung bezogen werden, da die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Terminologisch sei nur festgehalten, daß es sich hier mit Sicherheit nicht um Ackerwälle handeln kann, sondern eher um Sekundärformen (Entwicklungsformen) von Hochrainen, die, vielleicht nach einer gewissen Zeit temporären Wüstliegens gerodet, durch unmittelbaren Plaggen- und Dungauftrag weiter aufgehöht und verbreitert und dann als Ackerfläche sekundär umgenutzt worden sind (sekundär umgenutzte Hochraine). Möglich wäre allerdings auch, daß sich hier verschiedene Systeme aufgehöhter Streifenfluren rechtwinklig überlagern. Dies ist eine Deutung, die bisher noch nicht überprüft worden ist. Ohne die Klärung der Morphogenese ist auch eine typologische und terminologische Zuordnung noch nicht möglich. Die Typen und die Terminologie des Raines wurden so ausführlich behandelt, weil die meisten Parzellengrenzen eisenzeitlicher Äcker aus Rainen bestehen, d.h. aus Grenzstreifen, die bei der Auslegung und Rodung der Fluren abgesteckt wurden und die sich im Laufe der Bodenbewirtschaftung weiterentwickelt haben. Streng von den Rainen zu trennen sind die Wälle, die von Hand aufgeschichtete Anlagen sind. Dabei können Relikte überformter Wälle durchaus etwa Hochrainen gleichen, morphogenetisch sind sie jedoch nicht mit diesen identisch. Somit sind sie auch beide terminologisch auseinanderzuhalten. Der Begriff „Wall“ sollte nur dort angewandt werden, wo eine Aufschichtung und zugleich auch eine Grenzfunktion nachweisbar ist. Diese gegenüber dem bisherigen Gebrauch einschränkende Definition
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des Walles entspricht durchaus auch der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes. IV. TYPOLOGIE UND TERMINOLOGIE DES AGRARTECHNISCH BEDINGTEN RELIEFS DER ACKERFLÄCHEN Auch die ackerbaulich genutzten Wirtschaftsflächen weisen eine morphologische Ausprägung auf, die vor allem durch die verschiedenen Arten der Nutzung sowie der Bearbeitungstechniken entstehen. Das von der Technik der Bodenbearbeitung bestimmte Relief der Ackerfläche einer Parzelle (Parzellenkleinrelief) wird auch als „Ackerform“ bezeichnet (Müller-Wille 1967, 42). Dieser Begriff der „Ackerform“ wird jedoch auch für die geometrische Form von Ackerparzellen (Parzellenform, Parzellenschnitt) angewandt (z.B. bei Vollmann 1926, 74f.), so daß er hier gänzlich gemieden wird. Eine Systematik der Formen und Prozesse einer flächenhaften Veränderung bzw. Beeinflussung oder Störung der Bodenoberfläche oder des Bodenprofils geht von den beiden grundlegenden Vorgängen aus, dem Bodenabtrag einerseits und dem Bodenauftrag andererseits (vgl. Übersicht 5). Die Prozesse der Bodenverlagerung können, durch Bodenbearbeitung in Gang gesetzt, durch natürliche Erosion bedingt sein, auf mechanische Vorgänge der Bodenbearbeitung selbst zurückgehen oder auch auf künstlichem Bodentransport beruhen. Während bei Flachackerbau der Oberboden durch das wechselweise Zusammen- und Auseinanderpflügen kaum verlagert wird, wird beim Beetbau durch das vorherrschende einseitige Zusammenwerfen eine Bodenumverteilung innerhalb der Parzelle vorgenommen, von der Grenzfurche zur Firstlinie des Beetes hin, beziehungsweise durch das Ziehen bleibender Doppelfurchen, die es beim Ebenbau nicht gibt (vgl. hierzu Jänichen, 1962, 43f.). Die bisher vorliegenden Vermessungen ur- und frühgeschichtlicher Flurrelikte sind fast ausschließlich Pläne, die die Firstlinien der Parzellengrenzen darstellen (vgl. die zusammengestellten Pläne in Müller-Wille 1965 u. 1979), so daß über das Kleinrelief der Ackerflächen auf dieser Grundlage keine Aussagen gemacht werden können. Allein einzelne Geländebeobachtungen wie auch verschiedene Profilgrabungen im Bereich der Raine hatten bereits schon früher gezeigt, daß die Ackerflächen sehr häufig von den Rainen zum Zentrum hin abfallen. Aber erst die von Brongers (1976), Zimmermann (1976, Abb. 3) und Gebhard (1976, Abb. 1) vorgenommenen flächenhaften Nivellements zeigen sehr deutlich, daß die vermessenen Fluren aus regelmäßigen, gleichmäßig schwach einfallenden weiten Mulden bestehen. In der Flur von Vaassen besteht zwischen dem tiefsten Punkt im Zentrum der konkaven Flächen und dem höchsten Punkt im Kreuzungsbereich der aufgehöhten Streifen ein Niveauunterschied von 40–80 cm. Ist dieses Parzellenkleinrelief morphographisch mit den Begriffen „Muldenacker“ oder „Konkavacker“ beschreibend zunächst ausreichend erfaßt, so reichen die bisherigen Untersuchungsergebnisse für eine morphogenetische Zuordnung noch nicht aus. Offensichtlich sind an der Entstehung des muldenförmigen Reliefs, wie die sorgfältigen Profilgrabungen zeigen
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
Übersicht 5 Typologie und Terminologie des agrartechnisch bedingten Reliefs der Ackerflächen (Bauformen des Ackerlandes, Parzellenkleinrelief)
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(vgl. Brongers 1976 und Gebhard 1976), ein flächenhafter Bodenabtrag im Bereich der Mulden (Verkürzung bzw. Kappung des Bodenprofils) und eine Akkumulation im Bereich der aufgewölbten Streifen (Bodenprofilüberlagerung) beteiligt. Ein künstlicher Bodenauftrag im Bereich der Flächen ist nicht nachzuweisen. Ein durch urgeschichtliche Bodenbearbeitung veränderter Oberboden ist vornehmlich unter den aufgehöhten Bereichen erhalten. Unklar bleibt zunächst noch der Vorgang der Bodenprofilveränderungen selbst, an dem Prozesse der natürlichen Erosion, aber auch künstliche Bodenbewegungen beteiligt sein können. Die Höhenschichtpläne von Vaassen zeigen deutlich (vgl. Brongers 1972 u. 1976), daß die flachen Mulden zwischen den Scheitellinien der Wölbrippen asymmetrisch sind. Die tiefsten Punkte der Mulden sind alle um etwa 10–20 m auf der Diagonalen der viereckigen Blöcke verschoben. Die übereinstimmende Ausrichtung der Verschiebung des Tiefpunktes in östliche bis südliche Richtung läßt vermuten, daß Winderosion und -akkumulation entscheidend an der Formung des Kleinreliefs der Fluren beteiligt waren. Wenn auch ein künstlicher Auftrag von Boden im Bereich der Wölbrippen aus größerer Entfernung durchaus möglich ist, so spricht doch die bereits vielfach beobachtete und auch in den genauen Nivellements herauskommende maximale Aufhöhung im Bereich der Schnittpunkte der Wölbrippen dafür, daß das Bodenmaterial aus den Muldenflächen an die Muldenränder transportiert worden ist, durch Winderosion, vermutlich aber auch durch mechanischen Abtrag und Aufschlag. Der Versuch, die Geländebefunde terminologisch zu erfassen, ist allerdings zunächst zum Scheitern verurteilt, wenn noch ungeklärt geblieben ist, wo sich die Ackerflächen überhaupt befunden haben, auf den Muldenflächen oder im Bereich der breiten aufgehöhten Streifen (vgl. Gebhard 1976 u. Zimmermann 1976, 88). Es bleibt vorab festzuhalten, daß die bei Vaassen und Flögeln erhaltenen Endformen nicht vergleichbar sind mit vielen der Primärform noch nahestehenden anderen Altfluren der Eisenzeit. V. DIE ENTWICKLUNG EINES FORMAL-GENETISCHEN TERMINOLOGISCHEN SYSTEMS AUS GELÄNDEBEFUNDEN REKONSTRUIERTER ALTFLUREN Die Untersuchung ur- und frühgeschichtlicher Fluren wird sich, wenn sie über die rein formale Beschreibung hinauskommen will, verstärkt der individuellen historischen Flurentwicklung wie auch der Morphogenese der erhaltenen Altflurrelikte zuwenden müssen. Dementsprechend wird auch die von den Forschungsergebnissen abhängige Terminologie vor allem unter dem Gesichtspunkt der Flurentwicklung und Formengenese weiter zu systematisieren sein. Der weitgehend morphographische und von der Kenntnis der Besitzstruktur ausgehende neu erstellte Rahmen der geographischen Terminologie der Flur und Flurformen kann dabei gewisse Anhaltspunkte geben, eine Terminologie der aus Geländebefunden zu rekonstruierenden Altfluren deckt er jedoch in keiner Weise ab. Dies zeigt sich allein schon daran, daß der größte Teil der hier in systematischen
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
Übersichten zusammengestellten Termini in den Materialien der internationalen Arbeitsgruppe gar nicht aufgeführt wird (vgl. Uhlig/Lienau 1967). So wertvoll jede Einzeluntersuchung mit ihren Ergebnissen auch ist, als Grundlage für eine Absicherung und Weiterentwicklung der Terminologie sind vor allem räumlich vergleichende Forschungen von Bedeutung, mit denen dominante genetische Merkmale verschiedener Flurtypen herauszuarbeiten wären. Dabei ist davon auszugehen, daß die allgemein unter dem Begriff „Type celtic field“ subsummierten Altfluren formal, wie aber auch im einzelnen entwicklungsgeschichtlich und auch morphogenetisch und damit auch typologisch vielfach verschieden oder zumindest weit differenzierter sind, als dies bisher angenommen worden ist. Gerade die jüngsten Detailuntersuchungen haben Unterschiede aufgezeigt, die nicht mehr in einem einzigen Flurtyp zusammengefaßt werden können, sondern in Europa zur Bronze- und Eisenzeit verschiedenartige Flurparzellierungen erkennen lassen. Weiterhin wird das Bild der ur- und frühgeschichtlichen Fluren stark differenziert durch die sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Endformen, die sich in den Altfluren erhalten haben. Besonders hervortretende gemeinsame aber oft auch differenzierende Merkmale eisenzeitlicher Altfluren sind: 1. die Einhegung der Parzellen durch Raine, zum Teil auch durch Wälle oder eine Gliederung der Flur durch meist senkrecht aufeinanderstehende breite, aufgewölbte Streifen, besonders herausragende Kreuzungsbereiche und zwischen ihnen liegende, schwach ausgeprägte rundovale Mulden 2. ein Nebeneinander von Streifen und Blöcken bei sehr unterschiedlichen Anteilen, wobei Blöcke allgemein vorherrschen 3. eine allgemein breite Streuung der Parzellengrößen 4. ein generelles Vorherrschen von zwei mehr oder weniger senkrecht aufeinanderstehenden Richtungen der Raine, insbesondere Nord-Süd/Ost-West 5. das Auftreten durchgehender Hauptraine neben oft wenig versetzten Nebenrainen 6. das häufige Auftreten von Grabanlagen sowie auch Siedlungsplätzen innerhalb der Feldflur. Vor allem diese als dominant erkannten Merkmale sind kausalgenetisch und morphogenetisch zu untersuchen als Grundlage für die Entwicklung eines formal-genetischen terminologischen Systems aller aus Geländebefunden rekonstruierten Altflurparzellierungen. Hier konnten zunächst nur die Grundlagen für ein Begriffssystem erarbeitet werden, mit denen die spezielle Fachsprache der geländegebundenen Altfluren (Wüstungsfluren) auf eine neue Ausgangsbasis gestellt werden kann. Vor allem detaillierte Nivellements, bodenkundliche (paläoethnopedologische) und paläoethnobotanische Untersuchungen werden noch in großem Umfange notwendig sein, um den hier abgesteckten terminologischen Rahmen zu stabilisieren, ihn tragfähig und anwendbar zu machen. Es wäre anzustreben, daß durch eine einheitlichere Anwendung der zur Verfügung stehenden Begriffe Mißverständnisse und Interpretationsschwierigkeiten möglichst vermieden werden und daß die regionale Geländeforschung von den Bemühungen um eine klar definierte und systematisierte Terminologie zu weiteren gezielten Untersuchungen angeregt würde.
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II. Phasen und Prozesse der Siedlungs- und Flurgenese
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III. HISTORISCHE GEOGRAPHIE DER STADT 1. DER GEOGRAPHISCHE STADTBEGRIFF UND DIE RÄUMLICHFUNKTIONALE BETRACHTUNGSWEISE BEI SIEDLUNGSTYPEN MIT ZENTRALER BEDEUTUNG IN ANWENDUNG AUF HISTORISCHE SIEDLUNGSEPOCHEN* Die vornehmliche Aufgabe der historischen Siedlungsgeographie ist die Darstellung und Analyse der räumlichen Anordnung und der Verbreitungsmuster von Siedlungen in Kulturlandschaften verschiedener historischer Siedlungsepochen, die Untersuchung und kausale Erklärung des zeitlichen Wandels der Siedlungsstrukturen sowie die Erforschung räumlich-funktionaler Prozesse einer Siedlungsentwicklung1. Methodisch erfordert diese komplexe räumliche Untersuchung eine gewisse Abstraktion von der individuellen Erscheinung jeder einzelnen Siedlung, d.h. sie macht eine Typisierung2 notwendig. Typen lassen sich gewinnen auf der Grundlage typenbildender Elemente, das heißt solcher Kriterien, die den dominanten Eigenschaften des individuellen Gegenstandes sowie den spezifischen Fragestellungen entsprechen. Während die siedlungshistorische und -archäologische Forschung das einzelne Individuum untersucht, um von hier aus mit den gebotenen Einschränkungen zu allgemeineren Aussagen zu kommen, muß die Geographie bei ihrer räumlich-vergleichenden Betrachtungsweise schon von vornherein von Typen ausgehen (vgl. Lautensach 1953; Höhl 1962, 23 ff.). Die Bezeichnung „Stadt“, wie sie in der geographischen Wissenschaft verwandt wird, stellt dabei einen übergeordneten Typenbegriff dar, in dessen Bedeutungsinhalt im Laufe der Geschichte und Wissenschaftsgeschichte dem komplexen Objekt entsprechend so viele verschiedene typisierende Merkmale eingegangen sind, daß eine durchschaubare und allgemeingültige Definition nicht mehr möglich ist.
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Der geographische Stadtbegriff und die räumlich-funktionale Betrachtungsweise bei Siedlungstypen mit zentraler Bedeutung in Anwendung auf historische Siedungsepochen. In: Jankuhn, H., Schlesinger, W. und H. Steuer (Hrsg.): Vor- und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl, Folge 3, Nr. 83. Göttingen, 1973, S. 33–45. Die historische Kulturgeographie, von deren wissenschaftlicher Fragestellung diese Betrachtung ausgeht, wird hier als geographische Wissenschaft verstanden, die mit den ihr eigenen Methoden allgemeingeographische wie regionalgeographische Forschungen an prähistorischen und historischen Kulturlandschaften durchzuführen sucht (vgl. die zusammenfassenden Darstellungen mit weiterführenden Literaturangaben von Jäger 1969 und 1969a). Die wissenschaftliche Methode der Typisierung wird hier im weiteren Sinne verstanden und nicht auf die formale Typologie eingeschränkt.
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III. Historische Geographie der Stadt
1. Der geographische Stadtbegriff und der Wandel seines Bedeutungsinhalts im Laufe der Wissenschaftsgeschichte Bei der Bestimmung dessen, was unter dem Typus einer städtischen Siedlung zu verstehen und wie der Begriff „Stadt“ zu definieren sei, gehen die Geographie, aber auch alle anderen an der wissenschaftlichen Betrachtung von Städten beteiligten Disziplinen so vor, daß sie diejenigen Kriterien herausstellen, die beim dörflichen Siedlungstyp nicht zu finden sind. Gerade im Grenzbereich zwischen „Dorf“ und „Stadt“ wird aber die Problematik der Begriffe voll sichtbar, und gerade hier bedürfen diese für die mittelalterliche Epoche der Stadtentstehung einer besonderen Klärung. Denn weit über die Hälfte der Siedlungen, die zu dieser Zeit mit besonderen Rechten ausgestattet wurden, läßt zum Zeitpunkt und oft auch lange nach der rechtlichen Privilegierung formal und funktional noch weitgehend dörfliche Strukturen erkennen. Dies gilt natürlich vornehmlich nur für diejenigen Siedlungsgebiete, in denen sich der größte Teil der städtischen Siedlungen aus schon vorhandenen dörflichen Siedlungsplätzen heraus entwickelt hat, wie dies für große Teile Mitteleuropas zutrifft. Die verschiedenen Zweige der Forschung wählen die typischen Erscheinungen nach der ihnen eigenen Betrachtungsweise aus und ordnen sie unter dem Gesichtspunkt ihrer jeweiligen Bedeutung in bestimmter Rangfolge an. Je nach den dominanten Definitionsmerkmalen läßt sich somit von einem historischen, rechtshistorischen, soziologischen, ökonomischen, statistischen und letztlich auch von einem geographischen Stadtbegriff sprechen. In den vielen Versuchen einer Definition des Begriffes von geographischer Seite aus spiegelt sich die Entwicklung und Vielfalt der stadtgeographischen Betrachtungsweise seit der Jahrhundertwende wider, so daß der Versuch einer Darstellung des Wandels der Definitionen und des Begriffsinhaltes zugleich einen Einblick in den Gang der siedlungs- und stadtgeographischen Forschung gibt. Eine tabellarische Übersicht der von Geographen im Laufe der Forschungsgeschichte gegebenen Definitionen des Begriffes „Stadt“ zeigt, daß die einzelnen Forscher immer wieder andere Merkmale oder Merkmalskombinationen zur Definition herangezogen und verschiedene Merkmale als Dominanten herausgestellt haben (vgl. Tab. 1)3. In der Entwicklung des wissenschaftlichen Begriffsinhaltes und der geographischen Betrachtungsweise städtischer Siedlungen lassen sich vier Phasen erkennen. Es beginnt im vorigen Jahrhundert mit einer physiognomisch-landschaftskundlichen Betrachtung und Kennzeichnung der Stadt als eines formal und funktional besonderen Siedlungstyps, angewandt vornehmlich in den Arbeiten von Otto Schlüter. 3
Diese tabellarisch-statistische Übersicht wird den wirklichen Auffassungen der einzelnen Verfasser sicher nicht in vollem Umfang gerecht, vor allem weil nur explizit formulierte Definitionen ausgewertet wurden, nicht aber die jeweiligen Gesamtwerke. Sie reicht aber wohl doch aus, um bisher gegebene Definitionen des Begriffes „Stadt“ einmal in knapper Übersicht zusammenzufassen und zugleich auch die einzelnen wissenschaftsgeschichtlichen Epochen zu verdeutlichen.
Tab. 1 Übersicht über die im Laufe der Forschungsgeschichte zur geographischen Definition des Begriffes “Stadt” herangezogenen Definitionsmerkmale
1. Der geographische Stadtbegriff und die räumlich-funktionale Betrachtungsweise
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III. Historische Geographie der Stadt
In der zweiten Phase tritt deutlich die soziologische, ökonomische und funktionale Betrachtungsweise in den Vordergrund, mit dem erst viel später wieder beachteten Merkmal einer städtischen Siedlung als gewerblich ausgerichteter Mittelpunkt einer ländlichen Umgebung (vgl. Hassinger 1910, 292; Gradmann 1916, 427). Diese zweite Phase der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ist deutlich beeinflußt von den nationalökonomischen und gesellschaftskritischen Strömungen der Zeit, vorwiegend von den Gedanken Max Webers und Werner Sombarts. Obgleich die wichtigsten Arbeiten Webers zur historischen Soziologie der Stadt erst nach 1920 veröffentlicht worden sind (Weber 1921) und auch kaum ein direkter Bezug zu seinen Forschungen festzustellen ist, ist die gleiche Ebene der Fragestellungen unverkennbar. Die als typisch hervorgehobenen Merkmale der topographischen und geographischen Lage sowie die physiognomisch erfaßbaren formalen Elemente von Grundriß und Aufriß geben in der dritten Phase der Stadtgeographie in den zwanziger Jahren entscheidende neue Impulse – mit Geisler und Dörries direkt an die Tradition v. Humboldts, Ritters und besonders Schlüters anknüpfend, lassen aber auch die bereits zu Beginn des Jahrhunderts erkannten funktionalen Elemente wieder in den Hintergrund treten, die dann erst in der vierten Phase wieder ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden und heute die moderne Stadtgeographie beherrschen (Bobek 1927; Klöpper 1957; Schwarz 1961; Schöller 1967; Hofmeister 1969). Für alle diese Definitionsversuche ist kennzeichnend, daß sie von einer ganzheitlichen Betrachtungsweise ausgehen und sich damit die wissenschaftliche Aufgabe stellen, eine Definition zu finden, die auf den gesamten formalen und funktionalen Komplex „Stadt“ zutrifft und für alle Räume und Zeiten Gültigkeit besitzt (vgl. Dörries 1925, 6; Mayer 1943, 5 f.; Klöpper 1957, 453). Diese ganzheitliche oder in jüngerer Zeit synthetisierende Betrachtungsweise spielt in der Wissenschaftstheorie der Geographie eine bedeutsame Rolle und ist vor allem in der Landschaftsund Länderkunde begründet und angewandt worden. In diesem Sinne wurde dann auch die „Stadt“ als ein besonderer Landschaftstypus, als „Stadtlandschaft“ verstanden, als eine komplexe, ganzheitliche Raumeinheit mit Merkmalen, die sich in der übrigen Kulturlandschaft in diesem Maße nicht fanden (vgl. Passarge 1930). Eine semantische Analyse des wissenschaftlichen, amtlichen und umgangssprachlichen Begriffs „Stadt“ für das 19. und 20. Jahrhundert würde, wie dies kürzlich die Untersuchung des Landschaftsbegriffs durch Hard (1970) analog gezeigt hat, weit über diese knappe Übersicht hinausführende, detaillierte wissenschaftsgeschichtliche Erkenntnisse zur Entwicklung der Stadtforschung erbringen. Der Versuch, aus der Erkenntnis der unterschiedlichen Definitionen und des unterschiedlichen Gebrauchs und Verständnisses diesen neu zu präzisieren, ihn von den Stadtbegriffen anderer Disziplinen deutlicher abzugrenzen oder ihn für einzelne Epochen (vgl. Mayer 1943: „Städtegenerationen“; Haase, 1958: „Stadtentstehungsschichten“) oder auch die verschiedenen Kulturräume der Erde (Passarge, 1930) zu differenzieren, führt in der allgemeinen Erkenntnis um die Genese und funktionale Bedeutung städtischer Siedlungen in ihrem Verhältnis zum gesamten Siedlungskomplex einer Kulturlandschaft kaum weiter. Diese Differenzierungsversuche machen jedoch bereits deutlich, daß die Erscheinung „Stadt“ als räumlich und zeitlich einem Wandel
1. Der geographische Stadtbegriff und die räumlich-funktionale Betrachtungsweise
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unterworfen erkannt wird, was dann in verschiedenen, jedoch immer noch ganzheitlichen Definitionen zum Ausdruck gebracht werden soll. Neben der komplexen Bedeutung des wissenschaftlichen Begriffes „Stadt“ sind auch die verschiedenen Siedlungstermini in historischen Quellen meist nicht mit eindeutiger Konsequenz bestimmten formalen, rechtlichen oder funktionalen Siedlungstypen zugeordnet worden. Es läßt sich vielmehr erkennen, daß räumlich und zeitlich unterschiedlich, aber auch häufig im gleichen Quellenwerk oder beim gleichen Verfasser verschiedenste Begriffe (castellum, civitas, municipium, oppidum, urbs, vicus, villa, blek, burg, stat) synonym gebraucht oder aber nur wenige stereotype Begriffe für die Bezeichnung der verschiedensten Siedlungstypen gesetzt worden sind (vgl. Schlesinger 1963; Köbler 1967 und 1972). Vor allem die von der Wissenschaft postulierte spezifische Bedeutung des Begriffes „vicus“, „Wik“ als „Handelsniederlassung von Fernkaufleuten“ läßt sich nach einer Analyse einer größeren Zahl mittelalterlicher historischer Quellen und altdeutscher Sprachdenkmäler und Glossare nicht belegen (Köbler 1972). Mit dem wissenschaftlichen komplexen und dabei übergeordneten Typenbegriff kann kein reales Objekt umschrieben werden; er läßt sich auch nicht so weit aufgliedern, daß alle wichtigsten Stadttypen verschiedener historischer Epochen, aller Kulturen und Erdteile mit ihm erfaßt werden könnten. Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „Stadt“ ist – und dies wurde schon mehrfach in der historisch-geographischen Literatur geäußert (Schöller 1957, 602; 1967, 2f.; Blaschke 1968, 47f.) – nicht möglich, so wie sich auch die ganzheitliche Betrachtung realer Raumeinheiten (Landschaften) als nicht durchführbar herausgestellt hat. Die Versuche, den Stadtbegriff durch zusammengesetzte Substantiva für die Bezeichnung derjenigen Siedlungen zu differenzieren, die zwischen „Stadt“ und „Dorf“ stehen, mit Bezeichnungen wie „nicht ländliche, teilweise stadtähnliche Siedlungen“ (Schwarz 1966, 206) „Stadtdorf“ (s. u.), „Minderstadt“ (rechtshistorische Bezeichnung für Siedlungen minderen Stadtrechts), „Flecken“, „Zwergstadt“ (Siedlung mit Stadtrecht mit weniger als 2000 Einwohnern) oder letztlich „Paenurbs“ und „Urbanvicus“ für moderne, städtisch überformte Siedlungen (Zschocke 1971) sind alle nicht befriedigend, da auch sie stets einen komplexen Typus umschreiben und oft auch der gleiche Begriff sehr unterschiedliche dominante Erscheinungen als Definitionsmerkmale zu erkennen gibt. So versteht man z. B. unter einem „Stadtdorf“: 1. die antike griechische Polis als eine um eine Burg und Quelle herum konzentrierte, geschlossene, rein agrarische Ansiedlung ohne zentrale Funktionen (Kirsten 1956, 91 ff.) sowie die römische geschlossene, ebenfalls agrare Ansiedlung von Colonen (Kirsten 1958, 57); 2. im norddeutschen Raum seit dem 14. Jahrhundert eine rein agrarisch ausgerichtete, kleine dörfliche Siedlung, die besitzrechtlich und weitgehend auch administrativ von einer benachbart gelegenen Stadt übernommen worden ist (eine genauere Untersuchung dieses vornehmlich rechtshistorischen Siedlungstyps fehlt bisher); 3. eine im Zuge der Ostkolonisation mit der Gründung einer Stadt und zu deren Versorgung planmäßig angelegte agrarische Siedlung (vgl. Kuhn 1971) – oder auch
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III. Historische Geographie der Stadt
4. eine agrarische Siedlung mit städtischem Gepräge in der Größenordnung bis zu 15000 Einwohnern überwiegend bäuerlicher, aber auch gewerblich-industrieller Berufsstruktur, wie sie sich z. B. in Spanien, Süditalien oder auch Süddeutschland finden (Niemeier 1943, Weinreuter 1969). Die Begriffe werden in der wissenschaftlichen Literatur nebeneinander gebraucht, ohne daß sich die einzelnen Autoren über die mindestens vierfache, sehr unterschiedliche Verwendung der Bezeichnung im klaren wären. Wird eine Definition andererseits, um diesen Differenzierungsschwierigkeiten auszuweichen, so stark verallgemeinert, daß sie nur noch ein übergeordnetes Phänomen erfaßt, wie z. B.: „eine Stadt ist eine Siedlung von ungleichartiger, inhomogener Struktur“ (Mayer 1943, 6) oder „Stadt ist, was sich Stadt nennt“, so hebt sich die Definition als solche auf. 2. Die räumlich-funktionale Betrachtungsweise bei Siedlungen mit zentralörtlicher Bedeutung Nicht theoretische Begriffe und deren Analyse, sondern auf reale Objekte und Erscheinungen bezogene wissenschaftliche Erkenntnisprobleme stehen im Mittelpunkt jeder Forschung, die stets von Fragestellungen ausgeht, die eng mit der fachspezifischen Betrachtungsweise zusammenhängen. Ich möchte deshalb jetzt nicht mehr vom Begriff, sondern umgekehrt induktiv von den räumlichen Erscheinungen und Prozessen zentraler Siedlungen ausgehen, um dann am Schluß noch einmal die Frage nach der Nomenklatur zu stellen4. Die räumlich-funktionale Betrachtungsweise der geographischen Disziplin, die bisher weitgehend auf die moderne Siedlungsund Kulturlandschaft angewandt und auch für diese methodisch konzipiert und weiterentwickelt worden ist (Christaller 1933; Klöpper 1953; vgl. besonders die Bibliographie von Berry und Pred, 1961) kann mit großem Gewinn auch in die Betrachtung historischer Kulturlandschaften hineingetragen werden, was an einzelnen regionalen Beispielen bereits versucht worden ist (vgl. u. a. die Arbeiten von Spitta 1949, Klöpper 1952, Koerner 1955, Carter 1956, Kirsten 1956, Höhl 1962, Faber 1967, Vogt 1968 und Fehn 1970). Zum Problem historischer zentraler Orte und Umlandbeziehungen allgemein nahmen bereits Schöller (1957), Ennen (1963) und Blaschke (1968) Stellung. Ein theoretischer Ansatz, den zeitlichen Wandel der Hierarchie zentraler Orte zu erfassen und darzustellen und auch für Prognosen fruchtbar zu machen, findet sich bei Morril (1962). Jede Siedlung hat nicht nur lokale, ihr allein eigene, individuelle Erscheinungsformen (topographische Lage, Siedlungsgrundriß und -aufriß sowie Wirtschafts-, Bevölkerungs-, Berufs- und Sozialstruktur), sondern sie steht in räumlicher und funktionaler Beziehung zu anderen umliegenden Siedlungen. Innerhalb des gesamten Siedlungsnetzes nimmt sie eine bestimmte hierarchische Stellung ein, die sich typologisch und auf statistischer Grundlage quantifizierend erfassen läßt. Die Zu4
Die folgenden Ausführungen sind aus einigen theoretischen und methodischen Grundlagen, Vorüberlegungen und Ergebnissen erwachsen, die im Rahmen konkreter Einzeluntersuchungen im mittleren und südlichen Leinebergland gewonnen worden sind.
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weisung des Stellenwertes eines Ortes innerhalb dieser hierarchischen Anordnung geschieht auf der Grundlage einer Bemessung des Funktionsüberschusses, d.h. nach einer gestuften Wertung derjenigen Funktionen, Aktivitäten und Einrichtungen, die über den eigenen Bedarf der Siedlungen hinausgehen, nach außen hin ausstrahlen und damit anderen, vornehmlich unmittelbar umliegenden Ansiedlungen Güter und Dienste anbieten, die diese nicht aufzuweisen haben. Dieser Überschuß des Angebots von Funktionen, Gütern und Diensten, bedingt durch ein besonderes Sozialund Wirtschaftsgefüge, wird mit dem Begriff der „zentralörtlichen Bedeutung“ eines Ortes zu erfassen gesucht, welcher dann selbst als „zentraler Ort“ bezeichnet wird (Christaller 1933, 23ff.). Sollen Siedlungen mit den Merkmalen eines zentralen Ortes herausgestellt werden, so gilt es, jede Siedlung in einem ausgewählten Siedlungsraum auf die einzelnen räumlich-funktionalen Erscheinungen hin zu untersuchen und jeweils zum gesamten Siedlungsbild des Gebietes in Relation zu setzen. Zugleich müssen kartographisch die jeweils gleichzeitigen räumlichen Prozesse einzelner Siedlungsepochen sowie die Entwicklungsprozesse des gewordenen Gesamtbildes herausgearbeitet werden. Dabei zeigt sich, daß die Relationen der Siedlungen untereinander einem ständigen und dabei keineswegs linearen Wandel unterworfen sind. Erscheinungen und Prozesse, die eine funktional-räumliche Typisierung von Siedlungen historischer Siedlungsschichten ermöglichen, gibt es in reichlichem Maße. Sie sind jedoch sehr schwer zu erarbeiten, weil das Quellenmaterial allgemein äußerst lückenhaft ist. Dies bedeutet zum einen, daß möglichst viele Betrachtungsweisen angewandt und Kriterien aufgestellt werden müssen, damit eine Kombination und gegenseitige Stützung der Ergebnisse möglich ist, und zum anderen, daß man mit aller gebotenen Vorsicht auch auf Analogieschlüsse zurückgreifen muß. Der Entwurf eines Katalogs typenschaffender funktional-räumlicher Merkmale der Siedlungen mit zentraler Bedeutung für das Mittelalter und die frühe Neuzeit geht von einer Einteilung in räumlich-statische Erscheinungen und räumlich-dynamische oder funktionale Prozesse aus. Die statischen Erscheinungen lassen sich wieder in lokale und periphere Phänomene gliedern. Die lokalen Erscheinungen einer Siedlung, die Hinweise auf die zentralörtliche Bedeutung des Platzes geben können, sind die bevorzugte zentrale Lage in einer durch das Relief bedingten Raumeinheit (z. B. Lage im Zentrum eines Beckens) (Geisler 1920 und 1924), der durch vergleichende Untersuchungen zu typisierende, geplante, funktional bedingte oder allgemein differenzierte Grundriß (Meier 1909; Leixner 1925; Keyser 1963), der Aufriß, d.h. die Konstruktion typischer, von den Gebäuden rein agrarer Siedlungen zu unterscheidender „städtischer“ Wohn- und Wirtschaftshäuser, wozu die mittelalterliche Siedlungs- und Stadtarchäologie bereits entscheidende Einzelergebnisse geliefert hat, und letztlich die räumlich lokale, funktionale Differenzierung des gesamten Siedlungsplatzes in einzelne funktional unterschiedliche Viertel und Straßen sowie eine funktionale Differenzierung der Gebäude selbst. Im peripheren Bereich einer Siedlung läßt der Verlauf der Ortsverbindungsund Fernverkehrswege wichtige Rückschlüsse auf die zentrale Bedeutung eines Ortes zu (vgl. die methodischen Arbeiten zur Rekonstruktion von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Trassen von Poeschel 1968, Denecke 1969 und Reber 1970).
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Auch die Vergrößerung der Wirtschaftsfläche durch den Gewinn von Rechtsansprüchen, d.h. durch den Erwerb von Grundbesitz, Zehnteinnahmen, Dienstleistungen u. a. außerhalb der eigenen Gemarkung, der bis zu vollständigen rechtlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten dörflicher Siedlungen vom Rat der Stadt („Stadtdörfer“, „Ratsdörfer“, dem Rat einer Stadt schoßpflichtige Dörfer) zu Eingemeindungen ganzer Gemarkungen und der Wüstlegung von Ortsstellen führt, ist ein Merkmal einer expandierenden Siedlung zentraler Bedeutung. Diese Ausdehnung des Besitzes an Grund und Boden sowie die Gewinnung von Abgaben und Zinspflichten aus der Landnutzung umliegender Bereiche und damit die Vergrößerung der agraren Wirtschaftsbasis hat im späten Mittelalter für die Herausbildung und Weiterentwicklung von wirtschaftlich und rechtlich hervorgehobenen und den umliegenden Gemeinden überlegenen Orten eine entscheidende Rolle gespielt. Dieser in Mitteleuropa weit verbreitete Vorgang ist bisher in der Forschung durch die Betonung der gewerblichen Bedeutung der Städte noch zu sehr im Hintergrund geblieben und verdient eingehendere Untersuchungen. Wie wichtig die rechtliche und wirtschaftliche Zuordnung eines agraren Umlandes für den Bestand einer städtischen Siedlung im Mittelalter war, zeigt die Tatsache, daß im Zuge der deutschen Ostkolonisation bei der Gründung neuer Städte gleichzeitig ihr zugehörige dörfliche Siedlungen geplant und errichtet wurden (vgl. Kuhn 1971). Funktional ist vor allem die räumliche Anordnung von Gewerbe und Handel von Bedeutung, die einmal bestimmte Konzentrationen zeigt und zum anderen durch Bannmeilen rechtlich festgelegte Standräume und Bezirke verschiedener Größenordnung aufweist. Die rechtliche Sicherung von Bannmeilen und Monopolbezirken für verschiedenste Gewerbe (Brauerei, Brennerei, Schuhmacherei u. a.) oder Handelstätigkeiten (z. B. Gütertransport zu Land oder Wasser, Abhaltung von Märkten, Kramhandel, Hausierhandel) ist bis in die frühe Neuzeit hinein ein entscheidender Faktor für die Entwicklung städtischer Siedlungen in Mitteleuropa gewesen. In dem Prozeß der zunehmenden Ausdehnung und Vermehrung von wirtschaftlichen Gebietsrechten spiegelt sich besonders deutlich die räumliche Verknüpfung oder Zentralität bestimmter Orte in einem Siedlungsraum wider (vgl. dazu Küchler 1964). Die räumlich-dynamischen Prozesse werden vor allem in der Gestalt von Einzugs- und Verteilerbereichen deutlich. Sie umfassen: 1. Vorgänge der Bevölkerungsmobilität, d.h. Zuwanderungs- und Abwanderungsbewegungen (Quellen: Kirchenbücher, Neubürgerbücher), wozu u. a. auch der räumliche Niederschlag regionaler Heiratsbeziehungen gehört (vgl. als beispielhafte Untersuchung Walter 1960), und 2. alle regionalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, wie sie sich in Einzugsbereichen eines Marktes im nahen oder fernen Umland oder in Bezirken der Zulieferung von Wein, Früchten, Getreide oder Bau- und Brennholz sowie anderen Rohstoffen zu erkennen geben. Ist die Betrachtung formaler Siedlungselemente, wie sie hier als wesentliche Merkmale mit aufgeführt werden, in der modernen Kulturgeographie heute auch in den Hintergrund getreten, so hat sie m. E. für die historische Siedlungsforschung vor allem durch die Siedlungsarchäologie wieder erhöhte Bedeutung erlangt, da formale Elemente meist die einzigen zur Verfügung stehenden Belege sind und aus ihnen
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Schlüsse auf Funktion und Bedeutung gezogen werden müssen. Dies hat auch Dörries (1925, 6) bereits als besonderen Wert der formalen Betrachtung herausgestellt. 3. Die Klassifikation der Funktionen, Einrichtungen und zentralörtlichen Bereiche Will man nun von diesen räumlich-funktionalen Merkmalen aus zu historischen Siedlungstypen unterschiedlicher zentralörtlicher Bedeutung kommen, so muß zunächst der Versuch unternommen werden, die zentral-örtlichen Funktionen und Einrichtungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit zu klassifizieren. Die zentralörtliche hierarchische Klassifikation beruht in der modernen Geographie bei einigen Autoren auf der Festlegung von Schwellenwerten, die aus einer Auswertung von Berufs-, Beschäftigungs-, Betriebs- oder Pendlerstatistiken gewonnen werden (vgl. Bobek 1938; Schlier 1937; Neef 1950), d.h. auf einer klaren quantifizierenden Analyse. Für historische Epochen steht ein solches statistisches Material nicht zur Verfügung, so daß diese Methode für Betrachtungen älterer Siedlungsepochen entfällt. Eine andere Möglichkeit besteht in der Aufstellung eines Katalogs repräsentativer zentraler Einrichtungen nach einer relativen wertenden Anordnung ihrer Bedeutung, die dann unmittelbar die Ordnungsstufe des zentralen Ortes erkennen läßt (vgl. Christaller 1933, 139 f.; Smailes 1944, 29 und 41; Klöpper 1953, 516). Letztlich sind die heute allgemein durch Befragungsaktionen zu ermittelnden Einzugs- und Verteilerbereiche der verschiedensten Güter und Dienste (Bracey 1954; Survey of the Geographical Association Standing Committee on Urban Spheres of Influence, London; Körber 1956) sowie die Einzugsgebiete zuziehender Bevölkerung und Ehepartner die unmittelbarsten räumlichen Merkmale zentraler Orte, die für historische Epochen an Hand von Rechnungsbüchern, Warenlisten, Kirchenbüchern, Neubürgerbüchern u. a. rekonstruiert werden können. An diese beiden letzteren methodischen Verfahren läßt sich anknüpfen, wenn auch die Funktionen und Einrichtungen selbst, sowie die Ermittlung der Einzugs- und Verteilerbereiche auf einer ganz anderen Grundlage erarbeitet werden müssen. Der letzte Schritt zu einer Bildung von allgemeingültig festgelegten Typen zentralörtlicher Siedlungen verschiedener Ordnungsklassen ist zudem – wie sich noch zeigen wird – auch auf diesem Wege nicht möglich. Die zentralörtlichen Funktionen und Einrichtungen, die in historischen Epochen von Bedeutung waren, lassen sich zehn Funktions- und Sachbereichen zuordnen (vgl. Tab. 2). Es gehören dazu: A) Politische und administrative Funktionen und Einrichtungen B) Einrichtungen des Rechtswesens C) Schutzfunktionen und strategische Einrichtungen D) Kultische und geistliche Einrichtungen E) Kulturelle Einrichtungen F) Versorgungsfunktionen und charitative Einrichtungen G) Einrichtungen der Agrarwirtschaft und agraren Verwaltung H) Handwerk und Gewerbe
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J) Einrichtungen des Handels K) Funktionen und Einrichtungen des Verkehrs. Diese Funktions- und Sachbereiche lassen sich jeweils in vier Größenordnungen, Intensitäts- oder Bedeutungsstufen einteilen, wobei Stufe 1 und 2 vornehmlich nahzentrale und Stufe 3 und 4 fernzentrale Funktionen und Einrichtungen umfassen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Ordnungsstufen sind nicht in allen Fällen eindeutig festzulegen; doch das beeinflußt das Endergebnis nicht sehr wesentlich. Die kirchlichen Einrichtungen und ihre entsprechende zentrale Bedeutung würden z.B. in der ersten Stufe durch die Pfarrkirche mit ihrem zugehörigen Sprengel, in der zweiten Stufe durch die Tochter- oder Sendkirche oder auch die unterste kirchliche Verwaltungseinheit, den Erzpriester- (Landesdekans-) sitz oder sedes vertreten sein, in der 3. Stufe durch die Gaukirche oder auch den Archidiakonatssitz und letztlich in der 4. Stufe durch einen Dom oder Bischofssitz. Im Bereich des Handels steht die Handelsniederlage oder Faktorei der Stufe 1 dem Stapelrecht in der Stufe 3 und der Handelsmesse der Stufe 4 gegenüber. Dies sind nur wenige Beispiele. Die zusammengestellte Tabelle der Klassifikation (vgl. Tab. 2) umfaßt rund 50 Funktionen, Einrichtungen und Funktionsbereiche verschiedener Ordnungsstufen. Sie läßt sich im Einzelfall leicht ergänzen oder abändern. Will man nun einen Siedlungsraum auf die Verteilung seiner zentralörtlichen Funktionen hin untersuchen, so müssen für jede Siedlung die vorhandenen zentralörtlichen Funktionen festgestellt und jeweils auch eingestuft werden. Die Darstellung kann in einem vierstufigen Kreisdiagramm erfolgen, das in zehn Sektoren (die einzelnen Funktions- und Sachbereiche) eingeteilt ist (vgl. Abb. 1). Diese Diagramme können dann zu einem Kartogramm zusammengestellt werden (vgl. Abb. 2). Damit wäre eine kartographische Übersicht erreicht, aus der für jeden Ort eine differenzierte Aussage über seine zentralörtliche Bedeutung zu entnehmen ist, und die auch durch eine besondere Flächensignatur Lücken oder Unsicherheiten im Quellenmaterial deutlich werden läßt. Eine solche Karte zeigt, daß vor allem im hohen und späten Mittelalter die einzelnen zentralörtlichen Funktionen und Einrichtungen noch sehr dispers über den Raum und die einzelnen Siedlungen verteilt sind und daß ein mehr oder weniger vollständiger und innerhalb der jeweiligen Stufe ausgeglichener Komplex zentraler Funktionen, wie wir ihn in den heutigen Siedlungen antreffen, noch gar nicht gegeben ist. Viele Orte üben nur eine einzige, wenn auch oft recht bedeutende zentrale Funktion aus, in anderen finden sich mehrere zentrale Einrichtungen, die jedoch völlig verschiedenen Ordnungsstufen angehören können. Läßt sich ein großer Teil der zentralen Bedeutung eines Ortes mit Hilfe von Funktionen erkennen, die institutionalisiert und damit an bestimmte Einrichtungen gebunden sind, die verhältnismäßig leicht erfaßt werden können, so vollzieht sich ein anderer Teil zentralörtlicher Bedeutung allein in räumlichen Prozessen, in zentrifugalen oder zentripetalen Mobilitäten und Beziehungen in einem bestimmten Bereich um die jeweilige Ansiedlung herum, was sich weit schwieriger ermitteln, darstellen und quantitativ einordnen läßt. Die Einzugs- und Verteilerbereiche von Personen oder Gütern können allein kartographisch zum Ausdruck gebracht werden, durch Festlegung der äußersten Grenze des Bereiches einerseits und durch die
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Abb. 1 Stufen zentraler Bedeutung
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Tab. 2 Klassifikation zentralörtlicher Funktionen und Einrichtungen des Mittelalters und der Neuzeit (vgl. auch Abb.1)
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Abb. 2 Zentrale Funktionen und Einrichtungen eines Ortes
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Darstellung der räumlichen Anordnung der Intensität oder Größenordnung des Einbzw. Auszuges andererseits. Dabei kommt es sehr häufig zu Überschneidungen der Grenzen von Bereichen verschiedener Erscheinungen, die auf den gleichen Ort bezogen sind, oder aber auch von Grenzen zentralörtlicher Bereiche benachbarter Orte (vgl. z. B. die Karten von Bracey 1954, Koerner 1955, Höhl 1962, Vogt 1968). Der Versuch, diese räumlichen Prozesse und ihre kartographische Darstellung in absoluten Werten zu erfassen, indem die Flächen der Bereiche in einem, wenn auch verschiedene Intensitätsstufen berücksichtigenden, Index ausgedrückt werden (Bracey 1954), ist wenig zufriedenstellend. Bedenklich ist dieses Verfahren deshalb, weil die Beziehungen von oder zum zentralen Ort sich nicht flächenhaft abspielen und hierzu auch nicht in Relation stehen. Anwendbar ist dieses Verfahren nur bei einem möglichst homogenen Anordnungs- und Verbreitungsmuster von Orten. Dieses Ergebnis legt nahe, auf den letzten Schritt einer Einteilung in komplexe Typen zentraler Orte etwa vier verschiedener quantitativ und qualitativ abgestufter Ordnungsklassen zu verzichten (so auch bereits Klöpper 1952, 107 ff. und Höhl 1962). Das Problem einer Abgrenzung zentraler Orte verschiedener Klassen oder Stufen beginnt schon bei der Festlegung der Untergrenze, d.h. mit der Frage, wieviele und welche Kombinationen von zentralörtlichen Merkmalen notwendig sind, um von einem zentralen Ort sprechen zu können. Letztlich ist für historische Epochen die Einschätzung des Bedeutungsgrades einzelner zentralörtlicher Funktionen außerordentlich schwierig, weil die Quellen dazu unzulänglich erschlossen sind oder fehlen, d.h. eine ganze Reihe der die zentralen Funktions- und Sachbereiche darstellenden Sektoren einfach offen bleiben muß, und der Grad der Zentralität darüber hinaus einem laufenden Wandel unterworfen ist (vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Carter 1956, 86 f.). Nur dann, wenn es das Material wirklich hergibt, sollte eine Stufung versucht werden, die von einer wertenden Synthese aller erfaßten zentralörtlichen Funktionen ausgeht. Diese Zusammenfassung der Einzelergebnisse zu gestuften zentralörtlichen Siedlungstypen würde jedoch wieder zu den unüberwindlichen Problemen der ganzheitlichen Betrachtung zurückführen und würde das analytisch-induktiv gewonnene, differenzierte und transparente Ergebnis zu einem Teil wieder aufheben. Das hindert nicht, für einzelne Sachbereiche aus der Übersichtskarte heraus Einzelkarten zu zeichnen, die nun eine vierstufige Differenzierung der Siedlungen – jedoch jeweils nur auf einen einzigen Faktor bezogen – zeigen. 4. Das Problem einer differenzierten Terminologie zentraler Orte historischer Epochen Letztlich stellt sich nun nochmals die Frage nach dem Begriff. Soll eine Nomenklatur geschaffen werden, die präziser auf den jeweiligen Sachverhalt bezogen und vor allem der Vielfalt der funktionalen Typen entsprechend differenzierter ist als der ererbte Begriff „Stadt“, so wäre dies nur mit schematisierten Begriffskomplexen möglich (etwa: „Siedlungsplatz mit zentralörtlichen Funktionen a, b, c…“) oder mit
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einem den einzelnen Typenmerkmalen entsprechenden Buchstaben- und Zahlenschlüssel. Die Bezeichnung „Stadt“ ist für eine detaillierte wissenschaftliche historisch-geographische Siedlungsforschung entbehrlich oder sollte nur dort Verwendung finden, wo es auf eine genauere Differenzierung nicht ankommt. Die Terminologie der Siedlungstypen bedarf heute einer gründlichen internationalen Aufarbeitung, Koordination und Neuorientierung, wie dies bereits für die Flurformen und Landnutzungssysteme sowie für die ländlichen Siedlungen in Angriff genommen worden ist (vgl. Uhlig 1967 und 1972)5. Der Komplex funktionaler Siedlungstypen mit zentralörtlicher Bedeutung wird dabei einen breiten Raum einnehmen müssen und gegenüber einer Präzision der formalen Siedlungstypen weit größere Probleme aufwerfen. 5. Möglichkeiten und Grenzen der funktionalen Betrachtung und Differenzierung historischer Siedlungsräume Die räumlich-funktionale Betrachtungsweise von Ansiedlungen und die Herausarbeitung von Orten mit zentralen Funktionen und Funktionsbereichen soll nicht die Untersuchung einzelner städtischer Großgemeinden vernachlässigen oder ablösen, die sich die stadthistorische und stadtgeographische Forschung u. a. zur Aufgabe gestellt hat. Sie öffnet vielmehr den Blick für die Betrachtung von größeren Siedlungsräumen und die funktionale Verflechtung, Abhängigkeit und gegenseitige Zuordnung der Siedlungen und damit für die fundamentale Eigenschaft jeder Kulturlandschaft überhaupt, das Gefüge hierarchisch voneinander abhängiger Organisationen und Funktionen. Gerade für historische Epochen ist diese auf den Siedlungsraum und seine Organisation gerichtete Fragestellung von wissenschaftlich fruchtbarer und anregender Bedeutung, weil es in historischen Epochen gerade darum geht, den Prozeß der Herausbildung und Entstehung von Orten zu beleuchten, die erste Konzentrationen zentraler Funktionen aufweisen. Diese Fragestellung führt zum besseren Erkennen derjenigen Kräfte und Prozesse, die bestimmte Siedlungen zu bevorrechtigten, den übrigen Siedlungen vor allem wirtschaftlich überlegenen Orten gemacht haben; und zugleich zur Erhellung des Entwicklungsprozesses der Organisation eines Siedlungsraumes und der Standorte zentraler Funktionen und Einrichtungen. Diese Entwicklung ist vor allem von dem immer wieder erkennbaren Bestreben geprägt, eine einmal gegenüber dem Umland vorhandene natürliche Begünstigung wie auch ein einmal erworbenes Sonderrecht zu nutzen und weiter auszubauen, durch den Versuch einer Akkumulation 5
Diese internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlich-geographischen Terminologie muß mindestens für alle wichtigen europäischen Sprachen gleichzeitig vorgenommen werden. Die Begriffe der verschiedenen Sprachen werden oft bedenkenlos einfach übersetzt, obgleich ihr Bedeutungsinhalt oft sehr verschieden ist. So ist die Bedeutung des englisch/ amerikanischen Terminus „town“ z. B. keineswegs grundsätzlich mit der des deutschen Begriffes „Stadt“ identisch, sondern noch weiter gefaßt und oft etwa mit „geschlossene Gemeinschaftssiedlung“ oder auch mit „städtische/ländliche Gemeinde als Verwaltungssitz oder Verwaltungseinheit“ zu umschreiben.
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und Konzentration von Rechten und Funktionen, was dann letztlich zu komplexen zentralen Orten führen konnte. Dabei vollzogen sich naturgegebene wie auch politisch-wirtschaftlich bedingte Selektionsprozesse, Umwertungen und Umorientierungen, die einerseits zur Weiterentwicklung einzelner Siedlungen führen konnten, andererseits aber auch zur Stagnation oder auch zum völligen Verlust zentraler Funktionen an benachbarte Orte. Bei dem Ausgang einer stadthistorischen oder stadtgeographischen Forschung von der voll ausgebildeten, komplexen städtischen Siedlung gehen gerade diese Aspekte des primären Entwicklungsprozesses verloren, die nur durch eine Rekonstruktion und Analyse eines größeren geschlossenen Siedlungskomplexes gewonnen werden können. Die vor allem durch die Quellenlage bedingten Schwierigkeiten der Erarbeitung zentralörtlicher Funktionen, Einrichtungen und Bereiche für historische Epochen sollen hier keineswegs übersehen werden und sind auch immer wieder deutlich gemacht worden. Je weiter die zu betrachtende Siedlungsepoche zeitlich zurückliegt, desto spärlicher werden allgemein die zur Verfügung stehenden Quellen. Untersuchungen für das 18. und 19. Jahrhundert bieten noch gute Möglichkeiten, da für diese Zeit meist schon eine ganze Reihe von statistischen Erhebungen vorliegt (vgl. die Arbeiten von Spitta 1949, Carter 1956, Höhl 1962, Vogt 1968). Auch für das späte Mittelalter lassen sich aufschlußreiche Ergebnisse erzielen, wenn hier allgemein auch noch umfangreiche Vorarbeiten zu leisten sind, vor allem die Kartierung von Funktions-, Einzugs- und Verteilerbereichen. Für das frühe und hohe Mittelalter oder gar für prähistorische Epochen, d.h. die Frühgeschichte zentraler Siedlungen, scheiden einige der genannten funktionalen Merkmale ganz aus, andere lassen sich nur indirekt aus dem archäologischen Material erschließen. Wie lükkenhaft die Kenntnisse von einzelnen zentralörtlichen Funktionen, Einrichtungen und Einzugsbereichen für vor- und frühgeschichtliche Epochen noch sind, wird beispielhaft in der jüngst erschienenen Untersuchung von Fehn (1970) deutlich, die einen ersten Versuch darstellt, für prähistorische und frühmittelalterliche Epochen in einem größeren Raum Orte mit zentralen Funktionen herauszuarbeiten. Die fehlenden Vorarbeiten führen dazu, daß fast ausschließlich von der Geschichte der großen, unverkennbar hervortretenden Befestigungen oder Ansiedlungen und deren Lage und Verbreitung ausgegangen wird, ohne daß die räumlich-funktionale Verflechtung mit dem engeren und weiteren Umland und Siedlungsbild deutlich gemacht würde. So findet sich in der ganzen Untersuchung, die einem räumlichen Phänomen gewidmet ist, keine einzige Karte, die räumliche Beziehungen darstellte. Auch zu den notwendigen methodischen und quellenkritischen Überlegungen dringt diese Arbeit noch kaum vor (vgl. dazu auch die Besprechung von Schlesinger, 1971). Mögen die Möglichkeiten für die Erforschung des Beginns einer Herausbildung von Siedlungen mit zentralörtlicher Bedeutung auch sehr eingeschränkt sein, so lassen sich doch aus einer sorgfältigen Interpretation und Kartierung der nicht unmittelbar lokalen Fundstücke und vor allem aus einer Kartierung der gleichzeitigen Siedlungsplätze und Verkehrswege der weiteren Umgebung funktionale Beziehungen und Bereiche innerhalb eines Siedlungskomplexes rekonstruieren. Zumindest läßt sich aus dieser, aus einer archäologischen Landesaufnahme der Umgebung gewonnenen Grundlage heraus entscheiden, ob ein Ort ausschließlich nahzentrale
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Funktionen zur Versorgung eines Umlandes versah, ausschließlich fernzentrale Funktionen besaß (Fernhandelsplatz, Hafenstützpunkt) oder auch dem nahen Umland wie auch ferneren Bereichen zugleich zugeordnet war. Um etwa zu einem Bild der Entwicklung und Wandlung zentraler Orte in einem begrenzten Raum zu kommen, sind stets umfangreiche Vorarbeiten notwendig. Das ergibt sich aus der Vielfalt der funktionalen Merkmale, die in die verschiedensten Fachdisziplinen hineinreichen. Ein Fortschritt in der allgemeinen historischen und geographischen Siedlungsforschung wird nur dann möglich sein, wenn alle am Problem der Siedlungsgenese und der genetischen Siedlungstypen beteiligten Disziplinen von den verschiedensten Seiten und Fragestellungen her enger als bisher zusammenarbeiten. Die einzelnen Fachdisziplinen müssen sich in ihren Methoden und Fragestellungen immer stärker spezialisieren, sie müssen sich auf der anderen Seite aber auch öffnen zur gemeinsamen Arbeit an fachlich übergeordneten Problemstellungen. Literatur Ammann, H.: Wie groß war die mittelalterliche Stadt? In: Studium Generale, 9, 1956, S. 503–506. Berry, B. J. L.; Pred, A.: Central Place Studies. A Bibliography of Theory and Applications. Regional Science Research Institute, Bibliography Series No. 1 (Philadelphia 1961). Blaschke, K. H.: Qualität, Quantität und Raumfunktion als Wesensmerkmale der Stadt vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In: Jahrbuch für Regionalgeschichte, 3, 1968, S. 34–50. Bobek, H.: Grundfragen der Stadtgeographie. In: Geographischer Anzeiger, 28, 1927, H. 7, S. 213– 224 (bes. 1: Der geographische Stadtbegriff, S. 214–219). Ders.: Über einige funktionale Siedlungstypen und ihre Beziehungen zum Lande. In: Comtes rendus de Congrès international de Géographie Amsterdam, 1938, T. II., sect. III a, S. 88–102. Bracey, H. E.: Towns as Rural Service Centers. An Index of Centrality with Special Reference to Somerset. In: Institute of British Geographers. Publ. No. 19 Transactions and Papers 1953 (London 1954) S. 95–105. Carlberg, B.: Stadtgeographie. In: Geographischer Anzeiger, 27, 1926, S. 148–153. Carter, H.: The Urban Hierarchy and Historical Geography: A Consideration with Reference to Northeast Wales. In: Geographical Studies, vol. 3, 1956, S. 85–101. Christaller, W.: Die zentralen Orte in Süddeutschland (Jena 1933). Denecke, D.: Methodische Untersuchungen zur historisch-geographischen Wegeforschung im Raum zwischen Solling und Harz. In: Göttinger Geographische Abhandlungen, 54 (Göttingen 1969). Dörries, H.: Die Städte im oberen Leinetal, Göttingen, Northeim und Einbeck. Landeskundliche Arbeiten des Geographischen Seminars der Universität Göttingen, H. 1 (Göttingen 1925). Ders.: Der gegenwärtige Stand der Stadtgeographie. In: Petermanns Geographische Mitteilungen, Ergänzungs-Heft. 209, 1930, S. 310–325. Ennen, E.: Zur Typologie des Stadt-Land-Verhältnisses im Mittelalter. In: Studium Generale, 16, 1963, S. 445–456. Faber, K. G.: Neuzeitlicher Wandel der Stadt-Land-Beziehungen in der Pfalz. In: Meynen, E. (Hrsg.): Institut für Landeskunde, 25 Jahre amtliche Landeskunde (Bad Godesberg 1967) S. 226–250. Fehn, K.: Die zentralörtlichen Funktionen früher Zentren in Altbayern. Raumbildende Umlandbeziehungen im bayrisch-österreichischen Altsiedelland von der Spätlatènezeit bis zum Ende des Hochmittelalters (Wiesbaden 1970). Vgl. auch die Besprechung von W. Schlesinger in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 107, 1971, S. 441–443. Geisler, W.: Beiträge zur Stadtgeographie. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
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III. Historische Geographie der Stadt
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1. Der geographische Stadtbegriff und die räumlich-funktionale Betrachtungsweise
131
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III. Historische Geographie der Stadt
2. STADTGEOGRAPHIE ALS GEOGRAPHISCHE GESAMTDARSTELLUNG UND KOMPLEXE GEOGRAPHISCHE ANALYSE EINER STADT* Fragestellungen und methodische Ansätze der Stadtgeschichtsschreibung sind immer wieder diskutiert worden, vor allem auch angesichts der zahlreichen Stadtgeschichten verschiedenster Art, die gerade in den letzten zwanzig Jahren erarbeitet worden sind.1 Dem hat die Geographie mit der Aufgabe einer individuellen Stadtgeographie nahezu nichts entgegenzusetzen, wenn auch auf einer langen Tradition aufbauend verschiedene neuere Arbeiten zu nennen sind, die in die Reihe monographischer Stadtgeographien zu stellen wären. Es soll hier versucht werden, einen ordnenden Überblick über die bisherigen geographischen Arbeiten zu geben, mit einem besonderen Blick auf den Wandel der Betrachtungs- und Darstellungsweisen im Laufe der Forschungsgeschichte. Wesentlich ist dabei auch die Betrachtung der Zusammenhänge zwischen stadtgeschichtlichen Fragestellungen einerseits und stadtgeographischen Sachverhalten und Problemstellungen andererseits, sei es in der Gegenüberstellung von Arbeiten der jeweiligen Richtung oder in der Verknüpfung im Rahmen einer im komplexen Sinne historisch-geographischen Arbeit.2 Bemerkenswert ist, im Vergleich zu der vielschichtigen Arbeit an stadtgeschichtlichen Darstellungen, daß stadtgeographische Beiträge nahezu ausschließlich wissenschaftliche Darstellungen und Analysen sind. Das Schreiben von Stadtgeschichten wird sehr wesentlich aus einer ortsgeschichtlichen Arbeit heraus be* 1
2
Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung und komplexe geographische Analyse einer Stadt. In: Die alte Stadt 16, 1989, S. 3–23. H. Croon, Forschungsprobleme der neueren Stadtgeschichte. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 105 (1969), S. 14–26; A. Ságvári, Aufgaben der vergleichenden Stadtgeschichtsschreibung und der Stadtarchive. In: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, 2 (1975), S. 316–320; H. Herzfeld und C. Engeli, Neue Forschungsansätze in der modernen Stadtgeschichte. In: Archiv für Kommunalwissenschaft, 14 (1975), S. 1–21; H.-G. Reuter, Stadtgeschichtsschreibung im Wandel. In: Archiv für Kommunalwissenschaft, 17 (1978), S. 68–83; W H. Schröder (Hrsg.), Moderne Stadtgeschichte, Stuttgart 1979; M. E. Specker, Wie schreibt man eine moderne Stadtgeschichte?. In: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, 1979, 1, S. 1–5; Eine ganze Reihe von Aufsätzen zum Thema als Ergebnis eines speziellen Kolloquiums, das 1980 in Berlin abgehalten wurde, findet sich in: C. Engeli, W Hofmann u. H. Matzerath (Hrsg.), Probleme der Stadtgeschichtsschreibung, In: Informationen zur modernen Stadtgeschichte, Beih. 1, Berlin 1981. Hier (S. 143–160) auch eine „Bibliographie neuerer Gesamtdarstellungen zur Geschichte der Städte“, die in Literatur- und Arbeitsberichten in den halbjährlich erscheinenden „Informationen zur modernen Stadtgeschichte“ fortgesetzt ist. Zu der umfangreichen Arbeit der allgemeinen historischen Stadtgeographie vgl. als Einführung: H. Carter, An introduction to urban historical geography, London 1983; eine Übersicht über die jüngeren Forschungen zur historischen Stadtgeographie in England und in Deutschland wird vermittelt in: D. Denecke u. G. Shaw (Hrsg.), Urban historical geography. Recent progress in Britain and Germany, Cambridge Studies in Historical Geography 10, Cambridge 1988. Vgl. hier besonders: R. Dennis u. H. Prince, Research in British urban historical geography, S. 9–23 und D. Denecke, Research in German historical geography, S. 24–33; hier auch eine Übersicht über ältere Forschungsberichte zur Stadtgeographie (Anm. 1, S. 334).
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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trieben, getragen von Geschichtsvereinen, Archivaren und Laienforschern und erst in jüngerer Zeit auch verstärkt von Wissenschaftlern, und es wird in breitem Maße auch als kommunale Aufgabe angesehen.3 Die stadtgeographische Arbeit dagegen ist bis heute weitgehend eine wissenschaftliche Aufgabe geblieben. Erst in jüngerer Zeit findet die Stadtgeographie über ihren analytischen, quantitativen und planungskritischen Ansatz den Weg zu einer anwendungsorientierten Grundlagenforschung4 und hier und da auch schon zu populären Stadtbeschreibungen. Gerade dieser Weg ist heute entscheidend auszubauen, vom methodischen Ansatz her wie auch durch vermehrte empirische Einzeldarstellungen. Anlaß, Organisation und Ziel der Erarbeitung einer stadtgeographischen Darstellung sind grundlegend anders als bei der Stadtgeschichtsschreibung. Die vorliegenden geographischen Arbeiten sind fast ausschließlich Dissertationen, d.h. wissenschaftliche Erstungsarbeiten, bei denen das analytische, reihende und systematische Vorgehen im Vordergrund steht. Für die Erfassung eines sehr komplexen geographischen Individuums, wie es die Stadt ist, wird die notwendige übergeordnete Synthese kaum angestrebt oder auch nicht erreicht. Noch wesentlicher aber ist, daß die einzelne Stadt selbst meist nur ein Objekt ist, an dem allgemeingeographische Methoden und Problemstellungen exemplifiziert werden. Diese Fragestellungen einer allgemeinen Stadtgeographie stehen im Vordergrund, sie strukturieren die Gesamtdarstellung und bestimmen die Auswahl des Materials und der Aspekte, die zur Darstellung kommen. Dies bedeutet, daß die monographischen Arbeiten zu einzelnen Städten vom Forschungsansatz her jeweils neue Bereiche zu erschließen suchen und daß sie damit auch ein Spiegel der Entwicklung der allgemeinen Stadtgeographie sind. Gerade diese Tatsache hat jedoch die individuelle monographische oder auch landschaftskundliche Stadtgeographie seit den siebziger Jahren nahezu zum Erliegen gebracht.5 Mit der Hinwendung der Geographie von der komplexen landeskundlichen Forschung zur allgemeinen, problemorientierten und analytischen Geographie ist die Stadtgeographie zur analytischen Strukturlehre geworden, bei der die Stadt in ihrer spezifischen individuellen Eigenheit oder als ein sehr 3 4
5
Dies geht explizit aus der Vertretung der Stadtgeschichte im Deutschen Institut für Urbanistik hervor und aus dem stetigen Ausbau der Institution der Stadtarchive, von denen aus die Erarbeitung von Stadtgeschichten sehr intensiv betrieben wird. Zur angewandten historischen Geographie vgl. allgemein: D. Denecke, Historische Geographie und räumliche Planung. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, 75 (1985) S. 3–55; zur angewandten Stadtgeographie vgl. besonders F. Schaffer, Angewandte Stadtgeographie – Projektstudie Augsburg. In: Forschungen zur deutschen Landeskunde, 226, Trier 1986 und F. Schaffer, Die Identität der Altstadt Komponenten und Gestaltbarkeit durch kommunale Investitionen – Beispiel Augsburg. In: Verhandlungen des deutschen Geographentages, 46 (1988), S. 173–178. Konnten für die Zeit zwischen 1952 und 1970 für den deutschsprachigen Raum noch 110 Arbeiten zum Städtesystem und zu Städtegruppen, 69 umfangreiche Städtemonographien und 178 Kurzdarstellungen einzelner Städte, d.h. insgesamt 357 komplexe stadtgeographische Darstellungen gezählt werden, so ist diese Zahl für die folgenden 20 Jahre etwa auf ein Viertel zusammengeschrumpft. Der Schwerpunkt geographischer Forschung hat sich eindeutig von monographischen Arbeiten zu allgemeinen Problemuntersuchungen hin verschoben; vgl. P Schöller, Tendenzen der stadtgeographischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Erdkunde, 27 (1973), S. 26–34.
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III. Historische Geographie der Stadt
eigenständiger Teil der Landschaft kaum noch eine Rolle spielt. Die „neue Stadtgeographie“ wendet sich Einzelproblemen zu, Wandlungsprozessen, Strukturveränderungen und Steuerungsfaktoren, die nicht beschrieben und erklärt, sondern analysiert und bewertet werden.6 Letztlich möchte der Beitrag, gerade aus dieser Situation einer Vernachlässigung und einer durch eine Veränderung der Forschungsziele und Forschungsansätze bedingten Auflösung der individuellen Stadtgeographie heraus auch dazu anregen, die geographische Arbeit auf dem Gebiet einer komplexen historisch-geographischen und monographischen Darstellung der einzelnen Stadt ganz wesentlich zu intensivieren. Mögen der Stellenwert und die vielfältige Bedeutung der individuellen (besonderen) Stadtgeographie auch in der heutigen Wissenschaft und besonders für die öffentliche Arbeit aus dieser Betrachtung heraus deutlich werden. I. DIE STADT ALS RÄUMLICHES INDIVIDUUM UND ALS STADTLANDSCHAFT 1. Die Stadtlandschaft als räumliche Einheit Die Betrachtung der Stadt als ein Teil der Landschaft und als Aufgabe im Rahmen einer Landschaftskunde bedingte, daß die Stadt – vor allem seit den zwanziger Jahren – im Rahmen eines Ausschnittes aus der Kulturlandschaft gesehen wurde.7 Der Blick wurde allgemein von außen her auf die Stadt gerichtet, wie in den frühen Stadtansichten des 16.–19. Jahrhunderts. Dabei gibt die umgebende Landschaft nicht nur einen Rahmen ab, sondern sie ist ein wesentlicher Teil des betreffenden Raumes, der vielfältige Vorbedingungen für die Existenz, die Lage, die Topographie und auch die Wirtschaft der Stadt schafft. Die Stadtgeographien dieser Zeit beginnen deshalb fast immer mit einer kurzen Darstellung der naturräumlichen Situation und der umliegenden Siedlungslandschaft. In diesen Rahmen wird dann die „Stadtlandschaft“ hineingestellt und als siedlungsgeographisches Element behandelt. Der physiognomische Betrachtungsansatz, d.h. das Stadtbild, die Stadt als siedlungsgeographisches Forschungsobjekt im Rahmen einer Kulturlandschaftsgeschichte 6 7
Vgl. hierzu die Übersichtsdarstellungen: B. Hofmeister, Die Stadtstruktur. Erträge der Forschung 132, Darmstadt 1980; E. Lichtenberger, Stadtgeographie – Begriffe, Konzepte, Modelle, Prozesse, Teubner Studienbücher Geographie, Stuttgart 1986. Vgl. als Beispiele: F. Schwieker, Hamburg. Eine landschaftskundliche Stadtuntersuchung, Hamburg 1925; S. Ziegler, Die Stadt Essen. Die Grundlagen ihrer Besiedlung, die Siedlung selbst und ihre Auswirkungen auf das natürliche Landschaftsbild. Beiträge zur Landeskunde des Ruhrgebietes II, Essen 1929; W Brünger, Herford. Eine siedlungsgeographische Untersuchung. Beiträge zur westfälischen Landeskunde 3 (1936); G. Höhl, Bayreuth. Die Stadt und ihr Lebensraum. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft München, 34 (1943), S. 1–132; U. Wolf Der Begriff „Stadtlandschaft“. In: Die neue Stadt, 7 (1953), S. 224–227; H. Boy, Die Stadtlandschaft Oldenburg. Siedlungsgeographie einer niedersächsischen Stadt. In: Hamburger Geographische Studien, 5 (1954), Veröffentlichungen des niedersächsischen Amtes für Landesplanung und Statistik R A 1, 52 (1954). A. Herold, Würzburg – Analyse einer Stadtlandschaft. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 35 (1965), S. 185–229.
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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bestimmen die Stadtgeographie zum Teil bis in die sechziger Jahre, obgleich schon am Ende der zwanziger Jahre ein Umbruch zur funktionalen Betrachtung hin erkennbar wird.8 Der Begriff der Stadtlandschaft spielt dann als Betrachtungsansatz seit den zwanziger Jahren bis in die sechziger Jahre eine gewichtige Rolle in der Stadtgeographie, wird aber dann mit der allgemeinen Abwendung von der Landschaftskunde seit den siebziger Jahren kaum noch verfolgt. Bemerkenswert sind die Bemü8
Vgl. als ausgewählte Beispiele: M. Toeppen, Geschichte der räumlichen Ausbreitung der Stadt Elbing mit besonderer Berücksichtigung ihrer Befestigungen und ihrer wichtigsten Gebäude. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins. 21(1887) Danzig. O. Dalchow, Die Städte des Warthelandes, Leipzig 1910; R. Blanchard, Grenoble. Étude de Géographie urbaine, Paris 1912; W. Geisler, Danzig, ein siedlungsgeographischer Versuch, Halle-Wittenberg 1918; W. Geisler, Die Großstadtsiedlung Danzig, Danzig 1918; T. Biehl, Bremen, eine landschaftskundliche Stadtuntersuchung, Bremen 1922; E. Keyser, Die Stadt Danzig, Berlin, Stuttgart 1925; F. Reiche, Greifswald. Eine Stadtmonographie auf geographischer Grundlage, Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Greifswald Beiheft 1(1925); E. Langenheim, Lüneburg. Eine Stadtuntersuchung auf geographischer Grundlage, Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Hannover (1926); K. Mader, Freiburg i. Br., ein Beitrag zur Stadtgeographie, Badische Geographische Abhandlungen 2 (1926); M. Prümper, Aachen. Geographische Betrachtung einer rheinischen Stadt, Aachener Beiträge zur Heimatkunde 1(1926); P. Schöck, Das Stadtbild von Heilbronn. Eine siedlungsgeographische Untersuchung, Stuttgarter Geographische Studien R. A. 10 (1927); E. Bluhm, Königsberg. Struktur, Einwohner, Wirtschaft und Kultur der östlichsten deutschen Großstadt in ihren geographischen und historischen Zusammenhängen, Veröffentlichungen des Geographischen Instituts an der Albertus-Universität zu Königsberg, außer der Reihe Nr. 3 (1930); G. Endriß, Stadtgeographie von Ulm an der Donau, Tübingen 1930; E. Hädicke, Kiel. Eine stadtgeographische Untersuchung, Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 36 (1930); H. Krüger, Höxter und Corvey. Ein Beitrag zur Stadtgeographie, Münster 1931; F. Leyden, Groß-Berlin, Breslau 1933; W. Zwingelberg, Die Stadt Hannover. Eine siedlungsgeographische Studie, Halle 1935; A. Dambmann, Stadtgeographie von Worms, Wormsgau Bd. 2 (1936); E. Voggenreiter, Die Stadt Regensburg, ihre Erscheinung und ihre Entwicklung zum neuzeitlichen geographischen Raumorganismus. Ein Beitrag zur Heimatkunde der bayerischen Ostmark, Potsdam 1936; J. Mathiesen, Verden und sein Lebensraum. Eine stadtgeographische Untersuchung. In: Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Hannover (1938/39), S. 1–88; E. Hundertmark, Stadtgeographie von Braunschweig, Schriften der wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens N. E 9 (1941), Veröffentlichungen des Provinzial-Instituts für Landesplanung, Landes- und Volkskunde von Niedersachsen an der Univ. Göttingen R. A 1 9 (1941); E. Büker, Das Siedlungsbild der Stadt Frankfürt am Main, Frankfurt 1952; K. Fick, Buxtehude. Siedlungsgeographie einer niedersächsischen Geestrandstadt, Hamburger Geographische Studien 1(1952); P. Gluth, Dinkelsbühl. Die Entwicklung einer Reichsstadt, Dinkelsbühl 1958; R Gluth, Dinkelsbühl. Eine Stadtgeographie auf wirtschaftsgeographischer Grundlage, Dinkelsbühl 1958; H.-G. Peukert, Siedlungsgeographische Betrachtung der Stadt Stade, Hamburg 1963; W. R. Krutsch, Wolfsburg. Beiträge zur Kulturlandschaftsgeschichte des Stadtgebietes vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Braunschweiger Geographische Studien 2 (1966); J. Ferger, Lüneburg. Eine siedlungsgeographische Untersuchung. Forschungen zur deutschen Landeskunde 173 (1969); H. R. Dorfs, Wesel. Eine stadtgeographische Monographie mit einem Vergleich zu anderen Festungsstädten, Forschungen zur deutschen Landeskunde 201(1972); B. Hofmeister, Berlin. Eine geographische Strukturanalyse der 12 westlichen Bezirke, Wissenschaftliche Länderkunden 8 (1975); H. Decker-Hauff u. I. Ebert (Hrsg.), Blaubeuren. Die Entwicklung einer Siedlung in Südwestdeutschland, Sigmaringen 1985.
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III. Historische Geographie der Stadt
hungen von Stewig,9 die stadtlandschaftliche Betrachtungsweise weiterzuführen. Während dies von geographischer Seite bis jetzt nicht gelungen ist, hat der Landeshistoriker Escher10 mit dem Beispiel Berlin eine Arbeit vorgelegt, die zeigt, wie fruchtbar eine historisch landeskundliche Betrachtung auch heute ist, aufbauend auf den fortgeschrittenen Erkenntnissen stadtgeschichtlicher, stadtgeographischer und stadtkartographischer Arbeit. Auch in England ist diese landschaftskundliche Betrachtung der Stadt (urban landscape, townscape) vertreten.11 Von wissenschaftlichen Arbeiten ausgehend ist sie in populäre Darstellungen übergegangen. Entscheidend ist gerade bei diesem Ansatz die synthetische, ganzheitliche Betrachtungsweise in der Form monographischer Darstellung. Diese ist allerdings allgemein in Sachkapitel untergliedert, die den Arbeiten oft einen systematischen Charakter verleihen: Naturraum und Landschaft, geschichtliche und topographische Entwicklung, Bevölkerung und Wirtschaft sind wesentliche Abschnitte, die mehr oder weniger historisch rückblickend behandelt werden. Seltener ist eine chronologische Abfolge, wobei dann die einzelnen Epochen auch jeweils wieder systematisch unterteilt sind. Von der großräumlichen Betrachtung her und der Bedeutung der Verkehrsbeziehungen für die städtische Entwicklung einer Siedlung ist die geographische Lage der Stadt im Netz der Fernverkehrswege als Betrachtungsrahmen entwickelt worden. Damit kommen Ende der zwanziger und in den dreißiger Jahren funktionale Gesichtspunkte in die Stadtgeographie hinein, sowie Erklärungsversuche in bezug auf den Standort und die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt. Die klassische Arbeit von H. Dörries über „die Städte im oberen Leinetal, Göttingen, Northeim und Einbeck“ (1925)12 hat als Modell in der Folgezeit weitreichende Wirkung gehabt. Dabei spielte auch die sogenannte Rastorttheorie eine gewichtige Rolle, d.h. die Vorstellung der Herausbildung eines Städtenetzes im Zuge von Fernstraßen im Abstand von Tagesreisen und an Verkehrskreuzen oder Flußübergängen. Diese kausalgenetische Betrachtung bildet dann bei vielen Stadtgeographien das einleitende Kapitel. Die funktionalräumliche Betrachtung der Stadtlandschaft seit den dreißiger Jahren führte in der Weiterentwicklung dazu, daß nicht nur in einem besonderen Kapitel einer Stadtmonographie auf die zentralörtliche Bedeutung und den zentralörtlichen Bereich eingegangen wurde, sondern daß diese Fragestellung auch das gesamte Konzept einer monographischen Darstellung ausmachen konnte.13 9 R. Stewig, Kiel – Einführung in die Stadtlandschaft–, Kiel 1971. 10 F. Escher, Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Stadtlandschaft zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Publikationen der Sektion für die Geschichte Berlins 1 (1985), Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 47 (1985). 11 Vgl. als Überblicke: E. Johns, British townscapes, London 1965; M. Aston u. C. J. Bond, The landscape of towns, London 1976. 12 H. Dörries, Die Städte im oberen Leinetal, Göttingen, Northeim und Einbeck, Göttingen 1925. 13 K. Albrecht, Reutlingen und sein Raum. Versuch einer geographischen Betrachtung der Industriestadt Reutlingen und ihres Einflußgebietes. Erdgeschichtliche und landeskundliche Abhandlungen aus Schwaben und Franken 16 (1935); H. Klemt, Die Stadt Hanau und ihr Umland in ihren wechselseitigen Beziehungen. Eine geographische Untersuchung. Rhein-Mainische Forschungen 24 (1940); W. Wöhlke, Bremervörde und sein Einzugsgebiet, Göttinger Geogra-
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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2. Die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung (Morphogenese) Eines der zentralen Anliegen stadtgeographischer Forschung und Darstellung ist (war) die Rekonstruktion der Morphogenese, der baulichen Entwicklung der Stadt in Grundriß und Aufriß. Vielfach wird der Vorgang der Expansion der Stadt, in einzelnen Wachstumszonen zusammengefaßt, in Übersichtskarten dargestellt, wie dies als ein Vorbild von Louis erstmalig für Berlin vorgenommen worden ist.14 Etwas genauer, d.h. in größerem Maßstab, aber auch immer noch für einzelne Zeitschnitte zusammengefaßt und in Flächenfarben oder Rastern verdeutlicht, sind dann Kartierungen für einzelne Städte, deren großräumige Expansion während des 19. und 20. Jahrhunderts dargestellt werden sollte.15 Grundlage dieser Kartierungen sind die Auswertung des gesamten älteren Kartenmaterials aber auch typologische Kartierungen des Baubestandes im Gelände. Diese Geländebeobachtung und Typologie einer Aufrißanalyse war bereits für Louis die grundlegende Arbeitsmethode, die schon von ihm im Rahmen von Geländepraktika mit der Hilfe von Studenten vorgenommen wurde, so wie dies dann auch von Bobek und Lichtenberger für Wien durchgeführt worden ist. Die Erstellung einer Baualterskarte oder Stiltypenkartierung Haus für Haus ist dann eine Arbeitsweise, die für den Altbaubestand der Innenstädte angewandt worden ist, zurückgehend auf Hassinger; vor allem aber auf H. Dörries.16 Dieser Arbeit von Dörries folgten dann, alle von Göttingen ausgehend, eine ganze Reihe von Stadtmonographien, bei denen die Baualterskartierung jeweils einen sehr wesentlichen Teil der Arbeit ausmachte.17 Standardisiert und im Rahmen großräumiger Projekte serienmäßig durchgeführt wurden diese Baualters-
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phische Abhandlungen 12 (1952); K.-D. Vogt, Uelzen – Seine Stadt-Umland-Beziehungen in historisch-geographischer Betrachtung, Göttinger Geographische Abhandlungen 47 (1968); D. Böhm, Kitzingen am Main. Stadtgeographische und zentralörtliche Beziehungen, Würzburger Geographische Arbeiten 28 (1969). H. Louis, Die geographische Gliederung von Groß-Berlin In: H. Louis u. W. Panzer (Hrsg.), Länderkundliche Forschung, Festschrift für N. Krebs, Stuttgart 1936, S. 146–171; Zur Weiterentwicklung dieser Forschung vgl. die Forschungsübersicht von J. W. R. Whitehand, Urban fringe belts – development of an idea.In: Planning Perspectives, 3 (1988), S. 47–58. K. M. Ris, Leverkusen. Großgemeinde-Agglomeration-Stadt, Forschungen zur deutschen Landeskunde 99 (1957); I. Möller, Die Entwicklung eines Hamburger Gebietes von der Agrar- zur Großstadtlandschaft. Mit einem Beitrag zur Methode der städtischen Aufrißanalyse, Hamburger Geographische Studien 10 (1959); M. R. G. Conzen, Alnwick, Northumberland – A study in town – plan analysis, The Institute of British Geographers 27, Oxford 1969; K. Haubner, Die Stadt Göttingen im Eisenbahn- und Industriezeitalter. Geographische Betrachtung der Entwicklung einer Mittelstadt im Zeitraum 1860 bis 1960, Veröffentlichungen des Niedersächsischen Instituts für Landeskunde und Landesentwicklung an der Universität Göttingen R. A 1 75 (1964); H. Bobek u. E. Lichtenberger, Wien. Bauliche Gestalt und Entwicklung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Köln/Graz 1966; D. Jaschke, Reinbeck. Untersuchungen zum Strukturwandel im Hamburger Umland, Hamburger Geographische Studien 29, Hamburg 1973; J. Bähr (Hrsg.), Kiel 1879–1979. Entwicklung von Stadt und Umland im Bild der Topographischen Karte 1:25000, Kieler Geographische Schriften 58 (1983). H. Dörries (s. A 12). A. Beuermann, Hann.-Münden. Das Lebensbild einer Stadt, Göttinger Geographische Abhandlungen 9 (1951).
