Wegbereiter der Emanzipation?: Studien zur Judenpolitik des »Aufgeklärten Absolutismus« in Preußen (1763 - 1812) [1 ed.] 9783428530908, 9783428130900

Während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrten sich die Anzeichen für einen grundlegenden Wandel im Verhältnis

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Wegbereiter der Emanzipation?: Studien zur Judenpolitik des »Aufgeklärten Absolutismus« in Preußen (1763 - 1812) [1 ed.]
 9783428530908, 9783428130900

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Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Band 39

Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763 –1812)

Von Tobias Schenk

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS SCHENK

Wegbereiter der Emanzipation?

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Begründet von Johannes Kunisch Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer und Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll

Band 39

Wegbereiter der Emanzipation? Studien zur Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ in Preußen (1763 –1812)

Von Tobias Schenk

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

Das Historische Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 978-3-428-13090-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 unter dem Titel „‚... gar nicht als Abgabe oder Beschwerde anzusehen‘? Untersuchungen zur friderizianischen Judenpolitik im Spiegel ihrer Sonderabgaben (1763 – 1812)“ vom Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und für die Drucklegung gekürzt und überarbeitet. In diesem Zusammenhang gilt mein Dank der Universität, insbesondere Ulrike KohrtSinner, für die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie der VG Wort für einen Zuschuss zu den Druckkosten. Sehr gern ergreife ich an dieser Stelle die Gelegenheit, jenen Menschen zu danken, die meine Forschungen in den vorangegangenen Jahren auf unterschiedlichste Weise unterstützt und mit zahlreichen Anregungen begleitet haben. Mein Interesse für das Thema wurde eher zufällig durch ein Praktikum geweckt, das ich im Jahr 2001 bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg im historischen Archiv der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin absolvieren konnte. Für die hierbei sowie anläßlich späterer Archivbesuche stets gewährte Gastfreundschaft im Schloß Charlottenburg danke ich Dr. Samuel Wittwer, Dr. Jakub Kurpik und Eva Wollschläger M.A. Die Betreuung meiner 2003 verfaßten Magisterarbeit über das „Judenporzellan“ übernahm freundlicherweise Prof. Dr. Lothar Maier (Münster). Im Anschluß gewährte mir mein Doktorvater Prof. Dr. Bernhard Sicken vielfältige Anregungen und begleitete mein Projekt mit kontinuierlichem Interesse. Ihm sei dafür ebenso herzlich gedankt wie Prof. Dr. Barbara StollbergRilinger für die wohlwollende Übernahme des Zweitgutachtens. Gelegenheit, die Ergebnisse an historischem Ort zur Diskussion zu stellen, bot ein im Oktober 2006 durch Prof. Dr. Birgit Klein und Prof. Dr. Michael Brenner veranstaltetes Doktorandenkolloquium des Leo Baeck Instituts in der Moses Mendelssohn Akademie Halberstadt, das mir in bester Erinnerung bleibt. Eine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission für Westfalen im Rahmen des Projekts eines Handbuchs jüdischer Gemeinschaften in Westfalen und Lippe ermöglichte es in den folgenden Monaten, die zuvor gewonnenen Ergebnisse regional- und lokalgeschichtlich zu vertiefen. Hierfür sowie für die stets angenehme Arbeitsatmosphäre im Erbdrostenhof zu Münster danke ich Dr. Anna-Therese Grabkowsky herzlich. Die Mühen des Korrekturlesens nahmen dankenswerterweise auf sich Dr. Bastian Gillner (Marburg), Kristina Thies M.A., Peter Grasemann M.A. (Münster), Christian Bunnenberg M.A. (Köln), Ines Koeltzsch M.A. und Anne-Christin Saß M.A. (Berlin). Für einen anregenden Gedankenaustausch, von dem ich sehr profitiert habe, statte ich Dr. habil. Stephan Laux (Düsseldorf),

6

Vorwort

Dr. Rolf Straubel, Dr. Vera Bendt (Berlin) sowie meinen „Klassenkameraden“ im 42. Wissenschaftlichen Kurs an der Archivschule Marburg, Dr. Aleksandra Pawliczek (Berlin), Dr. Stefan Lang (Ulm) und Dr. Stephen Schröder (Weimar) meinen herzlichen Dank ab. Nicht vergessen seien auch die zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter der archivarischen Zunft, die mich bei meinen Recherchen in zuvorkommender Weise unterstützt haben. Daß dessen ungeachtet die Fehler und Unzulänglichkeiten der vorliegenden Studie allein auf meine Kappe gehen, versteht sich von selbst. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der „Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ danke ich Prof. Dr. Johannes Kunisch (Köln), Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer (Würzburg) und Prof. Dr. Frank-Lothar Kroll (Chemnitz). Dr. Michael Kaiser (Köln) und Dr. Jürgen Luh (Potsdam) verdanke ich die Möglichkeit, einen Teil des im Rahmen der vorliegenden Arbeit entstandenen statistischen Materials über das Onlinepublikationsforum „perspectivia.net“ zu veröffentlichen. Nicht denkbar gewesen wäre die Promotion indes ohne die jahrelange Unterstützung durch meine lieben Eltern. Ihnen sei die vorliegende Arbeit gewidmet. Wien, im November 2009

Tobias Schenk

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

I.

Juden im friderizianischen Preußen – eine Erfolgsgeschichte? . . . . . . . .

15

II.

Zum Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

III.

Quellenlage und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

IV.

Von Münzen und Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740 . . . . . .

66

I.

Der Beginn „absolutistischer“ Judenpolitik in Brandenburg-Preußen: Die erneute Aufnahme von Juden in Brandenburg im Jahre 1671 . . . . . . . . .

66

Grundzüge der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der jüdischen Minderheit bis zur Thronbesteigung Friedrichs II. im Jahre 1740

71

C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763 . . . . . . . . . . . . .

78

II.

I.

Zur Rolle der Juden im Denken Friedrichs des Großen. Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

II.

Entwicklungen in der Judenpolitik unter besonderer Berücksichtigung des Generalreglements von 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Zum Einfluß des Siebenjährigen Krieges auf die Judenpolitik . . . . . . . . .

96

III.

D. Die zweiten Kinder und ihr jährlicher Manufakturwarenexport von 1763 bis um 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I.

Die Verhandlungen um eine Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 – 1765 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

II.

Das Generalfiskalat als judenrechtliche Kontrollinstanz . . . . . . . . . . . . . 126

III.

Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

IV.

Probleme aus dem Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

V.

Sanktionsmaßnahmen bei Nichterfüllung der Exportauflagen . . . . . . . . . 163

VI.

Zum Fortdauern der Exportauflagen bis zur Jahrhundertwende . . . . . . . . 168

VII. Der Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 1 (1765 –1786) . . . . 182 I.

Von der Gründung durch die Kurmärkische Kammer bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 – 1769) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

II.

Der Übernahmevertrag vom 12. Januar 1769 und die Finanzierung der Templiner Manufaktur durch die Judenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

8

F.

Inhaltsverzeichnis III.

Auf der Suche nach einem Entrepreneur: Johann Heinrich Düntz oder Abraham Jacob Eschwege? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

IV.

Grundzüge der Templiner Arbeits- und Betriebsorganisation . . . . . . . . . 214

V.

Die Manufaktur unter der Direktion von Abraham Jacob Eschwege zur Zeit Friedrichs des Großen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

VI.

„... da soll ihnen freystehen, sich allda anzusetzen“? Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen und die Haltung einzelner Magistrate . . . . . . . . 240

Zur Porzellanherstellung in Preußen und ihren Problemen . . . . . . . . . . . . 250 I.

Die Geschichte der Porzellanherstellung in Preußen bis zur Gründung der Königlichen Porzellanmanufaktur (KPM) im Jahre 1763 . . . . . . . . . . . . . 250

II.

Zur fiskalischen Funktion der KPM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

III.

Probleme des „auswärtigen Debits“ bis zur Einführung des Exportzwangs für die Lotteriepächter und die Judenschaft im Jahre 1769 . . . . . . . . . . . 255

G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 – 1779) . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I.

Einführung und erste „Ausführungsbestimmungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Kabinettsdekret vom 21. März 1769 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bestimmung von Exportsortimenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einrichtung der Manufakturquittungen und Zollatteste . . . . . . . . .

260 260 262 266

II.

Die Umsetzung des Exportzwangs – Einzelbeispiele aus den ersten Jahren 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Textilfabrikant Berend Hirsch aus Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Seidenhändler Seligmann Joseph aus Königsberg / Pr. . . . . . . . . . . . . .

274 274 275 284

III.

Erneuter Rechtsbruch: Der Exportzwang bei der Ansetzung erster und zweiter Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

IV.

„... allermaßen dieses gar nicht als eine Abgabe oder Beschwerde anzusehen ist“. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

V.

Die Ausnahmeregelung für die ostfriesische Judenschaft . . . . . . . . . . . . . 325

VI.

Zur Lage der Generalprivilegierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

VII. Der Porzellanexport bei der Approbation von Gemeindebedienten . . . . . 337 VIII. Porzellanexporte durch jüdische Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Erwerb Westpreußens und die Judenschaft in den Danziger Vorstädten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Potsdam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Frankfurt an der Oder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Brandenburg an der Havel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.

345 345 346 354 357 362

Zur Organisation von Zwangsexporten einer Luxusware: Kommissionäre und Käufer von „Judenporzellan“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362

Inhaltsverzeichnis

9

X.

Die Haltung der KPM-Direktion sowie der Kabinettsräte Galster und Stelter zu den sinkenden Einnahmen durch den Exportzwang . . . . . . . . . 374

XI.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 – 1786) . . . . . . . . . . . . . . . . 384 I.

Bürgerliche Verbesserung der Juden? Skizze einer Debatte . . . . . . . . . . . 384

II.

Ein Münchner Todesfall und seine Folgen. Die fiskalische Revision des Exportzwangs im Jahre 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

III.

Vertreibung zweier Sündenböcke? Jacob Salomon Friedländer und Simon Samuel Aaron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

IV.

Zur Konzessionsvergabe nach 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

V.

Die Wiedereinführung des Exportzwangs in Ostfriesland . . . . . . . . . . . . 413

VI.

Christliche Kolonisten – der Provinz viel zuträglicher als eine PorcellaineExportation? Der Porzellanexportzwang im Netzedistrikt . . . . . . . . . . . . 426

VII. Porcellainefreyheit in Preußen. Dispensationen auf königlichen Befehl nach 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 VIII. Generalfiskal d’Anières, KPM-Direktor Grieninger und ihr Feldzug gegen die Porcellainerestanten (1779 – 1786) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einrichtung der Kommission d’Anières-Grieninger und ihre erste Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Beginn der Exekutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Armenliste und die Hypothekenscheine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Entzug der Schutzbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

444 444 451 461 466

IX.

Judenporzellan und Retablissement. Zu den Auswirkungen des Exportzwangs auf das ländliche Wirtschaftsgefüge. Beispiele aus Westpreußen und Pommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480

X.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490

I.

Ein neuer König in Preußen. Friedrich Wilhelm II. und die gescheiterte Reform des Judenwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

J.

Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs . . . . . . . . . 514 I.

Eine „verhältnismäßigere“ Einrichtung des Exportzwangs? Friedrich Wilhelm II. und das Judenporzellan bis zum Frühjahr 1787 . . . . . . . . . . . . . 514

II.

Die Einrichtung der KPM-Kommission unter Friedrich Anton von Heinitz im April 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520

III.

Die Verhandlungen zwischen Heinitz und den jüdischen Oberlandesältesten und Generaldeputierten bis zur Aufhebung des Exportzwangs im Februar 1788 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527

IV.

Zur „Abwicklung“ des Abnahmezwangs: Die Rückgabe eingezogener Konzessionen und der Hypothekenscheine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

V.

Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt. und die dadurch hervorgerufenen Spannungen innerhalb der Judenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 547

10

Inhaltsverzeichnis VI.

Die Verwendung der Ablösesumme durch die Porzellanmanufaktur und das Kabinett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559

K. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 2 (1786 –1812) . . . . 562 I.

Die gescheiterte Initiative David Friedländers (1792 –1794) . . . . . . . . . . 562

II.

Die Auseinandersetzungen zwischen den Berliner Ältesten und der Klevischen Landjudenschaft (1798 – 1803) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567

III.

Von Abraham Jacob Eschwege zu Christian Friedrich Dünz (1801 –1806) 579

IV.

Am Ende war Napoleon (1806 – 1812) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610

L. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 M. Anhang: Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660 I.

Verzeichnis ungedruckter Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 660

II.

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 752

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis I. Verzeichnis der Tabellen im Text Tab. 1: Einkommensverhältnisse jüdischer Kaufleute in Frankfurt an der Oder (1763) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Tab. 2: Erster Repartitionsvoranschlag der Berliner Ältesten zur Aufbringung der 70.000 Rt. vom 4. September 1764 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Tab. 3: Repartitionstabelle für die zur Ansetzung des zweiten Kindes geleistete Zahlung von 70.000 Rt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Tab. 4: Jährliche Textilausfuhr durch zweite Kinder in der Kurmark . . . . . . . . . . 136 Tab. 5: Jährliche Textilausfuhr durch zweite Kinder in Pommern . . . . . . . . . . . . . 137 Tab. 6: Jährliche Textilausfuhr durch zweite Kinder in der Neumark . . . . . . . . . . 138 Tab. 7: Ausfuhrstatistik Pommerns sowie der Kur- und Neumark von 1781 . . . . . 140 Tab. 8: Auflistung der 1769 in Templin wohnhaften Strumpfwirkermeister . . . . . 223 Tab. 9: Porzellanexporte zur Approbation von Gemeindebedienten . . . . . . . . . . . 342 Tab. 10: Ziel- und Transitländer des Judenporzellans im Spiegel der erhaltenen Zollbescheinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Tab. 11: Einnahmen der KPM durch jüdische Zwangsexporte zwischen 1769 und 1778 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Tab. 12: Besitzinventar der Porcellainerestanten Isaac Jacob Pels und Itzig Liepmann aus Emden, Juni 1781 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Tab. 13: Porcellainerestanten in der Inspektion des Konitzer Steurrates Michalowski, 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 Tab. 14: Anzahl der in den Jahren 1769 bis 1787 in der preußischen Monarchie mit Ausnahme Schlesiens an Juden verliehenen Konzessionen . . . . . . . . . . . 494 Tab. 15: Einnahmen der KPM durch jüdische Zwangsexporte zwischen 1779 und 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Tab. 16: Die Höhe der regulären jüdischen Abgabenlast im Jahre 1789 . . . . . . . . . 509 Tab. 17: Vorschlag der KPM-Direktoren Grieninger und Klipfel für einen neuen Abnahmetarif vom 30. April 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Tab. 18: „Repartition der allerhöchst festgesetzten Summa von 40.000 Rt. auf die sämtlichen Wohlhabenden der Judenschaft in allen Provinzen und Städten Seiner Königl. Majestät von Preußen.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

12

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tab. 19: Erste Subrepartition der Porzellanablösesumme durch die neumärkische Landjudenschaft vom 27. Dezember 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 Tab. 20: Aufstellung der „Quartalsporzellangelder“ der jüdischen Gemeinde von Wusterhausen / Dosse, abzuliefern an den dortigen Kassierer Wolff Liebmann (1789) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552 Tab. 21: Beiträge der jüdischen Gemeinde von Drossen zu den Porzellangeldern zur Ablösesumme der 40.000 Rt. (1788) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Tab. 22: Zweite Subrepartition der Ablösesumme durch die neumärkische Landjudenschaft vom 10. Dezember 1788 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Tab. 23: Geschätzte Belastung der preußischen Judenschaft durch diverse Sonderabgaben (1763 – 1812) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628

II. Abbildungsnachweis Abb. 1: BLHA, Rep. 2, Nr. S.7946, Bl. 5 –6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Abb. 2: GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4587, Bl. 16

207

Abb. 3: GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4747, Bl. 17

270

Abb. 4: GStA PK, II. HA, Magdeburg, Materien, Tit. CCV, Nr. 8, Bl. 19 . . . . . . . 273 Abb. 5: BLHA, Rep. 2, Nr. S.4179, Bl. 97 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Abb. 6: BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1062, Bl. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472

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A. Einleitung I. Juden im friderizianischen Preußen – eine Erfolgsgeschichte? Als Theodor von Brabeck, Abt der westfälischen Reichsabtei Corvey (reg. 1776 – 1794) im Jahre 1789 die Tributgelder für die 49 Haushalte umfassende Judenschaft von 200 auf 276 Rt. erhöhte und den Landrabbiner aufforderte, „die Säumigen zur Zahlung ihres Kontingents durch nötige Zwangsmittel anzuhalten“, 1 lag der Abt mit dieser harschen Vorgehensweise durchaus im Trend seiner Zeit. Denn in der Welt des Alten Reiches, in der Corvey lediglich einen Mosaikstein bildete, galten im Epochenjahr 1789 noch immer die Regeln der Ständegesellschaft, innerhalb derer zahlreiche Individuen oder Korporationen über unterschiedlich entwickeltes Eigenrecht verfügten. Teil dieser Gemengelage war eine „vielfältig gestufte Hierarchie von privilegierten, geduldeten und ausgegrenzten bzw. diskriminierten Fremden. Die materiellen Auswirkungen erstreckten sich beispielsweise auf Handelsvergünstigungen und Zölle, auf die Kosten von Einbürgerungsverfahren (Bürgergeld), auf Steuern, die beim Vermögenstransfer in die Fremde fällig waren (Abzug), oder auf die (fehlende) Erlaubnis zum Immobilienbesitz“. 2 Prinzipiell sind rechtliche und kulturelle Differenz vor diesem Hintergrund also nicht als Spezifika jüdischer Existenz der Frühen Neuzeit zu begreifen, sondern lediglich als eine Ausprägung „der damals allen vertrauten und letztlich nicht hinterfragten Ungleichheit“. 3 Doch obwohl es sich bei der Frühen Neuzeit innerhalb der (deutsch-)jüdischen Geschichte noch immer um eine „relativ schlecht erforschte Epoche“ 4 handelt, so herrscht andererseits doch über eines weitgehende Einigkeit: „Die Verschlechterung der Aufenthaltsbedingungen der Juden im 18. Jahrhundert war ein verbreitetes Phänomen im Alten Reich“. 5 Wenngleich jüdische Existenz keineswegs in einer obrigkeitlichen Perspektive (die stets auch eine christliche ist) aufgeht, so muss deshalb den rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Erforschung jüdischer Geschichte im voremanzipatorischen Zeitalter zweifellos besondere Bedeutung zugemessen werden. 6

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Deventer, S. 193. Häberlein / Zürn, S. 13. Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit, S. 13. Hödl / Rauscher / Staudinger, S. 9; ferner allg. Battenberg, Juden in Deutschland. Waßmuth, S. 57.

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A. Einleitung

Die durch zahllose obrigkeitliche Edikte immer weiter eingeschränkten ökonomischen Betätigungsfelder, genannt seien nur der Ausschluß von der Landwirtschaft und den zünftigen Handwerken sowie die zahlreichen Edikte gegen den Hausierhandel, korrelierten mit einem quantitativen Wachstum der Juden in Deutschland und bedingten so, nicht nur im Zwergterritorium Corvey, eine rasante Ausbreitung der Armut. 7 Sichtbarster Ausdruck der um sich greifenden Pauperisierung nicht zuletzt „infolge räuberischer Besteuerung“ 8 war die rapide Ausbreitung des Betteljudentums, dem um 1780 die überwiegende Mehrzahl der gesamten Judenschaft in Deutschland zugerechnet werden muß 9 und das nicht nur zum beständigen Thema obrigkeitlicher Policeygesetzgebung 10 avancierte und selbst auf Ebene der Reichskreise diskutiert wurde, 11 sondern auch die überkommenen Formen jüdischer Armenfürsorge schließlich sprengte. So habe die bürgerliche Gleichstellung der Juden zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Ansicht Arno Herzigs neben allem anderen auch einer wirtschaftlichen Notwendigkeit entsprochen, „da das System der Schutzjudenschaft immer mehr Juden sozial deklassierte, indem es sie bei Verlust des Geleits [also der Niederlassungserlaubnis] zu einer unsicheren Existenz als Pack- und Betteljuden zwang“. 12 Diese Sicht bestätigt sich beispielsweise durch einen Blick auf Kurköln, wo um 1780 ein Drittel aller Juden nicht über einen gültigen Geleitbrief verfügte. Neben „eingeschlichenen“ ausländischen Juden scheint es sich dabei vor allem „um frühere kurkölnische Schutzjuden oder deren Nachkommen gehandelt zu haben, die verarmt und somit 6 So betrachtet beispielsweise Fleermann, S. 381 obrigkeitliche Restriktionen als „konkretes und mitwirkendes Teilstück alltäglicher Handlungs- und Erfahrungsebenen“ der Juden; vgl. die konzeptionellen Ausführungen von Rohrbacher, Medinat Schwaben, S. 80 – 81; Klein, Obrigkeitliche und innerjüdische Quellen. 7 Deventer, S. 194 – 195: „Vor allem in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts verursachte die ansteigende Armut scharfe interne Auseinandersetzungen.“ Vgl. die chronologisch teilweise vorgelagerten Ausführungen bei Israel, S. 205: „At the heart of the crisis was the fact that while the Jewish population was increasing, there was no expansion of the Jewish economy and no relaxation of the countless stifling restrictions on Jewish economic activity in force in Germany, Italy, Bohemia-Moravia, or western Poland.“ Ferner Glanz, S. 129 – 133. 8 So die drastische Formulierung von Arnold, S. 135. 9 Die Schätzungen reichen dabei regional verschieden von gut 50 bis zu 90%. Siehe Battenberg, Zeitalter der Juden, Bd. 2, S. 10; Volkov, S. 6; Pohlmann: „Die bürgerliche Verbesserung der Juden“, S. 273; Israel, S. 205: „By 1750 well over half the 60,000 or so Jews living in the German states, excluding Austria, lived a marginal existence of peddling, begging, and petty crime.“ 10 Zittartz-Weber: Zwischen Religion und Staat, S. 39. So ergingen beispielsweise allein im Kleinstaat Lippe zwischen 1712 und 1820 elf Verordnungen gegen Betteljuden und andere Vaganten. Siehe Pohlmann: Vom Schutzjuden zum Staatsbürger jüdischen Glaubens, S. 79. 11 Post, S. 411 – 425. 12 Herzig, Berührungspunkte und Konfliktzonen, S. 177. Auf den Zusammenhang von Judenemanzipation und sozialer Frage verweist auch Marzi, S. 46.

I. Juden im friderizianischen Preußen – eine Erfolgsgeschichte?

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nicht mehr in der Lage waren, sich die Grundlage für eine notdürftig gesicherte Existenz zu sichern“. 13 Wie aber sah es im Königreich Preußen aus, das sich im Laufe des 18. Jahrhunderts nicht nur zu einem bedeutenden deutschen Staat, sondern darüber hinaus zu einer Macht von europäischem Rang aufschwang und dabei zumindest seit 1740 mit Friedrich dem Großen (1712 –1786) von einem Monarchen regiert wurde, dessen Platz in der Geschichte untrennbar mit dem Begriff der Toleranz verbunden zu sein scheint? Nach dem Erwerb Schlesiens befanden sich um die Mitte des Jahrhunderts immerhin rund 14.000 Juden unter dem Szepter des Roi philosophe – mithin etwa 20% der auf 60.000 Individuen geschätzten Judenschaft im Alten Reich. 14 Lebte man dort als Jude besser als im übrigen Deutschland? Wurde man gar in die Peuplierungsbemühungen einbezogen, die Friedrich II. ebenso wie sein Vater zweifellos als „Staatsaufgabe“ 15 begriff? Bei näherem Hinsehen kann jedoch selbst in Preußen schwerlich davon die Rede sein, der Absolutismus habe die Untertanen „als einheitliche demographische Kategorie wahrgenommen [und] von ihrer ständisch-rechtlichen Differenzierung [...] abstrahiert“. 16 So vermerkte der preußische Topograph Friedrich Wilhelm August Bratring (1772 – 1829) in seiner Beschreibung der Mark Brandenburg im Jahre 1804: Weil die städtischen Erwerbszweige der Christen von der bekannten Industrie [hier im Sinne von Raffinesse, Umtriebigkeit] dieser Nation sehr beeinträchtigt werden würden, so sind den Juden, mit Ausnahme derer, welche die Rechte der christlichen Kaufleute erhalten haben, in Absicht ihres Verkehrs bestimmte Grenzen gezogen. [...] Die Anzahl der Juden vermehrt sich, bei der Fruchtbarkeit ihrer Ehen, ansehnlich, so daß sie das bestimmte Verhältniß bald übersteigen würden, wenn man ihrer Ansetzung [Niederlassung] und Verheitrathung nicht so große Schwierigkeiten in den Weg gelegt hätte. 17

13 Rohrbacher, Räuberbanden, Gaunertum und Bettelwesen, S. 117; zu jüdischer Delinquenz neuerlich auch Kühn, Jüdische Delinquenten. 14 Toury, Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 139. Bis 1787 stieg diese Zahl durch natürliches Wachstum sowie insbesondere den Erwerb Westpreußens und des Netzedistrikts (1772) auf etwa 32.000. Siehe Lewin, Judengesetzgebung, S. 475. 15 Die zeitgenössischen Diskurse um Volksvermehrung beleuchtet Fuhrmann, Volksvermehrung als Staatsaufgabe; als Einstieg ferner Bade / Oltmer, Deutschland, S. 142 –144. 16 So hingegen Behrisch, S. 9; ähnlich Stolleis, S. 18; vgl. hingegen die treffende Bemerkung bei Jehle, S. 28: „Prussian demographic policies drew a precise distinction between Jews and Christians“. Jehles quellengesättigte Ausführungen beziehen sich zwar auf die besonders dramatische, von Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen gekennzeichnete Situation im Netzedistrikt, dürfen jedoch auch bei einer Betrachtung preußischer Judenpolitik in den übrigen Provinzen nicht außer Acht gelassen werden. 17 Bratring, Bd. 1, S. 33. Auf die Beschränkung der Eheschließungen durch die Staaten des „Aufgeklärten Absolutismus“ wies deshalb unlängst zu Recht hin Reinalter, Juden, Judentum, S. 331 – 333.

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A. Einleitung

Fixiert waren diese aus einer nahezu endlosen Liste von Restriktionen bestehenden Schwierigkeiten in Friedrichs Revidiertem Generalreglement für die Judenschaft von 1750, welches noch 1790, aus der Perspektive des Publizisten Johann Balthasar König, „bis jetzt die Axe gewesen ist, um welche sich alle jüdische bürgerliche Handlungen gedreht haben“. 18 Vollkommen unbestritten ist es deshalb in der Forschung, wenn David Vital die friderizianische Judengesetzgebung unlängst als ein „longestablished regime in a particularly strict, uncompromising, and onerous manner“ 19 charakterisierte. Demnach kann kein Zweifel bestehen: Folgt man der Forderung Stefi Jersch-Wenzels, die gesellschaftliche und soziale Situation der preußischen Juden „sehr weitgehend aus ihrer Rechtslage zu erklären“, 20 so kann man mit Arno Herzig nur von einer schrittweisen „sozialen Auspowerung“ 21 der Betroffenen ausgehen. Allerdings, und hier wird es interessant, soll nach einer weit verbreiteten Lesart etwas ganz anderes dabei herausgekommen sein: eine Erfolgsgeschichte – gewissermaßen die deutsch-jüdische Erfolgsgeschichte. Denn obwohl sie, wie hier lediglich angedeutet wurde, denselben, wenn nicht gar noch schärferen Restriktionen unterlagen wie ihre Glaubensgenossen in anderen deutschen Territorien, seien „die“ preußischen Juden „aus dieser Politik [Friedrichs II.] auf bemerkenswerte Weise gestärkt“ 22 hervorgegangen. Auch die namentlich in der zweiten Jahrhunderthälfte rapide wachsende Abgabenlast habe dies nicht ändern können, denn: „Trotz erhöhter Steuerlasten war die jüdische Gemeinschaft unter Friedrich dem Großen in ihrer Mehrheit wirtschaftlich erfolgreich, und es gab in ihrer Mitte etliche außerordentlich reiche Leute.“ 23 Anders als so mancher Zeitgenosse wie der zitierte Bratring meinte, habe also die restriktive friderizianische Gesetzgebung offenbar nur begrenzte Wirkung entfaltet, so „daß man trotz der Verschlechterung der Rechtsstellung der Juden im Laufe des 18. Jahrhunderts von einer gewissen Minderung des Drucks auf sie sprechen kann“. 24 18

König, Vorrede. Vital, S. 64, wo es weiter heißt: „Prussian Jews, like those of virtually all other German states, had long been heavily policed with a view, on the one hand, to the severe limitation – and, if possible, reduction – of their numbers (on the grounds that Jews were intrinsically undesirable) and, on the other hand, to the squeezing of the highest possible return in taxes from them consistent with maintaining them as a source of revenue. [...] In Prussia, at all events, the relevant taxes were numerous, heavy, and arbitrary.“ Aus der Fülle der Literatur seien ferner genannt Jersch-Wenzel, Herausbildung eines „preußischen“ Judentums, S. 19; Fehrs, Zwischen Antijudaismus und Antisemitismus, S. 39. 20 Jersch-Wenzel, Einfluß zugewanderter Minoritäten, S. 207 –208. 21 Herzig, Emanzipationspolitik Hamburgs und Preußens, S. 267; zu ähnlichen Ergebnissen gelangt Berghahn, S. 23 – 45. 22 So bei Bruer, Aufstieg und Untergang, S. 73. Ebd., S. 74 wird ausgeführt, daß mit „den“ Juden vor allem die Gruppe „selbständiger jüdischer Unternehmer und Händler“ gemeint ist. 23 Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, S. 27. 19

I. Juden im friderizianischen Preußen – eine Erfolgsgeschichte?

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Demnach hätte ausgerechnet im Königreich Preußen, das gemeinhin als besonders straff administriert gilt, eine über Jahrzehnte hinweg verfolgte Judenpolitik, die in ähnlicher Form ringsum im Alten Reich zu einer Verelendung breiter jüdischer Bevölkerungsschichten führte, einer insgesamt ökonomisch erfolgreichen Judenschaft allenfalls einige lästige Steine in den Weg gelegt. Aber ist diese Sichtweise haltbar? Aus der Ferne ist es vor allem ein Gestirn, das in der Tat während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts so hell über Preußen und schließlich über ganz Mitteleuropa zu leuchten beginnt, daß es vielfach bis auf den heutigen Tag alles andere überstrahlt: die jüdische Gemeinde Berlins. Bereits Bratring schrieb über die Juden der Hauptstadt: „Zum Flor der Fabriken und Manufakturen in Berlin und Potsdam haben sie viel beigetragen, und in Absicht der Wissenschaften haben sie verschiedene Gelehrte, aber noch weit mehr Dilettanten aufzuweisen.“ 25 Der Berliner Verleger und Aufklärer Friedrich Nicolai (1733 – 1811), 26 der in seiner Beschreibung Berlins eine imposante Liste dieser jüdischen Manufakturen auflistete, hatte schon 1769 lobend hervorgehoben, man müsse noch dazu „von der Berlinischen Judenschaft rühmen, daß unter derselben verschiedne Gelehrte, und viele Leute von Geschmak und Liebhaber der schönen Wissenschaften angetroffen werden“. 27 Gemeint waren damit neben manchem jüdischen Seidenfabrikanten vor allem Daniel Itzig (1723 – 1799) und Veitel Ephraim (1703 – 1775), des Königs „Münzjuden“, die im Siebenjährigen Krieg (1756 –1763) ein Vermögen gemacht hatten und dieses nach dem Friedensschluß mit umfangreichem Grund- und Hausbesitz sowie allseits bewunderten Kunstsammlungen, Gemäldegalerien und Bibliotheken auch zeigten. 28 Anders als viele ihrer Nachkommen dabei weiterhin fest in jüdischer Tradition verwurzelt, spielten sie indes als Mäzene und Arbeitgeber jüdischer Aufklärer, der Maskilim, eine vitale Rolle in der Formationsphase der jüdischen Aufklärung (Haskala). 29 Das Ergebnis dieser auch anderswo zu beobachtenden „effektiven Kooperation zwischen Maskilim und Hofjuden“ 30 bestand gerade in 24

Breuer, S. 147. Bratring, Bd. 1, S. 33. 26 Zur Person: Möller, Aufklärung in Preußen; Vierhaus, Friedrich Nicolai. 27 Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam (1769), S. 132. 28 Siehe Rachel / Wallich, S. 356 – 358; Lowenstein, Jewish Upper Crust; Michaelis, The Ephraim Family. 29 Siehe Schulte; Sorkin. Ungeachtet der nicht zu bezweifelnden geistes- und kulturgeschichtlichen Bedeutung dieser Entwicklung sind deren Wurzeln und Bedingungen indes seit Jahrzehnten Gegenstand einer intensiv geführten Debatte. So wird in der neueren Forschung verstärkt darauf hingewiesen, daß sich bereits seit dem späten 17. Jahrhundert Anzeichen dafür finden lassen, „that the Haskalah did not emerge suddenly but as a result of a gradual but steadily growing openess to non-Jewish culture and society“. Siehe mit weiterer Literatur Carlebach, S. 365. 30 Ries, Hofjuden, S. 30. 25

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A. Einleitung

der „boom-town“ 31 Berlin in der Herausbildung eines spezifischen „Haskala milieus“, 32 in deren Gefolge die preußische Hauptstadt nach 1763 zum Zentrum der insbesondere mit den Namen Moses Mendelssohns (1729 – 1786) verbundenen jüdischen Aufklärung in Europa avancierte. 33 Und nicht zuletzt schrieb 1781 an der Spree ein enger Freund Mendelssohns, der später nobilitierte preußische Kriegs- und Domänenrat Christian Konrad Wilhelm Dohm (1751 – 1820), seine Gedanken über die Bürgerliche Verbesserung der Juden nieder, die die überkommene Judenpolitik scharf kritisierten und den Fortgang der Judenemanzipation in Deutschland maßgeblich beeinflußten. 34 Zweifellos: Die Berliner Gemeinde leuchtet – und zwar aus heutiger Perspektive wohl mehr denn je, steht sie doch für vieles, was man sich zurückwünscht, nachdem die deutsch-jüdische Symbiose, so es sie je gegeben hat, von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Doch zeigen sich bei näherem Hinsehen bereits für die vergleichsweise wohlhabende jüdische Gemeinde der Hauptstadt unübersehbare Risse in der angeblichen Erfolgsgeschichte. So wurden in Berlin um die Jahrhundertmitte 802 jüdische Erwerbspersonen gezählt, wobei sich nicht weniger als 64,7 % am Existenzminimum bewegten, rund 26% als mittelmäßig begütert und lediglich 9 % als reich gelten konnten. 35 Eine empirische Untersuchung für den Zeitraum um 1800 kam zu dem ähnlichen Ergebnis, daß „die exzeptionelle Stellung von zwei bis drei Dutzend Berliner Juden, die freilich in der dortigen Gemeinde ebenfalls nur eine verschwindend kleine Minderheit bildeten, zur Jahrhundertwende eine Ausnahme darstellte“. 36 An dieser Stelle muß denn auch nachgehakt werden, wenn jüngst die ökonomische Funktion der Judenschaft im friderizianischen Preußen geradezu 31 Siehe Lowenstein, Jewish Upper Crust, S. 184: „The main features which set Berlin Jewry apart from other Jewish communities were its unusual wealth, its relative newness (founded in 1671), and the boom-town nature of Berlin itself.“ 32 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 5. Zur „cultural transition from Jewish tradition towards a German or European modernity“, also einer „acculturation (Annäherung) and assimilation of groups of Jews to their non-Jewish sorroundings“ siehe auch ders., Court Jews, S. 369. 33 Altmann; vgl. Malino. Die weitreichende Strahlkraft der Haskala mag die Beobachtung belegen, daß in Wilna, wo jüdische Reformer ein „Jerusalem der Aufklärung“ proklamierten, diese von ihren orthodoxen Gegnern bezeichnenderweise als „Berliner“ tituliert wurden. Siehe: Haumann, S. 111 – 113. 34 Dohm, Bürgerliche Verbesserung; vgl. zu Person und Werk: Dambacher. 35 Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 148; vgl. Berghahn, S. 28 – 29. Diese Zahlen beziehen sich auf die Gesamtheit der jüdischen Erwerbspersonen, nicht auf diejenige der Hausväter, für die Toury zu den Werten 29,9 %, 47,6% bzw. 22,5% gelangt. Vgl. die deshalb auch für Berlin sehr treffende Anmerkung von Flumenbaum, S. 36: „Der absolutistische Staat begünstigte sowohl die Ausbildung einer jüdischen Ober- als auch einer jüdischen Unterschicht. Das System der Schutzprivilegien schuf ein jüdisches Proletariat, das mangels ausreichenden Vermögens ständig vom Landesverweis bedroht war und keinen festen Wohnsitz hatte.“ 36 Straubel, Frankfurt (Oder) und Potsdam, S. 84.

I. Juden im friderizianischen Preußen – eine Erfolgsgeschichte?

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als die eines „‚Stoßtrupp[s] gegen die fest gefügte Gliederung der mittelalterlichen [!] Wirtschaftsordnung“ 37 beschrieben wurde. In paramilitärischem Duktus und in Übersteigerung der These, Juden und Hugenotten hätten in BrandenburgPreußen als einem rückständigen Agrarland ein „importiertes Ersatzbürgertum“ gebildet, 38 wird auf diese Weise das in der (freilich nur selten rezipierten) Wirtschaftsgeschichte längst überholte Bild eines Ostelbien gezeichnet, dessen hinter dicken Butzenscheiben dumpf vor sich hin brütende Einwohner – fast ist man geneigt zu sagen: Ureinwohner – zu eigener ökonomischer Initiative unfähig oder unwillig gewesen seien. 39 Die insbesondere in der jüdischen Geschichtsforschung weit verbreitete Sichtweise, wonach „gerade Zuwanderer in städtische Ballungszentren mit eben jenen neuen sozialen Gruppen gleichgesetzt werden, die ein wesentliches Potential des Modernisierungsprozesses darstellten“, 40 bringt allerdings die Gefahr mit sich, nicht nur die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der untersuchten Minoritäten (seien es nun Juden oder Reformierte ) maßlos zu überschätzen, sondern zugleich den Anteil der sogenannten „alten“ Stadtbürger in der Formierungsphase des modernen Bürgertums, verstanden „als überlokale, gesamtgesellschaftliche, nachständische Formation“, 41 zu unterschätzen. Daß Juden und „Franzosen“ beispielsweise im Manufakturgewerbe von Berlin und Potsdam eine bedeutende, allerdings sektoral unterschiedlich zu gewichtende Rolle gespielt haben, soll mit diesen Bemerkungen keineswegs in Frage gestellt werden. Doch gilt es selbst hier zu berücksichtigen, daß Berlin während des 18. und 19. Jahrhunderts „ein herausragendes Zentrum der Binnen- und Fernwanderung, namentlich aus den deutschen Territorien“ 42 darstellte, wodurch sich auch das protestantische Bürgertum in einem fortlaufenden Prozeß ergänzte. Gerade für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts meldete deshalb die jüngere Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der in der jüdischen Geschichtsforschung geradezu kanonisierten Ersatzbürgertumsthese, die schließlich eine beachtliche ökonomische Prosperität der jüdischen Minorität suggeriert, ganz erhebliche Zweifel an. So kam Rolf Straubel zu dem Ergebnis: „Die Analyse des sozialen Rekrutierungsprozesses der Kaufmannschaft ausgewählter Städte [der mittleren preußischen Provinzen] hat deren starke Ver37

Rückert, S. 40. Zurück geht der Begriff auf die durchaus anregende, weil vergleichende Minoritätenstudie von Jersch-Wenzel: Juden und „Franzosen“, S. 21; wohlgemerkt wird ebd., S. 244 der Begriff auf die „Oberschicht“ der Judenschaft eingegrenzt; vgl. ferner Nachama. 39 Abgesehen davon standen dem „prinzipiellen Statikgebot“ natürlich auch in der vormodernen Gesellschaft vielfältige Formen realer Mobilität gegenüber. Siehe Schulze. Gerade die Wirtschaftsgeschichte verabschiedet sich dabei zunehmend von Modellen „festgelegter sozialer Kollektivakteure“. Siehe dazu Jeggle. 40 Stulz-Herrnstadt, S. 272. 41 Kocka, Das europäische Muster und der deutsche Fall, S. 14. 42 Stulz-Herrnstadt, S. 272. 38

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A. Einleitung

wurzelung in dem jeweiligen Ort wie in der eigenen Schicht erbracht. Zwar gab es in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen Juden, Reformierten und Lutheranern, von einem ‚importierten Ersatzbürgertum’ kann nach dem Siebenjährigen Krieg aber weder für Berlin noch Magdeburg, weder für Frankfurt noch Halberstadt gesprochen werden.“ 43 Sofern jüdische Geschichte als Teil der allgemeinen Geschichte dargestellt und nicht vom Elfenbeinturm herab betrieben werden soll, können derartige Forschungsergebnisse benachbarter Disziplinen nicht einfach ignoriert werden, weshalb auch Jonathan Israel vollkommen zu Recht hervorhebt: „It is true, that in Prussia, Hanover, and other states, a few wealthy Jews were permitted, or compelled, to set up industrial enterprises of one sort or another, and that the Jewish silk-factories in Berlin attained some importance. But the effect of this on the Jewish economy and occupation structure was extremely limited owing to the tight restrictions on the employment of Jewish labour.“ 44 Daß die entgegengesetzte, auch in neueren Handbüchern immer noch anzutreffende These, wonach der „Aufstieg des jüdischen Mittelstands“ unter Friedrich „große Fortschritte“ gemacht habe, 45 die tatsächliche Entwicklung deshalb geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, wird spätestens dann offenbar, wenn man jüdische Geschichte im Alten Preußen als Regionalgeschichte begreift. Denn mit Blick auf das Ortsregister mancher Darstellung, die „Preußen“ im Titel führt, ist hervorzuheben, daß Friedrich II. keinem aus einem strahlenden Viergestirn Berlin, Potsdam, Königsberg und Breslau bestehenden Städtebund vorstand, sondern einen in jeder Hinsicht heterogenen Flächenstaat beherrschte, der von Maas und Ems im Westen bis zur Memel im Osten reichte, sich somit über rund 1.200 Kilometer erstreckte und in seiner Vielfalt folglich nur über seine Landschaften zu erfassen ist. 46 Bereits 43 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 476 (Hervorhebung durch den Verfasser). 44 Israel, S. 205. 45 So bei Breuer, S. 146; ebenso Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 53. Vor dem hier verwendeten höchst problematischen Mittelstandsbegriff warnte, scheinbar vergeblich, bereits Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 146: „Die dem deutschen Gross-, Mittel- und Kleinbürgertum rein vom Wirtschaftlichen her nächste jüdische Gruppe kann um das Jahr 1780 bestenfalls zwischen 25% und 33% der Juden umfasst haben. Auch dazu ist einschränkend anzumerken, dass der jüdische ‚Mittelstand‘ hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Stabilität allenfalls dem deutschen Kleinbürgertum gleichzustellen ist, also nicht wirklich Mittelstand war. Jedenfalls haben zwei Drittel bis drei Viertel aller Juden dieser Zeit als nichtbürgerliche, d. h. als sozial und wirtschaftlich unter dem Niveau ihrer Umwelt lebende Existenzen zu gelten.“ 46 Siehe etwa Kocka, Preußen und Deutschland, S. 187: „Preußen erscheint heute in sich vielfältiger, als es sich selber darstellte und lange gesehen wurde. Es erscheint uns weniger monolithisch-obrigkeitsstaatlich als früher, vielmehr begründet in seinen Landschaften.“ Aus ökonomischer Perspektive Neugebauer, Marktbeziehung und Desintegration. Gerade im Rahmen jüdischer Geschichte im Alten Preußen ist nachdrücklich die Forderung von Mordstein, S. 6 zu unterstützen: „Jüdische Geschichte der Frühen Neuzeit muß daher immer auch Landes- und Regionalgeschichte sein. Ohne eine tiefgreifende Kenntnis der

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unmittelbar vor den Toren der Residenz sah die soziale Realität für die Judenschaft vielfach ganz anders aus als in der Welt der Philosophen und Seidenfabrikanten. Wenngleich es natürlich auch in kleineren Gemeinden wohlhabende und reiche Juden gegeben hat, 47 kam Rolf Straubel für die Kurmark zu dem Schluß, es sei den Juden keineswegs gelungen, „die Wirtschaft in entscheidender Weise zu beeinflussen. Juden waren mehrheitlich im Detailhandel tätig. Sie verfügten in der Regel weder über größere Kapitalien noch über höhere Einkommen und waren zumeist weniger vermögend als ihre christlichen Konkurrenten.“ 48 Zudem konstatiert der Autor, gerade nach 1763 hätten sich die Einkommensverhältnisse der Frankfurter Judenschaft merklich verschlechtert. 49 In Halberstadt, das noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts die bedeutendste Gemeinde der gesamten Monarchie beherbergte, sank die Zahl der jüdischen Familien von 200 im Jahre 1740 auf 80 um 1800, wobei auch die durchschnittliche Kinderzahl deutlich zurückging. 50 Kennziffern eines aufstrebenden Mittelstands sehen anders aus. Noch einfacher ist schließlich die Frage zu beantworten, in welcher Situation sich die jüdische Gemeinde im nahegelegenen Magdeburg befand – nämlich in keiner. Magdeburg stellte zwar nach Berlin (aber vor Potsdam, was häufig übersehen wird) das bedeutendste Wirtschaftszentrum der mittleren Provinzen dar. Das dortige, stark exportorientierte Textilgewerbe bot zweifellos zahlreiche Aufstiegschancen – wenn man nur nicht den Makel mitbrachte, als Jude auf die Welt gekommen zu sein. Denn die Stadt pochte weiterhin (und zwar bis um 1800) auf ihr jahrhundertealtes Jus de non tolerandis judaeis, das auch der Absolutismus noch nicht lässig beiseitegewischt hatte 51 – übrigens ebensowenig wie in Stettin, 52 womit auch der wirtschaftliche Vorort Pommerns und zugleich die nach Königsberg wichtigste Hafenstadt der Monarchie (Danzig sollte erst 1793 an Preußen fallen) von der „jüdischen Landkarte“ gestrichen werden kann. Daß auch zahlreiche kleinere Städte im ganzen Land wie Neuruppin, Kolberg, Küstrin, Tempelburg, Elbing, Perleberg, Liegnitz und Schweidnitz zu den Gegenden gehören, „wo sich Juden gar nicht sollen blicken lassen“, 53 ist da nur noch eine Randnotiz. 54 territorialen Strukturelemente ist ein Verständnis der jüdischen Geschichte dieser Epoche nicht möglich.“ 47 Ein in wirtschaftlicher Hinsicht vergleichsweise positives Bild zeichnet beispielsweise Kohnke, Rathenow. 48 Straubel, Frankfurt und Potsdam, S. 86; zu den ärmlichen Verhältnissen, in denen ein erheblicher Teil der Juden in der Kurmark lebte, auch Kohnke, Rathenow, S. 97. 49 Straubel: Frankfurt und Potsdam, S. 75. 50 Halama, S. 297 – 299. 51 Vgl. aus wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 207 – 208. 52 Zum Profil des dortigen Wirtschaftsstandortes Straubel, Stettin. 53 Donnersmarck, S. 8 – 9.

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A. Einleitung

Wendet man den Blick stattdessen von Berlin aus nach Osten und blickt auf die Neumark, so findet man eine Judenschaft vor, deren Gesamtzahl sich nach Bratring zwar zwischen 1750 und 1800 von 944 auf 1.889 verdoppelte, die sich aber kaum neue Betätigungsfelder zu erschließen wußte: „Sie leben, mit Ausnahme einiger wenigen Familien, vom Kleinhandel.“ 55 Blickt man gar noch etwas weiter nach Osten, über Landsberg an der Warthe hinaus, so stößt man auf die erste systematische Vertreibung einer Minderheit aus Preußen seit dem 16. Jahrhundert, 56 wobei aus dem in der ersten polnischen Teilung erworbenen Netzedistrikt Hunderte jüdische Familien „gleich den grössten Verbrechern [...] durch Landreuterliche Hülfe über die Gräntze gebracht, mit Haab und Guth aufs Feld abgeschmissen, und zu Bettlern gemacht“ 57 wurden. Ist der Hinweis auf dieses Geschehen in einem Atemzug mit Berlin und Königsberg, mit jüdischen Philosophen, Salons und Seidenfabrikanten unstatthaft, gar polemisch? Wird hier einer zu Recht überholten „lacrymose conception of Jewish History“ 58 das Wort geredet, um eine Untersuchung zu rechtfertigen, die ihren Blick weniger auf die beiden „Leitsterne“ 59 von Emanzipation 60 und Akkulturation 61 richten wird als vielmehr auf fiskalische Abschöpfung einer diskriminierten Minderheit und deren Folgen? Landsberg an der Warthe heißt heute Gorzów Wielkopolski, und die Neumark ist aus dem historischen Gedächtnis der Deutschen wohl ebenso verschwunden wie der Netzedistrikt. Doch was dort geschah, und daran ist in Zeiten einer vielfach zu beobachtenden (Kur-) „Brandenburgisierung“ Preußens 62 nachdrücklich zu erinnern, spielte sich für die Zeitgenossen keineswegs „irgendwo 54 Zum Umgang mit Nichtduldungsprivilegien durch die preußischen Könige vgl. Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation, S. 471 –476; Jehle, S. 45. 55 Bratring, Bd. 3, 25. 56 Vgl. Hagen, S. 46; für nähere Angaben siehe die aktuelle Studie von Jehle; vgl. auch Kap. H. VI. 57 Zitiert aus einer Eingabe der Judenältesten des Netzedistrikts vom 22. April 1791 nach Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1972), S. 344 –350; vgl. Bömelburg, S. 442. Nicht nur vor dem Hintergrund dieser Vertreibungen wird man sich kaum der jüngst geäußerten Ansicht anschließen können, Friedrichs Judenpolitik habe „der am Staatsinteresse orientierten Handhabung des Toleranzprinzips“ entsprochen. So hingegen Kroll, Hohenzollern, S. 70. 58 Vgl. Brenner, Geschichte als Politik – Politik als Geschichte. 59 Rechter, S. 376. 60 Emanzipation sei hier definiert als Umwandlung der von Juden „jahrhundertelang innegehabten Sonderstellung als diskriminierter Minderheit in eine der übrigen Bevölkerung angeglichene Rechtsstellung allgemeiner staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit“. Siehe Battenberg, Gesetzgebung und Judenemanzipation im Ancien Régime, S. 43. 61 In Abgrenzung zum in der älteren Literatur verwendeten Begriff der Assimilation, der eine kulturelle Selbstaufgabe der jüdischen Minderheit nahelegt, präferiert die neuere Forschung denjenigen der Akkulturation, verstanden als „den Versuch, sowohl an der jüdischen wie auch an der deutschen Kultur und Gesellschaft teilzuhaben“. Siehe Brenner, Einleitung, S. 10. 62 Vgl. Bömelburg, Rezension.

I. Juden im friderizianischen Preußen – eine Erfolgsgeschichte?

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im Osten“ ab. Der geographische Horizont des „Postkutschenzeitalters“ 63 endete nicht an der Oder, und aus der Perspektive der jüdischen Gemeinde Landsbergs, übrigens der größten in der Neumark, geschah diese Vertreibung in nächster Nachbarschaft und konnte schon deshalb nicht ignoriert werden, weil man mit den Betroffenen seit langen Jahren Geschäftsverbindungen unterhielt. Doch sei der Blick auch auf die westlichen Provinzen gerichtet, für deren Judenschaften Studien vorliegen, die unzweideutige Rückschlüsse auf die Entwicklung des jüdischen Sozialprofils in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlauben. So bestand die bedeutendste Gemeinde Ostfrieslands zu jener Zeit in Emden, wo um die Mitte des Jahrhunderts rund 100 Familien mit über 400 Personen lebten. Allerdings klagten nicht nur der Magistrat und die Kammer über den zunehmenden Niedergang der Judenschaft, auch neuere Forschungen kamen zu dem Ergebnis, insbesondere die Politik der 1770er und 80er Jahre habe vielen jüdischen Familien Emdens „schwere wirtschaftliche Einbußen“ gebracht und „sich für einzelne sogar zur Existenzgefährdung“ 64 ausgewachsen. Weiter gen Süden findet man mit dem Herzogtum Kleve ein weiteres preußisches Territorium auf der Landkarte. Doch auch hier ging die wundersame ökonomische Stärkung bei gleichzeitig wachsendem fiskalischem Druck an der Judenschaft offenbar vorüber. Die hohen Abgaben der friderizianischen Zeit sowie die Lasten des Siebenjährigen Krieges führten stattdessen dazu, daß die zu Beginn des Jahrhunderts bewilligte Gesamtzahl von 150 Familien niemals auch nur ansatzweise erreicht wurde und in den Jahren zwischen 1750 und 1787 lediglich zwischen 96 und 108 schwankte, was in etwa dem Niveau der Jahre 1701 – 1737 entsprach. 65 Bereits 1922 bilanzierte Fritz Baer in drastischen Worten: „Der fiskalische Druck, der namentlich in der zweiten Hälfte seiner [Friedrichs] Regierung immer stärker auf den Juden lastete, stand in schreiendem Gegensatz zu der von innen und außen an den Toren des jüdischen Kerkers rüttelnden Aufklärung“. 66 Neuere Forschungen bestätigten Baers Ergebnisse, machte doch Günter von Roden in seiner Sudie über die Duisburger Gemeinde nachdrücklich auf die sozialen Folgen „der fast unerträglichen Abgabenforderungen besonders aus der Zeit Friedrichs des Großen“ 67 aufmerksam. In Kleve lebte er also offenbar nicht, der gesuchte jüdische Mittelstand – aber auch in den benachbarten Grafschaften Tecklenburg und Lingen war er nicht zu 63

Vgl. Gerteis. Lokers, S. 184. 65 Heider, S. 179. In seltsamer Verkehrung der von ihr selbst präsentierten Zahlen kommt die Autorin jedoch ebd., S. 179 – 180 zu dem Ergebnis: „Trotz der spürbaren Belastungen wirkte sich die Herrschaft Friedrichs II. in ihrer Gesamtheit nicht nachteilig für die Juden aus.“ 66 Baer, Protokollbuch, S. 45. 67 Roden, S. 55. Der Autor berichtet u. a. vom Suizidversuch eines Schutzjuden, der angesichts der Abgabenlast am Leben verzweifelt war. 64

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A. Einleitung

Hause. In seiner topographischen Beschreibung Tecklenburgs vermerkte August Karl von Holsche im Jahre 1788: „Nur wenige von den hiesigen Juden sind im Stande die Ihrigen zu erhalten, ungeachtet sie in ihrem Gewerbe viel Freyheit haben; sie sind größtentheils arm, ja viele davon bettelarm, und fallen dem Lande zur Last, weil sie nicht arbeiten wollen. Diese dürftigen Umstände rühren hauptsächlich davon her, daß sie für den Schutz zu viel geben müssen, womit ihr baares Geld die meiste Zeit hingehet, und sie keine Kräfte behalten, Handelsgeschäfte zu machen.“ 68 Für die Grafschaft Mark kam Karl Maser 1912 zu dem bislang nicht korrigierten Ergebnis: „Das Vermögen der Juden nahm immer mehr ab, ihre Zahl verminderte sich von 1750 bis 1768 um 25 Familien, trotzdem aber blieben die von ihnen aufzubringenden Steuern in diesen Jahren dieselben.“ 69 Nicht viel anders sah es im Fürstentum Minden aus, das 1648 durch den Westfälischen Frieden und als Entschädigung für Schwedisch-Pommern an Preußen gefallen war und über eine traditionsreiche jüdische Gemeinde verfügte. Doch auch diese muß nach der überaus fundierten Studie von Bernd-Wilhelm Linnemeier zu denjenigen Provinzjudenschaften gezählt werden, „denen ein unnachgiebig durchgehaltener Numerus clausus vor allem während des 18. Jahrhunderts jede quantitative Entfaltungsmöglichkeit nahm und deren ökonomisches Gewicht im gleichen Zeitraum nicht zuletzt infolge einer ineffektiven Wirtschafts- und Handelspolitik des preußischen Zentralstaates erkennbar schwand“. 70 Die demographische Entwicklung der Mindener Judenschaft liest sich danach folgendermaßen: „Es gab also zwischen dem fünften und neunten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts bei steigenden Bevölkerungszahlen nicht zwangsläufig auch ein Anwachsen der jüdischen Einwohnerschaft, sondern im Gegenteil einen deutlichen Rückgang mit einem Tiefpunkt zwischen 1770 und 1786. [...] In Minden sank die Zahl der Juden von 1764/65 bis 1790/92 von 80 auf 69 bzw. 67 bei weiterhin abnehmender Tendenz bis zum Ende des Jahrhunderts, in Lübbecke während des gleichen Zeitraumes von 69 auf 49 Individuen, in Petershagen von 47 auf 25 und in Hausberge von 20 auf 11 Personen. Minden verlor demnach während dieser Jahrzehnte rund 14 bzw. 16%, Lübbecke etwa 29%, Petershagen 47% und Hausberge 45% seiner jüdischen Einwohnerschaft.“ 71 Während sich so die Judenschaft des Fürstentums Minden zwischen 1599 und 1804 lediglich von 135 auf 183 Personen vermehrte, stieg sie im südlich angrenzenden Lippe in den Jahren zwischen 1697 und 1807 von 198 auf 1.063, und auch im nördlichen Nachbarterritorium Kurhannover kam es zu einem Wachstum der jüdischen Gemeinden. 72 68

Holsche, S. 259; vgl. Schenk, Juden in den Grafschaften Tecklenburg und Lingen. Maser, S. 85. 70 Linnemeier: Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 765. Mit Blick auf die Situation um 1765 heißt es ebd., S. 480 – 481: „Immerhin also ein Anteil von fast 23% völlig mittelloser Haushaltsvorstände, wobei [...] angemerkt sei, daß auch die verbleibende Mehrheit von 77% der jüdischen Familien und Haushalte kurz nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges nicht eben auf Rosen gebettet war.“ 71 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 482. 69

II. Zum Untersuchungsgegenstand

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Weiteres Material ließe sich in beliebiger Menge anführen, um zu belegen, was Stephan Laux unlängst hervorhob: „Entscheidend aber ist die in der brandenburgischen Überlieferung mit Händen zu greifende Tatsache, dass diese (nicht allein am Generalreglement von 1750 festzumachende) Gesetzgebung bei weitem mehr Juden in existenzielle Not drängte bzw. in dieser hielt, als dass sie durch die Umstände Begünstigten zu einer gesicherten Existenz verholfen hätte.“ 73 Ebensowenig wie in Corvey, Kurköln oder einem anderen deutschen Territorium waren die Juden der Hohenzollernmonarchie demnach von den Gesetzen der Ökonomie befreit, wonach Abgaben zunächst einmal verdient sein wollen. Werden diese hingegen stetig angehoben und die beruflichen Betätigungsfelder gleichzeitig immer weiter eingeschränkt, so geht es auf der sozialen Leiter auf legalem Wege nur noch in eine Richtung weiter, nämlich abwärts. In voremanzipatorischer Zeit war es jedoch nicht einerlei, ob man als christlicher Untertan oder als jüdischer Schutzverwandter von dieser Leiter herunterfiel.

II. Zum Untersuchungsgegenstand Wenn es aufgrund der vorangegangenen Ausführungen statthaft ist, von einer Verarmung weiter Teile der preußischen Judenschaft insbesondere in den Jahren zwischen 1763 (Ende des Siebenjährigen Krieges) und 1786 (Tod Friedrichs des Großen) auszugehen, wobei zeitgleich auch die fiskalische Abschöpfung dieser Minderheit ihren Höhepunkt erreichte, so stellt sich die Frage, ob und in welcher Weise beide Entwicklungen miteinander in Verbindung stehen. Vor diesem Hintergrund scheint insbesondere eine Untersuchung derjenigen Sonderabgaben, die nach 1763 durch den König neu eingeführt wurden, Aussicht auf weiterführende Erkenntnisse zu versprechen. Dabei handelte es sich vor allem um drei voneinander zu unterscheidende, jedoch vielfach ineinandergreifende Belastungen: 1. Um einen jährlichen Zwangsexport von Manufakturwaren durch die als zweite Kinder auf bestehende Schutzbriefe „angesetzten“ (etablierten) Juden (seit 1763/65), 2. um den später an dessen Stelle tretenden kollektiven Zwangsbetrieb einer defizitären Strumpfmanufaktur im brandenburgischen Templin (seit 1768/69) sowie 3. um den ebenfalls verlustreichen Zwangsexport von Porzellan aus der Berliner Königlichen Porzellanmanufaktur (KPM) im Gegenzug für die Verleihung diverser Konzessionen zu Ansetzung, Hausbesitz und Gewerbebetrieb (seit 1769). 72

Zahlen nach ebd., 68, 484, 520; Günter, S. 131; Pohlmann, Verbreitung der Handwerke, S. 147. 73 Laux, Zwischen Anonymität und amtlicher Erfassung, S. 97.

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A. Einleitung

Die zuerst zu beantwortende Frage ist recht banal und lautet: Warum soll gerade eine Untersuchung dieser Abgaben dazu angetan sein, weiterreichende Erkenntnisse über die Epoche zu vermitteln? Denn die fiskalische Abschöpfung der jüdischen Minderheit geschah im 18. Jahrhundert auf vielfältigste Weise. Einerseits hatte die Judenschaft als ganzes quartalsweise Schutzgeldzahlungen zu erbringen, für deren prompte Entrichtung sie solidarisch haftete und die durch die Organe der jüdischen Selbstverwaltung auf die einzelnen Haushaltsvorstände umgelegt wurden. Neben dieser regulären Steuer begegneten den Juden an unzähligen Stationen ihres Lebens die unterschiedlichsten irregulären Abgaben, deren bloße Auflistung mehrere Seiten erfordern würde und die von erhöhten Stempelgebühren für amtliche Dokumente über den Leibzoll bis zu Kalendergeldern reichten. 74 Bekannt ist, daß sowohl reguläre als auch irreguläre Abgaben nach 1763 vor dem Hintergrund der allgemeinen Fiskalpolitik Friedrichs des Großen, die in den Nachkriegsjahren in die bis 1786 andauernde Phase ihrer „schärfsten Ausprägung“ 75 eintrat, neue und bislang ungekannte Höhepunkte erreichten. Mit Blick auf die jährlichen Schutzgelder, die 1768 von 10.000 auf 25.000 Rt. erhöht wurden, 76 ist angemerkt worden, daß diese Summe weniger als 1 % der Staatseinnahmen ausgemacht hätte und insofern der fiskalische Nutzen der mit hohem bürokratischen Aufwand betriebenen Judenpolitik in Frage zu stellen sei. 77 Diese Beobachtung läßt jedoch außer acht, daß sich spätestens nach dem Siebenjährigen Krieg die Gewichte zwischen regulären Abgaben und Sonderabgaben gründlich zu verschieben begannen. Denn wenngleich über das quantitative Volumen der letzteren bislang nur sehr wenig bekannt ist, so lassen folgende Zahlen doch aufhorchen: Bereits 1779 sollen Juden aufgrund des erzwungenen Porzellanexports mit 204.439 Rt. bei der KPM verschuldet gewesen sein, allein 1783 wurde durch Juden (offenbar mit großen Verlusten) Porzellan im Wert von 41.415 Rt. gekauft, und 1787 hatte die preußische Judenschaft noch einmal 40.000 Rt. aufzubringen, um die Aufhebung der drückenden Verordnung zu erreichen. 78 Allein diese Summen, die offenbar nur einen Bruchteil der Belastung durch die angeführten 74 Auflistungen der diversen Abgaben finden sich beispielsweise bei Scheiger, S. 185 – 189; Bruer: Geschichte der Juden in Preußen, S. 72 – 74. 75 Rachel, Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, S. 952. 76 Vgl. Kap. D. II. 77 Breuer, S. 146. Dem wäre allerdings entgegenzuhalten, daß sich der bürokratische Aufwand des Staates bei der Eintreibung der Schutzgelder durchaus in Grenzen hielt, da er dieses undankbare Geschäft im Rahmen der solidarischen Haftbarkeit längst, nämlich 1728, auf die jüdischen Ältesten und Landjudenschaften abgewälzt hatte. Kamen die Summen nicht ein, bestand der Aufwand lediglich darin, dem Gerichtsdiener anzubefehlen, sich bei den Ältesten einzuquartieren. Hierzu beispielsweise Linnemeier: Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 462 – 464; zu den Modalitäten dieser innerjüdischen Repartitionen, die gemeinhin auf Generalversammlungen in Spandau verhandelt wurden, ebd., S. 537 –545; vgl. allgemein Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit, S. 63. 78 Vgl. Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 28, 33.

II. Zum Untersuchungsgegenstand

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drei Abgaben ausmachen, entsprechen also den Schutzgeldzahlungen der gesamten preußischen Judenschaft in einem Zeitraum von mehr als elf Jahren. Das Judenporzellan war demnach alles andere als eine „kleine Schwäche des großen Königs“, 79 sondern verdeutlicht, daß die fiskalische Abschöpfung der Judenschaft nach 1763 vornehmlich auf dem Wege neu eingeführter Sonderabgaben, weniger durch die Erhöhung der Schutzgelder erfolgte. Doch wurde mit diesen Zahlen bereits vorgegriffen, um eine erste Begründung für die Wahl des Untersuchungsgegenstandes zu liefern. Die nun zu leistende Einbettung dieser Thematik in den größeren Forschungskontext sieht sich indes mit einigen Hindernissen konfrontiert, die von grundsätzlicher Natur sind. Denn wenn im vorangegangenen Kapitel die im Rahmen der Geschichte des preußischen Judentums unumgängliche Berücksichtigung neuerer wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Forschungen angemahnt wurde, so erweist sich jenes Problem lediglich als Teil eines weiterreichenden Rezeptionsdefizits, das in Teilen der jüdischen Geschichtsforschung, soweit sie sich auf Preußen bezieht, mit Händen zu greifen ist. Über diese Beobachtung kann an dieser Stelle nicht hinweggegangen werden, da von ihr die Definition von Begriffen betroffen ist, denen im Kontext der vorliegenden Arbeit zentrale Bedeutung zukommt – die Rede ist dabei z. B. von Judenrecht, Beamtentum und absolutistischer Herrschaft. Daß die hier genannten Zusammenhänge bei einer Untersuchung der friderizianischen Abgabenpolitik nicht zu vernachlässigen sind, dürfte auf der Hand liegen, definieren sie doch maßgeblich die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen jüdischer Existenz in der voremanzipatorischen Epoche. Da sie insofern auch ein Bindeglied zwischen der jüdischen und der allgemeinen Geschichte in der Frühen Neuzeit darstellen, sollte man freilich meinen, daß eine Erforschung der ersteren nicht ohne eine Rezeption der letzteren auskommt. Daß man hier jedoch vielfach rasch eines schlechteren belehrt wird, hängt maßgeblich damit zusammen, daß es sich nach einer in der jüdischen Geschichtsforschung weit verbreiteten Ansicht bei der preußischen Judenpolitik des 18. Jahrhunderts um ein bereits „gründlich bearbeitetes Thema der historischen Fachwissenschaft“ 80 handeln soll. Die Genese dieser These ist nahezu deckungsgleich mit der Rezeptionsgeschichte eines achtbändigen Werks, das genauso heißt wie das vermeintlich gut untersuchte Oberthema, nämlich: „Der preußische Staat und die Juden“. 81 Verfaßt wurde es in dem halben Jahrhundert zwischen 1925 und 1975 von der deutsch-jüdischen Historikerin Selma Stern (1890 – 1981) und thematisiert in Darstellung und Quellenedition den Zeitraum zwischen der Wiederansiedlung von Juden in Berlin und dem Tod Friedrichs des Großen, also von 1671 bis 1786. Verfasst im Angesicht des nationalsozialistischen Zivilisationsbruches verdient 79 80 81

So Cohn, Die Juden und die Berliner Porzellanmanufaktur, S. 211. Heil, S. 75. Vgl. Stern.

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A. Einleitung

Sterns Pionierstudie, dies sei an dieser Stelle ausdrücklich hervorgehoben, höchsten Respekt – einen Respekt, der jedoch nicht gleichbedeutend sein kann mit unkritischer Rezeption, denn als „Standardwerk der Historiographie über Preußen und wegweisende Studie der deutsch-jüdischen Quellenforschung“ 82 kann ihr Opus Magnum zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr gelten. Gleichwohl lebt die Arbeit Sterns unverkennbar in der Art und Weise fort, in der Teile der heutigen Forschung Begriffe wie „preußisches Judenrecht“, „Verrechtlichung“ und „preußisches Beamtentum“ verwenden. Insofern ist ein Blick auf die bemerkenswerte Rezeptionsgeschichte des „Preußischen Staats“ im Spiegel der genannten Begriffe nicht nur dazu angetan, direkt in zentrale Problemfelder der preußischjüdischen Geschichte des 18. Jahrhunderts einzuführen, sondern mag zugleich dazu dienen, für die weiteren Ausführungen eine begriffliche Klarheit zu schaffen, an der es bislang weithin mangelt. Wendet man sich nun zunächst dem Werk Sterns zu, so fällt eines rasch ins Auge: Mehr als manch andere Studie muß der „Preußische Staat“ im Kontext seiner Entstehungsgeschichte gelesen werden. Denn wer sich mit Preußen als Thema der Geschichtswissenschaft, zumal jener in der Zeit bis 1945, befasst, sollte stets berücksichtigen, dass er es immer auch mit einem „lieu de mémoire“ 83 zu tun hat – oder nüchterner formuliert: mit Werken, in denen Historiographie und Politik „eine untrennbare Einheit“ bildeten. 84 Diese auf den preußischen „Hofhistoriographen“ und Mitherausgeber der „Acta Borussica“, Gustav Schmoller (1838 – 1917), gemünzte Feststellung besitzt für Sterns Werk weitaus mehr Relevanz, als man auf den ersten Blick glauben könnte. Denn wenngleich sich die „offizielle“ Preußenhistoriographie nicht für die israelitische Minderheit interessierte, so beeinflußten ihre Wertmaßstäbe doch umso intensiver jene jüdisch-akademischen Außenseiter im Umkreis der „Wissenschaft des Judentums“, 85 denen die Erforschung jüdischer Geschichte weitestgehend vorbehalten blieb. Deutlich ablesbar ist dies beispielsweise bei dem aus Schlesien stammenden Historiker und Buchhändler Felix Priebatsch (1867 –1926), der sich 1915 in einem Beitrag zur Festschrift für den alldeutschen Treitschkeschüler Dietrich Schäfer (1845 – 1929) der „Judenpolitik des fürstlichen Absolutismus im 17. und 18. Jahrhundert“ widmete. Erstmals taucht bei Priebatsch die Interpretation auf, wonach die restriktiven Intentionen der preußischen Könige durch die Administration in weiten Teilen unterlaufen und gewissermaßen ins Positive gewendet worden seien. So sei „aus der Beschäftigung mit den jüdischen Dingen allmählich eine 82

Sassenberg, S. 228. Vgl. Berg. 84 Neugebauer, Die „Schmoller-Connection“, S. 269. 85 Als Einstieg in die Probleme deutsch-jüdischer Wissenschaftsgeschichte seien genannt Schochow; Rohrbacher, Jüdische Geschichte; Hoffmann, Jüdische Geschichtswissenschaft. 83

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Art von Fürsorge für die Juden [erwachsen], wie sie keine frühere Zeit gekannt hatte. Soviel die Staatsbeamten auch von den Juden verlangten, so bereitwillig traten sie andererseits für sie ein, wenn ihnen ungerechte oder zu harte Maßregeln drohten. [...] Das Interesse des Beamtentums beschränkte sich nicht bloß auf die reichen Juden, die dem Staate viel einbringen können, sondern auch die armen und gedrückten erfreuen sich oft merkwürdiger Förderung.“ 86 Mitten im Ersten Weltkrieg und ein Jahr vor der berüchtigten „Judenzählung“ des Jahres 1916, 87 die zahlreiche assimilationsbereite Juden desillusionieren sollte, ging Priebatsch so weit, zu behaupten, selbst die in Westpreußen zwangsumgesiedelten Juden seien auf diese Weise „erheblich gebessert“ 88 worden. Integration durch Verrechtlichung und Herrschaftsrationalisierung: Nach dem Krieg wurde dieser Faden von Selma Stern im Umfeld der 1919 in Berlin gegründeten Akademie für die Wissenschaft des Judentums unter der Ägide von dessen erstem wissenschaftlichen Leiter, dem Althistoriker und Ehegatten Sterns, Eugen Täubler (1879 – 1953), wieder aufgegriffen. Begonnen „in der erwartungsfrohen Stimmung, in der an eine Wiedergeburt des Judentums aus dem Geiste und mit den Mitteln der modernen Wissenschaft und an eine sinnvolle Symbiose von Deutschen und Juden geglaubt werden konnte“, 89 als „Requiem“ 90 abgeschlossen unter dem Eindruck von Auschwitz, stand die von den Nationalsozialisten vernichtete „Begegnung von Judentum und Deutschtum“ im Mittelpunkt von Sterns Geschichtsinterpretation. 91 Zwar vollzog sich auch nach Stern der Aufstieg der preußischen Judenschaft keineswegs gradlinig, doch stand am Ende eben doch eine „Fortschrittsgeschichte“ 92 jüdischer Emanzipation und Akkulturation. Im vorliegenden Kontext ist dabei von besonderem Interesse, daß den macht- und fiskalpolitisch motivierten Eingriffen des absolutistischen Staates in die jüdische Gemeindeautonomie im übergreifenden Kontext deutsch-jüdischer Kulturgeschichte geradezu die Rolle eines entscheidenden Motors auf dem Weg „in Richtung Emanzipation und Aufklärung“ 93 zugewiesen wurde. Deutlich werden diese Zielsetzung und ihre konzeptionellen Folgen noch im 1969 verfaßten Vorwort zum Band III/1, der sich der Judenpolitik Friedrichs des Großen widmet: „Es war der Zweck dieser Arbeit, die Judenpolitik Friedrichs des Großen und die Wandlung des jüdischen Menschentypus zur Zeit Moses Mendelssohns zu untersuchen. Sie beabsichtigte nicht, die Frage zu beantwor86 87 88 89 90 91 92 93

Priebatsch, S. 616, 618. Vgl. neuerlich Rosenthal. Priebatsch, S. 617. Stern, Bd. I/1, S. XII. Sassenberg, S. 247. Ebd., S. 242. Ebd., S. 243. Ebd., S. 236.

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ten, ob die Veränderung der politischen, der wirtschaftlichen, der sozialen, der kulturellen und der geistigen Situation, die sich damals vollzog, für die Juden eine glückhaftere Zukunft einleitete, oder ob auch diese Periode Zeugnis ablegt von der Ambivalenz und der Tragik der jüdischen Existenz. Es galt nur, eine der wichtigsten Epochen der Diaspora mit den nüchternen Mitteln historischer Methoden aufzuhellen, um zu verstehen, warum die Begegnung von Staat und Juden, von Deutschtum und Judentum für die Geschichte der Deutschen und für die Geschichte der Juden von schicksalhafter Bedeutung werden mußte.“ 94 Gerade die Bände zur Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. sollten deshalb den Nachweis erbringen, „wie Staatspolitik und kulturelle Erscheinungen, Wirtschaftsinteressen und geistige Strömungen zusammenwirkten, um das Ziel der Emanzipation zu erreichen“. 95 Im hier verwendeten Begriff der „Staatspolitik“ klingt allerdings bereits das offenkundige Dilemma an, dem sich Sterns perspektivische Ausrichtung auf den Emanzipationsprozeß gegenübersieht, kann doch bei beiden Monarchen nicht im entferntesten davon die Rede sein, ihre Judenpolitik habe eine wie auch immer geartete Emanzipation intendiert. 96 Im Zusammenwirken mit einer nicht nur editionstechnischen Anlehnung an die Acta Borussica der „offiziellen“ Preußenhistoriographie um Gustav Schmoller und Otto Hintze (deren editorische Maßstäbe freilich nicht erreicht wurden) kommt es bei Stern deshalb nahezu zwangsläufig zu einer Betonung der „rechtsstaatlichen“ Errungenschaften der absolutistischen Judenpolitik, ohne die ihre Meistererzählung kaum durchzuhalten wäre. 97 So sei „an die Stelle der fürsorgenden patria potestas oder der Willkür des Fürsten das Gesetz [getreten], das Gericht und die Ordnung des Staates, der die Juden als Stand den anderen Ständen gleichsetzte und die Rechtlosen vor Rechtlosigkeit und Gewalttätigkeit schützte“. 98 Damit wäre der erste grundlegende Begriff benannt, über den im Gefolge Sterns, man muß es so deutlich formulieren, auch heute noch vielfach höchst nebulöse Vorstellungen umgehen: das preußische Judenrecht. Denn obwohl die neuere Früh94

Stern, Bd. III/1, S. XIII (Hervorhebungen durch den Verfasser). Ebd., Bd. I/1, S. 155. 96 Vgl. Kap. B und C. 97 Hoffmann, S. 207. So bescheinigte Monika Richarz bereits 1976 Selma Stern in einer Rezension eine „tragische Treue zur preußischen Staatsräson und zur deutschen Geistesgeschichte“ und sah im Preußischen Staat ein spätes „Zeugnis der Assimilation des deutschen Judentums“. Zitiert nach Sassenberg, S. 248 –249. Zur Rezeptionsgeschichte ebd., S. 247 – 250; vgl. die berechtigte Kritik bei Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 36: „Jüdische Geschichte in Preußen reduziert sich – überspitzt formuliert – so auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem ideal entworfenen preußischen Staatswesen und seiner Judenschaft, wobei ‚der Staat und seine Funktionen‘ vielfach, wenn nicht ausschließlich zum Maßstab aller Dinge gerät.“ 98 Stern, Bd. I/1, S. X. 95

II. Zum Untersuchungsgegenstand

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neuzeitforschung zu dem Ergebnis kam, daß der Absolutismus selbst mit Blick auf die christliche Mehrheitsgesellschaft „weit von jenem Grad an Homogenisierung und Nivellierung des Untertanenverbandes, von jener Rationalität der politischen Organisation entfernt [geblieben sei], den seine Theorie forderte“, 99 wurden diese Erkenntnisse für die jüdische Geschichte im Alten Preußen bislang kaum fruchtbar gemacht. So ist die These, wonach die absolutistische Judenpolitik durch ihren sich schrittweise verstärkenden fiskalischen Zugriff einen „vielleicht ungewollten, aber entscheidenden Schritt zur Eingliederung der preußischen Juden in die politisch-bürokratische Ordnung des Staates“ 100 vollzogen hätte, der sich seinerseits für die Betroffenen in einer verbesserten Rechtsstellung (Generalreglements von 1730 und 1750) niedergeschlagen habe, auch in neuesten Publikationen vielfach, wenn nicht gar mehrheitlich anzutreffen. Beispielsweise wurde jüngst, ohne dabei die erst in Ansätzen vorhandene Trennung von Verwaltung und Justiz in die Betrachtung einzubeziehen, 101 mit Blick auf die in den 1780er Jahren einsetzende Diskussion um Dohms Bürgerliche Verbesserung der Juden formuliert: „Die Reduktion der Judenverfassung auf zentrale, damit vergleichbare Maßstäbe objektivierte die rechtlichen Konditionen, was für die Betroffenen zu kontrollierbaren, d. h. einforderbaren Ansprüchen bzw. anfechtbaren Entscheidungen führte. Durch einheitliche Kodifizierung und Rationalisierung gewannen Rechtsnormen und administrative Abläufe jene Überschaubarkeit, die in der Folge den Übergang von der Klage über einzelne drückende Bestimmungen zur Anklage des Systems der jüdischen Sonderverfassung ermöglichte und damit auch die öffentliche Debatte von 1781/86.“ 102 Aus der Perspektive der Bürgertumsforschung waren, trotz mancher Einschränkung, zuletzt ähnliche Wertungen zu lesen: „Diese protobürgerliche Toleranz 99

Duchhardt, Barock und Aufklärung, S. 173. Flumenbaum, S. 34; weitere Belege ließen sich in nahezu beliebiger Zahl anführen, mit Bezug auf das Generalreglement von 1750 beispielsweise Ribbe, Status der Juden in Brandenburg-Preußen, S. 12: mit Bezug auf die Schutzgeldrepartition Baumgart, Jüdische Minorität, S. 12 – 13: „Mit dem alten System des individuellen Judenschutzes verschwand zugleich ein Stück mittelalterlichen Regalrechts des Fürsten. Im Wege der steuerlichen Gesamtveranlagung der Judenschaft in der Monarchie und der Umlegung der Gesamtsteuerschuld auf die einzelnen Provinzen wurden aus Finanzobjekten der Krone Steuerzahler des Staates. Damit waren die Sonderbesteuerung und ihr minderer Rechtsstatus zwar nicht beseitigt, aber sie unterstanden nunmehr allein der staatlichen Zentralgewalt und deren Organen – mit allen Vorzügen und Nachteilen, die einer derartigen Regelung anhafteten.“ 101 Wenn im folgenden von „einforderbaren“ Ansprüchen die Rede ist, wäre u. a. eine Berücksichtigung der im 18. Jahrhundert fortdauernden Kammergerichtsbarkeit dringend erforderlich gewesen. Denn überall dort, „wo ein spezielles landesherrliches Interesse es zu gebieten schien [und wo, wenn nicht auf dem Feld der Judenpolitik, war landesherrliches Interesse im Spiel!], wurde nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Rechtsprechung den Kammern übertragen“. Siehe Rüfner, S. 74; vgl. Sieg, S. 118 –123; am Beispiel der Litauischen Kammer Engels, S. 17 – 19. 102 Heinrich, Debatte, S. 827. 100

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[aufgeklärter Regenten wie Friedrichs des Großen] brachte keine Rechtssicherheit, sondern die Verleihung von herrschaftlichen, also auch stets aus eigener Machtvollkommenheit des Fürsten revidierbaren Privilegien. [...] Gleichwohl öffnete die spätabsolutistische Minderheitenpolitik ein wichtiges Tor zur bürgerlichen Moderne: Sie löste auch die Juden aus dem Zustand persönlicher Duldung heraus und forcierte ihre konsequente Einbeziehung in den Untertanenverband. Sie markierte einen weiteren Schritt zur Verrechtlichung ihrer Existenz und versuchte erstmals, über Politik und Gesetzgebung eine soziale Einbindung der Juden in den Staat zu erwirken.“ 103 Und bereits für die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. (1713 – 1740) hieß es jüngst in engster Anlehnung an Selma Stern: „Die Juden lebten von nun an nicht mehr vom und unter dem Fürstenrecht, sondern unter staatlichem Recht. Bei vielen von ihnen stellte sich daher das Gefühl ein, Untertanen wie die christlichen Untertanen zu sein.“ 104 Gefühle können freilich täuschen. Doch selbst wenn bei den preußischen Juden des 18. Jahrhunderts tatsächlich die ihnen hier unterstellte Autosuggestion aufgekommen sein sollte, wonach man trotz allem irgendwie „dazugehörte“, so hätte ein Blick in die staatsrechtliche Literatur der Zeit für ebenso rasche wie gründliche Ent-Täuschung bei den Betroffenen gesorgt. Auch beim heutigen Leser stellt sich eine erste Ahnung ein, warum man eigentlich von einer voremanzipatorischen Epoche spricht, wenn vom 18. Jahrhundert die Rede ist. Dabei wäre noch anzumerken, daß sich sämtliche nun folgenden Ausführungen lediglich auf die Gruppe der Schutzjuden beziehen, denn ihre unvergleiteten Religionsgenossen, die allein in Berlin um die Jahrhundertmitte mindestens 25% der jüdischen Bevölkerung stellten, befanden sich ohnehin „außerhalb des regulären staatlichen Schutzes im Zustand weitgehender Rechtsunsicherheit“. 105 103

Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 77. Schoeps, „Ein jeder soll vor alle und alle vor ein stehn“, S. 160. Dagegen könnte man, wenn man denn wollte, bei Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 413 –433 in aller wünschenswerten Deutlichkeit nachlesen, wie segensreich sich beispielsweise für die Dorfjuden des Fürstentums Minden jene vielgepriesene „Eingliederung in die politischbürokratische Ordnung des Staates“ unter Friedrich Wilhelm I. auswirkte – nämlich in einer mit größten Härten verbundenen Zwangsumsiedlung vom platten Land in die akzisbaren Städte. Offenbar stellen Mindener Dorfjuden im größeren Kontext eine Quantité négligeable dar, doch im Netzedistrikt, darauf wird noch einzugehen sein, waren es rund 60 Jahre später bereits mehrere tausend Juden, die ebenfalls aufgrund der „staatlichen“ Akziseordnung vom Land, wo sie seit Jahrhunderten siedelten, in die Städte getrieben wurden. Angesichts derartiger Zwangsmaßnahmen ist es nur schwer begreiflich, daß es ausgerechnet Teile der Minoritätenforschung sind, die noch im 21. Jahrhundert einem überbordenden Etatismus huldigen, der von benachbarten Disziplinen der Frühneuzeitforschung nicht erst seit gestern ad acta gelegt wurde. 105 Scheiger, S. 287. Die Zahl der unvergleiteten Juden ist aus naheliegenden Gründen nicht leicht zu ermitteln. Doch um 1700 sollen im Fürstentum Minden, um ein weiteres Beispiel anzuführen, 57 % der Juden nicht über gültige Schutzdokumente verfügt haben. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 437. 104

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Man denke sich einen Studenten der Rechte und angehenden Staatsdiener an der Universität Halle an der Saale. Was hätte er am Ende des hier zu besprechenden Zeitraums, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in einem Literaturapparat eines juristischen Proseminars zur preußischen (Schutz-)„Judenverfassung“ vor 1812 lesen können? Vor dem Hintergrund der zitierten anderslautenden Einschätzungen in Teilen der Forschung verdient zunächst die Beobachtung Aufmerksamkeit, daß die zeitgenössischen Kompilatoren von einer judenrechtlichen „Kodifikation“ offenbar noch nichts wußten. Denn wenn man mit dem Duden in der Hand unter Kodifikation eine „systematische Erfassung aller Fakten, Normen usw. eines bestimmten Gebietes, z. B. des Rechts“ verstehen möchte, 106 sucht man dies alles vor 1812 in der Tat vergebens. 107 So entschuldigte sich 1814 Reichsgraf Henckel von Donnersmarck im Vorwort zu seiner Darstellung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden im Preußischen Staate für etwaige Mängel seiner Arbeit, da es wahrlich auch einer minder ungeschickten Hand schwer genug fallen [dürfte], die eigentlichen Grundzüge der bürgerlichen Verfassung der Preuß. Juden aufzustellen, weil sie nirgends unabänderlich und vollständig aufgeschrieben sind. Man sucht in der That vergebens in den sie betreffenden gesetzlichen Bestimmungen Einheit, Zusammenhang, feste, folgerechte und folgereiche Grundsätze. Dagegen finden sich häufig genug darin Widersprüche, Rücksichten ohne Zahl und man möchte sagen so viel Ausnahmen als Regeln. 108

106 Der Begriff der Kodifikation wurde überhaupt erst im 19. Jahrhundert geprägt und taucht im 18. Jahrhundert der Sache nach unter Bezeichnungen wie Codex, Gesetzbuch oder Landrecht auf. Siehe dazu Ogris, S. 514 – 515: „Man versteht darunter keineswegs jede beliebige Rechtsaufzeichnung oder Rechtssammlung (Kompilation), sondern ein nach sachlogischen Gesichtspunkten aufgebautes, im Prinzip lückenloses und in sich widerspruchsfreies Gesetz“, durch welches „entweder die gesamte Rechtsordnung (Gesamtkodifikation) oder ein umfangreiches Gebiet (wie etwa das Straf-, Privat- oder Handelsrecht) zusammenfassend“ geregelt wurde. Hiernach können die Generaljudenreglements von 1730 und 1750 nicht im entferntesten auf die Bezeichnung als Kodifikation Anspruch erheben. 107 Ganz anders Stern, Bd. III/1, S. 73, die im friderizianischen Judenrecht ein „wissenschaftlich rationales System“ erblickt – eine Formulierung, die übrigens in eklatantem Widerspruch zu ihren eigenen Ergebnissen steht. 108 Donnersmarck, S. VII–VIII. Dabei müßte man für derartige Erkenntnisse mittlerweile nicht mehr auf Literatur des Jahres 1814 zurückgreifen. Siehe Kohnke, Rathenow, S. 86: „Sowohl zwischen 1730 und 1750 [den beiden Generalreglements] als auch danach sind weitere zusätzliche Bestimmungen für Juden erlassen worden, so daß zu Ende des Ancien Régime selbst Beamte Mühe hatten, sich in ihnen zurechtzufinden.“ Nach Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 445 war dies jedoch ein Zustand, der bereits unter Friedrich Wilhelm I. zum administrativen Alltag gehörte, wobei „lokale und mittelbehördliche Beamte ins Stolpern geraten konnten, die in den Jahren zuvor [vor Erlaß des Generalreglements von 1730] bisweilen nicht recht wußten, welcher unter den einander widersprechenden Allerhöchsten Verfügungen zur Stunde Priorität beizumessen war.“ Wie angesichts dieser Befunde von einer „Reduktion der Judenverfassung“ die Rede sein kann, bleibt unerfindlich. Stattdessen fand mit einer wuchernden Expansion gerade das Gegenteil statt.

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Nirgends unabänderlich aufgeschrieben – ebenso viele Ausnahmen wie Regeln? Dem heutigen Leser stellt sich allerdings die Frage, auf welch verschlungenen Pfaden ein solcher, wohlgemerkt (ganz) spätabsolutistischer Begriff von „Judenverfassung“ die von ihm Betroffenen näher an die bürgerliche Moderne herangeführt haben mag? Die Zweifel werden nicht geringer, wenn man einen Blick in Reinhard Friedrich Terlindens 1804 erschienene Grundsätze des Juden-Rechts nach den Gesetzen für die Preußischen Staaten wirft. Der Verfasser, ein im übrigen durchaus progressiv denkender Beamter, bezeichnet das jüdische Schutzrecht darin explizit als „Gastrecht“. 109 Juristisch betrachtet galten Juden demnach auch im Staat des „Aufgeklärten Absolutismus“ weiterhin als „geduldete Fremde“. 110 Ganz gleich, ob die betreffende Familie sich schon seit 100 und mehr Jahren im Lande befand oder am Vortage aus Polen zugewandert war, blieb deshalb, wiederum nach Terlinden, „noch immer Grundsatz: daß die Juden das Bürgerrecht nicht erlangen und an den Vortheilen des Staats- und Privatrechts nur in so fern Theil nehmen können, als es das Wohl des Staats und die bürgerliche Eintracht erfordert“. 111 So unterstanden die Juden einer Privilegiengesetzgebung, die Ernst Ferdinand Klein (1743 –1810), 112 einer der Väter des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794, als „Ausnahmen vom allgemeinen Gesetze“ charakterisiert: „Wird diese Ausnahme für ganze Gattungen von Subjekten ohne Einschränkung auf die gegenwärtig darunter begriffenen bestimmt, so macht sie ein besonderes Recht (Jus singulare) aus.“ 113 Das Wohl des Staates und die bürgerliche Eintracht, die dieses Jus singulare der Juden legitimieren sollten, benötigten indes eine Instanz, die beides definierte. 1814 kann man bei Henckel von Donnersmarck rückblickend nachlesen, welche Institution diese Aufgabe im friderizianischen Preußen auf sich genommen hatte und was von der artifiziellen Scheidung in Fürsten- und Staatsrecht zu halten ist, die 200 Jahre später noch immer durch die Forschung geistert: „In Preußen, wo es keine Grundgesetze gibt [verfaßt 20 Jahre nach 1794!], schreibt das Staatsoberhaupt ausschließlich die Bedingungen vor, unter denen Fremde des öffentlichen Schutzes sich erfreuen sollen. In Ansehung der Juden übt der König dieses Landeshoheitsrecht aus...“. 114 Alle diesbezüglichen Befugnisse entsprangen, um 109

Terlinden, S. 33. Dies hebt in aller wünschenswerten Klarheit hervor Berghahn, S. 24; vgl. Marzi, S. 47: „Juden waren nicht kraft Indigenats landsässig, waren weder Beisassen, Bürger noch Freie, nicht Untertanen, noch Einwohner. Ein Wohnrecht war selbst dann nicht von vornherein gegeben, wenn sie im Lande geboren wurden oder ihre Familie über Generationen hinweg Landwohnerschaft nachweisen konnte. Sie waren zwar ‚in civitate‘, aber nicht ‚de civitate‘.“ 111 Terlinden, S. 33. 112 Zu Kleins Haltung gegenüber der Judenemanzipation äußerte sich zuletzt Berndl, S. 117 – 126. 113 Klein, Grundsätze, S. 259 – 260. 110

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noch einmal Terlinden zu zitieren, „einer Quelle, nämlich der Landeshoheit des Staats, als einem Majestätsrechte“. 115 Letzterer Begriff bezeichnet dabei nach Klein keineswegs die „nicht wesentlichen [...] niedern Regalien“ des Staates, sondern vielmehr die „Hoheitsrechte im engern Sinne (regalia majora)“. 116 Die kursiv gesetzten Begriffe verdienen besondere Aufmerksamkeit, denn die Juden gehörten juristisch gesehen bis 1812 eben ganz und gar nicht „dazu“. Das in jenem Jahr erlassene Emanzipationsedikt erklärte sie (sofern es sich um Inhaber von Schutzbriefen handelte) eben deshalb zu „Einländern“ und „preußischen Staatsbürgern“, 117 weil sie es zuvor als „Schutzverwandte“ 118 nicht gewesen waren. Und zum Staatsbürger wurde man im rechtlichen und politischen Sinne eben nicht durch erhebende Gefühle, sondern durch eine Einbürgerungsurkunde. 119 Ohne daß damit bereits Grundsätzliches über das Spannungsfeld von lokaler Integration oder Segregation der Juden innerhalb der vormodernen „Face-to-faceGesellschaft“ 120 gesagt wäre, ist hiermit doch in aller gebotenen Deutlichkeit angesprochen, daß die Judenpolitik zum inneren Kern frühneuzeitlicher Landesherrschaft in Deutschland gehörte. 121 Insofern unterlag sie, zumal unter einem 114 Donnersmarck, S. 1 (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. Terlinden, S. 56: „Alle Rechte, welche dem Staate über die Juden zustehen, fließen zunächst aus dem Rechte der Landeshoheit, welche der Staat über seine Bürger und Schutzverwandte ausübt, und gleichwie alle diese Rechte und Pflichten des Staats in dem Oberhaupte desselben sich vereinigen, so gebühret auch demselben die Ausübung der besonderen Rechte, welche dem Staate über die Juden zustehen.“ 115 Terlinden, S. 56 – 57 (Hervorhebung durch den Verfasser). 116 Klein, Grundsätze, S. 255. 117 Edikt abgedruckt bei Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 455 –458. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch ein Hinweis auf den damaligen Sprachgebrauch, in dem von einer französischen, böhmischen oder eben jüdischen „Kolonie“ die Rede war. Auch vor diesem Hintergrund kann kaum von einer „Integration in den Staat“ die Rede sein, wie man der Definition des Begriffs „Kolonie“ entnehmen kann, die Asche, S. 556 liefert: „Demnach war das entscheidende Charakteristikum für den echten Status einer Kolonie der Genuß bestimmter, vom Landesherrn oder anderen Siedlungsunternehmern gewährter Privilegien oder Vergünstigungen. In diesem Sinne waren Kolonien Privilegiengemeinschaften beziehungsweise zumindest – in deutlicher rechtlicher Abstufung – Vergünstigungsgemeinschaften von Neusiedlern, unabhängig von ihrer Herkunft.“ 118 Vgl. Schmidt, Entwicklung der Jüdischen Religionsgesellschaft, S. 13. 119 Auch für die Verhältnisse in Preußen ist deshalb von Interesse, was unlängst über die Herrschaftsauffassung der Judenschaft in der schwäbischen Grafschaft Öttingen um 1780 festgestellt wurde: „Ein von der Person des Herrschers losgelöster Judenschutzbrief als Herrschaftsmedium reichte ihr offensichtlich als rechtliche Grundlage nicht aus. In ihren Augen ging ihre rechtliche Absicherung nicht von einem anonymen Normtext aus, sondern von der Person des Schutzherren.“ Siehe Mordstein, S. 109. 120 Siehe Battenberg, Zwischen Integration und Segregation. 121 Zur Auseinandersetzung von Monarch und Ständen über die Judenpolitik unter dem Großen Kurfürsten Stern, Bd. I/1, S. 62 – 75. Vor diesem Hintergrund geht es also fehl, wenn die preußische Judengesetzgebung vor 1812 mit „geradezu mittelalterliche[n]

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autokratischen Herrscher wie Friedrich dem Großen, de jure uneingeschränkt der monarchischen Prärogative. Diese Erkenntnis ist wahrlich nicht neu, sollte aber in Erinnerung gerufen werden, wenn stattdessen wiederholt die für den Zeitraum vor 1812 völlig unhaltbare These vertreten wird, die königlichen Entscheidungen auf judenpolitischem Gebiet hätten auch nur in irgendeiner Form der „Kontrolle“ durch die davon Betroffenen, eine diskriminierte und (immer noch) weithin verachtete Minorität mit minderem Rechtsstatus unterlegen. Hiermit würde eine Begrifflichkeit eingeführt, die die Rahmenbedingungen der voremanzipatorischen Epoche förmlich auf den Kopf stellte. Bereits 1692 hatte der Große Kurfürst dem Mindener Magistrat auseinandergesetzt, daß „die vergleitung der juden im gantzen reich vor ein regale principum und inseparables stück der landesfürstlichen superiorität gehalten wird“, 122 und es ist nicht bekannt, daß sich daran bis 1812 etwas Grundsätzliches geändert hätte. Von jener angeblich selbst auf dem Feld monarchischer Prärogativrechte gewahrten Rechtssicherheit der Untertanen, von der in zahlreichen Publikationen zur jüdischen Geschichte im Alten Preußen die Rede ist, wird man in rechtsgeschichtlichen Forschungen denn auch kaum etwas finden. So betonte beispielsweise Wolfgang Rüfner: „An eine gerichtliche Anfechtung derartiger Hoheitsakte [...] war allem Anschein nach im Preußen des 18. Jahrhunderts überhaupt nicht zu denken. Mehr noch als in anderen deutschen Territorien galt hier der Grundsatz, daß es gegen Verfügungen des Landesherrn, die dieser in Ausübung seiner höchsten Gewalt getroffen hatte, einen Rechtsschutz nicht gab.“ 123 Was dies im vorliegenden Kontext bedeutet, kann man einem Gutachten der Mindener Kammer von 1785 entnehmen, wonach Sonderabgaben „lediglich eine Folge des alleinigen landesherrlichen Vorrechts der Reception und Duldung der Juden“ 124 seien. So hatten Letztere denn auch wahrlich nichts „einzufordern“ (wo auch?) – nicht einmal das Bleiberecht. In der Ökonomischen Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz – ebenfalls kein Reaktionär, sondern ein „wohlwollender Kritiker Dohms“ 125 – kann man im 1784 erschienenen 31. Band nachlesen: „Heut zu Tage ist demnach [...] das Recht, Juden im Lande aufzunehmen, zu dulden, und sie, nach Beschaffenheit der Umstände, wieder aus dem Lande zu schaffen, ein Stück der Landeshoheit.“ 126 Und die Beschaffenheit der Umstände beurteilte Rechtszustände[n]“ gleichgesetzt wird, wie dies geschieht bei Risse, S. 43. Die tatsächlichen Rechtszustände der Juden im Mittelalter müssen hier nicht näher aufgerollt werden. Siehe dazu beispielsweise Battenberg, Des Kaisers Kammerknechte, sowie Patschovsky. 122 Zitiert nach Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 475. 123 Vgl. Rüfner, S. 62. 124 Zitiert nach Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 547, wo mit Blick auf Selma Stern treffend hervorgehoben wird: „Von den Juden als preußischen Staatssteuerzahlern, die längst aus ihren tradierten Abhängigkeiten zum Souverän herausgelöst waren, ist innerhalb der zeitgenössischen Quellen jedenfalls nicht die Rede.“ 125 Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 21; Heinrich, Debatte, S. 880; vgl. grundlegend Suchy.

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nun einmal, sofern man den Absolutismus nicht rundweg zum Mythos erklärt, 127 niemand anders als der Monarch – eben der Inhaber jener Landeshoheit. 128 Vor diesem Hintergrund erscheint es denn auch fraglich, ob „angesichts der kaum noch zu übersehenden Anzahl von Gesamtdarstellungen und Spezialstudien zur rechtlichen Gleichstellung [...] die Kenntnis grundlegender Prozesse mittlerweile vorausgesetzt werden“ 129 kann. Gerade in Fragen des Judenrechts erweisen sich auch viele neuere Darstellungen als höchst problematisch und können eine Lektüre der zeitgenössischen Rechtspublikationen offensichtlich nicht ersetzen – von der Aktenüberlieferung ganz zu schweigen. Denn in ihrer maßgeblich auf Stern zurückgehenden Ausrichtung auf den Emanzipationsprozess verkennen zahlreiche Publikationen bis heute, dass der Absolutismus – wie bereits angedeutet – gerade „keine umfassende, systematische Zusammenfassung der die Juden betreffenden Normen“ 130 zustande brachte. So hieß es anerkennend in der Besprechung des bereits erwähnten Bandes des Reichsgrafen von Henckel126 Krünitz, Bd. 31, S. 404; vgl. neuerlich den wichtigen Hinweis bei Laux, Judenschutz und Judengesetzgebung, S. 19: „Das Recht zum Schutz der Juden schloss nämlich stets das Recht zu ihrer Vertreibung im Rahmen gegebener Verträge ein.“ 127 Es ist hier nicht der Ort, die Ergebnisse der Absolutismusforschung der vergangenen Jahre aufzurollen. Im Laufe der Arbeit wird anhand konkreter Probleme ausreichend Gelegenheit bestehen, darauf zu rekurrieren. Vorerst sei verwiesen auf Duchhardt, Zeitalter des Absolutismus; Ders., Barock und Aufklärung; Hinrichs, Absolutismus; Asch / Duchhardt. 128 So haben bekanntermaßen nicht nur Friedrich der Große, sondern ebenso Joseph II. und Katharina die Große in vollem Umfang von diesem Landeshoheitsrecht Gebrauch gemacht. Auf die Umsiedlungs- und Vertreibungsaktionen, die alle drei Monarchen in den polnischen Teilungsgebieten durchführen ließen, wird noch einzugehen sein. Vor diesem Hintergrund kann denn auch folgender Wertung Reinhard Rürups nicht zugestimmt werden: „Das Aushilfsmittel früherer Jahrhunderte, die Vertreibung der Juden über die Landesgrenzen, war im Zeitalter der Aufklärung nicht anwendbar, es versprach auch keine dauerhafte Lösung.“ Selbst wenn man das Geschehen in den Teilungsgebieten als Sonderfall betrachten möchte, blieb doch immerhin die Abschiebung von Betteljuden auch in der zweiten Jahrhunderthälfte ein geradezu alltäglicher Vorgang. Siehe Ders., Emanzipation und Antisemitismus, S. 15. 129 Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 76. 130 So mit Blick auf die Territorien des Alten Reiches Härter, S. 352; am Beispiel des Herzogtums Berg mit ähnlichen Ergebnissen Fleermann, S. 72; für Jülich und Berg: Laux, Judenschutz und Judengesetzgebung; jüngst allgemein auch Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit, S. 48, der mit Blick auf die territorialstaatliche Judengesetzgebung des 17. und 18. Jahrhunderts treffend hervorhob, „dass selbst größere und in sich vergleichbar geschlossene Flächenstaaten eine sehr komplexe, häufig sogar uneinheitliche Gesetzgebung aufweisen. [...] von der Fülle der fallspezifischen Verordnungen und Entscheidungen ganz abgesehen, die zeittypisch ungleich umfangreicher waren als der Bereich der eigentlichen Gesetzgebung selbst. Zugleich ergeben Querschnitte durch eine lokalspezifische Privilegien- und Erlasspraxis, dass man keineswegs davon ausgehen darf, dass diese konzise aufeinander aufbauten. Auch hier lassen sich im Vergleich zu der großen Rechtsform der Privilegien in der Regel schon bald Einzelerlasse, Entscheidungen und Einschätzungen finden, die diese relativierten und ihnen in ihrer Intention und Umsetzung sogar direkt widersprachen.“ Siehe am Beispiel der Verordnungslage bei der Niederlas-

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Donnersmarck, die im Dezember 1814 in der Hallenser „Allgemeinen LitteraturZeitung“ erschien, das Thema sei nur „mit großem Fleisse aus zahlreichen Verordnungen und einer Menge Acten“ 131 zu erarbeiten gewesen. Wenn unlängst von Sterns Werken die Rede war, „ohne die heute weiterführende Forschungen zur Lage der Juden im Preußen des frühen 18. Jahrhunderts nicht oder zumindest nur sehr bedingt möglich sind“, 132 so folgt daraus im Umkehrschluß eben auch, daß heutige Forschung, die auf eigene empirische Anstrengungen verzichtet und sich auf eine unkritische Repetition der von Stern edierten Dokumente beschränkt, zwangsläufig auch jene um Emanzipation und Verbürgerlichung kreisende Meistererzählung übernimmt, nach der sie ausgewählt wurden. 133 Jedenfalls sei hier mit Stephan Laux nachdrücklich vor der verbreiteten Vorstellung gewarnt, „im Zuge einer (als solchen unleugbaren) ‚Verrechtlichung’ habe sich im Gesamtkontext der frühneuzeitlichen Normierungsgeschichte von den Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts bis zu den landesherrlichen Detailverfügungen des Aufgeklärten Absolutismus eine Besserstellung oder gar Absicherung der Juden eingestellt“. 134 Noch dazu, und dies sei hier hinzugefügt, weckt der unkritisch verwendete Begriff der Staatspolitik, der eine zumindest halbwegs gleichförmige Umsetzung der aus der Zentrale kommenden Verordnungen suggeriert, bereits deshalb chimärische Vorstellungen, da, wie dies bereits angeführt wurde, in der Ständegesellschaft der Hohenzollernmonarchie vielerorts Nichtduldungsprivilegien bis in die Zeit um 1800 fortbestanden (die mit den Zielen des Königs freilich recht wohl harmonieren konnten). So muß eben auch für Preußen berücksichtigt werden, daß „beide Gruppen von Privilegien [die positiven wie die negativen] sich gegenseitig neutralisieren oder in ihrer Wirkung eingeschränkt werden konnten, so daß immer im Einzelfall zu überprüfen wäre, inwieweit eine tatsächliche Rechtsverbesserung für die Juden eingetreten war“. 135 sung zweitgeborener jüdischer Kinder in Preußen zwischen 1747 und 1812 auch Schenk, Friedrich und die Juden. 131 Allgemeine Litteratur-Zeitung, Nr. 287 (Dezember 1814), Sp. 751 –752. 132 Schoeps, Judenpolitik Friedrich Wilhelms I., S. 141. 133 Gänzlich abwegig ist die mitunter begegnende Vorstellung, Stern habe eine „Edition des gesamten Aktenmaterials“ vorgelegt oder auch nur vorlegen wollen / können, wie etwa Hoffmann, Jüdische Geschichtswissenschaft, S. 139 meint. Ebensowenig kann es unwidersprochen bleiben, wenn die Quellenlage zur jüdischen Gemeinde der Residenzstadt Potsdam pauschal und ohne Nachprüfung „als eher lückenhaft“ bezeichnet wird, wie dies Diekmann, S. 55 tut. Nachdrücklich anzuempfehlen bleibt die Lektüre von Jersch-Wenzel / Rürup. 134 Laux, Zwischen Anonymität und amtlicher Erfassung, S. 97; vgl. Toury: Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 141: „In diesem Sinne bildeten daher die Juden nicht einen Stand neben Ständen, sondern führten, ebenso wie in wirtschaftlicher, so auch in bürgerlich-rechtlicher Hinsicht eine Marginalexistenz im Staate.“ 135 Vgl. die konzeptionellen Ausführungen von Battenberg, Privilegierung von Juden, S. 186.

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Nun ließe sich freilich einwenden, hier würde allzu positivistisch Rechtsgeschichte betrieben, die noch dazu der absolutistischen Inszenierung auf den Leim ginge und dem Mythos des „starken Mannes“ das Wort redete – schließlich gebe es da noch die „Vermittler von Herrschaft“, 136 in diesem Falle die preußischen „Beamten“. Dieser Einwand wäre prinzipiell durchaus berechtigt, denn zweifellos gilt auch für Brandenburg-Preußen, was unlängst mit Blick auf Schwaben festgestellt wurde: „Für das Verständnis der jüdischen Geschichte in der Frühen Neuzeit ist es [...] unerläßlich, die für die Juden maßgeblichen Herrschaftsstrukturen zu kennen.“ 137 Doch ist die Sicht von Teilen der jüdischen Geschichtsforschung auf jene Funktionsträger im Absolutismus wohl so stark durch Selma Stern geprägt wie kein anderer Themenbereich, was an dieser Stelle nicht unkommentiert bleiben kann. So begannen diese „Beamten“ nach einer bis auf den heutigen Tag weit verbreiteten Lesart bereits im frühen 18. Jahrhundert damit, gewissermaßen das Schlimmste zu verhindern. Stern selbst schrieb 1938 (neu abgedruckt 1962), man müsse „dieses Beamtentum Friedrich Wilhelms I. kennen, um die Judenpolitik des Königs zu verstehen. Denn obwohl Friedrich Wilhelm I., dieser starrste Repräsentant des Absolutismus, der seine Souveränität wie einen Felsen von Erz begründete, sich selbst als den Feldmarschall und Finanzminister des Königs von Preußen bezeichnete, haben ihn seine Minister beeinflußt und gestützt, ihm widersprochen und ihn bekämpft, wenn er gegen die Lehren der Staatsräson verstieß. Und diese vom König in strenger Zucht zur Treue, zum Fleiß, zur Unbestechlichkeit und zu einer neuen und reinen Staatsgesinnung erzogenen Beamten, die dem alten Preußen sein nüchternes, ehrliches und hartes Gepräge gaben, diese Gelehrten und Adligen, diese Generäle und Bürgerlichen waren Gegner des ständischen Kleinstaats und der lutherischen Orthodoxie, Schüler von Thomasius und Wolff, Anhänger des modernen Naturrechts und des aufgeklärten Wohlfahrtsstaates.“ 138 Wenn der preußische Beamtenapparat auf diese Weise für Selma Stern auch nach 1945 als „Folie der Erinnerung und emotionaler Fluchtpunkt“ 139 fungierte, so kann dies doch darüber nicht hinwegtäuschen, dass – rein fachlich betrachtet – derartige Vorstellungen von „den“ Beamten als den eigentlichen Sachwaltern eines idealisierten Preußentums mit moderner Frühneuzeitforschung nicht mehr zur Deckung zu bringen sind. Vor diesem Hintergrund nimmt man mit Verwunderung zur Kenntnis, dass gerade jener Beamtenmythos in der deutsch-jüdischen Historiographie bis auf den heutigen Tag nahezu unverändert konserviert wird. Einige Beispiele mögen hier genügen: So handelten „die Beamten“ angeblich „in der Verwaltungspraxis vernünftiger und humaner“ 140 (1963) als der Monarch. Be136

Brakensiek, S. 4. Mordstein, S. 2. 138 Stern, Bd. II/1, S. 10. 139 Sassenberg, S. 202. 140 Kampmann, S. 82; „nicht selten gerechter und vorurteilsloser“ ist „das Beamtentum“ bei Baumgart, Absoluter Staat und Judenemanzipation in Brandenburg-Preußen, S. 80. 137

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reits unter Friedrich Wilhelm I., einem Mann von „schlichtem Gemüt“, waren sie es, die „Anhänger des modernen Naturrechts und Befürworter eines aufgeklärten Wohlfahrtsstaates“, die es unternahmen, „die Befehle des Königs aufzuschieben oder seine Verbote abzuschwächen“ (2003). 141 Diese „Tradition der Solidarisierung“ 142 (2004) der Beamten mit der Judenschaft sei „eher typisch als singulär“ 143 (1983) gewesen, und deshalb habe es, „allen Wechselfällen königlicher Politik zum Trotz, bis in die obersten, ministerialen Ränge des Staates hinein eine Schicht von Funktionsträgern [gegeben], die ernsthaft auf Umsetzung der Ideale aufgeklärter Staatsraison hinarbeiteten. Das kam zwar auch in anderen Territorien vor, erweist sich für Preußen jedoch als charakteristisch.“ (2002) 144 Wechselfälle königlicher Politik? Friedrich Wilhelm I. regierte 27, Friedrich II. gar 46 Jahre hindurch, länger als alle Hohenzollernkönige und –kaiser vor oder nach ihm. Beide, der Vater und der Sohn, „überlebten“ zahlreiche Vertreter der Ministerriege, so daß sich durchaus fragen ließe, wer hier die „Kontinuität“ repräsentiert. Zumindest hätten die Juden Preußens in einem 73 Jahre währenden Wechselfall gelebt. Davon einmal abgesehen, steht und fällt die skizzierte Lesart in ihrer Pauschalität („charakteristisch“ – „typisch“) mit der Vorstellung, die Dienstauffassung preußischer „Beamter“ des 18. Jahrhunderts habe sich bereits vollkommen von dem persönlichen Treueverhältnis zum Monarchen emanzipiert und stattdessen durch die Ausrichtung auf abstrakte Zielvorstellungen wie „Staat“, „Ideale aufgeklärter Staatsraison“ oder gar „Preußentum“ rationalisiert. All diese Vorstellungen wirken jedoch umso anachronistischer, als sich die Frühneuzeitforschung von einer derartigen „Andacht zum Staate“ 145 nicht erst seit gestern 141

Schoeps, Judenpolitik Friedrich Wilhelms I., S. 143. So Heinrich, Debatte, S. 827, die allerdings das gängige Urteil dahingehend modifiziert, daß jene Solidarisierung „zunächst weniger aus Bildungseinflüssen, insbesondere den Idealen des aufklärerischen Naturrechts, als vielmehr aus Konfrontation mit dem Elend der Juden gespeist war“. Diese Überlegung ist durchaus bedenkenswert, bedarf aber der Präzisierung. Denn als Minister saß man im Berliner Stadtschloß, wo sich die persönliche Konfrontation mit dem durch die restriktive Judengesetzgebung hervorgerufenen Elend durchaus in Grenzen gehalten haben dürfte. Das hier von Heinrich ins Spiel gebrachte Mitleid wird man demnach eher auf der Ebene der Kriegs- und Steuerräte zu suchen haben. 143 Baumgart, Jüdische Minorität, S. 15. Ebd. heißt es weiter: „Diese Haltung der Beamtenschaft hat den harten judenpolitischen Kurs des Monarchen im Sinne der aufgeklärten Zeittendenzen humanisiert.“ Zwei Seiten später liest man mit Blick auf die Edikte und Generalreglements des Königs: „Aber es erhebt sich natürlich die Frage, in welchem Umfange diese Verordnungen tatsächlich angewandt wurden, inwiefern der aufgeklärte Zeitgeist sie abgeschwächt und gemildert hat. Die Quellen sagen darüber zumeist wenig aus.“ Selbst wenn man die sich hier äußernde wissenschaftliche Vorgehensweise einmal außer Acht läßt, kann man sich selbst mit Blick auf die Archivsituation vor der Wiedervereinigung nur wundern, gehörte die Judenpolitik doch unbestritten zu den am stärksten reglementierten Bereichen frühmoderner Staatlichkeit. Wurde in preußischen Amtsstuben das administrative Handeln etwa nicht festgehalten? 144 Heil, S. 86. 145 Vgl. paradigmatisch Oestreich, Strukturprobleme, S. 195. 142

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abzuwenden begonnen hat. Auf diese Weise gelangte auch die Preußenforschung zu neuen Perspektiven, die mit denen Selma Sterns nicht mehr zu vereinbaren sind. So wurde jüngst hinsichtlich der Herausbildung einer entpersonalisierten Amtsauffassung innerhalb der preußischen Bürokratie hervorgehoben: „Die Unterscheidung zwischen Person und Amt des Monarchen, die vor allem unter Friedrich II. stets auch der Selbststilisierung des Herrschers diente, war in absolutistischen Zeiten eine letztlich künstliche, die sich im Staatsleben kaum scharf erfassen ließ. Auch daher hat die persönliche Treuebindung gegenüber dem Monarchen lange nachgewirkt.“ 146 Wenn ferner von „den Beamten“ als Inbegriff nüchterner Zweckrationalität die Rede ist, sollte zumindest am Rande über den Zusammenhang von Sein und Bewußtsein reflektiert und berücksichtigt werden, daß auch in der Hohenzollernmonarchie wesentliche Charakteristika des späteren Berufsbeamtentums wie dauerhaftes Dienstverhältnis, regelmäßige Bezüge und Pensionsansprüche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lediglich rudimentär bzw. noch gar nicht ausgeprägt waren. 147 Sofern man davon ausgeht, daß die Judenpolitik von diesen Strukturbedingungen ebensowenig unberührt bleiben konnte wie jeder andere Bereich frühmoderner Staatlichkeit, suggeriert demnach auch die auf Selma Stern zurückgehende Rede von einer Integration der Judenschaft in die bürokratische Ordnung des Absolutismus „einen starken Staat, den es im 17. und im 18. Jahrhundert noch gar nicht gab“. 148 Noch dazu besteht die empirische Grundlage der angeführten Thesen eben in aller Regel ausschließlich in dem von Stern edierten Aktenmaterial, deren dickleibige Bände scheinbar nur allzu leicht den Blick dafür verstellen, daß Edition immer auch Auswahl bedeutet und zentrale Fragen der jüdischen Geschichte in Preußen damit keineswegs als gründlich erforscht gelten können. Die damit zusammenhängenden Probleme offenbaren sich wohl in keinem anderen Einzelfall derart deutlich wie bei einem Mann, den man mit Fug und Recht als eine der Lichtgestalten Selma Sterns bezeichnen darf, bei Generalfiskal Friedrich Benjamin d’Aniéres (1736 – 1803). 149 Denn 1765 hatte jener d’Aniéres, der durch sein Amt auf dem Feld der Judenpolitik eine bedeutende Rolle spielte, beim König eine fulminante Abrechnung mit der überkommenen Judenpolitik eingereicht. Darin heißt es u. a.: 146

Sieg, S. 79 – 80. Dazu grundlegend Straubel, Beamte und Personalpolitik; siehe ferner Vierhaus, Prussian Bureaucracy Reconsidered; Brakensiek. 148 Neugebauer, Das Alte Preußen, S. 467. Die zentrale Erkenntnis, daß die Ausformung frühneuzeitlicher Staatlichkeit auch in der Hohenzollernmonarchie sektoral höchst unterschiedlich voranschritt und dabei zahlreiche „nichtabsolutistische“ Bereiche nahezu unberührt ließ, wird jedoch in nicht wenigen Publikationen zur jüdischen Geschichte vermißt. Recht pauschal von einem „preußischen Machtstaat“ (wohlgemerkt mit Blick auf die „Innenpolitik“) spricht beispielsweise Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 50. 149 Vgl. Schenk, Generalfiskal d’Anières. 147

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A. Einleitung Hieraus erhellet schon, dass die Erhöhung, wo nicht die Beibehaltung der Juden praestandorum [Abgaben] mit den gesunden principiis nicht harmoniret, weil man findet, wenn man auf den Ursprung dieses Instituti zurückgehet, dass es sich auf Leidenschaften und Mangel der Einsicht gründet. [...] Die Billigkeit der Juden onerum ist wohl nicht leicht erweislich zu machen. Sie tragen schon [...] fast alle bürgerlichen onera, dazu kommen nun Schutz-Gelder, Recruten-Gelder, Calender-Gelder, Trauscheingelder, die Gelder so für die Concessiones zur Chargen-Casse fliessen. Wieviel kosten denselben nicht hiernächst die Einlösungen aller und jeder in ihren Angelegenheiten ergehenden Rescripte, Gutachten, Ordres an die Chargen-Casse, vidimirter Abschriften ihrer Privilegien? Ihre eigene Person müssen sie verzollen, ihren Aufenthalt in Berlin teuer bezahlen, und was dergleichen mehr ist. Wenn man nun eine solche Einrichtung billig nennen wollte, so müßte wenigstens ein Grund dieser Billigkeit angezeigt werden, und ich sehe keinen. 150

Dieser zweifellos mutige Immediatbericht gehört denn auch zu den am meisten zitierten Dokumenten, die von Selma Stern jemals ediert worden sind. Nun führt jedoch der geradezu inflationäre Gebrauch, der von diesem Schriftstück in der Forschung gemacht wird, nicht nur zu dem Eindruck, diese Äußerung sei typisch gewesen für die Einstellung weiter Teile der friderizianischen Beamtenschaft 151 – eine Lesart, die schließlich auch durch Selma Stern nahegelegt wird. Diese Vorgehensweise bedeutet vor allem: Die Arbeit eines Mannes, der über ein Vierteljahrhundert hinweg einer preußischen Zentralbehörde vorstand, die zu den wichtigsten judenpolitischen Instanzen der Zeit gehörte, und der noch unter Friedrich Wilhelm II. der Kommission zur Reform des Judenwesens angehörte, wird auf der Grundlage einer Denkschrift beurteilt, die dieser zu Beginn seiner Amtszeit verfaßte. Ein ganzes Bündel von sich geradezu aufdrängenden Fragen wird nicht beantwortet, mehr noch, wird nicht einmal gestellt. Hier eine Auswahl: Wie konnte dieser Mann so lange ein Amt ausüben, das ihn in offenbaren Widerspruch zu seinen persönlichen Überzeugungen brachte? Boykottierte er etwa die Verordnungen des Königs? Seiner Karriere tat dies, wie vorgreifend bemerkt sei, allerdings keinen Abbruch, hielt er sich doch nicht nur im Amt, sondern wurde schließlich – ein besonderer Gnadenbeweis – auf Befehl Friedrichs in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Nach einem Zerwürfnis klingt dies alles nicht – aber wie paßt es zusammen? Diese Fragen sind dabei durchaus zu verallgemeinern. Denn was ist etwa über die Haltung von Ministern wie von Hagen, Schulenburg-Kehnert oder Heinitz bekannt, um nur einige der wichtigsten Namen 150

Zitiert nach Stern, Bd. III/2, S. 411 – 417, hier S. 414. So gilt das angeführte Gutachten beispielsweise bei Heinrich, Debatte, S. 828 neben einer ähnlichen Äußerung des Geheimen Finanzrats Manitius von 1745 als Beleg dafür, daß sich „zunächst intern die paternalistische Judenfürsorge von Beamten zunehmend mit deren naturrechtlichem Argumentieren für Anerkennung der Juden als staatsbürgerlicher Subjekte oder schlichtweg gleichberechtigter Menschen“ verbunden habe. Als Beispiel eines jener „leicht zu vermehrenden Zeugnisse eines keineswegs unterwürfigen und angepassten, sondern auch dem Autokraten Friedrich gegenüber kritischen Beamtentums, das von seinen aufgeklärten Positionen durchaus überzeugt war“, gilt das Gutachten bei Baumgart, Absolutismus, Aufgeklärter, S. 82. 151

II. Zum Untersuchungsgegenstand

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aus friderizianischer Zeit zu nennen? Wer dies alles für gut erforscht hält, käme jedenfalls rasch in Verlegenheit, wenn er über die Haltung dieser Minister zur friderizianischen Judenpolitik einen halbwegs fundierten Vortrag zu halten hätte. Doch auch die institutionellen Rahmenbedingungen von d’Anières’ Tätigkeit geraten in keiner Weise in den Blick, da verwaltungsgeschichtliche Entwicklungen (von absolutismuskritischen Überlegungen ganz zu schweigen) in der Diskussion schlichtweg keine Rolle spielen. Auch hier seien lediglich die drängendsten Fragen angeführt: Wie sah sie denn überhaupt aus, die Behörde, der d’Anières so lange Jahre vorstand – wie viele Mitarbeiter gehörten ihr an? War sie administrativ in der Lage, die Flut an judenpolitischen Verordnungen des Königs durchzusetzen? Wenn dies also möglicherweise nicht geschah – liegen die Ursachen in bewußter Opposition, in struktureller Überforderung oder in einer Mischung aus beidem? Für diese Fragen fehlt jedoch vielfach jegliches Bewußtsein, wie der Art und Weise zu entnehmen ist, in der von d’Anières’ zitiertem Gutachten von Teilen der Forschung Gebrauch gemacht wird. Da mutiert der Generalfiskal beispielsweise zum „Finanzminister“ 152 oder taucht im „Kabinett“ 153 auf, wo im Gegensatz zum judenfeindlichen König der „Geist der Aufklärung“ geherrscht habe. Der Hugenotte war aber nun freilich Generalfiskal und kein Finanzminister, und in Zeiten einer lediglich ansatzweise vollzogenen Trennung von Verwaltung und Justiz war das auch nicht dasselbe. 154 Es gab im Alten Preußen nicht einmal ein „Finanzministerium“, was wiederum keinem Zufall geschuldet war, sondern der Tatsache, daß lediglich der König Überblick über den gesamten Staatshaushalt besaß (oder doch zumindest besitzen sollte). 155 Aber selbst wenn man sich d’Anières für einen Augenblick als fiktiven Finanzminister vorstellt, so wäre er gerade als solcher wohl kaum je auf den Gedanken gekommen, im Kabinett irgend etwas verloren zu haben. Denn dieses Gremium, gegen dessen zunehmend anachronistische Struktur Jahrzehnte später der Freiherr und Minister vom Stein nicht von ungefähr aufbegehrte, bildete keine zwanglose Runde von Monarch und Ministerialbürokratie, sondern stellte „fürstliche Zentralsphäre“ 156 dar, die vom König, seinen Kabinettssekretären und sonst von niemandem gebildet wurde. Diese Politik aus dem Potsdamer Kabinett heraus, 152

Sterling, S. 283. Dieses und das folgende Zitat nach Flumenbaum, S. 39. 154 Zum Generalfiskalat siehe Kap. D. II. 155 Zur friderizianischen Finanzpolitik, auf die im konkreten Einzelfall noch zurückzukommen sein wird, seien hier lediglich folgende Untersuchungen angeführt: Koser, Die preußischen Finanzen im siebenjährigen Kriege; Henning, Preußische Thesaurierungspolitik; Blastenbrei. 156 Neugebauer, Das preußische Kabinett in Potsdam. Auf das Kabinett wird noch zurückzukommen sein (vgl. Kap. G. X.). Angeführt seien hier vorerst Ders., Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat; Hüffer, Kabinetsregierung in Preußen; Ders., Die Beamten des älteren preußischen Kabinets; Kittstein, S. 355 – 427. 153

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A. Einleitung

gewissermaßen das zivile Gegenstück zur Figur des Roi-Connétable in Kriegszeiten, 157 vollzog sich in bewußter, auch räumlicher Abgrenzung zu eben jener Berliner Ministerialbürokratie, von der der König mehrheitlich auch wenig hielt. Insofern durchwehte das Kabinett zunächst einmal nur eines: der Geist friderizianischer Selbstherrschaft. 158 Demgegenüber hatte das Generaldirektorium, also jene Instanz, wo man die Ministerialbürokratie tatsächlich zu suchen hat, infolge jener Kabinettsregierung sowie der Herauslösung territorialer wie fachspezifischer Aufgaben aus ihrem Kompetenzbereich (genannt seien hier lediglich Schlesien und das Akzisewesen) einen massiven Bedeutungsverlust zu verbuchen, der durch die Wirren des Siebenjährigen Krieges noch verstärkt wurde. 159 Dabei gilt für jede jüdische Familie in Preußen: Am Anfang war das Kabinett. Denn dort und nicht im Generaldirektorium wurde ein neuer Schutzbrief vergeben, und zwar durch keinen Minister, sondern durch den König, mit dessen Unterschrift dieses Dokument seine Gültigkeit erhielt. 160 In nicht wenigen auch der neuesten Publikationen zur jüdischen Geschichte in Preußen spielen all diese verfassungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen nicht die geringste Rolle, sobald vom „preußischen Beamten“ die Rede ist. Stattdessen bleibt in enger Anlehnung an Stern jede Aussage im Ungefähren und verschwimmt in einem ideal gedachten preußischen Beamtentum Schmollerscher Prägung bis zur Unkenntlichkeit. Doch selbst wenn man all die profanen Einwürfe der Sozial-, Verwaltungs- und Verfassungsgeschichte für einen Augenblick beiseite läßt und sich die preußische Beamtenschaft als Fleisch gewordene Aufklärung vorstellt, die die Ideale der Staatsraison verwirklichte – selbst dann müßte spätestens 1786 deutlich werden, 157 Zu Friedrichs Konzeption des königlichen Feldherrn und seiner theoretischen Begründung Schieder, S. 341 – 364. 158 Diese friderizianische Herrschaftsstruktur soll damit natürlich keineswegs mit der Realität gleichgesetzt werden. Die berechtigte Frage nach ihren Grenzen, die vor allem angesichts der geographischen und verwaltungstechnischen Ausdehnung der Staatstätigkeit im Zeitalter Friedrichs immer deutlicher zutage traten, führt in den Bereich der Absolutismusforschung hinein. Das schlichte Ignorieren dieser Herrschaftsstruktur führt jedoch unweigerlich zu verzerrten Perspektiven und wird wohl kaum durch den Rückgriff auf Populärpsychologie kompensiert, wonach d’Anières in seiner Haltung gegenüber den Juden „auch ein Stück eigener Familienbiographie“ verarbeitet habe – über die, nebenbei bemerkt, abgesehen von der hugenottischen Herkunft bislang nicht das geringste bekannt ist. Vgl. Heil, S. 87. 159 Haussherr, S. 132 – 133; Sieg, S. 69, 83; zur Staatsverwaltung in den Kriegsjahren ferner Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, S. 110 –124; Carl, S. 420; vgl. Clarke: Iron Kingdom, S. 245, der vollkommen zu Recht hervorhebt: „... the gorvernance of Prussia during Frederick’s reign was an intensely personal affair; indeed, in some respects the political process was even more concentrated on the person of the king than it had been under his father, Frederick William I.“ 160 Erst unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797) wurden neue Schutzbriefe durch den jeweils zuständigen Provinzialminister des Generaldirektoriums „auf Spezialbefehl“ unterschrieben. Siehe Kohnke, Rathenow, S. 84.

II. Zum Untersuchungsgegenstand

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daß an der Sternschen Lesart einiges ganz und gar nicht stimmen kann. So trat in jenem Jahr mit Friedrich Wilhelm II. (reg. 1786 –1797) ein Mann die Nachfolge des großen Königs an, unter dem der Bürokratie zweifellos größere Gestaltungsmöglichkeiten offenstanden als vor dem Thronwechsel. 161 Noch dazu war dieser Monarch bereits durch die Kronprinzenvorträge, die ihm sein langjähriger Intimus Johann Christof Woellner (1732 –1800) gehalten hatte, auf eine Milderung der rigiden Judengesetzgebung eingestimmt worden und befahl nicht zuletzt deshalb dem Generaldirektorium in einer Instruktion vom 28. September 1786, „mit Nachdruck darauf zu halten, dass die ohnedem schon gedrückte jüdische Nation, soweit es möglich, soulagiret und von dem General Fiscal nicht so gräulich gequälet werde“. 162 Daß mit diesem gräulichen Generalfiskal übrigens kein anderer als Friedrich Benjamin d’Anières gemeint war, soll hier vorerst nicht weiter interessieren, darf aber bereits notiert werden. Von weitaus grundlegenderer Bedeutung ist an dieser Stelle zunächst die folgende Beobachtung: Mit Sterns „Preußischem Staat“ in der Hand sollte man meinen, nun wäre die große Stunde der Judenemanzipation endlich angebrochen, gingen doch angeblich die bisherigen „Rückschläge und Demütigungen der Juden [...] zu Lasten der brandenburgischen Kurfürsten und Könige, deren Toleranz gerade den Juden gegenüber am wenigsten entwickelt war“. 163 Noch dazu entstammte Woellner dem Orden der Rosenkreuzer, der „zweifellos Merkmale einer defensiv-reaktionären Ideologie aufwies“, und erscheint somit als der Exponent einer „politisch virulent gewordene[n] Krise der Aufklärung“. 164 Warum nur mußten zwischen dem Tod Friedrichs und dem Erlaß des Emanzipationsedikts 26 Jahre und Napoleon ins Land gehen, wenn selbst der Kreis um Woellner zumindest für eine deutliche Milderung der friderizianischen Judengesetzgebung eintrat? Dies liege, wie man seit beinahe einem Jahrhundert lesen kann, daran, daß die „judenfreundliche Politik“ Friedrich Wilhelms II. „von dem der friderizianischen Tradition verhafteten Generaldirektorium nicht mitgetragen wurde“. 165 Wie dies alles mit den chronologisch vorgelagerten und vollkommen konträren Wertungen Sterns zu vereinbaren 161 Dies dürfte wohl nach wie vor als Konsens der Forschung zu betrachten sein, wenngleich Friedrich Wilhelm II. mittlerweile nicht mehr derart vernichtend beurteilt wird, wie dies noch durch die borussische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts geschah. Siehe als neuere Würdigung Heinrich, Friedrich Wilhelm II. von Preußen. 162 Instruktion abgedruckt bei Stadelmann, Bd. 3, S. 125 –161, hier: S. 158; vgl. RuppelKuhfuß, S. 11 – 22. 163 So in konventioneller Sicht bei Ribbe, Status der Juden, S. 18, wobei sich diese Einschätzung auch auf Friedrich Wilhelm II. und III. erstreckt. 164 Möller, Bruderschaft der Gold- und Rosenkreuzer, S. 199, 216 (Hervorhebung im Original). 165 Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 59; vgl. ferner die noch immer maßgebliche Studie von Lewin, Judengesetzgebung. Der Autor kommt ebd., S. 93 zu dem Schluß: „Dem Generaldirektorium im ganzen war eine tolerante Lösung der Judenfrage nicht genehm. Es betrachtete sich als den Hort der Überlieferungen Friedrichs des Großen

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A. Einleitung

sein soll, wonach dieselben Beamten in ihrer Mehrzahl bereits seit Jahrzehnten auf ebenjene Milderung der königlichen Judenpolitik hinarbeiteten, bleibt in sämtlichen Publikationen, sofern sie den Einschätzungen im „Preußischen Staat“ folgen, gänzlich schleierhaft. Mehr noch: Der Widerspruch wird nicht einmal thematisiert. 166 Hier tut sich demnach also keine Forschungslücke auf – hier gähnt ein Loch, das schon deshalb nicht länger weiträumig umfahren werden kann, als das in Preußen zum Tragen gekommene Programm einer bürgerlichen Verbesserung eben nicht dem „unter der Prämisse der Rechtsgleichheit“ 167 stehenden französischen Modell einer revolutionären Judenemanzipation 168 folgte, sondern ein etatistisches Erziehungsprogramm darstellte. Als solches wurde es nicht lediglich „weithin zu und setzte den Reformen des neuen Königs eine grundsätzliche Opposition entgegen.“ Lobend hervorgehoben wurde die „nüchterne Auffassung“ des Generaldirektoriums in der NS-Geschichtssschreibung von Sommerfeldt, Judenfrage als Verwaltungsproblem, S. 6 –7, 191. Da Sommerfeldt intensiv aus anderweitig nicht bearbeiteten Akten der südpreußischen Zeit zitiert, die nicht einfach zu ignorieren sind, seien hier einige Anmerkungen über Abgründe deutscher Wissenschaftsgeschichte gestattet, die sich mit dieser Dissertation verbinden. So erhielt Sommerfeldt (Jahrgang 1914) seinen Doktorhut aus der Hand von Manfred Laubert, einem der Exponenten der „Kulturbodenforschung“ in der Weimarer Republik, der die Arbeit anregte, und bei dem sich Sommerfeldt, zu diesem Zeitpunkt bereits Leiter des Referats „Judenforschung“ am „Institut für Deutsche Ostarbeit“ (IDO) in Krakau mit Dependancen in Warschau und Lemberg, für die „kameradschaftliche Zusammenarbeit“ bedankte. 1943 avancierte der 29jährige zum Leiter der über 31 Planstellen verfügenden Sektion „Rassen- und Volkstumsforschung“, 1944 erfolgte die Auslagerung des IDO nach Bayern. 1952 wunderte sich Theodor Schieder gegenüber Hermann Aubin darüber, daß der Herder-Forschungsrat durch ein unlängst an Sommerfeldt vergebenes Forschungsstipendium ins Gerede gekommen war. Angaben und Zitate nach Michel; Volkmer, insb. S. 194 – 199; Goguel, S. 132 – 175; Aly / Heim, S. 207 –218; Lehr, 145; Mühle, Für Volk und deutschen Osten, S. 439; Fahlbusch. 166 Wie angeführt, charakterisiert beispielsweise Schoeps, Judenpolitik Friedrich Wilhelms I., S. 143 bereits die preußischen Beamten der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als „Anhänger des modernen Naturrechts und Befürworter eines aufgeklärten Wohlfahrtsstaates“, die es unternahmen, „die Befehle des Königs aufzuschieben oder seine Verbote abzuschwächen“. Für die 1790er Jahre liest man in einer lediglich zwei Jahre älteren Publikation desselben Autors: „Die verschiedenen Anläufe der Berliner Gemeindeältesten, das verhasste Reglement von 1750 abzuschütteln [...] scheiterten immer wieder am Widerstand der Beamten der Berliner Zentralbürokratie, die sich gegen jeden Versuch einer Reform sperrten und nicht an einer Überarbeitung der Judengesetze interessiert waren.“ Siehe Ders., Der Anpassungsprozess, S. 53. Auch Heinrich, Haskala und Emanzipation, S. 167 spricht für die 1790er Jahre von einer „fragwürdige[n] Kontinuität“ einer restaurativen Politik des Generaldirektoriums, das die Judenschaft mit neuen Restriktionen konfrontiert habe, ohne die nicht minder fragwürdige Diskontinuität zu den angeblich überschaubaren administrativen Abläufen vor 1786 zu thematisieren. Stattdessen beklagt sie ebd., S. 170 die „Hindernisse, die der Reform aus dem halbherzigen, von Bedingungen strotzenden Konzept des Generaldirektoriums erwuchsen“. 167 Gerson, S. 48. 168 Zum Gang der Judenemanzipation in Frankreich Benbassa, S. 99 –111.

II. Zum Untersuchungsgegenstand

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einer Sache der Bürokratie“, 169 sondern konnte sich zumindest in seinen Anfängen lediglich an diejenigen Juden richten, die „durch Vermögen oder Beruf und durch ein Minimum allgemeiner Bildung den Nichtjuden als Mitbürger überhaupt annehmbar erschienen“. 170 Oder mit anderen Worten: „Rechtliche Verbürgerlichung ohne kulturelle Integrationsleistung – das war im frühen bürgerlichen Deutungsrahmen kaum vorstellbar und im Alten Reich, wo Kultur als homogenisierender Faktor die Nation lange ersetzen musste, fast undurchführbar.“ 171 Da der bemerkenswerte Prozeß der Verbürgerlichung des deutschen Judentums als Breitenphänomen jedoch erst im 19. Jahrhundert zu verorten ist und nicht – unter anderem durch eine Überbewertung ökonomischer Entfaltungsmöglichkeiten im Ancien Régime – bewußt oder unbewußt ins 18. Jahrhundert vorverlegt werden darf, 172 ergeben sich aus dieser Beobachtung schwerwiegende Weiterungen für die Haltung der preußischen Beamtenschaft im gesamten Emanzipationsprozeß. Für die ebenfalls didaktische Ziele anstrebende josephinische Toleranzpolitik wurde bereits vor einiger Zeit festgestellt, sie sei „in erster Linie der wohlhabenden Oberschicht der Wiener Juden zugute“ 173 gekommen. Einige vergleichbare Forschungen für den preußischen Bereich, die über Stern hinausreichen, gibt es bereits, und deren Ergebnisse lassen aufhorchen. So bilanziert Anne-Margarete Brenker in ihrer durchaus der Rezeption würdigen Studie über aufklärerische Politik in Breslau, es habe behördlicherseits „eine Ungleichbehandlung der sozial, intellektuell und wirtschaftlich sich an entgegengesetzten Polen befindenden Judenschaft statt[gefunden]. Die ohnehin sozioökonomisch und rechtlich privilegierten Juden wurden durch die Reformpolitik bevorzugt, was u. a. auch eine Verstärkung der sozialen Differenzierung und Polarisierung innerhalb der jüdischen Gemeinde zur Folge hatte. Ging es um die vollständig Unterprivilegierten, also die verarmten ungeschützten Juden, so behielten die Verantwortlichen die alten Verhaltensmuster bei.“ 174 Dieses Urteil dehnt Brenker ausdrücklich auf den

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Rürup, Emanzipation und Antisemitismus, S. 18. Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 145. 171 Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 79. 172 Vgl. Lässig, How German Jewry turned bourgeois, S. 59 –60: „As late as 1800 [...] more than two-thirds of all German Jews were living in poverty. They also seemed anything but ‚bourgeois‘ in terms of culture and mentality: The traditional everyday life of the Jews appeared almost diametrically opposed to the Enlightenment’s call for reason, usefulness, and education, or to use the more precise German term, Bildung. But by the closing years of the nineteenth century, the signs seem almost to have reversed. The German Jews had by then established themselves in bourgeois society socially, economically, and culturally. They no longer exemplified a deficit of bourgeois virtues, but were almost model pupils of Bildung and Bürgerlichkeit.“ 173 Grab, Der deutsche Weg der Judenemanzipation, S. 15. Zu ähnlichen Ergebnissen kam mit Blick auf die schwäbische Grafschaft Oettingen unlängst Mordstein, S. 196 –197. 174 Brenker, S. 236. 170

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A. Einleitung

dortigen Provinzialminister Graf von Hoym aus, 175 der der Forschung bislang weithin als „besonderer Gönner der Juden“ 176 galt. Nach Verrechtlichung klingen diese neuen Befunde jedenfalls nicht, und mit Bezug auf die angeführten Zahlen nach Toury ließe sich Brenkers Einschätzung lediglich um die Bemerkung ergänzen, daß offenbar auch die Zahl der verarmten Schutzjuden stieg. Selma Stern hilft bei all diesen Problemen, die doch für eine ganze Epoche geradezu als konstitutiv zu bezeichnen sind, nur sehr bedingt weiter. Mit Blick auf die bereits genannten Regionalforschungen ist eben nicht von einer zu vernachlässigenden Minderheit die Rede, wenn festgestellt wurde, daß „only [!] the poorest Jews needed to feel insecure in their residence in BrandenburgPrussia“. 177 So dürfte anhand der bisherigen Ausführungen hinreichend deutlich geworden sein, wo nicht zu übersehende weiße Flecken im bisherigen Forschungsstand aufscheinen. Diese bestehen aus folgenden Fragen: 1. Läßt sich die nach dem Siebenjährigen Krieg offenbar sprunghaft gestiegene Abgabenlast, über deren Volumen bislang bestenfalls schemenhafte Vorstellungen existieren, genauer quantifizieren? 2. Läßt sich diese Abgabenpolitik mit der zeitgleich zu beobachtenden Deklassierung weiter Teile des preußischen Judentums in einen kausalen Zusammenhang bringen?

175 So wird ebd., S. 269 hervorgehoben, daß Hoyms Reformvorschläge „nur einer beschränkten Gruppe Juden zugute kommen“ sollten. 176 Baumgart, Die jüdische Minorität im friderizianischen Preußen, S. 14. So ließe es sich durchaus auch auf Teile der Forschung beziehen, was Brenker, S. 269 für das ausgehende 18. Jahrhundert konstatiert: „Die armen Juden hatten ebensowenig wie die Orthodoxen ein Forum.“ Auch Lowenstein betont mit Bezug auf die preußische Hauptstadt: „The transformation of Berlin Jewry has played a large role in most histories of Modern Jewry. It is quite understandable that writers have been mainly interested in the groups that changed the most – the Jewish Enlightenment, the women of the salons, early Reform and the ‚Taufepidemie‘ (epidemic of baptisms). The groups that changed least have had the least attention.“ Siehe Ders., Two Silent Minorities, S. 3; vgl. ebd., S. 19: „What is more, many of the very poor had other concerns than the ideological conflicts [zwischen Aufklärern und Orthodoxen] within the community. For some, the question of subsistence was more vital.“ Wenn Hoym ferner immer wieder dazu herangezogen wird, um die Haltung „des“ Beamtentums zur Judenpolitik zu exemplifizieren, ließe sich an die ältere Einschätzung bei Lewin, Judengesetzgebung, S. 573 erinnern: „Es war eine Welt, die einen Staatsmann vom Schlage Hoyms von den Anschauungen des höchsten Beamtenkollegiums Preußens [also des Generaldirektoriums] schied. Die Kluft, die zwischen beider Überzeugungen gähnte, konnte nicht überbrückt werden. Schon da Friedrich Wilhelm II. den Thron seines Oheims bestieg, bewegte sich die Judenfeindschaft der Mitglieder des Generaldirektoriums, an deren Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit man natürlich nicht zweifeln darf, auf respektabler Höhe.“ 177 Hagen, S. 45.

III. Quellenlage und Forschungsstand

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3. Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Beamtenschaft? Waren mögliche Umsetzungsprobleme judenpolitischer Verordnungen das Resultat einer Verschleppungstaktik des Beamtentums? 4. Läßt sich aus den Quellen eine Opposition herauslesen, die naturrechtlich argumentierte und insofern über die bestehende Sondergesetzgebung hinausund ins Zeitalter der Emanzipation hineinwies? 5. Und schließlich – in enger Anbindung an die beiden zuerst genannten Fragen – wie verhielt es sich mit der bislang eher vermuteten als belegten relativen Rechtssicherheit der Juden im friderizianischen Preußen? Erkauften sie sich mit den gestiegenen Abgaben gesicherte Rechtstitel, und erwies sich so der preußische Judenschutz wirklich als „äußerst wirkungsvoll“? 178 Und was geschah – auf der anderen Seite – mit all jenen, die die erforderlichen Summen nicht mehr zusammenbrachten? Daß sich die bereits angeführten drei Sonderabgaben bei einer Suche nach Antworten auf diese Fragen förmlich aufdrängen, zeigt bereits der jetzige lückenhafte Forschungsstand, auf den nun einzugehen ist.

III. Quellenlage und Forschungsstand Eigentlich muß man in der Literatur nach den drei genannten Sonderabgaben meist nicht lange suchen, denn bekannt sind sie durchaus. Doch bereits über die Geltungsdauer jener Verordnungen herrscht weithin Unklarheit. So kann man zwar lesen, daß die zweiten Kinder im Gegenzug für ihre Niederlassungserlaubnis seit März 1766 jährlich für 1.500 Rt. preußische Manufakturwaren hätten exportieren müssen. 179 Doch der Zusammenhang dieser Verpflichtung mit der nächsten Sonderabgabe wird in neueren Überblicksdarstellungen durchaus widersprüchlich dargestellt. So habe sich die preußische Judenschaft entschieden, stattdessen eine heruntergekommene Strumpfmanufaktur in Templin zu übernehmen, die seit 1768 von den „ordentlichen Schutzjuden Preußens“ betrieben worden sei. 180 Wurde der 1766 eingeführte Manufakturwarenexport also gar nicht in die Praxis umgesetzt oder spätestens 1768 eingestellt? Diese Lesart ist offenbar falsch, denn noch 1793 spricht David Friedländer (1750 – 1834), 181 einer der einflußreichsten und umstrittensten Vorkämpfer der 178 So bei Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 51. Als fragwürdiger Vergleichsmaßstab dient dem Autor dabei freilich das vom Bürgerkrieg geschüttelte Polen, in dem gerade Juden in den 1760er und 70er Jahren Mord und Totschlag zu befürchten hatten. Vgl. hierzu Schenk, „Der preußische Staat und die Juden“. 179 Siehe beispielsweise Ribbe, Status der Juden, S. 14; Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 1, S. 24 – 25. 180 Bruer, Juden in Preußen, S. 73, 75.

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A. Einleitung

Judenemanzipation in Preußen, von jener Auflage im Präsens: „Da nun dieses eine Zwangsausfuhr ist, so geschieht, besonders weil sie gewöhnlich Leute trift, die mit Ausländern in keiner Verbindung stehen, der Verkauf nicht ohne empfindlichen Schaden, und setzt auch den Werth und Ruf unserer Fabrikate im Auslande herunter.“ 182 Wie lange diese Textilexporte vor dem Hintergrund der nur schleppend vorankommenden Reform des Judenwesens noch andauerten, ist bislang ebenso unklar wie die Lebensdauer der Templiner Manufaktur. 183 Wer allerdings davon ausgeht, daß der Betrieb im Laufe der kommenden Jahre still und heimlich eingegangen wäre, täuscht sich, denn tatsächlich befreite erst das Emanzipationsedikt von 1812 die Judenschaft von dieser Bürde. Noch im Jahre 1800 beschreibt Bratring die Manufaktur, in der zu diesem Zeitpunkt 20 Stühle gearbeitet haben sollen 184 und die damit eindeutig als großgewerbliche Ansiedlung zu betrachten ist. 185 Lediglich hinsichtlich des Exportzwangs von Porzellan herrscht Einigkeit darüber, daß diese Verordnung von März 1769 bis Februar 1788 gegolten habe. 186 Damit ergibt sich für die vorliegende Arbeit ein Untersuchungszeitraum von rund 50 Jahren zwischen 1763 und 1812. Jenes halbe Jahrhundert vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zum Erlaß des Emanzipationsedikts, welches das Retablissement, die einsetzende Debatte um bürgerliche Verbesserung der Juden, den Tod Friedrichs des Großen, die Französische Revolution und den Beginn der preußischen Reform umschließt, scheint vorzüglich geeignet zu sein, die im vorangegangenen Kapitel aufgezeigten „großen Fragen“ jüdischer Geschichte im Alten Preußen einer näheren Prüfung zu unterziehen. Denn jene Sonderabgaben, deren Legitimation einzig und allein auf dem voremanzipatorischen Sonderstatus der Judenschaft als diskriminierter Minorität beruhte, mußten im Laufe dieser Jahrzehnte je länger je mehr als Anachronismen erscheinen. Allerdings, dies wurde bereits angedeutet, erwies sich die in Preußen im Gegensatz zu Frankreich beschrittene „graduelle Emanzipation [als] ein rechtlich, politisch und praktisch fragwürdiges Unterfangen mit schwerwiegenden Folgen“. 187 Dabei standen die 181 Zu David Friedländer weiterhin Ritter; vgl. Freund, David Friedländer; Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, S. 66 – 98. 182 Friedländer, Akten-Stücke, S. 66. 183 Vgl. die knappen Ausführungen bei Stern, Bd. III/1, S. 188 –189. 184 Bratring, Bd. 2, S. 490. 185 So nach der Klassifikation von Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 12. 186 Bereits in den Acta Borussica kann man nachlesen: „Auf Vorschlag Hagens, dem dafür Anerkennung ausgesprochen wird, sollen nach C.O. v. 21. März 1769 (R 96 B 71) Juden bei jedesmaliger Erteilung eines Privilegs, Concession oder Beneficirung für 500 bz. 300 Thl. Porzellan aus der Kgl. Manufactur nehmen und außer Landes debitiren, was vor Ausgabe des Privilegs durch Bescheinigung nachzuweisen ist.“ Siehe A.B.Z.A., Bd. III/ 1, S. 388 – 389; zur Aufhebung gegen eine Ablösesumme von 40.000 Rt. im Jahre 1788 bereits König, S. 327 – 328. Den hier gemachten Angaben folgen Terlinden, S. 30 –31 sowie Rönne / Simon, S. 215.

III. Quellenlage und Forschungsstand

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drei genannten Sonderabgaben mit der Verleihung elementarer Rechte wie der Niederlassungserlaubnis für Juden in engstem Zusammenhang und repräsentieren damit die nicht nur in Preußen zu konstatierende „Brisanz der Problematik des jüdischen Bevölkerungswachstums bei gleichzeitigem Druck durch die rigide Beschränkung der jüdischen Schutzhaushalte“. 188 Wenn diese Sondersteuern in Preußen teilweise bis 1812 ihre Geltung behielten, drängt sich ihre Untersuchung förmlich auf, sobald man danach fragt, wie jene meist abstrakt beschriebenen rechtlichen, politischen und praktischen Probleme der Judenemanzipation in der Praxis aussahen. Denn bei kritischer Lektüre der bisher vorliegenden Literatur stößt man trotz aller Lücken bereits auf zahlreiche Ansatzpunkte, die direkt in zentrale Fragen der Epoche hineinführen. Dabei ist zunächst an die im 18. Jahrhundert weit verbreitete Verarmung jüdischer Bevölkerungsschichten zu denken, die vielerorts in Verbindung mit einer rapide wachsenden Abgabenlast zu betrachten aber bislang kaum erforscht ist. 189 Daß die drei im folgenden zu thematisierenden Sonderabgaben zusammen genommen die Belastung durch die regulären Schutzgelder phasenweise offenbar deutlich überschritten, wurde bereits angedeutet. In diesem Zusammenhang gewinnt die Beobachtung an Gewicht, daß der vermeintlich skurrile und abseitige, eher zur Anekdote denn zu historischer Tiefenanalyse einladende Gegenstand 190 bereits nach wenigen Jahren durch keinen Geringeren als Goethe Eingang in die Weltliteratur fand – unbekannt war das Ganze in Europa (und darüber hinaus 191) also keineswegs. So kann man in Dichtung und Wahrheit über die Auseinandersetzung Goethes mit dem berüchtigten Berliner Raubdrucker Christian Friedrich Himburg (1733 – 1801) 192 im Jahre 1779 folgendes lesen: Als nämlich meinen Arbeiten immer mehr nachgefragt, ja eine Sammlung derselben verlangt wurde, jene Gesinnungen aber mich abhielten eine solche selbst zu veranstalten; so benutzte Himburg mein Zaudern und ich erhielt unerwartet einige Exemplare meiner 187

Berding, Judenemanzipation im Rheinbund, S. 283. So in allgemein gültigen Wendungen mit Bezug auf die Lage in Schwaben im frühen 18. Jahrhundert Ullmann, Ehepaar Merle und Simon Ulman, S. 285. 189 Auf dieses Desiderat der Forschung verwies jüngst Herzig, Jüdische Geschichte in Deutschland, S. 136. 190 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang lediglich auf die populäre, jedoch unzutreffende Anekdote, nach der Moses Mendelssohn zum Kauf von 20 Porzellanaffen gezwungen worden sei. Siehe hierzu Schenk, An den Grenzen der Aufklärung, S. 380 –390. 191 Als beispielsweise der amerikanische Offizier und Revolutionär Francisco de Miranda (1750 – 1816) während seines Berlinbesuches im Jahre 1785 mit dem jüdischen Mediziner Marcus Élieser Bloch (1723 – 1799) über die Situation der preußischen Juden diskutierte, wurde der Gast ausdrücklich auf den Porzellanexportzwang als Ausdruck der „Unterdrückung“ hingewiesen. Siehe Zeuske, S. 92. 192 Vgl. Unseld, S. 66 – 71; Lütteken, S. 228. 188

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A. Einleitung zusammengedruckten Werke. Mit großer Frechheit wußte sich dieser unberufene Verleger dieses dem Publikum erzeigten Dienstes gegen mich zu rühmen und erbot sich mir dagegen, wenn ich es verlangte, etwas Berliner Porzellan zu senden. Bei dieser Gelegenheit mußte mir einfallen, daß die Berliner Juden, wenn sie sich verheurateten, eine gewisse Partie Porzellan nehmen mußten, damit die königliche Fabrik ein sichern Absatz hätte. Die Verachtung welche daraus gegen den unverschämten Nachdrucker entstand, ließ mich den Verdruß übertragen, den ich bei diesem Raub empfinden mußte. Ich antwortete ihm nicht, und indessen er sich, an meinem Eigentum gar wohl behaben mochte, rächte ich mich im Stillen mit folgenden Versen: Holde Zeugen süß verträumte Jahre Falbe Blumen, abgeweihte Haare, Schleier, leicht geknickt, verblichne Bänder, Abgeklungener Liebe Trauerpfänder, Schon gewidmet meines Herdes Flammen, Rafft der freche Sosias zusammen, Eben als wenn Dichterwerk und Ehre Ihm durch Erbschaft zugefallen wäre; Und mir Lebenden soll sein Betragen Wohl am Tee- und Kaffeetisch behagen? Weg das Porzellan, das Zuckerbrot! Für die Himburgs bin ich tot. 193

Darüber hinaus erwähnt nicht nur Honoré de Mirabeau den zwangsweisen Export von Porzellan in seiner 1788 in London erschienenen Monarchie Prussienne als „idée singulière“. 194 Auch Johann Georg Krünitz hielt den Gegenstand für wichtig genug, um ihn in seine Ökonomisch-technologische Encyklopädie aufzunehmen, in deren 31. Band von 1784 man lesen kann: Wenn ein berlinischer Schutzjude ein Haus kauft, ist er gehalten, für 300 Rthlr. Porzellan (halb in Golde, den Fr. d‘ or à 5 Rthlr., und halb in Courant,) aus der königl. Porzellan=Manufactur zu nehmen, und ausser Landes zu schicken. [...] Auch ist jeder Schutzjude gehalten, wenn er sein erstes Kind verheurathet und ansetzt, so wie bey einem Hauskaufe, für 300, und wenn er ein zweytes Kind verheurathet und ansetzt, für 500 Rthlr. Porzellan aus der königl. Porzellan=Manufactur zu nehmen, und ausser Landes zu schicken. 195

Dohm erinnerte sich noch ein Jahr vor seinem Tod, 1819, an „diese harte wirklich grausame Maaßregel“, 196 doch belegt die große Bedeutung, die die Zeitgenossen gerade dieser Sonderabgabe beimaßen, wohl am deutlichsten der 193 Goethe, I. Abt., Bd. 14, S. 734. In der ursprünglich noch schärfer formulierten Version, die Goethe im Mai 1779 an Charlotte von Stein gesandt hatte, hieß es stattdessen u. a.: „Doch ich schreibe nicht um Porzellan noch Brot, Für die Himburgs bin ich tot.“ Siehe Goethes Briefe an Charlotte von Stein, Bd. 1, S. 139. 194 Mirabeau, Bd. II, Livre IV, S. 108. 195 Krünitz, Ökonomisch-technologische Encyklopädie, Bd. 31, 425 –427. 196 Dohm, Denkwürdigkeiten, Bd. 4, S. 486.

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Volksmund. Dieser kreierte bald den Begriff „Judenporzellan“ für die Produkte der Berliner Manufaktur, womit eine pejorative Bezeichnung gefunden war, die sich offenbar bis weit ins 19. Jahrhundert hinein im allgemeinen Sprachgebrauch hielt und, soweit ersichtlich, ein letztes Mal im Brockhaus von 1931 auftaucht: „Judenporzellan, Spottname für die Erzeugnisse der Berliner Porzellanmanufaktur; der Name stammt daher, daß auf Anordnung Friedrichs d. Gr. die Juden, die um irgendwelche behördlichen Genehmigungen nachsuchten, Porzellane der kgl. Fabrik erwerben mußten.“ 197 Gustav Kolbe (1809 –1867), seit 1850 Direktor der Berliner Porzellanmanufaktur, betrachtete den Exportzwang als „eine harte Maassregel. Man denke sich die Lage eines armseligen Juden in einer der kleinen Städte der Marken, in Schlesien, Westphalen, der sich etabliren oder verheirathen wollte, und nun für 300 Thaler Porcellan kaufen musste, während er vielleicht nicht 300 Groschen besass, wie dies doch in der Provinz auf dem Lande bei der Mehrzahl der Fall, und der nun noch angehalten war, dies Porcellan im Auslande abzusetzen, wozu es ihm in der Regel an jeder Gelegenheit fehlte.“ 198 In der Folge sei es nach Kolbe deshalb bei den erzwungenen Exporten für die Juden zu Verlusten von mindestens 25 bis 30 % gekommen, die anderen Orts gar auf etwa 50 % beziffert werden 199 und damit ca. 150 Rt. ausgemacht hätten. Solche Summen tauchen auch in der neueren Literatur häufig auf, ohne daß dem Leser dabei allerdings auch nur der geringste Anhaltspunkt geboten wird, was die zumindest kurzfristige Aufbringung von 300 Rt. sowie die Inkaufnahme von Verlusten in Höhe von rund 150 Rt. für einzelne Familien bedeutet haben mag. Eine Vorstellung von den „Lasten der Juden“ ergibt sich jedoch nicht aus einer tabellarischen Auflistung von Zahlen mit vielen Nullen 200 – sie ergibt sich aus Vergleichsmaßstäben. Auf diese wird im folgenden Abschnitt noch einzugehen sein, so daß vorerst die Bemerkung genügen 197 Brockhaus, Bd. 9, S. 478. Der Begriff ist zeitgenössisch. Bereits Friedländer schrieb 1793: „Gewiß ist übrigens diese erzwungene Exportation dem Ruf und dem Werthe des Berlinischen Porcellains im Auslande äußerst schädlich geworden, und es ist allgemein unter dem Namen Juden-Porcellain verschrieen.“ Siehe Ders., Akten-Stücke, S. 71. Johann Georg Grieninger, der Direktor der KPM, schrieb im Januar 1781 in einem zunächst unveröffentlichten Manuskript, es sei „gewiss, dass die Juden um dieses Zwanges Willen unsere Porzelläne, so viel als an ihnen gelegen, herabzuwürdigen an statt dieselben zu empfehlen, sich haben angelegen seyn lassen“. Siehe Ders.: Vom Ursprung und Fortgang, S. 305. 198 Kolbe, S. 185. In der meist kunstgeschichtlich ausgerichteten Literatur zur Berliner Porzellanmanufaktur erfuhr das Thema hingegen kaum eine angemessene Würdigung. So wundert sich etwa Erich Köllmann in seinem Standardwerk zum Berliner Porzellan über die „merkwürdige“ Verordnung, die der „an sich einigermaßen liberalen und fortschrittlichen Judengesetzgebung Friedrichs so gar nicht“ entsprochen habe. Siehe Ders. / Jarchow, Bd. 1, S. 48. 199 So bei Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 25. 200 So bei Bruer, Juden in Preußen, S. 72 – 74. Abgesehen von den fehlenden Vergleichsmaßstäben sind derartige Ausführungen meist von einem Urvertrauen in die Durch-

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A. Einleitung

dürfte, daß 300 Rt. in etwa zwei Jahresgehältern eines Berliner Manufakturarbeiters entsprachen und deshalb ohne jeden Zweifel eine immense Belastung für die allermeisten jüdischen Haushalte dargestellt haben müssen. Von einer „Bagatellforderung“ 201 kann vor diesem Hintergrund nicht im entferntesten die Rede sein. Erika Herzfeld konnte denn auch bereits vor einigen Jahren am Beispiel des Spandauer Schutzjuden Levin Joseph nachweisen, daß der Porzellanexport offenbar maßgeblich zum Niedergang eines jüdischen Hausvaters beizutragen vermochte. 202 War Joseph nur ein Einzelfall? Was bedeutete ein Verlust von rund 150 Rt. vor dem Hintergrund der sonstigen Abgaben, die Juden aufzubringen hatten? Um 1770 betrug der durchschnittliche Beitrag eines Mindener Haushalts zur jährlichen Schutzgeldrepartition bei einer Bandbreite von 4 bis 40 Rt. rund 25 Rt. 203 Demnach hätte in ärmeren Familien der Verlust am Porzellan den regulären Abgaben in einem Zeitraum von beinahe 40 Jahren entsprochen, so daß sich die Frage aufdrängt: Was passierte mit all jenen Familien, die sich solche Verluste nicht leisten konnten? Denn es kann offensichtlich keine Rede davon sein, daß von dem Exportzwang lediglich „alle ökonomisch potenten Berliner Juden“ 204 betroffen gewesen seien. Von einer Beschränkung auf die Hauptstadt ist in dem bereits 1971 durch Selma Stern und ein weiteres Mal 1983 durch Raymond Wolff im Wortlaut wiedergegeben Kabinettsbefehl Friedrichs keine Rede. Danach verordnete der König, die Abnahmetarife in der gesamten Monarchie bei Vergabe eines Generalprivilegs auf 500 sowie bei einer Ansetzung als ordentlicher Schutzjude, einer Konzession zum Hausbesitz sowie einer „sonstigen Benefizierung“ auf 300 Rt. festzusetzen. 205 Mit der Vergabe eines Generalprivilegs, einer erstmaligen Ansetzung als Schutzjude sowie einer Konzession zum Hausbesitz, darauf wird noch zurückzukommen sein, hatten die allermeisten Schutzjuden in Preußen nicht viel zu tun. Was aber hat man unter einer sonstigen Benefizierung zu verstehen? Dieser Punkt ist offenbar setzungsfähigkeit der absolutistischen Staatsmaschine geprägt, das mittlerweile reichlich anachronistisch wirkt. Denn aufgelistet wird wohlgemerkt nur das, was die Juden aufgrund der königlichen Befehle mußten. Daß sie dies auch ohne Abstriche taten, wird dabei vorausgesetzt. In Formulierungen wie „Der Absolutismus hatte gesiegt“ (ebd., S. 73) offenbart sich einmal mehr die Problematik einer mangelnden Rezeption der Frühneuzeitforschung. Denn was „nützten schließlich alle [...] Edikte, Verordnungen und Erlasse, wenn sie in Einzelfällen gar nicht bis zu jener Ebene durchdrangen, wo man sie doch hätte umsetzen bzw- ihre Umsetzung hätte überwachen sollen?“ Vgl. Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 533. 201 So bei Herzig, Emanzipationspolitik Hamburgs und Preußens, S. 264. 202 Herzfeld, Der soziale Abstieg des Levin Joseph. 203 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 534. 204 So Radtke, S. 59. 205 Stern, Bd. III/1, S. 222; Wolff, S. 67.

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von zentraler Bedeutung für die Frage, bei welchen Anlässen eine jüdische Familie überhaupt mit dem Exportzwang konfrontiert wurde. Auf der Suche nach Antworten stößt man allerdings vielfach in den blinden Fleck einer Forschung hinein, die es an der Bereitschaft zu genauer Lektüre des friderizianischen Judenrechts mangeln läßt und folglich mit dessen genauen Modalitäten nur oberflächlich Bekanntschaft geschlossen hat. So sei ein Porzellanexport „obligatorisch“ gewesen „bei privaten Anlässen wie Hochzeiten oder Geburten sowie beim Hauskauf (der eigentlich verboten war)“. 206 Anderen Orts wird von „Eheschließungen, Todesfällen, Hauskäufen u. a.“ 207 gesprochen. Dazu ist folgendes zu bemerken: Weder ist der preußische König jemals auf den Gedanken verfallen, das Sterben von der vorherigen Einholung einer Konzession abhängig zu machen, noch war ein Hauskauf nach 1750 „eigentlich verboten“ (das war er lediglich in den Jahren zwischen 1737 und 1750). Ferner handelte es sich bei einer jüdischen Hochzeit keineswegs um einen „privaten“ Anlaß, sondern vielmehr um einen Vorgang, der für „den Staat“ von größtem Interesse war, indem das Reproduktionsverhalten der jüdischen Minderheit in voremanzipatorischer Zeit dem Regelungsbereich der Obrigkeit zugehörte. Vor diesem Hintergrund war Hochzeit nicht gleich Hochzeit. Denn ob für den Bund der Ehe lediglich ein Trauschein zu lösen oder auch eine Konzession einzuholen war, hing davon ab, ob durch die Heirat eine neue Schutzbeziehung konstituiert wurde oder nicht. Auf das friderizianische Judenrecht und die hier angesprochenen Probleme wird noch einzugehen sein. 208 Vorerst bleibt lediglich die Beobachtung festzuhalten, daß man in weiten Teilen der Literatur keine zuverlässige Antwort auf die Frage erhält, welche Anlässe und Handlungen im jüdischen Leben überhaupt einer obrigkeitlichen Konzession bedurften. Damit wird keine rechtshistorische „Erbsenzählerei“ angemahnt, sondern die Klärung eines Sachverhalts, dem vor dem Hintergrund der immer weiter ausgebauten Abgabenpolitik offenbar entscheidende Bedeutung für die Frage zukommt, ob so manche jüdische Biographie als Aufstiegsgeschichte zu erzählen ist oder aber im wirtschaftlichen Ruin endete. Zugleich wird einmal mehr deutlich, auf welch schwachen empirischen Füßen die These steht, wonach „man trotz der Verschlechterung der Rechtsstellung der Juden im Laufe des 18. Jahrhunderts von einer gewissen Minderung des Drucks auf sie sprechen“ 209 könne. Denn wenn man auf Basis der bisherigen Ausführungen begründet vermuten darf, daß durch den Porzellanexport nach 1769 manche Eheschließungen mit Abgaben belastet wurden, die in zahlreichen Familien den Schutzgeldzahlungen von Jahrzehnten entsprachen, hätte man gern gewußt, was dies für die Betroffenen bedeutete – nicht 206

Flumenbaum, S. 39. Schoeps, Judenporzellan; vgl. Herzfeld, Preußische Manufakturen, S. 244, wonach „Juden nicht heiraten, kein Gewerbe errichten, kein Haus, auch keine Wohnung erwerben konnten, ohne diese Steuer zu zahlen“. 208 Vgl. insbesondere Kap. C. II. 209 Breuer, S. 147. 207

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A. Einleitung

zuletzt deshalb, weil mehrere Regionalstudien im gleichen Zeitraum ein deutliches Ansteigen des Heiratsalters innerhalb der Judenschaft belegen konnten. 210 Die Vermutung, daß man es beim Porzellanexportzwang also mit einer Belastung zu tun hat, hinter der sich immense Summen verbergen und die auch demographisch äußerst hart in das alltägliche Leben preußischer Juden einschnitt, drängt sich demnach förmlich auf. Mehr als vage Vermutungen lassen sich jedoch bislang nicht anstellen. So liest man wahlweise, das Judenporzellan sei selbst vor dem Hintergrund der übrigen diskriminierenden Sondergesetze „das berüchtigste“ 211 oder „especially annoying“ 212 gewesen, und Robert Kaelter berichtete bereits 1903, der Exportzwang habe sich für die Potsdamer Gemeinde bald zur „drückendsten Judensteuer“ entwickelt und für eine „Zeit der Bedrückung und schweren Not“ 213 gesorgt. Somit läßt sich vorerst feststellen, daß das Judenporzellan ein lohnender Untersuchungsgegenstand zu sein scheint, um den Zusammenhängen zwischen diskriminierenden Sondersteuern und Verarmung innerhalb der Judenschaft nachzuspüren. Nicht anders verhält es sich mit dem zweiten „großen Thema“ jüdischer Geschichte in der Frühen Neuzeit, welches in der Frage nach einer Verrechtlichung der Lebensbedingungen im Zeitalter der Aufklärung besteht – einer Verrechtlichung, die, darauf wurde bereits hingewiesen, nach einer weit verbreiteten Lesart insbesondere in Preußen stark ausgeprägt gewesen sein soll. Unterzieht man den lückenhaften Forschungsstand zum Judenporzellan hingegen einer kritischen Lektüre, so stößt man in diesem Kontext auf einen Sachverhalt, der stattdessen auf eine massive und bislang kaum beachtete Entrechtung von Juden hinzudeuten scheint. Gemeint ist jene bereits angesprochene Summe von mehr als 200.000 Rt., mit der preußische Juden im Jahre 1779 bei der Porzellanmanufaktur verschuldet gewesen sein sollen. Wie aber konnte diese Verschuldung zustandekommen, wenn doch der König 1769 befohlen hatte, daß vor der Vergabe bestimmter Privilegien für 300 bzw. 500 Rt. Porzellan zu exportieren sei? Diese „Schulden“ konnten entstehen, weil die Behörden den Anordnungen des Monarchen zunächst offenbar nur unvollkommen Folge leisteten und diese Tarife eigenmächtig absenkten. So schrieb der als Registrator im Berliner Generaldirektorium bestens informierte Johann Balthasar König bereits im Jahre 1790, die Administration habe die Forderungen vielfach auf 50 bis 100 Rt. reduziert. 214 Diese Entscheidung bildet offenbar den Hintergrund dafür, daß man in der neueren 210 Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich; Baer, Protokollbuch; Roden; Maser; Lokers, Juden in Emden. 211 Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 192. 212 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 13. 213 Kaelter, S. 19. 214 König, S. 302; vgl. zur Person Königs die Angaben bei Schmidt / Mehring, Bd. 1, S. 250 – 252.

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Literatur vielfach liest, die abzunehmende Menge sei „willkürlich nach Anlaß und Vermögen des Antragstellers“ 215 festgesetzt worden, während anderen Orts vage von „einer größeren Menge“ 216 die Rede ist. Dabei blieb es jedoch offensichtlich nicht, denn, so schreibt David Friedländer 1793, diese Entscheidung wurde 1779 nach einer Intervention des Königs „verworfen“ 217 – und zwar rückwirkend, so daß zahlreiche Juden, die in den vorangegangenen Jahren eine Konzession erhalten hatten, nachträglich für insgesamt 223.000 Rt. Porzellan hätten exportieren müssen. Man kann sich nur wundern, daß dieser Gegenstand bislang so wenig Beachtung gefunden hat, obwohl er nicht lediglich in schwer zugänglicher Literatur aus dem 18. Jahrhundert anzutreffen ist. Auch Ismar Freund bemerkte dazu vor beinahe 100 Jahren, die betroffenen Juden seien 1779 verpflichtet worden, 223.000 Rt. „auf einmal nachzuzahlen“. 218 Willy Cohn schilderte bereits 1920 den Fall einer jüdischen Witwe aus dem Städtchen Soldin in der Neumark, die in diesem Zusammenhang sogar gezwungen wurde, einen Teil ihrer Kleidung zu veräußern, und schloß: „Derartige Fälle mögen des öfteren vorgekommen sein, und es wäre sehr zu wünschen, daß einmal das gesamte Material, das über diese Fragen in unseren Archiven ruht, einer genaueren Durchsicht unterzogen würde, um dieses traurige Kapitel jüdischer Vergangenheit ins rechte Licht zu setzen.“ 219 Derartige Fälle müssen in der Tat des öfteren vorgekommen sein, denn wenn Freunds Zahlen über die 1779 „auf einmal“ nachzuzahlende Summe von 223.000 Rt. stimmen und man davon ausgeht, daß jeder davon betroffene Jude mit durchschnittlich 225 Rt. dazu beizutragen hatte, ergibt sich folgende simple Rechnung: 223.000 : 225 = 810. Waren wirklich 810 Hausväter davon betroffen? Dies läst sich vorerst nicht beantworten. Fest steht jedoch: Es waren viele. Denn wer sich in der Literatur auf die Suche macht, wird rasch fündig, und zwar in nahezu allen Teilen der Monarchie. Für die Potsdamer Gemeinde kam bereits deren späterer Rabbiner Tobias Cohn in einer Untersuchung aus dem Jahre 1878 zu dem Schluß, von 32 Familien seien nicht weniger als 13 mit derartigen Rückforderungen konfrontiert worden. 220 Auch in einer Geschichte der jüdischen Gemeinde des ostfriesischen Esens findet sich ein faksimilierter Vordruck (!), mit dem zwei dortigen Schutzjuden im Jahre 1783 aufgrund nicht geleisteter nachträglicher Porzellanausfuhr die Konzession entzogen werden sollte. 221 Heimann Jolowicz berichtete in seiner 1867 erschienenen 215

Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 192. Herlitz / Kirschner, Bd. III, S. 439. 217 Friedländer, Akten-Stücke, S. 69. 218 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 25. 219 Cohn, Juden und die Berliner Porzellanmanufaktur. 220 Cohn, Zwangsankauf, S. 319 – 320. Der Artikel erschien unter dem Titel „Friedrich II. und die Juden“ auch im Feuilleton der Allgemeinen Zeitung des Judentums von 1878. Zur Person Cohns, seit 1857 Rabbiner in Potsdam und aktives Mitglied im „Verein für die Geschichte Potsdams“, siehe Wilke, Handbuch der Rabbiner, Teil 1, Bd. 1, S. 240 –241. 216

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A. Einleitung

Geschichte der jüdischen Gemeinde Königsbergs: „Viele Juden in den kleinen Städten wurden ausgepfändet, anderen die Häuser verkauft und noch andern die Schutzbriefe abgenommen...“. 222 Zeitzeuge Johann Balthasar König vermutete gar, daß manche Familie deshalb „außer Landes geschaft worden“ 223 sei. In einer Zeit, in der die preußische Judenpolitik angeblich einer zunehmenden Verrechtlichung unterworden wurde und in der die Minderheit „in die bürokratische Ordnung des Staates“ eingebunden war, ändert der König also kurzerhand rückwirkend die Niederlassungsbedingungen für Hunderte jüdischer Familien. Das ganze geschieht zum Wohle nicht des Staates als eines Abstraktums, sondern zugunsten der Porzellanmanufaktur, die Friedrich „sehr liebte“. 224 All jene Juden, die die nachträglich geforderten immensen Summen nicht „auf einmal“ oder gar überhaupt nicht aufbringen können, liefen Gefahr, nicht nur eventuellen Hausbesitz, sondern auch ihren Schutzbrief zu verlieren – also ihre Niederlassungsgenehmigung im Staate Preußen, die sie wenige Jahre zuvor teuer bezahlt und mit Brief und Siegel erhalten hatten. Genaueres ist nicht bekannt, und die Frage, wie dies alles mit der angeblich zu postulierenden Verrechtlichung jüdischer Existenz in Preußen zu vereinbaren sein soll, wird nicht einmal gestellt. So heißt es beispielsweise in einer neueren Überblicksdarstellung über die Vorgänge des Jahres 1779: „Das Generaldirektorium ging der Angelegenheit nach und fand wohl Unregelmäßigkeiten vor.“ 225 Die vorerst lediglich zu vermutende Entrechtung hunderter Familien vor dem Hintergrund der einsetzenden Emanzipationsdebatte wird also zur Angelegenheit – zu einer Unregelmäßigkeit. Eine solche Klassifizierung setzt indessen eine Vorstellung von der Regel voraus, und insofern verspricht gerade eine nähere Untersuchung dieses Vorgangs, der vorerst eher an monarchische Machtsprüche denn an rechtstaatliche Verhältnisse denken läßt, die Aussicht, dieser Regel näherzukommen. Noch dazu, und damit wäre man wieder beim Geld, vermißt man ein Bewußtsein dafür, was 200.000 Rt. bedeuten: Stimmt die Summe, so wäre es der mit Abstand größte Betrag, der jemals von der preußischen Judenschaft eingefordert wurde – und dies „auf einmal“. Wie wirkte sich dieser Machtspruch auf jene Mehrheit der jüdischen Hausväter aus, die lediglich „das zum Leben Nötigste, ohne übergroße Schwankungen, aber auch ohne jeden Überfluß“ 226 verdiente und bereits mit zahlreichen anderen Abgaben belastet war – ganz zu schweigen von all jenen „Minimal- und Marginalexistenzen“, deren Anteil unter den Hausvätern (also keinen Betteljuden, sondern Inhabern von Schutzbriefen!) Toury 221 222 223 224 225 226

Siehe Rokahr, S. 56 – 57. Jolowicz, S. 84; vgl. Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 25. König, Annalen der Juden, S. 328. Ebd., S. 300. Bruer, Juden in Preußen, S. 78. Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 149.

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selbst in der wohlhabenden Berliner Gemeinde auf rund 30 % schätzt? 227 Welche Konsequenzen hatten all jene Juden zu gewärtigen, die diese Summen nicht zusammenbrachten? Um diesen Fragen nach den Wechselwirkungen zwischen einer (offenbar durchaus fraglichen) Verrechtlichung, fiskalischer Abschöpfung und Verarmungsprozessen anhand der genannten drei Sonderabgaben nachspüren zu können, empfiehlt sich ein im wesentlichen chronologischer Zugang zu der Thematik. Dabei gilt es zunächst einmal, auf Basis der nahezu lückenlos vorliegenden Zentralüberlieferung der Berliner Behörden (Generaldirektorium und Generalfiskalat) im Berliner Geheimen Staatsarchiv den Textilwarenexport, 228 den Zwangsbetrieb der Templiner Manufaktur 229 sowie den Porzellanexportzwang 230 mit ihren Modalitäten und den jeweils an ihnen haftenden jüdischen Rechtstiteln vorzustellen. Da die untersuchten Restriktionen mit der Privilegienvergabe an Juden (Vergleitungen und Immobilienerwerb) in engem Zusammenhang stehen, wurden in einem zweiten Schritt in möglichst großem Umfang Fiskal-, Kameral- und Magistratsakten zu den jeweiligen Konzessionierungsvorgängen herangezogen, um hinsichtlich der Auswirkungen der steigenden Abgabenlast zu qualifizierten Ergebnissen zu kommen. Zurückgegriffen wurde dabei auf Bestände des Geheimen Staatsarchivs Berlin sowie des dortigen ehemaligen Staatsarchivs Königsberg / Pr., des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam (Kur- und Neumärkische Kammer, Steuerräte), des Landesarchivs Greifswald (pommersche Magistratsakten), des Landeshauptarchivs Magdeburg (Halberstädtische Kammer), des Staatsarchivs Münster (Mindener Kammer) sowie des Staatsarchivs Gorzów Wielkopolski (neumärkische Magistratsakten). Um auch die Ebene der Magistrate zu berücksichtigen, wurden ferner Stadtarchive in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen in die Recherchen mit einbezogen. Auf dieser Basis erhebt die vorliegende Arbeit zugleich den Anspruch, für die späten Regierungsjahre Friedrichs des Großen hinsichtlich der Konzessionsvergabe an Juden in der gesamten preußischen Monarchie mit Ausnahme Schlesiens 231 227 228

Ebd., S. 148. Insbesondere GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9,

Bd. 5. 229

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, 4 Bde. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, 2 Bde. Daneben sind Bestände des heute im Schloß Charlottenburg lagernden KPM-Archivs von großer Bedeutung. Dabei handelt es sich vor allem um die Aktenbände MA, I, Nr. 3 und 4. Vgl. Baer, Das Historische Archiv. Die beiden Aktentitel, die unberücksichtigt blieben bei Jersch-Wenzel / Rürup, enthalten darüber hinaus reichthaltiges statistisches Material zur Konzessionsvergabe an Juden, insbesondere zwischen 1779 und 1788. 231 Die administrative Sonderstellung Schlesiens, das in friderizianischer Zeit nicht dem Berliner Generaldirektorium, sondern einem Breslauer Provinzialministerium unterstand, bedingt auch auf dem Gebiet der Judaica eine äußerst dürftige Quellenlage. Punktuell wurde 230

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A. Einleitung

zu empirisch fundierten Ergebnissen zu gelangen, die sich für weitere Regionalstudien, aber auch für prosopographische oder familienkundliche Fragestellungen, als nützlich erweisen dürften. Denn gerade im Rahmen des Porzellanexportzwangs wurde zwischen 1769 und 1787 in nahezu inflationärer Weise statistisches Material über Ansetzungen von Kindern, Neuerwerbungen von Schutzbriefen sowie Immobilienbesitz angefertigt, welches parallel zur Publikation der vorliegenden Arbeit und in Verbindung mit einer kommentierenden Einführung über das geschichtwissenschaftliche Forum „perspectivia.net“ zur Publikation gelangt. 232 Es wird dort dauerhaft vorgehalten, bietet eine wesentliche Grundlage dieser Arbeit und steht auch künftigen Forschungen uneingeschränkt zur Verfügung.

IV. Von Münzen und Maßen Geld – in den folgenden Kapiteln wird es immer wieder in Größenordnungen von einigen Groschen bis zu mehreren hunderttausend Reichstalern auftauchen. Doch sagen diese Zahlen zunächst einmal nichts darüber aus, was es für die Zeitgenossen bedeutete, beispielweise für 300 Rt. Porzellan oder für 1.500 Rt. Manufakturwaren ausführen zu müssen. Die folgenden Angaben sind angesichts der inflationären Tendenzen der Jahre nach dem Siebenjährigen Krieg nicht mehr als Momentaufnahmen, doch mögen sie gleichwohl einen ersten Eindruck von den zugrundeliegenden Geldwertrelationen vermitteln. Zunächst zur Basiseinheit im preußischen Bereich, dem Reichstaler: Er bestand aus 24 Groschen, die jeweils einen Wert von zwölf Pfennigen repräsentierten. 233 Ein Weber, der für das Berliner Lagerhaus arbeitete, brachte es auf einen Wochenlohn zwischen 1 Rt. 16 Gr. und maximal 3 Rt. 4 Gr. 234 Der berühmteste preußische Jude des 18. Jahrhunderts, Moses Mendelssohn, verdiente Mitte der 50er Jahre als Buchhalter in der Seidenmanufaktur Isaak Bernhards schon merklich mehr, nämlich 25 Rt. im Monat. 235 Damit hätte es sich aber auch Mendelssohn kaum leisten können, für 300 Rt. Porjedoch versucht, die Lücken durch eine Sichtung der sogenannten „Gatermannfilme“ zu schließen, die in der NS-Zeit für das Reichssippenamt von seit 1945 verschollenen Judenmatrikeln angefertigt wurden. Über Mikrofilme zur Breslauer Gemeinde verfügt heute das Bundesarchiv Berlin. Eingesehen wurden vom Verfasser Rückvergrößerungen dieser Filme im Jüdischen Museum Frankfurt am Main (Nachlaß Bernhard Brilling). Herrn Michael Lenarz (Frankfurt am Main) sei für seine freundliche Unterstützung herzlich gedankt. Zu den Filmen des Reichssippenamtes siehe: Heinemann, Das Schicksal der jüdischen Personenstandsregister. 232 http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-quellen. 233 Klimpert, S. 287 – 288. 234 Krüger, Manufakturen, S. 308. 235 Meier, Jüdische Seidenunternehmer, S. 146; auf Basis der bislang unterbewerteten unternehmerischen Tätigkeit Mendelssohns erwarb sich dieser bis 1766 jedoch ein Vermögen von schätzungsweise rund 12.000 Rt., siehe ebd., S. 165; vgl. Elon, S. 47.

IV. Von Münzen und Maßen

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zellan (und damit eine Konzession) zu erwerben. Dasselbe gilt für einen Großteil der damaligen jüdischen Kaufmannschaft der Messestadt Frankfurt an der Oder, wie die auf der folgenden Seite abgedruckte Tabelle rasch verdeutlicht. Zwei Jahre später, 1765 also, belief sich das durchschnittliche Vermögen (also nicht das Jahreseinkommen) der Schutzjuden des Fürstentums Minden schätzungsweise auf knapp 780 Rt. – eine Zahl, die in aller Deutlichkeit illustriert, welche existenzielle Bedrohung die friderizianische Sonderbesteuerung für die Betroffenen mit sich bringen mußte. 236 Johann Daniel Richter – um auf einige weitere Gehälter jener Zeit zu sprechen zu kommen – seit 1766 Steuerrat in Potsdam, verdiente jährlich 600 Rt., 237 kam mit Diäten und Sporteln allerdings auf 1.526 Rt. (1790). 238 Der Direktor der KPM, Johann Georg Grieninger, bezog im gleichen Zeitraum ein Jahresgehalt von 1.600 Rt. 239 Was konnten sie mit ihrem Lohn anfangen? Zunächst einmal mußte man essen und wohnen. Die jährlichen Lebenshaltungskosten einer vierköpfigen Berliner Manufakturarbeiterfamilie betrugen um 1765 schätzungsweise rund 43 Rt. für Brot, 12 für Gemüse, 17 für Bier, 5 für Fleisch (das nicht häufig auf den Tisch kam), 15 für Miete, 12 für Brennholz und Licht, 6 für Kleidung – alles in allem also rund 113 Rt. 240 Ein Mittagessen im Speisehaus Ruffin in der Heiligengeiststraße, nahe der Ritterakademie, kostete zwölf Groschen, bei Krapp an der Jägerbrücke die Hälfte. 241 In Potsdamer Wirtshäusern kostete die Flasche Champagner einen Rt. und zehn Groschen. 242 Der vornehme Reisende konnte im Wirtshaus Zur Stadt Paris in der Brüderstraße absteigen und zahlte dort 1769 zwei Rt. „für das Logis, es sey mit oder ohne Betten, desgleichen mit Lichter, vorne heraus in dem ersten und zweyten Stockwerke, für ein Apartement von 4 Zimmern, daferne eine Herrschaft mit ihrem Gefolge solche alle viere verlanget, für Tag und Nacht“. 243 Aus der Sparte der Bekleidung sei hier lediglich auf einen Artikel eingegangen, der auch die Judenschaft noch beschäftigen sollte: den Strumpf. Ein paar davon aus Baumwolle kostete 1767 18 Gr., Wollstrümpfe lagen zwischen 1776 und 1778 bei Preisen von 18 Gr. bis 1 Rt. 244 – für jemanden, der eine Wollstrumpfmanufaktur betrieb (oder betreiben mußte), eine eher ungünstige Relation.

236 237 238 239 240 241 242 243 244

Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 534. Radtke, S. 185. Gloger, S. 185 – 186. Köllmann / Jarchow, Bd. 1, S. 38. Schultz, S. 231. Nicolai, Beschreibung (1769), S. 428. Nach einer Taxe vom 16. Mai 1766. Siehe ebd., S. 553 –554. Ebd., S. 417. Krüger, Manufakturen, S. 339.

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A. Einleitung Tabelle 1 Einkommensverhältnisse jüdischer Kaufleute in Frankfurt an der Oder (1763) 245 Jahreseinkommen in Rt.

Anzahl

Unter 100 100 – 499 500 – 999 1.000 – 2.499 2.500 – 4.999 Über 5.000

1 13 7 10 24

Insgesamt

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War man Fernhandelskaufmann oder Teil der „Gesellschaft der Aufklärer“, 246 hätte man sicher reisen oder zumindest in eine Korrespondenz eintreten wollen. Für 16 Groschen nahm einen die Postkutsche von Berlin immerhin bis nach Potsdam mit. Schon für die Hälfte kam ein Brief von der Spree entweder gen Süden über Augsburg bis nach Italien oder in den äußersten Osten der preußischen Monarchie, nach Memel. 247 Daß also in Punkto Briefporto Memel oder Mailand einerlei war, sollte nebenbei auch Anlaß sein, sich noch einmal die historische Ostwest-Ausdehnung des Hohenzollernstaates ins Gedächtnis zu rufen. Dieser Hinweis bedient dabei im vorliegenden Kontext keine nostalgische Sehnsucht nach verspielter Größe, sondern verweist auf die zweite Konstante der folgenden Ausführungen, in denen es nicht nur um Geld, sondern zumeist auch um den Transport von Waren geht, deren Gewicht noch dazu die Kapazität von Briefwaagen übersteigt. Wenn also beispielsweise ein Jude aus Memel Produkte aus der preußischen Hauptstadt ordern mußte, so hatten solche Lieferungen einen Weg von mehr als 450 Kilometern (Luftlinie) auf meist unbefestigten Straßen vor sich – der Bodensee wäre nicht weiter entfernt gewesen. Doch noch einmal zurück zur Berliner Porzellanmanufaktur und ihren Preisen: Ein Tabakstopfer kostete einen Rt. (1765), ein flacher Teller 4, ein Kaffeeservice bereits 280 (1764) und eine Uhr mit vergoldetem Ziffernblatt in Porzellangehäuse 285 Rt. (1769). 248 Das im August 1768 von der KPM ausgelieferte Tafelservice für das Breslauer Stadtschloß, eines der teuersten und kunsthistorisch bedeutendsten Service, die Friedrich in Berlin fertigen ließ, schlug für den Monarchen mit 7.040 Rt. zu Buche. 249 Einige weitere Zahlen aus der Rubrik „Männer und Mächte“ mögen den Überblick beschließen: Als Friedrich der Große im Mai 1744 zur 245 246 247 248 249

Angaben nach Straubel, Frankfurt und Potsdam, S. 75. Vgl. van Dülmen. Jeweils nach einer Taxe von 1766. Siehe Stephan, S. 293, 312. Schade, S. 122. Baer, Blumen für den König, S. 34 – 35.

IV. Von Münzen und Maßen

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Kur ins westfälische Pyrmont, eines der Modebäder der Zeit, aufbrach, kostete allein der Vorspann für die Kutschen des Königs und seines Gefolges, für dessen reibungslose Gewährleistung man an den zu passierenden Poststationen 105 „Relais-Pferde“ bereitgestellt hatte, 2.000 Rt. 250 Prinz Heinrich, der ambitionierte, in Rheinsberg residierende Bruder des Königs, verfügte nach 1763 über jährliche Mittel von 96.639 Rt. 251 Der preußische Staat griff 1776 auf Gesamteinnahmen von 21.700.000 Rt. zurück, wovon 5.700.000 Rt. als Überschuß verbucht werden konnten. 252 Bei seinem Tod 1786 hinterließ Friedrich seinem Nachfolger einen Staatsschatz von 55.000.000 Rt., denen Passiva von 12.500.000 Rt. gegenüberstanden. 253

250

Engel, S. 128. Ziebura, S. 160. 252 So in Friedrichs „Darlegung der preußischen Regierung, Grundsätze, auf denen sie beruht, mit einigen politischen Betrachtungen“, in: Dietrich, S. 698 –711, hier: S. 699. 253 Zahlen nach Henning, Preußische Thesaurierungspolitik. 251

B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740 I. Der Beginn „absolutistischer“ Judenpolitik in Brandenburg-Preußen: Die erneute Aufnahme von Juden in Brandenburg im Jahre 1671 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts ebbte auf dem Gebiet des Reiches die Welle spätmittelalterlicher Judenvertreibungen vor dem Hintergrund einer tiefgreifenden Verunsicherung durch Pestepidemien, Hussitenkriege und eine Krise der Amtskirche für einen Zeitraum von rund 200 Jahren nicht mehr ab. 1 Zum Aufnahmeland der dadurch erzwungenen jüdischen Wanderungsbewegungen wurde neben Italien vor allem Polen-Litauen, das „demographic power-house of modern European Jewry“. 2 In weiten Teilen des Reiches hingegen vermochte sich jüdisches Leben nur durch einen Rückzug aus dem bisherigen urbanen Milieu in die ländliche Peripherie zu halten und war fortan „weithin gebunden an territoriale und herrschaftsrechtliche Sonderkonstellationen“. 3 Auch aus der Mark Brandenburg waren die Juden nach dem Tode des Kurfürsten Joachim II. (1532 – 1571) im Jahre 1571 „auf ewige Zeiten“, wie das dazu erlassene Edikt verkündete, vertrieben worden. 4 Daß sich an dieser Situation in Brandenburg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts etwas zu ändern begann, verdankte sich dabei weniger einer Bezugnahme 1 Eine Analyse der den Vertreibungen zugrundeliegenden Motive ergibt dabei eine komplexe Gemengelage (nicht zu vernachlässigender) religiöser und wirtschaftlich-sozialer Beweggründe. Allerdings bleibt zu konstatieren: „Wie die Übernahme von stereotypen Argumentationen von Stadt zu Stadt ausweist, benötigte der Wunsch, sich der Juden zu entledigen, oft überhaupt keine Begründung. Als unreflektiertes Gemeingut brauchte auch die Realisierung dieses Wunsches keinen besonderen Anlass, sondern gehörte zu den selbstverständlichen Amtszielen einer ihrer Pflichten bewussten Obrigkeit und wurde dementsprechend konsequent durchgeführt.“ Siehe Toch, Rahmenbedingungen, S. 50. 2 Israel, S. 198. 3 Rohrbacher, Jüdische Frömmigkeit, S. 272 – 273. Grundlegend Battenberg, Aus der Stadt auf das Land. 4 Scheiger, S. 162 – 164; vgl. zur Person des in diesem Zusammenhang hingerichteten Hoffaktors Lippold Ackermann, Münzmeister Lippold. Zu Vertreibungen war es bereits 1446 und 1510 gekommen. Siehe Backhaus, Hostienschändungsprozesse.

I. Die erneute Aufnahme von Juden in Brandenburg im Jahre 1671

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auf theoretische Toleranzpostulate, 5 sondern den „Sachzwängen“, mit denen sich Landesherr Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (reg. 1640 – 1688) 6 nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges konfrontiert sah. Denn als die Waffen endlich schwiegen, zählte die Kurmark Brandenburg neben Pommern, Mecklenburg, Thüringen, Hessen, Franken, Württemberg und Schwaben zu jenem sich von Nordosten nach Südwesten durch das Reich ziehenden „Verwüstungskorridor“ 7 der am härtesten in Mitleidenschaft gezogenen Gebiete und hatte infolge von Epidemien, Kriegseinwirkungen sowie kriegsbedingten Abwanderungen Bevölkerungsverluste von bis zu 50% hinzunehmen. 8 Vor diesem Hintergrund und der zeitgenössischen merkantilistisch geprägten Lehre, 9 die „den Menschen als den wichtigsten Produktionsfaktor ansah, als die Grundlage des Reichtums eines Herrschers und damit als Grundlage seiner Macht“, 10 richtete der Große Kurfürst wie viele Landesherren seiner Epoche ein Augenmerk auf die Herbeiziehung ausländischer Kolonisten. Dabei ging es jedoch nicht lediglich um eine quantitative Vermehrung der Bevölkerung, sondern vielmehr um die Gewinnung von ökonomisch besonders qualifizierten Zuwanderern, die einerseits das Gewerbe zu beleben und andererseits die durch den Krieg abgerissenen Handelsbeziehungen neu zu knüpfen vermochten. Die prominenteste dieser Migrantengruppen bildeten gewiß jene rund 20.000 Hugenotten, die 1685 nach der Revokation des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV. aufgrund des Edikts von Potsdam 11 nach Brandenburg übersiedelten und fortan insbesondere im auf Berlin und Potsdam konzentrierten Manufakturwesen eine überaus große Rolle spielten. 12 5 So blieb das mosaische Bekenntnis beispielsweise im Vertrag von Münster und Osnabrück unerwähnt. Dieser war allerdings auch „not intended to promote toleration in any straightforward sense but rather ensure that peace would prevail until the devided Christian Churches [der Katholiken, Lutheraner und Calvinisten] were re-united. [...] In this sense, religious toleration in the Holy Roman Empire was the product of the need to resolve a political problem: to facilitate coexistence between the estates of the Reich and to ensure the survival of the system as a whole. It was not brought about by the application of any abstract or idealistic principle, but arose simply out of the need to maintain some form of community between Catholics, Lutherans and Calvinists.“ Siehe Whaley, S. 178, 190. 6 Vgl. Oestreich, Friedrich Wilhelm; Arndt. 7 Bade / Oltmer, Migration und Integration, S. 21. 8 Siehe etwa Neugebauer, S. 307; Clark, Iron Kingdom, S. 30 –37. Neuere Schätzungen für einzelne Landesteile bei Asche, S. 40 – 54. 9 Als einführende Überblicksdarstellungen seien genannt Blaich; Gömmel. 10 Henning, Das vorindustrielle Deutschland, S. 244. 11 Zum Edikt von Potsdam als „Summe kolonisatorischer Erfahrungen“ nun mit weiterer Literatur Asche, S. 417 – 425; ferner Lachenicht. 12 So gehörten rund 5 % der Berliner Hugenottengemeinde der Gruppe der Kaufleute und Manufakturunternehmer an. Gleichwohl sollte nicht übersehen werden, daß zahlreiche der neu gegründeten Unternehmungen aufgrund der geringen Kapitaldecke bereits nach

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B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740

Daß bereits 14 Jahre zuvor die Wiederansiedlung von Juden in Berlin und der Mark Brandenburg begonnen hatte, hing mit jener Vertreibung zusammen, zu der es unter Kaiser Leopold I. (1657 –1705) in Wien und Niederösterreich gekommen war. 13 Denn die Kunde von dem zu diesem Zweck im Jahre 1669 erlassenen Ausweisungsbefehl war bald auch an die Spree gelangt und weckte das Interesse des Großen Kurfürsten, der angesichts der faktischen Territorialisierung des Judenschutzes in Spätmittelalter und Früher Neuzeit 14 auch das Recht des Judengeleits für sich in Anspruch nehmen konnte. 15 Daß der Kurfürst durchaus gewillt war, von diesem Recht notfalls gegen ständische Widerstände Gebrauch zu machen, hatte sich bereits vor 1671 gezeigt, indem er die jüdischen Gemeinden in den durch den Westfälischen Frieden an Brandenburg gefallenen westlichen Territorien Kleve, Mark, Ravensberg, Minden und Halberstadt geduldet und eine Neuansiedlung in Ostpreußen 16 gestattet hatte. 17 Dabei stand gerade von der Aufnahme reicher Judenfamilien aus der Kaisermetropole für Friedrich Wilhelm eine Belebung des Handels sowie des Geldwesens zu hoffen. 18 Vor diesem Hintergrund leitete der Große Kurfürst bald Verhandlungen mit Vertretern der Wiener Gemeinde ein, die in das auf 20 Jahre befristete Edikt vom 21. Mai 1671 19 mündeten, mit dem 50 wohlhabenden jüdischen Familien gestattet werden sollte, sich in der Kurmark sowie im auf beiden Seiten der Oder gelegenen Herzogtum Krossen anzusiedeln, wo ihnen zugleich der Erwerb bzw. die wenigen Jahren wiederum eingingen. Zudem bezeichnet Asche, S. 100 zahlreiche Gründungen „eher als planlos, denn als wirklich bedarfsorientiert“; vgl. Dölemeyer, Hugenotten S. 10, 90. Die wirtschaftliche Bedeutung der hugenottischen Flüchtlinge beleuchtet mit Blick auf weitere deutsche Territorien Siebeneicker, Börse und Bibel. Auf die Kritik, die der maßgeblich auf die Hugenotten bezogene Ersatzbürgertumsbegriff in der neueren Wirtschaftsgeschichte hervorgerufen hat, wurde bereits hingewiesen. Vgl. oben. 13 Vgl. Kaufmann; Staudinger, Die Zeit der Landjuden, S. 330 –337. 14 Siehe grundsätzlich Battenberg, Art. Schutzjuden. 15 Zur Auseinandersetzung zwischen Monarch und Ständen über die Judenpolitik unter dem Großen Kurfürsten Stern, Bd. I/1, S. 62 – 75. 16 Für den Zeitraum vor 1772 ist der hier verwendete Begriff „Ostpreußen“ freilich nicht ganz korrekt, sondern folgt dem modernen Sprachgebrauch. Erst aufgrund der polnischen Teilung, durch die aus dem Preußen königlichen Anteils Westpreußen wurde, kam es zur Umbenennung Preußens in Ostpreußen. 17 Breuer, S. 102 – 103; zur rechtlich-administrativen Ausgestaltung des Judengeleits in Minden nach 1650 siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 434 –456. 18 Die Dominanz wirtschaftlicher Nutzargumente fügt sich ein in die auch anderen Orts im Heiligen Römischen Reich im Rahmen der Wiederzulassung von Juden zu beobachtenden Tendenz, für die Laux, Judenschutz und Judengesetzgebung, S. 32, betonte: „Generell gilt, dass die Wiederzulassung von Juden nach dem Dreißigjährigen Krieg seitens der Obrigkeiten nirgendwo theoretisch begründet wurde, sieht man von den formelhaften Verweisen auf die „necessitas“ ab.“ In den Tolerierungsdebatten, die in Hamburg, den Niederlanden und England geführt wurden, spielten religiöse Argumentationen hingegen eine große Rolle. Siehe dazu Wallenborn; zu den Motiven der Aufnahme in Berlin ferner Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 40 – 42; Scheiger, S. 164 –168.

I. Die erneute Aufnahme von Juden in Brandenburg im Jahre 1671

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Anmietung von Häusern, die Betätigung auf Jahrmärkten sowie die Einrichtung von Krambuden erlaubt sein sollte. Diese äußerst großzügige Handelserlaubnis, die teilweise über die Rechte der christlichen Kaufmannschaft hinausging, sorgte ihrerseits für erbitterten Widerstand in der eingesessenen Bevölkerung, die den Kurfürsten mit zahlreichen Protestnoten überhäufte. 20 Tatsächlich fanden jedoch in den ersten Monaten nach der Vertreibung aus Wien zunächst nur wenige Juden den Weg nach Brandenburg, 21 so daß 1674 erst zwölf Familien zugezogen sein sollen, deren Zahl sich jedoch bis 1688 bis auf 40 erhöhte. 22 Obwohl sich nach 1671 einige Zuwanderer der ersten und zweiten Generation in kleineren kurmärkischen Städten wie Angermünde, 23 Brandenburg an der Havel, Nauen, Tangermünde und Wriezen 24 niederließen und dort zu Stammvätern neuer Gemeinden wurden, 25 bildeten die Residenzstadt Berlin sowie die Messestadt Frankfurt an der Oder 26 aufgrund der dort gegebenen wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten bis ins 18. Jahrhundert hinein unbestrittene Siedlungsschwerpunkte. 27 Um 1700 lebten so in Berlin bereits 117 jüdische Familien, deren 585 Mitglieder etwa 2% der städtischen Bevölkerung stellten. 28 In der gesamten Mark Brandenburg einschließlich der Neumark wird für den Zeitraum um die Jahrhundertwende von ca. 2.500 Juden ausgegangen. 29 Als „Schutzjuden“, deren Angelegenheiten beim Geheimen Rat des Kurfürsten ressortierten, 30 hatten die jüdischen Hausväter ein jährliches Schutzgeld von zunächst acht, seit 1728 von 19 „Edikt wegen aufgenommenen 50 Familien Schutz-Juden, jedoch daß sie keine Synagoge halten“ vom 21. Mai 1671; abgedruckt bei Stern, Bd. I/2, S. 13 –16; zur Aufnahme ferner Stern, Niederlassung der Juden in Berlin. 20 Ribbe: Status der Juden, S. 4 – 5. 21 Die Mehrzahl der aus Wien vertriebenen Juden wanderte nach Böhmen, Mähren und Ungarn aus. Siehe Breuer, S. 102 – 103. 22 Ribbe, Status der Juden, S. 3. 23 Dort konnte ein Jude bemerkenswerterweise bereits 1681 das städtische Bürgerrecht erwerben – 127 Jahre vor der Städtereform des Freiherrn vom Stein. Siehe Gebhardt, Angermünde, S. 62; vgl. Asche, S. 98. 24 Vgl. Heidenhain, S. 26 – 28. 25 Vgl. Kohnke, Rathenow, S. 84. 26 Um die Jahrhundertwende wurden dort 31 vergleitete und 43 unvergleitete Juden gezählt, die etwa 10 % der städtischen Bevölkerung ausmachten. Siehe Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 61; zur Geschichte der dortigen Gemeinde Meier, Frankfurt / Oder; Dies., Die jüdische Gemeinde in Frankfurt an der Oder. 27 Asche, S. 97; Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 58; Ribbe, Status der Juden, S. 8. 28 Scheiger, S. 194; Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 44 –45. 29 Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 64. 30 Der erste Schutzbrief für einen jüdischen Zuwanderer aus Wien datiert vom 4. September 1671 und wurde für „Abraham Rieß aus Österreich“ ausgestellt. Siehe Scheiger, S. 172. Zur Geleiterteilung des Großen Kurfürsten im 1648 erworbenen Fürstentum Minden Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 436: „Insgesamt bewegte sich der neue

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B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740

12 Rt. pro Jahr zu entrichten und wurden bei der durch den Kurfürsten seit 1667 nach niederländischem Vorbild eingeführten städtischen Verbrauchssteuer der Akzise mit doppelten Sätzen veranlagt. 31 Neben diese ordinairen Abgaben traten bereits während der Regierungszeit Friedrich Wilhelms diverse extraordinaire Posten, deren genaue Höhe nicht immer zu ermitteln ist. So hatte beispielsweise die Mindener Judenschaft zu den Fortifikationsgeldern beizutragen, die zum Bau der Festungswerke in Cölln an der Spree erhoben wurden, sowie im Jahre 1688 800 Rt. zur Ausstattung eines Regiments mit Gewehren aufzubringen. 32 Ihren Unterhalt fanden die meisten Juden im Kleinhandel mit Kram- und Messeprodukten sowie in der Geld- und Pfandleihe, 33 während sich lediglich eine kleine Gruppe von Hofjuden 34 um die „Hoffaktorendynastie Aaron-Schulhoff-Liebmann“ 35 in großem Umfang bei Heereslieferungen und Geldgeschäften hervortat und so zum Ausbau höfisch-absolutistischer Herrschaft in BrandenburgPreußen beitrug. 36 Die ökonomische und fiskalische Bedeutung, die den jüdischen Zuwanderern bereits wenige Jahre nach ihrer Ansiedlung in Berlin zukam, geht besonders eindrucksvoll aus ihren Anteilen an den Einkünften aus der Akzise hervor. So stiegen die von Juden geleisteten Zahlungen von 8.614 Rt. im Jahre 1696 auf 117.437 Rt. im Jahre 1705, während die gesamte christliche Kaufmannschaft im Jahre 1703 30.246 und zwei Jahre später 43.865 Rt. beitrug. 37 Überblickt man Landesherr, was die Gestaltung und Formulierung der verschiedenen Schutzbriefe und -patente betraf, zunächst einmal in traditionellen Bahnen, wobei auf persönlichen Vollzug offenbar ein gewisser Wert gelegt wurde.“ Zur Koordination mit dem Geheimen Rat ebd., S. 448 – 450. Auf nähere Ausführungen zu den judenpolitischen Zuständigkeiten innerhalb der brandenburgischen Behördenverfassung vor Gründung des Generaldirektoriums wird an dieser Stelle verzichtet. Siehe dazu Stern, Bd. I/1, S. 14 –33. Lediglich in Zivilangelegenheiten unterstanden die Juden der jeweiligen städtischen Gerichtsbarkeit. Siehe Asche, S. 97. 31 Kohnke, Rathenow, S. 84; Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 54. Zur Akzise Boelcke. Die Steuer spielte eine bedeutende Rolle im Staatsbildungsprozeß, indem dieses Instrument den Fürsten zunehmend von ständischer Steuerbewilligung unabhängig machte und zudem bereits vor den Rathausreformen Friedrich Wilhelms I. zu einem verstärkten landesherrlichen Zugriff auf die Städte führte. Vgl. Rügge, S. 72 –73, 76. Auch vor diesem Hintergrund wird einmal mehr der enge Zusammenhang von Judengeleit, Wirtschaftsförderung und Staatsbildung deutlich. 32 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 468. 33 Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 51; vgl. ebd., S. 53, wonach man für die Zeit um 1700 annehmen könne, daß „der Begriff Jude mit dem Begriff Handeltreibender identisch war“; zum Waren- und Geldhandel Berliner Juden Scheiger, S. 207 –210. 34 Einen Überblick über den aktuellen Stand der Hofjudenforschung, auf die hier nicht näher einzugehen ist, bieten die Beiträge in Ries / Battenberg, Hofjuden; vgl. Battenberg, Jüdische Elite sowie Mann / Cohen. 35 Jersch-Wenzel, Zuwanderung als Entwicklungshilfe, S. 119. 36 Asche, S. 98. Zur durchaus prachtvollen höfischen Selbstdarstellung des Großen Kurfürsten siehe Stollberg-Rilinger, Höfische Öffentlichkeit. 37 Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 53 – 54; vgl. Schultz, S. 57, 61.

II. Entwicklung bis zur Thronbesteigung Friedrichs II. im Jahre 1740

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den demographischen und ökonomischen Wachstumsprozeß, den die brandenburgische Judenschaft in den ersten Jahrzehnten nach 1671 unzweifelhaft durchlief, so entsteht insgesamt das Bild einer unter der Herrschaft eines vergleichsweise „liberalen“ Fürsten prosperierenden Gemeinschaft, wobei jedoch die rechtliche Grundlage dieser Existenz nicht aus dem Blickfeld geraten darf: „Die Juden waren auf den direkten persönlichen Schutz durch den Herrscher angewiesen, dem sie als Gegenleistung für das Aufenthaltsrecht ihre Nützlichkeit für die Wirtschaft des Landes sowohl durch Art und Umfang ihres Handels als auch durch die Ableistung regelmäßiger finanzieller Zuwendungen zu beweisen hatten. Jede Störung dieses Vertragsverhältnisses und seiner Bedingungen, etwa durch die Duldung der ‚Einschleichung‘ fremder und unvergleiteter Juden, konnte seine Aufkündigung zur Folge haben.“ 38

II. Grundzüge der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der jüdischen Minderheit bis zur Thronbesteigung Friedrichs II. im Jahre 1740 Während sich die Judenschaft in Brandenburg-Preußen etablierte, sahen sich ihre Selbstverwaltungsorgane, die Gemeinden 39 und Landjudenschaften, 40 bald in wachsendem Maße mit obrigkeitlichen Eingriffen konfrontiert, die ihrerseits vor allem einer sich verstärkenden fiskalischen Abschöpfungspolitik geschuldet waren. 41 So wurden unter Friedrich III. / I. (1688 –1713), Preußens erstem König, die von seinem Vater ausgestellten Schutzbriefe nur aufgrund einer Zahlung von 20.000 Rt. verlängert. 42 1701, nach der Erhebung Preußens zum Königreich, griff man auf ältere Pläne zurück und zog die preußische Judenschaft zur Zahlung von weiteren 20.000 Rt. heran, die zur Aufstellung eines Regiments von 1.200 Mann verwandt werden sollten. 43 1711/12 schließlich verfiel der Monarch auf 38

Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 69. Die jüdische Gemeinde besaß, dies ist in voremanzipatorischer Zeit stets zu beachten, „einen doppelten Charakter als religiös-sozialer und als politischer Verband“. Siehe Scheiger, S. 248. 40 Auf die Entwicklung der jüdischen Selbstverwaltung in Preußen wird in Kap. D.I. näher eingegangen. Vorerst sei allgemein verwiesen auf Cohen, Landjudenschaften in Deutschland; Ders., Landjudenschaften in Hessen-Darmstadt. Besondere Bedeutung kam den Landjudenschaften, wie jüngst hervorgehoben wurde, besonders im deutschen Südwesten zu, wo sie angesichts der zerstreuten Siedlungsweise der Juden noch vor den (wenigen) Gemeinden die wichtigste Form jüdischer Vergesellschaftung bildeten. Siehe Gotzmann, Gemeinde als Gemeinschaft, S. 378 – 379. 41 Nähere Angaben bei Stern, Bd. I/1, S. 80 – 88. 42 Scheiger, S. 180. 39

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B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740

den Gedanken, der Judenschaft ein Reglement anzudrohen, wonach sie ein diskriminierendes Zeichen zu tragen habe, was jedoch offenbar lediglich dazu diente, die Summe von 8.000 Rt. zu dessen Abwendung einzutreiben. 44 Neben diese eher zufälligen Extraordinarien, bei denen man auch die seit den 1690er Jahren eingeführten Kopfsteuererhebungen nicht vergessen sollte, denen freilich die christliche Untertanenschaft ebenfalls ausgesetzt war, 45 trat 1710 mit den Hochzeitsund Geburtsgeldern eine neue, fortan jährlich erhobene Abgabe. Diese betrug 300 Rt. und kam dem Montis Pietatis zugute, einer Stiftung, die Friedrich III. / I. 1696 zur Unterstützung reformierter Kirchen und Geistlicher gegründet hatte. 46 Von großer Bedeutung sollte jedoch insbesondere die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. (1713 – 1740) 47 werden, in dessen Politik den Juden gegenüber sich „die starre altlutherische Gläubigkeit eines Mannes wider[spiegelte], der von ihrer Schuld am Kreuzestod Christi und der Notwendigkeit ihrer Sühne überzeugt war“. 48 So verfaßte Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1722 eine Instruktion für seinen Nachfolger, in der es heißt: Was die Juden betrift sein leider sehr viell in unsere lender, die von mir Keine schutzbriffe haben. Die müßet Ihr aus dem lande Jagen. Den die Juden heuschrechen einnes landes ist und Ruiniren die Kristen. Ich bitte euch gehbet keine Neue schutzbriffe, wen sie euch auch wollten viell geldes gehben, den es euer gröste schade ist und euer untertahnen Ruin. Davor sein die Juden guht, wen Ihr vor euren Plesir wahs haben könnet. Sie laßen ofte einne Summe. Wollet Ihr geldes auf die gantze Judenschaft ausschreiben 20. a 30.000 th und das ale 3. a 4. Jahr über den schutz den sie euch gehben. Ihr müßet sie drücken, den sie Jesus Kristij verrehter sein und sie nicht trauen, den der redelicheste Jude ein ertzbedriger und schelm ist. Das seidt Persuadieret. 49

In der Tat hatte sich das Ziel, lediglich gut situierte Juden im Lande aufzunehmen, als undurchführbar erwiesen, indem die obrigkeitlich legitimierten Schutzjuden bald Zuzug durch unprivilegierte, meist aus Osteuropa stammende Juden erhielten, von denen sich bereits um 1700 47 Familien in Berlin niedergelassen haben sollen. 50 Vor diesem Hintergrund verlangte der König 1724 die Vertreibung 43 Stern, Bd. I/2, S. 218 – 219, 233 – 234, 329; Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 468 – 469. 44 Stern, Bd. I/2, S. 280 – 281, 289. Auf die Mindensche Judenschaft entfiel dabei die Summe von 400 Rt. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 470. 45 Ebd. Danach bestimmte das Kopfsteuerpatent von 1693, daß ein Hofjude 25, ein „ander Jude, so mit Pretiosis handelt“, 8 – 10, ein Jude, „der Krämerey und Wechsel treibt“, 4 –6 sowie schließlich ein „Gemeiner Jude“ 2 – 3 Rt. beizutragen hatte. 46 Ebd., S. 458 – 459. 47 Eine neuere Biographie stellt weiterhin ein Desiderat der Forschung dar. Für die Kronprinzenjahre noch immer maßgeblich Hinrichs, Friedrich Wilhelm I. 48 Stern, Bd. III/1, S. 1; vgl. den inhaltlich und methodisch konventionellen Beitrag von Schoeps, Judenpolitik. 49 Dietrich, S. 236.

II. Entwicklung bis zur Thronbesteigung Friedrichs II. im Jahre 1740

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aller nicht vergleiteten Juden aus dem Land und bekräftigte 1728, überhaupt keine neuen Schutzbriefe mehr vergeben zu wollen, um die kurmärkische Judenschaft „aussterben“ zu lassen. 51 Diese Bestrebungen flossen denn auch maßgeblich in das Generalreglement von 1730 52 ein, mit dem Friedrich Wilhelm erstmals eine für den gesamten Staat geltende Judenordnung (§ 1) erließ, die für die Zielgruppe in „schroffen und feindseligen“ 53 Formulierungen vor allem in den Bereichen des Warenhandels und der Niederlassungsfreiheit eine wesentliche Verschlechterung ihrer Rechtsstellung gegenüber dem Aufnahmeedikt von 1671 mit sich brachte. 54 Begründet wurde dieser Akt mit den von Juden im Wirtschaftsleben angeblich begangenen und den christlichen Kaufleuten zum Schaden gereichenden Mißbräuchen sowie mit einer überhandnehmenden „Einschleichung“ unvergleiteter Juden in die Monarchie. Neben zahlreichen weiteren Einschränkungen wurde ihnen deshalb der Handel mit Materialwaren, Gewürzen und Spezereien ebenso verboten wie die Bierbrauerei, die Branntweinbrennerei (§ 3), der Hausierhandel (§ 4) sowie die Ausübung eines bürgerlichen Handwerks mit Ausnahme der Petschierstecherei (§ 9). 55 Der Ankauf von Immobilien wurde ohne „speciale Permission“ untersagt (§ 8), die Zahl der Berliner Schutzjudenfamilien wurde auf 100 beschränkt und sollen, da sich gegenwärtig in hiesigen Residentzien noch mehr darin befinden, die übrigen darin vorhandenen würcklichen Schutz-Juden aussterben; in Unsern übrigen Provintzien aber soll es bey der Anzahl der jetzo darin befindlichen würcklichen Schutz-Juden-Familien noch ferner verbleiben, und solche Zahl weder vermehret noch vermindert werden.

Zu diesem Zweck blieben Töchter fortan von der Schutznachfolge ausgeschlossen. Stattdessen war fortan nur noch die Ansetzung zweier Söhne auf das Privileg des Vaters gestattet, wobei der erste ein Vermögen von 1.000, der zweite bereits von 2.000 Rt. nachzuweisen hatte (§ 12). Die Vergabe neuer Schutzbriefe sollte vor diesem Hintergrund vollends eingestellt werden, es sei denn, und hier siegte der „Plusmacher“ über den christlichen Hausvater, „daß sich jemand meldete, und daß er zehen Tausend Thaler im Vermögen zu haben, zureichend erwiesen, da Wir denn resolviren wollen, ob er angenommen werden solle“ (§ 16). Besonders hervorzuheben ist ferner die Einführung der solidarischen Haftung, wonach die 50

Ribbe, Status der Juden, S. 4. Ebd., S. 10. 52 Abgedruckt bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 15 –22; zu den Übereinstimmungen dieses Dokuments mit dem Mindener Generalgeleit von 1718 siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 438 – 444. 53 Ebd., S. 444. 54 So die zutreffende Wertung von Kohnke, Rathenow, S. 85. 55 Bei der Petschierstecherei handelte es sich um ein Handwerk, in dem Juden traditionell stark vertreten waren. Zu jüdischen Petschierstechern und Medailleuren in Preußen siehe Scheiger, S. 204 – 207; Brilling, Jüdische Goldschmiede. 51

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B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740

jüdische Gemeinschaft als Ganzes für Konkurse, Diebstähle und Betrugsfälle ihrer Mitglieder einzustehen hatte. 56 Dieser sich verschärfende Fiskalismus ging so weit, daß das Reglement bestimmte, ein verstorbener Schutzjude dürfe erst dann begraben werden, wenn seine Hinterbliebenen eventuelle Schulden und rückständige Schutzgelder beglichen hätten. Darüber hinaus brachte das Reglement auch administrative Neuerungen, ressortierten doch künftig Nahrungs-, Handels- und Abgabenangelegenheiten der Juden beim Generaldirektorium (§ 24), das 1723 als neue Zentralbehörde aus der Verschmelzung des vor allem für die Domänenverwaltung zuständigen Generalfinanzdirektoriums sowie des mit dem Steuer- und Policeywesen befaßten Generalkriegskommissariats hervorgegangenen war. 57 Lediglich die Justizsachen, also beispielsweise die „Wegschaffung“ unvergleiteter Juden sowie das Zeremonialwesen, blieben davon ausgenommen und fielen weiterhin in die Zuständigkeit der 1708 aus dem Geheimen Rat hervorgegangenen Berliner Judenkommission bzw. (in den Provinzen) der Regierungen. 58 Ein reibungsloser Instanzenzug war mit dieser Regelung allerdings kaum geschaffen worden, da es in den nachfolgenden Jahrzehnten zwischen den Regierungen und den Kriegs- und Domänenkammern als mittelbehördlichen Instanzen des Generaldirektoriums zu zahlreichen Kompetenzkonflikten kommen sollte. 59 56

Siehe etwa Scheiger, S. 285 – 286; vgl. zur solidarischen Haftbarkeit als Ausdruck „eines ungebrochenen ständisch-korporativen Bewusstseins“ auch Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit, S. 65. 57 Stern, Bd. II/1, S. 12 – 36; vgl. zur Behördenorganisation Stolze; Schellakowsky; Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, S. 289 – 291; die entsprechenden Bände der A.B.B.O.; Kohnke, Geschichte des Generaldirektoriums; sowie Kloosterhuis. 58 Stern, Bd. I/1, S. 88 – 101, insb. S. 92 – 93. 59 Beispiele aus dem Fürstentum Minden bei Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 451 – 455. Aus der Bilanz des Autors ebd., S. 455 spricht ein Gespür für die strukturellen Rahmenbedingungen vormoderner Staatlichkeit, dem man gerade innerhalb der jüdischen Geschichtsforschung nur weite Verbreitung wünschen kann: „Die selbst noch innerhalb der neueren preußischen Geschichtsschreibung bisweilen als organisatorische Meisterleistung gepriesene Verwaltungsreform von 1723 bewirkte zusammen mit den vielfachen Ergänzungen und Nachbesserungsversuchen der folgenden Jahrzehnte kaum jenen Gewinn an administrativer Effizienz, die sich ihr königlicher Spiritus rector wohl von derselben versprochen haben mochte – im kleinlichen Detail des behördlichen Alltags, der sich, um bei der jüdischen Einwohnerschaft zu bleiben, vielfach noch dazu auf das umständliche Einsammeln bzw. Beitreiben großer, kleiner und selbst kleinster Geldbeträge reduzierte, gingen die großen planerischen Erwägungen von Jagdschloß Schönebeck [wo der erste Entwurf für ein Reglement zur Schaffung des Generaldirektoriums entstand] und Potsdam kläglich unter. Ursache dieses Scheiterns ist sicherlich eine Inkonsequenz in der Sache selbst: Der Verwaltungsapparat wurde dadurch, daß staatliche Behördenneuschöpfungen neben die Vorgängerinstanzen traten und deren Zuständigkeiten weitgehend, aber doch nicht restlos absorbierten, keineswegs weniger kompliziert, sondern wuchs. Ausgeklügelte Kontrollsysteme innerhalb der Behörden, aber auch zwischen den unterschiedlichen Ebenen sowie – damit einhergehend – das Zustandekommen umständlicher Verfahrensabläufe, die

II. Entwicklung bis zur Thronbesteigung Friedrichs II. im Jahre 1740

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Allerdings verstellt diese „Organisationsleistung“ bis auf den heutigen Tag Teilen der Forschung den Blick für die Qualität jener Neuerungen, die Friedrich Wilhelm auf dem Feld der Judenpolitik einführte. Aus diesem Grund sei hier eine Feststellung Linnemeiers angeführt, die nicht oft genug zu unterstreichen ist. So könne man sich der u. a. an das Generalreglement von 1730 geknüpften These einer verbesserten Rechtsstellung der Judenschaft „guten Gewissens nicht anschließen: Die Zusammenfassung einer Minderheit unter einheitlichem Reglement mag als politisches Abstraktum, als papierene Organisationsleistung ja noch hingehen; die konkreten Bestimmungen dieser Zwangsverfassung waren in ihrer jeweiligen Anwendung und Auswirkung aber nun wirklich nicht dazu angetan, die Situation der Juden im Staate Preußen nennenswert zu verbessern.“ 60 Zudem erfuhr diese „Zwangsverfassung“ bis zum Tode Friedrich Wilhelms noch manche zusätzliche Verschärfung, wobei insbesondere das Jahr 1737 den preußischen Juden weitere Restriktionen brachte. So wurde ihnen der Erwerb neuer Häuser (auch auf dem Wege des Pfandrechts) und selbst „wüster Stellen“ generell verboten. 61 Aus dem gleichen Jahr datiert ein Edikt, wonach Juden auch der Handel mit einheimischer Rohwolle und Wollgarn untersagt wurde – mit Blick auf die Verlagstätigkeit vieler Juden in der Textilbranche zweifellos eine einschneidende Restriktion. 62 Zudem befahl der König im April, daß von den 234 jüdischen Familien der Hauptstadt fortan lediglich 120, also ebensoviele wie 1714, zu dulden seien, worauf es tatsächlich zur Abschiebung einiger Hundert armer Juden aus Berlin kam. 63 Allerdings erwiesen sich derartige Zwangsmaßnahmen einmal mehr als zwecklos, hatte sich die jüdische Bevölkerung Berlins sieben Jahre später, 1744, um weitere 638 Personen auf rund 1.836 Individuen erhöht, die bei einer Gesamtbevölkerung von 90.000 (1740) demnach weiterhin rund 2% der Einwohnerschaft ausmachten. 64 Wie bereits Ludwig Geiger zutreffend bemerkt hat, war dieses „Mißverhältniß zwischen officiell anerkannten und wirklich vorhandenen Mitgliedern [...] nur so zu erklären, daß die Juden den Begriff der Familie gegenüber dem Staat sehr weit ausdehnten“. 65 Während also insbesondere durch das Generalreglement von 1730 die den Juden offenstehenden ökonomischen Betätigungsfelder eine spürbare Einschränkung erfuhren, verschärfte sich zeitgleich die Abgabenpolitik, die mit dem Jahr sich vielfach in einem kaum noch überschaubaren Durcheinander der Berichtanforderung und -erstattung erschöpften, verlangsamten das Prozedere erheblich.“ 60 Ebd., S. 445. 61 Kohnke, Rathenow, S. 99; Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 659; Halama, S. 241. 62 Ribbe, Status der Juden, S. 11. 63 Rachel, Die Juden im Berliner Wirtschaftsleben, S. 182; Flumenbaum, S. 33. 64 Vgl. Scheiger, S. 194. In der Zahl der Gesamtbevölkerung sind die Angehörigen der Garnison inbegriffen. 65 Geiger, Bd. 2, S. 69.

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B. Zur brandenburgisch-preußischen Judenpolitik von 1671 bis 1740

1728 einem neuen Höhepunkt entgegenstrebte. Bereits bei der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms war von den Juden für die Geleitserneuerung eine Einmalzahlung von 20.000 Rt. gefordert worden, 66 während eine weitere, in den 20er Jahren neu eingeführte Abgabe sich perpetuierte, indem sie mit der durch den Soldatenkönig geschaffenen preußischen Wehrverfassung, mithin dem Kantonsystem, 67 in engem Zusammenhang stand. Denn als von der Enrollierung befreiter Teil der Untertanenschaft hatten die Juden erstmals 1720 und seit 1728 schließlich jährlich ein Rekrutengeld in Höhe von 4.800 Rt. aufzubringen. 68 Zu gleicher Zeit wurden die Trauschein- und Kalendergelder in Höhe von jährlich 546 bzw. 400 Rt. eingeführt, wobei erstere wiederum der Rekrutenkasse, letztere hingegen der Berliner Akademie der Wissenschaften als Inhaberin des Kalendermonopols zugutekamen. 69 Vor allem wurden jedoch 1728 im Zuge der Schutzgeldrepartition die regulären Abgaben der Judenschaft aus dem gesamten Königreich abrupt von 7.100 auf 15.000 Rt. erhöht. 70 Im Fürstentum Minden beispielsweise ergab sich dadurch zwischen 1685/86 und 1728/29 eine Steigerung des durchschnittlichen Schutzgeldes von 5 auf 16 Rt., also um 220%. 71 Für deren termingerechten Eingang wurde ebenfalls 1728 die solidarische Haftung aller Provinzjudenschaften eingeführt. 72 Überblickt man die Jahrzehnte zwischen 1671 und 1740, so unterliegt es keinem Zweifel, daß sich in diesem Zeitraum die Rechtslage der Juden wesentlich verschlechterte, indem ökonomische Entfaltungsmöglichkeiten beschränkt und die zu zahlenden Abgaben gleichzeitig erhöht wurden. Auch das Generalreglement von 1730 ließ mit seinen schroffen Formulierungen keinen Zweifel daran, daß die damit Angesprochenen weiterhin „außerhalb des juristisch-sozialen Systems der sie umgebenden Ständegesellschaft“ 73 verortet wurden. An der Dominanz von 66

Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 470. Siehe dazu mit weiterer Literatur Harnisch, Kantonsystem. 68 Stern, Bd. II/2, S. 259 – 260; Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 459. 69 Stern, Bd. II/1, S. 41; Bd. II/2, S. 259; vgl. Meisl, Judenkalender. 70 Von dieser drastischen Erhöhung findet sich bezeichnenderweise bei Stern, Bd. II/1, S. 43 kein einziges Wort. Stattdessen sei die neue Repartition erfolgt, um „Ungenauigkeiten und Ungerechtigkeiten abzuhelfen“. Diese Lesart ist in der Tat bizarr, weshalb man mit Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 460 Peter Baumgart zitieren möchte, der mit Blick auf die ältere Preußenforschung urteilte, diese habe „gleichsam in der Loge des Monarchen Platz [genommen], um von dort aus auf das Geschehen in den einzelnen Ländern der Monarchie herabzublicken, deren Einzelzüge sich aus der Ferne leicht verflüchtigten“. Siehe Ders., Wie absolut war der preußische Absolutismus, S. 92. 71 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 461 –462. 72 Stern, Bd. II/2, S. 258. 73 Scheiger, S. 178; vgl. auch Rechter, S. 377: „According to the standard model of Jewish history, the approximately halfmillion Jews in western and central European lands around the middle of the eighteenth century were a distinct group with a distinct place in a hierarchical society. The definition of Jews was not problematic, nor was it especially difficult to explain their functions and status in society.“ 67

II. Entwicklung bis zur Thronbesteigung Friedrichs II. im Jahre 1740

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dem Handel zuzurechnenden Berufen hatte sich derweil innerhalb der Judenschaft wenig geändert, wie noch einer 1749 erstellten Berliner Judenliste zu entnehmen ist, nach der sich 77,6% im Handel und nicht einmal 9 % im Gewerbe betätigten, wobei im letzteren der Schwerpunkt auf der Textil- und Bekleidungsfabrikation lag. 74

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Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 96 – 98.

C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763 I. Zur Rolle der Juden im Denken Friedrichs des Großen. Einführende Bemerkungen Mit Friedrich II. 1 bestieg im Jahre 1740 ein Monarch den preußischen Thron, der mit seinen musischen Neigungen und seiner unverkennbaren Affinität gegenüber der französischen Kultur und Aufklärung 2 auf den ersten Blick so ganz anders zu sein schien als der Vater, dem stets etwas Grobianisches angehaftet hatte. Der junge König verfügte dabei über ein intellektuelles Format, das ihn deutlich über den Durchschnitt in der Riege gekrönter Häupter Europas hinaushob. So liegen auch über Friedrichs Herrschaftsverständnis aus seiner eigenen Feder Schriften in einer Fülle vor, wie sie kaum ein anderer Monarch hinterließ. Deren Lektüre macht rasch deutlich, daß „für den aufgeklärteren Sohn das Königtum den magischen Glanz, die sakrale Weihe und das Geheimnis des Gottesgnadentums verloren“ 3 hatte. In seinen für den Nachfolger bestimmten Selbstreflexionen der Politischen Testamente von 1752 und 1768 ebenso wie in den zur Veröffentlichung bestimmten Werken orientierte sich der bewußt als „schreibender König“ 4 inszenierende Friedrich vielmehr am Naturrecht und seiner „Ablösung der theologisch-institutionellen Lehren über Staat und Herrschaft durch säkularkontraktuelle Begründungen“. 5 So leitet Friedrich sein Politisches Testament von 1752 mit folgenden programmatischen Ausführungen ein: Die erste Pflicht eines Bürgers ist es, seinem Vaterlande zu dienen; das ist eine Verpflichtung, die ich in allen verschiedenen Lagen meines Lebens zu erfüllen mich bemüht habe. 1

Eine umfassende Würdigung seiner Person ist hier weder beabsichtigt noch möglich. Siehe dazu die neueren Biographien von Kunisch, Friedrich der Große; sowie Schieder, Friedrich der Große. Aufgrund seiner Materialfülle jedoch weiterhin unverzichtbar Koser, König Friedrich der Große. 2 Siehe Sagave; Beiträge in Fontius; ferner Birtsch, Friedrich der Große. 3 Stern, Bd. III/1, S. 2. 4 So jüngst Pecar, der für eine „adressatenorientierte Lektüre“ von Friedrichs Schriften plädiert. 5 Klippel, S. 94.

I. Zur Rolle der Juden im Denken Friedrichs des Großen

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Mit dem höchsten Staatsamt beauftragt, habe ich die Gelegenheit und die Mittel gehabt, mich meinen Mitbürgern nützlich zu erweisen. Die Liebe, die ich für sie hege, läßt mich wünschen, daß ich ihnen auch nach meinem Tode noch einigen Dienst leisten kann. 6

Einige Seiten später fällt schließlich der berühmt gewordene Satz: „Der Herrscher ist der erste Diener des Staates.“ 7 Daß dieses Diktum jedoch ausgerechnet im Kapitel über die fürstliche Selbstregierung zu finden ist, verdeutlicht die Ambivalenz von Friedrichs „Dienstbegriff“, indem die säkulare Begründung des Königsamtes keineswegs in eine Mäßigung oder gar Selbstaufgabe monarchischer Omnipotenz mündete, sondern vielmehr als Auftrag zu weiterer Herrschaftsintensivierung verstanden wurde. 8 Auch vor diesem Hintergrund gehört zu den seit langem intensiv diskutierten Problemen um Friedrichs historische Größe 9 nicht zuletzt die Frage, inwieweit bei dem Autor des Antimachiavell und Eroberer Schlesiens „Herrschaftstheorie und Regierungspraxis“ 10 zusammenfielen oder aber auseinanderklafften – eine Debatte, die sich auch am umstrittenen Begriff des „Aufgeklärten Absolutismus“ festmachen läßt. 11 Zur Definition des Gemeinwohls gehörte dabei zweifellos auch die Beantwortung der Frage, wie mit Minderheiten im Lande zu verfahren sei. Die Forderung nach unbedingter Religionstoleranz, zu der Friedrich nicht zuletzt durch eine Lektüre von Bayle, Locke und Voltaire gefunden hatte, artikulierte sich u. a. in dem noch heute bekannten Marginal: „Die Religionen müssen alle tolleriret werden und mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, daß keine der andern Abruch tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Fasson selich werden.“ 12 Daß Friedrich die Juden von diesem Postulat jedoch weitgehend ausnahm, ist der Forschung seit langem bekannt 13 und wurde meist auf den Einfluß des Vaters sowie Voltaires zurückgeführt. So erschien dem französischen Dichter aus deistischer Perspektive nicht lediglich das Christentum als unvereinbar mit den Werten der Aufklärung zu sein. Auch das Judentum figurierte „als Religion des Aberglaubens mit grausamen, Gott zugeschriebenen Geboten, mit einer manipulativen Priesterherrschaft

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Dietrich, S. 255. Ebd., S. 329. 8 Klippel, S. 92 – 112; vgl. Hellmuth, S. 102. 9 Vgl. Vierhaus, Friedrich II. von Preußen. 10 Kroll, Problem der Toleranz, S. 55; vgl. Kunisch, Friedrich der Große, S. 544 –545. 11 Die Begriffsbildung geht auf den Nationalökonomen Wilhelm Roscher (1847) zurück. Seitdem kreist die Debatte darum, ob unter Aufgeklärtem Absolutismus lediglich eine Herrschaftsform zu verstehen sei, die intentional aufklärerischem Gedankengut verpflichtet war und insofern zu einer Schwächung „absoluter“ Fürstenmacht führen mußte. Vgl. Sellin; Niedhart. Einen aktuellen Überblick über den Stand der Forschung bietet Reinalter, Der Aufgeklärte Absolutismus. 12 Zitiert nach Heinrich, Religionstoleranz, S. 79. 13 Vgl. Stern, Bd. III/1, S. 5. 7

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

und barbarischen Verhaltensmaßregeln, die mit Humanismus und Moral nicht in Einklang zu bringen seien“. 14 Es ist hier nicht der Ort, der letztlich nicht zu beantwortenden Frage nach den Ursprüngen von Friedrichs negativem Bild der Juden erneut nachzuspüren. Stattdessen sollen hier lediglich die Folgerungen resümiert werden, die Friedrich aus seinen vielfach belegten Aversionen für seine praktische Politik zog. Dafür bietet das Politische Testament von 1752 einen passenden Ausgangspunkt, empfiehlt der König seinem Nachfolger darin doch im Kapitel „Regeln für Handel und Manufakturen“, man müsse über die Juden wachen und verhüten, daß sie sich in den großen Handel mischen, verhindern, daß ihre Zahl steigt, und bei jeder Spitzbüberei ihnen ihr Aufenthaltsrecht nehmen, weil nichts für den Handel der Kaufleute schädlicher ist, als der unerlaubte Handel, den die Juden treiben. 15

Im Abschnitt „Über die Geistlichkeit und Religion“ erklärte Friedrich zwar alle Glaubensrichtungen für „mehr oder weniger absurd“, 16 betonte jedoch: Die Juden sind von allen diesen Sekten [gemeint sind Katholiken, Lutheraner und Reformierte] die gefährlichste, weil sie den Handel der Christen schädigen und weil sie für den Staat unbrauchbar sind. Wir haben dieses Volk nötig, bestimmten Handel in Polen zu treiben, aber man muß verhindern, daß ihre Zahl wächst und sie nicht nur auf eine bestimmte Zahl von Familien, sondern auf eine bestimmte Zahl von Köpfen festlegen, ihren Handel beschränken und sie hindern, Unternehmungen im großen zu machen, denn sie sollen nur Kleinhändler sein. 17

Indem der jüdischen Minderheit durch Friedrich also eine ökonomisch schädliche Rolle zugeschrieben wurde, präsentiert sich bei ihm traditionelle Judenfeindschaft gewissermaßen in einem säkularisierten Gewand. Nirgends wird dies deutlicher als bei einem näheren Blick auf den im angeführten Zitat angesprochenen Handel mit Polen. Der Absatzmarkt des östlichen Nachbarlandes war für Erfolg oder Mißerfolg von Friedrichs „Fabrikensystem“, 18 jener ehrgeizigen Manufakturpolitik, die über die Ziele seines Vaters deutlich hinausging und die 14

Feiner, S. 19; vgl. Hertzberg; Schwarzbach, Voltaire; Arkush; Sutcliffe. Dietrich, S. 301. 16 Ebd., S. 315. 17 Ebd., S. 315. 18 Der Begriff ist zeitgenössisch. Siehe Kaufhold, Preußische Staatswirtschaft, S. 55 –56. Dabei konzentrierte sich die friderizianische Gewerbeförderung aus strategischen Gründen auf die mittleren Provinzen. So schreibt Friedrich über die Territorien Kurmark, Pommern, Magdeburg und Halberstadt im Testament von 1752: „Diese Provinzen, verbunden mit Schlesien, haben von jeher das Hauptinteresse meiner Bemühungen ausgemacht, denn mit Rücksicht auf ihren Zusammenhang sind sie das Herz des Staates und man kann sie halten, während die anderen Provinzen getrennt sind und man sie in gewissen Fällen nicht verteidigen kann.“ Siehe Dietrich, S. 275; zu Friedrichs Wirtschaftspolitik ferner Göse, Abschn. 25 – 30. 15

I. Zur Rolle der Juden im Denken Friedrichs des Großen

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er bereits 1740 durch die Gründung des ersten Fachdepartements innerhalb des Generaldirektoriums auch institutionell verankert hatte, 19 in der Tat von entscheidender Bedeutung. 20 Und auch der preußische König wußte um die wichtige Rolle, die Juden im polnischen Handel spielten. 21 Bereits für den Großen Kurfürsten hatte das Ziel, einen möglichst großen Teil des nach Polen laufenden Osthandels von der Leipziger Messe nach Berlin und Frankfurt an der Oder zu ziehen, eine gewichtige Rolle bei der Wiederansiedlung der Juden nach 1671 gespielt 22 – bei Friedrich wurde aus ähnlichen Gedanken förmlich eine Fixierung, auf die im Laufe der Arbeit noch mehrfach einzugehen sein wird. 23 So erwartete der König beispielsweise im Jahre 1753 in Pommern Maßnahmen, „wie man die Juden aus den kleinen Städten, die mitten im Lande liegen, wo sie zu nichts nutze sind, wegschaffen könne“. 24 Daraufhin plante man die Anlage der „Judenstadt“ Leba unmittelbar an der Grenze zu Polen. 25 Ebenfalls 1753 erging ein Reskript an die Kammern in Königsberg, Küstrin und Stettin, die darauf sehen sollten, daß die Anzahl der schlechten und geringen Juden, in denen kleinen Städten, so mitten im Lande belegen, woselbst solche Juden gantz unnöthig, und vielmehr schädlich sind, bey aller Gelegenheit und nach aller Möglichkeit daraus weggeschaffet, und hauptsächlich nur in denen kleineren, nach den pohlnischen Grentzen zu, belegenen Städten gelassen werden. 26

19 Hubatsch, Friedrich der Große S. 53 – 54; Mainka, Vom Regional- zum Ressortprinzip. In der Forschung besteht weitgehend Einigkeit darin, daß Friedrich seine wirtschaftspolitischen Anschauungen weniger der zeitgenössischen merkantilistischen Literatur, sondern der Praxis entnahm. Prägende Bedeutung wird dabei seiner kameralistischen Ausbildung bei der Küstriner Kammer (1730/31) zugeschrieben. Siehe Born; Matschoß, S. 25. 20 Dazu bereits Hintze, Hohenzollern, S. 391; vgl. am Beispiel des Königsberger Wollwarenhandels Straubel, Königsberg und Memel, S. 69 – 73. Noch dazu ist an die forcierte Anlage von Textilmanufakturen in den grenznahen Regionen Preußens zu erinnern. Siehe A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 410 – 412; vgl. zum Retablissement Kap. H.IX. 21 Vgl. Hundert, The Role of the Jews in Commerce. 22 Israel, S. 204 – 205. 23 Bezeichnend ist es wohl, daß diese Tendenz friderizianischer Judenpolitik auch von judenfeindlichen Schmähschriften im Gefolge der josephinischen Toleranzpolitik der 80er Jahre lobend, wenn auch sachlich falsch hervorgehoben wurde. So heißt es in der 1782 unter dem Pseudonym „Cobult“ in Wien veröffentlichten Schrift Von dem schädlichen Einflusse der unumschränkten Handelsfreyheit der Juden auf den Staat und den Ruin der Bürger, man solle die Juden „nur an den Grenzen und in Grenzstädten“ dulden, wie es in Preußen gehandhabt werde. Die Juden könnten dort den Handel mit auswärtigen Glaubensgenossen beleben und somit den Schaden ausgleichen, den sie andernorts dem Staat zufügten. Zitiert nach Toury, Emanzipation und Judenkolonien, S. 27. 24 Zitiert nach Fehrs, Antijudaismus und Antisemitismus, S. 36. 25 Siehe zu diesem letztlich gescheiterten Projekt Lordick. 26 N.C.C., Bd. 1, Sp. 563 – 564; vgl. A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 387.

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

Friedrichs Pläne liefen demnach darauf hinaus, die Judenschaft insbesondere im Landesinneren möglichst zu reduzieren und auf wenige, aber ökonomisch potente Familien zu beschränken. Lediglich in den an Polen grenzenden Regionen der Monarchie, so legen es zumindest die hier zitierten Äußerungen vorerst nahe, erschien dem König mit Blick auf den Osthandel auch eine Vermehrung der ungeliebten Minderheit tolerierbar. Sofern Friedrich eine Verwirklichung dieses „Projekts“ tatsächlich im Auge behielt, mußte eine solche Politik ohne jeden Zweifel schwerwiegende Folgen für die von ihr Betroffenen mit sich bringen. Allerdings bedurfte es dazu zunächst eines geeigneten bürokratischen und juristischen Instrumentariums.

II. Entwicklungen in der Judenpolitik unter besonderer Berücksichtigung des Generalreglements von 1750 Es wurde eingangs bereits darauf hingewiesen, daß von einer „Reduktion“ des friderizianischen Judenrechts, wie sie mitunter in der Forschung konstatiert wird, 27 nicht im entferntesten die Rede sein kann, indem sich auch die restriktiven Intentionen Friedrichs des Großen in einer am Ende kaum noch zu überschauenden Flut von Reskripten, Edikten und Deklarationen äußerte, „so daß zu Ende des Ancien Régime selbst Beamte Mühe hatten, sich in ihnen zurechtzufinden“. 28 Vor diesem Hintergrund kann es hier nicht darum gehen, einen noch zu schreibenden Gesamtüberblick über die Entwicklung der rechtlich-administrativen Seite jüdischen Lebens in Preußen während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu liefern. Stattdessen beschränkt sich die Darstellung auf jene Regelungen des Geleitwesens sowie des Immobilienerwerbs, die insbesondere 1750 getroffen wurden und die letztlich auch den Hintergrund bildeten für die nach 1763 neu eingeführten Sonderabgaben, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen. Um das im vorangegangenen Kapitel geschilderte Ziel einer Einschränkung der Judenschaft zu erreichen, beauftragte Friedrich bereits bald nach seiner Thronbesteigung den Generalfiskal Uhden 29 mit einer zahlenmäßigen Erfassung der jüdischen Untertanen sowie mit einer Spezifikation der unvergleiteten Juden, um letztere „aus dem Lande jagen“ zu können. 30 Diese Bemühungen mündeten ih27

Heinrich, Debatte, S. 827. Kohnke, Rathenow, S. 86; zahlreiche Beispiele aus dem Bereich des Pfand- und Kreditrechts bei Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 531 –533. 29 Zum Amt des Generalfiskalats und der Person Uhdens siehe Kap. D. II; vgl. Schenk, Generalfiskal d’Anières. 30 Stern, Bd. III/1, S. 73. 28

II. Entwicklungen in der Judenpolitik

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rerseits in einen mehrjährigen behördeninternen Diskussionsprozeß, 31 der sich bis zum Jahre 1750 hinzog, als das Judenwesen schließlich eine umfassende Neuordnung erfuhr. So verordnete Friedrich im Frühjahr die Aufhebung der Judenkommission, deren Aufgaben fortan die Justizkollegien sowie der Berliner Magistrat übernahmen. Fragen der Verheiratung, Ansetzung sowie überhaupt der Privilegierung von Juden wurden dem Tätigkeitsbereich des Generaldirektoriums und hier (bezeichnender Weise) insbesondere dem Fabrikendepartement zugeordnet. Damit waren zugleich administrative Regelungen geschaffen, die bis zum Jahre 1812 wirksam bleiben sollten. 32 Am 17. April folgte das Revidierte General-Privilegium und Reglement, 33 das zwar keineswegs (wie oft zu lesen ist) als „wirklich flächendeckende Verordnung für alle jüdischen Gemeinden in Preußen“ 34 bezeichnet werden kann, gleichwohl bis 1812 eine der wichtigsten rechtlichen Grundlagen jüdischer Existenz in der Hohenzollernmonarchie darstellte. In der Vorrede des Dokuments, darin dem Reglement von 1730 ganz ähnlich, wurde die neuerliche „Regulirung des JudenWesens“ mit einer übermäßigen Vermehrung der Minderheit begründet, welche „nicht nur dem Publico, besonders aber denen Christlichen Kaufleuten und Einwohnern ungemein Schaden und Bedrückung zugefüget“ und sich noch dazu auf die bereits ansässige Judenschaft durch die „Einschleichung“ unvergleiteter Fremder negativ ausgewirkt habe. Vor diesem Hintergrund sei es die Absicht des Königs, „zwischen der Christen- und Juden-Nahrung- und Gewerbe“ eine „Proportion“ zu stiften, die beiden Seiten gerecht werde. Allerdings ließ bereits die Vorrede keinen Zweifel daran, daß diese Proportion ausschließlich durch eine Einschränkung des „unzuläßig erweiterten Jüdischen Handel[s] und Wandel[s]“ zustande kommen sollte. Es kann hier nicht um eine umfassende Würdigung dieses äußerst restriktiven Reglements gehen, das allein quantitativ seinen Vorgänger von 1730 um mehr als das Fünffache übertraf und das zu Recht als die „ausgefeilteste und umfassendste Formulierung“ 35 absolutistischer Judenpolitik in Preußen bezeichnet worden ist. Stattdessen sollen hier zunächst lediglich die Grundzüge jener durch das Reglement neu eingeführten Klassifikation vorgestellt werden, mit der Friedrich die quantitative Eindämmung der Judenschaft vor allem 31

Siehe ebd., S. 74 – 79. Ebd., S. 16 – 17. 33 Abgedruckt bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 22 –60. 34 Fehrs, Der preußische Staat und die jüdischen Gemeinden, S. 199. Stattdessen galt im ausgehenden 18. Jahrhundert das Generalreglement nicht einmal für die Mehrheit der preußischen Juden, da es in den Provinzen Schlesien (erworben 1742), Ostfriesland (1744) Westpreußen und Netzedistrikt (1772) sowie in den 1793 und 1795 mit der zweiten und dritten polnischen Teilung annektierten Provinzen Neuschlesien, Südpreußen und Neuostpreußen keine Geltung erlangte. Siehe hierzu auch Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation, S. 460 – 463. 35 Scheiger, S. 180. 32

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zu erreichen hoffte und die den Kern des Edikts bildet: die Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Schutzjuden, bzw. zwischen Ordinarii und Extraordinarii durch Paragraph V. 36 Danach sollte fortan lediglich den ersteren gestattet sein, ihren Schutz auf ein Kind zu vererben und dieses somit anzusetzen, während ein außerordentliches Privileg mit dem Tode des Inhabers erlosch. 37 Jenes Kind hatte dazu allerdings ein Vermögen von 1.000 Rt. nachzuweisen, „wozu jedoch das tägliche Haus-Geräthe und Kleidung samt ungewissen Schulden“ nicht gerechnet werden durften. Noch dazu mußte der Nachwuchs auch weiterhin Trauscheingebühren in Höhe von 30 Rt. entrichten, die ursprünglich an die Rekrutenkasse flossen, seit 1739 hingegen an das Potsdamer Waisenhaus. 38 Diese Regelung diente nicht lediglich der fiskalischen Abschöpfung, sondern darüber hinaus der obrigkeitlichen Kontrolle des jüdischen Reproduktionsverhaltens. So war bereits 1722 festgesetzt worden, daß vor jeder Heirat ein Trauschein der Rekrutenkasse gelöst werden müsse, damit nicht Judenkinder sich in ihren noch ganz jungen Jahren schon zusammen verheirathen und vermehren, und dann dieselben zu ihrem, und von gleichsam noch Kindern wiederkommender Kinder Unterhalt fast bloß vom Wucher, unumgänglich zu allerhand Mitteln und Vervortheilungen derer Christen greifen, und sich dadurch erhalten, und dem Publiko zur Last leben. 39

Dem Rabbiner, der eine solche illegale Trauung vollzog, drohte seitdem eine Strafe von 1.000 Rt. Diese Bestimmungen wurden durch § V, 13 des Reglements von 1750 erneut bekräftigt. 40 Neben den Trauscheingebühren hatten die ersten Kinder weiterhin eine Zahlung an die Chargenkasse zu leisten, die nach dem Reglement vom 30. Mai 1765 50 Rt. betrug 41 und damit rund 50% des Jahresgehalts vieler Berliner Weber ausmachte. 42 Jeder Jude zahlte somit unabhängig von seiner finanziellen Situation mehr als beispielsweise ein Obrist zu Fuß (40 Rt.), ein Advokat beim Berliner 36 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 26 – 33. Damit orientierte sich das Reglement an einem Vorschlag Uhdens aus dem Jahre 1743. Siehe Stern, Bd. III/1, S. 75. 37 Vgl. ebd., Bd. III/1, S. 80. 38 In Breslau waren zehn Rt. an den Magistrat zu zahlen. Siehe Koch, S. 45. 39 Zitiert nach ebd., S. 42. 40 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 31 – 32. Da Trauscheine dem jüdischen Antragsteller ausgehändigt wurden, haben sie sich nur in den seltensten Fällen bis auf den heutigen Tag erhalten. Daß von Seiten der Rabbiner durchaus auf ihre Vorlage geachtet wurde, vedeutlicht jedoch ein Blick in die in Mikroform erhaltenen Bestände der Breslauer Gemeinde, in denen man auf zahlreiche Trauscheine stößt, die vom Kanzleidirektor der Breslauer Kammer ausgestellt worden waren. Siehe beispielsweise den Trauschein für Moses Abraham vom 4. September 1773 in JMFM, PSR A033, Bl. 27. 41 N.C.C., Bd. 3, Sp. 841 – 870. Abgelöst wurde damit das Reglement vom 7. Mai 1705. 42 Vgl. Kap. A.IV.

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Kammergericht oder ein Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt (jeweils 20 Rt.), während auf der anderen Seite ein Generalfeldmarschall 300 und ein Staatsminister 250 Rt. zu entrichten hatten. Zu alledem war die Bewegungsfreiheit des angesetzten Kindes zu Lebzeiten des Vaters deutlich eingeschränkt. Denn die ursprünglich ergangene Verordnung, wonach das etablierte erste Kind bis zum Tode der Eltern mit diesen unter einem Dach zu leben hatte, wurde durch Reskript vom 1. März 1753 zwar aufgehoben, dabei jedoch zugleich bekräftigt: „Es verstehet sich aber von selbst, daß sie dadurch nicht authorisiret, mehr als einen Handel zu treiben.“ 43 Geradezu hoffnungslos gestaltete sich hingegen die Situation der zweiten Kinder, welche auch andernorts ins Visier von Judenordnungen gerieten, die auf eine Reduzierung der ungeliebten Minderheit abzielten. 44 Diese Tendenz läßt sich beispielsweise an den für Wien erlassenen Judenordnungen Kaiser Karls VI. ablesen, wonach nur der erstgeborene Sohn eine eigene Familie gründen durfte. Seine jüngeren Brüder hatten dieses Recht erst zu beantragen, mußten aber im Weigerungsfall die Stadt verlassen. Ähnliche Restriktionen wurden unter Maria Theresia, die religiösen Minderheiten und insbesondere den Juden mit großer Unduldsamkeit begegnete, in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in Böhmen und Mähren eingeführt. 45 Auch in Preußen gerieten die Etablissements zweitgeborener Kinder im Rahmen der Arbeit am Generalreglement von 1750 in den Fokus der Obrigkeit. Als das Generaldirektorium dem König im September 1747 einen Schutzbrief zur Vollziehung einreichte, der einem Sohn des Fürstenwalder Juden Isaac Abraham die Niederlassung als zweites Kind gestatten sollte, verweigerte der Monarch zunächst die Unterschrift. Hierbei kritisierte er die Minister für die aus seiner Sicht überhand nehmende Vergabe von Konzessionen, durch welche „die Anzahl der Juden Familien in Dero Landen wieder Dero expresse WillensMeinung per indirectum sehr anwachsen und die determinirte Anzahl der Juden Familien considerable übersteigen müsse“. 46 Dem Generaldirektorium gelang es daraufhin zwar, den König am 27. Oktober doch noch zur Vollziehung der Konzession zu bewegen, doch stellte Friedrich dabei zugleich klar: Da es aber zu weit gehet, auf einen Schutz-Brief zwey Kinder anzusetzen, weil dadurch der Zweck, die Juden Familien zu vermindern, gantz verfehlet und sothane Familien dadurch vielmehr dergestalt multipliciret werden, daß die determinirte Zahl derselben in 43 N.C.C., Bd. 1, Sp. 437 – 440; vgl. Donnersmarck, S. 21; Stern, Bd. III/1, S. 82; Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 531. 44 Ähnlichkeiten mit der im folgenden für Preußen skizzierten Rechtslage weist die Judenpolitik des Herzogtums Berg auf. Siehe dazu Fleermann, S. 76. 45 Karniel, Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., S. 309 – 310. Ohne vergleichbare normative Fixierung war es auch im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel bis 1785 „üblich“, daß nur ein Sohn auf den Schutzbrief seines Vaters angesetzt wurde. Siehe Ebeling, S. 165. 46 Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Brieg, 6. September 1747, GStA PK, II. HA, Pommern, Materien, Judensachen, Nr. 3, Bl. 3 (Abschrift).

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763 Zeit von 20 – 30 Jahren per indirectum 2 – 3fach und so weiter vermehret werden, als[o] wollen Seine Königliche Majestät hiemit ein vor allemahl, daß vor das künfftige mehr nicht als ein Kind auf den Schutz-Brief seines Vaters angesetzet werden soll, als welches schon genug ist. 47

Zu den Etablissements zweiter Kinder äußerte sich der König noch in zwei weiteren, durchaus widersprüchlichen Kabinettsbefehlen vom 8. Januar und 23. Mai 1749. So gab Friedrich im Januar zu erkennen, er wolle zukünftig in Ausnahmefällen solche Niederlassungen genehmigen, wenn dadurch (wohl infolge vorangegangener Todesfälle) die Zahl jüdischer Familien nicht erhöht werde und der Supplikant ein Vermögen von 2.000 Rt. nachweisen könne, worüber der Generalfiskal in jedem einzelnen Fall zu berichten habe. 48 Nur vier Monate später hatte der Monarch diesen Befehl offenbar wieder vergessen und instruierte das Generaldirektorium, zweite und selbst dritte Kinder, die über ein Vermögen von 10.000 Rt. verfügten, könnten zwar nicht regulär in den Schutz ihrer Eltern eintreten, sollten sich jedoch „gehörig melden und um ein besonders Privilegium ansuchen“, woraufhin von ihm auf Basis eines Direktorialberichts über die Angelegenheit entschieden werde. 49 Hiermit hatte Friedrich eine Regelung formuliert, die im Folgejahr auch in die §§ 2 und 4 des Generalreglements Eingang fand, die ein generelles Niederlassungsverbot für zweite Kinder vorsahen (§ 2), 50 jedoch zugleich zweiten und selbst dritten Kindern „reicher Juden“ ein „besonderes Privilegium“ in Aussicht stellten (§ 4). 51 Da der Erwerb eines Schutzbriefes eine „Schlüsselposition in der Lebenslaufplanung“ 52 junger Juden einnahm, können die Auswirkungen dieser in der Literatur nicht selten übergangenen Regelung 53 kaum überschätzt werden. Jenseits der schmalen ökonomischen Elite sahen sich die Betroffenen mit der Perspektive konfrontiert, entweder eine unverheiratete und ökonomisch unselbständige 47

Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Potsdam, 27. Oktober 1747, GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 203, Fasz. 46, Bl. 77 (Abschrift). 48 Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Potsdam, 8. Januar 1749, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4445, Bl. 17 (Abschrift). 49 Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Potsdam, 23. Mai 1749, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4445, Bl. 19 (Abschrift). 50 Freund, Emanzipation, Bd. 1, S. 17, Bd. 2, S. 26. Nebenbei sei bemerkt, daß durch diese Verordnung natürlich nicht untersagt wurde, ein zweites Kind überhaupt zu bekommen, wie zu lesen ist bei Flumenbaum, S. 34. Die weitere Entwicklung der bei der Niederlassung zweitgeborener Kinder bis 1812 zum Tragen kommenden Verordnungen gestaltete sich höchst widersprüchlich und lässt die verbreitete These einer mehr oder weniger lückenlosen Kodifikation des Judenrechts in friderizianischer Zeit fragwürdig erscheinen. Siehe dazu neben den Kap. D, E, G, H und K der vorliegenden Arbeit Schenk, Friedrich und die Juden. 51 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 27. Einer dieser äußerst seltenen Fälle einer Ansetzung als drittes Kind ereignete sich (übrigens noch zu Lebzeiten des Hausvaters) im Jahre 1801 in Halberstadt. Siehe Halama, S. 226 – 227. 52 Ullmann, Das Ehepaar Merle und Simon Ulman, S. 270.

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Existenz als Dienstpersonal im Haushalt eines Schutzjuden zu fristen oder aber auszuwandern. 54 Daß der Obrigkeit an einem möglichst reibungslosen Abzug der nachgeborenen Kinder gelegen war, zeigt auch die Regelung, wonach sie sich grundsätzlich „ungehindert aus dem Lande begeben konnten“, ohne eine Abzugsgebühr zu zahlen, wie sie sonst bei Schutzjuden mit einem Vermögen von mehr als 5.000 Rt. erhoben wurde. 55 Verstarb ein Ordinarius, so stand seiner Witwe eine weitere Heirat zwar frei, doch wurde sie mit ihrem zweiten Mann lediglich zur Gruppe der Extraordinarii gezählt, indem die ursprüngliche Schutzstelle den Kindern vorbehalten blieb. Anders verhielt es sich nur in Fällen, in denen die erste Ehe kinderlos geblieben war und das Schutzrecht vom Vater der Witwe herrührte. 56 Zu den beiden Gruppen der Ordinarii und Extraordinarii gesellten sich die Gemeindeangestellten, die sog. „publiquen Bedienten“, die zwar von der Zahlung von Schutzgeldern befreit waren, denen jedoch bereits seit 1698 jeglicher Handel verboten war. 57 Auch diese Bestimmung wurde durch § V, 12 des Reglements von 1750 erneuert. 58 Dennoch bot die Institution des Gemeindebedienten die angesichts der rigiden Niederlassungspolitik vielfach einzige Möglichkeit, unbemittelten Juden sowie insbesondere nachgeborenen Kindern einen personenbezogenen „Mindestschutz“ 59 zu verschaffen: Die Kinder der vergleitet gewesenen verstorbenen oder so herunter gekommenen und sonst so beschaffenen Juden, daß sie kein Recht zur Ansetzung haben, oder das erforderliche Vermögen nicht besitzen, werden zwar wie die nachgelassenen Witwen derselben geduldet; wenn aber erstere zu mannbaren Jahren kommen, so dürfen dieselben durchaus und bey Vermeidung der Austreibung sich nicht unterstehen, für sich selbst zu handeln, sondern müssen entweder anderen vergleiteten Juden dienen, oder sich von ihrem Wohnorte wegbegeben und anderwärts unterzukommen suchen, oder sich auf solche Sachen legen, daß sie anstatt abgehender öffentlicher jüdischen Bedienten angenommen werden können. 60 53 So ist vielfach davon die Rede, es sei Ordentlichen Schutzjuden aufgrund des Generalreglements von 1750 durchgängig erlaubt gewesen, zwei Kinder zu etablieren. In diesem Sinne z. B. Meier, Seidenunternehmer, S. 89 – 90. 54 Das Heiratsverbot für Dienstpersonal sprach § V, 13 aus. Siehe Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 31; vgl. zur rechtlichen und sozialen Stellung jüdischer Dienstboten Meier, Seidenunternehmer, S. 143, 154. 55 Koch, S. 35 – 36. 56 Halama, S. 122 – 123, 138 – 141. 57 Stern, Bd. I/2, S. 193; Kohnke, Rathenow, S. 104. 58 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 30. Daß es dennoch zu zahlreichen Übertretungen dieses Verbots kam, steht auf einem anderen Blatt. So berichtet der Berliner Aufklärer Lazarus Bendavid (1762 – 1832) in seiner Autobiographie beispielsweise vom Kleiderhandel eines jüdischen Privatlehrers. Siehe Lohmann, S. 449. 59 Scheiger, S. 289. 60 Hier zitiert nach der zeitgenössischen Zusammenfassung bei Terlinden, S. 82.

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Insbesondere im Bereich des jüdischen Bildungswesens werden sich nachgeborene Söhne preußischer Schutzjuden jedoch mit der starken Konkurrenz polnischer Talmudschüler konfrontiert gesehen haben, die beispielsweise in Berlin die Mehrzahl der Lehrer stellten. 61 Vor diesem Hintergrund ist es auch als ein „Versuch praktischer Solidarität mit abschiebungsbedrohten Glaubensgenossen“ 62 zu werten, wenn die Berliner Gemeinde im Jahre 1744 allein sieben nicht besoldete Totengräber beschäftigte. Nicht zuletzt deshalb wurde die erlaubte Anzahl dieser Bedienten 1767 einer weiteren Reglementierung unterworfen, wonach Gemeinden, die aus weniger als zehn Familien bestanden, lediglich einen Koller und einen Totengräber beschäftigen durften. 1775 wurde jedoch auch den kleineren Gemeinden wiederum gestattet, einen Schullehrer anzustellen. 63 Was die Vergleitung ausländischer Juden anging, so orientierte sich § V, 8 sichtlich am Reglement von 1730, indem er solches zwar für „gar nicht erlaubet“ erklärte, reiche Juden jedoch sogleich davon ausnahm. Wie schon 1730 galt auch 1750 ein Jude als reich, der ein Vermögen von 10.000 Rt. nachzuweisen vermochte. Dabei sollte beachtet werden, daß dies ein Zehnfaches und mehr im Vergleich zu dem darstellte, was in den meisten anderen Territorien des Reiches verlangt wurde. So wurden, um hier nur einige Beispiele anzuführen, im Herzogtum BraunschweigWolfenbüttel zunächst 1.000 und seit Mitte der 80er Jahre 2.000 Rt. gefordert, im Hochstift Paderborn 1.000, in der Grafschaft Lippe 500 Rt., im Herzogtum Württemberg nach einem Mandat von 1768 500 bis 600 Gulden sowie in der Kurpfalz 3.000 (1744) bzw. 6.000 Gulden (1775). 64 Des weiteren wurde sämtlichen Kammern durch Reskript vom 13. Januar 1751 nochmals eingeschärft, daß es bei der bisherigen Zahl von Judenfamilien zu bleiben habe „und keine Juden ein Privilegium bekommen sollen, es sey dann, daß sie neue Fabriquen anlegen“. 65 Die mit all diesen Restriktionen anvisierte quantitative Beschränkung der Judenschaft war wiederum durch neu eingeführte jährliche Judentabellen zu kontrollieren, die von den Steuerräten und Kammern zu erstellen waren. 66 Hiermit erfuhr die statistische Grundlage der preußischen Judenpolitik eine bedeutende Ausweitung, auf deren Qualität freilich noch einzugehen sein wird. 67 61

Behm, S. 60. Scheiger, S. 289 – 290. Die Autorin bilanziert mit Blick auf diese Zusammenhänge, es ließe sich „festhalten, daß die erzwungene, weitgehende Kongruenz staatlicher und gemeindlicher Interessen nie zu einer bruchlosen Übereinstimmung in der Praxis führte. Der Konflikt zwischen der ethisch und historisch begründeten Loyalität innerhalb der jüdischen Glaubens- und Lebensgemeinschaft einerseits und der existentiellen Abhängigkeit von einem absolutistischen Staatswesen andererseits wurde nie eindeutig aufgelöst.“ 63 Kohnke, Rathenow, S. 105; Halama, S. 193. 64 Die Summen folgen der Reihe nach den Angaben bei Ebeling, S. 163; van Faassen, S. 23, 82; Dies. / Hartmann, S. 13; Landwehr, S. 55; Waßmuth, S. 58 –59. 65 N.C.C., Bd. 1, Sp. 7 – 8. 66 Vgl. Kohnke, Rathenow, S. 86. 62

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Neben Ordinarii, Extraordinarii, „publiquen Bedienten“ und lediglich zeitweilig Tolerierten kannte das friderizianische Judenrecht indes noch die Generalprivilegien. In der Literatur stößt man vielfach auf die ohne Quellennachweis vorgebrachte Behauptung, es habe sich dabei um eine durch das Generalreglement von 1750 explizit definierte „Klasse“ 68 gehandelt. Von „all den alten, drückenden Judenreglementierungen befreit“, seien die Generalprivilegierten dazu in der Lage gewesen, sich „frei unter den deutschen ‚movers and doers‘“ 69 zu bewegen. So durften sie sich angeblich „in dem für die Juden zugelassenen Wohnbereich ohne Sondergenehmigung niederlassen, durften Häuser und Grundstücke erwerben, besaßen als Kaufleute dieselben Rechte wie ihre christlichen Berufskollegen und durften ausnahmsweise das Bürgerrecht erwerben. Diese Rechte konnten sie an ihre Kinder weitervererben.“ Dieser beachtliche Katalog von Ausnahmebestimmungen, so kann man anderen Orts lesen, habe seinerseits „den Weg zu einer allmählichen Gleichstellung der Juden“ 70 gewiesen. Wie anderen Orts näher ausgeführt wurde, basieren derartige Deutungen, durch welche die Generalprivilegien in die Nähe einer staatsbürgerlichen Emanzipation gerückt werden, nicht lediglich auf mangelnder Lektüre des „zitierten“ Generalreglements, in dem sich von alledem kein einziges Wort findet. 71 Darüber hinaus gilt es zu betonen, dass es sich bei derartigen Privilegien um keine „Klasse“ des friderizianischen Judenrechts handelte, sondern ganz im Gegenteil um dessen kasuistische Durchbrechung aus opportunistischen Beweggründen, welche ihrerseits in aller Regel mit der Gewerbepolitik in enger Verbindung standen. Nachdem bereits in der ersten Hälfte der 1750er Jahre im Seidengewerbe mit Generalprivilegien, die ihren Empfänger bei Immobilienerwerb und der Niederlassung von Kindern von zahlreichen Restriktionen befreiten, experimentiert worden war, erfuhr diese Entwicklung durch den Siebenjährigen Krieg eine erhebliche Verstärkung. So wurden mehrere Münzjuden wie der aus Strelitz stammende Abraham Marcuse (1699 – 1786) sowie Daniel Itzig (1722 – 1799) und Veitel Ephraim (1703 –1775) mit Generalprivilegien bedacht. Allerdings kann bei diesen Privilegien ebensowenig wie bei allen weiteren, die nach 1763 verliehen werden sollten, davon die Rede sein, es sei damit ein grundsätzlicher Dispens von den Restriktionen des Judenrechts erteilt worden. Stattdessen konnten auch Generalprivilegierte „nur auf solche Ausnahmen von 67

Vgl. Kap. D.IV. Die Ausweitung des Berichtswesens im Rahmen der Judenpolitik des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist übrigens kein preußisches Spezifikum, sondern kann auch anderenorts im Alten Reich beobachtet werden. Vgl. etwa Mordstein, S. 136 –141. 68 So beispielsweise bei Schmidt, Entwicklung, S. 79; Breuer, S. 145, danach auch das folgende Zitat. Von einer durch das Reglement von 1750 definierten „Kategorie“ spricht Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 50; von „Gruppe“ war unlängst die Rede bei Reinke, Geschichte der Juden, S. 10. 69 Volkov, S. 9. 70 So in Anlehnung an Peter Baumgart bei Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat, S. 42 – 43. 71 Vgl. Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation, S. 464 –468.

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den Einschränkungen der Uebrigen Anspruch machen, die mit der Qualität eines Juden vereinbar“ 72 erschienen. Dieser Vorbehalt wirkte sich unter anderem bei der Niederlassung der Kinder aus, die keineswegs ohne obrigkeitliche Genehmigung zu vollziehen war, sondern aufgrund zweier Reskripte vom 13. Januar und 19. August 1753 eines Approbationsreskriptes des Generaldirektoriums bedurfte – ein Reskripts, „welches gemeinhin eine Concession genannt wurde“. 73 Privileg – Konzession – Approbation: Dieser terminologische Dreiklang verdeutlicht, daß auch Generalprivilegien einen landesherrlichen Gnadenakt darstellten, der als solcher stets widerrufbar blieb und mit „rechtsstaatlichen“ Interpretationsmustern nicht zu erfassen ist. 74 Die „Geschäftsgrundlage“ der Verleihung konnte jeder Generalprivilegierte in dem ihm verliehenen Schutzbrief unmißverständlich nachlesen. Lippmann Meyer beispielsweise, der 1769 für die Übernahme der Breslauer KPM-Niederlassung unter gleichzeitiger Ernennung zum Hoffaktor mit einem Generalprivileg bedacht wurde, hätte sich klipp und klar darüber informieren können, daß es nur solange gelte, wie er „sich durch unbescholtenes Verhalten und ein dieser Unserer Königlichen Gnade angemessenes beträchtliches Handlungs-Verkehr dessen fernerhin würdig machen“ 75 würde. So etwas liest man nicht in einer „Einbürgerungsurkunde“, sondern in einem revozierbaren Schutzbrief – und Meyer wäre schlecht beraten gewesen, beides miteinander zu verwechseln im Glauben, sich nunmehr frei unter den altpreußischen „movers and doers“ bewegen zu können. Hierzu wäre er weder 1769, noch 30 Jahre später in der Lage gewesen. Denn am Charakter von Generalprivilegien als landesherrlichen Gnadenakten sollte sich, wie hier vorgreifend bemerkt sei, auch in den folgenden Jahrzehnten kaum etwas ändern, wie man unter anderem einer aufschlußreichen Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III. für den ostpreußischen Oberpräsidenten Friedrich Leopold Freiherrn von Schroetter (1743 – 1815) vom 19. November 1803 entnehmen kann. 76 Schroetter, der in jenen Jahren innerhalb der hohen Bürokratie zu den Wortführern eines restriktiven, selbst offenen Rechtsbruch nicht scheuenden Kurses in der Judenpolitik zählte, 77 hatte zuvor gegenüber dem Monarchen dafür plädiert, die Niederlassungsmöglichkeiten Generalprivilegierter in Königsberg massiv einzuschränken. Zwecks „Erhaltung des Wohls und Nahrungs-Standes der Christlichen Einwohner des Staats“ stimmte der König, 72

Donnersmarck, S. 7. Koch, S. 33. Diese Regelung wurde noch am 18. April 1790 durch ein neuerliches Reskript in Erinnerung gerufen. Siehe Halama, S. 201. 74 Mit diesem Begriff operiert beispielsweise Meier, Seidenunternehmer, S. 120, obwohl die Autorin ebd., S. 70 davon berichtet, der König habe auch vor der Kassation von Generalprivilegien nicht zurückgeschreckt. 75 BLHA, Rep. 8, Strasburg, Nr. 879. 76 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 25, hiernach die folgenden Zitate. 77 Vgl. hierzu unten, Kap. K.IV. 73

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wie er ausdrücklich erklärte, Schroetters Intentionen vollkommen zu, sprach sich allerdings – anders als sein Oberpräsident, immerhin – dagegen aus, bereits verliehene Generalprivilegien rückwirkend einzuschränken. Gleichwohl bot sich nach Ansicht Friedrich Wilhelms im vorliegenden Fall, in dem es um das Etablissement einer Tochter des generalprivilegierten Berliner Samtfabrikanten Philipp Hirsch (1733 – 1817) 78 ging, auch ein legaler Weg, die Niederlassung zu verhindern. So betonte der Monarch gegenüber Schroetter, es ergebe sich aus dem Inhalte des General-Privilegii selbst, daß dasselbe den Decendenten des Hirsch David nur wegen der angelegten Sammt- und Seiden-Fabrick dahin ertheilt worden, daß denselben erlaubt seyn solle, sich überall in den Königlichen Landen zu etabliren, wo es ihrem Handel und Absatze zu beförderung des Debits der Fabriquen-Waaren am zuträglichsten seyn kann und solches die Nothwendigkeit zu mehrerer Ausbreitung der Fabrique und ihres Verkehrs erfordern möchte. Es wird also darauf ankommen, ob das vorhabende Etablissement der Tochter des Hirsch Philip zu Königsberg in Preußen zu Beförderung des Debits der Fabrick-Waaren nothwendig oder nützlich sey oder nicht. Erstern Falls soll dieses Etablissement verstattet und Supplicant bey dem General-Privilegio geschützt, letztern Falls aber derselbe abschläglich beschieden werden.

Ferner bestimmte Friedrich Wilhelm, daß künftig zu verleihende Generalprivilegien nur noch dann zur Niederlassung in Königsberg berechtigen sollten, wenn zuvor die Familie eines ordentlichen Schutzjuden ausgestorben sei 79 – preußische Judenpolitik, neun Jahre vor Erlaß des Emanzipationsediktes. Wie im Falle des Philipp Hirsch bereits deutlich wird, geht die quellenferne Rede von einer „Klasse“ des friderizianischen Judenrechts mit Blick auf die Generalprivilegien auch deshalb fehl, da selbst von einem fest definierten Inhalt der Konzessionen keine Rede sein kann. Stattdessen konnten sowohl der materielle Rechtsinhalt als auch die geographische Reichweite der Generalprivilegien erheblich variieren. Der Empfänger genoß jene Rechte, die ihm im konkreten Einzelfall verliehen worden waren – nicht mehr und nicht weniger. 80 Diese Heterogenität 78 Dessen Generalprivileg datiert vom 13. Mai 1774. Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 109. 79 Der König berief sich dabei auf einen Befehl seines Vaters und Amtsvorgängers Friedrich Wilhelms II. aus dem Jahre 1787. Vgl. hierzu Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation, S. 467. Wie dort bereits hervorgehoben wurde, wäre die Situation der Königsberger Generalprivilegierten in den Jahren um 1800 noch weiter zu erforschen. Verwiesen sei auf Aktentitel in GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II, Materien. 80 Geiger, S. 145 (Anmerkungen): „Die Bedingungen, unter denen solche (General-) Privilegien ertheilet wurden, waren verschieden.“ Vgl. bereits Donnersmarck, S. 7: „Auch ist ein solches General-Privilegium, dem Inhalt nach, sehr verschieden. So enthält es die Worte ‚mit den Rechten christlicher Kaufleute‘ und begreift nur den ersten Erwerber unter sich, während dessen ein anderes, ohne diese Worte, dennoch auf alle Kinder und Descendenten sich erstreckt.“ Isaak Benjamin Wulff (1731 – 1802) erhielt sein Generalprivileg beispielsweise im August 1763, die Rechte christlicher Kaufleute jedoch erst im Juli 1765. Siehe Meier, Seidenunternehmer, S. 256.

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wirkte sich auch finanziell aus, denn von einer grundsätzlichen Dispensierung von den jüdischen Gemeindelasten und Sondersteuern kann keine Rede sein. So wurden beispielsweise die Breslauer Generalprivilegierten in der Judenordnung vom 21. Mai 1790 von Beiträgen zu den öffentlichen Abgaben der Juden dispensiert – „in sofern sie nach ihrem Privilegio keinen Canon zu geben verbunden sind“. 81 Wie sich vor diesem Hintergrund die Lage des fraglichen Personenkreises im Kontext der Abgabenpolitik gestaltete, wird weiter unten noch zu untersuchen sein. Zunächst gilt es, den Überblick über die Regelungen des Generalreglements von 1750 fortzuführen. Neben den Niederlassungsbeschränkungen und der Eingrenzung der ökonomischen Betätigungsmöglichkeiten 82 beinhaltete das Dokument wie zahlreiche weitere Judenordnungen der Frühen Neuzeit auch auf dem Felde des Immobilienbesitzes einschneidende Restriktionen. Im Krünitz liest man zu diesem Thema: Da die Juden geduldet werden, so müssen sie auch Häuser haben, in welchen sie wohnen können. Es kommt hier aber auf die Frage an: ob den Juden die Acquirirung eigenthümlicher Häuser zu verstatten sey, oder ob man sie anhalten solle, in Christenhäusern zur Miethe zu wohnen? An vielen Orten schreibt man den Juden hierunter nichts vor, sondern sie haben die Freyheit, sich eigene Häuser anzuschaffen, oder bey den Christen sich einzumiethen. An andern Orten hat man diese Freyheit eingeschränkt. 83

Wenngleich auch in der christlichen Mehrheitsgesellschaft der zweiten Jahrhunderthälfte Wohlstand nicht notwendig mit dem Besitz eines eigenen Hauses einherging und beispielsweise ein großer Teil der Berliner hohen Beamtenschaft zur Miete wohnte, 84 so hatte die Regelung von Fragen des Grundeigentums- und Wohnungserwerbs durch Juden doch über die rein private Sphäre hinaus großen Einfluß auf deren Erwerbs- und kulturelle Entfaltungsmöglichkeiten. 85 Den Prozeß jüdischer Verbürgerlichung hemmten Restriktionen in diesem Bereich in weiten Teilen Deutschlands vielfach bis ins 19. Jahrhundert hinein, 86 stellte Grundbesitz doch zweifellos „eine Sprosse auf der Stufenleiter bürgerlicher Werte“ 87 dar. Dies 81

Zimmermann, Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien, S. 51 –52. Genannt seien beispielsweise das Verbot der Ausübung bürgerlicher Handwerke sowie des Hausierhandels. Siehe Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 34 –36. 83 Krünitz, Bd. 31, S. 425 – 426. Wie neuerlich zu Recht beklagt wurde, ist hier zur Klärung der unterschiedlichen Rechtssituationen auf dem Gebiet des Alten Reiches noch viel Arbeit zu leisten. Siehe Liberles, S. 28 – 31. Als beliebiges Beispiel sei etwa die Kurkölnische Judenordnung von 1700 herausgegriffen, in der es heißt: „Es sollen die juden ohne unser specialerlaubnus keine ligende oder unbewegliche güter und was unter deren namen begriffen, erb- und aigentumlich an sich zu bringen bemächtiget seyn.“ Auf diese Verordnung wurde noch in den 70er Jahren ausdrücklich bezug genommen. Siehe Bruns, S. 92, 273 – 274; vgl. ferner Scholl, S. 62 – 68; Behr, Zur zivilrechtlichen Stellung deutscher Juden, S. 6 – 7. Zu Preußen nun auch Kohler, Die religiöse Eigenheit des „jüdischen Hauses“; Dies., Der Weg zum Haus. 84 Schultz, S. 304 – 311. 85 Ellermeyer, Schranken, S. 175. 82

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gilt insbesondere in Preußen, wo noch die Städteordnung von 1808 die Wahrnehmung des Stadtbürgerrechts durch Juden an Immobilienbesitz band. 88 Nachteilig mußte sich eine beschränkte Möglichkeit zum individuellen Hauserwerb (Gemeindeimmobilien waren von der Konzessionspflicht ausgenommen) 89 dabei vor allem auf die Schicht der Kaufleute und Manufakturunternehmer auswirken. So hob, um ein außerpreußisches Beispiel anzuführen, die Judenschaft des Hochstifts Paderborn in einer Eingabe an den Fürstbischof noch 1788 hervor, ein Jude könne „ohne ein Haus niemals seinen Handel füglich treiben, auch manchmahl ohne Garten sich kaum ernähren“. 90 Gerade in Preußen begannen eigene Immobilien in der zweiten Jahrhunderthälfte eine große Rolle als Kreditsicherheit bei der Mobilisierung von Fremdkapital zu spielen. 91 So besaß am Ende des Jahrhunderts nahezu jede christliche Kaufmannsfamilie Berlins mindestens ein Wohnund Geschäftshaus. 92 In Frankfurt an der Oder lag die Quote bei immerhin zwei Dritteln, 93 während sich in Iserlohn im Jahre 1767 60% aller Häuser im Besitz von Kaufleuten befanden. 94 Darüber hinaus wird man dem Immobilienbesitz innerhalb einer diskriminierten und in ihren Rechtstiteln niemals ganz ungefährdeten Minderheit auch auf dem Feld der Mentalitäten eine wichtige Rolle als Hort einer gewissen Geborgenheit zuzumessen haben. 95

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So wurde beispielsweise in Lippe das Recht der Schutzjuden zum Erwerb städtischer Immobilien erst 1843 gesetzlich verankert. Siehe Niedermeier, S. 40. 87 Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 170. 88 Siehe beispielsweise Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft, S. 130 –131. 89 Unter anderem nach einem Reskript vom 8. März 1770. Siehe Terlinden, S. 150; vgl. jedoch Kap. G. VIII. 90 Zitiert nach van Faassen, S. 153. 91 Mauer, S. 67 – 76; Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 328, 383. Daß derartige Zusammenhänge der höheren Beamtenschaft bewußt waren, ist übrigens durchaus zweifelhaft. So äußerte sich Generalfiskal d’Anières im November 1764 in einem Gutachten, das auf die Reduktion der Judenhäuser in Halberstadt abzielte, wie folgt: „... so haben die Halberstädter Juden ein Capital von 66.000 Rtlr. in ihren Häusern stecken, wovon sie den größten Theil in Commercio roullieren laßen könnten“. Zitiert nach Halama, S. 243 –244. 92 Schultz, S. 307. 93 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 467. 94 Reininghaus, Die Stadt Iserlohn und ihre Kaufleute, S. 408. 95 Wohl nicht von ungefähr warnte der Vizekanzler des Hochstifts Paderborn noch im August 1788 mit Blick auf die durch Dohm angestoßene Debatte um bürgerliche Verbesserung der Juden, es sei bedenklich, diesen den Hauserwerb zu gestatten, „weil solches den Wahn hervorbringen dörffte, daß Sie [die Juden] sich durch erbliche Erwerbung unbeweglicher Güter zugleich den erblichen Schutz verschaffet, und also für ihre Söhne und Töchter um einen neuen Schutz sich zu bewerben, nicht bedörfften. Dieser Satz könnte leicht in der Folge zu Rechtsstreitigkeiten Anlaß geben, mithin wird solchen sorgfältig vorzubeugen seyen, damit aus einem allgemeinen Satz keine dem Höchsten Cameral-Interesse nachtheilige Folgen hergeleitet werden.“ Zitiert nach van Faassen, S. 155 (Hervorhebung im Original).