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III. Historische Geographie der Stadt
kartierungen dann von Klaar für Österreich und in Bayern,18 beide nunmehr bereits mit dem Ziel, einheitliche und vergleichbare Grundlagen bzw. Inventare zu schaffen für die erhaltende Stadtplanung und die Baudenkmalpflege. Im Rahmen geographischer Stadtmonographien, aus denen diese Arbeitsweise hervorgegangen ist, hat Ohnesorge19 für Wolfenbüttel einen vorbildlichen Standard erreicht, und Lafrenz20 hat für Lübeck gezeigt, in welcher Weise aus stadtgeographischen Untersuchungen Grundlagen für Stadtplanung und Stadtsanierung entwikkelt werden können. Die Fragestellung ist in der allgemeinen Stadtgeographie bereits weiterentwickelt worden, gerichtet auf den Vorgang der Sukzession oder der Abfolge von Gebäuden und Gebäudenutzungen auf jeder einzelnen Parzelle und auf die wirtschaftlichen Hintergründe, die hinter diesen meist intensiveren und höherwertigeren Nutzungen stehen.21 In Stadtmonographien ist dieser Ansatz allerdings noch kaum eingegangen. 3. Die städtebauliche Analyse Schon von Beginn an hat die stadtgeographische Analyse in enger Beziehung zu Untersuchungen städtebaulicher Entwicklung gestanden, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Grundrißanalyse und der darin erkennbaren Wachstumszonen einer Stadt. So wird die Grundrißentwicklung in den monographischen Stadtgeographien allgemein in einem gesonderten Kapitel behandelt, oft bis in das Mittelalter zurückreichend. Die morphogenetische Betrachtungsweise der dreißiger Jahre hat jedoch auch einige spezifische Darstellungen unter dem Gesichtspunkt der städtebaulichen Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert für einige Städte entstehen lassen.22 Dieser Ansatz hätte eigentlich weit intensiver fortgesetzt und vor allem jetzt wieder von der historischen Stadtgeographie erneut aufgegriffen werden müssen, im Zuge der in jüngster Zeit intensiv aufgelebten Planungsgeschichte. Hierher gehört auch die 18 A. Klaar, Baualterpläne Österreichischer Städte, 1:2000, Wien 1968ff.; V. Mayr, Baualtersplan zur Stadtsanierung, Amberg, Bayerisches Landesamt f. Denkmalpflege (Hrsg.), Baualterspläne zur Stadtsanierung in Bayern 1, München 1972. 19 K.-W Ohnesorge, Geographie einer ehemaligen Residenzstadt – Wolfenbüttel, Braunschweiger Geographische Studien 5 (1974). 20 J. Lafrenz, Die Stellung der Innenstadt im Flächennutzungsgefüge des Agglomerationsraumes Lübeck. Grundlagenforschungen zur erhaltenden Stadterneuerung, Hamburger Geographische Studien 33 (1977). 21 Vgl. hierzu besonders J. W. R. Whitehand, Building cycles and the spatial pattern of urban growth. In: Transactions of the Institute of British Geographers, 56 (1972), S. 39–55; J. W. R. Whitehand, The changing face of cities – A study of development cycles and urban form, Institute of British Geographers, Special publication 21, Oxford 1987. 22 H. Sachse, Der Stadtgrundriß von Bautzen. Beiträge zur Geschichte der städtebaulichen Entwicklung Bautzens, Bautzen 1926; E. H. Krauss, Die städtebauliche Entwicklung der Stadt Saalfeld a. d. Saale, Zeulenroda 1934; O. Kloepper, Das Stadtbild von Danzig in den drei Jahrhunderten seiner großen Geschichte, Die Baukunst im Deutschen Osten. Beiträge zu ihrer Gestaltungsentwicklung 5 (1937); E. Hartmann, Mainz – Analyse seiner städtebaulichen Entwicklung, Darmstadt 1963.
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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Entwicklung und Auswirkung von Zonierungen und Flächennutzungsplänen, die Auswirkung von Baugesetzen oder die Erscheinung ehemaliger Wachstumszonen und Bebauungsgrenzen im heutigen Stadtbild. 4. Die innerstädtische Gliederung Die innere bauliche, funktionale und soziale Gliederung der Stadt ist von der allgemeinen Stadtgeographie vor allem der sechziger Jahre als eine wesentliche Forschungsaufgabe angesehen worden, im Zusammenhang mit räumlichen Gliederungen verschiedenster Art (Landschaftsgliederung, naturräumliche Gliederung, kulturräumliche Gliederung, funktionalräumliche Gliederung, sozialräumliche Gliederung), unter dem allgemeinen Ansatz einer räumlichen Ordnung, vor allem aber ausgehend von den Prinzipien einer Landschaftsgliederung. Für die Stadt ging es dabei darum, eine innere räumliche Differenzierung nachzuweisen und mit Grenzen festzulegen. Genetische, vor allem aber funktionale und soziale Phänomene wurden herangezogen, um in ihrer Anordnung räumliche Schwerpunkte herauszuarbeiten, die dann als dominante Faktoren jeweils Teilgebiete der Stadt charakterisieren konnten. Dabei ist, da jeweils die gesamte Stadt gegliedert werden sollte, das Problem der Abgrenzung und der Separierung jeweils wirklich eigenständiger Viertel selten zufriedenstellend zu lösen gewesen. Immerhin ist der geographische Grundansatz, nicht von einer komplexen Einheit, sondern von einem Mosaik mehr oder weniger eigenständiger Teilbereiche auszugehen, in verschiedener Hinsicht fruchtbar. Er führt in der monographischen Darstellung zu einer sinnvollen Gliederung in der Abfolge der Behandlung verschiedener Stadtteile nacheinander,23 er führt zum Erkennen zusammenhängender Einheiten, Viertel oder Nachbarschaften und er liefert auch ein räumlich differenziertes Bild der Stadt, das bisherige Strukturmodelle der Stadt dynamisch aufzulösen vermag. Mag eine kommunalgeschichtliche Betrachtung der Stadt eher von zentralistischen und einheitlichen Strukturen ausgehen, so wird die geographische Betrachtung der Stadt doch mit Gewinn von der Analyse von Teileinheiten ausgehen können, die dann erst in einer weiteren Stufe der Integration in ihren Zusammenhängen im gesamten Raumgefüge dargestellt werden. Die einzelnen Stadtteile werden als Lebens- und Funktionseinheiten gesehen, die untereinander verflochten sind. In einer Arbeit über Berlin-Zehlendorf hat E. Müller24 den methodischen Ansatz der Gliederung einer Stadtlandschaft grundle23 J. Blüthgen, Erlangen. Das geographische Gesicht einer expansiven Mittelstadt, Erlanger Geographische Arbeiten 13 (1961). 24 E. Müller, Berlin-Zehlendorf. Versuch einer Kulturlandschaftsgliederung, Abhandlungen des 1. Geographischen Instituts der FU Berlin 9 (1965), Vgl. auch A. Mayr, Ahlen in Westfalen. Siedlung und Bevölkerung einer industriellen Mittelstadt mit besonderer Berücksichtigung der innerstädtischen Gliederung, Bochumer Geographische Arbeiten 3 (1968); S. Kutscher, Bocholt in Westfalen. Eine stadtgeographische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des inneren Raumgefüges, Forschungen zur deutschen Landeskunde 203 (1971); Die Gliederung des Stadtgebietes. In: Veröff. d. Akademie f. Raumforschung u. Landesplanung, Forschungs- u. Sitzungsberichte, 42, Hannover 1968, S. 199–217.
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III. Historische Geographie der Stadt
gend demonstriert. Kulturlandschaftszellen und Zellentypen werden zu Zellenkomplexen und letztlich zu einem Zellenmosaik der gesamten Stadtlandschaft zusammengefügt. So anregend dieser landschaftskundliche Ansatz in der Stadtgeographie auch ist, er wird sich in der monographischen Behandlung der Stadt kaum durchsetzen, vor allem weil er doch sehr stark ideographisch, physiognomisch und morphologisch geprägt ist und zuwenig zu den funktionalen, sozialen und ökonomischen Steuerungsfaktoren vordringt. Aber auch sozialräumliche Gliederungen können zu monographischen Arbeiten heranwachsen, wenn dabei auch kaum die Gesamtdarstellung einer Stadt entsteht.25 5. Die Innenstadt oder Altstadt als Stadtteil Auch wenn gerade die geographische Analyse der Stadt von der räumlichen Ganzheit ausgeht, so werden doch zunehmend auch einzelne Teile als Einheiten behandelt. Die Mitstadt, d.h. der mittelalterliche Stadtkörper, wie er bis in das 18. Jahrhundert Bestand hatte, wird dabei weniger als genetische Einheit gesehen, als vielmehr als nunmehrige Innenstadt mit ihrer besonderen baulichen, funktionalen, wirtschaftlichen und sozialen Struktur und mit den besonderen städtebaulichen Problemen im Zuge von Sanierungsmaßnahmen. Es sind damit spezifische Strukturmerkmale, die die Innenstädte besonders von Großstädten als eigene Stadtteile ausweisen lassen. In ihnen laufen gerade in jüngerer Zeit spezifische Strukturwandlungen ab, der Ersatz von Mietbauten durch gewerblich genutzte Großbauten, die Verdrängung der Wohnfunktion durch gewerbliche Funktionen im Zuge einer Citybildung, die Verdrängung des Innenstadtverkehrs im Zuge einer Anlage von Fußgängerbereichen wie auch die erhaltende Sanierung, in deren Zusammenhang sich hier und da eigenständige Altstadtquartiere mit Freizeitfunktionen entwickeln. Sind alle diese Vorgänge der letzten dreißig Jahre von der allgemeinen Problemstellung her an vielen Einzelbeispielen recht gut untersucht, so sind sie in monographische Darstellungen jedoch kaum eingegangen. Bei der zunehmenden Größe und Komplexität der Städte und gerade auch bei einer historisch-geographischen Betrachtung der Stadt wird es sich oft empfehlen, allein die Innenstadt als monographische Einheit zu behandeln.26 Hier berührt sich auch die monographische Stadtgeographie am 25 R. Braun, Die sozialräumliche Gliederung Hamburgs, Weltwirtschaftliche Studien aus dem Institut für europäische Wirtschaftspolitik der Universität Hamburg 10 (1968); H. Förster, Funktionale und sozialgeographische Gliederung der Mainzer Innenstadt, Bochumer Geographische Arbeiten 4 (1968). 26 K. Nahrgang, Die Frankfurter Altstadt. Eine historisch-geographische Studie, Rhein-Mainische Forschungen 27 (1949); H. Friedmann, Alt-Mannheim im Wandel seiner Physiognomie, Struktur und Funktinen (1606–1965), Forschungen zur deutschen Landeskunde 168 (1968); J. Lafrenz (s. A 20); E. Lichtenberger, Die Wiener Altstadt. Von der mittelalterlichen Bürgerstadt zur City, Wien 1977; R. Vetter, Alt-Eberbach 1800–1975. Entwicklung der Bausubstanz und der Bevölkerung im Übergang von der vorindustriellen Gewerbestadt zum heutigen Kerngebiet Eberbachs, Heidelberger Geographische Arbeiten 63, Heidelberg 1981; W. Krings, Innenstädte in Belgien. Gestalt, Veränderung, Erhaltung 1860–1978, Bonner Geographische Abhandlungen 68 (1984).
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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engsten mit der Stadtgeschichtsschreibung, die weitgehend auf die historische Stadt konzentriert ist. Im Rahmen einer vergleichenden Stadtgeographie lassen sich dann auch bei der Behandlung einer ganzen Gruppe von Innenstädten die spezifischen Eigenheiten und Wandlungsprozesse herausarbeiten, die die heutigen Innenstädte charakterisieren. 6. Lebensstil und Lebensweise einer Stadt Ein in den geistigen und psychologischen Bereich vorstoßendes Medium individueller Stadtbetrachtung ist die Erfassung des Lebensstils einer Stadt, der Besonderheit und Eigenheit des spezifischen städtischen Bewußtseins sowie des Images einer Stadt. Hier wird sicher die höchste Integration komplexer Betrachtung erreicht. Geist, Charakter und Lebensweise einer Stadt werden zu ergründen versucht.27 Mit Begriffen des „objektivierten Geistes“ in Landschaft und Siedlung oder des lebendigen und in sich geschlossenen „Organismus“ ist dem Charakter der Stadt gerade im Rahmen von Monographien auch immer wieder nachgegangen worden. Die Subjektivität und in extremem Maße geistesgeschichtliche Betrachtungsweise dieser Art hat jedoch in der wissenschaftlichen Geographie immer nur wenig Anklang gefunden. Über die heutigen Betrachtungsansätze der Perzeption der Umwelt, des lokalen und regionalen Bewußtseins und eines ein räumlich wirksames Handeln auslösendes oder steuerndes Image einer Stadt findet sich jedoch auch heute ein Zugang zu einer Betrachtung der Stadt auf einer höheren Ebene der Integration. Der Weg, den die historische Forschung über die Geschichte der Stadt als Alltagsgeschichte genommen hat, mag auch geographisch fruchtbar zu machen sein. II. DIE STADT INNERHALB EINER STÄDTEGRUPPE: DIE VERGLEICHENDE BETRACHTUNG UND REGIONALE STADTTYPEN Die geographische Betrachtung der Stadt, die bis in jüngste Zeit allgemein von landeskundlichen Betrachtungsweisen ausgegangen ist, hat nicht nur die einzelne Stadt als Stadtlandschaft angesehen, sondern auch Gruppen und ganze Siedlungsräume als Städtelandschaften vergleichend und typisierend untersucht. Reizvoll unter diesem Gesichtspunkt waren für den Geographen dabei vor allem Städtegruppen, die in ihren geographischen Lagebeziehungen eine gewisse Zusammengehörigkeit aufweisen und damit einen geographischen Lagetypus bilden (Randstädte, Fördenstädte, Küstenstädte u. a.).28 Aber auch ein Kultur- und Wirtschaftsraum kann die Ver27 Vgl. hierzu allgemein: P. Schöller, Vom Geist und Lebensstil der Stadt. Anmerkungen zur individuellen Stadtgeographie. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 23 (1959), S. 45–54; als ein Beispiel vgl. E. Fuchs, Heiligenhafen, Lebensformen einer fremdenverkehrswirtschaftlich orientierten deutschen Kleinstadt, Göttingen 1985. 28 E. Hinrichs, Lage und Gestalt der Fördenstädte Schleswig-Holsteins in vergleichender historisch-geographischer Betrachtung, Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 49 (1919); W. Grotelüschen, Die Städte am Nordostrand der Eifel. Eine verglei-
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III. Historische Geographie der Stadt
gleichsbasis bilden, wobei dann die Betrachtung der kulturellen und wirtschaftlichen Erscheinungen im Mittelpunkt steht.29 Für Dörries30 war die Aufreihung von Städten als Rastorte an einer Fernstraße das verbindende Element für eine vergleichende Analyse, eine Thematik die unter funktionalen und strukturellen Gesichtspunkten auch in jüngster Zeit nochmals aufgegriffen worden ist.31 In größerem Umfang sind dann Städtegruppen, Städtenetze und Städtesysteme zusammenhängend und vergleichend analysiert worden, unter dem Gesichtspunkt zentralörtlicher Bedeutung und Bereiche,32 wobei allerdings die einzelne Stadt meist nicht mehr ganzheitlich dargestellt wird. Aber auch sehr spezielle, ähnliche Grundbedingungen haben zu einer vergleichenden stadtgeographischen Behandlung geführt, so etwa die städtebauliche Entwicklung einzelner Städte nach ihrer Kriegszerstörung.33 Das unmittelbare Nebeneinander oder die Nachbarschaft von Städten hat auch zwischenstädtische Beziehungen und Nachbarschaftsverhältnisse als solche zur Untersuchung und Systematisierung herausgefordert. Hierzu gehört der Typ der Zwillingsstädte, der Doppelstädte und der Nachbarstädte nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer besonderen Genese, sondern besonders im Hinblick auf ihr funktionales Zusammenwirken.34 Ein Nebeneinander oder gar der Versuch eines Vergleichs kann letztlich geographisch nicht mehr fruchtbar gemacht werden, etwa bei zusammengestellten Kurz-
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30 31 32 33
34
chend-stadtgeographische Untersuchung, Beiträge zur Landeskunde der Rheinlande R. 2, 1(1933); J. Kaltenhäuser, Taunusrandstädte im Frankfurter Raum. Funktion, Struktur und Bild der Städte Bad Homburg, Oberursel, Kronberg und Königstein, Rhein-Mainische Forschungen 43 (1955). R. Gradmann, Schwäbische Städte. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde (1916); F Regel, Wetzlar, Herborn, Dillenburg. Eine vergleichend-kulturgeographische Untersuchung, Arbeiten aus der Anstalt für hessische Landesforschungen an der Universität Gießen, Geographische Reihe 11 (1931); H. Dörries, Entstehung und Formenbildung der niedersächsischen Stadt, Forschungen z. deutschen Landes- u. Volkskunde 27 (1929); G. Höhl, Fränkische Städte und Märkte im geographischen Vergleich, Forschungen zur deutschen Landeskunde 139 (1962). H. Dörries (s. A 12). Stadtstrukturen an alten Handelswegen im Funktionswandel bis zur Gegenwart, Schriftenreihe des Zentralinstituts für fränkische Landeskunde u. allgemeine. Regionalforschung an der Universität Erlangen – Nürnberg 25, Erlangen 1984. W.F. Killisch, Die oldenburgisch-ostfriesischen Geestrandstädte. Entwicklung, Struktur, zentralörtliche Bereichsgliederung und innere Differenzierung, Schriften des Geographischen Instituts der Universität Kiel 34 (1970). J. Körber, Würzburg, Ulm und Freiburg im Breisgau nach der Zerstörung 1944/45. Eine vergleichende stadtgeographische Betrachtung. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 20 (1958), S. 25–60; K. Tiborski, Solingen. Bauliche Innovation und lokale Persistenz. Der Neuaufbau der Solinger Altstadt nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund der Entwicklung bis zur Zerstörung, Münsterische Geographische Arbeiten 28, Paderborn 1987. D. Bartels, Nachbarstädte, eine siedlungsgeographische Studie anhand ausgewählter Beispiele aus dem westlichen Deutschland, Forschungen zur deutschen Landeskunde 120, Bd. Godesberg 1960; E. Schneider, Die Stadt Offenbach am Main im Frankfurter Raum. Ein Beitrag zum Problem benachbarter Städte, Frankfurt 1962; A. von Reth, Herborn, Dillenburg, Haiger. Geographische Untersuchungen an benachbarten Kleinstädten, Marburger Geographische Schriften 42 (1970).
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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darstellungen von Partnerstädten einer Stadt, so sehr man sich gerade hier wünschen würde, gemeinsame Züge finden zu können. Die vergleichende und dabei doch individuelle Darstellung von Städtegruppen wird bei der Komplexität und der Vielfalt einzelner Kriterien im Rahmen des heutigen analytischen Vorgehens kaum noch erfolgreich sein können. Auf der typisierenden Ebene sind für größere Landschaftsräume „regionale Stadttypen“ zusammengefaßt worden durch die Herausarbeitung typischer regionaler Merkmale von Städten.35 Hier jedoch muß vom Individuum und von einer komplexeren Darstellung der einzelnen Stadt abgesehen und abstrahiert werden. Allerdings ergeben auch gerade die im Vergleich und im Typus erkannten Kriterien sehr wesentliche charakteristische Besonderheiten für die Darstellung der jeweils einzelnen Stadt und heutiger Stadtstrukturen. III. DIE HISTORISCHE PERSPEKTIVE IN DER STADTGEOGRAPHIE Die Rolle und Funktion der historischen Entwicklung in der individuellen Stadtgeographie ist sehr unterschiedlich. Die in der Stadtgeschichtsschreibung gängige chronologische Abfolge in Zeitabschnitten ist in geographischen Arbeiten selten.36 Die Stadtgeographie geht eben ganz grundsätzlich von einer Betrachtung der gegenwärtigen Stadt aus, in der die historische Perspektive weitgehend nur grundlagenbildende oder genetisch erklärende Funktion hat. Die unterschiedlichen historischen Perspektiven, bzw. die Darstellung und Interpretation der Elemente aus der Vergangenheit im gegenwärtigen Stadtgefüge verleiht jedoch der historisch geographischen Betrachtung eine interessante Vielseitigkeit im Umgang mit der historischen Entwicklung und dem historischen Potential. Häufig wird ein historischer Abriß als Grundlage und historisches Ausgangspotential vorangestellt, meist neben eine kurze Behandlung der natürlichen Grundlagen. Auf einen solchen Vorspann wird in jüngeren Arbeiten allgemein verzichtet. Weit fruchtbarer für die von der Gegenwart ausgehende Betrachtung ist der retrospektive Betrachtungsansatz. Hier werden persistente Strukturen im gegenwärtigen Stadtbild historisch erklärend in die Analyse mit eingeschlossen, so daß deutlich wird, daß sich das heutige Bild aus Elementen verschiedener Epochen, Nutzungsansprüche und Gestaltungsprinzipien zusammensetzt. Die Darstellung erlangt eine 35 G. Schwarz, Das Problem der regionalen Stadttypen an europäischen Beispielen,. In: Deutscher Geographentag Frankfurt, Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen, Remagen 1952, S. 133–140; G. Schwarz, Regionale Stadttypen im niedersächsischen Raum zwischen Weser und Elbe, Forschungen z. deutschen Landeskunde 66, Remagen 1952; E. Sabelberg, Regionale Stadttypen in Italien. Genese und heutige Struktur der toskanischen und sizilianischen Städte an den Beispielen Florenz, Siena, Catania und Agrigent, Erdkundliches Wissen 66, Wiesbaden 1984. In der Arbeit von Sabelberg werden die regionalen Stadttypen aus der Genese heraus erklärt, d.h. von genetischen Stadttypen ausgehend wird der Beziehung zwischen historischer Stadtentwicklung und heutiger Stadtstruktur nachgegangen. 36 J. Blüthgen, Erlangen. Das geographische Gesicht einer expansiven Mittelstadt, Erlanger Geographische Arbeiten 13, Erlangen 1961.
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III. Historische Geographie der Stadt
historische Tiefenperspektive. In dieser Weise bekommt das historische Substrat unmittelbare Bedeutung für Fragen der erhaltenden Stadtplanung, der Sanierung und Inwertsetzung historischer Bausubstanz. In diesem Sinne hat es die historisch-geographische Darstellung und Analyse grundlegend leichter als die sich um einen Anschluß an die Gegenwart bemühende historische Betrachtung, da für die historische Geographie ein wesentlicher Teil des Forschungsobjektes mit dem erhaltenen historischen Potential selbst noch gegenwärtig ist und einen sichtbaren Teil der heutigen Stadtstruktur ausmacht. So muß auch von geographischer Seite immer wieder betont werden, daß die individuelle Darstellung und Untersuchung einer Stadt ohne eine historische Dimension gar nicht möglich ist. Dies wird auch deutlich in den jüngsten größeren monographischen Arbeiten, die Prozessen, Steuerungsfaktoren und anwendungsorientierten Fragen nachgehen, dabei jedoch explizit die Entwicklung vom Beginn oder der Mitte des 19. Jahrhunderts aus verfolgen, um damit die Prozesse auch begründen und erklären zu können.37 Es zeichnet sich ab, daß diese verkürzte, von der allgemeinen Stadtentwicklung und den Zielsetzungen moderner Stadtgeographie her gesehen auch sinnvolle historische Perspektive in der Geographie an Bedeutung gewinnen wird. Die Problemstellung ist damit der Entwicklungsablauf von Prozessen, die in ihrer Raumwirksamkeit beschrieben und deren Steuerungsfaktoren analysiert und bewertet werden. Die Fragen nach den ersten Anfängen der Stadtwerdung, der frühen Grundrißgestaltung (Morphogenese) sowie der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Entwicklung der Stadt (Neustädte, frühe Expansion, Märkte und frühe Zentralität, u.a.) gehen dabei verloren.38 Auch die Untersuchung einzelner historischer Querschnitte unter geographischen Gesichtspunkten als ein Beitrag zur Stadtgeschichte findet augenblicklich von geographischer Seite her kaum noch Bearbeiter. Ist die Frühzeit der Stadttopographie ein ergebnisreiches Feld stadtarchäologischer Forschung geworden,39 so wird es sich zeigen müssen, ob die historische Forschung vermehrt geographische Fragestellungen in die Stadtgeschichte mit hineinnimmt. Die jüngste Entwicklung zeigt dies deutlich an, getragen vornehmlich von jüngeren Historikern, die auch eine geographische Ausbildung bekommen haben.40 37 D. Jaschke (s. A 15); R. Vetter (s. A 26); E. Lichtenberger (5 A 26). 38 Vgl. einige frühere Arbeiten, die explizit den mittelalterlichen geographischen Verhältnissen im Rahmen einer Monographie nachgehen: H. Keussen, Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, Bonn 1910; I. Strampf Die Entstehung und mittelalterliche Entwicklung der Stadt Nürnberg in geographischer Betrachtung, Erlangen 1929. 39 Vgl. als Forschungsübersichten: H. Steuer, Zum Stand der archäologisch-historischen Stadtforschung in Europa – Bericht über ein Kolloquium 1982 in Münster. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, 12 (1984), S. 35–72; H. Steuer, Urban archaeology in Germany and the study of topographic, functional and social structures, in: D. Denecke u. G. Shaw (s. A 2), S. 81–92. 40 Die vom Institut für vergleichende Städtegeschichte her bearbeiteten Stadtgeschichten von Lingen, Lippstadt und Nordhorn enthalten jeweils einzelne Kapitel zu historisch-geographischen Problemstellungen, und der von Reuter (s. A 1) aufgestellte Katalog von Themenkreisen einer modernen Stadtgeschichte ist in weiten Teilen sozial- und wirtschaftsgeographisch ausgerichtet; W. Ehbrecht (Hrsg.), Lingen 975–1975. Zur Genese eines Stadtprofils, Lingen 1975; W.
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Eine historisch reizvolle Problemstellung ist die Erarbeitung historisch-geographischer Situationen und Stadtbilder für historische Zeitschnitte und zwar gesehen mit den Augen der jeweiligen Zeitgenossen. Ausgewertet werden für solche Situationsbilder z.T. Reiseberichte und beschreibende Schilderungen, die dann durch andere archivalische Belege, die sich auf geographische Sachverhalte der Stadt beziehen, ergänzt werden können. Obgleich schon im 18. Jahrhundert die historische Geographie ihre Aufgabe so verstanden hat, daß sie den geographischen Schauplatz historischer Ereignisse zu rekonstruieren und zu erörtern hat, sind bis heute nur wenige Arbeiten unter dieser Betrachtungsweise beigetragen worden.41 Seit den sechziger Jahren wird auch ein Bemühen deutlich, die städtebauliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung einzelner Städte seit dem 19. Jahrhundert für sich zu untersuchen und darzustellen. Thematisiert wurden damit der Vorgang der Industrialisierung, das damit allgemein zusammenhängende rasche Städtewachstum, verbunden mit einem drastischen Bevölkerungszuzug, die Auswirkung des Eisenbahnanschlusses auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und die kommunalpolitischen und frühen planerischen Maßnahmen, mit denen das städtische Wachstum zu steuern gesucht wurde. Es war zunächst eine weitgehend wissenschaftliche Problemstellung, mit der man sich der Analyse des Wachstums- und Veränderungsprozesses zuwandte, verbunden mit dem wachsenden Interesse an wirtschaftlichen und sozialen Hintergründen und Auswirkungen der Entwicklungen. Haubner42 hat für die Stadt Göttingen im Eisenbahnzeitalter eine beispielhafte systematische Studie zu den Veränderungsvorgängen dieser Zeitphase für eine Mittelstadt erarbeitet, dabei wesentlichen Steuerungsfaktoren der Veränderungen in der Stadtstruktur nachgehend, eben der Eisenbahn, die den Einzugsbereich der Stadt deutlich erweiterte, der Entwicklung eines täglichen Pendelverkehrs, der wachsenden Bautätigkeit, dem expandierenden Einzelhandel und dem Niedergang des Handwerks oder auch dem Einfluß der aufkommenden Baugesetze auf eine sich verändernde Gestaltung der Stadt. Stadtentwicklung im Zusammenhang mit industrieller Entwicklung ist besonders markant in den jungen Bergbau- und Industriestädten nachzuvollziehen, die sich im 19. und noch im 20. Jahrhundert aus dörflichen Kernen meist im Zuge einer stürmischen Entwicklung herausgebildet haben. Bottrop, Leverkusen und das in verschiedenen Arbeiten dargestellte Wolfsburg sind typische Beispiele hierfür.43 Ehbrecht, Nordhorn. Beiträge zur 600jährigen Stadtgeschichte, Nordhorn 1979; W. Ehbrecht (Hrsg.), Lippstadt. Beiträge zur Stadtgeschichte, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt. Lippstadt 2 (1985). 41 Vgl. als Beispiele: K. Sorbelli, Bologna negli scrittori stranien (4 Bde.), Bologna 1927/30; G. Krüger, Wie sah die Stadt Wittenberg zu Luthers Lebzeiten aus? In: Vierteljahresschrift der Luthergesellschaft (1933), S. 13–33; H.-J. Mrusek, Das Stadtbild von Wittenberg zur Zeit der Reformation und der Universität. In: L. Stern u. M. Steinmetz (Hrsg.), 450 Jahre Reformation, Berlin 1967; S.322–340; D. Denecke, Wege und Städte zwischen Wittenberg und Rom um 1510. Eine historisch-geographische Studie zur Romreise Martin Luthers. In: Würzburger Geographische Arbeiten, 60 (1983), S. 77–106. 42 K. Haubner (s. A 15). 43 K. M. Ris (5 A 15); I. Vogel, Bottrop. Eine Bergbaustadt in der Emscherzone des Ruhrgebie-
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III. Historische Geographie der Stadt
Die wirtschafts- und kommunalpolitischen Hintergründe einer Stadtentwicklung sind auch in jüngeren geographischen Arbeiten noch nicht hinreichend genug als oft wesentliche Steuerungsfaktoren herangezogen und herausgearbeitet worden. Hierfür ist die Arbeit von Kellner-Stoll44 für das allerdings exzeptionelle Beispiel der Gründung und Entwicklung von Bremerhaven ein grundlegendes Muster. Die Darstellung zeigt die politischen Zielsetzungen und Auseinandersetzungen bei der Sicherung und Fortentwicklung der wirtschaftlichen und politischen Stellung vor allem der Großstädte. Viel zu wenig sind in diesem Zusammenhang auch die Maßnahmen und Investitionen für den Ausbau der Infrastruktur der Städte im 19. Jahrhundert unter räumlichen und strukturellen Gesichtspunkten herausgearbeitet worden, so die Einrichtungen von Gaswerken, Elektrizitätswerken, Wasser- und Klärwerken, Schlachthäusern, Bahnhöfen u. a. Diese Innovationen haben die Stadtparlamente, die öffentlichen Behörden wie auch beteiligte Investoren in dieser Zeit sehr wesentlich beschäftigt, sie haben aber auch die funktionale Struktur und das Bild der Stadt vor allem in den Wachstumszonen sehr wesentlich bestimmt. So kommen auch im 19. Jahrhundert ganz neue Industrie- und Wohnviertel am wachsenden Stadtrand hinzu, die in ihrer Größe, Eigenständigkeit und Bedeutung durchaus bereits eine gesonderte Darstellung verlangen. Die Untersuchung von H. J. Dyos45 zur Herausbildung der Londoner Vorstadt Camberwell ist in diesem Zusammenhang noch immer ein hervorragendes Beispiel einer historisch-geographischen Analyse, die Beispiel für viele folgende Untersuchungen anderer Vororte geworden ist. Eine ähnliche Musterstudie hat I. Möller46 für die Hamburger Vororte Eppendorf, Eimsbüttel und Harvestehude erarbeitet. Hier war es das Ziel, den Prozeß der Entwicklung von der Agrarlandschaft zur Stadtlandschaft darzustellen, unter dem besonderen Aspekt der physiognomischen Aufrißanalyse bzw. der baulichen Entwicklungsphasen. Hier wären auch die geographischen Studien zur Entwicklung der Berliner Stadtbezirke Dahlem und Zehlendorf47 einzureihen. Blicken viele geographische Stadtmonographien besonders der zwanziger und dreißiger Jahre bis auf die mittelalterliche Stadt und auch ihre ersten Anfänge zurück, so wird nunmehr zunehmend erkannt, daß eine Darstellung der Stadtentwicklung seit dem Umbruch im 19. Jahrhundert eine wesentliche Grundlage sein kann für heutige Fragen der planerischen Weiterentwicklung. Wenn auch Historiker sich mit dem Ruf nach „mehr Stadtgeschichte“ des 19. und 20. Jahrhunderts darum bemühen, historische Erklärungen in die heutigen Diskussionen um die Stadtentwicklung mit einzubringen, so ist diese Aufgabe von einer angewandten historischen Stadtgeographie viel leichter zu lösen auf der Grundlage einer langen Tradition.
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tes, Forschungen zur deutschen Landeskunde 114 (1959); W. Hensel, Wolfsburg, eine junge Industriestadt, Köln 1962. R. Kellner-Stoll, Bremerhaven 1827–1888. Politische, wirtschaftliche und soziale Probleme einer Stadtgründung, Veröffentlichung des Stadtarchivs Bremerhaven 4 (1982). H. J. Dyos, Victorian suburb. A study of the growth of Camberwell, Leicester 1973. I. Möller (s. A 15). E. Müller (5 A 24).
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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IV. PRAXISBEZOGENE PROBLEMSTELLUNGEN IN DER INDIVIDUELLEN STADTGEOGRAPHIE 1. Die topographisch-statistische Beschreibung Weitgehend als veraltet in Vergessenheit geraten sind die zahlreichen topographischstatistischen Beschreibungen einzelner Städte, die am Ende des 18. Jahrhunderts beginnend bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Vorläufer stadtgeographischer Darstellungen angesehen werden können.48 Ihnen müßte eigentlich eine eigene Analyse gewidmet werden, sind sie doch auch unter heutigen Gesichtspunkten von Interesse. Ausgerichtet waren diese Arbeiten auf eine beschreibende Dokumentation, vornehmlich der gegenwärtigen Verhältnisse einer jeweiligen Stadt. Die Beschreibung der Stadt auf der Grundlage einer Sammlung von Fakten und statistischen Daten sollte der Selbstdarstellung der Stadt dienen, war aber auch sehr wesentlich Grundlagenmaterial für die Verwaltung und für Entwicklungsmaßnahmen. In den statistischen Daten und der Beschreibung der Bautätigkeit und räumlichen (topographischen) Entwicklung der Stadt wurde auch der Erfolg im wirtschaftlichen und baulichen Wachstum der Stadt deutlich, an dem die kommunale Verwaltung, der Bevölkerungszustrom und die verschiedenen Kapitalgeber ihren Anteil hatten. Die topographisch-statistischen Beschreibungen hatten im Konkurrenzkampf der Industrialisierung und der wachsenden Industriestädte eine informierende und zugleich wirtschaftspolitische Aufgabe. Heute sind diese beschreibenden Materialsammlungen wertvolle Quellen für die Behandlung der städtischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die noch kaum ausgewertet worden sind, vor allem weil dieses Jahrhundert in stadtgeschichtlichen wie auch stadtgeographischen Darstellungen nicht seiner Bedeutung entsprechend abgehandelt wird.
48 J. H. Steubing, Topographie der Stadt Herborn, Materialien zur Statistik und Geschichte der Oranien-Nassauischen Lande, Marburg 1792; F. W. von Ulmenstein, Geschichte und topographische Beschreibung der keyserlichen und freyen Reichsstadt Wetzlar, Hadamar/Wetzlar 1802/ 10; F C. G. Duisburg, Versuch einer historisch-topographischen Beschreibung der freien Stadt Dantzig, Danzig 1809; J. L. von Heß, Hamburg topographisch, politisch und historisch beschrieben (3 Bde.), Hamburg 1810/11; M. G. Fuchs, Beschreibung der Stadt Elbing und ihres Gebietes in topographischer, geschichtlicher und statistischer Hinsicht, Elbing 1818–1852, (3 Bde.); A. Gick, Topographisch-historisch-statistische Beschreibung der Stadt Soest und der Soester Börde, Soest 1825; F. Guilleaume, Topographisch-historisch-statistische Beschreibungen der Stadt Münster, Münster 1836; J. G. Battonn, Örtliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main I–III, Frankfurt/M. 1861; A. Fecht, Mannheim I. Topographie und Statistik, Mannheim 1864; Luerssen, Wetzlar, eine topographisch-historische Skizze, Wetzlar 1892; W. Melhop, Historische Topographie der Freien und Hansestadt Hamburg von 1880–1895 in Anschluß an die „Historische Topographie“ von L. E Gandeckens, Hamburg 1895; A. Meiche, Historischtopographische Beschreibung der Amtshauptstadt Pirna, Dresden 1927.
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III. Historische Geographie der Stadt
2. Stadtgeographie als planungsbezogene Grundlagenforschung Wenn auch im Rahmen medizinischer Topographien, topographisch-statistischer Beschreibungen und landeskundlich-statistischer Kreisbeschreibungen planungsbezogene kurze Darstellungen von Städten als Grundlage für Verwaltung und Stadtentwicklung schon früh vorhanden waren, so ist dieser Ansatz doch erst in jüngster Zeit auch in umfangreiche monographische Arbeiten eingegangen.49 Zum Teil sind es Materialsammlungen zur Stadtplanung oder es wird spezifischen Projekten nachgegangen, so daß die Form einer in der Stadtplanung anwendbaren komplexen Stadtgeographie noch zu entwickeln wäre.50 Dabei wird vor allem die Stadtplanungsgeschichte eine führende Rolle spielen sowie die Auswirkung von Entfestigungen, Bauvorschriften und Baugesetzen, Flächennutzungsplänen, Erneuerungsmaßnahmen, Schutzgesetzen, Nutzungsvorschriften sowie von Veränderungen im Straßennetz, im Parzellenschnitt und in der Bebauung. V. STADTGEOGRAPHIE IN DER FORM STADTGEOGRAPHISCHER EXKURSIONSFÜHRER Eine besondere Form einer ganzheitlichen, aber dabei doch selektiven und exemplarischen historisch-geographischen Vermittlung einer Stadtentwicklung und eines Stadtbildes ist der stadtgeographische Exkursionsführer. Diese als konkrete Handreichungen für Exkursionen am Ort gedachten Führer sind weitgehend von einer physiognomischen Betrachtungsweise her aufgebaut, das Sichtbare, die Stadtgestalt ist das zu erläuternde Objekt. Die meisten Führer dieser Art, die sich nicht nur auf Städte beziehen sondern auch auf ländliche Räume und Tagesrouten mit Zielen verschiedener Art, wenden sich meist an Vertreter des eigenen Faches, d.h. an Lehrer und Lernende im Bereich der Geographie. Damit sind es weitgehend internes Arbeitsmaterial für Fachexkursionen, intern auch besonders deshalb, weil sie in der Fachsprache gehalten sind und fast ausschließlich in Fachpublikationen veröffentlicht wurden, in Fachzeitschriften, Tagungsberichten oder auch in Festschriften. Durch die lange Tradition, die Fachtagung des Deutschen Geographentages51 stets mit einer größeren Zahl von Fachexkursionen zu verbinden und diese dann 49 Staatliche Archivverwaltung Baden-Württemberg, Die Stadt Heidelberg und die Gemeinden des Landkreises Heidelberg, Die Stadt- und Landkreise von Baden-Württemberg 2 (1968); Kantonales Planungsamt Bern (Hrsg.), Kanton Bern. Historische Planungsgrundlagen, Bern 1973; D. Denecke, Göttingen. Materialien zur historischen Stadtgeographie und zur Stadtplanung. Erläuterungen zu Karten, Plänen und Diagrammen. Hrsg. vom Ortsausschuß des 42. Deutschen Geographentages Göttingen 1979, Göttingen. Planung und Aufbau 17 (1976); F. Schaffer, Angewandte Stadtgeographie – Projektstudie Augsburg, Forschungen zur deutschen Landeskunde 226 (1986). 50 Als beispielhafte Arbeiten in diese Richtung können genannt werden: J. Lafrenz (5 A 20) und R. Vetter (s. A 26). 51 G. Höhl, 100 Jahre Geographentag 1881–1981. Ein tabellarisch-kartographischer Rückblick auf seine Schwerpunkte im Wandel der Zeit. In: Mannheim und der Rhein-Neckar-Raum, Mannheimer Geographische Arbeiten, 10, Mannheim 1981, S. 13–28.
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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zusammengefaßt zu veröffentlichen, ist eine lange Serie von Exkursionsführern entstanden, die allerdings auch kaum in die Öffentlichkeit gewirkt haben.52 Ebenfalls fachspezifisch, aber doch durch die Veröffentlichung in der Form einer Reihe eher für jedermann zugänglich, ist die „Sammlung geographischer Führer“, wo in jedem Band u. a. auch Städte vorgestellt werden. Einen ganzen Band für sich macht der „Stadtgeographische Führer von Berlin (West)“ aus.53 Eine räumliche Gliederung erfahren diese Darstellungen einmal durch die Abfolge der Exkursionsroute, zum anderen aber auch durch eine häufige Teilung in die Innenstadt und die Außenstadt, was auch die Organisation der Exkursionen notwendig macht. Angeknüpft wird stets an einzelne Objekte der städtebaulichen Situation verschiedener Zeitstellung, wobei das allgemeine Ziel meist eine Erläuterung des heutigen Bildes ist, verbunden mit einem erklärenden Rückblick auf die Entwicklung aus der Vergangenheit heraus, dargestellt an erhaltenen Grundriß- und Baustrukturen. Diese Form des geographischen Stadtführers mit dem Ziel, das Bild und die Entwicklung der Stadt als Ganzheit vor Augen zu führen, wäre für eine breitere Öffentlichkeit im Stil, in den Konzeptionen und der Form der Veröffentlichung weiter auszubauen, bei dem wachsenden Interesse an Kurzinformationen dieser Art für Schulen, Tourismus und Medien. Wertvoll und anschaulich sind bei geographischen Darstellungen dieser Art besonders die genetischen Grundrißanalysen, die auch in zeitlichen Abfolgen von Kartenskizzen darzustellen sind. VI. SCHLUSSBETRACHTUNG Zusammenfassend lassen sich nachstehende Typen von Darstellungen und Betrachtungsweisen in der individuellen Stadtgeographie zusammenstellen. Wohin wird sich eine als solche kaum zu entbehrende individuelle Stadtgeographie entwickeln, welche Aufgaben fallen der Geographie auf diesem Betrachtungsfelde zu? Für die meisten deutschen Städte liegt bis heute keine moderne stadtgeographische Darstellung vor. Viele vorhandene Arbeiten sind im Ansatz und Material veraltet. So könnte man zunächst wünschen, daß auf der Grundlage bisheriger Darstellungsweisen, und ohne daß wiederum ganz neue Betrachtungsansätze gesucht und beispielhaft herausgestellt werden müssen, eine größere Zahl von Städten ganz einfach einmal stadt52 Eine eigene Exkursion durch die Stadt des Tagungsortes steht jeweils im Vordergrund, aber auch manche andere Umgebung wird im Zuge von Exkursionsrouten kurz dargestellt. Erschienen sind die Exkursionsführer zum Teil in den Verhandlungsbänden, in Sonderpublikationen zum Geographentag oder in den jeweiligen Institutsreihen. Vgl. als ein Beispiel: B. Hofmeister u. E. Voss (Hrsg.), Exkursionsführer zum 45. Deutschen Geographentag Berlin 1985, Berliner Geographische Studien 17, Berlin 1985, oder auch I. u. F. Monheim, Die Aachener Innenstadt.In: Aachen und benachbarte Gebiete. Ein geographischer Exkursionsführer, Aachener Geographische Arbeiten, 8 (1976), S. 1–46. 53 F. Bader u. D. Müller (Hrsg.), Stadtgeographischer Führer Berlin (West), Sammlung geographischer Führer 7; Berlin 1981; vgl. auch als weitere Beispiele: L. Bäuerle u. W. Klie (Hrsg.), Braunschweig. Exkursionsführer, Braunschweig 1989, oder aus der Reihe der zu Fuß-Bücher: J. Engelhardt (Hrsg.), Frankfurt zu Fuß. 20 Rundgänge durch Geschichte und Gegenwart, Hamburg 1987.
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III. Historische Geographie der Stadt
geographisch dargestellt werden sollten. Dies würde allerdings nicht im Rahmen wissenschaftlicher Examensarbeiten möglich sein, sondern die Initiative müßte, wie bei der Stadtgeschichtsschreibung, von den Bürgern und der Kommunalverwaltung ausgehen, und die Arbeit wäre auch von geographischen Fachleuten und Kennern der Stadt zu verfassen. Dies wirft die Frage auf, für wen und für welchen Zweck stadtgeographische Monographien überhaupt zu erarbeiten sind. Abgesehen von statistischen Beschreibungen und Kurzdarstellungen als Grundlagen für Verwaltung und Planung sind fast alle vorhandenen Stadtmonographien wissenschaftliche Beiträge, die vornehmlich auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen erschienen sind. Die Arbeiten verblieben damit weitgehend im Kreis der Wissenschaft und gewannen ihre Bedeutung in der wissenschaftlichen Lehre und weiterführenden Forschung. Kaum wurde bisher daran gedacht, Stadtgeographie und vor allem auch historische Stadtgeographie dem Bürger und Besucher einer Stadt nahezubringen, als eine Information, die bei der immer noch zunehmenden Verstädterung und zunehmenden städtischen Bevölkerung und städtischen Gesellschaft gefragt und notwendig ist. Dabei ist eine Stadtgeographie sehr wohl eigenständig neben eine Stadtgeschichte zu stellen. Der Wissenschaftler wird aber auch die Frage aufwerfen, in welcher Weise die Stadt im Zusammenhang mit neuen allgemeinen Forschungsansätzen und Fragestellungen Untersuchungsobjekt sein kann, dabei nicht nur zu speziellen Einzelbeiträgen, sondern zu einer gewissen Gesamtdarstellung führend, auch bei einem weitgehend analytischen Ansatz. Geht man davon aus, daß neue Betrachtungsansätze auch stets im Rahmen individueller Stadtgeographie exemplifiziert worden sind, so wäre heute zu erwarten, daß Prozesse des Wandels, die Sukzession in der Bebauung und Flächennutzung, das planerische Handeln, das räumlich wirksame Image der Stadt sowie das räumliche Verhalten der sozial differenzierten Bevölkerung der Stadt als tragende Problemstellungen auftreten würden. Ein historisches Element wird dabei immer noch die retrospektive Erklärung sein, wobei vor allem die Erhaltung und erhaltende Umnutzung darzustellen ist. Wahrscheinlich werden diese Ansätze nur in Teilbereichen verfolgt werden können, da über sie eine synthetische Gesamtdarstellung kaum zu erreichen ist. Es wird notwendig sein, auf der Grundlage strukturanalytischer Detailarbeiten und eines differenzierten Datenmaterials wieder zu einer fundierten und aussagefähigen Synthese zu kommen, auf der Ebene einer modernen geographischen Raumbetrachtung.
2. Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung
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Typen stadtgeographischer Darstellungsweisen und Betrachtungsansätze räumliche Einheit und Teilbereiche
Darstellung von Städten einer größeren Region. Zusammenhängende und vergleichende Darstellung benachbarter Städte ähnlichen Typs; Nachbarstädte und Doppelstädte als Individuen und Typen. Erfassung der Gesamtstadt als kommunale Einheit. Darstellung der Innenstadt / Altstadt. Individuelle Darstellung von Stadtteilen. Monographie einzelner Straßen und Plätze.
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– geographische Ganzheit und Teilaspekte
Ganzheitliche komplexe landschaftskundliche Darstellung. Gliederung der Stadtlandschaft in Teilkomplexe. Analyse der Darstellung eines Städtesystems. Stadt und Stadtumland. Die Stadt als zentraler Ort. Stadtgestalt und Morphogenese der Stadt. Darstellung einer Stadt als Typus. Die Stadt unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktion.
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Perspektive und Rolle der historischen Betrachtung
Entwicklungsgeschichtliche, chronologische Abfolge in Zeitabschnitten. Zeitlicher Querschnitt – Darstellung einer ausgewählten Epoche. Die historische Entwicklung als Grundlage und Voraussetzung der gegenwärtigen Stadt (einleitendes und geschlossenes Kapitel zur Geschichte). Darstellung eines topographischen Wandlungs- und Gestaltungsprozesses. Retrospektiver Betrachtungsansatz – Erklärende historische Rückblicke von erhaltenen Strukturen im gegenwärtigen Stadtbild aus. Darstellung gegenwärtiger Entwicklungsvorgänge, anknüpfend an längere Entwicklungsabläufe der jüngeren Vergangenheit (ab Mitte 19. Jh.). Geographie der Gegenwart mit prospektiven, planungsorientierten Ausblicken.
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Methodische Ansätze, Problemstellungen, Zielsetzungen
Städtisches Individuum als Exempel allgemeiner Erkenntnisse. Innerstädtische Gliederung. Beschreibung von Topographie und funktionaler Substanz. Regionale und individuelle Eigenart. Genetische Grundriß- und Aufrißanalyse (Morphogenese). Prozeß der Urbanisierung – Verstädterung des Umlandes. Stadt – Umland – Verflechtung; Zentralität. Planungsorientierte Trendentwicklung. Sozialgeographische Struktur und Gliederung. Wirtschaftliche Dynamik.
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III. Historische Geographie der Stadt
3. SOZIALE STRUKTUREN IM STÄDTISCHEN RAUM: ENTWICKLUNG UND STAND DER SOZIALTOPOGRAPHISCHEN STADTGESCHICHTSFORSCHUNG* 1. Die historisch-geographischen Fragestellungen der sozialräumlichen Rekonstruktion und sozialtopographischen Raumanalyse der Stadt Historisch-sozialtopographische Rekonstruktionen und Raumanalysen sind gerichtet auf eine topographisch möglichst genaue, parzellentreue Zuordnung und Lokalisierung direkter und indirekter sozialer Merkmale oder personenbezogener Daten, wie auch auf die sozialräumliche Analyse ihrer Verbreitung, Anordnungsmuster und Standorte, in historischen Querschnitten und im Wandel ihrer historischen Entwicklung (Längsschnitte). Ausgangspunkt ist die topographische Zuordnung (Verortung) funktionaler und besonders sozialer quantitativer und qualitativer sozialstatistischer Daten und Indizes der Bewohner zum Wohnstandort, wobei dieser allgemein auch als Arbeitsort anzunehmen ist. Das Ergebnis ist allgemein eine möglichst großmaßstäbige, lückenlose, d.h. flächendeckende kartographische Darstellung wirtschaftlicher und sozialer Merkmale von Familienvorständen oder Hausbesitzern für die Gesamtheit einer Stadt. Auf dieser Grundlage kann dann eine sozialräumliche Interpretation von sozialen Standort- und Verbreitungsmustern im Stadtplan aufbauen, die „Kunde vom gesellschaftlichen Ort“, von der Gesellschaftsstruktur im Stadtplan oder auch der sozialräumlichen Organisation der städtischen Gesellschaft geben kann, für einen belegbaren, meist quellenbedingten Zeitpunkt wie auch – durch den Vergleich mehrerer Zeitschnitte – im Wandel der historischen Entwicklung. Eine historische Sozialtopographie fixiert und interpretiert somit soziale Indizes der Bevölkerung am Wohnstandort in der Stadt und gewährt damit einen Einblick in sozialräumliche Qualitäten, Gefüge und auch Beziehungen der Bewohner, wie auch sozialer Gruppen, in die soziale Organisation der Stadt und ihrer Gesellschaft. Über die individuelle Betrachtung einer Stadt hinaus lassen sich im Rahmen einer vergleichenden Städtegeschichte allgemeinere Strukturen sozialer Standortbewertung und Standortqualitäten sowie ihre Persistenz und ihr Wandel erarbeiten, die sich in einer städtischen Gesellschaft herausgebildet haben. Erhellt werden letztlich auch auf die Parzelle, die Haus- oder auch die Wohnungseinheit bezogene Zusammenhänge zwischen der baulichen Struktur (Grundriss, Aufriss, Gebäudequalität), der Gebäudenutzung (Funktion), der Wohnqualität wie auch der wirtschaftlichen und sozialen Stellung des Nutzers (sozialer Status). Es ist den Ursachen und Prozessreglern der Entstehung und Entwicklung von Standortmustern nachzugehen sowie der Frage nach spezifischen reglementierten, wirtschaftlichen oder sozialen Bedingungen von Standortbestimmungen und Verbreitungen. Grundlegend für den sozialtopographischen Betrachtungsansatz ist die Annahme und Beobachtung, dass soziale Verhältnisse, Ordnungen, Strukturen und Akti*
Soziale Strukturen im städtischen Raum; Entwickung und Stand der sozialtopographischen Stadtgeschichtsforschung. In: Meinhardt, M. und A. Ranft (Hrsg): Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Berlin (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; 1). 2004, im Druck.
3. Soziale Strukturen im städtischen Raum
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vitäten raumwirksam und raumgestaltend sind, besonders im primären Prozess der Standortbestimmung, der Strukturierung von Grundriss und Aufriss im Plan und Bild der Stadt. Aus dem Nacheinander des Gestaltungsprozesses ergibt sich ein zeitlich wie räumlich komplexes Bild einer räumlichen Auswirkung in der Form von sozialen Strukturen und Elementen, deren tradierte Standortbedingungen und Anordnungsmuster sozialräumlich zu analysieren und zu interpretieren sind. Wenn die sozialtopographische Rekonstruktion und Analyse auch in den umfassenden sozialgeschichtlichen Zusammenhang der Stadtgeschichte gehört, und sich der soziale Aufriss der Gesellschaft im Grundriss der Stadt niedergeschlagen hat, so muss die soziale Raumanalyse doch wesentlich auf die raumstrukturellen Aussagen konzentriert werden, auf die räumliche Auswirkung von Sozialstrukturen und sozialen Schichtungen wie auch sozialer Mobilität und auf sozialräumliche Gliederungen innerhalb der Stadt, denen im weiterführenden Detail sozialtopographische Verbreitungen einzelner sozialer Indizes der Bebauung und der Wohnstandorte der Bevölkerung zu Grunde liegen. Am Anfang sozialgeschichtlicher Arbeit steht die übergeordnete Frage nach der allgemeinen Sozialstruktur der Stadtgesellschaft, nach den sozialen Gruppen, ihrer Herausbildung und ihrer Stellung zueinander. Eine weiterführende Grundlage einer sozialräumlichen Problemstellung ist dann die Frage der sozialen Schichtung, der vertikalen Sozialstruktur oder hierarchischen Gliederung der städtischen Gesellschaft, die auf der sozialen Stellung und Einschätzung, dem Ansehen wie auch dem sozialen Auf- oder Abstieg jedes einzelnen Stadtbewohners beruht. Die umfangreiche Forschung zur sozialen Schichtung vor allem der mittelalterlichen Stadt hat in ihrem komplexen und weitgehend nicht raumbezogenen Ansatz eine nur hintergründige Bedeutung für die sozialtopographische Fragestellung. Enger mit der Sozialtopographie verbunden ist die vornehmlich geographische Forschung der sozialräumlichen Gliederung, der Abgrenzung und sozialräumlichen Analyse innerstädtischer Teilräume (Viertel, Quartiere, Nachbarschaften, Kirchspiele u.a.) mit entwicklungs-geschichtlichen, funktionalen und sozialen Eigenständigkeiten im Zusammenhang mit der topographisch-organisatorischen (verfassungstopographischen) Stadtgenese und Stadtstruktur. Wenn hier auch manche Zusammenhänge mit generalisierten parzellentreuen sozialtopographischen Raumstrukturen, besonders bei deutlichen Konzentrationen, gegeben sind, so verfolgt diese Ebene einer sozialräumlichen Gliederung mit der Abgrenzung und Analyse einzelner Quartiere doch eine andere, eigenständige Raumkategorie, die des Stadtteiles, und nicht die soziale Aussage einzelner Wohnstandorte und Verbreitungen zugehöriger sozialer Indizes. Manche sozialgeschichtlichen Arbeiten zur Sozialstruktur auf der Grundlage sozialstatistischer Quellen berühren eine räumliche Differenzierung und Anordnung sozialer Gruppen oder auch Einzelpersonen, womit dann auch sozialtopographische Fragegestellungen angeschnitten werden, das Bild bleibt jedoch selektiv, es kommt nicht zu einer Gesamterfassung und kartographischen Gesamtdarstellung, was häufig allein quellenbedingt ist. In diesen Arbeiten stecken jedoch oft wertvolle Aussagen zu sozialtopographischen Verhältnissen und Interpretationen, die für vergleichende sozialtopographische Studien heranzuziehen sind.
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III. Historische Geographie der Stadt
Der sozialtopographische Betrachtungsansatz im engeren Sinne verlangt ein großmaßstäbig topographisch parzellentreu fixierbares, vollständiges (flächendekkendes) Datenmaterial wie auch einen möglichst zeitnahen parzellentreuen Stadtplan. Diese Voraussetzungen sind oft nicht einmal für das 18. und 19. Jahrhundert zu erfüllen, so dass jüngere Pläne heranzuziehen sind, oder – ein nicht parzellenbezogenes, topographisch verschlüsseltes Datenmaterial betreffend – nur die straßenweise Abfolge der Angaben dargestellt werden kann. Es entstehen statistische Kartenübersichten, die eine Gesamtübersicht vermitteln, die räumliche Verbreitungen zeigen, aber auch – auf einzelne Merkmale bezogen – räumliche Anordungsmuster veranschaulichen, die als dispers oder konzentriert, linear oder gehäuft, als zentral oder peripher beschrieben werden können. Eine raumstrukturelle Analyse des Gesamtbildes oder auch eines Einzelstandortes führt dann zu einer sozialräumlichen Interpretation vor allem der Standortmuster. Bei einem Vergleich von Standtortmustern einzelner Merkmale für verschiedene Städte lassen sich dann möglicherweise Gemeinsamkeiten erkennen, die sich, bei genügend Einzelbeispielen, auch als typisch herausstellen könnten. Eine sozialtopographische Rekonstruktion und Interpretation ist im Rahmen der sozialgeschichtlichen Stadtforschung nur ein Teilaspekt, der quellenbedingt weitgehend nur auf wenige Zeitschnitte beschränkt und vornehmlich nur topographisch beschreibend und statistisch sein kann. Der sozialtopographische Betrachtungsansatz führt jedoch zu Zusammenhängen mit der topographischen Genese und entwicklungsgeschichtlichen Gliederung der Stadt, zu einer wertenden Differenzierung der Bausubstanz, zu funktionalen Strukturen der Stadtentwicklung, zu einer differenzierten Standort- und Bodenbewertung sowie zu Einblicken in die soziale Raumorganisation. Die Bevölkerungs- und Sozialgeschichte einer Stadt wird durch die sozialtopographische Forschung eng verbunden mit der Stadtentwicklung selbst im Rahmen einer historischen Geographie und historisch-genetischen Analyse der Stadt. Nur mit Vorsicht und weiteren sozialgeschichtlichen Hintergründen kann man sich auch der Dynamik sozialräumlicher Beziehungsgefüge nähern, Prozessen einer sozialräumlichen Mobilität sowie Fragen des Milieus und des sozialen Umfeldes der städtischen Bevölkerung. Viele Fragestellungen sind von der gegenwartsbezogenen Sozialforschung, besonders der Sozialökologie entwickelt und lassen sich bestenfalls für die Neuzeit verfolgen, kaum jedoch für frühere Epochen der Stadtgeschichte. Wenn auch für einzelne Beispiele bereits für das späte Mittelalter Verbreitungskarten ausgewählter sozialtopographischer Merkmale erarbeitet werden können, so erlauben die Quellen vornehmlich erst für die frühe Neuzeit flächendeckende und aussagekräftige sozialtopographische Darstellungen. Eine weiter verbesserte Quellenlage ist dann seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegeben, besonders durch geschlossene Statistiken und auch durch die Adressbücher, die im Überblick gut erschlossen sind. Die gegebenen Zeitschnitte zeichnen ein zeitlich fixiertes Bild, Vergleiche mehrere Zeitschnitte, vor allem in die jüngere Geschichte hinein, erlauben Beobachtungen zu Veränderungen in der Sozialtopographie und führen zu Fragen der Ursachen und der Steuerungsfaktoren des Wandels. Ein geschlossener Ent-
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wicklungsprozess Haus für Haus lässt sich vornehmlich nur für die Neuzeit auf der Grundlage erarbeiteter Häuserbücher verfolgen. Anschaulich belegt werden damit Persistenzen oder auch die Dynamik eines Wandels sowie allgemeinere Umbrüche in der Bau- und Besitzstruktur einer Stadt. Vor allem Beobachtungen von weitgehenden Konstanzen von Verbreitungs- und Anordnungsmustern können zu den Versuchen beitragen, jüngere und damit fassbare sozialtopographische Verhältnisse weiter zurückzuprojizieren, wovon vielfach ausgegangen wird. 2. Der Entwicklungsgang der sozialtopographischen Forschungen im interdisziplinären Kontext Nach einigen wenigen individuellen frühen Vorläufern, die in ihrem Ansatz wie auch der Darstellung bereits bemerkenswert ausgereift waren, die jedoch in ihrer Zeit keinerlei Folgewirkung hatten1, wie auch nach wenigen sozialhistorischen Arbeiten der 50er Jahre, in denen sozialtopographische Fragen angesprochen sind2 ist die Fragestellung einer Sozialtopographie erst seit dem Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts als Aufgabe einer historisch-geographischen Stadtforschung aufgegriffen worden. In den 70er und mit einem Höhepunkt in den 80er Jahren wurde eine größere Zahl von Fallstudien für einzelne Städte erarbeitet, unter denen sich auch einige grundlegende Studien befinden, die zur Entwicklung der allgemeinen Problemstellungen, sowie der Arbeits- und Darstellungsmethoden wesentlich beigetragen haben. In der Folgezeit ist die Beschäftigung mit der Sozialtopographie deutlich zurückgegangen, obgleich sich nunmehr die Möglichkeit eröffnet, mit Hilfe der EDV und GIS-Technologie die Erfassung der Datenmengen sowie ihre Aufbereitung, Auswertung und Darstellung besser und vielseitiger darstellbar zu machen. Der Begriff der „Sozialtopographie“ für eine „bevölkerungs- und sozialgeographische Differenzierung“ der Stadt, das Verhältnis zwischen „Stadtplan oder Topographie und Sozialstruktur“ für eine „historisch-soziale Stadttopographie“ oder „sozialstatistische Querschnittsanalyse“ taucht erst in den 60er Jahren auf und setzt sich dann neben anderen Umschreibungen in den 70er und 80er Jahren allmählich durch. Zu der gleichen Zeit finden sich in der englischsprachigen Literatur die Bezeichnungen „residential patterns“ „sociotopography“ oder „social topography“. Das Arbeitsfeld der Sozialtopographie ist weitgehend von Stadthistorikern und Historischen Geographen bestellt worden, in einem sehr engen Bezug zueinander. Steht in den Arbeiten von historischer Seite eher die Aufbereitung und Auswertung 1
2
Riehl, W. H.: Augsburger Studien, II: Der Stadtplan als Grundriß der Gesellschaft. In: Riehl, W.H.: Culturstudien aus drei Jahrhunderten, 1859, S. 270–284. Booth, C.: Life and labour of the people of London. London 1889. Leonhardt, K.F. (Bearb.): Karte der Berufsverteilung in Hannover nach dem Stande von 1435. Maßstab 1:2500. Karten zur Entwicklungsgeschichte der Stadt Hannover. Hannover 1933. Schellenberg, W.: Bevölkerung der Stadt Zürich um 1780. Zusammensetzung und regionale Verteilung. Affoltern 1951 (Diss. Zürich) Landgraf, H.: Bevölkerung und Wirtschaft Kiels im 15. Jahrhundert. (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins; 39). Neumünster 1959.
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III. Historische Geographie der Stadt
der individuellen Quelle im Vordergrund der Untersuchungen, so liegen die Schwerpunkte der Beiträge von geographischer Seite eher auf den Methoden, den Lösungen einer Veranschaulichung wie auch einer allgemeineren vergleichenden Betrachtung. Auch die Stadtarchäologie hat sich Fragen der Sozialtopographie angenommen, obgleich ihre archäologischen Ergebnisse punkthaft bleiben müssen, wenngleich sie andererseits durch die sozialen Aussagen des Fundmaterials für die frühe Stadtgeschichte topographisch genau fixierte und detaillierte Einblicke in soziale Gegebenheiten zu vermitteln vermag. International ist die historische Sozialtopographie nur von wenigen Forschern aufgegriffen worden, so in England, in Irland, in Schweden oder Dänemark. Die in Deutschland durchaus schon zu einem Forschungszweig entwickelte Sozialtopographie hat sich auf internationaler Ebene in diesem Maße nicht ausgebreitet. Wurzeln der Fragestellung liegen in der historischen Forschung, in der seit den 30er Jahren verfolgten „Verfassungstopographie“3, sie stehen aber besonders im Zusammenhang mit der jüngeren sozialgeschichtlichen Forschung, den Fragestellungen der sozialen Schichtung der Gesellschaft und den sozialen Familienstrukturen. Die geographischen Forschungen hingegen gingen im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Sozialgeographie in den 70er Jahren aus von der sozialräumlichen Gliederung und Struktur des Stadtraumes, von einer Verfeinerung der Ausgliederung von städtischen Teilräumen hin zur räumlichen Verteilung und Anordnung verschiedener sozialer Merkmale in der Parzellenstruktur der Stadt. Standortmuster, ihre Entwicklung und Interpretation sowie die sozialräumliche Differenzierung als ein Grundphänomen in der historischen wie auch der modernen Stadt sind Ziele der geographischen Forschung auf dem Gebiet der Sozialtopographie. Trotz der äußerst beschränkten Quellenlage sind Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Sozialtopographie vornehmlich in den 80er Jahren recht gut vertreten, was mit der allgemeinen Bedeutung des Mittelalters in der stadtgeschichtlichen Forschung der Zeit zusammenhängt. In jüngerer Zeit treten das 18. und frühe 19. Jahrhundert, die bessere Quellenlage nutzend, in den Vordergrund. Besonders vom geographischen Standpunkt aus ist es bemerkenswert, dass die sozialtopographische Fragestellung für die Zeit der Industrialisierung oder gar das 20. Jahrundert kaum thematisiert worden ist. Die Expansion der Städte, die Dynamik der Mobilität wie auch die Menge der Daten mag ein Hinderungsgrund für einen so detaillierten Untersuchungsansatz sein. Arbeitsfelder sind auf direkt themenorientierte Einzelstudien bezogen, sie stehen im Zusammenhang mit stadtgeschichtlichen Monographien4, sie sind für wenige Städte im Zuge historischer Städteatlanten5 bearbeitet 3 4
Frölich, K.: Das verfassungstopographische Bild der mittelalterlichen Stadt im Lichte der neueren Foschung.– In: von Brandt, A.; Koppe, W. (Hrsg.): Städtewesen und Bürgertum als geschichtliche Kräfte. Lübeck 1953, S. 61–94. Klein, H.: Beiträge zur geographischen Entwicklung des Lingener Raumes im 19. und 20. Jahrhundert, Kap. IV: Gesellschaft und städtischer Raum – Sozialtopographie der Stadt Lingen im 19. Jahrhundert. In: Ehbrecht, W. (Hrsg): Lingen 975–1975. Lingen 1975, S. 160–198, bes. S. 180–194. Denecke, D.: Sozialtopographie der mittelalterlichen Stadt Göttingen.– In: Denecke, D.; Kühn, H.M. (Hrsg): Göttingen: Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 1. Göttingen 1987, S. 199– 210.
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worden, und es finden sich auch Ansätze in einigen Denkmaltopographien der städtischen Denkmalpflege.6 In Stadtgeschichten wie auch bei den Städteatlanten ist der große Arbeitsaufwand, aber auch die Notwendigkeit der kartographischen Darstellung ein Hindernis für die Beachtung der Thematik, trotzdem sollten sie wenigstens allgemein beschreibend mehr Eingang in diese Werke finden. Die meisten Studien sind auf eine individuelle Stadt bezogen, und diese Fallstudien sind auch der Ausgang jeder übergeordneten Forschung. Thematisch vergleichende Arbeiten sind weit seltener und teilweise auch erst in Ansätzen möglich. Ein treffendes Beispiel für die Gewerbetopographie ist die Untersuchung der meist konzentrierten Verbreitung der Gerber in Gerbervierteln.7 Die verfügbaren und ausgewerteten sozialen Merkmale sind sehr verschieden, die Lösungen einer übersichtlichen und räumlich veranschaulichenden Darstellungen sind vielfältig, was Vergleiche der Ergebnisse erschwert. Die Darstellung erfolgt in Tabellen, Diagrammen und auch in Karten unterschiedlichster Maßstäbe, an Aussage und an Details geht in einer für die Veröffentlichung notwendigen Zusammenfassung in Gruppen, einer Generalisierung wie auch Schwarz-Weiß-Lösung oft sehr viel verloren. Einige Forschungsübersichten haben die Entwicklung der sozialtopographischen Forschung begleitet. Hat Rublack 19798 in einer ersten Zwischenbilanz noch festgestellt, dass „Verfahren sozialtopographischer Beschreibung seit einiger Zeit praktiziert werden, methodische und methodologische Überlegungen jedoch fehlen“, ebenso wie eine Übersicht über die Forschungsergebnisse, so sind doch einzelne zum Teil recht frühe Ansätze und Beiträge zu nennen und so werden in einem eigenen Beitrag9 auch allgemeine und weiterführende Wege gewiesen. In einem internationalen Zusammenhang erfolgte dann 1988 ein Forschungsüberblick10, der mit 5 Stoob, H. (Hrsg): Deutscher Städteatlas, Lieferung 2, Dortmund 1979; Friedrichstadt: Religions- und Sozialstruktur 1845; Lingen: Sozialtopographie 1796. Stoob, H. (Hrsg).: Westfälischer Städteatlas, Lieferung 2, Dortmund 1981; Drensteinfurt: Sozialtopographie der Stadt, 1800–1830; Peckelsheim: Sozialtopographie der Stadt, um 1830. Ahlberg, N.; Hall, T. (Bearb.): Uppsala. Scandinavian Atlas of Historic Towns, 4: Sweden 1. Odense 1983. Degn, O. (Bearb.): Ribe 1500–1950. Scandinavian Atlas of Historic Towns, 3: Sweden 1. Odense 1983, S. 20–32. Bradley, J.: Kilkenny. Irish Historic Towns Atlas, 10. Dublin 2000. 6 Dietrich, D.: Landkreis Landsberg am Lech. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland – Denkmäler in Bayern I, 14. München 1994. 7 Cramer, J.: Gerberhaus und Gerberviertel in der Mittelalterlichen Stadt. (Studien zur Bauforschung 12). Bonn 1981. 8 Rublack, H.-C.: Probleme der Sozialtopographie der Stadt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit.– In: Ehbrecht, W. (Hrsg).: Voraussetzungen und Methoden geschichtlicher Städteforschung. Köln 1979. (Städteforschung, Reihe A, 7), S. 177–193. 9 Denecke, D.: Sozialtopographische und sozialräumliche Gliederung der spätmittelalterlichen Stadt. Problemstellungen, Methoden und Betrachtungsweisen der historischen Wirtschafts- und Sozialgeographie.– In: Fleckenstein, J.; Stackmann, K. (Hrsg): Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter. Göttingen 1980, S. 161–202. 10 Denecke, D.: Social status and place of residence in preindustrial German towns: recent studies in social topography.– In: Denecke, D.; Shaw, G. (Hrsg).: Urban Historical Geography. Recent
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III. Historische Geographie der Stadt
einer inzwischen schon beachtlichen deutschen Forschung die Diskussion auch im internationalen Bereich anregen sollte. Eine allgemein gehaltene kritische Bilanz gibt Walberg (1988)11, die allerdings weitgehend auf die Arbeiten in Westfalen bezogen ist. Für die 90er Jahre sind vor allem die fundierten Studien von Kroll für die Städte Stralsund und Stade zu nennen12, die sich auch mit den bisherigen Arbeiten auseinandersetzen, die jedoch durch den Einsatz der multimedialen GIS-Technologie in der Aufbereitung, Auswertung und Darstellung des Datenmaterials über die bisherige Arbeitsweise hinausführen. Eine neuere grundlegende Zusammenschau der Problemstellungen und Arbeitsansätze, übergeordnete themenspezifische vergleichende Untersuchungen über die individuellen Ergebnisse der Einzelbeispiele hinaus wie auch über weiterführende Forschungsmöglichkeiten und erfolgversprechende Quellenbestände für ausgewählte deutsche Städte liegen noch nicht vor. Der vorliegende Band wie auch dieser Beitrag mögen dazu anregen. 3. Direkte und indirekte soziale Merkmale und statistische Indizes der Stadtbewohner und ihre topographische Zuordnung Die grundlegend statistische Basis einer Sozialtopographie, die flächendeckend und auf individuelle Einheiten bezogen ist und standardisierte Erfassungen und Informationen vermittelt, bedingt unmittelbar quellengebundene, eng begrenzte wie auch vereinheitlichte Aussagen. Die erstellten „amtlichen“ Registrierungen waren verbunden mit einem verwaltungsmäßigen Zweck, der soziale Aussagen nur beschränkt und meist nur indirekt zum Ausdruck bringt. So ist es sinnvoll und treffend, die wirtschafts- und sozialhistorischen Daten auch nur mit Vorsicht als soziale Merkmale und Indizes zu bezeichnen. Weiterhin ist es sinnvoll, die Quellennähe in der primären Auswertung und Darstellung möglichst zu bewahren, was allerdings bedeutet, dass nicht nur für die einzelne Stadt, sondern gerade auch für vergleichende sozialgeschichtliche Fragestellungen und Aussagen allgemein eine Vielzahl verschiedener Indizes nebeneinandergestellt werden, die zunächst auch jede für sich in progress in Britain and Germany. Cambridge 1988, S. 125–140. Dieser Forschungsbericht enthält umfangreiche Literaturhinweise, die hier nicht nochmals in dieser Ausführlichkeit aufgenommen worden sind. 11 Walberg, H.: Zur Sozialtopographie westfälischer Städte in der frühen Neuzeit.– In: Krüger, K. (Hrsg.): Europäische Städte im Zeitalter des Barock. Köln 1988. (Städteforschung A, 28), S. 209–221. Vgl. weiterhin auch: Cramer, J.: Zur Frage der Gewerbegassen in der Stadt Augsburg am Ausgang des Mittelalters.– In: Die Alte Stadt, 11, 1984. S. 81–111, hier bes. S. 81–90. Siekmann, M.: Die Stadt Münster um 1770. Eine räumlich-statistische Darstellung der Bevölkerung, Sozialgruppen und Gebäude. Münster 1989 (Siedlung und Landschaft in Westfalen; 18), hier bes. S. 11–20. 12 Kroll, S.: Stade um 1700. Sozialtopographie einer deutschen Provinzhauptstadt unter schwedischer Herrschaft. Stade 1992. (Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Stade; 16). Kroll, S.: Stadtgesellschaft und Krieg. Sozialstruktur, Wirtschaft und Bevölkerung Stralsunds und Stades 1700 bis 1715. Göttingen 1997 (Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; 18).
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engerem thematischen Sinne zu interpretieren sind. Die sozialtopographisch auswertbaren Daten beziehen sich vornehmlich auf die Bereiche Stand, Status oder gesellschaftliche Stellung (Klasse), auf Beruf und Gewerbe, Betriebsstandort und Betriebsstruktur, Grundbesitz und Vermögen, Haus- und Wohnqualität sowie auf die Familienstruktur. Alle Bereiche werden übergreifend in der Sozialtopographie zusammengefasst, wenn auch oft eine Berufs- und Gewerbetopographie oder auch eine Vermögenstopographie gesondert als solche benannt werden. Zum gesellschaftlichen Stand und Status gehören die Gruppen bzw. Vertreter des Adels mit ihren Adelshöfen in der Stadt13, die Geistlichkeit mit ihren zugehörigen Institutionen sowie die Gruppe der Patrizier. Der bürgerliche Status der Einwohner wird vertreten durch die Vollbürger, die Gemeindebürger, die Pfarrbürger, die Bürgeranwärter und die Neubürger, die sich in den Quellen (Bürgerlisten u.a.) oft differenzieren lassen und die auch sozialtopographisch durchaus eigenständige Verbreitungsmuster zeigen. Verfassungs- und verwaltungstopographisch lassen sich Ratsmitglieder, Gildemeister oder auch Gildemitglieder in ihrer Verbreitung ausweisen. Einen zentralen wenn nicht gar eigenständigen Bereich innerhalb der Sozialtopographie macht die Berufszugehörigkeit (die Berufs- oder Gewerbetopographie) aus. Auch bei einer günstigen Quellenlage, bei der für den Bestand an Haushalten weitgehend vollständig die Gewerbe der Haushaltsvorstände angegeben sind, bleibt doch oft unsicher oder ganz offen, wie weit das genannte Gewerbe wirklich als wirtschaftliche Grundlage noch ausgeübt wird, inwieweit die Angabe den Hauptoder Nebenberuf betrifft oder wie weit die Familie, besonders die Frau, mit in das Gewerbe eingeschlossen ist. Für eine Bewertung des sozialen Status wäre weiterhin nicht nur die allgemeine soziale Stellung des einzelnen Berufes wesentlich, sondern vor allem die soziale Differenzierung oder Einstufung innerhalb der eigenen Berufsgruppe, je nach der Leistungsfähigkeit und Qualität der Arbeit oder dem Prestige innerhalb der Berufsgenossen. Mit Recht wird oft auf die Problematik einer sozialhistorischen Auswertung der Berufsangaben hingewiesen, was jeweils allgemein aber auch auf die einzelne Quelle bezogen zu hinterfragen ist.14 An Gewerbetopographien liegen für das Mittelalter wie auch für die Neuzeit schon viele Einzelbeispiele vor, allerdings in sehr unterschiedlichem Maßstab und unterschiedlicher Generalisierung (Zusammenfassung in Berufsgruppen), womit an sozialtopographischer Aussage oft viel verlorengeht. Ein sichtbarer und wertender Indikator für einen Wohlstand und eine gesellschaftliche Stellung sind Besitz und Vermögen, die in der steuerlichen Einschät13 Müller, E.: Die Adelshöfe der Stadt Münster i.W. Münster 1930. Mindermann, A.: Adel in der Stadt des Spätmittelalters. Untersuchungen am Beispiel von Göttingen und Stade (1300–1600). Diss. Phil. Göttingen 1993. Mindermann, A.: Adelshöfe als planmäßige Elemente von mittelalterlichen Gründungsstädten Nordwestdeutschlands. Vortrag zur Tagung ,Die mittelalterliche Gründungsstadt‘ in Göttingen, März 2001. (Veröffentlichung in Vorbereitung) 14 Grümer, K.W.: Soziale Ungleichheit und Beruf. Zur Problematik der Erfassung des Merkmals ,Beruf‘ bei der Sozialstrukturanalyse gegenwärtiger und historischer Gesellschaften.– In: Historical Social Research, 32, 1984, S. 4–36.
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III. Historische Geographie der Stadt
zung, im Geldvermögen oder der beweglichen Habe sowie vor allem im Grundund Hausbesitz greifbar werden. Steuerlisten und Schossregister sind quantitativ statistisch15, aber auch – wenn im Steuerumgang oder auch durch Parzellenschlüssel lokalisierbar – topographisch ausgewertet worden. Unklar bleibt nach den Quellen meist die genauere Bezugsbasis der Steuerbeträge und die Realität, generalisierend ist die allgemeine Bildung von Steuergruppen. Deutlich heben sich jedoch stets die Nonvalenten wie auch die Vertreter höchster Steuerzahlungen voneinander ab, gerade auch im topographischen Bild. Das Eigentum an Grund und Boden wie auch an Hausbesitz (seit dem 13./ 14. Jahrhundert als Einheit behandelt: Verliegenschaftung) und die daraus entwickelte Grundeigentumstopographie vermittelt politisch-rechtliche, bauliche, wirtschaftliche aber auch soziale Aussagen. Die Quellen hierzu sind insgesamt sehr umfangreich (Grundbuch, Hausbuch, Oberstadtbuch u.a.). Diese Erfasssungen, die auch die wesentliche Grundlage für die erarbeiteten Sekundärquellen der Häuserbücher16 sind, sind in ihrer Anlage sehr unterschiedlich, was eine kritische Vergleichbarkeit erschwert. Im Grundbesitz manifestiert sich nicht nur ein Vermögen, sondern mit ihm sind auch Rechte und Pflichten verbunden (Bürgerrecht, Steuerpflicht u.a.), in denen ein sozialer Status zum Ausdruck kommt. Ein besonderes, allgemein mit dem Haus verbundenes Recht ist das Braurecht („Brauhaus“), was oft baulich in Erscheinung tritt, funktional von Bedeutung, aber auch wertsteigernd war. Topographisch bilden die Brauhäuser meist recht geschlossene Einheiten im älteren Baubestand des Altstadtkerns. Ihre lange und auch geschlossene Persistenz bildet bis in das 18. Jahrhundert hinein ein besonders stabiles Element in den meisten Städten, so dass hier auch ein guter Ansatz für vergleichende Betrachtungen gegeben ist, die bisher noch kaum angestellt worden sind.17 Der Besitz eines Hauses allein reicht als sozialer Index nicht aus, das Haus ist zu typisieren und zu bewerten nach seinem Status, dem baulichen Wert, sowie dem Zustand und der Lage, was dann in den Quellen gemeinsam auch in den Taxwert oder den Versicherungswert eingehen kann. Nach dem Status lassen sich vor allem domus (Wohnhaus) und Bude (Wohnhaus geringerer Qualität) unterscheiden. Buden sind oft auch sekundär errichtete Gebäude für „Nachzügler“.18 Mit dem Gebäu-
15 Roth, J.: Die Steuerlisten von 1363/64 und 1374/75 als Quellen zur Sozialstruktur der Stadt Trier im Spätmittelalter.– In: Kurtrierisches Jahrbuch, 16, 1976, S. 24–37. Krüger, K. (Hrsg.). Sozialstruktur der Stadt Oldenburg 1630 und 1678. Analysen in historischer Finanzsoziolgie anhand staatlicher Steuerregister. Oldenburg 1986. 16 Biederstedt, R.: Häuserbuch der Altstadt Greifswald. Ein Arbeitsbericht.– In: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch, 11, 1977, S. 125–131. 17 Grewe, J.: Das Braugewerbe der Stadt Münster bis zum Ende der fürstbischöflichen Herrschaft im Jahre 1802. – In: Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlichen Seminar zu Münster i.W. 5. Münster 1907. S. 1–95. Bing, W.: Hamburgs Bierbrauerei vom 14. bis zum 18. Jahrhundert.– In: Zeitschrift des Vereins für Hamburger Geschichte, 14, 1909, S. 209–329. Plümer, E.: Zur Sozialtopographie der Stadt Einbeck im späten Mittelalter.– In: Hansische Geschichtsblätter, 105, 1987, S. 17–31. 18 Ellermeyer, J.: Art. ,Buden‘.– In: Lexikon des Mittelalters, II. München 1983, S. 902f.
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destatus ist in jedem Fall eine klassifizierende Wertung verbunden, die in das Mittelalter zurückreicht. Unmittelbar wertbestimmend ist die Gebäudequalität, die in der Größe des Hauses, der Zahl der Stockwerke, im Baumaterial sowie in der Bedachung zum Ausdruck kommt, Angaben, die unter anderem in den Brandversicherungsakten auftreten und die in Taxwerte wie auch in Versicherungswerte eingehen, deren Kriterien allerdings aus den jeweiligen Quellen meist nicht fassbar werden. Topographische Auswertungen baulicher Angaben sind nicht nur für eine Beurteilung der baulichen Entwicklung von Bedeutung, sondern durch die Bewertung der Bausubstanz und das Indiz des Gebäudewertes auch für den sozialen Status der Hausbesitzer. Wesentlich für die Bewertung von Grundbesitz ist auch der Besitzstatus (Alleinbesitz, Mitbesitzer, Miterbe u.a.), das Auftreten von Treuhandbesitz, vor allem aber ein Mehrfachbesitz (Besitzkonzentration), der auf Erbschaften, aber auch auf gezielte Investitionen zurückgehen kann. Dieses Phänomen tritt in vielen Städten keineswegs selten auf. Hier stellt sich dann in besonderer Weise die Frage der Lokalisation des Wohnsitzes des Immobilienbesitzers, da nur dieser sozialtopographisch bedeutsam ist. Auch die Besitzhäufung ist eine Fragestellung, die auf der Grundlage individueller Sozialtopographien im Städtevergleich wie auch zeitspezifisch herauszuarbeiten wäre. Hinzu kommen letztlich auch ein weiterer Grundbesitz in Vorstädten, in der Gemarkung wie auch außerhalb sowie Berechtigungen und Anteile, aus denen auch Erträge erwirtschaftet werden. Eng mit dem Hausbesitz und seiner sozialen Bewertung hängt auch die Nutzungsintensität des Hauses, der verfügbare Wohnraum (Wohndichte) und letztlich die gesamte Wohnqualität zusammen. Indizes hierfür werden flächenhaft erst für die Neuzeit greifbar, für die frühere Zeit lassen sich allgemein nur Beispiele fassen. In den weiteren Zusammenhang mit der Wohnqualität gehört auch die sozialräumliche Aussage der „medizinischen Topographie“, d.h. die topographische Situation der hygienischen Verhältnisse in der Stadt. Sind hier bereits im 19. Jahrhundert im Zuge der notwendigen hygienischen Reformen und Maßnahmen besonders in den größeren Städten zahlreiche sogenannte „medizinische Topographien“ erarbeitet worden, so sind diese Aspekte in die bisherige sozialtopographische Forschung noch kaum einbezogen worden.19 In jüngerer Zeit vermag die sich entwickelnde Umweltgeschichte der Stadt besonders zu Fragen der Ver- und Entsorgung einen Beitrag auch zur Sozialtopographie zu leisten, soweit eine genauere topographische Differenzierung des Standortes der hygienischen Verhältnisse gegeben ist, worauf die Fragestellungen gezielter zu richten sind.
19 Woehlkens, E.: Pest und Ruhr im 16. und 17. Jahrhundert: Grundlagen einer statistisch-topographischen Beschreibung der großen Seuchen, insbesondere in der Stadt Uelzen. Hannover 1954.
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III. Historische Geographie der Stadt
4. Befunde und Quellen, Quellenaussagen und Quellenkritik An die Befunde und Quellen einer Sozialtopographie sind die Grundanforderungen einer möglichst weitgehenden, das heißt parzellentreuen topographischen Zuordnung der Daten sowie eine möglichst weitgehende flächendeckende Datendichte zu stellen. Quellen, die allein Aussagen zur Gesellschaftsstruktur machen, zu ihrer Schichtung, Gliederung und statistischen Differenzierung können sozialtopographisch nur als allgemeiner Hintergrund herangezogen werden, auch wenn sie hier und da räumliche Zuordnungen vermitteln. Über diese Grundvoraussetzungen hinaus sind die einschlägigen Quellen im einzelnen sehr unterschiedlich, in der Art der Erfassung, dem ursprünglichen Zweck, der Vollständigkeit und Verlässlichkeit und vor allem auch der thematischen Aussage und Vielfalt. Sozialtopographische Darstellungen und Analysen sind in extremer Weise quellenabhängig und quellenintensiv, angefangen mit dem vorgegebenen Zeitschnitt bis hin zu vielseitigen Quellenkombinationen. Wenn in den Einzelstudien die jeweilige zentrale Quellenbasis als solche meist auch genauer erläutert wird, so fehlt doch grundlegend eine systematisierende vergleichende und kritisch analysierende Darstellung sozialtopographisch relevanter Quellen, die vor allem auch methodisch und inhaltlich für diesen Forschungsbereich von wesentlicher Bedeutung wäre.20 Der gegenwärtige Forschungsstand fordert dazu heraus. Für das Mittelalter sind stadtarchäologische Befunde und Funde gerade durch ihre kleinräumige Lokalisierung von Bedeutung, auch wenn sich die Befunde nur auf kleine räumliche Ausschnitte beziehen können. Die sozialtopographischen Befunde beziehen sich besonders auf die Genese der Parzellenzuschnitte (primäre/sekundäre Grenzen, Teilungen), auf die Entwicklung der Parzellenbebauung sowie auf die Entwicklung und Art der Gebäudestruktur, die funktionalen und sozialen Aussagen der Befunde und Funde beziehen sich auf die Gebäudefunktion und nutzung, auf den Standard der Ausstattung sowie auf Art und Standard des Inventars. Im sozialtopographischen Zusammenhang sind die archäologischen Forschungsergebnisse als exemplarische Aussage anzusehen, die Detailzusammenhänge beleuchten, welche aus den schriftlichen Quellen kaum zu entnehmen sind. Viele einzelne Befunde ließen sich hier zusammentragen, eine Forschungsübersicht ist nur in Ansätzen gegeben. Für die jüngere Zeit kann die „Bürgerhausforschung“ zur Sozial- und vor allem auch zur Gewerbetopographie beitragen, mit individuellen und besonders typologischen Untersuchungen zum sozialen Status von Gebäude und Gebäudeteilen und zur Anpassung, Konstruktion und baulichen Ausstattung für bestimmte Funktionen und Gewerbe (handwerksspezifische Haustypen). Klassische Beispiele hierfür sind 20 Vgl. als Beispiel einer quellenkritischen Analyse: Kroll, S.: Wohnen und Arbeiten in vorpommerschen Städten zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Quellenkritische Anmerkungen zur schwedischen Stadtaufnahme am Beispiel von Stralsund und Wolgast.– In: Buchholz, W.; Mangelsdorf, G. (Hrsg.): Land am Meer – Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern 5. Köln 1995; zugleich: Forschungen zur pommerschen Geschichte 29, S. 499–519.
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das Gerberhaus21, das Winzerhaus u.a., wobei hier auch bereits flächendeckende Standortmuster, zum Teil auch rückschreibend, erarbeitet werden können. Weiterführend ist in diesem Zusammenhang auch der Forschungsansatz der sogenannten „Archäologie des Hauses“, das heißt eine detaillierte, spezifische Untersuchung von Nutzungsspuren in alten Häusern. Grundlegend für eine Darstellung sozialtopographischer Daten sind möglichst zeitnahe großmaßstäbige parzellentreue Pläne, die meist erst als Katasterpläne des 19. Jahrhunderts gegeben sind. Dies stellt vor die Aufgabe, von jüngeren Plänen ausgehend ältere topographische Verhältnisse zu rekonstruieren oder auch weniger exakte Pläne des 17. und 18. Jahrhunderts zu entzerren und zu ergänzen. Die GISTechnologie vermag hier eingesetzt zu werden neben traditionellen Rekonstruktionen. Einen wesentlichen, vor allem auch methodischen Beitrag hat hier die Arbeit der Städteatlanten geleistet, bei denen die quellenkritische kartographische Erarbeitung und topographische Analyse des Katasterplanes im Zentrum der Veröffentlichung steht.22 Auch auf diesem Gebiet wäre ein methodisch ausgerichteter Überblick über die bisherige, augenblicklich recht rege Arbeit der kritischen Rekonstruktion von Parzellenplänen notwendig und weiterführend. Ein zentraler methodischer Schritt zwischen dem Datenmaterial und der kartographischen Darstellung ist der mit einem Plan korrespondierende topographische Schlüssel, der mit der Quelle wie auch dem Plan nur selten gegeben ist. Steuerumgänge, Brandversicherungsnummern, Häusernamen und Hausmarken oder wechselnde Systeme einer Hausnumerierung sind so aufzuarbeiten, dass Konkordanzen entstehen und parzellentreue Zuordnungen möglich sind. Auflistungen oder Steuerumgänge in einer laufenden Abfolge lassen oft nur eine Aufreihung im jeweiligen Straßenzug zu, d.h. eine schematische Aufteilung von Straßenabschnitten zwischen zwei markanten Eckpunkten. Andere Daten können überhaupt nur in der Summe einzelnen Straßenzügen, Kirchspielen, Quartieren, Nachbarschaften oder Zählbezirken zugeordnet werden, was dann nur noch zu einer sozialräumlichen Gliederung, nicht aber zu einer Sozialtopographie führen kann. Die historische Entwicklung der Identifikation und Markierung des Hauses in der Stadt ist eine eigene Thematik, deren allgemeine und vergleichende Herausarbeitung für die Sozialtopographie grundlegend ist. Eine Vielzahl von Lösungen kartographischer Darstellungen unterschiedlicher Maßstäbe und Genauigkeit ließe sich zeigen. Äußerst vielfältig sind letztlich die archivalischen Quellen, in ihrem Aufbau wie auch ihren inhaltlichen Aussagen. Hier werden Steuerverzeichnisse, Schossregister, Grundbücher, Liegenschaftsregister, Gildeverzeichnisse und vieles mehr herangezogen und ausgewertet, bis hin zu den Adressbüchern und amtlichen Statistiken des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine äußerst hilfreiche Sekundärquelle sind die für manche Städte bereits erarbeiteten Häuserbücher, auf denen sich meist sozialtopographische Auswertungen und Darstellungen aufbauen lassen.23 21 Cramer 1981 (wie Anm. 7). 22 Ehbrecht, W.: Fallstudie und Vergleich. Zur Möglichkeit sozialgeschichtlicher Arbeit mit Städteatlanten.– In: Die Alte Stadt, 10, 1983, S. 138–164. 23 Biederstedt 1977 (wie Anm. 16).
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Nach sehr wenigen auswertbaren Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts nehmen diese für das 15. und 16. Jahrhundert bereits merklich zu, um dann für das 17. und 18. Jahrhundert bereits für eine größere Zahl von Städten einzusetzen. Die frühe Neuzeit ist damit in jüngerer Zeit ein gewisser Forschungsschwerpunkt geworden. Eine deutliche Verbreiterung der Quellenbasis ist dann besonders für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gegeben, unter anderem durch die einsetzenden Adressbücher mit Angaben zu Hausbesitz, Untermieter, Wohnung, Gewerbe, Beruf u.a. Eine wesentliche Aufgabe ist bei der Heranziehung und Auswertung die Quellenkritik, der nicht immer deutlich genug nachgegangen wird.24 Die komplexe Problemstellung der archivalischen Quellen zur Sozialtopographie kann hier nur angedeutet werden mit dem Hinweis darauf, auf der Grundlage der bisherigen Arbeit und der zunehmenden Erschließung der städtischen Archivbestände eine systematische und kritische Analyse dieser Quellengattung zu versuchen, mit weiterführenden Hinweisen auf die Möglichkeiten und Grenzen sozialtopographischer Auswertungen unter Einschluss der EDV und GIS-Technologie.25 Fallbeispiele behalten auch hier ihre laufende Bedeutung, die Forschung ist jedoch nunmehr auch auf übergreifende Fragestellungen zu richten, die einen allgemeinen Beitrag zur Stadtgeschichte leisten können. 5. Beharrung und Wandel der Sozialtopographie im entwicklungsgeschichtlichen Vergleich (Zeitlicher Längsschnitt) Der Quellenbezug der Sozialtopographie ist meist ein Zeitschnitt oder bestenfalls eine Abfolge von Zeitschnitten in mehr oder weniger großen Abständen. Allein die Sekundärquelle von Häuserbüchern, die meist im 17. oder 18. Jahrhundert ansetzen, erlaubt eine grundstücksweise Verfolgung von Längsschnitten. So ist die Beobachtung von Konstanz oder Wandel vornehmlich auf den Vergleich von Zeitschnitten angewiesen26, die in der Quellenbasis und Quellenaussage oft auch voneinander abweichen. Grundlegend für Konstanz oder Wandel der Sozialtopographie sind zunächst die topographischen Entwicklungen der Stadt (innerstädtisches Wachstum, Brände, Neuordnungen, Parzellenteilungen u.a.), um deren Erhellung traditionell und zunehmend verfeinert die stadtgenetische und die stadtarchäologische Forschung bemüht ist und deren Ergebnisse hier heranzuziehen sind. Wesentlich ist aber auch der Wandel im wirtschaftlichen und sozialen Gefüge (Zunahme oder Regression, innerstädtische Verlagerungen, Wandel der sozialen Hierarchie u.a.), was sich auch auf Veränderungen in der Sozialtopographie auswirkt. Hierzu gehören auch der
24 Kroll 1995 (wie Anm. 20). 25 Kroll, S.; Pápay, G.: Die Anwendung der multimedialen GIS in der Geschichtswissenschaft am Beispiel der Sozialtopographie Stralsunds 1706/07.– In: Geographische und historische Beiträge zur Landeskunde Pommerns. Schwerin 1998, S. 189–194. 26 vgl. als Beispiel: Degn 1983 (wie Anm. 5).
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Wechsel der Generationen und Verwandtschaftsbeziehungen (Erbgänge, Eheschließungen) wie auch Vorgänge einer innerstädtischen Mobilität.27 Häufig ist eine erstaunliche sozialräumliche Konstanz beobachtet worden, die sogar Veränderungen im topographischen Gefüge der Stadt überstehen. Dies hängt wesentlich mit gegebenen Standortqualitäten, aber auch mit Beharrungen im sozialen Gefüge zusammen. Dabei sind konstante Elemente in besonderer Weise herauszuarbeiten. Im Wandel sind kurzfristig verändernde Eingriffe und langfristiger ablaufende Wandlungsprozesse der Raumstrukturen voneinander abzuheben. Allgemein zu beobachtende Veränderungen ergeben sich bspw. mit der Einrichtung oder dem Abbruch eines Gewerbes wie auch mit den Schwankungen der Bedeutung oder Konjunktur eines Handwerkes, womit auch stets die allgemeine wirtschaftliche und soziale Entwicklung auf statistischer Basis erläuternd mit heranzuziehen ist. Räumlich ausgeprägte Sozialstrukturen haben eine Tendenz der Tradierung, die jedoch auch Störungen unterworfen ist, die das Bild deutlich verändern können. 6. Räumlich vergleichende Betrachtung und Analyse sozialtopographischer Anordnungsmuster Die weitgehende notwendige Abhängigkeit allgemeiner Problemstellungen im Zusammenhang mit Vergleichen von der Vorgabe grundlegender Einzelstudien bedeutet nicht nur eine Einschränkung durch den Forschungsstand, sondern auch ein in der Auswertung und Darstellung sehr heterogenes Ausgangsmaterial. Die Vergleiche beziehen sich thematisch vor allem auf die Strukturen möglichst zeitgleicher Anordnungsmuster einzelner sozialer Merkmale, wofür die Berufstopographien ein hervortretendes Beispiel sind. Aus den Vergleichen mögen sich spezifische oder typische Anordnungsmuster erkennen lassen, wie dies für einige Gewerbe deutlich der Fall ist (Gerberhäuser, verkehrsorientierte Gewerbe u.a.). Dies wiederum fordert zu Erklärungen von Abweichungen heraus, die das Typische letztlich auch in Frage stellen könnten. Vergleiche dieser Art sind bisher nur in wenigen Arbeiten angestellt worden. Die Vergleiche sollten möglichst auch auf ähnliche Städtetypen bezogen sein, auf Städtetypen einer jeweiligen Größenordnung, auf eine spezifische Genese der Stadt (Mehrkernentwicklung, Planstadt u.a.) sowie auf Städte ähnlicher Funktionen und Wirtschaftsstrukturen (Residenzstadt, Handelsstadt, Handwerkerstadt). So weisen Residenzstädte nicht nur eine recht eigene Sozial- und Berufsstruktur auf, sondern der ordnende und reglementierende Eingriff wird hier weit stärker durchgesetzt als in anderen Städten, was sich in der Topographie der Stadt wie auch in der Sozialtopographie zu erkennen gibt. Insgesamt ist die vergleichende Forschung noch sehr wenig fortgeschritten. 27 Denecke, D.: Aspekte sozialgeographischer Interpretationen innerstädtischer Mobilität im 19. und 20. Jahrhundert: Allgemeiner Forschungsstand und Forschungsbeispiele.– In: Heineberg, H. (Hrsg.): Innerstädtische Differenzierung und Prozesse im 19. und 20. Jahrhundert. Köln 1987, S. 133–157.
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III. Historische Geographie der Stadt
7. Die Sozialtopographie in der Denkmalpflege und Stadtsanierung, in Museen und in der bildungstouristischen Vermittlung Denkmalpflege und Stadtsanierung sowie eine museale Präsentation von Stadtgeschichte sind objektbezogen ausgerichtet auf die physische Struktur der Gebäude und des Stadtbildes, Strukturforschung und zu gestaltendes Objekt stehen im Vordergrund der Bemühungen. Plan, Modell und Ausstattung präsentieren die Geschichte der Gestalt von Stadt und Haus im Museum. Kaum beachtet und in Überlegungen einbezogen wird die raumwirksame Sozialstruktur, der räumliche und sichtbare Ausdruck der sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe. Dabei stecken allein in der Art, Gestalt und Ausstattung eines Gebäudes auch wesentliche soziale Aussagen, die zu verdeutlichen sind.29 Für die Nutzungsgeschichte, die Einschätzung der Qualität wie auch besonders die denkmalpflegerische Bewertung eines Gebäudes ist die Sozialgeschichte eines Hauses und seiner Bewohner durchaus von Bedeutung. Aber darüber hinaus sind auch die sozialräumlichen Zusammenhänge im Stadtbild zu verdeutlichen, im Rahmen einer denkmalpflegerischen Grundlagenforschung, wozu vor allem die Denkmaltopographien und die Ortskernatlanten der Landesdenkmalämter gehören, in die sozialtopographische Ausarbeitungen und Darstellungen Eingang finden müssen. Aber auch in der konkreten Stadtsanierung selbst, wo es um Erhalt und Restaurierung von Gebäuden geht, sind sozialtopographische Traditionen und Charakteristika in die Erhaltungs- und Gestaltungskonzepte miteinzubeziehen, die durch sozialtopographische Forschungen erarbeitet werden30. Stadtgeschichtlich und bildungstouristisch sind die historischen Entwicklungen der Sozialtopographie einer Stadt bis in die Gegenwart hinein auch museal in Plänen und Modellen zu veranschaulichen, wozu es erst wenige Ansätze gibt.31 Gerade die räumliche Konkretisierung und Veranschaulichung sozialer Strukturen macht komplexe soziale Geschichte leichter erfahrbar und trägt wesentlich bei zu einem 29 Kaspar, F.: Bauen und Wohnen in einer alten Hansestadt. Zur Nutzung von Wohnbauten zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der Stadt Lemgo. Bonn 1985 (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen; 9). Kaspar, F.: Bau- und Raumstrukturen städtischer Bauten als sozialgeschichtliche Quellen. Dargestellt an bürgerlichen Bauten des 14. bis 18. Jahrhunderts aus Nordwestdeutschland.– In: Schuler, P.-J. (Hrsg.): Die Familie als sozialer und historischer Verbund. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur frühen Neuzeit. Sigmaringen 1987, S. 165–186. Kaspar, F.: Gebaute Realität und ihr wissenschaftliches Abbild. Stand und Aufgaben historischer Hausforschung in Nordwestdeutschland.– In: Westfälische Forschungen, 39, 1989, S. 543–573.–Technologie auf Braun, F.: Hausbau in Mölln im 17. und 18. Jahrhundert. Zusammenhänge zwischen Baubestand, Wirtschaftsstruktur und Sozialtopographie einer norddeutschen Kleinstadt. Neumünster 1994 (Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins; 23). 30 Denecke, D.: Soziales Stadtgefüge und Denkmalpflege.– In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 1988/ 4, S. 151–154. 31 Jakob, V.; Köhn, G.: Wege zu einem mittelalterlichen Stadtmodell. Sozialtopographische Ermittlungen am Beispiel Soest.– In: Jäger, H. u.a. (Hrsg.): Civitatum Communitas. Köln 1984 (Städteforschung A 21, 1), S. 296–308.
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werdenden Bewußtsein für eine soziale Bedeutung des Ortes und räumlicher Beziehungsgefüge. 8. Schlussbemerkung Der historisch-geographische Betrachtungsansatz einer Sozialtopographie geht aus von einer raumspezifischen Differenzierung des innerstädtischen Raumgefüges als Lebensraum der städtischen Bevölkerung. Ausgangspunkt sind die sozialen und funktionalen Merkmale der kleinsten räumlichen Einheiten, der Wohnstandort, das Haus, der Grundbesitzer und die Familie. Von hier aus ergeben sich in der gruppierenden Zusammenschau räumliche Anordnungs- und Verbreitungsmuster, deren Erscheinung, Ursachen und Veränderungen im zeitlichen Ablauf zu analysieren sind. Ausgang und Ziel der Fragestellung sind nicht abgegrenzte Raumeinheiten der formalen Genese, der Organisation oder Verwaltung, es sind soziale Raumgefüge und Raumbeziehungen im privaten wie im öffentlichen Raum. Von hieraus bekommen der Wohnort und Wohnstandort, das Wohnumfeld und der Aktionsraum, die Nachbarschaft, die Straße und das Quartier die Qualität von Lebensräumen, zu deren Bedeutung und geschichtlicher Erhellung die sozialtopographische Rekonstruktion und Analyse beitragen soll. Wer wohnt und arbeitet wo, warum und in welchem räumlichen Zusammenhang, welches Beziehungsgefüge besteht zwischen dem Wohnstandort und sozialen Ordnungen und Verflechtungen in der Lebensgemeinschaft der städtischen Gesellschaft. Dies sind Fragestellungen einer sozialgeschichtlichen Forschung, die zu einem dynamischen sozialräumlichen Betrachtungsansatz führen und die über die Rekonstruktion und Konstruktion und die Analyse sozialer Gruppenstrukturen sowie die Interpretation des ganzheitlichen Stadtkörpers und seiner Teilbereiche hinausgehen. Die sozialtopographische Forschung ist mit anderen sozialräumlichen Fragestellungen zu verknüpfen, so mit der sozialgeschichtlichen Untersuchung der Straße, der Umweltgeschichte der Stadt oder der historischen Stadtteilforschung. Wenn die Einzeluntersuchung auch deutlich auf den jeweiligen Zeitschnitt bezogen und auch in diesem zeitlichen Kontext zu interpretieren ist, so ist die allgemeine Diskussion doch auch auf die historische Gesamtentwicklung zu beziehen, aus der sich auch die besonderen Problemstellungen deutlicher ergeben. Wesentlich sind auch vergleichende Betrachtungen spezifischer Problemstellungen, die allerdings weitgehend von grundlegenden Untersuchungen einzelner Städte ausgehen müssen. Wenn auch die Quellenlage und die Forschungsmöglichkeiten ein zu erreichendes Bild deutlich einschränken, so verspricht doch der weiterführende Ansatz der Fragestellung reiche neue Erkenntnisse, wie dies aus den bisherigen Einzelstudien und der regen allgemeinen Diskussion der Thematik deutlich hervorgeht. Die Sozialgeschichte erhellt mit der sozialtopographischen Forschung eine räumlich-dynamische Komponente.
IV. VERKEHR UND ALTSTRASSEN ALS BEREICHE DER WIRTSCHAFTS- UND VERKEHRSGEOGRAPHIE DER HISTORISCHEN KULTURLANDSCHAFT 1. ZUR ENTSTEHUNG DES VERKEHRS* 1. Verkehr – eine raumwirksame Grunddaseinsfunktion „Zur Entstehung des Verkehrs“ – diese Thematik klingt sehr allgemein, einfach, vielleicht sogar nichts sagend, in dem gegebenen Zusammenhang entfalten sich jedoch aus ihr sehr vielseitige Perspektiven, Gedanken, Reflexionen, Anstöße und erklärende Einblicke, die die grundlegende Bedeutung der historischen Dimension des Verkehrsgeschehens und seiner räumlichen Auswirkungen einst und jetzt wie auch im Verlauf der Entwicklung ins Bewusstsein rufen. Verkehr – das heißt Bewegung, Transport und Vermittlung im Raum von einem Ort zum anderen, ist eine Grunddaseinsfunktion des menschlichen Lebens und Tuns, die zugleich – wie das Siedeln und Wirtschaften – in höchstem Maße raumwirksam ist und zwar in dreifacher Weise: 1. In Form der Verkehrsbewegung, des Verkehrsablaufes, der Verkehrsbewältigung, der Verkehrsorganisation. 2. In der Form der raumgestaltenden Verkehrswege und Verkehrseinrichtungen, bis hin zu verkehrsbestimmten Verkehrslandschaften. 3. In der Form der durch den Verkehr beeinflussten Ausgangs- und Zielorte, der Verkehrsknoten, der zentralen Orte, das heißt letztlich: der Städte. Verkehr ist eine lineare Fortbewegung im Raum, von einem Ausgangsort zu einem Zielort und in den meisten Fällen auch zum Ausgangsort zurück, zu Lande, zu Wasser wie auch in der Luft, die eine Organisation, Logistik und Strategie hervorruft und für die adäquate Verkehrsbahnen, Verkehrseinrichtungen und Verkehrsorganisationen (Verkehrsträger) geschaffen werden. Teilhaber am Verkehr sind Verkehrsteilnehmer, die aus persönlichen Gründen einen Ortswechsel mit geplanten Zielorten vornehmen möchten (Personenverkehr) wie auch Transporteure von Gütern und Waren (Güterverkehr). Verkehr ist eine räumliche Bewegung, ein dynamisches System eines räumlichen Austausches, räumlicher Bewegungen und Beziehungen, bei dem ein Reiseoder Transportweg zurückgelegt wird, von einem Ort zum anderen. Die Entfernung zum Zielort und der Reiseweg sind die immanenten raum-zeitlichen Elemente oder Dimensionen. In unseren Tagen wird die einst bedeutendere Raumqualität des Verkehrs verdrängt durch die Dimension der Zeit und des Zeitaufwandes. Nicht der zu *
Zur Entstehung des Verkehrs. In: Niederstätter, A. (Hrsg.); Stadt-Strom-Straße-Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaft Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas, 16, Linz, 2001, S. 1–25.
1. Zur Entstehung des Verkehrs
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durchmessende Raum und Weg, sondern die benötigte Zeit zur Raumüberwindung wird wahrgenommen. Wie lange bin ich hier, wann bin ich dort, wann kommt eine Sendung an, dies sind die heutigen Kategorien, mit denen eine Bewegung im Raum erfahren und gemessen wird. Vorläufer dieser Zeitstrukturen des Verkehrs waren die Stundensäulen der fahrenden Post im 18. Jahrhundert und dann die Kursbücher und Fahrpläne der Eisenbahn mit ihren präzisen Abfahrts- und Ankunftszeiten. Verkehrsfluss, Verkehrsaufkommen, Reisezeit und Kommunikation zwischen entfernten Orten haben sich entscheidend gewandelt durch die technische Entwicklung der Transportmittel wie auch durch die modernen Möglichkeiten einer Kommunikationstechnik. Diese Technisierung des Verkehrs hat nicht nur die Entfernungen, den Zeitaufwand der Raumüberwindung schrumpfen lassen, sondern sie hat auch zu einem enormen Anstieg von Verkehr und Kommunikation beigetragen. Die technische Entwicklung der Verkehrsmittel lässt weiteren und vermehrten Verkehr entstehen. 2. Die Anfange einer wissenschaftlichen Thematisierung des Verkehrs Fragen wir nach der Entstehung oder frühen Entwicklung einer allgemeinen und wissenschaftlichen Thematisierung, Definition und Analyse des Phänomens Verkehr, indem wir frühe Universallexika des 17. und 18. Jahrhunderts heranziehen, so müssen wir die erstaunliche Feststellung machen, dass wir zu dem Begriff „Verkehr“, wie wir ihn heute verstehen, nahezu nichts finden. Im „Großen vollständigen Universallexikon aller Wissenschaften und Künste“ von Johann Heinrich Zedler1 steht ganz lapidar: „Verkehr oder Verkehrung, ist soviel als ein Tausch“ und im „Versuch eines vollständigen, grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ von Johann Christoph Adelung2 lesen wir: Verkehr- „ein [ … ] im gemeinen Leben übliches Wort, [ … ] den Handel und Wandel zu bezeichnen. Es ist vieler Verkehr an einem Orte, wenn viele Wahren daselbst verkehret oder abgesetzet werden, vieler Handel und Wandel daselbst“. Immerhin, hier wird der ursächliche Zusammenhang zwischen Verkehr und Warentausch oder Handel greifbar, das heißt Verkehr im Sinne eines Warenverkehrs (Verkehr als „in Bewegung gesetzte Wirtschaft“). Erst im 19. Jahrhundert erweitert sich der Begriffsinhalt, bezogen auf die Bewegung und den Transport im Raum, auf ein Netz von Transport- und Reisewegen zwischen Ausgangs- und Zielorten. In diesem Sinne wird der Verkehr im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem von geographischen Wissenschaftlern thematisiert. Ein in der Sache bedeutender, ja bahnbrechender, aber bis heute kaum bekannter Pionier einer systematischen und theoretisch fundierten Verkehrsgeographie war Johann Georg Kohl 1 2
H. Zedler: Großes vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Leipzig 1746, Nachdruck Graz 1982. C. Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart. Leipzig 1780.
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
(1808 bis 1878) mit seinem 1841 erschienenen Werk „Der Verkehr und die Ansiedelungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Gestaltung der Erdoberfläche“. Der Denkansatz Kohls geht hier aus von einer unmittelbaren geodeterministischen Abhängigkeit des Siedlungsmusters und des verbindenden Verkehrsnetzes von der Reliefgestalt und dem Gewässernetz, was unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Begründung der geographischen Lage von Städten in einem späteren Werk noch weiterentwickelt wird .3 In der Erklärung von Verkehrsbeziehungen selbst geht Kohl dann allgemein davon aus, dass die Standortbindung und Verbreitung von Rohstoffen und Naturprodukten zur Expansion weltweiter Besiedlung, zu Verarbeitung und Handel, zu Bevölkerungskonzentrationen und zur Städtebildung geführt haben .4 Die Gedanken Kohls waren in der wissenschaftlichen Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsgeographie der Zeit weit voraus und hatten in seiner Zeit wie auch danach kaum eine Wirkung.5 Grundlegende allgemeine Arbeiten zur Verkehrsgeographie mit einer durchaus auch historischen Perspektive entstanden dann seit der Jahrhundertwende.6 Allgemeinere Arbeiten zur Verkehrsgeschichte sind vornehmlich auf einzelne Epochen und Regionen bezogen.7 Für Österreich sind besonders in den fünfziger und sechziger Jahren grundlegende Arbeiten zur Verkehrs-, Zoll- und Handelsgeschichte sowie zur Entwicklung des Straßennetzes beigetragen worden.8 In der Folgezeit ist dann in Österreich zur 3 4
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G. Kohl: Die geographische Lage der Hauptstädte Europas. Leipzig 1874. G. Kohl: Die natürlichen Lockmittel des Völker-Verkehrs. Bemerkungen über die wichtigsten rohen Naturprodukte, welche die Ausbreitung des Menschengeschlechts über den Erdboden gefördert, zu Länderentdeckungen, Ansiedlung, Colonien-Stiftung und Städtebau Veranlassung gegeben und in der Geschichte der Geographie eine hervorragende Rolle gespielt haben. In: Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins Bremen, 5, 1877, S. 196–287. G. Kohl bekam 1849 durch die Vermittlung von Karl Ritter das Angebot, einen neu eingerichteten Lehrstuhl für Geographie an der Universität Graz zu übernehmen. Er hat sich jedoch dafür entschieden, sich vornehmlich der Reiseschriftstellerei zuzuwenden, wozu auch sein fünfteiliges Reisebuch über Österreich gehört: G. Kohl: Hundert Tage auf Reisen in den Österreichischen Staaten. Dresden 1842. K. Ludwig: Grundriß der Verkehrsgeographie. Wien 1911. – K. Hassrt: Allgemeine Verkehrsgeographie. Berlin 1913. – O. Blum: Die Entwicklung des Verkehrs. Berlin 1941. Zum Verständnis des „Wesens des Verkehrs“ in den zwanziger und dreißiger Jahren siehe besonders K. Hassert: Allgemeine Verkehrsgeographie. 2. Aufl. Berlin 1931, S. 1–24. A. C. Leighton: Transport and Communication in Early Medieval Europe AD 500-1100. Newton Abbot 1972. H. Wopfner: Die Wandlungen im Verkehrsnetz der Ostalpenländer. In: Geographischer Jahresbericht aus Österreich, 19, 1933, S. 362–418. – H. Kreitmeyer: Die Entwicklung des Verkehrswesens in Niederösterreich unter Maria Theresia und Joseph,11. Wien 1949. -H. K1ein: Der Saumhandel über die Tauern. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 90,1950, S. 37–114. – 0. Sto1z: Geschichte des Zollwesens, Verkehrs und Handels in Tirol und Vorarlberg von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. (Schlern-Schriften 108, Innsbruck 1953). – 0. Sto1z: Quellen zur Geschichte des Zollwesens und Handelsverkehrs in Tirol und Vorarlberg vom 13. bis 18. Jahrhundert. (Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit 10, Wiesbaden 1955). – E. Popelka: Die Alpenstraßen im Mittelalter. In: Zeitschrift des historischen Vereins für Steiermark, 47, 1956, S. 3–10. – F. Huter: Das historische Verkehrsnetz und die Einrichtungen des älteren Verkehrswesens in Tirol. In: Hundert Jahre Tiroler
1. Zur Entstehung des Verkehrs
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regionalen wie auch übergeordneten Verkehrsgeschichte weit weniger gearbeitet worden, was auch für den deutschen Raum gilt. Zur Verkehrsgeschichte des engeren Bodenseeraumes und des Arlberggebietes liegen wenige spezielle Arbeiten vor.9 3. Die Fragestellung der Entstehung von Verkehr Die Problemstellung der „Entstehung des Verkehrs“ richtet sich hier auf die Frage der gegebenen wie auch der gesteuerten Ursachen des Verkehrs, auf die Notwendigkeit und das Bedürfnis, auf eine planmäßige wirtschaftspolitische und technische Entwicklung, Förderung oder Einschränkung von Verkehr. Unter diesen Gesichtspunkten der Verkehrsbewegungen selbst soll aber auch dem Verkehrsnetz und seinen Knotenpunkten, den Städten, eine gewisse Aufmerksamkeit gewidmet werden. Fragen wir allgemein nach der Entstehung des Verkehrs, so mögen damit zunächst nur frühe Anfänge von Verkehrsbewegungen im Sinne einer historischen Entwicklungsgeschichte gemeint sein, was hier jedoch nur an zweiter Stelle behandelt wird. Hier soll es vielmehr um das Ursachengefüge des Verkehrs gehen, um Verkehrsentwicklung als Prozess, eine Fragestellung, die in der bisherigen verkehrsgeschichtlichen Forschung, die wesentlich auf den Verkehrsweg und die Verkehrseinrichtung, auf Verkehrstechnik, auf Verkehrsströme und auf Verkehrspolitik gerichtet ist, viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Die Frage nach den Prozessen einer Verkehrsentstehung geht den verkehrlichen Auswirkungen nach, die durch
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Verkehrsentwicklung 1858-1958. (Tiroler Wirtschaftsstudien 10, Innsbruck 1961), S. 19–36. – H. Hassinger: Zollwesen und Verkehr in den österreichischen Alpenländern bis um 1300. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 73, 1965, S. 292–361.-Ders.: Der Verkehr über Brenner und Reschen vom Ende des 13. bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. (Tiroler Wirtschaftsstudien, 26, Innsbruck 1969), S. 137–194. – H. Jandaurek: Die Altstraßen an der unteren Enns und im Raume von Steyr. In: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs, 3,1954, S. 104–139. – P. W. Roth: Beiträge zur Handels- und Verkehrsgeschichte. In: Grazer Forschungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 3, 1978. – U. Lindgren (Hrsg.): Alpenübergänge von Bayern nach Italien 1500-1800: Landkarten-Straßen-Verkehr. München 1986. – H. Hassinger: Geschichte des Zollwesens, Handels und Verkehrs in den östlichen Alpenländem vom Spätmittelalter bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. (Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit 16, München 1987). – G. 0truba: Zur Geschichte des neuzeitlichen Verkehrswesens in Österreich vor den Eisenbahnen. (Linzer Schriften zur Sozial und Wirtschaftsgeschichte 21), Linz 1988. – Die Erschließung des Alpenraumes für den Verkehr im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, N. F. 7, Bozen 1996). B. F. Kurz: Verkehrsgeschichte des Arlbergs. Kufstein, 1899. – O. Stolz: Verkehrsgeschichte des Arlbergs im Mittelalter. In: Montfort, 4, 1949, S. 1–10. – M. Tiefenthaler: Feldkirch und sein Verkehr. In: Montfort, 20,1968, S. 42–62. – K. H. Burmeister: Der Bodensee in der Vorarlberger Verkehrspolitik im 19. Jahrhundert In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte, 49, 1990, S. 229–235. – G. Grabherr: Drei römische Straßen zwischen Brigantium und Ad Rhenum. In: Jahrbuch Vorarlberger Landesmuseumsverein, 1997, S. 67–80. – A. Niederstätter (Hrsg.): Zwischen Bodensee und Alpen – Die Verkehrslandschaft Vorarlberg. (Exkursionen des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, 15, Linz 1999).
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
Verkehrsbedürfnisse initiiert werden, im Sinne einer Folgeforschung. Motivation und Verkehrsbedürfnis, Ursache und Wirkungsgefüge treten in den Mittelpunkt der Fragestellung. Geht man der Frage nach einer Entstehung und Entwicklung von Verkehr nach, vor allem unter räumlich-geographischen und landschaftsgebundenen Aspekten, so sollte man letztlich auch einen kurzen Blick auf die Zeugnisse des historischen Verkehrs, auf die Wegerelikte, auf historische Linienführungen, Trassen und Straßennetze sowie auf die historischen Verkehrsbegleiter werfen, auf die traditionelle Altstraßenforschung, die auf der Grundlage von Geländearbeit und der Auswertung von Archivalien historische Wegetrassen und Verkehrsnetze zu rekonstruieren versucht. Hierzu liegen zahlreiche kleine Einzelstudien, aber auch umfangreichere Regionalstudien von allgemeinerer Bedeutung vor, besonders für den deutschen Raum,10 für Österreich11 wie auch für die Schweiz,12 auf die hier nur allgemein verwiesen sei. Dieser im Ansatz sehr weitgespannte Überblick zu einer weiterführenden Fragestellung einer allgemeineren geschichtlichen Betrachtung der Entwicklung von Verkehr ist vornehmlich auf die Entwicklungen und Forschungen im mitteleuropäischen Raum bezogen, wobei in besonderer Weise auch immer wieder auf den Alpenraum und Österreich hingewiesen wird. I. DIE ENTSTEHUNG VON VERKEHRSSPANNUNGEN UND VERKEHRSBEDÜRFNISSEN Verkehrsspannungen und Verkehr zwischen entfernten Räumen und Orten entstehen dort, wo die einzelnen Grunddaseinsfunktionen Arbeiten, sich Versorgen, sich Erholen wie auch ein Kommunizieren am Wohn- und Lebensstandort nicht allein, nicht ausreichend und nicht befriedigend erfüllt werden können. Es entstehen in 10 F. Bruns – H. Weczerka: Hansische Handelsstraßen. (Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte, N. F. 13, Köln 1962/67). – H. C. Poeschel: Alte Fernstraßen in der mittleren Westfälischen Bucht. (Spieker 17, Münster 1968). – D. Denecke: Methodische Untersuchungen zur historisch-geographischen Wegeforschung im Raum zwischen Solling und Harz. (Göttinger Geographische Abhandlungen 54, Göttingen 1969). – H. P. Schäfer: Die Entwicklung des Straßennetzes im Raum Schweinfurt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. (Würzburger Geographische Arbeiten 44, Würzburg 1976). – D. Denecke: Methoden und Ergebnisse der historisch-geographischen und archäologischen Untersuchung und Rekonstruktion mittelalterlicher Verkehrswege. In: Geschichtswissenschaft und Archäologie, hrsg. v. H. Jankuhn – R. Wenskus. (Vorträge und Forschungen 22, Sigmaringen 1979), S. 433–483. – W. Asmus (Hrsg.): Die Entwicklung des Verkehrs in Schleswig-Holstein 1750-1918. Neumünster 1996. 11 P. Csendes: Die Straßen Niederösterreichs im Früh- und Hochmittelalter. (Dissertationen der Universität Wien, 33, Wien 1969). 12 F. Moser: Das Straßen- und Schifffahrtswesen der Nordostschweiz im Mittelalter. In: Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte, 68, 1931, S. 1–128. – K. Aerni: 1000 Jahre Siedlung und Verkehr im Schweizerischen Alpenraum: Voraussetzungen und Ergebnisse. In: Siedlungsforschung, 8, 1990, S. 9–42. – Ders.: Ziele und Ergebnisse des Inventars der historischen Verkehrswege der Schweiz. In: Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, N. E 7, Bozen 1996, S. 61–84.
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den meisten Fällen sich wiederholende Verkehrsbeziehungen, es bilden sich Verkehrsbahnen, es werden Verkehrseinrichtungen angelegt. Standen sich in den frühen Zeiten und in Räumen einer dispersen ländlichen Siedlungsstruktur eine weitgehend sesshafte bäuerliche Subsistenzgesellschaft und eine kleine Gruppe von Fernwanderern gegenüber, so führte die Bildung von zentralen Orten und Städten zu einer Differenzierung der Verkehrsspannungen in Fernverkehrsbeziehungen und Nahverkehrsbeziehungen. Letztere lassen sich auch als Einzugs- bzw. Verteilerbereiche eines zentralen Ortes räumlich umschreiben. Diese doppelte, aber unterschiedlich bedingte Verkehrsspannung ist auch heute für jeden größeren zentralen Ort gegeben und in seiner Auswirkung und Bedeutung allgemein nur schwer voneinander zu trennen. Mit dem Wachstum eines zentralen Ortes wachsen auch allgemein seine Verkehrsspannungen. Randbereiche von Siedlungsräumen weisen die geringsten Verkehrsbedürfnisse auf, bzw. ihre Verkehrsanbindung ist oft nur gering ausgebildet. Welche räumlich-funktionalen Differenzierungen und Bedürfnisse lassen nun einen Verkehr, eine Mobilität wie auch einen Transport entstehen? 1. Rohstoff- und Gütertransport: Handel und Versorgung Die Versorgung mit vor allem nichtagrarischen Rohstoffen und Gütern bedingt grundlegend einen Transport und Verkehr über größere Entfernungen hinweg. Diese Notwendigkeit oder dieses Bedürfnis nach einer Deckung von Defiziten aus benachbarten und auch weit entfernten Räumen hat schon seit prähistorischer Zeit einen Verkehr und Transport von Rohstoffen und Produkten entstehen lassen. Im Laufe der Geschichte bis heute hat dieser Transportverkehr der Versorgung, des Tausches oder Handels, den man als grundlegenden und historisch weit zurückreichenden Typ jeden Verkehrs ansehen kann, verschiedenste Phasen von Innovationen und Erweiterungen durchlaufen. In prähistorischer Zeit sind es meist in kleineren Mengen aus oft erstaunlich weit entfernten Rohstofflagern transportierte Gesteine für die Herstellung von Werkzeugen und Geräten, Bernstein, Erze, Metalle oder auch Salz, die einen Handelsverkehr entstehen ließen.13 Verfeinerte mineralogische Methoden haben in jüngerer Zeit vermehrt genaue Zuweisungen von Fundstücken zu den Herkunftslagerstätten ermöglicht, was uns zunehmend recht frühe und oft sehr weite Verkehrsverbindungen erschließt. Hier wäre einmal eine Zusammenstellung des weit verstreuten archäologisch und naturwissenschaftlich untersuchten Belegmaterials sehr wünschenswert, vor allem für die Erhellung früher Verkehrsbeziehungen bzw. der Entstehung früher Verkehrsspannungen. In der Römer- und Merowingerzeit kommen Orientgüter, Keramik, Glas, Wein und viele weitere Konsumgüter hinzu, der Wirtschafts- und Handelsraum erweitert sich mit der Expansion des Römischen Reiches und über dieses hinaus, womit auch 13 J. Werner: Fernhandel und Naturalwirtschaft im östlichen Merowingerreich. In: Settimane di studio Spoleto, 8,1960/6, S. 557–618.
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
in einem politischen Großraum recht unterschiedliche Wirtschafts- und Produktionsgebiete eingeschlossen sind, die untereinander in einen Rohstoff- und Produktenaustausch treten. Um die städtischen Zentren und Militärlager herum entstehen nahzentrale Wirtschaftsräume und Verkehrsbeziehungen, die – so schwer sie auch zu belegen sind – zunehmend in der archäologischen Forschung Beachtung finden. Unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsbedarfs im Zuge einer Versorgung mit Rohstoffen und eines Transportes von Gütern tritt im Mittelalter besonders das rasch wachsende Städtenetz mit den zugehörigen Märkten als verkehrsinduzierend hervor. Der Gegensatz zwischen den Städten als Verarbeitungs- und Produktionszentren und als Umschlagplätze für Güter aus anderen Gebieten und andererseits dem ländlichen Umfeld als Rohstoff- und Versorgungslieferant wie auch als Absatzgebiet bedingt eine drastische Erhöhung des Verkehrsbedarfs. Der Verkehr und Transport wird im Fernverkehr geleistet von den Kaufleuten und Fuhrleuten, aber auch – im Nahverkehr – von den Bauern, die sich zunehmend auf eine Land-Stadt-Verkehrsbeziehung einstellen. Für Österreich sind historisch vor allem Salzproduktion und Salzhandel14 sowie der Transport von Eisen15 und Kupfer mit eigenen Salz- und Eisenstraßen von Bedeutung gewesen, was sich auch sehr deutlich in einer gezielten Forschung auf diesem Gebiet niedergeschlagen hat. An Rohstoff und Produktionszentren gebundene spezifische Fertigprodukte (Eisengeräte, Glas, Töpferwaren usw.) sind ebenfalls über ein oft weitgespanntes Handelsnetz verbreitet worden.16 In diesen Zusammenhang gehört letztlich auch der historisch sicher weit zurückreichende, aber besonders im 19. Jahrhundert weit verbreitete Wander- und Hausierhandel mit speziellen regional gebundenen Produkten, deren notwendiges Verhandeln in einem weiten Absatzraum auf dem Lande wie auch in der Stadt zu einem ganz eigenen System eines Verkehrsaufkommens geführt hat.17 Die spezialisierte Massenproduktion hochwertiger Gebrauchsgüter in einem engen Raum war unmittelbar verbunden mit der notwendigen Entwicklung eines eigenen Absatz- und Handelsnetzes bzw. eines Transportsystems. 14 H. Heineken: Der Salzhandel Lüneburgs mit Lübeck bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts. (Historische Studien 63, Berlin 1908). – F. Treme1: Die Salz- und Eisenstraßen in der Steiermark. Graz 1968. – H. Knitt1er: Salz- und Eisenniederlagen. Rechtliche Grundlagen und wirtschaftliche Funktion. In: Österreichisches Montanwesen. Hrsg. v. M. Mitterauer. Wien 1974, S. 199–234. – L. Maier: Salzstraßen in Bayern. In: Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur, 29, 1995, S. 280–287. 15 Newald: Ein Beitrag zur Kenntnis der alten Straßenverbindungen des Wieners Beckens zu den obersteirischen Eisenbergwerken und Salinen. In: Blätter für Landeskunde, 1870, 4, S. 282 ff. – K. Kasser: Eisenverarbeitung und Eisenhandel. Die staatlichen und wirtschaftlichen Grundlagen des innerösterreichischen Eisenwesens. Wien-Berlin 1932. – W. Kurz: Der niederösterreichische Eisenhandel unter Maria Theresia und Joseph 11., Wien 1939.-F. Tremel: Der Güterverkehr an der Eisenstraße bei Eisenerz im 16. Jahrhundert. In: Blätter für Heimatkunde der Steiermark 35, 1961, S. 10–15. 16 E. Friess: Zum Ferntransport nieder- und oberösterreichischer Sensenwaren vor der Zollordnung von 1775. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, N. F. 26, 1936, S. 162 ff. 17 G. Thaa: Das Hausiererwesen in Österreich. Wien, 1884. – W. Reininghaus (Hrsg.): Wanderhandel in Europa. (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte 11, Dortmund 1993).
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Ein Ferntransport war über den lokalen zentralörtlichen Markt hinaus aber seit dem Mittelalter auch im agraren Sektor entwickelt. Hingewiesen sei dabei auf Regionen und Epochen eines weit reichenden Getreidehandels,18 auf die Ferntrift von Vieh,19 auf einen weiträumigen Pferdehandel aus besonderen Zuchtgebieten und Märkten heraus20 oder auch auf den Handel mit besonderen Agrarprodukten. Beispielhaft für die Entwicklung eines eigenen Handelsnetzes für ein zunehmend für einen Fernmarkt produziertes Agrarprodukt ist die Innovation einer Hartkäseproduktion in den Alpen, für die ein weiter inneralpiner Transport, besonders in Bergbaugebiete wie auch Ferntransport nach Oberitalien seit dem späten Mittelalter fassbar wird .21 Dies ist ein frühes Beispiel dafür, dass erst die Entwicklung eines konservierten und transportfähigen Produktes zu einem Handels- und Transportgut führte, das dann in der Blütezeit auch zu einem bedeutenden Verkehrsaufkommen beitrug. Sind im Bereich der Gewinnung von Bodenschätzen, der Aufbereitung und der gewerblichen Produktion die Standorte der Vorkommen, der notwendigen Energiespender und der gewerblichen Ansiedlung mit der Konzentration von Betrieben, technischem Wissen und Können, das heißt letztlich die Konzentration der Produktion der Auslöser eines von dort ausgehenden Transports und Verkehrs, so sind es im Bereich des agraren Sektors besonders günstige naturräumlich oder betrieblich bedingte Voraussetzungen oder auch Spezialisierungen in der Produktion, die zu einem Überangebot für einen Markt führen und damit Handel und Verkehr auslösen. Den vom Produktionsort ausgehenden, verkehrsinduzierenden Bedingungen stehen als Zielorte und Absatzgebiete Räume eines erhöhten Bedarfs, Ungunsträume, Räume mit einem Defizit an Gütern und Produkten gegenüber, die einen zuliefernden Verkehr an sich ziehen, der allerdings auch stets einem Wandel unterworfen ist. 18 H. C. Peyer: Zur Getreidepolitik oberitalienischer Städte im 13. Jahrhundert. (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 12, Wien 1950). 19 F. Tremel: Zur Geschichte des Viehhandels aus der Steiermark nach Tirol. In: Siedlung, Wirtschaft und Kultur im Ostalpenraum. Festschrift zum 70. Geburtstag für Fritz Popelka. Graz 1960, S. 95–104. – H. Wiese – J. Bölts: Rinderhandel und Rinderhaltung im nordwesteuropäischen Küstengebiet vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 14, Stuttgart 1966). – 0. Pick1: Routen, Umfang und Organisation des innereuropäischen Handels mit Schlachtvieh im 16. Jahrhundert. In: Festschrift H. Wiesflecker zum 60. Geburtstag. Graz 1973, S. 143–167. – E. Westermann (Hrsg.): Internationaler Ochsenhandel (1350-1750). (Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte 9, Stuttgart 1979). 20 D. Neitzert: Pferdebedarf und Pferdeeinkauf im 15. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Göttingen. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 55, 1983, S. 369–380. 21 N. Grass: Vieh- und Käseexport aus der Schweiz in angrenzende Alpenländer, besonders im 16. und 17. Jahrhundert. In: Wirtschaft des alpinen Raumes im 17. Jahrhundert. Hrsg. von L. Car1en – G. Imboden. (Schriften des Stockalper Archivs in Brig, 40, Brig 1988), S. 113–178.-K. Aerni: 1000 Jahre Siedlung und Verkehr im Schweizerischen Alpenraum: Voraussetzungen und Ergebnisse. In: Siedlungsforschung, 8, 1990, S. 29–33. – S. Pacher: Die Schwaighofkolonisation im Alpenraum: Neue Forschungen aus historisch-geographischer Sicht. (Forschungen zur deutschen Landeskunde 236, Trier 1993), S. 50–57. – W. Schneider: Der Engadiner Schmalz-und Käsehandel in Bozen von 1500–1650. In: Bündner Monatsblatt 1998, 5, S. 299– 333.
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
Ein klassisches Beispiel eines solchen Systems, das Gütertransporte verschiedener Art im gewerblichen wie auch im agraren Bereich auslöst, sind viele Bergbaureviere in argraren Ungunstlagen, deren Bedarf an Lebensmitteln wie auch verschiedenen Rohstoffen von außen her zu decken war.22 In der Neuzeit schieben sich die Ergänzungs- und Handelsräume immer weiter hinaus. Nicht nur die Entfernungen der Lieferanten auf dem Landwege und damit die Handelsräume werden immer weiter, sondern mit den Kolonien bekommen auch ausgewählte Küstenstandorte (Häfen) und der transatlantische Schiffsverkehr eine wachsende Bedeutung. Mit der Industrialisierung in den rasch heranwachsenden Industriestädten setzt dort ein steil ansteigender Massenbedarf an Rohstoffen aus größeren Entfernungen ein, was vornehmlich durch einen Massengüterverkehr auf einem neu ausgebauten Kanalnetz und folgend auf einem Eisenbahnnetz bewältigt wird. Die Städte sind die entscheidenden verkehrsinduzierenden Zentren, sie senden Verkehr aus und sie ziehen Verkehr an, in einem vielfältigen entwicklungsgeschichtlichen Ursachen- und Wirkungsgefüge, das als solches bisher noch kaum systematisch thematisiert worden ist, auf der Ebene der notwendigen, in die Städte hineingerichteten Versorgung mit Gütern23 wie auch der Verkehrsimpulse von Gütertransporten, die aus der Stadt hinausgerichtet sind. 2. Persönliche Beziehungen und Kommunikation Vor unserer modernen Zeit der technischen Nachrichtenübermittlung waren die Menschen und Institutionen darauf angewiesen, Botschaften persönlich zu überbringen oder überbringen zu lassen (Botschaften, Briefzeitungen, Briefe). Das Verwaltungs- und Nachrichtenwesen hat damit bis in das vorige Jahrhundert einen recht bedeutenden Verkehr verursacht und auch eigenständige Verkehrsorganisationen entstehen lassen (Botenanstalten, Gesandtschaften usw.). In das frühe und hohe Mittelalter gehört hierher das Netz der Königsstraßen, der Pfalzen und Königsgüter, das die deutschen Kaiser und Könige im Zuge ihrer Regierungsgeschäfte mit ihrem begleitenden Hofstaat nutzten.24 Durch die an den Aufenthaltsorten ausgestellten, mit Ort und Datum versehenen Urkunden lassen sich die Reiserouten oder Itinerare teilweise rekonstruieren, so dass wir damit auch ein Bild der Reisetätigkeit 22 E. Westermann (Hrsg.): Bergbaureviere als Verbrauchszentren im vorindustriellen Europa. Fallstudien zur Beschaffung und Verbrauch von Lebensmitteln sowie Roh- und Hilfsstoffen (13. bis 18. Jahrhundert). Stuttgart 1997. 23 R. Laufer: Der Handelsbereich des Trierer Marktes im Spätmittelalter. In: Rheinische Vierteljahrsblätter, 22, 1957. – D. Denecke: Beziehungen zwischen Stadt und Land in Nordwestdeutschland während des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Historische Geographie städtischer Zentralität. In: Stadt im Wandel, Bd. 3, hrsg. v. C. Meckseper. Braunschweig 1985, S. 191–218. 24 H. Rieckenberg: Königsstraße und Königsgut in liudolfingischer und frühsalischer Zeit (919– 1056). In: Archiv für Urkundenforschung, 17, 1942, S. 32–154. – W. Metz: Tafelgut, Königsstraße und Servitium regis in Deutschland, vornehmlich im 10. und 11. Jahrhundert. In: Historisches Jahrbuch, 91, 1971, S. 257–291.
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der Könige bekommen.25 Gut organisiert und zum Teil auch schon regelmäßig durchgeführt war im Mittelalter ein Gesandten- und Botenwesen des Reiches, der Städte26 wie auch der großen kirchlichen Orden. Viele größere Städte unterhielten in anderen Städten, mit denen sie in einem näheren Kontakt standen, eigene Unterkünfte oder Herbergen. Vorzüglich organisiert, vor allem aber auch recht vollständig dokumentiert und zugleich bereits wissenschaftlich aufbereitet ist der Botenverkehr des Deutschen Ordens in Ostpreußen.27 Dorsalvermerke auf dem erhaltenen Briefbestand geben Ort, Ankunfts- und Abreisezeit des Boten für jede einzelne durchlaufene Station an, so dass wir hier einmal bereits für das Mittelalter das Verkehrsaufkommen und das Kommunikationsnetz einer Institution und zugleich die Häufigkeit einzelner Verbindungen (Verkehrsfrequenz) zeitlich differenziert quantitativ auswerten können. Regierungstätigkeit, Stadtverwaltungen und Städtebündnisse, Handelsorganisationen, die Kaufmannschaft der Städte mit ihren weit reichenden Handelsbeziehungen,28 die Universitäten29 und andere großräumig vertretenen Korporationen riefen somit schon im Mittelalter einen regen Boten- und Nachrichtenverkehr hervor30 der dann mit der Einrichtung eines regelmäßigen Postverkehrs auf eine umfassende Basis gestellt wurde (1489 Franz von Taxis, unter Maximilian I.; Johann Baptist von Taxis 1520, Generalpostmeister unter Karl V.). Bemerkenswert in Bezug auf einen Kommunikationsverkehr ist auch die Auswirkung der Vielzahl von Territorien und Grundherren und des damit zusammenhängenden Streubesitzes, dessen weit gespannte Administration einen regen Ver25 T. Mayer: Das deutsche Königtum und sein Wirkungsbereich. In: Das Reich und Europa, hrsg. v. P. Ritterbusch-W. Platzhoff. Leipzig1941, S. 51–63. 26 O. Lauffer: Der laufende Bote im Nachrichtenwesen der früheren Jahrhunderte. Sein Amt, seine Ausstattung und seine Dienstleistungen. In: Beiträge zur deutschen Volks- und Altertumskunde,1, 1954, S. 19–60. – H. Gaus: Das Boten- und Gesandtschaftswesen in der ehemaligen Hansestadt Braunschweig. In: Postgeschichtliche Blätter Hannover/Braunschweig, 4, 1980, S. 25–40. 27 P. Babendererde: Nachrichtendienst und Reiseverkehr des Deutschen Ordens um 1400. Königsberg 1913. – Die Postwege des Deutschen Ordens in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, 5 Blätter mit Erläuterungen, hrsg. v. H. G. Mortensen – R. Wenskus. In: Historisch-geographischer Atlas des Preußenlandes. Lieferung 1, Wiesbaden 1968. 28 Janáãek: Die Handelsbeziehungen zwischen Prag und Linz im 16. Jahrhundert. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz, 1960, S. 55–80. – G. Hirschmann (Bearb.): Nürnbergs Handelsprivilegien, Zollfreiheiten und Zollverträge bis 1399. In: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs. Bd. 1. Nürnberg 1967, S. 1–48. – M. Lindemann: Nachrichtenübermittlung durch Kaufmannsbriefe: „Brief-Zeitungen“ in der Korrespondenz Hildebrands Vechinchusens 1398–1428. (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, München 1978). – D. Rübsamen: Das Briefeingangsregister des Nürnberger Rates für die Jahre 1449–1457. (Historische Forschungen 22, Sigmaringen 1967). 29 v. Kirchenheim: Die Universitätsbotenanstalten des Mittelalters. In: Festschrift zur 500-jährigen Stiftungsfeier der Universität Heidelberg. Heidelberg 1886, S. 118 ff. 30 Fuchs: Zum Nachrichten- und Verkehrswesen im Mittelalter am Oberrhein und Bodensee. In: Archiv für Post und Telegraphie, 14, 1886, S. 417–429. – W. Mummenhof: Der Nachrichtendienst zwischen Deutschland und Italien im 16. Jahrhundert. Berlin 1911. -Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.– 14. Jahrhundert). hrsg. v. S. de Rachewiltz – J. Riedmann. Sigmaringen 1998.
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kehr hervorgerufen hat, was bisher nur in wenigen Beispielen genauer untersucht worden ist.31 Das Angebot eines organisierten Postverkehrs über das gesamte Reich, ausgedehnt auf den privaten Bereich, setzte einen regen Briefverkehr in Gang, der im 18. Jahrhundert erste Höhepunkte erreichte.32 Noch viel zu wenig sind erhaltene öffentliche und private Briefwechsel des 18. und 19. Jahrhunderts quantifizierend und in ihrem Verteilerbereich für Fragen der Kommunikation über Verkehrsbeziehungen ausgewertet worden. Mit dem Übergang auch zu einer regelmäßigen Personenbeförderung hat die Post (fahrende Post) auch die Anfänge eines breitere Schichten erfassenden Reiseverkehrs geschaffen. Die Mobilität der Gesellschaft nahm im 18. Jahrhundert deutlich zu und stieg dann nochmals durch die Eisenbahn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und letztlich durch Automobil und Flugzeug jeweils sprunghaft an. Es war vornehmlich das Verkehrsangebot, das den Anstieg der Verkehrsströme unter der damit zusammenhängenden Kommunikation verursachte. Die Auswirkungen lassen sich in vielen verschiedenen Bereichen räumlicher Kommunikationsfelder beobachten: in der räumlichen Erweiterung der Heiratskreise um die Städte herum, in einer vermehrten Berufsspezialisierung und räumlich ausgreifenden Wanderarbeit,33 in einem großräumig expandierenden und besonders auch auf die Städte ausgerichteten Hausiergewerbe oder im Einsetzen einer Pendelwanderung aus dem Umfeld der Städte.34 Privater Personenverkehr im Rahmen einer persönlichen Kommunikation, auch auf größere Distanzen, beruht heute zu einem beträchtlichen Teil auf privaten Besuchen und Heimfahrten am Wochenende, eine Bewegung, die vor allem seit den siebziger Jahren und auch jetzt noch wächst. Statistisch ist dieser Verkehrsanteil schwer zu fassen, so dass auch seine beachtliche Dynamik kaum einzuschätzen ist. Auch der Tagungs- und Kongressreiseverkehr lässt sich in den Bereich der Kommunikation stellen, das Tagungswesen ist ein bedeutender verkehrsinduzierender Faktor, der allgemein in den Zusammenhang des Fremdenverkehrs gestellt wird. In unserer modernen Zeit der Telekommunikation stellt sich im Zusammenhang mit dem Verkehrsaufkommen die Frage, ob diese nicht auch zu einer Rationalisierung und Reduktion von Verkehr führen wird. Gerade auch die noch ständig wachsende Verkehrsnachfrage lässt nach Mitteln zur Verkehrsreduzierung suchen, vor allem im Bereich des täglichen Pendlerverkehrs, durch enorme Anstrengungen einer Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, um damit den Individualverkehr einzuschränken. Aber auch für den Geschäftsreiseverkehr, der durch eine Dezentrali31 G. Thoma. Räumliche Mobilität als Folge von mittelalterlichem Streubesitz: die Beziehungen des Bistums Freiburg zu seinen alpinen Besitzungen. In: Mobilité spatiale et frontières/Räumliche Mobilität und Grenzen. red. v. T. Basset – J. Mathieu. Zürich 1998, S.145–156. 32 E. Effenberger: Geschichte der österreichischen Post. Wien 1913. – Ders.: Die österreichische Post und ihre Reformen unter Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Joseph II. Wien 1916. 33 P. Lourens – J. Lucassen: Arbeitswanderung und berufliche Spezialisierung: die lippischen Ziegler im 18. und 19. Jahrhundert. Osnabrück 1999. 34 K. Haubner: Die Stadt. Göttingen im Eisenbahn- und Industriezeitalter: Geographische Betrachtung der Entwicklung einer Mittelstadt im Zeitraum 1860 bis 1960 (Schriften der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens e. V., Reihe A 175, Hildesheim 1964), S. 27–49.
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sierung und Globalisierung der Produktion eine enorme Steigerung des Verkehrsbedarfs hervorgerufen hat, bietet sich die Alternative der Telekommunikation und der Videokonferenzen an. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass trotz einer Intensivierung der Telekommunikation bei dem steigenden unternehmensinternen Kommunikationsbedarf auch die Zahl der Geschäftsreisen noch immer steigt.35 Als Grund ist die Bedeutung des face to face Kontaktes und gewiss auch die allgemeine Reiselust anzunehmen. 3. Sich Erholen: Reisen und Fremdenverkehr Im Bereich des Erholungs- und Fremdenverkehrs, des religiös bestimmten und des Bildungsverkehrs ist die persönliche, individuelle, gesellschaftliche und sozial differenzierte Motivation der vornehmliche Antrieb einer Mobilität, eines Ortswechsels. Neugierde auf die Fremde und Wissensdurst, Erkundungsdrang, Reiselust, Sehnsucht nach der Ferne und Befriedigung innerer persönlicher Wünsche treibt zum Aufbruch aus der täglichen Umgebung.36 Dieser Zug in die Fremde oder auch an einen schon vertrauten aber doch entfernten Aufenthalts- oder auch Erholungsort fand schon im Mittelalter und dann seit dem 18. Jahrhundert in einem immer zunehmenden Maße einen weiteren Anreiz und wurde angeregt durch Reiseberichte, Reisebücher und Reiseführer, vor allem aber auch durch eine Reisewerbung, denn der Fremdenverkehr ist – vor allem seit dem 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart und auch die nächste Zukunft – ein noch immer wachsender Wirtschaftsfaktor.37 Hier wird Verkehr – besonders seit den siebziger Jahren mit dem Massentourismus – in einem Maße initiiert, welches in vielen Gebieten den geschäftlich und beruflich bedingten Reiseverkehr übersteigt und vor allem auch weltweit Räume in einen Reiseverkehr eingebunden hat die vorher weitgehend im abseits gelegen haben. Zu diesem, in gewissem Sinne ,nutzfreien‘ Verkehr gehören schon im Mittelalter der religiös bedingte Pilger- und Wallfahrtsverkehr 38 bis hin zu seinen modernen Formen (Pilgertourismus),39 die Wallfahrten zu zentralen Heiligtümern, die Entdeckungs-, Forschungs- und Bildungsreisen (Grand Tour) und letztlich die verschiedenen Formen touristischer Reisen, die sich – beginnend im 18. Jahrhundert – in 35 H. Elsasser – S. Rangosch – du Moulin: Verkehrsreduktion durch Telekommunikation? In: Spuren, Wege und Verkehr. Festschrift Klaus Aerni. Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft, Bern 60, Bern 1997), S. 157–169. 36 H. M. Müllenmeister: Lust auf Reisen: Anmerkungen zu Theorien des Tourismus. In: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. v. X. v. Ertzdorff – D. Neukirch. (Cloe-Beihefte zum Daphnis 13, Amsterdam 1992), S. 5–28. 37 Als bibliographische Übersicht zur Geschichte des Fremdenverkehrs siehe: B. Zimmers: Geschichte und Entwicklung des Tourismus. (Trierer Tourismusbibliographien 7, Trier 1995). 38 L. Dietze: Das Pilgerwesen und die Wallfahrtsorte des Mittelalters. Jena 1957. – In: Wallfahrt kennt keine Grenzen. Katalog der Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum 1984. München 1984. 39 H. Kanz: Die Jakobswege als erste Europäische Kulturstraße. Wanderpädagogische Reflexionen. Frankfurt am Main-Berlin 1995.
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ihrer Struktur deutlich in verschiedenen Phasen gliedern lassen. Es waren zunächst weitgehend Einzelreisen, oft verbunden mit der Sammlung von Information und der Gewinnung einer weltoffenen Bildung (Kloster-und Bischofsschulen, Wanderstudenten, Scholaren, Bildungsreisen), die angeregt wurden durch eine Gottgefälligkeit und in der Zeit der Aufklärung durch ein Bildungsideal, das auch in der Form von Reisekollegs und Instruktionen zur Reiseorganisation und -dokumentation an den Universitäten gelehrt wurde.40 Ein Erholungstourismus setzt im 18. Jahrhundert ein mit der Einrichtung von Badeorten (Kurbäder, Gesundbrunnen), gefolgt in der Mitte des 19. Jahrhunderts von der Einrichtung von Seebädern an der südenglischen Küste und von dort angeregt an der französischen Mittelmeerküste und der deutschen Nord- und Ostseeküste. Motiviert war dieser Reiseverkehr durch ein aufkommendes Gesundheitsideal, das zugleich aber auch gesellschaftlich gebunden war. Ein Landschaftstourismus, auch verbunden mit einer gewissen sportlichen Aktivität, entwickelte sich aus einem Bergtourismus (Alpinismus) hin zu einem Wandertourismus und einem Sommerfrischeverkehr. Mit einer geregelten Urlaubs- und Ferienzeit wie auch sozialpolitischen Zielsetzungen waren seit der Mitte der zwanziger Jahre die durchgreifenden Voraussetzungen für einen Massentourismus gegeben, wofür allerdings bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts privatwirtschaftliche, infrastrukturelle Voraussetzungen geschaffen waren:41 1. Massentransport zur ersten Weltausstellung in London 1851 in einer Kooperation der ersten Tourismusorganisation von Thomas Cook mit der Midland Railway; 2. Eisenbahnanschluss und -erschließung der Mittelgebirge als Erholungsräume; 3. Ausbau und Pflege von Wanderwegenetzen; 4. Verkehrsanschluss der Seebäder (Schiffs- und Fährverkehr, Eisenbahndämme); 5. Erschließung der Bergregionen durch Bergbahnen und Liftanlagen; 6. Ausbau von Straßen in touristischen Gebieten mit zugehörigen Infrastruktureinrichtungen. Die Bedeutung des touristisch motivierten Verkehrs in seinem Anteil an der Entwicklung der Verkehrsströme und des ursächlichen Anstoßes zum Ausbau von Verkehrswegen und Verkehrseinrichtungen ist gezielt bisher noch viel zu wenig herausgearbeitet worden. Dies gilt auch für den hier spezifisch zu thematisierenden Zusammenhang zwischen der Geschichte der Stadt und ihrer Gesellschaft und einem touristischen Verkehr. Die Städte waren und sind auch heute noch die zentralen Ausgangspunkte touristischen Reisens, wie dies schon die frühen Gästebücher und Gästelisten der Unterkünfte und frühen touristischen Attraktionen zeigen, die Initiativen und Mitgliederlisten der Wander- und Gebirgsvereine, die in Berlin entstandene Wandervogelbewegung der Jugend und letztlich die Organisation der zahllosen touristischen Großfirmen und Reiseveranstalter in den Städten. Die Impulse, 40 So Johann David Koehler in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an der jungen Universität der Aufkärung in Göttingen. 41 H. R. Scherrieb: Der westeuropäische Massentourismus: Untersuchungen zum Begriff und zur Geschichte des Massentourismus, insbesondere der Verhaltensweisen bundesdeutscher Urlaubsreisender. Würzburg 1975.
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die Nachfrage, die Bewegungen und Verkehrsströme gingen immer wieder von den Städten aus und das Angebot, die Bereitstellung von touristischer Infrastruktur in den Zielregionen ist weitgehend eine Reaktion auf diesen Zustrom aus den Städten. Allerdings hat es auch schon vor den Intercity-Verbindungen immer einen interstädtischen touristischen Verkehr gegeben, der heute im Zuge eines gezielt geförderten Städtetourismus und Stadtmarketings enorm angewachsen ist und die touristischen Ströme auf die Städteverbindungen lenkt. II. VERKEHRSBEEINFLUSSENDE RAUMSTRUKTUREN UND MASSNAHMEN 1. Leitlinien des Verkehrs im Naturraum Machen die entwickelte Technik und ein enormer Kapitaleinsatz es heute möglich, sich bei der Führung der Verkehrswege über auch große natürliche Hindernisse hinwegzusetzen, so folgte der Verkehr bis in das 19. Jahrhundert hinein weitgehend den natürlich vorgezeichneten Leitlinien, die zu einem großen Teil auch heute noch im Netz des Durchgangsverkehrs bestimmend geblieben sind. Bis in das frühe Mittelalter waren in den Mittelgebirgslandschaften die Höhenrücken die Leitlinien der „Hohen Wege“, der First- und Fastwege des Fernverkehrs wie auch – die oft jüngeren – Talrandwege, die „Hellwege“. Erst mit der Herausbildung und Anlage städtischer Siedlungen wurde der Fernverkehr wie auch der zentralörtliche Verkehr in die Talzonen hineingezogen, kleinräumig auch zu Standorten, die wohl für einen Brückenkopf und eine mit einem Wassergraben zu befestigende Stadt günstige Bedingungen boten, für die Passage eines Verkehrs jedoch oft erst künstlich durch Aufschüttungen, Dämme und Brücken ausgebaut werden mussten. Maßnahmen dieser Verkehrslenkung auf die Stadt bzw. auch gezielte verkehrsorientierte Stadtgründungen sind für die Frühzeit vieler Städte archivalisch wie auch historisch nachzuweisen.42 Die weitgehend in das hohe und späte Mittelalter zurückreichenden, an die Talzonen gebundenen Trassenführungen der städteverbindenden Fernstraßen werden in den Grundzügen auch beim Ausbau des Kunststraßennetzes im 18. und 19. Jahrhundert übernommen. Grundlegend an die Tiefenlinien gebunden ist der Verkehr auf den Flüssen und Kanälen43 wie auch sehr wesentlich die Eisenbahn. Die aufwendigen Kanal- und Schleusenbauten und die vielen gescheiterten Kanalbauprojekte im Mittelalter und vor allem in der frühen Neuzeit zeigen die Schwierigkeiten, sich über die natürli42 R. Seitz: Hirschau. Eine Stadtgründung Kaiser Karls IV. an der goldenen Straße?. In: Oberpfälzer Heimat 16,1972, S. 69–82. – Stadtstrukturen an alten Handelswegen im Funktionswandel bis zur Gegenwart. (Schriftenreihe für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen 25, Erlangen 1984). 43 F. Koller: Die Salzachschiffahrt bis zum 16. Jahrhundert. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 123, 1983, S. 1–126. – S. Brönnimann: Die schiff- und flössbaren Gewässer in den Alpen von 1500 bis 1800. Versuch eines Inventars. In: Geschichtsfreund, 150, 1997, S. 119–178.