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

Das Generalreglement von 1750 hob nun zwar das 1737 ausgesprochene grundsätzliche Verbot des Immobilienerwerbs durch Juden auf, setzte an dessen Stelle jedoch eine Fülle von Restriktionen. So begrenzte § XXVIII die Zahl Berliner Judenhäuser auf jene 40, die im August 1747 gezählt worden waren und machte jeden jüdischen Immobilienerwerb grundsätzlich von der Einholung einer Konzession abhängig. 96 Dabei wurde mit Blick auf die Provinzstädte als Richtlinie dekretiert, es solle dort jeweils bis auf 5 Familien ein Haus und so weiter nach Anzahl der Familien zu kauffen nachgegeben [werden]; Wo aber in einer Provinzial-Stadt noch kein Jude angesetzet, auch solches ferner nicht, noch weniger ein Haus eigenthümlich zu besitzen, ohne Unsere höchst eigenhändige Verordnung erlaubet werden. Wüste und neue Stellen zu bebauen, wird denen Juden wo sie geduldet werden, nach vorgängiger Untersuchung und darüber erhaltener Verordnung von der Cammer erlaubet. 97

Demnach konnte in einer aus bis zu fünf Familien bestehenden Gemeinde lediglich ein einziger Jude ein Haus erwerben – eine Bestimmung, die durch ein Edikt vom 7. August 1759 erneuert und präzisiert wurde. 98 Dabei bleibt hinzuzufügen, daß aufgrund eines Direktorialreskripts vom 15. September 1773 weder außerordentliche Schutzjuden noch Schutzjudenkinder bei dieser Rechnung mitgezählt wurden. 99 Ausgenommen sollten von diesen Beschränkungen lediglich die Generalprivilegierten sein, die aufgrund ihrer Privilegien zumindest formal zum unbeschränkten Erwerb von Haus- und Immobilienbesitz berechtigt waren, sofern es sich nicht um landwirtschaftliche Güter handelte. Ferner war neben erhöhten Stempelgebühren nach dem Chargenkassenreglement von 1765 für jede Konzession zum Hausbesitz eine Gebühr von 15 Rt. an die Chargenkasse zu entrichten. 100 Am 4. Juli 1763 wurde § XXVIII schließlich eine Deklaration hinzugefügt, mit der Versuche, sich Immobilien unter der Hand anzueignen, mit 50 Dukaten Strafe belegt wurden. Zugleich wurde nochmals eingeschärft, daß in Berlin nicht eher ein Jude ein Haus kaufen dürfe, ehe nicht eines, unter denen allergnädigst verwilligten vierzig Juden-Häusern wircklich leer geworden; und in denen Provincial Städten wird allen und jeden Juden bey funfzig Thaler unerläßlicher Strafe verboten, ein Haus, es sey erb- und eigenthümlich, oder wiederkäuflich, oder auch nur auf solche Art, Pfandweise an sich zu bringen, daß er gegen die Zinsen des darauf gegebenen Anlehnes solches besitze, ehe und bevor 96

Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 49. Ebd., S. 49 – 50. 98 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 659. Danach mußte das jeweilige Anwesen zwangsweise verkauft werden, wenn binnen drei Monaten keine Konzession beigebracht werden konnte. 99 Paalzow, Bd. 2, S. 438 – 439. 100 Vgl. Terlinden, S. 124. 97

II. Entwicklungen in der Judenpolitik

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nicht dazu allergnädigste Erlaubniß erlanget worden. Und damit sowohl die bishero von ein oder andern Juden versuchten Ausschweifungen, die ansehnlichsten Häuser an sich zu bringen, als auch der begangene Unterschleif, daß die Juden ein oder den andern eigennützigen Christen gebrauchen, und demselben die Gelder dazu hergeben, daß er ein Haus auf seinen Namen erkaufen, hernach aber solches dem Juden zum Besitz unter dem Vorwand eines Miethers, einräumen, auch wohl darüber einen Revers geben muß, cassiren mögen; so wird eines Theils denen Juden ein vor allemahl kein anderes Haus, als von mittlerer Art, und worunter weder Frey- noch Brau- noch WirthsHäuser begriffen, auch nur nach vorgängiger deshalb geschehenen Untersuchung und Besichtigung verstattet; andern Theils aber verbleibet es nicht nur nach wie vor, bey der, auf dergleichen heimlichen Handel schon gesetzten Strafe des Verlustes, der von dem Juden hergegebenen Gelder; sondern es wird auch hiermit ausdrücklich verordnet, daß, wenn beym Kauf oder Verkauf der Häuser, sich der geringste Verdacht, von dergleichen jüdischen Absichten verspüren lässet, die Magistraete und Gerichte den Christlichen Käufer, ehe sie das Haus auf dessen Namen in die Gerichts-Bücher eintragen lassen, sowohl mittelst Eydes, daß er das Haus vor sich und vor keinen Juden erkauffet, noch demselben darüber einen Revers gegeben habe, erhärten lassen, als auch demselben ausdrücklich auflegen sollen, das solcherhalb verdächtige Haus an keinen Juden, bey funfzig Thaler Strafe zu vermiethen. 101

Aus diesem Edikt wird hier deshalb so ausführlich zitiert, weil es eben nicht publiziert wurde, um nicht durchgesetzt zu werden, sondern weil es in den folgenden Jahrzehnten zu einem weiteren Mosaikstein in der Lebensrealität jüdischer Untertanen wurde: Noch 1804 griffen die Behörden in Südpreußen darauf zurück. 102 An dieser Stelle mag vorerst ein Hinweis auf das Beispiel des Marcus Jacob aus Bielefeld genügen, um zu verdeutlichen, wie man sich die Wirkung der angeführten Verordnungen im Einzelfall vorstellen muß. So bat Jacob 1772 um die Erlaubnis zum Hauskauf und brachte damit ein Konzessionsverfahren in Gang, in deren Gefolge Departementschef Schulenburg-Kehnert aus Berlin ganz genau wissen wollte, „wo gedachtes Hauß in dasiger Stadt und ob solches an einer HauptStraße belegen sey“. 103 Der für Bielefeld zuständige Steuerrat von Hohenhausen, ein in Fragen der Judenpolitik offenbar überaus progressiver Mann, 104 mußte angesichts der Rechtslage sichtlich lavieren und erklärte, das Haus liege in der Breiten Straße, „welches zwar eine Hauptstraße aber nicht eine Hauptpassage“ 105 sei. Gewiß, Jacob bekam am Ende die erbetene Konzession, 106 was auch damit zusammenhängen mag, daß er als Makler der Königl. Banco und Lombard Direk101

N.C.C., Bd. 3, Sp. 239 – 242; vgl. Halama, S. 242 – 243; Simon, Bd. 2/1, S. 506. Sommerfeldt, Judenfrage, S. 90. 103 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315, Bl. 240. 104 Zu seiner Haltung bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz an Juden vgl. unten, Kap. G.IV. 105 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315, Bl. 249. 106 Datiert auf den 21. Juli 1772. Siehe ebd., Bl. 256. Bemerkenswert ist ferner, daß Jacob offenbar weder 1772 noch in den Jahren nach 1779 für den Erhalt dieser Kon102

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

tion fungierte – zahlreiche andere Juden im ganzen Land erhielten sie hingegen nicht. 107 So schlug sich die restriktive Gesetzgebung, die nach einem Reskript vom 8. September 1756 durch jährlich zu erstellende Häuserlisten zu kontrollieren war, 108 noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts in markanten Unterschieden hinsichtlich des Immobilienbesitzes christlicher und jüdischer „Wirtschaftsbürger“ nieder, wie beispielsweise in Frankfurt, wo im Jahre 1812 der Anteil der jüdischen Hausbesitzer um ein Drittel hinter dem ihrer christlichen Konkurrenten zurückblieb. 109 Überblickt man die hier lediglich für die Bereiche des Geleitrechts und des Immobilienerwerbs vorgestellten Restriktionen, so erscheint die These vollkommen unhaltbar, es habe sich infolge des Generalreglements für die preußischen Juden eine „verbesserte Rechtsstellung“ 110 ergeben. Stattdessen hat man es ohne Zweifel mit einer „zwar wortreichen, aber nicht unbedingt fortschrittlichen und schon gar nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen orientierten Sammlung von Vorschriften zu tun, die zu nichts anderem diente, als den Status quo unter Einsatz aller verfügbaren Mittel des friderizianischen Polizei- und Obrigkeitsstaates für die absehbare Zukunft zu fixieren“. 111 In die absehbare Zukunft des friderizianischen Staates fiel indes ein epochales Ereignis, das auch die Judenpolitik nicht unberührt lassen sollte: der Siebenjährige Krieg.

III. Zum Einfluß des Siebenjährigen Krieges auf die Judenpolitik Jener Krieg, der 1756 mit dem Einmarsch preußischer Truppen in Sachsen begann, sich durch den Kriegseintritt Frankreichs, Rußlands, Englands und Schwezession Porzellan exportieren mußte. Zur Bedeutung des Jahres 1779 als Zäsur bei der Konzessionsvergabe vgl. unten, Abschnitt H. 107 Wer die dickleibigen Aktenbände zur Konzessionierung jüdischen Hausbesitzes durchsieht, mag sich dem Urteil bei Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 660 ohne zu zögern anschließen: „Ein Wust von Vorschriften, Edikten, Einzelverordnungen, erlassen durch eine sich mehr und mehr selbst blockierende Verwaltungsmaschinerie, in deren Räderwerk die Betroffenen sich dennoch ebenso hilflos verfangen konnten wie die oftmals nicht weniger hilflosen Exponenten der Lokal- und Provinzialverwaltung.“ 108 Terlinden, S. 148. 109 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 467. Wenn Meier, Jüdische Gemeinde in Frankfurt, S. 116 hervorhebt, daß innerhalb der jüdischen Gemeinde Frankfurts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Hausbesitz und bescheidener Wohlstand nicht immer identisch waren, so ist in diesem Befund gerade ein Beleg für die Auswirkungen der obrigkeitlichen Beschränkungen des Immobilienbesitzes zu erkennen. „Judenhäuser“ waren eben in aller Regel nicht auf dem freien Markt erwerbbar. 110 Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 19. 111 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 530.

III. Zum Einfluß des Siebenjährigen Krieges auf die Judenpolitik

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dens zu einem auch in Übersee geführten „Weltkrieg“ auswuchs und sich fortan sieben quälend lange Jahre hinzog, bevor er 1763 in einem Zustand allgemeiner Erschöpfung sein Ende fand, markiert in jeder Hinsicht eine Zäsur in der preußischen Geschichte des 18. Jahrhunderts. 112 Dies gilt sowohl für die Biographie Friedrichs, der als „Alter Fritz“ von den Schlachtfeldern nach Berlin zurückkehrte, 113 als auch für den zu großen Teilen verwüsteten, jedoch territorial unangetastet gebliebenen preußischen Staat. Dem großen Krieg folgte das nicht minder große Retablissement, das den König bis zu seinem Tode im Jahre 1786, also während der gesamten zweiten Hälfte seiner Regierungszeit, beschäftigen sollte. 114 Sowohl die Jahre des Kampfes als auch diejenigen des Wiederaufbaus konnten die jüdische Minderheit nicht unberührt lassen, stießen sie doch gerade in ihren Reihen Wandelungsprozesse an bzw. verstärkten diese, denen für die deutschjüdische Geschichte geradezu epochale Bedeutung zukommt. Ebenso wie in der christlichen Mehrheitsgesellschaft produzierte der Krieg auch innerhalb der Judenschaft Gewinner und Verlierer. So wurde die Minderheit einerseits in großem Umfang zu Kontributionsleistungen herangezogen, wie dies vielerorts im Reich geschah. 115 Andererseits bot die Ausnahmesituation des Krieges all jenen, die in der Lage waren, sich darauf einzustellen, die Gelegenheit zu Gewinnen in beträchtlicher Größenordnung. 116 Insbesondere innerhalb der Berliner Gemeinde, die trotz aller Restriktionsversuche zwischen 1743 und 1769 von 1.850 auf 3.842 Mitglieder anwuchs, 117 forcierte der Krieg die Herausbildung einer neuen, wenn auch quantitativ schmalen ökonomischen Elite. 118 Maßgeblich dafür verantwortlich waren die exorbitanten Kosten der Kriegführung, die durch reguläre Einnahmen, britische Subsidien, Kontributionen besetzter Staaten (Sachsen) und die Reserven des Staatsschatzes bereits nach kurzer Zeit nicht mehr zu decken waren. 119 In dieser Situation bediente sich Friedrich des Mittels umfangreicher Münzmanipu112

Verwiesen sei lediglich auf die Überblicksdarstellung von Möller, Fürstenstaat oder Bürgernation, S. 14 – 42. 113 Vgl. Kunisch, Friedrich der Große, S. 443 – 463. 114 Zum Retablissement siehe auch unten, Kap. I.IX. 115 Siehe Meisl, Anteil der Berliner Judenschaft; zu Kontributionsbelastungen der Judenschaften von Ravensberg, Tecklenburg, Lingen, Halberstadt und Halle siehe Stern, Bd. III/1, S. 46 – 47. Auch im Hochstift Paderborn, um ein außerpreußisches Beispiel anzuführen, mußte die Judenschaft, die auf Betreiben der Stände bereits 1759 und 1760 Zwangsanleihen gezeichnet hatte, 1762 noch einmal 6.000 Rt. für die Kriegskasse des alliierten Heeres unter Führung Ferdinands von Braunschweig aufbringen. Siehe Naarmann, S. 25. 116 Dies gilt nicht lediglich für die im folgenden vorgestellten „Münzjuden“, sondern auch für jüdische Materialisten und Tuchhändler, die sich auf den Heeresbedarf verlegten. Siehe am Beispiel Frankfurts Straubel, Frankfurt und Potsdam, S. 75. 117 Schultz, S. 177. 118 Lowenstein, Berlin Jewish Community, S. 25 – 32. 119 Siehe Treue, Die Wirtschaft im Siebenjährigen Kriege; vgl. Kroener.

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

lationen durch Absenkung des Silbergehalts der ausgeprägten Münzen, 120 wobei es für den Monarchen nahelag, sich bei diesem heiklen Geschäft einmal mehr die Judenschaft zunutze zu machen, die bereits im Rahmen der regulären Münzpolitik durch die erzwungene und unter Marktpreisen bezahlte Silberlieferung belastet wurde, was allein 1748 mit 6.000 Rt. zu Buche geschlagen haben soll. 121 Die bald nach Kriegsausbruch einsetzenden Währungsmanipulationen ermöglichten dabei insbesondere Daniel Itzig (1722 –1799) 122 und Veitel Ephraim (1703 – 1775) 123 einen geradezu phänomenalen Aufstieg. Während Itzig erstmals 1752 als Agent von Moses Gompertz bei der die Provinzen Pommern und Preußen versorgenden Stettiner Münze auftaucht, betätigte sich Ephraim bereits seit 1737 gemeinsam mit seinem Vater als Lieferant der Berliner Münze und war Friedrich in dessen Zeit als finanziell knapp gehaltener Kronprinz behilflich. Seit 1744/45 als Hofjuwelier sowie seit 1752 im Seidenwarenhandel en gros wie en détail tätig, stieg Ephraim schließlich 1755 gemeinsam mit seinen Schwägern Abraham und Moses Fränkel vom Silberlieferanten zum Münzpächter auf und lieferte sich mit der Gegenpartei, der unter Führung seines Schwagers Herz Moses Gompertz auch Daniel Itzig und Moses Isaac angehörten, erbitterte Kämpfe um die Verfügung über die preußischen Prägestätten sowie seit 1757 auch der eroberten sächsischen Münzen in Dresden und Leipzig. Nach dem Tod Gompertz’ (1759) gelang es Ephraim schließlich, Itzig und Isaac zu sich herüberzuziehen und mit ihnen ein neues Konsortium unter seiner Leitung zu bilden. Die Gewinnspanne der Münzpächter bestand dabei in der Differenz zwischen dem Preis der eingekauften Metalle und den Gesamtkosten der ausgeprägten Münzen. Weitere Währungsmanipulationen wie die Nachprägung sächsischer, russischer, österreichischer sowie anderer im Reich umlaufender Münzsorten trugen zur preußischen Kriegsfinanzierung ebenso bei wie die durch die Erbeutung sächsischer Prägestempel möglich gewordene Fälschung von Münzen des neutralen Polen, wo das Falschgeld durch jüdische Agenten massenweise Verbreitung fand. Das Nachbarland soll auf diese Weise um etwa 20 –25 Millionen Reichstaler geschädigt worden sein, eine Summe, die die polnischen Staatseinnahmen von 1764 um rund das 25fache überstieg. 124 Selbst im Troß der habsburgischen Armeen, die weiterhin mit soliden Münzen entlohnt wurden, waren jüdische Hausierer im Auftrage Ephraims und Itzigs unterwegs, so daß es gerade die gegnerische 120

Blastenbrei, Der König und das Geld, S. 75. Stern, Bd. III/2, S. 214. 1750 war die Silberlieferung ausgesetzt worden, wurde nach dem Siebenjährigen Krieg jedoch wiederum eingeführt. Vgl. Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 536 – 537. 122 Keuck; Lowenstein, Jewish Upper Crust. 123 Zum Aufstieg und zu den Geschäften der Familie Ephraim siehe Rachel / Wallich, S. 288 – 353; sowie Michaelis, Ephraim Family. 124 Hoensch, Friedrichs II. Währungsmanipulationen; Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 195 – 196. 121

III. Zum Einfluß des Siebenjährigen Krieges auf die Judenpolitik

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Seite war, die zum Auffangbecken der Ephraimiten mutierte. Insgesamt sollen die Münzmanipulationen zu den Gesamtkosten des Siebenjährigen Krieges rund 17% beigetragen haben. 125 Allerdings konnte diese Politik natürlich nicht ohne Wirkung auf den Alltag des gemeinen Mannes bleiben, der sich über die Mitverantwortung des Königs für die immer bedrohlicher werdende Geldentwertung völlig im unklaren befand. So stieg beispielsweise in Berlin zwischen 1758 und 1762 bei gleichbleibenden Löhnen der Preis des Brots um das Fünffache und erreichte damit Höhen, die für viele Familien schlichtweg Hunger bedeuteten und unter anderem zu einem rasanten Anwachsen der Säuglingssterblichkeit führten. 126 Während Ephraim und Itzig, wie bereits erwähnt, für ihre lukrativen Dienste vom König am 9. März 1761 mit einem Generalprivileg ausgezeichnet wurden, 127 kam es deshalb während des Krieges zu antijüdischen Tumulten, 128 die verdeutlichen, wie stark bereits latent vorhandene Stimmungen im Volk durch die auf königlichen Befehl durchgeführten Währungsmanipulationen angefacht wurden. So berichtete ein Zeitgenosse über die Feier, die 1763 aus Anlaß des Hubertusburger Friedens in Berlin abgehalten wurde: Bei der großen Illumination, die den gehofften, aber nicht erfolgten Einzug Friedrichs nach seiner Wiederkehr aus dem Siebenjährigen Krieg verherrlichen sollte, fand ein Spaßvogel in Berlin großen Beifall, weil er vor seinem Haus ein illuminiertes Schwein aushing, das Friedrichsd’or [Goldstücke] fraß und [...] Groschen von sich gab. Unter diesem Schwein brannten die Worte: Pour Ephraim. 129

Treffender war allerdings eine in Holland geprägte satirische Schaumünze, die eine Audienz Ephraims beim König abbildete, welcher ihm die Wangen streichelte und ausrief: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ 130 Rachel und Wallich schätzten den Gewinn von Ephraim, Itzig, Gompertz und Isaac auf jeweils etwa eine Million Reichstaler 131 – Summen, die sich besonders augenfällig in dem seit den frühen 60er Jahren erworbenen Grund- und Hausbesitz von Itzig und Ephraim manifestierten, die zudem über bewunderte Kunstsammlungen, Gemäldegalerien und Bibliotheken verfügten. 132 Auf die kulturellen 125

Koser, Die preußischen Finanzen, S. 217; vgl. Schroetter, Geld. Siehe Schultz, S. 169 – 177. 127 Auszugsweise abgedruckt bei Schnee, Bd. 5, S. 25; zur hier nicht näher zu thematisierenden Problematik von Schnees antisemitisch grundierten Hofjudenforschungen siehe Laux, „Ich bin der Historiker der Hoffaktoren“. 128 So wurde beispielsweise 1761 in Ostfriesland das Haus von Arend Heymann verwüstet, der als Münzagent Ephraims fungierte. Siehe Stern, Bd. III/1, S. 245. 129 Zitiert nach Bruer, Aufstieg und Untergang, S. 77 – 78; vgl. Stern, Bd. III/1, S. 245 – 246. 130 Zitiert nach Schmidt, Geschichte des Handels, S. 196. 131 Rachel / Wallich, S. 319. 132 Ebd., S. 356 – 358; Bruer, Aufstieg und Untergang, S. 80. 126

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

Wirkungen, die dieser Reichtum durch das von Männern wie Itzig und Ephraim ausgeübte Mäzenatentum auf die Herausbildung der jüdischen Aufklärung (Haskala) in den Jahren nach dem Krieg entfaltete, wurde bereits hingewiesen. 133 Doch im Kontext der vorliegenden Arbeit ist es vor allem von Interesse, daß dieser Reichtum beim König verstärkte Begehrlichkeiten weckte, das Kapital der Münzjuden für die Ziele seiner Gewerbepolitik im Rahmen des Retablissements in Dienst zu nehmen. Denn offenbar hatten die Dienste von Itzig und Ephraim den König davon überzeugt, daß Juden nicht nur als Kleinhändler von Nutzen wären. Bezeichnenderweise findet sich die 1752 formulierte Forderung, Juden von größeren Unternehmungen abzuhalten, im Testament von 1768 nicht mehr. Stattdessen befürchtete der Monarch einen Abfluß der im Krieg verdienten Vermögen ins Ausland, weshalb Etatsminister Ernst Wilhelm von Schlabrendorff (1719 – 1769) im Januar 1764 den Befehl erhielt, sich die Münz Entreprenneurs vorzunehmen und selbigen bekandt zu machen, daß, weil sie während dem Kriege bei Denen Münzen vieles verdienet, Se. Königl. Majestätt verlangten, daß sie auch anitzo das verdiente zum Besten des Landes wieder anwenden und nützliche Fabriquen, besonders von seidenen Waaren 134

anlegten. Um sich die Gunst des Königs zu erhalten, hatten jedoch sowohl Ephraim, der seit 1745 in Potsdam eine Klöppelei für Brüsseler Kanten betrieb, 135 als auch Itzig bereits in der Schlußphase des Krieges selbständig begonnen, nach Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital Ausschau zu halten und dabei ihr großgewerbliches Engagement zu forcieren. So übernahm Ephraim am 18. April 1763 die dem Potsdamer Militärwaisenhaus gehörende Berliner Gold- und Silbermanufaktur in der Wilhelmstraße, 136 die in Preußen über das auch von Ephraim eifrig gehütete Monopol zur Herstellung von metallenen Tressen und Litzen verfügte, in Erbpacht und führte diesen bislang stagnierenden Betrieb in kurzer Zeit zu hoher Blüte. 137 Itzig, der auch weiterhin stärker als Ephraim im Münzgeschäft, etwa bei der Nachprägung russischer und polnischer Sorten, engagiert blieb, erwarb im 133

Siehe oben, Kap. A.I. Siehe Schlabrendorffs Bericht vom 19. Januar 1764 in GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 19; GStA PK, II. HA, Pommern, Judensachen, Nr. 7, Bl. 7 (Abschrift); vgl. Stern, Bd. III/2, S. 387 –388. 135 1774 trat der Sohn Benjamin Veitel Ephraim in den Pachtvertrag mit dem Waisenhaus ein, der schließlich 1795 endgültig auslief. Siehe Rachel / Wallich, S. 325 –326. 136 Martin, S. 138 – 142. 137 Der Übernahme lag ein Angebot Ephraims vom 12. Dezember 1762 zugrunde. Siehe Rachel / Wallich, S. 314. Unter Ephraim soll die Manufaktur allein zwischen 1770 und 1782 über das Handlungshaus Joachim Moses Friedländer in Königsberg Waren im Wert von 335.000 Rt. nach Polen und Rußland abgesetzt haben. Siehe Friedländer, Handlungshaus, S. 35. Die Manufaktur wurde auch nach 1775 von Ephraims Erben weiterbetrieben und ging erst in den 1830er Jahren ein. Siehe Rachel / Wallich, S. 325. 134

III. Zum Einfluß des Siebenjährigen Krieges auf die Judenpolitik

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Dezember 1763 das Eisenwerk in Sorge nahe der Braunschweigischen Grenze im Harz für ca. 60.000 Rt. und investierte in den kommenden beiden Jahren weitere 100.000 Rt. in den Betrieb, bevor dieser schließlich 1770 an die staatliche Bergwerksadministration verpachtet wurde. 138 Zudem bauten Ephraim & Söhne 1764 vor dem Halleschen Tor eine holländische Mehl- und Grützmühle und boten dem König Anfang 1765 die Anlage einer Bleiweißmanufaktur an. 139 Ferner bewarben sie sich im selben Jahr scheinbar um die Pacht des Berliner Lagerhauses, das jedoch unter dubiosen Umständen an den Aachener Tuchfabrikanten Heinrich Schmitz vergeben wurde. 140 Daneben stieg Ephraim nach dem Krieg auch in den Überseehandel ein und kaufte dazu einige Schiffe, die von Stettin aus Frankreich und die Levante ansteuerten, beladen mit den Produkten seiner Goldund Silbermanufaktur, aber auch mit Seide sowie Porzellan aus Friedrichs neuem Lieblingsunternehmen, der KPM. 141 Doch waren diese Unternehmungen von Friedrichs Münzjuden lediglich Teil einer umfassenderen Gründungswelle jüdischer Betriebe in den Nachkriegsjahren. Von insgesamt 46 nachweisbaren jüdischen Manufakturen, die unter Friedrich dem Großen gegründet wurden, entstanden 27 nach 1763. So waren von den 17 im Jahre 1769 in der Hauptstadt befindlichen jüdischen Manufakturen sechs erst nach dem Siebenjährigen Krieg übernommen bzw. gegründet worden. 142 Rund die Hälfte der in jenen Jahren eingerichteten Betriebe, die mehrheitlich die Textilbranche abdeckten, wurde noch dazu außerhalb der Gewerbezentren von Berlin und Potsdam etabliert. Die Lebensdauer all dieser vielfach nur auf obrigkeitlichen Druck hin gegründeten und mit wenig Engagement betriebenen Unternehmungen differierte allerdings stark, und scheinbar überlebten nur vier bis sechs Betriebe bis ins 19. Jahrhundert – Zahlen, die keinen Anlaß dazu bieten sollten, die „volkswirtschaftliche“ Bedeutung dieser Gründungen zu überschätzen. 143 Den138 Rachel / Wallich, S. 359 – 360. 1781 kaufte das Bergamt das Unternehmen schließlich von Itzig für 285.000 Rt. Diese wurden allerdings in zinsfreien Raten bis 1846 (!) gezahlt und bildeten in den kommenden Jahrzehnten eine wichtige finanzielle Rücklage der Familie Itzig. Der Staat hielt sich auch an die Vereinbarung, nachdem das Werk 1835 wiederum in Privatbesitz übergegangen war. Unter die weiteren großgewerblichen Tätigkeitbereiche Daniel Itzigs fällt u. a. die 1772 übernommene und bis 1828 durch seine Familie betriebene Manufaktur für englisches Leder in der Nähe von Potsdam sowie sein Engagement bei der Wriezener Schnallenmanufaktur seit 1777; vgl. Kap. H.III. 139 Siehe Rachel / Wallich, S. 329. 140 Ebd., S. 328. Der Vorwurf, von Schmitz Geschenke erhalten zu haben, spielte denn auch bei den Untersuchungen nach der Absetzung des zuständigen Finanzrates Ursinus eine Rolle. Siehe Reissig, S. 82; Straubel, Der Fall Ursinus, S. 42. 141 Rachel / Wallich, S. 330. 142 Scheiger, S. 211. 143 Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 201 –202. Der Autor bemerkt angesichts dieser Zahlen, es könne „nicht festgestellt werden, daß die allgemeine Entwicklung der Industrie in Preußen weitgehend von den Gründungen der ‚Adelsbürger‘ [gemeint sind generalprivilegierte Juden] Friedrichs II. beeinflußt wurde“.

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C. Zur Judenpolitik Friedrichs des Großen von 1740 bis 1763

noch bildete diese Gründungswelle den Hintergrund für die Einführung der ersten jener drei Sonderabgaben, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen. Denn Schlabrendorffs zitierter Bericht findet sich in einer Akte, in der er, wie man zunächst denken könnte, gar nichts zu suchen hat. Darin geht es weder um Münzjuden noch um Generalprivilegierte, sondern um etwas, das den Juden seit 1747 verboten war: die Ansetzung zweiter Kinder.

D. Die zweiten Kinder und ihr jährlicher Manufakturwarenexport von 1763 bis um 1800 I. Die Verhandlungen um eine Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 – 1765 Während der obrigkeitliche Druck, durch den die Judenschaft für die ehrgeizigen Ziele des Fabrikensystems eingespannt werden sollte, nach 1763 also einem neuen Höhepunkt entgegenstrebte, lebten die zweitgeborenen jüdischen Kinder weiterhin in einer „perspektivischen Chancenlosigkeit“. 1 Daß die reguläre Konzessionsvergabe auf diesem Gebiet vor dem Hintergrund der seit Herbst 1747 ergangenen königlichen Befehle 2 nahezu vollständig zum Erliegen gekommen war, läßt sich in der archivalischen Überlieferung ohne weiteres nachweisen. Anstelle einer lückenlosen statistischen Auswertung der vorhandenen Judentabellen, die an dieser Stelle nicht geleistet werden kann, sei lediglich auf einige, die Tendenz verdeutlichende Beobachtungen hingewiesen: In der Kurmark dürfte neben dem oben bereits erwähnten Isaac Abraham aus Fürstenwalde (angesetzt im Oktober 1747) sowie dem im gleichen Monat in Frankfurt an der Oder etablierten Philipp Levin Praeger 3 Joseph Samuel aus Prenzlau am 7. November einen der letzten diesbezüglichen Schutzbriefe erhalten haben. 4 Ebenfalls im November wurden entsprechende Suppliken Frankfurter Juden vom Generaldirektorium bereits ebenso kategorisch abgelehnt 5 wie 1749 das Gesuch Pesach Koppels aus Neuwedell zur Niederlassung in Fürstenwalde. 6 1

So die treffende Formulierung bei Laux, Anonymität, S. 101. Vgl. oben, Kap. C.II. 3 Die Konzession zur Ansetzung auf den Schutzbrief seines verstorbenen Vaters Levin Jacob Praeger datiert vom 22. Oktober 1747. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 208, f. 2, Fasz. 23. 4 Konzession in GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 211, p 2, Fasz. 7. 5 Nämlich diejenigen von Joseph Isaac für seinen Sohn Daniel Joseph sowie von Hanna Israels für ihre Tochter Esther und ihren Verlobten Moses Naphtali Hirsch. Siehe die Reskripte vom 15. und 22. Dezember 1747 in GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 208, f. 2, Fasz. 23. 6 GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 208 f. 1, Fasz. 12. 2

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Daß sich David Levin Loeser 1750 in Frankfurt als zweites Kind zu etablieren vermochte, war lediglich dem Interesse geschuldet, das die Behörden am Fortbestand einer von seinem Vater (Levin Loeser Koynes) etablierten Textilmanufaktur an den Tag legten. 7 In der Neumark ließ sich zwischen 1747 und 1756 bislang lediglich die Niederlassung eines zweiten Kindes nachweisen, 8 und auch in der Grafschaft Mark datiert das vorerst letzte Etablissement vom 29. Juni 1747. 9 Daß sich 1753 in Königsberg / Pr. ein zweites Kind etabliert hätte, beruht zudem auf einem fehlerhaften archivischen Intusvermerk. 10 Somit trug die Situation der zweiten Kinder ohne Zweifel erheblich zu jenen sozialen Verwerfungen innerhalb der Judenschaft bei, die u. a. bei einer Untersuchung des Heiratsverhaltens innerhalb der Berliner Gemeinde in jener Epoche deutlich werden. So war es ein weit verbreitetes Phänomen, daß die durch ihren Vater oder verstorbenen Mann über ein Schutzrecht verfügende Braut 10 bis 20 Jahre älter war als ihr Bräutigam. 11 Die Gruppe der halbwegs gleichaltrigen Eheleute erreichte bei den 26 bis 30jährigen einen Spitzenwert von lediglich 35,9 %. Hier liegt in der Tat die Vermutung einer „geschlechtsspezifischen Diskriminierung“ 12 nahe, da offenbar zahlreiche Frauen warten mußten, bis sich ihre Brüder etabliert und eigene Schutzrechte erworben hatten. Derartige Befunde erscheinen lediglich als Symptom einer durch die Judengesetzgebung forcierten umfassenden sozialen Deklassierung der nachgeborenen Kinder, vor deren Hintergrund eine erneute Er7

BLHA, Rep. 2, Nr. S.4368; JMFM, PSR B079, S. 16; vgl. Kap. G. VIII.4. Dort erhielt Pechuor (?) Joseph am 30. April 1749 einen Schutzbrief zum Etablissement in Arnswalde. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12, Bl. 317 – 318. Abgelehnt wurde hingegen beispielsweise am 28. September 1748 die Supplik Jochen Salomons um Niederlassung in Königsberg / Neumark. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 210 k, Fasz. 6. 9 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 133; GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 7, Bd. 1, Bl. 123 – 124; vgl. Schenk, Judenpolitik in Westfalen, S. 33. 10 Bei Jersch-Wenzel / Rürup, Bd. 2, S. 446 (Nr. 3742) ist davon die Rede, die Tochter des Königsberger Schutzjuden Jacob Szajowitz namens Bräunche habe sich als zweites Kind etabliert. Stattdessen ist in der Konzession vom 16. Juni 1753 explizit von einer Niederlassung als erstes Kind die Rede. Siehe GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4513, Bl. 56. 11 Scheiger, S. 198 – 199. Ein Großteil der Männer stammte dabei aus regionalen Zentren der mittleren Provinzen wie Potsdam und Frankfurt / Oder. Die Autorin bilanziert: „Da der Sterbeort der Männer in 92,8 Prozent der Fälle Berlin war und nur 1,4 Prozent in die hauptsächlichen Herkunftsregionen zurückwanderten, kann aus der Kombination aller genannten Faktoren eindeutig geschlossen werden, daß eine in Berlin vollzogene Eheschließung mit einem in irgendeiner Form tolerierten Partner in annähernd allen Fällen die endgültige Niederlassung in der Stadt bedeutete. Dies galt unterschiedslos für alle jüdischen Ehemänner, unabhängig von ihrer sozialen und ökonomischen Stellung und kann als Beleg für die Entfaltungsmöglichkeiten gelten, die Berlin im Vergleich mit anderen preußischen Städten denjenigen bot, die den rigiden Gesetzen in irgendeiner Weise hatten entsprechen können.“ 12 Ebd., S. 199. 8

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 105

werbung des Rechts zu ihrer Ansetzung ein vordringliches Anliegen der Vertreter der Judenschaft gegenüber dem Staat sein mußte. Doch bevor mit der Schilderung der darüber geführten Verhandlungen begonnen werden kann, ist zunächst ein kursorischer Blick auf die Entwicklung der jüdischen Selbstverwaltung in der Hohenzollernmonarchie vonnöten. 13 Wie bereits angedeutet wurde, war es auch bei der jüdischen Minderheit Preußens mit der Herausbildung der Landjudenschaften zu einer zeittypischen institutionellen Verfestigung gekommen, die Fritz Baer mit Blick auf das Herzogtum Kleve in folgenden allgemeingültigen Wendungen definiert: Demnach handelt es sich bei der Landjudenschaft um „eine aus dem freien Willen der Mitglieder entstandene, vom Staat anerkannte, geschlossene und einheitliche Gemeinde, welche durch die Fiktion eines Kontraktes mit dem Staate ihren Mitgliedern das Aufenthaltsrecht im Lande erwirbt und darüber zugunsten fremder jüdischer Bewerber verfügt. Sie besitzt wie jede andere jüdische Gemeinde der Zeit die Autonomie der Gerichtsbarkeit und der Verwaltung, die zwar im Laufe des 18. Jahrhunderts durch den Staat eingeschränkt, aber erst durch die bürgerliche Gleichstellung der Juden wirklich aufgehoben wird.“ 14 Im Gegensatz zu den weitaus größeren jüdischen Korporationen Osteuropas wie etwa der polnischen „Vierländersynode“ stellten die deutschen Landjudenschaften eine Vereinigung von Individuen dar, die sowohl die Regelung innerjüdischer Belange als auch die Kommunikation mit der christlichen Obrigkeit übernahmen. 15 Letztere übertrug den Landjudenschaften insbesondere die Umlage („Repartition“) und Aufbringung der Schutzgelder, was auf regelmäßig einzuberufenden jüdischen „Landtagen“ geschah, zu der sich die Hausväter jedes Territoriums versammelten: „... all dies bedeutete die Zentralisierung der legislativen, gerichtlichen und administrativen Befugnisse der Landjudenschaften und kann gleichsam als die Antwort der jüdischen Gemeinschaft auf die Aufgaben, mit denen sie in dieser Epoche konfrontiert wurde, gewertet werden“. 16 Das Personal, dessen sich die Landjudenschaft dabei bediente, bestand aus Vorstehern, Steuereinschätzern, Kollektoren, besoldeten Landschreibern und Landboten sowie den Landrabbinern als den religiösen Häuptern der Gemeinschaft. In Brandenburg-Preußen stößt man indes nicht auf eine Landjudenschaft, sondern auf eine Mehrzahl einzelner Korporationen in den verschiedenen Landesteilen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten unter das Szepter der Hohenzollern 13 Zu Fragen jüdischer Autonomie in der Frühen Neuzeit vgl. nun grundlegend Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit. 14 Baer, Protokollbuch, S. 81. Zu den preußischen Landjudenschaften Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten. Zu den landjudenschaftlichen Rabbinaten des 17. und 18. Jahrhunderts Wilke, Handbuch der Rabbiner, Bd. 1, S. 50 –69. 15 Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 211. 16 Ebd., S. 212.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

gelangt waren und deren Judenschaften auch weiterhin ein organisatorisches Eigenleben führten. Während in der Kurmark durch die Vertreibung des Jahres 1571 jegliche organisatorische Kontinuität unterbrochen worden war, erwarb die Monarchie unter dem Großen Kurfürsten im Westen Territorien, in denen sich wie im Herzogtum Kleve, der Grafschaft Mark, Ravensberg, Lingen und Tecklenburg alte jüdische Gemeinschaften erhalten hatten. 17 Demgegenüber bildete sich in Pommern erst 1706 eine Landjudenschaft, 18 in der Alt-, Mittel- und Uckermark geschah dies wenig später unter Friedrich Wilhelm I. 19 Während dessen zogen diese Korporationen seit der Zeit des Großen Kurfürsten die Schutzgelder noch jeweils getrennt ein und lieferten sie auch separat in Berlin ab. 20 Angesichts der steigenden Abgaben führte diese organisatorische Zersplitterung jedoch bald zu Problemen, so daß bereits im Jahre 1700 innerhalb der Bürokratie die Notwendigkeit erkannt wurde, „daß ein Oberältester bestellet würde, der mit den Ältesten in fremden Örtern correspondiren und vor alles, insonderheit, was wegen der Privilegien und der Concession zur Erkaufung der Häuser gedacht, stehen und anschaffen müßte“. 21 Allerdings wurde ungeachtet erster Versuche, die Tätigkeit der Landjudenschaften besser miteinander zu koordinieren, das Amt eines solchen Oberältesten vorerst nicht eingerichtet, so daß die Schutzgelder weiterhin durch den Staat auf die einzelnen Territorien repartiert werden mußten. 22 Auch der 1717 vom König zum Oberältesten der Berliner Judenschaft berufene Moses Gumperts hatte deshalb keine Aufsichtsbefugnisse über die Provinzjudenschaften. 23 Eine Änderung bahnte sich erst 1728 mit der Reform des jüdischen Steuerwesens an, in deren Gefolge nicht nur eine solidarische Haftbarkeit jeder Landjudenschaft für den von ihr zu leistenden Anteil an den Schutzgeldern verordnet, sondern auch eine von einem Mandatarius der Judenschaft verwaltete Kasse in Berlin eingerichtet wurde, aus der die Gelder wiederum an den Generalfiskal flossen. 24 Um die nunmehr von der gesamten preußischen Judenschaft zu leistenden Zahlungen intern zu repartieren, kam es in den folgenden Jahrzehnten bis in das Zeitalter der Emanzipation hinein zu periodischen Generalversammlungen von Deputierten der einzelnen Landjudenschaften, die in Berlin, Brandenburg an der Havel 17 Zur Klevischen Landjudenschaft weiterhin Baer, Protokollbuch; zur Landjudenschaft des Fürstentums Minden Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 680 –692; zu den Landjudenschaften im preußischen Westfalen ferner Zittartz, Von der Frühen Neuzeit bis zur Judenemanzipation, S. 105 – 110. 18 Stern, Bd. I/1, S. 105. 19 Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 213. 20 Ebd., S. 213. 21 Zitiert nach Stern, Bd. I/2, S. 221. 22 Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 214 –215. 23 Vgl. Kaufmann / Freudenthal, S. 114. 24 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 460 –462; Stern, Bd. II/2, S. 264; Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 216 –218.

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 107

oder Spandau abgehalten wurden. 25 Auf Basis des auf diesen Zusammenkünften beschlossenen Verteilschlüssels fertigten die in ihre Heimat zurückgekehrten Deputierten schließlich die sogenannten Subrepartitionen an, mit denen die von der jeweiligen Landjudenschaft aufzubringende Summe auf die Hausväter der Provinz umgelegt wurde. Dabei kam es in den kommenden Jahrzehnten wiederholt zu schwerwiegenden Konflikten zwischen den Vertretern der Landjudenschaften und denen der Hauptstadt, die Daniel J. Cohen zu folgendem Fazit bewogen: „Das sich abzeichnende Bild ist nicht gerade erhebend: Die Berliner erscheinen als herrschsüchtige Typen, die ihre Beziehungen zur hohen Beamtenschaft vor allem zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, ohne Rücksicht auf die Interessen der Juden in den Provinzen – wenn nicht sogar zu deren Nachteil; sie verschmähen keine Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke, Angabe falscher Tatsachen nicht ausgenommen; Briefe werden nicht beantwortet – und nach all dem wollen sie, daß die Provinzjuden sie bevollmächtigen, in ihrem Namen zu handeln. Diese hingegen sind gerade daran interessiert, ihre eigenen Vertreter in Berlin anwesend zu haben, trotz der damit verbundenen hohen Spesen.“ 26 Dessen ungeachtet gewannen die Ältesten der Hauptstadt gerade nach dem Siebenjährigen Krieg als „Organe der Regierung bey der Judenschaft und die Sprecher dieser letzten bey dem Staat“ 27 zunehmend an Gewicht, wie sich spätestens 1775 zeigte, als auf Antrag der Berliner Gemeinde Daniel Itzig und Jacob Moses 28 durch Friedrich den Großen erstmals zu „Oberlandesältesten sämtlicher Judenschaften“ ernannt wurden. 29 Bis dahin war zumindest formal die Stellung der Berliner Ältesten durch das Generalreglement sowie sich daran anschließende Edikte vorgegeben, wonach sie „sich nichts Vorzügliches vor den anderen Ältesten anzumaßen“ 30 hätten. Wenige Jahre später erfuhr die Stellung der Oberlandesältesten jedoch eine nochmalige Verstärkung, indem eine eigenmächtige Supplikationstätigkeit anderer jüdischer Ältester untersagt wurde. 31 Als sich die preußische Judenschaft in der Schlußphase des Siebenjährigen Krieges dazu entschloß, beim König um eine neuerliche Verleihung des Rechts 25

Ebd., S. 218; vgl. Pohl, Juden in Spandau, S. 114; Stern, Bd. III/1, S. 291. Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 219. 27 Donnersmarck, S. 34; vgl. Ribbe, Status der Juden, S. 9: „Die Ältesten repräsentierten die Gemeinde nach außen, wurden aber bald in die Rolle von staatlich kontrollierten Aufsehern ihrer Glaubensbrüder gedrängt.“ Die hiermit angedeutete Verschränkung obrigkeitlicher und jüdischer Rechtssphären ist freilich kein spezifisch preußisches Phänomen, vgl. Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit, S. 40. 28 Stern, Jacob Moses. 29 Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 281 – 284. 30 Zitiert nach ebd., S. 280. 31 Konträr zu dieser Entwicklung auf der Ebene der Vorsteher ist zu beobachten, daß die Schaffung einer rabbinischen Autorität für die Gesamtmonarchie unterblieb. Siehe Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 220. 26

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

zur Ansetzung zweiter Kinder nachzusuchen, fiel dieser Vorstoß somit in eine Zeit, die intern von ebenso zahlreichen wie handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Provinzjudenschaften und der Berliner Gemeinde geprägt war. Der Vorbereitung der Bittschrift diente dabei eine 1762 in Spandau abgehaltene Generalversammlung, an der neben Deputierten der Berliner Gemeinde eine unbekannte Anzahl von Vertretern der Provinzjudenschaften teilnahm. 32 Dabei einigte man sich darauf, sich mit aller Entschlossenheit um das Niederlassungsrecht der zweiten Kinder zu bemühen, „es möchte auch kosten, was es wollte“. 33 Derweil bahnte sich im Rahmen des von Franz Balthasar Schönberg von Brenckenhoff (1723 – 1780) geleiteten neumärkischen Retablissements die schließlich am 30. Januar 1763 erfolgte Ansetzung des zweiten Kindes Meyer Abraham in Bärwalde an. Diese Niederlassung stand offenbar in engem Zusammenhang mit der Herbeiziehung von Tuchmachern und Handwerkern in die verwüsteten neumärkischen Städte, hatte sich Abraham doch zu verpflichten, den Tuchhandel seines verstorbenen Vaters fortzuführen. 34 Angesichts der besonderen Stellung des erst im April 1762 in preußische Dienste getretenen Brenckenhoff, der als Geheimer Finanzrat zwar über Sitz und Stimme im Generaldirektorium verfügte, in Fragen des Retablissements jedoch unmittelbar dem König unterstand und über erhebliche Handlungsspielräume verfügte, bleibt unklar, inwieweit König und Generaldirektorium bei dieser Konzessionsbergabe involviert waren. 35 Doch immerhin mag dieser Einzelfall, dem im März 1763 ein weiteres Etablissement in Halberstadt folgte, 36 die Vertreter der Judenschaft in ihrem Vorhaben bestärkt haben, sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1763 in einer offenbar nicht überlieferten Supplik an den König zu wenden und eine grundsätzliche Neuregelung zu erwirken. Der König beschied diesen Vorstoß der Ältesten am 1. November 1763 positiv. Bevor jedoch auf den Inhalt seiner Antwort eingegangen wird, stellt sich 32

Definitiv nicht vertreten war die schlesische Landjudenschaft, über die recht wenig bekannt ist, die aber ohnehin ein relatives Eigenleben führte. Darüber hinaus läßt sich über die Spandauer Versammlung wenig sagen, da es darüber bald zwischen den Berliner Ältesten und denen der Provinz zu schweren Auseinandersetzungen kommen sollte, die im folgenden zu schildern sind. Dabei vertraten nur die Verhandlungsführer der Berliner Gemeinde die Ansicht, daß alle Landjudenschaften in Spandau vertreten gewesen seien und ihnen, den Berlinern, ein nahezu unbeschränktes Verhandlungsmandat eingeräumt hätten. 33 Zitiert nach Stern, Bd. III/1, S. 52. Die Autorin beruft sich damit freilich auf eine nachträgliche Stellungnahme der Berliner Ältesten vom 4. Oktober 1764, die sich gegen anderslautende Bittschriften der Kurmärkischen Landjudenschaft wandte. Siehe GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 49 – 51. 34 Daneben hatte er 500 Rt. an die Chargenkasse zu entrichten. Siehe BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 88. 35 Ohnehin hat die Rolle der neumärkischen Judenschaft im Retablissement als ein großes Desiderat zu gelten. Zur Sonderstellung Brenckenhoffs innerhalb der Behördenorganisation siehe Knobelsdorff-Brenkenhoff, S. 13 – 29. 36 Etablissement Nathan Michels am 22. März, siehe dazu LHASA, MD, Rep. A 17 III, Nr. 147, Bl. 17/18; vgl. Halama, S. 219.

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 109

die Frage, warum er dies tat – warum die Entscheidungen von 1747 und 1750 aufgehoben wurden. Daß der Vorstoß der Judenschaft überhaupt Aussicht auf Erfolg hatte, hing aufs engste mit der damaligen Situation in Preußen zusammen. Denn dem lang ersehnten Hubertusburger Frieden folgte völlig unerwartet eine „Zeit totaler Unsicherheit“. 37 Im Zuge der 1763 vom Bankenplatz Amsterdam ausgehenden Finanzkrise, die ihrerseits mit der während des Krieges betriebenen Inflationspolitik zusammenhing, kam es in Preußen zu zahlreichen Firmenbankrotten, deren prominentestes Opfer schließlich der Berliner Großkaufmann Johann Ernst Gotzkowsky (1710 – 1775) wurde. 38 Die Tagebücher des Ernst Ahasverus von Lehndorff, eines Kammerherrn der Königin, verdeutlichen das Ausmaß an Verunsicherung, das in den folgenden Monaten selbst in den Spitzen der Gesellschaft um sich griff. So notierte der Graf im Juli 1763: Mehrere unserer Kaufleute sind in den Bankerott verwickelt, den ein Jude und das Haus Neufville in Holland gemacht haben. Gotzkowski und Oemcken von hier werden diesem Bankerott sicherlich erliegen, und viele Privatleute, die ihr ganzes Geld Gotzkowski gegeben haben, große Verluste erleiden. Das Defizit soll über 10 Millionen betragen und den Handel mehrerer Großstädte zu Grunde richten. 39

Und wenig später heißt es: „Die Bankerotte bilden immer noch das Tagesgespräch. Sie nehmen mit jedem Tag größeren Umfang an, und die Verluste ziehen auch das Vermögen der Privatleute in Mitleidenschaft.“ Die Kapitalverluste bedingten ihrerseits ein Schrumpfen des Binnenmarkts, während sich gleichzeitig die zollpolitischen Auseinandersetzungen mit den habsburgischen Landen und Sachsen verschärften. 40 Zahlreiche Betriebe des Seidenund Wollgewerbes sahen sich vor diesem Hintergrund zu drastischen Produktionseinschränkungen gezwungen. Allein in Potsdam waren noch 1766 von diesen Krisenerscheinungen 14 von 23 Unternehmen betroffen. 41 In Berlin ging die Zahl der im Wollgewerbe laufenden Stühle von 3.082 (1761) auf 2.649 (1765) zurück. 42 Nicht nur geriet Friedrichs Fabrikensystem vor diesem Hintergrund in Gefahr. Noch dazu befand sich der König über die zugrundeliegenden wirtschaftlichen Ursachen vollkommen im Unklaren und mußte noch im September 1766 in einem Kabinettsdekretschreiben an das Generaldirektorium bekennen, nicht in 37

Mittenzwei, Preußen, S. 10. Zu Gotzkowsky siehe Baer, Von Gotzkowsky zur KPM, S. 13 –44; zur Nachkriegskrise allgemein Skalweit, Berliner Wirtschaftskrise; Beutin; Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte, S. 101 – 106. 39 Dieses und das folgende Zitat nach Schmitz-Lötzen, S. 375. 40 Mittenzwei, Preußen, S. 29 – 31; A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 346 –360; Fechner, Die handelspolitischen Beziehungen. 41 Mittenzwei, Preußen, S. 12. 42 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 369. 38

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der Lage zu sein, „denen noch immer fortdauernden Klagen derer Fabricanten und Kaufleute über den Mangel sowohl von Arbeit als Absatz ihrer Waren“ abzuhelfen – aus Mangel „der eigentlichen Kenntniß, woher sich dieser Verfall derer Fabriquen und der Handlung derivire“. 43 Noch im Februar 1768 wurde Minister von der Horst als Chef des Fabrikendepartements angewiesen, angesichts der weiterhin schwierigen Wirtschaftslage im Zweifelsfall Gnade vor Recht ergehen zu lassen: Das V. Dept. muß dahin instruirt werden, daß bei jetzigem fast überall mangelnden Geld und daher lahm liegenden Commercio und fehlenden Absatz der Waren die Fabrikanten nicht so sehr angestrengt und, ohne sie über den Haufen zu werfen, unmöglich zur pünktlichen Erfüllung ihrer Engagements angehalten werden können, sondern man sich schon begnügen muß, wenn sie ihre Fabriken dem Landes-Consumo gemäß zu souteniren, auswärtigen Debit zu gewinnen und die Fabriken selbigem gemäß zu poussiren sich angelegen sein lassen. 44

Lahmliegender Kommerz und Mangel an Geld waren demnach ein Kennzeichen der 60er Jahre – und dabei benötigte der Staat doch mehr Geld als jemals zuvor, um nicht nur die Herausforderungen des Wiederaufbaus schultern zu können, sondern zeitgleich eine Thesaurierungspolitik voranzutreiben, die dazu dienen sollte, den militärisch behaupteten Platz im Konzert der Mächte auch finanziell abzusichern. Die Vehemenz mancher Maßnahme wird verständlich, wenn man dabei folgende Zahlen berücksichtigt: Die Gesamtkosten des Siebenjährigen Krieges sollen sich auf rund 157 Millionen Rt. belaufen, die Reserven in den ersten zehn Jahren nach Friedensschluß jedoch gerade einmal zehn bis zwölf Millionen Rt. betragen haben. Erst 1786 betrug der Staatsschatz wiederum 55 Millionen Rt. 45 Als die friderizianische Wirtschafts- und Finanzpolitik 1763 in die Phase ihrer „schärfsten Ausprägung“ 46 eintrat, in der der König alle Maßnahmen einem konsequenten Fiskalismus unterordnete, 47 geschah dies also vor dem Hintergrund einer schwerwiegenden ökonomischen Krisensituation und angesichts sinkender Akziseeinnahmen. So fallen in die 60er Jahre nicht von ungefähr die Gründun43 Zitiert nach A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 369. Einen solchen Mangel der eigentlichen Kenntnis trifft man auch im Register der Acta Borussica an. Was dort unter dem Begriff „Kaufleute“ zu lesen ist, sei hier lediglich auszugsweise zitiert: „... sollen inländische Manufakturwaren debitieren – Manufakturiers sind mehr wert ... sind wenig unternehmend ... lassen sich corrumpieren ... üben Bestechungen ... er [der König] begreift sie nicht ... mißtraut ihnen ... wirft Intriguen vor ... läßt gerichtlich gegen K. vorgehen ... verbietet ihnen gerichtliche Klage ... K. sollen gegen Unterschleife garantieren“ usw. usw. 44 Zitiert nach A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 377. 45 Zu den negativen ökonomischen Folgen dieser Schatzbildung Henning, Preußische Thesaurierungspolitik, S. 403 – 404. 46 Rachel, Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, S. 952. 47 Mittenzwei, Preußen, S. 13 – 14.

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gen zahlreicher staatlicher Monopolgesellschaften 48 wie der zunächst verpachteten preußischen Zahlenlotterie (1763), 49 der Seehandlung als Königlicher Bank (1765), 50 der Tabakpachtgesellschaft und der Levantinischen Handelskompagnie (ebenfalls 1765), 51 der Holzhandlungs-Sozietät (1766) 52 sowie schließlich im Zollund Akzisebereich die Einführung der so umstrittenen französischen Regieverwaltung (1766). 53 Überblickt man diese hier nicht näher zu schildernden Zusammenhänge, so schälen sich folgende Komponenten heraus, die für die Lage der zweiten Kinder im Jahre 1763 von entscheidender Bedeutung werden sollten: ein in weiten Teilen durch den Krieg verwüstetes Land, ein von einer schweren Krise erfaßtes Gewerbe, ein König, der allerorts nach neuen Einkünften Ausschau hielt und schließlich die Vertreter der Judenschaft, die darum baten, das Niederlassungsrecht der nachgeborenen Kinder zurück zu erhalten – koste es, was es wolle. Die Schnittmenge dieser Problemfelder bildet das landesherrliche Reskript an das Generaldirektorium vom 1. November 1763, mit der der König auf die nicht überlieferte Offerte der Berliner Ältesten reagierte. Danach hatten die Vertreter der Judenschaft darauf hingewiesen, daß infolge der bisherigen Regelungen aufgrund der dadurch 48

Vgl. Jahntz. Warschauer, S. 9 – 13. Zur Entwicklung des Lottos zum Massenglücksspiel und zum Zusammenhang mit der allgemeinen Finanznot der Staaten im ausgehenden 18. Jahrhundert siehe Ullmann. Nebenbei sei bemerkt, daß Juden recht häufig als Lotterieeinnehmer in den Quellen auftauchen. Siehe am Beispiel Mindens Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 653 – 655, der wohl treffend davon ausgeht, ein derartiger Nebenerwerb habe vor allem der Anbahnung von Geschäftskontakten gedient. 50 Siehe weiterhin Niebuhr; Schrader, S. 1 – 7; Hartung, Geschichte und Rechtsstellung der Compagnie in Europa; A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 422 – 459. Die Art und Weise, wie im Vorfeld dieser Gründung eine Audienz von Deputierten der Kaufmannschaften verschiedener preußischer Städte beim König ablief, veranschaulicht wohl deutlicher als manche theoretische Ausführung die herrschenden Konflikte und Kommunikationsprobleme. Denn nachdem die Deputierten die aus ihrer Sicht nur zu verständlichen Bedenken gegenüber den Monopolisierungsplänen artikuliert hatten, beklagte sich Friedrich in bezeichnenden Wendungen, er „hätte mit Kaufleuten zu thun, welche entweder zu einfältig oder zu widerspenstig (obstinat) wären, ihren wahren Vortheil einzusehen [...]. Der Minister von Hagen gab darauf den Deputirten einen Wink abzutreten und als diese den im Vorzimmer zurückgebliebenen Collegen das Resultat der Audienz mittheilten, waren Alle erbittert, weil man dem Könige eine falsche Ansicht über den Handel beigebracht und auch den directen Handel Stettins als eine Hökerei dargestellt hatte. Die Achtung gegen den Landesvater gestattete nicht, seinen Vortrag zu unterbrechen, da man sich jedoch darüber nicht vereinigen konnte, ob es nützlich wäre, dem Könige einen Nachweis über den directen Handel des Landes zu überreichen, so traten die Deputirten ihre Rückreise an, nur die Magdeburger hielten es für gerathen, ein Schriftstück über den directen Handel ihrer Stadt dem Könige zu überreichen.“ Zitiert nach Schmidt, Stettin, S. 133 –135. 51 Mittenzwei, Preußen, S. 19 – 20. 52 Rehfeld, S. 85 – 95; Schmidt, Stettin, S. 148 – 155. 53 Schultze, Geschichte der Preussischen Regieverwaltung. 49

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

erzwungenen Abwanderungen „gar beträchtliche Summen Geldes außer Landes giengen“. 54 Wenn hingegen den zweiten Kindern das Recht zur Niederlassung wiederum zugestanden würde, so hätten die Ältesten versprochen, daß in der Folge nicht nur durch deren Verheyrathung durch Erbschaften, so ihnen von auswärtigen Landen zufielen, vieles Geld in hiesige Lande gezogen, sondern auch dieselbe sich äußerst appliciren würden, das Commercium derer Königlichen Landen florisanter zu machen und Fabriquen zu etabliren und deren Debit nach auswärtigen Landen äußersten Fleißes zu befördern.

Wenn deshalb in Zukunft zweite Kinder bei den Behörden um eine Konzession zur Niederlassung anhielten, so sollten nach dem Willen des Königs die Vermögenste von solchen und diejenigen von ihnen, welche Genie zu Fabriquen und Manufacturen haben, dergleichen Fabriquen, es sey zu Berlin oder auch sonsten im Lande, etabliren oder entrepreniren [...], dergleichen entweder in Königlichen Landen noch gar nicht oder aber doch nicht genugsam vorhanden seyn, diejenigen aber von solchen 2. Schutz-Juden, welche nicht das Vermögen oder das Genie haben, selbst Fabriquen zu etabliren, sollen dennoch verbunden seyn, den Debit derer Landes Fabriquen außerhalb Landes äußerst zu befördern.

Was die Häuser anginge, in denen sich die anzusetzenden zweiten Kinder niederlassen sollten, so betonte der König, es sei seine Intention gar nicht, daß dadurch die Anzahl der Christlichen Bürger Häuser vermindert werden soll. Wohl aber wollen Se. Königl. Majestät, daß dergleichen 2. Kinder, wann sie sich mit Häusern possessionirt machen wollen, neue Häuser erbauen sollen und zwar zu Berlin auf Stellen, die allda an denen verschiedenen Orthen der Stadt noch nicht bebauet und nach der Convencience ihres Handels und Gewerbes, in andern Städten aber auf wüsten Stellen. Bey welchen neu erbaueten Häusern dann sie alle diejenigen Freyheiten haben sollen, welche anderen Christlichen neuanbauenden gegeben werden. Wie denn auch von Obrigkeit wegen die Hand darauf gehalten werden soll, daß dergleichen Neuanbauenden 2. Juden Kindern von denen Handwerks Leuten, so an solchen Bau arbeiten, keine Chicanes gemachet, noch letztern dieselbe über die Gebühr wegen des Arbeits Lohns anziehen und bevortheilen sollen.

Daß demnach in Berlin keine christlichen Häuser in den Besitz von Juden übergingen, war dem König offenbar besonders wichtig, hob er doch wenige Zeilen später noch einmal hervor, es müsse jedes zweite Kind, das ein Haus erwerben wolle, „solches entweder auf einen ledigen Platz oder auf eine wüste Stelle oder sonsten verfallenes Haus, so ihm dazu angewiesen werden wird, neu aufführen und erbauen“. 55 Davon abgesehen gewährte der König jedoch weitgehende Niederlas54 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 76 –77; GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 1 – 2, hiernach auch die folgenden Zitate. Das gleichlautende Zirkular an sämtliche Kammern mit Ausnahme der ostfriesischen vom 11. November 1763 wurde publiziert in N.C.C., Bd. 3, Sp. 1219 –1222; vgl. Simon, Bd. 2/1, S. 507.

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sungsfreiheit, und zwar nicht lediglich in Berlin, sondern in Pommern, Ostpreußen, der Neumark sowie (hier taucht Friedrichs Lieblingsprojekt wiederum auf) „an denen Pohlnischen Grentzen“ wo es den zweiten Kindern ausdrücklich freistehen sollte, „sich allda anzusetzen“. Ebenso bestimmt nahm der Monarch von dieser Zusage jedoch Städte wie Stettin oder Magdeburg aus, „wo bisher nach den alten Herkommen und denen Verfassungen keine Juden, auch Juden-Famillen, sich etabliren und ansessig machen dürfen, als welchen Städten Höchstdieselbe in ihren alten Rechten darunter nicht prejudiciren wollen“. 56 Der Privilegierungsakt wurde demnach keineswegs als ordnungspolitisches Instrument im Sinne einer „absolutistischen“ Rechtsvereinheitlichung genutzt, sondern schrieb im Gegenteil fundamentale judenrechtliche Disparitäten fort. 57 Darüber hinaus bedeutete das Reskript vom 1. November auch eine bedeutende Stärkung der internen Stellung der Berliner Ältesten. Denn obwohl diese, wie bereits geschildert, erst 1775 offiziell zu Oberlandesältesten „befördert“ wurden, kam ihnen fortan in der gesamten Monarchie mit Ausnahme Schlesiens eine bislang ungeahnte Rolle zu. So verordnete Friedrich, um „nicht hintergangen“ zu werden, daß künftig kein Schutzbrief für ein zweites Kind ausgefertigt werden solle, bevor nicht die Ober und andern Ältesten der hiesigen Judenschaft jedesmahl schriftlich und pflichtmäßig attestiret haben werden, daß solche Famille nicht nur gehörig bemittelt, sondern auch dem Publico nützlich sey und daß dadurch der von Se. Königl. Maj. intendirte Zweck wegen derer zu etablirenden Fabriquen werde befördert werden. Und da nur gedachte Ober und andere Ältesten jedesmahl vor die Richtigkeit solches Attestes stehen und repondiren müssen, so soll es alsdenn keiner weiteren Recherches gebrauchen und auf die deshalb gethane Anzeige der erforderliche Schutz Brief ausgefertiget, alle andere Schutz Briefe und Concessiones, so künftig ohne dergleichen Attest erhalten werden, solche vor erschlichen gehalten werden, welches denn auch wegen der übrigen Städte in den obgedachten Provinzien, wohin sich solche 2. Kinder ansetzen wollen, geschehen muß.

Welches denn auch in den übrigen Provinzen so geschehen muß – durch einen hingeworfenen Nebensatz erfuhr die Autorität der Berliner Ältesten in einem Bereich eine landesweite Ausdehnung, wie er sensibler nicht hätte sein können: der Ausstellung von Schutzbriefen. Die Vertreter der Berliner Gemeinde avancierten somit geradewegs zu „Pächtern des Judengeleits“. 58 Das hatten sich die 55 Diese Beschränkung auf wüste Stellen blieb während der gesamten kommenden Jahrzehnte in Kraft und wurde durch ein Reskript vom 15. Juli 1795 nochmals bekräftigt. Siehe Terlinden, S. 149. 56 Auf die auch im Absolutismus vielerorts fortdauernde Bedeutung von Nichtduldungsprivilegien wurde eingangs bereits hingewiesen. Siehe oben, Kap. A.I. 57 Vgl. in diesem Zusammenhang die Überlegungen bei Mordstein, S. 104 –105. 58 Breuer, S. 192. Man wird wohl weniger davon ausgehen können, daß die Behörden lediglich an die Ansetzung von Kindern Berliner Schutzjuden gedacht hätten, wie Laux,

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Deputierten zahlreicher Landjudenschaften ein Jahr zuvor in Spandau gewiß ganz anders vorgestellt. Doch zunächst gilt es, die Zusammenfassung des Befehls vom 1. November abzuschließen. Denn nicht nur die zukünftig anzusetzenden zweiten Kinder hatten nach dem Willen des Königs Auflagen zu erfüllen, sondern auch die gesamte Judenschaft wurde zur Kasse gebeten. So erging an das Generaldirektorium die Weisung, sämtliche erforderlichen Deklarationen erst zu erlassen, nachdem die Berliner Ältesten „ein besonders Don Gratuit zu Sr. Königl. Maj. höchsteigenen Händen“ gegeben hätten. 59 Von der Höhe dieser Summe erfährt man zunächst nichts. Erst einer Kabinettsordre vom 18. Juni 1764 läßt sich entnehmen, daß zu diesem Zeitpunkt von den Ältesten bereits eine Zahlung von nicht weniger als 70.000 Rt. erfolgt war 60 – also einem Äquivalent der Schutzgeldzahlungen der gesamten Judenschaft in einem Zeitraum von beinahe fünf Jahren. Auch die Repartition dieses von den Berliner Ältesten für die Provinzjudenschaften lediglich vorschußweise entrichteten „Don Gratuits“ sollte zu innerjüdischen Konflikten führen, doch soll zunächst Bilanz gezogen werden. Bemerkenswert ist einerseits, daß der König bei entsprechenden Gegenleistungen offenbar nicht lange zögerte, selbst die grundlegendsten Prinzipien seiner Judenpolitik zumindest kurzfristig außer Kraft zu setzen. Denn die 1747 und 1750 untersagte, nun aber wiederum zugestandene Ansetzung zweiter Kinder mußte zwangsläufig gegen die wichtigste Maxime Friedrichs verstoßen, indem sie unweigerlich eine Vermehrung der Judenschaft herbeiführte. Andererseits fällt die schwammige Formulierung der Kabinettsordre ins Auge, denn jedem zweiten Kind, das nicht die nötigen Ressourcen und Fähigkeiten für die Gründung einer Manufaktur besaß, sollte es offenstehen, stattdessen den Handel mit preußischen Fabrikwaren „äußerst“ zu befördern. Was man sich darunter vorzustellen habe und wie solche Verdienste nachzuweisen wären, wurde dem Generaldirektorium einstweilen jedoch nicht mitgeteilt. Davon einmal abgesehen, präsentiert sich der Inhalt des Kabinettsbefehls durchaus konventionell und bietet vor dem Hintergrund der seinerzeit nicht nur in Preußen, sondern auch im übrigen Reich verfolgten Politik 61 nichts Überraschendes. Anonymität, S. 96 meint und wogegen bereits die ausdrückliche Erwähnung der östlichen Provinzen in dem zitierten Reskript spricht. Stern, Bd. III/1, S. 282 trifft wohl eher den Kern. Sie spricht dabei vom „Versuch einer selbstbewußten, kapitalkräftigen, einflußreichen Gemeinschaft, die ärmere Provinzialjudenschaft in ihren Machtbereich einzubeziehen“. 59 Daß in den Akten explizit von einem Don gratuit die Rede ist, verdient Beachtung, war der Begriff doch ständisch konnotiert und bezeichnete freiwillige finanzielle Leistungen zugunsten des Landesherrn. Gegenüber dem Adel hatte Friedrich während des Krieges Don Gratuits mehrfach abgelehnt und erklärt, sie entsprächen nicht seiner königlichen Würde. Siehe Kaiser, S. 105 – 106; Neugebauer, Die neumärkischen Stände, S. LVII. 60 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 25. 61 So wurde beispielsweise den Wiener Juden in einer im Mai 1764 erlassenen Judenordnung eingeschärft, nur mit inländischen Manufakturwaren Handel zu treiben und sich um die Etablierung von Manufakturen zu bemühen. Siehe Lind, S. 348.

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Denn wenn der Kurmärkischen Kammer am 16. November 1764 in anderem Zusammenhang durch den König mitgeteilt wurde, daß „denen Juden der Schutz hauptsächlich deshalb accordiret wird, um Handel, Commerce, Manufacturen, Fabriquen und dergleichen zu betreiben“, 62 verstand sich das angesichts zahlloser gleichlautender Reskripte beinahe von selbst. So bediente sich bereits Friedrich Wilhelm I. bei seiner Gewerbeförderung verschiedener Zwangsabnahmen, von denen neben jüdischen auch christliche Kaufleute betroffen waren. 63 Vor diesem Hintergrund mußte beispielsweise die Judenschaft des Fürstentums Minden 1716 bei Strafe der Landesverweisung eine Tuchmanufaktur in Lübbecke anlegen und, nachdem diese nicht recht in Schwung kam, auch deren Erzeugnisse zwangsweise unter sich aufteilen – nach einigen Jahren wurde das Projekt schließlich zu den Akten gelegt. 64 Ähnliche Eingriffe des Staates kamen seit den 50er Jahren insbesondere der Seidenindustrie zugute. 65 1722 wurde die neumärkische Judenschaft ferner mit einem jährlichen Zwangsexport von Waren aus dem Berliner Lagerhaus im Wert von 10.000 Rt. belegt – eine Auflage, die sie später durch eine jährliche Zahlung von 500 Rt., die über das Lagerhaus weiter an das Potsdamer Waisenhaus flossen, substituieren konnte. 66 Auch unter Friedrich dem Großen wurde eine allzu ehrgeizig vorangetriebene Manufakturpolitik oft genug auf dem Rücken der christlichen und jüdischen Kaufmannschaft vorangetrieben. So versah der König einen Bericht über den Zustand der neu angelegten Berliner Seidenmanufakturen im Jahre 1748 mit der Randbemerkung: Die Kaufleute werden müssen angehalten Werden den Debit der Wahren zu beförderen und mus man sie alle ins Rahthaus zusammenkriegen und Ihnen Sagen, sofern sie nicht unseren Manifacturiérs alle Wahren abnehmen werden, ich alle franzöche Wahren hier zu verkaufen verbieten werde. 67

Ebenso fand Friedrich im März 1753 einen Vorschlag des pommerschen Kammerpräsidenten von Aschersleben, wonach zum Besten einer in Naugard eingerichteten Manufaktur für Bautzener Wollstrümpfe die dort fabrizierten Waren unter den Kaufleuten der Provinz zwangsrepartiert werden sollten, „sehr gut“ und fügte lediglich hinzu, daß mit der Judenschaft der Anfang gemacht werden solle. 68 Und als 1769 die kurzlebige Levantische Handelskompagnie wiederum aufgelöst wurde, erhielten die Kaufmannschaften Stettins, Magdeburgs und Königsbergs das Warenlager kurzerhand „überwiesen“. 69 62 63 64 65 66

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 72. Rachel, Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, S. 970. Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 646 –649. Jersch-Wenzel, Juden und „Franzosen“, S. 189 – 191; Köhler, S. 50 –51. Donnersmarck, S. 62 – 63; Stern, Bd. II/2, S. 160 – 161, 164 –174, 343 –344, 409 –

411. 67 68 69

Zitiert nach Borchardt, Bd. 2, S. 99. A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 549. Mit weiteren Details Schmidt, Stettin, S. 156.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Vor diesem Hintergrund lag es also für den König nahe, auch die zweitgeborenen jüdischen Kinder zu Manufakturgründungen oder Zwangsexporten verpflichten zu lassen. Noch dazu, dies wurde bereits angedeutet, lassen sich ähnliche Tendenzen vielerorts im Reich beobachten, so beispielsweise in Wien 70 oder im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, wo man insbesondere Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre die Erteilung von Schutzrechten an auswärtige Juden an die Anlegung von Manufakturen zu knüpfen suchte. 71 Noch Mitte der achtziger Jahre kam es zu erfolglosen Versuchen, Juden zum Vertrieb der offenbar nicht konkurrenzfähigen Braunschweiger Tuche zu verpflichten. 72 Gleichsam en miniature ist ein ähnliches Vorgehen für das Jahr 1787 aus dem Herrschaftsbereich der Fürstabtei Corvey in Ostwestfalen überliefert. Nachdem zwei Jahre zuvor in der Nähe der Ortschaft Brakel eine Glashütte für böhmisches weißes Tafelglas angelegt worden war, die jedoch „mehr Ärger als Einnahmen“ 73 produzierte, dekretierte Fürstabt Theodor von Brabeck, die Judenschaft, die um 1789 49 Haushalte umfaßte, 74 habe „von der neu angelegten böhmischen Tafel-Glas Hütte vorerst jährlich für 1.500 Rthlr. verarbeitetes Glas, um die gewöhnlichen Hüttenpreise abzunehmen [und] solches zum weiteren Debit unter die hiesige handelnde Judenschaft verhältnismäßig zu vertheilen“. 75 Auch im hoyaschen Liebenau wurde im Jahre 1777 im Zuge eines Konzessionsverfahrens die Abnahme von Produkten der dortigen „Spitzen-Fabrique“ ins Spiel gebracht. 76 Die Liste der Beispiele ließe sich nahezu beliebig fortsetzen, so daß durchaus fraglich ist, ob bei derartigen Bestrebungen das preußische Modell Pate stand, wie mitunter vermutet wird. 77 Viel eher wird man darin eine allgemeine Zeittendenz zu erblicken haben, die die Erteilung von Schutzbriefen an die „Nützlichkeit“ des Empfängers zu binden suchte – an eine Nützlichkeit, die sich angesichts der vorherrschenden merkantilistischen Lehren vor allem durch die Gründung von Manufakturen oder aber einen Beitrag zur angestrebten positiven Handelsbilanz zu manifestieren hatte. Daß dabei zwischen 70 So knüpfte die für Wien erlassene Judenordnung von 1764 die Verleihung einer lebenslangen Aufenthaltserlaubnis an den Nachweis eines gewissen Vermögens und die Bereitschaft zur Anlage neuer Manufakturen. Siehe Karniel, Toleranzpolitik, S. 114. 71 Siehe Ebeling, S. 189 – 190. Angesichts ausbleibender ökonomischer Impulse durch derartige Zwangsbetriebe entschlossen sich die Braunschweiger Behörden jedoch, auf derartige Verpflichtungen gänzlich zu verzichten und stattdessen die Ansiedlung von Juden verstärkt zur Förderung des Handels einzusetzen. Siehe ebd., 163 –164. In Preußen wurde eine derartige Politik jedoch bedeutend länger verfolgt. So galt noch 1796: „Wer [als Jude] nach Südpreussen heiraten wollte, musste entweder ein grosses Vermögen nachweisen oder eine Fabrik dort anlegen.“ Siehe Lewin, Juden in Lissa, S. 160. 72 Zahlreiche Beispiele bei Ebeling, S. 181, 189. 73 Deventer, S. 155; vgl. Reekers, S. 106 – 107. 74 Deventer, S. 193. 75 Zitiert nach ebd., S. 161. 76 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 653. 77 Ebeling, S. 189; Deventer, S. 161.

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 117

„ausländischen“ Juden sowie nachgeborenen Kindern „einländischer“ Juden keinerlei Unterschied gemacht wurde, sollte darüber hinaus all jenen zu denken geben, die einer Integration der Minderheit „in den Staat“ das Wort reden. Juristisch gesehen kannte das friderizianische Preußen hingegen keine jüdischen Landeskinder, und aus diesem Grunde war es mit Blick auf die Manufakturförderung auch einerlei, ob sich das zweite Kind einer seit Generationen in Berlin ansässigen Familie oder ein am Vortag aus Polnisch Lissa zugewanderter Jude um ein Schutzrecht bewarb. Dem „Staat“ war der eine so fremd wie der andere, und deshalb hatten beide im Gegenzug für den ihnen zu gewährenden Schutz zunächst einmal ihre Nützlichkeit nachzuweisen. Aus Sicht des preußischen Königs gab es nach 1763 gerade im Bereich der vorherrschenden Textilfabrikation wahrlich genug Gelegenheiten, sich nützlich zu machen, hatte sich doch der gerade überstandene Krieg für weite Teile des exportorientierten brandenburgischen Tuchmachergewerks verheerend ausgewirkt. Durch Verbote, anderes als Montierungstücher für die preußische Armee zu produzieren, waren auswärtige Absatzmärkte verloren gegangen, während gleichzeitig in Lüneburg, Mecklenburg oder Dänemark neue Tuchmanufakturen angelegt worden waren. 78 So klagte der im Oberbarnim tätige Steuerrat Trost noch Ende der 60er Jahre: Als aber der leidige Krieg entstand, wurden sämtliche hiesige Tuchmacher gezwungen, Mondur-Arbeit für die Königlichen Armeen zu verfertigen, die Gesellen wurden als Enrollirte zu den Regimentern weggenommen, und es fehlte den Tuchmachern also an Zeit und Arbeitern zu den Meßewaaren; wozu noch die Unsicherheit und Sperrung der Landstraßen kam. 79

Vor dem Hintergrund dieser ökonomischen Konstellation sowie der beschriebenen Zeittendenzen kann der Inhalt des Reskripts vom 1. November 1763 also kaum überraschen. In den folgenden Kapiteln wird der Frage nachzugehen sein, wie die zunächst recht undeutlich formulierten Zielvorgaben bei künftigen Konzessionsverfahren in die Praxis umgesetzt wurden. Zuvor ist jedoch auf die innerjüdischen Streitigkeiten einzugehen, die bald nach Bekanntwerden der Verhandlungsergebnisse zum Ausbruch kamen. 80 Zwei Punkte waren es vor allem, die zwischen der Berliner Gemeinde und den Landjudenschaften für Unstimmigkeiten sorgten, nämlich die Frage, wer künftig die zum Etablissement der zweiten Kinder erforderlichen Atteste ausstellen sollte, sowie die Art und Weise, in der die gewaltige Summe der 70.000 Rt. auf die einzelnen Judenschaften umgelegt würde. Die Aus78 Enders, Prignitz, S. 1064; vgl. den Immediatbericht des Generaldirektoriums vom 1. Oktober 1766 über die „Ursachen des Verfalls derer Hauptlandes-Fabriquen“ in A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 370 – 374. Die „impertinente Relation“ führte zur Einleitung des Verfahrens gegen den Finanzrat Ursinus, auf das hier nicht näher einzugehen ist. Siehe Straubel, Der Fall Ursinus. 79 Zitiert nach Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 409. 80 Siehe auch Stern, Bd. III/1, S. 52 – 54.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

stellung der Atteste war dabei schon aufgrund der solidarischen Haftung, wonach die Gemeinde im Zweifelsfall für die Vergehen aller ihrer Mitglieder haftete, eine Frage von höchster Bedeutung. Vor diesem Hintergrund hatte der Staat durch das Generalreglement von 1750 den Judenältesten und Vorstehern jeder Provinz und jeden Orts zur Pflicht gemacht, auf den Zustand sämmtlicher Juden ein wachsames Auge zu haben, und falls sie merken sollten, daß einer derselben dergestalt in Verfall seiner Nahrung geriethe, daß desselben Verarmung oder Banquerout zu besorgen sey, folglich derselbe zum gemeinen Beitrage der öffentlichen Lasten und Gebühren bald untüchtig werden müßte, anderweite Vorkehrungen in Ansehung des Beitrages zu treffen, daß die Ausfälle verhütet und kein Abgang noch Reste bey den jüdischen Abgaben entstehen mögen. 81

So war diese Frage auch ein wichtiger Gegenstand in den Verhandlungen, die die Berliner Ältesten 1765 mit den Vertretern der Kleve-Märkischen Judenschaft führten. Dabei wurde der durch die rheinisch-westfälischen Juden zu zahlende Beitrag zu den 70.000 Rt. nicht nur auf verhältnismäßig moderate 4.500 Rt. reduziert, sondern die Berliner Gemeindevertreter verpflichteten sich zudem, alle Atteste der Landesvorsteher unbesehen zu akzeptieren und ihrerseits keine eigenmächtigen Ansetzungsgesuche zu unterstützen. 82 Ähnliche Vereinbarungen bestanden mit den Judenschaften der Neumark und Pommerns. 83 Nach allem, was sich auf Basis der erhaltenen Akten sagen läßt, stellte dieses Nachgeben der Berliner Ältesten in der Frage der Bescheinigungen jedoch nicht die Regel dar. Daß man prinzipiell durchaus gewillt war, den Anspruch auf Ausstellung dieser Dokumente durchzusetzen, zeigt eine Supplik vom 23. Dezember 1763, mit dem die Vertreter der Berliner Gemeinde darum baten, sämtliche Kammern des Generaldirektoriums ausdrücklich anweisen zu lassen, ohne Vorlage ihrer Atteste keine Ansetzungsgesuche zu berücksichtigen. Denn anderenfalls müsse man befürchten, daß einige Ältesten der kleinen Juden Gemeinen in denen Königlichen Landen sich diesem allerhöchsten Befehl entgegen unternehmen möchten, die Ansuchung um Privilegia vor Juden aus ihrer Gegend mit Attestatis zu unterstützen und mithin ihnen behülflich zu seyn, wieder Höchstgedachte Königliche Ordre Concessiones zu erschleichen. 84

Anderslautende Suppliken von Provinzältesten sollten hingegen beim Generaldirektorium „nicht einmahl in Vortrag gebracht werden“ dürfen. Obwohl das Generaldirektorium dieser Bitte mit seiner Resolution vom 9. Januar 1764 folgte, 85 kam die Angelegenheit damit noch nicht zur Ruhe. Denn bereits vom 22. Februar datiert eine Supplik der Ältesten der Mittelmark, 86 aus deren 81

Terlinden, S. 245. Baer, Protokollbuch, S. 48. 83 Geiger, S. 93 (Anmerkungen). 84 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 10, danach auch das folgende Zitat. 85 Ebd., Bl. 13 – 14. 82

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 119

Reihen sich insbesondere Pintus Lewin (um 1713 – 1768) aus Rathenow in der nun folgenden Auseinandersetzung hervortat. Lewin war in den vorangegangenen Kriegsjahren als Getreide- und Pferdelieferant reich geworden und 1759 zum Oberlandesältesten der Mittel-, Ucker- und Altmark sowie der Prignitz aufgestiegen 87 und wurde just in jenen Nachkriegsmonaten, nämlich am 27. August 1763, zum Aufbau und Betrieb einer Kanevas- und Barchentmanufaktur 88 noch dazu mit einem Generalprivileg ausgezeichnet. 89 Es war also ein Mann, der beim König hoch im Kurs stand 90 und der sich keineswegs gewillt zeigte, wesentliche Fragen des Geleitrechts der kurmärkischen Judenschaft den Ältesten in der Hauptstadt zu überlassen. 91 So erklärte er mit den übrigen Ältesten am 22. Februar, man selbst sei die berufene Instanz, um derartige Legitimationsbescheinigungen für die zweiten Kinder aus der Uckermark, Mittelmark, Prignitz und Altmark auszustellen. Die Berliner Ältesten hingegen würden „kaum den 4. Theil“ dieser Juden kennen, weshalb die von ihnen ausgestellten Atteste höchst unzuverlässig ausfallen müßten. Für die eventuellen Folgen könne man als mittelmärkische Landjudenschaft keinerlei Verantwortung übernehmen. 92 Nachdem das Generaldirektorium darauf zunächst nicht reagiert hatte, 93 gingen die Kurmärker am 30. Juli erneut in die Offensive. Stein des Anstoßes war dabei insbesondere, daß der Berliner Gemeinde, die aufgrund des Generalprivilegs von 1750 lediglich 40 Häuser besitzen durfte, 94 86 Sie selbst bezeichnen sich unzutreffend als Älteste der Kurmark, die allerdings nicht unter dem Dach einer Gesamtjudenschaft vereinigt war. Dies ist u. a. daraus ersichtlich, daß Frankfurt an der Oder in den weiter unten abgedruckten Repartitionslisten separat geführt wird. 87 Siehe zu Lewin detailliert Kohnke, Pintus Lewin, Dies.: Rathenow, S. 92 –93; im Krieg soll Lewin rund 250.000 Rt. verdient haben, ebd., S. 97; vgl. zum Konflikt mit den Berliner Ältesten Stern, Bd. III/1, S. 52 – 54. 88 Beim Kanevas handelt es sich um ein Gewebe aus Baumwolle und Leinen; Barchent meint ein Stück aus Baumwolle oder Halbleinen. Siehe Hahn, S. 141, 180. 89 Abschrift in GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 66, Bl. 214, 221. 90 So wurden ihm 1765 zur Errichtung eines Spinnerdorfes 15.000 Rt. geschenkt. Siehe Kohnke, Pintus Lewin, S. 251. Die Manufaktur geriet allerdings schon bald in eine schwere Krise und wurde nach Lewins Tod durch wechselnde Unternehmer, jedoch in weitaus kleinerem Maßstab, noch bis nach 1809 weiter betrieben: ebd., S. 256 –258. 91 Bezeichnend für das gespannte Verhältnis zwischen beiden Judenschaften dürfte es wohl sein, daß die Kurmärker 1764 erfolglos darum baten, nicht mehr mit ihren Kollegen aus der Hauptstadt konferieren zu müssen. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 86 – 87. 92 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 22 – 23. 93 Die Verzögerung war auf die im Februar mit einem Gutachten beauftragte Kurmärkische Kammer zurückzuführen, die sich damit bis zum August Zeit ließ. Siehe GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 24, 30 – 32. 94 So nach § XXVIII des Reglements. Siehe Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 49.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

durch das Reskript vom 1. November 1763 der Erwerb zusätzlicher 30 Häuser gestattet worden war. 95 Da die Mittelmärkische Landjudenschaft mittlerweile dazu aufgefordert worden war, einen Beitrag von 8.800 Rt. zu leisten, sorgte diese einseitige Privilegierung, die „eigentlich nur der Judenschaft in Berlin zur Avantage gereichet“, 96 für großen Unmut. Die von der Mittelmärkischen Landjudenschaft zur Beratung der Repartition für den 23. Oktober in Brandenburg an der Havel geplante Generalversammlung weckte jedoch ihrerseits den Argwohn der Berliner Ältesten, die ihren märkischen Kollegen in einem langen Katalog Amtsanmaßung, Geldverschwendung, Undankbarkeit und Gezänk vorwarfen. 97 Die sich darüber entfaltende Flut von Suppliken und Gegensuppliken kann hier nicht in ganzer Breite wiedergegeben werden. Für das äußerst gespannte Verhältnis der Berliner Gemeinde gerade zu ihren unmittelbaren Nachbarn in der Mittelmark dürfte es hingegen bezeichnend sein, wenn die Ältesten der Provinz „allerley Chicanen und Hinderungen“ für den Fall befürchteten, daß ihre zweiten Kinder tatsächlich dazu verpflichtet würden, ihre Legitimationsatteste bei den Vorstehern der Berliner Gemeinde einzuholen. Noch am 29. Oktober betonte man deshalb gegenüber dem Generaldirektorium, daß man „Niemahlen unter denen Ältesten der Judenschaft zu Berlin gestanden, sondern jederzeit von selbigen separiret gewesen“. Für das Recht, selbst die nötigen Atteste auszustellen sowie gleich der Berliner Gemeinde weitere 30 Häuser ankaufen zu dürfen, bot man seinerseits die Summe von 1.000 Dukaten. 98 Doch war diesen Bestrebungen der Mittelmärkischen Landjudenschaft kein Erfolg beschieden, da das Generaldirektorium vom König am 16. Dezember den Befehl erhielt, die Supplikanten „zur Ruhe“ zu bringen. 99 Doch hatten die Kurmärker immerhin etwas erreicht, daß nicht nur ihnen, sondern auch den übrigen Landjudenschaften zugute kommen sollte, nämlich 95

Dabei wurde teilweise ein bereits bestehender Zustand nachträglich legalisiert. Daß demnach konzessionswidriger Besitz von Haus- und Grundbesitz selbst in der Hauptstadt möglich war, wirft auf die Durchsetzungsfähigkeit des frühmodernen Staates ein bezeichnendes Licht. Im Reskript vom 1. November 1763 hatte es dazu geheißen: „Wie aber die mehrgedachte Ober und andere Ältesten der Schutz Juden Gemeine bey dieser Gelegenheit vorgestellet haben, daß inzwischen und bis hieher von denen zu Berlin privilegirten Juden bereits an die 30 Häuser allda unter Hoffnung Königl. Approbation erkaufet und behandelt worden, so wollen Se. Königl. Maj. bewegender Ursachen halber solches vor dieses mahl annoch concediren und Dero Confirmation dazu ertheilen, jedoch daß solches nicht weiter als nur auf die nur gedachte Anzahl der 30 Häuser gehen müßte.“ Siehe GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 1 – 2. 96 Ebd., Bl. 35 – 36. 97 So in einer Supplik vom 4. Oktober 1764, ebd., Bl. 49 –51. 98 Ebd., Bl. 69. Die Supplikanten erhielten daraufhin vom Generaldirektorium den Bescheid, daß über ihr Gesuch noch entschieden würde, obwohl eigentlich „auf eine solche geringe, dem Gesuch gar nicht proportionirliche Offerte keine Reflexion genommen werden könne“. Siehe ebd., Bl. 86; vgl. auch Kohnke, Rathenow, S. 100. 99 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 96.

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 121

eine nicht unbedeutende Modifikation der Repartition der 70.000 Rt. Ob die vorschußweise Zahlung einer Summe in dieser Höhe zuvor tatsächlich mit allen Judenschaften abgesprochen worden war, muß angesichts des Konflikts mit den mittelmärkischen Ältesten dahin gestellt bleiben. Jedenfalls baten die Berliner Ältesten am 8. Juni 1764, daß die einzelnen Landjudenschaften durch das Generaldirektorium dazu veranlaßt würden, ihren Beitrag „nach den gewöhnlichen Anlagen“ zu entrichten, 100 was der König wiederum für „gantz billig“ hielt. 101 Die gewöhnliche Anlage war die Schutzgeldveranlagung, und auf dieser Basis reichten die Berliner Ältesten denn auch am 4. September 1764 einen Voranschlag zur Genehmigung ein, der zu folgenden Belastungen geführt hätte: Tabelle 2 Erster Repartitionsvoranschlag der Berliner Ältesten zur Aufbringung der 70.000 Rt. vom 4. September 1764 102 Provinz

Beitrag Rt.

Gr.

Berlin Halberstadt Hohenstein Kleve und Mark Minden Frankfurt / Oder Halle Neumark Ravensberg Ostpreußen Moers Pommern Mittelmark

11.794 5.861 3.201 7.700 1.955 2.753 2.333 7.772 2.870 8.680 933 4.573 8.572

– 8 8 – – 8 8 8 – – 8 8 16

Gesamt

70.000



Die Begutachtung dieses Anschlags übernahm Generalfiskal d’Anières, von dem im folgenden Kapitel noch die Rede sein wird. Dessen Beurteilung vom 14. Oktober fiel hingegen geradezu vernichtend aus und verdeutlicht, daß die sich nach 1763 verstärkende Führungsrolle der Berliner Ältesten auch innerhalb der hohen Bürokratie keineswegs unumstritten war. So fand der Generalfiskal die ihm vorgelegte Repartition „in der Billigkeit gar nicht gegründet“. 103 Aufschlußreich ist 100

Ebd., Bl. 26. Ebd., Bl. 25. 102 Ebd., Bl. 42. Die Mittelmark wird im Original nicht ganz zutreffend als Kurmark bezeichnet. 103 Ebd., Bl. 59 – 61, danach auch die folgenden Zitate; vgl. Stern, Bd. III/1, S. 53. 101

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

zumal seine Vermutung, die Provinzjudenschaften hätten von der Verhandlungsführung der Berliner Ältesten und der von diesen schließlich gezahlten Summe von 70.000 Rt. „keine Wissenschaft“ gehabt. Doch nicht nur dies spräche gegen eine gleichmäßige Veranlagung aller Judenschaften der Monarchie, wie sie die Berliner Gemeinde anstrebte. Noch dazu würden damit viele Juden belastet, die nicht die geringste Hoffnung haben, von der ertheilten Erlaubnis, das 2. Kind anzusetzen, jemahls weder selbst noch durch ihre Kinder zu profitiren, weil ihre Vermögens Umstände nicht so beschaffen sind, auch wohl nach aller Wahrscheinlichkeit niemahls so beschaffen seyn werden, daß sie beträchtliche Fabriquen anlegen oder nur pro tertia vel quarta daran Antheil nehmen könnten.

Auch die mit einer solchen Vorgehensweise verbundene schleichende Änderung der Judenverfassung schien d’Anières problematisch, würden die Landjudenschaften auf diese Weise der Berliner Gemeinde doch „so zu sagen unterworfen werden“, wobei er nicht wisse, „ob Ewr. Königl. Majestät Intention würcklich dahin gehet“. Der Generalfiskal stand dabei den Berliner Ältesten sehr kritisch gegenüber: Wenn nun die hiesige Juden Ältesten, die mit ihren Reichthümern nicht zufrieden seyn und aus alle Art und Weise auch gerne Gewalt in Händen haben möchten, die Provincial Juden so oft letztere ein 2. Kind werden ansetzen wollen, chicaniren sollten (und daß sie es thun werden ist höchstwahrscheinlich, weil sie die Anlegung der Fabriquen, die ohnedem in Berlin nicht an besten placirt sind, doch gerne für sich allein und ihre Freunde ohne Concurrence anderer werden behalten wollen), so werden die auswärtigen Judenschaften eben nicht sonderliche Ursache haben, sich der Allergnädigsten Königlichen Erlaubnis zu erfreuen. Denn in dubio und wenn die hiesige und fremde Juden Ältesten sich wieder sprechen werden, werden gewiß sowohl die Cammern als E. Hohes General Directorium und das General Fiscalat die negativam und eine abschlägliche Resolution für den Postulanten erwählen.

D’Anières schlug deshalb einen gänzlich anderen Modus der Bezahlung vor, indem in jeder Provinz die Anzahl reicher Juden, die sich an einer Etablierung ihrer nachgeborenen Kinder interessiert zeigte, ermittelt werden und nur diese zur Repartition herangezogen werden sollten. Im Gegenzug sollte das Reskript vom 1. November 1763 auch nur auf diese Kontribuenten angewendet werden. Dieser Vorschlag wurde indes vom Generaldirektorium verworfen, das sich dabei auf den ausdrücklichen Befehl des Königs berief, der schließlich eine Heranziehung der Landjudenschaften bereits gebilligt hatte. Allerdings seien auch die von d’Anières vorgebrachten Argumente durchaus zu berücksichtigen, weshalb dieser die Berliner Ältesten zu einem Gespräch zu zitieren und ihnen dabei die Bedenken der Behörden „zu Gemüthe zu führen“ habe, um schließlich doch noch zu einer Repartition zu gelangen, die auch den Provinzen gerecht werde. 104 Nachdem sich die Vertreter der Berliner Gemeinde noch mit mehreren 104

Bl. 62.

Siehe GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5,

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 123

Bittschriften an das Generaldirektorium gewandt hatten, erneuerte dieses am 14. November seinen Schlichtungsauftrag an d’Anières und forderte von diesem auch ein neuerliches Gutachten über die Frage der Ausstellung von Attesten für die zweiten Kinder an. Dabei befürchteten die Minister, daß „es etwas übertrieben seyn würde, wann die hiesige Ober und übrige Ältesten die gantze auswärtige Judenschaft hierunter gleichsam commandiren und sich eine Ober-Herrschaft, die ihnen keinesweges zu gestatten, der Königl. Intention zuwieder anmaßen wollen“. 105 Daraufhin kam es am 9. November zu einer Konferenz des Generalfiskals mit Veitel Ephraim und Daniel Itzig, die sich vehement gegen den Vorwurf einer angemaßten Autorität über die Landjudenschaften wehrten. Stattdessen sei es lediglich Pintus Lewin, der Schwierigkeiten mache, während alle übrigen Landjudenschaften in der Sache einig gewesen seien. Auch habe der König zweifelsfrei zu erkennen gegeben, daß die Ältesten der Berliner Gemeinde eine Arth von Direction auch in Betracht der fremden Provintzien haben sollen. Daß dieses seine Richtigkeit habe, sey daraus sogleich abzunehmen, daß der Jude Pintus sich erbothen, das Recht, das 2. Kind anzusetzen, für seine Judenschaft theuer zu kaufen, wenn nur die hiesigen Juden-Ältesten dabey nichts sagen dürften. 106

In der Frage der Atteste schwenkte das Generaldirektorium daraufhin zwar am 21. November auf die Linie der Berliner Ältesten ein, forderte jedoch vom Generalfiskal, den der Gemeinde zugestandenen Besitz weiterer 30 Häuser auch bei der Repartition zu berücksichtigen. 107 Daraufhin kam es in den folgenden Wochen in der Tat zu einer deutlichen Modifikation der ursprünglichen Repartition. Von den 30 zugestandenen Häusern waren zwar fünf bereits mit Konzessionen ausgestattet worden. Für die übrigen 25 hatte die Berliner Judenschaft jeweils 500 Rt. zusätzlich beizusteuern, so daß die schließlich gebilligte Repartition eine deutliche Mehrbelastung der Berliner Gemeinde vorsah, die wiederum die einzelnen Provinzen spürbar entlastete (vgl. Tab. 3). Die Ältesten der Hauptstadt baten daraufhin am 1. Januar 1765, die Eintreibung der ausstehenden Gelder zunächst ihnen selbst zu überlassen, um nach Möglichkeit den Einsatz staatlicher Zwangsmittel zu vermeiden, zumal man mit einzelnen Judenschaften bereits in Verhandlungen eingetreten sei. 108 Dennoch erging zwischen dem 9. und 19. Januar an alle Kammern der Befehl, die Judenschaften „durch prompte executivische Mittel dazu ohne fernere Nachsicht gehörig an[zu]halten, damit diese Sache, weshalb wir nicht weiter behelliget seyn wollen, zur Endschaft gelangen möge“. 109 Dabei sollte es sich nur zu bald zeigen, daß es keineswegs nur Pintus Lewin war, der den Berliner Ältesten „Schwierigkeiten“ machte. So bestritten auch die Vorsteher der Judenschaften 105 106 107 108

Ebd., Bl. 78. So nach dem Sitzungsprotokoll ebd., Bl. 81 – 83. Ebd., Bl. 84. GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 103.

124

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

von Minden und Ravensberg, daß die Berliner Ältesten „jemahls autorisiret gewesen, ihrethalben den geringsten Heller vorzuschießen“. Überhaupt habe man von irgendwelchen Verhandlungen über das Recht des zweiten Kindes bislang nicht das Geringste gewußt und müsse deshalb zur Klärung dieser „vorhin gantz und gar unbekandt gewesenen Sache“ um eine Frist von drei Monaten bitten. 110 Dazu reichte man die Abschrift eines auf einer Generalversammlung in Brandenburg an der Havel im Jahre 1750 getroffenen Beschlusses ein, wonach man sich bei sämtlichen Verhandlungen mit der Obrigkeit, insbesondere aber bei der Zahlung von Vorschüssen ein Einspruchsrecht vorbehalten hatte. Tabelle 3 Repartitionstabelle für die zur Ansetzung des zweiten Kindes geleistete Zahlung von 70.000 Rt. 111

Provinz

Zinsen à 5% vom 1. November 1763 bis 1. Januar 1765

Beitrag zur Summe der 70.000 Rt. Rt.

Gr.

Rt.

Gr.

Pf.

Berlin Mittelmark Frankfurt / Oder Pommern Neumark Halle Halberstadt Hohenstein Minden Ravensberg Kleve und Mark Moers Ostpreußen

29.426 7.041 2.261 3.756 6.384 1.916 4.814 2.629 1.606 2.357 6.325 766 713

2 20 16 16 10 16 16 16 4 12

1.716 410 131 219 372 111 280 153 93 137 368 44 41

12 18 22 3 10 19 20 9 16 12 23 17 14

6 8 4 4 1 4 6 7 8 6

Summe

70.000

4.083

8

16

4 2

Derartige Einsprüche hatten nun jedoch keine Aussicht mehr auf Erfolg, denn die Behörden waren sichtlich daran interessiert, das leidige Thema zu den Akten 109

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 87; GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 104. Das Reskript an die Königsberger Kammer wurde zunächst zurückgehalten, da sich die Berliner Ältesten mit der dortigen Gemeinde auf eine Ratenzahlung verständigen wollten. Am 21. Juni wurde das Reskript aber schließlich doch expediert; vgl. für Halberstadt LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 15, Bl. 10. 110 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 112 – 114. 111 Ebd., Bl. 102.

I. Rückgewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes 1763 –1765 125

zu legen. 112 Die Juden Mindens und Ravensbergs mußten dennoch durch obrigkeitliche Exekutionsdrohungen dazu bewogen werden, an der Aufbringung der Summe teilzuhaben. 113 Die Widerstände werden allerdings verständlich, wenn man bedenkt, daß beispielsweise die Subrepartition innerhalb des Fürstentums Minden, das 1.606 Rt. und 4 Gr. nebst Zinsen beizutragen hatte, pro Haushalt fast 50 Rt. ausmachen mußte – etwa das Doppelte des jährlichen durchschnittlichen Schutzgeldes. 114 Auch anderen Orts waren die Belastungen beträchtlich, stößt man doch in der Subrepartition der Kurmark auf ähnliche Summen. 115 In der Neumark hatte allein die Gemeinde von Landsberg an der Warthe 1.334 Rt. und 9 Gr. aufzubringen. 116 Die Landjudenschaften von Kleve und Mark beauftragten Meyer Isaac aus Wesel, Verhandlungen mit den Ältesten aus der Hauptstadt über den zu leistenden Beitrag aufzunehmen, „der von Berlin viel zu hoch angesetzt wurde“. 117 Und selbst die Ostpreußische Judenschaft, nahezu gleichbedeutend mit der relativ wohlhabenden Königsberger Gemeinde, zeigte sich lediglich zu einer Ratenzahlung in der Lage. 118 Noch bevor also die künftig zu etablierenden zweiten Kinder zur Gründung von Manufakturen oder zur Förderung des Außenhandels herangezogen wurden, so ließe sich bilanzieren, hatte die gesamte Judenschaft unmittelbar nach dem Siebenjährigen Krieg eine schwere finanzielle Belastung zu übernehmen. Unklar bleibt dabei lediglich, inwiefern die Ostfriesische Judenschaft daran Anteil nahm, taucht sie doch bezeichnenderweise nicht in der Repartition auf. Andererseits hatten die Berliner Ältesten am 15. Januar 1764 das Generaldirektorium darum gebeten, die Deklaration, wonach jedes zweite Kind künftig ein von ihnen ausgestelltes Legitimationsdokument benötige, auch an die Auricher Kammer ausfertigen zu lassen. 119 Ferner erging offenbar 1766 der noch zu schildernde Befehl, wonach die zweiten Kinder jährlich eine bestimmte Menge an Manufakturwaren auszuführen hätten, auch nach Aurich. 120 Allerdings wird man wohl davon ausgehen müssen, daß diese Expedition eher „mechanisch“ erfolgte, ohne weitere Wirkungen zu entfalten. 121 Dennoch trug die Verhandlungsführung der Berliner Ältesten zweifellos dazu bei, daß sich ihre Position gegenüber den Judenschaften in der Provinz im Laufe der 112

Vgl. den Bericht des Generalfiskals vom 30. März 1765, ebd., Bl. 118. Stern, Bd. III/1, S. 54. 114 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 545. 115 Siehe die Subrepartition in GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 122 – 127. 116 Anonym, Die ausserordentlichen Aufwendungen der Landsberger Judenschaft. 117 So der Beschluß einer Sitzung in Schermbeck am 4. Juni 1765. Siehe Cohen, Landjudenschaften in Deutschland, Bd. 1, S. 72 – 73. 118 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 135 – 136. 119 Ebd., Bl. 16. 120 Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 50. 113

126

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

ersten beiden Jahre nach Kriegsende deutlich verfestigte. Dabei darf durchaus bezweifelt werden, daß ihnen auf der Spandauer Generalversammlung von 1762 tatsächlich jenes umfassende Verhandlungsmandat erteilt worden war, das sie wenig später gegenüber dem König und dem Generaldirektorium in Anspruch nahmen. Der hier zutage tretende Zusammenhang von steigender Abgabenlast und einem gleichzeitig wachsenden Einfluß der Berliner Ältesten wird auch in den folgenden Kapiteln noch häufig aufscheinen und erscheint als eines der Strukturmerkmale der kommenden Jahrzehnte. Denn wenn jüngst festgestellt wurde, daß während der Regierungszeit Friedrichs des Großen innerhalb der jüdischen Elite „die früheren Gruppenrivalitäten der Vergangenheit“ 122 angehörten, so mag dies für die Berliner Gemeinde vielleicht noch hingehen. Im Verhältnis zu den Provinzen zeigt sich hingegen oft genug das Bild einer wachsenden Entfremdung. Doch wurden in diesem Kapitel zunächst einmal lediglich die Auswirkungen geschildert, die die Wiedergewinnung des Rechts zur Ansetzung des zweiten Kindes für die Gesamtjudenschaft mit sich brachte. Wie aber gestaltete sich nun das Etablissement dieses Nachwuchses, dessen Rahmenbedingungen im Reskript vom 1. November 1763 lediglich unklar umschrieben worden waren? Bevor dieser Frage nachzugehen ist, sollte eines Beamten gedacht werden, dessen Arbeit in den kommenden Jahrzehnten von großer Bedeutung für die praktische Ausgestaltung der friderizianischen Judenpolitik werden sollte.

II. Das Generalfiskalat als judenrechtliche Kontrollinstanz In den folgenden Kapiteln wird immer wieder von dem bereits erwähnten Generalfiskal d’Anières die Rede sein, dem aufgrund seiner umfassenden Kontrollfunktion wohl wichtigsten Beamten auf dem Feld der Judenpolitik. In Anknüpfung an anderen Orts detaillierter ausgeführte Betrachtungen 123 soll deshalb im folgenden zunächst das Generalfiskalat und anschließend mit Friedrich Benjamin Loriol de 121 Im Rahmen des Exportzwangs von Porzellan wurde der Registratur des Generaldirektoriums einige Jahre später schließlich anbefohlen, mit Rücksicht auf die besondere Verfassung des Judenwesens in Ostfriesland künftig ohne ausdrücklichen Befehl keine Zirkularreskripte mehr nach Aurich zu expedieren. Angesichts der weit verbreiteten Armut der dortigen Judenschaft war die Ansetzung eines zweiten Kindes für die allermeisten Familien ohnehin rein hypothetisch; siehe hierzu Kap. G.V. 122 Bruer, Aufstieg und Untergang, S. 89. 123 Hierzu ausführlich Schenk, Generalfiskal d’Anières. Sofern im folgenden keine separaten Quellennachweise erfolgen, finden sich solche in diesem Beitrag, zu dem hier zwei Ergänzungen angebracht seien. Aufgrund eines Satzfehlers ebd., S. 222 fehlt folgender Judaicatitel bei der Beschreibung seiner Privatbibliothek: „Processus inquisitorius, welcher in der königl. böhm. Residenz-Stadt Prag, von dem hochlöbl. königl. AppellationsTribunal ... im Jahr 1694 wider beyde Prager-Juden Lazar Abeles und Löbl Kurtzhandl,

II. Das Generalfiskalat als judenrechtliche Kontrollinstanz

127

la Grivillière d’Anières (1736 –1803) jener Mann vorgestellt werden, welcher der Behörde in den Jahrzehnten nach dem Siebenjährigen Krieg vorstand. Während in Brandenburg Fiskale bereits seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar sind, datiert die Einrichtung eines Generalfiskalats als preußischer Zentralbehörde, die über die Wahrung der landesherrlichen Gerechtsame, die Tätigkeit der Behörden und Beamten sowie die Einhaltung der Gesetze zu wachen hatte, auf das Jahr 1704. 124 Zugleich Zentral- und kurmärkische Provinzialbehörde, wies das 1737 dem neu ernannten Justizminister Samuel von Cocceji (1679 – 1755) unterstellte Generalfiskalat jedoch zahlreiche strukturelle Schwächen auf, die zu einem schleichenden Niedergang der Behörde in den folgenden Jahrzehnten führen sollten. Insbesondere ist hierbei auf die mangelnde Personalausstattung hinzuweisen, die eine effektive Dienstaufsicht über die Provinzfiskale faktisch unmöglich machte. Noch der Berliner Adreßkalender von 1796 listet neben acht für Berlin zuständigen Fiskalen lediglich den Kriegsrat Karl Ferdinand Wilhelm Beseke als „Adjunktus Fisci und verordneter Assistent des General Fiscals von Anieres“ auf. 125 An der im Laufe des 18. Jahrhunderts zu konstatierenden Verbesserung der Rechtspflege in Preußen vermochte das Generalfiskalat deshalb kaum mitzuwirken. 126 Den schleichenden Ansehensverlust bekam vor allem d’Anières’ unmittelbarer Amtsvorgänger Johann Christian Uhden zu spüren, der 1763 nach wiederholten Unmutsbekunungen des Königs über die mangelnde Dienstaufsicht des Generalfiskalats seinen Posten räumen mußte. 127 Auf Vorschlag des hugenottischen Großkanzlers Philipp Joseph von Jariges (1706 – 1770) ernannte der König daraufhin den zu diesem Zeitpunkt 27jährigen Obergerichtsrat d’Anières zu dessen Nachfolger. Dieser stammte aus einer angesehenen Familie der Berliner hugenottischen Kolonie, die im ausgehenden 17. Jahrhundert aus dem burgundischen La Bresse über die Schweiz nach Brandenburg emigriert war. Als Sohn des 1705 geborenen und an der Friedrichsstädtischen Kirche wirkenden Prediwegen des ex odio christianae fidei, von ihnen Juden, ermordeten zwölffjährigen jüdischen Knabens, Simon Abeles, als leiblichen Sohn des erstern, verführet; und zu mehrern Erhöhung des christlichen Glaubens ... samt denen dienlichen Haubt-Inquisitions-Acten ... in offenen Druck gestellet worden, Prag 1696 [Nr. 5.390].“ Zu d’Anières’ Bibliothek siehe ferner den Brief Johann Müllers an den Schweizer Schriftsteller Karl Viktor von Bonstetten (1745 – 1832) vom 13. Januar 1781 in: Heinz Graber / Doris Walser-Wilhelm / Peter Walser-Wilhelm (Hrsg.), Bonstettiana. Historisch-kritische Ausgabe der Briefkorrespondenzen Karl Viktor von Bonstettens und seines Kreises (1753 –1832), Bd. 4 (1780 –1784), Göttingen 2002, S. 144 – 147, hier S. 145. 124 Schmidt, Fiskalat und Strafprozeß, S. 106 – 107. 125 Adreß-Kalender Berlin 1796, S. 120 – 121. Zu Besekes Haltung gegenüber den Juden urteilt mit Blick auf das Fürstentum Halberstadt Halama, S. 278: „Seine gutachtlichen Bemerkungen weisen ihn als überkorrekten Beamten aus, der seine Entscheidungen allein aufgrund der vorliegenden Akten und der vorgegebenen Vorschriften fällte. [...] Menschliche Regungen sind bei ihm weder für noch gegen die Juden zu vermerken.“ 126 Sieg, S. 49. 127 Vgl. A.B.B.O., Bd. XIII, S. 181, 257.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

gers Paul de Loriol hatte der Kandidat zunächst das Collége francais besucht, wo er durch den einflussreichen reformierten Pfarrer und Sekretär der Akademie der Wissenschaften Johann Heinrich Samuel Formey (1711 – 1797) unterrichtet worden war. Die nächste Station seiner akademischen Sozialisierung bildete die Universität Halle, wo er sich im Oktober 1755 in die Matrikel einschrieb, um bei Daniel Nettelbladt (1719 –1791), einem der einflussreichsten Schüler Christian Wolffs (1679 – 1754), die Rechte zu studieren. Gelegenheit zur Profilierung bot im Vorfeld der Ernennung zum Generalfiskal unter anderem d’Anières’ Mitwirkung als Referendar am Prozeß gegen Anton Friedrich Groschopp, den Ersten Direktor der Kurmärkischen Kammer, der sich der Beihilfe bei Wuchergeschäften mit Holz, Ziegeln und Getreide schuldig gemacht hatte. 128 In der Instruktion für d’Anières betonte Friedrich, er müsse gerade durch gehen und Niemanden schonen oder scheuen und, wann die Collegia, General-Directorium und Kammern auf seine Vorstellungen oder Anzeigen keine Attention haben, Mir solches anzeigen, indem er, wie gedacht, von Mir eigentlich dependiret, da Ich ihn dann gewiß souteniren werde. Nur, daß er überall gerade durch gehen und, wann jemand wider die Gesetze und Verordnungen des Landes handelt, gleich deshalb bellen und sein Amt beobachten muß. 129

Da dieser Auftrag jedoch nicht mit einer Abstellung der strukturell und personell bedingten Mängel des Generalfiskalats einherging, hatte der neue Mann bald mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie sein Vorgänger. Die zahlreichen Funktionen auf unterschiedlichsten Feldern der Verwaltung und Justiz waren kaum zu bewältigen und beschworen Konflikte mit dem Generaldirektorium herauf, das d’Anières beispielsweise im Dezember 1769 zurechtwies, die Vielheit seiner Arbeit dürfe die Beobachtung seiner Pflichten und Aemter nicht aufheben, sondern er müsse sich nach Gehülfen umsehen und etwa einen ihm subordinirten Fiscal unter seiner Aufsicht besonders dazu gebrauchen, damit seines Verzuges halber keine Unordnung entstehe, wenn er die Sachen alle zu bestreiten außer Stande sei. 130

Zur „Vielheit“ von d’Anières’ Arbeit gehörte auch das vornehmlich fiskalisch bestellte Feld der Judenpolitik. 131 Seine Aufsichtspflicht umfaßte dabei die Revisi128

A.B.B.O., Bd. XIII, S. 122 – 131. Ebd., S. 273; N.C.C., Bd. 3, Sp. 341 – 344; Simon, Bd. 2/1, S. 508. 130 A.B.B.O., Bd. XIV. Allerdings scheint d’Anières in Akziseangelegenheiten durch die Kameralverwaltung vielfach nur unzureichend unterstützt worden zu sein. So erging am 18. Juli 1764 eine Kabinettsordre an die Pommersche Kammer, in der der König sein „höchstes Mißfallen“ ausdrückte und ihr „auf das ernstlichste“ untersagte, „Dero GeneralFiscal in Ansehung seines Amtes und was Se. K. M. ihn verschiedentlich nachdrücklich aufgegeben und eingebunden haben, Hindernisse [zu] machen“. Siehe N.C.C., Bd. 3, Sp. 451 – 454. 131 Der Generalfiskal war bereits seit 1728 für das jüdische Abgabenwesen in der gesamten Monarchie zuständig. Dem damaligen Amtsinhaber Duhram hatte Friedrich Wilhelm I. in jenem Jahr durch Marginal aufgetragen: „Gen. Dir. vermöge ihren Extract 129

II. Das Generalfiskalat als judenrechtliche Kontrollinstanz

129

on des zahlreich produzierten statistischen Materials über die Juden, die Erstellung von Gutachten zu Ältesten- und Vorsteherwahlen sowie natürlich eine Kontrolle der Abgabenpolitik, so daß jüngst von einer geradezu „omnipräsenten“ Tätigkeit des Generalfiskals gesprochen wurde. 132 Wie der König im Mai 1750 an das Generaldirektorium schrieb, bestand die Aufgabe des Generalfiskalats insgesamt darin, dafür zu sorgen, daß die „Juden es nicht besser hätten als die Christen“, da sie lediglich „ex speciali gratia et ad certum numerum geduldet würden“. 133 So tangierte es auch das Ressort des Generalfiskals, als der König im Zuge der Finanzreform, die 1766 zur Einrichtung der Regie führte, eine Erhöhung der Schutzgelder für die Judenschaft (jährlich bislang 15.000 Rt.) plante, da sich die Anzahl der Juden seit dem Jahr 1728, das die Bemessungsgrundlage abgab, beträchtlich erhöht hatte. 134 Doch während sowohl das Generaldirektorium als auch die Pommersche Kammer diese Pläne unterstützten, legte der junge Generalfiskal einen ungewöhnlich entschiedenen Widerspruch ein. In seinem berühmt gewordenen Gutachten vom 23. März 1765 heißt es, dass die Erhöhung, wo nicht die Beibehaltung der Juden praestandorum mit den gesunden principiis nicht harmoniret, weil man findet, wenn man auf den Ursprung dieses Instituti zurückgehet, dass es sich auf Leidenschaften und Mangel der Einsicht gründet. [...] Die Billigkeit der Juden onerum ist wohl nicht leicht erweislich zu machen. Sie tragen schon [...] fast alle bürgerlichen onera, dazu kommen nun Schutz-Gelder, RecrutenGelder, Calender-Gelder, Trauscheingelder, die Gelder so für die Concessiones zur Chargen-Casse fliessen. Wieviel kosten denselben nicht hiernächst die Einlösungen aller und jeder in ihren Angelegenheiten ergehenden Rescripte, Gutachten, Ordres an die Chargen-Casse, vidimirter Abschriften ihrer Privilegien? Ihre eigene Person müssen sie verzollen, ihren Aufenthalt in Berlin teuer bezahlen, und was dergleichen mehr ist. Wenn man nun eine solche Einrichtung billig nennen wollte, so müßte wenigstens ein Grund dieser Billigkeit angezeigt werden, und ich sehe keinen. 135

Drei Tage später wies der König d’Anières jedoch mit scharfen Worten zurecht und ließ wissen, daß es nicht die Aufgabe des Generalfiskals sei, zu entscheiden,

zahlen alle Juden jährlich in allen Provincien die 13.138 Rt., also habe resolviret, dass kein Jude sol mehr was zahlen in die Provincien Cassen, sondern es sol eine a parte Cassa gemachet werden in Berlin, die sol Duhram Rendandt sein, der schon Salarien hat, und wenn sie nicht quartaliter richtig bezahlen in Berlin, sollen die Juden aus Lande gejagt werden, und ein jeder soll vor alle und alle vor ein stehen.“ Zitiert nach Stern, Bd. II/2, S. 258; ferner ebd., Bd. III/1, S. 24 – 26; Nach Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 453 war damit „eine weitere Instanz geschaffen worden, die unaufhörlich kontrollierend, fordernd und mahnend auf die Mittelbehörden sowie deren nachgeordnete Instanzen eindrang und als weiteres Rad im behördlichen Getriebe vielfach dazu beitrug, den ohnehin schon schwergängigen Verwaltungsapparat noch weiter zu komplizieren“. 132 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 466. 133 Zitiert nach Stern, Bd. III/1, S. 25. 134 Stern, Bd. III/1, S. 48 – 51. 135 Zitiert nach ebd., Bd. III/2, S. 411 – 417, hier: S. 414.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

ob es anzuraten sei oder nicht, daß der Juden Schutz- und Rekrutengelder erhöht werden, da Seine Königliche Majestät Höchstselbst bereits festgesetzt haben, wie es hierunter gehalten werden soll. Mann kann auch nicht absehen, wodurch die Juden gedrückt werden und wie sie es bei denen gegen andere Länder, wo viele resources und Gelegenheit zum Gewinst ist, sehr mäßigen Abgaben anderweitig besser denn in hiesigen Landen haben. 136

So wurden die Schutzgelder 1768 um 10.000 auf 25.000 erhöht, die seit 1728 wegen der Kantonfreiheit erhobenen Rekrutengelder auf 4.800 und die an die Akademie der Wissenschaften zu entrichtenden Kalendergelder auf 400 Rt. festgesetzt. 137 Ferner hatte die Judenschaft seit 1766 jährlich 12.000 Mark Silber für den festgelegten Preis von 12 Rt. pro Mark zur Münze zu liefern, wobei der reale Wert 14 Rt. betragen hätte. 138 Diese Erhöhung der regulären Abgaben, die vierteljährlich aufzubringen waren, und für die die Judenschaft in solidum haftete, 139 lief also parallel mit der Einführung neuer Sonderabgaben, zu denen auch der Textilexport gehörte, auf den nun einzugehen sein wird.

III. Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports Damit gilt es nun, zu den zweiten Kindern und den durch die Obrigkeit definierten Bedingungen ihres Etablissements zurückzukehren. Wenn dabei in der bisherigen Literatur in aller Regel lapidar angemerkt wird, die solchermaßen etablierten Juden hätten jährlich für 1.500 Rt. Manufakturwaren exportieren müssen, 140 so hält diese Aussage einer näheren Untersuchung nicht stand. Zunächst waren die fortan zu beobachtenden Modalitäten bei den Behörden nämlich durchaus unklar. Der König betrachtete einen jährlichen Manufakturwarenexport offenbar lediglich als zweite Wahl, ging es ihm doch bezeichnenderweise weniger um eine Belebung des Handels als hauptsächlich um die Anlage neuer Manufakturen. So teilte Schlabrendorff dem Generaldirektorium sowie dem Kurmärkischen Kammerpräsidenten von der Horst bereits am 14. Januar 1764 mit, daß das Generaldirektorium allemahl, wenn für dergleichen 2. Kinder ein Privilegium gesuchet würde, darauf sehen müßte, daß selbige dergleichen [„nützliche“, also vor allem Seiden-] Fabrique anzulegen 136

Zitiert nach ebd., Bd. III/1, S. 50. Ebd. 138 Zur Silberlieferung ebd., S. 54 – 60. 139 Koch, S. 44. 140 Siehe etwa die mißverständlichen Ausführungen bei Bruer, Juden in Preußen, S. 75, wonach der Staat nach der Zahlung der 70.000 Rt. die Forderung „nachgeschoben“ habe, „jedes Jahr einheimische Waren im Wert von 1.500 Rt. zu exportieren oder die Fabrik für Mützen und Strümpfe in Templin zu übernehmen. Die Judenschaft Preußens entschied sich für den heruntergekommenen Betrieb.“ Daß zwischen den beiden Sonderabgaben ein Zeitraum von etwa vier Jahren lag und die bis dahin angesetzten zweiten Kinder weiterhin Textilwaren zu exportieren hatten, bleibt im Dunkeln. 137

III. Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports

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sich anheischig machen müßten. Se. Königl. Majestätt wollten dahero allemahl, wenn die Patente zur Unterschrift überreichet würden, Anzeige erwarten, was für Fabriquen übernommen worden. 141

Ihm, Schlabrendorff, hätten Daniel Itzig und Veitel Ephraim bereits zugesichert, daß sie zur Zeit unter denen jetzigen Juden noch nicht Entreprenneurs zu dergleichen Fabriquen aufgefunden, sie wollten sich aber ferner darum bemühen und besonders attendiren, daß bey Ansetzung der 2. Kinder [...] vermögende Leute, welche Kräfte und Genie zu oberwehnten Fabriquen hätten, angenommen und von solchen dergleichen angeleget und Sr. Königl. Majestätt Intention dadurch erreichet würde.

Anfangs scheint sich das Generaldirektorium beim Entwurf der neuen Schutzbriefe jedoch wenig um diese Intention bekümmert zu haben. Denn rund 18 Monate später, am 26. Juli 1765, wurde der Zentralbehörde per Kabinettsdekretschreiben mitgeteilt, daß der König die ihm zur Unterschrift vorgelegte Konzession für den zweiten Sohn eines Juden Hertz aus Frankfurt an der Oder nicht eher vollziehen würde, „bis daß derselbe sich anheischig gemachet hat, Manufacturen zu etabliren und deshalb eine schriftliche Versicherung ausgestellet haben wird, so wie solches Sr. Königl. Majestät deshalb bekannt gemachter Intention conform ist“. 142 Diese Intervention Friedrichs verfehlte jedoch offenbar ihr Ziel. Denn wenn man von der Wollmanufaktur, die die außerhalb der folgenden Betrachtungen stehende schlesische Judenschaft für die Erteilung des Rechts zur Ansetzung der zweiten Kinder kollektiv anzulegen hatte, 143 einmal absieht, läßt sich in diesem Zusammenhang keine einzige Manufakturgründung nachweisen. Selbst der im Mai 1765, also noch vor dem Einspruch Friedrichs, in Potsdam etablierte Levi Behrend Hirsch (1739 – 1791), der in der Havelresidenz eine Kamelhaar- und Plüschfabrik betrieb, 144 führte damit lediglich ein bereits 1740 durch seinen Vater Behrend David Hirsch (gest. 1768) gegründetes Unternehmen fort. 145 Auch die zahlreichen Sanktionsdrohungen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten an die Adresse von Juden gerichtet wurden, deren Schutzbrief an dem fortdauernden Betrieb einer Manufaktur oder eines Verlagsunternehmens haftete, hatten mit Ansetzungen auf das Recht des zweiten Kindes nichts zu tun, sondern betrafen meist zuvor unvergleitete preußische bzw. aus dem Ausland zugewanderte 141 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 19, danach auch das folgende Zitat. 142 Ebd., Bl. 129 (Abschrift); vgl. Stern, Bd. III/2, S. 467. 143 Der Betrieb soll auf 109 Stühle angelegt gewesen sein. Genaueres über die Durchführung dieses Projekts ist allerdings nicht bekannt. Siehe Stern, Bd. III/3, S. 1284; vgl. ebd., S. 1281 – 1282. 144 Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 153. 145 Hoffmann, Handwerk, S. 120. 1768 gehörte er zu denjenigen Juden, die auf Betreiben der Kurmärkischen Kammer mottenfräßige Strümpfe aus der Templiner Manufaktur zu kaufen hatten. Siehe unten, Kap. E.I.

132

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Juden. So erging etwa an die Kurmärkische Kammer am 17. April 1766 folgendes, allgemein gehaltenes Reskript: Da wir Höchstselbst wahrgenommen, daß einige der Juden, denen Wir Schuz-Privilegia unter der Condition ertheilet haben, daß sie Fabriquen anlegen wollen, sich gelüsten lassen, nach einiger Zeit die etablirten Fabriquen eingehen zu lassen, dieses aber unserer Höchsten Intention ganz entgegen, vielmehr Unser Wille und Befehl ist, daß dergleichen Fabriquen fortgesetzet werden und die Juden ihre Engagements in allen Stücken erfüllen sollen, so habet Ihr der Judenschaft von wegen Unser zu publiciren und bekannt zu machen, daß auf den Fall, wenn selbige ihre Fabriquen eingehen lassen, dieselben dadurch auch sofort ihres Schuz-Privilegii für verlustig erkläret werden sollen; Weshalb Ihr denn Eurer Seits darauf wohl zu attendiren und wenn dergleichen Fälle sich ergeben, davon unverzüglich Anzeige zu thun habet. 146

Ebensowenig auf zweite Kinder bezogen sind die zahlreich überlieferten Monita des Generalfiskals zu den Generaljudentabellen. So bemerkte d’Anières beispielsweise zur neumärkischen Tabelle vom März 1771: Da der Salomon Hirsch [aus Züllichau] hauptsächlich wegen Fortsetzung der Tapeten Fabrique als Ordinarius concessionirt worden, solche aber schlecht gehet, so würde die Cammer zu berichten haben, ob er nicht wieder unter Extraordinarios zu lociren wäre. 147

Letzteres war also Hirschs ursprünglicher Rechtstitel, weshalb hier ebensowenig wie bei ähnlichen Beschwerden d’Anières’ Juden betroffen waren, die als nachgeborene Kinder etabliert waren. Erst 1783 und damit zu einem Zeitpunkt, als sich die Ansetzungsbedingungen bereits grundlegend gewandelt hatten, legte der in Stargard in Pommern angesetzte Kersten Abel eine „Kiehn Ruß Fabrique“ an und verpflichtete sich, seinen Ruß „so gut und so wohlfeil als den thüringischen zu verkaufen“. 148 Dieser Negativbefund ist kaum verwunderlich, mußte die Gründung eines eigenen Unternehmens die Möglichkeiten eines jungen Anfängers doch nicht nur finanziell, sondern auch im Hinblick auf mangelnde Geschäftserfahrung in aller Regel deutlich übersteigen. So waren gleichartige Bemühungen, die im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel seit etwa 1755 erkennbar sind, schon um 1770 endgültig gescheitert und wurden deshalb zu den Akten gelegt. 149 Da half es 146

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 91. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29. Noch am 31. Januar 1787 instruierte das Generaldirektorium den Generalfiskal, daß sich künftig alle Juden, deren Schutzrecht an den Betrieb einer Manufaktur geknüpft sei, alljährlich im Monat November bei den Oberlandesältesten durch ein entsprechendes Attest der Manufakturkommission zu legitimieren hätten, das fortan den Judentabellen beigefügt werden solle. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 141. 148 MA, I, Nr. 3, Bl. 34; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 255; vgl. Abels Porzellanexport unter Nr. 0920 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 149 Ebeling, S. 197. 147

III. Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports

133

offenbar auch nicht weiter, daß der König gegenüber Schlabrendorff bereits im Januar 1764 erklärt hatte: „... weil zu importanten Seiden-Fabriquen ein ansehnliches Capital erfordert würde und 20 bis 30/m Rt. lange nicht suffisant wären, Allerhöchst Dieselben auch gestatten wollten, daß 2, 3, 4 bis 5 Juden Familien zusammen träten und eine rechte Fabrique mit Nutzen anlegten“. 150 Gerade in der Seidenbranche, darin lediglich dem Baumwollgewerbe vergleichbar, hatten die erforderlichen Investitionen sowie die betrieblichen Voraussetzungen bereits ein derartiges Ausmaß erreicht, daß auch eine Gruppe von Anfängern kaum daran denken konnte, eine solche Manufaktur gleichsam aus dem Boden zu stampfen. 151 Vollends illusorisch mußte dieses Ansinnen schließlich in den westlichen Provinzen sein, wo die Krefelder Familie van der Leyen das Seidengewerbe monopolartig beherrschte 152 und Juden als Manufakturunternehmer so gut wie keine Rolle spielten. So existierte in der Grafschaft Mark im Jahre 1766 kein einziger jüdischer Betrieb. 153 Auch der Mindener Steuerrat Pestel berichtete im selben Jahre nach Berlin, ein jüdischer Fabrikant sei ihm nicht bekannt – die einzige jüdische Manufaktur, eine Bettdeckenfabrik in Petershagen, war bereits vor dem Krieg wieder eingegangen. 154 In Halberstadt war lediglich die Leinenmanufaktur des Generalprivilegierten Michael Abraham von Bedeutung. 155 150 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 19. In diesem Sinne erging am 28. Januar 1764 ein Direktorialreskript an die Kurmärkische Kammer. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 79. 151 Zu den Anforderungen innerhalb des Seidengewerbes vgl. Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 98 – 99: „In dieser Branche, die damit innerhalb des Textilsektors eine besondere Position einnahm, war offenkundig ein ‚Entrepreneur’typ gefragt, der neben großen Finanzmitteln und produktionstechnischen Erfahrungen zusätzlich noch eine sehr gute Marktkenntnis besitzen mußte. [...] Lagerbestände an Material und Fertigerzeugnissen im Wert von mehreren zehntausend Rt. waren keine Seltenheit.“ Das Generaldirektorium selbst ging in einem Reskript an die Kurmärkische Kammer vom 28. Januar 1764 von einem erforderlichen Gründungskapital von bis zu 30.000 Rt. aus. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 79. 152 Zur Krefelder Seidenindustrie Kisch; Buschbell, Bd. 1, S. 163 –169; Mittenzwei, S. 76 – 80. So war im benachbarten Duisburg bereits 1751 verkündet worden, daß neue Schutzbriefe nur noch bei der Anlage von Manufakturen vergeben werden würden, doch die „armseligen Verhältnisse der Juden in Duisburg ließen an so etwas natürlich nicht denken.“ Siehe Roden, S. 44. 153 Baer, Protokollbuch, S. 77. Noch für die Jahre um die Jahrhundertwende gilt: Jüdische „Großkaufleute und Hoffaktoren gab es in der Mark nicht.“ Siehe Jersch-Wenzel, Rechtslage, S. 68; vgl. Dösseler. 154 Stern, Bd. III/1, S. 218. Hierbei handelte es sich um die 1754 angelegte „privilegierte Drell-Fabrique“ des als Extraordinarius etablierten Israel Leeser, der 1767 Konkurs machte. 1772 scheiterte der Versuch, seine weitere Duldung von der Anlage einer Essigfabrik abhängig zu machen. Erst 1788 wurde dem 1792 verstorbenen Leeser Duldung ad dies vitae gewährt. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 503, 650 –651. 1784 gründete der im Jahre 1771 als erstes Kind etablierte Bendix Levi – vgl. Porzellanexport Nr. 0085 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232) – der auch mit ostindischem Porzellan handelte, in Minden eine „Federposen-

134

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Aus diesem Grund wurde der jährliche Manufakturwarenexport, der von Friedrich lediglich als Ausnahme gedacht war, zur Regel. Doch auch in diesem Punkt herrschte vor Ort einstweilen Unklarheit über das künftige Procedere. Leicht verunsichert wandte sich deshalb der in den hinterneumärkischen Kreisen als Steuerrat tätige Georg Christian Dahrenstädt am 16. August 1765 mit der Bitte um genauere Instruktionen an die Neumärkische Kammer. Wie Dahrenstädt berichtete, hatten sich bei ihm drei Juden gemeldet, um auf das Recht des zweiten Kindes angesetzt zu werden. 156 Dabei handele es sich jedoch um eine „gantz neue Sache, und die Principia sind noch nicht festgesetzet, wie mit der Untersuchung verfahren werden soll“. Ihm sei zwar durch die Kammer mitgeteilt worden, daß für derartige Konzessionen nur die vermögendsten Juden in Frage kämen, die darüber hinaus entweder neue Manufakturen anlegen oder aber Exporte preußischer Fabrikwaren übernehmen wollten. Da aber diese Bestimmungen sämtlich „sehr allgemein“ gehalten seien, erbitte er sich nähere Instruktionen darüber, ob die Antragsteller etwa ein genau festzusetzendes Vermögen nachzuweisen hätten und ob im Falle des Manufakturwarenexports ebenfalls ein jährlich durch Zoll- und Akziseatteste zu belegendes Pensum festzusetzen sei. Erst diese Anfrage bewirkte eine Präzisierung der Richtlinien. So wurde der durch die zweiten Kinder nachzuweisende Vermögenssatz auf 2.000 Rt. festgesetzt; eine Summe, die fortan im Laufe jedes Konzessionsverfahrens auf dem Rathaus zu belegen und durch den diskriminierenden Judeneid 157 als eigenes Kapital glaubhaft zu machen war. Um zu verdeutlichen, wie weit dieses makabre und demütigende Verfahren, auf dem Friedrich in einem Edikt von 1757 ausdrücklich bestanden hatte, 158 von den hehren Idealen des aufgeklärten Zeitalters entfernt war, sei hier angeführt, was Pincus Joseph im November 1770 auf dem Rathaus von Frankfurt an der Oder laut aufzusagen hatte: Adonai, ein Schöpfer des Himmels und des Erdreichs und aller Dinge, auch mein und der Menschen, die hier zugegen, ich Pincus Joseph rufe dich an, durch deinen heiligen Nahmen auf diese Zeit zur Wahrheit, daß diejenige Zweytausend und Vier und Viertzig Rt. 12 Gr., welche ich jetzo baar aufgezählet und vorgezeiget, mein eigenthümliches Vermögen, welches ich theils von meinem Vater, theils selber erworben, noch darauf nichts schuldig sey, noch diese Gelder von Jemand erborget habe, noch sonsten eine heimliche Reservation darunter zu verstehen sey, so wahr mir Adonai helfe, wenn ich aber hierunter einige Unwarheit und Falschheit gebrauche, so sey ich herem und verflucht

Fabrique“, die jedoch über einen sehr bescheidenen Rahmen offenbar nicht hinauskam. Siehe ebd., S. 651. 155 Stern, Bd. III/1, S. 219. 156 Dies und das folgende Zitat in BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 18. 157 Die Wurzeln des diskriminierenden Judeneides reichen weit ins Mittelalter zurück. Siehe Böcher; Ziegler; Heinrich, Bodenschatz, S. 78 – 80. 158 N.C.C., Bd. 2, Sp. 249 – 250.

III. Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports

135

ewiglich und daß mir übergehe und verzehre das Feuer daß zu Sodom und Gomorra übergangen und alle die Flüche, so in der Thora geschrieben stehen und daß mir auch der wahre Gott, der Taub und Groß und alle Dinge geschaffen hat, nimmermehr zur Hülfe und zu statten komme, in einigen meinen Nöthen und Sachen, wo ich aber die Wahrheit in dieser Sache sage und bekenne, so helfe mir der wahre Gott Adonai. 159

Bis 1760 und später wiederum waren derartige Eide übrigens in der Synagoge zu leisten, weil die Thora dabei erforderlich, und man diese nur in höchst dringenden Fällen von einem Orte zum andern bringt, und weil die Feierlichkeit der Handlung durch das ehrwürdige des Orts vermehrt wird, und der Eindruck, welchen die Synagoge auf jeden Israeliten macht, ihn noch mehr von einem, in moralischer, religiöser und bürgerlicher Hinsicht gleich großen, Verbrechen abschreckt. Bei der Eidesleistung müssen zugegen sein: zwei Zeugen, welche der Schwörende mitzubringen hat, der Rabbiner oder ein jüdischer Assessor oder Gelehrter, welcher die Vermahnung hält [...] und im Nothfalle auch die Stelle des zweiten Zeugen vertreten kann. 160

Von diesen 2.000 Rt. flossen gemäß Chargenkassenreglement von 1766 jedoch bereits 100 Rt. an den Fiskus ab 161 – eine Summe, die beispielsweise auch von Legationsräten, Hofmarschällen und Akzisedirektoren zu bezahlen war. Zudem scheint man sich im Generaldirektorium, an das die Neumärkische Kammer Dahrenstädts Anfrage am 23. August weitergereicht hatte, 162 recht schnell darauf verständigt zu haben, die Regelsätze der jährlich zu leistenden Manufakturwarenexporte auf 1.000 bis 1.500 Rt. festzulegen, wie anhand einer Durchsicht der in der Folgezeit vergebenen Konzessionen ersichtlich ist. Hieß es bei der im Januar 1765 erfolgten Ansetzung von Isaac Levin im neumärkischen Neudamm noch reichlich unverbindlich, dieser wolle „den Debit einländischer Fabriquen-Waaren befördern“, 163 so liest man anläßlich der Konzession, die dem im neumärkischen Königsberg lebenden Moses Wulff im September des gleichen Jahres verliehen wurde, er habe jährlich Waren im Wert von 1.000 Rt. zu exportieren. 164 Das hier abgedruckte statistische Material, das für die Provinzen Kurmark, Pommern und Neumark vorliegt, zeigt jedoch, daß diese Richtwerte nicht selten auch deutlich unterschritten wurden. Anzumerken bleibt, daß diese Nachweisungen offenbar nicht lückenlos geführt wurden, da beispielsweise der kurmärkischen Liste auf Basis der Berliner jüdischen Heiratsregister noch die Ansetzungen der zweiten Kinder Samuel Michael Bamberg (24. April 1765), Hertz Liebmann Jacob 159 BLHA, Rep. 2, Nr. S.4244, Bl. 5; vgl. zu Pincus Joseph auch den Eintrag in JMFM, PSR B079. 160 Koch, S. 116 – 117. 161 N.C.C., Bd. 3, Sp. 867. 162 BLHA, Rep. 3 Nr. 18560, Bl. 19. 163 GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 13. 164 BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 87; vgl. jedoch die abweichende Angabe in Tab. 6.

136

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800 Tabelle 4 Jährliche Textilausfuhr durch zweite Kinder in der Kurmark 165 Datum der Ansetzung

Name

Ort

Umfang der Exportverpflichtung in Rt.

17. 07. 1765 04. 12. 1765 27. 01. 1766 04. 02. 1766 05. 02. 1766 19. 02. 1766 19. 02. 1766 19. 02. 1766 26. 02. 1766 09. 04. 1766 30. 04. 1766 30. 04. 1766 04. 05. 1766 05. 05. 1766 14. 05. 1766 28. 05. 1766 10. 06. 1766 23. 07. 1766 01. 04. 1767 13. 01. 1768

Aaron Moses Levin Joel Levin Levin Wolff Isaac Jacob Levin Isaac Lazarus Nathan Isaac Israel Aaron Jacob Moses Moses Samuel Israel Wulff Hirsch Levin Ephraim Moses Manasse Jacob Marcus David Jacob Loeser Simon Marcus Hertz Isaac Nathan Itzig Meyer Marcus David Witwe Wulff Samuel

Frankfurt / Oder Havelberg Berlin Tangermünde Gransee Berlin Wriezen Rathenow Strasburg Oderberg Berlin Pritzerbe Bernau Berlin Prenzlau Prenzlau Berlin Wusterhausen / Dosse Schwedt Prenzlau

800 1.500 1.500 1.500 1.500 1.500 600 1.500 1.500 600 1.500 500 1.000 1.500 1.500 1.500 1.500 1.000 200 1.000

Summe

23.700

(29. Mai 1765) und Levi Behrend Hirsch (29. Mai 1765) hinzuzufügen wären. 166 Die angegebenen Summen stellen somit Mindestwerte dar. Mit der Festlegung der hier angegebenen jährlichen Ausfuhrsätze blieb allerdings weiterhin die Frage zu klären, wie die kontinuierliche Erfüllung dieser Bedingung durch die Juden zuverlässig nachzuweisen sei, stand doch zu befürchten, daß die Vorgaben ansonsten „durchgehends wohl nicht zur Würcklichkeit gebracht“ 167 würden. Den Anstoß zu

165

GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 208; vgl. zu Aaron Moses Levin auch den Eintrag in JMFM, PSR B079, wo die Exportverpflichtung gleichfalls dokumentiert ist. Israel Aaron hatte sich zusätzlich zu verpflichten, „auch das Wachs Pressen, so wie solches von dem verstorbenen Manasse Aaron [seinem Schwiegervater] betrieben worden, ferner fortzusetzen“. Zitiert nach Heidenhain, S. 59. 166 Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 146 – 147, 149, 153. 167 Generaldirektorium an Klevische Kammer, Berlin, 18. März 1766, GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 4, Bl. 82.

III. Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports

137

einer Regelung dieses Problems gab der König selbst, der am 13. März 1766 die Gelegenheit nutzte, um dem Generaldirektorium anläßlich der vollzogen zurückkommenden Concession für einen Juden Marcus David p. [aus Berlin, s. o.] und der ihm dabey gemachten Bedingung, daß er jährlich für 1500 Rt. einländische Fabriquen Waaren außerhalb Landes debitiren müsse, zu erinnern und anzubefehlen, daß dasselbe sowohl wegen dieser als auch andern dergleichen Concessionen wohl beachten soll, damit dieser und dergleichen Juden aljährlich ohnfehlbar richtige Atteste beybringen und dadurch bescheinigen müssen, daß sie würcklich und in der That die stipulirte Summe von einländischen Fabriquen Waaren außerhalb Landes debitiret haben. 168 Tabelle 5 Jährliche Textilausfuhr durch zweite Kinder in Pommern 169 Datum der Ansetzung

Name

Ort

Umfang der Exportverpflichtung in Rt.

14. 11. 1765 19. 12. 1765 27. 02. 1766 25. 03. 1766 27. 03. 1766 08. 05. 1766 21. 08. 1766 25. 09. 1766 13. 11. 1766 18. 04. 1767 18. 04. 1767 22. 04. 1767

Joachim Meyer Ascher Moses Michel Meyer Joachim Hirsch Jacob Salomon David Moses Levin Joachim Borchard Seelig Meyer Ascher Gottschalk Beer Jacob Lazarus Philipp Jacob Moses

Stargard Cammin Freienwalde Pyritz Rummelsburg Stolpe Cöslin Lauenburg Rügenwalde Neu-Stettin Bütow Bublitz

„Für mehr als 1.000 Rt.“ 1.000 1.000 100 Stück Tuch 1.500 1.000 1.500 1.000 1.000 1.000 1.000 600

Summe

12.600 Rt. und 100 Stück Tuch

Daraufhin entschied das Generaldirektorium am 19. März, daß die Steuerräte in Zukunft alljährlich „zuverlässige Untersuchungen anstellen und den geschehenen auswärtigen Debit der Einländischen Waaren durch richtige Atteste documentiren lassen“ sollten, um diese Unterlagen jeweils Ende Januar bei den Kammern zur Weiterleitung an das Berliner Fabrikendepartement einzureichen. 170 In der 168 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 133; vgl. Stern, Bd. III/2, S. 482. 169 GStA PK, II. HA, Pommern, Materien, Judensachen, Nr. 9, Bl. 5; vgl. Stern, Bd. III/3, S. 960. 170 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 134; vgl. das Direktorialreskript für die Pommersche Kammer vom 26. Juni 1766 bei Stern, Bd. III/3, S. 959; siehe ferner für das Fürstentum Halberstadt Halama, S. 155.

138

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Instruktion für die Steuerräte der Kurmark vom 1. August 1766 wurde deshalb u. a. dekretiert: Tabelle 6 Jährliche Textilausfuhr durch zweite Kinder in der Neumark 171 Datum der Ansetzung

Name

Ort

05. 07. 1764 10. 01. 1765

Levin Nathan Abraham Loeser

Woldenberg Landsberg / Warthe

24. 01. 1765

12. 09. 1765 17. 10. 1765 31. 10. 1765 21. 11. 1765 30. 01. 1766 10. 04. 1766 24. 04. 1766 31. 07. 1766 31. 07. 1766 09. 04. 1767 06. 05. 1767 25. 05. 1767 25. 06. 1767 07. 04. 1768 02. 02. 1769

Umfang der Exportverpflichtung in Rt.

„200 Stück Tuch“ „Will die Landsberger Fabricanten mit Wolle versehen und die Tücher außerhalb Landes debitiren.“ Isaac Levin Neudamm „Will den Debit einländischer FabriquenWaaren befördern.“ Moses Wulff Königsberg 1.500 Isaac Elias Friedeberg 200 Stück Tuch Hirsch Isaac Neuwedell 400 172 500 Israel Elias Friedeberg 1.500 Simon Jochen Landsberg / Warthe 1.000 Levin Arend Schönfliess 1.500 Marcus Levin Lippehne 1.500 Israel Levin Landsberg / Warthe 1.500 Abraham Michael Bendix Friedeberg 200 Stück Tuch Moses Elkan Zielenzig 1.000 Jochen Salomon Soldin 800 Pestel Wulff und Callies Aaron Manasse 500 Meyer Bendix Zielenzig 600 Hertz Marcus Arnswalde 500 Moses Joel Friedeberg Summe

Mehr als 12.800 Rt. und 600 Stück Tuch

Und ob gar den Juden weiter kein Handel, als in dem General=Juden=Reglement de 1750 nachgegeben worden, gestattet werden kann; so müssen dieselben jedoch zu Beförderung des auswärtigen Debits auf alle Weise animiret werden, und vornehmlich diejenigen, so sich zu Anlegung gewisser Manufacturen, Fabriken oder gegen Erhaltung des Rechts der

171

GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 13. Nach GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29 mußte Isaac zudem jährlich 200 in Neuwedell gefertigte Tücher exportieren. 172

III. Zu den Modalitäten des Manufakturwarenexports

139

Ansetzung des zweyten Kindes zum Debit einer Quantität inländischer Fabriken=Waaren außerhalb Landes verbindlich gemacht haben, zur genauen Erfüllung ihres Engagements, mit allem Nachdruck angehalten, und nicht nur von den Stühlen, worauf sie arbeiten lassen, sondern auch von den auswärts debitirten inländischen Waaren, mit Ablauf eines jeden Jahres ganz zuverlässige Listen angefertiget und eingeschicket werden. 173

Dieser Instruktion folgte fünf Tage später, am 6. August, die Verordnung, daß fortan jeder Jude mit einer Strafe von 200 Rt. zu belegen sei, falls er die entsprechenden Atteste nicht rechtzeitig, d. h. bis zum Dezember jeden Jahres, beim Steuerrat einreichte. 174 Fragt man schließlich, welche Textilwaren in den kommenden Jahren von Juden exportiert wurden, so muß auf die prinzipielle Wahlfreiheit der zweiten Kinder hingewiesen werden. Diese wurde zwar nirgends schriftlich fixiert, jedoch andererseits auch nur in einzelnen Fällen bereits im Zuge der Konzessionsvergabe eingeschränkt, wie das Beispiel Abraham Loesers aus Landsberg an der Warthe zeigt, auf das noch einzugehen sein wird. 175 Ferner scheint es insbesondere die Ostpreußische Kammer gewesen zu sein, die sich die Ansetzungen zweiter Kinder gezielt zunutze zu machen suchte. So wandte sich das Kollegium anläßlich der 1766 vollzogenen Konzession für Asser Levy aus Königsberg an das Generaldirektorium und bat am 22. Januar 1767 darum, daß Levy zukünftig (bei einer Gesamtausfuhr im Wert von 1.500 Rt.) auch Königsberger Wollprodukte für mindestens 500 Rt. exportieren müsse. 176 Speziell der Ostpreußischen Kammer waren derartige Zwangsmaßnahmen offenbar hoch willkommen, zeigten doch die christlichen Kaufleute am Pregel nur wenig Interesse am Vertrieb einländischer Fabrikate, sondern zeichneten sich stattdessen durch eine ebenso ausgeprägte wie lästige Affinität gegenüber freihändlerischen Ideen aus. 177 Abgesehen von diesen Sonderfällen galt allerdings die freie Wahl, für die sich die Berliner Ältesten 1765 in Verhandlungen mit der Klevischen Judenschaft auch 173 Zitiert nach Richter, Bd. 1, IV. Stück, S. 104 – 105. Weiter heißt es: „Bey welcher Gelegenheit die Steuerräthe zugleich dahin angewiesen werden, die geordnete Juden=Listen zu rechter Zeit einzusenden, die Juden zur prompten Berichtigung ihrer Abgaben, und zwar jederzeit vierzehn Tage vor Ablauf eines jeden Quartals, anzuhalten und nicht zu gestatten, daß dem General=Juden=Reglement in dem geringsten Stücke zuwider gehandelt werde, oder fremde Juden länger, als vier und zwanzig Stunden, außer wenn es in Prozeß=Angelegenheiten, und der Jüdischen Feyertage halber unumgänglich nöthig, bey Strafe eines Dukaten für jeden Tag, sich an einem Orte aufhalten dürfen, noch eine Jüdische Trauung vorgenommen werde, bevor nicht für die Concession und den Trauschein die geordnete Jura erleget sind.“ 174 Reskript des Generaldirektoriums in LAG, Rep. 38 b, Naugard, Nr. 277, Bl. 6; LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 16, Bl. 5. 175 Siehe unten, Kap. III.V. 176 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4552, Bl. 13. 177 Straubel, Königsberg und Memel, S. 69 – 73.

140

D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

ausdrücklich einzusetzen versprochen hatten. 178 Es verdient zudem Beachtung, daß auch innerhalb der einzelnen Sparten des Textilgewerbes keinerlei Restriktionen erkennbar werden, wie ein Blick auf die vielfach erhaltenen Ausfuhratteste verdeutlicht. So profitierte von den Zwangsexporten in den kommenden Jahren auch die Baumwollsparte, der der König mit Rücksicht auf die Wollmanufakturen zumindest ambivalent gegenüberstand. Auf diese Weise konnte beispielsweise Aaron Moses Levin aus Frankfurt an der Oder 1774 eine Ladung Kattun über Erfurt ins sächsische Friedland exportieren. 179 Auch die Knöpfe, die Isaac Lazarus aus Gransee im Dezember 1770 nach Fürstenberg in Mecklenburg-Strelitz ausführte, wurden offenbar anstandslos akzeptiert. 180 Damit stellt sich die Frage nach der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung dieser Textilexporte. Für die drei Provinzen, für die sich Aussagen über die Gesamtexporte der zweiten Kinder treffen lassen (also Kur- und Neumark sowie Pommern), liegen auf Basis der Generalfabrikentabelle Ausfuhrstatistiken für das Jahr 1781 vor, die zumindest einen groben Überblick über die Größenordnungen erlauben. Tabelle 7 Ausfuhrstatistik Pommerns sowie der Kur- und Neumark von 1781 (alle Angaben in Rt.) 181 Provinz

Seide

Wolle

Leinen

Baumwolle

Pommern Neumark Kurmark

Total



43.383

3.062

1.511

47.956



269.632

2.471

132

272.235

594.820

611.376

18.373

136.027

1.360.596

Legt man diese Angaben zugrunde, so hätten die Ausfuhren der zweiten Kinder – zumindest auf dem Papier – im gewerbeschwachen Pommern (12 Fälle) beachtliche 26,3 %, in der Neumark (19 Fälle) 4,7% und in der stark entwickelten Kurmark mit dem Manufakturzentrum Berlin (20 Fälle) immerhin noch 1,7 % der Gesamtexporte auf dem Textilsektor ausgemacht. 182 So unsicher die hier angeführten Zahlen auch sein mögen, sind sie doch ein klarer Indikator für den regional freilich unterschiedlich zu gewichtenden, insgesamt aber hohen gewerbepoliti178 Baer, Protokollbuch, S. 48. Unzutreffend ist die Angabe bei Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 50, wonach die zweiten Kinder lediglich Waren „der königlichen Manufakturbetriebe“ hätten ausführen dürfen. 179 StA Frankfurt / Oder, I, VII, Nr. 103, Bl. 92, 97 – 98. Weitere Exportatteste Levins ebd., Bl. 35, 139 – 140, 197 – 200; Nr. 108, Bl. 251 – 254, 274 –279; Nr. 109, Bl. 11 –12, 40 –41, 43, 69; GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XXXI, Nr. 84. 180 Ebd. 181 Zahlen nach Behre, S. 346. 182 Bei dieser Berechnung wird etwas vage davon ausgegangen, daß jedes zweite Kind nur Textilwaren aus seiner Heimatprovinz ausführte. Prinzipiell stand es einem Juden aus Pommern, sofern er keinen besonderen Verpflichtungen unterlag, jedoch frei, seine Exportauflage auch mit Berliner Manufakturwaren zu erfüllen.

IV. Probleme aus dem Alltag

141

schen Stellenwert der zwangsweisen Textilexporte. Insbesondere im Rahmen der von Juden ausgegangenen Gewerbeförderung in Pommern sollten diese Befunde zukünftig berücksichtigt werden. 183 Und wenngleich sich der prozentuale Anteil der jüdischen Zwangsexporte in der Kurmark auf den ersten Blick bescheiden ausnehmen mag, müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden: Die hier zu schildernden Textilexporte wurden bereits 1769 durch die Verpflichtung zum Unterhalt der Templiner Manufaktur bei der Vergabe neuer Konzessionen abgelöst, besaßen also nur für die zwischen 1765 und 1769 angesetzten zweiten Kinder Gültigkeit. Bei einem Fortdauern der 1765/66 getroffenen Regelungen wäre der Exportanteil in den kommenden Jahrzehnten deutlich höher gewesen. Außerdem kamen diese Exporte den preußischen Manufakturen kontinuierlich Jahr für Jahr zugute. Und weil gerade die kurmärkischen Provinzialbehörden das offenbar genauso sahen, besaßen die Mitte der 60er Jahre getroffenen Engagements für die damals von ihnen betroffenen Juden über Jahrzehnte hinweg Gültigkeit, worauf noch zurückzukommen sein wird. Ohne daß sich genauere Aussagen treffen lassen, kamen auf diese Weise doch unzweifelhaft mehrere Hunderttausend Reichstaler zusammen. Allerdings wurde bislang nur eine Seite, nämlich die Theorie dieser „Politik der großen Zahlen“ 184 geschildert. Die Praxis sah mitunter ganz anders aus, wie sich nur zu bald zeigen sollte.

IV. Probleme aus dem Alltag Zur Annäherung an die Frage, wie die somit getroffenen Regelungen umgesetzt wurden, empfiehlt sich zunächst ein Blick in die Akten des Generalfiskalats, war es doch dessen Chef d’Anières, der letzten Endes nahezu die gesamte Judenpolitik des Generaldirektoriums und somit eben auch die Durchführung der Textilexporte zu überwachen hatte. Übersieht man jedoch dessen bald üppig sprudelnde Monita, so sind an der Effizienz des neu installierten Kontrollmechanismus zum Teil erhebliche Zweifel angebracht. Mit Blick auf die ihm 1771, also fünf Jahre nach Einführung der „zuverlässigen Untersuchungen“, eingereichte neumärkische Generaltabelle fragte sich d’Anières etwa,

183 Zu jüdischer Wirtschaftstätigkeit in Pommern ist bislang insbesondere zu verweisen auf Herzfeld, Förderung gewerblicher Entwicklung durch Juden in Hinterpommern. Wenn Herzfeld ebd., 53 zu Recht feststellt: „Die wichtigsten Verleger für die wollverarbeitenden Handwerker waren Juden, die selber keinen Zünften angehören durften, aber keine Mühe scheuten, die Wolle auf dem Lande von deren Produzenten zu beschaffen“, so hatten offenbar zumindest einige dieser Juden auch gar keine andere Wahl, da es sich um zweite Kinder handelte. Überblicksdarstellungen zur pommerschen Judenschaft bei Grotefend; Wilhelmus. 184 Vgl. Desrosières.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Wo der 2. Sohn des Loeser Seelig, Simon Jochen, welcher ex Concessione de 30. Jan. 1766 in Landsberg mit der Jüdin Hanna sich etabliren und jährlich für 1.500 Rt. einländische Fabrique-Waaren debitiren sollen, geblieben, zumahl, da es heißt, daß die Hanna in Königsberg etabliret sey, wo sich doch der Simon Jochen nicht findet. 185

Nicht selten brachten auch die zu dieser Zeit noch nicht unüblichen Namensänderungen bzw. Verwechslungen 186 die Statistik durcheinander: Der Israel Elias [aus Friedeberg] hieß An. 1762 Isaac Elias. Es frägt sich auch, ob dieser Jude dociret habe, daß er seinem Engagement gemäß seit 1765 jährlich 200 Stück Neumärcksche Tücher außerhalb Landes debitirt habe, wiedrigenfalls der Tuchhandel ihm zu inhibiren.

Aber auch ohne Wechsel des Wohnorts oder Namensdurcheinander war nicht klar, ob etwa der Hirsch Isaac [aus Neuwedel] seinem Engagement gemäß seit 1765 jährlich denen dortigen Fabricanten für 200 Stück Tuch die Wolle geliefert, auch solche 200 Stück Tücher nebst andern einländischen Waaren für 400 Rt. exportirt habe?

Die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Allein in den hier auszugsweise zitierten Kommentaren zur Generaltabelle der Neumark finden sich 16 derartige Beanstandungen des Generalfiskals. Doch wenn bemerkt worden ist, daß für viele Beamte aus dem Kameralfach die Kontrolle durch das Fiskalat den „Charakter einer lästigen, ja überflüssigen Aufpasserei“ annahm, dessen Urheber „nicht für voll angesehen werden“ 187 konnte, so scheint dies auch für derartige Monita gegolten zu haben. Bezeichnend ist der Hinweis bei Linnemeier, daß die Monita des Generalfiskals zur Mindener Generaljudentabelle von 1774 erst im April 1777 vom Generaldirektorium an die Mindener Kammer weitergeleitet wurden. 188 Jahre später tappte d’Anières hinsichtlich der neumärkischen Verhältnisse jedenfalls immer noch im Dunkeln und mußte mit Blick auf die Tabelle von 1777 „wiederhohlentlich erinnern, daß der Umstand, ob sie [die zweiten Kinder] ihren Engagements in Ansehung der jährlich zu exportirenden Waaren genüget, gänzlich übergangen 185

Dieses und die weiteren Zitate in: GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29. Die Annahme fester Familiennamen zählte deshalb zu den Maßnahmen der Emanzipationsgesetzgebung, wobei insbesondere die den Juden in Galizien vielfach aufgedrungenen „Ekelnamen“ berüchtigt geworden sind. Siehe Kessler, S. 77 –98; vgl. Silberstein; Menninger. 187 Schmidt, Fiskalat, S. 147 – 148. Allerdings sollten die Mentalitätsunterschiede zwischen Justiz- und Kameralfach auch nicht überschätzt werden. Bezüglich des Kameralstudiums kam Sieg, S. 370 jüngst zu dem Ergebnis, dieses sei keineswegs als „Alternative zur Rechtslehre konzipiert“ gewesen, sondern habe sich auf die „Vermittlung praktischer Einzelkenntnisse beschränkt und entwickelte in Preußen keine eigene politische Lehre. Behördenspezifische Unterschiede der Staatsanschauungen konnte es weder hervorrufen noch spiegelt es sie wider.“ Zur Kameralausbildung der höheren Verwaltungsbeamten ferner Schminnes, S. 61 – 96; Mittenzwei, S. 208 – 223. 188 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 517. 186

IV. Probleme aus dem Alltag

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worden“. Diese Probleme waren keineswegs für die Neumark spezifisch, zeigten sich doch bei der fiskalischen Revision der Kurmärkischen Generaltabelle von 1766 bis 1769 oder der Magdeburgischen Statistik von 1774 ganz ähnliche Komplikationen. 189 Allerdings waren derartige Klagen in der gesamten Staatsverwaltung nichts besonderes, stößt man doch nahezu überall auf ähnliche Probleme, sobald es auf den unteren administrativen Ebenen um die Erstellung des „von oben“ immer umfangreicher geforderten statistischen Materials ging – eine Tendenz, die gerade auf dem Feld der überreglementierten Judenpolitik besonders deutlich zu Tage tritt. Überblickt man die zahlreichen Komplikationen, die die Erstellung der Generaltabellen auf der Ebene der Magistrate verursachte, so verdichten sich einmal mehr die in der jüngeren Forschung ohnehin bestehenden Zweifel an einer durch die „Rathausreform“ Friedrich Wilhelms I., die die Magistrate verstärkt in den staatlichen Instanzenzug eingebunden hatte, 190 angeblich erreichten Durchstaatlichung der städtischen Verwaltungen. 191 So kam Brigitte Meier für die brandenburgischen Mittel- und Kleinstädte zu dem Schluß: „Die Wirkung staatlicher Kontrollen, Weisungen und Reformen auf die Verbesserung der städtischen Verwaltung erwies sich im 18. Jahrhundert als relativ gering. Die Qualität der städtischen Verwaltung wurde letztendlich von den Stadtbürgern bestimmt. [...] Nur wenn sich die Interessen beider Seiten [also des Staats und der Stadt] trafen, waren staatliche Verordnungen auch wirkungsvoll.“ 192 Diese komplexe Gemengelage bei nicht immer konvergierenden Interessen bildete auch den Hintergrund für die zahlreichen Komplikationen auf dem weiten Feld der Judenstatistik, die im folgenden zumindest angedeutet werden sollen. 189 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 141. Mit Blick auf das Herzogtum Magdeburg fragte d’Anières am 24. Juni 1774 beim Generaldirektorium an, „ob nicht die Commissarii locorum mit Ernst anzuweisen wären, die monita mehr zu attendiren [...], da es sonst eine gantz vergebliche Arbeit ist, die jährliche Tabellen zu moniren.“ Zumindest erging in diesem Sinne am 5. Juli ein Reskript an die Magdeburgische Kammer. Siehe GStA PK, II. HA, Magdeburg, Materien, Tit. CCV, Nr. 4, Bd. 2, Bl. 218 –219, 221. 190 Vgl. Schmoller, Deutsches Städtewesen. 191 Grundsätzliche Überlegungen bei Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit; Ders.: Spätmerkantilismus und Manufakturstädte; sowie (in seinen Polemiken gegen Hugo Preuß nicht frei von Verbeugungen gegenüber den neuen Herren) Botzenhart, S. 129 –157; ferner Meier, Städtische Verwaltungsorgane; Mertineit; Meier, Neuruppin. 192 Meier, Stadtbürgertum, S. 281. Dies galt zumal für die schlesische Metropole Breslau, für die Brenker, S. 275 zu dem Schluß kommt, daß es sich beim Magistrat keineswegs um eine Marionette der Obrigkeit gehandelt habe, sondern „daß die Politik in allen Bereichen zwischen dem Magistrat und der Kriegs- und Domänenkammer abgestimmt werden mußte. Magistrat und Kammer standen sich dabei nicht als monolithische Blöcke gegenüber, sie traten auch nicht als Konkurrenten um eine Sache auf.“ Zu ähnlichen Ergebnissen kommt für die westfälische Kleinstadt Herford Rügge, S. 320: „Die Verstaatlichungsprozesse im Lauf des [18.] Jahrhunderts gingen nicht auf Kosten des Magistrats, sondern schlossen ihn mit ein, und er selbst wirkte an ihnen mit.“

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

So erging am 13. Oktober 1763 ein Zirkular an sämtliche Kammern, mit dem diese an Artikel 33 des Generalreglements erinnert wurden, wonach jeweils im Januar „ordentliche Tabellen von denen an jedem Ort befindlichen Juden nach denen vorgeschriebenen Rubriquen eingesandt werden sollen, solches [war] aber bisher noch nicht geschehen“. 193 Ließen sich diese Mißstände noch mit dem Siebenjährigen Krieg entschuldigen, so mußte sich der Generalfiskal nach Lektüre der pommerschen Generaltabelle von 1766 darüber beschweren, daß die Magistrate bei der Erfassung der Daten offenbar recht lustlos agiert hatten: „Überhaupt ist ersichtlich, daß die vorjährigen Tabellen nur immer abgeschrieben und nicht einmahl revidiret worden“, da „sonst nicht so viele errores“ hätten vorkommen können – „Zumahl wenn auch auf die fast durchgängig falsch angegebenen Jahre des Alters derer Frauen und Kinder mit reflectiret werden sollte.“ 194 Über die Instanz der Kammern wanderten solche Rüffel schließlich hinab zu den Magistraten, so daß mit Blick auf die zahlreichen Judenstatistiken treffend bemerkt worden ist, daß „nicht allein die eigentlichen Betroffenen [also die Juden] Objekt einer administrativen Disziplinierung wurden, sondern daß der Apparat sich gewissermaßen fortlaufend selbst disziplinierte“. 195 So mußte sich die Stadtverwaltung im pommerschen Schlawe in Folge der Monita aus dem Generalfiskalat von Kriegsrat Michaely vorhalten lassen: Ich weiß nicht, wie es möglich, daß die beyden bey dem Moses Gottschalck sich aufhaltende Schwester Kinder, Hanna und Gottschalck, so vorm Jahr das erste 7, das andere 3 ½ Jahr erst alt gewesen sind, nach der diesjährigen Tabelle das erste schon ein Alter von 9 Jahren und das andere von 5 Jahren haben können, und endlich, warum ist der Schulmeister, dessen die Tabelle erwehnet, nicht Nahmentlich darin angemercket, wie die geschärfte Verordnungen verlangen? Alle Warnungen und Strafen comminirende Verordnungen scheinen fruchtlos zu seyn, um Einen Hochedlen Magistrat an die Accuratesse zu gewöhnen, die zu beobachten doch keine Schwierigkeit ist. Ich werde mich dahero die comminirte Strafen zu vollziehen gemüßiget sehen. Doch will ich noch dies mahl Magistratui von der jetzt verwürckten 1 Rt. 16 Gr. frey setzen, wovon jedoch Magistratus aber bey künftighin vergessener Accuratesse in Absicht der Tabellen keine Verschonung zu gewärtigen hat. 196

193

N.C.C., Bd. 3, Sp. 293 – 294. LAG, Rep. 38b Schlawe, Nr. 193, Bl. 176. 195 Laux, Zwischen Anonymität und amtlicher Erfassung, S. 98. Ebd. zahlreiche beredte Beispiele. So mußte der Magistrat von Sonsbeck noch 1774 „nochmahlen gestehen den unterschied zwischen ordinarii und extraordinarii nicht zu wißen.“ Kernpunkte des Generalreglements waren also noch 24 Jahre nach seinem Inkrafttreten in Sonsbeck unbekannt! 196 LAG, Rep. 38b Schlawe, Nr. 193, Bl. 283. Ähnliche Beispiele ließen sich in nahezu beliebiger Menge anführen. So verlangte der Weseler Steuerrat Sobbe 1783 vom Duisburger Magistrat Aufklärung darüber, warum „bei dem Leyser Moses ein Sohn namens David, 3 Jahre alt, angesetzet worden, welcher nach der vorjährigen Tabelle noch nicht existiert hat und wovon also nicht zu begreifen ist, wo er so geschwind hergekommen sein könne, da der Leiser Moses erst 1 oder 1 ½ Jahre geheiratet gewesen.“ Siehe Roden, S. 53. Der 194

IV. Probleme aus dem Alltag

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Solche Drohungen bewirkten in aller Regel wenig, zumal die Judentabelle nur eine von 34 statistischen Nachweisungen war, die die Magistrate im Laufe eines Jahres beim Steuerrat einzureichen hatten. 197 Der publizistisch hervorgetretene Potsdamer Steuerrat Johann Daniel Richter, 198 bei dem sich im Laufe der Jahrzehnte offenbar einiges angestaut hatte, rief mit Blick auf die Magistrate noch 1789 aus: So verdorben sind leider die Sitten! [...] Ein Schriftsteller in Herrn Wienkopfs Journal für denkende Männer schlägt vor, daß man bey den Civil=Beamten auch, wie bey den Militair=Bedienten, eine gewisse Art von Arrest einführen, worein man die säumigen so lange setzen und ihnen die erforderlichen Acten zugeben solle, bis sie die rückständige Arbeiten fertig gemacht hätten. Inzwischen lassen wir auch diesen Vorschlag dahin gestellt seyn. 199

Mit der Instanz des Steuerrates wäre die Ebene der „reisenden Kontrollbeamten“ (Schmoller) angesprochen, die die Amtsführung der Magistrate zu überwachen hatten und deren Amtsführung seit jeher kontrovers beurteilt wird. 200 Der Einfluß der Steuerräte auf die Judenpolitik wird im Rahmen der Konzessionsvergabe zum Hausbesitz noch näher zu beleuchten sein. 201 An dieser Stelle sei lediglich hervorgehoben, daß auch für den Steuerrat die diversen Judentabellen beileibe Autor kommt zu dem Schluß: „Man merkt, der Magistrat war es leid, immer wieder auf derartige Kleinigkeiten antworten zu müssen.“ Vgl. für die Verhältnisse in Minden im Jahre 1770 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 519: „Offenbar war es für die Kammerbeamten damals nicht möglich, beispielsweise die Zahl der in der Stadt lebenden jüdischen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen exakt zu ermitteln – und dies bei nur 14 Haushalten! So zählte der Kammerkalkulator J. G. Mannger in seiner statistischen Übersicht von 1770 nur 18 ‚Kinder‘, während sich anhand der zeitgenössischen Listen des Generalfiskalats insgesamt 29 Personen dieser Kategorie mehr oder weniger sicher zuordnen lassen.“ 197 So nach einer Aufstellung des Herforder Steuerrats von Hohenhausen vom Oktober 1775. Abgedruckt bei Rügge, S. 223. 198 Zur Person Richters, der im Siebenjährigen Krieg als Auditeur und schließlich als Regimentsquartiermeister eines herzoglich württembergischen Kürrassierregimentes gedient hatte, siehe Radtke, S. 185 – 189; Mittenzwei, S. 144 –145. 199 Richter, IV. Stück, S. 23 – 24; auch den Arbeitseifer der Kammern beurteilte Richter kritisch, schrieb er doch über den vorgeschlagenen Arrest ebd.: „Wollte man ihn ja aber einführen, so müssen auch dergleichen Gefängnisse bey den Kammern selbst eingeführt werden, denn sie thun dort ebenfalls unterweilen nöthig.“ Einen Eindruck vom Umfang des statistischen Materials, das die Kammern ihrerseits dem Generaldirektorium einzureichen hatten, vermittelt eine aus dem Jahr 1777 stammende Nachweisung der Westpreußischen Kammer in Marienwerder. Danach waren an Tabellen einzureichen: jährlich 46 (darunter am Jahresende die Tabelle neu angesetzter Juden, die Generaljudentabelle, die Tabelle getrauter Juden, von Judenhäusern und Gründen sowie die Tabelle der eingekommenen jüdischen Strafgelder), halbjährlich 3, vierteljährlich 11, monatlich 12, halbmonatlich 2 und wöchentlich wiederum 2 Dokumente. Siehe Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 2, S. 360 – 362. 200 Schmoller, Städtewesen, S. 399 – 403; Heinrich, Staatsaufsicht, S. 164 –165; Ziekursch; Grützmacher; Rügge, S. 265 – 279.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

nicht die einzigen anzufertigenden Statistiken waren, die dieser noch dazu lediglich mit einigen wenigen, selbst zu besoldenden Kanzleikräften zu erstellen hatte. Dem weiten, alle Felder der Policey umfassenden Aufgabenbereich entsprechend, waren das etwa Tabellen über die Einwohnerzahl der Städte des Inspektionsbezirks, den Rindviehbestand, den Zustand der Manufakturen, eine alphabetische Liste von Arbeitern und Officianten, Nachweisungen über die Zahl der Webstühle, über die Zahl der Invaliden, den Zustand der Armenhäuser, des Seidenbaus usw. usw. Richter listet in seinen Finanz-Materialien insgesamt 86 verschiedene Tabellen und Nachweisungen auf, 202 und so war es sicher nicht bloße Larmoyanz, wenn er mit Blick auf die zahlreichen Obliegenheiten eines Steuerrats urteilte, daß man hier einen Universal=Cameralisten erfordert, der eben so viel wissen soll, als ein ganzes Collegium vom Präsident und den Directoren [einer Kriegs- und Domänenkammer] bis auf den jüngsten Rath herunter, oder zwanzig mit collegialischer Hülfe unterstützte Männer, deren jeder sich noch dazu auf sein Haupt=Departement mit Fleiß appliciren kann, wissen müssen. 203

Richters Ansicht nach hatte sich das Arbeitspensum eines Steuerrats rückblickend seit den 60er Jahren mindestens verdoppelt, wenn nicht gar verdreifacht: Wenn ein einziger Steuerrath jährlich bis zweytausend Verordnungen erhält, wenn von den Magisträten und Unterämtern in eben der Frist dreytausend Sachen bey ihm eingehen, wenn er des Jahres achthundert Excitatoria erlassen muß, wenn er jährlich bis sechszehnhundert Relationes erstattet, wenn er das Jahr hindurch zweyhundert Resolutiones und Decrete formiret, wenn er siebzig bis achtzig auch wohl bis hundert Rechnungen zu revidiren und zur Decharge zu bearbeiten hat, und wenn er endlich nur alle Monathe zwey Commissiones selbst abhält; so ist diese Foule von Arbeiten gewiß doch keine Kleinigkeit, worzüglich mit daher, weil die Bereisungen von zwölf Städten auch viel Zeit wegnimmt. 204

Diese Defizite auf Magistrats- und Steuerratsebene führten im Ergebnis dazu, daß es selbst bei der Generaltabelle, also einer vergleichsweise „einfach“ zu erstellenden Statistik, zu fortdauernden Problemen kam, die man auch bei einer Bewertung der neu eingeführten Exporttabellen im Auge behalten sollte. Ihrem Anspruch nach waren diese Statistiken zweifellos weitaus ambitionierter als die Generaltabellen, ging es doch nicht lediglich um einige relativ statische Basisda201

Siehe Kap. G.IV. Richter, IV. Stück, S. 141 – 149. Die jüdische Minderheit betrafen dabei folgende Tabellen: „19. Quartal-Juden-Tabelle, über die dabey vorgegangenen Veränderungen, [Ablieferungstermin bei der Kammer:] 16ten Jan., April, Julii, October. 20. Jährliche JudenTabelle, a) von deren Familien, b) Handlungs-Bedienten, c) männlichen Anverwandten, d) Häusern, 30sten Decbr. [...] 52. Von den, durch die sich dazu engagirte Juden, außer Landes zu debitirenden Waaren, 24sten Decbr.“ Letztere Tabelle ist der Gegenstand dieses Kapitels. 203 Ebd., S. 15. 204 Ebd., S. 16. 202

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ten von Mitgliedern der jüdischen Gemeinden, sondern um die kontinuierliche Kontrolle überregionaler Warenströme. Wenn man zudem berücksichtigt, daß bereits die allgemeine und durch Friedrich den Großen in Gestalt der Generalfabrikentabelle stark ausgebaute Gewerbestatistik „geradezu eine Plage für die zu ihrer Herstellung berufenen Beamten [war], die oftmals erst nach Strafverfügungen die Tabellen einsandten“, 205 so ist von vorneherein Skepsis geboten. Dies gilt umsomehr, als der neue Kontrollmechanismus nur dann einige Wirksamkeit entfalten konnte, wenn ein funktionierendes Zusammenspiel innerhalb des institutionellen Gefüges gewährleistet war, hatte doch die Information, ob und wieviel ein Jude an Textilwaren exportiert hatte, einen weiten Weg zurückzulegen, bevor sie schließlich auf dem Schreibtisch des Generalfiskals landete. Am Beginn standen eine oder mehrere Zollstationen, die mit ihren innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr ausgestellten Attesten bestätigten, daß der betreffende Jude für die ihm zur Bedingung gemachte Summe Textilien ausgeführt hatte. Diese Atteste mußten wiederum von den Magistraten und Steuerräten gesammelt und zu einer Tabelle zusammengestellt werden, aus der die jährlichen Gesamtexporte aller zweiten Kinder des jeweiligen Inspektionsbezirks hervorzugehen hatten. Tabelle und Atteste waren daraufhin nach Berlin zum Fabrikendepartement zur ferneren Prüfung einzusenden, bevor schließlich, gewissermaßen als Spitze der administrativen Kette, Generalfiskal d’Anières den gesamten Prozeß noch einmal einer grundlegenden Revision unterzog. Bereits diese Anforderungen samt der Vielzahl der Beteiligten führten zu zahlreichen Komplikationen, wobei unklar ist, ob zu den Unstimmigkeiten auch die Herauslösung der Akziseangelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Generaldirektoriums durch die 1766 eingerichtete „Regie“ beitrug, die nur noch der Aufsicht, nicht der Leitung eines Etatsministers unterstand. 206 Fest steht indes, daß die genauen Modalitäten des Verfahrens zwischen dem Fabrikendepartement und dem Generalfiskalat einerseits sowie der Akzise- und Zolladministration andererseits niemals abschließend geklärt werden konnten. So dauerte es allein mehrere Jahre, bis man sich auf ein einheitliches Formular, die sogenannte Generaldesignation, einigen konnte, so daß in Pommern noch 1772 die Exportnachweise „nicht durchgängig der Vorschrift gemäß eingereichet“ wurden. 207 Viel hemmender als derartiger Sand im institutionellen Räderwerk waren jedoch ganz handfeste Probleme vor Ort, denn auch für das Zoll- und Akzisewesen gilt die 205

Behre, S. 345. Zur Entwicklung der diversen Gewerbestatistiken, allerdings ohne Hinweis auf die nun eingeführte Exporttabelle für die zweiten Judenkinder, siehe ebd. S. 325 – 361; einen aktuellen Überblick bietet Kaufhold, Statistik und brandenburg-preußischer Staat. 206 Zu den Reibereien zwischen der Regie und dem Generaldirektorium, wo insbesondere der Freiherr von Heinitz zu den Kritikern der bestehenden Behördenverfassung zählte, siehe etwa Baumgart: Tendenzen, S. XXVIII. 207 Pommersche Kammer an Kriegsrat Michaely, Stettin, 15. August 1772, LAG, Rep. 38b Schlawe, Nr. 193, Bl. 188.

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absolutismuskritische Feststellung Stefan Brakensieks über den frühneuzeitlichen Staat: „Der politische Körper verfügte zwar über einen mächtigen Kopf und einen wachsenden Rumpf, der allerdings mit schwächlichen Gliedmaßen ausgestattet war.“ 208 Ein besonders beredtes Beispiel für die schwächlichen Gliedmaßen der Staatsmaschine in der Provinz liefern die Probleme, in die Seelig Samuel aus der Grafschaft Hohenstein 209 geriet, nachdem er im Februar 1767 als zweites Kind in Bleicherode angesetzt worden war und sich bei dieser Gelegenheit verpflichtet hatte, jährlich Manufakturwaren im Wert von 400 Rt. zu exportieren. 210 Mit Blick auf die von der Halberstädtischen Kammer am 12. Januar 1769 vorgelegte Generaldesignation, wonach Samuel diese Verpflichtung für das Jahr 1768 vollständig erfüllt und dokumentiert habe, monierte das Fabrikendepartement: Ob nun wohl gedachter Jude Seelig Samuel wegen der im abgewichenen Jahre außerhalb Landes debitirten einländischen Fabriquen-Waaren die Certificate von dem Accise-Amte zu Bleicherode und dem hiesigen Kaufmann und Fabricanten Jacob Lange beygebracht, so müssen doch auch die Atteste von denen Grentz-Zoll-Ämtern wegen deren würcklich geschehenen Exportation herbeygeschaffet werden. 211

Obwohl es sich bei Lange um einen angesehenen Berliner Unternehmer handelte, dessen 1740 gegründete „beträchtliche Wollenmanufactur“ auch das Lob Friedrich Nicolais fand, 212 interessierte es die Beamten in der Folge nicht, daß Samuel die verlangten Atteste von denen Grentz-Zoll-Ämtern [nachträglich] noch zu bewürcken eines Theils darum gantz unmöglich falle, weil ihm nicht bekandt gewesen, daß dergleichen erforderlich, anderntheils notorisch sey, daß er seine Waaren auf dem Rücken in die angrentzenden Schwartzburgischen Lande und auf das Eichsfeld exportire, allwo aber gar keine Grentz-Zoll-Ämter befindlich. 213

Somit ließe sich zunächst auf strukturell bedingte und nicht individuell zu verantwortende Komplikationen des von Samuel betriebenen Land- und Wanderhandels schließen, 214 der auch anderswo, etwa in Minden-Ravensberg, ein 208

Brakensiek, S. 9. Vgl. Halama, S. 222 – 223, 276 – 278. 210 Zur großen Bedeutung, die dem Textilgewerbe in der Grafschaft Hohenstein zukam, siehe Straubel, Verlage und Manufakturen. 211 Fabrikendepartement an Halberstädtische Kammer, Berlin, 1. Februar 1769, LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 16, Bl. 11. 212 Nicolai, Beschreibung, S. 306. Nach Langes Tod (1779) ging der Betrieb in den Besitz von Paul und Cornelius Hesse über. Siehe Krüger, Manufakturen, S. 757. 213 Fabrikendepartement an Halberstädtische Kammer, Berlin, 12. April 1769, LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 16, Bl. 12. 214 Vgl. Reininghaus, Wanderhandel in Deutschland. Wichtig ist demnach auch im vorliegenden Kontext die Feststellung bei Jersch-Wenzel, Rechtslage, S. 75, wonach „die Wirtschaftstätigkeit der Juden um 1800 sehr viel stärker an die Bedingungen und Möglichkeiten der einzelnen Regionen gebunden war, als der übliche Rückbezug auf die im Revidierten Generalreglement von 1750 festgelegten Erwerbsfelder es vermuten läßt.“ 209

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„konstitutives Problem der Akziseeinrichtung“ 215 bildete. Wenn darauf von Berlin aus keine Rücksicht genommen wurde, so war dies allerdings auch kaum anders zu erwarten, schnitt die bestehende Zoll- und Akziseordnung doch auch tief in die Bewegungsfreiheit christlicher Kaufleute ein, denen im Zweifelsfall ebenso weite Umwege zugemutet wurden. Ein Auszug aus d’Anières’ Beschreibung der kur- und neumärkischen Zollverordnungen verdeutlicht dies pars pro toto: Die aus Preussen kommende und durch die Neumarck gehende Kaufleute, müssen bey der Hinreise nach Pohlen, Schlesien, die Marck pp. durch eine dieser Städte, als: Königsberg [in der Neumark], Schönflies, Bärwalde, Soldin, Lippehne, Berlinichen, Bernstein, Arenswalde, Reetz, Dramburg und Schievelbein; bey der Retour aber durch Cüstrin oder Landsberg, Driesen, Hochzeit, Callies, Dramburg, Falckenburg, oder Schievelbein, ihre Route nehmen. Einen andern Weg zu nehmen, und z. B. Zantoch, Friedrichsdorf oder Fürstenau zu passiren, ist ihnen bey Vermeidung der Confiscation der Güther, Wagen und Pferde nicht erlaubt.[...] Die Kaufleute und Juden aus Lippehne, Berlinichen, Landsberg, Driesen, Friedeberg und dergleichen, müssen, wenn sie nach Frankfurth reisen, über Cüstrin, und nicht durch das Sternbergische, bey harter Strafe. 216

Den zollpolitischen Prioritäten hatte sich deshalb auch Samuel zu fügen, da nun einmal „ein für allemahl festgesetzet worden [sei], daß keine Waaren außer Landes passiren sollen, die nicht vorher das Grentz-Zoll-Amt passiret“ hätten. Könne er die Bescheinigungen nicht nachreichen, so habe er zur Strafe für das Jahr 1769 die doppelte Menge von Manufakturwaren zu exportieren. Auch mit seiner Bitte, die noch einmal zu exportierende Menge wenigstens in zwei Raten zu 200 Rt. jeweils 1769 und 1770 abtragen zu können, hatte Samuel keinen Erfolg. Vielmehr hielt das Fabrikendepartement die Kammer am 21. November 1769 dazu an, dem Juden klarzumachen, daß er „bey Verlust der Concession noch in diesem Jahre [also binnen fünf Wochen] für 800 Rt.“ 217 Waren auszuführen habe. Der somit unter maximalen Druck gesetzte Samuel brauchte dennoch bis zum 7. Januar 1770, bis er durch einen letzten Export im Wert von 160 Rt. das für 1760 geforderte Gesamtvolumen von 800 Rt. erreichte – und zwar mit Attesten der Zollämter Kleinbodungen und Sollstedt. 218 Diese Bescheinigungen lassen 215 Nolte, Merkantilismus und Staatsräson S. 58: „Von der Qualifikation und Arbeitsmoral der Akzisebeamten einmal abgesehen, war die Etatserfüllung in Minden-Ravensberg wie in Schlesien aufgrund der ländlichen Gewerbestrukturen um 1740 eine Gratwanderung, die komplizierter wurde, je höher Berlin die Akzisesätze festlegte und der Handel auf dem Land zunahm.“ 216 d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 338 – 339. Ebd., S. 281 kann man jedoch im Abschnitt „Nebenwege“ nachlesen, wie alt das Problem von Schleichwegen war. So war bereits 1578 bestimmt worden: „Wer Schleifwege, den Zoll zu verfahren, gebrauchet, soll der Waare mit Wagen und Pferden verlustig seyn.“ 1768 wurde erneut bekräftigt: „Fuhrleute und Schiffer müssen keine Schleifwege nehmen.“ 217 LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 16, Bl. 13. 218 Ebd., Bl. 23 – 24. Die folgenden Generaldesignationen für die Jahre 1770 (ebd., Bl. 29 – 30) und 1771 (ebd., Bl. 39 – 40) passierten die Kontrolle durch das Fabrikendepartement jeweils unbeanstandet.

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auch Samuels anfängliche Supplik in einem anderen Licht erscheinen, liegen doch beide Orte nur fünf Kilometer nord- bzw. südwestlich von Bleicherode an der Grenze zum Eichsfeld. 219 Die akute Bedrohung seines Schutzes hatte Samuel jedenfalls abgewendet, doch scheint er sich mit seinem bescheidenen Textilhandel, wie hier vorgreifend bemerkt sei, auch in den kommenden beiden Jahrzehnten nur mühsam ernährt zu haben. Zwar baute sich Samuel offenbar in den kommenden Jahren ein Haus, 220 doch bei der Ehe, die Samuel im Dezember 1771 mit einer ausländischen Jüdin einging, 221 kam bereits die Porzellanausfuhr zum Tragen. So hatte Samuel für die entsprechende Konzession zusätzlich zu seinen bereits bestehenden Exportverpflichtungen zunächst 1771 für 50 Rt. und nach 1779 noch einmal für 250 Rt. Porzellan auszuführen. 222 Daß er diese Summe lediglich in fünf Raten zwischen 1780 und 1783 aufzubringen vermochte, obwohl er wie alle übrigen Porcellainrestanten in jenen Jahren durch d’Anières und Grieninger unter maximalen Druck gesetzt wurde, läßt tief blicken. Mit diesem knappen Hinweis wurde hier vorgegriffen, um das stets zu berücksichtigende Grundmotiv der Mehrfachbelastung zahlreicher Juden durch die unterschiedlichsten Sonderabgaben zu verdeutlichen. Bestand Seeligs Problem darin, in einer Gegend zu leben, in die der Staat mit seinen Zollämtern noch gar nicht so recht vorgedrungen war, so garantierte auch die Existenz eines kleineren Zollamtes keinen reibungslosen Ablauf des Procederes. Es wurde in der Forschung bereits vielfach darauf hingewiesen, daß sich das Subalternpersonal im Zoll- und Akzisebereich vornehmlich aus Invaliden sowie sonstigen „wirtschaftspolitische[n] Laien“ 223 zusammensetzte und lediglich bei 219

Vgl. Halama, S. 223. So heißt es 1770: „Außer obigen zu debitirenden 400 Rt. Fabriquen-Waaren hat sich Selig Samuel engagiret, auf die Rüdigersche Baustelle ein logables Haus zu bauen; dieser Hausbau ist dieses Jahr ins Werck gesetzet worden, und zwar ist solches in 2 Etagen 6 Fache breit und 6 Fache tieff im Dach und Fach fertig, [so] daß mit dem Früh-Jahr die Zimmer vollends im Stande sein können, bewohnet zu werden.“ Siehe LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 16, Bl. 29 – 30. 221 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 100. 222 Porzellanexporte Nr. 0131, 0629, 0718, 0794, 0942 und 0961 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 223 Nolte, Merkantilismus und Staatsräson, S. 4. Zitiert sei aus einer Kabinettsordre an Minister von der Horst vom 14. März 1773: „Daß viele Invaliden ihres Dienstes bei der Gen.[eral]-Adm.[inistration] entsetzt werden mußten, ist umso unangenehmer, als sie Mir wieder zur Last fallen, im Grunde aber allezeit besser sind als die verlaufenen Peruquiers u. a. unnütze Subjekte, die die Adm., wie ich mit nicht geringem Mißfallen bemerkt habe, mit dergl. kleinen Diensten versieht. Sie soll angehalten werden, sorgfältiger auf Unterbringung der invaliden Soldaten bedacht zu sein.“ Am 11. Mai führte der König weiter aus: „Es sind übrigens nicht, wie Ihr vorgebt, die Invaliden in den Subalternstellen, die vorwiegend Anlaß zu Betrug und Contrebande geben, die sind ebenso brauchbar wie ein garcon-peruquier: beide haben Überwachung nötig und Bestrafung, wenn sie bei Unterschleif ertappt werden. Ich will, daß die Invaliden vorwiegend versorgt werden...“. Zitiert nach: A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 253. 220

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verantwortungsvolleren Posten „das Interesse des Königs an steigenden Steuereinnahmen letztlich wichtiger [war] als alle Versorgungswünsche“. 224 Daß man im Kreise dieses Subalternpersonals vielfach nur höchst rudimentäre Vorstellungen über die bei den zweiten Kindern zu beobachtenden Regelungen besaß, zeigt ein Beispiel aus dem brandenburgischen Angermünde nahe der Grenze zu Mecklenburg, wo der Zoll durch eine Witwe Mertens administriert wurde. Diese beklagte sich im März 1767 beim Magistrat, ihr sei zwar im Dezember 1765 mitgeteilt worden, daß die im Lande angesetzte 2. Juden Kinder (denn von den dritten hat man keine Verheißung) eine gewisse Quantitaet Einländisch fabricirter Waren außer Landes debitiren sollen und die Zollbeyreuter solches jährlich anzeigen sollen, ob etwas und wieviel ein solcher angesetzter Jude außer Landes debitiret. Allein, soviel auch das hiesige Königliche Zoll Amt sich bemühet, zu erfahren, mit was vor Conditiones die hiesigen Juden angesetzt, so kann man doch nichts erfahren, weil die Juden sagen, das Zoll Amt habe sich darum nichts zu bekümmern. 225

Doch obwohl der von der Witwe beschuldigte Joseph Levin nicht das Recht des zweiten Kindes in Anspruch nahm, sondern 1765 als Erstgeborener auf den Schutzbrief seines Vaters angesetzt worden war, 226 hatte die sich anschließende Untersuchung für ihn unangenehme Folgen. So mußte er im Juli 1767 auf Befehl von Kriegsrat Gerber seinen Laden im Haus des Töpfermeisters Streblow schließen und zurück ins Haus seines Vaters ziehen, da angesetzten Kindern zu Lebzeiten ihres Vaters kein eigener Haushalt gestattet war. Levin bat daraufhin jahrelang um die Erlaubnis, „durch Anwendung meines eigenen Vermögens ein höchst desolates und seinem völligen Ruin immer mehr und mehr sich näherndes Hauß zur Zierde des hiesigen Orths zu retabliren“, wofür er zudem einen Porzellanexport im Wert von zunächst 40, schließlich 50 Rt. anbot. Da sich jedoch in Angermünde bereits ein Haus in jüdischem Besitz befand, nämlich das von Jonas David bzw. seiner

224 Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 389; zum Subalternpersonal der Regie siehe ferner Schultze, Geschichte der Preussischen Regieverwaltung, S. 75 –80; vgl. Baumgart, Tendenzen, S. XXV–XXVI. 225 StA Angermünde, Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 981. Tatsächlich hatte der von der Witwe beschuldigte Angermünder Jude Joseph Levin auf dem Rathaus erklärt, er „wüßte nicht, daß er solche [seine Konzession] der Frau Mertens, als eine Frau, die den Zoll administriret, vorzuzeigen schuldig sey“. In der selbstbewußten Äußerung Levins mag man zudem einen weiteren Beleg dafür erblicken, daß Juden in der Frühen Neuzeit „sehr wohl zu differenzieren wussten zwischen tatsächlichen, d. h. durch den Rahmen der jeweiligen Territorialverfassung legitimierten Autoritäten und solchen Exponenten der Obrigkeit, denen gegenüber kein rechtlich begründeter Zwang zum Gehorsam und zu bedingungsloser Unterwerfung bestand“. Siehe Linnemeier, Christlich-jüdische Konfrontationen S. 49. 1779 bestand die jüdische Gemeinde von Angermünde aus 16 Schutzjuden mit 14 Frauen, 33 Kindern, 3 Knechten und 7 Mägden. Siehe Kukla, S. 150. 226 Seine Konzession datiert vom 13. Juni 1765. Siehe StA Angermünde, Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 993.

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Witwe in der Königsstraße, wurde dieses Gesuch durch die Kurmärkische Kammer am 14. September 1778 endgültig abgelehnt. Dem Magistrat wurde befohlen, auch den Besitzer desjenigen Hauses, welches der Supplicant acquiriren wollen, zu dessen erforderlichen Reparatur anzuhalten und demselben anzudeuten, daß, wenn er es daran ermangeln und das Hauß gänzlich verfallen lassen werde, damit nach den Verordnungen wegen der wüsten Bau-Stellen in den Städten verfahren werden solle. 227

Wichtiger als dieses individuelle Schicksal ist im vorliegenden Kontext jedoch der aufschlußreiche Einblick in die vielfach äußerst bescheidenen Verhältnisse der lokalen Zollverwaltung, eben jener Ebene, auf deren Arbeit die gesamte hier zu besprechende Exportstatistik fußte. Daß bislang nur von vermeintlich verschlafenen Orten wie Bleicherode oder Angermünde die Rede war, sollte jedoch nicht zu dem Schluß verleiten, daß derartige Probleme lediglich in der „Provinz“ auftauchten. Denn selbst in Königsberg, einer der größten Städte der Monarchie, als Sitz einer Kriegs- und Domänenkammer Verwaltungszentrum Ostpreußens und noch dazu Drehscheibe für den Handel nach Osteuropa, 228 erwies sich das Nachweisverfahren oft genug als nicht praktikabel – und zwar noch Ende der 70er Jahre, also mehr als zehn Jahre nach Einführung der statistischen Erhebungen. Leidtragender war diesmal u. a. der eingangs bereits erwähnte, 1766 in Königsberg etablierte Asser Levy, der jährlich Waren im Wert von 1.500 Rt. zu exportieren hatte. Levy mußte offenbar schon bald realisieren, daß er sich mit dieser Zusage übernommen hatte. Denn bereits im März 1768 wandte er sich an die Behörden und erklärte, daß ein solcher Debit für 1.500 Rt. einländischer Wollen-Waaren zugleich eine mit verschiedenen Gattungen anderer Waaren fournirte Pakkammer [Warenlager] unumgänglich voraussezze. Dergleichen aber halte ich gar nicht, sondern das einzige Geschäfte, womit ich als ein junger Anfänger mir mein Brod zu erwerben suchte, bestehet lediglich in einem Commissions- und Wechsel-Handel, womit sich, ohne eine Pakkammer zu halten, der obige Debit nicht vereinbaren lassen will; Und es bleibet mir dahero die mehreste und größeste Unmöglichkeit, das mehrgedachte mir gefundene Quantum einländischer Wollen-Waaren abzusezzen. 229

Um von der bisherigen Ausfuhrverpflichtung loszukommen, bot Levy eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Rt. an. Wie jedoch nicht anders zu erwarten, lehnte das Generaldirektorium diesen Vorschlag ab und schärfte der Ostpreußischen Kammer ein, Levy die Konzession notfalls wieder abzunehmen, falls er seinen Exportverpflichtungen nicht nachkomme. 230 227

Siehe StA Angermünde, Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 1016, 1018. Zum Königsberger Wollwarenhandel sei verwiesen auf die Ausführungen bei Straubel, Königsberg und Memel, S. 69 – 73. 1788/89 erreichte das Ausfuhrvolumen knapp 100.000 Rt., wovon zwei Drittel der Exporte die preußische Monarchie verließen. Zielländer waren dabei vor allem Polen und Kurland. 229 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4552, Bl. 16 –17. 228

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Neben seinen in dieser Supplik geäußerten Problemen hatte Levy jedoch ebenso mit den Widrigkeiten des Nachweissystems zu kämpfen. Dies hing vor allem damit zusammen, daß Levy ebensowenig wie die anderen betroffenen Juden einen großen Packen von Textilien im Wert von 1.500 Rt. auf einen Leiterwagen warf und damit über die Grenze fuhr. Stattdessen verkaufte er über das Jahr verteilt jeweils kleinere Posten an polnische und russische Glaubensgenossen, die für einige Tage am Pregel weilten und daraufhin mit ihrer meist von vielen verschiedenen Anbietern erworbenen Ware das Königsberger Akziseamt aufsuchten. Dort waren die gekauften Waren plombieren zu lassen, wobei die Kaufleute ein Attest über die Gesamtlieferung zur Vorlage beim Grenzzoll in Empfang nahmen. Dieses, dem friderizianischen Fabrikensystem geschuldete und 1766 bei Einführung der Regie noch einmal verschärfte Verfahren gegen Schmuggel war für die Händler, ganz gleich ob sie sich nun zur jüdischen oder christlichen Religion bekannten, bereits mühsam genug. 231 Die Klagen über die langen Schlangen am Friedländer Stadttor, wo jeweils drei Schreiber und Visitatoren regelmäßig mit dem Andrang nicht fertig wurden, sind Legion. 232 Die überlieferten Berichte sind ohne weiteres glaubhaft, waren doch beispielsweise die Anweisungen der Torschreiber kaum miteinander zu vereinbaren, wie folgende Auszüge aus d’Anières’ Aktenpublikation belegen: 8. Die Fremden müssen sie nicht aufhalten. 9. Niemanden müssen sie zur Ungebühr im Thore aufhalten oder beschweren. [...] 12. Die Thorschreiber müssen, damit nichts unverzollet durchgehe, fleissig visitiren, auch die Extra-Posten. 13. Wenn sie Unrichtigkeiten finden und anzeigen, bekommen sie ihren Denuncianten Theil. 233

Und auf letzteren waren die Subalternbeamten der Regie angesichts ihrer kläglichen Entlohnung wohl auch zwingend angewiesen, um überleben zu können. Die Vermutung, daß die ohnehin durch zahllose frühneuzeitliche Policeyordnungen kriminalisierten Juden 234 an den Stadttoren zu denjenigen Personen gehörten, die bevorzugt zu Kontrollen herausgewunken wurden, ist dabei sehr naheliegend. So 230

Generaldirektorium an Ostpreußische Kammer, Berlin, 7. April 1768, ebd., Bl. 18. Straubel, Königsberg und Memel, S. 34; vgl. A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 27 –29. 232 Siehe dazu Gause, S. 181: „Eine Menge von kleinen Widerwärtigkeiten brachte die immer genauere Kontrolle an den Toren und die Erhebung der Zölle mit sich. Es wurden die Waren so genau untersucht – sie mußten teilweise sogar in neue Säcke umgeschüttet werden – und so viele Listen geführt, daß manche Kaufleute und auch die Bauern an Markttagen stundenlang vor dem Tor standen, ehe sie in die Stadt eingelassen wurden. Am Friedländer Tor waren drei Schreiber und drei Visitatoren tätig, und trotzdem bewältigten sie den Andrang nicht. Das wurde eher schlimmer als besser, als 1766 die Akzise neu geordnet und die Regie eingerichtet wurde.“ Speziell ist in diesem Zusammenhang auf die Dokumentationspflicht zu verweisen, der christliche Kaufleute beim Handel mit auswärtigen und lediglich zur Durchfuhr bestimmten Tuchwaren unterlagen. Auch hier blieben Klagen über die geschäftsschädigenden Folgen nicht aus; siehe dazu Straubel, Königsberg und Memel, S. 34. 233 d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 344. 234 Hierzu sehr instruktiv Landwehr. Der Autor betont die mentalitätsbildende Rolle solcher normativer Quellen und stellt entgegen Jürgen Schlumbohms These von den 231

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waren die Akzisebeamten der Kur- und Neumark noch 1733 angewiesen worden, „ordentliche Bürger“ nicht grundlos zu belästigen, „die Juden, Italiäner und andere geringe und verdächtige Leute [jedoch] am Leibe [zu] visitiren“. 235 Ferner wurden gerade auch die Zollbediensteten zu Adressaten der unzähligen Edikte gegen Betteljuden, wie beispielsweise am 5. September 1752, als den Zollstationen in Kleve, Moers und der Grafschaft Mark verordnet wurde, nicht nur alle Pack- und Bettel-Juden, fort alle übrige Bettler, liederliches Gesindel und Vagabonds zurück zu weisen, sondern auch so bald sich dergleichen betretten lassen, dieselben zu examiniren und bey dem allergeringsten Verdacht solche anzuhalten, und der nechsten Gerichts-Obrigkeit einzuliefern. 236

Nach einem weiteren Edikt vom 12. Dezember 1780 waren Alle Gerichtsobrigkeiten, Zollämter, Schulzen und Dorfgerichte, Kreis- und Polizeiausreuter, Thorschreiber, Tobacks- und andere zur Entdeckung der Kontrebande und Defraudationen bestellte Aufpasser und Bediente [...] nicht nur befugt, sondern auch schuldige, die zu Fuße reisenden Juden sowol beim Einpassiren in einen Ort und in ihren Herbergen, als auch selbst auf den Heer- und andern Straßen anzuhalten, von ihnen die Vorzeigung eines obgedachten Attest obgedachter Art [eines Schutzbriefs oder Reisepasses] zu erfordern, und wenn sie dergleichen nicht aufweisen können, oder die darin bestimmte Zeit ihres Aufenthalts in den Königlich-Preußischen Landen verflossen ist, dieselben in den nächsten Gerichtsort zum Arrest bringen zu lassen. 237

Es ist in der Tat schwer vorstellbar, daß solche über Jahrzehnte hinweg wiederholten Edikte nicht in einem umfassenden Sinne mentalitätsbildend gewirkt haben sollten. Zu diesen gleichsam alltäglichen Scherereien traten nun für Juden wie Asser Levy noch die Unannehmlichkeiten des minutiösen Exportnachweises. Denn wie „Gesetzen, die nicht durchgesetzt werden“, ebd., S. 48 fest: „Policeyordnungen waren auf Wirkung angelegt, und man schöpfte die Möglichkeiten aus, um diese auch zu erreichen.“ Vgl. Schlumbohm. 235 d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 343. Das historiographische Feld „Juden und Zoll“, das sich kaum auf das Schlagwort „Leibzoll“ reduzieren lassen dürfte, wurde bislang kaum beackert. Siehe dazu aus dem habsburgischen Bereich den anregenden Aufsatz von Rauscher, S. 299 – 301. Daß Italiener hier mit Juden in einem Atemzuge als verdächtig hervorgehoben werden, war vor allen deren großer Rolle im bekämpften Hausierhandel geschuldet. So erschien die Emsigkeit italienischer Krämer auch in Frankfurt am Main der Konkurrenz als „judenmäßig“. Siehe dazu beispielsweise Augel, S. 200; ferner Reves. Aufschlußreich auch die zeitgenössischen Ausführungen bei Spiker, S. 35 –44, wo mit Blick auf das Mittelalter hinsichtlich lombardischer Händler ebd., S. 44 resümiert wird: „Man sieht daraus, daß sie sich durch ihren Wucher damals eben so verhaßt gemacht hatten, als die Juden. In dieser Bedeutung kommen sie auch in der Folge immer mit denselben in einer eben nicht rühmlichen Verbindung vor, wie z. B. in den Reichspolizeiordnungen von den Jahren 1530, 1548 und 1577.“ 236 N.C.C., Bd. 1, Sp. 359 – 360. 237 Terlinden, S. 105.

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die Kammer im Februar 1778 berichtete, hatten Levy und Zacharias Simon 238 ihre Verbindlichkeiten zwar vollkommen erfüllt, könnten dies aber nur durch Atteste des Königsberger Plombageamtes nachweisen, da es ihnen nicht möglich gewesen sei, die geforderten Exportatteste des Zolls zu erhalten. 239 Stattdessen hatte das Grenzzollamt die Atteste des Königsberger Plombageamtes, die ihm von den das Land verlassenden Kaufleuten ausgehändigt worden waren, wiederum an die ausstellende Behörde zurückgeschickt. Dort hatten die Plombagebeamten aus ihren selbst ausgestellten Attesten, die sich, wie geschildert, stets auf eine Gesamtlieferung bezogen, beglaubigte Extrakte angefertigt, aus denen hervorging, mit welchen Summen einzelne Königsberger Juden an diesen Exporten partizipierten. Auf diese Weise wurde etwa Zacharias Simon bestätigt, daß er im Laufe des Jahres 1778 Textilwaren im Gesamtwert von 5.859 Rt. nach Polen exportiert habe. 240 Für Händler wie Simon war dieses Verfahren sicherlich bereits zeitraubend genug, und auch beim Generaldirektorium nahm man an diesem nicht ganz vorschriftsmäßigen Verfahren zunächst noch keinen Anstoß. Erst, als im Folgejahr Levy, Simon sowie drei weitere Königsberger Juden wiederum lediglich Atteste des Plombageamtes vorzuweisen hatten, reagierte man in Berlin ungehalten. So heißt es in der von der Kammer für das Jahr 1778 eingereichten Generaldesignation über Zacharias Simon: Denn ob er gleich in diesem letzten Jahre alle mögliche Mühe sich gegeben zu haben versichert, die Atteste der Grenz-Zoll-Ämter zu erhalten, so sey er doch nicht zu seinem Zweck gekommen, indem eines Theils die Pack-Juden, so die Waaren abnahmen, die mitbekommenen Passier-Zettel nicht remittiret, anderntheils aber, wenn solche ja zurückkähmen, von der Beschaffenheit wären, daß durch selbige die eigentliche Exportation nicht zu bescheinigen sey, da die Passir-Zettel auf größere Posten und mehrere Absender durcheinander ausgestellet würden und also darauf nicht zu erkennen sey, wie viel ein jeder abgesendet. 241

Der zuständige Referent im Generaldirektorium versah das Dokument jedoch mit der folgenden barschen Randnotiz: Die Entschuldigungen des Juden sind völlig unerheblich; giebt er die zu exportirenden Waaren einem frembden Juden hin, so muß er wissen, wem er die Commission giebt, und für seinen Commissionär haftet er allezeit. Die Ausflucht, daß mehrere Posten auf einem Zettel stehen, ist so elend als möglich, es kann ein Begleitungs-Schein auf die kleinste Post eintzeln gelöset werden. 242

238 Simons Verpflichtung, jährlich für 300 Rt. Manufakturwaren auszuführen, war seiner Konzession vom 16. Juni 1753 geschuldet. D’Anières notierte: „Hat pro 74 nicht genüget, hat genüget pro 76 [...] Muß pro futuro die Exportation besser dociren [...] Hat genüget pro 77, muß pro 78 die Exportation besser dociren, bey Strafe der Cassation des Privilegii.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 7. 239 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4778, Bl. 5. 240 Ebd., Bl. 172. 241 Ebd., Bl. 70.

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Aufgrund der mangelhaften Dokumentation müsse man die Exporte Simons und der anderen Juden deshalb als ungeschehen betrachten und ihnen bei Strafe des Entzugs der Konzession befehlen, die Ausfuhren umgehend noch einmal zu leisten und besser nachzuweisen. Daraufhin verfaßten Levy, Simon sowie drei weitere Juden am 26. August 1779 eine Supplik, in der sie auf die praktische Unmöglichkeit des verordneten Nachweissystems hinwiesen. Sie verkauften ihre Waren nun einmal an zahlreiche verschiedene Abnehmer, deren Pakete bereits in Königsberg plombiert werden müßten, ohne an der Grenze noch einmal geöffnet zu werden: Würden wir nun von den fremden Kaufleuten verlangen, daß sie die von uns erhandelten einländischen Waaren besonders einpacken, selbige bey der Grenze wiederum vorzeigen und ein besonderes Attest von dem Grenzort besorgen sollten, so würde unser Umsatz an einländischen Fabriquen-Waaren wegen Beschwerde der fremden ganz aufhören. 243

Die auswärtige Kundschaft würde sich stattdessen an ihre christlichen und jüdischen Konkurrenten halten, bei denen derartige bürokratische Schikanen nicht zu berücksichtigen seien. Das offenbar unsicher gewordene Generaldirektorium wandte sich deshalb an Generalfiskal d’Anières, der zur Regelung dieser Angelegenheit „hinreichende, jedoch auch nicht ohne Noth weitläuftige und kostbare Mittel und Vorschriften“ 244 in Vorschlag bringen sollte. D’Anières gab sich in seinem Gutachten vom 9. November 1779 jedoch hart und forderte, bei dem bisher tolerierten Nachweis durch Atteste des Königsberger Plombageamtes könne es nicht bleiben, da ansonsten „kein Stück Waare aus dem Lande gehen“ 245 würde. Die Ostpreußische Kammer, mit den Folgen einer solch unflexiblen Haltung offenbar aus eigener Anschauung besser vertraut, plädierte hingegen für Erleichterungen, insbesondere aber für einen Verzicht auf den Nachweis durch Exportatteste der Grenzzollämter. Anderenfalls würde den Juden, deren Argumentation die Königsberger Beamten hiermit übernahmen, „die Exportation äußerst erschweret, [zumal] auch jeder Auswärtige sich scheuen muß, von ihnen einländische Fabricata zu nehmen und um deshalb lieber zu andern gehen [würde], denen dergleichen Verbindlichkeit nicht oblieget“. 246 242

Ebd., Bl. 70. Ebd., Bl. 113 – 115. 244 Ebd., Bl. 129 – 130. 245 Ebd., Bl. 132 – 133. Der Generalfiskal tröstete sich jedoch damit, daß die Regelungen in Frankreich noch weitaus komplizierter seien, indem bei Waren, die nicht im Lande bleiben dürften, sogar der Zielort in den Dokumenten angegeben werden müsse – jeweils beglaubigt durch den französischen Konsul oder, sofern es einen solchen am Zielort nicht gebe, durch die städtischen Gerichte. Es wäre sicher eine interessante Fragestellung, derartige Wertungen d’Anières’ mit den Beständen zur französischen Kameralistik in seiner Bibliothek „abzugleichen“. Zu d’Anières’ Buchbesitz siehe Schenk, Generalfiskal d’Anières, S. 209 – 223. 243

IV. Probleme aus dem Alltag

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Dennoch schickte das Generaldirektorium auch im Oktober 1781 die Atteste, die das Königsberger Plombageamt für Asser Levy und zwei weitere Juden ausgestellt hatte, an die Kammer zurück und befahl, stattdessen Dokumente einzureichen, aus denen zweifelsfrei hervorgehe, daß „die designirte Waaren würcklich zum Lande herausgegangen“ 247 seien. Die ostpreußischen Beamten intervenierten im November des Jahres jedoch ein weiteres Mal zugunsten der gemaßregelten Juden. Die aus Berlin geforderten Atteste würden an den Grenzzollämtern schlichtweg nicht ausgestellt, so daß sich die Juden „bey dem besten Willen, den sie bey Erfüllung ihrer Pflichten beweisen wollen, in beständiger Verlegenheit“ 248 befänden. Da diese Probleme offenbar auch in den Folgejahren nicht zufriedenstellend geregelt werden konnten, drängt sich also die Frage auf, ob in Fällen wie diesen durch den jährlichen Zwangsexport nicht das gerade Gegenteil einer Absatzförderung erreicht wurde, indem jüdischen Händlern über Jahrzehnte hinweg mit einem offensichtlich untauglichen und heillos bürokratischen Nachweisverfahren das Leben schwer gemacht wurde. 249 Eine Auflistung der mit den Textilexporten behafteten Probleme wäre indes unvollständig, würde sie eine Grauzone ausklammern, die sich der empirisch gestützten Quantifizierung zwar entzieht, gleichwohl in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. Die Rede ist von der Zollkriminalität bzw. zeitgenössisch ausgedrückt vom Defraudieren und Contrebandieren. Die Einführung der Regie gilt gemeinhin als die unpopulärste Maßnahme Friedrichs des Großen auf dem Feld der inneren Politik, wobei neben den geschilderten Plackereien insbesondere der Rückgriff auf landfremde französische Beamte kaum zur Akzeptanz des neuen Grenzregimes in der Bevölkerung beitrug. Zeitzeuge Heinrich von Beguelin schilderte die Folgen 1797 in drastischen Tönen: Niemand unterstand sich geradezu sich widerspenstig zu zeigen; aber es schien, als hätten im Stillen alle Preußischen Unterthanen sich das Wort gegeben, der Regie und ihren Vorstehern ewig feind zu seyn. Wie bei einer Landplage das allgemeine Unglück die Menschen näher bringt, so vereinigten sich alle Stände gegen die Fremdlinge, die sie nicht anders als französische Blutigel nannten. Sie verabscheueten Menschen, die, wie sie glaubten, in den Preußischen Staat kämen, um den Bürger auszusaugen, und mit Schätzen beladen nach ihrem Vaterlande zurückkehren würden. Dieser allgemeine Haß vermehrte in der Folge die Lust zum Contrebandiren, die schon das Interesse erzeugte, und erleichterte die Mittel dazu; denn der Bürger war in der Regel vor dem Bürger sicher, und wenn einer ertappt wurde, so sah man ihn als den Märtyrer der guten Sache an. 250 246 Gutachten vom 21. Januar 1780, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4778, Bl. 139 – 140. 247 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4784, Bl. 10 –11. 248 Ebd., Bl. 16. 249 Zum veralteten Zollsystem bereits Krüger, Manufakturen, S. 103. 250 Beguelin, S. 116. Daß solche Aussagen durch die frankophobe Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts begierig aufgegriffen und weiter ausgebaut wurden, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

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Wenngleich empirische Studien für das 18. Jahrhundert bislang fehlen, dürften deshalb die Beobachtungen, die Volker Jarren für die preußischen Westprovinzen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angestellt hat, cum grano salis auch für das friderizianische Preußen gelten: „Die Unterschichtenangehörigen sahen in Zollvergehen kein unrechtmäßiges Handeln. Die Kontrolle des Grenzraumes wurde als Eingriff in bestehende Lebenswelten und -räume wahrgenommen. Zudem bot ihnen das Schmuggeln – außer der Befriedigung materieller Bedürfnisse – vor allem in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Krisen, die Unterbeschäftigung oder Erwerbslosigkeit zur Folge hatten, die Möglichkeit, die zur Subsistenz notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen.“ 251 Es gelang dem frühneuzeitlichen Staat, der insbesondere in kleineren Orten an der Grenze – erinnert sei an Witwe Mertens in Angermünde – in der Regel alles andere als machtvoll aufzutreten vermochte, niemals, die daraus erwachsenden Probleme wirklich zu lösen. Selbst die administrativ vergleichsweise straff gehaltenen mittleren Provinzen wurden von verbotenen Artikeln, der Konterbande, förmlich überschwemmt, so daß jüngst wiederum konstatiert wurde: „Der Staat des 18. Jahrhunderts war nicht in der Lage, sich des allgemeinen Schmuggels zu erwehren.“ 252 Bei den mit Zwangsexporten belasteten Juden mußte der Anreiz besonders groß sein, in den Besitz der begehrten Zollatteste zu gelangen, die schließlich nichts weniger als die Grundlage ihrer legalen Existenz bedeuteten und jeweils aufs neue ein weiteres Jahr verhießen, in dem man von der Obrigkeit schlicht in Ruhe gelassen wurde. Anders als bei der gewöhnlichen Defraudation, also dem Schmuggel, bestand die Herausforderung in diesem Fall also nicht darin, verbotene Waren in der einen oder anderen Richtung über die Grenze zu bringen, sondern von den Zollämtern Atteste über Warenlieferungen zu erlangen, die niemals stattgefunden hatten. Wie einfach dies im Einzelfall sein konnte, zeigt ein erneuter Blick in die brandenburgische Provinz. Jacob Isaac Levin, am 19. Februar 1766 in Tangermünde, einer Stadt mit etwa 3.000 Einwohnern, 253 als zweites Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Isaac Levi angesetzt, gehörte offensichtlich zu denjenigen Juden, die mit ihren Zwangsexporten heillos überfordert waren. Ob dabei mangelnde persönliche Eignung den Ausschlag gab oder das in Tangermünde noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu konstatierende niedrige Niveau der gewerblichen Entwicklung, das vor allem der Sogwirkung des nahegelegenen Magdeburgs geschuldet war, 254 läßt sich nicht rekonstruieren. Der nüchterne Chronist des Scheiterns war jedenfalls einmal mehr Generalfiskal d’Anières:

251

Jarren, S. 261. Radtke, S. 115; vgl. ebd., S. 159. 253 Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 1770. In den 1820er Jahren sollen in Tangermünde sechs jüdische Familien mit etwa 40 Personen gelebt haben. Siehe Pohlmann, Tangermünde, S. 106 – 108. 254 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 278 –280. 252

IV. Probleme aus dem Alltag

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Restirt pro ‘75 1.803 Thaler, Monitum ‘76, restirt pro ‘76 1.541. Restirt pro ‘77 1.341, Monitum ‘78. Restirt 1.084 pro ‘79. Cessat per Rescript vom 29. September ‘79. Restirt pro ’79 676. Dilatio bis Jan. ’81, Rescript vom 28. Juni ‘80. Hat pro ’81 200 Thaler zu gut, pro ’82 335. Restirt pro ’84 1.105 Thaler, pro ’85 1.094, hat 2 Jahre Dilation. Rescript vom 17. May ’86, restirt pro ’86 überhaupt 854. 255

Nach gutgehenden Geschäften klang dieses Stakkato nicht, doch 1782 reichte Levin wie aus heiterem Himmel einen Exportnachweis über Waren im Wert von mehr als 1.500 Rt. ein, was dem Stendaler Steuerrat Lietzmann verdächtig vorkam. Wie dieser der Kammer im Dezember 1782 schrieb, war es ihm „bey der notorischen Pouverité des gedachten Schutz-Juden ganz unbegreiflich, wie derselbe zu 1.554 Rt. Waaren gelangen könne“. Der Steuerrat vermutete Betrug, doch „vernehme [er] solches nur von weitem unter der Hand“. 256 Er riet deshalb, den Zollbeamten, der die Bescheinigung ausgestellt hatte, zu vernehmen, „ob er die specificirten Waaren auch würcklich gesehen?“ Ausgestellt war das Attest vom Königlichen Nebengrenzzollamt Letzlingen in der Altmark, das somit zu den Grenzposten gehörte, die man „nur zur Commodität der Reisenden angelegt [hatte], damit sie nach den Haupt-Zolle sich nicht so weit umgehen“ müßten. 257 Da in Letzlingen die absolutistische Staatsmaschine durch den 70jährigen Johann Peter Harpke und seine Frau verkörpert wurde, fand sich ersterer bald zum Verhör in Gardelegen ein, wo sich ein Hauptzollamt befand. 258 Ein offenbar reichlich aufgeregter Harpke gab dabei zu Protokoll, es sei im Herbst vorigen Jahres der genannte Jude des Morgens früh zu ihm gekommen und [habe] gesagt, daß er seinen Zollzettel auf einen Trage-Packen versiegelter Waaren, mit denen sein Bursche schon voraus wäre, haben wolle. Er hätte ihm solchen ertheilet und dafür nicht mehr als 6 Rt. Zoll erleget. Als der Jude solchen in Händen gehabt, habe er ihm einen Attest zur Unterschrift vorgeleget und sehr gebethen, solchen zu unterschreiben. Er habe dieses auch auf Zureden gethan, ohne den [...] Attest durchgesehen zu haben, weil er eben nicht viel Zeit übrig gehabt. Seine Frau wäre eben dazugekommen und habe gefraget, wo denn die Waare sei. Der Jude habe aber nicht geantwortet, weil er eben im Gebeth begriffen gewesen. Er müsse also einräumen, daß er von dem Judenburschen und dem angeblichen Packen Waaren nicht das geringste gesehen und daß er selbst zweifele, daß die [...] Waaren würcklich ausgegangen wären. Er habe auf Zureden und in der Meinung, daß die Sache nichts zu bedeuten habe, das [...] Attest unterschrieben, sei aber sehr erschrocken, als nach einigen Monathen dieserhalb ein Königliches Edict publicirt worden, so daß er gleich gedacht, wie er dieserhalb zur Verantwortung gezogen werden würde. [...] Er bitte also inständigst, ihm dieses Versehen, so er bona fide und aus Überredung des Juden begangen, vor diesmal zu vergeben, mit dem Versprechen, daß er sich künftig hüten würde, dergleichen Atteste, ohne die Waaren gesehen zu haben, 255

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 61. Bericht an die Kurmärkische Kammer, Stendal, 22. Dezember 1782: BLHA, Rep. 2, Nr. S.7946, Bl. 1. 257 d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 282. 258 Ebd., S. 182. 256

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

leichtsinnigerweise zu ertheilen, wobey er noch versichert, daß der Jude ihm nicht das geringste gegeben und folglich dies Vergehen nicht durch Bestechung geschehen sei. 259

Abb. 1: Letzlingen, 16. Dezember 1782. Johann Peter Harpke bescheinigt Jacob Isaac, daß seine Manufakturwaren im Wert von 1.554 Talern nach Calvörde im Herzogtum Braunschweig „richtig auspassiret“ seien.

Das Verfahren endete glimpflich. Harpke kam mit einem Verweis davon, und da sich Levins Betrug nicht zweifelsfrei nachweisen ließ, wurde auch ihm lediglich mitgeteilt, „daß er künftig die Exportation schlechterdings gantz genau documentiren oder aber die vorgeschriebenen Waaren noch einmal exportieren“ 260

259 Abschrift des Verhörprotokolls vom 9. November 1783, BLHA, Rep. 2, Nr. S.7946, Bl. 12 – 13. 260 So die Kurmärkische Kammer an Steuerrat Lietzmann, Berlin, 23. Oktober 1783, ebd., Bl. 7.

IV. Probleme aus dem Alltag

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müsse. Doch ist die Letzlinger Posse um greise Zollverwalter und betende Juden weitaus mehr als nur eine amüsante Anekdote am Rande. Sie wirft ein weiteres mal ein bezeichnendes Licht auf jene untere administrative Ebene, auf der ein Großteil des statistischen Materials erzeugt wurde, das daraufhin nach oben in Gestalt der eindrucksvollen Generaltabellen weitergereicht wurde. In der Leitung des kur- und neumärkischen Generalakzise- und Zolldepartements 261 war man sich dieser Probleme offenbar nur allzu bewußt. Dessen Chef, der Franzose Joyard, räumte anläßlich der Gardelegener Untersuchungsergebnisse ein, es sei durchaus bekannt, daß zahlreiche mit Exportverpflichtungen belastete Juden „mehrentheils ihre Route über Neben-Grentz-Zoll-Ämter nehmen, wo alte oder unwissende Zoll-Verwalter angesetzet sind“. 262 Deshalb sollten künftig nur noch Atteste von Hauptzollämtern als gültig anerkannt werden, womit also bestimmte Zollrouten eingeführt worden wären, zu denen die Behörden auch in anderen Zusammenhängen zur Unterbindung von Schmuggel ihre Zuflucht nahmen. 263 Ob sich jedoch infolge des Letzlinger Zwischenfalls am bisherigen Nachweissystem etwas geändert hat, ist nicht überliefert. Wenn man deshalb heutigen Tags die in den Beständen des Fabrikendepartements erhalten gebliebene Sammlung von Zollattesten zweiter Kinder aus den Jahren 1770/71 durchsieht, ist Vorsicht geboten – spätestens dann, wenn der Blick auf die Zollbescheinigung von Simon Hirsch aus Stendal fällt, der angeblich Waren im Wert von 1.594 Rt. und 12 Gr. nach Braunschweig exportiert hatte. 264 Nun soll die Bedeutung der Braunschweiger Messe für Textilexporte namentlich aus der Altmark sowie aus Magdeburg und Halberstadt keineswegs in Abrede gestellt werden, 265 wobei nachweislich auch Juden eine bedeutende Rolle spielten. 266 Dennoch bestehen zumindest Zweifel, ob Hirschs Waren jemals dort angekommen 261

Zur Departementsverteilung innerhalb der Generaladministration der Regie Schultze, Regieverwaltung, S. 64. 262 BLHA, Rep. 2, Nr. S.7946, Bl. 1. 263 So etwa 1770 in Schlesien für Transitwaren zwischen Sachsen und Polen sowie für Exporte zolltechnisch prämierter Waren. Siehe dazu Nolte, Merkantilismus und Staatsräson, S. 67. 264 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XXXI, Nr. 84. Neben Hirschs Zollattest enthält die Akte Quittungen der Juden Ries, Juda Isaac Levy, Marcus David, Hertz Isaac Nathan, Michael Abraham, Nathan Isaac, Aron Moses Levin und Jacob Moses aus Berlin, Itzig (Isaac) Lazarus aus Gransee, Ephraim Moses aus Pritzerbe, Wulff Samuel und Simon Marcus aus Prenzlau, Israel Wolff aus Oderberg, Joel Levin aus Havelberg und Itzig Meyer aus Wusterhausen an der Dosse. 265 Vgl. Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 79 –80. Neben der Braunschweiger Messe ist insbesondere auf diejenige in Leipzig zu verweisen, die im Untersuchungszeitraum auch auf Kosten Frankfurts an der Oder prosperierte. Zur Bedeutung jüdischer Meßgäste in Leipzig siehe Markgraf. Zur Umorientierung polnischer Handelsjuden von Frankfurt / Oder nach Leipzig im ausgehenden 18. Jahrhundert auch Hasse, S. 395 – 397. 266 Ebeling, S. 149 – 152, 201 – 203; Albrecht, S. 395.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

sind, trägt seine Ausfuhrbescheinigung doch keine andere Unterschrift als die von Johann Peter Harpke. Das Königlich Preußische Nebengrenzzollamt Letzlingen und sein alternder Verwalter, so könnte man also vermuten, erfreuten sich eines gewissen Bekanntheitsgrades bei jenen Juden, denen durch den König lediglich im Zusammenhang mit der preußischen Außenhandelsstatistik eine Existenzberechtigung in seinem Staat zugebilligt wurde. Wie viele Exportatteste Harpke zwischen 1770 und 1783, als zumindest dieses Schlupfloch verstopft wurde, ausstellte, bleibt aufgrund der lückenhaften Quellenlage jedoch der Phantasie überlassen. Bei der Bewertung der eindrucksvollen Generaltabellen tut man allerdings gut daran, an all die Harpkes auf der unteren administrativen Ebene zu denken, deren Federn einen Großteil dieses statistischen Materials produzierten. So dürfte durchaus auf den vorliegenden Problemkreis übertragbar sein, was der Direktor der Breslauer Provinzial-Akzise- und Zolldirektion, Le Veau, 1783 über die Probleme beim Nachweis importierter ausländischer Waren an Minister von Heinitz schrieb. So beklagte sich Le Veau, daß das Kontrollsystem nicht allein sehr mühsam, sondern auch mit ungemeiner Schwierigkeit verknüpft ist, die meisten Accise- und Zollbedienungen auch mit invaliden und unfähigen Subjecten besetzt sind, die überdem mit den fürchterlichsten Nahrungssorgen zu kämpfen haben, so ist es kein geringes Geschäft, mit dergleichen unfähigen und immer mehr und mehr verzweifelnden Menschen so vielerlei überhäufte Verrichtungen zu Stande zu bringen, und ich kann Ew. Exz. pflichtmäßig und gewissenhaft beteuern, daß ich dergleichen Bearbeitungen gegenwärtig selbst mit einigen wenigen Offizianten, die ich soviel als möglich bei gutem Mut zu erhalten suche, betreiben muß. 267

Eine möglichst genaue Instruktion für die Zoll- und Akzisebeamten, so Le Veau weiter, sei aus dem Grunde besonders nötig, „als verschiedene derselben alte, schwache, mit weniger Einsicht begabte Subjekte sind, die [sich] aller bisherigen Anweisung ohnerachtet bei Anfertigung oftgedachter Nachweisungen ganz vorschrifts- und verordnungswidrig gebaren“. Mit Burkhard Nolte kann man angesichts solcher Verhältnisse den „Aktionsradius staatlicher Durchgriffe auf der lokalen Ebene und damit eine nachhaltige Wirksamkeit merkantilpolitischer Maßnahmen“ 268 in der Tat grundsätzlich in Frage gestellt sehen. Andererseits handelte es sich beim Textilexport der zweiten Kinder, dies klang in der bisherigen Schilderung bereits an, keineswegs pauschal um ein Gesetz, das nicht durchgesetzt wurde. Welche Sanktionen all jene Juden zu gewärtigen hatten, die ihre Ausfuhrverpflichtung permanent und für die Behörden offensichtlich nicht erfüllten und denen noch dazu die Möglichkeit fehlte, sich die nötigen Atteste auf illegalem Wege zu verschaffen – dies soll im folgenden untersucht werden.

267 268

Dieses und das folgende Zitat nach A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 486. Nolte, Merkantilismus und Staatsräson, S. 68, vgl. ebd., S. 258 –260.

V. Sanktionsmaßnahmen bei Nichterfüllung der Exportauflagen

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V. Sanktionsmaßnahmen bei Nichterfüllung der Exportauflagen Generalfiskal d’Anières fragte sich im März 1771 bei Durchsicht der neumärkischen Generaljudentabelle unter anderem, ob „der Israel Levin und Abraham Loeser ihrem Engagement gemäß jährlich für 1500 Rt. einländische Fabrique Waaren exportiret haben?“ 269 Sie hatten – denn Abraham Loeser, der, wie oben erwähnt, im Januar 1765 als zweites Kind in Landsberg an der Warthe angesetzt worden war und für die dortigen Fabrikanten als Verleger fungieren sollte, hatte mit dieser Verbindlichkeit offenbar keinerlei Probleme. In der Folge versorgte er unter anderem den sächsischen Kolonisten Christoph Carl Bauer, der 1762 scheinbar mittellos als Zeugmacher in Landsberg angesetzt worden war, mit Rohwolle, 270 unterhielt Geschäftsverbindungen bis nach Königsberg / Pr. und Danzig und erfreute die Behörden durch Exportraten, die in manchen Jahren weit über seine Verbindlichkeit hinausgingen. So führte Loeser, der am 21. Januar 1773 zudem eine Konzession zum Hausbesitz erhielt, 271 an Textilwaren aus: 1767: 7.710 Rt.

1770: 6.236 Rt.

1768: 2.636 Rt.

1771: 5.266 Rt.

1769: 1.770 Rt.

1772: 4.600 Rt. 272

Israel Levin, rund 15 Monate nach Loeser ebenfalls in Landsberg etabliert, gehörte bereits zu denjenigen Juden, die sich zu einem genau festgelegten jährlichen Exportwert hatten verpflichten müssen – in Levins Fall ging es um jährlich 1.500 Rt. Sein Beitrag zur preußischen Handelsbilanz war zwar deutlich bescheidener als derjenige Loesers, bewegte sich jedoch ebenfalls durchweg in einem konzessionskonformen Rahmen:

269 Monitum für das Generaldirektorium vom 15. März 1771 in GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29. 270 Siehe Grüneberg, S. 4. Loesers Verlagstätigkeit für Bauer geht aus einer Fabrikwarentabelle von 1766 hervor: APGW, AMG, Nr. 2015, Bl. 3 –4. Bauer scheint solche Unterstützung auch nötig gehabt zu haben, fehlt in dem angeführten Kolonistenverzeichnis doch jeder Hinweis auf ein eigenes Vermögen des sächsischen Kolonisten. Bei NS-Judenforscher Sommerfeldt, Judenfrage, S. 144 werden derartige Verlagsbeziehungen zum Ausdruck einer angeblichen jüdischen Strategie der „Lohnknechtschaft“. Dies sei jedoch durch die „von einer kurzfristigen Entscheidung zur andern stolpernden preußischen Behörden“ nicht beachtet worden. 271 APGW, AMG, Nr. 1989, Bl. 147. 272 Siehe die zugrundeliegenden Exporttabellen in APGW, AMG, Nr. 2015, Bl. 17, 34 –35, 38 – 39, 42 – 43, 50 – 51, 57 – 58.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

1767: 1.892 Rt.

1770: 1.608 Rt.

1768: 1.498 Rt.

1771: 1.598 Rt.

1769: 1.650 Rt.

1772: 1.762 Rt. 273

Repräsentativ waren diese beiden neumärkischen Juden jedoch nicht. So notierte d’Anières unter dem Namen von Jacob Ruben, der im August 1766 in Königsberg / Pr. auf das Recht des zweiten Kindes angesetzt worden war und in der Folge offenbar durch die großen Königsberger Stadtbrände von 1769 und 1775 274 schwer getroffen wurde: Muß jährlich für 1500 Th. einländische Fabricata außer Landes debitiren [...] ist 2mahl abgebrandt, wird pro praesento dispensirt, muß aber pro futuro genügen [1779] Fiscus soll die Cassation [des Schutzbriefs] suchen [1780]. 275

Das hier gewählte Beispiel von Jacob Ruben – und mit ihm von Hertz Moses, der am 5. November 1767 als zweites Kind am Pregel angesetzt worden war 276 – ist insofern von besonderem Interesse, als sich hier eine ganze Gemeinde dazu bereit fand, für ihre unglücklichen Mitglieder gewissermaßen einzuspringen. So hatte die Kammer am 16. Februar 1778 berichtet, daß Ruben und Moses, bereits am 13. November des Vorjahres vorläufig von ihren Exportverpflichtungen dispensiert, 277 wegen „ihrer gantz schlechten Vermögens-Umstände“ im vorangegangenen Jahr keine Exporte hätten durchführen können und deshalb um die Gewährung einer Frist gebeten hätten. 278 Im September 1779 verwandten sich schließlich auch die Königsberger Ältesten für eine dauerhafte Befreiung der beiden, deren Vermögensumstände sich offenbar in der Zwischenzeit nicht gebessert hatten. 279 Dazu war das Generaldirektorium 273

Exporttabellen ebd. Der erste Brand suchte Königsberg am 25. Mai 1769 heim und vernichtete in der Vorstadt auf dem linken Pregelufer 76 Wohnhäuser und 143 gefüllte Speicher. Das Feuer vom 10. Mai 1775 brach im kneiphöfischen Pesthaus aus und wütete im Süden der Stadt zwischen Friedländer und Brandenburger Tor. Dazu Gause, S. 168 –171. 275 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 4. 276 Ebd., S. 12; vgl. Stern, Bd. III/3, S. 1120, 1130. 277 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4778, Bl. 25 u. 35. 278 Ebd., Bl. 5. Die Generaldesignation für 1777 führt Ruben als einen Juden auf, „dessen ganz armselige Verfassung, worinnen er durch die ihn betroffene Unglücks-Fälle gerathen, hat noch nicht gestatten wollen, seiner Verbindlichkeit ein Genüge zu leisten.“ Ebd., Bl. 11. Zu Moses heißt es: „Die Vermögens-Umstände dieses Hertz Moses sind ganz schlecht, die ihm betroffene Unglücks-Fälle haben ihn darinn versetzt, und selbige lassen nicht zu, die Erfüllung seines Engagements zu bewürcken.“ Ebd., Bl. 12. 279 Ebd., Bl. 119 – 120. Am gleichen Tag erklärten auch Moses und Ruben: „Nicht Nachlässigkeit und am allerwenigsten Wiederspenstigkeit sonder lediglich unser Unvermögen, in welches wir durch so manche in der Handlung sowohl als besonders in den hier gewesenen großen Bränden gesezzet worden, ist die einzige Schuld unseres nicht erfüllten Engagements.“ Ihre Vermögen hätten sie so bereits verloren, nun drohe auch 274

V. Sanktionsmaßnahmen bei Nichterfüllung der Exportauflagen

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zwar nicht bereit, doch bot es den Gemeindevertretern an, die Exportquoten von Ruben und Moses stellvertretend für diese selbst zu übernehmen, was angesichts der intensiven Handelsbeziehungen Königsberger Juden nach Polen nicht schwerfallen könne. 280 Derweil wurden Moses und Ruben vom Generaldirektorium aufs neue vorläufig dispensiert, 281 doch heißt es in der Generaldesignation von 1780 ein weiteres mal, Ruben habe seiner „Armuth wegen noch nichts exportiren können“. 282 Im November 1781 berichtete die Königsberger Kammer schließlich nach Berlin, daß die jüdische Gemeinde zwar nicht alle Exportrückstände der beiden begleichen wolle, jedoch bereit sei, ab 1782 stellvertretend jährlich Waren im Wert von 1.000 Rt. auszuführen. 283 Das Fabrikendepartement, vom Generaldirektorium zu einer Stellungnahme aufgefordert, fürchtete jedoch Betrug, indem die Ältesten diese 1.000 Rt. einfach auf ihre ohnehin stattfindenden Exporte anrechnen könnten. Deshalb könnten Ruben und Moses von ihren Verbindlichkeiten wohl nicht befreit werden, doch solle man zunächst vom Generalfiskal ein Gutachten anfordern. 284 Doch auch d’Anières wollte sich in dieser Frage nicht festlegen, so daß das Generaldirektorium der Königsberger Kammer schließlich am 10. Januar 1782 befahl, den dortigen Gemeindeältesten bekanntzumachen, daß die Gemeinde die zu übernehmenden Exporte zusätzlich zu den bisherigen Ausfuhren ihrer Mitglieder zu bewerkstelligen hätte. Anderenfalls würden Ruben und Moses ihre Schutzbriefe verlieren. 285 Daraufhin erklärten die Ältesten, daß sie diesen Befehl nicht befolgen könnten, da sie gegenüber den Gemeindemitgliedern nicht weisungsbefugt seien. Dennoch hofften sie auf Gnade, da bey Vertreibung dieser beyden Unglücklichen, welche ohne ihr unmittelbares Verschulden in das Unvermögen, ihre Verbindlichkeit zu erfüllen, gerathen sind, die einländische Fabriquen noch mehr leiden würden, maßen wir nicht nur vermöge unsres bereits geschehenen Engagements die Exportations-Quanta der beyden Juden vor dieses Jahr über uns genommen, sondern auch in Zukunft nach Möglichkeit damit fortzufahren Willens sind. 286

Das Fabrikendepartement wies dieses Gesuch im März 1782 jedoch erneut zurück, indem es darauf hinwies, daß „die Juden in Absicht der Erfüllung der Bedingungen, unter welchen ihnen der Schutz ertheilet worden, nach dem strengsten Rechte jetzo behandelt werden“ 287 müßten. Weiteres findet sich in den Direktorialnoch der Entzug des Schutzbriefs. Sie baten deshalb darum, ihre Exportrückstände nicht als „Verbrechen“ zu bewerten und hofften, „soviel in unsern Kräften stehen wird, die jezt rückständige Waaren peu a peu abzunehmen.“ Ebd., Bl. 122 – 124. 280 Ebd., Bl. 121. 281 Ebd., Bl. 125. 282 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4784, Bl. 6 –7. 283 Ebd., Bl. 13. 284 Ebd., Bl. 22. 285 Ebd., Bl. 28. 286 Ebd., Bl. 30 – 31.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

akten dazu nicht, jedoch geben wiederum die Aufzeichnungen d’Anières’ einigen Aufschluß: Die Judenschaft will die Rückstände berichtigen und pro futuro genügen. Die Rückstände müssen aber in Dezember 82 berichtiget seyn. [...] Jacob Ruben und Hertz Moses sollen beybehalten werden, wenn sie ihr Engagement von 1784 an jährlich erfüllen und die Judenschaft offerirtermaassen 2/3 ihrer Rückstände a 12.000 [Rt.] berichtiget. 288

Wenngleich es also in diesem Fall zum äußersten, dem Entzug des Schutzrechts, nicht gekommen zu sein scheint, so befanden sich Ruben und Moses doch fast zehn Jahre lang zwischen Hoffen und Bangen. Vor diesem Hintergrund bleibt natürlich zu fragen, wie es all jenen Juden bei Exportproblemen erging, die sich nicht in einer Handelsmetropole niedergelassen hatten und keine reichen Fürsprecher hinter sich wußten. Auch hier bieten die überlieferten Akten zahlreiche Schlaglichter. So wurde Moses Elkan, der 1767 als zweites Kind seines in Templin wohnhaften Vaters in Zielenzig angesetzt worden war, 289 wegen der „Polnischen Unruhen“ seinen Exportverpflichtungen jedoch bald nicht mehr nachkommen konnte, 1773 samt seiner Familie des Landes verwiesen. Nach langen Verhandlungen wurde ihm der befristete Aufenthalt bei seinem alten Vater in Templin gestattet, während seine Kinder jedoch weiter ausgewiesen blieben. Erst 1787, also nach fast 15 Jahren, konnte Elkan in das nach Templin transferierte Schutzprivileg seiner aus Landsberg an der Warthe stammenden zweiten Ehefrau eintreten und sich dauerhaft in Templin niederlassen. 290 Mit Blick auf die Exportprobleme von Moses Wulff aus Königsberg in der Neumark sowie von Moses Joel und Joseph Goetze aus Friedeberg 291 wies das Generaldirektorium die Neumärkische Kammer im März 1775 an, „ihnen nötigenfalls nach Beschaffenheit der Umstände eine Frist von 3 bis 6 Monaten zu gestatten, sodann aber und wenn sie den Absatz nicht beschleuniget, nach denen bisherigen Verordnungen ihnen die Concessiones abzunehmen und einzureichen“. 292 Doch zumindest bei Moses Wulff wurde es auch zukünftig nicht besser. In einer neumärkischen Generaljudentabelle von 1777 heißt es über den zu diesem Zeitpunkt 50jährigen: „Ernähret sich vom Pferde Mäckeln auf den 287 Ebd., Bl. 35. Den Kontext für diesen Klimawandel gab der seit 1779 verschärfte Porzellanexport ab, der sich auch auf die Textilausfuhren auswirkte. Siehe hierzu die folgenden Ausführungen. 288 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 4. 289 Abschrift der Konzession in BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 392, Bl. 227. 290 Enders, Uckermark, S. 617. 291 Bei diesen beiden handelt es sich offenbar nicht um zweite Kinder, sondern beiden wurden neue Schutzbriefe verliehen. Goetze war am 11. August 1765 angesetzt worden und hatte sich dabei verpflichtet, jährlich für 300 Rt. Tuche und Flanelle der dortigen Tuchmacher zu exportieren. Joels Schutzbrief datiert vom 2. Februar 1769 und war an dieselben Bedingungen geknüpft: BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 88. 292 Generaldirektorium an Neumärkische Kammer, Berlin, 1. März 1775, ebd., Bl. 31.

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Märckten und hat nicht das Vermögen, einen Handel zu treiben, hat auch kein Haus.“ 293 D’Aniéres plädierte deshalb dafür, Wulff, der zudem seit einigen Jahren auch sein Schutzgeld nicht mehr bezahlen konnte, „des Privilegii für verlustig zu erklären und fortzuschaffen“. 294 Daraufhin wurde Wulff der Schutzbrief in der Tat wieder abgenommen, seinem Sohn jedoch gewährt, sich als erstes Kind anzusetzen. Da dieser Hinweis einem Dokument von 1804 entstammt, bleibt offen, wie lang auch der Sohn in permanenter Gefahr schwebte, vertrieben zu werden. 295 Doch nicht nur für Juden aus der Provinz, auch für solche aus der Hauptstadt waren die jährlichen Exporte eine schwere Belastung, wie das Schicksal folgender Juden belegt, die alle 1766 in Berlin auf das Recht des zweiten Kindes angesetzt worden waren: Hirsch Levin verlor sein Schutzrecht später wieder aufgrund permanenter Exportprobleme, wurde aber ad dies vitae toleriert. 296 Zu Nathan Levin notierte d’Anières lapidar, dieser müsse seinen Verbindlichkeiten bis zum 1. Juni 1780 „genügen oder fort“. 297 Hertz Isaac Nathan wurde 1784 „in fiscalischen Anspruch genommen. Das Privilegium ist cassirt.“ 298 Zum Äußersten, der Vertreibung, scheint es zwar auch nach erfolgtem Entzug des Schutzrechts in aller Regel nicht gekommen zu sein, doch zeichnete sich das preußische Sanktionssystem offenbar durch eine beträchtliche Drohkulisse aus, wie auch durch vergleichende Beobachtungen (sofern sie bislang vorliegen) bestätigt wird. So erhielten etwa im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel zahlreiche alte und in ökonomischen Verfall geratene Schutzjuden „am Ende ihres Lebens einen unbefristeten und kostenlosen Schutzbrief“, 299 und im Fürstbistum Paderborn war es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vielfach der Fürstbischof, der die weitere Duldung verarmter Schutzjuden gegen den Widerstand der Landstände durchsetzte. 300 Untersuchungen zur Judenpolitik Nassau-Oraniens und Nassau-Usingens kamen für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts zu ähnlichen Ergebnissen. 301 Von einer solchen Haltung konnte in Preußen selbst am Ende des Jahrhunderts kaum die Rede sein. Denn von den 54 Juden, deren Ansetzung als zweites Kind sich zwischen 1765 und Ende 1768 in den Provinzen Kur- und 293 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29. Zum Pferdehandel, einer der ökonomischen Domänen des Landjudentums, siehe mit Bezug auf das 18. und 19. Jahrhundert Toch, Ländliche Wirtschaftstätigkeit, S. 61 – 62. Aufschlußreiche mikrohistorische Einblicke aus Hessen im 17. Jahrhunderts bei Treue, Eine kleine Welt, S. 260 –261. 294 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29. 295 BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 87 –89. 296 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 7. 297 Ebd., Bl. 8. 298 Ebd., Bl. 17. Nach Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 165 war Nathan jedoch am 28. November 1780 verstorben. 299 Ebeling, S. 165. 300 Behr, Judenschaft, Landstände und Fürsten, S. 127. 301 Marzi, S. 53.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Neumark, Pommern und Ostpreußen nachweisen ließ, hatten mindestens 14, also rund 26 %, unzweifelhaft und über längere Zeiträume hinweg massive Probleme mit ihrem Engagement. In mindestens fünf Fällen, also bei rund 9,3 % aller zweiten Kinder, wurde der Schutzbrief nachträglich wieder entzogen, nämlich bei Moses Elkan aus Templin, Hirsch Levin und Hertz Isaac Nathan aus Berlin, Manasse Jacob aus Bernau – und auch bei Abraham Loeser aus Landsberg / Warthe. Denn seinen eingangs geschilderten Handelsgeschäften, die sich so gut angelassen hatten, standen bald immer größere Verbindlichkeiten gegenüber. So lasteten allein auf seinem Haus im Jahre 1781 Hypotheken von 4.000 Rt. 302 Zwei Jahre später wurde Loeser die Fortschaffung angedroht, doch ging es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lediglich um Tücher, sondern um Porzellan, wie noch zu schildern sein wird. 303 Manasse Jacob sollte schließlich die Templiner Strumpfmanufaktur zum Verhängnis werden, doch auch dazu weiter unten mehr. 304

VI. Zum Fortdauern der Exportauflagen bis zur Jahrhundertwende Wenngleich es demnach zu Vertreibungen von ökonomisch in Schwierigkeiten geratenen zweiten Kindern „normalerweise“ nicht gekommen zu sein scheint, so wurden die in mehreren Fällen entzogenen Schutzbriefe innerhalb der Judenschaft doch offenbar keineswegs auf die leichte Schulter genommen. Dafür spricht die 302 Es muß offen bleiben, ob Loesers geschäftlicher Niedergang auch mit den Absatzproblemen neumärkischer Tücher auf dem russischen Markt zusammenhängt, die für die erste Hälfte der 80er Jahre dokumentiert sind. Siehe dazu das aufschlußreiche Reskript an das Fabrikendepartement vom 28. April 1783 in A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 561. Darin heißt es: „S.K.M. sind auf den Gedanken gekommen, weil der Absatz der Schlesischen und Neumärkischen Tücher nach Rußland doch so in Abnahme gerathen, und dagegen die Englischen Tücher so häufig dahingehen, daß man suchen soll, die Zeichen und Stempel, die auf und an den Englischen Tüchern sind, nachzumachen, und daß man denn die auf unsere Tücher ebenfalls anmacht, alsdenn werden solche auf die Weise an Rußland immer mit durchgehen. Höchstdieselben haben zu dem Ende nach England an Dero Konsul daselbst schreiben lassen, daß er sich Mühe geben solle, dergleichen Zeichen und Stempel zu kriegen und solche herzuschicken...“. 303 Siehe unten, Kap. H. VIII.3. 304 Es sei an dieser Stelle zudem angemerkt, daß in diesem Kapitel lediglich jene Juden als Beispiel ausgewählt wurden, deren Ausfuhrengagement auf einer Ansetzung als zweites Kind beruhte. Doch sahen sich auch Empfänger neuer Schutzbriefe bei Exportrückständen ähnlichen Sanktionen ausgesetzt. Ascher Jacob aus dem pommerschen Rügenwalde etwa, der im September 1766 eine Konzession erhalten hatte, „nach welcher er jährlich für 1000 T. Fabricata exportiren muß. Hat genüget pro 73, 74, 75 mon. 78. Ist davongelaufen, Fiscus soll cassationem Privilegii suchen R. v. 28. Juni 80. Hat ein Haus, verkauft an Christen. Die Frau ist mit den Kindern (3 Töchtern) in Schlawe bey ihrem Vater.“ GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 200. In dieser Hinsicht gelten die geschilderten Schicksale also pars pro toto.

VI. Zum Fortdauern der Exportauflagen bis zur Jahrhundertwende

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Beobachtung, daß sich in den 70er Jahren auch die Berliner Ältesten um eine Aufhebung, zumindest aber eine Milderung der bisherigen Ausfuhrregelungen bemühten. So wandten sich Daniel Itzig, Jacob Moses, Veit Singer, Abraham Salomon Nauen und Levin Lazarus Braunschweig am 21. Januar 1776 mit einer Bittschrift an das Generaldirektorium. 305 Das Kernargument ihrer Ausführungen lief darauf hinaus, daß sich die ökonomischen Rahmenbedingungen seit den 60er Jahren grundlegend und zu ungunsten der zweiten Kinder gewandelt hätten. So seien beispielsweise 1772 mit der Erwerbung Westpreußens und des Netzedistrikts besonders einträchtige Exportgebiete als „Ausland“ weggefallen. Dieses Argument war sicherlich nicht aus der Luft gegriffen, litten doch auch die christlichen Kaufleute Breslaus und Königsbergs unter den Folgen der Polnischen Teilung, da Rußland und Österreich ihre Teilungsgebiete durch protektionistische Maßnahmen für preußische Manufakturwaren abzuschließen suchten und sich auch der überaus einseitige preußisch-polnische Handelsvertrag von 1775 letztlich negativ auswirkte. 306 Gegenüber ihren christlichen Konkurrenten waren die mit Zwangsausfuhren belasteten zweiten Kinder also gleich zweifach betroffen: ihr auf das Ausland begrenztes Absatzgebiet schmolz zusammen und wurde noch dazu durch neue Handlungshemmnisse zunehmend abgeschirmt. Vor dem Hintergrund dieser durch die Juden nicht zu verantwortenden Neuerungen und der bereits geleisteten umfangreichen Abgaben müsse es deshalb, so argumentierten die Ältesten, „die äußerste Härte mit sich führen [...], wenn nichts desto weniger diese Zweite Kinder ihrer Gewerbe und Nahrung verlustig werden und mit ihren Frauens und Angehörigen Ewr. Königlichen Majestät Landen zu verlassen gezwungen seyn sollten“. 307 Man bat deshalb darum, die in Bedrängnis geratenen Juden von ihren Ausfuhrverpflichtungen zu befreien oder ihnen doch zumindest als Extraordinarii weiterhin ein Bleiberecht im Lande zu gewähren. Mit diesem minderen Rechtstitel wäre insbesondere der Verzicht verbunden gewesen, später einmal die eigenen Kinder ansetzen zu dürfen, so daß die Vertreter der Judenschaft wohl nicht grundlos versicherten, daß ein jeder von diesen Zweiten Kindern wegen des von ihrer Ansetzung unter die Extraordinarios für sie und ihre Nachkommen entspringenden offenbahren und wichtigen Nachtheils gewiß aus Liebe für sich, seine Frau und Kinder allen Fleiß und möglichste Mühe sich geben wird, das Engagement zu erfüllen und den mit der Unterlassung verbundenen Schaden von sich abzuwenden. 305

GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia, Nr. 9, Bd. 5, Bl. 201 – 202; vgl. Stern, Bd. III/3, S. 968. 306 Rachel, Merkantilismus, S. 986; abgedruckt bei Bär, Westpreußen, Bd. 2, S. 273 – 276; ferner A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 487 – 506; Herzfeld, Der polnische Handelsvertrag; zu den negativen Auswirkungen auf die Juden Pommerns Herzfeld, Jüdische Kaufleute in Hinterpommern, S. 81; zu den Auswirkungen auf Polen Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 292 – 294. 307 Dieses und das folgende Zitat in GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia, Nr. 9, Bd. 5, Bl. 201 – 202.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Überaus aufschlußreich für den gewerbepolitischen Stellenwert, den die Behörden der jährlichen Zwangsausfuhr beimaßen, sind die Gutachten verschiedener Kriegs- und Domänenkammern, die vom Generaldirektorium am 31. Januar 1776 zu einer Stellungnahme zu diesem Gesuch aufgefordert worden waren. 308 Bemerkenswert aufgeschlossen zeigte sich dabei die Neumärkische Kammer, die der Argumentation der Ältesten, wonach sich „die Umstände in Absicht der Grentze mit Pohlen zum Nachtheil derer Juden [...] ungemein geändert“ hätten, rückhaltlos zustimmte. Vor diesem Hintergrund erschien es auch den Beamten in Küstrin sehr hart, jene Juden, die zum Teil wegen des Zwangsexports bereits in „Verfall und Unvermögen“ geraten seien, nun „gantz und gar zu verstoßen“. 309 Doch stand die Neumärkische Kammer mit dieser Haltung allein. Denn nicht nur in Stettin, dem Sitz der Pommerschen Kammer, war man der Ansicht, es könne den Juden nicht an Gelegenheiten fehlen, „die einländischen Fabriquen-Waaren sowohl nach Dantzig und Warschau als [auch nach] Rußland abzusetzen“. 310 Vor allem die Kurmärkische Kammer, die nach Ansicht Selma Sterns „die schlechten Vermögensverhältnisse der Juden“ bedauerte und angeblich für „größere Handelsfreiheit und Minderung der unerschwinglichen Abgaben“ 311 eintrat, drang entschieden darauf, die Juden sollten auch weiterhin den Zwangsexport „buchstäblich“ erfüllen, falls sie sich „der ferneren Duldung im Lande auf irgendeine Weise zu erfreuen haben“ wollten. Eine Befreiung komme hingegen unter keinen Umständen in Betracht, da dem kurmärkischen Gewerbe auf diese Weise ein sicherer auswärtiger Absatz von 23.700 Rt. jährlich entzogen werden würde und endlich der Vorwand, wie es dazu gegenwärtig an Gelegenheit fehle, wohl nichts releviren will, da von Mecklenburg, Schwedisch-Pommern, Pohlen und dem Reiche jährlich noch gantz ansehnliche Posten, besonders von im Lande fabricirten wollenen Tüchern und dergleichen Zeugen gezogen werden. 312

Noch rigoroser zeigte sich schließlich die Königsberger Kammer, deren große Wertschätzung des Zwangsexports ostpreußischer Textilwaren bereits angeführt 308

Ebd., Bl. 203. Neumärkische Kammer an das Generaldirekorium, Küstrin, 14. Februar 1776, ebd., Bl. 209 – 210. 310 Pommersche Kammer an das Generaldirektorium, Stettin, 19. Februar 1776, ebd., Bl. 211. 311 Stern, Bd. III/1, S. 21 – 22. Dies ist nur eines von zahlreichen weiteren Beispielen, bei denen Stern zu positiven Urteilen über die Haltung der preußischen Beamtenschaft gelangt, die in ihrer Pauschalität höchst problematisch erscheinen, jedoch gleichwohl vielfach bis auf den heutigen Tag in der Forschung perpetuiert werden. Tatsächlich waren es jedoch gerade die kurmärkischen Provinzialbehörden, die noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts hartnäckig zumindest die gewerbepolitischen Teile der überkommenen Judenpolitik verteidigten, wie sich etwa anhand der Verhandlungen um die Templiner Strumpfmanufaktur belegen läßt. Siehe unten, Kap. K. III und IV. 312 Kurmärkische Kammer an das Generaldirektorium, Berlin, 19. Februar 1776, GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia, Nr. 9, Bd. 5, Bl. 207. 309

VI. Zum Fortdauern der Exportauflagen bis zur Jahrhundertwende

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wurde. Dieser auf ausdrücklichen Befehl des Königs verordnete Export sei, so argumentierte man, der einzig ersichtliche Nutzen, der sich bei der häufigen und vermehrten Ansetzung der Juden-Famillen vorstellen lässet, damit die seit Ew. Königlichen Majestät glorwürdigen Regierung ungemein emporgekommenen Fabriquen ihren hinlänglichen Debit finden mögen, da ohne solchen die beste Fabrique eingehen muß. 313

Die in der Supplik geäußerten Argumente schienen der Kammer hingegen eine bloße Ausflucht der Juden zu sein, um mehr freye Hand zu haben, ihren wucherlichen Handel mit andern Waaren, die vielleicht mehr Vortheile bringen, zu treiben, wozu man aber der Ansetzung der zweiten Kinder nicht bedarf. Vornehmlich hier in Preußen ist der Handel nach West-Preußen und der Gegend der Netze niemahlen von großer Bedeutung gewesen, sondern Groß Litthauen und die hinter demselben belegene Russische und Pohlnische Provintzien haben den stärcksten Absatz gemachet, und diese haben mit dem itzigen West-Preußen und der Gegenden nichts zu thun.

Seien einzelne Juden nicht mehr dazu in der Lage, ihre Exportvorgaben zu erfüllen, so sei es deshalb „dem Publico zuträglicher“, ihre Konzessionen wiederum zu kassieren. Der Tenor war deshalb trotz der Position der Neumärkischen Kammer recht eindeutig, doch scheint sich das Generaldirektorium seine Entscheidung noch vorbehalten zu haben, um sich genaueren Überblick zu verschaffen. An das Fabrikendepartement erging jedenfalls am 25. Juni 1776 zunächst die Anweisung, ein Verzeichnis aller mit Ausfuhrverpflichtungen belasteten zweiten Kinder anzufertigen, aus dem die aufgelaufenen Rückstände hervorgehen sollten. 314 Diese Zusammenstellung, die das Departement am 3. Juli offenbar auch einreichte, 315 hat sich nicht in den Akten erhalten, wie denn auch die Quellenlage für die Textilausfuhren in der zweiten Hälfte der 70er Jahre allgemein immer schlechter wird, so daß man teilweise selbst überaus wichtige Direktorialreskripte nur als Abschrift und „Zufallstreffer“ in manchen Stadtarchiven vorfindet. So passierte scheinbar volle drei Jahre hindurch gar nichts. Doch plötzlich, am 10. August 1779, holte das Generaldirektorium, das es auf einmal sehr eilig hatte, das bereits etwas angestaubte Bittgesuch wiederum aus der Schublade und verordnete, daß es bei den bisherigen Auflagen „und dem Verluste des Schutz-Briefs bey deren unterlassenen Erfüllung verbleiben“ 316 solle. Das bereits 313 Dieses und das folgende Zitat: Ostpreußische Kammer an das Generaldirektorium, Königsberg, 19. Februar 1776, GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia, Nr. 9, Bd. 5, Bl. 213; vgl. Stern, Bd. III/3, S. 1082. 314 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia, Nr. 9, Bd. 5, Bl. 217. 315 Es findet sich lediglich das Anschreiben ebd., Bl. 263. 316 StA Angermünde, Bestand Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 973, Bl. 82.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

eingeleitete Verfahren zum Entzug des Schutzes von Israel Aaron, der im Februar 1766 in Wriezen etabliert worden war, 317 sei umgehend wieder aufzunehmen. Gleichzeitig wurden die Kammern angewiesen, die gegen andere in ähnlichen Falle sich befindende Juden etwa schon angestellte fiscalische Klagen nunmehro ihren Fortgang nehmen und möglichst beschleunigen, gegen diejenigen aber, die noch nicht deshalb belanget worden, die fiscalische Actiones auf Privation ihrer Schutz-Privilegiis unverlangt anstellen zu lassen, daferne selbige nicht in der Zwischenzeit ihre Engagements zur Exportation hiesiger Fabricatorum in Erfüllung gebracht haben sollten, wovon denn auch dato dem General Fiscal Nachricht gegeben ist und von dem Erfolg dieser Processe zu seiner Zeit Anzeige erwartet wird. 318

Soviel Aktionismus nach dreijähriger Auszeit zeigte das Generaldirektorium nicht ohne Grund, wenngleich die Zusammenhänge nirgends ausgesprochen werden. Doch war 1779 das Jahr, in dem der König eher zufällig von den zahlreichen Freiheiten erfuhr, die sich seine Zentralbehörde bei der Umsetzung des zwangsweisen Porzellanexports über zehn Jahre hinweg erlaubt hatte. Die daraufhin erfolgende scharfe Zurechtweisung bewirkte eine grundlegende und rückwirkende Revision der Konzessionsvergabe im Laufe der Sommermonate des Jahres 1779. Die zeitlichen Koinzidenzen sind dabei zu eindeutig, um die Verbindung beider Vorgänge übergehen zu können: Am 10. August wird die Angelegenheit der jährlichen Textilausfuhr aus den Schubladen hervorgeholt, und wenige Wochen später, am 7. September, beginnt die Eintreibung der Rückstände beim Porzellanexport. 319 Hier fand also offenbar ein energisches Durchgreifen des gemaßregelten und vorsichtig gewordenen Generaldirektoriums statt, das nichts mehr falsch zu machen gedachte. Auch in der Instruktion für die Steuerräte der Provinz Pommern vom 21. November 1779 heißt es deshalb nahezu gleichlautend wie schon in der Instruktion für die Kurmark von 1766, die Juden müßten zu Beförderung des auswärtigen Debits auf alle Weise animirt, und vornehmlich diejenigen, so sich zu Anlegung gewisser Manufacturen, Fabriken p.p. oder gegen Erhaltung des Rechts der Ansetzung des zweiten Kindes zum Debit einer Quantität einländischer Fabriken-Waren außerhalb Landes verbindlich gemacht haben oder dazu noch verpflichtet werden, zur genauen Erfüllung ihres Engagements mit allem Nachdruck angehalten werden ... 320

Doch damit nicht genug, kam es scheinbar auch zu einer neuerlichen Einschränkung der ökonomischen Spielräume der zweiten Kinder. Denn im März 1780 informierte die Kurmärkische Kammer ihren Steuerrat Gilbert darüber, daß einige zweite Kinder ihre Ausfuhren an andere Juden delegiert hätten, die auf den 317 318 319 320

Aaron starb 1810 in Wriezen. Vgl. Heidenhain, S. 58 –60. StA Angermünde, Bestand Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 973, Bl. 82. Vgl. Kap. H. VIII. A.B.B.O., Bd. XVI/2, S. 553 – 572, hier: S. 566.

VI. Zum Fortdauern der Exportauflagen bis zur Jahrhundertwende

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Frankfurter Messen Handel trieben. Diese Praxis sei indes nicht mehr zu tolerieren, weshalb die Juden verpflichtet werden sollten, ihr Engagement nicht nur selbst, sondern darüber hinaus „außer den Einländischen Messen zu erfüllen“. 321 Somit wäre den zweiten Kindern auch die Frankfurter Messe verschlossen gewesen, die mit ihrer starken Ostausrichtung gerade für zahlreiche Tuchmacherzentren wie Zielenzig, Drossen, Züllichau oder Landsberg an der Warthe eine wichtige Rolle als Umschlagplatz spielte, 322 und die trotz aller merkantilistischen Hemmnisse selbst von jüdischen Händlern aus Brody im fernen Galizien besucht wurde. 323 Die Verordnung der Kurmärkischen Kammer wirkt um so seltsamer, als man bislang an derartigen Meßgeschäften offenbar keinerlei Anstoß genommen hatte. So hatte beispielsweise Hertz Isaac Nathan, im Juni 1766 in Berlin etabliert, 324 im Jahr seiner Ansetzung Textilwaren aus der Hauptstadt im Wert von rund 1.600 Rt. über die Frankfurter Martinimesse nach Polen verkauft. 325 Auch andere Juden wie Aaron Moses Levin aus Frankfurt an der Oder waren über Jahre hinweg auf den Messen aktiv, ohne daß dies in irgendeiner Form beanstandet worden wäre. 326 Ob der Kammerbefehl vor diesem Hintergrund überhaupt beachtet wurde, läßt sich angesichts der bereits angeführten lückenhaften Quellenlage nicht belegen, stand doch die Textilausfuhr um 1780 ganz im Schatten des eskalierenden Porzellanexportzwangs.

321 StA Angermünde, Bestand Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 973, Bl. 85 (Abschrift). 322 Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 211; zur Bedeutung der Frankfurter Messe grundsätzlich Philippi; sowie Dehne; zur Bedeutung der Messen für den Handel nach Osten Knabe; zu den negativen Auswirkungen der restriktiven Handelsgesetzgebung auf den ostjüdischen Handel ebd., S. 219, 227. 323 Zur Stellung Brodys und seiner jüdischen Kaufleute Grossmann, insb. S. 80 –88; Wischnitzer; A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 50, 56, 299. Vgl. auch den überschwänglichen Bericht des Finanzrats Tarrach vom Juli 1769, in dem von glänzenden Geschäften auf der Frankfurter Messe berichtet wird, „da die Juden von Groß- und Klein-Polen nicht nur sichere Pässe von Russen und Conföderirten, sondern auch viel Geld zum Einkauf seidener und wollener Waren von allen dreien Armeen mitgebracht. [...] Die Tücher sind besonders die schlesische und Land-Tücher, nicht minder Friese, Boye, Flanelle, Molton, Strümpfe, Mützen reißend weggegangen.“ Siehe ebd., 26 – 27. Nebenbei kommt diesen Geschäftsverbindungen auch große kulturgeschichtliche Bedeutung zu, brachten die Kaufleute von ihren Reisen nach Preußen doch die Gedanken Mendelssohns in die Handelszentren Lemberg und Brody. Siehe dazu Karniel, Toleranzpolitik, S. 283 – 284. 324 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 17. 325 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XXXI, Nr. 84. 326 StA Frankfurt / Oder, I, VII, Nr. 103, Bl. 35, 92 – 98, 139 –140, 197 –200; Nr. 108, Bl. 251 – 254, 274 – 279; Nr. 109, Bl. 11 – 12, 40 – 41, 43, 69; GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XXXI, Nr. 84.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Doch zumindest soviel läßt sich sagen: Die aus den 60er Jahren herrührenden Engagements begleiteten manchen Juden nahezu ein Leben lang und tauchen noch 1793 an prominenter Stelle in David Friedländers Akten-Stücken auf. 327 Auch als der bereits erwähnte Jacob Isaac Levin aus Tangermünde 1789 gestorben war, notierte d’Anières immerhin, seine Witwe werde auf Lebenszeit toleriert, vergaß jedoch nicht, anzumerken, daß „die Kinder nach ihrem Tode zu keinem Schutz qualificiret“ 328 seien. Bei Jacob Moses, 1766 in Rathenow etabliert, wurde 1791 der jährliche Regelsatz zumindest von 1.500 auf 800 Rt. gesenkt. 329 Aron Manasse, der aus Callies in der Neumark stammte und seine Konzession im Jahr 1767 erhalten hatte, mußte gar bis zum Jahr 1800 warten, um von seinem Engagement befreit zu werden. 330 Derartige Befreiungen um die Jahrhundertwende erfolgten jedoch nicht kostenlos. So führte der Geheime Finanzrat Jaeschke in einem Gutachten vom April 1804 aus, es seien „mehrere mit Verpflichtung zur WaarenExportation angesetzte 2te Kinder wegen Unausführbarkeit der Bedingung gegen ein für allemahl erlegte 100 rth. zum Fabriquen-Fond von ihrer Verbindlichkeit befreyet“ 331 worden. Derartige Zahlungen konnten für eines der bis 1769 angesetzten zweiten Kinder bislang nicht nachgewiesen werden, doch sei hier vorgreifend auf den nachgeborenen Samuel Jacob hingewiesen, der zu den Ausnahmefällen gehörte, bei deren Ansetzung noch in den 70er Jahren ein kontinuierlicher Warenexport verlangt wurde. So hatte der aus Friedeberg in der Neumark stammende Jacob aufgrund seines am 15. Juni 1774 ausgestellten Schutzbriefs jährlich 200 Tuche zu exportieren, die aus seiner Heimatstadt zu stammen hatten. 332 Dieser Verpflichtung unterlag Jacob bis 1796, als er es erreichte, zukünftig nur noch 100 exportieren zu müssen. Zu dieser Regelung war das Generaldirektorium erst nach eingehender Beratung mit dem Fabrikendepartement bereit gewesen. Hinsichtlich der zu entrichtenden Abstandszahlung wurde der Küstriner Kammer am 9. Februar 1796 mitgeteilt:

327 Friedländer, Akten-Stücke, S. 66, wo es unter anderem heißt: „Da nun dieses eine Zwangsausfuhr ist, so geschieht, besonders weil sie gewöhnlich Leute trifft, die mit Ausländern in keiner Verbindung stehen, der Verkauf nicht ohne empfindlichen Schaden, und setzt auch den Werth und Ruf unserer Fabrikate im Auslande herunter.“ Friedländer wählt hier also eine Argumentation, die bereits bei der Aufhebung des Porzellanexportszwangs bei den Behörden auf fruchtbaren Boden gefallen war. Vgl. Kap. J.III. 328 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 61. 329 Ebd., Bl. 65. 330 Laut Reskript des Generaldirektoriums an die Neumärkische Kammer vom 25. März 1800 in GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen Generalia, Nr. 4, Bl. 15. 331 Zitiert nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 171. 332 GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 12.

VII. Der Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau

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Das solchergestalt an die Neumärkische Manufactur-Casse zu zahlende Geld soll demnächst zu nützlichen Manufactur- und Fabriquen-Anlagen in der dortigen Provinz verwandt werden, indem dessen Verwendung zu Prämien auf Exportation von Tüchern am wenigsten in dem gegenwärtigen Zeitpunkt nöthig ist, weil nach dem Sentiment des erwähnten [Fabriken-] Departements die Landes-Tücher ohne alle Prämien bereits den erwünschtesten auswärtigen Absatz haben. 333

Wie viele vor 1769 angesetzte zweite Kinder, die sich um die Jahrhundertwende bereits in fortgeschrittenem Alter befanden, in ähnlicher Weise zur Kasse gebeten wurden, ist hingegen unklar. 334 Es verdient zudem Beachtung, daß diese Regelung von Spitzenbeamten wie Jaeschke, die sich in den Jahren vor 1806 überaus judenfeindlich äußerten, 335 ausdrücklich bedauert wurde. Denn, so schrieb der Finanzrat rückblickend, wenn man bei den ursprünglich getroffenen Regelungen der Textilausfuhr verblieben wäre, so hätte die „obgleich immer nachtheilige Vermehrung der Juden, von einem Ansetzungs-Falle zum anderen, wenigstens gleichen Schritt mit einem positiven Vortheile für die einländische Industrie und HandelsBilanz“ 336 gehalten. So waren die nach dem Siebenjährigen Krieg eingeführten Sonderabgaben noch beinahe ein halbes Jahrhundert später für die Gegner der Judenemanzipation innerhalb der Bürokratie auch jenseits utilitaristischer Überlegungen ein willkommenes Mittel gegen jegliche rechtliche Besserstellung. Auch deshalb blieb die jährliche Textilausfuhr für die davon betroffenen Juden über Jahrzehnte hinweg eine schwere Belastung – selbst nachdem seit 1769 bei neuen Etablierungen auf das Recht des zweiten Kindes stattdessen ein finanzieller Beitrag zum Fonds der Templiner Strumpfmanufaktur verlangt wurde. Der somit eintretende Wandel der Ansetzungsbedingungen läßt sich am Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau verfolgen.

VII. Der Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau Die Konzession Manasse Jacobs zur Ansetzung als zweites Kind in Bernau datiert vom 14. Mai 1766 und war an die Verpflichtung geknüpft, jährlich Manufakturwaren im Wert von 1.000 Rt. zu exportieren. 337 In seiner Heimatstadt 333

Ebd., Bl. 12. Bei Terlinden, S. 128 heißt es sogar noch 1804, es seien „die Juden auch verbunden, eine Quantität einländischer Manufaktirwaaren zu exportiren“. Diese Aussage bezieht sich hingegen nicht explizit auf bis 1769 angesetzte zweite Kinder. 335 Vgl. Kap. K.III. 336 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 170. 337 Die von Friedrich vollzogene Konzession findet sich in StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 11, Digitalisat und Transkription bei Schenk, Friedrich und die Juden. Die Überlieferung derartiger Konzessionen in behändigter Ausfertigung ist aus naheliegenden Gründen außerordentlich selten und bedeutet für das Schicksal des Empfängers meist nichts 334

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

befand sich im Jahr 1769 mit der Baumwollmanufaktur des Berliner Kaufmanns Johann Caspar Oehmigke der einzige größere Betrieb der Gegend, 338 zu der sich in den 70er Jahren eine von Isaac Benjamin Wulff eingerichtete Seidenmanufaktur gesellte, an der sich Daniel Itzig beteiligte. 339 Dennoch blieben Ackerbau und Brauwesen, letzteres wie überall in der Kurmark durch die 1766 verordnete Erhöhung der Bierakzise beeinträchtigt, in der Kleinstadt mit 1.564 Einwohnern (1772), 340 zu denen auch sechs jüdischen Familien zählten, 341 die „Hauptnahrung“. 342 Trotz dieser strukturellen Probleme gelang es Jacob zunächst, seine Exportverpflichtungen zu erfüllen. So hatte er nach einer Designation des Bernauer Magistrats vom 30. Dezember 1766 am 3. Oktober in Polzin Tücher für 1.200 Rt. gekauft und am Folgetag über die Zollstation Barwidde nach Polen exportiert. Jacob selbst gab am 12. Juni 1770 bei einem Verhör auf dem Rathaus an, 1767 halbseidene Zeuge im Wert von 1.000 Rt. aus der Berliner Manufaktur der Gutbierischen Erben nach Braunschweig exportiert zu haben. 343 Doch zu diesem Zeitpunkt ging es mit ihm bereits steil bergab, hatte der Magistrat doch schon im Februar 1768 über Jacob berichtet, „daß er in schlechten Umständen [sei] und sich schwerlich mainteniren dürfte“. 344 Den Rest gab ihm allerdings kein eigenes Verschulden, sondern die Kurmärkische Kammer, auf deren Betreiben, wie noch zu schildern sein wird, 1768 allen bis dahin als zweite Kinder in der Mark angesetzten Juden der Kauf minderwertiger und zum Teil mottenzerfressener Strümpfe aufgezwungen wurde. 345 Zu den UnGutes, liegt ihr doch in aller Regel ein Entzug des Schutzes zugrunde. Als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Jacob Salomon war 1743 seine Schwester Bunne angesetzt worden, die einen Baruch Samson geheiratet hatte. Siehe Stern, Bd. III/2, S. 19 –20. 338 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 47; Oehmigke war zudem 1768 zeitweise als Leiter der Kanevasmanufaktur des verstorbenen Pintus Lewin in Rathenow im Gepräch. Oehmigkes Forderung, die Manufaktur nach Bernau zu verlegen und ihm zur Sicherung des Absatzes die Belieferung von neun Regimentern zuzuweisen, scheiterte indes am Einspruch des Königs. Siehe Kohnke, Pintus Lewin, S. 256. 339 Siehe Schnee, Bd. 1, S. 177; Rachel / Wallich, S. 376. 340 1791 zählte Bernau schließlich 1.602 Einwohner, zu denen noch die Garnison samt Familien mit insgesamt 473 Personen kamen. Siehe Nicolai, Wegweiser, S. 179. 341 Bezogen auf 1765. Siehe Stern, Bd. III/2, S. 423. 342 Siehe den Bericht von Kriegsrat Niethe von 1769 in GStA PK, II. HA, Kurmark, Tit. CCLXV, Nr. 18, Bl. 168 – 169. Weitere statistische Angaben bei Enders, Ortslexikon S. 31 – 35: 1770 zählte man 307 Häuser, 71 Scheunen und zehn wüste Stellen. 1752 waren ausländische Zeugmacher angesetzt worden. Zu den negativen Auswirkungen der erhöhten Bierakzise und dem zugrundeliegenden Deklarationspatent vom 14. April 1766 siehe Rachel, Merkantilismus, S. 975; Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte, S. 148; Schultze, Mark Brandenburg, Bd. 5, 103 – 104; vgl. die Berichte des Ministers v. Derschau von 1769 in A.B.B.O., Bd. XV, S. 58 – 63, hier: S. 62. 343 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9. 344 Ebd. 345 Siehe unten, Kap. E I.

VII. Der Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau

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glücklichen zählte dabei auch Manasse Jacob, dem seiner Bitten ungeachtet 346 aus Templin ein Paket mit 149 Paar Strümpfen zugestellt wurde. 347 Eigenen Angaben zufolge hatte Jacob allein an den Landreuter, der sich elf (!) Wochen lang bei ihm einquartiert habe, um die Schulden einzutreiben, 75 Rt. bezahlen müssen; „hin und her nach Berlin zu reisen“ habe zusätzlich mit 25 Rt. zu Buche geschlagen, wobei er auch „ein Pferd zu Tode geritten“ habe, das noch einmal 25 Rt. wert gewesen sei. 348 Da derartige Exekutionen im folgenden immer wieder eine Rolle spielen werden, sei hier eine kurze Erläuterung dieses Procederes eingefügt. Der Policeyausreuter, bei dem es sich zumeist um einen Invaliden handelte, 349 unterstand dem Steuerrat und nahm in Stadt und Land vielfältige Kontrollaufgaben wahr. 350 So hatte er beispielsweise das für Wolle geltende Ausfuhrverbot zu überwachen, das aufgrund der steuerlichen Trennung von Stadt und Land streng reglementierte ländliche Handwerk im Auge zu behalten sowie jeden auswärtigen Juden, „dessen äußeres Ansehen den Verdacht begründet, daß er der öffentlichen Sicherheit gefährlich werden kann“, 351 aufzugreifen und beim nächsten Gerichtsort abzuliefern. Exekutionen führte der Ausreuter auf Anordnung des Steuerrats, aber auch 346 Siehe Jacobs Bittschrift vom 6. August 1768 in GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 102. 347 Siehe die Designation in StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9. 348 Siehe Jacobs Aussagen bei Verhören auf dem Bernauer Rathaus am 3. Januar 1769 und 12. Juni 1770 ebd. 349 Vgl. das Edikt vom 24. Juli 1769 bei Scotti, Bd. 2, S. 1937 –1938. 350 Siehe die Instruktion für die Policey-Ausreuter der Mittel-, Ucker- und Altmark sowie der Prignitz vom 23. Februar 1754; ebenso den Extrakt aus der Policey-ReuterInstruktion vom 25. März 1754 in N.C.C., Bd. 1, Sp. 626 –636, 651 –656; vgl. Reinhardt, S. 86. 351 „Den Polizeiausreutern ist in dieser Hinsicht zur Pflicht gemacht, von solchen Juden, welche sie auf den Landstraßen oder in Krügen und Herbergen antreffen, die Vorzeigung ihres Passes zu verlangen.“ Siehe Terlinden, S. 99 –100. Das Ausmaß der Kontrolle hing dabei freilich auch vom Volumen des Geldbeutels ab, den der ausländische Jude bei sich führte. Siehe ebd., S. 100 – 102: „Denjenigen Juden, welche mit den ordinären oder Extraposten oder mit eigenen oder gedungenen Gespann in Reisekutschen an der Gränze eintreffen und durch ihr äußeres Zeichen schon beweisen, daß sie unter die wohlhabende Klasse ihrer Glaubensgenossen gehören, wird der Eingang in die Preußischen Staaten gestattet, sie erhalten aber von dem Gränzzollamte eine Anweisung, was sie bey ihrem fernern Aufenthalte in den Preußischen Landen zu beobachten haben. [...] Einem dergleichen zu Fuße, an einem Gränzorte ankommenden Juden, wenn er gedachtermaßen zum Einpassiren qualificiret befunden wird, wird vom Gränzzollamte ein Attest oder Paß, in welchem die Stadt oder Ort, wohin er reisen will, und die Zeit seines Aufenthalts im Lande, zu bemerken ist, gegeben, und derselbe zugleich zu seiner weitern und völligen Abfertigung an die, an dem Orte des Gränzzollamts oder sonst zunächst demselben vorhandene einländische Obrigkeit, mit der ausdrücklichen Bedeutung hingewiesen, daß der Paß des Zollamts allein zur sichern Fortsetzung seiner Reise ins Land nicht hinreiche, sondern er dazu auch ein Attest der erwähnten Obrigkeit haben müsse, oder sonst des Zollpasses ungeachtet gegen ihn, mit Gefängnis und Strafe, so bald man seiner habhaft

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

der Magistrate und Akziseeinnehmer durch. 352 Wie man sich ein solches Verfahren vorzustellen hat, zeigt ein Blick in die Instruktion für die Kreisausreuter von 1753, in der die Verfahrensweise in den Dörfern geregelt wurde. Danach betrug die maximale Einquartierungszeit auf dem Land drei Tage, konnte aber aufgrund spezieller Anordnung auch darüber hinaus unbefristet verlängert werden: „In diesem Fall muß er [der Ausreuter] solchen Befehl dem Buchstaben nach vollziehen, und des beklagten Hauß nicht eher quitiren, bis der Abweichs-Zettul erfolget.“ 353 Durch den unfreiwilligen Gastgeber mußte dem Ausreuter während dieser Zeit, wann er zur würcklichen Execution kommt, vor jeden Tag, welcher in 24 Stunden bestehet, 12 Gr. Preusch Executions-Gebühr nebst freyen Essen und Trincken, denn 2 Metzen Hafer, auch benöthigtes Heu, Häcksel und Stroh vor das Pferd gegeben werden, sind aber mehr denn einer im Dorfe, so noch restiren, vorhanden, bringen sämtliche Restanten vorstehende tägliche Executions-Gebühren zusammen auf.