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
chen Gegebenheiten durch technischen und finanziellen Aufwand hinwegzusetzen.44 Es wäre lohnend, einmal die gescheiterten und steckengebliebenen Kanalprojekte mit den Gründen ihres Scheiterns für den mitteleuropäischen Raum zusammenzustellen. Deutlich haben die natürlichen Voraussetzungen auch die Entwicklung des Eisenbahnnetzes beeinflusst. Die ersten großen Achsen folgten den weiten Tiefenzonen, die Mittelgebirge wurden umgangen und erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden diese den Tälern folgend gequert oder auch nur durch Stichbahnen erschlossen. Auch hier sind manche Projekte aus technischen und finanziellen Gründen letztlich verworfen worden, ein Eisenbahnverkehr kam nicht zustande. Geht man von den natürlichen Voraussetzungen aus, so entstanden Verkehr und Verkehrsanlagen zunächst vornehmlich dort, wo eine Durchgängigkeit gegeben war. Erst ein vor allem seit dem 19. Jahrhundert drastisch zunehmender technischer Aufwand führt die Verkehrsströme auch über größte Verkehrshindernisse hinweg (Brükkenbauten) oder durch sie hindurch (Tunnelbauten) und auch in abgelegene Gegenden hinein, die von Natur aus nur in geringem Maße am Verkehrsgeschehen teilhaben konnten. Stellt man letztlich die Frage – im Rahmen des natürlichen Angebots an Verkehrsbahnen – nach der Wahl des Landweges oder des Wasserweges bei einer alternativen Gegebenheit, so zeigt sich bis in das 19. Jahrhundert hinein, dass nicht nur durch den deutlich zunehmenden Transport von Massengütern der Wasserweg ein bevorzugter Transportweg wird, sondern dass auch reisende Personen häufig den Wasserweg vorzogen, auch wenn die Reise damit länger dauerte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geht das Reisen und der streckenweise Transport von Gütern auf Wasserwegen im Zuge eines längeren Transportweges dem Ende zu. Ein sehr anschauliches Beispiel war die Querung des östlichen Bodensees von Lindau nach Fußach im Zuge der Handelsstraße von Erfurt über Nürnberg und Ulm nach Lindau, über den Bodensee und weiter über den Septimer- oder den Splügenpass nach Gera, dann über den Comer See nach Como, Mailand, Genua oder Florenz nach Rom. Verkehr und Verkehrsbahnen eines Fernverkehrs folgten damit zunächst grundlegend durchgängigen Leitlinien in möglichst direkter Verbindung, die Entstehung von Verkehr war an Leitlinien einer Verkehrsgunst orientiert. Maßnahmen einer Verkehrslenkung passten sich diesem Grundprinzip an oder fanden unter einem gewissen Aufwand Wege, den Verkehrsstrom umzulenken, auf Städte, Brücken oder Zollstellen.
44 N. Petrovic: Die Schiffahrt und Wirtschaft im mittleren Donauraum in der Zeit des Merkantilismus. Der Bau des Donau-Theis, des Franzens-Kanals und die Bestrebungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts, den mittleren Donauraum mit dem adriatischen Meer zu verbinden. Beograd-Novi Sad 1982.
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2. Verkehrsförderung durch Ausbau und technische Entwicklung der Verkehrsbahnen und Verkehrsmittel Eine Entstehung und Entwicklung von Verkehr und vor allem sehr deutliche Umbrüche und Entwicklungsschübe sind auch wesentlich bedingt durch technische Maßnahmen und Innovationen, die den Verkehr meist sprunghaft haben ansteigen lassen, die ihn angezogen und konzentriert und auf neue Linienführungen gelenkt haben. Eine Lenkung, Konzentration und Förderung des Verkehrs wurde schon früh, besonders aber seit dem 18. Jahrhundert zu erreichen gesucht durch einen künstlichen Ausbau und eine bevorzugte Pflege der Verkehrsbahnen.45 Die Straßen- und Brückenbauten der Römer haben ihr Reich verkehrsmäßig erschlossen und Verkehrsbewegungen ermöglicht, die in anderen Gebieten Europas zu der Zeit in dieser Weise nicht gegeben waren. Die Territorial- und Wirtschaftspolitik fand im Mittelalter in den Alpenländern eine Verwirklichung im konkurrierenden Ausbau von Passwegen.46 Anlieger, kirchliche Organisationen und private Stiftungen (zum Beispiel Nachlässe von Kaufleuten) und letztlich auch die Territorialherren und der Staat sorgten sich um die Instandhaltung der großen Heer- und Handelsstraßen, um den Verkehr auf ihnen und in ihren Städten aufrechtzuerhalten. Dem zunehmenden Handelsverkehr in der frühen Neuzeit und der wachsenden Größe der Frachtfuhrwerke wie auch dem großräumig organisierten Verkehr einer reitenden und fahrenden Post waren die Naturstraßen des 17. und 18. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen, was sehr deutlich aus den zahlreichen Wegebauverordnungen und den umfangreichen Wegebauakten der Zeit hervorgeht, so dass die einzelnen Staaten in Europa zentral geführt im Laufe des 18. Jahrhunderts mit dem Ausbau des bis heute weiterentwickelten Kunststraßennetzes begannen. Dieses erste große und flächendeckende Kunststraßennetz hat am Anfang der langen Entwicklungsphase den Verkehr auf sich konzentriert, zugleich aber auch merklich gefördert und beschleunigt. Vor allem der fahrenden Post kam diese staatliche Maßnahme zugute. Die Chausseen waren zunächst Städteverbindungen, erst die weitere Verdichtung des Kunststraßennetzes hat dann auch geschlossen Räume angebunden. Grundlegend auf Linien und Städte konzentriert ist das Eisenbahnnetz.47 Zum Bahnhof hin wurden innerstädtische Verkehrsführungen und zugehörige Einrich45 H. Güttenberger: Die Begründung des niederösterreichischen Straßenwesens unter Karl VI.. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, N. E 21, 1928. – H. K1ein: Salzburger Straßenbauten im 18. Jahrhundert. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 99,1959, S. 82 ff. 46 F. Güterbrock: Die Lukmanierstaße und die Paßpolitik der Staufer. (Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 11, Rom 1908). – W. Reber: Zur Verkehrsgeographie und Geschichte der Pässe im östlichen Jura. (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Baselland 11, Liestal 1970). – H. Kellenbenz: Lindau und die Alpenpässe. In: Tiroler Wirtschaftsstudien, 33, 1977, S. 199–221. – E. Rizzi(Hrsg.): Beiträge zur alpinen Passgeschichte. (Akten der internationalen Tagung zur Walserforschung 4, Chur 1987). 47 H. P. Schäfer: Die Entstehung des mainfränkischen Eisenbahnnetzes. Teil 1: Planung und Bau der Hauptstrecken bis 1879. (Würzburger Geographische Arbeiten 48, Würzburg 1979).
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tungen ausgerichtet (Bahnhofshotels, Einkaufszeilen), der Transport von Massengütern mit der Bahn hat die Industrialisierung der Städte und die Versorgung der wachsenden Ballungsräume ermöglicht und letztlich hat die Bahn auch das Zeitalter des Pendelns eingeleitet. Die Ermöglichung und Trägerschaft des Pendelverkehrs ist wohl auch die auf die Städte und die urbane Entwicklung bezogene gravierendste Auswirkung der technischen Innovation des Automobils. Ohne das Auto hätten sich Wohn- und Arbeitsplatz nicht in dem Maße voneinander entfernen können, ohne das Auto wäre bei dem drastischen Rückgang der Landwirtschaft als Lebensgrundlage der Dörfer ein Fortbestand der ländlichen Siedlungen als Wohnstandorte nicht möglich. Sie müssten, wie in der großen Wüstungsperiode des späten Mittelalters, verlassen werden. 3. Die Verkehrslage: natürliche Verkehrsgunst und Standort im Verkehrssystem Die natürlichen Leitlinien des Verkehrs führen die Verkehrsströme auch auf prädestinierte Verkehrspässe und Knotenpunkte zu, in denen ein Verkehr konzentriert zusammengeführt wird. Solche natürlichen Zwangspunkte des Verkehrs sind Flussmündungen und -einmündungen, Talaustritte, Flussübergänge, Gebirgsränder wie auch Gebirgspässe. Die frühe stadt- und verkehrsgeographische Forschung hat den natürlichen Voraussetzungen einer Verkehrslage eine grundlegende Bedeutung in der Erklärung des Städtenetzes wie auch der topographischen Lage und funktionalen Entwicklung von Städten beigemessen. Auf dieser Standortbeziehung beruhte die erklärende Konzeption eines hierarchisch gegliederten Städtesystems, das Johann Georg Kohl in genialer Weise bereits 1841 entworfen hat („Der Verkehr und die Ansiedlungen der Menschen, in ihrer Abhängigkeit von der Gestaltung der Erdoberfläche“). In die gleiche Konzeption eines Ursachengefüges hat Kohl dann auch seine viel spätere, vielfach empirisch begründete Arbeit „Die geographische Lage der Hauptstädte Europas“ (1874) hineingestellt, hier allerdings bereits unter dem Gesichtspunkt der „geographischen Lage“, das heißt unter Einbeziehung auch der wirtschafts- und kulturgeographischen Lagebedingungen. Für die primäre Standortwahl oder die gezielte Entwicklung eines zentralen Ortes wie auch das spätere Heranwachsen einer Stadt ist die natürliche und geographische Verkehrsgunst ganz sicher ein grundlegender Faktor, der auch zu allen Zeiten immer wieder bewusst verfolgt und durchgesetzt worden ist. Zu erinnern wäre hier für das Mittelalter an die Standortpolitik der Städtegründer Heinrich des Löwen wie auch der Zähringer und vieler anderer Territorialherren. Die Einschätzung einer potentiellen Verkehrsgunst und ihre planvolle Inwertsetzung für eine Standortwahl zentralörtlicher Entwicklungen ist bis in jüngste Zeit bei der Entstehung von Städtesystemen besonders in kolonialen Räumen nachweisbar. Die Entstehung und vor allem Konzentration von Verkehr war der territorialpolitischen gezielten Anlage oder Förderung verkehrszentraler Orte oft voraus und räumlich nicht unmittelbar angepasst. Hier lassen sich, besonders im hohen Mittelalter, recht häufig gezielte, kleinräumige Verlagerungen von Verkehrsachsen und Verkehrsknoten durch Grundherren in ihre Städte hinein nachweisen, im Zuge
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einer räumlich und örtlich konzentrierenden Lenkung von Handel und Wandel. Stadt-, Markt-, Zoll- und Münzprivilegien sowie Bannmeilen haben die Entwicklung zentralörtlicher Funktionen in den Städten und damit einen Verkehr weiter verstärkt. Das immer weiter ausgebaute und hierarchisierte Verkehrsnetz und die damit gegebene Lenkung der Verkehrsströme lässt in jüngerer Zeit die Verkehrsbahnen und Verkehrsanbindungen selbst als wesentliche Standortfaktoren und Knotenpunkte hervortreten: die Eisenbahn und Bahnhöfe, die Häfen, die Autobahn und Autobahnabfahrten, die Ringstraßen und ihre Ausfahrten. Sind so von frühester Zeit bis heute Verkehr und Verkehrsgunst ein wesentlicher Standortfaktor für eine Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung geblieben, orientiert an einem wachsenden und zugleich selbstverstärkend fördernden Verkehrsstrom, so ist eine moderne Siedlungs- und Verkehrsplanung heute auch darauf ausgerichtet, Standorte unter dem Gesichtspunkt einer Verkehrsminderung zu propagieren. Hierzu gehören etwa die Büroparks am Rande der Stadt, deren Angestellte vornehmlich aus dem suburbanen Raum kommen, vor allem aber die heute weit verbreitete Planungsstrategie der „dezentralen Konzentration“, das heißt der Bildung suburbaner Zentren in der unmittelbaren Wachstumszone der Städte, die durch einen öffentlichen Verkehr angebunden sind. III. STADT UND VERKEHR: ENGES BEZIEHUNGSGEFÜGE UND URSÄCHLICHE ZUSAMMENHÄNGE 1. Die Stadt als Initiator und Förderer von Verkehr: Die Verursachung und Anziehung von Verkehrsströmen Städte sind als fern- wie auch nahzentrale Orte topographisch wie auch funktional die Knotenpunkte und Drehscheiben der Verkehrsnetze. Von ihnen gehen die wesentlichen Impulse des Verkehrs aus (Ausgangsort), auf sie ist der größte Teil der Verkehrsströme gerichtet (Zielort). Neben der territorialpolitischen und strategischen Funktion der Städte in der Zeit der Städtegründungen waren die Verkehrs- und Marktfunktion eine wesentliche Zielsetzung und Ursache einer Stadtwerdung. In der stadtgeschichtlichen Forschung wird mal mehr oder weniger den natürlichen Vorgaben der Lage, dem Verkehr und Handel, der Kontroll- und Zollfunktion, der politisch-strategischen Bedeutung der städtisch-gewerblichen Produktion oder auch gerade der Multifunktion der Vorzug bei der Ursachenfrage einer Stadtwerdung oder frühen Stadtentwicklung gegeben. Nur zwei bedeutendere verkehrsorientierte Arbeitshypothesen führender Stadthistoriker seien herausgegriffen: 1. Die von Karl Rübel zu Beginn unseres Jahrhunderts verfochtene Rastorttheorie, die davon ausgeht, dass an den großen Reichs- und Heerstraßen in einem regelmäßigen Abstand von 20 bis 25 Kilometern Rastorte entstehen mussten, was dann ein wesentlicher Ausgangspunkt für eine Stadtwerdung gewesen sei.48 Der 48 K. Rübel: Die Franken, ihr Eroberungs- und Siedlungssystem im deutschen Volkslande. Bielefeld 1904.
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Geograph Hans Dörries hat diesen Ansatz in den zwanziger Jahren für die historische Stadtgeographie aufgegriffen49 Willi Görich hat ihn bei seinen Altstraßenforschungen in Hessen weiterverfolgt.50 2. Die immer wieder aufgebrachte und in jüngerer Zeit von Karlheinz Blaschke wiederholt und vielfältig begründete Hypothese der in Nicolai-Patrozinien erkennbaren Kaufmannsniederlassungen als sehr häufige Vorläufer später mit Stadtrechten begabter Ansiedlungen.51 In beiden Fällen ist eine Verkehrsentwicklung und Verkehrsbedeutung Ursache der Entstehung eines städtischen Knotenpunktes, der dann seinerseits am Ort weiteren Verkehr hat entstehen lassen, unter anderem wesentlich gefördert durch Stadtrechtsprivilegien. Der Bau von Brücken und Steinwegen, der Ausbau eines Kunststraßennetzes, die Einrichtung eines geregelten Postverkehrs wie auch letztlich die Auslegung des Eisenbahnnetzes ging aus von dem Verkehrsbedürfnis und den Initiativen der Städte, die damit zugleich auch den stetig wachsenden Verkehrsstrom auf sich zogen bzw. weiteren Verkehr entstehen ließen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren es vor allem die Funktion als Eisenbahnort und Industriestandort sowie eine rasch wachsende Bevölkerung mit den Bedürfnissen ihrer Versorgung, die eine sprunghafte Vermehrung des Verkehrs bewirkten. Beruhte die verkehrszentrale Bedeutung der Stadt, vor allem auch der Kleinund Mittelstädte, bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr wesentlich auf der Markt- und Versorgungsfunktion mit Gütern für einen nah- und fernzentralen Einzugs- wie auch Verteilerbereich, so gewann zunächst mit der Eisenbahn und dann mit dem Autoverkehr die Funktion als Einpendlerort eine zunehmend beherrschende Stellung, mit den Berufspendlern, den Ausbildungspendlern und den Einkaufspendlern aus dem besonders seit den sechziger Jahren bedeutsam gewachsenen städtischen Umfeld. Die kulturelle Bedeutung der Städte, die schon im Mittelalter ein Anziehungspunkt gewesen ist, hat im Zuge eines Kultur- und Städtetourismus verstärkt in den letzten zehn Jahren als ein im Rahmen des Stadtmarketing gezielt geförderter und organisierter Wirtschaftsfaktor einen sichtbaren neuen Aufschwung genommen. Beteiligt ist hier nicht nur das nähere städtische Umfeld, sondern bei den größeren Städten ein zwischenstädtischer Ferntourismus, wozu auch der Kongresstourismus gerechnet werden kann. Die Intercity-Verbindungen der Bahn tragen zu diesem Verkehr wesentlich bei. Das enorme Anwachsen des vor allem individuellen Pendlerverkehrs hat die Verkehrs- Stadt- und Regionalforschung zu der heute in Deutschland weit verbrei49 H. Dörries: Die Städte im oberen Leinetal: Göttingen, Northeim und Einbeck. Ein Beitrag zur Landeskunde Niedersachsens und zur Methodik der Stadtgeographie. Göttingen 1925. 50 W. Görich: Rastorte an alter Straße? In: Festschrift für Edmund Ernst Stengel, Münster 1952, S. 473–494. – Ders.: Straßen, Burgen und Städte. In: Territorialgeschichte des Kreises Rotenburg an der Fulda und des Amtes Friedewald. Hrsg. v. K. Schellhase. Marburg 1970, S. 5–44. 51 P. Johanek (Hrsg.): Stadtgrundriß und Stadtentwicklung. Forschungen zur Entstehung mitteleuropäischer Städte. Ausgewählte Aufsätze von Karlheinz Blaschke. (Städteforschung A 44, Köln 1997).
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teten Zielsetzung geführt, in der suburbanen Expansion im Zuge einer „dezentralen Konzentration“ die hinauswachsenden Wohnstandorte näher zum Arbeitsplatz und wenigstens zu den Linien und Knoten des öffentlichen Verkehrs hin zu konzentrieren. Rufen die Städte noch immer einen wachsenden Verkehr hervor, vornehmlich getragen von den Wünschen und Zielen der Bevölkerung, so verfolgt die Planung – allerdings keineswegs durchschlagend erfolgreich – Konzepte und Leitbilder für eine Verkehrsverringerung und Verkehrsvermeidung. 2. Fernverkehr und städtischer Funktionswandel Die verkehrszentrale Bedeutung von Städten ist im Laufe der historischen Entwicklung keineswegs stabil oder linear wachsend, das Städtenetz ist vielmehr im Rahmen einer Konkurrenz einem dynamischen Funktionswandel unterworfen. Diese Prozesse eines Wandels zentralörtlicher Bedeutungen, die eng zusammenhängen mit einem Wandel von Verkehrsströmen und Verkehrsattraktivität, sind in einigen Regionalstudien einer historischen Zentralitätsforschung exemplarisch herausgearbeitet worden.52 Dabei stehen allerdings vergleichende Interpretationen historischer Querschnitte einzelner zentralörtlicher Funktionen in ihren Einzugs- und Verteilerbereichen im Vordergrund, aus denen der Wandel der Verkehrsflüsse nur indirekt hervorgeht. 3. Der Verlust an Verkehr und Verkehrsbedeutung Der Entstehung und dem Anwachsen von Verkehr auf Verkehrsbahnen und in den Städten als Verkehrsknoten muss letztlich auch ein Verlust an Verkehr und Verkehrsbedeutung gegenübergestellt werden. Der Verlust an Verkehrsspannung, unter anderem durch die Aufgabe einer Gewinnung oder Produktion von Transportgütern, eine Umorientierung des Verkehrsstromes, Verlagerung der Verkehrsbahnen oder Veränderung der Verkehrsmittel haben bereits seit früher Zeit auch zu einem Rückgang des Verkehrs und einer Aufgabe von Verkehrseinrichtungen geführt. Die auf diese Weise in der Landschaft funktionslos gewordenen Kulturlandschaftselemente („Verkehrswüstungen“) sind uns als erhaltene Relikte anschauliche Quellen einer Altstraßen- und Verkehrsgeschichte. Besonders einschneidend und augenfällig ist diese Erscheinung bei der Aufgabe von Eisenbahnstrecken.53 Wesentlich strukturverändernd war im Verlauf des Mittelalters die Ablösung weiter Teile des Höhenwegenetzes, die Aufgabe zahlreicher Parallelstrecken durch eine Konzentration des Fernverkehrs auf wenige Hauptrouten (rechte Heerstraße, 52 H. H. Blotevogel: Zentrale Orte und Raumbeziehungen in Westfalen vor der Industrialisierung (1780-1850). (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung 119, Münster 1975). 53 F. N. Nagel: Die Entwicklung des Eisenbahnnetzes in Schleswig-Holstein und Hamburg unter besonderer Berücksichtigung der stillgelegten Strecken. (Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 71, Wiesbaden 1981).
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Zoll- und Geleitsstraßen) und eine zunehmende Aufgabe des regionalverbindenden Fußwegenetzes (Stiege, Butterwege und andere). An verkehrsorientierten Einrichtungen (Wegbegleiter) verfielen in der Neuzeit Furten und kleine Fähren, Warten, Schlagbäume und Landwehrpassagen, Wegekapellen, Klausen und Siechenhäuser sowie Zollstellen, Gerichtsplätze und Richtstätten. Viele Teilstücke von Verkehrstrassen wurden im Zuge einer Verlegung des Verkehrsstromes durch den Ausbau neuer Trassen und Passagen vom Verkehr verlassen (Umgehungen von Steigungen, Ausbau des Kunststraßennetzes der Chausseen seit dem 18. Jahrhundert, Verbesserung der Trassenführung, Tunnel und Brückenbau). Der Bau des Eisenbahnnetzes im 19. und frühen 20. Jahrhundert führte zur Aufgabe des Poststraßennetzes und des Verkehrs der fahrenden Post, und seit der Mitte unseres Jahrhunderts haben viele Regionen, Orte und Betriebe durch die Stilllegung von Fern- und Anschlussstrecken der Eisenbahn wie auch durch die Aufgabe vieler Kleinbahnen ihren Eisenbahnverkehrsanschluss verloren. Dies führte nicht nur zu der Aufgabe einer möglichen Umnutzung oder auch denkmalpflegerischen Erhaltung der entstandenen „Eisenbahnwüstungen“, sondern auch zu einem Verlust an Verkehrsanbindung, der oft nur teilweise durch andere Verkehrsträger ausgeglichen werden konnte. Innerhalb der Städte ist eine Reduzierung und auch vollständige Umverteilung des Verkehrs weitgehend gezielt vorgenommen worden, so die Verkehrsführung in Einbahnstraßen und Verkehrsschleifen, die Einführung von Fußgängerzonen ohne Autoverkehr oder die Einstellung eines Straßenbahnsystems. Im Wasserverkehr sind es die Verlagerung von Häfen durch Versandung oder die Notwendigkeit eines größeren Tiefganges der Schiffe wie auch eine Vergrößerung des Liege- und Lagerraumes, Aufgabe und Ersatz einer Fluss- oder Kanalverbindung54 oder auch der Ersatz einer Fähre durch eine anderweitige Brücke oder einen Tunnel, die zu einer deutlichen Reduzierung der Verkehrsbedeutung oder auch zu einem völligen Erliegen eines See-, Fluss- oder Meereshafenortes führen können. Der Verkehrsbedarf und das Verkehrsvolumen ist bei all diesen Stilllegungen allerdings allgemein eher noch gestiegen, so dass hinter den Regressionsprozessen vornehmlich eine Umverteilung steht. 4. Schlussbetrachtung Die Darstellung ist ein Versuch, wesentliche Grundstrukturen der Entstehung und des Wandels, der natürlichen Voraussetzungen, der Steuerung und Förderung, der wirtschaftlichen Bedeutung oder auch der Reduktion von Verkehrsströmen im historischen Ablauf in einem allgemeinen Überblick nahe zu bringen. Der Betrachtungsansatz verfolgte das Ziel, die primären Vorgaben für die Bildung von Verkehrslinien und Verkehrsströmen wie auch die sekundären Steuerungsfaktoren des 54 G. Go1dammer: Der Schaale-Kanal. Relikterforschung historischer Binnenkanäle zwischen Elbe und Oder. (Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg 87, Stuttgart 1998).
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Verkehrsgeschehens (Mobilität, wirtschaftliche und politische Zielsetzungen) zu thematisieren und dabei auch besondere Hinweise auf den allgemeinen Forschungsstand zu geben. Manche der Strukturen und Prozesse gehören weitgehend in die Vergangenheit und sind Thema einer historischen Betrachtung, einige jedoch sind auch durchgehend, wenn auch oft in modifizierter Form oder erst unter aktuellen Verhältnissen wirksam. Der Rückblick in die historische Entwicklung des Verkehrsgeschehens unter der besonderen Fragestellung der verkehrsauslösenden Kräfte, Motive und Initiativen sollte auch allgemeinere Beziehungsgefüge, besonders zwischen Stadt und Verkehr herausstellen.
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2. ALTWEGERELIKTE: METHODEN UND PROBLEME IHRER INVENTARISATION UND INTERPRETATION* Die Lokalisation, Erfassung und Dokumentation von Relikten alter Wege und Straßen im Gelände ist ein wesentlicher Beitrag einer Grundlagenforschung zur Altstraßenforschung und Verkehrsgeschichte. Es geht um die konkreten und im ungestörten Kleinrelief noch erhaltenen Spuren und Reste alter Verkehrsbahnen und Verkehrsbauten, die eine genaue Lokalisation und Anschauung erlauben. Bei detaillierter Untersuchung der Geländebefunde lassen sich auch weitere Erkenntnisse über Struktur, Funktion und Zeitraum einer Nutzung der Wegetrassen gewinnen. Für die Geländeaufnahme selbst sind auch weitere hinweisende Quellen heranzuziehen: Grenz- und Wegebeschreibungen, Geleitsverzeichnisse, alte Karten, Luftbilder, Flurnamen und Wegenamen (Hodotoponyme) sowie, beginnend mit dem späten 17. Jahrhundert, auch Wegebauakten und die zeitgenössische Wegebauliteratur (vgl. Übersicht 1). Die Altstraßenforschung im weiteren Sinne und letztlich eine Verkehrs- und Handelsgeschichte verlangten dann jedoch weiterführend die Auswertung einer Vielzahl vor allem schriftlicher Quellen. Dieser Beitrag soll jedoch bewusst beschränkt bleiben auf die Geländerelikte als historische Kulturlandschaftselemente und als Quelle, gerichtet auf den Vorgang der Geländeaufnahme, die Dokumentation sowie letztlich die Nutzung und Inwertsetzung eines kommentierenden Inventars. Der heutige Bestand an Geländerelikten alter Wege und Straßen ist – weitgehend allgemein unbeachtet – vornehmlich in Waldgebieten noch beträchtlich, wenn er auch andererseits nur ein äußerst bescheidener Rest der einstigen Verbreitung morphologisch in Hohlwegspuren ausgeprägter Naturwege ist. Der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Chaussee- und Kunststraßenbau, Verkopplung und Flurbereinigung sowie auch der moderne Forstwegebau haben 80–90 % der einstigen im Kleinrelief ausgeprägten Wegespuren in der Kulturlandschaft beseitigt. Es wird sich bei jedem Regionalprojekt einer systematischen Altstraßenforschung zeigen, dass dieser Bereich einer Geländeaufnahme für sich ein weites Aufgabenfeld umfasst und dass es auch – pragmatisch gesehen – sehr geraten erscheint, im Rahmen einer regionalen oder gar großräumigen Altstraßenforschung die Aufgabe und Arbeitsebene programmgemäß einzuschränken, um angestrebte Zielsetzungen einer Geländearbeit auch möglichst weitgehend erreichen zu können. Ziele einer Geländeaufnahme von Altstraßenrelikten liegen in der kulturlandschaftsgenetischen und verkehrsgeschichtlichen Forschung, im Denkmalschutz und einer erhaltenden Kulturlandschaftspflege sowie in der anschaulichen Vermittlung von Kulturlandschafts- und Heimatgeschichte im Rahmen eines Kulturtourismus. Intensität, Maßstab und Erschließung der Inventarisierung müssen auf die jeweilige *
Altwegerelikte: Methoden und Probleme ihrer Inventarisation und Interpretation: Ein systematischer Überblick. In: Wege als Ziel. Kolloquium zur Wegeforschung in Münster 2002. Münster 2003, S.1–16.
2. Altwegerelikte: Methoden und Probleme
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Zielsetzung und Aufgabenstellung zugeschnitten sein, wenn sich auch wesentliche Grunddaten für den einen oder anderen Zweck übernehmen lassen. Wenn auch alte Wegerelikte im Gelände schon im 19. Jahrhundert als historische Dokumente des Verkehrs beschrieben und interpretiert worden sind,1 so ist es doch erst in den 1960er Jahren zu ersten systematischen regionalen Erfassungen gekommen, um damit – neben der Auswertung auch übriger einschlägiger Quellen – einzelne Straßenzüge und ganze historische Verkehrsnetze topographisch exakt zu belegen und auch in größeren Maßstäben kartographisch darzustellen. Geländetreue Erfassungen und Darstellungen dieser Art (Trassenkarten) sind allerdings noch äußerst selten, die meisten wissenschaftlich erarbeiteten Altstraßenkarten sind hypothetische Entwürfe oder auch Routenkarten, die auf Verbindungen einzelner belegter Stationen auf der Grundlage archivalischer Quellen beruhen.2 An Geländeaufnahmen im Rahmen von regionalen Altstraßenstudien wären für den deutschen Raum in ihrer zeitlichen Abfolge, bei allerdings sehr unterschiedlicher Intensität, vor allem frühe Arbeiten des 19. Jahrhunderts in der Schweiz und einzelne Regionalstudien aus dem deutschen Raum zu nennen.3 Erst in jüngster Zeit sind Wegerelikte als historische Kulturlandschaftselemente und Kulturdenkmale in die Gesetze, Instrumentarien und Inventare des Denkmalund Landschaftsschutzes eingegangen, in Kulturlandschaftskataster oder Landschaftspläne, womit dieses Kulturerbe nunmehr auch in den Bereich eines öffentlichen Interesses gerückt ist. Eine zusammenstellende und kritisch bewertende Übersicht über die bisherigen denkmalpflegerischen Umsetzungen und Maßnahmen nach diesen gesetzlichen Grundlagen sollte erarbeitet werden. Der Wert einer Erfassung historischer Verkehrsrelikte im Gelände liegt im Nachweis als Kulturobjekt überhaupt wie auch im topographisch exakten Beleg alter Verkehrstrassen, in der Bedeutung als sichtbares kulturhistorisches Objekt, im Wert als bedrohte und lange vernachlässigte Denkmalkategorie sowie in der Veranschaulichung einer Landschafts- und Wirtschaftsgeschichte am erhaltenen Relikt und Denkmal. Ein grundlegendes Problem, das sich auch bei anderen Schutz- und Kulturlandschaftsinventaren zunehmend verschärft, hier aber in besonderem Maße deutlich 1 2
3
vgl. z.B. BÜSCH (1801), BERGER (1889) oder FISCHER (1911). vgl. hierzu DENECKE (1979), S. 439 und Kartenbeilage 1: ,Regionale Altstraßenkarten einzelner Gebiete Mitteleuropas – Übersicht über den Forschungsstand‘. Übersichtskarten alter Wege mit der topographisch genauen Darstellung der Trassenführung sowie der Angabe erhaltener Hohlwegstrecken finden sich in DENECKE (1969): ,Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Wegenetz im Raum zwischen Solling und Harz‘ sowie in der Serie ,Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen‘ (1964ff). FISCHER (1911); KERSTEN (1940); ASMUS (1953), (1954); GÖRICH (1954); PLOETZ (1961), (1962), (1963); MORTENSEN (1963); POESCHEL (1968); DENECKE (1969); SCHWARZ (1969); AERNI (1973), (1979); WIEMANN (1974); BLASCHKE (1975); SCHÄFER (1976); SPIER (1983); PLANTA (1985/90); HEEG (1986); WISSUWA (1987); AURIG (1989); Grundlegend ist die Geländeaufnahme von Wegerelikten für das ,Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz‘ (IVS), 1980/81 – 2002. Für andere, fremdsprachige europäische Länder wären besonders zu nennen: MATTHIESEN (1961); HINDLE (1976); HANSEN/ NIELSEN (1977); TAYLOR (1979); VELÍMSK˘/C"ERNÁ (1990); MØYNER (1994).
192
IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
Übersicht 1: Forschungszweige, Quellen, Methoden und Fragestellungen der Altwegeforschung (aus: DENECKE 1979, 437)
2. Altwegerelikte: Methoden und Probleme
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wird, ist die in der Sache immanente Spannung zwischen wissenschaftlichen Fragestellungen und Forschungszielen einerseits und amtlichen, praxisbezogenen Aufgabenstellungen eines Inventars andererseits. Ist eine Aufnahme von Geländerelikten „wissenschaftlich weder Fisch noch Vogel“?4 Außer Zweifel, für eine sichere Ansprache, eine Erklärung der Bedeutung wie auch eine Wertung der Relikte sind breite Sachkenntnisse heranzuziehen und vor allem weitere Nachforschungen anzustellen, von denen dann aber nur wenige ausgewählte Daten in die praktische Auswertung eingehen. Die historische Forschung wird zu einer Dienstleistung reduziert, ein Schnellinventar ohne eine detailliertere Forschungsgrundlage kann nur einen eingeschränkten wissenschaftlichen Wert haben. Eine fundierte historische, archäologische und geographische Forschung hat weit über eine Erfassung obertägiger Geländerelikte hinauszugehen, mit der Rekonstruktion auch derjenigen Erscheinungen, die keine sichtbaren Spuren mehr hinterlassen haben, wie auch mit der Erarbeitung des historischen Kontextes der Wegenetze, der Verkehrsverbindungen und des Verkehrs selbst. I. DAS OBJEKT DER ALTWEGERELIKTE, DES WEGEBAUS UND DER HISTORISCHEN VERKEHRSEINRICHTUNGEN 1. Die Trasse Die Verkehrsbahnen waren bis in das 18. Jahrhundert hinein weitgehend unbefestigte Naturtrassen5, die sich durch die Beanspruchung der Wegesohle und die damit einsetzende lineare Erosion auch schon bei geringem Gefälle als Hohlwege eintieften. War eine Spur tiefgründig ausgefahren, so wich man dieser aus, es bildeten sich Spurenstränge, Spurenbündel und ganze Spurenfelder. Seltener wurden Besserungsmaßnahmen vorgenommen, die sich oft auch im Geländebefund nachweisen lassen, und nur an besonderen Stellen und nur auf besonderen Strecken (Passwege) sind die Fahrbahnen auch künstlich ausgebaut worden (Einschnitte, Stützmauern, u.a.). Mit dem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Kunststraßenbau (Chausseebau) ist dann das heute noch weitgehend so erhaltene Straßennetz ausgebaut worden, wobei auch aus dieser Zeit wenige originale Teilstücke erhalten sind, die ebenfalls einen denkmalpflegerischen Wert haben. Als Kulturlandschaftselement und Denkmalobjekt haben Altstraßenrelikte manche besondere Eigenart. Es geht um morphologisch ausgeprägte, lineare Geländeobjekte, die nur in Teilstücken erhalten sind, wobei der Verbindungszusammenhang durch Rekonstruktion zu erschließen ist. Eine zeitliche Einordnung der Entstehung und Nutzung ist vom Objekt und Befund aus allgemein nicht möglich, auch Funktion und Bedeutung sind vornehmlich nur durch weitere Quellen zu erschließen. Diese Gegebenheiten erschweren eine systematische Dokumentation, vor allem aber auch eine Bestimmung des Quellen- und Denkmalwertes. Sie bedingen 4 5
HERZIG/ v. CRANACH (1997). DENECKE (1969), S. 40–51.
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die Heranziehung vielfältiger anderer Belege und Zusammenhänge, die mehr oder weniger weit und gesichert zu einer Einordnung und Bewertung führen können. Wissenschaftlicher Wert und Denkmalwert sind damit keineswegs vornehmlich durch die Ausprägung des Geländeobjektes gegeben, sondern durch den zu erschließenden Kontext, durch die Einordnung in einen historischen und funktionalen Zusammenhang. Die Relikte der allgemein verlassenen oder nur noch reduziert genutzten Hohlwegtrassen befinden sich nach ihrer Aufgabe in einem sehr unterschiedlichen Stadium der morphologischen Weiterentwicklung und Erhaltung. Bei einer noch gegebenen Nutzung wird die Wegesohle noch weitgehend eben gehalten, bei einer mehr oder weniger starken Ausprägung von Fahrrinnen. Eine totale Auflassung führt dann unter Wald oder Grünland zu einer Humus- und Vegetationsdecke, vor allem aber auch zu einer Auffüllung von den Wegeböschungen her. Es setzt eine natürliche Überformung ein, zu der auch an steileren Strecken eine weitere Erosion (Ausräumung) gehört, bis hin zur Umgestaltung zu einem Wasserlauf bei starken Regenfällen. Im Ackerland sind die einst weit verbreiteten Hohlwegspuren weitgehend durch menschliche Eingriffe zu Terrassen oder Dellen verpflügt oder vollständig eingeebnet, so dass sie gegebenenfalls nur noch fossil als Boden- oder als Bewuchsmerkmal im Luftbild erkennbar sind. Die Vielfalt der Ausprägung im Querprofil ist bei der Geländeerfassung typologisch einzuordnen unter den Begriffen Geleis, Kastenhohlweg, Muldenhohlweg, Kerbhohlweg, Hohlweg-Terrasse, Hohlweg-Delle und ausgebauter Hohlweg (vgl. Abb. 1). Im Verlauf einer längeren Hohlwegstrecke können verschiedene Formtypen auftreten (vgl. Abb. 2). Auch die Tiefe und lichte Weite des Profils sollte für ausgewählte Stellen angegeben werden. In ähnlicher Weise ist für die Ausprägung in der Fläche eine beschreibende Typologie vorzunehmen: Die Einzelspur, der Spurenstrang, das Spurenbündel, der Spurenfächer und das Spurenfeld (vgl. Abb. 3).6 Sinn dieser typologischen Einordnung unmittelbar vor Ort ist es, die große Zahl und Vielfalt der Befunde in der Dokumentation übersichtlich und auswertbar zu machen und auch in Übersichtskarten mittleren Maßstabs (1 : 50000) darstellen zu können.7 Auch vermittelt die Formtypologie Hilfen für eine Interpretation der Geländespuren. Eine besondere Gruppe von Altstraßenrelikten stellen die Reste befestigter Kunststraßen dar (alte Pflasterstraßen, Alleen, Reitwege und Sommerwege, frühe künstlich angelegte, befestigte Wanderwege u.a.). Es sind bauliche Anlagen des 18. und 19. Jahrhunderts, deren zum Teil genormte Maße, Konstruktionen und Baumaterialien festzuhalten sind. Gerade hier finden sich noch oft bisher kaum beachtete interessante kulturhistorische Objekte, die denkmalpflegerisch zu betreuen und landschaftsgeschichtlich zu erläutern sind. Aus dem Gelände heraus und mit zusätzlichen Belegen ist letztlich zu versuchen, einzelne Reliktstücke einer jeweiligen Wegstrecke zuzuordnen, was nicht immer mit Sicherheit gelingt. 6 7
DENECKE (1969), S. 51–69; DENECKE (1979), Abb. S. 464–467. DENECKE (1969): Übersichtskarte 1 : 50000; DENECKE (1979), S. 441: Historisch-geographisches Streckendiagramm.
Abb. 1 Idealprofile der Hohlwegformen (aus: DENECKE 1969, 61)
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Abb. 2 Der Wandel des Formenschatzes im Verlauf fossiler Hohlwegstraßen. a) Einbecker Weg, Gem. Förste. b) Fernstraßen und Wirtschaftswege, Gem. Wulffen (aus: DENECKE 1969, 60/61)
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Abb. 3 Grundrisstypen unbefestigter Naturwege. a) Spurenstränge, b) Spurenbündel, c) Spurenfelder, d) Spurenfächer (aus: DENECKE 1969, Abb. 27-31)
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2. Die historische Linienführung Wenn auch alte Wegetrassen heute nahezu durchweg nur noch in wenigen Teilstükken erhalten sind, so gehen doch häufig die Linienführungen heutiger Wege und Straßen weiter in die Geschichte zurück. Diese retrospektive Feststellung auf der Grundlage retrogressiver Belege ist ebenfalls ein wichtiger Teil einer Altstraßeninventarisation und Rekonstruktion, vor allem da hiermit der beachtliche Teil der zwar überbauten, aber doch noch vorhandenen Wegstrecken zum Bild des einstigen Naturwegenetzes ergänzt werden kann. Häufiger auf längere Strecken nicht überbaut sind alte Höhenwege oder Querungen von Mittelgebirgszügen, die besonders seit der frühen Neuzeit wie auch mit dem Chausseebau weitgehend aufgegeben worden sind. Diese verlassenen Verbindungen, die in der prähistorischen Zeit und im Mittelalter oft von überregionaler Bedeutung waren, sollten in der Altstraßenforschung besondere Beachtung finden.8 Dabei sind vor allem auch die Steigungsverhältnisse bzw. auch Steigungsverluste im Zuge des Wegeverlaufs zu ermitteln und funktional zu erklären. 3. Das Wegenetz Letztliches Ziel einer Geländeaufnahme und Streckenrekonstruktion mag die Zusammenfügung historischer Verkehrswegenetze sein. Dabei ist hierarchisch zu gliedern nach der jeweiligen Bedeutung und Funktion im Netzgefüge sowie auch nach Epochen der Nutzung. Dies allerdings kann aus den Geländerelikten allein nicht erschlossen werden. 4. Der Wegebau Ein künstlicher Wegebau setzt bereits in prähistorischer Zeit in der Form von Holzund Bohlenwegen ein, von denen in Mooren Reste sehr gut erhalten sind.9 Manche von ihnen hatten nur lokale Bedeutung. Im Mittelalter sind Baumaßnahmen selten. Sie beschränken sich auf Passwege, Flussübergänge und feuchte Passagen sowie auf kurze stadtnahe und innerstädtische Straßenstücke. Als Baumaterial wurden Reisig, Zweige (Specken), Schotter (Grand) oder auch Bruch- und Lesesteine verwendet. Bisherige Befunde sind großräumig bisher noch nicht zusammengestellt worden.10 Ein besonderer Bestand an Resten älterer Straßen und Verkehrswege ist mit den erhaltenen Teilstücken alter Kunststraßen vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts gegeben. Konstruktions- und Bauweise sind uns aus den zeitgenössischen 8 DENECKE (1969), S. 100–108. 9 KRÜGER (1936); HAYEN (1945 u. 1957), (1978), (1985); KERSTEN (1951); HANSEN/ NIELSEN (1977); WILLROTH (1986); RAFTERY (1990); FANSA/ SCHNEIDER (1995). 10 DENECKE (1969), S. 69–85.
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Handbüchern und Anweisungen des Straßenbaus sowie den Berichten der Wegebauinspektionen recht gut bekannt.11 Zur Geschichte des Straßenbaus sind, vor allem seit der ersten einschlägigen Arbeit von Alexander Knoll manche weiteren Regionalstudien veröffentlicht worden.12 Ist der größte Teil aller frühen Kunststraßen heute überbaut, so finden sich doch noch manche nicht modernisierte heutige Nebenwege oder im Zuge von Trassenverlegungen abgeschnittene und verlassene Teilstücke, deren Profil mit Seitengräben, Sommerweg oder Pflasterdecke noch im alten Zustand erhalten ist. Auch allein die Linienführung und der oft weit zurückreichende Baumbestand (Alleen) gehört zu diesem bis in die 50er Jahre hinein die Verkehrslandschaft bestimmenden Element, das einen Denkmalwert hat und das am erhaltenen Objekt selbst dem heutigen Verkehrsteilnehmer als historisches Dokument erläuternd vor Augen zu stellen ist. Hierzu gehören auch die einst weit verbreiteten straßenbegleitenden Obstbaumbestände und die spezifischen ökologischen Verhältnisse der traditionellen Straßen- und Wegeränder.13 Systematische Erfassungen von Resten des frühen Kunststraßenbaus, zu denen auch die Straßenbauverwaltungen heranzuziehen wären, sind bisher kaum erfolgt, in die Denkmalpflege finden Reste alter Kunststraßen erst in jüngster Zeit Eingang. 5. Die Verkehrseinrichtungen Ein mit der Erfassung und Deutung von Altwegerelikten im Gelände eng zusammenhängender Bereich ist die Inventarisierung auch der Verkehrsbauten (Brücken, Terrassen, Durchschläge u.a.), der Wegbegleiter (Verkehrsmale, Kreuzsteine, Gerichtsplätze und Richtstätten, Klausen und Siechenhäuser, Burgen und Befestigungsanlagen) und der verkehrsbezogenen Einrichtungen (Wegesperren, Zollstellen, Geleiswechsel, Herbergen und Rasthäuser).14 Einen besonderen und zum Teil auch problematischen Bereich bezüglich ihrer Orientierung an Verkehrswegen machen dabei die Burgen und Befestigungsanlagen aus. Ein Zusammenhang ist nicht immer deutlich zu fassen. Manche der verkehrsorientierten Anlagen haben regional bereits eigene Inventarisierungen erfahren (z.B. Siechenhäuser15, Kleindenkmale und Flurdenkmale, besonders Kreuzsteine16, Verkehrsmale, besonders Wegweiser, Meilen11 Zur Interpretation der Relikte können zeitgenössische Darstellungen zur Straßenbautechnik herangezogen werden: BALLEN (1914); BONACKER (1962); LÜDER (1779); WIEBEKING (1802), (1808); PECHMANN (1822); UMPFENBACH (1830); ARND (1831); BAER (1878) 12 Wissenschaftliche Untersuchungen zum frühen Kunststraßenbau sind noch recht selten, regionale Erfassungen originaler Reststücke sind kaum vorhanden: SÄLTER (1917); KNOLL (1925); SPECK (1950); HEGLAND/ SIMONETT/ VOGEL (1989); VEREINIGUNG der STRASSENBAUINGENIEURE (1989). 13 Diese Fragestellungen sind bisher historisch kaum bearbeitet worden. Vgl. als Beispiele: PARISIUS (1883); KAULE/ BEUTLER/ HECKES (1988). 14 POESCHEL (1968), S. 180–257: Tabellarische Beschreibung; DENECKE (1969), S. 118–159, Materialkatalog S. 337–391 und Übersichtskarte. 15 FROHN (1932); LAPPE (1933). 16 KÖBER (1960); BROCKPÄHLER (1963); RIEBELING (1995).
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und Stundensteine17). Bei der Vielzahl und Eigenständigkeit der wegbegleitenden Einrichtungen ist es sinnvoll, im Rahmen einer Inventarisierungsmaßnahme klarer abzustecken, welche Objekte wie weit mit aufgenommen werden sollen und können, die die Quellen und Fragestellungen in verschiedene andere Sachbereiche führen. II. DIE GELÄNDEAUFNAHME Hohlwegrelikte gehören zu den Kleinformen der Kulturlandschaft, die mit dem durch den Menschen betriebenen Verkehr in ihrer Ausbildung angeregt und gefördert werden, an deren Ausformung während und nach einer Nutzung jedoch wesentlich auch natürliche Vorgänge, besonders Erosion und Akkumulation, beteiligt sind. Als „quasinatürliche anthropogene Kleinformen“ bezeichnet, hat sich damit auch zeitweilig die geographisch-morphologische Forschung mit den vielfältig ausgeformten Hohlwegrelikten im Gelände beschäftigt18, was auch durchaus zu begründen ist, da natürliche Erosionsrinnen und Geländeeinschnitte zu einem wesentlichen Teil gleichen Formungsprozessen unterliegen und damit nicht immer leicht von Wegerelikten zu unterscheiden sind. Wesentliche Merkmale von Wegen sind ihr abweichender Verlauf zum Gefälle, die Scharung von Rinnen und die wenigstens teilweise noch erkennbare Ausbildung einer Wegesohle. Die Geländeaufnahme alter Wegerelikte hat in mancher Hinsicht spezifisch und anders vorzugehen als eine archäologische oder eine historisch-geographische Landesaufnahme, eine Bodendenkmalkartei oder ein Kulturlandschaftskataster. 1. Vorgaben und Prospektion Die Geländeaufnahme hat von allgemeinen und direkten topographischen Vorgaben möglicher alter Linienführungen auszugehen, um dem Ziel und Maßstab der vorgesehenen Aufnahme gerecht zu werden, um an die geplante Art der Dokumentation anzupassen und um gezielter auf mögliche Wegerelikte in einem größeren Aufnahmegebiet zuzugehen. Zu den allgemeinen Vorgaben der Erfassung der Wegerelikte gehören eine vorgezeichnete Typisierung und Terminologie, eine zugehörige Legende oder Symbolisierung, ein Aufnahmeformblatt sowie eine Übersichtskarte im Maßstab 1 : 25000. Mit diesem Instrumentarium ist eine gewisse Standardisierung der Geländeaufnahme festgelegt. Zur topographischen Prospektion der Linienführungen gehört eine Auswertung bisheriger Vorarbeiten, die ungefähre Übertragung historischer Wegezüge aus alten Karten in das Messtischblatt, die Übertragung der auf Wege hinweisenden Flurnamen und möglichst auch eine erste Auswertung schriftlicher Quellen.
17 LEDAT (1912); RIEBELING (1994) 18 MORTENSEN (19454/55).
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2. Organisation und Selektion der Aufnahmeareale Eine flächendeckende Begehung ist für eine größere Region kaum möglich und auch wenig sinnvoll. Eine zunächst gezielte Selektion der Aufnahme geht am besten von dem bisher bekannten oder vermuteten Verlauf größerer Fernverbindungen aus, dabei besonders gerichtet auf gequerte Waldgebiete und darin gelegene Steigungsstrecken. Es sind damit zunächst lineare Begehungen, von denen aus dann weitere Abzweigungen verfolgt werden können, bis letztlich hin zu Ortsverbindungen und Wirtschaftswegen. Ausgewählte größere Objekte werden dann in einem größeren Maßstab (1 : 5000) genauer eingemessen und untersucht. Ein solches Begehungsnetz lässt sich dann im weiteren Verlauf einer Geländeaufnahme immer weiter verdichten. 3. Die Geländeaufnahme Im Zuge einer topographischen Beschreibung mit entsprechenden Maßangaben und einer typologischen Einordnung sind auch einige besondere Beobachtungen zu vermerken, die den Befund genauer und auch vergleichend charakterisieren. Für eine relative zeitliche Differenzierung einer Nutzung ist die Beobachtung auf die Überschneidung einzelner Spuren zu richten, womit eventuell einzelne ältere primäre Spuren ausgewiesen werden können, die in den Beginn der Nutzungszeit führen. Zur Bestimmung der ehemaligen Funktion sowie zur Datierung gehören auch die Lokalisierung wüster Siedlungs- und Wirtschaftsplätze (Ortswüstungen, Flurwüstungen, Erzgruben, Steinbrüche, Meilerplätze u.a.). Weiterhin sind jeweils potentielle Stellen für Grabungsschnitte festzuhalten, der Erhaltungszustand, Zerstörungen und Gefährdungen sowie letztlich Bewertungen für eine Unterschutzstellung. Eine solche Aufnahme hat ihren Wert für eine straßengeschichtliche Auswertung, für weiterführende archäologische Forschungen wie auch für Denkmalschutz und Landschaftspflege. 4. Die Wegearchäologie (archäologische Wegeforschung) und die Spurweitentypologie Sind die Altwegerelikte in der Form von Hohlwegen als solche zunächst obertätige, morphologisch sichtbare Objekte, so sind doch mit Profil – und zum Teil auch Flächengrabungen – fossile Befunde, hier und da auch Fundmaterial zu erschließen, die weitere Hinweise auf Alter und Nutzung der Wegespuren geben können. Eine Wegearchäologie ist – abgesehen von den prähistorischen Bohlen – und Holzwegen in den Mooren19 noch kaum entwickelt. Die bisherigen Befunde und Erkenntnisse beruhen auf wenigen Probegrabungen im Rahmen genauerer Untersuchungen ausgewählter größerer Wegespuren, wie auch auf Zufallsbefunden bei Siedlungs19 s. Anm. 9
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grabungen. Die Ergebnisse sind – meist nur nebenbei abgehandelt – weit verstreut in den archäologischen Fundberichten und der Literatur. Selbständige Beiträge zum Thema gibt es kaum, es fehlt auch ein erster sichtender und die bisherigen Ergebnisse zusammenfassender Überblick. Eine Ausnahme ist die fundierte Zusammenstellung prähistorischer Wegebaubefunde von Willroth für die jütische Halbinsel und die dänischen Inseln, in der 1986 vierzig Fundstellen erfasst und kritisch erläutert sind, auf der Basis einer rund 100jährigen Forschung.20 Manche regionalen Ergebnisse einer Feststellung überpflügter Trassenführungen sind auch von der Luftbildarchäologie beigetragen worden.21 Gezielte Schrägaufnahmen, vor allem aber das umfangreiche Material der amtlichen Senkrechtaufnahmen ist hier eine noch kaum für geschlossene Gebiete ausgewertete Quelle. Die Ansprache und Interpretation wirklicher Wegespuren verlangt allerdings einige Erfahrung, grundsätzlich sind jedoch die Voraussetzungen für eine Erscheinung fossiler Wegespuren in Boden- oder Bewuchsmerkmalen durch die einstige Eintiefung und Verfüllung keineswegs schlecht. Profilgrabungen sind bevorzugt in einem langzeitig ruhenden oder einem aufgehöhten, akkumulierten Bodenprofil anzusetzen, d.h. in den unteren Bereichen einer hängigen Hohlwegstrecke. Zu erschließen sind dabei einstige Oberflächen von Fahrsohlen älterer Wege mit den eingetieften Geleisen und Radabdrücken. Diese sind, vor allem bei einer unterschiedlichen Färbung der meist humosen Einfüllungen der Geleise je nach Bodenmaterial gut erkennbar. Sie belegen zunächst einen Wagen- oder Karrenverkehr. Eingetiefte Wegespuren ohne Wagengeleise, meist schon an einer sehr schmalen Sohle erkennbar, können auf Fuß- und Reitwege, auf Eselsstiege, Triften oder Holzschleifen zurückgehen. Der Befund der Wagengeleise fordert dazu heraus, zusammengehörige Gleispaare zu rekonstruieren, um damit die Spurweite oder den Achselabstand der genutzten Wagen zu erschließen. Die Zuordnung zu Geleispaaren wie auch die Ermittlung eines genaueren Maßes sind aus den oft unklaren Spuren nicht immer mit Sicherheit zu entnehmen, so dass oft erst ein Mittel aus mehreren Quer- und Flächenprofilen zu einer annähernden Maßangabe führt. Bei den Maßangaben ist deutlich zu machen, ob es sich um Außenmaße, Innenmaße oder eine Messung von Mitte zu Mitte des Radabstandes handelt. Ausgehend von der allgemeinen Annahme, dass Wagen und Karren unterschiedlicher Größenordnung und Funktion jeweils spezifische Radabstände hatten, die auch je nach Wagentyp und regional genormt waren, lassen sich aus den ermittelten Geleisabständen der Wegerelikte Schlüsse ziehen auf die Bedeutung und Funktion der Spuren und Wegezüge. Die praktische Notwendigkeit, die Radabstände zu normen, um in die eingefahrenen Geleise und Hohlwege hineinzupassen sowie die zumindest seit dem 16. Jahrhundert nachweisbaren und mit Maßangaben belegten Bemühungen, wenigstens territorial Normmaße vorzugeben, berechtigen dazu, von Normmaßen ausgehen zu können.22 Dies bestätigt sich auch nach ersten Ergebnis20 WILLROTH (1986). 21 BRAASCH (1985). 22 KRÖNCKE (1802), S. 110f.; HERINGA (1964); DENECKE (1969), S. 91f.
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sen einer archäologischen Spurweitentypologie für das südliche Niedersachsen, wo sich folgende Maßeinheiten erschließen ließen, ausgehend von gesicherten funktionalen Zusammenhängen zwischen entsprechenden Einrichtungen und zugehörigen Wegespuren: Kohlenkarren des 17. und 18. Jahrhunderts 80 cm –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Mittelalterliche Ackerwagen 85–88 cm –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Erzkarren des Harzes 100 cm –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Frachtwagen der Fernstraßen 110,120 und 140 cm23 Eine erste Zusammenstellung belegter regionaler Normmaße und archäologisch erschlossener Maße zeigt, dass es eine Vielzahl von Radabständen gegeben hat, die natürlich auch bei zeitlicher und räumlicher Entfernung oft nahe beieinander lagen, da die mögliche Variationsbreite nicht sehr groß ist.24 Bei einer Verdichtung der Belege für einzelne Regionen im Laufe einer weiteren gezielten Forschung lässt sich jedoch wenigstens regional eine Schlüsseltypologie aufbauen, die dazu verhelfen kann, Wegerelikte funktional auch zuzuordnen. Außer Zweifel ist eine Spurweitentypologie als solche (Annahme der Normung und ihre regionale Beschränkung, Problem der genauen Maße aus den Befunden, Probleme der Datierung) wie auch eine Interpretation in vieler Hinsicht problematisch und kritisch zu behandeln25. Generell lassen sich jedoch wenigstens relative Differenzierungen und Zuordnungen daraus gewinnen. Durch Grabungen nachweisbar sind auch Wegebau- und Besserungsmaßnahmen26. Zu den baulichen Resten gehören vor allem Brückenfundamente, Befestigungen mit Bohlen oder Specken sowie Steinpackungen oder Schotterungen, Maßnahmen, die bis in prähistorische Zeit zurückgehen können.27 Weit häufiger lassen sich Besserungsmaßnahmen nachweisen: Verfüllungen von Geleisen mit Schotter oder Holz, Planierungen der Wegesohle und vor allem Reinigungen der Wegesohle durch Ausschachten, was zum Teil begleitende Erdwälle hinterlassen hat. Auch künstliche Terrassierungen waren bei schräg im Hang liegenden Trassen oft notwendig. Zu den Funden in den Wegespuren gehören vor allem Reste transportierter Massengüter, so vor allem Holzkohle oder Erzbrocken, weit seltener sind es qualitätvollere Gegenstände, die in einem Wege verloren gingen. Häufiger zu finden sind eiserne Wagenteile und Hufeisen. 23 DENECKE (1969), S. 92–96. 24 Zu frühen Geleisestraßen und Spurweiten vgl. u.a.: BÜSCH (1801); BULLE (1947); ASMUS (1958); DENECKE (1969); S. 86–96, bes. Tabellen S. 90; DENECKE (1979), S. 449–453, bes. Kartenbeilage 2: ,Genormte Radstände und Spurweiten urgeschichtlicher, mittelalterlicher und neuzeitlicher Wagen und Wagengeleise in Mitteleuropa‘. Ein neuester, mit umfangreichen Ergebnissen vorangeschrittener Forschungsstand wäre zu ergänzen. 25 HORISBERGER (1993); SCHNEIDER/ VOGEL (1997). 26 DENECKE (1969), S. 69–85. 27 s. Anm. 9
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Ein entscheidend wichtiges und oft für die Datierung lohnendes Fundmaterial vor allem in feuchten Wegepassagen sind Holzfunde von Bau- und Besserungsmaßnahmen, die keineswegs so selten sind, sie bleiben jedoch beim Wege- und Straßenbau allgemein unbeachtet. Gerade auf diesem Gebiet ist nahezu der gesamte Bestand an beiläufig seit dem 18. Jahrhundert aufgedeckten Befunden unregistriert verlorengegangen. Gezielte archäologische Untersuchungen sollten im Rahmen systematischer Geländeaufnahmen möglichst unternommen werden, um weitere Anhaltspunkte für eine interpretierende Differenzierung des Gesamtbestandes an Geländerelikten zu gewinnen. Entscheidend sind für archäologische Untersuchungen dabei keineswegs nur die obertägig ausgeprägten Hohlwegrelikte, sondern ganz besonders die zu passierenden, meist zusedimentierten Feuchtstellen, die bei einer Geländeaufnahme bereits besonders markiert werden sollten. Dies sind vor allem Bäche und Niederungen, auf die von beiden Hängen Hohlwegspuren zulaufen. III. DIE DOKUMENTATION Da es sich bei den Wegerelikten um lineare, weit verstreute Landschaftselemente handelt, die zugleich aber, vor allem bei den Fernverbindungen, zu langen, in ihrem Zusammenhang keineswegs immer bekannten Wegezügen gehören, ist eine übersichtliche Dokumentation, zumal bei einer Hinzufügung weiterer Belege, ein spezifisches Problem. Allgemein geht eine Dokumentation von Streckenabschnitten aus, wobei sich für Fernstraßen die sternförmig von einer Stadt ausgehende Anordnung von Verbindungen empfiehlt.28 Nachgeordnet sollten flächenhaft einzelne naturräumliche Einheiten erfasst werden. Vermutete Fortsetzungen oder anders belegte Verbindungen erhaltener Wegereste sollten ebenfalls angegeben werden. Die Erfassung der Daten erfolgt in tabellarischer Form wie auch in Kartenübersichten. Für tabellarische Übersichten sind bisher schon verschiedene Formblätter entworfen worden, wobei allgemein mit typisierenden Symbolen gearbeitet wird.29 Historische Belege lassen sich in einem Streckendiagramm auch chronologisch zugeordnet in Symbolen darstellen (vgl. Übersicht 2). Die meisten Symbole können dann auch bei der kartographischen Darstellung angewandt werden. Die kartographische Aufnahme, die im Gelände im Maßstab 1 : 25000, teilweise auch 1 : 5000 erfolgt, ist letztlich in Übersichtskarten 1 : 50000 umzusetzen, in einer Differenzierung der Geländerelikte und der anderweitig erschlossenen Verbindungen, um die erhaltenen Geländespuren in ihrer genauen topographischen Fixierung in ihrer Verbreitung deutlich kenntlich zu machen.30 28 POESCHEL (1968); DENECKE (1969), S. 160ff. 29 POESCHEL (1968), S. 178; DENECKE (1979), S. 141–143; AERNI (1993), S. 323–325: ,Substanzkarte und Legende Gelände‘. 30 Differenzierte Übersichtskarten zu Inventaren historischer Verkehrswege und ihrer Geländrelikte finden sich in: DENECKE (1969; Kartenbeilage 1 : 50000; Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen 1964ff), 1 : 50000; Herausragend sind die veröffentlichten Übersichtskarten des Inventars historischer Verkehrswege der Schweiz (z.B. Simplon) sowie
Übersicht 2 Historisch-geographisches Streckendiagramm (Muster) (aus DENECKE 1979, 44)
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IV. DIE AUSWERTUNG UND UMSETZUNG Die Erfassung und genauere Untersuchung von Altstraßenrelikten hat eine recht spezifische geschichtswissenschaftliche, denkmalpflegerische und gesellschaftlichöffentliche Bedeutung. Für die Straßen- und Verkehrsgeschichte ist es nur eine Quelle unter vielen anderen, als historisches Landschaftselement und Kulturobjekt sind Altstraßenrelikte von untergeordneter Bedeutung. Und doch ist ihnen in mancher Hinsicht ein Stellenwert einzuräumen, der nur durch sie allein vertreten werden kann. Die Geländerelikte alter Wege ermöglichen streckenweise genaue topographische Nachweise alter Trassen, sie sind Belege sonst nicht nachweisbarer Linienführungen vor allem auch älterer Wegeverbindungen und sie erschließen Zuwegungen zu Wüstungen und zu einstigen Wirtschaftsplätzen, die anders nicht belegt sind. Die mit alten Wirtschaftsplätzen in Zusammenhang stehenden Wegespuren (Erzwege, Kohlenwege, Steinwege) sind für die kulturlandschaftsgeschichtliche Forschung und gerade auch im Rahmen der geländebezogenen Wegeforschung auch von besonderer Bedeutung, da sie sich durch die zugehörigen Anlagen allgemein funktional wie zeitlich einordnen lassen. Die alten Wegerelikte sind ein Dokument für die allgemein hohe Dichte und funktionale Differenzierung des einstigen Wegenetzes bis in das 19. Jahrhundert hinein, das vor allem im Bereich der Ortsverbindungen und Fußwege weit vielfältiger und frequentierter war als heute. Die Altwegerelikte haben jedoch nicht nur Bedeutung für die Forschung der Verkehrsgeschichte und die genetische Kulturlandschaftsforschung, sondern auch im Rahmen der Denkmalpflege und der landschaftsgebundenen Geschichtsvermittlung.31 Schon in den 1960er Jahren gab es Aufrufe und verstärkte Bemühungen um einen Schutz von Altwegen, ausgehend von der Regional- und Heimatforschung, besonders als Reaktion auf die flächenhaften Zerstörungen durch die Flurbereinigungen. In den 1980er und 90er Jahren finden sich dann Hohlwegrelikte auch in einigen Schutzgesetzen unter den schützenswerten Landschaftsobjekten, was dann auch zum Teil in die Denkmalschutzgesetze, die Landschaftsrahmenpläne und Landschaftspläne, vor allem aber in die neuerlichen Kulturlandschaftsinventare eingegangen ist.32 Durchgreifend und vorbildlich ist das 1980/81 begonnene und bis 2002 abschließend für die gesamte Schweiz durchgeführte „Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS)“.33 Dieses vom Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft in Anwendung des Bundesgesetztes zum Natur- und Heimatschutz getragene und über 20 Jahre lang von Fachkräften durchgeführte Inventarwerk ist – auf wissenschaftlicher Grundlage – auf denkmal- und landschaftspflegerische Ziele ausgevor allem das umfangreiche, nicht veröffentlichte kartographische Archivmaterial des IVS. Die moderne Dokumentation geht auch bereits zum Einsatz der EDV über (ROHNER, 1997). 31 Hervorzuheben sind Ausstellungen und Broschüren, die speziell historischen Wegestrecken und ihren Geländerelikten gewidmet sind, um damit auf ihre kulturgeschichtliche Bedeutung in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen: RUGE (1997); IVS GRAUBÜNDEN (1999). 32 AURIG (1989); HEGLAND/ SIMONETT/ VOGEL (1989); MEYER (1997). 33 AERNI (1984), (1986), (1993); INVENTAR historischer Verkehrswege (1992); SCHNEIDER (1997); IVS GRAUBÜNDEN (1999).
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richtet und hat sich im Laufe der Arbeit zu einem planungsbegleitenden Instrument entwickelt, das dienstleistend und beratend bei erhaltenden und rekonstruierenden Landschaftsmaßnahmen herangezogen wird.34 „Das Inventar stellt ein für Bundesbehörden verbindliches Instrument dar und steht den Kantonen als Entscheidungshilfe bei Planungsfragen zur Verfügung.“ Alte, aufgegebene Wegeführungen werden als Wanderwege wieder neu belebt und sachgerecht restauriert, Verkehrs- und Straßengeschichte werden in Broschüren und auf Tafeln vor Ort erläutert, Lehrpfade an alten Wegetrassen werden angelegt, und Schulungen zum fachgerechten historischen Restaurieren alter Wegebauten werden durchgeführt.35 Was hier in der Schweiz wissenschaftlich wie auch praxisbezogen auf dem Gebiet einer Inventarisation, historischen Bewertung und Erläuterung wie auch einer praxisbezogenen Bewertung und Erhaltung von Altstraßenrelikten geleistet worden ist, sollte als Anregung vielseitig herangezogen werden, auch wenn ein Nachvollzug kaum je irgendwo erreicht werden wird. Außer Zweifel sollte eine Erfassung alter Verkehrsrelikte nicht stehenbleiben bei wissenschaftlichen Erkenntnissen und Schutzmaßnahmen, sondern sie sollte auch in entsprechender Auswahl umgesetzt werden in einer Umwelt- und landschaftsgeschichtlichen Vermittlungsarbeit. Hierzu gehören Wiederbelebungen und Erläuterungen alter Straßen- und Wegenamen, die historisch erläuterte Integration alter Wegeverbindungen in das heutige Wanderwegenetz, die Einrichtung bedeutender historischer Wegstrecken als Landschaftsmuseen oder Ecomuseen wie auch die Thematisierung und Präsentation von Wegebau und Straßengeschichte in Freilandmuseen. Hierzu lassen sich bereits einige Vorbilder anführen, das Landschaftsmuseum „Alte Salzstraße“ bei Lübeck, ein Teilstück des jütischen Ochsenweges als erläuterter Wanderweg, das Ecomuseum der Simplon-Passstraße, der Stockalperweg der Stiftung Simplon-Ecomuseum und Passwege, nachgestellte Wegetypen im Rundwegenetz des Oberpfälzer Freilandmuseums oder das Projekt „Jakobswege durch die Schweiz“, ein Beitrag zum modernen Tourismuskonzept der Schweiz.36 Wegerelikte im Gelände sind nur ein Teilaspekt einer komplexen Straßen- und Verkehrsgeschichte und auch eines Denkmalschutzes, mit ihnen lassen sich aber auch exemplarisch die historischen Verkehrsverhältnisse anschaulich verdeutlichen. Die Relikte dokumentieren und vermitteln eine historische Dimension der Landschaft, die in der Realität immer mehr im Schwinden begriffen ist. Die Geländeaufnahme alter Wegerelikte ist ein entscheidender Beitrag zur Geschichte der Kulturlandschaft.37
34 SCHNEIDER (1997); SCHÜPBACH (1997). 35 PLANTH (1985–90); CASELLI/ SUGDEN (1988); AERNI (1989); INVENTAR historischer Verkehrswege (1990); HEGLAND (1993) 36 ANDEREGG (1988), MØYNER (1994), SCHÜPBACH (1997); AG, Ochsenweg: Denkmalpflege. 37 Weitere bibliographische Hinweise: DENECKE (1979), S. 471–483; BARRAUD/ HÄCHLER/ POLLAK (1983). Zum allgemeinen Forschungsansatz: SCHÄFER (1977); DENECKE (1979; SCHNEIDER (1982); HERZIG (1995). Zum Forschungsstand vgl. u.a. BILLIG/ WISSUWA (1987); AURIG (1992).