Auf diese Weise trug das Exekutionsverfahren offenbar maßgeblich dazu bei, daß bereits wenige Monate später Jacobs Handelsgeschäfte „ganz und gar eingegangen“ waren, so daß er sich „mit Fellen und andern Kleinigkeiten“ 354 abgeben mußte. Seine letzte Hoffnung scheint in einem Neuanfang an anderem Ort bestanden zu haben. Denn 1770, während die schlechte wirtschaftliche Lage seiner Heimatstadt bezeichnenderweise sogar zum Gegenstand von Examensarbeiten im Generaldirektorium avancierte, 355 bat Jacob darum, ihm eine Stadt zur Niederlassung zuzuweisen, die besser als Bernau für einen jährlichen Textilexport geeignet sei, 356 ein Plan, der jedoch offenbar nicht weiter verfolgt wurde.

werde, verfahren werden würde.“ Dieses zweite Attest, das den Juden acht Gr. kostete, hatte Auskunft über folgende Punkte zu geben: „a) Sein Wohnort, b) Die Stadt, wohin im Lande er reisen will, c) Seine Anzeige im Allgemeinen von dem vorhabenden Geschäffte oder dem Zwecke solcher Reise, d) Die längste Zeit, welche er im Lande sich aufzuhalten gedenke, e) Einige Beschreibung seiner Person, nach der ungefährlichen Größe und dem Ansehen nach zu schätzenden Alter, der Farbe des Bartes und der Haare, auch der sonst etwa in die Augen fallenden Gesichtszeichen“. 352 Ein weiterer Tätigkeitsbereich des Policeyausreuthers bestand deshalb in der „Verhinderung oder Entdeckung der Accise-Defraudationen, mittelst genauer Visitation der Vorräthe der Krämer, Wirthe, Müller, Gärber, Schneider pp.“ Siehe die Verordnung der Klevischen Kammer vom 14. Mai 1765 bei Scotti, Bd. 3, S. 1627. 353 Dieses und das folgende Zitat: N.C.C., Bd. 3, Sp. 427 –430. 354 So nach der Aussage Jacobs auf dem Bernauer Rathaus am 3. Januar 1769 in StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9. 355 Darüber und über geeignete Maßnahmen zu deren Verbesserung hatte sich der spätere Finanzrat im Generaldirektorium Johann August Honig (1744 –1800) in seiner Prüfungsarbeit Gedanken zu machen. Siehe Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 152. 356 Magistrat von Bernau an Kriegs- und Domänenrat Niethe, 17. Juni 1770. StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9.

VII. Der Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau

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War Jacobs ökonomische Existenz somit bereits nach drei Jahren zerstört, so geriet sein Status als Schutzjude nun von zwei Seiten in Gefahr. Denn einerseits wurde er in den folgenden Jahren von Seiten der Behörden zum Ziel ständig neuer Drohungen, verlängerter Fristen und Verhöre, die darauf abzielten, ihn zur Wiederaufnahme seiner Exporte zu bewegen. Andererseits geriet er neben einigen weiteren Bernauer Juden in Konflikt mit den Kurmärkischen Ältesten, denn auch zur Bezahlung der regulären Schutzgelder war Jacob nicht mehr in der Lage. Seine diesbezüglichen Rückstände bei der Landjudenschaft stiegen von 46 Rt. im Juli 1771 bis auf 61 Rt. im März 1772. 357 Von allen Seiten unter Druck geraten, konnte Jacob auf dem Rathaus nur hilflos beteuern, er „habe nichts, und wenn ihm seiner Frauen Familie [aus Berlin] nicht den Unterhalt gäbe, hätte er gar nichts zu leben, und da er nichts hätte, wüßte er ganz und gar hierin nicht sich zu helfen“. 358 Trotz allem schien es beinahe ein Jahrzehnt, als würde sich Jacob mehr schlecht als recht durch die zahlreichen Verhöre und Verfahren zum Entzug des Schutzbriefes, die seit 1770 liefen, hindurchlavieren können, bis ihm schließlich 1777 eine Kohlenschippe zum Verhängnis wurde. Selbige hatte er nämlich offenbar im Dezember jenes Jahres nebst einem Dreifuß von der Witwe des Akziseeinnehmers Schridden gestohlen. 359 Etwaige Sympathien des Magistrats, bei dem ohnehin gerade wieder einmal wegen Jacobs Exportrückständen verhandelt wurde, 360 hatte er sich dadurch in einem denkbar ungünstigen Augenblick verscherzt. Denn obwohl der Wert der gestohlenen und bereits wieder zurückgegebenen Gegenstände lediglich zehn Gr. betrug, Jacob „die Schippe und den Dreyfuß blos im Hause vom Flur beym Weggehen mitgenommen“ und dafür bereits „drey Tage bey Wasser und 357 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 10, Bl. 9 und 12. Jacob war pro Quartal mit drei Rt. zur Schutzgeldzahlung veranlagt, ebd., Bl. 8. Derartige Rückstände waren im Einzelfall aufgrund der solidarischen Haftbarkeit durchaus dazu angetan, die Lage des Schuldners gegenüber den Behörden zu verschärfen, stellten sie die innerjüdische Hilfsbereitschaft doch auf eine harte Probe. So äußerten beispielsweise in einem ähnlichen Fall, der sich im Jahre 1731 im Fürstentum Minden zutrug, die Ältesten der Judenschaft gegenüber der Kriegs- und Domänenkammer den Wunsch, „daß diejenigen, welche durch liederliche Haußhaltung sich außer Stande setzeten, die onera abzuführen, entsetzet und außer Landes gejagt würden“. Zitiert nach Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 467 – 468. 358 Vernehmungsprotokoll vom 4. Mai 1771, StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9. 359 Magistrat von Bernau an Steuerrat Adler, 19. Dezember 1777, StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 11. 360 Scheinbar versuchte Jacob in diesen Verhandlungen seine jährlichen Exportverpflichtungen durch einen einmaligen finanziellen Beitrag zum Betrieb der Templiner Strumpfmanufaktur abzulösen. So bot er auf dem Rathaus am 4. November 1777 die „Erfüllung derjenigen Condition [an], die gegenwärtig denen auf das Recht des 2. Kindes angesetzten Juden auferleget würde.“ Ebd. Die erwähnte „Condition“ bestand seit 1768/69 in einer Zahlung von 200 Rt. an die Berliner Oberlandesältesten, vgl. Kap. E.IV.

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D. Die zweiten Kinder von 1763 bis um 1800

Brodt in der Clause“ gesessen hatte, 361 war für die städtischen Behörden damit das Maß voll. Durch dieses Verbrechen sei nun, wie man Kriegs- und Domainenrat Adler zu überzeugen suchte, deutlich geworden, wie gefährlich der Manasse Jacob der Stadt ist und ersuchen wir deshalb Ew. Wohlg. ganz gehorsamst, einem Landreuter zu demandiren, der denselben von hier aus dem Gefängnis über die Grentze bringen könne. Allenfals könnte der hiesige Policey Reuter Meyer denselben am Montag früh nach der Mecklenburgischen Grentze transportiren und müßte der p. Meyer allenfals seine Bezahlung von uns erhalten und fragen wir deshalb an, aus welcher Casse demselben die Kosten und wie viel pro Meile bezahlet werden solle. 362

Nachdem Jacob am 6. Februar 1778 zunächst aus dem Arrest entlassen worden war und sich daraufhin fünf Monate lang an unbekanntem Ort aufgehalten hatte, war er zum Ärger des Magistrats im August „wiederum allhier eingetroffen“ – scheinbar zum letzten mal, denn auf Anordnung Adlers wurde er umgehend der Stadt verwiesen mit dem Befehl, sich nicht wieder blicken zu lassen oder aber ins Gefängnis zu wandern. 363 Danach verschwand Jacob offenbar aus Bernau und damit auch aus den Akten. Ob er als umherziehender Betteljude oder gar als vagierender Bandit 364 endete oder doch noch bei seinen Berliner Verwandten Unterschlupf fand (die damit ihren eigenen Schutz aufs Spiel gesetzt hätten), ist eine Frage, die sich behördlicher Erfassung und damit auch dem heutigen Betrachter entzieht. Jacob hatte sich nun eingereiht in die „grössere Anzahl von verhohlenen Existenzen“, 365 über die keine Bücher mehr geführt wurden. Nach dem am 12. Dezember 1780 publizierten Edikt gegen Betteljuden hätte Jacob folgendes zu erwarten gehabt: Wenn zu Fuße reisende mit einem vorschriftsmäßigen Atteste nicht versehene fremde Juden eingezogen werden, so werden dieselben, sie mögen auf Betteln betroffen seyn oder nicht, das erstemal mit einer zur Casse des Potsdamschen Waisenhauses fließenden Geldbuße oder bey nachgewiesenen Unvermögen mit einer verhältnißmäßigen körperlichen Züchtigung bestrafet, und hiernächst mit der Verwarnung, daß sie das zweitemal zum Zuchthause auf sechs Monathe mit dem sogenannten Willkommen und Abschiede, das drittemal aber auf Lebenslang in die Karre gebracht werden sollen, aus dem Lande gewiesen, auch bey wiederholten Einschleichungen diese Strafen an ihnen vollzogen. 366

361 Das Kapitalverbrechen war bereits „ohngefehr eine Stunde nachhero entdeckt“ worden. Siehe das Schreiben des Magistrats von Bernau an Kriegs- und Domainenrat Adler, 27. Januar 1778: StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 11. 362 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 11. 363 Ebd. 364 Zur Wechselbeziehung zwischen vagierender jüdischer Unterschicht und frühmodernem Banditenwesen Küther, S. 26 – 27, 145; Glanz; Wiebel. 365 Glanz, S. 130. 366 Terlinden, S. 107.

VII. Der Niedergang des Manasse Jacob aus Bernau

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Vier Tage nach Publikation dieses Edikts, am 16. Dezember 1780, stellte der Magistrat fest, es gebe in Bernau keine Juden mehr, die auf das Recht des zweiten Kindes angesetzt seien. Damit war künftig auch eine Tabelle weniger anzufertigen. 367

367 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9. Der Frage der Rechtssicherheit von Juden, denen wie Manasse Jacob krimineller Lebenswandel vorgeworfen wurde, widmet sich auch Brenker, S. 259 – 268 am Beispiel der Ausweisung „liederlicher Judenjungen“ aus Breslau im Jahre 1790. Die Autorin kommt ebd., 268 zu dem Fazit: „Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde die Unrechtmäßigkeit und die Sinnlosigkeit der Ausweisungspolitik offensichtlich zumindest erkannt. Die Kriegs- und Domänenkammer scheint Schritt für Schritt Ausweisungsbestimmungen klarer zu definieren. Doch erst mit dem Edikt vom März 1812 begann eine Phase der Rechtssicherheit für die Juden.“

E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 1 (1765 –1786) I. Von der Gründung durch die Kurmärkische Kammer bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 – 1769) Die 1763/65 festgelegten Modalitäten bei der Niederlassung zweiter Kinder sollten am Ende des Jahrzehnts eine Änderung erfahren, die mit den Wiederaufbaumaßnahmen der Nachkriegszeit in engem Zusammenhang steht. Die Rede ist dabei vom „Uckermärkischen Etablissement“, das unter anderem zur Anlage einer Strumpf- und Mützenmanufaktur in Templin führte. Dieses Etablissement ist als Teil jener umfassenden Kolonisationsbemühungen zu begreifen, die während der Regierungszeit Friedrichs des Großen schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Zuwanderer nach Preußen führten 1 und die in der Kurmark insbesondere an die Urbarmachung des Oderbruchs zwischen 1746 und 1753 denken lassen. 2 Während es bei dieser ehrgeizigen Meliorationsmaßnahme um die Neuerschließung zuvor weitgehend unbewohnter Landesteile ging, zielte das Engagement in der Uckermark jedoch eher auf binnenkolonisatorische Verdichtung und verstand sich als Beitrag zum Retablissement einer Landschaft, die durch den Siebenjährigen Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, durch „dieses Übel, daß allemahl und ohnfehlbar das Marck des Landes, und der Einwohner verzehret, es schlage so glücklich und glorreich aus, als es wolle, wenn ihre Wohnplätze gleich nicht immer der Schauplatz deßelben sind“. 3 So war, um die einschneidenden Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges lediglich an einem Indikator festzumachen, die Einwohnerzahl der Kurmark zwischen 1755 und 1763 von 586.375 auf 1

Siehe etwa Jersch-Wenzel, Selbstverständnis und Akzeptanz, S. 81; Heinrich / Scharfe. Dazu unlängst kritisch Gudermann. 3 So noch 1769/70 in einem Bericht von Steuerrat Trost. Zitiert nach Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 409. Zu den Kriegsauswirkungen auf die Uckermark vgl. Enders, Uckermark, S. 575 – 580. In Templin und Angermünde, den Hauptorten des Uckermärkischen Etablissements, beliefen sich die Kriegsschäden nach einem Bericht des Kriegsrats Gerber aus dem Jahre 1763 auf 17.383 bzw. 6.126 Rt. Siehe A.B.B.O., Bd. XIII, S. 172; vgl. den Bericht des Präsidenten der Kurmärkischen Kammer, von der Horst, über den Zustand der Städte nach dem Krieg vom 16. September 1764. Danach belief sich der Menschenverlust in der Uckermark auf 3.445, ebd., S. 399 –400. 2

I. Von der Gründung bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 –1769) 183

519.531 gesunken, und selbst in Berlin zählte man nach dem Friedensschluß etwa 2.300 Einwohner weniger. 4 Ersten wissenschaftlichen Niederschlag fand das uckermärkische Kolonisationswerk bereits in August Heinrich Borgstedes Statistisch-Topographischer Beschreibung der Kurmark Brandenburg von 1788: Das Uckermärkische Etablissement, wozu 11.550 Rthlr. angewiesen worden, hat folgende Gegenstände: 1) ist in Templin eine Manufactur von Strümpfen und wollenen Mützen 1767 bis 1768 angelegt worden, worin zehn Meister mit Gesellen auf zwanzig Stühlen arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Familien 2) ist in Angermünde ein Fabrickenhaus 1769 erbauet und ein Entreprenneur darin angesetzt worden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Familie 3) auf der Feldmark Ahrensdorf bey Templin ist eine Kolonie von Ackerwirthen angelegt und 1776 völlig zu Stande gebracht worden; sie heißt Ahrensdorf, und besteht aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Familien Summe

26 Familien und 1 Kolonie 5

11.550 Rt., 26 Familien, eine Kolonie – kein Zweifel: Das Uckermärkische Etablissement nahm sich im Kontext der friderizianischen Kolonisationsbemühungen, die zu einer „der größten Siedlungsbewegungen der neueren Geschichte“ 6 führten, recht bescheiden aus. So soll allein die von Finanzrat von Brenckenhoff geleitete Regulierung der Warthe zwischen Küstrin und Landsberg, die rund 11.000 ausländische Kolonisten in die Neumark zog, 1,2 Millionen Rt. gekostet haben. 7 Auch auf dem Gebiet der Manufakturförderung, in die zwischen 1740 und 1786 schätzungsweise 2,7 bis 4,6 Millionen Rt. flossen, von denen sich trotz des insgesamt bis 1800 unzweifelhaft erreichten gewerblichen Aufschwungs 8 rund 1,7 Millio-

4

Schultze, Mark Brandenburg, Bd. 5, S. 81, 83. Borgstede, S. 313. Ihm folgend Beheim-Schwarzbach, S. 556. Ursprünglich hatte sich der vom Rentmeister der Hofstaatskasse, Hofrat Johann August Buchholtz, verwaltete Etablissementfonds auf 20.000 Rt. belaufen. Friedrich hatte die Summe jedoch am 26. Januar 1766 reduziert, nachdem ihm angezeigt worden war, daß einige Erbpächter in der Uckermark auf eigene Kosten zur Ansiedlung von Spinnern bereit seien. Obgleich sich diese Hoffnung größtenteils nicht erfüllte, blieb die Beschränkung des Uckermärkischen Fonds bestehen. Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 20. Zu Buchholtz vergl. A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 177, 250. 6 Aretin, Friedrich der Große, S. 109; vgl. Asche, S. 385 –401. 7 Siehe Neuhaus; Schultze, Mark Brandenburg, Bd. 5, S. 87. 8 Da im folgenden vornehmlich von gewerbepolitischen Fehlschlägen die Rede sein wird, die auf Kosten der Juden behoben werden sollten, muß darauf hingewiesen werden, daß die Wirtschaft des Raumes Berlin / Brandenburg zwischen 1750 und 1800 insgesamt einen gewaltigen Aufschwung nahm, so daß sich beispielsweise die Zahl der in Gewerbebetrieben 5

184

E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

nen Rt. als Fehlinvestition erwiesen, 9 scheint eine Summe von 11.550 Rt. kaum der Rede wert zu sein. Und dennoch liefern bereits die wenigen Informationen Borgstedes den Schlüssel zu der Frage, warum aus dem vermeintlich bescheidenen Projekt eine der schwersten Sonderabgaben für die preußischen Juden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erwachsen sollte. Denn waren die investierten Summen und die Anzahl der angesetzten Kolonisten auch vergleichsweise gering, so handelte es sich qualitativ doch gleichwohl um ein ambitioniertes Projekt, das sich intentional nicht auf den einfachen Ersatz der Bevölkerungsverluste beschränkte. Stattdessen waren Peuplierung und Gewerbeförderung gleichermaßen das Ziel. Dieser für die Regierungszeit Friedrichs des Großen charakteristische Zweiklang muß seinerseits vor dem Hintergrund der bereits in Umrissen skizzierten preußischen Manufakturpolitik nach dem Siebenjährigen Krieg gesehen werden, die ihr Augenmerk zunehmend über Berlin als einer „Insel des gewerblichen Fortschrittes inmitten eines mehr oder weniger stagnierenden Umlandes“ 10 hinaus richtete. Im Rahmen des in den mittleren und östlichen Provinzen eingeführten Fabrikensystems ist in der Kurmark neben der subventionierten Anlage von Seidenmanufakturen in Frankfurt an der Oder und Köpenick sowie eines Fayenceunternehmens in Rheinsberg vor allem auf die Anlage von Weber- und Spinnerkolonien hinzuweisen, durch die nach 1763 über 1.000 Familien ins Land gezogen worden sein sollen. 11 Zu den Gewerbezweigen innerhalb des Textilsektors, deren Förderung sich in diesem Kontext besonderer Aufmerksamkeit erfreuten, gehörte auch die in den mittleren Provinzen im Vergleich zur Region um Magdeburg und Halberstadt noch unterentwickelte Strumpfproduktion, 12 mußten doch 1752 noch wollene Mützen und Strümpfe im Wert von 9.430 Rt. in die Kurmark eingeführt werden. 13 Die Belebung dieses Produktionszweiges findet sich deshalb als Zielvorgabe auch in einer Instruktion für das Fabrikendepartement vom Januar 1766 wieder, 14 und anders als in Magdeburg und Halberstadt spielten jüdische Unternehmer in den mittleren Provinzen bei der angestrebten Erreichung dieses Ziels eine nicht unbedeutende Rolle. So hatte bereits ein Jahr zuvor der aus Hannover stammende Levi Moses Levi ein Schutzprivileg erhalten, um in Berlin eine Seidenstrumpfmanufaktur Beschäftigten in diesem Zeitraum verdoppelte, während die Einwohnerzahl „lediglich“ um 40% zunahm. Siehe Büsch / Scharfe, S. 39. 9 Nach den Berechnungen von Behre, S. 361. 10 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 427. Zu diesen Inseln zählt der Autor neben Berlin noch Magdeburg, nicht aber Potsdam. 11 Rachel, Merkantilismus, S. 978 – 979; Schmidt, S. 115 –117. 12 So stellten Hallesche Strumpfmacher 1768 10.000 Dutzend Wollstrümpfe im Wert von 50.000 Rt. her. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 69 –70; vgl. die Zahlen bei Dems., Magdeburg und Halberstadt, S. 246. 13 Schultze, Mark Brandenburg, Bd. 5, S. 101. 14 A.B.B.O., Bd. XIII, S. 737 – 738.

I. Von der Gründung bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 –1769) 185

mit mindestens 32 Stühlen zu etablieren. 15 Seit 1763 betrieb zudem der Berliner Manufakturunternehmer Isaac Benjamin Wulff eine Mützen- und Strumpfmanufaktur, in der sächsische Kolonisten beschäftigt wurden. 16 Die beiden Berliner Betriebe wurden von überaus fähigen Geschäftsmännern geleitet, befanden sich im großgewerblichen Zentrum der Monarchie und konnten noch dazu von einem Einfuhrverbot nahezu aller ausländischen Strumpfsorten profitieren. 17 Dennoch hatten beide Manufakturen mit großen Problemen zu kämpfen und dabei insbesondere unter der Nachkriegskrise zu leiden. So hatte Wulffs Betrieb bis 1767 bereits nicht verkaufte Waren im Wert von 15.000 Rt. angehäuft, 18 während Levi später gar Porzellan exportieren mußte, um vom Betrieb der leidigen Strumpfmanufaktur „dispensiert“ zu werden. 19 Was in Berlin unter besten Voraussetzungen schwierig war, sollte nun also in der Provinz funktionieren – es ging um nichts geringeres als die Etablierung großgewerblicher Strukturen 20 in der uckermärkischen Ackerbürgerstadt Templin, 21 die nicht nur geographisch weit entfernt war von jeder bislang bestehenden Manufakturansiedlung, sondern auch aufgrund ihrer Sozialstruktur kaum zu einem Standort des Großgewerbes disponiert zu sein schien. Nun hat man für das friderizianische Kolonisationswerk unlängst treffend bemerkt: „Daß es gemacht wurde, entschied der König, wie es im einzelnen geschah und daß es – wenn es – erfolgreich geschah, dafür mußten andere sorgen.“ 22 Im Falle des „Uckermärkischen Etablissements“ hieß das in erster Linie: die Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer unter ihrem damaligen Präsidenten Julius August Friedrich von der Horst, der allerdings im Juni 1766 an die Spitze des Fabrikendepartements berufen 15

Schnee, Bd. 1, S. 184; Straubel, Polizeidirektor, S. 180 –187. Vogler, Nowawes, S. 11. 17 Siehe d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 339 – 340. Woll-, Baumwoll- und Seidenstrümpfe waren ganz verboten, Produkte aus Zwirn hoch impostiert. Kam der Strumpf hingegen aus Sachsen, hatte er „ohne Unterschied“ keine Chance, auf legalem Wege an einem preußischen Fuß zu landen. 18 Siehe Vogler, Nowawes, S. 11. 19 Porzellanexport Nr. 0424 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 20 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 12 spricht bei Textilbetrieben bereits ab 10 Stühlen von „Großgewerbe“. Selbst in den preußischen Strumpfmacherzentren im Magdeburger Raum beruhte die Produktion noch in den 1790er Jahren hauptsächlich auf lockeren, zudem saisonal schwankenden Verlagsbeziehungen. Manufakturen mit klarer Organisationsform waren die große Ausnahme. Siehe ebd., 345 –347. Nach Heinrich, Spätmerkantilismus, S. 317 gab es 1769/70 lediglich in 51 preußischen Städten (ohne Schlesien) Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten, also in gerade einmal rund 15% der 348 Städte und Flecken. 21 Vgl. Radtke, S. 324 – 327. Hinzu kam, daß gerade die Grenzregionen der Uckermark und der Prignitz stark unter dem gegen Mecklenburg geführten Wirtschaftskrieg litten. Siehe Enders, Prignitz. S. 925, 1055 – 1056; A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 307 –310. 22 Sieg, S. 56. 16

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

und durch Karl Ludwig von Siegroth und Schlawikau abgelöst wurde. 23 Beide sollten in den kommenden Jahren Gelegenheit bekommen, sich eingehend mit dem „Uckermärkischen Etablissement“ zu beschäftigen. Von den drei bereits bei Borgstede angeführten Teilprojekten dieses Kolonisationswerks war „die erste Angermünder Fabrik“ 24 das kurzlebigste, weshalb es hier zuerst abgehandelt sei. Der in der Angermünder Klosterstraße im April 1768 begonnene Bau eines Wohnund Fabrikenhauses zur Ansiedlung eines Strumpf- und Mützenmachermeisters sowie von sechs Spinner- und 16 Weberfamilien schlug mit rund 3.600 Rt. zu Buche. 25 Weitere 700 Rt. erhielt der schließlich als Entrepreneur angeworbene Pierre la Grange, der sich jedoch schon bald nach Sachsen aus dem Staub machte – Frau, Kinder und „Fabrik“ in Angermünde zurücklassend, worüber zumindest die letztere nicht hinwegkam. 26 Das erste Teilprojekt war damit ebenso schnell wie kostspielig gescheitert. Derweil hatte die Kammer bereits 1765 mit der Anwerbung von Kolonisten für die Templiner Strumpfmanufaktur begonnen. 27 Den Großteil der Zuziehenden hatten die Beamten dabei aus dem herzoglich weimarschen Apolda, einem der traditionsreichsten Zentren des deutschen Strumpfgewerbes 28 abgeworben, was wie so häufig im 18. Jahrhundert nicht nur für diplomatische Verstimmungen sorgte, sondern nur in Konkurrenz zu weiteren Interessenten geschehen konnte. 29 Denn nicht nur reagierte man in Sachsen-Weimar allergisch auf die preußischen Werber; 30 auch der ungeliebte Nachbar aus Dresden schlief nicht, blieb doch der 23 Siehe zu von der Horst Klaproth, S. 445 – 446; von der Horsts Bestallungsurkunde als Minister in A.B.B.O., Bd. XIV, S. 87 – 92; Friedrichs Urteil über von der Horst lautete 1768: „Herr von Horst hat Geist, Einbildungskraft und Tatkraft, aber er ist leichtfertig, inkonsequent und oft ein schlechter Gesprächspartner.“ Siehe Dietrich, S. 499. 24 Blaschke, Die erste Angermünder Fabrik. 25 Weitere 900 Rt. wurden von der Stadt Angermünde aufgebracht. Siehe ebd. 26 Ebd. 27 Im Historischen Ortslexikon für Brandenburg wird hingegen irrtümlich 1769, das Jahr, in dem die Judenschaft die bereits bestehende Manufaktur übernahm, als Gründungsjahr genannt. Siehe Enders, Historisches Ortslexikon (Uckermark), S. 997; Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 148 nennt, ebenfalls unzutreffend, 1766. Besonders instruktiv für die Gründungsphase der Manufaktur sind die beiden Berichte der Kurmärkischen Kammer an das Generaldirektorium vom 29. November 1767 und 16. Januar 1768 in GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 4 –8 u. 17 –22. Sofern einzelne Angaben im folgenden nicht separat nachgewiesen werden, sind sie diesen beiden Berichten entnommen. 28 Vgl. Kronfeld, S. 261 – 331. 29 Zum Konkurrenzkampf der Staaten um Kolonisten Hinze, Arbeiterfrage, insb. S. 199 – 208; Straubel, S. 106. 30 So war durch die dortige Regierung „der Abzug mehrerer Fabricanten verbothen worden, welche Verfügung auch nicht [hat] aufgehoben werden wollen, ohngeachtet das Departement der Auswärtigen Affairen diese durch ein Vorschreiben zu effectuiren gesucht.“ GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 4.

I. Von der Gründung bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 –1769) 187

Kursächsischen Landes-Oeconomie-, Manufactur- und Commercien-Deputation nicht verborgen, daß in dem „Weimarischen Ort Apolda die meisten in sehr großer Anzahl sich daselbst befindenden Strumpff-Würcker ihre dortige Etablissements zu verlaßen und sich anderwärts zu sezen im Begriff stehen“ 31 – noch dazu nach Preußen. So dauerte es nicht lang, bis die Deputation im Juli 1764 jedem Ausländer, der einen Strumpfwirkerstuhl im sächsischen Eckartsberga einrichten würde, eine Prämie von 30 Rt. versprach. Bereits im Mai 1765 hatte sich daraufhin die Zahl der Stühle in Eckartsberga um 16 erhöht – ein Erfolg, 32 den jedoch auch die Sachsen nicht an die große Glocke hängen wollten, „um nicht die ohnehin sich bereits geäußerte Jalousie derer Nachbarn noch mehr zu wecken“. 33 Ungeachtet der sächsischen Konkurrenz langte jedoch im Laufe des Jahres 1765 ca. ein Dutzend ausländischer Kolonisten in Templin an, wo man zu dieser Zeit knapp 2.000 Einwohner zählte. 34 Damit war zugleich der Zeitpunkt gekommen, an dem man bei der Kammer zu realisieren begann, auf welch ehrgeiziges Projekt man sich hier eingelassen hatte. In Berlin hatte man sich den Fortgang der Manufaktur so vorgestellt, daß der Staat lediglich durch die Anwerbung der Kolonisten und die Bereitstellung eines Fabrikenhauses in Templin in Vorleistung treten, die Manufaktur aber sodann an einen privaten Unternehmer übergeben werden sollte. Obgleich die Abhängigkeit von staatlicher Initiative im Manufakturwesen außerhalb des Ballungszentrums Berlin / Potsdam sehr stark ausgeprägt war, 35 bewegte sich dieser Plan durchaus im Einklang mit den theoretischen Maximen friderizianischer Manufakturpolitik, die ein direktes staatliches Engagement tunlichst zu vermeiden suchte. 36 Die Überlegungen der Kammer wiesen jedoch den entscheidenden Schwachpunkt auf, daß sich – ähnlich wie bei den vergleichbaren Kolonistensiedlungen von Zinna (1767) 37 und Luckenwalde (1781) 38 – ein solcher Unternehmer partout nicht auftreiben lassen wollte, obwohl man „mehr 31

Zitiert nach Forberger, S. 43. Die Blüte der Eckartsbergaer Strumpfwirkerei sollte indes mit dem 18. Jahrhundert zu Ende gehen. 1806 gab es in der Stadt noch 17 und 1809 schließlich nur noch neun Strumpfwirker. Siehe Naumann, S. 212. 33 Forberger, S. 43. Die Gründe für die angeführte Abwanderungsbewegung aus Apolda sind nicht recht ersichtlich. Zwar litt das Apoldaer Strumpfgewerbe im 18. Jahrhundert phasenweise unter Absatzproblemen und Innungsstreitigkeiten (etwa 1760 und 1773), doch waren die Jahre nach dem Siebenjährigen Krieg eine Phase des Aufschwungs, während der die Zahl der Stühle von 600 im Jahre 1766 bis auf 740 im Jahre 1771 anstieg. Siehe Kronfeld, S. 297 – 298. 34 Bratring, Bd. 2, S. 490. 35 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 428 –429. 36 Ebd., S. 339; Kaufhold, Preußische Staatswirtschaft, S. 40 –41; Reininghaus, Gewerbe in der frühen Neuzeit, S. 95 – 96. 37 Die Zinnaer Leinen- und Baumwollmanufaktur war 1763 auf Staatskosten eingerichtet und zunächst durch den Kaufmann Johann Jakob Heyl betrieben worden, der aber bereits vier Jahre später das Handtuch warf. Daraufhin wurde der Betrieb volle zehn Jahre lang durch Kriegsrat Grothe von der Kurmärkischen Kammer administriert, bis sich endlich mit 32

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

wie einmal“ in verschiedenen Zeitungen und Intelligenzblättern entsprechende Inserate geschaltet hatte. Gegen Ende der 60er Jahre war die Gründung von Manufakturen nämlich derart forciert worden, daß „nicht mehr genügend geeignete und qualifizierte Bewerber für die Leitung neuer oder die Fortführung bereits eingeführter Betriebe vorhanden waren, um den gesteigerten Bedarf zu befriedigen, ganz zu schweigen davon, ob diese über Gründerkapital verfügten oder nicht“. 39 Die vergebliche Suche der Kammer nach einem Privatunternehmer muß allerdings nicht zwingend auf einen in der Provinz vorherrschenden Wirtschaftsgeist zurückgeführt werden, „der wenig mit der auf einer protestantischen Ethik angeblich beruhenden Unternehmungslust zu tun hatte“. 40 Rolf Straubel, der sich eingehend mit dem Sozialprofil brandenburgischer Manufakturbesitzer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat, betont den Stellenwert handwerklicher Tradition und in vielen Lehr- und Wanderjahren erworbener solider Kenntnisse des Fertigungsprozesses für die aussichtsreiche Übernahme einer „Fabrik“: „Letztlich basierte der wirtschaftliche Erfolg in der vorindustriellen Gesellschaft in hohem Maße auf der familiengebundenen Weitergabe von Produktionserfahrungen sowie auf der gezielten Aneignung neuer Techniken. Für den (freiwilligen) Aufbau eines großgewerblichen Betriebes bedurfte es daneben noch weiterer günstiger Umstände, etwa des Vorstoßes in eine Sortimentslücke oder einer technischen Innovation.“ 41 Die größte Überlebensfähigkeit besaßen deshalb Manufakturen, die organisch aus handwerklich geführten Kleinbetrieben herausgewachsen waren, und gerade an solchen fehlte es in Templin. So klagte etwa Steuerrat Trost noch 1769, die Hauptnahrung der uckermärkischen Städte bestünde lediglich aus Ackerbau, Brauen und Branntweinbrennen, wohingegen an Professionisten wie Wollzeugfabrikanten, Drechslern, Zimmerleuten und Maurermeistern ein eklatanter Mangel bestünde. 42 Auch Templin muß deshalb „als ein eher unbedeutender Gewerbestandort klassifiziert werden, der die Qualitäten eines Fleckens oder einer Zwergstadt nur wenig übertraf“. 43 Die Kurmärkische Kammer, die viel Geld für die Anwerbung ausländischer Kolonisten ausgegeben hatte, obwohl sie offensichtlich nur über nebulöse Pläne für den weiteren Betrieb, ja noch nicht einmal über einen Unternehmer verfügte (wie dies freilich in jener Epoche häufig genug vorkam), befand sich also in einer heiklen Situation. Kriegsrat Graf von Kameke entsann sich deshalb der nach 1763 dem Berliner Unternehmer Johann Georg Sieburg ein Ersatz für Heyl fand. Siehe Kohnke, Barchentmanufaktur, S. 96. 38 Dazu ausführlich Bamberger. Erst im Folgejahr konnte das Etablissement dem aus Frankfurt am Main stammenden Kaufmann Thomas de Vins übergeben werden. 39 Radtke, S. 288 – 289. 40 Ebd., S. 76. 41 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 122. 42 Enders, Uckermark, S. 582; vgl. auch Neugebauer, Zentralprovinz, S. 137. 43 So noch für das ausgehende 18. Jahrhundert Radtke, S. 325.

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erlassenen Bestimmungen zur Ansetzung der zweiten Judenkinder, versuchte jedoch erfolglos, die 1766 in Prenzlau auf dieses Recht etablierten Juden Simon Marcus und Jacob Loeser 44 zur Übernahme der Manufaktur zu bewegen. So blieb der Betrieb der Strumpfmanufaktur vorerst, während 1766/67 erneut eine allgemeine und zahlreiche Manufakturen stark belastende Finanzkrise ausbrach, 45 an der Kammer hängen, genauer gesagt an Kriegsrat Christoph Valentin Wildegans, einem ehemaligen Feldwebel, dem Kammerpräsident von Siegroth zwar „viel guten Willen, aber wenig Fähigkeiten“ 46 bescheinigte. Sei es nun jedoch aufgrund intellektueller Überforderung oder geradezu weiser Voraussicht des Kommenden: Bereits nach knapp zwei Jahren verfiel Wildegans in „Melancholie“ und mußte abgelöst werden. 47 An seine Stelle als nebenberuflicher Strumpffabrikant wider Willen trat nun der Templiner Bürgermeister Freyschmidt, dem fortan die klassischen Funktionen eines Verlegers oblagen, indem er vor allem den Ankauf der Wolle besorgte und die nötigen Gerätschaften bereitzustellen sowie die produzierte Ware den angesetzten Kolonisten zu festgesetzten Preisen abzunehmen hatte. Eine Änderung dieser Betriebsorganisation bahnte sich erst im Oktober 1767 an, als sich der Strumpfwebermeister Johann Heinrich Schulmeister mit einer Bittschrift an das Fabrikendepartement wandte. Schulmeister stammte seinen Ausführungen nach aus Helmstedt und war 1763 durch den in der Uckermark begüterten Grafen von Arnim-Boitzenburg, der sich wie manch anderer Gutsbesitzer mit der Produktion von Textilwaren befaßte und eine „Linnenfabrique zu Boitzenburg“ 48 gegründet hatte, unter allerlei Versprechungen ins Land gelockt worden. Doch für den Strumpfwirker aus Helmstedt sollte es bei enttäuschten Hoffnungen bleiben. Nach vier ernüchternden Jahren in der Uckermark und gescheiterten Versuchen, sich in Neu-Angermünde oder Mecklenburg-Strelitz zu etablieren, befinde er sich mittlerweile auf Anweisung des Grafen in Templin 44 Jacob Loeser und Simon Marcus hatten am 14. bzw. 28. Mai 1766 ihre Konzession zur Ansetzung als zweites Kind in Prenzlau erhalten und sich im Gegenzug zu jährlichen Manufakturwarenexporten verpflichtet (vgl. Kap. D. III, Tab. 4). Marcus exportierte 1770 über die Frankfurter Reminisceremesse Textilwaren im Wert von 1.515 Rt., die er von dem Berliner Fabrikanten Veit Singer gekauft hatte, ins polnische Friedland: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XXXI, Nr. 84. 45 Vgl. Kohnke, Pintus Lewin, S. 257; Mittenzwei, S. 12. 46 Konduitenliste der Kurmärkischen Kammer vom 30. Dezember 1767 und 31. Dezember 1768 in A.B.B.O., Bd. XIV, S. 433 – 438, hier: S. 435. Wildegans war 1768 55 Jahre alt, hatte 30 Jahre lang im Alt-Anhaltschen Regiment gedient und zwischen 1762 und 1765 bei der Neumärkischen Kammer gestanden, wodurch sich auch sein ungewöhnlich hohes Bestallungsalter als Rat erklärt. Zu Wildegans’ Tätigkeit unter Brenckenhoff in der Neumark siehe Knobelsdorff-Brenkenhoff, S. 31. 47 A.B.B.O., Bd. XIV, S. 435. 48 Krüger, Manufakturen, S. 61. Daß es sich dabei um ein sehr bescheidenes Projekt gehandelt haben muß, legen jedoch die Zahlen bei Harnisch, Boitzenburg, S. 233 –235 nahe.

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als wo ich mein Brodt besser als in Boyzenburg haben würde, welches aber gar schlecht angetroffen, indem ich der einzige bin, der alhier vor sein eigen Geld leben muß, von seiner eigenen Wolle arbeitet und doch keine Abnehmer da wohnen hat, wie wohl die andern Strumpf Würker haben, hinfolglich ich alles nur mögliche dabey zusetzen muß, da ich nun von Boyzenburg weg und hirher zog. 49

Derartige Beschwerden waren im 18. Jahrhundert, dem Saeculum der Peuplierung, wahrlich nichts besonderes. Ob Glaubensflüchtlinge, Kolonisten oder ausländische Söldner – die lockenden Versprechungen gingen den zahlreichen Werbern flott von Zunge und Feder, und nicht immer erwies sich der Ankunftsort als das Gelobte Land, das die Ankommenden erwartet hatten. So wird wohl auch niemand beim Fabrikendepartement, welches der Kurmärkischen Kammer am 5. November 1767 recht kurz angebunden und in den Standardfloskeln der Zeit aufgab, „auf Mittel zu dencken, um den Supplicanten im Lande zu conserviren und ihm zu Arbeit und Nahrung zu helfen“, 50 geahnt haben, welcher Stein damit ins Rollen gekommen war. Denn Schulmeisters Gesuch bildete für die Kammer offenbar die willkommene Gelegenheit, um höheren Orts auf die desaströse Lage der Templiner Manufaktur aufmerksam zu machen, wie aus einem Bericht vom 29. November 1767 51 hervorgeht. Der zwei Jahre zuvor eingerichtete Betrieb bestand danach mittlerweile aus acht Strumpfwirkermeistern mit ihren Familien, die unter der Führung des Kolonisten Creutznacher ins Land gekommen waren. Für die Anreise und Verpflegung der Fabrikanten, die Anschaffung von Stühlen und anderen Gerätschaften, die vorgeschossene Rohwolle sowie die den Kolonisten für einen Zeitraum von drei Jahren versprochene freie Wohnung habe man bislang aus dem bereits erwähnten „Uckermärkischen Etablissementsfonds“ die Summe von 4.596 Rt. und 14 Gr. ausgegeben. Hinter allen Posten verbargen sich eigentlich übliche Kolonistenbeneficien. 52 Dennoch bekannte Siegroth freimütig, man habe auf diese Kosten „anfangs entweder gar nicht oder nicht auf so hoch reflectiret“. 53 In den Ausgaben inbegriffen waren auch die Auslagen für 55 noch nicht verarbeitete schwere Steine Wolle, 54 49

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 1 –2. Ebd., Bl. 3. 51 Ebd., Bl. 4 – 8. 52 Die genannten Vergünstigungen waren bei der Herbeilockung von Kolonisten alles andere als unüblich, sondern gehörten zum „Standardprogramm“. Siehe etwa Straubel, Polizeidirektor, S. 97. Die üblichen Kosten für die Ansetzung einer Familie auf dem Land, bestehend aus Aufwendungen für die Reise, den Hausbau, für Hofwehr und Saatgetreide lagen bei 300 – 400 Rt. Siehe Bergér, S. 16. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Planungen der Kammer besonders fragwürdig. 53 So Kammerpräsident in einem Schreiben vom 16. Januar 1768 in GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 19. Wenige Monate später erhielt Siegroth auch für seinen Retablissementsplan der kurmärkischen Städte einen heftigen Tadel des Königs. Friedrich fand Siegroths Berechnungen „nicht solide, sondern sehr windig ausgearbeitet“, u. a., weil „darin nur bloß auf dem Bau und Ausbau der Häuser 50

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da den Strumpfmachern „die Fabricata in Absicht des Macherlohns und der Appreturkosten für baare Bezahlung abgenommen werden müssen, da sie sich selbt mit deren Verkauff wegen des fehlenden Begehrs [!] nicht befassen wollen noch können“. 55 Offenbar war in den vergangenen Jahren „unter der speciellen Aufsicht des Bürgermeister Freyschmidt zu Templin“ auch fleißig produziert worden, nämlich insgesamt 1.980 Paar Strümpfe. Das Problem lag jedoch woanders: Bislang hatte man gerade zwölf Paar dieser Strümpfe verkaufen können, also noch nicht einmal 1 % der Gesamtproduktion. Vor diesem Hintergrund wies die Kammer gegenüber dem Fabrikendepartement auf die sich abzeichnende Gefahr hin, die bereits investierten Summen als Verlust abschreiben und die angeworbenen Kolonisten wiederum abziehen sehen zu müssen. Dem könne am besten durch die Übergabe der Manufaktur an einen Privatunternehmer gesteuert werden, welchen man freilich bereits seit mehr als zwei Jahren erfolglos gesucht hatte. Da der Fortbestand der Manufaktur bei einem Fortdauern dieser Verhältnisse ernstlich gefährdet schien, der Etablissementsfonds bald erschöpft und das Warenlager „zuletzt doch den Motten Fraß exponiret seyn würde“, 56 müsse man deshalb nunmehr „freylich auf andere Mittel bedacht nehmen, dem Zweck der Sache näher zu kommen“. Auf der Suche nach derartigen anderen Mitteln richteten die Beamten der Kammer den Blick auf die kurmärkische Judenschaft. Nachdem der bereits geschilderte Versuch, einen der beiden als zweites Kind etablierten Prenzlauer Juden als Unternehmer zu gewinnen, gescheitert war, bestand eine weitere Möglichkeit darin, die immer drängender werdenden Absatzprobleme stattdessen über den nach 1763 eingeführten jährlichen Zwangsexport von Textilwaren zu lösen. Dieser Gedanke lag umso näher, als diverse Zwangskäufe, die als sog. „Aversionalquanta“ einzelnen nicht konkurrenzfähigen Branchen oder Betrieben zugute kamen, ohnehin ein gängiges Mittel preußischer Gewerbeförderung darstellten. 57 Auch jüdische Manufakturunternehmer wie die im Seidengewerbe tätigen Potsdamer Gebrüder gerechnet ist, ohne an derselben Bewohner, und wo diese herkommen, und noch weniger, wovon sie sich erhalten sollen, einmal zu gedenken“. Auf seinen Folgebericht bekam der Kammerpräsident schließlich von Friedrich zu hören, er hätte besser getan, „gänzlich zu schweigen, als Mir dergleichen ganz unüberlegtes Zeug ohne allen Zusammenhang vorzuerzählen“. Siehe A.B.B.O., Bd. XIV, S. 520. Die Trauer über Siegroths Tod hielt sich später beim König denn auch in Grenzen. Anläßlich der Wahl eines Nachfolgers schrieb er an Minister v. Derschau: „Man muß nur ein wenig wehlen, denn mit einem Schlingel ist mir nicht gedient, aber überhaupt ist mir nicht viehl an ihm verlohren.“ Zitiert nach Borchardt, Bd. 2, S. 34. 54 Ein Äquivalent von 22 Pfund. 55 Unter Appretur versteht man jedwede Art der Weiterverarbeitung eines gewebten Stücks Textil. Siehe Hahn, S. 135. 56 Dieses und die folgenden Zitate: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 5 – 6. 57 Siehe dazu etwa Straubel, Polizeidirektor, S. 64 – 70.

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Hirsch baten deshalb bei Absatzstockungen die Behörden wie selbstverständlich um „Nachweisung eines stärkeren Debits“ 58 (1778). Den zweiten Kindern war bei ihrer Ansetzung bislang zwar meist freie Auswahl zugesichert worden, doch schloß dieses Versprechen nicht aus, daß die Behörden mitunter mehr oder weniger dezent bestimmte Betriebe bzw. Gewerberegionen benannten, die sie besonders zu fördern gedachten. Dies war beispielsweise 1773 der Fall, als sich die Kurmärkische Kammer für die Tuchmacher von Kloster Zinna einsetzen wollte, wo der Fiskus mit großem Aufwand eine Spinner- und Weberkolonie sowie eine Fabrik unter Leitung des Berliner Unternehmers Johann Georg Sieburg 59 eingerichtet hatte, die indes, darin der Templiner Manufaktur vergleichbar, trotz der staatlichen Unterstützung unter den Standortnachteilen der Provinz litt. 60 Zur Absatzförderung der Zinnaer Tücher sollten sich die zweiten Kinder deshalb bei Kriegsrat Grothe melden, „welcher ihnen die Waaren nachweisen lassen und wegen der Preise derselben mit ihnen in der Arth übereinzukommen suchen wird, daß sie davon zufrieden seyn können“. 61 Im Falle der Templiner Manufaktur war die Kurmärkische Kammer hingegen nicht bereit, es auf die Zufriedenheit der Juden ankommen zu lassen. Stattdessen suchte man das Fabrikendepartement davon zu überzeugen, daß in der gegebenen Situation „nichts anders übrig“ bliebe, als daß man all jene Juden, die sich in den Jahren 1766 und 1767 als zweite Kinder in der Kurmark etabliert hatten, „ohne Rücksicht ihrer Einwendung nöthige, den jetzigen Waaren Bestandt nach der erweislichen Kosten Auslage zu übernehmen“. Auch fernerhin, so meinte die Kammer, solle man auf diese Weise verfahren, indem man es im Rahmen zukünftiger Konzessionsverfahren den Antragstellern „zur Conditio sine qua non machen könnte“, aus der Templiner Manufaktur „einen dem Anwachs der Waaren angemessenen Theil“ zum Export zu übernehmen. 62 Die Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens war der Kammer vollkommen klar, doch versuchte man das Fabrikendepartement mit der auch andernorts scheinbar tiefsitzenden Überzeugung zu beschwichtigen, wonach Juden als Vertreter einer Händlernation offenbar in der Lage seien, buchstäblich alles absetzen zu können. 63 Denn auch, wenn man es als 58 Zitiert nach Mittenzwei, S. 75. Darüber hinaus ließen sich auch Salomon Ephraim und Heimann Ephraim Veitel anführen, die im Zusammenhang einer geplanten Nesseltuchproduktion explizit forderten, ost- und westpreußische Kaufleute zur Abnahme von Aversionalquanta ihrer Produkte zu verpflichten. Siehe Straubel, Polizeidirektor, S. 164 – 165. 59 Zur Person Sieburgs Lärmer. 60 So beklagte Sieburg in einem Schreiben vom 30. August 1779 die hohen Transportkosten, die in Zinna anfielen. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 50. 61 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Frankfurt / Oder, Nr. 136, Bl. 16. 62 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 7. 63 Siehe beispielsweise Ebeling, S. 189.

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hart erachte, „jemandem etwas neues zuzumuthen, das ihm bey seiner Ansetzung nicht zur Bedingung gemacht“ worden sei, so könne es den Juden letztlich gleichgültig sein, ob sie das von ihnen für die jährlichen Exporte zu verwendende Geld „für diese oder jene Fabricata ausgeben“. 64 Da von der anvisierten Maßnahme in Berlin 8 und in der übrigen Kurmark 15, also insgesamt 23 Juden betroffen sein würden und die Kammer den Templiner Warenbestand auf 1.229 Rt., 7 Gr. und 11 ¾ Pf. taxierte, wäre zu diesem Zeitpunkt auf jeden einzelnen Juden ein Betrag von ca. 53 Rt. entfallen – aufzuwenden für eine Ware, die auf freiwilligem Wege offenbar keinerlei Abnehmer fand. Um etwaigen Vorhaltungen des Fabrikendepartements zuvorzukommen, behauptete die Kammer jedoch, die Güte der Waren bereits eingehend geprüft zu haben und diese zum billigsten derzeit möglichen Preis abzugeben. Jene Billigkeit, die die Beamten meinten, orientierte sich freilich nicht am Markt, sondern an den bislang in Templin herrschenden Verhältnissen. So gab man gegenüber dem Fabrikendepartement unumwunden zu, daß die Produktionskosten unter der Direktion eines sachverständigen Unternehmers zweifellos geringer und die Qualität der Strümpfe besser ausgefallen wären. Schließlich könne man sich vorstellen, wie wenig die Fabricanten jetzt auf die rechte Güthe der Waaren bedacht nehmen mögen, da ihnen solche abgenommen werden müssen und sie selbst mit dem Debit nichts zu thun haben, welches denn, daß nemlich die Fabricata eben nicht von der besten Güthe sind, wohl ein Haupt Grund mit seyn mag, daß sie keine Abnahme finden. 65

Es spricht für das Fabrikendepartement, daß man hier nicht bereit war, einfach über die jüdischen Rechtstitel hinwegzugehen, sondern der Kammer lediglich genehmigen wollte, die Ältesten der Judenschaft vorladen zu lassen und ihnen dabei zu verstehen zu geben, „daß es Uns zum gnädigsten Gefallen gereichen werde, wenn die Juden die Templinsche Fabrique [...] insonderheit zum Gegenstande des auswärtigen Debits machen wollen“. 66 Zudem wurde der Kammer die Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs über die Ursachen der Krise aufgegeben, wobei das Departement nicht nur interessierte, warum „die Fabrique nicht eher recherchiret worden und selbige in Verfall gekommen, auch der Debit nicht eher, als da der Motten-Fraß sich in den Waaren äußert, befördert worden“ sei. Insbesondere erwartete man Vorschläge, wie künftig der Absatz der Templiner Strümpfe zu sichern sei. Während in vergleichbaren Fällen eines prospektierten Zwangsabsatzes von Textilwaren im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel der Herzog höchstpersönlich entschied, daß die Juden „nicht wohl gezwungen werden könnten“, min64

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 7. Ebd., Bl. 8. 66 Dieses und die folgenden Zitate: Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 17. Dezember 1767, ebd., Bl. 9 – 10. 65

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derwertige Waren zu kaufen, 67 sah die Lage in Preußen allerdings anders aus. Denn die Kammer machte in ihrem Schreiben vom 16. Januar 1768 sehr deutlich, daß sie keineswegs bereit war, diese Angelegenheit „der Juden Willkühr“ zu überlassen, da auf solche Weise „schwerlich der Endzweck erreichet und der Fabrique geholfen“ werden könne. So kam es dem Kammerpräsidenten von Siegroth sehr zupaß, daß er dem Fabrikendepartement von seinem letzten Gespräch mit dem König 68 berichten konnte. Dieser hielt sich zu Siegroths Genugtuung offenbar nicht an die Maxime, die er im selben Jahr in seinem zweiten Politischen Testament hinsichtlich des Fabrikendepartements aufstellte: „Ich leite im großen seine Arbeiten selbst und überlasse ihm die Details, in die ein Souverän unmöglich eindringen kann.“ 69 Stattdessen konnte der Kammerpräsident allerunterthänigst anzeigen, daß, als Ew. Königliche Majestät Allerhöchst Selbst mich [...] nach der Beschaffenheit und Fortgang dieser Templinschen Fabrique gefraget und ich den schlechten Debit der etwas theuren Wahren angezeiget, zugleich aber auch allerunterthänigst errechnet habe, daß, um sothanen Debit zu pussiren [befördern], die auf das zweyte Kindes-Recht bereits angesetzte und noch anzusetzende Juden zur Übernehmung des Debits [...] würden anzuhalten seyn, so haben Ew. Königliche Majestät dieses allergnädigst zu agreiren geruhet und befohlen, solches vorgeschlagenermaßen einzurichten. 70

Der Kammerpräsident bekräftigte, es bleibe dies „auch in der That so lange, bis zu dieser Fabrique sich kein Entrepreneur gefunden, als worum wir uns schon lange auf alle mögliche Arth bemühet haben, der beste Vorschlag und das eintzige sichere Mittel, diese Fabrique im Gange zu erhalten“. 71 Durch das solchermaßen unter Umgehung des Dienstweges eingeholte Machtwort des Königs, der mit seinen Kammerpräsidenten nicht selten in ähnlicher Weise über die Köpfe des Generaldirektoriums hinweg kommunizierte, 72 waren die Würfel gefallen. Das Fabrikendepartement mußte sich fügen, 73 und an die Ältesten der Judenschaft erging noch im Februar 1768 der Befehl, die in den 67 Ebeling, S. 189. Der Autor kommt zu dem Fazit: „Anders als in Preußen jedoch hat die braunschweigsche Zentralverwaltung dieses Mittel, eigene Landesprodukte auf Kosten der Juden, die sie mit Verlust verkaufen mußten, abzusetzen, nicht mit Konsequenz durchgeführt.“ 68 Siegroth boten sich offenbar gerade im Dezember 1767 und Januar 1768 zahlreiche Gelegenheiten zum unmittelbaren Vortrag beim König, da er mit diesem über die Bestallung ökonomisch erfahrener Räte aus Schlesien für die Kurmärkische Kammer konferierte. Siehe A.B.B.O., Bd. XIV, S. 426 – 428. 69 Dietrich, S. 609. 70 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 17. 71 Ebd., Bl. 18. 72 Siehe Haß, S. 196 – 197. 73 Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 28. Januar 1768, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 23.

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vergangenen beiden Jahren in der Kurmark angesetzten zweiten Kinder zur Abnahme von (mittlerweile) mehr als 3.300 Paar Templiner Strümpfen zu bringen, wobei ihnen zugleich mitgeteilt wurde, „daß mit dieser Abnahme so lange bis sich ein Entrepreneur der Fabrique gefunden haben wird, continuiret werden solle“. 74 Nach einer von den Ältesten Veitel Ephraim, Hirsch David und Abraham Marcuse am 8. März eingereichten Bittschrift 75 sei diese Verordnung während der Frankfurter Messe den dort anwesenden zweiten Kindern zur Kenntnis gebracht worden. Diese hätten zwar ihre Bereitwilligkeit zur Erfüllung der königlichen Befehle bekundet, bäten aber „aufs beweglichste“ darum, von dieser erneuten Auflage verschont zu bleiben. Jeder Familienvater, der ein zweites Kind ansetze, sei bereits durch den zu leistenden Beitrag zu der 1763 gezahlten Summe der 70.000 Rt. schwer belastet. Ein gleiches gelte von den Kindern, die sich mit dem beschwerlichen jährlichen Zwangsexport konfrontiert sähen. Durch all diese Bürden seien bereits „die meisten künftig noch anzusetzende 2. Kinder dermaßen abgeschrecket worden, daß sie lieber ihr Vaterland verlassen, als sich denen unvermeidlich betrübten Folgen bloßstellen wollen“. Unter Hinweis auf die zahlreichen weiteren Abgaben sowie die zugesicherte freie Auswahl bei den Zwangsexporten suchten die Ältesten, diesen Klagen Nachdruck zu verleihen. So seien die Betroffenen noch jung und verfügten über keinerlei Erfahrung im Strumpfhandel. Sollten diese Geschäftsanfänger dennoch für festgesetzte Preise und unbesehen die Templiner Waren kaufen müssen, so sei der Ruin absehbar. Doch nicht nur die Ältesten klagten über die geplante Willkürmaßnahme; auch der mittlerweile zum Chef des Fabrikendepartements aufgestiegene von der Horst, der scheinbar nichts von Friedrichs Entscheidung erfahren hatte, äußerte sich noch im März 1768 ähnlich und fand es „sonderbar, die Judenschaft ohne Königliche Special Verordnung [die gab es bereits seit drei Monaten] zwingen zu wollen, von einer neu angelegten Fabrique die Waaren, die noch dazu schlecht seyn sollen, abzunehmen“. Ein solcher Gewaltakt widerspreche nicht lediglich der Billigkeit und der Freiheit des Kommerziums, sondern sei darüber hinaus kaum dazu angetan, zum Gedeihen der Templiner Manufaktur beizutragen. 76 Ungeachtet dieser Reserven war der Templiner Bürgermeister Freyschmidt bereits eifrig damit beschäftigt, den seit Jahren angewachsenen Berg von Strümpfen zu verpacken und an die Magistrate all jener kurmärkischen Städte zu versenden, in denen 1766 und 1767 Juden auf das Recht des zweiten Kindes etabliert worden waren. In den dortigen Rathäusern war man zuvor durch die Kammer instruiert worden, daß man nicht nur dieses eine Mal, sondern künftig alle drei Monate mit solchen Strumpflieferungen zu rechnen habe und die betroffenen Juden diese 74

Ebd., Bl. 25. Ebd., Bl. 25 – 26; vgl. Stern, Bd. III/2, S. 492 – 494, wo die Supplik fälschlich auf den 8. Mai datiert wird. 76 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 27. 75

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jeweils binnen vier Wochen bei Strafe der Exekution abzunehmen hätten. Dabei wurde den Magistraten ausdrücklich eingeschärft, von Seiten der Juden „keine Entschuldigungen und Ausflüchte anzunehmen“. 77 Was diese jedoch beim Auspacken der Ware erwartete, geht aus einer Beschwerde Simon Hirschs aus Stendal hervor, die dieser am 21. April 1768 an das Generaldirektorium richtete. So mußte er seinen Angaben zufolge feststellen, daß die ihm zum Preis von 96 Rt. zugesandten Strümpfe „zum fernern Absatz überall nicht tauglich, immaßen solche größten Theils von Motten zerfressen und wieder gestopft, auch überdehm ohne alle Form gewesen“. 78 Zudem seien in Stendal, wo jüdische Kaufleute nur eine geringe Rolle spielten und noch um 1800 von einem „niedrigen Niveau der Gewerbeentwicklung und der begrenzten Aufnahmefähigkeit des innerstädtischen Marktes“ 79 ausgegangen werden muß, die qualitativ hochwertigen Magdeburger Strümpfe schon zum Preis von vier Rt. je Dutzend Männerstrümpfe zu haben. Demgegenüber würden die Templiner Erzeugnisse doppelt so hoch berechnet, wie dies auch die christlichen Kaufleute der Stadt angezeigt hätten, als sie vor geraumer Zeit dazu aufgefordert worden seien, ihrerseits Templiner Strümpfe zu verkaufen. Hinsichtlich der ihm aufgedrungenen Waren forderte Hirsch ein Gutachten „verständiger Leuthe“, das ihn sicherlich davor bewahren würde, „für dergleichen gantz und gar unbrauchbare Strümpfe, so gar nicht wieder anzubringen stehen, mein Geld umsonst wegzugeben“. 80 Die Klage Hirschs war kein Einzelfall. Auch Joel Levin aus Havelberg 81 fand die ihm zum Preis von 91 Rt., 23 Gr. und 6 Pf. zugesandten Strümpfe „mottenfräßig, ohne Form, ohne Couleur, gantz kurtz und 30 pro Cent theurer als solche in andern einländischen Fabriquen zu haben stehen“. 82 Darüber hinaus seien in Havelberg selbst einige Strumpfwirker etabliert, „welche selbst so viele Strümpfe von weit besserer Güte und in geringeren Preise fabriciren“. An 77

So etwa im Schreiben der Kurmärkischen Kammer an den Magistrat von Stendal, 10. Februar 1768, ebd., Bl. 34. Vgl. am Beispiel Israel Aarons aus Wriezen auch Heidenhain, S. 59 – 60. 78 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 31. Eine Abschrift der vom Templiner Bürgermeister Freyschmidt erstellten Rechnung findet sich ebd., Bl. 35. Auch sein Vater verfaßte am 9. November 1768 eine (erfolglose) Bittschrift, um seinen Sohn von dem Zwangskauf der Templiner Strümpfe zu befreien. Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.7582. 79 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 281 –284. 80 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 32. 81 Für Levin ist aus dem Jahre 1770 eine Exportquittung erhalten, wonach er Textilwaren im Wert von 1.596 Rt. nach Parchim ausführte. Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XXXI, Nr. 84. 82 Dieses und das folgende Zitat: Eingabe vom 6. Juli 1768, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 82 – 85. Wenn man bedenkt, daß Havelberg noch 1785 lediglich 1.877 Einwohner zählte und sich Mitte der 1780er Jahre ganze 14 jüdische Familien in der Prignitz niedergelassen hatten, so wird man bei Levin kaum ein üppiges Vermögen vermuten können. Zum jüdischen Leben in der Prignitz im 18. Jahrhundert siehe Enders, Prignitz, S. 1076 – 1079.

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einen Verkauf der Ware sei deshalb nicht zu denken, vielmehr müsse er sie „bis sie völlig von Motten zerstückt ist, beständig auf dem Halse behalten“. Daß diese Klagen einer realen Grundlage nicht entbehrten, zeigen die von den Behörden selbst eingeleiteten Untersuchungen, die zudem einen Eindruck von den in Templin herrschenden Ausrüstungsmängeln vermitteln. Bereits mit seinem Schreiben vom 16. Januar 1768 hatte Siegroth dem Fabrikendepartement einige Strümpfe zur Probe eingesandt und dabei Mängel an der Appretur und der Castorarbeit 83 eingeräumt. Mit der Anschaffung der für diese Produktionsschritte erforderlichen Maschinen sei Bürgermeister Freyschmidt erst neuerlich beauftragt worden, „damit so bald nur ein Absatz vorhanden, die Wahren schleunigst zugerichtet werden können“. 84 Nach seinen Ausführungen hatte Siegroth die Strümpfe bereits zwei Berliner Strumpfwirkermeistern zur Begutachtung vorgelegt, welche zu dem Urteil gelangt seien, daß das Gespinst und Gewebe sehr gut, die Wolle, vor allem bei den Castorstrümpfen, jedoch sehr schlecht ausfalle. Die für die Frauenstrümpfe angesetzten Preise waren dabei nach Meinung der beiden Meister zu hoch, vor allem angesichts der niedrigeren Lebenshaltungskosten in Templin. Beim Fabrikendepartement, wo man weiterhin der Meinung war, daß „es sehr hart seyn würde, wenn Leuten Waaren, so von Motten gefressen und wieder repariret worden, als neu um solche theure Preise aufgebürdet würden“, 85 gab man sich damit jedoch nicht zufrieden, sondern stellte eigene Untersuchungen an. So legten die Berliner Beamten einigen Meistern des dortigen Woll- und Seidenstrumpfgewerks Proben der Templiner Strümpfe vor, die zu einem vernichtenden Ergebnis kamen: „Farbe schlecht“ – „schlecht gewürckt, Maschen zerschnitten“ 86 usw. Den Rechtfertigungsversuchen der daraufhin zu einer Stellungnahme aufgeforderten Kammer 87 wird man ein gehöriges Maß an Chuzpe nicht absprechen können. So hätte zwar Bürgermeister Freyschmidt bereitwillig zugegeben, daß die Klagen über die Qualität nicht ganz grundlos seien, denn von den gegenwärtig 16 Templiner Arbeitern verstehe „freylich der eine besser als der andere sein Metier“. 88 Doch trage Freyschmidt diesem Sachverhalt sowie dem Mottenfraß bereits beim Versand Rechnung und lasse „von allen Sorten und Farben gut, mittel und schlecht durcheinander packen“, um den Ausschuß unter den 22 betroffenen jüdischen Familien gerecht zu verteilen. In eigentümlicher Logik bestritt die Kammer zudem vehement den Vorwurf der Mottenfräßigkeit, nur um schließlich selbst zu schreiben, „kaum eine Spur von Motten habe sich gezeigt und bloß unter 83 Als Castorarbeit wird „alles dasjenige genennet, was aus Biberhaaren verfertigt ist, z. E. Hüte, Handschuhe, Strümpfe, u. d. gl.“ Siehe Krünitz, Bd. 7, S. 718. 84 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 21. 85 Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 28. April 1768, ebd., Bl. 36. 86 Gutachten vom 19. Mai 1768, ebd., Bl. 40 – 41. 87 Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 26. Mai 1768, ebd., Bl. 42. 88 Dieses und die folgenden Zitate ebd., Bl. 43.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

denen Strümpfen, die sehr alt gewesen“. Simon Hirschs Beschwerde könne darüber hinaus allein deshalb nicht entsprochen werden, „als sonst kein eintziger das ihm zugetheilte Quantum nehmen, vielmehr darwieder beständig Beschwerden führen würde“. Die Kammer, die den König hinter sich wußte, saß gegenüber dem Fabrikendepartement in dieser Angelegenheit offensichtlich am längeren Hebel, wie sich besonders an folgendem Beispiel illustrieren läßt. So sah sich der Potsdamer Plüschfabrikant Behrend David Hirsch 89 – selbst „mit Waaren überhäufet, indem gegenwärtig überhaupt ein schlechter Debit zu machen und man mit eigenen Fabriquen-Waaren genug zu thun hat“ – genötigt, für seinen ebenfalls von „diesem sehr beschwerlichen Auftrag“ betroffenen Sohn Levi Behrend Hirsch 90 am 13. März und 15. Juni 1768 91 Bittschriften zu verfassen. Die Kammer mußte sich daraufhin vom Fabrikendepartement, bei dem der jüngere Hirsch aufgrund seiner Erfindung eines neuen, geblümten Plüschs offenbar hoch im Kurs stand, 92 die gereizte Frage anhören, ob und durch was für eine Ordre sie authorisiret worden, denen mit großen Etablissements bereits versehenen Entrepreneurs dergleichen Last aufzubürden, schlechte und verdorbene Waaren aus einer andern Fabrique zum Debit anzunehmen, da selbige nicht vermögend sind, ihre eigene Fabriquen-Waaren zu debitiren und ob es nicht adaequater und von besseren Nutzen seyn dürfte, dergleichen Leute zu Abnahme der TemplinerWaaren zu engagiren, die mit keinen großen Fabriquen etabliret sind oder aber einen Entrepreneuer auf Kosten derjenigen anzustellen, so die Waare abzunehmen gehalten. 93

Doch selbst ein Unternehmer wie Hirsch wurde in der Folge ebenso wenig befreit 94 wie die übrigen betroffenen Juden. Denn die Kammer, die verhindern wollte, daß man im Fabrikendepartement von der Templiner Manufaktur „eine nachtheilige Ideé“ bekäme (die hatte man dort längst), bestand darauf, daß 89

Zu den von seinem Vater Hirsch David begründeten Seiden- und Plüschmanufakturen siehe Stern, Bd. III/1, S. 194 – 196. Im „Taschenbuch Knyphausen“ von 1769 findet sich seine „Peluches“-Fabrik mit sieben Stühlen und acht Ouvriers wieder. Siehe Hoffmann, Handwerk, S. 120. Der Betrieb befand sich in der Nauenschen Straße. Siehe Nicolai, Beschreibung (1769), S. 549; vgl. A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 531, 541, 610. 90 Vgl. oben, Kap. D. III. 91 Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 28, 45. Das erste Gesuch war am 2. Juni von der Kurmärkischen Kammer abgelehnt worden, Abschrift ebd., Bl. 46. Vgl. Stern, Bd. III/2, S. 496. 92 Dieser Plüsch, von Hirsch bereits 1763 erfunden, war insbesondere für den polnischen Absatzmarkt bestimmt, was dem Generaldirektorium seinerzeit eine Prämie für „diese so gut ausgefallene Fabrikation“ wert gewesen war. Auch als Hirsch in den 70er Jahren in Schwierigkeiten geriet, erhielt er nochmals finanzielle Unterstützung vom Fabrikendepartement, dem es „ganz genehm wäre, wenn der Supplikant wieder in die Verfassung käme, seine Fabrik zu betreiben“. Der Betrieb ging in den 80er Jahren dennoch ein, siehe Stern, Bd. III/1, S. 196. 93 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 47, vgl. Stern, Bd. III/2, S. 496. 94 Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 80.

I. Von der Gründung bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 –1769) 199

es sich bei den dort produzierten Strümpfen um erstklassige Produkte handele. Entgegen den eindeutigen Sachverständigengutachten beharrte das Kammerkollegium darauf, die Templiner Ware würde der Qualität der Magdeburger Produkte gleichkommen, „und sollten durch die Länge der Zeit die verfertigte Waaren ja mottenfrestig werden, so haben sich die Juden solches wegen ihrer Weigerung alsdenn selbst zuzuschreiben, wenn die Waare dadurch schlechter geworden“. 95 Nun war es für einen Potsdamer Plüschfabrikanten gewiß ärgerlich, nahezu 100 Rt. auf eine wertlose Ware verschwenden zu müssen. Wie hart sich diese Maßnahme jedoch am anderen Ende der sozialen Skala auswirkte, zeigt das Schicksal des bereits erwähnten Manasse Jacob aus Bernau, das hier noch einmal in Erinnerung gerufen sei. 96 So hatte Jacob 151 Paar Strümpfe aus Templin abzunehmen, 97 war jedoch offenbar nicht in der Lage, binnen vier Wochen fast 100 Rt. zusammenzubringen, da er sich bereits wegen seiner regulären Zwangsexporte in Schwierigkeiten befand. Aus der Rückschau kam der Bernauer Magistrat zu der Einschätzung, Jacob sei wegen der deshalb gegen ihn verhängten „Landesreuterlichen Exekution“, „die ihm an die 125 Rt. gekostet, so herunter gekommen, daß sein Handel ganz und gar eingegangen und [er] sich mit Fellen und andern Kleinigkeiten ernähren müsse“ 98 – ein Schicksalsschlag, der maßgeblich dazu beitrug, daß Jacob auf die schiefe Bahn geriet und einige Jahre später wegen des Diebstahls einer Kohlenschippe aus Bernau vertrieben wurde. Vor dem Hintergrund solcher Zustände begann sich bereits im Frühjahr 1768 eine Lösung des Problems anzubahnen, von der man annehmen darf, daß sie die Kammer von Anfang an mit ihrer skrupellosen Erpressungstaktik im Auge hatte. Denn die Ältesten der Judenschaft, die bei der Fortdauer der Strumpflieferungen den Ruin der betroffenen zweiten Kinder vor Augen hatten, sannen auf Möglichkeiten der Schadensminimierung. 99 So waren auf der zur Repartition der im Zuge der Finanzreform erhöhten Schutzgelder am 4. Mai 1768 in Spandau tagenden Versammlung der Kurmärkischen Landjudenschaft 100 die Templiner 95

Ebd., Bl. 80 – 81. Vgl. Kap. D. VII. 97 Siehe die Designation in StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 9. 98 So das Ergebnis eines Verhörs Jacobs auf dem Bernauer Rathaus am 3. Januar 1769, ebd.; vgl. Jacobs Bittschrift vom 6. August 1768, mit der er eine Aufhebung der Exekution zu erreichen suchte, in GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 102. 99 Es muß deshalb als Euphemismus bezeichnet werden, wenn Stern, Bd. III/1, S. 188 ohne weitere Angaben schreibt, das Generaldirektorium habe die Ältesten zur Übernahme der Templiner Manufaktur „überredet“. 100 An dieser Versammlung hatten die Deputierten sämtlicher Judenschaften bei einer Strafe in Höhe von 100 Rt. teilzunehmen, wie einem diesbezüglichen Zirkular des Generaldirektoriums an sämtliche Kammern und die Kammerdeputation in Hamm vom 23. März 1768 zu entnehmen ist. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, 96

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Strümpfe und die damit verbundenen gerichtlichen Exekutionen offenbar eines der beherrschenden Themen. Einer Eingabe der Ältesten vom Juni 1768 kann man nicht nur entnehmen, daß die Exekution gegen Manasse Jacob kein Einzelfall war. Zugleich liest man darin erstmals von Plänen, die Manufaktur in eigene Regie zu übernehmen. So litten zahlreiche Juden bereits seit fünf bis sechs Wochen unter Exekutionen, während lediglich in Berlin noch ein zweiwöchiger Aufschub gewährt worden sei – die Betroffenen würden durch diese drakonischen Maßnahmen „völlig enerviret“. Da an der Kammer jedoch sämtliche Beschwerden abgeprallt seien, hätten sie, die Ältesten, die zweiten Kinder schließlich dazu überredet, die Fabrik unter gewissen Konditionen zu übernehmen und zu sanieren, weshalb man der Kammer bereits einen entsprechenden Plan überreicht hätte. 101 Währendessen verhandelten die Berliner Ältesten tatsächlich bereits mit den Kriegsräten Sobbe und Krusemark über die Übernahmemodalitäten. Die Kammer konnte deshalb dem Fabrikendepartement erstmals am 16. Juni über die Positionen der Ältesten berichten. Diese hätten versprochen, die zweiten Kinder dahin zu bringen, die Manufaktur unter Beibehaltung der an ihr haftenden Kolonistenbenefizien zu übernehmen und zu deren weiterem Betrieb einen Schutzjuden auszuwählen. In Zukunft würden die in Templin hergestellten Waren auf die zweiten Kinder der gesamten Monarchie alljährlich zum Weiterverkauf im In- und Ausland zu verteilen sein. 102 Im Gegenzug erwarteten die Vertreter der Judenschaft, daß die Betroffenen von jedem weiteren Zwang zum Manufakturwarenexport befreit würden. Zudem baten sie darum, daß die Manufaktur bei der Aufstellung neuer Regimenter bzw. dem Ablauf bestehender Lieferverträge mit Aufträgen bedacht würde, wogegen sie, verglichen mit der Konkurrenz, um 10 % günstigere Preise bieten wollten. Die Kammer sprach sich jedoch gegen solche Regimentsaufträge aus, da man darauf zu sehen habe, daß künftig in Templin nicht nur minderwertige Mundierungsstrümpfe, also Uniformteile, produziert würden, sondern vielmehr Waren, die auch auf auswärtigen Märkten besonders mit Bautzener Erzeugnissen konkurrieren könnten. Das Fabrikendepartement seinerseits legte insbesondere Wert auf eine Ansiedlung von zehn weiteren Kolonisten durch die Judenschaft und wollte sich lediglich unverbindlich dazu verstehen, bei zukünftigen Regimentslieferungen Bewerbungen aus Templin wohlwollend zu berücksichtigen. 103 Nr. 3, Bd. 6, Bl. 4. Von der Teilnahme dispensiert wurde lediglich die Judenschaft von Geldern und Moers, die sich nach Anzeige der dortigen Kammer vom 3. Mai die Reisekosten nicht leisten konnte. Siehe ebd., Bl. 17; vgl. auch ein entsprechendes Reskript der Kurmärkischen Kammer an Kriegsrat Niethe vom 29. März 1768 in StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 10, Bl. 4. Derartige Zusammenkünfte fanden mehrfach (etwa 1770, 1772, 1775, 1779 und 1782) in Spandau statt; vgl. Pohl, S. 114. 101 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 76. 102 Ebd., Bl. 48; vgl. Stern, Bd. III/2, S. 497 – 503, hier: S. 497. 103 Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 1. Juli 1768, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 74.

I. Von der Gründung bis zur Übernahme durch die Judenschaft (1765 –1769) 201

Während diese Verhandlungen zwischen Kammer und Judenältesten stattfanden, wurden die zweiten Kinder weiterhin mit Exekutionen malträtiert. Die Ältesten hatten zwar bereits in ihrer Eingabe vom Juni für die Zeit der Verhandlungen um eine Aussetzung dieser ruinösen Zwangsmaßnahmen gebeten, die den Betroffenen „auf denen kleinen Öhrter so viele Spectacul und Nachtheil verursachet, daß sie außer allen Credit und Nahrung gerathen“. 104 Da den Supplikanten vom Fabrikendepartement eine Aussetzung der Exekutionen auch zugesagt worden war, 105 läßt sich nur vermuten, daß die Kammer diesen Schritt sabotierte, erwiesen sich die Exekutionen doch als äußerst wirksame Daumenschraube in den laufenden Verhandlungen. Jedenfalls mußten die Ältesten noch Ende Juli darauf hinweisen, daß zahlreiche zweite Kinder „täglich die Land Reuterliche Gebühre mit 1 Rt. 8 Gr. bezahlen, dergestalt, daß einige schon successive 50, 60 und mehrere Rt. Kosten ertragen müssen, der ihnen dadurch erwachsende Miscredit, Schaden und Derangirung ihres Gewerbe nicht zu gedencken“. 106 Daß die Verhandlungen unter dem Eindruck solcher Zwangsmaßnahmen bis zum 9. August bereits deutliche Formen angenommen hatten, geht aus einer an jenem Tag vom Fabrikendepartement eingereichten Kabinettsvorlage hervor, mit der sich die Beamten die Genehmigung zur Übergabe der in „Decadence“ geratenen Manufaktur erbaten. Insbesondere sollte der König dabei entscheiden, ob den zweiten Kindern im Gegenzug zugesichert werden solle, von Zwangsexporten anderer Manufakturwaren künftig ausdrücklich dispensiert zu sein sowie sich den Niederlassungsort frei auswählen zu dürfen. 107 Nachdem der König diese Konditionen gebilligt hatte, dauerte es noch bis zum 27. Dezember, bis schließlich der Vertragsentwurf 108 vorlag, der vorbehaltlich der endgültigen königlichen Zustimmung durch Kammerpräsident von Siegroth sowie die Berliner Judenältesten unterzeichnet wurde. Die allerhöchste Genehmigung erfolgte schließlich am 12. Januar 1769, so daß die Manufaktur nun unter den im folgenden zu schildernden Bedingungen in den Besitz der Judenschaft übergehen konnte.

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Ebd., Bl. 87 – 88. So sicherte das Departement den Ältesten bereits am 1. Juli zu, daß die nötigen Befehle an die Kammer ergangen seien. Siehe ebd., Bl. 77. 106 Ebd., Bl. 87. 107 Ebd., Bl. 99; vgl. Stern, Bd. III/2, S. 504 – 505. Der zweite Punkt war jüdischerseits eine Reaktion auf die vielfachen Versuche des Königs, Ansetzungen zweiter Kinder nur in den Grenzgebieten zu Polen zu gestatten und sich so über die den Juden 1763 verliehenen Rechtstitel hinwegzusetzen. Siehe dazu Kap. E. VI. 108 Siehe Dok. M. I. 1 im Anhang; GStA PK, II. HA, Pommern, Judensachen, Nr. 7, Bl. 8 – 15 (Abschrift); vgl. Stern, Bd. III/2, S. 505 – 508. 105

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

II. Der Übernahmevertrag vom 12. Januar 1769 und die Finanzierung der Templiner Manufaktur durch die Judenschaft Der somit vom König genehmigte Vertrag, in dem sich die Berliner Ältesten stellvertretend für die gesamte preußische Judenschaft mit Ausnahme der schlesischen (und vermutlich auch der ostfriesischen 109) dazu verpflichteten, „die zu Templin angelegte Fabrique von gewürckten Wollenen Strümpfen und Mützen nebst allen darzu gehörigen Arbeitern, Geräthschaften, rohen und fertigen Waaren“ 110 zu übernehmen, ist aus zweierlei Gründen von besonderer Bedeutung. So bildete dieses Dokument fortan nicht nur für mehr als vier Jahrzehnte das Fundament der Templiner Betriebsorganisation, sondern zugleich das der Ansetzung zweiter jüdischer Kinder in Preußen. Auf die mikroökonomischen Auswirkungen der 1769 getroffenen Vereinbarungen und den Fortgang der Templiner Manufaktur wird in den folgenden Kapiteln noch detailliert einzugehen sein. Die Grundzüge des Vertragswerks seien jedoch an dieser Stelle knapp umrissen. Um was es den Behörden vorrangig ging, erhellt bereits § 1 der Vereinbarungen, durch den sich die Judenschaft verpflichten mußte, den bereits angesetzten Meistern auch in Zukunft „fernere Arbeit und Verdienst zu geben“. Von besonderer Bedeutung war zudem die auf das Peuplierungsinteresse des Staates verweisende Verbindlichkeit, künftig wenigstens 20 Stühle beständig in Gang zu halten, wobei von den elf dabei zu beschäftigenden Meistern mindestens zehn aus dem Ausland zu stammen hatten (§ 5). 111 Den Arbeitern war darüber hinaus durch die Judenschaft nicht nur das komplette Arbeitsgerät zu stellen. Der noch aus der Gründungsphase der Manufaktur herrührende Kolonistenstatus der bereits etablierten Fabrikanten, der durch § 8 ausdrücklich für die Zukunft festgeschrieben wurde, brachte diesen darüber hinaus zahlreiche Privilegien wie zweijährige Akzise- und Servicefreiheit 112 sowie freies Meister- und Bürgerrecht. Die Judenschaft 109 Über diesen Punkt läßt sich letzte Gewißheit nicht herstellen. Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß das ostfriesische Judenwesen in vielen Punkten von den Verhältnissen in den übrigen Provinzen abwich (siehe Kap. G. V.) und von einer Beteiligung der ostfriesischen Judenschaft in den Akten nichts verlautet. 110 Alle folgenden Zitate, soweit nicht separat nachgewiesen, nach dem im Anhang als Dok. M. I. 1. abgedruckten Vertragstext. 111 Zu dergleichen Ansetzungs- bzw. Kolonisationsverpflichtungen, die häufig auch christlichen Entrepreneurs gemacht wurden, äußert sich u. a. Hinze, Arbeiterfrage, S. 75 – 78. Doch auch auf diesem Feld erwies sich die fragile Rechtslage der Juden als besonders wirksamer Hebel, um gerade Unternehmer aus ihren Reihen zur Herbeischaffung von Kolonisten zu bewegen, siehe ebd., S. 78 – 79. 112 Hierunter ist die Freiheit von Beiträgen zu den Lasten der militärischen Einquartierung zu verstehen, was in der Vormoderne, in der Kasernen rar waren, eine bedeutende Vergünstigung darstellen konnte. Siehe Schroetter, Servis; Pröve.

II. Der Übernahmevertrag vom 12. Januar 1769

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hatte auf diese Rechtstitel künftig Rücksicht zu nehmen und vor allem für die Mietkosten aufzukommen, war den Kolonisten doch seinerzeit freies Wohnrecht gewährt worden. Die jüdische Korporation trat somit in sämtliche kostspieligen Verpflichtungen gegenüber den angeworbenen Meistern ein, die die Kurmärkische Kammer 1765 übernommen hatte. Hinsichtlich der zu zahlenden Löhne ließen die Behörden dem durch die Judenschaft noch einzustellenden Subunternehmer zwar zunächst freie Hand, behielten sich bei eventuell vorkommenden Streitigkeiten jedoch eine schiedsrichterliche Funktion vor, wobei die in Halle und Magdeburg gezahlten Löhne die grobe Richtschnur abgeben sollten. Ferner wurden sowohl Unternehmer als auch Meister in Fabrikensachen der Jurisdiktion des Templiner Magistrats in erster sowie der Kurmärkischen Kammer in zweiter Instanz unterworfen (§ 6). Ein anderer Absatz des gleichen Paragraphen lockerte hingegen (zumindest theoretisch) die durch die §§ 1 und 5 konstituierte Bindung des Unternehmers an die bereits angesetzten Fabrikanten, indem ersterer das Recht haben sollte, schlechte und liderliche Arbeiter zu entlassen, sofern er die Behörden davon in Kenntnis setzte und als Ersatz erneut einen ausländischen Kolonisten ansetzte. Nach § 7 hafteten die Oberlandesältesten sowie ihre Nachfolger persönlich mit ihrem Vermögen für die stete Erfüllung all dieser Auflagen. Hervorzuheben ist ferner insbesondere § 8, enthält er doch die obrigkeitliche Gegenleistung für die Übernahme der Templiner Manufaktur durch die Judenschaft. So versprach der König mit seiner persönlichen Unterschrift folgendes: b) Sollen alle auf das Recht des zweyten Kindes angesetzte oder noch anzusetzende Juden in allen Königlichen Landen exclusive Schlesien von aller weitern Abnahme der Einländ. Fabric-Waaren und Debitirung eines Nahmentlichen Quanti derselben außerhalb Landes frey gelassen werden. [...] c) Soll denen zweyten Kindern hinführo, wenn sie über ihre Ansetzung mit Concessionen versehen, frey stehen, sich an denen Orten ihrer domiciliirten Eltern zu etabliren oder wo selbige sonst ihre Nahrung am besten zu finden gedenken und wollen Sr. Königl. Majestät, daß sie sich bey ansuchender Concession als 2tes Kind durch Atteste des jedesmahligen Ober- und Mitältesten alhier zu Berlin wie bereits in Absicht der 2ten Kinder in der Allerhöchsten Cabinets Ordre de dato Potsdam den 1ten Novbr. 1763 enthalten, qualificiren müssen, auch daß sie zu der Templinschen Fabrique mit concurriren, im widrigen Fall ohne vorgedachte Attestatis eine dergleichen Concession für erschlichen und ungültig angesehen werden solle, jedoch können vors künftige dergleichen Concessiones nach Maaßgabe der Königlichen Allergnädigsten Cabinets-Ordre vom 1ten Novbr. 1763 ebenfals auf Special-Befehl ausgefertiget werden. 113

113 Mit Blick auf diesen Zusatz begegnete dem Verfasser allerdings in den Akten kein Fall, in dem der König im Laufe der folgenden Jahre von seinem Dispensationsrecht Gebrauch gemacht hätte.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Es wird noch darauf zurückzukommen sein, was diese Rechtstitel in der Praxis wert waren. An dieser Stelle sei lediglich angeführt, welche unmittelbaren Folgen dieses Vertragswerk bei künftigen Ansetzungen auf das Recht des zweiten Kindes hatte. Diese Folgen hingen zunächst einmal mit der Finanzierung der Templiner Manufaktur zusammen. Wie bereits angeführt, hatte sich die Judenschaft zur Übernahme kostspieliger Verpflichtungen gegenüber den durch die Kammer angeworbenen Kolonisten bereiterklären müssen. Ferner mußte zukünftig das Gehalt des noch zu engagierenden Subunternehmers aufgebracht werden. Zunächst schlug jedoch vor allem der Kaufpreis zu Buche, denn der Staat trat die bislang defizitäre Manufaktur keineswegs „umsonst“ ab. Schließlich galt es, den durch die Mißwirtschaft der Kammer ausgetrockneten „Uckermärkischen Etablissementsfonds“ zu sanieren, da das dritte aus diesem Topf zu finanzierende Projekt, der Bau des Kolonistendorfes Ahrensdorf, noch zu bewerkstelligen war. Der genaue Kaufpreis wurde im Vertragstext jedoch noch nicht festgelegt. Allerdings regelte § 2 die von den Juden für bereits gewirkte Strümpfe zu entrichtenden Preise. Die noch vorrätige Rohwolle und das Gespinst sollten hingegen „nach denen erweißlichen Einkaufs Preisen und derer darauf bereits verwendeten Kosten“ übergeben werden. Der Gesamtkaufpreis, der auf Basis einer vor Ort zu erstellenden Spezifikation errechnet werden sollte, war nach § 4 entweder sofort und bar zu entrichten, oder aber unter Hinterlegung einer Sicherheit binnen drei Monaten und bei einer im übrigen recht hohen Verzinsung von 6% (üblich waren 4%) zu bezahlen. Wie die Kurmärkische Kammer am 27. Juli 1769 dem Fabrikendepartement berichtete, ergab sich schließlich für das Fabrikenhaus, die Gerätschaften und alle gelagerten Materialien ein Gesamtpreis von 4.295 Rt., 10 Gr. und 10 Pf. 114 Ungeachtet der Frage, ob es künftig gelingen würde, aus der Manufaktur einen profitablen Betrieb zu machen, bedeutete der Übernahmevertrag also zunächst eine neue finanzielle Belastung für die preußische Judenschaft, wobei die interne Verteilung einmal mehr der Berliner Gemeinde überlassen blieb, deren Älteste das Regelwerk ausgehandelt hatten. Die zahlreich erhaltenen Akten über die Ansetzung zweiter Kinder verdeutlichen, wie diese Repartition gehandhabt wurde: Seit 1769 hatte ein Jude, bevor er überhaupt an die Behörden mit einem derartigen Antrag herantreten konnte, an die Berliner Oberlandesältesten einen Betrag von 200 Rt. in Gold zu entrichten, die dem von diesen verwalteten Betriebsfonds der Templiner Manufaktur zugeschlagen wurden. In den jeweiligen Konzessionsverfahren findet sich stets ein Attest der Berliner Oberlandesältesten, wonach sich der Anzusetzende „mit uns in Absicht der Templinschen Strumpf- und Mützen Fabrique gehörig abgefunden“ 115 habe.

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GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 178.

II. Der Übernahmevertrag vom 12. Januar 1769

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Lediglich in den drei Provinzen Kurmark, Pommern und Ravensberg, mit deren Landjudenschaften sich die Berliner Ältesten anderweitig geeinigt hatten, kam es statt zu diesen Individual- zu Pauschalzahlungen. Allerdings sind nur für die Übereinkunft mit der pommerschen Judenschaft vom August 1770 Details überliefert. Letztere, vertreten durch ihre Ältesten Abraham Ascher aus Cammin und Samson David aus Stargard, verpflichtete sich dabei zu einer einmaligen Zahlung von 644 Rt. und 16 Gr. als Beitrag zu den zu diesem Zeitpunkt nach Angaben der Berliner Ältesten bereits aufgelaufenen Kosten von 7.908 Rt. und 13 Gr. Ferner machte sich die pommersche Judenschaft verbindlich, „zur Unterhaltung mehr erwähnter Fabrike jährlich eine bestimmte Summe von 150 Rt., es mögen die Ausgaben nach Repartition und Propartition ihrer Schutz-Gelder mehr oder weniger ausmachen, stets beizutragen“. 116 Im Gegenzug erklärten sich die Berliner Ältesten bereit, ihre Vertragspartner an „dem Vorteil, so aus der Fabrike entstehen sollte“, zu beteiligen. Angesichts der noch zu schildernden Entwicklung der Manufaktur darf jedoch bezweifelt werden, daß die pommersche Judenschaft auf dieser Grundlage jemals in den Genuß einer Auszahlung gekommen ist. Andererseits muß man eine jährliche Zahlung von lediglich 150 Rt. statt eines bei jeder Ansetzung fälligen Beitrages von 200 Rt. als Zugeständnis der Berliner Gemeinde betrachten, 117 was dem Umstand geschuldet gewesen sein mag, daß sich das Verhältnis der beiden Judenschaften zum damaligen Zeitpunkt insgesamt offenbar recht positiv gestaltete. 118 Ähnliche Vereinbarungen bestanden zudem mit den Judenschaften der Kurmark und der Grafschaft Ravensberg, deren genaue Modalitäten und die jeweilige Höhe der zu zahlenden Pauschalsumme allerdings nicht zu ermitteln 115 Hier zitiert nach der Bescheinigung für den aus Posen stammenden Dienstboten Magnus Simon, der sich 1777 mit der Tochter des Potsdamer Schutzjuden Moses Liebmann verheiratete und mit seiner Braut als zweites Kind auf den Schutzbrief seines Schwiegervaters angesetzt wurde. BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2303. Daß es sich bei der Abfindungssumme während des gesamten Betrachtungszeitraums um 200 Rt. handelte, geht aus mehreren Dokumenten hervor, so unter anderem aus einem Schreiben der Berliner Ältesten vom 23. September 1798. Siehe GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 1 – 2. So verbergen sich auch hinter den 200 Rt., die der aus Spandau stammende Levin Joseph anläßlich seiner Ansetzung im Jahre 1775 an die Berliner Ältesten entrichten mußte, nicht die von Erika Herzfeld vermuteten Beiträge zu den Kalender-, Montes-Pietatisund Rekrutengeldern, sondern der Zuschuß zum Templiner Betriebsfonds. Siehe Herzfeld, Levin Joseph, S. 167; für das Fürstentum Halberstadt ferner Halama, S. 156. 116 Dieses und das folgende Zitat: GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 30, Nr. 11, Bl. 67 (Abschrift); vgl. den Bericht der Berliner Oberlandesältesten an das Generaldirektorium vom 1. Juli 1795 in GStA PK, II. HA, Pommern, Materien, Judensachen Nr. 3, Bl. 24. Zu den Rechtsstreitigkeiten, zu denen es aufgrund dieses Vertrages zwischen beiden Judenschaften noch Jahrzehnte später kommen sollte, siehe unten, Kap. K. III. 117 Dies ergibt sich bereits aus der Anzahl der in den vorangegangenen Jahren in Pommern etablierten zweiten Kinder. Vgl. Kap. D. III (Tab. 5). 118 Zur pommerschen Landjudenschaft Stern, Bd. III/1, S. 304 –306. Die Institution war 1706 gegründet worden und wurde von jeweils einem Ältesten aus den hinter- und vorderpommerschen Kreisen geleitet.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

waren. 119 In allen übrigen Provinzen mit Ausnahme Schlesiens (sowie vermutlich Ostfrieslands) waren hingegen durch den Antragssteller 200 Rt. zu entrichten. Im Gegenzug für das damit erworbene Attest der Berliner Ältesten, die somit auch nach 1769 ihren Einfluß auf die Ansetzungen von zweiten Kindern zu wahren vermochten, fiel die bisher geforderte Verpflichtung zu jährlichen Textilexporten weg. Dies gilt allerdings, wie bereits angeführt, lediglich für die ab Januar 1769 neu etablierten Juden. Mancherorts trennte man sich übrigens höchst ungern von dieser Art der Gewerbeförderung. So fragte die Ostpreußische Kammer noch im Oktober 1772 anläßlich der in Königsberg anstehenden Ansetzung des polnischen Juden Moses Jacob als zweites Kind auf den Schutzbrief seines Schwiegervaters Abraham Isaac Wallach in Berlin an, ob man Jacob nicht zusätzlich zum Beitrag zur Templiner Manufaktur auch eine jährliche Textilausfuhr aufbürden könne. Das Generaldirektorium wies die Kammer jedoch zurecht, daß derjenige, welcher sich bey den [Berliner] Juden-Ältesten wegen des Beytrages zur Unterhaltung der Templinschen Mützen- und Strumpf-Fabrique abgefunden hat, nicht nöthig hat, außerdem noch einen besonderen Debit einländischer Waaren zu übernehmen, wenn er als ein 2. Kind angesetzt seyn will. 120

Dennoch gab es auch nach 1769 noch einige wenige Ansetzungen, für die zweite Kinder auch weiterhin Exportleistungen zu erbringen hatten. 121 Dies war etwa bei dem 1774 in Minden angesetzten Isaac Levi (1746 –1815) der Fall, der noch 1787 seinen Verpflichtungen durch den Export von mehreren Ladungen Seife nach Beverungen im Hochstift Paderborn nachkam. 122 Samuel Jacobs, ebenfalls 1774 im neumärkischen Friedeberg etabliert, mußte fortan jährlich 200 in seiner Hei119 Als es am Ende des Jahrhunderts wegen der Individualzahlungen von 200 Rt. zu einem langwierigen Streit zwischen den Judenschaften Berlins und Kleves kam (siehe Kap. K. II.), erklärten die Berliner Ältesten in einem Schreiben vom 23. September 1798, es seien lediglich „die Juden in Pommern, Kurmark und Ravensberg davon befreit, weil sie zum Schaden an die Fabrique einen jährlichen Beitrag leisten“. Siehe GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 2. 120 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4568, Bl. 4 –6. 121 Von den hier genannten Fällen sind grundsätzlich Exportverpflichtungen bei der Vergabe neuer Schutzbriefe zu unterscheiden, bei der es ebenfalls häufig zu ähnlichen Verbindlichkeiten kam, die sich meist auf verlegerische Tätigkeiten im Textilsektor bezogen (hierzu mit Beispielen aus Ostpreußen Schenk, Der preußische Staat und die Juden), aber auch andere Branchen betreffen konnten. Als Gegenleistung für seinen im März 1778 auf das westpreußische Bromberg ausgestellten Schutzbrief mußte sich etwa Levin Israel verpflichten, gemeinsam mit seinen beiden Söhnen „bey Verlust des Privilegii in 7 Jahren für 8.000 Thaler Eisen aus den Königlichen Hütten in Pohlen 1/3 und in West-Preußen 2/3 [zu] debitiren und zwar in jedem der ersten 5 Jahr für 1.200 und der letzten 2 Jahre für 1.000 Thaler“. GStA PK. I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 173. 122 Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12, Bl. 252 sowie ebd., Bl. 282 die Bescheinigung des Mindener Seifenfabrikanten Mündermann vom 2. Dezember 1787, wonach er auf Rechnung Levis Seife im Wert von 300 Rt. nach Beverungen gesandt habe; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 64, wonach Levi 1780

II. Der Übernahmevertrag vom 12. Januar 1769

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# bpk / GStA PK

Abb. 2: Attest der Oberlandesältesten Daniel Itzig und Jacob Moses sowie der Berliner Ältesten Abraham Marcuse, Veit Singer und Levin Lazarus Braunschweig für Pincus Simson aus Königsberg / Pr. vom 10. Juni 1782, wonach Simson seinen Beitrag zum Betriebsfonds der Templiner Manufaktur ordnungsgemäß entrichtet habe.

matstadt produzierte Tücher ausführen. 123 Und als Jacob Nathan im August 1773 in Königsberg angesetzt wurde, setzte sich die Ostpreußische Kammer – anders als im Vorjahr – offenbar durch, hatte Nathan doch jährlich Waren für 300 Rt. zu exportieren. Nachdem er dieser Verpflichtung in den ersten Jahren nach seiner Privilegierung offensichtlich in keiner Weise nachgekommen und Rückstände im Wert von 1.200 Rt. angehäuft hatte, liest man 1777, er müsse „binnen Jahres Frist bey Verlust des Privilegii alles berichtigen und zwar mit Königsbergischen Fabricatis“. 124 Von der 1775 gewährten Ansetzung des Jacob Abraham Moses in Neu-Stettin, mit der diesem zugleich der Tuchhandel gewährt wurde, profitierte für 196 Rt. Flanell und Zucker exportierte. Zur Person Levis Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 486, der ebd., S. 652 bilanziert, derartige Auflagen „lastete[n] als staatlicher Zwang auf zahlreichen jüdischen Häusern, ohne daß erkennbar würde, nach welchen Gesichtspunkten die Behörden diese Pflichten festsetzten“. 123 GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 12.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

hingegen das Berliner Lagerhaus, von dem Moses jährlich für 200 Rt. Tücher zu kaufen und dazu für weitere 1.000 Rt. Tuch und Rasch zu exportieren hatte. 125 Auf Moses wird noch zurückzukommen sein. Unklar ist, ob bei den hier angeführten Einzelfällen die Verpflichtung zu Textilexporten auf eine (wie bei Moses) um gewerbliche Komponenten wie den Tuchhandel erweiterte Konzession zurückzuführen oder lediglich der Hartnäckigkeit bzw. Unkenntnis von Regionalbehörden wie der Ostpreußischen Kammer geschuldet sind. 126 Man könnte vermuten, daß auf diese Sonderfälle § 8, Absatz b des Übernahmevertrages Anwendung fand, der sich jedoch auf die zu diesem Zeitpunkt bereits etablierten Juden bezog und bestimmte: Wenn aber ein Jude sich anheischig gemacht hätte, aus einer bestimmt genandten Fabrique ein determinirtes Quantum zu nehmen, so kann er hiervon zwar nicht dispensiret werden, er ist aber als denn auch nicht gehalten, an der Templinschen Fabrique Theil zunehmen, diejenigen dagegen, so auf das Recht des zweyten Kindes angesetzet sind und sich nur überhaupt zum Verkauf eines gewissen Quanti von Einländischen Fabriquen-Waaren anheischig gemacht haben, denen bleibt die Arth und Wahl der Fabrique und des Orts überlassen.

Da sich in den genannten Fällen die Konzessionsakten nicht erhalten haben, kann nicht nachgeprüft werden, ob diese Regelung auch nach 1769 Verwendung fand. Da ein solches Vorgehen jedoch sicherlich den Protest der Berliner Gemeinde herausgefordert hätte, muß eher von einer Doppelbelastung ausgegangen werden. Denn daß der durch die Judenältesten der Hauptstadt verwaltete Betriebsfonds unter akutem Geldmangel litt, verdeutlicht bereits die Art und Weise, in der der 1769 vereinbarte Kaufpreis von rund 4.300 Rt. aufgebracht wurde. Wie die Kurmärkische Kammer dem Fabrikendepartement am 7. Juli 1769 berichtete, war diese Summe, durch die Zinsenlast der vergangenen Monate auf 4.540 Rt. angewachsen, bislang noch nicht eingegangen. 127 Daraufhin ordnete das Departement an, die „Judenschaft sofort mit Nachdruck, das ist mit executorischen 124 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 9. Darüber hinaus zählte Nathan zu denjenigen Königsberger Juden, die große Probleme hatten, an die vom Generaldirektorium erforderten Zollatteste zu gelangen, wie am Beispiel Asser Levys und Zacharias Simons geschildert wurde. Siehe dazu oben, Kap. D. IV. 125 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 184. 126 Ein interessanter Fall ereignete sich beispielsweise noch 1795 in Halberstadt. Bei der geplanten Ansetzung eines zweiten Kindes berief sich die dortige Kammer zunächst auf die Regelungen des Reskripts vom 11. November 1763, ohne zu berücksichtigen, daß die darin vorgesehenen Leistungen (Gründung einer Manufaktur bzw. Exportverpflichtung) durch den Templiner Vertrag hinfällig geworden waren. Da im Fürstentum Halberstadt Ansetzungen auf das Recht des zweiten Kindes nur selten vorkamen, scheint der Hintergrund dieses Vorgehens am ehesten in einer Unkenntnis der genauen Rechtslage bestanden zu haben. Vgl. Halama, S. 224 – 225. 127 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 175.

II. Der Übernahmevertrag vom 12. Januar 1769

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Mitteln, anhalten zu lassen, ihrem Engagement in Absicht auf die Templinsche Fabrique ein völliges Genüge zu leisten“. 128 Der Kammer war allerdings, wie sie am 18. August berichtete, die bisherige Verzögerung ganz recht, da die Summe für den „Uckermärkischen Fonds“ momentan nicht benötigt würde. Aus diesem Grunde stelle sich die Frage, ob es nicht besser sei, dieses Kapital den Judenältesten unter Ausnutzung der sechsprozentigen Verzinsung vorerst zu belassen, zumal der Fiskus im Zweifelsfall auf die persönliche Haftung der Berliner Ältesten zurückgreifen könne. 129 Nachdem dies vom Fabrikendepartement am 6. September auch genehmigt worden war, 130 wurde der Kaufpreis offenbar sehr langsam abgetragen. Denn fünf Jahre später, am 21. Juli 1774, waren nach einem Bericht der Kammer noch immer 2.000 Rt. nicht bezahlt, weshalb die Ältesten bereits mit Exekution belegt worden waren. Diese traten deshalb sogar an den König heran und erwirkten eine Kabinettsordre vom 18. Juli, wonach die Juden wegen einer möglicherweise zu gewährenden vollkommenen Erlassung der Restsumme oder zumindest einer zehnjährigen Aussetzung der Verzinsung beim Fabrikendepartement und der Kurmärkischen Kammer einkommen sollten. Dies rief nun wiederum die Kammer auf den Plan, nach deren Worten die Gelder just zu jener Zeit umgehend für den „Ahrensdorffschen Etablissements-Bau“ benötigt würden. 131 Bei diesem Projekt handelte es sich um die Anlage eines Kolonistendorfes auf einer wüsten Feldmark wenige Kilometer östlich von Templin, dessen Planungen bereits 1766 begonnen hatten, wobei an die Ansetzung von 43 ausländischen Büdnerfamilien mit jeweils zehn Morgen Land und vier Morgen Wiese gedacht war. 132 Nachdem der Templiner Magistrat bereits 1767 ein Anwerbungsplakat publiziert hatte, 133 meldeten sich schließlich 1770 20 interessierte Kolonisten aus Mecklenburg, mit deren Ansiedlung im Folgejahr begonnen wurde. Jedoch konnten noch 1774, also just zu jenem Zeitpunkt, als die Judenschaft von ihren dem Etablissementfonds zugute kommenden Zahlungen befreit werden wollte, in Ahrensdorf bei insgesamt 66 Einwohnern lediglich 15 Kolonisten gezählt werden. 134 So wurde Geld also weiterhin dringend gebraucht, hielt doch Steuerrat Trost von dem ganzen Projekt ohnehin nicht viel. So hatte er bereits im Oktober 1769 skeptisch den Akten anvertraut: Ob nun wohl daraus [aus Ahrensdorf] schwerlich ein solides und dauerndes Etablissement werden wird, weil der Boden sehr schlecht und die Colonisten nur als Büdner angesetzet werden können, vielmehr rathsamer gewesen wäre, diese gantze schlechte Feldmarck mit 128 129 130 131 132 133 134

Ebd., Bl. 177. Ebd., Bl. 181. Ebd., Bl. 182. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 51. Siehe Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Bd. VIII, S. 6 –7. BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 1799, Bd. 1, Bl. 99, 134 –139. Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Bd. VIII, S. 6 –7.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Kien-Saamen zu besäen, so wird jedennoch im Frühjahr mit dem würcklichen Aufbau der Anfang gemacht werden. 135

Vor diesem Hintergrund gab die Kammer gegenüber den Ältesten folglich auch ihrer Empörung über deren ungebührliches Verhalten Ausdruck. So habe es die Beamten nicht wenig befremdet, wie die Oberältesten der hiesigen Judenschaft wieder allen Glauben und von sich gegebenen Versicherung sich haben erdreisten können, bey Seiner Königlichen Majestät unmittelbar um die Erlassung oder Dilatirung des noch schuldig gebliebenen Capitals der 2/m Rt. vor die übernommene Templinsche Strumpf und Mützen Fabrique zu bitten. 136

Angesichts der Kosten für die Kolonistensiedlung in Ahrensdorf könne die Exekution keineswegs aufgehoben werden. So dauerte es also mindestens fünf Jahre, bis die Judenschaft auch nur den Kaufpreis für die Manufaktur aufgebracht hatte, worin kaum ein gutes Omen für deren künftigen und aller Voraussicht nach subventionsbedürftigen Betrieb zu erblicken ist.

III. Auf der Suche nach einem Entrepreneur: Johann Heinrich Düntz oder Abraham Jacob Eschwege? Entrepreneur, Fr. Entrepreneur, heißt eigentlich derjenige, welcher etwas wichtiges unternimmt. [...] Sonst aber wird das Wort Entrepreneur heut zu Tage auch in Kammersachen, imgleichen bey Manufacturen und Fabriken, für einen Mann überhaupt gebraucht, der ein gewisses Geschäfte, einen Pacht, einen Handel, eine Manufactur, Fabrik, Anstalt etc. wirklich übernehmen, aufrichten, ausführen, vollstrecken und einrichten will, und darinnen begriffen ist. Er thut aber solches entweder nach seinen eigenen Projecten, Vorschlägen und Dispositionen, auf seine eigene, oder auf eines Andern Kosten und Gefahr, oder, er übernimmt solches nach eines Andern Project, Vorschlag und Disposition, auf seine oder eines Andern Kosten. Es geschieht nur zum Versuch, oder man will das Werk selbst mit großer Versicherung, daß man reussiren werde, entrepreniren. 137

135

GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCLXV, Nr. 18, Bl. 39. Trost folgt mit seiner Argumentation offenbar der Instruktion für Kammerpräsident v. Siegroth vom 29. Oktober 1765, worin es heißt, wüste Feldmarken auf schlechtem und sandigem Boden sollten „mit Kiefern bestellet und dergestalt zu nützlichen Holzungen employiret werden“. Siehe A.B.B.O., Bd. XIII, S. 686 – 689, hier: S. 686. Die von Trost ins Gespräch gebrachte Aufforstung mit Kiefern stand ihrerseits im Zusammenhang mit den seit den 70er Jahren forcierten Bemühungen um eine nachhaltigere Forstpolitik, in deren Rahmen seit 1776 rund 20.000 Morgen ungenutzter Sandschollen mit Kiefern bepflanzt wurden. Siehe Stadelmann, Bd. 2, S. 145. 136 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 52. 137 Krünitz, Bd. 11, S. 75.

III. Auf der Suche nach einem Entrepreneur

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Anhand dieser enzyklopädischen Definition im Krünitz läßt sich das Anforderungsprofil der nun anstehenden Stellenausschreibung recht gut umreißen. Dieses hatte es durchaus in sich: Der Gesuchte hatte in Templin nicht nur etwas wichtiges zu unternehmen, nämlich die bislang in Agonie versunkene Strumpfmanufaktur aufzurichten. Das ganze konnte darüber hinaus keineswegs nach eigener Disposition erfolgen, sondern hatte den sanktionsbewehrten Vorschlägen des Anderen „A“ zu folgen, nämlich des Staates, dessen Project 20 Stühle und zehn ausländische Meister vorsah. Doch war die Situation noch um einiges vertrackter als im obigen Artikel. Denn schließlich gab es da noch den Anderen „B“, nämlich die Judenschaft, die alles zu bezahlen und in Gestalt ihrer Ältesten für die Verwirklichung des von „A“ initiierten Projectes zu haften hatte. Darüber hinaus waren zumindest die künftig zu Beitragszahlungen heranzuziehenden zweiten Kinder sicherlich daran interessiert, daß die gesuchte Person das ganze nicht nur als Versuch ansah, sondern tatsächlich bemüht war, mit der Strumpfmanufaktur zu reussieren. Das klingt kompliziert und war es auch. Allerdings hatte sich bereits mehrere Monate vor Unterzeichnung des Übernahmevertrages, nämlich am 2. August 1768, ein möglicher Kandidat für den zu besetzenden Posten selbst ins Gespräch gebracht: Johann Heinrich Düntz, offenbar aus einer traditionsreichen Berliner Strumpfstrickerfamilie stammend 138 und wohl identisch mit jenem „Duntz“, der im ein Jahr später verfaßten „Taschenbuch Knyphausen“ als Verleger von immerhin 33 Strumpfstrickern in der Hauptstadt auftaucht. 139 Dieser stellte sich den Behörden als ein „angebohrner getreuer Unterthan“ vor, „welcher auf seiner Wanderschaft sich in denen Strumpf-Fabriquen zu Wien, Strasburg, Memmingen und Pirna aufgehalten und daselbsten alles zu deren Beförderung und Erhaltung nöthige gelernet hat aber in keinem Vorschusse sitzet“. 140 Für ein Jahresgehalt in Höhe von 300 Rt. wolle er in Templin als Werkmeister tätig werden und überreichte auch sogleich einen Sanierungsplan für den heruntergekommenen Betrieb. Grundsätzlich beurteilte Düntz – kaum überraschend – die Erfolgsaussichten der Manufaktur nach Anstellung eines tüchtigen Werkmeisters (wie ihm) als durchaus positiv, da die Wolle in Templin billiger zu erhalten sei als etwa in den Strumpfwirkerstädten Herborn, Hanau, Apolda, Schwabach oder Pirna, wo die Arbeiter noch dazu keine freie Wohnung genössen. Falls die Judenschaft zu einem Vorschuß von 9.000 Rt. angehalten würde, ließe sich deshalb ein kontinuierlicher und profitabler Betrieb von 30 Stühlen garantieren, so daß den Juden auf ihr Kapital künftig eine jährliche Dividende von 500 Rt. ausbezahlt werden könne. Auch eine Steigerung der Stuhlzahl auf bis zu 138 So wurde am 14. März 1724 der Strumpfstricker und Bürgersohn Abraham Düntz ins Bürgerbuch der Hauptstadt eingetragen. Im April 1743 taucht derselbe Düntz schließlich als Meister auf. Siehe Kaeber, S. 93, 379. 139 Hoffmann, Handwerk, S. 11. 140 Dies und die folgenden Zitate: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 91 – 92.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

100 sei möglich, wenn der Vorschuß entsprechend erhöht werde. Wenngleich die zuletzt gemachten Versprechungen windig anmuten, so scheint es sich bei Düntz jedoch keineswegs um einen der zahlreichen Projektemacher und Glücksritter gehandelt zu haben, die in jenen Jahren überall ihr Fortkommen suchten. Denn offenbar hatte sich Düntz tatsächlich in langen Wanderjahren gründliche Kenntnisse des Strumpfgewerbes erworben, 141 die über den eigentlichen Fertigungsprozeß hinausreichten, und daraufhin einige Jahre selbst in Berlin als Verleger gearbeitet. Nicht nur das Fabrikendepartement beurteilte Düntz’ Fähigkeiten positiv, 142 auch Veitel Ephraim, der in jener Phase auf Seiten der Judenschaft mit den Templiner Planungen besonders betraut gewesen zu sein scheint, 143 dachte zeitweilig daran, den Mann zu engagieren, nachdem Düntz vor dem Berliner Magistrat erfolgreich „auf die Probe gestellet“ 144 worden war. Denn wie Düntz am 23. September 1768 berichtete, war er von der Judenschaft bereits zu einer Inspektion der Manufaktur nach Templin geschickt worden und habe dieser daraufhin einen ausführlichen Bericht erstattet. Daraufhin hätten sich die Ältesten bereiterklärt, ihn mit einem Vorschuß von 2.000 Rt. auszustatten und gegen ein Jahresgehalt von 400 Rt. in Templin anzustellen, wie er „von dem Juden Herrn Ephraim zu wiederholten mahlen versichert worden“ sei. 145 Da er bereits vier Bürgen aufgetrieben habe, die bereit seien, mit ihren Immobilien für ihn Kaution zu stellen, bat Düntz um eine Beschleunigung der zu diesem Zeitpunkt schließlich noch nicht abgeschlossenen Übergabeverhandlungen, damit ihm keiner seiner Bürgen abspringe. Doch offenbar änderten die Berliner Ältesten in den folgenden Wochen ihre Pläne, wie einem alarmierten Schreiben Düntz‘ vom 7. November zu entnehmen ist. So müsse er mit vielem Befremden äußerlich in Erfahrung bringen, daß einer hiesigen Judenschaft Vorhaben nur dahin abzwecket, wie sie Jemanden, er sey wer er wolle, und verstehet die 141 In einer weiteren Eingabe vom 7. November 1768 nennt Düntz die Manufakturen Schreiber (Strasburg), Zeuther (Memmingen), Stroh (Wien) und Kellermann (Pirna). Eine derartige, auch regional weit gespannte Wanderschaft war im Rahmen der Ausbildung von „Handwerkerunternehmern“ nicht ungewöhnlich. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 448; zum Phänomen des Gesellenwanderns grundsätzlich Wadauer; vgl. mit Blick auf Wien Steidl. 142 Gutachten vom 3. September 1768: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 106. 143 So darf man es wohl interpretieren, wenn Düntz in seiner Supplik vom 2. August 1768 (fälschlich) schreibt, die Manufaktur sei „dem Juden Ephraim [...] übertragen [worden]. Euer Königl. Maj. würden diese Allerhöchste Intention [der Sanierung der Manufaktur] auch erreichet haben, wenn ein treuer und des Strumpf-Fabricirens so wohl als deren Debits verständiger Werckmeister der Fabrique wäre vorgesetzet gewesen, allein so hat es daran gefehlet, dieser Ephraim nicht dirigiren, was er nicht verstanden, und ist daher von denen Strumpf Arbeithern sehr hintergangen worden.“ Siehe ebd., Bl. 91 –92. 144 Ebd., Bl. 107. 145 Ebd.

III. Auf der Suche nach einem Entrepreneur

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Sache oder nicht, um ein Bagatell zu Übernehmung dieser Fabrique überreden könnte, wie sie denn solches in ihrer Schule öffentlich ausrufen lassen, worauf sich zwey Juden mit einem hiesigen Strumpf Würcker Nahmens Schnall vereiniget, diese Fabrique zu übernehmen und leztern zum Werkmeister dahin zu setzen. 146

Der ihm selbst wohlbekannte Schnall sei hingegen als Werkmeister denkbar ungeeignet, indem er über keinerlei Verlagserfahrung verfüge, sondern bislang lediglich in abhängiger Tätigkeit beschäftigt gewesen sei. Da er selbst, Düntz, nun „schon ¼ Jahr müßig gelegen“ habe, bat er das Fabrikendepartement, die Judenschaft zu seiner Anstellung zu zwingen, wohingegen er für die Ansetzung von 50 Kolonistenfamilien in Templin sorgen wolle. Doch die Sache war entschieden. Allerdings sprach aus Düntz‘ Eingabe nicht nur der Neid eines unterlegenen Konkurrenten. Denn falls Veitel Ephraim zunächst tatsächlich daran gedacht haben sollte, die Templiner Manufaktur durch die Bereitstellung eines ausreichenden Betriebskapitals auf ein solides Fundament zu stellen, lautete die neue Maxime offenbar, die Investitions- und Lohnkosten so gering wie möglich zu halten. Die quälend langsame Abzahlung des Kaufpreises für die Manufaktur, die die Behörden nach fünf Jahren nur mit Exekutionsdrohungen durchsetzen konnten, läßt daran keinen Zweifel. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, daß auch die Personalpolitik der Berliner Ältesten dem Primat geringer Investitionsbereitschaft bei gleichzeitiger Scheu vor unkalkulierbaren Risiken folgte. Die Suche innerhalb der Gemeinde war offenbar auch rasch erfolgreich, denn als künftigen Subunternehmer in Templin präsentierte man bald den 1764 in Berlin als Schutzjuden etablierten „Sohn des hochgelehrten Jacob Eschwe“ namens Abraham Jacob Eschwege (ca. 1741 – 1806). 147 Den Posten verdankte er möglicherweise seiner um 1738 geborenen Ehefrau Fratje, bei der es sich um eine Tochter des Berliner Gemeindeältesten, Juwelenhändlers und Bankiers Bendix Meyer (gest. 1774) 148 handelte, über den Kontakte in die Spitzen der Berliner Gemeinde bestanden haben müssen. Der zwischen den Berliner Ältesten und Eschwege geschlossene Kontrakt hat sich, anders als spätere Verträge, 149 nicht erhalten, so daß über Eschweges Gehalt in diesen ersten Jahren keine Aussagen möglich sind. Jedoch scheint der Vertrag zunächst auf zwei Jahre befristet gewesen zu sein, da Eschwege im November 1771 von einem Zeitraum von zehn Jahren spricht, „als auf solange ich mit den Ältesten der Churmärckschen Judenschaft von neuen contrahirt habe, die Fabrique zum höchstmöglichen Flor emporzubringen“. 150 Auf Basis dieses nicht mehr erhaltenen Vertrages und eines zusätzlichen, 146

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 113. Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 129 –130; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 1. 148 Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 129. 149 Siehe Anhang. 150 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 48. 147

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

auf Templin ausgestellten außerordentlichen Schutzbriefes 151 trat Eschwege 1769 seinen Dienst als Subunternehmer der Judenältesten in der Uckermark an.

IV. Grundzüge der Templiner Arbeits- und Betriebsorganisation Bevor im folgenden Kapitel auf die Geschichte der Manufaktur unter Abraham Jacob Eschwege eingegangen werden soll, gilt es, an dieser Stelle die von ihm in Templin vorgefundenen Strukturen näher zu beleuchten, bildeten sie doch in vielerlei Hinsicht die Rahmenbedingungen seiner künftigen Geschäftstätigkeit. Der Betrieb, dessen Leitung Eschwege nun antrat, war nach dem Schema der dezentralisierten Manufaktur organisiert, bei der „unter Anwendung des Systems der Arbeitsteilung innerhalb des Produktionsprozesses zahlreiche Arbeitskräfte unter dem Kommando des gleichen Kapitals außerhalb des eigentlichen Manufakturgebäudes in deren eigenen Werkstätten bzw. Wohnungen beschäftigt“ 152 waren. Jeder Meister-Kolonist unterhielt deshalb selbständig in seiner mietfrei bezogenen Wohnung zwei Strumpfwirkerstühle – ganz ähnlich, wie dies in jenen Jahren beispielsweise auch in der um einiges größeren Weber- und Spinnerkolonie Luckenwalde gehandhabt wurde. 153 Lediglich die Endfertigung wurde in Templin – auch dies allgemein üblich – in einem Fabrikenhaus konzentriert. 154 Bauliche Einzelheiten zu diesem Manufakturgebäude erfährt man erst durch eine Untersuchungskommission des Manufaktur- und Kommerzkollegiums aus dem Jahre 1801. Angesichts der in den 70er und 80er Jahren nicht abebbenden Klagen über die mangelhafte Betriebsorganisation, die noch zu behandeln sein werden, lassen sich die Ausführungen zu den um die Jahrhundertwende vorgefundenen Gerätschaften nicht auf das Jahr 1769 zurückprojizieren. Die beschriebene Immobilie dürfte hingegen auf die Gründungszeit der Manufaktur zurückgehen. So wurden die Beamten 1801 151 Als solcher wird er beim Generalfiskal geführt: GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 80. Ansonsten lebten um 1770 ca. neun jüdische Familien in Templin. Siehe Eschwege, S. 1129 – 1130. 152 Krüger, Manufakturen, S. 192 – 206, hier S. 192; vgl. Reininghaus, Gewerbe, S. 91 – 94. 153 Während in Templin für die Neusiedler Wohnraum angemietet wurde, errichtete man in Luckenwalde allerdings 18 Weber- und 24 Spinnerhäuser von Grund auf neu. Zudem wurde eine Wohnung für den Verleger erbaut, die zugleich die Färberei und Appretur aufnahm. Gegen die in Luckenwalde letztlich investierte Summe von nahezu 80.000 Rt. nehmen sich die Kosten in Templin bescheiden aus. Siehe den Etablissementsplan von 1781 in der materialreichen Arbeit von Bamberger, S. 447. 154 Auch in Thüringen arbeiteten die Strumpfwirkermeister mit ihren Gesellen gewöhnlich in der eigenen Stube. Lediglich Bleiche, Appretur und Färberei wurden zentralisiert. Siehe dazu Schöne, S. 130.

IV. Grundzüge der Templiner Arbeits- und Betriebsorganisation

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erst in ein kleines Hintergebäude geführt, wo sie eine Färberei, eine Handwalke und eine Presse vorfanden, sodann sahen sie in einer Stube in der zweiten Etage des Hauses eine Vorrichtung zum Wollkämmen auf zwei Menschen, einige Strumpfformen, worauf gewalkte Strümpfe getrocknet wurden und mehrere Spuhlräder zum Dupliren 155 des Gespinstes, alles in gutem Zustande. Auf dem Flur in derselben Etage standen 2 Zwirnmühlen, jede zu 10 Spillen [Spulen], welche aber unbezogen waren. Die Meyer 156 wollte Unterschriebene [Beamte] in mehrere Stuben führen, in welchen sich noch mehrere Geräthschaften befinden sollten, diese waren aber verschlossen, und den Schlüssel dazu hatte der Werkmeister, welcher nicht zu Hause war. Ebenso beklagte dieselbe, das Waarenlager nicht zeigen zu können, da solcher nicht anwesend und mit ihrem Mann, dem Meyer, nach einem Jahrmarkt abgegangen sey. Hierauf begaben sich Unterschriebene in die Wohnung des Strumpwürker Bodenkranz oder Hasenkranz, welcher einer von Fabriks Meistern ist. Sie fanden daselbst 2 Stühle [...] in gutem Zustande, aber unbezogen. 157

Ferner heißt es in einem weiteren Inspektionsbericht vom März 1802 über das Fabrikengrundstück: Selbiges ist von der Judenschaft zum Behuf der Fabrik und zur Wohnung des Entrepreneurs angekauft, wenn ich nicht irre, für etwa 1.700 Rt., es ist daher richtiges Eigenthum der Judenschaft, worüber die Ältesten im Namen derselben frey disponiren können. Es besteht aus einem zweistöckigen Hause mit Bodenraum, einem kleinen Hintergebäude, worin die Wohnung und Färberey befindlich ist und einem kleinen Gartenfleck. 158

Wenn in der wirtschaftsgeschichtlichen Literatur darauf hingewiesen wurde, daß die Übergänge zwischen Verlag und zentralisierter bzw. dezentralisierter Manufaktur vielfach fließend waren und dem Unternehmer nur sehr selten abhängige „Lohnarbeiter“ gegenüberstanden, 159 so gilt dies ebenfalls für die Templiner Manufaktur, deren Fabrikanten nicht nur einen Kolonistenstatus mit den damit einhergehenden Vorrechten genossen, sondern, worauf noch einzugehen sein wird, in Gestalt einiger Strumpfwirkerstühle auch über einen Teil der Produktionsmittel verfügten. Von weitaus größerer Bedeutung sollte es hingegen in den kommenden Jahrzehnten sein, daß es sich bei dem Templiner Betrieb nicht einfach um eine 155

Verdoppelung des Fadens auf einer Zwirnmühle. Siehe Hahn, S. 156. Hanna (1774 – 1840), nach dem ältesten Sohn Joseph Moses das zweite Kind Eschweges, hatte im April 1801 den aus Stavenhagen in Mecklenburg-Schwerin stammenden Seckel Meyer (1764 –1831) geheirat. Zur Konzession siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.2943. Am 4. Januar 1802 wurde Zadick, Sohn von „Seckel Meyer mit Hanchen Eschweger in Berlin“, geboren und acht Tage später beschnitten. Siehe den Eintrag im Geburtsregister der Templiner jüdischen Gemeinde: BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 383. 157 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 7 –9. 158 So der Asessor im Manufaktur- und Kommerzkollegium Heerwagen, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 131 –132. 159 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 325; Kaufhold, Gewerbe, S. 228 – 236. 156

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

beliebige Manufaktur, sondern vielmehr um einen Zwitter zwischen Gewerbeansiedlung und Kolonistenetablissement handelte. Diese Gemengelage wiederum – der Übernahmevertrag von 1769 deutete es bereits an – evozierte eine besondere Aufmerksamkeit der Behörden, die auf einen Verbleib der mit großem Aufwand herangeschafften Siedler bedacht sein mußten. Zwar spielten „fürsorgerechtliche Gesichtspunkte“ bei der Privilegierungspolitik absolutistischer Staaten allgemein eine nicht unbedeutende Rolle, 160 doch wenn jüngst die friderizianische Gewerbeförderung als „Ermunterungsmechanismus“ charakterisiert wurde, „der immer zugleich ein Kontrollmechanismus war“, 161 so gilt dies für Kolonistenetablissements in besonderem Maße. Insofern ist die Templiner Strumpfmanufaktur den brandenburgischen Kolonistenetablissements von Luckenwalde, Zinna und Rathenow vergleichbar, deren christliche Entrepreneurs, wie etwa Thomas de Vins in Luckenwalde 162 oder Johann George Sieburg in Zinna, sich ebenfalls Beschränkungen ihrer unternehmerischen Freiheit gefallen lassen mußten, die dem staatlichen Peuplierungsinteresse bzw. dem daraus erwachsenden Kolonistenstatus der Arbeiter geschuldet waren. 163 Dabei verdient es Beachtung, daß einige Jahrzehnte später selbst die Behörden die Erfolge dieser Politik sehr skeptisch bewerteten. So stellte die Kurmärkische Kammer mit Blick auf die Entwicklung in Zinna und Luckenwalde 1787 rückblickend fest: Die Idee, ein Fabrikenetablissement mit einem Kolonistenetablissement zu verbinden [...], ist nicht füglich vollkommen ausführbar, denn beide Etablissements haben ein ganz verschiedenes Interesse, welches sich ohnmöglich vereinbaren läßt, und dieses ist die Ursache, daß dergleichen kombinirte Etablissements immer unvollkommen bleiben und der dabei beabsichtigte Endzweck niemals erreicht wird. [...] Soll eine Fabrik mit Succeß errichtet, poussiret und zu einer verhältnißmäßigen Größe emporgebracht werden, so muß der Entrepreneur freie Hand haben, mittelmäßige, schlechte, faule und eigennützige Arbeiter ohne Prozeß und weitere Rücksicht auf ihre Kolonisteneigenschaft zu verabschieden, und dagegen tüchtige, mit wenigem Arbeitslohn zufriedene Ouvriers anzustellen, sie mögen Ein- oder Ausländer sein. Er muß freie Hand haben, die Fabrikation zu verstärken, zu verändern, einzuschränken, sowie es der Absatz und die Handlungskonjunktur erfordern. Das kaufmännische Negere verträgt keine Fesseln dieser Art, und dennoch werden diese notwendig, wenn benefizirte Ausländer bei der Fabrik conserviret werden sollen. [...] Die gewöhnliche Folge solcher finanzwidrigen Combinaisons ist, daß beide Etablissements in der Kindheit bleiben und nach Verlauf von einigen, mit Untersuchungen gegenseitiger Beschwerden durchwebten Jahren entweder ganz verfallen oder in ihren Fundamental-Einrichtungen umgeschmolzen werden. 164

160 161 162 163

Vgl. beispielsweise Dübeck, S. 476. Radtke, S. 112. Bamberger, S. 432. Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 381 –382.

IV. Grundzüge der Templiner Arbeits- und Betriebsorganisation

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Diese divergierende Interessenlage bedingte zumindest tendenziell eine Schwächung der Position des Unternehmers gegenüber den Arbeitern – ein Sachverhalt, dessen sich letztere natürlich durchaus bewußt waren. Klagen über den daraus folgenden Kolonistenstolz waren deshalb weit verbreitet, wobei die großzügige Privilegierung auch Neid in der alteingesessenen Nachbarschaft zu wecken vermochte. 165 In einer Instruktion für das Fünfte Departement und den Finanzrat Hartmann vom 30. Juli 1782 liest man über Zinna beispielsweise, es befinde sich dort zwar eine große Baumwollfabrik, wobei aber immer Lärm ist zwischen dem Entrepreneur und den Ouvriers, daß man nicht recht weiß, an wem eigentlich die Schuld ist; indessen führen die letzteren viel Beschwerden über die ersteren; das fünfte Departement muß sich also der Sache gehörig annehmen und suchen, den Streitigkeiten ein Ende zu machen und die Leute zu beruhigen. 166

Die langwierigen Probleme in Zinna und Luckenwalde lassen demnach für Templin nichts Gutes ahnen, zumal es sich bei de Vins und Sieburg im Unterschied zu Eschwege um gestandene Geschäftsmänner mit großgewerblicher Erfahrung handelte 167 – ganz zu schweigen davon, daß sie noch dazu qua Geburt die zumindest nicht konfliktverschärfende Eigenschaft mitbrachten, Christen zu sein. Den Überblick über die Templiner Betriebsorganisation abschließen sollen einige Ausführungen über den durch Eschwege gezahlten Lohn, bei dem es sich – wie allgemein üblich – um einen Stücklohn handelte. Die Höhe dieser Vergütung ist in den Akten nicht lückenlos überliefert, dennoch lassen sich deutliche Tendenzen erkennen. Wie bereits erwähnt, sollten nach dem Übernahmevertrag von 1769 zunächst die in Halle und Magdeburg gezahlten Löhne als Richtschnur fungieren. Unmittelbar nach Eschweges Amtsantritt im März 1769 erhielten die Meister für ein paar Frauenstrümpfe 3 Gr., für Männerstrümpfe 4 Gr. sowie für feine englische Strümpfe 8 Gr. 168 Kriegsrat Gilbert ging 1782 davon aus, daß in Templin auf einem funktionstüchtigen Stuhl pro Woche zwischen acht und neun Paar Strümpfe produziert werden könnten, 169 was also einem Wochenlohn zwischen 1 Rt. sowie 2 Rt. und 16 Gr. entsprochen hätte. Daß dies für einen Meister, der eine 164 Zitiert nach Bamberger, S. 433 – 434. In den folgenden Kapiteln wird sich allerdings zeigen, daß diesen theoretischen Erkenntnissen der Kammer zumindest im Falle Templins keine Neupositionierung in praktischen Fragen gegenüberstand. 165 Aus einer größeren Perspektive heraus gilt es freilich, auch die strukturgeschichtliche Rolle dieser Privilegierungen in friderizianischer Zeit zu berücksichtigen. Zu Impulsen für das tradierte Sozialgefüge Neugebauer, Zentralprovinz, S. 134 –135. 166 Siehe A.B.B.O., Bd. XVI/2, S. 737 – 741, hier: S. 740. 167 Vgl. die Charakterisierung Sieburgs bei Mittenzwei, S. 22 als „wendiger, die Entwicklung in anderen Staaten, besonders in England, aufmerksam verfolgender Manufakturunternehmer“. 168 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 174. 169 Ebd., Bd. 3, Bl. 2.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Familie zu versorgen hatte, nicht eben viel war, zeigt folgender Vergleich. 1748 verdiente ein Tagelöhner im Templiner Baugewerbe im Sommer täglich 6 Gr. und im Winter 5 Gr., 170 kam also bei sechs Arbeitstagen auf einen Wochenlohn von 1 Rt. 12 Gr. bzw. 1 Rt. 6 Gr. Doch hinkt dieser Vergleich, da im Textilgewerbe durchgängig die niedrigsten Löhne bezahlt wurden. Sieht man sich deshalb in den Strumpfmanufakturen der Hauptstadt um, so konnte ein Strumpfwirker in der Baumwollmanufaktur Isaac Benjamin Wulffs um 1766 bei der Fertigung von Frauenstrümpfen wöchentlich 3 Rt., bei Männerstrümpfen 3 Rt. und 8 Gr., bei Plüschmützen 4. Rt. sowie bei glatten Mützen 4 Rt. und 12 Gr. verdienen. 171 Doch wie in Berlin, so galten auch die Löhne in Templin dabei wohlgemerkt nur im Idealfall, d. h., wenn alle Stühle voll funktionstüchtig waren und die Meister von Eschwege mit ausreichend Garn versorgt wurden. Noch dazu sollte der Subunternehmer die Stücklöhne 1774 drastisch senken und fortan für ein Paar Männerstrümpfe nur noch 3 Gr. 6 Pf. und bei Frauenstümpfen 2 Gr. 6 Pf. zahlen. 172 Das entsprach einer Kürzung um 12,5 bzw. 16,6%, die sich zwar durchaus im Einklang mit einem allgemein zu beobachtenden Reallohnverfall preußischer Manufakturarbeiter bewegte, 173 vor Ort gleichwohl zu Konflikten führen mußte. Auf der anderen Seite ist in den vergleichsweise niedrigen Löhnen ein nicht unbedeutender Standortvorteil Templins in den kommenden Jahrzehnten zu sehen. Denn noch 1796 lag der Anteil der Lohnkosten an den Gesamtaufwendungen für die Produktion in den beiden Hallenser Strumpfmanufakturen von Drewes (90 Stühle) und Ritze (23 Stühle) bei 61,5 bzw. 57,2%, während die Quote in Templin (zu diesem Zeitpunkt 23 Stühle) lediglich 56,4% betrug. 174 Aus Sicht der Meister muß allerdings bedacht werden, daß diese als Kolonisten keine bürgerlichen Lasten zu tragen hatten und daß Lebensmittel und Brennholz in Templin ungleich billiger zu bekommen waren als in der Hauptstadt. So lagen die durchschnittlichen Preise von 27 verschiedenen Viktualien in Luckenwalde, das Templin zumindest grob vergleichbar ist, 1782 um rund 20 % unter denen Berlins. 175 Noch weitaus größer müssen die Unterschiede bei den Mieten gewesen sein, die in Berlin während des letzten Drittels des 18. Jahrhunderts trotz eines 1765 erlassenen Mietsedikts 176 offenbar dramatisch anstiegen und schließlich schätzungsweise 20 bis 25% des Verdienstes eines Manufakturarbeiters ausmachten. 177 Dieser Posten fiel für die Templiner Meister, die freies Wohnrecht genossen, 170 171 172 173 174 175 176 177

Krüger, Manufakturen, S. 323. Ebd., S. 317. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 2, 5. Aus marxistischer Perspektive dargestellt bei Krüger, Manufakturen, S. 300 –362. Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 350. Bamberger, S. 455 – 456; Krüger, Manufakturen, S. 343. Vgl. Klinkenborg. Krüger, Manufakturen, S. 347.

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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zwar vollkommen weg, hätte sich in der Uckermark allerdings auch deutlich bescheidener ausgenommen. Einen ungefähren Gradmesser für den materiellen Gegenwert dieser Vergünstigung mögen die Verhältnisse in Eberswalde abgeben, wo die Arbeiter der Messer- und Stahlwarenmanufaktur für eine Wohnung, die aus einer Stube, zwei Kammern, Küche, Speisekammer und einer Schmiedeesse bestand, eine vierteljährliche Miete von 18 Gr. zu zahlen hatten. 178 Ins Gewicht fielen zudem die Heizungskosten. Horst Krüger gibt den durchschnittlichen jährlichen Brennholzbedarf einer sechsköpfigen Berliner Familie mit 1,5 Haufen an, was rund 18 m³ entsprechen würde. 179 Nach seinen Berechnungen kostete ein Haufen Buchenholz in den Jahren 1776 – 1781, als Berlin durch eine private Monopolgesellschaft versorgt wurde, 180 rund 12 Rt., um sich in der Folge unter der Königlichen Hauptbrennholzadministration 1786 auf 19 und 1791 sogar auf 23 Rt. zu verteuern. 181 Ob Krügers Zahlen indessen zuverlässig sind, erscheint zumindest zweifelhaft, da Kriegsrat Trost in einem Gutachten für die Kurmärkische Kammer vom Juni 1771 von Brennholzpreisen je Haufen von 25 Rt. in Berlin bzw. 4 Rt. in Templin ausging, 182 womit die Kosten in der Uckermark also um mehr als 80 % unter denen in der Hauptstadt gelegen hätten. Wenngleich sich also das Realeinkommen der Templiner Meister nicht genau berechnen läßt, so reichte es doch immerhin zur Sicherung der Subsistenz – sofern keine Teuerungskrisen eintraten und der Betrieb der Manufaktur nicht ins Stocken geriet. Ob die letztere Voraussetzung in Templin gegeben war, gilt es nun zu untersuchen.

V. Die Manufaktur unter der Direktion von Abraham Jacob Eschwege zur Zeit Friedrichs des Großen Liest man, was Steuerrat Trost im Oktober 1769 über die Templiner Manufaktur nach Berlin berichtete, so möchte man glauben, daß der Betrieb unter Eschwege bereits nach wenigen Monaten Tritt gefaßt und die Makel der Kammeradministration hinter sich gelassen hatte. Denn Trost meldete, der neue Subunternehmer lasse nicht nur qualitätvolle Strümpfe fertigen, sondern produziere diese Ware 178

Ebd., S. 348. 1 Haufen = 4,5 Klafter, 1 Klafter = 3 bis 4 m³. 180 Rehfeld, Versorgung der Stadt Berlin, S. 26 – 143. 181 Krüger, Manufakturen, S. 341 – 342. 182 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 34. Im Jahre 1806 soll der Klafter Buchenholz in Templin jedoch 3 Rt. gekostet haben, also – auf einen Haufen bezogen – 13,5 Rt. Siehe GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 87 –88. 179

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

überdies vornehmlich für den Export. So würden Templiner Strümpfe insbesondere nach Polnisch-Preußen (das spätere Westpreußen), aber auch bis nach Kurund Livland sowie in die Schweiz ausgeführt. 183 Doch sprach aus Trosts Vertrauen in die Beteuerungen Eschweges weniger eine intime Kenntnis des tatsächlichen Geschehens in Templin als ein Beleg für eine steuerrätliche Amtsführung, die „mehr nach ‚oben‘ als nach ‚unten‘ hin orientiert“ 184 war. Dies wird recht schnell deutlich, sobald man die Akten des Fabrikendepartements aufschlägt. Denn dort stößt man nur zu bald auf jenen Johann Abraham Schnall, den Eschwege als Werkmeister engagiert und über dessen Fähigkeiten sich der unterlegene Mitbewerber Düntz, wie oben zitiert, so abfällig geäußert hatte. Nun mußte vor dem Hintergrund, daß Eschwege offenbar einschlägige Erfahrungen im Großgewerbe ebenso wie nähere Kenntnisse des technischen Produktionsprozesses der Strumpfwirkerei vollkommen fehlten, der Wahl eines kundigen Werkmeisters zentrale Bedeutung zukommen. Denn die durch diesen Mann zu verantwortende Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin 185 war gerade in einer dezentralisierten Manufaktur, in der sich die Fabrikanten der unmittelbaren Aufsicht durch den Unternehmer weitgehend entzogen, eine ebenso wichtige wie diffizile Aufgabe. 186 In Templin kam dabei als zumindest latent konfliktverschärfendes Potential noch hinzu, daß christlichen Ouvriers ein jüdischer Entrepreneur gegenüberstand. Allerdings sollte sich bald zeigen, daß Düntz‘ Vorwürfe nicht der Mißgunst eines sich zurückgesetzt fühlenden Konkurrenten entsprangen. Der neue Werkmeister, vermutlich identisch mit jenem „Schnall jun.“, der im 1769 verfaßten Taschenbuch Knyphausen noch in den Reihen des Berliner Wollstrumpfgewerks mit lediglich zwei Stühlen und zwei Ouvriers aufgelistet wurde, 187 war tatsächlich eine Fehlbesetzung. Allerdings war es zunächst Schnall selbst, der sich bei den Behörden bitterlich über die Zustände in Templin und die Geschäftsführung Eschweges beschwerte. 183

GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCLXV, Nr. 18, Bl. 34. Heinrich, Staatsaufsicht, S. 165. 185 Zum Aufgabenbereich eines Werkmeisters siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 148 – 149; vgl. zur Tätigkeit des Werkmeisters in der österreichischen Strumpfmanufaktur Poneggen Grüll, S. 71. 186 Noch 1790/91 kam eine Immediatkommission zur Untersuchung des Fabrikenwesens hinsichtlich des Berliner Seidengewerbes zu dem Schluß: „Nicht weniger tragen die vielen schlechten und zerstreuten Wohnungen der Meister viel dazu bey, daß die Entrepreneurs nicht die erforderliche Aufsicht haben können, und die Waare verderbt wird.“ Zitiert nach: Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 334. Grundsätzlich ist jedoch darauf hinzuweisen, daß bislang über die Lebensbedingungen der Manufakturarbeiter in kleineren und mittleren Betrieben wie derjenigen in Templin nicht viel bekannt ist und sich die Forschungen meist auf die Belegschaft der Großbetriebe konzentrierten, die noch dazu oft direkt unter staatlicher Kontrolle standen. Siehe Reininghaus, Gewerbe, S. 97 – 98; vgl. Meier, Seidenunternehmer, S. 14, die vor diesem Hintergrund für „individuelle Sozialgeschichten einzelner Manufakturen“ plädiert. 187 Hoffmann, Handwerk, S. 110. 184

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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Seinen Ausführungen vom 8. Mai 1769 zufolge habe er sich mit Eschwege zunächst auf einen Kontrakt von drei Monaten Laufzeit geeinigt, wobei ihm ein monatliches Gehalt von 12 Rt. zugesagt worden sei – ein übrigens recht geringer Lohn, in dem man wohl einen indirekten Beleg für Schnalls geringe Qualifikation erblicken darf. Zum Zerwürfnis mit Eschwege sei es Schnall zufolge jedoch sehr schnell angesichts der Verhältnisse in Templin gekommen, die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch großenteils auf das Konto der Kammer gingen. So sei die Ausrüstung der Manufaktur mit Gerätschaften höchst mangelhaft gewesen. Kessel zur Wäsche und Färbe des Garns habe er sich in Templin leihweise beschaffen müssen, um einen Stillstand des Betriebes zu verhindern. 188 Eschwege, dem er diese Mängel aufgezeigt habe, hätte ihn jedoch lediglich mit leeren Versprechungen hingehalten, „doch gleichwohl sollte die Arbeit eben so betrieben werden, als wenn es an nichts gefehlet hätte“. Vor diesem Hintergrund sei es zwischen dem Entrepreneur und ihm Ende April zu einer lautstarken Auseinandersetzung gekommen, in deren Folge Eschwege schließlich Bürgermeister Freyschmidt habe rufen lassen, welcher Schnall „ohngehörter Sache und auf das bloße Wort des Juden Eschweyher denselben Abend gleich arretiren und die Nacht über im Arrest sitzen ließ“. In Templin seien, so fuhr Schnall mit sicherem Gespür für die Interessen der Behörden fort, tatsächlich nur sieben Stühle im Gange. Zudem erhob der Werkmeister gegen Eschwege einen Vorwurf, der in den kommenden Jahren immer wieder in den Akten auftaucht. Da es in der Manufaktur an einem Raum zur Trocknung des nassen Garns fehle, würde dieses den Arbeitern noch in feuchtem Zustand übergeben. 189 Die Bezahlung der abgelieferten Ware erfolge jedoch auf Gewichtsbasis, wodurch den Fabrikanten also schwerer Schaden entstehe, wobei „sie nirgends zum Klagen hingehen können, weil der Bürgermeister Freyschmidt mit dem Eschweyher einig ist, und was nur dieser haben will, alles so gleich geschehen muß, wie sich auch bey meiner Arretirung solches bewiesen“. 190 Schnall verlangte, da Eschwege die vereinbarte einmonatige Kündigungsfrist nicht eingehalten habe, einen Monatslohn von 12 Rt. und die Bestrafung des jüdischen Entrepreneurs zu seiner „Satisfaction“. Die Kurmärkische Kammer holte deshalb Erkundigungen bei Freyschmidt ein, nach dessen Ausführungen sich die Angelegenheit allerdings gänzlich anders darstellte. Die Auseinandersetzungen zwischen Schnall und Eschwege gingen, so betonte Freyschmidt, auf das Konto des Ersteren, denn Eschwege habe diesen zwar im Vorfeld „für einen besoffenen Menschen gescholten, welches indessen der Schnall sich nicht zu Hertzen nehmen könne, da es zu Templin fast notorisch sey, daß er dem Trunk äußerst ergeben“. Schnall habe seinen Alkoholkonsum 188 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 167 –168, danach auch die folgenden Zitate. 189 In Luckenwalde führten die Ouvriers ähnliche Klagen, siehe Bamberger, S. 433. 190 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 167.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

jedoch auch fernerhin nicht gemäßigt, sondern „seinen Gang beybehalten“, bis Eschwege schließlich an dem angezeigten Abend um 8 Uhr ihn gefunden, daß er auf einem Haufen halb trocken Garn gelegen und geschlafen. Ihm habe dieß verdrossen, sonderlich, da das nasse Garn dergleichen Last nicht vertragen kann, sondern wie halb gewelcket davon würde, er habe ihn angestoßen und gewendet, auch gefraget, ob das eine Aufführung von einem Werkmeister sey. 191

Schnall habe sich daraufhin „kaum ermuntern können, wäre hin und her getaumelt und habe ihm allerley confiche und unnütze Antwort gegeben“, worauf wiederum Eschwege ungeduldig geworden sei und den Betrunkenen nach Hause geschickt habe. Darüber wäre Schnall jedoch „noch empfindlicher geworden und habe ihm geantwortet: Hundsföttischer Jude, meinet ihr, daß ich euer Arbeits Esel bin? Habe auch fast Miene gemacht, ihm bey Kopfe zu nehmen.“ Auch der gewissermaßen als Sachverständiger herangezogene Templiner Gastwirt Brennicke hatte zu Protokoll gegeben, daß Schnall „den Trunck liebe, indem er sich often beym ihm zwar nicht von Sinnen und Verstand jedoch einen guten Rausch getrunken, so daß er ziemlich getaumelt“, und nach Auskunft des Strumpfmachers Strausburger sei es im Kreise der Manufakturarbeiter eine „gantz bekandte Sache“, „daß der Schnall alle Tage besoffen gewesen und nichts als Cunfuse Dinge angegeben“. 192 Die Kammer verwarf deshalb Schnalls Beschwerden, 193 gab jedoch zu bedenken, daß in Templin gegenwärtig nur 16 Stühle betrieben würden, gegenüber den Verpflichtungen also ein Defizit von vier Stühlen bestünde. Doch war es nicht nur der Alkoholiker Schnall, der dafür sorgte, daß das erste Jahr der Direktion Eschweges unter keinem guten Stern stand. Auch zwischen dem jüdischen Entrepreneur und seinen christlichen Ouvriers kam es zu massiven Friktionen, die sich in einem Bombardement der Behörden mit Bittschriften äußerte. Bei den Meistern handelte es sich zum Zeitpunkt, als Eschwege die Manufaktur übernahm, um folgende Personen:

191 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 13, danach auch die folgenden Zitate. 192 Ebd., Bl. 14 – 15. 193 Das Fabrikendepartement folgte in seiner Resolution für Schnall vom 7. Februar 1770 der Argumantation der Kammer, da der Werkmeister durch seine „Dissolute Lebensart“ den „Fabricanten ein schlechtes Beyspiel gegeben“ habe, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 17. Schnall versuchte in der Folge vergebens, das Departement durch ein Nüchternheitsattest seines Gastwirts Michael Zahl umzustimmen: „Ich bescheinige hiermit, daß Meister Schnall über 2 Monath bey mich gewesen und niemahl betruncken gewesen und den 2. Ostertag gefärbet.“ Ebd., Bl. 20. 194 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1.

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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Tabelle 8 Auflistung der 1769 in Templin wohnhaften Strumpfwirkermeister 194 Name

Alter

Herkunftsort

Sam. Heinr. Creutznacher Gottfried Heering Joh. George Strasburg Joh. Christoph Beyer Joh. Andreas Böttcher Joh. Conrad Wachtel Joh. Daniel Bockenstein Joh. Christoph Wachtel Joh. Christ. Rosenhahn Joh. Heinr. Schulmeister Joh. Mich. Heyer

37 36 47 44 31 58 28 26 43 30 33

Buttstädt Apolda Apolda Apolda Jena Apolda Apolda Apolda Apolda Braunschweig Hessen

Den Anfang der Beschwerdelawine machte bereits am 19. April 1769 der eigenen Angaben zufolge vor einigen Jahren aus Dänemark (!, s. o.) zugewanderte Johann Andreas Böttcher. Bislang sei er zwar damit zufrieden gewesen, daß ihm „2 Stühle und Handwerckszeug gegeben und 4jährige freye Wohnung angewiesen worden, mir auch erlaubt gewesen, die von mir verfertigten Strümpfe selbst debitiren zu dürfen, ohne darunter von jemanden zu dependiren“. Doch nun müsse er bei den Behörden protestieren, denn nachdem die Judenschaft den Betrieb übernommen habe, könne er bei den geringen Löhnen kaum überleben und bat deshalb um kostenlose Überlassung zweier Stühle und des nötigen Handwerkszeugs, um sich in Templin oder einem anderen Ort in der Uckermark selbständig machen zu können. 195 Eigentlicher Hintergrund dieser Beschwerde scheint jedoch gewesen zu sein, daß Böttcher aus unbekannter Ursache nicht in den Genuß der Kolonistenbenefizien gekommen war, obwohl er offenbar zur Gründungsbelegschaft zählte, die noch durch die Kammer angeworben worden war. Allerdings hielt sich Böttcher zwei Jahre später immer noch in Templin auf, als er wiederum mit Eschwege in Streit geriet, da dieser ihm angeblich einen tüchtigen Gesellen fortgejagt habe, worauf auch er selbst entlassen wurde. Steuerrat Trost kam indessen zu dem Ergebnis, der Geselle sei nach Liebenwalde abgewandert, weil er „in einem hiesigen Bierhause Streitigkeiten gehabt, wo man ihn eines Diebstahls von 2 Gr. beschuldiget“ habe. 196 Böttcher hingegen habe sich in der Fabrik „als ein unruhiger Mann und als ein Rebelle aufgeführt“. Die Kammer pflichtete dem Steuerrat zwar bei, trat aber bemerkenswerterweise dennoch dafür ein, dem „Rebellen“ 50 Rt. aus dem Uckermärkischen Fonds zukommen zu lassen, um ihn im Lande (in Strasburg) zu halten, was das Fabrikendepartement am 31. Juli 1771 auch genehmigte. 197 195 196

Ebd., Bl. 164. Ebd., Bd. 2, Bl. 31; vgl. Stern, Bd. III/2, S. 535.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Auch mit dem 28jährigen Daniel Bockenstein aus Apolda gab es Probleme. Dieser klagte am 13. Mai 1769 darüber, daß er bei den von Eschwege ausgezahlten Löhnen mit seiner Frau und drei Kindern nicht bestehen können. Zudem habe Eschwege ihn aufgefordert, binnen 24 Stunden die Stadt zu verlassen. 198 Bockenstein verschwand daraufhin vorerst tatsächlich von der Bildfläche, ging für zwei Jahre nach Mecklenburg-Strelitz, tauchte im August 1771 jedoch plötzlich in Berlin auf und forderte vom Fabrikendepartement, ihn in Wittstock in der Prignitz zu etablieren, 199 mit welchem dreisten Gesuch er denn auch abgewiesen wurde, da er Templin „aus bloßem Eigensinn und Vorurtheil gegen den Entrepreneur der Fabrique“ 200 verlassen habe. Ebenso unzufrieden zeigte sich der offenbar bereits durch Eschwege angeworbene Carl Neenstiel, der die Verhältnisse in der Temliner Manufaktur im Dezember 1769 in den düstersten Farben schilderte. Unerträglich seien die „Bedrückungen dieses Juden“, unter dessen Direktion den Meistern und Arbeitern „kaum das liebe Brodt gelassen“ werde. Eschweges „Pressungen“, wozu Neenstiel die bereits erwähnte Ausgabe feuchten Garns zählte, würden die Existenzgrundlage der Kolonisten vollständig untergraben, so „daß aufs letzte niemand bleiben wird“. 201 Wenige Monate später scheint Neenstiel tatsächlich die Manufaktur verlassen zu haben und Maurer geworden zu sein. 202 Auch der 44jährige Johann Christoph Beyer aus Apolda hatte bereits im Mai 1769 um die Erlaubnis gebeten, sich „gantz und gar von dem Juden loßzumachen“ 203 und nach Pasewalk oder Anklam gehen zu dürfen. Christian Rosenhahn wiederum klagte im November 1770 ebenfalls über zu geringe Löhne und über einen beständigen Mangel an Garn, 204 „weil der Jude Eschweyer als Entrepreneur entweder kein Vermögen hat, oder auf Vorrath an Wolle und Garn zu haben nicht bedacht ist“. Doch könne er in Templin weder bei diesem noch beim Magistrat Gehör erlangen, sondern werde stattdessen von Eschwege „aufs härteste angefahren“, wobei ihm letzterer bedeutet habe, daß er sich „zum Teufel scheren könne“. 205 Nun muß man berücksichtigen, daß sich das Fabrikendepartement in dergleichen Auseinandersetzungen „in der Regel auf die Seite der Unternehmer 197 198 199 200 201 202

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 39. Ebd., Bd. 1, Bl. 170. Ebd., Bd. 2, Bl. 42. Ebd., Bl. 45. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 1 –2. Dies behauptete zumindest der entlassene Werkmeister Schnall. Siehe ebd., Bl. 18 –

19. 203

Ebd., Bd. 1, Bl. 169. Trotz der vielfach betriebenen Heimarbeit stand gerade der notorische Mangel an Wollspinnern einem Ausbau des Manufakturwesens auf dem Lande im Wege, wurden doch etwa für einen Tuchmacherstuhl im Durchschnitt wenigstens zehn Berufsspinner benötigt. Siehe dazu bereits Hinze, Arbeiterfrage, S. 52 – 54. So habe Friedrich 1752 die Zahl der fehlenden Wollspinner auf insgesamt 60.000 geschätzt. 205 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 27 –28. 204

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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schlug“. 206 Auch in diesem Fall hielt es sich angesichts der Klageflut bemerkenswert lange zurück, forderte die Kammer jedoch am 4. Januar 1770 schließlich doch auf, die Manufaktur „in Attention zu nehmen“. 207 Am 14. November, nachdem sich die Berliner Ältesten im Zusammenhang des Porzellanexportzwangs über das gebrochene Versprechen beschwert hatten, die zweiten Kinder von weiteren Ausfuhren zu befreien, 208 erfolgte durch das Departement ein neuerlicher Auftrag, die Manufaktur in gründlichen Augenschein zu nehmen. 209 Irgendwelche Folgen einer solchen Inspektion, so sie überhaupt stattgefunden hat, sind indes nicht überliefert. Stattdessen kam es 1774, nachdem Eschwege, wie bereits dargelegt, die Löhne nochmals gekürzt hatte, zu erneuten Protesten der Templiner Strumpfwirker. 210 Eschwege wählte daraufhin offenbar eine Methode des Konfliktmanagements, die er auch später noch des öfteren anwenden sollte: Er verreiste aus Templin mit unbekanntem Ziel. Generalfiskal d’Anières notierte sich: „Ist im Februar ’74 entwichen, dem Zöllner ist im September ’76 commitiert, jura fisci zu observiren. Ist wieder in Templin.“ 211 Die genaueren Hintergründe und die Dauer dieser Abwesenheit Eschweges sind hingegen unklar, scheinen jedoch zumindest zum Teil auch in finanziellen Problemen des Unternehmers bestanden zu haben. So beschwerte sich der Kaufmann Peter Guiremond im März 1777 über nicht bezahlte Waren im Wert von (verzinst) 78 Rt., die Eschwege auf der Frankfurter Messe bei ihm gekauft habe, wobei er behauptete, dieser sei „in Verfall gerathen“. 212 Ungeachtet all dieser Komplikationen der 70er Jahre, die lediglich schemenhaft überliefert sind, ergaben jedoch behördliche Untersuchungen im Jahre 1782, daß Eschwege in diesem Jahrzehnt die Manufaktur zumindest formal halbwegs im Rahmen der Vorgaben durch den Übernahmevertrag zu halten vermochte. So seien zwischen 1774 und 1777 19 Stühle in Betrieb gewesen, 1778 14 und 1779/80 11, wozu allerdings noch jeweils sechs Stühle zu rechnen sind, die den

206 Straubel, Polizeidirektor, S. 134. Zum Verhältnis von Unternehmern und Arbeitern äußert sich auch Ders., Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 380 –383. Danach traten Probleme insbesondere bei „Kaufleuteunternehmern“ auf, die also selbst nicht dem Handwerk entwachsen waren und deshalb traditionellen Arbeits- und Lebensformen tendenziell eher ablehnend gegenüberstanden. Auch Kolonistenetablissements wirkten, wie bereits geschildert, mit ihren spezifischen sozialen und ökonomischen Problemen nicht selten konfliktverschärfend. Sämtliche Faktoren waren in Templin gegeben. 207 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 3. 208 Siehe unten, Kap. G. III. 209 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 24, 26; GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 23. 210 Siehe die Supplik von sechs Templiner Strumpfwirkern vom 5. Juli 1774, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 49. 211 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 1. 212 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 58.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Fabrikanten selbst gehörten und für die Eschwege jeweils ein jährliches Pachtgeld von 3 Rt. entrichtete. 213 Daß diese Untersuchung überhaupt stattfand, war die Folge einer Eingabe des Strumpfwirkermeisters Adam Tändler sowie zweiter Gesellen, des Wollkämmers Andreas Bergner und des Ausbereiters Gottfried Weydemann. Wie sie am 16. Juni 1781 schrieben, sei die Manufaktur bereits im Dezember des vorangegangenen Jahres „in Verfall gerathen“, worauf die Judenschaft jedem Meister 25 Rt. ausgezahlt habe, die Gesellen aber sich selbst überlassen worden seien. Daraufhin hätten sie zunächst versucht, in selbständiger Arbeit zu bestehen und ihre Produkte in Berlin abzusetzen, was jedoch durch die dortigen Strumpfwirker vereitelt worden sei. Nach nunmehr acht Monaten sei man deshalb vollkommen verarmt und wisse sich nicht mehr zu helfen. Derweil befände sich die Manufaktur weiterhin „in den schlechtesten Umständen“, die Meister arbeiteten größtenteils für Verleger in benachbarten Städten, und für die Gesellen falle dabei „öfters in gantzen Monathen nicht 1 Pf. Verdienst“ ab. 214 Deshalb hätten sich bereits zwei zum Spinnen spanischer Wolle angestellte Arbeiter, „welche 100 Meilen weit hergekommen waren“, wiederum in ihre Heimat begeben, und man selbst müsse ebenfalls um die Erlaubnis zum Abzug bitten, wenn nicht umgehend Hilfe gewährt würde. Diese könne lediglich darin bestehen, daß wiederum ein Unternehmer bestellt werde, welcher auch sie mit Arbeit versorge. Es schien sich also einiges geändert zu haben in Templin, und die drohende Abwanderung von Kolonisten rief nun auch das Fabrikendepartement auf den Plan, zumal man dort bei erneuter Lektüre der bislang scheinbar nur flüchtig durchgesehenen Fabrikentabelle von 1780 feststellen mußte, daß für die Templiner Manufaktur nur noch 14 laufende Stühle aufgelistet wurden. An die Kammer erging deshalb die Rüge, den Betrieb nicht sorgfältig kontrolliert zu haben, sowie gleichzeitig der Befehl, diesen unverzüglich in konzessionsgemäßen Zustand zurückzuversetzen. 215 Der ausführliche Bericht des daraufhin von der Kammer mit einer Inspektion beauftragten Eberswalder Steuerrates Gilbert vom 21. September 1781 216 macht die Ursachen für den Nahrungsverfall der Gesellen deutlich. Danach hatten die Oberlandesältesten, denen der bislang mit Eschwege bestehende Kontrakt „zu lästig fiel“, sich bereits 1780, also ein Jahr vor dessen Ablauf beim Templiner Bürgermeister Küster um eine Änderung der bisherigen Betriebsverfassung bemüht. Dabei wünschten die Vertreter der Judenschaft, die Manufaktur entweder ganz zu verkaufen oder an einen anderen Subunternehmer „auf zuträglichere Bedingungen“ zu übergeben. Wie dabei die 1769 gegenüber dem Staat eingegangene Betriebverpflichtung hätte aufrecht erhalten werden sollen, bleibt unklar. Nach213 214 215 216

Ebd., Bd. 3, Bl. 2. Ebd., Bd. 2, Bl. 61, danach die folgenden Zitate. Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 18. Juli 1781, ebd., Bl. 62. Ebd., Bl. 66 – 72.

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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dem sich ein anderer Interessent jedoch einmal mehr nicht hatte auftreiben lassen, waren die nach Templin entsandten Verhandlungsführer der Berliner Gemeinde, Gottschalk Helfft und Israel Meyer Wulff, unmittelbar an die Strumpfwirkermeister herangetreten, um diese zur Übernahme des Betriebes auf eigene Rechnung zu überreden. Tatsächlich kam daraufhin am 10. November 1780 zwischen beiden Parteien ein auf drei Jahre geschlossener Vertrag zustande, wonach die Judenschaft den Meistern die Zahlung eines jährlichen Doceurgeldes von jeweils 25 Rt. und 8 Gr. sowie eines einmaligen Vorschusses von 5 Rt. nebst einem schweren Stein Wolle zusagte. Im Gegenzug wurde vereinbart, jeder Meister solle zwei von der Judenschaft zunächst grundlegend überholte Stühle fernerhin auf eigene Kosten beständig in Gang halten, sich um den Absatz der Strümpfe selbst kümmern sowie schließlich den Vorschuß im Laufe von drei Jahren an die Judenschaft zurückzahlen. 217 Die Genehmigung der Behörden sollte eingeholt werden, sobald die Gerätschaften instand gesetzt worden wären. Daß hierfür die Summe von immerhin 246 Rt. veranschlagt wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Produktionsverhältnisse während der Direktion Eschweges. Die Probleme, die die Behörden erst hellhörig gemacht hatten, waren, so Steuerrat Gilbert, einerseits deshalb entstanden, weil diese Reparaturen noch immer nicht vollendet worden seien, obwohl Eschwege (!) die nötigen Gelder von der Judenschaft bereits im Juli empfangen habe. Ausschlaggebend war jedoch vor allem gewesen, daß andererseits die Gesellen von diesem Kontrakt ausgeschlossen worden waren – angeblich auf Betreiben der Meister, die erklärt hätten, „dergleichen Handlanger“ nicht zu benötigen. Dies habe auch die Zustimmung Helffts und Wulffs gefunden, denen es vor allem um eine dadurch zu erreichende Reduzierung der Doceurgelder um 198 Rt. innerhalb von drei Jahren ging. 218 Die Gesellen hatten sich daraufhin bei Bürgermeister Küster beschwert und ebenfalls eine jährliche Unterstützung in Höhe von 25 Rt. gefordert. Nachdem auch der Fabrikmeister Tändler auf dem Rathaus angegeben hatte, daß er sich zum selbständigen Verkauf seiner Waren nicht in der Lage sähe, hatte der Templiner Bürgermeister den Oberlandesältesten bereits im Mai 1781 geraten, die bisherige Verfassung wiederherzustellen, da ansonsten die Vorgaben des Vertrages von 1769 nicht zu erfüllen seien. Erst nachdem die Judenschaft hierauf nicht geantwortet habe, sei es zu der Eingabe gekommen, die die Untersuchung ausgelöst hatte. Gilbert seinerseits fand die Manufaktur wenige Monate später in einem Zustand vor, der den vertraglichen Vorgaben in der Tat keineswegs entsprach. So waren nicht etwa zehn ausländische Meister beschäftigt, sondern lediglich neun, 219 und 217

Ebd., Bl. 66. Ebd., Bl. 67. 219 Zumindest wenn man Gilberts Argumentation folgt und den ausländischen Meister Heyer, der bereits durch den Grafen von Arnim-Boizenburg angesetzt worden war, ebensowenig gelten ließ wie den ehemaligen Meister Hering, „weil er blind ist und nicht mehr arbeiten kann“. Ebd., Bl. 68. 218

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

auch die Zahl von 20 Stühlen wurde weit unterschritten, fand der Steuerrat doch lediglich elf laufende Stühle vor, die noch dazu dringend einer Überholung bedurften. Wenn er, Gilbert, nun bereits die Reparatur der Stühle angemahnt habe, so sei doch vor allem darauf zu sehen, daß die Verfassung der Manufaktur in einer Art und Weise eingerichtet würde, die auch künftig einen konzessionsmäßigen Betrieb gewährleisten könne. Denn unter der Direktion Eschweges seien nach einem Attest des Templiner Akziseamtes zwischen 1770 und 1780 jährlich im Durchschnitt immerhin 459 Dutzend Paar Strümpfe außerhalb Templins versandt worden, 220 wovon wiederum durchschnittlich 150 Dutzend nach Hamburg und Mecklenburg exportiert worden seien. 221 Demgegenüber fielen die Exporte nach Übergabe der Manufaktur an die Meister, also seit dem 18. Dezember 1780, mit 81 Dutzend und 6 Paar deutlich ab. Selbst wenn die Meister, was sehr zweifelhaft sei, 20 Stühle in Gang setzten, so müsse es doch bald am nötigen Absatz fehlen, weshalb vorherzusehen sei, daß zunächst die Gesellen- und später auch die Meisterstühle nach und nach zum Stillstand kämen. Ohne die Anbindung an einen Entrepreneur seien die Meister gezwungen, ihre Produkte selbst mit großem Zeitaufwand auf dem Lande „weit und breit herum zu tragen und auszubieten“, was angesichts der Kapitalschwäche der Fabrikanten bald zu einem ruinösen Preisverfall führen müsse, wie dies das Beispiel der Strasburger Wollarbeiter bereits gezeigt habe. Aus diesem Grund habe er den Meistern dringend geraten, den im Vorjahr mit der Judenschaft geschlossenen Vertrag wiederum aufzulösen. Mit Ausnahme Tändlers hätten die Meister jedoch bei diesem Kontrakt verbleiben wollen, da sie sich mit den vereinbarten Doceurgeldern angeblich besser stünden als mit den durch Eschwege bislang gezahlten Stückpreisen, die sich zwischen 2 Gr. und 3 Pf. für ein Paar Frauenstrümpfe und 3 Gr. und 6 Pf. für ein Paar Männerstrümpfe bewegt hätten. Gilbert überzeugte diese Argumentation, die nebenbei ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen den Fabrikmeistern und Eschwege wirft, indes nicht. So müsse man in Erwägung ziehen, daß die Fabrikanten neben ihrem Arbeitslohn auch freie Miete genössen und daß die Lebenshaltungskosten in Templin im Vergleich zu Berlin oder Magdeburg deutlich niedriger zu veranschlagen seien, so daß die Behauptung der Meister, wonach sie unter Eschwege weniger verdient hätten als ein Berliner Strumpfwirkergeselle „ungegründet sey und sie ihr eigenes Bestes verkennen“. 222 Deshalb müsse der vorjährige Kontrakt sowohl mit Blick auf die Manufaktur als auch die Subsistenz der Fabrikanten aufgehoben werden, wobei den Meistern die Rückzahlung des von der Judenschaft gezahlten Vorschusses indes zu erlassen sei, da die Strumpfwirker dadurch „nur in Armuth gestürtzt werden würden“. Zugleich diene ein solcher Schritt gegenüber der Judenschaft 220 Hinzuzuzählen seien noch die paarweise in der Stadt selbst verkauften Strümpfe, da nur die in größeren Quantitäten versendeten Strümpfe „die Siegelung beym Accise Amte passiren“. Ebd., Bl. 69. 221 Ebd., Bl. 83 – 84. 222 Ebd., Bl. 70, danach auch das folgende Zitat.

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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als „gelinde Bestrafung“ dafür, daß sie die Manufaktur bereits seit etwa einem Jahr nicht mehr in konzessionsgemäßem Zustand erhalten habe. Der Judenschaft sei nach Aufhebung des bisherigen Kontrakts darüber hinaus zu befehlen, die Manufaktur sofort wieder unter die Administration eines Unternehmers zu stellen. Zudem solle sie dazu angehalten werden, dem Meister Tändler seine bislang nicht abgesetzten Waren abzunehmen, sowie den Gesellen Weidemann und Bergner 30 bzw. 36 Rt. zu zahlen, um diese für ihre Lohnausfälle in den vergangenen Monaten zu entschädigen. Schließlich sei auch dem Templiner Magistrat eine Rüge zu erteilen, da dieser seiner Aufsichtspflicht nicht genügt habe. 223 Über diesen wenig erbaulichen Bericht von Steuerrat Gilbert sowie die von der Judenschaft eigenmächtig vollzogene Änderung der Betriebsverfassung, die ein bezeichnendes Licht auf das gespannte Verhältnis zu Eschwege wirft, zeigte sich das Fabrikendepartement außerordentlich befremdet, wie es der Kammer am 28. November 1781 mitteilte. Da vorauszusehen sei, daß es den Meistern bei selbständiger Arbeit bald am notwendigen auswärtigen Absatz fehlen müsse, „wohin doch die eigentliche Absicht dieser der Judenschaft geschehenen Übereignung dieser Fabric gehet“, könne die Übereinkunft zwischen den Judenältesten und den Meistern keineswegs gebilligt werden, wenngleich die meisten der „durch etwas mehreren Verdienst jetzo geblendete Meister dieselbe beizubehalten wünschen“. 224 Die Kammer habe dies den Berliner Ältesten klar zu machen und ihnen zugleich zu befehlen, die unbrauchbaren Stühle binnen dreier Monate wiederum in Gang zu setzen, widrigenfalls unter Rückgriff auf § 7 des Übernahmevertrages fiskalische Strafmaßnahmen gegen sie eingeleitet würden. Zugleich solle ihnen jedoch bedeutet werden, daß ihnen prinzipiell Modifikationen bei der Leitung der Manufaktur keineswegs versagt seien. 225 Die Ältesten hätten zudem die berechtigten Forderungen von Tändler, Bergner und Weidemann zu befriedigen, wohingegen die Kammer dem Templiner Magistrat eine Rüge zu erteilen und dessen Mitgliedern zu bedeuten habe, daß ihnen im Wiederholungsfall „das Gehalt aus der Kämmerei beschlagen werden solle“. Auch Steuerrat Gilbert, dessen Sporteln in Höhe von 8 Rt. die Judenschaft zahlen müsse, habe zukünftig die Templiner Manufaktur „als eine seiner vorzüglichsten Obliegenheiten und DienstSachen zu betrachten“ und bei jedem Besuch in Templin gründlich zu inspizieren. Von der Kammer erwarte man monatlich Berichte über die Zahl der in Templin arbeitenden Stühle. Allerdings mußte dem Fabrikendepartement noch am 6. Dezember gemeldet werden, daß die Judenschaft die unverzügliche Reparatur der Stühle zwar versprochen habe, bislang jedoch „nicht das mindeste in gedachter Absicht geschehen sey“. Eschwege halte sich derweil in Berlin auf und kümmere sich ebensowenig wie die Judenältesten um die Angelegenheit. 226 Das Fabriken223 224 225 226

Ebd., Bl. 71. Ebd., Bl. 85. Ebd., Bl. 85 – 86, danach auch die folgenden Zitate. Ebd., Bl. 87.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

departement befahl der Kammer daraufhin, „die Mittel zur Hand zu nehmen, um dergleichen Gesetz- und Concessions widriges Betragen der hiesigen JudenÄltesten abzustellen und dieselbe zur Erfüllung ihrer übernommenen Obliegenheiten anzuhalten“, 227 worauf man schließlich entschied, daß Steuerrat Gilbert am 1. April 1782 erneut über den Zustand der Manufaktur berichten solle. Wie unzufrieden man derweil im Kreise der Judenältesten mit der bisherigen Geschäftsführung Eschweges tatsächlich war, zeigt deren langwierige Suche nach einem anderen Unternehmer. So berichtete die Kammer am 19. März 1782, die Ältesten hätten erklärt, daß sie sich intensiv um die Anstellung eines neuen Entrepreneurs bemühten, wobei sie allerdings darauf Rücksicht zu nehmen hätten, daß die Templiner Manufaktur auch eine Angelegenheit der beteiligten Landjudenschaften sei, mit denen man deshalb auf der letzten Frankfurter Messe konferiert habe. Da jedoch verschiedene Deputierte der Provinzen kein Verhandlungsmandat besessen hätten, seien ihre Bemühungen vorerst erfolglos geblieben, weshalb man um eine Frist bis Ende Juli bitte, um auf der bevorstehenden Frankfurter Margarethenmesse die nötigen Vereinbarungen treffen zu können. Im Gegenzug versprachen die Oberlandesältesten, vorerst weiter für den Unterhalt der Arbeiter aufzukommen und nach Ablauf der Frist einen Plan bei den Behörden einzureichen, wie die Manufaktur künftig ohne weitere Komplikationen betrieben werden solle. 228 Während das Departement diese Frist am 3. April genehmigte 229 und sich der König in anderem Zusammenhang über den Stand der brandenburgischen Wollstrumpfproduktion beschwerte, 230 spitzte sich die Lage in Templin offenbar weiter zu. Die Leidtragenden dieses Schwebezustandes waren die Arbeiter. So stellten Andreas Noltze, Christoph Beyer und Christian Rosenhahn am 4. Juni dar, wie ungeachtet aller Zusagen „die vorhandenen Stühle wüste liegen, müssen vollends verrosten und verderben und ein paar, so noch gangbahr sind, sind auch in solchem schlechten Stande, daß wir unser Brod damit nicht verdienen können“. 231 Da das versprochene Wollmagazin ebenfalls noch nicht angelegt worden

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Fabrikendepartement an Kurmärkische Kammer, 19. Dezember 1781, ebd., Bl. 88. Ebd., Bl. 91. 229 Ebd., Bl. 92. 230 So in einem Schreiben an v. Heinitz vom 23. März 1782, das vorrangig der Förderung des Seidenanbaus gewidmet war. Doch schließlich kam der König noch auf „gewisse Sachen“ zu sprechen, „die hier in den Provintzien diesseits der Weser attention verdienen, und wornach gesehen werden muss, zum Exempel ob hier so viel wollene Strümpfe gemacht werden, wie nöthig ist, denn Ich habe gesehen Leute aus Bielefeld mit wollnen Strümpfen hier zu Markte kommen. Wo es also daran noch fehlet, so müssen davon fabriquen in kleinen Städten noch mehr angelegt werden, wo alles wohlfeil ist, wo die Leute wohlfeil leben, und daher ihre Waaren um einen geringern Preis verkaufen können, damit sie bessern debit haben. Nach diesem allen werdet Ihr also sehen, und nach dem Befinden alles erforderliche besorgen.“ Zitiert Stadelmann, Bd. 2, S. 576 – 577. 231 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 93. 228

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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sei, 232 drohe ihnen die bitterste Armut, zumal sich die um Unterstützung gebetenen Judenältesten lediglich bereiterklärt hätten, einem jeden acht Rt. auszuzahlen. 233 Nachdem sich an diesen Zuständen auch in den folgenden Monaten offenbar nichts änderte und die ersten Kolonisten Templin aus Mangel an Arbeit verlassen hatten, 234 drangen die Klagen über die dortigen Mißstände schließlich bis zum König vor, wie eine Kabinettsordre an Minister v. Bismarck und das Fünfte Departement vom 15. November 1782 zeigt. 235 Diese allerhöchste Rüge brachte nun wiederum das Departement gegen die Kammer auf, da des Königs Majestät diese Beschwerden über Mangel an Arbeit höchst ungnädig aufgenommen und höchstdero Unzufriedenheit darüber besonders bemerket haben, daß diesen Leuten nicht gehörig geholfen und ihnen Gelegenheit gegeben würde, mit ihren Beschwerden Sie höchstselbst zu behelligen. 236

Die Kammer hätte in dieser Angelegenheit schon längst „nachdrückliche Verfügungen“ an die Judenschaft erlassen müssen, und auch der seit Monaten überfällige Bericht sei noch nicht eingegangen. Die Kammer gebe damit „einen neuen Beweis von der Nachlässigkeit ab, welche des Königs Majestät in der an das 5. Departement erlassenen Cabinets Ordre vom 15. dieses höchstselbst zu rügen notwendig gefunden haben“. Bei der Kammer reagierte man auf das geharnischte Schreiben mit einem Bericht vom 28. Dezember 1782, der seinerseits auf einer Inspektion der Templiner 232 Diese Beschwerde sowie die nahezu permanent bestehenden Probleme mit der Wollversorgung kontrastieren mit der Aussage der Templiner Stadtchronik, wonach zwischen 1771 und 1804 in Templin ein Wollmagazin bestanden habe, welches „die Wolle je nach Bedarf an die hiesige Strumpffabrik sowie an die Tuch- und Mützenmacher abgab.“ Die Anlage solcher Magazine ging auf eine Anregung des Ministers von Derschau aus dem Jahre 1770 zurück, aufgrund derer bereits 1772 in 33 kurmärkischen Städten Woll- und Garnmagazine bestanden haben sollen. Siehe dazu Bamberger, S. 414 –417. Auch die Luckenwalder Manufaktur hatte trotz der Existenz eines Magazins mit Versorgungsproblemen zu kämpfen, ebd., 428. Der Immediatbericht Derschaus vom 19. Juni 1774, nach dem die kurmärkischen Wollmagazine „im besten Gange“ seien, war demnach wohl eine geschönte Version der Realität. Vgl. A.B.B.O., Bd. XVI / , S. 145. 233 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 93. 234 Siehe die Eingabe sämtlicher Templiner Kolonisten vom 2. Oktober 1782, wonach bereits drei Familien nach Neubrandenburg, Kopenhagen und Sachsen abgewandert seien, ebd., Bl. 96. 235 Auszug ebd., Bl. 95. 236 Ebd., Bl. 97. 1744 hatte Friedrich verkündet, „jeder dürfe seine Bitten, Gesuche und Beschwerden eigenhändig bei ihm vorbringen und der genauesten Erwägung sicher sein“. Siehe Borchardt, Bd. 2, S. 123; ebd. auch weitere Beispiele für königlichen Unmut über zu große Belästigung durch Immediatsuppliken. Im November 1782 bestimmte der König schließlich, daß sich Fabrikanten fortan nur noch dann unmittelbar bei ihm beschweren sollten, wenn sie zuvor bereits erfolglos beim Fünften Departement vorstellig geworden waren. Anderenfalls drohten Strafen nach den Gesetzen gegen „unnütze Supplicanten“. Siehe A.B.B.O., Bd. XVI/2, S. 759; vgl. Polley, insb. S. 346 –353.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Manufaktur durch Kriegsrat Adler und Steuerrat Gilbert beruhte. Aus deren Ausführungen habe sich ergeben, daß die Produktion in Templin fast gänzlich zum Erliegen gekommen sei, obwohl sich Fabrikenhaus und Inventar in gutem Zustand befänden und ein Wollbestand von etwa 109 schweren Steinen vorhanden sei. 237 Von den 14 Stühlen, die die Judenschaft 1769 übernommen habe, seien drei gänzlich unbrauchbar, weitere drei bedürften einer grundlegenden Reparatur, und auch die übrigen acht seien so schlecht beschaffen, daß statt 8 bis 9 lediglich 4 Paar Strümpfe pro Woche auf ihnen produziert werden könnten – was unausgesprochen eben auch bedeutet, daß davon keine Familie überleben konnte. Zwar sei die Zahl der in Betrieb befindlichen Stühle bereits in den 70er Jahren unter Eschwege kontinuierlich zurückgegangen, doch der eigentliche Verfall der Fabrik erst durch den Vertrag zwischen der Judenschaft und den Meistern von 1780 eingeleitet worden. Letztere seien nicht zum eigenständigen Verkauf ihrer Ware in der Lage gewesen und suchten nun durch übertriebene Forderungen und Klagen Wartegelder (Feyerungsgelder) zu erzwingen. Auch die Reparatur der Stühle hatte sich für die Judenschaft als ausgesprochen schwierig herausgestellt, worauf an dieser Stelle kurz hingewiesen sei, um zu veranschaulichen, welche konkreten Probleme mit der „Ausbreitung großgewerblicher Strukturen auf das platte Land“ im Einzelfall zusammenhängen konnten. Einen solchen Strumpfwirkerstuhl darf man sich keineswegs als eine beim Tischler um die Ecke zusammengezimmerte Dutzendware vorstellen, sondern hat darin stattdessen eines der am meisten bestaunten Wunderwerke der vorindustriellen Epoche zu erblicken. In zeitgenössischen technologischen Handbüchern wird ein solcher Stuhl wahlweise als „eine der künstlichsten Maschienen, die unter allen mechanischen Maschienen in Ansehung ihrer vielen hundert Theile, woraus sie zusammengesetzt ist, den Vorzug verdienet“ 238 oder schlicht als „eine der zusammengesetztesten Maschinen“ 239 gefeiert. Der junge Theodor von Schön (1773 – 1856), späterer ostpreußischer Oberpräsident, besah 1796 einen solchen Stuhl in einer Berliner Manufaktur, „den er aber, ‚da er bekanntlich das zusammengesetzteste und künstlichste Instrument ist, welches an 200 Rthlr. kostet‘, zu beschreiben sich nicht getraute“. 240 Auch wenn die Judenschaft Johann Beckmanns (1739 –1811) soeben druckfrisch in zweiter Auflage auf den Markt gebrachte Anleitung zur Technologie oder zur Kenntniß der Handwerke, Fabriken und Manufacturen, ein nützliches Kompendium von B wie Bierbrauen bis Z wie Zuckersiederey, zur Hand gehabt hätte, so wäre darin für die nun anste237

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 2. Jacobson, Technologisches Wörterbuch, S. 333. 239 So noch 1814 bei Hermbstädt, Grundriß, S. 168; vgl. ferner Langsdorf / Wassermann. Dort heißt es in der Vorrede über den Strumpfwirkerstuhl: „Unter allen Maschinen, die ich selbst kennen gelernt habe, ist sie [!] – selbst die Dampfmaschine nicht ausgenommen – die künstlichste.“ 240 Schön, S. 76. 238

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henden Reparaturmaßnahmen wenig Nützliches zu lesen gewesen. Den Grund für dieses Desiderat lieferte der Verfasser, immerhin Professor der Ökonomie an Deutschlands angesehendster Universität Göttingen, auch gleich mit: Den Strumpfstrickerstuhl, ein Meisterstück der Erfindungskraft und des Witzes, das künstlichste Werkzeug aller Handwerker und Künstler, mit seinen mehr als drittehalb tausend Theilen, ohne viele und grosse Zeichnungen, mit wenigen Worten, verständlich beschreiben zu wollen, – das hiesse beweisen, daß man es nicht kenne. Scharffsinn genug, wenn jemand mit einer vollständigen Beschreibung in der Hand, dem Arbeiter, der das Innere seines Stuhls, so wenig als das Innere seiner Finger kennet, obgleich er beyde zu seiner Absicht gleich fertig braucht, zusieht, und alsdann den ganzen Mechanismus desjenigen Werkzeugs vollständig einsieht. [...] Die Stühle werden von Schlössermeistern, jetzt schon an verschiedenen Orten, verfertigt; z. B. zu Wolfshagen im Hessischen, zu Zeulenroda im Vogtlande, einige Stunden von Schleitz. 241

Daß es schier ans Unmögliche grenzte, ein solches Gerät in Templin zügig zu reparieren, mußte die Berliner Judenschaft nun leidvoll erfahren, obwohl man deshalb bereits vier Monate zuvor den Stuhlschlosser Ring aus der Hauptstadt nach Templin geschickt hatte. Nach Aufstellung eines Kostenvoranschlags in Höhe von 246 Rt. hatte sich dieser jedoch geweigert, die Reparaturen vor Ort durchzuführen, sondern auf einen Transport der schadhaften Stühle in die Hauptstadt bestanden. Auch sei ihm für die Arbeit wenigstens ein Jahr Zeit einzuräumen. Daraufhin sei es, so berichtete die Kammer, der jüdischen Gemeinde erst vier Wochen zuvor gelungen, einen Templiner Schlosser zu engagieren. Dieser wiederum hatte sich „nicht eintzig und allein mit dieser Stuhl-Reparatur beschäftigen wollen, um nicht darüber seine Schlosser-Nahrung von der Stadt zu verliehren“, weshalb erst acht Stühle zumindest insoweit wieder hergestellt worden seien, daß auf ihnen notdürftig gearbeitet werden könne. 242 Hinsichtlich der in der Vergangenheit abgewanderten Familien sei festzustellen, daß die Kolonisten Roggenstein und Rosenhahn „wegen vieler Schulden und liederlicher Streiche heimlich entlaufen wären“, woraus der Judenschaft kein Vorwurf gemacht werden könne, da sie sich nicht zur „Erhaltung liederlicher und unruhiger Fabricanten verpflichtet habe“. Auch einen neuen Unternehmer habe die Judenschaft gefunden – es war indes der alte, mit dem die Judenschaft am 15. August 1782 neuerlich einen Vertrag mit sechsjähriger Laufzeit abschloß, welcher auch insofern bedeutsam ist, als er im Gegensatz zu den beiden Vorläuferkontrakten in den Akten erhalten geblieben ist. 243 Während sich Eschwege in den §§ 1 – 5 dazu verpflichtete, den konzessionsgemäßen Betrieb der Manufaktur sicherzustellen, wurde ihm seitens der Oberlandesältesten ein jährliches Gehalt in Höhe von 1.000 Rt. (§ 6) sowie 241 Beckmann, Anleitung zur Technologie, S. 80 – 82. Das Buch war seinerzeit ein Standardwerk und wurde u. a. in der 1778 in Magdeburg eingerichteten Handelsschule als Lehrmittel verwendet. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 444. 242 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 3. 243 Siehe Anhang, Dok. M. I. 2.

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ein zinsloses Darlehen von 400 Rt. (§ 7) bewilligt. Daß dieser Kontrakt seitens der Berliner Ältesten offenbar nur zähneknirschend abgeschlossen wurde, erhellt aus den Klagen, die David Friedländer in seinen 1793 publizierten Aktenstücken gegen Eschwege führt. So sei es leicht einzusehen, daß die Direktion dieser Fabriken, die nicht von einer ganzen Kolonie geführt werden kann, einzelnen Mitgliedern übertragen werden, und daß die Kolonie ihnen dafür jährlich eine sehr ansehnliche Summe zu ihrem Unterhalt geben muß. Die Entrepreneurs bekümmern sich, wie es bey solchen Zwangsfabriken gewöhnlich zu gehen pflegt, wenig um den Flor der Fabriken, und sehen nur darauf, wie sie die Entschädigungs=Summe jährlich in die Höhe schrauben können. 244

Auch der Vertragstext läßt deutlich das Bestreben der Berliner Gemeinde erkennen, von allen weiteren Scherereien mit der ungeliebten Manufaktur verschont zu werden. So hatte Eschwege in § 5 zu versprechen, „alle und jede Conditiones, so wie solche von Einer Königl. Hochlöbl. Churmärckschen Krieges- und DomainenCammer verlanget werden, treulich zu erfüllen“. Angesichts der Zwangs- und Erpressungsmaßnahmen, mit denen die Judenschaft seinerzeit zur Übernahme des Templiner Betriebs genötigt worden war, mag diese Haltung verständlich sein. Doch geht man sicher nicht fehl, wenn man die mangelhafte finanzielle Ausstattung der Manufaktur für die bisherigen Probleme mitverantwortlich macht. Auffällig ist etwa die seit 1769 nahezu kontinuierlich zurückgehende Anzahl von Stühlen, die jenseits aller Probleme mit Werkmeistern und Ouvriers eben auch auf mangelhafte Wartungs- und Reparaturarbeiten zurückzuführen war. Vor dem Hintergrund der zwischen Eschwege und den Ältesten bestehenden Spannungen ist das Gutachten von Adler und Gilbert über den jüdischen Subunternehmer von einigem Interesse. Nach Meinung der beiden Beamten fehle es Eschwege zwar keineswegs an Fleiß und Einsichten in die notwendigen Maßnahmen, doch verfüge er nicht über ausreichend Kapital, um eine Manufaktur mit 20 Stühlen beständig in Gang zu halten. Noch dazu sei er aufgrund der vertraglichen Bestimmungen nicht in der Lage, das Produktionsvolumen den Konjunkturen anzupassen. Vor diesem Hintergrund habe man den Vertretern der Judenschaft begreiflich zu machen versucht, daß sie ihrem Subunternehmer weitere finanzielle Beihilfen zukommen lassen müßten, sofern sie sich nicht über kurz oder lang erneut in Verlegenheit befinden wollten. 245 Wie 244 Friedländer, Akten-Stücke, S. 67 – 68. Auf überdurchschnittliche Vermögensverhältnisse Eschweges lassen indirekt auch die Mittel schließen, die er in die Ausbildung seines Sohnes Hertz zum Apotheker und Chemiker investierte. Siehe Schenk, Hertz Eschwege. 245 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 11. Ein Jahre später, im November 1797, in anderem Kontext verfaßtes Gutachten des Templiner Magistrats scheint die Ansicht der Beamten zu stützen, wonach Eschwege unter chronischem Geldmangel litt. So kann es sich wohl nur auf die Strumpfmanufaktur als einzigen Betrieb vor Ort beziehen, wenn es darin heißt: „Fabriquen und Manufacturen findet man wenig in kleinen Städten, und wo sie angetroffen werden, sind sie entweder mit großen Wohlthaten

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verhaßt die Manufaktur der Berliner Judenschaft jedoch nach mehr als zehn Jahren geworden war und wie tief das Mißtrauen gegenüber Eschwege saß, geht aus der Reaktion von Daniel Itzig und Abraham Marcuse hervor, die als hochrangige Deputierte der Berliner Gemeinde persönlich nach Templin gereist waren. Sie erklärten, sich mit der Administration des Betriebes, der die Judenschaft bereits mehr als 20.000 Rt. gekostet habe, „auf keine Weise“ befassen zu können. Auch sei es ihnen trotz aller Bemühungen nicht möglich gewesen, einen wohlhabenden Unternehmer zu engagieren, so daß ihnen trotz aller Bedenken gegenüber Eschwege, der bislang lediglich sein Privatinteresse verfolgt habe, nichts anderes übrig geblieben sei, als erneut mit diesem abzuschließen. 246 Man sehe zwar ein, so die Ältesten weiter, daß man Eschwege finanziell stärker als bislang geplant unter die Arme greifen müsse und wolle ihm deshalb ein weiteres Darlehen in Höhe von 600 Rt. bewilligen, ihn auch gegebenenfalls beim Wolleinkauf und in Zeiten der Rezession gesondert unterstützen. Doch habe man es bewußt vermieden, diese Punkte in den neuen Vertragstext aufzunehmen, da Eschwege anderenfalls „auf diese Unterstützungen zum Nachtheil der Judenschaft Rechnung machen und von seiner bisherigen Betriebsamkeit nachlassen möchte“. Mit dieser informellen Regelung erklärten sich auch Adler und Gilbert einverstanden und plädierten für folgende Modifikationen der bisherigen Betriebsorganisation: Die Stühle sollten auf Kosten der Judenschaft zwar binnen vier Wochen repariert werden, die zukünftige Wartung aber den Fabrikanten gegen eine jährliche Vergütung von 2 Rt. und 12 Gr. selbst überlassen bleiben. Lediglich „HauptReparaturen“, mit denen die Beamten etwa alle zehn Jahre rechneten, sollten auch in Zukunft Sache des Unternehmers sein, der auf diese Weise „gegen alle boshafte Chicane der Fabricanten gesichert werden“ 247 könne. Wirtschaftsgeschichtlich nicht uninteressant ist dabei vor allem der Vorschlag Adlers und Gilberts, den Fabrikanten ein Innungsprivileg zu verleihen, was auf die trotz aller Aufweichungen fortbestehende Rolle der Zünfte als sozialpolitischer Ordnungsfaktor verweist. 248 unterstützt oder ihrem Untergange nahe, deshalb, weil die Inhaber nicht des Vermögens sind, sich zur rechten Zeit mit hinreichenden und guten Materialien zu versehen, kostbare Geräthschaften anzuschaffen, fleißige und geschickte Arbeiter genugsam zu lohnen und was das vorzüglichste ist, wohl eingerichtete Gebäude aufzuführen. Sie liefern schlechte Arbeit, und diese ist wegen der in kleinen Quantitäten theurer zu bezahlenden Materialien, Theurung der Lebensmittel, weil es an Zufuhr fehlt, und andern Ursachen zu theuer als daß sie sehr gesucht werden sollte. Ihnen fehlt also Absatz, der überdem wegen des schlechten Zustandes der Kaufleute des Orts so wenig in als außerhalb Landes befördert werden kann.“ Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.123, Bl. 153 – 168, hier Bl. 156. Zum Entstehungskontext des Gutachtens Enders, Reformgedanken. 246 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 11 –12. 247 Ebd., Bl. 13 – 14. 248 Vgl. Mittenzwei, S. 135 – 147. Auch Straubel, Polizeidirektor, S. 325 –326 verweist darauf, daß die preußischen Behörden selbst in exportorientierten Gewerbezweigen „kein grundsätzliches Votum gegen die Zunft“ abgaben. Erst die in den 1790er Jahren reichsweit

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Denn nach Meinung der beiden Beamten führte der Weg zur Disziplinierung der bislang so unruhigen Fabrikanten gerade über diesen vermeintlich so anachronistischen Weg. So sei – wie die Beamten im unnachahmlichen Verbesserungsduktus der Epoche meinten – durch ein Innungsprivileg, wie es unlängst auch der Geraer Kolonie in Luckenwalde verliehen worden war, 249 dieses Etablissement auf einen soliden Fuß zu setzen, Zucht und Ordnung unter den Fabricanten einzuführen und aus selbigen 10 nützliche Familien für den Staat zu erschaffen, statt daß sie gegenwärtig nur als Bettler anzusehen wären, die ein bestimmtes Armen-Geld von der Judenschaft erhielten. 250

In der Folge würden die Fabrikanten „zu förmlichen Bürgern des Staats und der Stadt umgeschaffen, mehrere Zucht und Ordnung bey ihnen eingeführt, das Fortkommen ihrer Nachkommenschaft begründet und ihnen so wohl in loco als außerhalb demselben und in ihrer Heymath mehrere Achtung verschafft“. Die disziplinierende Wirkung des Gewerks entlaste dabei auch den Unternehmer, was im vorliegenden Fall um so wünschenswerter sei, als bekanntlich „Christliche Ouvriers sich schwer unter die Direction jüdischer Entreprenneurs bringen ließen; letztere würde dadurch vor allen einzelnen Chicanen derselben gesichert und erhielten die Fabricata tüchtig angefertiget, weil jeder Meister für die Arbeit seiner Gesellen einstehen müsse“. Schließlich schlugen die beiden Beamten noch vor, bei künftigen Betriebsausfällen ein Wartegeld von 1 Rt. pro Woche und Stuhl zahlen zu lassen, das wöchentlich um 8 Gr. steigen solle, um auf diese Weise den Unternehmer zu einem fortdauernden Betrieb der Manufaktur zu motivieren. Dies hätte in etwa den Verhältnissen in Luckenwalde entsprochen, wo die Behörden 1784 ein „Feyerungs-Geld“ von 4 Gr. pro Tag und Webstuhl anordneten, während es bei den Kattunwebern in Nowawes 1783 6 Gr. sein sollten. 251 Zunächst ist hier der weitere Fortgang des angedachten Innungsprivilegs zu verfolgen. Nachdem das Fabrikendepartement diesen Vorschlag zunächst aufgegriffen hatte und der Kammer am 22. Januar 1783 aufgetragen hatte, einen entsprechenden Entwurf zu erarbeiten, 252 meldete Minister Hans Ernst von Werder (1740 – 1800) 253 im Januar 1784, also ein ganzes Jahr später, Bedenken an. So sei es dem Aufschwung einer Manufaktur höchst hinderlich, wenn sie „unter einen schädlichen Gewercks- und Innungszwang von Meisterschaften gebracht“ 254 werausbrechenden Gesellenunruhen ließen die Zentralbehörden an eine Aufhebung der Zünfte denken, die jedoch nicht realisiert wurde. 249 Zum „Spezialprivilegium und Gildebrief des Wollenzeugmachergewerks zu Luckenwalde“ vom 7. August 1782 Bamberger, S. 423 – 426; abgedruckt ebd., S. 439 –443. 250 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 19 –21, danach auch die folgenden Zitate. 251 Krüger, Manufakturen, S. 307. 252 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 43. 253 Vgl. Klaproth, S. 476 – 477. 254 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 64.

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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de. Stattdessen plädierte Werder dafür, es in Templin bei den Regelungen der 1734 für die Kur- und Neumark erlassenen Generalinnungsprivilegien 255 zu belassen. Daraufhin gab auch die Kammer am 6. Juli 1784 ihr Gutachten ab, in welchem sie zunächst die Vorteile eines Innungsprivilegs herausstrich, durch das einem Meister die Anstellung tüchtiger Gesellen und Lehrburschen ebenso erleichtert werde wie die Anlernung seiner Kinder. Auch sei bei den von Werder befürchteten negativen Auswirkungen einer solchen Privilegierung auf die Manufaktur deren Verfassung zu berücksichtigen, bei der die Ouvriers als Meister angesetzt seien und der Entrepreneur lediglich die Funktion eines Verlegers einnehme, so daß dessen Stellung durch ein Innungsprivileg nicht geschwächt werde. 256 Hingegen sei ein Rekurs auf die Generalprivilegien von 1734 problematisch, da die Templiner Meister auf diese Weise an ein benachbartes Gewerk verwiesen werden müßten, was „zum Nachtheil der Fabrique zu unnützen und kostbaren Reisen“ führen müsse. Vor diesem Hintergrund habe man es entweder bei der bisherigen Verfassung zu belassen, oder aber den Templiner Meistern ein spezielles Innungsprivileg zu verleihen. Dazu sollte es jedoch nicht kommen, da sich das Fabrikendepartement am 5. August 1784 wiederum skeptisch zeigte, worauf das ganze Projekt einschlief. 257 Während behördenintern diese Debatte geführt wurde, ging es mit der Templiner Manufaktur wiederum aufwärts. Zunächst hatte es jedoch nicht nach einer Besserung ausgesehen, nachdem im Frühjahr 1783 der Berliner Schlosser Frickel 258 nach Templin entsandt wurde, um die dortigen maroden Stühle zu reparieren, damit, wie die Kammer seufzend mitteilte, „endlich einmal diese Fabrique in gehörigen Stand gesetzt und erhalten werden könne“. 259 Dieser fand die Manufaktur nach eigenen Angaben jedoch „in großer Verwüstung“ vor und geriet bald auf das 255 Diese preußischen Generalinnungsprivilegien fußten auf der Reichszunftordnung von 1731, deren Hauptziel, die Beschränkung der zünftlerischen Jurisdiktion, „bis zur äußersten Konsequenz“ verfolgt wurde. Siehe Fischer, Handwerksrecht, S. 31 – 41; zur Reichszunftordnung von 1731 Meyer, Handwerkerpolitik, Bd. 2, S. 34 – 81. 256 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 80. 257 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 82. Unzutreffend ist also die Lesart, wonach Friedrich der Große am 22. Januar 1783 die Erteilung eines Innungsprivilegiums gestattet habe. Siehe Anonym, Innungs-Privilegium. Für den freundlichen Hinweis auf diesen Beitrag sei Frau Wollnitzke vom Stadtarchiv Templin recht herzlich gedankt. 258 Frickels Tätigkeit in Berlin wurde – auch dies ein Hinweis auf die Wichtigkeit von Stuhlschlossern – staatlicherseits subventioniert. So teilten sich nach dem Tod des Berliner Stuhlsetzers Griot, der für seine Tätigkeit eine jährliche Pension von 100 Rt. aus dem Extraordinarienfonds erhalten hatte, die beiden Stuhlsetzer Plaetz und „Frickel jun.“ die Stelle, die 1769 60 bzw. 40 Rt. aus dem Manufakturfonds erhielten: Hoffmann, Handwerk, S. 196, 198. Sein Vater war möglicherweise jener „Frieckel sen.“, der ebd., S. 108 als Strumpfgewerksmeister mit zwei Stühlen und ebensovielen Ouvriers auftaucht. 259 Kurmärkische Kammer an Fabrikendepartement, 6. März 1783, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 51.

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heftigste mit dem bislang als Stuhlschlosser beschäftigten Blümerer, scheinbar einem Autodidakten, aneinander, dem er völlige Inkompetenz vorwarf. 260 Frickels Aufstellung der in Templin vorgefundenen Stühle ließ für die Zukunft nichts Gutes hoffen, klassifizierte er doch allein acht Stühle als „Unbrauchbar und mit Fleiß auseinandergerissen, welche noch lange hätten gehen können und eine halbe Reparatur bedürfen“. Unklar ist allerdings, ob diese Katastrophenmeldung lediglich als Bewerbungsschreiben Frickels aufzufassen ist. Denn nachdem sich sowohl Eschwege als auch die Fabrikanten gegen Frickel und für die bisherigen Schlosser Schätzig und Blümerer entschieden hatten, 261 kamen die Reparaturen langsam voran. Am 10. April 1783 meldete die Kammer, in Templin liefen bereits wieder 15 Stühle, ein weiterer würde binnen acht Tagen in Dienst genommen. 262 Trotz allem sollte es noch mehr als ein Jahr dauern, nämlich bis zum 6. Juli 1784, bis dem Fabrikendepartement verkündet werden konnte, daß in Templin 20 Stühle im Gange seien und Eschwege mit Hilfe des zwischenzeitig angestellten Werkmeisters Becker „würcklich schöne Waare machet, die er nach den beygebrachten Attesten meistentheils auch in auswärtigen Landen absetzet“. 263 Und – man glaubt es kaum – sogar im seit langem geführten Wirtschaftskrieg mit Mecklenburg erwies sich die sanierte Manufaktur, die nun auch einen Schaustempel für ihre Waren erhielt, 264 als wirksame Waffe, war doch nach Angaben von Daniel Itzig und Abraham Marcuse vom Juni 1784 aufgrund der Erfolge ihrer Strumpfwaren ein Betrieb im nahegelegenen Neustrelitz eingegangen, aus dem man bereits vier Arbeiter samt ihren Stühlen nach Templin gezogen habe. 265 Diese Äußerungen bezogen sich offenbar auf die 1767 durch den Neustrelitzer Bürgermeister Eggers und einen Kaufmann Korn mit sechs Stühlen etablierte Wollstrumpfmanufaktur, deren triste Betriebsgeschichte in vielem an die Probleme in Templin erinnert. 266 So erhielt auch der mecklenburgische Betrieb Unterstützung 260

Bericht Frickels vom 1. März 1783 ebd., Bl. 52 – 53. Bericht der Kurmärkischen Kammer vom 24. April 1783, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 58. 262 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 56. 263 Bemängelt wurde lediglich, daß sich von den 20 Stühlen 6 im Besitz der Fabrikanten befanden und von Eschwege lediglich gepachtet worden waren. Eigentlich sollten diese Pachtstühle mittlerweile durch eigene Fabrikenstühle ersetzt worden sein, ebd., Bl. 77. 264 Nachdem 1782 zur Unterbindung der Einschwärzung ausländischer Manufakturwaren die Regelung eingeführt worden war, daß preußische Waren neben dem bisherigen Regiesiegel auch ein Schausiegel des Generaldirektoriums aufzuweisen hatten, bekam Eschwege offenbar auf dem Berliner Packhof Probleme, da seinem Betrieb ein solches Siegel noch nicht beigegeben worden war, wie seiner Supplik vom 16. Oktober 1782 zu entnehmen ist. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2 (nicht pag.). Der daraufhin für die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur entworfene Schaustempel findet sich in GStA PK, II. HA, Generalakzise- und Zolldepartement, B, II, Tit. XXIV, Nr. 11. 265 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 78. 266 Endler, Neustrelitz, S. 131 – 133. 261

V. Die Manufaktur zur Zeit Friedrichs des Großen

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durch die Obrigkeit, indem jüdische und böhmische Händler dazu angehalten wurden, die Neustrelitzer Strümpfe zu übernehmen, da sich im April 1769 bereits ein unverkauftes Lager von 1.500 Paar aufgehäuft hatte. 1775 ging das Unternehmen schließlich in den Besitz der beiden Juden Elias Magnus und Hirsch Aaron über, die kurzfristig acht Stühle betrieben. 1784, also im Jahr, als sich Itzig und Marcuse rühmten, zur Ruinierung der Konkurrenz beigetragen zu haben, warf Magnus in der Tat das Handtuch und trat das Unternehmen, auf dessen Fortbestand die Landesregierung großen Wert legte, über den Kommerzienrat Korn an einen Kaufmann Lübke ab. Trotz großzügiger Ausfuhrprämien ging die Manufaktur fünf Jahre später endgültig ein, worauf es dem Besitzer nicht einmal gelang, die verbliebenen Webstühle an den Mann zu bringen. Inwiefern die Exporterfolge der Templiner Manufaktur zu diesem „Etappensieg“ im preußischmecklenburgischen Wirtschaftskrieg beigetragen haben mögen, läßt sich indessen kaum nachweisen. Bemerkenswert bleibt hingegen, daß sich dies- und jenseits der Grenze die ökonomischen Probleme sowie die von der Obrigkeit gegenüber der jeweiligen Judenschaft ergriffenen Maßnahmen offenbar spiegelbildlich glichen. In den kommenden Jahren zeigten sich die Behörden auf Basis der Fabrikentabellen mit ihrem Templiner Sorgenkind indes zufrieden und monierten lediglich, daß der Betrieb noch stärker expandieren könnte, wenn sich die Judenschaft zu einer Erhöhung des Betriebskapitals bereitfände. 267 Insgesamt, so wird man die bisherigen Ausführungen zusammenfassen können, zeigte sich in ökonomischer Sicht in Templin zur Zeit Friedrichs des Großen jedoch ein eher trübes Bild. Den Berliner Ältesten mangelte es verständlicher Weise an der Bereitschaft, sich in der Uckermark stärker als gerade nötig zu engagieren, und auch die Wahl des Subunternehmers erwies sich nicht unbedingt als Glücksgriff. Letztlich, daran lassen die Quellen keinen Zweifel, wurde der Betrieb der Manufaktur als lästige Bürde aufgefaßt, die es mit möglichst geringem Aufwand zu tragen galt. An eventuell zu erwirtschaftende Gewinne scheint bei den Berliner Ältesten offenbar niemand gedacht zu haben. Vor diesem Hintergrund gilt es nun zunächst der Frage nachzugehen, was die 1769 vom König erneut verbrieften Rechtstitel wert waren, die der Judenschaft diese kostspielige Last eingetragen hatten.

267

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 88 –89.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

VI. „... da soll ihnen freystehen, sich allda anzusetzen“? Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen und die Haltung einzelner Magistrate Ungeachtet der schweren Abgabenlast, mit der die erneute Genehmigung von Ansetzungen auf das Recht des zweiten Kindes durch die preußische Judenschaft erkauft worden war, hatte sich durch diesen Akt die Position der nachgeborenen Kinder gegenüber der Situation vor 1763 deutlich verbessert. Allerdings war, darauf wurde bereits hingewiesen, die Rechtsstellung von Juden im Ancien Régime nicht allein durch derartige positive Privilegierungen bedingt, sondern unterlag weiterhin den überkommenen Nichtduldungsprivilegien, wie sie im preußischen Bereich etwa für Magdeburg und Stettin Gültigkeit besaßen. Diesen freilich nicht gar zu seltenen „Sonderfällen“ hatte der König bereits bei den Verhandlungen mit der Judenschaft Rechnung getragen, womit derartige Städte von der allgemein gewährten Niederlassungsfreiheit zweiter Kinder ausdrücklich ausgenommen waren. 268 Darüber hinaus forderte jedoch das Generalreglement von 1750 in § 11, daß durch einzelne Ansetzungen in keiner Stadt die jeweils festgelegte Zahl von Judenfamilien überschritten werden dürfe. Daß diese Zielvorgabe mit den durch das Reskript vom 1. November 1763 gewährten Freiheiten kollidieren mußte, liegt auf der Hand. Doch wurde sie damit ebenso hinfällig wie die bereits geschilderte Intention des Königs, die Judenschaft möglichst in den Grenzregionen zu Polen zu konzentrieren, um sich ihrer dort als Mittler für den Osthandel zu bedienen? Fast ein halbes Jahrhundert nach 1763 wies Kriegsrat Troschel in einem Gutachten vom 17. März 1808 auf die zahlreichen Widersprüche der preußischen Judenpolitik in den vorangegangenen Jahrzehnten hin und wunderte sich, „daß der große Friedrich ohngeachtet er die Juden als eine Pest des Landes anerkannte, denselben eines unbedeutenden don gratuits von 70.000 rth. willen die Ansetzung der 2ten Kinder wieder gestattete“. 269 Ferner führte Troschel aus: 268 Zitiert seien noch einmal die entsprechenden Passagen des Reskripts vom 1. November 1763: „5. Wann mehrgedachte 2. Schutz Juden Kinder sich sonsten außerhalb Berlin, in Pommern, in der Neu Marck und in Preußen auch an denen Pohlnischen Grentzen ansetzen wollen, da soll ihnen freystehen, sich allda anzusetzen. Es nehmen aber Se. Königl. Maj. 6. hiervon expresse diejenigen Städte davon aus, als nemlich Stettin, Magdeburg p., wo bisher nach den alten Herkommen und denen Verfassungen keine Juden, auch JudenFamillen sich etabliren und ansessig machen dürfen, als welchen Städten Höchstdieselbe in ihren alten Rechten darunter nicht prejudiciren wollen.“ Siehe GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 1 – 2. 269 Zitiert nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 192. Dieser Widerspruch blieb auch der NS-Geschichtsschreibung nicht verborgen, die Friedrich in seiner Judenpolitik nur zu gern für sich in Anspruch genommen hätte. Indes, der König agierte den „Vordenkern der Vernichtung“ viel zu lasch und widersprüchlich: „Es war das erste Mal, daß der König den Juden, die sich im Verlaufe des 7-jähr. Krieges bereichert hatten, für Geld Rechte

VI. Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen

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König Friedrich wußte, daß das den Juden verstattete Recht des 2ten Kindes die Zahl der Familien bis ins Unbestimmte vermehren mußte – wenn dieser Monarch demohngeachtet dieses Recht wiederum herstellte, so können sich seine Aeußerungen über die Einschränkung der Judenfamilien nicht auf die 2ten Kinder, sondern nur auf andre Fälle beziehen, die in dem Gesetz nicht so deutlich enthalten waren, oder auf willkürlichen Verfügungen der Landes Polizei Behörde sich gründeten. 270

Alles andere wäre in der Tat monarchische Willkür gewesen – aber war das Vertrauen Troschels in die Selbstbindung Friedrichs an das durch ihn gewährte Recht begründet? Und warum bestanden 1769 die Oberlandesältesten bei der Übernahme der Templiner Manufaktur darauf, das bereits sechs Jahre zuvor gewährte Recht der freien Wohnortwahl bei der Niederlassung zweiter Kinder noch einmal ausdrücklich zu bestätigen? 271 Am 10. September 1766 teilte das Generaldirektorium der Kurmärkischen Kammer mit Blick auf das Ansetzungsgesuch Meyer Salomons in Strasburg mit, daß sich dieser nur an der polnischen Grenze ansiedeln könne, 272 womit die preußische Zentralbehörde also die Forderung erhob, sich über die teuer erkauften Zusagen des Jahres 1763 hinwegzusetzen. Doch wurzelten derartige Bestrebungen wirklich im Generaldirektorium? Wer tatsächlich hinter dieser Anordnung stand, verdeutlicht eine sieben Tage ältere Kabinettsordre, mit welcher der in Breslau weilende König neben dem unvollzogen zurückkommenden Schutzbrief Salomons seinen Ministern mitteilte, daß er „dergleichen Concessions zur Ansetzung der zweyten Juden Kinder nicht auf die kleinen Städte in der Marck, wohl aber an der Pohlnischen Grentze zu ertheilen allerhöchst intentioniret“ 273 sei. Von irgendeinem aktenkundig gewordenen Widerspruch der Ministerialbürokratie gegen diesen eklatanten Rechtsbruch ist nichts bekannt. Stattdessen befahl das Generaldirektorium der Kurmärkischen Kammer am 10. September, „nicht nur den Meyer Salomon darnach zu bescheiden, sondern auch in ähnlichen Fällen solches künftig zu beobachten“. 274 Und dies war kein Einzelfall, selbst nachdem die freie Wohnortwahl 1769 ein weiteres Mal vertraglich zugesichert worden war. einräumte, die er ihnen nach seinen judenfeindlichen Prinzipien bis dahin versagt hatte. Damit trat eine Zwiespältigkeit in die Judenpolitik des großen Königs, die den Keim bildete für ihre schließliche Erfolglosigkeit. [...] Die Einspannung der jüdischen Finanzkraft für den wirtschaftlichen Aufbau des Staates ließ sich auf die Dauer nicht vereinigen mit einer radikalen Ausrottungs- und Vertreibungspolitik gegen die breite jüdische Masse.“ Siehe Sommerfeldt, Judenfrage, S. 1, 3 –4. 270 Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 189. 271 Vgl. oben, Kap. E. II. 272 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 9, Bl. 91. 273 Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Breslau, 3. September 1766, GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 138 (Abschrift). 274 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 4, Bl. 83. Wie sich das Ansetzungsverfahren Meyer Salomons daraufhin entwickelte, ist unklar.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Als etwa dem christlichen Potsdamer Kaufmann Fischer im April 1777 eine Konzession zum Tuchhandel erteilt wurde, nutzte der König die Gelegenheit, dem dortigen Steuerrat Richter mitzuteilen, daß er in seiner Residenz mehr christliche als jüdische Kaufleute zu sehen wünsche und brachte für letztere wiederum die Grenzgebiete zu Polen ins Gespräch. Wiederum gehorchte das Generaldirektorium und beschloß per Reskript vom 21. Mai, daß zukünftig bei der Ansetzung zweiter Kinder in Potsdam sowie den übrigen kurmärkischen Städten „mit der größten Behutsamkeit“ verfahren werden solle. 275 Wirkung entfaltete diese reichlich diffuse Anweisung allerdings kaum, sondern wurde vielmehr mit der größten Behutsamkeit beiseitegeschoben. Als etwa der Potsdamer Schutzjude Moses Liebmann 1776 um die Erlaubnis bat, seine Tochter mit dem aus Posen stammenden Handlungsdiener Magnus Simon (also noch dazu einem Ausländer) verheiraten und als zweites Kind auf seinen Schutzbrief etablieren zu dürfen, getraute sich Richter mit Blick auf die Haltung des Königs zwar nicht, das Gesuch rundweg zu befürworten. Auch das Generaldirektorium forderte den Steuerrat zunächst auf, Simon zu vernehmen, in welcher an der polnischen Grenze gelegenen Stadt er sich denn ansetzen wolle. 276 Als jedoch die Berliner Oberlandesältesten im März 1777 unter Hinweis auf den Templiner Vertrag zugunsten Simons intervenierten und auf die zugesicherte freie Wahl des Wohnorts hinwiesen, gab das Generaldirektorium schließlich nach und erteilte die Konzession zur Ansetzung in Potsdam. 277 Eine grundsätzliche Klärung der Verwaltungspraxis war damit jedoch nicht erreicht, wofür offenbar insbesondere die Kurmärkische Kammer verantwortlich zeichnete. So wollte sich im März 1779 der aus Mittenwalde stammende Wulff Liebmann als zweites Kind in Wusterhausen an der Dosse niederlassen. Nachdem die Kammer wegen des Wohnortwechsels erneut „Bedenklichkeiten“ angemeldet hatte, entschied das Generaldirektorium mit Blick auf den Templiner Vertrag erneut, daß den zweiten Kindern die Wahl ihres Niederlassungsortes freigestellt worden sei. 278 Auch Hirsch Salomon wollte die Kurmärkische Kammer 1783 seine Niederlassung in Joachimsthal zunächst verwehren. Erst nach einer weiteren Intervention der Oberlandesältesten 279 und nachdem der Eberswalder Steuerrat Gilbert auf die bestehende Rechtslage hingewiesen und betont hatte, Salomons Ansetzung könne den dortigen Materialisten

275

So zurückblickend in einem Bericht der Kurmärkischen Kammer vom 14. Mai 1785: GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 27 –28, hier: Bl. 28. 276 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2303. 277 Ebd. 278 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 28. 279 Es ging in dieser Eingabe zugleich um den ähnlich gelagerten Fall von Samuel Behrendt aus Kremmen, der seine Tochter Esther mit dem Schutzjudensohn Simon Nathan aus Brandenburg an der Havel verheiraten und ansetzen wollte. Siehe BLHA, Rep. 19, Steuerrat Eberswalde, Nr. 57.

VI. Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen

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nicht gefährlich werden, wurde der anfängliche Widerstand aufgegeben. 280 Andererseits sorgte noch 1785 das Gesuch des Berliner Schutzjuden Salomon Abraham Leffmann, seine Tochter Rechel mit dem Rathenower Juden Hirsch Nathan verheiraten und als zweites Kind auf den Schutzbrief von Nathans Vater ansetzen zu dürfen, 281 für ein ausführliches Gutachten der Kurmärkischen Kammer, ob diese Versetzung von Rathenow nach Berlin zulässig sei. 282 Es verdient demnach festgehalten zu werden, daß nicht nur der König bereit war, sich über die selbst verliehenen jüdischen Rechtstitel hinwegzusetzen. Auch im Generaldirektorium wählte man offenbar zunächst den Weg des geringsten Widerstandes und trug diese Linie mit, bis man damit schließlich den Protest der Judenältesten provozierte, dem man wiederum zustimmte und bezogen auf den Einzelfall die Verwaltungspraxis der bestehenden Rechtslage anpaßte. Grundsätzliche, gar naturrechtlich motivierte Opposition wird man in diesem „Zickzackkurs“, den insbesondere die Kurmärkische Kammer noch länger verfolgt zu haben scheint, wohl kaum erkennen können, wie es sich denn auch lohnt, in dieser Frage der freien Wohnortwahl noch etwas tiefer zu schürfen. Denn wie beurteilten eigentlich die durch den angestrebten Rechtsbruch vermeintlich zu Schützenden, also die Städte, diese Praxis? Das in der älteren sozialgeschichtlichen Forschung gezeichnete Bild vom fortschrittsfeindlichen, „alten Stadtbürgertum“, das den „Modernisierern“ aus Verwaltungsbeamten, Akademikern und Unternehmern beziehungslos gegenübergestanden habe, 283 hat freilich bereits durch die Ergebnisse der Gallschen Bürgertumsforschung 284 erhebliche Risse davongetragen. Und auch der devote ostelbische Untertan, über Jahrzehnte beliebtes Sujet bundesrepublikanischer Geschichtsschreibung, taucht in jüngeren, empirisch angelegten Studien kaum noch auf, so daß er „wohl demnächst endgültig ins Magazin gestellt zu werden verdient“. 285 Allerdings werden in der jüdischen Geschichtsforschung, sofern sie sich an Selma Stern orientiert, nicht nur in älteren, sondern auch in jüngeren Publikationen Positionen vertreten, in denen die lokalen Instanzen in judenpolitischer Hinsicht gewissermaßen den mittelalterlichen Gegenpart gegenüber dem mit dem Naturrecht in der Hand vorwärts drängenden absolutistischen Staat einnehmen. Für die 280

Ebd. Leffmann hatte erklärt, daß Nathan „ihm schon seit vielen Jahren in seinem importanten Handel assistiret habe und ihm zur Betreibung seiner Handlungs Geschäfte nunmehro gantz unentbehrlich sey, weil ihm der unglückliche Zufall eine an beyden Augen zugestoßene Krankheit des Gesichts beraubet habe und seine Wiederherstellung nach der Meynung der Ärtzte sehr zweifelhaft sey“. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 27. 282 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 27 –28. 283 So etwa bei Meier / Schreiner. 284 Gall, Vom Stand zur Klasse; Ders., Vom alten zum neuen Bürgertum. 285 So Klaus Neitmann im Vorwort zur Studie von Meier, Stadtbürgertum, S. 12; ferner Neugebauer, Bildung, Erziehung und Schule. 281

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Juden habe dieser Ausbau des Staates wiederum einen beträchtlichen Zuwachs an Rechtssicherheit mit sich gebracht. Als Angehörige einer Minderheit seien sie fortan nicht länger Spielball der „zünftlerisch gesinnten Magistrate“ 286 gewesen, so daß sie „nicht mehr der Laune und der Willkür irgendwelcher sich despotisch gebärdender Dorfschulzen und Bürgermeister ausgeliefert waren, sondern [...] sich zunehmend am staatlichen Recht orientieren konnten. [...] Der Vorteil für die jüdische Bevölkerung lag auf der Hand.“ 287 Derartigen Urteilen mangelt es indes an der nötigen analytischen Tiefenschärfe. Stattdessen ist man gut beraten, lokale Instanzen auch im Kontext der frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte nicht lediglich als schwerfällige Rezipienten eines im Berliner Salon geführten Aufklärungsdiskurses wahrzunehmen. Im vorliegenden Kontext der Niederlassung zweiter Kinder stößt man zwar durchaus auf lokales Protestverhalten, das sich ungeliebter Konkurrenz durch Eingaben bei den Behörden zu entledigen suchte. So stieß beispielsweise die geplante Ansetzung Isaac Hirschs in Stendal als zweites Kind auf den Schutzbrief des Joseph David Bacharach 288 im Jahre 1779 auf massive, jedoch letztlich erfolglose Gegenwehr der Stendaler Kaufmannschaft. 289 Auch in Westpreußen, wo nach 1772 auf Geheiß des Königs zahlreiche Juden vom platten Land in die Städte zwangsumgesiedelt wurden, führte dies zu Konflikten mit den Magistraten, die sich auf die Seite der christlichen Kaufleute und Handwerker stellten. 290 Allerdings sollten derartige Auseinandersetzungen nicht a priori als Ausdruck judenfeindlicher Gesinnungen bei Magistraten und Kaufmannschaften interpretiert, sondern im Gesamtkontext eines prinzipiell obrigkeitskritischen Protestverhaltens gedeutet werden, wobei sich die Ansiedlung von Juden aus städtischer Perspektive eben auch als „Folge eines expansiven Staatsmonopols“ 291 darstellte, das die eigene wirtschaftliche Grundlage in Gefahr bringen mochte. Mit Blick auf neuere Forschungen für den 286

Kampmann, S. 82. Schoeps, Judenpolitik, S. 145 – 146. 288 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 59; Abschrift der Konzession vom 22. Dezember 1779 in BLHA, Rep. 2, Nr. S.7582. 289 Siehe die Gegenvorstellung der „gesamten“ Stendaler Kaufmannschaft vom 18. Juni 1779, ebd. Bereits 1771 hatte die Bitte des Stendaler Schutzjuden Michael Levin, „den Tuchhandel en gros und en detail sowohl im Hause, als auf Messen und Jahrmärkten gleich andern Tuchhändlern treiben“ zu dürfen, für Proteste gesorgt. Das Verfahren verlief daraufhin scheinbar im Sande, obwohl Levin für diese Konzession freiwillig angeboten hatte, Porzellan im Wert von 100 Rt. zu kaufen und zu exportieren. Siehe seine Eingabe vom 11. November 1771 ebd. Levin wurde im Mai 1778 auf das Generalprivileg seines Schwiegervaters Pintus Lewin aus Rathenow angesetzt, das dieser am 27. August 1763 zum Betrieb einer Canefassmanufaktur erhalten hatte, GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 66, Bl. 214 u. 222 (Abschrift). Vgl. Levins nachträglichen Porzellankauf vom 2. Mai 1780 unter Nr. 0552 (Onlinestatistik unter „perspectiva.net“; zum Link siehe Abschnitt A, Anm. 232). 290 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 428 – 433. Auch am Ende des Jahrhunderts, in südpreußischer Zeit, kam es teilweise zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Magistraten über die Judenpolitik. Siehe Lewin, Juden in Lissa, S. 162 –164. 287

VI. Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen

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deutschen Südwesten wird man derartige Konflikte nicht zuletzt als Ausdruck von „Ressourcenkonflikten“ auffassen müssen, „denen ein religiöses oder ethnisches Label verpaßt werden konnte, wenn dies für die Durchsetzung der eigenen Interessen erfolgversprechend schien“. 292 Daß manche brandenburgische Magistrate weit mehr als bloße „Fußkranke des Fortschritts“ 293 waren, läßt sich zudem anhand einiger Ansetzungsverfahren zweiter Kinder belegen, die durch Interventionen aus Berlin ins Stocken kamen. Als etwa der alternde Wriezener Schutzjude und Textilhändler Samuel Levin im Jahre 1779 um die Erlaubnis anhielt, seine Tochter Behle als zweites Kind ansetzen und mit Schaul Joachim Wulff, dem Sohn eines dortigen Gemeindebedienten, verheiraten zu dürfen, stieß dies zunächst auf Ablehnung bei der Kurmärkischen Kammer. Wriezen gehöre nicht zu den größeren Städten der Mark, so daß „die durch dergleichen Ansetzung natürlich zu besorgende zu starcke Vermehrung der Judenfamilien dem Staate und auch der vergleiteten Judenschaft selbst in der Zukunft nachtheilig werden müssen“. 294 Ginge man nun davon aus, daß man in den Landstädten des 18. Jahrhunderts „in altständischer Erstarrung, einem verkrusteten Lebensstil rückwärts gewandt hingegeben, wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch orthodox auf der Überlieferung beharrend“ 295 sein Dasein fristete, so wäre der Fortgang des Verfahrens wohl eindeutig gewesen. Allerdings legte der Wriezener Magistrat angesichts soviel obrigkeitlichen Schutzes vor dem Hereinbrechen jüdischen Ersatzbürgertums in das lutherische Provinzidyll den Berliner Beamten keineswegs eine devote Dankesadresse zu Füßen. Tatsächlich findet sich in den Akten das gerade Gegenteil, teilte man doch in Wriezen die Bedenken der Kammer „nicht im geringsten“. Mit Blick auf die städtischen Wollfabrikanten, die bislang dazu gezwungen seien, für den Absatz ihrer Waren selbst Sorge zu tragen, betonte der Magistrat: nichts wäre also diesen Leuten vorteilhafter, als wann Juden hieselbst etabliret werden, die den Leuten die Waaren abnehmen, ohne daß sie nötig haben, ihren ganzen Profit auf der Reise nach Berlin zu verzehren und welches die Ursach ist, daß die Fabricanten des Woll-Vorschusses ohnerachtet in Schuld und Armuth befindlich, geschweige, daß sie nach der höchsten Intention fortgebracht [d. h. in Aufschwung gebracht] werden können. 296 291

Laux, Anonymität, S. 104; vgl. Giesselmann. Ferner wäre an das Forschungskonzept der „moralischen Ökonomie“ zu erinnern. Zu diesem Begriff und seiner Rolle in der aktuellen frühneuzeitlichen Protestforschung siehe Thompson; Gailus / Lindenberger. 292 Schwanke, S. 263. 293 Langewiesche, S. 3. 294 So an Steuerrat Adler am 29. April 1779, BLHA, Rep. 8, Wriezen, Nr. 810, Bl. 49. 295 Wehler, S. 203. 296 Magistrat von Wriezen an Steuerrat Adler, 14. Mai 1779, BLHA, Rep. 8, Wriezen, Nr. 810, Bl. 51 – 52; vgl. eine ähnliche Stellungnahme des Magistrats aus dem Jahre 1788 bei Heidenhain, S. 73.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Sollte der Handel Levins eingehen, so hätte dies auf die Fabrikanten „einen wirklich nachteiligen Einfluß“. Soviel wirtschaftlicher Sachverstand vor Ort überzeugte schließlich auch das Generaldirektorium: Wulff durfte sich in Wriezen ansetzen. 297 Daß die Probleme des Wollgewerbes nicht selten dem Mangel eines Verlegers geschuldet waren, hatte sich demnach in manchen Rathäusern der Provinz eher herumgesprochen als in Berlin. Dies war freilich auch kein Wunder, klagte doch ein namentlich nicht genannter Steuerrat im Rahmen des kurmärkischen Retablissements bereits 1772: „Anlangend die zu etablierenden zehn Leineweberfamilien, so weiß ich ebenfalls nicht, wo ich mit denselbigen hin soll, und wo ich dergleichen ansetzen wollte, wie ich ihnen Brot und Arbeit schaffen soll.“ 298 Im August 1784 heißt es über die 30 in Wriezen arbeitenden Raschmacher, diese lebten mehrheitlich in äußerst bescheidenen Verhältnissen. 299 Speziell über die Wriezener Garnweber kann man noch 1785/86 lesen, sie würden sich in „größter Dürftigkeit“ befinden, „indem die wenige Arbeit, die sie vom Bürger und Landmann erhalten, zu ihrem Unterhalt nicht ausreicht, weshalb sie genötigt sind, sich den Sommer hindurch vom Tagelohn zu ernähren“. 300 Doch nicht nur utilitaristische Beweggründe, die vielerorts im ländlichen Bereich des 18. Jahrhunderts beobachtet werden können, 301 zeigen sich in den Stellungnahmen mancher Magistrate. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist aus dem uckermärkischen Strasburg überliefert, einer Stadt mit 2.209 Einwohnern (1747), zu denen neben 371 „französischen“ Kolonisten auch 75 Juden zählten. 302 Als der dortige Schutzjude Baruch Marcus Mitte der 70er Jahre in finanzielle Schwierigkeiten geriet, 303 wandte sich der Magistrat in einem bemerkenswerten Schreiben an einen der Gläubiger, dem Marcus 49 Rt. schuldete: „Der Jude Baruch Marcus denkt ehrlich und aufrichtig. Er verdienet Mittleiden bey seinen Umständen, es gehet ihm recht hertzlich nahe, daß er nicht jetzo Wort halten kann. Er lamentiret mit Thränen über sein ihn betroffenes hartes Schicksal.“ Deshalb habe man als Magistrat beschlossen, ihm „so viel als möglich mit unserem Amt zu dienen und diese Fürbitte abzufassen“. Der Gläubiger solle doch einen Zah297

BLHA, Rep. 8, Wriezen, Nr. 810, Bl. 58. Zitiert nach Diamant, S. 51. 299 Zitiert nach Krüger, Manufakturen, S. 175. 300 Zitiert nach Diamant, S. 52. 301 So konstatiert, bezogen auf die Fürstabtei Corvey, Deventer, S. 146 „für den Alltag auf dem Lande eher ein von Nützlichkeitserwägungen und Pragmatismus geprägtes Nebeneinander als ein konflikt- und spannungsreiches Gegeneinander“; vgl. ebd., S. 196. Auch der Magistrat von Aschersleben im preußischen Fürstentum Halberstadt fiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrfach durch Eingaben zugunsten der dortigen Juden auf. Siehe Halama, S. 186, 199, 207 – 209. 302 Enders, Ortslexikon (Uckermark), S. 968. 303 Zu seinem Niedergang mag dabei auch ein Porzellankauf im Jahre 1771 beigetragen haben. Siehe Export Nr. 0118 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 298

VI. Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen

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lungsaufschub gewähren – „wir würden uns darüber recht sehr freuen und solches mit dem schuldigsten Dank erkennen“. 304 Dienst nach Vorschrift war dies alles nicht, und einige Jahre später ging der Magistrat sogar noch weiter und appellierte an Heinrich Schmitz, den Pächter des Berliner Lagerhauses, auf einen Teil der Schulden von etwa 70 Rt. zu verzichten und sich bei der Abtragung der restlichen Beträge auf eine Ratenzahlung einzulassen. Für letztere war der Magistrat sogar bereit, Garantie zu stellen. Mehrere andere Gläubiger hätten diesem Verfahren bereits zugestimmt, so daß sich nach Ansicht des Magistrats das Königliche Laager-Hauß ein gleiches zu thun sich ohnmöglich weigern könnte, damit ein so alter Schutzjude, der so viele Jahre mit dem Laager-Hause commerciiret und viele Gelder an dasselbe schon nebst Zinsen bezahlet hat, nicht gar als ein Bettler aus dem Lande vertrieben werde.

Denn zumindest im Strasburger Rathaus war man der Meinung, „selbst Sr. K. M. würden dergleichen nicht einmahl verlangen oder zugeben“, wobei man noch einmal hervorhob: „des Juden Baruch Marcus Armuth gehet uns sehr nahe, und wer irgend noch Menschenliebe hat und des Juden Umstände [...] kennet, der muß Mittleiden mit ihm haben“. 305 Ob man in diesen überaus bemerkenswerten Ausführungen jenseits eines in seinen geistesgeschichtlichen Wurzeln diffusen Mitleidens auch sozialreformerische Einflüsse des Pietismus erblicken kann, bleibt zwar Spekulation, erscheint jedoch nicht unplausibel. 306 Daß man jedenfalls am Ende des Jahrhunderts über bürgerliche Verbesserung der Juden nicht nur im Berliner Salon nachdachte, verdeutlicht schließlich ein in launigem Ton abgefaßtes Gutachten des Magistrats von Angermünde, mit dem dieser im Jahre 1797 zwar betonte, daß die Handlungs Juden denen christlichen gewaltigen Abbruch an der Nahrung stiften. Allein kann mann wohl ohne Gewltthätigkeit und Gewißensbiße, deren, schon so sehr beschräncktes Recht zum Handel noch mehr einengen, ohne sie zur Verzweiflung zu bringen. Wer die Summen der Abgaben kent womit dieße Volcks Classe belästiget ist, kennet, muß den Glauben von Wunderwercken annehmen wenn er siehet, daß sich die Juden mit ihren zahlreichen Famielien noch erhalten und auch ihre Praestanda abführen können. Auch der orthodoxeste Christ kann sie nicht verdammen, daß Sie das siebenthe Geboth auf ihren Gesetztafeln ausgelöschet haben. Mann ertheile sie nach den gründlichen Vorschlägen d.H. v. Dahm [!] das Bürgerrecht, mache sie dadurch nach und nach zu moralische Wesen und glückliche StaatsBürger – oder nehme sie allen Handlungs Verkehr, und ersäufe sie mit ihren Famielien im Jordan. 307 304 Strasburger Magistrat an einen namentlich nicht genannten Gläubiger des Baruch Marcus, 17. November 1776, BLHA, Rep. 8, Strasburg, Nr. 861. 305 Schreiben an das Königliche Lagerhaus Berlin vom 18. November 1779, BLHA, Rep. 8, Strasburg, Nr. 861. 306 Bislang fehlen quantifizierende Untersuchungen, die Aufschluß über die Breitenwirkung des Pietismus geben könnten. Siehe Sieg, S. 198; vgl. Schicketanz, insb.: S. 115 –121; Brecht.

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E. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur (1765 –1786)

Vor diesem Hintergrund möchte man Lieselott Enders zustimmen, die dazu aufforderte, „die Auffassung von der ‚allgemeinen geistigen Enge‘ der deutschen Kleinstädte im 18. Jh. zu überprüfen“. 308 Für die jüdische Geschichtsforschung würde dies bedeuten, die Befürworter einer Judenemanzipation im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht vornehmlich oder gar ausschließlich in den höheren Ebenen der Verwaltungshierarchie zu suchen, sondern auch die freilich meist utilitaristisch argumentierenden Magistrate und Steuerräte als Akteure des komplexen Veränderungsprozesses weitaus stärker als bisher wahrzunehmen. 309 Dies scheint um so notwendiger, als es gerade die hohe Ministerialbürokratie war, die in den 1790er Jahren zu einer Verschleppung der Reform des Judenwesens maßgeblich beitrug. Auf diese Zusammenhänge wird im Kontext der Templiner Manufaktur noch zurückzukommen sein. Hier genügt vorerst der Hinweis, daß sich Oberpräsident Friedrich Leopold Freiherr von Schroetter (1743 –1815), 310 unter dessen Ägide in Ostpreußen zeitweilig eine sehr restriktive und teilweise rechtswidrige Ansetzungspolitik betrieben wurde, 311 noch 1808 in einem Gutachten zu der geplanten Übersiedlung des aus Flatow in Westpreußen stammenden Levin Hentschel ins ostpreußische Ortelsburg beklagte: Der Steuerrath und der Magistrat haben zwar, wie es nur zu oft der Fall ist, auch diesmal den Wunsch der Juden unterstützet. Allein die christlichen Kaufleute, welche denselben Handel, wie er, zu führen berechtigt sind, haben dringend dagegen protestiert und die Ostpreußische: p. Kammer stimmt ganz gegen das Gesuch, worzüglich weil Ortelsburg an der Grenze liegt, wo zwar die Juden sich gern ansetzen, wo sie aber auch am wenigsten geduldet werden dürfen, indem sie dort am leichtesten Unordnungen veranlassen können und besonders zu beständigen Defraudationen Gelegenheit haben. 312

Um auf die rechtliche Situation bei der Niederlassung zweiter Kinder zurückzukommen, lassen sich die Befunde vorerst folgendermaßen bilanzieren: Offenbar war der König durchaus bereit, sich über den Wortlaut gewährter Privilegien hinwegzusetzen und das Generaldirektorium entsprechend zu instruieren. Dieses verfolgte den somit angedachten Rechtsbruch zwar nicht mit letzter Konsequenz, 307

Zitiert nach Enders, Reformgedanken, S. 223 – 224. vgl. Dies., Uckermark, S. 619 –

620. 308

Enders, Reformgedanken, S. 220. Stattdessen schreibt beispielsweise Rürup, Emanzipation und Antisemitismus, S. 18: „Die in einzelnen [deutschen] Staaten [vor 1800] eingesetzten Kommissionen arbeiteten nur zögernd und ohne rechten Erfolg. Wichtig waren sie oft nur insofern, als sie das Bewußtsein einer ‚Judenfrage‘ wachhielten und durch die von ihnen angeforderten Gutachten und Statistiken allmählich auch die mittleren und unteren Verwaltungsbeamten von der Notwendigkeit einer Lösung überzeugten.“ 310 Siehe zur Person Raumer, Schroetter und Schön; Ders., Schroetter und der Aufbau Neuostpreußens; Straubel, Struensee, S. 431 – 434. 311 Vgl. unten, Kap. K. III. 312 Gutachten vom 15. September 1808, abgedruckt bei Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 201 – 203, hier S. 203 (Hervorhebung durch den Verfasser). 309

VI. Angestrebte Niederlassungsbeschränkungen

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raffte sich gegenüber dem Monarchen jedoch ebensowenig zu einem Widerspruch auf. Wenn die freie Wahl des Wohnorts den zweiten Kindern vorerst durchgängig erhalten blieb, so war dies zumindest in den überlieferten strittigen Fällen eher den Stellungnahmen der mittleren und unteren Instanzen der Verwaltungshierarchie sowie den Interventionen der Judenältesten zuzuschreiben. Bereits diese Vorgänge, die sich vornehmlich hinter den Kulissen abspielten und kaum praktische Wirkung entfalteten, bieten Anlaß, die immer wieder behauptete Rechtssicherheit der Juden im friderizianischen Preußen mit einem Fragezeichen zu versehen. Noch dazu sollte die Situation der zweiten Kinder bald durch eine weitere Sonderabgabe tangiert werden, die wenige Monate nach Übernahme der Templiner Manufaktur eingeführt wurde. Die vorliegende Untersuchung hat deshalb sowohl die Uckermark als auch die Wollstrumpfproduktion zunächst zu verlassen und sich einem kaum gegensätzlicher zu denkenden Feld zuzuwenden, der Welt des höfischen Glanzes. Letzterer spiegelte sich im 18. Jahrhundert unter anderem in einem allseits bestaunten Material wider, das seit Friedrich dem Großen auch in Berlin angefertigt wurde, und mit dem bald auch die preußischen Juden freiwillig oder unfreiwillig Bekanntschaft schließen sollten: dem Porzellan.

F. Zur Porzellanherstellung in Preußen und ihren Problemen I. Die Geschichte der Porzellanherstellung in Preußen bis zur Gründung der Königlichen Porzellanmanufaktur (KPM) im Jahre 1763 Bereits im Laufe des 17. Jahrhunderts waren die Höfe Europas durch den Ostasienhandel der Holländer zunehmend mit chinesischem und japanischem Porzellan in Berührung gekommen. So spielten auch in Brandenburg-Preußen Porzellansammlungen seit dieser Zeit als Mittel höfischer Prachtentfaltung eine bedeutende Rolle – etwa als „begehbare Kunstwerke“ 1 in Gestalt eindrucksvoller Porzellankabinette, deren erstes Kurfürstin Louise Henriette (1627 – 1667), die erste Gemahlin des Großen Kurfürsten, im Oranienburger Schloß anlegte und das etwa 5.000 vorwiegend ostasiatische Porzellane zu einem repräsentativen Ensemble vereinigte. 2 Die bewunderte Farbe und Härte des weißen Golds aus dem fernen Asien führte bald vielerorts zu fieberhaften Versuchen, das Arkanum der Porzellanherstellung selbst zu ergründen. Schließlich war es der Apotheker und Alchimist Johann Friedrich Böttger, dem 1708 am Dresdner Hof der erste erfolgreiche Brand von echtem weißem Porzellan in Europa gelang. Sein Landesherr, August der Starke, gründete daraufhin im Jahre 1710 die Meißener Porzellanmanufaktur, die er bis 1733 auch persönlich leitete. Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahezu konkurrenzlos, erfuhr die Produktion des Porzellans mit den gekreuzten Schwertern, dem Zeichen der Meißener Manufaktur, eine gewaltige Steigerung. 3 Das sächsische Vorbild ließ auch an anderen Höfen den Wunsch nach Etablierung einer eigenen Porzellanmanufaktur wachsen, galt ein solcher Betrieb nach den Worten Herzog Karl Eugens von Württemberg doch geradezu als „notwendiges Attribut des Glanzes und der Würde“. 4 Ab 1746 kam es so zunächst in Höchst, des weiteren in Nymphenburg (1747), Fürstenberg (1747), Frankenthal (1755), Ludwigsburg (1758), Ansbach (1758) und anderswo zur Gründung von 1

Wittwer, Sinnliches Erleben von Macht, S. 14. Vgl. Reidemeister; Harksen; zum Porzellankabinett im Charlottenburger Schloß Windt. 3 Als Indikator mag hier die Beschäftigtenzahl dienen, die von 43 im Jahre 1712 über 378 (1750) bis auf 731 im Jahre 1765 anstieg. Siehe Reith. 4 Zitiert nach Reith, S. 188. 2

I. Die Geschichte der Porzellanherstellung in Preußen

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Manufakturen, die sich entweder auf aus Meißen abgeworbene Arbeiter oder auf sog. „Wanderarkanisten“ stützten, die überall ihr Glück versuchten. 5 In Preußen regierte bis 1740 allerdings Friedrich Wilhelm I., dessen Lebensstil eher an bürgerlich-puritanischen Vorstellungen ausgerichtet war, 6 und so hatte es vor 1740 lediglich einen Versuch gegeben, eine Porzellanmanufaktur zu errichten, als 1713 der spätere Minister Friedrich von Görne in Plaue bei Brandenburg an der Havel mit Hilfe eines aus Meißen geflohenen Arkanisten eine Fabrik gründete, die ohne fürstliche Protektion allerdings nicht über die Herstellung roten Steinzeugs hinausgelangte. 7 Erst die Thronbesteigung Friedrichs II., der schon als Kronprinz lebhaftes Interesse an den Porzellansammlungen des Großen Kurfürsten, Friedrichs I. und dessen Gemahlin Sophie-Charlotte gezeigt hatte und sich zeitlebens seine „wirkliche Faszination durch ein verführerisch glattes, schmeichelndes und farbig sprühendes Material“ 8 bewahrte, brachte auf diesem Felde neue Impulse. Nicht zuletzt aufgrund der großen Bedeutung, die der Produktion von Luxusgütern im Rahmen der friderizianischen Manufakturpolitik zukam, war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis auch die Gründung einer Porzellanmanufaktur als „Luxusindustrie par excellence im 18. Jahrhundert“ 9 von Friedrich dem Großen auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Nachdem es deshalb bereits 1740 zu einem erfolglosen Versuch mit dem Berliner Chemiker Heinrich Pott gekommen war, 10 erhielt schließlich 1751 der Wollzeugfabrikant Wilhelm Caspar Wegely (1714 – 1764) 11 von Friedrich das Privilegium exclusivum 12 zur Anlage einer Porzellanmanufaktur in der Hauptstadt. 13 Doch obwohl Wegely über die notwendigen technischen Kennt5

Vgl. Hofmann, Porzellan; Zick, S. 9. Legendär ist sein mit August dem Starken abgewickelter Tausch chinesischen Porzellans für ein Dragonerregiment; zu diesen „Dragonervasen“ siehe Bensch, S. 12 –13. 7 Von der kurzlebigen Manufaktur Görnes berichtet bereits Fontane, S. 105 –107; vgl. Schade, S. 23 – 44. 8 Keisch, S. 298. 9 Sombart, Luxus und Kapitalismus, S. 183 – 184. 10 Köllmann / Jarchow, S. 11. 11 Zur Person siehe Rachel / Wallich, S. 257 – 270. 12 Zu derartigen Privilegien als Mittel der Gewerbeförderung im 18. und frühen 19. Jahrhundert siehe Dölemeyer, Einführungsprivilegien. Dabei war Friedrich keineswegs ein unkritischer Anhänger der Vergabe von Monopolen. So heißt es im Politischen Testament von 1768: „Exklusive Privilegien gelten als den guten Staatsgrundsätzen entgegengesetzt, weil der, der nicht in Konkurrenz arbeitet, schlechte Ware liefert, das Publikum wenig befriedigt und oft zum Anstifter des Schmuggels wird. Diese Regel, so wahr im allgemeinen, hat doch gelegentlich Ausnahmen, weil Ihr Neugründungen nur mit Hilfe von Monopolen vornehmen könnt. Alle Handelsgesellschaften genossen in ihren Anfängen diesen Vorzug und die entstehenden Fabriken können nur auf diese Weise gedeihen. Bei Fabriken beschränken wir das Monopol auf 8 oder 10 Jahre; ist das Privileg erloschen, kann jeder die gleichen Waren herstellen.“ Zitiert nach Dietrich, S. 493. 13 Zur Geschichte der Manufaktur siehe Zick. 6

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F. Zur Porzellanherstellung in Preußen

nisse und einen soliden wirtschaftlichen Hintergrund verfügte, gab er seine in der Neuen Friedrichstraße eingerichtete Manufaktur, die offenbar ab 1755 eine breitere Produktion aufgenommen hatte, schon 1757, also während des Siebenjährigen Krieges, wieder auf. Das Interesse des Königs war nach diesem Fehlschlag jedoch keineswegs erloschen, sondern wurde vielmehr durch die unmittelbare Anschauung der besetzten Meißener Manufaktur weiter befeuert. Nach erfolglosen Verhandlungen mit dem Hamburger Kaufmann Carl Heinrich Schimmelmann 14 fand Friedrich im November 1760 schließlich in Johann Ernst Gotzkowsky den geeigneten Mann, die Porzellanherstellung in Preußen wieder aufzunehmen. Dieser nahm denn auch die Errichtung der Produktionsstätte in der Leipziger Straße sowie die Anwerbung von Fachpersonal energisch in die Hand. Letzteres setzte sich einerseits aus einheimischen Kräften zusammen, die noch unter Wegely gearbeitet hatten, 15 wurde aber auch durch in Meißen abgeworbene Spezialisten gezielt erweitert. Zu Gotzkowskis Personalentscheidungen, die für die Manufaktur von jahrzehntelanger Bedeutung sein sollten, gehörte dabei insbesondere die Bestellung des „Königl. Polnischen und Churfürstl. Sächsischen Kommissions Rats“ Johann Georg Grieninger (1716 –1798) 16 zum Leiter der Manufaktur. So befand sich die Berliner Fabrique de Porcelaine scheinbar auf dem richtigen Weg und konnte dem König bereits 1762 erste Kostproben ihrer Arbeit überreichen, die mit Zufriedenheit entgegengenommen wurden. Gefahr drohte jedoch von anderer Seite: Gotzkowsky, in den Kriegsjahren in gewagte Finanztransaktionen verwickelt, verlor zunehmend an Liquidität, wie sich schon Mitte des Jahres 1762 zeigte. Die Katastrophe brach schließlich über ihn herein, als im Zuge der Nachkriegskrise das Amsterdamer Bankhaus de Neufville, mit dem Gotzkowsky in Verbindung stand, Bankrott machte und den Berliner Großkaufmann mit in den Abgrund riß. Doch noch einmal sollte die Berliner Porzellanmanufaktur allerdings nicht eingehen. Denn der König, der die von Gotzkowsky betriebenen Unternehmen „absolute conserviret wissen“ 17 wollte, entschloß sich im September 1763 zum Kauf des Betriebes zum stolzen Preis von 225.000 Rt. Er erhielt dafür eine Manufaktur, die mit 146 Mitarbeitern 18 bereits zu den größeren ihrer Art in Deutschland zählte und sich technisch und künstlerisch durchaus in gutem Stand befand. 19 Mit Meißen, wo 1765 731 Arbeiter angestellt waren, konnte der Betrieb allerdings noch nicht konkurrieren. 20 14

Vgl. Rachel / Wallich, S. 432 – 437. Baer, Von Gotzkowsky zur KPM, S. 54 – 55. 16 Zur Person Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 478 –479. 17 Zitiert nach Baer, Von Gotzkowsky zur KPM, S. 36. 18 Köllmann / Jarchow, S. 29. 19 Zur positiven kunsthistorischen Bewertung ebd., S. 27. Probleme bereitete allerdings die „schöne weiße Farbe des Meißner Porzellans“, die mit der in Berlin verwendeten Passauer Kaolinerde nicht zu erreichen war. 20 Ebd., S. 28. 15

II. Zur fiskalischen Funktion der KPM

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II. Zur fiskalischen Funktion der KPM Mit der Übernahme der Gotzkowsky-Manufaktur, die nunmehr unter dem Namen „Königliche Porzellanmanufaktur“ (KPM) firmierte und das Szepter, Symbol der Kurwürde Brandenburgs, als Markenzeichen führte, hatte sich Friedrich für den im Rahmen seiner Manufakturpolitik eher ungewöhnlichen Schritt entschieden, selbst als Unternehmer tätig zu werden. Die besondere Stellung der KPM kam auch dadurch zum Ausdruck, daß sie weder dem Fabrikendepartement noch der Kurmärkischen Kammer, sondern immediat dem König unterstellt wurde. Der Monarch bestätigte Grieninger in seinem Amt, der fortan als „Manager“ für das Tagesgeschäft zuständig war, während sich Friedrich die strategischen Entscheidungen selbst vorbehielt, wobei die Aufsicht des Königs neben seinen zahlreichen Besuchen in der Manufaktur vor allem durch die Einsicht monatlich von Grieninger zu erstellender Kassenextrakte erfolgte. 21 Damit stellt sich die Frage, welche Ziele der König mit seinem neuen Betrieb verfolgte, denn während für ein privates Unternehmen der Betriebszweck zwangsläufig im Streben nach Gewinn besteht, muß die Leistungskonzeption für eine staatliche Manufaktur politisch definiert werden. Neben der Erzielung von Überschüssen zugunsten des Staatshaushaltes (fiskalische Funktion) sind nach Siebeneicker 22 für eine Manufaktur des Luxusgewerbes wie die KPM folgende Betriebszwecke denkbar: • die Mitwirkung bei der Selbstdarstellung des Staates nach außen (repräsentative Funktion) • die Unterstützung der privaten Unternehmen auf technischem oder künstlerischem Gebiet (entwicklungspolitische Funktion) • die Versorgung der Bevölkerung mit Produkten, die von privaten Unternehmen nicht angeboten werden (distributive Funktion). Zweifellos erfüllte die KPM wichtige Repräsentationsaufgaben, dienten ihre Erzeugnisse dem Monarchen doch zur Ausstattung der königlichen Schlösser und der Tafel sowie als Geschenke für verdiente Generäle, Freunde und Verwandte. 23 Selbst außenpolitische Bedeutung kam Porzellanpräsenten zu, wie insbesonde21

Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 24; Bensch, S. 41 –43. Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 19. 23 Noch dazu avancierte die Manufaktur rasch zur Sehenswürdigkeit für durchreisende Fremde. Siehe beispielsweise Nicolai, Beschreibung (1769), S. 319 –320. Gerade Besuche ausländischer Fürsten spielten dabei auch ökonomisch eine große Rolle, zogen sie doch meist „allerhand Bestellungen“ nach sich. Zahlreiche Beispiele finden sich bei Grieninger, der bilanziert: „Welcher Vortheil für ein neues Werk, wenn desselben Waaren und der darauf verwendete Fleis durch Regenten und Personen vom ersten Range in fremden Landen und überall bekannt gemachet worden?“ Siehe Grieninger, S. 288. Auch Ahmed Resmi Efendi (1700 – 1783), der zwischen November 1763 und Mai 1764 die erste osmanische 22

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F. Zur Porzellanherstellung in Preußen

re das berühmte Dessertservice verdeutlicht, das Friedrich 1772 für die Zarin Katharina in Auftrag gab und das nicht nur zu den größten Schöpfungen der Porzellankunst zu zählen ist, sondern darüber hinaus dabei helfen sollte, das von Friedrich spätestens seit dem Siebenjährigen Krieg als höchst wichtig erkannte Verhältnis zu Rußland zu befestigen. 24 Im Kern ging es dem König jedoch um etwas anderes, wie die Instruktion verdeutlicht, die er der Manufaktur im Jahre 1775 erteilte. Darin heißt es: Der Haupt Endzweck ist also, den Debit der Porcellaine zu erweitern und auszubreiten. Dazu wird erfordert, daß die Manufaktur beständig in einem hinlänglichen Vorrath von allen Sorten schönen und goustueusen Porcellains, vorzüglich dergleichen, so bey dem Publico am mehresten Geschmack finden und am häufigsten abgehen, erhalten, und daß die Bestellungen auf das prompteste befordert, auch daß die Preise nicht zu hoch, sondern Verhältnißmäßig gestellet werden, damit die Manufactur durchgehends, und besonders auswärts, sich recommendiren und dadurch immer mehr Bestellungen an sich ziehen möge. 25

Bereits im Politischen Testament von 1768 hatte der König die Erwartung formuliert, das Porzellan werde „uns auch einen kleinen Absatz bringen“ 26 und so zu einer positiven Handelsbilanz beitragen. Während die Rentabilität der meisten Porzellanmanufakturen des 18. Jahrhunderts höchst fragwürdig einzuschätzen ist, 27 sollte die KPM also mehr darstellen als eine „fürstliche Laune“. 28 Im Gesamtzusammenhang merkantilistischer Gewerbeförderung und einer gerade durch Friedrich den Großen forcierten Ansiedlung von Manufakturen der Luxussparte ging es um die Schaffung eines wirtschaftlich gesunden Unternehmens, das in der Lage war, Überschüsse für die königlichen Kassen zu erwirtschaften. Die Funktion der KPM war demnach in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens vornehmlich eine fiskalische. 29 Die zu erwartenden Überschüsse sollten dabei der durch Kriegsrat Buchholtz verwalteten Dispositionskasse zugute kommen, in die das Generaldirektorium keinerlei Einblick nehmen konnte und die deshalb ein „impenetrables Geheimnis“ 30 blieb. Gesandtschaft nach Berlin anführte, berichtet in seinem Reisebericht von der KPM. Siehe Siebers, S. 60 – 61. 24 Falcke, S. 187. 25 Instruktion und Reglement für die KPM vom 7. September 1775, § 3; zitiert nach Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 25. 26 Dietrich, S. 491; vgl. ebd., S. 497. Hoffnungen für einen besseren Porzellanexport richtete Friedrich ebd., 493 auch auf den Hafen von Emden. Im dortigen Stadtarchiv findet sich ein Schreiben des Bürgermeisters an den Magistrat vom 26. Mai 1769, welches die geplante Etablierung einer KPM-Niederlage in einem mietsweise durch den Buchbinder van Jennelt bewohnten Hause betrifft. Über eine Verwirklichung der Pläne gibt die Akte indes keinen Aufschluß. Siehe StA Emden, II, Nr. 763. 27 Vgl. Hofmann, Porzellan, S. 53 – 54. 28 Köllmann / Jarchow, S. 55. 29 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 25.

III. Probleme des „auswärtigen Debits“

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III. Probleme des „auswärtigen Debits“ bis zur Einführung des Exportzwangs für die Lotteriepächter und die Judenschaft im Jahre 1769 Um den wirtschaftlichen Erfolg der KPM sicherzustellen, wurde diese mit umfangreichen, jedoch durchaus zeittypischen Privilegien ausgestattet, von denen an erster Stelle das bestätigte Monopol der Porzellanherstellung zu nennen ist, das bereits Wegely und Gotzkowsky besessen hatten. 31 Ferner genoß die Manufaktur ab 1765 Zoll- und Akzisefreiheit für ihre Waren 32 sowie für das von ihr benötigte Brennholz und für die über Oder, Saale und Elbe herangeführte Kaolinerde, 33 den wichtigsten Rohstoff der Porzellanherstellung. Das Holz bezog die KPM noch dazu kostenfrei aus den Königlichen Forsten um Berlin und mußte lediglich für den Schlägerlohn und den Transport aufkommen. 34 Ebenfalls 1765 erließ der König ein Einfuhrverbot für sächsisches Porzellan 35 dessen mit Zöllen in Höhe von 30 % belegter Durchfuhrhandel über die Frankfurter Messe vorerst noch gestattet blieb 36 – ein Schlupfloch, das freilich bereits im Juli 1768 durch eine verschärfende Verordnung geschlossen wurde. 37 Im April 1774 wurden die Verbote auf ostindisches und 1775 auf württembergisches Porzellan ausgedehnt, bevor schließlich im September 1780 die Einfuhr allen ausländischen Porzellans sowie englischen Steinguts untersagt wurde. 38 Dieses Verbot ging soweit, daß selbst zuziehende Ausländer ihr in Privatbesitz befindliches Porzellan nicht einbringen durften, hatte Friedrich doch verordnet: „... das sollen sie auswärts zu Geld machen“. 39 30

Haussherr, S. 142; zur Dispositionskasse ferner Riedel, S. 112 –122; Schneider, Staatswirtschaft, S. 106 – 109. 31 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 25; Bensch, S. 66 –67. 32 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 526. 33 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 26. 34 Ebd. Auch nach Einführung der Holzhandlungssozietät im Jahre 1766 behielt die KPM das Recht, selbständig Fuderholz zu beziehen – ein Privileg, das in Berlin nur noch das Lagerhaus, die Realschule sowie die Kalkscheunen besaßen. Siehe Rehfeld, Versorgung der Stadt Berlin, S. 94. 35 Siehe das zugrundeliegende Edikt vom 7. Mai 1765 in N.C.C., Bd. 3, Sp. 723 – 726; Bergius, S. 124; Scotti, Bd. 3, S. 1628; A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 678; siehe ferner die Kabinettsordre vom 23. Juni 1766 ebd., Bd. III/2, S. 278. 36 Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Breslau, 6. September 1765, A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 261. 37 d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 165, vgl. ebd., S. 299; A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 678; ebd., Bd. III/2, S. 252 – 254. 38 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 678 – 679. 1780/81 soll auf den Frankfurter Messen noch Fürstenberger Porzellan im Wert von 455 Rt. verkauft worden sein. Siehe ebd., S. 508. 39 Ebd., S. 679.

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F. Zur Porzellanherstellung in Preußen

Die solchermaßen unterstützte KPM war zwar durch die Nachkriegskrise kaum betroffen und vermochte es, ihren Umsatz zwischen 1763/64 und 1771/72 von 11.927 auf 94.502 Rt. zu erhöhen. 40 Gleichwohl standen der vom König geradezu in Permanenz angemahnten Ausweitung des Debits 41 schwerwiegende Hindernisse entgegen. So war der potentielle Kundenkreis der KPM, bei deren Erzeugnissen es sich nicht um Produkte des täglichen Bedarfs, sondern um „ehrfürchtig bewunderte Spitzenleistungen“ 42 handelte, außerordentlich schmal und beschränkte sich auf Adel und Großbürgertum. 43 Nach einem Generalextrakt des Finanzrats Ursinus sollen beispielsweise 1752 in der Kurmark nur für rund 3.500 Rt. Porzellanund Glaswaren konsumiert worden sein. 44 Auch die Außenhandelsstatistik der Grafschaft Ravensberg listet noch für das Jahr 1787/88 Porzellan- und Glaswaren im Wert von gerade 1.104 Rt. für die Einfuhr einschließlich der Durchfuhr auf. 45 Noch dazu darf man „bey der großen Aehnlichkeit des Naschens mit den Luxuswaaren“ 46 vermuten, daß sich für die Porzellanmanufaktur auch der aus merkantilistischen Erwägungen geführte Kampf gegen den Kaffeekonsum 47 negativ auswirkte. Auf diese Weise blieb der König selbst sein bester Kunde, machten seine Bestellungen in den ersten zehn Jahren des Bestehens der KPM mit einem jährlichen Durchschnitt von 15.463 Rt. doch nicht weniger als 24 % des Umsatzes der Manufaktur aus. 48 Von besonderem Interesse war für den Monarchen jedoch zeitlebens die Exportrate seiner Porzellanmanufaktur, 49 bei der sich die in den vorangegangenen Jahren gewachsene Konkurrenz sehr deutlich bemerkbar machte. Wie pessimistisch vor diesem Hintergrund die Marktlage von manchen Beamten eingeschätzt wurde, zeigt ein Gutachten vom Januar 1768, wonach angesichts der beherrschenden Stellung des aus Holland importierten ostindischen Porzellans 50 sowie der Delffter Fayence und des englischen Steinguts 40

Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 26. Entsprechende Belege ließen sich hier tatsächlich in Hülle und Fülle anführen und finden sich unter anderem in den Kabinettsminüten. Siehe beispielsweise GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 71, S. 115. 42 Köllmann / Jarchow, S. 44. 43 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 27. 44 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 438. Nach Schultze, Mark Brandenburg, Bd. 5, S. 101 wurde jedoch Porzellan im Wert von 7.631 Rt. (auch für den Durchfuhrhandel) importiert. Zum Vergleich wurden für französische Weine 137.657 Rt. aufgewendet. 45 Potthoff, S. 179 – 256, hier: S. 226. 46 Donnersmarck, S. 26. 47 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 271, 471, 743 – 747; Schmidt, Stettin, S. 163. 48 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 27. 49 Ebd. 50 Zum großen ökonomischen Stellenwert dieser Einfuhren Treue, Ostasiatisches Porzellan. 41

III. Probleme des „auswärtigen Debits“

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zum Debouché des hiesigen Porcelains weiter nichts übrig [bleibe] als Mecklenburg, die Schweitz, Italien, Pohlen und Rußland. Denn in Frankreich, zu Wien und in Sachsen, imgleichen im Reiche, bey Mannheim und im Baden-Durlachschen sind bekanntermaßen bereits schöne Porcelain-Fabriquen etabliret. 51

Auch die neuere Forschung unterstrich den hier anklingenden Konkurrenzkampf, der in Deutschland besonders scharfe Züge annahm: „Die Anzahl der Porzellanfabriken, wie sie über ganz Europa hin im Laufe des 18. Jahrhunderts ins Leben traten und mit mehr oder weniger Erfolg zeitweilig blühten und wieder untergingen, ist erstaunlich groß. Deutschland steht, was die Menge und die künstlerischen Erfolge seiner Fabriken wie ihre kulturgeschichtliche Bedeutung betrifft, als klassisches Land des Porzellans an der Spitze. Den Ruhm aber und die ungeheure Produktionsfähigkeit von Meißen, das Friedrich der Große einmal ‚Peking de Saxe‘ genannt hat, erreichte keine einzige der Nachfolgemanufakturen.“ 52 Noch dazu wirkte sich Friedrichs notorisches Mißtrauen gegenüber (auswärtigen) Kaufleuten hemmend aus. Als sich beispielsweise 1765 „verschiedene, fremde gute Häuser mit der Manufaktur in Handel einlassen wollten, nämlich auf Credit“, lehnte der König diese „impertinenten Conditionen“ 53 ab und bestand auf barer Bezahlung der Ware. Wie Grieninger notiert, erhielt er deshalb „allezeit zur Resolution: innerhalb und auserhalb den Königl.en Landen solche Kaufleute auszumitteln, die [...] für ihre eigene Rechnung Porzellän Magazine errichten und Handel damit treiben wollen. Von fremden Landen fand sich hierzu Niemand.“ 54 So wurden vorerst in den Jahren 1765 und 1766 lediglich im Inland Niederlagen eingerichtet, nämlich in Breslau, Königsberg, Stettin, Magdeburg, Halle, Minden und Emmerich. 55 In dieser Situation ergriff der König bereits Mitte der 60er Jahre besondere Maßnahmen der Absatzförderung, die nur einem Landesherrn zur Verfügung standen. So unterbreiteten die im Rußlandhandel engagierten Berliner Kaufleute Schweigger und Söhne 1766 hier nicht näher darzulegende Vorschläge, die ihnen eine monopolartige Stellung im St. Petersburger Kommissionshandel gesichert hätten und boten dafür unter anderem an, jährlich für 15.000 Rt. Porzellan zu exportieren, was natürlich umgehend Friedrichs Interesse weckte. 56 Wenngleich sich das Haus Schweigger bereits 1767 für insolvent erklären mußte, hatte es doch bis dahin offenbar Porzellan für 7.291 Rt. angekauft. 57 Im Mai 1767 richtete 51

GStA PK, Rep. 96, Nr. 422 F3, Bd. 1, Bl. 43. Hofmann, Porzellan, S. 55. 53 Zitiert nach Bensch, S. 81. 54 Zitiert nach Köllmann / Jarchow, S. 285. 55 Ebd., S. 46. 56 Näheres zu diesem Projekt in A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 551 –555; Schmidt, Stettin, S. 139 – 145. 57 A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 556. 52

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F. Zur Porzellanherstellung in Preußen

der König zudem erstmals den Blick auf eine der nach dem Siebenjährigen Krieg gegründeten Monopolgesellschaften und versuchte, die wenig erfolgreiche Levantische Handelskompagnie zu verpflichten, Porzellan u. a. nach Spanien zu exportieren. 58 Als erfolgreicher erwies sich jedoch ein Vorstoß bei der 1763 eingerichteten preußischen Zahlenlotterie, deren Pacht mittlerweile der Oberhofmarschall Graf Heinrich IX. Reuß (1711 –1780) 59 sowie Graf Friedrich Wilhelm von EichstedtPeterswalde (1704 –1772) 60 übernommen hatten. Die KPM kam nun anläßlich der Vertragsverlängerung für die vierte Pachtperiode (1770 – 1776) ins Spiel, für die sich Reuß und Eichstedt-Peterswalde mit einer Eingabe vom 10. Juni 1769 verpflichteten, nicht nur eine erhöhte Pacht von 40.000 Rt. pro Jahr zu entrichten, sondern zugleich jährlich für 6.000 Rt. Porzellan aus der Manufaktur des Königs anzukaufen, um es „für eigene Rechnung behalten und durch unsere auswärtigen Commissaires ausser Landes verkaufen“ 61 zu lassen. Genau einen Monat später, nach erfolgreichem Abschluß des Pachtvertrages, wandte sich EichstedtPeterswalde an die KPM-Direktion und bat, bei der Zusammenstellung künftiger Porzellanlieferungen lediglich zu einem Viertel figürliches Porzellan wie Tafelaufsätze und Vasen abnehmen zu müssen, „welche nicht zum wircklichen Gebrauche“ geeignet seien. 62 In dieser Eingabe klingen bereits Reserven an, die später auch beim Judenporzellan eine große Rolle spielen sollten. Denn offenbar legte die Manufakturleitung großen Wert darauf, gerade das ansonsten nur schwer absetzbare figürliche Porzellan auf dem Wege besonderer Zwangsmaßnahmen ins Ausland zu exportieren. Fallweise wird auf den Porzellanexport der Lotteriepächter 63 auch in den folgenden Kapiteln noch zurückzukommen sein. Es bleibt hinzuzufügen, daß sich Reuß im Juni 1773 zusätzlich zu einer Abnahme von Porzellan im Wert von 600 Rt. jährlich verpflichtete. Im Gegenzug erhielt er die Konzession zur Eta58

Ebd., S. 597. Reuß stammte aus dem Vogtland und wurde 1748 zum Tribunalsrat berufen. 1752 avancierte er zum Justizminister und war später als Direktor der Kurmärkischen Landschaft sowie seit 1763 als Oberhofmarschall tätig. Siehe Klaproth, S. 433. 60 Eichstedt-Peterswalde stammte aus Pommern und wurde 1756 zum Staatsminister und Grand Maitre de la Garde de Robe bestellt. Zudem fungierte er als Erbkämmerer in Vorpommern und als Ritter des Johanniterordens. Siehe Ebd., S. 437. 61 Warschauer, S. 39. 62 MA, I, Porcellaine-Absatz an die Lotterie Pacht Societé, Bl. 4. Allerdings mußte Grieninger schon am 20. September bei Hofrat Bertram vorstellig werden, da die Lotteriepächter bislang lediglich Einkäufe im Wert von 431 Rt. getätigt hätten, was ihn bei der Abfassung der summarischen Kassenextrakte gegenüber dem König in Erklärungsnotstand bringe. Bertram machte für die Verzögerungen die Abwesenheit des sich in Magdeburg aufhaltenden Reuß verantwortlich sowie die Tatsache, „daß die Herren Grafen nicht einig werden können, was Sie nehmen wollen“. Siehe ebd., Bl. 10 –11. 63 Vgl. auch Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 28 –29. 59

III. Probleme des „auswärtigen Debits“

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blierung der Westpreußischen Zahlenlotterie in der nun an Preußen gefallenen Danziger Vorstadt Langfuhr. 64 Sowohl die Berliner als auch die Westpreußische Lotterie entwickelten sich in den folgenden Jahren zu einem einträglichen und florierenden Geschäft, so daß der für die fünfte Pachtperiode (1776 – 1785) bereits am 28. März 1774 unter Federführung Schulenburg-Kehnerts geschlossene Vertrag die Pachtsummen deutlich auf 55.000 bzw. 2.500 Rt. jährlich erhöhte und weiterhin einen jährlichen Porzellankauf von 6.600 Rt. vorsah. 65 Für die sechste Pachtperiode (1785 –1794) wurden durch den Vertrag vom 26. Dezember 1783 die Konditionen nochmals zugunsten des Fiskus verschärft. Zu zahlen war nun eine jährliche Pacht von 63.000 Rt. für die Berliner und 12.500 Rt. für die Westpreußische Lotterie. Gleichzeitig war für beide Konzessionen Porzellan im Wert von 8.000 bzw. 1.600, also zusammen für 9.600 Rt. jährlich abzunehmen. 66 Anhand der vorangegangenen Ausführungen sollte bereits deutlich geworden sein, daß sich der Landesherr und der KPM-Chef in der Person Friedrichs kaum trennen lassen, indem der erstere vielfach zugunsten des letzteren von seinen umfassenden Rechten als preußischer König Gebrauch machte. Zu dessen Regalien zählte freilich nicht nur die Privilegierung von Handels- oder Lotteriegesellschaften, sondern auch die Vergleitung von Juden. Auf die Idee, sich diese Tatsache zugunsten der Porzellanmanufaktur zu Nutze zu machen, kam im Frühjahr 1769 offenbar jener Minister, der über den engsten Kontakt zum König verfügte und der nach dessen Meinung alle seine Kollegen überragte, indem er durch „Tatkraft den Mangel an Geist“ 67 zu ersetzen wußte: Ludwig Philipp Freiherr von Hagen (1724 – 1771). 68

64 Ferner entrichtete der Graf eine jährliche Pacht von 1.333 Rt., die an die Servicekasse und die Domainenkasse in Marienwerder flossen. Siehe Warschauer, S. 40 –41; vgl. das Reskript an Grieninger vom 14. Juni 1773 in MA, I, Porcellaine-Absatz an die Lotterie Pacht Societé, Bl. 18. 65 Warschauer, S. 42 – 44; vgl. Schulenburg-Kehnert an Grieninger, 25. Februar 1776, MA, I, Porcellaine-Absatz an die Lotterie Pacht Societé, Bl. 19. 66 Warschauer, S. 50; vgl. Schulenburg-Kehnert an die KPM-Direktion, 29. Dezember 1783, MA, I, Porcellaine-Absatz an die Lotterie Pacht Societé, Bl. 30. 67 So im Testament von 1768. Siehe Dietrich, S. 497. 68 Zur Person Posner; Johnson, S. 274 – 278.

G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 – 1779) I. Einführung und erste „Ausführungsbestimmungen“ 1. Das Kabinettsdekret vom 21. März 1769 Die Geschichte des Judenporzellans beginnt am 21. März 1769 mit folgendem Kabinettsdekretschreiben: Seine Königliche Majestät in Preußen etcetera unser Allergnädigster Herr, haben zu Beförderung des Vertriebes derer bei Dero Porcellain-Manufactur verfertigten Porcellaine und um solche außer Landes mehr und mehr bekannt zu machen, allergnädigst resolviret, daß die Juden bey ihrer jedesmahligen Ansezung auch wenn sie die Erlaubnis erhalten ein Haus zu acquiriren, ein für allemahl ein gewißes mäßiges Quantum Porcelain, und zwar ein Jude, der auf ein General-Privilegium angesezet wird oder solches erlanget, für 500 Rt., ein ordinairer Schuz-Jude für 300 Rt., und bey Erlangung einer Concession zum Haus-Ankauf oder einer sonstigen Beneficirung, gleichfalls für 300 Rt. zunehmen, und außer Landes zu debitiren, und daß beydes geschehen, durch Beybringung hinlänglicher Bescheinigungen vor Extradition des Privilegii darzuthun gehalten seyn sollen, und solches Dero General-Directorio, und daß Selbiges auf deßen genauen Befolgung bei jedem vorkommenden Fall sehr ernstlich halten soll, hierdurch allergnädigst bekannt machen wollen. Potsdam den 21. Martii 1769. An das General-Directorium. 1

Friedrich

Daß dieser Befehl aufgrund einer Initiative Hagens vom 19. März zustande gekommen war, geht aus einem Schreiben hervor, das der König am selben Tag an seinen Minister richtete, den er wissen ließ, er habe dessen „Vorschläge zu Beförderung des Porcelains-Debits sehr gut befunden“. 2 Das Reskript wurde in den folgenden Tagen sämtlichen Departements des Generaldirektoriums, allen 1 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 1; GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F 3, Bd. 1, Bl. 46. 2 GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 71, Bl. 79; vgl. A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 388 –389. Ob bei der Regelung eventuell Verordnungen in anderen Territorien Pate standen, ist unklar. Im Israelitischen Familienblatt vom 7. August 1924 findet sich ein auf das „Judenporzellan“ bezugnehmender Leserbrief, in dem es heißt: „Es ist wenig bekannt, daß auch die hessischen Landgrafen in Kassel die dortigen Juden veranlaßten, Porzellan und Tuch aus den landesherrlichen Fabriken zu kaufen, namentlich von 1740 bis 1795. Aber es fehlte nicht

I. Einführung und erste „Ausführungsbestimmungen“

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Kammern und Deputationen sowie dem Generalfiskal zur künftigen Befolgung zugestellt. 3 Auf Betreiben des Finanzrats Kahle erfolgte dabei die verschärfende Präzisierung, wonach Juden, die sich bereits bei anderen Anlässen zu Manufakturwarenexporten verpflichtet hatten, nicht berechtigt sein sollten, derartige Auflagen durch Porzellanexporte zu erfüllen. 4 Auf Basis dieses Aktenstandes und unter der Voraussetzung, daß die Regelungen des Generalreglements von 1750 sowie der nach 1763 für die zweiten Kinder getroffenen Vereinbarungen auch fernerhin respektiert wurden, wäre das Kabinettsdekret vom 21. März folgendermaßen zu interpretieren: Ein Porzellanexport wurde fortan bei der Neuvergabe eines ordentlichen Schutzbriefs (300 Rt.), eines Generalprivilegs (500 Rt.) sowie einer Konzession zum Hausbesitz (300 Rt.) fällig. Nicht erstrecken konnte sich der Befehl des Königs auf die Ansetzung von ersten Kindern, da diese nicht als neu gewährtes Benefizium galt, sondern lediglich der Approbation des Generaldirektoriums und eines nachzuweisenden Vermögens von 1.000 Rt. bedurfte. 5 Ebensowenig konnten die zweiten Kinder bei ihrem Etablissement herangezogen werden, hatte der König im Templiner Vertrag doch gerade drei Monate zuvor mit Brief und Siegel versichert, dabei künftig von weiteren Exportforderungen Abstand zu nehmen. 6 Demnach mußte sich die Präzisierung des Reskripts durch Kahle lediglich auf die Empfänger neuer Schutzbriefe sowie auf jene zweiten Kinder beziehen, die nach ihrem Etablissement in den Genuß einer Konzession zum Hausbesitz oder eines anderweitigen Benefiziums kamen. Ferner war in dem Befehl des Königs auch nicht von außerordentlichen Schutzjuden die Rede, die folglich ebenfalls nicht zu berücksichtigen waren. Dies alles müßte man vermuten, wenn man mit Teilen der heutigen Forschung davon ausginge, daß es im friderizianischen Preußen so etwas wie eine verbindliche „Judenverfassung“ gegeben habe. Allerdings wäre das Judenporzellan unter diesen Bedingungen kaum einer näheren Untersuchung wert, denn wenn die bisherigen Reglements und Edikte befolgt wurden, mußte der Exportzwang künftig tatsächlich auf die Neuvergabe von ordentlichen Schutzbriefen, Generalprivilegien und Konzessionen zum Hausbesitz beschränkt bleiben. Derartige Gelegenheiten hatten im friderizianischen Preußen allerdings eines gemeinsam: Sie kamen selten vor, hätten sie doch in größerer Häufung zwangsläufig zu einer unerwünschten an Gegenleistungen: Man erhielt Schutz für den 2. und 3. Sohn, konnte in einen anderen Ort ziehen, wurde Hofagent oder Hofhalter, konnte seine Tochter mit einem Ausländer verheiraten und dergl. mehr.“ Dem Autor fehlte die Gelegenheit, den Tatsachengehalt dieser Meldung nachzuprüfen. 3 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 2 –5. 4 Ebd., Bl. 5; vgl. Kahles Marginal ebd., Bl. 3. 5 Vgl. oben, Kap. C. II. 6 Vgl. oben, Kap. E. II.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Vermehrung der Judenschaft geführt. Große Umsatzsteigerungen der Porzellanmanufaktur waren unter diesen Umständen unmöglich zu erwarten, so daß man sich fragt, wie es die preußischen Juden nur geschafft haben mögen, binnen zehn Jahren die bereits angeführten Exportrückstände im Wert von mehr als 200.000 Rt. aufzuhäufen. Allein diese Summe, zu der schließlich noch die tatsächlich geleisteten Exporte hinzuzuzählen wären, müßte bei einer durchschnittlichen Kaufsumme von 300 Rt. auf eine Neuvergabe von rund 670 Konzessionen schließen lassen. Strömten in den Jahren nach 1769 etwa Hunderte jüdischer Hausväter aus Polen ins Land, die sogleich mit offenen Armen und einem Schutzbrief empfangen wurden? Oder vergaben die Behörden im gleichen Zeitraum hundertfach Konzessionen zum Hausbesitz? 670 Privilegien in zehn Jahren – wie kommt diese vor dem Hintergrund der friderizianischen „Judenverfassung“ unverständlich hohe Zahl zustande? Diese Frage soll vorerst zurückgestellt werden, erfordert ihre Beantwortung doch einen Gang in die Provinz, um gleichsam vor Ort zu prüfen, auf welche Weise der neueste Exportzwang umgesetzt wurde. Bleibt man vorerst hinsichtlich der Überlieferung im Berliner Schloß sitzen, blättert man also weiter in den Akten des Generaldirektoriums, so stößt man neun Monate später erstmals auf Hinweise, die auf Komplikationen schließen lassen. 2. Die Bestimmung von Exportsortimenten Die ersten Probleme, von denen man in den Akten des Generaldirektoriums liest, waren – vordergründig – praktischer Natur. Ihren Niederschlag fanden sie am 27. November 1769 in einer Beschwerde der KPM-Direktion beim Generaldirektorium, 7 das am 15. desselben Monats offenbar jüdischen Suppliken gefolgt war und angeordnet hatte, daß es den Zwangskäufern freistehen solle, innerhalb des Warensortiments der Manufaktur die von ihnen zu exportierenden Stücke selbst auszuwählen. 8 Gegen diese Entscheidung protestierte nun Grieninger, der hervorhob, die KPM habe bereits in der Vergangenheit nach Möglichkeit auf die Wünsche der Juden Rücksicht genommen. Dies sei jedoch lediglich in begrenztem Umfange möglich gewesen, da meist ausschließlich „das geringste Guth“, also vor allem unbemalte Weißware, gefordert worden sei. Daraufhin habe man sich zu einer Regelung entschließen müssen, nach der die Juden von denen dreyerlei Sorten Porcelainen und zwar von der feinen Sorte 1/3tel, von der mitlern Sorte 1/3tel und von der geringsten Sorte gleichfals 1/3tel zu nehmen gehalten 7 Diese Stellungnahme Grieningers konnte bislang nur als Abschrift aufgefunden werden, und zwar in StA Lippstadt, Bestand B, Nr. 2367 sowie in StA Angermünde, Nr. 973, Bl. 45 – 46, hiernach die folgenden Zitate. 8 Sowohl die Supplik als auch das Reskript des Generaldirektoriums haben sich offenbar nicht erhalten. Auf ihre Existenz kann jedoch durch das im folgenden angeführte Schreiben der KPM-Direktion vom 27. November 1769 geschlossen werden.

I. Einführung und erste „Ausführungsbestimmungen“

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sind. Die Manufactur hat bey diesem Principio zum Voraus gesetzet, daß ihr diese Branche des Debits als ein Beneficium gnädigst accordiret worden und sich dahero für berechtiget gehalten, solches in dem Umfang zu excerciren, als sie geglaubet, daß solches der Königlichen Absicht gemäß sey.

Zu dieser Entscheidung habe es keine Alternative gegeben, da es das Renommee der Manufaktur – auf dessen Steigerung im Ausland die Befehle des Monarchen schließlich abzielten – erfordere, „daß sie die Waaren zum auswärtigen Debit selbst von allen Sorten choisire, damit die Mannigfaltigkeit ihrer Producten durchgehends bekandt werde“. Zudem müsse man auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen darauf bestehen, daß nicht lediglich Porzellane der geringsten Güte abgenommen würden, da der KPM durch derartige Verkäufe kaum Profit entstünde. Von den Juden könne dies nicht als ungerechtfertigte Belastung angesehen werden, da sie das Porzellan „wegen eines allergnädigst erhaltenen größern Beneficii“ zu übernehmen hätten. Wie Grieninger das Generaldirektorium wissen ließ, bedienten sich jedoch viele der Zwangskäufer 9 eines Tricks, um ausschließlich Weißware kaufen zu müssen. So bestellten sie ganz bewußt „solche Porcelaines, die gar nicht vorräthig sind, und wenn sie solche nicht haben können, so bestehen sie alsdenn auf der ordinairen und geringsten Sorte“. Wollte man dies fernerhin tolerieren, so könnte man mit Fug und Recht behaupten, daß die Manufaktur durch die jüdischen Käufe eher verliere als gewinne. Denn einerseits sei der Handel mit Porzellanen geringerer Güte „jedermanns Sache“, andererseits und vor allem würde die gantze Verfassung der Manufactur derangiret werden, indem sie ihre Kräffte auf einen eintzigen und solchen Gegenstand, wobey sie wenig oder nichts gewinnet, richten müßte und also die bey einer ächten Porcelain Manufactur gehörige Verschiedenheit der Arbeiter nicht mehr beybehalten könnte. Künstler zu unterhalten würde gar nicht möglich seyn und also die Gelegenheit, dergleichen aus jungen Leuthen zu formiren, gäntzlich cessiren.

Noch dazu wäre bei einem ausschließlichen Verkauf der geringeren Sorten zu befürchten, daß die Juden diese trotz aller Verbote im Inland abzusetzen versuchten, „welches sie schon öffters versuchet haben“. Auf diesen Vorwurf wird im folgenden Kapitel im Zusammenhang mit der Regelung der Exportatteste zurückzukommen sein. Vorerst sei Grieningers Intervention beim Generaldirektorium dahingehend zusammengefaßt, daß es der Manufaktur also vor allem darum zu tun war, auf dem Wege des jüdischen Zwangskaufs ebenso wie bei den Lotteriepächtern nicht lediglich Weißware, sondern bemaltes sowie figürliches Porzellan abzusetzen, um somit ihr künstlerisches Profil zu schärfen. Lediglich innerhalb der drei genannten Sparten war Grieninger bereit, den Juden auch weiterhin freie Auswahl zu gestatten. Wie einem Zirkularreskript des Generaldirektoriums an 9 Dabei hatte es ausweislich der Verkaufslisten der KPM bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 18 Zwangskäufe von Juden gegeben. Siehe hierzu die Onlinestatistik unter „perspectivia.net“ (zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

sämtliche Kammern und Deputationen vom 5. Dezember 1769 zu entnehmen ist, folgte die Zentralbehörde den „sehr billigen und convenablen Vorschlägen“ 10 des KPM-Direktors und stimmte der angedachten Regelung von Exportsortimenten ausdrücklich zu. Wenngleich dieses Thema für die Behörden damit erledigt war, stößt man in den folgenden Jahren immer wieder auf Klagen einzelner Juden, wonach ihnen durch die KPM Porzellane aufgedrungen worden seien, die sie nirgends absetzen könnten. So gab der Textilhändler Samuel Meyer aus Borgholzhausen in der Grafschaft Ravensberg 11 im Jahre 1778 zu Protokoll, ihm sei bei zwei Exporten, die er 1773 hatte tätigen müssen, 12 aus Berlin Porzellan gesandt worden, das nicht aus „Kaufmans Waare“ bestanden habe und deshalb praktisch unverkäuflich gewesen sei. 13 Abraham Moses, der Porzellan zu exportieren hatte, um im halberstädtischen Aschersleben ein Kossätenhaus kaufen zu dürfen, 14 beschwerte sich 1779 beim dortigen Magistrat darüber, daß er bei der KPM „blos feine, aber keine ordinairen Waaren [habe] bekommen können, so er allein in die hiesige angrentzende Anhältsche Länder zu debitiren im Stande sey“. 15 Isaac Mann aus dem kurmärkischen Müncheberg bat im Vorfeld der Etablierung seines zweiten Kindes im Mai 1781 10

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 5, 8. In Meyers Fall ging es um eine Konzession zum Hausbesitz. Vgl. Stern, Bd. III/2, S. 766, 777, wonach Meyer 1765 über ein Vermögen von 400 Rt. verfügte. Zur jüdischen Gemeinde Borgholzhausens siehe Beckmann, Lübbecke, S. 105 –112. 12 Siehe die Exporte Nr. 0182, 0207 und 0596 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 13 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 38. 14 Zum Porzellanexport im Rahmen der Konzessionierung jüdischen Hausbesitzes vgl. Kap. G. IV. Zur jüdischen Gemeinde Ascherslebens siehe Köhler, Halberstadt, S. 13 – 14. Das Kaufgesuch Moses’ hatte die Halberstädtische Kammerdeputation bereits 1775 ausdrücklich unterstützt, „da verschiedene Coßeten-Häuser in gedachter Stadt dermahlen zum Verkauf angeschlagen stehen, die wegen Mangel der Käufer nicht untergebracht werden können [...], daß neuerlich die Mieths-Quartiere in Aschersleben wegen des daselbst garnisonirenden Cuirassier-Regiments ziemlich rar, das öftere Umziehen, sonderlich eines Handels-Juden, sehr beschwerlich sey, ferner daß die jüdischen Ritual-Gesetze eine eigene beständige Wohnung sehr nothwendig machen, daß der Supplicant in seinem Verkehr und Debit durch die bisherige Einschränckung allerdings behindert, durch den Besitz eines beständigen eigenen Hauses aber sothanen Handel besser einzurichten und auszubreiten Gelegenheit haben würde.“ Siehe GStA PK, II. HA, Halberstadt, Tit. CVI, Nr. 3, Bd. 2, Bl. 135 – 138. Eigentümliche Vorstellungen über das Judenregal in Aschersleben finden sich übrigens bei Straßburger, S. 368: „Unter der Einwohnerschaft Ascherslebens ist auch der Juden zu gedenken, deren es 1767 wenigstens zwei hier gab. Sie sind Schutzjuden des Rats [!] und erhalten sich beide vom Geldwechsel. Dabei müssen sie sich nicht schlecht gestanden haben, denn wir hören, daß sich diese beiden Familien zusammen einen jüdischen Lehrer Moses Jakob gehalten haben. Und doch hatten sie beide jährlich 88 Rt. Abgaben zu zahlen, wovon 66 Rt. an die halberstädtische Judenschaft und 22 Rt. als Schutzgeld und Servis an das hiesige Rathaus fielen.“ Jener Moses Jacob, der in einer Vermögensliste von 1765 mit 2.000 Rt. auftaucht, war vermutlich der Vater von Abraham Moses. Siehe Stern, Bd. III/2, S. 791. 11

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ausdrücklich darum, daß ihm das Porzellan „in dergleichen Sorte gegeben würde, wozu er Käufer finden könne“. 16 Und noch im März 1787 führte die Ostfriesische Kammer die schweren finanziellen Verluste der Juden maßgeblich darauf zurück, daß es sich bei den Lieferungen der KPM um „insgemein incomplette Waaren“ 17 handele. In den erhaltenen Manufaktur-Quittungen stößt man recht häufig auf Vasen sowie nicht näher bezeichnete Figuren, Gruppen oder auch Medaillons. Die angeführten Beschwerden von Juden gegen diese Sortimentierung richteten sich allem Anschein nach gegen den Erwerb solcher Einzelstücke und zielten auf die Ausfuhr von vollständigen Servicen, für die ein größerer Abnehmerkreis bestand. Auch David Friedländer meinte 1793, den Juden sei vielfach „unmodisches und ungangbares in die Hände gesteckt“ worden, was bei deren „Unkunde der Waare und des herrschenden Geschmacks“ wesentlich zu den starken Verlusten beim Verkauf beigetragen habe. 18 Nicht nachweisen läßt sich hingegen der häufig in der Literatur erhobene Vorwurf, die KPM habe sich auf diesem Wege nicht lediglich ihre „Ladenhüter vom Halse“ 19 geschafft, sondern den Juden bewußt minderwertige und fehlerhafte Waren aufgedrungen. 20 Zwar hatte die Berliner Manufaktur aufgrund der zeittypischen Mängel des Brennverfahrens mit einem hohen Anteil von Ausschuß, dem sogenannten Wrackporzellan, zu kämpfen. Sowohl Direktor Grieninger und Warenlagerinspektor Carl Jacob Christian Klipfel (1726/27 – 1802) 21 als auch der König legten mit Blick auf den inneren Markt großen Wert darauf, diese minderwertige Ware ausschließlich im Ausland, zumindest nicht in den mittleren Provinzen, abzusetzen, weshalb mehrfach mit scheinbar geringem Erfolg in Minden, Emden, Bremen und Lübeck Porzellanlotterien abgehalten wurden. 22 Mitte der 80er Jahre kaufte offenbar auch das Königsberger Handlungshaus Toussaint & Laval 23 für 5.000 Rt. Wrackporzellan an, um dieses auf dem polnischen Markt abzusetzen. 24 Dorthin, nämlich nach Warschau, waren bereits 1783 auf Rech15 Schreiben des Magistrats von Aschersleben, 6. November 1779, GStA PK, II. HA, Halberstadt, Tit. CVI, Nr. 3, Bd. 2, Bl. 149 – 151. 16 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Frankfurt / Oder, Nr. 486. 17 Ostfriesische Kammer an das Generaldirektorium, Aurich, 9. März 1787, GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 2 –4. 18 Friedländer, Akten-Stücke, S. 70 – 71. 19 So bereits Hensel, Bd. 1, S. 2. 20 Auf diesen Vorwurf trifft man nahezu durchgängig. Siehe beispielsweise Ribbe, Status der Juden, S. 14; Scheiger, S. 189. 21 Zur Person Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 479 –480. 22 Vgl. MA, XVII, Nr. 11, Bl. 10 – 11. In Gestalt sogenannter „Glückshäfen“ spielten derartige Lotterien auch für den Absatz der Wiener Porzellanmanufaktur eine große Rolle, die auf diesem Wege ebenfalls vornehmlich Wrack absetzte. Siehe Folnesics / Braun, S. 55 – 56. 23 Gemeint war die durch Jean Claude Toussaint (1709 –1774), Sohn eines aus Frankreich nach Magdeburg ausgewanderten Kaufmanns, um 1735 gegründete Handlungsfirma,

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nung der Seehandlung größere Mengen von Ausschuß abgegangen. 25 Ferner ist auf die von den beiden generalprivilegierten Hoffaktoren Michael Abraham und Lippmann Meyer betriebenen KPM-Niederlassungen in Magdeburg und Breslau hinzuweisen, die ebenfalls am Vertrieb von Wrackporzellan beteiligt waren 26 und von denen zumindest die letztere ebenfalls stark nach Polen hin orientiert gewesen sein dürfte. So läßt sich zusammenfassen, daß der große Anteil des Wracks an der Gesamtproduktion durchaus ein schwerwiegendes betriebswirtschaftliches Problem darstellte, dem unter anderem durch forcierte Exporte ins außerpreußische Ausland abgeholfen werden sollte. Daß in diesem Zusammenhang auch auf den Zwangsexport durch Juden zurückgegriffen wurde, läßt sich im Einzelfall zwar nicht ausschließen, erscheint als durchgängige Strategie jedoch eher zweifelhaft, da ein solches Verfahren sicherlich den Widerspruch der Betroffenen hervorgerufen hätte. Aktenkundig wurden jedoch lediglich Beschwerden gegen die 1769 eingeführten Abnahmesortimente. 3. Die Einrichtung der Manufakturquittungen und Zollatteste Neben den Exportsortimenten klang in Grieningers Schreiben vom 27. November 1769 ein weiteres Problem an, nämlich der Nachweis, daß das von den Juden gekaufte Porzellan tatsächlich außer Landes geschafft und dort verkauft worden war. Weder im Reskript vom 21. März, noch in den sich anschließenden Ausführungsbestimmungen des Generaldirektoriums war diese Frage, auf deren Regelung bei den jährlichen Textilexporten durch die zweiten Kinder soviel Energie verwandt wurde, bedacht worden. Nachdem die Zentralbehörde nun jedoch durch Grieninger darauf aufmerksam gemacht worden war, daß offenbar größere Mengen des Judenporzellans innerhalb Preußens abgesetzt wurden, erging zur Abdie zunächst vor allem im Getreidehandel tätig war, seit 1769 (auf Fürsprache von Oberpräsident Domhardt) aber auch Berliner Porzellan verkaufte. Betrieben wurde das Porzellangeschäft möglicherweise in der Kneiphöfischen Langgasse, wo Toussaint im gleichen Jahr ein Anwesen erwarb. Nach dem Tod des Firmengründers wurde die Handlung von dessen Sohn Frederic und Schwiegersohn Jean Claude Laval (gest. 1793) fortgeführt. Siehe Gause, S. 190 – 191. Mit Toussaint stand die KPM bereits seit 1769 in Geschäftsverbindungen. Siehe Grieninger, S. 297. 24 MA, XVII, Nr. 11, Bl. 10. Vgl. das Reskript für Kommissionsrat Grieninger, Potsdam, 4. Januar 1786, GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 86, S. 15. Durch dieses Geschäft wurde der Plan gegenstandslos, das offenbar in den Lagerräumen überhand nehmende Wrack schließlich doch in Berlin abzusetzen. Siehe MA, XVII, Nr. 11, Bl. 14. 25 GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 83, S. 663. 26 Vgl. Grieninger, S. 297. Zur damit verbundenen Etablierung Abrahams in Magdeburg, die dem geltenden Nichtduldungsprivileg widersprach, siehe auch Schenk, Der preußische Weg der Judenemanzipation, S. 471 – 474.

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stellung dieses Zustands am 5. Dezember ein weiteres Reskript an alle Kammern und Deputationen. Darin wurden diese über die Probleme beim Nachweis der tatsächlichen Ausfuhr des Porzellans informiert, das die Juden doch lediglich „um ihres eigenen bestens halber, weil wir ihnen solches für geringe Preise überlassen, käuflich übernehmen“ sollten. Das Generaldirektorium fuhr fort: Da nun solches Porcellain denen Juden aus der Ursache besonders überlassen wird, damit sie es desto leichter und besser außer Landes absetzen und dadurch den Werth und die Güte dieser Waare um so eher überall bekanntmachen können, so hätten wir bei so beschaffenen Umstände billig erwartet, daß auch alles solches Porcellain von denen Juden würcklich nur bloß auswärts debitiret werden würde. Weil wir aber mißfällig vernehmen müssen, daß verschiedene von solchen Juden das erkaufte Porcellain nicht auswärts gesandt, sondern solches im Lande behalten und in Unsern Provinzien abgesetzet haben, dieses aber Unserer Allerhöchsten Intention schnurstracks zuwieder ist, so befehlen wir Euch hierdurch so ernstlich wie gnädig, daß von nun an keinem beneficirten Juden seine Concession eher ausgehändiget werden soll, als bis er von einem Grentz-Zoll einen Attest gebracht, daß die von ihm aus der hiesigen Porcelain-Manufactur genommene Quantitaet Porcelain würcklich außer Landes geschickt worden. 27

Durch die Magistrate wurden auch die Juden ermahnt, das Porzellan ausschließlich im Ausland zu verkaufen. Ein Beispiel aus dem Inspektionsbezirk des Frankfurter Steuerrats Grothe zeigt, wie man sich diese Ermahnungen vorzustellen hat. So wurden in Fürstenwalde, Beeskow und Müncheberg wahllos alle im Ort wohnhaften Juden aufs Rathaus zitiert, um ihnen die erneuerte Exportverordnung zu verlesen. Nachdem sich jedoch schnell herausgestellt hatte, daß in den drei genannten Orten kein Jude innerhalb des vergangenen Jahres eine Konzession erhalten hatte, bestand das Ergebnis lediglich in der Versicherung, daß „bey künftig vorkommenden Fällen genau darauf Acht genommen werden“ 28 solle. Derweil nahm der Entwurf spezieller Zollatteste durch die Akzise- und Zolldirektion, die durch das Generaldirektorium ebenfalls am 5. Dezember angewiesen 27

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 7. Bericht von Bürgermeister und Rat von Beeskow an Ernst Friedrich Groote, Steuerrat des Lebus-, Beeskow- und Storkowschen Kreises, 30. Januar 1770, BLHA, Rep. 19, Steuerrat Frankfurt / Oder, Nr. 136, Bl. 8. Auch in Fürstenwalde hatte sich bei der Versammlung der dortigen Juden auf dem Rathaus am 2. Januar ergeben: „Citati zeigen an, daß sie keine Beneficarii wären. [...] Demnach nun Citati keine Beneficia, die dem Rescripto vom 2. hui. [diesen Monats] conform, erhalten, so sehen sie sich berechtiget, kein Porcellain aus der Berlinischen Manufactur zur Zeit zu übernehmen, sollten aber in der Folge Casus vorfallen, so dem Rescripto allegato gemäß, würden sich Citati niemahlen entäußern, die genaueste Folge mit Übernehmung des Porcellains aus der Manufactur nachzukommen.“ Ebd., Bl. 4. Der Befund, daß sich in den genannten Orten keine zwischen März 1769 und Januar 1770 konzessionierten Juden aufhielten, entsprach den Tatsachen. Auch d’Anières monierte in seiner Revision von 1779 keine ohne Porzellanexport vergebenen Konzessionen aus Fürstenwalde, Müncheberg oder Beeskow in diesem Zeitraum. Siehe die Revisionsliste für die Kurmark von 1779 in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 98 – 99. 28

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worden war, „sämtliche Grentz-Zölle hiernach gemessenst zu beordern, damit Sr. Königl. Maj. heilsame Absicht erreichet und denen Mißbräuchen hierunter gehörig vorgebeuget“ 29 werden könne, einige Zeit in Anspruch. Zwar stellte ein umfassendes System von Begleitscheinen, Quittungen und Plombierungen eines der „Hauptmittel der französischen Finanzkünstler“ 30 in der Regieverwaltung dar, doch lagen im vorliegenden Fall die Dinge etwas komplizierter. Denn der mit einem Entwurf eines Zollattests beauftragte Kriegsrat Pierre Dieu war als Akziseinspektor und Schaumeister 31 offenbar gut mit den Qualitäten des Subalternpersonals an den Zollstationen vertraut und fürchtete bei einem Handelsartikel wie Porzellan das Schlimmste. So erschien es dem Kriegsrat höchst problematisch, „daß die Kisten am Grentz-Zoll-Amte geöfnet, revidiret und umgepackt werden sollen, wodurch, weil daselbst keine Leuthe, die das Packen verstehen, [...] vieler Bruch und Schaden“ 32 zu befürchten sei. Stattdessen schlug er vor, die Kisten bereits durch die KPM plombieren und wiegen zu lassen, „wogegen sodann das Grentz-Zoll-Amt nach recognoscirten und richtig befundenen Plomb und Siegel auf würcklich geschehenen Ausgang über die Grentzen, auf die Factur [KPMQuittung] das Ausgangsattest mit Gewisheit ertheilen könnte“. Obwohl das Generaldirektorium diesen Vorschlägen zustimmte, 33 zeigt die schließlich am 11. Januar ausgefertigte Instruktion für die Zollämter in einem Punkt eine bezeichnende Abweichung. So erschien trotz aller Befürchtungen, das Porzellan könnte dabei Schaden erleiden, der Gedanke offenbar unerträglich, es könnten Kisten die preußische Grenze passieren, deren Inhalt zuvor keiner genauen Prüfung unterzogen worden war. Deshalb wurde dem Zoll befohlen, die Plomben nicht nur abzuschneiden und die Kiste zu öffnen, sondern auch die einzelnen Porzellane zu inspizieren. 34 Nach dieser Prozedur waren die Kisten durch 29

Generaldirektorium an Akzise- und Zolladministration, Berlin, 5. Dezember 1769, ebd., Bl. 7. 30 Pritze, S. 18; vgl. zum Plombagereglement vom 2. März 1767 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 170 – 173. So gehörte in zeitgenössischen Reiseführern zu den „verschiedenen Dingen, die einem in Berlin sich aufhaltenden Fremden, zu wissen nöthig und nützlich sind“, auch ein detaillierter Hinweis auf derartige Plombierungen. Siehe Nicolai, Beschreibung (1769), S. 407 – 408. 31 Siehe den Eintrag in der Besoldungstabelle von 1769 bei Hoffmann, Handwerk, S. 194 – 195; später avancierte Dieu zum ersten Direktor des Akzise- und Zoll-Korrespondenzbüros für die kur- und neumärkischen Departements. Siehe A.B.B.O., Bd. XVI/1, S. 404; vgl. Schultze, Regieverwaltung, S. 67. Noch 1786 taucht der zu diesem Zeitpunkt 60jährige Dieu in Wöllners für den neuen König erstellter „Charakteristik guter Leute“ in dieser Funktion auf. Siehe Ruppel-Kuhfuss, S. 156; ferner A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 202, 245. 32 So in seinem Bericht an das Generaldirektorium vom 8. Januar 1770. Dieses und das folgende Zitat nach GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 10. 33 Siehe das Marginal ebd.: „resolviret in pleno: 1. Vorschlag genehmiget und möchte er [Dieu] selbigem gemäß den Zoll Aemtern das nöthige bekannt machen.“ 34 Ebd., Bl. 11.

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einen Soldaten der nach dem Siebenjährigen Krieg neu aufgestellten Grenzbrigaden 35 die letzten Meter zu eskortieren, um zweifelsfrei sicherzustellen, „daß solches Porcellain würcklich über die Grentze gebracht“ 36 werde. Erst hiernach seien schließlich „bestimte und bündige atteste“ mit eigenhändiger Unterschrift und Zollsiegel zu erteilen. Wie den zahlreich erhaltenen KPM-Quittungen zu entnehmen ist, erfolgten diese Zollbescheinigungen in aller Regel auf dieser selbst, mitunter auch umseitig, seltener hingegen als separates Schriftstück. Zuvor waren die Kisten bereits in der Manufaktur numeriert, plombiert und gewogen worden – ein aufwendiges Prozedere, dessen nur in Ausnahmefällen überlieferte Kosten den jüdischen Käufern zusätzlich aufgebürdet wurden. So entfielen beispielsweise im Mai 1780 bei einem Warenwert von 300 Rt. weitere 7 Rt. und 16 Gr. auf Verpackung und Plombage. 37 Als Inspektor des Warenlagers war Klipfel für diese Arbeiten verantwortlich und partizipierte anteilig an den erhobenen Plombagegebühren. 38 Verglichen mit den zahlreichen Problemen, für die der jährliche Exportnachweis bei Textilwaren sorgte, scheinen die 1769/70 für die Porzellanausfuhr eingerichteten Modalitäten auf den ersten Blick nahezu reibungslos funktioniert zu haben. So stößt man in den Akten zunächst lediglich auf vereinzelte Probleme – etwa im Falle Moses Salomons aus Bernau, der im Juni 1773 seine Kaufbescheinigung ohne Zollsiegel beim Generaldirektorium einreichte, was sogleich moniert und offenbar auch nachgeholt wurde. 39 Insbesondere nach der noch zu schildernden Zäsur des Jahres 1779 wachte auch der Generalfiskal sorgsam über die Exportbescheinigungen und riskierte dabei selbst grobe Zurechtweisungen durch das Generaldirektorium. Als d’Anières etwa 1780 monierte, das Emdener Kontor der Königlichen Bank habe den für Bendix Liffmann aus Neustadt Gödens durchgeführten Export des Porzellans nach Hamburg nicht ordentlich nachgewiesen, bekam er durch das Generaldirektorium zu hören, er hätte „sich nicht herausnehmen sollen“, in jenem Ton, „dessen er sich in seinem Berichte angemaßet, 35 Diese bestanden etwa in der Kurmark aus 13 Brigadechefs, 42 „gardes à cheval“ (Wächter zu Pferde) und 54 „gardes à pied“ (Wächter zu Fuß), wobei sich die zitierte Anweisung auf letztere zu beziehen scheint. Siehe Schultze, Regieverwaltung, S. 79; vgl. Nolte, Merkantilismus und Staatsräson, S. 66; A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 206 –207; zur mangelnden Effizienz der Brigaden ebd., S. 301 – 303; Instruktion für einen Brigade-Inspektor ebd., S. 327 – 328. 36 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 11. 37 MA, I, Nr. 3, Bl. 65; vgl. Porzellanexport Nr. 0561 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Meyer Isaac aus Kleve zahlte im Februar 1779 bei einem Warenwert von 102 Rt. und 18 Gr. weitere 2 Rt. und 16 Gr. für die Verpackung. Siehe das Faksimile der von Klipfel ausgestellten Rechnung bei Scheiger, S. 190; vgl. Porzellanexport Nr. 0388. 38 So heißt es im März 1787 allgemein: „Das Einpacken und die dazu gehörigen Kasten bestreitet der p. Klipfel und hat davon seinen Antheil.“ Siehe MA, OS, Zustand, Bl. 30. 39 Siehe StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 1.

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Abb. 3: Beispiel einer KPM-Quittung mit Zollbescheinigung. Das vor den Toren Danzigs gelegene Zollamt Langfuhr bescheinigt am 7. Januar 1775, daß die von der KPM am 12. Dezember des Vorjahres für den Königsberger Schutzjuden Israel Simon plombierte Kiste mit Porzellan die Grenze „passiret“ habe.



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solemnissime“ gegen die Ansetzung Liffmanns zu protestieren „und mit unmittelbarer Anzeige an Sr. Königl. Maj. zu drohen“. Stattdessen hätte es ihm „gebühret, seine Erwiderung in einer dem Verhältnis zwischen dem General Directorio und ihm gemäßen Schreibarth zu machen, welches in künftigen Fällen von ihm erwartet wird“. 40 Im übrigen sei bei einer Filiale der Königlichen Bank nicht zu vermuten, daß sie mit Juden wegen Verkauf des Porzellans im Inland gemeinsame Sache mache. Dasselbe wird man jedoch von den unteren Zollbehörden wohl nicht durchweg behaupten können, von deren dürftig besoldetem Subalternpersonal bereits die Rede war. 41 Fälle von Korruption ließen sich zwar in den Akten nicht nachweisen, doch schrieb der gewöhnlich gut informierte Koenig bereits 1790 über die Ausfuhrverpflichtung: „Dies ward zwar dem Buchstaben nach befolgt, allein auch oft heimlich übertreten, indem es gewinnsüchtige Leute gab, die den Juden die nöthige Ausführungszeugnisse dieses Porzellains zu verschaffen wusten, ohne daß solches würklich außer Landes gegangen war.“ 42 Die Größenordnung dieser Korruptionsfälle bleibt jedoch vollkommen im Dunkel. Allerdings dürfte mit derartigen Urkundenfälschungen ein Problem in engem Zusammenhang stehen, das die Behörden über Jahre hinweg beschäftigte, nämlich der Verkauf des Judenporzellans im Inland. So wußte Kolbe in seiner Manufakturgeschichte von 1863 zu berichten: „Über die dessauer Grenze gingen grosse Quantitäten aus dem Lande, die über Wittenberg zurückkehrten, und zu geringeren Preisen, als denen der Fabrik hier losgeschlagen wurden.“ 43 Kolbe gibt die Quelle dieser Aussage zwar nicht an, doch beschwerte sich Klipfel bereits im November 1776 bei Kabinettsrat Stelter darüber, daß die Juden ihr Porzellan „jetzo sonder Scheu im Lande unterzubringen“ 44 suchten. Ein Jahr später wurde Stelter von der KPM erneut darüber informiert, daß sowohl die Lotteriegesellschaft als auch die Juden ihre „Verbindlichkeit das Porcellain außerhalb Landes zu verkaufen, nur schlecht erfülleten, vielmehr innerhalb Landes damit commercirten, [...] wovon der Inspector Klipfel sich gelegentlich überzeuget“ 45 habe. Diese Reimporte (sofern das Porzellan angesichts der angesprochenen Korruption das Land überhaupt verlassen hatte) konnten offenbar auch in den Folgejahren 40

GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 117 –118. Siehe oben, Kap. D. IV. 42 König, S. 300. 43 Kolbe, S. 186. Daß Anhalt als Ziel- bzw. Transitland von Judenporzellan eine gewisse Rolle spielte, geht auch aus der Auswertung der erhaltenen Zollbescheinigungen hervor. Siehe dazu Kap. G.IX. 44 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F 3, Bd. 3, Bl. 89 –90. 45 MA, OS, Acta bey der Abnahme der Porcelaine-Manufactur Casse Rechnung pro 1776/7, Bl. 2. 41

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nicht abgestellt werden und scheinen ein derartiges Ausmaß erreicht zu haben, daß sich der König am 4. Januar 1783 veranlaßt sah, persönlich einzugreifen. So erging an jenem Tag aus dem Kabinett ein Befehl an Generalfiskal d’Anières, wonach der König in Erfahrung gebracht hatte, daß die jüdischen Zwangskäufer ihr Porzellan „mehrentheils innerhalb des Landes und selbst hier zu Berlin wieder ins Geld setzen, welches jedoch Meiner Intention gantz entgegen ist und auch der Manufactur zum großen Nachtheil gereichet“. Die General-Akzise- und Zoll-Administration sei deshalb bereits angewiesen worden, sämtliche Zollämter nachdrücklich davor zu warnen, den Juden falsche Atteste auszustellen oder es zuzulassen „daß das Porcellain, was bey dem einen Grentz Zoll Amt exportiret worden, bey dem andern wieder in das Land zurückgebracht werden könne“. Der Generalfiskal habe seinerseits den Judenschaften klarzumachen, „daß sie sich nicht weiter unterstehen sollen, bey Verlust ihres Privilegii dergleichen Unterschleife mit dem Porcellain zu begehen, noch davon das allermindeste innerhalb des Landes zu debitiren“. 46 So wurden im pommerschen Schlawe bereits am Folgetag die vier dort wohnhaften Schutzjuden Moses Berendt, Moses Gottschalk, Berendt Moses und Pincus Moses aufs Rathaus zitiert, um dort zur Kenntnis zu nehmen, daß in Zukunft bei derartigen Verfehlungen, der Entzug des Schutzbriefs drohte. 47 Ein gleiches läßt sich für das neumärkische Drossen am 21. Januar belegen. 48 Ferner wurde am 12. Januar eine gedruckte Instruktion für die Zollämter veröffentlicht, denen anbefohlen wurde, künftig „mehrere Attention als bisher geschehen, auf diesen Articul zu verwenden“. 49 Ob diese Maßnahmen in den letzten Lebensjahren Friedrichs des Großen zu einer Abstellung der Mißstände führten, darf indes bezweifelt werden. Denn noch für Heinitz spielte dieses Problem 1787 bei der Aufhebung des Abnahmezwangs eine Rolle, befürchtete er doch bei dessen Fortdauer, daß potentielle preußische Kunden weiterhin „ihre Porzellanbedürfnisse auswärts kaufen und sie, weil die Einfuhre und Transportirung hiesigen Porzellans nicht verboten ist, wiederum einbringen“ 50 könnten.

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GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Minüten, Nr. 83, S. 11. Den Anlaß für dieses Reskript bildete offenbar Friedrichs Beschäftigung mit dem summarischen Kassenextrakt der KPM für den Monat Dezember 1782. Vgl. das Reskript an die Manufakturdirektion vom 4. Januar ebd., S. 11 – 12 sowie die Reskript an die Pächter der Lotteriegesellschaft ebd., S. 11. 47 LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 195, Bl. 74. 48 BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1063. 1777 lebten in Drossen neun Schutzjuden. Siehe Schwartz, Juden in der Neumark, S. 65. Um die Jahrhundertwende sollen es schließlich 5 Familien mit 27 Individuen gewesen sein. Siehe Rehmann, S. 202. 49 GStA PK, II. HA, Magdeburg, Materien, Tit. CCV, Nr. 8, Bl. 19; vgl. Geiger, S. 171 (Anmerkungen). 50 MA, I, Nr. 3, Bl. 1.

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Abb. 4: Anweisung an die kurmärkischen Zollämter zur Unterbindung der Wiedereinfuhr bereits exportierten Judenporzellans vom 12. Januar 1783.

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Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus plausibel, daß sich in nicht wenigen jüdischen Haushalten zumindest diejenigen Teile des Judenporzellans, die sich letztlich als unverkäuflich erwiesen, in den kommenden Generationen als Erbstücke erhielten 51 und somit u. a. zur Entstehung der Legende von den „20 Porzellanaffen des Moses Mendelssohn“ beitrugen. 52 Jahrzehnte, nachdem der Exportzwang gefallen war, bemerkte Heinrich Heine spöttisch, wenngleich Sachsen und Preußen verwechselnd: „Für das Porzellan, das die Juden einst in Sachsen kaufen mußten, bekommen Die, welche es behielten, jetzt den hundertfachen Werth bezahlt. – Am Ende wird Israel für seine Opfer entschädigt durch die Anerkennung der Welt, durch Ruhm und Größe.“ 53 Damit ist es nun an der Zeit, der Frage nachzugehen, wie diese Opfer Israels aussahen.

II. Die Umsetzung des Exportzwangs – Einzelbeispiele aus den ersten Jahren 1. Vorbemerkung Die Frage nach den von Heine angesprochenen Opfern Israels ist gleichbedeutend mit einer der zentralen Fragen moderner Absolutismusforschung, nämlich jener nach der Normdurchsetzung. Daß sich aus der Perspektive der KPM-Direktion bereits nach wenigen Monaten Probleme ergaben, die vor allem die Abnahmesortimente betrafen, wurde bereits thematisiert. Inwiefern griff der Porzellanexportzwang jedoch in die Rechtsstellung der Juden ein? Um hier zu belastbaren Ergebnissen zu gelangen, erweist es sich als notwendig, jene Konzessionsarten, auf die sich das Reskript vom 21. März 1769 potentiell erstrecken konnte, einer jeweils gesonderten Betrachtung zu unterziehen. Zu diesem Zweck soll deshalb im folgenden zunächst auf die beiden besonders gut dokumentierten Privilegien zum Betrieb einer Manufaktur bzw. zum Immobilienerwerb eingegangen werden, die Berend Hirsch aus Potsdam sowie Seligmann Joseph aus Königsberg verliehen wurden. Anschließend ist danach zu fragen, inwiefern die Rechtsstellung der Kinder bereits etablierter Schutzjuden durch den Porzellanexportzwang tangiert wurde oder nicht. Jenseits der schmalen Schicht der Manufakturbetreiber und 51

Allerdings läßt sich dies heute nicht mehr nachweisen, wenngleich man dieser These in der Literatur häufig begegnet. Siehe beispielsweise Jüdisches Lexikon, S. 439: „Übrigens stellt heute das damals zwangsweise angekaufte Porzellan, soweit es sich noch in Familienbesitz befindet, für die Nachkommen jener Juden vielfach einen kostbaren Kunstschatz dar.“ Vgl. Herzfeld, Preußische Manufakturen, S. 244: „Das sogenannte Judenporzellan ist, wie die meisten Zeugnisse jüdischer Geschichte, von den deutschen Faschisten vernichtet worden.“ 52 Vgl. Schenk, An den Grenzen der Aufklärung, insb. S. 380 –390. 53 Heine, S. 198; vgl. Elon, S. 26.

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Großhändler, die Hirsch und Joseph repräsentieren, weitet sich damit die Perspektive schrittweise hin zu einer Problematik aus, die nahezu jede jüdische Familie in Preußen betreffen mußte. Eng verbunden ist damit die Frage nach der so häufig eher vermuteten als empirisch belegten Rechssicherheit der Juden im Staat des „Aufgeklärten Absolutismus“. 2. Textilfabrikant Berend Hirsch aus Potsdam Dem Juden Berend Hirsch ward 1769 das Privilegium zu der Anlage einer Hanf-Leinwand Manufactur, und mit derselben auch die Freyheit von Einquartirung ertheilt. Er machte sich anheischig 12 Stühle zu unterhalten, hat aber 1779 nur 3 gehabt. Anton Friedrich Büsching: Beschreibung seiner Reise von Berlin über Potsdam nach Reckahn unweit Brandenburg, welche er vom dritten bis achten Junius 1775 gethan hat. Mit Landcharten und andern Kupferstichen, zweyte stark vermehrte Ausgabe, Frankfurt und Leipzig 1780.

Blickt man in Klipfels 1787 angefertigte Aufstellung aller jüdischen Zwangskäufe seit 1769, so stößt man an erster Stelle auf Berend Hirsch aus Potsdam, das seit etwa einem Jahrhundert einen in Brandenburg beispiellosen Aufschwung genommen hatte, nachdem es durch den Großen Kurfürsten im Jahre 1660 zur zweiten Residenz erhoben worden war. 54 Zählte Potsdam zu jenem Zeitpunkt noch lediglich rund 100 Häuser mit etwa 1.000 Einwohnern, so waren es nun, nach den großen Stadterweiterungen unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen, bereits etwa 15.300 (Zivilbevölkerung), 55 zu denen Einwanderer aus ganz Europa zählten, deren Spuren noch im heutigen Stadtbild in Gestalt von Knobelsdorffs französisch-reformierter Kirche oder des Holländischen Viertels ablesbar sind. 56 Der von Friedrich intendierte Ausbau Potsdams zu einer Residenz von europäischem Rang zog mit dem 1743 fertiggestellten Sanssouci und dem nach dem glücklich überstandenen Siebenjährigen Krieg errichteten pompösen Neuen Palais nicht nur ein ambitioniertes Bauprogramm nach sich, welches zahlreiche Künstler und Handwerker in die Stadt lockte. Das Prestigeprojekt „Potsdam“ hatte darüber hinaus auch eine ausgeprägt wirtschaftspolitische Seite, avancierte die Stadt an der Havel doch zeitgleich zum wichtigsten Manufakturstandort in der Kurmark nach Berlin. Diese rasante ökonomische Entwicklung in Zeiten der allgemeinen 54 55 56

Zur preußischen Residenzengeschichte mit weiterer Literatur Zöbl. Siehe Straubel, Fridericianisches Potsdam, S. 160. Siehe dazu die Überblicksdarstellung von Schmelz.

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Nachkriegsdepression war indes nur um den Preis umfassender Beihilfen durch den Fiskus zu haben gewesen, weshalb „nicht die preußische Metropole [Berlin], sondern vielmehr die Residenz an der Havel das Musterbeispiel merkantilistischer Gewerbeförderung darstellte“. 57 Zu den das Potsdamer Wirtschaftsleben mitgestaltenden Minderheiten zählten dabei nicht nur Franzosen, Niederländer und die in der nahegelegenen Weberkolonie Nowawes angesiedelten Böhmen, sondern auch die Juden, deren Gemeinde Ende der 1760er Jahre rund 170 Mitglieder zählte. 58 Obgleich in neueren Forschungen darauf hingewiesen wurde, daß man das großgewerbliche Engagement jüdischer Unternehmer in seiner gesamtwirtschaftlichen Bedeutung lange Zeit überschätzt hat, 59 muß doch für Potsdam die selbst im Vergleich zu Berlin außerordentlich große Rolle jüdischer Manufakturen betont werden, befanden sich doch 1769 zwölf der 18 großgewerblichen Betriebe in jüdischer Hand. 60 Wenn also für die Residenz an der Havel die so oft in tagespolitischer Rede überstrapazierte Formel vom jüdischen Ersatzbürgertum eine gewisse Berechtigung hat, so liegt dies unter anderem darin begründet, daß das Potsdamer Manufakturwesen weniger als anderswo durch traditionelle Gewerbezweige wie die Wollverarbeitung geprägt wurde. Stattdessen dominierte die Herstellung von Heeres- und Luxusgütern, wobei jüdische Kaufleuteunternehmer vornehmlich in der „neuen“ und kapitalintensiven Seidensparte wichtige Positionen einnehmen konnten – bzw. durch den König in sie hineingedrängt wurden. 61 Innerhalb dieser so bedeutenden, gleichwohl bislang kaum erforschten Gruppe der Potsdamer jüdischen Unternehmer 62 57 Straubel, Fridericianisches Potsdam, S. 162. Das Ausmaß dieser Gewerbeförderung kann man etwa daran ablesen, daß von den etwa 20 Manufakturen, die 1769 in Potsdam betrieben wurden, jede zweite durch den Fiskus unterstützt worden war. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 427; vgl. allg. Hartmann, Monarch. 58 Arlt, S. 184; Kaelter, S. 16 nennt für 1763 die Zahl von 18 Familien. 59 So Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 476. 60 Ebd., S. 489; Ders.: Frankfurt (Oder) und Potsdam, S. 38. 61 Dieses großgewerbliche Engagement der Potsdamer Juden war denn auch maßgeblich dafür verantwortlich, daß die Intention Friedrichs, ihre Anzahl in seiner Residenz zu vermindern, vollkommen ins Leere lief. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Friedrich 1777 den Potsdamer Steuerrat Richter aufforderte, die Ansetzung zweiter Kinder in der Residenz nach Möglichkeit zu verhindern. Doch war diese Ordre im Grunde nichts Neues. Bereits am 11. Juni 1752 hatte sich der König bei dem damaligen Steuerrat Voß über die Verhältnisse in Potsdam beschwert: „Zu meinem besonderen Mißfallen wahrgenommen habe, [...] daß hier in Potsdam fast nicht ein eintziger Christlicher Kauffmann befindlich, bey welchem man eine gute Elle Tuch vor Geldt haben [könne].[...] So gehet meine Intention dahin, daß sich [...] in Potsdam [...] gute Christliche Kauffleuthe etabliret haben, hingegen die Juden von hier nach aller Möglichkeit gar loß seyn möchte, [...] ausgenommen, welche allhier Fabriquen unterhalten.“ Der Potsdamer Magistrat blieb indes untätig und stellte 23 Jahre später fest, da Seine Majestät sich deshalb nicht mehr gemeldet hätten, also möglicherweise sein „Sentiment geändert haben möchten“, wäre es besser, „die Sache in Statu quo zu belassen.“ Zitiert nach Arlt, S. 182.

II. Die Umsetzung des Exportzwangs

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war Berend Hirsch mit seiner Hanfzeugproduktion jedoch in einem durchaus traditionellen Gewerbe tätig, und neu war die von ihm 1769 übernommene Manufaktur auch nicht. Daß Hirsch dennoch Porzellan exportieren mußte, hing stattdessen mit den Umständen zusammen, unter denen er in den Besitz dieses Betriebes kam – denn diese darf man getrost als dubios bezeichnen. Hirsch hatte lange Jahre als Buchhalter und außerordentlicher Schutzjude in der 1749/50 63 in Potsdam etablierten Hanfzeugmanufaktur seines offenbar aus Bielefeld stammenden Schwiegervaters Michel Hirsch, 64 eines Potsdamer Rabbiners und Kassierers bei der Kurmärkischen Landjudenschaft, 65 gearbeitet. 1766 war der Fabrikgründer jedoch gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen. Diese Situation nutzte Berend Hirsch, der sich am 22. Januar 1767 mit einer Supplik an das Generaldirektorium wandte, scheinbar skrupellos aus. 66 Er behauptete, die Manufaktur in den vergangenen Jahren „größesten Theils durch mein eigenes Vermögen und Person dergestalt poussirt und betrieben [zu haben], daß solche sich in dem besten Flohr und Zustande“ befände. Da er gewillt sei, den Betrieb auch nach dem Tode seines Schwiegervaters fortzusetzen, bat er um eine entsprechende Konzession sowie seine gleichzeitige Ansetzung als ordentlicher Schutzjude. Seine bisherige Position als Extraordinarius und Buchhalter der Manufaktur solle hingegen sein Schwager Isaac Michel Hirsch einnehmen, „der einige Jahre auf Reisen gewesen und sich in Fabriquen-Sachen sehr habilitirt“ habe. Skrupellos war dieses Vorgehen deshalb, weil ein ganz bestimmter Mann in dieser Supplik mit keinem Wort erwähnt wurde – Marcus Michael Hirsch, der älteste Sohn des verstorbenen Rabbiners und rechtmäßige Erbe der Manufaktur, der allerdings zeitweilig aufgrund einer schweren Krankheit außer Gefecht gesetzt war. 62 Während für Berlin durch die ältere Studie von Rachel und Wallich bereits zahlreiche Skizzen vorliegen, klaffen für Potsdam noch große Lücken. Wie Straubel zurecht anmerkt, ist es für den Forschungsstand bezeichnend, daß folgender Aufatz innerhalb von wenigen Jahren gleich dreimal abgedruckt wurde: Herzfeld, Isaac Levin Joel. 63 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 597 – 598, dort Näheres zu ihm gewährten Bonifikationsgeldern und seinen Plan, eine weitere Fabrik in Bielefeld und Herford anzulegen. Unzutreffend ist also die Angabe im „Taschenbuch Knyphausen“, wonach Berend Hirschs Manufaktur erst 1769 etabliert worden sei: Hoffmann, Handwerk, S. 119. 64 Zu Hirsch Minninger / Stüber / Klussmann, S. 43. 65 Berend Hirsch hatte 1756 Michel Hirschs Tochter Reichel geheiratet und war daraufhin als Extraordinarius angesetzt worden: GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13 (Abschrift). Die Konzession für Michel Hirsch zur Anlegung der Manufaktur datiert vom 10. Februar 1756 und war als Privilegium Exclusivum eingerichtet. Den Juden der preußischen Monarchie wurde also fortan die Einfuhr gleichartiger Zeuge untersagt, so auch im fernen Königsberg: Jolowicz, S. 82. 66 GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13. Ungeachtet seines skrupellosen Vorgehens entspricht Berend Hirsch jedoch durchaus dem Typus des „Kaufmann-Unternehmers“, für den eine langjährige Tätigkeit in einer Firma, etwa als Buchhalter, Disponent oder Teilhaber, lediglich der Vorbereitung für den Sprung in die Selbständigkeit diente. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 232 – 234.

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Nach seiner Genesung verfaßte dieser am 10. Mai 1767 eine Supplik, indem er darauf hinwies, er sei „bey der Fabrique erzogen worden“, welche sein Vater „aus Selbst eigenen Mitteln errichtet und zu deren Fortsezung“ er ihn „als ältesten Sohn, dem das Vorrecht gebühret, bereits angesetzet“ 67 habe. Wenig später stellte er auch dem Potsdamer Steuerrat Richter vor, daß ihm wohl nicht angemuthet werden könne, ein erbliches Recht und einen Vortheil, der mir von Gott und Rechtswegen als ältestem Sohne zustehe, an meinem Schwager überlassen zu sollen, da ich der Sache so gut als er gewachsen, selbst Kinder habe, deren einmahlige [zukünftige] Versorgung mir billig am Herzen liege und mein Schwager, fals sein vorgebliches Vermögen in der That so groß als er praetendiret, weit billiger nun ein ganz neues Etablissement und Anlage nachsuchen könne. 68

Zwischen Berend und Marcus Michael Hirsch entspann sich in der Folge ein regelrechter Kampf um die Gunst der Behörden, in dem der letztere jedoch bald das Nachsehen haben sollte. Denn während Marcus Michael viel zu lange nur seinen vermeintlichen Rechtsanspruch ins Feld führte, machte sein Konkurrent dem Generaldirektorium schon bald handfeste materielle Zusagen. So hatte Berend Hirsch bereits am 10. Juni angeboten, für eine Konzession 200 Rt. zur Chargensowie 100 Rt. zur Stempelkasse zu entrichten. 69 Ausschlaggebend für das weitere Verfahren wurde schließlich der Bericht der Kurmärkischen Kammer vom 21. Juni 1767, wonach Steuerrat Richter bei seinen Untersuchungen den Berend Hirsch für geschickter dazu [zum Betrieb der Manufaktur] gehalten [habe], indem dieser nicht nur von guten Mitteln sey und die Sache mit Force treiben könne, sondern auch die Handlung bis in Preußen, Rußland und Holland poussiret und nicht weniger auf denen Messen en gros gehandelt hätte, deshalb an dem Fortgang der Fabrique bey ihm nicht zu zweifeln stünde. 67

GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13. Ebd. Darüber hinaus zeichne sich das Vorgehen seines Schwagers durch „verdrießliche Hinterlist“ aus, habe er doch der Mutter „die zudringlichsten Demarches gemacht, welche ich der Länge nach deduciren könnte, wenn ich nicht selbst darüber erröthete, dergleichen von meinem leiblichen Schwager anführen zu sollen. Seinen gethanen Vorstellungen nach ist die Fabrique größtentheils durch seinen Fleiß und Vermögen in dem jetzigen Flor, allein außer daß Gott und der ganzen Stadt bekannt, daß mein Vater als ein fleißiger und höchst activer Mann, wo nicht Selbst Vermögen genug, doch hinlänglichen Credit gehabt, ohne meines Schwagers zu bedürfen, muß ja mein Schwager selbst gestehen, daß in seiner eingereichten Vorstellung kein einiges wahres Wort enthalten. Die Fabrique war wohl 6 Jahre vorher von meinem Vater errichtet und souteniret, bevor noch an meinen Schwager gedacht wurde, niemand hat sich auch wohl weniger um die Fabrique bekümmert als eben mein Schwager, da er den ganzen Krieg hindurch sein Selbst-Verdienst nachgegangen und bey dem Ober Landes Ältesten Ephraim in Diensten gestanden und von demselben seines praetendirten Vermögens halber selbst in Anspruch genommen worden und was noch das mehreste ist, so hat er meinen jüngern Bruder unter dem Versprechen, mit Ihm in Compagnie zu gehen, in sein Interesse gezogen und will ihn doch nunmehro nur als Buchhalter, da er doch ein rechtmäßiger Mit-Erbe vor meinem Schwager ist, angesetzet wissen.“ 69 Ebd. 68

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Zwar hatte man bei der Kammer gewisse Bedenken, Marcus Michael Hirsch von seinem Erbe „auszuschließen und sothanes Privilegium dessen Schwager Berend Hirsch privative zu concediren“. Als jedoch die von den Beamten angedachte Geschäftspartnerschaft aufgrund des offenbar vergifteten Verhältnisses der beiden Kontrahenten nicht zustande kam, waren diese Skrupel schnell überwunden, weil „hier bonum und Interesse publicum dem Interesse privato vorzuziehen sey“ und die Manufaktur mit Berend Hirsch einen Unternehmer bekomme, „von dem man was fordern und die Aufnahme dieser nützlichen Fabrique gewärtigen kann, auch Uns selbst dieser Berend Hirsch als ein guter und vermögender Mann bekannt ist“. Mit diesem Bericht, der sich bewußt über das bei Juden geltende Erbrecht hinwegsetzte, 70 hatte Marcus Michael Hirsch sein Erbe bereits so gut wie verloren. Noch wandte er sich mit Bittschriften an das Generaldirektorium, bot zuletzt gar selbst die Zahlung von 100 Dukaten an, wenn ihm der väterliche Betrieb überschrieben würde. 71 Doch die Entscheidung war längst gefallen, und die Kammer wurde am 19. November 1767 instruiert, den lästigen Bittsteller „ein für allemal dieserwegen ab und zur Ruhe zu verweisen“. 72 Daß sich die Verhandlungen zwischen Steuerrat Richter und Berend Hirsch dennoch bis 1769 hinzogen, hing vor allem mit strittigen Modalitäten der Einquartierungsfreiheit für die Manufakturgebäude 73 sowie Bonifikationsgelder für Exporte zusammen. 74 Gleichwohl war Hirsch aus naheliegenden Gründen daran interessiert, bald ein offizielles 70 Siehe Terlinden, S. 227 – 231: „Unter den Kindern findet folgende Erbfolgeordnung nach dem [!] Mosaisch-Talmudischen Gesetzen statt: 1) erben die Söhne des Verstorbenen im ersten Grade, und die Sohnes-Söhne [...] 2) In Ermangelung der Söhne und deren Nachkommen erben die Töchter und deren Nachkommen [...] Einen Verstorbenen beerben also 1) männliche Erben, und schließen die Weibspersonen, welche mit dem Erblasser im gleichen Grade verwandt sind, von der Erbschaft aus, so daß, wenn derselbe Söhne und Töchter zugleich hinterläßt, nur allein die Söhne die Erbschaft unter sich theilen und die Töchter ausschließen“. Als Erstgeborener hätte Marcus Michael Hirsch dabei einen doppelten Erbteil zu erwarten gehabt. Zum jüdischen Familien- und Erbrecht in Preußen ferner Gotzmann, Jüdische Autonomie in der Frühen Neuzeit, S. 68. 71 So in seiner Supplik vom 11. November 1767, GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13. 72 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2992. Im Konzept war noch hinzugefügt worden: „... mit dem Bedeuten, daß er unfehlbar gestrafet werden soll, falls er sich beygehen läßt, Uns ferner mit ungegründeten Vorstellungen und Beschwerden zu behelligen“. GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13. 73 Es handelte sich offenbar um zwei Gebäude in der Brandenburgischen (Nr. 810) und in der Nauenschen Straße (Nr. 904). Siehe den Bericht des Potsdamer Magistrats vom 1. November 1776 in BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. 74 Siehe die entsprechenden Berichte von Steuerrat Richter in BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2992, Bd. 2. Die Kurmärkische Kammer zeigte zudem Bedenken, Isaac Michel Hirsch als Extraordinarius anzusetzen, da „doch soviel gewiß bleibet, daß dadurch ein neuer Stamm angesetzet“ werde: Bericht vom 20. Januar 1768 in GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13.

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Dokument in Händen zu halten, „damit er ferner von allen Anfechtungen seiner Geschwister sicher gestellet sey“. 75 Auf welcher Basis man sich schließlich doch noch einig wurde, zeigt die Konzession vom 26. April 1769. 76 Landesherrliches Privileg und ordinärer Kaufvertrag vermischen sich in diesem Dokument zu einer seltsam anmutenden Melange, liest man doch, wie sich ein „Friderich, von Gottes Gnaden König in Preußen, Marggraf zu Brandenburg, des Heiligen Römischen Reichs Ertz-Cämmerer und Churfürst, Souverainer und Oberster Hertzog von Schlesien, Souverainer Printz von Oranien, Neufchatel und Vallengin“ (um nur einen kleinen Teil der barocken Titelsammlung aufzuführen) auf die Ebene eines Porzellanverkäufers in eigener Sache herabläßt, indem er Hirsch befiehlt, aus „Unsrer hiesigen ächten PorcelainFabrique für Drey Hundert Rt. Porcelain an Càffe- und Thé-Service zum innern [!] und auswärtigen Debit zu nehmen“ und zudem 200 Rt. an die Chargenkasse zu entrichten. Im Gegenzug wurde Hirsch als ordentlicher Schutzjude angesetzt 77 und ihm erlaubt, die Manufaktur „unbehindert fortzusetzen“ sowie die von Moses Marcus „an der Mauer ohnweit dem Brandenburger Thore“ 78 in Potsdam aufgegebene Leinendamastmanufaktur mit zu übernehmen. Hirsch verpflichtete sich zudem, zukünftig stets zwölf Stühle zu betreiben und 20 Arbeiter zu beschäftigen. Nach der Verkaufsliste der KPM kam Hirsch seiner Verpflichtung zum Porzellanexport am 11. Mai 1769 nach, worüber sich jedoch keine Quittung erhalten hat. Daß Berend Hirsch hingegen noch ein zweites mal, nämlich am 22. Oktober 1770, in der Zusammenstellung auftaucht, 79 hängt wiederum mit seiner Textilmanufaktur zusammen. Denn mittlerweile hatte sich sein Buchhalter Isaac Michel Hirsch vorteilhaft in Hamburg verheiratet und war dorthin verzogen. Berend Hirsch bat deshalb, das dadurch freigewordene Privileg eines außerordentlichen Schutzjuden auf seine Schwägerin Fromet und ihren Verlobten Salomon Levin Benjamin

75

So nach einem Bericht der Kurmärkischen Kammer vom 20. Januar 1768 ebd. „Schutz-Privilegium und Concession für den Juden Berend Hirsch zu Potsdam als ordinairen Schutz-Juden und zu Anlegung einer Fabrique daselbst auf seine Kosten von allerley Sorten aus Hanf- Baumwollen und Leinen Garnen verfertigten Zeugen“ in GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 211p 1, Fasz. 3. 77 Einen vergleichbaren Fall aus dem Jahre 1793, als in Halberstadt ein Extraordinarius zu einem Ordinarius aufrückte, untersucht Halama, S. 204 –205. 78 Siehe den Eintrag in BLHA, Amtsgericht Potsdam, Grund- und Hypothequen-Buch der Residenz-Stadt Potsdam, zweiter Teil, Bl. 370. Danach hatte Marcus das Haus 1764 von dem Damastmacher Wentzel ersteigert. 1789 wechselte das Anwesen schließlich für 360 Rt. in den Besitz des Kaufmanns Ginese Torchiana. Marcus’ Manufaktur wird noch erwähnt bei Nicolai, Berlin und Potsdam (1769), 550, nicht mehr jedoch bei Hoffmann, Handwerk und Manufaktur. 79 Export Nr. 61 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 76

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zu transferieren. 80 Für die dazu am 23. Januar 1771 erteilte Konzession 81 war wiederum ein Porzellankauf in Höhe von 300 Rt. fällig. 82 Die großen Hoffnungen, die man behördlicherseits in Berend Hirsch gesetzt und um derenwillen man auch einen Rechtsbruch in Kauf genommen hatte, sollten sich in der Zukunft jedoch nicht erfüllen. Die Manufaktur, die sich Hirsch so skrupellos angeeignet hatte, brachte ihm nämlich kein Glück, bediente sie doch einen schrumpfenden Markt und war insofern von der allgemein zu beobachtenden Stagnation des Potsdamer Großgewerbes im letzten Jahrhundertdrittel 83 ganz besonders betroffen. Denn ganz so „unentbehrlich“, wie Friedrich Nicolai noch 1786 meinte, waren Hirschs Hanfzeuge der jüdischen Gemeinde zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr. 84 Stattdessen erfreute sich der ebenso preiswerte wie leichte Kattunstoff immer größerer Beliebtheit; die schweren Produkte aus Hanf wollte hingegen kaum noch jemand tragen. 85 Gegen einen derartigen Wandel der Mode war letztlich auch Hirschs durch den rabbinischen Bann bewehrtes Monopol 86 auf ein veraltetes Produkt eine stumpfe Waffe, wie seiner hilflos wirkenden

80 Vgl. Benjamins Supplik vom 9. Januar 1771 in GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13. 81 Vgl. BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. S.2288. 82 KPM-Quittung und Ausfuhrbescheinigung des Zollamts Falkental in GStA PK, II. HA, Kurmark, Städtesachen, Stadt Potsdam, Tit. CLVI, Sekt. b, Nr. 13. 83 Zu dieser Entwicklung, die in gewisser Weise die Kehrseite der einseitigen Ausrichtung der Potsdamer Wirtschaft auf den Staat darstellte, siehe Straubel, Das fridericianische Potsdam. 84 Friedrich Nicolai schreibt: „Hanfleinen ist eine der Judenschaft unentbehrliche Tracht. Berend Hirsch macht alle Arten hanfene und leinene Parchente und hanfenen Zwirn; hat ein Engagement auf 12 Stühle. Die Fabrik hat Einquartierungsfreiheit. Die Niederlage ist bei Hirsch Gewer in Berlin (auf dem Neuen Markt im Wittenschen Hause).“ Zitiert nach Ders.: Beschreibung der königlichen Residenzstadt Potsdam, S. 156. 85 Das im Interesse der einheimischen Wollindustrie bestehende Verbot der Herstellung baumwollener Stoffe war erst nach Friedrichs Regierungsantritt 1740 aufgehoben worden. In den folgenden Jahrzehnten kam es aufgrund der steigenden Nachfrage nach den leichten und preiswerten Kattunen trotz behördlicher Eindämmungsversuche zu einem rasanten Aufschwung der Baumwollweberei, zunächst vor allem in Berlin und Potsdam. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 108 –109, 112. Zur Rolle jüdischer Unternehmer im Baumwollgewerbe ebd., S. 114. 86 Die Kurmärkische Kammer forderte den Potsdamer Steuerrat Richter am 6. März 1772 auf, eine entsprechende Banndrohung von den Rabbinern seines Inspektionsbezirkes publizieren zu lassen. Siehe BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. Vgl. auch die Anweisung der Halberstädtischen Kammer an die Steuerräte Müller und Grashoff vom 22. Mai 1769, „durch die Magistrate Eurer Inspection denen Kaufleuten und Einwohnern die Einbringung dergleichen Art verbothener fremden Zeuge [auf die Hirsch nun das Monopol beanspruchte] nachdrücklichst untersagen zu lassen, insbesondere aber sind die Juden vor dergleichen Einbringung nachdrücklich zu verwarnen.“ Siehe LHASA, Rep. A 19 e, Tit. VII, Nr. 66, Bl. 7.

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Supplik vom Februar 1784 zu entnehmen ist, als sich der jüdische Unternehmer ökonomisch bereits im freien Fall befand: Da aber ein großer, besonders der bemittelte, wohlhabende Theil meiner ReligionsVerwandten sich anjetzo statt des Hanfenen, nach unsern Religions-Gebräuchen unter wollenen Kleidungs Stücken sonst gebrauchten Unterfutters des schlechten und groben Kattuns zu bedienen pflegt, der übrige Theil der Nation aber bey den jetzigen nahrlosen Zeiten sich mit neuen Kleidungs-Stücken nicht überflüssig versehen kann, überdem auch zu einem neuen Kleide nicht über 3 Ellen dergleichen Leinwand erforderlich ist, hiernächst aber auch alle meine Bemühungen, diesen meinen Fabrikatis außerhalb Landes einigen Absatz zu verschaffen, vergeblich und mit unnützen hin und retour TransportKosten begleitet gewesen sind und ich dadurch viele Unglücks Fälle und häufigen Verlust erlitten, solchergestalt aber in meinen Vermögens Umständen allerdings einigermaßen habe zurückgesetzt werden müssen, überhaupt aber ich nicht vermögend bin, zu allen Zeiten einen gleichmäßigen Debit meiner Fabriquen-Waaren zu erzwingen ... 87

Schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre war Hirsch nicht mehr in der Lage gewesen, die ihm durch die Konzession vorgeschriebene Anzahl von 12 Stühlen zu betreiben. 88 Desaströse Kreditgeschäfte in Kreisen der Potsdamer Garnison, vor allem des Regiments Prinz von Preußen, 89 traten hinzu und beschleunigten den Abstieg. Denn obwohl ihm Steuerrat Richter im Vorfeld mit Hinweis auf die zahlreichen Königlichen Edikte gegen derartige Kreditgeschäfte 90 „wohlmeynend gerathen [hatte], sich doch ja nicht mit denen Officieren zu enfiliren“, 91 hatte Hirsch, dabei selbst durch bedeutende Verbindlichkeiten belastet, 92 allein einem 87 StA Potsdam, 1 – 3, Nr. 673. Daß Hirschs Klagen durchaus in einem sich vollziehenden ökonomischen Umstrukturierungsprozeß begründet waren, mag man etwa der Tatsache entnehmen, daß die Zahl der Baumwolle produzierenden Stühle in Potsdam zwischen 1772 und 1798 von 70 auf 292 anstieg, was einem prozentualen Anteil am gesamten Textilgewerbe von 16,0 % bzw. 35,1 % entsprach. Siehe Straubel, Fridericianisches Potsdam, S. 164. 88 So nach einem Schreiben des Fünften Departements des Generaldirektoriums an den Potsdamer Steuerrat Richter, Berlin, 7. August 1777: BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. 89 Das Regiment „Prinz von Preußen“ (Nr. 18) unter dem Thronfolger Prinz Friedrich Wilhelm lag seit 1763 in Potsdam und trat dort an die Stelle des Regiments von Prinz Heinrich (Nr. 35), das nach dem Siebenjährigen Krieg nach Spandau und Nauen verlegt wurde. Siehe Kotsch, S. 73. 90 Solche Edikte gegen das überhandnehmende Schuldenmachen von Offizieren ergingen am 7. April 1744, 4. Juli 1746, 4. März 1755 und 2. Dezember 1766. So bestimmte das zuletzt genannte Edikt, daß ein Offizier nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung seines Regimentschefs einen Kredit aufnehmen dürfe, es sei denn, es handelte sich um eine Hypothek auf Immobilienbesitz. Im entgegengesetzten Falle drohte das Edikt dem Kreditgeber den Verlust seines Kapitals und dem Offizier ein Disziplinarverfahren an. Siehe N.C.C., Bd. 3, Sp. 613 – 618. Entsprechende Regelungen finden sich sowohl im Generalreglement von 1750, im Allgemeinen Landrecht von 1794 sowie im Allgemeinen Pfand- und Leihreglement; vgl. Terlinden, S. 180. 91 Steuerrat Richter an die Kurmärkische Kammer, Potsdam, 24. März 1789, BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079.

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Hauptmann von Stranz, der deshalb auch kassiert wurde 93, die runde Summe von 10.000 Rt. geliehen – und anscheinend niemals wiedergesehen. 94 Wie tief Hirschs Sturz schließlich führte, ist einem Bericht des Potsdamer Magistrats vom August 1782 zu entnehmen: Jetzt ist der Berend Hirsch in Wechsel-Sachen zur gefänglichen Haft gebracht, und diese Lage muß ihn noch mehr heruntersetzen. Durch seine Fabrique erhält er sich gewissermaßen noch, und wann er gleich nicht 12 Stühle beschäftiget, da das HanfLeinen eigentlich für den Bedarf der Juden gearbeitet wird, so thut er nach seinen Kräften doch, was ihm möglich ist. Dies ist seine jetzige Lage, die vor der Hand nicht besser werden dürfte, wann er aber [zu] seine[r] Verbindlichkeit, 12 Stühle zu beschäftigen, angehalten werden soll und Zwangs-Mittel wieder ihn gebraucht werden, so wird er völlig unvermögend, auch das noch zu thun, was er jetzt leistet, und diese Fabrique dürfte sodann gantz eingehen, da sich dazu nicht leicht ein Entreprenneur findet, der ein Jude seyn muß. 95

92 So ruhten allein auf seinen beiden Häusern in der Nauenschen und der Brandenburgischen Straße Hypotheken im Gesamtvolumen von 3.200 Rt. Einer seiner Gläubiger, der Berliner Schutzjude Nathan Liebmann, strengte deshalb um 1780 eine allerdings gescheiterte Zwangsversteigerung des Anwesens in der Nauenschen Straße an. StA Potsdam, 1 –3, Nr. 683, Bl. 53 – 54. Wirtschaftlich war Hirsch zu diesem Zeitpunkt auch in Folge der erneuten Forderung, Porzellan zu exportieren, bereits am Ende. Vgl. unten, Kap. H. VIII 2. 93 Steuerrat Richter an die Kurmärkische Kammer, Potsdam, 24. März 1789, BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. 94 In einer Supplik vom 19. Februar 1789 behauptete Hirsch, Stranz schulde ihm neben den 10.000 Rt. auch die Zinsen für einen Zeitraum von 14 Jahren, ebd. Bei Stern, Bd. III/2, S. 659 findet sich zudem der Hinweis auf einen Wechselprozeß Hirschs gegen den scheinbar minderjährigen Juden Meyer Moses Isaac aus dem Jahr 1783. 95 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. Der Potsdamer Magistrat zeigte sich trotz allen Modewandels in jenen Jahren von den Qualitäten und dem ökonomischen Potential von Hanftextilien überzeugt. So liest man in einem vom Magistrat am 13. April 1784 im Zusammenhang eines Prozesses gegen Hirsch erstellten Gutachten: „Obgleich der Hanf in der Marck wenig gebauet wird, mithin ein noch fremdes Materiale ist, welches vorzüglich aus Rusland und Liefland, aber auch aus Italien und Frankreich eingebracht wird, so verdient er doch viel Aufmerksamkeit, da er in Vermischung mit Wolle und Baumwolle vortreffliche und sehr dauerhafte Zeug-Arten liefert. Der unerwartete Nutzen des Hanfes gehet aus dem feinen Cammertuch hervor, welchen die Handlung Gaux, Kupfer und Breitenbach in der Stadt Lörrich im Baden-Durlachschen fabriciren lassen, wie denn auch im Hessischen feiner Drillich aus Hanf gemacht wird, welcher viel dauerhafter als der reine Flachse ist.“ So sähe es der Magistrat gern, „wenn das Spinnen und Weben des Hanfes zu Kleidungs- Stücken in den hiesigen Landen Aufmunterung und Unterstützung fände“, zumal der Anbau von Hanf „ohne Beeinträchtigung des Acker- und Leinbaues in der Marck mit Nutzen befördert werden“ könne. StA Potsdam, 1 –3, Nr. 673. Noch 20 Jahre später liest man bei Bratring, Bd. 1, S. 97: „Der Hanfbau ist in der Kurmark nicht von Bedeutung. Die Domänenämter und Rittergüter gewinnen ihren Bedarf, und die Seiler in den Städten beziehen dieses Produkt aus Rostock, und schicken mehrere Tausend Thaler dafür ins Ausland. Der Anbau desselben, wovon die Produktentabellen nichts enthalten, verdiente daher eine Aufmunterung.“ Vgl. die Einfuhrstatistiken in A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 508, 512 – 513.

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Doch das Glück hatte Hirsch offensichtlich verlassen. 1785 wurde er von der Kurmärkischen Landjudenschaft mit der Bemerkung „ist arm“ 96 nicht einmal mehr zur Schutzgeldzahlung veranlagt, und im Januar 1788 kam die Fabrik endgültig zum Stillstand, 97 woraufhin die Kurmärkische Kammer ein Verfahren zum Entzug des Schutzbriefs gegen ihren einstigen Hoffnungsträger einleitete. 98 So bleibt schließlich nur noch zu vermerken, daß Marcus Michael Hirsch, der betrogene Erbe, das Ende dieser fabel-artigen Wirtschafts-Geschichte nicht mehr erlebte. Er war bereits 1776 verstorben. 99 3. Seidenhändler Seligmann Joseph aus Königsberg / Pr. An fünfter Stelle der KPM-Verkaufsliste findet sich unter dem 7. Juli 1769 mit Seligmann Joseph (1746 –1826) 100 aus Königsberg in Preußen erstmals ein Jude, der nachweislich aufgrund einer erteilten Konzession zum Hausbesitz zum Porzellanexport herangezogen wurde. Die jüdische Gemeinde, aus der Joseph stammte, war noch recht jung, spielte jedoch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts innerhalb des preußischen Judentums ökonomisch und kulturell gleichwohl eine bedeutende Rolle. 101 So waren zahlreiche Königsberger Familien Träger des Ost-Westhandels mit Berliner Manufakturwaren, 102 wobei insbesondere an die 96

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 3, Bd. 7, Bl. 129. Steuerrat Richter an die Kurmärkische Kammer, Potsdam, 17. Januar 1788, BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. 98 Kurmärkische Kammer an den Potsdamer Steuerrat Richter, Berlin, 3. März 1788. Am 11. März erhielt Hirsch eine Frist von zwölf Monaten, um seine Manufaktur wieder in einen konzessionsmäßigen Zustand zu versetzen. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht überliefert. Siehe BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. Doch hatte Hirsch zu diesem Zeitpunkt seinen Schutzbrief aufgrund eines rückständigen Porzellanexports bereits zurückgeben müssen, was der Kammer offensichtlich nicht bekannt war. Vgl. unten, Kap. H. VIII. Hirsch blieb jedoch offenbar im Lande und verheiratete im Jahre 1800 seinen um 1767 gebohrenen Sohn Levin Behrendt an eine Berliner Jüdin. Behrendt betrieb in der Hauptstadt eine Baumwollmanufaktur und starb 1815 in Leipzig. Seine Witwe konvertierte am 12. Februar 1828 in der Berliner Dreifaltigkeitskirche zum Christentum. Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 424. Eine Tochter Berend Hirschs, Rahel, hatte 1805 den Judenältesten Isaac David Schnaittacher geheiratet und war mit diesem nach Frankfurt an der Oder verzogen, ebd., 479. Man mag daraus folgern, daß Hirschs ökonomischer Ruin nicht zu einer sozialen Deklassierung folgte. Darüber hinaus scheint Hirsch zumindest in der ersten Hälfte der 70er Jahre, als es ihm finanziell scheinbar noch relativ gut ging, ein respektiertes Mitglied der Potsdamer Gemeinde gewesen zu sein, zählte er doch zu den „vornehmen, edlen und angesehenen Bürger[n]“, die das Gemeindestatut von 1776 aushandelten. Siehe Kaelter, S. 28 – 32. 99 Bericht des Potsdamer Magistrats vom 1. November 1776, BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3079. 100 Zu seinem Schutzbrief und den ihm später veliehenen Konzessionen siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 8; vgl. Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 148. Seit 1812 nannte er sich Joseph Seligmann. 97

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Familie Friedländer zu denken ist, deren Sohn David zu einem der politisch einflußreichsten Juden der Epoche avancierte. 103 Zudem bildete Königsberg nicht nur eines der Zentren der protestantischen, sondern auch der jüdischen Aufklärung, erschien doch beispielsweise seit 1783 mit der Zeitschrift HaMe’assef („Der Sammler“) das bedeutendste Publikationsorgan der Haskala zunächst in der Hauptstadt Ostpreußens. 104 Und obwohl es erst unter Friedrich III. / I. zu einer grundlegenden Lockerung des seit Ordenszeiten geltenden Ansiedlungsverbotes für Juden gekommen war, zählte die jüdische Gemeinde am Pregel, die insbesondere aus Polen und Litauen starken Zuwachs erfahren hatte, im Jahre 1756 bei einer Gesamteinwohnerschaft von 55.000 Menschen bereits 44 Familien mit 268 Individuen. Rund 25 Jahre später, 1782, waren es trotz aller Restriktionen der friderizianischen Judenpolitik 90 Familien mit 493 Personen, zu denen sich noch 172 Bedienstete gesellten. 105 Innerhalb dieser expandierenden und von der christlichen Kaufmannschaft angefeindeten Gemeinde 106 gehörte Seligmann Joseph zweifellos zu einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Familien. Bereits sein Vater Joseph Seligmann, der seit 1753 eine Packkammer betrieb, hatte mit dem Berliner Kattunfabrikanten Isaac Benjamin Wulff in engen Geschäftsverbindungen gestanden und für die seit 1762 von Veitel Ephraim und Daniel Itzig gepachtete Königsberger Münze gearbeitet. 107 Gemeinsam führten Vater und Sohn nach dem Siebenjährigen Krieg eine der angesehendsten Textilhandlungen der Stadt. 108 Der ökonomische Emanzipationsprozeß des Sohnes, den Jolowicz zu den Königsberger Juden zählt, die „sich 101 Zur Königsberger Gemeinde Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg; Jolowicz; Krüger, Judenschaft von Königsberg; sowie die einleitenden Kapitel bei SchülerSpringorum. 102 Zur ökonomischen Bedeutung der Königsberger Judenschaft insb. Straubel: Königsberg und Memel, S. 304 – 382; vgl. Ajzensztejn: Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 45 – 54. 103 Zur Familie Friedländer und ihrer ökonomischen Tätigkeit Friedländer, Handlungshaus; Aizensztejn, Familie Friedländer; sowie Krüger, Judenschaft von Königsberg, S. 18 – 21. 104 Kennecke; zur jüdischen Aufklärung in Königsberg Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 85 – 102. 105 Zahlen nach Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 28; zur jüdischen Zuwanderung aus Polen-Litauen Shulvass, hier insb. S. 86; ferner Schenk, „Der preußische Staat und die Juden“. 106 Vgl. Stern, Bd. III/1, S. 322. 107 Der König benutze die osteuropäischen Geschäftsbeziehungen der neuen Pächter unter anderem dazu, 1781 massenweise schlechte Kreuzer in Polen in Umlauf zu bringen. Siehe Gause, Bd. 2, S. 203. 108 Bereits der Besitz einer Packkammer war innerhalb der jüdischen Gemeinde ein zuverlässiges Indiz für überdurchschnittlichen Wohlstand, rangierten die Betreiber einer solchen Kammer doch bei der Veranlagung zur Schutzgeldzahlung stets an der Spitze der Gemeindemitglieder. Zwischen 1750 und 1755 betrug der jährliche Umsatz Joseph

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einen gewissen Grad deutscher Bildung anzueignen gewußt und den Ihrigen eine dem geselligen Leben nothwendig gewordene höhere Geistesrichtung zu geben gesucht“ 109 hätten, begann offenbar zu Beginn der 1760er Jahre, als Joseph in „die schönste Strasse Königsbergs“ 110 zog, nämlich auf die Kneiphöfische Langgasse, und sich dort im Haus eines „Doctor Medicinae Heddaeus“ 111 einmietete, wo er sogleich eine weitere Packkammer eröffnete. 1765 bat Joseph schließlich um die Erlaubnis, dieses Haus kaufen zu dürfen. Unter normalen Umständen wären die Erfolgsaussichten dieses Gesuches zumindest ungewiß gewesen, denn der König hatte sich seit 1748 mehrfach dahingehend geäußert, daß die Ausbreitung jüdischen Hausbesitzes in den prestigeträchtigen Stadtteilen Altstadt, Löbenicht und Kneiphof unterbunden und die Wohnbezirke der Judenschaft auf die Königlichen Freiheiten Rossgarten, Burgfreiheit, Tragheim, Sackheim und Neue Sorge beschränkt werden sollten. 112 So berief sich auch die ostpreußische Kammer in ihrer Stellungnahme zu Josephs Gesuch auf den eindeutig geäußerten Willen des Königs und empfahl dem Generaldirektorium, den Bittsteller abzuweisen. 113 Was dem Verfahren jedoch eine Wendung geben sollte, war die Tatsache, daß Joseph im Begriff stand, eine Tochter des Berliner Seidenfabrikanten Bernhard Seeligmanns mit Seiden-, Woll-, Baumwoll- und Leinenwaren im Durchschnitt 10.502 Rt. Siehe Straubel, Königsberg und Memel, S. 314, 329, 349 –350. 109 Jolowicz, S. 93. Der Applaus, den derartige Akkulturationsbemühungen bei der christlichen Umwelt fanden, fiel auch in Königsberg offenbar zwiespältig aus, wie die Äußerungen bei Baczko, Königsberg, S. 317, belegen, der Dohm offensichtlich gelesen hatte: „Zum Theil trifft von der Judenschaft Königsbergs das Urtheil ein, welches Herr Nicolai von der Berlinischen fällte, und verschiedene reele Handlungshäuser und gute Menschen aus diesem Volke beweisen, daß die dem größten Theil desselben mit Recht gemachten Vorwürfe nicht allgemein sind, und nur im Mangel der Erziehung und des Erwerbs ihren Grund hatten. Bis jetzt ist den Juden der Handel mit rohen Producten, und die Erlernung der Handwerke untersagt; sollte ihnen das letztere gestattet werden, so dürfte mancher hier in Königsberg, vorzüglich aber die zahlreiche Judenschaft in Westpreußen, in eine, ihrer häuslichen Verfassung, und auch dem Staate selbst, vortheilhaftere Lage kommen.“ 110 Ebd., S. 161. 111 So nach einem Bericht der Kammer vom 13. März 1765 in GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4549, Bl. 5 – 6. 112 Zu den jüdischen Wohnbezirken in Königsberg Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 127 – 131. Ähnlich wie in Frankfurt an der Oder ist es also auch in Königsberg hinsichtlich der Restriktionen jüdischen Immobilienbesitzes nicht damit getan, auf die entsprechenden Passagen des Generalregelements von 1750 zu verweisen, worauf sich etwa Glinski, S. 183 – 184 beschränkt. So hatte Friedrich, wie erwähnt, bereits am 26. Januar 1748 den Befehl erteilt, daß die Juden ihre Häuser auf dem Kneiphof binnen Jahresfrist zu räumen hätten. Die Ordre wurde jedoch bald mit Rücksicht auf die zu befürchtenden wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Zwangsumsiedlung aufgehoben. Siehe Jolowicz, S. 74. Dennoch wiederholte Friedrich am 2. Dezember 1755 seinen Umsiedlungsbefehl, nur um ihn am 5. Mai 1756 wiederum auszusetzen. Siehe Straubel, Königsberg und Memel, S. 322. 113 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4549, Bl. 5 –6.

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Isaac zu heiraten, den Friedrich 1753 mit einem Generalprivileg ausgestattet hatte und der sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern durch die Anstellung Moses Mendelssohns als Buchhalter in seiner Manufaktur sicherte. 114 Überregionale Heiratsverbindungen dieser Art waren innerhalb der jüdischen Gemeinde Königsbergs nicht unüblich, sondern Ausdruck einer „zielgerichteten Heiratspolitik“ 115, die den durch Königsberger Juden getragenen Ost-Westhandel widerspiegelte und somit auch von großer Bedeutung für das Exportgeschäft Berliner Manufakturen war. 116 Neben Hamburg, Alt-Schottland, dem polnischen Lissa und (seit den 1790er Jahren) auch Breslau spielte Berlin als Herkunftsort der Ehepartner eine große Rolle. 117 Nicht aus bloßer Gefälligkeit intervenierte deshalb der künftige Schwiegervater Josephs bei den Behörden massiv zugunsten einer Bewilligung des geplanten Hauserwerbs auf dem Kneiphof, setzte er doch mit seinen Seidenprodukten auf den osteuropäischen Absatzmarkt große Hoffnungen, da „auf denen Teutschen Messen die französischen Estoffe diesen Debit gar sehr behindern“. 118 Deshalb habe er es „höchstnöthig gefunden, zu Königsberg in Preußen eine ansehnliche Niederlage von allerhand seidenen Waaren zu etabliren, um allda meinen FabriqueWaaren den gehörigen Vertrieb zu verschaffen“. Zum Leiter dieser Niederlage war natürlich kein anderer als sein zukünftiger Schwiegersohn Joseph ausersehen, weshalb Isaac betonte, welcher Nachtheil mir daher unausbleiblich zuwachsen würde, wenn der zeitige Wirth dieses Hauses resolviren sollte, selbiges an andere zu verkaufen und mein zukünftiger Schwieger-Sohn demnach gezwungen würde, sothanes Haus zu verlassen und die große Waaren-Niederlage anders wohin zu transportiren, da man überdem nicht vorhersehen kann, ob dazu wiederum ein Haus gemiethet werden könnte, dessen Lage zur Handlung so bequem und zur Debitirung meiner Fabrique-Waaren an die Pohlen und Russen ganz unentbehrlich ist.

114 Siehe etwa Lackmann, S. 15 –21. Josephs Braut brachte die runde Summe von 30.000 holländischen Gulden in die Ehe ein. Siehe Straubel, Königsberg und Memel, S. 312; vgl. Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 148. Zu Isaac und seinen Manufakturen, die zeitweilig bis zu 120 Stühle betrieben, siehe Stern, Bd. III/1, S. 198 – 200; Schnee, Bd. I, S. 183 –184; Martin, S. 176. Zu den Geschäftsbeziehungen Josephs mit der Manufaktur Bernhards bzw. seiner Witwe vgl. Meier, Aufstieg, S. 44 – 45; Dies.: Jüdische Seidenunternehmer, S. 171. 115 Zum Heiratsverhalten innerhalb der Königsberger jüdischen Gemeinde siehe Straubel, Königsberg und Memel, S. 304 – 313, Zitat: S. 308. 116 Auch die Berliner Seidenfabrikanten Moses Rieß sowie Philipp und David Hirsch waren seit den 1770er Jahren mit eigenen Niederlagen am Pregel präsent. Siehe Gause, S. 207. 117 Nach Straubel, Königsberg und Memel, S. 306 kamen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ca. 10 % der Ehepartner aus Berlin. 118 Dieses und die folgenden Zitate: Supplik Bernhard Isaacs, Berlin, 29. Januar 1765 in GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4549, Bl. 1 –2.

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Wollte die sich auf den König berufende Kammer von einer solchen Konzession nichts wissen, so gab es doch jemanden in Preußen, der stets hellhörig wurde, wenn man eine Supplik mit den Schüsselbegriffen „Seide“ und „auswärtiger Debit“ garnierte. Kein Geringerer als der König, der sich mit den Bemühungen der christlichen Kaufmannschaft Königsbergs um den Handel mit heimischer Seide außerordentlich unzufrieden zeigte, 119 schaltete sich deshalb rasch in das Verfahren ein. So befahl Friedrich dem Generaldirektorium, es für dieses Mal mit den Restriktionen jüdischen Hauserwerbs in Königsberg nicht so genau zu nehmen und Joseph den „Ankauf und Besitz solches Hauses nebst der Freyheit, den Handel mit allen Waaren en gros und en detail darinnen zu treiben“, zu gestatten. 120 Friedrich dürfte es bei der Unterstützung Josephs nicht nur allgemein darum gegangen sein, den Absatz Berliner Seidenwaren in Osteuropa zu fördern, sondern speziell am Handelsplatz Königsberg die Verdrängung ausländischer Seide zu unterstützen. Denn noch 1788/89 machten inländische Fabrikate lediglich einen Anteil von 7,1 % der Königsberger Einfuhren aus. Erst in den 1790er Jahren kam es zu einer maßgeblichen Erhöhung dieses Werts. 121 In jedem Fall belegt die auf allerhöchsten Befehl getroffene Ausnahmeregelung einmal mehr die „direkte Korrelation zwischen dem Aufstieg des kurmärkischen Seiden- bzw. Luxusgewerbes und dem Vordringen der jüdischen Kaufleute“ 122 in Königsberg. So konnte der Königsberger Historiker Ludwig von Baczko (1756 – 1823) ungeachtet der so oft wiederholten königlichen Befehle und der Bemühungen der christlichen Kaufmannschaft, wonach sich keine Juden auf der Dominsel niederlassen sollten, in seiner 1824 erschienenen Autobiographie schreiben, er habe in seiner Jugend „im Kneiphofe unter lauter Juden“ 123 gewohnt. Baczkos Darstellung war gewiß überspitzt, traf aber einen wahren Kern, befanden sich nach Friedrichs Tod doch mehr jüdische Häuser auf dem Kneiphof als bei seinem Regierungsantritt, nämlich zwölf (1791). 124

119 Die Kaufleute traf wiederholt der Vorwurf des Königs, sie würden sich stattdessen lieber mit dem Handel mit auswärtigen Produkten abgeben; vgl. Gause, S. 180. Auch im Tuchhandel war die Situation ähnlich, lehnte Friedrich doch 1765 Vorschläge des Ministers von Hagen, die auf Handelserleichterungen in Königsberg abzielten, mit den Worten ab: „Die Sachen wegen des Preußischen Commerce sind schon öfters vorgewesen und kömt gar nichts damit heraus, als daß die dortigen Kaufleute lieber fremde Tücher und Stoffe als unsere verkauffen wollen. Das gehet aber nicht an, also ist mit denen Leuten nichts anzufangen.“ Zitiert nach: A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 381. 120 Potsdam, 12. April 1765, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4549, Bl. 10; die auf den 18. April 1765 datierende Konzession ebd., Bl. 12. 121 Zum Königsberger Seidenhandel siehe Straubel, Königsberg und Memel, S. 64 –69. 122 Ebd., S. 332. 123 Baczko, Geschichte meines Lebens, Bd. 1, S. 227. 124 So nach einer Notiz des Generalfiskals: Straubel, Königsberg und Memel, S. 374. 1804 sollen bereits 421 Juden auf dem Kneiphof ansässig gewesen sein, siehe Gehrmann, S. 23.

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Nun hatte also im Jahre 1765 auch Seligmann Joseph auf der prestigeträchtigen Dominsel Fuß gefaßt. Daß dabei vier Jahre später noch einmal Porzellan ins Spiel kam, hing mit der Lage von Josephs Haus auf der Langgasse zusammen. Denn in unmittelbarer Nachbarschaft befand sich das sogenannte Bockstor, ein bewohnbarer Teil der Stadtbefestigung im Besitz des „Auctions-Aufwärters“ Carl Ludwig Alt. 125 An den Besitz dieses Anwesens waren gewisse Auflagen zu seiner baulichen Instandhaltung geknüpft, die, wie die Kammer berichtete, die finanziellen Möglichkeiten Alts überschritten, da sein Haus „auf keine Art und Weise repariret und in brauchbaren Stand gesetzet werden kann, sondern es muß solches nothwendig heruntergerissen und von Grund auf neu erbauet werden“. 126 Deshalb habe der Eigentümer gebeten, sein Haus an Joseph verkaufen zu dürfen, der an der fraglichen Stelle offenbar einen mit seinem bereits 1765 erworbenen Anwesen verbundenen Neubau errichten wollte. Auch der Königsberger Magistrat unterstützte diesen Plan in der Meinung, daß „wohl niemand anders als Seligmann Joseph im Stande seyn dürfte, das zu bebauende Angebäude in eine Egalität mit dem andern Thor in der Lang-Gasse nach dem Wasser zu setzen“ 127 und somit den bestehenden Bauauflagen gerecht zu werden. Diese breite Unterstützung der lokalen Instanzen sorgte maßgeblich dafür, daß das weitere Verfahren sehr rasch vonstatten ging. Das Generaldirektorium erklärte sich am 8. Juni zur Erteilung einer Konzession bereit, falls Joseph für 300 Rt. Porzellan exportiere 128 – eine Bedingung, der dieser bereits am 6. Juli 1769 nachkam. 129 Die daraufhin erteilte Genehmigung, das Bockstor „an sich zu kaufen und dasselbe neu aufzubauen, auch mit seinem Hinter-Gebäude zu verbinden“, datiert vom 13. Juli. 130 125 Es konnte bislang nicht geklärt werden, ob dieses Bockstor etwa identisch ist mit dem am südlichen Ausgang der Langgasse befindlichen, allerdings sehr imposanten Langgassenbzw. Grünen Tor. Zu den folgenden Schilderungen würde jedenfalls die Meldung bei Baczko, Königsberg, S. 161 passen, daß dieses Gebäude just 1770 (durch Joseph?) renoviert worden sei. In Frage käme allerdings auch das ebd. beschriebene „Küttelthor, welches daher den Namen hat, weil es nach dem Schlachthofe, der vormals Küttelhof hieß, zugeht“. Über letzteres liest man 1829, es sei „mit dem daran stoßenden Hause verbunden und mit Zimmern überbaut“. Siehe Faber, Taschenbuch, S. 40. Erfolglos konsultiert wurden ferner der Adress-Calender Königsberg auf das Jahr 1733 (in dem Carl Ludwig Alt noch nicht auftaucht); Stein, Königsberg, S. 52; sowie Hartknoch, S. 393 –395. Herrn Dr. Hans-Jacob Tebarth (Herne) sei an dieser Stelle für seine freundliche Unterstützung herzlich gedankt. 126 Bericht der Ostpreußischen Kammer, Königsberg, 18. Mai 1769, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4561, Bl. 1. 127 Gutachten des Königsberger Magistrats vom 3. Mai 1769, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4561, Bl. 4. 128 Generaldirektorium an Ostpreußische Kammer, 8. Juni 1769, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4561, Bl. 5. 129 KPM-Quittung ebd., Bl. 8. Das Dokument weist noch nicht den später obligatorischen Zollvermerk über die erfolgte Ausfuhr ins Ausland auf. 130 Ebd., Bl. 9. Über Alts neue Wohnung informiert der Königsberger Adreßkalender von 1770: „... wohnet auf dem Roß-Garthen in des Schuster-Meister Bauer Hause. No. 35.“

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Der Aufstieg Josephs hatte seinen Zenit um 1770 allerdings noch keineswegs erreicht. 1774 wurden ihm die Rechte christlicher Kaufleute verliehen, die an dem Generalprivileg seiner Berliner Schwiegermutter hafteten, 131 und 1775 informierte diese die Behörden eher beiläufig darüber, daß Joseph in Königsberg noch einmal „einige Speicher und kleine Häuserchen“ erworben habe 132 – ein salopper Ton, den sich nicht jeder erlauben konnte. Irgendwelche Folgen hatte dies jedoch nicht, obwohl gerade in Königsberg das Recht des freien Immobilienerwerbs von Generalprivilegierten mißtrauisch beäugt und mitunter beschnitten wurde. Immerhin dürfte es im Generaldirektorium für Zufriedenheit gesorgt haben, wenn die Witwe versicherte, Josephs Handel nach Polen und Rußland sorge für jährliche Akzise- und Zolleinnahmen in Höhe von 15.000 bis 20.000 Rt. Porzellan war für den Besitz der „Häuserchen“ jedenfalls nicht zu exportieren – erst der nächste Karrieresprung Josephs sorgte für einen erneuten Eintrag in den Büchern der KPM: Im Dezember 1785, dem gleichen Jahr, in dem Joseph eine offenbar kurzlebige Gazemanufaktur gründete, die jedoch zeitweilig über 80 Arbeiter beschäftigte, 133 wurde er formell auf das Generalprivileg Isaacs angesetzt und exportierte für diese Konzession noch einmal Porzellan im Wert von 500 Rt. 134 Bereits 1781 Siehe Adress-Calender für das Königreich Preussen und insbesondere der Hauptstadt Königsberg, S. 13. 131 Sein Schwiegervater war im Mai 1768 verstorben. Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 4; vgl. Stern, Bd. III/1, S. 105; Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 49. Sein Generalprivileg wurde schließlich 1775 durch eine Neuverleihung an seine Witwe bekräftigt, die die Fabriken ihres verstorbenen Mannes „zu Seiner Königl. Majestät allerhöchsten Zufriedenheit fortgesetzet und ansehnlich ausgebreitet hat, nunmehro aber Vorhabens ist, in Ost- und West-Preußen, in Schlesien und andern Orten in Sr. Königlichen Majestät Landen zum Etablissement ihrer Kinder Depots von ihren eigenen Seidenen Fabriq-Waaren anzulegen.“ Abschrift des Privilegs in GStA PK, XX. HA, EM, Tit. 38, d 4, Nr. 204, Bl. 3 – 4; vgl. Schnee, Bd. 5, S. 27, der die Verleihung irrtümlich auf 1773 datiert. 132 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4549, Bl. 68 –70. 133 Siehe die Informationen des Zeitgenossen Baczko, Königsberg, S. 513 –514: „... die erste [Gazemanufaktur] wurde im Jahr 1785 unter der Firma Seligmann Joseph und Compagnie errichtet. Der erste Fond war 6000 Thaler, und selbst der anfänglich erlittene Verlust schreckte die Unternehmer nicht zurück. Ein aus Warschau hier angekommener Seidenweber, unterrichtete zuerst einige hiesige Leinweber, nachher ließ man aus Berlin GazeWeber mit beträchtlichen Kosten kommen. Von daher kamen auch die ersten Werkzeuge, die bald hier nachgemacht wurden. Alles hatte den glücklichsten Fortgang. Schon gingen zwanzig Stühle, und mehr als achtzig Menschen hatten Arbeit. Der Gaze wurde wohlfeiler als der Berliner verkauft, war ihm an Würde gleich, und manche genähete Gattungen erhielten in Rußland und Pohlen Absatz. Kurz, alles schien dieser Fabrike den größten Flor zu versprechen, als der Inspector derselben sich wegen seiner, übrigens mit dieser Fabrike in keiner Verbindung stehenden Handelsgeschäffte, insolvent erklären mußte und in persönlichen Verhaft kam. Die übrigen Theilnehmer an der Gazefabrik konnten wegen überhäufter Handelsgeschäffte sich der Sache nicht mit demselben Eifer annehmen, daher nahm die Fabrik allmählig ab, und scheint gegenwärtig dem Verlöschen nahe zu seyn.“ Bei Gaze handelt es sich um ein dünnes leinenes oder seidenes Gewebe in weißer Farbe. Siehe Hahn, S. 167.

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war auch Josephs Schwiegersohn David Heymann auf Isaacs Generalprivileg angesetzt worden und hatte ebenfalls für 500 Rt. Porzellan exportiert 135 – der Aufstieg der Königsberger Familie Joseph ist also nicht nur ein weiterer Beleg für den zu konstatierenden „direkten Zusammenhang zwischen dem Ausbau des ‚Fabriquen-Systems‘ und dem weiteren Wachstum der jüdischen Gemeinde“, 136 sondern war auch für die KPM höchst lukrativ. Daß dies auch für manch andere Familie von Generalprivilegierten galt, wird weiter unten noch darzulegen sein. Über das mittlerweile im Besitz von Josephs Sohn befindliche Bockstor erfährt man 1804, es sei darin „zugleich eine Synagoge eingerichtet, die von den alten und kranken Personen der Gemeine, auch von fremden Juden, wegen Entlegenheit der großen Synagoge in der Vorstadt besucht“ 137 werde. Im gleichen Jahr sperrte sich das Generaldirektorium gegen den Ankauf des Hauses durch den Königsberger Schutzjuden Salomon Joachim mit der Begründung, Juden sei der Immobilienerwerb in der Kneiphöfischen Langgasse prinzipiell untersagt. 138 Die Minister präsentierten sich somit erheblich prinzipienfester als König Friedrich 35 Jahre zuvor – ein beredtes Beispiel für die bereits von Rolf Straubel betonte Tendenz, wonach der Immobilienerwerb Königsberger Juden von der Beamtenschaft nach dem Thronwechsel von 1786 noch restriktiver gehandhabt wurde als zuvor. 139

134 KPM-Quittung vom 14. November 1785 und Ausfuhrattest des Zollamts Zehdenick vom 20. November 1785 in GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 454., Bl. 83; Konzession ebd., Bl. 84. Für die Abwicklung dieses Handels sorgte der Berliner Schutzjude Israel Moses Ulmann (zu seiner Tätigkeit siehe Kap. VII. 9). Daß Königsberger Schutzjuden durch eheliche Verbindungen in den Genuß Berliner Generalprivilegien gelangten, war ein weiterer Aspekt jener zielgerichtet betriebenen Heiratspolitik innerhalb der jüdischen Gemeinde Königsbergs, Straubel, Königsberg und Memel, S. 311. 135 Siehe die KPM-Quittung vom 28. Juli 1781 und das Ausfuhrattest des Zollamts Altschottland vom 24. Mai 1782, wonach die Ware an einen Herrn Dodenhoff nach Danzig geliefert wurde, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4585, Bl. 23. Heymann hatte zuvor ein Barvermögen in Höhe von 1.683 Rt. nachgewiesen. Ebd., Bl. 3. 136 Straubel, Königsberg und Memel, S. 349. 137 So in einer Supplik Salomon Joachims, Königsberg, 09. Juli 1804, GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4576, Bl. 28. 138 Dabei waren die entsprechenden Anordnungen Friedrichs beim Generaldirektorium nicht einmal im einzelnen bekannt, weshalb die Kammer aufgefordert wurde, Abschriften anzufertigen und einzusenden: Reskript für die Königsberger Kammer, Berlin, 8. November 1804, ebd., Bl. 37. Unzutreffend ist demnach der Intusvermerk im „Judeninventar“, in dem von einer Salomon Joachim verliehenen Konzession gesprochen wird. Siehe JerschWenzel / Rürup, Bd. 2, S. 452 (Nr. 3805). 139 Straubel, Königsberg und Memel, S. 320 – 322: „Neben der zunehmend restriktiv gehandhabten Ansetzungspolitik setzten die Beamten nach 1786 v. a. die Genehmigungspflicht beim Immobilienerwerb als Mittel ein, um dem weiteren Vordringen der jüdischen Kaufleute Grenzen zu setzen. Sie achteten sorgfältig darauf, daß die festgelegte Zahl von Häusern nicht überschritten wurde und versuchten neuerlich sogar, die jüdischen Eigentümer aus der kneiphöfischen Langgasse in andere Stadtviertel zu verdrängen. Die Unterbindung des

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III. Erneuter Rechtsbruch: Der Exportzwang bei der Ansetzung erster und zweiter Kinder Mit den Porzellanexporten, zu denen es im Rahmen der Konzessionierung Berend Hirschs und Seligmann Josephs kam, wurden in den vorangegangenen Kapiteln Privilegierungsakte vorgestellt, die mit dem auf Osteuropa abzielenden „Fabrikensystem“ Friedrichs des Großen in engem Zusammenhang standen und der Konservierung einer Manufaktur bzw. der Hebung des Osthandels dienen sollten. Der Porzellanexportzwang entfaltete in beiden Fällen keine besondere Brisanz, waren doch überdurchschnittlich vermögende Juden betroffen, denen zudem daran gelegen sein mußte, sich die Gunst des Königs zu erwerben. Ein ähnliches Bild bietet sich, wie anderen Orts dargelegt wurde, auch bei der Vergleitung wohlhabender polnischer und kurländischer Juden, die in den Jahren um 1770 vor den pogromartigen Unruhen in ihrer Heimat flohen und schließlich in ostpreußischen Grenzstädten wie Memel, Tilsit und Willenberg angesiedelt wurden. Wenngleich nicht übersehen werden darf, daß die zu erwartenden finanziellen Belastungen durch den Porzellanexport zum Scheitern einiger Niederlassungsversuche beitrugen, so zeigte sich jene kleine Gruppe reicher Kaufleute doch mehrheitlich bereit, die von ihnen geforderten Auflagen zu erfüllen, um auf diese Weise in das als sicher geltende Ostpreußen zu gelangen. 140 Wer nach den Ursachen der von der KPM-Direktion bereits 1769 gegenüber dem Generaldirektorium zur Sprache gebrachten Probleme fragt, wird demnach weder bei Manufakturunternehmern und Großhändlern, noch bei reichen Juden, die aus der Ferne zuwanderten, fündig werden. Stattdessen ist die Perspektive quantitativ erheblich zu erweitern, womit zugleich ein zentrales Problem jüdischer Rechtsstellung in den Blick zu nehmen ist: die Niederlassung von Kindern bereits etablierter Schutzjuden. Eigentlich hätte der Porzellanexportzwang, dies wurde bereits betont, angesichts der zum Zeitpunkt seiner Inkraftsetzung geltenden Reglements und Edikte hier gar nicht zur Geltung kommen können. Alles andere wäre einem Bruch bestehender Rechtstitel wie etwa des Templiner Vetrages vom Januar 1769 gleichgekommen. Wie verhielt es sich also mit der Rechtssicherheit der Juden in diesem zentralen Punkt? Das Reskript vom 21. März 1769 führte bei der Neumärkischen Kammer zu Unsicherheiten, die sich am 14. April vom Generaldirektorium nähere Anweisung darüber erbat, ob sich die Verordnung lediglich auf die Vergabe neuer ordentlicher Schutzbriefe beziehe, oder auch bei der Ansetzung erster und zweiter Kinder Ankaufs weiterer städtischer Grundstücke muß dabei sogar als eine wissentlich praktizierte Einschränkung des Wettbewerbs zuungunsten der Minderheit interpretiert werden. Hierauf verweist eine Notiz in einem Bericht der Kammer vom 28. 3. 1803.“ 140 Ausführlich bei Schenk, „Der Preußische Staat und die Juden“. 1769 hatte am anderen Ende der Monarchie, in Duisburg, die Forderung, für 300 Rt. Porzellan zu exportieren, dazu beigetragen, die Ansiedlung portugiesischer Juden zu vereiteln, die in Duisburg eine Wechselbank hatten einrichten wollen. Siehe Roden, S. 62.

III. Erneuter Rechtsbruch

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anzuwenden sei. 141 Obwohl der Kammer letzteres fragwürdig erschien, da die Kinder durch die bestehenden Vereinbarungen bereits einen Anspruch auf Ansetzung erworben hätten, stellte das Generaldirektorium am 21. April klar, daß auch beim Etablissement auf das Recht des ersten und zweiten Kindes Porzellan im Wert von 300 Rt. exportiert werden müsse, zumal dies für die Betroffenen keine Belastung darstelle, „sondern dieselben bey dem Debit des Porcellaine noch Vortheile gewinnen können“. 142 Hinsichtlich der ersten Kinder mochte ein solches Verfahren zwar noch halbwegs mit den einschlägigen Regelungen des Generalreglements von 1750 vereinbar sein, wenngleich das dort in § V, 1 postulierte „Recht“ ordentlicher Schutzjuden zum Etablissement zumindest eines Kindes durch die drastische Heraufsetzung des dafür notwendigen Vermögens faktisch beschnitten wurde, indem fortan neben den vorzuweisenden 1.000 Rt. weitere 300 Rt. zumindest kurzfristig für den Porzellankauf einzuplanen waren. Angesichts der vielerorts vorherrschenden Vermögensverhältnisse mußte dadurch die Vererbung des Schutzrechts auf den „Stammhalter“ ernstlich gefährdet, zumindest aber verzögert werden. Demgegenüber hilft hinsichtlich der zweiten Kinder keine juristische Spitzfindigkeit über den offenkundigen Befund hinweg, daß Preußens oberste Kameralbehörde zur Rechtsbeugung aufforderte, war der Judenschaft im Templiner Vertrag doch unzweideutig zugesichert worden, daß die „auf das Recht des zweyten Kindes angesetzte oder noch anzusetzende Juden in allen Königl. Landen excl. Schlesien von aller weitern Abnahme der Einländischen Fabric-Waaren und Debitirung eines Nahmentlichen Quanti derselben außerhalb Landes frey gelassen werden“ 143 würden. Vier Monate später war beim Generaldirektorium davon keine Rede mehr. Ausweislich der Verkaufslisten der Porzellanmanufaktur wurde diese Verordnung relativ zügig in die Tat umgesetzt, wie zunächst mit Blick auf die ersten Kinder ausgeführt sei. 144 Denn nachdem die neumärkischen Magistrate durch die Steuerräte entsprechend instruiert worden waren, 145 stößt man noch 1769 auf die 141

GStA PK, II. HA, Neumark, Judensachen, Generalia, Nr. 11, Bl. 2. Ebd., Bl. 3. 143 Vgl. oben, Kap. E. II. 144 Wenn im weiteren auf Basis der Verkaufslisten der KPM vom Etablissement erster und zweiter Kinder die Rede sein wird, so ist dabei zu berücksichtigen, daß dabei lediglich auf Beispiele eingegangen wird, die sich zweifelsfrei als derartige Ansetzungen identifizieren ließen. Die tatsächliche Zahl derartiger Etablissements muß indes höher gelegen haben. In der über perspectivia.net publizierten Liste wurden nicht näher zu definierende Ansetzungen als die von Ordinarii aufgeführt. 145 So wurde beispielsweise der Magistrat von Landsberg an der Warthe durch Steuerrat Krusemarck am 14. Mai 1769 angewiesen, „in vorkommenden Fällen sich selbst darnach zu achten und keinem Juden, der sich auf das Recht seines Vaters als 1. oder 2. Kind ansetzen will, auch die, welche eine Wittwe heyrathen, ein Hauß kauffen oder sonst eine Gnade suchen wollen, ehe kein Attest zu geben oder für selbige den Antrag zu thun, als bis 142

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

neumärkischen ersten Kinder Samuel Jacob aus Bärwalde 146 und Benjamin Levin aus Königsberg. 147 Daß nicht nur in der Neumark so verfahren wurde, belegt unter anderem das Beispiel von Elias Salomon aus dem kurmärkischen Angermünde, der im Jahre 1770 darum bat, eine seiner beiden Töchter an den Schutzjudensohn Nathan Victor aus Halberstadt verheiraten zu dürfen. Trotz der Proteste des Magistrats und der jüdischen Gemeinde Angermündes 148 erhielt Victor am 17. April 1774 die gewünschte Konzession, 149 wozu sicher sein im Monat zuvor geleisteter Porzellanexport beigetragen haben wird, obwohl sich dieser anders als bei den neumärkischen Juden Jacob und Levin lediglich auf 150 Rt. belief. 150 Ferner stößt man in den Verkaufslisten der Porzellanmanufaktur während der ersten zwölf Monate bis April 1770 auf die ersten Kinder Gabriel Moses aus Brandenburg an der Havel, 151 Wolff Levi aus Liebenwalde, 152 Moses Baruch aus Stendal, 153 Daniel Jacob aus Woldenberg, 154 Lehmann Hertz aus Lippstadt 155 und Bendix Rubens aus Aurich. 156 Im Zeitraum bis April 1771 lassen sich weitere 15 erste Kinder nachweisen, deren Exporte sich in aller Regel auf 300 Rt. beliefen. 157 sie sich erklähret, semel pro semper für 300 Rt. Porcellain zu nehmen und außer Landes zu debitiren und so dann das Protocoll zugleich mit einzusenden“. Siehe APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 3. 146 Jacob, zu dem der Generalfiskal vermerkt: „Handelt mit Krahm-Waaren und sitzet zur Miethe“, wurde am 13. September 1769 als erstes Kind angesetzt. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29; GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 2; vgl. Export Nr. 0013 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 147 Levin wurde am 12. Oktober 1769 als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Levin Joseph angesetzt:. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 152; GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 2; vgl. Export Nr. 0015 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 148 Beide warfen Salomon unter anderem vor, seit Jahrzehnten nicht mehr zu den Gemeindelasten beigetragen zu haben. Selbst den Schutzbrief seines Vaters habe er bereits verpfändet. Siehe StA Angermünde, Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 970. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Angermündes Kukla. 149 Abschrift in StA Angermünde, Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 970. 150 Siehe Export Nr. 0082 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 151 Moses wurde am 9. August 1769 auf den Schutzbrief seines Schwiegervaters Simon Levi angesetzt. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 128; vgl. Export Nr. 0007 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 152 Etabliert am 14. März 1770 auf den Schutzbrief seines Vaters Levin Marcus. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 102; vgl. Export Nr. 0018 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 153 Etabliert am 31. Januar 1770 auf den Schutzbrief seines in Bernau wohnhaften Vaters Baruch Samson. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 101; vgl. Export Nr. 0022 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 154 Etabliert am 22. Februar 1770 auf den Schutzbrief seines Vaters Jacob Daniel. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 174; vgl. Export Nr. 0024 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

III. Erneuter Rechtsbruch

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Auf diese Weise exportierte diese Gruppe innerhalb der ersten beiden Jahre nach 1769 zusammen für mindestens 5.750 Rt. Berliner Porzellan. Vor diesem Hintergrund wandten sich die Berliner Ältesten am 18. April 1771 mit einer Supplik an das Generaldirektorium, die sich gegen die Anwendung des Exportzwangs auf das Etablissement erster Kinder richtete. 158 Dabei führten die Ältesten aus, daß es zwar in den vorangegangenen Monaten bereits mehrfach zu derartigen Exporten gekommen sei, „dergleichen freywillige Handlungen“ jedoch kein Präjudiz für die übrige Judenschaft darstellten, indem der Inhalt des

155 Hertz wurde am 4. Dezember 1770 als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Gumpertz Hertz angesetzt und kaufte nachträglich am 8. Februar 1771 für 151 Rt. Porzellan, GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 154; vgl. Export Nr. 0027 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Mit dem Porzellanexportzwang wurde Hertz erstmalig durch den Magistrat am 1. Februar 1770 konfrontiert. Ob dies für die Verzögerung seiner Ansetzung ursächlich verantwortlich war, läßt sich nicht genau beantworten. Denkbar wäre auch eine kurzfristige Änderung der Eheplanung. Denn als sein Vater Gumpertz Hertz am 24. August 1769 auf dem Rathaus erschienen war, um für seinen Sohn das konzessionsmäßige Vermögen nachzuweisen, hatte er noch zu Protokoll gegeben, Lehmann beabsichtige, eine Sybilla Hertz aus Lünen zu ehelichen. Tatsächlich heiratete er jedoch die Jüdin Täubgen Nathan aus Kamen. StA Lippstadt, Bestand B, Nr. 2367. Vgl. Mühle, Geschichte der jüdischen Minderheit, S. 525. 1779 wurde die Ansetzung des Lehmann Hertz durch den Generalfiskal moniert. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 103; StA Lippstadt, Bestand B, Nr. 1886. Allerdings war Hertz nach Anzeige des Magistrats vom 5. Juli bereits „von hier gereiset, hat seine älteste Tochter nach Camen gebracht und aus Engelland geschrieben, daß er sich wegen zugestoßener Unglücks Fälle zwischen Münster und Borcken und in Rotterdam genöthiget sähe, eine Zeitlang abwesend zu seyn und den Magistrat ersuchet, seine etwa andringende Creditores zufrieden zu sprechen. Dieses ist auch geschehen und sind die Creditores stille. Seine Frau und zwey Kinder befinden sich noch hier.“ Doch am 10. Dezember 1779 war Hertz „gar nicht wiedergekommen. [...] Seine Frau ist nach Camen zu ihren Eltern gegangen, kurtz drauf daselbst verstorben und hat ihre 3 Kinder mit dahin genommen.“ Der Generalfiskal leitete daraufhin ein Konkursverfahren gegen Lehmann Hertz und seinen Vater ein, der sich bereits seit einigen Jahren in Lipperode aufhielt. Er habe dazu „dem Göcke das nöthige communiciret. Die dortigen Juden sind alle fort und die Privilegia cassirt.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 154. Der Lippstädter Magistrat hatte zuvor von der Kammerdeputation in Hamm am 28. Januar 1780 den Befehl erhalten, die „Geleits-Briefe der dergestalt in Concurs gerathenen und entwichenen beyden Juden unter ihren etwa zurückgelassenen Papieren aufzusuchen und zu cassiren, denen Entwichenen aber, fals sie sich in Lippstadt wieder einfinden sollten, zu arretiren“. Siehe StA Lippstadt, Bestand B, Nr. 1884. Johann Friedrich Göcke fungierte als fiskalischer Anwalt in der Grafschaft Mark sowie als Landrichter zu Altena. Siehe A.B.B.O., Bd. XIV, S. 732. 156 Siehe zu diesem Etablissement Kap. G. V. 157 Siehe die Exporte Nr. 0034, 0039, 0044, 0045, 0046, 0049, 0050 (150 Rt.), 0052, 0054, 0056, 0065, 0080 (100 Rt.), 0082 (150 Rt.), 0083, 0085 (100 Rt.) (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 158 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 38 –40, danach die folgenden Zitate.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Reskripts vom März 1769 unmöglich auf die ersten Kinder ausgedehnt werden könne. Stattdessen setze der Wortlaut des königlichen Befehls eindeutig eine besondere und außerordentliche Beneficirung dieses oder jenen [Juden] zum voraus, z. B. Häuser anzukauffen oder das General-Privilegium zu erhalten. Wenn aber das erste Kind seinem Vater succedirt, so erhält es dadurch nichts besonders neues, sondern das Kind erhält das Privilegium des Vaters ex Lege.

Dabei beriefen sich die Ältesten explizit auf das Generalreglement von 1730, § 12 159 sowie auf das Generalreglement von 1750, § 5, Abs. 4, 160 worin den Inhabern ordentlicher Schutzbriefe das Recht zum Etablissement des ältesten Kindes eingeräumt worden war. Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage müsse auch das Generaldirektorium einräumen, „daß das Rescript vom 29. Märtz 1769 von denen Kriegs- und Domainen Kammern zu weit extendirt und auf solche Fälle gezogen wird, die darunter nicht begriffen sind“. Allerdings hatten die Kammern dabei lediglich die Anweisungen befolgt, die ihnen durch das Generaldirektorium im April 1769 erteilt worden waren. Dieselbe Behörde vollzog nun in ihrer Resolution vom 30. April 1771 jedoch einen Richtungswechsel um 180 Grad und erklärte den Ältesten, es verstehe sich „von selbst“, daß bei den ersten Kindern der Exportzwang keine Anwendung finden dürfe. Sollten die Kammern in Zukunft dennoch derartige Forderungen erheben, so hätten sich die Juden deshalb erneut zu melden. Eventuellen Regreßansprüchen schob man jedoch sogleich einen Riegel vor und stellte klar: „Indessen hat es bey der vormahligen Abnahme und Debit des Porcellains in Ansehung der ersten Juden Kinder sein unveränderliches Bewenden und gehet die obige Erklärung nur auf die zukünftige Fälle.“ 161 Somit war sich das Generaldirektorium der Rechtswidrigkeit des von ihm selbst angeordneten Verfahrens durchaus bewußt, kassierte seine Entscheidung jedoch erst nach Protesten der Ältesten. Gerade in den ersten beiden Jahren waren die Exporte erster Kinder durchaus von großer Bedeutung für die KPM. Dabei wurde in den kommenden Jahren die Revision des anfangs geübten Verfahrens zwar größtenteils befolgt, doch finden sich bis 1779 dennoch einige weitere erste Kinder, die bei ihrem Etablissement zu Exporten herangezogen wurden. So stößt man in der Verkaufsliste der Porzellanmanufaktur noch im Mai 1771 auf Joseph Hirsch 159

Der Paragraph sicherte jedem Juden, der seine Abgaben pünktlich entrichtete, das Recht zu, zwei seiner Söhne anzusetzen. Wie bereits geschildert, war dazu jedoch ein Vermögensnachweis von 1.000 Rt. beim ersten sowie von 2.000 Rt. beim zweiten Kind erforderlich. Siehe Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 19. 160 Darin wurde insbesondere verordnet: „Wenn derjenige Jude, so ein [ordentliches] Privilegium hat, mit Tode abgehet, so fället nach eben dieser Unserer allergnädigsten Ordre [vom 23. Mai 1749] sodann das Privilegium auf sein ältestes Kind...“ Zitiert nach Freund, Emanzipation, Bd. 2, S. 27. 161 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 41.

III. Erneuter Rechtsbruch

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aus Bielefeld (100 Rt.), 162 im Juli 1771 auf Moses Henoch aus Königsberg in der Neumark (100 Rt.) 163 und Wolff Joseph Salomon aus Berlin (100 Rt.) 164 sowie im August desselben Jahres Abraham Joseph aus Ruhrort (100 Rt.). 165 Im Juni 1773 folgten die Jüdin Ester Manus aus Goch (50 Rt.) 166 und Andreas Amsel Philipp aus Dinslaken (25 Rt.), 167 im Juli 1774 Salomon Marcus aus dem ostpreußischen Osterode (200 Rt.), 168 im Dezember 1775 Pincus Levi aus Halberstadt (50 Rt.) 169 und schließlich im Februar 1776 Salomon Hirsch aus Stargard (150 Rt.). 170 Da die genannten Ansetzungsverfahren nicht genauer dokumentiert sind, lassen sich auch über die Hintergründe der geleisteten Porzellanexporte keine genaueren Aussagen treffen. Vermutlich wird man in der Annahme nicht fehl gehen, daß diese Einzelfälle lediglich die Grenzen uniformen Verwaltungshandelns unter den Bedingungen frühmoderner Staatlichkeit aufzeigen. Eine erneute Initiative der Berliner Ältesten ist hinsichtlich der ersten Kinder jedenfalls nicht überliefert. Doch wie gestaltete sich derweil die Situation von deren jüngeren Geschwistern, also jenen Juden, die sich auf das Recht des zweiten Kindes etablierten und dabei nach dem 1769 geäußerten Willen des Generaldirektoriums ebenfalls Porzellan exportieren sollten? Auch auf diese Gruppe stößt man bei einer Durchsicht der 162 Hier waren die zugrundeliegenden Entscheidungen jedoch noch vor der Resolution des Generaldirektoriums vom 30. April getroffen worden, datiert seine Konzession doch bereits vom 25. Januar. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 77; vgl. Export Nr. 0093 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 163 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 151; vgl. Export Nr. 0101 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 164 Salomon stammte aus Stargard und heiratete die Tochter des Berliner Schutzjuden Marcus David. Der Schutz haftete dabei an seiner Braut. Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 193 – 194; vgl. Export Nr. 0106 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 165 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 110; vgl. Export Nr. 0109 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 166 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 112; vgl. Export Nr. 0200 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 167 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 108; vgl. Export Nr. 0201 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 168 Möglicherweise spielte dabei eine Rolle, daß mit dem Etablissement auch eine Translokation des Schutzes nach Gilgenburg einherging, wo Marcus den Wollverlag der dortigen Tuchmacher übernehmen und einen Handel mit Seidenwaren betreiben wollte. Siehe GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4704, Bl. 7 –12; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 39; vgl. Export Nr. 0266 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 169 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 21; vgl. Export Nr. 0329 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 170 Für die Ansetzung war ursprünglich sein Bruder Moses Hirsch vorgesehen, „der aber entwichen [war] und tritt Salomon Hirsch in sein Recht.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 254; vgl. Export Nr. 0337 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Verkaufsliste relativ rasch, erstmals bei der Niederlassung Ephraim Cossmanns in Berlin im Oktober 1769 (101 Rt.). 171 Ferner sind eindeutig als zweite Kinder zu identifizieren Heymann Joseph aus Goch (Juni 1770, 300 Rt.) 172 und Wolf Caspar aus Züllichau (September 1770, 300 Rt.). 173 Im Falle der zweiten Kinder reagierten die Berliner Ältesten noch um einige Monate schneller, hafteten sie doch persönlich für den weiteren Betrieb der Templiner Manufaktur und waren demnach durch ein Austrocknen des Fabrikenfonds 174 selbst betroffen, wenn durch weitere Erschwerungen das Etablissement der nachgeborenen Kinder eingeschränkt wurde. So intervenierten die Gemeindevertreter mit einer Supplik vom 24. September 1770 bei der Kurmärkischen Kammer, um diese an die nach 1763 getroffenen Vereinbarungen bei derartigen Etablissements zu erinnern. 175 Bereits die Aufbringung der 70.000 Rt. sei den Gemeinden äußerst schwer gefallen, und die erst zwei Jahre zuvor in den Besitz der Judenschaft gelangte Templiner Manufaktur schlage jährlich mit einem Defizit von 2.000 Rt. zu Buche. Bei der Unterzeichnung des Übernahmevertrages habe man sich darauf verlassen, daß wir durch die sich ansetzende 2. Schutz-Juden-Kinder Contribuenten haben würden, die uns eine so schwere Last mit tragen helfen würden, und wir konnten dieses um so gewisser hoffen, weil wir vermöge Contract angewiesen waren, demjenigen, der sich auf das Recht des 2. Kindes ansetzen wolle, ein Attest zu ertheilen, daß er sich mit uns wegen der Templinschen Fabrique abgefunden habe, hiernechst derselbe von aller anderer Abnahme der Fabric-Waaren befreyet bleiben sollte.

Bereits auf dieser Basis hätten sich sehr wenige Juden neu etabliert, und es müßten zukünftig noch weniger werden, wenn ihnen auch noch ein Porzellanexport aufgenötigt würde. Eine solche Entwicklung könne jedoch nicht ohne Folgen für die Situation der Templiner Manufaktur bleiben, werde man dadurch doch unweigerlich außer stande gesetzet, sothane Strumpf-Fabrique ferner zu prosequiren, weil diejenigen, so uns zum Resource dienen sollten, sich lieber ihres Rechts als 2. Kind begeben 171 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 2; Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 186; vgl. Export Nr. 0016 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 172 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 118; vgl. Export Nr. 0040 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Übrigens wurde Josephs Vater Joseph Moses, ein 80jähriger Greis, dessen Haus der dortigen Gemeinde offenbar als Synagoge diente, ebenfalls im Jahr 1770 aufgefordert, Porzellan für seine Konzession zum Hausbesitz zu exportieren, wozu sich Moses jedoch nicht in der Lage sah. Siehe GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 21. 173 Die Konzession wurde unter der zusätzlichen Bedingung erteilt, eine wüste Stelle zu bebauen. Siehe BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 89; vgl. Export Nr. 0062 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 174 Zum von den Berliner Ältesten verwalteten Templiner Fonds siehe Kap. E. II. 175 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 20 –21 (Abschrift), danach die folgenden Zitate.

III. Erneuter Rechtsbruch

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(wovon doch die gantze Conservation der Fabrique abhänget) und mit ihrem Vermögen außerhalb Landes gehen, statt, daß durch deren Ansetzung und Verheyrathung viel Geld so wohl durch baare Mitgabe als auch künftigen Erbtheil im Lande gebracht würde. Überhaupt wünschet die Judenschafft im ganzen Lande vielmehr, daß sie die erlegten 70000 Rt. wiederum zurückerhalten und von der Templinschen Fabrique dispensiret werden möchten, wogegen sie das Recht des 2. Kindes sich gerne entsagen wollen.

Die letzte Bitte war wohl nicht ganz ernst gemeint, da die Rückzahlung von 70.000 Rt. durch den Fiskus ohnehin illusorisch gewesen wäre. Zweifellos ging es den Ältesten, und sie hoben dies abschließend noch einmal hervor, um eine Erinnerung an die eindeutigen Richtlinien des Templiner Vertrags, der schließlich „durch dero höchstverordnete Collegia errichtet und mittelst dero allerhöchsten Unterschrifft und Confirmation vollenzogen worden“ sei. Wie weit es mit der so oft beschworenen Rechtssicherheit der Juden im friderizianischen Preußen im Zweifelsfall her war, verdeutlicht in aller nur denkbaren Klarheit die Entscheidung des Generaldirektoriums, dem die Kammer das Gesuch der Ältesten zugefertigt hatte. Dieses instruierte die Kammer am 31. Oktober, man habe sehr misfällig ersehen, welchergestallt die Ober- und übrige Aeltesten der hiesigen Judenschafft Schwierigkeiten machen wollen, bey Ansetzung der Zweyten Kinder eine Quantitaet ächtes Porcellaine aus der hiesigen Fabrique käuflich zu übernehmen, ob es ihnen gleich an Gelegenheit nicht fehlen kann, solches außerhalb Landes mit Vortheil zu debitiren, mithin dieselben sich darüber zu beschweren um so weniger Ursache haben, da man zuverlässig in Erfahrung gebracht hat, daß bey der Fabrique zu Templin dem übernommenen Engagement keines weges ein Genüge geleistet ist, als weshalb nächstens eine genaue Recherche angestellet werden wird. Ihr habt daher den Supplicanten ihren Unfug ernstlich zu verweisen und ihnen zu verstehen zu geben, daß, wann dieselben ihre Verbindlichkeit in Ansehung der Templinschen Fabrique nicht erfüllen und wegen des Ankaufs des Porcellaines fernere Schwierigkeiten machen werden, dieselben sofort wieder angehalten sollen, die vormalige Natural-Ablieferung des Silbers für den festgesetzten Preiß wieder zu übernehmen. 176

An das Fabrikendepartement erging noch am gleichen Tag der Befehl, die Templiner Manufaktur gründlich zu inspizieren und über mögliche Mängel des dortigen Betriebs Bericht zu erstatten. 177 Wie bereits dargelegt wurde, fand eine solche Untersuchung offenbar nicht statt und wurde im Zusammenhang mit dem Porzellanexportzwang auch kein weiteres Mal angemahnt. 178 Allerdings wagten die Berliner Ältesten am 11. Dezember einen erneuten Vorstoß und gaben ihrem Unverständnis darüber Ausdruck, „wie es möglich gewesen, uns eine Resolution in der Arth zu ertheilen“. 179 Ein weiteres Mal verwiesen die Gemeindevertreter auf den Templiner Vertrag und betonten: 176 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 23. Die Resolution der Kammer für die Ältesten findet sich in Abschrift ebd., Bl. 26. 177 Ebd.; GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 2, Bl. 24. 178 Vgl. oben, Kap. E. V.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Dieses Pactum ist schlechterdings ohnumstößlich, so lange man annimmt, daß Rechte und Verbindlichkeiten ex Contractu den contrahirenden Theile nicht wieder seinen Willen entzogen werden können; wollte man das Gegentheil statuiren, so würde die Gültigkeit aller Verabredungen aufhören, und vor den Staat selbst würden hieraus die allerschlimmsten Folgen entstehen.

Doch auch diese Bittschrift stieß beim Generaldirektorium auf taube Ohren, das die Kammer durch Friedrich Wilhelm von Derschau (1723 – 1779) 180 als Chef des Kurmärkischen Departements ein weiteres Mal anwies, den Ältesten „diese abermalige unnütze Vorstellung ernstlich zu verweisen“. 181 Es verdient, nochmals unterstrichen zu werden: Im Generaldirektorium galt es im Jahre 1770 als unnütze Vorstellung, wenn jüdischerseits auf die unzweideutigen Paragraphen eines im Vorjahr durch den König vollzogenen Vertrages hingewiesen wurde. Wer für den gleichen Zeitraum von durch die Juden „kontrollierbaren, d. h. einforderbaren Ansprüchen bzw. anfechtbaren Entscheidungen“ 182 spricht, käme hier wohl in arge Erklärungsnöte und sollte die Gelegenheit nutzen, um über die Bedeutung einer Trennung von Verwaltung und Justiz nachzudenken, wie sie auf dem Feld der Judenpolitik in friderizianischer Zeit eben nicht existierte. Allerdings ließen die Ältesten auch nach dieser erneuten Abfuhr noch immer nicht locker, hätten sie doch eventuelle Ausfälle für den Templiner Fonds anderenfalls aus der eigenen Tasche begleichen müssen. Wie jedoch die dritte ihrer Suppliken vom 15. Februar 1771 verdeutlicht, geschah dies nicht im Duktus einer „Forderung“. Stattdessen gab man sich notgedrungen damit zufrieden, die Folgen des Rechtsbruchs zumindest insofern zu reduzieren, als man um die Bestimmung moderaterer Exporttarife für die zweiten Kinder bat. Danach sollte durch Antragssteller aus den „großen Städten“ Berlin und Königsberg jeweils für 100 Rt. Ware gekauft werden, während Juden aus „mittleren“ und „kleinen“ Städten mit 75 bzw. 50 Rt. heranzuziehen sein sollten: Ein mehreres zu übernehmen, ist ohnmöglich und dem Allerhöchsten Interesse Ewr. Königl. Majestät deshalb zuwider, weil Niemand das Recht des 2. Kindes nachsuchen und das sonst ansehnliche Vermögen auswärtiger Juden durch hiesige Verheyrathung nicht eingebracht werden kann, hiernächst auch mittelbar die Chargen und StempelCassen mit darunter leiden werden. 183 179 Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 24 –25, danach auch das folgende Zitat. 180 Zur Person Klaproth, S. 459. 181 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 31. 182 Heinrich, Debatte, S. 827. 183 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 30 –31, danach auch das folgende Zitat. Daß Breslau von den Ältesten nicht mit unter die großen Städte gerechnet wird, muß als Folge der recht autonomen Verfassung der dortigen Judenschaft interpretiert werden, die schließlich auch keinen Anteil am Unterhalt der Templiner Manufaktur nahm.

III. Erneuter Rechtsbruch

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Zudem bat man um die Erlaubnis, das zu erwerbende Porzellan künftig auch im Inland absetzen zu dürfen, da der beschwerliche Export für die Juden mit Verlusten von ca. 60% zu Buche schlage. Darunter litten hingegen nicht nur die konzessionierten Juden, sondern letztlich auch die Porzellanmanufaktur, deren Erzeugnisse im Ausland zwangsläufig in Verruf kommen müßten. Noch dazu sei der dabei eintretende Preisverfall zu berücksichtigen, da sich die Interessenten nur noch an solche Leute wendeten, „die in der Geschwindigkeit dergleichen Waaren außerhalb Landes schaffen und a tout prix verkauffen müssen“. Anders als die beiden vorangegangenen Suppliken zeitigte diese Intervention eine gewisse Wirkung, wandte sich doch das Generaldirektorium am 15. Februar 1771 an die KPM-Direktion und forderte ein Gutachten darüber an, ob den Juden zukünftig auch ein inländischer Verkauf des Porzellans zu gestatten sei 184 – eine Vorstellung, mit der sich Grieninger allerdings nicht anzufreunden vermochte. Zwar, so schrieb der KPM-Direktor am 12. März, habe man auch bei der Manufaktur bemerkt, daß zahlreiche Juden bei ihren Exporten offenbar schwere Verluste erlitten, was bereits dadurch deutlich geworden sei, daß mehrere Käufer ihre Ware dem Berliner Hauptwagenlager umgehend gegen die Hälfte bis zu zwei Dritteln des Kaufpreises zum Rückkauf angeboten hätten. 185 Daraus folge jedoch, daß die Juden bei einem ihnen gestatteten Verkauf im Inland das Porzellan „um einen geringen Preis verschleudern“ und somit den Handel vollständig an sich ziehen würden. Dies müsse sich insbesondere in den Provinzen negativ auswirken, indem zu befürchten stände, daß zahlreiche Juden ihre Ware an die Betreiber dortiger KPM-Niederlagen weiter verkauften, worunter mittelbar auch die Geschäfte des Hauptwarenlagers leiden müßten. Hingegen sei der Schaden, den die Manufaktur beim auswärtigen Verkauf der Porzellans durch die Juden angeblich erleiden würde, „nicht abzusehen“, weil dabei der Wortlaut der Kabinettsordre vom März 1769, wonach die KPM auf diesem Wege einen höheren Bekanntheitsgrad im Ausland erlangen solle, „immer erreichet“ 186 werde. Das Generaldirektorium folgte in seinem Reskript vom 19. März an alle Kammern und Deputationen zwar Grieningers Haltung und verordnete, daß das Porzellan auch in Zukunft ausschließlich im Ausland verkauft werden müsse. Andererseits fand man jedoch die von den Judenältesten in Vorschlag gebrachten Abnahmetarife von 50 bis 100 Rt. mit Rücksicht auf den Erhalt der Templiner Manufaktur „acceptable“ und befahl, bei künftigen Ansetzungen auf das Recht des zweiten Kindes danach zu verfahren. 187 Rund zwei Monate später, am 184

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 32. Ebd., Bl. 33. 186 Stern, Bd. III/2, S. 531 – 532 unterläuft an dieser Stelle ein sinnentstellender Zitationsfehler: Aus „immer“ wird „nimmer“. 187 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 35; gleichlautende Schreiben an die KPM-Direktion sowie an den Generalfiskal ebd., Bl. 36 –37; vgl. Friedländer, Akten-Stücke, S. 68 – 69. 185

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

23. Mai, meldete Derschau gegen dieses von ihm zunächst mitgetragene Reskript schwerwiegende Bedenken an. So habe die Reduzierung der Abnahmetarife für die zweiten Kinder bei Kabinettsrat Karl Galster, der zwischen 1763 und 1774 nicht nur für die KPM, sondern auch für die Direktorialsachen zuständig war, 188 „ein Aufsehen erwecket, weswegen derselbe zu verstehen gegeben, daß S. Kön. Maj. solches ungnädig bemercken möchten“. 189 Da es die Templiner Manufaktur zu erhalten gelte, sei der Inhalt des Reskripts vom 19. März zwar „ganz billig“, andererseits jedoch die Königl. Cabinetsordre vom 21. Martii 1769 gar zu bestimmt, und wann hierunter eine Declaration [Präzisierung] statt finden möchte, solche allein von S. K. M. selbst zu erwarten. Ich stelle also anheim, ob man die Sache nicht noch S. Maj. in einem kurzen deutlichen Bericht vortragen und Dero Entscheidung lediglich überlasse, damit aus jener Verfügung keine übele Folge für das General Directorium erwachse, wie ich denn anrathen würde, solche so fort wieder aufzuheben.

Sechs Tage später folgte das Generaldirektorium diesem Rat und revidierte gegenüber den Kammern seine Entscheidung vom 19. März, die „zu einigen Mißdeutungen Gelegenheit gegeben“ habe. Andererseits kehrte man ebensowenig zu der im April 1769 verfolgten Linie zurück, wonach jedes zweite Kind für 300 Rt. Porzellan exportieren sollte. Stattdessen wolle man nun „in iedem eintzelnen Falle [...] das von demselben auszunehmende Quantum an Porcellain zum auswärtigen Debit nach Vorliegenheit der Umstände“ 190 bestimmen. Derschau, der als Chef des kurmärkischen Departements besonders an der Templiner Manufaktur interessiert sein mußte, bemühte sich in den kommenden Tagen, die leidige Angelegenheit mit Galster zu klären. So verfaßte er am 29. Mai für den Kabinettsrat eine Promemoria, in dem die seit 1763 für das Etablissement der zweiten Kinder ergangenen Verordnungen zusammengefaßt wurden. 191 Diesen war demnach 1763 anbefohlen worden, „den Debit der Landes-Fabriquen außerhalb Landes äußerst zu befördern. Hierunter ist ohne allen Zweifel das hiesige Porcellain mit zu verstehen“. Diese Exportverpflichtung sei ihrerseits durch den Templiner Vertrag jedoch wiederum aufgehoben worden. Im Lichte der in den vorangegangenen Monaten an die Berliner Ältesten ergangenen Resolutionen des Generaldirektoriums zeichnen sich die weiteren Ausführungen Derschaus allerdings durch ein beträchtliches Maß an Chuzpe aus. Denn während die Proteste der Judenschaft mit Unterstützung Derschaus als Unfug und Widerspenstigkeit abgetan worden waren, erschien das 188 Zur Departementsverteilung im Kabinett siehe die königliche Disposition vom 13. Februar 1768 in A.B.B.O., Bd. XIV, S. 468 – 469; zur Rolle der Kabinettsräte bei der Administration der Porzellanmanufaktur siehe Kap. G. X. 189 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 43, danach auch das folgende Zitat. 190 Ebd., Bl. 44; gleichlautende Schreiben an den Generalfiskal sowie an die KPM ebd., Bl. 45 – 46. 191 Ebd., Bl. 48 – 49, danach die folgenden Zitate.

III. Erneuter Rechtsbruch

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zugrundeliegende Problem, nämlich die Ausweitung des Porzellanexportzwangs auch auf die zweiten Kinder, intern nun selbst dem Minister als „zweifelhafte Sache“. Aus diesem Grund habe, so führte er weiter aus, das Generaldirektorium auch geglaubt, die von den Ältesten vorgeschlagenen Abnahmetarife annehmen zu können, zumal sich letztere mit diesem Vorschlag ihren aus der Dispensationsklausel des Templiner Vertrags herrührenden Rechten freiwillig „wieder begeben“ hätten. Wenn nun, so schloß Derschaus Promemoria, das Generaldirektorium künftig fallweise das Abnahmequantum der zweiten Kinder festsetzen wolle, so werde man dabei „so viel möglich die Königl. Höchste Intention zur Ausbreitung des Debits des hiesigen Porcellains außerhalb Landes zu befolgen suchen“. Aufgrund dieses Referats führte Derschau zwei Tage später, am 31. Mai, ein ausführliches Gespräch mit Galster, der nach Ansicht des Ministers damit „vollkommen in die momenta der sache entriret“ war. Der Kabinettsrat, so ließ der Minister seine Kollegen wissen, sei „mit dem General Directorio nunmehro darüber einverstanden“, so daß „die Sache wohl in Statu quo ohne weitere zu erlaßende Verfügungen verbleiben“ könne. 192 Damit verschwindet die Angelegenheit tatsächlich bis 1779 aus den Akten. Der Vorgang bleibt indes auf zweierlei Weise bezeichnend. Einerseits erweist sich die immer wieder postulierte relative Rechtssicherheit der Juden bei näherem Hinsehen vielfach als quellenferne Fiktion. Die Art und Weise, in der die Judenältesten bei ihren Interventionen zugunsten der zweiten Kinder (und ihrer selbst) durch das Generaldirektorium förmlich abgefertigt wurden, obwohl die monierten Zustände eindeutig einem mit dem König abgeschlossenen Vertrag widersprachen, dessen Tinte kaum getrocknet war, spricht Bände. Die an Zynismus grenzenden Äußerungen Derschaus gegenüber Galster verdeutlichen zudem, daß sich zumindest ein Teil der Minister der Fragwürdigkeit ihres Tuns offenbar durchaus bewußt waren. Andererseits personifiziert Derschau die vielfach zu beobachtende Widersprüchlichkeit der friderizianischen Judenpolitik, die sich durch die nach dem Siebenjährigen Krieg erlassenen Verordnungen nochmals verstärkte. So sollten nach dem Willen des Generaldirektoriums auch die zweiten Kinder zum Gedeihen der Porzellanmanufaktur beitragen. Nachdem sich jedoch rasch herausstellte, daß dies nur um den Preis einer Gefährdung der eben erst übergebenen Templiner Manufaktur möglich gewesen wäre, wurde der Chef des Kurmärkischen Departements hellhörig und drang auf Abhilfe. Am Ende stand ein Kompromiß, der auf eine Anwendung der im März 1771 zunächst angenommenen Abnahmetarife hinauslief, ohne diese jedoch formell zu bestätigen. Denn in den kommenden Jahren wurde anläßlich der meisten Konzessionierungen, nicht nur derjenigen der zweiten Kinder, tatsächlich nur noch ein Export im Wert von 50 bis 100 Rt. verlangt, wie dies die Verkaufsliste der KPM verdeutlicht. Daß diese schwerwiegenden Komplikationen weder 1771 noch in den nächsten sieben Jahren bis zum König vordrangen, mag man schließlich als weiteren Be192

Ebd., Bl. 47.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

leg für die bereits vielfach konstatierte „innere Distanz Friedrichs II. gegenüber der Kameralverwaltung“ 193 werten. Denn dem Monarchen, der seine Beamten oft genug als Esel, Erzschelme, Windbeutel und Faxenmacher titulierte, mit Widerspruch zu kommen, bedurfte nicht zuletzt einer gehörigen Portion Mut. So konnten Bedenken gegen die Ausführung von Kabinettsordres Bemerkungen wie die folgende nach sich ziehen: „Sie müßten mir nichts im Wege legen, da verstehe ich kein Schertz mit.“ 194 Seine Auffassung von den Aufgaben eines Staatsministers formulierte Friedrich an anderem Ort folgendermaßen: „Die Herren Seindt bestellet, Meine Arbeit zu Exsecutiren, aber nicht zu Intervertiren, oder die genigen, die Sich nicht in Ihre Schranken halten, werde ohne facon cassiren. Sie müßen gehorsamer Sich regiren laßen und nicht regieren.“ Der persönliche Kontakt zwischen Monarch und Ministern reduzierte sich so nicht selten auf die jährlichen Ministerrevuen, wie sie von Schulenburg-Kehnert, dem nach 1772 einflußreichsten Kopf im Generaldirektorium, beschrieben wurden. Hinsichtlich seines Verhältnisses zum König führte Schulenburg dabei aus: „Er duldete ungern Widerspruch, und wehe dem, der es gewagt hätte, in Gegenwart eines Dritten zu widersprechen oder Gegenvorstellungen zu tun. Er litt sie aber, unter vier Augen und mit gehöriger Bescheidenheit vorgetragen, ruhig und ohne zu zürnen.“ 195 Auch der schlesische Minister Schlabrendorff beklagte sich im Jahre 1765, daß „man zu Nichts zu des Herrn und des Landes Besten sein freies Sentiment sagen darf, ohne sich der größten Gefahr zu exponieren“. 196 Vor diesem Hintergrund bedurfte es durchaus eines gewissen Leidensdrucks, bevor der Weg des unmittelbaren Vortrags beim König beschritten wurde. Beim Porzellanexportzwang war dieser Druck für das Generaldirektorium offenbar nicht im nötigen Umfang gegeben, was sicherlich auch darauf zurückzuführen sein dürfte, daß die Administration des damit zu fördernden Betriebs, eben der KPM, keine Aufgabe der Kameralverwaltung (etwa des Fabrikendepartements) darstellte. So galt es im Zweifelsfall eben abzuwägen, ob durch eine buchstabengetreue Durchsetzung des Kabinettsdekrets vom März 1769 zwar die Exportrate der KPM erhöht, andere Wirtschaftszweige (wie die Templiner Strumpffabrikation) hingegen nachhaltig geschädigt werden sollten. Die Minister entschieden sich schließlich für den Weg des geringsten Widerstandes: In den kommenden Jahren 193 Siehe Sieg, S. 66, der ebd. fortfährt: „In seiner befehlenden, kraftvollen, herrischen Sprache schloß er [Friedrich] sich zwar dem Tonfall seines Vaters an, aber er sprach doch nicht in seinem Ton. Der Soldatenkönig hatte sich seinen Bedienten im formellen Umgang fast immer ernsthaft, ja gerade in seinen zornigen Worten mit dem Ausdruck seiner Anteilnahme geäußert und vermittelte dadurch auch ein Bewußtsein von der Bedeutung ihrer Tätigkeit. Friedrichs II. manchmal verächtlicher Zynismus, auch die oft beißenden Wortspielereien, mit denen der König nicht zurückhielt, enthielten hingegen einen herabsetzenden Tenor.“ Vgl. Göse, Abschn. 10. 194 Dieses und das folgende Zitat nach Borchardt, Bd. 2, S. 58. 195 Zitiert nach Naudé, Denkwürdigkeiten, S. 395. 196 Zitiert nach Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, S. 84.

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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wurden die Abnahmetarife meist auf 50 bis 100 Rt. reduziert, wobei man Wert darauf legte, lediglich „von Fall zu Fall“ zu entscheiden und demnach keinerlei Präjudiz zu schaffen. Wie hatte sich derweil der Exportzwang bei der Konzessionierung jüdischen Hausbesitzes ausgewirkt? Denn auch in diesem Bereich bildete das geschilderte Beispiel des Königsberger Großkaufmanns Seligmann Joseph natürlich eine keineswegs repräsentative Ausnahme.

IV. „... allermaßen dieses gar nicht als eine Abgabe oder Beschwerde anzusehen ist“. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz Wenn ein aufstrebender jüdischer Großkaufmann mit dem Ausfuhrzwang auch keinerlei Probleme hatte, so mußte die neue Steuer für seine weniger begüterten Religionsgenossen wenn nicht intentional so doch faktisch auf eine weitere Erschwerung des Immobilienerwerbs hinauslaufen, für den bereits das Generalreglement von 1750 hohe Hürden aufgebaut hatte. Denn selbst wenn man eventuelle Verluste beim Weiterverkauf des Porzellans nicht mit in Betracht zieht, so erhöhte sich das zum Hauskauf zumindest kurzfristig benötigte Kapital um 300 Rt. und damit in den meisten Fällen um wenigstens 15 %. So betrug im Jahre 1765 der durchschnittliche Wert von 25 „Judenhäusern“ in Frankfurt an der Oder 1.824 Rt. 197 Genauere Berechnungen auf gesamtstaatlicher Ebene liegen erst für die nachnapoleonische Ära vor. So soll nach Toury im Jahre 1816 der durchschnittliche Wert aller 7.355 jüdischen Immobilien im preußischen Staat 1.200 Rt. und in Berlin 16.700 Rt. betragen haben. 198 Wie sich der Exportzwang in den Jahren nach 1769 im Rahmen von Konzessionsverfahren zum Hausbesitz auswirkte, soll im folgenden vornehmlich anhand von aktenmäßig gut dokumentierten Beispielen aus dem Herzogtum Kleve 199 untersucht werden, wobei zum Vergleich auf Fälle aus Minden-Ravensberg 200 sowie der Kur- und Neumark zurückgegriffen wird. Für diese Auswahl spricht dabei nicht nur die Überlieferungssituation, gehörten sämtliche Provinzen doch zum territorial weit gespannten Zuständigkeitsbereich 197 Straubel, Frankfurt (Oder) und Potsdam, S. 207. Generalisierungen sind auf dieser Basis allerdings nicht möglich, da sich in Preußen ausweislich erhaltener Feuerversicherungskataster insbesondere nach dem Siebenjährigen Krieg ein dem jeweiligen Entwicklungsniveau der kommunalen Wirtschaft geschuldeter Differenzierungsprozeß vollzog. Siehe Ders.: Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 468 –469. 198 Toury, Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (1977), S. 169. 199 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1 und 2. 200 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315 – 317.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

des III. Departements des Generaldirektoriums. Dieses erstreckte sich nicht lediglich von Kleve und Mark über Geldern, Neufchatel, Minden, Halberstadt, Moers, Ostfriesland, Ravensberg und Tecklenburg bis nach Lingen, sondern ihm stand mit von Hagen gewissermaßen der Spiritus rector der neuen Sonderabgabe vor, der nach seinem Tod 1771 durch Schulenburg-Kehnert abgelöst wurde – letzterer ebenfalls ein Schwergewicht innerhalb der friderizianischen Ministerriege. 201 Das administrative Handeln beider Minister darf somit besonderes Interesse beanspruchen und aufgrund seiner territorialen Reichweite als exemplarisch für weite Teile der Monarchie gelten. Im Herzogtum Kleve 202 stieß die neuerliche Erschwerung jüdischen Hauserwerbs auf einen Immobilienmarkt, der noch deutlich unter den Folgen des Krieges litt. Denn obwohl das Herzogtum gemeinsam mit den übrigen preußischen Westprovinzen in jenem „Ersten Weltkrieg“ nur einen Nebenkriegsschauplatz dargestellt hatte und von den Franzosen seit 1757/58 bis zum Friedensschluß besetzt worden war, 203 hatte die Region doch schwer gelitten und verbuchte gegenüber dem Vorkriegsstand Bevölkerungsverluste von rund 15 %. 204 Während diese Rückgänge auf dem platten Land im Laufe der 70er Jahre ausgeglichen werden konnten, hatte die Gesamtbevölkerung der klevischen Städte selbst 1787 den Stand des Jahres 1756 immer noch nicht wieder erreicht. 205 Obwohl die Förderung des städtebaulichen Retablissements eines der Kernthemen der 60er Jahre bildete, kam der Wiederaufbau vor diesem Hintergrund nur schleppend voran. Daran vermochten auch die an „Baulustige“ ausgezahlten Baufreiheitsgelder, 206 Zollfreiheit der Baumaterialien sowie die Befreiung von diversen öffentlichen Abgaben wenig zu ändern. Daß der Wiederaufbau keineswegs zur Zufriedenheit der Behörden verlief, dokumentiert eine im Dezember 1765 publizierte Anordnung 201

Für Schulenburg-Kehnerts Ausnahmestellung spricht beispielsweise das Bonmot Friedrichs anläßlich der Amtsübergabe an die Minister Schulenburg-Kehnert und Derschau im Februar 1771, wonach sich die beiden mit den übrigen drei Ministern des Generaldirektoriums nicht abzugeben hätten. Ansonsten werde sie der Teufel holen. Siehe Rosenmöller, S. 42; ferner Naudé, Denkwürdigkeiten; Hellwig, Schulenburg-Kehnert. 202 Vgl. zur jüdischen Gemeinde des Vororts Kleve Benger. 203 Carl, Okkupation und Regionalismus, S. 49 – 58. 204 „Verantwortlich für die teilweise erheblichen demographischen Einbrüche im gesamten nordwestdeutschen Raum in den beiden ersten Kriegsjahren war das für die vorindustrielle Gesellschaft typische Zusammenwirken von Subsistenz- und Teuerungskrise mit Epidemien – beide durch den Krieg wenn nicht verursacht, so doch intensiviert.“ Siehe Carl, Okkupation und Regionalismus, S. 321, 323. Zu den mit den Bevölkerungsverlusten in Verbindung stehenden Ausfällen bei der Akzise A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 62 –71, 73 –76. Bezeichnend auch die Kabinettsordre an Minister von Hagen vom 26. September 1764 ebd., S. 388: „Es würde auch recht gut sein, in die Clevischen Rheinstädte bemittelte Juden zu ziehen; da man dort keine Christen haben kann, um etwas rechtes da zu entrepreniren, so muß man allerdings bemittelte Juden dazu nehmen.“ 205 Carl, Okkupation und Regionalismus, S. 321. 206 Siehe dazu grundsätzlich Jaeckel, S. 340 – 371.

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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der Klevischen Kammer, wonach allen Hauseigentümern, die sich nicht willens oder in der Lage zeigten, ihre verwüsteten Häuser zu renovieren, die Enteignung drohte. Die Immobilien sollten in diesem Falle versteigert oder aber, sofern sich kein Interessent fände, dem Fiskus anheimfallen und „vorzüglich Fabrikanten und Manufacturisten verliehen“ 207 werden. Trotzdem heißt es noch in einer Immediatinstruktion für den Klevischen Kammerpräsidenten von Buggenhagen vom Juli 1777, es seien die Städte Emmerich und Wesel noch sehr zurück, besonders der letztere Ort, wo die Franzosen im letztern Kriege ihre Lazareths und alles gehabt, ist dadurch sehr ruiniret und noch halb wüste, und wollen S.K.M. diese Städte gern wieder in den Stand haben, wie solche vor dem Kriege gewesen. 208

In der Tat gehörte gerade die Festungsstadt Wesel, während der gesamten Kriegszeit von den Franzosen okkupiert, zu den am stärksten betroffenen Gebieten und verbuchte allein bis 1761 Bevölkerungsverluste von 27 % (von 5.615 auf 4.111). 209 Von den 1562 Häusern der Stadt waren 404 von den ursprünglichen Bewohnern verlassen worden. Hiervon standen 65 leer, 189 waren von französischen Besatzungssoldaten bezogen worden, und 150 Immobilien galten als ruiniert, da die dort einquartierten Soldaten im Winter kurzerhand die Einrichtung verheizt hatten. In Xanten bot sich ein ähnliches Bild – insgesamt soll sich die Anzahl devastierter Häuser im Herzogtum auf 639 belaufen haben. 210 Die überwiegend schlechten Vermögensumstände der klevischen Judenschaft, in deren Reihen der Krieg – im Unterschied zu den mittleren Provinzen – nicht zu einer Akkumulation einzelner großer Privatvermögen geführt hatte, 211 wurden eingangs bereits dargelegt. Im vorliegenden Kontext ist dabei zu ergänzen, daß jüdische Hausbesitzer oder Bauherren von allen oben geschilderten Vergünstigungen, insbesondere den Baufreiheitsgeldern, grundsätzlich ausgeschlossen wurden. 212 Zudem, dies legt eine Lektüre diverser Aktenbestände aus verschiedenen Pro207

Scotti, Bd. 3, S. 1691 – 1692. A.B.B.O., Bd. XVI/1, S. 412 – 414, hier: S. 412. Die französischen Armeehospitäler hatten in Wesel und Emmerich zudem mehrfach zum Ausbrechen von Seuchen geführt, so etwa der Ruhr im Jahre 1757. Allein in Emmerich sollen 1758 225 Einwohner einer Seuche zum Opfer gefallen sein. Siehe Carl, Okkupation und Regionalismus, S. 323 –324. 209 Carl, Wesel, S. 292. 210 Zahlen nach Carl, Okkupation und Regionalismus, S. 325. 211 Ebd., S. 359 – 360. 212 Mestwerdt, Bd. 2, S. 78. Zu einer Änderung dieser Praxis scheint es erst in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. gekommen zu sein. So entschied das Generaldirektorium im Oktober 1793 im Fall eine Juden aus Dobrin, es solle bei der Bewilligung von Baugeldern zwischen Juden und Nichtjuden kein Unterschied gemacht werden, denn: „Der Hauptzweck bei der Bewilligung einer Unterstützung zu den Bauten in den Städten ist: in letztern gute Häuser zu verschaffen und dem Mangel an Quartieren abzuhelfen.“ Zitiert nach Sommerfeldt, Judenfrage, S. 86; ferner Lewin, Judengesetzgebung, S. 567. Noch 1787, im Vorfeld der Reform des Judenwesens, hatten die jüdischen Generaldeputierten dieses 208

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vinzen nahe, kam es nach dem Siebenjährigen Krieg offenbar zu verstärkten Bemühungen des Generaldirektoriums, verlorene Positionen zurückzugewinnen und die Kontrolle des jüdischen Immobilienbesitzes wiederum zu verstärken. 213 Vor diesem bislang kaum erforschten Hintergrund ist auch die Porzellanausfuhr bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz zu betrachten, wurden letztere nach 1763 doch nicht lediglich bei Neuerwerbungen gefordert, sondern vielfach auch für Anwesen, die sich entweder seit Generationen in Familienbesitz befanden oder in den vorangegangenen Jahren offenbar mit Billigung der lokalen Instanzen auf wüsten Stellen errichtet worden waren. Seinen ersten Niederschlag fand der Ausfuhrzwang vor diesem Hintergrund im Herzogtum Kleve bei der Witwe des klevischen Schutzjuden Samuel Abraham, die von ihrem Mann ein Haus geerbt hatte, das sich seit 1697 in Familienbesitz befand. Der Witwe wurde daraufhin am 18. April 1769 durch Hagen „anbefohlen, nach Proportion ihres Vermögens einiges Porcellain aus hiesiger Fabrique zu übernehmen“. 214 Dies läst freilich auch in anderer Hinsicht aufhorchen, spricht aus dieser Anordnung doch eine recht freie Interpretation des Reskripts vom 21. März, in dem von irgendwelchen Proportionen keineswegs die Rede war, sondern das bei Konzessionen zum Hausbesitz einen starren Abnahmetarif in Höhe von 300 Rt. vorsah. Und Witwe Abraham aus Kleve, bei der Hagen den Wert des zu exportierenden Porzellans am 25. April auf 50 Rt. festlegte, 215 war in dieser Hinsicht beileibe kein Einzelfall.

Thema zur Sprache gebracht. Siehe Friedländer, Akten-Stücke, S. 72: „Sie [die Juden] genießen in verschiedenen Provinzen auch das Beneficium der Bau-Procent-Gelder nicht, und dürfen überhaupt kein Grundstück ohne eine eigene Concession, die sehr kostbar ist, an sich kaufen. Es würde aber dem Lande sehr vortheilhaft seyn, wenn sie, gleich andern Unterthanen, die Freyheit, Grundstücke zu acquiriren, erhielten. Nicht allein würden, wenn sie die Unterstützung der Königlichen Baugelder genössen, viele wüste Plätze in den Städten angebauet, und baufällige Häuser von ihnen in gutem Zustande erhalten, sondern der Werth der Häuser müßte dadurch auch überhaupt steigen und sicher gestellt werden. Sehr oft gehen, besonders bey Concurs-Eröffnungen, zum Schaden der Gläubiger und der ganzen Stadt, Grundstücke zu geringen Preisen weg, weil den Juden die Concurrenz versagt ist.“ 213 Auf den Bedeutungsverlust des Generaldirektoriums wurde in der Einleitung bereits hingewiesen. Für das Herzogtum Kleve bilanzierte mit Blick auf den Siebenjährigen Krieg Carl, Okkupation und Regionalismus, S. 420: „Okkupation hieß schließlich für die regionalen und lokalen Funktionsträger nicht Intensivierung staatlicher Macht, nicht Herrschaftsintensivierung, sondern sie ermöglichte oftmals größere Freiräume für Untertanen und untergeordnete Verwaltungsorgane.“ Daß sich der Zugriff des Generaldirektoriums bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz seit Mitte der 1760er Jahre verstärkte, legen beispielsweise die Akten LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315 –317 nahe. Ähnliche Bestrebungen sind 1764 – 1766 im Fürstentum Halberstadt zu beobachten. Siehe Halama, S. 243 – 244. Zur Zentralisierung von Ansetzungsverfahren nach 1763 ebd., S. 151. 214 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 93. 215 Ebd., Bl. 94.

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Meyer Zandi aus Xanten sollte zum ferneren Besitz seines bereits seit 1746 bewohnten Hauses „wenigstens“ für 50 Rt. KPM-Waren abnehmen, wobei der Minister ergänzte: „Ehe das Fabriquen-Zeugnis nicht beygebracht worden, wird die Concession nicht mundiret.“ 216 Von Witwe Wolff aus Rees wurden zunächst „etwa“, sieben Tage später „wenigstens“ 25 Rt. gefordert. 217 Ebenfalls wohnhaft in Rees war Philipp Isaac, der offenbar entgegen der einschlägigen Rechtslage, die vor allem durch das Deklarationsedikt vom 4. Juli 1763 vorgegeben war, 218 ein Haus auf dem Wege der Pfandleihe in seinen Besitz gebracht hatte und bereits am 23. April 1767 aufgefordert worden war, das Anwesen entweder an einen Christen zu verkaufen oder aber eine ordentliche Konzession zu lösen. 219 Das Generaldirektorium ordnete auch in diesem Fall einen Tarif von 50 bis 100 Rt. an und forderte die Kammer dabei zugleich auf, den Ausfuhrzwang bei ähnlich gelagerten Fällen, in denen Konzessionen zum Hausbesitz bereits vor Erlaß des Kabinettsdekrets vom 21. März 1769 in Aussicht gestellt worden seien, zur Anwendung zu bringen. Zwar seien die vom König verordneten Tarife bei diesen Verfahren nicht „applicable“, doch solle die Kammer „eine dem Vermögen eines jeden Juden proportionirliche Quantitaet Porcellain in Antrag“ 220 bringen. Auf diese Weise liest man in den Akten häufig dehnbare Vokabeln wie „etwa“, „ungefähr“, „mindestens“ oder „proportionierlich“. Überhaupt machen die Direktorialreskripte aus Hagens Departement in jenen ersten Wochen nach Einführung des Ausfuhrzwangs noch einen tastenden, unsicheren Eindruck. Vielen Reskripten wurde bereits wenige Tage später, als das erste Schreiben gerade in Kleve angekommen sein mochte, eine Präzisierung hinterhergeschickt, die aus einem „ungefähr“ ein „mindestens“ machte – und dies bei Beträgen von teilweise deutlich unter 50 Rt., was den hohen Verwaltungsaufwand um so fragwürdiger erscheinen läßt. Entscheidend dürfte hingegen die Beobachtung sein, daß selbst Hagen das Dekret vom 21. März nicht als wörtlich auszuführenden Befehl auffaßte, sondern wie selbstverständlich ein Interpretationsrecht für sich in Anspruch nahm, das sich vor allem in einem dem Vermögen des Betroffenen halbwegs angepaßten Abnahmetarif ausdrückte. Dieser bewegte sich fast durchgängig im Bereich von 25 bis 50 Rt., unterschritt also die vom König vorgesehenen Werte deutlich. Auf welche Reaktionen stieß diese Haltung nun bei den betroffenen Juden sowie den unteren und mittleren Instanzen der Verwaltungshierarchie, also den Magistraten und Steuerräten sowie der Kriegs- und Domänenkammer? 216 Generaldirektorium an Klevische Kammer, 25. April 1769, ebd., Bl. 97. Die später zusätzlich geforderten Zollatteste waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingeführt worden. Zandis Witwe zählte 1779 zu den Porcellainerestanten. 217 Ebd., Bl. 101 – 102. 218 Vgl. Kap. C. II. 219 So nach einem Bericht der Klevischen Kammer vom 23. März 1769. Siehe GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 103. 220 Ebd., Bl. 104.

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Einerseits beklagten sich Juden wie Bendix Isaac aus Wesel darüber, daß das zu erwerbende Porzellan nirgends zu verkaufen sei, „da die Untertanen in jetzigen nahrlosen Zeiten an solche unnötigen Ausgaben nicht denken“. 221 Derartige Stellungnahmen sind kaum überraschend und vor allem in den westlichen Provinzen nachvollziehbar, wo das Ostindische Porzellan, das vom nahen Holland aus in großen Mengen auf den Markt geworfen wurde, eine kaum zu überwindende Konkurrenz darstellte. So lehnten es die Krefelder Seidenfabrikanten van der Leyen in den 60er Jahren nach einer nüchternen Analyse der Marktsituation ab, eine Niederlage Berliner Porzellans einzurichten, da man die Preise der Holländer kaum unterbieten könne. 222 Dabei verdient Beachtung, daß die jüdischen Hausbesitzer gegenüber Hagen sowohl die Steuerräte als auch die Kammer hinter sich wußten. Letztere trat in ihren Berichten ausdrücklich für eine Konzessionsvergabe unter moderaten Konditionen ein, sei es nun, weil „in dem Fall, derselbe sein Haus dennoch drangeben sollte, die Anzahl der ledigen Häuser zu Rees nur noch mehr anwachsen würde“ 223 (Philipp Isaac), weil „er ein gantz ruinirtes Haus angetreten und solches, ohngeachtet ihm keine Bau-Gelder zur Hülfe gegeben worden, wieder hergestellet habe“ 224 (Mendel Liefmann aus Wesel) 225, oder weil „ohnehin die Juden-Häuser sehr schlecht seien sollen“ 226 (Meyer Isaac aus Wesel). Über Moses Liefmann aus Dinslaken, wo 1765 jeweils drei ordentliche und außerordentliche sowie ein unvergleiteter Jude gezählt wurden, 227 berichtete die Kammer mitfühlend nach Berlin, daß er sich bloß mit Schlachten ernähre und dadurch kaum seinen Unterhalt verschaffen könne. Überdem aber müsse er an die 80 Rt. alljährlich an Fixis Praestandis erlegen, welche er kaum aufzubringen im Stande sey, da durch die leidige Vieh-Seuche sein Handel und Gewerbe über die Maaßen geschwächet würde, sodaß er sein höchst baufälliges Haus zu repariren nicht einmahl im Stande sey. 228

221

So in einer Supplik an die Klevische Kammer. Zitiert nach Stern, Bd. III/1, S. 224. Danach sollte Isaac Porzellan exportieren, um die Konzession zum Besitz seines bereits 1750 von den Eltern geerbten Hauses zu erhalten. In den Verkaufslisten der KPM taucht Isaac allerdings weder 1769 noch in den Jahren nach 1779 auf. 222 Buschbell, Bd. 1, S. 195; vgl. Baer, Protokollbuch, S. 49. 223 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 103. 224 Ebd., Bl. 106. 225 Liefmann richtete am 26. Juni 1769 gemeinsam mit Meyer Isaac und Salomon Heymann eine Supplik an die Behörden. Siehe Stern, Bd. III/1, S. 224; vgl. ebd., Bd. III/2, S. 744 – 745. 226 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 115. In Wesel hatten im Jahre 1757 zehn Juden eigene Häuser besessen, die über die Stadt zerstreut lagen, etwa in der Niederstraße, Lomberstraße, Sandstraße, Kurzestraße, Feldstraße, Kaldenberg, Kornmarkt und Kleinestraße. Siehe Nienhaus, S. 31. 227 Baer, Protokollbuch, S. 54 – 55. 228 Klevische Kammer an das Generaldirektorium, Kleve, 5. Januar 1770, GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 150 –151.

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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Auch der für Dinslaken zuständige Kriegsrat Sobbe war der Meinung, daß Liefmanns „gantz baufälliges Haus von so geringem Werthe [sei], daß solche schwehre Kosten dafür nicht erleget werden können“. 229 Während Sobbe deshalb dafür eintrat, die Konzession gegen die Hälfte der sonst üblichen Chargen- und Stempelgebühren zu erteilen, ging die Kammer sogar noch weiter und plädierte dafür, Liefmann im Zweifelsfall „das Haus noch vor der Hand ohne Concession zu belassen“. 230 In diesen und in ähnlichen Fällen zog sich die Korrespondenz zwischen Kleve und Berlin über Monate hinweg hin, war doch Hagen zunächst nicht bereit, von der Forderung nach Exporten selbst geringen Umfangs Abstand zu nehmen. Am 12. Dezember mußte sich die Kammer schließlich von Hagen daran erinnern lassen, daß von 17 Juden des Herzogtums noch immer keine KPMQuittungen vorlägen. 231 Mit Blick auf Moses Liefmann fand es Hagen im Februar 1770 zudem „gar nicht wahrscheinlich“, daß ein Jude, der jährlich Abgaben in Höhe von 80 Rt. aufbringen könne, nicht auch zu einer Abnahme von Porzellan im Wert von 20 Rt. in der Lage sei, „zumal das Metier der Jüdischen Schlächter gantz einträglich“ sei. Deshalb solle Liefmanns Haus umgehend zur Versteigerung gebracht werden, „um ein Exempel zu statuiren“. 232 Auch Philip Isaac aus Rees wollte der Minister am 15. Januar 1770 lediglich eine Frist von sechs Wochen für einen Porzellanexport einräumen, bevor dessen Haus zur Zwangsversteigerung zu bringen sei. 233 Dasselbe Schicksal drohte in jenen Monaten zeitweilig Koppel Andreas und Jacob Isaac aus Dinslaken, der Witwe Wolff aus Rees sowie der Witwe Samuel Abraham aus Xanten. 234 Ersterer hatte bereits am 15. Januar erklärt, die von ihm geforderten 25 Rt. zum Porzellanexport nicht zu besitzen, weshalb er im Zweifelsfall sein Haus verkaufen und sich anderweitig einmieten müsse. 235 Tatsächlich hatte man nach beinahe einem Jahr intensiven Schriftverkehrs offenbar auch im Generaldirektorium ein Einsehen und dispensierte neben Mendel Liefmann aus Wesel auch die beiden genannten Witwen. 236 Hagens anfänglicher Elan, selbst um Exporte im Wert von 25 bis 50 Rt. einen monatelangen Schriftwechsel zu führen, war mittlerweile sichtlich erloschen. Zwar sei den Dis229

Ebd., Bl. 117. Ebd. 231 Ebd., Bl. 128 – 144. Zudem wurde ebd., Bl. 145 der Porzellanexport des Joseph Moses aus Kalkar angemahnt, der allerdings keine Konzession zum Hausbesitz sondern zur Ansetzung beantragt hatte. Moses taucht denn auch am 3. Mai 1770 in den Verkaufslisten der KPM auf – mit 25 Rt. Vgl. Export Nr. 0036 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 232 Generaldirektorium an Klevische Kammer, Berlin, 27. Februar 1770, GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 152. 233 Ebd., Bl. 155. 234 Ebd., Bl. 149, 159 – 163. 235 Ebd., Bl. 157 – 158. 236 Ebd., Bl. 154, 161, 164. 230

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pensierten, so hob er am 6. März 1770 hervor, ausdrücklich zu bedeuten, daß sie diesen Gnadenakt keineswegs als Präzedenzfall bei zukünftigen Konzessionsverfahren anzusehen hätten. Doch „damit man auch dieserhalb endlich ins reine komme“, habe die Kammer binnen einer Frist von acht Wochen ein Verzeichnis aller Juden des Herzogtums anzufertigen, aus dem hervorzugehen habe, welche Porzellanexporte noch ausstünden. 237 Offensichtlich legte Hagen Wert darauf, in Sachen „Judenporzellan“ fortan zur zeitsparenden Kommunikationsform der Tabellen und Statistiken überzugehen. Ohnehin läßt sich anhand der Aktenüberlieferung der kommenden Monate gut verfolgen, wie das Thema langsam aber sicher an Priorität verlor. Am 13. März 1770 bestand das Generaldirektorium darauf, Philipp Andreas aus Dinslaken habe wenigstens für 10 Rt. Porzellan zu übernehmen, Bendix Aron aus Schermbeck wurde im folgenden Monat sogar vollständig dispensiert. 238 Mit Bezug auf die aus Kleve im Juli eingereichte Nachweisung 239 sprach das Generaldirektorium am 14. August 1770 gegenüber der Kammer seine Erwartung aus, „daß ihr dahin arbeitet, daß es mit einem jeden Besitzer in Ansehung des rechtmäßigen Besitzes seines Hauses endlich einmahl in baldige völlige Richtigkeit kömmt“. 240 Der Elan Hagens war damit offensichtlich erschöpft, und auch die Amtsführung Schulenburg-Kehnerts beginnt bezeichnenderweise mit einer Überlieferungslücke, die von 1770 bis 1776 währt. Obwohl demnach selbst in Hagens eigenem Departement von einer auch nur annähernd wörtlichen Durchsetzung des Abnahmezwangs keine Rede sein konnte, zeitigte bereits dies vermeintlich „lasche“ Vorgehen für einzelne Familien schwerwiegende Folgen. Denn die Vermutung, wonach die Juden des Herzogtums im Wissen um die Unterstützung durch Steuerräte und Kammer die Drohungen aus dem fernen Berlin schlichtweg „auszusitzen“ versucht hätten, um einer lästigen Steuer zu entgehen, zu deren Befolgung sie notfalls wohl in der Lage gewesen wären, erweist sich bei näherem Hinsehen als in aller Regel unzutreffend. Zu denen, die die drohende Zwangsversteigerung ihres Hauses durchaus ernst nahmen, zählte Jacob Meyer aus Sonsbeck, der es in dem gerade einmal 1.400 Einwohner zählenden Ort zu einem vergleichsweise respektablen Wohlstand gebracht 241 und 237

Ebd., Bl. 164. Ebd., Bl. 5, 7. 239 Vgl. die von der Kammer erst am 30. Juli eingesandte „Haupt-Tabelle von denen Juden, welche wegen des Besitz eines Hauses theils die Concession zu lösen und daneben ein gewisses Porcellain-Quantum zu übernehmen angewiesen sind, theils aber noch um die Concessiones impetriren müssen von denen Städten des Herzogthums Cleve“ ebd., Bd. 2, Bl. 10 – 23. 240 Ebd., Bl. 24. 241 Siehe zu Jacob Meyer Laux, Anonymität, S. 99 – 101. In Sonsbeck lebten 1765 zwei ordentliche Schutzjuden sowie ein unvergleiteter Glaubensgenosse. Siehe Baer, Protokollbuch, S. 54 – 55. 238

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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dem man den Abnahmezwang bereits im Dezember 1769 „zu Gemüthe geführet“ 242 hatte. Dieser kaufte am 23. März 1770 für 25 Rt. bei der KPM ein 243 und entging so dem angedrohten Verlust seines Hauses 244 – es ist dies übrigens der einzige Porzellanexport für eine im Herzogtum Kleve erteilte Konzession zum Hausbesitz, zu dem es unter der Ägide Hagens kam. Während in Wesel Mendel Liefmann das Glück hatte, nach Bescheinigung seines Unvermögens „vom Berlinschen Porcellain frey [zu] seyn“, mußten die ebenfalls in Wesel wohnhaften Salomon Heymann und Meyer Isaac Hertz ihre Häuser im Jahre 1770 an Christen verkaufen. Die Versteigerung eines weiteren Hauses, nämlich desjenigen von Moses Liefmann aus Dinslaken, stand im Juli 1770 an, ohne daß näheres über den Ausgang dieses Verfahrens bekannt wäre. 245 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß selbst Abnahmetarife von rund 25 Rt., also weniger als ein Zehntel dessen, was durch den König eigentlich vorgesehen war, für manche Juden eine derartige Belastung darstellen konnten, daß es der Betroffene vorzog, den mühsam erworbenen Immobilienbesitz wiederum aufzugeben. Im ebenfalls zum Zuständigkeitsbereich des III. Departements gehörigen Minden-Ravensberg sahen die Rahmenbedingungen nicht anders aus, kam doch auch hier das städtebauliche Retablissement nach 1763 nur schleppend voran. So verringerte sich die Zahl der wüsten Stellen in den Städten des Fürstentums Minden zwischen 1764 und 1783 lediglich von 57 auf 40. 246 Dessen Steuerrat Christoph Heinrich Pestel verhielt sich in Konzessionsverfahren für jüdischen Hausbesitz ganz ähnlich wie seine Kollegen im Herzogtum Kleve und sprach sich mehrfach für die Antragssteller aus. Dies geschah stets mit Blick auf die Erhaltung bzw. die Förderung des baulichen Zustandes in den Städten seines Inspektionsbezirks, keineswegs jedoch, „um dem Juden das Wort zu reden“, wie Pestel beispielsweise im Oktober 1779 hervorhob. 247 Auch in Minden-Ravensberg zeigte sich Hagen zunächst als eifriger Verfechter des Zwangskaufs, „allermaßen dieses gar nicht als eine Abgabe oder Beschwerde anzusehen ist, indem derselbe [Jude] dafür den

242 Klevische Kammer an das Generaldirektorium, Kleve, 15. Dezember 1769, GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 146. 243 Siehe Export Nr. 0031 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 244 „... weil dessen Weigerung solchergestalt auf eine bloße Wiederspenstigkeit hinauslaufen würde, so habt ihr zu besorgen, daß das Haus sofort an einen Christen verkauft wird.“ Generaldirektorium an Klevische Kammer, Berlin, 23. Januar 1770, GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 147. Wenn bei Nienhaus, S. 29 – 30 zudem noch Meyer Isaac und Mendel Liefmann aus Wesel genannt werden, so wurden diese Exportforderungen wiederum fallen gelassen. 245 Sämtliche Angaben sind der Tabelle der Klevischen Kammer entnommen. Siehe GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 15 –17. 246 Nordsiek, S. 78; Potthoff, S. 220 – 222. 247 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 218.

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vollen Werth und noch dazu die besten Preise erhält, wofür er solches [Porzellan] sehr leicht, sonderlich außer Landes, wieder loßwerden und versilbern kann“. 248 Hier traten offensichtliche Interessendivergenzen innerhalb der Verwaltungshierarchie auf, die man nahezu für jede Provinz darlegen könnte, für die sich entsprechende Aktenbestände erhalten haben. So war den Steuerräten durch ihre Instruktionen anbefohlen, die städtische Bausubstanz zu erhalten und „wegen Bebauung der wüsten Stellen annehmliche Vorschläge zu thun“. 249 Bebaute ein Jude eine solche, ersparte das dem Steuerrat somit auch Arbeit, denn anderenfalls hatte er sich jährlich bei der Revision der städtischen Policey zu rechtfertigen: „Sind wüste Stellen in der Stadt? wie viel? woher? Seit welchem Jahre sind sie entstanden? Woher kommt es, daß sie nicht bebauet werden?“ 250 Diese Überlegungen dürften bei den Steuerräten insbesondere in denjenigen Regionen den Ausschlag gegeben haben, in denen das städtebauliche Retablissement nach dem Krieg insgesamt nur schleppend vorankam. 251 So hatten sich beispielsweise 1785 von 39 neumärkischen Städten nur Küstrin und Landsberg sichtlich erholt und wiesen eine nennenswerte Zunahme der Bebauung auf. 252 Auch hier rangierte eine Porzellanausfuhr zunächst, und zwar bis 1779, offenbar an zweiter Stelle. So 248 Dies wurde der Mindener Kammer durch Hagen am 27. Dezember 1769 im Falle des aus Minden stammenden Philipp Wolf verkündet. Siehe LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315, Bl. 209. An dieser Stelle sei angemerkt, daß Wolf am Ende offenbar nicht, wie bei Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 546 vermutet, zu einem Porzellanexport herangezogen wurde, wozu sein Rechtsstatus als Extraordinarius beigetragen haben mag. 249 So etwa in der „Instruction vor die im Königreich Preußen Königsbergische[n] Departements bestellte Steuerräthe und Commissarios locorum“ vom 23. Juni 1766 in A.B.B.O., Bd. XIV, S. 116 – 130, hier: S. 124 – 125; vgl. die Dienstanweisung für die Steuerräte des westpreußischen Kammerbezirks Marienwerder vom 28. September 1772 bei Bär, Westpreußen, Bd. 2, S. 100 – 111, hier S. 106 – 107 sowie die analogen Passagen in der Instruktion für die Steuerräte der Kurmark vom 1. August 1766 bei Richter, IV. Stück, S. 106 – 107. Sofern erhalten, wären in diesem Zusammenhang auch Prüfungsarbeiten bei der 1770 eingerichteten Oberexaminationskommission sicher ein lohnendes Untersuchungsobjekt. So hatten sich die angehenden Steuerräte u. a. darüber zu äußern, „Ob auch Jüdische Verleger, und unter welcher Einschränkungen admittiret werden können? oder ob Christliche Verleger denen Jüdischen vorzuziehen sind, mit Anführung der Ursachen in einem oder dem andern Falle.“ Zitiert nach ebd., S. 123. 250 Ebd., S. 135. 251 Vgl. auch Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 293 – 309. Vielfach hatten sich Juden deshalb bereits bei ihrer Konzessionierung zu verpflichten, das betreffende Anwesen auf eigene Kosten in Stand zu setzen. So erlangte der Oderberger Schutzjude Isaac Moses die Erlaubnis zum Ankauf des Hauses des verstorbenen Zollkontrolleurs Wiese im Jahr 1773 nicht zuletzt deshalb, weil er „sothanes Haus mit dem dazugehörigen Bollwerck in guten Stand zu setzen sich anheischig gemachet“ hatte. Vor diesem Hintergrund wurde eine Porzellanabnahme im Wert von 100 Rt. offenbar als ausreichend empfunden. Siehe BLHA, Rep. 8, Oderberg, Nr. 99/2; vgl. Export Nr. 0205 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 252 Schultze, Mark Brandenburg, Bd. 5, S. 105 – 107.

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hatte in Landsberg im Jahre 1769 Marcus Jochen das auf 166 Rt. taxierte Haus Salomon Samuels für 220 Rt. ersteigert („sonst hat sich niemand gemeldet“). Die Konzession für das Anwesen, „um welches gewiß kein Jude, der vor 300 Rt. Porcellain nehmen kann, sich einige Mühe geben wird“, 253 erhielt Jochen denn auch am 6. September 1770, 254 obwohl er lediglich für 101 Rt. Porzellan exportiert hatte – was angesichts des geringen Werts des erkauften Hauses immer noch eine bedeutende Summe darstellte. Jacob Meyer, ebenfalls aus Landsberg, mußte für seine wenige Monate später, am 4. Januar 1771 ausgefertigte Konzession gar nur für 50 Rt. KPM-Waren ausführen, obwohl sein Anwesen in der Richtstraße, das er von einem „Meister Urban“ gekauft hatte, auf 650 Rt. geschätzt wurde. 255 Auf der anderen Seite war auch der Immobilienmarkt der Provinz offensichtlich kaum in der Lage, eventuell zu versteigernde Judenhäuser aufzunehmen, wie die zahlreich überlieferten Schwierigkeiten aus nahezu allen Teilen der Monarchie belegen. Anführen ließe sich etwa die neumärkische Tuchmacherstadt Züllichau, zu deren rund 4.400 Einwohnern im Jahre 1770 auch 19 Judenfamilien zählten, von denen man annehmen darf, daß nicht wenige im Textilverlag der mehr als 400 städtischen Tuchmacher tätig waren. 256 Zu den dortigen Hausbesitzern, deren Immobilien 1763 gerade einmal mit durchschnittlich 157 Rt. bei der Feuersozietät versichert waren, 257 gehörten wohl auch einige Juden, denen dazu allerdings eine Konzession fehlte. Über diesen Zustand beschwerte sich im Jahre 1773 bei Steuerrat Krusemark bezeichnenderweise die Konkurrenz aus der städtischen christlichen Kaufmannschaft, worauf der Magistrat informiert wurde, daß dieses „Verhalten derer Juden höchst strafbar ist und gäntzlich remediret werden muß“. 258 Offenbar stehen mit dieser Beschwerde die Exporte der Züllichauer Juden Salomon Hirsch, Raphael Abraham, Jonas Meyer, Caspar Wulf und Samson Moses in Verbindung, die 1773/74 jeweils für 30 bis 50 Rt. Porzellan exportierten, um sich den weiteren Besitz ihrer Häuser zu sichern. 259 Dennoch war nach Ansicht der 253

So in einer Supplik vom 28. Juli 1769 in APGW, AMG, Nr. 1989, Bl. 7. Ebd., Bl. 10. 255 Ebd., Bl. 17 – 28. In der Akte befinden sich zudem die Konzessionsverfahren von Salomon Hirsch, Behrend Wulff, Levin Daniel und Abraham Loeser. 256 Siehe Schwartz,Juden in der Neumark, S. 65. Einwohnerzahl bei Dems., Die neumärkischen Städte, S. 100, 107. Zum dortigen Tuchmachergewerbe auch Wedekind, S. 308 –311. 257 Schwartz, Die neumärkischen Städte, S. 111. 258 Steuerrat Krusemark an den Magistrat von Züllichau, Krossen, 19. August 1773, BLHA, Rep. 8, Züllichau, Nr. 1312, Bl. 1 – 2. Möglicherweise steht mit dieser Beschwerde bereits der Porzellanexport Nr. 0202 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232) in Verbindung, mit dem sich der Züllichauer Schutzjude Salomon Hirsch eine Konzession zum Hausbesitz sicherte, die am 8. Juli 1773 ausgestellt wurde. Auch Raphael Abraham aus Züllichau findet sich aus gleichem Anlaß am 1. September 1773 in der Liste; vgl. Export Nr. 0224. 259 Siehe die Exporte Nr. 0202, 0224, 0228, 0229 und 0269 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 254

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Neumärkischen Kammer vom 2. Oktober 1774 das Ziel, sämtliche reglementswidrig besessenen Judenhäuser versteigern zu lassen, immer noch nicht erreicht worden, da es an „christlichen Liebhabern“ 260 mangelte. Generalfiskal d’Anières habe deshalb entschieden, daß zwischen denjenigen Juden, die ihr Haus geerbt und denen, die das Anwesen neu erworben hatten, insofern differenziert werden sollte, „daß nemlich erstere darunter gantz leidlich behandelt, letztere aber mehr oneriret“ werden müßten. Die Kammer bezog sich hiermit offenbar auf ein Gutachten d’Anières’ vom 21. Mai 1774, das am 26. Mai Eingang in ein Direktorialreskript fand, mit dem die Frage zu einer endgültigen Lösung gebracht werden sollte. Da dieses Dokument bislang lediglich 1804 bei dem heute schwer zugänglichen Terlinden publiziert wurde, sei dessen Zusammenfassung hier vollständig zitiert: Juden, welche ohne erhaltene Concession, Häuser besitzen, werden zum Verkauf derselben an Christen angehalten. Wenn bey fruchtlos abgelaufenen Subhastationen Judenhäuser an christliche Liebhaber nicht untergebracht werden können, so muß zwischen den Besitzern jüdischer Häuser, welche solche, ohne sich um eine Concession zu bekümmern, erwerben, und solchen, welche dergleichen mit keiner Concession versehene Häuser geerbt haben, ein Unterschied gemacht werden. Letztere dürfen nur zum Verkauf ihrer Häuser an Christen angehalten werden, finden sich dergleichen Kauflustige nicht, so werden den jüdischen Besitzern unter billigen Bedingungen Concessionen, jedoch mit dem Zusatze, daß sie die Häuser nur an Christen verkaufen, ausgefertiget. Sind aber dieselben solche Concessionen zu lösen nicht im Stande; so wird, wenn zuvörderst in der ganzen Provinz ausgemittelt, wie viel und welche jüdische Besitzer in diesem Falle sich befinden, ein dreimonatlicher Licitationstermin angesetzt, und solcher durch ein Proklama in den Zeitungen und Intelligenzien bekannt gemacht. Sollte sich auch auf diese Art kein Käufer finden, so werden die Besitzer in dem ruhigen Besitze ihrer Häuser jedoch dergestallt gelassen, daß ihnen nicht frey steht, ihre Häuser an Juden zu verkaufen, bis sich christliche Käufer finden. [...] Haben Juden ihre in Besitz habenden Häuser selbst verkauft, so werden solche durch öffentliche Proklamata, worin der Grund der Subhastation und daß eine nothwendige Subhastation geschehen solle, einzurücken, zum öffentlichen Verkauf ausgeboten. Fehlt es alsdann dennoch an christlichen Käufern; so werden den jüdischen Besitzern, wenn sie vermögend sind, unter etwas schweren Bedingungen die Concessionen ausgefertigt und wird ihnen die Wahl gelassen, ob sie solche auslösen oder ihre Häuser dem Fiskus unentgeltlich abtreten wollen. Den Unvermögenden werden solche zwar vor der Hand gelassen, sie werden aber wegen der begangenen Contravention mit Gefängniß oder sonst am Leibe bestraft. [...] Die Subhastation der unconcessionirten Judenhäuser geschieht auf Kosten der jüdischen Besitzer. 261

Fortan sollte der Züllichauer Magistrat deshalb alljährlich eine Tabelle von denjenigen Häusern einreichen, die sich zwar ohne Konzession im Besitz von Juden befanden, deren Versteigerung an Christen jedoch fehlgeschlagen war. So 260 261

BLHA, Rep. 8, Züllichau, Nr. 1315, Bl. 1. Zusammenfassung nach Terlinden, S. 145 – 146.

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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meldeten Bürgermeister und Rat im Januar 1776, für das Haus des jüdischen Schulmeisters Marcus Meyer, welches „innerhalb der Stadt ohnweit der JudenSchule an der Stadt-Mauer belegen“ und „auf einer wüsten Stelle erbaut“ sei und bereits 1773 im Berliner Intelligenzblatt angeboten worden wäre, hätte sich auch beim dritten Versteigerungstermin noch kein christlicher Käufer gefunden. 262 Sicherlich nicht ohne Hintergedanken fügten die städtischen Beamten hinzu, das „schlechte Haus“ sei „zwar innerhalb hiesiger Stadt, jedoch aber in einer NebenStraße befindlich“. 263 Hier schwang wohl die Hoffnung mit, die leidige Angelegenheit bald zu den Akten legen zu können. 264 Auch im pommerschen Pyritz, einer Stadt mit ca. 2.000 Einwohnern und 385 Häusern, 265 in der sich 1764 zwölf jüdische Haushalte befanden, 266 wies die Häusertabelle von 1771 acht Häuser auf, die von Juden ohne entsprechende Konzession und entgegen bereits 1764 erfolgter Anordnungen 267 auf Pfandrecht besessen wurden. Obwohl die früheren christlichen Besitzer bzw. deren Erben schriftlich auf ihr Rückkaufrecht verzichteten 268 und sich bei zahlreichen Terminen, die der Magistrat zur Versteigerung angesetzt hatte, „niemahlen“ 269 ein Käufer fand, hat die entsprechende Akte eine Laufzeit von 25 Jahren. 270 Derartige Probleme waren vielerorts geradezu an der Tagesordnung, berichtete doch der Templiner Magistrat noch im November 1797, man finde „fast in jeder kleinen Stadt“ ganze Straßen von geräumigen, zum Theil zwey Stock hohen Häusern, die sehr verfallen sind und nur von einer Familie bewohnt werden oder ganz leer stehen, jedoch 6 und mehrere Familien in sich fassen könnten, wenn sie ausgebauet und besser eingerichtet wären. Die Inhaber sind nicht im Stande, sie auszubauen oder im Stande zu halten. Rechnet man nur die Zinsen von dem Kaufgelde eines solchen Hauses, die jährlich in kleinen 262

BLHA, Rep. 8, Züllichau, Nr. 1315, Bl. 18 –19. Ebd., Bl. 12 – 13. 264 Über den Fortgang des Verfahrens ist denn auch nichts weiter zu finden. 265 Brüggemann, Ausführliche Beschreibung, Bd. 2, S. 87: „Die Anzahl der in der Ringmauer eingeschloßenen [Häuser] erstreckt sich auf 385, in welchen, mit Ausschließung der hier in Besatzung liegenden 2 Grenadiercompagnien des von Möllendorfschen Regiments, 2036 Seelen wohnen. Die Häuser sind zwar nicht maßiv, aber doch von guten Ansehen und zur Wirthschaft eingerichtet. Bey den meisten findet man große Hoflagen und gute Gärten. Die Versicherungssumme der Stadt in der Feuersocietät beträget jetzt 101605 Rthlr.“ 266 Salinger, S. 60. 267 Siehe Wilhelmus, S. 40; Stern, Bd. III/2, S. 914. 268 So etwa am 5. März 1772 der Sohn des verstorbenen Bürgermeisters Schmidt, der ein Haus an Michel Marcus abgetreten hatte. Siehe LAG, Rep. 38b Pyritz, Nr. 29, Bl. 58. 269 So das Fazit in der Tabelle für 1773, ebd., Bl. 88 – 89. 270 Der Widerspruch zwischen der Bestellung von Grundpfandrechten und bestehenden Restriktionen jüdischen Immobilienbesitzes schlug sich auch außerhalb Preußens beispielsweise in der Judengesetzgebung des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken nieder. Siehe Scholl, S. 66 – 67. 263

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Posten zu verwendende Reparaturkosten, die darauf haftende öffentliche Abgaben und persönliche Dienste pp, so wohnt ein solcher Eigenthümer unverhältnißmäßig theuer und hat doch nur eine zerfallene, dem Wind und Wetter ausgesetzte Wohnung, in der er sich zur Winterszeit nicht erwärmen kann ... 271

Gewiß, hier schrieb ein Magistrat, dem es darum ging, staatliche Aufbauhilfen in die Stadt zu lenken und der deshalb zu den düstersten Farben des Malkastens griff, um den Zentralbehörden die tragischen Verhältnisse in der Provinz zu schildern. Doch gerade aus der Perspektive zahlreicher Magistrate kleiner Städte dürfte es eben vor diesem Hintergrund keine schwer zu beantwortende Frage gewesen sein, ob im Zweifelsfall den Bestimmungen des Generalreglements und seinen Folgebestimmungen (inkl. Porzellanausfuhr) oder dem städtebaulichen Retablissement der Vorrang einzuräumen sei, zumal ein schleppender Fortgang des letzteren zu lästigen Nachfragen „von oben“ führte. Diese Sicht der Magistrate findet sich in aller Regel auch in den Stellungnahmen der Steuerräte wieder. 272 Hierin zeigt sich einmal mehr, daß die ältere Sicht, die mit Schmoller in den Steuerräten lediglich Vertreter eines „in alles sich mischenden Polizeistaates“ und zugleich die „berechtigten Eiferer für gute Polizei und gegen lokale Lotter- und Gevatterwirtschaft“ 273 erkennt, zu grobschlächtig erscheint. Stattdessen waren, etwa auf dem Gebiet der Gewerbeförderung, die „Interessen von Stadt und Steuerrat in vielfacher Hinsicht dieselben“, 274 so daß sich der Steuerrat häufig und zumal bei längerer Amtszeit die Interessen der Städte seines Inspektionsbezirks zueigen machte. 275 Dabei trat auf der Ebene der Steuerräte ein Utilitarismus zutage, der mit einer grundsätzlichen, naturrechtlich motivierten 271

BLHA, Rep. 2, Nr. S.123, Bl. 161 –162. Neben den bereits angeführten Beispielen ließe sich beispielsweise auf die Vergabe von Hauskonzessionen an Juden in der kurmärkischen Kleinstadt Müncheberg verweisen. Als der dortige Schutzjude Baruch Bendix Isaac 1778 um die Erlaubnis bat, das Haus des verstorbenen Schneiders Werlitz ankaufen zu dürfen, bat der Frankfurter Steuerrat Gutschmidt, die Kurmärkische Kammer möge eine Porzellanabnahme im Wert von lediglich 25 Rt. „um so mehr als genügsam anzusehen allergnädigst geruhen, da die Concession doch nur ad dies vitae ertheilt wird und andere Juden in Provinzial Städten mit eben diesem Quanto belegt werden.“ Siehe BLHA, Rep 19, Steuerrat Frankfurt / Oder, Nr. 487. Die Konzession wurde schließlich gegen eine Porzellanabnahme von 29 Rt. am 24. Juni 1778 erteilt, vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 124 sowie Export Nr. 0378 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Bereits Gutschmidts Amtsvorgänger Grothe hatte 1774 das Gesuch des Müncheberger Juden Simon Samuel um eine Hauskonzession unterstützt, „da dieses Haus sehr baufällig und zuletzt eine wüste Stelle daraus werden möchte“ – obwohl Samuel lediglich eine Porzellanabnahme im Wert von 50 Rt. angeboten hatte. Aus unbekannten Gründen scheint die Konzession jedoch nicht erteilt worden zu sein – in den Verkaufslisten der KPM tauchts Samuels Name jedenfalls nicht auf. 273 Schmoller, Beamtenstaat, S. 300. 274 Rügge, S. 265. 275 Heinrich, Staatsaufsicht und Stadtfreiheit, S. 165. 272

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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Reserve zunächst einmal wenig zu tun hatte, 276 sondern viel eher im Kontext der gerade um 1770 vielfach scharfen Kritik an der friderizianischen Wirtschaftsund Handelspolitik zu verorten ist, welche bei der Konzessionierung jüdischen Hausbesitzes stets mitzudenken ist. 277 Ebensowenig sollte dieses nüchterne Nutzendenken als Ausdruck einer spezifisch preußischen Behördenrationalität in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewertet werden. Denn ganz ähnlich hatte es bereits Jahrzehnte zuvor in Hamburg geklungen, als der Senat in den 1730er Jahren „bei dem großen Verfall der Häuser“ dafür eintrat, die Restriktionen jüdischen Hauserwerbs zu lockern, um den Immobilienpreis zu stabilisieren. 278 Weitere Beispiele ließen sich selbst aus geistlichen Territorien anführen, trat doch im August 1788 auch der Vizekanzler des Hochstifts Paderborn, Johann Friedrich Anton Meyer, dafür ein, das bislang für Juden bestehende Verbot des Hausererwerbs zu lockern, denn die erbliche Erwerbung von Häuser und Landereyen ist den Juden wohl zu gönnen und dem Publicum vortheilhafft. Beyde werden dadurch nicht selten einen höheren billigen Werth erhalten, baufällige Häuser können instand gerathen, und öde Ländereyen zur Cultur gebracht werden. 279

276 Ähnlich scheint auch der geistige Horizont der nächsten Beamtengeneration in dieser Frage gewesen zu sein, wenn man die von Rolf Straubel untersuchten Examensarbeiten preußischer Referendare aus dem letzten Jahrhundertdrittel zum Maßstab nimmt. Selbst Kandidaten, die die Juden keineswegs für grundsätzlich schädlich hielten, plädierten in der Regel dafür, den Juden wegen ihrer „orientalischen Gebräuche“ und „mosaischtalmudischen Gesetze“ in ihrem Wirtschaftsgebahren gewisse Auflagen zu machen. Siehe Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 104 – 106. 277 Zahlreiche Beispiele aus den mittleren Provinzen bei Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 406 – 411. Diese Zusammenhänge blieben auch der NS-Geschichtsschreibung nicht verborgen, die daraus freilich eine jüdische Verschwörung konstruierte. Mit Blick auf die polnischen Teilungsgebiete in den Jahren um 1800 wetterte Sommerfeldt, Judenfrage, S. 85 – 88: „Der Wunsch nach Ausnutzung der jüdischen Finanzkraft beim ‚Retablissement’ der Städte ist verständlich, wenn man bedenkt, daß die Anzahl der wüsten Plätze und der baufälligen Häuser unwahrscheinlich groß war. Damit beschwor die preußische Regierung aber eine Gefahr herauf, die weit über ihre Kräfte hinauswuchs und die Bürgerschaft schwer bedrohte [...] Die Steuerräte und Kammern, denen die Verminderung der baufälligen Häuser in ihren Städten am Herzen lag, unterstützten die Gesuche der Juden um Konzession zum Hauserwerb nachdrücklichst. Gewöhnlich unterstrichen die Beamten den trostlosen Zustand der Häuser und die Unfähigkeit der Eigentümer, sie instandzusetzen, und machten geltend, daß ein arischer Käufer niemals so viel bieten würde wie ein Jude. [...] Wir haben hierin eine langsam, aber progressiv wirkende jüdische Methode zu sehen, vom Judenbezirk her in die nichtjüdischen Straßen einzudringen, einen Vorgang, der konsequent und sicher zur Verjudung ganzer Straßen führen mußte.“ 278 Ellermeyer, Schranken, S. 180 – 181. Der Autor resümiert ebd., S. 203: „In der [...] milderen Eingrenzungspolitik des [Hamburger] Senats werden, anders als in der Gleichstellungsdebatte seit den Revolutionen, Menschenrechts- oder andere Moralargumente nicht merkbar, wohl aber Rücksichten auf Juden als Mieter, Hauskäufer, Abgabenzahler und niederlassungswillige Wirtschaftsträger.“; Ders.: Hanseatische Liberalität; vgl. Krohn, S. 10.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

So nutzten auch in Paderborn mit stillschweigender Billigung der Behörden manche Juden das Pfandrecht, um die starren Richtlinien des Judenrechts zu umgehen, indem der christliche „Verkäufer“ beim jüdischen „Käufer“ formell ein Darlehen in der Höhe des vereinbarten Kaufpreises aufnahm. Noch beim Übergang Paderborns an Preußen im Jahre 1802 bemühten sich deshalb die preußischen Beamten, Immobilienerwerb auf diesem Wege zu erschweren, wenn nicht gar wiederum rückgängig zu machen, 280 so daß sich für jüdische Hausbesitzer der mit der Säkularisation verbundene Modernisierungsimpuls als eher zweifelhaft dargestellt haben dürfte. So läßt sich mit Bezug auf die untere und mittlere Verwaltungsebene, für die jedoch spätestens nach dem Siebenjährigen Krieg das Universitätsstudium ebenfalls obligatorisch wurde, festhalten, daß grundsätzliche Opposition gegen die Sonderbesteuerung der jüdischen Minderheit in den Akten praktisch nicht auftaucht. Sie tritt auf jener Ebene geradezu in Umkehrung einer weit verbreiteten Ansicht eher singulär als typisch auf und begegnete dem Verfasser lediglich ein einziges Mal in unübersehbarer Weise. So erklärte 1772 der Herforder Steuerrat im Rahmen eines Konzessionsverfahrens für jüdischen Hausbesitz in Bielefeld, es könne Staat und Monarch gleichgültig sein, „von was vor Glaubenslehre allerhöchst deroselben Einwohner auch seyn mögen, wan selbige nur nüzliche Mitglieder des Staats und bereit sind, die allgemeinen Lasten gemeinschaftlich zu tragen“. 281 Wer diese Haltung mit Selma Stern als charakteristisch für die Haltung „des“ preußischen Beamtentums bezeichnen möchte, muß sich allerdings sagen lassen, daß jener Herforder Beamte wohl zu den „untypischsten“ Männern gehörte, die unter Friedrich dem Großen das Amt eines Steuerrates versahen. Denn die Rede ist von Joseph Sylvius Reichsfreiherr von Hohenhausen und Hochhaus (1743 – 1822), 282 einem auf Gut Lobedienst bei Neumarkt in Schlesien geborenen, ursprünglich katholischen Jesuitenzögling, der in Königsberg studiert, seine Militärlaufbahn in preußischen Diensten als Leutnant beendet und nach kurzer Zeit als Assessor bei der Kurmärkischen Kammer mit 28 Jahren die Stelle des Herforder Steuerrats angetreten hatte. Diese Versetzung kam für Hohenhausen zunächst geradezu einem Kulturschock gleich, beschrieb er seinen neuen Wohnort doch als „fast buchstäblich zwischen Trümmern vergraben“, wo „kein Abputz an Häusern, kein Schornstein, nur mit Ausnahme von sehr wenigen Gebäuden sichtbar“, wo „Mist279 Zitiert nach van Faassen, S. 155. Daß die im Rahmen der Verbesserungsdebatte aufgekommene Produktivierungszielsetzung auch in Paderborn angekommen war, belegen Meyers weitere Ausführungen: „Der Jude kann sich hiedurch zur Arbeit gewöhnen, ohne bloßerdings durch Wucherey und schädlichen Händell die Christen zu erschöpfen, dem er sich jetz ganz überlassen und nachhangen muß, wenn er sein Brod gewinnen, und sein Leben unterhalten will.“ 280 Muhs, S. 27 – 29; Naarmann, S. 29 – 30. 281 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315, Bl. 239. 282 Zur Person Seitz; Rügge, S. 273 – 277, 334.

IV. Der Porzellanexport bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz

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stellen, Schmutz, Rauch und Unrat sich von allen Seiten zeigten“. 283 Tatsächlich standen noch um 1780 zahlreiche Häuser leer, 25 wüste Stellen wurden als Gartenland genutzt und manche der unbewohnten Häuser zu Scheunen umfunktioniert. 284 Zehn Jahre später beschrieb ein zeitgenössischer Chronist „innerhalb der Mauren der Stadt [...] viele wüste Plätze, Gärten, Wiesen und Weiden“. 285 Nacheinander verheiratet mit Frauen aus den angesehenen westfälischen bzw. pommerschen Adelsfamilien von Ledebur und von Massow und wohnhaft auf einem der Herforder Fürstabtei als Lehngut zugehörigen Adelshof am Ufer der Aa, pflegte Hohenhausen auch an seinem beschaulichen Dienstort einen ausgesprochen adligen Umgang mit Mitgliedern der Garnison, der Abtei und des Stifts auf dem Berge. So konnte er von sich behaupten, selbst mit einem Reichsstand befreundet zu sein, war ihm doch Fürstäbtissin Friederike Charlotte Prinzessin von Preußen sehr zugetan. 286 Ohne Freimaurer zu sein, kultivierte Hohenhausen doch geheimbündlerische Neigungen und fungierte als Großprior des Ordens der Kreuzherren vom Heiligen Grabe zu Jerusalem, einer (bemerkenswerter Weise) von rosenkreuzlerischem Gedankengut inspirierten Vereinigung. Publizistisch hervorgetreten durch „ein Paar anonymische sehr merkwürdige politische Schriften“, 287 spielte er noch 1819 bei der Gründung des „Westphälischen gemeinnützigen Wochenblatts“ eine maßgebliche Rolle. 288 Seine Leidenschaft galt offenbar seiner umfangreichen Münzsammlung sowie einer Bibliothek, die bei seinem Tod fast 2.000 Bände umfaßt haben soll, darunter „alle französischen Celebritäten, Voltaire, Rousseau, Diderot, Montesquieu“. 289 In seiner Amtsführung zwischen „heftig“ und „gutmüthig“ schwankend, 290 kam er über die Position eines Steuerrats zeitlebens nicht hinaus, was angesichts neuerer Forschungsergebnisse über 283

Zitiert nach Seitz, S. 46. Rügge, S. 237 –238; zur Bautätigkeit in Ravensberg während des 18. und 19. Jahrhunderts ferner Angermann, S. 205 – 281. 285 Weddigen, Bd. 2, S. 31. 286 Seitz, S. 52 – 53. Für die gesellschaftliche Position Hohenhausens spricht auch ein Brief des späteren Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Ludwig Freiherrn Vincke (1774 – 1844), in dem dieser über einen Besuch in Herford berichtet: „... ich wurde in Herford mit Auszeichnungen überhäuft und erhielt sogar den Ehrenplatz neben Hohenhausen, was mir sehr schmeichelhaft war.“ Zitiert nach ebd., S. 52 (ohne Datum). 287 Hamberger / Meusel, Bd. 3, S. 401. Sehr merkwürdig sind Hohenhausens Publikationen dabei auch im modernen Sinne des Wortes. Seine Arbeit über Herford, das angeblich bereits zu Zeiten von Christi Geburt bestanden habe, „enthält wohl die seltsamsten Hypothesen, die jemals zur Stadtgeschichte aufgestellt worden sind“. Desweiteren befaßte sich Hohenhausen mit Tacitus. „Der Freiherr entwickelte auch hier einen bedenklichen Lokalpatriotismus, der ihn die Römerkämpfe teilweise nach Herford verlegen ließ...“ Ferner existieren aus des Steuerrats Feder eine aufschlußreiche autobiographische Skizze seiner Erlebnisse im Siebenjährigen Krieg sowie eine Anleitung zur Zubereitung von Champignons. Siehe Seitz, S. 56 – 58. 288 Ebd., S. 55 – 56. 289 Zitiert nach Rügge, S. 274. 284

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das Avancement innerhalb des preußischen Kameralfachs allerdings nicht als bemerkenswert zu gelten hat. 291 1806 trat er schließlich in westphälische Dienste und war zwei Jahre später in Kassel als Inspektor der indirekten Steuern des FuldaDepartements tätig. Als typisches Sozialprofil preußischer Steuerräte kann dies alles wohl kaum gelten. Letztere stellten auf der anderen Seite jedoch alles andere als devote Befehlsempfänger dar, wie ihre zahlreichen Interventionen auch maßgeblich dazu beitrugen, daß sich bis zum Mai 1779 neben Seligmann Joseph lediglich drei Juden nachweisen lassen, die für eine Konzession zum Hausbesitz tatsächlich für 300 Rt. Porzellan kaufen und exportieren mußten: Pintus Nathan aus Brandenburg an der Havel (1771), 292 Salomon Abraham Leffmann aus Berlin (1774) 293 und Hirsch David aus Stargard (1775). 294 In der Regel beliefen sich diesbezügliche Porzellankäufe auf Mengen, die den Wert von 50 bis maximal 100 Rt. nicht überschritten. Dies gilt insbesondere für die kleinen Städte in der Provinz, aber auch für den Residenzraum Berlin / Potsdam, wie das Beispiel der Konzession für den Potsdamer Schutzjuden Nathan Liebmann zeigt, der lediglich mit 100 Rt. in den Büchern der KPM auftaucht. 295 Überhaupt kann aus den Abnahmetarifen kaum auf den Wert der betreffenden Immobilie geschlossen werden, wie das Beispiel Hertz Bärs verdeutlicht, eines 290 In seinem ersten Dienstjahr fuhr Hohenhausen den Herforder Bürgermeister Culemeyer derart an, daß dieser glaubte, das entsprechende Schreiben sei „unrecht adressiret und vieleicht [...] einem Untervogte in einer kleinen Stadt zugedacht worden“. Es habe eines zweimaligen Lesens seines Namens bedurft, um zu realisieren, tatsächlich gemeint zu sein. Zitiert nach Rügge, S. 273. 291 Vgl. Straubel, Friderizianische Finanz- und Justizbeamten, S. 16. Ob auch ein angeblicher Konflikt mit Friedrich dem Großen, über den nichts Näheres bekannt ist, für Hohenhausens Verbleiben auf der Steuerratsstelle eine Rolle gespielt hat, muß deshalb dahin gestellt bleiben. Siehe dazu Seitz, S. 48. 292 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 129; vgl. Export Nr. 0113 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 293 Die Konzession vom 7. September 1774 bezog sich auf den Ankauf und Besitz des in der Jüdenstraße gelegenen „Eckardtschen Hauses“, GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 141; vgl. Export Nr. 0282 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 294 Konzession vom 30. November 1775 zum Besitz des „Dieckhoffschen Hauses“, GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 251; vgl. Export Nr. 0319 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 295 Konzession vom 19. Mai 1771, Liebmann wurde später mit einer Nachforderung konfrontiert, die er in vier Raten (November 1779, März und Juli 1780, März 1782) beglich. Siehe BLHA, AG Potsdam, Grund- und Hypothequen-Buch der Residenz-Stadt Potsdam (1774), zweiter Teil, Bl. 75. Es handelte sich um ein in der Hohnwegstraße gelegenes, aus einem Haupt- und Seitengebäude bestehendes Anwesen, das Liebmann für die Summe von 1.700 Rt. erworben hatte. 1816 ging es aus seiner Konkursmasse zum Preis von 2.400 Rt. in den Besitz des Hofapothekers Johann Friedrich Wilhelm Bengel über.

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Judenältesten aus Frankfurt an der Oder. 296 Aus dem Erbe seines verstorbenen Vaters Juda Hertz Bär war ein Haus in der Richtstraße in seinen Besitz gelangt, wobei es sich nach den Feuerkassenkatastern um ein mehr als stattliches Anwesen handelte, das neben einem Vorder- und einem Brauhaus zwei Buden sowie einen Stall umfaßte, die für insgesamt 5.000 Rt. versichert waren. 297 Als Bär im August 1773 darum bat, das Anwesen im Grundbuch auf seinen Namen eintragen lassen zu dürfen, 298 stellte sich die Kurmärkische Kammer auf den Standpunkt, diese Eintragung bedeute ein „neues Beneficium“. 299 Obwohl Bärs Vater, der „im Siebenjährigen Krieg zeitweilig sehr gut verdient (1763: 4.000 T. Eink.) und damit unzweifelhaft den Grundstein für den späteren Aufstieg des Sohnes zu einem der erfolgreichsten Berliner ‚Wirtschaftsbürger‘ gelegt“ 300 hatte, bereits 1759 eine Konzession für das fragliche Haus erworben hatte 301 und auch der Frankfurter Steuerrat Grothe gegen die Umschreibung nichts einzuwenden hatte, 302 kam Bär deshalb um einen Porzellanexport nicht herum – wenn es sich dabei auch nur um eine vergleichsweise geringe Summe von 20 Rt. handelte. 303 Damit ist zugleich ein weiteres Mal die bereits im Herzogtum Kleve begegnende Problematik berührt, wonach Juden nicht lediglich bei Neuerwerbungen von Immobilien, sondern auch bei Erbschaften zu Porzellanexporten herangezogen wurden. Dies kam in den ersten Jahren recht häufig vor, weshalb man beispielsweise auch in Drossen um 1770 von der Witwe des Schutzjuden Samuel Boas sowie von Moses Michel Wulff Konzessionen für Häuser verlangte, die sich bereits seit 38 bzw. 22 Jahren in ihrem Besitz befanden. 304 Dieses Verfahren wurde offenbar erst durch ein Gutachten des Generalfiskals d’Anières vom 24. Mai 1776 abgestellt, wonach Juden, denen Häuser durch Erbschaft zugefallen waren, grundsätzlich keiner neuen Konzession bedurften. 305 In einem umfassenden Bericht vom 5. Juni 1779 wurden die zurückgegangenen Einnahmen aus den Zwangskäu296

Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.4211. StA Frankfurt / Oder, Feuerkassenkataster Bd. 1765 –1769, Nr. 212. 298 Gesuch Hertz Bärs, Frankfurt an der Oder, 18. August 1773, BLHA, Rep. 2, Nr. S.4211, Bl. 1. 299 Bericht der Kurmärkische Kammer, Berlin, 14. September 1773, ebd., Bl. 7. 300 Straubel, Frankfurt (Oder) und Potsdam, S. 75. 301 Abschrift der Konzession vom 4. Juli 1759, worin den lokalen Behörden aufgetragen worden war, Bär „nebst dessen Erben dabey [beim Besitz des Hauses] gehörig zu schützen“, BLHA, Rep. 2, Nr. S.4211, Bl. 3. 302 Bericht Grootes an die Kurmärkische Kammer, Frankfurt an der Oder, 10. September 1773, ebd., Bl. 6. 303 Die Konzession wurde daraufhin am 1. Dezember 1773 erteilt, ebd. 304 Neumärkische Kammer an Steuerrat Krusemarck, Küstrin, 26. Februar 1770, BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1058. Zu einer Konzessionsvergabe scheint es allerdings nicht gekommen zu sein. 305 Stern, Bd. III/2, S. 616. D’Anières’ Bericht wurde am 31. Mai 1777 vom König genehmigt, ebd.; vgl. Terlinden, S. 149; Halama, S. 243. Mitunter wurde bei Erbfällen 297

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fen denn auch maßgeblich darauf zurückgeführt, daß Juden, die „schlechte Häuser gekauft oder dergleichen zum Behuf einer Fabrique acquirirt oder auch die Häuser geerbet [hatten] specialiter dispensiret worden“ 306 waren. Die Untersuchung der Durchsetzung des Porzellanexports bei der Vergabe von Konzessionen zum Hausbesitz führt demnach zu folgenden Ergebnissen: Selbst Hagen, auf den das Reskript vom 21. März 1769 zurückging, faßte die darin genannten Abnahmetarife zu keinem Zeitpunkt als verbindlich auf, sondern ging von deutlich niedrigeren Forderungen aus, die sich meist in Größenordnungen von 25 bis 50 Rt. bewegten. Mit Blick auf die aus anderen Departements angeführten Beispiele sowie die Verkaufslisten der KPM hat diese Haltung als repräsentativ für die vom Generaldirektorium verfolgte Linie in den Jahren bis 1779 zu gelten. Gleichwohl stieß dieser in Berlin gleichsam abgemilderte Ausfuhrzwang im Rahmen des jüdischen Hauserwerbs auf eine bereits hoch reglementierte Rechtslage, deren starre Durchsetzung zu einer drastischen Reduzierung jüdischen Immobilienbesitzes in nahezu sämtlichen Provinzen der Monarchie geführt hätte. Eine solche Entwicklung mußte jedoch nicht lediglich den Widerspruch der Betroffenen hervorrufen, sondern konnte auch nicht im Interesse der unteren und mittleren Verwaltungsinstanzen, also der Magistrate und Steuerräte liegen, die sowohl das städtebauliche Retablissement als auch die Akziseeinnahmen im Auge zu behalten hatten. Eine andere Linie erwies sich schon deshalb nicht als praktikabel, als in zahlreichen Kleinstädten der Immobilienmarkt nicht im entferntesten in der Lage war, zahlreiche Judenhäuser aufzunehmen. Gerade die ökonomisch argumentierende Opposition der Steuerräte trug auf diese Weise maßgeblich dazu bei, daß die Ausfuhrtarife entweder nochmals gesenkt oder schließlich vollkommen fallengelassen wurden. Ein übriges tat schließlich die Entscheidung des Generalfiskals, die 1776 die durch Erbschaft erworbenen Häuser von der Konzessionierungspflicht ausnahm. Vorerst und in dieser Form war das Judenporzellan also nicht dazu angetan, auf dem jüdischen Immobiliensektor einschneidende Wirkungen zu entfalten. Allerdings, und dies sei hier ausdrücklich hervorgehoben, trug der Zwangsexport bereits in jenen Jahren zur Reduzierung jüdischen Hausbesitzes bei. Auf die beiden Zwangsversteigerungen in Wesel wurde bereits hingewiesen. Auch Philipp Joel aus Lübbecke, ohnehin in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sollte für die Konzession zum ferneren Besitz des väterlichen Hauses 1778 für 50 Rt. Porzellan exportieren. Joel beteuerte sein Unvermögen und erklärte, er „hoffe aber doch, daß Sr. Königl. Majestät ihm die Concession als einem armen Juden ohne fernere Kosten zustehen würden. Solt es aber gar nicht geschehen können, so wolle er mit jedoch bereits vor dieser Grundsatzentscheidung eine Dispensation erteilt, so etwa 1775 im Falle Abraham Joseph Schlesingers und Aron Joseph Holländers, BLHA, Rep. 2, Nr. S.4214, Bl. 19. 306 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 69.

V. Die Ausnahmeregelung für die ostfriesische Judenschaft

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seiner Frau aus dem Hause gehen und sich bei andere Leute einheuren“. 307 Dies konnte allerdings nicht geschehen, und so wechselte Joels Haus im Mai 1779 den Besitzer und fiel an den Weißgerber Carl Engelmann. 308 Mit der Darstellung des Exportzwangs bei der Neuvergabe ordentlicher Schutzbriefe und von Konzessionen zum Hausbesitz sowie bei der Ansetzung erster und zweiter Kinder decken die vorangegangenen Kapitel bereits einen großen Teil jener Anlässe ab, bei denen Juden nach 1769 mit der Berliner Porzellanmanufaktur in Berührung kamen. Bevor der Frage nachgegangen werden kann, auf welche Weise Generalprivilegierte sowie ganze jüdische Gemeinden zu Porzellanexporten herangezogen wurden, ist jedoch die Ausnahmeregelung zu schildern, die in der Provinz Ostfriesland zum Tragen kam.

V. Die Ausnahmeregelung für die ostfriesische Judenschaft Zu besonderen Problemen sollte der Porzellanexportzwang bald in Ostfriesland führen, das erst 15 Jahre vor dessen Einführung, 1744, nach dem Aussterben des Fürstengeschlechtes der Cirksena an Preußen gefallen war, dessen Königshaus bereits seit 1694 für diesen Fall über die Anwartschaft verfügt hatte. 309 Die knapp 100.000 Einwohner der wirtschaftlich vergleichsweise rückständigen Provinz ernährten sich vornehmlich von Rinderzucht und Fischerei – an Manufakturwaren nennt die Exportstatistik in friderizianischer Zeit lediglich gezwirntes Garn, gestrickte Hosen und Strümpfe sowie Dachpfannen und Mauersteine, wobei ostfriesische Produkte vor allem nach Holland und England, aber auch in die Hansestädte Hamburg und Bremen verschifft wurden. 310 Emden als größte Stadt der Provinz und wirtschaftlich vor allem nach Amsterdam, Hamburg, Bremen und die Ostseegebiete orientiert, beherbergte gerade einmal 8.000 Einwohner; Mitte des 17. Jahrhundert waren es noch 20.000 gewesen. 311 Die ostfriesische Judenschaft, 312 die um 1750 aus etwa 238 Familien bestanden haben soll, 313 verteilte sich auf die Städte Emden (mit 98 Familien und 408 Personen 1753 die größte 307

So nach seiner Erklärung auf dem Lübbecker Rathaus am 1. November 1778. Siehe LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 61 – 62; ferner StA Lübbecke, A, Nr. 571. 308 Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 671. Im Feuerkassenkataster von 1781 ist das Anwesen noch auf Joels Namen eingetragen und auf 400 Rt. taxiert. Siehe StA Lübbecke, A, Nr. 479, Bl. 9. 309 Vgl. Brüggemann, Friedrich III. / I., S. 295. Der Übergang Ostfrieslands an Preußen ist hier nicht detailliert zu schildern. Überblicksdarstellungen bieten Eimers; Schmidt, Politische Geschichte; Hintze, Einleitende Darstellung, S. 557 –614; Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, S. 85 – 99. 310 Bokeloh, S. 120 – 121. 311 Ebd., S. 45.

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Gemeinde der Provinz), 314 Aurich, Esens 315 und Norden sowie auf die Herrlichkeiten der ostfriesischen Ritterschaft, von denen beim Übergang an Preußen noch Dornum, 316 Gödens, 317 Jennelt, Lütetsburg, Petkum und Rysum bestanden. 318 Ebenso wie die gesamte ostfriesische Verfassung mit ihren ständischen Relikten stark von den Verhältnissen in den altpreußischen Provinzen abwich, lebte auch die jüdische Minderheit unter besonderen Bedingungen, hatte doch die schwache Stellung der Cirksena als Landesherren bereits seit dem 16. Jahrhundert zu Auseinandersetzungen mit den Ständen um das Judenregal geführt, 319 die auch in preußischer Zeit noch fortwirkten. Grundsätzlich verstand es die 1744 in Aurich eingerichtete Kriegs- und Domänenkammer durchaus, das landesherrliche Judenregal zunächst in Emden und später in den adligen Herrschaften wieder zur Geltung zu bringen, 320 wobei man auch versuchte, die Abgaben- und Rechtsverhältnisse möglichst mit den alten Provinzen zu harmonisieren. In den Immediatstädten und -flecken wie auch in den Ämtern und im Harlingerland hatten die Juden noch unter Karl Edzard im Jahre 1736 ein zwanzigjähriges Generalgeleit erhalten, wofür ein Rekognitionsgeld von 600 Rt. erhoben wurde. 321 Die jährlichen Schutzgelder beliefen sich in der Regel auf 3 bis 6 Rt., konnten bei wohlhabenden Juden jedoch auch 30 bis 50 Rt. betragen, wozu noch Naturallieferungen von Gänsen und Kapaunen kamen, die jedoch ebenfalls durch Geld abgelöst werden konnten. Ferner hatten die Juden pro Jahr eine landesherrliche Schatzung von 922 Rt. aufzubringen. Einer zahlenmäßigen Beschränkung unterlag die Judenschaft mit Ausnahme des Harlingerlandes, in dem lediglich 27 Familien wohnen sollten, allerdings nicht. Wenngleich durch die Bemühungen der Kammer das Geleitrecht bald nach 1744 in die Hand des Landesherrn überging, galten jedoch weder das Generalreglement von 1730 noch dessen Nachfolger von 1750 für Ostfriesland. Andererseits kam auch ein separates Reglement trotz der Bemühungen des 1748 verstorbenen Kammerdirektors Bügel sowie später des Generalfiskals d’Anières nicht zustande. 322 Auf diese Weise galten zwar grundlegende Bestimmungen wie beispielsweise die 312 Zur Einführung Reyer, Zur Geschichte der Juden in Ostfriesland; Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden; Stern, Bd. III/1, S. 34 – 38. 313 Kaufhold / Wallbaum, S. 98. 314 Lokers, Juden in Emden. Zahlenangabe ebd., S. 158. 315 Vgl. Rokahr. 316 Vgl. Reichwein. 317 Vgl. Hegenscheid / Knöfel. 318 Vgl. Reyer, Ansiedlung von Juden in den Herrlichkeiten. 319 Siehe für Emden Kappelhoff, S. 217 – 225. 320 Zum Ende des städtischen Geleitrechts in Emden Lokers, Juden in Emden, S. 153 – 156. 321 Dies und die folgenden Angaben nach Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 46. 322 Ebd., S. 48 – 50.

V. Die Ausnahmeregelung für die ostfriesische Judenschaft

327

Klassifikation in ordentliche und außerordentliche Schutzjuden sowie die Höhe des nachzuweisenden Vermögens bei der Ansetzung von Kindern auch in Ostfriesland. Für den ersten Sohn waren dabei 200, für den zweiten bereits 300 Rt. zu entrichten. Andererseits hatten die Juden jedoch sowohl in Emden als auch in den Herrlichkeiten nicht lediglich die Schutzgelder und sonstigen Abgaben für die Landesherrschaft aufzubringen, sondern weiterhin Forderungen des Magistrats bzw. der Ritterschaft zu befriedigen. Die unmittelbar unter Landesherrschaft stehenden Juden zahlten so ab 1745 ein jährliches Schutzgeld in Höhe von 712 Rt. 323 Dabei flossen vom Beitrag der Emdener Gemeinde von 327 Rt. nur 120 Rt. an die Oberrentei, während die restlichen 207 Rt. (seit 1749) an die Stadtkasse zu entrichten waren. 324 In den Herrlichkeiten, in denen 1752/53 das landesherrliche Geleitrecht durchgesetzt worden war, zahlten 1780 sechs königliche Schutzjuden 68 Rt. an die kombinierte Kriegs- und Domänenkasse sowie weitere 143 Rt. an die Ritterschaft. 325 Die verheerenden Auswirkungen dieser doppelten und in den kommenden Jahrzehnten ständig steigenden Abgabenlast auf die ostfriesischen Juden, die sich vornehmlich als Schlachter, Pfandleiher und Altkleiderhändler ernährten und deren durchschnittliches Vermögen sich 1765 bestenfalls auf 500 bis 1.000 Rt. belief, 326 sind bereits mehrfach dargestellt worden und müssen hier nicht wiederholt werden. 327 Stattdessen stellt sich die Frage, in welcher Weise der Porzellanexportzwang in diesem sowohl ökonomisch als auch politisch besonders diffizilen Kontext durch die Behörden gehandhabt wurde. Tatsächlich stößt man in den Verkaufslisten der Manufaktur unter dem 24. April 1770 auf Bendix Ruben aus Aurich, der sich zwei Monate zuvor als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Ruben Simens etabliert hatte, und dafür Porzellan im Wert von 50 Rt. exportierte. 328 Nach weiteren Juden aus der Provinz an der Nordsee wird man in jenen Jahren jedoch vergeblich suchen, was letztlich auf eine Intervention der Ostfriesischen Kammer zurückzuführen ist. Diese berichtete am 16. Februar 1771 nach Berlin, daß sich in Norden Simon Abraham Bargebuhr als erstes Kind etablieren wolle und um eine Befreiung von der Porzellanausfuhr gebeten habe. Bei dieser Gelegenheit betonten 323

Ebd., S. 51. Lokers, Die Juden in Emden, S. 164. 325 Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 57. Unter Friedrich Wilhelm II. wurde den Ritterschaftsbesitzern das Geleitrecht unter gewissen Auflagen im Jahre 1791 wiederum zugestanden. 326 Stern, Bd. III/3, S. 1433 – 1443. Diese Vermögenswerte bedeuteten eben auch, daß die Mehrzahl der Familien aufgrund der geforderten Sätze kaum zur Ansetzung eines zweiten Kindes in der Lage war. 327 Vgl. Lokers, Die Juden in Emden, S. 166; Hegenscheid / Knöfel, S. 12 –21; Rokahr, S. 52 – 55; Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 60 –61. 328 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 159; vgl. Export Nr. 0033 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 324

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

die Auricher Beamten, daß der zwei Jahre zuvor eingeführte Zwangsexport die Heiratsquote innerhalb der Judenschaft „mercklich zurückhalte“, indem seit dem Frühjahr 1769 lediglich ein Ansetzungsgesuch eingegangen sei, womit man sich offenbar auf Bendix Ruben bezog. Seit geraumer Zeit seien deshalb so gut wie keine Rekognitions- und Antrittsgelder bei der Kanzleikasse mehr eingegangen, die deshalb im Haushaltsjahr 1769/70 ein Minus von 515 Rt. habe verbuchen müssen. Mit Blick auf den geforderten Porzellanexport hatten die ostfriesischen Juden nach Ansicht der Beamten keine Gelegenheit zum auswärtigen Verkauf, sondern müssen vom Schlachten und Versetzen [Pfandleihe] kümmerlich leben und geben vor, daß, wenn sie andere zum Debit des Porcellains gebrauchen, diese von ihrer Verlegenheit profitiren und ihnen circa ein Drittel des Werths als Unkosten anrechnen, welche sie verliehren müssen. 329

Wenn man das Ostindische Porzellan berücksichtigt, das vom nahen Holland aus auf den mitteleuropäischen Markt geworfen wurde, entbehrten diese Ausführungen sicher nicht der ökonomischen Grundlage, zumal derartige Ware noch dazu über Emden von der Ostindischen Kompagnie importiert wurde. 330 Die 515 Rt. waren höheren Orts offenbar ein schlagendes Argument, denn das Generaldirektorium entschied am 5. März 1771, daß nicht nur Bargebuhr, „sondern auch überhaupt die dortigen Juden bey ihren ordentlichen Ansetzungen auf das Recht erster und zweyter Kinder von der Porcellain-Abnahme dispensiret seyn sollen und selbige nur bloß auf gantz extraordinaire Beneficia und Privilegia restringiret seyn soll“. 331 Das Generaldirektorium hatte somit, und dies wurde 329 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 19, Bl. 7. Wenn in dem bereits zitierten Vermögensregister von 1765 mehrere Juden als Porzellanhändler auftauchen, dürfte es sich dabei wohl eher um Fayence oder aber Ostindisches Porzellan gehandelt haben. Siehe Stern, Bd. III/3, S. 1433 – 1443. 330 A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 611. 331 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 19, Bl. 8; vgl. die entsprechende Instruktion des Emdener Magistrats durch die Kammer vom 25. März in StA Emden, II, Nr. 763. Diese Entscheidung wurde am 30. April noch einmal ausdrücklich bestätigt, nachdem das ebenfalls nach Ostfriesland abgegangene Zirkular vom 19. März 1771 wegen der Regelung des Abnahmezwangs bei der Ansetzung der zweiten Kinder bei der Ostfriesischen Kammer für Unklarheiten gesorgt hatte. Die expedierenden Sekretäre des Generaldirektoriums wurden zugleich instruiert, in Zukunft ohne ausdrücklichen Befehl keine Zirkulare nach Ostfriesland abgehen zu lassen, da „die Verfassung der dortigen Judenschaft von der in den übrigen Provinzien gänzlich verschieden“ sei. Siehe GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 19, Bl. 11. Auf den 5. März 1771 datiert die Konzession für Simon Abraham Bargebuhr, der deshalb nachträglich am 30. Juni 1780 für 300 Rt. Porzellan kaufte, um sich das Bleiberecht zu sichern. Siehe Export Nr. 0583 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Im Juni 1789 wurde er offenbar „wegen begangener Dieberey mit Frau und Kindern aus dem Lande gewiesen“. Da der Generalfiskal keine Begnadigung vermerkte, muß wohl vermutet werden, daß dieser Ausweisungsbefehl auch vollstreckt wurde. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 183.

VI. Zur Lage der Generalprivilegierten

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von der bisherigen Forschung bislang entweder übersehen oder falsch eingeordnet, 332 die Juden einer ganzen Provinz eigenmächtig und ohne Genehmigung des Königs vom Exportzwang dispensiert. Denn zur Verleihung besonderer Privilegien sollte es nicht kommen. Als Calmer Heymann aus Aurich im Jahre 1778 um den Transfer seiner Konzession zum Hausbesitz auf ein Anwesen aus dem Besitz des Kriegsrats Kersten bat und dafür von sich aus anbot, Porzellan im Wert von 200 Rt. zu exportieren, 333 waren sowohl die Ostfriesische Kammer als auch das Generaldirektorium der Meinung, das in Frage stehende Haus sei zu kostbar, um in die Hände eines Juden zu geraten. 334 So sucht man in den Verkauflisten der KPM in den folgenden neun Jahren ostfriesische Juden vergebens. Erst im Frühjahr 1780 werden Namen wie Emden, Norden oder Aurich in großer Anzahl wiederum auftauchen. Doch so weit ist es noch nicht. Vorerst bleibt der bereits angesprochenen Frage nachzugehen, inwiefern Generalprivilegierte und Gemeinden vom „Judenporzellan“ betroffen waren.

VI. Zur Lage der Generalprivilegierten Daß bei der rechtsgeschichtlichen Verortung von Generalprivilegien in der Literatur zahlreiche Fehlinterpretationen begegnen, durch welche diese spezielle Form eines landesherrlichen Gnadenaktes in die Nähe staatsbürgerlicher Emanzipation gerückt wird, wurde oben im Rahmen der Analyse des Generalreglements von 1750 bereits dargelegt. 335 So kann ungeachtet der erheblichen Vorteile, die ein solcher Schutzbrief für seinen Empfänger mit sich brachte, weder mit Blick auf die (widersprüchlichen) normativen Grundlagen, noch auf den Wortlaut einzelner Generalprivilegien davon die Rede sein, es habe damit eine Befreiung „von all den alten, drückenden Judenreglementierungen“ 336 stattgefunden. Eine Untersuchung des Porzellanexportzwangs und seiner Anwendung auf die Generalprivilegierten leistet vor diesem Hintergrund einen weiteren Beitrag zur Erhellung einer Reali332 So heißt es bei Rokahr, S. 54, die Juden seien kaum in der Lage gewesen, die benötigten Summen aufzubringen, weshalb bis 1779 große Rückstände aufgelaufen seien. Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 51 erwähnt zwar die Dispensation der ostfriesischen Judenschaft, nicht jedoch deren 1779 vollzogene Rücknahme. So wird letztlich der Blick verstellt für die Zäsur jenes Jahres, die zu meßbaren demographischen und sozialen Einbrüchen führte. Siehe unten, Kap. H. V. 333 Supplik Calmer Heymanns, Aurich, 19. Juni 1778, GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 11, Bl. 93 – 94. 334 Ebd., Bl. 95 – 97. 1780 taucht Heymanns Name zwar in den Verkauflisten der KPM auf, jedoch im Zusammenhang mit seiner Ansetzung als zweites Kind vom 21. Juli 1772. Siehe Export Nr. 0573 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232); vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 161. 335 Vgl. oben, Kap. C. II. 336 Volkov, S. 9.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

tät, deren angebliche administrative Rationalität und rechtsstaatliche Qualität ex post konstruiert wurden. Denn nimmt man das Reskript vom 21. März 1769 zum Ausgangspunkt der Betrachtung, müßte man davon ausgehen, daß Generalprivilegierte im Laufe ihres Lebens lediglich einmal mit dem Exportzwang in Berührung kommen konnten – nämlich bei der Verleihung ihres Schutzbriefes. Porzellan war lediglich als Gegenleistung für ein konzessionspflichtiges Beneficium zu exportieren – und nach jener in der Literatur dominierenden Ansicht gehörten im Falle der Generalprivilgierten weder das Etablissement von Kindern, noch der Erwerb von Hausbesitz in diese Kategorie. Doch bereits bei der Schilderung des Aufstiegs von Seligmann Joseph in Königsberg wurde darauf hingewiesen, daß sowohl er selbst, als auch sein Schwiegersohn David Heymann jeweils für 500 Rt. Porzellan auszuführen hatten, um auf das Generalprivileg von Josephs Schwiegervater Isaac Bernhard etabliert zu werden. 337 Ganz anders sah es wiederum bei Daniel Itzig aus. Bei Gelegenheit der Ansetzung seiner beiden Töchter Vogel 338 (1781) und Sara (1783) sowie seines Sohnes Jacob Daniel Itzig 339 (1785) pochte Itzig darauf, daß seine Kinder bereits als angesetzt zu betrachten seien und somit auch keiner Konzession sowie der daran anschließenden Porzellanabnahme unterworfen seien. 340 Während anderen generalprivilegierten Juden wie Peretz Marcus aus Driesen 341 zu gleicher Zeit das Gegenteil verkündet wurde, war im Falle von Itzig auch das Generaldirektorium der Ansicht, daß „hier ohnedies überhaupt nicht der Fall einer PorcellaineExportation vorhanden“ 342 sei. Wenn ein „Herr [!] Daniel Izzig“ dennoch in den Verkaufslisten der Porzellanmanufaktur auftaucht, so hängt dies mit Approbationen von Hausbesitz zusammen, die Itzig 1777 für das „Mohrische Haus“ sowie 1779 für das 313 preußische Morgen umfassende Landgut der Bartholdischen Meierei vor dem Schlesischen Tor in der Köpenicker Straße erhalten hatte und für die er nachträglich zur Kasse gebeten wurde. 343

337

Vgl. oben, Kap. G. II. 3. BLHA, Rep. 2, Nr. S.2902, Bl. 3. Vogel heiratete den aus Schwedt stammenden Hirsch Levin, einen Buchhalter des Kattun- und Seidenfabrikanten Isaac Benjamin Wulff. 339 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 38. Sein Sohn heiratete die Jüdin Zerla, eine Tochter des Berliner Kattunfabrikanten Isaac Benjamin Wulff. 340 Gesuch von Daniel Itzig, Berlin, 3. Februar 1783, BLHA, Rep. 2, Nr. S.2915. 341 Zu Peretz Marcus plant der Verfasser einen Beitrag an anderer Stelle. 342 Generaldirektorium an Generalfiskal, Berlin, 1. März 1786, GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 60. Diese Entscheidung war eigentlich bereits 1770 getroffen worden, wie einem Schreiben des Generaldirektoriums an die Kurmärkische Kammer vom 17. Oktober jenes Jahres zu entnehmen ist: GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 141. 343 Zu diesem Landgut siehe Nicolai, Beschreibung der königlichen Residenzstadt Berlin, S. 152: „Außer den Stadtmauern der Köllnischen Vorstadt sind noch anzumerken vor dem Schlesischen Tore: die ehemalige Rats- oder Bartholdische, jetzt Daniel Itzigsche Meierei rechter Hand. Der köllnische Bürgermeister Bartholdi legte auf diesem Platze 1684 338

VI. Zur Lage der Generalprivilegierten

331

Im Vorgriff auf die Schilderung der Zäsur des Jahres 1779 wird somit deutlich, daß die in jenem Jahr auch bei den Generalprivilegierten vorangetriebene Ausweitung des Ausfuhrzwangs auf das Etablissement von Kindern sowie die Genehmigung von Immobilienerwerb die Trennungslinie zwischen der bereits seit 1753 geforderten Approbation durch die Behörden und der förmlichen Einholung einer Konzession zumindest unter fiskalischen Gesichtspunkten zunehmend verwischte. Mochte man die erstere als reine Formalität betrachten, so stand letztere für eine tendenzielle Entwertung der durch das Generalprivileg recht eigentlich bereits verliehenen Freiheiten. Allerdings kann von einer auch nur halbwegs einheitlichen Verwaltungspraxis keine Rede sein, wie ein Blick auf die Familie Ephraim verdeutlicht. Heimann Ephraim Veitel (1753 –1821), später westpreußischer Landschaftsagent und Oberlandesältester der Judenschaft, taucht weder anläßlich seiner Ansetzung auf das großväterliche Generalprivileg noch wegen seines 1782 für 14.000 Rt. in der Neuen Friedrichstraße erworbenen Hauses 344 in den Listen der KPM auf. Aaron Meyer hingegen, der über seine Frau Rösel ebenfalls auf Ephraims Generalprivileg saß und seit 1782 das dem Potsdamer Waisenhaus gehörende Alaunwerk in Freienwalde betrieb, mußte für sein „in dem Holländischen Quarèe belegenes Dominico-Bonserysche Haus“ in Potsdam nur deshalb keinen nachträglichen Porzellanexport leisten, weil er das Anwesen bereits vor 1779 wieder verkauft hatte. 345 David Ephraim (1762 – 1835) konnte sich, obwohl diesmal sogar vom Generalfiskal moniert, 1784 gemeinsam mit einer Tochter Daniel Itzigs ohne einen Porzellanexport auf das Generalprivileg seines Großvaters ansetzen. 346 Ihr Onkel jedoch, der vornehmlich im Seidenhandel tätige Joachim Zacharias (1736 – 1779), 347 hatte für die gleiche Konzession, offenbar noch kurz vor seinem frühen Tod, für 500 Rt. Porzellan zu exportieren. 348 einen weitläuftigen Garten und Wirtschaftsgebäude an. Dessen Sohn, der Staatsminister von Bartholdy, erweiterte dieselben und errichtete auch eine Windmühle. Nach dessen Tode verkauften dessen Erben die Meierei dem Magistrate, der sie anfangs zu verpachten pflegte, hernach aber verkauft hat. Es ist daselbst ein Brauhaus und Branntweinbrennerei, große Scheunen, Ställe und andere Gebäude zur Viehzucht, die fast sämtlich vom itzigen Besitzer neu gebauet sind, nebst einem Baum- und Küchengarten“. Siehe ferner Rachel / Wallich, S. 358; Schenk, Zum Judenporzellan. Bereits 1771 war Itzig kurzfristiger Besitzer der nahegelegenen „Judenwiesen“ im heutigen Bezirk Neukölln. Siehe Wolff, Judenwiesen. Zum Export siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 95; vgl. Export Nr. 0398 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 344 Siehe Rachel / Wallich, S. 335 – 336. 345 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2314. Zu Meyer siehe Rachel / Wallich, S. 352 – 353. 346 Siehe das Monitum d’Asniéres’ zur kurmärkischen Generaltabelle 1781 –1784: GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 141. In den Verkaufslisten der KPM taucht Ephraims Name indes nicht auf; zu seinen Geschäftsaktivitäten und seinem spektakulären Zusammenbruch, dem 1805 die Flucht nach Wien und der Übertritt zum Katholizismus folgte vgl. Rachel / Wallich, S. 336 – 339.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Wiederum anders verhielt es sich bei der Jüdin Fegele Kuh aus Breslau, die am 31. August 1785 darum bat, sich mit dem Berliner Schutzjuden Esaias Moses Ries verheiraten zu dürfen und mit diesem auf das 1777 verliehene Generalprivileg ihres Vaters Daniel Kuh angesetzt zu werden. 349 Ihr wenig später eingereichtes Gesuch, dafür kein Porzellan exportieren zu müssen, wurde vom Generaldirektorium am 5. Juli 1786 abgewiesen, nachdem Generalfiskal d’Anières entschieden hatte, daß eine Konzessionierung nur in Frage komme, wenn die Familie 1. die in Etablirung einer Wachs Bleiche und Unterstützung von 15 bis 20 Tuch Fabricanten gesezte Bedingungen des General Privilegii erfüllet und 2. für 500 Rtlr. Porcellain exportiret habe. 350

Es waren wohl Komplikationen und Verzögerungen dieser Art, die Abraham Marcuse bewogen, von vorneherein den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, als er 1785 die Ansetzung seines Sohnes Marcus Marcuse auf sein 1761 verliehenes Generalprivileg 351 zusammen mit der Jüdin Jente, einer Tochter des Berliner Schutzjuden und Bankiers Benjamin Joel Wulff, beantragte. 352 Denn obwohl seine Kinder nach dem Wortlaut seines Generalprivilegs bereits als angesetzt zu betrachten seien und deshalb lediglich die Lösung eines Trauscheines erforderlich wäre, wolle er sich doch freiwillig zu einem Porzellanexport im Wert von 500 Rt. bereit erklären. Beim Generaldirektorium herrschte immer noch Unklarheit über das Vorgehen in diesem Fall, weshalb man die Kurmärkische Kammer zu einem Gutachten darüber aufforderte, ob es bloß eines Trauscheins für den Sohn des Supplicanten und der anerbothenen Porcellaine-Exportation bedürfe, mithin die Chargen und Stempel-, auch andere Jura für dessen Ansetzung wegfallen, weil Supplicant schon ein General-Privilegium zu Ansetzung seiner Kinder erhalten und in Ansehung dererjenigen, die er schon verheiratet hat, ex actis bemerckt worden, daß dieselben ohne Ausfertigung besonderer Concessionen nur allein den Trauschein gelöset haben und darauf als Schutz-Juden in den Juden-Listen aufgeführt worden sind. 353

Die Stellungnahme der Kammer ist nicht überliefert, doch findet sich Marcuses Name in den Verkaufslisten der KPM am 9. Juli 1785. 354 Einen ähnlichen Weg 347

Rachel / Wallich, S. 341. Siehe Export Nr. 0458 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 349 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 69. 350 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 79 –80. Zu einem Export kam es aufgrund des Todes Friedrichs des Großen allerdings wohl nicht mehr. 351 Vgl. Schnee, Bd. V, S. 37. 352 Siehe die Supplik Abraham Marcuses vom 29. Mai 1785 in GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 30. 353 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 29. 354 Siehe Export Nr. 1238 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 348

VI. Zur Lage der Generalprivilegierten

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ging auch der Oberlandesälteste Jacob Moses, der sich bereiterklärte, für das ihm durch Friedrich Wilhelm II. am 26. Dezember 1786 verliehene Generalprivileg nicht nur für 500, sondern sogar für 1.000 Rt. zu exportieren, um auf diese Weise seine Kinder bei ihren Ansetzungen und etwaigen Immobilienkäufen von vorneherein von weiteren Zwangsexporten zu befreien. 355 Sowohl Marcuse als auch Moses, im Umgang mit der Administration bestens bewandert, vertrauten demnach auch um 1785 in entscheidenden, die eigene Familie unmittelbar tangierenden Fragen auf die Überzeugungskraft ihres Geldbeutels und nicht auf Appelle an „rechtsstaatliche“ Strukturen. 356 Welche Summen die KPM durch diese partielle Entwertung von Generalprivilegien insbesondere nach 1779 einnahm, läßt sich am Beispiel einer Familie aufzeigen, die im Untersuchungszeitraum in Königsberg nicht nur einen phänomenalen wirtschaftlichen Aufschwung nahm, sondern auch für die Verbreitung der Ideen Mendelssohns am Pregel von großer Bedeutung war: der Familie Joachim Moses Friedländers, zu dessen zahlreichen Söhnen auch David Friedländer gehörte. 357 Der erste der Porzellanexporte, die die Familie zu bewerkstelligen hatte, geht auf das Gesuch Joachim Moses Friedländers, des in Sülz geborenen und seit 1738 mit einem Schutzbrief in Königsberg versehenen Stammvaters der Familie, zurück, das dieser am 15. Oktober 1774 an den König richtete. Friedländer behauptete, sein Handel mit Woll- und Seidenwaren bringe den Post- und Akzisekassen jährlich 50.000 Rt. ein. Seine Geschäfte könnten jedoch noch wesentlich ausgedehnt werden, wenn das ihm bereits 1764 verliehene Generalprivileg 358 um die Rechte christlicher Kaufleute erweitert und ihm so die Einrichtung weiterer Warenlager und die Anstellung neuer Kommissionäre erleichtert würde. Obgleich Friedländer deshalb vermutete, daß die Übereinstimmung meiner Absichten mit Ew. Königliche Majestäts patriotischen Gesinnungen zur Aufnahme Höchstdero Fabriquen allein zulänglich seyn [würde], werde mir obgedachte Gnaden-Bezeugung zu erwerben jedoch auch erböthig [sein], um mich Dero Allerhöchsten Protection noch würdiger zu machen, für 1.000 Rtlr. Porcellaine aus Dero Fabrique zum auswärtigen Debit an mich zu nehmen. 359 355 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 93. Per Kabinettsdekret vom 3. Januar 1787 wurde ihm zur Bewerkstelligung dieses Kaufs eine Frist von drei Monaten eingeräumt. Ebd., Bl. 111; vgl. Export Nr. 1351 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 356 Dies in Abgrenzung zu den Ausführungen etwa bei Meier, Seidenunternehmer, S. 120. 357 Die Familie Friedländer fand bereits mehrfach das Interesse der Forschung, weshalb an dieser Stelle auf ausführlichere biographische Skizzen verzichtet wird. Verwiesen sei stattdessen auf Friedländer, Handlungshaus; Aizensztejn, Familie Friedländer; Krüger, Judenschaft von Königsberg, S. 18 – 21. 358 Friedländer hatte dafür seinerzeit 1.300 Rt. bezahlt. Seine Immediatsupplik an den König ist abgedruckt bei Kobler, S. 254. 359 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4532, Bl. 48.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Nachdem sich Friedländer darüber hinaus dazu bereiterklärt hatte, 1.000 Rt. an die Chargen- sowie 300 Rt. an die Stempelkasse zu entrichten und Friedrich sein Gesuch daraufhin für „guht“ befunden hatte, 360 erfolgte die Erweiterung seines Generalprivilegs schließlich am 28. Juni 1775. 361 Der Porzellankauf fand drei Tage später statt, der Export der Ware über Langfuhr nach Danzig am 7. September. 362 Die weiteren Exporte der Familie stehen im Zusammenhang mit der Etablierung der ebenso zahlreichen wie umfassend gebildeten Kinder 363 auf das Privileg des im Juli 1776 verstorbenen Friedländers sowie weiterer Immobilienkäufe. Abraham Friedländer etwa, fünfter Sohn von Joachim Moses, mußte für seine am 25. Februar 1779 erfolgte Approbation zur Ansetzung auf das Schutzrecht seines Vaters und zur Heirat mit einer Tochter Veitel Ephraims 364 nachträglich für 500 Rt. Porzellan exportieren, obwohl er sich zuvor mehrmals mit Protesten zu Wort gemeldet hatte. Eine dieser Suppliken sei hier ausführlich zitiert, da sie verdeutlicht, wie durch Generaldirektorium und Generalfiskalat im Zweifelsfall auch gegen den Wortlaut von Generalprivilegien verstoßen wurde. So klagte Abraham Friedländer am 15. Oktober 1779: Mit Befremden aber muß ich bemerken, daß mir das dadurch [durch das Generalprivileg seines Vaters] verliehene Beneficium jetzt streitig gemacht wird, da die von Ewr. Königl. Maj. allergnädigst verordnete Comission wegen Abnahme des Porcellains mir anmuthet, für den erhaltenen Trau-Schein vor 500 Rtlr. ächtes Porcellaine aus der hiesigen Manufactur zu kaufen und zu exportiren. Ich habe dagegen bey dieser Commission [von d’Anières und Grieninger] die nöthige Vorstellung gethan und das meinem verstorbenen Vater Joachim Moses Friedlaender im Monat Februar 1764 ertheilte immediate Privilegium

360

Kabinettsvorlage vom 24. Mai 1775, ebd., Bl. 72. Ebd., Bl. 74. 362 Ebd., Bl. 79; vgl. Export Nr. 0309 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 363 Bereits bei Baczko, Königsberg, S. 457 – 458 kann man über den Bildungsstand der Söhne Friedländers lesen: „Herr Bernhardt Friedländer (Kaufmann) besitzt eine Sammlung von Kupferstichen und Landcharten, und eine Bibliothek, die größtentheils aus Werken über Geschichte, schöne Wissenschaften und Reisebeschreibungen besteht. Herr Meyer Friedländer (Kaufmann) besitzt eine Sammlung von Englischen Kupferstichen, und eine Bibliothek, worin sich viele Reisebeschreibungen, und verschiedene kostbare Werke über Geschichte und Naturgeschichte, und auch viele Bücher in englischer und hebräischer Sprache befinden. Z. B. Sonnerats und Cooks Reisen; die allgemeine Weltgeschichte, Drury’s Illustration of the natural History, die Holländische Ausgabe des Talmuds u.s.f. Auch einige Seltenheiten, worunter eine Huka, oder die in Ives Reisen in Kupfer gestochene, im Orient übliche Tabackspfeife, befindlich. Herr Wulf Friedländer (Kaufmann) besitzt eine beträchtliche Sammlung englischer und französischer Kupferstiche, und eine Bibliothek, worin die Fächer gleich den vorigen besetzt sind, die aber noch mehr Reisebeschreibungen und Werke in Englischer Sprache enthält. Diese drei letzten Büchersammlungen verdienen um so mehr bekandt zu werden, da ihre Besitzer den Gebrauch derselben mit der größten Bereitwilligkeit verstatten.“ 364 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4532, Bl. 97. 361

VI. Zur Lage der Generalprivilegierten

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mit beigeleget, vermöge dessen seine 5 Söhne als damahls schon angesetzet zu betrachten und wir dahero nur verbunden sind, bey unserer Ansetzung der Ordnung wegen die erforderliche Trau-Scheine zu lösen. Hierdurch erwächset uns kein neues Beneficium, daher auch die Allerhöchste Cabinets-Ordres wegen Übernahme des Porcellains für ein Beneficium gar keine Anwendung auf uns haben kann. Dieser Vorstellung ungeachtet bin ich mit meiner Bitte unerhört geblieben, und es ist mir anliegende Resolution d. d. Berlin, d. 7. Oct. a. c. dahin ertheilet, daß von der Vorschrift der zur Richtschnur dienenden Cabinets-Ordres nicht abgegangen und daher keine Dispensation ertheilet werden könne, dagegen mir unbenommen bleibe, mich dieserhalb an Ewr. Königl. Majestät Allerhöchste Persohn zu wenden. 365

Doch es half alles nichts – der Porzellankauf Abrahams datiert vom 7. Juni 1780. 366 Ebenso hatte der jüngste Sohn Joachim Moses Friedländers, Simon, anläßlich seiner Ansetzung mit Hanna Oppenheim am 25. März 1784 367 Ware im Wert von 500 Rt. zu kaufen, deren Export nach Mecklenburg-Strelitz (Empfänger war dort ein Lazarus Abraham) Israel Moses Ulmann übernahm. 368 Ihr Bruder Wulff wiederum, seit 1763 in der Handlungsfirma des Vaters tätig, exportierte derweil in zwei Margen für eine Konzession zum Besitz zweier Häuser auf der kneiphöfischen Langgasse für 600 Rt. Porzellan 369 sowie im Oktober 365

GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4532, Bl. 106 –107. Das abschlägige Schreiben d’Anières’ und Grieningers vom 7. Oktober 1779 ebd., Bl. 108. Zur Einrichtung dieser Porzellankommission siehe unten, Kap. H. VIII. 1. 366 Siehe Export Nr. 0571 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 367 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4532, Bl. 154. Die Königsberger Dichterin Fanny Lewald, die Schöpferin der Legende von den „20 Porzellanaffen des Moses Mendelssohn“, schrieb in ihrer 1861 veröffentlichten Lebensgeschichte über diese Heiratsverbindungen innerhalb der jüdischen Oberschicht: „Noch während ich in die Schule ging, hatte ich die Kinder der angesehendsten jüdischen Familie von Königsberg, der Familie Oppenheim, kennengelernt. Das Haupt derselben, der alte Bankier Oppenheim, lebte mit seiner Gattin [...] in der Kneiphöfischen Langgasse [...]. Die älteste Tochter, an einen Herrn Friedländer verheiratet, wohnte [...] in dem Hause ihrer Eltern.“ Zitiert nach: Aizensztejn, Familie Friedländer, S. 383. 368 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4532, Bl. 153; vgl. Export Nr. 1113 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 369 Siehe dazu das Gutachten des Generalfiskals für das Generaldirektorium vom 13. Juli 1782: „Da Sr. Königl. Maj. allerhöchste Intention dahin wohl nicht gehet, daß die Juden gedrückt werden sollen, so bin ich der Meinung gewesen, daß für 2 von einem und demselben Possessore zu geicher Zeit acquirirte Häuser, worauf nur eine Concession gesucht wird, nicht füglich eine doppelte Porcelaine-Exportation gefordert werden könne, besonders da der Satz von 500 Rt. schon hoch genug ist. Ja, es würde nach der von mir bei dieser Gelegenheit näher inspicirten Königl. Cabinets Ordre vom 21. März 1769, falls auch für jedes Haus 300 Rt. nach dem wahrscheinlichen Sinne dieses Befehls gerechnet würden, auch in diesem Falle nur 600 Rt. überhaupt und nicht 1000 Rt. von dem Impetranten zu fordern sein, wenn auch eine doppelte Concession expedirt werden sollte.“ Das Generaldirektorium

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

1782 für eine weitere Genehmigung zum Ankauf des Hauses einer Witwe Susanna Margaretha Rymer noch einmal für 300 Rt. 370 Bei Bernhardt Friedländer schlug die Konzession zum Besitz eines vom Kommerzienrat Kruse angekauften Hauses mit einem Porzellanexport im Wert von 500 Rt. zu Buche. 200 Rt. wurden dabei auf ein Anwesen angerechnet, das Friedländer 1778 in der kneiphöfischen Magistergasse von dem Ratsadvokaten Johann Jacob Dalkowsky erworben, jedoch kurze Zeit später wieder veräußert hatte, bevor er 1779 auch für dieses Haus mit der Forderung eines nachträglichen Porzellanexports konfrontiert worden war. 371 Selbst die Enkelgeneration Joachim Moses Friedländers brachte noch einmal Geld in die Kassen der Manufaktur. So hatte die einzige Tochter von Joachim Moses, Frommeth, den Berliner Schutzjuden Hirsch Nathan Bendix geheiratet. Im September 1783 wurde deren Tochter Schöne gemeinsam mit dem Berliner Juden Wulf Samuel von Halle auf das Generalprivileg ihres Königsberger Großvaters angesetzt –wiederum gegen einen Porzellanexport im Wert von 500 Rt. Als David Friedländer einige Jahre später mit Friedrich Anton von Heinitz über eine Aufhebung des Porzellanexportzwangs konferierte, wird er also den Verhandlungsgegenstand auch aus eigener Anschauung gut gekannt haben. Schließlich hatte am Aufstieg seiner Familie auch die KPM kräftig profitiert – durch Exporte im Gesamtwert von 3.900 Rt. 372 Generalprivilegierte, so lassen sich diese beispielhaft angestellten Beobachtungen zusammenfassen, wurden also insbesondere nach 1779 in großem Umfang zu bestand jedoch auf einem Export im Wert von 600 Rt., ebd., Bl. 133 –134. Die KPMQuittungen ebd., Bl. 129, 136, 140. 370 Gegen diesen Porzellanexport hatte Friedländer ursprünglich Protest eingelegt. Das Generaldirektorium erteilte ihm am 10. Mai 1781 jedoch die Auskunft, daß er von einem Porzellanexport „wegen Acquisition des Rymerschern Hauses“ nicht befreit werden könne, „da nach Sr. Königl. Maj. unmittelbarer Verfügung jeder Schutz-Jude ohne Unterschied, welcher ein Haus acquiriret, er mag ein General-Privilegium und die Rechte Christlicher Kaufleute haben oder nicht, für 300 Rt. Porcellaine exportiren muß.“ Ebd., Bl. 113. 371 Siehe die Approbation dieses Kaufs durch das Generaldirektorium vom 10. Dezember 1778, ebd., Bl. 87. 372 Nebenbei sei bemerkt, daß Exporte im Wert von jeweils 500 Rt. offenbar auch für die KPM eine gewisse logistische Herausforderung darstellten. Anders als bei Exporten durch ordentliche und außerordentliche Schutzjuden wurde die Manufakturleitung deshalb meist im Vorfeld durch das Generaldirektorium oder das Kabinett informiert, daß bald mit dem Porzellankauf eines Generalprivilegierten zu rechnen sei, so etwa im Falle des Berliner Seidenfabrikanten Meyer Benjamin Levy am 27. Juli 1771 oder der Gebrüder Philipp und David Hirsch aus Potsdam am 1. Juni 1774. Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CLXXXVI, Nr. 211, Bl. 13 bzw. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CLXXXVII, Nr. 2, Bd. 1, Bl. 112. Auch am 21. August 1777 gehörte zu den „Dinge[n], die man dem Kabinettsrat Stelter vorgetragen hat, als dieser zur Abnahme der Rechnung 1776/77 persönlich in der Manufaktur war“, das folgende: „Die jüdischen Kaufleute Kuhs zu Breslau, von welchen der Herr Geheime Cabinets Rath geschrieben, daß sie kommen und wegen erhaltener Privilegii für 500 Rt. Porcelaines nehmen würden, haben sich auch noch nicht gemeldet.“ MA, OS, Acta bey der Abnahme der Porcelaine-Manufactur Casse Rechnung pro 1776/7, Bl. 7 – 8.

VII. Der Porzellanexport bei der Approbation von Gemeindebedienten

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Porzellanexporten herangezogen – und zwar nicht lediglich bei Erstverleihungen, sondern darüber hinaus auch beim Etablissement von Kindern und dem Erwerb von Immobilien. Eine tragfähige Rechtsgrundlage für all dies gab es nicht, und auch die Verwaltungspraxis war durch krasse Widersprüche gekennzeichnet. Was der eine Generalprivilegierte gratis bekam, verursachte dem anderen Kosten von mehreren hundert Reichstalern. Die wachsende fiskalische Belastung ging mit einer zumindest partiellen Aufweichung der Grenzen zwischen Approbation und Konzession einher, die offenbar noch nach 1786 fortwirkte und weiterer Forschungen bedarf, wie das Beispiel des Königsberger Juden Süsskind Oppenheim zeigt, dessen Generalprivilegium nachträglich eingeschränkt wurde. Das Generaldirektorium, welches der Meinung war, „daß die Vermehrung der jüdischen Familien die Christlichen Kaufleuthe zu Königsberg in Preußen zu Grunde richten werde“, erwirkte bei Friedrich Wilhelm II. am 16. Februar 1787 ein Kabinettsdekret, wonach neu verliehene Generalprivilegien künftig nicht mehr für Königsberg gelten sollten. 373 Auch von den vergleichsweise exklusiven Generalprivilegien führte angesichts solcher Befunde kaum ein Weg in die Emanzipation. Von einem „Ausbruch“ der Generalprivilegierten „aus dem bisher üblichen Status von Untertanen minderer Klasse“ 374 kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein.

VII. Der Porzellanexport bei der Approbation von Gemeindebedienten Zu den Gruppen, die sich innerhalb der jüdischen Gemeinden meist am unteren Ende der sozialen Hierarchie bewegten, zählten die Gemeindebedienten wie beispielsweise Totengräber oder Schulmeister. Die in aller Regel gering besoldeten Stellen boten zwar die willkommene Gelegenheit, anderweitig nicht geschützten Gemeindemitgliedern eine zumindest halbwegs gesicherte Existenz zu verschaffen, erlaubten jedoch in aller Regel nur ein kümmerliches Dasein. 375 So wird das Jahresgehalt eines Schullehrers in einer kurmärkischen Kleinstadt 373

Siehe GStA PK, XX. HA, EM, Tit. 38, d 4, Nr. 218, Bl. 4. Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 53; vgl. Halama, S. 166, der hinsichtlich von Konzessionen, die in der Folge eines bereits verliehenen Generalprivilegs erteilt wurden, vollkommen zu Recht hervorhebt, es seien dabei „der exakte Wortlaut und der Zeitpunkt seiner Erteilung [...] ausschlaggebend“ gewesen. Unverständlich bleibt freilich, warum Halama ebd., S. 42 die Verleihung eines Generalprivilegs in Anlehnung an Selma Stern als Ausdruck staatsbürgerlicher „Gleichberechtigung“ wertet. 375 Zur Gruppe der Gemeindebedienten siehe Glanz, Geschichte des niederen jüdischen Volkes, S. 149 – 154. Die Position des Schulmeisters wurde hingegen oft mit aus Polen zugewanderten Juden besetzt. So sollen im Jahre 1772 allein in Preußen rund 500 aus Polen stammende jüdische Lehrer tätig gewesen sein. Siehe Shulvass, S. 105. 374

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

auf etwa 50 Rt. geschätzt. 376 Das Generalreglement von 1750 billigte den Gemeinden zur Aufrechterhaltung des jüdischen Kultus, wie bereits dargelegt, zwar eine bestimmte Anzahl dieser „publiquen Bedienten“ zu, war jedoch zugleich auf die Unterbindung jeglicher unter der Hand betriebenen Handelsgeschäfte bedacht. 377 Im Übertretungsfall drohte nichts geringeres als die Landesverweisung. 378 Trotz alledem mußten sich die Berliner Ältesten in ihrer im Kontext der Konzessionsvergabe zum Hausbesitz bereits angeführten Supplik vom 22. März 1774 379 auch über Fälle beschweren, in denen Gemeindebediente von den Behörden mit einer Porzellanausfuhr konfrontiert worden waren: Bey Gelegenheit, da wir denen Allerhöchsten Verordnungen gemäß die Approbation von verschiedenen nach Abgang der alten angenommenen publiquen Bedienten hirselbst bey der [Kurmärkischen] Krieges- und Domainen-Cammer nachgesucht, ist uns zur Resolution geworden, daß wir zuförderst ohne Anstand gehörig nachzuweisen [hätten], für wie viel ächtes Porcellain ein jeder von diesen publiquen Bedienten zum auswärtigen Debit auf den Fall käuflich zu übernehmen gesonnen sey, wenn er in seinen Officio bestätiget werden wolle, weil nur unter dieser Voraussetzung das weitere hiernächst zu veranlassen stehe. Ein gleiches ist verschiedentlich von denen auswärtigen Krieges- und Domainen-Cammern ebenfalls desideriret worden. 380

In der Tat lassen sich bis zu diesem Zeitpunkt vornehmlich aus der Kurmark bereits neun Gemeindebediente in den Verkaufslisten der KPM nachweisen, die für Summen zwischen 20 und 30 Rt. Ware abnahmen. Sofern sich die Gemeindedienten an das Generalreglement hielten und keinen eigenen Handel betrieben, dürften sie allerdings kaum in der Lage gewesen sein, selbst diese gering anmutenden Summen aufzubringen, bezog doch zu jener Zeit beispielsweise ein Kantor der Potsdamer Gemeinde gerade einmal 20 Rt. im Jahr. 381 Insofern bedeuteten 376

Kohnke, Rathenow, S. 105. Vgl. Kap. C. II. 378 So forderte d’Anières beispielsweise 1777, es solle der Familie des Kollers Abraham Levi aus Hörde in der Grafschaft Mark „aller Handel bey Strafe der Landesverweisung inhibirt werden“. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 138. Auf der anderen Seite war die Aufsicht des Generaldirektoriums in dieser Frage vielfach höchst lax, wie ein Blick auf die fiskalische Revision der neumärkischen Generaltabelle verdeutlicht. Bei deren Durchsicht monierte d’Anières 1777 mit Blick auf die Gemeindebedienten in Züllichau: „Die Publique Bediente dürfen weder handeln noch mäckeln, daher ich allerunterthänigst bitte, dem Ephraim Meyer so wie den übrigen 3 Publiquen Bedienten den Gesetz wiedrigen Handel legen zu lassen. Es ist sehr sonderbar, daß des Handels dieser 4 Publiquen Bedienten in allen Tabellen pro 1772/77 als einer erlaubten Sache gedacht wird, da doch in der Beantwortung meiner Monitorum pro 1772 die Strafbarkeit dieses Handels schon anerkannt worden.“ Immerhin erging am 19. Juni 1778 ein Befehl des Generaldirektoriums an die Neumärkische Kammer, diese Handelstätigkeiten zu unterbinden und sich für „die bisherige Conniventz zu verantworten“. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29. Ob sich in der Folge etwas an der bisherigen Praxis änderte, ist zumindest zweifelhaft. 379 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 50. 380 Ebd. 377

VII. Der Porzellanexport bei der Approbation von Gemeindebedienten

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derartige Exporte zwangsläufig eine weitere Belastung der Gemeinden, wie dies für Neustadt Eberswalde und Freienwalde zweifelsfrei nachzuweisen ist. 382 Die Ältesten erhielten daraufhin am 9. Mai vom Generaldirektorium zur Antwort, daß, da allerhöchstgedachte Se. Königl. Majestät jederzeit geneigt sind, den Supplicanten, besonders in Angelegenheiten, so die Ausübung ihrer Religion betreffen, völligen Schutz zu verschaffen und die Onera zu erleichtern, auch nach derselben jetzigen Gesuche, denen sämtlichen Krieges- und Domainen Cammern und Cammer-Deputationen dato aufgegeben worden, von denen publiquen Bedienten dafür, daß sie als publique Bediente angesetzet werden, hinführo weder auf einen Ankauf eines Quanti von ächten Porcellaine, noch auswärtigen Debit desselben zu dringen und zu verlangen, sondern es hierunter ratione der publiquen Bedienten bey dem Juden Reglement von 1750 lediglich zu belassen. 383

Die Ältesten hatten also mit ihrem Gesuch offenbar Erfolg, mußten allerdings die bei der Versendung der Direktorialreskripte anfallenden Stempel- und Kanz381 Kaelter, S. 73. Dazu müssen allerdings kostenfreie Wohnung und umfangreiche Naturallieferungen gekommen sein. Anderenfalls hätte sich selbst eine Einzelperson von diesen Bezügen unmöglich ernähren können. 382 In den Verkaufslisten der KPM firmiert bei Kantor Abraham Levi aus Neustadt Eberswalde – Export Nr. 0252 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232) – sowie Totengräber Abel Levin aus Freienwalde (Export Nr. 1116) nicht der Bediente, sondern die jüdische Gemeinde als Käufer. Daß sich Levi dabei nicht nur konzessionsgemäß dem synagogalen Gesang widmete, sondern sich mit handfesteren Nebentätigkeiten ein Zubrot verdiente, kann man beim Generalfiskal nachlesen: „Ist Brandtweinbrenner auf dem Amte Chorin (Monitum ’77), soll cessiren bey Strafe der Cassation des Privilegiums (Rescript vom 17. Dezember ‘77), brennt nicht mehr (Rescript vom 11. März ‘78).“ Im Amt Chorin, dem früheren Zisterzienserkloster aus der Zeit der Askanier, war man indes um Ersatz nicht verlegen und fand ihn in Simon Hertz, dem Krankenwärter der jüdischen Gemeinde von Freienwalde: „Hat sich angemaaßt, in Chorin beym Amtmann Karbe Brandtwein zu brennen, weshalb er mit 8 Tagen Gefängnis bestraft worden (März ’85).“ Letzterem war jedoch zumindest die Porzellanabnahme erspart geblieben. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 86 u. 88. Nach einem Reskript an die Kurmärkische Kammer vom 5. September 1781 durfte schließlich auch Levi wiederum Branntwein brennen, und zwar auf dem Gut Lichterfelde. Siehe Stern, Bd. III/2, S. 644. Zu positivistisch erscheinen die Äußerungen von Glanz, S. 150, der den Gemeindebediensteten zudem eine recht träge Rolle zuweist: „Sie sind das lebende Inventar der Judengemeinde, das unbesteuert bleibt, die Judenabgaben beziehen sich nicht auf sie, dafür aber wird ihnen die vollständige wirtschaftliche Entaeusserung auferlegt, sie dürfen keinen Handel treiben. Die Regierungsverordnungen der einzelnen Territorien kehren dies scharf hervor.“ Auch bei Kohnke, Rathenow, S. 105 findet sich der Hinweis, gering verdienenden Gemeindeangestellten sei mitunter „ein kleiner Handel“ gestattet worden, wobei sich die Autorin auf ein Beispiel aus dem Jahre 1809 bezieht. 383 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 55. Am gleichen Tag erging an sämtliche Kammern und Deputationen die Weisung, daß „die publique Juden Bediente, wenn sie als publique Bediente angesetzet werden, von Übernehmung eines Quanti von Porcellaine zum auswärtigen Debit dispensiret seyn und sie dazu nicht angehalten, sondern es hierunter ratione ihrer lediglich bey dem Juden Reglement von 1750 belassen werden solle.“ Siehe ebd., Bl. 53.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

leigebühren selbst bezahlen, da die Verfügungen „zu ihrem Besten geschehen“ 384 seien. Erwies sich die Entscheidung des Generaldirektoriums auch in der Praxis als hilfreich? Ein Blick auf Potsdam scheint dies nahezulegen. Nachdem dort um 1772 mit Joseph Hirsch der bisherige Kantor der Gemeinde verstorben war, 385 bemühte sich die Gemeindeleitung um die Approbation Meyer Israels als Nachfolger, eines ursprünglich aus dem Halberstädtischen stammenden Juden, der zuvor in Bernburg als Kantor und Schlachter gearbeitet hatte. 386 Die Kurmärkische Kammer befahl dem Potsdamer Steuerrat Richter jedoch, zunächst in Erfahrung zu bringen, wieviel Porzellan Israel für eine solche Approbation zu exportieren bereit sei. 387 Dieser war lediglich zu einem Kauf im Wert von 10 Rt. bereit und wollte zu mehr „wegen Geringfügigkeit seines Dienstes sich nicht bequemen“, verdiene er doch jährlich höchstens 60 Rt. 388 Das war nun wiederum der Kammer zu wenig, die auf einen Export im Wert von 20 Rt. bestand, 389 worauf die Angelegenheit offenbar einige Monate lang liegenblieb. Erst nach der Grundsatzentscheidung des Generaldirektoriums erfolgte die Approbation durch die Kammer am 22. April 1774. 390 Entgegen anders lautenden Aussagen in der Literatur ist es also zu einem Porzellanexport durch Israel, der bis 1783 Kantor der Potsdamer Gemeinde blieb, offenbar nicht gekommen. 391 Auch die Statistik (siehe Tab. 9) verdeutlicht, daß es nach dem Frühjahr 1774 in der übrigen Kurmark nur noch zu vereinzelten Fällen von Porzellankäufen durch Gemeindebediente kam. Der Export durch Joachim Moses aus Joachimsthal, mit dem dieser die Approbation erhielt, als Totengräber an die Stelle seines verstorbenen Vaters zu treten, 392 ging dabei bereits auf eine Aufforderung der Kammer 384 Resolution des Generaldirektoriums vom 28. Juni 1774, GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 59. Allein in Magdeburg fielen dadurch 5 Rt. und 12 Gr. an. Siehe ebd., Bl. 58. Ob auf diese Weise den Ältesten Kosten von insgesamt 200 Rt. entstanden, wie diese ebd., Bl. 57 befürchteten, kann nicht nachgeprüft werden. 385 Nach Kaelter, S. 73 übte der aus Bromberg stammende Hirsch sein Gemeindeamt von 1768 – 1772 aus und war zugleich „Aufseher in einer Fabrik“. Sein jährliches Gehalt betrug, wie bereits angeführt, 20 Rt. 386 Diese Details gehen aus einem Bericht des Potsdamer Magistrats vom 6. März 1773 hervor. Siehe StA Potsdam, 1 – 3, Nr. 649, Bl. 4 – 7. 387 Kurmärkische Kammer an Steuerrat Richter, Berlin, 18. Februar 1773, ebd., Bl. 2. 388 Bericht des Potsdamer Magistrats vom 6. März 1773, ebd., Bl. 4 –7. 389 Kurmärkische Kammer an Steuerrat Richter, Berlin, 1. Juli 1773, ebd., Bl. 10. 390 Kurmärkische Kammer an Steuerrat Richter, Berlin, 22. April 1774, ebd., Bl. 11. 391 So v. a. Kaelter, S. 23 – 24; hinfällig deshalb auch seine Darstellung ebd., 73, wonach die Königliche Post das Kaufgeld vorgeschossen habe, da Meyer nebenberuflich Postbote gewesen sei. Kaufatteste wurden zudem nicht durch Generalfiskal „d’Arrières“ (!) ausgestellt, sondern durch die KPM-Direktion. Der Darstellung Kaelters folgte auch Arlt, S. 182. 392 Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 89.

VII. Der Porzellanexport bei der Approbation von Gemeindebedienten

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von 1771 zurück und bereitete Moses offenbar drei Jahre lang Schwierigkeiten. So schrieb er im Mai 1775: Diesem Injuncto allergehorsamst zu genügen bin ich eine geraume Zeit zwar theils durch erlittene kränkliche Zufälle, theils dadurch behindert worden, daß ich solcherwegen in Ansehung meiner Etablirung nichts rechts arrangiren, noch mich nach einer convenablen Parthie und Heyrathen umsehen oder das anzukaufende Porcelain auswärts anzubringen suchen können. [...] Und da ich sogleich nach meiner Gottlob erfolgten Restitution und Erlangung eines auswärtigen Abnehmers des Porcellains im Octbr. a. p. Höchstbefohlenermaßen statt 30 Rt. vor 38 Rt., mithin vor 8 Rt. Porcellain mehr als verlanget worden, in der Königl. Fabrique angekaufet und nach Strelitz im Mecklenburgschen, mithin auswärts debitiret habe, so überreiche die diesfällige Beglaubigungs Atteste von der Fabrique und denen Königl. Gräntz Zoll Ämtern originaliter. 393

Ob die übrigen Exporte nach 1774 ebenso wie in diesem Fall auf individuelle Unkenntnis des Direktorialreskripts vom 9. Mai 1774 oder auf dessen Nichtbeachtung durch die jeweilige Kammer zurückgingen, muß indessen offen bleiben. Es verdient zudem Beachtung, daß nach 1779 nur noch zwei Fälle von Exporten durch Gemeindebediente überliefert sind, obwohl das Generaldirektorium am 1. Juni jenes Jahres auch das Dispensationsreskript vom 9. Mai 1774 zunächst aufgehoben hatte. 394 Der Generalfiskal wurde daraufhin von der Behörde am 8. Juni aufgefordert, sein Gutachten darüber abzugeben, „ob auch publique Bediente bei ihrer ohnedem erst neuerlich erforderten hiesigen Approbation zu Übernehmung einer gewissen Quantitaet von Porcellain zu constringiren, da sie Reglementsmäßig gar keinen Handel führen dürfen“ 395 – ein Widerspruch, der also auch dem Generaldirektorium aufgefallen war. Die Kurmärkische Kammer spielte in dieser Phase jedoch, man darf sagen einmal mehr, eine unrühmliche Rolle. Denn nachdem der Frankfurter Steuerrat Gutschmidt Zweifel daran geäußert hatte, ob die Gemeindebedienten künftig tatsächlich für volle 300 Rt. Porzellan exportieren sollten, traten die Berliner Beamten gegenüber dem Generaldirektorium am 18. August 1779 dafür ein, daß „die Judenschaften wegen der publiquen Bedienten in jedem besondern Fall pro Concessione vor 300 Rt. ächtes Porcellain

393

BLHA, Rep. 19, Steuerrat Eberswalde, Nr. 57, dort auch eine Abschrift der KPMQuittung vom 28. Oktober 1774: „Acht und Dreißig Rt. 20 Gr. hat der Jude Joachim Moses aus Joachimsthal bey Gelegenheit allgd. Conservirung der durch Absterben seines Vaters bey dortiger Judenschaft vacant gewordenen Schul Meister Koller und Todten Gräber Stelle für so viel aus hiesiger Königl. Porcellain Manufactur zum auswärtigen Debit erkaufter ächten Porcellaines bestehend in Ein Bunt gemahltes complettes Caffee Service...“ abgenommen. Ob möglicherweise ein verzögerter Export des Porzellans der Grund dafür war, daß sich Moses erst im Mai 1775 meldete, kann lediglich vermutet werden. 394 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 64. 395 Ebd., Bl. 81.

342

G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779) Tabelle 9 Porzellanexporte zur Approbation von Gemeindebedienten

Kaufdatum

Name

Ort

Art der Konzession

14. 05. 1771 31. 03. 1772

Israel Berend Michael Liebmann

Kremmen Mittenwalde

03. 11. 1772 03. 12. 1772 06. 08. 1773 06. 08. 1773 19. 10. 1773 22. 10. 1773

Marcus Moses Moses Israel Juda Jacob Joseph Samuel Samuel Joseph Aaron Levin Isaac

Pyritz Fiddichow Frankfurt / Oder Reppen Halberstadt Bernau

02. 02. 1774 08. 04. 1774 28. 10. 1774

Joseph Jacob Abraham Levi Joachim Moses

Berlin Neustadt / Eberswalde Joachimsthal

31. 01. 1775 12. 03. 1782 31. 03. 1784

Baruch Samuel David Philipp Abel Levin

Reppen Wesel Freienwalde

Approbation als Totengräber Approbation als Koller und Krankenwärter Approbation als Landbedienter Approbation als Totengräber Approbation als Koller 396 Approbation als Krankenwärter 397 Approbation als Fleischhauer Approbation als Totengräber – „Ist auch Sänger“ Approbation als Torsteher Approbation als Kantor Approbation als Schulmeister, Koller und Totengräber Approbation als Torsteher Approbation als Koller Approbation als Totengräber

zum auswärtigen Debit übernehmen“ 398 müßten – eine Forderung, deren Verwirklichung zweifellos zu verheerenden Auswirkungen geführt und in kleineren Städten das Gemeindeleben womöglich zum Erliegen gebracht hätte. Nachdem der Generalfiskal in seinem Gutachten vom 23. Juni 399 die Frage der Gemeindebedienten ausgeklammert hatte, tendierten sowohl Finanzrat Wloemer als auch das Generaldirektorium, das seine Meinung offenbar wiederum geändert hatte, dazu, daß außerordentliche Schutzjuden und „publique Bediente von der Verbindlichkeit der Porcellain Exportation nicht exemt geachtet werden“ 400 könnten. Stattdessen hielt es d’Anières am 18. September jedoch für unstreitig, daß von den publiquen Bedienten, welche a. keine Befugniß zum Handel erhalten b. keine Schutz-Juden sondern blos tolerirte Juden werden, daher sie auch c. kein Schutz Geld erlegen der Porcellain Ankauf nicht gefordert werden könne. 401

Doch bezeichnenderweise wollten in dieser heiklen Frage zunächst weder das Generaldirektorium noch das Generalfiskalat gegenüber dem König die Verant396

Vgl. auch JMFM, PSR B079, S. 25. Allerdings besaß Samuel bereits den Status eines Ordinarius. Er war am 6. März 1763 als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Samuel Liebmann etabliert worden. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12, Bl. 323 –324. 398 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 112. 399 Ebd., Bl. 84 – 88. 400 Marginal Wloemers vom 8. September 1779 ebd., Bl. 112. 401 Ebd., Bl. 118 – 119. 397

VII. Der Porzellanexport bei der Approbation von Gemeindebedienten

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wortung übernehmen. Nachdem das Generaldirektorium seine diesbezüglichen Entscheidungen in Zukunft ganz vom Votum d’Anières’ abhängig zu machen gedachte, 402 hielt es dieser deshalb für notwendig, alleruntertänigst [zu] bitten, mich, wofern ich irrig sein solte, eines bessern zu belehren. Pro praeterito kann es der Manufactur nicht prejudiciren, wenn ich die publique Bediente unter die Restanten bisher nicht aufgeführt, da ich nicht angewiesen bin, sämtliche Reste mit einem Male beizutreiben. 403

Nach nochmaliger Beratung nahm das Generaldirektorium gegenüber dem Generalfiskal am 30. Oktober tatsächlich die Verantwortung für die weitere Dispensation von Gemeindebedienten auf sich. Denn vor dem Hintergrund, daß publique Bediente nicht einmahl das Recht zu ihrer lebenswierigen Tolerirung haben, sondern wegen Untüchtigkeit, schlechter Dienstverwaltung und anderer erheblicher Ursachen halber von den Judengemeinen, welche sie gewählet, abgeschaft werden können und also nur temporaire Tolerantz genießen, hält das General p. Directorium davor, daß Sr. Königl. Majestät Meinung nicht ist, dieselben bei ihrer Bewilligung zur Porcellaine-Exportation anzuhalten. 404

Damit war eine Regelung getroffen worden, an die man sich in den kommenden Jahren nahezu durchgängig hielt. Als beispielsweise Jacob Gerson aus Holten in der Grafschaft Mark im Oktober 1780 als jüdischer Landbote approbiert wurde, hieß es hinsichtlich einer Porzellanausfuhr explizit: „Giebt als publiquer Bedienter nichts.“ 405 Die Hintergründe der Exporte von David Philipp aus Wesel (1782) und Abel Levin aus Freienwalde (1784) sind unklar. Wenn ferner in einer Generaltabelle aus dem Jahr 1787 zu lesen ist, daß Isaac Michel aus Bleicherode in der Grafschaft Hohenstein seine Konzession als Schulmeister wegen nicht erfolgter Porzellanabnahme wieder abgenommen worden sei, 406 so sind Zweifel an diesem Eintrag angebracht. Nach den Aufzeichnungen des Generalfiskals war Michel le402 Generaldirektorium an Generalfiskal d’Anières, Berlin, 28. September 1779, ebd., Bl. 121. Am selben Tag erging an die Kurmärkische Kammer auf deren Anfrage vom 18. August der Bescheid, daß „in Ansehung der publiquen Bedienten, obgleich der General Fiscal p. d’Anieres, dessen Gutachten darüber erfordert worden, der Meinung ist, daß für diese kein Porcellaine genommen werden darf, in jedem Falle, wenn derselbe zuvor attestiren wird, daß in Ansehung der Ansetzung des publiquen Bedienten alles berichtiget worden, darnach sodann die deshalbige Expeditiones aus der geheimen Cantzley des General p. Directorii verabfolget werden sollen.“ Siehe ebd., Bl. 121 –122. 403 Generalfiskal d’Anières an das Generaldirektorium, Berlin, 17. Oktober 1779, ebd., Bl. 124 – 125. 404 Ebd., Bl. 126 – 127. 405 MA, I, Nr. 3, Bl. 46. Aufgabe des Judenlandboten war es, die obrigkeitlichen Anordnungen sowie die Bekanntmachungen der Judenältesten in den einzelnen Gemeinden zu veröffentlichen. Siehe Maser, S. 78. 406 Siehe die „General-Tabelle der in der Grafschaft Hohenstein vorhandenen Juden“ für das Jahr 1787 in: GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12, Bl. 288 –293, hier: Bl. 290 – 291.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

diglich bis 1774 als Schulmeister tätig, 407 dem Jahr, in dem er als Extraordinarius angesetzt wurde. Wie aus einer Beschwerde Michels vom September 1788 über eine von ihm geforderte Nachschußakzise 408 hervorgeht, betrieb er zudem noch in den 80er und 90er Jahren zwischen Berlin und der Grafschaft Hohenstein einen umfangreichen Handel mit Leinwand 409 und Flachs, der von den Textilarbeitern seiner Heimat 410 dringend benötigt wurde. 411 Insofern muß offenbleiben, ob der nicht erfolgte Porzellanexport wirklich der ausschlaggebende Grund für den Entzug seiner Konzession als Schulmeister war oder ob Michel sein Metier in einem sozialen Aufstiegsprozeß nicht eher selbständig gewechselt hatte. Allerdings hät407

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 58. Michel war beileibe nicht der einzige Verleger, der sich 1788 über die neu eingeführte Nachschußakzise beschwerte, die von allen inländischen Manufakturwaren beim Import in ihren Zielort erhoben wurde und 4 Pf. je Rt. Warenwert betrug. Die Maßnahme gehörte zu den durch den königlichen Intimus Woellner und den Chef des Fabrikendepartements von Werder nach dem Thronwechsel von 1786 eingeführten wirtschaftspolitischen Veränderungen, die sich bald als schädlich erwiesen und deshalb wieder aufgehoben wurden – im Falle der Nachschußakzise durch Kabinettsordre vom 2. September 1792. Siehe dazu Straubel, Struensee, S. 261 – 263. 409 In der Beschwerde vom 10. September 1788 schreibt Michel: „Schon seit 17 Jahren habe ich einen für hiesige Stadt ausgebreiteten Handel betrieben [zumindest in den ersten drei Jahren war er noch als Schulmeister angesetzt!], habe meine sämtlichen Waaren aus Preußischen Fabriquen genommen, wofür ich eine ansehnliche Summe an Accise jährlich bezahlet habe und bin noch gegenwärtig entschlossen, der für hiesige Grafschaft Hohnstein zugestandenen Handlungs-Freyheit ohnerachtet, meinen Handel mit Preußischen FabriqueWaaren ferner fortzusetzen, und der jährliche Umsatz, welchen ich mit dergleichen Waaren zu machen gedencke, kann sich auf 2.000 Rt. belaufen.“ GStA PK, II. HA, Generalakziseund Zolldepartement, B IX, Tit. XI, Sekt. 1, Nr. 9. 410 Zum hohen Entwicklungsniveau des Textilgewerbes in der Grafschaft Hohenstein siehe Straubel, Magdeburg und Halberstadt; Ders., Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 288 – 289. 411 Sein vom Wernigeroder Steuerrat Scheller unterstütztes Gesuch um einen Paß zum Flachshandel begründete Michel im Dezember 1794 folgendermaßen: „... daß ich mit eben dem Flachse, so [ich] an hiesige Unterthanen auf den platten Lande verhandele, viele Geschäfte mache, denn weil der Flachs nun seit einigen Jahren [in] hiesiger Gegend fast gar nicht gerathen und auch überhaupt nicht hinlänglich, daß die starcke linnen Fabrication in hiesiger Provinz damit bestritten werden könnte, so wäre denen hiesigen Unterthanen dadurch nicht geringer Schaden erwachsen, wenn ich keinen Flachs von Boelitz [Beelitz] und Dreyenpriezen [Treuenbrietzen] bekommen könne, indem viele Unterthanen hiesiger Provinz, sowohl Leiner aber als Spinner, ihre Arbeit nicht haben würden, sondern ledig gehen müßten, weil vorzüglich dieses Jahr der Flachs in gar vielen Gegenden hiesiger Nachbarschaft auch nicht gerathen ist.“ Wie schon 1788 finden sich auch hier Hinweise auf Michels Handel mit Berliner Fabrikwaren. Siehe LHASA, Rep. A 19 e, Tit. VII, Nr. 43, Bl. 2. Bleicherode zählte im 18. Jahrhundert neben Halberstadt, Aschersleben, Osterwieck und Ermsleben zu den Zentren des exportorientierten Textilgewerbes im Fürstentum Halberstadt. Bezogen auf das Jahr 1796 kamen auf 1.877 Einwohner 158 Webstühle – eine außerordentlich hohe Dichte. Siehe dazu Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 74 – 75, 77. Zur großen Bedeutung des Treuenbrietzener Textilgewerbes äußerte sich bereits Nicolai, Beschreibung einer Reise, Bd. 1, Beilage, S. 25 –26. 408

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te er für seinen 1774 erfolgten rechtlichen Aufstieg spätestens nach 1779 zum Zwangskauf bei der KPM herangezogen werden müssen. Hinzuweisen bleibt abschließend auf einen weiteren Sonderfall, nämlich die Heirat eines publiquen Bedienten mit einer ausländischen Jüdin. Anders als bei ordentlichen Schutzjuden, die in diesem Falle auch für die Konzession zur zweiten Ehe noch einmal einen Porzellanexport zu übernehmen hatten, 412 war in diesem Fall ausschlaggebend, daß der Frau aus ihrer Ehe kein Schutzrecht erwuchs. Als der am 6. Juli 1774 in Berlin als Oberkantor der jüdischen Gemeinde approbierte Aaron Beer (1739 – 1821), in seinem Gesang übrigens ungeheuer melodienreich und „eine Lichtgestalt jüdischer Kantoren im 18. Jahrhundert“, 413 dessen erste Frau 1780 gestorben war, im Folgejahr beabsichtigte, eine Jüdin aus Hamburg zu heiraten, wurde er deshalb von dem zunächst mit Reskript vom 28. April 1781 geforderten Porzellanexport im Wert von 300 Rt. dispensiert und erhielt seine Konzession am 18. Juli. 414 Ebenso entschied das Generaldirektorium 1785 im Falle des Krefelder Totengräbers Selig Samuel, der beabsichtigte, die ausländische Jüdin Serge Nathan zu heiraten. Allerdings waren jüdische Gemeinden im Einzelfall nicht nur bei Approbationen für Gemeindebediente zumindest indirekt vom „Judenporzellan“ betroffen. Mitunter wurde auch die Gemeinde als solche zu Exporten herangezogen.