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
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2. Altwegerelikte: Methoden und Probleme
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IV. Verkehr und Altstraßen als Bereiche der Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
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V. DER ANWENDUNGSBEZUG IN DER HISTORISCHEN GEOGRAPHIE 1. FRÜHE ANSÄTZE ANWENDUNGSBEZOGENER LANDESBESCHREIBUNGEN DER DEUTSCHEN GEOGRAPHIE (1750–1950)* Es mag verwunderlich erscheinen, eine anwendungsbezogene geographische Arbeit, der sich die wissenschaftliche Geographie erst in jüngster Zeit in Forschung und Lehre zentral zuwendet (vgl. Phlipponneau 1960, Stamp 1960, Czajka 1963, Száva-Kováts 1966, Weigt 1966, Stiens 1976, v. Rohr 1990), bereits im 18. und 19. Jahrhundert zu suchen, und doch – wie sich zeigen wird – finden sich hier schon Ansätze, die nicht nur in ihrer Zeit Wissenschaft und Praxis fruchtbar vereinten, sondern auch für unsere Gegenwart Anregungen zu geben vermögen. Man kann sogar zunächst als These herausstellen, daß die Zeit erster geographischer Forschungsarbeit an deutschen Universitäten seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Etablierung einer wissenschaftlichen geographischen Disziplin Mitte des 19. Jahrhunderts und der Einrichtung einer größeren Zahl geographischer Lehrstühle in der Zeit 1870–85 sehr wesentlich von einer praxisbezogenen Lehre geprägt war. Die Begründung der Geographie als Disziplin und die Einrichtung der Lehrstühle dagegen war vornehmlich angestoßen und getragen von einer geographischen und landeskundlichen Bildung und Ausbildung für den Lehrberuf, verkörpert besonders durch Karl Ritter bzw. Hermann Wagner, die beide – und nicht nur sieüber die Pädagogik zur Geographie gelangt waren. Die Lehrerausbildung, das Messen, exakte kartographische Darstellungen und didaktisches Aufbereiten des erdund landesbeschreibenden Wissensstoffes wurde als wissenschaftliche Aufgabe in den Mittelpunkt gestellt, eine anwendungsbezogene Arbeit wurde zum Nebenprodukt und setzte in der Forschung gezielt erst wieder in den 20er und besonders in den 30er Jahren unseres Jahrhunderts ein (vgl. u.a. Stevens 1921, Kelletat 1936, Meyer 1936, 1937, Brüning 1953, Meynen 1963). Nach dieser zweiten hervortretenden Phase einer angewandten Geographie folgte dann in der Nachkriegszeit zunächst wieder eine Rückläufigkeit, bis dann – wesentlich vorangebracht durch den Studiengang der Diplomgeographen – in den 70er Jahren unser heutiger Vorrang der spezialisierten praxis- und öffentlichkeitsbezogenen Forschung und Lehre einsetzte, der nunmehr bereits dominant geworden ist, wie dies u.a. der 50. Deutsche Geographentag in Potsdam (1995) sehr deutlich zeigte (zum Beginn der jüngsten Phase im internationalen Vergleich siehe besonders Száva-Kováts 1966). *
Frühe Ansätze anwendungsbezogener Landesbeschreibung in der deutschen Geographie (1750– 1950). In: Der Weg der deutschen Geographie. Rückblick und Ausblick. Heinritz, G.; Sandner, G. und R. Wiessner (Hrsg.). 50. Deuscher Geographentag. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen, 4, Potsdam, 1995, S. 111–131
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Entwicklungsgeschichtlich lassen sich also drei wesentliche Phasen erkennen, die auch mit den dazwischenliegenden Initiativen praxisbezogener Forschung jede für sich zu charakterisieren sind, mit der Frage ihrer jeweils nur befristeten Zeitgebundenheit oder auch erkennbaren, den anwendungsbezogenen Ansatz durchtragenden Verbindungslinien. In diesem Beitrag soll die anwendungsbezogene landeskundliche Forschung und Darstellung im Mittelpunkt stehen, es sollen aber auch Gesamtzusammenhänge der Entwicklung unseres Faches im Rahmen eines Praxisbezuges deutlich werden, bezogen auf verschiedenste Richtungen und Grundansätze einer Anwendung . Sehr wesentlich bei der Analyse des angewandten Arbeitsansatzes in der geographischen Forschungsgeschichte ist eine differenzierende Einschätzung der Art des Anwendungsbezuges. Von welcher Seite her stellte sich die Aufgabe, wer war die treibende Kraft für eine Anwendung geographischer Kenntnis, welche Stellung nahm die praxisbezogene Arbeit ein im Rahmen der zentralen Zielsetzungen der geographischen Wissenschaft, wo sind allgemeine wissenschaftliche Parameter zu erkennen, die im Ansatz und der Zielsetzung der geographischen Wissenschaft eine führende Rolle für einen Anwendungsbezug spielen konnten? Diese allgemeinen disziplinkritischen Fragestellungen stehen hinter dieser knappen forschungsgeschichtlichen Analyse einer anwendungsorientierten Geographie. Ein Schwerpunkt der Betrachtung liegt im 18. und 19. Jahrhundert, wesentliche Fäden werden jedoch bis in unsere Gegenwart hinein gezogen werden, ist doch ein Jubiläum wie in diesem Jahr der 50. Deutsche Geographentag nicht nur Anlaß zu einem disziplingeschichtlichen Rückblick, sondern gerade auch eine Herausforderung zu einem kritischen Anstoß nach vorn, im Kontext einer durch einen Rückblick fundierten Fachkritik. Bemerkenswert ist nun, daß in der Disziplingeschichte der Geographie der Frage nach anwendungsorientierten Ansätzen geographischer Forschung und Vermittlung bisher kaum gezielt nachgegangen worden ist. Das Lehrgebäude geographischer Kenntnis, Darstellung, Analyse und Erklärung, der Kern der sich etablierenden geographischen Wissenschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, steht hier ganz im Vordergrund einer allgemeinen geistesgeschichtlichen und oft auch personenbezogenen Geschichte des Faches. Der Gesichtspunkt angewandter Arbeit fehlt in den meisten Darstellungen und geographiegeschichtlichen Handbüchem ganz und dies nicht nur in der deutschen Disziplingeschichte, sondern auch in anderen europäischen Ländern oder in Amerika. Allein Arthur Kühn hat die wesentlichen Züge früher anwendungsbezogener Arbeit in einzelnen Beiträgen aufgedeckt, auf seine Arbeiten und treffenden generellen Einschätzungen sei hier in besonderer Weise hingewiesen (Kühn 1962, 1966). Auch in den neueren allgemeinen Darstellungen speziell der „Angewandten Geographie“ (Uhlig 1968, v. Rohr 1990) ist eine Aufarbeitung und kritische Analyse früherer Ansätze bzw. die Geschichte einer angewandten Geographie kaum enthalten. Hier wird sogar die Behauptung aufgestellt (v. Rohr 1994, S. 29), daß es vor 1950 keine Geographie gegeben habe, die Aufgaben einer angewandten Geographie hätte übernehmen können und wollen, eine Auffassung, die in dieser Weise nicht haltbar ist. Woran liegt die Vernachlässigung der Frage nach der früheren Entwicklung und Bedeutung einer angewandten Geographie? Hat angewandte geographische
1. Frühe Ansätze anwendungsbezogener Landesbeschreibungen
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Arbeit bis in unsere Zeit wirklich nur einen marginalen Stellenwert gehabt? Bei gezielter Suche ist angewandte geographische Arbeit reichlich zu finden, in einigen Epochen und bei einzelnen Persönlichkeiten sogar in hervortretendem Maße. Es fehlte jedoch an einem einigenden theoretischen und methodischen Rahmen, an einer Struktur, die die Geographie als solche als eine Wissenschaft definiert, die ihre Aufgabe und ihr Selbstverständnis auch aus einem generellen Bezug zur praktischen Entwicklung menschlichen Lebens und raumwirksamen Handelns ableitet. Die neuerlich sehr deutliche und z.T. sogar extreme Hinwendung der Geographie zu einem anwendungsorientierten Profil und Arbeitsansatz fordert in besonderem Maße dazu heraus, gerade zu diesem Zeitpunkt und im Rahmen eines Geographentages einige Gedanken zur geschichtlichen Entwicklung der angewandten Geographie zu äußern. Wenn hier einer frühen praxisorientierten und für die Anwendung bereitgestellten Geographie disziplingeschichtlich nachgegangen wird, so darf man dabei nicht von der heutigen Definition einer Angewandten Geographie ausgehen. Zweck und Nutzen, Anwendung und Praxisbezug haben sich im Laufe der Entwicklung gewandelt, was auch immer wieder zu einer Kritik an dem Begriff und seiner Verwendung geführt hat (u.a. angewandte, anwendbare, praktische, praktikable, zweckgerichtete Geographie; vgl. hierzu u.a. Czajka 1963, Száva-Kováts 1966, Weigt 1966, v. Rohr 1990, S. 7 ff.). In der Praxis verwendbare geographische Methoden und Kenntnisse, in die Praxis umsetzbare geographische Erkenntnisse, die Vermittlung geographischen Wissens in der Öffentlichkeit und an den Praktiker wie auch die Bearbeitung geographischer Aspekte im Zuge praktischer Aufgabenfelder – dies sind verschiedene Aspekte, die in der frühen Entwicklung einer angewandten Geographie von Bedeutung gewesen sind und die in die Betrachtung miteinbezogen werden müssen. In jüngerer Zeit wird die Anwendung aktionistisch gesehen, es wird zunehmend eine praxisbegleitende, projektbezogene, anwendungsorientierte Arbeitsweise angestrebt und gefordert. Für die jüngere Entwicklung der Anwendung innerhalb der Geographie als definierendes Element der Anthropogeographie ist vor allem von den Gedankengängen Czajkas (1963) auszugehen, auf die Landeskunde bezogen besonders von den Überlegungen von Stiens (1976). Nach der freiheitlichen und vor allem internationalen Lehre und Forschung an den frühen Universitäten des späten Mittelalters hatten sich im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts im Zuge der Scholastik vor allem der Lehrkanon und die Lehrmeinungen an den Universitäten auf „Schulen“ eingeengt, die Belehrung und Gelehrsamkeit nach standardisierten Mustern standen im Vordergrund. Die freie und praxisbezogene Forschung dagegen hatte sich mehr und mehr in Gesellschaften und Akademien angesiedelt. Viele bedeutende Forscherpersönlichkeiten des 16. und 17. Jahrhunderts waren eher der Praxis verbunden als der Gelehrsamkeit der Universitäten. Die Bewegung der Aufklärung, die an der 1694 neu gegründeten Universität Halle ihre erste Heimstätte fand, hat hier ganz neue Akzente gesetzt. Vernunft, Ratio und Pragmatismus waren Antrieb und Lehrmeister aller Wissenschaft. Die Menschen über die Weltzusammenhänge aufklären, eine Freiheit der Forschung sichern und verbreiten, das Hineinwirken von Forschung und Lehre in das praktische Leben hin zu einem Weltverständnis und eine Ausrichtung der Wissenschaft auf einen
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allgemeinen Nutzen – dies waren Zielsetzungen, die ein ganz neues Konzept der Universitäten erforderten (vgl. Hammerstein 1978). Es wurde zuerst in Halle, dann aber in weit konsequenterer Form mit der Neubegründung der Göttinger Universität 1734/37 verwirklicht. Als Aufgabe der Universitäten wurde es in der Zeit der Aufklärung angesehen, für den späteren Beruf zu erziehen und auszubilden. Die Studenten sollten lernen, auf welcher „vernünftigen“ und dabei wissenschaftlichen Grundlage das „Nützliche“ erreicht werden könne. Dabei ist noch keineswegs genügend herausgearbeitet worden, welche entscheidende und wirkungsvolle Rolle gerade auch die geographischen Lehren an den bestehenden Universitäten im Rahmen der Entwicklung einer Berufsausbildung für verschiedenste Bereiche in der Praxis in Deutschland gespielt haben. Eine solche Wissenschaft mußte auf praktischen Erfahrungen aufbauen, die Wissenschaften wurden in ihrer ganzen Breite Erfahrungswissenschaften. Klar und evident wird dies in den vielen im 18 Jh. neuen, vor allem praktisch, ökonomisch und naturwissenschaftlich bezogenen Wissensgebieten, die von Beginn an in Halle und in Göttingen, später auch in Jena, Heidelberg, Gießen oder Kiel gelehrt wurden, wie auch in den Bezeichnungen der Professuren, die in ihrer inhaltlichen Vielfalt in den philosophischen Wissenschaften (philosophische Fakultät) zusammengeschlossen waren. So wurden etwa geographische Inhalte im 18. Jahrhundert gelehrt von Professoren der „Haushaltungs- und Wirtschaftswissenschaften“, der „Weltweisheit und Haushaltungskunst“ oder von den Professoren der „Statistik und Kameralwissenschaften“. Überall ist der Nutzen maßgebend, die „Gemeinnützigkeit“ ist die Grundlage jeder Entscheidung, alles strebt im 18. Jh. zum Pragmatischen. Dabei wurde die Gemeinnützigkeit darauf bezogen, daß jeder, auch derjenige, der nicht zur Universität gehörte, an den Einrichtungen (besonders etwa der Bibliothek) und an wissenschaftlichen Ergebnissen teilhaben sollte und daß die wissenschaftlichen Erkenntnisse durch laufende Berichte, Forschungsübersichten und „Anzeigen“ der allgemeinen Öffentlichkeit vorgelegt wurden. Letztlich aber sollte der Dienst für die Öffentlichkeit auch über einen Dienst am Staat erreicht werden. Der staatspolitische Wert und Nutzen der Lehre in den Erfahrungswissenschaften war ein erstrebtes Ziel, eine Tätigkeit für das Staatswohl wurde als Aufgabe gesetzt, allerdings in einem liberalen Sinne, bereits weit über die Bindung und Unterordnung unter den absolutistischen Herrscher und die von ihm beherrschten Belange hinausgehend bzw. von diesen gelöst. Die erste Phase geographischer Lehre und Forschung an der jungen Göttinger Universität, aber auch etwa in Jena oder Gießen, war verbunden mit kartographischer Arbeit, mit Daten der Erd- und Himmelsvermessung, mit einer Beobachtung und Datensammlung zu einer Staatenkunde sowie mit einer Sammlung von Daten ferner und bisher weitgehend unbekannter Länder. Die Geographie hatte noch nicht als Fach, aber doch als Forschungs- und Lehrinhalt damit bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine erstaunliche Breite. Hier wurden Ansätze und Betrachtungsweisen erarbeitet, die bis in unser Jahrhundert weiterwirkten und weiterentwickelt werden sollten. Gehen wir exemplarisch etwas ins Detail: Die Kartographie und zwar der Entwurf und die technische Herstellung von Karten für den praktischen und auch öf-
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fentlichen Gebrauch kam nach Göttingen durch die Berufung von Tobias Mayer im Jahre 1751 als Professor der „Astronomie und Ökonomie“ (zu Mayer vgl. Forbes 1980). Mayer war Mitarbeiter und Mitinhaber der Homannschen Officin in Nürnberg, des bedeutendsten deutschen Kartenverlages der Zeit. Er war zugleich Mitglied der Kosmographischen Gesellschaft in Nürnberg, einer wissenschaftlichen Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, geographische Kenntnisse und Forschungsergebnisse zu fördern und in die Öffentlichkeit zu tragen. Diese Gesellschaft hat zugleich wissenschaftlich und öffentlich außerordentlich anregend gewirkt. In einer ganz besonders reizvollen und markanten Weise ist der Fortgang Mayers von Nürnberg zu seiner neuen Wirkungsstätte in Göttingen durch seine Mitarbeiter in der Homannschen Handlung dokumentiert worden. Der Fortgang führte zu „Gedanken von einem Reiseatlas“, die „bei Gelegenheit der Abreise des Herrn Professor Tobias Mayer aus Nürnberg nach Göttingen den 15. März 1751 als am Tage des Abschieds glückwünschend entworfen“ (Franz 1751). Die Idee zu diesem Reiseatlas wurde von einem seiner engsten Mitarbeiter in Nürnberg, von Johann Michael Franz in der genannten Veröffentlichung ausführlich begründet und beschrieben. Zugleich erschien 1751 das erste Blatt dieses Atlasses unter dem Titel „Ita Mayerianum ad musas goettingenses“, der Mayersche Weg zu den Göttinger Musen. Franz hatte mit diesem Atlas große und eindeutig auf die praktische Benutzung ausgerichtete Pläne. Er schreibt: „Es ist der Entwurf oder erste Anlage gemacht, daß durch ganz Deutschland und seinerzeit auch durch alle europäische Staaten ein Reiseatlas gezeichnet und darzu ein bequemer Wegweiser geschrieben werde, welcher den Reisenden zum nötigen Unterricht dienen, besonders aber dem Kaufhandel zu größerem Nutzen als alles andere was bis daher von der gleichen Sachen ans Licht getreten ist, gereichen soll.“ Der Bezogenheit auf die konkrete praktische Anwendung des Reiseatlas wurde noch durch eine besondere Aussage des Karteninhaltes Rechnung getragen: „unser Reiseatlas wird also keine gemessene Landstraßen aufweisen – wie bei den älteren Itinerarkarten – sondern sich auf solche gründen, wie sie sich nach den Land- und Reisemeilen zur Folge der Erfahrung der Reisenden verhalten“ (mögliche Reisegeschwindigkeit). Der geplante Atlas war kein bloßer topographischer Straßenatlas, sondern ein thematischer Atlas, dem die Reisedauer, die Wegeverhältnisse, Steigungen und Beschwernisse sowie Rastplätze, Unterkünfte, Zollstellen und anderes zu entnehmen waren. Erarbeitet werden sollte der Atlas durch empirische Erhebung. Franz stellte sich vor, „daß wir alle und jeden Reisenden zur Beihülfe auffordern. Diese Beihülfe ist leicht, denn sie kann auch von Boten, Kutschern und Fuhrleuten verrichtet werden, wann man nur ihnen die gehörige Fragen, die sie aus der Erfahrung beantworten dürfen, vorleget“. Franz wendete also schon hier nichts anderes als die Methode der Befragung für seine Datenerhebung an. Er nahm auch bereits eine funktionale Differenzierung des Verkehrsnetzes vor: „Wann uns also die Reisenden ihre Straßenbeschreibungen zuzusenden belieben, so müßten sie dabei bemerken, ob es ein Bottenweg, Post- oder Fuhrweg seie, welches drei unterschiedene Dinge sind.“ Der Projektenwurf schließt mit den Worten: „Den großen Nutzen, den dieses Werk mit
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sich führet, wird niemand absprechen … es ist also an der Zeit, sich mit Gründlichkeit an diese Sache zu machen.“ Der Atlas war „als erste Probe eines Reiseatlasses, anderen Reisenden zur Nachahmung empfohlen,“ d.h. als Modellprojekt gedacht. Aus diesen weitgesteckten Zielen und einer Verwirklichung dieser der Zeit voraneilenden Idee wurde jedoch nichts: die Itinerarkarte Mayers blieb das einzige veröffentlichte Blatt des geplanten Atlaswerkes. In den Bereich thematischer Kartenentwürfe für die Anwendung in Wirtschaft und Handel aus einer Sammlung von Daten heraus gehören auch die „Produktenkarten“, die z.B. bereits von August Friedrich Crome 1782 oder auch von Carl Ritter 1800/1836 (Engelmann 1966) beigetragen worden sind. Karten und Atlanten für Wirtschaft, Verwaltung und Planung sind seit dem 18. Jh. durchgehend immer wieder von geographischer Seite her bearbeitet worden (vgl. als ein regionales Beispiel Behrmann/Maull 1929). Im Zusammenhang mit Reisewegen hat sich Franz auch mit der möglichen Verkürzung und Verbesserung der Postkurse im deutschen Raum beschäftigt, d.h., mit einer angewandten Verkehrsgeographie, was er in einer 1755 in Göttingen erschienenen Arbeit „de abreviandis postarum cursibus“ als wissenschaftlich fundierten praktischen Vorschlag niederlegte. Die Arbeit erschien in Göttingen, da Franz, wie auch ein weiterer dritter Mitarbeiter der Homannschen Officin, Georg Moritz Lowitz, im gleichen Jahre (1755) nach Göttingen an die Universität berufen worden war. Johann Michael Franz war ausdrücklich als „Professor der Geographie“ ernannt worden, weit vor der Errichtung geographischer Lehrstühle an anderen deutschen Universitäten (zur Entwicklung der Geographie in Göttingen vgl. Kühn 1939, Denecke 1987). Mayer zog nicht nur zwei Mitarbeiter, sondern auch die „Kosmographische Gesellschaft“ von Nürnberg mit nach Göttingen. Der Plan, sogar die Homannschen Officin, d.h. also den bedeutenden Kartenverlag auch nach Göttingen zu verlegen, wurde ernsthaft betrieben, scheiterte jedoch aus finanziellen Gründen. Immerhin wird auch in diesem Plan deutlich, daß die geographische Forschung in Göttingen keine bloße Gelehrsamkeit sein sollte, sondern daß sie aus einer praktischen Arbeit heraus und für eine praktische Anwendung und Öffentlichkeit geleistet wurde. Zu erwähnen wäre hier auch der Plan von Lowitz, in Göttingen eine „Weltkugelfabrik“ (Produktion von Globen) zu errichten. Kenntnisse ermitteln und sammeln, sie ordnen und systematisch zusammenstellen und sie der zu „bildenden Öffentlichkeit“ vorzulegen – diese grundlegenden Ziele der Aufklärung wirkten sich auf die Wissenschaft geographischer Inhalte dahingehend aus, daß landeskundliche und länderkundliche Daten und Beobachtungen zu Staats- und Weltbeschreibungen zusammengetragen wurden. Bahnbrechende Gedanken sind auch hier wieder von Johann Michael Franz vorgetragen worden, mit dem erklärten Ziel, die Geographie zu einer „nützlichen“ Wissenschaft zu entwickeln, zu einer Wissenschaft für eine breite Öffentlichkeit, im Dienste des Staates. Die staatspolitische Verwertung und Anwendung wissenschaftlicher Kenntnis und Erkenntnis hat Franz als wesentliche Aufgabe der Geographie angesehen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe entwickelte er den Aufgabenbereich und die Position eines „Staatsgeographus“, niedergelegt in der 1753 veröffentlichten Schrift: „Der deut-
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sche Staatsgeographus mit allen seinen Verrichtungen höchsten und hohen Herrn Fürsten und Ständen im deutschen Reiche nach den Grundsätzen der kosmographischen Gesellschaft vorgeschlagen“. In der Einleitung heißt es: „Weil man im gemeinen Wesen nicht recht weis, was ein Geographus für ein Tier ist“ (in dieser Hinsicht sind wir bis heute noch nicht recht weitergekommen!), „so kann man ihn auch den Land- und Grenzkommissarius nennen, sowie man am königlich-polnischen und kurfürstlich-sächsischen Hof den dasigen „Landes- oder Staatsgeographus“ zu nennen beliebet hat, und damit man noch deutlicher ersehe, was man bei der Kosmographischen Gesellschaft von einem solchen Mann erfordere, so wollen wir diejenigen Pflichten, die man einem in Bestallung genommenen Geographus vorschreiben müßte, überhaupt in folgenden Artikeln begreifen“. An Aufgaben werden nun genannt: „die Länder und Staaten zum Gebrauch des Kabinetts und der Regierung geometrisch aufnehmen und in einem sogenannten Kabinettsatlas verfassen zu lassen – die vollständige Land- und Ortsbeschreibung zum Gebrauch der Regierung in Aufsatz zu bringen – alle Seltenheiten der Natur in allen und jeden Gegenden des Landes bemerkend verzeichnen, beschreiben und den Landesherrn bekande zu machen – aus der gemeldten Sammlung soll er soviel als dem Publico zu wissen nötig ist Erlaubnis haben, ein Lehrgebäude zur Staatsgeographie desselben Landes, wovon er bestellter Geographus ist, aufzubauen und mit nötigen Landkarten zu erläutern – weil er des Landes vollkommen kundig geworden, so soll er auf allerhand Landesverbesserungen denken und seine gesammelte Anmerkungen zu nützlichen Vorschlägen anwenden. Die Landwirtschaft, Baukunst, Handel und Wandel mit der allergenauesten Kenntnis des Landes verknüpft, geben Stoff genug zur Erfindung neuer Dinge, die einem Volk und Lande ersprieslich fallen können.“ Und den Katalog abschließend, bemerkt er: „Er (der Staatsgeographus) ist kein Titelgeographus, noch sonst ein Landkartenschmied, der sich alleine dienet, sondern ein Weltbeschreiber, der alle seine Wissenschaft dernienigen Staat, von deme er bestellet ist, auf alle ersinnliche Art nutzbar zu machen suchet“ – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Staatsbeamter und Staatsdiener. Übersetzen wir diese Aufgaben einmal in die Begriffe der Gegenwart, so zeigt sich, daß hier bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts von einem Professor der Geographie in Göttingen die Grundlagen gelegt sind für: 1. die Aufgaben eines Landesvermessungsamtes und für einen Planungsatlas des Landes 2. für Kreisbeschreibungen und politische Landeskunden 3. für Inventare des Naturpotentials, wie sie heute für den Naturschutz erarbeitet werden 4. für die Erarbeitung und Veröffentlichung einer geographischen Landeskunde eines Landes (politische Landeskunde) 5. für die Erarbeitung von Vorschlägen zu einer Landesplanung und Landesentwicklung 6. Bereitstellung von Straßenkarten und Reisehandbüchern für den Handels- und Reiseverkehr 7. Aufbereitung geographischer Kenntnisse für das Schulbuch, für Handel und Wirtschaft.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Wir bekommen hier ein konkretes Bild davon, wie man sich bereits in der Mitte des 18. Jhs. einen Diplomgeographen vorstellte. Die Idee der Landesbeschreibung, die Franz durch seinen „Staatsgeographus“ als staatliche bzw. amtliche Aufgabe zu etablieren suchte, ist schon zu seiner Zeit durchaus auf fruchtbaren Boden gefallen und hat – bis heute – seine Fortsetzung gefunden, unter den Bezeichnungen: „Pragmatische Beschreibung“, „Staatsbeschreibung“ oder „Erdbeschreibung“ im 18. Jahrhundert, „topographisch-statistische Beschreibung“ oder „Topographie“ in der Blütezeit dieser Arbeiten im 19. Jahrhundert und „Amtsbeschreibung“, „Kreisbeschreibung“ sowie letztlich „politische Landeskunde“ in unserer Zeit. Zu den auf Städte bezogenen Beispielen politisch-stadtgeographischer Beschreibung gehören der 1794 erschienene „Versuch einer skizzierten Beschreibung von Göttingen nach seiner gegenwärtigen Beschaffenheit“ von Moses Rintel oder Johann Friedrich Ungers „Pragmatische Beschreibung der Stadt Einbeck“ (1756) und manche andere. So wie Unger als Bürgermeister der Stadt Einbeck, so waren die meisten Verfasser dieser Topographien Persönlichkeiten aus der Verwaltung oder Wirtschaft, die zum Teil auch studiert hatten bzw. die Form dieser Stadt- und Landestopographien von anderen Vorbildern übernahmen. Benutzt wurden diese topographischen Beschreibungen in der Verwaltung, aber auch vom gehobenen Bürgertum als Grundlageninformation über die regionalen Verhältnisse in der eigenen und nächstgelegenen Verwaltungseinheit. Auf eine weltweite Information bezogen waren die „Erdbeschreibungen“, die der in Stadthagen geborene Theologe, Geograph und Pädagoge Anton Friedrich Büsching während seiner Göttinger Zeit (1754–1761) zu einem großangelegten elfbändigen Werk, der „Neuen Erdbeschreibung“ entwickelte. Charakteristisch ist, daß Büsching seine Erdbeschreibung einleitet mit einem Kapitel „Von dem Nutzen der Erdbeschreibung“, d.h. Zweck und Anwendung seines Werkes waren ihm ein besonderes Anliegen. Dieser Nutzen ist einerseits ein religiöser, andererseits aber auch ein ganz pragmatischer, vornehmlich auf die allgemeine Kenntnis geographischer Zusammenhänge gerrichtet. Neben der Sammlung von Beobachtungen für eine systematische Zusammenstellung in den Landes- und Erdbeschreibungen stand die Sammlung und Auswertung statistischer Daten, d.h. aktueller staatspolitischer Fakten. Der so verstandene statistische Ansatz einer vielfältigen neuen Wissenschaft ist – auf der Grundlage der Anregungen von Conring (Zehrfeld 1926) in Göttingen durch Gottfried Achenwall systematisch ausgebaut und auch von vielen seiner Kollegen an anderen Universitäten aufgegriffen worden, darunter vor allem von denjenigen, die auch historische und geographische Sachverhalte lehrten. Der Religionshistoriker Walch, F.G. Canzler und vor allem dann E. Wappäus lasen in Göttingen Statistik, deren Betrachtungsweise die landeskundliche und die allgemeine Natur- wie Anthropogeographie zu überformen begann. Dabei haftete dieser Statistik eine besondere Aktualität und angewandte Seite an, da vor allem aktuelle politische Sachverhalte aufgenommen und als wissenschaftliches Quellenmaterial aufgearbeitet wurden. Eine gewisse Fragwürdigkeit der Wahrheit der Angaben ließ allerdings viele dem statistischen Ansatz und dem Anliegen, Statistik als universitäre Wissenschaft zu etablieren, skeptisch gegenüberstehen. So äußerte sich etwa Münchhausen: „Ich
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zweifle, daß Herr Achenwall oder sonst jemand etwas Beträchtliches davon ausarbeiten werde, da man an vielen Orten dergleichen für arcana status (d.h. für eine geheime Sache) hält oder doch sie aus Neid verbirgt“. Aber auch viele der Landesbeschreiber, so etwa Büsching, grenzten sich gegen die aufkommende Statistik ab, offensichtlich da sie zu sehr auf amtlichen Angaben beruhte, zu sehr auf staatspolitische Zwecke gerichtet war und zu wenig auf die nachvollziehbare allgemeinnützige Beobachtung, Anschauung und Beschreibung. Gegen Ende des 18. Jhs. gab es vielfache wissenschaftliche Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern der Statistik im Sinne einer Staatenkunde (Renner 1786, Toze 1790, Meusel 1792, Mader 1793, Sprengel 1793, Mannert 1805, Niemann 1807, Greilmann 1790; als Übersicht vgl. Seifert 1980), und den „geographischen Landeskundlern“ im Sinne einer Anwendung der Statistik im Rahmen einer Erd- und Staatsbeschreibung (z.B. Büsching 1758) oder einer nützlichen Landeskunde für jedermann (z.B. Fabri 1790, 1791; zu J.E. Fabri vgl. auch Stein 1972, S. 2–16; Lutz 1973). Die Staatenkunde oder Staatskunde war bezogen auf eine Analyse und Kenntnis des gegenwärtigen Zustandes eines Staates und damit auf die politische, soziale und wirtschaftliche Aktualität entwickelter Staaten, während die geographische Erd- und Staatsbeschreibung allgemeine, vornehmlich auch physische Kenntnisse besonders auch entfernter Länder der Erde zu vermitteln suchte, wobei eine Erklärung aus der Vergangenheit heraus ein wesentlicher Gesichtspunkt war. In der geographischen Landesbeschreibung hat sich im 18. Jahrhundert der physisch und historisch erklärende Ansatz durchgesetzt, um damit über die aktuelle Beschreibung hinaus begründete und beständige Erklärungen und auf diese Weise eine wissenschaftliche Fundierung zu erreichen. Über 200 Jahre hat der historisch-genetische Betrachtungsansatz der Geographie zu einer anerkannten Wissenschaft verholfen – allerdings um den Preis, sich mit der „reinen Wissenschaft“ von den aktuellen Aufgaben anwendungbezogener Forschung fernzuhalten. Die Weichen hierzu wurden bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestellt, wie dies u.a. treffend in einem frühen Werk zur Theorie der Geschichte gegen die Pragmatiker des aktuellen Praxisbezuges zum Ausdruck kommt: „Die, welche geglaubt haben, sie (die Statistik als gegenwartsbezogene Staatenkunde) als eine geschlossene Wissenschaft zu constituieren, … bedachten in ihrer Freude, Geschäftsund Staatsmännern, Büreau- und Tabellenarbeitern nützliche Hülfsbücher gegeben zu haben, nicht, daß praktische Nutzbarkeit und wissenschaftliche Geltung nicht immer gleichstehen… . Nur dem, der bloß für die Gegenwart lebt, kann das bloße Seyn, die äußere Erscheinung genügen… . Wie seelenlos aber ist es, nur die Gegenwart begreifen zu wollen? Wie ist es möglich, ohne ihre Entwicklung aus dem früher Gewesenen?“ (Wachsmuth 1820, S. 12 f.). Erst mit der modernen Tendenz eines wissenschaftlichen Rigorismus und öffentlichen Profilstrebens löst sich die Geographie von der Genese als einem ihrer wesentlichen Strukturelemente ab, um ihren Auftrag in der aktuellen Praxis zu suchen. Die für das Fach als wissenschaftliche Disziplin nicht unerheblichen Folgen dieses den Kern der Geographie treffenden Strukturwandels sollten bereits heute gründlich bedacht und reflektiert werden.
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Die gegenwartsbezogene Statistik hat sich bereits am Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen einer Staatenkunde verselbständigt, in der Geographie ist die Statistik im Sinne einer landesbeschreibenden Sammlung von Daten weiterentwickelt worden, so etwa von Johann Eduard Wappäus, der 1845 in Göttingen zum außerordentlichen und 1855 zum ordentlichen Professor mit dem Lehrgebiet „Landeskunde und Landesstatistik“ berufen worden ist, wobei der statistische Betrachtungsansatz bei ihm deutlich im Vordergrund stand („Allgemeine Bevölkerungsstatistik“ 1861). In einer engen Verbindung zur Geographie standen oft auch die historischtopographischen Landes- und Ortsbeschreibungen, die in der gleichen Zeit von der historischen Seite beigetragen wurden (vgl. als Beispiele Steubing 1792, Guilleaume 1836, Fecht 1864). Instruktiv und fundiert haben sich in jüngerer Zeit Beck (1980) und Lutz (1980) mit den Beziehungen von Geographie und Geschichte zur Statistik und Staatsbeschreibung auseinandergesetzt. Disziplingeschichtlich grundlegend ist in diesem Zusammenhang auch der sich bereits Ende des 18. Jhs. anbahnende Zusammenhang zwischen der Kulturgeographie und der volkskundlichen Forschung, zu dem gerade auch Johann Ernst Fabri in Jena wesentlich beigetragen hat (vgl. Lutz 1973) und der bis zum Beginn unseres Jahrhunderts deutlich ausgeprägt war. Mit der Entwicklung eines wissenschaftlichen, analytischen und erklärenden Lehrgebäudes der Geographie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, angeführt von Karl Ritter einerseits und Alexander von Humboldt andererseits, kommt die frühe Phase einer angewandten Geographie zum Erliegen. Aufschlußreich ist eine genauere Analyse dieses Ablösungsvorganges bzw. eine Beurteilung der anwendungsorientierten Geographie des 18. Jahrhunderts durch die folgenden Vertreter der neuhumanistischen Geographie. Eine Schlüsselfigur ist hier ganz sicher Johann Georg Kohl, der von der Erfahrung und Beobachtung ausgehend in seinen Reise- und Landesbeschreibungen praktische Erkenntnisse weitergab, diese zugleich aber auch in einen anwendungsbezogenen und anwendungsorientiert theoretischen Rahmen zu setzen wußte. Mit seinem 1837-41 konzipierten Werk „Städte und Ströme“, dessen theoretischer Teil 1841 unter dem Titel „Der Verkehr und die Ansiedlungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Gestaltung der Erdoberfläche“ erschien, hat Kohl schon 1840 der Geographie den Weg zu einer anwendungsorientierten Raumanalyse, zu Modellen der Stadtentwicklung und Zentralität gewiesen, der sich im pädagogischen Zeitalter, in dem die Geographie als wissenschaftliche Disziplin entwickelt wurde, nicht durchsetzen konnte. Kohl arbeitete an seinem anwendungsbezogenen geographischen Ansatz nicht weiter, er faßte in der wissenschaftlichen Geographie nicht Fuß. Ritter und Humboldt bestimmten den neuen Weg einer wissenschaftlichen Geographie (zu Kohl vgl. Alexander 1940, Pfeifer 1976). Abwertend und als nicht entwicklungsfähig beurteilt Hettner in seinem Rückblick auf „die Entwicklung der Geographie im 19. Jahrhundert“ (1898) die vorausgehende Epoche der angewandten Geographie, die er als solche schon deutlich erkannt und auch bezeichnet hat: „Erst durch Ritter und von Humboldt erhielt die verdorrte Geographie wieder den Charakter einer Wissenschaft. Während sie bis dahin den unmittelbaren Nutzen ihrer Kenntnisse für den Staatsmann, den Kauf-
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mann und überhaupt für das praktische Leben im Auge gehabt hatte, soll jetzt das Studium der Geographie um seiner selbst willen betrieben werden. An die Stelle der bisher angewandten tritt nunmehr eine reine oder, wie Ritter sich ausdrückt, ,allgemeine‘ Geographie“ (Hettner 1898, S. 310). Kompilatorisches Abschreiben, alleinige Beschreibung nur auf Staaten und Ortschaften bezogen, wirft Hettner der vorausgehenden Epoche der Geographie vor, gerichtet auf das, was sich dann noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in den Erdbeschreibungen und in den statistischen Werken gehalten hat. Die Kritik an kompilierten geographischen Fakten als Beitrag zu den Kenntnissen eines Bürgers und Staatsmannes ist sicher richtig. Wie aber war es möglich, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einer Zeit stürmischer Entwicklung von Wirtschaft, Bevölkerung und Stadt- wie Agrarlandschaft, der Ansatz einer angewandten Geographie erstarrte und verschüttet wurde, daß die praktischen Aufgaben die wissenschaftliche Geographie nicht herausforderten zu einer anwendungsbezogenen Mitarbeit? Eine Antwort sei nur in Stichworten angedeutet: Die innovative Kraft der frühen anwendungsorientierten Geographie war zu schwach und blieb ohne eine führende Nachfolge. Die neuhumanistische Geistesströmung beherrschte alle wissenschaftlichen Bereiche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominant. Die Entwicklung der Geographie bewegte sich in einem engen, abgegrenzten und recht einheitlichen Strom. Die analytische Methode und die im Ansatz auch immer wieder entwicklungsgeschichtliche Darstellung und Erklärung verhinderten normative und prospektive Zielsetzungen. Die reine, übergreifende, räumlich-systematische Wissenschaft mied die individuelle, örtlich bezogene, von Erfahrungen und aktuellem menschlichem Handeln ausgehende Praxis. Blieb die Landes- und Länderkunde noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wesentlich eine Landesbeschreibung auf der Grundlage eines reichen Daten-, Fakten- und Beobachtungsmaterials, so heben sich doch auch schon früh einzelne problemorientierte Bereiche heraus, auf die die Betrachtung besonders gerichtet war. Hierzu gehören länder- und landeskundliche Darstellungen im Rahmen einer Kolonialgeographie, eine Militärgeographie (erschlossen durch Peltier 1962), wie auch eine Handels- und Verkehrsgeographie. Ist der hinter diesen stehende Aspekt einer Geopolitik im Zuge einer politischen Geographie in seiner Entwicklung von den Anfängen bis 1945 durch die Arbeit von Klaus Kost (1988; vgl. dazu auch Ebeling 1994) grundlegend herausgearbeitet worden, so ist bisher kaum der Frage nachgegangen, ob und in welcher Weise in diesen Zusammenhängen auch praxisbezogene Planungsperspektiven aus einer geographischen Raumanalyse heraus von der wissenschaftlichen Geographie beigetragen worden sind. Hierfür gibt es einzelne im Kontext des Gesamtwerkes einiger Geographen isolierte Beispiele, vor allem auf dem Gebiet der Kolonialgeographie (vgl. u.a. Eichholtz 1905, Jaeger 1911, Thorbecke 1934, Wolff 1942 sowie zahlreiche Arbeiten von Troll), aber auch im Bereich der Handels- und Verkehrsgeographie (vgl. dazu u.a. Hahn 1885), für die mit den bedeutenden Werken von J.G. Kohl (184 1) schon früh ein anwendungsbezogener theoretischer Rahmen gesetzt war, der allerdings nicht aufgegriffen wurde. So hat etwa Hermann Wagner (1879) in einer frühen Studie über den prospektierten Panamakanal, der schließlich 1914 eröffnet werden konnte, die möglichen wirt-
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schafts- und verkehrsgeographischen Auswirkungen vorausschauend herausgearbeitet. In einer ähnlichen prospektiven Raumanalyse hat von Richthofen mit seiner Analyse der geographischen Lageverhältnisse der Bucht von Kiautschou in der chinesischen Provinz Schantung die geographisch begründeten Vorgaben geliefert für den Erwerb dieses deutschen Schutzgebietes und die sehr rasche Entwicklung der Hafenstadt Tsingtau. Weitgehend in den Zusammenhang der Kolonialgeographie mit national- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen gehört die bereits 1902 begonnene und von Karl Dove in Jena betreute Reihe „Angewandte Geographie“, in der nicht weniger als 50 monographische Bände erschienen sind. Im Mittelpunkt stehen entfernte Länder und Aufgaben ihrer wirtschaftlichen Erschließung. Dabei werden die deutschen Interessen besonders in den Vordergrund gerückt. Der Ansatz der Reihe ist stark von der Volkswirtschaft bestimmt. Der geographische Beitrag besteht aus landeskundlichen Kenntnissen, vor allem bezogen auf die Ressourcen, ihre Nutzbarmachung und ihren Transport. Die Anwendung der Geographie bestand darin, geographische Grundlagenkenntnisse für weltwirtschaftlich interessante ferne Länder zusammenzutragen für eine praktische Ausbildung und Tätigkeit, wobei allerdings häufig auch fachlich zu Lösungen aktueller Projekte und Erschließungsaufgaben beigetragen wird. Dieses sind bekannte Beispiele, es ließen sich – bisher noch kaum erschlossen – viele weitere hinzufügen. Manche anwendungsorientierten Aufgaben, Arbeiten und Hinweise der frühen Zeit, auch solche im deutschen Raum, sind nicht zu einer ausgearbeiteten wissenschaftlichen Veröffentlichung gekommen, so daß wir davon nur ein recht unvollständiges Bild haben. Im Zusammenhang mit der Sammlung und Vermittlung geographischer Informationen (Reisen, Expeditionen, Statistik u.a.) sind viele kurze Mitteilungen über aktuelle Prozesse und Entwicklungen über wirtschaftliche Veränderungen und Neuerungen im deutschen Raum und weltweit gegeben worden, vor allem in den beiden führenden geographischen Organen, „Petermanns Geographische Mitteilungen“ und der „Geographischen Zeitschrift“. Aus der Auswahl, den Kommentaren und Urteilen dieser aus Reisebeobachtungen und aus der Praxis mitgeteilten „geographischen Neuigkeiten“ geht doch oft hervor, daß man sich nicht immer nur mit einem Tatsachenbericht begnügte, sondern die geographische Fachkenntnis zur Sache einzubringen versuchte, oft versehen mit praktischen Lösungsvorschlägen. Es bleibt allerdings letztlich auch hier die Frage, weshalb die wissenschaftliche Geographie nur so sporadisch in die sich in großem Umfang stellenden praktischen Aufgaben eingegriffen hat, bzw. weshalb sie so wenig von der Praxis her herausgefordert oder herangezogen worden ist. Auch die frühe Stadtgeographie, die sich erst seit dem Beginn unseres Jahrhunderts selbständig entwickelte, stand ganz im Banne landschaftskundlicher Betrachtung mit einem stark historisch-entwicklungsgeschichtlichen Ansatz. Zahlreiche einzelne Städte wurden als geographische Individuen ganzheitlich beschreibend dargestellt, wobei seit den 20er Jahren der funktionale Gesichtspunkt, vor allem die Stadt-Umlandbeziehungen, die allerdings auch schon am Ende des vorigen Jahrhunderts in verschiedenen monographischen Stadtgeographien thematisiert waren, stärker in den Vordergrund traten. Will man überhaupt in der frühen Stadtgeographie anwendungsbezogene Fragestellungen und Ansätze finden, so sind diese in den naturhistorisch-medizinischen
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Topographien aus dem Ende des 19. Jahrhunderts gegeben. Sie stehen in enger Beziehung zu den etwas früheren und gleichzeitigen historisch-statistischen Topographien, die als Daten und Faktensammlungen für die Verwaltung und die führende städtische Bürgerschaft zusammengestellt wurden, meist am Ort von Personen von der Verwaltung und auf der Basis behördlichen Daten- und Archivmaterials. Auch in England und vor allem in Amerika hat es diese Phase statistischer Stadtbeschreibungen gegeben, an denen die wissenschaftliche Geographie allerdings kaum beteiligt war. Die medizinischen Topographien sind auf die gesundheitlichen Zustände der städtischen Bevölkerung gerichtet, auf die baulichen und hygienischen Verhältnisse. Die Darstellungen bleiben jedoch nicht bei einer Beschreibung der medizinischen Verhältnisse in ihrer regionalen Differenzierung innerhalb der Stadt stehen, sondern sie richten sich auf eine planungsbezogene Verbesserung der Zustände, die dann in Bauvorschriften und städtebaulichen Maßnahmen z.T. aufgegriffen worden sind. Mißstände in Wohnverhältnissen, Epidemien und vorbeugende Maßnahmen waren der Anlaß, d.h. es war eine Aufgabe aus der aktuellen Praxis heraus, die von Medizinern, Städtebauern und anderen aufgegriffen worden ist, von denen manche auch eine geographische Ausbildung genossen hatten (vgl. als spanische Beispiele: Hauser 1902; Urtega 1980). Wenn dieser unmittelbare praxisbezogene Ansatz in die wissenschaftliche Stadtgeographie der Zeit nicht eingegangen ist, so ist er doch in die geschichtliche Betrachtung der frühen Stadtforschung mit einzubeziehen und zwar mit großem Gewinn im Zuge früher Ansätze einer praxisbezogenen Stadtforschung, sowie auch im Rahmen der auf die Stadt des 19. Jahrhunderts bezogenen, heute höchst aktuellen hygienischen und technischen Umweltgeschichte. Verstehen wir eine anwendungsbezogene geographische Arbeit auch als ein Aufgreifen einer aus der aktuellen politischen Situation sich stellenden Aufgabe durch die Wissenschaft, so gehören für die Zeit des 1. Weltkrieges sicher auch die so bezeichneten „landeskundlichen Arbeiten in Kriegsgebieten“ dazu. Die Initiative zu dieser sich stellenden Aufgabe ging vornehmlich von den führenden landeskundlich ausgerichteten Geographen aus, beteiligt waren unter anderem unter der Federführung von Albrecht Penck die Geographen Eduard Brückner, Max Friederichsen, Karl Sapper, Norbert Krebs, Walter Bärmann und Eugen Oberhummer sowie auch Leo Waibel, Fritz Klute oder Schultze-Jena (vgl. Friederichsen 1916). Die Arbeiten standen in einem festen organisatorischen Rahmen, sie wurden mit enormen Anstrengungen und unter Zeitdruck ausgeführt und als ein erstmaliger, von einer aktuellen Situation ausgehender Beitrag auf dem ersten Geographentag nach dem ersten Weltkrieg in Leipzig (1921) zusammenfassend vorgetragen. Der Ansatz war die Aufgabe einer landeskundlichen Erforschung der Kriegsschauplätze bzw. dann unmittelbar folgend der im Zuge von Deutschland besetzten Gebiete. Es wurde die Situation der Aktualität und des öffentlich-politischen Interesses genutzt, um in der deutschen Geographie und zum größten Teil auch überhaupt geographisch noch weitgehend unbekannte Gebiete in landeskundlichen Überblicken zu erfassen. Das Füllen von Kenntnislücken, die Vermittlung von Landeskenntnis auf der Grundlage deutscher landeskundlicher Forschung war das Leitmo-
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
tiv, unterschwellig bei dem einen oder anderen wohl auch getragen von dem Gedanken einer „Stärkung des Deutschtums in den Grenzmarken“, um dies mit dem zeitgenössischen Begriff auszudrücken. Das Auslandsdeutschtum war seit dem Beginn des Jahrhunderts eine vielfach thematisierte Zielgruppe, nicht nur bevölkerungsgeographisch oder in geopolitischen Zusammenhängen, sondern auch kulturgeographisch und landeskundlich (vgl. als Beispiel Uhlig 1926). Die nationale Aufgabe und Motivation erfährt dann in den dreißiger Jahren in der angewandten Geographie eine neue Zielsetzung und eine staatlich geförderte Stärkung (vgl. u.a. Volz 1934, Schultze 1937 sowie auch Rössler 1990). Aus den Themen dieses Forschungsprogrammes und aus den zahlreichen verwirklichten Veröffentlichungen geht allerdings ein politischer Ansatz nur in wenigen Fällen hervor. Gefolgt wird – vornehmlich genetisch beschreibend – jeweils für sich genommen einzelnen geographischen Sachbereichen, wobei die physische Geographie einen wesentlichen Teil ausmacht (Geologie, Böden, Gewässer, Klima, Vegetation). Das Ende des Krieges und damit auch die Auflösung der Forschungsorganisation ließen die landeskundlichen Arbeiten einen Torso bleiben, in der nationalbewußten Selbsteinschätzung als ein „Denkmal objektiver deutscher Wissenschaft“. Und in der Tat, gerade dieses Beispiel zeigt, wie weit die deutsche wissenschaftliche Geographie in dieser Zeit entfernt war von praxisbezogenen Planungs- und Entwicklungsaufgaben oder von entwicklungs-politischen Zielsetzungen. Der Beitrag blieb natur- und kulturgeographisch beschreibend, entwicklungsgeschichtlich und kulturgeschichtlich einordnend und begründend. Es wurde aus dieser praxisbezogenen Initiative heraus kein theoretischer Rahmen und keine Methode entwickelt, die weiterführende Zeichen für eine anwendungsorientierte Geographie hätte setzen können. In den Bereich einer angewandten wissenschaftlichen Arbeit gehört auch die konzeptionelle Strukturierung und Aufbereitung landeskundlicher Erkenntnisse im Rahmen von Ausstellungen. Erste Schritte für eine solche Öffentlichkeitsarbeit der wissenschaftlichen Geographie hat Max Friederichsen unternommen mit der Ausrichtung der „Wanderausstellung Ostpreußen“ in Königsberg (Friederichsen 1922) und der „landeskundlichen Ausstellung von Schlesien“ aus Anlaß des 21. Deutschen Geographentages in Breslau 1925. Die landeskundliche Beschreibung und Erklärung von Erdräumen sollte als „Hauptziel aller moderner Geographie“ präsentiert werden, es ging darum, ein „allseitiges und wissenschaftlich begründetes Bild von Land und Leuten der Provinz Schlesien“ der Öffentlichkeit zu vermitteln. Friederichsen war sich dabei sehr gezielt bewußt, daß mit dieser Art landeskundlicher Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen einer engen Kooperation mit Museen, Verwaltung und Industrie Neuland beschritten wurde. Die wissenschaftliche Betrachtungsweise und Analyse und die Konzeption einer wissenschaftlichen Landeskunde wurde auch verknüpft mit landschaftsbezogener Kunst „als ein wertvolles, landeskundliches Darstellungmittel“ wie auch mit der ausgestellten schöngeistigen Literatur zur Landeskunde. Und damit war diese Arbeit in den Rahmen einer öffentlichen Kultur- und Bildungsarbeit gestellt, ein deutliches Zeichen für die weite Öffnung der geographisch-landeskundlichen Wissenschaft der Öffentlichkeit gegenüber.
1. Frühe Ansätze anwendungsbezogener Landesbeschreibungen
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Vergleichbares gab es damals nur mit dem „Schweizerischen alpinen Museum“ in Bern. Aus diesen ersten Initiativen heraus hat sich in der Folgezeit – zum großen Nachteil unseres Faches – kaum etwas entwickelt. Andere Disziplinen und Institutionen haben schon in den 30er Jahren, dann aber in der jüngeren Nachkriegszeit die Ausstellungsarbeit beherrschend übernommen, die Kunstgeschichte, Volkskunde, Archäologie und Geschichtswissenschaft, die Geographie dagegen ist thematisch wie auch in ihrem Beitrag nur an kleinen Projekten und Initiativen beteiligt, allerdings in jüngster Zeit mit einem deutlich erkennbaren, verstärkten Bemühen. Zu den aus einer Beobachtung der Praxis heraus erstellten und für die praktische Anwendung oder sogar im Rahmen konkreter Projekte verfaßten frühen geographischen Arbeiten gehören ganz sicher auch die thematischen Landeskunden auf der Grundlage gezielter Informationsreisen. So hat etwa Valentin A. Heinze, seit 1787 Professor der Statistik und Staatenkunde in Kiel, 1784 eine „Oeconomische und statistische Reise durch Mecklenburg, Pommern, Brandenburg und Holstein“ erarbeitet. In der gleichen Zeit (1778/80) bereiste Johann N. Tetens die Marschgebiete von Holstein bis Flandern im Auftrag der dänischen Regierung, um auf dieser Grundlage eine in die Deichbaupraxis umsetzbare vergleichende Übersicht zu schaffen, die er auch in Kiel in die Lehre und Ausbildung einbrachte wie auch in das von ihm wesentlich geplante Deichbauprojekt des Kronprinzen Kooges (vgl. Speck 1939). Hervorzuheben sind letztlich auch die frühen, aus der geographischen Landeskunde heraus konzipierten Reise- und Wanderführer. Diese sehr bewußt für den Tourismus und eine allgemeine geographische Bildung verfaßten landeskundlichen Führer finden sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jhs., aber auch dieses praxisbezogene Arbeitsfeld, das erst heute wieder ein zunehmendes Interesse findet, wird nur von wenigen Geographen in einem merklichen Umfang aufgegriffen (vgl. als Beispiele Hahn 1895, 1904). Bisher noch nicht analysiert ist der praxisbezogene Beitrag der Geographischen Gesellschaften in ihrer Frühzeit, die zwar vornehmlich geographisch motivierte und interessierte gesellschaftlich bestimmte Bildungsvereine waren, aber durch ihre in praktischen Berufen stehenden Mitglieder, die oft einen Bezug zu geographischen Bereichen hatten, doch durchaus eine Wirkung in die Praxis hinein hatten. Die neueren Arbeiten angewandter Arbeit in den 20er und 30er Jahren verfolge ich nicht mehr, es ist eine neue Epoche, eng verknüpft mit der aufkommenden Raumordnung und Landesplanung, wobei auch hier der geographische Beitrag sich nur schwer zu lösen vermag vom landeskundlich beschreibenden Ansatz (zu verfolgen wären hier u.a. die Arbeiten von K. Brüning; vgl. hierzu Brüning 1953, Witt 1962, Meynen 1963). Ein Blick auf den Bezug zwischen Wissenschaft und Praxis im Laufe der Entwicklung der Geographie seit dem 18. Jahrhundert, der hier nur angedeutet werden konnte, füllt nicht nur eine Lücke in unserer Disziplingeschichte, sondern läßt auch eine empfindliche Kritik aufkommen an einem Mangel notwendiger Lenkung und Strukturierung unseres Faches in der Vergangenheit mit einer Aufforderung bewußterer Zielsetzungen in der Gegenwart. Im Rückblick wird greifbar deutlich, welche Auswirkungen manche Weichenstellungen oder auch Versäumnisse für die Stel-
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
lung und Einschätzung des Faches gehabt haben – gerade auf dem Feld des Praxisbezuges. Sind die Betrachtungsansätze der einzelnen Bereiche der allgemeinen Geographie oder auch der Landeskunde aus einer längeren Entwicklung der geographischen Wissenschaft erwachsen, so ist der Entwicklungsfaden einer anwendungsbezogenen Geographie vergleichsweise nur sehr dürftig und mehrfach unterbrochen. Es fehlt an der Vorgabe eines theoretischen und methodischen Rahmens und vor allem an einer fachspezifischen, übergeordneten wissenschaftlichen Zielsetzung im Zusammenhang mit der übrigen und lange Zeit zentralen wissenschaftlichen Tradition der Geographie als einer analytischen Wissenschaft von Regionen, Landschaften und Erdteilen. Bei dem heutigen Auseinanderstreben in anwendungsorientierte Details gilt es u.a. auch, diejenigen Fäden der älteren geographischen Forschung und Lehre aufzugreifen und zu integrieren, die mit dem traditionellen Gebäude der wissenschaftlichen Geographie verbinden. Die früheren Ansätze einer angewandten Geographie mögen in besonderer Weise dazu verhelfen. Versucht man nun abschließend, aus der Entwicklung anwendungsbezogener geographischer Arbeit seit dem 18. Jahrhundert allgemeine Erkenntnisse für die wissenschaftliche Konzeption der Geographie zu ziehen, so sind folgende Entwicklungsstrukturen hervorzuheben. Mit der Entwicklung einer Geographie als akademischer und wissenschaftlicher Disziplin, mit der Bemühung um ein einheitliches theoretisches Lehrgebäude, mit einer wissenschaftlich analytischen Zielsetzung der Kenntnisvermittlung und einem zentralen, allein geographischen Objekt, dem Land und der Landschaft, war die Möglichkeit eines von der Aufgabe einer Lebensraumgestaltung ausgehenden wissenschaftlichen Ansatzes der Geographie ins Abseits gedrängt. Die „reine Geographie“ wurde abgesetzt und getrennt von einer „angewandten Geographie“, die als aufgabenbezogene Dienstleistung und Zweckforschung abqualifiziert, zumindest aber separiert gehalten worden ist. Das Dilemma eines in die geographische Wissenschaft zu integrierenden Praxisbezuges liegt auch in dem Begriff der „angewandten Geographie“, denn von ihrem wissenschaflichen Ansatz her läßt sich ein wesentlicher Teil der reinen Geographie gar nicht in eine Anwendung umsetzen. Dies ließe sich an einer historischen Analyse einen Anwendungsbezug beanspruchender, jedoch nur bruchstückhaft erreichender Arbeiten gerade auch in unserem Jahrhundert an unzähligen Arbeiten sehr deutlich nachweisen. Es kommt hinzu, daß diejenigen Aufgabenstellungen, für die sich in einem größeren Zusammenhang ein praxisbezogenes Arbeitsfeld eröffnete (Kolonialgeographie, Militärgeographie, Wehrgeographie, kriegsbezogene Geographie, Geographie des Deutschtums im Ausland und andere) zweckbedingt waren, in den meisten Fällen mit einer politisch ideologischen Motivation belastet. Sie hatten keinen dauerhaften Hintergrund, sondern fanden sehr häufig mit dem Abbruch des politischen Auftrages ein abruptes Ende. Die geographische Leistung sank, als zweck- und zeitbedingt, in den Hintergrund, die Thematik wurde verdrängt, sie war abgetan. In der zentralen Aufgabenstellung steckte schon immer das Schicksal ihres Verlustes. Die Geographie als Wissenschaft einer Analyse und Mitgestaltung des Lebensraumes von Mensch und Natur hat in den Kern ihres wissenschaftlichen Ansatzes ein Paradigma und eine wissenschaftliche Zielsetzung zu stellen, denen die ak-
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tive Beteiligung an der Lebensraumgestaltung immanent ist. Physische Geographie, Anthropogeographie und auch die Landeskunde sind eng an die angewandte Geographie heranzuziehen, die wissenschaftliche Geographie hat einen theoretischen Rahmen zu finden, der von einer allgemeinen und übergeordneten Aufgabe einer Lebensraumgestaltung ausgeht. Theoretisches Konzept und praktische Aufgabe, Grundlagen- und Zweckforschung sind vom wissenschaftlichen Ansatz der Disziplin her nicht zu separieren, sondern zu integrieren und zum zentralen Ansatz der Geographie zu machen. Dies würde dann auch den Weg der Geographie zu den konkreten Aufgabenstellungen, wie Raumordnung und Landesplanung, Entwicklungsgeographie, Umweltgeographie und anderes erleichtern, und andererseits wäre den Auflösungserscheinungen der Geographie im Zuge anwendungsbezogener Einzelanalysen an räumlichen Teilobjekten, die auch das Feld anderer Disziplinen sind, aus einem gewandelten Disziplinverständnis heraus Einhalt geboten. Hat sich eine angewandte Geographie im Laufe ihrer Entwicklung auf Zielsetzungen einer Nutzbarmachung, einer Erschließung, einer Raumordung und Landesplanung, wie auch letztlich einer Regionalentwicklung gerichtet, so ist der Faden einer wissenschaftlich fundierten geographischen Landesforschung wieder aufzunehmen, unter dem Paradigma der Landschaft als kulturellem Wert und als Umwelt unter dem Gesichtspunkt von Lebensqualität. Der heute öffentlich in aller Munde und nicht von der Geographie ausgehende Begriff der Kulturlandschaft trägt einen neuen Begriffsinhalt in die Geographie hinein. Der Raum wird zu einem in seiner Qualität zu erhaltenden Kulturraum, die Geographie macht die Steuerungsfaktoren der Landschaftsentwicklung deutlich und zeigt aus der Geographie heraus begründete Wege einer von allen zu tragenden Landschaftsgestaltung und Erhaltung auf. Auch für diesen praxisbezogenen Ansatz gibt es manche vorauslaufenden Gedankengänge der Geographie, wenn etwa in den 30er und 40er Jahren von der „Geographie als Landschaftsanwalt“, von der notwendigen Pflege der Landschaft, von der kranken und gesund zu machenden Landschaft gesprochen (Pfeiffer 1942) und dem Wirkungsgefüge, der Gestaltung und Nutzung der Erde durch den Menschen nachgegangen wird. Geographische Erkenntnis und Wissensvermittlung (Kunde), naturräumliche Prozesse und die Auswirkungen der Eingriffe durch den Menschen, die Ziele und Maßnahmen beim Umgang mit der gegenwärtigen und für die Zukunft zu erhaltenden und gestaltenden Kulturlandschaft, dies läßt sich auch auf einem wissenschaftlichen Hintergrund populär in einer lebensraumbezogenen Landschaftsgeographie fassen, wie dies Hans Jörg Küster in seiner jüngst erschienenen „Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa“ (1995) gezeigt hat – als Geobotaniker und nicht als Geograph. Geographie und geographische Landeskunde in der Anwendung – dies ist keineswegs nur auf aktuelle politisch und wirtschaftlich motivierte Zweck- und Auftragsforschung zu beziehen oder auf Planung, Raumordung und Regionalentwicklung, sondern auch auf die Aufgabe einer Vermittlung von „Geographie für alle“, auf eine geographische und landeskundliche Weltsicht und Anschauung, auf eine geographisch begründete Aufklärung. Eine solche geographische Öffentlichkeits-
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
arbeit ist ein heutiges aktuelles Aufgabenfeld, bei dem wir uns auch auf die frühe Epoche einer angewandten Geographie im 18. Jh. berufen können, aber zugleich auch auf unsere Epoche der Geographie als Lehrfach und „Erdkunde“. Angewandte Geographie und Landeskunde haben weit zurückreichende Wurzeln, die aufzubereiten sind und die wir mit Anregung und Gewinn auch bei der Reflektion unserer heutigen Aufgaben und Zielsetzungen aufgreifen sollten. Literatur: Alexander, A. (1940): J.G. Kohl und seine Bedeutung für die deutsche Landes- und Volksforschung. In: Deutsche Geographische Blätter, 43, S. 1–126. Beck, H. (1980): Geographie und Statistik – die Lösung einer Polarität. In: Rassem, M. u. J. Stagl (Hrsg.): Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit, vornehmlich im 16.–18. Jh., S. 269– 281. Paderborn. Behrmann, W. u. O. Maull (1929): Rhein-Mainischer Atlas für Wirtschaft, Verwaltung und Unterricht. Frankfurt. Brünig, K. (1953): Landesplanung, Raumforschung und praktische Geographie, besonders in Niedersachsen. In: Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft zu Hannover, S. 311–349. Büsching, A.F. (1758): Vorbereitung zur gründlichen und nützlichen Kenntnis der geographischen Beschaffenheit und Staatsverfassung der Europäischen Reiche und Republiken. Czajka, W. (1963): Die „Anwendung“ als definierendes Element der Anthropogeographie und Folgerungen hieraus für den Begriff der „Angewandten Geographie“. In: Neues Archiv für Niedersachsen, 12, S. 58–59. Denecke, D. (1987): Die Geschichte der Geographie in Göttingen. In: Georgia Augusta, 46, S. 77– 80. Dove, K. (Begr.), Fortsetzung v. Grothe, H. (1902): Angewandte Geographie. Hefte zur Verbreitung geographischer Kenntnisse in ihrer Beziehung zum Kultur- und Wirtschaftsleben. Frankfurt (50 Bde.). Ebeling, F. (1994): Geopolitik. Karl Haushofer und seine Raumwissenschaft. Berlin. Eichholtz, T. (1905): Entwicklung der Landpolitik. Angewandte Geographie, Ser. 2, H. 5. Frankfurt. Engelmann, G. (1966): Carl Ritters Produktenkarten 1800–1836. In: Internationales Jahrbuch für Kartographie, 6, S. 41–45. Export (1879): Organ des Zentralvereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Ausland. Berlin. Fabri, L.E. (1790): Geographie für alle Stände. 1. Teil, 2. Leipzig. Ders. (1791): Neues geographisches Lesebuch zum Nutzen und Vergnügen. Leipzig. Fecht, A. (1864): Mannheim I: Topographie und Statistik. Mannheim. Forbes, E. G. (1980): Tobias Mayer (1723–1762), pioneer of enlightened science in Germany. Göttingen. Franz, J.M. (1751): Gedanken von einem Reiseatlas und von der Nothwendigkeit eines StaatsGeographus. Nürnberg. Friederichsen, M. (1916): Bericht über die erste und zweite Arbeitsperiode der „Landeskundlichen Kommission beim Generalgouvernement Warschau.“ In: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 51, S. 320–327 u. S. 623–629. Ders. (1922): Die Wanderausstellung Ostpreußen und die Ostpreußenwoche in Königsberg vom 24. Sept. bis 8. Okt. 1922. In: Geographischer Anzeiger, 23, S. 133–134. Gatterer, C.W.J. (1775): Abriß der Geographie. Göttingen. Grellmann, H.M.G. (1790): Staatskunde von Teutschland im Grundrisse. Teil 1: Allgemeine Beschreibung des Teutschen Reichs. Göttingen. Guilleaume, F. (1836): Topographisch-historisch-statistische Beschreibungen der Stadt Münster. Münster.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
2. QUELLEN, METHODEN, FRAGESTELLUNGEN UND BETRACHTUNGSANSÄTZE DER ANWENDUNGSORIENTIERTEN GEOGRAPHISCHEN KULTURLANDSCHAFTSFORSCHUNG* 1. Was ist eine Kulturlandschaft? – Grundkategorien einer anwendungsbezogenen kulturgeographischen Landschaftsbetrachtung und Landschaftsanalyse Die Landschaft mit ihren beiden wesentlichen Teilbereichen und Perspektiven einer Betrachtung, der Naturlandschaft und der Kulturlandschaft, ist ein traditioneller und zentraler Forschungsbereich der geographischen Wissenschaft. Beschreibung, Analyse, Erklärung und Entwicklung sind dabei grundlegende Zielsetzungen. Wenn auch im Rahmen einer erhaltenden Landschaftspflege beide, die naturlandschaftlichen und ökologischen Verhältnisse wie auch die Elemente und Prozesse der kulturlandschaftlichen Entwicklung Beachtung finden müssen, so kommt doch dem kulturlandschaftlich gestaltenden und nutzenden Aspekt in diesem Zusammenhang die entscheidende Bedeutung zu, da die Eingriffe des Menschen in die Landschaftsentwicklung überall wirksam sind und da es bei einer Landschaftsplanung und pflege im Rahmen einer Nutzung zentral um die durch die menschliche Tätigkeit eingebrachten Elemente und Prozesse in der Landschaft geht. Archäologie und Denkmalpflege auf der einen Seite (Breuer 1979; Schönfeld & Schäfer 1991), Naturschutz und Landschaftspflege auf der anderen Seite (Barthelmeß 1988; Ewald 1989; Haber 1991; Wöbse 1994; Plachter 1995) bemühen sich gegenwärtig um eine Erweiterung ihres Arbeitsfeldes in landschaftsräumliche Zusammenhänge hinein bzw. um die Integration der Kulturlandschaft und ihrer Elemente in den Aufgabenbereich von Schutz und Pflege (vgl. Zwanzig 1985; Schenk 1994). Die geographische Kulturlandschaftsforschung wird dabei für diesen Zweck herangezogen und zweckdienlich ausgewertet, sie läßt sich jedoch in ihren Grundansätzen kaum angemessen integrieren. Der geographische Ansatz der Kulturlandschaftsbetrachtung und -forschung bleibt grundlegend eigenständig und ist vor allem im Rahmen einer Grundlagenforschung in der Praxis der Landschaftsplanung und -pflege heranzuziehen. Die geographische Betrachtung der Kulturlandschaft hat im Laufe ihrer wissenschaftlichen Entwicklung verschiedene Stadien und Schwerpunkte ihrer Perspektiven durchlaufen, die einerseits einander abgelöst haben, andererseits aber auch zu einem Nebeneinander und damit zu einem heute recht differenzierten Spektrum von Betrachtungsansätzen geführt haben (vgl. hierzu u.a. Gunzelmann 1987, S. 30–49; Duncan 1995). In jüngster Zeit werden Begriff und Aufgabe einer Kulturlandschaft in der öffentlichen Diskussion mit einer breiten Vielfalt von Inhalten thematisiert und diskutiert, die nur zu einem geringen Teil von den Betrachtungsansätzen oder auch den Zielsetzungen der geographischen Wissenschaft ausgehen. Es ist dringlich geboten, die heute vielseitige und oft unklar angewendete Bedeutung des Begriffes „Kulturlandschaft“ zu verifizieren und dabei zugleich das Objekt wie den *
In: Schenk, W.; Fehn, K.; Denecke, D. (Hrsg): Kulturlandschaftspflege: Beiträge der Geographie zur räumlichen Planung. Berlin 1997, S. 35–49.
2. Quellen, Methoden, Fragestellungen und Betrachtungsansätze
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Betrachtungsansatz auf die jeweilige Fragestellung bezogen zu definieren. Allein schon in der geographischen Wissenschaft klaffen die Betrachtungsansätze der Kulturlandschaft weit auseinander. Sie liegen zwischen kulturphilosophischen und psychologischen Reflexionen einerseits und pragmatisch beschreibenden Charakterisierungen andererseits. Zu den Grundkategorien einer anwendungsbezogenen geographischen Kulturlandschaftsbetrachtung gehören: 1. Der von naturräumlichen Gegebenheiten in seiner Lebens- und Wirtschaftsweise weitgehend abhängige Mensch, der sich im Rahmen beschränkter Möglichkeiten so gut es geht anzupassen sucht und damit nur geringfügig in den Naturhaushalt eingreift. Dieser Geodeterminismus hat sich heute weitestgehend überlebt. 2. Kulturlandschaft als der vom Menschen aus der Naturlandschaft geschaffene Lebens- und Wirtschaftsraum, die Landschaft als Siedlungs- und Nutzlandschaft, als ökonomisch in Wert zu setzende Ressource eines „homo oeconomicus“, getragen von Arbeitsleistung, Kapitaleinsatz, Nutzen und Gewinn. 3. Kulturlandschaft als die vom Menschen rational, funktional und technisch geprägte, geordnete und zweckdienlich zugerichtete Landschaft, gesteuert von raumordnerischen und landesplanerischen Vorgaben und Maßnahmen. 4. Landschaft als künstlerisch entworfener, gestalteter und gebauter Lebensraum, als „objektivierter Geist“: Kunstlandschaft, Stadtlandschaft, ästhetische Landschaft. 5. Landschaft als räumliches Kulturerbe, als landschaftsgebundenes Dokument und verortetes Kulturangebot mit landschaftsgeschichtlichen Werten und Bindungen (regionale landschaftsräumliche Eigenheit, Heimat, räumliche Identität, Denkmallandschaft, historische Kulturlandschaft, Traditionslandschaft). 6. Kulturlandschaft als eine durch gezielte Maßnahmen zu erhaltende und zu pflegende Umwelt bei einer nachhaltigen, erhaltenden Entwicklung, Landschaft als zu schützendes natürliches und kulturelles Potential. 7. Landschaft als Aktionsfeld und räumliches Ergebnis wirtschafts- und regionalplanerischer Ziele und Maßnahmen sowie sozioökonomischer Entwicklungen. Entwicklung und Gegenüberstellung konträrer Raumstrukturen (Disparitäten) mit der allgemeinen Bemühung um einen Ausgleich: Aktiv-/Passivräume, Ballungsraum/Peripherer Raum, Investitionsraum/Regressionsraum, Fördergebiete. 8. Landschaft als Region eigenständiger kulturräumlicher Prägung und Tradition: Kulturraum, Raum einer regionalen Bindung, einer regionalen oder nationalen Identität. Eine kulturelle Prägung und Bindung wirkt wiederum in einer Identifikation und in einem regionalspezifischen Landschaftserlebnis zurück auf den Menschen in der Region. Die geographische Landschaftsanalyse geht nicht von unbegrenzten Landschaftsräumen aus, vielmehr ist die Landschaftsgliederung, die Bestimmung spezifisch ausgestatteter Landschaftsteile, ihre Charakterisierung und Abgrenzung ein besonderes und traditionelles Aufgabenfeld. Diese Ausweisung von Landschaftsteilen bezieht sich auf die naturräumlichen Gegebenheiten (naturräumliche Gliederung, Ökotope, Biotope), aber auch auf siedlungs- und kulturräumliche Einheiten (vgl.
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als Beispiele Huttenlocher 1947; Gerstenhauer 1954; Otremba 1957). Mit der Hinwendung zu sozioökonomisch bestimmten räumlich-funktionalen Beziehungssystemen und integrativen Regionalisierungen hat die Geographie in jüngerer Zeit die Ansätze einer konkreten landschaftsräumlichen Gliederung und die auf dominante Landschaftselemente bezogene Abgrenzung allerdings weitgehend verlassen. Nicht unwesentlich für eine Landschaftsbetrachtung im Rahmen einer Landschaftsplanung und Landschaftspflege ist auch der in der geographischen Wissenschaft vielseitig diskutierte Aspekt der Ganzheit oder des ganzheitlichen Wirkungsgefüges der Landschaft einerseits und ihrer Fragmentierung in Einzelelemente oder eine Summe verorteter Objekte. Tendieren Erfassung und Schutz der praktischen Landschaftspflege ganz generell zum einzelnen Element und damit zum Nebeneinander von Individuen, Gruppen und Typen von Landschaftsobjekten, so haben Betrachtung, Wirkung und Bewertung der Landschaft eher vom Gefüge, von der Ganzheit auszugehen. Hierin liegt auch ganz wesentlich der landschaftsbezogene geographische Ansatz begründet, bei dem einzelne Landschaftselemente stets in einen räumlich-funktionalen und allgemein auch in einen genetischen Zusammenhang zu stellen sind. Landschaften und Landschaftsteile sind das Betrachtungsobjekt, Elemente sind in eine Ganzheit einzuordnen. Die anwendungsorientierte kulturgeographische Landschaftsanalyse hat sich im Zuge der bisher im Vordergrund stehenden Landschaftsaufnahme und Inventarisation und der daraus entwickelten Kulturlandschaftskartierung (Kulturlandschaftskataster) sehr wesentlich auf Landschaftsbestandteile, auf Kulturlandschaftselemente und -relikte auf „kulturbestimmte Ausstattungselemente einer Landschaft“ und damit auf Einzelobjekte gerichtet, in ihrer punkthaften, linearen oder flächenhaften formalen Ausprägung (Grabski 1985; Burggraaff & Egli 1984; Gunzelmann 1987). Die Verbreitung historisch bedeutsamer Einzelobjekte oder ihre Vergesellschaftung als „Ensemble“ führt im Grundansatz zu einer Ergänzung der Denkmallandschaft der Denkmalpflege, an der diese Inventarisationen im Ansatz wie auch in ihrer Terminologie ausgerichtet sind (Römhild 1981; von den Driesch 1988, bes. S. 138–146; Schönfeld & Schäfer 1991; Schenk 1994). In diesem Zusammenhang wird auch ein ,historisch-geographisches Denkmal‘ als vierte Kategorie kultureller Denkmalarten neben das Baudenkmal, das Bodendenkmal und das industriearchäologische Denkmal gestellt (von den Driesch 1988:138), und Breuer (1979) bezieht eine Vielzahl baulicher Kulturlandschaftselemente als ,Landdenkmale‘ in die Baudenkmalpflege mit ein. Lage, Topographie, morphologische Erscheinung, Erhaltungszustand, Objektbewertung, Häufigkeit und Möglichkeiten einer pfleglichen Nutzung sind wesentliche Kriterien dieses Beitrages einer Erfassung zu den Aufgaben einer Landschaftspflege. Die Landschaftspflege jedoch, weitgehend von den Zielsetzungen eines Naturschutzes herkommend, ist ganz wesentlich auf eine Erfassung und Einschätzung der Formen und Ausmaße menschlicher Bewirtschaftung und Nutzungsweise von Teilflächen gerichtet und dabei vor allem auf Reste und Relikte älterer Wirtschaftsformen im Areal, in der Parzelle. Dabei stehen an erster Stelle die biotischen Gegebenheiten, die sich in spezifischer Weise durch die oft langzeitig wirksamen Bewirtschaftungsformen einstellen. So hat, von der Landschaftspflege des Naturschut-
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zes aus, Wöbse (1994, bes. S. 15) ,historische Kulturlandschaftselemente‘ zusammengestellt, die mit einer Landnutzung in Zusammenhang stehen bzw. Relikte und Indizien ehemaliger Nutzungen und Wirtschaftsweisen sind. Auch hier wird allerdings, mit der Zielsetzung eines Schutzes historischer Kulturlandschaften, von der Erfassung von Einzelelementen ausgegangen. Es zeigt sich ganz allgemein, daß eine zu schützende und zu pflegende Artenvielfalt ganz besonders in Bereichen kleinstrukturierter traditioneller Bewirtschaftungsformen auftritt. Hier werden Beziehungsgefüge deutlich, die in der landschaftspflegerischen Praxis eine ganzheitliche Landschaftsanalyse fordern, welche aus der geographischen Landschaftserfassung heraus zu entwickeln ist, unter besonderer Einbeziehung der zu schützenden und zu pflegenden biotischen Landschaftserscheinungen unter dem Einfluß einer Bodennutzung. 2. Die Kulturlandschaft im Beziehungsgefüge zwischen Mensch, Natur und Kultur Natur wie auch Kultur, natürliche wie auch kulturbestimmte Prozesse sind in der Landschaft manifest. Darüber hinaus ist der Eingriff des Menschen als Gestalter und Akteur ein entscheidender dynamischer Faktor im Gestaltungs- und Wandlungsprozeß (Abb. 1). Bei der Analyse der Entwicklung und dem „Management“ der Kulturlandschaft steht der handelnde Mensch als Steuerungsfaktor im Mittelpunkt. Das Naturangebot und die Naturbedingungen werden als Naturpotential angesehen, als nutzbare Ressourcen. Der Mensch greift ein, drängt zurück, nutzt und beutet aus, aber er vermag auch bis zu einem gewissen Grad zu schützen und zu pflegen oder Gleichgewichte im Naturhaushalt herzustellen. Dieses Wirkungsgefüge steht hinter allen Prozessen und Maßnahmen, die in der Kulturlandschaft ablaufen. Eine Landschaftsanalyse im Rahmen der praktischen Landschaftspflege kommt ohne das Fundament der Betrachtung des Beziehungsgefüges zwischen Mensch, Natur und Kultur nicht aus. Eine enge Verknüpfung von natur- und kulturgeographischer Landschaftsforschung trägt wesentlich hierzu bei, vor allem dann, wenn sie vom entwicklungsgeschichtlich beschreibenden und genetisch erklärenden Ansatz übergeht zum Paradigma der Persistenz, der Dauerhaftigkeit, der langzeitigen Wirksamkeit und der gegenwärtigen wie auch zukunftsträchtigen Präsenz landschaftsgebundener Kultur im Landschaftspotential und in der Umwelt des Menschen. 3. Die Eigenart und Bedeutung des geographischen Betrachtungs- und Arbeitsansatzes einer Kulturlandschaftsanalyse für Landschaftspflege und Landschaftsentwicklung Der geographische Ansatz einer Kulturlandschaftspflege und Kulturlandschaftsentwicklung hat eigenständige Perspektiven und Arbeitsweisen, die in der Geographie als raum- und landschaftsbezogene Wissenschaft begründet sind. Die Elemente der Kulturlandschaft werden von ihren räumlich-geographischen Lageverhältnissen her
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Abb. 1 Der Kulturlandschaftswandel im Beziehungsgefüge zwischen Mensch-NaturKultur
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gesehen, sie werden in ein räumlich-funktionales Beziehungsgefüge hineingestellt und nicht isoliert als Einzelteile gesehen. Hinzu tritt die genetische Perspektive (retrospektiv), wobei Entstehung, Entwicklung und Wandel in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang entwicklungsgeschichtlich erklärend aufgearbeitet werden. Dabei bleiben die Analyse und Erklärung nicht statisch, sondern die Prozesse vom Werden und Wandel werden zu rekonstruieren und zu beleuchten versucht (Denekke 1993). Lösungen und Maßnahmen einer Erhaltung und Pflege werden im Rahmen einer anwendungsorientierten historisch-geographischen Forschung auf der Grundlage entwicklungsgeschichtlicher Kenntnisse und Bewertungen eingebracht. Die geographische Zielsetzung der Kulturlandschaftspflege ist dabei keineswegs auf Erhaltung im Status Quo oder auf Schutzkategorien ausgerichtet, sondern auf eine integrierende und pflegliche Weiterentwicklung. Die Ausrichtung auf eine erhaltende Kulturlandschaftsentwicklung überwindet die Einseitigkeit und naturbezogene Enge des Naturschutzes wie auch die Objektbezogenheit des Denkmalschutzes und führt zu einer integrativen erhaltenden und pflegenden Weiterentwicklung der Landschaft. Hierzu lassen sich aus einer historisch-kulturgeographischen Forschung heraus Rekonstruktionen, Wiederherstellungs-, Bewirtschaftungs- und Pflegepläne erarbeiten, die in traditionsgebundene und nachhaltige Bewirtschaftungsmaßnahmen eingehen können. Die Kulturlandschaft ist zu bewahren, aber auch zu nutzen. 4. Die räumliche Perspektive einer kulturlandschaftlichen Landschaftspflege und ihre Maßstabsebenen Die Maßstäbe der räumlichen Betrachtung und der angestrebten Instrumente (Kartierungen, Inventare) wie auch der Arbeitsmethoden und der Arbeitsintensität gehen weit auseinander. Die jeweils geforderte Maßstabsebene ist stets klar ins Auge zu fassen, denn jede Ebene verlangt ihre eigenen, spezifischen Kriterien, um zu sachgerechten Aussagen zu kommen. Bei kleiner werdenden Maßstäben geht es nicht um Varianten einer mehr oder weniger starken Generalisierung von Detailerfassungen, sondern um stets eigene Arbeitsansätze, bei denen zum größeren Überblick hin zunehmend eine allgemeinere kulturräumliche Dominanz und Charakteristiken ihrer großräumigen Abgrenzung herauszuarbeiten sind. Hierbei geht es dann vornehmlich um diejeweiligen Kernräume und weniger um die allgemein problematisch und unscharf bleibenden Grenzsäume oder Grenzgürtel. Erfassungen in großen Maßstäben bis 1:200.000, auf Karten- und Luftbildanalysen wie auf Geländeaufnahmen beruhend, sind auf Objekte und kleine Verbreitungsareale gerichtet, auf Einzelelemente der Landschaft mit zahlreichen beschreibenden und bewertenden Details. Bei einer generalisierenden Flächenangabe ist für die Praxis von Planung und Schutz mehr als bisher in der Geographie ein Bezug zur Parzelle und zu Nutzflächen herzustellen oder auch zu vorgegebenen amtlichen Grenzen. Lassen sich vor allem bei einer Geländeaufnahme für die Beschreibung und Bewertung der zu erfassenden Landschaftselemente auch individuelle Eigenheiten und Details erheben, so ist doch auf dieser größten Maßstabsebene bereits
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von einer typisierenden Gruppierung auszugehen, die vor eine besondere fachliche Aufgabe stellt. Problematisch sind die mittleren Maßstäbe (1:25.000 bis zu 1:200.000), die gerade in der Praxis besonders gefragt sind (Landschaftsrahmenplan u.a.). Hier muß weitgehend eine objektbezogene und topographisch genaue Erfassung zugrundeliegen (großer Erfassungsmaßstab), der dann für den Darstellungsmaßstab beziehungsweise das Instrument in Karte und Inventar so zu generalisieren ist, daß ein großer Teil der möglichen Aufgaben verlorengeht. Ein mittlerer Maßstab als direkter Erfassungsmaßstab ist schwerlich zufriedenstellend anzusteuern. Es bleibt meist bei Karten oder Literaturauswertungen mit all ihren bedingten Lückenhaftigkeiten. 5. Die Perspektive und Struktur der zeitlich-historischen Tiefe im Zuge einer nachhaltigen Landschaftspflege Aufgabenbereich und Planungsobjekt ist die gegenwärtige Landschaft in ihrem aktuellen Zustand. Eine historische Dimension ist ihr dadurch gegeben, daß diese Landschaft im Laufe einer langen Entwicklungsgeschichte geworden und gestaltet ist, die Vergangenheit ist in der Landschaft stets gegenwärtig. Dies gilt für die im Zuge natürlicher oder auch anthropogen beeinflußter Prozesse gewordene „Naturlandschaft“, ganz besonders aber für die vom Menschen in einem weit zurückreichenden historischen Ablauf gestaltete Kulturlandschaft. Dort, wo diese Geschichte durch eine gute Erhaltung älterer Kulturlandschaftselemente noch besonders sichtbar und prägnant ist, wird allgemein von „historischer Kulturlandschaft“ gesprochen, obgleich jede Kulturlandschaft und jeder Teil einer Kulturlandschaft eine mehr oder weniger weit in die Geschichte zurückreichende zeitliche Tiefe aufweist. Die historisch-geographische Kulturlandschaftsforschung ist in ihrer klassischen Arbeitsweise und Fragestellung retrogressiv, rückschreibend wie auch von unmittelbaren Zeitzeugen und Belegen ausgehend auf eine Erschließung älterer Landschaftszustände (Altlandschaften) gerichtet. Ein weiterer Betrachtungsansatz liegt in der historischen Verfolgung und Rekonstruktion von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen im Laufe der Landschaftsgeschichte (prozessualer, entwicklungsgeschichtlicher Ansatz). Bei diesen beiden klassischen Fragestellungen der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung stehen Landschaftszustände der Vergangenheit im Mittelpunkt, von deren Elementen nur ein Teil original, überformt oder nur als funktionslos gewordenes oder verfallenes Relikt in der gegenwärtigen Kulturlandschaft überkommen ist. Diese überkommenen Landschaftselemente, Objekte und Relikte dienen als faßbare Dokumente und Zeitzeugen der Rekonstruktion älterer Kulturlandschaftszustände, sie dienen aber auch, auf die gegenwärtige Kulturlandschaft bezogen, zu deren genetischer (entwicklungsgeschichtlicher), retrospektiver Erklärung. Mit diesem ebenfalls klassischen Ansatz geographischer Kulturlandschaftsforschung wird ein Blick auf die gegenwärtige Landschaft gerichtet, allerdings auch hier noch mit einer eindeutig historisch zurückblickenden Perspektive. Aufgabe und Anspruch einer Dokumentation und Erhaltung der Kulturlandschaft sind besonders – aller-
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dings keineswegs allein – in einem kulturellen Wert begründet: ,Die Landschaften sind, neben den Bibliotheken, die wichtigsten Speicher geistiger Errungenschaften der Menschheit. Das Leben der Gesellschaften zehrt aus ihnen mehr, als uns zuweilen bewußt ist‘ (J. Schmithüsen). In dieser Weise ist auch im geographischen Sinne der englisch-amerikanische bzw. internationale Ansatz eines landschaftsbezogenen Kulturerbes zu verstehen. Für eine nachhaltige, erhaltende landschaftspflegerische Planung können diese historischen Betrachtungsansätze nur ein erklärender Hintergrund sein. In diesem Zusammenhang ist auch das einzelne historische Objekt, das historische Kulturlandschaftselement wie auch das zu schützende Denkmal nur ein Indikator, eine Sendeantenne, die punkthaft in verschiedene Tiefen der in der Landschaft verorteten Kulturlandschaftsgeschichte führt. Die Verbreitung und Summe von Kulturdenkmalen und historischen Landschaftsteilen in ihrer historischen und dokumentarischen Bedeutung wie auch ihrem Wert als Kulturerbe reichen in der Argumentation und für das Leitbild einer nachhaltigen, erhaltenden Landschaftspflege nicht aus. Es geht vielmehr um eine landschaftsräumliche strukturelle Betrachtung, Analyse und Entwicklung der geschlossenen Landschaft, wobei persistente Strukturen und Landschaftsteile eine besondere Beachtung finden. 6. Wandel (Dynamik) und Konstanz (Persistenz), Neuerung und Erhaltung in der Kulturlandschaft Die Kulturlandschaft ist einem stetigen Wandel wie auch einer gezielten Veränderung unterworfen. Die Prozesse dieser Dynamik laufen immer rascher und kurzfristiger ab, die Eingriffe in die Landschaft wie auch in die naturräumlichen Verhältnisse werden zunehmend großräumiger und gravierender. Im Zuge des Wandels, weit mehr aber der planmäßigen Veränderungen und Umgestaltungen werden die vorherigen Nutzungen und Wirtschaftsformen abgelöst, die entstandenen älteren Landschaftselemente werden aufgegeben, umgenutzt oder ganz zerstört. Die Ursachen und Wirkungen dieser Landschaftsdynamik vor allem der jüngeren Zeit sind – gerade auch im Zusammenhang mit einer erhaltenden Planung und Landschaftspflege – darzustellen und zu untersuchen, um die Prozesse und Prozeßregler dieser Dynamik zu erkennen und einschätzen zu können und den Druck auf die immer weniger werdenden, bisher noch über lange Zeit erhaltenen Kulturlandschaftsstrukturen und Kulturlandschaftsbereiche zu lokalisieren. Obgleich diese Thematik in einigen Regionalstudien aufgegriffen und in einem größer angelegten Forschungsansatz der siebziger und achtziger Jahre auch gezielt konzipiert wurde (Wöhlke 1969; Gallusser 1970; Gallusser & Buchmann 1974; Ewald 1978; Schweiz. Naturforsch. Gesell. 1983), ist die Dokumentation und Analyse aktueller Kulturlandschaftsdynamik in der Kulturgeographie kaum weiter vorangetrieben worden, weder in Fallstudien noch in einer großräumigeren praktischen Umsetzung. In ganz entscheidendem Maße hat sich diese Aufgabe im östlichen Deutschland gestellt, wo der Wettlauf einer Dokumentation des Landschaftswandels mit dem Tempo der in manchen Gebieten herrschenden Dynamik allerdings nahezu hoffnungslos ist.