VIII. Porzellanexporte durch jüdische Gemeinden 1. Vorbemerkung Auf die Porzellankäufe der jüdischen Gemeinden von Eberswalde und Freienwalde (1774 und 1784), die jeweils mit Approbationen für publique Bediente zusammenhingen, wurde im vorangegangenen Kapitel bereits hingewiesen. Doch sollte im Einzelfall auch die Konzessionierung von Häusern im Gemeindebesitz dazu führen, daß vom Generaldirektorium die Forderung einer Porzellanausfuhr erhoben wurde. 415 Diese Möglichkeit wurde offenbar erstmals im Januar 1770 durch den Minister von Hagen in einem Konzessionsverfahren des in Halle (Grafschaft Ravensberg) in bescheidenen Umständen lebenden Schlachters und Viehhändlers Amschel Levi 416 ins Spiel gebracht. Obwohl sich das aus einer Scheune hervorgegangene Haus bereits seit 1718 in Familienbesitz befand, 417 wollte Hagen auch 412

Vgl. die Ausführungen zur Konzessionsvergabe nach 1779 in Kap. H. IV. Zitiert nach Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 170. 414 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 47. Es findet sich jedoch kein Hinweis auf diese zweite Ehe Beers bei Jacobson, Jüdische Trauungen. 415 Dabei waren durch Reskript vom 8. März 1770 Gemeindeimmobilien eigentlich von der Konzessionierungspflicht ausgenommen worden. Siehe Terlinden, S. 150. 413

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hier von einer Dispensation nichts wissen und forderte, es müsse „allenfalls zu sothanem Porcellain die gantze Judenschaft concurriren, weil dieselbe in diesem Hause ihre Schule hat“. 418 Wenngleich Levi bzw. sein Schwiegersohn Raphael Abraham den Porzellanexport schließlich selbst bewerkstelligt zu haben scheinen, 419 so war es im Einzelfall eben jene Konzessionierung von Immobilienbesitz, die den Hintergrund für einige Exporte durch ganze jüdische Gemeinden bildete. Lediglich im ersten der hier vorzustellenden Porzellankäufe spiegelt sich so etwas wie „große Politik“ – und deshalb ist bei seiner Darstellung etwas weiter auszuholen. 2. Der Erwerb Westpreußens und die Judenschaft in den Danziger Vorstädten Neben Sachsen und Schwedisch-Pommern zählte Polnisch-Preußen zu den Provinzen, deren mögliche Erwerbung Friedrich der Große im Testament von 1750 seinen Nachfolgern als „Politische Träumereien“ durch das „Recht der schicklichen Gelegenheit“ im Auge zu behalten empfahl. 420 Daß aus der Träumerei bereits zu Lebzeiten Friedrichs Wirklichkeit wurde, verdankte sich letztlich der Selbstbehauptung Preußens im Siebenjährigen Krieg, womit man etwas erreicht hatte, was auf Dauer gesehen wichtiger sein sollte als kurzfristige territoriale Gewinne: den Aufstieg in die sich herausbildende Pentarchie der europäischen Großmächte. Denn in einer Zeit, in der die Diplomatie zusehends von einem Esprit de Partage erfaßt wurde, war dieses „Dazugehören“ von mitunter existentieller Bedeutung. Erfahren sollte dies vor allem Polen, das zu den Ländern gehörte, die nicht am Tisch saßen. Es ist hier nicht der Ort, Vorgeschichte, Verlauf und Bedeutung des bis dahin in Europa einzigartigen Vorgangs der polnischen Teilungen darzulegen. 421 Entscheidend ist im vorliegenden Kontext vor allem die Tatsache, daß Friedrich im 416 Seine berufliche Tätigkeit geht aus der Hallenser Steuer-Fixationsliste von 1767 hervor: „Jude Amsel Levi, handelt – schlachtet.“ Sein Haushalt umfaßte neun Personen. Zitiert nach Meise, S. 175. 417 Aus der Generaltabelle von 1765: “[Levi] hat solches [Haus] von dem Amtmann Schultzen in ao. 1718 erbl. gekauft.“ Zitiert nach Stern, Bd. III/2, S. 766. 418 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 315, Bl. 212. Levi hatte im Vorfeld betont, daß die Gemeinde ein anderes Haus als Synagoge nicht anmieten könne. Denn in der Tat war die Wohnungssituation in Halle offenbar recht angespannt. Während sich die Einwohnerzahl Halles von 1692 bis 1767 von 450 auf 687 Personen erhöht hatte, stieg die Zahl der Häuser im gleichen Zeitraum nur von 91 auf 110. Siehe Meise, S. 70 –72. Zur Weihe einer eigenen Synagoge (Schul) kam es in Halle erst im Jahre 1859. Siehe Beckmann, Lübbecke und Halle, S. 169 – 171. 419 Vgl. die Exporte Nr. 0055, 0685 und 0882 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 420 Siehe Dietrich, S. 372 – 375. 421 Verwiesen sei auf Müller, Teilungen Polens; vgl. Zernack.

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Rahmen der ersten Teilung (1772) mit dem Erwerb Westpreußens, also des Fürstbistums Ermland 422 sowie der Wojewodschaften Kulm, Marienburg und Pomerellen und zudem des Netzedistrikts (insgesamt rund 520.000 Einwohner) den Staat nicht lediglich arrondierte, sondern auch die lang ersehnte Landbrücke zwischen Pommern und Ostpreußen herstellte. Darüber hinaus geriet nun eine Judenschaft von bislang unbekannter zahlenmäßiger Stärke unter das Szepter der Hohenzollern: allein im Netzedistrikt 16.000 (und damit rund 10 % der Gesamtbevölkerung) sowie im übrigen Westpreußen weitere 3.600 Personen und damit zugleich „eine der preußischen Verwaltung völlig unbekannte religiöse und sozioökonomische Struktur“. Hierdurch erhöhte sich die Zahl der insgesamt in Preußen lebenden Juden um etwa 50 %. 423 Während das Ermland dem Königsberger Kammerbezirk einverleibt und der Netzedistrikt zunächst der Sonderverwaltung Brenckenhoffs und schließlich seit Juni 1775 der Kammerdeputation Bromberg unterstellt wurde, übernahm die Administration des restlichen, in Westpreußen umbenannten Gebiets die neu eingerichtete Kriegs- und Domänenkammer in Marienwerder. Gemeinsam mit den Kammern in Königsberg und Gumbinnen wurde sie dem Oberpräsidium Johann Friedrich von Domhardts (1712 – 1781) unterstellt. 424 In allen drei Teilungsgebieten, darauf wurde bereits hingewiesen, war der Herrschaftswechsel für die Juden mit zum Teil einschneidenden Änderungen verbunden. So verlieh Katharina II. den rund 200.000 Juden des russischen Teilungsgebietes zwar ausgesprochen großzügige Rechte im Rahmen der städtischen Selbstverwaltung, befahl jedoch zugleich eine mit großen Härten verbundene Zwangsumsiedlung tausender von Juden vom Land in die Städte. 425 Im österreichischen Teilungs422 An dieser Stelle sei auf die besondere Verfassung der Juden im Ermland hingewiesen, wo sich die beiden bischöflichen Schutzjuden in Heilsberg niedergelassen hatten. Wie die Königsberger Kammer dem Generalfiskal am 12. Mai 1774 berichtete, befänden sich dort lediglich die Brüder Aaron und Moses Hirsch, die „von dem Hochseeligen Fürst Bischoff von Grabowski [reg. 1741 – 1766] zwar kein eigentliches Schutz-Privilegium, jedoch eine schriftliche Concession, mit seidenen und andern Waaren im Fürstenthum Ermeland handlen zu dörfen“, erhalten hatten. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 52. Dennoch mußten sie im Juli 1774 gemeinsam für 300 Rt. Porzellan exportieren und 100 Rt. zur Chargenkasse entrichten für die „Erlaubnis zum Handel mit einländischen Fabriquen-, besonders seidenen, halbseidenen und wollenen Waaren, auch die nöthigen publiquen Bedienten zu ihrem Gottesdienste halten zu dürfen“. Siehe Export Nr. 0268 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232); vgl. die von Friedrich durch die Marginalresolution „guht“ gebilligte Kabinettsvorlage vom 30. Mai 1774 in GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4705, Bl. 23. Nach Sommerfeld, Juden im Ermland, S. 44 – 45 stammten die Gebrüder Hirsch ursprünglich aus Danzig und hatten den bischöflichen Schutzbrief am 6. Februar 1751 erhalten. 423 Zitat und Zahlen nach Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 423 –424. Murawski, S. 27 – 28 nennt auf geringerer empirischer Grundlage 11.000 bzw. 3.000. Siehe ferner Aschkewitz, Juden in Westpreußen; Bär, Westpreußen, Bd. 1, S. 420 – 439. 424 Angaben nach Bär, Behördenverfassung in Westpreußen, Bd. 1, S. 85 –113; Joachim, Domhardt, S. 121 – 142. 425 Greenberg, Bd. 1, S. 8; Pipes; Klier.

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gebiet, das als „Königreich Galizien und Lodomerien“ in die Habsburgermonarchie eingegliedert wurde, lebten schätzungsweise 140.000 bis 225.000 Juden. 426 Bereits zur Zeit seiner Mitregentschaft, zu Beginn der 70er Jahre, soll Joseph II., dessen Name im Rahmen der jüdischen Geschichte vor allem im Zusammenhang seiner späteren Toleranzgesetzgebung in Erinnerung geblieben ist, kurzfristig erwogen haben, überhaupt zwei Drittel aller galizischen Juden auszuweisen. 427 Nach der Annexion begannen die Österreicher denn auch, zahlreiche Betteljuden nach Polen abzuschieben, so allein 1.192 Personen zwischen September 1781 und Ende 1782. Parallel dazu wurden unzählige jüdische Schankwirte und Schnapsbrenner im Zuge des obrigkeitlichen Kampfes gegen die Trunksucht auf dem Lande aus ihrem angestammten Gewerbe verdrängt und bildeten ein wachsendes Reservoir für Vaganten und Räuberbanden. 428 Im Zuge dieses „schlecht geplanten Berufsumschichtungsexperiments“ 429 kam es zwischen 1781 und 1784 zur „Abschaffung“ von rund 2.000 Juden aus Galizien. Der österreichische Aufklärer Franz Kratter (1758 – 1830) beschreibt in seinen 1786 in Leipzig erschienenen Briefen über den itzigen Zustand von Galizien die Ausweisung verarmter Juden aus Lemberg: Wie ich floh, verfolgte mich ein vollstimmiges, gräßlich gellendes Jammern, Gewinsel, Angstgewimmer, Ach- und Wehgeschrei von Greisen, Witwen, Müttern, unmündigen Kindern undsoweiter. Aber keine Barmherzigkeit! Hinüber mit ihnen über die Grenze. Ich hörte dann in der Folge, daß die Inwohner der polnischen Grenze, um nicht mit bresthaften, elenden, von Not, Hunger, Nässe und Witterung halb zu Grund gerichteten Bettlern belästigt zu werden, mit Gewehren in sie geschossen, mit Prügeln auf sie zugeschlagen, und beinahe die Hälfte davon vertilgt haben. Die andere Hälfte fraß in kurzer Zeit das verlassene, hilflose Elend auf. In einem Kreise wurden einmal gegen zwanzig Wägen mit Juden beladen. Es war im strengsten Winter. Das Rad knarrte auf der beeisten Straße. Der schneidende Nordwind wütete. Viele von den Juden waren kaum zur Hälfte bedeckt. Aber hinüber mit ihnen über die Grenze! Sie sind keine Menschen! Was für barbarische Mißhandlungen! Ist der Staat dem Juden weniger schuldig als dem Christen? Die Sonne geht über dem einen auf wie über dem andern! Weil der Mensch Jude ist, soll er nicht Mensch sein, soll keine Freistätte, kein Vaterland, keine Sicherheit haben? Was für auffallende, die Menschheit und Majestät gleich entehrende Widersprüche in der Gesetzgebung! Wie soll der Jude Bürger im Herzen sein können, wenn das Vaterland aufhört, gegen ihn Vaterland zu sein? 430

Durchaus Vergleichbares spielte sich in jenen Jahren in den preußischen Teilungsgebieten ab. In einer Bittschrift der Judenältesten des Netzedistrikts vom 22. April 1791 heißt es:

426 427 428 429 430

Häusler, S. 18 –19. Karniel, Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., S. 105 –106. Ebd., S. 438 – 444. Häusler, S. 36. Zitiert nach ebd., S. 26.

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Unser hartes Schicksal fängt von dem Zeitpunct an, da des Hochseeligen Königs Friedrich II. Majestät, Westpreussen nebst dem Netz-Distrikte von Pohlen acquirirte, und besteht nicht allein, in dem fast gäntzlichen Verlust aller unserer Jahrhunderte lang genossener, und sämtlich titulo oneroso erhaltener Freiheiten, sondern auch in einer der grausamsten Verfolgungen die je Menschen gegen Menschen ausgeübt haben, da nemlich mehrere Hundert unschuldige Juden Familien von Haus und Hof vertrieben, und mit executivischer Gewalt, gleich den grössten Übelthätern über die Gräntze gebracht worden sind. 431

Dabei müssen auch in Westpreußen, das nach dem Willen Friedrichs zu einer „Musterprovinz“ 432 gemacht werden und für die Staatskasse jährliche Reinerträge von rund sechs Millionen Reichstalern abwerfen sollte, die bald eingeleiteten judenpolitischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der merkantilistischen Wirtschaftspolitik betrachtet werden. Diese Bemühungen sind anderen Orts bereits dargestellt worden und sollen deshalb an dieser Stelle nicht im Detail referiert werden. So muß nach Ansicht Bömelburgs die wirtschaftliche Integration der bislang auf den polnischen Transithandel angelegten Provinz in die Monarchie als zumindest teilweise gescheitert gelten. 433 Für kaum zu überwindende Probleme sorgten dabei vor allem die hohen Zollbarrieren, die das Land von seinen bisherigen Handelszentren Danzig und Thorn abgeschnitten und die durch die mit großem Aufwand geförderten regionalen Zentren Graudenz und Bromberg nicht adäquat ersetzt werden konnten. Nicht minder einschneidend wirkte sich der Versuch aus, die preußische Akzise- und Gewerbeordnung auf Westpreußen zu übertragen, was auf eine rigide Bekämpfung des vor allem auf Starosteigütern in Form von regelrechten Kolonien (auch von Juden) betriebenen Landhandwerks hinauslief. Die geplanten Umsiedlungsmaßnahmen von Handwerkern in die Städte sorgten jedoch nicht nur für Probleme mit den dortigen Zünften, in die die Neuankömmlinge keine Aufnahme fanden, sondern beschworen auch Konflikte mit dem Landadel herauf, der um Einnahmen in beträchtlicher Höhe bangte. Insgesamt sollen von diesen Maßnahmen bis Mitte der 70er Jahre im Kammerdepartement Marienwerder, wo die Juden anders als im Netzedistrikt mehrheitlich 431 Zitiert nach Toury, Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum (Dokumentation), S. 344. Walther Hubatsch pries den 1772 in Westpreußen einsetzenden „großartigen Rationalisierungsprozeß“ mit seiner „unverkennbaren Rechtssicherheit und zunehmenden Wohlstandsmehrung“ im Zuge der „aufgeklärten Regierungsmaßnahmen“, ohne über die Vertreibung unzähliger Judenfamilien auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Siehe Ders.: Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, S. 180 –189. Nur zu unterstreichen bleibt, was neuerlich Jehle, S. 43 betonte: „But the contrary situation emerged in occupied Poland after 1772: the focus was now on the elimination of the legally protected status of the Jewish communities.“ Warum übrigens Bringmann, der im allgemeinen zu einer kritischen Bewertung der friderizianischen Judenpolitik gelangt, unlängst behauptete, es sei zu keinen Vertreibungen gekommen, bleibt unerfindlich. Siehe Bringmann, S. 224. 432 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 289. 433 Die folgenden Ausführungen orientieren sich weitgehend an Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 289 – 310.

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auf dem Land lebten, 434 rund 2.000 Juden betroffen gewesen sein, die als „Manövriermasse in den Händen einer absolutistischen Bürokratie“ 435 vornehmlich in die Städte Landeck, Hammerstein, Schlochau und Gollub verpflanzt wurden, was dort wiederum die Konflikte mit Händlern und Handwerkern verschärfte. 436 Bei diesen jüdischen Umsiedlern handelte es sich jedoch lediglich um diejenigen, die ein Vermögen von zumindest 1.000 Rt. hatten nachweisen können. Denn der König hatte Domhardt am 7. Juni 1772 befohlen: Die Bettel-Juden vom platten Lande so wohl als aus denen Städten müssen jedoch successive und ohne Ungestüm weggeschaffet, vermögende und commerciirende Juden aber mit Schutz-Briefen, die sie gehörig nachsuchen und lösen müssen, beibehalten und besonders in denen kleinen Städten längst der Netze zu Betreibung des Handels nach Polen angewiesen werden. 437

Da für die Definition, was ein Betteljude sei, das Generalreglement von 1750 herangezogen wurde, wären in diese Kategorie all jene Juden gefallen, die nicht in der Lage waren, den Besitz von 1.000 Rt. nachzuweisen. Nach den Schätzungen Bömelburgs hätte demnach die konsequente Umsetzung dieses Befehls die Vertreibung von rund 18.000 Juden aus Westpreußen nach sich gezogen. 438 Die ältere Forschung begnügte sich vielfach damit, sich den Wortlaut der königlichen Edikte zu eigen zu machen, und betonte, daß nur diejenigen 4.000 Juden ausgewiesen worden seien, die „bettelnd oder das Landvolk bestehlend“ im Netzedistrikt umhergezogen seien. 439 Die Zahl der zwischen 1774 und 1785 aus dem Netzedistrikt vertriebenen Juden wird mittlerweile hingegen auf 3.000 – 9.000 geschätzt, wobei der Mittelwert von rund 6.000 als wahrscheinlich anzusehen ist. 440 Es ist nicht die Aufgabe der vorliegenden Arbeit, diese Umsiedlungs- und Vertreibungsprozesse einer nochmaligen Untersuchung zu unterziehen. 441 Sofern sie sich jedoch im Kontext des Porzellanexportzwangs niederschlugen, wird auf sie noch zurückzukommen sein. 442 Aus der Perspektive der KPM erwies sich das Avancement ihres Besitzers vom König in zum König von Preußen 443 jedoch zunächst vor allem aufgrund der 434 Vgl. Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 421, wonach im Netzedistrikt rund 90 % der Juden in den Städten lebte. 435 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 430; vgl. ferner Rautenberg, S. 60. 436 Am Beispiel Dobrins geschildert bei Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 436 – 438. 437 Abgedruckt ebd., Bd. 2, S. 46 – 49, hier S. 49; dort zahlreiche weitere Instruktionen in Judensachen, die hier nicht einzeln nachgewiesen werden können. 438 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 425. 439 So Meyer, Friedrich der Große und der Netzedistrikt, S. 50. 440 Stern, Bd. III/1, S. 99; Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 439; Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 441. 441 Ebd., S. 422 – 445. 442 Vgl. Kap. H. VI.

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besonderen Situation vor den Toren Danzigs als lukrativ. Friedrich selbst hatte seinem Nachfolger bereits 1768, im zweiten politischen Testament, mit auf den Weg gegeben: „Wer den Weichsellauf und Danzig beherrscht, ist mehr Herr des Landes als der König, der es regiert.“ 444 Mit dieser Bemerkung bezog sich der König auf die Tatsache, daß rund 80% des polnischen Außenhandels durch das Königliche Preußen, insbesondere über die Weichsel liefen. 445 Um allzu starken außenpolitischen Widerständen auszuweichen, könne man deshalb die Provinz, so fuhr Friedrich fort, nur in der Art „gewinnen, wie man eine Artischocke ißt, Blatt für Blatt. [...] Danzig müßte man bis zum Schluß der Unternehmung aufheben.“ 446 In der Tat fiel Danzig erst 1793 an Preußen. Doch wenn Friedrich die in Sichtweite daliegende Handelsmetropole vorläufig auch nicht besitzen konnte, so sollte sie immerhin wirtschaftlich bekämpft werden. 447 Eine entscheidende Rolle bei der angestrebten Abschnürung Danzigs von seinen Handelsverbindungen spielte dabei neben Zollschikanen an der Weichsel 448 vor allem die Vereinigung der nun auf preußischem Gebiet liegenden Vorstädte Stolzenberg, Alt-Schottland, St. Albrecht und Schiedlitz, die gemeinsam 1773 zur Stadt Stolzenberg erhoben wurden, die den Handel von Danzig abziehen sollte und 1773 rund 9.600 Einwohner zählte. 449 Die KPM kam bei alldem deshalb ins Spiel, weil die Rolle von Juden bei dieser letzten Endes wenig erfolgreichen Kunstschöpfung eine außerordentlich große war, zählten doch zu diesen Einwohnern auch rund 1.250 Juden, 450 die sich in den Vorstädten Danzigs, das selbst keine Juden duldete, bereits seit dem Zweiten Thorner Frieden (1466) unter der Oberhoheit der Bischöfe von Kujawien, der Äbte von Pelplin sowie polnischer Grafen angesiedelt hatten. 451 Nachdem den dortigen Juden durch die in Marienwerder neu eingerichtete Westpreußische Kammer bekanntgemacht worden war, daß zukünftig jede Fami443

Mit Rücksicht auf das „Preußen königlich polnischen Anteils“, das spätere Westpreußen, hatte sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. am 18. Januar 1701 in der Königsberger Schloßkappelle die Krone lediglich als König in Preußen eigenhändig aufs Haupt gesetzt. Der Wechsel in der Titulatur erfolgte erst 1772. Anstelle weiterer Literatur sei hier lediglich verwiesen auf Baumgart, Ein neuer König. 444 Dietrich, S. 655. 445 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 199. 446 Dietrich, S. 665. 447 Zum preußischen „Kampf gegen Danzig“ siehe A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 459 –487. 448 Bereits 1765 hatte Friedrich im Rahmen der Streitigkeiten um neue polnische Generalzolltarife auf dem bei Marienwerder bis an das Weichselufer heranreichenden preußischen Territorium eine Zollstation errichtet, wo von sämtlichen Schiffen ein Repressivzoll von 10 –33 % erhoben wurde. Siehe Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 197. 449 Damus, S. 79; Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 415 –419. 450 Damus, S. 81. Gegen Danzig gerichtete Erwägungen schwangen bereits in dem nicht verwirklichten Plan aus den 1750er Jahren mit, in Ostpommern die „Judenstadt“ Leba zu errichten. Siehe Lordick. 451 Echt, S. 17; vgl. Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 425 –428.

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lie 10 Rt. Schutzgeld und 1 Rt. 10 Gr. an die Akzisekasse zu zahlen hätte, verfaßte die „Judenschaft in Schottland auf dem hohen Bruch bey Danzig“ am 10. November 1772 eine Supplik, mit der sie Einfluß auf ihre zukünftige Verfassung zu gewinnen hoffte. Darin heißt es: Unser Handel allhier ist an und vor sich sehr geringe. Da wir bishero niemalen von unsern Waaren einige Abgaben entrichten dürfen [d. h. müssen], haben wir durch diesen Vortheil den fremden Käufern in Danzig wohlfeilere Preisen geben können und dieselbe an uns gezogen, wodurch wir den Danzigern großen Abbruch gethan. Unsere Armen unterstützen uns hierbey durch ihren unermüdlichen Fleiß, diese fremde Käufer in Danzig zu debauchiren, wodurch sie sich auch ehrlich ernähren. 452

Doch stehe nun zu befürchten, daß „diese Avantage bey der festgesetzten neuen Anordnung“ sich vermindere. Man bat deshalb um ein Schutzprivileg für die Gemeinde, wogegen man zusagte, nicht nur für die Summe von 1.000 Rt. Porzellan zu exportieren, sondern auch ganz allgemein den Absatz preußischer Manufakturwaren „bestmöglichst“ fördern zu wollen. 453 Danzig schaden und zudem große Mengen an Berliner Porzellan exportieren – offensichtlich hatte es sich in den neuerdings preußischen Gebieten bereits herumgesprochen, welche Argumente beim König Aussicht auf Erfolg versprachen, zumal dieser auf den Handelsplatz Danzig große Hoffnungen setzte und den dortigen preußischen Gesandten bereits im Mai 1767 angewiesen hatte, wegen der Verdrängung des Meißener Porzellans aus Danzig mit dortigen Kaufleuten Kontakt aufzunehmen. 454 Und in der Tat, die Bittschrift fand bei Friedrich „ein sehr geneigtes Ohr“, 455 so daß dieser sich mit den von der Judenschaft angebotenen Konditionen einverstanden erklärte und das Generaldirektorium knappe drei Wochen später mit der Aufnahme der Verhandlungen und der Konzeption eines entsprechenden Privilegs für die 224 Familien umfassende Judenschaft beauftragte. 456 Dieses Dokument konnte dem

452 Dieses und das folgende Zitat: GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 7; vgl. Stern, Bd. III/3, S. 1482 –1483. 453 Bei Aschkewitz, Geschichte der Juden in Westpreußen, S. 40 werden aus den „Einländischen Fabriquen-Waaren“ des Bittgesuchs „ermländische“ Erzeugnisse, ebenso bei Echt, S. 23. Bei der Kammer in Marienwerder war man in einem Bericht vom März 1773 hinsichtlich des Handels der Juden in den Danziger Vorstädten allerdings der Meinung, es „dürfte wohl der Schleichhandel eine Haupteigenschaft ihres Commercii gewesen sein“. Zitiert nach Damus, S. 82. 454 A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 279; so spielten die Erzeugnisse der KPM auch im langjährigen Handelskrieg zwischen Preußen und Danzig eine gewisse Rolle. Noch im Vorfeld der Handelskonvention von 1785 forderten die preußischen Emissäre, folgendes Fürstengut vom Danziger Zoll auszunehmen: „... le sel cuit, le fer, le Tabac, la porcellaine, les besoins de son armée et les sels de la Compagnie maritime de Prusse“. Zitiert nach Damus, S. 126. 455 Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 422. 456 Kabinettsdekretschreiben für das Generaldirektorium, Potsdam, 28. November 1772, GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 5.

VIII. Porzellanexporte durch jüdische Gemeinden

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König denn auch nach einem knappen Jahr, am 9. August 1773, zur Vollziehung vorgelegt werden. 457 Der Kauf des Porzellans, für den der Berliner Judenälteste Jacob Moses, der sich in jenen Jahren vielfach für seine westpreußischen Glaubensgenossen einsetzte, 458 eine Haftungserklärung abgegeben hatte, 459 erfolgte am 30. September – über Lauenburg erreichten die vier Kisten am 26. Oktober schließlich die preußische Zollstation Langfuhr vor den Toren Danzigs. 460 Ob die Kisten, nachdem sie auch dieser Wachtposten durchgewunken hatte, schließlich einmal mehr bei Rottenburg & Uphagen landeten 461 oder ob sich schließlich ein anderer Käufer fand – darüber schweigen die Akten. Daß der zwangsweise Porzellanexport jedoch auch von denjenigen Juden, die unmittelbar vor den Toren Danzigs lebten, als überaus lästig empfunden wurde, geht aus der Offerte hervor, noch einmal für 966 Rt. Porzellan zu exportieren, wenn man bei der Vergabe zukünftiger Konzessionen 462 vom Abnahmezwang verschont bleibe – ein Vorschlag, der jedoch am Einspruch von Generalfiskal d’Anières scheiterte: In 30 Jahren gehet eine Generation ab, nimmt man auch nur an, daß ein jeder sich anzusetzende Jude für 30 Rt. Porcelain nimmt und ebensoviel für eine Hausconcession und für andere Dispensationes oder Specialconcessiones erhoben wird, so können in 30 Jahren gantz leicht für 1.500 Rt. Porcelain oder alle 20 Jahre für 1.000 Rt. durch die dortige Judenschaft debitirt werden, eine immerwährende jährliche Revenue von 50 Rt. für weniger als 1000 Rt. zu verkaufen finde ich dem Interesse der Fabrique nicht zuträglich. 463 457 Siehe das Privileg in GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 52, Bl. 25 –48. Für die Ausfertigung hatte die jüdische Gemeinde trotz ihrer Proteste zusätzlich 150 Rt. zur Chargen-, 50 Rt. zur Stempelkasse sowie 50 Rt. an Kanzleigebühren zu entrichten. Resolution des Generaldirektoriums, Berlin, 12. Oktober 1773, GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 193; vgl. die knappen Ausführungen bei Aschkewitz, Geschichte der Juden in Westpreußen, S. 40 –41. 458 So etwa im Zusammenhang der Vertreibung von Juden aus dem Netzedistrikt. Siehe Echt, S. 27. 1775 wurde Moses durch Minister von Massow zum „Bevollmächtigten der Judenschaft in den Distrikten an der Netze“ ernannt, um die „Gerechtsame der westpreußischen Judenschaft“ wahrzunehmen. Siehe Stern, Bd. III/1, S. 284 –286. 459 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 199. 460 KPM-Quittung und Zollbescheinigung ebd., Bl. 212. 461 Zu diesem Handelshaus, das mehrfach als Abnehmer von „Judenporzellan“ in den Akten auftaucht, siehe Kap. G.IX. 462 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß mit der Erteilung derartiger Reglements die Pflicht zur Einholung individueller Schutzbriefe keineswegs erlosch. Siehe auch Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 446. 463 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 1, Bd. 1, Bl. 65 – 73, hier: Bl. 71 – 72. Auch die Kammer in Marienwerder kam am 11. März 1773 zum gleichen Ergebnis. So sei statt der offerierten Einmalzahlung „eine fixirte Quantitaet Porzellain für die Ausfertigung jedes Special Privilegii dem Kgl. Interesse

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Im Paragraphen V,1 des Schutzprivilegs für die Danziger Vorstädte vom 9. August 1773 heißt es denn auch: Falls ein oder der andere der in obbemeldeter Liste als extraordinarii oder publiquen Bediente namentlich aufgeführten Juden oder ihrer Kinder eines in der Folge zu bessern Vermögen gelangen und ein baares Vermögen von 1.000 Rt. Reglementsmäßig nachweisen und beschwören könnte, soll die Cammer hievon Berichten und wird denenselben vorkommenden Umständen nach gegen die geordnete Jura eine Concession expedirt und ein Platz inter ordinarios gegen die gewöhnliche Chargen-Cassen, Stempel- und Porcellain-Fabriquen-Jura eingeräumet werden. 464

So finden sich auch in den kommenden Jahren immer wieder die Namen von Juden aus Langfuhr, Stolzenberg oder Hoppenbruch in den Verkaufslisten der KPM. 465 Der hier beschriebene Gemeindeexport zählt jedoch zu den quantitativ bedeutendsten in der nahezu zwanzigjährigen Geschichte des Judenporzellans. Die hochgesteckten Erwartungen, die an die ökonomische Entwicklung der Danziger Vorstädte geknüpft worden waren, erfüllten sich übrigens nicht. Die städtische Kunstschöpfung vermochte gegenüber der alten Handelsmetropole nicht aufzukommen, und 1792 hatte sich die Zahl der in den Vorstädten wohnhaften Juden bereits von 1.257 auf 904 reduziert. 466 Ein Jahr später, nachdem auch Danzig in den Besitz Preußens übergegangen war, hatten die Juden der Vorstädte ihre Rolle ohnehin ausgespielt und wurden den Bestimmungen für Ausländer unterworfen. 467 3. Potsdam Eine Rekonstruktion der Umstände, unter denen die jüdische Gemeinde Potsdams zu einer Porzellanausfuhr verpflichtet wurde, führt gleichzeitig zu Neuerkenntnissen über den jüdischen Immobilienbesitz in der Hohenzollernresidenz. Denn wenn Robert Kaelter berichtet, die Gemeinde habe in der Kleinen Jägerstraße Nr. 4 (heute Ebräergasse) „bereits 1760 ein den rituellen Vorschriften entsprechendes Bad beim Schuster Schultze gemietet“, so ist diese Darstellung, der auch die neuere Literatur durchweg folgt, offenbar korrekturbedürftig. 468 Stattdessen verfügte die Gemeinde bereits seit dem 25. Oktober 1748 in der Kleinen acceptabler, und könnte man jeder Familie bei dieser 1. Ansetzung allenfalls für 50 bis 100 rtlr. Porzellain zuschlagen.“ Zitiert nach Stern, Bd. III/3, S. 1494 –1500, hier: S. 1499. 464 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 52, Bl. 28. 465 Unzutreffend ist hingegen die Darstellung, wonach die jüdische Gemeinde Altschottlands „noch jährlich für 1700 Thlr. Porzellan aus der königlichen Fabrik annehmen [mußte], woran die Hälfte verloren ging“. Siehe Stein, Juden zu Danzig, S. 40. 466 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 427. Stattdessen war es eher Elbing, das sich in jenen Jahren zur Hauptkonkurrentin Danzigs entwickelte. Siehe Straubel, Königsberg und Memel, S. 218 – 252; Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 446. 467 Bömelburg, Ständegesellschaft, S. 427 – 428.

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Jägerstraße über ein für 230 Rt. erworbenes, also keineswegs gemietetes Anwesen, in dem neben dem von Kaelter erwähnten Bad auch Wohnungen für die Gemeindebedienten eingerichtet wurden. Dieses Gebäude tauschte die Gemeinde jedoch am 1. November 1763 gegen ein anderes, in der gleichen Straße gelegenes und für 1.700 Rt. angekauftes Anwesen ein und suchte beim damaligen Steuerrat Linger auch um eine Konzession nach. 469 Dieser wollte die Angelegenheit jedoch zunächst dem gerade abwesenden König vorlegen – worauf die Akte zehn Jahre liegenblieb. Erst im März 1773 wurde die Gemeinde unvermittelt vom 1766 ernannten Steuerrat Richter zur Einholung einer Konzession angehalten. 470 Die Kurmärkische Kammer machte zugleich deutlich, daß zuvor für 100 Rt. Porzellan anzukaufen und zu exportieren sei, „ohne welche Bedingung die erbetene Concession [...] nicht erfolgen wird“. 471 So kaufte die Potsdamer Gemeinde am 7. Januar 1774 Porzellan im Wert von 120 Rt. und zwei Groschen, 472 worauf ihr am 30. März des Jahres die erbetene Genehmigung zum weiteren Besitz des Hauses in der Jägerstraße erteilt wurde. 473 Am 9. Mai 1783, nachdem Generalfiskal d’Anières und KPM-Direktor Grieninger dem Magistrat befohlen hatten, dem Kassierer der Gemeinde Exekution einzulegen, 474 wurde auch die 1779 monierte Fehlsumme von 200 Rt. aufgebracht. 475 Daß zur Aufbringung dieser vergleichsweise moderaten Summe rund vier Jahre erforderlich waren, wirft ein grelles Licht auf den finanziellen Zustand der dortigen Gemeinde, die nur allzuleicht auf erfolgreiche Manufakturbesitzer reduziert wird. Die Realität sah jedoch auch an der Havel nachweislich anders aus. 468 Siehe Kaelter, S. 17. Aus einer weiteren Anmerkung ebd., 109 geht hervor, daß sich Kaelter mit der Jahresangabe nicht auf einen Kauf- oder Mietvertrag, sondern lediglich auf eine Reparaturquittung bezieht. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß es sich bei diesem nur vermeintlich gemieteten Haus um das bereits 1748 erworbene Anwesen handelt. Vgl. die neuere Darstellung bei Arlt, S. 181, wonach der zunächst in der Jägerstraße erworbene Bau (womit er offenbar das weiter unten beschriebene, 1763 gekaufte Haus meint) „später durch einen anderen, nicht mehr den Juden gehörenden Bau ersetzt“ worden sei (Hervorhebung durch den Verfasser). 469 Diese Details gehen explizit aus Berichten des Potsdamer Magistrats vom 10. Juli 1773 sowie des Steuerrats Richter vom 16. Juli 1773 hervor. Siehe BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2297, Bl. 3 –4, 7; vgl. ebenfalls BLHA, Amtsgericht Potsdam, Grundund Hypothequen-Buch der Residenz-Stadt Potsdam (1774), vierter Teil, Bl. 147 –148. 470 Siehe die Supplik des Potsdamer Judenältesten Jacob Baruch vom 24. März 1773, BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2297, Bl. 1. 471 So an Steuerrat Richter am 24. September 1773, ebd., Bl. 8. 472 Siehe Porzellanexport Nr. 0243 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 473 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2297, Bl. 10. 474 So in einem Schreiben vom 1. Mai 1783 an den Potsdamer Magistrat, siehe StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 61. 475 Siehe Porzellanexport Nr. 0982 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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Denn während die Gemeinde für das Haus an der Jägerstraße nach 1779 kollektiv noch einmal zu einem Porzellanexport herangezogen wurde, fielen offenbar nicht wenige ihrer Mitglieder als Beitragszahler aus, wurden jene doch selbst mit Forderungen der KPM konfrontiert und in einer bis dahin nicht dagewesenen Weise drangsaliert – Geschehnisse, auf die noch zurückzukommen sein wird. 476 Nicht mehr nachprüfbar sind allerdings die Angaben Kaelters, wonach sich die Gemeinde u. a. aus diesem Anlaß bei dem Potsdamer Bürger Jakob Friedrich Selle, dem Chirurgen Berg sowie einem Grafen von Wartensleben mit insgesamt 2.500 Rt. habe verschulden müssen. 477 In finanziellen Schwierigkeiten befand sich die Gemeinde zweifellos. Denn nicht nur auf dem 1763 in der Kleinen Jägerstraße erworbenen Haus ruhten bereits seit dem 8. Oktober 1772 bzw. dem 14. Januar 1773 zwei Obligationen des Berliner Schutzjuden Hertz Abraham Leffmann in Höhe von insgesamt 2.000 Rt. 478 Auch fiel eine Finanzierung der Gemeindeaufgaben vor dem Hintergrund der immer weiter steigenden Abgabenlast bei gleichzeitiger Verarmung der Beitragszahler zunehmend schwerer, so daß den Gemeindemitgliedern 1776 folgende Bekanntmachung veröffentlicht worden war: Zum Schutz des arg gesunkenen Handels und der ärmeren Gemeindemitglieder wird bestimmt, daß jeder neu zuziehende Jude 50 RT. zur Erhaltung der Gemeinde Einrichtungen beisteuern solle, bei einem Vermögen bis 1000 RT., – von je 100 RT. mehr, sollte diese Summe um je 5 RT. sich erhöhen. Solange er dieser Verpflichtung nicht genügt hat, ist der Ankömmling vom Genusse aller gemeindlichen Einrichtungen ausgeschlossen. 479

Zu den Unterzeichnern dieser Bekanntmachung zählte übrigens auch Berend Hirsch, der wenige Jahre später selbst in die Schicht der ärmsten Gemeindemitglieder Potsdams herabsinken sollte. 480 Nach 1806 hatte die gebeutelte Potsdamer Gemeinde schließlich noch einmal 800 Rt. aufzubringen, um ihren Beitrag zum Ausgleich der fehlenden Schutzgelder aus den im Frieden von Tilsit verloren gegangenen westelbischen Gebieten der Altmark und Westfalens zu leisten. 481 In dieser Situation mußten sogar die silbernen Schmuckbehänge der Thorarollen sowie sämtliche anderen Silbergeräte aus der Synagoge eingeschmolzen werden – mit dem Erlös sollen nach Kaelter auch die Zinsen für den Kredit zum Kauf des Porzellans von 1779 bezahlt worden sein. 482 Das so teuer bezahlte Haus in der 476

Siehe Kap. H. VIII. Kaelter, S. 28, 39. Ob der Kredit teilweise dazu dienen sollte, die 1779 mit nachträglichen Porzellanexporten konfrontierten Gemeindemitglieder zu unterstützen, muß dahingestellt bleiben. 478 Siehe BLHA, Amtsgericht Potsdam, Grund- und Hypothequen-Buch der ResidenzStadt Potsdam (1774), vierter Teil, Bl. 148. 479 Zitiert nach Kaelter, S. 28. 480 Siehe Kap. H. VIII. 481 Daß die Abgaben von Juden aus den verloren gegangenen Provinzen ihren unter preußischer Herrschaft verbliebenen Religionsgenossen aufgebürdet wurden, ist auch aus dem Herzogtum Kleve überliefert. Siehe Kap. K. II. 477

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Jägerstraße blieb bis 1819 im Besitz der Gemeinde, die es in jenem Jahr an den „Brenner“ Carl Heinrich Rosin verkaufte 483 – ein Jahr zuvor war auch der Kredit von 1779 endlich getilgt worden. 484 4. Frankfurt an der Oder Auch dem Porzellanexport durch die jüdische Gemeinde Frankfurts lag eine Konzession zum Besitz eines Hauses zugrunde – ein Zusammenhang, dessen Kenntnis wie in Potsdam den bisherigen stadttopographischen Forschungsstand zu erweitern vermag. Die Wurzeln des zu schildernden Problems reichen dabei in das beginnende 18. Jahrhundert zurück, als die noch junge jüdische Gemeinde ein Anwesen zur Feier der Gottesdienste erwarb. Während das hintere Gebäude in der Tuchmacherstraße tatsächlich zur Synagoge eingerichtet wurde, 485 kaufte das Vorderhaus in der Richtstraße allerdings ein Levin Unger unter der Auflage, der Gemeinde allzeit den Zugang zu dem dahinterliegenden Gotteshaus zu gestatten. Diese Verhältnisse blieben in der Folge für mehr als ein halbes Jahrhundert unangetastet, bis der letzte jüdische Besitzer des Vorderhauses, Levin Loeser Koynes, der neben seinen Geschäften mit Seiden- und Wollwaren auch eine Tapetenmanufaktur betrieben hatte, 1769 unter Zurücklassung eines Schuldenberges von 2.800 Rt. verstarb. 486 Einer der Gläubiger war ein Oberst von Mellin, in dessen Besitz das scheinbar ziemlich 482 Kaelter, S. 38. Ob der 1779 aufgenommene Kredit allerdings direkt dem Kauf des Porzellans diente, muß fraglich bleiben, da dieser, wie geschildert, erst 1783 erfolgte. 483 BLHA, Amtsgericht Potsdam, Grund- und Hypothequen-Buch der Residenz-Stadt Potsdam (1774), vierter Teil, Bl. 147. Möglicherweise wurde 1819 das Haus in der Jägerstraße von der Gemeinde nicht mehr benötigt, da die 1802 mit königlicher Unterstützung umgebaute Synagoge sowohl eine Wohnung für einen Kantor als auch ein Ritualbad für die weiblichen Mitglieder der Gemeinde bereithielt, siehe Arlt, S. 183 –184. 484 Kaelter, S. 39. 485 Auf dieses Hintergebäude scheint sich die Information bei Meier, Frankfurt / Oder, S. 134 zu beziehen, wonach um 1720 ein Neubau anstelle eines kleineren Vorgängerbaus errichtet wurde. Dieses Hintergebäude blieb bis zum 19. Jahrhundert erhalten und wich erst 1823 einem Synagogenneubau. Siehe Targiel, S. 53. Herrn Ralf-Rüdiger Targiel sei an dieser Stelle für seine freundlichen Auskünfte zur Stadttopographie Frankfurts im 18. Jahrhundert herzlich gedankt. 486 Zwischen 1745 und 1769 findet sich das Anwesen in der Richtstraße unter dem Namen „Levin Loeser Coins“ in den Feuerkassenkatastern mit lediglich 500 Rt. versichert: StA Frankfurt / Oder, Feuerkassenkataster, Bd. 1745 – 1749 (Nr. 214), Bd. 1755 –1759 (Nr. 214), Bd. 1760 – 1764 (Nr. 214), Bd. 1765 – 1769 (Nr. 212). Ob sich die Tapetenmanufaktur in der Richtstraße befand, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, da Koynes daneben noch zwei weitere Häuser im Wert von 3.000 und 3.500 Rt. besaß, siehe Meier, Jüdische Gemeinde in Frankfurt an der Oder, S. 116. Koynes’ Manufaktur arbeitete zeitweise scheinbar recht erfolgreich mit aus Sachsen angeworbenen Arbeitern. Sein Sohn, David Levin Loeser, der zur Förderung des Betriebes bereits 1750 – also entgegen dem zwischen 1747

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heruntergekommene Anwesen deshalb überging. Dies brachte nun wiederum die jüdische Gemeinde auf den Plan, die aufgrund des Besitzerwechsels den freien Zugang zu ihrer Synagoge gefährdet sah. Auch nach Meinung des Frankfurter Steuerrates Groote war das Haus der Judenschaft wegen des Durchganges zur Juden-Schule unentbehrlich, indem sonst, wenn es ein Christ besitzet, [dieser] derselben den Durchgang zur Schule nicht gestatten, sondern, da der Hofraum an die Schule anstößet, solches nur zu vielen Uneinigkeiten und Zanck Gelegenheit geben würde. 487

Doch obwohl die jüdische Gemeinde das Gebäude deshalb 1770 für 2.500 Rt. erwarb 488 und sich die Gemeindeältesten Jacob Elias und Marcus Moses Schlesinger gegenüber Steuerrat Grothe zudem bereiterklärten, notfalls für die Konzession Porzellan im Wert von 300 Rt. zu exportieren, 489 schlief das Verfahren – ähnlich wie in Potsdam – ohne ersichtlichen Grund bald für mehrere Jahre ein. 490 Während dieund 1763 geltenden grundsätzlichen Niederlassungsverbot – als zweites Kind angesetzt worden war, weigerte sich jedoch nach dem Tod seines Vaters, die offenbar unprofitabel gewordene Tapetenfabrikation fortzusetzen. Die Kurmärkische Kammer erwog deshalb 1770 kurzfristig, ihm seinen Schutzbrief zu entziehen, worauf Loeser eine erfolgreiche Supplik verfaßte, in der er den Standpunkt vertrat, daß „es schon an sich alle Begriffe von Härte übersteigen würde, wenn ich, der ich schon 19 Jahre lang etablirt und ansässig bin, blos darum verstoßen und unglücklich gemacht werden sollte, weil ich eine Fabrique nicht übernehmen und fortsetzen kann, zu deren Fortsetzung ich überhaupt nicht verpflichtet bin, theils ohne meinen unvermeydlichen Untergang mich niemals verstehen könnte.“ Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.4368. Der Betrieb findet sich noch 1769 mit sechs Ouvriers bei Hoffmann, Handwerk und Manufaktur, S. 117. 487 Bericht vom 25. Januar 1775. Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.4179, Bl. 40 –41. 488 Die Kaufsumme geht aus einer Supplik der Frankfurter Judenältesten vom 7. November 1774 hervor, ebd., Bl. 42 – 44. 489 Die Ältesten hatten erklärt, das erworbene Haus sei sehr baufällig, weshalb sich die Gemeinde entschlossen hätte, es „bis auf den Grund herunter zu reißen“ und „zur Zierde der Stadt gantz Massiv [zu] erbauen“. Wegen der vielen damit verbundenen Kosten hoffe man, vom Porzellanexportzwang verschont zu bleiben – „fals aber Ewr. Königl. Majestät darauf bestehen mögten, daß sie dem allen ohngeachtet aus der Berliner Manufactur für 300 Rt. Porcelain zum auswärtigen Debit übernehmen sollten, so würden sie sich auch dieses gefallen lassen müssen, weil ihnen dieses Haus gantz unentbehrlich“ sei. Siehe den Bericht Grootes an die Kurmärkische Kammer, Frankfurt, 30. April 1770, ebd., Bl. 12 –15. 490 Der Schriftwechsel war von Anfang an von Mißverständnissen geprägt, da von der Judenschaft zwischenzeitlich der Kauf eines weiteren Hauses in der Rosenstraße ins Spiel gebracht wurde, um dort ein Lazarett einzurichten. In Berlin wurden die beiden Häuser dann durcheinandergebracht, bis schließlich der ganze Schriftwechsel bis zum November 1774 abbricht. Ob diese Erwähnung eines Lazaretts mit folgender, aus dem Jahre 1787 stammenden Beschwerde der jüdischen Generaldeputierten zur Reform des Judenwesens zusammenhängt, die Friedländer, Akten-Stücke, S. 72 überliefert, sei dahingestellt: „Der Judenschaft zu Frankfurth an der Oder ist sogar eine Concession zum Bau eines öffentlichen Krankenhauses verweigert worden, obschon wegen der in den Messen vorfallenden Krankheiten der fremden Pohlnischen Juden, ein solches Krankenhaus, selbst für die öffentliche Sicherheit, höchst nöthig und dem Lande nützlich wäre.“ Vgl. auch eine Vor-

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ser Zeit begann die Gemeinde auf eigene Kosten und ohne in den Genuß der sonst üblichen Bauhilfsgelder zu gelangen mit der Errichtung eines auf 4.400 Rt. veranschlagten neuen Hauses. 491 Erst im Januar 1773, als die Gemeinde den Neubau, der in den Hypothekenbüchern immer noch unter Koynes’ Namen verzeichnet war, umschreiben lassen wollte, forderten die städtischen Gerichte eine Konzession ein, mit deren erneuter Beantragung sich die Gemeindeältesten allerdings bis zum November 1774 Zeit ließen. 492 Offensichtlich hoffte man, nach der Schaffung vollendeter Tatsachen von einem Porzellanexport verschont zu bleiben, war doch in der Richtstraße bereits ein stattliches neues Gebäude entstanden, wie man einer in den Akten erhalten gebliebenen Planzeichnung vom 24. Juni 1775 493 entnehmen kann. Angefertigt wurde sie übrigens durch den Frankfurter Königlichen Bauinspektor Friedrich Knoblauch (1717 –1791), einen „der kraftvollsten Vertreter des Frankfurter Barock in den 1770er und 80er Jahren“. 494 Ob es sich bei Knoblauch auch um den ausführenden Architekten handelt, kann auf Basis der eingesehenen Akten nicht beantwortet werden, würde dem ohne Konzession vorangetriebenen Bauvorhaben jedoch eine zusätzliche pikante Note verleihen. Das gesamte Anwesen bestand nach den vollzogenen Um- und Neubaumaßnahmen aus dem Wohnhaus in der Richtstraße Nr. 57, einem „Stall rechter Hand“, einem Brunnen sowie dem Hintergebäude in der Tuchmacherstraße und war 1796 mit respektablen 3.600 Rt. bei der Brandkasse versichert. 495 Das Vorderhaus diente der Gemeinde unter anderem zur Unterbringung jüdischer Gäste während der Frankfurter Messen. 496

stellung der Frankfurter Gemeinde von 1779, abgedruckt bei Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 224. 491 Siehe den Voranschlag in BLHA, Rep. 2, Nr. S.4179, Bl. 16 –21. 492 Supplik der Frankfurter Judenältesten vom 7. November 1774, ebd., Bl. 42 –44. Vgl. die vom Magistrat erstellte Tabelle der Judenhäuser in Frankfurt vom 10. Dezember 1773, in der es heißt, die Judenschaft habe „das ehemahlige Loesersche Haus von der Frau Obristen von Mellin bey der Juden-Schule erkauffet, sich auch um der Concession gemeldet, aber solche noch nicht erhalten. Ist den 12. Januar 1773 nochmahln anbefohlen, die Concession zu suchen.“ In der Tabelle für das Jahr 1774 liest man wiederum, es sei „denen Juden Ältesten anbefohlen worden, binnen 6 Wochen Concession beyzubringen“. StA Frankfurt / Oder, I, VII, Nr. 103, Bl. 33 – 34, 87. 493 Daneben sind auch Etagengrundrisse aus Knoblauchs Feder erhalten: BLHA, Rep. 2, Nr. S.4179, Bl. 72. 494 So die Würdigung bei Thieme / Becker, Bd. 21, S. 10. 495 StA Frankfurt / Oder, Feuerkassenkataster 1796 – 1800, Nr. 221. 496 Reskript an die Kurmärkische Kammer vom 14. April 1779, BLHA, Rep. 2, Nr. S.4179. Zu den für die Frankfurter Bürgerschaft lukrativen Mietgeschäften während der Messen siehe Straubel, Frankfurt (Oder) und Potsdam, S. 209 –212. Übrigens unterhielt auch die KPM seit 1783 eine Meßniederlage in der Stadt. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 83, S. 512 – 513, 610. Trotz durchwachsener Verkaufsergebnisse war die KPM weiterhin auf den Messen präsent, wie einem von Klipfel mit dem Frankfurter Senator Bärenreuth am 24. Juli 1785 abgeschlossenen Mietvertrag zu entnehmen ist. Dieser erstreckte sich auf

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Nachdem das Konzessionsverfahren 1774 wieder in Gang gekommen war, ließ sich das Generaldirektorium jedoch zunächst nicht beirren und bestand auf einem Porzellanexport. 497 Obwohl sich die Ältesten wiederum bereiterklärten, dieser Bedingung nach Ablauf der Martinimesse 1775 nachzukommen, 498 schlummerte das Verfahren nochmals für etwa zwei Jahre ein, bis man im Generaldirektorium tatsächlich beschloß, man wolle „in Rücksicht der auf den neuen Wiederaufbau dieses Hauses von der Franckfurthschen Judenschaft verwendeten ansehnlichen Summe Geldes dieselbe von dem Ankauf und Versendung des Porcellains [...] für diesesmahl befreyen“. 499 Doch auch diese Konzession 500 erwies sich nach der Revision durch den Generalfiskal 501 1779 als hinfällig, so daß die jüdische Gemeinde von Frankfurt am 2. November des Jahres schließlich doch noch für 300 Rt. Porzellan ankaufen mußte. 502 Während das Hinterhaus in der Tuchmacherstraße im Jahre 1823 einem Synagogenneubau Platz machen mußte, 503 überdauerte das Haus in der Richtstraße das 19. Jahrhundert und ging erst im Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit dem größten Teil der Frankfurter Innenstadt in Bombenhagel und Artilleriebeschuß unter. 504 Seit 1994 erinnert zwischen Brunnencafé und Oderturm ein Gedenkstein an den ehemaligen Standort des Gotteshauses.

den Zeitraum von der Reminisceremesse 1786 bis zur Martinimesse 1788 und umfaßte ein „Eck-Gewölbe zum Gebrauch in und außer gedachten Messen, daranstoßende Wohnstube, welche [der] Vermiether in denen Messen heitzen läßt, desgl. eine Kammer zu Aufbewahrung der ledigen Kasten in und außer denen Messen, auch verspricht Vermiether zwei Betten, näml. ein Einschläfriges und ein zweischläfriges ins Contoir zu liefern.“ MA, OS, Rechenkammer, Bl. 60. Das Haus ging später in den Besitz des Kaufmanns Pagés über, bei dem sich die Vertreter der KPM zum Preis von 207 Rt. weiterhin einmieteten. Siehe Straubel, Frankfurt (Oder) und Potsdam, S. 208 – 209. 497 Reskript an die Kurmärkische Kammer vom 6. September 1775, BLHA, Rep. 2, Nr. S.4179, Bl. 55. 498 Bericht Steuerrat Grootes an die Kurmärkische Kammer, Frankfurt, 30. Oktober 1775, ebd., Bl. 57. 499 Generaldirektorium an Kurmärkische Kammer, Berlin, 22. Oktober 1777, ebd. 500 „Concession für die Judenschaft zu Franckfurth a / O zum eigenthümlichen Besitz des von der Obristin Mellin erkauften Hauses daselbst“, Berlin, 19. August 1778, ebd. 501 Siehe dessen Monitum in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 99. 502 Siehe Export Nr. 0447 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 503 Die 1823 errichtete und in der Pogromnacht 1938 zerstörte Synagoge ist abgebildet bei Targiel, S. 53 sowie Meier, Frankfurt / Oder, S. 138. 504 Verwiesen sei ferner auf die im StA Frankfurt / Oder befindliche, durch den Verfasser allerdings nicht konsultierte Bauakte.

VIII. Porzellanexporte durch jüdische Gemeinden

Abb. 5: Das Haus der jüdischen Gemeinde in der Richtstr. 57, Zeichnung von Friedrich Koblauch (1775).

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

5. Brandenburg an der Havel Weitaus spärlicher fließen die Quellen über den Porzellankauf der Gemeinde zu Brandenburg an der Havel. Allerdings bildete auch hier eine Immobilie den Hintergrund, war man doch 1781 „wegen eines heimlich gekauften Hauses“ 505 ins Visier der Behörden geraten. Die schließlich am 6. November 1781 erteilte Konzession war nur „unter gewissen Bedingungen“ zu erhalten. Dazu zählte die Verpflichtung, das Haus massiv und zweistöckig neu zu erbauen, auf die Braugerechtigkeit zu verzichten – und für 300 Rt. Porzellan zu exportieren. Letztere Auflage hatte die Gemeinde bereits am 5. September 1781 erfüllt, 506 konnte die Summe allerdings nur durch eine Anleihe bei ihrer Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadisch) aufbringen. Dieser Kredit war 1816 erst zu zwei Dritteln getilgt. 507

IX. Zur Organisation von Zwangsexporten einer Luxusware: Kommissionäre und Käufer von „Judenporzellan“ Wenn sich das Judenporzellan in den vorangegangenen Kapiteln als schwerwiegende Belastung für die Betroffenen erwies, so hängt dies zunächst einmal mit dem schlichten Befund zusammen, daß es sich bei den im März 1769 ursprünglich geforderten 300 Rt. nach den Maßstäben der Zeit um sehr viel Geld handelte. Doch war die Kapitalmobilisierung nicht das einzige Problem, denn die Ware sollte schließlich nach dem Willen des Königs nicht lediglich gekauft, sondern wiederum verkauft werden – und dies nicht irgendwo, sondern im Ausland. Doch wenn ein im Porzellanhandel bislang vollkommen unerfahrener Jude aus dem ostpreußischen Königsberg oder dem westfälischen Minden aus der Hauptstadt den Befehl erhielt, Berliner Porzellan ins Ausland zu exportieren und dort an den Mann zu bringen, stellte sich ihm zunächst die nur vermeintlich banale Frage, wie er dies in die Praxis umsetzen konnte. Das heißt: Wer wickelte den Kauf ab, wie wurde die Ware transportiert, und wie fand man halbwegs zügig einen Käufer für die zerbrechliche Luxusware? Diesen Fragen ist allerdings sämtlich gemein, daß sich „der Staat“ für die Antworten nicht interessierte, was wiederum eine sehr lückenhafte Quellenlage bedingt. Dennoch vermitteln die erhaltenen Bruchstücke zumindest einen Eindruck von den zahlreichen Schwierigkeiten, die mit dem Zwangsexport verbunden waren. 505

Dieses und die folgenden Zitate: GStA PK, I. HA, Rep. 104, Nr. 236 b, Bl. 130. Siehe Export Nr. 0739 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 507 Ackermann, Juden in Brandenburg, S. 102 – 105. 506

IX. Kommissionäre und Käufer von „Judenporzellan“

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Dies beginnt beim Ort des Kaufs. So konnte ein aus Königsberg stammender Jude sein Porzellan nicht etwa in der dortigen KPM-Niederlage erwerben, sondern hatte sich ebenso wie jeder andere seiner Religionsgenossen aus der gesamten Monarchie an das Berliner Hauptwarenlager zu wenden. Eine andere Vorgehensweise ist offenbar niemals auch nur thematisiert worden, hätte ein Verkauf über die Niederlagen in den Provinzen für die Manufaktur doch bedeutet, die Lasten des Transports auf sich nehmen und den Betreibern der Niederlagen möglicherweise Aufwandsentschädigungen zahlen zu müssen. Auf die Modalitäten des Transports wird noch zurückzukommen sein, doch zunächst zur Frage: Wer holte die Ware in Berlin ab? Manche der Käufer legten offenbar großen Wert darauf, selbst im Hauptwarenlager zu erscheinen und das Porzellan in Empfang zu nehmen. So bat der Landsberger Jude Levin Daniel, der nachträglich wegen einer Konzession zum Hausbesitz aus dem Jahre 1771 für 250 Rt. Porzellan exportieren sollte, im September 1781 um Gewährung einer Frist, da er „vorjezo mit Heranschaffung der Fourage für hiesiges Regiment beschäftiget [sei] und würde es mir zum größten Schaden gereichen, wenn ich solches [Porzellan] nicht Selbst zu Berlin in Empfang nehmen könnte“. 508 Die Verkaufslisten der KPM legen nahe, daß sich dabei zahlreiche Juden, zumal aus entlegenen Provinzen, zusammentaten und den Export gemeinsam organisierten. So ist es sicher kein Zufall, daß am 22. und 23. September 1779 drei Königsberger Juden für insgesamt 850 Rt. Porzellan kauften. Unter dem 14. Dezember desselben Jahres finden sich die Namen von gleich vier Juden aus Prenzlau. Am 30. Juni 1783 kauften fünf Breslauer Juden gemeinsam Waren für 1.500 Rt. Angesichts derartiger finanzieller Größenordnungen erscheint es durchaus denkbar, daß diese Gruppen jeweils einen Vertreter nach Berlin entsandten, um dort den Kauf und Versand abzuwickeln, wenngleich sich dafür keine Belege finden lassen. Einen solchen Aufwand an Zeit und Reisekosten konnte sich die Mehrzahl der Juden jedoch sicher nicht leisten, weshalb im Einzelfall auch die Königliche Bank den Kauf und Versand organisierte. So wickelte deren Emdener Filiale im Jahre 1780 den Porzellanexport von Bendix Liffmann aus Neustadt Gödens ab und transportierte die Ware auf dem Wasserwege nach Hamburg Altona an einen Salomon Meyer. 509 Allerdings waren dies offenbar Ausnahmen, denn in der Regel scheinen private Zwischenhändler dieses Geschäft übernommen zu haben, begegneten doch dem Minister von Heinitz noch 1787 auf seiner Reise durch Westfalen in Münster, Osnabrück, Nimwegen, Hannover „und in verschiedenen anderen Städten“ die „auswärtigen Comisionaire der Judenschaft“. 510 So hatte 508 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 115; vgl. die Exporte Nr. 0174 und 0803 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 509 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 112 –121; vgl. Export Nr. 0599 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 510 MA, I, Nr. 3, Bl. 1; vgl. Kap. J. III.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

beispielsweise auch Salomon Moses aus dem pommerschen Stargard im Februar 1783 150 Rt. nach Berlin geschickt, worauf ihm durch d’Anières und Grieninger anbefohlen wurde, „einen Commissionair alhier zu bestellen, welcher das Porzellain bey der gedachten Manufactur ausnehme und die Exportation desselben besorge“. 511 Um diesen Kaufleuten auf die Spur zu kommen, lohnt ein Blick auf die Quittungen der Porzellanmanufaktur, die sich für 79 Zwangskäufe (etwa 5,7% der dokumentierten 1.378 Fälle) auffinden ließen. 512 Diese Dokumente, die vornehmlich aus den Jahren nach 1779 stammen, können freilich nicht lediglich quantitativ nur geringe Repräsentativität beanspruchen, sondern sind auch regional unausgewogen mit einem deutlichen Schwerpunkt auf königsbergischen Juden. Dennoch bietet ihre Lektüre nicht nur hinsichtlich der Zielländer des Porzellans weiterführende Erkenntnisse. Nur in wenigen Fällen scheint es sich bei diesen Kommissionären um Christen gehandelt zu haben. So liest man über den Export, den der Bielefelder Jude Jacob Schiff im Jahre 1782 wegen einer Konzession zum Hausbesitz bewerkstelligen mußte: „Die Besorgung geschiehet durch H. Secret. Rieck, logirt am Königl. Schloß neben dem Buchhändler Fromm“. 513 Auf der Quittung, die die Manufaktur am 8. April 1786 für den Königsberger Juden Hertz Moses ausstellte, findet sich der Vermerk: „Die Besorgung geschiehet durch den Kaufmann Herr Geiger alhier, wohnhaft auf der Stech-Bahn.“ 514 In aller Regel stößt man jedoch auf Berliner Juden, die sich teilweise in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Empfänger der Konzession befanden. Als beispielsweise David Heymann aus Königsberg im Jahre 1781 die Tochter Seligmann Josephs heiratete und auf das Generalprivileg Bernhard Isaacs angesetzt wurde, mit dem Joseph in engen Geschäftsbeziehungen gestanden hatte, organisierte diesen Export Isaacs Witwe. 515 Auch Daniel Itzig taucht in diesem Zusammenhang einmal auf, besorgte er doch 1781 den Porzellanversand für Israel Jacob aus Halberstadt, der dort seit 1772 als Vertreter seiner Potsdamer Manufaktur für englisches Leder fungierte. 516 511 MA, I, Nr. 4, Bl. 57 (Abschrift); vgl. Export Nr. 0951 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 512 Auf einen Einzelnachweis muß an dieser Stelle verzichtet werden. Hinzugezogen wurde zudem eine Notiz des Oberbergrats Rosenstiel, eines Mitglieds der KPM-Kommission, aus dem Jahre 1788, die ebenfalls Informationen über einzelne Kommissionsgeschäfte enthält. Siehe MA, I, Nr. 3, Bl. 65. 513 Siehe die Abschrift von KPM-Quittung und Ausfuhrbescheinigung in LAV NRW W, Kammerjustizdeputation Minden-Ravensberg, Nr. 10, Bd. 1; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 78 sowie Export Nr. 0808 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Zu den Umständen dieses Exports Schenk, Von der Spree an die Donau. 514 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4607, Bl. 9; vgl. Export Nr. 1300 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 515 Vgl. Export Nr. 0727 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

IX. Kommissionäre und Käufer von „Judenporzellan“

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Allerdings verfügte natürlich bei weitem nicht jeder Jude aus den Provinzen über Anhang in der Hauptstadt, so daß sich einige Berliner Juden geradezu auf die Abwicklung von Geschäften mit Judenporzellan spezialisiert zu haben scheinen. So stößt man in den nur lückenhaft erhaltenen Dokumenten nicht weniger als 21 mal auf den Namen von Israel Moses Ulmann, der danach Exporte im Gesamtvolumen von 6.957 Rt. vornehmlich nach Mecklenburg organisierte. 517 Über seine Person ist weiter nichts bekannt, doch verfügte er offenbar über weitreichende Geschäftsbeziehungen. Denn er wickelte nicht nur zahlreiche Exporte für die prominente Königsberger Familie Friedländer ab, sondern klagte im Januar 1773 über Außenstände in Höhe von 1.200 Rt. in Augsburg. 518 Ferner stößt man des öfteren auf Zaduck Baruch, 519 von dem 1782 Schuldforderungen in Schwarzburg-Sondershausen überliefert sind, 520 sowie auf Aron Ezechiel, 521 der über seine Ehefrau Rebeka mit dem ursprünglich aus Königsberg stammenden Kaiserlichen Hofagenten Samuel Goldschmidt in Wien verwandt war – einem „Abenteurer und Betrüger“, der in Galizien zwielichtige Geschäfte betrieb. 522 Über die Gebühren, die diese jüdischen Zwischenhändler für ihre Dienste erhoben, lassen sich kaum Aussagen treffen, doch gering waren sie offenbar nicht. Einen aufschlußreichen Hinweis bietet in diesem Zusammenhang ein Konkursverfahren, das 1789 gegen den Spandauer Schutzjuden Levin Joseph eröffnet wurde, und bei dem dieser auch das Judenporzellan für seinen Niedergang 523 verantwortlich machte. So war er im August 1775 als zweites Kind auf den Schutzbrief 516 LHASA, Rep. A 19 b, Tit. IX, Nr. 4; GStA PK, II. HA, Halberstadt, Tit. CVI, Nr. 3, Bd. 2, Bl. 156 –166; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 19; Halama, S. 254; vgl. Export Nr. 0646 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 517 Ulmanns Tätigkeit ist für die folgenden Exporte dokumentiert: Nr. 0624, 0835, 0866, 0867, 0884, 0997, 1080, 1113, 1133, 1154, 1185, 1190, 1278, 1206, 1222, 1264, 1283, 1316, 1321, 1342, 1344 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 518 GStA PK, I. HA, Rep. 50, Nr. 2 d, Augsburg, Paket 1571 –1773. 519 Seine Tätigkeit ist dokumentiert für die Exporte Nr. 0555, 0894, 1207, 1271, 1324 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 520 GStA PK, I. HA, Rep.11, Nr. 255, 1/2, Fasz. 46. 521 Seine Tätigkeit ist dokumentiert für die Exporte Nr. 1284, 1295, 1341 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 522 Karniel, Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., S. 455 –457; vgl. A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 351; GStA PK, I. HA, Rep.11, Nr. 279, Fasz. 168; Taglicht, S. 247. 523 Siehe dazu Herzfeld, Levin Joseph. Anders als die Autorin ebd., S. 174 meint, mußte Joseph mit seiner Familie allerdings nicht das Land verlassen. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 89: „Soll als Banqueroteur mit seinen Schutzgenossen das Land räumen. Judicat des Cammergerichts de 31. Martii ’91. Kann bleiben. Cabinets Ordre 19. May ’92.“

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

seines Vaters Joseph Moses angesetzt worden und hatte dafür zunächst für 50 und 1779 für weitere 250 Rt. Porzellan gekauft. 524 Levin Joseph berichtete darüber rückblickend, er habe die Ware an einen bereits verstorbenen Juden weiter verkauft, dabei jedoch Verluste in Höhe von 70% hinnehmen müssen. 525 Gewiß darf man den Anlaß und die Intention von Josephs Aussage bei deren Bewertung nicht außer acht lassen, doch gab auch der im Zuge des Verfahrens verhörte Joel Salomon Nauen zu Protokoll, er könne sich zwar nicht mehr erinnern, wie viel pro Cente der Levin Joseph bey dem Wiederverkauf dieses Porcellains würcklich verlohren hat, da es schon zu lange her ist. Soviel erinnere ich mich jedoch, daß man in den damaligen Zeiten 60 bis 65 pro Cent an Porzellän zu verliehren pflegte und könnte man diesen Umstand wohl durch Vernehmung anderer Handelsleute herausbringen. 526

Die Richter verzichteten zwar auf weitere Nachforschungen, doch dürfte folgendes deutlich geworden sein: Wenn Minister von Heinitz im Jahre 1787 berichtete, daß das Judenporzellan auf auswärtigen Märkten um 25 bis 40 % unter Preis verkauft würde, 527 so lagen die tatsächlichen Verluste für den jüdischen Zwangskäufer noch deutlich darüber. Er hatte nicht nur die Verpackung und Plombage der Ware zu bezahlen, sondern in den meisten Fällen auch einen Zwischenhändler zu engagieren. Zu alledem ist noch ein weiterer Posten zu berücksichtigen, von dem bislang noch keine Rede war. Das Porzellan war bei der Manufaktur bezahlt und entweder persönlich oder durch einen Kommissionär in Empfang genommen worden – wie ging es jedoch weiter? Wie wurde es transportiert und zu welchen Preisen? Vom Porzellanexport Bendix Liffmanns aus Gödens, welcher durch die Königliche Bank abgewickelt wurde, war bereits die Rede. Den Empfänger, Salomon Meyer aus Hamburg Altona, erreichten die am 14. August 1780 bei der Porzellanmanufaktur abgeholten Kisten auf dem Wasserwege. Ausweislich der Zollbescheinigung passierte die Lieferung Spandau am 23. August, Potsdam am Folgetag, Brandenburg an der Havel, Nauen und Rathenow am 26. August, Havelberg und Wittenberge am 28. bzw. 29. August, um Preußen schließlich über das Zollamt Lenzen am 30. August zu verlassen. 528 Welche Summe Liffmann für diesen Transport in Rechnung gestellt wurde, ist unbekannt. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang jedoch eine Berechnung, die die KPM im Rahmen des 1777 mit der Seehandlung abgeschlossenen Vertrags über den durch diese 524 Vgl. die Exporte Nr. 0311 und 0506 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 525 LAB, A Rep. 038 – 03, Magistrat Spandau, Nr. 2, Bl. 8. 526 Aussage Nauens vor dem Berliner Hausvogteigericht vom 25. September 1789, ebd., Bl. 30 – 31. 527 Siehe unten, Kap. J. III. 528 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 121; vgl. Export Nr. 0599 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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zu betreibenden Porzellanhandel in Warschau anstellte. Danach ging man bei einer Porzellanlieferung im Wert von 20.000 Rt., die zoll- und akzisefrei auf dem Wasserweg über den zwischen 1772 und 1775 zur Verbindung von Elbe, Netze und Weichsel angelegten Bromberger Kanal und die Zollstation Fordon nach Warschau transportiert wurde, 529 von Transportkosten in Höhe von 640 Rt. und einem Impost in Warschau von 1.558 Rt. und 8 Gr. aus. 530 Demnach betrugen bei einer derartigen Großlieferung, die allerdings sicherlich unter besseren Konditionen vonstatten ging als ein Export im Volumen von 300 Rt., die Transportkosten auf einer ähnlich langen Strecke rund 3,2%. Dies erscheint recht moderat, und der Wasserweg war angesichts des vorherrschenden, maroden Zustandes des Straßenund Wegesystems in Preußen sowie weiten Teilen des Alten Reiches 531 gewiß eine in Erwägung zu ziehende Transportalternative, zumal auf dem Weg von Berlin nach Hamburg. Dennoch scheint diese Art des Transports den erhaltenen Zollbescheinigungen nach zu urteilen nur eine geringe Rolle gespielt zu haben. Einen der Gründe für diese Beobachtung findet man bei Friedrich Nicolai, der dem unkundigen Reisenden in seiner Beschreibung Berlins von 1769 auch eine Erläuterung an die Hand gab, was man mit zu versendenden Paketen anzufangen habe. Demnach erkundigte sich der Absender auf dem Packhofe, ob dergleichen [Fuhrleute oder Schiffer] eben nach dem Orte, wohin er Sachen versenden will, in Ladung sind, wird hernach mit der Fracht mit ihnen einig, und schickt die Sachen nach dem Packhofe, wo sie, nachdem sie besichtigt und plombiret worden [was bei den bereits in der Manufaktur plombierten Porzellankisten wegfiel], den Fuhrleuten oder Schiffern übergeben werden. Wobey nur noch zu erinnern ist, daß Fuhrleute und Schiffer, keine versiegelte Briefe oder Pakete unter 40 Pfund mitnehmen dürfen, als welche mit der Post müssen versendet werden. 532

Diese Warnung bezog sich auf den mit der 1766 etablierten Postregie in Verbindung stehenden Postzwang, der sich auf Pakete mit einem Gewicht von bis zu 40 Pfund erstreckte. 533 Da die Porzellankisten aber meist deutlich schwerer waren, 529 Siehe § 16 des am 10. Dezember 1777 zwischen KPM und Seehandlung geschlossenen Kontrakts, worin es heißt: „Besorget die Porcelain Manufactur zu allen PorcelainVersendungen die gewöhnliche Zoll- und Accise freie Pässe durch das gantze Königliche Land mit Innbegriff des Bromberger Canals und Fordonner Zolles.“ GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F3, Bd. 4, Bl. 87 – 90, hier: Bl. 89. 530 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F3, Bd. 4, Bl. 80. 531 Der Chausseebau begann in Preußen erst nach 1786. Siehe Rachel, Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, S. 974; Kaufhold, Preußische Staatswirtschaft, S. 45 –46; Hitzer, S. 237; als Spezialuntersuchung für Ostpreußen Glabo, S. 13 –54. Demgegenüber hatte die systematische Befestigung von Straßen im Herzogtum Braunschweig bereits in den 1760er Jahren eingesetzt. Siehe Müller, Fernhandel und Integration lokaler Märkte, S. 152. 532 Nicolai, Beschreibung (1769), S. 446. 533 Das waren noch Zeiten für Monopolunternehmen: Wurde ein privater Fuhrmann mit Paketen mit einem Gewicht bis zu 40 Pfund erwischt, zahlten er sowie sein Auftraggeber jeweils 50 Rt. Strafe. Im ersten Wiederholungsfall waren es bereits 100 Rt., und wurde

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

hatten die jüdischen Zwangskäufer in der Regel die Wahl, ihre Lieferung entweder durch die Königliche Post oder aber durch einen privaten Fuhrmann transportieren zu lassen. 534 Bei der Post, für die sich offenbar viele der Juden entschieden, fielen nach der Taxe von 1766 auf einer Strecke von vier Meilen 2 Pf. Transportkosten je Pfund an. 535 Von Berlin aus ergab dieser Satz folgende Gesamtkosten: Nach Hamburg

1 ½ Gr.

Nach Magdeburg

10 Pf.

Nach Minden

1 5/6 Gr.

Nach Wesel

2 5/6 Gr.

Nach Königsberg

3 1/6 Gr.

Nach Halle

9 Pf.

Bei einem Gewicht der Porzellankisten von oft fünf Zentnern (ein Zentner entsprach 110 Pfund 536) und mehr kamen so für den Transport beispielsweise nach Königsberg schnell rund 65 Rt. zusammen – und von Ostpreußen war die Ware schließlich noch weiter nach Osten, nach Polen, Litauen oder gar nach Rußland zu transportieren. Über den Zustand der Straßen, über die die Kutschen der Post oder der privaten Fuhrleute 537 mit ihrer zerbrechlichen Fracht mehr rumpelten als fuhren, liest man in einer Geschichte der Preußischen Post aus dem Jahre 1859 mit Blick auf Westpreußen: ... die Abzugsgräben waren ganz verlandet oder mit Strauchwerk überwachsen, der Fahrbahnaufwurf war längst von dem Regenwasser heruntergespült, der Straßenkörper in Folge der verschiedenen Spurbreiten der Wagen von zahllosen tief einschneidenden Geleisen ganz zerfetzt, und an der Oberfläche concav statt convex, so daß sich in der Mitte des Weges ein Grabenbett gebildet hatte, die Randwehren waren abgefault, die man gar ein drittes Mal aufgegriffen, hatte man neben einer Geldbuße auch körperliche Züchtigung über sich ergehen zu lassen. Pferde und Fuhrwerk wurden ebenfalls konfisziert. Ein Heer von Postvisitateuren und Postfiscälen wurde im Kampf gegen Postdefraudationen auf die Straße geschickt, um im ganzen Land „auf die Passagiers heimlich Acht zu geben und von verdächtigen Handlungen dem nächsten Postamte Anzeige“ zu machen. Siehe Stephan, S. 267; vgl. Brandtner / Vogelsang, S. 103. 534 Das frühneuzeitliche Fuhrwesen stellt weiterhin ein Desiderat der Wirtschafts- und Sozialgeschichte dar. Vgl. Reininghaus, S. 333 – 336. 535 Stephan, S. 294. Lediglich für Produkte wie Viktualien, einige Sorten wollener Zeuge, Leinenwaren oder Bücher galt eine verminderte Taxe von 1 ½ Pf. je vier Meilen. Siehe ebd., 296; vgl. auch Beyrer, S. 48 – 50. 536 Nicolai, Beschreibung (1769), S. 285. 537 Deren Namen finden sich mitunter auf den erhaltenen Zollbescheinigungen vermerkt oder tauchen anderweitig in den Akten auf. Siehe beispielsweise MA, I, Nr. 4, Bl. 27. Aussagen über die zwischen den Fuhrleuten und den Juden vereinbarten Transportkosten lassen sich allerdings nicht treffen.

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niedrigen Prellsteine kaum zu bemerken, so daß man im Winter leicht die Richtung verlieren konnte; wo aber Bäume standen, schlugen deren Zweige den Reisenden ins Gesicht und streckten sich die knotigen Wurzeln weit in die Fahrbahn, wo sie sich mit den losgerissenen Dammknüppeln und Steinen zu entschieden subversiven Tendenzen in Beziehung auf die Postwagen vereinigten, und es sehr erklärlich erscheinen ließen, daß Johann Nepomuck Hecht in seinem „Reisehandbüchlein, worinnen denen Reisenden fürgestellet, was ihnen zu haben, thun und wissen nöthig ist“ unter den Erfordernissen eines „ordentlichen“ Passagiers auch christliche Geduld und eine gute Leibesconstitution aufführt. Auf diesen Straßen hielt ein Postwagen kaum 2 Jahre aus, das heißt wenn nicht ein Umsturz seiner Laufbahn eher ein Ziel setzte. 538

Anderswo im Land sah es nur unwesentlich besser aus, waren doch selbst die vier Meilen zwischen Berlin und Potsdam „ein ewiger Wechsel von Berg und Thal in erschöpfender Sandfülle“. Der Transport ebenso schwerer wie zerbrechlicher Ware über eine Strecke von Hunderten von Kilometern bedeutete vor diesem Hintergrund zweifellos eine beträchtliche Herausforderung, wog doch beispielsweise das in vier Kisten verpackte Porzellan, das die Gemeinden der Danziger Vorstädte 1773 zu erwerben hatten, insgesamt mehr als 400 kg. Insbesondere an kritischen Stellen des preußischen Wegesystems (und von denen gab es eine ganze Menge) dürften die Probleme gewaltig gewesen sein. So konnte etwa eine einzelne Postkutsche auf dem Marienburger Werder in Westpreußen nicht mehr als 300 kg laden und hatte zudem nur mit einem Vorspann von sechs Pferden eine Chance, nicht heillos steckenzubleiben. Und waren die Grenzen Preußens ganz gleich in welcher Richtung erreicht, ging es schließlich noch weiter. Die Straßen wurden dabei nicht besser, wobei im Reich auch die territoriale Zersplitterung ihren Teil zur Verwahrlosung des Wegenetzes beitrug. 539 So muß mit Blick auf die zweifellos schwierigen Transportbedingungen, mit denen die jüdischen Zwangskäufer allein gelassen wurden, davon ausgegangen werden, daß auf diese Weise nicht nur erhebliche Kosten, sondern auch ein großes Risiko von der Manufaktur genommen wurde. Nirgendwo findet sich vermerkt, wie viele Porzellane auf ihrer weiten Reise ein Opfer von Schlaglöchern oder aufragenden Baumwurzeln wurden. Das erhebliche Risiko 540 trug jedenfalls nicht 538 Zitat und folgende Angaben nach Stephan, S. 310 – 311; zum Unfallrisiko bei Postkutschen mit zeitgenössischen Zitaten auch Hennigs, S. 52 –53. 539 Siehe beispielsweise Gräf / Pröve, S. 86. 540 Wir hoch das Transportrisiko bei Porzellan war, mag auch daraus erhellen, daß in anderweitig erhaltenen Verträgen und Vertragsentwürfen meist darauf Bezug genommen wird. Als Levin David Fraenckel der KPM im Jahre 1771 die Veranstaltung von Porzellanlotterien in Hamburg anbot, bat er sich dabei ausdrücklich aus, die Manufaktur möge zusagen, „das sich etwa bey Eröfnung der Kisten in Hamburg (welches jedoch in Gegenwart eines Notarii geschehen muß) darin befindliche zerbrochene Porcellain wieder an sich zu nehmen und wenn die zerbrochenen Trümmer franco an die Königl. Manufactur Direction eingeschickt werden, dafür ohne Anstand und ohne fernern Entgeld umzutauschen und solche nach Hamburg zu senden“. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F 3, Bd. 1,

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

die KPM, sondern der Jude, der keine Regreßansprüche geltend machen konnte und den Inhalt der plombierten Kiste innerhalb des Landes ohnehin nicht zu sehen bekam. Doch wer bekam das Porzellan schließlich zu Gesicht, d. h., wohin wurde es vornehmlich exportiert? Zu dieser Frage bieten die erhaltenen Zollbescheinigungen sowie einige verstreute Notizen in der übrigen Aktenüberlieferung zumindest in 73 Fällen näheren Aufschluß, die etwa 5,3% der Gesamtexporte sowie 8,2 % des Gesamtexportvolumens repräsentieren. Bei der Auswertung der im folgenden tabellarisch wiedergegebenen Ergebnisse muß freilich berücksichtigt werden, daß eine saubere Trennung von Transit- und Zielland meist nicht möglich ist, da lediglich der Name jener Zollstation überliefert ist, an der die Porzellankisten die preußische Monarchie verließen. Deshalb wurde beispielsweise davon ausgegangen, daß die Fahrt von Zehdenick, Putlitz, oder Freyenstein weiter nach Mecklenburg, von Siersleben und Gatersleben ins Fürstentum Anhalt sowie von Memel, Stallupönen oder Eydtkuhnen nach Polen ging. Das schließt natürlich nicht aus, daß die Ware von Mecklenburg weiter nach Hamburg oder Skandinavien sowie von Polen schließlich nach Rußland (das hier gewiß deutlich unterrepräsentiert ist) weiter versandt wurde. Insofern sollten die Ergebnisse lediglich als geographische Richtungsweiser betrachtet werden, von denen man jedoch annehmen darf, daß sie trotz der nur vereinzelten Überlieferung aufgrund ihrer ins Auge fallenden Eindeutigkeit eine gewisse Repräsentativität besitzen, da die zutage tretenden Himmelsrichtungen noch dazu kaum überraschend sind. Denn das Judenporzellan wurde vornehmlich nach Norden und Osten transportiert, der Westen und Süden des Reiches taucht hingegen kaum einmal in den Quellen auf. Beachtlich erscheint dabei der hohe Stellenwert Mecklenburgs, dessen jüdische Gemeinden, wie etwa in Strelitz, überhaupt eine große Rolle im Handel mit Berliner Manufakturwaren spielten. 541 Ferner taucht neben Danzig, das als wichtiger Umschlagplatz mittel- und westeuropäischer Luxuswaren für den polnischen Markt und insbesondere für die Bedürfnisse polnischer Magnaten fungierte, 542 auch Hamburg häufig auf, wobei die Elbestadt in den ausgewerteten Zollbescheinigungen noch unterrepräsentiert sein mag. So bezieht sich der Großteil der Bl. 64. Als die Manufaktur vier Jahre später mit den beiden Hoffaktoren Michael Abraham und Lippmann Meyer einen Kontrakt wegen des Absatzes von Wrackporzellan abschloß, wurden eventuelle Transportschäden ausdrücklich auf letztere abgewälzt, wobei sicher eine Rolle spielte, daß sich beide Juden das Wohlwollen des Königs nicht verscherzen wollten. So heißt es in dem Kontrakt: „Das Risico und die Kosten des Einpackens [!] und Transports übernehmen die Entreprenneurs, so wie solches in dem mit der Manufactur geschlossenen Haupt Contracte § 10 geschehen, dergestallt, daß dieses alles der Manufactur nicht zur Last fället.“ Siehe ebd., Bd. 2, Bl. 4. 541 Siehe dazu vor allem Giese, Alt-Strelitz; vgl. allg. Credé. 542 Siehe Ole´nska; vgl. Maksymowicz.

IX. Kommissionäre und Käufer von „Judenporzellan“

371

Tabelle 10 Ziel- und Transitländer des Judenporzellans im Spiegel der erhaltenen Zollbescheinigungen 543 Ziel- / Transitland

Beide Mecklenburg

Exportvolumen Anzahl in Rt. Exporte

8.949

Nummern im Anhang

29

0061, 0149, 0204, 0292, 373 (Nathan Meyer, Neustrelitz), 0466, 0554, 0624, 0722, 0779, 0808 (Hr. Gaedicke), 0835, 0866, 0867, 0884, 0894, 0997, 1013 (Nathan Meyer, Neustrelitz), 1080, 1113 (Lazarus Abraham, Neustrelitz), 1133, 1154, 1207, 1264, 1271, 1278, 1283, 1324, 1342

Danzig

4.456

10

0019 (Reinhard Grischow), 0226 (Rottenburg & Uphagen), 0254 (Hr. Schwartz), 0268 (Rottenburg & Uphagen), 0296, 0309, 0332 (Rottenburg & Uphagen), 0472 (Hr. Daam), 0727 (Hr. Dodenhoff), 0841

Königreich Polen (Ohne Danzig)

3.277

11

0048, 0127, 0166 (Friedland), 0246, 0266 (Warschau), 0642 (Joseph Baruch, Meseritz), 1206, 1237, 1244 (Wilna), 1316, 1321 (Posen)

Hamburg

2.401

8

0599 (Hamburg Altona, Salomon Meyer), 0712, 0729, 0731 (Hr. Popert), 0902, 1190, 1222, 1341

Fürstentum Anhalt

1.202

4

0646, 1284, 1295, 1300

Fürstbistum Osnabrück

903

3

0263, 0388, 0598

SchwedischPommern

ca. 450

2

1185 (Wolgast, Curt Friedrich Canzler), 1321

Kurfürstentum Sachsen

302

1

0555 (Leipzig),

Markgrafentum Niederlausitz

300

1

0814 (Lübbenau)

Rußland

300

1

0689

Herzogtum Braunschweig

300

1

1344

Grafschaft Limburg

300

1

0561 (Meyer Moses)

Wien

ca. 150

1

0808 (Johann von Fries)

Gesamt

23.290

73

543 Beim Export Nr. 0808 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232), der teils nach Wien, teils nach Mecklenburg ging, wurde die Summe von 300 Rt. ebenso halbiert wie im Falle Meyer Gabriels (Nr. 1321), der sein Porzellan nach Schwedisch Pommern und Posen versandte.

372

G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

erhaltenen Dokumente auf Juden aus dem Osten der Monarchie, die ihr Porzellan vornehmlich nach Danzig und Polen ausführten, wo die „Economic Alliance of Jews and Nobles“ 544 sicherlich zahlreiche Ansatzpunkte zum Verkauf der Luxusware bot. Noch einmal: Dies alles sind keine überraschenden Ergebnisse, verdeutlichen sie doch lediglich einmal mehr die große Bedeutung Polens für den preußischen Manufakturwarenhandel sowie die offenbar für die KPM kaum zu überwindende Konkurrenzsituation in weiten Teilen des Alten Reiches. Vor diesem Hintergrund wird man dem Porzellanexportzwang insbesondere in westlichen Provinzen wie Kleve oder Ostfriesland eine besondere Brisanz zumessen müssen. Allerdings bieten die Zollbescheinigungen sowie die Atteste der Hofpost im Einzelfall noch weitaus mehr als den lapidaren Hinweis, diese oder jene Porzellankiste sei an dieser oder jener Grenze „auspassiret“ oder nach „Pohlen“ versand worden. Mancher Schreiber nahm sich dankenswerter Weise einen Augenblick länger Zeit und notierte noch dazu, an welchen Kaufmann die Sendung adressiert war. Diese Hinweise sind denn auch von größtem Interesse, bieten sie doch die einzige Möglichkeit, den Endkäufern des Judenporzellans zumindest im Einzelfall näher auf die Spur zu kommen. Dabei ist es für den Stellenwert des Handelsguts Porzellan wohl bezeichnend, daß man in derartigen Notizen auf Namen stößt, die man in der Regel auch mehr als 200 Jahre später noch ohne große Mühe identifizieren kann. So gingen die „zwey buntgemahlte Potspourri“, die der Königsberger Jude Wulff Moses Salomon im März 1778 für 100 Rt. anläßlich seiner Ansetzung als zweites Kind zu exportieren hatte, mit der Post nach Altstrelitz an Nathan Meyer (1740 – 1814), welcher nicht nur gut mit Moses Mendelssohn befreundet war, 545 sondern darüber hinaus – und das dürfte in diesem Kontext interessanter sein – seit 1775 als Kammeragent des seit 1753 regierenden Herzogs Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz (1738 –1794) 546 fungierte und den Hof „mit seltenen Waren“ belieferte. 547 Im Juli 1783 kaufte Meyer nochmals für 500 Rt. „Judenporzellan“ von Israel Riess, dessen Ansetzung in Königsberg allerdings scheiterte. 548 Es bleibt 544

Vgl. Hundert, Jews in Poland-Lithuania, S. 38 – 44. Seine Tochter Henriette (1776 – 1862) heiratete 1793 Mendelssohns Sohn Joseph (1770 – 1848). Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 358 –359; Reissner, Henriette Mendelssohn. 546 Zur Person zuletzt mit weiterer Literatur Alvermann. 547 Meier, Jüdische Seidenunternehmer, S. 183, 254; Dies., Der soziale Aufstieg, S. 59 – 60; Meyers Schutzprivileg für Altstrelitz datiert vom 30. Juli 1766 und wurde am 4. November 1775 auf Neustrelitz erweitert. Das Patent als Kammeragent war bereits am 24. September jenes Jahres ausgefertigt worden. Siehe Silberstein, S. 124 –125; vgl. Giese, Alt-Strelitz, S. 53; Donath, S. 139. 548 Siehe GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4592, Bl. 19; vgl. Export Nr. 1013 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 545

IX. Kommissionäre und Käufer von „Judenporzellan“

373

allerdings nur eine Vermutung, daß Meyer hierbei im Auftrage Adolf Friedrichs handelte, der durch Fritz Reuters Roman „Dörchläuchting“ als ängstlicher und permanent zahlungsunfähiger Fürst zu zweifelhaftem literarischen Nachruhm gelangte. 549 Ganz abwegig scheint der Gedanke jedenfalls nicht, wurden doch unter Adolf Friedrich, der tatsächlich einen gewaltigen Schuldenberg hinterließ, die Schlösser Neustrelitz, Neubrandenburg sowie die beiden Schlösser in Mirow neu gebaut bzw. neu eingerichtet. 550 Von besonderem Interesse sind zudem die Exportquittungen von Chaim Levin aus Memel (1773), 551 der Gebrüder Hirsch aus Heilsberg (1774) 552 sowie von Bendix Friedländer aus Königsberg (1776), 553 deren Porzellan im Gesamtwert von 650 Rt. die Preußische Post, deren Kutschen seit dem 1. Oktober 1772 auch durch Westpreußen rollten, 554 jeweils „unter Adresse an Herr Rottenburg und Uphagen a Dantzig“ versendete. Wie anderen Orts dargestellt wurde, verbergen sich dahinter der Großkaufmann und Schiffsreeder Franz Gottfried von Rottenburg, einer der reichsten Bürger der Stadt, sowie sein Teilhaber Karl Heinrich Uphagen (1738 – 1804). Bei letzterem handelt es sich um einen Bruder Johann Uphagens (1731 – 1802), dessen repräsentatives Wohn- und Geschäftshaus in der Langgasse heutigen Tags eine Abteilung des Danziger Stadtmuseums beherbergt. 555 Einmal mehr wird auf diese Weise deutlich, daß der Porzellanhandel vornehmlich eine Domäne der wirtschaftlichen und sozialen Elite darstellte, mit der die überwiegende Mehrheit der preußischen Judenschaft in keiner Weise zu konkurrieren vermochte. Lediglich vermuten kann man ferner, daß sich hinter dem Danziger Kaufmann Dodenhoff, an den der Königsberger Schutzjude Seligmann Joseph im Mai 1782 Porzellan im Wert von 501 Rt. versandte, 556 der 1784 zum Ratmann und 1807 zum Senator aufgestiegene Peter Dodenhoff (gest. 1818) 557 verbirgt – ins Sozialprofil eines Porzellankäufers würde er jedenfalls passen. 549

Vgl. Endler, Herzog Adolf Friedrich IV., S. 64 – 75. Endler, Herzog Adolf Friedrich IV., S. 70; vgl. zur Hofhaltung auch Starsy, S. 35. Bei der Ausschmückung der Residenzstadt Neustrelitz machte man sich übrigens auch die Finanzkraft der jüdischen Gemeinde zunutze. So wurden deren Mitglieder zur Beteiligung an einer Lotterie gezwungen, die den Bau der Stadtkirche finanzieren sollte. Siehe Wagner, Neustrelitz zur Zeit Dörchläuchtings, S. 77. 551 Siehe Export Nr. 0226 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 552 Siehe Export Nr. 0268 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 553 Siehe Export Nr. 0332 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 554 Stephan, S. 216. 555 Siehe dazu Schenk, Rzeczpospolita i Gda´nsk. 556 Siehe Export Nr. 0727 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Bemerkenswert an diesem Beispiel ist, daß zwischen Kauf und Export der Ware rund zehn Monate lagen. 557 Siehe Zdrenka, Rats- und Gerichtspatriziat der Stadt Danzig, S. 23, 35. 550

374

G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Auf den wohl interessantesten Porzellanexport, der sich genauer rekonstruieren läßt, stößt man hingegen im Westen der Hohenzollernmonarchie, nämlich in Bielefeld. Der dortige Judenälteste Jacob Schiff (1739 – 1819), der durch einen 1782 übernommenen Zwangsexport ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren „wegen seiner simulirten Haus Acquisition“ abzuwenden vermochte, verkaufte die Ware teils an einen Kaufmann in Mecklenburg-Strelitz und teils an den Reichsgrafen Johann von Fries (1719 –1785) nach Wien weiter. Fries galt als besonderer Günstling Kaiser Josephs II., und handelte möglicherweise im Auftrag der Wiener Porzellanmanufaktur, die sich auf diese Weise einen Eindruck von den neuesten Erzeugnissen der Berliner Konkurrenz zu verschaffen hoffte. 558 Faßt man die Ergebnisse dieses Kapitels zusammen, so gilt es zunächst auf die große finanzielle und organisatorische Belastung hinzuweisen, die den Juden durch den Transport des Porzellans über Distanzen von zumeist mehreren hundert Kilometern hinweg aufgebürdet wurde. Offenbar wurde die ebenso mühsame wie riskante Spedition deshalb häufig von professionellen Zwischenhändlern wie Israel Moses Ulmann übernommen, deren nicht genau zu beziffernder Profit dem Verlust des Privilegienempfängers hinzuzurechnen ist, welcher somit inklusive Verpackung, Plombage und Transport in aller Regel mindestens 50 % betragen haben dürfte. Als Ziel- oder zumindest als Transitländer des Exports wurden insbesondere die nördlichen Reichsterritorien Mecklenburg und Hamburg sowie außerhalb des Reiches Danzig und Polen gewählt. Nur selten steuerten die Kutschen mit dem Judenporzellan westlich oder südlich gelegene Zielorte an, wo die Konkurrenz insbesondere durch Meißener oder Ostindische Ware offenbar kaum Absatzchancen verhieß. Am Ende des Versandweges, so darf man vermuten, standen nicht selten Großkaufleute wie Rottenburg & Uphagen in Danzig, die über Kontakte zu jenen gehobenen Kreisen der Gesellschaft verfügten, die vornehmlich als Abnehmer für Porzellan in Frage kamen. Die hiermit umschriebenen Rahmenbedingungen des Vertriebes und des Abnehmerkreises mußten somit die Masse der jüdischen Zwangskäufer heillos überfordern. Denn welcher Altkleiderhändler aus Ostfriesland, welcher Pfandleiher aus Minden verfügte über Kontakte des geforderten Ausmaßes?

X. Die Haltung der KPM-Direktion sowie der Kabinettsräte Galster und Stelter zu den sinkenden Einnahmen durch den Exportzwang In den vorangegangenen Kapiteln wurden die Einführung des Exportzwangs, die damit verbundenen organisatorischen Probleme sowie die Umsetzung der 558

Vgl. Schenk, Von der Spree an die Donau, S. 10 – 11.

X. Die Haltung der KPM-Direktion zu den sinkenden Einnahmen

375

neuen Verordnung bei der Neuvergabe bzw. der Bestätigung von Privilegien untersucht. Doch zu welchen Volumina summierten sich nun die Ausfuhren durch die verschiedenen Gruppen jüdischer Privilegienempfänger, und wie wirkten sich die in den vorangegangenen Kapiteln geschilderten Entscheidungen des Generaldirektoriums auf den Fortgang des Porzellanexportzwangs aus? Ausweislich der Verkaufslisten der KPM führte insbesondere die anfänglich besonders starke Heranziehung der ersten und zweiten Kinder dazu, daß bereits 1770 rund 12 % des Gesamtabsatzes die Manufaktur auf diesem Wege verließen. Das Haushaltsjahr 1769/70, indem erstmals die Käufe der Juden ebenso wie der Lotteriepächter wirksam wurden, war zudem sicher nicht zufällig zugleich das Jahr, in dem die Manufaktur erstmals einen Überschuß von 12.000 Rt. an die Königliche Dispositionskasse abliefern konnte. 559 Insofern war insbesondere das Judenporzellan anfänglich für die Manufaktur zweifellos von großer wirtschaftlicher Bedeutung, doch führten die geschilderten Entwicklungen bei der Umsetzung des Exportzwangs ebenso dazu, daß sich die Einnahmen der Manufaktur durch jüdische Ausfuhren seit 1770 nahezu kontinuierlich reduzierten. Eine tabellarische Zusammenstellung ergibt folgendes Bild: Tabelle 11 Einnahmen der KPM durch jüdische Zwangsexporte zwischen 1769 und 1778 560 Jahr

Summe in Rt.

Anteil am Absatz in Prozent

1769 1770 1771 1772 1773 1774 1775 1776 1777 1778

5.114,12 11.515,01 7.689,02 4.456,10 5.190,20 5.160,30 3.857,60 3.288,12 1.288,20 2.000,00

5,77 12,64 8,14 4,78 5,25 5,09 3,90 3,28 1,42 2,56

Im Laufe von acht Jahren gingen demnach die Einnahmen der KPM aus dieser Sondersteuer um mehr als 80% zurück. Wie dem Inhalt der vorangegangenen Kapitel sowie der Verkaufsliste zu entnehmen ist, muß dieser Prozeß auf eine schrittweise „Entschärfung“ jener Verwaltungspraxis zurückgeführt werden, die zu der zwischenzeitlichen Spitzeneinnahme von rund 11.500 Rt. im Jahre 1770 559

Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 26 – 27. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 19 –36; Angaben zum Anteil am Absatz unter Verwendung des Zahlenmaterials bei Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 458. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Höhe der Einnahmen jeweils auf das Kalenderjahr bezieht, während das Haushaltsjahr der Manufaktur jeweils den Zeitraum 1. Juni bis 31. März umfaßte. 560

376

G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

geführt hatte. In diesem Kontext ist neben der vollständigen Dispensation der ostfriesischen Judenschaft sowie der anfangs stark belasteten ersten Kinder vor allem auf die zwar weiterhin rechtswidrige, jedoch schließlich auf Tarife von 50 bis 100 Rt. reduzierte Ausfuhrverpflichtung der zweiten Kinder hinzuweisen. Ein weiteres trug die 1776 vom König gebilligte Befreiung ererbten Hausbesitzes von der Verbindlichkeit zur Einholung einer neuerlichen Konzession bei. 561 Allerdings war dies zugleich die einzige Maßnahme, die das Generaldirektorium mit dem Monarchen abgestimmt hatte, während die übrigen Modifikationen sämtlich auf autonome Entscheidungsprozesse der Kameralbürokratie zurückgingen. Auch in Schlesien, von dem bislang noch nicht die Rede war, konnte von einer wirklichen „Durchsetzung“ des Reskripts vom März 1769 keine Rede sein. Hier stellt sich zunächst ein Quellenproblem, indem die beiden nach der preußischen Besitzergreifung eingerichteten Kammern in Breslau und Glogau nicht dem Generaldirektorium, sondern dem Schlesischen Provinzialministerium unterstellt waren, 562 dessen Aktenüberlieferung 1945 mit dem Staatsarchiv Breslau untergegangen ist. Provinzialminister von Hoym erklärte zwar am 28. März 1777: „Kein Jude erhält irgendein Privilegium, Toleranz oder Concession, der nicht in Folge der diesfälligen kgl. Cabinets Ordre ein Quantum von 100 Rtlr. bis 500 Rtlr. Porzellan aus der Kgl. Porzellanfabrique abnehmen und auswärtig debitiren muß.“ 563 Ausweislich der Verkaufsliste der Porzellanmanufaktur sind daran jedoch erhebliche Zweifel angebracht. Deutlich unterrepräsentiert bleibt darin die Gemeinde von Breslau, wo man 1776 auf Basis der Klassifikation der Instruktion für das Breslauer Judenwesen von 1754 564 17 Generalprivilegierte, 19 Privilegierte, 152 Tolerierte, 34 Fix-Entristen und 62 Privatbediente mit ihren Familien zählte. 565 In den im Bundesarchiv Berlin bzw. im Jüdischen Museum Frankfurt am Main 561

Siehe Kap. G. IV. Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, S. 70 –84; Haussherr, S. 130. Zur preußischen Judenpolitik in Schlesien nach 1740 Agethen, Situation der jüdischen Minderheit in Schlesien; Stern, Bd. III/1, S. 27 – 34. 563 Zitiert nach ebd., Bd. III/3, S. 1338 – 1346. Ebd., S. 1394 findet sich ein Hinweis auf die am 5. Juni 1783 vorgetragene Bitte der Breslauer Kammer, Hoym möge arme Koberjuden vom Porzellanexportzwang dispensieren. Als Koberjuden oder „Dorflaufer“ wurden jüdische Kurzwarenhändler bezeichnet, deren Sortiment beispielsweise aus Taschenmessern, Zwirnbändern und Knöpfen bestand. Siehe Zimmermann, Geschichte und Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien, S. 66. 564 Man unterschied dabei zwischen Generalprivilegierten, Privilegierten, Tolerierten, Fixentristen (den Bewohnern der Breslauer Vorstädte Hundsfeld und Festenberg aber auch Zülz, welche über ein zeitweiliges Aufenthaltsrecht in Breslau verfügten) sowie den Schutzgenossen. Siehe die „Instruktion und nähere Vorschrift, wie es bei dem Judenwesen zu Breslau hinfüro gehalten werden solle“ vom 22. April 1754, abgedruckt bei Stern, Bd. III/3, S. 1245 – 1258. 565 Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens, S. 40. Der Breslauer Münzlieferant Hirsch Simon erhielt sogar noch im September 1780 ein Generalprivileg, ohne in der Verkaufsliste aufzutauchen. Vgl. Stern, Bd. III/1, S. 109. Informationen zu den Fa562

X. Die Haltung der KPM-Direktion zu den sinkenden Einnahmen

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als Mikrofilm überlieferten Akten der Breslauer Gemeinde finden sich zudem allein in den beiden Jahren 1772/1773 zahlreiche durch die Kammer ausgestellte Trauscheine, ohne daß deren Empfänger in der Verkaufsliste auftauchten. 566 Die Glogauer Gemeinde, die im Jahre 1751 aus 190 Familien bestand, 567 ist in der Liste lediglich mit zwei Hausvätern und noch dazu erst 1786 vertreten. 568 Zülz, wo man 1751 99 Hausväter zählte 569 und das nach Ansicht des Königs ein „miserables Judennest“ 570 darstellte, fehlt sogar völlig. Wenn jedoch in keiner einzigen Provinz der Monarchie der Exportzwang gemäß den königlichen Befehlen umgesetzt wurde, stellen sich zwei Fragen: Warum erfuhr der König über ein Jahrzehnt hinweg nichts von alledem? Und warum schwieg KPM-Direktor Grieninger angesichts einer Entwicklung, die ihm kaum verborgen bleiben konnte? Die Beantwortung der zweiten Frage führt dabei auch die erste einer Lösung zu. Denn Johann Georg Grieninger schwieg keineswegs, sondern beschwerte sich mehrfach lautstark über die Einnahmeausfälle der Manufaktur – dies tat er allerdings nicht direkt beim König, sondern bei den für die KPM zuständigen Sekretären des Kabinetts. Zwischen 1763 und 1774 nahm diese Funktion, wie bereits angeführt, Karl Galster ein, 571 der im April 1772 von Grieninger darüber informiert wurde, daß die Juden bei der Vergabe von Konzessionen „itzt nicht mehr als für 50 oder höchstens 100 Rt.“ Porzellan kauften. Zudem kämen „derselben itzt nur sehr wenige“, und aus Ostpreußen oder Schlesien habe „sich schon seit länger als 1 ½ Jahren keiner weiter gemeldet“ 572. Die Folgen für die Manufaktur seien dramatisch, platzten die Lagerräume doch aus allen Nähten: Alles lieget und stehet über- und untereinander, mancher Artikel ist vorrätig, und niemand kann ihn finden, wenn darnach gefraget wird. Stuben, Cammern und Boden sind mit Porcelaine angefüllet, und viele gute Stücke werden durch das übereinander liegen Wrack gemacht.

Eine schriftliche Reaktion Galsters auf diese Klage des KPM-Direktors ist nicht überliefert, was sicher damit zusammenhängen dürfte, daß der Kabinettssekretär nur wenige Wochen später die oben geschilderten Gespräche mit Derschau führmilien der Breslauer Generalprivilegierten finden sich zudem in einem 1791 angelegten Familienbuch. Siehe JMFM, PSR A075. 566 Siehe JMFM, PSR A033. 567 Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens, S. 7; zur dortigen Gemeinde Lucas / Heitmann. 568 Es handelt sich dabei um Esaias Muncke und Hirsch Hillel. Siehe die Exporte Nr. 1296 und 1318 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 569 Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens, S. 7. 570 So in einer Kabinettsordre an Minister von der Horst, Potsdam, 14. Dezember 1773, zitiert nach A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 389. 571 Vgl. Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 24. 572 Dieses und das folgende Zitat: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F3, Bd. 1, Bl. 67.

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

te, in denen er einer Reduzierung der Abnahmetarife bei den zweiten Kindern mit Rücksicht auf den Erhalt der Templiner Strumpfmanufaktur ausdrücklich zustimmte. 573 An dieser für Grieninger unbefriedigenden Situation änderte sich auch nichts, als Galster wegen Korruption entlassen 574 und im März 1775 durch den Geheimen Oberrechnungsrat Johann Christian Friedrich Stelter (1726 – 1786) ersetzt wurde. 575 So beschwerte sich Klipfel bei Stelter im November 1776 darüber, daß „durch die Judenschaft gar selten und weniger Abnahme“ zu verbuchen sei. 576 Auch dieser erneute Vorstoß der KPM führte offenbar zu keinerlei Ergebnis, was für Grieninger und Klipfel um so ärgerlicher gewesen sein dürfte, als die in jenen Jahren erneut forcierten Versuche, die Exportrate der Manufaktur in eigener Regie zu erhöhen, erneut mit einem Fehlschlag endeten. Auf diese Bemühungen sei im folgenden kurz eingegangen, da sie nicht nur ein bezeichnendes Licht auf die Realitäten des mitteleuropäischen Absatzmarktes werfen, mit denen auch die Juden zu kämpfen hatten. Darüber hinaus wird deutlich, daß die Berliner Manufaktur durch das Judenporzellan bereits einen gewissen und wenig schmeichelhaften Bekanntheitsgrad jenseits der preußischen Grenze erreicht hatte. So schrieben Grieninger und Klipfel im April 1777 auf Befehl des Königs Großkaufleute aus Warschau, Hamburg, Frankfurt am Main und Lübeck mit dem Ziel an, diese zur Errichtung von Verkaufsniederlassungen auf eigene Rechnung zu bewegen. Von besonderem Interesse ist vor allem das Antwortschreiben des Kaufmanns Blanc aus Warschau, wo der preußische Gesandte Benoit bereits im Mai 1767 den Befehl erhalten hatte, mit einheimischen Kaufleuten zu verhandeln, um das Meißener Porzellan vom dortigen Handelsplatz zu verdrängen. 577 Wie Blancs Ausführungen zu entnehmen ist, war mittlerweile das Berliner Porzellan durch den Abnahmezwang für die Juden in Polen auf eine Art und Weise bekannt geworden, die den Intentionen des preußischen Königs zweifellos zuwiderlief. Denn nicht nur werde in Warschau „seit undencklichen Jahren ein Magazin mit Sächsischem Porcelain gehalten [...], wo man alle ersinnlichen Maaßregeln nimmt, den Debit zu mainteniren“. 578 Die KPM habe sich auf dem polnischen 573

Vgl. Kap. G. III. Auf diesen für einen Kabinettsrat einzigartigen Vorgang, dessen genaue Hintergründe bis auf den heutigen Tag ungeklärt sind, sei hier nicht näher eingegangen. Siehe A.B.B.O., Bd. XVI/1, S. 213 – 216. Auch bei der Besetzung des später ebenfalls wegen massiver Unterschlagungen abgesetzten Ministers Görne soll Galster seine Finger im Spiel gehabt haben. Siehe Hintze, Die preußische Seidenindustrie, Bd. 3, S. 285; vgl. Friedberg, Friedrich der Große und der Prozeß Görne. Zu Korruption, Protektion und Ämterkäuflichkeit im preußischen Staatsdient des 18. Jahrhunderts siehe allgemein Sieg, S. 34 –40. 575 Siehe Stelters Diensteid vom 5. März 1775 in A.B.B.O., Bd. XVI/1, S. 219 –220. 576 Klipfel an Stelter, 6. November 1776, GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F3, Bd. 3, Bl. 89 – 90. 577 A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 279. 574

X. Die Haltung der KPM-Direktion zu den sinkenden Einnahmen

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Markt „den vorzüglichsten Schaden“ durch verschiedene Zwangsexporte selbst zugefügt, und da dergleichen Bedingungen vorzüglich mit Juden gemacht worden, denen es auf dergleichen Sacrifice niemals ankommt, wenn sie nur auf der andren Seite desto mehr Vortheile erlangen können, so hat dieses so denn die üble Folgen, daß dergleichen übernommene Porcelaine mit 30 à 40, auch wohl 50 pCent Verlust in hiesigen Landen wieder verkaufft und demjenigen, der gleiche Waaren von der Königl. Preußischen Niederlage mit allen den bekandten Rabats und Zeit-Nachsichten kommen lässet, das Nachsehen gegeben wird, nicht zu gedencken, daß diese Umstände, die ohnmöglich allgemein bekandt seyn können, zu dem Gedancken Anlaß geben, zu glauben, es müsse das Porcelain ohngleich wohlfeiler zu haben seyn und daß man daher das hiesige Publicum zu übersetzen [d. h. zu übervorteilen] suche. [...] Da außer denen großen Unglücks Fällen, welche dieses Land seit einigen Jahren betroffen und die den Luxum nothwendig einschräncken [gemeint ist der polnische Bürgerkrieg], auch das sehr schwehr auszurottende Vorurtheil hinzutritt, das Sächsische Porcelain sey besser als das Berliner, so sehe ich um so weniger ein Mittel ab, wie Ewr. Absichten vor der Hand erreichet werden könnten. 579

Anderswo sah es offenbar nicht besser aus. Nach Jacob von Axen war in Hamburg „Jedermann [...] für das Dresdener Porcelaine eingenommen“ 580. Heinrich von Dittmer glaubte in Frankfurt ebenfalls an keine Absatzmöglichkeiten, da dort „nicht nur von der Meißener Fabricke [...], sondern auch von verschiedenen andern Verkauff-Lager bereits unterhalten“ 581 würden, und auch die Kaufleute F. H. und A. W. Pauli aus Lübeck mußten passen: „... ein assortirtes Lager für 578 Dieses und die folgenden Zitate: GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F3, Bd. 4, Bl. 21 – 22. Die Meißener Niederlassung in Warschau war 1731 gegründet worden. Siehe Warncke, Die Kunstpolitik der sächsischen Herrscher, S. 194. 579 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F3, Bd. 4, Bl. 21 –22. 580 Ebd., Bl. 23 – 24, „... und da durch die häufigen vormaligen und fast wöchentlichen anjetzo noch continuirenden Auctionen es mit diesem Articul so sehr verdorben wird, so ist das mehreste Geschäffte hierin fast nur Completirung oder Ersatz des Zerbrochenen, wodurch die damit negocirende abgehalten werden, große Laager zu halten, weil für eigene Rechnung diese zu halten offenbar nicht conveniret. Recht sehr gerne wünschte ich mit Ewr. p. in dieser Branche von Geschäften mich einlassen zu können, wenn ich nur einigermaßen bey eigener Rechnung Vortheil dabey absehen könnte.“ Zur Führung einer Kommissionsniederlage sei er allerdings bereit. 581 Ebd., Bl. 25 – 26, „Indem ich gewiß vermuthe, daß die dasigen Porcelaines in der Schönheit allen andern bereits vorgehen und die Preise verhältnismäßig stehen werden, so sollte ich fast glauben, daß der Versuch nicht gantz fehlschlagen würde, zumahl, da hier zu Meß-Zeitten ein Zusammenfluß von Herrschaften, sowohl als aller Art Fremden aus verschiedenen Gegenden ist und die Stadt nach Franckreich, der Schweitz und den Niederlanden die beste Lage hat.“ Doch vergaß er nicht, sich abzusichern: „Indessen wollen Sie diese Erklärung nicht als eine Reitzung nehmen, damit ich bey einem etwa dennoch nicht zufriedenen Ausschlag von allem Vorwurff frey seyn möge, da ich bey der Sache keine Absicht einiger Interessen hege und bloß eine Ehre darinn suche, wenn ich zum Nutzen der Königlichen Manufactur etwas beyzutragen im Stande bin.“

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

unsere Rechnung alhier zu errichten, dazu können wir uns nicht entschließen“. 582 Lediglich mit dem überaus vermögenden Baron von Rüdiger, einem polnischen Kammerherrn, der in den Danziger Vorstädten für die Königliche Bank, die Lotteriegesellschaft sowie für die Firma Splittgerber tätig war, kam in der Folge ein Vertrag zustande, so daß bald „28 Kisten voll von allen Sorten hiesiger Porcelaines“ 583 nach Westpreußen abgingen. Einmal mehr gelang es also der KPM nicht, mit privaten Großkaufleuten ins Geschäft zu kommen, so daß man sich staatlicher Monopolgesellschaften wie der Genuesischen Lotterie-Ferme 584 oder der Seehandlung bedienen mußte, mit der im Dezember 1777 ein Vertrag wegen einer Niederlage in Warschau abgeschlossen wurde. 585 So mußte Grieninger am 14. November 1777 an Stelter, bei dem er sich bereits im August über die zurückgehenden Einnahmen aus dem Zwangsexport beklagt hatte, 586 berichten: 582 Ebd., Bl. 27, „... ist es Ihnen aber gefällig, eine Partie davon an uns in Commission einzusenden, so werden wir uns bemühen, einen geschwinden und nüzlichen Absatz darinn zu bewerckstelligen und die dienstlichsten Maaßregeln ergreifen, diesen Endzweck zu erreichen. Die Dresdner Manufactur hat unter einem andern hiesigen Hause ein assortirtes Lager von solchen Sorten, die als Ausschuß betrachtet werden und continuiret auch mit Einsendungen, welches vermuthen läßt, daß sie Rechnung dabey findet. Da einer von uns im Begriff stehet, eine Reise nach Dänemarck und Schweden zu machen, so wird sich derselbe bemühen, Bestellungen darin sich zu erwerben.“ 1783 wurde die Seehandlung mit einer Porzellanauktion in Lübeck beauftragt. Siehe A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 679. 583 Notiz Grieningers vom 3. Oktober 1777, GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F3, Bd. 4, Bl. 48. 1783 hätten es noch weitaus mehr werden können, als Rüdiger versuchte, die bisherigen Lotteriepächter, die Erben Reuß und Eichstädt, durch ein überaus günstiges Angebot aus ihrem Vertrag zu drängen, wobei er sich unter anderem erbot, jährlich Porzellan für 10.000 Rt. anzukaufen. Doch auf Betreiben Schulenburg-Kehnerts wurde das Angebot abgelehnt: Der Baron galt nicht mehr als seriös, stand ihm doch gerade ein Betrugsprozeß bevor, über den allerdings nichts näheres bekannt ist. Vgl. Warschauer, S. 45 –49. 584 A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 679. 585 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F3, Bd. 4, Bl. 59, 70 –71, 80, 87 –90; A.B.Z.A., Bd. III/2, S. 442. Im Oktober 1781 besaßen die in der Warschauer Niederlage gelagerten Waren (Wachs, Pottasche, Salz, Spezereien, schlesische Leinwand und Porzellan) einen Wert von 592.782 Rt. Siehe ebd., S. 458. Noch 1783 erging an Schulenburg-Kehnert eine Kabinettsordre, wonach sich die Seehandlung zum Abbau der „großen Porzellanvorräte“ um Exporte nach Hamburg, Mecklenburg, Bremen, Stade, Lübeck, Spanien und Portugal bemühen solle. Siehe ebd., S. 455. 1785 soll die Seehandlung in Lübeck für 1.697 und in Bremen für 868 Rt. Porzellan abgesetzt haben. Siehe MA, OS, Zustand, Bl. 45 –46. 586 Siehe MA, OS, Acta bey der Abnahme der Porcelaine-Manufactur Casse Rechnung pro 1776/7, Bl. 7 – 8, wonach „von den beneficirten Juden wenige und fast gar keine Porcelaines oder nur in gantz geringen Summen als zu 25, 30, 40 bis 50 Rt. zum auswärtigen Debit genommen worden, da doch ein jeder derselben vermöge Allerhöchster Cabinets Ordre d.d. Potsdam d. 21. Märtz 1769 aufs geringste für 300 Rt. nehmen sollte. Die jüdischen Kaufleute Kuhs zu Breslau, von welchen der Herr Geheime Cabinets Rath geschrieben, daß sie kommen und wegen erhaltener Privilegii für 500 Rt. Porcelaines nehmen würden, haben sich auch noch nicht gemeldet.“ Den Kuhs, die tatsächlich erst im Februar 1778 in der

X. Die Haltung der KPM-Direktion zu den sinkenden Einnahmen

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Nichts liegt mir mehr am Hertzen, als Sr. Königlichen Majestät Allerhöchste Befehle und Eurer Hochwohlgebohrnen zu des Werckes und meinem selbsteigenen Besten stets eingerichtete Aufträge mit größter Sorgfalt auszurichten. Es ist Pflicht und Schuldigkeit. [...] Über die zu einer bessern Einnahme zu ergreifenden Mittel unterrede ich mich täglich mit dem Hrn. Klipfel, wir wissen aber beide dieserhalb nichts mehr zu unternehmen, was nicht schon von uns wäre versuchet worden. Fleißige Correspondence wird unterhalten ... 587

Stelter, dem dies offensichtlich zuwenig war, wurde allerdings ungeduldig und antwortete drei Tage später: „Ich habe doch immer davon sprechen gehöret, daß sich hin und wieder recht gute Kaufmanns Häuser gemeldet, die gerne den Porcellaine Handel auf eine oder die andere Weise übernehmen wollen, dem ohngeachtet ist bis jetzt noch nichts zum Stande gekommen.“ 588 Der gemaßregelte Grieninger beteuerte seinerseits am 22. November, daß an der unbefriedigenden Exportsituation vor allem die nachlassende Strenge bei der Durchsetzung des Exportzwangs verantwortlich sei. 589

Verkaufsliste auftauchen – vgl. Export Nr. 0369 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232) – wurde das Generalprivileg verliehen unter „den von ihnen selbst offerirten und ausdrücklichen Bedingungen, daß sie 1. eine beträchtliche und vollkommene Wachsbleiche etabliren, 2. fünfzehen bis zwanzig unvermögende Tuchfabricanten mit den erforderlichen Werkzeugen und Materialien unterstützen und ihnen ihre Fabricata für den billigsten Preiß abkaufen, endlich 3. für 500 Rt. Porcellain zum auswärtigen Debit aus unserer Berliner Porcellain Fabrique übernehmen“. Abschrift des Privilegs in GStA PK, XX. HA, Tit. 83, d 4, Nr. 207; vgl. Stern, Bd. III/3, S. 1322 –1323. Kurioser Weise hatten die gegen die Privilegierung der Kuhs opponierenden christlichen Kaufmannsältesten Breslaus im Februar 1777 ihrerseits angeboten, die Kaufmannschaft der schlesischen Hauptstadt würde ebenfalls für 500 Rt. Porzellan exportieren, wenn das Generalprivileg nicht ausgefertigt würde. Ebd., S. 1328 – 1329. 587 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422, F3, Bd. 4, Bl. 60. 588 Ebd., Bl. 66 – 67. Offenbar mit Blick auf das Verhältnis von Grieninger und Klipfel (die beiden konnten sich nicht ausstehen) fuhr Stelter fort, Klipfel sei gewiß der Mann, „der den auswärtigen Debit zu erweitern und auszubreiten so willig als gehorsam ist. Dazu braucht er aber von Seiten Ew. Wohlgebohren alle mögliche Unterstützung und Beystand. Er ist zu bescheiden, um vorzugreifen, aber auch zu sensible, um sich zu streiten, also bleibt indessen alles gute liegen.“ Gewiß nicht ohne Hintergedanken wies der Kabinettsrat den KPM-Direktor darauf hin, daß Klipfel „die mehrere Aufnahme des Werks bey Gelegenheit des neuen Baues versichert [habe]. Er ist also der Garant, an den man sich hält, und ist es dahero nothwendig, ihm auf keine Weise Gelegenheit zu geben, die Garantie durch ihm im Wege gelegte Hindernisse von sich ablehnen zu können.“ 589 So sei „bekannt, daß die Russen durch die von den Zoll- und Accise Bedienten zu Dantzig unternommene harte Visitation ihrer Porcelaine Kisten sind abgeschrecket worden, wieder zu kommen, und daß die vorhin festgesetzten Summen, für welche die beneficirten Juden zum auswärtigen Debit nehmen sollten, so weit und manchmal von 300 Rt. auf 25 Rt. herabgesetzet werden und sich dermaln nur selten ein Jude weiter meldet, dieses trägt zur verminderten Einnahme das mehreste bei“. Siehe ebd., Bl. 68 – 69. Übrigens war bereits am 5. Juli 1753 ein Edikt in deutscher, polnischer und litauischer Sprache erlassen worden, das die Belästigung russischer, jüdischer und sonstiger auswärtiger Kaufleute

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G. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 1 (1769 –1779)

Doch auch diese Supplik zeitigte keine Folgen, womit die Modalitäten des Abnahmezwangs vorerst weiterhin dem Generaldirektorium sowie bis zu einem gewissen Grade auch dem Generalfiskalat überlassen blieben. Da hier die wesentlichen Entscheidungen jedoch bereits zu Beginn der 70er Jahre gefallen waren, war an eine Erhöhung der Einnahmen der Manufaktur auf dem Wege des Exportzwangs nicht zu denken. Bilanziert man diese Befunde, so ist zunächst hervorzuheben, daß Friedrich der Große selbst in „seiner“ Porzellanmanufaktur nicht die Rolle des allgegenwärtigen Königs zu spielen vermochte, die ihm in der kunstgeschichtlichen Literatur weithin zugemessen wird. 590 Stattdessen war die Haltung der Kabinettsräte Galster und Stelter für den Fortgang des Abnahmezwangs in den ersten zehn Jahren von entscheidender Bedeutung. Indem diese, offenbar mit Blick auf das Fortbestehen der Templiner Manufaktur, nicht auf die wiederholten Beschwerden Grieningers und Klipfels reagierten, sondern die KPM-Direktion auf eigene Exportbemühungen festzulegen versuchten, blieb auch die Frage der Zwangskäufe in erster Linie dem Generaldirektorium überlassen, das seine Verwaltungspraxis in jenen Jahren noch stark an die Positionen der Kammern und Steuerräte anlehnte. Weder Grieninger noch Klipfel waren augenscheinlich bereit, durch Immediatvortrag beim König, zu dem schließlich ausreichend Gelegenheit bestanden hätte, in dieses Institutionengefüge einzugreifen und sich womöglich den Unmut der mächtigen Kabinettsräte zuzuziehen. Insofern mag man in diesem Vorgang auch ein Beispiel für die zunehmend desintegrierende Wirkung der Kabinettsregierung erblicken, denn bereits nach einigen Jahren wußte vermutlich jeder der damit befaßten Beamten in den beteiligten Institutionen (Generaldirektorium und Kammern, Generalfiskalat, KPM, Kabinettssekretariat), daß das Reskript vom 21. März 1769 so gut wie nirgends auch nur halbwegs sinngemäß durchgesetzt wurde. Nur der König wußte buchstäblich von nichts – zehn Jahre lang. Daß sich dies im Frühjahr 1779 änderte, verdankte sich einem Zufall, der seinen Ausgang in Bayern nahm. Doch zuvor gilt es, eine Zwischenbilanz zu ziehen.

XI. Zwischenergebnis Überblickt man die ersten zehn Jahre nach Einführung des Exportzwangs, so ergibt sich das Bild eines königlichen Befehls mit verheerendem Potential, das durch die Beamtenschaft jedoch aus utilitaristischen Beweggründen deutlich „entschärft“ wurde. Indem das Generaldirektorium die im Reskript vom März 1769 aufgestellten Tarife von 300 bzw. 500 Rt. drastisch abgesenkte, legte es jedoch unter Strafe stellte, sich jedoch wohlgemerkt nicht an das Zoll- und Akzisepersonal richtete. Siehe N.C.C., Bd. 1, Sp. 533 – 535. 590 Die wichtige Rolle der Kabinettsräte betonte erstmals in der gebotenen Deutlichkeit Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 24. Gerade die ältere kunstgeschichtliche Literatur huldigt stattdessen der Chimäre des allgegenwärtigen Königs.

XI. Zwischenergebnis

383

keine naturrechtlich motivierte Opposition an den Tag, sondern folgte der insbesondere durch Steuerräte und Kammern vorgetragenen Kritik, wonach jedes andere Verfahren den Ruin zahlreicher jüdischer Hausväter nach sich gezogen hätte. Massive Ausfälle im Zoll- und Akzisebereich sowie Beeinträchtigungen des städtebaulichen Retablissements nach dem Siebenjährigen Krieg, in dem Juden durch die Bebauung wüster Stellen zum Teil eine wichtige Rolle spielten, wären unweigerlich die Folge gewesen. Von einer grundsätzlichen Kritik an der friderizianischen Judengesetzgebung ist in den Verwaltungsakten hingegen so gut wie nichts zu spüren. Mehr noch: Wenn man an die geradezu skrupellose Art und Weise denkt, in der der Templiner Vertrag wenige Monate nach seiner Unterzeichnung durch das Generaldirektorium gebrochen wurde, um auch die zweiten Kinder zu Porzellanexporten heranziehen zu können, regen sich arge Zweifel, ob sich die Ministerriege mehrheitlich auch nur einer „Kontrakttheorie des Judenschutzes“ verpflichtet fühlte, der doch zumindest „ein gewisses Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Schützern und Geschützten“ 591 hätte zugrundeliegen müssen. In jedem Falle spricht es der vielfach vorgetragenen These einer Verrechtlichung der Judenpolitik förmlich Hohn, daß ein durch den König unterzeichneter Vertrag kurze Zeit später durch die Bürokratie wissentlich gebrochen wurde. Den Judenältesten, deren Suppliken als „Unfug“ abgetan worden waren, wurde somit ein weiteres Mal unzweideutig vor Augen geführt, wie prekär die Lage der Judenschaft in Preußen immer noch war und daß es im Zweifelsfall keine Instanz im Lande gab, die selbst gegen die offensichtlichsten Rechtsbrüche vorzugehen bereit war, solange sie nur dem Fiskus zugute kamen. Die möglichen Folgen leuchteten vorerst freilich nur bedrohlich am Horizont auf. Denn das Generaldirektorium erklärte den Exportzwang keineswegs zur alleinigen Priorität bei Konzessionsverfahren. Und in Zeiten einer offensichtlich weit vorangeschrittenen Entfremdung von Monarch und Ministerialbürokratie war Friedrich in der Staatsspitze der Einzige, der von alledem nichts mitbekam. Derweil vergab das Generaldirektorium Konzessionen. Nach zehn Jahren waren es fast 700 im ganzen Land.

591

S. 19.

Toury: Behandlung jüdischer Problematik in der Tagesliteratur der Aufklärung,

H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 – 1786) I. Bürgerliche Verbesserung der Juden? Skizze einer Debatte Im Jahre 1779, dies wird in den folgenden Kapiteln nachzuweisen sein, traten der Porzellanexportzwang und mit ihm die preußische Judenpolitik in eine Phase schärfster Ausprägung ein, die bis zum Tode Friedrichs des Großen im Jahre 1786 andauern sollte. Mit der ersten Hälfte der 80er Jahre verbindet man weithin allerdings etwas ganz Anderes, nämlich die einsetzende Emanzipationsdebatte. Um deshalb ermessen zu können, wie stark gerade preußische Juden in jenen Jahren die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ empfunden haben müssen, bedarf es zumindest einiger knapper Ausführungen zu jener zeitgenössischen Diskussion, vor deren Hintergrund sich der verschärfte Exportzwang abspielte. Wenn in der Literatur von den 1780er Jahre als Beginn der jüdischen Neuzeit die Rede ist, 1 so hat ein junger Kaiser aus dem Hause Habsburg daran einen beträchtlichen Anteil. Gemeint ist Joseph II., der im Jahre 1780 nach dem Tode seiner Mutter Maria Theresia die Alleinregentschaft antrat. Zu seinem „Programm“, dem auf Herrschaftszentralisierung abzielenden Josephinismus 2 gehörte in den folgenden Jahren neben Reformen auf den Feldern der Kirchen-, Agrar-, Bildungsund Gesundheitspolitik auch eine Toleranzpolitik für nichtkatholische Religionsgemeinschaften. 3 In diesem Zusammenhang ergingen zwischen Oktober 1781 und Februar 1782 in rascher Folge Toleranzpatente für die Juden der habsburgischen Erblande, also Böhmens, Österreichisch Schlesiens, Wiens und Mährens, denen bis 1789 weitere Patente für die österreichischen Niederlande, Ungarn und Galizien folgten. 4 Zwar beinhalteten die Toleranzpatente „ein seltsames Gemenge 1

Volkov, S. 3; vgl. die Periodisierung des Bandes von Maurer, Entwicklung der jüdischen Minderheit in Deutschland. 2 Der Begriff bezieht sich dabei in der jüngeren Forschung nicht mehr allein auf die Zeit der Alleinregentschaft Josephs II. in den Jahren von 1780 bis 1790, sondern wird vielmehr verwendet „als konventionelle Chiffre für den Reformabsolutismus der theresianischen, josephinischen und leopoldinischen Zeit, mit einer Vorbereitungsphase in der ersten Hälfte des 18. und einer Nachwirkungsphase im 19. Jahrhundert“. Siehe Klueting, Deutschland und der Josephinismus, S. 64. 3 Siehe grundlegend Bradler-Rottmann; Barton; vgl. die Beiträge bei Matis.

I. Bürgerliche Verbesserung der Juden?

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von scheinbarer Gleichberechtigung und Diskriminierung“ 5 und begünstigten insbesondere die wohlhabenden Wiener Juden, 6 doch fielen andererseits zahlreiche wirtschaftliche Restriktionen wie das Verbot des Hausierhandels. Trotz aller dabei zu berücksichtigenden Einschränkungen beschritt der Kaiser auf dem Feld der Judenpolitik also unzweifelhaft neue Wege – Wege, die auch in der schöngeistigen Literatur der vorangegangenen Jahrzehnte bereits angelegt waren, hatte sich doch zunehmend die Auffassung Bahn gebrochen, „daß der Wegfall der Unterdrückung die oberflächlichen Fehler des Charakters [der Juden] schnell und gänzlich beseitigen werde“. 7 So wies nicht nur die von Friedrich Nicolai herausgegebene Allgemeine Deutschen Bibliothek eine durchaus judenfreundliche Tendenz auf, 8 auch Nicolai selbst hatte sich in seinem Erfolgsroman Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker in dieser Richtung geäußert. So erwidert der Titelheld einem aufgrund eines gescheiterten Missionierungsversuchs an einem Juden erbosten Diakon, der Jude sei ein Mensch, wie wir, glaubt von seiner Meinung überzeugt zu sein wie wir, die ihn mit sich zufrieden macht, wie uns die unsrige. Lassen Sie uns, dem barmherzigen Gotte gleich, der uns alle erträgt, unsere Toleranz nicht nur auf alle Christen, sondern auch auf Juden und alle anderen Nichtchristen ausdehnen. 9

Im April 1779 veröffentlichte Gotthold Ephraim Lessing schließlich sein epochemachendes Schauspiel Nathan der Weise als eine „Apotheose der aufklärerischen Toleranz und der Humanitätsreligion“. 10 Zwei Jahre später zeigte der junge Kriegsrat Christian Wilhelm Dohm 11 mit der Publikation seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, 12 daß der neue Geist auch Teile der preußischen Bürokratie erfaßt hatte. In der Argumentation des Autors, der unter anderem als Mitglied der Mittwochsgesellschaft 13 regen Anteil am geistigen 4 Karniel, Toleranzpolitik Kaiser Josephs II., S. 378 – 474; Lind, Juden in den habsburgischen Ländern, S. 394 – 407. 5 Karniel, Toleranz Kaiser Josephs II., S. 175; vgl. Whaley, S. 187. 6 Davon erhoffte sich Joseph II. übrigens unter anderem einen Magneteffekt auf die reiche Berliner Gemeinde. So hätte es der Kaiser gern gesehen, wenn Daniel Itzig und sein Geld seinen beiden an Wiener Juden verheirateten Töchtern Fanny von Arnstein und Cäcilie von Eskeles an die Donau gefolgt wären. Siehe Karniel, Toleranzpolitik, S. 415. Zur kulturgeschichtlichen Rolle der beiden Itzigtöchter im Wiener Geistesleben siehe Bilski. 7 Toury, Behandlung jüdischer Problematik in der Tagesliteratur der Aufklärung, S. 21; vgl. ferner Och, Imago Judaica; für vergleichbare Entwicklungen im englischsprachigen Raum um 1750 siehe Felsenstein, S. 226 – 227. 8 Siehe dazu Vierhaus, Friedrich Nicolai und die Berliner Gesellschaft. 9 Zitiert nach Bruer, Aufstieg und Untergang, S. 56. 10 Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, S. 63. 11 Vgl. zur Person Dohms neben der in Kap. A bereits angegebenen Literatur Vierhaus, Christian Wilhelm von Dohm, sowie jüngst Wüller; zur anschließenden Debatte Heinrich, Haskala und Emanzipation; Dies., Debatte; Möller, Aufklärung, Judenemanzipation und Staat; Ders.: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden.

386

H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Leben der Hauptstadt nahm, nahm folgende Überlegung eine Schlüsselrolle ein: „Alles, was man den Juden vorwirft, ist durch die politische Verfassung, in der sie itzt leben, bewirkt, und jede andere Menschengattung, in dieselben Umstände versetzt, würde sich sicher eben derselben Vergehungen schuldig machen.“ 14 Allerdings, dies wird in der Forschung zu Recht betont, mündete diese Feststellung nicht in die Forderung nach sofortiger und rückhaltloser Emanzipation, sondern in ein Plädoyer für einen „schrittweisen Erziehungsprozeß“, 15 an dessen Anfang den Juden vor allem erweiterte ökonomische Betätigungsfelder in Handwerk und Ackerbau zugewiesen werden sollten. Erst nachdem die Juden ihre durch die bisherige Verfassung bewirkte „Verdorbenheit“ abgelegt hätten, sollten sie mit der Verleihung voller staatsbürgerlicher Rechte „belohnt“ werden. Dieser „ambivalente Charakter des von Dohm entwickelten Emanzipationskonzepts“, 16 der nicht zuletzt einen „Geist vormundschaftlicher Administration“ 17 beförderte, sollte denn auch den weiteren Gang der Judenemanzipation in Deutschland entscheidend prägen. Allerdings sollte sich Josephs II. Befürchtung als vollkommen unbegründet erweisen, sein bewunderter Rivale Friedrich könne Dohms Vorschläge bald in die Praxis umsetzen und Preußen somit einen weiteren Vorteil in der Auseinandersetzung mit Habsburg verschaffen. 18 Dieses Kalkül des jungen Kaisers belegt jedoch, daß die Toleranzpolitik auch zu einem Faktor europäischer Machtpolitik in einer Zeit avancierte, in der das preußisch-österreichische Verhältnis aufgrund der aggressiven Expansionspolitik Josephs zwischen Bayerischem Erbfolgekrieg (1778/79) und Gründung des Fürstenbundes (1785) aufs Äußerste gespannt war. Denn der „Zweikampf“ zwischen Berlin und Wien wurde dabei nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch an den Druckerpressen ausgetragen, kam es doch geradezu zu einem durch die beiden außenpolitischen Abteilungen unter Hertzberg und Kaunitz dirigierten „Propa12 Die Wurzeln der Schrift liegen im französischen Elsaß, dessen Judenschaft sich in den 70er Jahren mit verstärkten publizistischen Angriffen unter der Ägide des Landvogts Jean-Francois Hell konfrontiert sah, so daß einer ihrer Vorsteher, der Heereslieferant Herz Cerfberr, mit der Bitte um Unterstützung an den weithin bekannten und verehrten Moses Mendelssohn herantrat, der sich daraufhin mit der Bitte um publizistische Unterstützung an den mit ihm befreundeten Dohm wandte. Siehe Gerson, Kehrseite der Emanzipation in Frankreich, S. 37 – 47; ausführlich auch Bourel, S. 319 – 381. 13 Siehe Birtsch, Berliner Mittwochsgesellschaft; Haberkern. Dessen Ausführungen „zur Verbesserung der sehr unbefriedigenden Stellung von Bürgern [!] jüdischen Glaubens innerhalb der preußischen Gesellschaft“ ebd., S. 241 – 243 bleiben allerdings blaß. 14 Dohm, Über die bürgerliche Verbesserung der Juden, S. 35. 15 Jersch-Wenzel, Rechtslage, S. 20. 16 Berding, Judenemanzipation in Deutschland, S. 236; Michael, Antijüdische Tendenz. 17 Heinrich, Debatte, S. 841. 18 Karniel, Toleranzpolitik, S. 415.

I. Bürgerliche Verbesserung der Juden?

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gandakrieg“, der in den Jahren 1784 –1787 seinen Höhepunkt erreichte. 19 Gerade in diesen Jahren verlagerten die deutschen Juden ihre Sympathien zunehmend von der Spree an die Donau. Denn während die josephinische Toleranzpolitik bei zahlreichen orthodoxen Juden namentlich im Osten der Habsburger Monarchie wegen ihrer auf Säkularisierung und Assimilation an die deutsche Kultur abzielenden Tendenz durchaus ablehnend aufgenommen wurde, sorgte sie bei jüdischen Maskilim (Aufklärern) aus dem deutschen Kulturbereich vielfach für Begeisterung. 20 So verfaßte Hartwig Wessely, Hamburger Schriftgelehrter und Freund Mendelssohns, Worte des Friedens und der Wahrheit, die die Patente Josephs enthusiastisch feierten. Bezeichnend war es wohl auch, daß die preußische Polizei es Daniel Itzig im Jahre 1781 untersagen mußte, weiterhin den österreichischen Gesandten in Berlin zu besuchen. 21 Währenddessen entfaltete die josephinische Toleranzpolitik auf die politischen Eliten einzelner Reichsterritorien durchaus gewisse Folgewirkungen und beeinflußte etwa die Minderheitenpolitik in Kurtrier 22 und Kurmainz. 23 Auch Markgraf Karl Friedrich von Baden verlangte von seinem Hofrat im Februar 1782 Vorschläge, ob und wie weit „dasjenige, was in einer neuen Oesterreichischen Verordnung und deren Nachtrag, wegen derer Juden verordnet worden, in hiesigen Landen mit Nuzen zu appliciren“ 24 wäre. Währenddessen leitete man in Hessen-Darmstadt unter Landgraf Ludwig IX. (reg. 1768 –1790) eine „Liberalisierung im Sinne einer aufgeklärt-etatistischen Judenemanzipation“ 25 ein. Anders als Minister Hertzberg erfaßte jedoch der alternde preußische König die Bedeutung all dessen wohl nicht mehr. Bezeichnend hierfür war Friedrichs beißender Spott, wonach Joseph allen Grund zu einer projüdischen Politik habe, trüge er als Habsburger doch unter anderem den Titel eines Königs von Jerusalem. 26 Vor diesem Hintergrund, so darf man vorerst vermuten, konnte die entfachte Diskussion um Emanzipation und bürgerliche Verbesserung zumindest zu Lebzeiten Friedrichs kaum Wirkungen auf die judenpolitische Verwaltungspraxis entfalten. Aber blieb deshalb in Preußen wirklich „alles beim alten“? 27

19

Vgl. Bodi, S. 66, 69, 171 – 176. Karniel, Toleranzpolitik, S. 418 – 422. 21 Ebd., S. 455. 22 Vgl. Raab, Toleranz im Kur- und Erzstift Trier, S. 39. 23 Zur dort nach 1784 unter Kurfürst Karl Joseph von Erthal (1719 –1802) durchgeführten Abgabenreform siehe Post, Judentoleranz und Judenemanzipation, S. 201 –283. 24 Zitiert nach Toury, Eintritt der Juden. Dokumentation, S. 30. 25 Battenberg, Gesetzgebung und Judenemanzipation im Ancien Régime, S. 54. 26 Padover, S. 186. 27 Jersch-Wenzel, Rechtslage, S. 26. 20

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

II. Ein Münchner Todesfall und seine Folgen. Die fiskalische Revision des Exportzwangs im Jahre 1779 Am 30. Dezember 1777 starb in München der bayerische Kurfürst Max III. Joseph und löste durch sein Ableben Komplikationen aus, in deren Gefolge es auch für zahllose preußische Judenfamilien zu einschneidenden Änderungen kommen sollte. Mit Max Joseph erlosch nämlich die bayerische Linie der Wittelsbacher, deren Erbe nun dem pfälzischen Zweig der Familie unter Karl IV. Theodor (1724 – 1799) zufiel. Im Hause Habsburg hatte Joseph II. schon seit längerem mit einem Tauschprojekt geliebäugelt, durch das er sich unter Preisgabe der südlichen Niederlande in den Besitz Bayerns bringen wollte. Da auch Karl Theodor diesem Plan positiv gegenüberstand, sah man in der Hofburg nun die Stunde gekommen, den habsburgischen Zugriff auf Süddeutschland massiv zu verstärken. Dieses Projekt mußte jedoch nahezu zwangsläufig den österreichisch-preußischen Dualismus wiederaufleben lassen, der nur kurzfristig durch die erste polnische Teilung 1772 in den Hintergrund getreten war. In der Folge dieser hier nicht näher zu schildernden Konstellation 28 kam es am 5. Juli 1778 mit dem Einmarsch preußischer und sächsischer Truppen in Böhmen zum Intermezzo des Bayerischen Erbfolgekrieges, wobei die Auseinandersetzungen über einen verlustreichen Bewegungskrieg nicht hinausgelangten und schließlich im Mai 1779 in den Frieden von Teschen mündeten, in dem Joseph sein ehrgeiziges Tauschprojekt wiederum aufgab, jedoch in den Besitz der östlich von Salzach und Inn gelegenen Gebiete gelangte, wohingegen die preußische Expektanz auf Ansbach-Bayreuth erneut bestätigt wurde. Nun stellt sich im vorliegenden Kontext die Frage nach dem Zusammenhang dieser Mächtepolitik mit den Existenzbedingungen der preußischen Judenschaft. Den missing link bildet die KPM – denn diese geriet in jenen Monaten erstmals seit ihrem Bestehen in ernste Schwierigkeiten. Direktor Grieninger notierte sich: Und wenn wir gleich 1778. wegen der in Ansehung der Bayer.en Erbfolge entstandenen Krieges Gerüchten einen Ausfall in dem Absatz unserer Porzelläne erfahren musten: so waren wir doch bei dem bishero bei der Manufaktur überall gehabten Glücke auch für die Zukunft gantz ruhig und unbekümmert. Nur befremdete es unsern allergnädigsten König, daß der Porzellän Manufaktur Cassen Bestand in den ersten Monaten vorgedachten Jahres wegen weniger gehabten Einnahme so merklich vermindert worden. 29

28 Zu den österreichischen Sukzessionsansprüchen auf Bayern und der habsburgischen Politik in den süddeutschen Reichskreisen Kulenkampff ; ferner Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, S. 108 – 109; Demel, Reich, Reformen und sozialer Wandel, S. 270 – 274. 29 Grieninger, Ursprung und Fortgang, S. 290.

II. Ein Münchner Todesfall und seine Folgen

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In der Tat gab sich Friedrich keineswegs ruhig und unbekümmert, sondern warf Grieninger bereits am 6. Februar 1778 vor, es müßen in dem Betrieb des Werks selbst Fehler vorgehen, die hier nicht eingesehen werden können. Soviel ist indeßen gewiß, wenn mehr ausgegeben, wie eingenommen wird, so kann die Wirthschaft nicht souteniren. Es muß daher mehr Ernst und Fleiß auf die Sache gewendet und besonders dahin alle Sorgfalt gewendet werden, daß ein größerer Debit und mehrere Geldeinnahmen verschaffet wird. 30

Am 4. April wurde Grieninger informiert, der König würde Selbst schon einsehen, daß der Absatz der Porcellaine bey ietzigen Umständen nicht so stark seyn könne. Es folget aber daraus, daß, da der Debit ietzo um soviel geringer wird, daß alsdenn auch weniger Leute und Arbeiter gehalten und auch ihre der Officianten eigene Tractamenter geringer gesetzet werden müssen, bis dahin, daß der Debit sich wieder vermehret und sie für ihr Geld mehr als ietzt thun und auch mehr zu thun haben. 31

Während die Belegschaftszahl der KPM seit 1763 von 146 auf 392 Personen angestiegen war, 32 kam es aufgrund dieses Befehls zur Entlassung von 54 durch das Los bestimmten Arbeitern, die, sofern es sich um Soldaten handelte, umgehend zu ihren Regimentern abgingen. 33 Doch damit nicht genug: Auch zur Königlichen Dispositionskasse sollte die in Bedrängnis geratene Manufaktur mit 26.000 Rt. zur Bestreitung der Kriegskosten beitragen 34 – ein Befehl, der für Grieninger offenbar vollkommen überraschend kam, „da dem Könige sehr gut bekannt war, wie ansehnliche Summen seine Manufaktur von ihrer Einnahme, die doch dermaln so sehr ungewiß war, zu ihrer Erhaltung nöthig habe“. 35 In der Tat gingen die Porzellanverkäufe von ca. 98.000 Rt. 1776/77 über 88.000 Rt. 1777/78 bis auf 76.000 Rt. 1778/79 zurück, um erst im darauffolgenden Haushaltsjahr auf 124.000 Rt. anzusteigen. 36 Während der Krieg noch andauerte, fehlte dem König offenbar die Gelegenheit, sich näher mit der finanziellen Situation seiner Porzellanmanufaktur zu befassen, doch änderte sich dies bereits wenige Tage nach Abschluß des Friedens von Teschen. Die genaueren Modalitäten der königlichen Inspektion sind nicht überliefert, doch spricht nichts dagegen, hinter dem folgenden Kabinettsdekret, das für die preußische Judenschaft von einschneidender Bedeutung werden sollte, Direktor Grieninger zu vermuten. 37 So teilte Friedrich dem Gene30

Zitiert nach Köllmann / Jarchow, S. 41. GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 290. 32 Köllmann / Jarchow, S. 37. 33 Davon berichtet Grieninger, Ursprung und Fortgang, S. 290. 34 Siehe den Voranschlag für die Einnahme der königlichen Dispositionskasse in Kriegszeiten („Où peuvent aller les Revenus de L’Etat en temps de guerre“) vom März 1778, in dem sich der Posten „La Porcelaine“ mit 26.000 Rt. findet. Insgesamt belief sich der Voranschlag auf die Summe von 6,3 Millionen Rt. Den größten Einzelposten stellten 1,8 Millionen Rt. aus dem Staatsschatz. Siehe A.B.B.O., Bd. XVI/2, S. 474. 35 Grieninger, Ursprung und Fortgang, S. 290. 36 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 458, Zahlen durch den Verfasser gerundet. 31

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raldirektorium am 29. Mai 1779 mit, er sei „mißfällig gewahr“ geworden, daß die Juden aus Anlaß von Privilegierungen „wenig oder nichts mehr“ von den 1769 verordneten Abnahmetarifen aus der Manufaktur zum Export übernähmen. Der Behörde wurde deshalb anbefohlen, darüber mit mehrern Ernst zu halten und die Verfügung zu treffen, daß keinem Juden, er sey wer er wolle, ein Privilegium, Concession oder was ihm sonst accordiret ist eher ausgehändiget wird, bis er sich nicht durch ein Attest der Porcellaine Manufactur legitimiret, daß er die darauf geordnete Quantität Porcellaine erkauffet und beweiset, daß er solche auch außer Landes geschaffet hatt. Wie denn auch der General Fiscal v. Anieres beordert worden, darauf mit zu attendiren. 38

Was 1771 lediglich bis zu Kabinettsrat Galster vorgedrungen war, nämlich die vielfache stillschweigende Reduzierung der Abnahmetarife durch das Generaldirektorium, war damit durch ein Zusammenwirken von Zufällen zur Kenntnis des Königs gelangt. Allerdings befand sich der Monarch zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch im Unklaren über die eigentlichen Hintergründe der so deutlich zurückgegangenen Einnahmen aus dem Exportzwang. Denn diese bestanden letztlich kaum in einem wie auch immer gearteten „Fehlverhalten“ der konzessionierten Juden, die vom Generaldirektorium nicht ausreichend beaufsichtigt worden wären. Stattdessen hatte die Zentralbehörde selbst in den ersten beiden Jahren u. a. hinsichtlich der ersten und zweiten Kinder sowie der ostfriesischen Judenschaft Entscheidungen getroffen, die zwangsläufig zu einer Reduzierung der Exportquote führen mußten. Doch mit dem Dekret vom 29. Mai war die jahrelang eingespielte Verwaltungspraxis mit einem Schlage vom Tisch. Zwei Tage später erging in aufgeregtem Duktus ein Reskript des Generaldirektoriums an alle Kammern und Deputationen mit Ausnahme Schlesiens, wonach zum Porzellanexport künftig heranzuziehen wären sämbtliche einländische Juden ohne Unterschied, es mögen General Privilegierte, ordentliche, außerordentliche Schutzjuden, oder publique Bediente seyn, so oft sie ein Privilegium, Concession zur Ansetzung als erstes oder zweytes Kind, oder als Extraordinarii und Publique Bedienten, Erlaubniß zur Acquisition eines eigenthümlichen Hauses, zur zweyten Heirath, oder eine andere ihren Statum Judaicum betreffende Begnadigung und Bewilligung erhalten. 39 37

Vgl. Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 28. Zweifelsfrei belegen läßt sich dies jedoch nicht. 38 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 61; der angesprochene Befehl an den Generalfiskal findet sich in GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 719. 39 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 64, danach auch das folgende Zitat; ähnliche Schreiben an die KPM und an den Generalfiskal ebd., Bl. 65 – 66. Auch die Oberlandesältesten erhielten ebd. den Befehl, „sämbtliche Judenschaften davon zu genauesten Befolgung zu benachrichtigen“. In dieser Angelegenheit erließen die Kammern in den folgenden Wochen mehrere Verordnungen an die Steuerräte, die beispielsweise in der Kurmark am 14. Juni angewiesen wurden, vor Festsetzung der neuen

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Bei jedem dieser Anlässe sei deshalb künftig „ein proportionirliches, [...] auf jeden der vorbestimmten Fälle verhältnißmäßig einzurichtendes und in Vorschlag zu bringendes Quantum Porzellan“ zu exportieren. Die Dispensation der ersten Kinder (30. April 1771) sowie der Gemeindebedienten (9. Mai 1774) war damit hinfällig geworden. Inwiefern sich auch bei der Vergabe von Konzessionen zur Ansetzung als zweites Kind sowie zum Hausbesitz etwas ändern würde, hing davon ab, was das Generaldirektorium fortan für ein proportionierliches Exportquantum halten würde. Denn bezeichnender Weise kehrte man mit diesem Reskript nicht ohne weiteres zu den 1769 vom König aufgestellten Tarifen von 300 bzw. 500 Rt. zurück, sondern suchte scheinbar weiterhin, ein Interpretationsrecht für sich zu beanspruchen. Vorerst war das weitere Verfahren trotz der Intervention des Königs also durchaus noch unklar, was dazu führte (und dies verdeutlicht wohl eindrücklicher den Stellenwert des Judenporzellans als jeder andere Befund), daß die Konzessionsvergabe an Juden in der gesamten Monarchie für mehrere Monate vollständig zum Erliegen kam. So datiert das letzte nachweisbare Privileg, das auf Basis des bisher geübten Verfahrens erteilt wurde, vom 2. Juni 1779 und gestattete dem Berliner Schutzjuden Liebmann Meyer den Erwerb eines Hauses. 40 Die nächste unmittelbar rechtswirksame Konzession wurde hingegen erst am 23. November erteilt, als der bisherige Extraordinarius Süsskind Oppenheim aus Königsberg / Pr. einen ordentlichen Schutzbrief erlangte. 41 Sofern Konzessionen ein Datum zwischen dem 2. Juni und dem 23. November 1779 tragen, wurden diese zunächst offenbar nicht mehr ausgefertigt. 42 Auf diese Weise markieren beide Daten auch eine Zäsur für die preußische Judenschaft, die die Lebensbedingungen vieler Familien wohl so nachhaltig verschlechterte wie niemals zuvor. Denn wie ging es im Juni 1779 im Generaldirektorium weiter? Der erste detaillierte Inspektionsbericht über die bisherige Verwaltungspraxis stammt aus der Feder des Finanzrats Beyer, datiert vom 5. Juni und stützt sich auf Abnahmetarife durch das Generaldirektorium keine Konzessionsanträge bei der Kammer einzureichen. Siehe ebd., Bl. 114 (Abschrift). 40 Vorbesitzer des Hauses war Abraham Salomon Nauen. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 10; vgl. Export Nr. 0391 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 41 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4562, Bl. 71 –79; aufgrund des ungewöhnlich hohen Abnahmequantums von 500 Rt. unzutreffend als Generalprivileg deklariert in MA, I., Nr. 3, Bl. 59; vgl. Export Nr. 0466 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 42 Eines der wenigen Beispiele findet sich mit der auf den 29. Juni datierten Konzession für Meyer Moses aus Neustadt Gödens zur Ansetzung als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Moses Jacob. Wirksam wurde die Konzession erst am 27. November 1781, nachdem Moses am 7. August 1781 für 300 Rt. Porzellan zum Export angekauft hatte. Siehe hierzu GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 212; GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 137 sowie Export Nr. 0729 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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eine rasche Auswertung der entsprechenden Direktorial- und Manufakturakten. 43 Der Verfasser selbst wies eingangs auf die bei der Lektüre zu berücksichtigende „Kürze der Zeit“ hin, standen dem Untersuchungsbeamten für die Abfassung seines Berichts doch lediglich einige Tage zur Verfügung. Beyer stützte sich dabei vorerst insbesondere auf eine Untersuchung der Konzessionsvergabe in den vorangegangenen zwölf Monaten 44 und kam zu dem Ergebnis, daß in diesem Zeitraum bei genauer Befolgung des Reskripts von 1769 insgesamt 67 Juden für 19.500 Rt. Porzellan hätten exportieren müssen. Tatsächlich ließen sich jedoch nur 15 Juden mit einem Gesamtausfuhrvolumen von 1.085 Rt. nachweisen, was also im Durchschnitt 72 Rt. je verliehener Konzession ausmache. Die Hintergründe „dieser enormen Differenz“ gegenüber dem vom König verordneten Mindesttarif von 300 Rt. beständen vor allem in der Übernahme der von den Ältesten 1771 vorgeschlagenen Regelung, wonach die zweiten Kinder nur noch für 50 bis 100 Rt. Porzellan exportieren mußten. Ferner habe die Untersuchung ergeben, daß die Juden nach Beschaffenheit der Umstände, weil sie arm sind oder weil sie nur ad dies vitae beneficia erhalten oder schlechte Häuser gekauft oder dergleichen zum Behuf einer Fabrique acquirirt oder auch die Häuser geerbet specialiter dispensiret worden, zum Theil scheinen auch die Secretarii bei der Expedition das Porcellain anzusezzen vergessen zu haben.

Die dafür verantwortlich zu machenden und nach Meinung Beyers sämtlich zu kassierenden Direktorialreskripte machten zusammengenommen „so viel Ausnahme von der Regel [...], daß die Regel selbst oder die Cabinets Ordre vom 21. Marty 1769 wo nicht völlig, doch größten Teils über den Hauffen geworden ist“. Das Plädoyer des Finanzrats lief demnach darauf hinaus, erste und zweite Kinder in voller Höhe zum Porzellanexport heranzuziehen. Daß ein solches Vorgehen zumindest bei den letzteren eindeutig gegen den Templiner Vertrag verstieß, erregte 1779 offenbar ebensowenig Anstoß wie zehn Jahre zuvor. Sollte zukünftig auch bei Erbschaften von Immobilien ein Export gefordert werden, wie dies Beyer nahelegte, so widersprach dies ebenfalls einer vom König ausdrücklich gebilligten Verordnung, nämlich dem Reskript vom 24. Mai 1776. 45 Keine Erwähnung fanden im Gutachten des Finanzrats hingegen die außerordentlichen Schutzjuden und die 1774 dispensierten Gemeindebedienten. Auf erstere scheint sich jedoch Beyers Kritik zu beziehen, daß auf Lebenszeit verliehene Privilegien bislang vielfach von der Exportpflicht ausgenommen worden seien. Tatsächlich war das bisherige Verfahren bei der Vergabe außerordentlicher Schutzbriefe ausgesprochen uneinheitlich gewesen. Vielfach wurde kein Export verlangt, 46 andere Extraordinarii 43 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 69 –70, danach die folgenden Zitate. 44 Tabellarisch zusammengefaßt ebd., Bl. 71. 45 Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 616; Terlinden, S. 149. 46 Zahlreiche Beispiele finden sich in den tabellarischen Monita des Jahres 1779 in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 92 –104.

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tauchen hingegen auch vor 1779 mit 50 bis 150 Rt. in den Verkaufslisten auf. 47 In jedem Falle solle die Direktorialkanzlei jedoch angewiesen werden, künftig keinerlei Konzession mehr zu expedieren, bevor hinsichtlich des Porzellanexports nicht durch ihn, Beyer, dokumentiert worden sei, daß alles richtig sey [...] Ich sehe keinen andern Weg, Sr. Königl. Maj. Intention zu erfüllen. Ich weiß aus der Erfarung, daß, wenn erst ein Jude etwas weg hat, ich ihn viele Jahre hindurch ganz vergeblich nachlaufen kann, und es ist doch wohl billiger, daß die Cassen und Fabriquen gedeckt, als daß für die Commodität der Juden gesorgt werde. 48

Mit Beyers Untersuchung war der Klärungsprozeß im Generaldirektorium jedoch keineswegs abgeschlossen, wie einem abweichenden Votum SchulenburgKehnerts zu entnehmen ist. Mit Bezug auf das Gutachten des Finanzrats führte der Minister darin aus, daß eine Umsetzung jener Vorschläge darauf hinauslaufen müsse, selbst diejenigen Juden zu Exporten heranzuziehen, die ihre Rechte bereits „titulo onerosa“ erworben hätten: Meines Ermeßens ist solches der Sinn der Königlichen Cabinets-Ordre keineswegs, sondern ich glaube, daß sie nur dieses beabsichtet, daß auf die bisherigen desfals erlaßenen Verordnungen, welche nicht genau befolget, und dadurch der bemerckte Ausfall entstanden seyn möchte, genauer gehalten werden solle, zu dem Ende ich auch um so mehr dafür halte, die Circular-Rescripte blos in der Art einzurichten und der Cammer die genaueste Befolgung der vorhin ergangenen Vorschriften einzuschärfen, weil sonst leicht Mißdeutungen entstehen, und selbst von den Cammern solche Juden, welche bey ordinairen Ansetzungen kein Porcellain zu nehmen schuldig sind, dergleichen zu nehmen angehalten werden dürften, welches nur zu vielen Beschwerden, welchen doch hiernächst abgeholfen werden müßte, Anlaß geben würde. 49

Als langjähriger Chef des III. Departements war Schulenburg-Kehnert bestens mit den zahlreichen Beschwerden vertraut, die der Exportzwang selbst in seiner gemilderten Version bislang hervorgerufen hatte. 50 Hier artikulierte sich gewissermaßen eine Stimme der Vernunft, 51 die sich jedoch in den folgenden Tagen der Entscheidung nicht durchzusetzen vermochte. Denn in der ersten Juniwoche tauch47 So beispielsweise bereits im Juli 1769 Aron David aus Trebbin, der eine Zehdener Schutzjudenwitwe heiratete. Siehe GStA PK, II. HA, Neumark, Materien, Judensachen, Generalia, Nr. 4, Bl. 2; vgl. Export Nr. 0004 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 48 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 70. Dem Verfasser unterlief in seinem Beitrag „Zum Judenporzellan der Königlichen Porzellanmanufaktur“ der Fehler, diese Äußerung Generalfiskal d’Anières zuzuschreiben. 49 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 67. 50 Die Umsetzung des Exportzwangs innerhalb des III. Departements wurde anhand der Konzessionierung jüdischen Hausbesitzes dargestellt in Kap. G. IV. 51 Mit Blick auf Schulenburg-Kehnerts Tätigkeit im Halberstädtischen Departement urteilt Halama, S. 291: „Seine Entscheidungen in Judensachen sind durch Nachsicht und Klugheit gekennzeichnet.“ Dem mag man im allgemeinen zustimmen. Fehl geht Halama allerdings ebd., S. 178 mit folgendem Pauschalurteil, das nicht zuletzt zahlreichen der

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te erstmals ein Gedanke auf, der nicht lediglich die zukünftige Konzessionsvergabe betraf, sondern eine Revision der gesamten Vergabepraxis der vorangegangenen zehn Jahre in den Bereich des Möglichen rückte. So berichtete d’Anières von einem Gespräch mit der KPM-Direktion, die er dazu aufgefordert habe, ihre Atteste künftig direkt bei ihm zur Kontrolle einzureichen. Ferner habe er mit dem Generaldirektorium vereinbart, sämtliche Reskripte aufzuheben, „durch welche fast alle Juden dispensiret worden“ seien. Auch der Jurist d’Anières übte demnach keine Kritik am eindeutigen Bruch des Templiner Vertrages und stellte abschließend eine viel weiterreichende Frage: „Ob die Juden, die in den letztern 10 Jahren kein oder zu wenig Porcellain gelöset, angehalten sind, das fehlende zu suppliren, welches weit über 100.000 Rt. betragen würde, muß ich allerunterthänigst submittiren.“ 52 Diese für die Rechtssicherheit der preußischen Juden höchst bedeutsame Frage beantwortete der König mit seinem Kabinettsdekretschreiben an das Generaldirektorium vom 6. Juni. Darin teilte der Monarch mit, daß er aus dem Bericht des Generalfiskals habe ersehen müssen, daß zahlreiche Juden in den vergangenen Jahren infolge verschiedener Direktorialreskripte nicht nur wenig, sondern vielfach überhaupt kein Porzellan hätten exportieren müssen. Doch hatten diese Juden, so sollte man zumindest meinen, obrigkeitliche Rechtstitel erlangt, ohne sich dabei irgendein Fehlverhalten zu Schulden kommen zu lassen. 53 Dennoch befahl Friedrich mit Blick auf die zuvor durch das Generaldirektorium ausgesprochenen Dispensationen: Da nun solches höchst dero Intention und ausdrücklichen Ordre [...] gantz und gar entgegen ist, so sollen auch alle diejenige Juden, die seit dem [seit 1769] Concessiones und Privilegia bekommen und die das festgesetzte Quantum an Porcellain aus dero Manufactur entweder nicht gantz oder gar nicht gekauffet, schuldig seyn, ohne Wiederrede solches zu suppliren und nach zu kauffen und dazu mit allem Ernst angehalten, auch ein paar davon, die am mehresten verdienen, deshalben bestraft zu werden, gantz und gar fortgeschafft werden und ist dieserwegen die Ordre an den General Fiscal bereits ergangen. 54

Das Generaldirektorium habe sich seinerseits streng an den Wortlaut des Kabinettsdekrets von 1769 zu halten und künftig vor Expedition jedes einzelnen Privilegiums die Zustimmung des Generalfiskals einzuholen. Diese Ausführungen des Königs verdienen zweifellos gründliche Lektüre. Denn ganz gleich, ob es sich um von ihm selbst präsentierten Ergebnisse widerspricht: „In der Berliner Behörde [also im Generaldirektorium] entschieden demnach [in den 1790er Jahren] aufgeklärte und fortschrittlich denkende Beamte – und zwar so, wie es offenbar der Geisteshaltung des Grafen v. d. Schulenburg selbst entsprach.“ 52 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 75. 53 Die vereinzelt dokumentierten Konterbandevergehen sowie die Fälschungen von Exportattesten (vgl. Kap. G. I. 3.) müssen davon jedoch ausgenommen werden. 54 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 74.

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neue Schutzbriefe, Ansetzungen erster und zweiter Kinder oder Konzessionen zum Hausbesitz handelte: Hier wurde mit einem einzigen Befehl die Rechtsgrundlage der jüdischen Existenz geändert: in der gesamten Monarchie – rückwirkend – für einen Zeitraum von zehn Jahren. Und da die Abnahmetarife bislang meist zwischen 50 und 100 Rt. gelegen hatten, ging es dabei um Summen von 200 Rt. je Haushalt und mehr. Ein Berliner Manufakturarbeiter mußte deutlich länger als ein Jahr arbeiten, um diesen Betrag zu verdienen. Und weil die Juden sich an die Befehle des Generaldirektoriums gehalten und nicht von sich aus deutlich mehr Porzellan exportiert hatten, sollten zudem einige Hausväter zur Statuierung eines Exempels fortgeschafft werden. Wohl kein anderes Dokument aus Friedrichs Hand macht in ähnlicher Deutlichkeit klar, daß es sich bei der auch von Teilen der neueren Forschung immer wieder postulierten besonderen Rechtssicherheit der Juden im friderizianischen Preußen um nichts anderes als um eine quellenferne Konstruktion handelt, die selbst bei oberflächlicher empirischer Nachprüfung in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus. 55 Es würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, sämtliche durch das Kabinettsdekret vom 6. Juni 1779 entwerteten Konzessionen gesondert aufzuführen. Möglich wäre es allerdings, denn dokumentiert sind sie alle, und zwar durch Generalfiskal d’Anières, der wohl zu keinem Zeitpunkt seiner Laufbahn so viele Statistiken und Tabellen zu erstellen hatte wie in jenem Sommer des Jahres 1779. Moniert wurden dabei 31 Konzessionen in Ostpreußen, 33 in Westpreußen, 63 in Pommern, 93 in Berlin, 155 in der Neumark, 122 in der Kurmark, 3 im Herzogtum Magdeburg, 15 im Fürstentum Halberstadt, 7 in der Grafschaft Hohenstein, 18 im Fürstentum Minden, 26 in der Grafschaft Ravensberg, 8 in den Grafschaften Tecklenburg und Lingen, 40 im Herzogtum Kleve, 2 im Fürstentum Moers, 24 in der Grafschaft Mark und 58 im Fürstentum Ostfriesland: insgesamt 698 Privilegien. 56 Deren Empfänger, für die sich bald der Terminus des Porcellainerestanten einbürgerte, sollten nun nachträglich für 204.439 Rt. Porzellan exportieren. 57 Auf 55 So stößt man in der Literatur bereits für die Zeit des Siebenjährigen Krieges auf ähnliche Entwicklungen, die quantitativ zwar bei weitem nicht mit den im folgenden zu schildernden Prozessen zu vergleichen sind, die jedoch gleichwohl verdeutlichen, was von Teilen der Forschung schlichtweg ignoriert wird: Vergleitung wie Fortschaffung von Juden unterlagen der monarchischen Prärogative und blieben von den allgemeinen Verrechtlichungstendenzen der Zeit weitgehend unberührt. Auf diese Weise konnte der König auch 34 Schutzbriefe nachträglich wiederum entziehen, die das Generaldirektorium während der Kriegsjahre scheinbar eigenmächtig verliehen hatte. Siehe Flumenbaum, S. 34. 56 Das zugrundeliegende tabellarische Material findet sich in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 92 – 104. Wie diese Tabellen erstellt wurden, beschrieb Generalfiskal d’Anières am 23. Juni 1779 gegenüber dem Generaldirektorium folgendermaßen: „Ich habe aus meinen Haupt-Büchern und Acten die Designationen derienigen Juden, welche seit dem Marty 1769 bis zum 1. Juny 1779 Concessionen erhalten, formirt, selbige Successive der Direction der Porcellain Manufactur communiciret, nachdem die Direction mir die aus ihren Büchern extrahirte Etats zukommen lassen, die Directorial Acten in allen Sachen, wo einiger Zweifel entstehen konnte, gefordert und

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jeder einzelnen dieser 698 Konzessionen haftete ein Siegel des Generaldirektoriums, und die unterzeichnende Ministerriege (im Falle neuer Schutzbriefe auch der König) versprach „gehörigen Schutz“, von der man in neueren Handbüchern lesen kann, er sei in Preußen „äußerst wirkungsvoll“ 58 gewesen. Wenn man die Zahl 698 mit 5 multipliziert, also nicht lediglich die Zahl der Hausväter, sondern auch die der Ehefrauen, Kinder und Bediensteten mit einbezieht, kommt man auf rund 3.500 direkt oder indirekt betroffene Juden – deutlich mehr als 10 % der 1787 auf 32.000 Personen geschätzten preußischen Judenschaft. 59 Doch sei der runden Zahl halber von 10% ausgegangen, da tatsächlich weniger als 698 Hausväter betroffen waren. Denn einige Schutzjuden traf es 1779 gleich doppelt, hatten sie doch in den vorangegangenen Jahren zwei Konzessionen erhalten, wie beispielsweise der Leder- und Leinwandhändler Ruben Hirsch aus Landsberg an der Warthe, der sich im August 1775 als zweites Kind etabliert und zwei Jahre später die Erlaubnis zum Hausbesitz erhalten hatte. Summa summarum machte das nun Exportrückstände in Höhe von 525 Rt. 60 Auf das langwierige Verfahren gegen diese Porcellainerestanten wird noch einzugehen sein. Zuvor soll jedoch in den folgenden Kapiteln der Frage nachgegangen werden, ob aufgrund des Reskripts vom 6. Juni 1779 tatsächlich Juden aus dem Lande vertrieben wurden und wie sich die künftige Konzessionsvergabe gestaltete, die im November unter gänzlich neuen Bedingungen wiederum anlief.

inspiciret, hiernächst aus diesen Etats der Manufactur Direction und aus den Directorial Acten meine Designationen rectificiret und sodann selbige ins Reine gebracht.“ Siehe ebd., Bl. 85. 57 Ebd., Bl. 105. Es muß hervorgehoben werden, daß diese vom Generalfiskal genannte Zahl angesichts des zugrundeliegenden enormen Tabellenmaterials, das zudem innerhalb weniger Tage angefertigt werden mußte, lediglich einen Näherungswert darstellen kann. Die jüdischen Generaldeputierten um David Friedländer nannten in ihrer Supplik von 1787 die wohl zu niedrige Summe von 180.000 Rt. Friedländer selbst korrigierte diese Angabe in seiner sechs Jahre später gedruckten Aktenpublikation auf 223.000 Rt. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 207b 2 a, Fasz. 35 a; Friedländer, Akten-Stücke, S. 69. 58 Bruer, Preußen und Norddeutschland, S. 51. 59 Zahl nach Lewin, Judengesetzgebung, S. 475. 60 Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 29; APGW, AMG, Nr. 1993, Bl. 44 – 47; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 39; GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 96; vgl. die Exporte Nr. 0317, 0589 und 1107 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

III. Vertreibung zweier Sündenböcke?

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III. Vertreibung zweier Sündenböcke? Jacob Salomon Friedländer und Simon Samuel Aaron Auf des Königs Befehl vom 6. Juni, einige Juden wegen nicht geleisteter Porzellanausfuhr zur Landesverweisung vorzuschlagen, reagierte Generalfiskal d’Anières in einem Bericht an das Generaldirektorium vom 23. Juni. 61 Dieser Auftrag sei für ihn „sehr bedenklich gewesen“, da das Faktum, kein Porzellan exportiert zu haben, ihm kaum ausreichend erschien, um eine derart drakonische Strafe zu verhängen. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, daß das Dekret vom 21. März 1769 den Judenschaften niemals offiziell publiziert worden sei. Tatsächlich war der Befehl nicht in die amtliche Gesetzessammlung des Novum Corpus constitutionum (nach seinem ersten Herausgeber kurz: „Mylius“) aufgenommen worden, worin man auch einen Hinweis darauf erblicken darf, daß jener Befehl vom Generaldirektorium zunächst offenbar nicht als publikationswürdiges allgemeines Gesetz, sondern lediglich als verwaltungsinterne Anordnung aufgefaßt worden war. Insofern begegnet man auch beim Porzellanexportzwang jener unter Friedrich dem Großen noch häufig begegnenden Problematik, daß zwischen publiziertem Gesetz und nicht publizierter behördeninterner Verordnung nicht sauber geschieden wurde, indem auch letztere vielfach Rechtsnormen und Verhaltensregeln für die Untertanenschaft enthielten. 62 Die mangelnde Publizität des Befehls von 1769 führte der Generalfiskal nun zugunsten der Judenschaft ins Feld, indem durch ihn „mit gutem Gewissen“ kein Jude zur Vertreibung vorgeschlagen werden könne, als lediglich ein solcher, „welcher ohne allem Zweifel die Fortschaffung sonst schon verwürckt“ habe. Dabei sei er auf die beiden Juden Jacob Salomon Friedländer und Simon Samuel Aaron gestoßen, die wegen vorsätzlichen Bankrotts bzw. wegen Wuchers ihren Schutz bereits verloren hätten und momentan lediglich eine „ex post concedirte Tolerantz“ genössen, welche jedoch nicht gegen eine Fortschaffung spräche, „indem sie doch immer die beide einzige Juden meines Wissens sind, welche ein völlig erwiesenes, zur Exmission gesezzlich qualificirendes factum wider sich haben und eine würckliche Abolition“, die ohnehin nur der König aussprechen könne, ihnen niemals gewährt worden sei. Deshalb hatte d’Anières die beiden bereits gegenüber dem König in Vorschlag gebracht und daraufhin von Friedrich 61 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 84 –87, danach die folgenden Zitate. 62 Dietmar Willoweit beschreibt die Publikationspraxis im Mylius folgendermaßen: „... in die Ediktensammlung gehören nach Meinung des Königs und der Zensoren [des Generaldirektoriums] nur ‚allgemeine Richtschnuren‘ und ‚allgemeine Gesetze‘, also solche, die sich an Adressaten außerhalb der Verwaltung wenden, im Gegensatz zu den nur verwaltungsinternen Anordnungen. [...] Der Publikation bedarf, was einen breiten Adressatenkreis betrifft.“ Siehe Ders., Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung, S. 609.

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am 22. Juni den Befehl erhalten, Friedländer und Aaron fortschaffen zu lassen, „denn was große und reiche Juden sind und die Fabriquen und Manufacturen haben, mit denen ist es was anders, aber an alle die übrigen ist nichts gelegen“. 63 Wer waren jedoch diese beiden Juden, die nun dem Schicksal entgegen sahen, aus dem Lande geworfen zu werden, und durch welche Vergehen hatten sie ihren Schutz verwirkt? Der 1763 in Berlin mit einem ordentlichen Schutzbrief konzessionierte Friedländer, 64 dessen Vater aus dem damals noch polnischen Krojanke stammte und dort als Vorsteher des Vereins Erez Israel (Palästina-Unterstützungsverein) tätig gewesen war, geriet offenbar durch Holzgeschäfte während des Siebenjährigen Krieges auf die abschüssige Bahn. Vom Grafen Schulenburg zu Lieberose in der Niederlausitz 65 hatte er 1760 große Mengen Holz angekauft, 66 die in Lieberose auf den Weitertransport auf dem Wasserweg nach Hamburg warteten. Doch scheinbar waren die Besitzverhältnisse an den Hölzern nicht geklärt, weshalb bald ein Regimentsquartiermeister Fromme unerwartet auf den Plan trat, über seinen Schuldner Sievert Ansprüche an der Lieferung geltend machte und so einen Spruch des Berliner Kammergerichts erwirkte, wonach die Hölzer vorläufig beschlagnahmt wurden. 67 Das Gerichtsverfahren zwischen Friedländer und Fromme zog sich recht lange hin – das Holz verrottete derweil in der Oder. 68 Ersterer kam in den wirtschaftlich schwierigen und von Inflation geprägten Nachkriegsjahren nicht 63

GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 799. Zur Person GStA PK, I. HA, Rep. 104 C, Nr. 236 b, Bl. 15; Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 113 – 114. 65 Es handelt sich dabei um den 1734 als preußischer Oberjägermeister in den Reichsgrafenstand erhobenen Georg Anton von der Schulenburg (1706 –1778). Siehe dazu den besitzgeschichtlichen Abriß der Herrschaft Lieberose bei Kessler, Stadt und Herrschaft Lieberose / Niederlausitz, S. 54 – 55. 66 Im späteren Konkursverfahren wurde der Kaufpreis mit rund 142.000 Rt angegeben, siehe das Gutachten des Berliner Kriminalsenats vom 17. Mai 1769 in GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 203, Bl. 53. 67 Die verwickelten Vermögensfragen können hier nicht näher dargestellt werden. Verwiesen sei auf die entsprechenden Akten GStA PK, I. HA, Rep. 9, Y2, Fasz. 128, Bd. 3; GStA PK, I. HA, Rep. 34, Nr. 227d 1, Fasz. 286. Unklar ist, ob ein Reskript vom 23. September 1761 mit dem vorliegenden Fall in Verbindung steht. Dieses bezieht sich auf die Holzlieferung eines Juden, die bei Havelberg auf den Weitertransport nach Hamburg wartete. Die Kurmärkische Kammer wird darin instruiert, daß Holzhandel den Juden grundsätzlich nicht gestattet sei. Siehe N.C.C., Bd. 3, Sp. 641 – 642; vgl. jedoch Donnersmarck, S. 26: „Die Regierung selbst hat es nicht verschmähet, beträchtliche Quantitäten Holzes an Juden zu verkaufen und die Berliner Holzmagazine an sie zu verpachten.“ 68 Siehe etwa Friedländers Supplik vom 2. Juli 1762, in der er folgendermaßen Bilanz zieht: „Inzwischen stecket mein gantzes Vermögen in denen erkauften und auf der unerhörtesten Weise bisher verkümmerten Höltzern, und die unsäglichen Kosten, welche ich seit Jahr und Tag währenden Arrestes auf die Bewachung derselben verwenden müssen, haben beynahe meinen ganzen Credit erschöpfet. [...] Fast die Hälfte meiner verkümmerten Höltzer ist indessen, weil solche über Jahresfrist im Wasser gelegen, schon in die Fäulnis 64

III. Vertreibung zweier Sündenböcke?

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mehr auf die Beine, 69 weshalb 1769 ein förmliches Verfahren wegen Bankrotts eingeleitet wurde. 70 Einem Vermögen Friedländers von 21.386 Rt. standen dabei Verbindlichkeiten in Höhe von 165.577 Rt. gegenüber. Während sein Verhalten im Rahmen der Holztransaktion scharf gerügt wurde, 71 kam der Kriminalsenat des Berliner Kammergerichts jedoch hinsichtlich des allgemeinen Geschäftsgebarens Friedländers zu dem Schluß, daß seine Handlungsbücher nicht aus Vorsatz, sondern aus grober Unwissenheit so confuse angefertigt zu seyn scheinen. Verschiedene Zeugen haben eidlich bekundet, daß der Inquisit [also Friedländer] ein sparsamer und in seinen Geschäften fleißiger Mann gewesen sey, welcher von allen, die ihn genau gekannt haben, als ein ehrlicher Mann bedauert werde.

Obwohl das Gericht bei Friedländer eine „angemaßte und zum Theil wiedersinnische Nachweisung seines Vermögens“ konstatierte, zog es zudem in Betracht, daß der Angeklagte „schon 13 ½ Monath in Arrest [auf der Berliner Hausvogtei 72 ] gewesen ist, ohne daß so viel Zeit zur Untersuchung nöthig gewesen wäre“. So empfahl der Senat am 17. Mai 1769, den Angeklagten zu zweijähriger Festungshaft zu verurteilen und seinen Schutzbrief zu kassieren. Der Geheime Rat bestätigte diesen Spruch am 11. Juli und erteilte dem Gouverneur der Festung Spandau den Befehl, Friedländer „annehmen und denselben wegen des durch seine Schuld verursachten Banquerots mit zweyjähriger, seiner Leibes-Constitution gemäßer Vestungs-Arbeit belegen, ihn dabey wie gewöhnlich verpflegen“, 73 danach aber außer Landes schaffen zu lassen. Nachdem Friedländer gegangen und der Überrest einer gleichen Gefahr ausgesetzet.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 9, Y2, Fasz. 132. 69 Ob zum Niedergang Friedländers auch seine Kontakte zu Johann Ernst Gotzkowsky beitrugen, kann lediglich vermutet werden. Jedenfalls übernahm Gotzkowsky, der wenig später spektakulär unterging, 1762 gemeinsam mit einem weiteren Kaufmann für Friedländer eine Bürgschaft in Höhe von 8.000 Rt. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 9, Y2, Fasz. 132. 70 Siehe das Gutachten des Kriminalsenats des Kammergerichts Berlin vom 17. Mai 1769 in GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 203, Bl. 51 –56. 71 So habe Friedländer „um so mehr unüberlegter gehandelt, daß er sich in Anno 1760 geständig bereden lassen, ein so großes Holtznegoce (welches einer seiner Zeugen selbst seinem Vermögen unangemessen gewesen zu seyn, eingezeugt), ja welches er geständlich nicht einmahl verstanden hat zu entreprennieren und darin anderer Leute Geld auf gut Glück zu verwenden, nicht einmahl zu erwehnen, daß er dem Unterhändler, der ihm solches Holtz negoce an die Hand gab, sofort ein Doceur von 15/m Rt. gemacht hat. Wenn gleich ihm daher bey diesem Holtznegoce Unglücksfälle betroffen und besonders die vom p. Fromme und Trummer auf sein Holtz gelegte Arreste ihm enormen Verlust am Preise, wie auch würcklich geschehen, zugezogen haben, so können doch solche Zufälle in der Hauptsache betrachtet, nur immer als Folge seiner dabey von Anfang her genommenen unüberlegten Maaßregeln considerirt, mithin ihm nicht zur Unsträflichkeit angerechnet werden.“ 72 Auf der Hausvogtei wurden eximierte Personen arretiert, die nicht der Jurisdiktion des Berliner Magistrats unterstanden. Siehe die Beschreibung bei Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, S. 99.

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seine Haft verbüßt hatte, wandten sich jedoch seine Gläubiger, neben christlichen Kaufleuten unter anderem Hirsch David und Moses Ries, am 2. April 1772 mit einer Supplik an den König und baten, auf die anstehende Landesverweisung zu verzichten. Die Geschäftsleute führten darin aus: Die Festungsstraffe hat derselbe [Friedländer] bereits erlitten, der Verlust seines Schutzprivilegii würde aber mehr eine Straffe für uns als für ihn seyn, weil wir den Mann bey dem Debit unserer Fabrique-Waaren außerhalb Landes sehr gut gebrauchen können und weil wir versichert seyn, daß sein Fleiß und Arbeitsahmkeit manchen von uns wegen des bey seinem Falliment erlittenen Verlustes auf andere Arth schadlos halten werde. 74

Inwiefern in dieser Intervention humanitäre Beweggründe hinter der Aussicht auf klingende Münze beim auswärtigen Debit verborgen wurden, sei dahingestellt. Allerdings scheute sich der Monarch, in dieser Angelegenheit unmittelbare Verfügungen zu treffen und instruierte am 7. April stattdessen Großkanzler von Fürst, den Sachverhalt näher zu untersuchen. 75 Zwei Tage später erhielten die Supplikanten aus dem Kabinett den abschlägigen Bescheid, daß ihr Gesuch zwar an das Justizministerium weitergeleitet worden sei, diesem „aber keine Begnadigung zustehet, auch die Sache bereits überall rechtlich entschieden“ 76 worden sei. Von Fürst scheint die Angelegenheit tatsächlich nicht weiter verfolgt zu haben, die erst rund dreieinhalb Jahre später, im November 1775, wiederum aktenkundig wird. Zu diesem Zeitpunkt wandte sich Friedländers Frau 77 mit einer erneuten Bittschrift an den Geheimen Rat. 78 Darin betonte sie, daß ihr Mann seine Festungshaft vollständig abgesessen und nach seiner Entlassung „bereits zwey und ein halb Jahr in der Welt herum gelauffen“ sei. Es würde eine große Härte bedeuten, wenn sie nun als seine Ehefrau ebenfalls bestraft und aus dem Lande gewiesen würde. Zudem rühre das Schutzrecht der Familie nicht von ihrem Mann her, sondern gründe sich auf den Schutzbrief ihres verstorbenen Vaters Marcus Alexander, von dem sie 1750 als erstes Kind etabliert worden sei. 79 Auf diese Zusammenhänge hätte sie bereits im Zuge des Bankrottverfahrens gegen ihren Mann aufmerksam gemacht, wenn sie sich nicht „viele Jahre unter den Händen derer Medicorum und Chirurgorum“ befunden hätte, wobei sie auch zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung „nicht gehörig bey Sinnen, sondern höchst melancholisch“ gewesen sei. Als nunmehr 60jährige Frau benötige sie den Beistand ihres Ehemannes, für 73

GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 203, Fasz. 50, Bl. 49. Ebd., Bl. 62. 75 Ebd., Bl. 61. 76 Ebd., Bl. 50. 77 Sofern Friedländer kein zweites Mal heiratete, war seine Frau also keineswegs am 2. September 1766 verstorben, wie zu lesen ist bei Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 114. 78 GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 207b 2, Fasz. 128. Danach die folgenden Zitate. 79 Der Bittschrift liegt eine Bescheinigung der Berliner Oberlandesältesten bei, die ihre Ausführungen bestätigt. 74

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dessen Rückkehrrecht (er befand sich demnach tatsächlich außerhalb Preußens), sie eine Zahlung von 100 Rt. anbot. Der Geheime Rat stimmte diesem Handel am 6. November zu und instruierte sowohl die Kurmärkische Kammer als auch den Generalfiskal entsprechend. Am gleichen Tag erging auch an den Rechnungsführer der Generalstrafkasse Reichel der Befehl, von der Jüdin Friedländer jene 100 Rt. in Empfang zu nehmen. D’Anières notierte sich daraufhin, ihr Mann werde in den Tabellen der Kurmärkischen Kammer fortan als Extraordinarius geführt. 80 Daß es jedoch keiner Schulden in Höhe von mehreren zehntausend Rt. bedurfte, um als Jude sein Schutzrecht zu verlieren, verdeutlicht das Schicksal Simon Samuel Aarons (1741 – 1814). 81 Dieser wurde nach einer Anzeige des Berliner Schusters Gottfried Daniel Buschmann am 22. März 1770 wegen Wuchers verurteilt und mit dem Verlust des Schutzbriefs bestraft, obwohl es in dem Verfahren lediglich um eine Summe von 24 Rt. ging. 82 Allerdings intervenierte auch in diesem Fall die Ehefrau des Verurteilten, Hindgen Baruch, und verwies darauf, daß das Schutzrecht nicht von ihrem Mann, sondern von ihrem Vater herrühre und ihr deshalb aufgrund von Verfehlungen des ersteren nicht füglich entzogen werden könne. Anders als das Justizdepartement, das auf einer Fortschaffung Aarons beharrte, 83 dachte der Geheime Rat eher pragmatisch und zog in Betracht, „daß dieser Simon Samuel Aron der Haupt-Entrepreneur der Schnallen-Fabrique zu Wrietzen ist und seine Verbannung derselben zum großen Nachtheil geruhen mögte. Wir finden es sehr gut, daß der Böse Wucher, absonderlich bey den Juden, aufs schärfste bestrafet werde.“ 84 Nur in diesem Falle müsse man sich wohl mit einer Geldstrafe in Höhe von 200 Rt. begnügen. Daß man auf das Wohl der Wriezener Schnallenfabrik Rücksicht zu nehmen gedachte, ist dabei durchaus verständlich, handelte es sich dabei doch offenbar um einen prosperierenden Betrieb des eisenverarbeitenden Gewerbes, mit dem die Kurmark nicht unbedingt reich gesegnet war. 85 Seinen Ursprung nahm dieser 80

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 15. Zur Person GStA PK, I. HA, Rep. 104 C, Nr. 236 b, Bl. 10; Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 120 – 121. Sein 1779 verstorbener Vater Samuel Aron war Kleider- und Haarhändler und betrieb eine Boutique in der Rätzengasse. 82 Die Akte des damaligen Prozesses konnte nicht aufgefunden werden. Vgl. jedoch das resümierende Schreiben des Ersten Kriminalsenats beim Kammergericht Berlin an den Geheimen Rat aus dem Jahre 1775 in GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 207b 2, Fasz. 130. 83 Siehe das Schreiben des Justizdepartements vom 11. Mai 1775 ebd. 84 Geheimer Rat an das Justizdepartement, Berlin, 29. April 1775, ebd. 85 Die folgenden knappen Ausführungen stützen sich im wesentlichen auf eine kursorische Durchsicht von Aktentiteln des Fabrikendepartements. Es ist bezeichnend, daß über diesen Betrieb trotz guter Quellenlage kaum etwas bekannt ist, obwohl es sich hier um eine jüdische Manufaktur handelte, die ihre Existenz offenbar nicht lediglich obrigkeitlichem Druck verdankte. Im Kontext der These vom jüdischen „Ersatzbürgertum“ wären 81

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Betrieb 1769 mit der Ansiedlung der eigenen Angaben nach aus Rostock stammenden Brüder Zadeck und David Hirsch bei dem Eisenhammer, den Splittgerber & Daum in Neustadt Eberswalde betrieben. 1772 beschlossen die beiden hingegen, sich selbständig zu machen, mußten ihren Betrieb allerdings nach dem Willen Splittgerbers aus Eberswalde fort verlegen. Nachdem zunächst Joseph Aron, Simon Samuel Aaron und Daniel Jacob als Entrepreneurs der Fabrik fungierten, 86 übernahm deren Schwager Gerson Jacob (1741 – 1808) den Betrieb, 87 als Totengräber, Berliner Hofparfümier, 88 Lotterieeinnehmer 89 und Stammvater des Bankhauses Bleichröder 90 anscheinend ein Tausendsassa, aus dem obendrein übrigens beinahe ein Landwirt geworden wäre. 91 Wie die Kurmärkische Kammer doch gerade derartige Betriebe, noch dazu in der „Provinz“ gelegen, von besonderem Interesse. Siehe: Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil VI (Barnim), S. 668 –669; Heidenhain, S. 61 – 70. Die Berliner Niederlage der Wriezener Manufaktur befand sich 1793 in der Königsstraße. Siehe Nicolai, Wegweiser für Fremde und Einheimische S. 86. Zu Streitigkeiten mit Iserlohner Schnallenmachern siehe Reininghaus, Iserlohn, S. 268, 270. 86 So nach einem Bericht der Kurmärkischen Kammer vom 5. Juni 1772 in GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CDXXXIX, Nr. 19, Bd. 1, Bl. 15 –18. 87 So nach einem Bericht der Kurmärkischen Kammer vom 14. Februar 1773, ebd., Bl. 32 – 33; Konzession für Jacob vom 3. März 1773 ebd., Bl. 42 –43. 88 Vgl. Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 165. 89 Scheiger, S. 208. 90 Schmook, S. 249 – 250; vgl. Stern, Gold und Eisen. 91 Jacob stellte nach dem Ende seiner Tätigkeit in der Wriezener Manufaktur im April 1788 – die zahlreichen Produktivierungsvorschläge im Kontext der Debatte um die bürgerliche Verbesserung der Juden scheinbar ernst nehmend – den Antrag, ihm die Erlaubnis zu erteilen, „ein gemeines Ackerguth zu kaufen und zu pachten“: „Die nötige Kentnisse zur Ackerwirthschaft habe ich mir einigermaßen gesammelt, auch meine bereits erwachsene Kinder, welche gleichfals kein Handels-Geschäfte können, würde ich beschäfftigen und zu ein ehrliches Gewerbe anführen können und die Abgaben, die ein jeder Unterthan zu entrichten hat, will ich sehr gerne auch tragen. Meine Principalen [u. a. Benjamin Daniel Itzig] haben mir zur Belohnung meiner treu geleisteten Dienste versprochen, das nötige Geld zur Ankaufung ein solches Ackerguth vorzuschießen.“ Mit Blick auf die überkommene preußische Sozial- und Militärverfassung war dem zuständigen Referenten im Generaldirektorium jedoch nicht wohl bei der Sache: „Es wäre der erste Fall, daß einem Juden die Annahme einer Landwirthschaft gestattet würde [...]. Da der Jude nicht Soldat seyn kann, so würde das Canton-Regiment den zu acquirirenden Bauerhof auf seine Rolle verliehren, und das möchte doch wol nicht angehen [...] Ob in Ansehung des Vorschlags, daß die Juden sich forthin mehr mit christlichen Gewerben abgeben sollen, schon etwas geschehen sey, was hierin einschlage, weiß ich nicht und erbitte mir über diese Angelegenheit ein collegialisches Sentiment.“ Nachdem auch die Kurmärkische Kammer eine negative Entscheidung befürwortete, lehnte das Generaldirektorium Jacobs Gesuch am 4. Juni 1788 endgültig ab. Siehe GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia, Nr. 9, Bd. 5, Bl. 280 – 281, 285 – 286. Zum Kontext der zeitgenössischen Diskussion um eine „Produktivierung“ der Juden durch eine Annäherung an die Gewerbestruktur der christlichen Mehrheitsgesellschaft siehe Erb, „Warum ist der Jude zum Ackerbürger nicht tauglich?“; analytisch schwach und auf empirisch schmaler Basis nun Rückert; ferner

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am 4. November 1774 berichtete, beschäftigte die Wriezener Manufaktur neben den Gebrüdern Hirsch bereits fünf aus Böhmen eingewanderte Kolonistenfamilien und produzierte Eisenwaren guter Qualität. 92 Allerdings hatte Jacob große Summen bei seinen drei Schwägern aufgenommen, mit denen er deshalb Ende 1774 eine Sozietät bildete, in deren Rahmen die Fabrikenkonzession offenbar auch auf diese ausgedehnt wurde. 93 Diese Entscheidung erwies sich für Aaron, um nun auf diesen zurückzukommen, im folgenden Jahr als höchst wertvoll, denn gegen den Widerspruch des Justizdepartements wurde die Strafe der Landesverweisung am 18. September 1775 tatsächlich in ein Bußgeld in Höhe von 200 Rt. umgewandelt. 94 Dies waren also die beiden Männer, die nach dem Willen des Generalfiskals im Jahre 1779 doch noch des Landes verwiesen werden sollten, um dem königlichen Befehl Genüge zu tun. Friedländer hatte für seine Vergehen bereits zwei Jahre Festungshaft abgesessen und für die Rückkehr nach Berlin 100 Rt. entrichtet. Bei Aaron, der sich zudem um das Fabrikenwesen verdient gemacht hatte, waren es gar 200 Rt. gewesen. Keiner von beiden war von den Behörden jemals mit einem Porzellanexport konfrontiert worden, so daß ihre Schicksale recht eigentlich in keinerlei Zusammenhang mit dem fiskalischen Revisionsverfahren des Jahres 1779 standen, obwohl ihre „Rehabilitation“ in den tabellarischen Nachweisungen Brenner, Orchideenfach, Modeerscheinung oder ein ganz normales Thema? S. 23: „Die Juden wurden keine Bauern und Handwerker, weil im Zeitalter der Industrialisierung – als sie dies erstmals werden konnten – sogar die meisten Bauern keine Bauern und die meisten Handwerker keine Handwerker mehr sein wollten.“ Hinsichtlich der von dem Referenten befürchteten negativen Auswirkungen für das Kantonregiment siehe Büsch, Zum Verhältnis von Wehrsystem und Agrarverfassung, S. 18 – 32. 92 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CDXXXIX, Nr. 19, Bd. 1, Bl. 75 –77. Im Handapparat des Generalfiskals finden sich die als Extraordinarii angesetzten Gebrüder Hirsch sowie vier namentlich nicht genannte „unverehelichte Graveure“, die lediglich aufgrund ihrer Tätigkeit toleriert wurden. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 99. Teilweise korrekturbedürftig scheint also die Aussage von Schmook, S. 249 zu sein, wonach die Wriezener Manufaktur trotz königlicher Unterstützung nicht sonderlich floriert habe. Zumindest phasenweise war offenbar das Gegenteil der Fall. Vgl. jedoch Rachel / Wallich, S. 360 – 361 sowie Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 374, 385, wonach der Betrieb 1799 mit rund 15.000 Rt. verschuldet war. Die Einfuhr ausländischer Schnallen war seit 1756 (Eisen) bzw. 1783 (Stahl) verboten, siehe d’Anières, Versuch einer Anleitung, S. 324. 93 Das Verfahren ist im übrigen auch ein Lehrstück über die Prinzipienfestigkeit preußischer Judenpolitik, tauchte dabei doch unerwartet das Problem auf, daß Jacob offiziell immer noch als Gemeindebedienter in Berlin angesetzt war, als welcher er bereits die Konzession zum Fabrikenbetrieb vom 3. März 1773 gar nicht hätte erhalten dürfen. Die Kammer hob nun jedoch beschwichtigend ervor, daß „gantz neuerliche Exempel vorhanden wären, daß sogar ausländische und unvergleitete Juden zu Anlegung neuer Fabriquen Höchste Concessiones erhalten hätten“. Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CDXXXIX, Nr. 19, Bd. 1, Bl. 157 – 158. 94 GStA PK, I. HA, Rep. 21, Nr. 207b 2, Fasz. 130.

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des Generalfiskalats vom Sommer jenes Jahres moniert wird. 95 Die Vertreibung wurde jedoch offensichtlich nicht durchgesetzt – den Grund liefern die Verkaufslisten der KPM: Aaron findet sich am 10. September 1779 mit 303, Friedländer am 29. April 1785 mit 300 Rt. darin wieder. 96 Ob Letzterer, mittlerweile ein Greis, das Land zwischenzeitlich tatsächlich hatte verlassen müssen, läßt sich nicht beantworten, doch dürfte er in jenen Jahren zumindest täglich der „Fortschaffung“ entgegengesehen haben. Letztlich starben beide in Berlin, Friedländer am 13. August 1796, Aaron am 18. März 1814. 97

IV. Zur Konzessionsvergabe nach 1779 Wenn für Friedländer und Aaron das Dekret vom 6. Juni 1779 nicht zum Äußersten, der Vertreibung, führte, so bewirkte sie gleichwohl eine einschneidende Verschärfung der Privilegierungspraxis für die gesamte preußische Judenschaft, wie im folgenden darzulegen ist. Wie bereits ausgeführt, herrschte im Generaldirektorium nach Erhalt des Dekrets vom 29. Mai 1779 zunächst große Unsicherheit vor, wie künftig bei der Konzessionsvergabe zu verfahren sei – eine Situation, die zwischen Juni und November zu einer rund fünfmonatigen Unterbrechung der Privilegierungen in der gesamten Monarchie führte. Daß die Minister anfangs nicht daran dachten, den Kabinettsbefehl vom März 1769 wörtlich umzusetzen und künftig Exporte im Wert von 300 bzw. 500 Rt. zu fordern, geht aus dem Schreiben des Generaldirektoriums an d’Anières hervor, mit dem dieser am 8. Juni aufgefordert wurde, ein vollständiges Verzeichniß derjenigen Fälle von Concessionen, Begnadigungen und Ausfertigungen in allen Sachen, welche den Statum politicum der Juden betreffen, anzufertigen und vorzuschlagen, was in jedem Falle an Porcellain aus hiesiger Manufactur zum auswärtigen Debit zu übernehmen ist. 98

Was sich das Generaldirektorium darunter vorstellte, zeigen dessen weitere detaillierte Anweisungen. So seien bei der Anfertigung eines solchen Tarifs jeweils die Vermögensverhältnisse der jeweiligen Provinz und der Judenschaften sowie der Stellenwert des verliehenen Privilegs zu berücksichtigen und auf dieser Basis anzugeben, 95

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 95. Siehe die Exporte Nr. 0397 und 1218 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 97 Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 114, 120. 98 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 80 –82, danach die folgenden Zitate. In dem Schreiben wurde der Generalfiskal auch zu Gutachten über die Frage aufgefordert, ob künftig auch Gemeindebediente sowie ostfriesische Juden zu Exporten heranzuziehen wären. Siehe dazu die Kap. G. VII. und H. V. 96

IV. Zur Konzessionsvergabe nach 1779

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was in einer großen, mittlern und kleinen Stadt zum Exempel Ein Jude, der ein General Privilegium erhält, Ein Jude, der als ordinarius auf das Recht des ersten Kindes, Ein Jude, der als ordinarius auf das Recht des 2. Kindes, Ein Jude, der als extraordinarius angesetzet wird, Ein Jude, der ein Hauß, wozu er Reglementsmäßig qualificiret ist, acquiriret, Ein Jude, dem die Acquisition eines Hauses außerordentlich und über die gesetzte Zahl concediret wird, Ein Jude für Erlangung einer Fabriquenconcession, Ein Jude für Dispensation von Heirathung einer Ausländerin et vice versa, Ein Jude für die Erlaubniß, einen offenen Laden zu halten, Ein Jude für die Dispensation ab aetate legali und dergleichen mehr nach Verhältnis der Städte und des Vermögens der Judenschaften an Porcellain zu nehmen hat.

Den auf dieser Basis durch d’Anières aufzustellenden Tarif werde man nach gehöriger Prüfung dem König zur Genehmigung vorlegen und daraufhin die nötigen Vorkehrungen treffen. Der Inhalt dieses Schreibens ist ebenso überraschend wie bezeichnend. Denn wenn der König unzweideutig angeordnet hatte, es solle beim Kabinettsdekret vom 21. März 1769 zukünftig sein Bewenden haben, so waren damit auch die Exporttarife jeder Diskussion enthoben. Wenn die Minister nun dennoch von d’Anières eine ausgefeiltere Regelung der jeweils abzunehmenden Porzellanmenge erwarteten, so spricht dies Bände über die im Generaldirektorium offensichtlich in bester Erinnerung gebliebenen Probleme, in die man zehn Jahre zuvor bei dem schnell aufgegebenen Versuch geraten war, die Befehle des Königs uneingeschränkt in die Tat umzusetzen. Vor diesem Hintergrund suchte Preußens oberste Kameralbehörde auch nach der zornigen Intervention des Königs zunächst ihr zuvor wie selbstverständlich wahrgenommenes Recht zu verteidigen, die Anordnungen aus dem Kabinett mit der Realität in Einklang zu bringen. Das Generaldirektorium mußte sich jedoch am 23. Juni vom Generalfiskal belehren lassen, daß der Monarch eindeutig befohlen habe, zum Reskript von 1769 zurückzukehren, so daß er, d’Anières, sich nun nicht unterstehen könne, einen Tarif in Vorschlag zu bringen, welcher von diesen klaren Vorschriften nothwendig abgehen müsse, besonders, da Sr. Königl. Maj. die verschiedenen Rescripte, durch welche eine Art von Tarif eingeführt worden, aufgehoben und dadurch genugsam zu erkennen gegeben, daß Sie von keinem Tarif wissen wollen. 99

Dem fügte sich nun auch das Generaldirektorium und erließ am 29. Juni ein Reskript an alle Kammern, wonach künftig bei der Verleihung eines Generalprivilegs für 500 Rt., „bei jeder andern Beneficirung und Bewilligung“ hingegen für 300 Rt. Porzellan zu exportieren sei. 100 Am gleichen Tag wurde auch die Geheime Direktorialkanzlei (Kriegsrat Mumme und Hofrat Standtke) „bei Vermeidung der schärfsten Ahndung“ instruiert, künftig keine Konzession mehr zu expedieren, 99 100

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 84 –88. Ebd., Bl. 108.

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bevor nicht in jedem einzelnen Fall die Atteste der Porzellanmanufaktur sowie der Grenzzollämter vorlägen und der Generalfiskal „alles für berichtigt erklärt“ habe. 101 Auf dem Wege einer Verschärfung des Exportzwangs verschoben sich somit auf dem Feld der Judenpolitik, und dies erscheint als besonderes Charakteristikum der Jahre 1779 bis 1786, auch die Gewichte innerhalb des institutionellen Gefüges, indem die Kontrollfunktion des Generalfiskals eine bedeutende Aufwertung erfuhr. Auf dem Papier bestand diese Aufsichtspflicht zwar bereits seit Jahrzehnten, doch gewinnt man bei einer Durchsicht der Monita d’Anières’ aus den vorangegangenen Jahren nicht den Eindruck, das Generaldirektorium habe diese Einwürfe wirklich zur Maxime seines Verwaltungshandelns gemacht. 102 Dies änderte sich nun grundlegend durch die scharfe Intervention des Königs, die offenbar in den Reihen der Ministerialbürokratie ihre Wirkung nicht verfehlte. So hatte das Generaldirektorium bereits in seinem Schreiben vom 8. Juni 1779 den Generalfiskal mit Blick auf die vom König nachträglich verworfenen Reskripte des Jahres 1771 gerügt, es „hätte dessen Schuldigkeit erfordert, wenn er vermeinet hätte, daß dadurch Se. Königl. Maj. Allerhöchste Intention nicht hinlänglich erreichet würde, deshalb sogleich bey dem General Directorio selbst Vorstellung zu thun“. 103 Sobald d’Anières den anfangs noch angedachten Tarif aufgestellt habe, werde deshalb alles ungesäumt zur Ausführung gebracht, auch auf das genaueste bestimmt werden, daß keine Ausfertigung in Juden-Sachen hinführo eher abgelassen werden soll, bevor nicht durch eigenes Anerkäntniß des General-Fiscals d’Anieres ad acta dociret ist, daß Se. Königl. Majestät Allerhöchste Vorschrift wegen des Porcellains auf das vollständigste erfüllet sey. 104

Der Tarif wurde zwar rasch verworfen, doch die Kontrolle der gesamten Konzessionsvergabe des Generaldirektoriums durch den Generalfiskal erreichte eine Schärfe, die sie zuvor (zumindest nach 1740) niemals besessen hatte. In der Aktenüberlieferung ist die in beiden Institutionen herrschende Befürchtung, möglicherweise erneut den Unmut des Königs auf sich zu ziehen, vielfach mit Händen zu greifen. 105 Dies führte insbesondere bei d’Anières mitunter zu einem forschen Auftreten, wie etwa im Falle des aus Holland nach Ostfriesland eingewanderten Juden Bendix Liffmann, bei dessen Exportbescheinigung anfänglich Zweifel be101 Ebd., Bl. 109. Parallel dazu hatte der König KPM-Direktor Grieninger bereits am 12. Juni instruiert, künftig bei der Ausstellung der Kaufatteste für die Juden mit besonderer Behutsamkeit zu verfahren. So müsse „deshalben alle Vorsicht gebraucht werden, damit die Juden dabey weiter keine Unterschleiffe machen können, sondern das festgesetzte Quantum Porcellain aus der Manufactur complet kauffen und auch würklich exportiren“. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 770 –771. 102 Vgl. Kap. D. II. und IV. 103 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 82. 104 Ebd., Bl. 82 – 83.

IV. Zur Konzessionsvergabe nach 1779

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standen, die hier nicht näher zu referieren sind. 106 Aufschlußreich ist hingegen die Reaktion des Generalfiskals, der das Generaldirektorium im Oktober 1780 geradezu ultimativ dazu aufforderte, die Angelegenheit schleunigst zu dokumentieren, „damit ich mich nicht in die traurige Nothwendigkeit versetzt sehe, Sr. Königl. Maj. allerhöchster Person von der Nichtbefolgung allerhöchst dero Befehle Anzeige zu thun“. 107 Ein solcher „Kommandoton“ war in der Tat neu und führte bei den solchermaßen angegangenen Ministern zu einiger Verstimmung. So konterte das Generaldirektorium sichtlich gereizt: Der General Fiscal aber hätte wegen erwehnten Unterlassungs-Fehlers sich nicht herausnehmen sollen, in dem seinigen Ton, dessen er sich in seinem Berichte angemaßet, solemnissime wieder die Ansetzung des Bendix Lieffmann zu protestiren und mit unmittelbarer Anzeige an Sr. Königl. Maj. zu drohen, sondern es hätte ihm gebühret, seine Erwiderung in einer dem Verhältnis zwischen dem General Directorio und ihm gemäßen Schreibarth zu machen, welches in künftigen Fällen von ihm erwartet wird. 108

Vor dem Hintergrund dieser administrativen Auseinandersetzungen und Gewichtsverschiebungen gewinnt die eigenartige Formulierung in einer 1788 erschienenen topographischen Beschreibung der Grafschaft Tecklenburg an Gewicht, wonach die dortigen Juden „in Ansehung des Porcellans, so sie zu nehmen und außer Landes zu debitiren schuldig, unter dem Generalfiskal in Berlin“ 109 stünden. Ausbrüche der oben zitierten Art bildeten freilich die Ausnahme, 110 denn das Generaldirektorium respektierte bei der Privilegienvergabe die Kontrollinstanz des Generalfiskalats zumindest bis zum Tode Friedrichs des Großen durchaus. Nach allem, was sich auf Basis der Aktenüberlieferung sagen läßt, verließ in den kommenden Jahren tatsächlich kein einziges Privileg die Direktorialkanzlei, ohne daß d’Anières zuvor sein Einverständnis erklärt hatte. 111 So ist es kein Zufall, daß man nach 1779 mit einer Ausnahme keinen Eintrag in den Verkaufslisten der KPM mehr finden wird, wonach ein Jude anläßlich einer Neuverleihung für weniger als 300 Rt. Porzellan angekauft hätte. 112 Die Zeiten, in denen das Ge105 Vgl. den Schriftwechsel zwischen Generalfiskalat und Generaldirektorium über die Frage, welche Institution gegenüber dem König die Verantwortung für die neuerliche Dispensation der Gemeindebedienten zu übernehmen habe, in Kap. G. VII. 106 Vgl. Export Nr. 0599 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 107 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bd. 1, Bl. 115 –116. 108 Ebd., Bl. 117 – 118. 109 Holsche, S. 259. Indirekt kann man die hier zu beobachtende Entwicklung noch aus der Instruktion herauslesen, die Friedrich Wilhelm II. dem Generaldirektorium am 28. September 1786 erteilte und in der gerade der Generalfiskal als Personifikation der Härten friderizianischer Judenpolitik aufscheint. Vgl. Kap. A. I. 110 Zu ähnlich scharfen Unstimmigkeiten kam es in jenen Jahren hingegen über die Frage des Exportzwangs für die Juden des Netzedistrikts. Siehe Kap. H. VI. 111 Siehe etwa die zahlreich erhaltenen Konzessionsverfahren ostpreußischer Juden im Bestand GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

neraldirektorium versuchte, „verhältnismäßig“ zu agieren, waren unzweifelhaft vorbei. Begehrte ein Jude ein Privilegium, dessen Vergabe unter den Porzellanexportzwang fiel, so hatte er dafür vor Erhalt der Konzession für 300 bzw. 500 Rt. (bei Generalprivilegien) zu kaufen und nachweislich zu exportieren. 113 Wenn im Einzelfall die Konzession vor dem vollzogenen Export datiert, so wurde sie entweder erst später ausgehändigt oder aber zuvor eine Sicherheit hinterlegt. Als beispielsweise Moses Jacob Helfft, der eine Schwester Daniel Itzigs geheiratet hatte, 1782 seinen Sohn Samuel Moses Helfft als erstes Kind etablierte, 114 datiert die Konzession vom 13. Juli, der Porzellankauf jedoch erst vom 2. September. 115 Der Generalfiskal notierte allerdings: „Das Porcellain ist nicht gekauft, ich habe aber einen Banco Schein von 300 Th. in Händen.“ Später ergänzte der: „Das Porcellain ist gekauft und exportiret und der Banco Schein retradiret.“ 116 Der unvergleitete Jost Vith aus Kalkar hatte, um ein weiteres Beispiel anzuführen, im Juni 1783 die Erlaubnis zur Heirat bekommen – allerdings lediglich aufgrund einer von ihm gestellten Kaution in Höhe von 500 Rt. D’Anières vermerkte: „Soll nebst dem Schwiegervater Aaron Mendel nach sechs Wochen fort, wenn das restirende Porcellain nicht berichtiget wird.“ 117 Den Export bewerkstelligte Vith zwar erst im Februar 1786, doch wurde er auch nicht früher, sondern erst im April 1786 als Extraordinarius angesetzt. 118 Nahezu durchgängig mit 300 Rt. schlugen demnach in den kommenden Jahren die Neuvergabe von ordentlichen Schutzbriefen sowie das Etablissement erster und zweiter Kinder zu Buche. Zu letzteren läßt sich ein weiterer Beitrag zum Thema „Rechtssicherheit“ anbringen: Vom 5. bzw. 14. Februar 1783 datiert der offenbar letzte Versuch von Vertretern der Judenschaft, die bereits seit 14 Jahren andau112 Diese Ausnahme bildete Jacob Isaac aus Schwedt, der bereits in vier Raten für insgesamt 300 Rt. Porzellan für eine Konzession zum Hausbesitz vom 4. September 1772 exportiert hatte – vgl. die Exporte Nr. 0159, 0516, 0635, 0716 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232) – und der im März 1782 noch einmal in den Büchern der KPM auftaucht – diesmal allerdings mit lediglich 150 Rt. Isaac erhielt dafür eine Konzession zum „Tuchhandel für Tücher über einen Th. an Werth“, die vom 2. Februar 1782 datiert. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 83; vgl. Export Nr. 0806. 113 Stößt man in jenen Jahren auf geringere Beträge, so handelt es sich dabei durchgehend um die Ableistung der Rückstände aus den Jahren vor 1779. 114 BLHA, Rep. 2, Nr. S.2913. 115 Siehe Export Nr. 0871 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Unzutreffend scheint die Angabe bei Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 279 zu sein, wonach Samuel Moses Helfft auf das Generalprivileg von Daniel Itzig angesetzt worden sei. 116 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 18. 117 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 114. 118 Siehe Export Nr. 1292 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

IV. Zur Konzessionsvergabe nach 1779

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ernde Ausdehnung des Exportzwangs auf die zweiten Kinder zu beenden, die in krassem Widerspruch zum Wortlaut des vom König unterzeichneten Templiner Vertrags stand. So baten an jenem Tag die Ältesten und Vorsteher der Kurmärkischen Landjudenschaft unter erneutem Hinweis auf jenes Dokument darum, die nachgeborenen Kinder „nach dem claren Inhalt des angeführten Contracts“ von dieser Bürde zu befreien. 119 Die Supplikanten wurden durch Generalfiskal und Generaldirektorium ebenso gleichlautend wie bündig beschieden, „daß Sr. Königl. Maj. auf ihre Eingabe und Bitte zu reflectiren nicht geruhet“ hatte. 120 Dennoch ist es zu undifferenziert, wenn in der Literatur zu lesen ist, der Exportzwang sei nun bei „jedem Juden, der heiraten wollte“, 121 angewendet worden. Eine Heirat, und dies gilt grundsätzlich im friderizianischen Judenrecht, bedurfte stattdessen zunächst einmal lediglich der Einholung eines Trauscheins. Eine Konzession und somit auch ein Porzellanexport waren erst dann erforderlich, wenn durch die Heirat zugleich eine neue Schutzbeziehung konstituiert wurde. Wenn also ein ordentlicher Schutzjude in zweiter Ehe eine preußische Jüdin heiratete, war dafür lediglich ein Trauschein zu lösen. Anders verhielt es sich hingegen, wenn eine Schutzjudenwitwe einen unvergleiteten oder lediglich als Gemeindebedienten angesetzten Juden heiratete, der fortan als Extraordinarius geführt wurde. So tauchen in der Verkaufsliste der KPM aus diesem Anlaß beispielsweise die ostfriesischen Jüdinnen Regina Jacobs aus Dornum, Sara Lazarus aus Norden und Witwe Heymann Jacobs aus Emden auf. 122 Ähnlich verhielt es sich, wenn ein Witwer eine ausländische Jüdin zu seiner zweiten Ehefrau erwählte. 123 Die Richtlinie, nach der hierbei verfahren wurde, legte d’Anières im September 1782 dem Generaldirektorium dar: Durch die Heirath mit einer fremden Jüdin [...] wird diese fremde Jüdin eine SchutzGenossin, und [es] muß daher hierzu eine besondere Concession gelöset werden, es wird 119

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 136. Ebd., Bl. 138 – 139. 121 So beispielsweise bei Schoeps, Moses Mendelssohn, S. 74. 122 Siehe GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 30, Bl. 83, 89, 126, 133; vgl. die Exporte Nr. 0712, 0722 und 902 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). In solchen Fällen geriet der Porzellanexport offenbar mitunter zum Gegenstand jüdischer Eheverhandlungen, wie etwa im Falle der Joachimsthaler Schutzjudenwitwe Levin Salomon, die sich 1782 mit dem als Extraordinarius anzusetzenden David Salomon verheiraten wollte. Mit dem Abnahmezwang konfrontiert, erklärte sie dem Eberwalder Steuerrat Gilbert, „dieserhalb an ihren Bräutigam in Bernau, wo er sich anitzo aufhielte, zu schreiben und darüber dessen Erklährung einzuziehen, weilen bey ihrer Ehestiftung sie sich beide solchergestalt gesetzet, daß der David Salomon alle Kosten in dieser Angelegenheit übernehme und trage“. Siehe BLHA, Rep. 19, Steuerrat Eberswalde, Nr. 57; vgl. Export Nr. 0872. 123 Für das Fürstentum Halberstadt konstatiert Halama, S. 181 gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine wachsende Zahl derartiger Ehen. Da sich die von ihm behandelten Fälle jedoch sämtlich nach Aufhebung des Exportzwangs im Jahre 1788 ereigneten, fanden sie in der Exporttabelle keinen Niederschlag mehr. 120

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

auch in dergleichen Fällen allezeit pro Dispensatione an Chargen- und Stempel-Gebüren ein mehreres gegeben als in andern Fällen. Hieraus folgt, daß der Jude auch in solchen Fällen für 300 Rt. Porcellain nehmen müsse, welches auch seit 3 Jahren in ähnlichen Fällen verschiedentlich verordnet worden. Ich kann von dieser Theorie, welche sich in den Principiis der bekannten Königl. Cabinets Ordre meiner Einsicht nach vollkommen gründet, nicht abgehen, bis die Juden dieserhalb bei Sr. Königl. Maj. eine für sie günstige Declaration extrahiret haben werden. 124

Eine solche Deklaration wurde niemals publiziert, und so blieb es bei dem hier beschriebenen Verfahren. Noch im Juni 1785 mußte deshalb der bislang unverheiratete Moses Behrend aus Petershagen, der bereits anläßlich seines Etablissements für 300 Rt. Porzellan exportiert hatte, weitere 300 Rt. für eine erneute Ausfuhr aufbringen, um eine ausländische Jüdin heiraten zu dürfen. 125 Die außerordentlichen Schutzjuden, deren Privileg nicht weiter vererbt werden konnte, waren vor 1779 nur sporadisch herangezogen worden. Auf eine Anfrage der Kurmärkischen Kammer vom 18. August 1779 126 entschied d’Anières am 18. September, daß künftig auch Extraordinarii zu Exporten heranzuziehen seien, da diese mit ihrer Ansetzung die Erlaubnis zum Handel für sich, ihre Witwen und ihre Kinder erhielten und somit „würckliche Schutz-Juden“ würden. 127 Die Kammer wurde daraufhin am 28. September instruiert, daß in dergleichen Fällen „ohne Unterschied des Orts und ob es eine große oder kleine Stadt ist“ für 300 Rt. Porzellan zu exportieren sei. 128 Für die folgenden Jahre ließ sich nur ein Fall nachweisen, in dem bei der Erteilung eines außerordentlichen Schutzbriefs von dieser Regelung abgegangen wurde. Bei der Ansetzung des aus Kassel stammenden Isaac Bacharach als Extraordinarius in Lippstadt im Jahre 1782 beschloß man wegen der „besondern Lippstädtschen Verfassung“, also des Kondominiums des Königreichs Preußen und der Grafschaft Lippe, auf einen Porzellanexport zu verzichten. 129 Auch Konzessionen zum Hausbesitz wurden fortan nur noch gegen einen Porzellanexport im Wert von 300 Rt. erteilt, 130 bei Generalprivilegierten zeigt sich fallweise eine Ausdehnung des Ausfuhrzwangs auf die Ansetzung von Kindern, 124

GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bd. 1, Bl. 154 –155. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 72; Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 502; vgl. die Exporte Nr. 0928 und 1235 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 1787 wollte Behrend in zweiter Ehe erneut eine ausländische Jüdin heiraten, wurde jedoch von der Auflage, ein drittes Mal Porzellen zu exportieren, befreit. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 13 –14. 126 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 112 –113. Der Anfrage vorangegangen war eine entsprechende Erkundigung des Frankfurter Steuerrats Gutschmidt bei der Kammer. 127 Ebd., Bl. 118 – 119. 128 Ebd., Bl. 121 – 122. 129 So in der Abschrift der Konzession vom 3. September 1782 in StA Lippstadt, Bestand B, Nr. 645. Bacharach hatte allerdings eine Gebühr in Höhe von 100 Rt. in Gold zu entrichten. 125

IV. Zur Konzessionsvergabe nach 1779

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die aufgrund der Konzession den Empfängern doch eigentlich freistehen sollte. 131 Insgesamt wurde das Judenporzellan auf diese Weise nahezu zwangsläufig zum Bestandteil jüdischer Lebensplanung, waren doch spätestens seit 1779 nahezu sämtliche Rechtsakte, die den Fortbestand einer Familie sicherten (Etablissement, Niederlassung der Kinder, Immobilienbesitz), an den Exportzwang gekettet. Zudem wirkte sich auch die noch zu schildernde Eintreibung der Rückstände aus den Jahren vor 1779 massiv auf die Neuvergabe von Privilegien aus. Denn indem hier ganze Familien gewissermaßen in solidarische Haftung genommen wurden, erwies sich eine nahe Verwandtschaft mit einem Porcellainerestanten für zahlreiche Juden als höchst problematisch. Im neumärkischen Woldenberg beispielsweise hatte Levin Moses am 23. September 1773 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und dafür Porzellan im Wert von 50 Rt. exportiert. 132 1780 wollte er zudem seinen Sohn Liebmann Levin als zweites Kind ansetzen, der auch vorschriftsmäßig unter dem 14. September 1780 mit einem Kaufpreis von 300 Rt. in den Büchern der KPM auftaucht. 133 Doch aufgrund eines Einspruchs des Generalfiskals 134 wurde diese Konzession erst ausgefertigt, nachdem auch der Vater seinen Rückstand aus dem Jahre 1773 beglichen hatte. Das Etablissement des Sohnes verzögerte sich dadurch um rund zwei Jahre, nämlich bis zum 26. September 1782 135 – kein Wunder, hatte die Familie doch neben den 550 Rt. für den Kauf des Porzellans für die Niederlassung des Sohnes auch die üblichen 200 Rt. für die Templiner Manufaktur und weitere 100 Rt. Chargenkassengebühren aufzubringen. Im Westen der preußischen Monarchie, in der Grafschaft Ravensberg, wollte Veibes Levi aus Werther seinen Sohn Michel Veibes im Jahre 1781 an die Witwe von Wulff Abraham verheiraten und als Extraordinarius etablieren. Dafür kaufte er am 3. Juli 1781 bei der KPM Ware im Wert von 300 Rt. – vermutlich ohne zu wissen, daß die Porzellanmanufaktur auch noch Ansprüche an die Witwe erhob, die aus Konzessionen für ihren verstorbenen ersten Ehemann für seine Ansetzung im Dezember 1777 und zum Hausbesitz im März 1779 resultierten. 136 Folgerichtig 130 Bislang ließen sich lediglich in Halberstadt zwei Fälle ausmachen, bei denen 1781 bzw. 1784 bei obrigkeitlich bekannt gewordenen Hauskäufen kein Porzellanexport gefordert wurde. Dabei handelte es sich allerdings um Immobilien, die sich auf der domkapitularischen Freiheit befanden und noch dazu lediglich in Erbpacht übernommen wurden. Siehe Halama, S. 284 – 285. 131 Vgl. Kap. G. VI. 132 Vgl. Export Nr. 0217 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232); vgl. auch Moses’ Export unter Nr. 0322, der in Verbindung mit der Ansetzung seines ältesten Kindes zu stehen scheint. 133 Siehe Export Nr. 0617 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 134 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 174. 135 BLHA, Rep. 3, Nr. 18560, Bl. 88. 136 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 101.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

erhob d’Anières wiederum Einspruch und verfügte, es solle die Konzession nicht eher verliehen werden, bis auch die Witwe „den Rest an Porcellain berichtiget hat“. 137 Die Ansetzung in Lengerich verzögerte sich dadurch um rund ein Jahr. Erst nachdem Veibes am 2. April 1782 nochmals für 300 Rt. Porzellan angekauft und exportiert hatte, wurde die Konzession im Juni erteilt. Ganz ähnliches spielte sich in der ostfriesischen Herrschaft Norden ab, wo sich, ebenfalls 1781, die bereits erwähnte Witwe Sara Lazarus mit dem als Extraordinarius zu etablierenden Jacob Salomon verheiraten wollte 138 und dafür im Juni jenes Jahres für 301 Rt. Porzellan exportierte. 139 Wiederum protestierte der Generalfiskal „feierlichst“ 140 beim Generaldirektorium: Der verstorbene Mann aus erster Ehe, Calmer Marcus, hatte sich nämlich im März 1774 als zweites Kind niedergelassen, ohne dafür angesichts der zu diesem Zeitpunkt für die gesamte ostfriesische Judenschaft geltenden Dispensation auch nur für einen Groschen Porzellan exportiert zu haben. So war an eine Heirat nicht eher zu denken, bis Sara Lazarus noch einmal 300 Rt. aufgebracht hatte. 141 Die Konzessionsvergabe verzögerte sich dadurch um mehr als 18 Monate bis zum März 1783. 142 Wiederum am anderen Ende der Monarchie, in Königsberg, plante Bendix Heymann im Jahre 1785, sich mit der Tochter des dortigen Schutzjuden Nathan Urias verheiraten und als zweites Kind auf den Schutzbrief seines Vaters zu etablieren. Heymann bezahlte alle geforderten Gebühren, kaufte auch am 18. Februar 1785 bei der KPM das Porzellan und sorgte für dessen Export nach Hamburg. 143 Das Generaldirektorium hatte die Konzession bereits ausgefertigt, 144 als der Generalfiskal Einspruch erhob: Heymanns Vater habe zwölf Jahre zuvor, 1773, bei der Ansetzung seiner mit Isaac Jacob Schlesinger verheirateten Tochter als erstes Kind auf seinen Schutzbrief kein Porzellan gekauft. 145 Da nützte es auch nichts, daß diese Ehe bereits längst wieder geschieden war, Schlesinger sich in Frankfurt an der Oder aufhielt, um in Pharmazie zu promovieren, 146 und seine ehemalige Gattin in zweiter Ehe mit Aaron Jacob Moses, dem Sohn des Oberlandesältesten Jacob Moses, verheiratet war. 147 Heymanns Konzession ging erst ab, nachdem Schlesinger 137

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 82, 98. Ebd., Bl. 182. 139 Siehe Export Nr. 0712 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 140 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 30, Bl. 111 –112. 141 Siehe Export Nr. 0866 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 142 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 182. 143 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4509, Bl. 33; vgl. Export Nr. 1190 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 144 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4509, Bl. 35. 145 Ebd., Bl. 39; vgl. das entsprechende Monitum in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 92. 138

V. Die Wiedereinführung des Exportzwangs in Ostfriesland

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seinerseits das Porzellan gekauft und exportiert hatte. 148 Daß derartige Probleme in zahlreichen Fällen einen enormen innerfamiliären Sprengstoff dargestellt haben müssen, läßt sich lediglich vermuten, denn die staatlichen Quellen schweigen sich über diese Folgen des Exportzwangs natürlich aus. Darüber hinaus führten solche mitunter mehrjährigen Verzögerungen der Niederlassung unzweifelhaft zu demographischen Einbrüchen, wie am besonders gut dokumentierten Beispiel der Provinz Ostfriesland noch aufzuzeigen sein wird. 149 An dieser Stelle lassen sich hinsichtlich der Konzessionsvergabe nach 1779 die Ergebnisse vorerst dahingehend zusammenfassen, daß der Porzellanexport zum integralen und nicht mehr diskutierbaren Bestandteil nahezu jeden Privilegierungsverfahrens avancierte. „Tarife“ gab es dabei in Anlehnung an das Reskript vom 21. März 1769 nur noch zwei: 500 Rt. bei der Vergabe von Generalprivilegien und 300 Rt. bei der Erteilung sonstiger Konzessionen wie insbesondere ordentlicher Schutzbriefe, Ansetzung von Kindern, Hausbesitz und Ehen mit „ausländischen“ Partnern. Diese Tarife, und dies war eine weitere Folge der Zäsur des Jahres 1779, galten nunmehr auch für eine Provinz, deren Judenschaft bislang völlig vom Exportzwang dispensiert worden war: für Ostfriesland.

V. Die Wiedereinführung des Exportzwangs in Ostfriesland Der Porzellanexportzwang wirkte sich in seiner 1779 wesentlich verschärften Form vielerorts verheerend aus, doch keine Judenschaft wurde dabei derart in ihren Grundfesten erschüttert wie die ostfriesische. Dies hing einerseits damit zusammen, daß das Fürstentum im März 1771 durch das Generaldirektorium dispensiert worden war. 150 Acht Jahre später führte dies dazu, daß sich die fiskalische Revision auf insgesamt 17.350 Rt. summierte, 151 eine für die in bescheidenen Umständen lebende Judenschaft des Landes an der Nordsee ausgesprochen hohe Summe, war ihr Gesamtvermögen doch 1765 auf lediglich 123.000 Rt. geschätzt worden. 152 146 Vgl. Lewin, Die jüdischen Studenten an der Universität Frankfurt, S. 43. Danach hatte sich Schlesinger am 2. September 1780 in Frankfurt eingeschrieben und zuvor in Padua studiert. Sein Vater Jacob Moses Schlesinger war ein Hamburger Kaufmann und von 1765 bis 1768 Gemeindeältester. 147 Siehe die Supplik von Gottschalck Helfft, dem Mittelsmann der Familie, vom 2. Mai 1785 in GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4509, Bl. 42 – 43. 148 Siehe die Einverständniserklärung des Generalfiskals ebd., Bl. 49; vgl. Export Nr. 1233 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 149 Siehe Kap. H. V. 150 Vgl. Kap. G. V. 151 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 104.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Das Generaldirektorium hätte es vor diesem Hintergrund zweifellos gern gesehen, wenn seine Entscheidung aus dem Jahre 1771 auch weiterhin Bestand gehabt hätte, wie man dem bereits erwähnten Schreiben an den Generalfiskal vom 8. Juni 1779 entnehmen kann, in dem der mit Immediataufträgen versehene d’Anières aufgefordert wurde, sein Gutachten darüber abzugeben, ob zukünftig auch ostfriesische Juden zu Porzellanexporten heranzuziehen wären. Welche Antwort sich die Minister erhofften, geht dabei aus dem deutlich ausgesprochenen Hinweis hervor, die hohe Abgabenbelastung der dortigen Judenschaft zu berücksichtigen. 153 Der Generalfiskal verwarf jedoch in seiner Antwort vom 23. Juni jede weitere Dispensation und stützte sich dabei auf den Wortlaut der zum Exportzwang erlassenen Kabinettsdekretschreiben, die einen solchen Schritt nicht erlaubten. Zudem sei zu berücksichtigen, daß die ostfriesischen Juden zwar höhere Abgaben zu entrichten hätten, jedoch „auch weit mehrerer Freiheiten als die übrige Juden sich zu erfreuen haben“. 154 Ungeachtet dieses Gutachtens forderte das Generaldirektorium noch am 10. August auch die Ostfriesische Kammer zu einer Stellungnahme auf. 155 Diese berief sich in ihrer Antwort vom 23. September auf die bereits 1771 vorgetragenen Argumente, an deren Richtigkeit sich seit dem nichts geändert habe. Die dortigen Juden, so hieß es hier, ernährten sich weiterhin vornehmlich als Schlachter, Trödelhändler und Geldverleiher und hätten keinerlei Gelegenheiten zum Export von Porzellan, „weil unsere Nachbahren das Commercium zur See treiben und ihre Bedürfnisse, unter andern auch das Ostindische Porcellain, aus Holland und andern Orten bequemer erhalten können“. 156 Eine erneute Einführung des Exportzwangs werde deshalb die mit hohen Abgaben belastete Judenschaft daran hindern, ihre Kinder zu etablieren, „folglich dasjenige, was die Porcellain-Manufactur durch den Absatz profitiret, an jüdischen Recognitionen fast doppelt wiederum verlohren gehen werde“. Dies habe bereits die Erfahrung der Jahre 1769 bis 1771 gelehrt, in denen in der Kämmereikasse ein Minus von 515 bzw. 340 Rt. entstanden war. Daß dieser Ausfall auf den in jenen Jahren auch für Ostfriesland geltenden Exportzwang zurückzuführen sei, gehe dabei deutlich aus der Tatsache hervor, daß die Etats in den darauffolgenden Jahren stets hätten gedeckt werden können. Dem Generaldirektorium war jedoch zwischenzeitlich klar geworden, daß eine neuerliche Dispensation der ostfriesischen Judenschaft angesichts der eindeutigen Befehle des Königs, über deren Einhaltung anders als 1769 nun der Generalfiskal wachte, nicht mehr durchsetzbar gewesen wäre. So erhielt auch die Kammer am 19. Oktober den Bescheid, man sei zwar ebenfalls von der Stichhaltigkeit der vorgetragenen Argumente überzeugt, müsse in 152

Stern, Preußischer Staat, Bd. III/3, S. 1443. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 82. 154 Ebd., Bl. 88. 155 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 19, Bl. 21. 156 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 19, Bl. 22, danach auch das folgende Zitat. 153

V. Die Wiedereinführung des Exportzwangs in Ostfriesland

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dieser Angelegenheit jedoch dem Votum des mit Immediataufträgen versehenen d’Anières folgen. Die Kammer werde also „vor jetzt nur dahin sehen müssen, daß die etatsmäßigen Juden-Praestanda nach wie vor einkommen“. 157 Die Kameralbehörden hatten sich damit wider besseres Wissen gefügt und wagten in dieser Angelegenheit keinen Vorstoß beim König. Diesen Weg beschritten stattdessen in den kommenden Wochen die jüdischen Gemeinden, die den Monarchen um eine neuerliche Dispensation vom Exportzwang baten. Erhalten haben sich nur die sämtlich negativen Bescheide in den Kabinettsminüten. Ablehnende Resolutionen erhielten auf diese Weise am 16. November die Ostfriesische Landjudenschaft, 158 am 28. die Gemeinde zu Norden 159 sowie am Folgetag diejenige von Emden. 160 Auf die besondere Situation der ostfriesischen Judenschaft gingen die Kabinettsentscheidungen in keiner Weise ein, sondern betonten lediglich stereotyp, daß das Gesetz für alle Juden verbindlich sei, zumal es den ostfriesischen Juden zum Porzellanexport „auch an Gelegenheit dorten gar nicht fehlet“, wie Friedrich beispielsweise die Nordener Gemeinde wissen ließ. So konnten all die Gutachten und Bittschriften die Erschütterung, die die ostfriesische Judenschaft heimsuchen sollte, lediglich um einige Monate verzögern, jedoch nicht abwenden. Einerseits, und dies wird weiter unten am Beispiel Emdens noch zu schildern sein, begannen im Mai 1780 die nachträglichen Exporte durch die ostfriesischen Porcellainerestanten, die in der Lage waren, die geforderten 300 Rt. aufzubringen, 161 während sich der Rest ruinösen Exekutionen gegenübersah. Andererseits wurden durch die Wiedereinführung des Ausfuhrzwangs auch bei der Neuvergabe von Privilegien Hürden errichtet, die für die große Mehrheit der Judenschaft kaum noch zu überwinden waren. Welche Summen fortan aufzubringen waren, geht aus einer Zusammenstellung des ostfriesischen Kammerpräsidenten von Colomb vom 7. Januar 1788 hervor: 157 Ebd., Bl. 28; vgl. das Schreiben, das die Ostfriesische Kammer daraufhin am 4. November an den Magistrat von Emden richtete: „Obgleich von den besondern Umständen der hiesigen jüdischen Verfassung und deren Abweichung in Ansehung anderer Königl. Provinzien umständlich nach Hofe berichtet worden, so muß es dennoch wegen nachgesuchten Dispensation von Abname des Berliner Porcellains vor der Hand Anstand nehmen, weilen von Seiner Königl. Majestät Allerhöchst selbst dem General Fiscal d’Anieres deshalb unmittelbarer Auftrag geschehen ist. Magistratus hat also solches der dortigen Judenschaft bekannt zu machen und selbige vors erstere zur Geduld zu verweisen.“ Siehe Siehe StA Emden, II, Nr. 763. 158 GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 1150. 159 Ebd., S. 1172. 160 Ebd., S. 1174. Letztere hatte sich zuvor an das Officium Fisci in Aurich gewandt, das jedoch am 20. Oktober jede Dispensation ablehnte. Siehe StA Emden, II, Nr. 763. 161 Den Anfang machte am 13. Mai 1780 Levi Heymann aus Emden, dem im September 1777 die Erlaubnis zur Ehe mit einer Jüdin aus Amsterdam, also einer Ausländerin, erteilt worden war. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 168; vgl. Export Nr. 0556 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

1. In den Städten und Ämtern exclusive der Stadt Emden und den Herrlichkeiten bezalet a) der erste Sohn in Ducaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Rt. b) der zweyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Rt. c) die älteste Tochter, wenn keine Söhne vorhanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Rt. und außerdem hat in jedem Fall für 300 Rt. Porcellain zum auswärtigen Debit bishero genommen werden müssen. Für die Ansetzung des dritten Sohnes oder einer ganz neuen Familie werden 4 à 500 Rt. nach den Umständen erleget, dergleichen Fälle aber sehr selten sind, und das Porcellain ist besonders zu nehmen. 2. In den Herrlichkeiten a) der erste Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Rt. b) der zweyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Rt. c) die älteste Tochter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Rt. Diese fließen ganz zur Königl. Casse, und die Herrlichkeits-Besitzer bedingen eine besondere Recognition 3. In der Stadt Emden a) der erste Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Rt. b) der zweyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Rt. c) die älteste Tochter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Rt. Von diesen Emdischen Recognitionen gehet die Hälfte zur Königl. Domainen Casse, die andere Hälfte aber zur Emder Cämmerey. Auch müssen die Juden in den Herrlichkeiten und der Stadt Emden eben wie die übrigen im Lande für 300 Rt. Porcellain ankaufen und außerhalb debitiren. 4. Für jeden Trauschein bezahlet ein Jude 10 Rt. zur Casse, wenn aber ein Juden Wittwer oder anderer geleitsfähiger Jude eine ausländische Jüdin heyrathen will, muß er für die Concession doppelte Trauscheins-Gebühren ad 20 Rt. in Ducaten zur Casse entrichten. 5. Publique Juden Bedienten als Vorsänger und dergleichen bezahlen keine Recognition. Der jetzige General Juden Parnass und Richter in erster Instanz Beer hat aber bey seiner Ansetzung zuerst 500 Rt. erleget, welche unter Recognitionen von Bedienten nicht aufgeführet stehen. 162

Da in der bisherigen Literatur nicht hinreichend zur Kenntnis genommen wurde, daß die ostfriesische Judenschaft zwischen 1771 und 1779 vollständig vom Exportzwang dispensiert worden war, wurde auch die Zäsur nicht erkannt, die dessen Wiedereinführung bedeutete. Denn wenngleich sich angesichts der vielfältigen Belastungen, die die friderizianische Abgabenpolitik mit sich brachte, monokausale Erklärungen verbieten, so besteht doch keinerlei Zweifel daran, daß das „Judenporzellan“ zu demographischen Einbrüchen führte – zu Einbrüchen, die meßbar sind. Ein erster Befund ergibt sich bei Durchsicht der Verkaufsliste der Porzellanmanufaktur, die insbesondere für die Privilegienvergabe zwischen 1779 und 1787 162

GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 2, Bd. 2, Bl. 179.

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eine Datenbasis bereitstellt, wie sie umfangreicher und vollständiger kaum sein könnte. Doch man blättert und blättert – und muß schließlich feststellen: In acht Jahren wurden an ostfriesische Juden insgesamt nicht mehr als 19 Konzessionen verliehen, und zwar in Emden fünf, in Aurich vier, drei in Norden, eine in Jemgum, zwei im Amt Leer, vier in den Herrlichkeiten Dornum und Gödens. Zum Vergleich: In den Jahren zwischen 1770 und 1779 waren an ostfriesische Juden wenigstens 58 Privilegien verliehen worden. 163 Diese Zahlen führen allerdings zu der Schlußfolgerung, daß ab 1779 von einer ostfriesischen Judenschaft die Rede ist, die sich anschickte, auszusterben. Dabei handelt es sich um keine drastische Überzeichnung, sondern um eine sich aus diesem Befund zwangsläufig ergebende demographische Perspektive. Bei einer Zahl von 279 jüdischen Hausvätern im Jahre 1779 164 waren 19 Konzessionen in einem Zeitraum von acht Jahren schlicht zu wenig, um die Reproduktion der Familien zu sichern. Dies wird deutlich, wenn man die 19 verliehenen Konzessionen näher betrachtet, denn man wird bezeichnenderweise keine einzige zum Hausbesitz darunter finden. Im Kampf um die Existenz spielte dieser nunmehr eine sekundäre Rolle. Tatsächlich fiel die Zahl jüdischer Immobilieneigentümer innerhalb weniger Jahre drastisch, in Emden von 24 im Jahre 1777 auf 11 im Jahre 1788 – auch dies eine Entwicklung, die in dieser Form erst nach Wiedereinführung des Exportzwangs zu beobachten ist. 165 Von den 19 Konzessionen gingen drei an Schutzjudenwitwen, deren zweiter Ehemann als Extraordinarius angesetzt wurde, nämlich an Regina Jacobs aus Dornum, Sara Lazarus aus Norden und Witwe Heymann Jacobs aus Emden. 166 Eine weitere Konzession erhielt Hartog Heymann aus Emden, wodurch diesem im Januar 1783 allerdings lediglich eine „Renovatio Privilegii“ gewährt wurde. Die Konzession setzte den Empfänger also in ein zwischenzeitlich aus unbekannter Ursache (Abwesenheit?) verlorenes Schutzrecht wiederum ein. 167 Damit bleiben für die gesamte Provinz nicht mehr als 15 Ansetzungen junger Hausväter übrig. In der großen Emdener Gemeinde vermochten es in den acht Jahren zwischen 1779 und 1787 lediglich drei Juden, sich als erste Kinder zu etablieren, nämlich Nathan Salomons im Juni 1781, 168 Isaac Simon Pels im April 1784 169 sowie Salomon Hartog Wetzlar im Mai 1786. 170 Die Zahl von 109 in 163

Diese Anzahl monierte 1779 Generalfiskal d’Anières. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 104. 164 Zahl nach Kaufhold / Wallbaum, S. 98. 165 Lokers, S. 172. Auch in Esens spielte sich im gleichen Zeitraum Ähnliches ab. So bilanziert Rokahr, S. 59: „Im Jahre 1791 war von allen Judenhäusern in Esens nur noch ein einziges in jüdischem Besitz geblieben, von Zweithäusern ganz zu schweigen.“ Allerdings gibt der Autor für die vorangegangenen Jahre keine exakte Zahl jüdischer Hausbesitzer an. 166 Siehe die Exporte Nr. 0712, 0722 und 902 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 167 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 177; vgl. Export Nr. 0905 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232).

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der Stadt vergleiteten Familien im Jahre 1779 171 war unter diesen Umständen unmöglich zu halten, hätte doch allein die Etablierung aller Erstgeborenen mehr als 30 Jahre benötigt. Vollends hoffnungslos muß die Perspektive erst recht für die jüngeren Geschwister gewesen sein, schafften es in der gesamten Provinz Ostfriesland doch nach 1779 nur noch drei Juden, sich als zweite Kinder zu etablieren: Simon Salomon aus Norden im Februar, 172 Meyer Ruben aus Aurich im Juni 173 sowie Aaron Carsten aus Neustadt Gödens im Oktober 1784. Und selbst hier muß man näher hinsehen, denn Carsten hatte bereits 1779 um dieses Privileg nachgesucht – um die geforderten 200 Rt. Rekognitions- und 300 Rt. Porzellanexportgelder zusammenzubekommen, benötigte er also fünf Jahre. 174 Die durch den Exportzwang in vielfach unerreichbare Höhe geschraubten finanziellen Anforderungen beim Etablissement von Kindern hielten die Judenschaft nach 1779 also in einem Würgegriff, der bei längerem Andauern zu einer demographischen Katastrophe geführt hätte, von der Forschung in seiner Brisanz bislang allerdings nicht hinreichend erkannt wurde. 175 Doch auch hier sprechen die Zahlen für sich: In Aurich reduzierte sich die Zahl der jüdischen Hausväter von 23 im Jahre 1779 auf 21 im Jahre 1787, in Emden im gleichen Zeitraum von 105 auf 96, in Esens von 23 auf 21, in Norden von 43 auf 39, im Flecken Leer von 30 auf 27. Insgesamt zählte man 1779 in den Städten Aurich, Emden, Esens und Norden sowie den Flecken Leer, Jemgum, Greetsiel, Weener, Wittmund, Dornum und Gödens 279 jüdische Hausväter. 1787 waren es rund 10 % weniger, nämlich 251, ein immenser Rückgang. Eine über mehrere Jahre abnehmende Tendenz dieser Größenordnung hatte es in den Jahren vor 1779 trotz einzelner Schwankungen 168 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 166; Datum der Konzession nach MA, I, Nr. 3, Bl. 51; vgl. Export Nr. 0699 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 169 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 170; vgl. Export Nr. 1098 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 170 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 166; vgl. Export Nr. 1325 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 171 Lokers, S. 162. 172 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 185; vgl. Export Nr. 1099 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 173 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 159; vgl. Export Nr. 1132 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 174 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 212; GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bd. 1, Bl. 157 – 158; vgl. Export Nr. 1133 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 175 Siehe beispielsweise Fraenkel, Norden / Norderney, S. 1125 –1126. Der Autor spricht pauschal von der Gruppe der ordentlichen Schutzjuden, „die den Schutz an zwei ihrer Kinder weitergeben konnten“. Auch Kohnke, Preußen und die ostfriesischen Juden, S. 60 verkennt den markanten Einbruch zwischen 1779 und 1786, da sie die Zahl der jüdischen Hausväter lediglich für die Jahre 1744 und 1805 miteinander vergleicht und auf dieser Basis zu dem Ergebnis gelangt, die Zahl der jüdischen Familien habe sich geringfügig erhöht.

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niemals gegeben, was wohl als Beleg für die einschneidende und bislang in der Forschung nicht erkannte Wirkung des wiederum eingeführten Exportzwangs zu gelten hat. 176 Wem jedoch trotz alledem die Verbindung zwischen diesen Zahlen einerseits und der Wiedereinführung des Ausfuhrzwangs andererseits nicht zwingend erscheint, läßt sich vielleicht durch das Urteil zeitgenössischer Beobachter überzeugen. Denn für diese, seien es nun jüdische Älteste oder Beamte der Auricher Kammer, war der Zusammenhang nur zu offensichtlich. So wies die Kammer bereits im November 1780 gegenüber dem Generaldirektorium in einem Gutachten zur Lage der Judenschaft auf deren heillose Überlastung durch die herrschende Abgabenpolitik hin. Danach würden die Juden immer „unvermögender“ und seien nur noch selten in der Lage, ihren Kindern das Geleit zu erkaufen. Durch die Wiedereinführung des Exportzwangs falle der Ankauf von Häusern „von selbst“ weg, stattdessen würden jüdische Immobilien „successive verkaufet und die Zahl vermindert, wie solches aus der Juden-Häuser-Tabelle de anno praeterito ersichtlich, auch in der diesjärigen Tabelle abermals ein Minus vorkommen wird“. 177 Dieses Minus mußte jedoch über kurz oder lang zu einem weiteren Minus führen – nämlich beim Fiskus. So wandte sich Joseph Meyer Ballin im Jahre 1782 im Namen der Ostfriesischen Judenschaft mit einer Eingabe an die Behörden, in der er betonte, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen die Schutzgelder unmöglich in der bisherigen Höhe von 714 Rt. aufgebracht werden könnten. Denn angesichts der mit dem Porzellanexport verbundenen Verluste von rund 60 % sterbe „eine Juden Familie nach der andern aus. Zu vorigen Zeiten heyratheten järlichs viele Familien, jetzt aber nehmen die Ehen dermaßen ab, daß sie kaum erwähnet zu werden verdienen.“ 178 Die Last der Schutzgelder und der Silberlieferung müsse demnach von immer weniger Familien getragen werden, welche schließlich ihrerseits „aus dem Lande gehen oder verarmen“ müßten. Ballin bat deshalb dringend um eine Dispensation der Judenschaft vom Porzellanexport oder um einen Erlaß der Rekognitionsgelder. Ins gleiche Horn stießen auch die Ältesten der Emdener Gemeinde mit ihrer Eingabe an die Kammer vom 23. April 1782. 179 Gegenüber dem Generaldirektorium unterstützte diese die Eingaben in jeder Hinsicht und zeigte sich erneut überzeugt, daß es mit der hiesigen Judenschaft immer schlechter wird, solche sich auch dadurch vermindert, daß wegen der höchstverordneten Porcellain-Übernahme sich wenige geleitsfähige Kinder ansetzen, weil sie die außer der Recognition annoch erforderliche 300 Rt. für Porcellain nicht zu Wege bringen können. 180 176

Alle Zahlen nach Kaufhold / Wallbaum, S. 87 – 98. Ostfriesische Kammer an das Generaldirektorium, Aurich, 13. November 1780, GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 2, Bd. 2, Bl. 154 –164, hier: Bl. 163. 178 GStA PK, I. HA, Rep. 68, Nr. 25. 179 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 41, Bl. 2 –4. 180 Ebd., Bl. 14. 177

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Der im Etat vorgesehene Posten von 714 Rt. könne auf diese Weise unmöglich erreicht werden, stattdessen habe sich ein Minus von 55 Rt. ergeben. In ähnlichen Fällen galt gemeinhin die Regel Otto Hintzes: „Wehe der Kammer, die [...] ihr Etatsquantum nicht erfüllt hatte“. 181 Doch an alles, was mit dem „Judenporzellan“ in Verbindung stand, wurden nach 1779 andere Maßstäbe angelegt. Denn es folgte keineswegs eine harsche Zurechtweisung durch das Generaldirektorium. Vielmehr wurde anstandslos eine Reduzierung des Etatspostens um 55 Rt. gebilligt, die zwar zunächst nur für ein Jahr gelten sollte, tatsächlich jedoch zumindest bis 1786 bestehen blieb. 182 Noch im Februar 1787, als über eine mögliche Einschränkung des Rechts zur Ansetzung zweiter Kinder diskutiert wurde, war nach Ansicht der Kammer von einem solchen Schritt keine Schmälerung der Einkünfte des Fiskus zu erwarten, denn weil seit der beschwerlichen Übernahme für 300 Rt. Porcellain selten der Fall vorgekommen ist, daß ein Schutzjude um die Ansezzung des zweyten Kindes angehalten hat, so ist dazu auch in der Folge keine Vermuthung und kann Ew. Königl. Majestät Casse dabey eben nicht viel verliehren. 183

Für den Stellenwert des „Judenporzellans“ nach 1779 spricht es wahrlich Bände, in welcher Weise die Kameralbehörden über Jahre hinweg bedeutende Ausfälle hinnahmen, um nicht in Konflikt mit dem König und KPM-Chef zu geraten. Allerdings unterstand ein nicht unbedeutender Anteil der ostfriesischen Judenschaft nicht direkt der Königlichen Kammer, sondern lebte in den Herrlichkeiten. Hier trat nun der interessante Fall ein, daß die durch den Exportzwang verursachten Einnahmeausfälle bei den regulären Abgaben mitunter für starken Unmut bei der Ritterschaft sorgten. Ein aufschlußreiches Beispiel liegt aus Gödens vor, einer der sechs adligen von insgesamt zehn Herrlichkeiten im Fürstentum Ostfriesland, zu der auch der von Mennoniten Mitte des 16. Jahrhunderts gegründete Flecken Neustadtgödens unmittelbar an der Grenze zwischen Oldenburger Land, Ostfriesland und dem Jeverland gehörte. 184 Im Ort lebten nach einem Vermögensregister von 1756 insgesamt 22 jüdische Familien, wobei sich die Mehrzahl vom Schlachten und einem Kramhandel mit Kleidern ernährte. Die Vermögen lagen meist deutlich unter 500 Rt., drei Familien wurden gar als arm eingestuft. 185 Obwohl sich Neustadtgödens aufgrund seiner Grenzlage zu einem nicht unbedeutenden 181

A.B.B.O., Bd. VI/1, S. 226. GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 41, Bl. 15 –17. 183 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 2, Bd. 2, Bl. 176. 184 Zur Geschichte des Orts siehe Hegenscheid, Mennoniten und Neustadtgödens. 185 Hegenscheid, Das Entstehen der Synagogengemeinde in Neustadtgödens, S. 103 – 104. Von besonderem Interesse sind in diesem Dokument sicherlich die Väter der Porcellainerestanten Bendix Liffmann und Wulf Victor Cohen. Das Register listet Victor Moses Cohen als Kleiderhändler mit einem Vermögen von 700 Rt. auf, Moses Jacob handelte ebenfalls mit (alten) Kleidern, verfügte hingegen nur über 300 Rt. 182

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Handelsort entwickelte, konnte demnach von einer wohlhabenden Gemeinde keine Rede sein. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts häuften sich denn auch die Gesuche, in denen die Gemeinde um eine Verringerung ihrer an die Herrschaft zu entrichtenden Abgaben bat. 186 Doch auch die Juden von Neustadtgödens waren hart von der Zäsur des Jahres 1779 betroffen, da der Generalfiskal in dem kleinen Städtchen gleich sechs Konzessionen moniert hatte, für die nun nachträglich jeweils 300 Rt. aufgebracht werden sollten. Im einzelnen handelte es sich dabei um die Konzession zum Hausbesitz, die Lazarus Israel im Januar 1779 erhalten hatte, 187 sowie um die Etablissements von Simon Sander im September 1776, Simon Jonas im Oktober 1777 sowie Meyer Moses im Juni 1779. 188 Besonders hart getroffen wurde der örtliche Armenvorsteher Wulff Victor Cohens, der sich 1774 als zweites Kind niedergelassen sowie vier Jahre später in zweiter Ehe eine Jüdin aus Hildesheim geheiratet hatte, wofür nun ein Export im Wert von 600 Rt. gefordert wurde. 189 Das Vermögen seines Vaters war dabei im Jahre 1756 auf gerade einmal 700 Rt. geschätzt worden. 190 Insgesamt sollten die städtischen Porcellainerestanten also binnen weniger Wochen eine Summe von 3.600 Rt. aufbringen – das war mehr als die Hälfte des 1756 auf 6.200 Rt. geschätzten Gesamtvermögens der Gemeinde. 191 Angesichts des vielerorts belegten scharfen Vorgehens gegen die Porcellainerestanten seit Sommer 1779 muß man davon ausgehen, daß alle fünf Hausväter relativ rasch mit dem Landrichter der Herrschaft Gödens, Reimers, Bekanntschaft machten und mit Exekution belegt wurden, auch wenn ein solches Vorgehen erst seit Mai 1782 dokumentiert ist. Dennoch blieben bis 1787 Simon Sander und Simon Jonas die vollen 300, Wulff Victor Cohens 200 Rt. sowie Lazarus Israel 100 Rt. schuldig. Letzterer verfaßte Juni 1781 ein erfolgloses Gesuch, vom Porzellanexport befreit zu werden – „weil ich nicht im Stande bin, dasselbige zu nehmen, sollte ich denn nicht nebst meiner zahlreichen Familie ins Verderben stürzen“. 192 Zu alledem kamen nicht nur die Neuprivilegierungen durch den Ausfuhrzwang 186

Vgl. Hegenscheid / Knöfel, Juden in Neustadtgödens, S. 15. Israel hatte 1778 das „Christian Heinrichsche Haus“ zum Preis von 830 Rt. erworben. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 212; GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 11, Bl. 98 – 99, 107. 188 Offenbar war die Konzession 1779 nicht mehr ausgefertigt worden, sondern wurde erst am 27. November 1781 rechtswirksam. Aus diesem Grund war sie in den ersten Tabellen des Generalfiskals noch nicht moniert worden. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 212; GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 137; GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 104; vgl. Export Nr. 0729 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 189 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 211; vgl. die Exporte Nr. 0607, 1164 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 190 Hegenscheid / Knöfel, Juden in Neustadtgödens, S. 15. 191 Ebd. 187

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nahezu zum Erliegen, lassen sich doch nach 1779 nur noch die Niederlassung des aus Holland stammenden Bendix Liffmann 193 sowie die Ansetzung des bereits erwähnt Aaron Carsten nachweisen. Vor allem wurde die Gemeinde durch den Pogrom schwer getroffen, zu dem es im Mai 1782 kam. 194 Die Ausschreitungen entzündeten sich am Purimfest, mit dem die jüdischen Gemeinden alljährlich am 14. und 15. Adar, der im christlichen Kalender in die Monate Februar oder März fällt, der Errettung vor der Vernichtung durch den persischen Wesir Haman gedachten, die im biblischen Buch Esther beschrieben wird. 195 Zum Brauchtum des recht weltlich ausgerichteten Festes zählte dabei seit jeher das stellvertretende Aufhängen einer Hamanspuppe – ein Akt, der bereits im Mittelalter vielfach antichristlich mißdeutet und zu Ritualmordbeschuldigungen herangezogen worden war, zumal das Purimsfest mitunter in die christliche Karwoche fiel. 196 So sollten sich die preußischen Juden noch im 18. Jahrhundert „aller ungebührlichen Ausschweifungen bei ihren Festen, besonders bei dem s. g. Hamans- oder Purimsfeste enthalten“. 197 Eine Ahnung von dem in Neustadtgödens bevorstehenden Unheil taucht erstmals in einer Supplik von Moses Jacobs und Joseph Carstens auf, die diese am 16. April 1782 an die Behörden richteten: Gewisse Leute haben aus schlechten Absichten von unserer hiesigen Judenschaft ein Gerücht verbreitet, als wenn selbige mit der christlichen Religion öffentlich Spott getrieben hatte. Die Sage ist bey der von unserer Herrschaft dem Landrichter aufgetragenen Untersuchung falsch und ungegründet befunden worden. Laut beygebogenes Protocolle des Landrichters, welcher ex officio Zeugen darüber vernommen hat, in dem einige junge Leute unter uns blos nach alter Weise das Hamans-Fest, welches Purim genannt wird, 192 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 11, Bd. 1, Bl. 105 –106. Das Generaldirektorium leitete das Gesuch (wie übrigens alle weiteren derartigen Suppliken seit 1779) an den Generalfiskal weiter, ebd., Bl. 108. Israels spätere Porzellankäufe zeigen, wie d’Anières entschied. 193 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 213; GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 112 – 121; vgl. Export Nr. 0599 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 194 Der Pogrom von 1782 wird ausführlich geschildert bei Hegenscheid, Synagogengemeinde Neustadtgödens. Da sich zum Zeitpunkt von Hegenscheids Recherchen in den 1980er Jahren die entsprechenden Bestände des Generaldirektoriums noch in Merseburg befanden und von ihm nicht benutzt wurden, werden die von Hegenscheid aus dem Niedersächsischen Staatsarchiv in Aurich zitierten Dokumente im folgenden durch einige Dahlemer Bestände ergänzt. 195 Siehe Nielen, S. 156 – 159. 196 Siehe dazu Roth; Mentgen. Zu Konflikten scheint es in der Advents- und Fastenzeit auch aufgrund jüdischer Hochzeitsgesellschaften gekommen zu sein. Siehe die „CircularVerordnung, daß die Juden so wie die Christen in der Advents- und Fasten-Zeit sich aller Music bey ihren Hochzeiten enthalten sollen. De dato Berlin, den 25ten Februar 1762“ in N.C.C., Bd. 3, Sp. 1335 – 1336. 197 Koch, Juden, S. 135; vgl. Donnersmarck, S. 39.

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lustig gefeyret und eine mit unseren Religionsgebräuchen übereinstimmende Freude bezeuget haben. Das von dieser Veranlassung ausgebreitete Gerücht einer uns angeschuldigter Verspottung der Person des Messias der Christen wird immer stärker, und besonders die Einwohner im Friedeberger Amte drohen uns öffentlich, in dem auf den 5. May einfallenden Gödenschen Jahr-Markte unsere Häuser niederzureissen, unser Vermögen zu plündern und unsere Personen schrecklich zu mishandlen. 198

Nachdem sich auch das Landgericht des Herrschaftsbesitzers, des Grafen von Wedel, an die Kammer um Hilfe gewandt hatte und sich die Judenschaft erbot, die Kosten eines Militäraufgebots zu übernehmen, entsendete die Kammer ein Kommando unter dem Befehl eines Offiziers, das aus drei Unteroffizieren, einem Tambour und 15 Gemeinen bestand 199 und am 4. Mai in Neustadtgödens eintraf. Doch auch durch diese Machtdemonstration vermochte es die Obrigkeit nicht, den durch zugereiste Oldenburger und Jeveraner geschürten „Volkszorn“ zur Ruhe zu bringen, wie einem Bericht der Kammer vom 9. Mai zu entnehmen ist: Am 5. als am Marckts-Tage brach ohngeachtet aller sowohl vom Gerichtsverwalter als von dem commandirenden Officier vorhergegangenen Warnungen Abends zwischen 9 und 10 Uhr der Tumult des Pöbels aus, indem selbiger die Fenster vieler Juden-Häuser einschlug und sonstigen Unfug trieb. Das Commando brachte zwar einigemal den Pöbel auseinander, allein derselbe rottirte sich wiederhohlentlich zusammen und drängte den Officier mit einigen Soldaten in die Mitte, worauf der Officier sich genötiget sahe, auf die Tumultuanten Feuer geben zu lassen, wodurch 2 junge Bauer-Kerls getroffen sind und wovon der eine, ein Jeveraner, auf der Stelle todt geblieben, der 2. aber ein paar Stunden nachher gestorben, auch eine Bürgerfrau im Arm gefährlich blessirt ist, da sich dann der Aufstand gelegt hat. 200

Die verängstigten Juden hätten die Stadt dennoch vorläufig verlassen. Die Suche nach den Tätern werde jedoch unverzüglich eingeleitet, wozu man auch die Regierungen von Oldenburg, Jever und Varel kontaktieren müsse. Das Generaldirektorium gab daraufhin der Kammer am 16. Mai nachdrücklich zu verstehen, daß „an den Rädelsführern und Anstiftern ein Exempel statuiret werden [müsse], damit nicht der alte dortige Geist der bürgerlichen Unruhe wieder aufwache, welches abzuwenden auch sonst alle würksamen Vorkehrungen zu treffen sind“. 201 Fünf 198

Zitiert nach Hegenscheid, Synagogengemeinde Neustadtgödens, S. 106 –107. Die Kammer hatte zunächst an ein kleineres Kommando von nur einem Unteroffizier und acht Soldaten gedacht, was von Courbière allerdings für unzureichend befunden wurde. Siehe GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 39, Bl. 2. 200 Ebd., Bl. 2. Im bei Hegenscheid, Synagogengemeinde Neustadtgödens, S. 107 –108 zitierten Bericht des Gräflich von Wedelschen Gerichts an die Ostfriesische Regierung vom 6. Mai wird der Vorgang folgendermaßen geschildert: Es kam „zwischen 9 und 10 Uhr ans öffentliche Tumultiren, so daß die Fenster verschiedener Juden-Häuser eingeworfen und sonstiger Unfug betrieben wurden. Das Commando eilte dazwischen und trieb die Leute zu mehrmalen auseinander, bald hie, bald da, als aber dieses nicht helfen wollen, sind einige Schüsse erfolget, wodurch 2 Bauern Jungens getötet, auch eine hiesige gute Bürger Frau vor ihrer Thüre gefährlich durch den Arm geschossen wurde.“ 199

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Tage später konnte Aurich berichten, daß sich die Unruhen bis auf einige „Ausschweifungen“ gelegt hätten, so daß das Militärkommando wiederum abgezogen werden könne. 202 Das Generaldirektorium verlangte daraufhin am 28. Mai zu wissen, „ob die sich wegbegebenen Juden bereits zurückgekommen sind und den geleitsmäßigen Schutz und Sicherheit genießen“. 203 Erst im März 1783 meldete die Kammer, daß die in die Stadt zurückgekehrten Juden ihren Schaden auf 246 Rt. bezifferten hätten, wovon die Hälfte auf die Kosten des Militärkommandos entfalle. Die „äußerst bedrückten Juden“ könnten sich auch nicht an den Schuldigen schadlos halten, da die Rädelsführer nicht hätten aufgespürt werden können. Zudem müßten die Juden einen sechswöchigen Verdienstausfall beklagen, da sie im Vorjahr in verschiedene Orte der Provinz hätten fliehen müssen. 204 Daraufhin gewährte das Generaldirektorium im April eine einjährige Aussetzung der Schutzgelder in Höhe von 44 Rt. und gab der Kammer auf, den Grafen von Wedel um ein Gleiches zu ersuchen. 205 Auf das Schutzgeld wurde also vorerst verzichtet – auf die Eintreibung der Exportrückstände jedoch nicht. Bereits wenige Wochen nach dem Pogrom, am 24. Mai 1782, wandte sich der bereits erwähnte Lazarus Israel mit einer Bittschrift unmittelbar an den König, in der er darlegte, daß er aus diesem Grunde momentan mit Exekution belegt sei. Er sei zu einem Export zwar durchaus bereit, dazu aber bey jezigen gefährlichen Zeiten ganz außerstande gesezet. Der Aufruhr, so von auswärtigen gemeinen Volcke gemachet, welche unsre Häuser zum Theil ruiniret und wir unsers Leben nicht sicher, wenn nicht einige Militair uns beschüzet, welches mich schwäre Kosten verursachet: wir dörfen dennoch nicht außer Landes gehen, wo wir unser Brod sauer suchen müßen: allso unser Handel und Wandel lieget gäntzlich danieder. 206

Deshalb bat Israel um eine Frist von einem Jahr „damit ich [mich] nur einiger Maaßen wieder von die bereits gehabten schwären Kosten erholen könne“. Eine Antwort auf diese Supplik ließ sich nicht ausfindig machen, doch die weiteren Ereignisse sprechen eine deutliche Sprache. Ein erster Ratenkauf Israels bei der KPM im Wert von 100 Rt. ist für den 25. Oktober 1782 nachzuweisen, ein zweiter Kauf in gleicher Höhe für den 24. April 1783. 207 Daß diese Käufe unter dem Druck weiterer Exekutionen zustande kamen, wird aus einer erneuten Eingabe Israels an das Generaldirektorium vom 5. August 1783 ersichtlich, in der er sich über die Behandlung durch den Landrichter Reimers beschwerte, „dem das Wort Berlin, 201

GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 39, Bl. 5. Ebd., Bl. 6. 203 Ebd., Bl. 7. 204 Ebd., Bl. 11 – 12. 205 Ebd., Bl. 13. 206 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 412 L, Bl. 10 –11. 207 Siehe die Exporte Nr. 0890, 0972 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 202

V. Die Wiedereinführung des Exportzwangs in Ostfriesland

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maaßen daselbst Recht und Gerechtigkeit blühen, ein Stein des Anstoßes“ 208 sei. Ob Lazarus von Berlin aus – wo die eigentlich Verantwortlichen für die durch Reimers angeordnete Exekution saßen – aufgefordert wurde, seine Konzession zurückzugeben, wie dies seit August 1783 vielfach geschah, 209 läßt sich nicht belegen. Sein Name taucht jedenfalls in den Listen der KPM nicht mehr auf. Belegen läßt sich indes der Unmut, den Graf von Wedel mittlerweile gegenüber der Berliner Porzellanmanufaktur empfand. So beschwerte sich der Herrschaftsbesitzer im August 1785 über die Zustände in seiner Mediatstadt Gödens: Die Juden daselbst sind und werden immer mehr erschöpft und nehmen in der Anzahl ab, seitdem jede Concession mit einem Ankauf von 300 Rt. Porcellain verbunden ist und alte Rückstände davon executive beygetrieben werden. Ich empfinde dieses nur gar zu sehr und werde fast täglich von denen unvermögenden Juden um Remission der Mir schuldigen Prästandorum angesprochen, daß ich also daher verschiedene Ausfälle habe, welche in diesem Jahre noch über 50 Rt. betragen. 210

Deshalb wolle er in Zukunft gar keine Konzessionen an Juden mehr vergeben, „um die verdrießlichen Händel, welche ich seit einigen Jahren der Juden wegen häufig gehabt, zu evitiren“. Doch auch diese Intervention aus den Reihen der Ritterschaft führte zu Lebzeiten Friedrichs zu keinem Umdenken mehr. 211 Vor diesem Hintergrund wird man sich die Zustände innerhalb der schrumpfenden und alternden ostfriesischen Judenschaft, deren Nachwuchs mangels Kapital entweder unverheiratet bleiben oder auswandern mußte, in jenen Jahren kaum trostlos genug vorstellen können. Der Exportzwang wurde nach 1779 jedenfalls ohne Rücksicht auf die ökonomischen und sozialen Folgeschäden für die gesamte Provinz förmlich durchgepeitscht. Im negativen Sinne gab sich die friderizianische Judenpolitik hier also einmal ganz prinzipienfest. Allerdings stellt sich die Frage: Galt diese neue, kompromißlose Linie tatsächlich für alle Juden, oder gab es nicht doch Ausnahmen? Dispensationen gab es tatsächlich. Auf die erste stößt man wiederum in einer Provinz, diesmal jedoch nicht im Westen, sondern im Osten der Monarchie.

208

GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 38, Bl. 17 –19. Siehe unten, Kap. H. VIII. 4. 210 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 40, Bl. 12 –13. 211 Auch in Gödens verzögerte der Exportzwang manche Niederlassung deshalb um mehrere Jahre. So bat Nathan Jochums im November 1787 um seine Ansetzung als erstes Kind. Jochums war bereits seit mehreren Jahren verlobt, hatte aber, wie der gräflich Wedelsche Landrichter Reimers attestierte, „wegen geringen Vermögens (maßen die Braut dienet und deren Vater nicht im Stande ist, ihr viel mitzugeben) die Heyrath nicht vollziehen könne. Er wird noch wol die gewöhnliche Recognitions-Gelder zur Acquisition des Schutzprivilegii beysammen bringen können, der Porcellain Einkauf ad 300 Rt. ist ihm aber pur unmöglich, gleichwohl ist derselbe ein hier und in dieser Gegend allenthalben in einem guten Ruffe der Ehrlichkeit stehender Jude, der daher bey jedermann wohlgelitten ist wegen seines guten und umgänglichen Betragens.“ Siehe GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 29, Bl. 165. 209

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

VI. Christliche Kolonisten – der Provinz viel zuträglicher als eine Porcellaine-Exportation? Der Porzellanexportzwang im Netzedistrikt Nicht nur in Ostfriesland, sondern auch im Netzedistrikt stieß die Durchsetzung des Exportzwangs auf eine Fülle rechtlicher und sozialer Komplikationen, wie sie zumindest in dieser Form in den anderen Provinzen nicht anzutreffen waren. Es wurde bereits dargelegt, daß Friedrich der Große nach der Besitznahme des Netzedistrikts zunächst eine Ausweisung aller „Betteljuden“ angeordnet hatte. 212 Aufgrund der besonderen Berufstruktur des Judentums im Netzedistrikt wäre die Durchführung dieses Befehls gleichbedeutend gewesen mit der Zerstörung weiter Teile des handwerklichen Mittelstandes. 213 Finanzrat von Brenckenhoff meldete daher in einem Immediatbericht vom April 1773: „Wenn diese [Juden] sämtlich schon den ersten Mai aus dem Lande verwiesen werden sollten, so würden viele Städte, wo die Hälfte und das Drittel der Einwohner Juden sind, mit einmal zu Einöden gemacht werden.“ Beistand erhielt der wohlgemerkt vornehmlich utilitaristisch argumentierende Brenckenhoff 214 dabei von Großkanzler von Fürst: Ich bin bekanntermaßen kein Judenfreund oder Protector, allein ich halte es dem Kgl. Finanzinteresse zu dem größten Nachtheil schon itzo auf einmal so viele tausend Einwohner aus dem Lande zu jagen, und manche Städte fast ganz zu entvölkern, ehe nicht andere christliche Einwohner dafür angeschaffet sein. [...] Nach meinem aus dem totis gezogenen calculo sind von denen 6.412 Judenseelen ungefähr 30 Familien betragend 191 Judenseelen zum Schutz-Privilegio qualifizirt. Folglich bleiben 6.221 Köpfe, so aus dem Lande gejagt werden sollen. Fordon, Zempelburg, Lobsens, Flatow werden auf einmal zu Einöden, der übrigen Städte nicht zu gedencken, wo die Hälfte und das Drittel der Einwohner Juden sind. 215

212

Siehe oben, Kap. A. I. Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 433. 214 Zitiert sei dazu ferner aus einem von Brenckenhoffs Berichten an das Generaldirektorium aus dem Jahre 1780. Darin schreibt der Finanzrat: „Es ist bekannt, daß der Jude nicht alle und jede Pflichten eines Staatsbürgers erfüllt [z. B. die Kantonpflicht], und daß er besonders zum Schutz des Landes persönlich garnichts beiträgt, und es ist nicht zu leugnen, daß eine ungewöhnliche Menge derselben, die sich größtenteils von Wucher und Vervorteilungen nähren, für den übrigen Teil der Staatsbürger drückend werden muß. Es ist nötig, daß die Zahl eingeschränkt und den nützlichen Staatseinwohnern Luft verschafft werde. Trotzdem kann ich nicht auf eine plötzliche Vertreibung dieser Menschen sentieren. Seine Majestät haben bisher dero Regierung durch Duldung aller Religionen denkwürdig gemacht, eine plötzliche Vertreibung würde aber nicht nur dem allgemeinen Gefühl der Menschlichkeit, sondern auch jenen erhabenen Gesinnungen widersprechen.“ Zitiert nach Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 434; zur Rolle ökonomischer Überlegungen im Rahmen der geplanten Deportationen jüngst auch Jehle, insb. S. 26 –27. 213

VI. Christliche Kolonisten

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Brenckenhoffs und Fürsts Bemühungen um eine Modifikation der Ansetzungsrichtlinien durch eine Herabsetzung des geforderten Vermögens auf 300 Rt. scheiterten am Einspruch Friedrichs, so daß es in den folgenden Jahren lediglich zu einer Aufschiebung der Massenvertreibung kam. 216 Insbesondere sollten die unvermögenden Juden schrittweise aus ihren wirtschaftlichen Positionen verdrängt und durch christliche Kolonisten ersetzt werden. Bis Ende des Jahres 1785 wurden auf diese Weise in den Städten des Netzedistrikts 331 „Professionisten, Künstler und Handwerker“ angesiedelt, eine Zahl, die jedoch nicht im entferntesten daran denken ließ, die Juden im Wirtschaftsleben gleichsam überflüssig zu machen, lebten zum gleichen Zeitpunkt doch jeweils rund 3.000 jüdische Handwerker und Kaufleute im Land an der Netze. 217 Diese beherrschten zudem fast ausschließlich den Vertrieb der im Netzedistrikt verfertigten Tuche nach Polen und Rußland und nahmen deshalb eine zentrale Position im Wirtschaftsgefüge der Provinz ein. 218 Brenckenhoff hob im Dezember 1774 gegenüber dem Generaldirektorium noch einmal drastisch hervor: Bishero sind die Juden Schlächter, Bäcker, Schneider, Kürschner pp. gewesen [...]. Nach denen mündlichen Äußerungen S.K.M. sollen auch die Juden nun aus dem District diesseits der Netze weggeschafft werden [...]. Was aber sodann aus diesen ohnehin armseligen und nichts bestreitenden Städten werden soll ist auch sehr leicht zu übersehen; diese Städte bestehen, wie ich schon vorhin bermerkt habe, aus Juden, einigen Tuchmachern und sehr wenigen christlichen Professionisten: sollen nun die Juden darin nicht länger geduldet werden [...] so müßten natürl[icher] Weise die jetzige Städte welche nur den Nahmen davon führten in völlige Wüsteneien und Eulennester verwandelt werden. Diese Gegend wird überhaupt zu sehr praegraviert [...], wenn mit den Zöllen keine Änderung geschieht und die Judenschaft fortgeschafft werden soll, so ist nichts gewisser, als dass die Tuchmacher, sobald die Grenze regulirt ist, davongehen. 219

Während Brenckenhoff und die Bromberger Kammerdeputation in den folgenden Jahren eine dilatorische Taktik verfolgten, das Generaldirektorium sich eher unbeeindruckt zeigte und insbesondere die Regie auf eine Ausschaltung des jüdi215 Zitiert nach Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 434; zum Städtewesen Westpreußens und des Netzedistrikts ferner Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 388 – 419. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Siedlungsverhältnisse der Judenschaft sich im Netzedistrikt von denen Westpreußens insofern unterschieden, als die Mehrheit der Juden in den Städten lebte. Vgl. ebd., S. 421. 216 Dies hing unter anderem mit den Synagogenschulden in Höhe von rund 60.000 Rt. zusammen, hätte doch eine plötzliche Vertreibung der Juden deren Gläubiger in Mitleidenschaft gezogen. Siehe Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 426 –427. 217 Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 435. 218 Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 431; vgl. ebd., Bd. 2, S. 121 – 122 die Kabinettsordre an Brenckenhoff vom 23. Oktober 1773: „Daß in dem Distrikt an der Netze mehr Tuchmacher vorhanden, als Ich geglaubt habe, und solche guten Absatz nach Polen finden, freuet mich sehr. Ihr werdet also auf derselben Vermehrung Bedacht zu nehmen recht wohl tun.“ 219 Zitiert nach Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 436 –437.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

schen Handels bedacht war, traten auch christliche Tuchmachergewerke, die die Vertreibung ihrer Verleger fürchteten, mit Petitionen zur Abwendung des drohenden Unheils hervor. 220 Welche Rolle spielte nun das Judenporzellan in diesem langwierigen und hier nicht näher auszuführenden Prozeß? Die Bromberger Kammerdeputation entwarf in jenen Jahren ein Generalprivileg, das für den Erwerb ordentlicher Schutzbriefe ein Vermögen von 100 bzw. 200 Rt. vorsah, je nachdem, ob der Antragssteller vor oder jenseits der Netze lebte. Auf Einspruch des Ministers von Gaudi wurden diese Tarife jedoch deutlich auf 500 bzw. 1.000 Rt. bei ordentlichen sowie 200 bzw. 500 Rt. bei außerordentlichen Schutzkonzessionen erhöht. Nach Ansicht der Kammerdeputation hätte dies den Verbleib von 5.433 sowie die Ausweisung von 4.430 Personen bedeutet, „deren baldige Wegschaffung jedoch die mehresten davon ins äusserste Elend bringen“ werde. 221 Doch nicht nur Gaudi las die Entwürfe aus Bromberg sehr genau, sondern ebenso Generalfiskal d’Anières. Mit Bezug auf einen Entwurf der Kammerdeputation, in dem der Porzellanexportzwang keine Berücksichtigung gefunden hatte, wies dieser das Generaldirektorium am 27. September 1779 (die Eintreibungen bei den Porcellainerestanten hatten soeben begonnen) nachdrücklich darauf hin, daß dies „die Juden auf die Gedanken bringen könnte, als ob sie [...] von diesem Ankauf frey wären“. 222 Doch nicht nur bei zukünftigen Individualverleihungen sollten die Juden nach dem Willen des Generalfiskals dazu herangezogen werden. Möglicherweise mit Blick auf die bereits geschilderte Privilegierung der Judenschaften in den Danziger Vorstädten schlug d’Anières vor, „ob nicht die nunmehr zu privilegirende 152 Ordinarii und 479 Extraordinarii anzuhalten sein würden, für dieses General-Privilegium ein Quantum Porcellain von einigen Tausend Rt. allenfalls successive, etwa mit Tausend Rt. alle 6 Monat anzukaufen“. Rund drei Monate später, am 30. Dezember, lag der Entwurf für ein „General-Privilegium und Reglement für die Judenschaft in den Districten an der Netze“ vor. Dieser wurde dem König mit einer Kabinettsvorlage vom 5. Januar präsentiert, wobei das Generaldirektorium zugleich vorschlug, die Judenschaft als Ganzes für 3.000 Rt. Porzellan exportieren zu lassen. Hinsichtlich der zukünftig zu erteilenden Individualkonzessionen hieß es in dem Entwurf: §2 Das eine Kind, welches auf seiner inter Ordinarios bereits placirten Eltern Recht angesetzt werden will, muß ein Vermögen von Ein Tausend Rt. und jenseits der Netze von Fünf Hundert Rt., wozu das tägliche Haus-Geräthe und Kleidung samt ungewissen Schulden nicht zu rechnen, und eine gute, ehrliche Aufführung nachweisen, worauf demselben die Concession zu seiner Ansetzung gegen zwantzig Rt. zur Chargen- und 220

Ebd., S. 435 – 436. Ebd., S. 440; vgl. die Kabinettsvorlage vom 5. Januar 1780 in GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 4, Bd. 2, Bl. 96. 222 Dieses und das folgende Zitat: Generalfiskal an Generaldirektorium, Berlin, 27. September 1779, ebd., Bl. 67 – 68. 221

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Stempel-Casse und Exportation eines gewissen, auf Drey Hundert Rt. bestimmten Quanti von Porcellaine aus der hiesigen Fabrique ertheilet werden soll. [...] §4 Die zweyten Kinder sollen ordentlicher Weise nicht angesetzt werden können. Diejenigen zweyten Kinder reicher Juden indessen, welche diesseits der Netze ein eigenes Vermögen von Zwey Tausend Rt. und jenseits der Netze von Ein Tausend Rt. besitzen und nachweisen, haben, wenn sie den Schutz verlangen, sich deshalb bey der Cammer Deputation zu melden, da Wir dann auf erstatteten Bericht an das General p. Directorium und von demselben Uns geschehenen allerunterthänigsten Vortrag resolviren werden, ob und auf welche Bedingungen ihnen ein besonderes Schutz-Privilegium angedeyhen soll. Übrigens verstehet sichs von selbst, daß die jeden Orts eingebohrne verarmten und abgelebten Eltern gleich den Kindern bey jeder Familie geduldet werden. §5 Den ordentlichen Schutz-Juden wird erlaubt, daß sie bey ihren Leb-Zeiten ein Kind, Sohn oder Tochter, worin sie aber die einmahl getroffene Wahl hernach zu ändern nicht befugt seyn sollen, auf ihren Schutz-Brief ansetzen und dieselben, wenn sie sich vorher gehörig legitimiret und eine Concession gegen die gewöhnliche Chargen-, Stempel- und Porcellaine-Fabriquen-Jura und den Trau-Schein gelöset, heyrathen lassen mögen [...] 223

Diese Paragraphen blieben jedoch Makulatur – denn der König lehnte das Regelwerk am 5. Januar 1780 rundweg ab. 224 Offensichtlich wollte der Monarch die Rechtslage der Juden ganz bewußt in der Schwebe halten, denn am 7. Januar ließ er das Generaldirektorium wissen: „Die Juden sind nach S.K.M. von Preußen [...] Ermessen im Netzedistrikt nicht viel nutze. Je weniger derselben allda vorhanden sind, je besser ist es.“ 225 Im Juni 1780 erging an Gaudi der Befehl: „Wenn von der großen Menge Juden, die dorten noch befindlich, zweitausend bleiben, so ist das der Welt Ende und alles was sie im ganzen Netzedistrikt gebrauchen, das andere muß alles weg und nicht mehr da bleiben, als sie da nötig haben wegen des polnischen Kommerz, von den übrigen Juden aber muß alles weggeschafft werden.“ 226 So kam es in den Folgejahren zu jenen mit Hilfe des Militärs vorgenommenen Vertreibungen, in deren Zuge vermutlich rund 6.000 Juden über die Grenzen gedrängt wurden. 227 223

Ebd., Bl. 97 – 130, hier: Bl. 100 – 101. Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 1, S. 433; Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 440. 225 Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 2, S. 382. 226 Ebd., S. 391 – 392; ebenso in einer weiteren Kabinettsordre an Gaudi vom 9. Juli 1780 ebd., S. 408 – 409: „Anlangend die mit eingesandte Populationsliste vom dortigen Departement, so sehe Ich daraus, daß noch an 8500 Juden dort befindlich, das ist sehr viel und daher um so notwendiger, daß man suchet, solche wegzuschaffen und Christen in die Stelle zu setzen, denn so viele Juden sind nichts nutze und sollen auch nicht sein, wenn deren zweitausend sind, so ist das genug und alles was nötig ist zum Behuf des Handels mit den Polen. Ihr müsset Euch also die Sache angelegen sein lassen und mit Ernst darauf bedacht sein, die übrigen Juden wegzuschaffen und Christen in die Stelle wieder zu kriegen und nach Beschaffenheit der Umstände das Weitere hierunter besorgen.“ 224

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Doch was wurde nun aus dem kollektiven Porzellanexport, den d’Anières ins Spiel gebracht hatte? In jenem Reskript vom 7. Januar hatte der König sich auch zu dieser Frage geäußert. Um bei den nun durchzuführenden Vertreibungen Ausfälle für den Fiskus zu verhüten, habe er Domhardt bereits angewiesen, nach Möglichkeit dahin zu sehen, daß deren [der Juden] Abgang durch christliche und gute Colonisten, auch Professionisten ersetzt werden möge. Mit ihren Religions-, Ehe-, Erbfolgs- und andern Justitz-Sachen muß es auf eben dem Fuß wie allhier gehalten und eingerichtet werden, und in Ansehung des Porcellains kann es bey dem angetragenen Quanto zur Exportation außerhalb Landes sein Verbleiben behalten. Sind sie damit nicht zufrieden, können sie das Land räumen. 228

Das bedeutet also: Für die Judenschaft des Netzedistrikts gab es zwar kein ihren rechtlichen Status fixierendes Reglement, doch Porzellan sollte sie trotzdem exportieren. Das Generaldirektorium wies die Bromberger Kammerdeputation zehn Tage später denn auch an, durch die dortigen Juden eine entsprechende Repartition anfertigen zu lassen und sie dazu zu bringen, die Ware binnen drei Monaten zu exportieren, „auch ihnen dabei anzukündigen, daß sie für solche Exportation in solidum haften, mithin diejenigen, die den auf sie repartirten Beitrag nicht geben, von den anderen übertragen, zugleich aber aus dem Lande geschafft werden sollen“. 229 Es dauerte bis zum 1. September 1780, bis die Kammerdeputation die durch den Landesältesten Tobias Liebmann aus Flatow angefertigte Repartition 230 zur Genehmigung einsenden konnte. Das Dokument listet sämtliche vorläufig mit ordentlichen und außerordentlichen Konzessionen versehenen Juden des Netzedistrikts auf, die ohne weitere Differenzierung zu einem einheitlichen Beitrag von sechs Rt. und acht Gr. herangezogen werden sollten, was einen Gesamtbetrag von 3.553 Rt. ergeben hätte. Zugleich hatte Liebmann versichert, die Absendung des Geldes nach Berlin zu organisieren sowie gemeinsam mit den übrigen Landesältesten des Netzdistrikts für den Export der Ware zu sorgen. 231 Doch mittlerweile hatte man in Berlin seine Meinung geändert. Am 28. September instruierte das Generaldirektorium die Kammerdeputation über den neuen Kurs: Da aber das Juden Wesen in den dasigen Districten zur Zeit nur noch auf bloße interimistische Anordnungen beruhet, so ist auch mit der Porcelain-Exportation, woraus

227

Vgl. oben, Kap. A. I. Hier nach GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 4, Bd. 2, Bl. 131, da bei Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 2, S. 382 der Transkriptionsfehler „eingetragenen Quanto“. 229 Generaldirektorium an Bromberger Kammerdeputation, Berlin, 17. Januar 1780, GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 4, Bd. 2, Bl. 135 – 138, hier: Bl. 138. 230 Ebd., Bl. 192 – 202. 231 Protokoll der Sitzung in Schneidemühl, 17. Mai 1780, ebd., Bl. 203 –204. 228

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diejenigen, welche dazu beitragen wollen, ein jus quaestum sich anmaßen würden, annoch vor der Hand anzustehen. 232

Am 9. Februar 1782 erläuterte das Generaldirektorium auch dem Generalfiskal die neue Politik. So solle den Juden des Netzedistrikts das Heiraten nur unter der Bedingung gestattet werden, daß sie eine christliche Kolonistenfamilie etablierten und für drei Jahre für deren Unterhalt sorgten, 233 denn: Diese Provinz nehmlich ist so sehr mit Juden übersetzt an Sr. Königl. Maj. gekommen, daß sogar in den mehresten Städten fast keine andre Professionisten sich gefunden und solche Städte hauptsächlich mit jüdischen Einwohnern besetzt, auch selbst das platte Land davon voll gewesen. Alles nun, was theils zum Schutz sich nicht qualificiret, theils die verhältnismäßige Anzahl anderer Provinzien übersteigt, mit einem mahl wegzuschaffen, würde ein dem Königl. Interesse und dem Lande höchstnachtheiliges Vacuum verursacht und die Entvölckerung der mehresten Städte nach sich gezogen haben, dergestalt, daß solche in Ruin hätten zusammenfallen müssen. 234

Deshalb müsse den Behörden durch die Gesetzgebung alles zur Säuberung des Landes von überflüssigen Juden offengehalten werden. Daher erhalten die Vermögenden nur Interims-Concessionen, indem man sich durch ordentliche beständige Schutz-Privilegia die Hände binden würde, die minder Vermögenden aber werden, ohne sie einer gewissen Zeit zu versichern, bloß toleriret und successive aus dem Lande geschafft. 235

So sollten in jenem Jahr 1782 500 sowie in den beiden Folgejahren zusammen weitere 1.500 Juden ausgewiesen werden, wobei „demnächst aber auch selbst die übrigbleibende Zahl theils durch Aussterben und unterlassene Wiederbesetzung, 232 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 8, Bl. 14; GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 4, Bd. 2, Bl. 205. 233 Inwiefern diese Pläne verwirklicht wurden, ist unklar. Von einer Finanzierung des christlichen Kolonisationswerks liest man nichts bei Bömelburg, Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat, S. 422 –445; vgl. die Kabinettsordre an Domhardt vom 9. September 1780 bei Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 2, S. 413 – 414: „Und zum andern muß man ein Projekt machen wegen der Juden in den Städten, die da Professiones treiben und die nicht anders abgeschafft werden können, als daß ihre Stellen durch Christen ersetzt werden. Wie das zum besten zu regulieren und wo die christlichen Professionisten alle herzunehmen, das ist eben wohl kein Werk von einem Tage, man muß indessen doch darauf denken und zusehen, solches mit der Zeit in Ordnung zu bringen, und kann damit angefangen werden in der Gegend von Marienwerder ohngefähr bis Rummelsburg und so gegen die Netze zu. Und wenn wir damit fertig sind, darnach auf der andern Seite bis Inowrazlaw, Krone und der Orten zu kontinuiren, bis das alles in Ordnung ist. Hiernächst muß man auch darauf bedacht sein, die übrigen Örter an denen Grenzen mit teutschen Leuten zu besetzen, daß wir die Polen da los werden, denn die sind an den Grenzörtern nichts nütze. Das muß denn ebenfalls so allmählich geschehen, denn mit eins gehet das nicht an.“ 234 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 4, Bd. 3, Bl. 7 – 9, hier: Bl. 7. 235 Dieses und das folgende Zitat ebd., Bl. 8.

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theils durch weitere Wegschaffung gemindert und auf eine der Convenienz der Provinz angemessene Zahl gebracht werde“. Diese Vorgehensweise stieß jedoch auf den energischen Widerstand d’Anières’, dem es jedoch weniger um die zu Vertreibenden ging, sondern um den Porzellanexport. So unterstrich er am 1. März 1782: Wenn daher Sr. Königl. Maj. nicht etwa durch andere mir unbekannte Befehle die Erteilung der Interims-Concessionen ohne Verbindlichkeit zum Porcellain-Ankauf und ohne meine Approbation allerhöchst zu verordnen geruhet haben, so muß ich [...] per expressum wiederholen und zwar um so mehr, als Sr. Königl. Maj. im Jahr 1779 indistincte befohlen: Es sollen keine Concessionen für Juden ohne mein Vorwissen expedirt werden. 236

Das Generaldirektorium versuchte den Generalfiskal daraufhin am 8. März mit dem Hinweis zu beschwichtigen, es handele sich bei jenen Interimskonzessionen letztlich nur um kurzfristige „Duldungs-Scheine“, deren Ausstellung bei der geplanten Verminderung der Juden im Netzedistrikt unbedingt erforderlich sei. 237 Am 18. April schob man nach: Es verstehet sich von selbst, daß, sobald es mit den Juden in den Netz-Districten dahin gediehen seyn wird, daß diejenigen, welche bleiben sollen und ordentliche SchutzBriefe erhalten, das Interesse der Porcellaine-Manufactur und die Königl. Vorschriften in Ansehung des von denenselben zu exportirenden Porcellaine gehörig zu beobachten seyn wird ... 238

Zu einer Beruhigung d’Anières’ trugen diese Erklärungen jedoch kaum bei. Anläßlich der Verleihung zweier Interimskonzessionen, die Joseph Moses und Wolff Abraham in der unter der Stadtherrschaft des Freiherrn von Blanckenburg stehenden Mediatstadt Märkisch-Friedland 239 verliehen worden waren, verlangte der Generalfiskal am 28. August bzw. 2. September „die immediat-Befehle mir allergnädigst zukommen zu lassen, durch welche der Joseph Moses vom Ankauf des Porcellains dispensirt worden“, und setzte hinzu: „Ich würde es bei des Königs Majestät nicht verantworten können, wenn ich es zugeben wollte, daß die Juden wieder die klare Befehle aus dem Cabinet meiner Aufsicht sich ferner entziehen sollten.“ 240 Das Generaldirektorium sah sich daraufhin genötigt, d’Anières am 9. September 1784 nochmals darzulegen, warum die auf Kosten der Juden durchgeführte Etablierung christlicher Kolonistenfamilien „der Provinz viel zuträglicher als eine Porcellaine-Exportation“ 241 sei: 236

Ebd., Bl. 17 – 18 (Hervorhebung im Original). Generaldirektorium an d’Anières, Berlin, 8. März 1782, ebd., Bl. 19 –20. 238 Generaldirektorium an d’Anières, Berlin, 18. April 1782, ebd., Bl. 28. 239 Blanckenburg war bereits in den 70er Jahren aus fiskalischen Gründen für „seine“ Juden eingetreten. Siehe Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 439. 240 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 4, Bd. 3, Bl. 126 – 127. 237

VI. Christliche Kolonisten

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Wer dieses nicht thun kann oder will, erhält keine Concession und muß mit den übrigen Kindern nach des ad interim geschützten Vaters Ableben das Land räumen. Diejenigen hingegen, welche durch angesetzte Christliche Familien neben ihrer übrigen Qualification concessioniret worden, werden ordinaire Schutz- und Stamm-Juden, mithin werden auch ihre künftig anzusetzende Kinder respectu der Porcellaine Exportation wie die Juden aus den übrigen Provinzen zu behandeln seyn. Was hingegen die itzt ad interim concessionierte Juden respectu der oben gedachten generalen Porcellaine Exportation von 3000 Rt. betrift, so haben dieselben zu dessen Ausnahme darum noch nicht angehalten werden können, weil nach dem Bericht und der Vorstellung der Cammer Deputation noch näher auszumitteln gewesen, was bleiben und was fortgeschafft werden soll, indem die Emigrirenden zu solcher Exportation nicht mit angezogen werden können.

D’Anières erklärte daraufhin am 19. Oktober, er könnte sich angesichts dieser Ausführungen „völlig beruhigen, wenn ich nicht darauf bedacht sein müßte, in Absicht des nicht erfolgenden Porcellain-Ankaufs der Juden im Netz-District gäntzlich gedeckt zu sein“. 242 Doch erhielt der Generalfiskal nun keine Antwort mehr aus dem Generaldirektorium. Erst nach zwei nachdrücklichen Ermahnungen vom 18. April und 1. August 1785, dieserhalb endlich an den König heranzutreten, 243 ließ sich das Generaldirektorium am 3. Oktober 1785 zu einer Kabinettsvorlage herbei, in der es dem Monarchen von den Fortschritten der Ausweisungen berichtete, um schließlich auf den Porzellanexport zu sprechen zu kommen: Da indessen der General Fiscal die obgedachte Porcellaine Exportation auf 3.000 Rt. von der Judenschaft im Netzdistrict urgiret, gleichwohl aber wegen der übrigen wegzuschaffenden Juden, welche zu solcher Exportation nicht mit herangezogen werden können, die Repartition des erwehnten Quanti zur Zeit noch nicht zuverlässig geschehen kann, so bitten wir allerunterthänigst um Euer Königlichen Majestät höchste Genehmigung, daß die gedachte auf 3.000 Rt. bestimmte Aversional Porcellaine Exportation der im Netz-District beyzubehaltenden Judenschaft noch auf 2 Jahr ausgesetzet werde, als binnen welcher Zeit die überflüssigen völlig weggeschafft seyn werden und die bleibenden ordentliche Schutz-Privilegia werden erhalten können, und daß hiernächst erst, wenn dieser ihre Kinder künftig reglementsmäßig sich ansetzen, dieselben alsdann auf den Fuß, wie in den andern Provincien, in jedem Fall für 300 Rt. Porcellaine ausnehmen sollen. 244

Nachdem der König diesen Vorschlag durch seine Marginalresolution „das ist recht“ gebilligt hatte, war damit das Thema „Judenporzellan“ für den Netzedistrikt abgeschlossen, 245 denn im Oktober 1787 waren die Aufhebungsverhandlungen bereits in vollem Gange. 246 241

Dieses und das folgende Zitat ebd., Bl. 130 – 131. Ebd., Bl. 154. 243 Ebd., Bl. 140, 155. 244 Ebd., Bl. 169. 245 Die Information d’Anières’ über die Entscheidung des Königs erfolgte am 8. Oktober. Siehe ebd., Bl. 172. 242

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Doch obwohl noch Mitte 1788 bei der Anfertigung von statistischem Material zur Porzellanausnahme von Juden in den verschiedenen Provinzen über den Netzdistrikt vermerkt wurde, daß „dergleichen Juden dorten nur interims Concessions erhalten, wofür sie keine Porcellaine Exportations zu besorgen gehalten sind“, 247 lassen sich dennoch einige Exporte von Juden aus Inowrazlaw (Hohensalza) im Netzedistrikt 248 nachweisen. So tauchen die dortigen Juden Samuel Meyer und Eliasar Ephraim, denen eine Konzession zum Materialwarenhandel verliehen wurde, am 18. September 1783 mit 600 Rt. in den Büchern der KPM auf. Am 20. August 1785 folgt mit Abraham Hirsch (300 Rt.) ein Jude, dem eine nicht näher klassifizierte Konzession zur Ansetzung verliehen wurde. Die kurze Liste beschließt am 24. April 1786 schließlich Meyer David Gelonneck (300 Rt.), dem ebenfalls die Erlaubnis zum Materialwarenhandel erteilt wurde. Daß die Porzellanmanufaktur also an Juden des Netzedistrikts Waren im Wert von lediglich 1.200 Rt. absetzen konnte, findet seine Erklärung in dem Zustand fundamentaler Rechtsunsicherheit, in dem die Juden jener Provinz über Jahre hinweg ganz bewußt gehalten wurden. Doch war im vorangegangenen Kapitel von zwei Bereichen die Rede, in denen beim Porzellanexport auch nach 1779 besondere Regeln galten. In der Tat entwickelte sich in jenen Jahren eine ganz besondere Freyheit, deren Nutznießer man allerdings nicht in der Provinz sondern in der Hauptstadt zu suchen hat.

VII. Porcellainefreyheit in Preußen. Dispensationen auf königlichen Befehl nach 1779 Bei den nun zu behandelnden Privilegien, für die sich bald der makabre Terminus technicus von porcellainefreyen Konzessionen herausbilden sollte, handelt es sich indes weniger, wie man vielleicht meinen sollte, um Generalprivilegien. 249 Stattdessen stößt man auf diese bürokratische Vokabel vornehmlich im Bereich von Konzessionen zum Gewerbebetrieb. Vor diesem Hintergrund soll zunächst ein Blick auf die diesbezügliche Praxis vor 1779 geworfen werden. So spiegelt sich in der Verkaufsliste der Porzellanmanufaktur jüdische Gewerbetätigkeit nur sehr selten wieder, was für sich genommen einen kaum überraschenden Befund darstellt, da die Behörden mit einer Ausweitung der durch das Generalreglement von 1750 stark reglementierten legalen Tätigkeitsbereiche durchaus sparsam umgingen. 246 Allgemein kam Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 442 –444 jedoch bezeichnender Weise zu dem Schluß, die friderizianische Judenpolitik sei im Netzedistrikt auch nach 1786 im wesentlichen fortgeführt worden. 247 MA, I, Nr. 3, Bl. 36. 248 Dort sollen 1774 insgesamt 108 Juden gelebt haben. Siehe Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 2, S. 711. 249 In diesem Bereich führte das Jahr 1779 stattdessen eher zu einer Verschärfung der Verwaltungspraxis. Siehe dazu Kap. G. VI.

VII. Porcellainefreyheit in Preußen

435

Dennoch stößt man auf einige kleingewerbliche „Farbtupfer“, wie erstmals im August 1770, als der Petschierstecher Daniel Joel aus dem ostpreußischen Gumbinnen für 300 Rt. Porzellan exportierte, um in den Genuß einer Konzession „zum Handel mit allerley Waaren, so denen Juden nach dem General Juden Reglement zu führen erlaubet ist“, 250 zu gelangen. 251 Erwähnung verdient zudem Hertz Wulf aus Potsdam, der so oft in den Verkaufslisten der KPM auftaucht wie kein anderer, nämlich nicht weniger als 13mal. 252 Wulff stammte ursprünglich aus dem westfälischen Herford. 253 In Potsdam betrieb er spätestens 1765 „einen ziemlichen weitläuftigen Handel mit einländischen Fabriquen Waaren, auch die Lieferung der Leinwand für die Guarde und neuerlich von das Regiment vom Prinzen von Preußen“. 254 In diesem Zusammenhang erhielt Wulff 1771 eine Konzession zum Tuchhandel und Ausschnitt, 255 zu der sich der Generalfiskal notierte: „Nimmt jährlich für 50 Th. Porcellain, 15 Jahr lang vom Jul. 71 an.“ 256 Diese Auflage erfüllte Wulff denn auch, was seiner Karriere indes keinen Abbruch getan zu haben 250 GStA PK, II. HA, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4740, Bl. 30; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 47; zu seiner Familie siehe Brilling, Jüdische Goldschmiede. In Ergänzung der dort gemachten Angaben sei hinzugefügt, daß sich Joel 1786 um die Anfertigung der „bey jetziger Regierungs-Veränderung erforderlichen neuen Königlichen Siegel in Ostpreußen“ bewarb. Ob sein Gesuch angenommen wurde, ist indes nicht überliefert. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 7, Nr. 156, Paket 3. 251 Indirekt kam der Exportzwang Joel später noch einmal gewissermaßen zugute. So berichtete die Königsberger Kammer dem Generaldirektorium am 15. Dezember 1785 von dem bereits zwei Jahre zurückliegenden Tod des Petschierstechers Joseph Marcus Wulff, der ursprünglich aus Danzig stammte, 1736 jedoch einen außerordentlichen Schutzbrief zur Niederlassung am Pregel erhalten hatte, wo er sich durch seine Arbeit in den kommenden Jahrzehnten offenbar hohes Ansehen erwarb. Bereits im Dezember 1783 sei per Reskript festgesetzt worden, daß sein Sohn, Marcus Joseph Wulff, als Nachfolger seines Vaters und als Extraordinarius angesetzt werden solle, sobald er für 300 Rt. Porzellan exportiert habe. Dies habe er jedoch bislang nicht getan, und Besserung sei nicht in Sicht, da selbst die Königsberger Judenältesten angezeigt hätten, daß Wulff „dem Trunk äußerst ergeben und oft nicht recht bey Verstande [...], theils auch wegen Armuth das festgesetzte Porcellaine abzunehmen nicht vermögend“ sei. Da nun die Klagen der Königsberger Goldund Silberarbeiter über das Fehlen eines Petschierstechers immer dringlicher würden, unterstützte die Kammer die Bitte Joels, auch die Pregelstadt mit seinen Produkten beliefern zu dürfen – ein Votum, dem sich schließlich auch das Generaldirektorium anschloß. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldirektorium, Ostpreußen und Litauen, II., Materien, Nr. 4740, Bl. 55 – 56, 77; ein um 1786 geborener Sohn Joels, Wolff John, war später als Kaufmann in Königsberg tätig und erwarb im Juni 1820 das Bürgerrecht in Berlin. Siehe Jacobson: Judenbürgerbücher Berlin, 163; zur Person Joseph Marcus Wulffs siehe Brilling, Jüdische Goldschmiede, S. 127 – 129. 252 Exporte Nr. 0108, 0155, 0221, 0278, 0323, 0350, 0360, 0381, 0414, 0622, 0745, 0874, 0997 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 253 Vermutlich handelt es sich um einen Sohn des dortigen Schutzjuden Wolf Berend Herz. Vgl. Brade / Heckmanns, S. 37. 254 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 4139, Bl. 1. 255 Ausschnitt bedeutet in diesem Zusammenhang das Recht, Tücher in kurzen Stücken zu verkaufen. Siehe Hahn: Fachsprache der Textilindustrie, S. 140.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

scheint. 257 Ferner stößt man in den ersten Jahren auf Hirsch Liebmann aus Frankfurt an der Oder, der im April 1771 eine Konzession als „Mäckler“ erhielt 258 und dafür im Gegenzug zunächst für 150 sowie nach 1779 für weitere 150 Rt. Porzellan zu exportieren hatte. 259 Wiederum in Verbindung mit Verlagsunternehmungen stehen die Privilegierungen Samuel Abrahams aus Osterode / Pr., der im September 1775 die Genehmigung erhielt, seinen Sohn Elias Samuel als Teilhaber bei seinem Tuchverlag einzustellen, 260 sowie von Joseph Moses aus Pyritz, dem im November 1774 eine Konzession im gleichen Gewerbe verliehen wurde. 261 Ähnliche Privilegien tauchen in weitaus größerer Anzahl auch nach 1779 in den Listen der Porzellanmanufaktur auf – nun jeweils mit einer Exportsumme von 300 Rt. Neben einigen Konzessionen zum Tuchhandel stößt man beispielsweise auf Moses Simon jun. aus Altschottland, dem im Juli 1783 die Niederlassung als „Garkoch und Translateur“ in Elbing zugestanden wurde. 262 Itzig Wulf aus 256

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 133. Die letzten drei Raten á 50 Rt. wurden schließlich zusammengezogen, was mit der Ansetzung seiner Tochter Vogel mit dem Schutzjudensohn Salomon (Scholem) Hertz aus Prenzlau und deren Ansetzung als erstes Kind auf seinen Schutzbrief am 20. August 1783 zusammenhängt. Im Vorfeld informierte die Kurmärkische Kammer am 23. Mai 1783 den Potsdamer Steuerrat Richter darüber, daß Wulff „nach Anzeige des General Fiscals d’Anieres für die erhaltene Concession zum Tuchhandel und Ausschnitt den Porcellaine Ankauf noch nicht völlig bewerckstelligt hat, so habt Ihr denselben zu bescheiden, daß er zuförderst nicht nur sothanen Porcellaine-Ankauf berichtigen, sondern auch nachweisen müsse, daß er für den gegenwärtigen Fall für 300 Rt. Porcellain außerhalb Landes abgesetzt habe“. Siehe BLHA, Rep. 19 Steuerrat Potsdam, Nr. 2315; vgl. Export Nr. 1011 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Scholem Hertz zählte noch 1810 mit einem geschätzten Vermögen von 5.000 Rt. zu den wohlhabendsten Juden Potsdams. Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 319. Nach Friedrichs Tod, am 22. November 1786, erhielt Wulff, mittlerweile auch Direktor der Ephraimschen Kantenmanufaktur, zudem die Konzession zur Ansetzung aller seiner Kinder im Netzedistrikt und an der polnischen Grenze. Fünf Tage zuvor hatte Friedrich Wilhelm II. per Kabinettsordre zugestimmt, ihn dafür nicht noch einmal zum Porzellankauf heranzuziehen. Siehe BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 4139, Bl. 17; vgl. jedoch Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 684, wonach Wulff einen ähnlichen Antrag bereits 1784 gestellt hatte. 1783 war Wulff zum Ältesten der Kurmärkischen Landjudenschaft gewählt worden. Siehe ebd., S. 657 – 658. 258 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 99. 259 Siehe die Exporte Nr. 0071, 0941 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 260 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 31; vgl. die Exporte Nr. 0264, 0661 und 0887 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 261 Die Konzession galt jedoch nur so lange, „bis 2 Christen sich dazu finden, er muß aber den Fabricanten die Waare abnehmen“. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 241; vgl. Export Nr. 0286 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 262 MA, I, Nr. 3, Bl. 38; vgl. Export Nr. 1000 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Insofern wäre die Aussage bei Bömelburg, 257

VII. Porcellainefreyheit in Preußen

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Stargard war bereits ein Jahr zuvor eine Konzession zur „Treibung des Pferde Handels und der Pferde Kuren“ 263 verliehen worden. Traten nach 1779 Probleme beim Porzellanexport auf, so zeigten sich die Behörden in der Regel ebenso unerbittlich wie bei anderen Privilegierungen. Als etwa der Halberstädter Schutzjude Joseph Hirsch 1782 um eine Konzession für die von ihm betriebene Petschierstecherei anhielt, sich aber nicht dazu bereit erklären wollte, Porzellan im Wert von 300 Rt. zu exportieren, entschied das Generaldirektorium, es müsse „sich dieser Jude nur von dort wieder wegmachen“. 264 Auch David Isaac aus Königsberg / Pr. bat Anfang 1784 um eine „Concession zum Abziehen der Feder Posen“ (Schreibfedern), meldete sich jedoch nicht mehr, nachdem ihm bedeutet worden war, daß er zuvor für 300 Rt. Porzellan exportieren müsse. 265 Ebenfalls aus Königsberg stammte Meyer Jacob Urias, dessen Familie seit Jahrzehnten von der dortigen Kammer die „jüdische Methbrauerey und den Methschank“ gepachtet hatte. Die letzte Pachtperiode war 1775 angelaufen, für die Urias jährlich 50 Rt. Pacht und 1 Rt. 6 Gr. Fabrikensteuer entrichtete, wobei ihm zugleich zugestanden worden war, ein zu seinem Gewerbe passendes Gebäude anzukaufen. 266 Doch auch Urias drang mit seiner Bitte um Dispensation vom Porzellanexport nicht durch: Seinen Namen findet man in der Verkaufsliste unter dem 12. Juni 1782. 267 Dies alles spricht kaum für eine bevorzugte Behandlung jüdischer Gewerbetreibender, doch gab es eine solche auch nach 1779 durchaus. Allerdings hat man die Nutznießer der bereits erwähnten Porcellainefreyheit im Bereich des Großgewerbes zu suchen. Beginnen ließe sich mit Hirsch Moses Ries, der am 2. September 1774 die Konzession zur Fortsetzung der Samtfabrik seines im selben Jahr verstorbenen Vaters, des Seidenfabrikanten und Generalprivilegierten Moses Ries erhalten hatte. 268 Der Generalfiskal monierte 1779 zunächst dieses Privileg und drang auf einen Porzellanexport im Wert von 300 Rt. 269 Wenn es in jenen Monaten ein „gewöhnlicher“ Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 433, wonach 1792 in Elbing keine Juden lebten, also geringfügig zu modifizieren. Im Jahre 1800 erhielt Simon zudem die Konzession zum Erwerb einer Fabrik und eines Holzhofes. Siehe Aschkewitz, Juden in Westpreußen, S. 44. 263 MA, I, Nr. 3, Bl. 34; vgl. Export Nr. 0843 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 264 Hinzukam, daß Hirsch um ein Privilegium Exclusivum gebeten hatte, also Konkurrenz ausgeschlossen wissen wollte. Siehe CJA, 1,75 A, Ha 2, Nr. 8, 3500, Bl. 12; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IVC, Nr. 236 c, Bl. 32; vgl. Köhler, Wirtschaftsgeschichte, S. 25 –26. 265 MA, I, Nr. 3, Bl. 41. 266 Siehe Urias’ Bittschrift vom 22. April 1782 in GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 412 L, Bl. 7; die 1779 monierte Konzession zum Hausbesitz findet sich in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 92. 267 Siehe Export Nr. 0842 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 268 Schnee, Hoffinanz, Bd. 1, S. 182 – 183. 269 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 95.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Jude wagte, in einer unmittelbar an den König gerichteten Supplik um eine Dispensation von derartigen Exportforderungen zu bitten, wurde er in aller Regel abschlägig beschieden, wie dies auch den Ältesten der Neumärkischen Judenschaft widerfuhr. Diesen ließ der König am 30. August 1779 mitteilen, daß ihnen darunter nicht zu helfen stehet, denn das ist ihre eigene Schuld, warum haben sie sich nicht besser nach der allerhöchsten Ordre geachtet und das darin festgesetzte Quantum Porcellain gleich zur rechten Zeit gekauffet, so dürften sie es nun nicht thun, denn die Gesetze werden darum gegeben, daß sie Stricte befolget werden sollen, und da sie solches nicht gethan, hätten sie überdem eine ernstliche Bestrafung verdienet. Es kann daher ihrem Gesuch um so weniger deferiret werden, sondern sie müssen das rückständige Porcellain schlechterdings noch kauffen und exportiren. Wornach sie sich also richten können. 270

Ähnlich wurden in den kommenden Wochen die Gemeinden von Potsdam, Norden und Emden, die ostfriesische Landjudenschaft sowie zahlreiche jüdische Einzelpersonen abgewiesen. 271 Der Tenor war dabei immer derselbe: Gesetze seien für alle da und müßten demnach auch von allen beachtet werden. Ausnahmen seien nicht diskutabel. Allerdings hatte der König bereits im Rahmen der geplanten Landesverweisung Friedländers und Aarons angedeutet, daß es mit „großen und reichen Juden“, die noch dazu Manufakturen betrieben, etwas anderes sei als mit all den übrigen. 272 Und es war auch im Falle Ries’ etwas anderes. Denn während all die Landjudenschaften, Gemeinden und Einzelpersonen an die allgemeine Geltung des Gesetzes erinnert wurden, gab der König dem Generalfiskal mit Blick auf Hirsch Moses Ries zu erkennen, „daß was dergleichen Juden sind, die solche großen Fabriquen haben und betreiben, von Nehmung des Porcelains wohl frey gelassen werden können“. 273 Allerdings scheint es nicht ganz gleichgültig gewesen zu sein, wo dergleichen Juden ihre Manufakturen betrieben. Denn David Levi aus Emden befand sich in einer ganz ähnlichen Situation, hatte er doch 1774 gemeinsam mit seinem Neffen Isaac Gottlob eine Konzession zur Übernahme der Baumwollmanufaktur van der Valde erhalten. 274 Nachdem Levi 1779 wegen seines Fabrikenhauses mit 270

GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 965. Ebd., S. 968, 974, 1150, 1158, 1162, 1172, 1174, 1211, 1216, 1235. Weitere Beispiele abgelehnter Immediatsuppliken aus dem Jahre 1780 finden sich bei PflugkHarttung, S. 475 – 476. 272 Siehe oben, Kap. H. III. 273 GStA PK, Rep. 96 B, Nr. 79, Bl. 1127; vgl. Wolff, Judenporzellan, S. 77. Hirsch Moses Ries machte 1784 dennoch Bankrott. Für ihn und seine beiden Geschwister blieben nach Abschluß des Konkursverfahrens noch gerade 800 Rt. übrig. Siehe Rachel / Wallich, S. 352. 274 Zu den Levi zugebilligten Privilegien gehörte Zollfreiheit aller ein- und ausgehenden Waren sowie ein freier Handel mit Ellenwaren. Er betrieb anfangs jedoch lediglich drei, später sechs Stühle, wobei es nach einem Kammerbericht vom 7. Dezember 1778 „mit 271

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gerichtlicher Pfändung belegt worden war, 275 gab er seiner Hoffnung Ausdruck, daß seine „besonderen Befreyungs-Gründe von einer so überzeugenden Natur sind, daß sie, in allerhöchste Anmerckung gezogen, unmöglich ein gleichwidriges Schicksal befürchten“ 276 ließen, wie im Falle seiner Religionsgenossen. Eine Antwort auf seine Supplik ist nicht überliefert, stattdessen findet man die Antwort in der Verkaufsliste der KPM, in der Levi unter dem 13. Mai 1780 auftaucht. 277 Stattdessen ist die eigentliche Porcellainefreyheit eine Domäne des Berliner und Potsdamer Großgewerbes. 278 So betrieb Jacob Isaac Borchardt „mit Salomon Ephraim und Heine Ephraim Veitel eine Nesseltuch-Fabrique ex Concessione vom 29. September ‘82 auf 10 Jahr. Porcellain frey. [...] Sie müssen wenigstens 20 Stühle halten.“ 279 Moses David Wallach erhielt mit einigen weiteren jüdischen Fabrikanten „eine Concession vom 31. Oktober ‘81 (Porcellain frey) zur CattunFabrique in Nowawest“, deren leidgeprüfte böhmische Weber nach dem Abgang von Isaac Benjamin Wulff über Arbeitsmangel klagten, 280 „muß aber 80 Stühle beständig in Gang halten“. 281 Salomon Nathan und Cossmann Ephraim wurde am 17. Februar 1782 eine Konzession erteilt „zur Fortsetzung der Gutbierischen Halbdem Juden Levi Davids übertragenen Baumwollen Spinnerey und Fabrique zu Emden gut“ anliefe. Die Quellenlage ist spärlich, doch besaßen Levis Witwe und Isaac Gottlob 1794 das zweitgrößte Vermögen innerhalb der Emder Judenschaft. Siehe Lokers, Juden in Emden, S. 176 – 177; vgl. die Notizen des Generalfiskals zu Isaac Gottlob: „Rescript v. 30. September 74 und 5. November 76, hat Concession als Compagnon des Levi David zu Fortsetzung einer Baumwollenen Fabrique, welche beyde mit 6 Stühlen zu erhalten sich engagiret. Ist aber noch nicht ein Schutzjude.“ Im Falle von Davids Tod solle Gottlob an seine Stelle treten. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 170. 275 Das Monitum findet sich in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 104. Das Anwesen ist verzeichnet in einer „Tabelle von den Juden Häusern in der Stadt Emden pro anno 1778“. Danach hatte David zusätzlich zu einem Anwesen im Wert von 300 Rt., das seine Ehefrau von ihrem ersten Mann geerbt hatte, 1774 für 500 Rt. ein Haus „zum Behuf der Baumwollen-Fabrique angekaufet“. Siehe StA Emden, II, Nr. 204, Bl. 222 – 223. 276 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 11, Bl. 100 –103. 277 Siehe Export Nr. 0557 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Mehr Erfolg scheint hingegen Meyer Salomon Junior aus Aurich gehabt zu haben, von dem 1779 wegen einer Konzession zum Hausbesitz vom 30. Oktober 1770 sowie „zum Aufenthalt“ vom 1. April 1777 (man beachte die Reihenfolge der Vergabe!) sogar ein Export im Volumen von 600 Rt. gefordert wurde. Wenn man Salomons Namen dennoch nicht in den Büchern der KPM findet, so mag dies damit zusammenhängen, daß Salomon ein Lederfabrikant war, dessen Konzession zum Hausbesitz die entschiedene Fürsprache der Ostfriesischen Kammer gefunden hatte. Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/3, S. 1445 – 1446; vgl. das ursprüngliche Monitum in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 104. 278 Neben den im folgenden genannten Beispielen wäre noch auf Isaac Lazarus hinzuweisen, der 1780 offenbar erfolgreich um „ein Porcellain freyes Privilegium“ zur Anlegung einer Manufaktur für Baumwollstrümpfe in Potsdam mit 15 –20 Stühlen bat. Siehe BLHA, Rep 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3105. 279 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 4.

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seiden-Fabrique (Porcellain frey unter Königl. Unterschrift). Müssen bey Verlust des Privilegiums 42 Metiers in Gange halten.“ 282 Selbst dem in Berlin unvergleitet lebenden Juden Joachim Magnus wurde 1785 „ein von allen Kosten und von der Porcellain Exportation befreytes ordinaires Schutz-Privilegium“ verliehen, „weil er sich verbindlich gemacht, die Leinen-Damast-Fabrication zu Bernau immerfort zu betreiben und den dortigen Leinenweber Jürgens dabey in beständiger Beschäftigung und Nahrung zu erhalten und nach seinem Tode einen andern in seine Stelle zu setzen“. 283 Andere, ähnlich gelagerte Fälle sind hinsichtlich der persönlichen Beteiligung des Königs noch weitaus besser dokumentiert. So betrieb der Berliner Schutzjude Israel Marcus (1751 –1802) seit 1777 eine Halbseidenmanufaktur, in der ca. 100 Stühle liefen und deren Waren im Wert von jährlich etwa 70.000 Rt. bis Litauen, Kleinpolen und Rußland sowie über Amsterdamer Handelshäuser bis nach Westindien exportiert wurden. 284 Als Marcus Ende 1780 um die Erteilung eines Generalprivilegs bat, wurde dies vom König noch barsch mit den Worten zurückgewiesen: „... was sollen alle Juden hier, es sind deren schon genug im Lande, und wird das also nicht accordiret“. 285 Doch nur wenige Monate später, im Juni 280 Siehe Vogler, Nowawes, S. 14; Jung, Böhmische Weberkolonie Nowawes, S. 59; Schmelz, 250 Jahre Weberkolonie Nowawes / Babelsberg, S. 37; Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 381. 281 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 35; Konzession in BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 3043. 282 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 12. Die Manufaktur war zuvor von Jeremias Gutbiers Witwe und Sohn betrieben worden: „in der neuen Friedrichsstraße, am Spandauerthore, und die Niederlage derselben in der Königsstraße, der Post gegen über“. Siehe Nicolai, Beschreibung (1769), S. 312. 1767 bestand der 1709 gegründete Betrieb aus 70 Stühlen mit ebensovielen Ouvriers. Siehe Hoffmann, Handwerk, S. 107. Einige Meister der eingegangenen Manufaktur hatten zuvor scheinbar bei dem Halbseidenfabrikanten Israel Marcus Unterschlupf gefunden. Siehe Straubel, Polizeidirektor, S. 154. 283 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 33. Bereits im Vorjahr hatte Magnus, Buchhalter in der Handlung von Veitel Ephraim, um die Erteilung eines kostenlosen extraordinairen Schutzprivilegs gebeten, wofür er sich bereiterklären wollte, die Kamelhaarplüschfabrik von Levi Behrend Hirsch in Potsdam zu übernehmen. Der König wäre zu einem Verzicht auf einen Porzellanexport bereit gewesen, doch kam der Plan, über den seit 1782 diskutiert wurde, aus anderen Gründen nicht zur Ausführung. Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 196 – 197; III/2, S. 681 – 682. Übrigens wurde Magnus in Bernau mit Jürgens nicht recht froh, hielt er diesen doch für einen „chicaneusen Arbeiter“ und befürchtete, dieser werde ihn „in wenigen Jahren zu einem armen Mann“ machen. Das Manufakturkollegium willigte deshalb am 22. Januar 1787 in Jürgens’ Entlassung ein, „da das Departement wegen dieses incorrigiblen Menschen unendlich behelliget“ werde und es „keinem Entrepreneur angemuthet werden“ könne, „einen dergleichen schlechten Arbeiter zwangsweise zu behalten.“ Siehe GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CCXIII, Nr. 1. 284 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 105; Meier, Seidenunternehmer, S. 204. 285 Zitiert nach Straubel, Polizeidirektor, S. 156.

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1781, wurde der jüdische Unternehmer von Friedrich beschieden, daß er anläßlich einer Konzession zum Hausbesitz „für dasmahl“ vom Porzellanexport dispensiert worden sei: Und haben auch das nötige deswegen bereits befohlen. Der Marcus muß aber auch sich fernerhin alle mögliche Mühe geben und allen Fleiß anwenden, um seine Fabrique immer mehr zu erweitern und auch den auswärtigen Absatz seiner fabricirten Wahren mehr zu vergrößern suchen. Wornach er sich zu achten hat. 286

Weitere vier Jahre später, als Marcus gemeinsam mit Joel Halle die Seidenmanufaktur von Moses Ries übernehmen wollte, erhielt er mit tatkräftiger Unterstützung des Fabrikendepartements auch das ersehnte Generalprivileg – „ohne das derselbe dafür etwas an Unsere Chargen und Stempel Cassen zu entrichten oder eine gewisse Quantität Porcellaine aus Unserer Berlinschen Porcellaine-Manufactur zu nehmen verbunden sein soll“. 287 Ein weiteres Beispiel: Am 14. Januar 1783 bat der Berliner Bandfabrikant Christoph Friedrich Becker, dessen aus zwölf Stühlen bestehende Manufaktur kurz zuvor zum Stillstand gekommen war, um die Erlaubnis, seinen Betrieb an den in der gleichen Branche tätigen Abraham Friedländer verkaufen zu dürfen. 288 Nachdem das Fabrikendepartement es zunächst abgelehnt hatte, bei dieser Konzession von einem Porzellanexport abzusehen, 289 wandte sich Friedländer selbst mit einer Eingabe an das Generaldirektorium und beschwor darin die „Landesväterliche Intention“ des Königs, wonach „nützliche Fabricken, welche nicht betrieben werden, wieder retablirt werden“ sollten. Genau diese Absicht habe er, Friedländer, „bey der Bäckerschen Wollen-Band-Fabrike, die vorzüglich mit unter die nützlichen Fabriken zu rechnen [sei], da vieles Geld bisher vor wollen Band außer Landes gegangen“. Dieser Hinweis auf die Außenhandelsbilanz ist zwar dem Standardarsenal damaliger Suppliken entnommen, deren Verfasser natürlich um die Prioritäten preußischer Wirtschaftspolitik wußten. Doch zumindest in diesem Fall dürften Friedländers Aussagen durchaus der Realität entsprechen, wenn man die große Bedeutung berücksichtigt, die Bänder in der unterschiedlichsten Form (et286 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CCIV, Nr. 58. Im Einzelfall kamen jedoch auch jüdische Verleger aus den Provinzen in den Genuß derartiger Dispensationen. So wurde der Tuchverleger Elias Samuel aus Osterode / Pr. anläßlich einer am 17. Oktober 1782 erteilten Konzession zum Hausbesitz dispensiert, da ihm das fragliche Anwesen als Wollmagazin diente. Siehe MA, I, Nr. 3, Bl. 41. 287 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 42. Mit dem Kauf der Riesschen Manufaktur hatten sich Marcus und Halle jedoch scheinbar übernommen, weshalb das Sozietätsabkommen 1797 zu einem Ende kam. Nach Marcus’ Tod (1802) setzten seine Witwe und sein Sohn Heymann Marcus den Betrieb noch einige Jahre in bescheidenerem Maßstab fort. Siehe dazu Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 105. 288 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCIV, Nr. 38, Bl. 42. 289 Resolution des Fabrikendepartements für Christoph Friedrich Becker, Berlin, 26. Februar 1783, ebd., Bl. 46.

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wa als Haar- und Zopfbänder, Schweifbänder für Pferde usw.) für die Menschen der damaligen Zeit besaßen. 290 Im Generaldirektorium verfehlte Friedländers Argumentation ihre Wirkung jedenfalls nicht. Denn während Generalfiskal d’Anières auch weiterhin auf einem Porzellanexport im Wert von 300 Rt. bestand, 291 fand Friedländer einen Fürsprecher in Friedrich Anton von Heinitz, dem Chef des Fabrikendepartements, der die Angelegenheit am 11. April zum Gegenstand einer Vorlage für den König machte und die wirtschaftliche Bedeutung der Manufaktur hervorhob, um schließlich mit der Frage zu enden: Da er [Friedländer] jedoch nicht anders, als wenn er von der Porcellain-Exportation befreyet wird, mit diesen Schiebestühlen und der Wollen-Band-Fabrik sich befassen will und solche Fabrik fernerhin ohne Arbeit bleiben wird: So stelle ich allerunterthänigst anheim, ob Eure Königliche Majestät den Abraham Friedlaender von der PorcellainExportation wegen der zu acquirirenden Schiebestühle und darauf zu fabricirenden wollenen Bänder allergnädigst zu dispensiren geruhen wollen? 292

Friedrichs Urteil lautete kurz und bündig: „guht“. Abschließend ist auf zwei Dispensationen einzugehen, die in gewisser Weise aus dem bislang beschriebenen großgewerblichen Rahmen fallen, jedoch gleichwohl Erwähnung verdienen. So bat Jacob Abraham, Medailleur bei der Königlichen Münze in Berlin, 293 im Jahre 1781 um die Erlaubnis, seine Tochter Getta mit Jochen Joseph verheiraten und als erstes Kind etablieren zu dürfen. Dabei suchte er zugleich um eine Befreiung vom Porzellanexport nach, da er „gar keinen Handel habe und [deshalb] auch um so weniger in diesem Fall mit den übrigen Schutz-Juden verglichen werden“ 294 könne. Infolge einer Kabinettsordre vom 25. Juni 1781 wurde dies schließlich am 29. Oktober 1782 gewährt. 295 Ebenfalls zu nennen ist in diesem Zusammenhang die von David Friedländer und Isaac Daniel Itzig 1778 in Berlin gegründete „Freyschule für jüdische Knaben“, 296 die gleichermaßen die Allgemein- und kaufmännische Bildung ihrer Schüler fördern sollte und sich den 290 Auf die wirtschaftliche Bedeutung des Bandgewerbes für Berlin verweist etwa der zeitlich allerdings einige Jahrzehnte früher angesiedelte Beitrag von Herzfeld, Levi und Moses Ulff aus Wesel, insb. S. 104. 291 Gutachten des Generalfiskals für das Generaldirektorium, Berlin, 31. März 1783, GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCIV, Nr. 38, Bl. 62. 292 Ebd., Bl. 64, vgl. Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 662. 293 Seine Tätigkeit wird umfassend gewürdigt bei Sommer. 294 Eingabe vom 24. Juni 1781, BLHA, Rep. 2, Nr. S.2898. 295 Ebd; vgl. die Eintragung des Generalfiskals zu Jacob Abraham, „Ist Medailleur. Ist bey Ansetzung seiner Tochter vom Porcellain dispensiret. Cab. Order vom 25. Jun. ’81.“ GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 36. 296 Siehe Fehrs, Von der Heidereutergasse zum Roseneck, S. 42 – 46; vgl. Lohmann, Chevrat Chinuch Nearim.

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Aufklärungsmaximen der Zeit verschrieben hatte. Drei Jahre später, am 30. Dezember 1781, traten die beiden Gründer mit einer Bittschrift an den König heran: Allerdurchlauchtigster Großmächtigster König Allergnädigster König und Herr! Durch den Mildthätigen Beitrag einiger Mitglieder der hiesigen Jüdischen Gemeinde sind wir in den Stand gesetzt worden, seit vier Jahren eine Nahmhafte Anzahl Jüdischer Kinder durch Christliche und Jüdische Lehrer in den Anfangsgründen der nöthigen Kenntnisse des Menschen unterrichten zu lassen, das unruhige Geräusch, welches in einer öffentlichen Schule bey einer Anzahl Knaben unvermeidlich ist, hat uns aber genöthiget, von einem Hause im Lande zu ziehen, um diese Ungemächlichkeit vorzubeugen, haben wir uns gemüßiget, ein kleines Haus zum Gebrauch dieser Schule zu kaufen. Wir bitten demnach Ewr. Königl. Majestät allerunterthänigst, uns in Betracht des nutzens dieses für der Nation und der Menschheit überhaupt abzweckenden Instituti, von der gewohnlichen Abnahme der 300 Rt. Porcellain allergnädigst zu befreien und diesem zu erkaufenden Hause die Prerogative andrer öffentlichen Häuser allerhuldreichst angedeihen zu lassen. Wir getrösten uns allergnädigster Erhörung unsrer allerunterthänigsten Bitte und ersterben in tiefster Devotion. Ewr. Königl. Majestät Berlin, den 30. Xbr. [Dezember] 1781 alleruntertänigste Knechte die Directores des Jüdischen Erziehung Instituts Isaac Daniel Itzig, David Friedlaender 297

Dem Gesuch war Erfolg beschieden, wie einem landesherrlichen Reskript vom 1. Januar 1782 zu entnehmen ist: Jüdische Erziehungs-Institute haben mit der Handlung nichts gemein, weshalb die Juden zur Abnahme einer gewissen Quantität Porcellains verbunden sind, und dahero wollen Seine Königl. Maj. von Preußen p. Unser allergnädigster Herr, daß Dero General-Directorium auf die Original-Anlage in Dero Nahmen sofort verfügen soll, daß das hiesige Erziehungs-Institut der Juden von dieser Porcellain-Abnahme auf beständig frey bleiben möge. Berlin, den 1. Januar 1782 Friedrich 298

Allerdings handelt es sich bei sämtlichen in diesem Kapitel vorgestellten Beispielen um große Ausnahmen. Die Realität sah für die übergroße Mehrheit der Judenschaft in jenen Jahren zwischen 1779 und 1786 ganz anders aus. Dies galt für die bereits geschilderte Neuvergabe von Konzessionen ebenso wie für die Eintreibung der Exportrückstände aus den Jahren vor 1779. Um letztere wird es in den kommenden Ausführungen gehen. 297 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 130. Da über die Frühzeit der Freischule kaum etwas überliefert ist, können auch zu dem fraglichen Haus keine näheren Informationen geliefert werden. 1803 war die Schule in der Klosterstr. 35 untergebracht, siehe Fehrs, Von der Heidereutergasse zum Roseneck, S. 42. 298 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 129.

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VIII. Generalfiskal d’Anières, KPM-Direktor Grieninger und ihr Feldzug gegen die Porcellainerestanten (1779 – 1786) 1. Die Einrichtung der Kommission d’Anières-Grieninger und ihre erste Tätigkeit Generalfiskald’Anières war durch den König am 6. Juni 1779 damit beauftragt worden, sich zur Eintreibung der auf 204.439 Rt. geschätzten Rückstände mit der Direktion der Porzellanmanufaktur in Verbindung zu setzen und alle dazu nötigen Schritte umgehend in die Wege zu leiten. Daraufhin legte d’Anières dem König am 20. Juni einen am Vortag entworfenen Plan zur Genehmigung vor, wonach die durch ihn selbst sowie Direktor Grieninger unterzeichneten Eintreibungsbefehle über die Provinzfiskale und Magistrate an die Judenschaften gelangen sollten. 299 Dieser Vorschlag wurde am 22. Juni vom König genehmigt. 300 Was nun folgte, war der größte fiskalische Abschöpfungsversuch in der Geschichte der preußischen Judenschaft. Die Summe von 200.000 Rt. entsprach exakt den Schutzgeldzahlungen in einem Zeitraum von acht Jahren und sollte nun auf einen Schlag mobilisiert werden. Niemals zuvor hatte es etwas Vergleichbares gegeben. Unter Verwendung eines vom König gebilligten Formulars 301 und unter Rückgriff auf das bereits angefertigte Tabellenmaterial machten sich d’Anières und Grieninger ans Werk. In dem Standardschreiben wurde dem Empfänger, sei es nun ein Fiskal oder ein Magistrat, aufgetragen, die jeweils namentlich aufgeführten Juden „ohne dem geringsten Anstand vorzuladen“ und ihnen den Inhalt der Kabinettsdekrete vom 29. Mai bzw. 6. Juni bekannt zu machen. Daraufhin war den Juden anzubefehlen, das jeweils auf sie entfallende Exportquantum binnen vier Wochen in Berlin anzukaufen und im Laufe weiterer drei Monate ins Ausland zu exportieren. 302 Eventuelle Einwendungen, die sich auf die nach 1769 erlassenen und nunmehr sämtlich kassierten Direktorialreskripte beriefen, seien dabei zurückzuweisen. Wenn darüber hinaus ein Jude jedoch „in facto und besonders in einem nachzuweisenden Irrthum bei Anfertigung der beiliegenden Designation 299

Siehe den Bericht des Generalfiskals für das Generaldirektorium vom 23. Juni 1779 ebd., Bl. 84 – 88. 300 Aus der Kabinettsordre für Generalfiskal d’Anières, Potsdam, 22. Juni 1779: „Und in Ansehung des von den Juden noch zu nehmenden Porcellains, so habt Ihr die Sache ferner zu betreiben und zu besorgen und in die Fiscale in den Provintzien darunter das nöthige zu veranlassen.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 799. 301 Siehe im Anhang Dok. M. I. 5. 302 Die genannten Fristen waren in dem Musterschreiben, das d’Anières dem König am 20. Juni einreichte, zunächst noch ausgelassen worden. Deshalb kann nur vermutet werden, daß die Festlegung auf vier Wochen bzw. drei Monate durch Friedrich selbst erfolgte.

VIII. Feldzug gegen die Porcellainerestanten (1779 –1786)

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gegründete Einwendungen machen zu können vermeinen sollte“, waren diese in einem kurzen Protokoll festzuhalten und der Porzellankommission einzureichen. Schließlich und endlich sollte den Porcellainerestanten bekannt gemacht werden daß nach Ablauf der vorgeschriebenen Frist wieder dieienigen, welche von der Commission keine Dispensation erhalten und dennoch den Ankauf und die Exportation des vorgeschriebenen Quanti des hiesigen ächten Porcellains nicht gehörig nachgewiesen haben werden, mit der promptesten Execution verfahren werden solle.

Vier Wochen – wie grotesk sich diese Frist ausnimmt, verdeutlicht die Tatsache, daß d’Anières und Grieninger selbst rund zwei Monate benötigten, um auch nur die entsprechenden Befehle in alle Teile der Monarchie zu expedieren. Schließlich waren nahezu 700 Konzessionen in rund 180 Städten zwischen Krefeld und Memel beanstandet worden. Daß diese geradezu monströse Aktion in der bisherigen Literatur ein Schattendasein führt und nur hier und da schemenhaft auftaucht, 303 hängt allerdings damit zusammen, daß auch die Tätigkeit dieser Porzellankommission, die in den Jahren nach 1779 eine rege Schreibtätigkeit entfaltete, nur sehr lückenhaft überliefert ist. Im Generalfiskalat wurde offenbar eine separate Akte angelegt, von der man im Lichte der folgenden Ausführungen durchaus annehmen darf, daß es sich um ein mehrbändiges Werk handelte. Erhalten hat sie sich nicht, und so stößt man heutigen Tags im Bestand des Generalfiskalats nur noch vereinzelt auf den ins Leere zeigenden Querverweis „Porcellain Acta“. Danach war Elkan Michel aus Derenburg „ohne Erben und mit Schulden verstorben“. 304 Witwe Philipp Andreas aus Dinslaken erwies sich als „Concursifer und blutarm“. 305 Lehmann Hertz aus Lippstadt war eines Tages „fort“, 306 und auch Samuel Michel aus dem ostfriesischen Norden mußte schließlich den Marsch „über die Grentze“ 307 antreten. Weitere Beispiele ließen sich anführen. Diese Akte hätte man also wahrlich gern in Händen, doch bleibt nichts anderes übrig, als sich auf Seiten der damaligen Adressaten, vor allem der Magistrate umzusehen. Auch hier ist das meiste verloren gegangen, doch die wenigen erhaltenen Bruchstücke lassen ahnen, daß die städtischen Behörden seit 1779 förmlich mit Anordnungen bombardiert worden sein müssen, die stets mit „Von Commissions Wegen. D’Anières, Grieninger“ unterzeichnet waren.

303 So liest man beispielsweise bei Bruer, Geschichte der Juden, S. 78, das Generaldirektorium habe bei seinen Nachforschungen in der „Angelegenheit“ einige „Unregelmäßigkeiten“ vorgefunden. Ferner ist Herzfeld, Levin Joseph, S. 168 –170 der irrigen Ansicht, es hätten 1779 „alle Schutzjuden“ jeweils die Summe von 250 Rt. zum Porzellankauf aufbringen müssen. Die Äußerung ist indes bezeichnend für die Häufigkeit, in der Porcellainerestanten tatsächlich in den Quellen auftauchen. 304 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 46. 305 Ebd., Bl. 108. 306 Ebd., Bl. 154. 307 Ebd., Bl. 196.

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Es beginnt mit dem bereits angesprochenen Vorladungsbefehl. Nachweisbar ausgefertigt wurde dieser am 15. Juli für die Magistrate von Potsdam 308 und Landsberg an der Warthe, 309 am 16. bzw. 28. Juli für die Officia Fisci zu Minden 310 und Unna (für die Grafschaft Mark) 311 sowie am 6. August für den Magistrat von Bernau. 312 Dieser Vorgang wurde offenbar im Laufe des Monats August für die gesamte Monarchie abgeschlossen. So wandte sich der bereits instruierte pommersche Hoffiskal Hartung aus Körlin am 5. August an den Magistrat von Schlawe, 313 während selbst das Officium Fisci im ostfriesischen Aurich spätestens am 25. August erreicht wurde, wie dessen Schreiben vom gleichen Tag an den Magistrat von Emden zu entnehmen ist, wo 16 Hausväter betroffen waren. 314 Die Befehle waren also nach rund zwei Monaten erteilt, doch was waren die Folgen dieses Paukenschlags, der auf die Betroffenen wahrlich wie aus heiterem Himmel niederging? Die Eintreibung der Rückstände sollte offensichtlich unter Umgehung der Kammern im direkten Schriftwechsel mit den Magistraten sowie den fiskalischen Behörden in den Provinzen, den Officia fisci, geschehen – letztere nach Hintze angeblich eine „supplementäre Controllgewalt [...], die in alle noch etwa vorhandenen Ritzen“ 315 dringe. Die „Ritzen“ im einst so ehrfurchtsvoll bestaunten Bau des Absolutismus haben seit Hintzes Tagen freilich gewaltig an Durchmesser und Anzahl gewonnen, wurden erst zu seinem „Strukturproblem“, 316 brachten die Statik immer mehr zum Wanken und führten den einen oder anderen Betrachter unlängst gar dazu, die Existenz der ganzen Immobilie zum „Mythos“ 317 zu erklären. Hinsichtlich der Officia Fisci kamen neuere Arbeiten zu dem Ergebnis, „daß die Wirksamkeit der fiskalischen Kontrollen und Untersuchungen ihren Grund nicht allein in dem Nachdruck haben konnte, den die höhere Gewalt des 308

StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 3. APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 11. 310 StA Lübbecke, A, Nr. 572, Bl. 11 (Abschrift). 311 StA Lippstadt, Bestand B, Nr. 1886 (Abschrift). 312 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 4. 313 LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 195, Bl. 20 – 23. Am gleichen Tag erfolgte die Instruktion des Magistrats von Körlin durch Hoffiskal Hartwig Kretschmann. Danach waren in Körlin Meyer Salomon mit 300, Salomon Isaac mit 275, Joachim Marcus mit 300 und Israel Salomon mit 240 Rt. im Rückstand. Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/3, S. 969; vgl. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 94. 314 StA Emden, II, Nr. 763. 315 Siehe Hintze, Einleitende Darstellung, S. 236. Anders als Hintze meint, agierten die Provinzfiskale jedoch keineswegs weitestgehend autonom, sondern standen vielmehr in einer doppelten Unterordnung unter Generalfiskal einerseits und die lokalen Verwaltungsund Justizbehörden andererseits; vgl. Schmidt, Fiskalat, S. 123. 316 Paradigmatisch zum Problem des „Nichtabsolutistischen im Absolutismus“ Oestreich, Strukturprobleme. 317 Zur Diskussion um die Thesen Nicholas Henshalls siehe die Beiträge bei Asch / Duchhardt. 309

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Königs ihnen zu verleihen vermochte. Aufgrund der Verbindung der Fiskale mit den einzelnen Kollegien ist davon auszugehen, daß ihre Wirksamkeit insgesamt kaum weiter reichen konnte, als die Akzeptanz der Grundsätze, deren Sicherung ihnen oblag, innerhalb der Behörden.“ 318 Wie stark oder wie schwach war nun dieser fiskalische Zugriff bislang ungekannten Ausmaßes? Die überlieferten Quellen erzählen zwei Geschichten. Die erste findet man in den Kabinettsminüten sowie in den Verkaufslisten der Porzellanmanufaktur, wo man nachlesen kann, daß am 7. September 1779, als Meyer Levi Hamburger nachträglich für eine bereits im Juni 1772 verliehene Hauskonzession Porzellan für 250 Rt. ankaufte, 319 die Eintreibungen begannen. Bis Ende des Monats waren so bereits 33 Juden ihren nachträglich geforderten Exporten nachgekommen, die zusammen ein Volumen von mehr als 12.000 Rt. erreichten. Innerhalb von drei Wochen verkaufte die KPM also an Juden die sechsfache Menge von dem, was im gesamten Jahr 1778 zu Buche geschlagen war. Und in den kommenden Monaten ging es in gleicher Weise weiter, so daß die Manufaktur am Jahresende „Judenporzellan“ im Wert von mehr als 32.000 Rt. abgesetzt hatte. Der summarische Kassenextrakt für den Monat Oktober fand vor diesem Hintergrund selbst den ausdrücklichen Beifall des Königs, der Grieninger am 4. November wissen ließ, er habe wohlwollend zur Kenntnis genommen, „daß es mit dem Verkauf und Absatz des Porcellains gegenwärtig so gut gehet“. 320 Lief demnach alles reibungslos ab? Und waren die Folgen für die Betroffenen letztlich doch nicht so verheerend, wie man vielleicht meinen könnte? Man muß näher hinsehen. So wirkt die Einnahme von 12.000 Rt. binnen drei Wochen zweifellos beeindruckend – doch selbst in diesem rasanten „Tempo“ hätte es mehr als 18 Monate gedauert, um die monierte Gesamtschuld von rund 200.000 Rt. zu tilgen. Dabei sollten doch spätestens nach drei Monaten die Exekutionen gegen die Säumigen beginnen. Noch dazu wird man den „typischen“ Vertreter jener Porcellainerestanten in jenen ersten Wochen des September und Oktober 1779 kaum in den Listen der KPM antreffen. Stattdessen hatten die Juden, deren Namen dort zu lesen sind, in der Regel eines gemeinsam: Sie wohnten in Berlin und entstammten jener gut situierten Oberschicht, die gern mit einem fiktiven „jüdischen Mittelstand“ verwechselt wird. So stößt man rasch auf den Oberlandesältesten Daniel Itzig 321 sowie auf die generalprivilegierten Koppel Marcuse, 322 318

Sieg, Staatsdienst, S. 49. Siehe Export Nr. 0393 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 320 GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 1123. Auch mit Blick auf den folgenden Extrakt für den Monat November war Friedrich „von dessen Inhalt gantz gut zufrieden gewesen“. Siehe ebd., S. 1185. 321 Export Nr. 0398 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 319

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Joel Samuel Halle, 323 Levi Moses Levi 324 oder Joachim Zacharias Veitel, einen Sohn des „Münzjuden“ Veitel Ephraim. 325 Aus Königsberg / Pr. gesellt sich Bendix Friedländer hinzu. 326 Daß man in diesen Familien in der Lage war, innerhalb weniger Wochen mehrere Hundert Rt. zu mobilisieren, ist kaum überraschend. Das Erdbeben spielte sich nicht in den Häusern Itzig, Ephraim oder Friedländer ab – doch es fand statt. Bei der Durchsicht der erhaltenen Dokumente wird rasch deutlich, daß die nachträglichen Exportforderungen von den Betroffenen als ungeheurer Rechtsbruch wahrgenommen wurden. So erklärte die Witwe Meyer Zandi aus Xanten, die für die ihrem verstorbenen Mann 327 verliehene Konzession zum Hausbesitz nachträglich für 300 Rt. Porzellan exportieren sollte, 328 am 27. Oktober, sie begreife nicht, unter welchem Prätext und Scheine [...] man mich hirzu forciren könne, [...] indessen nichts unerhörter und unbegreiflicher seyn kann, als daß Ewr. Königl. Majestät Dero höchst eigene und, wie es darinnen [in der Konzession] heißt, auf Allerhöchsten Special-Befehl ausgefertigte Concessiones und Zusagen durch andere wieder vereiteln und aufheben lassen sollten. 329

Ähnliche Äußerungen sind auch aus der besonders hart getroffenen Gemeinde von Landsberg überliefert, wo der Generalfiskal unter 59 Schutzjudenfamilien (1780) 330 nicht weniger als 31 Porcellainerestanten ausgemacht hatte, die binnen vier Wochen die Summe von 8.715 Rt. aufbringen sollten. 331 Nachdem diese von der Frankfurter Messe zurückgekehrt waren, wurde ihnen durch den Magistrat am 2. August die gewiß schockierende Botschaft bekannt gemacht, worauf sich auch 322 Export Nr. 0415 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 323 Export Nr. 0420 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 324 Export Nr. 0424 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 325 Export Nr. 0458 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 326 Export Nr. 0434 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 327 Vgl. Kap. G. IV. 328 Die Konzession vom 1. Oktober 1776 in Abschrift in GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 57; durch den Generalfiskal moniert in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 102. 329 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 53 –56. 330 Siehe Schwartz, Die neumärkischen Städte nach dem siebenjährigen Kriege, S. 101; Ders., Die Juden in der Neumark, S. 65. Zur dortigen Gemeinde siehe auch Lassally. 1801 sollen in Landsberg 51 jüdische Familien mit zusammen 338 Personen gelebt haben. Siehe Rackwitz, S. 147; Rehmann, Aufhebung des Judenschutzgeldes, S. 200; Bratring, Beschreibung, Bd. 3, S. 147. 331 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 12.

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hier zahlreiche Juden auf den Inhalt ihrer Konzessionen beriefen und darauf, daß das Generaldirektorium die Abnahmetarife doch selbst heruntergesetzt habe. 332 Welcher Erfolg diesen Hinweisen auf obrigkeitlich verbriefte Rechtstitel beschieden war, läßt sich am Beispiel Potsdams verfolgen, wo die Privilegien von zwölf Hausvätern moniert worden waren. 333 Auch dort baten die Juden, „sie mit ihren Einwendungen zu hören, daß sie theils damals von der Abnahme des Porcellains dispensiret, theils ihnen nur injungiret worden, die genommene Quanta und nicht ein mehreres zu nehmen, worüber sie Documenta in Händen hätten“. 334 Daraufhin wagte es der Magistrat, sich am 28. Juli an den Generalfiskal zu wenden und diesen um Abschriften der Kabinettsdekrete vom 21. März 1769 sowie vom 29. Mai und 6. Juni 1779 zu bitten, um „über die Gültigkeit der jüdischen Einwendungen“ urteilen zu können. 335 Die Porzellankommission antwortete daraufhin am 1. August in spitzem Ton, man scheine in Potsdam das erste Schreiben vom 15. Juli „nicht recht eingesehen zu haben“, da aus dessen Wortlaut deutlich hervorgehe, daß sich die Aufgabe des Magistrats lediglich darauf beschränke, den Juden die Befehle der Kommission bekannt zu machen, eventuellen Widerspruch zu protokollieren und den Säumigen nach Ablauf der Frist Exekution anzudrohen. Man könne, so schrieben d’Anières und Grieninger, dem Magistrat vor diesem Hintergrund nur raten, „die dortige Juden zu ihrer Schuldigkeit anzuhalten und durchaus keine Weitläufigkeiten zu verstatten“, da man womöglich bald genötigt sei, „Sr. Königlichen Majestät Allerhöchster Person von dem Erfolge in der ganzen Sache und von den gefundenen Hindernissen umständlichen Bericht zu erstatten“. 336 Am 10. August fügten Grieninger und d’Anières, der in der Literatur so häufig als naturrechtlich argumentierender Opponent gegen die Judenpolitik des Königs figuriert, hinzu, daß auf die Einwendungen der Juden nichts ankomme und daraus nicht folge, daß das in den Gesezzen bestimmte Quantum nicht sollte nachgefordert werden können. Die Principia, welche hierüber nach und nach [durch das Generaldirektorium und ihn selbst!] angenommen worden, lieffen wider den klaren Inhalt der Königl. Befehle, und da kein Unterthan von den oneribus, welche der 332 Der Magistrat nahm deshalb mehrere der monierten Konzessionen als Abschrift zu den Akten. Siehe ebd., Bl. 36, 38. 333 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 4. Dazu kam noch die jüdische Gemeinde als solche, von der ein Porzellanexport für eine Konzession zum Hausbesitz gefordert wurde. Siehe dazu Kap. G. VIII. 3. Die zugrundeliegende Akte wurde bereits bearbeitet und auszugsweise zitiert von Cohn, Zwangskauf, dem auch Kaelter, S. 22 –27 folgt. Aufgrund der teilweise recht freien Zitierweise Cohns, der zudem durchweg auf eine Kenntlichmachung der vorgenommenen Kürzungen verzichtet, werden im folgenden jedoch stets die Originaldokumente herangezogen. 334 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 5. 335 Ebd., Bl. 9. 336 Ebd., Bl. 10.

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Landes Herr ihm auferlegt, anders als durch den Landesherrn selbst befreiet werden kann, so sind die dortigen Juden auch iezt noch, da sie ihre Schuldigkeit in Absicht des Porcellains noch nicht gänzlich erfüllt, aller wiedrigen, von Sr. Königl. Maj. ganz rechtlich aufgehobenen ausdrücklichen oder stillschweigenden Dispensationen ohnerachtet, dasjenige, was sie praestiren sollten, annoch nachzuholen gehalten. 337

Vor diesem Hintergrund nutzte es auch nichts, wenn einzelne Potsdamer Juden auch weiterhin darauf hinwiesen, daß „in Consessionibus von Porcellain nichts enthalten sei“. 338 Selbst an den König wandte sich die gesamte Gemeinde in den kommenden Wochen mit einer nicht mehr erhaltenen Bittschrift, in der zumindest um eine „Moderirung“ der Forderungen gebeten wurde. Erhalten hat sich lediglich die Antwort Friedrichs vom 2. September: „... warum haben sie der Verordnung und Vorschrift gemäß die festgesetzte Quantität an Porcellain nicht gleich und zur gehörigen Zeit erkauft, so dürften sie es ietzt nicht thun. Sie werden daher hiemit abgewiesen.“ 339 Die aus der friderizianischen Sondergesetzgebung angeblich erwachsenden „einforderbaren Ansprüche“ 340 hatten sich damit im Laufe weniger Wochen verflüchtigt, denn die Potsdamer Ereignisse stehen dabei natürlich nur pars pro toto. Die zugrundeliegenden Zahlen seien noch einmal genannt: 700 Konzessionen in 180 Städten der preußischen Monarchie. Wenn es demnach für den König möglich war, die Vergaberichtlinien der elementarsten jüdischen Rechtstitel wie der Schutzbriefe nachträglich mit einem einzigen Federstrich drastisch zu verschärfen, stellt sich jedoch die Frage, was mit all jenen Juden geschehen sollte, die anders als die Berliner und Königsberger Oberschicht keineswegs in der Lage waren, binnen weniger Wochen mehrere Hundert Rt. zu mobilisieren?

337 Ebd., Bl. 17 – 18. Ein nahezu wortgleiches Schreiben erging am gleichen Tag auch an den Landsberger Magistrat. Siehe APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 66 –68. Darin verwarf die Porzellankommission auch das Argument mangelnder Publizität des Reskripts vom 21. März 1769, das im Rahmen des Verfahrens gegen Jacob Salomon Friedländer und Simon Samuel Aaron eine gewisse Rolle gespielt hatte (vgl. Kap. H. III.). Nun wurde behauptet: „... daß einer oder der andere zur Zeit der erteilten Concession von der damit verknüpften Schuldigkeit, Porcellain zu erkauffen, nicht informirt gewesen, kann nicht einmal angenommen werden. Wäre aber auch dies, so sind die Unterthanen schuldig, sich die Gesezze bekannt zu machen, besonders solche, welche einen ieden insbesondere angehen. Es ist überdies gegenwärtig nicht von einer zu erlegenden Strafe die Rede, sondern von einer rückständigen, nachzuholenden Praestation, und so wenig ein Kaufmann, welchem aus Irrthum ein zu geringer Zoll abgefordert worden, sich der Nachzalung desselben unter dem Vorwande würde entziehen können, daß ihm bei Einbringung der Waare das Quantum der Zoll Gefälle nicht bekannt gemacht worden, eben so wenig können auch die Juden im iezzigen Fall mit der Unwissenheit sich entschuldigen.“ 338 So Berend Hirsch am 6. August vor dem Magistrat. Siehe StA Potsdam, Bestand 1 –3, Nr. 683, Bl. 11 – 12; zur Person Hirschs siehe Kap. G. II. 2. 339 GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 79, S. 974. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Juden, die im Großgewerbe tätig waren, im gleichen Zeitraum mitunter vollständig befreit wurden. Siehe Kap. H. VII. 340 Heinrich, Debatte, S. 827.

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Gehörte man zu dieser Gruppe unvermögender Porcellainerestanten, so bekam man bald ebenso ungebetenen wie kostspieligen Besuch. 2. Der Beginn der Exekutionen Binnen vier Wochen eine Summe von 200 bis 250 Rt. aufzubringen, erwies sich für die übergroße Mehrheit der preußischen Judenschaft als vollkommen unmöglich, ist dabei doch von nahezu zwei Jahresgehältern eines Berliner Manufakturarbeiters die Rede. Geradezu eine Katastrophe brach insbesondere über Juden herein, die in den vorangegangenen zehn Jahren zwei Konzessionen erhalten hatten, wie beispielsweise Moses Salomon aus Bernau, 341 Abraham Friedemann aus Berlinchen, 342 Gabriel Moses aus Nörenberg, 343 Jacob Gottschalk aus Rügenwalde, 344 Abraham Ascher aus Lippehne 345 oder Ephraim Levi aus Herford. 346 Bei ihnen konnten sich die nachträglichen Forderungen bis auf 600 Rt. summieren wie im Falle Friedemanns. Daß gegenüber Juden, die die Frist von drei Monaten für Kauf und Export des Porzellans verstreichen ließen, mit Exekution 347 verfahren werden sollte, wurde bereits durch das erste Schreiben der Porzellankommissi341 Dabei handelte es sich um seine Ansetzung als zweites Kind (21. Juli 1773) sowie um eine Konzession zum Hausbesitz (1. April 1778). Siehe StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 101; bei dem dort genannten „Siegfriedschen“ Haus handelte um das Fachwerkhaus Königsstr. Nr. 251, das spätestens im 19. Jahrhundert von der Bernauer Gemeinde als Synagoge genutzt wurde. Siehe Wernicke, S. 121, 145; vgl. die Exporte Nr. 0112, 0372, 0917, 1002, 1097 und 1137 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 342 Dabei handelte es sich um seine Ansetzung als Extraordinarius (4. März 1773) sowie um eine Konzession zum Hausbesitz (17. März 1774). Siehe Export Nr. 1050 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 343 Dabei handelte es sich um seine Ansetzung als zweites Kind (26. November 1772) sowie um eine Konzession zum Hausbesitz (24. Februar 1774). Siehe die Exporte Nr. 0160, 0237, 0688, 0700 und 0915 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 344 Dabei handelte es sich um eine Konzession zum Hausbesitz (7. Juni 1770) sowie um seine Ansetzung als zweites Kind (4. September 1775). Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 200; vgl. die Exporte Nr. 0043, 0558, 0756 und 0865 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Gottschalk war für sein Etablissement bemerkenswerter Weise nicht zu einem Export herangezogen worden. 345 Dabei handelte es sich um seine Ansetzung als Extraordinarius (8. Oktober 1772) sowie um eine Konzession zum Hausbesitz (12. Januar 1775). Siehe die Exporte Nr. 0285, 0837, 0893 und 0910 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 346 Dabei handelte es sich um seine Ansetzung als erstes Kind (3. Juni 1777) sowie um eine Konzession zum Hausbesitz (19. Januar 1779). Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 79; vgl. die Exporte Nr. 0628, 0955 und 1016 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 347 Der Ablauf eines solchen Verfahrens wurde in Kap. D. VII. geschildert.

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on an die Magistrate und Fiskale angekündigt. Gegenüber dem Magistrat von Potsdam bekräftigten d’Anières und Grieninger am 10. August diese Linie: Das Unvermögen ist keine Entschuldigung. Es wird von den Juden keine baare Prästation verlangt, sondern sie sollen nur eine gangbare Waare für einen billigen Preis nehmen. Wenn einer oder der andere dabei verliehrt, so wird er doch den Verlust seiner Unvorsichtigkeit oder Nachlässigkeit beizumessen haben. Es würde auch ein kleiner Verlust von etlichen Procent nur so geringe sein, daß er nur einen auf Banquerot stehenden Handelsmann stark drücken könnte. Überhaupt aber ist das Unvermögen mit Nichts bescheinigt, und wird es sich allenfalls bei der Execution finden, ob einer oder der andere Jude einige Nachsicht verdiente. 348

Zehn Jahre zuvor war Minister von Hagen mit dieser Haltung, die einen erfolgreichen Porzellanexport für eine einfache Aufgabe erklärte, rasch an den Realitäten gescheitert. 349 Doch mittlerweile hatten sich die Rahmenbedingungen geändert. Auf die ökonomische Leistungsfähigkeit der Porcellainerestanten wurde praktisch keine Rücksicht mehr genommen. Dabei erfuhren Juden wie Abraham Moses aus Aschersleben vielfach die Unterstützung der Magistrate. Dort kam man diesem Gesuch nach eigener Aussage sehr gern nach, war man doch der Überzeugung, daß Moses diese 300 Rt. zu bezalen völlig außer Stande sey. Sein Handel bestehet in einigen wollenen und seidenen Berlinschen Fabriquen-Waaren, wovon er, da die hiesige Stadt an die Anhältschen und sächsische Örter grentzet, mehrere Kaufleute hirselbst mit dergleichen Waaren handeln und alhier jährlich 4mahl Jahrmarckt gehalten wird, wenig Absatz hat und gleichwol von dem davon gewinnenden Profit die gewöhnlichen hohen Abgaben bestreiten und sich, seine Frau, Kinder und Geschwister erhalten muß. 350

Doch waren derartige Einwendungen vollkommen aussichtslos, 351 obwohl die Belastungen derart gravierend waren, daß mancherorts durch die übermäßige Bela348

StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 17 – 18. Vgl. Kap. G. IV. 350 GStA PK, II. HA, Halberstadt, Tit. CVI, Nr. 3, Bd. 2, Bl. 149 –151; vgl. Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 813. Das stark exportorientierte Textilgewerbe Ascherslebens war in der Tat der bedeutendste Wirtschaftszweig der Stadt, wo Ende des 18. Jahrhunderts mehr Webstühle liefen als in der Landeshauptstadt Halberstadt, nämlich 348 (1796). Siehe Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 75 – 76. Straubel konstatiert jedoch zugleich einen Rückstand Ascherslebens als Handelsplatz, hervorgerufen durch die „überragende Stellung von zwei bis drei Kaufmannsfamilien [...], die das Profil der kommunalen Wirtschaft maßgeblich bestimmten“ – offenbar nicht zum Vorteil jüdischer Händler wie Abraham Moses, obwohl Juden im Exportgewerbe des Fürstentums Halberstadt (anders als in Magdeburg) allgemein eine große Rolle spielten. Siehe ebd., S. 84; zur Wirtschaftsstuktur der Stadt siehe zudem ebd., S. 272 – 275; zum Ascherslebener Tuchmachergewerbe auch Straßburger, S. 369 – 373. 351 So taucht Moses noch im Februar 1787 in den Verkaufslisten der KPM auf. Siehe Export Nr. 1345 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Der nachträgliche Export war für Moses, der zu diesem Zeitpunkt auch als Losverkäufer der Königlichen Lotterie arbeitete, zugleich die Voraussetzung, um in zweiter 349

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stung der Hausväter selbst die Tätigkeit der Landjudenschaften in Mitleidenschaft gezogen wurde. So mußte man 1779 auf dem Judenlandtag der Grafschaft Mark nach einem Bericht des dortigen Ältesten Amschel Herz aus Hamm davon absehen, einen Rabbiner zu wählen, da die Beiträge „zum Porcellain Debit“ die Leistungsfähigkeit der Judenschaft bereits vollkommen erschöpft hätten. 352 Dessen ungeachtet begannen auf Anordnung d’Anières’ und Grieningers vielerorts die Exekutionen, die, wiewohl nur lückenhaft überliefert, zu einem Signum der kommenden Jahre werden sollten und die Grundlage bildeten für die im gleichen Zeitraum förmlich explodierenden Einnahmen der Porzellanmanufaktur durch den Exportzwang. Was im folgenden geschildert wird, daran ist kein Zweifel möglich, fand in ähnlicher Weise in nahezu jeder jüdischen Gemeinde der Monarchie statt. So erhielt in Potsdam der Gerichtsdiener 353 am 27. August einen Einquartierungsbefehl durch den Magistrat, der sich dabei auf das Kommissionsschreiben vom 10. August berief. 354 Landsberg folgte am 15. September 355 – betroffen waren zu diesem Zeitpunkt nicht weniger als 24 jüdische Haushaltungen, also fast die Hälfte der Gemeinde. Bei Moses Salomon aus Bernau klopfte der Policeyreuter zwei Tage später an die Tür. 356 Für das ostwestfälische Städtchen Lübbecke, wo Behrend Joseph erst am 30. März 1779 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und sich Simon Enoch am 20. Oktober 1778 als erstes Kind etabliert hatte, 357 ordnete die Kommission am 17. September Exekution an. 358 Natürlich hatte auch Joseph darauf hingewiesen, in dem vorangegangenen Konzessionsverfahren „sei expresse gesagt [worden], daß er kein Porcellain übernehmen und exportiren könne“. 359 Wie in Hunderten anderen Fällen war dieser Einwand für d’Anières und GrieEhe eine Jüdin aus Dessau (also eine „Ausländerin“) heiraten zu dürfen. Dabei erfuhr er wiederum die Unterstützung des Magistrats von Aschersleben. Siehe Halama, S. 184 –187; vgl. ebd., S. 207 – 209. 352 Maser, S. 83, der die Summe von 7.000 Rt. nennt. Die vom Generalfiskal zunächst monierten Beträge hatten sich zunächst jedoch auf 6.105 Rt. belaufen. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 103. Ob demnach zwischenzeitlich weitere Privilegien moniert worden waren, läßt sich nicht mehr nachprüfen. 353 Forschungen zum Tätigkeitsbereich des Gerichtsdieners bilden weiterhin ein Desiderat der Frühneuzeitforschung, das auch auf dem Feld der jüdischen Geschichte spürbar wird; mit Blick auf die Herrschaft Canstein im Herzogtum Westfalen im 17. und frühen 18. Jh. Krug-Richter. 354 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 19. 355 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 70. 356 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 9 –10. Zugrunde lag ein Kommissionsschreiben vom 23. August. Siehe ebd., Bl. 6. 357 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 67; Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 496; vgl. Export Nr. 0954 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 358 StA Lübbecke, A, Nr. 572, Bl. 20. 359 Ratsprotokoll, Lübbecke, 11. August 1779, ebd., Bl. 14. Nicht zustimmen kann man deshalb Zassenhaus, S. 38, wenn er schreibt: „Sehr wahrscheinlich war nach 1765 Berend

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ninger jedoch „völlig unerheblich“. 360 Das entlegene Ostfriesland hinkte etwas hinterher, doch auch hier wurde dem Emdener Magistrat durch das Auricher Officium Fisci am 20. Oktober anbefohlen, binnen sechs Wochen mit der Exekution zu beginnen. 361 In Wesel begannen die Einquartierungen in fünf Haushalten, die insgesamt 1.470 Rt. mobilisieren sollten, schließlich am 25. Januar 1780. 362 Allerdings konnte das Verfahren aus zweierlei Gründen in der von d’Anières und Grieninger offenbar angedachten Form unmöglich über längere Zeiträume hinweg durchgehalten werden. So standen einerseits Gerichtsdiener und Landreuter in der benötigten Anzahl von insgesamt mehreren Hundert Mann vielerorts gar nicht zur Verfügung, so daß man beispielsweise in Landsberg bald auf Dragoner der örtlichen Garnison zurückgreifen mußte. 363 Zudem versprach eine Exekution nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn es bei dem unfreiwilligen Gastgeber noch etwas zu holen gab – anderenfalls fielen die anfallenden Gebühren dem Magistrat zur Last, 364 der noch dazu vor der unerfreulichen Aussicht stand, zugunsten einer Porzellanmanufaktur im fernen Berlin einen Teil seiner Einwohnerschaft wirtschaftlich vollends zu ruinieren. Diese Gemengelage erklärt zugleich, warum der Ton zwischen der vollkommen uneinsichtigen Kommission und den Magistraten in den kommenden Jahren immer schärfer wurde. Wie weit d’Anières und Grieninger dabei von den Realitäten entfernt waren, zeigt das Beispiel Potsdam. Dort hatte der Magistrat am 5. September alle Porcellainerestanten versammelt, die sich mehrheitlich erklärten, sie wären auch nicht das geringste zu nehmen im Stande, wenn man ihnen auch ihr Haab und Guth alles wegnehmen und zu Gelde machen wollte, und bey alledem würde dennoch das Quantum, das sie bezahlen sollten, nicht herauskommen. Andere hingegen und wenn ihre Haabseeligkeit auch noch so viel importirte, daß die verlangte Summe daraus gelöset werden könnte, würden davon die unausbleibliche Folge haben, daß sie nichts übrig behielten, außer Stande kämen, die Königl. ordinairen Onera und Prästanda zu prästiren und mit ihrer Familie den Bettel Stab ergreifen müßten. 365

Joseph geschäftlich noch erfolgreicher, denn am 30. März 1779 erhielt er eine Konzession zum lebenslangen Besitz seines Hauses in Lübbecke. Eine solche Konzession ließ der König sich teuer bezahlen; nur ganz wenige Juden konnten sich das leisten.“ Ähnlich Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 784. 360 StA Lübbecke, A, Nr. 572, Bl. 20. 361 StA Emden, II, Nr. 763. 362 Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 754 – 755; vgl. Tohermes, S. 43. 363 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 74 – 75. 364 So stellte der Landsberger Kämmereidiener Lampertius im Juni 1780 für eine zehntägige Exekution bei Wulff Seelig, Barrach Moses und Samuel Juda Baer 4 Rt. 3 Gr. in Rechnung. Siehe APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 95. Auch der Magistrat von Wesel fragte deshalb bereits am 22. März 1780 beim Officium Fisci an, ob die Exekutionen nicht suspendiert werden könnten. Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 755. 365 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 21 – 23, danach auch die folgenden Angaben.

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Um jedoch ihren Gehorsam gegenüber den königlichen Befehlen zu bezeigen, boten einige der Versammelten an, ihre Rückstände in jährlichen Raten abzutragen. Der Lotterieeinnehmer Seelig Moses (1744 –1827), ein Schwager Moses Mendelssohns, 366 der Detailhändler Hirsch Berend sowie der Fabrikwarenhändler Nathan Liebmann wollten demnach jährlich Porzellan im Wert von 30 Rt. exportieren. Magnus Simon, der ein Geschäft mit alten Möbeln betrieb, Geldverleiher Abraham Wallach sowie Fabrikwarenhändler Marcus Moses boten jährliche Raten von 25, Alexander Bendix, ein Neuling in der gleichen Branche, von 20 Rt. Für zahlungsunfähig erklärten sich Samuel David, Moses Marcus und Berend Hirsch. Der Magistrat machte sich diese Aussagen zu eigen und betonte gegenüber der Kommission, „daß alle 10 Juden in keinen sonderlichen Umständen sind und diejenigen, welche mit Fabrique-Waaren handeln, nur einen schlechten Verkehr darin haben, weil die meisten hiesigen Einwohner ihre Bedürfnisse in Berlin kauffen“. 367 Daran schlossen sich der Hinweis auf die vorgeschlagene Ratenzahlung sowie die Frage an, ob wirklich mit der Auspfändung der Juden begonnen werden solle. Von Ratenzahlungen wollten d’Anières und Grieninger jedoch nichts wissen und wiesen den Potsdamer Magistrat am 9. September in völliger Verkennung der ökonomischen Realitäten zunächst an, mit den Exekutionen zu beginnen, von Pfändungen jedoch abzusehen, da die Juden „allem Anscheine nach ihre besten Effecten auf die Seite gebracht haben“. 368 Ähnliches bekam am 28. September der Landsberger Magistrat zu hören, den man zudem anwies, die Exekution nach Ablauf von vier Wochen auf zwei Mann zu verdoppeln, da es „einleuchtend“ sei, „daß sie [die Juden] oder wenigstens verschiedene unter ihnen eben so wie hier in Berlin aus bloßer Halsstarrigkeit sich weigern, den Königl. Befelen zu genügen, die sie doch zu erfüllen schuldig und im Stande sind“. 369 Das alles war angesichts der geforderten Summen zwar vollkommen abwegig, doch nutzte das den betroffenen Juden wenig, denen durch den Landsberger Magistrat am 5. Oktober „zu Gemüthe geführet [wurde], daß sie sich nicht in unnöthige Kosten und Verdruß setzen und den Königl. Befehl ohne weitere Umstände erfüllen mögten, damit es der Landreuterlichen Execution nicht bedürffe“. 370 Wenn der Magistrat daraufhin die Exekution eigenmächtig für weitere zwei Wochen aussetzte, so sprach daraus durchaus wohlverstandenes Eigeninteresse, denn Exekutionen ließen sich nicht ad infinitum fortführen, weshalb auch bei 366 Der 1744 geborene Moses taucht in den Quellen auch als Silberhändler auf und hatte 1765 die Konzession zur Anlegung einer Leinwandmanufaktur erhalten. Ausweislich des Geschäftsjournals Moses Mendelssohns handelte er um 1780 auch mit Seide. Siehe Meier, Seidenunternehmer, S. 207, 245. 367 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 20. 368 Ebd., Bl. 25. 369 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 73. 370 Ebd., Bl. 74 – 75.

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Behrend Joseph aus Lübbecke die Einquartierung nach einigen Tagen auf „vieles Bitten und Flehen“ vorläufig suspendiert wurde. 371 Gerade in größeren Gemeinden war dieses Verhalten nahezu alternativlos, zählte man doch in Landsberg am Ende des Jahres noch immer 24 Porcellainerestanten. Der Totengräber Levin Hirsch, der für eine im August 1775 erhaltene Konzession zum Weinhandel 300 Rt. aufbringen sollte, war am 5. November vorläufig dispensiert worden. 372 Von den übrigen 30 Hausvätern hatten ihre Rückstände lediglich Jacob Nathan am 27. Oktober, 373 Salomon Hirsch am 20. November, 374 Isaac Hirsch, Levin Joel und Loeser Seelig am 13. Dezember 375 sowie Marcus Jochen am 22. Dezember 376 begleichen können. Die übrigen Hausväter, also die große Mehrheit, sucht man natürlich nicht deshalb in den Listen der KPM vergeblich, weil sie sich entschieden hatten, die Exekutionen auszusitzen oder weil sie damit beschäftigt waren, ihre Reichtümer beiseite zu schaffen. Denn kein Kaufmann, der noch etwas zu verlieren hatte, ließ freiwillig wochen- und monatelange Exekutionen über sich ergehen, für die nicht nur täglich Einquartierungsgebühren zu zahlen waren, sondern die darüber hinaus in hohem Maße rufschädigend wirkten. Wie es in jüdischen Häusern aussah, deren Vorstände trotz Exekutionen vorerst kein Porzellan exportierten, zeigt das Beispiel des bereits erwähnten Moses Salomon aus Bernau, gegen den am 30. Juli 1780 und 1. September 1783 Einquartierungen verordnet wurden. 377 Dabei hatte der städtische Polizeiausreuter Meyer bereits am 25. August 1780 berichtet, daß er seit den 21. huius bey dem hiesigen Schutz Juden Moses Salomon auf execution gelegen und täglich 12 Gr. erhalten. Er habe des p. Salomons Waaren, die er in seinem Laden hat, gesehen, er könne aber ohne Verletzung seines Gewissens nicht gründlich ihren wahren Werth bestimmen, weil er solches nicht verstünde. Was die Meubles anbetrefen, die er gesehen, so wären solche nur von geringer Bedeutung. 378

Vor diesen Realitäten konnten schließlich selbst d’Anières und Grieninger ihre Augen nicht mehr verschließen. Ende September gingen sie zunächst dazu über, einzelnen Juden eine Frist von sechs Monaten zu gewähren, wie dies im Falle 371 Siehe Josephs Bittschrift vom 14. Oktober in LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 215 – 216. 372 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 19. 373 Siehe Export Nr. 0444 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 374 Siehe Export Nr. 0464 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 375 Siehe die Exporte Nr. 0486, 0487 und 0488 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 376 Siehe Export Nr. 0500 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 377 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 13, 27. 378 Ebd., Bl. 17.

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Salomons aus Bernau 379 und Josephs aus Lübbecke geschah. 380 Verbunden war dies zugleich mit verbaler Aufrüstung gegenüber den säumigen Zahlern, denen, wie beispielsweise Moses Marcus und Berend Hirsch aus Potsdam, auf Anordnung der Kommission bekannt gemacht werden sollte, „daß sie Gefahr laufen, aus dem Lande fortgeschafft zu werden, wenn sie nicht binnen 6 Monat das Porcellain ankaufen“. 381 Anfang November akzeptierte die Kommission zudem genau das, was sie wenige Wochen zuvor noch vehement abgelehnt hatte, nämlich Ratenzahlung. So stößt man in den Verkaufslisten am 9. November mit Isaac Meyer und Meyer David Borchard aus Berlin auf zwei Juden, die für einen geringeren als den von ihnen geforderten Betrag Porzellan kauften. 382 Beide Juden trugen ihre Rückstände schließlich in zwei weiteren Raten bis Dezember 1781 ab. 383 In Potsdam erneuerten Nathan Liebmann, Magnus Simon, Hirsch Berend und Marcus Moses am 19. Oktober 1779 ihr Angebot einer Ratenzahlung und wollten „einer für Alle und Alle für einen und also in Solidum“ sofort für 125 Rt. und in den kommenden 15 Monaten für weitere 1.000 Rt. Porzellan exportieren. 384 Zwei Tage später erschienen Bendix Jacob und sein Sohn Alexander Bendix auf dem Rathaus und boten an, umgehend 100 Rt. bei der KPM abzuliefern und in jeweils sechsmonatigen Abständen zwei weitere Raten von 100 Rt. aufzubringen. 385 Dies wurde nun von der Kommission akzeptiert, die jedoch auf einer schriftlichen Erklärung beharrte, wonach die Juden jeweils füreinander hafteten. 386 So tauchen Liebmann, Simon, Berend und Moses zum ersten Mal am 20. November in den Büchern der 379 So Ende September. Siehe ebd., Bl. 11. Die Datumszeile ist zerstört, das Schreiben ging jedoch am 1. Oktober beim Magistrat ein. 380 Der Bescheid datiert vom 1. November. Siehe LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 230 (Abschrift). 381 So in einem Schreiben vom 13. Oktober. Siehe StA Potsdam, Bestand 1 –3, Nr. 683, Bl. 29. 382 Siehe Export Nr. 0451 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Der erste Ratenkauf war bereits am 14. September durch Samuel Enoch Moses geleistet worden. Dabei scheint es sich jedoch zunächst noch um eine Ausnahme gehandelt zu haben, da Moses zu jenen Juden gehörte, die vor 1779 zwei Konzessionen erhalten hatten und deshalb mit besonders hohen Nachforderungen konfrontiert wurden. In seinem Falle handelte es sich dabei um seine Ansetzung als zweites Kind im März 1771 sowie um eine Konzession zum Hausbesitz im April 1772. Siehe Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 191; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 25; vgl. die Exporte Nr. 0079, 0410, 0921 und 0999. Eine weitere Zustimmung zur ratenweisen Abtragung vom 17. Januar 1780 für Jacob David und Abraham Salomon aus Zanow findet sich in GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 412 L, Bl. 14 (Abschrift). 383 Dies taten sie jeweils gemeinsam. Siehe die Exporte Nr. 0627 und 0773 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 384 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 27. 385 Ebd., Bl. 28. 386 Ebd., Bl. 47.

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Manufaktur auf und leisteten bis März 1782 drei weitere Zahlungen. 387 Alexander Bendix findet man am 8. Dezember erstmals unter den Exporteuren sowie zwei weitere Male bis zum Juli 1781. 388 Auf ähnliche Weise versuchten in den Jahren nach 1779 Dutzende von Juden aus dem ganzen Land, ihre Rückstände mühsam mit drei, vier oder gar fünf Raten abzutragen, wofür sie meist mehrere Jahre benötigten. Den traurigen „Rekord“ halten in dieser Hinsicht neben dem bereits erwähnten Moses Salomon aus Bernau Seelig Samuel aus Bleicherode in der Grafschaft Hohenstein sowie Jacob David aus dem westpreußischen Zanow mit jeweils sechs Raten. Samuel, auf dem noch dazu die Last jährlicher Textilexporte ruhte, 389 hatte im Dezember 1771 die Konzession zur Ehe mit einer ausländischen Jüdin erhalten und dafür zunächst Porzellan im Wert von 50 Rt. exportiert. 390 Um die 1779 monierten 250 Rt. aufzubringen, 391 benötigte er zwischen November 1780 und März 1783 fünf weitere Raten. 392 David wiederum hatte im August 1770 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten, exportierte zunächst für 50 Rt. 393 und brachte die restlichen 250 Rt. ebenfalls in fünf Raten zwischen April 1780 und Januar 1783 auf. 394 Zwischenzeitlich hatte er sich am 7. August 1782 an den König gewand, an dessen „weltbekandte Menschen Liebe“ 395 appelliert und um einen Erlaß der noch ausstehenden 100 Rt. gebeten – offensichtlich erfolglos. Wenngleich also nach einigen Monaten Ratenzahlung akzeptiert wurde, prägten die Exekutionen doch weiterhin den Alltag. 396 Diese Entwicklung auch nur für die gut dokumentierten Städte Emden, Potsdam und Landsberg nachzeichnen zu 387 Siehe die Exporte Nr. 0460, 0530, 0590 und 0798 (Onlinestatistik unter „perspecti via.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 388 Siehe die Exporte Nr. 0485, 0634 und 0717 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 389 Siehe dazu oben, Kap. D. IV. 390 Siehe Export Nr. 0131 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 391 Vgl. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 100. 392 Siehe die Exporte Nr. 0629, 0718, 0794, 0942 und 0961 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 393 Siehe Export Nr. 0051(Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 394 Siehe die Exporte Nr. 0545, 0653, 0769, 0775 und 0913 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 395 GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 412 L, Bl. 13. 396 Dabei muß darauf hingewiesen werden, daß die Juden nicht nur die Exekutionsgebühren, sondern auch die Kosten des ausufernden Schriftwechsels jener Jahre zu tragen hatten. So befahl die Kommission beispielsweise dem Emdener Magistrat am 1. Juli 1782, dem dortigen Juden Abraham Pels „die strengste Execution einzulegen, zumahlen selbiger sich erdreistet, die Verordnungen der Commission, so an ihn gerichtet werden, unerbrochen zu remittiren, wie er denn noch vor kurtzem ein Decret vom 1. May c. in der Art zurück

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wollen, würde an dieser Stelle zu weit führen, doch mag der Hinweis genügen, daß der letzte erhaltene Befehl der Kommission, eine Exekution einzuleiten, in Emden vom 4. Dezember 1782 datiert. 397 Sowohl in Landsberg als auch in Potsdam zog sich die Plage sogar noch länger, nämlich zumindest bis zum 1. Mai 1783 hin. 398 Anderenorts war die Energie der Kommission, in deren Hintergrund man sich freilich immer den König vorstellen muß, selbst im Mai 1783 noch nicht erschöpft, wie ein erneuter Blick nach Bernau zu Moses Salomon verdeutlicht. Der dortige Magistrat hatte bereits am 26. August 1780 seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, daß Salomon, der „sich und seine starcke Familie bis hieher ehrlich und redlich ernähret, conserviret werden mögte“. 399 Die Prioritäten d’Anières’ und Grieningers waren indes andere. Denn auf ihr Geheiß wurde Salomon in den kommenden Jahren immer wieder mit Exekutionen drangsaliert, obwohl der Betroffene, der lediglich einen kleinen Handel mit Ellenwaren betrieb, dem Magistrat mehrfach in bewegenden Worten vorgestellt hatte, daß er in der Folge ein „Blutarmer Mann und dem Königlichen Lande ein zur Last fallender Bettler“ 400 werden müsse. Und obwohl Salomon im Januar 1783, also nach mehr als drei Jahren, endlich in der Lage war, die erste Rate von 125 Rt. bei der KPM einzuzahlen, der bereits im Juni die nächste Zahlung in gleicher Höhe folgte, 401 sollte ihm wenige Wochen später nach dem Willen der Kommission erneut Exekution eingelegt werden – denn schließlich hatte Salomon damit gerade einmal die Hälfte der von ihm geforderten Rückstände getilgt. Dies ging dem dortigen Magistrat jedoch entschieden zu weit, der die Kommission am 14. Oktober wissen ließ, daß sich Salomon bereits habe verschulden müssen und daß er, „wenn er noch mehr Porcellain ankaufen soll, schlechterdings ein Bettler werden und seine Creditores betrügen“ 402 müsse. Doch von d’Anières und Grieninger war keine Gnade zu erwarten. Stattdessen befahlen die beiden am 31. Oktober ultimativ, daß, fals dem gedachten Juden nicht sofort Execution eingelegt wird, fiscus wieder den ganzen Magistrat und insbesondere gegen den dirigirenden Herrn Bürgermeister excitirt, dem Schutz-Juden Moses Salomon aber militairische Execution eingelegt werden soll. Auf geschickt, wofür er 19 Gr. schuldig ist, welche wir von ihm beitreiben zu lassen und an uns einzusenden bitten“. Bereits im November 1780 hatte das Auricher Officium Fisci von 16 Emdener Juden rund 31 Rt. an Bearbeitungsgebühren gefordert. Siehe jeweils StA Emden, II, Nr. 763. 397 Ebd. 398 Betroffen war unter anderem Tobias Samuel Loeser. Siehe APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 151. In Potsdam sollte sich der Gerichtsdiener beim Kassierer der Gemeinde einquartieren, um den Export für das Haus der Gemeinde zu forcieren, vgl. Kap. G. VIII. III. 399 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 18. 400 So bereits im September 1779, siehe ebd., Bl. 9 – 10. 401 Siehe Export Nr. 0917 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 402 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 29 –30.

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die von E. Hochlöbl. Magistrat geführte Defension des vorgedachten Juden kann um so weniger reflectirt werden, als solche contra acta läuft und E. Hochlöbl. Magistrate gar keine Cognition in dieser Sache zustehet. 403

Einmal mehr verfuhren d’Anières und Grieninger nach dem Prinzip: Quod non est in actis, non est in mundo. Zumindest in diesem Fall erreichte die Kommission durch diese Pressionen ihr Ziel, und Moses kaufte in zwei weiteren Raten zwischen Januar und Juli 1784 erneut für 250 Rt. Porzellan. 404 Anderen Orts gestaltete sich die Lage noch weitaus dramatischer. So waren in Emden noch im Juni 1781 nicht weniger als sieben Juden mit Exekution belegt worden. Bei zweien, Isaac Jacob Pels und Itzig Liepmann, fertigte ein Kanzlist des Emder Magistrats im Verein mit dem Stadtdiener am 29. Juni zur Vorbereitung der Auspfändung ein Besitzinventar an, das sich folgendermaßen liest: Tabelle 12 Besitzinventar der Porcellainerestanten Isaac Jacob Pels und Itzig Liepmann aus Emden, Juni 1781 405

403

Isaac Jacob Pels

Itzig Liepmann

Ein Schreib Pult 5 alte Stühle 1 Thee Tisch 1 eiserne Zange eine eiserne Kette ein eiserner Topf in Spiegel (gemein) 5 steinerne Tellern ein Brod Messer 3 eiserne Gabeln 4 Löffeln, Zinn ein Schornstein Kleid ein Coffé Kanne Blech 5 Thee Köppgen 4 Thee Schälgen 1 Thee Topf 2 vier Gläser eine Lampe eine Sandkerze ein alt Schränkgen ein alt Stell Bettzeug eine partie altes Eisen eine dito Lumpen

Eine kleine Feld Tafel Ein altes Spiegel 5 alte Stühle 4 Thee Schälgen und Köppen ein kleines Spiegel ein Schornstein Kleid ein paar grüne Betts Behänge ein altes Bette 2 Bettlackens 7 steinerne Tellern ein eisern Topf eine Zange, eisern eine Schaufel, eisern eine Kette, eisern ein alter Wasser Eimer mit eiserne Bänder ein blecherne Lampe 3 zinnerne Löffeln 3 Gabeln, eisern 2 Messern ein und ander zu seiner Schlächter Profession benötigte Gerätschaften

Ebd., Bl. 31. Siehe die Exporte Nr. 1097 und 1137 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 405 StA Emden, II, Nr. 763. 404

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Die Mobilisierung der geforderten 300 Rt. war vor diesem Hintergrund offensichtlich vollkommen illusorisch. Im Folgemonat berichtete der Magistrat ferner wegen einer Beschlagnahmung der Besitztümer von Salomon Simon Cohen und Salomon Jonas Lazarus, ersterer sei bereits mit Frau und Kindern nach Hamburg übergesiedelt, letzterer lebe „bloß von der Information einiger Juden Kinder und von demjenigen, so ihm seine Mutter aus Amsterdam zum Unterhalt dann und wann nur schicket“. 406 Mit diesen Ausführungen wurde jedoch teilweise vorgegriffen, um zu verdeutlichen, daß der im Herbst 1779 einsetzende Druck der Exekutionen ohne Rücksicht auf die ruinösen Folgen über Jahre hinweg aufrechterhalten wurde. In Verbindung mit der rigiden Praxis bei der Neuvergabe von Privilegien 407 sorgte dieser Sanktionsmechanismus dafür, daß die Porzellanmanufaktur 1779 für 32.000 sowie in den beiden Folgejahren für 33.000 bzw. 28.000 Rt. „Judenporzellan“ verkaufte. Das waren jeweils rund 25% des Absatzes und etwa das Achtfache dessen, was in jenen Jahren der König bestellte. 408 Doch es war nicht genug. Denn im Laufe der ersten beiden Jahre nach Beginn der Eintreibungen, also bis Ende September 1781, hatten zwar nicht weniger als etwa 180 Hausväter ihre Rückstände vollständig getilgt. 409 Allerdings bedeutete diese Zahl eben auch, daß rund 75 % der Schuldner dazu trotz aller Zwangsmaßnahmen noch nicht in der Lage gewesen waren. Obgleich zahlreiche unter ihnen mit der ratenweisen Abtragung begonnen hatten, war man doch von den anvisierten 200.000 Rt. nach zwei Jahren noch weit entfernt. Etwas mußte also geschehen, zumal die Exekutionen unmöglich in der bisherigen Intensität aufrechterhalten werden konnten. Und in der Tat: 1781 leiteten d’Anières und Grieninger die zweite Phase in ihrem Feldzug gegen die Porcellainerestanten ein. 3. Die Armenliste und die Hypothekenscheine Am 15. Oktober 1781 wandte sich die Kommission mit einem Rundschreiben an die Magistrate, das sich zumindest für Potsdam, Landsberg, Emden und Bernau erhalten hat. 410 Darin wurde den Stadtverwaltungen jeweils mitgeteilt, daß Samuel David, Moses Marcus und Berend Hirsch aus Potsdam, Abraham Loeser, Abraham 406

Ebd. Vgl. Kap. H. IV. 408 Nach Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 27 beliefen sich die Bestellungen des Königs zwischen 1773/74 und 1782/83 jährlich auf 3.880 Rt. und machten somit rund 3,9% des Absatzes aus. Es ist zudem wohl kaum ein Zufall, daß die an die Königliche Dispositionskasse fließenden Überschüsse der KPM just im Haushaltsjahr 1779/80 von 20.000 auf 50.000 Rt. erhöht werden konnten. 409 Dieser Befund ergibt sich aus einer Durchsicht der im Anhang abgedruckten Verkaufsliste. 407

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Tobias, Samuel Michael Falck, Samuel Juda Baer, Israel Kersten und Levin Hirsch aus Landsberg, Isaac Joest aus Emden sowie Moses Salomon aus Bernau auf eine sogenannte „Armenliste“ gesetzt worden seien. Hatte die Kommission nun also doch ein Einsehen? Wurden die genannten Juden von weiteren Exporten nach rund zwei Jahren erfolgloser Exekutionen endlich dispensiert? Doch warum trug dann Moses Salomon, wie bereits angemerkt, seine Rückstände noch 1784 ab? Warum der auf der Armenliste stehende Salomon sich dennoch in Schulden stürzte, um den an ihn gerichteten Forderungen nachzukommen, kann man dem Inhalt des Schreibens vom 15. Oktober entnehmen. Denn darin heißt es, der Magistrat habe den Juden bekannt zu machen, daß, obwohl nicht vorausgesehen werden könne, was Sr. Königl. Maj., sobald diese Liste allerhöchst Denenselben vorgelegt werden wird, ihrenthalben zu verfügen belieben möchten, demnach soviel gewiß ist, daß so wenig sie selbst als ihre Wittwen und Nachkommen eine Concession zur Ansetzung, zur fernern Verheiratung oder irgend sonst ein Beneficium jemals erhalten werden. 411

Die Familien, deren Vorstand auf dieser Armenliste stand, waren demnach dazu verdammt, entweder auszuwandern oder eines Tages auszusterben. Allerdings, so deuteten d’Anières und Grieninger an, bestehe für die betroffenen Juden die Möglichkeit, eine zwar geringere als 1779 geforderte, jedoch gleichwohl „nahmhafte“ Menge Porzellan zu exportieren bzw. in gleicher Höhe eine Sicherheit zu stellen. In diesem Fall versprachen die beiden Beamten, sich darum zu „bemühen [...], Sr. Königl. Maj. dahin zu bewegen, den übrigen Ankauff des Porcellains ihnen zu erlassen, worauf sie und ihre Wittwen und Descendenten ihre sämtliche Gerechtigkeiten zu conserviren Hoffnung behalten“. Eventuell noch vorhandener Immobilienbesitz sei hingegen umgehend zu versteigern, weshalb es das Geheimnis d’Anières’ und Grieningers bleibt, worauf die Juden dann noch Sicherheiten bestellen sollten. Wie viele Familien im ganzen Land von dieser diskriminierenden Verordnung betroffen waren, ist angesichts der lückenhaften Quellenlage unklar, doch besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß es sich insgesamt um eine Gruppe von vielen Dutzend Hausvätern handelte. Ihrem Selbstverständnis und ihrem papierenen Rechtstitel nach handelte es sich dabei sämtlich um „ordentliche Schutzjuden“, denen nun eine unsichere Zukunft irgendwo zwischen halbwegs geduldeter Existenz und Vagantentum vor Augen geführt wurde, wobei jeder deklassierte Hausvater seine Familie mit in jenen Abgrund gerissen hätte, der sich für die Zeitgenossen mit dem Begriff „Straße“ verband. 410 Siehe StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 48; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 116; StA Emden, II, Nr. 763; StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 15, danach die folgenden Angaben. 411 Hier zitiert nach StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 48, danach auch das folgende Zitat.

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Daß hier keineswegs überzeichnet wird, zeigt ein Blick auf die Reaktionen der Betroffenen. So hatte das Schreiben vom 15. Oktober offenbar einen mehrmonatigen Vorlauf, informierte die Kommission den Landsberger Totengräber Levin Hirsch doch bereits im Februar, daß sie ihn auf die Armenliste gesetzt habe. 412 Allerdings hatten d’Anières und Grieninger zu diesem Zeitpunkt einen anderen Terminus gewählt, der jedem Schutzjuden unüberhörbar in den Ohren geklungen haben muß. Denn im Februar war noch von der Erstellung einer Betteljudenliste die Rede gewesen. Schutz und Bettel allerdings, soviel war gewiß jedem Juden des voremanzipatorischen Zeitalters klar, ließen sich nicht vereinbaren, sondern schlossen sich gegenseitig aus. Angesichts der unzähligen Edikte gegen das Betteljudentum, die die Druckerpressen seit Generationen ausspieen, bedurfte es keiner allzu großen Phantasie, sich auszumalen, was der König wohl zu verfügen belieben könnte, wenn ihm eine Betteljudenliste vorgelegt wurde, auf der der eigene Name stand. So öffnete Levin Hirsch nach eigenen Angaben das Schreiben mit „bebenden Händen“ und nahm den Inhalt mit großer Bestürzung auf: Ob nun zwar dieser Caracter [eines Betteljuden] vor mich nicht unrecht und ich im gantzen genommen blos von der Güte der hiesigen Judenschaft [lebe], als von welcher ich als ihr Todten Gräber 12 Gr. erhalte, und weiter nicht den geringsten erwerb habe [...], so ist derselbe doch mit dem Schauder verknüpft, sodann aus dem Lande gejaget zu werden. Schreckenvoller Anblick vor einen 70 Jährigen Greiß, so sich seit 1733 als ein Jüdischer Bedienter Redlich ernehret. [...] Wäre Sr. Königl. Majestät von meinem Elende genau informiret, nimmer und in Ewigkeit könnte ich mit meiner Alten Sara das Unglück erleben, aus dem Lande gejaget zu werden, da Wir unter dem Mächtigen Schutz Sr. Königl. Majestät beyde erzogen und Uns kümmerlich, bisher jedoch ohne Familie durchgebracht, warum sollten Sr. Königl. Majestät Uns nicht noch 2 oder 3 Jahre, so lange Wir noch zu Leben haben, nicht auch diese zu bleiben vergönnen, allein wo soll ich mich hinwenden und um Vorbitte anflehen ... 413

Daß Hirsch noch dazu lediglich aufgrund einer niemals genutzten Konzession zum Weinhandel vom August 1775 als Porcellainerestant klassifiziert worden war, 414 gibt seinem Schicksal ein besonders tragisches Gepräge. Auch Hirschs bewegende Bittschrift blieb erfolglos, denn d’Anières und Grieninger billigten ihm im März lediglich eine Frist zum Porzellanexport von drei Monaten zu, nach deren Ablauf er unweigerlich auf die Liste gesetzt werde. 415 412

APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 105. APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 101 – 102. 414 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 96. Hirsch hatte hingegen bereits im August 1779 vor dem Magistrat darauf hingewiesen, daß er ursprünglich beantragt hatte, an Christen Wein verkaufen zu dürfen. Die Konzession gestattete ihm hingegen nur den Handel mit koscherem Wein, der aufgrund des Generalprivilegiums von 1750 ohnehin bereits gestattet sei. Siehe APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 17. 415 Ebd., Bl. 106. 413

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

In Bernau bot Moses Salomon, der sich zu diesem Zeitpunkt noch mit Forderungen in Höhe von 500 Rt. konfrontiert sah, im Dezember 1781 an, ratenweise den Export für sein Schutzrecht zu bewerkstelligen, damit „seine etwanige Wittwe und Descendenten bey ihren sämtlichen Gerechtigkeiten conserviret werden könnten“. Die restlichen 250 Rt. für seine Konzession zum Hausbesitz überstiegen hingegen seine Kräfte, so daß er notfalls in die Versteigerung seines Hauses einwilligen müsse sowie in das, „was sonst Sr. Königl. Majestät wieder ihn zu verfügen für guth finden sollten“. 416 Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß es der Kommission bis zum Juli 1784 gelingen sollte, auf dem Wege erneuter Exekutionen die volle Summe der 500 Rt. aus dem mittlerweile verschuldeten Salomon herauszupressen. Auch in Potsdam mobilisierten die auf die Armenliste gesetzten Porcellainerestanten ihre letzten Kräfte. Samuel David brachte so in zwei Raten zwischen Juli 1782 und November 1783 die von ihm geforderten 225 Rt. auf. 417 Da er über keinerlei Grundbesitz verfügte, stellte derweil der Potsdamer Schutzjude Nathan Liebmann für ihn eine Kaution. 418 Entgegen der Verfügung vom 15. Oktober scheint es in den kommenden Monaten jedoch nicht in größerem Umfang zur Zwangsversteigerungen gekommen zu sein, da sich auch kaum christliche Käufer in ausreichender Zahl hätten finden lassen. 419 Die Kommission gab sich damit zwar schließlich zufrieden, bestand jedoch darauf, daß im Gegenzug die Forderungen der Porzellanmanufaktur im Grundbuch eingetragen und die Hypothekenscheine dem Generalfiskal übergeben wurden. Dieses Verfahren wurde offenbar vielerorts praktiziert und ist überliefert für Moses Salomon aus Bernau, 420 Joachim Hirsch aus Pyritz, 421 Henoch Salomon und Wulff Joachim aus Friedeberg, 422 Salomon Moses aus Stargard, 423 die Witwe Israel Salomon Aarons aus Frankfurt an der Oder 424 sowie für Baruch Bendix Isaac aus Müncheberg. Dessen Bescheinigung vom Januar 1782 sei hier als Bei-

416

StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 20. Siehe die Exporte Nr. 0849 und 1074 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 418 StA Potsdam, Bestand 1 – 3, Nr. 683, Bl. 51. 419 Vgl. die entsprechenden Ausführungen in Kap. G. IV. 420 StA Bernau, Pertinenzbestand Juden Nr. 49, Nr. 12, Bl. 22. 421 LAG, Rep. 38 b, Pyritz, Nr. 29, Bl. 119 – 120. 422 MA, I, Nr. 4, Bl. 36, 82 –83. 423 Ebd., Bl. 56. 424 Ebd., Bl. 31. Mitunter wurde auch bei der Neuvergabe von Privilegien auf dieses Mittel zurückgegriffen, wie im Falle der Familie des Frankfurter Schutzjuden Mendel Isaac, der am 27. November 1767 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten hatte. Dem folgte nach seinem Tod eine „Interimistische Concession v. 16. Aug. 86 zum Hausbesitz für die Wittwe bis die Kinder majorenn sind unter der Bedingung, daß die 300 T. Porcellain auf das Haus zur ersten Hypothek eingetragen werden. Haus Concession auf die Wittwe 7. Mart 92 attestirt.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 109. 417

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spiel vollständig zitiert, da es sich zudem um das einzige offizielle Schriftstück zu handeln scheint, in dem explizit von „Judenporzellan“ die Rede ist: Daß die Forderung der Königl. Porcellain Manufactur zu Berlin von dem Schutz-Juden Barruch Bendix Isaac hieselbst wegen des von demselben übernommenen Porcellain Ankaufs von 137 Rt. 12 Gr. auf dessen alhier habendes Wohn Haus auf Requisition der zu Regulirung des Juden Porcellain [eingesetzten Kommission] im Grund und Hypothequen Buch fol. 96 dato eingetragen worden, solches wird in fidem attestiret. Bürgermeister und Rath Krahmer 425

Dieser Hypothenschein verdeutlicht zugleich, daß die im Schreiben vom 15. Oktober 1781 ausgesprochene Drohung, wonach in einer Familie eines Porcellainerestanten niemand mehr eine Konzession erhalten würde, durchaus ernst gemeint war. Denn die Vorgeschichte der zitierten Bescheinigung liest sich wie folgt: Im Februar 1780 hatte der Müncheberger Schutzjude Isaac Mann den Antrag gestellt, seinen Sohn David Isaac mit einer Jüdin aus Nauen verheiraten und als zweites Kind etablieren zu dürfen. 426 Das Brautpaar vermochte das erforderliche Vermögen von 2.000 Rt. nachzuweisen und war zudem bereit, für 300 Rt. Porzellan zu exportieren. Doch als das Verfahren, das sich bis in das Jahr 1781 hinein hinzog, schon vor einem erfolgreichen Abschluß zu stehen schien, intervenierte ein empörter Generalfiskal am 22. September 1781 bei der Kurmärkischen Kammer gegen die geplante Niederlassung und forderte deren Aussetzung bis der Isaac Mann, welcher jetzt ein zweites Kind ansetzen will, dasjenige Porcellain à 300 Rt. erkauft und exportiret haben wird, dessen Ankauf sein erster Sohn schuldig verblieben ist. Es ist ganz besonders, daß der erste Sohn des Isaac Mann bey der gedachten Commission für gänzlich unvermögend sich ausgegeben, auch geschehen lassen, daß er auf die Armen Liste gesezzet worden, nunmehro aber der Vater als ein reicher Mann ein zweites Kind ansetzen will. 427

Einige Monate später, am 12. Januar 1782, erklärten sich d’Anières und Grieninger schließlich bereit, daß der auf die Armenliste gesetzte älteste Sohn, Baruch Bendix Isaac, für den Augenblick lediglich die Hälfte des geforderten Porzellans exportieren müsse, bestand jedoch darauf, daß die verbleibende Forderung in Höhe von 137 Rt. 12 Gr. als Hypothek auf dessen Haus eingetragen wurde. Erst nachdem der darüber ausgestellte Schein eingegangen und Baruch Bendix Isaac am 25. Januar 1782 138 Rt. für einen Porzellanexport zusammengebracht hatte, durfte sein jüngerer Bruder im August des gleichen Jahres heiraten – zweieinhalb Jahre nach Einreichung des Ansetzungsgesuchs. 428

425 426 427 428

BLHA, Rep. 19, Steuerrat Frankfurt / Oder, Nr. 486. Ebd. Ebd. Die Konzession datiert vom 20. August 1782. Siehe ebd.

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Durch die Armenliste waren demnach zahlreiche jüdische Familien in eine Pariaexistenz gedrängt und die Porzellanmanufaktur durch die von d’Anières verwahrten Schuldscheine ihrer Forderungen versichert worden. Vom 1. Oktober 1781 bis zum 31. Dezember 1782 beglichen weitere 61 Hausväter ihre Rückstände aus der Zeit vor 1779. Die Manufaktur verkaufte im Kalenderjahr 1782 „Judenporzellan“ im Wert von 26.500 Rt. (rund 22% des Absatzes). Doch es war noch immer nicht genug. 4. Der Entzug der Schutzbriefe Das nächste Kapitel in der jahrelangen Leidensgeschichte der Porcellainerestanten begann im Januar 1783, als sich der König wiederum den Exporten der KPM zuwandte. Grieninger schreibt in seinen Erinnerungen, der Monarch habe ihn am 20. Januar ins Schloß rufen lassen: Das mehreste, wovon er diesesmal sprach, war der Porzellän Handel. Er sagte: es werden iärlich schon für ansehnliche Summen von unseren Porzellänen verkaufet, aber es muß doch noch mit allem Ernst darauf gedacht werden, wie nach auswärts noch mehrere von den Vorräten veräussert werden. Das giebt dem gantzen Werke desto mehr Ansehen und Thätigkeit. 429

Bereits am 4. Januar hatte Friedrich den Kassenextrakt für den Monat Dezember durchgesehen und war in diesem Zusammenhang vermutlich von Klipfel darüber informiert worden, daß Teile des durch Juden und Lotteriepächter zu exportierenden Porzellans tatsächlich im Inland und mitunter selbst in Berlin abgesetzt würden. Ein offensichtlich zorniger König befahl nicht nur die umgehende Abstellung dieser Unterschleife, sondern trug dabei Generalfiskal zugleich auf: Wenn auch noch ein Haufen vorhin schon [also bis 1779] beneficirte Juden mit der Abnahme des schuldigen Quanti an Porcellain in Rückstand sind, so habt Ihr selbige ebenfalls zu bedrohen, daß, wenn sie noch länger anstehen würden, das noch restirende Porcellain aus der Manufactur zu kauffen, sie ihrer Privilegien verlustig seyn sollten. Wornach Ihr Euch zu achten und hierüber mit allem Ernst und Nachdruck zu halten habt. 430

429

Zitiert nach Köllmann / Jarchow, S. 291. GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 83, S. 11. Siehe ebd., S. 11 –12 das Reskript für die KPM-Direktion vom gleichen Tag: „S. K. M. haben den Summarischen Cassen Extract von Dero Porcellain Manufactur für den abgewichenen Monat Decbr. erhalten und sind insoweit davon zufrieden gewesen. Da Höchstdieselben auch in Erfahrung gebracht, daß die beneficirten Juden mit dem ihrer Schuldigkeit gemäß aus der Manufactur zu nehmenden und außerhalb Landes zu debitirenden Porcellain einen großen Unterschleif treiben, indem sie solches statt es zu exportiren, innerhalb des Landes und selbst hier zu Berlin mittelst Bestellungen oder auf andere Art wieder ins Geld zu setzen suchen, welches aber durchaus nicht gestattet werden soll, ferner auch, daß noch ein Haufen vorhin schon beneficirte Juden 430

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D’Anières instruierte in diesem Sinne in den kommenden Tagen die Magistrate, so beispielsweise am 5. Januar denjenigen von Emden. 431 Die städtischen Verwaltungen informierten ihrerseits die jüdischen Gemeinden, wie dies für das neumärkische Drossen belegt ist, wo den Juden 432 am 21. Januar bekannt gemacht wurde, daß alle Juden, welche a) das auf sie repartirte aber noch nicht erkaufte Porcellain nicht baldigst erkaufen oder b) das erkaufte und zu exportirende Porcellain entweder nicht exportiren oder auf eine oder die andere Weise nach geschehener Exportation wieder ins Land zu bringen sich unterstehen mit dem Verlust ihres Schutz-Privilegii unausbleiblich bestraft werden sollen. 433

Für dieses Vorgehen besorgte sich der Generalfiskal noch einmal die Rückendeckung des Königs. Dieser ließ ihn am 7. Januar in völliger Ignoranz gegenüber den ökonomischen Realitäten 434 sowie unter Rekurs auf einen Legalismus, an den er sich bei Juden aus dem Großgewerbe nicht gebunden fühlte, 435 wissen, wie es gantz recht ist, daß Ihr selbigen [Juden] die befohlne Andeutung bey Verlust ihrer Privilegien gethan habt und müßt Ihr auch scharf dahinter her seyn und darauf halten, daß sie der Ordre ein Genügen leisten, denn was einmal zum Gesetz geworden, dabey muß es auch bleiben, und wer im Lande wohnen will, der muß sich auch den Gesetzen des Landes unterwerfen und denen gemäß handeln; die Juden haben auch Auswege und Gelegenheiten genug, ihre zu erkauffende Porcellaine außerhalb zu verschicken und abzusetzen, als nach Hamburg, Lübeck, Holstein, Bremen, [ins] Hannöversche, Braunschweig-Lüneburgsche, nach Pohlen und viele andere Gegenden mehr, wenn sie mit der Abnahme des schuldigen Porcellains in Rückstand sind, denen aber nicht länger nachgesehen werden muß, so wird der Manufactur hiebey in Abschrift zugefertiget, was dieser Sache wegen sowohl an die General Accise und Zoll Administration als auch an den General Fiscal v. Anieres verfüget worden, nicht weniger, was auch an die Lotterie Pacht Societät des von selbiger zu nehmenden Porcellains wegen geschrieben ist. Wornach die Porcellain Manufactur sich zu achten und ihre Maaßregeln weiter zu nehmen, besonders auch darauf zu dringen hat, daß die noch in Rückstand sich befindenden Juden das schuldige Porcellain ohne längern Anstand kaufen müssen.“ 431 StA Emden, II, Nr. 763. 432 Die Gemeinde bestand 1777 aus neun Schutzjudenfamilien. Siehe Schwartz, Juden in der Neumark, S. 65. Um die Jahrhundertwende sollen es schließlich 5 Familien mit 27 Individuen gewesen sein. Siehe Rehmann, Aufhebung des Judenschutzgeldes, S. 202. 433 BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1063. Ein analoger Vorgang ist für das pommersche Schlawe belegt. Siehe LAG, Rep. 38b Schlawe, Nr. 195, Bl. 74; vgl. Kap. H.IX. 434 Nicht lediglich an dieser Stelle ließe sich über Schnittmengen zwischen den preußischen Verhältnissen und jenen in vermeintlich rückständigen Territorien wie der schwäbischen Grafschaft Oettingen nachdenken. Vgl. Mordstein, S. 139: „Die [die Juden betreffenden] wirtschaftspolitischen Entscheidungen basierten nicht auf einer breiten, überprüfbaren und ‚objektiven‘ Datenerhebung, sondern allein auf den persönlichen Anschauungen der verantwortlichen Regierungs- und Kammerräte. Trotz der zunehmenden Bedeutung von ‚Statistik und Staatsbeschreibung‘ blieb somit das Einfallstor für antijüdische Vorurteile weit offen.“ 435 Vgl. Kap. H. VII.

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sonsten nur darum sich rechte Mühe geben wollen. Überhaupt muß es bey der dieserhalb ergangenen Verordnung sein Verbleiben behalten und werdet Ihr daher mit Ernst darnach sehen, daß solcher von Seiten der Juden gehörig nachgelebet werde. 436

Die Vorstellung, jedwede Stockung von Handel und Produktion sei nur einem Mangel an Einsatz geschuldet und könne durch die Anwendung von Fleiß und „rechter Mühe“ abgestellt werden, ist zwar bei Friedrich geradezu ein Stereotyp, 437 doch für viele Juden zeitigte diese Ignoranz nun böse Folgen. Der den Juden im Januar 1783 erneut angedrohte Entzug des Schutzes gehörte im Zeitalter vor der bürgerlichen Gleichstellung zu den härtesten Strafen, die einen Juden treffen konnten, galt doch die Regel: „Wer von ihnen sich ohne Schutz und Geleit antreffen ließ, wurde als ein fremder Landstreicher aus dem Lande geschafft.“ 438 Dies war durch ein Edikt vom 12. Dezember 1780 nochmals eingeschärft worden, denn: Damit auch fremde Betteljuden, welche, wenn sie auf Nebenwegen sich eingeschlichen, mit keinem vorschriftsmäßigen Atteste versehen seyn können, nicht unter dem Vorwande, daß sie einländische Schutzjuden, oder derselben Bediente und Angehörige sind, sich im Lande aufhalten und herum vagiren können; so muß jeder einländische Schutzjude auf Reisen, die er zu Fuße thut, seinen Geleitsbrief, oder ein Attest der Obrigkeit seines Orts, zu seiner Legitimation bey sich führen und wenn er einen Bedienten oder Angehörigen zu Fuße ausschickt, ihn mit eben dergleichen obrigkeitlichen Attest versehen. 439

Andererseits war den Porcellainerestanten die Fortschaffung bereits im Herbst 1779 angedroht worden und danach zahlreiche weitere Male. Reiht sich dieser Vorgang also in den Kontext der heillos überreglementierten friderizianischen Judenpolitik ein, die „unten“ beileibe nicht so hart ankam wie die Lektüre Berliner Direktiven vermuten läßt? 440 Darüber hinaus gibt es durchaus Beispiele, daß es sich auch ohne Schutzbrief in Preußen annehmlich leben ließ. Auf eines dieser Beispiele stößt man in einer Stadt, in der man keinen Juden vermuten würde, nämlich in dem mit einem Nichtduldungsprivileg ausgestatteten Stettin. 441 Hirsch Joel, ein Vater von fünf 436 Kabinettsordre für Generalfiskal d’Anières, Berlin, 7. Januar 1783, GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Minüten, Nr. 83, S. 22 –23. Die KPM wurde am gleichen Tag über diese Kabinettsordre informiert mit dem Befehl: „Die Porcellain Manufactur hat sich also hiernach ebenfalls zu achten und alles, was ihrer Seits in der Sache erfordert wird, gleichfalls gehörig zu besorgen.“ Ebd., S. 22. 437 Vgl. beispielsweise Mittenzwei, Preußen, S. 75. 438 Koch, Juden, S. 20. 439 Terlinden, S. 104. 440 Vgl. Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 456, der die friderizianische Judenpolitik charakterisiert als ein „nicht enden wollendes Hin und Her von Berichtsanforderungen und Berichten in vertikaler und horizontaler Richtung, von Mahnungen und Exekutionsverfügungen, die sich vielfach durch Ausweisungsandrohungen gegenüber den Betroffenen Nachdruck zu verschaffen suchten und damit bisweilen auch Erfolg hatten, auf längere Sicht aber nur bedingt Wirkung zeigen konnten, da eine eigentlich scharfe Waffe, die man unablässig zieht, ohne sie zum Einsatz zu bringen, auf Dauer stumpf wird“.

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Kindern, der bei der Stettiner Kaufmannschaft die koscheren Weine bearbeitete, konnte dort zehn Jahre lang seinen Geschäften nachgehen, bevor er den Behörden auffiel und einen Schutzbrief erwerben mußte. 442 Noch größere Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit des „Staates“ weckt die Karriere Joseph Liebmanns aus dem ostpommerschen Stolp. Dieser sollte bereits 1769 „fort“, besaß jedoch 1772 ein Haus. 443 1780 pachtete der Mann, der seit elf Jahren fort sollte, noch dazu für acht Jahre die Bernsteingräberei in den Ämtern Stolp, Bütow, Schmolsin, Lauenburg und Rügenwalde. 444 Und erst am 25. März 1784 tat er das, was eigentlich am Anfang von allem hätte stehen sollen: Er erwarb einen Schutzbrief. 445 Auch in Braunschweig, um einmal ein „ausländisches“ Beispiel anzuführen, schaffte es im 18. Jahrhundert ein Levin Valentin, 28 Jahre in der Stadt zu leben, „ohne bisher den Behörden bekannt geworden zu sein“. 446 Nun bildeten derartige Fälle gewiß eine Ausnahme, dennoch stellt sich mit Blick auf das Vorgehen gegen die Porcellainerestanten die Frage, ob die Drohungen durch die Betroffenen wirklich ernst zu nehmen waren. Das waren sie – spätestens nach dem 24. August 1783. So erhielten die Magistrate an jenem Tag durch den hier wiedergegebenen Vordruck den Befehl, dem jeweiligen Porcellainrestanten bekannt zu machen, daß, wenn er nicht binnen 6 Wochen nachweisen würde, entweder auf das, wegen der vorangeführten Concession annoch zu erkaufende Porcelain, Sicherheit gestellet, oder wenigstens ein Drittel dieses Porcellains bei der hiesigen Königl. Manufactur erkauft zu haben, sodann die allegirte Concession ihm abgenommen werden würde. 447

Ferner wurde den Juden angedroht, 441 Lediglich 1765, als sich die Stettiner Kaufmannschaft gegen die geplante Gründung der Seehandlung sträubte, wurde kurzfristig eine Aufhebung des Nichtduldungsprivilegs als Drohkulisse ins Spiel gebracht. So ließ Minister von Hagen verlauten: „Fände die Berliner Assecuranz-Compagnie in Stettin kein Haus für eine Agentur, dann würde die Regierung auf den Zuzug neuer Kaufleute hinwirken, wenn diese auch Juden sein sollten.“ In indirekter Rede wiedergegeben von Schmidt, Stettin, S. 136. 442 Siehe GStA PK, II. HA, Pommern, Materien, Judensachen, Nr. 17; GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 271; vgl. Export Nr. 0779 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Noch 1797 schrieb der Oberkonsistorialrat und Berliner Propst Zöllner, Reise durch Pommern nach der Insel Rügen, S. 448 – 449: „In keiner vorpommerschen Stadt wird ein Jude, und in Stettin nur ein einziger, wegen des Koscher-Weines, geduldet.“ Eine jüdische Gemeinde konnte sich in Stettin erst nach dem Emanzipationsedikt von 1812 bilden, siehe dazu Heitmann, Synagoge und freie christliche Gemeinde in Stettin, S. 225 – 236. 443 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 177. 444 Wilhelmus, Juden in Pommern, S. 43. 445 Siehe Export Nr. 1094 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 446 Ebeling, Juden in Braunschweig, S. 166. 447 Dieses und die folgenden Zitate nach BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1062, Bl. 1.

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daß in den letzten Tagen des Monats November a. c. [also 1783] allen Restanten, welche weder Caution bestellet, noch auch ein Drittel des auf sie repartirten Porcellains erkauft haben werden, mittelst fernerer Requisition der Magisträte und der Accise- und ZollÄmter, nicht nur die Laden verschlossen, sondern auch Accise und Zoll in der Folge verweigert werden solle, bis Se. Königl. Majestät wegen ihrer Fortschaffung aus dem Lande, zu verfügen geruhet haben werden.

Zudem baten der Generalfiskal und der KPM-Direktor, uns mit allen unnützen Einwendungen der Juden, besonders mit solchen, die aus den Concessionen, und Directorial-Rescripten, oder von der Armuth hergenommen werden, zu verschonen, da wir die Juden-Concessionen in Händen haben, auch alle Directorial-Acten eingesehen, und die Vermögens-Umstände der Juden, so viel als möglich gewesen, untersucht worden.Wenn dagegen ein Irrthum in der Person bei der Expedition vorgefallen sein sollte, oder würklich revidirende Umstände sich hervorthun, welche uns nicht bekannt sind, so wird uns die Anzeige eines solchen Irrthums, und die Aufklärung der vorkommenden erheblichen Umstände sehr willkommen sein.

Wie genau die Untersuchungen der Porzellankommission tatsächlich waren, läßt sich am Beispiel Moses Seeligs aus Drossen, auf den der hier abgebildete Vordruck ausgestellt wurde, sehr gut aufzeigen. Seelig hatte am 21. September 1774 die Konzession zur Ansetzung als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Seelig Moses erhalten. 448 Ein Porzellanexport war damals von den Behörden mit keinem Wort erwähnt worden. Stattdessen hatte Seelig neben den üblichen Trauschein- und Chargenkassengebühren lediglich eine Dispensationszahlung in Höhe von 20 Rt. zu erlegen, da er zum Zeitpunkt seiner Ansetzung noch nicht das reglementmäßige Alter erreicht hatte. Damit gehörte Seelig zu der großen Gruppe erster Kinder, von denen seit 1779 rückwirkend ein Porzellanexport im Wert von vollen 300 Rt. gefordert wurde. 449 Allerdings war derselbe Moses Seelig, der nun von Berlin aus aufgefordert wurde, endlich sein Porzellan zu kaufen oder aber seinen Schutzbrief herauszugeben und die baldige „Fortschaffung“ zu gewärtigen, bereits am 3. April 1780 verstorben. 450 Er hinterließ einen kleinen, etwa ein Jahr alten Sohn Itzig und seine Witwe Gittel, die daraufhin im März 1781 Falck Joseph heiratete, einen Spandauer Schutzjudensohn, der mit der Heirat als Extraordinarius in Drossen angesetzt wurde, wofür er bereits am 24. Februar Porzellan im Wert von 300 Rt. angekauft hatte. 451 Als nun besagtes Rundschreiben von d’Anières und Grieninger in Drossen 448

BLHA, Rep. 19, Steuerrat Züllichau, Nr. 193. Siehe das Monitum in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 97. 450 BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1061. 451 Falcks Vater war der Spandauer Schutzjude Joseph Moses. Nach den Untersuchungen des Drossener Magistrats vom 30. November 1780 hatte Joseph zuvor über ein Vermögen von insgesamt 1.055 Rt. verfügt, BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1061. Falcks älterer Bruder war jener Levin Joseph, der 1789 Bankrott machen sollte. Siehe oben. 449

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Abb. 6: Gedruckte Anordnung d’Anières’ und Grieningers, mit der Porcellaindebenten im ganzen Land Schutzbriefe und sonstige Konzessionen abgenommen wurden. Das abgebildete Dokument ist auf den zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Moses Seelig aus Drossen ausgestellt.

eintraf, erschienen Gittel sowie der Schutzjude Aron Siemon – als Vormund des kleinen Itzig – am 3. Oktober 1783 auf dem Rathaus und erklärten, daß Seelig seinem Sohn laut Testament lediglich 300 Rt. hinterlassen habe, „allein diese 300 Rt. wären auch nach dessen Ableben nicht einmahl dagewesen, sondern sie, die Wittwe, habe solche großentheils aus eigenen Mitteln für ihren Sohn completiren müssen und in Absicht ihres Eingebrachten habe sie ganz ausgehen müssen“. 452 Angesichts des Todes Seeligs, so meinten beide, fiele der Ankauf des Porcellains von selbst weg. Äußersten Falles würde sich Hochgedachte Commission mit Kaufung des Porcellains so lange zu gedulden haben, bis ihr Sohn und respective Curandus selbst zu den Jahren komme, Handel treiben zu können, damit, wenn er, wie zu hoffen sey, in den Stand komme, aus denen ihm jetzt zustehenden 300 Rt. Vater Guth sich durch Handel und Wandel zu verbessern, sodann das von seinem Vater zu erkaufen schuldig verbliebene Porcellain in dessen Stelle [...] ankaufen könne. 453

Nachdem der Magistrat die Kommission am 3. Oktober über diesen Sachverhalt informiert hatte, 454 herrschte vorerst Ruhe. Doch wie aus heiterem Himmel erhielt 452 453

BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1062, Bl. 2 –3. Ebd., Bl. 3.

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der Drossener Magistrat am 9. Februar 1785 von d’Anières und Grieninger aufs Neue den Befehl, Moses Seelig binnen sechs Wochen dazu zu bringen, sein Porzellan zu exportieren. 455 Nun war dieser auch in der Zwischenzeit nicht wieder lebendig geworden, so daß Falck Joseph erklärte, daß sein kleiner Stiefsohn nicht in der Lage sei, 300 Rt. aufzubringen, sondern „offenbar in Armuth gerathen“ und später „das Bettel Brodt suchen“ müsse, falls ihm diese Belastung abverlangt würde. 456 Doch die Kommission blieb hart. Zwar nahm man nun den Tod Seeligs offenbar zur Kenntnis, bestand jedoch darauf, der Magistrat habe den Schutzbrief „alles Einwendens ohnerachtet an sich zu nehmen und an uns einzusenden“. 457 So mußte am 5. April Aron Siemon den Schutzbrief auf dem Rathaus abliefern, was er offenbar nur schweren Herzens tat. Wie er dabei zu Protokoll gab, könne er zwar nicht glauben, daß dem Kleinkind wirklich der Schutz entzogen werden sollte, da sein Vater in Armut verstorben sei. Weil ihm jedoch sehr an der „Erhaltung“ des Jungen gelegen sei, erkläre er sich bereit, notfalls aus seinen eigenen Mitteln für 100 Rt. Porzellan zu exportieren, „er glaube, daß dieses Höheren Orts umsomehr werde angenommen werden, da doch von denen Moses Seeligschen Erben selbst nichts zu hoffen und bey selbigen keine Baarschaft vorhanden wäre“. 458 Ein solcher Export kam bis zum Tode Friedrichs jedoch offenbar nicht mehr zustande. Nun stellt sich natürlich die Frage, wie viele Hausväter von dieser drakonischen Maßnahme betroffen waren und ihre Konzessionen abliefern mußten. Einmal mehr läßt es die schlechte Überlieferungssituation lediglich zu, Tendenzen aufzuzeigen. Daß es durchaus eine stattliche Anzahl von Privilegien war, die 1783 kassiert wurde, geht bereits aus der Tatsache hervor, daß es d’Anières und Grieninger für nötig befanden, einen Vordruck anzufertigen, in den nur noch der Name des Juden einzutragen war. Allerdings hat sich dieses Dokument, so weit ersichtlich, lediglich viermal erhalten. 459 Danach waren neben Moses Seelig aus Drossen (bzw. seinem Sohn) in Emden Salomon Jonas Lazarus, Abraham Pels, Isaac Joest, Isaac Liebmann und Itzig Jacob Pels, in Landsberg Samuel Juda Baer, Israel Kersten, Levin Hirsch (der greise Totengräber), Abraham Tobias und Abraham Loeser sowie in Esens Wulff Levi und Lazarus Jacob betroffen. Direkt lassen 454

Ebd., Bl. 4 – 5. Ebd., Bl. 6. 456 So seine auf dem Rathaus am 3. März 1785 zu Protokoll gegebene Erklärung, ebd., Bl. 7 – 8. 457 Ebd., Bl. 10. 458 Ebd., Bl. 11 – 12. 459 Neben dem abgedruckten Schreiben aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv wird man heutigen Tags noch im Stadtarchiv Emden sowie im Staatsarchiv von Gorzów Wielkopolski, dem früheren Landsberg an der Warthe, fündig. Ferner wurde das Dokument in einer Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Esens als Faksimile abgedruckt. Siehe StA Emden, II, Nr. 763; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 163; Rokahr, Juden in Esens, S. 56 –57. 455

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sich also 13 betroffene Hausväter nachweisen, eine Zahl, die jedoch unzweifelhaft lediglich „die Spitze des Eisbergs“ darstellt. So listet allein eine Generaltabelle für die Juden der Kurmark (mit Ausnahme Berlins) aus dem Jahre 1787 14 Schutzjuden auf, denen aufgrund eines nachfolgenden Reskripts vom 17. Mai 1786 wegen rückständiger Porzellanexporte der Schutzbrief vorläufig entzogen worden war. Es handelt sich dabei um Meyer Wulff aus Lenzen, Elias Baruch aus Strasburg, Simon Marcus und die Witwe des Levin Henoch aus Schwedt, Ruben Levin aus Freienwalde, Levin Jacob aus Kremmen, Sandel Levin aus Oderberg, Joseph Ephraim aus Strausberg, Joseph Jonas aus Liebenwalde, Israel Levin und die Witwe des Nathan Jacob aus Oranienburg, Samuel Esaias aus Fürstenwalde sowie Moses Marcus und Berend Hirsch aus Potsdam. 460 Daß auch Berend Hirsch in dieser Auflistung auftaucht, wird man zudem als Beleg dafür werten müssen, daß offenbar nicht recht differenziert wurde, ob sich jemand wegen seines Schutzes oder einer Konzession zum Hausbesitz in Rückstand befand, wie dies bei Hirsch der Fall war. Damit wären also bereits 27 Hausväter betroffen gewesen, wobei die kurmärkische Tabelle nicht einmal vollständig ist, liest man doch andernorts für den hier nicht aufgeführten Abraham Wulf Oppenheimer aus Frankfurt an der Oder noch im Oktober 1787, er sei „nach Inhalt der Verordnung vom 4. Juli 1786 wegen seines nicht exportirten Porcellain-Quanti in der hiesigen Juden-Liste bishero nur als ein tolerirter aufgeführet worden“, 461 obwohl er in zwei Raten immerhin zwei Drittel der von ihm geforderten 300 Rt. bei der KPM eingezahlt hatte. 462 Daß es sich bei Oppenheimer sogar um einen Generalprivilegierten handelte, 463 zeigt nicht nur, daß die simple Gleichung „generalprivilegiert = reich“ falsch ist. Die Personalie verweist vor allem einmal mehr darauf, daß auch diese rechtlich vergleichsweise gut gestellte Schicht noch viel weiter von der Emanzipation entfernt war, als dies in der Literatur vielfach dargestellt wird. Oppenheimers Generalprivileg und die damit angeblich verbundene freie Wohnortwahl nützte Oppenheimer in der ersten Hälfte der 80er Jahre jedenfalls wenig, und noch im September 1786, als er zurück nach Frankfurt gehen wollte, um die dortige „Harlemmer Kanten-Fabrique“ zu übernehmen, fragte das Generaldirektorium im Vorfeld bei d’Anières an, ob seine Exportrückstände diesem erneuten Schutztransfer im Wege stünden. 464 460

Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12, Bl. 180 –208. Supplik der Oberlandesältesten an die Kurmärkische Kammer vom 21. Oktober 1787, BLHA, Rep. 2, Nr. S.4246. 462 Siehe die Exporte Nr. 0860 und 0980 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 463 Oppenheimer war am 29. April 1773 auf das Generalprivileg seines Schwiegervaters Isaac Hirsch in Frankfurt an der Oder angesetzt worden. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 3. Seltsamerweise wurde 1779 nicht diese Ansetzung vom Generalfiskal moniert, sondern der am 6. Dezember 1775 gewährte Transfer des Schutzrechtes nach Berlin. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 95. 464 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 85. 461

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So erfolgte die offizielle Rückübertragung erst nach der Niederschlagung aller Exportrückstände durch den König am 28. Mai 1788. 465 Generalprivilegierte, so faßte es Henckel von Donnersmarck im Jahre 1814 zudammen, genossen vor ihren Mitbrüdern zwar manche Vorteile, könnten jedoch eben „nur auf solche Ausnahmen von den Einschränkungen der Uebrigen Anspruch machen, die mit der Qualität eines Juden vereinbar“ 466 seien. Auch ein Generalprivileg blieb ein Privileg und war als solches prinzipiell stets revidierbar. 467 Doch zurück zur Frage, wie vielen Juden in der Folge des Befehls vom August 1783 die Konzession abgenommen wurde. Die bisherige Aufzählung ergab die Zahl 28, die sich jedoch rasch erhöht, wenn man in den Handapparat des Generalfiskals blickt. Levin Süssmann aus Hornburg heiratete im Oktober 1775 eine Jüdin aus Hildesheim. D’Anières notierte: „Da das Porcellain für die Concession zur 2. Ehe nicht gekauft worden, ist die Concession v. 10. Februar 61 ad Acta der Porcellain Manufactur genommen.“ 468 Ganz ähnlich gelagert war der Fall der ebenfalls aus Hornburg stammenden Witwe des Süssmann Joseph, die in zweiter Ehe einen Salomon Salomon aus Peine heiratete. Da sie „für ihre 2. Ansetzung Porcellain restirt und dabey keine Concession erhalten haben will, ist ihre erste Concession vom 30. Jun. 67 ad depositum der Porcellain Manufactur genommen“. 469 In Wesel wurden offenbar den bereits auf die Armenliste gesetzten Juden Hertz Meyer, Isaac Simon, Jacob Aaron Cohen und Mendel Liefmann später doch noch die Konzessionen abgenommen. 470 Ebenso ging Wulff Levi, der sich im April 1776 in Unna als Extraordinarius etabliert hatte, seines Schutzes verlustig. 471 Damit wäre die Zahl 35 erreicht. Bemerkenswertes liest man zudem über die jüdische Gemeinde der westpreußischen Stadt Baldenburg, deren Mitglieder nach einem Reskript des Generaldirektoriums an die Westpreußische Kammer vom 24. November 1785 nicht nur bislang kein Porzellan gekauft hätten, sondern sich noch dazu weigerten, „ihre Concessiones der Commission abzuliefern“. Die Kammer habe deshalb den dortigen Juden „ernstliche Vorhaltung zu thun und sie zu Erfüllung der Befehle gehörig anzuweisen“. 472 Geht man der Frage nach, wie viele Juden in Baldenburg 465

Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 443. Donnersmarck, S. 7. 467 So berichtet Meier, Seidenunternehmer, S. 70, davon, 1774 seien Hirsch Moses Ries und Aaron Wessely (Sohn und Schwiegersohn des generalprivilegierten Moses Ries) durch den König aufgefordert worden, ihre Manufaktur in konzessionsgemäßem Umfang zu betreiben – „widrigenfalls sie aber nichts gewisseres zu gewarten haben, als daß solche einem anderen Entrepreneur überlassen, sie aber ihres Privilegii und Schutzes für verlustig erklärt werden sollen“. 468 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 44. 469 Ebd., Bl. 43. 470 Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 225. 471 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 140. 466

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betroffen gewesen sein mögen, muß man mit d’Anières’ Monita aus dem Jahre 1779 beginnen, die sechs Juden auflisten: Isaac Abraham, Elias Levi, Peisach Schmul, Wulff Joseph, Joseph Isaac und Abraham Isaac. 473 Da in der Tat kein einziger dieser Juden bis 1785 Porzellan exportiert hatte, liegt die Vermutung nahe, daß alle sechs Konzessionen eingezogen wurden, sofern keiner der Empfänger zwischenzeitlich verstorben war. Damit ließe sich mit ziemlicher Sicherheit von wenigstens 41 betroffenen Hausvätern ausgehen, zumal es gewiß kein Zufall ist, daß die Baldenburger Juden Isaac Abraham, Joseph Isaac und Peisach Schmul noch im März und Juni 1786 in den Büchern der KPM auftauchen. 474 Selbst jene 41 Hausväter stellen angesichts der lückenhaften Quellenlage sicherlich nur einen kleinen Teil der tatsächlich Betroffenen dar. Erinnert sei noch einmal an Heimann Jolowicz, der in seiner 1867 erschienenen Geschichte der jüdischen Gemeinde Königsbergs schrieb: „Viele Juden in den kleinen Städten wurden ausgepfändet, anderen die Häuser verkauft und noch andern die Schutzbriefe abgenommen...“. 475 Zu alledem muß man stets berücksichtigen, daß eben nicht von Einzelpersonen die Rede ist, sondern von Familienvorständen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus legitim, die Mindestzahl 41 wenigstens mit 5 476 zu multiplizieren, da es in voremanzipatorischer Zeit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft allerorten darauf ankam, „möglichst viele Personen in einem Haushalt unterzubringen. Die hohe Zahl der Angehörigen eines Schutzhaushaltes entspricht der Strategie der jüdischen Gesellschaft, den Schutzbrief eines Haushaltsvorstandes auf einen breiten Personenkreis auszudehnen und damit der restriktiven Judenpolitik auszuweichen.“ 477 Es steht demnach zweifelsfrei fest, daß in der gesamten Monarchie auch nach zurückhaltender Schätzung mehrere Hundert Personen betroffen waren, wenn es seit August 1783 hieß, der König erwäge deren „Fortschaffung aus dem Lande“. Kein einziger der betroffenen Hausväter hatte sich irgendeinen Rechtstitel angemaßt. Jedes einzelne der kassierten Privilegien war wenige Jahre zuvor mit Brief und Siegel verliehen worden. Der Feldzug 472

GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 8,

Bl. 16. 473

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12, Bl. 93. Siehe die Exporte Nr. 1298 und 1326 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 475 Jolowicz, Juden in Königsberg, S. 84. 476 Dieser Wert ist sicher nicht zu hoch gegriffen, verfügten doch auch arme Familien in der Regel über Dienstpersonal, das auf diese Weise einen halbwegs gesicherten Aufenthaltsstatus im Lande genoß. Siehe beispielsweise Baer, Protokollbuch der Landjudenschaft des Herzogtums Kleve, S. 61; Bömelburg, Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat, S. 430; Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 520 –521 geht für die Zeit um 1770 von einer durchschnittlichen Familiengröße von 3,68 und einer Haushaltsgröße (also inkl. Dienstpersonal) von 6,26 Personen aus. 477 Zu diesem Ergebnis kommt für Schwaben im frühen 18. Jahrhunderts Ullmann, Das Ehepaar Merle und Simon Ulman, S. 289. 474

VIII. Feldzug gegen die Porcellainerestanten (1779 –1786)

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gegen die Porcellainerestanten endete somit in einer massiven Entrechtung zahlreicher jüdischer Familien zu einer Zeit, die nach einer weit verbreiteten Ansicht gerade durch Verrechtlichung geprägt gewesen sein soll. Daß die spätestens im August 1783 deutlich ausgesprochene Absicht des Königs, mehrere hundert Juden wegen nicht geleisteter Porzellanexporte aus dem Lande vertreiben zu lassen, heute nahezu vergessen ist, hat neben der lückenhaften Quellensituation vor allem einen Grund: Die Vertreibung wurde nicht vollstreckt, denn der König verlor diese Frage offenbar bis zu einem gewissen Grad aus den Augen. Am 4. Februar 1785 befahl er zwar sowohl d’Anières als auch dem schlesischen Generalfiskal Pachaly ein weiteres Mal, „diejenigen Juden, die noch im Rückstand sind, dazu mit allem Ernst anzutreiben“, 478 doch eine weitere Äußerung Friedrichs ist zu diesem Thema nicht überliefert. Dies ändert allerdings nichts daran, daß sich die betroffenen Familien über Jahre hinweg in einem Zustand bedrohlicher Unsicherheit befanden, wie es denn auch bezeichnend ist, daß sich die Baldenburger Juden zunächst weigerten, ihre Schutzbriefe herauszugeben. Die Quellen schweigen sich darüber aus, ob die im August 1783 gegen die Porcellainerestanten ausgesprochene Drohung, ihnen die Läden zu schließen, wahrgemacht wurde. Man wird eher davon ausgehen müssen, daß die direkten Drangsalierungen im Laufe des Jahres und im Gefolge beiderseitiger Erschöpfung langsam ausklangen, wie denn auch nach 1783 keine Exekutionen mehr dokumentiert sind. Dennoch muß die Furcht vor plötzlicher Vertreibung in jenen Jahren ein alltäglicher Begleiter all jener Juden gewesen sein, die ihren Schutzbrief hatten abgeben müssen. Wie in den Jahren 1783 bis 1786 mit diesen Juden verfahren wurde, verdeutlicht die bereits angeführte kurmärkische Generaltabelle von 1787, wonach die ihres Schutzbriefs beraubten Hausväter aufgrund eines Reskripts vom 17. Mai 1786 nur noch als Tolerierte geführt wurden. Ein etwas besser dokumentierter Fall aus Frankfurt an der Oder bestätigt diese Aussage. Dort hatte die Witwe des Schutzjuden Israel Salomon Aaron im April 1785 einen Hypothekenschein zugunsten ihres Sohnes Aaron Israel hinterlegt. Dessen jüngere Geschwister schrieben noch im Mai 1805 in einer Eingabe an die Manufakturdirektion: Wäre diese Caution für ihn nicht bestelt worden, so wäre es ihm so wie vielen andern mit ihm im gleichen Fall sich befindenden concessionirten Schutz-Juden ergangen, denen nehmlich die Concessionen wieder abgenommen und die in den Juden Listen blos als tolerirte Juden inter Extra ordinarios angeführt wurden. 479

In Emden wurden die Privilegienbriefe im August 1783 zunächst durch den Magistrat „ad acta“ genommen. Daraufhin wandten sich d’Anières und Grieninger im Februar 1785 erneut an den Magistrat und forderten, die betreffenden Juden zu einem Export oder zur Stellung einer Kaution binnen sechs Wochen anzuhalten, 478 479

GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 85, S. 123. MA, I, Nr. 4, Bl. 50 –51.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

nach deren Ablauf die Dokumente jedoch einzusenden. Darauf reagierte der Magistrat scheinbar nicht, worauf sich die Kommission im September erneut meldete und dabei klarstellte, daß wir keine fernere Gegenvorstellungen annehmen werden, da die Juden zum Überfluß gehört und beschieden worden, jedoch wollen wir diejenige Juden, welche sich zur Ablieferung ihrer Concessionen bequemen, noch einmal zur Deduction ihrer Einwendungen verstatten aber nicht eher, als bis die Concessionen eingesandt sein werden. 480

Erst daraufhin wurden die bereits seit mehr als zwei Jahren durch den Magistrat verwahrten Dokumente am 4. Oktober 1785 nach Berlin geschickt. Stößt man deshalb in den Jahren nach 1779 im Zusammenhang mit dem Wort „Porzellan“ auf Juden, die offenbar tatsächlich „über die Grenze“ mußten, so handelt es sich dabei um Personen, die sich zusätzliche Delikte hatten zuschulden kommen lassen. Darunter sind insbesondere Heiraten ohne Konzession zu verstehen, durch die sich die Obrigkeit in ihrer Policeyfunktion ernsthaft herausgefordert sah. 481 So kann man in den Akten der Porzellanmanufaktur über eine Schutzjudenwitwe aus der Grafschaft Mark folgendes lesen: Die Witwe des verstorbenen Schutzjuden Meyer Marcus zu Neuenrade bat um Erlaubniß zur anderweiten Verheirathung mit dem aus Perleburg [Perleberg / Prignitz?] gebürtigen Juden Moses Abraham und producirte ein Attest der Porcellain Manufactur Handlungs Commission v. 28. Januar ej. a. über 300 Thaler ausgenommenen Porcellains, da aber darauf der General Fiscal berichtete, daß ihr verstorbener Mann noch mit 300 Rt. Porcellain restire, so ward solches beizutreiben befohlen. Indessen vollzog der Moses Abraham die Heirath ohne Concession und deshalb erging, ob er gleich sich erbot, für seinen Antecessore in thoro noch für 100 Rt. Porcell. zu nehmen, per Rescript v. 23. Jul. 1782 der Befehl, die Contravenienten in Anspruch zu nehmen und solche sodann über die Grenze zu bringen. Weiteres constiret aus denen Acten nicht. 482

Doch war man in der Registratur des Generaldirektoriums, wo diese Notiz verfaßt wurde, nicht ganz auf dem laufenden. In den Akten des Generalfiskalats 480

StA Emden, II, Nr. 763. So wurde etwa der Hohensteinischen Kammerdeputation am 20. September 1774 aufgetragen: „Denen Rabinern und sämtlichen Juden ist [...] in Erinnerung zu bringen, daß sich bey unausbleiblicher Strafe niemand ohne Trauschein müsse trauen lassen. Die Strafe trifft sowohl den, der sich ohne Trauschein trauen läßt, als den, der da traut. Und weil es öfters geschiehet, daß der Trauschein auf der letzten Stunde gesucht wird, so haben die, welche die vorgeschriebene Ordnung nicht beobachten, und wann sie sich bey Uns melden, die Concession zur Heyrath nicht originaliter beybringen, sichs selbst beyzumessen, wann sie alsdann abgewiesen und die Concession erst beyzubringen angewiesen werden. Wann Ihr, die Steuer-Räthe und Magisträte hierauf accurat haltet, so wird aller sonstiger MißVerstand gantz sicher vermieden.“ Siehe LHASA, Rep. A 19 e, Tit. XIII, Nr. 20, Bl. 2. Zu illegalen Eheschließungen von Juden in Halberstadt und Hohenstein siehe auch Halama, S. 145 – 150. 482 MA, I., Nr. 3, Bl. 48; bei Meyer Marcus handelte es sich wohl um den Sohn jenes Marcus Joseph, der 1766 als Schlachter und Pfandleiher mit einem Vermögen von 500 Rt. in Neuenrade begegnet. Siehe Maser, S. 101. 481

VIII. Feldzug gegen die Porcellainerestanten (1779 –1786)

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findet sich der Zusatz: „Sind alle todt oder fort.“ 483 Auch das Neuenrader Häuserbuch dokumentiert in jenen Jahren einen Besitzerwechsel des Anwesens Meyer Marcus: Während 1780 noch dessen Witwe genannt wird, stößt man 1794 auf den Küster und Leineweber Johannes Hammerschmidt. 484 Ebenfalls beachtlich ist das Stakkato von Reskripten, das Isaac Arend aus Tecklenburg über fünf Jahre hinweg über sich ergehen lassen mußte: Hat keine Concession und ist außer Landes getraut, er muß aber binnen 3 Mon. alle Jura nachzahlen, auch für 100 Th. Porcellain exportiren oder fort. Rescript v. 28. September 74, Monitum 77, ist Ao. 75 dieserhalb per fiscum in Anspruch genommen, quaesitur aber, wie die Sache stehet? Camera soll berichten. Rescript v. 22. Apr. 77. Die Exportation ist auf 50 Th. restringirt, muß aber in 3 Mon. docirt werden. Rescript v. 19. Aug. 77. Concession v. 26. September 77, welche aber unter der Bedingung expedirt ist, daß er auch alle Trauscheingebühren binnen 6 Wochen berichtige, widrigenfalls er ohne Gnade über die Grentze zu bringen ist. Soll über die Grentze. Rescript v. 8. Juli 78. Hat im September 79 versucht, das Porcellain zu nehmen. Monitum 80, Soll fort, 25. Febr. 80. Soll fort oder des nächstens für 300 Th. Porcellain nehmen. Rescript v. 7. Mart. 80. Soll den 1. September 80 das Porcellain nehmen oder fort. Rescript v. 31. May 80. Soll fort, ist aber kranck. Es soll die Kranckheit docirt werden. Rescript v. 11. September 82. Soll ohne Raisonniren in 4 Wochen fort. Rescript v. 5. Dezember 82. Ist fort. 485

Vollkommene Klarheit über die Frage, in welchem Umfang Juden tatsächlich aufgrund nicht geleisteter Porzellanexporte vertrieben wurden, wird sich wohl nicht mehr herstellen lassen. Generalfiskal d’Anières wurde 1787 damit beauftragt, eine diesbezügliche Nachweisung zu erstellen, entzog sich dieser Aufgabe jedoch im Januar 1788 mit der Bitte, „mich mit dieser Arbeit allergnädigst zu verschonen:

483

Vgl. die Eintragung in den Handakten des Generalfiskals zu Meyer Marcus, der am 17. Oktober 1775 als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Vaters Joseph Marcus angesetzt worden war: „Die Witwe soll nicht eher heyrathen, als das Porcellain, so ihr Mann restirte, berichtiget seyn wird. Rescript v. 19. Mart. 82. Hatte einen älteren Bruder, der sich ohne Concession angesetzt hatte und aus dem Lande geschafft worden. Tab. pro 75. Hat demohnerachtet im Mart. 82 den Moses Abraham de facto geheyrathet. Sollen binnen 6 Wochen über die Grentze und der Rabbiner gestraft werden. Rescript v. 23. Jul. 82. Sind alle todt oder fort.“ Damit konnte die Spalte durchgestrichen werden. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 148; vgl. auch die Subrepartition des märkischen Judenlandtages von 1793, wo sich in Neuenrade lediglich Levi Moses und Levi Hertz finden. Siehe dazu Maser, S. 103. 484 Stievermann, S. 147. 485 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IVC, Nr. 236 c, Bl. 96; vgl. Schenk, Tecklenburg und Lingen, S. 139. Mitunter ging der Kelch der Vertreibung jedoch an Juden in ähnlicher Lage vorbei. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IVC, Nr. 236 c, Bl. 106 zu Levi Spies aus Rees: „Hat ohne Concession geheyrathet, soll eine erhalten, wenn er Praestanda praestirt, einen Rest Porcellain für seinen Bruder von 150 im Herbst entrichtet und 10 Th. Strafe erlegt. R. v. 25. Juli 86 & 7. November 86. Attestirt. Muß binnen 6 Wochen überall genügen. R. v. 6. febr. 87. Muß sich wegen seiner Heyrath legitimiren, R. 30. Jun. 89 [...] Conc. ist nunmehr ertheilt den 8. Oct. 93...“.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

In drei Monathen würde ich mit selbiger nicht fertig werden, wenn ich auch nichts anders zu thun hätte.“ 486 Festzuhalten bleibt jedoch, daß der Druck auf die säumigen Porcellainerestanten und ihre Familien nach 1779 kontinuierlich verstärkt wurde und 1783 seinen Höhepunkt erreichte. Die in den vorangegangenen Jahren verliehenen Privilegien wurden dabei systematisch entwertet, so daß zahlreiche Ordinarii spätestens seit 1783 befürchten mußten, aus dem Lande vertrieben zu werden. Und diese Furcht läßt sich im vorliegenden Fall durchaus in das Gewand unbestechlicher Zahlen kleiden: Im Kalenderjahr 1783 beglichen 87 Hausväter ihre Rückstände bei der KPM. Die Manufaktur verkaufte insgesamt für 41.500 Rt. „Judenporzellan“, das war mehr als das Zehnfache der königlichen Bestellungen und machte rund 35 % des Absatzes aus – ein „Rekordergebnis“, wie es kein zweites Mal erreicht werden sollte.

IX. Judenporzellan und Retablissement. Zu den Auswirkungen des Exportzwangs auf das ländliche Wirtschaftsgefüge. Beispiele aus Westpreußen und Pommern In den vorangegangenen Kapiteln wurde versucht, die Auswirkungen des in den letzten Regierungsjahren Friedrichs des Großen förmlich eskalierenden Exportzwangs vornehmlich aus der Perspektive der betroffenen Juden darzustellen, soweit dies auf der Grundlage obrigkeitlicher Quellen möglich war. Dabei ergab sich der Befund, daß nach der Zäsur von 1779 einerseits bei der Neuvergabe von Konzessionen nicht mehr von den im März 1769 aufgestellten Tarifen von 300 bzw. 500 Rt. abgegangen und andererseits auch die Eintreibung der Rückstände aus den ersten zehn Jahren mit großer Rücksichtslosigkeit durchgeführt wurde, wobei nur im Großgewerbe erfolgreiche Juden eine Aussicht auf Dispensation hatten. Neben allen Härten für die Betroffenen konnte dies jedoch nicht ohne Auswirkungen auf die preußische „Volkswirtschaft“ bleiben, der letztlich eine Summe von mehreren Hunderttausend Rt. zugunsten der Porzellanmanufaktur zumindest kurzfristig entzogen wurde. Die Folgeschäden, die dem Wirtschaftsgefüge und letztlich auch dem Fiskus dadurch entstanden, lassen sich natürlich nicht quantifizieren, doch seien im folgenden zwei außergewöhnlich gut dokumentierte Beispiele angeführt, die das Ausmaß der vielerorts entstehenden sozialen Verwerfungen zumindest ahnen lassen, welche gerade auf dem Land deutlich über den vermeintlich überschaubaren Kreis der Porcellainerestanten hinausreichen konnten. 486

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 51.

IX. Judenporzellan und Retablissement

481

Das erste dieser Beispiele führt ins 1772 erworbene Westpreußen und verdankt seine Überlieferung einem Verfahrensfehler. Wie bereits geschildert, spielten die Kammerkollegien bei der Eintreibung der Rückstände nach 1779 kaum eine Rolle, da der entsprechende Schriftverkehr von d’Anières und Grieninger vornehmlich mit den Officia Fisci sowie den Magistraten geführt wurde. 487 Ein solches Vorgehen war auch für Westpreußen geplant, wo von insgesamt 32 Juden, die bis 1779 Porzellan im Wert von gerade einmal 392 Rt. exportiert hatten, nun mit Hochdruck Rückstände in einem Gesamtvolumen von 9.508 Rt. eingetrieben werden sollten. 488 Aufgrund eines Versehens der örtlichen Fiskale landete der Vorgang jedoch auf dem Umweg über die Bromberger Kammerdeputation auf den Schreibtischen der westpreußischen Steuerräte, zu denen auch der vormalige Insterburger Akziseinspektor Johann Michalowski zählte. 489 Michalowskis steuerrätliche Inspektion Konitz war 1772 aus den Kreisen Konitz und Tuchel gebildet worden. 490 Zum Zeitpunkt der preußischen Besitzergreifung zählte man im Kreis Konitz 94 Juden, die ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten und sich vor allem im Wollhandel betätigten, indem sie schlesisches und westpreußisches Tuch, welches zuvor in Konitz appretiert worden war, nach Polen und Litauen ausführten. 491 Michalowskis Inspektionsbezirk war nun im Herbst 1779 in besonders starkem Maße von den nachträglich geforderten Porzellanexporten betroffen, für die elf Juden 3.300 Rt. aufbringen sollten, mehr als ein Drittel der insgesamt auf Westpreußen entfallenden Summe. Wie Michalowski am 23. September 1779 nach Bromberg berichtete, hatte er am Tag zuvor die elf Juden zu sich nach Konitz zitiert, wäre jedoch von diesen inständig um seinen Beistand gebeten worden. Bei ihren Ansetzungen, so hatten die Juden beteuert, war von Porzellan keine Rede gewesen. Mit Porzellan hätte bislang kein einziger von ihnen gehandelt, indem dazu „weitläuftige Kundschaften“ erforderlich seien, über die man nicht verfüge. Stattdessen müßten die geforderten Exporte zu einer Ruinierung ihrer Textilgeschäfte führen. 492 487

Vgl. Kap. H. VIII. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 93; GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 8, Bl. 2. 489 Siehe zur Person Bär, Westpreußen unter Friedrich dem Großen, Bd. 2, S. 131 –132; Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 238; Blanke, Aus Schlochaus vergangenen Tagen, S. 37. Zum Helden der Schlochauer Heimatgeschichtsschreibung avancierte der große König übrigens nicht, siehe ebd, S. 38.: „Auf seinen Reisen kam Friedrich wiederholt nach Schlochau. Es ist aber nicht bekannt, daß er sich je nach etwas erkundigte [...]. Auch sah er sich die Burg nie an.“ 490 Siehe Mühlradt, S. 41 – 55; vgl. Aschkewitz, Bevölkerungsgeschichte der Kreise Konitz und Tuchel, S. 61. 1942 waren Aschkewitz‘ Ergebnisse übrigens „Nur für den Dienstgebrauch! Vertraulich!“ 491 Aschkewitz, Juden in Westpreußen, S. 22 – 23. 492 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 8, Bl. 3. 488

482

H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Tabelle 13 Porcellainerestanten in der Inspektion des Konitzer Steurrates Michalowski, 1779 493 Stadt

Name

Baldenburg Isaac Abraham Elias Levi Peisach Schmul Wulff Joseph Joseph Isaac Abraham Isaac Tuchel Jacob Schmul Cheime Lemmel Meyer Mann Schlochau Schmul Israel Meyer Joseph

Angesetzt als

Ausstehendes Exportquantum in Rt.

Ordinarius, 30. 11. 1777 Ordinarius, 30. 11. 1777 Ordinarius, 15. 01. 1778 Ordinarius, 30. 11. 1777 Ordinarius, 03. 09. 1778 Extraordinarius, 30. 11. 1777 Extraordinarius, 05. 07. 1776 Ordinarius, 05. 07. 1776 Ordinarius, 05. 07. 1776 Ordinarius, 05. 07. 1776 Ordinarius, 06. 07. 1776

300 300 300 300 300 300 300 300 300 300 300

Gesamtrückstände

3.300

Diese Klagen machte sich Michalowski gegenüber der Kammerdeputation mit großem Engagement zu eigen, indem er noch dazu darauf hinwies, daß zahlreiche Porcellainerestanten noch immer unter den bereits geschilderten Zwangsumsiedlungen vom platten Land in die Städte litten, zu denen es nach der Besitzergreifung auf Befehl des Königs gekommen war. 494 Auf diese Weise waren auch nach Baldenburg Juden aus den Landgütern Poplowo, Warlang und Heinrichsdorf verpflanzt worden, 495 unter ihnen Elias Levi sowie Isaac Abraham und dessen Sohn Abraham Isaac aus Poplowo. Alle drei Juden ließen in ihrer alten Heimat Haus- und Grundbesitz zurück, der sich nach den Worten Michalowskis als unveräußerlich erwies, da nicht nur alle Juden das Landgut hatten räumen müssen, sondern auch der Gutsherr an einem Kauf kein Interesse zeigte. 496 Aus Immobilienbesitzern waren somit im Laufe kurzer Zeit deklassierte Mieter geworden, die die Folgen 493 Exzerpiert aus GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 93; GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 8, Bl. 2. 494 Vgl. Kap. H. VI. 495 Stern, Preußischer Staat, Bd. III/3, S. 1583 – 1584; Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 438 – 440; vgl. auch Blanke, Aus Schlochaus vergangenen Tagen, S. 38. 496 So hob Michalowski mit Blick auf Isaac Abraham und Abraham Isaac hervor: „Zudem hätten sie ihre Gründe in Popplow in Ruhe lassen müssen, welche ihrem gemäs dem mir in Originali produzirten Kauf-Contract v. 24. Sept. 1762 115 Stück Ducaten beträgt. Diese Gründe könnte er umso weniger verkaufen, da alle Juden Poplow räumen sollten und der Guths-Herr solche auch nicht kaufen wollte. Eben diese Bewandniß hat es mit der Wittwe Wulff Isaac und ihrem Schwieger Sohn. [...] Elias Lewin habe gleichfalls sein eigenes Hauß in Poplow, welches er nicht verkaufen könne, und beinahe sein ganzes Vermögen in Schulden ausstehen, welche er nicht einbekommen könne.“ Siehe GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 8, Bl. 3, danach auch die folgenden Zitate aus Michalowskis Bericht.

IX. Judenporzellan und Retablissement

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des massiven Eingriffs in ihre private und wirtschaftliche Existenz noch lange nicht überwunden hatten. 497 Auch Meyer Joseph aus Schlochau war nach den Worten Michalowskis „beinahe gänzlich verarmt und hat dahero das Brod-Backen bey der Juden-Gemeine nachsuchen müssen, um sein Leben fortsetzen zu können“. Schmul Israel habe 1777 das Unglück gehabt, „daß ihm ein ganzer Fracht-Wagen mit Gruneberger Tüchern 498 durch die Fuhrleute ins Wasser geworfen und verdorben wurde“, wobei Israel einen Verlust von 500 Rt. erlitten habe. Meyer Mann aus Tuchel, das sich zum Zeitpunkt der preußischen Besitzergreifung allgemein „in einem trostlosen Zustand“ 499 befand, sei Opfer eines Diebstahls geworden und habe noch dazu einen Frachtschlitten auf der Weichsel verloren, und „nur noch zu Jahr gieng ihm ein Bedienter mit 800 Rt. durch“. Über Jacob Schmul sei in Tuchel stadtbekannt, daß er durch seinen Bruder Lewin Schmul „in ein solches Unglück gebracht [worden], wodurch er auf einmahl 250 Stück Ducaten verlohr, daß er beinahe von neuem zu handeln anfangen mußte“. 500 Vor diesem Hintergrund zeigte sich Michalowski von den verheerenden Folgen für seinen Inspektionsbezirk überzeugt, sollte man in Berlin tatsächlich auf dem Porzellanexport bestehen. Denn nicht nur würden die betroffenen Juden dadurch unweigerlich ruiniert „und das Land selbsten mit Bettlern überschwemmt werden“. Im von Kapitalmangel geprägten Wirtschaftsgefüge der von ihm zu beaufsichtigenden Städte (in Baldenburg gab es etwa bis 1777 nur zwei nichtjüdische Kaufleute, die noch dazu „beide sehr schwach standen“ 501) fürchtete Michalowsky gewissermaßen einen Dominoeffekt: 497 Vgl. Stern, Preußischer Staat, Bd. III/3, S. 1563. Nach der dort zitierten Generaldesignation von 1774 zählte Abraham zu den Handelsleuten, die „nichts im Vermögen“ hatten. Elias Levin war ebenfalls arm und firmiert als Mieter. Baldenburg litt noch dazu unter den Folgen des großen Stadtbrandes von 1765, der 96 Häuser vernichtet hatte, von denen 1772 74 immer noch nicht wieder aufgebaut waren. 120 Familien teilten sicht deshalb gerade 104 Häuser, siehe dazu Lewerenz, S. 136. 498 Bei Grünberger Tuchen handelte es sich um Baumwollwaren, die sich in Konkurrenz zu englischen und sächsischen Waren auf dem ausländischen Markt behaupteten und in großen Mengen nach Polen und Rußland exportiert wurden. Siehe Mittenzwei, Preußen, S. 96. 499 Lewerenz, S. 148. So lagen noch 1772 70 Bürgerhäuser infolge des Stadtbrandes von 1685 (!) wüst. 500 Jacob Schmul war gemeinsam mit Cheime Lemmel und Meyer Mann im Tuchhandel tätig, wie aus ihrer gemeinsam verfaßten Eingabe vom 9. Juli 1777 hervorgeht, in der sie sich bei Minister von Gaudi über die Probleme beschwerten, die ihnen Steuerrat Wasianski auf dem Kulmer Jahrmarkt gemacht hatte. Letzterer hatte zur „Konservation“ der Kulmer Tuchmacher versucht, ihnen den Handel dort zu untersagen. Siehe GStA PK, VI. HA, Nachlaß Gaudi, Nr. 99. 501 Bei den beiden Händlern habe es sich um einen Gewürz- und Materialwaren- sowie einen Tuchhändler gehandelt. Siehe Schmitz, Die Stadt Baldenburg, S. 85. Danach habe der Magistrat einen weiteren christlichen Kaufmann angesiedelt, der jedoch bald mit den

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Der Jude würde ohnfehlbar wieder seine Debitores [Schuldner] treiben, und dieses sind elende Professionisten, zum mehresten Tuchmacher und Schumacher, denen Handwercks-Geräthschaften und Waaren genommen werden würden. E.K.M. bitte ich bey so bewandten Umständen allerunterthänigst, auch mit diesen Juden als in einer neuen Provintz, wo es sich doch nicht so wie in alten Provinzien verfahren läßt, ein allergnädigstes Mittleiden zu haben und ihnen von der Ausnahme des Porcellains zum auswärtigen Debit allerhuldreichst zu diespensiren.

Daß Michalowskis Befürchtungen durchaus der Realität entsprachen, zeigt ein Blick auf ganz ähnliche Gutachten der Westpreußischen Kammer, die zwei Jahre zuvor ebenfalls die große Bedeutung jüdischer Händler für den Export heimischer Tuche nach Polen und Rußland betont und gefordert hatte, diese Kaufleute deshalb nicht zu sehr einzuschränken. 502 Die Verpflichtung, binnen weniger Wochen 300 Rt. Bargeld zu mobilisieren, mußte jedoch zwingend zu einer solchen Einschränkung im Kreis Konitz führen, im übrigen einem der Zentren der Woll-, Tuch- und Leinwandproduktion in Westpreußen. 503 Dies zeigt ein Blick auf die Stadt Tuchel, die am 17. Mai 1781 durch den Akzisebedienten Johann Philipp Voigt in Brand gesteckt wurde, um im allgemeinen Chaos an das Kirchensilber zu gelangen. 504 Zu den Geschädigten gehörte dabei auch Porcellainerestant Meyer Mann, der seine Verluste folgendermaßen bezifferte: „An Waaren 1790 Thl. 60 Gr., an baarem Gelde 156 Thl., an Gold und Silber 224 Thl., an Betten und Kleidern 352 Thl., an Wäsche 80 Thl., an Kupfer und Messing 200 Thl., an Wagen und Geschirr 30 Thl., an Gewürz 69 Thl., an Getreide 10 Thl.“ 505 Wenn man davon ausgeht, daß Schutzjuden der Stadt in einen Rechtsstreit über deren Handel mit Gewürzen und Spezereien geriet. Der Autor leistet ebd., 85 – 86 auch einen Beitrag zum Thema „Nichtabsolutistisches im Absolutismus“ auf dem Feld des Judengeleits: „Einige [der zwangsumgesiedelten Juden] wählten als Aufenthalt die Stadt Baldenburg und bezahlten dort ihr Schutzgeld. An diese hing sich eine Anzahl unvergleiteter Juden mit Weib und Kind unter der Benennung ‚Knechte der Schutzjuden‘ und blieb in Baldenburg wohnen. Um das Jahr 1790 gab es in Baldenburg 3 Schutzjudenfamilien, die zusammen ein Schutzgeld von 65 rth., umgelegt nach ihrer Leistungsfähigkeit, jährlich bezahlten. Außerdem waren 10 unvergleitete Juden vorhanden, denen der Bürgermeister Wohlgemuth den Aufenthalt entgegen den Bestimmungen gestattet hatte, wofür er aber unberechtigter Weise eine Abgabe eingezogen hatte. Im Jahre 1794 konnte keiner der Baldenburger Juden [deutsch] lesen und schreiben, wie aus den ‚Gerichtsakten‘ hervorgeht, aber im Jahre 1810 hatten sie bereits eine eigene Schule.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Daß unvergleitete Juden an lokale Amtsträger Bestechungsgelder entrichteten, um sich so ein Bleiberecht zu sichern, scheint kein singuläres Phänomen gewesen zu sein. Mitunter, etwa im Hessischen, handelte es sich bei diesen „halbansässigen“ Juden im frühen 18. Jahrhundert auch um Mitglieder von Gaunerbanden. Siehe Guggenheim, S. 60 – 61. 502 Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 150. 503 Vgl. Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 304. 504 Der Delinquent erhängte sich wenig später im Gefängnis. Siehe Frydrichowicz, S. 46 – 47. 505 Frydrichowicz, S. 49. „Chemge und Jacob Lemmel“ verloren 3.457 und Jacob Schmuhl 348 Rt.

IX. Judenporzellan und Retablissement

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Mann das tat, was gemeinhin in solchen Situationen getan wird und bei jedem Posten einige Rt. zu den tatsächlichen Verlusten hinzuaddierte, folgt daraus, daß er kaum in der Lage war, 300 Rt. für einen Porzellanexport zu mobilisieren, ohne zugleich seine Geschäftsgrundlage anzugreifen. Leopold Otto von Gaudi, 506 dem Chef des ost- und westpreußischen Departements, war dieses Eisen jedoch offensichtlich zu heiß, wie sein Antwortschreiben vom 5. November 1779 deutlich macht: wenn Ihr solche Porcellaine-Exportation nach den dortigen Local-Umständen unthunlich, auch Unserem Interesse nachtheilig finden solltet, als welches Ihr am zuverlässigsten zu beurtheilen im Stande seyn müsset, so wird Euch überlassen, Unserer höchsten Person deshalb unmittelbar Vortrag zu thun. 507

Untunlich war die Auspressung jüdischer Kaufleute im Kreise Konitz ganz gewiß, doch nach unmittelbarem Vortrag bei der höchsten Person stand in dieser heiklen Angelegenheit auch bei der Bromberger Kammerdeputation niemandem der Sinn. 508 Stattdessen wurden d’Anières und Grieninger, denen der König offensichtlich im Nacken saß, am 27. November 1779 aktiv und ließen die Bromberger Fiskale wissen, man hätte mit Befremden ersehen, daß [...] E. Wohl. Officium Fisci von dem in Vorschlag gebrachten Modo procedendi gäntzlich abgegangen und der Intention Sr. Königl. Majestät gerade zuwider die gantze Sache E. Hoch. Krieges und Domainen Cammer zu Marienwerder und der Cammer Deputation zu Bromberg überlassen habe. Da wir uns nun für verpflichtet halten, Sr. Königl. Majestät Befehle auf das schleunigste und genaueste zu erfüllen, so müssen wir, da in allen übrigen Provinzien diese Sache, wo nicht völlig, doch größtentheils regulirt ist, in West Preußen aber noch gar nichts geschehen zu sein scheinet, 509

auf umgehende Einsendung aller betreffenden Akten bestehen, „damit wir uns nicht genöthiget sehen, Sr. Königl. Majestät von der Verzögerung dieser Sache imediate Anzeige zu thun“. Damit hatten die Kameralbehörden ihren Einfluß auf das Verfahren verloren, und auch Michalowskis Einsprüche waren vom Tisch. Wie bereits angeführt wurde, befanden sich unter jenen Juden, denen spätestens seit 506

Klaproth, Staatsrat, S. 464. GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 8, Bl. 4. 508 Die Kammerdeputation wies jedoch am 14. Dezember darauf hin, daß sie im Falle von Levin Israel aus Bromberg eine Frist gewährt habe, da sich dieser bei seiner Ansetzung im Jahre 1778 bereits zu umfangreichen Eisenexporten verpflichtet hätte und deshalb hoffe, von einem zusätzlichen Porzellankauf verschont zu bleiben. Darüber hinaus sei Wulff Thier aus Dobrin noch nicht zu erreichen gewesen, da er sich auf Geschäftsreise befände. Siehe ebd., Bl. 5 – 6. Aus der Dispensation Israels wurde indessen nichts, wie man den Porzellanexporten Nr. 0919, 1015 und 1136 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232) entnehmen kann. 509 GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt. 1, Nr. 8, Bl. 11. 507

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

1783 die Fortschaffung drohte, auch mehrere Juden aus Baldenburg, die noch 1786 die letzten Ersparnisse mobilisierten, um zumindest einen Teil ihrer Rückstände bei der KPM zu begleichen. 510 Schmul Israel aus Schlochau hatte bereits im Januar 1782 eine erste Rate von 100 Rt. aufgebracht 511 – weitere Zahlungen finden sich hingegen nicht. Die Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Konitz können nur negativer Natur gewesen sein, wenngleich sich die Quellen darüber ausschweigen. Im angrenzenden Pommern ist dies indes anders, wie ein Blick auf das Städtchen Schlawe zeigt, wo die Erfolge des Nachkriegsretablissements durch den Porzellanexportzwang in Gefahr gerieten. Zu den Eckpfeilern der friderizianischen Gewerbeförderung in Pommern zählte insbesondere nach 1763 die Anlage von Wollmanufakturen, die auf den polnischen Markt abzielten. 512 Auch das Gewerbe der Stadt Schlawe, die 1766 1.435 Einwohner zählte, 513 war durch die Tuchproduktion geprägt. 514 So waren 1768 vier Tuchmacher mit jeweils einem Stuhl in der Stadt ansässig, die in den kommenden Jahren durch aus Polen angeworbene Kolonisten Verstärkung erfuhren 515 und 1779 staatlicherseits mit der Anlage eines Wollmagazins gefördert werden sollten. Der mit dem pommerschen Retablissement betraute Finanzrat Brenckenhoff, dem die Region um Schlawe offenbar besonders am Herzen lag, plante darüber hinaus Mitte der 70er Jahre die Anlage einer Wollmanufaktur für grobes Tuch, Mützen und Strümpfe, wofür er schließlich auch vom König die Genehmigung unter der Voraussetzung erhielt, für sicheren Absatz und einen Entrepreneur zu sorgen. 516 Wenngleich über den Fortgang dieses Projekts nichts näheres bekannt ist, so fertigten doch Schlawer Fabrikanten bereits 1777 124 Stück Tuch und 260 Hüte im Gesamtwert von 1.101 Rt. sowie im Folgejahr 111 Stück Tuch und 325 Hüte für zusammen 710 Rt. 517 510

Siehe oben, Kap. H. VIII. Siehe Export Nr. 0784 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 512 Siehe die Instruktion für Finanzrat von Brenckenhoff vom 22. Mai 1763 in A.B.B.O., Bd. XIII, S. 115 – 120; vgl. Branig, S. 163 – 166. 513 Stoebbe, S. 69. 514 Zum Stellenwert des Textilgewerbes in Schlawe äußerte sich bereits Brüggemann, Ausführliche Beschreibung, Bd. 3, S. 835: „Außer dem Handel, der mit Holz und Asche und von den Krämern getrieben wird, macht der beträchtliche Handel mit Leinwand den hiesigen Johannismarkt vorzüglich berühmt, der von vielen Kaufleuten von entfernten Orten besucht wird.“ 515 Siehe Stoebbe, S. 71 – 72. So fanden sich 1780 in Schlawe 24 Kolonisten, denen man Akzisefreiheit zugesichert hatte. Zahlreiche der namentlich aufgeführten Neusiedler stammten aus Polen, etwa der Tuchmacher Jacob Radtke aus Niekowsken. Der König hatte gegenüber Brenckenhoff auf die rasche Ansiedlung der polnischen Kolonisten den größten Wert gelegt, damit sie „nach geendigten troublen in Polen nicht so leicht dahin wieder zurückgehen können“. Zitiert nach Knobelsdorff-Brenkenhoff, S. 55. 516 Siehe Knobelsdorff-Brenkenhoff, S. 83 – 85. 517 Siehe Stoebbe, S. 62. 511

IX. Judenporzellan und Retablissement

487

Wie vielerorts in Pommern, so spielten allerdings auch in Schlawe, wo 1776 20 Juden lebten, 518 Verleger aus deren Reihen für das Tuchmachergewerbe eine kaum zu überschätzende Rolle. 519 Im vorliegenden Fall handelte es sich dabei um Moses Behrendt und Moses Gottschalk. 520 Gerade diese beiden Familien und damit letztlich auch Brenckenhoffs Retablissementspläne wurden jedoch durch die nun nachträglich geforderten Porzellanexporte besonders schwer getroffen. Nach einer von Hoffiskal Hartung am 5. August 1779 dem Magistrat von Schlawe übermittelten Spezifikation hatten Behrendt und Gottschalk für 400 Rt. Porzellan im Zusammenhang von zwei 1770 erteilten Konzession zum Besitz eines „aus 2 Wohnungen bestehenden Hauses“ 521 zu exportieren. 522 Doch damit nicht genug, hatten doch beide Familienväter fünf Jahre zuvor ihre Söhne Behrendt Moses und Pincus Moses auf das Recht des ersten Kindes angesetzt, 523 wofür nun ebenfalls jeweils für 300 Rt. Porzellan exportiert werden sollte. Beide Familien, geschäftlich offenbar eng verbunden, waren so quasi über Nacht mit einer Forderung in Höhe von 1.000 Rt. konfrontiert. Die beiden Söhne erschienen denn auch rasch im Rathaus von Schlawe und erklärten, als „junge Anfänger“ könnten sie unmöglich 600 Rt. aufbringen. Auch hatte sich gerade aus pommerscher Sicht die erste polnische Teilung massiv zuungunsten des Ausfuhrgeschäfts ausgewirkt, war doch die preußische Grenze deutlich nach Osten bzw. Süden verschoben worden. Für die beiden Schlawer Juden waren deshalb „Polen und andere auswärtige Länder zu weit entfernt und mit großen Kosten der Exportation verknüpft“. 524 Obwohl auch der Magistrat dringend auf die Rolle der beiden jüdischen Familien für den Tuchmacherverlag hinwies, drang er damit nur kurzfristig durch, indem am 9. September eine vorläufige 518

Ebd., S. 69. Vgl. Herzfeld, Juden in Hinterpommern. Die Autorin geht u. a. auf die beiden Textilmanufakturen ein, die Jacob Salomon Borchard in Köslin betrieb. 520 Die beiden waren offenbar verschwägert, siehe dazu den Kurzüberblick zur jüdischen Gemeinde Schlawes bei Salinger, insb. S. 65 – 66. Beide Familien entrichteten 1764 ein Schutzgeld in Höhe von 47 Rt., siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/3, S. 941. In einer Judentabelle aus dem Jahre 1772 heißt es über den zu diesem Zeitpunkt 48jährigen Behrend zudem, er führe einen Kramladen. Siehe LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 193, Bl. 182 –183. 521 Ebd., Bl. 180. 522 LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 195, Bl. 20 – 23. Möglicherweise handelte es sich um Häuser, die im Zusammenhang mit ihrer Verlegertätigkeit standen. Zumindest wurden beide Konzessionen am gleichen Tag, dem 7. Juni 1770, erteilt. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 94. 523 Bezeichnend für die große Rolle Behrends als Verleger ist es wohl, wenn es in der seinem Sohn verliehenen Konzession heißt, daß „das Gewerck der Tuch- und Raschmacher zu Schlawe gegen erwehntes Gesuch nichts zu erinnern gefunden“ habe: LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 193, Bl. 234. Die Konzession für Gottschalks Sohn Pincus Moses, der eine Jüdin aus der Danziger Vorstadt Alt-Schottland geheiratet hatte, findet sich ebd., Bl. 243. 524 Magistratsprotokoll vom 24. August 1779 in LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 195, Bl. 24 – 28. 519

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

Dispensation durch das pommersche Officium Fisci gewährt wurde. 525 Doch bereits am 27. November forderten d’Anières und Grieninger vom Magistrat, den Familien umgehend einen Mann einzulegen und die Exekution nach Ablauf einer Frist von vier Wochen zu verdoppeln. 526 In dieser Situation sah sich selbst das Schlawer Tuchmachergewerk, das den Ruin seiner Verleger vor Augen hatte, existentiell bedroht und wandte sich zugunsten der bedrängten Juden direkt an den König. Erhalten blieb nur die Resolution aus dem Kabinett vom 6. November 1779, mit der den Bittstellern verkündet wurde, wie das nicht angehet, daß die beyden Juden Moses Berend und Moses Gottschalk nebst ihren Kindern von dem zu erkaufenden Porcellain gäntzlich dispensiret werden können, wohl aber wollen Höchstdieselben in Rücksicht auf die gethane Geld- und Woll Vorschüsse, womit gedachte Juden die Supplicanten unterstützen, das Quantum von 1.000 Rt. bis auf 500 Rt. moderiren, für soviel aber müssen sie Porcellain kauffen und ist auch die dieserwegen nöthige Ordre bereits ergangen. 527

Diese Resolution trug allerdings kaum zur Entspannung der Lage bei. Den Verkaufsbüchern der KPM kann man entnehmen, daß beide Familien noch mehr als zwei Jahre benötigten, um die Exporte ratenweise abzutragen. So kaufte Moses Gottschalk am 18. Mai 1780 für 150 Rt. 528 Auf seinen Kompagnon Moses Behrendt stößt man am 23. Juni 1781 mit 176 und am 22. Januar 1782 noch einmal mit 75 Rt. 529 Am gleichen Tag finden sich auch ihre beiden Söhne mit zusammen 102 Rt. in den Büchern wieder. 530 Unter welchen Bedingungen diese Käufe zustande kamen ist ebenfalls überliefert. So hatten alle vier Juden am 6. Juni 1780 darum gebeten, eine Ratenzahlung zuzulassen, 531 waren damit aber in Berlin offenbar nicht durchgedrungen. Denn d’Anières und Grieninger forderten den Magistrat am 7. September 1781 erneut auf, allen vier Juden unverzüglich Exekution einzulegen. 532 Diese sollte am 16. Januar 1782, also rund eine Woche vor dem letzten Kauf, erneuert werden, „wenn die Juden nicht binnen 4 Wochen entweder Caution bestellen oder mit dem Ankauf von 100 Rt. Porcellain den Anfang machen“. 533 525

Ebd., Bl. 31. Ebd., Bl. 37. 527 GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Minüten, Nr. 79, S. 1129 –1130. Am gleichen Tag erging ein entsprechender Befehl an den Generalfiskal. Siehe ebd., S. 1129. 528 Siehe den Export Nr. 0549 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 529 Siehe die Exporte Nr. 0713 und 0786 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 530 Siehe den Export Nr. 0787 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 531 LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 195, Bl. 46. 532 Ebd., Bl. 64. 533 Ebd., Bl. 70. 526

IX. Judenporzellan und Retablissement

489

Die den Schlawer Verlegern auf diese Weise abgepreßten Porzellankäufe blieben nicht ohne Folgen, geriet „Behrendt et Comp.“ doch 1781 in Zahlungsschwierigkeiten und war nicht mehr in der Lage, seine Gläubiger zu befriedigen. Ein weiteres Mal wandten sich zahlreiche Tuchmacher, von denen viele 1763 als Kolonisten aus Polen nach Schlawe gekommen waren, an den König und baten für ihre Verleger um ein sechsjähriges Indult. 534 Durch Behrendt und Gottschalk, beides ehrliche und gute Leute, seien sie in den vergangenen Jahren bestens unterstützt worden, so daß wir es so weit gebracht, uns eigene Wohnung anzuschaffen, in dessen Entstehung wir uns um so weniger conserviren können, als sich dieses Orts kein Mensch zu solchen Vorschüssen [wie sie Behrendt und Gottschalk vergaben] verstehen wollen noch können. Außer diesem haben diese Leute die von uns gefertigte Waare an Bezahlungs Statt angenommen und diese in- und auswärtig zu versilbern gesucht. Wir haben hiebey erträgliches Ausfinden und bezeugen, daß uns dieselben beständig redlich gedient haben, gleich solches auch die in andern Städten befindlichen Fabricanten und Manufacturisten, die mit uns von diesen Juden verlegt worden, erfahren haben. 535

Auch der pommerschen Kammer, die daraufhin eigene Untersuchungen anstellte, wurde nicht nur von den Schlawer Tuchmachern, sondern auch durch die dortigen Strumpfwirker, Knopfmacher, Handschuhmacher und Kürschner nochmals versichert, daß ihnen gedachte Juden jährlich mit beträchtlichen Woll- und andern Materialien-Vorschüssen unter die Arme gegriffen und ihnen die daraus verfertigten Waaren entweder selbst zu solchen Preisen, wobey sie recht gut fertig werden können, abgenommen, oder ihnen doch hinlängliche Zeit zu deren Versilberung und Abtragung ihrer Vorschüsse gelassen haben, weshalb sie, wenn diese Juden nicht conserviret werden sollten, bey Ermangelung anderer Verleger, woran es zu Schlawe gänzlich fehlte, zu Grunde gehen oder doch wenigstens gar viel verlieren würden. 536

Ein Indult wurde schließlich unnötig, da sich Behrendt offenbar selbst mit seinen Gläubigern vergleichen konnte. Doch zeigen die Ereignisse in Schlawe, welch verheerende Wirkungen der Porzellanexportzwang, zumal nach 1779, im kapitalschwachen ländlichen Wirtschaftsgefüge, in dem Rasch- und Zeugmacher oft zu den Ärmsten gehörten, 537 nach sich ziehen konnte.

534 Ganz ähnliche Petitionen sind von Tuchmachergewerken aus dem Netzedistrikt überliefert, die sich gegen eine (allerdings nicht mit dem Judenporzellan in Verbindung stehende) Vertreibung ihrer jüdischen Verleger wandten. Siehe Bömelburg, Ständegesellschaft und Obrigkeitsstaat, S. 435 – 436. 535 Supplik vom 15. August 1781, GStA PK, I. HA, Rep. 30, Nr. 189 a. 536 Bericht der Pommerschen Kammer, Stettin, 25. September 1781, ebd. 537 Vgl. Schmidt, Stettin, S. 190 – 191.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

X. Zwischenergebnis Am Anfang jeder Zwischenbilanz über den 1779 verschärften Exportzwang hat folgende Erkenntnis zu stehen: Die letzten Regierungsjahre Friedrichs des Großen, in denen über Bürgerliche Verbesserung der Juden und Allgemeines Landrecht debattiert wurde, waren für einen großen Teil der preußischen Judenschaft Jahre einer massiven und bislang in dieser Form ungekannten Entrechtung, die ihren Anfang am 6. Juni 1779 nahm. An jenem Tag befahl der König dem Generalfiskal, all jene Hausväter mit einem nachträglichen Porzellanexport zu konfrontieren, die in den vorangegangenen zehn Jahren anläßlich einer Privilegienverleihung nicht jene Menge an Porzellan ausgeführt hatten, die im Reskript vom 21. März 1769 vorgeschrieben worden war. Nicht weniger als 698 Konzessionen wurden damit zwar nicht sogleich annulliert, in ihrem Wert jedoch deutlich relativiert. Um die gewaltige Summe von mehr als 200.000 Rt. innerhalb weniger Wochen einzutreiben, begannen bald überall im Lande die ruinösen Einquartierungen – ein Zwangsmittel, zu dem zumindest bis 1783 in zahlreichen Fällen immer wieder gegriffen wurde. Da jedoch selbst mit diesen härtesten Zwangsmaßnahmen aus vielen Familien nicht die geforderten astronomischen Beträge herauszupressen waren, erfuhren die Privilegien der Porcellainerestanten eine systematische Entwertung. Der erste Schritt wurde 1781 mit der Anlegung der diskriminierenden „Armenliste“ gemacht, die in Wahrheit eine Betteljudenliste war, welche die auf ihr verzeichneten Hausväter unter gewaltigen, gewiß auch innerfamiliären Druck setzte. D’Anières und Grieninger machten den säumigen Schuldnern dabei klar, daß niemand aus ihrer Familie auf absehbare Zeit eine Konzession erhalten würde – von Ordinarii kann spätestens seit diesem Zeitpunkt recht eigentlich nicht mehr die Rede sein, zumal nun auch das Wort von der „Fortschaffung aus dem Lande“ unübersehbar im Raume stand. Den nächsten Schritt stellte die im August 1783 beginnende Einziehung der Privilegien dar, die sich zwar nur in 40 Fällen belegen ließ, jedoch zweifellos eine weitaus größere Gruppe von Hausvätern betroffen haben muß – daß es d’Anières und Grieninger für nötig erachteten, zu diesem Zweck einen Vordruck erstellen zu lassen, belegt dies wohl deutlich genug. Zum Äußersten, der Vertreibung, kam es jedoch offenbar nur in den Fällen, in denen sich die Obrigkeit durch konzessionslose Trauungen oder ähnliche Delikte zusätzlich herausgefordert sah. Die übrigen Porcellainerestanten, wenige Jahre zuvor noch „ordentliche Schutzjuden“, mittlerweile durch unzählige Exekutionen ruiniert, wurden in amtlichen Dokumenten nur noch als Tolerierte geführt, die keinerlei Hoffnung auf Vererbung des (von Berlin eingezogenen) Schutzbriefes haben konnten und am Ende froh sein mußten, nicht „über die Grenze“ zu müssen. Parallel zu der jahrelang mit härtesten Maßnahmen durchgesetzten Eintreibung der „Rückstände“ avancierte der Exportzwang spätestens nach 1779 zum integralen Bestandteil jeder jüdischen Familienplanung. Denn der Kauf von Porzellan

X. Zwischenergebnis

491

war nunmehr keineswegs lediglich bei „besonderen familiären Anlässen“ 538 fällig, sondern beispielsweise auch bei der Ansetzung des ersten Kindes. Das heißt: Eine Familie, die über die Entrichtung aller übrigen Abgaben hinaus nicht in der Lage war, 300 Rt. zu mobilisieren und dabei einen Verlust von schätzungsweise 150 Rt. hinzunehmen, hatte keinerlei Zukunft im Staate Preußen. Und von solchen Familien gab es offensichtlich eine ganze Menge, so daß der Exportzwang spätestens nach 1779 auch demographische Wirkung entfaltete, wie am Beispiel der Provinz Ostfriesland aufgezeigt werden konnte. Trotz der lediglich lückenhaft vorhandenen Regionalforschungen läßt sich zudem mit einiger Bestimmtheit die Aussage treffen, daß es auch im Bereich des jüdischen Immobilienbesitzes zu spürbaren Einbrüchen kam, auf die bereits im Falle Emdens hingewiesen wurde. Ganz ähnliche Entwicklungen spielten sich zeitgleich weiter südlich im Fürstentum Minden ab, wo Generalfiskal d’Anières im Jahre 1779 fünf Konzessionen zum Hausbesitz moniert hatte. 539 Eine von ihnen war Behrend Joseph aus Lübbecke verliehen worden, der wohl wie jeder seiner Leidensgenossen zuvor geglaubt hatte, sein Haus „mit Recht“ zu besitzen, wie er im April 1780 gegenüber dem Steuerrat erklärte. 540 Mehrere Einquartierungen und erfolglose Zwangsversteigerungen belehrten Joseph indes eines anderen. 1783 kam sein Anwesen endlich unter den Hammer. Den Zuschlag für die im Feuerkassenkataster auf 1.100 Rt. taxierte Immobilie 541 erhielt der Lübbecker Stadtmusikant Carl Brüggemann zum „Schnäppchenpreis“ von 780 Rt. – das waren exakt 2 Rt. 20 Gr. mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen zwei Drittel der Taxe. 542 Auf diese Weise trug der Exportzwang maßgeblich dazu bei, daß sich in Lübbecke zwischen 1783 und 1799 kein einziges Haus mehr in jüdischem Besitz befand, denn neben Joseph hatte auch Philipp Joel sein Anwesen 1779 unter anderem wegen fehlender Mittel zum Export an einen Christen verkaufen müssen. 543 Ein Kaufgesuch des Nathan Moses wurde 1779 aus demselben Grund aus Berlin abgelehnt, 544 weshalb Moses 538 So Berghahn, Grenzen der Toleranz, S. 27. Dieser Aussage ist freilich auch für die Jahre vor 1779 nur sehr bedingt zuzustimmen. 539 Neben dem hier vorgestellten Beispiel des Behrend Joseph aus Lübbecke handelte es sich dabei um die Privilegien von Gumpert Philipps aus Minden, Salomon Levi aus Hausberge, Salomon Samson aus Schlüsselburg und Jonas Meyer aus Petershagen. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 101. 540 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 259 – 260. 541 StA Lübbecke, A, Nr. 479, siehe darin die Einträge Nr. 212 und 213. 542 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 317, Bl. 143. 543 StA Lübbecke, A, Nr. 571. 544 Siehe das Direktorialreskript an die Mindensche Kammer vom 29. Juni 1779: „Da aber derselbe [Nathan Moses] dafür [für die Konzession zum Hausbesitz] weiter nichts, als 15 Rt. zur Chargen und Stempel Casse entrichten, auch kein hiesiges Porcellaine zum auswärtigen Debit übernehmen will, so habt Ihr den Supplicanten bey diesen von ihm gemachten Bedingungen mit sothanem seinem Gesuche schlechterdings abzuweisen.“ LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 208.

492

H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

erst 1799 das von ihm bewohnte Anwesen kaufen konnte. 545 Im nahen Schlüsselburg mußte der nahezu 80jährige Salomon Samson im Jahre 1780 sein Haus aus gleicher Ursache abtreten. Sechs Jahrzehnte zuvor war es noch auf 450 Rt. taxiert worden – nun ging es zum Preis von 80 Rt. an die Schlüsselburger Braugenossenschaft. 546 Samson wanderte daraufhin zu seinem Sohn Jacob nach Stolzenau in Kurhannover aus. 547 Gerade für Juden in kleinen Landgemeinden des Fürstentums Minden stellte der Porzellanexport (zumal nach 1779) eine offenbar unüberwindliche Hürde auf dem Weg zu den „eigenen vier Wänden“ dar: 1792 befanden sich außerhalb Mindens nur noch zwei Häuser in jüdischem Besitz. 548 Mitunter, dies zeigt ein Blick auf Landsberg an der Warthe, konnten auch andere Gemeindemitglieder vom Niedergang eines Porcellainerestanten profitieren, waren doch jüdische Häuser nicht auf dem freien Markt zu erwerben, sondern unterlagen vielfältigen quantitativen Beschränkungen. So hatte im August 1773 zunächst Israel Kersten eine Konzession zum Hausbesitz erhalten, dafür jedoch lediglich Porzellan im Wert von 31 Rt. ausgeführt. 549 Nach 1779 zeigte sich Kersten zu weiteren Exporten nicht in der Lage, wurde im Oktober 1781 auf die Armenliste gesetzt und im August 1783 mit dem Entzug seines Schutzes konfrontiert. 550 Das im Mai 1752 für 400 Rt. gekaufte Haus, auf dem 1783 Verbindlichkeiten in Höhe von 2.265 Rt. ruhten, ging durch Konzession vom Februar 1783 in die Hände von Gottschalk Meyer über, der sich bereits seit 1780 um den Erwerb des Anwesens bemüht hatte und offenbar einen Kaufpreis von 500 Rt. entrichtete. 551

545

Vgl. die Angaben bei Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 671 –672. Daß auch hier das Judenporzellan ursächlich für den Besitzerwechsel verantwortlich war, zeigt der Eintrag zu Samson in der Häusertabelle von 1780. Siehe LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 316, Bl. 30 – 32: „Hat solches den 29. Mart 1722 von Leesemann vor 450 Rt. in 18 Jahren wiederkäuflich an sich gebracht und ist der deshalb errichtete Contract vom Amte Schlüsselburg confirmirt, weil aber das Haus nicht wieder eingelöset ist, so hat er die Allerhöchste Concession zu dessen Besitz unterm 16. Decemb. 1778 gegen Erlegung von 5 Rt. halb zur Chargen- und halb zur Stempel-Casse zwar erhalten, allein, weil er nachher nicht vermögend war, die von ihm verlangte Exportation von Berliner Porcellain zu praestiren, so ist ihm per Rescr. d. d. Berlin, den 31. May cur. frey gelassen, sein Haus an einen Christen zu verkaufen und hat daher solches jetzt denen Braugenossen in Schlüsselburg solches [!] für 80 Rt. verkaufft.“ Vgl. auch Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 679. 547 Ebd., S. 514. 548 Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 680. An dieser Stelle sei angemerkt, daß der ebd., S. 546 angenommene Porzellanexport Wolff Philipps aus Minden offenbar nicht zustandekam. 549 APGW, AMG, Nr. 1990, Bl. 119; vgl. Export Nr. 0210 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 550 APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 57, 64, 116, 122 – 123. 551 APGW, AMG, Nr. 1993, Bl. 48 – 66; vgl. Export Nr. 0904 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 546

X. Zwischenergebnis

493

Derartige, eng mit dem Judenporzellan verbundene Geschichten von sozialer Deklassierung und Depossedierung ließen sich insbesondere für die Jahre nach 1779 dutzendweise anführen. Doch weisen diese Beispiele tatsächlich auf eine Tendenz für die preußische Gesamtjudenschaft? Oder handelt es sich um bedauerliche „Einzelfälle“, die quellenbedingt überrepräsentiert sind und lediglich normale soziale Umschichtungsprozesse widerspiegeln? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage bedarf es zweifellos einer quantifizierenden Methode. Wichtige Aufschlüsse bietet ein Ansatz, der bereits für die ostfriesische Judenschaft angewendet wurde, nämlich ein Vergleich, in welcher Häufigkeit vor und nach 1779 Konzessionen an Juden verliehen wurden – diesmal nicht lediglich in Ostfriesland, sondern in der gesamten preußischen Monarchie. Die Datengrundlage für einen solchen Vergleich ist einerseits in den Monita Generalfiskal d’Anières’ aus dem Jahre 1779 sowie andererseits in tabellarischen Nachweisungen gegeben, die 1787 im Auftrage der Porzellanmanufaktur durch die einzelnen Provinzialregistraturen des Generaldirektoriums angefertigt wurden. Die in Tab. 14 für den Zeitraum 1769 – 1779 angegebenen Zahlen stützen sich demnach auf das Material des Generalfiskals, wobei zu berücksichtigen ist, daß die zugrundeliegenden Statistiken unter großem Druck binnen weniger Tage angefertigt werden mußten. Die für den ersten Zeitraum genannten Zahlen sind also eher zu niedrig als zu hoch. Differenziert man nach Provinzen und dividiert die für 1769 bis 1779 dokumentierte Zahl verliehener Konzessionen jeweils durch 10 (im Falle Westpreußens durch 5) 552 sowie die Zahl der 1780 bis Juli 1787 erteilten Privilegien durch 7,5, um die Jahresquote zu ermitteln, so ergeben sich folgende Befunde: Die Aussagekraft dieser Tabelle hat zweifelsohne ihre Grenzen und sollte nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten. Gleichwohl ergeben sich auffällige Rückgänge, die dafür sprechen, vom Jahr 1779 als von einer Zäsur zu sprechen. Da ist zunächst die Gesamtzahl verliehener Konzessionen, die in wenigen Jahren um bis zu 30 % zurückging. Selbst wenn man berücksichtigt, daß in diese Zahl besonders stark der Rückgang in der Neumark eingeflossen ist, bleibt dies ein beachtlicher Wert. Vollends deutlich wird die drastische Einbuße jedoch erst dann, wenn man sich die Ergebnisse der einzelnen Provinzen ansieht. Berlin, die Kurmark und Ostpreußen (das hier nahezu gleichbedeutend ist mit Königsberg) legten moderat zu. In nahezu allen anderen Provinzen sind jedoch teilweise erhebliche Rückgänge, mitunter gar Einbrüche zu konstatieren: in der Grafschaft Mark um 17 %, in Pommern um rund 29%, in Halberstadt und Hohenstein um 40%, in Kleve um 43 %, in Ostfriesland um 57 % und in Minden-Ravensberg sowie Tecklenburg und Lingen gar um 68 %. Damit erreichten die nach 1779 zu beobachtenden Rückgänge in der Konzessionsvergabe indes ein Ausmaß, das auf lange Sicht vollends in eine demographische 552 Die Auswirkungen der ersten polnischen Teilung auf den ostpreußischen Kammerbezirk, dem das Fürstbistum Ermland zugeschlagen wurde, konnten hier vernachlässigt werden, da im Ermland, nämlich in Heilsberg, lediglich zwei ehemals fürstbischöfliche Schutzjuden ansässig waren.

494

H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786) Tabelle 14 Anzahl der in den Jahren 1769 bis 1787 in der preußischen Monarchie mit Ausnahme Schlesiens an Juden verliehenen Konzessionen 553

Provinz

Berlin Kurmark Neumark Pommern Westpreußen (seit Januar 1774) Ostpreußen und Litauen Herzogtum Magdeburg Halberstadt und Hohenstein Herzogtum Kleve Moers Grafschaft Mark Minden, Ravensberg, Tecklenburg und Lingen Ostfriesland Gesamte Monarchie (außer Schlesien)

Anzahl verliehener Jährlicher Privilegien Durchschnitt März 1769 bis Juni 1779

Anzahl verliehener Privilegien Januar 1780 bis Juli 1787

Jährlicher Durchschnitt

93 122 155 63 33

9,3 12,2 15,5 6,3 6,6

72 99 41 34 35

9,6 13,2 5,5 4,5 4,7

31 3 22

3,1 0,3 2,2

34 3 10

4,5 0,4 1,3

40 2 24 52

4,0 0,2 2,4 5,2

17 7 15 13

2,3 0,9 2,0 1,7

58

5,8

19

2,5

698

69,8

365

48,7

Katastrophe führen mußte – nicht in Berlin oder Königsberg, jedoch ganz gewiß in Minden-Ravensberg, Kleve und Ostfriesland. Dem möglichen Einwand, hier werde jüdisches Leben auf seinen Niederschlag in der obrigkeitlichen Überlieferung reduziert, wäre entgegenzuhalten, daß eine auch nur halbwegs gesicherte Existenz in voremanzipatorischer Zeit den Besitz eines Schutzbriefs voraussetzte. Wenn dieser nicht mehr vererbt werden konnte, weil die dazu aufgebauten fiskalischen Hürden nicht mehr zu überwinden waren, drohte der Nachkommenschaft, sofern sie nicht auszuwandern gewillt war, die traurige Existenz als zeitlebens unverheirateter Knecht im Haushalt älterer Geschwister oder anderer Schutzjuden. Daß der Anteil solcher bedauernswerter Existenzen in den Jahren nach 1763 beispielsweise in Kleve bedeutend anstieg, wies Fritz Baer bereits vor beinahe 100 Jahren nach. 554 Neuere Forschungen kamen für Minden-Ravensberg, das in der 553

Zahlen nach GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 92 – 104; MA, I, Nr. 3, Bl. 27 –62. 554 Baer, Protokollbuch, S. 59, 65.

X. Zwischenergebnis

495

hier aufgemachten Rechnung ebenfalls besonders schlecht dasteht, zu vergleichbaren Ergebnissen. So betrug in Minden das durchschnittliche (Erst-)Heiratsalter in den Jahren nach 1770 etwa 34 Jahre 555 und stand damit in eklatantem Widerspruch zur jüdischen Tradition, die der Frühehe einen hohen Stellenwert einräumte. 556 Dem wäre hier noch hinzuzufügen, daß sich für Minden eine Berechnung des Heiratsalters für die Jahre 1780 bis 1787 nicht einmal bewerkstelligen ließe, denn offenbar erhielt in jenen sieben Jahren kein einziges Gemeindemitglied irgendeine Konzession, weder zur Niederlassung noch zum Hausbesitz. Auch hier wiederum der Vergleich: 1779 hatte der Generalfiskal aus den vorangegangenen zehn Jahren noch fünf Konzessionen Mindener Juden gefunden, die er monieren konnte. 557 Die Verschärfung des Porzellanexportzwangs bedeutete demnach für die preußische Judenschaft eine Zäsur, wie sie verhängnisvoller kaum zu denken ist. Der Begriff vom „Judenporzellan“ hielt sich nicht von ungefähr bis weit ins 19. Jahrhundert hinein im allgemeinen Sprachgebrauch. In der bisherigen Forschung wurde die Bedeutung dieser Sonderbelastung hingegen nicht in ihrer ganzen Tragweite erfaßt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß die Phase der schärfsten Durchsetzung des Exportzwangs „lediglich“ sieben Jahre dauerte. Doch selbst auf diese Weise befanden sich zahlreiche preußische Landjudenschaften beim Tode Friedrichs des Großen offenbar in einem Zustand völliger Erschöpfung. Noch im Juni 1786 begann man in Westpreußen gegen jene Juden vorzugehen, die nach 1779 zwar eine Konzession beantragt hatten, bei denen das Verfahren jedoch aufgrund des Porzellanexports nicht hatte zum Abschluß gebracht werden können. Dabei handelte es sich um Alexander Jacob und Judas Aron aus Schlochau, Joseph Elias aus Langfuhr, Ascher Levin aus Strasburg, Daniel Alexander aus Putzig, Joachim Marcus aus Flatow, Leeser Salomon aus Hammerstein, Salomon Isaac aus Dirschau, Marcus Joachim aus Hoppenbruch sowie Meyer Littman aus Bischofswerder. 558 Das Generaldirektorium teilte der Westpreußischen Kammer deshalb am 29. Juni mit, man müsse vermuten, die Juden hätten das Porzellan nicht exportiert, um „ihren ohne Concession unzulässigen Aufenthalt und Gewerbe in den Städten, auf welche sie solche gesucht haben, unter dem Deckmantel der geschehenen Ansetzung fortzusetzen“. Dies könne nun freilich keineswegs geduldet werden, weshalb die Kammer den Juden anzudeuten habe, daß sie aus dem Lande geschafft würden, wenn sie nicht binnen drei Monaten das Porzellan gekauft und exportiert hätten. 559 Das weitere Vorgehen ist nicht dokumentiert, doch erhält man einen Teil der Antwort in den Verkaufslisten der KPM, findet 555 556 557 558

Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 524. Herweg, S. 38 –40, 45 – 47; Berger, Sexualität, Ehe und Familienleben, S. 129 –134. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 101. GStA PK, II. HA, Westpreußen und Netzedistrikt, Materien, Tit. LXVI, Sekt 1, Nr. 8,

Bl. 18. 559

Ebd., Bl. 19 – 20.

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H. Der Porcellaineexportationszwang. Teil 2 (1779 –1786)

man dort doch zumindest Salomon Moses aus Schlochau, und zwar noch am 30. Mai 1787. 560 Wie sehr der Exportzwang am Ende von Friedrichs Regierungszeit auch von manchem Steuerrat verinnerlicht worden war, mögen Äußerungen des Frankfurter Steuerrats Gutschmidt vom Februar 1786 aufzeigen. Gegenstand der Untersuchung war das Haus der Witwe des dortigen Schutzjuden Marcus Moses Schlesinger. 561 Diese zeigte sich allerdings nicht in der Lage, den von ihr geforderten Porzellanexport zu bewerkstelligen, weshalb sie nun plante, ihr Haus an einen Christen zu veräußern. Gutschmidt verwies in seinem Gutachten darauf, daß in den vorangegangenen Jahren die Zahl der Judenhäuser bereits von 24 auf 20 zurückgegangen sei. Diese Entwicklung (die den Intentionen des Königs entsprach) sei allerdings wegen der aus Polen zureisenden Meßjuden für die Stadt keineswegs vorteilhaft. Vor diesem Hintergrund plädierte Gutschmidt dafür, diese vier Häuser möglichst wieder an jüdische Besitzer zu geben, wobei er offenbar ein feines Gespür dafür entwickelt hatte, welche Argumente in Berlin in jenen Jahren am meisten Aussicht auf Erfolg versprachen. So vergaß der Steuerrat nicht, hinzuzufügen, daß auch die KPM „durch Ankauf der 4 Häuser einen auswärtigen Debit von 1.200 Rt. an Werth machen könnte“. Wenngleich aus diesem „Kuhhandel“ nichts wurde, spricht Gutschmidts Gutachten doch Bände für die 1786 offenbar allseits in der Bürokratie bekannte Bedeutung, die höheren Orts dem Exportzwang beigemessen wurde. Für die Berliner Porzellanmanufaktur waren es deshalb gute Jahre, kletterten doch die Einnahmen durch das „Judenporzellan“ in bislang unerreichte Höhen: Tabelle 15 Einnahmen der KPM durch jüdische Zwangsexporte zwischen 1779 und 1786 562 Jahr

Summe in Rt.

Anteil am Absatz in Prozent

1779 1780 1781 1782 1783 1784 1785 1786

32.185,03 33.243,06 28.116,05 26.569,18 41.415,21 19.394,01 26.677,22 15.833,04

25,32 26,60 23,04 22,62 35,59 16,86 21,60 12,56

560 Siehe Export Nr. 1358 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 561 Siehe dazu: BLHA, Rep. 2, Nr. S.4220, danach die folgenden Zitate. 562 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 19 –36; Angaben zum Anteil am Absatz unter Verwendung des Zahlenmaterials bei Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 458. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich die Höhe der Einnahmen jeweils auf das Kalenderjahr bezieht, während das Haushaltsjahr der Manufaktur jeweils den Zeitraum 1. Juni bis 31. März umfaßte.

I. Ein neuer König in Preußen. Friedrich Wilhelm II. und die gescheiterte Reform des Judenwesens Nach einer Regierungszeit von nahezu einem halben Jahrhundert starb Friedrich der Große, dessen Gesundheitszustand sich bereits seit Dezember 1785 bedenklich zuspitzte, in den frühen Morgenstunden des 17. August 1786. 1 Die zwar nicht ausschließlich herrschende, jedoch zweifellos weit verbreitete Stimmung im Land beschrieb Mirabeau, einer der letzten Gesprächspartner des greisen Friedrich, mit den berühmt gewordenen Worten: Es herrscht Totenstille, aber keine Trauer; man zeigt sich benommen ohne Kummer. Man sieht in kein Gesicht, das nicht den Ausdruck von Erleichterung, von Hoffnung trüge. Kein Bedauern wird laut, kein lobendes Wort [...] Alle Welt wünschte das Ende herbei – alle Welt beglückwünscht sich! 2

Die Nachfolge des verstorbenen Königs trat mit Friedrich Wilhelm II. ein Mann an, mit dem die Geschichtsschreibung lange Zeit im Grunde genommen ebensowenig anzufangen wußte wie Friedrich der Große. 3 So war der neue Monarch nach Ansicht Otto Hintzes „recht im Gegensatz zu dem in heroischer Askese rastlos für den Staat arbeitenden Vorgänger ein bequemer Genußmensch, der wohl die besten Absichten hatte, aber nicht die Geistes- und Willensstärke und vor allem nicht die Ausdauer und Arbeitskraft, deren es bedurft hätte, um die Regierung im Sinn und Geist des großen Friedrich fortzuführen“. 4 Angesichts sich verstärkender Krisensymptome in den Jahren vor 1800, genannt seien lediglich die ländliche Sozialverfassung sowie die längst überforderte Kabinettspolitik, konnte es freilich auch gar nicht darum gehen, unbeirrt den friderizianischen Kurs zu halten. 5 1

Über Krankheit und Tod des Königs Kunisch, Friedrich der Große, S. 525 –539. Zitiert nach Ruppel-Kuhfuss, S. 9. Zur Bandbreite der beim Tod Friedrichs herrschenden Stimmungen vgl. Sieg, Staatsdienst, S. 89. 3 Gedanken zur letztlich dennoch entscheidenden Bedeutung der dynastischen Kontinuität im Denken Friedrichs des Großen bei Kunisch, Friedrich der Große, S. 224 –250. 4 Hintze, Hohenzollern und ihr Werk, S. 405. 5 Das Nebeneinander von Beharrung und Wandel betont mit Blick auf die Mark Brandenburg am Augang des 18. Jahrhunderts Neugebauer, Zentralprovinz, S. 172: „Die tradierten Verhältnisse gerieten ins Wanken, und durchaus nicht nur in demographischer Hinsicht ist in der Mark vor 1806 ein erstaunliches Maß an Wandel und Mobilität festzustellen. Freilich wohl nicht im Ganzen und überall: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das Neben2

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Wenngleich sich deshalb in neueren Beurteilungen der Persönlichkeit des neuen Monarchen ein verstärktes Bemühen um Ausgewogenheit niederschlägt, 6 so herrscht doch weiterhin Einigkeit darüber, daß mit „den im ganzen zaghaft gehandhabten Mitteln des Regiments Friedrich Wilhelms II. und Woellners [...] dem Wandel nicht zu steuern“ 7 war. Es ist nicht die Aufgabe dieses Überblicks, jenen sich in zahlreichen Lebensbereichen äußernden Wandel in seinen Verästelungen nachzuzeichnen. Bevor auf den Gang der Judenreform einzugehen ist, sei hier lediglich eine Bemerkung zur mit ihr auf vielfältige Weise verwobenen Wirtschaftspolitik hinzugefügt, die bereits zu Lebzeiten Friedrichs auf Widerstände gestoßen war, ohne daß diese Kritik zu diesem Zeitpunkt bereits auf einer Rezeption von Adam Smith und seinem Wealth of Nations (1776) beruht hätte, die in Deutschland erst Mitte der 1790er Jahre ihren Siegeszug antrat und auch für die Stein-Hardenbergschen Reformen eine bedeutende Rolle spielen sollte. 8 Auf einzelne Modifikationen wird in den folgenden Kapiteln noch einzugehen sein, doch sei hier bereits darauf hingewiesen, daß es letztlich nur die besonders unpopulären Verordnungen aus friderizianischer Zeit waren, die relativ rasch aufgehoben wurden: allem voran die Regieverwaltung sowie die Monopole auf Tabak, Kaffee und Zucker. Das Fabrikensystem als solches blieb jedoch bestehen. 9 Ein durchaus nicht unähnliches Bild zeigt sich auf dem Feld der Judenpolitik, bei der sich zunächst eine Trendwende anzudeuten schien, die sich ironischerweise unter anderem mit dem mit dem Namen Woellner verband, 10 der ungeachtet der sozialkonservativen, revolutionspräventiven Grundausrichtung seiner Politik 11 auf den Feldern der Agrar- 12 und der Judenpolitik durchaus für eine Veränderung der tradierten Verhältnisse eintrat. 13 Letztere hatte in seinen dem Kronprinzen einander von traditionaler Beharrung hier und erstaunlicher Mobilität in der unmittelbaren Nachbarschaft erscheint als Signatur zumal der ländlichen Verhältnisse in Brandenburg um 1800.“ 6 Vgl. Heinrich, Friedrich Wilhelm II.; Meier, Friedrich Wilhelm II. 7 Neugebauer, Zentralprovinz, S. 170. 8 Zur Rezeption von Smith in Deutschland Ballestrem, S. 184 –190; Waszek. 9 Als Überblick Mieck, Vom Merkantilismus zum Liberalismus; Treue, Wirtschaftsund Technikgeschichte, S. 157 – 161; Radtke, Gewerbe und Handel, S. 346 –447; bereits Rachel, Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, S. 991 bilanzierte: „Das waren vielerlei Änderungen und doch war es im ganzen nicht viel. Man hat einige der unpopulärsten Erscheinungen beseitigt, das Wesen aber bestehen lassen.“ Zur Aufhebung der Regie ferner Ruppel-Kuhfuss, S. 27 – 48. 10 Zur Person Bailleu, Johann Christof Woellner. Auf Woellners rosenkreuzerischen Hintergrund wurde eingangs bereits hingewiesen. Siehe dazu ferner Schultze, Die Rosenkreuzer und Friedrich Wilhelm II. 11 Auf das berühmt-berüchtigte Religionsedikt vom 9. Juli 1788, dem gleichwohl auch ein Toleranzmoment innewohnte, muß hier nicht näher eingegangen werden. Siehe dazu Valjavec; Neugebauer, Zentralprovinz, S. 169 – 170. 12 Näheres bei Neugebauer, Zentralprovinz, S. 174. So trat Woellner über mehrere Jahre hinweg in Nicolais „Allgemeiner deutscher Bibliothek“ als Rezensent von Veröffentlichun-

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zwischen Juni 1784 und August 1786 gehaltenen Vorträgen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt, wobei Woellner für die Naturalisierung der Juden, zumindest aber für deren Heranziehung zum Kriegsdienst eintrat, wovon eine Weckung ihrer Vaterlandsliebe und ein höherer Sozialstatus der bislang verachteten Minderheit zu erhoffen sei. 14 Auch Mirabeau trat unmittelbar nach dem Thronwechsel an den neuen König mit einer Denkschrift heran, die für eine volle bürgerliche Freiheit der Juden sowie eine Abschaffung der bestehenden Sonderabgaben plädierte. In diesem Kontext sind ferner auch seine Schriften Über Moses Mendelssohn und die politische Reform der Juden (London 1787) und Über die preußische Monarchie (London 1788) zu verorten, die jeweils deutliche Anklänge an die Gedanken Dohms erkennen lassen. 15 Zahlreiche voneinander unabhängige Herrscherakte des neuen Monarchen sorgten denn auch bald für Aufsehen, so die recht großzügige Vergabe von Generalprivilegien (allein sechs bis Juni 1787) sowie die Tatsache, daß der König seine beiden legitimen Söhne durch einen Juden in Naturwissenschaften unterweisen ließ. 16 Daß es sich hier lediglich um Anzeichen für einen umfassenderen Kurswechsels handeln könnte, schien als Möglichkeit erstmals im Rahmen der Reorganisation des Generaldirektoriums auf kollegialer Basis auf, mit der man den ursprünglichen Zustand der Behörde unter Friedrich Wilhelm I. wiederherzustellen hoffte. 17 So hieß es in der dem Generaldirektorium vom König am 28. September 1786 erteilten neuen Instruktion hinsichtlich des Judenwesens: Alles, was die politische Verfassung, die Toleranz und Ansetzung der Juden auch deren Gewerbe betrifft, bleibt dem General pp. Directorio und den pp. Cammern fernerhin untergeben, und haben dieselben dahin zu sehen, dass dabei überall die gen zur Landwirtschaft hervor und zeigte sich auch in zahlreichen eigenen Abhandlungen, etwa zur Aufhebung der Gemeinheiten (1766), als Anhänger der englischen Wirtschafsweise, wie sie vielen zeitgenössischen Agrarreformern als Modell vorschwebte; vgl. Bailleu, Woellner, S. 138 – 139. 13 Ruppel-Kuhfuss, S. 98 huldigte dem antisemitischen Zeitgeist (1937) mit folgender Bemerkung, die sich auf Woellners (als solche nicht zu bestreitende) persönliche Verschuldung bei Juden bezieht: „Auch Wöllners lebhafte Unterstützung der Judenreform findet ebenso wie bei dem Staatskanzler Fürsten von Hardenberg ihre Erklärung in der Verbindung und Abhängigkeit von jüdischem Kapital.“ So habe es auch der König „gelegentlich nicht an leichter Ironie über Wöllners Eifer für die jüdische Sache fehlen lassen“. 14 Lewin, Judengesetzgebung, S. 76. In der Armee sollten sie als Husaren verwandt werden – „ein Dienst, zu dem sie ihr morgenländisches, hitziges Temperament, ihre Schlauigkeit und ihr verschmitztes Wesen, ihre körperliche Beweglichkeit und ihre Vorliebe für Pferde vortrefflich befähigten“. 15 Ebd., S. 77 – 80. 16 Ebd., S. 82. 17 Auf diese Zentralisierungebemühungen, die letztlich an der Bedeutung der Fachdepartements sowie der fortgeschriebenen Abtrennung einzelner Provinzialdepartements (Schlesien) scheiterten, ist hier nicht näher einzugehen. Siehe dazu umfassend RuppelKuhfuß.

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Vorschriften des General-Juden-Reglements vom 17. April 1750 und die in Verfolge desselben ergangenen Anweisungen und Bestimmungen unverbrüchlich befolget werden. Es verstehet sich übrigens von selbst, dass zwar in Juden-Sachen die Gutachten des General-Fiscals fernerhin erfordert, dennoch aber die Entscheidung darauf dem General pp. Directorio vorbehalten werde. Se. Königl. Maj. empfehlen auch Dero General pp. Directorio angelegentlich, mit Nachdruck darauf zu halten, dass die ohnedem schon gedrückte jüdische Nation, soweit es möglich, soulagiret und von dem General Fiscal nicht so gräulich gequälet werde. 18

Nun ist diese Instruktion zweifellos ein Ausdruck jener Inkonsequenz, die durchaus typisch für Friedrich Wilhelm II. werden sollte, denn wie konnte eine wesentliche Verbesserung der Lage der jüdischen Minderheit erreicht werden, wenn gleichzeitig das Generalreglement von 1750 seine Geltung behalten sollte? Gleichwohl äußerte sich hier ein diffuser guter Wille, der in der Aufbruchssituation der ersten Monate nach Friedrichs Tod die Hoffnung auf einen weitergehenden Kurswechsel befeuern mochte. Doch ist dieses Dokument noch aus einem weiteren Grund von Interesse, denn wenn der König die Position des Generaldirektoriums gegenüber dem Generalfiskalat zu stärken suchte, so nahm der Monarch damit unausgesprochen auf institutionelle Gewichtungen bezug, wie sie in dieser Form erst 1779 im Zuge des eskalierenden Porzellanexports entstanden waren. So war es gerade jene Sonderabgabe gewesen, die bei allen Fragen der Geleiterteilung dem Generalfiskal eine zuvor oft lediglich auf dem Papier stehende Kontrollfunktion ermöglicht hatte. 19 Daß die gedrückte Lage der Judenschaft von Friedrich Wilhelm II. bzw. Woellner 20 vor allem als Folge von d’Anières’ Tätigkeit und nicht etwa derjenigen der Kameralbehörden interpretiert wurde, belegt insofern ein weiteres mal den immensen Stellenwert, der dem Judenporzellan gerade in den letzten Lebensjahren Friedrichs des Großen beizumessen ist. Inwiefern sich diese Instruktion wiederum auf den Porzellanexport auswirkte, wird noch zu untersuchen sein. Vorerst soll jedoch der weitere Gang der allgemeinen Judenpolitik verfolgt werden.

18 Instruktion abgedruckt bei Stadelmann, Preußens Könige, Bd. 3, S. 125 –161, hier: S. 158; zur Genese Ruppel-Kuhfuss, S. 11 – 22; Lewin, Judengesetzgebung, S. 85 –86. Das „Soulagement“ der Untertanenschaft taucht als Zielvorstellung Friedrich Wilhelms II. gerade zu Beginn seiner Regierungszeit häufig auf. Siehe Radtke, Gewerbe und Handel, S. 391. 19 Vgl. Kap. D. II. und H. 20 Die Spitze gegen d’Anières dürfte auf Woellner zurückgehen, worauf der Verfasser dankenswerter Weise von Dr. Rolf Straubel aufmerksam gemacht wurde. In den Kronprinzenvorträgen hatte der Geistliche über den Generalfiskal geurteilt: „Schickt sich sehr gut in seinem Posten, weil er niemand scheuet; seine Sentenzen aber werden von andern Juristen oft getadelt [...] Hat Religion, dabei aber viel Neigung zur Härte, die zuweilen in Unbarmhertzigkeit ausartet; ist sonderlich ein abgesagter Feind der armen Juden, denen er ofte schwer fället.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 96, Tit. 206 E, Bl. 32; vgl. Schenk, Generalfiskal d’Anieres, S. 205.

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So traten die Berliner Oberlandesältesten am 25. Dezember 1786 sowie am 6. Februar 1787 mit Petitionen an den König heran und baten auf Basis einer kurzen Darstellung ihrer kümmerlichen Lage um die Einsetzung einer Kommission, die gemeinsam mit den Vertretern der Judenschaft über eine Reform des Judenwesens beraten solle – eine Bitte, der Friedrich Wilhelm II. mit Kabinettsdekretschreiben vom 21. Februar entsprach. 21 Auf dieser Basis kam es im Frühjahr zu einer Versammlung der Oberlandesältesten mit Vertretern der Landjudenschaften in Berlin, an der lediglich die Delegierten Schlesiens, Westpreußens und Ostfrieslands nicht beteiligt waren. 22 Die Breslauer Ältesten hofften dabei offenbar, ihre Interessen mit Hilfe des schlesischen Provinzialministers von Hoym, der ihnen seine Unterstützung zugesagt hatte, wirksamer vertreten zu können. 23 Die Berliner Versammlung wählte hingegen drei Generaldeputierte, die auf Grundlage der von der Vollversammlung gebilligten Dokumente die Vollmacht erhielten, im Namen der Judenschaft mit der Regierung in Verhandlungen einzutreten. 24 Neben David Friedländer, der zwischen 1787 und 1792 „die treibende Kraft hinter den ersten Reformanstrengungen“ 25 bildete, fiel dabei die Wahl auf Liepmann Meyer Wulff (1745 –1812) 26 und Isaac Daniel Itzig (1750 – 1806). 27 Der Bankier Wulff, von Friedrich Wilhelm II. am 6. April 1787 mit einem Generalprivileg ausgestattet, gehörte zu den Exponenten jener Generation, die in den Jahren vor der Jahrhundertwende Männer wie Veitel Ephraim oder Daniel Itzig an der Spitze der jüdischen Gemeinde beerbte 28 und galt um 1800 mit einem Vermögen von mehr als einer Million Rt. als der reichste Jude Berlins. Sein Aufstieg wurde dabei durch die kriegerischen Zeitläufte begünstigt. So lieferte er im Bayerischen Erbfolgekrieg Getreide an die preußischen Truppen, in den Koalitionskriegen der 1790er Jahre Fourage an die Rheinarmee. Zudem verfügte Wulff, der auch als Haupteinnehmer der Preußischen Klassenlotterie fungierte und das Postfuhrwesen in Berlin und Potsdam leitete, über exzellente Kontakte zu Staatsminister 21 Insbesondere Lewin, Judengesetzgebung, S. 86 – 87; ferner Friedländer, AktenStücke, S. 42; Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 27. 22 Lewin, Judengesetzgebung, S. 87. 23 Freudenthal, Emancipationsbestrebungen der Juden in Breslau, S. 47, 98. Auf die maßgeblich unter der Ägide Hoyms zustande gekommene „Vorschrift, wie es künftig mit dem Judenwesen in Breslau zu halten sei“ vom 21. Mai 1790, die sich in vielen Punkten positiv von den Regelungen des Generalreglements von 1750 abhob, soll hier nicht näher eingegangen werden. Das Reglement ist abgedruckt bei Rönne / Simon, S. 226 –231. Ob bei Hoyms Bemühungen auch sein ausgeprägter „Ressortpatriotismus“ eine Rolle spielte, kann lediglich vermutet werden; vgl. Bussenius, Preußische Verwaltung in Süd- und Neuostpreußen, S. 39. 24 Geiger, Geschichte der Juden in Berlin, Bd. 2, S. 340 –341. 25 Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, S. 78. 26 Zur Person Heinemann, Liepmann Meyer Wulf. 27 Zur Person Cauer; Rachel / Wallich, S. 370 – 375. 28 Diesen Prozeß beschreibt eindrucksvoll Lowenstein, The Berlin Jewish Community.

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Schulenburg-Kehnert und Kabinettsrat Beyme. 29 Itzig wiederum, der 1786 das Schöneberger Freigut erworben hatte und 1791 vom König mit einem Naturalisationspatent bedacht wurde, 30 sollten seine Geschäfte als Armeelieferant in den Ruin treiben. Jene 10.000 Pferde, die er nach dem Baseler Frieden (1795) an die französische Maasarmee lieferte, wurden ihm mit Verlusten von ca. 620.000 Rt. zum Verhängnis, so daß der Sohn Daniel Itzigs als armer Mann in Berlin gestorben ist. Diese drei Generaldeputierten legten am 17. Mai 1787 eine umfangreiche Petition vor, die sich an die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierende Königliche Kommission zur Reform des Judenwesens richtete. 31 In dem beigegebenen Promemoria gab man der Hoffnung Ausdruck, „unter der Regierung eines der edelsten und größten Fürsten Europens, und unter der Leitung weiser und großer Staatsmänner, zu nützlichen Menschen und brauchbaren Mitgliedern des Staates umgebildet zu werden“. 32 Die Deputierten folgten also durchaus der Argumentation Dohms, wenn sie erklärten, „daß es bloß den Einschränkungen und Bedrückungen zugeschrieben werden muß, wenn die Jüdische Kolonie dem Staate weniger nützlich und ersprießlich gewesen ist, als sie es nach Maaßgabe ihrer Kräfte hätte werden müssen“. Aus diesem Grunde erhoffte man sich vor allem, daß eine Hohe Commission geruhe, vor der Hand alle diese Edikte und Reglements, nahmentlich das General-Juden-Reglement von 1750, als nicht gegeben anzusehen, und bey der Berathschlagung über unsere Würdigkeit, und über die Mittel zu unserer Verbesserung, sie als nicht existirend zu betrachten. Vielleicht findet Eine hohe Commission es alsdann rathsam und nothwendig, sie für unbrauchbar und auf den zu verbessernden Zustand der Nation unanwendbar zu erklären. Und in diesem Falle erwarten wir von Ihrer Weißheit und Ihrem Edelmuth, daß Sie, mit Zuziehung einiger redlichen Männer aus unserer Mitte, ein neues Reglement entwerfe, welches auf Grundsätze der MenschenAchtung und Duldung gegründet, dem Flor des Staats und den Talenten und Kräften der Kolonie angemessen ist.

Dieser Einleitung folgten ein umfangreicher „Abriß von dem politischen Zustande der sämmtlichen jüdischen Kolonieen in den Preußischen Staaten, mit Ausschluß von Schlesien, Westpreußen und Ostfrießland“ 33 sowie zwei Betrachtungen über die solidarische Haftbarkeit 34 und den Handel. 35 Der hier vornehmlich 29

Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 201. Von einer Kuriosität am Rande berichtet 1861 Ritter, Friedländer, S. 21: „Noch jetzt kann man unter den Einnahmen des großen Militär-Waisenhauses zu Potsdam die Summen finden, welche der Staat in Folge der Emanzipirung der Itzig’schen Familie an dasselbe zahlt, da Friedrich Wilhelm I. jenem Waisenhause die Juden-Rekrutengelder durch Schenkung überlassen hatte. Sie ist [!] angeführt als Entschädigung wegen Naturalisation der Itzig’schen Familie im Betrage von 70 Thlr. Gold und 207 Thlr. 15 Sgr. Courant.“ 31 Lewin, Judengesetzgebung, S. 88. 32 Promemoria abgedruckt bei Friedländer, Akten-Stücke, S. 53 –56. Danach die folgenden Zitate. 33 Friedländer, Akten-Stücke, S. 57 – 82. 30

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interessierende Abriß bildet eine Zusammenstellung aller regulären und irregulären Abgaben sowie der Benefizien (z. B. Bauhilfsgelder) und Berufszweige (z. B. Ackerbau und Staatsämter), von denen Juden ausgeschlossen waren. 36 Derweil waren in auf den ersten Blick peripher erscheinenden Bereichen aus dem Generaldirektorium einige Reglements und Edikte ergangen, die bereits die „reformgefährdende dilatorische Taktik“ 37 der Behörde im nun einsetzenden Reformprozeß ahnen lassen. Denn sowohl im Polizeireglement für Berlin vom 28. Februar 1787, 38 im Pfand- und Leihreglement vom 13. März 39 sowie im Edikt gegen die heimliche Einbringung verbotener oder hochimpostierter Waren vom 26. März 40 war von einer gewandelten Einstellung den Juden gegenüber wenig zu spüren. Stattdessen drohten sämtliche Publikationen in ihren die Minderheit betreffenden Passagen bei Gesetzesverstoß wie eh und je die Landesverweisung mit samt der Familie an und gingen weiterhin vom Fortbestand der solidarischen Haftbarkeit aus. 41 Der Wortlaut des Pfand- und Leihreglements führte denn auch am 21. Mai zu einem Protest der Generaldeputierten bei dem seit dem 2. Oktober 1786 als Chef des General-Akzise- und Zolldepartements amtierenden von Werder, 42 „einem Manne, dem man nachsagte, er tue lieber das Gute als das Böse und ergreife nur aus Unkunde der Sachen falsche Maßregeln“. 43 Durch dessen dem König am 28. Oktober eingereichtes Gutachten kam erneut Bewegung in die Angelegenheit. Werder führte darin aus: Das Gutachten des Generaldepartements geht dahin: 1.) daß die jezzige Einschränkung der jüdischen Nahrungs- und Erwerbsmittel als die erste Ursach ihrer Dürftigkeit und der daraus entstehenden National-Gebrechen und Ausschweifungen anzusehen

34

Ebd., S. 83 – 100. Ebd., S. 101 – 116. 36 Zusammenfassung bei Lewin, Judengesetzgebung, S. 88 –90. 37 Heinrich, Die Debatte um „bürgerliche Verbesserung der Juden, S. 819. 38 N.C.C., Bd. 8, S. 621 – 654 (siehe insb. §§ 20, 42). 39 N.C.C., Bd. 8, S. 781 – 808 (siehe insb. §§ 16 – 19, 23). 40 N.C.C., Bd. 8, S. 819 – 834. 41 Siehe Lewin, Judengesetzgebung, S. 91 – 92. Auch der Hausbesitz erfuhr am 8. Oktober 1787 eine zusätzliche Reglementierung, indem Konzessionsgesuchen fortan der Hypothekenschein beizulegen war. Siehe N.C.C., Bd. 8, S. 1597 –1600; Halama, S. 245; vgl. GStA PK, XX. HA, Tit. 38, d 4, Nr. 217. 42 Siehe Friedländer, Akten-Stücke, S. 116 – 120. Werder war bereits durch eine Kabinettsordre vom 11. Februar 1787 mit einer Prüfung einer Reform des Judenwesens betraut worden. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 2; vgl. das Schreiben Werders an die Oberlandesältesten vom 5. März 1787 bei Täubler, Zur Geschichte des Projekts einer Reform des Judenwesens, S. 24. 43 Zitiert nach Lewin, Judengesetzgebung, S. 92. 35

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2.) daß es daher den Grundsäzzen der Billigkeit und Gerechtigkeit gemäß sey, dieser Nation eine ausgedehntere Erwerbs-Freiheit zu bewilligen und nach Erfordernis der Umstände alsdann ihre Toleranz-Gesezze zu untersuchen und zu reformiren. 3.) Den willkührlichen, allein auf die Autorität ihrer Rabbinen beruhenden Zwang ihres lästigen Kirchen-Gesezzes nach Möglichkeit zu mäßigen und sie dadurch 4.) In den Stand zu sezzen, sich im Nothfall auch der dem Bürger des Staats obliegenden Pflicht, das Vaterland zu vertheidigen, zu unterziehen. 44

Der König überwies Werders Vorschläge daraufhin am 31. Oktober dem Generaldirektorium und ordnete zu diesem Zweck die Einrichtung einer Kommission an. 45 Dieses Gremium wurde denn auch am 19. November ernannt und am 10. Dezember mit einer Instruktion versehen. Es tagte unter dem Vorsitz des Juristen und Geheimen Oberfinanzrats Johann Heinrich Wloemer (1726 – 1797), 46 eines Freundes Friedländers, der auch Dohm und Mendelssohn über seine Mitgliedschaft in der Mittwochsgesellschaft verbunden war, 47 und bestand ferner aus den Geheimen Finanzräten Klevenow und Dietrich sowie Generalfiskal d’Anières. 48 Daß diese Kommission bei ihrer Arbeit auf die Kooperation des Generaldirektoriums angewiesen blieb, erwies sich jedoch als ihrer Tätigkeit äußerst hinderlich. So gingen dem Gremium die 1787 für die gesamte Monarchie angefertigten Judentabellen 49 erst am 2. April 1788 zu, und auf die Berichte der Kammern über den Zustand der jeweiligen Judenschaften wartete man noch am 30. August vergeblich. 50 Auch die im November 1788 erfolgende Kontaktaufnahme mit der Kommission zur Reform des Kantonwesens verlief durchaus ernüchternd. So wurde den Juden durch dieses Gremium, das dabei von der Mobilmachungskom44 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 13, Bd. 1, Bl. 2; vgl. Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 63 – 64. Bei Lewin, Judengesetzgebung, S. 93 wird allerdings nicht thematisiert, daß sich dieser Bericht nach den Worten Werders bereits auf Beratungen innerhalb des Generaldepartements bezieht, also aller dirigierenden Staatsminister des Generaldirektoriums, deren kollegialische Zusammenarbeit aufgrund der bereits angeführten Instruktion vom 28. September 1786 wieder hergestellt werden sollte. Inwiefern hier wirklich eine Übereinstimmung Werders mit den übrigen Ministern vorliegt, muß allerdings dahingestellt bleiben. Das Verhalten des Generaldirektoriums in den kommenden Monaten spricht jedenfalls eher eine andere Sprache. 45 Lewin, Judengesetzgebung, 93. 46 Zur Person Krause, Johann Heinrich Wloemer. In Wöllners für den neuen König erstellter „Charakteristik guter Leute“ von 1786 notierte der königliche Intimus über Wloemer: „Kenntnisse: Er hat den Ruf eines großen Juristen; ist lange Advokat gewesen und hat wichtige, große Prozesse bearbeitet. Ein Mann von schneller und richtiger Penetration, dessen Meinung und Votum in einer Sache bei allen Juristen sehr respektieret wird. Charakter: Schon seine Physiognomie spricht Redlichkeit, die er auch in der Tat in einem hohen Grade besitzt.“ Zitiert nach Ruppel-Kuhfuss, S. 155. 47 Möller, S. 230; Krause, Johann Heinrich Wloemer, S. 107. 48 Lewin, Judengesetzgebung, S. 97 – 98. 49 Diese finden sich in GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 12. 50 Lewin, Judengesetzgebung, S. 211.

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mission und dem Oberkriegskollegium unterstützt wurde, noch im März 1790 über Generationen hinaus die Eignung zum Kriegsdienst abgesprochen und deshalb vor einer Zulassung zum Ackerbau dringend gewarnt. 51 Es verdient deshalb Beachtung, daß die ersten wesentlichen Erleichterungen, die den Juden in jenen Jahren zuteil wurden, nämlich die Aufhebung des Leibzolls (12. Dezember 1787, übrigens „in Hoffnung des sich dadurch vermehrenden Handels und Wandels“) sowie des zwangsweisen Porzellanexports (12. Februar 1788) 52 direkt aus dem Kabinett entschieden wurden. Keineswegs war es, dies wurde in der Einleitung zu vorliegender Arbeit bereits hervorgehoben, „die Beamtenschaft“, die sich zur treibenden Kraft einer Reform des Judenwesens machte. Letztere mußte sich in Gestalt des Generaldirektoriums sogar im März und August 1788 ausdrücklich vom König ermahnen lassen, die Angelegenheiten der Juden an die Spitze der monatlichen Geschäftslisten zu setzen. Auch in Woellners berüchtigtem Religionsedikt vom 9. Juli 1788 wurde den Juden ausdrücklich Gewissensfreiheit und der Schutz vor Proselytenmacherei zugesichert. 53 Den so oft angemahnten Kommissionsbericht erhielt der Monarch hingegen erst am 25. Juli 1789. Im Rahmen dieses kursorischen Überblicks über die judenpolitischen Reformmaßnahmen unter Friedrich Wilhelm II. soll bei der Schilderung dieses Dokuments insofern etwas über den bisherigen Stand der Literatur hinausgegriffen werden, als mit Generalfiskal d’Anières einer der für die Judenpolitik bedeutsamsten Beamten aus der Zeit Friedrichs des Großen als Mitautor fungierte. Noch dazu wurde dieses für die Jahre nach 1786 zentrale Gutachten, das einen Einblick in die Zusammenhänge von Fiskalismus und Verbesserungsprogramm gewährt, bislang (für den Forschungsstand überaus bezeichnend) lediglich 1807 in den im Dienste der Insurrektion stehenden „Neuen Feuerbränden“ publiziert. 54 Reinhold Lewin, einer der wenigen Historiker, der das Dokument jemals gelesen haben dürfte, wollte 1913 trotz mancher inhaltlichen Enttäuschung mit Blick auf die Zeitstimmung und die gegenläufigen Tendenzen im Generaldirektorium zwar „beinahe Hochachtung vor der Toleranz und Humanität der preußischen Reformkommission“ 55 empfinden. Zunächst jedoch läßt die Person des Herausgebers nichts Gutes ahnen, handelte es sich dabei doch mit dem Kriegsrat Friedrich von Coelln um einen Judenfeind der gehässigsten Sorte. So ließ Coelln – „von der Vortrefflichkeit des friderizianischen Staates überzeugt“ und lediglich „in der mangelhaften Anwendung der Grundsätze des verstorbenen Königs eine entscheidende Ursa51

Ebd., S. 212. Ebd., S. 212 – 213; Terlinden, S. 131; Simon, Repertorium der Policeyordnungen, Bd. 2/1, S. 581. Anderswo fiel der Leibzoll später, so in Braunschweig-Wolfenbüttel erst 1803. Siehe Ebeling, Juden in Braunschweig, S. 156 – 157; zu den Ablösungsverhandlungen über das „Judenporzellan“ siehe Kap. J. III. 53 Lewin, Judengesetzgebung, S. 215. 54 Coelln, Neue Feuerbrände, Bd. 2, S. 103 – 128, Bd. 3, S. 59 –78. 55 Lewin, Judengesetzgebung, S. 223. 52

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che für den Zusammenbruch“ 56 betrachtend – keinen Zweifel daran, was er von jüdischer Emanzipation hielt. Seine Einführung zum Kommissionsbericht setzt mit einer Tirade ein, die einen tiefsitzenden Neid angesichts der gerade durch die romantische Salonkultur 57 gewachsenen kulturellen Einflußsphäre des Berliner Judentums verrät: So viel auch schon über die Verbesserung der Juden geschrieben worden ist, so bleibt dies Völkchen unverbesserlich, und alle bisherige Mittel, sie zu bessern, bewirkten nichts weiter als Irreligiosität unter ihnen, und äußere Bildung. In dieser wollen sie excelliren und sich zu Kunstkennern emporschwingen, sie wollen ganz in der Mode seyn, und in Berlin sind sie es vorzüglich, die die Sekte der ästhetischen Narren ausmachen. Ihre Weiber machen Anspruch auf die höchste Bildung, studiren Fichtens, Galls, Schlegels, Tieks und jetzt besonders Werners Werke. Da man ihnen gesagt hat, im Katholizismus sei der höchste Kunstsinn aufbewahrt, und seitdem Fesler durch seine neusten Werke einen modernen Katholizism allgemeiner machen will, seitdem wollen sie alle katholisch werden, um in der Mode zu seyn. Demungeachtet bleibt der Judaismus ihnen doch eigen und sei der Jude noch so elegant, so erscheint bei ihm doch irgendwo der Geldbeutel, gleich wie bei dem Teufel der Pferdefuß. Sprechen sie nicht von der Kunst, so sprechen sie doch von Prozenten. Darum mögen die folgenden Beiträge zur Charakteristik des Volkes Gottes hier ihren Platz finden. 58

Gegenüber dieser gehässigen Einleitung hebt sich der Kommissionsbericht selbst zunächst einmal deutlich ab. Die Beamten widmeten sich dabei eingangs den beiden „Vorfragen“, ob eine bürgerliche Verbesserung der Juden überhaupt möglich und ob diese den christlichen Völkern zuträglich sei. Diese Ausführungen von grundlegender Bedeutung seien hier im Wortlaut wiedergegeben: Ad 1. Ist jedes europäische Christenvolk viel schlechter gewesen, und kein vernünftiger Grund gegen die Möglichkeit der Judenbesserung denkbar. Ad 2. Bedarf es noch weniger eines Beweises, daß alle mögliche Verbesserung aller Arten von Menschen nützlich und selbst Pflicht sey. Daß aber die Juden so viele Jahrhunderte in ihrer Moralität und bürgerlichen Nutzbarkeit nicht nur keine Fortschritte gethan, sondern sich sogar verschlimmert haben, daran sind gewiß Fehler von beiden Seiten schuld. Religionsvorurtheile haben einen wechselseitigen Haß zwischen Christen und Juden, dieser aber bei der Übermacht der erstern, blos eine drückende Duldung der letztern, sowohl mit sehr prägravirenderBelastung in den Abgaben, als mit vieler Einschränkung ihrer Erwerbsmittel, und mit ihrer Herabwürdigung in Absicht der gemeinen Ehre erzeugt. Solche auf Absonderung und Ausschließung gehende Grundsätze, hindern immer und überall den Fortgang der Erkenntnisse und selbst der Künste, wovon die groben katholischen Länder Beispiele geben.

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Müller, Die Rolle Friedrichs von Cölln in der patriotischen Bewegung, S. 59. Auf diese wird hier nicht näher eingegangen. Verwiesen sei auf Hertz, Die jüdischen Salons im alten Berlin; Lund, Der jüdische Salon als Ort der Emanzipation? 58 Coelln, Neue Feuerbrände, Bd. 2, S. 97. 57

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Bei den Juden aber haben sie sogar böse Wirkungen hervorgebracht. Die Glaubensdifferenz hat selbige veranlaßt, unter ihren Rabbinen, durch Religionsgesetze, welche sie noch mehr von den Christen entfernen, in ein enges Band und unter ein wirkliches sogar ihre physische Subsistenz erschwerendes Joch zusammen zu halten, so wie die Einschränkungen und größern Abgaben sie zwingen, kein arges und betrügliches Mittel, soweit sie es nur immer ungestraft brauchen zu können glauben, gegen die Christen zu ihrer Selbsterhaltung sich zu versagen. 59

Die Folgerungen, die die Kommissionsmitglieder aus diesen Beobachtungen zogen, offenbaren jedoch einmal mehr die Zwiespältigkeit des an Dohm orientierten Projekts der Bürgerlichen Verbesserung, die letztlich auf kulturelle Selbstaufgabe der Juden durch vollständige Assimilation hinauslief und im Verteilen von Erleichterungen hochgradig selektiv vorging. Denn die erste Forderung des Berichts bestand bezeichnender Weise in einer Aufhebung der solidarischen Haftung der Juden „als eines der größesten Hindernisse ihrer moralischen Ausbildung“. Durch diese korporative Verbindung würde die Judenschaft nämlich in dem lästigen Ritualzwange welcher ihre Moralität hindert, erhalten, indem ihre Kirchenbediente und die armen Hausväter gar zu sehr dabei interessiren, die Aufgeklärteren aber ihre vernünftige Meinung über zu weit ausgedehnten Ritualzwang und dazu aufzubringenden unnützen Aufwand unterdrücken müssen, um nicht vom größern Haufen verfolgt, bei auswärtigen Glaubensgenossen angeschwärzt, und was die nächste Besorgnis ist, desto höher quotifirt [veranlagt] zu werden. 60

Daß die Kommission also ihren Blick fest auf die akulturierte Berliner Oberschicht gerichtet hatte, die es vom größeren unaufgeklärten Haufen zu separieren galt, wird zudem durch die Bemerkung deutlich, wonach die solidarische Haftung „bei den Aermern, also bei dem größten Theil die Faulheit“ 61 vermehre. Einer Aufhebung der bisherigen korporativen Verfassung schien jedoch zunächst vor allem eines entgegen zu stehen: das Interesse des Fiskus an regelmäßig und vollständig eingehenden Schutzgeldern und sonstigen Abgaben. 62 Die Höhe dieser diversen 59

Ebd., S. 104 – 105. Ebd., S. 105 – 106. Übrigens war bei den Beamten durchaus ein Bewußtsein für den ökonomischen Umstrukturierungsprozeß vorhanden, der sich in jenen Jahren innerhalb der Berliner jüdischen Gemeinde vollzog, und in dessen Folge die Familien der Itzigs und Ephraims ihre angestammte Spitzenposition verloren. Dabei wurde dieser Prozeß aus Sicht der Bürokratie offenbar zunächst einmal als Bedrohung der Ansprüche des Fiskus betrachtet. Siehe ebd., S. 107: „Die Münzoperationen im siebenjährigen Kriege haben bekanntlich einige Judenfamilien ganz außerordentlich bereichert, und dieser Zufall hat es verursacht, daß bisher so ungleiche Repartitionen haben gemacht und ausgehalten werden können. Allein ihr Vermögen vertheilet sich sehr unter den Kindern, und bei ihrem eingeschränkten Gewerbe, auch hin und wieder zunehmenden Luxus, fängt schon jetzt dessen Abnahme an merklich zu werden, in der Folge aber ist es sicher voraus zu sehn, daß sie die solidarischen Ausgaben nicht werden aufbringen, und also diese [solidarische] Verbindung nicht einmal für die landesherrlichen Auflagen lange würde bestehen können.“ 61 Ebd., S. 106. 60

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Steuern sei im folgenden auf Basis des Kommissionsberichts aufgelistet, 63 wobei die solidarische Verbindlichkeit lediglich bei den in der ersten Tabelle aufgeführten Posten zum Tragen kam, wohingegen es sich bei den Abgaben in der zweiten Tabelle um Individualsteuern handelte. Wie die Kommission bemerkte, würde der Posten der 13.505 Rt. durch die Aufhebung der solidarischen Haftung nicht berührt werden, der erstere und größere hingegen vielen Ausfällen von den Armen und weiter armwerdenden Juden ausgesetzt seyn, und wenn man die Juden von diesen Ausgaben ganz befreien wollte, so entstünde eine Lücke in den Staatseinkünften, wohin wir unser Gutachten zu richten billig Bedenken tragen müssen. 64

Gewiß muß bei der Bewertung dieses Gutachtens berücksichtigt werden, daß ein anderes Vorgehen, also die Forderung nach einem Verzicht auf größere Einnahmeposten, die Chancen einer Judenreform von vorneherein zunichte gemacht hätte. Zudem darf man annehmen, daß gerade d’Anières im Laufe seiner langjährigen Amtszeit als Generalfiskal die Abgabenseite der Judenpolitik bis zu einem gewissen Grad verinnerlicht hatte. In jedem Fall sollten die Folgerungen der Reformkomission auch bei der Bewertung von d’Anières’ so oft zitiertem Gutachten von 1765 berücksichtigt werden. 65 Denn das Gremium schlug vor, die bereits 62

Auf weitere gemeindeinternen Folgerungen, die aus einer Aufhebung der solidarischen Haftung erwachsen würden, wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen. Diese bestanden vornehmlich in einer Regelung der Gemeindeschulden sowie in der von der Kommission vorgeschlagenen drastischen Reduzierung der Anzahl von Gemeindebedienten, wobei letzteres Ziel wiederum in engem Zusammenhang mit der anvisierten Assimilation der Judenschaft zu sehen ist: „Diese große Verminderung ihrer bloß zum Ritualwesen bisher gebrauchten Bedienten und deren oberwähnte Besoldung durch den Staat, wird viel beitragen die ängstliche Anhänglichkeit an solche rabinische Satzungen zu schwächen und endlich gar zu vertilgen, welche nicht nur ihre physische Subsistenz, sondern auch ihre moralische Bildung zu guten Bürgern so sehr erschweren.“ Siehe ebd., S. 113 –114. Als Beispiel für den Zusammenhang von Gemeindeautonomie und verweigerter Assimilation wird ebd., S. 115 – 116 übrigens, allerdings ins Positive gewendet, auf die Hugenotten verwiesen: „Die französischen Refugiés bieten hiervon einen sichtbaren Beweis dar. Die ihnen zugesicherten eigenen Gerichte, Kirchliche- und Armenverfassung, hat sie in solcher Verbindung und diese in dem Zustande erhalten, daß seit länger wie 100 Jahren, unerachtet hier die Religion keine Scheidewand macht, ihr Charakter, ihre Maximen und Sitten, sich noch von den deutschen Einwohnern merklich unterscheiden, anstatt daß bei andern selbst französischen Kolonisten, die nicht in gleichem nexu und nicht so lange hier leben, der Unterschied gegen die alten Einwohner schon vergangen ist. Es würde daher auch die gesellschaftliche Einrichtung der französischen Kolonie aufzuheben seyn, wenn solche ihr und dem Staate nur halb so gefährlich wie die Jüdische wäre, und nicht dieselbe vielmehr sogar die Verbesserung der alten Einwohner verursacht hätte.“ 63 Ebd., S. 108. Bei den in der ersten Tabelle wiedergegebenen Angaben bezieht sich die Kommission ihrerseits auf die jüdischen Generaldeputierten. Anzumerken wäre, daß diesen Belastungen noch zahlreiche Sonderabgaben hinzuzufügen wären, wie etwa die Beiträge zum Betrieb der Templiner Manufaktur. 64 Ebd., S. 108 – 109.

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Tabelle 16 Die Höhe der regulären jüdischen Abgabenlast im Jahre 1789 Art der Belastung

Jährliche Höhe in Rt.

Schutzgeld Rekrutengelder Verlust an der Silberlieferung Montis Pietatis Kalendergelder

25.000 4.800 16.200 300 400

Gesamt

46.700

Kasse / Institution

Jährliche Einnahme in Rt.

Hauptstempelkasse Chargenkasse Potsdamer Waisenhaus Direktorialsportelkasse

7.434 3.851 782 1.438

Gesamt

13.505

angesetzten Schutzjuden ebenso wie diejenigen, „welche ein solches Alter und Vermögen haben, daß sie weder ein anderes Gewerbe als das schon geübte, Handeln und Schachern erlernen, noch ohne Härte zu niedriger Handarbeit gezwungen werden können“, die bisherigen Abgaben in Höhe von 46.700 Rt. zuzüglich der 13.505 Rt. an sonstigen Gebühren zugunsten der jüngeren Generationen in voller Höhe übernehmen sollten. 66 Hier zeigt sich ein Zusammenhang von Fiskalismus und Verbesserungsprogramm, wie er in den folgenden Kapiteln noch mehrfach begegnet und in der Literatur nich immer angemessen gewürdigt wurde. Denn an eine Minderung der Abgabenlast für den gewissermaßen „nicht verbesserungsfähigen großen Haufen“ der Judenschaft wurde selbst in fortschrittlichen Kreisen der Beamtenschaft offenbar kaum gedacht. Stattdessen sollten Ausfälle des Fiskus durch eine Umschichtung der Abgabenlast zugunsten folgender Generationen, in deren Produktivierung durch Ackerbau und Handwerk man noch Hoffnungen setzte, tunlichst vermieden werden. Eine Verwirklichung dieses Programms hätte sich also für einen Großteil der Schutzjudenschaft deshalb zunächst einmal in einer gestiegenen Abgabenlast niedergeschlagen. Das Ende dieser lang andauernden

65 Stattdessen wurde die Tätigkeit des Hugenotten in diesem Gremium bislang kaum gewürdigt. Bei Bruer, Geschichte der Juden in Preußen, S. 167 werden nicht einmal die Mitglieder der Kommission genannt. 66 Bei der Repartition sollten auch die außerordentlichen Schutzjuden, die bislang nur ein Schutzgeld in Höhe von 50 % des Ordinariums entrichteten, mit herangezogen werden: Coelln, Neue Feuerbrände, Bd. 2, S. 110.

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Transformationsphase wäre dabei identisch gewesen mit der Lebenserwartung dieser älteren Generation: Mit dem Absterben der jetzigen Schutzjuden würden sich also die Ausfälle vermehren und endlich ihre Abgaben ganz aufhören. Alsdann aber würde auch wohl sicher durch eine größere Menge verbesserter Judenfamilien in der arbeitenden Klasse der Staat nicht nur reichlichen Ersatz erhalten, sondern auch, so weit es hier auf klingende Einnahme ankömmt, der Abgang der Judeneinkünfte, durch von dieser Nation vermehrte Gefälle, die in andere Kassen fließen, völlig und höchst wahrscheinlich mit beträchtlichem Ueberschusse wieder eingebracht werden. [...] Ueberhaupt halten wir in Rücksicht auf die Finanzen für ungezweifelt, daß der künftige Verlust der besondern Judeneinkünfte, mit der zu erwartenden größern Population dieses Volks, der vermehrten Masse von Arbeit, der erhöheten Industrie, der stärkern Consumtion und den daher sowohl als von ihren Gewerben erwachsenden mehreren Einnahmen in keinen Vergleich zu setzen sei, und also die besondern Abgaben der Juden einer Veränderung ihres jetzigen eingeschränkten Zustandes keinen Anstand geben dürfen. 67

Die jüngere Generation der Juden 68 sollte derweil durch deutschsprachigen Unterricht, 69 die Heranführung an Handwerk und Ackerbau, 70 durch Streusiedlung („Vereinzelung“) unter den Christen 71 sowie ein Verbot langer Bärte, um nur einige der angedachten Maßnahmen zu nennen, schrittweise assimiliert werden. 72 All diese Punkte verdienten genauere Betrachtung, doch soll der Überblick über diese zentrale Reformdenkschrift hier mit einem Ausblick auf die Dauer dieses Transformationsprozesses beschlossen werden, wie ihn die Kommission sich 67

Ebd., S. 111 – 112. Das mit pejorativem Beiklang versehene Wort „Jude“ sollte hingegen aus dem bürokratischen Sprachgebrauch getilgt und ersetzt werden durch „z. B. Deisten, Mosaisten, Palästiner, oder was es sonst für eine schicklichere [Bezeichnung] seyn möchte. Sonst aber, und wenn ein anderer Nahme für sie nicht gefunden werden sollte, könnten sie in bürgerlichen Geschäften und Ausfertigungen da sie künftig weiter keine besondere Gemeinschaft und Corporation seyn würden, ohne alle besondere Benennung wie die Christen bleiben, und der Kaufmann, der Bildhauer, der Bauer N. N. nach ihren Gewerben und eigenen Nahmen, nur nicht der jüdische Kaufmann, oder der Jude N. N. charakterisiret werden“. Siehe ebd., Bd. 3, S. 70. 69 Ebd., Bd. 2, S. 116 – 119. 70 Ebd., Bd. 2, S. 119 – 128, Bd. 3, S. 59 – 62. Es wäre lohnend, diese Ausführungen, die sich den daraus erwachsenden Problemen mit christlichen Zünften, Nichtduldungsprivilegien und, soweit der Ackerbau betroffen ist, vor allem mit dem Kantonregelement befassen, näher zu schildern. Aus Platzgründen muß darauf an dieser Stelle jedoch verzichtet werden. 71 Ebd., Bd. 3, S. 65. 72 Zudem sollte angemerkt werden, daß die Reformkommission diese Vergünstigungen für derart weitgehend hielt, daß sie deshalb in Zukunft einen unkontrollierten Zuzug ausländischer Juden befürchtete. Deshalb sollte das von zuziehenden Juden geforderte Vermögen auf 50.000 Rt. festgesetzt werden – gegenüber dem Generalreglement von 1750 hätte dies eine Verfünffachung bedeutet. Anderenfalls stehe zu besorgen, daß der Staat mit ausländischen Juden „überschwemmt“ würde, die noch dazu die Verbesserung ihrer preußischen Religionsgenossen hemmen könnten. Siehe ebd., S. 71. 68

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vorstellte. Demnach wurde den Generaldeputierten der Judenschaft im Jahre 1789 durch die Bürokratie folgende Perspektive geboten: Uebrigens ist es Uns höchst wahrscheinlich, daß in der dritten Generation nach etwa 60 bis 70 Jahren die Juden in allen, bis auf wenige, dem Staat ganz unschädliche und gleichgültige Religionsdifferenzien, den Christen durchaus gleich seyn werden, und alsdann werden auch die nach unsern Vorschlägen noch bis dahin [also bis etwa 1849!] nöthigen, ihrem Gewerbe und Rechte betreffenden Einschränkungen gänzlich aufgehoben werden können ... 73

Wenn dieses Gutachten hier ausführlicher besprochen wurde, so deshalb, weil sich in diesem Dokument wie in einem Prisma sämtliche Probleme des bereits thematisierten Dohmschen Verbesserungskonzeptes brechen. Die Reform des Judenwesens wandte sich in ihren Anfängen lediglich an die Spitzen der Gemeinden, vornehmlich in Berlin, die der Verwaltung bereits als weitgehend akulturiert galten. Für die überwiegende Mehrheit der Judenschaft waren jedoch zunächst einmal lediglich eine Umverteilung der Abgaben und neue Restriktionen vorgesehen, die diesmal zugleich ihrer Besserung zu dienen hatten, die irgendwann um 1850 abgeschlossen sein sollte. Nachdem dieser für die Judenschaft gewiß enttäuschende Reformplan ihren Generaldeputierten durch das Generaldirektorium am 4. Januar 1790 in gekürzter und somit nochmals geschärfter Fassung zugänglich gemacht worden war, 74 traten erstere am 28. Februar mit einer Petition an den König heran, die die ganze Frustration offenbart, die mittlerweile bei den Generaldeputierten eingekehrt war. 75 So verweigerten sie darin ihre Zustimmung zu den Entwürfen der staatlichen Kommission und betonten feierlich: Nicht mit leeren Deklamationen, nicht mit Berufungen auf Rechte der Menschheit, haben wir unsern geliebten Landesvater behelliget [Im Jahre 1 nach 1789 konnte es gewiß nicht schaden, dies noch einmal herauszustreichen.], sondern nur mit der demüthigen Bitte, durch Verbesserung unserer bürgerlichen Verhältnisse, den ungebrauchten Kräften getreuer, arbeitsamer, durch Dankbarkeit verpflichteter Unterthanen neue Spannung zu ertheilen, damit sie den Flor und die Glückseligkeit des Staates mitbewirken können. [...] Wir bitten nicht, daß die Fesseln, die uns drücken, weiter gehängt, sondern daß sie uns ganz abgenommen werden.

Der weitere, durchaus verwickelte Gang der allgemeinen Reform kann hier nicht weiter verfolgt werden, 76 galt es doch lediglich, den Rahmen für die Geschehnisse 73

Ebd., S. 72. Siehe Friedländer, Akten-Stücke, S. 120 – 128. 75 Abgedruckt ebd., S. 129 – 135. Danach das folgende Zitat. 76 Verwiesen sei auf die gründliche Studie von Lewin, Judengesetzgebung. Zur Breslauer Judenordnung vom 21. Mai 1790, in deren Vorrede sich Friedrich Wilhelm zum Verbesserungsprogramm bekannte und erklärte, das Glück und die Wohlfahrt auch der jüdischen Untertanen befördern zu wollen, siehe Zimmermann, Geschichte und Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien, S. 41 – 58. 74

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abzustecken, die zu einer Aufhebung des Porzellanexportzwangs sowie zum Fortbestehen der Verpflichtung zum Betrieb der Templiner Manufaktur führen sollten. Festzuhalten ist dabei folgendes: Während in Frankreich den Juden, von ihren Berliner Religionsgenossen aufmerksam verfolgt, im Jahre 1791 das Bürgerrecht verliehen wurde, 77 kam in Preußen die Reform des Judenwesens nicht voran und blieb bald, abgesehen von der 1792 aufgehobenen solidarischen Haftung der Gemeinden für die Schutzgeldzahlungen, 78 gänzlich stecken. 79 Auch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 tangiert das jüdische Sonderrecht bezeichnender Weise nicht und war deshalb bis 1812 für die Juden lediglich von subsidiärer Bedeutung. 80 Nur vor diesem Hintergrund wirkt das 1797 unter Federführung Wloemers erlassene General-Juden-Reglement für das zwei Jahre zuvor in der dritten polnischen Teilung erworbene Südpreußen vergleichsweise fortschrittlich, schaffte es doch beispielsweise alle Sonderabgaben bis auf das Rekrutengeld und das traditionelle Heiratsgeld zugunsten des Potsdamer Militärwaisenhauses ab. 81 Derartige Fortschritte sollten jedoch umso weniger überbetont werden, als zeitgleich im Netzedistrikt die Judenvertreibungen von König und 77 Zur nachweisbar intensiven Anteilnahme an den Geschehnissen in Paris siehe Wyrwa, Juden in Paris und Berlin. So veröffentliche beispielsweise ein Berliner Verlag die judenpolitischen Debatten der Nationalversammlung in deutscher Übersetzung. Siehe ebd., S. 435; vgl. Kaufmann, The Jewish Fight for Emancipation in France and Germany, S. 81. 78 Lewin, Judengesetzgebung, S. 468. 1800/01 wurde auch die solidarische Haftung bei Einzeldelikten wie dem „betrügerischen Bankrott“ aufgehoben. Siehe Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 16. 79 So konstatiert auch Bömelburg, Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat, S. 444, es sei „in den 1790er Jahren zu keiner grundlegenden Änderung der preußischen Judenpolitik in Westpreußen und besonders im Netzedistrikt“ gekommen, was sich unter anderem an der weiterhin verfolgten Praxis äußerte, verarmte Juden zu vertreiben. 80 Siehe dazu Breitenborn, S. 95 – 131. Die Autorin liefert ebd., S. 130 allerdings eine fragwürdige, wiewohl weit verbreitete Einschätzung dieses Sonderrechts: „Das Sonderrecht, dem die Juden auch zur Zeit des ALR noch unterliegen, hat nicht nur den Effekt der Ausgrenzung, sondern gleichzeitig auch den der Anbindung an Staat und Gesellschaft: Es erfolgt zwar keine rechtliche Gleichstellung, wohl aber erstmals eine systematische Zuordnung der Juden als Gruppe zur Gesamtheit der übrigen Landesbewohner – zwar keine Eingliederung, wohl aber eine Angliederung.“ Ausgegrenzt und keineswegs eingegliedert aber immerhin angegliedert und systematisch zugeordnet – ob die Juden des 18. Jahrhunderts dieser dialektischen Verbalakrobatik nach der Choreographie Selma Sterns hätten folgen können, wagt der Verfasser zu bezweifeln. 81 Krause, Johann Heinrich Wloemer, S. 115. Die Einschätzung ebd. als „früher Beitrag einer umfassenden gesetzlichen Judenemanzipation“ (Hervorhebung durch den Verfasser) erscheint als überzogen. Auch wird man nicht umhinkommen, sich zu befassen mit Sommerfeldt, Judenfrage. Sofern man nicht davon ausgeht, daß sämtliche dort angeführten Zitate aus Verwaltungsakten auf Erfindungen beruhen, legen dessen Quellen (von seinen „Ergebnissen“ kann die Rede nicht sein) es wohl eher nahe, auch in den Teilungsgebieten die retardierenden Momente zu betonen. Auf einzelne Punkte, soweit sie die Amtsführung des auch im Kontext dieser Arbeit zu berücksichtigenden Ministers von Voß betreffen, wird noch einzugehen sein; vgl. hierzu Kap. K. III. sowie Schenk, Friedrich und die Juden.