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Mit den verändernden Eingriffen und dem Wandel der Kulturlandschaft ist allgemein auch eine Zerstörung und Beseitigung der älteren Strukturen verbunden. Die allgemeinen Vorgänge und Faktoren der Landschaftszerstörung wie auch Erscheinungen von Landschaftsschäden werden auch als solche thematisiert und in der öffentlichen Diskussion vor Augen gestellt (Mayer-Tasch 1976; Wittig 1979; Weiss 1981; Brandon & Millman 1982; Vision Landschaft 1995). Bevorstehende flächenhafte Zerstörungen erfordern, wie auch in der Archäologie, eine vorherige Dokumentation und Untersuchung (vgl. als Beispiel: Kleefeld 1994), und Landschaftsschäden sollten im Zuge der allgemeinen landschaftspflegerischen Aufgaben laufend erfaßt werden, um gezielt beseitigt werden zu können (vgl. als Muster: Siegert 1971). Bei großflächigen Eingriffen und Zerstörungen (Braunkohlegruben und Kiesabbau u.a.) kommt es, wie bei Neulandgewinnung, zu völligen Neugestaltungen der Landschaft – hier im Zuge von Rekultivierungen – (u.a. Olschowy 1993), an denen die Geographie allerdings kaum beteiligt ist. Von größerer Bedeutung bei der geographischen Betrachtung der aktuellen Kulturlandschaft ist der Aspekt der Konstanz und Persistenz. Sind die erhaltenen älteren Elemente in der heutigen Kulturlandschaft zunächst ein wesentliches Element der erklärenden Funktion im Rahmen der kulturlandschaftsgenetischen Analyse und Fragestellungen wie auch ein sichtbares Dokument älterer Landschaftszustände, so bekommen die überdauerten Reste und Landschaftsstrukturen im Zuge der Landschaftspflege und erhaltenden Weiterentwicklung den Charakter eines zu schützenden und weiterhin zu tradierenden kulturlandschaftsgeschichtlichen Erbes bzw. die Bedeutung besonderer historisch bedingter Eigenart, die zur Vielfalt der Landschaft und Umwelt wesentlich beizutragen vermag. Je weiter ein ungestörtes Überdauern zurückreicht, desto höher mag ein Erhaltungswert eingeschätzt werden. Grundsätzlich jedoch geht es weniger allein um die Altersstellung als um ein breites Spektrum bewertender Kriterien für einen Schutz bzw. eine erhaltende Integration. Als vom Menschen in der Vergangenheit gestaltetes Landschaftselement ist dessen Beseitigung immer wieder unwiederbringlich, sie bedeutet den Verlust eines landschaftlichen Kulturdokuments, das in dieser Weise nur künstlich wieder erstellt werden könnte. Persistente Landschaftsteile und -strukturen haben sich zum Teil über sehr lange Zeit als bis jetzt stabile Landschaftselemente bewiesen, sie sind ein Potential, das als solches auch als kultureller Wert einzuschätzen ist. Ältere Landschaftsteile sind ein Beitrag zur Vielfalt der Kulturlandschaft, sie vermitteln eine historische Tiefe des Erlebnisumfeldes und eine Individualität, die Identität und Regionalbewußtsein stärkt. Als Elemente einer differenzierten Kleinstruktur können sie auch Ästhetik und Schönheit einer Landschaft hervorbringen, besonders dann, wenn sie nicht allein funktional, zweckdienlich und nutzbringend in die Landschaft hineingebracht worden sind. Diese Werte fordern auch ihren Einsatz und Aufwand (Hampicke 1996). Gerade erst in einer genetisch differenzierten, d.h. sehr unterschiedlich tiefen historisch gewachsenen und durch vielfältige Wirtschaftsformen geschaffenen gegenwärtigen Landschaft stellt sich auch eine Artenvielfalt der Flora und Fauna ein, auf die besonders die Landschaftspflege des Naturschutzes gerichtet ist. Dieser deut-
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lich nachweisbare Zusammenhang zwischen Kulturlandschaftsbereichen traditioneller Wirtschaftsweisen und Artenreichtum ist klarer zu belegen und zu begründen, um gerade auch auf dieser Ebene zu einem integrierten Natur- und Kulturlandschaftsschutz zu kommen (Mühlenberg & Slowig 1996). Ein auf eine erhaltende Landschaftsplanung gerichtetes Instrument von sicher zunehmender Bedeutung für die Praxis ist die von der angewandten historischen Geographie erarbeitete flächenhafte Kartierung des Nutzungs- und Gestaltwandels der Landschaft während der letzten rund 200 Jahre (,Kulturlandschaftswandelkarte‘). Die Kartendarstellung, die systematisch standardisiert und auch großräumig angelegt werden kann und die sich auch digitalisiert durchführen läßt, basiert auf einer Zusammenschau von zwei oder drei Zeitschnitten älterer Kartenwerke, woraus sich flächenhaft für die punkt-, linien- und flächenhaften Elemente der Landschaft ein allgemeines Bild der historischen Tiefe ergibt (Reddersen 1934; Weisel 1970; Burggraaff & Egli 1984; Kaiser 1994). Für den deutschen Raum sind es vornehmlich die Zeitschnitte der Verkopplung, der Flurbereinigung wie auch der Kollektivierung, in denen ältere Landschaftsstrukturen beseitigt und neue eingebracht worden sind. Die Darstellung der Neuerungen auf dem gewählten ältesten Landschaftszustand läßt letztlich diejenigen Strukturen und Nutzungen erkennen, die zumindest die letzten 200 Jahre überdauert haben. Damit werden großflächige Anhaltspunkte einer differenzierten historischen Tiefe in einer Landschaft deutlich, auf denen eine flächenhafte Kulturlandschaftspflege aufbauen kann. Gerade aus dieser Erfassung heraus lassen sich auch erhaltene Nutzflächen alter Wirtschaftsweisen (Traditionslandschaften) erkennen in ihrer recht genauen flächenhaften Abgrenzung. 7. Landschaftsanalytische Arbeitsmethoden einer geographischen Kulturlandschaftsforschung für die Landschaftspflege und Landschaftsplanung Die landschaftsbezogenen Arbeitsmethoden der anwendungsorientierten Kulturgeographie sind beschreibend und analytisch auf eine landschaftliche Bestandserfassung, auf eine Typisierung von Landschaftselementen und Landschaftseinheiten, auf eine landschaftsräumliche Gliederung, auf eine genetische Zuordnung wie auch eine kulturlandschaftliche Bewertung gerichtet. Im räumlichen Bezug wie auch im Arbeitsansatz ist dabei jeweils von spezifischen Maßstabsebenen auszugehen, die von der Aufgabenstellung vorgegeben werden und die sich auch im Endergebnis sehr deutlich unterscheiden. Entwickelt wurden die landschaftsanalytischen Arbeitsmethoden der Kulturgeographie in einer langen Forschungstradition, vornehmlich im Rahmen einer kulturlandschaftsgeschichtlichen und kulturlandschaftsgenetischen Forschung, die auf alte Landschaftszustände wie auch auf historische Entwicklungsstadien und -prozesse gerichtet ist. Den ehemaligen Landschaftszustand und den Werdegang suchend und rekonstruierend ist das Dokument, das Relikt, der historisch zurückweisende Indikator, das mit verschiedenen Arbeitsmethoden zu erschließende Objekt. Geländeaufnahme, Kartenauswertung, Luftbildanalyse und Auswertung schriftlicher Quellen sind die grundlegenden Arbeitsmethoden, die auch bei dieser Land-
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schaftsanalyse für die Landschaftspflege anzuwenden sind. Anzustreben ist stets eine Quellen- bzw. Methodenkombination, um möglichst viele und sich gegenseitig stützende Belege zusammenführen zu können. Bei notwendigen Beschränkungen des Arbeitseinsatzes sollten diese im Ergebnis deutlich gemacht werden, bei der Zielsetzung, ausgewählte Arbeitsmethoden wenigstens in sich möglichst erschöpfend anzuwenden. 8. Die Bestandserfassung (Inventarisation) und Dokumentation historischer Kulturlandschaftselemente, Flächennutzungen und Kulturlandschaftsrelikte Die siedlungs- und landschaftsgeschichtliche Forschung (Archäologie, Historische Geographie) hat im Zuge der Landschaftsarchäologie (archäologische Landesaufnahme) bzw. der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung (historischgeographische Landesaufnahme) Erfassungen, Dokumentationen und Kartierungen von Kulturlandschaftsrelikten und Kulturlandschaftselementen entwickelt, die zunächst allein der entwicklungsgeschichtlichen Kulturlandschaftsforschung als Grundlagen- und Quellenmaterial dienen sollten. Naturschutz, Landschaftspflege und Denkmalpflege fordern unter ihren Gesichtspunkten Erhebungen, Kartierungen und Listen von Objekten, Denkmalen und Kulturflächen als Grundlage für Schutz und Pflegemaßnahmen. Um Denkmalschutz und Landschaftsplanung, d.h. einer erhaltenden Entwicklung der Landschaft, dienen zu können, hat die neuerliche Richtung der anwendungsorientierten historischen Geographie verschiedene historisch bezogene Erhebungen der Kulturlandschaft erarbeitet, die zwischen der landschaftsgeschichtlichen Quellendokumentation und der Erfassung von Kulturlandschaftselementen im Rahmen der Planung stehen. Einige Konzepte stehen der praxisbezogenen Grundlagenforschung näher (z.B. Kleefeld 1994), andere zielen auf eine landschaftsgeschichtliche Erläuterung und Erschließung (Ongyerth 1994; Denzer 1996), manche sind auf Denkmale der Kulturlandschaft gerichtet. Die Forderungen gehen immer mehr dahin, direkt von den Instrumenten von Planung und Schutz auszugehen (Burggraaff & Egli 1984; von den Driesch 1988; Fehn & Schenk 1993), d.h. die Erhebungen auf die Erfordernisse von Flurbereinigung (Gunzelmann 1987), Dorferneuerung (Gunzelmann 1991), Nationalparks (BM Umwelt 1994) oder Landschaftsschutzgebiete auszurichten. Dies erscheint sinnvoll, hat aber zur Folge, daß die Erfassungen nur sehr selektiv sind, daß unscheinbare Relikte oder gar untertägige Befunde weitgehend entfallen und die originale Gelände- und Quellenarbeit nur in geringem Umfang möglich ist, vor allem auch mit kleiner werdendem Maßstab. Diese Erhebungen und Übersichten für den unmittelbaren Einsatz im Planungsprozeß bei Schutz- und Pflegemaßnahmen sind weitgehend abhängig von dokumentarischen Vorarbeiten oder Kartenwerken, wie vor allem Altkarten, historisch-geographischen Regionalstudien (regionalen Kulturlandschaftsentwicklungen) oder dokumentarisch ausgerichteten, flächendeckend angelegten Werken wie den Amtsbeschreibungen und den ehemaligen Kreisbeschreibungen, den „Werten der deutschen Heimat“, der „Historisch-landeskundlichen Exkursionskarte Niedersachsen“ oder auch manchen Kartenblättern aus Regionalatlanten.
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Die Arbeitsmethoden, die nutzbaren bisherigen Vorarbeiten wie auch weiterführende praxisbezogene Kulturlandschaftskartierungen, Kulturlandschaftskataster oder Kulturlandschaftswandelkarten sind weitgehend von der Geographie beigetragen worden, und auf diesen Fundus ist auch bei den erweiterten Forderungen der Denkmalpflege und des Naturschutzes auf die Kulturlandschaft hin zurückzugreifen. Die Erfassung und Bewertung der Kulturlandschaft und ihrer Elemente ist weder mit dem Betrachtungsansatz der Denkmalpflege noch dem des Naturschutzes zu leisten. Mit der Einbringung der Kulturlandschaft in die Schutzgesetze stellt sich den Behörden nicht nur eine weiterführende Aufgabe, sondern auch die Forderung eines integrativen, landschaftsräumlichen und entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsansatzes eines komplexen Beziehungsgefüges zwischen Mensch und Natur, der wissenschaftlich von der Kulturgeographie vertreten wird. Die bisher vorliegenden konzeptionell durchdachten und teilweise auch exemplarisch ausgeführten, oben genannten anwendungsorientierten Inventarisationsansätze sind von wissenschaftlicher Seite fortzusetzen und im Rahmen der landschaftspflegerischen Praxis systematisch durchzuführen. Die zuständigen Behörden sind dabei auf geographische Fachkompetenz angewiesen. Dabei ist allerdings auch darauf hinzuweisen, daß die Geographie von ihrer ökologischen und physischen Richtung ökologisch gewichtete Beiträge zur Landespflege leistet (vergleiche als Beispiel Grabski-Kieron 1995), bei denen die kulturlandschaftliche Komponente meist nur im Sinne einer Landnutzung und Bodenkultur vertreten ist. 9. Die Bedeutung der Rekonstruktion älterer Landschaftszustände im Zuge anwendungsorientierter Inventarisation und Bewertung historischer Landschaftselemente Durch die großflächig voranschreitende Zerstörung älterer Landschaftsstrukturen sind langzeitig gewachsene und kleinstrukturierte Landschaften nur noch in wenigen Resten erhalten oder aber verändert und überformt. Einzelne Strukturen und Elemente älterer Kulturlandschaften haben als Relikte überlebt, um deren Erhaltung und Schutz sich die Denkmal- wie auch die Landschaftspflege bemühen. Die historische Geographie verfolgt als eine ihrer wesentlichen Aufgaben die Zielsetzung, ältere Landschaftszustände zu rekonstruieren, wozu auch ein fundiertes methodisches Rüstzeug erarbeitet worden ist. Die Fragestellung ist dabei auf die Altlandschaftszustände selbst gerichtet, ein älterer zeitlicher Querschnitt soll auf der Grundlage erhaltener Relikte, überlieferter Dokumente und zusätzlicher, auf vielfältigen Belegen beruhenden Rekonstruktionen erstellt werden. Werden die in der heutigen Landschaft noch vorhandenen Kulturlandschaftskomponenten in die erhaltende Landschaftsplanung eingebracht, so sind auch hier Aufgaben einer Rekonstruktion gestellt, allerdings in einem anderen Sinne. Es geht für diese Aufgabenstellung um die notwendigen erklärenden räumlichen Zusammenhänge, um das Hineinstellen kleinräumiger Reste in das einst zugehörige Umfeld, um ein vollständigeres Bild der ehemaligen Verbreitung eines Strukturelements. So besagt etwa ein einzelner kleiner Hohlwegrest für sich kaum etwas: er
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wäre in ein historisches Wegenetz einzufügen, womit erst seine einstige Bedeutung kenntlich wird als Grundlage für eine Erklärung und Bewertung. In diesem Zusammenhang stellt die historisch-geographische Arbeit eine Grundlagenforschung dar, die übernommen werden kann oder aber zu leisten wäre, was allgemein im Zuge landschaftspflegerischer Aufgaben kaum unternommen werden kann. 10. Die Typisierung von Kulturlandschaftselementen und ihre Terminologie Die im einzelnen individuelle Ausprägung von Kulturlandschaftselementen, ihre große Vielfalt und ihre regionale Gebundenheit und Differenzierung in ihrer Erscheinung wie auch ihrer Bezeichnung macht es für vergleichbare Inventare notwendig, zu einer Typologie zu kommen (allgemein: Wollkopf 1995) und zu einem an dieser orientierten terminologischen Rahmen (als Beispiel: Denecke 1979). Auf die Erscheinung oder Ausprägung ausgerichtet verfolgt die Geographie in ihrer Landschaftsanalyse vor allem einen morphogenetischen Ansatz. Danach werden die Objekte und Erscheinungen in der Landschaft nicht nur in ihrem Zustand morphographisch, d.h. formal beschreibend angesprochen, sondern nach dem Entwicklungsprozeß ihrer formalen Ausprägung. Der Betrachtungsansatz und die typologische Zuordnung sind entwicklungsgeschichtlich ausgerichtet und damit dynamisch. Stehen für eine historisch-geographische Betrachtung die Primärform, die Abfolge historischer Sekundärformen wie auch der formale Entwicklungsprozeß der Vergangenheit im Vordergrund des Interesses (vgl. Abb. 2), so ist im Zuge einer Typologie für eine Landschaftsentwicklung das Augenmerk auf die Ausprägung im gegenwärtigen Entwicklungsstadium und Zustand zu richten, auf die Möglichkeit der Weiterentwicklung, eine drohende Beseitigung oder einen Verfall. In gleicher Weise sind Funktion und Funktionswandel weniger historisch-genetisch zu erfassen, sondern eher von der heutigen und möglichen zukünftigen Nutzung her Der historisch-genetisch erklärende Betrachtungsansatz der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung und die hierfür entwickelte Typologie kann für den Zweck einer Kulturlandschaftspflege nicht direkt übernommen werden, sondern die Landschaftselemente oder Landschaftsteile sind von dem Ansatz einer steuernden Erhaltung und Weiterentwicklung her zu systematisieren und zu typisieren. 11. Ausweisung, Charakterisierung und Typisierung historisch geprägter Restlandschaften in ihrer Eigenart unter Gesichtspunkten einer Kulturlandschaftspflege Verkopplung und Flurbereinigung, Kollektivierung und Modernisierung der Landwirtschaft haben die individuelle Entwicklung und Prägung der Kulturlandschaft großflächig vereinheitlicht, so daß heute nur noch wenige Reste, meist in peripheren Gebieten und Landschaftsteilen, von diesen Entwicklungsmaßnahmen unberührt geblieben sind. Die Landschaftsstrukturen der traditionellen Wirtschaftsweisen sind zu großen Teilen irreversibel beseitigt, die traditionelle Bewirtschaftung ist nur noch
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Abb. 2 Prozesse und Stadien der Morphogenese von Parzellenbegrenzungen
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
sporadisch zu finden. Für einen Schutz und für eine landschaftspflegerische Integration historisch geprägter Restlandschaften und ihrer einst landschaftsprägenden Kulturelemente sind nun im Rahmen und mit den Methoden einer historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung die Reste traditioneller und oft auch regionaltypischer Wirtschaftslandschaften nicht nur als solche zu erkennen und zu erfassen, sondern auch durch die Rekonstruktion des ehemaligen Gesamtbildes in den Zusammenhang des einstigen Landschaftsbildes wie auch der zeitgenössischen Wirtschaftsweisen zu stellen. Gerichtet ist der Blick hier auf spezifische Landschaftsteile, die nicht allgemein, sondern nur mit ihrer jeweiligen besonderen Bewirtschaftung, Prägung und Genese zu erfassen und durch besondere Bewirtschaftungspläne zu erhalten sind. Hierzu gehören z.B. Haldenlandschaften des Bergbaus (Wagenbreth 1973), Weinberge (Schmidt 1985), Streuobstwiesen (Bünger 1996) oder Talauen mit Wiesenbewässerungsanlagen (Binggeli 1986; Leibundgut 1993). Gerade die genannten Landschaftstypen sind im Rahmen der Erhaltung und Pflege bereits in vielen Einzelbeispielen mit entsprechenden Rekultivierungs- und Pflegeplänen bearbeitet worden. Als besonders wertvolle und oft charakteristische Kultur- und Traditionslandschaften sind Landschaftsteile dieser Art in ihrer Struktur und Genese geographisch-landschaftskundlich individuell zu bearbeiten, für die Landschaftspflege, aber auch mit dem Ziel einer Landschaftsdokumentation und einer landschaftsgeschichtlichen Vermittlung. Auch in anderen europäischen Ländern werden Zielsetzungen dieser Art verfolgt (Haartsen & Renes 1982; Schwarze 1985; Verdifulle kulturlandskap 1994; Aalen 1996). Methodisch kann die Siedlungs- und Kulturgeographie mit dieser anwendungsbezogenen Aufgabe zurückgreifen auf die Arbeitsweisen der Analyse alter Pläne und Karten, die Rückschreibung wie auch die Geländeaufnahme überkommender Kulturlandschaftselemente. Die geforderte Perspektive allerdings ist neu und anders als in der traditionellen siedlungsgeographischen und kulturlandschaftlichen Forschung, die auf die Rekonstruktion der Primärform, auf die Siedlungsanalyse zur Zeit der Landnahme und ersten Auslegung gerichtet ist und auf den langzeitigen Prozeß der Kulturlandschaftsentwicklung seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart hinein. Der Landschaftszustand des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der für die Charakterisierung der historischen Restlandschaften im Zuge einer erhaltenden Landschaftspflege im Mittelpunkt steht, ist in der Geographie bisher nicht von besonderem Interesse gewesen. 12. Die landschaftsräumliche Gliederung, Differenzierung und Abgrenzung Die geographische Landschaftsforschung und Länderkunde hat sich besonders seit den zwanziger Jahren mit Methoden und Problemen der landschaftlichen Raumgliederung befaßt, mit der Abgrenzung unterschiedlicher Landschaftsräume und Landschaftsteile sowie mit dem Charakter der Grenzen und Grenzräume. Die Zielsetzung ist dabei die Ausgliederung geschlossener landschaftsräumlicher Einheiten, die sich in ihrer naturräumlichen oder auch kulturlandschaftlichen Ausstattung
2. Quellen, Methoden, Fragestellungen und Betrachtungsansätze
251
unterscheiden. Zur Herausarbeitung und Charakterisierung von Landschaftsteilen sind jeweils dominante landschaftsbestimmende Merkmale ausgewiesen worden. Ein in der Landschaftskunde aber auch in der Landschaftspflege und Landschaftsplanung tragfähiges Instrument geographischer Landschaftsgliederung ist die naturräumliche Gliederung Deutschlands, die naturräumliche Einheiten abgrenzt und charakterisiert. Relief, Geologie, Boden, Gewässer und Vegetation sind wesentlich berücksichtigte Elemente. Die Kriterien der Grenzziehung wechseln in ihrer Dominanz, Eingriffe und Veränderungen durch den Menschen finden nur geringe Berücksichtigung. Eine für die Landschaftspflege lange bedeutsame Gliederung ist die Differenzierung nach den Hauptnutzungsarten Waldland, Ödland, Grünland und Ackerland und dies nicht nur für den gegenwärtigen Zustand, sondern auch für den zurückliegenden Wandel. Hier kann mit der Heranziehung des historischen Kartenvergleichs allgemein für die Zeit seit dem 18. Jahrhundert in einem Maßstab von 1: 25000 der Wandel in Zeitschnitten mit konkreten Grenzziehungen recht exakt nachvollzogen werden. Zu einer großräumigen systematischen Erarbeitung von Übersichtskarten des Landnutzungswandels der vier wesentlichen Grundkategorien ist es bisher noch nicht gekommen. 13. Die Einbringung der Betrachtungsansätze, Arbeitsmethoden und Arbeitsergebnisse der geographischen Kulturlandschaftsforschung in Landschaftsplanung und Landschaftspflege Die Einbringung und Anwendung der Betrachtungsansätze, der Arbeitsmethoden und wissenschaftlichen Erkenntnisse der geographischen Kulturlandschaftsforschung in die Landschaftsplanung und Landschaftspflege ist auf verschiedenen Wegen möglich. Die umfangreiche Literatur der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung, besonders die regionalen Fallstudien, dienen als Material- und Erkenntnisgrundlage. Die anwendungsorientierten kulturgeographischen Fallstudien sind Modelle oder Vorgaben für die Aufgaben und Arbeiten in der Praxis, und letztlich ist bei der Erarbeitung der Planungsinstrumente direkt wie auch durch spezifische Gutachten das kulturlandschaftliche Potential einzubringen. Daß im wissenschaftlichen Arbeitsansatz auch von vornherein eine Anwendungsorientierung gegeben ist, ist in der Kulturlandschaftsforschung und besonders der historischen Geographie erst in jüngerer Zeit der Fall, weshalb sich eine angewandte Forschung zunächst auch zum Teil bewußt als eine anwendungsorientierte Grundlagenforschung verstanden hat. Ein Beitrag in diesem Sinne wird für die praktische erhaltende Landschaftsplanung auch stets ihre Bedeutung behalten, wenn die Geographie mit den ihr eigenen wissenschaftlichen Ansätzen weiterführende Erkenntnisse zu liefern vermag. Grundlage hierfür sind der landeskundliche und der regionalgeographische Ansatz, der kulturgeographisch-analytische Ansatz, der historischentwicklungsgeschichtlich und genetisch erklärende Ansatz, der prozessuale Ansatz wie auch der neuere Ansatz einer Umweltgeographie. Auf diese Ansätze ist die kulturgeographische Systematik und Fachterminologie bezogen, hierfür sind die
252
V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Arbeitsmethoden entwickelt, die in der historischen Geographie in Deutschland sehr eng verbunden sind mit der Siedlungsarchäologie und der Siedlungsgeschichte. Für die zunehmend erkannte und geforderte praktische Aufgabe eines Kulturlandschaftsschutzes und einer Kulturlandschaftspflege sind bisher einige grundlegende Arbeiten erschienen, die allgemein und exemplarisch historisch-geographisch ausgerichtete landschaftspflegende Problemstellungen und Arbeitsansätze sowie Aufgabenstellungen umreißen. Dabei werden vor allem auch die bisherigen Defizite des Landschaftsschutzes und der Landschaftspflege in Bezug auf einen Kulturlandschaftsschutz herausgearbeitet, verbunden mit Forderungen einer verstärkten Beachtung, auf der Basis der nunmehr vorhandenen Gesetzesvorgaben sowie staatlicher und internationaler Bemühungen unter dem Schlagwort „Kulturlandschaft“. Von wissenschaftlicher Seite werden die Initiativen dahin gehen müssen, nun auch vermehrt Fallstudien folgen zu lassen, die auch als nachvollziehbare Muster dienen können. Eine kritische Analyse von Flurbereinigungsplänen, Dorferneuerungsplänen sowie Landschafts- und Landschaftsrahmenplänen zeigt, daß siedlungshistorisch-kulturlandschaftliche Belange und Objekte bisher nur in sehr wenigen dieser Planungsinstrumente Beachtung finden, oft nur in Andeutung, von außen angehängt oder gar nicht. Unter den bisher für Niedersachsen vorliegenden Landschaftsrahmenplänen finden sich z.B. nur zwei (Landkreis Wesermarsch und Landkreis Peine), in denen die Kulturlandschaft in geographischem Sinne wirklich thematisiert und dokumentiert wird. Auch öffentliche Institutionen der Landschaftsplanung, historische Vereine wie auch Landschaftsarchitekten haben die Kulturlandschaft als kulturelles Erbe und als entwicklungsgeschichtliches Element der Landschaft noch viel zu wenig in ihren Arbeitsansatz einbezogen (vgl. hierzu die international vergleichende Untersuchung von Born 1996). Literatur Aalen, F.H.A. (1996): Landscape study and management. – Dublin. Barthelmeß, A. (1988): Landschaft und Lebensraum des Menschen. Probleme von Landschaftsschutz und Landschaftspflege dargestellt und dokumentiert. – Orbis Academicus, 215. Freiburg. Bender, O. (1994): Angewandte Historische Geographie und Landschaftsplanung. In: Standort, 18 (2): S. 3–12. Bender, O. (1994): Die Kulturlandschaft am Brotjacklriegel (Vorderer Bayer. Wald). Eine angewandte historisch.- geographische Landschaftsanalyse als vorbereitende Untersuchung für die Landschaftsplanung und -pflege (Deggendorfer Geschichtsblätter 15). – Deggendorf. Binggeli, V. (1986): Kulturlandschaftswandel am Beispiel der Oberaargauer Wässermatten. In: Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft, Bern 55: S. 123–149. Born, K.-M. (1996): Raumwirksames Handeln von Verwaltungen, Vereinen und Landschaftsarchitekten zur Erhaltung der Historischen Kulturlandschaft und ihrer Einzelelemente. Eine vergleichende Untersuchung in den nordöstlichen USA und der Bundesrepublik Deutschland. – Dissertation Göttingen. Brandon, P.E. & R.N. Millman (Hrsg., 1982): The threat to historic rural landscapes. – Polytechnic of North London, Department of Geography. London. Breuer, T. (1979): Land – Denkmale. – In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 37: S. 11–24. BM Umwelt (1994): Bundeswettbewerb Deutscher Naturparke. Vorbildliche Schutz- und Pflegemaßnahmen zur Erhaltung historischer Kulturlandschaften in Naturparken. – Bonn
2. Quellen, Methoden, Fragestellungen und Betrachtungsansätze
253
Bünger, L. (1996): Erhaltung und Wiederbegrünung von Streuobstbeständen in Nordrhein-Westfalen (Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten. – Nordrhein-Westfälische Schriftenreihe 9). – Recklinghausen. Burggraaff, P. & H.-R. Egli (1984): Eine neue historisch-geographische Landesaufnahme der Niederlande. – In: Siedlungsforschung, 2: S. 283–293. Denecke, D. (1979): Zur Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurbegrenzungen sowie im Gelände ausgeprägter Flurrelikte: Grundzüge eines terminologischen Schemas. – In: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl., Folge 3, Nr. 115, Teil I: S. 410–440. Denecke, D. (1985): Historische Geographie und räumliche Planung. – In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, 75: S. 3–55. Denecke, D. (1993): Entwicklungen in der deutschen Landeskunde: Helmut Jäger und die genetische Kulturlandschaftsforschung. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 67, S. 7–34. Denecke, D. (1994): Historische Geographie – Kulturlandschaftsgenetische, anwendungsorientierte und angewandte Forschung: Gedanken zur Entwicklung und zum Stand der Diskussion. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 68: S. 431–444. Denzer, V. (1996): Historische Relikte und persistente Elemente in ausgewählten Waldhufensiedlungen im Buntsandstein-Spessart (Mainzer Geographische Studien 43). – Mainz. von den Driesch, U.v.d. (1988): Historisch-geographische Inventarisierung von persistenten Kulturlandschaftselementen des ländlichen Raumes als Beitrag zur erhaltenden Planung. – Phil. Diss. Bonn. Ewald, K. C. (1978): Der Landschaftswandel. – Zur Veränderung der schweizerischen Kulturlandschaft im 20. Jahrhundert. – Liestal. Ewald, K. C. (1989): Landschaftspflege. Wandel und Aktualität eines Begriffes. – In: Regio Basiliensis, 30: S. 39–47. Fehn, K. & W. Schenk (1993): Das historisch-geographische Kulturlandschaftskataster – eine Aufgabe der geographischen Landeskunde. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 67: S. 474– 488. Frei, H. (1983): Wandel und Erhaltung der Kulturlandschaft – der Beitrag der Geographie zum kulturellen Umweltschutz. – In: Berichte zur deutschen Landeskund, 57: S. 277–281. Gallusser, W.A. (1970): Struktur und Entwicklung ländlicher Räume der Nordostschweiz. Aktualgeographische Analyse der Kulturlandschaft im Zeitraum 1955–1968 (Basler Beiträge zur Geographie 11). – Basel. Gallusser, W.A. & W. Buchmann (1974): Der Kulturlandschaftswandel in der Schweiz als geographisches Forschungsprogramm. – In: Geographica Helvetica, 29: S. 49–70. Gerstenhauer, A. (1954): Der nördliche Spessart. Ein Beitrag zur Frage der kulturlandschaftlichen Gliederung (Rhein-Mainische Forschungen 42). – Frankfurt. Grabski, U. (1985): Landschaft und Flurbereinigung. Kriterien für die Neuordnung des ländlichen Raumes aus der Sicht der Landespflege (Flurbereinigung. Schriftenreihe des BMELF 76). – Bonn. Grabski-Kieron, U. (1995): Leitziele der Landschaftspflege für die Agrarlandschaft Brandenburgs. Beiträge zur ländlichen Entwicklung im Raum Königs Wusterhausen (Bochumer Geographische Arbeiten 60). – Bochum. Gunzelmann, Th. (1987): Die Erhaltung der historischen Kulturlandschaft. Angewandte Historische Geographie des ländlichen Raumes mit Beispielen aus Franken (Bamberger Wirtschaftsgeographische Arbeiten 4). – Bamberg. Gunzelmann, Th. (1991): Das Zeilendorf Reicholdsgrün im Fichtelgebirge. Historisch-geographische Ortsanalyse als Grundlage für Denkmalpflege und Dorferneuerung (Bamberger Wirtschaftsgeographische Arbeiten, 7). – Bamberg: S. 161–196. Haartsen, A.J. & J. Renes (1982): Naar een historisch-geografische typologie van het Nederlandse landschap. Historische geografie, ruimtelijke ordening en hun relatie met het werk van de Werkgroep Landschapstypologie. – In: Geografisch Tijdschrift, 16: S. 456–475. Haber, W. (1991): Kulturlandschaft versus Raumordnung, 49: S. 106–112.
254
V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
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2. Quellen, Methoden, Fragestellungen und Betrachtungsansätze
255
Schwarze, M. (1985): Die Erhaltung traditioneller Kulturlandschaften, dokumentiert an Beispielen der Schweiz (Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege 3). – Bern. Schweizerische Naturforschende Gesellschaft und Schweizerische Geographische Kommission (1983): Der Kulturlandschaftswandel in der Schweiz. Die KLW-Testgemeinden in den 70er Jahren. – Basel. Siegert, J. (1971): Methoden zur Erfassung und Kartierung von Landschaftsschäden am Beispiel der Kreise Göttingen und Rotenburg (Wümme) (Schriften der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens e.V. Reihe A, 98). – Göttingen. Tishler, W.H. (1982): Historical Landscapes: An international preservation perspective. – Landscape Planning: S. 91–103. Verdifulle kulturlandskap i Norge (1994) Part 4: Final report of the central comittee, National Inventory of Valued Cultural Landscape in Norway. – Department of Environment. – Trondheim. Vervloet, J.A.J., C.H.M. de Bont, J. Renes & T. Spek (1994): Wageningen Studies in Historical Geography, 2 [Sammelband zu allgemeinen Ansätzen der angewandten historischen Geographie in den Niederlanden]. – Wageningen. Vision Landschaft 2020. Von der historischen Kulturlandschaft zur Landschaft von morgen (1995) (Laufener Seminarbeiträge 4/95). – Laufen. Wagenbreth, O. (1973): Zur landeskulturellen Erhaltung von Bergbauhalden. – In: Geographische Berichte, 68: S. l96–205. Weisel, H. (1970): Die Bewaldung der nördlichen Frankenalb. Ihre Veränderung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft, 17: 148. Weiss, H. (1981): Die friedliche Zerstörung der Landschaft. – Zürich. Wittig, R. (1979): Die Vernichtung der nordwestdeutschen Wallheckenlandschaft, dargestellt an Beispielen aus der westfälischen Bucht. Flurbereinigung und Kulturlandschaftsentwicklung. – In: Siedlung und Landschaft in Westfalen, 12: S. 57–61. Wöbse, H.H. (1994): Schutz historischer Kulturlandschaften. – Beiträge zur räumlichen Planung (Schriftenreihe des Fachbereichs Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung der Universität Hannover 37). – Hannover Wöhlke, W. (1969): Die Kulturlandschaft als Funktion von Veränderlichen: Überlegungen zur dynamischen Betrachtung in der Kulturgeographie. – In: Geographische Rundschau, 21: S. 298– 308. Wollkopf, H.-F. (1995): Der Typbegriff in der Geographie. Eine disziplingeschichtliche Studie (Europäische Hochschulschriften 3, 659). – Frankfurt. Zwanzig, G.W. (1985): Der Schutz der Kulturlandschaft als Anliegen von Naturschutz und Denkmalpflege. Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen. – In: Rundschreiben an die bayerischen Heimatpfleger, 30: S. 1–29.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
3. ANWENDUNGSORIENTIERTE HISTORISCH-GEOGRAPHISCHE STADTFORSCHUNG IM SYSTEM DENKMALPFLEGE* In diesem Beitrag sollen grundlegende geographische Arbeitsfelder herausgestellt werden, die im System denkmalpflegerischer Arbeit von Belang sind. Dabei werden bisherige Forschungsbeiträge von dieser Seite eingebracht, aber auch Hinweise gegeben auf aktuelle Forschungsentwicklungen im interdisziplinären und internationalen Kontext. Einleitend werden Grundsätze geographischer Betrachtung, Fragestellung und Forschung im Rahmen der Denkmalpflege umrissen. Die Baudenkmalpflege ist eine praxisbezogene, erhaltende, materielle Kulturpflege und Erforschung baulicher Elemente in der Siedlungslandschaft im Rahmen und Auftrag einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe. Neben einer amtlich-organisatorischen Verpflichtung ist sie auch in ein wissenschaftlich-fachliches System einzuordnen,1 d.h. in einen Rahmen und ein Netzwerk relevanter, zu beteiligender und anzuwendender Betrachtungsansätze, Forschungsfelder, Forschungsmethoden und Forschungsergebnisse verschiedener Wissenschaften, wozu auch grundlegend die Siedlungs- und Stadtgeographie – im engeren Sinne vornehmlich die Historische Stadtgeographie gehört. Der Betrachtungsansatz der Historischen Stadtgeographie ist analytisch (nachvollziehend) auf räumliche Strukturen (Grundriss/Aufriss/funktionales und soziales Gefüge) gerichtet, er ist historisch, entwicklungsgeschichtlich und genetisch beschreibend, erklärend sowie interpretierend, aber auch anwendungsbezogen wertend und für eine Erhaltung und Pflege planend ausgerichtet.2 In den Fragestellungen geht es um siedlungsräumliche Zusammenhänge, um räumliche Einheiten und Gliederungen, um Geschichte, Entwicklung und Genese der Stadt- und Kulturlandschaft.3 Der komplexe, raumbezogene geographische Betrachtungsansatz wie auch geographische Fragestellungen werden zwar führend von der siedlungs- und stadtgeographischen Disziplin vertreten, Topographie, Stadtbild und Stadtstruktur sind jedoch auch Aspekte und Perspektiven, die in anderen Bereichen der Stadtforschung, Stadtpflege, Stadtgestaltung und Stadtentwicklung grundlegende Beachtung finden und interdisziplinär die Kooperation mit der geographischen Forschung suchen sollten (fachliche Vernetzung). Die historisch-geographische Stadtforschung ist gerichtet auf die bauliche Struktur (Grundriss und Aufriss: Stadtbild, Stadtgestalt),4 auf Funktionen und sozialräum* 1
2 3 4
Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung im System Denkmalpflege. In: Niederländisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg.): System Denkmalpflege. Netzwerke für die Zukunft. Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 31, 2004, S. 360–369. Wie für die wissenschaftliche Disziplin der Geographie schon lange ein mehrfach modifiziertes ,System der Geographischen Wissenschaft‘ richtungsweisend ist, so wäre auch für die Denkmalpflege ein entsprechendes, das Beziehungsgefüge der Arbeitsbereiche strukturierendes System schematisch zu entwerfen, was hier angeregt, aber nicht geleistet werden kann. vgl. allgemein einführend: Carter (1983), Denecke/Shaw (1988), Denecke (2002), Lichtenberger (2002). Herold (1965), Glaser (1986), Whitehand (1992), Knox (1993), Transformation (1999). vgl. u.a.: Krause (1974), Gruber (1976), Planergruppe (1977), von der Dollen (1982), Schroe-
3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
257
liche Verhältnisse und auf räumliche und zeitliche Zusammenhänge von vor allem morphologischen Siedlungselementen einerseits (Strukturforschung)5 wie auch auf das Wirkungsgefüge raumwirksamer und raumgestaltender Kräfte und Akteure andererseits (Prozessforschung).6 Die Forschung ist entwicklungsgeschichtlich erklärend (Grundlagenforschung), aber auch praxisbegleitend wertend und prospektierend (anwendungsorientierte Forschung). Bezogen auf die Aufgaben und den Ansatz der Denkmalpflege bringt der geographische Betrachtungsansatz die über Einzelobjekte (Denkmalobjekte) hinausgehenden komplexen siedlungsräumlichen Zusammenhänge ein, aber auch die Analyse des räumlichen Gefüges von Struktur, Funktion und Sozialtopographie im Rahmen von Persistenzen im historischen und gegenwärtigen (planungsbezogenen) Entwicklungsgang. Der Anwendungsbezug stadtgeographischer Forschung hat den Beitrag der Geographie den Aufgaben der Denkmalpflege in jüngerer Zeit deutlich nähergebracht,7 vor allem auch unter dem komplexen geographischen Betrachtungsansatz der Stadtlandschaft und des „Stadtdenkmals“ (städtebauliches Denkmal)8. Ein wesentlicher Zusammenhang zwischen Stadtgeographie und Denkmalpflege besteht auch durch den beiderseitigen Bezug zur Stadtplanung in alten Stadtkernen und zur Stadtsanierung.9 I. DIE HISTORISCH-GEOGRAPHISCHE STADTFORSCHUNG: BETRACHTUNGSANSÄTZE: FORSCHUNGSBEITRÄGE UND ANWENDUNGSBEZÜGE FÜR DIE DENKMALPFLEGE 1. Die querschnittliche historische Rekonstruktion und die retrospektive Betrachtung der Genese und Entwicklung Die historisch-zeitliche Perspektive der Historischen Stadtgeographie kann auf die Rekonstruktion historischer Zeitschnitte der landschaftsgebundenen Vergangenheit gerichtet sein (Altlandschaft, Querschnitt), auf den Ablauf der Geschichte der Stadt bis an die Gegenwart heran (Kulturlandschaftsentwicklung) und drittens auch auf die genetische Analyse der persistenten historischen Elemente in der gegenwärtigen Stadtlandschaft, d.h. auf eine zurückblickende (retrospektive) Erklärung des heute gegebenen bzw. erhaltenen Stadtbildes und Bauzustandes.10
5 6 7 8 9 10
der-Lanz (1982/86), Berger (1989), Echter (1991), Kostof (1992), Whitehand/Larkham (1992), Stadt Würzburg (1997). vgl. als Beispiele: Förster (1971), Lafrenz (1977), Schaffer (1986), Gunzelmann (1997). Larkham (1988), Knox (1987), Thieme (1987), Schaffer (1989). Lafrenz (1977), Ongyerth (1996), Gunzelmann (1997), Echter (1999), Kirschbaum/Klein (1999), Eidloth (2001). Paschke (1972), Topfstedt/Kober (1994), Segers-Glocke (1999), Kiesow (1999). Brake (1988), Schaffer/Thieme (1989), Stadt Würzburg (1997), Heise (1999), Denecke (2002). Zum geographischen Beitrag für die gesamte Kulturlandschaft vgl. u.a. Schenk/Fehn/Denecke (1997). Matzat (1975).
258
V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Die auf räumlich zusammenhängende Einheiten, allgemein auf die Ganzheit einer Altstadt bezogenen historisch-geographischen Darstellungen (Querschnitte, Rekonstruktionen) erlauben die einzelnen erhaltenen Denkmale baulich, funktional wie auch sozialräumlich in einen Zusammenhang zu stellen und von hier aus auch denkmalpflegerisch zu bewerten (die Stadt als Denkmal).11 Die geographische Ganzheit verhilft dazu, das „Vitrinendokument“ des denkmalpflegerischen Einzelobjektes exemplarisch im historischen Zusammenhang des Stadtraumes erscheinen zu lassen. Die Verfolgung der Entwicklung des Stadtbildes, oft veranschaulicht in einer Serie zeitlicher Querschnitte, lässt Prozesse des Wandels erkennen, d.h. der Selektion und des Überdauerns persistenter Objekte, der Sukzession und zeitlichen Abfolge neuer und jüngerer Baulichkeiten, des Entwicklungsganges des synchronen zeitlichen Nebeneinanders und Miteinanders der zeitlichen Ungleichheit im heutigen Umfeld und Stadtbild insgesamt bis hin zu Abfolge von Transformationen einzelner historischer Anlagen selbst (Umbauten, Ausbauten, Renovierungen). Enger mit der Geschichtlichkeit der Gegenwart verknüpft ist letztlich die genetische Analyse, die vom heutigen historisch gewordenen Zustand ausgehende historische Interpretation, allerdings auch hier – der Denkmalpflege hilfreich – im räumlich-strukturellen, im funktionalräumlichen wie auch im sozialräumlichen Zusammenhang. 2. Grundrissanalyse, Stadtbild und Transformationsprozesse Ein klassischer Forschungsansatz der Historischen Stadtgeographie ist die retrospektive, entwicklungsgeschichtliche Grundrissanalyse auf der Grundlage der Auswertung von Stadtplänen des 18. und 19. Jahrhunderts,12 aber zunehmend auch von metrologischen Analysen, besonders bei Planstädten,13 sowie von stadtarchäologischen Befunden einer Entwicklung von Bebauungs- und Parzellengrenzen.14 Problemstellungen sind Nachweise früher Siedlungskerne (Stadtkernarchäologie)15, Belege planmäßiger Stadtgründung und Anlage16 sowie der Nachvollzug von Wachstumsschüben und Entwicklungsbrüchen in Form von Stadtentwicklungsringen. Dieses sind grundlegende Elemente einer historischen Stadtlandschaft, in die die Topographie (der Standort) der Baudenkmale einzuordnen ist im Zuge einer historischen Standortbewertung und -erklärung sowie der räumlich vernetzenden Bedeutung im gesamtstädtischen Zusammenhang. Der Aufriss des Baukörpers, das historische Stadtbild, die Gesamtansicht und Silhouette wird rekonstruierend beschrieben auf der Grundlage einer Auswertung 11 12 13 14 15 16
Paschke (1972), Denecke (1989). Keyser (1958), Conzen (1968), Blaschke (1997 u. 2003). Lafrenz (1986), Nitz (1996, 1998 u. 1999), Humpert (2001): dazu kritisch: Meckseper (2003). Fehring (1990), Hammel-Kiesow (1993). Denecke (1987), Blaschke (1997). Humpert (2001), Mihm (2002).
3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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frühen Bildmaterials, der Ikonographie der Stadt (17. bis 19. Jahrhundert),17 aber auch auf der Basis eines Gesamtinventars von Altstädten in der Form von Stiltypenkartierungen (historisch-geographischer Stadtplan), wie diese von der Stadtgeographie seit den 20er Jahren entworfen worden sind,18 Vorläufer der Baualterspläne sowie der Stadt- oder Ortskernatlanten der Denkmalpflege.19 Die Bedeutung dieser Gesamterfassungen für die Denkmalpflege liegt in der Gesamtübersicht des Baubestandes in seiner generellen zeitlichen Einordnung, die in ihrer Ganzheit über eine selektive Denkmaltopographie weit hinausgeht. Geographische Beiträge auf diesem Gebiet sind allerdings in letzter Zeit kaum mehr vorangekommen, sie sollten in enger Kooperation mit der Denkmalpflege unter stadtgeographischer Perspektive weiter entwickelt werden. Stadtbild, Stadtgestalt und Stadtraum werden in jüngerer Zeit besonders im Rahmen der Wahrnehmungsgeographie interpretiert, d.h. es wird der Perzeption der Geschichtlichkeit der gebauten Umwelt durch den Betrachter nachgegangen und damit auch der öffentlichen Bewertung historischer Erhaltung und Qualität des Baubestandes und des Stadtraumes als Ganzheit.20 Ein für die Denkmalpflege besonders relevanter Forschungsansatz der prozessualen Siedlungsforschung ist die für städtische Teilbereiche flächendeckend auf der Grundlage einer Auswertung von Bauakten und einer zugehörigen Geländekartierung erarbeitete Darstellung von Gebäude-Transformationsprozessen, d.h. die kartographische Dokumentation von äußerlich sichtbaren Um- und Ausbauten im originalen Baubestand.21 Die aufwendigen Untersuchungen und Darstellungen dieser Art stehen von geographischer Seite noch ganz in den Anfängen, sie sind aber besonders unter denkmalpflegerischen Zielsetzungen aufzugreifen. 3. Die Stellung einer historisch-geographischen Stadtforschung im System denkmalpflegerischer Aufgaben Eine Baudenkmalpflege ist heute ohne Einordnungen in räumliche Zusammenhänge und in das Gesamtbild der historisch gewordenen Stadt ohne Standortbewertungen sowie denkmalpflegerisch zu integrierende historische Nutzungen und Sozialstrukturen im räumlichen Kontext nicht zu denken. Historisch-stadtgeographische Betrachtungsansätze sind einzubringen, geographische Forschungen sind zu integrieren und in das Netzwerk des Systems Denkmalpflege einzufügen. Hierzu gehören: a) Grundlagenforschungen zur Stadtgenese als Ganzheit und zu Stadtteilen (Quartiere, Straßenzüge, Plätze, Funktionsbereiche). 17 Behringer/Roeck (1999). 18 Dörries (1925) – in der Folge manche weiteren Bearbeitungen einzelner Städte, bes. im südlichen Niedersachsen. 19 Klaar (1972), Mayr (1972), Habich (1976), Ortskernatlas (1985), Deiseroth (1986) – vgl. als Beispiel: Findeisen (1989). 20 Boeminghaus (1976), Schroeder-Lanz (1986), Loderer (1987). 21 Knorr (1975), Whitehand (1989), Transformation (1999).
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
b) Flächendeckende historisch-geographische Inventare und Kartierungen (Quellenanalyse, Plananalyse, Geländeaufnahmen) c) Anwendungsorientierte und projektbegleitende Baubestandsanalysen – flächendeckend – im baulichen, funktionalen und sozialen räumlichen Zusammenhang und in genetischer Perspektive. Klassische, modellhafte Beispiele hierzu sind die umfangreichen Untersuchungen von geographischer Seite aus dem erhaltend und denkmalpflegerisch orientierten Arbeitsfeld der angewandten Stadtgeographie zu Lübeck, zu Augsburg, zu Ingolstadt, zu Würzburg oder Kulmbach.22 Stadtgeographische Betrachtungen, Forschungen und Analysen können für die Denkmalpflege auch Brücken bilden zu Sanierungs- und Bauleitplänen, zu Leitbildern und Lösungsansätzen der Planung, da die Stadtgeographie keineswegs nur eine historisch-entwicklungsgeschichtliche Perspektive hat, sondern intradisziplinär verknüpft ist mit einer planungsorientierten, anwendungsbezogenen und praxisbegleitenden Stadtforschung, d.h. mit den Bereichen und Aufgaben, die der Denkmalpflege zusammenwirkend direkt gegenüberstehen und mit denen sich die Denkmalpflege bei Zielkonflikten in der Praxis auseinanderzusetzen hat. Städtebauliche Denkmalpflege, Stadtsanierung (erhaltende Stadterneuerung) und anwendungsorientierte Stadtgeographie stehen in einem Dreiecksverhältnis, wobei der Geographie eine räumlich verbindende, im Netz der beteiligten Faktoren komplexe und in der Auseinandersetzung sachlich neutrale Stellung zukommt. Die geographische Forschung vermag auch zur Vermittlung der Geschichtlichkeit der Stadt im Spiegel ihrer Baudenkmale Wesentliches beizutragen, im Rahmen einer altstadtbezogenen Fremdenverkehrs- und Wahrnehmungsgeographie. Es geht um eine Erläuterung, Verlebendigung und Bewertung des Denkmalpotentials der alten Stadt und damit auch um eine Inwertsetzung durch Vermittlung stadthistorischer Zusammenhänge. Die immer wieder gestellte Frage der Bedeutung, Wertigkeit und Attraktivität des denkmalpflegerisch betreuten Altbaubestandes einer Stadt lässt sich grundlegend nur verfolgen durch sozial- und fremdenverkehrsgeographische Untersuchungen zur räumlichen Identität, zur städtischen Lebensqualität besonders der Altstadtquartiere und zu ihrem Stellenwert in der zentralörtlichen Bedeutung einer Stadt (städtische Attraktivität im Stadtmarketing). 4. Interdisziplinäre Bezüge Der geographische Betrachtungs- und Forschungsansatz ist in sich vielfältig verzweigt und interdisziplinär, in Bezügen zur Stadtarchäologie, zur Bau- und Hausforschung, zur Stadtsoziologie, zur Vermittlung von Stadtkultur und vor allem zur Stadtplanung und Stadtsanierung. Das Betrachtungsfeld ist stets der Stadtraum wie auch das stadträumliche Wirkungsgefüge, Einzelheiten und raumwirksame Kräfte verbindend, was der Denkmalpflege vor allem bei übergeordneten Problemstellun22 Ganser (1973), Lafrenz (1977), Schaffer (1986 u. 1989), Berger/Debold-Kritter (1989), Gunzelmann (1997 u. 1999).
3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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gen, in allgemeinen Hintergrundkenntnissen, bei Bewertungen und Argumentationen hilfreich zur Seite stehen kann. Die stadtgeographische Forschung ist bemüht, offen im interdisziplinären Diskurs zu arbeiten, d.h. Forschungsansätze benachbarter Disziplinen in die eigenen Betrachtungsansätze zu integrieren. 5. Persistenz und Wandel in der Stadtstruktur Die Elemente einer Persistenz (langzeitiges Überdauern) sowie die Dynamik des Wandels in einer Stadtlandschaft werden stadtgeographisch in ihrem Gesamtzusammenhang gesehen. Besonders raumwirksame Phasen in der Stadtentwicklung oder auch einer Stagnation werden herausgestellt, in die Denkmalobjekte hineingestellt. Das Denkmal als Dokument, als Wahrzeichen und Beispiel einer historisch-kulturellen Tiefe kann seinen stadtgeschichtlichen exemplarischen Bedeutungsgehalt nur erlangen, wenn ein raum-zeitlicher Kontext vermittelt werden kann, in der beispielhaften und stellvertretenden Aussage eines Reliktes, das einst in einem weiteren räumlichen Zusammenhang gestanden hat. Dem einzelnen Baudenkmal oder auch einem Ensemble (persistentes Element) ist eine historisch-stadträumliche Bedeutung zu verleihen, im Umfeld meist jüngerer Folgebauten (städtebauliche Sukzession), deren Ursache und Auswirkung im Kontext der weiteren entwicklungsgeschichtlichen Dynamik historisch-stadtgeographisch zu erläutern ist. II. DIE STADTLANDSCHAFT – EIN GANZHEITLICHER GEOGRAPHISCHER BETRACHTUNGSANSATZ 1. Die Stadt als geschlossene Einheit Eine Stadt ist – geographisch – ein verdichteter, hochdifferenzierter Teil der Kulturlandschaft. Die Stadtlandschaft wird geographisch unter verschiedenen Fragestellungen flächendeckend als „Ganzheit“ betrachtet, als „Organismus“ und räumliches Wirkungsgefüge, im Zusammenhang aller historischen Wachstumszustände. In diesem geschlossenen, historisch komplexen Stadtbild stellen der Altbaubestand und unter ihm besonders die Baudenkmale Repräsentanten historischer Altlandschaften einzelner Epochen dar. Diese „Denkmaltopographie“ oder „Denkmallandschaft“ ist in die Abfolge historisch-geographischer Entwicklungsphasen (Altlandschaften) einer Stadt zu integrieren, um somit zu Zusammenhängen einer baulichen Entwicklungsgeschichte des Stadtkörpers zu kommen, zur geographischen Darstellung und Interpretation einer Stadtgeschichte. Für eine Denkmalpflege ist dieser Schritt spätestens dann vollzogen, wenn größere Teile (Ensembles) oder eine ganze Altstadt unter Schutz gestellt ist (Denkmalstadt). Hier verlangt dann eine Denkmaltopographie in höchstem Maße auch historisch-stadtgeographische Dokumentation und Interpretation.23 23 vgl. als hervorragende Beispiele: Meynen (1990), Dietrich (1995/99). Zum problematischen Begriff der ,Denkmallandschaft‘: Breuer (1997).
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
2. Die morphogenetische Stadtanalyse Der Grundriss, die Topographie einer Stadt, erfährt eine entwicklungsgeschichtliche Gliederung durch eine morphogenetische Grundrissanalyse. Dies ist ein stadtgeographischer Ansatz seit den 20er Jahren, der in jüngerer Zeit vornehmlich in England eine fruchtbare Weiterentwicklung erfahren hat.24 Es werden Wachstumsringe und Expansionsschübe ausgegliedert und kartographisch dargestellt, es werden in der Vergangenheit planmäßig angelegte Strukturen herausgearbeitet und interpretiert, es wird besonders für die letzten 150 Jahre einer Planungsgeschichte nachgegangen, die in jüngerer Zeit ein wachsendes Forschungsfeld ausmacht.25 Denkmalpflegerisch bedeutsam ist in diesem historisch-topographischen Zusammenhang die Aufgabe, auch dem Grundriss einer Altstadt, der Straßenführung, dem Straßennetz und der Straßengestaltung, dem Zuschnitt von Plätzen (Platzensemble) und den Parzellengrenzen in ihrer historischen Gestaltung und Bedeutung vermehrte Aufmerksamkeit zu widmen und auch hier gegebenenfalls eine Schutzwürdigkeit einzubringen. Die geographisch-topographische bzw. morphogenetische Perspektive und Grundlagenforschung ist hierbei eine wesentliche Voraussetzung. 3. Das Stadtbild (Aufriss) – Gesamterfassungen, Analyse, Interpretation Mit dem Blick auf das Stadtbild und dem Ansatz einer Stadtgestalt-Forschung und – Analyse nähert sich die stadtgeographische Gesamtbetrachtung der Stadtlandschaft als Kulturlandschaft im engeren Sinne, der Kunstlandschaft in ihrer ästhetischen Wirkung und ihrem kulturellen Wert in der Einheit und Ganzheit.26 Harmonien und Disharmonien von Formen und Gestaltung werden in der Gesamterfassung von Formelementen verdeutlicht, ihre Analyse auch im Rahmen einer Planungsgeschichte deckt Ursachen und Gestaltungsdefizite auf, die Interpretation verhilft durch Wahrnehmung, Empfindung und Argumentation zu sachlich fundierten Beurteilungen zu kommen. Für die Denkmalpflege sind Stadtbild- und Gestaltanalysen Grundlage für den städtebaulichen räumlichen Stellenwert eines Baudenkmales im Gesamtbild einer Stadt, das letztlich nicht nur stadtgeographisches, sondern auch Denkmalobjekt ist.
24 Whitehand (1981), Merlin (1988), Slater (1990), Raith (2000). Vgl. auch die Zeitschrift: ,Urban Morphology – Journal of the International Seminar on Urban Form‘, Bd. 1, 1997 ff. 25 Hall (1986), Valena (1990). Vgl. auch die Zeitschriften: Planning History – Bulletin of the International Planning History Society, Bd. 1, 1979 ff; ,Town Planning Review‘ sowie die Reihe ,Stadt-Planung-Geschichte‘. 26 Siebert (1953 u. 1969), Gerlach (1963), von der Dollen (1982), Schroeder-Lanz (1982/86); kritisch zur Stadt als Kunstwerk: Borger (1991); Gamboni (1987), Schirmacher (1988), Echter (1991), Adamczyk (1997).
3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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4. Die Stadt als gebauter sozialer Raum Der Altbaubestand einer Stadt ist Ausdruck historischer sozialräumlicher Verhältnisse und Gliederungen der Stadt, im einzelnen Bau wird der soziale Status der einstigen Bewohner deutlich.27 Die Geschichtlichkeit der Bauwerke konserviert und tradiert auch die historische räumliche Sozialstruktur, die damit auch in einer Stadtdenkmalpflege Beachtung finden sollte.28 Der bis in das 19. Jahrhundert hinein gegebenen bemerkenswerten Stabilität gegenüber haben allerdings die sozialräumlichen Verhältnisse in der Stadt in jüngerer Zeit eine oft konträre Dynamik entwikkelt, einen sozialen Abstieg einer Bewohnerschaft und Nutzung und einen damit bedingten Verfall oder auch einen sozialen Wiederaufstieg (gentrification) an bevorzugten Wohnstandorten mit einer wertvollen historischen Bausubstanz. Ist die Denkmalpflege mit ihren Maßnahmen in vielen Einzelfällen konkret mit sozialräumlichen Verhältnissen konfrontiert, so schaffen sozialgeographische Untersuchungen zu historischen wie auch aktuellen sozialräumlichen Prozessen, zur Segregation oder auch zur Gentrification räumliche Überblicke, Analysen und Prognosen, die zum allgemeinen oder auch unmittelbaren Verständnis dieser Vorgänge beitragen, vor allem auch in Bezug auf zukünftige soziale Entwicklungen im Umfeld von Baudenkmalen. III. Räumliche Gliederungen und Teileinheiten der Stadt: Quartiere, Viertel, Nachbarschaften, Plätze, Straßenzüge und Standortmuster 1. Die entwicklungsgeschichtliche Gliederung: Wachstumszonen und -achsen Die Stadtlandschaft, das Stadtgefüge, der Baubestand einer Stadt ist entwicklungsgeschichtlich, funktional wie auch sozialräumlich in individuelle Einheiten gegliedert, denen die einzelnen Baudenkmale zugeordnet und in deren Zusammenhang diese auch zu behandeln sind.29 Da sind in der Altstadt (Innenstadt) präurbane Ansiedlungen, mittelalterliche städtische Kerne, Bereiche der Verdichtung und des Zusammenwachsens, Neustädte und Vorstädte, die im Grundriss noch greifbar werden, denen aber auch manche Baudenkmale als Repräsentanten sichtlich zugeordnet werden können, häufig als einzige, weit zurückreichende Überreste und Dokumente eines historischen Quartiers. Die genetische Stadtplananalyse der Historischen Stadtgeographie arbeitet diese historischen Stadtteile heraus, die oft in einem Zusammenhang stehen mit den räumlichen Einheiten von Kirchspielen, Nachbarschaften, Bezirken oder Bauerschaften. Außerhalb der Befestigung und ihres Vorfeldes setzen Wachstumsachsen (u.a. Ausfallstraßen) und Wachstumsringe an, mit Neubauquartieren des 19. und 20. Jahrhunderts, mit integrierten älteren Kernen (Dorfkernen) bis hin zum äußeren 27 Braun (1968), Denecke (1980), Piper (1982), Erdmann (1986). 28 Denecke (1988a). 29 Schultze (1956), Förster (1982), Keim (1979), Hofmeister (1980), Demmler-Mosetter (1982).
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Stadtrand (Stadtrandzone). In diesem Bereich befinden sich vor allem Relikte der hinauswachsenden Stadtrandfunktionen, Baudenkmale wie Klöster, Kapellen, Siechenhäuser, Friedhöfe oder Zollhäuser, deren einstiges Umfeld bzw. Bezugsfeld zur Stadt in der historischen und denkmalpflegerischen Vermittlung und Interpretation auch verdeutlicht werden sollte. Genetische, funktionale wie auch sozialräumliche Einheiten bilden im Stadtbild auch Straßenzüge, Plätze oder Wasserfronten, die als solche in ihrer historischen Gesamtstruktur denkmalpflegerisch zu behandeln sind und nicht nur als Sanierungsgebiete oder geschützte Ensembles. Geographen haben hierzu klassische, modellhafte Arbeiten vorgelegt.30 2. Funktionalräumliche Gliederung Für das Denkmal und den Denkmalwert sind nicht nur die bauliche Struktur (Bauforschung) und der Bau als Kunstwerk (Architektur/ Kunstgeschichte) von kulturgeschichtlichem Wert, sondern auch die zugehörige Funktion und Nutzung in historischer Zeit und im Zusammenhang mit dem jeweiligen funktionalen Viertel innerhalb des Stadtgefüges. Markt, City, Handwerker- und Gewerbeviertel, Fischersiedlung und bäuerliches Quartier werden denkmalspezifisch vertreten durch einzelne funktionaltypische Restgebäude: der Marktbude, dem Gildehaus, dem Gerber- und Fischerhaus oder dem Ackerbürgerhaus. Die Funktionen und Nutzungen, für die die Gebäude konstruiert wurden und denen sie über Jahrhunderte dienten, sind Geschichte, das Denkmal sollte aber auf der Grundlage seiner Nutzungsgeschichte und des zugehörigen funktionalen Umfeldes an die historischen Wirtschaftsstrukturen am Ort erinnern, soweit und wie immer dies möglich ist. Die funktionalräumliche Betrachtung der Geographie führt auch hinaus in das Stadtumfeld zu Denkmalen der Industrie- und Verkehrskultur am Stadtrand, die in der Baudenkmalpflege allgemein zu wenig Beachtung finden: Siechenhäuser und Wegekapellen, Mühlen oder frühe Ausflugslokale oder meist unscheinbare Baulichkeiten des Verkehrs wie Zollhäuser, Brücken, Wasserdurchlässe, Meilensteine oder frühe Straßenpflaster. All diese Objekte werden im Zuge einer historisch-geographischen Landesaufnahme erfasst und in ihre historischen Zusammenhänge gestellt, Instrumentarien, die der Denkmalpflege hilfreich zur Seite stehen können. 3. Sozialräumliche Gliederung, Gewerbe- und Sozialtopographie Ein besonderes Feld der jüngeren historischen Sozialgeographie ist das der sozialräumlichen Gliederung der Stadt und vor allem der historischen Sozialtopographie.31 Flächendeckend werden auf der Grundlage früherer statistischer Erhebungen ein30 Hübschmann (1952), Demmler-Mosetter (1978), Heineberg (1978), Breen/Rigby (1994), Neumann (1997), Priebs (1998). 31 Denecke (1980 u. 2003), Kaspar (1985 u. 1987), Nemitz (1989).
3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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zelner sozialer Merkmale jedes einzelnen Hauses oder Haushaltes entsprechende zeitliche Querschnitte, seltener auch auf der Grundlage von Häuserbüchern historische Längsschnitte kartographisch dargestellt. Rekonstruktionen dieser Berufs- und Sozialtopographie Haus für Haus, besonders – quellenbedingt – für das 18. und 19. Jahrhundert erlauben Denkmalobjekte und Denkmalbereiche in einen sozialgeschichtlichen Kontext einzuordnen, darüber hinaus aber auch das denkmalpflegerische Augenmerk zu lenken auf Repräsentanten sozial bedingter Baustrukturen, die kaum einen baukünstlerischen, aber einen sichtlichen sozialgeschichtlichen Denkmalwert haben: „Jedes Baudenkmal ist auch ein sprechendes Dokument einer sozialen Aussage seiner Zeit.“32 Als Erhaltungs- und Bewertungskriterium sind die verschiedenen sozial (auch zum Teil funktional) bedingten Konstruktionstypen zu beachten, vor allem die kleineren, in der Bausubstanz allgemein minderwertigen Häuser der sozialen Unterschicht, deren Denkmalwert besonders damit zu begründen ist, dass von diesen Häusern nur noch die wenigsten erhalten sind, dass sie aber eine einst sehr breite Gruppe von Stadtbewohnern vertreten. In diesen Bereich gehört letztlich auch die Beachtung der historischen Häuserklassen. IV. GESCHICHTE: ENTWICKLUNG UND GESTALTUNG DES BAUBESTANDES 1. Baugeschichte und Baualterstopographie Eine für eine Stadt flächendeckende Baualterstopographie, d.h. die Kartierung des heutigen Baubestandes nach Stilepochen (Stiltypen) wesentlicher baulicher Grundstrukturen jedes einzelnen Gebäudes, wie sie in entwicklungsgeschichtlichen geographischen Stadtmonographien wie auch später in stadthistorischen und denkmalpflegerischen Inventarisierungen erarbeitet worden sind, vermitteln einen Überblick über die Verbreitung und räumliche Anordnung der erhaltenen Gebäude einzelner Epochen wie auch über ihren jeweiligen Anteil am Gesamtbestand.33 Wenn dies auch nur eine vereinfachte strukturelle Einordnung ist, ohne Berücksichtigung vielfacher Um- und Ausbauten, so geht doch das kartographische Gesamtbild dieser historisch-geographischen Stadtpläne über die Kartierungen der Denkmaltopographien und Ortskernatlanten in ihrer räumlich-kartographischen Vollständigkeit hinaus. Die Akribie der kunstgeschichtlichen Detailbeschreibung und der differenzierten Datierung eines Gebäudes im Zuge der Hausforschung, der Baustrukturforschung wie auch der Hausarchäologie hat Stiltypenkartierungen bei der Denkmalpflege in den Hintergrund treten lassen, für die Vermittlung eines allgemeinen Gesamtbildes und der räumlichen Verbreitung der zeitlichen Differenzierung des Baubestandes behalten sie jedoch ihren Wert.
32 Denecke (1988a, S. 151). Vgl. als Beispiel auch Cramer (1981). 33 Klaar (1972), Mayr (1972), Habich (1976), Ortskernatlas (1985).
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
2. Wandlungen im Baubestand: Brände und Nachfolgebauten Die Interpretation einer Baualterskarte lässt größere Eingriffe in den Baubestand erkennen, vor allem den meist recht einheitlichen Wiederaufbau nach Bränden oder Zerstörungen. Geographische Stadtmonographien gehen hier und da auf die Geschichte von Stadtbränden und ihre Areale ein, der gravierenden Bedeutung dieser Einwirkungen auch noch auf das heutige Bild des Baubestandes werden die bisher vorliegenden Darstellungen – gerade auch für denkmalpflegerische Belange – jedoch kaum gerecht. Einer in das Mittelalter zurückreichenden Sukzession von Folgebauten geht punkthaft die Stadtarchäologie wie auch zum Teil das Kellerkataster nach, womit exemplarisch die Dynamik der Bebauung, aber auch manche Persistenzen deutlich werden. 3. Transformationsprozesse und Phasen der Transformation Der Betrachtungsansatz baulicher Transformation, die flächenhafte kartographische Erfassung und Darstellung äußerlich erkennbarer Um-, An- und Ausbauten am einzelnen Gebäude steht eine Anwendung in der Denkmalpflege sehr nahe. Auch hier geht es geographisch um Verbreitungsbilder einer typisierenden Erfassung, aber auch um eine Herausarbeitung hervortretender spezifischer Maßnahmen baulicher Veränderungen (Aufstockung, Ein- oder Anbau von Garagen, Umgestaltung von Hauseingängen u.a.). Arbeitsgrundlage sind eine Auswertung der Bauakten, möglichst zurückreichend ins 19. Jahrhundert, sowie eingehende typisierende Geländeaufnahmen. Erfassungen und erklärende Analysen dieser Art sind keineswegs nur auf den Altbaustand der Innenstädte gerichtet, sondern besonders auch auf die Wohnsiedlungen des 20. Jahrhunderts, vornehmlich die Einfamilien- und Reihenhausquartiere. Es zeigt sich, dass die meisten Veränderungsmaßnahmen spezifischen Epochen zuzuordnen sind und dass die Art der Gestaltung wie auch weitgehend die genutzten Baumaterialien zeitspezifisch sind, womit sie in ihrer damit verbundenen Häufigkeit in der Gesamtverbreitung auch merklich stadtbildprägend sind. Die flächenhafte Erfassung, Darstellung und Analyse baulicher Transformationen im Rahmen stadtgeographischer Forschungen ist ein typisches Beispiel dafür, dass die wissenschaftliche Forschung von den Universitäten aus im Zuge der Ausbildung und studentischer Arbeit weitgehend nur Ansätze entwickeln und anregen kann, dass es aber kaum zu einer breiten systematischen Durchführung der Methode und damit zu einer Umsetzung kommt. 4. Baukonstruktion und Baumaterialien im Stadtbild Die klassische geographische Hausforschung ist heute kaum mehr aktiv, sie wäre jedoch anwendungsorientiert gerade für die Denkmalpflege, Gestaltungssatzungen, Sanierung und Dorferneuerung neu zu beleben und weiterzuentwickeln. Es geht um flächendeckende Übersichten über bauliche Strukturelemente, Zusammenhänge in der baulichen Gestalt, funktionsbedingte Bauten und Konstruktionen, landschafts-
3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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typische Baukonstruktion und naturlandschaftlich bedingte Baumaterialien. Regional hervortretende oder bestimmte Bautypen sowie der Baustoff als gestaltender Faktor eines Stadtbildes erscheinen in großräumiger, vergleichender Betrachtung in einer regionalen und landschaftlichen Gebundenheit, in einem geographischen Kontext, der durchaus auch als regionales Leitbild in die erhaltende Erneuerung eingebracht werden sollte.34 Im Zusammenhang mit Bauerhaltung und Denkmalpflege ist auch ein aus der geographischen Haus- und Baumaterialforschung schon in den 20er Jahren heraus entwickelter Forschungszweig einer „Kunstgeographie“ zu nennen,35 die in jüngerer Zeit in den Bereich der geographischen Stadtbildanalyse übergegangen ist. V. ORTSBEZUG UND IDENTITÄT Baudenkmale treten im Stadtbild als historische Monumente hervor, sie vermitteln historische Bedeutung aus sich heraus für den Ort, aber auch für die Gesamtstadt ihrer Epoche.36 Diese Gebäude sind Orte der Begegnung und Identifikation für den Bürger wie auch den Besucher der Stadt. In diesen Orten wird Individualität und Eigenheit sowie historische Tiefe der Stadtgestalt erlebbar. In der modernen Wahrnehmungsgeographie und Raumpsychologie werden erlebte Orte im Rahmen einer Raumerfahrung, räumlichen Bindung und räumlich manifester Erinnerung analysiert. Regionale Identität und örtliches Image sind weitere räumlich bindende Erfahrungsbereiche, die ganz besonders an identitätsstiftende Denkmale anknüpfen. Die Wahrnehmungs- und Perzeptionsgeographie trägt stadtbildbezogene Untersuchungen bei, die den Erfahrungsund Bedeutungswert des Denkmals im Rahmen einer Ikonographie der Stadtgestalt wertend begründet. VI. PRÄSENTATION, INTERPRETATION UND VERMITTLUNG DES STADTBILDES: DAS DENKMAL ZUM SPRECHEN BRINGEN Ausgehend von einer Raumerfahrung, einer Wahrnehmung menschlicher Aktivität im Raum (Aktionsräumliche Geographie) und einer geographischen Didaktik verfolgt die moderne Human-, Sozial- und Fremdenverkehrsgeographie den Arbeitsansatz einer Landschaftsinterpretation und touristischen Kulturvermittlung. Es geht um Erfahrung und Verstehen von Ort und Standort, meist festgemacht an einem Monument oder baulichen Repräsentanten (Ikon). Die im Englischen „Iconography“ genannte Forschungsrichtung geht der raumwirksamen symbolhaften Bedeutung des Ortes und Monumentes nach, der Kraft, Macht und Durchsetzung, die an einem Ort und an einem Bauwerk manifest geworden ist: „place matters“, „urban landscape bears meaning“ und „cultural symbols present power“. Im Stadtbild und 34 Tacke (1939), Siebert (1953 u. 1969), Ellenberg (1984). 35 Gerstenberg (1922), Siebert (1969), Gamboni (1987). 36 Hayden (1995).
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
im Baudenkmal sind raumwirksame Ideologien, Ideen, Konzepte, raumordnende Gesetze und Machtverhältnisse evident, die es denkmalpflegerisch aufzudecken und zu vermitteln gilt. Die Stadtlandschaft mit ihren Denkmalen in ihr ist als Text lesbar zu machen.37 VII. ZUSAMMENFASSUNG: DIE BEDEUTUNG STADTGEOGRAPHISCHER BETRACHTUNGSANSÄTZE UND BEITRÄGE FÜR DIE FRAGESTELLUNGEN UND AUFGABEN DER BAUDENKMALPFLEGE Historisch-stadtgeographische Perspektiven und Forschungen fordern die Denkmalpflege dazu heraus, über die Grenzen des Denkmalobjektes oder -ensembles hinauszudenken und hinauszugehen, das Denkmal aus der „Vitrine“ in stadträumliche Zusammenhänge zu stellen, um damit eine breitere Begründung wie auch Anerkennung und Wirkung zu gewinnen, innerhalb der aktuellen Stadtentwicklung und Stadtkultur. Die Bedeutung einer geographischen Perspektive in der Argumentation und Bewertung denkmalpflegerischer Belange und Zielsetzungen liegt in einer historisch-kulturellen Bewertung des Denkmals im historischen wie auch gegenwärtigen stadträumlichen Zusammenhang. Sie hat Antwort zu geben auf die Frage, wofür das einzelne restaurierte und geschützte Denkmal exemplarisch als „Monument“ und „Dokument“ in der jeweiligen Stadt stehen soll. Das Baudenkmal hat weiterhin stadtgeographisch seinen Stellenwert im funktionalen und sozialräumlichen Kontext eines zugehörigen Quartiers. Die Integration räumlich-topographischer Aspekte und Untersuchungen in den denkmalpflegerischen Arbeitsprozess am einzelnen Baudenkmal eröffnet zudem einen topographischen Einblick in die Hausund Besitzgeschichte, bezogen auf Beruf und soziale Stellung der Bewohner in einzelnen Querschnitten und zeitlichen Längsschnitten. Topographischer Überblick und Verbreitung ermöglichen grundlegend eine Ausweisung und räumliche Vernetzung von „Denkmaltypen“, bezogen auf Stilepochen, Funktionen oder Sozialstruktur, mit der Frage einer mehrfachen individuellen Vertretung oder einer Singularität im Gesamtbestand der Baudenkmale einer Stadt. Die stadt- und baugeschichtliche Aussage und Vermittlung des Baudenkmals trägt bei zu einem Stellenwert des Denkmals als Kulturerbe und Dokument in der Geschichte, der Erlebnisqualität und der Identität des Stadtindividuums. Stadtgeographische Fragestellungen stellen das Baudenkmal in den Kontext der modernen Stadtentwicklung, sie sind gerichtet auf Bedingungen und Möglichkeiten eines „Weiterlebens“ des Denkmals im dynamischen Umfeld einer sich ständig wandelnden, modernisierenden Stadt mit aktuellen Nutzungsansprüchen. Dabei trägt die moderne Stadtgeographie vielfältige Untersuchungen zum Prozess gegenwärtiger Stadtentwicklungen bei, besonders unter funktionalen, sozialen und planerischen Gesichtspunkten. Viele anschauliche Beispiele aus der stadtgeographischen Literatur der letzten zwanzig Jahre ließen sich anführen, um den hier gesetzten allgemeinen Rahmen konkret zu füllen und vor allem auch mit thematischen Kartierungen 37 Tilden (1977), Cosgrove/Daniels (1988), Duncan (1990), Ham (1992), Schlögel (2003).