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Beamtenschaft unbeirrt weiterverfolgt wurden – „without the slightest concern for the fate of the families“ 82. Bezeichnend für die angesichts der allgemeinen Reformblockade bei zahlreichen Juden der Berliner Elite herrschende Frustration war das 1799 unter anderem von Friedländer verfaßte Sendschreiben Berliner Hausväter an den Oberkonsistorialrat und Dompropst Wilhelm Abraham Teller (1734 – 1804), mit dem die Verfasser um Konversion zum Protestantismus nachsuchten, ohne zugleich dessen Dogmen anerkennen zu müssen 83 – ein Ansinnen, das der Adressat natürlich zurückweisen mußte. So gab es am Ende des Jahrhunderts vorerst wenig Grund zur Hoffnung, war doch die allgemeine Reform des Judenwesens angesichts der revolutionären Herausforderung längst, nämlich 1792, auf königlichen Befehl „bis zur Wiederherstellung der Ruhe in Europa“ ausgesetzt worden – mit Blick auf diese Ordre rief ein zeitgenössischer Kompilator des preußischen Judenrechts noch im Jahre 1809 aus: „Gebe der Himmel, daß diese schöne Zeit recht bald eintrete!“ 84

82 So (mit eindrücklichen Quellenbelegen) Jehle, S. 29. Die Vertreibungen endeten erst 1802 – und zwar aus Gründen, die mit aufgeklärter Toleranz denkbar wenig zu tun hatten, wie man ebd., S. 30 lesen kann. Das Generaldirektorium wußte schlichtweg nicht, „wether we should take such Jews. It is known that in the Russian and Austrian territories no foreign Jews are accepted, and in Saxony Jews are not tolerated at all, as far as we know; moreover, the transport to further distant countries – in which respect we are still doubtfull as to which ones could be chosen – would be very costly, and in the end the costs would be a drain on Your Majesty’s purse.“ 83 Siehe dazu Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, S. 81 –91. 84 Spiker, S. 267.

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs I. Eine „verhältnismäßigere“ Einrichtung des Exportzwangs? Friedrich Wilhelm II. und das Judenporzellan bis zum Frühjahr 1787 Angesichts der jahrzehntelangen Bemühungen Friedrichs des Großen um das Gedeihen seiner Porzellanmanufaktur spricht aus dem Nachruf Grieningers sicher mehr als eine hagiographische Pflichtübung: Welch höchst betrübter Tag! Schon seit vielen Monaten waren alle Einwohner der Königlich-Preuß.en Staaten zwischen beständiger Furcht und Hofnung über das nicht hoch genug zu schätzende theuerste Leben ihres allgeliebtesten höchst gefährlich krank darnieder liegenden Monarchen, und heute Vormittag zwischen 7. und 8. Uhr kam von Potsdam die höchst trauerige Nachricht nach Berlin von seinem auf die schmertzhafteste Krankheit an diesem Morgen gegen 3. Uhr erfolgtem Tode. Mein Gott! Welche düstere Stille! Ueberall nichts als Seufzer und Thränen. Und welcher Anblik! So viele unter den Waffen grau gewordene tapfere Krieger ihren geliebtesten Friederich, unter dessen Befehlen sie so oft gesieget haben, beweinen sehen. Niemals ist wohl ein König von seinem Heere und von seinem Volke so wehmütig beklaget und betrauert worden. Er war ia auch der Einzige. 1

Wie es nun mit der Manufaktur weitergehen sollte, war dabei nicht nur eine Frage, die Grieninger beschäftigt haben dürfte. Für zahlreiche preußische Juden war der Name „KPM“ insbesondere in den Jahren nach 1779 nahezu gleichbedeutend mit der wohl verheerendsten Sonderabgabe, unter der sie zu leiden hatten. Ende 1787, gut ein Jahr nach Friedrichs Tod, als die Kommission zur Reform des Judenwesens ihre mit großen Hoffnungen erwartete Arbeit aufnahm, näherten sich die Verhandlungen zur Aufhebung des Exportzwangs bereits ihrem Abschluß. Daraus jedoch zu schließen, diese Aufhebung sei problemlos verlaufen, wie es in der Literatur meist geschieht, ist unzulässig. Denn tatsächlich deutete nach dem Thronwechsel zunächst kaum etwas darauf hin, daß sich am bisherigen Verfahren grundsätzlich etwas ändern würde. Vielmehr verteidigte die aus Grieninger und Klipfel bestehende KPM-Direktion das offenbar liebgewonnene Privileg mit Zäh1

Zitiert nach Köllmann / Jarchow, Bd. 1, S. 292.

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nen und Klauen und war eifrig darum bemüht, auch den neuen Monarchen von der Notwendigkeit einer kompromißlosen Fortführung des Exportzwangs zu überzeugen. Nachdem Klipfel von Friedrich Wilhelm II. mündlich den Befehl erhalten hatte, eine schriftliche Ausarbeitung seiner Vorschläge zur künftigen Absatzsteigerung einzureichen, schlug er in seinem Gutachten vom 5. September 1786 unter anderem die Gründung neuer Verkaufsniederlassungen in St. Petersburg, Riga, Mitau, Libau, Lübeck, Bremen, den Haag, Amsterdam, Genua und Frankfurt am Main vor. Die größten Hoffnungen setzte Klipfel jedoch weiterhin auf Zwangsmaßnahmen gegenüber der Lotteriegesellschaft und insbesondere der Judenschaft, indem diese „ernstlich angehalten“ werden müßte, die immer noch auf 78.865 Rt. bezifferten Rückstände aus der Zeit vor 1779 „ohne längern Aufschub“ zu berichtigen. 2 Doch offenbar hegte der neue König vor dem Hintergrund der seit Jahren andauernden Bemühungen zur Eintreibung dieser Rückstände Zweifel daran, ob diese in der von Klipfel vorgeschlagenen Größenordnung überhaupt noch realistisch sei. So befahl er der KPM-Direktion am 25. Oktober 1786, es solle die Lotterie-Direction ihr angewiesenes Porcellain eben[so] wie die Judenschaft schlechterdings außerhalb Landes debitiren, die Rückstände der Juden von 78.865 Rt. wollen Se. Königl. Majestät zur Hälfte niederschlagen, und zwar zum Besten der armen Juden, die andre Hälfte aber müssen die reichen Juden mit 39.432 Rt. 12 Gr. ohne Zeitverlust auslösen, abhohlen und außerhalb Landes debitiren. 3

Auch in der neuen Instruktion für die Manufaktur vom 3. November 1786 wurde Grieninger und Klipfel anbefohlen, sie müßten auf die Eintreibung der Rückstände bei den Juden „vorzüglich halten und das Erforderliche deshalb weiter an seinem Orte nachsuchen“. 4 Von einem neuen Geist konnte demnach zunächst nur sehr bedingt die Rede sein, und so nahm das bereits seit mehr als sieben Jahren währende Drama um die Porcellainerestanten auch unter Friedrich Wilhelm II. seinen Fortgang. D’Anières, Grieninger und Klipfel informierten deshalb am 25. Dezember 1786 den Magistrat von Emden darüber, daß den weiterhin mit Exporten rückständigen Juden Salomon Lazarus, Abraham Pels, Isaac Joest, Isaac Liebmann und Itzig Jacob Pels die Hälfte ihres Kaufquantums erlassen worden sei. Die andere Hälfte müßten die genannten Juden jedoch „binnen 6 Wochen wo möglich berichtigen“. 5 Ob das Triumvirat aus Generalfiskalat und KPM selbst noch an diese Möglichkeit glaubte, sei dahingestellt. Der Emdener Magistrat war jedenfalls mit den ökonomi2 Siehe „Klipfels allerunterthänigste Vorschläge wegen Erweiterung und Beförderung des Absatzes hiesiger Porcellaine“, Berlin, 5. September 1786, GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 233. 3 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10,Bd. 2, Bl. 13 (Abschrift). 4 Ebd. 5 Dieses und das folgende Zitat: StA Emden, II, Nr. 763.

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schen Realitäten der Juden besser vertraut und berichtete, diese erstatteten zwar für den königlichen Gnadenakt ihren Dank ab, seien jedoch zu irgendwelchen Porzellanexporten gleichwohl nicht in der Lage: Abram Pels ist mit seinen 5 Kindern, wozu das 6. stündlich erwartet wird, in armseligen Umständen, da seine Creditoren das vormahlige Wohnhaus und sämmtliche Güter verkaufen lassen, und würde derselbe mit seiner zahlreichen Familie verhungern müssen, wenn sein Schwiegervater ihm nicht assistirte. [Isaac Joest und Isaac Liebmann] sind zwey arme Schlächter-Juden. Wenn sie ein Stück Vieh vom Lande hohlen, bezahlen sie erst durchgehends das vorherige, so sie auf Credit erhalten, und besteht das mehreste aus Kälbern und Lämmern. Lauter Jammer und Elend herrscht ordinair in den Kindervollen Häusern dieser Schlächter, und so gehet es auch mit diesen beyden.

Derweil sah es bei Berliner Porcellainerestanten offenbar nicht viel anders aus. Wer bislang, in sieben langen Jahren, seinen Rest nicht getilgt hatte, war dazu eben nicht in der Lage. So bat der Berliner Schutzjude Marcus Jacob, der 1777 als erstes Kind auf den Schutzbrief seines Schwiegervaters Isaac Abraham angesetzt worden 6 und deshalb nachträglich mit einem Porzellanexports konfrontiert worden war, am 19. Januar 1787 um Gnade. Unter großen Mühen sei es ihm gelungen, in zwei Raten zwischen März 1785 und April 1786 für 100 Rt. Waren der KPM auszuführen. 7 Nunmehro rückt aber die Zeit wieder von neuem heran, daß ich für 50 Rt. Porcellain nehmen muß, welches ich aber zu praestiren gänzlich außer Stande bin, weil ich eine zahlreiche Familie habe, die nebst meiner Frau aus 5 noch kleinen, unmündigen Kindern besteht, 2. meine Nahrung nur schlecht gehet, indem ich bei meinem kleinen Verkehr fast alles verborgen und alsdenn die Bezahlung dafür durch kostbare Processe erstreiten muß, 3. aber schuldig bin, meine übrigen Abgaben jederzeit promt zu entrichten. 8

Er bitte deshalb darum, ihm die noch ausstehenden Exporte zu erlassen, da er „ganz entkräftet“ davon sei, „alle Jahr eine Summe von 50 Rt. aufzubringen“. Die Resolution für Marcus hat sich in den Akten zwar nicht erhalten, doch hatte er offenbar Erfolg, notierte sich d’Anières doch wenig später, Jacob sei vom „Porcellain Rest dispensiret“ 9 worden. Derartige Befreiungen kamen, offenbar mit Bezug auf das Kabinettsdekretschreiben vom 25. Oktober, in den folgenden Monaten des öfteren vor. So wurde auch Moses Marcus aus Potsdam, dem in den vergangenen Jahren mehrfach die Landesverweisung angedroht worden war, 10 durch Kabinettsordre vom 2. April 1787 von seinen Exportrückständen befreit. 11 6

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 20. Zweifelsfrei zuordnen läßt sich dieser Aussage lediglich Export Nr. 1306 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Möglicherweise wurde auch Export Nr. 1204 durch Jacob ausgeführt. In den Listen der Manufaktur findet sich dort ein anderweitig nicht zuzuordnender Marcus Joseph. 8 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 95 –96. 9 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 20. 10 Siehe oben, Kap. H. VIII. 4. 7

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Am anderen Ende der sozialen Skala bahnte dich derweil zwar keine offizielle Änderung an, doch wurde der Ausfuhrzwang auch nicht mehr mit der alten Entschlossenheit weiter verfolgt. Dies zeigt sich insbesondere bei der Vergabe von Generalprivilegien, die, wie bereits angedeutet, unter Friedrich Wilhelm II. freigiebiger gehandhabt wurde als unter seinem Vorgänger. Dabei lassen sich mit Ausnahme des bereits erwähnten Generalprivilegs für den Oberlandesältesten Jacob Moses vom 26. Dezember 1786 12 jedoch keine Verleihungen nachweisen, in deren Zusammenhang noch ein Porzellanexport gefordert worden wäre. 13 Insgesamt schlug das Jahr 1786 jedoch immer noch mit 15.833 Rt. jüdischer Exporte bei der Porzellanmanufaktur zu Buche, was zwar gegenüber den unmittelbaren Vorjahren wenig, aber immer noch ein vielfaches von dem darstellte, was in den 70er Jahren in die Kassen der KPM gewandert war. Verantwortlich für den Rückgang gegenüber den Jahren 1779 bis 1785 dürfte in erster Linie die völlige finanzielle Erschöpfung der Porcellainerestanten gewesen sein, hatten deren Rückstände in den Vorjahren doch das Gros der Käufe ausgemacht. In der zweiten Hälfte des Jahres 1786 lassen sich hingegen nur noch Ankäufe im Wert von 400 Rt. nachweisen, die für Konzessionen aus der Zeit vor 1779 geleistet wurden. 14 Im gesamten Folgejahr 1787 waren es schließlich nur noch 308 Rt. 15 Ob bei diesem Rückgang auch eine Rolle spielte, daß die jahrelangen Exekutionen spätestens nach dem Tod Friedrichs des Großen stillschweigend ausliefen und nicht wieder aufgenommen wurden, sei dahingestellt. Jedenfalls finden sich für die Regierungszeit Friedrich Wilhelms II. keine weiteren Belege für Einquartierungen und Pfändungen. Insofern spiegelt ein Betrag von rund 15.000 Rt. lediglich jene Maximalsumme wieder, die für die Manufaktur jährlich bei der Neuvergabe von ordentlichen und außerordentlichen Schutzbriefen, Kindesansetzungen und der Konzessionierung von Immobilienerwerb zu erwarten gewesen wäre. Derweil wurden jedoch in der jüdischen Gemeinde die Rufe nach einer Aufhebung des Abnahmezwangs immer lauter. Diese Klagen waren insbesondere aus 11

GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 133. Export Nr. 1351 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 13 Von Exporten verschont blieb auf diese Weise beispielsweise der aus Glogau stammende Raphael Abraham, der Friedrich Wilhelm bereits in dessen Kronprinzenzeit finanzielle Dienste erwiesen hatte, und dem am 18. Dezember 1786 ein Generalprivileg verliehen wurde. Abschrift des Privilegs, in dem Abrahams Verdienste um die schlesischen Tuchmacher hervorgehoben werden, in GStA PK, XX. HA, EM, Tit. 38, d 4, Nr. 214, Bl. 3 –4; vgl. jedoch Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 109 sowie Schnee, Hoffinanz, Bd. 1, S. 188, wonach dieses Privileg lediglich die Bestätigung eines bereits 1783 durch Friedrich verliehenen Generalprivilegs war. 14 Siehe die Exporte Nr. 1326 und 1333 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 15 Siehe die Exporte Nr. 1343 und 1345 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 12

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Ostfriesland zu vernehmen, dessen Judenschaft aufgrund ihrer politischen und ökonomischen Verfassung sowie ihrer geographischen Lage besonders hart von der Regelung betroffen war. 16 Es verdient Beachtung, daß die dortigen Gemeindevertreter sich nicht darauf beschränkten, auf die Fortschritte einer allgemeinen Reform des Judenwesens zu vertrauen, sondern es insbesondere beim Porzellanexportzwang für nötig erachteten, relativ rasch nach dem Thronwechsel selbst die Initiative zu ergreifen. Da die in diesem Rahmen verfaßten Schriftstücke zu den eindrücklichsten Schilderungen zählen, die über die verheerenden Wirkungen des Judenporzellans vorliegen, seien sie hier etwas ausführlicher zitiert. So wandte sich Joseph Wolff Ballin am 22. Dezember 1786 im Namen der Ostfriesischen Judenschaft mit einer Eingabe an die Behörden, in der er die große Belastung durch Silberlieferung, Rekognitionsgelder und Porzellanexporte beklagte, wobei die Verluste bei letzteren rund 60% betrügen: Die Judenschaft ist durch diese vielfachen Abgaben nicht nur gänzlich verarmet, sondern um ¼ geschmolzen, so daß die jährlichen Schutzgelder bereits auf 659 Rt. haben erniedriget werden müssen. Diese großen Abgaben werden bei der jährlichen Abnahme der Juden-Familien für die Übrigen dermaßen drückend, daß in wenigen Jahren der gänzliche Ruin der Judenschaft bevorstehet und die Etats-Gelder nicht mehr bezahlet werden können, welche die Ostfriesische Krieges- und Domainen Cammer nicht in Abrede seyn kann. Am äußersten Winkel Deutschlands, an Holland begränzet, welches mit Jüdischem [!] und Europäischem Porcellain angefüllet ist, und beim Abgang einer Münze hieselbst können wir weder mit Silber noch Porcellain handlen und dürfen mit denen weniger beschwerten Berliner Juden, wovon einer mehr als wir alle besitzet, in keine Vergleichung gebracht werden. 17

Vor diesem Hintergrund bat Ballin um eine vollständige Aufhebung des Porzellanexportzwangs und der Silberlieferung sowie um eine Reduzierung der Rekognitionsgelder. Ins gleiche Horn stießen in jenen Monaten die jüdischen Gemeinden von Emden 18 und Norden. Letztere betonte in einer Bittschrift an den König vom 25. Januar 1787: Diese Abgaben sind für einen so kleinen Haufen zu groß, und wir müssen sämtlich zu Grunde gehen, wenn nicht Ew. Königl. Majeste Gnade uns erhällt. Hinzu kömt noch das kostbare Geleite, und an dem Porcellain wird die Hälfte verlohren, auf dem Lande dürfen wir nicht hausiren. Der Handel mit Leder, Garne, Wolle, Lumpen etc. ist uns verboten, und wir haben wenig Verdienst, weil keine Fremde an diesen abgelegenen Ort kommen. 19

16

Vgl. die Kap. G. V und H. V. GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 41, Bl. 17. 18 Die dortige Gemeinde hob am 12. Februar 1787 im Rahmen der hier nicht näher zu schildernden Verhandlungen um ein neues Generalgeleit besonders ab auf „die schweren Abgaben, unter denen das Ankauffen des Porcellains die Hauptsächlichste ist“. Siehe StA Emden, II, Nr. 179, Bl. 164. 19 GStA PK, II. HA, Ostfriesland, Städtesachen, Tit. 93, Nr. 41, Bl. 23. 17

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Wie unentschlossen sich Friedrich Wilhelm II. in diesen Monaten zur Frage des Exportzwangs verhielt, zeigt seine Reaktion auf die Supplik der Nordener Gemeinde. So instruierte er die Ostfriesische Kammer am 15. Februar, daß die Silberlieferung nicht herabgesetzt werden könne. Allerdings erwarte er „Vorschläge, auf welche Art die Porcelaine-Abnahme dortiger Judenschaft in den verschiedenen Fällen verhältnißmäßiger einzurichten und zu mildern seyn mögte“. 20 Die Kammer reagierte am 9. März mit einem Bericht, der die dramatische Lagebeschreibung der Vertreter der Judenschaft in jeder Hinsicht unterstrich. So führten die Auricher Beamten aus: Der Handel der hiesigen Juden ist sehr eingeschränkt. Daneben haben sie auch keine Gelegenheit, mit denen erlaubten Waaren sonderliches Verkehr zu treiben; Das mehreste besteht im Trödel-Handel, Leihen auf Pfänder und Schlachten, weil wenige unter ihnen des Vermögens sind, sich weiter zu extendiren. In Verhältnis dieses ihres ganz mäßigen Erwerbs fallen ihnen die Lasten, welche sie mit denen Christen nachbarlich tragen, und überdem die jüdischen Praestanda aufbringen müssen, zu schwehr, und wir finden kein Bedenken, dem allerhöchsten Befehl gemäß zu Herabsetzung und Milderung der jüdischen Praestationen alleruntertänigste Vorschläge pflichtmäßig und gutachtlich zu äußern. Zuförderst geruhet der Porcellain-Ankauf zur größesten Beschwerde eines sich ansetzenden Juden. Derselbe muß außer der aufzubringenden Recognition dazu 300 Rt. baares Geld anwenden, die damit verbundene Kosten forschießen, und das Porcellain sodann außerhalb Landes debitiren. Er leidet dabey, weil es insgemein incomplette Waaren sind, über die Hälfte und fast 2/3 Verlust, zumal zum Absatz ins benachbarte Holländische und übrige enclavirte fremde Provinzien, woselbst das Ostindische Porcellain bequemer zu erhalten ist, keine Gelegenheit vorstält, und der Debit daher mit schwehren Kosten anderwerts für veranstaltet werden muß. Möchten Ew. Königl. Majestät dahero in Gnaden resolviren, die Porcellain-Übernahme, wo nicht ganz zu erlaßen, dennoch dahin allerhöchst zu mildern, daß der erstgebohrne Schutzberechtigte Sohn bey seiner Ansetzung für 100 Rt. und der zweite Sohn, wenn er das Geleit mit dem Rechte, darauf Kinder anzusetzen, erhält, für 200 Rt., sonst aber für den Schutz ad dies vitae gar nichts oder etwa nur für 50 Rt., sodann eine Tochter, falls keine Söhne vorhanden, für 100 Rt. Porcellain zum auswärtigen Debit ankaufen solle. So würde einem solchen sich etablirenden Juden die Last erträglicher und der Verlust an dem Porcellain geringer, er auch im Stande seyn, das übrige Geld gleich mit Vorteil zu seinem Nahrungs-Erwerb zu bestimmen. [...] Wir empfehlen diesen armen Haufen zu Ew. Königl. Majestät Clemence und Milde ... 21

20

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 1. Ostfriesische Kammer an das Generaldirektorium, Aurich, 9. März 1787, ebd., Bl. 2 – 4. Übrigens ist dieser Bericht ein Beispiel dafür, wie zurückhaltend man damit sein sollte, aus derartigen Gutachten sogleich auf die zugrundeliegende Mentalität „der“ Beamten zu schließen, wie dies insbesondere bei Selma Stern vielfach zu beobachten ist. Denn 1773 hatte die Kammer in einem Gutachten noch einen ganz anderen Ton verlauten lassen. Darin heißt es mit Blick auf die 1749 angeordnete Reduktion der Judenschaft von Emden: „Alle Klagen, welche von den Juden hierüber gehöhret werden mögten, sind unerheblich, denn 21

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Die Stellungnahme des Generaldirektoriums zu diesem Gutachten der Ostfriesischen Kammer ist aus zweierlei Gründen von besonderem Interesse. Denn einerseits hatte die Zentralbehörde 1771 eigenmächtig die gesamte ostfriesische Judenschaft von Porzellanexporten dispensiert, was ebenfalls einer Intervention der Kammer geschuldet war. 22 Andererseits verdeutlicht die Reaktion auf deren neuerlichen Vorstoß, daß die Wurzeln derartiger Entscheidungen kaum in einer immer wieder bemühten naturrechtlichen Grundhaltung zu suchen sein dürften. Denn nun, im März 1787, betonte das Generaldirektorium, daß, obwohl die Juden wegen ihrer Religions-Gebräuche und besonderen Verfassung 23 zu Ausübung mancher bürgerlichen Pflichten bey weitem nicht so fähig und qualificirt sind als Christliche Unterthanen, jene zum Nachtheil dieser auf keine Weise Begünstigung verdienen, so glauben wir doch, daß die Obliegenheiten gegen den Staat so zu bestimmen sind, daß sie ihr Vermögen und Verhältniß nicht überschreiten. 24

Deshalb fand man es „höchstbillig“, für die ostfriesische Judenschaft bei der Porzellanabnahme geringere Tarife einzuführen, wie sie von der Kammer vorgeschlagen worden waren. Mehr als ein halbes Jahr nach dem Tod Friedrichs des Großen deutete demnach wenig darauf hin, daß das Judenporzellan bereits ein Jahr später Geschichte sein würde. Stattdessen richteten sich sowohl die Bemühungen des Königs als auch die des Generaldirektoriums lediglich auf dessen „verhältnismäßigere“ Einrichtung. Dies war also der Stand der Dinge im Frühjahr des Jahres 1787, als sich bei der KPM folgenschwere administrative Neuerungen anbahnten.

II. Die Einrichtung der KPM-Kommission unter Friedrich Anton von Heinitz im April 1787 Bei jener administrativen Neuerung handelt es sich um die im April 1787 vollzogene Einrichtung der KPM-Kommission als neuem kollegialischen Leitungsorgan der Manufaktur unter Leitung von Friedrich Anton von Heinitz (1725 – 1802), einem der profiliertesten Köpfe innerhalb der friderizianischen Ministerriege. 25 Wenn in der bisher vorliegenden Literatur hervorgehoben wird, dieser Schritt verdanke sich vornehmlich Friedrich Wilhelms II. mangelnder Bereitschaft, sich die Söhne der Juden, denen auf solche Weise hier nicht zu halten seyn wird, können in Holland und Münsterland sich fast umsonst ansetzen, sie wollen aber hier lieber betteln und betrügen als dahin oder nach andern auswärtigen Orten emigriren.“ Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 27, Bl. 34 –35, hier Bl. 35. 22 Siehe Kap. G. V. 23 Im Konzept war an dieser Stelle statt von Religionsgebräuchen und Verfassung gar vom „Religions- und National-Charakter“ (Hervorherbung durch den Verfasser) der Juden die Rede gewesen, GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 6. 24 Ebd., Bl. 8 – 9.

II. Die Einrichtung der KPM-Kommission

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in ähnlich intensiver Weise wie sein Vorgänger mit der KPM zu befassen, 26 so ist diese Feststellung zwar zutreffend, bedarf jedoch einer Präzisierung. Denn die Etablierung der Manufakturkommission war nicht einfach eine Folge königlicher Lethargie; vielmehr gelangte Heinitz auf Umwegen zur KPM – auf Umwegen, die durch die brandenburgischen Forsten führten, von dem Minister jedoch energisch und zielsicher beschritten wurden. Diese Entwicklung kurz nachzuzeichnen verspricht auch im vorliegenden Kontext einige Aufschlüsse, verrät sie doch Grundlegendes über das „betriebswirtschaftliche Konzept“ jenes Mannes, der wenige Monate später für die Aufhebung des Exportzwangs verantwortlich zeichnen sollte. Geboren im kursächsischen Dröschkau hatte Heinitz nach einem naturwissenschaftlichen Studium zunächst in braunschweigschen und kursächsischen Diensten gestanden, Schweden und Ungarn bereist, die Freiberger Bergakademie gegründet und in diesem Rahmen auch berufsbedingte Kontakte zur Meißener Porzellanmanufaktur gepflegt. Der Übertritt in den preußischen Staatsdienst erfolgte 1777, als Friedrich der Große den Sachsen an die Spitze des Bergwerks- und Hüttendepartements berief, in welcher Funktion sich Heinitz bleibende Verdienste um die Förderung des preußischen Maschinenwesens, die Schaffung der Eisenindustrie in Oberschlesien sowie die Verbesserung des naturwissenschaftlichen Unterrichts in den höheren Bildungsanstalten der Hohenzollernmonarchie erwarb. Zeitweilig, nämlich 1783 –1784, übertrug ihm der König auch das IV. (Zoll- und Akzise-) sowie das V. (Fabriken-) Departement. Auf den letztgenannten Tätigkeitsfeldern geriet Heinitz allerdings bald mit seinem obersten Dienstherrn in Konflikt, wobei es insbesondere um die Regieeinrichtung ging, deren bürokratische Handelshemmnisse Heinitz auf den Frankfurter Messen zur Genüge kennengelernt hatte. 27 Ingrid Mittenzwei charakterisiert den Minister, der sich in seinen heute verschollenen Tagebüchern als Mann von stark ausgeprägter pietistischer Frömmigkeit zu erkennen gibt, 28 dabei vor allem als Mann der Praxis: „Heinitz war ein Mann exakter Zahlen, der in seinem Jahrhundert so beliebten Statistik. Mit Hilfe statistischer Erhebungen wollte er die Wirtschaft eines Landes leiten. Von 25 Heinitz’ Tätigkeit fand deshalb seit jeher das Interesse der Forschung. Genannt seien Steinecke, Friedrich Anton von Heynitz. Ein Lebensbild; Ders., Heynitz, Friedrich Anton von; Lauterbach, Zum 275. Geburtstag von Friedrich Anton von Heynitz; Schellhas; Weber, Innovationen im frühindustriellen deutschen Bergbau und Hüttenwesen; Reimann, Friedrich der Große und der Freiherr v. Heinitz; Schwemann, Freiherr von Heinitz als Chef des Salzdepartements. 26 Siehe beispielsweise Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 30 –31. 27 Seine diesbezüglichen Erfahrungen legte Heinitz vermutlich 1784 in der erst 1788 veröffentlichten Schrift „Mémoire sur ma gestion du Quatrième et Cinquième Département“ nieder. Abgedruckt bei Schultze, Ein Angriff des Ministers von Heinitz gegen die französische Regie; vgl. Steinecke, Des Ministers von Heynitz mémoire sur ma gestion du 4 e et 5 e département; Hubatsch, Friedrich und die preußische Verwaltung, S. 152. 28 Teilweise ausgewertet bei Steinecke, Friedrich Anton von Heynitz.

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ihnen machte er die anzuwendenden wirtschaftspolitischen Mittel abhängig. Diese entstammen alles in allem noch merkantilistischem Denken, obwohl Heinitz wie die meisten anderen preußischen Beamten keine genaueren Kenntnisse der merkantilistischen Literatur besaß.“ 29 Wie bereits angedeutet, spielte die Forstwirtschaft eine nicht unbedeutende Rolle dabei, daß Heinitz nach 1786 seinen Weg zur KPM fand. Am Beginn dieser Entwicklung steht letztlich einmal mehr der königliche Intimus Woellner, auf dessen agrarreformerische Neigungen oben hingewiesen wurde. 30 So hatte Woellner dem neuen König bereits 1784, also in dessen Kronprinzenzeit, ein „Memoire über das Forstwesen und die Holzwirtschaft in der Mark Brandenburg“ überreicht, in der teilweise berechtigte, teilweise aber auch überzogene Kritik an der friderizianischen General-Nutzholzadministration geübt wurde. 31 Nach Meinung Woellners hatten die rücksichtlose Vergabe von Freiholz im Rahmen der Siedlungsbemühungen sowie die „holzfressenden Fabriken“ zu einem Raubbau an den Forsten geführt, wodurch „die Mark an Holz wirklich arm sei und nach der jetzigen Einrichtung jährlich ärmer werden müßte“. 32 Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. kam es daraufhin zu tiefgreifenden Änderungen im Forstwesen, das am 5. November 1786 dem erfahrenen Forstwirt Graf Friedrich Wilhelm von Arnim-Boytzenburg 33 (1739 –1801) als neu ernanntem Oberjägermeister mit Sitz und Stimme im Generaldirektorium unterstellt wurde. Gemeinsam mit Schulenburg-Kehnert, dem bisherigen Chef des Forstdepartements, war auch Heinitz in seiner Eigenschaft als Leiter des Bergwerks- und Hüttendepartements vom König bereits am 25. November 1786 aufgefordert worden, sein Gutachten über jene Maßnahmen zur Förderung der Steinkohlenfeuerung abzugeben, die in der neuen Instruktion für den Oberjägermeister zur Schonung der Forsten vorgeschlagen wurden. 34 Beide Minister nahmen offenbar auf die vom König am 3. Dezember ausgefertigte Instruktion, durch die die Neuordnung des Forstwesens ihren Abschluß fand, keinen Einfluß mehr, 35 so daß Arnim noch 1786 mit ersten Maßnahmen zur Einschränkung des Holzverbrauchs beginnen konnte. Insbesondere 29

Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg, S. 163. Vgl. Kap. I. 31 Ruppel-Kuhfuß, S. 49. 32 Diese Kritik war insofern in ihrer Pauschalität nicht ganz berechtigt, als schon Friedrich der Große in seinen letzten beiden Jahrzehnten die Notwendigkeit erkannt hatte, schonender, wenn man so möchte „nachhaltiger“, mit den Holzbeständen umzugehen. Siehe etwa Friedrichs Tischgespräch vom 18. August 1775 über die Kohlenfeuerung beim Bleichen bei Hinrichs, Allgegenwärtiger König, S. 245. Zum größeren Kontext siehe Gleitsmann; Radkau; Grabas. 33 Zur Person Arnim, Friedrich Wilhelm Graf von Arnim. 34 Ruppel-Kuhfuß, S. 54. 35 Auf Details der neuen Forstverfassung, die faktisch in der Einrichtung eines weiteren Fachdepartements unter dem Dach des Generaldirektoriums hinauslief, ist an dieser Stelle nicht einzugehen. Siehe Ruppel-Kuhfuß, S. 55 – 56; vgl. das Kabinettsdekret an das 30

II. Die Einrichtung der KPM-Kommission

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die Nutzung von Brennholz, auf dessen Einfuhr in die Städte bereits seit 1785 eine Akzise ruhte, und das nun in möglichst großem Umfang durch Torf substituiert werden sollte, geriet dabei ins Blickfeld der Behörden. 1787 wurde deshalb nicht nur für öffentliche Gebäude und Kasernen eine Torffeuerung verordnet, sondern zugleich eine Haupt-Torfadministration zur Erschließung ergiebiger Torfmoore eingerichtet. 36 Nun gehörte jedoch zu Woellners „holzfressenden Fabriken“ zweifellos auch die KPM, die ihren Bedarf bislang aus den Rüdersdorfer Forsten gedeckt hatte. 37 Heinitz teilte der Manufakturdirektion am 7. Februar mit, er habe deshalb vom König den Auftrag erhalten, den Holzverbrauch der Porzellanmanufaktur zu inspizieren und Vorschläge zur sparsameren Einrichtung der Brennöfen zu unterbreiten. 38 Daraufhin hatten Grieninger und Klipfel für den Minister ihr Gutachten zu diversen Einsparungsvorschlägen abzugeben, wobei Heinitz insbesondere beim Materialientrocknen sowie bei der Beheizung der Arbeiterstuben an die Substituierung von Holz durch Torf bzw. beim Glühbrand durch Steinkohle dachte. Ferner hatte die Manufakturleitung darüber Auskunft zu geben, ob man zu erhöhten Ausgaben für die Holzversorgung imstande sei, ohne dabei die bisherigen Überschüsse für die königliche Schatulle zu verringern. Die Antwort Grieningers und Klipfels vom 16. Februar dürfte für Heinitz eine Enttäuschung gewesen sein. Nicht nur seien bei der KPM alle Möglichkeiten zur Einsparung von Brennholz längst ausgeschöpft. Noch dazu sei eher mit einer Steigerung des Bedarfs zu rechnen, da die Anlage neuer auswärtiger Niederlassungen ins Haus stehe. 39 Holz könne nur um den Preis eines Verzichts auf diese Expansionspläne und unter Inkaufnahme geringerer Überschüsse für die Königlichen Kassen eingespart werden. Auch die vorgeschlagene Substituierung durch Torf wolle man lediglich Generaldirektorium zur Schonung der Forsten vom 30. Dezember 1786 bei Stadelmann, Landescultur, Bd. 2, S. 163. 36 Heerwagen, S. 120. Auch in diesen Bemühungen schlug sich nicht zuletzt der Einfluß Woellners nieder, der wiederholt die Substituierung von Holz durch Torf propagiert und 1769 zu diesem Zweck im Auftrage des Ministers von Hagen Ostfriesland und Holland bereist hatte, um die dortigen Torfgräbereien kennen zu lernen. Siehe Bailleu, Woellner, S. 140. Bereits die Instruktion für das Generaldirektorium vom 28. September 1786 sah eine Steigerung des Torf- und Steinkohlenbrandes vor. Siehe Stadelmann, Landescultur, Bd. 2, S. 136. 37 So benötigte die Manufaktur jährlich 2.250 Klafter Kiefernholz von jeweils 1,41 Metern Länge. Bereits 1775 hatte Schulenburg-Kehnert auf die negativen Wirkungen dieses Raubbaus an den Forsten im Umfeld der Hauptstadt hingewiesen. Siehe Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 106 – 107; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 422 F3, Bd. 1, Bl. 129. 38 Heinitz an die KPM-Direktion, Berlin, 7. Februar 1787, MA, OS, Untersuchung über den Betrieb, Haushalt und jetzigen Zustand der Königlichen Porzellan-Manufactur, Bl. 3. 39 MA, OS, Zustand, Bl. 5. Das Gutachten stützte sich auf die Expertise der beiden Arkanisten Johann Friedrich Schopp und Theodor Gotthilf Manitius.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

beim Trocknen der Materialien sowie bei der Beheizung der Arbeiterstuben in Betracht ziehen, sobald der erste Torf in der Manufaktur eingegangen sei. Was hingegen den vorgeschlagenen Einsatz von Steinkohle beim Porzellanbrand anginge (ähnliche Versuche waren bereits unter Friedrich dem Großen gescheitert 40), so könne solches schon wegen der „Mineralischen Dämpfe, die sich aufs Porzellän anlegen und desselben schöne, weiße Farbe in ein scheutziges Grau verwandeln“ nicht realisiert werden. Schließlich liefen Grieningers und Klipfels Ausführungen darauf hinaus, die Manufaktur sei zwar in der Lage, höhere Ausgaben für die Holzbeschaffung zu bestreiten, könne dabei die bisher an die Königliche Dispositionskasse gezahlten Überschüsse umsoweniger garantieren, als „dermaln schon von uns alles, was nur möglich, zur Vergrößerung der Einnahme in Anwendung gebracht worden ist“ 41 – eine Aussage, der wohl auch die preußische Judenschaft rückhaltlos zugestimmt hätte. Nachdem Heinitz über diese wenig ermutigenden Ergebnisse der Untersuchungen auch mit Oberjägermeister Arnim konferiert hatte, wandte er sich jedoch am 21. Februar mit einem aufschlußreichen Immediatbericht an den König, der keinen Zweifel daran läßt, daß es Heinitz selbst war, der die Leitung der KPM entschlossen anstrebte. Zu diesem Zweck hatte der Minister sein Untersuchungsmandat, das sich ursprünglich lediglich auf Fragen der Feuerung erstreckt hatte, eigenmächtig auf wesentliche Punkte des inneren Betriebs und der Preispolitik der KPM ausgedehnt. Ausgangspunkt seiner Argumentation war dabei der Holzmangel, der es nicht mehr erlaube, die Manufaktur aus den Forsten in der unmittelbaren Umgebung Berlins zu versorgen. Würde man hingegen auf Holz aus entlegenen preußischen oder auch aus sächsischen und polnischen Waldungen zurückgreifen, so sei mit jährlichen Mehrausgaben in Höhe von 3.000 – 4.000 Rt. zu rechnen. Andererseits hätten die bislang angestellten Versuche zum Einsatz von Torf und Steinkohle gezeigt, daß auf diesem Gebiet spätestens in einigen Jahren meßbare Ergebnisse zu erreichen seien, so daß man, um „diese schöne und kostbaare Fabrique für den Staat“ zu erhalten, vor der Hand darauf bedacht sein müsse, Bestellungen von Vasen, Aufsätzen, Grouppen und ähnlichen nach dem besten und neuesten Geschmack auszuführenden Sachen zu erhalten, die der reiche Ausländer anderswo vergeblich sucht und gut bezahlt und wodurch man die mehrern Kosten der Feuerung wieder gewinnen und im Ganzen die beträchtliche Holzconsumtion der Fabrique ansehnlich zu vermindern im Stand seyn würde. 42

Wenn Heinitz eine Umstellung der Produktion auf den „neusten Geschmack“ anmahnte, so war dies ein dezenter Hinweis darauf, daß die Manufaktur unter Friedrich dem Großen wohl etwas zu lange dem Rokoko verhaftet geblieben war und nun ein Übergang zu klassizistischer Gestaltung überfällig war. 43 Nicht minder 40 41 42 43

A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 671; GStA PK, I. HA, Rep. 96 B, Nr. 83, S. 818, 826. MA, OS, Zustand, Bl. 6. Ebd., Bl. 8. Vgl. Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 34 – 36.

II. Die Einrichtung der KPM-Kommission

525

aufschlußreich waren Heinitz‘ weitere Folgerungen, hielt er es doch für notwendig, die Produktion einzuschränken und zu diesem Zweck lediglich die besten Arbeiter beizubehalten, während die übrigen „successive anderswo bey Bauten, in Fayance Fabriken und wo sie sonst Brod verdienen können“ unterzubringen seien. In der Folge seien „bey dem ganzen Etablissement oeconomische Einrichtungen zu treffen“, die darauf abzustellen seien, A) daß Euer Majestät zwar auf keine große Geldüberschüsse aus dieser Fabrique sicher rechnen können, B) daß aber ein zu vieler Vollkommenheit schon gebrachtes Etablissement fortdauernd erhalten C) das darin angestellte Personale von guten Künstlern beständig beschäftigt und D) die dadurch in Berlin circulirende Geld Summe in fernerm nützlichen Umlauf bleiben würde. 44

Heinitz’ Fazit war schließlich so etwas wie eine Initiativbewerbung als neuer KPM-Chef, hielt er es doch für dringend geboten, Rechnungsauszüge, Balancen vom zeitherigen und Überschläge zum künftigen Betrieb der Porzellän Manufactur zu machen und deren ganzen Haushalt im Detail durchzuarbeiten um sodann Eurer Majestät gründliche Vorschläge zur Höchsten Entschließung nach und nach vorlegen zu können. Sollte dieser unterthänigste Antrag, den ich meiner Pflicht gemäs thue, von Eurer Maj. genehmigt werden, so erbitte ich mir zu dessen Ausführung so wohl die erforderliche Zeit als auch eine hinreichende Autorisation und Befehl, mit den Geheimen Räthen Grieninger und Klipfel ferner nach diesem Plan zu arbeiten. Ich werde in diesem Fall auch auf diesen Gegenstand zu Erreichung Eurer Majestät Absichten meine möglichsten Kräfte gerne verwenden, anderergestalt aber geruhen E. M. die Gnade für mich zu haben, dieses Auftrags mich zu entledigen. 45

Das Kalkül des Ministers ging auf, führte sein Bericht doch bereits zwei Tage später, am 23. Februar, zu einer Kabinettsordre, in der Friedrich Wilhelm erklärte, es wohl einzusehen, „daß der Betrieb der Porcellain-Manufactur wegen des HoltzMangels nach einer andern Art eingerichtet werden muß“. 46 Heinitz erhielt deshalb die erbetene Autorisation, mit Grieninger und Klipfel ein detailliertes Konzept zum zukünftigen Betrieb der Manufaktur auszuarbeiten, wobei dem Minister jedoch eingeschärft wurde, auf die Arbeiter „besonders Rücksicht“ zu nehmen. Am gleichen Tag kam es zwischen Heinitz und dem König auch zu einer mündlichen Unterredung, deren Inhalt noch einmal deutlich macht, daß die schließlich erfolgte Aufhebung der freien Holzversorgung der KPM keineswegs ein Wetterleuchten liberalistischer Wirtschaftsauffassungen darstellte, wie durchgängig zu lesen ist. 47 Tatsächlich hatte die Veränderung mit einer neuen ökonomischen Philosophie nicht das geringste zu tun, sondern war lediglich der Tatsache geschuldet, 44 45 46

MA, OS, Zustand, Bl. 8. Ebd. Ebd., Bl. 9.

526

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

daß, wie der König hervorhob, die Forsten im Umkreis Berlins erschöpft seien und für die Bedürfnisse der Hauptstadt erhalten werden müssten. 48 Grundsätzlich hätte man die kostenlose Holzzufuhr gern beibehalten, weshalb Friedrich Wilhelm sogar vorschlug, einen Teil der Fabrikation in holzreichere Gegenden wie Krossen oder Frankfurt an der Oder zu verlegen – ein Plan, der allerdings schnell fallengelassen wurde. 49 In einem gemeinschaftlich verfaßten Bericht vom 28. April 50 schlugen Heinitz, Grieninger und Klipfel dem König schließlich die Einrichtung einer dauerhaften Kommission vor, was dieser zwei Tage später auch genehmigte. 51 In der zugleich gebilligten Instruktion für das neue Gremium, das einmal im Monat eine Generalkonferenz abhalten sollte, wurden als Aufgabenfelder hervorgehoben „alle Generalia, die den Betrieb, Haushalt und Debit betreffen“ sowie Fragen der noch anzulegenden auswärtigen KPM-Niederlassungen. 52 Die Kommission, der neben Heinitz, Grieninger und dem noch 1786 zum Mitdirektor ernannten Klipfel auch der Oberbergrat Friedrich Philipp Rosenstiel (1754 –1832) angehörte, 53 nahm mit der ersten Sitzung am 4. Mai 1787 54 ihre Arbeit auf. Grieninger und Klipfel, die sich in den vorangegangenen Monaten auch gegenüber dem neuen König für ein Fortbestehen des Abnahmezwangs ausgesprochen hatten, unterstanden nun also einem Mann, der sich zwar noch nicht über diesen Gegenstand geäußert hatte, der ihm durch seine Tätigkeit im Fabrikendepartement jedoch bereits bekannt war. Zudem ließ Heinitz’ zielstrebiges Auftreten jedoch keinerlei Zweifel daran, daß der Manufaktur unter seiner Ägide schwerwiegende Neuerungen bevorstanden.

47

Dieser Eindruck wird beispielsweise vermittelt bei Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 33, wonach die Versorgung mit kostenlosem Brennholz zu jenen Privilegien aus friderizianischer Zeit gehört habe, die 1787 als offenkundige „Anachronismen“ abgeschafft worden seien. Dabei wird das hier angeführte Gespräch zwischen Heinitz und dem König auch ebd., S. 107 erwähnt. 48 MA, OS, Zustand, Bl. 11. 49 Siehe das Protokoll einer Sitzung von Heinitz, Grieninger und Klipfel vom 27. Februar ebd., Bl. 15 – 17. 50 MA, II, Nr. 1, Bl. 6. 51 Ebd., Bl. 12. 52 Ebd., Bl. 13. 53 Grieninger zeichnete verantwortlich für die Leitung des Fabrikationsbetriebes und den inneren Haushalt, Klipfel betrieb die „Debitsangelegenheiten“ (also den Verkauf), und Rosenstiel befaßte sich mit den Generalien, dem Etat-, Kassen- und Rechnungswesen sowie den Bauangelegenheiten. Siehe Baer, Die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) unter König Friedrich Wilhelm II., S. 472; zu Rosenstiel Gebhardt, Friedrich Philipp Rosenstiel. 54 Protokoll der Sitzung in MA, II, Nr. 1, Bl. 16 –19.

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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III. Die Verhandlungen zwischen Heinitz und den jüdischen Oberlandesältesten und Generaldeputierten bis zur Aufhebung des Exportzwangs im Februar 1788 Dabei hatte das Judenporzellan Heinitz und Grieninger bereits vor Einrichtung der KPM-Kommission auf einer Sitzung am 27. Februar 1787 erstmals beschäftigt. Darin wurde vereinbart, daß der gesamte Gegenstand „nach den Acten erst durchgearbeitet werden“ müsse. Vorerst erschien es jedoch bedenklich, daß aufgrund der bisherigen Regelungen sowie des königlichen Befehls vom 25. Oktober 1786 „die Reichen und Armen nur eine Taxe haben und jetzt die erstern die Rückstände der letztern übernehmen“ müßten. Diesem Verfahren sei, so meinten Heinitz und Grieninger, eine ratenweise Abtragung der Rückstände aus den Jahren bis 1779 vorzuziehen. 55 Auch am 10. März stand das Judenporzellan erneut auf der Tagesordnung. Dabei beklagte Grieninger, die Manufaktur hätte auf diesem Wege in den vergangenen sechs Jahren zwar für rund 220.000 Rt. Waren abgesetzt, „welches aber nicht continuiren kann, da jetzt viele befreiet werden. Man müßte daher die Juden zu größerer Abnahme vermögen“. 56 In der Tat setzte sich die bereits 1786 einsetzende Praxis, einzelne Juden von ihren Rückständen zu befreien, ebenso fort, wie auch bei manchen Neuprivilegierungen auf einen Porzellanexport verzichtet wurde. In diesem Sinne wurde beispielsweise aufgrund einer Kabinettsordre vom 8. März beim Etablissement des in Berlin als Lehrer tätigen Juden Lesser als Ordinarius verfahren. 57 Vier Monate später erhielt der Extraordinarius Benjamin Behrend, Inspektor des Tabaksmagazins in Schwedt, vom König für sich und seine sieben Kinder ordentliche Schutzprivilegien, ohne einen Porzellanexport oder auch nur Chargen- und Stempelgebühren leisten zu müssen. 58 Dies waren allerdings Ausnahmen von der weiterhin geltenden Regel, finden sich doch in der Verkaufsliste der Manufaktur in jenen Monaten durchaus noch zahlreiche Juden, die bei ihrer Privilegierung zu Exporten herangezogen wurden. 59 Eine grundsätzliche Änderung der bestehenden Praxis, dies wurde bereits dargelegt, bahnte sich in jenen Monaten jedoch in Ostfriesland an, für das sowohl die Kammer in Aurich als auch das Generaldirektorium die Einführung reduzierter Abnahmetarife ins Gespräch gebracht hatten. Und genau in diese Diskussion griff 55

Siehe MA, OS, Zustand, Bl. 15 –17. Ebd., Bl. 30. 57 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV A, Nr. 36, Bl. 104. 58 Jacobson, Jüdische Trauungen, S. 163. Behrend wurde später Christ und nahm den Namen Philippson an. 59 Gleichwohl beklagte die Manufaktur am 21. April 1787, die Einnahmen durch den Exportzwang seien in den vorangegangenen zehn Monaten „sehr unbeträchtlich gewesen“. Siehe MA, XI, Nr. 1, Bl. 10. 56

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Heinitz am 3. April mit einem Immediatbericht ein, der erstmals einen genaueren Eindruck von seiner Haltung gegenüber dem Judenporzellan vermittelt. 60 So hielt der Minister die vorgeschlagenen Tarife von 50 bis 200 Rt. zwar für „viel billiger“, erachtete es jedoch gleichwohl als problematisch, in Ostfriesland eine Sonderregelung zu treffen, bevor keine „allgemeine Heruntersetzung“ beschlossen worden sei. Hiezu aber will ich sehr gerne die Hände biethen und dies um so mehr als ich überzeugt bin, daß mindere Sätze dem Debit weniger nachtheilig sind, zumalen die bisherigen Sätze entweder höhern Ortes den gantzen Nachlaß bewirckt oder Ursache gewesen, daß der Juden Rückstände bis auf 78.865 Rt. angewachsen, von welchen zwar des Königs Majestät 39.432 Rt. 12 Gr. erlassen und anbefohlen, den Überrest dagegen ohne Zeitverlust von den reichen Juden beyzutreiben, aber auch dieses bis jetzt auszuführen, gantz vergeblich gewesen.

Aus diesem Grund habe er bereits Kontakt zu Generalfiskal d’Anières aufgenommen und arbeite mit der Direktion der Porzellanmanufaktur einen Plan aus, den er zu gegebener Zeit dem Generaldirektorium zur Mitvollziehung einreichen wolle. Bis dahin sollte jedoch von den angedachten Modifizierungen auch in Ostfriesland noch Abstand genommen werden. Deutlicher wurde Heinitz am Folgetag jedoch gegenüber dem Generaldirektorium, indem er hervorhob, daß der Exportzwang vornehmlich in dessen Ressort falle und deshalb „wegen dieser onereusen und chicaneusen Sache Sr. Königl. Majestät ein gemeinschaftlicher Bericht erstattet werden müsse“. 61 Daß Heinitz, der den bisherigen Regelungen also durchaus skeptisch gegenüberstand, in dieser Frage behutsam agierte und sich Rückendeckung durch das Generaldirektorium zu verschaffen suchte, hatte seinen Grund offenbar in den vornehmlich fiskalischen Interessen des Königs. Dieser erinnerte Generalfiskal d’Anières am 4. April 1787 an seinen Befehl vom 25. Oktober des Vorjahres, wonach er en faveur der armen Juden die Hälfte davon [der Exportrückstände] niederschlagen, die andere Hälfte aber von den reichen Leuten unter ihnen bezahlt haben wollte; so ist jezt mein Wille, daß Ihr die runde Summe von 35.000 Rt. auf die gantze jüdische Nation dergestalt zu vertheilen habt, daß nur die Reichen unter ihnen für ihre Mitbrüder sothanes Quantum aufbringen sollen. Damit Ihr aber einen Maßstab zu dieser Repartition habet, so mögen sie [die Juden] sich selbst taxiren, und ein jeder Jude in meinen gesammten Staaten, der 10.000 Rt. und drüber im Vermögen hat, muß mit zur Schätzung gezogen werden. Alle diejenigen aber, die nicht 10.000 Rt. besitzen, sollen davon ausgeschlossen seyn. Uebrigens aber befreyet von diesem Beytrage weder das Ius Christianorum oder irgend ein Privilegium, noch auch das bereits für ihre Persohn vorhin schon gekaufte Porcellain, sondern ein jeder reiche Jude muß diesen extraordinairen Beytrag für seine Nation leisten. Ich laße Euch und den Juden zu diesem Arrangement vier Monat Zeit, 60

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 7, danach die folgenden Zitate. 61 Ebd., Bl. 12.

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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nach deren Ablauf obige 35.000 Rt. in der Casse der Porcellain-Manufactur ohnfehlbar abgeliefert seyn müßen, als wofür Ihr mir responsable seyn werdet. 62

Dieser Befehl blieb offenbar nicht ohne Folgen, denn auf Drängen Gottschalk Helffts, des Berliner Bevollmächtigten der Judenschaften von Kleve und Mark, zahlten daraufhin die Gemeinden beider westlichen Provinzen 930 bzw. 814 Rt., obwohl sich in ihren Reihen kein einziger Jude mit einem Vermögen von 10.000 Rt. befand. 63 Derweil hatten sich jedoch Grieninger und Klipfel, die offenbar eine vollständige Aufhebung des Exportzwangs fürchteten, auf eine Linie zähen Widerstands festgelegt. Gegenüber dem Generaldirektorium betonten sie am 26. April, es würde der Absatz der Manufaktur in diesem Falle auf alle Fälle sehr ansehnlich leiden und am allermehresten alsdann, wenn der Judenschaft anstatt, daß sie jetzt bei erhaltenen Beneficiis eine Quantitaet Porcellaines in dreierlei Sorte nehmen und außer Landes Debitiren muß, ihnen ein freier Handel nach ihrer eigenen Auswahl nachgegeben werden sollte. [...] Wir glauben, daß der Judenschaft nicht auf eine andere Art Erleichterung verschaffet werden kann, als wenn den ärmeren Etwas erlassen würde, welches aber die reichern, um allen Ausfall zu verhüten, sich wiederum müßten anrechnen lassen. 64

Vier Tage später präsentierten die beiden Heinitz einen entsprechenden Plan, der zu folgender Modifikation der Abnahmetarife geführt hätte: Tabelle 17 Vorschlag der KPM-Direktoren Grieninger und Klipfel für einen neuen Abnahmetarif vom 30. April 1787 65

62

Vermögen

Abnahmequantum

Vermögen

Abnahmequantum

1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000

150 200 250 300 350 400 450

8.000 9.000 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000

500 550 600 700 800 900 1.000

Ebd., Bl. 15 (Abschrift); abgedruckt bei Nienhaus, S. 91 –92. Ebd., S. 56. Diese Summe bewegte sich bemerkenswerter Weise noch oberhalb jener Beträge, zu denen die beiden Judenschaften schließlich einige Monate später im Rahmen der Gesamtrepartition der Ablösesumme von 40.000 Rt. verpflichtet wurden. Ob deshalb eine Rückerstattung erfolgte, ist unklar. 64 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 17 –18. In dem Gutachten heißt es weiter: „Übrigens sind uns keine Mittel bekannt, die wir in Vorschlag bringen könnten, durch welche erreichet würde, daß der auswärtige Porcellaine-Handel, wenn die Judenschaft Dispensation erhalten sollte, nicht leiden, sondern vielmehr weiter befördert würde. Wir sind im Gegentheil der Meinung, daß wenn die beneficirten Juden zur Exportation der Porcellaines, die sie ausnehmen müssen, nach wie vor mit Ernst angehalten würden, dieses die beste Art, den auswärtigen Debit zu befördern, seyn mögte.“ 63

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Wäre dieser Plan verwirklicht worden, so hätte dies also eine erhebliche Umverteilung der Belastung zuungunsten der vermögenderen Juden nach sich gezogen, wobei der Maximaltarif von 1.000 Rt. nach dem Willen Grieningers und Klipfels auch bei der Verleihung von Generalprivilegien zur Anwendung kommen sollte. Für den ärmeren Teil der Judenschaft hätte diese Modifikation zwar eine gewisse Erleichterung bedeutet, die sich bei näherem Hinsehen jedoch durchaus in Grenzen hielt. Denn die bereits geschilderten Verpackungs-, Plombage- und Transportkosten hinzugerechnet, wäre die Sondersteuer auch weiterhin auf einen Verlust von vermutlich rund 10% des Vermögens hinausgelaufen. Indes sollte dieser schleppende Diskussionsprozeß innerhalb der KPM bald von den Ereignissen überholt werden. Denn einerseits liest man bereits am 26. Mai über eine Summe von 16.000 Rt., die die Berliner Oberlandesältesten als erste Rate zur Abtragung der 35.000 Rt. ohne Quittung (!) bei der Manufaktur abgeliefert hatten. 66 Daß die Ältesten diesen Betrag binnen weniger als zwei Monaten zusammenbrachten und scheinbar recht überstürzt bei der KPM einzahlten, nährt die Vermutung, daß sich mit diesem Schritt die Hoffnung verband, den verhaßten Exportzwang ganz zu kippen, zumal in jenen Monaten die Aussucht auf eine unmittelbar bevorstehende allgemeine Reform des Judenwesens noch ungetrübt sein mochte. Diesen Zusammenhang stellte jedenfalls der Generalfiskal her, mit dem die Ältesten wegen der Beitreibung der 35.000 Rt. in jenen Monaten sicherlich auch persönlich zu konferieren hatten. Denn an d’Anières hatte sich auch das Generaldirektorium gewandt, bei dem offenbar Unklarheit darüber herrschte, wie gegenüber den Porcellainerestanten nun weiter zu verfahren sei. Konkret ging es um Elias Abel aus Cammin in Pommern, der 1779 zu den Unglücklichen zählte, die aufgrund zweier Konzessionen mit Nachforderungen konfrontiert worden waren. Erfüllt hatte er zwischen Juni 1781 und Juni 1782 das Abnahmequantum für seine am 5. Juni 1777 erfolgte Ansetzung als Extraordinarius. 67 Allerdings wohnte Abel mit seiner Frau, einer 65

Ebd., Bl. 38. MA, II, Nr. 1, Bl. 23 – 24, hier Bl. 23. Angesichts des offenbar vollkommen unklaren weiteren Vorgehens beschloß man zunächst, den Ältesten die Rücknahme dieser Summe zu empfehlen. Ausweislich des nächsten Sitzungsprotokolls vom 1. Juni wurde dies allerdings unterlassen und stattdessen beschlossen, sich mit Blick auf den Immediatauftrag, den der Generalfiskal zur Eintreibung dieser Summe erhalten hatte, „ohne besondern Allerhöchsten Befehl nicht in diese Sache zu metiren“. Die 16.000 Rt. sollten deshalb zunächst bei der KPM-Kasse verbleiben, jedoch noch nicht vereinnahmt werden. Siehe ebd., Bl. 25 –26. 67 Siehe die Exporte Nr. 0702, 0830 und 0846 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Die ersten beiden Käufe tätigte Abel gemeinsam und summarisch mit dem ebenfalls aus Cammin stammenden Kaufmann Gottschalk. Dieser war am 28. Dezember 1775 als erstes Kind auf den Schutzbrief seines selbst erst am 3. September 1772 etablierten Vaters Gottschalk Levi angesetzt worden. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 215. 1779 kamen daher auf Vater und Sohn Forderungen in Höhe von 250 bzw. 300 Rt. zu. 66

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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Witwe des dortigen Schutzjuden Ascher Moses, noch dazu in einem nicht konzessionierten Haus im Wert von 500 Rt. 68 Als Abel nun um eine Dispensation von einem weiteren Export bat, erklärte der vom Generaldirektorium mit einem Gutachten beauftragte d’Anières am 26. Juli, er sei der festen Überzeugung, daß aller gezwungene Ankauf von Porcellain der Manufactur eher schädlich als nützlich ist. Ich bin aber an den Gesetzen gebunden. Ich habe gehofft, daß, wenn die alten Reste durch die Bezahlung der Summe von 35.000 Rt. getilgt seyn würde, welche die Ober LandesAeltesten als ein Surrogatum der Reste zu bezahlen übernommen hätten, vielleicht aller fernere nicht freiwillige Ankauf des Porcellains cessiret werde, und ich hatte guten Grund, mir diese Hoffnung zu machen. Inzwischen haben des Königs Majestät [...] mir blos bekannt zu machen geruhet, daß dieser Rest getilgt sey, und sonst habe ich nichts erfahren. Ich muß daher auf Allerhöchste Verfügung submittiren, dabei aber allenfalls in Vorschlag bringen, in diesen und allen dergleichen Fällen die Erklärung des Geheimen Etats Ministri Freiherrn von Heinitz als Chefs der Porcellain Manufactur Commission zu erfordern, von welchem ich weiß, daß er den Debit des Porcellains durch Zwangsmittel zu bewürken sehr abgeneigt ist. 69

Daraufhin wandte sich das Generaldirektorium am 9. August in der Tat an die KPM-Kommission und erbat sich Auskunft darüber, ob der Exportzwang aufgehoben sei oder ob zumindest im Falle Abels von einer weiteren Eintreibung der Rückstände abgesehen werden könne, zumal letzterer lediglich als Extraordinarius etabliert sei und das in Rede stehende Haus deshalb nach seinem Tod ohnehin an einen Christen verkauft werden würde. 70 Heinitz, dem der König im Dezember 1786 im Zuge der neuen Departementsverteilung des Generaldirektoriums auch die Aufsicht über die westfälischen Territorien zugedacht hatte, 71 befand sich zu diesem Zeitpunkt zwar auf einer Inspektionsreise durch die westlichen Provinzen, 72 dennoch stimmte die KPMKommission am 15. September einer Dispensation Abels zu, dessen Rückstände unter jene Beträge fielen, die der König den armen Juden erlassen habe. 73 Auf ähnliche Weise war bereits am 16. August Moses Henoch, der 1771 auf das Recht des ersten Kindes im neumärkischen Königsberg etabliert worden war, von sei68 MA, I, Nr. 4, Bl. 2. Der Besitz des Hauses wurde 1779 zunächst nur deshalb durch den Generalfiskal nicht moniert, weil die Pommersche Kammer bereits im Vorjahr mit der Zwangsversteigerung der Immobilie beauftragt worden war. 69 Ebd., Bl. 2 – 3 (Abschrift). 70 Ebd., Bl. 1. 71 Siehe Ruppel-Kuhfuss, S. 22 –23. Das eisenverarbeitende Gewerbe der Grafschaft Mark unterstand Heinitz bereits seit 1781. Siehe Baumgart, Tendenzen der spätfriderizianischen Verwaltung, S. XXIX. 72 Auf diese Reise nimmt Heinitz in seinem weiter unten zitierten Immediatbericht vom 17. November bezug. Weitere Reiseberichte aus seiner Feder konnten bislang nicht aufgefunden werden. Keine Hinweise finden sich beispielsweise in GStA PK, I. HA, Rep. 96, Nr. 251 A. 73 MA, I, Nr. 4, Bl. 5.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

nen immer noch 200 Rt. betragenden Exportrückständen befreit worden. 74 Am 11. September wandte sich das Generaldirektorium erneut an die KPM-Kommission, diesmal im Falle des Schutzjudensohns Samuel Joseph aus dem ostfriesischen Esens. Dieser hatte bereits 1784 erstmals um seine Ansetzung nachgesucht, war jedoch nicht in der Lage gewesen, die nötigen Summen für die Rekognitionsgebühren und den Porzellanexport zusammenzubringen. Daraufhin hatte er im Januar 1786 zunächst einen Trauschein unter der Bedingung erhalten, sofort nach der Hochzeit nach Holland auszuwandern, wo er sich in der Provinz Groningen niederlassen wollte. 75 Allerdings befand sich Joseph offenbar noch immer in Ostfriesland, weshalb nun das Generaldirektorium Heinitz, dem „die onereuse und nahrungslose Verfassung der armseligen Juden“ der dortigen Provinz selbst bekannt sei, darum bat, einer Reduzierung des Abnahmequantums auf 100 Rt. zuzustimmen. 76 Auch dieses Gesuch wurde am 19. September von der KPM-Kommission ebenso positiv beschieden 77 wie ein gleichlautender Antrag für Juda Bernd, der sich in Westhofen (Grafschaft Mark) als Extraordinarius und Schlachter etablieren wollte. 78 In den Genuß von derartigen Entscheidungen kamen in den kommenden Wochen noch Moses Behrend aus Petershagen 79 und Lazarus Cosmus aus dem ostfriesischen Wehner. 80 74 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 151; vgl. Export Nr. 0101 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 75 Siehe den Bericht der Ostfriesischen Kammer vom 27. August 1787 in MA, I, Nr. 4, Bl. 9. 76 Ebd., Bl. 8. 77 Ebd., Bl. 10. Grieninger, Klipfel und Rosenstiel führten darin aus, man werde „übrigens dafür Sorge tragen, daß der Samuel Joseph für die einzusendenden 100 Rt. solche Waare erhalte, worauf er beym Wiederverkauf außer Landes die Hälfte zu verlieren nicht besorgen darf, wenn er sie anders, wie es zeither bey der Judenschaft größtentheils der Fall gewesen ist, nicht muthwillig verschleudern wird.“ Offenbar kam der Export Josephs jedoch nicht mehr zustande. 78 Ebd., Bl. 11 – 12. Auch Juda Bernd findet sich nicht mehr in den Büchern der KPM. Seine Konzession datiert vom 21. Oktober 1788; vgl. jedoch GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 156: „Nach der Tabelle pro 89 hat er sich bis hiehin noch nicht in Westhoven etablirt.“ 79 Behrend hatte bereits zweimal für 300 Rt. Porzellan exportieren müssen: zunächst im Februar 1783 nachträglich für seine im April 1779 genehmigte Ansetzung als erstes Kind und schließlich im Juni 1785 für die Erlaubnis zur zweiten Ehe mit einer ausländischen Jüdin. Siehe die Exporte Nr. 0928 und 1235 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Behrend nun anläßlich seiner zweiten Ehe, die er wiederum mit einer Ausländerin einging, nochmals zu einem Export zu verpflichten, empfand auch die KPM-Kommission als zu hart. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 13 –14; vgl. zur Person Behrends Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 502. 80 Das Generaldirektorium hatte am 16. Oktober darum gebeten, das Abnahmequantum anläßlich seiner Ansetzung auf 100 Rt. zu reduzieren, „da noch kein allgemeines Regulatio wegen verhältnißmäßiger Bestimmung der Porcellain-Quantorum“ für die Ostfriesische Judenschaft aufgestellt worden sei. Die KPM-Kommission stimmte dieser Ermäßigung am 30. Oktober zu. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 15 –16.

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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All diese Dispensationen und Ermäßigungen bildeten freilich nicht mehr als Stückwerk, das in dieser Form allein aufgrund des damit verbundenen bürokratischen Aufwands kaum weiter betrieben werden konnte. Allerdings war weiterhin vollkommen unklar, ob am Ende eine vollkommene Aufhebung des Exportzwangs oder lediglich eine Modifikation der Abnahmetarife stehen würde. Die von Friedrich Wilhelm II. am 4. April geforderten 35.000 Rt. hatten die Oberlandesältesten derweil bis zum 20. Juli vollständig bei der Porzellanmanufaktur eingezahlt, womit zumindest die Rückstände aus den Jahren bis 1779 als getilgt angesehen werden konnten. 81 In dieser Situation war es Heinitz, der mit einem Immediatbericht vom 17. November die Entscheidung herbeiführte. Aufgrund seiner Bedeutung sei dieses Dokument im folgenden vollständig wiedergegeben: An des Königs Majestät. Die zeitherige gezwungene Porzellan-Abnahme und Ausfuhr durch die Judenschaft ist den Spekulationen der Porzellan Manufactur-Handlungs Direction zu Beförderung des Absatzes in benachbarte und entferntere Staaten überaus nachtheilig. Ich habe davon bey Bereisung der von Eurer Königlichen Majestät mir jetzt anvertrauten Departements der Westphälischen Provinzen viele auffallende Beweise erhalten. Zu Münster, Osnabrück, Nimwegen, Hannover und in verschiedenen anderen Städten, durch welche mich die Reiseroute führte, wird das hiesige Porzellan um 25, 30 bis 40 procent wohlfeiler verkauft, als die Manufactur es hier leisten kann. Ein Gleiches geschieht nach eingezogenen Nachrichten in Hamburg, Warschau und Danzig. Die Juden suchen nämlich, um für das ihnen aufgedrungene Porzellan nur wieder etwas Geld zu bekommen, solches a tout prix loszuschlagen und überlassen es daher den Ausländern mit jenem ansehnlichen Verlust ihrer baaren Rücklage. Die Folgen daraus sind: a) daß selten Bestellungen hiesigen Porzellans von Ausländern unmittelbar bey Eurer Maj. Porzellan-Manufactur einlaufen; b) daß die zum auswärtigen Debit angelegten Commissions-Waarenlager nicht aufkommen und weiter poussirt werden können, weil sie nicht eben so niedrig zu verkaufen in Stande sind, als die auswärtigen Commisionaire der Judenschaft verkaufen; c) daß durch diesen Verkauf unter den kostenden Preise das hiesige, wirklich vorzügliche Porzellan unter seinen inneren Wert herabgewürdiget wird und beym Ausländer in Geringschätzung kommt; d) daß diejenigen Inländer, welche den geringen Preis des hiesigen Porzellans im Auslande erfahren, entweder über die hiesigen höheren Verkaufspreise Beschwerden führen, oder wohl gar ihre Porzellanbedürfnisse auswärts kaufen und sie, weil die Einfuhre und Transportirung hiesigen Porzellans nicht verboten ist, wiederum einbringen, endlich

81 Das Datum des 20. Juli wird in einer Eingabe der Oberlandesältesten an den König vom 11. Dezember 1787 genannt. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 43 – 44. Die Angabe deckt sich mit einer Instruktion des Königs an den Generalfiskal vom 23. Juli, wonach die geforderten 35.000 Rt. vollständig eingegangen seien, so daß der Eintreibungsbefehl vom 4. April aufgehoben werden könne. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 4. Nach Kolbe, S. 186 – 187 hatten die Oberlandesältesten zunächst lediglich eine Zahlung von 20.000 Rt. angeboten, was sich jedoch nicht mehr nachrecherchieren ließ.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

e) daß ein Teil der Unterthanen Eurer Maj. durch diesen gezwungenen Handel in das Ausland, offenbaren ansehnlichen Verlust erleidet, und ihnen durch diesen Verlust ihr übriges Gewerbe desto schwerer fällt. Ich habe alle diese Folgen der von Eurer Kgl. Maj. niedergesetzten Porzellan-ManufacturCommission vorgelegt. Sie ist von deren Wahrheit mit mir überzeugt und wünscht mit mir, daß Allerhöchstdieselben geruhen möchten die der Manufactur selbst in ihren Handelsspekulationen so nachtheilige Porzellanabnahme und Exportation durch die Judenschaft wieder aufzuheben, und die Commission zu autorisiren, daß sie mit den Ältesten der Judenschaft wegen künftigen freyen Handels mit hiesigem Porzellan das Erforderliche arrangire. Bey den gnädigsten, von Eurer Maj. dem Generaldirectorio zu erkennen gegebenen Absichten, das Schicksal der Judenschaft huldreichst erleichtern zu wollen, hätte ich zwar diesem unttgstem. Bericht noch bis dahin, daß Allerhöchstdieselben über die ganze Lage der Judenschaft und deren Verbesserung gnädigst entscheiden werden, Anstand geben können. Da aber das Interesse der Manufactur und besonders das Aufkommen der auswärtigen Comissions-Waarenlager bey der Fortdauer des gezwungenen Porzellan-Debits durch die Juden so sehr leiden, so habe ich geglaubt, diesen Gegenstand zur baldigen höchstgnädigsten Entscheidung besonders alleruntertänigst vortragen zu müssen. v. Heinitz 82

Gegenüber dem König argumentierte Heinitz demnach vornehmlich ökonomisch, indem er auf die zahlreichen negativen Folgewirkungen verwies, die der Manufaktur seiner Meinung nach bei einem Fortdauern des Abnahmezwangs drohten. In seinen Schilderungen von verschiedenen deutschen und mitteleuropäischen Absatzmärkten, die teilweise eigener Anschauung entsprangen, wird man demnach einen weiteren Beleg für die schweren Verluste erblicken können, die diese Exporte für die Juden mit sich brachten, zumal bei jenen 25 bis 40 % noch die Gewinnspanne eventueller „Commissionairs“, also jüdischer Zwischenhändler, mit berechnet werden muß. Sämtliche von Heinitz angesprochenen Probleme wie der Verfall der Preise auf den auswärtigen Märkten oder die Wiedereinfuhr der bereits exportierten Ware lassen sich zumindest fallweise in den Akten belegen, 83 waren also wohl kaum vorgeschoben, um andere Motive des Ministers zu verschleiern. In welcher Intensität der zu diesem Zeitpunkt bereits 62jährige Heinitz die Debatte um die bürgerliche Verbesserung der Juden verfolgte, die seit etwa einem halben Jahrzehnt geführt wurde, ist hingegen unbekannt. 84 Angesichts der schmerzlich 82

MA, I, Nr. 3, Bl. 1. Vgl. Kap. G. I. 3. 84 Insofern mag man seine Person als Beispiel dafür nehmen, wie wenig letzten Endes über die Haltung jener Ministerialbürokratie zur Judenpolitik bekannt ist, die immer wieder für die weitreichendsten Thesen in Anspruch genommen wird. Dies gilt nicht minder für die ereignisreiche Zeit Friedrich Wilhelms II., für die weitere empirisch angelegte Studien dringend nötig sind. Bislang stößt man lediglich auf Bruchstücke, die noch kein schlüssiges Gesamtbild formen. So unterstützte der im Vergleich zu Heinitz allerdings 17 Jahre jüngere 83

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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vermißten Tagebuchüberlieferung muß zudem dahingestellt bleiben, inwiefern bei seiner Entscheidung, sich für die vollständige Aufhebung jenes „onereusen und chicaneusen“ Exportzwangs einzusetzen, auch ein gewisses „Mitleiden“ aus pietistischer Wurzel eine Rolle gespielt haben mag. Rein äußerlich betrachtet entspricht das Vorgehen des Ministers an der Spitze der KPM jedoch recht genau jener Amtsführung, die man bei Heinitz auch bei der Leitung der Fachdepartements unter Friedrich dem Großen beobachten kann, und für deren Beurteilung noch einmal Ingrid Mittenzwei zitiert sei: „Heinitz war kein Mann von starren Grundsätzen. Er bediente sich verschiedener Mittel, ohne über ihre theoretische Begründung viel nachzudenken. Sein Grundmaterial war die Wirklichkeit, die er genau analysierte. Ausgehend von den Bilanzen der einzelnen Provinzen entwickelte er Richtlinien für deren Behandlung. Für Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesien, die über aktive Bilanzen verfügten und vordem einen entwickelten Handel besaßen, schlug er Handelsfreiheit vor.“ 85 Übertragen auf die Leitung der Porzellanmanufaktur bedeutet dies, daß Heinitz eben deshalb für eine Aufhebung des Ausfuhrzwangs eintrat, weil er eine gründlich reformierte KPM für stark genug hielt, sich in eigener Regie auf auswärtigen Märkten zu positionieren. Dieser zunächst auf die Porzellanmanufaktur bezogene Utilitarismus mag sich darüber hinaus mit Heinitz‘ prinzipieller Befürwortung eines freieren Warenaustauschs amalgamiert haben, die der Minister aus Sachsen mitgebracht hatte, dessen Retablissement nach dem Siebenjährigen Krieg in vieler Hinsicht die Antithese zu den zeitgleich in Preußen getroffenen protektionistischen Maßnahmen bildete. 86 Heinitz‘ wirtschaftspolitischer Horizont überstieg denjenigen von Grieninger und Klipfel somit deutlich. Der Minister argumentierte, wenn man so möchte, im Vergleich zu den beiden Manufakturdirektoren nicht allein mikrosondern auch makroökonomisch. Insofern wird man die Ursachen für Heinitz‘ Engagement für eine grundlegende Ablösung des überkommenen Verfahrens auch weniger in der zeitgleichen Diskussion um eine Reform des Judenwesens zu verorten haben, wie es denn auch als bezeichnend erscheint, daß der Exportzwang gerade deshalb aufgehoben wurde, weil er nicht als Teil jener umfassenderen Reform sondern schlicht als ökonomisches Problem behandelt wurde. Schulenburg-Kehnert im September 1787 das Gesuch der Berliner Schutzjuden Marcus und Jacob Marcuse um eine Genehmigung zur Anlage einer Zuckerraffinerie mit einem überaus interessanten Votum, in dem es unter anderem heißt: „Wenn es allgemein frey ist, warum nicht den Juden eben so gut als den Christen? Sie sind ja auch Bürger des Staats und eines mehrern bedarf es nicht.“ Besitze der Jude das zur Anlage nötige Kapital von 50.000 Rt., so sei „die Natur seines Glaubens eine ganz gleichgültige Sache“. Zitiert nach Radtke, Gewerbe und Handel, S. 400. Ob dieses rein ökonomisch argumentierende Votum allerdings als Beleg dafür zu werten ist, daß Schulenburg-Kehnert „mit dem Geist der neuen Zeit infiziert“ war, verdiente eine eingehendere Untersuchung. Denn bei Juden mit einem Vermögen von 50.000 Rt. war der Glaube bereits unter Friedrich dem Großen in aller Regel eine ganz gleichgültige Sache gewesen. 85 Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg, S. 165. 86 Vgl. ebd., S. 166.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Denn in der Tat, und hiermit sei auf den weiteren Gang der Verhandlungen zurückgekommen, markierte der angeführte Immediatbericht die entscheidende Wegmarke, indem nun nicht mehr von Modifizierungen und verhältnismäßigerer Einrichtung des Exportzwangs die Rede war, sondern nur noch von dessen Ablösung. So erteilte der König zwei Tage später, am 19. November, seine Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen mit Vertretern der Judenschaft „wegen arrangirung des künftigen freien Handels“, wobei er sich die Genehmigung der Ergebnisse jedoch ausdrücklich vorbehielt. 87 Daraufhin konferierten Heinitz und Rosenstiel am 28. November mit den Oberlandesältesten Daniel Itzig und Jacob Moses sowie den für die Reformverhandlungen ernannten Generaldeputierten Liepmann Meyer Wulff, Isaac Daniel Itzig und David Friedländer. 88 Wie die Oberlandesältesten dabei erklärten, seien die von ihnen bis zum 20. Juli eingezahlten 35.000 Rt. zunächst von ihnen vorgestreckt worden und beinhalteten auch 7.000 Rt. für die Gemeinden Schlesiens, die von diesen jedoch noch nicht zurückerstattet worden seien. 89 Da für diesen Betrag bislang von der KPM noch keine Ware geliefert worden sei, wäre man erbötig, darauf auch fernerhin zu verzichten und den Betrag von 28.000 Rt. als Ablösesumme zu betrachten, um von der „Last der zeitherigen Porzellanabnahme und Exportation“ in Zukunft gänzlich befreit zu werden. Für die schlesische Judenschaft, die wie bereits angeführt auch in der allgemeinen Reformdebatte eigene Wege ging, 90 besitze man zwar kein Verhandlungsmandat, hoffe jedoch, daß auch sie bereit sei, ihre 7.000 Rt. der Ablösesumme zuzuschlagen – anderenfalls solle die dortige Judenschaft dem Exportzwang auch fernerhin unterliegen. Falls der König dieses Angebot genehmige, bitte man jedoch um die ausdrückliche Versicherung, daß der Exportzwang im Gegenzug aufgehoben und der Judenschaft auch kein „Surrogat“ an seiner Stelle auferlegt werde. Ferner, und darin mag man einen Beleg für die prinzipielle Attraktivität der Handelsware Porzellan für Großkaufleute erkennen, solle künftig jüdischen Kaufleuten bei ihren Geschäften im In- und Ausland durch die KPM derselbe Rabatt gewährt werden wie christlichen Händlern. Heinitz berichtete dem König über diese Konferenz zwei Tage später, am 30. November, und strich dabei eingangs erneut heraus, daß eine Aufhebung des Exportzwangs für die Manufaktur ebenso eine „Wohlthat“ bedeuten würde wie für die preußische Judenschaft eine Erleichterung, die bei den Betroffenen mit ewiger

87

MA, I, Nr. 3, Bl. 2. Ergebnisprotokoll der Sitzung ebd., Bl. 3, danach die folgenden Zitate. 89 Inwiefern die übrigen 28.000 Rt. bis zu diesem Zeitpunkt innerhalb der restlichen Gemeinden der Monarchie bereits repartiert worden waren, ist unbekannt. Überliefert sind für die vorangegangenen Monate lediglich die bereits angeführten Zahlungen durch die Judenschaften von Kleve und Mark. Zu den teilweise langwierigen Repartitionen und Subrepartitionen siehe Kap. J. V. 90 Vgl. Kap. I. 88

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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Dankbarkeit aufgenommen werden würde. 91 Die von ihm referierten Angebote der Judenältesten hielt der Minister dabei für annehmlich, a) weil die Manufactur für 35/m Rt. Waaren behält, die sonst verschleudert worden wären und ihre Handelsoperationen gestört hätten; b) weil sie auch einen baaren Fonds erhält, um damit auswärtige Commissions-WaarenLager zu etabliren und sich in die so nöthigen Vorräthe von dem jetzt so theuren Holz, von Kohlen und den kostbaaren Farben zu setzen; c) weil nun eine Gleichstellung der Preise, im Lande und außerhalb, sofort bewirkt werden und ein Käufer wie der andere behandelt werden kann.

Insofern seien die 35.000 Rt. als ein „wahres Meliorations-Kapital für die in baaren Fonds zu schwache und mit starken Ausgaben und Zinsen belastete Manufactur anzusehen“, welches für die Aufstockung der Holz- und Kohlenvorräte (10.000 Rt.), für die Anschaffung von Farben (3.000 Rt.) sowie für die Einrichtung weiterer Niederlassungen im Ausland (12.000 Rt.) verwendet werden könne. Die übrigen 10.000 Rt. verblieben hingegen dem König zur weiteren Disposition. Sofern dieser Antrag genehmigt würde, erbitte er sich zugleich die Erlaubnis, die Ergebnisse der Verhandlungen mit den Judenältesten dem Generaldirektorium und dem Schlesischen Finanzministerium zur Kenntnisnahme vorlegen und bei ersterem die von der Judenschaft erbetene schriftliche Aufhebungsdeklaration ausfertigen zu lassen. Den ökonomischen Nutzen für die KPM hob Heinitz abschließend noch einmal nachdrücklich hervor: Solchergestalt würde der Schaden, den die Porzellan-Manufactur beym auswärtigen Verkauf durch die Juden gehabt, gänzlich gehoben, der zeitherige Contrebande-Handel ins Land gestöret, das hiesige vorzügliche Porzellan auch beym Ausländer wieder in seinen wahren Wehrt gebracht, den Beschwehrden der Inländer über hohe Preise abgeholfen, die Aussichten zu Emporbringung der Commissions-Waarenlager und zu ansehnlichen Bestellungen von Auswärtigen eröfnet und überhaupt die so nöthige gleiche Behandelung aller Käufer wiederhergestellet.

Der Elan des Ministers wurde jedoch durch die Antwort Friedrich Wilhelms II. nochmals gebremst, denn der König verlangte vor einer Entscheidung Auskunft darüber, ob die Manufaktur die bisherigen Zwangsexporte tatsächlich durch neue Verkaufslager selbst erwirtschaften könne und ob die Judenschaft bereit sei, ihr Angebot auf 40.000 Rt. zu erhöhen. 92 Daraufhin kam es am 4. Dezember zu einer erneuten Konferenz von Heinitz und Rosenstiel mit den Oberlandesältesten und Generaldeputierten, auf der die letzteren erklärten, daß fortan, da die Reste aus den Jahren bis 1779 getilgt wären und die Anzahl der Judenfamilien insgesamt zurückgegangen sei, wohl nur noch mit jährlichen Exporten in Höhe von rund 8.000 Rt. zu rechnen wäre. 93 Zudem 91 92

MA, I, Nr. 3, Bl. 4, danach die folgenden Zitate. MA, I, Nr. 3, Bl. 5.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

baten sie eindringlich, die bislang angebotenen 35.000 Rt., deren Aufbringung lediglich auf Darlehensbasis möglich gewesen sei, zu akzeptieren und auf eine Erhöhung um weitere 5.000 Rt. zu verzichten. 35.000 Rt. stellten „doch eine sehr beträchtliche Loskaufungs-Summe von einer seit ihrer Einführung so drückend gewesenen Last“ dar, so daß die Ältesten hofften, „daß durch deren bereits geschehene vorschußweise Bezahlung eine der vielen Quellen ihres Elendes verstopft werden würde“. In seinem noch am gleichen Tag verfaßten Bericht an den König ging auch Heinitz davon aus, daß bei einem Fortdauern des Abnahmezwangs aus den von den Ältesten genannten Gründen nur noch mit jährlichen Absätzen in Höhe von rund 8.000 Rt. zu rechnen sei. 94 Dieser Ausfall sei ganz gewiß durch die teilweise bereits angelegten Niederlassungen in Warschau, Danzig und Riga zu ersetzen, sobald diese nicht mehr durch die jüdische Konkurrenz gestört würden. Hinsichtlich der vom König geforderten Erhöhung der Ablösesumme überließ Heinitz dem Monarchen zwar die Entscheidung, betonte jedoch, bereits die bisher eingezahlten 35.000 Rt. bedeuteten für die jüdischen Gemeinden eine erhebliche Belastung, deren Zinsendienst jährlich mit 1.750 Rt. zu Buche schlage. Friedrich Wilhelm billigte daraufhin am 6. Dezember erstmals ausdrücklich die Aufhebung des Abnahmezwangs, weshalb er Generalfiskal d’Anières bereits entsprechend instruiert habe. 95 Allerdings beharrte der König zugleich auf einer Erhöhung der Ablösesumme um weitere 5.000 Rt., die „sogleich“ bezahlt werden müßten. 96 In der Tat wurde diese Summe bereits vier Tage später, am 10. Dezember, durch Isaac Daniel Itzig bei der KPM eingezahlt und durch deren Rechnungsführer Johann Gustav Toll vereinnahmt. Dessen Quittung sandten die Oberlandesältesten und Generaldeputierten am Folgetag dem Generaldirektorium ein und baten darum, die in den Verhandlungen mit Heinitz bereits angesprochene offizielle Aufhebungsdeklaration ausfertigen zu lassen. 97 Zugleich reichten die Ältesten einen Repartitionsplan zur Genehmigung ein, nach welchem die 40.000 Rt. auf die Judenschaften der Monarchie umzulegen seien und der im folgenden Kapitel zu besprechen ist. Es dauerte noch bis zum 12. Februar 1788, bis durch folgende Deklaration des Königs ein offizieller Schlußstrich unter das Kapitel „Judenporzellan“ gezogen wurde:

93

Ergebnisprotokoll der Sitzung ebd., Bl. 6, danach die folgenden Zitate. Ebd., Bl. 7. 95 Vgl. GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 39 –40. 96 MA, I, Nr. 3, Bl. 8. 97 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 43 –44, danach das folgende Zitat. 94

III. Die Verhandlungen bis zur Aufhebung des Exportzwangs

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Königliche Höchste Declaration und Versicherung für die gesamte Judenschaft wegen aufgehobener Porcelaine-Ausnahme und Exportation. Nachdem die Judenschaft wegen der aus hiesiger Manufactur rückständig auszunehmenden und zu exportirenden beträchtlichen Quantität Porcellaine sich zu Erlegung einer Summe von 40/m allerunterthänigst submittiret und solche würcklich bezahlet hat; So wollen Se. Kgl. Maj. von Pr. unser allergnädigster Herr dagegen nicht allein die noch zu exportirende Porcelaine-Rückstände, welche bemeldete Summe übersteigen, hierdurch und Kraft dieses gäntzlich niederschlagen, sondern es sollen auch diejenigen Schutzjuden, welche das ihnen zugetheilte Porcelaine-Quantum nicht genommen und exportiret haben, insofern ihnen nicht schon deshalb ihre Schutz Privilegia abgenommen und die Juden-Familien selbst wircklich aus dem Lande geschaffet worden sind, bey ihren Concessionen und diesen schließenden Rechten eben so als wenn sie wegen der Porcelaine Exportation ihrer Obliegenheit genüget hätten, überall kräftigst geschützet werden. Außerdem wollen höchstgedachte S. K. M. die Schutz-Juden insgesamt von der Verbindlichkeit, für die ihnen zu ertheilende Privilegia, Concessionen und andere Benificia Porcelaine auszunehmen und im Lande zu debitiren oder außerhalb Landes zu exportiren, fürs künftige, und zwar vom 20ten Juli pr. [1787] an gerechnet, ohne Auflegung eines anderen Surrogati hiermit gänzlich befreyet haben, auch ihnen auf gleichen Fuß und Bedingungen wie christlichen Kaufleuten den Handel mit hiesigem Porcelaine allergnädigst verstatten. 98

Diese Deklaration wurde sowohl den Oberlandesältesten als auch den Kammern zur Information zugefertigt. Letztere leiteten sie weiter an Steuerräte und Magistrate, die ihrerseits die Juden auf die Rathäuser zitierten, um ihnen dort die „frohe Botschaft“ ebenfalls zu verkünden. Mancher Jude bestand darauf, eine Abschrift der Deklaration mit nach Hause zu nehmen. 99 Im Juli 1788 fiel schließlich auch der Porzellanankauf der Lotteriepächter, die sich stattdessen zu einer jährlichen Ablösesumme von 1.600 Rt. bereit finden mußten. Selbst nachdem die Lotterie im Juni 1794 in staatliche Regie übergegangen war, 100 kamen diese Zahlungen der Manufaktur noch bis 1806 zugute. 101 Zwischen 1769 und 1787/88 hatte die KPM an die Judenschaft und die Lotteriepächter Porzellan im Wert von 284.213 102 bzw. 129.572 Rt. 103 abgesetzt. Was mit Berend Hirsch aus Potsdam am 11. Mai 1769 begonnen hatte, endete offenbar mit Joseph Liebmann aus dem pommerschen Stolp, der noch am 30. April 1788, also nach Publikation der Auf98 MA, I, Nr. 3, Bl. 14 –15; GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 53. 99 So am 21. April 1788 im pommerschen Schlawe: „Es wurde der Schutz Jude Moses Berend zu Rathhause vorgefordert und ihm umstehendes allergnädigstes rescript und obige Veranlassung publicirt. Er bittet um Abschrift dessen und hat dis Protocoll unterschrieben.“ Siehe LAG, Rep. 38 b, Schlawe, Nr. 195, Bl. 106. 100 Warschauer, S. 57. 101 Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 33. 102 Siehe die tabellarische Nachweisung unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232. 103 MA, I, Porcellaine-Absatz an die Lotterie Pacht Societé, Bl. 35 –38.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

hebungsdeklaration, Porzellan erwarb, um in den Genuß einer Konzession zum Hausbesitz zu gelangen. 104 Und wie ging es mit der Ausfuhr von Berliner Porzellan ins Ausland weiter? Drei Jahre nach Aufhebung des Zwangsexports für die Judenschaft gingen die Verantwortlichen der KPM für das Haushaltsjahr 1791/92 hinsichtlich der ausländischen Niederlassungen von folgenden Einnahmen aus: Warschau 7.000, Danzig 800, Hamburg 450 sowie Riga und Frankfurt am Main jeweils 850 Rt., alles in allem also 9.950 Rt. 105 Das waren lediglich ca. 60% dessen, was 1786, im letzten Lebensjahr Friedrichs des Großen, auf dem Wege jüdischer Zwangsexporte abgesetzt worden war. Heinitz hatte sich also mit seinen optimistischen Prognosen verschätzt – aus der Perspektive der preußischen Judenschaft sicherlich zum Glück.

IV. Zur „Abwicklung“ des Abnahmezwangs: Die Rückgabe eingezogener Konzessionen und der Hypothekenscheine Der Porzellanexportzwang war demnach offiziell aufgehoben worden, doch sollte seine bürokratische „Abwicklung“ noch für einige Probleme sorgen, die an dieser Stelle geschildert werden sollen, bevor im folgenden auf die Aufbringung und Verwendung der Ablösesumme einzugehen sein wird. So brachte für einige Juden zunächst der Wortlaut der Königlichen Deklaration vom 12. Februar 1788 Komplikationen mit sich, war bei genauer Lektüre doch lediglich die Tilgung aller Rückstände aus den Jahren vor 1779 sowie die Nichtberücksichtigung des Exportzwangs bei Konzessionsverfahren zugesagt worden, die nach dem 20. Juli 1787 eingeleitet worden waren. Am 13. April 1788 gab Klipfel jedoch ein Promemoria für Heinitz zu den Akten, wonach man mit Blick auf den Abschluß des Jahresetats 1787/88 erwäge, diejenigen Exportrückstände einzufordern, welche bis zum Stichtag des 20. Juli 1787 aufgelaufen seien. 106 Wenige Tage später hielt Grieninger jun. (1757/58 –1826) 107 deshalb eine Rücksprache mit Hofrat Standtke von der Geheimen Direktorialkanzlei, in der sämtliche Privi104

Vgl. Export Nr. 1.378 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 105 MA, XI, Nr. 1, Bl. 114 –116. 106 Aus dem Wortlaut des Promemorias geht nicht klar hervor, auf wen dieser Vorschlag zurückging: „Ewr. Hoch Freiherrlichen Excellenz habe zur anderweitigen gnädigen Verfügung hierdurch ganz gehorsamst vortragen sollen: Daß bei dem herannahenden Abschluß des Etats-Jahres 1787/88 diejenigen Porzellan-Rückstände einzuziehen erforderlich sein möchten, welche die neuerlich bis zu dem 20sten Julii a. praet. concessionirten Juden noch zu nehmen und zu entrichten verbunden sind.“ Siehe MA, I., Nr. 3, Bl. 22.

IV. Zur „Abwicklung“ des Abnahmezwangs

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legien und Schutzbriefe expediert wurden. Dabei kam man zu dem Ergebnis, daß das dazu nötige statistische Material am leichtesten durch Generalfiskal d’Anières anzufertigen sei, „dessen Acten alle hierzu erforderliche Data genau nachweisen müßten“. 108 Schließlich wurde am 7. Mai jedoch nicht dem Generalfiskal, sondern sämtlichen Registraturen des Generaldirektoriums anbefohlen, aus den Akten binnen sechs Wochen Auszüge zu erstellen, aus denen hervorzugehen habe, welche Juden zwischen 1780 und dem 20. Juli 1787 Konzessionen erhalten hätten und welche Empfänger dabei hinsichtlich der Porzellanexporte „saumselig“ geblieben seien. 109 Bei der Lektüre dieses Befehls reibt man sich beinahe ungläubig die Augen, war doch in dem genannten Zeitraum der Exportzwang bei Neuprivilegierungen mit großer Konsequenz umgesetzt worden, was allen Beteiligten bewußt sein mußte. Abgesehen von den wenigen Dispensationen auf allerhöchsten Befehl war deshalb höchstens eine verschwindend geringe Anzahl von Fällen zu erwarten, in denen Juden durch Zufall durch das institutionelle Räderwerk hindurchgefallen waren. Bürokratischer Aufwand und mögliches Ergebnis standen also in geradezu groteskem Widerspruch, wenn den Registraturen nun offenbar mit Billigung von Heinitz aufgetragen wurde, die Konzessionsvergabe in der gesamten Monarchie in einem Zeitraum von sieben Jahren zu dokumentieren. Das zweifelhafte Vergnügen, die seit dem 7. Juli bei der Manufaktur eingehenden Listen 110 mit den Verkaufsbüchern der KPM abzugleichen, hatte Rosenstiel. 111 Dieser kam bei seinen Recherchen am 27. August zu dem Schluß, daß sich die Namen von 15 konzessionierten Juden nicht in den Unterlagen der Manufaktur auffinden ließen. 112 107 Johann George Grieninger, Ministerialbeamter im Bergwerks- und Hüttendepartement, 1787 zum Hofrat ernannt und als Direktionsassistent bei der KPM tätig, siehe: Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 479. 108 Vermerk Grieninger jun. vom 19. April 1788 in MA, I., Nr. 3, Bl. 22. 109 Ebd., Bl. 23. 110 Die Nachweisungen für die Kurmark ebd., Bl. 27 – 32, für Pommern ebd., Bl. 34, für die Neumark ebd., Bl. 35, für Westpreußen ebd., Bl. 37 – 39, für Ostpreußen und Litauen ebd., Bl. 41 – 42, für das Herzogtum Magdeburg ebd., Bl. 44, für Halberstadt und Hohenstein ebd., Bl. 45, für Kleve ebd., Bl. 46, für Moers ebd., Bl. 47, für die Grafschaft Mark ebd., Bl. 48, für Minden, Ravensberg, Tecklenburg und Lingen ebd., Bl. 49, für Ostfriesland ebd., Bl. 51 – 52. Diese Tabellen stellen über den Untersuchungsgegenstand hinaus eine wertvolle Quelle für die Rechtsverhältnisse der preußischen Schutzjudenschaft zwischen 1780 und 1787 dar, die anderweitige Bestände des Generaldirektoriums und des Generalfiskalats wirksam ergänzt. 111 So ordnete Heinitz am 8. Juli an, sämtliche Statistiken seien Rosenstiel nach dessen Rückkehr wiederum vorzulegen. Siehe ebd., Bl. 26. 112 Dabei handelte es sich um Abraham Salomon aus Emden, Salomon Meyer aus Altena, Ephraims Erben aus Königsberg / Pr., Michael Levi aus Berlin, Gabriel Jonas aus Angermünde, Baruch Jeremias Mendel und Nathan Moses aus Berlin, Hertz Wulf aus Potsdam, Wulf Jochen und Meyer Joseph aus Spandau, Falck Wulf und Salomon Moses aus Prenzlau, Joseph Aron Saul aus Frankfurt / Oder, Wulf Elias aus Friedeberg und Schmul Feibisch aus Mewe. Siehe ebd., Bl. 61.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Drei Tage später erging deshalb an die Berliner Oberlandesältesten der Befehl, von den genannten Juden baldige Auskunft [zu] erfordern, auf welche Art sie der ihnen zur Bedingung gesetzte Porzellan-Abnahme ein Genüge geleistet haben, als welches sie in Ansehung des wirklichen Erkaufs durch desfallsige einzureichende von dem Haupt-Waaren-Lager ausgestellte Quittungen, und wegen der erfolgten Exportation durch Grenz-Zollamts-Atteste gehörig dociren müssen. Sobald die Oberlandes-Ältesten die desfallsigen Nachrichten beisammen haben werden, sind solche bey der Commission einzureichen. 113

Daniel Itzig und Jacob Moses zeigten sich in ihrem Antwortschreiben vom 7. September über dieses Ansinnen hingegen einigermaßen überrascht und wiesen darauf hin, daß es für einen Juden kaum möglich gewesen sei, zwischen 1780 und 1787 eine Konzession zu erlangen, ohne zuvor den Export von Porzellan bei Generaldirektorium und Generalfiskalat nachgewiesen zu haben. Da die konzessionierten Juden zu diesem Zweck sowohl die Kaufquittung als auch das Zollattest hätten einreichen müssen, sei eine nochmalige Dokumentation schlichtweg unmöglich. 114 Daraufhin hatte Rosenstiel die reklamierten Fälle nochmals nachzurecherchieren, wobei sich schließlich herausstellte, daß jene Juden sämtlich ihrer Exportverpflichtung nachgekommen, in den Büchern der KPM jedoch statt ihrer die Namen von Verwandten oder Kommissionären vermerkt worden waren, die die Abwicklung des Geschäfts übernommen hatten. 115 So beschlossen Heinitz und Rosenstiel am 22. Oktober, „nunmehr diese ganze Sache als abgemacht zu reponiren“. 116 Das Ergebnis monatelanger Nachforschungen war demnach gleich Null. Dennoch erscheint der unter der Ägide von Heinitz betriebene Vorgang bezeichnend und verweist einmal mehr darauf, daß die Aufhebung des Abnahmezwangs vor allem ökonomischen Überlegungen des Ministers folgte, der wenige Monate später der Ordnung des Haushaltsplans wegen keine Bedenken gezeigt hätte, mögliche kleinere Rückstände aus den vergangenen Jahren doch noch einzutreiben. Darüber hinaus sorgte der im Aufhebungspatent genannte Stichtag des 20. Juli 1787 in einigen Einzelfällen für zumindest kurzfristige Probleme, wie hier ebenfalls angeführt sei. So wandten sich die Oberlandesältesten am 15. Februar 1788 an den König und schilderten die Komplikationen, die sich bei der Ansetzung der Tochter des Frankfurter Schutzjuden Aberle Joseph ergeben hätten. Da dieser bereits im Juli 1785 erstmals um eine Konzession gebeten hatte, meinte das Generaldirektorium zunächst, daß hier die Befreiung vom Porzellanexport nicht berücksichtigt werden könne, da letztere sich lediglich auf den Zeitraum vor 1779 bzw. nach dem 20. Juli 1787 erstrecke. 117 Die KPM-Kommission, an welche die 113 114 115 116

Ebd., Bl. 63. Ebd., Bl. 64, 66. Ebd., Bl. 65. Randverfügung ebd., Bl. 64.

IV. Zur „Abwicklung“ des Abnahmezwangs

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Supplik durch Wloemer am 28. Februar weitergeleitet worden war, entschied am 11. März, sie werde einer Dispensation Josephs trotz einiger Bedenken zustimmen. Auch werde man „bey künftigen ähnlichen Fällen eine gleiche Bereitwilligkeit äußern; nur bleibe es nothwendig, daß solche bey derselben [KPM-Kommission] durch die Ober Landesältesten jedes mahl nach aller Wahrheit und Zuverlässigkeit angezeiget werden“. 118 In der Tat erfolgten in den kommenden Wochen ähnliche Dispensationen für Benjamin David aus Wesel am 18. April, 119 Alexander Jacob aus Schlochau am 4. September, 120 Hirsch Gottlieb aus der Danziger Vorstadt Weinberg am 30. März 1789 121 und Joseph Isaac aus dem westpreußischen Neumark am 7. Juni 1790. 122 Von grundlegenderer Bedeutung als diese Einzelfälle war jedoch zweifellos die Rückgabe all jener Konzessionen, die den Porcellainerestanten in den vergangenen Jahren entzogen worden waren. So berichtete Kriegsrat Beseke, der Assistent d’Anières’, dem Generaldirektorium am 1. November 1790, es hätten sich beim Generalfiskalat verschiedene Juden, darunter (Tobias) Samuel Loeser aus Landsberg an der Warthe, gemeldet und um Rückgabe ihrer Konzessionen gebeten, weshalb sich Beseke Instruktion darüber erbat, „ob und in wiefern ich die zurückbehaltenen Concessionen retradiren dürfe“. 123 Nach einem daraufhin den Oberlandesältesten vom Generaldirektorium am 16. November erteilten Befehl hatten erstere 117

MA, I, Nr. 4, Bl. 17. Ebd., Bl. 18. Die Konzession zur Niederlassung von Josephs Tochter mit ihrem Mann Marcus Moses Mendel datiert vom 2. April 1788. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, Bl. 111. 119 David wollte seine Tochter Edel mit Mendel Raphael verheiraten und als Extraordinaria etablieren. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 21 – 23. Die Konzession datiert vom 24. Januar (unsichere Lesung, eventuell auch Juni) 1788. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, Bl. 104. 120 Jacobs Werdegang ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie die Gründung jüdischer Haushalte durch den Exportzwang oftmals um Jahre verzögert oder gar vereitelt wurde. So hatte er bereits im Januar 1778 um einen ordentlichen Schutzbrief nachgesucht, konnte jedoch offenbar die Mittel zur Porzellanausfuhr nicht zusammenbringen. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 24 – 25. Seine Konzession datiert vom 11. September 1788. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 145. 121 MA, I, Nr. 4, Bl. 29 –30. Es ging dabei um die Ansetzung seiner Tochter Güttel mit Seelig Abraham. Die Konzession „salvo jure der minorennen Geschwister“ datiert vom 20. November 1788. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 87. 122 Dieser war durch den Graudenzer Steuerrat noch am 30. Januar 1790 anläßlich der Etablierung seines Sohnes Meyer Joseph aufgefordert worden, entweder ein Export- oder ein Dispensationsattest der Porzellanmanufaktur einzureichen. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 38 – 39. Die Niederlassungskonzession Meyer Josephs zur Ansetzung als erstes Kind datiert vom 28. Oktober 1790. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 a, S. 151. 123 GStA PK, II. HA, Kleve, Materien, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 13, Bl. 43. Danach hatte Moses Marcus aus Potsdam seinen Schutzbrief bereits aufgrund eines Reskripts vom 30. April 1788 zurückerhalten. 118

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

die nöthige Bekanntmachung zu thun [...], daß alle Juden, welchen wegen des vormals nicht exportirten gesetzlichen Porcelain-Quanti die Concession abgefordert worden, sich diese Concessionen nunmehro von dem p. Besecke zurück erbitten können, wogegen es sich jedoch von selbst verstehet, daß, in so ferne diese Concessionen ihnen aus andern Ursachen abgenommen worden, vorerwähnte Erlaubnis darauf nicht zu ziehen ist. 124

Diese Rückerstattung scheint relativ unproblematisch abgelaufen zu sein, da wie auch immer geartete Komplikationen nicht dokumentiert sind. Schwieriger gestaltete sich jedoch scheinbar die Rückgabe der Hypothekenscheine, auf deren Ausstellung Grieninger und d’Anières, wie bereits geschildert, bei zahlreichen Porcellainerestanten gedrängt hatten, und die schließlich in der Registratur des Generalfiskalats deponiert worden waren. 125 Allerdings scheinen diese Dokumente dort im Laufe der Jahre vielfach abhanden gekommen zu sein, was manchen jüdischen Hausbesitzer bei Verkaufsgeschäften oder Erbschaften noch Jahre später in Verlegenheit bringen konnte, sind doch einige Eingaben überliefert, in denen die KPM-Kommission um Rücksendung jener Hypothekenscheine gebeten wurde. So wandte sich Henoch Salomon aus Friedeberg, auf dessen Haus noch eine Verbindlichkeit von 200 Rt. eingetragen war, am 20. Dezember 1789 zunächst an den Generalfiskal, um in den Besitz des Schuldscheins zu gelangen und den Eintrag im Hypothekenbuch zu löschen. 126 D’Anières leitete die Eingabe jedoch zwei Monate später an die KPM-Kommission weiter, worauf diese, die den Hypothekenschein offenbar ebensowenig archiviert hatte wie der Generalfiskal, einer Löschung ausdrücklich zustimmte. 127 Ähnlich wurde noch im September 1802 bei Wulff Joachim aus Friedeberg 128 und im August 1806 bei Salomon Breslauer aus Stargard 129 entschieden. Lediglich in einem Fall zeitigte die mangelhafte Aktenführung des Generalfiskals offenbar schwerwiegende Folgen. 124

Ebd., Bl. 44. Vgl. Kap. H. VIII. 3. 126 Salomon hatte im September 1774 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und dafür zunächst Porzellan im Wert von 51 Rt. exportiert. Der seinen Angaben zufolge am 4. August 1783 ausgestellte Hypothekenschein lautete demnach zunächst auf 250 Rt., von denen jedoch 50 Rt. gelöscht wurden, nachdem Salomon im September 1784 für eben diese Summe erneut Porzellan ausgeführt hatte. Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 36; vgl. die Exporte Nr. 0281 und 1149 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 127 MA, I, Nr. 4, Bl. 37. 128 Joachim hatte von seiner Mutter ein Haus geerbt, für dessen Besitz im Juli 1773 Porzellan im Wert von 25 Rt. exportiert worden waren. Der Hypothekenschein lautete demnach auf 275 Rt. Siehe MA, I, Nr. 3, Bl. 82 –83; vgl. Export Nr. 0213 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 129 Dabei ging es um ein Haus, das Breslauer von seinem Vater Salomon Moses geerbt hatte. Die Konzession für dieses Anwesen datiert vom 15. Mai 1778, der Porzellanexport im Wert von 300 Rt. vom 8. März 1783. Der Hypothekenschein war danach jedoch offenbar nicht zurückerstattet worden. So beschied man Breslauer, die KPM-Kommission bedauere, „daß das wegen jener Summe unterm 28. Junii 1782 ausgefertigte und auf das Salomon 125

IV. Zur „Abwicklung“ des Abnahmezwangs

545

So hatte in Frankfurt an der Oder Aaron Israel am 21. Februar 1776 die Konzession zur Ansetzung als erstes Kind auf den Schutzbrief seines verstorbenen Vaters, des „Wachs-Mäcklers“ Israel Salomon Aarons erhalten 130 und war daraufhin 1779 mit einer nachträglichen Exportforderung im Wert von 300 Rt. konfrontiert worden. 131 Wie der Frankfurter Magistrat in einem Schreiben an die KPM-Kommission vom 20. April 1789 mitteilte, hatte sich Israels Mutter daraufhin im April 1785 genötigt gesehen, eine Verbindlichkeit von 300 Rt. auf das Haus der Familie eintragen zu lassen, 132 wobei es sich offenbar um ein in der Frankfurter Oberstadt „in der sogenannten Grappen-Gießer-Gasse unweit des Ballhauses“ gelegenes Anwesen handelte. 133 Dem Magistrat, der um eine Einwilligung in die Löschung dieses Eintrags gebeten hatte, wurde durch die KPM-Kommission jedoch am 22. Mai 1789, also mehr als ein Jahr nach der Aufhebung des Exportzwangs, eine harsche Abfuhr erteilt. So bestand die Manufakturleitung und mit ihr auch Heinitz darauf, daß der Aaron Israel annoch die Verbindlichkeit auf sich hat, für 300 Rt. Porzellan auszunehmen und zu exportiren. Wäre keine Caution bestellet worden, so würde der Aaron Israel keinen Schutz erhalten haben, und man würde das ihm auferlegte Porzellanabnahme-Quantum mit unter die inexigibeln [nicht einzutreibenden] Reste, welche durch die mehrgedachte höchste Declaration niedergeschlagen wurden, gesetzet haben. Dadurch aber, daß dafür cassiret worden ist, hat dieses Geld-Quantum seine Stelle unter den exigibeln Resten erhalten. Bevor also jene Verbindlichkeit des Aaron Israel nicht erfüllet worden, können wir den dortigen Schutz-Juden Israel Levin und die Wittwe des Schutz-Juden Israel Salomon Aaron nichts ex nexu lassen. 134

Aus diesem Grund hätten Mutter und Sohn umgehend die 300 Rt. bei der Manufakturkasse abzuliefern und den Export der Ware zu bescheinigen, bevor Mosesche Haus in Stargard eingetragene Versicherungs-Instrument weder in deren ältern Acten noch bei dem Königl. General Fiscalat [dort hatte man allerdings gar nicht erst gesucht, da man den Aufwand scheute] aufgefunden, folglich auch nicht retradirt werden kann, sie findet jedoch keine Bedenken, die Löschung jener 300 Rt. im Stargardschen Hypotheken-Buche zu genehmigen und überläßt dem Supplikanten, das dieserhalb Nötige durch Mittheilung der gegenwärtigen Resolution zu bewerckstelligen.“ Siehe MA, I, Nr. 4, Bl. 56; vgl. Export Nr. 0951 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 130 Abschrift der Konzession ebd., Bl. 42. 131 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 98. 132 MA, I, Nr. 4, Bl. 31. 133 Dieses Haus hatte Israel Salomon Arons Vater im Jahre 1731 auf dem Wege des Pfandrechts in seinen Besitz gebracht. Die Konzession zum ferneren Besitz wurde gegen die Erlegung von Chargen- und Stempelgebühren, jedoch ohne einen Porzellanexport, am 14. Februar 1775 erteilt. Dabei hatte Aron im Vorfeld selbst angeboten, für 20 Rt. KPMWaren auszuführen, dabei jedoch angemerkt, „daß er sich von seinen Mitteln nicht weiter entblößen könne, indem das Haus sehr baufällig und einer starken Reparatur bedürfe“. Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.4213. Aron verstarb kurz darauf, so daß das Haus 1777 im Hypothekenbuch auf seine Witwe umgetragen wurde. Siehe BLHA, Rep. 2, Nr. S.4216. 134 MA, I, Nr. 4, Bl. 32, danach auch das folgende Zitat.

546

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

die Hypothek gelöscht werden könne – „im entgegengesetzten Falle aber werden wir die gesetzlichen Zwangsmittel unfehlbar gebrauchen, um die Wirkung der Caution nach dem langen Zeitraum von vier Jahren endlich in Erfüllung gehen zu sehen“. Von einem unter Heinitz vollzogenen Stilwandel ist in diesem Dokument, dessen Duktus eher an die ersten Jahre nach 1779 gemahnt, nicht das geringste zu spüren, und so wird man in diesem Vorgang auch einen weiteren Beleg dafür erblicken müssen, daß der Exportzwang vor allem deshalb aufgehoben worden war, weil nach dem Tode Friedrichs des Großen die weiterhin offenen Reste als nicht mehr „exigibel“ galten. Daß die KPM unter Heinitz fallweise wiederum in den alten Ton verfiel, ist vor diesem Hintergrund bezeichnend. In den folgenden Jahren intervenierte selbst das Generaldirektorium zweimal zugunsten der Witwe und erhielt auf seine erste Eingabe vom 15. Juli 1789 nicht einmal eine Antwort. 135 Auch die Witwe, eine offenbar verarmte Mutter von acht Kindern, stellte mehrfach in bewegenden Worten ihre Notsituation dar. 136 Daraufhin vollzog schließlich auch die KPM-Kommission eine Kehrtwendung und erklärte am 30. März 1791, den Schuldschein „gerne retradiren“ zu wollen, wenn er sich nur bei ihren Akten befände. Einer Löschung im Hypothekenbuch stimme man jedoch ausdrücklich zu. 137 Aus nicht mehr rekonstruierbaren Gründen wurde diese Streichung jedoch auch in den folgenden Jahren nicht vollzogen, so daß sich noch im Mai 1805 die vier verbliebenen Kinder der mittlerweile verstorbenen Witwe erneut an den nunmehrigen KPM-Direktor Rosenstiel wandten, der sich jedoch darauf beschränken mußte, die Erklärung von 1791 zu wiederholen. 138

135

Siehe ebd., Bl. 40, ein weiteres Schreiben vom 30. März 1791 ebd., Bl. 44. Siehe deren Eingabe vom 6. Juli 1789 ebd., Bl. 41, in der die Witwe unter anderem hervorhob, „daß mein Sohn sich als erstes Kind nach den General-Juden-Reglement anzusetzen die Erlaubniß hatte. Dieses ist auch besage der Concession geschehen, nur daß zu der Zeit von ihm so wie von vielen andern die Exportation des Porcellains nicht verlangt wurde. Zuletzt müßen wir überdem diejenige Summe, welche prorata von den zu erlegenden 40.000 Rt. auf uns fällt, entrichten, und ich würde völlig ruinirt und am Bettelstab gebracht werden, wenn ich außerdem nun auch die 300 Rt. für meinen Sohn bezahlen sollte.“ Noch im März 1791 wiederholte die Witwe: „... ich bin alt und wünschte, wenigstens diese Sache in Ordnung zu bringen“. Siehe ebd., Bl. 45. Zur Repartition der Ablösesumme vgl. das folgende Kapitel. 137 Ebd., Bl. 46. 138 Ebd., Bl. 50 – 54. 136

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt.

547

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt. und die dadurch hervorgerufenen Spannungen innerhalb der Judenschaft Während der Exportzwang in den im vorangegangenen Kapitel dargestellten Komplikationen noch einige Jahre lang ein schattenähnliches Nachleben führte und einzelne Familien belastete, stellte die Aufbringung der beachtlichen Ablösesumme von 40.000 Rt., die die Oberlandesältesten 1787 zunächst offenbar weitgehend vorgestreckt hatten, doch zweifellos die hauptsächliche Hypothek der folgenden Jahre dar. Zur Umlage auf die Judenschaften der einzelnen Provinzen reichten Itzig und Moses sowie die Generaldeputierten am 11. Dezember 1787 einen Repartitionsplan zur Genehmigung ein, dem seinerseits ein vom König bereits am 22. Juli genehmigter Verteilungsschlüssel zu Grunde lag. 139 Tabelle 18 „Repartition der allerhöchst festgesetzten Summa von 40.000 Rt. auf die sämtlichen Wohlhabenden der Judenschaft in allen Provinzen und Städten Seiner Königl. Majestät von Preußen.“ 140 Repartition der 35.000 Rt

Zuschuß bis 40.000 Rt.

Halberstadt Rt. 1.340 22 6 191 Halle 246 22 3 35 Berlin 12.054 21 1.722 Ostpreußen 4.050 8 578 Cleve 743 5 106 Marck 650 6 92 Minden 361 4 3 51 Ravensburg, Tecklenberg, 541 22 77 Lingen Neumarck 2.490 18 3 355 Churmarck 2.536 9 362 1.700 21 6 242 Pommern Moers 185 10 9 26 Franckfurth an der Oder 1.096 21 6 156 7.000 1.000 Schlesien Rt. 35.000

5.000

13 6 3 14 4 21 14

6 7 2/7 10 2/7 1 5/7 5 1/7 3 6/7

10 19 8 23 11 16

9 1 5/7 7 5/7 9 6/7 9 3/7

Hauptsumma 1532 12 282 4 10 2/7 13.777 22 4.628 9 10 2/7 849 3 1 5/7 743 18 5 1/7 6 6/7 412 619 2.846 2.898 1.943 211 1.253 8.000

8 14 17 21 22 14

1 5/7 1 5/7 6 6/7 3 3/7

40.000

In den kommenden Wochen und Monaten lief die in derartigen Fällen üblicherweise eingesetzte Maschinerie an: Das Generaldirektorium instruierte die 139 140

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 43. Ebd., Bl. 44.

548

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Kammern, den Provinzjudenältesten bei der Eintreibung der Gelder zu assistieren, ihnen jedoch zugleich bei Zeitverzug mit exekutorischen Mitteln zu drohen. 141 Die Ältesten der einzelnen Landjudenschaften erstellten zu diesem Zweck sogenannte Subrepartitionen, bei deren Eintreibung sie wiederum von den Magistraten unterstützt werden sollten. Eine derartige Aufstellung hat sich für die Neumark erhalten, deren Älteste sich in Landsberg am 27. Dezember 1787 darauf verständigten, unter Verwendung des auch bei der Schutzgeldveranlagung verwendeten Verteilungsschlüssels die einzelnen Gemeinden folgendermaßen heranzuziehen: Tabelle 19 Erste Subrepartition der Porzellanablösesumme durch die neumärkische Landjudenschaft vom 27. Dezember 1787 142 Judenschaft

Beitrag Rt.

Gr.

Kreis Landsberg / Warthe Kreis Königsberg Kreis Friedeberg Kreis Züllichau

254 313 498 275

19 6 5 22

Gesamt

1.342

4

Aus dieser Aufstellung geht bereits die außerordentliche Belastung hervor, die die enorme Ablösesumme für die durch die Abgaben der vergangenen Jahrzehnte bereits gebeutelten Gemeinden bedeutete. Denn die Repartition lautete vorerst lediglich auf knapp 50% der auf die Neumark insgesamt entfallenden 2.846 Rt., wobei die Provinzältesten jedoch hinzufügten, die restliche Summe binnen Jahresfrist eintreiben zu wollen. Zwischenzeitlich nahm die Landjudenschaft ein mit 5 % verzinstes Darlehen in Höhe von 1.500 Rt. bei den Oberlandesältesten auf. 143 Derartige Verzögerungen gab es jedoch nicht lediglich in der Neumark uns sorgten bald für Verstimmung bei den Gläubigern. Letztere wandten sich am 25. April 1788 an den König und klagten über ausstehende Zahlungen der Judenschaften aus Schlesien, Kleve, Minden, Ravensberg, Tecklenburg, Lingen, der Neu- und der Kurmark sowie Pommerns und baten darum, „geschärftern Befehle an die saumseligen Provinzen ergehen zu lassen“. 144 Obwohl dieser Bitte durchaus 141

GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 54 –57; MA, I, Nr. 3, Bl. 15 – 17; LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 1952, Bl. 15; vgl. Kolbe, S. 187. 142 GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 2, Bl. 48. Der Plan wurde am 17. Januar 1788 durch das Generaldirektorium genehmigt. Siehe ebd., Bl. 49. Wie die Haushaltsvorstände in den einzelnen Kreisen zunächst veranlagt wurden, geht hervor aus BLHA, Rep. 3, Nr. 7136. Diese Veranlagung bezog sich jedoch auf die Gesamtsumme der 2.846 Rt., so daß sie in dieser Form offenbar nicht durchgeführt wurde. 143 Ebd. Danach entstammten die 1.500 Rt. ursprünglich den Pupillengeldern der Erben Levin Jacob Salomons.

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt.

549

entsprochen wurde, 145 zogen sich die innerjüdischen Auseinandersetzungen noch über mehrere Monate bis zum September 1788 hin. 146 Langlebiger zeigte sich hingegen der Konflikt mit der Schlesischen Landjudenschaft, der offenbar eine besondere Intensität erreichte, wozu mehrere Faktoren beitrugen. Einerseits sollte die dortige Judenschaft mit 8.000 Rt. genau 20 % der Gesamtablöse übernehmen – eine Proportion, die sich deutlich über dem bereits angeführten recht geringen Anteil bewegt, den Exporte schlesischer Juden in den Jahren zwischen 1769 und 1788 am Gesamtvolumen des Judenporzellans ausgemacht hatten. 147 Andererseits herrschten zwischen der Berliner und der Breslauer Gemeinde, die in jener Zeit auch bei der allgemeinen Reformdiskussion gegenüber den Behörden meist getrennte Wege ging, offenbar schwerwiegende Animositäten, die nun zum Ausbruch kamen. 148 Nachdem die Berliner Judenvertreter in den geschilderten Verhandlungen mit Heinitz betont hatten, kein Mandat für die schlesische Judenschaft zu besitzen, bat der Minister seinen schlesischen Kollegen von Hoym am 7. Dezember 1787, bei der dortigen Judenschaft Erkundigungen einzuholen, ob sich deren Älteste ebenfalls an der Zahlung einer Ablösesumme beteiligen wollten, in welchem Fall sie die Summe von 8.000 Rt. schleunigst an die Haupt-Casse der hiesigen Porzellan-Manufactur einsenden müßten. [...] Sollten sie wegen Entrichtung jener 8.000 Rt. Schwierigkeiten machen, so bitte ich ergebenst, ihnen erklären zu lassen, daß es in Ansehung der schlesischen Judenschaft bey der zeitherigen Einrichtung wegen 144

MA, I, Nr. 3, Bl. 24. Zitiert sei aus einer Anordnung an die Mindener Kammer vom 30. Juni 1788: „Wir befehlen Euch daher hierdurch in Gnaden, sothane Summe von den vermögenden Juden dortiger Provinz ungesäumt beytreiben zu lassen und binnen 4 Wochen a dato anzuzeigen, ob und wie dieser Verfügung genüget worden.“ Siehe ebd., Bl. 25; vgl. LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 1952, Bl. 74. 146 So klagten die Oberlandesältesten noch am 7. September 1788: „Ew. Königl. Majestät sehn wir uns nothgedrungen, allerunterthänigst vorzustellen, daß sowohl die Provinz Schlesien mit der ganzen Summe von 8.000 Rt, die Provinz Mark ebenfals 743 Rt. 3 Gr. 5 1/7 Pf., die Provinz Kuhrmark (der wir auf Requisition der Königl. Preuß. Krieges und Domainen Cammer eine 3 monathliche Frist unterm 26. May bewilligt, welche Frist mit dem 26. voriges Monaths auch zu Ende gegangen) ebenfals mit 2898 Rt. 17 Gr. 1 5/7 Pf. und endlich die Provinz Neumark mit einen Saldo von 1500 Rt. als die respectiven Quanti ihres Beytrags zu der Loßkaufungs Summa von 40.000 Rt. wegen Aufhebung der PorcellaineAusnahme und Exportation bis dato noch rückständig sind.“ Siehe MA, I, Nr. 3, Bl. 67. Der Bielefelder Judenälteste Jacob Schiff sah sich bereits im Juli genötigt, für den Beitrag von Ravensberg, Tecklenburg und Lingen in Höhe von 619 Rt. in Vorschuß zu treten, da die eigentliche Subrepartition erst auf dem bevorstehenden Judenlandtag erfolgen könne. Siehe den Bericht der Lingener Kammerdeputation vom 1. August 1788 ebd., Bl. 72. Am 22. September zeigten die Oberlandesältesten schließlich an, daß außer der schlesischen Judenschaft keine weiteren Gemeinden mehr in Rückstand seien. Siehe ebd., Bl. 75. 147 Siehe oben, Kap. G. X. 148 Über die Schlesische Landjudenschaft ist im allgemeinen ausgesprochen wenig bekannt. Siehe Cohen, Landjudenschaften der brandenburgisch-preußischen Staaten, S. 213. 145

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

der Porzellan-Abnahme und Exportation sein unabänderliches Bewenden behalten werde und daß ihnen wegen der Rückstände keine fernere Nachsicht verstattet werden könne. 149

Eine Antwort Hoyms ist nicht überliefert, und auch am 3. Mai 1788 scheint sich die Angelegenheit noch in der Schwebe befunden zu haben, denn Heinitz bat Hoym an jenem Tag nochmals um die Beitreibung der 8.000 Rt., widrigenfalls die dortige Judenschaft an der Aufhebung des Exportzwangs keinen Anteil nehmen könne. 150 Derweil war es zwischen den beiden Judenschaften bereits zu einem Zerwürfnis gekommen, wie man einem Schreiben entnehmen kann, das der Breslauer Judenälteste Lippmann Meyer am 30. April an Heinitz richtete. Der langjährige Geschäftspartner der KPM wandte sich dabei gegen Aussagen eines Briefs der Berliner Oberlandesältesten an die Schlesische Judenschaft. 151 Danach müsse sich letztere doppelt glücklich schätzen, vom bisherigen Exportzwang befreit zu werden, da sie nicht nur bei den in den übrigen Provinzen üblichen Anlässen Berliner Porzellan habe ausführen müssen, sondern darüber hinaus gezwungen gewesen sei, auch in Meyers Breslauer Filiale zunächst für 2.500 und später für 1.000 Rt. jährlich Waren abzunehmen. Der Generalprivilegierte betonte jedoch, es habe zwar seine Richtigkeit, daß dergleichen Einrichtung anfänglich getroffen war; da ich aber nicht haben wollte, daß meine Nation durch mich gedrückt würde, so bin ich selbst wieder um Abstellung dieser Last eingekommen, und so hat die hiesige Gemeinde auch nicht einen Denar an die hiesige Factorey bezahlt, und mithin nicht nöthig gehabt, über die angebliche Last zu seufzen. 152

Diese wechselseitigen Beschuldigungen und Mißverständnisse mögen dazu beigetragen haben, das offenbar ohnehin recht distanzierte Verhältnis der beiden Judenschaften zusätzlich zu belasten. Jedenfalls waren noch mehrere Interventionen aus Berlin (so von Heinitz am 30. Juni und 23. Dezember sowie vom König am 6. September) 153 nötig, bevor die Auseinandersetzung schließlich beigelegt werden konnte. So vermeldete Hoym dem Generaldirektorium am 5. Januar 1789, die Zahlung der 8.000 Rt. sei bislang „wohl mehr aus Unvermögen, als aus Renitenz unterblieben“. Doch habe er nun die Berichtigung der Sache in die Wege geleitet, „und da ich ihnen [den Juden] zugleich Mittel und Wege an die Hand gebe: So hoffe ich, daß nunmehro diese Angelegenheit zu Stande gebracht werden wird“. 154 Welcher Art diese Mittel und Wege waren, erfährt man in der 149

MA, I, Nr. 3, Bl. 9 –10. Ebd., Bl. 16 – 17. 151 MA, I, Nr. 3, Bl. 18 – 19, eine Übersetzung des Schreibens der Berliner Oberlandesältesten findet sich ebd., Bl. 20. 152 Ebd., Bl. 18. Zum Beleg fügte Meyer ebd., Bl. 21 ein Schreiben der Breslauer Ältesten an ihre Berliner Kollegen bei, das seine Ausführungen stützt. 153 Ebd., Bl. 25, 75, 79. 154 Ebd., Bl. 80. 150

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt.

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Breslauer Judenordnung, die Friedrich Wilhelm II. am 21. Mai 1790 erließ. An die Stelle der 1754 geschaffenen Gliederung in Privilegierte, Tolerierte, Fixentristen und Schutzgenossen sollten dabei 160 Stammjuden treten, deren Stellen vor allem durch die bisherigen Privilegierten eingenommen wurden. 155 Jene minderberechtigten Fixentristen, Schutzgenossen und zum Dienstpersonal zählenden Famulizjuden hingegen, denen es künftig gelänge, den Status eines Stammjuden zu erwerben, sollten im Gegenzug je nach ihrer Vermögenssituation 50 bis 200 Rt. an die Kasse der jüdischen Gemeinde entrichten. Aus dem durch diese Abgaben gespeisten Fonds waren die Stempel- und Kanzleigebühren für die Ausfertigung der zu erteilenden Schutzbriefe aufzubringen, während „das übrige aber zur Entschädigung des an Unsre Casse bezahlten Porzelain-Geldes der GemeinKasse gelassen werden soll“. 156 Wenngleich damit die Konflikte einzelner Landjudenschaften mit den Berliner Oberlandesältesten um die Aufbringung der Ablösesumme offenbar endgültig beigelegt werden konnten, so stellten jene 40.000 Rt. gleichwohl eine Belastung dar, die in unterschiedlichster Form über Jahre hinweg die Gemeindekassen belastete. Denn ebensowenig wie die Oberlandesältesten waren auch die meisten Landjudenschaften in der Lage, bei der Aufbringung ihres Anteils auf eine Kreditaufnahme zu verzichten. Die Judenschaft von Ravensberg, Tecklenburg und Lingen nahm beispielsweise noch am 13. September 1796 bei einem Christian Arnold Woermann aus Bielefeld einen mit 4% verzinsten Kredit in Höhe von 1.500 Rt. auf „zu Bezahlung unsers Quantum wegen Aufhebung des Porcellain und wegen extra ordinaire Ausgaben und Prozeß-Kosten mit der Mindenschen Judenschaft und der Reform Sache“. 157 Zur Tilgung dieses Kredits wurde in den folgenden Jahren von sich neu ansetzenden Juden ein Antrittsgeld von 17 Rt. und 12 Gr. eingezogen. 158 Im Zeitraum von 1796 bis 1799 stellten allein derartige „Porcellainegelder“ mit rund 385 Rt. noch mehr als 10% der Gesamtbelastung der Judenschaft dar. 159 Auch in anderen Provinzen bediente man sich ähnlicher Methoden der Schuldenabtragung. Belegt ist diese Praxis für die Grafschaft Mark, wo sich 1792 Hertz Joseph als Schutzjude in Schwelm niederlassen wollte. Bei dieser Gelegenheit hatten die Vorsteher von ihm einen Beitrag in Höhe von 50 Rt. zu den „PorcellainGeldern“ verlangt, worauf sich Hertz bei der KPM beschwerte, von der er sich jedoch sagen lassen mußte, daß die „Subrepartition nun lediglich die Sache der 155

Vgl. auch die „Designation derer Besitzer von denen Stamm-Nummern“ in JMFM, PSR A075. 156 Zimmermann, Geschichte und Verfassung der Juden im Herzogthum Schlesien, S. 43. 157 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 314, Bl. 13. In den vorangegangenen Jahren hatte man mit der Mindener Judenschaft vor allem wegen der Abgabenrepartition im Streit gelegen. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben, S. 543 – 545. 158 LAV NRW W, KDK Minden, Nr. 314, Bl. 2. 159 Ebd., Bl. 29 – 30.

552

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Ältesten, Vorsteher und Assessoren der markschen Judenschaft ist, mit welcher also Supplikant sich wegen des von ihm geforderten Beitrags [...] zu arrangiren“ habe. 160 Nach einer auf dem Märkischen Judenlandtag von 1794 angefertigten Aufstellung waren von dieser Abgabe allein in Schwelm neben Joseph auch der Ordinarius Moses Bernhard sowie der Extraordinarius David Meyer mit jeweils 50 Rt. betroffen, was ihren Schutzgeldzahlungen in einem Zeitraum von ca. zwei Jahren entsprach. 161 Somit werden die „Porcellainegelder“ einen erheblichen Teil dazu beigetragen haben, daß Moses Meyer, der vier Jahre hindurch bei David Meyer als Knecht gearbeitet hatte, im Jahre 1797 lediglich in der nahegelegenen niederbergischen Unterherrschaft Hardenberg die Chance zur Niederlassung sah. 162 In der Kurmark wurden offenbar über mehrere Jahre hinweg sogenannte „Quartalsporzellangelder“ erhoben, wie einer für Wusterhausen an der Dosse erhaltenen Aufstellung aus dem Jahre 1789 zu entnehmen ist: Tabelle 20 Aufstellung der „Quartalsporzellangelder“ der jüdischen Gemeinde von Wusterhausen / Dosse, abzuliefern an den dortigen Kassierer Wolff Liebmann (1789) 163 Name

Quartalsbeitrag Rt.

Gr.

Witwe Abraham Moses Israel Levin Jacob Abraham Witwe Elkan Moses Moses Elkan

1 3 2 2 6

12 – – 6 –

Gesamt

14

18

Im neumärkischen Drossen war der Gerichtsdiener bereits am 19. Januar 1788 durch den Magistrat instruiert worden, folgende Beiträge „nach einer VerwarnungsFrist von 8 Tagen executive beyzutreiben und rechtmäßig abzugeben“:

160 MA, I, Nr. 4, Bl. 47, 49; zu Josephs Etablissement vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 150. 161 Helbeck, S. 23. Die Beiträge von 285 bzw. 300 Rt., die der Verfasser für Marcus Juda und Amschel Jacob nennt, bezeichnen hingegen den Betrag, für den beide bereits vor 1788 Porzellan angekauft und exportiert hatten. Siehe die Exporte Nr. 0134 und 0579 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 162 Vgl. Fleermann, Marginalisierung und Emanzipation, S. 339. 163 BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 392, Bl. 196.

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt.

553

Tabelle 21 Beiträge der jüdischen Gemeinde von Drossen zu den Porzellangeldern zur Ablösesumme der 40.000 Rt. (1788) 164 Name

Beitrag Rt.

Gr.

Pf.

Oberältester Isaac Boas Moses Wulff Falck Joseph Aron Siemon Moses Barrach Witwe Barrach

11 9 7 7 1 4

11 1 13 13 6 14

– 6 3 3 – –

Gesamt

41

11



Auf den ersten Blick scheint es sich zwar um vergleichsweise geringe Beträge zu handeln, doch wird deren gleichwohl vorhandene Brisanz spätestens dann deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß die meisten Summen noch immer mehreren Wochenlöhnen eines Berliner Manufakturarbeiters entsprachen. 165 So berichtete der Magistrat des neumärkischen Neuwedell am 23. Januar 1788 über die beiden Juden Caspar Gumprecht und Samuel, die jeweils einen Rt. und acht Gr. beitragen sollten, beide seien „so arm, daß man mit aller Mühe kaum ihre anderen Abgaben von ihnen erhalten kann, und hierzu muß man manches mahl die Auspfändung zur Hand nehmen, welches auch jetzo so, daß man das Bette von Stroh angreifen, geschehen müßte“. 166 Tatsächlich kam es im Zusammenhang mit dieser Repartition gerade innerhalb der neumärkischen Judenschaft zu Verwerfungen, stößt man doch mehrfach auf Stimmen, die für die neuerliche Belastung durch die Ablösesumme vornehmlich jene Gemeindemitglieder verantwortlich machten, denen es bis 1788 nicht gelungen war, ihre Rückstände zu tilgen. Caspar Joachim aus Neuwedell hatte beispielsweise für die Ansetzung seines Stiefsohns Abraham Arend als Extraordinarius im Februar 1770 sowie für eine im Dezember 1772 erhaltene Konzession zum Hausbesitz für 600 Rt. Porzellan exportiert. 167 Nun beschwerte er sich beim Magistrat, er habe damahlen das auf ihm und seinen Stief Sohn Abraham fallende Porcillain und zwar auf jeden vor 300 Rt. genommen, wodurch sie sich beyderseits schon in Schulden setzen müssen, wogegen andere, so nicht so folgsam gewesen, dabey profitiret hätten und er sich dahero nicht schuldig achtete, zu dieser gemachten Repartition zu contribuiren. 168 164

BLHA, Rep. 8, Drossen, Nr. 1066. Vgl. Kap. A. IV. 166 BLHA, Rep. 3, Nr. 7136. 167 Siehe die Exporte Nr. 0021, 0169, 1104, 1231 und 1232 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 168 BLHA, Rep. 3, Nr. 7136. 165

554

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Dieser Vorwurf zielte wohl unter anderem auf den verarmten Caspar Gumprecht, der im Januar 1773 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und dafür lediglich Porzellan im Wert von 25 Rt. exportiert hatte. 169 Auch Hirsch Isaac, der sich im Oktober 1765 als zweites Kind etabliert und fortan jährlich für 400 Rt. Manufakturwaren sowie 200 in Neuwedell gefertigte Tücher zu exportieren hatte, 170 vermochte für seine im April 1774 erhaltene Konzession zum Hausbesitz lediglich Porzellan im Wert von 30 Rt. auszuführen. 171 Zudem forderten sämtliche Juden Neuwedells nach Aussage des Magistrats, daß zu der Repartition lediglich Juden mit einem Vermögen von wenigstens 10.000 Rt. herangezogen werden sollten, wobei sie sich offensichtlich auf den gleichlautenden Befehl Friedrich Wilhelms II. an den Generalfiskal vom 4. April 1787 beriefen. Daß die Neumärkische Kammer jedoch nicht gewillt war, sich wirklich in diese Streitigkeiten einzumischen, mag man der Tatsache entnehmen, daß sie die Begutachtung der Beschwerden denen überließ, die die Repartition angefertigt hatten, den Ältesten der neumärkischen Hinterkreise (Friedeberg, Arnswalde, Dramburg und Schivelbein). 172 Die Angesprochenen, nämlich Samuel Kersten, 173 Peretz Marcus und Treitel Marcus kamen am 13. Februar 1788 denn auch zu dem kaum überraschenden Ergebnis, wie der Casper Jochem ein vermögender Mann ist und weder Kinder noch sonst was zu versorgen hat, ist es demnach nicht nur ein ungehorsames Wesen, da Ewr. Königl. Majestät ein für alle mahl gnädigst zu befehlen geruhet, daß die sämtliche Juden in sämtliche Provincen die rückständige Gelder bezahlen sollen, ferner kann er sich, daß er schon sein Antheil Porcellain genommen, nicht dadurch befreien, weil die meisten und fast alle, die unter der Reputation [!] aufgeführet, schon ihr Antheil Porcellain genommen haben. [...] der Jude Casper Gumprech und Samuel, denen die Auflage mit 1 Rt. 8 Gr. ein jeden betrieft, hätten sich auch so wenig wie alle übrigen zu beklagen, da sie es abtragen können, und ferner ist die Reputation [!] nicht von uns allein ausgefertiget worden, sonder von alle 4 Ältesten und Deputirten des Neumärkischen Creises, und wir können also unmöglich so wenig die wie sonst jemanden befreien. 174

Eine Dispensation komme um so weniger in Frage, als sich in diesem Falle sogleich zahlreiche weitere Bittsteller mit dem gleichen Anliegen meldeten. Die 169 Siehe den Export Nr. 0178 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). 170 Vgl. oben, Kap. D. III. (Tab. 6). 171 Siehe Export Nr. 0234 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Möglicherweise ist Hirsch Isaac identisch mit jenem Hirsch, über den der Neuwedeller Magistrat am 23. Januar 1788 berichtet, es sei „derselbe nebst seiner Frau schon seit ¼ Jahr so kranck gewesen, daß sie völlig ihres Verstandes beraubt waren, noch bis jetzt sich in einem solchen Zustande befinden, daß sie beyderseits nicht über die Stube ohne Beystandt gehen können“. Siehe BLHA, Rep. 3, Nr. 7136. 172 Siehe das Schreiben der Kammer vom 29. Januar 1788, BLHA, Rep. 3, Nr. 7136. 173 Dieser übte sein Ältestenamt seit 1771 aus. Siehe Treu / Müller, S. 373. 174 BLHA, Rep. 3, Nr. 7136.

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt.

555

Ältesten stellten dabei klar, daß sie selbst für mögliche Ausfälle haften und von den Berliner Oberlandesältesten, denen die Gelder auf der nächsten Frankfurter Messe abzuliefern seien, sogleich mit Exekution belegt werden würden. Die Kammer folgte diesem Gutachten am 19. Februar und instruierte den Magistrat, für eine schleunige Eintreibung der Beiträge zu sorgen, „ohne weiter auf das Einwenden der dortigen Juden Rücksicht zu nehmen“. 175 Mit der ersten Subrepartition sowie der geschilderten Kreditaufnahme bei den Berliner Oberlandesältesten war das Problem jedoch lediglich vertagt und stand Ende des Jahres wiederum auf der Tagesordnung, als das Darlehen der 1.500 Rt. inklusive Zinsen von 156 Rt. 8 Gr. zu tilgen war. 176 Den Voranschlag zu dieser zweiten Veranlagung reichte Samuel Kersten am 1. Januar 1789 beim Generaldirektorium ein: Tabelle 22 Zweite Subrepartition der Ablösesumme durch die neumärkische Landjudenschaft vom 10. Dezember 1788 177 Judenschaft

Beitrag Rt.

Gr.

Pf.

Kreis Landsberg / Warthe Kreis Königsberg Kreis Friedeberg Kreis Züllichau

262 426 625 341

19 8 6 21

6 6 6 6

Gesamt

1.656

8



Bei der Ausarbeitung dieser Umlage scheint es jedoch erneut zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen gekommen zu sein. So faßte die jüdische Gemeinde von Landsberg an der Warthe am 15. Dezember 1788 eine aufschlußreiche Entscheidung, die nur auf den ersten Blick der für die Grafschaft Mark geschilderten Praxis ähnelte, indem künftig von jedem sich etablierenden Gemeindemitglied unabhängig von seinem Vermögen ein Beitrag von 20 Rt. zur Tilgung der Verbindlichkeiten erhoben werden sollte. Dabei hatten sich jedoch die Porcellainerestanten Abraham Samuel, 178 Ruben Hirsch, 179 Tobias Samuel Loeser, 180 Moses 175

Ebd. Siehe das Schreiben der Berliner Oberlandesältesten vom 18. November 1788, worin diese die Einleitung exekutorischer Maßnahmen gegen die neumärkischen Judenältesten erbaten, ebd. 177 Angefertigt auf einer Versammlung in Landsberg, siehe BLHA, Rep. 3, Nr. 7136; GStA PK, II. HA, Neumark, Judensachen, Generalia, Nr. 15, Bl. 1. 178 Ein Abraham Samuel aus Landsberg ließ sich in den Akten nicht identifizieren, weshalb es sich hier wohl um eine Namensverwechselung handelt. Möglicherweise war Abraham Nathan gemeint, der am 3. Oktober 1771 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten 176

556

J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Aaron 181 und Abraham Tobias 182 einer diskriminierenden Regelung zu unterwerfen, wonach deren Kinder bei ihrem Etablissement „10 Procent nach Maßgabe ihrer Schulden von Porcellain an die hiesige Juden-Ältesten gleichfalls bezahlen“ müßten. Dies wurde damit begründet, daß die genannten Gemeindemitglieder mit ihren Exporten rückständig geblieben seien, „wo von die Bezahlung der jetzigen Loskaufungs Summe herrühret“. 183 Ob diese zehnprozentige Abgabe auch andernorts erhoben wurde, ist unklar. Was jedoch die zukünftig einzuziehenden 20 Rt. angeht, so folgte die Landsberger Gemeinde lediglich einer in der gesamten Neumark gängigen Praxis, die auf eine Entscheidung der Provinzältesten zurückging, die Ende 1788 auf Geheiß von Daniel Itzig und Jacob Moses bereits mit Exekution belegt worden waren. 184 Allerdings war die Abgabe offenbar bereits im Dezember 1787 erstmals beschlossen worden, wie einer Eingabe des Ältesten des Königsberger Kreises vom 31. Dezember jenes Jahres zu entnehmen ist, in der dieser die Kammer darum bat, „denen Magistraten der Königsberger und Soldiner Creyse anzubefehlen, keine jüdische Trau-Ceremonie zu gestatten, bevor nicht ein von mir über die zu und bis 1788 300 Rt. schuldig geblieben war. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 96; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 12, 49. 179 Ruben Hirsch, der einen Handel mit Leder und Leinwand betrieb, hatte sich im August 1775 als zweites Kind etabliert und 1777 eine Konzession zum Besitz eines von seinem Vater geerbten Hauses erhalten, weshalb er 1779 mit Nachforderungen in Höhe von 525 Rt. konfrontiert worden war, von denen bis 1788 200 Rt. offen blieben. 180 Tobias Samuel Loeser hatte am 25. September 1771 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und blieb bis 1788 300 Rt. schuldig. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 96; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 12, 16, 151. 181 Moses Aaron (bzw. seine Ehefrau) hatte am 3. April 1777 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und blieb bis 1788 300 Rt. schuldig. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 96; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 12, 48. 182 Abraham Tobias hatte sich am 21. August 1771 angesetzt und war bis 1788 300 Rt. schuldig geblieben. Seit September 1781 stand er auf der Armenliste des Generalfiskals und wurde 1783 mit der Fortschaffung bedroht. Siehe GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 96; APGW, AMG, Nr. 2016, Bl. 12, 24, 108, 110, 116, 163. 183 BLHA, Rep. 3, Nr. 7136. 184 So bat der in Drossen wohnhafte Älteste Isaac Boas die Neumärkische Kammer am 29. November 1788 darum, die Exekution auszusetzen, „da ich doch nicht Schuld habe“. Das Gesuch wurde jedoch am 7. Dezember abgewiesen, „da der Supplicant und die gesamte Judenschaft Zeit genug gehabt, diese Schuld zu tilgen, um dadurch gegenwärtige Execution abzuwenden“. Auch in Landsberg wurde der Älteste am 15. Dezember mit Exekution belegt. In Soldin lief diese bis Ende Januar, in Drossen bis Februar 1789. Die Zahlungsverzögerung war offenbar unter anderem darauf zurückzuführen, daß eine für den 13. Oktober in Küstrin angesetzte Versammlung der Ältesten der Neumark nicht zustandegekommen war. Deren Verhältnis untereinander war wohl alles anderes als ungetrübt, ging doch Levin Philipp in der Folge seinen Kollegen Isaac Boas vor den Behörden recht heftig an. So sei „dessen Fertigkeit im Schreiben und Lesen nicht die Beste“. Siehe jeweils ebd.

V. Die Aufbringung der Ablösesumme von 40.000 Rt.

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erlegende 20 Rt. unterschriebene Decharge vorgezeugt worden“. 185 Daran knüpfte am 1. Januar 1789 Samuel Kersten an, der das Generaldirektorium darüber informierte, daß man beschlossen habe, jene 1.656 Rt. vorerst auf Kreisebene durch Kredite mit einer Verzinsung von 4,5% zu finanzieren, da durch eine erneute Umlage einzelne Haushaltsvorstände übermäßig belastet würden. Kersten verwies dabei insbesondere auf Samuel Joel aus Friedeberg, Abraham Jacob aus Driesen sowie Ruben Moses aus Arnswalde, die in den vergangenen Jahren aufgrund diverser Privilegierungen bereits mehrfach für 600 bis 900 Rt. Porzellan hatten exportieren müssen. 186 Um die projektierte Abgabe in Zukunft erheben zu können, erbat sich der Älteste die Approbation des Generaldirektoriums, das zugleich die Neumärkische Kammer entsprechend instruieren solle. Auf Basis eines zustimmenden Gutachtens der Kammer, das die Abgabe für verhältnismäßig hielt, wurde diese Genehmigung am 5. Februar auch erteilt, wobei den Provinzältesten jedoch zugleich zur Auflage gemacht wurde, künftig alle drei Jahre einen Rechenschaftsbericht abzugeben, um zu verhüten, daß sich die Einziehung der 20 Rt. perpetuiere. 187 Der erste dieser Rechenschaftsberichte datiert vom August 1791, wonach jene Summe bislang von 34 Juden eingezogen worden war. 188 Diese Revision war jedoch zugleich die vorerst letzte, geriet doch die Aufsichtspflicht bei der Kammer offensichtlich ebenso rasch in Vergessenheit wie die Abgabe selbst. Doch im Juni 1802 wandten sich schließlich die mittlerweile für den Friedeberger Kreis zuständigen Judenältesten Hirsch Simon und Israel Elias an die Kammer und beklagten, daß sich Manasse Moses aus Dramburg, der seinen Sohn in Kallies etablieren wolle, weigere, 20 Rt. zu entrichten. Die Kammer möge deshalb ohne ihr darüber ausgestelltes Attest keine Konzession ausstellen. Die Küstriner Beamten verwiesen die Ältesten jedoch im Juli an den zuständigen Steuerrat, da der Kammer von einem Konzessionsverfahren für Manasse Moses noch nichts bekannt sei. Zugleich fiel auf, daß seit elf Jahren keine Rechenschaftsberichte mehr erstattet worden waren, weshalb zugleich die Anordnung erging, eine solche Nachweisung binnen vier Wochen einzureichen. Simon und Elias präsentierten daraufhin eine von ihnen selbst als mangelhaft bezeichnete Statistik aus der Feder ihres Vorgängers Treitel Marcus, wonach zwischen 1788 und dem Dezember 1801 „ungefehr“ 185 Ebd. Die Kammer folgte der Bitte und ließ zwischen dem 14. und 22. Januar 1788 an die Magistrate entsprechende Anweisungen ergehen. Siehe ebd. 186 GStA PK, II. HA, Neumark, Judensachen, Generalia, Nr. 15, Bl. 1. Kersten nennt für Joel seine Konzession zum Hausbesitz sowie die Ansetzung zweier Kinder. Erstere findet sich unter Nr. 0981. Jacob hatte beide Söhne etabliert. Siehe die Exporte Nr. 0390, 0515, 0799 und 0989 (Onlinestatistik unter „perspectivia.net“; zum Link siehe Abschnitt A., Anm. 232). Ruben Moses hatte 1771 eine Konzession zum Hausbesitz erhalten und 1780 seinen Sohn Nathan Ruben als erstes Kind etabliert. Siehe die Exporte Nr. 0120, 0559, 0594. 187 GStA PK, II. HA, Neumark, Judensachen, Generalia, Nr. 15, Bl. 5. 188 Dies und das folgende nach BLHA, Rep. 3, Nr. 7136.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

820 Rt. eingenommen worden seien. Dieses rief nun wiederum die Kammer auf den Plan, die darauf hinwies, daß auf den Friedeberger Kreis seinerzeit lediglich 625 Rt. entfallen wären und die Abgabe deshalb umgehend aufzuheben sei. Ferner meldete Moses Gerson im September 1802 für den Kreis Züllichau, er habe seit seinem Amtsantritt am 19. August 1795 von Moses Baruch (Drossen), Samuel Jacob (Reppen), Lewin Jacob (Sonnenburg), Aron Hirsch (Zielenzig) und Moses Marcus (Züllichau) insgesamt 100 Rt. eingezogen. Über die Höhe der Einnahmen aus der Zeit seines Amtsvorgängers Isaac Boas habe er hingegen keine Unterlagen finden können. Auch Simon und Elias rechtfertigten sich noch im September 1802 damit, daß sie von ihren Vorgängern Samuel Kersten und Treitel Marcus „weder Rechnung oder Bücher und Registratur erhalten haben. Wir können dahero unmöglich bestimmt angeben, ob 820 Rt. oder weniger erhoben sind und wo solche geblieben sind.“ In Landsberg war die Porzellanabgabe längst umgewidmet worden. So berichteten die dortigen Judenältesten Liebmann David und Boas Abraham am 28. September, daß die Gemeinde beschlossen habe, jene 20 Rt. auch weiterhin zu erheben, um damit ihre Synagogenschulden abzutragen. Über die entsprechenden Einnahmen werde der Gemeinde alljährlich Rechnung abgelegt. Auch im Königsberger Kreis waren die zugrundeliegenden Kredite längst abbezahlt, die daraus folgenden Abgaben jedoch nach Auskunft des Soldiner Ältesten Levin Philipp „nachher aber deshalb beybehalten worden, um damit die bey den Schutzund Silberlieferungs-Geldern entstehende Defecte durch Verarmung dieser oder jener Familie zu decken“. Über dieses Vorgehen habe auf den Küstriner Ältestenversammlungen stets Einvernehmen geherrscht. Nachweise über die bisherigen Einnahmen ließen sich nachträglich nicht mehr anfertigen. Die Kammer wollte jedoch vorerst weder das Landsberger noch das Königsberger Finanzgebaren genehmigen. Möglicherweise deshalb stellte sich für den Friedeberger Kreis von Simon und Elias nach deren Rücksprache mit Samuel Kersten und dem greisen Treitel Marcus heraus, daß noch gut 200 Rt. der ursprünglich 1.099 Rt. betragenden Verbindlichkeit zu tilgen seien. 189 Auch Moses Gerson, dessen Rechnungslegung freilich kaum durchschaubar ist, entdeckte schließlich, daß in seinem inkorporierten Kreis der ursprüngliche Kredit noch nicht abbezahlt worden sei, 190 und zog deshalb noch 1803 vom Sohn der Witwe Meyer aus Sternberg sowie Joseph Hertz Gumpert aus 189 Ebd. Die beiden Ältesten reichten deshalb in den kommenden Jahren Nachweisungen ihrer diesbezüglichen Einnahmen bei der Kammer ein. So meldeten sie am 9. Februar 1804 Zahlungseingänge von Charlotte Kersten aus Friedeberg, Pincus Joseph aus Woldenberg und der Witwe Marcus aus Falkenberg, womit noch 179 Rt. zu tilgen seien. Im Dezember 1804 meldete Elias Zahlungen Aron Hirschs aus Friedeberg, Wolff Daniels aus Schivelbein, Moses Manasses aus Kallies, Leiser Jacobs aus Driesen sowie der Witwe Levin Philipps aus Friedeberg. Bis zum Dezember 1805 zahlten 20 Rt. ein Jude Hirsch aus Nörenberg sowie Levin Jacob aus Driesen.

VI. Die Verwendung der Ablösesumme

559

Züllichau jeweils 20 Rt. ein. 191 Die Aufsicht durch die Kammer kam durch den Zusammenbruch des Jahres 1806 zwar erneut zum Erliegen – die Porzellansteuer überlebte hingegen auch Jena und Auerstedt. So berichtete der Arnswalder Steuerrat im Oktober 1808, sich etablierende Juden würden von ihren Ältesten weiterhin zu Beiträgen „wegen Befreiung von der Porcellain-Exportation“ angehalten. 192 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kammer offenbar andere Sorgen, doch noch im November 1811 beschäftigte das Thema die Behörden, als die Neumärkische Regierungs-Finanz-Deputation, die zu diesem Zeitpunkt nicht in der Neumark, sondern im fernen Königsberg saß, den Ältesten der Hinterkreise auftrug, erneut mit ihren Rechenschaftsberichten fortzufahren. Fast vier Monate später warteten die Behörden noch immer auf Antwort, weshalb am 28. Februar 1812 gegen den Friedeberger Kreisdeputierten Samuel Naphtali ein Strafgeld von einem Rt. verhängt wurde. Indes fand der Taler seinen Weg zwischen den Heerzügen hindurch bis an den Pregel offenbar nicht, wie der Randbemerkung „ist nichts eingegangen“ zu entnehmen ist. Damit verschwinden auch die Porcellaingelder endgültig aus den Akten.

VI. Die Verwendung der Ablösesumme durch die Porzellanmanufaktur und das Kabinett Von den durch die Judenschaft bezahlten 40.000 Rt. verblieben 25.000 Rt. zur Verfügung der Porzellanmanufaktur, während die übrigen 15.000 Rt. durch Rechnungsführer Toll an die von Hofrat Johann August Buchholtz verwaltete Hofstaatskasse weitergeleitet 193 und später unter anderem für eine Sockenlieferung des Potsdamer Militärwaisenhauses verwendet wurden. 194 Nach dem Willen von Heinitz sollte der durch die Manufaktur vereinnahmte Anteil wie bereits angeführt vor allem für die Anschaffung von Produktionsmaterialen wie Holz, Kohlen und Farben sowie zur Einrichtung auswärtiger Niederlassungen verwendet werden. In den Genuß der ersten Zahlung aus diesem Fonds kam jedoch im März 1788 auf Geheiß des Königs der Berliner Kupferstecher Daniel Berger (1744 –1824), 195 dem als „Gratification pro 1788 für zwey schöne 190

Die in mehreren Schreiben ebd. gemachten Aussagen Gersons gegenüber der Kammer sind in sich recht widersprüchlich, so daß man seine Ausführungen wohl mit einem Fragezeichen versehen muß. 191 Bericht Gersons vom 12. Februar 1804 ebd. Mit einer Zahlung Scholem Lewins aus Züllichau soll der Kredit schließlich im Dezember 1804 gelöscht worden sein. 192 BLHA, Rep. 3, Nr. 18560. 193 Siehe die Kabinettsordre für Heinitz vom 9. Dezember 1787 sowie die entsprechende Instruktion für Toll vom Folgetag in MA, I, Nr. 3, Bl. 12 –13. 194 GStA PK, Rep. 96 B, Nr. 87, Bl. 1042/43; vgl. Wolff, Judenporzellan, S. 79.

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J. Aufhebung und Nachleben des Porcellaineexportationszwangs

Kupferplatten, wovon die eine bereits fertig ist“, 500 Rt. ausbezahlt wurden. 196 Die verbleibenden 24.500 Rt. dürften schließlich vornehmlich in eine „VorrathsCasse für Materialien, Farben, desgleichen für die neuen Commissions Waarenlager“ geflossen sein, deren Einrichtung Heinitz am 30. Juni 1788 befahl und die mit 22.000 Rt. fundiert wurde. 197 Diese gesonderte Kasse wurde der Verwaltung von Grieninger jun. und Klipfel jun. (1764 –1827) 198 anvertraut, wie einem Beschluß der KPM-Kommission vom 3. September 1788 zu entnehmen ist. Auf der Sitzung wurde zugleich vereinbart, jene 22.000 Rt. vorerst nicht auszugeben, da man günstige Gelegenheiten zum Ankauf größerer Rohstoffmengen abwarten wollte. 199 Offenbar wurde die Vorratskasse, über die ein gesondertes Rechnungsbuch geführt wurde, 200 in den kommenden Jahren jedoch weniger für Investitionen verwendet, sondern als bare Rücklage betrachtet, die mit 4 % verzinst wurde. Die anfallenden Zinsen wurden dabei in halbjährlichen Raten von 572 Rt. von einer weiteren unter Heinitz eingerichteten Sonderkasse, der Extraordinarienkasse, vereinnahmt. 201 Erst 1793 wurde ein größerer Betrag (6.600 Rt.) aus der Vorratskasse entnommen, um damit Mehrausgaben für Massematerialien, Far195 Zur Person Thieme / Becker, Bd. III, S. 394 – 395; vgl. Nicolai, Beschreibung (1769), S. 380: „Herr Daniel Berger der jüngere, Kupferstecher, hat verschiedene Stücke der Königl. Gallerie in Sanssouci in Kupfer gestochen. Er wohnt am Salzhofe.“ 196 In der Instruktion für Toll vom 20. März heißt es ausdrücklich, die Summe solle mit den Geldern beglichen werden, „welche die Judenschaft wegen Befreyung vom ehemaligen Zwang der Porzellan-Abnahme und Exportation erleget hat“. Die Auszahlung erfolgte „an den Geheimen Berg-Canzley-Secretarium Louis als Rendanten von der Casse der Königlichen Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften gegen dessen Quittung“. Siehe MA, XI, Nr. 1, Bl. 30. Diesem Befehl lag eine Kabinettsordre für Heinitz vom 10. März 1788 zugrunde. Vgl. MA, X, Nr. 1, Bl. 32. 197 Grieninger jun. und Klipfel am 5. Juni 1788, MA, X, Nr. 2, Bl. 3. 198 Carl Wilhelm Klipfel, nach einem Studium der Rechtswissenschaften seit 1787 Hofrat und Direktionsassistent bei der KPM, siehe Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 480. 199 Zugleich wurde Grieninger jun. und Klipfel jun. empfohlen, sich mit Toll in Verbindung zu setzen, wobei der Kommission „als das geratsamste scheinet, von den vorhandenen Obligationen so viel als diese Summe beträgt in ein besonderes, mit dem Privat-Siegel der Hofräthe Grieninger und Klipfel zu besiegelndes und mit dem Rubro: zur Vorraths Casse gehörig zu überschreibendes Paket einzuschlagen und in dem großen, dreymahl verschlossenen Kasten der Haupt Casse ferner asserviren zu lassen“. Siehe MA, X, Nr. 2, Bl. 7. 200 MA, OS: Rechnung über die bei der Königlichen Porzellan-Manufactur etablirte Vorraths Casse. 201 Siehe die Quittungen des Rechnungsführers der Extraordinarienkasse, Joachim Friedrich Meves, aus den Jahren 1792 und 1793 in MA, OS: Beläge welche zur PorzellanManufactur-Vorraths-Casse gehören, Bl. 8 – 10, 14. Zu Meves, der 1796 zur Seehandlung versetzt wurde, siehe Siebeneicker, Offizianten und Ouvriers, S. 482; zu den Nebenkassen, über die die KPM zwischen 1787 und 1821 verfügte, ebd., S. 175 –177.

VI. Die Verwendung der Ablösesumme

561

ben sowie Brenn- und Nutzholz zu bestreiten. 202 Im Januar 1797 beschloß die KPM-Kommission schließlich, die Vorratskasse aufzulösen und ihr Kapital, zu diesem Zeitpunkt rund 21.200 Rt., wiederum von der Hauptkasse vereinnahmen zu lassen. 203

202 Anweisung der KPM-Kommission an Rechnungsführer Toll vom 31. Mai 1793, MA, X, Nr. 2, Bl. 16. 203 Grieninger jun. und Klipfel jun. an die KPM-Kommission, 6. Januar 1797, ebd., Bl. 20.

K. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 2 (1786 – 1812) I. Die gescheiterte Initiative David Friedländers (1792 –1794) Der Porzellanexportzwang war trotz der allgemein nur sehr schleppend vorankommenden Reform des Judenwesens 1787/88 gefallen. Doch auch die Belastung durch den Betrieb der Templiner Manufaktur spielte eine nicht unbedeutende Rolle in den Denkschriften, mit denen die Berliner Ältesten 1787 an das Generaldirektorium herangetreten waren. Die hierbei verfolgte Argumentationsstrategie dokumentierte wenige Jahre später David Friedländer in seinen Akten-Stücken, in denen sich der Wunsch nach Aufgabe des leidigen Betriebs mit einer generellen Kritik an der überkommenen Manufakturpolitik verbindet. So lehre die Erfahrung, daß „Zwangsfabriken“ niemals florieren könnten, sondern lediglich dazu dienten, „müßige und faule Arbeiter“ zu unterhalten. In einer derartigen Verfassung stelle die Templiner Manufaktur, wie Kammer und Magistrat bestätigen könnten, nicht nur eine schwere Belastung der Judenschaft dar, sondern weise auch für den Staat keinerlei Nutzen auf. Auch gegen Eschwege richtete Friedländer, ohne ihn namentlich zu nennen, schwere Vorwürfe: „Die Entrepreneurs bekümmern sich, wie es bey solchen Zwangsfabriken gewöhnlich zu gehen pflegt, wenig um den Flor der Fabriken, und sehen nur darauf, wie sie die Entschädigungs=Summe jährlich in die Höhe schrauben können.“ 1 Vor dem Hintergrund einer im Wandel begriffenen Gewerbepolitik, die sich – wie bereits angedeutet – zumindest von manchen „Auswüchsen“ aus der Zeit vor 1786 verabschiedete, versprach eine derartige Argumentation durchaus Erfolg und war schließlich auch bei den Verhandlungen über die Aufhebung der Porzellanexporte der entscheidende Trumpf gewesen. Da sich jedoch zu Beginn der 90er Jahre bereits deutlich abzeichnete, daß die angestrebte Emanzipation und mit ihr der Wegfall aller Sonderabgaben noch in ungewisser Zukunft lagen, war es nun vor allem entscheidend, in welcher Weise die Ansetzung der nachgeborenen Kinder im Rahmen der schleppenden Reformvorhaben behandelt werden würde. Das Generaldirektorium äußerte sich in seinem für die Juden insgesamt so enttäuschenden Reformplan vom 24. Januar 1792 auch zu dieser Frage. Die Minister Blumenthal, Heinitz, Werder, Arnim, Voß und Struensee lehnten darin zwar eine 1

Friedländer, S. 67 – 68.

I. Die gescheiterte Initiative David Friedländers

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Aufhebung der regulären jüdischen Abgaben in Höhe von 46.700 Rt. ab, da dies „einen beträchtlichen Ausfall am Etat verursachen würde“. 2 Doch bei den irregulären Abgaben zur Ansetzung von Kindern zeigten sich die Beamten scheinbar moderater und betonten, es würden künftig deren Ansetzungen und Gewerbe zu erleichtern und weiter auszudehnen seyn. Bisher haben sich nur zwei Kinder eines Schutzjuden etabliren und selbst diese es nicht anders als mit einem Aufwande von einigen Hundert Thalern zu verschiedenen Caßen thun können, die so theuer etablirten aber sind überdies fast allein auf den Handel eingeschränkt, jedoch auch hiebei von vielen Arten und Gegenständen der Handlung gänzlich ausgeschlossen, wodurch ein niedriger Hang zur betrügerischen Schacherei und bösem Wucher sich bei dieser Nation erzeugen und erhalten müßen. 3

Diese negativen Charaktereigenschaften seien bei den erwachsenen Schutzjuden jedoch nicht mehr „auszurotten“, da sie „ihnen durch Erziehung und Gewohnheit zur Natur geworden“ und letztere nicht mehr „umgeschaffen“ werden könne. Anders verhalte es sich hingegen bei den Kindern, die noch zu „anderer Erziehung und Application“ fähig seien. Aus diesem Grund trat das Generaldirektorium dafür ein, die junge Generation „ohne die vorgedachte außerordentliche in ihrem Fortkommen durchaus hinderliche Kosten zur Ansetzung zuzulaßen“. Nach eigenen Berechnungen verzichtete der Staat damit auf Einnahmen der Chargen- und Stempelkasse sowie des Potsdamer Waisenhauses von jährlich rund 13.500 Rt. 4 Doch war dieser Verzicht nur scheinbar eine generöse Geste, hinter der sich letztlich wiederum die ganze Widersprüchlichkeit des unter erzieherischen und fiskalischen Prämissen stehenden Reformplans verbarg. Denn diese 13.500 Rt. sollten zwar in ihrer bisherigen Form erlassen, jedoch ihr Äquivalent künftig regulär auf die bereits etablierten Schutzjuden umgelegt werden, 5 in deren Verbesserung man offenbar ohnehin keine Hoffnungen mehr setzte. Die Reform sollte demnach vor allem nichts kosten, weshalb die finanziellen Belastungen der Sondergesetzgebung lediglich innerhalb der jüdischen Gemeinden zugunsten der jüngeren Generation umverteilt worden wären. Damit bei deren zu erwartender „starken Vermehrung das Land nicht mit Bettlern überhäuft werde, [solle] ein jeder der heirathen will, nur angeben dürfen, wie er sich und seine zu erzeugende Kinder zu ernähren gedenke“. 6

2

Zitiert nach Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 79. Dieses und die folgenden Zitate nach ebd., S. 75. 4 Zitiert nach ebd., S. 80. 5 In diesem Zusammenhang plante das Generaldirektorium zudem eine Modifikation der Umlagerichtlinien, die hier nicht weiter zu diskutieren ist. Vgl. das Gutachten der Gesetzkommission vom 2. April 1792 ebd., S. 82 – 91, hier: S. 83 –84. 6 Über verarmte Judenkinder heißt es ebd., S. 77: „Diejenigen die nicht Vermögen oder Fähigkeit besitzen, ein Etablißement zu unternehmen, müßen als Hausgesinde oder durch Tagelöhner-Arbeit ihren ehrlichen Unterhalt suchen, und es ist ihnen hiezu die 3

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Wie enttäuschend dieser Plan aus jüdischer Perspektive auch sein mochte, so bot er doch immerhin einen Ansatzpunkt, um auch die Angelegenheit der Templiner Manufaktur erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Denn wenn den zukünftig anzusetzenden Kindern bei ihrem Etablissement wirklich unter die Arme gegriffen werden sollte, so bildeten die durch das Generaldirektorium angesprochenen Chargen- und Stempelabgaben im Falle der zweiten Kinder doch nicht einmal 50 % der Ansetzungsgebühren. Deren größter Posten bestand nach der Aufhebung des Porzellanexportzwangs (sofern die jeweilige Landjudenschaft mit den Berliner Ältesten keine jährlichen Pauschalbeiträge vereinbart hatte) in der Zahlung von 200 Rt. an den Templiner Fabrikenfonds. So war es gewiß kein Zufall, daß David Friedländer am 7. März 1794, als der „große Wurf“ bereits in weite Ferne gerückt war, 7 mit dem Ziel an die Behörden herantrat, zumindest dieses Relikt aus friderizianischer Zeit abzulösen. Seine Eingabe lehnte sich dabei teilweise fast wörtlich an die Akten-Stücke an, etwa wenn Friedländer wiederum auf das gespannte Verhältnis zu Eschwege eingeht: So wie diese Fabricke von der einen Seite dem Staate gar keinen Nutzen bringt und vielmehr einer reelen Industrie schädlich ist, so ist sie der Colonie von der andern eine kostspielige und beschwerliche Last, weil die Entreprenneurs derselben nur dahin sehen, die Entschädigungs-Summa, die sie von der Gemeinde erhalten, jährlich in die Höhe zu schrauben. 8

Wie man seinen weiteren Ausführungen entnehmen kann, war die Templiner Manufaktur bereits zwei Jahre zuvor ein Thema gewesen, als die Oberlandesältesten am 13. Februar 1792 zum Plan einer allgemeinen Reform des Judenwesens Stellung genommen hatten. Diese hätten damals angeboten, die Manufaktur samt Inventar kostenlos an den Staat oder einen von diesem zu benennenden Unternehmer abzutreten, die Summe von 1.000 Rt. für die Anlegung eines Wollmagazins in Templin aufzuwenden (das schon seit 20 Jahren bestehen sollte!) und darüber hinaus jedem der zehn Meister eine Einmalzahlung von 100 Rt. zukommen zu lassen. Nachdem die Reform des Judenwesens jedoch vorerst ausgesetzt worden sei, wäre auch diese Angelegenheit liegengeblieben. Nunmehr sei jedoch er, Friedländer, von der Berliner Gemeinde autorisiert worden, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. 9 Vor diesem Hintergrund unterstrich er seine Überzeugung, Gelegenheit nicht zu erschweren, sondern vielmehr so wie den Christen offen zu lassen. Wer aber solche nicht brauchen, und sogar seiner Anstellung zu einer öffentlichen seinen Kräften angemessenen Handarbeit um gewönlichen Lohn sich entziehen will, wird wegen besorglicher Laster aus dem Müßiggange wegzuschaffen seyn.“ Es verdient Beachtung, daß das Generaldirektorium von der Ansetzungsfreiheit immer noch Elbing, Stettin, die vorpommerschen Städte, Ruppin und Magdeburg ausgenommen wissen wollte, die über ein hergebrachtes Recht de non tolerandis verfügten. Siehe ebd., S. 75. 7 Auch eine erneute Petition der Oberlandesältesten vom 22. Mai 1795 beschränkte sich bezeichnender Weise nur noch auf spezielle Gravamina wie Bankrottbestimmungen oder die solidarische Haftung bei Diebstählen. Siehe Lewin, Judengesetzgebung, S. 575 –576. 8 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 90.

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wonach „die Zurücknahme der Fabrick auf alle Weise dem Staate nützlich und die Anstalt, sobald sie nicht von einer Commune dirigirt werden muß, durch die Anerbiethungen der Judengemeinde eines großen und vortheilhaften Zuwachses fähig“ sei. Die Reaktion der Behörden auf Friedländers Vorstoß ist ein Stück Anschauungsunterricht über die Frage, warum die allgemeine Reform zu diesem Zeitpunkt bereits steckengeblieben war. Denn Finanzrat Eichmann aus dem Fabrikendepartement hielt zwar grundsätzlich ein Gutachten der Kurmärkischen Kammer für notwendig, machte aber auch kein Hehl aus seiner Skepsis. Denn so lange der Vertrag von 1769 Geltung besitze, sei auch das Departement des weiteren Betriebes der Templiner Manufaktur versichert. Entlasse man die Ältesten jedoch aus ihren Bindungen, so sei sehr zu besorgen, daß das Etablissement bald ganz eingehen und der Königlichen Casse zur Last fallen wird, selbst wenn die Judenschaft den Arbeitern noch ein Mehreres wie sie offerirt zu ihrer Fabrication für eigene Rechnung geben wollte. Ich gestehe, daß die Fabricken Einrichtung zu Templin schlecht ist, und wenn es dabei bleibt, die Anstalt nicht prosperiren wird, indessen wird doch dadurch so viel gewonnen, daß für beständig wenigstens 80 Menschen ernährt werden, und meiner Meinung nach ist nicht anzurathen, einen solchen sicheren Contract, wie der ist, welchen das Departement mit der Judenschaft hat, aufzuheben. 10

Finanzrat Wloemer als führendes Mitglied in der Kommission zur Reform des Judenwesens gab zu bedenken, daß die Judenschaft diesen Betrieb „nicht ohne Ursache“ übernommen, sondern im Gegenzug „beträchtliche Vortheile bey Ansetzung der 2. Kinder erhalten“ habe. Ihm sei zwar bekannt, daß die Manufaktur bislang nur durch sehr umfangreiche Zuschüsse von Seiten der Juden hätte am Leben erhalten werden können, doch sei es keinem Zweifel unterworfen, daß sie diese Fabrique, so nachtheilig ihnen dieselbe auch fallen mag, beständig fortzuführen und zu unterhalten verbunden sind. Allein von der andern Seite sehe ich auch nicht ein, was eine Fabrique dem Staat nützen könne, die mit beständigem Schaden für diejenigen, die sie unterhalten müssen, verknüpft ist, und bloß einige Leute zu ernähren dient. Ich glaube gewiß, daß es an einer fehlerhaften und ungetreuen Administration liegt. Diese aber haben die Juden in so vielen Jahren nicht abstellen können. Es kommt also darauf an, ob unter näherer Anordnung und Direction des General Fabriken Departements nicht eine nützliche Fabrique daraus werden könne, wobey es sich jedoch von selbst versteht, daß, wenn diese Last den Juden abgenommen werden soll, sie nicht, was offerirt wird, sondern so viel, als zur sichern Erreichung des Zwecks nötig ist und reiflich auszumitteln seyn würde, hergeben müssen. 11 9 Insofern ist die Lesart Ismar Freunds also zu korrigieren, der für die Jahre unmittelbar nach 1793 meint: „Auch bei den Bemühungen um eine Teilreform, die nach dem Scheitern des umfassenden ersten Reformversuchs die Berliner Ältesten in der Folge anstellten, stand David Friedländer abseits. Keine der Eingaben trägt seine Unterschrift.“ Siehe Ders.: David Friedländer, S. 82. 10 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 92.

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Von entscheidender Bedeutung sollte hingegen das Gutachten der Kurmärkischen Kammer werden, jener Instanz, die wohl am allerwenigsten ein Interesse daran haben konnte, die Existenz eines wie auch immer betriebenen Unternehmens in einer brandenburgischen Provinzstadt aufs Spiel zu setzen. Vom Fabrikendepartement bereits am 20. März 1794 zu einer Stellungnahme aufgefordert, ließ man sich denn auch bis zum 18. Oktober mit einer Antwort Zeit. Nach Ansicht der Kammer war dabei die 1769 ausgesprochene Befreiung der zweiten Kinder von weiteren Warenexporten (die allerdings bald durch den Porzellanexportzwang wieder rückgängig gemacht wurde, worüber sich die Kammer ausschweigt) „ohnstreitig ein sehr überwiegendes Äquivalent für die Unterhaltung einer Wollen Strumpf und Mützen Fabrique von 20 Stühlen in einem so gangbaren Waaren Articul“. Gleichwohl sei abzusehen, daß die Fabrik, solange sie in der bisherigen Verfassung verbleibe und von der Judenschaft lediglich als lästiger Ballast angesehen werde, sich niemals in ein prosperierendes Unternehmen verwandeln könne. Dabei könne die Manufaktur durchaus expandieren, verarbeite sie doch das „vorzüglichste Materiale der einländischen Producte“ und müsse deshalb „in der Concurrentz mit den benachbarten auswärtigen Provinzien nothwendig das Übergewicht behalten“. 12 Vor diesem Hintergrund komme es darauf an, daß die Manufaktur einem fähigen Unternehmer übergeben werde, der allerdings durch die Judenschaft zuvor mit einem ausreichenden Betriebsfonds auszustatten sei. Friedländers Angebot, das auf eine Abfindung der einzelnen Meister abziele, stehe deshalb „mit dem Umfange der Verbindlichkeit in keinem Verhältniß“, da es nicht lediglich darauf ankomme, „10 Familien auf eine kurze Zeit zu befriedigen, sondern selbigen eine beständig ohnunterbrochene Beschäftigung und dem Staate eine solide Fabrique von einländischen Stuhl Waaren zum ausländischen Debit zu conserviren“. 13 Friedländers Vorstoß war damit gescheitert, 14 und die Templiner Manufaktur konnte in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts noch einmal zum Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Berliner Gemeinde und der Klevischen Landjudenschaft werden.

11

Ebd., Bl. 92 – 93. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 95. Die Kammer bezog sich dabei auf die jüngsten Fabrikentabellen, wonach die Templiner Manufaktur sich vor anderen im Exporthandel auszeichne. Zudem verfolge Eschwege den Plan, eine zweite Strumpfmanufaktur in Templin anzulegen – wofür sich in den Akten allerdings kein weiterer Beleg finden ließ. 13 Ebd., Bl. 95 – 96. 14 Das Fabrikendepartement folgte in seiner Resolution für Friedländer vom 30. Oktober 1794 der Argumentation der Kammer, worauf die Angelegenheit vorerst einschlief. Siehe ebd., Bl. 97. 12

II. Die Berliner Ältesten und die Klevische Landjudenschaft

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II. Die Auseinandersetzungen zwischen den Berliner Ältesten und der Klevischen Landjudenschaft (1798 – 1803) An der Finanzierung der Templiner Manufaktur durch die Judenschaft hatte sich bis in die 90er Jahre hinein kaum etwas geändert. Bevor ein jüdischer Familienvater einen Antrag zur Etablierung eines seiner Nachkommen auf das Recht des zweiten Kindes einreichen konnte, hatte sich dieser mit den Berliner Oberlandesältesten abzufinden, was weiterhin individuell durch die Zahlung von 200 Rt. oder (im Falle Pommerns, der Kurmark und der Grafschaft Ravensberg) durch Pauschalbeiträge der Landjudenschaften geschah. Selbst Abraham Jacob Eschwege, der im Jahr 1800 seine Tochter Hanna mit dem aus Stavenhagen in MecklenburgSchwerin stammenden Seckel Meyer verheiraten und als zweites Kind ansetzen wollte, kam um diese Vereinbarung nicht herum. 15 Und auch Lazarus Hirsch aus Angermünde hatte als zweites Kind im Jahre 1801 dasselbe zu tun, was auch 30 Jahre zuvor von ihm gefordert worden wäre, nämlich zu bescheinigen, daß er „den Beitrag zur Templinschen Strumpf Fabrique gehörig entrichtet“ habe. 16 Den letzten bislang aufzufindenden Fall, in dem von einem wegen der Manufaktur entrichteten „Abfindungs Quanto an die Berliner Judenschaft“ die Rede ist, stellt die Ansetzung Jacob Salomons in Halberstadt am 29. Juli 1804 dar. 17 1790 war es jedoch erstmals zu Problemen gekommen, als sich in Königsberg / Pr. Meyer Isaac Levin und David Hertz weigerten, zum Fabrikenfonds beizutragen. 18 Nachdem die Oberlandesältesten dem Generaldirektorium die großen Verluste aufgezeigt hatten, mit denen der Betrieb weiterhin verbunden war, unterstützte die Behörde jedoch die Ansprüche der Berliner Gemeinde durch entsprechende Ordres an die Ostpreußische Kammer, womit dieser Konflikt offenbar beigelegt wurde. Acht Jahre später kam es allerdings am anderen Ende der preußischen Monarchie, in Kleve, erneut zu Problemen, als sich Mathias Moses als zweites Kind in Schermbeck ansetzen wollte. In Kleve hatte man von einer Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur und einem Zwangsbeitrag der zweiten Kinder zu diesem Unternehmen angeblich noch niemals etwas gehört, was sich – wie sich bald herausstellte – darauf zurückführen ließ, daß 1769 die Expedition der 15 BLHA, Rep. 2, Nr. S.2943. Ein Attest der Oberlandesältesten für ein zweites Kind aus Halberstadt vom 11. April 1796 zitiert Halama, S. 225. 16 Bescheinigung der Vorsteher der Kurmärkischen Landjudenschaft vom 9. Juli 1801. Siehe StA Angermünde, Stadtverwaltung Angermünde, Nr. 1003, Bl. 25. 17 LHASA, MD, Rep. A 17 III, Nr. 147, Bl. 19. 18 Diese Vorgänge lassen sich nur indirekt aus einem Schreiben der Berliner Ältesten Liepmann Meyer Wulff, Liebmann Abraham und Salomon Veit vom 23. September 1798 erschließen. Siehe GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 1.

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K. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 2 (1786 –1812)

betreffenden Befehle an die Klevische Kammer unterblieben war. Zudem war die Klevische Landjudenschaft stets darauf bedacht, gegenüber den Berliner Ältesten ihre Unabhängigkeit zu wahren 19 und hatte deshalb auch 1769 beschlossen, „sich an den Verhandlungen über dieses Unternehmen nicht zu beteiligen und das Schreiben der Berliner, worin sie zu einer Zusammenkunft [1762 in Spandau] geladen wurden, mit Stillschweigen zu übergehen“. 20 Warum die Berliner Oberlandesältesten in all den Jahren offenbar nicht bemerkten, daß aus Kleve keine Beiträge zum Fabrikenfonds eingingen, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Natürlich hatte es Ansetzungen zweiter Kinder auch im Herzogtum Kleve gegeben, so beispielsweise diejenigen von Heymann Joseph aus Goch im August 1770 21 oder von Moses Hertz aus Krefeld im Juni 1777. 22 Allerdings handelte es sich dabei doch eher um Ausnahmen, denn die klevischen Juden befanden sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirtschaftlich großenteils in einem kläglichen Zustand. In den verarmten Familien soll deshalb in vielen Fällen nicht einmal das erste Kind in der Lage gewesen sein, die (nach 1779 verschärften) Anforderungen zur Ansetzung zu erfüllen. Sie wanderten nach den Erkenntnissen Baers entweder nach Holland und England ab oder „trieben sich so lange im Lande herum, bis sie von den Behörden verjagt wurden. [...] Die jüngeren Geschwister, die nicht zu heiraten imstande waren, begaben sich außer Landes oder hielten sich bis an ihr Lebensende bei ihren Eltern oder Brüdern auf. So ergibt die Statistik des Jahres 1787 die Ziffer von 52 unselbständigen und unverheirateten jüdischen Landeskindern im Alter von 20 bis 30 Jahren, von 23 im Alter von mehr als 30 Jahren (darunter zwei 51jährige, ein 55- und ein 62jähriges)“. 23 Offenbar hatten sowohl Behörden als auch die Berliner Judenschaft die wenigen Ansetzungen zweiter Kinder bislang schlicht übersehen – doch dies änderte sich 1798 im Zuge des Konzessionsverfahrens von besagtem Mathias Moses. 19

Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 294 – 299. Baer, Landjudenschaft des Herzogtums Kleve, S. 49. Die Kommunikationsschwierigkeiten mögen auch dadurch bedingt gewesen sein, daß zwischen der klevischen und der Berliner Judenschaft im 18. Jahrhundert kaum verwandtschaftliche Beziehungen bestanden, wie sie etwa für die Kontakte zwischen der Berliner und Königsberger, schließlich auch der Breslauer Gemeinde so bedeutsam wurden. Die Heiratsbeziehungen klevischer Juden reichten im Osten kaum über Paderborn hinaus. Siehe Baer: Landjudenschaft des Herzogtums Kleve, 64 – 65. Zum Heiratsverhalten innerhalb der Berliner Gemeinde, die Schwerpunkte in den mittleren Provinzen erkennen läßt, siehe Scheiger, S. 195 –201. Der nächsten Spandauer Generalversammlung, die im Juni 1763 einberufen wurde, konnte sich die Klevische Landjudenschaft freilich nicht entziehen und schickte den Bevollmächtigten Bendix Isaac. Siehe Cohen, Landjudenschaften in Deutschland, Bd. 1, S. 63 –66. 21 GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 c, Bl. 118. 22 Ebd., Bl. 128. 23 Baer, Landjudenschaft des Herzogtums Kleve, S. 59, 65. Ob angesichts dieser Zustände und der ihnen maßgeblich zugrundeliegenden Politik noch von „Landeskindern“ die Rede sein kann, bleibt freilich fraglich. 20

II. Die Berliner Ältesten und die Klevische Landjudenschaft

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Nachdem dieser dazu aufgefordert worden war, 200 Rt. an die Berliner Judenschaft zu zahlen, wandten sich die Vorsteher der Klevischen Landjudenschaft mit einer nicht mehr überlieferten Protestnote an die Behörden, in der sie offenbar auf die ursprünglichen Vereinbarungen von 1763 und auf den von der klevischen Judenschaft geleisteten Beitrag zu der damals gezahlten Summe von 70.000 Rt. hinwiesen, darüber hinausgehende Ansprüche aus Berlin hingegen zurückwiesen. 24 Die sich nun anbahnende Auseinandersetzung vollzog sich vor dem Hintergrund politischer Ereignisse im Rheinland, wie sie für die Landjudenschaft kaum verhängnisvoller hätten ineinandergreifen können. Denn zu den geschilderten Belastungen aus friderizianischer Zeit traten nun die Auswirkungen der Koalitionskriege und der französischen Expansion am Rhein hinzu: 1794 hatten die Truppen der Revolution das gesamte linke Ufer des Stroms besetzt, womit auch die Klevische Landjudenschaft als Gesamtkorporation zerfallen war. In den nahe gelegenen Niederlanden kam es 1796 nach der von Frankreich unterstützten Batavischen Revolution des Vorjahres zur bürgerlichen Gleichstellung der Juden. 25 Die Folgen des französischen Vordringens waren allerdings für die Juden links und rechts des Rheins grundverschieden. In den besetzten Gebieten, deren planmäßige Integration durch Frankreich 1798 nach dem Frieden von Campo Formio begann, 26 wurde den Juden 1802 gemeinsam mit dem revolutionären Recht „gleichsam über Nacht“ 27 auch die Emanzipation verordnet. Doch während die Behörden im benachbarten Herzogtum Berg die territorialen Veränderungen bei der Abgabenberechnung berücksichtigten, 28 mußten die bei Preußen verbliebenen 24 Dies geht wiederum indirekt aus dem bereits genannten Schreiben der Berliner Ältesten hervor. 25 Huussen jr., Gleichstellung der Juden; Ders., Die rechtliche Lage der Juden; Charpentier. 26 Aus den eroberten Gebieten wurden dabei die Departements Ruhr mit dem Hauptort Aachen, Saar mit dem Hauptort Trier, Rhein-Mosel mit dem Hauptort Koblenz und Donnersberg mit dem Hauptort Mainz gebildet. Siehe Ortlepp, S. 135; vgl. Graumann, S. 11; Feldmann. 27 Berding, Judenemanzipation in Deutschland, S. 242; Molitor; als Fallstudie für eine jüdische Gemeinde im nördlichen Ruhrdepartement, die, durch die neue Rechtslage begünstigt, in französischer Zeit prosperierte und Ansätze der Akkulturation zeigte, siehe Zittartz, Die französische Herrschaft im Rheinland und die Juden; auch in Köln, das beinahe 400 Jahre lang auf sein Jus de non tolerandis gepocht hatte, begann 1798 mit der Ansiedlung einer jüdischen Familie aus Mühlheim eine neue Ära. Siehe Magnus, S. 27; Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat, S. 49. Den sich aus der Summe dieser Befunde ergebenden Epochencharakter des Jahres 1794 für die jüdische Geschichte im Rheinland betonte jüngst Laux, Judenschutz und Judengesetzgebung, S. 32: „Die Geschichte der Juden – und das gilt für sämtliche Länder im Westen – ist wohl das eindrücklichste Beispiel dafür, dass die französische Herrschaft, die zwar sukzessive, aber doch konsequent, die Gleichstellung der Juden bewirkte, im Rheinland einen Bruch mit allem Früheren bedeutete. Nimmt man allein die Rahmenbedingungen jüdischer Existenz zum Maßstab, so markiert der Oktober 1794 mit dem Einmarsch französischer Revolutionstruppen im Rheinland daher weniger das Ende der Frühen Neuzeit als das des Mittelalters.“

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K. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 2 (1786 –1812)

Juden des Herzogtums Kleve fortan für alle bisherigen Abgaben und Verbindlichkeiten, die in gleicher Höhe weiter erhoben wurden, allein aufkommen. 29 In der Berliner Gemeinde zeigte man sich hingegen nicht geneigt, auf diese Rahmenbedingungen Rücksicht zu nehmen und den vorerst in der Hohenzollernmonarchie verbliebenen Teil der klevischen Judenschaft zu entlasten. Deren Älteste Liepmann Meyer Wulff, Liebmann Abraham und Salomon Veit, die von den Behörden zu einer Stellungnahme aufgefordert worden waren, beharrten vielmehr am 23. September 1798 auf ihren Ansprüchen, die ihnen aus dem 1769 geschlossenen Übernahmevertrag gegenüber den Landjudenschaften erwuchsen. Mit Ausnahme Pommerns, der Kurmark und Ravensbergs hätten sich demnach sämtliche zweiten Kinder einen Beitrag von 200 Rt. gefallen lassen müssen [...], ja sogar die Mitglieder unserer hiesigen Gemeinde, ob wir gleich den übrigen ansehnlichen Schaden der Fabrique aus wahrer Großmuth allein tragen und jedes Mitglied von uns, das auch das Recht des zweiten Kindes nicht genießet, dennoch zu diesem jährlichen Schaden contribuiret. Wenn einer aus unserer Gemeinde eine Concession auf das zweite Kind verlangt, muß [er] ebenfalls die Summe von 200 Rt. in Golde an uns entrichten. 30

Nachdem das Generaldirektorium die Klevische Kammer am 2. Oktober 1798 instruiert hatte, die dortigen Ältesten auf eine gütliche Einigung mit der Berliner Gemeinde oder gegebenenfalls auf den Rechtsweg zu verweisen, 31 kam es rasch zu einem gereizten Schriftwechsel zwischen den Ältesten Berlins und Kleves, in den sich schließlich auch die Behörden einschalteten. In dieser auszugsweise erhaltenen Korrespondenz erklärten sich die Berliner zwar grundsätzlich bereit, mit der klevischen Landjudenschaft zu einer ähnlichen Vereinbarung zu kommen, wie sie bereits mit den Landjudenschaften Pommerns, der Kurmark und Ravensbergs bestand. Dieses Angebot wurde jedoch sogleich durch die Forderung torpediert, 28

Fleermann, Marginalisierung und Emanzipation, S. 86. Insbesondere ging es dabei um die Zinslasten durch diverse Kredite, die rund 9.000 Rt. betragen haben sollen. Siehe Baer, Landjudenschaft des Herzogtums Kleve, S. 128. Die rechtsrheinischen Juden wandten sich wiederholt an die preußischen Behörden, um durch eine diplomatische Intervention bei der Französischen Republik zu einer Einigung mit der linksrheinischen Judenschaft zu gelangen. Nachdem durch den Vertrag von Schönbrunn (1805) auch der östliche Teil des alten Herzogtums an Frankreich gefallen war, wurden diese Bemühungen verstärkt, die durch die Abtretung Wesels an das Großherzogtum Berg jedoch wiederum unterbrochen wurden und erst nach den Befreiungskriegen wieder aufgenommen werden konnten. Nun war durch die Emanzipationsgesetzgebung jedoch auch die jüdische Gemeindeautonomie Geschichte und mit ihr die Autorität der ehemaligen Judenvorsteher – bildeten die Staatsbürger mosaischen Glaubens doch keine Korporation mehr, die man kollektiv hätte in Haftung nehmen können. Die fast unendliche Geschichte der klevischen Schuldentilgung konnte deshalb tatsächlich erst im Jahre 1858 zu einem Abschluß gebracht werden. Siehe Nienhaus, S. 61 – 69; Roden, S. 73 –76; Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat, S. 94, 149 – 154. 30 GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 2. 31 Ebd., Bl. 3. 29

II. Die Berliner Ältesten und die Klevische Landjudenschaft

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daß sich eine solche Vereinbarung im Falle Kleves rückwirkend auf die Jahre seit 1769 zu erstrecken habe. Schließlich hätten die dortigen Juden „bis jetzt noch nicht das mindeste beigetragen und denken erst nun, nach 34 Jahren, weil sie von dem Recht des 2. Kindes Gebrauch machen wollen, mit einer Kleinigkeit sich abzufinden“. 32 Falls es aber über eine solche rückwirkend zu zahlende Pauschalsumme zu keiner Einigung komme, müsse es bei der bisherigen Regelung bleiben. Auch das von den klevischen Ältesten vorgebrachte Argument, wonach bei den Zahlungen der zweiten Kinder Rücksicht darauf zu nehmen sei, ob sie in einer Groß- oder Kleinstadt lebten, sei unstatthaft. Die klevischen Ältesten hatten zuvor hingegen beklagt, daß die meisten klevischen Juden zur Aufbringung einer solchen Summe neben den übrigen Gebühren nicht im Stande seien, „wenn sie nicht gleich Anfangs ihres Etablissements so zurük gesezt werden sollen, um in der Folge als Handelsleute zu bestehen“ 33 – eine Haltung, in der sie durch den klevischen Kriegsrat Hermann massiv unterstützt worden waren. Dieser betrachtete das Ansinnen als „äußerst hart“, wonach die klevischen Juden fiskalisch mit „denen Juden Familien in großen Handlungs-Städten wie Berlin und Königsberg“ gleichgesetzt werden könnten. Stattdessen erfordere es die „Billigkeit“, daß der Beitrag zur Templiner Manufaktur „nach dem Verkehr der Städte und Provintzen [...] reguliret würde, denn was ein Berlinischer oder Königsbergscher Jude leistet, kann ohnmöglich in einem kleinen Land-Städtgen der Matthes Moses prästiren“. 34 Da die Berliner Ältesten bislang jedoch alle Verhandlungsangebote ihrer klevischen Kollegen brüsk zurückgewiesen hätten, seien, so meinte Hermann, erstere durch die Behörden dazu anzuhalten, den Juden in der westlichen Provinz Gerechtigkeit widerfahren zu lassen „und sich nicht einer ihnen gar nicht zustehenden Gewalt über sie anzumaßen“. Auch damit befand sich der Kriegsrat ganz auf der Linie der klevischen Judenältesten, die sich eine staatliche Intervention wünschten, um „die Berlinschen Oberlandes-Ältesten, die sich einer unbegrenzten Herrschaft über uns anzumaaßen scheinen, in ihre Grenzen zurückzuweisen“. 35 Die Berliner Gemeinde berief sich hingegen darauf, daß auch der 1769 abgeschaffte Zwang eines jährlichen Manufakturwarenexports unterschiedslos für alle preußischen Juden gegolten habe. Um ihre finanziellen Ansprüche an die Provinzialjudenschaften zu untermauern, überreichten die Berliner Ältesten in diesem Zusammenhang eine scheinbar nicht mehr erhaltene Auflistung aller Verluste der Templiner Manufaktur zwischen 1769 und 1790, die sich insgesamt auf beachtliche 31.989 Rt., 14 Gr. und 6 Pf. belief – nicht nur für die Klevische Kammer eine „fast unglaubliche Summe“. 36 Diese Schadensberechnung weckte auch den 32 33 34 35

So am 5. Dezember 1800, ebd., Bl. 15. Ebd., Bl. 5. Ebd., Bl. 8 – 9. Ebd., Bl. 12.

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K. Die Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur. Teil 2 (1786 –1812)

Argwohn der klevischen Ältesten, die angesichts der Koalitionskriege gegen das revolutionäre Frankreich gerade in den Jahren nach 1790 glaubten, nicht ohne Wahrscheinlichkeit einen besonders ergiebigern Ertrag voraussetzen [zu können], da die Fabricken in den Königlichen Obern Staaten [d. h. in den mittleren Provinzen] bekanntlich sich gehoben haben [...], weil der das südliche Deutschland verheerende Krieg alle Industrie und Commerz seit Jahren schon gänzlich niedergedrükt hat. 37

Dieser recht unverblümt artikulierte Vorwurf, in Berlin wolle man sich auf Kosten der Landjudenschaften bereichern, weckte den energischen Widerspruch der Ältesten aus der Hauptstadt, die es ihrer Meinung nach „ohne arrogant zu sein, eben nicht nötig haben, die gemeinschaftliche Casse auf Unkosten eines Dritten unbilligerweise zu bereichern“. Die Zweifel in Kleve beruhten stattdessen lediglich auf der Unkenntnis althergebrachter Templiner Arbeitsethik. So habe es sich zwischen 1780 und 1800 „mit der Templinschen Strumpf- und Mützen-Fabrique nicht einmal gebessert, wiewohl es im allgemeinen sich mit den Preußischen Fabriquen gebessert haben mag“, wobei die Stagnation in der Uckermarck als eine notwendige Folge der dortigen Betriebsorganisation zu betrachten sei. Alle in der Nähe Templins wohnenden und mit dem „Locale“ vertrauten Juden zahlten deshalb die von ihnen geforderten Beiträge seit jeher anstandslos. „Nur die Clevesche Judenschaft, die zu entfernt ist, um das Locale zu kennen und noch nie davon gehört hat, scheint unsere Forderung unbillig zu sein, weil sie ihnen neu ist.“ 38 Das Generaldirektorium beauftragte angesichts dieser innerjüdischen Streitigkeiten am 18. Dezember 1800 das Fabrikendepartement mit einem Gutachten über den Zustand der Manufaktur, 39 wozu Karl August von Struensee (1735 – 1804), Chef des kombinierten Akzise-, Zoll-, Fabriken-, Manufaktur- und Kommerziendepartements, 40 sich jedoch nicht in der Lage sah. Aufgrund des in den vorangegangenen Jahren konzessionsmäßig laufenden Betriebes hätte bislang keine Veranlassung zu genaueren Nachprüfungen bestanden, so daß detaillierte Informationen zum Geschäftsgang nicht zur Hand seien. Falls es in Templin jedoch tatsächlich zu andauernden Verlusten käme, lägen diese nicht in den vertraglichen Modalitäten von 1769 und einer angeblichen Bindung an die Arbeiter begründet, denn zahlreiche Unternehmer, die sich in den vorangegangenen Jahren zu 36

Ebd., Bl. 5. Ebd., Bl. 5 – 6. Tatsächlich waren es eher die Jahre nach dem Baseler Frieden von 1795, die sich positiv auf den Stand der preußischen Manufakturwarenproduktion auswirkten. Siehe Philippson, Geschichte des Preußischen Staatswesens, Bd. 2, S. 164 –166. 38 GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 17. 39 Ebd., Bl. 17. 40 Zur Person Straubel, Struensee; zum kombinierten Departement Ruppel-Kuhfuss, S. 109 – 119; über die den Juden sehr aufgeschlossene Haltung von Struensees jüngerem Bruder Johann Friedrich (1737 – 1772), dem kurzzeitigen und schließlich hingerichteten dänischen Staatsmann, berichtet Winkle. 37

II. Die Berliner Ältesten und die Klevische Landjudenschaft

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ähnlichen Konditionen hätten bereitfinden müssen, befänden sich „bey solchem Zwange, der auch ihren Arbeitern bekannt ist, der sich aber nicht so weit erstreckt, daß die Entrepreneurs an einen einzelnen Arbeiter gebunden sind, sehr wohl“. 41 Falls die Berliner Judenschaft wirklich daran interessiert gewesen wäre, die Templiner Manufaktur „zu einer dem Ganzen Gewinne bringenden Anstalt zu machen“, hätten sie dazu „bey den in Händen habenden großen Mitteln“ im Laufe der Jahre Gelegenheit genug gehabt. Auch jetzt noch bestünden bei ausreichender Finanzierung gute Möglichkeiten, die Anzahl der Stühle zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen, wie dies auch Unternehmern aus Halle und Magdeburg gelungen sei – Städte, die mit Templin doch in keiner Weise zu vergleichen waren. Chancen für eine Ausweitung der Produktion böten sich vor allem deshalb, weil es nach der zweiten und dritten polnischen Teilung (1793/95) „bey der Vergrößerung der Monarchie an dergleichen ordinairen Wollen-Strumpf-Waaren im Ganzen im Lande annoch fehlet und deshalb für Süd- und Neuost-Preußen noch die Sächsischen Waaren dieser Art eingelassen werden“ müßten. 42 Da man staatlicherseits, so Struensee weiter, jedoch nicht das Recht habe, die Judenschaft zu weiteren Investitionen zu zwingen, müsse es wohl oder übel bei den gegenwärtigen Zuständen verbleiben. Struensee machte es sich hingegen etwas zu leicht, wenn er den Kolonistenstatus der Strumpfstricker mit Blick auf § 6 Abs. E des Vertrages von 1769, der dem Unternehmer ausdrücklich die Entlassung unbrauchbarer Arbeiter zugestand, für unproblematisch erklärte. Auf die zahlreichen Probleme zwischen den zugezogenen Fabrikanten und Eschwege wurde oben bereits hingewiesen. Aufgrund des Übernahmevertrages von 1769 standen beide Parteien in erster Instanz unter der Jurisdiktion des Templiner Magistrats. Und wie dieser sich im Zweifelsfall entschied, geht noch aus einem Bericht des Fabrikendepartements aus dem Jahre 1809 hervor, auf den hier vorgreifend eingegangen sei. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Templiner Manufaktur mit Christian Friedrich Düntz bereits von einem christlichen Subunternehmer geleitet, was diesem jedoch ebensowenig wie Eschwege zu einer allzu starken Position gegenüber den Fabrikanten verholfen zu haben scheint. So klagte man im Fabrikendepartement über die „schlechten Arbeiter der Fabrik, gegen welche, weil sie auf ihr eingebildetes Recht, unzertrennlich zur Fabrik zu gehören, trozten, ihm [Düntz] gar keine Hülfe von Seiten des dortigen Magistrats verschafft wurde“. 43 So war es dem Unternehmer nicht einmal gelungen, sich eines Mannes namens Oettinger zu entledigen: Obwohl es sich bei 41 Gutachten vom 1. Januar 1801, GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 20. 42 Vielleicht darf man eine indirekte Untermauerung von Struensees Aussage darin erblicken, daß die Wollstrumpfproduktion innerhalb des Textilgewerbes unerwähnt bleibt bei Simsch, Die Wirtschaftspolitik des preußischen Staates in der Provinz Südpreußen. Zum südpreußischen Textilgewerbe allgemein siehe ebd., 74 – 80; vgl. auch das Publikandum vom 4. September 1797 bei Heerwagen, S. 171.

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diesem um „ein vorzüglich unbrauchbares Subject“ gehandelt habe, hätte Düntz den Prozeß zu seiner Entlassung in drei Instanzen verloren. Auch der Berliner Älteste David Hirsch bezeugte 1809 bereitwillig, daß der Unternehmer, während er in Templin war, den niedrigsten Chicanen schlechter Arbeiter, die der Fabrik durch die üble Gewohnheit, ihnen bei jeder Frierung Wartegelder zu zahlen, gleichsam eisern geworden waren, unaufhörlich ausgesezt gewesen ist und sich wegen seines zu graden Betragens des Schutzes der Obrigkeit nicht besonders zu erfreuen gehabt

habe. 44 Vor diesem Hintergrund mag man sich vorstellen, in welcher Position sich ein jüdischer Unternehmer in den Jahrzehnten zuvor befand, auch wenn direkte Hinweise auf gescheiterte Versuche Eschweges, sich einzelner Fabrikanten zu entledigen, fehlen. Doch zurück zur Auseinandersetzung zwischen den Judenschaften Berlins und Kleves, in der das Generaldirektorium am 22. Januar 1801 für letztere Partei ergriff. Denn einerseits, so meinten die Beamten, seien etwaige Verluste angesichts der wirtschaftlichen Gesamtsituation allein einer mangelhaften Administration des Betriebs durch die Berliner Judenschaft geschuldet, wofür die Provinzjudenschaften nicht über Gebühr herangezogen werden könnten. Nach Durchsicht der Akten aus den 60er Jahren habe sich zudem ergeben, daß der Zwang zum Kauf der Templiner Strümpfe, der schließlich den Stein zur Übernahme der Manufaktur ins Rollen brachte, eigentlich nur die in der Kurmark etablierten Juden betroffen habe. Es sei zwar denkbar, daß die Juden in den übrigen Provinzen durch den Übernahmevertrag im Vergleich zu den zuvor geltenden jährlichen Exporten gewonnen hätten, „allein in Ansehung der Westphälischen kann dieses nicht behauptet werden, da z. B. Westphälische Leinwand, Metallische und andere Fabricaten stets sehr gangbare Waaren in das Ausland gewesen sind.“ 45 Wenn das Generaldirektorium den Oberlandesältesten deshalb vorschrieb, auf diese Sachverhalte Rücksicht zu nehmen und mit der klevischen Judenschaft zu einer gütlichen Einigung zu gelangen, so lief dies faktisch auf eine Relativierung von § 8, Abs. C des Vertrages von 1769 hinaus, der den Berliner Ältesten bei der internen Regelung der Finanzierung freie Hand gelassen hatte. Die Angesprochenen verwahrten sich jedoch gegen den Vorwurf schlampiger Aufsicht durch die Gemeinde, die selbst über die Hälfte der finanziellen Last trüge, und verwiesen stattdessen erneut auf strukturbedingte Faktoren. Vor allem seien sie durch den Übernahmevertrag verbunden gewesen, auch Arbeiter, die sich „unersättlich und 43 Dieses und die folgenden Zitate: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 77 – 80. 44 In der Tat hatte sich Düntz am 3. März 1807 nach Niederlagen in zwei Instanzen gegen Oettinger hilfesuchend an das Fabrikendepartement gewandt, war von diesem jedoch abgewiesen worden. Bei Klagen über die mangelnde Unterstützung des Unternehmers durch den Templiner Magistrat saß man im Departement also recht eigentlich im Glashaus. Siehe ebd., Bl. 54 – 55, 64. 45 GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 24.

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chicaneuse“ zeigten, weiter zu beschäftigen, da deren Kolonistenstatus eine Kündigung nicht erlaubt habe. 46 Auch der Ansicht, wonach die westfälischen Juden von dem nach 1763 zunächst geltenden jährlichen Zwangsexport weniger hart betroffen gewesen seien, traten die Berliner entgegen. Stattdessen sei jährlich eine Summe von 200 Rt. verloren worden, weil westfläische Manufakturwaren nicht als einländisch gegolten hätten und Juden aus den westlichen Provinzen demnach zum Handel mit Berliner Produkten verpflichtet worden seien. 47 Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung scheint jedoch zumindest zweifelhaft zu sein. Denn obwohl die westlichen Provinzen zollpolitisch in der Tat als Ausland behandelt wurden 48 und sich entsprechende Exportquittungen westfälischer Juden nicht mehr erhalten haben, ist kaum zu vermuten, daß beispielsweise in der ravensbergischen Textilregion jüdische Zwangsexporte jemals mit Produkten aus den ostelbischen Provinzen abgegolten worden sind. Auch der auf 200 Rt. bezifferte jährliche Schaden wirkt etwas konstruiert, da es sich just um die gleiche Summe handelt, die nun lediglich einmalig für die Manufaktur aufzuwenden war. In den Akten fand sich für diese Behauptung der Oberlandesältesten keinerlei Beleg. Wenngleich die Berliner Gemeindevertreter also die Argumente ihrer klevischen Gegner weitgehend zurückwiesen, blieb ihnen angesichts der Haltung des Generaldirektoriums doch nichts anderes übrig, als wohl oder übel in Unterhandlungen mit der Klevischen Landjudenschaft einzuwilligen, wozu diese einen Bevollmächtigten in die Hauptstadt schicken solle. Doch eskalierte der Streit in den kommenden Jahren noch weiter. Nachdem es auch bis zum 25. März des Folgejahres 1802 offenbar zu keiner Einigung gekommen war, gab das Generaldirektorium deutlich sein Mißfallen darüber zu verstehen, daß die Berliner Ältesten scheinbar nicht bereit seien, sich gütlich mit der klevischen Judenschaft, die „durch den Krieg in so üble Lage gekommen“ sei, zu einigen. Deshalb könne man behördlicherseits bei zukünftigen Ansetzungsgesuchen klevischer Juden auf das Recht des zweiten Kindes diese nicht mehr zu einer Zahlung der bislang geforderten 200 Rt. an die Berliner Gemeinde zwingen, sondern müsse diese Angelegenheit ganz den Oberlandesältesten überlassen. 49 Die Behörden entfernten sich also immer weiter von den 1769 getroffenen Vereinbarungen, wonach ein von den Berliner Ältesten ausgestelltes Attest bei allen Konzessionen für zweite Kinder (mit Ausnahme Schlesiens und Ostfrieslands) konstitutiv sein sollte. Einige Wochen später, am 14. April, als es um die Ansetzung von Salomon Amsel aus Emmerich ging, schärfte das Generaldirektorium den Oberlandesältesten nochmals in spitzem Ton ein, daß sie sich um eine gütliche Einigung zu bemühen 46

GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 26. Ebd., Bl. 26 – 27. 48 Vgl. Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg, S. 69; A.B.Z.A., Bd. III/1, S. 565, 647. Der Konkurrenzfähigkeit der Manufakturen in den westlichen Provinzen tat diese Maßnahme jedoch keinen Abbruch. Siehe Kisch, S. 31; Barkhausen, S. 203. 49 GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 30. 47

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hätten, da es ihnen angesichts der schwierigen Lage der Kleveschen Judenschaft „an Gründen zu milden Gesinnungen“ nicht fehlen könne. So sei die Abtrennung der linksrheinischen Gebiete ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, daß ein klevescher Beitrag zur Templiner Manufaktur erst in jüngerer Zeit von den Oberlandesältesten gefordert werde. Nach Durchsicht der Akten erhärte sich der Eindruck, daß diese bisherige Befreiung aus der Tatsache herrühre, daß Anfangs nur die Judenschaft hiesiger Provinz tributair seyn solle, sie es aber nachher dahin zu bringen gewußt, daß es auf alle Judenschaften der Königl. Provinzen ausgedehnt worden, welches zugleich zur Antwort auf die an sich höchst unschickliche Äußerung dienet, daß Supplicanten nicht wüßten, durch welchen Canal die gedachte Judenschaft ohne eine Abfindung vorhin durchgekommen sey. 50

Doch auch ein weiteres Jahr später, am 6. Mai 1803 – der Westen Deutschland war immer noch nicht zur Ruhe gekommen, sondern sah den Folgen des Reichsdeputationshauptschlusses entgegen – wandten sich die Ältesten der klevischen Judenschaft, Isaac Simon und Hirsch Zaudy, wiederum an die Behörden. Nach den von ihnen in Abschrift eingereichten Dokumenten hatten sie den Berliner Ältesten bereits im Mai 1802 eine jährliche Zahlung in Höhe von 25 Rt. angeboten und darauf hingewiesen, daß die klevische Judenschaft in Folge der politischen Ereignisse um mehr als die Hälfte und somit auf „einen kleinen Haufen“ geschrumpft sei und folglich nicht mehr leisten könne. 51 Die geharnischte Antwort aus Berlin ließ nicht lange auf sich warten und sei aufgrund ihres Tones hier ausführlich zitiert: Dieses Ihr Schreiben bekräftigt unsere anfangs gegen Ihnen geäußerte Mainung, daß wir durch Correspondenz wegen Ihre Abgabe zur Templinsche Fabrique nicht zum Zweck kommen werden. Denn es würde kein Bevollmächtigter die Dreystigkeit gehabt haben, die von Ihnen gemachte Offerte mündlich zu machen, auch würde niemand mündlich eine solche Rechnung aufzustellen gewagt haben, wie Sie es zu thun belieben. So wenig wir uns nun zu Ihrer Offerte verstehen können, so wenig werden wir an Amsel aus Emmerich ein Attest ohnentgeltlich geben, auffallend ist es, daß es ein unvermögender Mann sein soll und doch an den General Directorium geschrieben, daß er schon 40 Stück Fried. d’or anher geschickt hat. [...] Wir begnügen uns noch zu bemerken, daß wir durch unsere Mitglieder, welche bey dem letzten Krieg in Ihre Gegend waren, hinlänglich unterrichtet sind, daß sie als Häupter der Gemeinen unrecht thun, wenn sie ihre Provinz so herunter setzen. Hierauf hat Salomon in seine Sprüche gesagt: Mancher thut arm und besitzt großen Schatz. 52 Sie sollten dieses der Wahrheit gemäß nicht thun, sondern der Billigkeit zur Hand nehmen und bedenken, was unsere Gelehrte gesagt haben: trage die Lasten mit deinem Nächsten. Wann Sie also eben so wie wir alle Weitläuftigkeiten evitiren wollen und ihre Meinung wahr und aufrichtig ist zum Vergleich zu kommen, so 50

Ebd., Bl. 31 – 32. So nach dem in Abschrift beiliegenden Schreiben an die Berliner Ältesten, Wesel, 12. Mai 1802, GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 36. 52 Sprüche Salomo, 13,7: „Mancher stellt sich reich und hat nichts, und mancher stellt sich arm und hat großes Gut.“ 51

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werden sie nach unserer Einsicht gut thun, einen Bevollmächtigten allhier zu bestellen, und wir überzeugen uns, daß wir mit demselben, es mag sein, wer es wolle, auf eine oder die andere Art fertig werden, denn wir wiederholen nochmals, daß wir schriftlich nicht fertig werden und daß wir alle Zänkereyen bey die Departements vorbeugen, jedoch wenn sie sich gar nicht beugen lassen wollen, so können wir sagen, unsere Hände haben dieses Blut nicht vergossen. 53

Die Klever antworteten daraufhin in gleichfalls spitzem Ton und behaupteten, sie hätten bereits mehrmals geschrieben, daß das zusammengeschmolzene „Häufgen“ der klevischen Judenschaft es sich nicht leisten könne, einen Bevollmächtigten nach Berlin zu entsenden, wobei dieser es scheinbar ohnehin nicht wagen dürfe, eine Rechnung aufzustellen, die den Oberlandesältesten nicht gefalle. 54 Hinsichtlich der Templiner Manufaktur sei es fraglich, ob sie überhaupt zu deren angeblichen Verlusten beitragen müßten oder ob der Betrieb „nicht besser verwaltet werden könnte, gleich es das General Fabriquen und Comercial Departement zu erkennen gegeben“. Letzteres habe die Oberlandesältesten doch „schon einige mahl belehrt, daß die Fabrique nur die Cuhr Mark eigentlich angehet und uns Westphälinger in Sonderheit nicht“. Auch über die Vermögensverhältnisse der Juden am Rhein sei man offenbar in Berlin nur oberflächlich unterrichtet: Daß Sie durch einige aus ihrer Mitte, welche bey dem letzten Krieg in unserer Gegend waren, unterrichtet worden sind, daß wir als Häupter der Gemeinde unrecht thun, daß wir unsere Provinz herunter setzen, Sie thun es vielmehr als Oberhäupter der Gemeinde, wann sie Leuten Glauben beimessen, welche ihr Glück durch Krieg gesucht haben, wir suchen unser Glück in Frieden (Gott gebe es), wir können aufrichtig und treulich versichern, daß wir leider durch den Krieg und jetzige darauf erfolgte Lage in unserer Provinz Neun Theil welche verlohren, gegen ein Theil welche gewonnen haben, und wann wir auch einige in unsere Provinz haben, welche durch den Krieg ihr Glück gemacht haben, diese geben und übertragen den Gemeinen nicht, glauben vielmehr, daß das Glück vor ihnen bestimmt und nicht für das Publicum, und dieses Systeme ist wohl allgemein, daß der Große den Kleinen nicht gern unterstützt, ja zu Zeiten wohl gar zu unterdrücken sucht. 55

Nachdem die klevischen Ältesten auf dieses letzte Schreiben, das mit dem Bekenntnis „Biegen wollen wir uns wohl lassen aber nicht brechen“ endete, 53

GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 37. Ebd., Bl. 38. In früheren Jahren hatte die Klevische Landjudenschaft mit dem 1779 verstorbenen Gumpel Salomon Minden noch einen eigenen Vertreter in Berlin gehabt, der insbesondere in Fragen der Erteilung von Schutzbriefen aktiv wurde. Offenbar erhielt er dafür von jedem jüdischen Antragssteller die Summe von 5 Rt. als Aufwandsentschädigung. Siehe Cohen, Landjudenschaften in Deutschland, Bd. 1, S. 63 –66. Aufgrund der 1728 eingeführten solidarischen Haftbarkeit bei der Schutzgeldzahlung hätte die Klevische Landjudenschaft eigentlich über einen solchen Vertreter verfügen müssen, da das Generaldirektorium in jenem Jahr bestimmte, daß jede Provinz einen Bevollmächtigten nach Berlin zu entsenden hätte, der dort die Gelder seiner Judenschaft an den Generalfiskal weitergab. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 463. 55 GStA PK, II. HA, Kleve, Tit. CLXI, Sekt. I, Nr. 14, Bl. 38 –39. 54

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offenbar keine Antwort mehr erhalten hatten, wandten sie sich also wiederum an das Generaldirektorium und stellten auch hier die bedrängte Lage der rheinischen Judenschaft vor. Hinsichtlich der „traurigen Lage“, in der man sich ebenso wie die christliche Kaufmannschaft seit der französischen Okkupation des linken Rheinufers befände, beriefen sich die Supplikanten auf die Gutachten der Kammer und hoben hervor: Wenn nun noch zu diesem Druck der kommen soll, daß die Berlinsche Oberlandes Ältesten in ihrer Forderung wegen eines Beytrags behuf einer Fabrique, von deren Einrichtung und Fortgang, Gewinn und Verlust wir nicht die geringste Kenntniß haben, zu deren Aufrechthaltung ursprünglich nur die Churmärkische Judenschaft verpflichtet ist, nicht herabstimmen wollen, so würden wir vollends ruinirt und die Anzahl der lasttragenden Juden Familien immer geringer werden. 56

Das Generaldirektorium schlug sich denn auch wiederum auf die Seite der klevischen Ältesten und gab den Berlinern im Mai 1803 zu verstehen, daß kein Grund bestünde, wonach die Differenzen nicht auch auf schriftlichem Wege beigelegt werden könnten, wie in Kleve gewünscht. 57 Da zwischenzeitlich, wie noch zu schildern sein wird, wiederum über eine gänzliche Aufgabe der Manufaktur durch die Judenschaft verhandelt wurde, ließen sich die Berliner Ältesten bis zum August 1803, als diese Sondierungen erneut gescheitert waren, mit ihrer Antwort Zeit. Man hielte zwar weiterhin die Angebote aus Kleve für vollkommen unangemessen, doch wolle man diesen „Zankapfel“ dennoch aus dem Wege räumen und erkläre sich mit einem jährlichen Beitrag in Höhe von 50 Rt. einverstanden. 58 Auf Basis dieses Vorschlags scheint der seit fünf Jahren schwelende Streit tatsächlich beigelegt worden zu sein, denn nachdem das Generaldirektorium die Kammer in Kleve am 6. September 1803 über die Offerte der Oberlandesältesten informiert hatte, 59 verschwindet die Angelegenheit aus den Akten. Der Konflikt zeigt jedoch nachdrücklich, wie umstritten die von der christlichen Obrigkeit gewollte Führungsrolle der Berliner Oberlandesältesten auch am Ende des Jahrhunderts innerhalb der preußischen Gesamtjudenschaft vielfach noch war. So ließe sich dieses Kapitel mit den Zeilen beenden, mit denen Georg Mestwerdt im Jahre 1909 seine Geschichte des Herzogtums Kleve in friderizianischer Zeit beschloß: „Nicht viel Erfreuendes, Erhebendes ist dem Leser auf den vorhergehenden Seiten geboten worden. Das Verwachsen des Landes mit Brandenburg-Preußen war mit Opfern verbunden, die mit großer Selbstüberwindung gebracht werden mußten, wenn eine preußische Gesinnung aufkommen sollte. Von dieser konnte, abgesehen von einzelnen Geschlechtern, kaum die Rede sein.“ 60 Als Jude im Rheinland ein Jahresgehalt zu opfern, um eine defizitäre 56 57 58 59

Ebd., Bl. 34. Ebd., Bl. 40 – 41. Ebd., Bl. 42. Ebd., Bl. 43.

III. Von Abraham Jacob Eschwege zu Christian Friedrich Dünz

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Wollstrumpfmanufaktur in der Uckermark am Leben zu erhalten, dürfte in der Tat ein beträchtliches Maß an Selbstüberwindung gekostet haben – ob damit bei den Betroffenen das Entstehen einer preußischen Gesinnung befördert wurde, darf allerdings bezweifelt werden. Insofern entsprach dem auf gesamtstaatlicher Ebene zu beobachtenden Integrationsproblem durchaus eine ähnliche Gemengelage im jüdisch-korporativen Bereich. So war auch für die Berliner Ältesten das Herzogtum Kleve Teil eines „schwierigen Westens“, 61 mit dessen Landjudenschaften, deren Vertreter sich als „Westphälinger“ verstanden, man bereits bei der Repartition der Schutzgelder oft genug im Streit lag. 62

III. Von Abraham Jacob Eschwege zu Christian Friedrich Dünz (1801 –1806) Während der Streit zwischen der Berliner und der klevischen Judenschaft schwelte, beschäftigte die Templiner Manufaktur die Behörden noch aus einem anderen Grund. Denn wenn Struensee im Januar 1801 noch schrieb, man habe wegen des konzessionsmäßigen Betriebes der Fabrik bislang keinen Anlaß zu deren näherer Inspektion gesehen, so wurde dieser Befund bald hinfällig. Am 5. Oktober des Jahres beschwerten sich zehn Templiner Fabrikanten über Mangel an Arbeit, angeblich hervorgerufen durch Eschweges Mißwirtschaft und einen permanenten Mangel an Garn. Zudem werde, auch dies eine wohlbekannte Klage, das wenige vorhandene Garn in nassem Zustand geliefert und müsse erst langwierig getrocknet werden, bevor es verwendet werden könne, ohne dabei die Stühle zu ruinieren. 63 Struensee befahl daraufhin umgehend dem Manufaktur- und Kommerzkollegium, den Assessor Heinrich Wilhelm Heerwagen nach Templin zu entsenden, um die Manufaktur einer gründlichen Inspektion zu unterziehen. Dabei solle insbesondere untersucht werden, ob das Inventar noch mit den 1769 übergebenen Gerätschaften übereinstimme, wie viele Ausländer bei der Manufaktur beschäftigt würden, wie Wolle und Garn beschaffen seien und wohin die in ihrer Qualität zu überprüfenden Waren verkauft würden. Schließlich solle Heerwagen auf Basis seiner Untersuchungsergebnisse Vorschläge unterbreiten, wie die Manufaktur, wohlgemerkt ein seit rund 35 Jahren bestehender Betrieb, nunmehr „zu einer wirklich nützlichen Anstalt zu machen“ sei. 64 60

Mestwerdt, Das clevische Land, Bd. 2, S. 94. Vgl. mit Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert Mölich / Pohl / Veltzke. 62 So hatten die Berliner Oberlandesältesten beispielsweise 1790/92 einen erfolglosen Prozeß gegen die Judenschaften von Minden, Ravensberg, Tecklenburg und Lingen angestrengt, um angeblich oder tatsächlich rückständige Schutzgelder in Höhe von 3.369 Rt. einzuklagen. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 542 –543. 63 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 109 –111. 64 Struensee an das Manufaktur- und Kommerzkollegium, Berlin, 15. Oktober 1801, GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 1 –2. 61

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Da der Beamte, der sich nun auf den beschwerlichen Weg in die Uckermark machte, seine ökonomischen Vorstellungen sieben ereignisreiche Jahre später in einer „Anleitung zur richtigen Kenntniß der Preußischen Staatswirthschaft“ publizierte, lohnt es sich wohl, sich zunächst diesem Werk zuzuwenden, um den wirtschaftspolitischen Horizont dieses einer jüngeren Generation angehörenden Assessors auszuloten. Die Zielrichtung des Buches war zunächst eine defensive, richtete es sich doch gegen ein im Vorjahr erschienenes Werk August Wilhelm Rehbergs (1757 – 1836), 65 eines Hofrats aus Hannover und Mitglieds der Göttinger Akademie der Wissenschaften, wo man spätestens seit der kurzfristigen preußischen Okkupation des Jahres 1806 nicht eben gut auf Berlin zu sprechen war. Rehberg, in dem Heerwagen denn auch einen „blindlings für sein Vaterland eingenommenen Hannoveraner“ 66 ausmachte, hatte in seinem Buch aus altständischliberaler Position deutliche Kritik am friderizianischen System geübt und Friedrich den Großen in die Reihe derjenigen Regenten eingefügt, „die ihren großen Beruf auf dem Paradeplatz studirten“. 67 Fürsten dieses Typs seien „von einer Wuth ergriffen, alles zu vernichten, was aus alter Landesart hervorgegangen, und im eigenthümlichen Charakter der Einwohner einer besondern Gegend gegründet ist, um allenthalben Vorschrift und Befehl an die Stelle zu setzen“. Aus Rehbergs Perspektive erschien deshalb auch die preußische Beamtenschaft als Korps dumpfer Fürstenknechte, so daß es kein Wunder war, wenn seine Schrift östlich der Elbe lebhaften Widerspruch fand. So hatte vor Heerwagen bereits der aus Hannover stammende und mittlerweile im preußischen Justizdienst tätige Friedrich von Bülow (1762 –1827) eine Gegenschrift verfaßt. 68 Heerwagen, zu diesem Zeitpunkt Kriegsrat und Assessor im Manufakturkollegium sowie der Technischen Deputation, setzte es sich deshalb zum Ziel, auch auf seinem Fachgebiet, mithin der Gewerbepolitik, gegen den „Zerrbildner“ 69 Rehberg das ernstliche Bestreben der Preußischen Regierung, diese [Privat-] Industrie zu erwecken, zu leiten und zu befördern, näher zu entwickeln, und die günstigen Erfolge davon durch einzelne, vorzüglich aus der Zeit der letzten drey Regierungen [also Friedrichs II. sowie Friedrich Wilhelms II. und III.], herausgehobene Thatsachen zu bestätigen. 70 65 Rehberg, Über die Staatsverwaltung deutscher Länder und die Dienerschaft des Regenten. 66 Heerwagen, S. 272. 67 Ebd., S. 29. 68 Bülow, Bemerkungen. In der ADB fiel Bülows Werk übrigens durch. Siehe Frensdorff : „Dem geistreichen Denker, dem gewandten Stilisten [Rehberg] war er [Bülow] nicht gewachsen; steif und eckig nimmt sich seine Erwiderung gegenüber den scharfen Sarkasmen Rehberg’s aus; Bülow’s Bemerkungen sind eine vergessene politische Broschüre; Rehberg’s Schrift behauptet eine Stelle in der Geschichte der Wissenschaft.“ 69 Heerwagen, S. 26. 70 Ebd., Vorrede.

III. Von Abraham Jacob Eschwege zu Christian Friedrich Dünz

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Der doppelten Herausforderung durch zerrbildnernde Hannoveraner und die Französische Revolution war denn wohl auch das breiten Raum einnehmende Lob zahlreicher sozialpolitischer Errungenschaften der preußischen Regierung geschuldet, deren Sorgfalt „für die Erhaltung des Lebens und der Gesundheit der Einwohner“ 71 (also nicht mehr der Untertanen) in zahlreichen Einrichtungen wie beispielsweise den Landarmenanstalten und Invalidenhäusern zum Ausdruck gekommen sei. Hinsichtlich der preußischen Manufakturpolitik bot Heerwagen einen Überblick der wirtschaftlichen Entwicklung seit dem Großen Kurfürsten, jedoch mit deutlichem Schwerpunkt auf den ihm durch eigene Tätigkeit vertrauten Jahren seit Bestellung Struensees zum Chef des Fabriken- und Kommerzialdepartements im Jahre 1791. Mit Blick auf die Templiner Manufaktur besonders aufschlußreich ist dabei Heerwagens Einstellung gegenüber dem überkommenen friderizianischen Fabrikensystem, das er selbst für die Jahre um 1800 noch als grundsätzlich notwendig ansah, „da die Industrie Englands sich fast in allen Zweigen als eine so kräftige Nebenbuhlerin zeigte“. 72 Daß aus diesem Grunde nach 1786 kein vollständiger wirtschaftspolitischer Kurswechsel, sondern eher graduelle Änderungen vorgenommen worden waren, hielt Heerwagen deshalb für richtig und verwies beispielsweise auf einen differenzierteren Umgang mit der Vergabe von Monopolen: Dabei wurde von der Regierung die Bewilligung von ausschließlichen Privilegien oder Monopolien gänzlich beseitigt und die etwa noch bestehenden gegen eine billige Vergütigung aufgehoben, da die Fabrikenindustrie nunmehr schon festern Fuß gefaßt hatte, und es ausgemacht ist, daß dergleichen Privilegien, wenn sie beständig fortdauern, oft die Unternehmungen anderer Mitbürger in eben den Fabrikationszweigen hindern und zugleich die Industrie des Privilegirten selbst lähmen, weil er nun von jedem Nacheifer befreiet bleibt; außerdem aber auch den Verbraucher bedrücken, da er die Wohlfeilheit des Preises, die aus der Concurrenz entsteht, entbehren, und mit der Waare zufrieden sein muß, wie sie geliefert wird, ohne die Wahl der verschiedenen Handarbeit zu haben. 73

Wenngleich man den publizistischen Anlaß von Heerwagens Schrift zu berücksichtigen hat, so gilt es vor diesem Hintergrund doch festzuhalten, daß es sich keineswegs um einen Vertreter liberaler Freihandelskonzepte handelte, der nun, 1801, aufgerufen war, die Templiner Manufaktur zu inspizieren und Vorschläge zur Verbesserung ihrer Betriebsorganisation zu unterbreiten. Denn noch 1808 stellten sich für Heerwagen der preußische – d. h. hier: der friderizianische – Staat als cum grano salis bestens administriert und „1806“ lediglich als vorübergehender Betriebsunfall dar. Insofern wird man in dem jungen Assessor einen Vertreter 71 72 73

Ebd., S. 12. Ebd., S. 146. Ebd., S. 144 – 145.

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eher spätmerkantilistisch-bürokratischer Vorstellungen zu erblicken haben, dessen Affinität zu liberalen Reformgedanken durchaus begrenzt war. Die Besichtigung der Templiner Manufaktur, um auf diese nun zurückzukommen, fand am 11. Oktober 1801 statt. Dabei traf Heerwagen jedoch anstelle des angeblich in Berlin weilenden Eschwege lediglich dessen Tochter Hanna an, die die Führung durch den Betrieb übernahm und dabei erklärte, es lebten in Templin direkt oder indirekt etwa 200 Menschen von der Manufaktur. Allerdings habe ihr Vater bei der Rohstoffbeschaffung mit einigen Problemen zu kämpfen, da es die Angehörigen der Templiner Garnison 74 vorzögen, sich mit anderen Handarbeiten als dem Spinnen beschäftigten. Auch der Absatz der Strümpfe auf Jahrmärkten falle angesichts der wachsenden Konkurrenz durch Baumwollprodukte schwer. Dennoch würden momentan 26 Stühle betrieben, wovon sich wie ehedem jeweils zwei in den Wohnungen der Meister befänden. Diesen würde weiterhin die Miete sowie im Falle von Arbeitsstockungen ein wöchentliches Ruhegeld in Höhe von einem Rt. und neun Gr. ausgezahlt. Während der Ortsbegehung beklagte sich hingegen die Ehefrau des Strumpfwirkermeisters Bodenkranz, daß „die Noth der für die [...] Fabrike arbeitenden Meister groß sey, da oft die Stühle unbeschäftiget blieben und die Frauen und Kinder der Meister, seitdem die Garnison sich hier befände [also seit 1799], nicht mehr von der Fabrike durch Spinnen beschäftiget würden.“ 75 Ihr Ehemann gab derweil an, daß die Manufaktur, bei der im Gegensatz zu Hanna Meyers Angaben lediglich zehn Meister und fünf Gesellen auf 15 Stühlen beschäftigt seien, hauptsächlich an der schlechten Versorgung mit Wolle leide. Auch der Arbeitslohn von wöchentlich 1 Rt. und 12 bis 13 Gr. für 10 – 12 Paar feine bzw. 12 –14 Paar grobe Strümpfe sei zu gering, um davon leben zu können und deshalb auch die Ursache für die Klageschrift bei den Behörden gewesen. Nach dieser Ortsbegehung und einer scheinbar sorgfältigen Durchsicht der Bücher erstattete Heerwagen schließlich am 19. November einen gründlichen, um Ausgewogenheit bemühten Bericht. 76 Danach befanden sich die vorgefundenen Stühle in schlechtem Zustand, nicht zuletzt deshalb, da Stuhlschlosser Schätzing bereits seit vier Jahren tot sei und sich der Strumpfwirker Blümerer bei seinen Reparaturbemühungen nur auf die Hilfe lokaler Schlosser und Schmiede stüt74 Zwischen 1794 und 1799 hatte sich in Templin keine Garnison befunden. Auf dringende Bitte des Magistrats wurden schließlich vier Grenadierkompanien des in Prenzlau liegenden Infanterieregiments Nr. 12 (Prinz Wilhelm von Braunschweig) sowie des in Neuruppin stationierten Regiments Nr. 34 (Prinz Ferdinand) nach Templin verlegt und dort zu einem Grenadierbataillon unter dem Befehl des Generalmajors von Hülsen formiert. Die Truppen verließen die Stadt im Zuge der Mobilmachung von 1805, nahmen als Reservekorps an der Schlacht von Auerstedt teil und kapitulierten nach dem Verlust ihrer Geschütze noch im Oktober 1806 bei Erfurt. Siehe Philipp, Templin, S. 401 –402. 75 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 7 –8. 76 Ebd., Bl. 18 – 29.

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zen könne. Das den Fabrikanten in unregelmäßigen Abständen gelieferte Garn sei schlecht und würde unter Zeitdruck oft naß ausgeliefert – womit eine der schwerwiegendsten und über Jahrzehnte vorgebrachten Klagen der Meister ihre Bestätigung findet. Auf diese Weise würde der Arbeitsgang schwer beeinträchtigt, da das Garn entweder erst getrocknet werden müsse oder durch die Verarbeitung in nassem Zustand die Stühle ruiniere. Auch der als Werkmeister tätige Johann Gottlob Schaf, den Eschwege aus Bautzen angeworben hatte, vermochte den Untersuchungsbeamten mit seinen Kenntnissen nicht recht zu überzeugen. Schaf litt Heerwagens Ansicht nach aufgrund seiner Ausbildungsmängel, „wozu unglücklicherweise der Begriff seines Nahmens sich gesellet“, 77 bei den Meistern unter fehlender Autorität und würde allgemein für untauglich gehalten. Ferner seien die Klagen der Meister über die häufige Abwesenheit Eschweges alles andere als unbegründet, da nicht immer die Bereisung der Messen und Märkte die Veranlassung ist, daß der Entrepreneur Eschwege sich aus Templin entfernt, sondern daß oftmals, wenn irgend eine Verlegenheit wegen Wolle oder Geld obwaltet, die Entfernung des Entrepreneurs eine Zuflucht ist, um sich auszuhalten. 78

Überhaupt bewertete Heerwagen die Leitung der Manufaktur sehr kritisch, und auch mit den Oberlandesältesten, die erst im Vorjahr mit Eschwege einen neuen Vertrag auf sechs Jahre geschlossen hätten, wonach der Subunternehmer jährlich 1.000 Rt. verdiene, ging er hart ins Gericht. Bei beiden Parteien herrsche das Vorurteil, „daß diese Fabrik nicht anders als mit Schaden betrieben werden könne“. Vor diesem Hintergrund existiere weder ein Betriebsplan, noch fände eine sorgfältige Buchführung statt. Alles sei „dem Ohngefähr und den zufälligen Konjunkturen überlassen, nur diese drückende, durch die Concession vom Jahr 1769 auferlegte Bürde von Jahr zu Jahr fortzuschleppen, dahin geht die alleinige Intention der Judenschaft und der Ober- und Mitältesten derselben“. Diese Mentalität mache es Eschwege umso leichter, den Mängeln und Gebrechen seiner Fabrikwirthschaft ein untadelhaftes Ansehen zu geben. Bey ihm muß natürlich das herrschende Princip seyn, diesen kriechenden Gang der Fabrik möglichst so hinzuhalten, damit er das jährliche Honorarium von 1.000 Rt. empfängt und nicht einbüßt. Die örtliche Untersuchung der Fabrik hat daher auch sehr misliche Resultata ziehen lassen. 79

Eschwege, der zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 60 Jahre alt gewesen sein muß, betriebe nur einen unbedeutenden Wolleinkauf, und Garn sei überhaupt nicht aufzufinden gewesen. Auch die produzierten Strümpfe seien von mäßiger Qualität, wobei sich über deren Export erst recht keine zuverlässigen Angaben machen ließen, „da die Fabrikbücher in der größten Unordnung“ seien. Bei 77 78 79

Ebd., Bl. 23. Ebd., Bl. 23. Ebd., Bl. 23 – 24. Zuvor habe Eschwege sogar 1.200 Rt. jährlich verdient.

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der Lektüre der monatlichen Berichte Eschweges an den Magistrat, wonach die produzierten Strümpfe beispielsweise nach Rostock exportiert würden, sei deshalb höchste Vorsicht geboten, zumal sich Eschwege im Besitz des Schaustempels befinde und das Akziseamt den Gebrauch desselben nicht kontrolliere. 80 In der jetzigen Verfassung, die vor allem durch Kapitalschwäche geprägt sei, müsse die Manufaktur stets defizitär bleiben, wie sich aus den Büchern etwa für das Jahr 1795/96 ergeben habe, in dem ein Verlust von 1.415 Rt., 3 Gr. und 9 Pf. aufgelaufen sei. „So schlecht nun die Beschaffenheit der Fabrik ist“, fuhr Heerwagen fort, „eben so schlecht steht es auch mit der Erfüllung der eigentlichen Verbindlichkeit der Fabrik“. Denn bei seinen Nachforschungen kam er zu dem Ergebnis, daß nur die wenigsten der Meister tatsächlich als „Ausländer“ zu betrachten waren. So stamme der eine aus dem (magdeburgischen?) Lindau, ein anderer aus Neuruppin, und ein weiterer habe zuvor in Gartz gearbeitet. Bei den Gesellen sehe es nicht anders aus, stammten doch alle drei aus Templin. Meister und Gesellen, wozu noch vier Lehrburschen kämen, arbeiteten noch dazu lediglich auf elf Stühlen, die der Fabrik gehörten. Hinzu kämen noch sechs Pachtstühle im Besitz der Meister – die eigentlich, wie oben dargelegt, bereits 1782 hätten ersetzt werden sollen. Welche Bedeutung Heerwagen diesem dahinsiechenden Betrieb trotz alledem beimaß, geht aus seiner Forderung hervor, die Judenschaft unverzüglich zur Sanierung dieser für den „Wohlstand einer Provinzialstadt“ so wichtigen Manufaktur anzuhalten: Für Templin ist diese Fabrik [...] von großer Bedeutung, und der Stillstand derselben würde sehr nachtheilig für diese Stadt ausfallen. Das Personale der Strumpfwürker mit ihren Familien beträgt über 50 Personen, eine Zahl, welche für Templin vielleicht eben so bedeutend ist wie 500 Personen für Berlin. 81

Daß Heerwagen der Manufaktur solche Wertschätzung zukommen ließ, ist kaum verwunderlich, machten doch 50 Personen zu jenem Zeitpunkt ungefähr 2,5 % der zivilen städtischen Einwohnerschaft Templins (1800: 2013 82) aus, denen im Jahre 1796 durch Eschwege Löhne im Gesamtwert von 4.641 Rt. ausgezahlt worden waren. 83 Auch die Angaben, die Bratring für das Jahr 1800 mitteilt, sprechen eine eindeutige Sprache: 80 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 24. Sollten diese indirekten Vorwürfe Heerwagens den Tatsachen entsprechen, so hätte Eschwege sicherlich seine helle Freude daran gehabt, noch zwei Jahrhunderte später in einem Standardwerk der brandenburgischen Landesgeschichte, nämlich bei der die (ihrerseits auf den Angaben des Magistrats basierenden) Fabrikentabellen im BLHA zugrundelegenden Enders, Uckermark, S. 618, lesen zu können, er habe der einzigen „florierenden“ Manufaktur der Uckermark vorgestanden. In jedem Fall sind Heerwagens Äußerungen eine weitere Mahnung, dergleichen vormoderne Statistiken nicht allzu wörtlich zu nehmen. 81 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 26. 82 Bratring, Bd. 2, S. 490. 83 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 350.

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Außer einer Manufaktur von wollenen Mützen und Strümpfen, welche die Kurmärkische Land-Judenschaft [! 84 ] im Jahre 1769 gegen das Ansetzungs-Recht des zweiten Kindes zu betreiben übernommen hat, ist keine Fabrikanlage weiter in Templin; sie beschäftigte 1800 20 Stühle und 24 Ouvriers, welche 1085 Dutzend, 7595 Rthl. an Werth fabrizirten und für 2319 Rthl. im Lande und für 3035 Rthl. nach Mecklenburg, Schweden und Dänemark absetzten. Uebrigens sind noch 4 Tuch- und 2 Hutmacher vorhanden, welche für 2023 Rthl. fabrizirten. Die Loh- und Weißgerber bereiteten für 3290 Rthl. Leder; 4 Handschuhmacher für 400 Rthl. lederne Handschuhe; die Leinweber auf 26 Stühlen für 4918 Rthl. weiße und bunte Leinwand, wovon für 2796 Rthl. ins Ausland gingen; die 3 Pottaschsieder für 840 Rthl. und ein Schneidemüller für 172 Rthl. Der Werth der gesammten Fabrikation von 74 Arbeitern (auf 50 Stühlen) betrug 19638 Rthl., wovon für 10969 Rthl. im Lande und für 5831 Rthl. im Auslande debitirt wurden. 85

Daß man vor diesem Hintergrund auch und gerade im Templiner Magistrat auf das Fortbestehen der Manufaktur großen Wert legte, versteht sich eigentlich von selbst. Dennoch dürfte ein Gutachten von Interesse sein, das die städtische Behörde im November 1797 abgegeben hatte und in der sie Stellung zu der Frage nahm, wie den kleineren Städten der Monarchie wirtschaftlich aufzuhelfen sei. 86 Darin kam die Erwartungshaltung an den Staat hinsichtlich einer Förderung des Großgewerbes jenseits der Großstädte klar zum Ausdruck: Durch dieses Gewerbe allein kann den kleinen Städten geholfen und jede Lücke, die sich bey Anweisung der Beschäftigung eines jeden Einwohners zeigt, ausgefüllt werden, ihnen muß also der Staatswirth vorzüglich die Hand bieten, weil die wohlthätigen Folgen nicht nur auf die kleinen Städte selbst, sondern auch auf das platte Land und überhaupt auf den Staat im Ganzen großen Einfluß haben. 87

Weiter plädierte der Magistrat, offenbar mit Bezug auf die in jenen Jahren innerhalb der Behörden geführte Diskussion und mit Blick auf die niedrigeren Lebenshaltungskosten in kleineren Städten, 88 für eine Verlegung von Manufakturen aus der Metropole in die Provinzialstädte und empfahl dafür insbesondere Betriebe aus der wollverarbeitenden Branche: „Die Fabrikate werden dadurch wohlfeiler, die Exportation geht besser von statten, dem auswärtigen Staate wird mehr baar Geld abgenommen und der Hauptzweck – nemlich Aufnahme kleiner Städte – wird ohne sonderlichen Nachtheil der großen Städte erreicht.“ Doch zeigen die weiteren Ausführungen des Magistrats, daß sich hinsichtlich des Hauptproblems einer 84

Ganz richtig schreibt 1814 Donnersmarck, S. 121 – 122: „Ich glaube, daß Bratring [...] irret, wenn er meinet, daß nur die kurmärkische Landjudenschaft gegen das Ansetzungsrecht des zweyten Kindes den Betrieb der Templiner Manufaktur übernommen hat.“ 85 Bratring, Bd. 2, S. 491. Die überragende Bedeutung des Textilsektors für die Stadt Templin verdeutlicht auch die Karte von Büsch / Heinrich / Scharfe, Bd. 2. 86 Zum Kontext Enders, Reformgedanken vor der Reform. 87 Dieses und die folgenden Zitate nach dem Gutachten vom 17. November 1797 in BLHA, Rep. 2, Nr. S.123, Bl. 153 –168. 88 Vgl. Straubel, Struensee, S. 75 – 77.

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solchen Ansiedlung seit den 1760er Jahren nicht viel geändert hatte. Denn aus Sicht der städtischen Beamten stellte sich dabei zuallererst die Frage, ob der Staat geneigt sey, die erforderliche Geldsummen zur ersten Einrichtung irgend einer Anlage dieser Art herzugeben. Jeder Privatmann wird, ob er sich gleich seinen Vortheil nach einem gewissen Zeitraum ziemlich sicher berechnen kann, eine solche Entreprise nicht übernehmen, theils, weil er seinen Gewinn nicht augenblicklich vor Augen hat, theils, weil nicht vorherzusehende Unglücksfälle und Hindernisse sich der Ausführung in den Weg legen können ... 89

Ungeachtet dieser vor Ort vorherrschenden Erwartungshaltung war nun auch Heerwagen mit Blick auf die Bedeutung der Strumpfmanufaktur für die lokale Gewerbestruktur der Meinung, die Judenschaft habe es sich notfalls weiterhin gefallen zu lassen, den Betrieb „selbst mit Nachtheil im Gange zu erhalten“. Allerdings müsse das Unternehmen keineswegs zwingend mit beständigen Verlusten betrieben werden, liefere es doch ein Produkt des alltäglichen Bedarfs, dessen Absatz keinen modischen Schwankungen unterworfen sei, dessen Rohmaterial überall im Lande hergestellt würde. 90 Um die Manufaktur jedoch zu einem gewinnträchtigen Betrieb zu machen, sei es von größter Wichtigkeit, unverzüglich einen „ordentlich überlegten Plan zu veranlassen und zum künftigen Betriebe eine gehörige Wirthschaft einzuführen“. Vorläufig sei vor allem der Wolleinkauf dringlich, um einen vollkommenen Stillstand der Manufaktur zu verhindern. Des weiteren habe die Judenschaft umgehend einen Stuhlschlosser nach Templin zu entsenden, der nach einem vorhergehenden Kostenanschlag in Berlin (!) die nötigen Reparaturen vornehmen könne. Um gravierende Wartungsmängel zukünftig zu verhindern, solle wie ehedem ein Stuhlschlosser bei der Manufaktur angestellt, der Strumpfwirker Blümerer hingegen lediglich als „Stuhlaufseher“ verwendet werden. Ferner war es nach Ansicht Heerwagens von entscheidender Bedeutung, daß dem in Templin tätigen Subunternehmer nicht nur ein ausreichendes Kapital an die Hand gegeben, sondern dieser zugleich einer schärferen Kontrolle unterworfen werde, als dies bislang geschehen sei. So solle der Entrepreneur zukünftig zu einer vierteljährlichen Rechnungslegung gegenüber der Judenschaft verpflichtet werden und zudem seine Buchführung durch staatliche Untersuchungskommissionen prüfen lassen. Um sich schließlich zu versichern, daß im nahe der mecklenburgischen Grenze gelegenen Templin keine fremden Strümpfe eingeschwärzt würden, sei über eine neue Einrichtung der Schaustempelung nachzudenken. Die Versorgung mit Garn könne künftig hingegen unproblematisch sichergestellt werden, wenn die dortige Garnison mit derartigen Arbeiten beschäftigt würde, wozu deren Kommandeur von Sydow bereits seine Zustimmung signalisiert habe. Es folgen weitere 89

BLHA, Rep. 2, Nr. S.123, Bl. 161. Ebd., Bl. 163 wird deutlich, daß man in Templin an staatliche Subventionen in Höhe von rund 30.000 Rt. dachte. 90 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 27.

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Ratschläge zur Wiederherstellung von Gerätschaften wie Färbekesseln, Pressen und Walktrögen sowie zur Anschaffung neuer sächsischer Walzenstühle, die in jener Zeit die älteren Handkulierstühle abzulösen begannen. 91 Als Erleichterung könne der Judenschaft jedoch die bisherige Verbindlichkeit zur Ansetzung ausländischer Meister erlassen werden. Stattdessen seien die Geschicktesten unter den Söhnen und Brüdern der bereits etablierten Strumpfwirker sowie auch unter den Gesellen auszuwählen und als Meister anzustellen. Die Aussicht, später einmal als Fabrikmeister mit zwei Stühlen etabliert zu werden, würde zugleich weitere Gesellen von außerhalb in die Stadt ziehen, die ihrerseits zur Belebung des Gewerbes beitragen könnten. 92 An die Strukturen, also den Zwangsbetrieb durch die Judenschaft, rührten Heerwagens Vorschläge demnach nicht – alles andere hätte schließlich auch die Grenzen seines Untersuchungsauftrages überschritten. 93 Die zahlreichen praktischen Probleme wurden durch ihn jedoch durchaus einer sorgfältigen Prüfung unterzogen, so daß sich seine Ausführungen kritischer lesen als manch vorhergehender Inspektionsbericht aus den 1780er Jahren. Das Fabrikendepartement seinerseits reagierte umgehend und befahl der Kurmärkischen Kammer am 5. Dezember 1801, wegen der fehlenden Stühle sofort entsprechende Befehle an die Judenschaft ergehen zu lassen, „da dem Staat an der Erhaltung und Emporbringung der gedachten Fabrike viel gelegen“ sei. Was deren weiteres Schicksal angehe, so müsse hierzu mit den Ältesten der Judenschaft Rücksprache gehalten und mit ihnen ein ordentlicher Betriebsplan ausgearbeitet werden, weshalb die Kammer einen Beamten abstellen solle, der mit Heerwagen, „welcher durch seine Sach- und Localkenntniß dabei besonders nützlich sein wird“, zusammenzuarbeiten habe. 94 Während Heerwagen und der daraufhin von der Kammer abgestellte Kriegsrat Wiesiger seit dem 21. Dezember mit den Berliner Oberlandesältesten über den zukünftigen Status der Templiner Manufaktur konferierten, 95 rissen die Bittschriften der Fabrikanten jedoch nicht ab. Am 19. Januar 1802 klagte Werkmeister Schaf, daß Eschwege den Betrieb „dergestallt vernachlässiget, so daß der Sturtz der Fabrike sehr nahe ist, weil schon seit einiger Zeit Niemand Arbeit erhalten hat“. Er 91 Schöne, S. 129; vgl. 1814 Hermbstädt, S. 174: „Zwar ist der Walzenstuhl nur zur gröbern Arbeit anwendbar, leistet aber, wegen seines geringen Preißes, doch mannigfaltigen Nutzen.“ 92 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 29. 93 Mittenzwei, Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg, S. 132 konstatiert auf dem Feld der Wirtschaftspolitik nach dem Siebenjährigen Krieg überhaupt „einen eng praktizistischen Zug im Denken vieler Beamter“. 94 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 114 –115. An das Manufaktur- und Kommerzkollegium erging am gleichen Tag eine ähnliche Ordre: „Ihr werdet nun auch Eurer Seits dafür sorgen, daß die zur weitern Regulirung eines zweckmäßigen Plans angeordnete Commission bald zusammenkomme und ihren Auftrag bestens erfülle.“ Ebd., Bl. 115. 95 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 32.

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selbst befinde sich als Ausländer und Vater von vier Kindern in der trostlosesten Situation und habe vom Entrepreneur nicht einmal die zugesagten Reisekosten zu seinem Etablissement in Templin erhalten. 96 Es folgten Beschwerden des angeblich 1782 aus Zeitz angeworbenen Christian Friedrich Jordan am 25. Januar 97 sowie von zehn weiteren Strumpfwirkern am 9. Februar. Seit Jahresbeginn sei man arbeitslos und nun dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen, da von Eschwege keine Hilfe zu erwarten sei, „denn durch denselben sind wir in beständigen Streit, Noth und immer Klagen gewesen und wir sind gewiß versichert, daß wenn derselbe jährlich statt 1.200 1.800 Rt. erhielte, die Fabrique und wir in einerley Verhältniß blieben, denn derselbe hat seine Sache auf nichts gesetzt“. 98 Derweil hatten die Berliner Ältesten Salomon Veit, David Hirsch und Heymann Ephraim Veitel auf einer Konferenz mit Heerwagen und Wiesiger am 13. Januar 1802 erstmals den Vorschlag unterbreitet, der Staat solle gegen eine Zahlung von 8.000 bis 10.000 Rt. zur Reparatur des Fabrikenhauses sowie der Gerätschaften in eine Abtretung des Betriebes durch die Judenschaft einwilligen. 99 Die Finanzräte Eichmann und Gottlieb Johann Christian Kunth (1757 – 1829) vom Manufakturkollegium plädierten daraufhin gegenüber dem Fabrikendepartement dafür, auf ein solches Angebot nur dann einzugehen, wenn die Judenschaft ihr Gebot auf 13.000 Rt. erhöhe und „ferner, was ohnehin vielleicht schon ihre Meinung ist, mit der Fabrike auch das Grundstük zum Eigenthum übergäbe“. 100 Während das Fabrikendepartement die Templiner Arbeiter vorerst sich selbst überließ und ihnen klar zu machen versuchte, „daß die allgemeine Reform der dortigen Fabrike sich nicht binnen weniger Monaten bewerkstelligen“ lasse, so daß „ein jeder von ihnen wohl thun [würde], bis dahin nach seiner besondern Lage selbst so gut als möglich für sein besseres Fortkommen zu sorgen“, 101 mußte 96

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 117. Ebd., Bl. 122. 98 Ebd., Bl. 124. 99 Protokoll der Sitzung: GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 37. Die Berliner Ältesten gaben zwar zu, für dieses Angebot noch nicht die Zustimmung der betroffenen Landjudenschaften eingeholt zu haben, jedoch: „Um indessen deswegen alle nähern Erörterungen zu vermeiden, erklären die Ältesten, daß obgleich sie vollkommen überzeugt wären, daß die Landjudenschaften um ihres eigenen Vortheils willen den nachfolgenden Anträgen ihren Beifall und ihre Theilnahme nicht versagen würden, im Fall dieselben nicht zu dem ein für allemal zu gebenden Äquivalent wegen der abzugebenden Fabricke einen Beytrag zu leisten bereit wären, denselben freylassen wollten, so wie bisher nach und nach ihren Beytrag zu leisten, womit die hiesige [also Berliner] Judenschaft vollkommen zufrieden sein würde.“ 100 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 119. Eichmann und Kunth folgten mit diesen Einwendungen im wesentlichen dem ortskundigen Heerwagen, der den Betrag von 10.000 Rt. für unzureichend hielt. Siehe GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 35 –36. 101 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 126 –127. 97

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Kriegsrat Wiesiger melden, daß die Manufaktur in der Tat am 3. Januar vollkommen zum Stillstand gekommen war. 102 Zudem unterstützte er, wie die Kammer berichtete, den Plan, den Betrieb von den Ältesten wieder zurückzunehmen, „weil die Judenschaft von dieser Fabrike steten Schaden erlitten habe, ohne daß der Staat sie in einem wünschenswerthen Flor gesehen hat“. Bei einem Fortdauern der bisherigen Verfassung sei auf eine Besserung nicht zu hoffen, weshalb der Staat die Manufaktur zurücknehmen und seinerseits „etwa einem sachkundigen und thätigen Manne eigenthümlich übergeben“ 103 solle. Beifall erhielt dieser Vorschlag durch Kunth, der sich am 14. März ebenfalls überzeugt zeigte, „daß die Fabrike in den Händen der Judenschaft niemals in Flor kommen werde“. Indes gab der Finanzrat zu bedenken, es werde schwerfallen, einen geeigneten Unternehmer zu finden, der neben einem ausreichenden Vermögen auch über die erforderlichen Kenntnisse der Strumpfproduktion verfüge. Zudem lasse sich ein solcher Kaufmann nur ungern in einer Provinzstadt nieder, um dort an eine bestimmte Zahl von Stühlen und an die bereits vorhandenen Kolonistenarbeiter gebunden zu ein. Finde sich dennoch ein solcher Unternehmer, so sei „vorherzusehen, daß seine Forderungen die jetzige Anerbietungen der Judenschaft weit übersteigen werden“. Daß die friderizianische Politik der Bevorzugung von Großbetrieben zunehmend bröckelte, 104 zeigte sich auch in den Folgerungen, die Kunth aus diesem Befund zog: „Das Beste wäre, wenn sämtliche Arbeiter der Fabrike sich entschlössen, ihr Gewerbe ohne einen Entrepreneur für eigene Nahrung zu treiben.“ Im Gegenzug könne man ihnen die zuvor zu reparierenden Gerätschaften schenken, einem jeden Meister 50 bis 100 Rt. Startkapital ausbezahlen und ihnen die Niederlassung entweder in Templin oder einer anderen Provinzstadt freistellen. Hierfür eigne sich indes am besten eine „Tuchmacherstadt, wo Tuchscherer, Färbereien, Walker und Spinnereien sind. Die Kammspinnerei muß jeder Strumpfwirker selbst betreiben“. 105 In jedem Falle müsse die Judenschaft statt der offerierten 10.000 102 Vgl. auch BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 4445, wo es noch am 10. Oktober 1802 heißt: „Seit 1. Januar anni currentis liegt die Fabrique unbeschäftiget, die sämptlichen Arbeiter klagen, daß sie keine Arbeit hätten...“. 103 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 128 –129. 104 Siehe dazu etwa die gewerbepolitischen Ausführungen bei Straubel, Struensee, S. 225 – 284. 105 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3. Das Beharren Kunths auf einer Provinzialstadt als Produktionsstandort muß wohl auch vor dem Hintergrund der bereits seit 1797/98 zwischen Fabriken- und Akzisedepartement geführten Diskussion um eine Verlagerung der Wollzeugweberei aus der Hauptstadt in die Provinz gesehen werden, die von den Beamten der ersteren Behörde vor allem mit der infolge geringerer Lebenshaltungskosten zu steigernden Wettbewerbsfähigkeit kurmärkischer Betriebe begründet wurde. Siehe dazu Straubel, Struensee, S. 252 –253. Kunth vertrat um die Jahrhundertwende die Ansicht, daß – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des politischen Unruhepotentials der Fabrikanten in der Hauptstadt – Weber möglichst im Berliner Umland wie etwa in Rixdorf, Schöneberg, Tempelhof, Steglitz und Mariendorf angesetzt werden

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mindesten 12.000 bis 13.000 Rt. entrichten, davon das Fabrikenhaus sowie die Gerätschaften instandsetzen und beides sodann kostenlos abtreten, da „man nur unter diesen Bedingungen hoffen könne, einen soliden Entrepreneur zu finden“. 106 Struensee wollte sich in dieser Angelegenheit allerdings noch nicht festlegen, sondern forderte vom Manufakturkollegium ein weiteres Gutachten, das wiederum von Heerwagen erstellt wurde. Wenn man die bereits zu Beginn der 1780er Jahre gemachten schlechten Erfahrungen bedenkt, die mit der damals kurzzeitig vollzogenen „Vereinzelung“ der Manufaktur gemacht worden waren, erfaßte Heerwagen wohl besser als Kunth die bescheidenen Möglichkeiten der Templiner Fabrikanten, ihr Metier in Eigeninitiative fortzuführen. Zudem unterstreichen seine Ausführungen ein weiteres mal den kaum zu überschätzenden Wert, den dieser so defizitäre Betrieb für die Stadt in der Uckermark mittlerweile besaß: Diese Strumpffabrik ist für Templin der wichtigste und größte Nahrungszweig, der Entrepreneur selbst durch sein Etablissement und seine häusliche Wirthschaft, die in der Stadt zerstreueten Strumpfwürker mit ihren kleinen Haushalten, die unter der dortigen Garnison und der Bürgerschaft vereinzelte Schrabbeler und Spinner u. s.w. greifen in das Verkehr dieser kleinen, sehr netten Provincialstadt auf eine sehr wirkliche Weise ein. Dies wird noch wichtiger seyn und werden, wenn die Fabrik auf einen solidern und größern Fuß gesetzt wird. 107

Das Gegenteil müßte allerdings unweigerlich eintreten, wenn man, wie Kunth dies vorgeschlagen hatte, den Betrieb „vereinzelte“ und unter den dortigen Strumpfwirkern einige Tausend Rt. Startkapital verteilte: Im Anfange würde dieses wahrscheinlich ein raschern Umtrieb des dortigen Verkehrs geben. Die Empfänger würden ihre kleinen Schulden bezahlen, sie würden Wolle einkaufen, sie würden ihre Lebensbedürfnisse etwas reichlicher einkaufen, sie würden ihre meistens nur ärmliche häusliche Wirthschaft etwas verbessern. Allein nun wäre das Geld ausgegeben, die inzwischen verfertigten Strümpfe (bey denen es noch die Frage ist, ob sie auch in Ansehung der Färberey, der Walke und der Appretur, welche Arbeiten jeder nunmehr für sich allein und mit seinen eigenen Geräthschaften vornehmen muß, gut gerathen sind) werden nun in Templin und etwa in der umliegenden Gegend zum Verkauf ausgeboten, allein nun wird die gegenseitige Konkurrenz dieser vielen einzelnen Strumpfwürker einander im Wege seyn und die Waare unter ihren reelen Werth bringen, sie werden entweder verkaufen, da ihnen wegen des empfangenen Geldes der Verlust nicht sehr fühlbar wird oder sie werden sie auf den nächsten Märkten und Messen feil bieten, oder es wird sich ein heimlicher Aufkäufer einfinden. Dadurch werden sich sollten. Siehe Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 440 – 441. Aufgrund fiskalischer Erwägungen und der überkommenen steuerpolitischen Trennung von Stadt und Land kamen diese Pläne bis 1806 jedoch über Anfänge nicht hinaus. 106 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3. 107 „Gutachten über die Frage, ob es thunlich und rathsam sey, die Wollen-Strumpffabrik in Templin zu vereinzeln oder ob es besser sey, solche einem Entrepreneur zu übergeben.“ Berlin, 16. Juni 1802, GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 44 – 46, hier: Bl. 46, danach auch die folgenden Zitate.

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allmählig mehrere Strumpfwürker gezwungen sehen, aus Templin weg nach andern Provincialstädten wegzuziehen. Endlich wird sich allmählig die Sache ausgleichen, die Fabrik wird aus Templin verschwunden seyn, und einige Stühle für den bloßen Ortsbedarf werden übrig bleiben.

Diese Entwicklung sei nach Heerwagen umsomehr zu befürchten, als er den in Templin ansässigen Fabrikanten „nach der speciellen Kenntniß ihres individuellen Charakters“ nicht zutraute, von einem Startkapital von 100 bis 200 Rt. einen vernünftigen Gebrauch zu machen. Noch dazu sei zu berücksichtigen, daß bei einer solchen Regelung abgesehen von den Fabrikanten all jene Menschen, „welche jetzt ihr Brodt bey dieser Fabrik gehabt haben, leer ausgehen und warscheinlich gänzlich verkümmern müssen“. Gerade diese Überlegung dürfte höheren Orts ihre Wirkung kaum verfehlt haben. Entscheidend für den weiteren Gang der Entwicklung war neben dem hier angeführten Gutachten Heerwagens jedoch vor allem die Tatsache, daß das Manufakturkollegium zu diesem Zeitpunkt bereits glaubte, einen geeigneten Kandidaten für die Übernahme der Templiner Manufaktur gefunden zu haben. Am 2. Juni hatte Heerwagen berichtet, daß sich bei ihm mit dem Berliner Unternehmer Christian Friedrich Düntz 108 sowie dem Templiner Bürgermeister Freyschmidt (für seinen Sohn) zwei Interessenten gemeldet hätten. 109 Während der Sohn des Bürgermeisters sein Angebot nicht weiter verfolgt zu haben scheint, nahmen die Verhandlungen zwischen dem Manufakturkollegium und Düntz bald konkrete Gestalt an. Dazu trug wohl vor allem bei, daß Düntz den Beamten bereits gut bekannt war, hatte er sich doch zuvor in Konkurrenz zu dem Berliner Strumpffabrikanten Hildebrandt 110 um den Betrieb einer Manufaktur in Gartz an der Oder beworben. 111

108 Es ist unklar, ob es sich hier um einen Sohn jenes Johann Heinrich Düntz handelt, der sich bereits 1768 um die Stelle eines Werkmeisters in Templin beworben hatte. Auch die beiden Männer gleichen Namens, die sich in den publizierten Berliner Aufgeboten der 90er Jahre finden, scheinen kaum im Strumpfgewerbe tätig gewesen zu sein. Siehe Hess. Am 30. September 1792 findet sich in den Aufgeboten der Berliner St. Georgenkirche ein Johann Heinrich Düntz, „Bürger und Viktualienhändler allhier, mit Jungfer Sophie Magdalene Cammerern“, ebd., S. 316; am 11. September 1796 bei der Friedrich-Werderschen Kirche ein Mann gleichen Namens, der als „herrschaftlicher Bediente“ bezeichnet wird, ebd., S. 427. 109 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 41. 110 Hildebrandt betrieb 1796 gemeinsam mit seinem Partner Jansen eine Manufaktur in der Heiligengeiststraße. Siehe Schön, Studienreisen, S. 76. 1800/01 liefen für Hildebrandt in der Hauptstadt 131 Stühle. Siehe Rachel / Wallich, S. 532. 1812 taucht sein Name wiederum auf, als die Behörden in seinem Betrieb die Aufstellung einer Dampfmaschine erwogen. Anläßlich der Gewerbeausstellung von 1827 wurde Hildebrandt schließlich mit der silbernen Denkmünze ausgezeichnet. Siehe Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806 – 1844, S. 63, 243.

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Am 16. Juni erklärte Düntz gegenüber Heerwagen, er sei bereit, die ihm durch mehrere Ortstermine bekannte Manufaktur zu übernehmen und mit seinem aus 30 Stühlen bestehenden Berliner Betrieb zu vereinigen, den er ohnehin aus der Hauptstadt wegverlagern wolle. Sofern ihm das Fabrikendepartement einen Betriebsfonds in Höhe von 8.000 Rt. bereitstelle, werde er sich zum beständigen Unterhalt von 16 Webstühlen verpflichten. Für jeden weiteren Stuhl müsse der Fonds jedoch um 500 Rt. aufgestockt werden. 112 Das Fabrikenhaus in Templin wolle er mietfrei und in renoviertem Zustand übernehmen, sei jedoch bereit, fernerhin alle darauf entfallenden Abgaben und Reparaturkosten aufzubringen. Ein gleiches solle für die Webstühle gelten, die an Düntz erst nach einer gründlichen Überholung abgetreten werden sollten. Auch die Bindung des neuen Unternehmers an die bisherigen Arbeiter sollte als Ergebnis der ersten Verhandlungsrunden erheblich gelockert werden, wurde Düntz doch lediglich unverbindlich dazu aufgefordert, „den jetzt dort vorhandenen [...] Strumpfwürkern das Vorzugsrecht [zu] geben und solche nicht ohne wichtige Ursachen [zu] verabschieden“. 113 Selbst hinsichtlich des Arbeitslohns werde man Düntz „völlige freie Hand“ lassen, wobei dieser sich zudem ausbat, nicht mehr – wie die Judenschaft – an die Zahlung von jährlich 8 Rt. Miete an die einzelnen Meister gebunden zu sein, „da er es den guten und fleißigen Arbeitern gewiß nicht am hinlänglichen Verdienst fehlen lassen werde“. Alles dies, so verabredeten Heerwagen und Düntz, müsse in einem neuen Kontrakt vereinbart werden, der fortan an die Stelle des Vertrages mit der Judenschaft von 1769 trete. Da nun mit Düntz ein aussichtsreicher Kandidat bei der Hand war, der die Manufaktur zum Ende des Jahres 1802 übernehmen wollte, 114 änderte auch Kunth seine Meinung und trat gegen eine Zerschlagung des Betriebes ein. 115 Einzig die Bedenken der Kurmärkischen Kammer, die sich um die bisherigen 111

So schrieb das Manufakturkollegium am 9. Juli 1802 an das Fabrikendepartement, man müsse aufgrund der deshalb mit Düntz bereits geführten Unterredungen keine umfangreichen Gutachten mehr „über seine gute Qualification zu dieser Entreprise“ erstellen. Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 146 –147. 112 Als Sicherheit für diesen Fonds bot Düntz sein Haus am Molkenmarkt in Berlin an, GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 47. Hinsichtlich der Stühle wurde zwischen Düntz und Heerwagen folgendes vereinbart: „Demselben [Düntz] steht frey, außer diesen sechszehn Wollenstrumpfstühlen so viel Stühle in Wolle, Baumwolle oder Seide in Templin gehen zu lassen als er will, jedoch macht er sich anheischig, in dieser Rücksicht vorzüglich auf die Ansetzung von Walzenstühlen bedacht zu seyn.“ Ebd., Bl. 48. 113 Ebd. 114 So erklärte Düntz am 29. Juni gegenüber Heerwagen: „Für diesen Sommer wird doch nicht viel mehr zur Instandsetzung dieser Strumpffabrik zu machen seyn, da die Wollschur vorbey ist, indeß wünsche ich wohl, daß zum Winter, etwa zu Michaelis [also am 29. September], falls ein Engagement zu Stande kommen sollte, die Fabrik mir übergeben würde, damit ich den Winter hindurch, wenn die Strumpffabrikation hier nicht stark geht, dort in Templin meine Einrichtungen treffen kann.“ Ebd., Bl. 50 –51. 115 So Kunth am 14. Juli, weil „1. bei der Vereinzelung das Fabrikenhaus und die etwaigen Geräthschaften dabei so gut als verloren gehen, wenigstens keine zweckmäßige

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Arbeiter sorgte, 116 sowie Struensees, der entschieden die Meinung vertrat, „daß es gar nicht angehe, dem neuen Entrepreneur die Verbindlichkeiten, welche die vormahligen Entrepreneurs nach der Concession vom 27. Decbr. 1768 gegen die Fabrik-Arbeiter übernommen haben, gänzlich zu erlassen“, 117 machten weitere Verhandlungen mit Düntz erforderlich. 118 Auf welcher Basis man sich schließlich handelseinig wurde, zeigt der am 25. September 1802 zwischen dem Manufakturkollegium (Eichmann und Kunth) sowie Christian Friedrich Düntz abgeschlossene Vertrag. 119 In diesem Kontrakt verpflichtete sich Düntz zum fortdauernden Betrieb von 20 Stühlen (von denen er 16 von der Judenschaft bereits übernehmen konnte). Die Erfüllung dieser Verpflichtung hatte der Unternehmer, „so oft solches von der Behörde verlangt wird, durch Vorzeigung ordentlich geführter Bücher befriedigend nachzuweisen, sich auch der deshalb etwa anzuordnenden local Untersuchungen zu unterwerfen“ (§ 1). Das Fabrikenhaus samt der dort befindlichen Färberei und aller Gerätschaften sollte Düntz zur freien Benutzung erhalten, waren von ihm jedoch in eigener Verantwortung in Stand zu halten (§ 2 –3). Um diese Reparaturen sowie insbesondere den fortdauernden Betrieb der Manufaktur sicherzustellen, solle Düntz durch das Fabrikendepartement jene 12.000 Rt. als zinsfreies Betriebskapital erhalten, die die Judenschaft zuvor als Gegenleitung für die Befreiung von der Manufaktur zu entrichten hatte (§ 4). Was die in den Vorverhandlungen zu Tage getretene Streitfrage der zukünftigen Bindung des Unternehmers an die Arbeiter sowie die von ersterem zu leistenden Mietzahlungen anging, so hatte Düntz diese Leistungen zwar ebenfalls zu erbringen, jedoch lediglich insofern „diese Meister sich nicht Bestimmung erhalten würden, 2. weil [hier Heerwagen folgend] die jetzigen Strumpfwirker in Templin nicht die Leute sind, von denen man erwarten kann, daß sie sich aus eigenen Mitteln heben, mehr Stühle anschaffen, gute Waare verfertigen, dieser Absatz verschaffen und auf diese Art die Fabrike emporbringen werden, 3. weil der Dünz einen guten Ruf hat, ein verständiger und tätiger Mann zu sein scheint, auch ein hinlängliches Vermögen zum Betrieb der Fabrike und zur Sicherstellung des ihm zinsfrei zu überlassenden Fonds der 12.000 Rt. besitzet, 4. weil er willens sein soll, seine ganze hiesige Fabrike von 30 Stühlen mit nach Templin zu verlegen.“ GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 148 – 149. 116 So plädierte die Kammer am 5. August dafür, daß hinsichtlich der von Düntz offenbar gewünschten Lockerung der Bindung an die bisherigen Arbeiter „weiter nichts geschehen [könne], als daß ihm verstattet wird, künftig Arbeiter nach seiner Wahl und unter solchen Bedingungen, wie er sie erhalten kann, anzustellen und sich mit den gegenwärtigen, wenn er sie nicht beschäftigen will, abzufinden. Insofern eine solche Abfindung nicht Statt finden kann, muß er sie in Arbeit behalten und contractmäßig behandeln, wogegen ihm aber obrigkeitlicher Schutz gegen die faulen, widerspenstigen und fehlerhaft arbeitenden Weber zuzusichern ist.“ GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 56. 117 Ebd., Bl. 55. 118 Siehe die Protokolle der Verhandlungen vom 7., 14., 15. und 25. September 1802, ebd., Bl. 62 – 68. 119 Ebd., Bl. 81.

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als fehlerhaft arbeitende, faule und wiederspenstige Weber zeigen, die er nach Vorschrift der Gesetze zu entlassen befugt“ sei. Hinsichtlich der zukünftig anzustellenden Arbeiter wurde Düntz jedoch von allen Verbindlichkeiten (etwa der Ansetzung ausländischer Kolonisten) ausdrücklich befreit, „so wie ihm überhaupt alle diesem Contract nicht zuwiederlaufende Einrichtungen und Anordnungen, die er zur Emporbringung der Fabrike für nöthig hält, überlassen werden sollen“ (§ 5). Schließlich verpflichtete sich Düntz für seine Person und seine Erben, sowohl die Manufaktur mit ihrem Inventar, als auch das ihm gewährte Betriebskapital bei Nichterfüllung des Kontrakts umgehend zurückzuerstatten (§ 7), wozu auf seinem Haus am Berliner Molkenmarkt Nr. 11 eine entsprechende Hypothek als Sicherheit eingetragen werden sollte (§ 8). Dieser in so vielen Sitzungen mit Düntz ausgehandelte und durch Kunth und Eichmann „mit Vorbehalt der höchsten Genehmigung“ unterzeichnete Vertrag trat jedoch niemals in Kraft, so daß Terlinden zwei Jahre später in seinen „Grundsätzen des Judenrechts“ den Betrieb der Templiner Manufaktur weiterhin unter die jüdischen Sonderbelastungen einreihen mußte. 120 Verantwortlich dafür war der „als eher konservativ geltende Minister“ 121 Otto Karl Friedrich Freiherr von Voß (1755 – 1823), 122 Chef des Kurmärkischen Provinzialdepartements und Präsident der Kurmärkischen Kammer, dem Struensee am 4. November 1802 den Vertragsentwurf zur Mitvollziehung hatte zukommen lassen. 123 Der Adressat stammte aus einem in Mecklenburg, Pommern und der Kurmark begüterten Adelsgeschlecht und war 1777 nach einem Studium der Rechte in Frankfurt an der Oder und Göttingen als Referendar beim Berliner Kammergericht in den preußischen Staatsdienst getreten. Nachdem er diese Karriere 1780 unterbrochen hatte und einige Jahre lang in der Selbstverwaltung der kurmärkischen Ritterschaft tätig gewesen war, wurde er 1786 zum Präsidenten der Kurmärkischen Kammer ernannt und stieg rasch zum Etatminister mit den Departements Neumark, Neufchatel, Magdeburg und Halberstadt auf. 1793 übernahm er als Provinzialminister die Administration des durch die zweite polnische Teilung erworbenen Südpreußens, 124 in welcher 120

Terlinden, S. 128. Sieg, S. 345. 122 Siehe Petersdorff; Burg, Verwaltung in der Modernisierung, S. 168 –171; Klaproth, Staatsrat, S. 501 – 504. Neben seinen besonderen Verdiensten, die er sich unter anderem beim Wiederaufbau des 1787 durch Brand zerstörten Neuruppin erworben hatte, gründete sich Voß’ Aufstieg unter anderem auf den Umstand, daß er ein Bruder der ersten morganatischen Ehefrau Friedrich Wilhelms II., Julie von Voß (1766 – 1789), war. Vgl. Meier, Friedrich Wilhelm II., S. 234 – 236. Zur Haltung von Voß gegenüber den Juden siehe auch Schenk, Friedrich und die Juden. 123 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 174. Trotz der hauptsächlichen Verantwortung der Fachressorts hatten diese ihre Entscheidungen doch mit den Provinzialdepartements abzustimmen, soweit jene betroffen waren; vgl. Straubel, Struensee, S. 33. 124 Bussenius / Hubatsch, S. 56. 121

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Tätigkeit er lediglich zwischen 1794 und 1798 durch v. Hoym abgelöst wurde. Die Urteile über Voß, der später unter vom Stein als „Exponent der sich formierenden Adelsopposition“ 125 galt, gehen auseinander. Figuriert er bei Huber als Exponent „restaurativer“ Ziele 126 und bei Thielen gar als „reaktionär“, 127 kommt Straubel zu einer moderateren Einschätzung. So habe sich Voß trotz einer „eher konservativen Haltung“ in manchen Politikfeldern „in den Kreis derjenigen hohen preußischen Beamten ein[gereiht], die bereits lange vor 1806 auf Reformen setzten und diese partiell in Angriff nahmen“. 128 Bussenius wiederum beurteilt seine Verwaltungstätigkeit in Südpreußen, die sich insbesondere auf die Landesmelioration und das Kolonistenwesen konzentrierte, als „vorurteilsfrei, wenn auch nicht ausgesprochen reformerisch eingestellt. [...] Seine Denkungsart wurzelte in der Aufklärung; mit einer stark rationalistisch geformten Staatsauffassung verband er jedoch den gerade für das fridericianische Preußen so charakteristischen Zug zu einem auf patriarchalischen Motiven beruhenden Verantwortungsbewußtsein für die administrierten Gebiete. Seine Entscheidungen waren klar durchdacht; er war dazu bereit, sich für seine Überzeugung einzusetzen.“ 129 Voß opponierte nun am 16. November 1802 in einer Weise und in einem Ton gegen die projektierte einschneidende Modifikation der Templiner Betriebsverfassung, die es verdienen, einer näheren Betrachtung unterzogen zu werden. Denn sein Schreiben belegt nicht lediglich das vielfach „ambivalente Verhältnis von Fachund Provinzialdepartements, das in den letzten Jahrzehnten des Alten Reiches die Tätigkeit der preußischen Staatsverwaltung nachteilig beeinflußte“. 130 In seiner Vehemenz macht es vor allem deutlich, auf welch prinzipielle Widerstände selbst ein schrittweiser Abbau jüdischer Sonderbelastungen – von einer staatsbürgerlichen Emanzipation ganz zu schweigen – noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts innerhalb der höheren preußischen Bürokratie treffen konnte. Dabei war Voß keineswegs ein prinzipieller Gegner einer bürgerlichen Verbesserung der Juden im Sinne Dohms, wie ein erneuter Blick auf seine Tätigkeit in Südpreußen verdeutlicht. So hatte er im Vorfeld des am 17. April 1797 erlassenen Generaljudenreglements für Südund Neuostpreußen 131 an den Oberpräsidenten der südpreußischen Kriegs- und Domänenkammer v. Buggenhagen geschrieben: 125

Münchow-Pohl, S. 87. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 127. 127 Thielen, S. 182. 128 Straubel, Beamte und Personalpolitik, S. 430. 129 Bussenius, S. 36; positiv auch die Wertung bei Lewin, Judengesetzgebung, S. 477: „Es war unzweifelhaft ein Omen der günstigsten Vorbedeutung, daß die Regelung der provinziellen Verhältnisse den Händen zweier Männer [gemeint sind Hoym und Voß] anvertraut wurde, die zu offen und vorurteilslos dreinschauten, als daß sie ihre Sympathie den Juden versagt hätten.“ 130 Straubel, Struensee, S. 2. 131 Abgedruckt bei Rönne / Simon, S. 292 – 302; vgl. Krause, Wloemer. Das Reglement ging insbesondere auf Finanzrat Wloemer zurück und entfaltete noch im 19. Jahrhundert 126

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Die Einrichtung des Judenwesens in dortiger Provinz ist von größter Wichtigkeit, da wahrscheinlich die Anzahl der Juden den 8. oder 9. Teil aller Einwohner ausmacht, 132 gegenwärtig aller Handel in ihren Händen, eine Menge Handwerker aller Art unter ihnen, und im ganzen genommen der Jude in Südpreußen ein kultivierterer Mensch, als der Bürger in kleinen Städten und der Bauer auf dem Lande ist. Schon diese Rücksichten machen eine ganz andere Einrichtung des Judenwesens dort, als in den alten Provinzen eingeführt ist, notwendig, und ich halte dafür, daß diese Nation der Verbesserung sehr wohl fähig ist, ihre Glieder auch zu nützlichen Staatsbürgern gemacht werden können. 133

Ungeachtet dieser Verbesserungsrethorik bewegte sich Voß in seinen Ansichten über den „Nutzen“ der Juden für den Staat zu nicht unerheblichen Teilen noch in den Bahnen, die Friedrich der Große vorgezeichnet hatte. 134 So teilte der Minister offenbar auch dessen Ziel, einen möglichst großen (nämlich den „unverbesserlichen“) Teil der Judenschaft im äußersten Osten der Monarchie zu konzentrieren und im übrigen Land durch christliche Wirtschaftssubjekte zu ersetzen. In einem Immediatbericht vom November 1799 hatte er, wiederum mit Bezug auf die Provinz Südpreußen, hervorgehoben, es würde dem Interesse des Staats sogar angemessen seyn, wenn Warschau bey seyner exponirten Lage ganz in eine Judenstadt umgeschaffen werden könnte. Alsdann würden die Juden aus dem Innern der Provinz dahin gewiesen, und die dadurch im Innern leer werdenden Stellen mit christlichen Einwohnern, selbst aus Warschau, besetzt werden können; in Warschau selbst aber, also auf der Grenze, würden die Juden durch Schleich- und anderen Handel nach dem Auslande dem Staate nützlich werden und Geld ins Lande bringen. 135

große Bedeutung, da es 1815 wiederum im Großherzogtum Posen eingeführt wurde. Siehe Jersch-Wenzel, Zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen im 19. Jahrhundert, S. 78; Kemlein, S. 71 – 78. Zum Judenwesen in den 1793/95 annektierten Provinzen ferner Bussenius, S. 243 – 253 sowie neuerlich Jehle. 132 Tatsächlich nur 5 %. 133 Zitiert nach Heppner / Herzberg, S. 198. In einer im September 1794 verfaßten und Voß zugeschriebenen Denkschrift über die Verwaltung Südpreußens war noch die Frage aufgeworfen worden, ob „die bürgerliche Verbesserung der Juden vielleicht selbst ihrer Religion widerspricht und eben darum untunlich ist“. Zitiert nach Bussenius / Hubatsch, S. 71. Zur angestrebten „bürgerlichen Verbesserung“ der Juden in Süd- und Neuostpreußen durch landwirtschaftliche „Produktivierung“ jetzt Jersch-Wenzel, Schänker und Landwirte. 134 Auch auf dem Feld der Judenpolitik erwies sich Friedrich somit noch nach seinem Tod vielfach als „Vorbild, dessen Werte und Lebensweise von hohen Beamten verinnerlicht wurden“. Vgl. Clark, Diener auf dem Thron, S. 89. Daß Voß dabei keineswegs allein stand, erhellt bereits aus der grundsätzlich dilatorischen Haltung, die das Generaldirektorium gegenüber der Reform des Judenwesens an den Tag legte. 135 Zitiert nach Sommerfeldt, S. 180 – 181, der ebd., S. 198 hervorhob, dieser Plan wäre „durchaus gründlicher zu erwägen gewesen“. Die nach Warschau zwangsumgesiedelten Juden sollten nach Voß’ Willen noch dazu Sondersteuern unterworfen werden und auch keine Schutzbriefe erhalten, um die Warschauer Bürgerschaft „nicht vor den Kopf zu stoßen und sich selbst für die Zukunft nicht die Hände zu binden“. Siehe ebd., S. 182. Im März 1806 berichtete Voß dem König: „Ein Polen, wohin die Juden sonst gewiesen und transportiert werden könnten, existiert nicht mehr; die russischen und österreichischen

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Dem Sinne nach hätten diese Zeilen (die aus heutiger Perspektive wohl zwangsläufig eine gewisse Beklemmung hervorrufen, jedoch nicht zu falschen Analogieschlüssen verleiten sollten) auch von Friedrich dem Großen stammen können. Und als dessen Nachlaßverwalter gerierte sich Voß denn auch in seinem die Templiner Manufaktur betreffenden Schreiben an Struensee. So könne er insbesondere einer finanziellen Entlastung der zweiten Kinder nicht zustimmen, sei doch unter dem großen König die Ansetzung der zweyten Judenkinder, wenn man den Nachtheil für die Christliche cantonpflichtige Bevölkerung und Nahrung nie ganz verkennen konnte, bloß in der Hoffnung nachgegeben worden, daß die ihnen gemachten Bedingungen fortdauernd der Industrie und Nahrung der Christen eine solche bedeutende Hülfe geben würden, welche auf andere Art nicht zu erreichen war. Es wurde dabey auf das bekannte eigene Raffinement der Juden und selbst auf Aufopferungen wenigstens in Ansehung des gewöhnlichen Gewinnes, ohne welchen sonst der Christliche Kaufmann keinen Handel oder Fabrique unternimmt, gerechnet. Man setzte voraus, daß ein jedes zweytes Kind, um die Wohlthat der Ansetzung zu genießen und mit jüdischem Handel etwas zu verdienen, gern auch zugleich einige dem Ganzen nützliche, aber nicht einträgliche und selbst mit eigenem baaren Verluste verknüpfte Geschäfte unternehmen würde, und die Juden verstanden sich würcklich dazu, sonst würde die Sache nicht zu Stande gekommen seyn. Eigentlich hätte es bey der anfänglichen Einrichtung auch verbleiben und die Ansetzung der zweiten Kinder immer nur mit dem in jedem Falle durch Anlegung und Erhaltung von Fabriquen oder jährliche Waaren-Exportation beförderten gemeinen Nutzen gleichen Schritt halten sollen, wie dies die unverkennbare Absicht des Königs Friedrich des II. Majestät wirklich gewesen ist. Alsdenn war nie zu besorgen, daß die Zahl der Juden im Lande höher steigen könnte, als es mit der Wohlfahrt des Ganzen verträglich ist. Denn Fabriquen-Anlagen und Waarenabsatz im Auslande hatten am Ende Grentzen. 136

Aus diesen Zeilen sprach keine christlich motivierte Judenfeindschaft. Stattdessen klingt bei Voß eine Besorgnis vor wirtschaftlicher Schädigung durch gemeingefährlichen „jüdischen Handel“ an, die seit jeher zum Standardarsenal antijüdischer Denkmuster zählt und auch in den Reihen der aufgeklärten Beamtenschaft zahlreiche Anhänger fand. Bevor also Voß’ weitere Schlußfolgerungen aus seinen hier angeführten Prämissen thematisiert werden, soll ein Blick auf den Kontext geworfen werden, in dem sich die vermeintlich „reaktionären“ Ausführungen des Ministers bewegten. Ganz ähnlich hatte sich beispielsweise 1795 Ernst Traugott von Kortum (1742 –1811) 137 in seinem Buch „Über Judentum und Juden“ in geäußert. Der Verfasser, aus Österreichisch-Schlesien stammend, hatte Anteile treiben sie sogleich auf der Grenze zurück...“. Zitiert nach ebd., S. 187, wobei der erste Teil des Zitats von Sommerfeldt durch Unterstreichung hervorgehoben wurde. 136 Voß an das Fabrikendepartement, Berlin, 16. November 1802, GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 180 –181. Bereits 1793 hatte Voß dafür plädiert, jüdisches Heiratsverhalten in der Provinz Südpreußen stärker zu reglementieren und dabei insbesondere höhere Abgaben ins Gespräch gebracht. Siehe Jehle, S. 38. 137 Vgl. Mecking.