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räumlicher Strukturen, Verbreitungen und Beziehungsgefüge im denkmalpflegerischen Zusammenhang des Stadtbildes zu konkretisieren. Dem historisch-geographischen Betrachtungs- und Forschungsansatz kommt ein grundlegender Stellenwert im System der Denkmalpflege zu, im Bereich stadträumlich-historischer Zusammenhänge, im Rahmen der Erhaltung, Bewertung und Inwertsetzung der historisch gewordenen, individuellen Stadtlandschaft und Stadtqualität, in denen die Baudenkmale hervorragende und tragende Elemente sind sowie in der Perspektive aktueller und zukünftiger stadträumlicher Dynamik, mit der die denkmalpflegerischen Zielsetzungen und Bemühungen konfrontiert sind. Das System der Denkmalpflege in seinen wissenschaftlich-fachlichen Fundamenten und Ansprüchen wie auch der organisatorisch-öffentlichen Aufgabenstellung und Bedeutung ist im interdisziplinären Diskurs als strukturierender, orientierender und wegweisender Rahmen auszuarbeiten, wobei der Stadt als Kultur- und Denkmallandschaft eine besondere Bedeutung zukommt. Das Baudenkmal lebt und ist zu beleben im Kontext der Stadtlandschaft, und im System der Denkmalpflege ist das räumlich-geographische Bezugsfeld ein integrierter und integrierender Bestandteil. Literatur Adamczyk, Grazyna (Bearb): Stadtbildanalyse der Innenstadt mit Gestaltungsempfehlungen.– In: Stadt Würzburg, Baureferat. (Hrsg): Stadtbild Würzburg: Eine Analyse im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen zur Stadtsanierung. Würzburg 1997, S. 81–175. Behringer, Wolfgang; Roeck, Bernd (Hrsg): Das Bild der Stadt in der Neuzeit 1400–1800.– München 1999. Berger, Mechthild; Debold-Kritter, Astrid: Das Ortsbild von Augsburg. Historisch-topographische Beschreibung einer Großstadt: Bestandsaufnahmen von Siedlungs- und Baustruktur – Grundlagen zur Stadtgestaltungsplanung.– Augsburg 1989 (Beiträge zur Angewandten Sozialgeographie; 19). Blaschke, Karlheinz: Stadtgrundriß und Stadtentwicklung: Forschung zur Entstehung mitteleuropäischer Städte.– Köln 1997 (Städteforschung A, 44). Blaschke, Karlheinz: Wie liest man einen Stadtplan? In: Johanek, Peter (Hrsg): Stadtgrundriß und Stadtentwicklung. Köln 1997, S. 193–204. Blaschke, Karlheinz: Stadtplanforschung. Neue Methoden und Erkenntnisse zur Entstehung des hochmittelalterlichen Städtewesens in Mittel-, Ost- und Nordeuropa.– Leipzig 2003 (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil-hist. Kl.; 138,4). Boeminghaus, Dieter: Stadtbesichtigungen: Beispiel Duderstadt.– Stuttgart 1976 (Projekt: Ideen für die Umwelt von Morgen; 19). Borger, Hugo: Ist die Stadt als Kunstwerk noch möglich? In: Die Stadt als Kultur- und Lebensraum. Heidelberg 1991, S. 45–65. Brake, Klaus (Hrsg): Stadtentwicklungsgeschichte und Stadtplanung.– Oldenburg 1988 (Beiträge der Universität Oldenburg zur Stadt- und Regionalplanung; 2). Braun, P.: Die sozialräumliche Gliederung Hamburgs.– Göttingen 1968 (Weltwirtschaftliche Studien; 10). Breen, A.; Rigby, D.: Waterfronts: Cities reclaim their edge.– New York 1994. Breuer, Tilmann: Landschaft, Kulturlandschaft, Denkmallandschaft als Gegenstände der Denkmalkunde.– In: Denkmalpflege, 55, 1997, S. 5–23. Carter, Harold: An introduction to urban historical geography.– London 1983.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
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3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
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3. Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung
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274
V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
4. KULTURLANDSCHAFTSGENESE IM FREILAND- UND LANDSCHAFTSMUSEUM: KONZEPTIONEN DER DOKUMENTATION UND VERMITTLUNG* Freilandmuseen sind kulturgeschichtliche Bildungseinrichtungen. Mit und in diesen Anlagen wird bäuerliche Kultur-, Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte durch originale Objekte dokumentiert und anschaulich wie auch handgreiflich vermittelt. Durch die Nachstellung eines zugehörigen und ebenfalls historisch aussagefähigen Umfeldes der Gehöfte (Siedlungsformen, Gewässer, Wege, Gärten, Fluren) wird eine Museumslandschaft erstellt, deren Strukturen und räumliche Zusammenhänge hinausweisen in die reale Kulturlandschaft bzw. auch zurückweisen in frühere Stadien der Entwicklung unserer heutigen Siedlungs- und Wirtschaftslandschaft. Bei einer gezielten Verfolgung einer solchen Konzeption liegt der Schritt zum Landschaftsmuseum nahe, das Freilandmuseum nimmt die Stellung eines Vermittlungszentrums in einer zugehörigen Region ein, für die es die Siedlungsund Kulturlandschaftsgeschichte, vor allem aber auch die in ihr noch erhaltenen erkennbaren persistenten Kulturlandschaftselemente in ihrem geschichtlichen Zusammenhang erschließen kann. Dabei ist die didaktische Aufgabe gestellt, einen Transfer vom Museumsobjekt (Haus, Gerät, Garten u.a.) über die Museumslandschaft in die Entwicklungsgeschichte bzw. historische Schichtung der realen Kulturlandschaft hinein zu strukturieren oder vorzugeben. Mit einer solchen Zielsetzung geht die Aufgabenstellung eines Freilandmuseums über objektbezogene volkskundliche Inhalte hinaus, sie geht über in eine Historische Geographie der Kulturlandschaft. Die zunehmende Bedeutung und öffentliche Aufgabe einer erhaltenden Dorferneuerung und Kulturlandschaftspflege tragen wesentlich dazu bei, den Bezug zur Landschaftsentwicklung, zur Ökologie und Umweltgeschichte in das Konzept von Freilandmuseen einzubeziehen und damit auch einen Verbund herzustellen zu Landschaftsmuseen, Lehrpfaden wie auch vor allem zu historischen Landschafts- und Siedlungselementen in der Region außerhalb des Museums. Jüngste Entwicklungen in vielen Freilandmuseen im In- und Ausland zeigen in der Konzeption ihrer Präsentation sehr deutlich eine solche Tendenz, die schon in den frühen siebziger Jahren begann, vor allem gefördert durch die Idee des Ecomuseums, und die sich dann in den achtziger Jahren verstärkt durchsetzte. Die Zielsetzung einer musealen Vermittlung von Kulturlandschaftsgeschichte in der spezifisch raumreferenten Einrichtung des Freiland- und Landschaftsmuseums hängt von der theoretischen Grundlage her auch eng zusammen mit Fragen der raumorientierten Referenz eines Museums in ihrer jeweils gegebenen Intensität, mit den Möglichkeiten, durch Symbolvermittlung räumliche Bezüge und Bilder herzustellen und zu transferieren, mit den Fähigkeiten zu einer Raumidentifikation, mit präsenten Referenzräumen wie auch letztlich mit der gegebenen Nachfrage nach raumspezifischen Informationen und der Reaktion auf ihr Angebot im Museum. *
Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum: Konzeptionen der Dokumentation und Vermittlung. In: Aurig, R. (Hrsg.): Kulturlandschaft, Museum, Identität. Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft, 4, Beucha, 1999, S. 37–45.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
275
Dieses Forschungsfeld ist bisher wenig bestellt.1 Die Fragen sind einerseits auf einer abstrakten Ebene zu thematisieren, andererseits aber auch praxisorientiert. Dies läßt im Vergleich sehr deutliche Diskrepanzen erkennen, was jedoch nicht dazu führen darf, theoretische Konzepte und Ansprüche als abwegig abzutun. Letztlich ist auch bei den auf Kulturlandschafts- und Siedlungsgenese gerichteten Freilandmuseen die Frage auf die besondere Realität dieser Art von Museen zu richten, auf das spezifische Beziehungsgefüge zur historischen wie auch zur heutigen Wirklichkeit und auf die besonderen Möglichkeiten wie auch Grenzen einer in gewissem Grad notwendigen Nachstellung oder Konstruktion der geschichtlichen Verhältnisse in der Realität des Museumsgeländes. Diese grundsätzlichen Problemkreise, die speziell auf die landschaftsgeschichtliche Identifikation und Erkenntnis zu richten sind, seien nur angedeutet, sie lassen sich hier nicht für sich ausführlich erörtern.2 Die Hinwendung des Freilandmuseums zu siedlungsgeschichtlichen Zusammenhängen hat dazu geführt, daß von historisch-siedlungsgeographischer Seite her eine verstärkte wissenschaftliche Beteiligung erkennbar ist, die bis in die erste Hälfte der 80er Jahre – zu der Zeit vornehmlich vom didaktischen Ansatz her3 wie auch auf eine Grundlagenforschung4 ausgerichtet – noch wenig ausgeprägt war, wie dies Isenberg5 für diesen und andere auf Praxis und Vermittlung bezogene Bereiche anstehender geographischer Aufgaben in seiner programmatischen Schrift „Geographie ohne Geographen“ zum Ausdruck gebracht hat. Die Geographie trägt heute von drei verschiedenen Seiten zu Fragestellungen der Freiland- und Landschaftsmuseen bei: von der direkten Seite der Konzeption und Anlage von Museumslandschaften im weitesten Sinne6, im Rahmen einer fachlichen, besonders siedlungsge-
1
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Heinrich Mehl, Freilandmuseum zwischen Theorie und Praxis. In: Hohenloher Freilandmuseum – Mitt. 1,1 (1980), S. 26-38. Wassilia von Hinten, L’écomusée. Ein museologisches Konzept zur Identität von und in Räumen. In: Zeitschrift für Volkskunde, 78 (1982), S. 70–76. Andreas Klima, Räumliche Referentialität im Museum. Untersuchungen zur besucherseitigen Reaktion auf raumspezifische Informationen, München 1992. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf Klaus Freckmann: Die besondere Realität der Freilichtmuseen. In: Volkskunst 2, München 1982, S. 114–117. Bernward Deneke, Realität und Konstruktion des Geschichtlichen, In: Kulturgeschichte und Sozialgeschichte im Freilichtmuseum, hrsg. von Helmut Ottenjann, Cloppenburg 1985, S. 9–20. Kulturgeschichte und Sozialgeschichte im Freilichtmuseum. Historische Realität und Konstruktion des Geschichtlichen in historischen Museen, hrsg. von Helmut Ottenjann, Cloppenburg 1985. Rekonstruktion von Wirklichkeit im Museum, hrsg. von Susanne Abel, Hildesheim 1992. Peter Gaffga/Walter Sperling, Geographie und Museum – Betrachtungen zu einer geographischen Museumsdidaktik. In: Geographie und Schule, 3 (1981), S. 1–7. H. Lohmann, Geographie im Museum. In: Praxis Geographie, 11 (1981), S. 324–355. Christoph Borcherdt, Freilichtmuseum und Geographie. In: Freilichtmuseen in Baden-Württemberg (Museumsmagazin 2), Stuttgart 1985, S. 22–31. Wolfgang Isenberg, Geographie ohne Geographen. Laienwissenschaftliche Erkundungen, Interpretationen und Analysen der räumlichen Umwelt in Jugendarbeit, Erwachsenenwelt und Tourismus (Osnabrücker Studien zur Geographie 9), Osnabrück 1987. Kontroversen um die Konzeption und kulturelle Aufgabe von Freilichtmuseen – Das Beispiel Oberpfälzer Freilandmuseum, hrsg. von Dietrich Denecke/Christoph Daxelmüller (Heimat Nabburg 15), Nabburg 1994.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
netischen Grundlagenforschung für die Region7 wie auch besonders der anwendungsorientierten historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung aus, die Kulturlandschaftsrelikte von Altlandschaften dokumentiert, erläutert, bewertet und letztlich auch als landschaftsgeschichtliche Kulturdenkmäler museal oder touristisch zu erschließen sucht.8 Dieser letztere Arbeitsbereich basiert auf dem breiten Fundament der historisch- geographischen Kulturlandschaftsforschung und gewinnt zunehmend auch an Bedeutung im Rahmen der Denkmalpflege, der erhaltenden Landschaftspflege wie auch der „musealen“ Erschließung und Erläuterung der Kulturlandschaftsentwicklung im Rahmen von Landschaftsmuseen, Lernlandschaften, Lehrpfaden oder Geschichtsstraßen. 1. Die fachliche und museumsdidaktische Aufgabe der Präsentation und Vermittlung einer Kulturlandschaftsentwicklung in Freilandmuseen: von der Vitrine in die Landschaft Die Vermittlung von Kulturlandschaftsgeschichte oder auch Kulturgeographie durch eine museale Präsentation ist bis in jüngste Zeit kaum entwickelt. Sie ist in der alten Form des Vitrinenmuseums in wenigen Ansätzen gegeben für die Flora und Fauna der Naturlandschaft in Naturkundemuseen sowie in der einen oder anderen Abteilung oder Darstellung in Regional-, Wirtschafts-, Stadt- und Heimatmuseen. Ein räumlich vermittelndes Medium aus der Vitrine hinaus und vom Objekt zu räumlichen Standorten und Verbreitungen ist das Diorama, das Haus-, Siedlungs- und Stadtmodell sowie besonders auch die Standort- und Verbreitungskarte bzw. auch ein bloßer Hinweis auf die Herkunft. Wirken soll jedoch das Objekt, die Erläuterungen sind weitgehend auf dieses allein bezogen. Ziel der Vermittlung im Rahmen einer solchen Objektausstellung ist die Präsentation originaler materieller Kultur in einem volkskundlichen Zusammenhang. Eine didaktische Aufbereitung und vergleichende Erklärung wird allgemein angestrebt durch eine entwicklungsgeschichtliche Reihung und Zusammenordnung von Objekten auf dem Hintergrund einer Einordnung in eine wissenschaftliche Systematik und Typologie. Die Erläuterung bleibt dabei jedoch weitgehend statisch, die Verbindung zum räumlichen Zusammenhang 7
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Christoph Borcherdt, Die Gegend zwischen Schwarzwald, Bodensee und Südwestalb im ausgehenden 19. Jahrhundert – eine siedlungs- und wirtschaftsgeographische Studie (Studien des Freilichtmuseums Neuhausen ob Eck 1 = Grundlagenforschung für das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck 1), Tuttlingen 1987. Vera Denzer, Möglichkeiten und Grenzen einer didaktischen Aufbereitung von kulturlandschaftlichen Relikten vor Ort. In: Mainzer Geographische Studien, 39, Mainz 1994, S. 59-72. Helmut Hildebrandt/Birgit Heuser-Hildebrandt/Birgit Kauder, Kulturlandschaftsgeschichtliche Zeugen in Wäldern deutscher Mittelgebirge und ihre Inwertsetzung für den Tourismus. In: Mainzer Geographische Studien, 40, Mainz 1994, S. 403–422. Vera Denzer, Relikte und persistente Elemente einer ländlich geprägten Kulturlandschaft, mit Vorschlägen zur Erhaltung und methodisch-didaktischen Aufbereitung am Beispiel von Waldhufensiedlungen im SüdwestSpessart: Ein Beitrag zur angewandten historischen Geographie. In: Mainzer Geographische Studien, 43, Mainz 1996.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
277
wie auch zum Umfeld des ehemaligen Gebrauchs der Objekte wird kaum thematisiert. Das Prinzip der Systematik einer formtypologischen und technologischen Entwicklung ist in der Museumsdidaktik lange Zeit führend gewesen und hat sogar seine Fortsetzung gefunden in der Aufstellung von Vitrinen in den originalen Räumen der Häuser in Freilandmuseen9 oder auch in den Erläuterungstafeln von Lehrpfaden, obgleich nun gerade hier eine Präsentation im originalen Maßstab und Umfeld möglich gemacht wird. Ist ein Raum- und Landschaftsbezug im Vitrinen- oder „Behältermuseum“ nur durch hinweisende topographische Verortungen zur Herkunft von Ausstellungsobjekten zu erreichen, durch die Darstellung räumlichen Vorkommens (Verbreitungsgebiete) in Verbreitungskarten wie auch durch ein Hineinstellen von Objekten in eine künstliche Landschaft (Panorama, Diorama), die eine landschaftliche Imagination erzeugen soll, so führt eine sinnvoll gestaltete Museumslandschaft eines Freilandmuseums doch durch ihren jedenfalls teilweise gegebenen originalen Maßstab und ihr nachgestelltes reales Umfeld deutlich näher an die Wirklichkeit der erfahrbaren und täglich erlebten Kulturlandschaft heran. Von der volkskundlich-typologischen Darstellung geht es zum Erlebbarmachen der alltäglichen Umwelt, zum Transfer in die Entwicklung der Landschaft selbst, zur Erfahrung raumzeitlichen Wandels. Doch auch hier stellt sich noch eine wesentliche konzeptionelle Aufgabe, wenn ein Transfer zu kulturlandschaftsgeschichtlichen Bildungs- und Erfahrungsinhalten erreicht werden soll. Dabei ist es sehr deutlich, daß die siedlungsgenetische und landschaftliche Dimension im Betrachtungsansatz, in der Konzeption wie auch in der Präsentation von Freilandmuseen erst in jüngster Zeit in den Vordergrund gerückt ist. Unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Berücksichtigung und Zielsetzung einer Vermittlung von Siedlungs- und Kulturlandschaftsgeschichte im Freiland- und Landschaftsmuseum wäre die bisherige Typologie der Freilandmuseen und eine typologische Zuordnung des einzelnen Museums zu ergänzen oder auch ganz zu überarbeiten.10 2. Vom Bauernhausmuseum zur Museumslandschaft Die Idee des Freilichtmuseums, wie eine solche Anlage einer Versetzung und Aufstellung originaler alter Bauernhäuser und Gehöfte in einem Freigelände zunächst genannt wurde, folgte dem Bestreben einer gezielten Rettung dieses Kulturgutes vor dem Verfall und Abriß. Das Freigelände war „Behälterraum“ für die Ausstellung dieser Großobjekte, deren Konstruktionstyp und funktionale Gliederung für den Museumsbesucher eine Erläuterung fand. Als weitere Ausstattung wurden die musealen Häuser auch mit Gerät und Hausrat eingerichtet, auf der Grundlage einer 9 Vgl. Hermann Kaiser, Objekte im Freilichtmuseum – Volkskundliche Typen oder historische Sachzeugen? In: Ottenjann, Kulturgeschichte (wie Anm. 2), S. 30–42. 10 Vgl. Ingrid Edeler, Zur Typologie des Kulturhistorischen Museums, Freilichtmuseen und kulturhistorische Räume. In: Europäische Hochschulschriften, Reihe 28, Bd. 79, Frankfurt 1988, bes. S. 52–63. B. Morgenthaler, Arten von Freilichtmuseen, Freilichtmuseen weltweit, Interlaken u.a. 1988.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
zunehmenden volkskundlichen Sammlung materiellen Kulturgutes einer traditionellen bäuerlichen Lebens- und Wirtschaftsweise, die im Zuge einer Modernisierung und Technisierung einem absehbaren Verfall entgegenging. Die Aufstellung der Häuser und Gehöfte aus verschiedenen Orten eines Landes oder einer Region erfolgte nach praktischen, dem Gelände angepaßten Gesichtspunkten wie in einem Freigehege oder einer Parklandschaft. Mit der Zunahme von Gebäuden und einer vorausschauenden Planung wie auch auf der Grundlage der von der volkskundlichen Hausforschung seit den 20er Jahren erarbeiteten „Hauslandschaften“ (regionale Dominanz bestimmter Haus- und Konstruktionstypen, die dann auch jeweiligen Volksgruppen zugeordnet worden sind)11 sind dann in der Konzeption von Freilichtmuseen sehr bald regionale Gruppierungen (Hausgruppen, Baugruppen) gebildet worden, mit denen regionale Einheiten und Typen repräsentiert werden sollten. Dieses Konzept regionaler Baugruppen ist noch bis in die 70er Jahre bei der Anlage und Entwicklung von Freilichtmuseen verfolgt worden, so daß der größte Teil dieser Bauernhausmuseen in Deutschland einer solchen Gliederung des Museumsgeländes folgte. Damit war immerhin ein - wenn auch verallgemeinernder und in mancher Hinsicht fragwürdiger - Raumbezug gegeben, eine exemplarische Repräsentation von Teilräumen einer größeren Bezugsregion eines Freilichtmuseums als Regionalmuseum. Unter den gebildeten landschaftsräumlichen Bezugseinheiten der Hausgruppen werden allgemein zugleich naturlandschaftliche Einheiten, kulturräumliche Regionen, siedlungsgenetisch bedingte Siedlungs- und Wirtschaftslandschaften wie auch Hauslandschaften (Verbreitungsgebiete vorherrschender Haustypen) verstanden, was den Landschaftsbezug doch sehr stark generalisiert. Trotzdem wird doch auch versucht, im Zusammenhang mit den Regionalgruppen einzelne landschaftliche Charakteristika in die Erläuterungen einzubringen, vor allem bezogen auf die Agrarstruktur, besondere agrare Wirtschaftsweisen wie auch wirtschaftsbedingte Bauweisen und naturbedingte Baumaterialien. Mit der Zusammenstellung geschlossener Hofeinheiten und Gehöfte - oft aus verschiedenen Orten zusammengetragen –, mit der Gestaltung des zugehörigen Gartens, wird angestrebt, eine Wirtschaftseinheit zu präsentieren, und mit der kompletten Einrichtung des Gehöftes wird dann auch die Ganzheit bäuerlicher Kultur und Wirtschaft darzustellen versucht.12 Dieser Anspruch einer ganzheitlichen Vermitt11 Der konstruierenden Konzeption von Hauslandschaften ist besonders von der Siedlungs- und Sozialgeographie her sehr kritisch zu begegnen. 12 Zum Problem der ganzheitlichen Darstellung im Freilandmuseum vgl. u.a.: Klaus Freckmann, Der Anspruch des Museums auf ganzheitliche Dokumentation. In: Museen in der Provinz, hrsg. von Martin Scharfe, 1982, S. 103–111. „Geschichtsdarstellung im Museum“. Beiträge zur 9. Tagung der Museumspädagogen an Freilicht- und Industriemuseen (Die ganzheitliche Darstellungsweise – Chance und Problem für die Bildungsarbeit der Museen), (Freilichtmuseum Hessenpark – Kleine Reihe: Museumspädagogik, 5), Neu-Anspach 1995. Christel Köhle-Herzinger, Ganzheit im Museum: Mythos, Trend, Programm? In: Geschichtsdarstellung im Museum, Neu-Anspach 1995, S. 21–32. Werner Sasse, Ganzheitlichkeit als pädagogisches Prinzip am Hohenfelder Freilandmuseum. In: Geschichtsdarstellung im Museum, Neu-Anspach 1995, S. 33–44. Meli Stauffacher, Ganzheitlichkeit im Schweizer Freilichtmuseum – Täuschungen und Enttäuschungen. In: Geschichtsdarstellungen im Museum, Neu-Anspach 1995, S. 125–131.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
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lung durch ein möglichst vollständiges, aber doch nicht originär funktionierendes Museumsobjekt in Gestalt eines Gehöftes ist vielfach von Puristen der Realitätsnähe kritisiert worden. Alle Versuche einer Verlebendigung durch Aktion und Demonstration von Leben und Wirtschaft helfen hier nicht weiter, sie münden eher ein in ein verfälschendes und volkstümelndes Schauspiel.13 Auch hier gilt es, beim Auftrag der Dokumentation und Vermittlung von Kulturgeschichte zu bleiben und – entwicklungsgeschichtlich gesehen – bei der Gegenüberstellung vergangener Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse einerseits und der fortentwickelten, relikthaften historischen Gegenwart (persistente Landschaftsstrukturen) andererseits. Nur wenige der in jüngster Zeit angelegten Freilandmuseen - und hier sollte dieser Begriff „Freiland“ bewußt Anwendung finden -sind, getragen durch die spezifische Zielsetzung einer Vermittlung von Siedlungs- und Landschaftsgeschichte, dazu übergegangen, das verfügbare Museumsgelände als eine Museumslandschaft auszulegen. Wenn auch ein originäres Ausmaß von Siedlungen und zugehörigen Fluren und Gemarkungen in einem aus transferierten Gebäuden zusammengesetzten Freilandmuseum nicht erreicht werden kann, so wird doch die Konzeption darauf gerichtet, einzelne Gehöfte modellhaft in regionaltypischen Siedlungsformen zusammenzustellen, typische Flurformen auszulegen und die zugeordnete Feldmark in der traditionellen Wirtschaftsweise zu bestellen, das Wegenetz in einer deutlich erkennbaren differenzierten Größenordnung und Funktion auszulegen oder auch weitere landschaftsgestaltende Elemente an typischen und möglichst originären Standorten einzubringen. So kommt man von einer komponierten Baugruppe zu einer siedlungsgeographisch aussagefähigen Siedlungsform, von einer typisierenden Aufreihung von Getreidearten zu einer Flur mit einer traditionellen und regionaltypischen Fruchtwechselwirtschaft, von einem Rundweg von einem Gehöft zum anderen zu Exponaten von Wegeformen und Wegebauten von der Chaussee bis hin zu einem eingeschnittenen Hohlweg und zu Viehgangeln. Es entstehen somit Kulturlandschaftsstrukturen und -bilder, wie sie in der Zeit der präsentierten Häuser des 18. /19. Jahrhunderts vorgeherrscht haben. Freilich, eine so gestaltete Museumslandschaft ist – abgesehen von originalen Objekten – eine nachgestellte, künstliche Anlage, aber sie erfüllt doch das entscheidende weiterführende Ziel, im Gelände selbst Strukturen und Elemente einer traditionellen Agrarlandschaft modell13 Zur vehement geführten Kontroverse Vermittlung von Geschichte contra folkloristische Aktion und Freizeitgestaltung vgl. u.a.: Konrad Köstlin, Freilichtmuseums-Folklore. In: Ottenjann, Kulturgeschichte (wie Anm. 2), S.55–70. Gottfried Korff, Geschichte im Präsens? Notizen zum Problem der „Verlebendigung“ von Freilichtmuseen. In: Ottenjann, Kulturgeschichte (wie Anm. 2), S. 43–54. Heinrich Mehl, Auf dem Weg nach Disneyland. Zur Entwicklung der Freilichtmuseen im Jahre 100 nach Skansen. In: Festschrift für Heinz Spielmann, Hamburg 1990, S. 165–197. Adelhart Zippelius, Der Aufgabenkatalog der Freilichtmuseen im Zugriff der Freizeitgestalter. In: Museumsblatt. Mitteilungen aus dem Museumswesen Baden-Württembergs, 1 (1990), S. 16–22. Michael H. Faber, Handwerkliche und landwirtschaftliche Vorführungen – folkloristische Performance oder Beitrag zur Geschichtsvermittlung? In: Vermittlung durch Vorführung? Führer und Schriften des Rheinischen Freilichtmuseums Kommern, 46, Köln 1992, S. 11–27. Christoph Daxelmüller, Kultur contra Natur, oder: Wieviel „Volkskunde“ verträgt ein Museum? In: Heimat Nabburg, 15, Nabburg 1994, S. 134–163. Denecke/Daxelmüller, Oberpfälzer Freilandmuseum (wie Anm. 6).
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
haft zu präsentieren und in ihrer Genese zu erklären. Damit ist ein entscheidender Schritt von der materiellen Kultur des Hauses und seiner Einrichtung hin zur Thematisierung von Kulturlandschaftsgeschichte und Kulturlandschaftsentwicklung getan. Auch das Gehöft mit seinen Geräten kann damit mit dem ehemaligen wirtschaftlichen Umfeld funktional verknüpft werden. Ein Pflug oder eine Reihe verschiedener Pflugtypen ist nicht nur ein Gerät dieser oder jener Bauart und technologischen Entwicklungsstufe, sondern es kann und soll auch gezeigt werden, zu welchen Kleinformen des Ackerlandes die Bodenbearbeitung mit verschiedenen Geräten in der Zeit vor der agrartechnischen Revolution geführt hat und wie sich verschiedene Eingriffe in den Boden über Jahrhunderte hinweg in der Landschaft ausgewirkt haben. Der Versuch, einen Naturschutz und Artenschutz im Gelände eines Freilandmuseums zu betreiben, muß auf viele Einschränkungen stoßen. Die Museumslandschaft ist kein eingehegtes Naturschutzgebiet, sondern hat eine genutzte oder gar übernutzte Siedlungslandschaft darzustellen. Die verschiedenen Arten traditioneller Bodennutzung bestimmen die Vegetation, ihre Abfolge und Durchsetzung im Jahresgang und am jeweiligen Standort bis hin zu den durch Verbiß oder durch Holz- und Futtergewinnung hervorgerufenen nutzungsbedingten Wuchsformen von Büschen und Bäumen. Pflanzengesellschaften und Arten sind damit bedingt durch spezifische traditionelle Wirtschaftsweisen, und dies ist zu entwickeln, zu pflegen und im Beispiel zu zeigen und zu erläutern. Welche Pflanzengesellschaften, Arten und Sukzessionen haben die früheren bäuerlichen Wirtschaftsweisen hervorgebracht, gerade auch im Vergleich zu den heutigen Vegetationsbildern unserer Wälder und Fluren - dies muß die Leitlinie der Pflege- und Bewirtschaftungspläne sein, die für eine ökologisch aussagefähige Museumslandschaft zu entwickeln und im Jahresgang sichtbar zu erläutern und auszuführen sind. Auch hier kann das Museum nur Exempel und Modell sein, mit Verknüpfungen zur Kulturlandschaft draußen, wo noch ähnliche Verhältnisse oder Reliktstandorte zu finden sind. Der historischen Wirklichkeit und dem Dokument kommt man jedoch nicht nur durch den Anbau alter Getreidearten und Feldfrüchte näher, durch das Halten alter Tierrassen in den Ställen der Häuser oder durch die Anwendung alter Geräte und Arbeitsweisen, sondern auch durch den konkreten Nachweis angebauter Getreidesorten, Wiesen- und Unkrautfloren, auf dem Wege der Bestimmung botanischer Makroreste aus den Fehlböden und dem Hauslehm der transferierten Gebäude selbst.14 Damit läßt sich zeitlich und örtlich fixiert und dem Museumsobjekt zugeordnet ein zeitgenössisches Bild der ehemaligen Nutzlandschaft entwerfen, das die historische Dimension vertieft und dokumentiert, zugleich aber auch wissenschaftliche Methoden demonstrieren läßt, die zu landschaftsgeschichtlichen Belegen und Erkenntnissen führen. Mit der musealen Gestaltung und Inwertsetzung jeder kleinsten Fläche und jeder Struktur im Museumsgelände bzw. in der Museumslandschaft lassen sich nun 14 Dietrich Denecke, Historische Umwelt und Altlandschaft in Freilandmuseen. Historisch-geographische Forschungs- und Betrachtungsansätze in der Konzeption des Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen, Freilandmuseum – Kulturlandschaft – Naturschutz. In: Laufener Seminarbeiträge 5/92, Laufen 1992, S. 9–17.
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auch in verstärktem Maße kleinräumige ökologische Verhältnisse entwickeln, an denen ökologische Gefüge, spezifisch kulturbedingte Biotope und Ökotope wie auch agrarwirtschaftlich bedingte Pflanzen- oder Unkrautgesellschaften (Ruderalpflanzen) erläutert werden können.15 In der Museumslandschaft ist auf engem Raum möglichst in einer natürlichen Anordnung und Verteilung eine breite Vielfalt von Kulturlandschaftselementen und kulturlandschaftlichen Erscheinungen einer Altlandschaft gezielt angelegt, um damit am Beispiel Vorgänge und Landschaftsstrukturen zu präsentieren und zu erläutern, die in landschafts- und umweltgeschichtliche Zusammenhänge gehören. Ökologische Verhältnisse, wirtschaftsbedingte Kleinformen der traditionellen Agrar- und Gewerbelandschaft und ortsfeste Geländeanlagen alter Kulturlandschaften verschiedener Art sind in der Museumslandschaft zum größten Teil künstlich angelegt, wenn auch an einem angepaßten Standort und in einem funktional sinnvollen Zusammenhang. Hier können vielfältige landschaftliche Erscheinungen ausgebaut werden, die zum Teil unscheinbar sein mögen, an denen sich jedoch weitreichende Eingriffe und anthropogen bedingte Prozesse in älteren Kulturlandschaften anschaulich erläutern lassen. Es können Feldraine, Gräben, Wiesenbewässerungen, Teiche, Ackerterrassen, Wölbäcker und vieles mehr sein, deren ehemals oft weitflächige Verbreitung landschaftsprägend gewesen sind, was zu vermitteln ist. Es sollte bei der Präsentation solcher Geländeformen und Einrichtungen jedoch keineswegs nur um funktionale „rezente“ Rekonstruktionen und Darstellungen gehen, sondern auch und gerade um die Vorstellung von Relikten dieser Kulturlandschaftselemente, wie sie sich heute noch als kulturlandschaftliche Dokumente und Denkmale im Gelände finden („Spurensuche“) und auf Geländearbeit beruhende Rekonstruktionen alter Wirtschaftslandschaften ermöglichen. Hierzu gehören etwa Waldrandstufen, Ackerterrassen und Wölbäcker unter heutigem Wald, Hohlwege, Meilerplätze oder auch eine durchgewachsene Hecke. Die Darstellung solcher Relikte in der Museumslandschaft läßt die zeitliche Dimension deutlich werden, den Vorgang des Verfalls solcher Erscheinungen ehemaliger Wirtschaftsweisen in der Landschaft, und sie führt hin zu der Aufgabe ihrer Dokumentation und Bewahrung im Zuge einer erhaltenden Landschaftspflege wie auch zu einer Sensibilisierung, solche Relikte selbst in der Landschaft zu erkennen und zu deuten. Optimal ist es, wenn sie im Museumsgelände selbst im Original vorgegeben sind, wie dies zum Beispiel im Oberpfälzer Freilandmuseum mit Ackerterrassen, Hohlwegen, Teichdämmen, Waldrandstufen und Meilerplätzen der Fall gewesen ist. Diese Relikte sind hier gezielt und didaktisch aufbereitet in die angelegte Museumslandschaft integriert worden. 15 Vgl. u.a.: Erhaltung gefährdeter dörflicher Pflanzengesellschaften und historischer Nutzpflanzenkulturen in Freilichtmuseen. In: Schriften der Stiftung zum Schutz gefährdeter Pflanzen (1981); Friedrich Weller, Ökologie als Thema im Freilichtmuseum. In: Freilichtmuseen in Baden Württemberg (Museumsmagazin), Aus Museen und Sammlungen in Baden-Württemberg 2, Stuttgart 1985, S. 31–36. Freilandmuseen – Kulturlandschaft – Naturschutz (Laufener Seminarbeiträge 5/92), Laufen 1992; Siegfried Liepelt/Barbara Suck, Historische Ökologie, Vegetation und Nutzung der Agrarlandschaft im Freilandmuseum. In: Heimat Nabburg, 15, Nabburg 1994, S. 90–113.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Das Oberpfälzer Freilandmuseum Neusath-Perschen ist ein modellhaftes Beispiel für eine konzeptionell und ganzheitlich durchgestaltete Museumslandschaft, wobei der Weg dorthin auch charakteristische Vorstufen ganz anderer Ausrichtung durchlaufen hat.16 Im Jahre 1964 ist der repräsentative Pfarrhof in Perschen im Original und an autochthoner Stelle zum „Oberpfälzer Bauernmuseum Perschen“ gemacht worden. 1977 ist dann unweit davon ein Areal eines Gutshofes vom Bezirk Oberpfalz angekauft worden, um dort im Rahmen von Haustransferierungen ein „Oberpfälzisches Freilandmuseum“ in der Form eines volkskundlichen Bauernhausmuseums anzulegen. Einige Gehöfte wie auch regionale Baugruppen wurden in der Art eines Parkmuseums im Gelände verteilt vorgesehen (vgl. Abb. 1). Von 1982– 1992 ist dann unter einem neuen Leiter das Konzept einer durchgestalteten Museumslandschaft für das gesamte Museumsgelände entworfen und konsequent ausgebaut worden, mit drei nachgestellten dörflichen Siedlungstypen, zugehörigen Flurformen und Nutzungssystemen und einem funktionalen Wegenetz (vgl. Abb. 2). Die neue und weiterführende Zielsetzung ist auch in einer anderen Bezeichnung des Museums zum Ausdruck gebracht worden: „Oberpfälzer Freilandmuseum – Freilandmuseum für Kulturgeschichte und Kulturökologie“. Diese in die Entwicklungsgeschichte der Kulturlandschaft hineingehende Konzeption und Zielsetzung ist auch von manchen anderen Freilandmuseen in Deutschland in den 90er Jahren aufgegriffen worden, allgemein in der Form von Nachrüstungen oder Ergänzungen der schon weitgehend unter älteren Zielsetzungen ausgebauten Museen, was natürlich nur zu einem Teil gelingen kann. Die Konzeption und der Vermittlungsansatz einer Siedlungs- und Kulturlandschaftsgeschichte von der Museumslandschaft eines Freilandmuseums aus führt weiter zu dem Typ des Freilandmuseums, in dem in situ erhaltene alte Gehöfte oder Wirtschaftsanlagen (lokales Freilandmuseum), Siedlungsteile oder ganze Siedlungen Ausgangspunkt für die Anlage eines Museums sind. Der besonderen Bedeutung einer solchen Ausgangssituation ist bisher allgemein wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden, vor allem dann, wenn um einen kleinen Kern am Ort durch einen transferierenden Ausbau mehr oder weniger ein Museumspark entstanden und der lokale Ausgangspunkt kaum noch von Bedeutung ist. Für die Vermittlung von Siedlungs- und Kulturlandschaftsgeschichte ist es jedoch entscheidend, die original gegebenen Kulturlandschaftsbezüge des unmittelbaren Umfeldes sehr deutlich in die Konzeption wie auch in die Vermittlung einzubeziehen bzw. diese als eine wesentliche Leitlinie zu verfolgen. Je mehr an örtlichen Objekten und Einrichtungen im Museum besteht, desto mehr ist auch die lokale und individuelle Geschichte und Entwicklung des Standortes zu verdeutlichen. Bei diesen autochthonen Anlagen ist der räumliche Zusammenhang und Übergang zur aktuellen lebenden Siedlung und Landschaft allgemein sehr eng, so daß die Verbindung oder auch die Gegenüberstellung zur Gegenwart in den Betrachtungsansatz der Konzeption wie auch der Vermittlung sehr bewußt miteinbezogen werden sollte. Der Besucher ist mit den örtlichen historisch-musealen Geländeobjekten in die individuelle Ortsgeschichte 16 Manfred Neugebauer, Die Gesamtkonzeption des Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen. In: Laufener Seminarbeiträge, 5/92, Laufen 1992, S. 33–47.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
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Abb. 1 Das Oberpfälzer Freilandmuseum Neusath-Perschen: 1979 prospektierte Konzeption eines Bauernhausmuseums (Parkmuseum, Architekturmuseum). Aus: Manfred Neugebauer, 1992 (siehe Anm. 16), S. 34
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
Abb. 2 Museumslandschaft des „Oberpfälzer Freilandmuseums Neusath-Perschen“, 1991. Grundriss und Nutzungsplan. Aus: Manfred Neugebauer, 1952 (siehe Anm. 16), S. 40
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hineinzustellen mit einem Rückblick in die museal bewahrte Vergangenheit und einer Umschau in die sich weiterentwickelnde Siedlungslandschaft der Gegenwart. Gezielte und vergleichende Untersuchungen der räumlichen Bezugsfelder autochthoner Freilandmuseen zeigen, daß die spezifischen Möglichkeiten des originalen Standortes und Umfeldes im Ansatz viel zu wenig genutzt werden, da man sich auch hier auf das Gebäudeobjekt und seine Einrichtung konzentriert und die räumlich-funktionalen Zusammenhänge, die unmittelbar erlebbar zu machen sind, im Hintergrund oder gar unbeachtet läßt. Noch weiter in die reale Landschaft hinein und an die in ihr lebende und wirtschaftende Bevölkerung heran führt die Konzeption des Ecomuseums.17 Das in Frankreich entwickelte und mit vielen musealen Einrichtungen unter diesem Titel auch umgesetzte Konzept einer museal zugänglich gemachten und aufbereiteten meist peripheren traditionellen Wirtschaftslandschaft ist in seiner idealen Struktur auch in Frankreich bisher kaum erreicht worden, in anderen Ländern gibt es erst wenige Beispiele.18 Entscheidend ist jedoch, daß mit dieser Idee musealer Aufbereitung und Inwertsetzung die Kulturlandschaftsentwicklung, vor allem auch in ihr ablaufende Stagnations- und Regressionsvorgänge als zentrale Themen einer musealen Vermittlung aufgegriffen werden. Der Blick wird auf periphere, in einer gewissen Tradition verharrende Regionen gelenkt, diese wirtschaftlich rückschrittlichen Gebiete erfahren eine kulturelle Aufwertung im Rahmen von Kulturerhaltung, Traditionsbewußtsein und Bewahrung traditioneller Lebensformen und Wirtschaftsweisen. Die museal zugänglichen und aufbereiteten Anlagen liegen als Antennen oft weit auseinander und - wie Untersuchungen gezeigt haben - ist es keineswegs immer gelungen, die größeren natur- und kulturlandschaftlichen wie auch die wirtschafts- und sozialräumlichen Zusammenhänge erlebbar zu machen. Wesentlich ist in diesem Konzept einer musealen Erschließung, daß es hier nicht um ein abgegrenztes Museumsgelände geht, sondern um eine größere Region, deren Leben und Wirtschaft über einige Anlaufpunkte hinaus (Antennen) in das Erlebnis des Besuchers miteinbezogen werden soll. Umgekehrt wird auch propagiert, daß Bewohner der Region an den Zielsetzungen und Aufgaben der musealen Organisation beteiligt werden, so daß ein möglichst integriertes Zusammenwirken entsteht. Ein anschauliches und der allgemeinen Konzeption weitgehend entsprechendes Beispiel eines Ecomuseums ist das „Écomusée de la Grande Lande“ im Naturpark Des Landes de Gascogne im Südwesten Frankreichs. In diesem extensiv genutzten Sand- und Waldgebiet, dem größten geschlossenen Waldbereich in Europa, herrschten Forstwirtschaft und Schafhaltung vor, die von kleinen Wohnquartieren aus vor allem im 19. Jahrhundert betrieben worden sind. In jüngerer Zeit weitgehend ver17 Vgl. u.a.: Georges Henri Rivière, From the ethnological museum in the open air to the Ecomuseum. In: Museum, 25 (1973), S. 39–44. Wassilia von Hinten, Zur Konzeption der Écomusée in Frankreich. In: Ottenjann, Kulturgeschichte (wie Anm. 2), S. 88–101. Thomas Antonietti, Vom Kulturlehrpfad zum offenen Medium. Die Idee des Ecomuseums für eine Randregion. In: Museologie. Neue Wege – neue Ziele. Bericht über ein internationales Symposium, hrsg. von Herrmann Auer, München 1989, S. 188–195. François Hubert, Das Konzept „Écomusée“. In: Das historische Museum, hrsg. von Gottfried Korff/Martin Roth, Frankfurt 1990, S. 199–214. 18 Vgl. als Beispiel: Klaus Anderegg, Ecomuseum Simplon, Freiburg 1990.
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
lassen, ist das Quartier Marquèze mit seinem ganzen Umfeld als museale Einrichtung erschlossen worden. Das Verhalten des Menschen zur Natur, vor allem aber die verschiedenen naturnahen traditionellen Wirtschaftsweisen stehen ganz im Vordergrund einer historischen Erläuterung dieser sehr eigenartigen, peripher gelegenen Landschaft. Zur landschaftsgebundenen Interpretation und zur Erläuterung natur- wie auch kulturlandschaftlicher Objekte und Zusammenhänge führt auch der Lehrpfad. Einrichtungen dieser Art sind während der letzten zwanzig Jahre thematisch wie auch in ihrer Anlage sehr vielgestaltig geworden.19 Ausgehend von Forst- und Naturlehrpfaden sind dann auch Lehrpfade der Agrarlandschaft (Obstlehrpfad, Weinbaulehrpfad, Wiesenlehrpfad u.a.) wie auch Lehrpfade in alten Gewerbelandschaften (Bergbau-, Steinhauer-, Mühlenlehrpfad u.a.) angelegt worden. Oft stehen ökologische und gegenwärtige Erscheinungen im Vordergrund, zunehmend sind aber auch wirtschafts- und kulturgeschichtliche Objekte das zentrale Thema (historische Lehrpfade).20 Unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Beziehung zum gegebenen landschaftlichen Umfeld des Lehrpfades und seiner Standorte ist allgemein festzustellen, daß die didaktische Aufbereitung und Anleitung zur kleinräumigen komplexen Landschaftsanalyse, zur Verifizierung und Beobachtung aus dem Gelände unmittelbar vom Standort aus meist sehr schlecht entwickelt ist. Auch hier wird noch mit den Erläuterungen der Systematik des Lehrbuches, der sezierenden Objektbeschreibung gefolgt, statt in die konkrete Beobachtung einzuführen und am Standort, in der Nah- wie auch der ferneren Sicht gegebene Wirkungszusammenhänge durch Faltblatt und Erläuterungstafel zu erhellen. Es mangelt an geländebezogenen Betrachtungsansätzen, die die originale „natürliche“ Anschauung draußen verlangt und vermitteln sollte. Konzepte und Lösungen mit einem engeren Bezug zum räumlichen Wirkungsgefüge wären vor allem von geographischer Seite aus dem vorhandenen Angebot von Lehrpfaden kritisch herauszuarbeiten und weiterzuentwickeln. Die Erfassung, Bewertung und Auswertung historischer Kulturlandschaftselemente im Zuge historisch-geographischer Geländeaufnahmen steht nicht nur im traditionellen Zusammenhang kulturlandschaftsgenetischer Forschung und erhaltender landschaftspflegerischer Aufgaben21, sondern richtet sich in jüngerer Zeit be19 Wolfgang Erdmann, Lehrpfade und ihre Gestaltung, Oldenburg 1975. 20 Konrad Vanja, Geschichtslehrpfad und Museum. In: Scharfe (wie Anm. 12), S. 123–133. Bernd Hey, Das Museum draußen: Historische Lehrpfade, Geschichtsstraßen und Lernlandschaften. In: Geschichtsdidaktik, 11 (1986), S. 336–348. Marie-Luise Schmeer-Sturm, Museum draußen. Freilichtmuseen, historische Lehrpfade und Geschichtsstraßen. In: Museumspädagogik in neuer Sicht, hrsg. von Hildegard Vieregg/Marie-Luise Schmeer-Sturm/J. Thinesse-Demel/K. Ulbricht (Erwachsenenbildung im Museum 1: Grundlagen – Museumstypen – Museologie), Baltmannsweiler 1994, S. 247–257. 21 Thomas Gunzelmann, Die Erhaltung der historischen Kulturlandschaft. Angewandte Historische Geographie des ländlichen Raumes mit Beispielen aus Franken (Bamberger Wirtschaftsgeographische Arbeiten 4), Bamberg 1987. Gerhard Ongyerth, Erfassung und Schutz historischer Kulturlandschaftselemente (Ber. der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege 17), Laufen 1993. Klaus-Dieter Kleefeld, Historisch-geographische Landesaufnahme und Darstellung der Kulturlandschaftsgenese des zukünftigen Braunkohleabbaugebietes Garzweiler II, Bonn 1994.
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sonders auch auf eine Erschließung gut erhaltener Reliktlandschaften und Reliktstandorte im Gelände für landschaftsgeschichtliche Erläuterungen im Zuge eines „Landschaftstourismus“.22 Geländeaufnahmen, Aufbereitung im Gelände mit Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen sowie ausreichende Erläuterungen sind aufwendig, der Nachvollzug und die geforderte Erkundung und Eigenbeobachtung sind anspruchsvoll. Mit historisch-geographischen Aufarbeitungen und Vermittlungen dieser Art werden jedoch sehr wirkungsvolle Beiträge geleistet für die erhaltende Landschaftspflege einerseits wie auch für die landschaftsbezogene Bildung und das historisch-genetische Landschaftserlebnis mit dem Ziel einer Erziehung zum pfleglichen Umgang mit dem Erbe der Kulturlandschaft. Ein großräumigerer Verbund persistenter musealer Landschaftsobjekte und Reliktstandorte in einer überschaubaren Region führt letztlich zu Landschaftsmuseen im engeren Sinne.23 Eine Vielfalt von Geländeobjekten kann aufgesucht und erwandert werden, unter einer landschaftsinterpretierenden Erläuterung durch Führungsblätter, Erläuterungstafeln und Hinweise im Gelände. So wird Landschaftsgeschichte vor Ort erfahren, es wird zu eigenen Entdeckungen angeregt und zu einem Verhalten in der Landschaft aufgefordert, das zu einem engagierten und pfleglichen Umgang mit dieser Umwelt beiträgt. Zu diesem landschaftsinterpretierenden ganzheitlichen Konzept und Betrachtungsansatz sind landschaftsbezogene Museen draußen weiterzuentwickeln. Der landschaftsbezogene Verbund hat im Konzeptionsansatz bereits verschiedene zukunftsträchtige Wege beschritten.24 3. Das Beziehungsgefüge zwischen Museumslandschaft, Altlandschaft und Kulturlandschaft, die Museumskonzeption und Wege zur Rezeption Die Museumslandschaft eines Freilandmuseums ist ein im Maßstab inhomogenes, unter didaktischen Gesichtspunkten komponiertes „Modell“ einer historischen Siedlungslandschaft. Originale Strukturen sind nachgestellt, in Verfolgung einer Anlagekonzeption, auf der Grundlage siedlungsräumlicher Dokumentation und Forschung. Heranzuziehen sind dabei Altlandschaftsrelikte peripherer Standorte heutiger Kulturlandschaften wie auch Dokumente verschiedener Art, mit deren Hilfe sich Altlandschaften (historische Landschaftszustände) rekonstruieren lassen, ein traditionelles Forschungsfeld der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung. 22 Helmut Hildebrandt, Historisch-geographische Objekte in Wäldern deutscher Mittelgebirge als Potential für Fremdenverkehr und Naherholung. In: Forum Forstgeschichte, hrsg. von Egon Gundermann/Roland Beck, München 1995, S. 1–24. Helmut Hildebrandt, Historisch-geographische Elemente in der Kulturlandschaft des ländlichen Raumes und ihre touristische Inwertsetzung. In: Archäologie, Vulkane und Kulturlandschaft, hrsg. von Hans Helmut Wegner, Koblenz 1995, S. 79–84. Vgl. auch die Angaben unter Anm. 8. 23 Vgl. im Grundsatz und als Beispiel: Gerhard Ongyerth, Landschaftsmuseum oberes Würmtal. Erfassung, Vernetzung und Visualisierung historischer Kulturlandschaftselemente als Aufgabe der Angewandten Geographie (Dissertation TU München), München 1994. 24 Vgl. als Beispiel: Reinhard Roseneck, Neue Wege denkmalpflegerisch-musealer Kooperation: das Modell „Historische Bergbauregion Harz“. In: Museumsverband für Niedersachsen und Bremen, (Mitteilungsblatt 48), 1994, S. 21–32.
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Daraus ergeben sich nicht nur ein historisch gesichertes Fundament für den Aufbau und die Gestaltung der Anlage in der Museumslandschaft, sondern auch notwendige Kenntnisse für die Weiterbildung und Bewirtschaftung. Diese Bezüge und Wege historisch gesicherter Kenntnis sind für den Betrachter immer wieder deutlich zu machen, das heißt, die Ziele, Methoden und Belege des Gestaltens (Museumsleitung) sind dem Betrachter (Museumsbesucher) offenzulegen und nahezubringen. So besteht ein enger und immanenter Zusammenhang zwischen der auf eine Kulturlandschaftsgeschichte gerichteten Museumskonzeption und der möglichen Perzeption des Betrachters (vgl. Abb. 3). Sind auch Präsentationen und Strukturen in der Museumslandschaft möglichst weitgehend so anzulegen, daß sie schon von sich aus hinführen zur Erkenntnis landschaftlicher Zusammenhänge, so ist doch die Erläuterung und Vermittlung der Museumslandschaft auf eine Kulturlandschaftsgeschichte hin sehr wesentlich durch vermittelnde Medien (Erläuterungstafeln, Verbreitungskarten, Führungsblätter, Führungen u.a.) zu unterstützen. Dabei sind im wesentlichen zwei Ebenen eines Landschaftsbezuges zu erreichen: Die Gewinnung landschaftsbezogener Erkenntnisse durch die Perzeption der Museumslandschaft und der weiterführende Transfer in die Entwicklungsgeschichte der heutigen Kulturlandschaft hinein, mit ihren persistenten historischen Strukturen und historischen Relikten, aber auch ihren stetigen Wandlungs- und Umgestaltungsprozessen, mit all dem, was diese raumgestaltenden Prozesse steuert. Hat die Museumslandschaft eines Freilandmuseums den Vorteil einer Konzentration der Präsentation und Information auf engem Raum, im Innenraum wie auch im Gelände, so ist der reale landschaftliche Zusammenhang, wenn auch weitläufig und ungeschützt, mit dem Lehrpfad, dem Ecomuseum und dem Landschaftsmuseum gegeben. Hier geht es um die konkrete landschaftliche Beobachtung, um die Suche nach Besonderheiten, um die Spurensuche zu spezifischen Erscheinungen, um das Herausfinden von Belegobjekten, die durch einen kurzen Hinweis am Standort angemerkt sind (Marker). Eine demonstrative Aufbereitung der landschaftlichen Erscheinung ist nur in Andeutung gegeben, der gesamte Kontext des Geländes versteckt, bietet dafür jedoch die Wirklichkeit der gegebenen Kulturlandschaft. Die Museumslandschaft eines Freilandmuseums, Lehrpfade und Landschaftsmuseen gehören als „Lernlandschaften“ oder „Demonstrationslandschaften“ in einen engen Verbund, vor allem im Rahmen des gemeinsamen Zieles einer Vermittlung und Interpretation von Kulturlandschaftsgeschichte. Ein entscheidendes Medium, mit dem sich dieser Verbund in idealer Weise anschaulich vor Augen führen läßt, ist der moderne Film, wofür sich allerdings bisher kaum modellhafte Beispiele anführen lassen. Ein engerer Bezug zum landschaftlichen Umfeld ist dann gegeben, wenn in einem Freilandmuseum besondere ressourcenbedingte Wirtschaftszweige thematisiert sind. Dies gilt für die Präsentation verschiedener Arten der Waldwirtschaft25, die allerdings an freien landschaftlichen Lernstandorten26 oder im Zuge von Wald25 Agnes Sternschulte, Mittel- und Niederwald als Objekte musealer Präsentation. In: Mainzer Geographische Studien, 39, Mainz 1994, S. 33–38. 26 Helmut Hildebrandt (Hrsg.), Hachenburger Beiträge zur Angewandten Historischen Geographie: Kulturlandschaftsforschung im Wald (Mainzer Geographische Studien 39), Mainz 1994.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
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Abb. 3 Das Beziehungsgefüge zwischen Museumslandschaft und Kulturlandschaft, Gestalter und Betrachter
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lehrpfaden noch besser im Kontext demonstriert werden können, besonders aber für die in jüngster Zeit stark zunehmenden, meist an originaler Stelle gelegenen Bergbau-, Steinhauer- oder Gewerbemuseen. Hier sind die alten Gruben, Gewinnungsund Aufbereitungsanlagen meist in eine größere museale Erschließung einbezogen, so daß der landschaftliche Kontext und die originäre Wirklichkeit sehr konkret und vielgestaltig durch Erläuterung und eigene Beobachtung nahegebracht werden können. Auch hier ist jedoch bei vielen dieser Einrichtungen der kulturlandschaftliche Betrachtungsansatz noch keineswegs in ausreichendem Maße umgesetzt worden. 4. Perspektiven zur Führung, Gestaltung und weiteren Entwicklung von Freiland- und Landschaftsmuseen Die zunehmende Vielfalt einer Verwirklichung musealer Präsentation draußen wirft die Frage auf, welche Zielsetzungen und Arbeitskonzeptionen Freilandmuseen weiter verfolgen werden und – in unserem Zusammenhang – mit welchen Konzeptionen sich kulturlandschaftliche Sachverhalte und Vorgänge am erfolgreichsten einbringen lassen (vgl. Abb. 4). Vier wesentliche Entwicklungsziele, Museumstypen oder Strukturmodelle und Entwicklungstrends lassen sich unterscheiden: 1. Das Ziel einer Sammlung und exemplarischen Darstellung alter bäuerlicher Gehöfte mit dem Typus des Architektur- oder Parkmuseums 2. Das Ziel einer Stiftung von Regional- und Heimatverbundenheit mit dem Selbstverständnis eines Museums und Zentrums regionaler Volkstumspflege 3. Das Ziel einer Vermittlung von Siedlungs- und Kulturlandschaftsgeschichte in einer modellhaft nachgestellten Museumslandschaft 4. Das Ziel einer Erhaltung und Pflege autochthoner historischer Objekte sowie historischer Landschaftselemente und Traditionslandschaften außerhalb eines geschlossenen Museums, verbunden mit einer musealen Erschließung (Ecomuseum, Landschaftsmuseum). Wenn die einzelne Ausrichtung auch selten in reiner Form auftritt, das heißt ganz allgemein Überlagerungen und Verbindungen gegeben sind, so sind gerade darin doch auch sehr unterschiedliche Ansätze und Kontroversen angelegt, die zumeist zu störenden Kompromissen in der Anlage und Vermittlung führen. Vor allem die Zielsetzungen einer kulturgeschichtlichen Bildungseinrichtung, mit denen viele Freilandmuseen angetreten sind, lassen sich mit dem Trend zum historischen Freizeitpark keineswegs immer vereinen27. Die Darstellung und Vermittlung kulturlandschaftlicher Zusammenhänge läßt sich am ehesten in der Museumslandschaft eines Freilandmuseums verwirklichen 27 Vgl. dazu: Gerhard Handschuh, Freilandmuseum – Zwischen Idylle und Aufklärung. In: Heimat, Analysen, Themen, Perspektiven, 1, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe 294/II, Bonn 1990, S. 781–828. Thomas Naumann, Wege vorbei an Disneyland. Freilichtmuseumskonzeption und ihre Auswirkung auf Museumscharakter und Besucherverhalten – Konsequenzen für den Aufbau des Odenwälder Freilandmuseums. In: Beiträge zur Erforschung des Odenwaldes und seiner Randlandschaften, Breuberg-Neustadt 1992, S. 475– 496. Denecke/Daxelmüller, Oberpfälzer Freilandmuseum (wie Anm. 6).
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
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Abb. 4 Perspektiven und Erwartungen von Öffentlichkeit, Museumsträgern und Besuchern zur Führung, Gestaltung und Entwicklung von Freilandmuseen und Landschaftsmuseen
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
(Typ III), direkter, aber weniger konzentriert im Landschaftsmuseum (Typ IV). Beide diese Konzeptionen stehen heute in der Neueinrichtung wie auch im Rahmen von Umorientierungen traditioneller Freilandmuseen im Vordergrund. Kaum zu nutzen sind Zielsetzungen hin zum Freizeitpark, schon allein deshalb, weil die historisch-museale Vermittlung vernachlässigt wird. 5. Aufgaben einer Dokumentation durch ein Freilandmuseum im Rahmen einer Präsentation und Vermittlung von Kulturlandschaftsgeschichte Die Übernahme wertvoller und markanter alter Gebäude, die Sammlung materiellen bäuerlichen Kulturgutes sowie zugehöriger volkskundlicher und sozialgeschichtlicher Überlieferungen, verbunden mit Erwerb, Inventarisierung und Restaurierung für das Museum, stehen zunächst im Vordergrund der objektbezogenen Bewahrung und Dokumentation durch und für das Museum im räumlichen Rahmen der zugehörigen Museumsregion. Eine auf den Kulturraum des Museums bezogene Erfassung und kulturlandschaftliche Auswertung oder kulturhistorische Regionalanalyse hat jedoch weiterzugehen. Es sind der regionale Gesamtbestand und die räumliche Verbreitung zu dokumentieren, historischen Innovations- und Diffusionsprozessen ist nachzugehen, kulturräumliche Beziehungsgefüge und Beeinflussungen sind aufzudecken, kartographisch zu dokumentieren und raum-zeitlich zu interpretieren.28 Diese kulturräumlichen Dokumentationen sind nicht nur auf kulturgeschichtliche Erscheinungen zu richten, sondern im landschaftlichen Zusammenhang auch auf erhaltene historische Siedlungs- und Kulturlandschaftselemente (Siedlungsformen, Haustypen, Flurformen, Wirtschaftsweisen u.a.) wie auch auf ihre Relikte in der Landschaft. Mit dieser Arbeit trifft man auf die Inventarisationen der Denkmalpflege wie auch der erhaltenden Landschaftspflege, vor allem aber auf die Geländeaufnahmen der Historischen Geographie (historisch-geographische Landesaufnahme), die für die landschaftsgenetische Forschung, in jüngster Zeit jedoch besonders für eine erhaltende Landschaftspflege methodisch wie exemplarisch entwickelt worden sind. Vom museumsbezogenen Ansatz her liegt die Zielsetzung dabei in der zu fordernden Umsetzbarkeit dieser Erfassungen in der Museumsregion für die Gestaltung der Museumslandschaft, für die Präsentationen des Beispiels im Museum wie auch vor allem für eine Erläuterung räumlicher Verbreitungen und Bezüge. Ohne die Grundlage einer kulturgeschichtlichen und kulturlandschaftlichen Erfassung der dem Museum zugehörigen Region ist die Vermittlung von Kulturlandschaftsgeschichte im Museum nicht möglich. Der bei vielen Freilandmuseen mangelhafte siedlungsräumliche Bezug ist oft auf eine unzureichende Grundlagenarbeit auf diesem Gebiet zurückzuführen, die allerdings auch kaum allein vom Museum selbst zu leisten ist. Ein vergleichender Überblick über die Organisation, die Methoden, den sachlichen Rahmen und Umfang wie auch eine Inwertsetzung von Dokumentatio28 Helmut Ottenjann, Systematische Quellendokumentation in der Region als Kontext musealer Sammlungen. In: Ottenjann, Kulturgeschichte (wie Anm. 2), S. 102–120.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
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nen im Freilandmuseum ist nur sehr schwer zu gewinnen, da konkrete Umsetzungen und Auswertungen nur selten erkennbar sind. In diesem Zusammenhang wäre vor allem von Interesse, in welchem Maße auch kulturlandschaftliche Elemente in die regionale Raumbeobachtung und Dokumentation in den einzelnen Museen miteinbezogen und welche Möglichkeiten eines Verbundes mit anderen Landschaftsinventaren bisher genutzt worden sind. Soll eine regionale Dokumentation und Inventarisation über Museumsobjekte in ihren räumlichen Standorten in der Region hinausgehen, so sind historische Landschaftselemente und Reliktstandorte bis hin zu traditionellen Nutzflächen und ihren Relikten miteinzubeziehen als Grundlage und Verbindungsglied für eine landschaftsgeschichtliche Präsentation der Region und letztlich für die Erschließung einer regionalen Landschafts-, Siedlungs- und Kulturgeschichte. Ein so verstandenes Freilandmuseum entwickelt sich zu einem regionalen landschafts- und kulturgeschichtlichen Dokumentationszentrum. 6. Landschaftsbezogene Forschungsaufgaben und Forschungsansätze am und für ein Freilandmuseum Freilichtmuseen sind „wissenschaftlich geführte oder unter wissenschaftlicher Aufsicht stehende Sammlungen ganzheitlich dargestellter Siedlungs- und Wirtschaftsformen im freien Gelände“ (ICOM-Deklaration, Art. 9, 1958, und Satzung des Verbandes europäischer Freilichtmuseen, 1972). Die wissenschaftliche Führung und Aufbereitung der Sammlungen in einem Freilandmuseum bedeutet neben wissenschaftlicher Dokumentation und Erklärung der präsentierten Sammlung auch sachbezogene wissenschaftliche Forschung. Dieses kann keine freie Forschung sein, sondern sie ist bezogen auf die Objekte und auf die Museumslandschaft. Ist die Objektforschung weitgehend eine Analyse und historische Erklärung der ausgestellten Originalstücke bis hin zu den Gebäuden (Gefügeforschung, Hausgeschichte u.a.), so muß die Forschung zur Museumslandschaft eher auf mögliche authentische Rekonstruktionen, auf Wirtschaftsweisen, auf Vergleiche und auf regionaltypische Siedlungsstrukturen und -vorgänge gerichtet sein. Der letztere, der vornehmlich historisch-kulturgeographische Ansatz ist erst in jüngerer Zeit stärker vertreten. Bei Neukonzeptionen spielt er bereits für die Anlage eine führende Rolle. Allgemein geht die siedlungsgenetische Forschung ein in die Vermittlung, vor allem durch begleitende Publikationen oder auch in spezielle Themenbände, die siedlungsgeschichtlichen Fragen gewidmet sind. Haus- und Siedlungsformen wie auch agrarwirtschaftliche Fragen stehen im Vordergrund, die regionale Besiedlungsgeschichte, Regressionen, Siedlungstransformationen oder auch die Vegetations- und Umweltgeschichte werden bisher kaum thematisiert. Von einem Freilandmuseum können regionalgeographische Forschungen ausgehen und angeregt werden, zum Teil auf der Grundlage der vorhandenen Dokumentation wie auch verknüpft mit projektbezogenen Fragestellungen, die in die museale Präsentation, besonders auch im Rahmen von Sonderausstellungen oder Tagungen eingehen. Ein wesentliches Medium der Veranschaulichung der sied-
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V. Der Anwendungsbezug in der historischen Geographie
lungs- und landschaftsgeschichtlichen Sachverhalte sind sicher Karte, Luftbild, Foto und Diagramm, aber auch das Landschaftsmodell und das Landschaftsobjekt im Museumsgelände bedürfen einer fundierten wissenschaftlichen Grundlagenforschung. Die Einrichtung Freilandmuseum kann und sollte auch aus sich heraus aktive Beiträge leisten zur praktischen Denkmal- und Landschaftspflege wie auch zum Naturschutz draußen in der Landschaft selbst.29 Die Museumslandschaft des Freilandmuseums bietet sich an als Übungs- und Experimentierfeld, eine umfangreiche Dokumentation ist verfügbar nebst einem praxisnahen Fachverstand, die notwendigen Einrichtungen als Schulungsstätte und Lehrwerkstatt sind gegeben. Initiativen dieser Art sind produktiver – gerade auch für das Museum selbst – als das Angebot konsumorientierter Veranstaltungen, die im Kontext der Vermittlung natürlich auch ihre Berechtigung haben können. In besonderem Maße bietet sich eine landschaftspflegerische Mitwirkung auch auf dem gesamten Gebiet der Umweltbildung an, allerdings nur dann, wenn auf diesem Feld in der Museumslandschaft auch ein sichtbarer Vermittlungsbeitrag geleistet wird. 7. Schlußbetrachtung Hinter einem zunehmenden und gezielt zu fördernden Landschaftsbezug in der konzeptionellen Ausrichtung von Freilandmuseen stehen ein allgemeines wachsendes öffentliches Bemühen um die Kulturlandschaft, ein erhaltender Ansatz einer nachhaltigen Entwicklung der Landschaft und ihrer Ressourcen, eine bewußte Ausweisung und Förderung regionaler Schutzgebiete und Reservate und ein Werben um regionale Initiativen, auf der Grundlage der bewußten Anregung eines Regionalbewußtseins. Objekte sind in einen räumlichen Zusammenhang zu stellen, räumliche Prozesse und Beziehungsgefüge werden als wesentliche Elemente in der Umwelt des Menschen gesehen. Es ist in der heutigen Gesellschaft auch ein deutlicher Verlust an räumlicher Wahrnehmung und Beziehung zu erkennen, den es aufzufangen gilt durch eine bewußte landschafts- und raumbezogene Bildung, durch einen Bezug zur Umwelt. Zugleich wird mit dem Landschaftsbezug auch die Vergangenheit nicht dem Heute gegenübergestellt oder nostalgisch und folkloristisch künstlich produziert, sondern in der uns umgebenden und entwicklungsgeschichtlich näherzubringenden heutigen Landschaft sind Vergangenheit und Gegenwart integrierte Bestandteile, die historische Dimension ist in der heutigen Landschaft zu erkennen, worauf hinzuführen ist. Mit diesem entwicklungsgeschichtlichen, die historische Zeitlichkeit, Zuordnung und Schichtung landschaftsräumlicher Zusammenhänge herausstellenden Ansatz kann auch dem ahistorischen Phänomen der Musealisierung der Gegenwart 29 Vgl. als Beispiel: Jürgen Knauss, Der Beitrag der Freilichtmuseen zum Kulturlandschaftsschutz und zur Naturschutzbildung. In: Naturschutz und Naturpark, 147 (1992), S. 16–23. Erwin Heck, Möglichkeiten der Kooperation von Denkmalpflege, Hausforschung und Freilichtmuseen. In: Jahrbuch für Hausforschung, 41 (1993), S. 21–26.
4. Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum
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und Konstruktion der Vergangenheit30 entgegengetreten werden. Geschichtlichkeit kann kein Konstrukt in der gegenwärtigen Lebenswelt sein, sondern ist als ein zeitliches Nacheinander zu erfahren, anschaulich gemacht in den Zeugen und historischen Landschaftselementen, die überdauert haben und als „Erbe“ zu pflegen und zu erschließen sind. Mit einem konkreten Landschaftsbezug und der Verknüpfung der Museumslandschaft mit gegebenen historischen Landschaftselementen bis hin zu pflegerischen erhaltenden Landschaftsentwicklungen gewinnt das Freilandmuseum an Bedeutung als regionales Interpretationszentrum einer Kulturlandschaft, in dem für einen bewahrenden Umgang mit dieser Kulturlandschaft sensibilisiert und gebildet wird. Diese Aufgabe können Freiland und Landschaftsmuseen jedoch nur erfüllen, wenn sie nicht zu historisch-nostalgischen und folkloristischen Veranstaltungskulissen absinken und damit ihren Dokumentations- und Bildungsauftrag vernachlässigen. Ein gesellschaftspolitisch gefordertes Regionalbewußtsein kann nur aus räumlich-historischen Bezügen heraus tragfähig sein.
30 Wolfgang Zacharias (Hrsg.), Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Vergangenheit, Essen 1990.
AUSBLICK: AUSWAHL DER BEITRÄGE, FORSCHUNGSANSÄTZE UND FORSCHUNGSENTWICKLUNG Dietrich Denecke Dieser Auswahl von Beiträgen liegt der Gedanke zugrunde, zu wesentlichen allgemeinen Bereichen der Historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung Übersichten, Perspektiven und methodische Ansätze zu präsentieren, die in den vergangenen dreißig Jahren verfolgt worden sind und die auch in weiterer Zukunft von tragender Bedeutung für diese geographische Teildisziplin sein werden. Zusammenfassungen des jeweiligen Forschungsstandes, stets auch in einem interdisziplinären Zusammenhang (Archäologie – Geschichte – Geographie), sowie Perspektiven weiterer Forschungsentwicklungen sind allen Beiträgen immanent. Deutlich werden Wandlungen in den Problemstellungen, Zielsetzungen und Arbeitsschwerpunkten, anregend mögen vielseitige weiterführende Problemstellungen und Arbeitsaufgaben sein, die auch heute noch keineswegs genügend aufgegriffen oder in regionaler Breite ausgeführt worden sind. Der zeitliche Rahmen der Arbeitsfelder ist vom Mittelalter bis zur Gegenwart gespannt. Eine durchgehende Perspektive ist die Landschaftsbezogenheit. Nebeneinander stehen klassische Betrachtungsweisen der historischen Kulturlandschaftsforschung sowie Aufgabenbereiche einer anwendungsbezogenen Forschungsarbeit, die für die Planung und Landschaftspflege wissenschaftlich fundierte Grundlagen schaffen können. Zu ergänzen wären Bereiche der historisch-geographischen Umweltforschung, der Historischen Wirtschaftsgeographie und der Historischen Sozialgeographie sowie die Historische Geographie in der Landeskunde. Aus den vielseitigen Arbeitsfeldern der Historischen Geographie, die im Gesamtwerk des Autors vertreten sind, kann diese Zusammenstellung nur Ausschnitte bieten, die aber durch ihren durchweg breit angelegten Überblickscharakter oder eine gewisse Schlüsselstellung im Entwicklungsgang der Forschung einen Zusammenhang bieten, der durchaus einen abgerundeten Einblick in die Historische Geographie in Deutschland zu vermitteln vermag. Für manche Zusammenhänge sei auf benachbarte wie auch insgesamt ergänzende Arbeiten aus dem Literaturverzeichnis hingewiesen, mit dem Bestreben hineinzuführen in die vielfältigen Wege der allgemeinen und neueren Forschung, auch über die Grenzen Deutschlands hinweg (Butlin 1993, Earle 1996, Gebhardt 2003). Die Historische Geographie wird hier zwar im Sinne einer Teildisziplin fachwissenschaftlich in die Geographie eingeordnet, übergeordnet wird sie jedoch durchgehend als ein interdisziplinärer Betrachtungsansatz verstanden. Somit werden auch immer wieder besonders die archäologischen und historischen landschaftsbezogenen Forschungen in die Siedlungszusammenhänge mit einbezogen. Ein möglicher Betrachtungsansatz, wie er auch in den Beiträgen dieses Bandes angestrebt wird, führt dazu, eine größere Zahl von „Historischen Geographien“ mit verschiedenen
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Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
Sachinhalten und Zielsetzungen zu definieren und zu verfolgen (vgl. hierzu: Graham/Nash 2000). Alle Beiträge kommen aus dem Zusammenhang der historisch-geographischen Forschung in Deutschland. Manche Zielrichtungen im Forschungsansatz weisen aber auch Beziehungen zu internationalen Betrachtungsansätzen auf, die hier und da anregend aufgegriffen worden sind, ohne jedoch den eigenen Entwicklungsgang der Forschung in Deutschland grundlegend zu verlassen. Die Historische Geographie war zwar bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland mit einem vergleichsweisen Vorsprung vertreten, aber selbständig entwickelt hat sich diese Forschungsrichtung erst seit den fünfziger Jahren, gleichzeitig mit der Historischen Geographie besonders in England, Nordamerika, Skandinavien und Frankreich. Aus der allgemeinen Siedlungs- und Landschaftsgeographie erwachsen war die Historische Geographie in Deutschland pragmatisch, landschaftsbezogen und geländeorientiert. Sie widmete sich formtypologischen und genetischen Themen. Sie war auf die Entwicklung der Kulturlandschaft ausgerichtet. Vor allem H.-J. Nitz (1974,1986) wie auch H. Hildebrandt (1994, 2003) haben die form- und typogenetische Analyse von Siedlung und Flur, wie sie zuletzt M. Born (1977) systematisch durchgeführt hatte, bis in jüngste Zeit weiterverfolgt. Neuere Ansätzen sind in den Arbeiten von H. Krawarik (2002) zu finden. Die Analyse und Darstellung der Kulturlandschaftsentwicklung waren eine grundlegende Fragestellung von H. Mortensen, H. Jäger und H. Uhlig, die mit dem Rückgang landeskundlicher Arbeit in der Geographie weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Diese Phase der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung ist in dem Werk von H. Jäger (siehe Denecke Beitrag I, 1 ) repräsentativ vertreten, während die folgende interdisziplinäre Entwicklung bis hin zur historischen Umweltforschung und zur anwendungsorientierten Historischen Geographie sehr wesentlich aus der Arbeit des „Arbeitskreises für genetische Siedlungsforschung“ hervorgegangen ist. (Kleefeld/Burggraaff 1997, Fehn 2000, Schenk 2000, Rückert 2000, Kleefeld 2000, Denecke 2001(d), Zölitz-Möller 2001, Bergmann 2001. Eine Historische Geographie der Umwelt ist innerhalb des Faches der Geographie wie auch im interdisziplinären Zusammenhang gezielt weiter voranzubringen (vgl. Jäger 1994, Bruckmüller 2000, Schenk 2003 Denecke 1995a, und zwar in beiden Hauptrichtungen der Umweltgeschichte, der historisch-technikgeschichtlichen (neuzeitlich), auf schriftlichen Belegen beruhend, und der naturwissenschaftlich-landschaftsgeschichtlichen (langzeitlich), indirekte Daten und Belege erschließend. Der historisch-geographische Beitrag läge besonders in der Verfolgung des Beziehungsgefüges von Mensch und Natur in der Landschaftsentwicklung bzw. in landschaftsräumlichen Prozessen. In die Wiederbelebung landeskundlicher Forschung und Darstellung (Aschauer 2001) ist die historische Dimension einzubringen, im Zuge der Perspektive einer Zeitschichtung der Kulturlandschaft (zeitliche Querschnitte, entwicklungsgeschichtliche Komplexität), mit der Perspektive der Landschaftsdynamik des Wandels, der Auswirkung von Ideologien in der Siedlungslandschaft (Denecke 1992(f), 2002(f), 2003(b), 2005(a), 2005(c), der Landschaftswahrnehmung und Landschaftsinterpretation (Denecke 2004b) sowie auch einer historisch-geographischen Anwendungs-
Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
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orientierung (Kulturlandschaftspflege). Historische Landeskunde ist aber auch wissenschaftlich fundiert populär zu vermitteln, wie dies neuere Beispiele zeigen (Küster 1995, Aalen u.a. 1997, Denecke 2002d). Dürftig ist in der deutschen Historischen Geographie der Beitrag an Prozessanalysen im Beziehungsgefüge von Raum und Zeit, an theoretischen und strukturierenden Ansätzen, die unter anderem schon lange und gerade jetzt erneut vor allem von historischer und sozialpolitischer Seite in die Diskussion gebracht werden (Harvey 1990, Jackson 1994, Osterhammel 1998, Schlögel 2003). Bei der praxisorientierten Forschung und Lehre in Deutschland ist allerdings in absehbarer Zeit kaum ein breiterer Aufschwung im Bereich einer theoretisch-philosophischen Grundlegung Historischer Geographien zu erwarten. Über die Weiterentwicklung mancher bisheriger Arbeitsfelder hinaus liegen einige bislang noch kaum aufgegriffene neue Zukunftsaufgaben historisch-geographischer Betrachtungsweisen in raumbezogenen Quellenaufarbeitungen mit EDV und GIS, in historisch-geographischen Vermittlungen in Medien (Film, Fernsehen u.a.), in Vorstellungen und Simulationen historischer Orte und Landschaften (Agnew/Duncan 1989, Barnes/Duncan 1992, Gregory 1994, Hayden 1995, Howe/Wolfe 2002), in Untersuchungen von Erinnerungsräumen (Assmann 1999) sowie in virtuellen Präsentationen. Grundlegend für eine historisch-geographische Betrachtung ist neben der Rekonstruktion und Analyse von Altlandschaften (zeitliche Querschnitte der Kulturlandschaftsgeschichte) die Verfolgung der Dynamik und des Wandels der Kulturlandschaftsentwicklung. Eine dieser besonders raumwirksamen Entwicklungsphasen im mitteleuropäischen Raum ist die Epoche des spätmittelalterlichen Wüstungsprozesses, der sich die geographische Forschung in den 1950er und 60er Jahren in Deutschland in besonderer Weise angenommen hat. Von der allgemeinen Fragestellung her lassen sich drei Bereiche der Wüstungsforschung unterscheiden: 1. Die Wüstungsforschung als Strukturforschung – vornehmlich von der siedlungsarchäologischen Forschung aus (Fehring 1987, Bergmann 2001, Ettel u.a. 2002, Denecke 1975), gerichtet auf die früh bis spätmittelalterlichen Siedlungsstrukturen (Denecke 1994g), 2. die Wüstungsforschung als Prozessforschung, d.h. die historisch-geographische Forschung zu den Ursachen und Auswirkungen des spätmittelalterlichen Wüstungsvorganges (Denecke Beitrag II, 1) sowie 3. die Wüstungsforschung als Folgeforschung, die Untersuchung späterer Vorgänge im Zusammenhang mit dem Wüstfallen von Siedlungen und Fluren (Nachnutzungen, Tradieren von Nutzungsrechten, Wiederbesiedlung u.a.). Am wenigsten verfolgt wurde bisher die Folgeforschung, obgleich diese Vorgänge in die Neuzeit führen und weiter in die heutige Kulturlandschaft, was gerade für die geographische Forschung eine besondere Herausforderung ist. Andere Epochen des Kulturlandschaftswandels oder -umbruchs sind die Zeit der Industrialisierung oder der Nachkriegszeit, die mit dem Rückgang landeskundlicher Forschungsansätze in der deutschen Geographie im Rahmen einer historisch-geographischen Landeskunde nur in geringem Maße aufgegriffen worden sind. Die Siedlungs- und Kulturlandschaftsforschung ist im interdisziplinären wie auch im internationalen Kontext in besonderer Weise angewiesen auf eine einigende Fachterminologie. Der international erarbeitete terminologische Rahmen der
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Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
Agrarlandschaft (Uhlig/Lienau 1967 und 1972) hat hier eine erste Grundlage geschaffen, der jedoch keine weitere systematische Arbeit gefolgt ist. Am Beispiel der Terminologie von Flurparzellierungen und ihren Geländerelikten (Denecke Beitrag II, 2; vgl. auch: Baker/Butlin 1973, Klamm 1993; Verhulst 1995) oder auch der einzelnen Begriffe Stadt, Stadtkern oder Stadtkernforschung (Johanek/Post 2003, Denecke 1973 und 1987h) lässt sich zeigen, wie fruchtbar gerade auch für eine gezielte Forschungsperspektive eine systematische Analyse der benutzten Begrifflichkeiten sein kann. Entscheidend im historisch-geographischen Zusammenhang ist dabei vor allem auch die Berücksichtigung von Entwicklungsvorgängen und zeitlichen Zuordnungen, um nicht nur statisch zu beschreiben, sondern auch Wandlungsprozesse terminologisch fassen zu können. Zur fachterminologischen Forschung in der Historischen Geographie ist in jüngerer Zeit kaum mehr etwas beigetragen worden. Wie konfus auch das fachwissenschaftliche Selbstverständnis werden kann durch eine allgemeine, von verschiedenen Seiten kommende Übernutzung traditioneller geographischer Begriffe zeigt die Inflation und das gegenwärtige Ringen um den Begriffsinhalt von „Landschaft“ und „Kulturlandschaft“ (Schade 2000, Schenk 2002), das auch in Gesetze und Verordnungen eingehend, zu weitreichenden Mißverständnissen führen kann. Den Steuerungsfaktoren raumwirksamer Prozesse von Entwicklung und Wandel in der Kulturlandschaft ist mit historisch-geographischen Perspektiven gezielte Aufmerksamkeit zu widmen, bei einer bewussten Pflege einer treffenden Fachterminologie. In der Siedlungs- und Kulturlandschaftsforschung nimmt die Historische Geographie der Stadt eine besondere Stellung ein, weil in ihr die Geschichtlichkeit unseres Lebensraumes besonders anschaulich wird (Carter 1983, Vance 1990, Lichtenberger 1991, Morris 1994, Heineberg 2001, Denecke 1984a, 1988b, 1988g, 1988j). Zugleich aber werden auch mit der Stadt die vielfältigen Fragestellungen deutlich gemacht, die an dieses differenzierte Siedlungsgebilde heranzutragen sind. Was macht geographisch eine Stadt aus (Denecke Beitrag III, 1), aus welchen Siedlungskernen konnte sich eine Stadt entwickeln (Denecke 1987h), wie lässt sich die geographische Gesamtheit einer Stadt historisch-geographisch darstellen (Denecke Beitrag III, 2) und welche Eigenständigkeit entwickeln ihre Quartiere in ihrem Wandel (Denecke 2004b), in welcher Weise sind die sozialen Strukturen einer Stadt auch in historischer Entwicklung topographisch ausgeprägt (Denecke Beitrag III, 3, Denecke 1980a, 1980b, 1980d, 1988h)? Fragestellungen dieser Art lassen beispielhaft die Vielfalt von Untersuchungen erkennen, die zur Erforschung der historisch gewordenen Stadt führen. Der Zusammenhang zwischen einer sozialhistorisch ausgerichteten Stadtgeschichte und der Stadtgeographie ist besonders greifbar ausgeprägt in der Problemstellung der sozialräumlichen Gliederung und Sozialtopographie der Stadt, die sich auf statistischer Grundlage, heute auch mit Hilfe der EDV für belegte Zeitschnitte, vor allem der frühen Neuzeit, erarbeiten lässt. Damit wird ein sozialhistorischer Aspekt eingebracht, der in Deutschland im Vergleich zu der internationalen Historischen Geographie nur wenig entwickelt ist. Die deutsche Historische Geographie hat die Raum- und Landschaftsbindung kaum verlassen, was den Zugang zur anwendungsbezogenen Arbeit öffnete, während im internationalen Diskurs sozialge-
Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
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schichtliche, philosophische und raumpsychologische Perspektiven führend geworden sind (Cosgrove 1984, Simms 2004). In der Stadtgeographie ist die Forschung weitgehend auf Aspekte von Planung und Entwicklung der modernen Stadt konzentriert. Es wäre wünschenswert, in diese beiden Arbeitsrichtungen eine historisch-geographische Perspektive und Problemorientierung einzubringen, um damit die raum-zeitliche Dimension deutlich zu vertreten, die für die historisch gewordene Stadt grundlegend ist. Besonders hervortretende Forschungsfelder der jüngeren Zeit sind die weitergeführte historische Stadtmorphologie (Slater 1990, Whitehand 1992) mit der in Birmingham angesiedelten Urban Morphology Group und der Zeitschrift Urban Morphology, die Planungsgeschichte mit der in Leicester angesiedelten International Planning History Society mit der Zeitschrift Journal of Planning History, die historische Sozialtopographie (Meinhardt/Ranft 2004), Umweltprobleme in der historischen Stadt und auch der Stadtumbau im Rahmen von Sanierungen. Für die historisch-geographische Perspektive ist auf diesen Gebieten ein aktueller Forschungsbedarf. Diese Aufgaben sollten aber auch unter bisher noch kaum untersuchten, aber sehr wesentlichen und auch aktuellen Fragestellungen aufgegriffen werden. Dazu gehören städtische Entwicklungskerne (Denecke 1987h), die Historische Geographie städtischer Zentralität (Zimmermann 2001; Denecke 1973, 1976b), 1978b, 1985a), die Verfügbarkeit und Auswirkung von Kapital in der baulichen und infrastrukturellen Entwicklung der Stadt (Denecke 2001b), innerstädtische Gliederung oder Quartiersbildung (Denecke 2004b) wie auch die innerstädtische Mobilität der Bevölkerung (Denecke 1987a). Die Geschichte des Verkehrs und die Altstraßen in der Kulturlandschaft sind ein besonderes Feld der Historischen Wirtschafts- und Verkehrsgeographie, neben der Historischen Agrargeographie (Ennen/Janssen 1979, Henning 1994, Lüning 1997, Becker 1998) und der Historischen Industriegeographie (vgl. hierzu auch einige Beiträge besonders zum Bergbau (Denecke 1978c, 1992d, 1992i, 1993b, 2001c, 2002b), die in diesem Band nicht mit einem Beitrag vertreten sind. Gerade die Altstraßenforschung ist ein Arbeitsfeld, mit dem die historisch-geographische Fragestellung besonders vielseitig verbunden ist. Mit dem historischen Netz der Verkehrswege und den Geländerelikten ihrer alten Trassen sind die Altstraßen ein wesentliches verknüpfendes Kulturlandschaftselement, mit dem die Aufgabe einer historisch-geographischen Bestandsaufnahme durch Gelände- wie Archivarbeit sowie einer historischen Aufarbeitung verbunden ist (Denecke 1969, 1979b, 1987d, 1996c; Denecke Beitrag IV, 2). Zudem ist über die Rekonstruktion der historischen Verkehrslandschaft hinaus auch eine Umsetzung der Inventarisation und der historischen Erschließung gefragt. Es geht um die Integration alter Wegezüge in das Wanderwegenetz und damit in Verkehrsplanungen und touristische Nutzungen. Spezielle Forschungsprojekte wie auch Tagungen, Vereinigungen wie die Institution „Via storia – Zentrum für Verkehrsgeschichte“ in Bern in der Schweiz als Nachfolgeinstitution des über 20 Jahre durchgeführten „Inventars historischer Verkehrswege der Schweiz“ (IVS) oder auch die „Arbeitsgemeinschaft Ochsenweg e.V.“ und letztlich manche grundlegende Regionalstudie der jüngeren Zeit zeigen, dass sich die Altstraßenforschung als eine
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Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
eigenständige interdisziplinäre Forschungsrichtung etabliert hat, mit allgemeinen und regionalen Forschungszielen wie auch anwendungsbezogenen Aufgaben (Egli u.a. 1997, Knauss 2000; Kuba/Zavfiel 2001; Hofinger 2002). Trassen früher Fernverbindungen werden im Bereich ihrer oft eindrucksvoll erhaltenen Relikte in ihrer historischen Bedeutung hier und da wiederbelebt, wie zum Beispiel die Via regia in Thüringen, die alte Salzstraße nach Lübeck, der Ochsenweg in Schleswig-Holstein und Jütland, der Stockalperweg im Ecomuseum Simplon, womit Verkehrsgeschichte in der Landschaft, zum Teil mit Vereinsinitiativen, erlebbar gemacht wird. Im Vergleich zur landschaftsgebundenen Altstraßenforschung ist die Geschichte des Verkehrs selbst von historisch-geographischer Seite kaum aufgegriffen worden. Dabei sind allgemeine wie auch regionale Fragen der Raumüberwindung, der Verkehrsspannungen wie auch der Verkehrsnetze im Siedlungsraum in ihrem historischen Wandel und ihren Steuerungsfaktoren ein weitreichendes Arbeitsfeld, wie dies der Beitrag zur Entstehung von Verkehr als Beispiel zeigen mag (Denecke Beitrag IV, 1). Äußerst fruchtbar ist auch der geographisch-landeskundliche Aspekt in der Auswertung früher Reiseberichte mit dem Ziel der Erschließung regionaler historischer Kulturlandschaftszustände, einer historischen Analyse von Landschaftswahrnehmung wie auch der Erkenntnis zu Reiseorganisation und erfahrener geographischer Information während der Reise (Denecke 1983g, 1986b, 1992h, 2002c). Hierher gehören letztlich auch Fragen der Kommunikationsgeschichte, die in jüngerer Zeit zunehmend von historischer Seite aufgegriffen werden. Nicht vertreten in diesem Band ist ein Beitrag zur historischen Wirtschaftsgeographie, obgleich diese in der historisch-geographischen Kulturlandschaftsforschung einen wesentlichen Bereich ausmacht. Die historische Agrargeographie hat einen grundlegenden Beitrag zur Agrargeschichte geleistet (Henning 1994, Becker 1998), in der sie auch mit Fragen der agraren Siedlung, der Flurgenese und historischen Flurrelikte, der Anbausysteme (Hildebrandt 1989) wie auch der agraren Innovations- und Diffusionsprozesse (Henning 1975, Windhorst 1983, Denecke 1976a) einen zentralen Aspekt ausmacht. Wenn es um die gewerbliche Wirtschaft geht, macht die Inventarisation, Rekonstruktion, Umnutzung wie auch touristische Inwertsetzung früher Bergbaulandschaften einen bedeutenden Teil historisch-geographischer Forschung aus (Fehn/Wehling 1999, Denecke 1970c, 1978c, 1992d, 1992i, 1993b, 2001c, 2002b), neben führenden Forschungsprojekten von montanhistorischer (Gerhard u.a. 2001) und montanarchäologischer Seite (Koschik 2002). Historisch-geographische Untersuchungen der Auswirkungen der wirtschaftlichen Eingriffe in die Landschaftsentwicklung und in den Naturhaushalt führen letztlich auch in den Bereich umweltgeschichtlicher Folgen (Bayerl 2003, Siemann 2003, Denecke 1995a,), ein Forschungsfeld, an dem die Historische Geographie mit den letzten zehn Jahren gezielt beteiligt ist. In den 1980er und 90er Jahren hat sich die Historische Geographie – besonders in Deutschland – einer anwendungsbezogenen Arbeit zugewandt, für eine Landschaftsplanung und Kulturlandschaftspflege (Schenk/Fehn/Denecke 1997, Dix 1997). Sehr deutlich lässt sich die Entwicklung der Aufgabenstellungen und Zielsetzungen in dieser Zeit verfolgen (Denecke Beitrag V, 2; Denecke 1972, 1981a, 1982b, 1985d, 1997a, 2000, 2002b, 2003a), vor allem der Weg von der wissen-
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schaftlich ausgerichteten historisch-geographischen Landesaufnahme zur anwendungsorientierten Inventarisation von Kulturlandschaftselementen für die Planung bis hin zu einem Kulturlandschaftskataster. Bestandsaufnahmen und ihre Aufbereitung für eine Umsetzung in der Landschafts- und Denkmalpflege machen einen wesentlichen Schwerpunkt der auf die großräumige ländliche Kulturlandschaft bezogenen Arbeit aus. So ist eine Umsetzung anwendungsbezogener Grundlagenforschung auch weit gefächert auf verschiedenste praktische Bereiche bezogen. Die Stellung der historisch-geographischen Stadtforschung in der Denkmalpflege (Denecke Beitrag V, 3; Denecke 1988i) oder die Vermittlung der historischen Kulturlandschaftsentwicklung im Freiland und Landschaftsmuseum (Denecke Beitrag V, 4; Denecke 1992e, 1994a, 1994b, 1994c) sind zwei Beispiele größerer Tätigkeitsbereiche neben einschlägigen Fachbeiträgen für die Dorferneuerung (Denecke 1981a), für Stadtumbau, Sanierung, Umnutzung und Rekultivierung, für Nationalparks und Schutzgebiete, für Landschaftsführer und Wanderkarten. Besonders hier ist die Aufgabe gestellt, in interdisziplinärer Kooperation und im Verein mit öffentlichen Aufgaben und Institutionen auf Forschungsergebnissen beruhende Teilbeiträge zu leisten, die den historisch-geographischen Betrachtungsansatz einbringen. Anwendung und Umsetzung beziehen sich aber auch auf Vermittlung und Darstellung historisch-geographischer Sachverhalte in Karten, Atlanten, Landeskunden, Stadtbeschreibungen und Medien verschiedenster Art, die in Betrachtungsansatz, Konzeption und Darstellung auch wissenschaftlich methodisch weiter zu entwickeln sind, wobei darauf hingewiesen werden kann, dass eine anwendungsbezogene Landeskunde schon eine weit zurückreichende Geschichte hat (Denecke Beitrag V, 1). Viele in diesem Band enthaltene Beiträge sind mit ausführlichen Literaturverzeichnissen versehen, was für weitere Arbeiten zum Thema hilfreich sein mag. Einschlägig zur historisch-geographischen Siedlungsforschung ist die für die Zeit von 1983 bis 2002 in der Zeitschrift Siedlungsforschung laufend geführte „Bibliographie zur europäischen Siedlungsforschung“ für die Bereiche der Archäologie, Geschichte und Geographie (Denecke/Fehn/Burggraaff 1983–2002). Die Aufsätze in diesem Band und manche jüngeren Berichte (Döpp 2000, Darby 2002) mögen einen Beitrag dazu leisten, die Forschungen auf dem Gebiet der Historischen Geographie und Kulturlandschaftsforschung der letzten dreißig Jahre zu erschließen. Literatur Literaturangaben, die sich auf Dietrich Denecke beziehen, sind in dem Gesamtverzeichnis seiner Veröffentlichungen am Ende dieses Sammelbandes enthalten. Aalen, F.H.A., Whelan, K., Stout, M. (eds): Atlas of the Irish rural landscape. Cork 1997. Agnew, J.A., Duncan, J.S. (eds.): The power of place: Bringing together geographical and sociological imaginations. Boston 1989. Altertumskommission für Westfalen (Hrsg.): Wege als Ziel. Kolloquium zur Wegeforschung. Münster 2002 (Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen, 13). Arbeitshefte: Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft. Naturraum – Mensch – Umwelt im Harz. Hameln 2000 (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 21).
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Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
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Ausblick: Auswahl der Beiträge, Forschungsansätze und Forschungsentwicklung
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ÜBER DIE GRENZEN DEUTSCHLANDS HINWEG: EIN GESPRÄCH MIT DIETRICH DENECKE Anngret Simms Wenn Historische Geographen weite Strecken zurücklegen, dann handelt es sich meistens um eine Reise in die Vergangenheit. Dietrich Denecke verbindet beides: Reisen über die Grenzen Deutschlands hinweg und das Aufspüren vergangener Landschaften in entfernt liegenden Ländern. ,Permanent European Conference for the Study of the Rural Landscape‘ Ich begann unser Gespräch am grünen Kachelofen im Haus der Denecke-Familie in Göttingen mit der Frage, was den Anstoss für die Arbeit mit geographischen Themen im Ausland gegeben habe? Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass es in Irland begonnen hatte. Die internationale Gruppe der Permanent European Conference for the Study of the Rural Landscape traf 1971 zum sechsten Symposium in Belfast zusammen. Es war politisch eine schlechte Zeit für Belfast und abends hörte man auf dem Gelände der Queen’s University das Echo der explodierenden Bomben in der Stadt. Hans-Jürgen Nitz hatte den damaligen Assistenten am Geographischen Institut der Universität Göttingen eingeladen, in Belfast einen Vortrag zu halten. Unter dem Einfluss von Torsten Hägerstrands Lehre von innovation and diffusion in der Geographie entschloss Dietrich Denecke sich, über die Verbreitung der Kartoffel in Mitteleuropa im 17. und 18. Jahrhundert zu reden. Daraus wurde ein später viel zitierter Aufsatz, der unter dem Titel Innovation and diffusion of the potato in Central Europe in the seventeenth and eighteenth centuries veröffentlicht wurde.1 An der Belfaster Konferenz nahmen neben anderen Kollegen auch Elisabeth Gottschalk aus Amsterdam und Robin Butlin teil, der damals noch Dozent in Dublin war. Mit diesen beiden Kollegen begann Dietrich Denecke eine kollegiale Freundschaft. ,Deserted Medieval Research Group‘ Ein nächster Kontakt mit den Britischen Inseln ergab sich durch einen Besuch bei John Hurst in London, der durch seine Ausgrabungen der Wüstung Wharrem Percy in Yorkshire und durch das gemeinsam mit Maurice Beresford herausgegebene Buch über Deserted Medieval Villages, (London, 1971) bekannt geworden war. Da Diet1
In: Buchanan, R.H., Butlin, R.A. and D. McCourt, Hrgs.: Fields, Farms and Settlements in Europe, Belfast, 1976, pp. 60–96.
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Über die Grenzen Deutschlands hinweg
rich Denecke selber Kartierungen von Wüstungen in den Wäldern um Göttingen durchgeführt hatte, wo er auch einen Dorfbrunnen ausgrub, hatten sich die beiden Wüstungsforscher viel zu sagen und der Gedankenaustausch zog sich über viele Jahre hinweg. Dietrich Denecke übernahm es, für die Annual Research Reports der Deserted Medieval Village Group in England kurze Berichte über die jährlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Wüstungsforschung in Deutschland zu schreiben.2 Dadurch wurden den Fachkollegen in England deutsche Arbeiten zugänglich. ,Working Group on Historical Changes in Spatial Organisation‘ und ,International Congress of Historical Geographers‘ Die Arbeitsgruppe ,On Historical Changes in Spatial Organisation‘ wurde von der Internationalen Geographischen Union (I.G.U.) gegründet. Wahrend der acht Jahre ihres Bestehens tat sie viel, um die internationale Zusammenarbeit zwischen historischen Geographen zu fördern. Im Jahre 1977 lud Alan Baker im Rahmen dieser Arbeitsgruppe historische Geographen aus aller Welt nach Cambridge ein, wo sie im Emanuel College tagten. Bei dieser Gelegenheit sprach Dietrich Denecke über die wachsende Bedeutung der angewandten Historischen Geographie, als dieses Thema ein noch weithin unerforschter Bereich war. Dieser Beitrag wurde in dem 1982 erschienenen Sammelband mit dem Titel Period and Place veröffentlicht.3 Besonders anregend war für Dietrich Denecke auch der Kontakt mit historischen Geographen, denen er im Rahmen des ,International Congress of Historical Geographers‘ begegnete. Im Jahre 1986 reiste er zu einer dieser Konferenzen nach New Orleans/Baton Rouge (U.S.A). Drei Jahre später, 1989, folgte die Konferenz in Jerusalem (Israel), wo er einen Vortrag hielt über: ,Ideology in the planned order upon the land: The example of Germany‘.4 Darauf folgte das Treffen in Vancouver (Kanada) im Jahre 1992, wo er über Umbrüche in der Kulturlandschaft sprach. Die nächste Konferenz dieser Gruppe, die Denecke besuchte, fand 2001 in Quebec (Kanada) statt.
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Denecke, D., ,Medieval village research group in Germany, 1977–1980‘. In: Medieval Village Research Group, 29th annual report, London, 1981, S. 31–36 Denecke, D., ,Medieval village research in Germany, 1982–83‘. In Medieval Village Research Group, 31st annual report, London, 1983, S. 33–39 Denecke, D., ,Medieval village research in Germany, 1984–85‘. In Medieval Village Research Group, 33rd annual report, London, 1985, S. 28–35 Denecke, D., ,Applied historical geography and geographies of the past: historico-geographical change and regional processes in history‘. In: Baker, A.R.H. and M. Billinge, Hrsg., Period and Place. Research methods in Historical Geography, (Cambridge Studies in Historical Geography), Cambridge, 1982, S. 127–135 und S. 332–338. Dieser Vortrag wurde in dem folgenden Sammelband veröffentlicht: A.R.H. Baker and Gideon Biger, Hrsg., Ideology and landscape in historical perspective. Essays on the meanings of some places in the past, (Cambridge Studies in Historical Geography), Cambridge, 1992, S. 303– 329.
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Anglo-Deutsche Seminare zur historischen Stadtgeographie Von erheblicher Bedeutung wurde die Zusammenarbeit mit den historischen Stadtgeographen in England, besonders mit Gareth Shaw in Exeter. Unter der gemeinsamen Initiative von Denecke und Shaw wurden zwei Anglo-Deutsche Seminare zum Thema historische Stadtgeographie durchgeführt. Diese Seminare waren als Parallelveranstaltungen gedacht zu den seit 1957 erfolgreich durchgeführten Kolloquien zur Entwicklung der Agrarlandschaft in Europa (Permanent European Conference for the Study of the Rural Landscape). Denecke und Shaw ging es darum, die Kontakte und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern in der Historischen Geographie zu vertiefen, die viel schwächer waren als die zwischen britischen und französischen oder britischen und amerikanischen Kollegen. Für dieses Anliegen war es von grossem Vorteil, dass durch die Emigration von M.R.G. Conzen aus dem Deutschland der Hitlerzeit der deutsche morphologische Ansatz in der Städteforschung an Conzens Studenten, vor allem Jeremy Whitehand und Terry Slater weitergegeben worden war. Das erste der Anglo-Deutschen Seminare wurde 1982 von Dietrich Denecke in Deutschland organisiert. Es lief unter dem Thema Urban Historical Geography in Britain and Germany. Das Seminar bestand aus Stadtexkursionen, die in Lübeck begannen und in Bonn endeten, und aus einer Reihe von Vorträgen. Das Treffen war so erfolgreich, dass die englischen Kollegen 1983 zu einem Gegenbesuch in Birmingham einluden, wo Jeremy Whitehand und Terry Slater die Gastgeber waren. Wiederum standen die Stadtexkursionen im Mittelpunkt des Treffens, so dass der Begriff ,moving conference‘ aufkam. Aufgrund der weiten Berichterstattung müssen diese Konferenzen eine grosse Breitenwirkung gehabt haben.5 Trotz der Unterschiede im Städtesystem zwischen den beiden Ländern, die hauptsächlich historische Gründe haben, bemühte man sich immer wieder um vergleichende historisch-geographische Betrachtungen. Dabei wurde es zunehmend klar, dass für eine vergleichende historische Stadtgeographie das wichtigste ist, vergleichbare Fragen in einer vergleichbaren Art und in einer vergleichbarer Terminologie zu stellen.6
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G. Shaw und B. Graham, ,Historical Geography on the move‘. In: Area, 15, 2, 1983, S. 135–6; D. Denecke, ,Historische Stadtgeographie. Bericht über das deutsch-englische Symposium vom 19–26 September 1982‘. In: Siedlungsforschung, 1, 1983, S. 245–8; C. Erdmann, ,Anglo-German Symposium on urban historical geography‘. In: Journal of Historical Geography, 9,1, 1983, S. 65–7; Berichte über das zweite Treffen von G. Shaw und D. Denecke, ,Historical Geography moves on‘. In: Area, 16, 1, 1984, S. 129–30; T. Slater, ,Second Anglo-German seminar on urban historical geography‘, in: Journal of Historical Geography, 10, 1, 1984, S. 77–8; H. Heineberg, ,Historische Stadtgeographie. Bericht über das ,Second Anglo-German Seminar on Urban Historical Geography‘ vom 11.–18. September, 1983.‘ In: Siedlungsforschung, 2, 1984, S. 259–62 Zu dem gleichen Ergebnis sind H.B. Clarke and A. Simms in dem Abschlusskapitel, ,Towards a comparative history of urban origins‘ in dem von H.B. Clarke und A. Simms herausgegebenen Band gekommen: The comparative history of urban origins in non-Roman Europe, British Archaeological Reports, International Series 255, Oxford, 1985, S. 669.
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Der Zielsetzung der beiden Anglo-Deutschen Seminare folgend veröffentlichten Dietrich Denecke und Gareth Shaw 1988 einen Sammelband mit dem Titel Urban Historical Geography: Recent Progress in Britain and Germany (Cambridge Studies in Historical Geography). Dieses Buch ist vergleichend nur in dem Sinne, dass es sich um Überblicke über die wichtigsten Forschungsansätze in den beiden Ländern handelt. Die einzelnen Kapitel mit ihren ausführlichen Bibliographien vermitteln historischen Stadtgeographen Zugang zu den Arbeiten aus dem jeweilig anderen Land. In der Einleitung, die die beiden Herausgeber gemeinsam verfassten, schreiben sie über die Aufgaben in der Zusammenarbeit zwischen englischen und deutschen Kollegen auf dem Gebiet der historischen Stadtgeographie. In dem Beitrag über Deutschland unterstreicht Dietrich Denecke den Wert der empirischen Forschungsarbeit und die Aufgaben der angewandten Historischen Stadtgeographie,7 während Richard Dennis und Hugh Prince für England die Betonung auf die theoretische Untermauerung der stadtgeographischen Studien legen. Damals waren David Harvey, vom marxistischen Standpunkt aus, und Denis Cosgrove, mit dem Blick auf symbolische Stadtlandschaften gerichtet, einflussreich. In einem zweiten Teil widmet sich das Buch historischen Entwicklungsphasen von Städten, wobei auch Archäologen zu Wort kommen. Damit wird die interdisziplinäre Komponente deutlich. Der Band enthält auch Beiträge zur Sozialstruktur der Stadt in vorindustrieller Zeit, wobei Dietrich Denecke damals feststellte, dass im Gegensatz zu Deutschland in England weniger Interesse an der früh-neuzeitlichen Stadt bestehe.8 Die Forschungen der englischen Kollegen hatten einen deutlichen Schwerpunkt auf der Sozialgeographie des 19. Jahrhunderts. Im abschliessenden Teil des Buches stellt M.R.G. Conzen, der in vieler Beziehung der Bezugspunkt für die Kollegen aus den beiden Ländern war, dar, wie wertvoll eine Stadtplan-Analyse für das Verständnis des städtischen Wachstums ist. Diese Gedanken wenden Terry Slater und Gareth Shaw im letzten Kapitel des Buches auf das wichtige Thema conservation planning an. Obwohl es keine weiteren anglo-deutschen Seminare mehr gab, arbeitete Dietrich Denecke weiterhin mit den englischen Kollegen zusammen. Gemeinsam mit Gareth Shaw veröffentlichte er einen Aufsatz über das traditionelle EinzelhandelSystem in Deutschland.9 Im Jahre 1996 organisierte Terry Slater vom Department of Geography an der Universität von Birmingham eine Konferenz zum Thema: ,Towns in decline: 1000–1600.‘ Er lud Dietrich Denecke ein, den Einführungsvortrag zu halten zum Thema: ,Processes of decline and stagnation in the towns of Central Europe.‘ Aufgrund seiner guten Kenntnisse der englischen historischen Geographie konnte er ein sehr detailliertes Referat über die historisch-geographische Siedlungsfor7 8 9
Denecke, D., ,Research in German urban historical geography‘. In: Denecke, D. and G. Shaw, Hrsg., Urban hisorical geography – Recent progress in Britain and Germany, (Cambridge Studies in Historical Geography), Cambridge, 1988, S. 24–33 Das hat sich inzwischen durch die Initiativen von Peter Clark (Leicester, Helsinki) geändert, der 1995 den Band Small Towns in Early Modern Europe herausbrachte, in dem Holger Gräf (Berlin) den deutschen Beitrag lieferte. Denecke, D. and G. Shaw, ,Traditional retail systems in Germany‘. In: Benson, J. und G. Shaw, Hrsg., The evolution of retail systems, c. 1800–1914, Leicester, 1991, S. 76–86
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schung in Grossbritannien in dem Sonderband Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa und seinen Nachbarräumen, 1988 übernehmen. Dabei stellte er fest, dass die Historische Geographie in England sich innerhalb des Faches Geographie deutlich verselbständigt habe.10 Nord-Amerika: Prozesse einer Landnahme Am Anfang seiner akademischen Laufbahn erhielt Dietrich Denecke ein halbjähriges Forschungsstipendium von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen Aufenthalt an der Maryland-Universität in Washington. Dort studierte er die Prozesse einer Siedlungskolonisation, die nicht, wie er es von seinen mitteleuropäischen siedlungsgeschichtlichen Arbeiten her gewohnt war, im Mittelalter abgelaufen waren. Hier konnte er sich bei der Herausarbeitung der Prozesse auf die schriftlichen Quellen konzentrieren und brauchte nicht unbedingt das archäologische Beweismaterial, wie es bei den Studien zur mittelalterlichen Kolonisation in Mitteleuropa notwendig ist. Die Quellen fand er in den Archiven von Maryland und in der Library of Congress in Washington. Für Diskussionen über die Kulturlandschaftsentwicklung in Amerika in der Kolonialzeit war die Begegnung mit Robert Mitchell, Professor am Geographischen Institut in Maryland, besonders wichtig. Dietrich Denecke erklärte, dass es ihm darum ging, die Frage eines zentralörtlichen Siedlungssystems auf das koloniale Nordamerika zu übertragen. Neu war dabei die spezifische Herausarbeitung der anfänglichen Prozesse, die zu einem hierarchischen Siedlungssystem mit zentralen Orten führten, in einem Raum, der vornehmlich durch ein Netz von Einzelsiedlungen erschlossen worden war. Denecke zeigte, welches die steuernden Kräfte waren, die zur Entstehung und Planung städtischer Zentren geführt haben und welche Kräfte sie zu verhindern suchten. Obwohl es bei dieser Fragestellung um die frühe Siedlungsgeschichte im kolonialen Nordamerika ging, bestand doch gleichzeitig die Absicht, Prozesse und Faktoren der Entstehung von Siedlungsmustern und funktional differenzierte Siedlungssysteme in ihren Anfangsstadien zu erkennen. Damit wollte Denecke auch Modelle finden für allgemeine Regelhaftigkeiten primärer Siedlungsprozesse, wie sie in Europa besonders im hohen Mittelalter abgelaufen sind. In dieser Zeit entstanden Aufsätze über den zentralörtlichen Wandel in Virginia und Maryland vom Beginn der Kolonisation bis heute11, zur agraren Raumorganisation im östlichen Nordamerika im 17. und 18. Jahrhundert12, und schliesslich über 10 Denecke, D., ,Historisch-geographische Siedlungsforschung in Grossbritannien‘. In: Fehn, K. u.a., Hrsg., Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa und seinen Nachbarräumen, Bonn, 1988, S. 271–318 11 Denecke, D., ,Prozesse der Entstehung und Standortverschiebung zentraler Orte in Gebieten hoher Instabilität des räumlich-funktionalen Gefüges. Virginia und Maryland vom Beginn der Kolonisation bis heute‘. In: Schott, C., Hrsg., Beiträge zur Geographie Nordamerikas, Marburger Geographische Schriften, 66, Marburg, 1976, S. 175–200 12 Denecke, D, ,Tradition und Anpassung der agraren Raumorganisation und Siedlungsgestaltung im Landnahmeprozess des östlichen Nordamerika im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zum
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multifunktionale Siedlungen im östlichen Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts13. Im Jahre 1972 erhielt Dietrich Denecke ein Stipendium vom American Council of Learned Societies in Washington, um weiter an dem Thema ,Kulturlandschaftliche Prozesse in Amerika‘ arbeiten zu können. Es entstanden enge Kontakte mit Walter W. Rostow, der Leiter der Kartensammlung in der Library of Congress war, und mit John Walter und Reif Ehrenberg, nacheinander Professoren am Geographischen Institut der Maryland Universität in Washington. Das besondere Forschungsinteresse galt der frühen Kartographie Nordamerikas zur Zeit der Entdekkung und der ersten kolonialen Besiedlung. Im Jahre 1992 tagte die Internationale Geographische Union in Washington DC, wo Dietrich Denecke einen Vortrag hielt mit dem Titel: ,Zum ideologischen Wandel der Kulturlandschaft und der Stadt in der ehemaligen DDR.‘ Im Jahre 1993 gab es in Washington eine von der Library of Congress organisierte Ausstellung zum Thema: The articulate traveler: Johann Georg Kohl – Chronicles of the American continents. Dietrich Denecke wurde gebeten zur Eröffnung der Ausstellung den Festvortrag zu halten, der später in einem Sammelband über Johann Georg Kohl veröffentlicht wurde.14 Da die Bundeswehr der Sponsor dieser Ausstellung war, flog Dietrich Denecke in einem nicht gerade bequemen Bundeswehr-Jet nach New York, von wo er nach Washington weiter reiste. Während seiner ganzen geographischen Laufbahn hat Dietrich Denecke das Interesse an der amerikanischen Kulturlandschaft beibehalten. Im Jahre 1992 veröffentlichte er einen Beitrag über deutsche Forschungen in Nordamerika.15 Die Erfahrungen seiner Forschungen in Amerika sind immer wieder neu in seine Nordamerika-Vorlesungen eingeflossen und in seine Arbeit mit Forschungsstudenten. Einer seiner Doktoranden, Karl-Martin Born, der jetzt als Wissenschaftlicher Assistent am Geographischen Institut der Freien Universität in Berlin arbeitet, promovierte 1995 über das folgende Thema: ,Raumwirksames Handeln von Verwaltungen, Vereinen und Landschaftsarchitekten zur Erhaltung der Historischen Kulturlandschaft und ihrer Einzelelemente: Eine vergleichende Untersuchung in den nordöstlichen USA und der BDR.‘
Problem formgebender Prozesse und Prozessregler‘. In: 40. Deutscher Geographentag Innsbruck 1975. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen, Wiesbaden, 1976, S. 228– 255 13 Denecke, D., ,Die multifunktionale Siedlung mit überörtlichen funktionalen Beziehungsfeldern im östlichen Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts. Entstehung, Planung und Entwicklung in Abhängigkeit von der Art und dem Entwicklungsstand räumlicher Siedlungsmuster‘. In: Frankfurter Wirtschafts- und Sozialgeographische Schriften, 28, 1978, S. 141–169 14 Denecke, D., ,Johann Georg Kohl: his Place in Geography and his Geographical Perspective‘, in: Krewson, M.B. and Countess Ute Baudissin, Hrsg., The Articulate Traveler. Johann Georg Kohl-Chronicles of the American Continents, Washington, 1993, S. 12–16 und 38–44 15 Denecke, D. ,Contributions to Historical Geography‘. In: A. Dittmann und H.D. Laux , Hrsg., German Research on North America. A bibliography with comments and connotations. Bonner Geographische Abhandlungen 84, Bonn, S. 47–52 und 201–220.
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Island: Rekonstruktion der frühgeschichtlichen Umwelt In den 1970er Jahren waren die Göttinger Geographen an einem Projekt in Island beteiligt, bei dem es um morphologische Forschungen ging. Dietrich Denecke wurde eingeladen mitzumachen, um die Umweltgeschichte des Landes zu rekonstruieren. Das besondere Interesse galt der Frage, zu welchem Zeitpunkt der Wald auf Island verschwunden ist. Welche Vegetation bedeckte Island, als die Wikinger dort landeten? Wie kann man frühere Siedlungslandschaften rekonstruieren auf der Basis von wüsten Wegen und Fluren? Bei diesen Forschungen ging es ausschliesslich um Geländearbeiten. Holzkohlenmaterial wurde gesammelt, um paläolithische Holzarten zu bestimmen und damit das Waldbild zu rekonstruieren. Diese Geländeforschung wurde in Zusammenarbeit mit Ulrich Willerding in Göttingen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden archiviert und sollten weitergeführt werden, was leider wegen Mangels an Forschungsgeldern nicht möglich war. Studentenaustausch: Erasmus- und Sokrates-Kontakte Die Erfahrung, wie wichtig die Kontakte mit ausländischen Kollegen für die eigene Forschung war, gab Dietrich Denecke die Energie, im Zeitraum zwischen 1989 bis 2000 den Aufbau und die Leitung von zwei Erasmus-Netzwerken am Geographischen Institut der Universität Göttingen zu übernehmen. Das erste Programm hatte den Titel Network in Geography und stand unter der Leitung des Geographischen Instituts der Universität Exeter. Partner waren die geographischen Institute der folgenden Universitäten: Athen, Bordeaux, Dublin (Trinity College), Exeter, Göttingen, Poitiers, Rom (La Sapiensa), Santander, Stockholm. Das zweite Programm lief unter dem Titel Network in Human Geography and Planning und stand unter der Leitung des Geographischen Instituts in Amsterdam. Partner waren die Geographischen Institute an den Universitäten in Amsterdam, Belfast, Bonn, Dublin (University College Dublin), Düsseldorf, Göttingen, Grenoble, Hannover, London (University College London), Lund, Madrid (Autónoma), Manchester, Paris (Sorbonne IV), Turin. Mit der Einführung von Sokrates wurde die Arbeit an diesem Studentenaustausch nicht einfacher, weil der direkte Kontakt zwischen den ausländischen Programmverwaltern durch zentralisierte Universitätseinrichtungen (Office for International Affairs) ersetzt wurde. Bis zu zwanzig Göttinger Studenten mussten jährlich auf den Auslandsaufenthalt vorbereitet werden und die Fürsorge für die ausländischen Studenten, die jährlich nach Göttingen kamen, kostete viel Zeit, denn ihnen war eine Wohnung zuzuweisen und bei der Auswahl des Studienganges benötigten sie Hilfe. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen wurde auch auf akademischer Ebene fruchtbar, denn beide Programme brachten 1994 einen eigenen Sammelband heraus. Der erste Band, von Hugh Clout herausgegeben, hatte den Titel: Europe’s cities in the late twentieth century. In diesem in Amsterdam gedruckten Sammelband schrieb Dietrich Denecke einen Beitrag über Göttingen.16 Der zweite Band wurde 16 Denecke, D. ,Göttingen – a German University town over the past quarter century‘. In: H.
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von Mark Blacksell und Allan M. Williams betreut und trägt den Titel: The European Challenge: Geography and Development in the European Community. Er kam 1994 in Oxford heraus. Hier steuerte Dietrich Denecke zu dem allgemeinen Thema der Veränderungen im ländlichen Gebiet innerhalb der EU einen Beitrag über Deutschland bei.17 Altstrassenforschung in der Schweiz In den frühen 80er Jahren kam der Schweizer Geograph Klaus Aerni mit Studenten zu einer dreitägigen Exkursion zum Thema Altwegeforschung nach Göttingen. Aerni hatte über Altstrassen in der Schweiz promoviert. Dietrich Denecke hatte seine Doktorarbeit über Altstrassen im niedersächsischen Raum geschrieben und seitdem das Interesse an dem Thema behalten. Für die Festschrift zu Helmut Jägers 65. Geburtstag steuerte er einen Beitrag über Martin Luthers Weg nach Rom bei.18 Die intensiven Diskussionen zu diesem Thema in Göttingen bestärkten Aerni mit dem grossen Programm ,Inventar der Verkehrswege der Schweiz‘ zu beginnen, was über 20 Jahre durchgeführt wurde und schliesslich in der Institution ,Via Storia-Zentrum für Verkehrsgeschichte in Bern‘ endete. Dietrich Denecke hat dieses Programm wissenschaftlich begleitet. Er ging im Sommer 1985 für ein Gastsemester nach Bern, wo er die Arbeiten an Ort und Stelle begutachten konnte. Er hielt Vorlesungen in Bern zum Thema Kulturgeographie und Wegeforschung und unternahm Feldstudien. Von Bern aus ging er mit Georges Grosjean auf eine Exkursion zum Zentralen Schweizer Freiland-Museum Ballenberg, wo Denecke Vorstandsmitglied war. Die Darstellung kulturlandschaftlicher Inhalte in Freilichtmuseen ist eine der Richtungen, in die die angewandte historische Geographie sein Interesse geleitet hatte. Das Thema der historischen Verkehrswege hat ihn auch immer weiter beschäftigt. Auf dem Österreichischen Städtetag 1999 hielt er einen Vortrag über die Entstehung und Entwicklung des Verkehrs, der im Jahre 2000 in dem Sammelband Stadt-StromStrasse-Schiene: Beiträge zur Geschichte Mitteleuropas erschien. Reisen in Sachen Forschungsmethoden in der Historischen Geographie: âSSR, England, Schweden und Italien Innovationen in Forschungsmethoden war immer ein Thema, das Dietrich Denecke sehr beschäftigt hat. Deshalb wurde er wiederholt eingeladen, darauf in VorlesunClout, Hrsg., Europe’s cities in the late twentieth century, Amsterdam, Nederlandse Geografische Studies, 176, Amsterdam, S. 187–198. 17 Denecke, D., ,Set-aside and landscape preservation: The German experience‘. In: M. Blacksell and A.M. Williams, Hrsg., The European challenge: Geography and development in the European Community, Oxford, 1994, S. 259–272 18 Denecke, D., ,Wege und Städte zwischen Wittenberg und Rom um 1510. Eine historisch-geographische Studie zur Romreise Martin Luthers‘. In: W. Pinkwart, Hrsg., Festschrift für Helmut Jäger, Würzburger Geographische Arbeiten, 60, S. 77–106
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gen einzugehen. So reiste er 1969 nach Nitra (âSSR), wo er vor der Slovenská Akademia Vied, Archeologick˘ Ustav, einen Vortrag zum folgenden Thema hielt: ,Forschungsmethoden der historischen Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie, besonders der Geländeuntersuchung‘. Im Jahre 1974 reiste Dietrich Denecke nach Norwick (England), um im Rahmen der Annual Conference of the Institute of British Geographers den folgenden Vortrag zu halten: ,The Historical Geography of road patterns in Europe: A summary report on research and methods.‘ Im Jahre 1986 kam die Einladung in den Geographischen Instituten der Universitäten Stockholm und Lund (Schweden) im Forschungs- und Doktorandenseminar Vorträge zu halten. Die Themen betrafen: ,Recent progress in Historical Geography in Germany‘ und ,Approaches and methods in social topography‘. – Im Jahre 1986 wurde Dietrich Denecke zum italienischen Geographentag in Turin eingeladen, wo er über Historische Geographie und Regionalplanung gesprochen hat. Sein Beitrag wurde 1989 auf italienisch im Sammelband des Geographentages veröffentlicht.19 Vergleichende Stadtgeschichte in Tokio Als die Japaner 1985 eine Konferenz zur vergleichenden Stadtgeschichte einberiefen, wandten sie sich ans Goethe-Institut, das wiederum Dietrich Denecke einlud, in Tokio einen Vortrag zu halten zu dem Thema: ,Ansätze zu einer allgemeinen, vergleichenden historisch-geographischen Stadtforschung.‘ Die Japaner sind an dieser Thematik sehr interessiert, wie die in Japan neu gegründete Zeitschrift Comparative Urban History zeigt. ,Euregia Egrensis‘ Das Thema Grenzlandschaften hat Dietrich Denecke viel beschäftigt und so folgte er gerne der 1992 ausgesprochenen Einladung als deutscher Vertreter an einem Projekt der Kulturlandschaftspflege an der deutsch-tschechischen Grenze teilzunehmen, das nach der Stadt Eger (Cheb) den anspruchsvollen Titel Euregia Egrensis hat. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stand das Oberpfälzer Freiland-Museum. Drei Tagungen wurden in diesem Museum durchgeführt, bei denen jeweils das Thema Umwelt und Kulturlandschaftsschutz unter dem Gesichtspunkt einer historisch-geographischen Grenzraumforschung im Mittelpunkt standen. Man versuchte ein Modell einer interdisziplinären Inventarisation zur Landschaftspflege in der Euregio Egrensis auszuarbeiten. Es gab eine spezielle Fachtagung zu diesem Thema, die von der Arbeitsgemeinschaft Euregia Egrensis und dem Internationalen Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus organisiert wurde. Dietrich Denecke hielt dort einen 19 Denecke, D., ,Geografia storica e pianificazione regionale. Rassegna dei nuovi orientamenti della geografia storica aplicata (Germania e Paesi Europei limitrofi). In: Geothema 4. Atti del XXIV. Congresso Geografica Italiano 1986, Bologna, 1989, S. 205–220
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Vortrag zu dem Thema ,Kulturlandschaftspflege im ländlichen Raum – ein grenzüberschreitendes Projekt in der Euroregion Egrensis‘.20 Das Thema Grenzraumforschung beschäftigte Dietrich Denecke weiterhin. Im Jahre 1999 nahm er in Mytilene (Lesvos, Griechenland) an einer Tagung unter dem folgenden Titel teil: First Geo-Symposium of the Aegean: Geographies along the EU borders. Dort sprach er zu dem Thema: ,General aspects of geography in German higher education: cores-peripheries-borderlands‘. Im Jahre 2000 veröffentlichte er einen Aufsatz über Grenzlandschaften, der in einem Sammelband mit dem Thema Geographies on/of/along the EU border in Athen erschienen ist.21 Die Geographie in Königsberg (Kaliningrad) Aus Anlass des Jubiläums der Gründung der Universität Königsberg im Jahre 1544 durch Herzog Albrecht hat der Göttinger Arbeitskreis der Albertus-Universität 1995 einen Festband herausgegeben unter dem Titel: Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Dieser Arbeitskreis beauftragte Dietrich Denecke für den Festband die Geschichte der Geographie an der Universität Königsberg zu schreiben. Hermann Wagner war der erste moderne Lehrstuhlinhaber und so verfasste Denecke einen Beitrag zu dem Thema: ,Herrmann Wagner und die Entwicklung der Geographie an der Albertus-Universität in Königsberg.‘ Dietrich Denecke hat diesen Auftrag gerne übernommen aufgrund seines schon lange gehegten Interesses an der Geographie Ostpreussens und weil Wagner 1880 von Königsberg als erster Lehrstuhlinhaber für Geographie nach Göttingen ging. Als das Leipziger Institut für Länderkunde 1998 unter Leitung des Kollegen Alois Mayr eine Forschungsreise nach Ostpreussen unternahm, wurde Dietrich Denecke zur Mitfahrt eingeladen. Es war eine bewegende Reise, die in der Teilnahme an der Wiedereinweihung des Doms in Königsberg gipfelte, wo ein russischer Chor das Luther-Lied: ,Ein feste Burg ist unser Gott‘ auf Deutsch sang. An der Universität Breslau In den 90er Jahren war ein junger Kollege aus Breslau (Wroc∏aw) Gastdoktorand in Göttingen. In dieser Zeit besuchten auch weitere Kollegen des Breslauer Instituts Göttingen und wohnten, wie so viele andere ausländischen Gäste, bei Deneckes im Haus. Das Hauptthema der Diskussionen und einer zweitägigen Exkursion war die 20 Später veröffentlichte er den folgenden Aufsatz in einem von ihm mitherausgegebenen Band: Denecke, D.: ,Freilandmuseen als Bildungseinrichtungen und Lernfelder zwischen historischer und realer (heutiger) Wirklichkeit‘. In: Kontroversen um die Konzeption und kulturelle Aufgabe von Freilandmuseen: Das Beispiel Oberpfälzer Freilandmuseum, Hrsg. D. Denecke und Ch. Daxelmüller, Nabburg (Heimat Nabburg 15), S. 120–127 21 Denecke, D., ,General aspects of Geography in German higher education: Cores-peripheriesborderlands-inland and beyond‘. In: Leontidou L., Hrsg.,: Geographies on/of/along the EU border. Athen, 2000
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Siedlungsgeographie und die Umwelt im Mittelgebirge. Im Jahr 1999 erhielt Dietrich Denecke eine Einladung zum Geographischen Institut in Breslau. Dort hielt er ein Seminar ab zur historisch-geographischen Geländeforschung und Inventarisation der historischen Kulturlandschaft. Er besuchte deutsche Archive am Ort, nahm Kontakt mit dem Riesengebirgsverein auf, sah ein Fremdenverkehrsmuseum und verbrachte mehrere Tage mit Kollegen im Gelände als Vorbereitung für weitere Arbeiten zum Thema Mittelgebirge. Israel: deutsche Kolonisten in Palästina Im Jahre 1989 veranstalteten, wie bereits erwähnt, israelische Kollegen die siebte Sitzung der International Conference of Historical Geographers in Israel, an der Dietrich Denecke teilnahm. Die kollegiale und freundschaftliche Beziehung zu den israelischen Kollegen führte zu gegenseitigen Besuchen und Hilfestellungen bei Bibliotheksarbeiten in Deutschland. Der Forschungsgegenstand war die deutsche Palästinaforschung im 19. Jahrhundert. Yossi Ben Artzi von Haifa und Haim Goren aus Tel-Hai in Galil Elyon unternahmen eine Exkursion mit Dietrich Denecke nach Galiläa, wobei es um den Einfluss der jüdischen Siedlungen auf die Landschaft ging und um die Frage, nach welchen Prinzipien die ersten deutschen Siedler und Missionare ihre Siedlungen in Palästina angelegt hatten. Besonders interessierten die Anlagen der Templer. Aus diesen Gesprächen ergab sich ein von Deutschland finanziertes Forschungsprojekt, das von Dietrich Denecke und Ruth Kark von der Hebrew Universität in Jerusalem gemeinsam geleitet wurde. Es geht bei diesem Projekt um die Frage der Übertragung von Innovationen in der Technik und Landentwicklung von Deutschland nach Palästina in der Zeit zwischen 1820 und 1914.22 Brücken über die Fachgrenzen und über die nationalen Grenzen hinweg Dietrich Denecke ist zeit seines Geographenlebens ein Brückenbauer gewesen. Er hat den Kontakt mit ausländischen Kollegen gesucht und diese Kontakte sind innerhalb Deutschlands für andere nützlich geworden. Als Verantwortlicher mit Klaus Fehn für den bibliographischen Teil der Siedlungsforschung hat er wichtige Arbeiten aus dem Gebiet der historischen Geographie im Ausland deutschen Lesern vermittelt. Die Göttinger Studenten haben von den Forschungsreisen nach Amerika profitiert, weil sie in den Vorlesungen mit modernen Forschungsansätzen der amerikanischen Kollegen bekannt gemacht wurden. Die Themenauswahl in seinen Seminaren stand unter amerikanischem Einfluss und beinhaltete Titel wie: ,Geographie in 22 Die Zusammenarbeit mit den israelischen Kollegen geht auf eine lange Tradition zurück, denn Carl Ritter hatte bereits im 19. Jahrhundert in Berlin ein ,Zentrum‘ für Forschungen in Palästina angelegt, dem er seine private Sammlung überlassen hatte. In seiner Erdkunde, die neunzehn Bände umfasst, hat er allein vier Bände für Palästina und Syrien verwandt.
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den Medien‘ mit Einzelthemen zur Geographie im Film, in der Photographie, in der Malerei, im Fernsehen und im Internet. Aus diesem Themenkreis kam dann eine Doktorarbeit über die Geographie im Australischen Film. Dietrich Denecke meint, dass es in der deutschen historischen Geographie nicht zu einer solch starken Rezeption des sozialkritischen Ansatzes gekommen sei, wie das für die angelsächsische Welt gilt, weil durch die geographische Nähe zum Marxismus die Skepsis gegenüber dieser politischen Richtung grösser war. Ausserdem sei die deutsche Geographie durch die Einführung des diplomgeographischen Studiums, das stark auf die Praxis ausgerichtet ist, im Wesen verändert worden. Es ist bemerkenswert, dass Dietrich Denecke die vielen Kontakte mit ausländischen Kollegen aus eigener Initiative gesucht und finanziert hat, lange bevor man sich für Unterstützung bei international angelegten Projekten bewerben konnte. Für ihn gehörte der Dialog mit Kollegen und besonders Kollegen im Ausland zur guten Lebensform eines historischen Geographen. Das wäre ohne die Unterstützung seiner Frau Burghild (Buka) und seiner drei Töchter Dietlind, Wiepke und Frauke nicht möglich gewesen, die viele ausländische Gäste in ihrem schönen Haus in Göttingen willkommen hiessen. Dietrich Denecke ist fest in der deutschen Kulturlandschaftsforschung verankert, aber die innere Unruhe eines echten Forschers hat ihn immer wieder über die Fachgrenzen und die nationalen Grenzen hinausgeführt. Er fordert, dass wissenschaftliche Arbeiten innovativ sein sollen. Er meidet keine Mühen, immer wieder Neues jenseits der Grenzen Deutschlands aufzuspüren und in seinen Veröffentlichungen weiterzugeben. Und ebenso fühlt er sich der historisch-geographischen Forschung im Ausland verpflichtet. Terry Slater aus Birmingham sagte im Gespräch, dass er sich Dietrich Denecke eng verbunden fühle, weil er über viele Jahre hinweg die Zusammenarbeit mit englischen Kollegen gesucht habe. Und er fügte noch dazu: ,And of course, he is such a nice fellow.‘
GESAMTVERZEICHNIS DER VERÖFFENTLICHUNGEN VON DIETRICH DENECKE Die mit einem Sternchen versehenen Eintragungen sind in dem vorliegenden Sammelband enthalten. 1.
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1969: Methodische Untersuchungen zur historisch-geographischen Wegeforschung im Raum zwischen Solling und Harz. Ein Beitrag zur Rekonstruktion der mittelalterlichen Kulturlandschaft. Göttinger Geographische Abhandlungen, 54, Göttingen. Auch als Dissertation erschienen. (423 S., 60 Abb., 1 Kartenbeilage). 1970(a): Die Ortswüstung Oldendorp bei Einbeck und die „Alten Dörfer“ im Leinebergland. In: Einbecker Jahrbuch, 29, S. 15–26. 1970(b): Die naturräumliche Gliederung des südlichen Niedersachsen. In: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern: Göttingen und das Göttinger Becken, Bd. 16, Mainz, S. 6–10. 1970(c): Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen, Bd l. Osterode (Karte 1:50 000, mit Erläuterungsheft). Kapitel: Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Wirtschaftsanlagen, Bergbau und Hüttenbetriebe, S. 95–102; Altstraßen, S. 107–112., Veröffentlichungen des Instituts für historische Landesforschung der Universität Göttingen, Bd. 2, Teil 2,. Hildesheim. 1970(d): Wüstungs- und Wegeforschung in Südniedersachsen. In: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd. 17, Northeim und südwestliches Harzvorland, Duderstadt. Mainz, S. 17–33. 1971: Methodische Probleme der Wegeforschung im südlichen Niedersachsen. In: Prähistorische Zeitschrift, 46, S. 145–148. 1972: Die historisch-geographische Landesaufnahme. Aufgaben, Methoden und Ergebnisse, dargestellt am Beispiel des mittleren und südlichen Leineberglandes. In: Göttinger Geographische Abhandlungen, 60 (Hans Poser – Festschrift), Göttingen, S. 401–436. 1973: Der geographische Stadtbegriff und die räumlich-funktionale Betrachtungsweise bei Siedlungstypen mit zentraler Bedeutung in Anwendung auf historische Siedlungsepochen. In: Jankuhn, H., Schlesinger, W. u. H. Steuer (Hrsg.): Vor- und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, Folge 3. Nr. 83, Göttingen, S. 33–45. 1974(a): Die Rekonstruktion wüster Orts- und Hausgrundrisse mit Hilfe des Luftbildes. Methodische Untersuchungen am Beispiel der spätmittelalterlichen Wüstung Moseborn (Gem. Holzerode, Kr. Göttingen). In: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, 43, S. 69–84. 1974(b): Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen, Bl.
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Moringen (1:50000, mit Erläuterungsheft). In: Veröffentlichungen des Instituts für historische Landesforschung der Universität Göttingen, 2,. Teil 4. Hildesheim. Kapitel: Naturräumliche Gliederung, S. 3–6; Ländliche Siedlungen, S. 32–42: Wirtschaftsanlagen, S. 207–218; Altstraßen, S. 219–223. 1975: Historische Siedlungsgeographie und Siedlungsarchäologie des Mittelalters. Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse unter dem Gesichtspunkt interdisziplinärer Zusammenarbeit. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, 3, S. 7–36. 1976(a): Innovation and diffusion of the potato in Central Europe in the 17th and 18th centuries. In: Buchanan, R.H., Butlin, R.A. und D. Mc. Court (Hrsg.): Fields, Farms and Settlement in Europe. Belfast, S. 60–96. 1976(b): Prozesse der Entstehung und Standortverschiebung zentraler Orte in Gebieten hoher Instabilität des räumlich-funktionalen Gefüges. Virginia und Maryland vom Beginn der Kolonisation bis heute. In: Schott, C. (Hrsg.): Beiträge zur Geographie Nordamerikas. Marburger Geographische Schriften, 66, Marburg, S. 175–200. 1976(c): Tradition und Anpassung der agraren Raumorganisation und Siedlungsgestaltung im Landnahmeprozeß des östlichen Nordamerika im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zum Problem formgebender Prozesse und Prozeßregler. In: 40. Deutscher Geographentag, Innsbruck 1975. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen. Wiesbaden, S. 228–255. 1976(d): Denecke. D.; H. Jahnke: Zur Fauna des Jungpleistozäns (Vertebraten und Mollusken) im westlichen Harzvorland. Neue Funde und Forschungsergebnisse. In: Heimatblätter für den südwestlichen Harzrand, 32, S. 48–60. 1977(a): Denecke. D.; A. Delkeskamp (seit 1980 H. Olzien) und A. Gercke: Bibliographie zur Geschichte und Landeskunde von Göttingen und Südniedersachsen für die Jahre 1973–1976 (ff.). In: Göttinger Jahrbuch, 25, S. 217– 242. Laufend fortgesetzt, ab 35 (1987) von D. Denecke bis 48, 2000 (insgesamt 24 Folgen). 1977(b): Landschaftsrahmenplan Göttingen. Bearbeitung von der Arbeitsgemeinschaft Landschaftsplanung, Grebe/Sollmann. Bd. 2: Erläuterungen. Duderstadt. Erarbeitung von Grundlagen für das Kap. 3: Landschaftspotential – ökologisch und wissenschaftlich wertvolle Bereiche, S. 11–29 und Übersichtsplan 6: Altlandschaften und Kulturdenkmale, S. 14–15. 1978(a): Archäologische und historisch-geographische Siedlungsforschung, und: Glashütten im Leinebergland und Fulda-Werra-Bergland. In: Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit in Niedersachsen. Katalog zu einer Wanderausstellung des Niedersächsischen Ministers für Wissenschaft und Kunst. Hannover, S. 44–45 und 113 (dazu entsprechende Karten, Diagramme und Bilder). 1978(b): Die multifunktionale Siedlung mit überörtlichen funktionalen Beziehungsfeldern im östlichen Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts. Entstehung, Planung und Entwicklung in Abhängigkeit von der Art und dem Entwicklungsstand räumlicher Siedlungsmuster. In: Frankfurter Wirtschaftsund Sozialgeographische Schriften, 28, S. 141–169.
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1978(c): Erzgewinnung und Hüttenbetriebe des Mittelalters im Oberharz und im Harzvorland. Erläuterungen zu einer Übersichtskarte (1: 100000). In: Archäologisches Korrespondenzblatt, 8, S. 77–85 mit Kartenbeilage: Mittelalterliche Gruben und Hüttenbetriebe im Oberharz, Mittelharz und Harzvorland. 21. 1978(d): Göttingen. Grundzüge des Stadtbildes und der baulichen Entwicklung in der Zeit von 1870–1945. In: Göttinger Jahrbuch, 26, S. 260–271. 22. 1979(a): Göttingen. Materialien zur historischen Stadtgeographie und zur Stadtplanung. Erläuterungen von Karten, Plänen und Diagrammen. Mit einer Bibliographie. Zugleich erschienen in der Reihe: Göttingen, Planung und Aufbau, 17, Göttingen 1979 (148 S., 3 Beilagen). 23. 1979(b): Methoden und Ergebnisse der historisch-geographischen und archäologischen Untersuchung und Rekonstruktion mittelalterlicher Verkehrswege. In: Jankuhn, H. und R. Wenskus (Hrsg.): Geschichtswissenschaft und Archäologie. Vorträge und Forschungen, 22. Sigmaringen, S. 433–483. *24. 1979(c): Zur Terminologie ur- und frühgeschichtlicher Flurparzellierungen und Flurbegrenzungen sowie im Gelände ausgeprägter Flurrelikte. Grundzüge eines terminologischen Schemas. In: Beck, H., Denecke, D. und H. Jankuhn (Hrsg.): Untersuchungen zur eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Flur in Mitteleuropa und ihrer Nutzung, Teil 1. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil-hist. Kl., Folge 3, 115. Göttingen, S. 410–440. 25. 1980(a): Die sozioökonomische Gliederung südniedersächsischer Städte im 18. und 19. Jahrhundert. Historisch-geographische Stadtpläne und ihre Analyse. In: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 52, S. 25–38. 26. 1980(b): Die historische Dimension der Sozialtopographie am Beispiel südniedersächsischer Städte. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 54, S. 211– 252. 27. 1980(c): Historical-geographical regional surveys. Methods, procedures and designs of cartographic recording. In: Brandon, P. und R. Millman (Hrsg.): Recording Historic Landscapes. Principles and Practice. Polytechnic of North London, Department of Geography, Occasional Publication 2, London, S. 44–49. 28. 1980(d): Sozialtopographie und sozialräumliche Gliederung der spätmittelalterlichen Stadt. Problemstellungen, Methoden und Betrachtungsweisen der historischen Wirtschafts- und Sozialgeographie. In: Fleckenstein, J. und K. Stackmann. (Hrsg.): Über Bürger, Stadt und städtische Literatur im Spätmittelalter. Abhl. d. Akad. d. Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl. Folge 3, 121, Göttingen, S. 161–202. 29. 1980(e): Zum Stand der interdisziplinären Flurforschung. In: Beck, H.; Denecke, D. und H. Jankuhn (Hrsg.): Untersuchungen zur eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Flur in Mitteleuropa und ihrer Nutzung, Teil II. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil. hist. Kl., Folge 3, 116, Göttingen, S. 370–423. 30. 1981(a): Erhaltung und Rekonstruktion alter Bausubstanz in ländlichen Sied-
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lungen. Historische Siedlungsgeographie in ihrer planerischen Anwendung. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 55, S. 343–380. 1981(b): Medieval village research in Germany, 1977–1980. In: Medieval Village Research Group, 29th annual report. London, S. 31–36. 1981(c): Denecke, D.; Kühn, H. M.: Organisation, Möglichkeiten und Probleme einer Autorengemeinschaft am Beispiel Göttingen. In: Engeli, W., Hofmann, W. und H. Matzerath (Hrsg.): Probleme der Stadtgeschichtsschreibung. Informationen zur modernen Stadtgeschichte. Beiheft 1. Berlin, S. 69– 73. 1981(d): Verkehr (Landverkehr). In: Dahlmann-Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte, Lieferung 39. Stuttgart: Buch 4, Abschnitt 259. 1982(a): Applied historical geography and geographies of the past: historico-geographical change and regional processes in history. In: Baker, A.R.H. und M. Billinge (Hrsg.): Period and Place. Research Methods in Historical Geography. Cambridge Studies in Historical Geography. Cambridge, S. 127–135 und S. 332–338. 1982(b): Historische Geographie und räumliche Planung. In: Erdkunde 36, S. 84-90. Als Kurzfassung in: 43. Deutscher Geographentag Mannheim 1981, Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen. Wiesbaden, S. 260– 263. 1983(a): Denecke, D.; Fehn, K.: Bibliographie zur europäischen Siedlungs-, Kulturlandschafts- und Stadtforschung. Neuerscheinungen 1982/83. In: Siedlungsforschung, 1, S. 261–294. Unter dem Titel: Bibliographie zur europäischen Siedlungsforschung, Archäologie – Geschichte – Geographie. Laufend jährlich fortgesetzt bis Bd. 16, 1998 (16 Folgen mit insgesamt 1083 Seiten). 1983(b): Ein neues englisches Publikationsorgan zur Landschaftsgeschichte. In: Siedlungsforschung, 1, S. 175–176. 1983(c): Eine neue historisch-geographische Zeitschrift der Niederlande. In: Siedlungsforschung, 1, S. 171–173. 1983(d): Erhaltung und Rekonstruktion historischer Substanz in ländlichen Siedlungen. Bericht über die 8. Arbeitstagung des Arbeitskreises für genetische Siedlungforschung in Mitteleuropa. Basel 1981. In: Siedlungsforschung, 1, S. 225–231. 1983(e): Göttingen und Umgebung im Jahre 1784. Erläuterungen zum Blatt 155 der Kurhannoverschen Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts, M. 1:25000. Hannover (Aufdruck auf der farbigen Ausgabe des Kartenwerkes, 10 Seiten). 1983(f): Historische Stadtgeographie. Bericht über das deutsch-englische Symposium vom 19.–26.9.1982. In: Siedlungsforschung, 1, S. 245–248, 1983(g): Wege und Städte zwischen Wittenberg und Rom um 1510. Eine historisch-geographische Studie zur Romreise Martin Luthers. In: Würzburger Geographische Arbeiten, 60 (Festschrift für Helmut Jäger). Würzburg, S. 77–106. 1984(a): Historisch-geographische Stadtforschung. Problemstellungen – Betrachtungsweisen – Perspektiven. In: 44. Deutscher Geographentag Münster
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1983. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen. Wiesbaden, S. 136–144. 44. 1984(b): Medieval village research in Germany 1982/83. In: Medieval Village Research Group, 3lst annual report. London, S. 33–39. 45. 1984(c): Münden und Umgebung im Jahre 1785. Erläuterungen zum Blatt 160 der Kurhannoverschen Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts, Maßstab. 1: 25000. Hannover (Aufdruck auf der farbigen Ausgabe des Kartenwerkes, 8 Seiten). 46. 1984(d): Denecke, D.: Spönemann, J.: Schwerpunkte einer Exkursion durch Tanzania 1981: Oberflächenformen und Zentrale Orte. In: Afrika – Informationen, Forschungsberichte Deutscher Geographen, 6, S. 37–53. 47. 1985(a): Beziehungen zwischen Stadt und Land in Nordwestdeutschland während des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit. Historische Geographie städtischer Zentralität. In: Meckseper, C. (Hrsg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650. Braunschweig, Bd. 3, S. 191–218. 48. 1985(b): Einbeck und das Einbecker Becken. Der Wandel historisch-geographischer Fragestellungen in der Entwicklung der Siedlungsforschung. In: Einbecker Jahrbuch, 36, S. 13–36. 49. 1985(c): Historisch-geographische Fragestellungen zur mittelalterlichen Siedlungsentwicklung im Unteren Eichsfeld. In: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, 54, S. 27–38. 50. 1985(d): Historische Geographie und räumliche Planung. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg, 75, S. 3–55. 51. 1985(e): Martin Last, 1938–1984. Ein Nachruf, unter besonderer Berücksichtigung der Siedlungsforschung. In: Siedlungsforschung, 3, S. 87–93. *52. 1985(f): Wüstungsforschung als siedlungsräumliche Prozeß- und Regressionsforschung. In: Siedlungsforschung, 3, S. 9–35. 53. 1986(a): Medieval village research in Germany, 1984–1985. In: Medieval Village Research Group, 33rd annual report. Fleet, S. 28–35. 54. 1986(b): Straße und Weg im Mittelalter als Lebensraum und Vermittler zwischen entfernten Orten. In: Herrmann, B. (Hrsg.): Mensch und Umwelt im Mittelalter. Stuttgart, S. 207–223. 55. 1987(a): Aspekte sozialgeographischer Interpretationen innerstädtischer Mobilität im 19. und 20. Jahrhundert. Allgemeiner Forschungsstand und Forschungsbeispiele. In: Heineberg, H. (Hrsg.): Innerstädtische Differenzierung und Prozesse im 19. und 20. Jahrhundert. Geographische und historische Aspekte. Städteforschung A 25. Köln, S. 133–157. 56. 1987(b): Die Geschichte der Geographie in Göttingen. In: Georgia Augusta 46, S. 77–80. Unverändert wieder abgedruckt in: Schlotter, H. G. (Hrsg.): Die Geschichte der Verfassung und die Fachbereiche der Georg-AugustUniversität zu Göttingen. Göttingen, 1994, S. 198–204. 57. 1987(c): Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt. Denecke, D., Kühn, H.M., Manegold, K.H., Popplow, U., v.Thadden, R., Vierhaus, R. (Hrsg. der 3 Bände). Band 1: Denecke, D., Kühn, H.M. (Hrsg.).Von den Anfängen bis zum Dreißigjährigen Krieg. Göttingen.
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1987(d): Göttingen im Netz der mittelalterlichen Verkehrswege. In: Denekke, D. und H.M. Kühn (Hrsg.): Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 1, Göttingen, S. 346–391. 1987(e): Professoren und Studenten – Zahl und Ort, 1734/37–1987. In: Beuermann, G. u.a. (Hrsg.): 250 Jahre Georg-August-Universität Göttingen. Ausstellung im Auditorium. Göttingen, S. 211–214. 1987(f): Tobias Mayers Mitarbeiter aus der Nürnberger Zeit / Itinerarkarte von Nürnberg nach Göttingen / Karte des Bistums Osnabrück / Die Polhöhe der Stadt Göttingen / Von Mayer für Carsten Niebuhr geeichtes Astrolabium. In: Voigt, H.H. (Hrsg.): Tobias Mayer (1723–1762), Astronom in Göttingen. Göttingen, S. 6–13 (Broschüre). 1987(g): Sozialtopographie der mittelalterlichen Stadt Göttingen. In: Denekke, D. und H.M. Kühn (Hrsg.): Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 1, Göttingen, S. 199–210. 1987(h): Stadtkern und Stadtkernforschung. Ein Beitrag zur Terminologie und Fragestellung. In: Jäger, H. (Hrsg.): Stadtkernforschung. Städteforschung A 27. Köln, S. 11–21. 1988(a): Fehn, K., Brandt, K., Denecke, D., Irsigler, F. (Hrsg.): Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa und seinen Nachbarräumen. 2 Bände, Bonn 1988(b): Future development in Anglo – German studies of urban historical geography. In: Denecke, D. und G. Shaw (Hrsg.): Urban historical geography – Recent progress in Britain and Germany. Cambridge Studies in Historical Geography 10, Cambridge, S. 317–323. 1988(c): Denecke, D., Fehn, K.: Geographie in der Geschichte. Siedlungsräumliche Entwicklungen räumlicher Systeme, Beziehungsgefüge und Prozesse. In: Bericht über die 36. Versammlung deutscher Historiker in Trier, 8.–12. Okt. 1986, Stuttgart, S. 124–130. 1988(d).: Grundlagenforschung der historischen Geographie für die Erhaltung und Gestaltung unserer Kulturlandschaft. Einführung. In: 46. Deutscher Geographentag München, 12.–16. Okt. 1987. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen, Stuttgart, S. 153–157. 1988(e): Göttingen. Eine historisch-geographische Exkursion durch die Innenstadt. In: Meyer, H.H. (Hrsg.) Ausgewählte Exkursionen zur Landeskunde von Niedersachsen und Bremen. Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Hannover, Sonderheft 14, S, 327–350. 1988(f): Historisch-geographische Siedlungsforschung in Großbritannien. In: Fehn, K. u.a. (Hrsg.): Genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa und seinen Nachbargebieten. Bonn, S. 271–318. 1988(g): Research in German urban historical geography. In: Denecke, D. und G. Shaw (Hrsg.). Urban historical geography – Recent progress in Britain and Germany. Cambridge Studies in Historical Geography 10. Cambridge, S. 24–33. 1988(h): Social status and place of residence in preindustrial German towns: Recent studies in social topography. In: Denecke, D. und G. Shaw (Hrsg.):
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Urban historical geography – Recent progress in Britain and Germany. Cambridge Studies in Historical Geography 10. Cambridge, S. 125–140. 71. 1988(i): Soziales Stadtgefüge und Denkmalpflege. In: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, 4, S. 151–154. 72. 1988(j): Urban historical geography. Recent progress in Britain and Germany. Denecke, D. und G. Shaw (Hrsg.): Cambridge Studies in Historical Geography. Cambridge. 73. 1989(a): „Verkehr“. In: Dahlmann – Waitz: Quellenkunde der deutschen Geschichte, 5. Buch, Kap. 298, Tit. 1–57 und 93–118. Lieferung 60, Stuttgart. 74. 1989(b): Denecke, D. und K. Fehn (Hrsg.): Geographie in der Geschichte. Wiesbaden. (Erdkundliches Wissen 96). 75. 1989(c): Eingriffe des Menschen in die naturräumliche Landschaftsentwicklung in historischer Zeit: Folgen und erhaltene Relikte. In: Herrmann, B. und Budde, A. (Bearb.): Naturwissenschaftliche und historische Beiträge zu einer ökologischen Grundbildung. Hannover, S. 199–206. 76. 1989(d): Geografia storica e pianificazione regionale.- Rassegna dei nuovi orientamenti della geografia storica applicata (Germania e Paesi Europei limitrofi). In: Geothema, 4. Atti del XXIV. Congresso Geografica Italiano 1986. Bologna, S. 205–220. *77. 1989(e): Historisch-siedlungsgeographische Forschungsansätze der Betrachtung räumlicher Prozesse, Systeme und Beziehungsgefüge. In: Denecke, D. und Fehn, K. (Hrsg.): Geographie in der Geschichte. Erdkundliches Wissen 96. Stuttgart, S. 51–71. 78. 1989(f): Königshof und Dutburg. In: Wulften am Harz. Ein Streifzug durch die Vergangenheit. 1100 Jahre: 889–1989. Horb, S. 20–25. *79. 1989(g): Stadtgeographie als geographische Gesamtdarstellung und komplexe geographische Analyse einer Stadt. In: Die Alte Stadt, 16, S. 3–23. 80. 1990(a): 1000 Förste: Geschichte, Tradition und Wandel. Festvortrag zum Jubiläum 1000 Jahre Förste am 10.08.1990 (als Broschüre vervielfältigt, 18 Seiten) 81. 1990(b): Die erste urkundliche Nennung des Ortes Förste im Jahre 990 und das Eigengut der Kaisertochter Sophie (975–1059). In: Binnewies, W. (Hrsg.): Tausend Jahre Förste am Harz, Osterode, S. 53–58. 82. 1990(c): Parensen und Nörten im Netz der mittelalterlichen Verkehrswege. In: Rolle, R. und Herz, W. (Hrsg.): Archäologie in der Region. Untersuchungen zur urgeschichtlichen Siedlungs-, Wirtschafts- und Lebensweise im südlichen Niedersachsen. Göttingen, S. 118–120. 83. 1991: Arbeitsfelder anwendungsorientierter Historischer Geographie in Forschung, Lehre und Praxis. In: Kulturlandschaft – Zeitschrift für Angewandte Historische Geographie, 1, H. 2/3, S. 69–73. 84. 1992(a): Denecke, D. u. G. Shaw: Traditional retail systems in Germany. In: Benson, J. u. G. Shaw (Hrsg.). The evolution of retail systems, c. 1800–1914. Leicester, S. 76–86. 85. 1992(b): Contributions to Historical Geography. In: German Research on North America. A bibliography with comments and conotations. A. Dittmann
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turlandschaftsgenetischen und siedlungshistorischen Forschung. In: Denekke, D., Daxelmüller, Ch. (Hrsg.): Kontroversen um die Konzeption und kulturelle Aufgabe von Freilichtmuseen: Das Beispiel: Oberpfälzer Freilandmuseum. Heimat Nabburg 15, Nabburg S. 74–89. 1994(b): Freilandmuseen als Bildungseinrichtungen und Lernfelder zwischen historischer und realer (heutiger) Wirklichkeit. In: Kontroversen um die Konzeption und kulturelle Aufgabe von Freilandmuseen: Das Beispiel: Oberpfälzer Freilandmuseum. Hrsg. von D. Denecke und Ch. Daxelmüller. Heimat Nabburg 15, Nabburg. S. 120–127. 1994(c): Denecke, D. und Ch. Daxelmüller (Hrsg.): Kontroversen um die Konzeption und kulturelle Aufgabe von Freilichtmuseen. Das Beispiel: Oberpfälzer Freilandmuseum Nabburg. Heimat Nabburg 15, Nabburg 182 Seiten. 1994(d): Göttingen – a German University town over the past quarter century. In: H. Clout (Hrsg.): Europe’s cities in the late twentieth century. (Nederlandse Geografische Studies; 176). Amsterdam, S. 187–198. 1994(e): Historische Geographie – kulturlandschaftsgenetische, anwendungsorientierte und angewandte Forschung: Gedanken zur Entwicklung und zum Stand der Diskussion. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 68, S. 431– 444. 1994(f): Set-aside and landscape preservation: The German experience. In: Blacksell, M., Williams, A.M. (Hrsg.) The European challenge: Geography and development in the European Community. Oxford, S. 259–272. 1994(g): Wüstungsforschung als kulturlandschafts- und siedlungsgenetische Strukturforschung. In: Siedlungsforschung, 12, S. 9–34. 1995(a): Historisch-geographische Umweltforschung. Klima, Gewässer, Böden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. In: G. Dahlbäck. (Hrsg.): Miljö och livskvalitet under vikingatid och medeltid – Fem föreläsningar från ett symposium Stockholm hösten 1990. Sällskapet Runica et Mediaevalia, Opuscula 3. Stochkolm, S. 9–49. Zugleich in: Siedlungsforschung, 12, 1994, S. 235–263. (Titel: Interdisziplinäre historisch-geographische Umweltforschung.) 1995(b): Hermann Wagner und die Entwicklung der Geographie an der Albertus-Universität in Königsberg. In: Rauschning, D., v. Nerée, D. (Hrsg.): Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Berlin. Jahrbuch der Albertus-Universität 29, 1994. S. 711–727. 1996(a): Frühe Ansätze anwendungsbezogener Landesbeschreibung in der deutschen Geographie (1750–1950). In: Heinritz, G.; Sandner, G.; Wiessner, R. (Hrsg.): Der Weg der deutschen Geographie. Rückblick und Ausblick. Potsdam 1995 – Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen, 4, S. 111– 131. 1996(b): „In Würdigung seiner hervorragenden Verdienste um die deutsche Landeskunde“: Verleihung der „Robert – Gradmann – Medaille“ an Helmut Jäger. – In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 70, S. 5–9. 1996(c): Straßen – Fernstraßen, Heerstraßen, Altstraßen [im Untereichsfeld]. In: Hauff, M. (Bearb.), Ebeling, H.H. (Bearb.), Duderstadt und das Un-
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tereichsfeld – Lexikon einer Landschaft in Südniedersachsen. – Duderstadt, S. 292–295, mit Übersichtskarte: Archäologisch-Historische Karte des Untereichsfeldes, M. 1: 50000. *109. 1997(a): Quellen, Methoden, Fragestellungen und Betrachtungsansätze der anwendungsorientierten geographischen Kulturlandschaftsforschung. In: Schenk, W.; Fehn, K., Denecke, D. (Hrsg): Kulturlandschaftspflege: Beiträge der Geographie zur räumlichen Planung, Berlin 1997, S. 35–49. 110. 1997(b): Anwendungsorientierte Ansätze in der Frühzeit der Geographie in Göttingen. In: Geographie in der Grundlagenforschung und als Angewandte Wissenschaft – Göttinger Akzente. Göttinger Geographische Abhandlungen, 100. Göttingen, S. 111–126. 111. 1997(c): Schenk, W.; Fehn, K.; Denecke, D. (Hrsg): Kulturlandschaftspflege. Beiträge der Geographie zur räumlichen Planung. Berlin. 316 Seiten. 112. 1999(a): Göttingen. In: Behringer, W.; Roeck, B. (Hrsg.). Das Bild der Stadt in der Neuzeit, 1400–1800, München, S. 227–234. *113. 1999(b): Kulturlandschaftsgenese im Freiland- und Landschaftsmuseum: Konzeptionen der Dokumentation und Vermittlung. In: Aurig, R. (Hrsg.): Kulturlandschaft, Museum, Identität. Schriften der Rudolf Kötzschke-Gesellschaft, 4. Beucha, S. 37–45. 114. 2000: Geographische Kulturlandschaftsforschung für eine Kulturlandschaftspflege, bezogen auf unterschiedliche Landschaftsräume.- In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 74, S. 197–219. *115. 2001(a): Zur Entstehung des Verkehrs. – In: Niederstätter, A. (Hrsg.): Stadt: Strom – Straße – Schiene. Die Bedeutung des Verkehrs für die Genese der mitteleuropäischen Städtelandschaft. Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas; 16. Linz, S. 1–25. 116. 2001(b): Bauen, Infrastruktur und Sparkasse: Die Entwicklung der Stadt Göttingen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. – In: Kaufhold, K.H. (Hrsg): 1801 bis 2001: 200 Jahre Sparkasse Göttingen: Älteste deutsche kommunale Sparkasse, Stuttgart/Göttingen, S. 347–383. 117. 2001(c): Wanderglashütten in Mitteleuropa – ein historisch-geographischer Blick in die Forschung. – In: Kroker, W. (Hrsg): Glas-Kunst, Technik, Wirtschaft. Die Technikgeschichte als Vorbild moderner Technik. Schriftenreihe der Georg-Agricola-Gesellschaft zur Förderung der Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik e.V.; 26, Bochum. S. 61–75. 118. 2001(d): 25 Jahre ,Arbeitskreis für genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa‘: Das interdisziplinäre und internationale Umfeld im Rückblick. In: Siedlungsforschung, 19, S. 271–308. 119. 2002(a): Stadtgeschichte und Stadtplanung. In: Die Alte Stadt, 29, S. 1–7. 120. 2002(b): Konzeption der Dokumentation, Erhaltung, Pflege und Vermittlung einer montanen Kulturlandschaft im Harz. In: Koschik, H. (Hrsg): Bodendenkmalpflege und Industriekultur. Materialien zur Bodendenkmalpflege im Rheinland, 13. Köln. S. 41–49. 121. 2002(c): Vor und während der Reise: Informationen und Planungen zum Weg, zur Fahrt und zur Rast in historischer Zeit. In: Aurig, R., Butz, R., Gräßler, I.,
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123. 124. *125. 126.
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Thieme, A. (Hrsg): Im Dienste der historischen Landeskunde. Festschrift für Gerhard Billig. Beucha, S. 459–469. 2002(d): Das Eichsfeld – Landschaftsräumliche Strukturen und Beziehungsgefüge eines Grenzraumes in historisch-geographischer Perspektive. In: Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg): Das Eichsfeld – Ein deutscher Grenzraum. Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung: Niedersachsen – vom Grenzland zum Land der Mitte, Folge 6, Hannover, S. 7–46 2002(e): Göttingen – Geschichte einer Universitätsstadt.- Böhme, E., Denecke, D., Kühn, H.M., von Thadden, R., Trittel, G.T.,Vierhaus, R. (Hrsg.), 3 Bde., Göttingen 1987 / 1999 / 2002. 2002(f): Religiös motivierte Abwanderung aus Deutschland und Ansiedlung in Palästina in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. – In: Siedlungsforschung, 20, S. 211–237. 2003(a): Altwegerelikte: Methoden und Probleme ihrer Inventarisation und Interpretation. Ein systematischer Überblick. – In: Wege als Ziel. Kolloquium zur Wegeforschung in Münster, 2000, Münster, S. 1–16. 2003(b): German motivation, concepts and activity in the exploration and development of the cultural landscape in nineteenth century Palestine. – In: Goren, H. (Hrsg): Germany and the Middle East. Past, Present and Future. Jerusalem. World Powers and the Middle East, Jerusalem, S. 185–199. 2004(a): Soziale Strukturen im städtischen Raum: Entwicklung und Stand der sozialtopographischen Stadtgeschichtsforschung. In: Meinhardt M., Ranft, A. (Hrsg): Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Bd. 1 . Berlin, im Druck 2004(b): Quartiere, Viertel, Nachbarschaften. Zur historisch-geographischen tourismusorientierten Interpretation des innerstädtischen Gefüges. In: Die Alte Stadt, 31, S. 104–116. 2004(c): Anwendungsorientierte historisch-geographische Stadtforschung im System Denkmalpflege. In: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege (Hrsg): System Denkmalpflege-Netzwerke für die Zukunft. Bürgerliches Engagement in der Denkmalpflege. Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 31, Hannover, S. 360–369. 2004(d): Die ,Göttinger Monatsblätter‘ – Ständige Beilage im ,Göttinger Tageblatt‘: Ein Register. Serie Alexander 4. Göttingen. 32 Seiten. 2005(a) ,The impact of the German missionary enterprise in Palestine on colonization and technological development, 1820–1914‘ mit R. Kark und H. Goren. In: Tamcke, M., Marten, M. (Hrsg.): Historical Missions in the Middle East. Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte. Münster, Hamburg und Kondan, im Druck. 2005(b): Zentrale und periphere Räume und Standorte in der Kulturlandschaft: Der östliche Ostseeraum in historisch-geographischer Perspektive. – In: Siedlungsforschung, 22, in Vorbereitung. 2005(c): Die deutsche Missionstätigkeit und die räumliche Entwicklung der
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