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in Königsberg studiert und wurde schließlich 1785 von Joseph II. als Gubernialrat nach Lemberg berufen. Insofern sind die folgenden Äußerungen Kortums auch aufschlußreich für die Haltung der josephinischen Beamtenschaft: Wenn es mit den Nahrungswegen im Staate gut aussehen soll, so muß das Geld durch alle Kanäle und Adern des politischen Körpers frei zirkulieren, und jeder muß ungefähr ebenso viel wiedergeben als er empfängt. Der jüdische Handel befördert diese freie Zirkulation nicht. Der Hebräer gibt immer weniger wieder als er empfangen. Er ist ein Sumpf, der einen großen Teil des durch ihn laufenden Wassers verschlingt oder einsaugt, und weniger wiedergibt, als er empfangen hatte. 138

Wohlgemerkt, Voß, dies zeigt sein Verhalten als Departementschef in den polnischen Teilungsgebieten, hielt zumindest eine Minderheit der Minderheit für „verbesserungsfähig“. 139 Was aus heutiger Sicht drastisch klingt, war demnach eine noch immer vergleichsweise moderate Stimme. 140 Zudem erreichte wenige Monate nach Voß’ Intervention im Jahre 1803 nicht lediglich die publizistische Auseinandersetzung um die Emanzipation mit dem antisemitischen Werk Wider die Juden aus der Feder Karl Wilhelm Friedrich Grattenauers (mit 13.000 gedruckten Exemplaren eines der erfolgreichsten Bücher der Epoche) einen derartigen Siedepunkt, daß das Generaldirektorium aus Furcht vor Ausschreitungen zur Zensur schritt und jegliche weitere Veröffentlichung zum Thema untersagte. 141 Zeitgleich, und zwar insbesondere dann, wenn es um die Ansetzung zweiter Kinder ging (mit der schließlich auch der Betrieb der Templiner Manufaktur unzertrennbar verknüpft war), fertigten selbst einzelne leitende Beamte der Zentralbehörde Gutachten an, die an Gehässigkeit den Ausfällen Grattenauers kaum nachstehen. Angeführt sei hier eine Stellungnahme des Geheimen Finanzrats Jaeschke vom April 1804, die in manchen Formulierungen übrigens der zitierten Protestnote 138

Zitiert nach Häusler, S. 51. Gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte offenbar der Siegeszug von pejorativen und pseudoöknomischen Metaphern wie jüdischen „Schwämmen“, „Blutsaugern“ und „Schmarotzern“ ein, wie durch zahlreiche Quellen zu belegen ist. Beispiele bei Erb / Bergmann, S. 32, 200 – 201; Toury, Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum, S. 160; Bruer, Aufstieg und Untergang, S. 118. 139 Zurückzuweisen ist deshalb die Lesart, wonach Voß Anhänger eines „liberalen und egalitären“ Judenrechts gewesen sei. Siehe Krause, Wloemer, S. 106. So zitiert Sommerfeldt, S. 51 aus einem Reskript Voß’ vom 15. Oktober 1793 an das Petrikauer Kammerdepartement, wonach „die Bedingung des [bei der Heirat] nachzuweisenden Vermögens nur darauf abzweckt, damit die Anzahl der dem Staate schädlichen Familien der Betteljuden und Betrüger nicht vermehrt werde“. 140 1942 liest man denn auch bei Sommerfeldt, S. 128: „Im Gegensatz zum deutschen Bürger und Bauern kannte der jüdische Händler und Krämer keine Bindung an Heimat und Boden. [...] Das Gut, das sich bei einer derartigen Lebensweise am leichtesten transportieren ließ, das Geld, wurde von ihnen durch Hamstern aus dem Verkehr gezogen und dadurch die Binnenwirtschaft äußerst erschwert. [...] Voss, der die Schwere des Problems bereits 1793 richtig erkannte, wagte nicht, durch einen tiefen, plötzlichen Eingriff die Struktur des jüdischen Handels zu ändern.“ 141 Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 30.

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aus der Feder von Voß stark ähnelt, 142 jedoch ungleich radikalere Ansichten offenbart und ein beachtliches Maß an Judenhaß dokumentiert. So wird bei der Lektüre dieses Gutachtens schnell deutlich, daß es innerhalb der preußischen Beamtenschaft zumindest kein unumstrittenes Allgemeingut war, wenn – ebenfalls 1804 – der in der Grafschaft Mark tätige Kriegsrat Reinhard Friedrich Terlinden die Vertreibungen der Juden aus der Mark Brandenburg im 16. Jahrhundert „ein trauriges Beispiel des Aberglaubens und des großen Hasses der Christen wider die Juden“ 143 nannte. Denn der Berliner Finanzrat, im Gegensatz zu Terlinden ein Spitzenbeamter, der in der Ämterhierarchie unmittelbar hinter einem Minister rangierte, beklagte sich über die seit Jahrhunderten trotz aller Gegenmaßnahmen überhand nehmende Vermehrung der preußischen Juden, die doch unter Kurfürst Johann Georg „wegen mehrerer ihnen zur Last gelegten Verbrechen, Wucher, Betrug, Beeinträchtigung der Christen, sämtlich aus dem Lande getrieben“ 144 worden seien. Da die Juden vom Kriegsdienst befreit seien, müsse jeder Krieg notwendig zu ihrer weiteren Ausbreitung führen, während der Staat durch die Christen, seine „wahren Bürger“, 145 mit Blut und Leben verteidigt werde, ein Zustand, der „nothwendig den Patrioten schmerzlich rühren“ 146 müsse. Im Rückblick auf rund zwei Jahrhunderte preußischer Judenpolitik kam Jaeschke deshalb „ganz ungezwungen“ zu folgenden Schlußfolgerungen, mit denen die Gefahr heraufbeschworen wurde, daß der christliche Staat durch jüdische Eindringlinge förmlich überschwemmt würde: 1. wo die Juden einmahl, wäre es auch nur auf kurze Zeit, angenommen werden, fält es schwer, sich ihrer wieder zu entledigen; sie vermehren sich außerordentlich schnell, und wissen fast jede Maaßregel der Regierung gegen ihre Fortschritte unwirksam zu machen. – Hierbei kann es dem unbefangenen Beobachter schwerlich entgehen, welche Mittel sie anwenden, wie sie die Schwachheiten der Menschen auszuspähen und zu benutzen, den einen zu ihrem Schuldner zu machen, den andern sonst zu 142 So schrieb Voß, wie oben zitiert, es sei bei den hinsichtlich der Ansetzung zweiter Kinder in den 60er Jahren getroffenen Modalitäten „nie zu besorgen [gewesen], daß die Zahl der Juden im Lande höher steigen könnte, als es mit der Wohlfahrt des Ganzen verträglich ist. Denn Fabriquen-Anlagen und Waarenabsatz im Auslande hatten am Ende Grentzen.“ Bei Jaeschke heißt es dazu, es konnte damals „die Vermehrung [der Juden] nie, wie jetzt ins unendliche gehen; einmahl, weil neue Fabriquen-Anlagen, sowie Waaren-Ausführung, wenn diese nicht etwa heimlich wieder eingebracht wurden, natürlich Gränzen haben, und sobald diese erreicht waren, weitere Ansetzungen 2ter Kinder von selbst aufhören mußten“. Zitiert nach Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 170. Zur Person Jaeschkes und seines Bildungsweges können hier keine weiteren Angaben gemacht werden, da empirische Forschungen, die wesentlich über Freunds Aktendokumentation hinausreichen, bislang nicht vorliegen. 143 Terlinden, S. 18 – 19. 144 Hier ziziert nach Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 166; Gutachten in GSTA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 27, Bl. 10 –15. 145 Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 174. 146 Ebd., S. 165.

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gewinnen, den dritten durch Einfluß der beiden erstern, oder durch Schmeicheley, Erweckung mißverstandener Humanität u. s. f. in ihr Interesse zu ziehen suchen und fast alles durchzusetzen wissen. 2. So lange die Regenten ganz selbst handelten, ist der Vermehrung der Juden immer Einhalt geschehen; sobald sie die Sache einigermaßen aus den Augen verlohren, haben die Juden sogleich begünstigende Auslegungen und Nachsichten erhalten und sich aufs stärkste vervielfältiget. 3. Ihre Privilegien und die ältere Verordnungen begründen keinesweges eine Vermehrung der Juden, wie sie jetzt statt findet, am wenigsten aber begründen sie, daß 2te Kinder wieder Kinder ansetzen, und solchergestalt die bestimmte Zahl der Schutzjuden-Familien gegen den ersten und höchsten Grundsatz, nach welchem sie nur recipirt sind und geschützet werden sollen, zuerst verdoppeln und dann ins unendliche multiplizieren dürfen. 147

Wie weit manche Spitzen der preußischen Beamtenschaft noch unmittelbar vor 1806 von jener naturrechtlich motivierten Opposition entfernt waren, die nach Ansicht nicht weniger Autoren bereits ein Jahrhundert zuvor auf dem Feld der Judenpolitik an der Tagesordnung gewesen sein soll, 148 verdeutlichen Jaeschkes weitere Ausführungen. So sei es vor dem Hintergrund der jüdischen Bedrohung durchaus als legitim und rechtens zu betrachten, wenn die bisherigen Privilegien, insbesondere die Ansetzungen der zweiten Kinder, wiederum eingeschränkt würden, a) weil die unbeschränkte Vermehrung einer so sehr fruchtbaren und gewinnenden Menschen-Klasse, welche die Hauptpflichten der eigentlichen Staatsbürger nicht erfüllen kann und will, diesen letzteren notwendig zum schweren Druck gereichen, dem Staate selbst aber höchst schädlich, am Ende sogar gefährlich werden muß. b) weil in einem solchen Falle nach den reinsten Principien des Staatsrechts – indem die Erhaltung des Staats selbst das höchste Gesetz ist und bleiben muß, wenn nicht zuletzt alles, und selbst die Gerechtigkeit im Ganzen verlohren gehen soll – ein Souverain vollkommen Befugnis hat, insbesondere auch durch Einschränkung oder Aufhebung gewisser Rechte und Privilegien, drohende Uebel abzuwenden und das Ganze zu sichern; c) weil dieses Majestätsrecht, in Rücksicht auf den preußischen Staat, sich außerdem im Staats-Herkommen gründet, wie davon die Beispiele älterer und neuerer Zeit zeugen, wo gedachtes Recht zum gemeinen Wohl von den Beherrschern ausgeübt worden. d) weil insbesondere die Juden-privilegien, welche niemals zugleich für die Nachfolger in der Regierung ertheilet worden, von jeher precair und bei veränderten Regierungen für erloschen geachtet, immer auch nach Befinden abgeändert und selbst aufgehoben worden. 149

147 148 149

Ebd., S. 172 – 173. Vgl. Schoeps, Judenpolitik in Preußen, S. 143. Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 173 – 174.

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Beistand erhielt Jaeschke mit seinen antijüdischen Ausfällen, die tradierte christliche Positionen gewissermaßen in staatsutilitaristischem Gewand präsentierten, vom bereits erwähnten ostpreußischen Oberpräsidenten von Schroetter, der bereits zehn Jahre zuvor in Westpreußen deutlich die Argumente und Vorurteile artikuliert hatte, „die der gegenüber den Juden negativ eingestellte Teil der Beamtenschaft“ 150 vorbrachte. Gerade in den Jahren um die Jahrhundertwende war Schroetter, und zwar gemeinsam mit Voß, darum bemüht, sogar die Modalitäten bei der Ansetzung der ersten Judenkinder zu verschärfen. 151 So hielt Schroetter, der, wie noch zu schildern sein wird, im Vorfeld des Emanzipationsedikts eine große Rolle spielen sollte, natürlich erst recht die Frage der Ansetzungen zweiter Kinder für sein „Departement und für die hierinn befindliche Handelsstädte, von der größesten Wichtigkeit“, wobei die jüdische Zuwanderung aus Osteuropa gewiß eine Rolle gespielt haben wird. Folgerichtig unterstützte Schroetter in einer Stellungnahme vom 25. April 1804 152 ausdrücklich das Gutachten Jaeschkes, „welches mit so 150 Bömelburg, Zwischen polnischer Ständegesellschaft und preußischem Obrigkeitsstaat, S. 431. So vertrat Schroetter 1791 die Ansicht, der auf Befehl Friedrichs bei der Vergabe von Schutzkonzessionen geforderte Vermögensnachweis von 1.000 Rt. sei zu gering gewesen und habe zur Ausbreitung der „ganz ungeheure[n] Menge“ von Juden entscheidend beigetragen. 151 Straubel, Königsberg und Memel, S. 372 weist in diesem Zusammenhang auf die Bestrebungen der Kurmärkischen Kammer hin, dem im Januar 1801 als erstes Kind in Berlin angesetzten Seelig Levin zu Lebzeiten des Vaters die Führung eines eigenen Handlungsgeschäfts zu untersagen, womit sich die Kammer sogar über ein Urteil der Oberrevisionskollegiums aus dem Jahre 1795 hinwegsetzte. Ähnliche Vorstöße hatte von Voß bereits 1793 an der Spitze der südpreußischen Verwaltung unternommen, womit er jedoch am Einspruch von Hoyms und des Königs gescheitert war. Siehe Krause, Wloemer, S. 106; zum Urteil der NS-Geschichtsschreibung Sommerfeldt, S. 50: „Da eine Verminderung der Juden in Spr. [Südpreußen] durch Ausweisung am humanitätsseligen Gerechtigkeitssinn Friedrich Wilhelms II. und am Fehlen eines Landes, das die Vertriebenen aufgenommen hätte, scheiterte, mußte der Staat versuchen, durch Unterbindung des Zuzugs und durch Erschwerung der Heirat wenigstens ihre Vermehrung zu verhindern.“ Vgl. ebd., S. 53 –54: „Es läßt sich schwer nachweisen und bleibt zumindest zweifelhaft, ob die Heiratsbeschränkungspolitik überhaupt einen merklichen Erfolg gehabt hat. Trotz der immer wiederholten Mahnungen an die Kammern, strenge darauf zu achten, daß vor Erteilung der Konzession alle Bedingungen genauestens erfüllt seien, mußte es für diese immer eine verlockende Gelegenheit bleiben, möglichst vielen Juden Trauscheine zu erteilen, da die dafür erhobenen Gebühren teilweise ihrem Etat zugute kamen. So wird es wohl der Wahrheit nahekommen, wenn wir nach Aufhebung der Voss’schen Verfügung über den Ehekonsens die auf die Juden ausgeübte Beschränkung nicht zu hoch ansetzen.“ Vgl. ferner Lewin, Judengesetzgebung, S. 569. Zu Schroetters „konservativer“ Haltung gegenüber den Juden Straubel, Königsberg und Memel, S. 382 – 387. In Voß’ zitiertem Schreiben an Struensee zeigt sich übrigens manche Übereinstimmung mit der Argumentation Schroetters, der ebenfalls den militärischen Aspekt einer Reform des Judenwesens betonte und sich mit Rücksicht auf die Kantonverfassung gegen ein großzügigeres Verfahren bei jüdischen Hauskäufen aussprach: „Kann es sich dahero wohl mit der militairischen Verfaßung des preußischen Staats vertragen, den Grund und Eckstein einer Judenstadt in Königsberg und andern kleinen Städten der Provinz zu legen?“ Zitiert nach Straubel, Königsberg und Memel, S. 384.

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viel patriotischem Gefühl und Einsicht abgefaßt“ worden sei. Als abschreckendes Beispiel stand dem Oberpräsidenten das Wachstum der Königsberger Judenschaft vor Augen, denn mittlerweile sollte dort „ein Fremder, nach den hebräischen Tafeln zu urteilen, welche vor den Häusern hängen, ganz füglich glauben können, daß er sich in einem neuen Jerusalem befände“. So ließ Schroetter keinen Zweifel daran, daß er es begrüßen würde, wenn „fest und unabänderlich bestimmt würde, daß ohne die Königliche allerhöchste besondere Concession nie ein zweytes Kind als ordinairer Schutz Jude eingesetzt werden könnte“. Der Oberpräsident, der in jenen Jahren selbst die Rechtstitel der Generalprivilegierten ins Visier nahm, 153 forderte demnach also einen klaren Rechtsbruch. Nach Meinung der NS-Geschichtsschreibung führten diese insbesondere von Schroetter und Voß getragenen Bemühungen „theoretisch zu einer Abkapselung der Provinzen gegeneinander, wobei es jeder einzelnen überlassen blieb, aus eigener Kraft mit ihrem Kontingent an Juden fertig zu werden“. 154 In welchem Umfang es dazu tatsächlich gekommen ist, muß angesichts fehlender Untersuchungen vorerst offenbleiben. Unbestreitbar ist jedoch die Tatsache, daß man sich zeitweise zumindest in Königsberg über die unter Friedrich dem Großen teuer erkaufte und mehrfach verbriefte freie Wohnortwahl der zweiten Kinder hinwegsetzte. Zudem ist in diesem Zusammenhang auf ein Direktorialreskript hinzuweisen, das bereits am 15. Juli 1795 ergangen war, und das die Regelung des Immobilienerwerbs durch zweite Kinder verschärfte. Danach sollte in Berlin nur noch der Erwerb unbebauter Grundstücke sowie in den übrigen Städten von wüsten Stellen erlaubt sein, wobei allerdings der Genuß von Baufreiheitsgeldern zugesichert wurde. 155 Noch dazu fielen derartige Bemühungen zu Beginn des neuen Jahrhunderts offenbar in eine Phase, in der auch Friedrich Wilhelm III. angesichts bislang größtenteils fehlgeschlagener Produktivierungsbemühungen an der Möglichkeit einer „Verbesserung“ der Juden zu zweifeln begann. So ließ er am 13. September 1803 an das Generaldirektorium Bemerkenswertes verlauten: Übrigens haben Seine Majestät bei dem ungünstigen Erfolg aller dazu gemachten Versuche, die Juden durch Übernahme aller Pflichten christlicher Bürger auch aller Rechte derselben empfänglich zu machen, die Idee einer bürgerlichen Verbesserung der Juden im Allgemeinen längst aufgegeben und wollen es daher überall bei der bestehenden gesetzlichen Verfassung bewenden lassen. 156

152 Dieses und die folgenden Zitate nach Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 175 – 177. 153 Vgl. oben, Kap. C. II. 154 Sommerfeldt, S. 56. 155 Terlinden, S. 148 – 149; Lewin, Judengesetzgebung, S. 574 –575. 156 Zitiert nach Sommerfeldt, S. 168. Daß diese Äußerung dort weidlich ausgeschlachtet wird, muß wohl nicht näher ausgeführt werden. Jehle, S. 40 charakterisiert Friedrich Wilhelm III. als „a notorious Jew-hater“.

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Doch selbst diese überkommene Rechtslage stand zumindest für die zweiten Kinder in jenen Jahren zur Diskussion und sollte die Behörden noch mehrere Jahre, über die Zäsur des Jahres 1806 hinaus, beschäftigen. Dabei ging es insbesondere um Jaeschkes Forderung, den zu etablierenden zweiten Kindern künftig die Ansetzung eigener Nachkommen zu verbieten und sie somit gleichsam auf den Status der Extraordinarii zu reduzieren, wogegen wiederum der mittlerweile als Generalfiskal amtierende Köhler einwandte, dieses könne, wenn überhaupt, „nur durch eine Entschädigung der dadurch in ihren Rechten verletzten Juden geschehen“. 157 Auch die Kriegs- und Domänenkammern, mit Ausnahme der Bromberger Deputation, waren gegen Jaeschke und Schroetter der Ansicht, daß die nachgeborenen und angesetzten Kinder ihrerseits als Ordinarii zu betrachten seien und ihnen deshalb auch das Recht „wohl zustehe“, ihre eigenen Kinder wiederum anzusetzen. 158 Der ganz in den Kategorien Dohms argumentierende Kriegsrat Troschel wünschte sich schließlich im März 1808, es möge „die unnatürliche Präferenz einiger Juden in dem Streben nach ehelicher und häußlicher Glückseligkeit, und das Verdammungsurteil Anderer zu einem ewigen Cölibat über den Haufen fallen“ und „in ewige Vergessenheit oder bis zum künftigen Belächeln unserer klügeren Nachkommen ad acta reponiert werden“. 159 So weit war es allerdings noch nicht. Stattdessen scheint es in Königsberg unter der Ägide Schroetters tatsächlich zu einer rechtswidrigen Verschärfung der Ansetzungsbedingungen gekommen zu sein, wie dessen Immediatbericht vom 11. Juni 1808 zu entnehmen ist. So hätte sich die Königsberger Judenschaft durch natürliches Wachstum und Einschleichen fremder Juden bis auf 858 Personen vermehrt, so daß daher selbst verschiedene 2te Kinder der wirklichen ordinären Schutzjuden sich mit der Ansetzung gedulden müssen, bis das Schutz-Stellen durch Aussterben, Wegziehen oder Cassation des Schutzes, wegen solcher Vergehen, die selbige gesetzlich nach sich ziehen, vacant werden. 160

So wurde offenbar die freie Wahl des Wohnsitzes bei der Ansetzung zweiter Kinder noch wenige Jahre vor Publikation des Emanzipationsedikts erfolgreich eingeschränkt. Dies wäre um so bemerkenswerter, als Friedrich der Große mit ähnlichen Plänen vier Jahrzehnte zuvor noch an Widerständen innerhalb der Judenschaft sowie der Bürokratie gescheitert war. 161 Diesen Kontext galt es, an dieser Stelle ausführlicher darzustellen, denn ohne ein Wissen um die zahlreichen retardierenden Momente der Emanzipationsdebatte 157 So nach einem Gutachten des Kriegsrats Troschel vom 17. März 1808, siehe Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 178 – 194, hier: S. 180. 158 Ebd., S. 180. 159 Ebd., S. 194. 160 Ebd., S. 201; vgl. mit ähnlichem Wortlaut einen weiteren Immediatbericht v. Schroetters vom 15. September 1808 ebd., S. 201 – 203, hier: S. 202. 161 Vgl. oben, Kap. E. VI.

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wäre nicht zu begreifen, wie mit Voß ein Mann, den man nicht einfach als dumpfen Reaktionär abtun sollte, noch im Jahre 1802 so vehement auf den Fortbestand der seit mehr als 35 Jahren defizitär betriebenen Templiner Manufaktur drängen konnte – denn das tat er. So sei ihm, um wiederum auf sein Interventionsschreiben zurückzukommen, unverständlich, wie die Behörden 1769 von der anfänglichen Auflage kontinuierlicher Warenexporte hätten abgehen können, um die Juden fortan lediglich mit der Verpflichtung zum Betrieb einer Manufaktur von gerade einmal 20 Stühlen davonkommen zu lassen – „eine Bedingung, die in Rücksicht auf den Gegenstand des erlangten Rechts der Juden schon damahls in der That kleinlich [d. h. ungenügend] war, mit jeder neuen Ansetzung aber nothwendig immer mehr außer Verhältniß kam. Dies ist nun freylich jetzt nicht wohl zu ändern.“ 162 Um so strenger sei jedoch darauf zu bestehen, daß die Judenschaft ihren aus dem Vertrag von 1769 erwachsenden Verpflichtungen „auf immer pünktlich“ nachkomme. Wenn die Manufaktur sich zur Zeit in einem nicht konzessionsgemäßen Zustand befinde, so beweise dies nichts anderes, als daß, „wie ohnehin bekannt, die Juden, wenn sie erlangt haben, was sie wollen, auf alle Art sich ihren Verpflichtungen zu entziehen suchen und wissen“. Selbst wenn das Unternehmen „wohl von der Art seyn mag, welche keinen sonderlichen Vortheil bringen [!], wenn sie ununterbrochen in gleicher Maaße betrieben werden sollen“, ändere dies nichts an der Verantwortung der Judenschaft. Würde man diese hingegen aus ihren Verpflichtungen entlassen, so sei keineswegs sicher, daß der Templiner Betrieb mittel- und langfristig ohne Zuschüsse des Fiskus überlebe. In jedem Falle müsse deshalb bei einer dennoch bewilligten Abtretung der Manufaktur darauf bestanden werden, daß hinsichtlich der Modalitäten bei der Ansetzung der zweiten Kinder die ursprünglichen Regelungen von 1763/65 wiederum in Kraft träten, wonach jeder Schutzbriefempfänger entweder eine neue Manufaktur anzulegen oder aber kontinuierlich preußische Manufakturwaren zu exportieren habe. Damit nicht genug, verlangte Voß, die Judenschaft für die von ihr zu verantwortende Vernachlässigung der Manufaktur zu bestrafen, „indem der Schade, welcher durch die verminderte Zahl der Meister und Stühle der bürgerlichen Nahrung in Templin und den Accise-, Servis-, Cämmerey- und Bürger-Cassen sowie dem Canton erwachsen ist, sich wohl so ziemlich wird berechnen lassen“. Auf die zugrundeliegenden Ursachen für die nun seit fast vier Jahrzehnten in Templin herrschende Mißwirtschaft ging Voß also kaum ein, im Gegenteil: Der Provinzialchef wendete die daraus erwachsenden finanziellen Belastungen der zweiten Kinder sogar aus politischen Erwägungen ins Positive, schienen sie einer übergebührlichen Vermehrung der Judenschaft doch einen Riegel vorzuschieben. In der

162

Dieses und die folgenden Zitate: GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 180 – 181.

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Argumentation des Provinzialchefs vermengten sich demnach „ideologische“ und (sehr konservative) gewerbepolitische Überlegungen auf eigentümliche Weise. Die ausschließlich ökonomisch argumentierenden „Pragmatiker“ des Fabrikendepartements konnten mit diesem aus ihrer Sicht antiquiert anmutenden Einwurf denn auch wenig anfangen. Wie Struensee seinen Kollegen Voß am 25. November ausdrücklich wissen ließ, hätte ihn dessen Intervention „nicht überzeugt“. 163 Das Recht zur Ansetzung der zweiten Kinder habe die Judenschaft nun einmal erlangt und müsse es so lange behalten, wie die Templiner Manufaktur „gehörig betrieben wird, für den Staat ist es aber wichtig, daß diese Fabrike nicht länger unter einer Administration nur mittelmäßigen Fortgang habe, sondern durch einen sachkundigen und thätigen Entrepreneur mehr empor gebracht werde“. Durch die von der Judenschaft zu erlegende Ablösungszahlung von 12.000 Rt. verfüge Düntz, der im übrigen ein tüchtiger Mann sei, über einen ausreichenden Betriebsfonds, der zudem durch die auf Düntz’ Haus aufzunehmende Hypothek auch für die Zukunft gesichert sei. Mit der Bereitstellung jener 12.000 Rt. büße die Judenschaft bereits genug für den in Templin entstandenen Schaden, der ohnehin „wohl schwer zu Gelde berechnet werden“ könne. 164 Nicht nur bei Struensee stieß Voß auf starke Vorbehalte. Auch Christoph Goßler (1752 – 1816), 165 Mitglied der Gesetzkommission und Geheimer Oberrevisionsrat, verfaßte am 22. Dezember ein ablehnendes Gutachten. 166 Goßler hatte sich bereits 163 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 325. Struensees Schreiben entspricht weitgehend dem Konzept Goßlers vom Vortag: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 185 –186. Es sei dahingestellt, inwiefern Schroetter Struensees Haltung zutreffend wiedergab, wenn er schrieb, daß dieser ebenfalls von dem Nachteil überzeugt sei, der darin liege, „daß der Fabriken- und Schnitt-Handel, sich nur vorzüglich in den Händen von Menschen [also Juden] befindet, welche in der Regel so sehr zum Contrebande-Handel geneigt sind“. Zitiert nach Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 177. 164 Auch folgende Ausführungen Struensees machen deutlich, daß diesem nicht der Sinn nach langwieriger Durchsetzung von weiteren Entschädigungsforderungen stand: „Auch gehören die Nachtheile, welche der bürgerlichen Nahrung in Templin, den Servis-, Cämmerey- und Bürger-Cassen so wie dem Canton etwa erwachsen sind, nicht zum Ressort des General-Fabriken-Departements, und dasselbe würde dem Hochlöblichen ProvincialDepartement [also Voß] die Anstellung der Klage ganz überlassen müssen.“ GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 325. 165 Vgl. Krause. 166 Darin heißt es u. a.: „Wollte man dagegen auf die subsidiarische Verhaftung bestehen, so würde die Judenschaft ihr jetziges Anerbieten [12.000 Rt. zu zahlen] zurücknehmen und die Fabrike nach wie vor in Administration behalten. Alsdann wäre alle Aussicht verloren, die Fabrike mehr in Aufnahme zu bringen und dadurch den Nahrungsstand der Stadt Templin zu befördern, es würde also auch der Zweck des Hochlöblichen Provinzial Departement ganz verfehlt werden. Sollte aber die Judenschaft wider Erwarten die subsidiarische Verhaftung über sich nehmen, so würde ihr dies ein Recht zur Einmischung in die Fabrike geben, welches dem Fortkommen derselben sehr nachtheilig werden könnte, auch um so mehr

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1786 in seiner Abhandlung Versuch über das Volk nicht nur als Gegner von Monopolen, sondern auch als Anhänger Dohms zu erkennen gegeben, indem er die Lage der Judenschaft folgendermaßen beschrieb: Mit höheren Abgaben belastet, als die übrigen Unterthanen; vom Ackerbau, von den Handwerken und von allen Gewerben ausgeschlossen; nur allein auf den Handel eingeschränkt, und dies in Staaten, wo vielleicht der eigentliche Handel täglich sinkt, oder wo einige der besten Zweige desselben ausschließend in den Händen des Landesherrn sind; was bleibt ihnen übrig? Alle die, welchen ein günstiges Geschick nicht große Schätze zugeführt hat, müssen zu verbotenen Künsten ihre Zuflucht nehmen; müssen durch List und Wucher das zu erhalten suchen, was ihnen auf rechtmäßigen Wegen versagt ist. Es bleibt ausgemacht, daß viele der Juden von mittelmäßigem oder geringem Vermögen in ihrem jetzigen Zustand für den Staat schädlich sind, daß sie besonders an der zunehmenden Verderbnis und Dürftigkeit des Volks Antheil haben. Aber wenn wir aufrichtig sind und alles Vorurtheil ablegen, so müssen wir gestehen, daß nicht sie, sondern wir allein, daran schuld sind. Die neueren Untersuchungen menschenfreundlicher Philosophen haben es bestätigt, daß weder in den Religionsgrundsätzen, noch in dem Charakter der Juden etwas ist, welches sie hindert, gute Bürger und Unterthanen zu seyn. 167

Doch trotz der Bedenken Struensees und Goßlers setzte sich Voß schließlich in wesentlichen Punkten durch. 168 So wurde der bereits mit Düntz ausgehandelte Vertrag kassiert und die Kurmärkische Kammer am 7. Januar 1803 durch das Generaldirektorium darüber informiert, daß „die Verhaftung derselben [Judenschaft] für die Erfüllung der Bedingungen der Concession vom 12. Jan. 1769 nach § 7 und 11 auch bei der beabsichtigten Betreibung der Fabrique durch einen Entrepreneur fortdauern müsse“. 169 Auch habe man sich bei der Kammer darüber Gedanken zu machen, welche Entschädigungssumme man wegen der bisherigen Vernachlässigung der Manufaktur fordern könne. Die somit angedachte Bestrafung verschwand jedoch offenbar bald wieder in der Schublade, und auch an Düntz als neuem Unternehmer hielten Behörden und Judenschaft weiterhin fest. Lediglich der Amtsantritt des neuen christlichen Unternehmers sollte sich durch Voß’ Protest noch bis zum Juni 1803 hinziehen. 170 Der zugrundeliegende Vertrag zwischen Düntz und der Judenschaft, offenbar abgeschlossen am 23. April, hat zu vermeiden ist, da das General-Fabriken-Departement für die Erfüllung der von dem Dünz übernommenen Verbindlichkeit oder für die Anstellung eines andern tauglichen Entrepreneur weit zweckmäßiger sorgen kann und wird.“ GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 332 – 333. 167 Goßler, S. 83 – 84. 168 Angesichts lückenhafter Überlieferung kann der Gang der Entscheidungsfindung freilich nicht mehr detailliert rekonstruiert werden. 169 GStA PK, II. HA, Kurmark, Materien, Tit. CCXXXII, Generalia Nr. 9, Bd. 5, Bl. 335. 170 Nach Aussage einer Beschwerdeschrift Templiner Fabrikanten vom 6. Juni 1803 hatte Düntz zwei Tage zuvor den Betrieb übernommen: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3. Bl. 200 – 201.

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sich in den Akten allerdings nicht erhalten. Jedoch werden dessen Eckpunkte in einer Untersuchung von 1809 referiert. 171 Danach verpflichtete sich Düntz, die Manufaktur für einen Zeitraum von zwölf Jahren konzessionsgemäß, also mit zehn Meistern und 20 Stühlen, zu betreiben, wofür ihm die Judenschaft ein zinsloses Darlehen in Höhe von 4.000 Rt. zur Verfügung stellte, das durch den Unternehmer allerdings innerhalb von vier Jahren in Raten von jeweils 1.000 Rt. zurückzuerstatten war. Ab dem fünften Kontraktjahr solle Düntz durch die Judenschaft einen jährlichen Zuschuß von 600 Rt. erhalten, während das Fabrikenhaus mitsamt dem Inventar weiterhin im Besitz der letzteren verblieb. In den Jahren nach 1803 werden die Akten über die Templiner Manufaktur insgesamt deutlich lückenhafter als in all den Jahrzehnten zuvor. Nach allem, was sich anhand der wenigen erhaltenen Dokumente sagen läßt, ist diese Verschlechterung der Überlieferungssituation dem, man möchte sagen, beinahe unglaublichen Sachverhalt geschuldet, daß der Betrieb zum ersten Mal in seiner Geschichte über einen längeren Zeitraum hinweg florierte, es also für die Beamten kaum etwas zu monieren, inspizieren und renovieren gab. Düntz, der anfangs in Templin scheinbar nahezu 40 Stühle betrieb, 172 hatte zwar ebenso wie sein Vorgänger Eschwege mit Lohnstreitigkeiten seitens der Fabrikanten zu kämpfen, 173 erfuhr dabei allerdings (anders als bei Entlassungen) die rückhaltlose Unterstützung seitens der Behörden, die schließlich beschlossen, „den Konzipienten der Eingabe [der Fabrikanten], der allem Anschein nach ein unbefugter Schriftsteller ist und die Supplikanten in schädliche Weitläuftigkeiten verwickelt, ausmitteln und zur Verantwortung ziehen zu lassen“. 174 Überliefert ist ferner eine Bittschrift von Düntz, mit der dieser am 6. Januar 1806 um die Gewährung eines in jährlichen Raten von 300 Rt. zurückzuzahlenden Darlehens in Höhe von 1.218 Rt. bat, da er sich zur Anlegung einer Maschinenspinnerei mit den „neuen Tappertschen WollSpinn-Maschinen“ entschlossen habe, deren Anschaffungskosten der Unternehmer auf 2.437 Rt. veranschlagte. 175 Hierbei handelte es sich offenbar um eine jener Spinnmaschinen, die der Mechaniker Wilhelm Tappert (1766 – 1831) um 1791 gemeinsam mit seinem Partner Alberti entwickelt hatte. 176 Seine Maschi171

Ebd., Bd. 4, Bl. 77 – 80. Ebd., Bl. 77; BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 4445. 173 Siehe etwa die Beschwerde sämtlicher Templiner Meister vom 25. Mai 1804 wegen angeblich noch offener Forderungen an die Judenschaft, zu geringer Entlohnung durch Düntz und Spannungen mit den durch diesen nach Templin angeworbenen neuen Arbeitern: GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 12 –13. 174 Diesen Befehl erhielt die Kurmärkische Kammer am 31. Mai 1804 vom Fabrikendepartement, ebd., Bl. 14. Den schreibkundigen Konzipienten von Suppliken galt seit jeher das Mißtrauen der Obrigkeit, wurden viele „unnütze“ Bittschriften doch auf das Gewinnstreben von „Winkelschriftstellern“ zurückgeführt, welche die leichtgläubige Untertanenschaft zu beständigem Querulieren verleiteten. Vgl. Rehse, S. 97. 175 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 22. 176 Vgl. Heerwagen, S. 150 – 151. 172

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nenspinnerei spielte auch nach 1815 eine große Rolle im preußischen Dampfmaschinenbau – allerdings mit zweifelhaftem Erfolg, mußte Staatsrat Kunth doch konstatieren, daß es den Maschinen vor allem „an Dämpfen“ 177 fehlte – für eine Dampfmaschine wohl ein vernichtendes Urteil. Wenngleich es sich aus den Quellen nicht mit letzter Sicherheit herauslesen läßt, scheint es sich deshalb bei der von Düntz gewünschten Maschine zu diesem Zeitpunkt, also 1806, noch um eine wassergetriebene Maschine gehandelt zu haben. Darüber hinaus plante er, künftig neben Castorstrümpfen auch einfache Armeestrümpfe sowie wollene Fußdecken zu produzieren und sein Sortiment zudem durch die Herstellung roter türkischer Mützen um den modisch scheinbar letzten Schrei zu erweitern. 178 Die Forcierung der Mechanisierung, bei der die Berliner Porzellanmanufaktur bereits 1793 mit der ersten Dampfmaschine Berlins vorangegangen war, besaß in jenen Jahren im Rahmen der preußischen Gewerbeförderung durchaus einige Priorität, 179 und so wurde auch Düntz’ Antrag nach eingehender Begutachtung sehr wohlwollend beurteilt. Schließlich machte man sich Hoffnungen, daß der Unternehmer auf diese Weise in den Stand gesetzt würde, seine Produkte verstärkt ins Ausland zu exportieren, wobei auch „der Nahrungsstand der Stadt Templin, welcher auf diese Fabrike vornehmlich beruhet, sehr dabey gewinnen werde“. 180 In einer Zeit, in der die Zuschüsse an das Großgewebe im allgemeinen längst nicht mehr so üppig flossen wie noch unter Friedrich dem Großen, teilte das Fabrikendepartement der Technischen Deputation am 26. Juni 1806 sogar mit, daß man die kompletten Anschaffungskosten (maximal jedoch die von Düntz angegebenen 2.437 Rt.) aus dem Manufakturfonds vorschießen werde, wobei dem Unternehmer noch dazu ein Drittel dieser Summe geschenkt werden solle. 181 Wie es derweil vor Ort in Templin aussah, geht aus einem in den Akten des Manufaktur- und Kommerzkollegiums befindlichen Reisebericht vom Mai 1806 hervor, dessen Verfasser allerdings nicht ermittelt werden konnte. Für die gewandelten Anschauungen auf dem Feld der Juden- und Manufakturpolitik nicht uninteressant ist dabei die harsche Kritik an den Zuständen in friderizianischer Zeit, mit der die Beschreibung einsetzt. So habe es in den 60er Jahren „an der Hauptsache, am Absatz [gefehlt], und man hätte sich manche künstliche Mittel, den Debit zu bewürken, erspahren können, wenn man früher einen förmlichen Entrepreneur heran geschafft hätte“. Stattdessen hätten „die armen, dem Zwang-Absatz unterworfenen Juden alle Strümpfe und Mützen ohne Auswahl annehmen [müssen], 177 Lärmer, „Sie geht zehn Minuten, dann steht sie still.“; vgl. ferner Reissig, S. 95; Martin, S. 177. 178 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 22. 179 So hatte beispielsweise der Berliner Baumwollunternehmer Johann George Sieburg im Jahre 1796 einen staatlichen Zuschuß in Höhe von 100.000 Rt. (!) zur Anschaffung einer Dampfmaschine erhalten. Siehe Mieck, Preußische Gewerbepolitik, 63. 180 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 49. 181 Ebd., Bl. 52.

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wie sie ihnen die Administration zuzuschicken für gut fand“. 182 Ein tüchtiger Unternehmer war jedoch nach Ansicht des Beamten mit Christian Friedrich Düntz nun endlich gefunden, unter dessen Direktion die Manufaktur „auf einen soliden Fuß gekommen“ sei. Nachdem die Manufaktur im Jahre 1804 sogar mit 53 Stühlen betrieben worden sei, erhalte man nun 8 Walzen- und 14 Federstühle, insgesamt also 22 Stühle im Gang, auf denen aus Wolle und Baumwolle Strümpfe, Mützen, Kinder- und Damenröcke sowie Unterhosen produziert würden. 183 Auch an den gezahlten Löhnen 184 sei nichts zu beanstanden, verdienten doch „die alten Leute Hübner, Rosenhahn und Blümler monathlich ihre 8 Rt. im Durchschnitt. Die Andern bringen es auf 10, 12 und selbst 15 Rt., alle haben jährlich 8 Rt. zur Miethe und freye Benutzung der Stühle“. Als Werkmeister sei ein Ludwig Herlemann engagiert worden, während der Bruder des Unternehmers, Ludwig Düntz, auf einer Insel im Templiner See eine Bleiche angelegt habe, in der wöchentlich 300 bis 400 weiße Tücher für Berliner Kaufleute und Fabrikanten gebleicht würden. Die Stühle befänden sich in gutem Stand und würden vorerst durch den Strumpfwirker Beyer sowie den Schlossermeister Schneidewind gewartet. Durch die gezahlten Löhne flössen der kommunalen Wirtschaft jährlich 700 bis 800 Rt. zu, während 182 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 85. Falsch ist jedoch offenbar die in diesem Bericht gemachte Angabe, wonach Düntz 1802 vom Fabrikendepartement eine von der Judenschaft gezahlte Ablösesumme in Höhe von 12.000 Rt. erhalten sowie darüber hinaus die Eigentumsrechte am Fabrikenhaus, der Färberei sowie an 16 Strumpfwirkerstühlen angetreten habe. Aus Unterlagen in Akten des Fabrikendepartemens vom 30. September 1809 geht explizit hervor, daß dieses ursprünglich von der Judenschaft gemachte Angebot aufgrund der angeführten Intervention durch v. Voß nicht angenommen wurde. Darüber hinaus betonte der Berliner Älteste David Hirsch ebenfalls noch 1809, das Eigentum der Judenschaft „in Templin bestehe in einem Fabrikenhause und 20 Stühlen, und es würde sich nach der Entscheidung der Sache finden, in welcher Art zum wahren Besten der Fabrik die bisherige Einrichtung zu ändern sein dürfte“. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 85. 183 Der Bericht listet die zu diesem Zeitpunkt an den 22 Stühlen tätigen Fabrikanten namentlich auf, ebd., Bl. 86. 184 Diese betrugen je Paar bei wollenen Männerstrümpfen 4 Gr., für dergleichen Frauenstrümpfe 3 Gr., bei Männerstrümpfen aus Baumwolle 10 Gr. und bei Frauenstrümpfen aus dem gleichen Material 8 Gr. Für Mützen wurden zwischen 3 Gr. und 3 ½ Gr. gezahlt, für Kinderröcke je Elle 4 ½ Gr., für Unterhosen aus Baumwolle 8 Gr., für wattierte Kleiderzeuge aus Wolle je Elle 10 Gr. und für Damenröcke aus Wolle und Baumwolle zwischen 10 ½ Gr. bis 16 Gr., schließlich Pettinet pro Elle 12 Gr. Daß der Beamte die durch Düntz gezahlten Löhne vor dem Hintergrund der niedrigen Lebenshaltungskosten in Templin als vollkommend ausreichend erachtete, geht auch aus folgenden Ausführungen hervor: „Eine Strumpfwürker Familie findet in Templin für eine jährliche Hausmiethe von 8 Rt. alles, was sie braucht. Wie billig das Brenn Material zu haben ist, zeigt der Preis des Buchen-Holzes. Die Klafter des schönsten Buchenholzes in Templin zur Stelle kostet 3 Rt. (der Berliner Scheffel reinste Buchen-Asche 8 Gr.), 1.000 Steine Torf, dito in Templin zur Stelle, 17 Gr., das Pfund Rindfleisch 3 Gr. und zu verhältnismäßigen Preisen gutes Brod, Bier, Brandtwein p.p., freylich aber sind die Hungerleider oft die schlechten Arbeiter, die überall durch ihre eigene Faulheit und Vernachlässigung leiden.“ Siehe GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 87 – 88.

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die Manufaktur im gleichen Zeitraum Waren im Wert von ca. 14.000 Rt. produziere. Lediglich die Kratz- und Spinnmaschinen ständen noch still, sähen jedoch der baldigen Inbetriebnahme entgegen, womit ein wesentliches Problem der vergangenen Jahrzehnte, der Garnmangel, endgültig aus dem Weg geräumt werden könne. 185 Insgesamt präsentierte sich die Manufaktur also in einem durchaus ansehnlichen Zustand in jenem Frühjahr und Sommer des Jahres 1806. Das Templiner Fabrikenprotokoll verzeichnet im Juni dieses Jahres je zehn Meister und Gesellen sowie einen Lehrling bei einer Zahl von 20 Stühlen. 186 Auch nach einer Generaltabelle des Fabrikendepartements für 1806/07, die allerdings nicht zwischen einzelnen Betrieben differenziert, arbeiteten zu jener Zeit in Templin insgesamt 42 Personen im wollverarbeitenden Gewerbe – davon 36 in der Produktion von Strümpfen, Mützen und Handschuhen, wohinter sich zweifellos die Manufaktur von Düntz verbirgt. 187 Doch hinkte diese Statistik der vermeintlich durch sie abgebildeten Realität um einige ereignisreiche Monate hinterher.

IV. Am Ende war Napoleon (1806 –1812) Verantwortlich für das Ende des textilgewerblichen Frühlings in Templin waren Ereignisse, die ihren Ausgang am 27. Oktober 1806 in der vernichtenden Niederlage der preußischen Armee gegen die Heere Napoleons in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt nahmen. Wenig später rückten die feindlichen Soldaten auch in Templin ein. Die Stadt wurde daraufhin drei Tage geplündert, hohe Kontributionen folgten. 188 Auch Christian Friedrich Dünz gehörte offenbar zu jenen Bürgern, die dabei „rein ausgeplündert“ wurden und sah sich daraufhin gezwungen, Templin im Juli 1807 zu verlassen, um nach Berlin zurückzukehren 189 – womit sich scheinbar auch der wirtschaftliche Sachverstand aus der Stadt verabschiedet hatte. Das Fabrikendepartement berichtete sichtlich konsterniert an 185

Ebd., Bl. 88. BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 4445. 187 Ferner gab es zwei Hut- und vier Tuchmacher in der Stadt. Der Tabelle zufolge betrug der von den 42 Arbeitern produzierte Warenwert insgesamt 26.572 Rt. Allerdings wurden die Produkte zu 100 % auf dem preußischen Markt abgesetzt. Siehe GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. XCVII, Nr. 2, Bl. 14. 188 Philipp, Templin, S. 204 – 207; Blankenburg, insb. S. 114 –119. Die über die gesamte Monarchie verteilte Besatzungsmacht war rund 150.000 Mann stark und zog erst nach der vertraglichen Vereinbarung der von Preußen zu zahlenden Kontributionssumme im Dezember 1808 ab. Eine ausgewogene Darstellung der ökonomischen und sozialen Belastungen bei Münchow-Pohl, S. 49 – 62. 189 Siehe den Bericht des Kriegsrats Ahlefeldt vom 30. September 1809 in GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 77 –80. 186

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Kunth: „Gleich nach dem Abgang des Dünz von Templin hat der Magistrat 3 neue Meister angesetzt, nemlich einen, der sonst Uhrmacherei trieb, einen, der sich Veruntreuungen schuldig gemacht hat und einen, der als Geselle ein untauglicher Arbeiter gewesen ist.“ 190 Noch dazu stellten die Oberlandesältesten die Zahlung der vereinbarten 600 Rt. augenblicklich ein, wodurch der Betrieb, der zunächst von Dünz von Berlin aus noch in bescheidenem Rahmen fortgeführt wurde, bald in finanzielle Probleme und Stillstand geriet. 191 Man sollte meinen, daß das Kapitel „Templiner Strumpfmanufaktur“ damit nach 42 Jahren beendet gewesen wäre. Denn der Niederlage von Jena und Auerstedt folgten französische Besatzung und die Flucht von Zentralbehörden und Herrscherhaus nach Königsberg. Der nach dem anschließenden Frieden von Tilsit (1807) zwischen Rhein und Elbe gebildete Modellstaat Westphalen 192 unter Jérôme Bonaparte avancierte zum Vorreiter einer konsequenten Emanzipationspolitik, in dem alle „Auflagen und Abgaben, welche allein die Juden zum Gegenstande hatten, bey welcher Gelegenheit sie eingeführt seyn, und unter welcher Benennung sie vorkommen, gänzlich aufgehoben wurden“. 193 Selbst das im März 1808 durch Napoleon erlassene Décret Infâme, das wichtige Bestandteile der Rechtsgleichheit wiederum aufhob, fand hier, anders als in den übrigen Rheinbundstaaten, 194 ausdrücklich keine Anwendung. Man möchte also Christian Wilhelm Spiker gern glauben, wenn er in seinen 1809 in Halle erschienen Betrachtungen Ueber die ehemalige und jetzige Lage der Juden in Deutschland die Templiner Manufaktur nur noch am Rande und im Imperfekt erwähnt. 195 Doch damit lag Spiker, anders als der in diesem Punkt besser informierte Henckel von Donnersmarck, 196 190

Ebd., Bl. 78. Entsprechende Suppliken der arbeitslos gewordenen Meister ließen denn auch nicht lange auf sich warten. Siehe etwa die Bittschrift der beiden Strumpfwirker Beyer und Bächler wegen Auszahlung von Wartegeldern, Templin, 7. August 1807 in GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 89 –90. 192 Zum ambivalenten Modellcharakter der westfälischen Verfassung von 1807 siehe Grothe; Owzar; Hecker, S. 110 – 112. 193 So nach einem Dekret vom 27. Januar 1808. Siehe Rob, Bd. 2, S. 78 –80; vgl. Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 335 – 336; vgl. Berding, Emanzipation der Juden im Königreich Westfalen; Ries, Gesänge Zions. 194 Es behielt in Teilen der späteren preußischen Rheinprovinz bis 1847 Gültigkeit. Siehe Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 29. 195 Spiker, S. 261. 196 Dieser schrieb noch 1814 über die Zeit unmittelbar vor dem Emanzipationsedikt, die Templiner Manufaktur verursache den Juden „eine sehr kostspielige Verwaltung. [...] Wenn ein zweytes Kind sich ansetzen will, so muß es gleich bey der Substanzirung des Gesuches ein Zeugniß darüber beybringen, daß es sich mit den Judenältesten seiner Provinz [das war nicht ganz richtig] wegen der Templiner Fabrik abgefunden hat. Dieses Abfindungsgeld fließt zur Gemeindekasse“. Seine Quelle besteht dabei in einem Schreiben des Generalfiskals an die Ostpreußische Regierung vom 30. Mai 1809. Siehe Donnersmarck, S. 67 – 68, 122. 191

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falsch, denn die Akte Templin war noch lange nicht geschlossen. Um jedoch nachvollziehen zu können, warum diese Belastung im Vorfeld des Emanzipationsediktes von 1812 noch immer auf den Schultern der preußischen Judenschaft ruhte, muß zunächst wiederum ein kurzer Blick auf den widersprüchlichen Gang der allgemeinen Reformdiskussion innerhalb der Bürokratie geworden werden. Die katastrophale Niederlage von 1806 hatte den friderizianischen Staat in seinen Grundfesten erschüttert und den Weg endgültig freigemacht für eine tiefgreifende Reform der überkommenen Staatsverfassung. 197 Selbst Friedrich Wilhelm III. kam nun zu der berühmt gewordenen Einsicht, „der Staat müsse durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren habe“. 198 Ziel der daraufhin von oben konzipierten „Revolution im guten Sinn“, 199 wie sie Karl August von Hardenberg (1750 –1822) 200 in seiner Rigaer Denkschrift von 1807 anstrebte, war deshalb kein Flickwerk, sondern eine „ganzheitliche Vision gesellschaftlicher Transformation“: 201 aus Untertanen galt es Staatsbürger zu machen. 202 Während das Oktoberedikt von 1807 für den Martinitag 1810 das Ende der Gutsuntertänigkeit verhieß und somit tiefgreifend in die ländliche Sozialverfassung eingriff, 203 sollte sich für den bemittelten Teil der Judenschaft der allgemeine Reformprozeß zunächst vor allem durch die Städteordnung von 1808 auswirken, in deren § 19 es heißt: „Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse machen bei Gewinnung des Bürgerrechts keinen Unterschied.“ 204 So lebten die preußischen Juden, sofern es sich um Besitzer städtischer Grundstücke oder selbständiger Gewerbebetriebe handelte, in den Jahren bis zum Erlaß des Emanzipationsediktes von 1812 paradoxerweise „als Bürger der Stadt, ohne bereits Staatsbürger zu sein. Als nur geduldete Gruppe einer Sondergesetzgebung unterworfen, wurden sie verpflichtet, zusammen mit der übrigen Bürgerschaft die Aufgaben der neuen Stadtverwaltung zu übernehmen“. 205 Der neue Status eines 197 Dabei ist es unstrittig und wird in der neueren Forschung verstärkt betont, daß zahlreiche Reforminitiativen ihre Wurzeln bereits im 18. Jahrhunderts haben. Klassisch Hintze, Preußische Reformbestrebungen vor 1806; ferner Neugebauer, Zentralprovinz im Absolutismus, S. 180. 198 Zitiert nach Schminnes, S. 136. 199 Zitiert nach Winter, S. 302 – 363, hier: S. 306. 200 Zuletzt Stamm-Kuhlmann: „Man vertraue doch der Administration!“ 201 Nolte, Reformen in Preußen, S. 53. 202 Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen; einen aktuellen Forschungsüberblick bietet Haas, S. 15 – 27. 203 Schmidt, Revolution von oben. 204 Zitiert nach Krebsbach, S. 50. 205 „Die Verleihung des städtischen Bürgerrechts an die Juden in der Zeit zwischen 1808 und 1812 ist [deshalb] als ein Versuch zu werten, die Schutzverwandten in das Staatsgefüge einzubauen, um sie auf diese Weise zu leicht erfaßbaren Objekten kommunaler Finanzverwaltung zu machen.“ Siehe Jersch-Wenzel, Jüdische Bürger und kommunale Selbstverwaltung, S. 11, 216; vgl. Brammer, S. 37 – 39.

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Stadtbürgers hob demnach die ältere und auf den Staat bezogene Stellung eines Schutzjuden also keineswegs auf, 206 weshalb in den Jahren von 1809 bis 1812 die Vertreter der Berliner Judenschaft mehrfach an die Beamten um Staatskanzler Hardenberg herantraten und um vollständige staatsbürgerliche Gleichstellung baten. 207 Derweil beauftragte Friedrich Wilhelm III. Staatsminister von Schroetter, dessen restriktive Ansichten bereits mehrfach angeführt wurden, am 23. November 1808 mit dem Entwurf einer neuen Judenverfassung. 208 Dieser legte im folgenden Monat einen ebenso didaktisch wie utilitaristisch geprägten Entwurf 209 vor, der die ganze Problematik des von Dohm gewiesenen Weges der schrittweise und als Gnadenakt gewährten Judenemanzipation offenbart, an dessen Ende nichts anderes als vollständige Assimilation stehen sollte. So ging Schroetter bei seinen Überlegungen von folgender Prämisse aus: Die Existenz einer großen Anzahl von Juden ist bei ihrer gegenwärtigen Denk- und Handlungsweise für keinen Staat wünschenswerth, und also nicht rathsam das Anziehen derselben aus fremden Staaten irgend zu begünstigen. Die Gerechtigkeit und selbst das Staats Interesse erfordert es aber, die im Staate gesetzlich vorhandenen Juden ferner zu dulden. Alle bisher bemerkten Nachteile aus ihrem Daseyn bleiben bestehen, wenn ihre Verfassung unverändert bleibt. Theorie und Erfahrung lehren, daß selbst durch großen Zwang die Absicht nicht erreicht wird, die Juden zu nützlichen Staatsbürgern umzuschaffen, daß dieses allein auf dem Wege einer allmähligen Verschmelzung mit den Christen gescheen kann. Es ist daher notwendig die Juden auf eine Stufe zu stellen, von welcher dieser Zweck am Besten zu erreichen ist, wenngleich die Einräumung aller bürgerlichen Rechte, als ein zu schneller und unnatürlicher Uebergang vom Druck zur Freiheit, wegen der unausbleiblich nachteiligen Folgen nicht zulässig scheint. 210

Von diesem Ansatz ausgehend, also der angestrebten bürgerlichen Verbesserung der Juden bei gleichzeitiger Auflösung ihres „Staats im Staate“ (hier lehnt sich Schroetter deutlich an die Argumentation Fichtes an), 211 entwickelte der Staatsminister seine Reformvorschläge. So schien selbst Schroetter die Wahrneh206 Vgl. ein Reskript des Innenministeriums vom 27. Februar 1809, wonach auf Basis der Städteordnung „bloß die Rechte und Pflichten der Juden, als Einwohner einer Stadt, nicht aber ihre staatsbürgerlichen Verhältnisse darauf zu beurteilen“ seien: „Sie [die Juden] nehmen indes, nach Erlangung des Bürgerrechts, an den Rechten und Befugnissen der Bürger nur so weit Anteil, als solches die Beschränknisse ihres staatsbürgerlichen Verhältnisses gestatten; d. h. diese werden in keinem Falle durch das Bürgerrecht einer Stadt aufgehoben oder modifiziert.“ Zitiert nach Michaelis, Die Rechtsverhältnisse der Juden in Preußen, S. 5. 207 Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 317; zu den Initiativen der Königsberger Gemeinde ebd., S. 401 – 412; Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg, S. 162 – 166; Holeczek, S. 148. 208 Siehe Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 211. 209 Abgedruckt ebd., S. 227 – 248. 210 Ebd., S. 244 – 245. 211 Die folgenschwere Wendung vom jüdischen „Staat im Staate“ war durch Fichte 1793 in die Diskussion eingeführt worden und diente zur Abwehr von Emanzipationsforderungen.

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mung bürgerlicher Rechte und Pflichten durch alle Einwohner geboten, weshalb mit dem Generalreglement von 1750 auch die überkommene Vorstellung vom Juden als Schutzverwandten gefallen wäre. Es bezog sich jedoch wohlgemerkt nur auf die bisherigen Inhaber von Schutzbriefen, wenn Schroetter von „Einländern“ und „Staatsbürgern“ der Monarchie sprach, 212 die zukünftig „keinen besonderen Abgaben unterworfen“ 213 werden sollten. Darüber hinaus hielt der Entwurf an zahlreichen Ausnahmeregelungen fest, wonach Juden im allgemeinen vom Staatsdienst ausgeschlossen bleiben 214 sowie in ihrer Handelstätigkeit, in der die Ursache ihres „verdorbenen“ Charakters ausgemacht wurde, beschränkt werden sollten. Stattdessen strebte Schroetter an, die jüdische Minderheit verstärkt Handwerk und Ackerbau zuzuführen, sie somit zu „produktivieren“ und in ihrer Sozialstruktur an die christliche Mehrheitsgesellschaft heranzuführen. 215 Die weitere Diskussion über Schroetters Entwurf erfolgte nur schleppend, wozu auch die Reorganisation der obersten Verwaltungsbehörden beitrug, in deren Gefolge die Angelegenheiten der Juden dem neu eingerichteten Innenministerium unter dem Grafen zu Dohna unterstellt wurden. 216 Die Debatte ist hier nicht en detail zu verfolgen, doch sollte zumindest darauf hingewiesen werden, daß im Innenministerium nahezu allgemein davon ausgegangen wurde, daß es sich bei So schrieb der Philosoph in seinem Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution: „Erinnert ihr euch denn nicht des Staats im Staate? Fällt euch denn hier nicht der begreifliche Gedanke ein, daß die Juden, welche ohne euch Bürger eines Staates sind, der fester und gewaltiger ist, als die eurigen alle, wenn ihr ihnen auch noch das Bürgerrecht in euren Staaten gebt, eure übrigen Bürger alle unter die Füsse treten werden.“ In der dazugehörigen Fußnote folgt der berühmt-berüchtigte Satz: „Bürgerrecht zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen alle die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee ist.“ Zitiert nach Weigl, S. 185; Fichtes Argumentation, die zu jener Zeit noch dem französischen Gleichheitsgedanken folgte und den Begriff „Staat“ im frühneuzeitlichen Sinne von „Stand“ verwandte, führte so paradoxerweise „zu einer gnadenlosen Polemik gegen den jüdischen ‚Staat im Staate‘“. Siehe Herzig, Jüdische Geschichte in Deutschland, S. 148; vgl. Katz, A State within a State, S. 47 – 76. 212 Brammer, S. 43. 213 Abschnitt I, § 11. Siehe Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 230. 214 Siehe Abschnitt I, § 10, ebd., S. 229 – 230: „Zur Verwaltung öffentlicher StaatsAemter kann die jezige Generation allgemein nicht zugelassen werden! Wir behalten Uns jedoch vor, bey vorzüglichen Fähigkeiten einzelner Subjecte, Ausnahme von dieser Regel zu gestatten.“ 215 Dieser anvisierte Wandel der jüdischen Gewerbestruktur war unter den fortbestehenden Bedingungen des Ancien Régime mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. So warf insbesondere eine landwirtschaftliche Tätigkeit der bislang von jeder Enrollierung exemierten Juden vor dem Hintergrund des Kantonreglements schwerwiegende Fragen im Rahmen der Wehrverfassung auf, die freilich bei wirklicher Reformbereitschaft keineswegs unlösbar gewesen wären. Siehe Büsch, Zum Wehrsystem und Agrarverfassung. Unbefriedigend bleibt die Untersuchung von Rückert. 216 Brammer, S. 44.

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den Juden um eine Bevölkerungsgruppe handele, die sich durch ihre religiösen Gebräuche von der übrigen Gesellschaft unübersehbar absondere. Lediglich Wilhelm von Humboldt (1767 –1835), Leiter der Abteilung Kultus und Unterricht im Ministerium des Innern, vertrat in der Diskussion Standpunkte, die deutlich von den Entwürfen Schroetters abwichen. Denn Humboldt, dessen vielzitiertes Bildungskonzept bekanntlich jede „öffentliche, d. i. vom Staat angeordnete oder geleitete Erziehung“ für „in vielen Seiten bedenklich“ 217 hielt und den Staat folglich nicht als Erziehungsinstitut sondern als Rechtsstaat begriff, konnte Dohms Konzept der Bürgerlichen Verbesserung der Juden nur ablehnen. 218 So trat Humboldt auch vehement für eine Abschaffung aller Sondergesetze ein und forderte stattdessen vollständige bürgerliche Emanzipation. In diesem Sinne führte er in seinem Gutachten vom Juli 1809 aus: Allein der ganze Grund, auf welchem das System der allmähligen Aufhebung [der diskriminierenden Sondergesetze] beruht, ist meines Erachtens, aus einer zwar ehemals angenommenen, aber auch schon längst mit Recht verworfenen Theorie der Gesetzgebung geschöpft. Es ist nämlich dies diejenige, welche die Gesetzgebung zu einer Art Erziehung des Staatsbürgers macht; wo sie nur immer die Mittel in Händen hat, positiv wirken will; und von einem bestimmten Begriff des Charakters und der Kultur der Nation ausgehend, im Stande zu seyn wähnt, den Fortschritt und sogar die Richtung zu einer anderen Stufe leiten zu können; da, wie es mir scheint, der Staat nur durch Ertheilung und Beschränkung der Freiheit und dadurch hervorgebrachtes Gleichgewicht der Rechte die Bürger in Stand setzen muß, sich selbst zu erziehen, nur dahin zu streben hat, bloß negativ zu wirken und das positive Wirken der freien Thätigkeit der Nation zu überlassen; und die Menschheit genug achten muß, um zu wissen, daß der moralische Standpunkt einer Nation sich nie genau berechnen, noch weniger aber die Entwicklung derselben sich mechanisch voraussehen läßt, indem sie vielmehr und ganz aus innerer Kraft, wie die ganze Geschichte lehrt, oft plötzliche Impulse erhält, die, weit entfernt sich durch die Gesetzgebung leiten zu lassen, dieselbe ihnen zu folgen zwingen; kurz, da der Staat kein Erziehungs- sondern ein Rechtsinstitut ist. 219

Zielsicher deckte Humboldt daraufhin den Schwachpunkt des Erziehungskonzepts auf – eben jene „fatale Kombination von Schädigungsvermutung und Kontrollnotwendigkeit“, 220 die den deutschen Weg der Judenemanzipation mit einer schweren Hypothek belasten sollte. So fragte Humboldt: Woran soll z. B. erkannt werden, daß die Juden der öffentlichen Achtung würdiger sind? Etwa an gesammelten einzelnen Handlungen? oder durch offizielle Rapporte von gewiß zu tausend Dingen, [...] oder gar durch Tabellen, wie viele Juden dieses oder jenes Handwerk erlernt haben, Ackerbauer oder Soldaten geworden sind? [...] Wollte ein Staat in diesem Punkt consequent seyn, so müßte seine Gesetzgebung auch unter den 217

Zitiert nach Bretz, S. 237; vgl. ferner Borsche. Zu diesem Gegensatz zwischen den Konzeptionen von Dohm und Humboldt siehe auch Robertson, S. 45 – 54. 219 Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 271. 220 Erb / Bergmann, S. 34. 218

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Christen, nach Maßgabe der Cultur, die Bürgerrechte ungleich vertheilen, was doch glücklicherweise noch niemand eingefallen ist. 221

Aus all dem folgte für Humboldt die Notwendigkeit einer vollständigen und an keine Bedingungen geknüpften bürgerlichen Emanzipation: Meiner Überzeugung nach wird daher keine Gesetzgebung über die Juden ihren Endzweck erreichen, als nur diejenige, welche das Wort Jude in keiner andern Beziehung mehr auszusprechen nöthigt, als in der religiösen, und ich würde daher allein dafür stimmen, Juden und Christen vollkommen gleich zu stellen. 222

Vor dem Hintergrund dieser hier zu Tage tretenden erheblichen Differenzen innerhalb der Bürokratie führte erst die erneute Berufung Hardenbergs zum Staatskanzler im Juni 1810 zu einer Beschleunigung der Reform. Hardenberg, der sich bereits zu Beginn seiner Amtszeit in den fränkischen Fürstentümern für die „Verbesserung“ der Juden eingesetzt hatte, 223 beauftragte zu Beginn des Jahres 1811 den ihm nahestehenden Regierungsrat Friedrich von Raumer (1781 –1873) mit den weiteren Beratungen. Aus dessen erstem Entwurf vom Februar 1811 seien hier lediglich diejenigen Passagen angeführt, deren Verwirklichung sich direkt auf die Situation in Templin ausgewirkt hätte. So schlug Raumer unter anderem vor: §1 Alle gegenwärtig in Unseren Staaten wohnhafte mit Schutzbriefen und Concessionen versehene Juden und deren Familien erhalten hierdurch alle Rechte und übernehmen alle Verpflichtungen christlicher Untertanen. §2 Alle Ausnahmen u. Einschränkungen, welche dieser Gleichstellung entgegenstehen, sie mögen in ihren eigenen Religionsbegriffen oder in früheren Privilegien u. Dispensationen beruhn, sie mögen Gesetze oder Formen der Gesetze betreffen, hören auf. [...] §6 [...] und hört hiermit jede besondere Zwischeninstanz durch jüdische Vorsteher u. s. w. sowie jede politische Corporation der Juden auf. §7 Alle Auflagen und Abgaben, welche allein die Juden zum Gegenstande hatten, bei welcher Gelegenheit sie eingeführt und unter welcher Benennung sie vorkommen mögen, werden hiermit von jetzt an gänzlich aufgehoben. [...] 224

Damit wären alle Voraussetzungen für den Fortbestand des jüdischen Zwangsbetriebes der Templiner Manufaktur in sich zusammengefallen. Konzessionen zur Ansetzung zweiter Kinder wären nicht mehr einzuholen gewesen, 225 jegliche Sonderabgaben wären aufgehoben worden, 226 und nicht zuletzt wäre dem Staat 221 222 223 224

Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 272. Ebd., S. 273. Siehe hierzu noch immer die Studie von Eckstein. Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 336 – 337.

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mit dem Wegfall der jüdischen Gemeindeautonomie auch der Vertragspartner des Jahres 1769 abhanden gekommen. Im vorliegenden Zusammenhang ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, daß diese Regelungen zwar nicht wörtlich, aber doch sinngemäß in das „Edikt, betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate“ eingingen, mit dem am 11. März 1812 der Emanzipationsprozeß in dem zu diesem Zeitpunkt noch aus den Provinzen Brandenburg, Pommern, Ostpreußen und Schlesien bestehenden Preußen 227 zu einem vorläufigen Abschluß kam. Es heißt darin: Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen pp. haben beschlossen, den jüdischen Glaubensgenossen in Unserer Monarchie eine neue, der allgemeinen Wohlfart angemessene Verfassung zu ertheilen, erklären alle bisherige, durch das gegenwärtige Edikt nicht bestätigte Gesetze und Vorschriften für die Juden für aufgehoben und verordnen wie folget: §1 Die in unsern Staaten jetzt wohnhaften, mit General-Privilegien, Naturalisations-Patenten, Schutzbriefen und Konzessionen versehenen Juden und deren Familien sind für Einländer und Preußische Staatsbürger zu achten. [...] §7 Die für Einländer zu achtende Juden hingegen sollen, in sofern diese Verordnung nichts Abweichendes enthält, gleiche bürgerliche Rechte und Freiheiten mit den Christen genießen. [...] § 14 Mit besonderen Abgaben dürfen die einländischen Juden, als solche, nicht beschweret werden. [...]

225 Es gilt allerdings zu berücksichtigen, daß § 9 des Entwurfs für die zukünftig zu etablierenden Judenkinder umfangreiche gewerbepolitische Restriktionen vorsah, um diese aus dem Handel abzuziehen und „produktiven“ Wirtschaftszweigen zuzuführen. Siehe ebd., S. 338. 226 Man beachte die nahezu wörtliche Anlehnung von § 7 an das entsprechende Edikt des Königs von Westphalen von 1808, das oben angeführt wurde. 227 Daraus ergab sich nach dem Wiener Kongreß für einen Zeitraum von drei Jahrzehnten ein schwerwiegendes Ungleichgewicht in der rechtlichen Entwicklung der Judenpolitik, denn 1817 wurde durch das Innenministerium festgesetzt, in allen Landesteilen, die 1812 nicht zu Preußen gehört hatten, auf das Judenrecht vor der Franzosenzeit zurückzugreifen. So existierten im Ergebnis in Preußen insgesamt 31 Judenordnungen, die den von ihnen Betroffenen die unterschiedlichsten Restriktionen auferlegten. Siehe Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 37 – 38. In der 1815 gebildeten preußischen Rheinprovinz befanden sich beispielsweise im linksrheinischen Gebiet zwei Judenverfassungen aus französischer Zeit in Geltung, während im rechtsrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz ein Schutzjudensystem auf Basis von Judenordnungen des 18. Jahrhunderts fortbestand. Siehe Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat, S. 64.

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§ 30 In keinem Fall dürfen sich Rabbiner und Juden-Aeltesten weder eine Gerichtsbarkeit noch eine vormundschaftliche Einleitung und Direktion anmaßen. 228

Trotz der auch weiterhin bestehenden Restriktionen bei der Zulassung zum Staats- und Militärdienst 229 muß dieses Edikt, das das Generalreglement von 1750 endgültig ablöste, zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens „als das weitestreichende in den nicht unter französischer Einwirkung stehenden deutschen Staaten bezeichnet werden“. 230 Im vorliegenden Kontext ist vor allem hervorzuheben, daß sich Hardenberg mit seinem Konzept der allgemeinen Gewerbefreiheit 231 auch auf dem Feld der Judengesetzgebung durchgesetzt hatte und das Edikt keine einzige jener wirtschaftlichen Restriktionen enthielt, die sich in den vorangegangenen Entwürfen befunden hatten. 232 Für den zwangsweisen Betrieb der Templiner Manufaktur bedeutete dies, daß er spätestens jetzt der Vergangenheit angehören mußte. Es konnte nicht die Aufgabe dieses kurzen Überblicks sein, den verwickelten Gang der Reform in allen seinen Verästelungen und Konsequenzen nachzuzeichnen. Jedoch gilt es, sich die retardierenden Momente vor Augen zu halten, die während des gesamten Reformprozesses wirksam blieben und beispielsweise in einem Gutachten des Justizministers von Beyme zum Ausdruck kamen, der noch im Mai 1810 von der Judenschaft finanzielle Ausgleichszahlungen für die Aufhebung der bestehenden Sonderabgaben forderte. 233 Ferner muß berücksichtigt werden, daß die Verpflichtung zum Betrieb der Templiner Manufaktur unmittelbar mit dem Ansetzungsrecht der zweiten Kinder verknüpft war, also explizit mit einer zahlenmäßigen Vermehrung der jüdischen Minderheit zusammenhing. Gerade eine solche Entwicklung war jedoch in der hohen Bürokratie mehrheitlich unerwünscht. So war Finanzminister v. Beguelin im Januar 1810 der Meinung, man solle den Teil der Judenschaft, der an den überkommenen Ritualgesetzen festhalten wolle (mithin zu diesem Zeitpunkt also die Mehrheit der Judenschaft),

228

Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 455 – 458. Siehe dazu Fischer, Judentum, Staat und Heer, S. 26 –31. 230 Jersch-Wenzel, Rechtslage und Emanzipation, S. 35; vgl. Hartmann, Die Bedeutung des Hardenbergschen Edikts von 1812. Als zu scharf erscheint die Kritik bei Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, S. 60, wonach das den Juden zugestandene Staatsbürgerrecht aufgrund seines eingeschränkten Charakters „de facto ein erweitertes und generell ausgesprochenes Privileg“ dargestellte habe. Selbst ein eingeschränktes Staatsbürgerrecht kann wohl nicht mit einem als fürstlichem Gnadenakt verliehenen und stets revidierbaren Privileg gleichgesetzt werden. 231 Vgl. allgemein Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. 232 Brammer, S. 61. 233 Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 305. Derartige Forderungen müssen sicherlich vor dem Hintergrund des als chaotisch zu bezeichnenden Zustandes der preußischen Staatsfinanzen nach 1806 gesehen werden, der bis nach 1815 fortdauerte. Siehe Schissler. 229

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als einen Feind des Menschengeschlechts im ehemaligen Drucke erhalten, alle bisherigen Mittel seine Bevölkerung zu hintertreiben ferner anwenden, ihn so wenig schädlich zu machen suchen als möglich, die Conceßionen nur auf den Erstgeborenen übertragen und schlechterdings aus der Fremde keinen Anzögling dulden. 234

Eine hohe finanzielle Belastung der zweitgeborenen Söhne, die in den vergleichsweise wohlhabenden und akkulturierten Gemeinden von Berlin oder Königsberg vielleicht noch zu ertragen war, mußte die Vermehrung armer und mehrheitlich orthodoxer Juden deutlich hemmen – also gerade jener Schichten, auf deren Anwesenheit im Staate man keinen Wert legte. Wendet man sich nun vor dem Hintergrund dieser widerspruchsvollen Gemengelage von Reform und Reaktion wiederum den Ereignissen um die Templiner Manufaktur zu, so sieht man sich zunächst mit einem Quellenproblem konfrontiert, brachte das turbulente Zeitgeschehen doch auch die Behördenüberlieferung gehörig durcheinander. So sind es nur noch verstreute Brocken, die sich aus der Zeit nach 1806 auffinden lassen – Brocken, die jedoch gleichwohl einige Aussagekraft besitzen. Am 3. Oktober 1808 berichtete der Arnswalder Steuerrat Knobelsdorf an die Neumärkische Kammer, daß die Juden seines Inspektionsbezirks bei Verleihung interimistischer Konzessionen neben den gewöhnlichen Abgaben „auch nicht unbedeutende Summen unter den Nahmen als Abführung an die Templinsche Strumpf Fabrique Casse und wegen Befreiung von der Porcellain Exportation pp. erlegen“ 235 müßten. Vor dem Hintergrund der unklaren politischen Situation und der wirtschaftlichen Belastung durch die herrschende Inflation 236 unterstützte der Steuerrat das Gesuch der Juden, diese Abgaben vorläufig auszusetzen. Doch die Küstriner Kammer informierte Knobelsdorf am 17. Oktober, „daß wir keine

234 Um zu ermessen, welch antijüdische Ausfälle in der Diskussion auf höchster Ebene salonfähig waren, sei hier aus Beguelins Stellungnahme noch weiter zitiert. So hielt es der Minister für offensichtlich, „daß die Juden als Juden, und weil sie Juden sind, einem Lande äußerst schädlich seyn müssen. Sie umbringen würde empörend seyn. Sie verjagen wäre grausam und zugleich unedel gegen die Nation, der man dieses Volk zuschöbe. Sie zum Christenthum zwingen, wäre intolerant, und zwecklos; sie würden wie in Portugal theils auswandern (und das wäre das beste) theils aber die Communion annehmen, und heimlich Juden bleiben; sie müßten dann wie in Frankreich bis zu Carl VI. Regierung, bey Annahme des Christenthums ihr Vermögen zum Opfer bringen, um einen Beweis der Lauterkeit ihrer Absicht bey dem Sacrament der Taufe zu geben, oder wie Montesqieu behauptet, um dem Fiscus einen Ersatz für die wegfallende Juden Abgabe zu reichen.“ Zitiert nach Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 301. 235 BLHA, Rep. 3, Nr. 18560. In Pommern war der Beitrag zur Templiner Manufaktur derweil offenbar bereits in Vergessenheit geraten. Im Verfahren, das 1808 zur Niederlassung Wolff Seeligs als zweites Kind in Massow führte, ist hiervon zumindest nicht die Rede. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 146, Nr. 532. 236 In der Tat griff die preußische Regierung nach 1806 zur Bezahlung der Kontributionen und Garnisonierungskosten auf eine Inflationspolitik zurück. Siehe Schissler, S. 372 – 373, 380 – 381.

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Interimistica noch einige andere Abänderungen im Judenwesen gestatten können, sondern darin alles auf dem vorigen alten Fuß lassen müssen“. 237 So sorgte die leidige Manufaktur auch innerhalb der Judenschaft noch am Vorabend des Emanzipationsediktes für handfeste Auseinandersetzungen. Wie bereits geschildert, hatten sich die Berliner und die pommersche Judenschaft im Jahre 1770 auf einen jährlich durch die pommerschen Juden zu zahlenden Pauschalbeitrag zum Fabrikenfonds in Höhe von 150 Rt. geeinigt. 238 Allerdings hatten offenbar seit dem Zusammenbruch von 1806 keinerlei Zahlungen mehr stattgefunden, weshalb drei Jahre später bereits ein Fehlbetrag von 450 Rt. aufgelaufen war. Einer Beschwerde der Berliner Gemeindevertreter folgend, forderte die Kurmärkische Regierung deshalb ihr pommersches Pendant am 30. August 1809 dazu auf, die dortigen Judenältesten umgehend zu einer Bezahlung der Summe zu bewegen. 239 Daß die infolge von Krieg und Besatzungsherrschaft seit 1806 von 453 auf 405 Familien geschrumpfte Berliner Judenschaft dieses Geld schleunigst eingetrieben wissen wollte, war kein Zufall, wurde sie doch im Sommer 1809 von den Behörden selbst unter maximalen Druck gesetzt, die seit drei Jahren rückständigen Schutzund Silberlieferungsgelder in Höhe von rund 45.000 Rt. aufzubringen. 240 Noch dazu muß man in Betracht ziehen, daß infolge der gewaltigen Gebietsverluste Preußens seit 1806 auch der Betriebsfonds der Templiner Manufaktur schwere Einbußen erlitten haben muß. Nachdem das Schreiben der Kurmärkischen Regierung jedoch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt hatte, verschärfte diese am 5. Juni 1810 den Ton und stellte klar, daß die Verbindlichkeit der Juden zur Unterhaltung der Templinschen Fabrik noch fortdauert, daß mit Strenge auf Fortsetzung der Fabrikation gehalten wird und daß der Wahn, als habe die Fabrik aufgehört, nur dadurch entstanden seyn kann, daß die Concessionsmässige Zahl Arbeiter eine Weile Wartegelder erhielt, welches aber ferner nicht statt finden wird. [...] Unter diesen Umständen und da die Ansetzung der 2. Juden Kinder von dem Königl. [Innen-] Ministerio nach seiner wiederholentlichen Erklärung nur in der Voraussetzung geschieht, daß die Beiträge zur Templiner Fabrik bezahlt werden, so müssen wir Eine Hochlöbl. Regierung ergebenst ersuchen, die Anträge wegen Ansetzung solcher Kinder bey dem Ministerio so lange zu suspendiren, bis die Abführung des sich jetzt auf 600 Rt. belaufenden Rückstandes nachgewiesen ist. 241

237

BLHA, Rep. 3, Nr. 18560. Siehe oben, Kap. E. II. 239 GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 30, Nr. 11, Bl. 67. 240 Siehe die Supplik David Friedländers vom 27. Juli 1809 bei Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 407 – 410; vgl. Ders.: David Friedländer, S. 83. 241 GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 30, Nr. 11, Bl. 68. An dieser Stelle sei angemerkt, daß sich entgegen den Angaben im „Judeninventar“ die folgende Akte, die die Templiner Manufaktur zum Inhalt hatte und auf das Jahr 1810 datierte, nicht mehr im Bestand befindet: GStA PK, I. HA, Rep. 120 alt, Nr. 64. 238

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Diese Zeilen wurden in einer Zeit verfaßt, in der die preußische Wirtschaft durch die Belastungen von Krieg, Besatzung und Inflation aufs schwerste in Mitleidenschaft gezogen worden war und in Berlin und Potsdam erschreckend hohe Selbstmordraten unter der in Verzweiflung geratenden Arbeiterschaft registriert wurden – im Herbst 1807 zählte man bereits 6 –10 Fälle pro Woche, im Folgejahr sollen es noch mehr gewesen sein. 242 So war es kaum verwunderlich, daß die Behörden kein Interesse daran hatten, die Existenz eines weiteren Betriebes aufs Spiel zu setzen und der ohnehin gärenden Unterschicht weitere Hungerleider zuzuführen, deren Unmut sich am Ende auch gegen die Obrigkeit wenden mochte. 243 Die Zeche für diesen Sozialkonservatismus zahlte noch einmal die Judenschaft, die in ihrer Mehrzahl genauso von den Folgen von Krieg und Besatzung betroffen war wie die christliche Mehrheitsgesellschaft. Denn in Pommern wurden nun alle laufenden Ansetzungsverfahren zweiter Kinder für etwa sechs Monate ausgesetzt, bis sich die beiden Judenschaften im Oktober 1810 auf eine ratenweise Abtragung der Rückstände geeinigt hatten. 244 Es mag deshalb auch auf diese Auseinandersetzungen gemünzt gewesen sein, wenn Staatsrat Johann August Sack (1764 – 1831) mit Bezug auf die pommersche Judenverfassung im Januar 1811 an Hardenberg schrieb, er müsse den Wunsch wiederholen, daß die mehrgedachte Constitution [also das Emanzipationsedikt] sobald als möglich zu Stande gebracht werden möchte, da [...] die bisherigen Gesetze in Betreff des Judenwesens unpassend und hart sind und deren Anwendung häufig zu gegründeten Klagen Anlaß geben ... 245

Allerdings lebten die Konflikte um die Manufaktur bald wieder auf und überdauerten selbst das Jahr 1812. So wandten sich die Berliner Ältesten im April 1813 wiederum mit der Bitte um Unterstützung an die Pommersche Regierung, da sie von den dortigen Ältesten immer noch 355 Rt. zu fordern hätten. 246 Noch im Juni 1814 quartierte sich deshalb auf Antrag der (ehemaligen) Berliner Ältesten ein Gendarm bei dem (ehemals) pommerschen Provinzialjudenältesten des Kreises 242

Münchow-Pohl, S. 56. Vgl. ebd., S. 58: „Diese Stimmung [der hungernden Unterschicht] war durchaus nicht nur auf Berlin beschränkt. Im oberschlesischen Städtchen Tarnowitz verprügelten erzürnte Bürger den verhaßten Steuerrat, in Ottomachau bei Neiße verweigerten sie die Akzise, und in Breslau kam es im Sommer des Jahres [1807] zu einem Tumult vor dem Rathaus, bei dem die aufgeregte Menge, in erster Linie entlassene Soldaten, Tagelöhner und ihre Frauen, mit Steinen nach Magistratsmitgliedern warf.“ 244 Siehe die Eingabe der Oberlandesältesten sowie das Schreiben der Pommerschen Regierung vom 31. Oktober bzw. 10. November 1810, die die seit März 1810 schwelenden Auseinandersetzungen beendeten, GStA PK, I. HA, Rep. 104, Nr. 36, Bl. 217 –218. 245 Freund, Emanzipation der Juden, Bd. 2, S. 324. Im Mittelpunkt des Schreibens steht der bislang verbotene Besuch vorpommerscher Jahrmärkte durch jüdische Händler. 246 GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 30, Nr. 11, Bl. 66 (Abschrift). 243

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Stargard, Hammerfeld, zur Exekution ein. 247 Nach Ende der Gemeindeautonomie handelte es sich hiermit jedoch um eine lediglich privatrechtlichen Charakter tragende Auseinandersetzung, über deren Fortgang nichts bekannt ist. Wann allerdings in der Templiner Manufaktur der Betrieb endgültig eingestellt wurde, läßt sich nicht genau bestimmen, handelte es sich doch offenbar um einen Konkurs auf Raten. Das Fabrikenrevisionsprotokoll vom Juli 1809 verzeichnet noch zwei Meister und drei Gesellen, die auf fünf Stühlen Waren im Wert von 1.260 Rt. produziert hatten, und vermerkt: „Die zu der Fabrique angesetzte Meister bekommen Wartegeld, da der Absatz sehr schlecht ist, und arbeiten für eigene Rechnung zum nothdürftigen Unterhalt.“ 248 Im Folgejahr 1809/10 sollen schließlich auf zwölf Stühlen durch zehn Meister, einen Gesellen und einen Lehrling noch einmal Produkte im Wert von 2.968 Rt. hergestellt worden sein, doch seien diese nicht für Rechnung des Entrepreneurs Hrn. Düntz zu Berlin verfertiget, nur einige Meister haben Beschäftigung von ihm erhalten, und seit 4 Monate haben selbige kein Wartegeld bekommen. Der Entrepreneur Hr. Düntz ist schon über 3 Jahre von hier abwesend und wird heute erwartet. 249

Währenddessen wurden im Oktober 1809 auf Geheiß Kunths die Verhandlungen über eine endgültige und vollständige Übernahme der Manufaktur durch Düntz wieder aufgenommen, die 1802 noch am Einspruch des Ministers von Voß gescheitert waren. Die Position des Staatsrats lief allerdings darauf hinaus, die Judenschaft dabei noch einmal zur Kasse zu bitten, um Düntz, der scheinbar mit dem Magdeburger Fabrikanten Jokisch in Geschäftsverbindung stand, in Zeiten allgemeiner Krise und Unsicherheit zu der gewünschten Übernahme zu bewegen. So sei nach Ansicht Kunths bei den Verhandlungen zum Grunde zu legen, daß die Judenschaft dem neuen Entrepreneur nicht nur ihre Grundstücke, Stühle und Geräthschaften eigenthümlich überlassen, sondern ihm auch ein dem Umfange der Fabrik angemessenes Sortiment Spinn Maschinen bauen lassen und diejenigen Fabrik Arbeiter, welche noch das Recht haben, den Verlag zu fordern, gütlich abfinden müsse. Der Dünz wird zur Betreibung der Fabrik für geeignet gehalten, es constirt aber noch nicht, ob und in welcher Art er dieselbe übernehmen will. 250

Dünz forderte daraufhin im Dezember 1809 gegenüber Kriegsrat Ahlefeld von der Judenschaft neben einer Ablösesumme von 5.000 Rt. die durch den Einmarsch der Franzosen vereitelte Installation Tappertscher Spinnmaschinen sowie die kostenlose Überlassung des Fabrikenhauses und der 20 Stühle. 251 Der gleichfalls von Ahlefeld vernommene Berliner Judenälteste David Hirsch wies diese Forde247 Siehe Hammerfelds Eingabe vom 30. Juni 1814 in GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 30, Nr. 11, Bl. 56, 59. 248 BLHA, Rep. 8, Templin, Nr. 4445. 249 Ebd. 250 GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4, Bl. 88. 251 Ebd., nicht mehr foliiert.

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rungen jedoch zurück, zumal „durch die Beschränkung der Preußischen Staaten“ die materielle Grundlage für den Fabrikenfonds sehr eingeschränkt worden sei. Zudem verwies Hirsch auf die unklare Rechtslage der nachgeborenen Kinder und wollte zunächst „eine Entscheidung aus Königsberg über das angeblich der Judenschaft streitig gemachte Recht zur Ansetzung der 2. Kinder auf das Schutzprivilegium der Familienväter abwarten“ 252 – dies war ein deutlicher Hinweis auf die geschilderten rechtswidrigen Restriktionen, die in jener Zeit auf Betreiben von Schroetters in Ostpreußen eingeführt wurden. So stellte sich also der Stand der Dinge dar, als Kunth die Angelegenheit am 18. Dezember 1809 der Kurmärkischen Regierung zur weiteren Bearbeitung übergab. Nach den Worten des Staatsrats stand die Manufaktur zu diesem Zeitpunkt immer noch still, und die Arbeiter empfangen von der Judenschaft Wartegelder, welches dem Zweck entgegen ist und den Rest von Industrie und Fleiß der Arbeiter gänzlich vernichten muß. In dieser Lage darf die Sache daher auf keinen Fall bleiben. Übrigens würde es zwar an und für sich am Rathsamsten seyn, die Unterhandlung mit der Judenschaft bloß auf Ablösung ihrer Verbindlichkeit zu richten und dafür eine angemessene Geldsumme (wozu die Judenschaft sich schon früher bereit erklärt hat) zu bedingen. Diesem Plane scheinen indessen die Rechte der Arbeiter entgegen zu stehen, weshalb auf fernere Unterhaltung der Fabrike Bedacht zu nehmen, jedoch dem neuen Entrepreneur, es sei der Dünz oder sonst ein anderer, in Absicht der Individuen vorher freie Hand zu verstatten seyn wird [...] Sollte es hiernach rathsam scheinen, die Fabrik wieder an einen Entrepreneur zu bringen, so ist mir der Dünz als ein thätiger und dem Geschäfte gewachsener Mann bekannt, er würde weder auf eine gewisse Qualität der zu fabricirenden Waaren beschränkt, noch verpflichtet werden dürfen, eine bestimmte Anzahl von Stühlen im Gange zu erhalten. Von dem Erfolge der Unterhandlung ersuche ich Eine p. Regierung, mich zu seiner Zeit zu benachrichtigen. 253

Über die Ergebnisse der nun durch die Kurmärkische Regierung geführten Verhandlungen ist indes nichts bekannt, da die Aktenüberlieferung mit diesem Schreiben Kunths abbricht. Allerdings scheint man sich wiederum auf Düntz als Unternehmer verständigt zu haben, wie beiläufig einer Vorlage Kunths für Innenminister von Schuckmann vom 15. August 1814 zu entnehmen ist. Mit Bezug auf das Emanzipationsedikt wird darin ein anderslautendes (!) Gutachten der Pommerschen Regierung zurückgewiesen und hervorgehoben, daß die Verpflichtung der Judenschaft zum Betrieb der Templiner Manufaktur „ausdrücklich ganz aufgehoben worden“ sei – „um so mehr, da auch die Fabrik selbst nicht mehr von der Judenschaft verlegt wird, sondern dem Fabrikanten Dünz überlassen ist“. 254 Ob dieser Templin wirklich noch einmal wiedergesehen hat, muß jedoch bezweifelt werden. Sein Bruder und Geschäftspartner Daniel Ludwig verlegte seinen 252 253 254

Ebd. GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 4. GStA PK, I. HA, Rep. 77, Tit. 30, Nr. 11, Bl. 63.

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Wohnsitz jedenfalls wiederum in die Hauptstadt, wo er im Juli 1818 für stattliche 14.000 Rt. das Haus Königsstr. 55 erwarb. 255 Von einer Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur vernimmt man hingegen nichts mehr. *** Angesichts der stagnierenden und schließlich rückläufigen gewerblichen Entwicklung, die der Kreis Templin vor dem Hintergrund von Binnenwanderung, Landflucht und Urbanisierung im 19. Jahrhundert hinnehmen mußte, 256 blickte der Templiner Stadtchronist Hans Philipp im Jahre 1925 trotz allem wehmütig auf die Wollstrumpfmanufaktur zurück, denn: Versuche in neuster Zeit, Templin auf großindustrielle Bahnen zu lenken, sind fehlgeschlagen. Es fehlen der Stadt dazu gar zu sehr die Voraussetzungen, die die Betriebe über mittleres Maß wachsen lassen könnten. Dafür besitzt die Stadt aber ein bisher ziemlich brach liegendes Kapital in der Schönheit seiner [!] Wald-Wasser-Natur. Die Fremdenindustrie ist die für unsere Stadt gegebene. 257

Von dieser Erkenntnis war man im Alten Preußen zwar noch weit entfernt, doch scheinen die landschaftlichen Reize der Uckermark schon damals auf den einen oder anderen Beamten, der auf der Rückreise nach Berlin den Ärger über alkoholisierte Arbeiter, verrostete Webstühle und flüchtige Unternehmer zu verdauen hatte, eine geradezu therapeutische Wirkung entfaltet zu haben. So schließt einer der zahllosen Inspektionsberichte vollkommen unvermittelt mit einer romantisch bewegten Liebeserklärung an die Mark, wie man sie eher bei Fontane als in den Akten des Manufaktur- und Kommerzkollegiums vermuten würde: Die alten Thor- und Mauerthürme und die Reste der ehemahligen Befestigung [Templins] erinnern an die mannhafte Vorzeit der Tempelherren und Tempelritter, die einst hier gehauset haben [hatten sie nie], und auf den Umgebungen von Templin ruht das Auge mit Wohlgefallen, weil es auch hier die charakteristische Bildung der Uckermarck, weit ausgebreitete Landseen und alte ehrwürdige Buchen-Haine, wiederfindet. 258

Die Seen und die Buchenwälder gibt es immer noch. Von den unter Friedrich dem Großen im Rahmen des „Uckermärkischen Etablissements“ in Templin und Angermünde errichteten „Fabriken“ ist hingegen außer einem Berg von Akten nichts übriggeblieben. Lediglich Ahrensdorf, an dessen Stelle Steuerrat Trost lieber eine Kiefernschonung gesehen hätte, hat am Ufer des Lübbesees alle Zeitenwenden überdauert und erinnert noch heute an ein Kolonisationswerk, dessen mangelhafte Planung und Durchführung eine diskriminierte Minderheit teuer zu stehen kam. 255 Das Anwesen blieb bis zum Tode seines Sohnes, des Kaufmanns Carl Ludwig Düntz, im Besitz der Familie und wurde 1867 an die Handelsgesellschaft Benneke verkauft. Siehe Lüdicke, S. 215. 256 Vgl. Büsch, Das brandenburgische Gewerbe, Bd. 2, S. 63 –143, hier: S. 140 –141. 257 Philipp, Templin, S. 369. 258 GStA PK, II. HA, Manufaktur- und Kommerzienkollegium, Tit. CV, Nr. 8, Bl. 88.

L. Fazit Mit der vorliegenden Studie wurde das Ziel einer möglichst detaillierten Untersuchung der nach 1763 im Rahmen der Vergabe von Konzessionen an Juden zur Niederlassung und zum Hauserwerb zum Tragen kommenden Sonderbesteuerung verfolgt. Die Arbeit konzentrierte sich dabei auf folgende Aspekte: • Art und finanzieller Umfang der jeweiligen Abgaben, • Wirtschaftliche, demographische und soziale Auswirkungen dieser Belastungen sowohl auf die Judenschaft als auch auf einzelne Hausväter, • Umgang des Königs und der Beamtenschaft mit den im Rahmen der untersuchten Abgaben verliehenen Rechtstiteln. Dieser sozial-, wirtschafts-, verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Faktoren integrierende Ansatz sollte dazu dienen, neue Perspektiven bei der Erforschung der Judenpolitik des „Aufgeklärten Absolutismus“ zu eröffnen, der bislang vielfach bescheinigt wird, kontraintentional einen Prozeß jüdischer Verbürgerlichung forciert zu haben, dessen Beginn in Deutschland auf die zweite Hälfte der Regierungszeit Friedrichs des Großen (1763 –1786) datiert wird. Darüber hinaus versprach eine breit angelegte Analyse der Verwaltungspraxis Auskunft darüber, inwiefern jene im Gefolge Selma Sterns konstatierte Verrechtlichung der obrigkeitlich definierten Existenzbedingungen jüdischen Lebens im friderizianischen Preußen tatsächlich stattgefunden hat, d. h.: Erfüllte der Staat seinen Teil der Abmachungen? Blieben einmal verliehene Rechtstitel unangetastet? Und stößt man je länger je mehr auf jene naturrechtlich argumentierende Opposition innerhalb der Beamtenschaft, die für Preußen „typisch“ gewesen sein soll? Zunächst gilt es, die materielle Größenordnung der untersuchten Abgaben zu rekapitulieren. Am Beginn der Entwicklung stand die seit 1747 untersagte Ansetzung zweitgeborener Kinder auf den elterlichen Schutzbrief, die der König im November 1763 aufgrund eines innerhalb der Judenschaft zum Teil heftig umstrittenen Vorstoßes der Berliner Ältesten wiederum gewährte. Als Gegenleistung erbrachte die preußische Judenschaft (mit Ausnahme Schlesiens und Ostfrieslands) ein „Don gratuit“ in der beachtlichen Höhe von 70.000 Rt., das der Königlichen Dispositionskasse zugute kam. Ferner hatte sich der Monarch dahingehend geäußert, daß künftig jedes zu etablierende zweite Kind entweder eine neue Manufaktur einzurichten oder aber jährliche Manufakturwarenexporte in anfangs noch nicht präzisierter Größenordnung zu übernehmen habe. Da es auf dieser Basis offenbar in keinem einzigen Fall zur Gründung eines jüdischen

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Unternehmens gekommen ist, geriet der jährliche Manufakturwarenexport in den kommenden Jahren zur Regel, wobei die zu beachtenden Modalitäten erst 1765/66 eine Klärung erfuhren. Danach hatte sich jedes zweite Kind bei seinem Etablissement zu verpflichten, jährlich für eine festgesetzte Summe von bis zu 1.500 Rt. Fabrikwaren auszuführen und dies durch Zollatteste zu belegen. Nähere Angaben über die Anzahl der von dieser Regelung betroffenen Juden liegen lediglich für die mittleren Provinzen vor. Danach ist von mindestens 23 Juden in der Kurmark inklusive Berlin, von 19 in der Neumark sowie von 12 in Pommern auszugehen, die sich bis 1769 auf dieser Grundlage niederließen. Auch nachdem sich in jenem Jahr mit der Übernahme der Templiner Strumpfmanufaktur für die in der Folge anzusetzenden zweitgeborenen Kinder neue Niederlassungsbedingungen ergeben hatten, behielten diese Engagements ihre Gültigkeit und konnten erst gegen Ende des Jahrhunderts mit Abstandszahlungen abgelöst werden. Wenngleich die Zahl der hiervon betroffenen Hausväter vergleichsweise gering blieb, waren diese Exporte zumindest auf dem Papier für die preußische „Volkswirtschaft“ von einer nicht zu vernachlässigenden Bedeutung und müssen sich im Laufe der Jahre zweifellos auf mehrere hunderttausend Reichstaler summiert haben. Aus Perspektive der zweiten Kinder mußte eine Erfüllung dieser Auflage zwar nicht notwendig mit Verlusten einhergehen, doch sprechen die aus verschiedenen Teilen der Monarchie überlieferten Probleme eine deutliche Sprache hinsichtlich der Komplikationen, die ein überreglementiertes, jedoch organisatorisch schwaches Zollsystem sowie die häufigen Wirtschaftskrisen für die Juden mit sich bringen konnten. Insbesondere ist dabei an den polnischen Bürgerkrieg, die polnische Teilung mit den damit verbundenen Grenzverschiebungen sowie an den preußisch-polnischen Handelsvertrag von 1775 zu denken – Faktoren, die für die zweiten Kinder auf dem wichtigsten Absatzmarkt preußischer Manufakturwaren ständig neue und vielfach schlechtere Rahmenbedingungen schufen. Mindestens ein Viertel aller betroffenen Juden scheint vor diesem Hintergrund zum Teil massive und lang andauernde Probleme mit der Erfüllung der Exportauflagen gehabt zu haben, was noch nach vielen Jahren zur nachträglichen Aberkennung des Schutzrechts führen konnte, wie dies trotz lückenhafter Quellenlage zumindest in fünf Fällen nachweisbar ist. Verglichen mit dem Herzogtum Braunschweig, für das eine ähnliche Untersuchung herangezogen werden konnte, erscheint die auch von Teilen der Bürokratie (insbesondere der Kurmärkischen Kammer) verfolgte Politik deutlich restriktiver. An die Stelle dieser Exporte trat bei der Neuprivilegierung zweiter Kinder jedoch im Januar 1769 der kollektive Zwangsbetrieb der Templiner Strumpf- und Mützenmanufaktur, zu dem sich die Berliner Ältesten auf massiven obrigkeitlichen Druck hin stellvertretend für die gesamte preußische Judenschaft (mit Ausnahme Schlesiens) bereiterklärt hatten. Um fortan das im Rahmen des Konzessionsverfahrens benötigte Attest der Berliner Gemeindevertreter zu erhalten, hatte sich jedes zweite Kind zuvor finanziell mit ihnen abzufinden und auf diese Weise zu den

L. Fazit

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Betriebskosten der Manufaktur beizutragen. Im Falle der Landjudenschaften der Kurmark, des Herzogtums Pommern, der Grafschaften Ravensberg, Tecklenburg und Lingen sowie schließlich des Herzogtums Kleve geschah dies durch jährliche Pauschalzahlungen, in den übrigen Territorien durch einen Individualbeitrag in Höhe von 200 Rt. Wie anderen Orts mit Blick auf die Grafschaften Mark, Ravensberg, Tecklenburg und Lingen dargestellt wurde, blieb diese ungleichmäßige Lastenverteilung nicht ohne Folgen, sondern begünstigte die Niederlassung zweiter Kinder in den genannten Judenschaften, während anderen Orts, insbesondere im Westen, die Hürden offenbar deutlich schwerer zu nehmen waren. 1 Daß sich an diesen Modalitäten bis 1812 nichts änderte, der Templiner Betrieb also wohl stets defizitär blieb, hing einerseits mit den typischen Problemen einer großgewerblichen Ansiedlung jenseits des Ballungsraumes Berlin-Potsdam zusammen, muß aber auch dem mangelnden Engagement der Berliner Ältesten zugeschrieben werden. Diese waren offenbar nicht bereit, durch energisches Durchgreifen gegenüber dem jüdischen Subunternehmer Abraham Jacob Eschwege eine Besserung der lokalen Verhältnisse herbeizuführen. So zeichnen die überlieferten Akten das Bild einer widerwillig am Leben erhaltenen Manufaktur, deren Existenz gleichwohl von den kurmärkischen Provinzialbehörden noch um 1800 mit einer Vehemenz verteidigt wurde, die sich mit antijüdischen Zielen einer demographischen Einhegung verband und sich gegenüber den „liberaleren“ Positionen durchsetzte, wie sie vom Manufaktur- und Kommerzkollegium vertreten wurden. Daß sich mit Strümpfen aus Templin möglicherweise auch Geld verdienen ließ, zeichnete sich erst seit 1803 ab, als Christian Friedrich Dünz vor Ort die Nachfolge Eschweges als Subunternehmer der Judenschaft antrat und manche betriebliche Neuerung einführte. Die Wirren der napoleonischen Besatzung bereiteten dem Aufschwung der in bescheidenem Umfang noch bis 1812 fortgeführten Manufaktur indes ein jähes Ende. Über die Höhe der Verluste, die sich die preußische Judenschaft auf diese Weise im Laufe von beinahe einem halben Jahrhundert auf die Schultern lud, können lediglich vage Vermutungen angestellt werden. Die Berliner Ältesten, deren Oberaufsicht und Haushaltsführung von zahlreichen Landjudenschaften freilich scharf kritisiert wurden, bezifferten das bis 1790 aufgelaufene Defizit auf rund 32.000 Rt. Von dieser Summe darf man vor dem Hintergrund der in den Fabrikenakten zahlreich dokumentierten Betriebsprobleme jedoch annehmen, daß sie zumindest die ungefähre Größenordnung der Verluste zuverlässig wiedergibt. Überblickt man schließlich die bis 1812 noch angefallenen Investitionen und Lohnkosten, so ließe sich von insgesamt wenigstens 50.000 Rt. ausgehen, die die preußische Judenschaft in den Jahrzehnten zwischen 1769 und 1812 in die Uckermark transferieren mußten. Zu den Textilausfuhren und dem Betrieb der Templiner Manufaktur gesellte sich 1769 der Porzellanexportzwang, durch den die fiskalische Abschöpfung der 1

Schenk, Dienen oder fort, S. 64.

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Judenschaft wenige Jahre später ihren Höhepunkt erreichen sollte. Denn während die bislang besprochenen Abgaben lediglich das Etablissement der zweiten Kinder belasteten, sollte sich die neue Verordnung nach dem Willen des Königs auf die „Erlangung“ eines ordentlichen Schutzbriefes, die Vergabe einer Konzession zum Hausbesitz sowie „sonstige Beneficirungen“ erstrecken, wobei Abnahmetarife von 300 bis 500 Rt. (bei Generalprivilegien) festgeschrieben wurden. Insbesondere nach einer deutlichen und bislang in ihrer Brisanz durch die Forschung nicht erkannten Verschärfung der Privilegierungspraxis im Jahre 1779 kauften Juden bis 1788 bei der Berliner Porzellanmanufaktur Waren im Wert von rund 285.000 Rt., was phasenweise mehr als 25 % des Gesamtabsatzes der KPM ausmachte. Aus zahlreichen jüdischen und amtlichen Quellen sind beim Wiederverkauf im Ausland Verluste von etwa 50% überliefert, so daß von einem Gesamtdefizit von mindestens 140.000 Rt. auszugehen ist, zu dem noch die 1788 gezahlte Summe von 40.000 Rt. hinzuzurechnen wäre, mit der die Generaldeputierten der Judenschaft die Suspendierung des Exportzwangs erreichten. Die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Abgabenpolitik führte demnach zu einer über die regulären Schutzgelder hinausgehenden fiskalischen Abschöpfung, über deren Größenordnung man folgende zurückhaltende Schätzung abgeben darf: Tabelle 23 Geschätzte Belastung der preußischen Judenschaft durch diverse Sonderabgaben (1763 –1812) Art der Belastung

Zeitraum

„Don gratuit“ zur Ansetzung 1763/64 der zweiten Kinder Verluste an den Textilexporten zweiter Kinder 1765 bis um 1800 1769 bis 1812 Verluste an der Templiner Manufaktur 1769 bis 1788 Verluste an den Porzellanexporten 1787 Abschlagssumme zur Befreiung vom Porzellanexport

Finanzvolumen in Rt. 70.000 unbekannt ca. 50.000 ca. 140.000 40.000

Gesamt Mindestens 300.000

Selbst wenn man weder die möglichen Verluste aus den jahrzehntelangen Textilexporten, noch die Belastungen der seit 1779 in großem Umfang durchgeführten Exekutionen 2 berücksichtigt und wenn man ferner die daraus resultierenden Verschuldungen und Zinsendienste außer Acht läßt, steht demnach am Ende eine Summe, die auf Basis des 1768 auf 25.000 Rt. erhöhten Schutzgeldtarifs den regulären Abgaben in einem Zeitraum von zwölf Jahren entspricht. Dabei verteilte sich diese immense Belastung keineswegs gleichmäßig auf jenes halbe Jahrhundert zwischen demEndedesSiebenjährigenKriegesundderPublikationdesEmanzipationsedikts, 2

Vgl. Kap. H. VIII.

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das den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit abgab. Stattdessen konzentrierte sich die fiskalische Abschöpfung insbesondere auf die sieben Jahre von 1779 bis 1786, in denen der Porzellanexportzwang seinen Höhepunkt erreichte. Abgesehen von den aufgelisteten Zahlungen der 70.000 und der 40.000 Rt., die bei geringen Modifikationen auf Basis der Schutzgeldveranlagungen zur internen Repartition gelangten, wurden diese Belastungen weitgehend vermögensunabhängig wirksam und entfalteten somit gerade in ärmeren Haushalten eine fatale Wirkung, wie anhand zahlreicher Beispiele aufgezeigt werden konnte. Denn der Export einer Luxusware wie Porzellan erforderte ein überregionales Vertriebsnetz, über das die große Mehrheit der Juden schlichtweg nicht verfügte. Gerade in den Haushalten am unteren Ende der sozialen Hierarchie dürften deshalb die Verluste besonders hoch gewesen sein, da sich mancher Hausvater gezwungen sah, die Dienste eines professionellen Zwischenhändlers in Anspruch zu nehmen, wie sie beispielsweise der Berliner Schutzjude Israel Moses Ulmann anbot. Der friderizianischen Judenpolitik auf dieser Basis vage eine große Härte zu attestieren, wäre freilich für eine Forschungsarbeit ein mehr als dürftiges Ergebnis, denn ähnliches liest man vollkommen zu Recht bereits seit Jahrzehnten. Weniger verbreitet ist allerdings die Frage nach den Auswirkungen jener Politik auf die Betroffenen, die selbst in aktueller Handbuchliteratur häufig so abgehandelt wird, als hätten die obrigkeitlichen Restriktionen lediglich eine düstere und von der Beamtenschaft nicht recht ernst genommene Kulisse abgegeben, vor deren Hintergrund sich insgesamt eine jüdische Erfolgsgeschichte abgespielt habe. Diese weit verbreitete Sicht, die durch jüngere Regionalstudien bereits zunehmend unter Druck geriet, 3 dürfte fortan nicht mehr haltbar sein. Denn wenn jüngst zu lesen war, Friedrichs Judenpolitik habe sich „nach dem jeweiligen ‚Nutzeffekt‘ jüdischer Aktivitäten“ gerichtet und „handels-, steuer- und finanzpolitische Restriktionen“ 4 umfaßt, so fokussierten die damit angesprochenen Belastungen eben nicht lediglich auf die im engeren Sinne ökonomische Sphäre jüdischer Existenz, sondern auf etwas weitaus Elementareres: Niederlassung und Heirat. Wenngleich die vorliegende Arbeit das für diesen Problemkreis relevante statistische Material – verwiesen sei noch einmal auf die begleitende Onlinepublikation 5 – lediglich ansatzweise zu erschließen vermochte, gestatten es die hierbei gewonnenen Ergebnisse, die Kernfrage weitaus präziser zu beantworten, welche lautet: Wie wahrscheinlich war es, daß sich unter den nach 1763 maßgeblich durch die untersuchten Abgaben definierten Bedingungen von Vergleitung und Immobilienerwerb in Preußen „eine Art jüdischer Mittelstand“ 6 herausbilden konnte? Von der Existenz einer solchen Schicht ist am Ende des Ancien Régime nicht einmal 3 Genannt seien Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich; Laux, Zwischen Anonymität und amtlicher Erfassung. 4 Kroll, Hohenzollern, S. 70. 5 Siehe Abschnitt A., Anm. 232.

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in Berlin etwas zu bemerken, worauf die Wirtschaftsgeschichte bereits seit Jahren hinweist. So konstatierte Rolf Straubel auf der Basis von Steuerveranlagungen aus dem Jahre 1807 vielmehr eine „ausgesprochen starke materielle Polarisierung“, um schließlich zu bilanzieren, „daß es nur eine zahlenmäßig kleine Gruppe innerhalb der jüdischen Gemeinde zu materiellem Wohlstand und damit auch zu hohem Ansehen brachte. Ihr gegenüber stand wie in Halberstadt oder Frankfurt die Majorität wenig bemittelter Handel- und Gewerbetreibender.“ 7 Wenngleich monokausale Erklärungsmuster zu vermeiden sind, so stimmt dieser bislang nur ungenügend rezipierte Befund Straubels doch vollständig mit den Ergebnissen der vorliegenden Analyse überein. Denn wo hätte ein solcher Mittelbau auch herkommen sollen? Mit Blick auf die untersuchte Abgabenpolitik kann man nur sagen: Man weiß es nicht. Um die Problematik zu veranschaulichen, sei hier die Einführung eines fiktiven Abraham Mustermann gestattet. Man denke sich diesen Mann als einen um 1730 geborenen Juden, der (wie die übergroße Mehrheit der preußischen Juden) in einer kleinen bis mittelgroßen Provinzstadt lebt, zwei Söhne hat und im Siebenjährigen Krieg durch seinen Handel mit Textilwaren und Fourage zu einem Vermögen von 5.000 Rt. inklusive Warenlager und Hausgerät gekommen ist. Damit wäre ihm eine – zumal jenseits der großen Städte – keineswegs typische, sondern vielmehr außergewöhnliche Kapitalakkumulation gelungen. Folgt man der noch immer zu lesenden und an Selma Stern orientierten Meistererzählung jüdischer Geschichte in Preußen, wäre Herr Mustermann, spätestens aber seine Nachkommenschaft, damit auf dem besten Weg in „eine Art“ von Mittelstand gewesen, verstanden als Nukleus des deutsch-jüdischen Bürgertums im 19. Jahrhundert. Unter einer „Art von Mittelstand“ kann man sich freilich alles mögliche und folglich nichts genaues vorstellen, was denn eine der maßgeblichen Ursachen dafür darstellen dürfte, daß sich derartige Wertungen bis auf den heutigen Tag in der Literatur halten konnten. Der Verfasser schlägt folgende, freilich rein „äußerliche“ Definition vor: Ein Hausvater des kaufmännischen Mittelstands besitzt ein Haus zur Ausübung des Geschäfts sowie zur Erleichterung der Mobilisierung von Fremdkapital und zeigt sich auch gegenüber Fragen der biologischen Reproduktion nicht gänzlich uninteressiert, soll heißen: Er läßt seine Söhne und Töchter nicht als unverheiratetes Dienstpersonal ein Dasein am unteren Ende der sozialen Hierarchie fristen. Die christliche Konkurrenz von Herrn Mustermann tat all dies „einfach so“ im Rahmen ihres finanziellen und kulturellen Kapitals, bei ihm aber hatte es einen besonderen, obrigkeitlich definierten Preis. Die Frage lautet deshalb: Reichte ein Vermögen von 5.000 Rt. vor dem Hintergrund der in den Jahren nach dem Siebenjährigen immer weiter angehobenen Sonderabgaben als Entréebillet in die bürgerliche Gesellschaft aus? Konnte sich 6 Bruer, Preußen und Norddeutschland 1648 – 1871, S. 53; vgl. Ders., Aufstieg und Untergang, S. 73; Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, S. 146; Meyer, Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, S. 27. 7 Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 304 –305.

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Abraham Mustermann mit diesem Betrag um 1780 ein Haus kaufen und zwei seiner Söhne ansetzen? Nein, das konnte er nicht. Denn tatsächlich gestaltete sich die friderizianische Judenpolitik nichts weniger als „protobürgerlich“. 8 Die harten Realitäten präsentierten sich dem jüdischen Hausvater folgendermaßen: Das Haus (sofern ein „Judenhaus“ in seiner Stadt gerade „frei“ war, widrigenfalls er nur illegal in den Besitz einer Immobilie hätte gelangen können), hätte ihn vielleicht 1.000 Rt. gekostet. Dazu hätte Herr Mustermann für 300 Rt. Porzellan exportieren müssen und vermutlich 150 daran verloren. An die Chargenkasse wäre eine Zahlung von 15 Rt. fällig gewesen – der Gesamtverlust für die Konzession zum Hausbesitz betrug also mindestens 175 Rt. Es gab Berliner Manufakturarbeiter, die dafür beinahe zwei Jahre lang arbeiten mußten. In der Haushaltskasse bleiben Herrn Mustermann danach noch 3.825 Rt. Nun ist der älteste Sohn an der Reihe, bei dessen Verheiratung und Ansetzung folgende Posten zu berücksichtigen sind: Zunächst ist der Sohn nachweislich mit einem Vermögen von 1.000 Rt. auszustatten, an die Chargenkasse fließen 50 Rt., für den Porzellanexport sind 300 Rt. aufzuwenden (Verlust wiederum rund 150 Rt.), der Trauschein kostet weitere 30 Rt. Das waren Verluste von weiteren 230 Rt.; in der Familienkasse sind jetzt noch 2.595 Rt. Wie soll nun aber der zweite Sohn etabliert werden? Gefordert wurden ein Vermögensnachweis von 2.000 Rt., eine Gebühr an die Chargenkasse von 100 Rt., ein Porzellanexport im Wert von 300 Rt. (Verlust wiederum 150 Rt.), der Beitrag zur Templiner Manufaktur von 200 Rt. und schließlich der Trauschein für 30 Rt. Danach blieben von den 5.000 Rt. am Ende ganze 115 Rt. – Herr Mustermann säße entweder in einem leeren Haus oder wäre hoch verschuldet. Um sich also eine Existenz aufzubauen, die rein äußerlich bürgerlichen Maßstäben genügte, wären demnach eher 10.000 Rt. erforderlich gewesen. Gewiß – die hier präsentierte Rechnung ist mehr oder minder spekulativ und ignoriert beispielsweise die Tatsache, daß die genannten Konzessionen auch in reicheren Familien nicht auf einen Schlag, sondern gestreckt auf einen Zeitraum von mehreren Jahren beantragt wurden. Doch sollte die Größenordnung der Abgabenlast hinlänglich klarmachen, warum in den Jahren nach 1779 die Konzessionsvergabe in der gesamten Monarchie bei starken regionalen Differenzen um rund 30 % zurückging 9 – ein Befund, in dem eines der wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zu erblicken ist. Denn die Frage, wo jener Mittelbau herkommen sollte, ist letztlich gleichbedeutend mit folgender Frage: Wie (und wo!) konnten die immensen, dafür benötigten Summen verdient werden? Zu verdienen waren sie beispielsweise in Berlin. Doch selbst dort, wo sich die Judenschaft ebenso wie in der umliegenden Kurmark und in Ostpreußen (letztlich also in Königsberg) hinsichtlich der Neuprivilegierungen in etwa auf dem bishe8 9

So nach Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum, S. 77. Vgl. Kap. H. X.

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rigen Niveau zu halten vermochte, trat Ende der 70er Jahre eine demographische Stockung ein, die Hugo Rachel bereits 1930 als „besonders auffällig“ 10 bezeichnete: Während sich die Zahl der Juden in der Hauptstadt von 2.188 im Jahre 1750 über 2.791 im Jahre 1760 bis auf 3.842 im Jahre 1770 erhöhte, zählte man 1780 3.386, 1790 3.379 und schließlich um die Jahrhundertwende 3.322 Individuen. 11 Gewiß werden dabei die von Rachel vermuteten Abwanderungsbewegungen in die mit den polnischen Teilungen erworbenen Provinzen sowie die häufiger werdenden Übertritte zum Christentum zu berücksichtigen sein. 12 Doch auch in der relativ wohlhabenden Berliner Gemeinde muß sich der 1779 drastisch verschärfte Exportzwang demographisch bemerkbar gemacht haben. Aus der Vermutung wird Gewißheit, sobald man die Tore der Hauptstadt hinter sich läßt und den Blick auf die Entwicklung in den Provinzen richtet – dorthin, wo die überwältigende Mehrheit der preußischen Juden lebte 13 und wo soviel Geld (Tausende von Reichstalern pro Haushalt) vielerorts kaum zu verdienen war. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten und stehen in diametralem Widerspruch zu der These, man könne „von einer gewissen Minderung des Drucks“ 14 auf die preußische Judenschaft im 18. Jahrhundert ausgehen. Das Gegenteil war der Fall: Nach 1779 ging innerhalb weniger Jahre die Anzahl der an Juden verliehenen Konzessionen im Herzogtum Kleve um 43, im Fürstentum Ostfriesland um 57 und in Minden-Ravensberg gar um 68% zurück. Zwar verbieten sich auch hier monokausale Erklärungen, doch wenn man das Vermögensregister der mindenravensbergischen Judenschaft aus dem Jahre 1765 überblickt, 15 wird schlagartig die Dramatik der untersuchten Abgabenpolitik klar. Denn was sollte wenige Jahre später jene große Mehrheit der Hausväter tun, deren Vermögen inklusive Hausgerät lediglich 500 bis 2.000 Rt. umfaßte? Wenn die hier aufgemachte Rechnung zumindest ungefähr zutreffend ist, wonach für die Ansetzung zweier Kinder und einen bescheidenen Immobilienerwerb zumindest 10.000 Rt. erforderlich waren, so erfüllte diese Voraussetzung in Minden-Ravensberg lediglich ein einziger Jude: 10

Rachel, Die Juden im Berliner Wirtschaftsleben, S. 194. Bruer, Geschichte der Juden in Preußen, S. 84. 12 Wenngleich in der neueren Forschung nicht mehr von einer „Taufepidemie“ innerhalb der Berliner Gemeinde gesprochen wird, so besteht doch kein Zweifel an der demographischen und kulturellen Relevanz dieser Identitätskrise des traditionellen Judentums. Siehe dazu Lowenstein, The Berlin Jewish Community, S. 132: „The wave of baptism, while it did not affect one-half or one-third of Berlin Jewry as the most extreme claims have stated, certainly did present an unprecedented phenomenon in German Jewish History. Undoubtedly, the conversion of so many people, especially of so many members of the elite, was a shock to many.“ 13 Vgl. das Plädoyer für eine verstärkte Berücksichtigung der Regionalgeschichte bei der Erforschung jüdischer Geschichte im Alten Preußen bei Schenk, Hertz Eschwege; Ders., Dienen oder fort. 14 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, S. 147. 15 Siehe Stern, Preußischer Staat, Bd. III/2, S. 775 – 778. 11

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Nathan Spanier aus Bielefeld. 16 Alle anderen mußten 15 Jahre später offensichtlich froh sein, wenn es ihnen gelang, ein Abgleiten in die Unterschicht zu vermeiden und ihren Schutz wenigstens auf ein Kind zu vererben. Die um sich greifenden sozialen Verwerfungen, zu denen es in der Folge kam, sind für das Fürstentum Minden, das Herzogtum Kleve, die Grafschaft Ravensberg sowie das Fürstentum Ostfriesland bereits mehr oder weniger gründlich untersucht worden. 17 Sie lassen sich an einem steigenden Heiratsalter, einer wachsenden Zahl unverheirateter, eigentlich „geleitfähiger“ Kinder sowie abnehmendem Immobilienbesitz ablesen und führten vielerorts, wie in Kleve und Ostfriesland, auch zu meßbaren demographischen Verlusten, die zwischen 1779 und 1786 allein im Fürstentum an der Ostsee rund 10 % betrugen. In Anknüpfung an Überlegungen, die jüngst von Steven M. Lowenstein vorgetragen wurden, sei hierzu mit der kleinen jüdischen Gemeinde des Städtchens Werther (Grafschaft Ravensberg) ein eindrückliches Beispiel für die kaum zu überschätzende Dramatik angeführt, die sich hinter solchen Zahlen verbirgt. So betonte Lowenstein, die obrigkeitlichen Restriktionen hätten sozialen und demographische Ergebnisse gezeitigt, die dem später häufig idealisierten Bild einer durch frühes Heiratsalter gekennzeichneten jüdischen Familie der Vormoderne diametral entgegenliefen. 18 In Werther führten diese von einer auf Berlin fokussierten Forschung bislang nahezu gänzlich ausgeblendeten Realitäten zwischen 1750 und 1806 offenbar zum Aussterben von drei jüdischen Familien (und damit der Hälfte der Gemeinde), da die betroffenen Haushaltsvorstände nicht über die zum Geleittransfer notwendigen Mittel verfügten. Einer der Hausväter war gar zwecks Konversion zum Katholizismus ins Fürstbistum Paderborn ausgewandert. 19 Ohne ein Forschungskonzept, das rechts- und sozialgeschichtliche Instrumente zusammenführt, ist dieser in der preußischen Überlieferung nahezu allgegenwärtigen Problematik offensichtlich nicht beizukommen. Nur unterstreichen läßt sich deshalb, was unlängst Stephan Laux mit Blick auf die Territorien des Alten Reiches feststellte: „Die Annahme, es habe einen effektiven ‚Rechtsschutz [...] gegen Ausweisungen‘ gegeben, lässt sich allenfalls für sehr spezielle Konstellationen unterschreiben, denn weder gab es auf Reichsebene funktionsfähige Instrumentarien zum Schutz vor Ausweisungen, noch waren die größeren Territorien überhaupt der Reichsgerichtsbarkeit unterworfen. Und weiter: Klammert man die soziale Situation der Juden aus, so verkennt man, dass die faktische oder

16 Spanier hatte sich im Siebenjährigen Krieg als Fouragelieferant betätigt und übte das Amt eines Vorstehers der Judenschaft von Ravensberg, Tecklenburg und Lingen aus. Siehe ebd., Bd. III/1, S. 168, 174, 301. 17 Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich; Baer, Das Protokollbuch der Landjudenschaft des Herzogtums Kleve; von Roden; Maser, Die Juden der Frei- und Reichsstadt Dortmund und der Grafschaft Mark; Lokers, Die Juden in Emden. 18 Vgl. die Überlegungen bei Lowenstein, Reflections on Statistics, hier insb. S. 51 –52. 19 Schenk, Dienen oder fort, S. 63; ebd., S. 63 auch weitere Beispiele für Konversionen verarmter preußischer Juden zum Katholizismus.

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sogar forcierte soziale Deklassierung nicht mehr zahlungsfähiger Juden unter dem Strich dasselbe bedeutete: den Verlust des Schutzes.“ 20 Hier empfiehlt sich die Lektüre der seit Beginn der 1770er Jahre geführten Handakten der Generalfiskale d’Anières und von Hoff, in denen (mit Ausnahme Schlesiens) spaltenweise jede einzelne legal in Preußen ansässige jüdische Familie aufgelistet ist. Man muß nicht lange blättern, um zu realisieren, daß es sich bei den Überlegungen von Laux um wegweisende Ausführungen für die weitere Erforschung jüdischer Geschichte im Alten Preußen handelt. Ins Auge fallen dort insbesondere die als erledigt von den Generalfiskalen durchgestrichenen Spalten, hinter denen sich die im ausgehenden 18. Jahrhundert ausgewanderten oder schlicht zugrundegegangenen Familien verbergen – Familien wie beispielsweise jene des Moses Hertz, der sich im Juni 1726 als Ordinarius in Duisburg (Herzogtum Kleve) etabliert hatte. 21 Rund ein halbes Jahrhundert später, 1771, bestand seine Nachkommenschaft aus den noch immer unverheirateten Söhnen Abraham (46 Jahre alt), Lehmann (37) und Salomon Elias (34). Eine Niederlassung zweier Söhne kam in der Familie aus finanziellen Gründen offenbar von vorneherein nicht in Betracht, liest man doch über Abraham: „hat en faveur des Lehmann dem privilegio renuncirt. Ist fort.“ Doch auch Lehmann vermochte in den folgenden Jahren die Hoffnungen der Familie nicht zu erfüllen. Zu ihm heißt es: „ist verheyrathet ohne concession und trauschein mit einer cöllnischen jüdinn und hat 5 Kinder. Sehr arm. Monitum [17]72, [17]74, [17]77. Soll, wenn er nicht in 4 monathen Concession löset, über die grentze. Rescript vom 9. May 77. Ist über die grentze gebracht.“ Lediglich der jüngste Sohn, Salomon Elias, blieb womöglich in Preußen – allerdings um einen Preis, der in verarmten jüdischen Familien nach Ausweis der Akten keinen Einzelfall darstellte: „ist catholisch geworden“. Der somit manifest werdende, nicht nur, aber insbesondere für Preußen bislang kaum erforschte Zusammenhang zwischen Rechtsstellung und Finanzkraft von Juden im „Zeitalter der Aufklärung“ muß in der Hohenzollernmonarchie auf Basis der hier vorgelegten Ergebnisse nicht zuletzt mit den einschneidenden Wirkungen des Porzellanexportzwangs verknüpft werden. Es waren die Belastungen durch das „Judenporzellan“, die insbesondere nach dem als Zäsur einzuschätzenden Jahr 1779 dafür sorgten, daß sich zahlreiche Ansetzungsverfahren um mehrere Jahre verzögerten oder gar gänzlich scheiterten. Der preußische Kameralist Justus Christoph Dithmar hatte bereits 1745 in seiner Einleitung in die Oeconomische- Policey und Cameral-Wissenschaft geschrieben: „Der Endzweck eines jeden einzelnen Mitglieds im Staate bleibt immer noch sein Privatwohl.“ 22 Wenn man der preußischen Staatswirtschaft auch aus heutiger Sicht 20 21 22

Laux, Judenschutz und Judengesetzgebung, S. 19 – 20. GStA PK, I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236 b, Bl. 105, hiernach auch das folgende. Zitiert nach Sieg, Staatsdienst, S. 170.

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„eine wohlstandsstiftende Wirkung“ 23 für die Untertanenschaft nicht absprechen möchte, muß dieses Urteil für die zahlreichen diskriminierenden Sondergesetzen unterliegenden Juden, die eben nicht als „Mitglieder im Staate“ anzusprechen sind, deutlich differenziert, wenn nicht überhaupt verworfen werden. Stattdessen galten für jene Minderheit, auf deren Rücken die merkantilistische Wirtschaftspolitik (auch) ausgetragen wurde, andere Regeln. Die Ansicht, wonach unter dem Szepter Friedrichs des Großen „eine ständige Aufwärtsbewegung“ eingesetzt habe, „die Teile des preußischen Judentums zu Wohlstand, obrigkeitlich gedecktem Ansehen und politischer Sicherheit führte“, 24 findet in den Quellen kaum einen Rückhalt. Stattdessen war die friderizianische Judenpolitik u. a. deshalb keineswegs protobürgerlich, weil sie ein wucherndes Gestrüpp von fiskalischen Belastungen schuf, in dem schließlich immer größere Teile der Judenschaft förmlich „hängenblieben“ und verelendeten. 25 So vermochten es, um einen weiteren Beleg anzuführen, im Fürstentum Halberstadt zwischen 1763 und 1804 lediglich sieben Juden, sich als zweites Kind zu etablieren. In einer Judenschaft von ca. 100 Familien brachte dort also gerade einmal jede 14. Familie die benötigten Mittel auf. 26 Nicht anzuschließen vermag man sich deshalb der unlängst geäußerten Ansicht, wonach die „Benachteiligung“ der jüdischen Minderheit durch einen angestrebten „Gewinn für das Wirtschaftsleben des Staates und damit für das Gesamtwohl des Volkes“ 27 motiviert gewesen sei. Sofern man ungeachtet der Problematik eines egalitären Volksbegriffs bei der Beschreibung ständisch geprägter Untertanenverbände des 18. Jahrhunderts überhaupt vom „Gesamtwohl des Volkes“ als Handlungsmaxime friderizianischer Politik sprechen möchte, muß stattdessen darauf hingewiesen werden, daß dabei eine Exklusion der jüdischen Untertanen stets mitzudenken ist: Sie hatten dem „Gesamtwohl“ zu dienen, sollten jedoch selbst nach Möglichkeit nicht zu sehr daran partizipieren. Sie gehörten in voremanzipatorischer Zeit eben nicht „dazu“. Somit erweist sich Finanzgeschichte auch im Rahmen der jüdischen Historie im Alten Preußen zugleich als „Verfassungsgeschichte im Sinne einer Analyse politischer Strukturen und Kräfteverhältnisse einer Epoche“, 28 wobei deren Erforschung 23

Kaufhold, Preußische Staatswirtschaft, S. 68. Bruer, Preußen und Norddeutschland 1648 – 1871, S. 50. 25 Von einer Vorreiterrolle Preußens kann auch und gerade im gewerbepolitischen Segment der Judenpolitik offenbar keine Rede sein, wenngleich empirische Studien für weite Teile des Alten Reiches noch fehlen. Hingewiesen sei jedoch auf Mordstein, S. 236, 317, der mit Blick auf die schwäbische Grafschaft Oettingen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine „Tendenz zur Lockerung der Handelsrestriktionen und Erleichterung der jüdischen Erwerbstätigkeit“ konstatiert und der Obrigkeit den Willen bescheinigt, sowohl der christlichen Mehrheit als auch der jüdischen Minderheit zu „auskömmlichen“ Lebensumständen zu verhelfen. Gerade jene „Auskömmlichkeit“ war jedoch in Preußen im gleichen Zeitraum für eine wachsende Zahl von Juden immer weniger gegeben. 26 Halama, S. 220. 27 Kroll, Das Problem der Toleranz bei Friedrich dem Großen, S. 72 –73. 24

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erhebliche Zweifel an der in der Literatur immer wieder konstatierten Verrechtlichung der Judenpolitik in friderizianischer Zeit aufkommen läßt. Elementare und mit der Abgabenpolitik in engstem Zusammenhang stehende Zuständigkeiten wie Vergleitung und Fortschaffung, dies kann nicht oft genug unterstrichen werden, unterlagen ungeachtet der allgemeinen Zeittendenzen 29 weiterhin allein der monarchischen Prärogative 30 – einem königlichen Dispensationsrecht, das mit André Holenstein weitgehend im rechtsfreien Raum zu verorten ist 31 und das erst im ausgehenden 18. Jahrhundert zu erodieren begann. 32 Auf dem Feld der Judenpolitik wurde diese Position der Krone selbst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf allen Ebenen der preußischen Verwaltung denn auch kaum hinterfragt. Von jener naturrechtlich argumentierenden Opposition, die nach Ansicht einer an Selma Stern orientierten Forschung gewissermaßen an der Tagesordnung gewesen sein soll (und zwar bereits seit der ersten Hälfte des Jahrhunderts), ist in den Kameralakten, die für die vorliegende Arbeit in großem Umfang herangezogen wurden, so gut wie nichts zu bemerken. 33 Stellvertretend sei noch einmal der Potsdamer Steuerrat Richter zitiert, der 1777 ausdrücklich betonte, daß es dem Landesherrn freistehe, alle den Juden verliehenen Privilegien „nach dem Nuzzen und Erfordernis des Staats abzuändern auch wol gar aufzuheben“. 34 Wenn derartige Positionen auch noch in den 1770er und 80er Jahren (wenn nicht darüber hinaus) innerhalb der Bürokratie als Opinio communis erscheinen, so ist dieses Ergebnis recht eigentlich kaum überraschend, wurde doch der durch den Monarchen verkörperten Obrigkeit selbst durch das preußische Naturrecht „nicht 28 Neugebauer, Probleme der älteren Finanzgeschichte am Beispiel Preußens, S. 16. Daß diese Feststellung nicht nur auf das Verhältnis der preußischen Judenschaften zur Obrigkeit, sondern ebenso auf das innerjüdische Machtgefüge anzuwenden ist, verdeutlicht beispielsweise die mit erheblichen Friktionen einhergehende Kompetenzausweitung der Berliner Ältesten gegenüber den Landjudenschaften, die ihrerseits mit der Abgabenerhöhung nach 1763 in engem Zusammenhang stand. Siehe dazu Kap. D. I. 29 Die allgemeinen rechtstaatlichen Errungenschaften des Aufgeklärten Absolutismus wurden gerade in der älteren Forschung stark betont, etwa bei Conrad, Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preußens und Österreichs. 30 Vgl. am Beispiel der Vergleitung ausländischer Juden Schenk, „Der preußische Staat und die Juden“. 31 Vgl. Holenstein, „Ad supplicandum verweisen“. 32 Mit Blick auf das monarchische Gnadenrecht in Strafsachen beispielsweise Rehse, S. 548 – 549. Den sich aus der Kritik ergebenden Begründungszwang relativiert die Autorin allerdings ebd., S. 569: „Die Objektivierung der Gnadenentscheidung stellt sich in vielen Fällen als ein Anspruch heraus, der aber bei näherer Betrachtung oft nicht oder nur begrenzt eingelöst wurde.“ 33 Naturrechtliche Argumente, wie sie beispielsweise der Herforder Steuerrat von Hohenhausen mitunter vortrug, stechen heraus, weil sie sich in Umkehrung einer Formulierung von Baumgart eher als singulär denn als typisch erweisen. Zu Hohenhausen vgl. Schenk, Von der Spree an die Donau, S. 6. 34 BLHA, Rep. 19, Steuerrat Potsdam, Nr. 2303.

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im geringsten ihre souveräne Rechtsetzungsbefugnis bestritten“. 35 Eine „grundlegende Neugestaltung der Rechtsordnung lag in der Regel außerhalb der Intention preußischer Beamter“. 36 Damit standen die Handlungen des Königs innerhalb der Bürokratie zwar „keineswegs außerhalb der Kritik“, 37 wie insbesondere die nach dem Siebenjährigen Krieg teilweise heftige Opposition auf dem Feld der Wirtschaftspolitik belegt. 38 Andererseits sollte man jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass gerade in den Jahren nach 1780, als die friderizianische Judenpolitik in die Phase ihrer schärfsten Ausprägung eintrat, mehrere hochrangige Beamte wie die Minister von Brenckenhoff und Friedrich Christoph von Goerne (1734 – 1817) oder der Elbinger Oberbürgermeister Johann Christian von Lindenowski in anderem Zusammenhang spektakulär zu Fall kamen, 39 was die Bereitschaft zu grundsätzlichem Widerspruch in den Reihen der Beamtenschaft gedämpft haben dürfte. Wenn man vor diesem Hintergrund im Rahmen der Judenpolitik von „Opposition“ sprechen möchte, so war diese in aller Regel weder typisch noch naturrechtlich motiviert, sondern entsprang eher der Konfrontation mit ökonomischen Realitäten und blieb überkommenen administrativen Handlungsmustern von einer „Konservation der Untertanen“ verhaftet. 40 Ein solcher Befund ergab sich insbesondere bei der Untersuchung, inwieweit der 1769 eingeführte Porzellanexportzwang durch das Generaldirektorium in die Praxis umgesetzt wurde. Denn bei den Entscheidungen, die zur deutlichen Absenkung der Ausfuhrquanta oder der Befreiung der ostfriesischen Judenschaft führten, spielten naturrechtliche Überlegungen keinerlei Rolle. Stattdessen wirkte hier insbesondere die „Überzeugungsarbeit“ der Steuerräte und der Kriegs- und Domänenkammern, die weit besser als das Generaldirektorium im fernen Berlin um die ökonomischen Realitäten vor Ort wußten und Schäden vom regionalen Wirtschaftsgefüge bzw. dem städtebaulichen Retablissement abzuwenden suchten – Schäden, für deren fiskalische Folgen letztlich die Regionalverwaltungen die Verantwortung hätten übernehmen müssen. 41 Gewiß stößt man in Akten der 1780er und 90er Jahre mitunter auf den zu diesem Zeitpunkt noch „visionären“ Be35

Hellmuth: Naturrechtsphilosophie und bürokratischer Werthorizont, S. 102. Ebd., S. 284. 37 Sieg, Staatsdienst, S. 59; vgl. Göse, Abschn. 9. 38 Dazu u. a. Straubel, Kaufleute und Manufakturunternehmer, S. 406 –414. 39 Siehe hierzu Berg, Der Brenckenhoffsche Defekt; Friedberg, Friedrich der Große und der Prozeß Görne; Straubel, Über die Schwierigkeiten eines Beamten aus den Kernlanden in einer Neuerwerbung, S. 52. 40 Entgegen anderslautenden Einschätzungen in der Literatur bedingte die „Staatsraison“ des „Aufgeklärten Absolutismus“ deshalb keineswegs zwangsläufig „eine fortschreitende Gleichstellung der einzelnen Juden mit der sie umgebenden Bevölkerung“. So etwa bei Schubert, S. 99. 41 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Beobachtungen von Jehle, S. 43, der mit Blick auf die Judenvertreibungen in Westpreußen und im Netzedistrikt feststellt: „The further one went down the administrative level, the more resistance grew to the expulsion 36

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griff des jüdischen „Bürgers“. Doch wohl nicht von ungefähr finden sich derartige, in die Zukunft weisende Zuschreibungen scheinbar insbesondere in den Beständen des Fabrikendepartements, das es qua Amt vor allem mit dem gewerbepolitisch besonders „nützlichen“ Teil der Judenschaft zu tun hatte. Aus anderen Zweigen der Verwaltung ließen sich hingegen in weitaus größerer Anzahl Äußerungen anführen, wonach den Juden bürgerliche Qualitäten noch um 1800 explizit abgesprochen wurden. 42 Die Maßstäbe und rechtlichen Abstufungen der ständischen Gesellschaftsordnung wurden durch einen solchen Utilitarismus „des Staates“, der seine wirtschaftlichen Ziele nicht zuletzt durch die individuelle Verleihung von Exklusivrechten zu befördern suchte, zwar vielfach sektoral durchbrochen, aber eben noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So widersprach der angestrebten Konservation der Untertanen und der damit einhergehenden Vermehrung der Staatseinkünfte eine rechtliche Diskriminierung der Juden keineswegs, sondern wurde nicht selten gar als ihre Voraussetzung begriffen. 43 Eine Analyse friderizianischer Judenpolitik führt somit zu erheblichen Bedenken gegenüber der jüngst formulierten These, wonach der „Aufgeklärte Absolutismus“ von einer „ständischrechtlichen Differenzierung“ der Untertanenschaft „abstrahiert“ habe. 44 Diese komplexe, nicht zuletzt dem Konzept einer stufenweisen Emanzipation geschuldete Gemengelage wurde bislang vielfach nicht ausreichend berücksichtigt, wie denn auch ein vermeintlicher Exponent der „judenfreundlichen“ Fraktion innerhalb der preußischen Bürokratie, der schlesische Provinzialminister von Hoym, noch 1790 schrieb: Allein gäntzliche Aufhebung aller jüdischen Abgaben und Aufhebung aller HeyrathsEinschränkungen müßte nur denen als Belohnung zu Theil werden, welche ietzo schon als wahre Kaufleute, Fabricanten oder Manufacturiers leben, und welche in der Folge christliche Gewerbe auf christliche Art zu betreiben anfangen und fortfahren. 45

In der gegen die Berufsstruktur der jüdischen Minderheit gewendeten Formel vom christlichen Gewerbe schwingt eine Säkularisierung überkommener Judenfeindschaft an, die auch und gerade um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert des öfteren in den Akten begegnet. Unter anderem ist hier an die Entschlossenheit zu erinnern, mit der die kurmärkischen Provinzialbehörden zum Teil noch um 1800 policy shaped by the central office [Generaldirektorium, T. S.] in Berlin; especially the tax officials, those responsible for towns and their municipalities, and the Domänenämter opposed the anti-Jewish orders.“ 42 Siehe etwa Jehle, S. 43, der aus einem Bericht der Kriegs- und Domänenkammer in Plock aus dem Jahre 1796 zitiert und worin von den Juden die Rede war, welche „actually cannot be regarded as citizens, and may even be regarded as dangerous in a political respect“. 43 Am Beispiel der polnischen Teilungsgebiete verdeutlicht dies eindrücklich die Studie von Jehle, etwa S. 44. 44 So hingegen Behrisch, S. 9. 45 Zitiert nach Brenker, S. 270.

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die durch Friedrich den Großen eingeführten Sonderabgaben verteidigten, 46 und die nachdrücklich die ebenso zahlreichen wie schwerwiegenden Fehleinschätzungen in der Darstellung Selma Sterns belegt, wonach gerade jene administrativen Instanzen für eine „Minderung der unerschwinglichen Abgaben“ 47 der Judenschaft eingetreten sein sollen. Wie problematisch sich deshalb eine unkritische Verwendung nicht nur ihrer Darstellung, sondern auch des von ihr edierten Aktenmaterials erweist, dürfte in der vorliegenden Arbeit wohl nicht zuletzt an der Person des Generalfiskals d’Anières deutlich geworden sein, der weiten Teilen der Forschung aufgrund seines 1765 verfaßten Grundsatzgutachtens zur friderizianischen Judenpolitik bis heute geradezu als der naturrechtlich argumentierende Widerpart des Königs innerhalb der Bürokratie erscheint. 48 Die detaillierte Untersuchung seiner Amtsführung in den sich anschließenden zweieinhalb Jahrzehnten konnte diese Sichtweise in keiner Weise bestätigen. Denn der scharfe Verweis durch den König, den sich der junge Hugenotte mit seinen allzu freimütig geäußerten Gedanken einhandelte, verfehlte seine Wirkung offenbar nicht. So erscheint der d’Anières der 1770er und 80er Jahre, während derer die friderizianische Abgabenpolitik ihren Höhepunkt erreichte, vielfach ängstlich darauf bedacht, keinen Fehler zu machen, der ihn gegenüber dem Monarchen in Bedrängnis bringen könnte. Aufschlußreich ist mancher Schriftwechsel des Generalfiskals mit dem Generaldirektorium, das beispielsweise alleruntertänigst darum gebeten wird, ihn im Zweifelsfall doch bitte „eines besseren zu belehren“. 49 Vollends seine langjährige Tätigkeit in der Porzellankommission, in der er gemeinsam mit Manufakturdirektor Grieninger für hunderte von Einquartierungen in der gesamten Monarchie verantwortlich zeichnete, mußte jeglichen naturrechtlichen Grundprinzipien Hohn sprechen, auf die sich der Hugenotte in jenen Jahren nur noch dann berief, wenn es für ihn mit keinen weiterreichenden „Gefahren“ verbunden war. 50 Wenn demnach von einer naturrechtlichen Prägung der preußischen Judenpolitik selbst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wenn überhaupt, so nur mit größten Einschränkungen die Rede sein kann, gilt es weiter zu fragen, ob sich König und Beamtenschaft zumindest einer älteren „Kontrakttheorie des Judenschutzes“ verpflichtet fühlten und „ein gewisses Gegenseitigkeitsverhältnis 46

Vgl. hierzu auch Schenk, Friedrich und die Juden. Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 21 – 22. 48 Vgl. Schenk, Generalfiskal d’Anières. 49 S. Kap. G. VII. 50 So im Falle des Schulmeisters Wolff Meyer Ginzburger, dem die Mindener Kammer 1785 zunächst nur eine dreijährige, mit einer Zuzugsverweigerung für seine Frau verbundene Konzession erteilen wollte. D’Anières intervenierte und erklärte, daß ein solches Verfahren gegen „die ersten Privilegien des Natur Rechts und der Moral“ verstoße. Gegen diese Privilegien verstieß der Generalfiskal spätestens seit 1779 gegenüber den Porcellainerestanten nahezu täglich. Siehe Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich, S. 705. 47

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zwischen Schützern und Geschützten“ 51 als Handlungsmaxime anerkannten. Erkauften sich die Juden also mit jenen immensen Summen, die im Rahmen der untersuchten Sonderabgaben aufzubringen waren, Schutz – einen Schutz, von dem man lesen kann, er sei in Preußen „äußerst wirkungsvoll“ 52 gewesen? Die Untersuchung führte zu dem ernüchternden Ergebnis, daß buchstäblich alle näher betrachteten Vereinbarungen, die nach 1763 zwischen dem Monarchen und den Vertretern der Judenschaft geschlossen wurden, später auf die eine oder andere Weise durch den König oder die Beamtenschaft gebrochen wurden. Es beginnt bei den 1763 vereinbarten Modalitäten zur Ansetzung der zweiten Kinder, denen auf Betreiben der mit größter Skrupellosigkeit agierenden Kurmärkischen Kammer und unter Inkaufnahme ruinierter Existenzen 1768/69 das mottenfräßige Templiner Warenlager aufgenötigt wurde – ein Vorgang, den Selma Stern verharmlosend dahingehend zusammenfaßte, das Generaldirektorium habe die Judenältesten zum Betrieb der Manufaktur „überredet“. 53 Zumindest Manasse Jacob aus Bernau fand sich hingegen am Ende auf der Straße wieder. 54 Die Geschichte nachträglich und einseitig modifizierter Rechtstitel setzte sich fort mit dem Templiner Vertrag vom Januar 1769, der die bereits 1763 zugesagte Niederlassungsfreiheit bestätigte und die zweiten Kinder von weiteren Manufakturwarenexporten ausdrücklich dispensierte. 55 Was die Niederlassungsfreiheit betrifft, versuchte Friedrich in den 1760er und 70er Jahren mehrfach, diese zwar nicht förmlich aufzuheben, jedoch auf administrativen Umwegen letztlich doch zurückzunehmen und auf die Grenzgebiete zu Polen einzuschränken, womit er allerdings scheiterte. Doch noch Jahrzehnte später, um 1808, trat Freiherr von Schroetter, aus dessen Feder der erste Entwurf für ein Emanzipationsedikt stammte, in des Königs Fußstapfen, untersagte die Niederlassung zweiter Kinder in Königsberg und beging damit wissentlich Rechtsbruch. Auch die Dispensierung von weiterer Manufakturwarenausfuhr erwies sich bereits wenige Monate nach Unterzeichnung des Templiner Vertrages als Makulatur, da selbst die zweiten Kinder zu Porzellanexporten herangezogen wurden. Hier war es die Ministerriege des Generaldirektoriums, allen voran Minister von Derschau, die ein geradezu sagenhaftes Maß an Chuzpe an den Tag legte. Von einer Objektivierung des Judenrechts, die „für die Betroffenen zu kontrollierbaren, d. h. einforderbaren Ansprüchen bzw. anfechtbaren Entscheidungen führte“, 56 kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Stattdessen wurden wohlbegründete Interventionen 51

Toury, Behandlung jüdischer Problematik in der Tagesliteratur der Aufklärung, S. 19. Bruer, Preußen und Norddeutschland 1648 – 1871, S. 51. 53 Stern, Preußischer Staat, Bd. III/1, S. 188. 54 Vgl. Kap. D. VII. Eine Abbildung des kassierten Schutzbriefes bei Schenk, Friedrich und die Juden. 55 Vgl. Kap. E. II. 56 Heinrich, „... man sollte itzt beständig das Publikum über diese Materie en haleine halten“, S. 827. 52

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von Vertretern der Judenschaft mehrfach als Unfug zurückgewiesen, über den allerhöchst nicht zu reflektieren sei. 57 Ebensowenig gab es für die Juden etwas einzufordern, als im Jahre 1779 nicht nur Lessings Nathan der Weise, sondern auch die traurige Figur des Porcellainerestanten die Bühne betrat. In diesem beinahe vergessenen Vorgang wird man künftig in jeder Hinsicht eine Zäsur zu erblicken haben, an der eine Darstellung der Geschichte der Juden in Preußen nicht vorbeigehen kann. Denn nicht nur wurde in jenem Jahr der fiskalische Bogen offenbar endgültig überspannt, was zu den bereits geschilderten Einbrüchen bei der Konzessionsvergabe und den damit zusammenhängenden sozialen Verwerfungen führte. Auch jüdische Rechtstitel erfuhren in Hunderten von Fällen in der gesamten Monarchie eine schrittweise und bis dato wohl nicht für möglich gehaltene Entwertung, von der allein in Landsberg an der Warthe zumindest anfangs mehr als 50 % der Gemeindemitglieder betroffen waren. Der Porcellainerestant steht deshalb für keine Unregelmäßigkeit 58 auf dem Weg zur Emanzipation – er steht viel eher für die auch in Preußen geltende spätabsolutistische Regel, durch die in jenen Jahren aus Schutzjuden quasi Betteljuden gemacht wurden, welche ständig mit der Gefahr der Fortschaffung zu rechnen hatten. Dies alles diente letztlich nicht dem „Wohl des Staates“ als einem Abstraktum, sondern der Befriedigung einer königlichen Laune, dem Porzellan mit dem kurbrandenburgischen Szepter. Daß Friedrich seine kunstpolitischen Ambitionen „eindeutig den militärischen und administrativen Erfordernissen des Staates untergeordnet“ 59 und daß es eine „rational kontrollierte Relation zwischen dem Wohlfahrtsanspruch der Allgemeinheit und den Selbstdarstellungsgelüsten des Landesherrn“ gegeben habe, wird man angesichts der sozialen und ökonomischen Folgeschäden kaum behaupten können. Im Gegenteil wurde eine Minderung der regulären Einnahmen durch Schutzgelder nicht nur in Ostfriesland nach 1779 wider besseres Wissen billigend in Kauf genommen. 60 Selbst wenn es zu der spätestens 1783 vom König ins Auge gefaßten Austreibung zahlreicher Porcellainerestanten und ihrer Familien letzten Endes nicht mehr gekommen ist, so scheint es doch vor diesem Hintergrund unhaltbar, dem preußischen Absolutismus die administrative und rechtliche Leistung zuzubilligen, die Judenschaft „in den Staat“ integriert zu haben. Denn von einer „Respektierung der Normautorität durch den fürstlichen Gesetzgeber“, 61 mithin einer Selbstbindung des Monarchen an das Recht, wie sie in Friedrichs Selbstdarstellung eine große 57

Vgl. Kap. G. III. Bruer, Geschichte der Juden in Preußen, S. 78. 59 Dieses und das folgende Zitat nach Kunisch, Friedrich der Große und die preußische Königskrönung von 1701, S. 277 – 279. 60 Siehe mit Blick auf Ostfriesland Kap. H. V. 61 Vgl. Willoweit, Gesetzespublikation und verwaltungsinterne Gesetzgebung in Preußen, S. 602. 58

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Rolle spielte, kann auf dem Feld der Judenpolitik nur sehr begrenzt die Rede sein. Während bei „großen und reichen Juden“ manche Ausnahme gemacht wurde, zog Verarmung auch in den 1780er Jahren tendenziell Rechtlosigkeit nach sich 62 – vor dem Hintergrund des eskalierenden Exportzwangs muß man sogar sagen: mehr denn je. 63 „Obrigkeitlich gedeckt“ waren nur diejenigen Juden, die die ständig steigenden und vielfach aus ihrer Perspektive durchaus willkürlich erscheinenden Abgabenforderungen zu erfüllen vermochten. Alle anderen – und diese bildeten zweifellos die große Mehrheit – waren es nicht. So legen die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung im Rahmen der deutschjüdischen Geschichte eine umfassende Neubewertung der Jahrzehnte nach dem Siebenjährigen Krieg sowie überhaupt der „Vorarbeiten“ des Absolutismus für die Emanzipationsgesetzgebung der preußischen Reformperiode nahe. In der Preußenhistoriographie der vergangenen Jahre wurde mit gewichtigen Argumenten hervorgehoben, daß die Reformen, beispielsweise auf dem Agrarsektor, einen langen Vorlauf aufwiesen und sich auf zahlreiche Wurzeln aus den Jahren vor 1806 stützen konnten. 64 Daß jedoch auch der Gang der Judenemanzipation trotz mancher Rückschläge „eine deutliche Kontinuität“ aufgewiesen habe, „die in Preußen aus dem aufgeklärten Absolutismus über die nachfriderizianische Zeit in die Reformperiode am Beginn des 19. Jahrhunderts hinüberreichte“ 65 –, daß das Emanzipationsedikt „einen Prozeß zum Abschluß [brachte], der in Preußen seit Jahrzehnten im Gange war“, 66 dürfte fortan als nicht mehr vertretbar erscheinen. Stattdessen setzt sich eine solche perspektivische Ausrichtung auf den Emanzipationsprozeß 67 dem Vorwurf aus, die gerade nach 1779 noch einmal deutlich stärker werdenden retardierenden Faktoren wenn nicht gar auszublenden, so doch deutlich unterzubewerten. 62

Vgl. Glanz, S. 131. Inwiefern das obrigkeitliche Interesse am Funktionieren der Juden als Wirtschaftssubjekte zumindest eine zivilprozeßrechtliche Stärkung ihrer Position bewirkt hat, war nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Doch auch auf diesem Feld kam eine ältere rechtswissenschaftliche Untersuchung zu dem Ergebnis: „Das 18. Jahrhundert brachte den Juden zwar Erleichterungen, änderte ihre prozeßrechtliche Stellung aber nicht grundlegend. Das allgemeingehaltene Urteil [...], die Aufklärung habe, wie sehr sie auch die Annäherung zwischen Juden und Christen gefordert habe, nur wenig an der Lage der Juden geändert, wird auch auf dem Gebiete des Zivilprozeßrechts bestätigt. Erst das 19. Jahrhundert brachte, trotz einiger Rückschläge, den Juden die zivilprozeßrechtliche Gleichstellung. Sie war ein Teil der alle Rechtsgebiete umfassenden Emanzipation“. Siehe Scharlowski, S. 67. Auf rein normativer Basis neuerlich auch Behr, Zur zivilrechtlichen Stellung deutscher Juden. 64 Siehe Harnisch, Die agrarpolitischen Reformmaßnahmen der preußischen Staatsführung; Ders., Der preußische Absolutismus und die Bauern.; Enders, Reformgedanken vor der Reform; Neugebauer, Zentralprovinz, S. 165 – 185; den Anteil der Stände am Reformprozess vor 1806 betonend Göse, Abschn. 22 – 23. 65 Baumgart, Die jüdische Minorität im friderizianischen Preußen, S. 19 –20. 66 Thielen, S. 277. 67 Vgl. Laux, Zwischen Anonymität und amtlicher Erfassung, S. 97. 63

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Auf dem Weg zu einer Revision jener maßgeblich auf Selma Stern zurückgehenden Meistererzählung ist freilich noch viel Arbeit zu leisten. Zunächst ist hierbei an die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zu denken, von der man fortan kaum noch wird annehmen können, daß die Judenpolitik des Soldatenkönigs durch ein naturrechtlich argumentierendes Beamtentum konterkariert worden sei. Ein noch offensichtlicheres Desiderat stellt gewiß die „Sattelzeit“ zwischen 1786 und 1812 dar, für die die vorliegende Untersuchung manche Fragen aufwarf, die es verdienten, weiterverfolgt zu werden. Daß es beispielsweise dem Freiherrn von Schroetter noch im Jahre 1808 offenbar möglich war, sich in Königsberg über die selbst unter Friedrich dem Großen nicht grundlegend angetastete Niederlassungsfreiheit der zweiten Kinder hinwegzusetzen, darf wohl als Hinweis darauf genommen werden, daß es mit der vielbeschworenen Rechtssicherheit der Juden in Preußen selbst unmittelbar vor 1812 im Zweifelsfall nicht weit her war. 68 An dieser Stelle sei zudem darauf hingewiesen, daß mit Annegret Brammers 1987 erschienener Studie über Judenpolitik und Judengesetzgebung in Preußen von 1812 bis 1847 die einzige neuere Arbeit über die Genese des Emanzipationsedikts nahezu ausschließlich auf der beinahe 100 Jahre alten Aktenedition Ismar Freunds 69 basiert. Wenn das in Preußen verfolgte Konzept einer stufenweisen Emanzipation also tatsächlich „ein rechtlich, politisch und praktisch fragwürdiges Unterfangen mit schwerwiegenden Folgen“ 70 darstellte, so muß festgestellt werden: Über die wenigsten dieser praktischen „Fragwürdigkeiten“ in den Jahren um die Jahrhundertwende lassen sich bislang qualifizierte Aussagen treffen. Es steht zu hoffen, daß sich weitere, empirisch unterfütterte Studien der hier angedeuteten Probleme sowohl aus regionaler 71 wie aus gesamtstaatlicher Sicht annehmen werden. Gerade die letztere ist noch immer von den Wertungen in Sterns „Preußischem Staat“ geprägt, dessen unkritische Benutzung freilich zu Ergebnissen führen muß, die mit den Erkenntnissen benachbarter Forschungsdisziplinen nicht mehr zu vereinbaren sind. Einen positiv verstandenen „preußischen Sonderweg“, wie von Stern nahegelegt, hat es im 18. Jahrhundert auf dem Feld der Judenpolitik und ihrer administrativen Umsetzung jedenfalls nicht gegeben, und auch die vielfach verheerenden Auswirkungen auf die Judenschaft unterschieden sich offenbar kaum von dem, was die Zeitgenossen in anderen Territorien des Reichs beobachten konnten. Der exzeptionelle Aufstieg einiger weniger Familien in Berlin, Potsdam, Königsberg und Breslau verstellt allerdings nur allzuleicht den Blick für das Elend, das um 1780 auch in der preußischen Judenschaft nicht 68 Dieser einschneidende Rechtsbruch bleibt unberücksichtigt in der neueren Studie von Ajzensztejn, Jüdische Gemeinschaft in Königsberg. 69 Freund, Die Emanzipation der Juden in Preußen. 70 Berding, Judenemanzipation in Deutschland, S. 238. 71 Vorbildlich aus jüngerer Zeit insbesondere Linnemeier, Jüdisches Leben im Alten Reich. Weite Teile der mittleren und östlichen Provinzen sind bislang jedoch ausgesprochen schlecht erforscht.

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nur weit verbreitet gewesen sein muß, sondern immer noch wuchs – nach allem, was man heute sagen kann, sogar stärker als je zuvor. Die Judenpolitik war beim preußischen Staat und seiner Verwaltung also keineswegs in guten Händen. Eben deshalb – und nicht weil er „in der Tradition des spätabsolutistischen Beamtentums“ 72 gestanden hätte – griff Dohm zur Feder. Zukünftige Studien sollten nicht zuletzt darauf ausgerichtet sein, das im Geheimen Staatsarchiv (und darüber hinaus) in großer Fülle überlieferte statistische Material auszuwerten, dessen nüchternes Gewand über jene sozialen Verwerfungen innerhalb der Judenschaft nicht hinwegzutäuschen vermag, welche durch „den Staat“ maßgeblich mitverursacht wurden. Hierbei ist zweifellos noch viel Arbeit zu leisten und ein weiter Weg zurückzulegen – ein Weg übrigens, auf dem man auch als Frühneuzeithistoriker nicht umhin kommt, sich mit dem 20. Jahrhundert und seinem archivischen Erbe zu befassen. Denn daß sich hinter Archivgeschichte, wie unlängst hervorgehoben wurde, weitaus mehr verbirgt als eine „untergründige Subdisziplin“, 73 verdeutlichen auch jene Handakten des Generalfiskalals d’Anières, die eine wichtige Basis der vorliegenden Arbeit darstellten. Wer heute im Geheimen Staatsarchiv die Signaturen I. HA, Rep. 104, IV C, Nr. 236, a, b oder c bestellt, bekommt Bände vorgelegt, an denen zunächst der äußerst robuste, gleichsam für die Ewigkeit gemachte Einband auffällt, der alles andere als zeitgenössisch ist. Welche Zeit diesen konservatorischen Eingriff notwendig machte, enthüllt eine Notiz im hinteren Deckel: November 1938. Während in der Oranienburger Straße in Berlin wie allerorten im Deutschen Reich die Synagoge brannte, sah sich „sippenkundlich“ verwertbares Schriftgut zur jüdischen Geschichte, das Jahrhunderte lang in den Archiven geschlummert hatte, mit einem ungeahnten Benutzeranstrom konfrontiert. Die systematische Erforschung der Handakten des Generalfiskalats diente freilich keinen wissenschaftlich-historischen Zwecken, sondern Fragen von Leben und Tod, wie man den Benutzerblättern entnehmen kann: Drei Mal – zwischen Oktober 1933 und Oktober 1934 – stößt man, von Hand des Archivpersonals eingetragen, auf einen „Dr. K. Meyer“, bei dem es sich – möglicherweise – um Kurt Mayer (1903 –1945) 74 handelt, zu jenem Zeitpunkt Abteilungsleiter im Rasse- und Siedlungsamt der SS und später, seit 1935, Leiter der Reichsstelle für Sippenforschung (1940 umbenannt in Reichssippenamt). 75 Weni72 Zittartz-Weber, Zwischen Religion und Staat, S. 55. Wenn Rürup, Jüdisches Großbürgertum, S. 136 schreibt, die von Dohm angestoßene Debatte habe in Berlin „unter dem Vorzeichen des aufgeklärten Absolutismus“ begonnen, so trifft dies nur insofern zu, als es mit Friedrich II. gerade ein Exponent des „Aufgeklärten Absolutismus“ war, gegen dessen Judenpolitik Dohm implizit Stellung bezog. 73 Reininghaus, Archivgeschichte. 74 Vgl. Gailus, „Sippen-Mayer“. Eventuell vorhanden gewesene Benutzerakten des GStA sind dem Krieg zum Opfer gefallen, so daß sich über die hier angestellte Vermutung vermutlich keine Gewißheit herstellen läßt; freundliche Auskunft von Dr. Ulrich Kober (GStA PK) vom 23. Februar 2009. 75 Vgl. Schulle, Das Reichssippenamt.

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ge Monate später, im Januar 1935, verzeichnet das Nutzerblatt letztmalig Selma Stern, der also die auf Geheiß d’Anières’ so häufig durchgeführten Vertreibungen verarmter Schutzjuden kaum entgangen sein können. Letztmalig im November 1942 – Stern hatte sich im Vorjahr in die USA retten können – liest man den Namen Jacob Jacobsons (1888 –1968). 76 Dieser zählte zu jenen „Hofjuden“, 77 die Mayer – diesmal ganz sicher jener mit „a“ – in der 1939 aus dem „Gesamtarchiv der deutschen Juden“ hervorgegangenen Abteilung „Zentralstelle jüdische Personenstandsregister“ 78 in der Oranienburger Straße beschäftigte. Während die Zentralstelle mit wenigstens 6.000 Bänden aus 1.400 jüdischen Gemeinden des Deutschen Reiches 1943 nach Thüringen verlegt wurde, um dort – zuvor lediglich zum Teil noch verfilmt – bei Kriegsende zugrunde zu gehen, 79 wurde Jacobson nach Theresienstadt deportiert. Er überlebte und publizierte die Berlin betreffenden und nicht zuletzt auf den Akten des Generalfiskalats beruhenden Ergebnisse seiner Forschungen 1968 in der Publikationsreihe der Historischen Kommission zu Berlin. 80 Hans Herzfeld übernahm das Geleitwort für Jacobsons Buch, das auf die „Zeit seiner Wirksamkeit als Archivar in Berlin“ zurückgehe – von den eigentlichen Hintergründen erfuhr der Leser kein Wort. Wolfgang Ribbe sprach mit Blick auf vergleichbare Bestände bereits vor geraumer Zeit von „vorbelastetem Quellenmaterial“ und hob hervor: „In welchem Ausmaß aber mit Hilfe der vom Reichssippenamt und vom Ahnentafelamt der SS angelegten genealogischen Sammlungen Bevölkerungspolitik im nationalsozialistischen Sinne hätte betrieben werden können, zeigt nicht zuletzt die neuere Sozialgeschichtsforschung, wenn sie diese für die elektronische Datenverarbeitung weitgehend vorbereiteten Materialien zu demographischen und gesellschaftsgeschichtlichen Studien nutzt.“ 81 Wenn die vorliegende Studie hierfür weiterführende Anregungen zu liefern vermochte, hätte sie ihren Zweck erfüllt.

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Zur Person: Jersch-Wenzel, Jacob Jacobson. Nach dem Endsieg wollte sich das Reichssippenamt „2 bis 3 ‚Hofjuden‘ halten“, wie Mayer am 17. März 1941 gegenüber dem Generaldirektor der Preußischen Archivverwaltung, Ernst Zipfel, erklärte. Siehe GStA PK, I. HA, Rep. 178 (M), Abt. VII, Nr. 3, B 4, Bd. 1, Bl. 242. 78 Vgl. Schulle, Das Gesamtarchiv der deutschen Juden und die Zentralstelle für jüdische Personenstandsregister. 79 Der Autor plant hierzu eine Veröffentlichung an anderem Ort. Zur Geschichte der in zahlreichen deutschen Staatsarchiven bis auf den heutigen Tag verwahrten „Gatermannfilme“ siehe Heinemann, Das Schicksal der jüdischen Personenstandsregister. 80 Jacobson, Jüdische Trauungen in Berlin. 81 Ribbe, Genealogie und Zeitgeschichte, S. 108. 77

M. Anhang: Dokumente 1. Vertrag zwischen der Kurmärkischen Kriegs- und Domainenkammer und den Ältesten der Judenschaft über die Übernahme der Strumpfund Mützenmanufaktur zu Templin vom 27. Dezember 1768 1 Nachdem Seiner Königl. Majestätt allergnädigst approbiret, daß der Judenschaft in Dero gesammten Königlichen Landen exclusive Schlesien die für Rechnung der Ucker-Märckischen Etablissements-Casse bishero administrirte Fabrique von gewürckten Wollenen Strümpfen und Mützen erblich überlassen und Ihnen darüber eine ordentliche Concession ausgefertiget werden solle; So ist nach denen von Seiner Königlichen Majestät gnädigst genehmigten Bedingungen gedachte Concession in folgenden zu Stande gekommen. Nehmlich: 1. Es übernehmen die Über- und Mit-Ältesten der Judenschaft, Nahmentlich Veitel Ephraim, Daniel Itzig, Abraham Marcusen, Hirsch David und Jacob Moses Nahmens sämtl. Judenschaft in den gesammten Königl. Landen, nur allein Schlesien ausgenommen, für die auf das Recht des 2ten Kindes bereits angesetzte und noch anzusetzende Juden Familien die zu Templin angelegte Fabrique von gewürckten Wollenen Strümpfen und Mützen nebst allen darzu gehörigen Arbeitern, Geräthschaften, rohen und fertigen Waaren also und dergestalt, daß aller dabey sich etwa findende Vortheil oder Schaden, Gewinst oder Verlust Ihnen allein gehöret, und wie die Arbeit bey dieser Fabrique auf Königliche Rechnung bereits sistiret worden, so verbinden sich oben benandte Älteste Nahmens der gesammten Judenschaft und der auf das Recht des 2ten Kindes angesetzten und noch anzusetzenden Juden Familien denen bey dieser Fabrique bereits angesetzten Meistern fernere Arbeit und Verdienst zu geben. 2. Die bey dieser Fabrique auf den Lager vorräthige Strümpfe und vorhandene Wolle, auch etwa einiges Gespinste, übernimmt die Judenschaft nach einer derselben bey der Übergabe auszureichenden Specification gegen Bezahlung der Kosten Preise, und da solche bereits vorhin dahin bestimmt worden, daß 1

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 1, Bl. 139 –144.

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vor ein Dutzend paar zweyfache Manns Strümpfe 6 Rt. 20 Gr. dergleichen Frauens Strümpfe 5 Rt. 14 Gr. dreyfache Manns Strümpfe 8 Rt. dergleichen Frauens Strümpfe 6 Rt. 7 Gr. Castor Manns Strümpfe 7 Rt. 13 Gr. dergleichen Frauens Strümpfe 6 Rt. 5 Gr. bezahlet werden sollen; So wird bey der Übergabe der Ausrechnung des WaarenLagers hiernach gemacht, die Vorräthige Wolle und Gespinste aber werden nach denen erweißlichen Einkaufs-Preisen und derer darauf bereits verwendeten Kosten überlassen. 3. Die zu dieser Fabrique gehörige Würck-Stühle, auch sonstige Geräthschaften, in so fern sie auf Königl. Kosten angekauft, übernehmen die Judenschaft für die auf das Recht des zweyten Kindes angesetzte Juden Familien als ein eisernes Inventarium ohne Bezahlung des Werths oder einigen Erbstands-Geldes also und dergestalt, daß solches unabläßlich bey der Fabrique bleiben müsse und damit hierunter etwas gewisses feststehet: So sollen Ihnen die Stühle und Geräthschaften nach einer Gerichtlich aufzunehmenden Specification mit beygefügter Taxe übergeben werden. 4. Dasjenige Quantum, was wegen des zu übernehmenden Waaren Lagers Wolle und Gespinstes nach dem § 2 zu bezahlen, muß bey der Übergabe sogleich baar und in einer Summe in guten Brandenburg. Currenten Müntz-Sorten bezahlet oder deshalb gehörige Sicherheit nachgewiesen werden, jedoch muß in letztern Fall eine Land übliche Verzinsung des Capitals a 6 pro Cent vom Tage der Übergabe an geschehen und die Abtragung des Capitals vom Tage der Übergabe an nicht über 3 Monath bey Vermeydung der Execution wieder die Ober- und Mitältesten ausgesetzet werden. 5. Da Seine Königliche Majestät allergnädigst genehmiget haben, daß die Strumpfund Mützen-Fabrique zu Templin mit zehen Stühlen, worauf jedoch nur Ausländische Gesellen arbeiten können, vermehret werden solle, nach dem Etablissements Plan aber zehen Ausländische Meister anzusetzen sind; So verbindet sich die Judenschaft, die Fabrique zu aller Zeit mit zehen Ausländischen Meistern besetzt und diese in beständiger Arbeit zu erhalten, auch die Fabrique niemahls unter zwanzig Stühlen nach einer deshalb anzufertigenden Specification bearbeiten zulassen, wohingegen sich aber von selbst verstehet, daß, wenn die Judenschaft ihren Debit vermehren kann, es von ihrem Willen abhänge, die Fabrique mit so viel Stühlen zu vermehren, als es ihre Convenienz erfordert.

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6. Damit zwischen den Entrepreneurs dieser Fabrique und denen Fabricanten aller Streit möge vermieden werden, so wird hierdurch besonders festgesetzet, daß a) Die Entrepreneurs der Fabrique verbunden sind, denen zu der Fabrique jetzt nach beygefügter Specification gehörigen Elf Ausländischen Meistern auf 20 Stühle beständig und hinlänglich Arbeit zu geben. b) sind die Entrepreneurs schuldig, diesen Meistern die Werck-Stühle ohnentgeldtlich zuhalten, auch ihnen freye Nahrung zugeben, es wäre dann, daß sie sich mit ihnen hierüber eines andern vergleichen könten. c) Den Arbeits Preyß der Fabric-Waaren betreffend, so hat man zwar das zutrauen, daß die Judenschaft weder die Spinner noch Weber in Ansehung des Lohns drücken, sondern vielmehr sie nach Recht und Billigkeit behandeln werde, dahero denn derselben vor jetzt kein Lohn vorgeschrieben wird. Sollten aber wieder Vermuthen hierüber Klagen erhoben werden, so soll das Lohn auf geschehene Anzeige nach vorhergegangener Untersuchung von der Königl. Cammer bestimmt und sollen die Arbeits Preyse nach denen Hallischen und Magdeburgischen Arbeits-Preysen so viel als möglich festgesetzet werden. d) Die Entrepreneurs der Fabrique so wohl als die Fabricanten selbst, bleiben, in so fern die Sache der Fabrique selbst angehet, der geordneten Jurisdiction des Magistrats in der 1ten Instanz und in der zweyten der Chur Märck. Cammer unterworffen. e) Sollte unter denen Fabricanten einer oder der andere seyn, der entweder ein schlechter Arbeiter oder liederlicher Mensch wäre, so stehet denen Entrepreneurs gleich denen Berlinschen Fabricanten frey, dergleichen zu dimittiren, sie müssen aber der Königl. Cammer sogleich davon Anzeige thun und an dessen statt wieder einen andern Ausländ. Meister gestellen, auch die Anzahl von 11 Meistern und zwanzig Stühlen allezeit vollzählig erhalten. 7. Die Übernehmung dieser Fabrique ist zwar der Judenschaft für die auf das Recht des 2ten Kindes Etablirte und noch künftig zu Etablirende Juden Familien concediret worden, es muß aber die Judenschaft und deren jedesmahlige Ober- und Mitälteste dafür stehen, daß die Templinsche Strumpf- und Mützen Fabrique auf die concedirte Bedingungen jederzeit im Gange bleibe und haften die jedesmahlige Ober und Mitältesten der Judenschaft für die Ausführung und Erhaltung dieser Fabrique mit ihren bereitesten Vermögen so Viel als hierzu erforderlich einer für alle und alle für einen cum renunciatione Beneficii excussionis es divisionis dergestalt und also, daß es der Königl. Cammer freystehet, welcher von denen Ältesten oder der Judenschaft entstehendenfalls zur Ausführung und Erhaltung der Fabrique angehalten werden soll.

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8. Wie nun Seiner Königl. Majestät die Judenschaft für die auf das Recht des 2ten Kindes in Dero gesamten Landen exclusive Schlesien bereits angesetzte und künftig noch anzusetzende Juden Familien die Templinsche gewebte Strumpf und Mützen Fabrique auf vorstehende Conditiones allergnädigst übereignet und concediret haben, so sollen sie sich dagegen folgender Freyheiten und Beneficiorum zu erfreuen haben: a) wird ihnen für ihre schon angesetzte und noch anzusetzende Fabricanten in so fern erstere diese Beneficia noch nicht genossen hatten, 1. eine 2jährige Accise- und Servis-Freyheit, imgleichen das freye Bürgerund Meisterrecht bewilliget 2. bey dem ersten Antritt der bey der Fabrique anzusetzenden fremden Ouvriers wird denenselben die Befreyung von allen Eingangs Rechten an LicensZoll-Accise und andern öffentlichen Abgaben bey ihrer Ankunft außer Landes zugestanden, jedoch verstehet sich dabey, daß solches bloß von ihren Eigenthümlichen und zum eigenen Gebrauch mitgebrachten Effecten anzunehmen ist. 3. An Reise-Geld und Zehrung wird einen Meister 8 Gr. für seine Person, eine Frau 6 Gr., einen Gesellen 6 Gr., einen erwachsenen Kind 4 Gr. und einen kleinen Kinde 2 Gr. pro Meile von dem Orthe der Heimath bis nach Templin nach einer ordentlich eingereichten Meilen-Liquidiation gegeben werden. b) Sollen alle auf das Recht des zweyten Kindes angesetzte oder noch anzusetzende Juden in allen Königl. Landen excl. Schlesien von aller weitern Abnahme der Einländ. Fabric-Waaren und Debitirung eines Nahmentl. Quanti derselben außerhalb Landes frey gelassen werden. Wenn aber ein Jude sich anheischig gemacht hätte, aus einer bestimmt genandten Fabrique ein determinirtes Quantum zu nehmen, so kann er hiervon zwar nicht dispensiret werden, er ist aber als denn auch nicht gehalten, an der Templinschen Fabrique Theil zunehmen, diejenigen dagegen, so auf das Recht des zweyten Kindes angesetzet sind und sich nur überhaupt zum Verkauf eines gewissen Quanti von Einländischen Fabriquen-Waaren anheischig gemacht haben, denen bleibt die Arth und Wahl der Fabrique und des Orts überlassen. c) Soll denen zweyten Kindern hinführo, wenn sie über ihre Ansetzung mit Concessionen versehen, frey stehen, sich an denen Orten ihrer domiciliirten Eltern zu etabliren oder wo selbige sonst ihre Nahrung am besten zu finden gedenken und wollen Sr. Königl. Majestät, daß sie sich bey ansuchender Concession als 2tes Kind durch Atteste des jedesmahligen Ober- und Mitältesten alhier zu Berlin wie bereits in Absicht der 2ten Kinder in der Allerhöchsten Cabinets Ordre de dato Potsdam den 1ten Novbr. 1763 enthalten, qualificiren müssen, auch daß sie zu der Templinschen Fabrique mit concurriren, im widrigen Fall ohne vorgedachte Attestatis eine dergleichen Concession für erschlichen und ungültig angesehen werden solle, jedoch können vors künftige dergleichen

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h)

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Concessiones nach Maaßgabe der Königl. Allergnädigsten Cabinets-Ordre vom 1ten Novbr. 1763 ebenfals auf Special-Befehl ausgefertiget werden. Da die Absicht ist, daß recht gute Waaren gemacht werden sollen, so stehet denen übernehmern der Fabrique frey, die benöthigte Wolle zum Betrieb der Fabrique auf den gewöhnlichen Woll-Märckten in denen Städten da anzukauffen, wo sie es für sich am convenablesten finden und eben so stehet ihnen frey, die Fabricirten Waaren ein- oder außerhalb Landes zu debitiren wenn ein auf das Recht des 2ten Kindes angesetzter Jude sich zu einem Nahmhaften Quanto Einländischer Fabric-Waaren zum Auswärtigen Debit verbindlich gemacht hat, und er nimmt Waaren aus dieser Fabrique, so soll ihm das erweislich genommene Quantum von demjenigen Quanto abgerechnet werden, so er außer Landes zu debitiren sich verbindlich gemachet, jedoch muß er alsdenn die aus der Fabrique genommene Strümpfe außerhalb Landes verlosen, es wäre denn, daß ein solcher Jude aus einer besondern Sorte Einländ. Waaren zum auswärtigen Debit verbunden wäre, in welchem Fall das aus der Templinschen Fabrique zu nehmende Quantum darauf nicht abgerechnet werden kann. Obwohl eigentlich die Absicht ist, daß in dieser Fabrique allerley Sortements von feinen, guten gewürckten Strümpfen und Mützen verfertiget werden sollen, so stehet denen Entrepreneurs jedoch frey, alle mögliche Sortiments von feinen, Mittel und groben Strümpfen so jedoch auf Stühlen berichtet werden können, verfertigen zu lassen, wie ihnen denn auch vergönnet seyn soll, bey einer an die Königl. Armeè zu erhaltenden Lieferung wozu ihnen alle mögliche Assistence erforderlichenfalls wird geleistet werden, solche Strümpfe verfertigen zu lassen, als bey der Königl. Armeè gebraucht werden umb das erhaltene Nahmhafte Lieferungs Quantum bereiten zu können. Diejenige Wolle, so nach geschehener Sortirung bey dieser Fabrique erweißlich nicht zu feinen, Mittlen oder groben Waaren zu gebrauchen, kann die Judenschaft nach beygebrachten, auf eine Ordnungsmäßig geschehene Untersuchung des Magistrats sich gründende Gerichtl. Attests, in welchem das Quantum des Ausschuß Wolle zu bestimmen, anderwärts, jedoch nicht außer Landes verkaufen. 9.

Wird der Judenschaft frey gelassen, von denen auf das Recht des 2ten Kindes bereits angesetzten Juden Familien, die sich zu einem gewissen Quanto offeriret haben, einige als Commissionairs zum Ein- und Ausländ. Debit anzunehmen, welchen frey stehen soll, Templinsche gewürckte Strümpfe und Mützen zu aller Zeit sowohl auf Messen und Jahr-Märckten als auch außer selbigen an den Ort ihres Domicilii feil zu haben und soll der erweißlich Ausländ. Debit derselben ihnen von dem Nahmhaften Quanto Einländ. zu debitirender Fabriquen Waaren

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abgerechnet werden, es wäre denn, daß er sich nach dem § 8 Litt. F zum Debit einer gewissen Art Waare verbindlich gemacht hätte. Wie denn auch allen andern zum Handel Privilegirten Juden frey stehet, mit denen Templinschen FabriquenWaaren zu handeln, wenn sie dazu Lust bezeugen sollten. 10. Wie vorstehet, ist der Judenschaft zwar vergönnet, den Debit ihrer Templinschen Fabric-Waaren durch ihre Commissionairs ein- und außer denen Messen und JahrMärckten zu suchen, es sollen aber zu Commissionairs ihrer Niederlagen keine unvergleitete und fremde Juden, sondern nur Christliche Kaufleute oder vergleitete Schutz-Juden genommen werden. 11. Denen Entrepreneurs der Fabrique wird vergönnet, mit Consens der Königl. Cammer solche an jemand anders zu überlassen und zu cediren, mithin damit als mit ihren wahren und wohlerlangten Eigenthum nach belieben zu schalten und zu walten, ohne jedoch in denen hierin enthaltenen Bedingungen das geringste zu ändern und bleibt es dabey fest und unverbrüchlich, daß die Judenschaft und die jedesmahlige Ober- und Mitälteste der gesamten Judenschaft, wie § 7 bereits erwehnet, für die Ausführung und Erhaltung dieser Fabrique haften müssen. Zu mehrer Festhaltung dessen, was hierin enthalten und niedergeschrieben worden, renunciiren und entsagen die oben gemeldete Ober- und Mitälteste der Judenschaft Nahmens derer auf das Recht des 2ten Kindes bereits angesetzten oder künftig noch anzusetzenden Juden-Familien allen Exceptionen und Ausflüchten, sie mögen Nahmen haben wie sie wollen und mögen bereits erdacht sein oder noch erdacht werden, besonders aber dem Beneficio excussionis et divisionis, auch, daß ein General-Verzicht nicht gelte, wenn nicht eine specielle Benennung aller einzelnen Fälle vorhergegangen. Urkundlich ist diese Concession unter der Chur. Märck. Cammer zum Siegel auch so wohl derselben als der mehr erwehnten Ober- und Mitältesten Unterschrift in triplo ausgefertiget worden. So geschehen Berlin, d. 27ten Decembr. 1768.

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2. Zweiter Vertrag zwischen den Oberlandesältesten der Judenschaft und Abraham Jacob Eschwege über den Betrieb der Templiner Manufaktur vom 25. August 1782 2 Kund und zu wissen sey hiermit, daß, nachdem Sr. Königl. Maj., Unser allergnädigster Herr, der gesamten Judenschaft vermöge allerhöchster Concession d. d. Berlin, d. 29ten Octbr. 1768 die Templinsche Strumpf- und Mützen-Fabrique zu überlassen geruhet, heute unten gesetzten Dato, zwischen denen jetzigen Herren Ober-Landes- und Mit-Ältesten der hiesigen Judenschaft für sich und ihrer Herren Successores an einem und den hiesigen Schutz-Juden Herrn Abraham Jacob Eschweger als Entreprenneur dieser Fabrique an andern Theil, nachstehender Contract in bester Form Rechtens verabredet und geschlossen worden. 1. Es übernimmt vorgedachter Abraham Jacob Eschweger die Templinsche Strumpf- und Mützen-Fabrique von neuen auf Sechs nach einander folgende Jahre als vom 1ten Septbr. 1782 bis dahin 1788, nach dem von neuen aufzunehmenden Inventario und werden die vorhandene Reparaturen auf Kosten der Judenschaft in brauchbaaren Stande wiederum hergestellet. Wogegen sich derselbe 2. Engagirt und verbindet, die zu Templin bereits etablirte 10 Meister und 10 Gesellen und also 20 Stühle in beständiger Arbeit zu unterhalten, wozu er alle Materialien, sie bestehen worin sie wollen, die zum Soutien der Fabrique erforderlich sind, aus einen eigenen Vermögen anzuschaffen gehalten ist, womit 3. Unzertrennlich verbunden ist, daß er denen zur Bearbeitung oben stipulirter Stühle angesetzten Ouvriers zur gewöhnlichen Zeit ohne Auffenthalt ihr verdientes Arbeits-Lohn ohnweigerlich aus seinen eigenen Mitteln ausbezahlt, ohne denen Herren Ober-Landes- und Mit-Ältesten dafür das geringste in Rechnung bringen zu dürfen. 4. Verspricht Entreprenneur, für den nöthigen Debit derer angefertigten Waaren gehörig Sorge zu tragen, so daß denen Herren Ober- und Mit-Ältesten das WaarenLager auf keine Weise zur Last fallen dürfe, sondern es ist solches sein wahres und wohl erlangtes Eigenthum. 2

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 36 –37.

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5. Verbindet sich Entreprenneur und macht sich anheischig, alle und jede Conditiones, so wie solche von Einer Königl. Hochlöbl. Churmärckschen Krieges- und Domainen-Cammer verlanget werden, treulich zu erfüllen. 6. Wird dem Entreprenneur jährlich von denen Herren Ober-Landes- und MitÄltesten der hiesigen Judenschaft ein Beneficium von Ein Tausend Thalern gestanden, welche ihm von dem gemeinschaftlichen Cassirer in monathlichen Ratis gegen dessen Quittung jeden Ersten ausgezahlet werden sollen. 7. Erhält derselbe sogleich bey Schließung dieses Contracts gegen Bestellung einer sichern Caution 400 Rtlr. als ein Darlehn, so lange wie dieser Contract dauert, ohne Zinsen, wogegen 8. Entreprenneur zu Festsetzung dieses Contracts und bis zu Ablieferung des empfangenen Inventarii sich mit seiner Haabe und Güter verbürget, desgleichen 9. Verpflichtet sich derselbe, die Fabrique jederzeit nach Vorschrift zu befördern und wen die mindeste gegründete Klage wieder ihm entstehen sollten, sie mögen Nahmen haben wie sie wollen, so soll dieser Contract zu allen Zeiten ohne Einwendung aufgehoben und ihm die Fabrique nach dem Inventario von demjenigen, so die Herren Ober-Landes- und Mit-Ältesten der hiesigen Judenschaft dazu authorisiren, abgenommen werden. 10. Schließlich entsagen beyde contrahirende Theile allen wieder diesen Contract zu machenden Ausflüchten und Exemtionen, sie mögen Nahmen haben wie sie wollen, sie mögen entweder schon gedacht seyn oder noch erdacht werden, insbesondere der Ausflucht, es sey anders niedergeschrieben als verabredet worden, alles getreulich sonder geführde. Urkundlich ist dieser Contract in Zweyen gleichlautenden Exemplarien von Beyderseits Contrahenten unterschrieben und besiegelt worden. So geschehen Berlin, den 25. August 1782 Daniel Itzig, Veit Singer, A. Marcuse, Jacob Moses, L. L. Braunschweig, Abraham Jacob Eschweger

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3. Supplik David Friedländers um Entbindung der Judenschaft vom weiteren Betrieb der Templiner Manufaktur vom 7. März 1794 3 Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König! Allergnädigster König und Herr! Im Jahr 1768 wurde die Erhaltung der in Verfall gerathenen Mützen und Strumpf-Fabricke zu Templin der hiesigen Judengemeinde, ohne daß sie dafür irgend ein Equivalent erhalten hat, aufgelegt. Die Erfahrung hat gelehrt, daß diese aufgezwungene Fabricke nie einen Grad von Vollkommenheit erreicht hat und nur müßige und faule Arbeiter unterhält, weil sie wissen, daß sie unterhalten werden müssen. So wie diese Fabricke von der einen Seite dem Staate gar keinen Nutzen bringt und vielmehr einer reelen Industrie schädlich ist, so ist sie der Colonie von der andern eine kostspielige und beschwerliche Last, weil die Entreprenneurs derselben nur dahin sehen, die Entschädigungs-Summa, die sie von der Gemeinde erhalten, jährlich in die Höhe zu schrauben. Aus dieser Ursach haben die Oberlandesältesten und die General-Deputirten sämtlicher Colonien in einem auf dem General-Directorium abgehaltenen Protocoll unterm 13. Februar 1792 bey Gelegenheit, daß denselben der Plan zur allgemeinen Reform des Judenwesens bekanndt gemacht wurde, sich dahin erklärt, daß wenn ihnen die solidarische Verbindlichkeit, die eingangs genannte Fabricke zu erhalten, erlassen und sie die allerhöchste Zusicherung erhalten würden, daß ihnen dafür jetzt und zu keiner Zeit ein Surrogat aufgelegt werden sollte, sie erbötig wären, dafür a) alle die in Templin befindlichen, ihnen zugehörige Gebäude, Werkstühle und Geräthe an Ihre Königliche Majestät oder wohin allerhöchst Dieselben disponiren würden, unentgeldlich abzugeben b) Ein für allemal zu beständigen Fond eines Woll-Magazins für die Arbeiter Ein Tausend Reichsthaler baar und c) einem jeden der jetzt in dieser Fabrick vorhandenen 10 Meister Einhundert Reichsthaler baar zu seinem Etablissement zu geben. Da die Reforme überhaupt auf eine unbestimmte Zeit ausgesetzt, so ist auch dieser Angelegenheit nicht weiter gedacht worden. Die Judengemeinde hat mich nunmehr bevollmächtiget, über die Zurückgabe der Templinschen Fabricke unabhängig von der Reforme in Unterhandlung zu treten und die gemachten Anerbietungen zu erneuern. Da die Zurücknahme der Fabrick auf alle Weise dem Staate nützlich und die Anstalt, sobald sie nicht von einer Commune dirigirt werden muß, durch die Anerbiethungen der Judengemein3

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3, Bl. 90 –91.

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de eines großen und vortheilhaften Zuwachses fähig ist, so flehe Ew. Königlich. Majestät ich allerunterthänigst an, Einen Königlichen Comissarium mir allergnädigst anzuweisen, mit welchem ich über diesen Gegenstand unterhandeln und das Resultat Ew. Königlichen Majestät vorgelegt werden kann. Ich ersterbe Ew. Königlichen Majestät allerunterthänigster David Friedlaender Berlin, den 7. Märtz 1794. 4. Entwurf eines Vertrages zwischen dem Manufaktur- und Kommerzienkollegium und Christian Friedrich Düntz wegen Übernahme der Templiner Manufaktur vom 26. September 1802 4 Nachdem der hiesigen Judenschaft als bisherigen Entreprenneur der Templiner wollen Strumpf und Mützen Fabrike gegen Abtretung des dortigen Fabriken Hauses nebst Färberei, imgleichen 16 weiterer Strumpfwürkerstühle und aller übrigen Fabriken Geräthschaften und Utensilien und gegen baare Erlegung eines Capitals von 12.000 Rtlrn. in Bandenburg. Silber Coùrant die Verbindlichkeit zur weitern Betreibung gedachter Fabrike erlassen worden und sich der hiesige Strumpfwaaren Fabrikant Christian Friedrich Düntz zu der Forstsetzung derselben bereitgefunden hat, so ist nach Vorschrift des Resripts Eines Königlichen Hochlöblichen Fabriken Departements des General Direcktorii vom 19. August c. und auf den Grund der bisherigen Verhandlungen zwischen dem Königlichen Manufactur und Commerz Collegio und dem erwähnten Christian Friedrich Düntz dieserhalb nachstehender Contract verabredet und mit Vorbehalt der höchsten Genehmigung geschlossen worden. §I Der Strumpfwaaren Fabrikant Christian Friedrich Düntz übernimmt für sich und seine Erben die in Templin befindliche Wollen Strumpf und Mützen Fabrike mit der Verpflichtung, nicht nur die in derselben jetzt vorhandene Sechszehn eiserne Strumpfwürckerstühle, sondern auch noch Vier andere auf seine Kosten anzuschaffende, mithin 20 Stühle, fortwährend regelmäßig mit der Verfertigung von allen Sorten Strumpfwaaren, deren Wahl lediglich seiner Convènienz überlassen bleibt, zu beschäftigen und die Beschäftigung dieser 20 Stühle, so oft solches von der Behörde verlangt wird, durch Vorzeigung ordentlich geführter Bücher befriedigend nachzuweisen, sich auch der deshalb etwa anzuordnenden local Untersuchungen zu unterwerfen. 4

GStA PK, II. HA, Fabrikendepartement, Tit. CCXLI, Nr. 48, Bd. 3.

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§ II Außer obigen Sechszehn eisernen Strumpfwürkerstühlen wird dem p. Düntz auch das in Templin belegene Fabriken Haus nebst der dabei vorhandenen Färberei und den zur Fabrike gehörigen Geräthschaften und Utensilien nach einer förmlichen gerichtlichen Taxe, welche bei der nach höchster Genehmigung dieses Contracts erfolgenden Übergabe der ganzen Fabrike zum Grunde gelegt werden soll, zur freien Benutzung tradirt. § III Dagegen verpflichtet sich der p. Düntz nicht nur, das Fabriken Haus nebst Zubehör und die Sechszehn Weberstühle gleich nach erfolgter Übergabe gehörig in Stand setzen und die nöthigen Reparaturen daran besorgen zu lassen, sondern auch beides, das Hauß und die Stühle, so lange er und seine Erben im Besitz der Fabrike bleiben, stets in baulichen Würden zu unterhalten, desgleichen alle auf dem Grundstück haftende Lasten und Abgaben, so wie allen zufälligen Schaden, der dasselbe treffen könnte, zu tragen. § IV Zur Bestreitung aller dieser Ausgaben, sowohl als auch zum contractmäßigen Betriebe der Fabrike, sollen dem p. p. Düntz nach Erfolg der höchsten Genehmigung dieses Contracts diejenigen Zwölftausend Thaler brandenburg. Silber Coùrant, welche die hiesige Judenschaft für die Befreiung von der Fortsetzung der Templiner Fabrike zu zahlen verbunden ist, als ein zinsfreies Capital ausgehändiget werden, welches ihm so wie das erwähnte Fabriken Hauß und Zubehör nebst denen gleichfalls gedachten 16 Stühlen und Geräthschaften solange belassen werden soll, als er oder seine Erben die Fabrike Contractmäßig fortführen. §V Von den Verbindlichkeiten, welche aus frühern Verträgen zwischen den ehemaligen Entreprenneurs der Fabrike und den dabey angestellten Arbeitern entstanden sind, gehn nur die in der Concession vom 12. Januar 1769, welche Concession von dem Hohen General-Directorio der hiesigen Judenschaft ertheilt worden ist, im 6. § bestimmte als eine Verpflichtung auf den p. p. Düntz über und zwar ausdrücklich dahin: 1., daß derselbe schuldig ist, denen ietzt in der Fabricke vorhandenen Strumpfwürkermeistern, welche aus gedachter Concession zu dem Genuß von freier Wohnung oder Miethsgeldern und zur freien Bearbeitung der Fabrikenstühle berechtiget sind, diese Wohnungen oder Miethgelder ferner zu geben, sie auch mit freien Fabrikstühlen zu versorgen, in so fern nemlich diese Meister sich nicht als fehlerhaft arbeitende, faule und wiederspenstige Weber zeigen, die er nach Vorschrift der Gesetze zu entlassen befugt ist. 2. aber, daß es ihm auch frei stehe, nicht allein sich mit den vorhandenen Arbeitern, denen er Wohnungen oder

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Miethsgelder und Stühle geben muß, auf eine andere Weise rechtlich abzufinden, sondern es ihm auch völlig überlassen bleibt, künftig In- oder Ausländische Arbeiter nach seiner Wahl und unter solchen Bedingungen wie er sie erhalten kann in der Fabrike anzustellen, so wie ihm überhaupt alle diesem Contract nicht zuwiederlaufende Einrichtungen und Anordnungen, die er zur Emporbringung der Fabrike für nöthig hält, überlassen werden sollen. § VI Jedoch soll der p. Düntz nicht befugt seyn, auf das Fabrikenhauß in Templin Schulden zu contrahiren und soll dieser Punct in dem Templiner HypothequenBuche bey der Übergabe der Fabrik notirt werden. § VII Im Fall, der Fiscus wegen nicht Erfüllung dieses Contracts von Seiten des p. p. Düntz genöthiget seyn sollte, die Fabriken Anstallt wieder zurückzunehmen, verpflichtet sich der p. p. Düntz für sich und seine Erben, 1., das Fabrikenhauß nebst Färberei in dem Zustand, worin es sich bei der Übergabe befinden wird, zurückzuliefern, wogegen ihm die erweißlich an demselben gemachten Verbesserungen vergütiget werden sollen, er aber auch verbunden ist, die erweißlichen de Terorationen zu ersetzen. 2., das empfangene Betriebs Càpital der 12.000 Rtlr. sogleich baar wieder zurückzuzahlen und 3. die Weberstühle und Geräthschaften ebenfalls nach dem taxirten Werth sogleich zurückzugeben, wobei auf eben die Weise wie ad 1. die erweißlichen Melorationen und Deterorationen ausgeglichen werden sollen. § VIII Zur Sicherheit für die Erfüllung aller eingegangenen Verbindlichkeiten verpflichtet sich der p. p. Düntz, mehrgedachte Zwölftausend Thaler gleich bei deren gerichtlich zu bewürkender Auszahlung auf sein hieselbst am Molckenmarckt unter No. 11 belegenes Hauß als erste Hypothek intabuliren zu lassen, nachdem er solches zugleich von der auf demselben iezt noch haftenden hypothecarischen Schuld befreyet und es zu dem von neuen anzugebenden taxmäßigen Werth bei der Sociètät zur Ersetzung der Brandschaden assecurirt haben wird. § VIIII Endlich begeben sich sowohl das Königliche Manufactur und Commerz Collegium als auch der p. p. Düntz aller diesem Contract zuwiederlaufenden Einwendungen und Ausflüchten, sowohl überhaupt als auch insbesondere der allgemeinen Rechtsregel, daß ein genereller Verzicht ohne Erwähnung aller einzelnen Exceptionen nicht verbindlich sey, hiermit ausdrücklich und wohlbedächtig und haben dem gemäß diesen Contract gehörig unterschrieben und untersiegelt.

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So geschehen Berlin, d. 25. Septbr. 1802. (Sigl.) Königliches Manufactur und Commerz Collegium Eichmann, Kunth, Christian Friedrich Düntz. 5. Formular für das erste Schreiben der Porzellankommission, mit dem sich diese 1779 über Magistrate und Fiskalate an die Porcellainerestanten wandte 5 Da Sr. Königl. Maj. durch die an uns erlassene allergnädigste Cabinets ordres vom 29. May c. und 6. hujus festzusezzen geruhet, daß alle Juden, welche für die seit dem 29. Marty 1769 erhaltene Concessionen, Privilegia oder andere Beneficia der klaaren Vorschrift der Cabinets ordre vom 21. Marty 1769 zuwider gar kein oder zu wenig Porcellain aus der hiesigen Königl. Manufactur genommen, das fehlende Quantum sofort annoch kaufen und exportiren sollen, uns auch von Sr. Königl. Maj. aufgetragen worden, dieserhalb das erforderliche zu veranlassen, so wird dem Herrn Hof Fiscal [auszufüllende Lücke] in der Anlage ein Verzeichniß derjenigen dortigen Juden, welche für erhaltene Concessionen, Privilegia etc. das in der lezten Colonne ausgeworfene Quantum von Porcellain zu kauffen und zu exportiren schuldig sind, communicirt mit der Aufgabe, 1.) die in dem Verzeichniß aufgeführte Juden ohne dem geringsten Anstand vorzuladen und 2.) denselben Sr. Königl. Maj. allerhöchste Befehle zu eröfnen und zugleich 3.) ihnen aufzugeben, binnen [auszufüllende Lücke] das ausgeworfene Quantum aus der hiesigen Königl. Porcellain Manufactur zu kauffen, darüber, daß solches Vorschrift mäßig geschehen, richtige, auf ihre eigene in beiliegenden Verzeichnisse aufgefürte Namen gerichtete Atteste unter dem Directions Siegel zu lösen, ferner binnen [auszufüllende Lücke] durch unverdächtige Atteste der Grenz-Post-Accise- und Zoll-Ämter die würcklich geschehene Exportation des erkauften Porcellains der Commission zu bescheinigen, hiernächst 4.) wofern einer oder der andere Jude erhebliche nicht etwa in einer oder der anderen, dem Inhalte der allergnädigsten Cabinets Ordre vom 21. Marty 1769 zuwider lauffenden Verfügung (als welche von Sr. Königl. Maj. durch die allergnädigste Cabinets Ordre vom 8. hujus aufgehoben worden) sondern in facto und besonders in einem nachzuweisenden Irrthum bei Anfertigung der beiliegenden Designation gegründete Einwendungen machen zu können vermeinen solte, in einem kurz anzuberaumenden Termino selbige darüber ohne Weitläuftigkeit ad Protocollum zu vernemen,

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GStA PK, II. HA, Generaldepartement, Tit. LVII, Nr. 10, Bd. 1, Bl. 106 –107.

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5.) diese Protocolle oder eine Anzeige, daß die Debentin sich submittirt, ohnfehlbar binnen [auszufüllende Lücke] a dato einzureichen, endlich aber 6.) den Juden bekannt zu machen, daß nach Ablauf der vorgeschriebenen Frist wieder dieienigen, welche von der Commission keine Dispensation erhalten und dennoch den Ankauf und die Exportation des vorgeschriebenen Quanti des hiesigen ächten Porcellains nicht gehörig nachgewiesen haben werden, mit der promptesten Execution verfahren werden solle.

Berlin, den 19. Juny 1779 Von Commissions Wegen

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Verzeichnis ungedruckter Quellen Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (GStA PK) Geheimer Rat (I. Hauptabteilung) Rep. 7: Preußen Rep. 9: Allgemeine Verwaltung Rep. 11: Auswärtige Beziehungen Rep. 21: Kurmärkische Städte, Ämter und Kreise Rep. 30: Pommern Rep. 34: Herzogtum Kleve, Grafschaften Mark und Ravensberg und Niederlande Rep. 46 B: Schlesien seit 1740 Rep. 49: Fiskalia Rep. 50: Beziehungen zu den Reichsstädten sowie zu anderen Städten außerhalb der Kurmark Rep. 68: Ostfriesland Rep. 77: Ministerium des Innern Ältere Zentral- und Oberbehörden bis 1808/10 in den neuen Reposituren (I. Hauptabteilung) Rep. 96: Geheimes Zivilkabinett (ältere Periode) Rep. 96 B: Geheimes Zivilkabinett, Minüten Rep. 104: Generalfiskalat Rep. 146: Generalzivilkommissariat für Pommern und die Neumark Rep. 178: Generaldirektion der Staatsarchive Generaldirektorium (II. Hauptabteilung) Abt. 3: Generaldepartement Abt. 7: Ostpreußen und Litauen Abt. 9: Westpreußen und Netzedistrikt Abt. 12: Pommern Abt. 13: Neumark Abt. 14: Kurmark Abt. 15: Magdeburg Abt. 16: Halberstadt Abt. 18: Kleve Abt. 19: Grafschaft Mark Abt. 21: Ostfriesland

I. Verzeichnis ungedruckter Quellen

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Abt. 24: Generalakzise- und Zolldepartement Abt. 25: Fabrikendepartement Abt. 26: Manufaktur- und Kommerzkollegium Abt. 27: Technische Deputation VI. HA Nachlaß Gaudi XX. HA: Historisches Staatsarchiv Königsberg Etats-Ministerium (EM) Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (BLHA) I. Behörden und Institutionen in den Territorien Kurmark, Neumark, Niederlausitz (bis 1808/16) A. Obere Behörden und Institutionen Rep. 2: Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer Rep. 3: Neumärkische Kriegs- und Domänenkammer B. Untere Behörden und Institutionen Rep. 8: Städte Drossen Oderberg Strasburg Templin Wriezen Züllichau Rep. 19: Steuerräte Steuerrat Eberswalde Steuerrat Frankfurt / Oder Steuerrat Potsdam Steuerrat Züllichau Amtsgericht Potsdam Grund- und Hypothequen-Buch der Residenz-Stadt Potsdam (1774). Landesarchiv Greifswald (LAG) Rep. 38b: Stadtverwaltungen Naugard Pyritz Schlawe Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Magdeburg (LHASA) Rep. A 19 b: Kriegs- und Domänenkammer Halberstadt, Specialia Rep. A 19 e: Kriegs- und Domänenkammer Halberstadt, Akten betr. Grafschaft Hohenstein

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen (LAV NRW W) Kriegs- und Domänenkammer (KDK) Minden Kammerjustizdeputation Minden-Ravensberg Archiwum Pa´nstwowe w Gorzowie Wielkopolskim (APGW) (Staatsarchiv Landsberg an der Warthe) AMD: Akta miasta Drezdenka (Magistrat Driesen) AMG: Akta miasta Gorzowa Wielkopolskiego (Magistrat Landsberg / Warthe) Archiv der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (MA) – Land Berlin Abteilung I: Etablierung und Einrichtung der Manufaktur Abteilung II: Porzellan-Manufactur-Kommissions-Sachen Abteilung X: Kassen-Sachen Abteilung XI: Kassen-Etats Abteilung XVII: Haushaltssachen. Generalia Akten ohne Signatur Jüdisches Museum Frankfurt am Main – Archiv (JMFM) Nachlaß Bernhard Brilling Personenstandsregister jüdischer Gemeinden Mittel- und Ostdeutschlands (PSR) Jüdisches Museum Berlin, Archivsammlung (JMB) Schenkung Dr. Walter und Hadassah Schwarz: Nachlaß Marcus Peretz und Familie, Dok. 80/1/1 –19 (1740 –1818). Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Archiv (CJA) Bestand 1, 75 A: Gesamtarchiv der deutschen Juden Halberstadt Trebbin Landesarchiv Berlin (LAB) A Rep. 038 – 03: Magistrat der Stadt Spandau Stadtarchiv Angermünde Bestand Stadtverwaltung Angermünde Stadtarchiv Bernau Pertinenzbestand Juden Nr. 49 Stadtarchiv Emden Protokollregistratur II: Resolutionen und Mandate des Emder Magistrates

II. Literaturverzeichnis

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Stadtarchiv Frankfurt an der Oder Bestandsabteilung I Gruppe VII Polizei Gruppe VIII Gericht Feuerkassenkataster Stadtarchiv Lippstadt Bestand B Stadtarchiv Lübbecke Abteilung A Stadtarchiv Potsdam Bestand 1 – 3: Gewerbe, Versicherungen, Berufsorganisationen Stadtarchiv Prenzlau Stadtverwaltung Prenzlau

II. Literaturverzeichnis Quellen Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hrsg. von der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens, bearb. von Otto Hintze, Gustav Schmoller u. a., Bd. VI/1 bis XVI/2, Berlin 1901 – 1970. Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, hrsg. von der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Die Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Preußens 1740 – 1786, Bd. III/1 und Bd. III/2, bearb. von Hugo Rachel, Berlin 1928. Adress-Calender für das Königreich Preussen und insbesondere der Hauptstadt Königsberg, derer daselbst befindlichen hohen und niedern Collegien, Instantzien und Expeditionen, auch derer Königl. Bedienten, Magistraete, Prediger, Universität ect. nebst Anführung des Orts und der Zeit ihrer Versammlung, nicht weniger einem zweyfachen Register, sowohl der Collegien, als derer Personen, aus welchen selbige bestehen ect. auf das gemeine Jahr MDCCLXX, hrsg. mit Approbation der Königl. Preuß. Academie der Wissenschaften, ND Hamburg 1965 (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen, Bd. 6). Adress-Calender Königsberg auf das Jahr 1733 (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen, Bd. 2), Hamburg 1962.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Adreß-Kalender der Königlich Preußischen Haupt- und Residenz-Stadt Berlin besonders der daselbst befindlichen hohen und niederen Collegien, Instanzien und Expeditionen auf das Jahr 1796. Mit Genehmigung der Königlich-Preußischen Academie der Wissenschaften, Berlin 1796. Amtsblatt der Königlich Kurmärkischen Regierung vom 7. Oktober 1814, Beilage. Andresen, Andreas (Bearb.): Die deutschen Maler-Radirer (Peintres-Graveurs) des neunzehnten Jahrhunderts, nach ihren Leben und Werken, Bd. 3, Leipzig 1869. d’Anières, Friedrich Benjamin: Discours sur la Legislation, Berlin 1781. – Versuch einer Anleitung zur practischen Kenntniß derer in Accise-, Contrebande- und Zoll-Sachen für die Chur- und Neumarck ergangenen Landes-Gesetze. In alphabetischer Ordnung, Berlin 1783. Baczko, Ludwig von: Geschichte meines Lebens, 2 Bde., Königsberg 1824. – Versuch einer Beschreibung der Stadt Königsberg, Königsberg 1787 –1789. Batscha, Zwi (Hrsg.): Salomon Maimons Lebensgeschichte. Von ihm selbst geschrieben und herausgegeben von Karl Philipp Moritz, Frankfurt am Main 1995. Beckmann, Johann: Anleitung zur Technologie, oder zur Kenntniß der Handwerke, Fabriken und Manufacturen, vornehmlich derer, die mit der Landwirthschaft, Polizey und Cameralwissenschaft in nächster Verbindung stehn. Nebst Beyträgen zur Kunstgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1780. Bergius, Johann Heinrich Ludwig: Sammlung auserlesener teutschen Landesgesetze welche das Policey- und Cameralwesen zum Gegenstande haben, Frankfurt am Main 1781. Borchardt, Georg: Die Randbemerkungen Friedrichs des Großen, 2 Bde., 4. Aufl., Potsdam 1937. Borgstede, August Heinrich: Statistisch-Topographische Beschreibung der Kurmark Brandenburg, Berlin 1788. Bratring, Friedrich Wilhelm August: Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg, hrsg. von Otto Büsch / Gerd Heinrich (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 22, Neudrucke Bd. 2), Berlin 1968. Der große Brockhaus, Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, Bd. 9, J-Kas, Leipzig 1931. Brüggemann, Ludewig Wilhelm: Ausführliche Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes des Königl. Preußischen Herzogthums Vor- und Hinter-Pommern, 3 Bde., Stettin 1779 – 1784. Bruns, Alfred (Hrsg.): Die Juden im Herzogtum Westfalen. Dokumentation der zentralen Quellen (Hochsauerlandkreis-Schriftenreihe, Bd. 2), Fredeburg 1994. Bülow, Friedrich von: Bemerkungen, veranlaßt durch des Herrn Hofraths Rehberg Beurtheilung der Königlich Preußischen Staatsverwaltung und Staatsdienerschaft, Frankfurt an der Oder 1808.

II. Literaturverzeichnis

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Personenregister Aaron, Hirsch 239 Aaron, Israel 136, 172, 196 Aaron, Israel Salomon 545 Aaron, Israel Salomon, Witwe 464, 477 Aaron, Manasse 136 Aaron, Moses 555 Aaron, Samuel Joseph 342 Aaron, Simon Samuel 397, 401 – 404, 438, 450 Aaron-Schulhoff-Liebmann, Familie 70 Abel, Elias 530 – 531 Abel, Kersten 132 Abraham 634 Abraham, Boas 558 Abraham, Isaac 85, 103, 476, 482, 516 Abraham, Jacob 207, 442, 552 Abraham, Lazarus 335, 371 Abraham, Liebmann 567, 570 Abraham, Meyer 108 Abraham, Michael 134, 161, 266, 370 Abraham, Moses 84, 478 Abraham, Raphael 315, 346, 517 Abraham, Samuel 308, 311, 436 Abraham, Seelig 543 Abraham, Wolff 432 Abraham, Wulff 411 Adler, Johann Samuel 179 – 180, 232, 234 – 235, 245 Adolf Friedrich IV., Herzog von Mecklenburg-Strelitz 372 Ahlefeld, Paul Ludwig Philipp 622 Alberti, Mechaniker 607 Alexander, Daniel 495 Alexander, Marcus 400

Alt, Carl Ludwig 289 Amsel, Salomon 575 –576 Andreas, Koppel 311 Andreas, Philipp 312 Andreas, Philipp, Witwe 445 Anières, Friedrich Benjamin de 43, 45 – 47, 93, 121 –122, 126 –129, 132, 141 – 143, 147, 149 –150, 153, 155 –156, 158, 163 – 167, 174, 225, 267, 269, 272, 316, 323, 326, 332, 334 –335, 338, 342 –343, 353, 355, 364, 393 –395, 397, 401, 404 – 410, 412, 414 –415, 417, 422, 428, 430, 432 – 433, 442, 444 –445, 449, 452 –456, 459 – 463, 465 –468, 470, 472 –477, 479, 481, 485, 488, 490 –491, 493, 500, 504 – 505, 508, 515 –516, 528, 530, 538, 541, 543 – 544, 634, 639 Arend, Abraham 553 Arend, Isaac 479 Arend, Levin 138 Arnim-Boitzenburg, Friedrich Wilhelm Graf von 189, 227, 522, 524, 562 Aron, Bendix 312 Aron, Joseph 402 Aron, Judas 495 Aron, Samuel 401 Ascher, Abraham 205, 451 Askanier 339 August der Starke, Kürfürst von Sachsen und König von Polen 250 Axen, Jacob von 379 Bacharach, Isaac 410 Bacharach, Joseph David 244 Baczko, Ludwig von 286, 288 Baden, Karl Friedrich Markgraf von 387

730

Personenregister

Bächler, Strumpfwirker 611 Bär, Hertz 322 Bär, Juda Hertz 323 Baer, Samuel Juda 454, 462, 473 Bärenreuth, Senator in Frankfurt / Oder 359 Ballin, Joseph Meyer 419 Ballin, Joseph Wolff 518 Bamberg, Samuel Michael 135 Bargebuhr, Simon Abraham 327 – 328 Barrach, Moses 553 Barrach, Witwe 553 Baruch, Elias 474 Baruch, Hindgen 401 Baruch, Joseph 371 Baruch, Moses 294, 558 Baruch, Zaduck 365 Bauer, Christoph Carl 163 Bayle, Pierre 79 Becker, Werkmeister 238 Becker, Christoph Friedrich 441 Beckmann, Johann 232 Beer, Aaron 345 Beguelin, Heinrich von 158, 618 Behrend, Benjamin 527 Behrend, Moses 410, 532 Behrendt, Levin 284 Behrendt, Moses 272, 487 – 488, 539 Bendavid, Lazarus 87 Bendix, Abraham Michael 138 Bendix, Alexander 455, 457 – 458 Bendix, Hirsch Nathan 336 Bendix, Meyer 138 Bengel, Johann Friedrich Wilhelm 322 Benneke, Handelsgesellschaft 624 Benoit, preußischer Gesandter 378 Berend, Hirsch 455, 457 Berend, Israel 342 Berg, Chirurg in Potsdam 356 Berger, Daniel 55

Bergner, Andreas 226, 229 Bernd, Juda 532 Bernhard, Isaac 62, 330 Bernhard, Moses 552 Bertram, Hofrat 258 Beseke, Karl Ferdinand Wilhelm 127, 543 Beyer, Georg Christoph 391 –393 Beyer, Johann Christoph 223 –224 Beyer, Strumpfwirker 609, 611 Beyme, Karl Friedrich von 502, 618 Bismarck, Otto von 231 Blanc, Kaufmann aus Warschau 378 Blankenburg, Freiherren von 432 Bloch, Marcus Élieser 53 Blumenthal, Joachim Christian Graf von 562 Blümerer, Stuhlschlosser 238, 582, 586 Blümler, Strumpfwirker 609 Boas, Isaac 553, 556, 558 Boas, Samuel 323 Bockenstein, Joh. Daniel 223 –224 Bodenkranz, Strumpfwirker 215, 582 Böttcher, Joh. Andreas 223 Böttger, Johann Friedrich 250 Bonaparte, Jérôme 611 Bonstetten, Karl Viktor von 127 Borchard, Jacob Salomon 487 Borchard, Levin Joachim 137 Borchard, Meyer David 457 Borchardt, Jacob Isaac 439 Borgstede, August Heinrich 183 –184, 186 Brabeck, Theodor von 15, 116 Bratring, Friedrich Wilhelm August 17 – 19, 24, 52, 584 Braunschweig, Levin Lazarus 169, 207 Braunschweig-Wolfenbüttel, Ferdinand Herzog von 97 Brenckenhoff, Franz Balthasar Schönberg von 108, 183, 189, 347, 426 –427, 486 – 487, 637

Personenregister Breslauer, Salomon 544 Brüggemann, Carl 491 Buchholtz, Kriegsrat und Verwalter der königlichen Dispositionskasse 183, 254, 559 Bülow, Friedrich von 580 Büsching, Anton Friedrich 275 Buggenhagen, Kammerpräsident 307 Buschmann, Gottfried Daniel 401 Canzler, Curt Friedrich 371 Carsten, Aaron 418, 422 Carstens, Joseph 422 Caspar, Wolf 298 Cerfberr, Herz 386 Cirksena, Adelsgeschlecht 325 – 326 Cocceji, Samuel von 127 Coelln, Friedrich von 505 Cohen, Jacob Aaron 475 Cohen, Salomon Simon 461 Cohen, Victor Moses 420 Cohen, Wulf Victor 420 Cohens, Wulff Victor 421 Colomb, ostfriesischer Kammerpräsident 415 Cosmus, Lazarus 532 Cossmann, Ephraim 298 Creutznacher, Kolonist in Templin 190, 223 Culemeyer, Bürgermeister von Herford 322 Daam, Kaufmann aus Danzig 371 Dahrenstädt, Georg Christian 134 Dalkowsky, Johann Jacob 336 Daniel, Jacob 294 Daniel, Levin 315, 363 Daniel, Wolff 558 David, Aron 393 David, Benjamin 543 David, Hirsch 91, 195, 198, 322, 400

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David, Jacob 457 –458 David, Jonas 151 David, Jude aus Duisburg 144 David, Liebmann 558 David, Marcus 136 –137, 161, 297 David, Samson 205 David, Samuel 455, 461, 464 de Neufville, Bankhaus 252 Derschau, Friedrich Wilhelm von 191, 231, 300, 302 –303, 306, 377, 640 Diderot, Denis 321 Dietrich, Ludwig August 504 Dieu, Pierre 268 Dithmar, Justus Christoph 634 Dittmer, Heinrich von 379 Dodenhoff, Kaufmann aus Danzig 291, 371, 373 Dohm, Christian Konrad Wilhelm (von) 20, 33, 38, 54, 93, 247, 286, 385 –386, 499, 502, 504, 507, 595, 603, 606, 613, 615, 644 Domhardt, Johann Friedrich 266, 347, 350, 430 –431 Donnersmarck, Leo Felix Victor Henckel von 35 –36, 40, 475, 611 Drewes, Manufakturunternehmer 218 Düntz, Abraham 211 Düntz, Carl Ludwig 624 Düntz, Johann Heinrich, 210 –213, 220, 591 Düntz, Ludwig 609 Dünz, Christian Friedrich 573 –574, 579, 591 – 594, 605 –610, 622 –623, 627 Dünz, Daniel Ludwig 623 Duhram, Wilhelm 128 Efendi, Ahmed Resmi 253 Eggers, Bürgermeister von Neustrelitz 238 Eichmann, Johann Wilhelm 565, 588, 593 – 594

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Personenregister

Eichstädt-Peterswalde, Friedrich Wilhelm Graf von 258, 350 Elias, Isaac 138, 142 Elias, Israel 138, 142, 557 Elias, Jacob 358 Elias, Joseph 495 Elias, Salomon 634 Elias, Wulf 541 Elkan, Moses 138, 166, 168, 552 Engelmann, Carl 325 Enoch, Simon 453 Ephraim, Cosmann 439 Ephraim, David 331 Ephraim, Eliasar 434 Ephraim, Joseph 474 Ephraim, Salomon 192, 439 Ephraim, Veitel 19, 89, 98 – 101, 123, 131, 195, 212 – 213, 278, 285, 334, 440, 448, 501 Esaias, Samuel 474 Eschwege, Abraham Jacob 210, 213 – 215, 217 – 230, 232 – 235, 238, 562, 564, 566 – 567, 573 – 574, 579, 582 – 584, 587 – 588, 607, 627 Eschwege, Fratje 213 Eschwege, Hanna 215, 567 Eschwege, Hertz 234 Ezechiel, Aron 365 Ezechiel, Rebeka 365 Falck, Samuel Michael 462 Feibisch, Schmul 541 Fichte, Johann Gottlieb 506, 613 – 614 Fischer, Kaufmann aus Potsdam 242 Fontane, Theodor 624 Formey, Jean Henri Samuel 128 Fränkel, Abraham 98 Fränkel, Moses 98 Freyschmidt, Bürgermeister von Templin 189, 191, 195 – 197, 221, 591 Frickel, Schlosser aus Berlin 237 – 238

Friedemann, Abraham 451 Friedländer, Abraham 334, 441 –442 Friedländer, Bendix 373, 448 Friedländer, Bernhard 334, 336 Friedländer, David 51 –52, 55, 59, 174, 234, 265, 285, 333, 336, 396, 442 –443, 501, 536, 562, 564 –566 Friedländer, Frommeth 336 Friedländer, Jacob Salomon 397 –399, 403 – 404, 438, 450 Friedländer, Joachim Moses 100, 333 – 334 Friedländer, Meyer 334 Friedländer, Moses 333, 335 –336 Friedländer, Schöne 336 Friedländer, Simon 335 Friedländer, Wulff 334 –335 Friedrich der Große, König von Preußen 17 – 18, 22, 25, 27 –29, 31 –32, 34, 42 – 43, 47, 52, 55, 61, 64, 71 –72, 75, 78 –83, 85 – 86, 90, 97, 99 –101, 106 –117, 119 – 123, 126 –131, 133 –134, 137, 140, 147, 150 – 151, 157, 162, 171 –172, 176, 182, 184 – 186, 194 –195, 198, 202, 209, 219, 230, 237, 239, 241, 248 –249, 251, 254, 257, 259, 265, 272, 275 –276, 281, 288, 291 – 292, 304, 306, 320, 322, 332, 346, 349, 351 –352, 377 –378, 382, 384, 387, 395, 397, 407, 425 –427, 433, 436, 438, 442, 447, 450, 466 –467, 473, 477, 480, 490, 495 –498, 500, 505, 514, 517, 520 – 522, 524, 535, 540, 546, 580, 596 –597, 601 – 603, 608, 624 –625, 629, 635, 639, 643 Friedrich III. / I., Kurfürst von Brandenburg, König in Preußen 71 –72, 251, 285, 351 Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst 38, 67 – 70, 81, 106, 250 –251, 275, 581 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 32, 34 – 35, 41 –42, 70, 72 –73, 75 –76, 106, 115, 128, 143, 251, 275, 499, 502 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen 44, 46 – 47, 50, 91, 307, 327, 333, 337,

Personenregister 407, 436, 497 – 498, 500 – 501, 505, 514 – 515, 517, 519, 525, 531, 533 – 534, 537 – 538, 551, 554, 580, 594, 601 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 47, 90, 580, 602 – 603, 612 – 613 Fries, Johann von 371, 374 Fürst, Carl Joseph Maximilian von 400, 426 – 427 Galster, Karl 302 – 303, 374, 377 – 378, 382, 390 Gaudi, Leopold Otto von 428 – 429, 483, 485 Gelonneck, Meyer David 434 Gerber, Carl Ludwig 151 Gerson, Jacob 343 Gerson, Moses 558 Gewer, Hirsch 281 Gilbert, Johann Carl Ludwig 173, 217, 226 – 229, 232, 234 – 235, 242, 409 Ginzburger, Wolff Meyer 639 Göcke, Johann Friedrich 295 Goerne, Friedrich Christoph von 251, 378, 637 Goethe, Johann Wolfgang von 53 Goetze, Joseph 166 Goldschmidt, Samuel 365 Gompertz, Herz Moses 98 Gompertz, Moses 98 – 99 Goßler, Christoph 605 Gottlieb, Hirsch 543 Gottlob, Isaac 438 – 439 Gottschalk, Ascher 137 Gottschalk, Jacob 451 Gottschalk, Kaufmann 530 Gottschalk, Moses 144, 272, 487 – 488 Gotzkowsky, Johann Ernst 109, 252 – 253, 255, 399 Grabowski, Adam Stanislaus 347 la Grange, Pierre 186 Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich 598

733

Grieninger, Johann Georg 55, 63, 150, 252 – 253, 257 –259, 262 –263, 265 – 266, 301, 334 –335, 355, 364, 377 –378, 380 – 382, 388 –389, 406, 444 –445, 447, 449, 452 –456, 459 –463, 465 –466, 470, 472 – 473, 477, 481, 485, 488, 490, 514 – 515, 523 –527, 529 –530, 532, 535, 541, 544, 560, 639 Grieninger, Johann Georg jun. 540, 560 – 561 Grischow, Reinhard 371 Grothe, Christian Friedrich Ludwig 187, 192, 267, 318, 323, 358 Groschopp, Anton Friedrich 128 Guiremond, Peter 225 Gumpert, Joseph Hertz 558 Gumperts, Moses 106 Gumprecht, Caspar 553 –554 Gutbierische Erben 176, 439 –440 Gutschmidt, Johann August 318, 341, 410, 496 Hagen, Ludwig Philipp von 44, 52, 111, 259 – 260, 288, 306, 308 –314, 324, 345, 452, 469, 523 Halle, Joel Samuel 448 Halle, Wulf Samuel von 336 Hamburger, Meyer Levi 447 Hammerfeld, Judenältester aus Stargard 622 Hammerschmidt, Johannes 479 Hardenberg, Carl August von 498 –499, 612 – 613, 616, 618, 621 Harpke, Johann Peter 159 –160, 162 Hartmann, Otto Carl 217, 618 Hartog, Heymann 417 Hartung, Hoffiskal 446 Heering, Gottfried 223 Heerwagen, Heinrich Wilhelm 215, 580 – 581, 591 –592 Heine, Heinrich 274

734

Personenregister

Heinitz, Friedrich Anton von 44, 147, 162, 230, 272, 336, 363, 366, 442, 520 – 529, 531, 533 – 538, 540 – 542, 545 – 546, 549 – 550, 559 – 560, 562 Helfft, Gottschalk 227, 413, 529 Helfft, Moses Jacob 408 Helfft, Samuel Moses 408 Hell, Jean-Francois 386 Henoch, Levin, Witwe 474 Henoch, Moses 297, 531 Hentschel, Levin 248 Herlemann, Ludwig 609 Hermann, Johann Friedrich 571 Hertz, David 567 Hertz, Gumpertz 295 Hertz, Lehmann 294 – 295, 445 Hertz, Levi 479 Hertz, Marcus 138 Hertz, Moses 568, 634 Hertz, Salomon 436 Hertz, Simon 339 Hertz, Sybilla 295 Herz, Amschel 453 Herz, Wolf Berend 435 Herzfeld, Hans 645 Heyl, Johann Jakob 187 Heymann, Arend 99 Heymann, Bendix 412 Heymann, Calmer 329 Heymann, David 291, 330, 364 Heymann, Levi 415 Heymann, Salomon 310, 313 Hildebrandt, Strumpffabrikant 591 Hillel, Hirsch 377 Himburg, Christian Friedrich 53 Hintze, Otto 32, 420, 446, 497 Hirsch, Aaron 347 Hirsch, Aron 558 Hirsch, Abraham 434 Hirsch, Behrend David 131, 198

Hirsch, Berend 275, 277 –281, 283, 292, 356, 450, 455, 457, 461, 474, 539 Hirsch, David 287, 336, 402, 574, 588, 609, 622 Hirsch, Gebrüder 373 Hirsch, Isaac 244, 456, 474 Hirsch, Isaac Michel 277 Hirsch, Joachim 137, 464 Hirsch, Joseph 296, 340, 437 Hirsch, Levi Behrend 131, 136, 198, 440 Hirsch, Levin 456, 462 –463, 473 Hirsch, Marcus Michael 277 –279, 284 Hirsch, Michel 277, 279 –280 Hirsch, Moses 297, 347 Hirsch, Moses Naphtali 103 Hirsch, Philipp 91, 336 Hirsch, Rahel 284 Hirsch, Ruben 396, 555 –556 Hirsch, Salomon 132, 297, 315, 456 Hirsch, Simon 161, 196, 198 Hirsch, Zadeck 402 Hoff, Johann August Christian von 634 Hohenhausen, Sylvius von 95, 145, 320 – 322, 636 Holländer, Aron Joseph 324 Holsche, August Karl von 26 Honig, Johann August 178 Horst, Julius August Friedrich von der 110, 130, 150, 182, 185 –186, 195, 219, 377 Hoym, Carl Georg Heinrich von 50, 376, 501, 549 –550, 595, 601, 638 Hübner, Strumpfwirker 609 Humboldt, Wilhelm von 615 –616 Isaac, Abraham 476, 482 Israel, Aaron 477, 545 Israels, Hanna 103 Isaac, Baruch Bendix 318, 464 –465 Isaac, Bendix 310, 465, 568 Isaac, Bernhard 287, 364

Personenregister Isaac, David 437, 465 Isaac, Hirsch 138, 142, 554 Isaac, Jacob 311, 408 Isaac, Joseph 103, 476, 482, 543 Isaac, Levin 342 Isaac, Mendel 464 Isaac, Meyer 125, 269, 310, 313 Isaac, Meyer Moses 283 Isaac, Moses 98 – 99 Isaac, Nathan 136, 161 Isaac, Philipp 309 – 311 Isaac, Salomon 446, 495 Isaac, Wulff, Witwe 482 Israel, Lazarus 421, 424 Israel, Levin 206, 485 Israel, Meyer 340 Israel, Moses 342 Israel, Schmul 482 – 483, 486 Itzig, Benjamin Daniel 402 Itzig, Daniel 19, 89, 98 – 101, 107, 123, 131, 169, 176, 207, 235, 238 – 239, 285, 330 – 331, 364, 385, 387, 408, 442 – 443, 447, 501 – 502, 536, 542, 556 Itzig, Isaac Daniel 501, 536, 538 Itzig, Jacob Daniel 330 Itzig, Sara 330 Itzig, Vogel 330 Jacob, Abraham 557 Jacob, Alexander 495, 543 Jacob, Amschel 552 Jacob, Ascher 168 Jacob, Beer 137 Jacob, Bendix 457 Jacob, Daniel 294, 402 Jacob, Gerson 402 Jacob, Hertz Liebmann 135 Jacob, Israel 364 Jacob, Joseph 342 Jacob, Juda 342 Jacob, Lazarus 473

735

Jacob, Leiser 558 Jacob, Levin 474, 558 Jacob, Lewin 558 Jacob, Manasse 136, 168, 175, 177, 180 – 181, 199 –200, 640 Jacob, Marcus 95, 516 Jacob, Moses 206, 264, 391, 420, 422 Jacob, Nathan, Witwe 474 Jacob, Samuel 174, 294, 558 Jacobs, Heymann, Witwe 409, 417 Jacobs, Samuel 206 Jacobs, Regina 409, 417 Jacobson, Jacob 645 Jaeschke, Carl Gottlob 174 –175, 599 – 600, 601 –603 Jansen, Berliner Manufakturunternehmer 591 Jariges, Philipp Joseph von 127 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 66 Joachim, Caspar 553 –554 Joachim, Marcus 495 Joachim, Salomon 291 Joachim, Wulff 464, 544 Jochen, Marcus 315, 456 Jochen, Simon 138, 142 Jochen, Wulf 541 Jochums, Nathan 425 Joel, Daniel 435 Joel, Hirsch 468 Joel, Levin 456 Joel, Moses 138, 166 Joel, Philipp 324, 491 Joel, Samuel 557 Joest, Isaac 462, 473, 515 –516 Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg 599 John, Wolff 435 Jokisch, Fabrikant (Magdeburg) 622 Jonas, Gabriel 541 Jonas, Joseph 474 Jonas, Simon 421

736

Personenregister

Jordan, Christian Friedrich 588 Joseph II., Kaiser 348, 374, 384 – 388, 598 Joseph, Aberle 542 Joseph, Abraham 297 Joseph, Behrend 453, 456, 491 Joseph, Daniel 103 Joseph, Falck 470, 473, 553 Joseph, Hertz 551 Joseph, Heymann 298, 568 Joseph, Jochen 442 Joseph, Levin 56, 205, 294, 365 – 366, 470 Joseph, Marcus 478 Joseph, Meyer 482 – 483, 541, 543 Joseph, Pechuor 104 Joseph, Pincus 134 – 135, 558 Joseph, Samuel 532 Joseph, Seligmann 274, 284 – 286, 289 – 290, 292, 305, 322, 330, 364, 373 Joseph, Süsskind, Witwe 475 Joseph, Wulff 476, 482 Juda, Marcus 552 Jürgens, Leineweber 440

Klipfel, Carl Wilhelm 560 –561 Knobelsdorff, Georg Wenzeslaus von 275 Knobelsdorf, Steuerrat (Arnswalde) 619 Knoblauch, Friedrich 359 Köhler, Generalfiskal 603 Koenig, Johann 271 König, Johann Balthasar 18, 58, 60 Koppel, Pesach 103 Kortum, Ernst Traugott von 598 Koynes, Levin Loeser 104, 357 Kratter, Franz 348 Kretschmann, Hartwig 446 Krünitz, Johann Georg 38, 54, 92 Krusemark, Arnold Daniel Friedrich 200, 315 Küster, Bürgermeister von Templin 226 – 227 Kuh, Daniel 332 Kuh, Familie (Breslau) 336, 380 –381 Kuh, Fegele 332 Kunth, Gottlieb Johann Christian 588 – 590, 592 –594, 608, 611, 622 –623

Kahle, Ludwig Martin 261 Kameke, Johann Hermann Friedrich Graf von 188 Karl VI., Kaiser 85 Katharina, Zarin von Rußland 254, 347 Kaunitz, Wenzel Anton von 386 Kellermann, Manufakturunternehmer (Pirna) 212 Kersten, Charlotte 558 Kersten, Israel 462, 473, 492 Kersten, Kriegsrat (ostfriesische Kammer) 329 Kersten, Samuel 554 – 555, 557 – 558 Klein, Ernst Ferdinand 36 – 37 Klevenow, Johann Christian Philipp 504 Klipfel, Carl Jacob Christian 265, 269, 271, 359, 378, 381 – 382, 466, 514 – 515, 523, 525 – 526, 529, 532, 535, 540, 560

Lange, Jacob 148 Laubert, Manfred 48 Laval, Jean Claude 266 Lazarus, Isaac 136, 140, 161, 439 Lazarus, Salomon 515 Lazarus, Salomon Jonas 461, 473 Lazarus, Sara 409, 412, 417 Leeser, Israel 133 Leffmann, Hertz Abraham 356 Leffmann, Salomon Abraham 243, 322 Lehmann (Duisburg) 634 Lehndorff, Ahasverus von 109 Lemmel, Cheime 482 –483 Leopold I., Kaiser 68 Lessing, Gotthold Ephraim 385, 641 Levi, Abraham 338 –339, 342 Levi, Amschel 345 Levi, Bendix 133

Personenregister Levi, David 438 Levi, Elias 476, 482 Levi, Ephraim 451 Levi, Gottschalk 530 Levi, Isaac 158, 206 Levi, Levi Moses 184, 448 Levi, Michael 541 Levi, Pincus 297 Levi, Salomon 491 Levi, Simon 294 Levi, Veibes 411 Levi, Wolff 294 Levi, Wulff 473, 475 Levin, Aaron Moses 136, 140, 161, 173 Levin, Abel 339, 342 – 343 Levin, Ascher 495 Levin, Benjamin 294 Levin, Chaim 373 Levin, Elias 482 Levin, Hirsch 136, 167 – 168, 330 Levin, Isaac 135, 138, 158, 174 Levin, Isaac Jacob 136 Levin, Israel 138, 163, 474, 545, 552 Levin, Joel 136, 161, 196 Levin, Joseph 151 Levin, Liebmann 411 Levin, Marcus 138 Levin, Meyer Isaac 567 Levin, Michael 244 Levin, Nathan 167 Levin, Ruben 474 Levin, Salomon 280 Levin, Samuel 245 Levin, Sandel 474 Levin, Seelig 601 Levy, Asser 139, 152, 154, 157 Levy, Juda Isaac 161 Levy, Meyer Benjamin 336 Lewald, Fanny 335 Lewin, Pintus 119, 123, 176, 244

737

Lewin, Scholem 559 Liebmann, Hirsch 436 Liebmann, Isaac (Itzig) 460, 473, 515 – 516 Liebmann, Joseph 469, 539 Liebmann, Michael 342 Liebmann, Moses 205, 242 Liebmann, Nathan 283, 322, 455, 457, 464 Liebmann, Samuel 342 Liebmann, Tobias 430 Liefmann, Mendel 310 –311, 313, 475 Liefmann, Moses 310 –311, 313 Liebmann, Wulff 242 Lietzmann, Christian Dietrich Ludwig 159 – 160 Liffmann, Bendix 269, 363, 366, 406, 420, 422 Lindenowski, Johann Christian von 637 Littman, Meyer 495 Locke, John 79 Loeser, Abraham 138 –139, 163, 168, 315, 461, 473 Loeser, David Levin 104, 357 Loeser, Jacob 136, 189 Loeser, Tobias Samuel 543, 555 Loriol, Paul de 128 Louise Henriette, Kurfürstin von Brandenburg 250 Ludwig XIV., König von Frankreich, 67 Ludwig IX., Landgraf von Hessen-Darmstadt 387 Magnus, Elias 239 Magnus, Joachim 440 Manasse, Aaron 138 Manasse, Moses 558 Manitius, Theodor Gotthilf 523 Mann, Isaac 264, 465 Mann, Meyer 482 –484 Mannger, J. G. 145

738

Personenregister

Manus, Ester 297 Marcus, Baruch 246 – 247 Marcus, Calmer 412 Marcus, Heymann 441 Marcus, Israel 440 Marcus, Joachim 446, 495 Marcus, Joseph 479 Marcus, Meyer 478 – 479 Marcus, Michel 317 Marcus, Moses 280, 455, 457, 461, 474, 516, 543, 558 Marcus, Peretz 330, 554 Marcus, Salomon 297 Marcus, Simon 136, 161, 189, 474 Marcus, Treitel 554, 557 – 558 Marcus, Witwe 558 Marcuse, Abraham 195, 207, 235, 238 – 239, 332 Marcuse, Jacob 535 Marcuse, Koppel 447 Marcuse, Marcus 332 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich 85, 384 Massow, Valentin von 321, 353 Max III. Joseph, Kurfürst von Bayern 388 Mayer, Kurt 644 Mendel, Aaron 408 Mendel, Baruch Jeremias 541 Mendel, Marcus Moses 543 Mendelssohn, Moses 20, 31, 53, 62, 274, 287, 333, 335, 372, 386 – 387, 455, 499, 504 Meyer, Aaron 331 Meyer, Bendix 213 Meyer, David 552 Meyer, Ephraim 338 Meyer, Gottschalk 492 Meyer, Hanna 582 Meyer, Hertz 475 Meyer, Isaac (Itzig) 161, 457 Meyer, Jacob 312, 315

Meyer, Joachim 137 Meyer, Johann Friedrich Anton 319 Meyer, Jonas 315, 491 Meyer, Liebmann 391 Meyer, Lippmann 90, 266, 370, 550 Meyer, Marcus 317 Meyer, Michel 137 Meyer, Moses 552 Meyer, Nathan 371 –372 Meyer, Policeyausreuter (Bernau) 180, 456 Meyer, Rösel 331 Meyer, Salomon 363, 366, 371, 541 Meyer, Samuel 264, 434 Meyer, Seckel 215, 567 Meyer, Seelig 137 Meyer, Witwe 558 Michalowski, Johann 481 –485 Michel, Elkan 445 Michel, Isaac 277, 279 –280, 343 Michel, Nathan 108 Michel, Samuel 445 Mirabeau, Gabriel de Riqueti comte de 54, 497, 499 Miranda, Francisco de 53 Montesquieu, Charles de Secondat Baron de 321 Moses, Abraham 264, 452 Moses, Abraham, Witwe 552 Moses, Ascher 137, 531 Moses, Barrach 454 Moses, Behrendt 272, 487 Moses, David 137 Moses, Elkan, Witwe 552 Moses, Ephraim 136, 161 Moses, Gabriel 294, 451 Moses, Hertz 164, 166, 364 Moses, Isaac (Itzig) 314, 470 Moses, Jacob 107, 136 –137, 161, 169, 174, 207, 333, 353, 412, 517, 536, 542, 556

Personenregister Moses, Jacob Abraham 207 Moses, Joachim 333 – 336, 340 – 342 Moses, Joseph 215, 298, 311, 366, 432, 436, 470 Moses, Levi 479 Moses, Levin 411 Moses, Leyser 144 Moses, Manasse 557 Moses, Marcus 342, 455, 457 Moses, Mathias 567 – 568, 571 Moses, Meyer 371, 391, 421 Moses, Nathan 491, 541 Moses, Pincus 272, 487 Moses, Ruben 557 Moses, Salomon 364, 464, 496, 541, 544 Moses, Samson 315 Moses, Samuel Enoch 457 Moses, Seelig 455, 470 Müller, Johann 127 Mündermann, Mindener Seifenfabrikant 206 Mumme, Kriegsrat in der Direktorialkanzlei 405 Muncke, Esaias 377 Naphtali, Samuel 559 Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich 47, 610 – 611, 627 Nathan, Abraham 555 Nathan, Hertz Isaac 136, 161, 167 – 168, 173 Nathan, Hirsch 243 Nathan, Jacob 207, 456 Nathan, Levin 138 Nathan, Pintus 322 Nathan, Salomon 439 Nathan, Serge 345 Nathan, Täubgen 295 Nauen, Abraham Salomon 169, 391 Nauen, Joel Salomon 366 Neenstiel, Carl 224

739

Nettelbladt, Daniel 128 Nicolai, Friedrich 19, 148, 281, 367, 385, 498 Niethe, Johann Gottlieb 178, 200 Noltze, Andreas 230 Oehmigke, Johann Caspar 176 Oettinger, Strumpfwirker 573 –574 Oppenheim, Hanna 335 Oppenheim, Süsskind 337, 391 Oppenheimer, Abraham Wulf 474 Pagés, Kaufmann (Frankfurt / Oder) 360 Pauli, F. H. und A. W., Kaufleute 379 Pels, Abraham 458, 473, 515 Pels, Isaac (Itzig) Jacob 460, 473, 515 Pels, Isaac Simon 417 Pestel, Philipp 313 Pfalz, Karl IV. Theodor, Kurfürst von der 388 Philipp, Andreas Amsel 297 Philipp, David 342 –343 Philipp, Lazarus 137 Philipp, Levin 556, 558 Philipp, Levin, Witwe 558 Philipp, Wolff 492 Philipps, Gumpert 491 Popert, Kaufmann (Hamburg) 371 Pott, Heinrich 251 Praeger, Levin Jacob 103 Praeger, Philipp Levin 103 Preußen, Friederike Charlotte Prinzessin von 321 Radtke, Jacob 486 Raphael, Mendel 543 Raumer, Friedrich von 616 Rehberg, August Wilhelm 580 Reimers, Landrichter der Herrschaft Gödens 421, 425 Reuter, Fritz 373

740

Personenregister

Richter, Johann Daniel 63, 145, 242, 276, 278 – 279, 281 – 284, 314, 340, 355, 366, 416, 436, 453, 636 Ries, Esaias Moses 332 Ries, Hirsch Moses 437 – 438, 475 Ries, Moses 400, 437, 441 Riess, Israel 372 Rieß, Abraham 69 Ritze, Manufakturunternehmer (Halle / Saale) 218 Roggenstein, Strumpfwirker 233 Rosenhahn, Joh. Christ. 223 – 224, 230, 233, 609 Rosenstiel, Friedrich Philipp 364, 526, 532, 536 – 537, 541 – 542, 546 Rosin, Carl Heinrich 357 Rottenburg, Franz Gottfried von 373 Rottenburg & Uphagen, Handelshaus (Danzig) 353, 371, 374 Rousseau, Jean-Jacques 321 Ruben, Bendix 294, 327 – 328 Ruben, Jacob 164, 166 Ruben, Meyer 418 Ruben, Nathan 557 Rüdiger, Baron von 380 Rymer, Susanna Margaretha 336 Sack, Johann August 621 Salomon, Abraham 541 Salomon, David 409 Salomon, Elias 294 Salomon, Gumpel 577 Salomon, Henoch 464, 544 Salomon, Hirsch 242 Salomon, Israel 446 Salomon, Jacob 137, 176, 412, 567 Salomon, Jochen 104, 138 Salomon, Leeser 495 Salomon, Levin, Witwe 409 Salomon, Levin Jacob 548 Salomon, Meyer 241, 439, 446

Salomon, Moses 269, 451, 453, 456, 458 – 459, 462, 464 Salomon, Salomon 475 Salomon, Samson 491 –492 Salomon, Samuel 315 Salomon, Simon 418 Salomon, Wolff Joseph 297 Salomon, Wulff Moses 372 Salomons, Nathan 417 Samson, Baruch 176, 294 Samuel, Abraham 555 Samuel, Baruch 342 Samuel, Elias 436, 441 Samuel, Joseph 103, 342 Samuel, Moses 136 Samuel, Seelig 148, 458 Samuel, Selig 345 Samuel, Simon 318 Samuel, Wulff 136, 161 Sander, Simon 421 Saul, Joseph Aron 541 Schaf, Johann Gottlob 583, 587 Schiff, Jacob 364, 374, 549 Schimmelmann, Carl Heinrich 252 Schlabrendorff, Ernst Wilhelm von 100, 102, 130 –131, 133, 304 Schlegel, Dorothea von 506 Schlesinger, Abraham Joseph 324 Schlesinger, Isaac Jacob 412 Schlesinger, Jacob Moses 413 Schlesinger, Marcus Moses 358 Schlesinger, Marcus Moses, Witwe 496 Schmitz, Heinrich 101, 247 Schmoller, Gustav 30, 32, 46, 145, 318 Schmul, Jacob 482 Schmul, Lewin 483 Schmul, Peisach 476, 482 Schnall, Strumpfwirker 213, 220 –222, 224 Schnaittacher, Isaac David 284 Schön, Theodor von 232

Personenregister Schopp, Johann Friedrich 523 Schroetter, Friedrich Leopold Freiherr von 90, 248, 601 – 603, 605, 613 – 615, 623, 640, 643 Schuckmann, Friedrich von 623 Schulenburg, Graf von (Lieberose) 398 Schulenburg-Kehnert, Friedrich Wilhelm Graf von der 44, 95, 259, 304, 306, 312, 380, 393, 502, 522 – 523, 535 Schulmeister, Johann Heinrich 189 – 190, 223, 344 Seelig, Loeser 142, 456 Seelig, Moses 470, 472 – 473 Seelig, Wulff 454 Seligmann, Joseph 284 – 285 Selle, Jakob Friedrich 356 Sieburg, Johann George 188, 192, 216 – 217, 608 Siegroth und Schlawikau, Karl Ludwig von 186, 189 – 190, 194, 197, 201, 210 Siemon, Aron 472 – 473, 553 Simens, Ruben 327 Simon, Hirsch 376, 557 Simon, Isaac 417, 475, 576 Simon, Israel 270 Simon, Magnus 205, 242, 455, 457 Simon, Moses 436 Simon, Zacharias 155 Singer, Veit 169, 189, 207 Smith, Adam 498 Sobbe, Johann Ernst 144, 200, 311 Sommerfeldt, Josef 48 Spanier, Nathan 633 Spies, Levi 479 Spiker, Christian Wilhelm 611 Standtke, Hofrat 405, 540 Stein, Charlotte von 54 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum 498, 595 Stelter, Johann Christian Friedrich 271, 336, 374, 378, 380 – 382

741

Stern, Selma 29 –32, 34, 38, 40 –41, 43 – 44, 46 – 47, 49 –50, 56, 170, 625, 630, 636, 639 –640, 643 Strasburg, Joh. George 223 Struensee, Carl August von 562, 572 –573, 579 – 581, 590, 592, 594 –595, 597, 601, 605 – 606 Struensee, Johann Friedrich 572 Süssmann, Levin 475 Szajowitz, Jacob 104 Tändler, Adam 226 –227, 229 Tappert, Wilhelm 607 Tarrach, Friedrich Wilhelm 173 Tieck, Ludwig 506 Teller, Wilhelm Abraham 513 Terlinden, Reinhard Friedrich 36, 316, 594, 599 Thier, Wulff 485 Thomasius, Christian 41 Tobias, Abraham 462, 473, 556 Toll, Johann Gustav 538, 559 –561 Torchiana, Ginese 280 Toussaint & Laval, Handelshaus 265 Treitschke, Heinrich von 30 Troschel, Friedrich Heinrich Gustav 240, 603 Trost, Steuerrat 117, 182, 188, 209 –210, 219, 223, 624 Uhden, Johann Christian 82, 127 Ulmann, Israel Moses 291, 335, 365, 374, 629 Unger, Levin 357 Uphagen, Johann 373 Uphagen, Karl Heinrich 373 Urias, Meyer Jacob 437 Urias, Nathan 412 Ursinus, Erhard 101, 117, 256 Valentin, Levin 469 Veibes, Michel 411

742

Personenregister

Veit, Salomon 567, 570, 588 Veitel, Heimann Ephraim 192, 331 Veitel, Heine Ephraim 439 Veitel, Heymann Ephraim 588 Veitel, Joachim Zacharias 448 Victor, Nathan 294 Vincke, Ludwig Freiherr von 321 de Vins, Thomas 188, 216 – 217 Vith, Jost 408 Voigt, Johann Philipp 484 Voltaire 79, 321 Voß, Julie von 594 Voß, Otto Karl Friedrich Freiherr von 276, 512, 562, 594 – 599, 601 – 602, 604 – 606, 609, 622 Wachtel, Joh. Christoph 223 Wachtel, Joh. Conrad 223 Wallach, Abraham 455 Wallach, Abraham Isaac 206 Wallach, Moses David 439 Wartensleben, Graf von 356 Wasianski, Friedrich Georg 483 Wedel, Graf von 423 –425 Wegely, Wilhelm Caspar 251 – 252, 255 Werder, Hans Ernst Dietrich von 236, 344, 503, 562 Wessely, Aaron 475 Wessely, Hartwig 387 Wetzlar, Salomon Hartog 417 Weydemann, Gottfried 226 Wiesiger, Karl Friedrich 587 – 589 Wildegans, Christoph Valentin 189 Wloemer, Johann Heinrich 342, 504, 512, 543, 565, 598 Woellner, Johann Christof 47, 268, 344, 498 – 500, 504 – 505, 522 – 523

Woermann, Christian Arnold 551 Wohlgemuth, Bürgermeister von Baldenburg 484 Wolf, Philipp 314 Wolff, Christian 128 Wolff, Israel 161 Wolff, Levin 136 Wolff, Witwe 309, 311 Württemberg, Karl Eugen Herzog von 250 Wulf, Caspar 315 Wulf, Falck 541 Wulf, Hertz 435, 541 Wulf, Itzig 436 Wulff, Behrend 315 Wulff, Benjamin Joel 332 Wulff, Isaac Benjamin 91, 176, 185, 218, 285, 330, 439 Wulff, Israel 136 Wulff, Israel Meyer 227 Wulff, Joseph Marcus 435 Wulff, Liepmann Meyer 501, 536, 567, 570 Wulff, Marcus Joseph 435 Wulff, Meyer 474 Wulff, Moses 135, 138, 166, 553 Wulff, Moses Michel 323 Wulff, Pestel 138 Wulff, Schaul Joachim 245 Zacharias, Joachim 331 Zandi, Meyer, Witwe 448 Zandy, Meyer 309 Zaudy, Hirsch Zeuther, Manufakturunternehmer (Memmingen) 212 Zipfel, Ernst 645

Ortsregister Aa 321 Aachen 569 Ahrensdorf 183, 204, 209 – 210, 624 Alt-Schottland 287, 351, 487 Altena 295, 541 Altes Reich 15, 17, 19, 39, 49, 66, 68, 89, 170, 280, 367, 372, 595, 633, 635 Altmark 106, 119, 159, 161, 177, 356 Amsterdam 109, 252, 325, 415, 440, 461, 515 Angermünde 69, 151 – 152, 158, 172, 182 – 183, 186, 189, 247, 262, 294, 541, 567, 624 Anhalt 264, 271, 370 – 371, 452 Anklam 224 Ansbach 250 Ansbach-Bayreuth, Fürstentum 388 Apolda 186 – 187, 211, 223 – 224 Arnswalde 104, 138, 149, 554, 557, 559, 619 Aschersleben 246, 264 – 265, 344, 452 – 453 Auerstedt 559, 582, 610 – 611 Augsburg 64, 365 Aurich 125 – 126, 265, 294, 326 – 329, 415, 417 – 419, 422, 424, 439, 446, 454, 458, 519, 527 Baden-Durlach, Markgrafschaft 257, 283 Bärwalde 108, 149, 294 Baldenburg 475, 482 – 483, 486 Barwidde, Zollstation 176 Bautzen 115, 200, 583 Bayern 48, 382, 388 Beelitz 344

Beeskow 267 Berg, (Groß-)Herzogtum 39, 85, 570 Berlin 19 –24, 27, 29, 31, 34, 42, 44, 46, 48, 50, 53 –56, 58, 61 –64, 67 – 70, 72 – 77, 81, 83 –84, 87 –88, 92 –95, 97 – 101, 104, 106 –109, 111 –115, 117 – 127, 129, 133, 135 –137, 139 –140, 147 – 149, 155, 157, 160 –161, 165 –170, 173, 176 – 177, 179 –180, 183 –185, 187 – 189, 192 –193, 197, 200 –209, 211 – 213, 215, 218 –220, 224 –229, 232 – 235, 237 –240, 242 –247, 249, 251 –252, 254 – 255, 257, 259, 262, 264 –266, 268, 272, 275 –277, 281 –288, 290 –291, 295, 297 – 302, 305, 310 –313, 317, 322 –325, 327, 330, 332, 335 –336, 338, 340 –345, 352 – 353, 356, 358, 360, 362 –370, 374, 376, 378 –379, 381, 385 –386, 391, 394 – 395, 398 –403, 407, 415, 425, 430, 434 – 435, 439 –444, 447, 450 –452, 454 –455, 457, 465 –466, 468 –470, 474, 478, 483, 488, 490 –494, 496, 501, 503, 506 – 507, 511 –514, 516, 518, 523, 525 –527, 529 – 530, 535, 540 –542, 547, 549 –551, 553, 555, 559, 562, 564 –580, 582, 584, 586 – 592, 594, 597, 599, 601 –602, 608 – 610, 613, 619 –622, 624 –633, 636 –638, 643 – 644 Berlinchen 149, 451 Bernau 136, 168, 175 –181, 199, 269, 294, 342, 409, 440, 446, 451, 453, 456, 458 – 459, 461, 464, 640 Bernburg 340 Bernstein 149 Beverungen 206 Bielefeld 95, 230, 277, 297, 320, 374, 551, 633

744

Ortsregister

Bischofswerder 495 Bleicherode 148, 150, 152, 343 – 344, 458 Bodensee 64 Böhmen 69, 85, 116, 239, 276, 384, 388, 403, 439 Borgholzhausen 264 Borken 295 Brakel 116 Brandenburg an der Havel 69, 106, 120, 124, 242, 251, 294, 322, 362, 366 Braunschweig 88, 101, 116, 132, 160 – 161, 167, 176, 193 – 194, 223, 367, 371, 469, 521, 582 Braunschweig-Lüneburg, Herzogtum 467 Braunschweig-Wolfenbüttel, Fürstentum 85, 88, 116, 132, 167, 193, 505 Bremen 265, 325, 380, 467, 515 Breslau 22, 49, 62, 64, 84, 90, 92, 162, 169, 181, 241, 255, 257, 266, 287, 300, 332, 336, 363, 376 – 377, 380, 501, 511, 549 – 551, 568, 621, 643 Brody 173 Bromberg 206, 340, 347, 349, 367, 427 – 428, 430, 481, 485, 603 Brüssel 100 Bublitz 137 Bütow 137, 469 Buttstädt 223 Callies 138, 149, 174 Calvörde 160 Cammin 137, 205, 530 Canstein, Herrschaft 453 China 250 Chorin 339 Corvey 15 – 16, 27, 116 Dänemark 117, 223, 585 Danzig 23, 163, 170, 259, 270, 291, 334, 346 – 347, 349, 351 – 354, 369 – 371, 373 – 374, 380, 428, 435, 487, 533, 538, 540, 543

Delfft 256 den Haag 515 Derenburg 445 Deutschland 16 –17, 20, 37, 92, 233, 252, 257, 386, 498, 518, 572, 576, 611 Dinslaken 297, 310 –313, 445 Dirschau 495 Dobrin 485 Donau 385, 387 Dornum 326, 409, 417 –418 Dramburg 149, 554, 557 Dresden 98, 250 Driesen 149, 330, 557 –558 Dröschkau 521 Drossen 173, 272, 323, 467, 470, 472 – 473, 552 –553, 556, 558 Duisburg 25, 292, 634 Eberswalde 219, 226, 242, 339, 342, 345, 402 Eckartsberga 187 Eichsfeld 148, 150 Elbe 255, 367, 580, 611 Elbing 23, 354, 436 –437, 564 Elsaß 386 Emden 25, 254, 265, 269, 325 –329, 363, 409, 415 –419, 438 –439, 446, 454, 458 – 461, 467, 473, 477, 515, 518 –519, 541 Emmerich 257, 307, 575 –576 Ems 22 England 68, 96, 168, 217, 255 –256, 295, 325, 483, 499, 568 Erfurt 140, 582 Ermland 347, 493 Ermsleben 344 Esens 59, 326, 417 –418, 473, 532 Eydtkuhnen 370 Falkenberg 558 Falkenburg 149 Fiddichow 342

Ortsregister Flatow 248, 426, 430, 495 Fordon 367, 426 Franken 67 Frankenthal 250 Frankfurt am Main 188, 376, 378, 515, 540 Frankfurt an der Oder 22 – 23, 63 – 64, 69, 81, 93, 96, 103 – 104, 119, 121, 124, 131, 134, 136, 140, 149, 154, 161, 173, 184, 189, 195, 225, 230, 255, 267, 284, 286, 305, 318, 323, 341 – 342, 357 – 360, 410, 412, 436, 448, 464, 474, 477, 496, 521, 526, 541 – 542, 545, 547, 555, 594, 630 Frankreich 52, 96, 101, 156, 246, 257, 266, 268, 283, 287, 307, 321, 379, 386, 508, 512, 569 – 570, 572, 578, 614, 619 Freiberg 521 Freienwalde (Kurmark) 331, 339, 342 – 343, 345, 474 Freienwalde (Pommern) 137 Freyenstein 370 Friedeberg 138, 142, 149, 166, 174, 206, 464, 541, 544, 548, 554 – 555, 557 – 559 Friedland 189, 371 Friedland (Sachsen) 140 Friedrichsdorf 149 Fulda 322 Fürstenau 149 Fürstenberg 250, 255 Fürstenberg (Mecklenburg) 140 Fürstenwalde 85, 103, 267, 474 Galizien 142, 173, 348, 365, 384 Gardelegen 159 Gartz 584, 591 Gatersleben 370 Geldern 200, 306, 551, 558, 560 Genua 515 Gera 236 Gilgenburg 297 Glogau 376 – 377, 517 Goch 297 – 298, 568

745

Gödens 326, 366, 417 –418, 420 –421, 425 Göttingen 233, 580, 594 Gollub 350 Gransee 136, 140, 161 Graudenz 349, 543 Greetsiel 418 Greifswald 61 Groningen 532 Grünberg 483 Gumbinnen 347, 435 Halberstadt, Stadt und Fürstentum 22 –23, 68, 80, 86, 93, 97, 108, 121, 124, 127, 133, 137, 161, 184, 205, 208, 246, 280 – 281, 294, 297, 306, 308, 340, 342, 344, 364, 393, 395, 409, 411, 437, 452, 478, 493 – 494, 541, 547, 567, 594, 630, 635 Halle / Ravensberg 345 Halle / Saale 97, 124, 128, 203, 217 –218, 257, 368, 573 Hamburg 68, 228, 252, 269, 280, 287, 319, 325, 345, 366 –371, 374, 378 –380, 387, 398, 412 –413, 461, 467, 533, 540 Hamburg Altona 363, 366, 371 Hamm 199, 295, 453 Hammerstein 350, 495 Hanau 211 Hannover 22, 26, 184, 363, 467, 492, 533, 580 – 581 Hardenberg, Unterherrschaft im Herzogtum Berg 552 Harlingerland 326 Harz 101 Hausberge 26 Havel 275, 355 Havelberg 136, 161, 196, 366, 398 Heilsberg 347, 373, 493 Heinrichsdorf 482 Helmstedt 189 Herborn 211 Herford 277, 320 –322, 435, 451, 636

746

Ortsregister

Hertzberg 386 – 387 Hessen 67, 167, 223, 233, 260, 283, 484 Hessen-Darmstadt, Herzogtum 387 Hildesheim 421, 475 Hörde 338 Hohenstein, Grafschaft 121, 124, 148, 343 – 344, 395, 458, 478, 493 – 494, 541 Holland 99, 109, 256, 278, 310, 325, 328, 406, 414, 422, 518, 520, 523, 532, 568 Holstein 467 Holten 343 Hoppenbruch 354, 495 Hornburg 475 Inn 388 Inowrazlaw (Hohensalza) 431, 434 Insterburg 481 Iserlohn 93, 402 Italien 64, 154, 257, 283 Japan 250 Jemgum 417 – 418 Jena 223, 559, 610 – 611 Jennelt 326 Jerusalem 20, 321, 387, 602 Jever 423 Joachimsthal 242, 340 – 342, 409 Jülich 39 Kalkar 311, 408 Kallies 557 – 558 Kamen 295 Kassel 260, 322, 410 Kleinbodungen 149 Kleve, Stadt und Herzogtum 25, 68, 105 – 106, 121, 124 – 125, 154, 269, 305 – 313, 323, 356, 372, 395, 493 – 494, 529, 536, 541, 547 – 548, 567 – 572, 574 – 579, 632, 634 Koblenz 569, 617 Köln 16, 27, 92, 569, 634

Königsberg / Neumark 104, 135, 138, 142, 149, 166, 294, 297, 531, 548, 556, 558 Königsberg / Pr. 22 –24, 60 –61, 81, 90 – 91, 100, 104, 115, 124 –125, 139, 152 – 153, 155 –157, 163 –165, 169, 171, 206 – 208, 257, 265, 270, 274, 277, 284 –291, 300, 305, 320, 330, 333, 335 –337, 347, 351, 362 –365, 368, 372 –373, 391, 412, 435, 437, 448, 450, 476, 493 –494, 541, 555 – 556, 558 –559, 567 –568, 571, 598, 602 – 603, 611, 613, 619, 623, 632, 640, 643 Köpenick 184 Körlin 446 Köslin 137, 487 Kolberg 23 Konitz 481, 484 –486 Krakau 48 Krefeld 133, 310, 345, 445, 568 Kremmen 242, 342, 474 Krojanke 398 Krossen 68, 315, 526 Küstrin 23, 81, 149, 170, 183, 314, 323, 556 – 558, 619 Kujawien 351 Kurland 152, 292 Kurmark Brandenburg 17, 23, 66 –70, 73, 80, 103, 106, 108, 114 –115, 117, 119, 121, 124 –125, 127 –128, 130 –131, 135 – 136, 138, 140 –141, 143, 149, 151, 168, 170, 172 –173, 176, 179, 182 –184, 191 – 193, 195, 205 –206, 237, 241, 245, 256, 267, 269, 275, 283, 305, 314, 338, 340, 390, 395, 401, 474, 477, 493 –494, 497, 522, 541, 547 –549, 552, 567, 570, 574, 577, 594, 599, 626, 632 La Bresse 127 Landeck 350 Landsberg an der Warthe 24 –25, 125, 138 – 139, 142, 149, 163, 166, 168, 173, 183, 293, 314 –315, 363, 396, 446, 448,

Ortsregister 450, 453 – 456, 458 – 459, 461 – 463, 473, 492, 543, 548, 555 – 556, 558, 641 Langfuhr 259, 270, 334, 353 – 354, 495 Lauenburg 137, 353, 469 Leba 351 Lebus 267 Leer 417 – 418 Leipzig 98, 161, 275, 284, 348, 371 Lemberg 48, 173, 348, 598 Lenzen 366, 474 Letzlingen 159 – 160, 162 Levante 101 Libau 515 Liebenau 116 Liebenwalde 223, 294, 474 Liegnitz 23 Lindau 584 Lingen, Stadt und Grafschaft 25, 97, 106, 306, 395, 493 – 494, 541, 547 – 549, 551, 579, 627, 633 Lippe, Grafschaft 16, 26, 88, 93, 410 Lippehne 138, 149, 451 Lipperode 295 Lippstadt 294 – 295, 410, 445 Litauen 285, 368, 381, 440, 481, 494, 541 Livland 283 Lobedienst 320 Lobsens 426 Lodomerien 348 Luckenwalde 187, 214, 216 – 218, 221, 236 Ludwigsburg 250 Lübbecke 26, 115, 324, 453, 456, 491 Lübbenau 371 Lübeck 265, 378 – 380, 467, 515 Lüneburg 117 Lünen 295 Lütetsburg 326 Mähren 69, 85, 384 Märkisch-Friedland 432

747

Magdeburg, Stadt und Herzogtum 22 – 23, 61, 80, 111, 113, 115, 143, 158, 161, 184 – 185, 196, 199, 203, 217, 228, 233, 240, 257 –258, 266, 340, 368, 395, 452, 494, 541, 564, 573, 594, 622 Mailand 64 Mainz 387, 569 Mannheim 257 Marienburg 347, 369 Mariendorf 589 Marienwerder 145, 259, 314, 347, 349, 351 – 353, 431, 485 Mark, Grafschaft 26, 68, 104, 106, 121, 124 – 125, 133, 154, 182, 283, 295, 306, 338, 343, 395, 446, 453, 478, 493 –494, 529, 531 –532, 536, 541, 547, 551, 555, 599, 627 Mecklenburg 67, 117, 140, 151, 170, 180, 185, 189, 209, 215, 224, 228, 238, 257, 335, 365, 370 –372, 374, 380, 567, 585, 594 Meißen 251 –252, 257 Memel 22, 64, 292, 370, 373, 445 Memmingen 211 –212 Merseburg 422 Mewe 541 Minden, Stadt und Fürstentum 26, 34, 38, 63, 68 – 70, 74, 76, 106, 115, 121, 124 – 125, 133, 145, 148 –149, 179, 206, 257, 265, 305, 313 –314, 362, 368, 374, 395, 446, 491 –494, 541, 547 –548, 579, 632 Mirow 373 Mitau 515 Mittelmark 106, 118 –121, 124 Mittenwalde 242, 342 Moers, Stadt und Fürstentum 121, 124, 154, 200, 306, 395, 494, 541, 547 Mühlheim 569 Müncheberg 265, 267, 318, 464 –465 München 388 Münster 61, 295, 363, 533

748

Ortsregister

Nassau-Oranien, Fürstentum 167 Nassau-Usingen, Fürstentum 167 Nauen 69, 282, 366, 465 Naugard 115 Neiße 621 Netze 171, 350, 353, 367, 427 – 429, 431 Netzedistrikt 17, 24, 34, 83, 169, 347 – 350, 353, 407, 426 – 427, 429 – 434, 436, 489, 512, 637 Neu-Stettin 137, 207 Neubrandenburg 231, 373 Neudamm 135, 138 Neuenrade 478 –479 Neufchatel 280, 306, 594 Neumark 24 – 25, 59, 69, 104, 108, 113, 115, 118, 121, 124 – 125, 132, 134 – 135, 138, 140 – 142, 149, 154, 161, 163 – 164, 166, 168, 170, 174 – 175, 183, 189, 206, 237, 240, 268, 272, 293 – 294, 297, 305, 314 – 315, 338, 395, 411, 467, 494, 531, 541, 547 – 549, 552 – 557, 559, 594, 626 Neumark (Stadt) 543 Neumarkt 320 Neuostpreußen 83, 573, 595 – 596 Neuruppin 23, 582, 584, 594 Neuschlesien 83 Neustadt Eberswalde 339 Neustadt Gödens 269, 363, 391, 418 Neustrelitz 238 – 239, 371 – 373 Neuwedell 103, 138, 553 – 554 Niederlande 68, 379, 384, 388, 569 Niederlausitz 371, 398 Niederösterreich 68 Niedersachsen 61 Niekowsken 486 Nimwegen 363, 533 Nörenberg 451, 558 Norden 326 – 327, 329, 370, 409, 412, 415, 417 – 418, 438, 445, 518 – 519 Nordrhein-Westfalen 61 Nordsee 327, 413

Nowawes 236, 276, 439 Nymphenburg 250 Oberbarnim 117 Oberschlesien 521 Oder 25, 255 Oderberg 136, 161, 314, 474 Österreich 69, 169, 513 Oettingen, Grafschaft 37, 467, 635 Oldenburg 420, 423 Oranienburg 250, 474 Ortelsburg 248 Osnabrück 363, 371, 533 Ostasien 250 Osterode 297, 436, 441 Osterwieck 344 Osteuropa 72, 105, 152, 288, 292, 602 Ostfriesland 25, 83, 99, 125 –126, 202, 206, 306, 325 –329, 372, 374, 376, 390, 395, 406, 409, 412 –415, 417 –418, 420, 425 – 426, 439, 445 –446, 454, 491, 493 – 494, 501, 517, 523, 527 –528, 532, 541, 575, 625, 632, 637, 641 Ostindien 255 –256, 310, 328, 374, 414, 519 Ostpreußen 68, 104, 113, 121, 124, 152, 168, 171, 232, 240, 248, 286, 290, 292, 297, 347, 362, 367 –368, 377, 395, 407, 435, 493 –494, 535, 541, 547, 601, 617, 623, 632 Ottomachau 621 Paderborn 88, 93, 97, 167, 206, 319 –320, 568, 633 Padua 413 Peine 475 Peking 257 Pelplin 351 Perleberg 23, 478 Petershagen 26, 133, 410, 491, 532 Petkum 326 Pfalz 88

Ortsregister Pfalz-Zweibrücken, Herzogtum 317 Pirna 211 – 212 Plaue 251 Plock 638 Polen 24, 36, 39, 49, 51, 66, 68, 80 – 83, 98, 100, 105, 113, 149, 152 – 153, 155, 161, 165 – 166, 169 – 171, 173, 176, 198, 201, 206, 240 – 242, 257, 262, 265, 285, 287, 290, 292, 319, 337, 346, 348 – 351, 358, 368, 370 – 372, 374, 378, 380 – 381, 398, 427, 429, 431, 436, 440, 467, 483 – 484, 486 – 487, 489, 493, 496, 512, 524, 573, 597 – 598, 626, 632, 638, 640 Polnisch Lissa 117, 287 Polzin 176 Pomerellen 347 Pommern 23, 67, 80 – 81, 98, 106, 113, 115, 121, 124, 132, 135, 137, 140 – 141, 144, 147, 168 – 170, 172, 205 – 206, 240, 258, 272, 317, 321, 346, 351, 364, 371, 395, 480, 486 – 487, 489, 493 – 494, 530, 535, 539, 541, 547 – 548, 567, 570, 594, 617, 619 – 621, 626 Poneggen 220 Poplowo 482 Portugal 292, 380, 619 Posen 205, 242, 371, 596 Potsdam 19 – 23, 40, 45, 58 – 59, 61, 63 – 64, 67, 74, 84, 100 – 101, 104, 109, 115, 131, 145, 184, 187, 191, 198 – 199, 203, 205, 242, 260, 266, 274 – 284, 288, 322, 331, 336, 338, 340, 352, 354 – 358, 364, 366, 369, 377, 380, 435 – 436, 438 – 440, 444, 446, 449 – 450, 452 – 455, 457 – 459, 461, 464, 474, 501 – 502, 509, 512, 514, 516, 539, 541, 543, 559, 563, 621, 627, 636, 643 Prenzlau 103, 136, 161, 189, 191, 363, 436, 541, 582 Prignitz 119, 177, 185, 196, 224 Pritzerbe 136, 161 Putlitz 370 Putzig 495

749

Pyritz 137, 317, 342, 436, 464 Pyrmont 65 Rathenow 119, 136, 174, 176, 216, 243 – 244, 366 Ravensberg, Grafschaft 68, 97, 106, 121, 124 – 125, 148 –149, 205 –206, 256, 264, 305 – 306, 313, 321, 345, 395, 411, 493 – 494, 541, 547 –549, 551, 567, 570, 575, 579, 627, 632 –633 Reckahn 275 Rees 309 –311, 479 Reetz 149 Reppen 342, 558 Rheinland 569, 577 –578, 611 Rheinsberg 65, 184 Riga 515, 538, 540, 612 Rixdorf 589 Rostock 283, 402, 584 Rotterdam 295 Rügenwalde 137, 168, 451, 469 Ruhr 307, 569 Ruhrort 297 Rummelsburg 137, 431 Rußland 96, 100, 153, 168 –171, 254, 257, 278, 283, 290, 368, 370 –371, 381, 427, 440, 483 –484, 513 Rysum 326 Sachsen 96 –97, 109, 161, 185 –186, 231, 250, 252, 255, 257, 274, 346, 357, 371, 378, 388, 452, 513, 521, 535, 573, 587 Salzach 388 Schermbeck 312, 567 Schiedlitz 351 Schivelbein 149, 554, 558 Schlawe 144, 168, 272, 446, 467, 486 – 489, 539 Schleiz 233 Schlesien 17, 30, 46, 55, 61, 79 –80, 83, 113, 149, 161, 185, 194, 202 –203, 206, 280, 290, 293, 320, 376 –377, 381, 390,

750

Ortsregister

477, 494, 499, 501 – 502, 517, 535 – 536, 547 – 549, 575, 598, 617, 625 – 626, 634 Schlochau 350, 481 – 483, 486, 495 – 496, 543 Schlüsselburg 491 – 492 Schmolsin 469 Schönfliess 138, 149 Schwabach 211 Schwaben 16, 41, 53, 67, 476 Schweden 97, 346, 371, 380, 521, 585 Schwedt 136, 330, 408, 474, 527 Schweidnitz 23 Schweiz 127, 257, 379 Schwelm 551 Schwerin 215, 567 Siersleben 370 Soldin 59, 138, 149, 556, 558 Sollstedt 149 Sonnenburg 558 Sonsbeck 144, 312 Sorge 101 Spandau 56, 107 – 108, 114, 126, 199 – 200, 205, 282, 365 – 366, 399, 470, 541, 568 Spanien 258, 380 Stade 380 Stallupönen 370 Stargard 132, 137, 205, 297, 322, 364, 437, 464, 544 – 545, 622 Stavenhagen 215, 567 Steglitz 589 Stendal 159, 161, 196, 244, 294 Sternberg 149, 558 Stettin 23, 81, 98, 101, 111, 113, 115, 147, 170, 240, 256 – 257, 468 – 469, 564 Stolp 469, 539 Stolpe 137 Stolzenau 492 Stolzenberg 351, 354 Storkow 267 St. Petersburg 257, 515

Strasburg / Elsaß 211 Strasburg / Kurmark 136, 212, 223, 228, 241, 246 –247, 474, 495 Strausberg 474 Strelitz 189, 224, 335, 341, 370, 372, 374 Südpreußen 83, 95, 116, 244, 512, 573, 594 – 597, 601 Tangermünde 69, 136, 158, 174 Tarnowitz 621 Tecklenburg, Stadt und Grafschaft 25, 97, 106, 306, 395, 407, 479, 493 –494, 541, 547 – 549, 551, 579, 627, 633 Tempelburg 23 Tempelhof 589 Templin 27, 51 –52, 61, 130 –131, 141, 166, 168, 170, 175, 177, 179, 182 –183, 185 – 200, 202 –231, 233 –234, 237 – 239, 241 –242, 248 –249, 261, 292 –293, 298 – 304, 317, 378, 382 –383, 392, 394, 409, 411, 508, 512, 562, 564 –567, 571 – 574, 576 –577, 579, 581 –588, 590 – 595, 597 –598, 604 –607, 609 –611, 616, 618 – 620, 622 –624, 626 –628, 631, 640 Teschen 388 –389 Theresienstadt 645 Thorn 351 Thüringen 67, 132, 214, 645 Tilsit 292, 356, 611 Trebbin 393 Treuenbrietzen 344 Trier 387, 569 Tuchel 481 –484 Uckermark 106, 119, 182 –183, 185 –186, 188 – 190, 204, 209, 214, 219, 223, 239, 246, 249, 579 –580, 584, 590, 624, 627 Ungarn 69, 384, 521 Unna 446, 475 Vallengin 280 Varel 423

Ortsregister Vogtland 233, 258 Warlang 482 Warschau 48, 170, 265, 290, 367, 371, 378 – 380, 533, 538, 540, 596 Weener 418 Weichsel 351, 367, 483 Weimar 186 Weinberg 543 Werther 411, 633 Wesel 125, 307, 310 – 311, 313, 324, 342 – 343, 368, 454, 475, 543, 570, 576 Westfalen 15, 55, 106, 321, 356, 362 – 363, 435, 453, 531, 533, 574 – 575, 577, 611 Westhofen 532 Westindien 440 Westphalen, Königreich 321, 611, 617 Westpreußen 17, 31, 68, 83, 169, 171, 220, 244, 248, 259, 286, 290, 314, 331, 346 – 347, 349 – 351, 353, 368 – 369, 373, 380, 395, 427, 458, 475, 480 – 481, 484 – 485, 493 – 495, 501 – 502, 512, 535, 541, 543, 601, 637 Wien 49, 68 – 69, 81, 85, 114, 116, 211 – 212, 257, 265, 331, 365, 371, 374, 384 – 386, 617

751

Willenberg 292 Wilna 20, 371 Wittenberge 366 Wittmund 418 Wittstock 224 Woldenberg 138, 294, 411, 558 Wolfhagen 233 Wriezen 69, 101, 136, 172, 196, 245 –246, 401 – 403 Württemberg 67, 88, 255 Wusterhausen / Dosse 136, 161, 242, 552 Xanten 307, 309, 311, 448 Zanow 457 –458 Zantoch 149 Zehden 393 Zehdenick 291, 370 Zeitz 588 Zempelburg 426 Zeulenroda 233 Zielenzig 138, 166, 173, 558 Zinna 187, 192, 216 –217 Züllichau 132, 173, 298, 315, 338, 548, 555, 558 –559

Sachregister Absolutismus 17, 20, 23, 29 – 33, 36, 38 – 41, 43, 56, 66, 70, 83, 243, 275, 350, 446, 484, 625, 636 – 638, 641 – 642, 644 Akademie der Wissenschaften Berlin 44, 76, 128, 130 Akzise 46, 70, 110 – 111, 134 – 135, 147, 149 – 150, 153 – 154, 162, 176, 178, 202, 228, 255, 267 – 268, 272, 290, 306, 324, 333, 344, 349, 367, 381 – 382, 467, 470, 486, 503, 521, 523, 572, 584, 604, 621 Allgemeines Landrecht 490, 512 Ancien Régime 35, 49, 82, 240, 614, 630 Aufklärung 19 – 20, 25, 31, 39, 45 – 47, 58, 78 – 79, 100, 144, 244 Baumwolle 63, 119, 140, 187, 217 – 218, 280, 284, 438 – 439 Beamte / Beamtenschaft/-tum / Bürokratie 29 – 31, 41 – 44, 46 – 49, 50 – 51, 82, 106, 121, 126 – 127, 142, 145, 147 – 148, 156 – 157, 170, 175, 186, 191, 193, 197, 201, 210, 214, 234 – 236, 245, 256, 279, 291, 304, 317, 319 – 320, 328, 341, 382, 462, 505 – 507, 509, 513, 519, 522, 557, 563, 574, 580, 586 – 587, 589, 591, 595 – 596, 599 – 601, 607, 609, 613, 624 – 625, 629, 637, 639 Betteljuden 16, 154, 180, 348, 350, 426, 463, 468, 598, 641 Brennholz 63, 218, 255, 523, 526 Bürger / Bürgerrecht 21, 36, 202, 236, 246 – 247, 284, 348, 356, 373, 386, 423, 435, 504, 508, 512, 535, 591, 596, 598 – 599, 602, 604 – 606, 610, 612 – 615, 621, 638 Bürgerliche Verbesserung der Juden 20, 33, 247, 384 – 385, 402, 490, 534, 596

Chargenkasse 44, 84, 94, 108, 129, 135, 278, 280, 300, 311, 332, 334, 347, 353 – 354, 410 –411, 428 –429, 441, 470, 491 – 492, 509, 527, 545, 563 –564, 631 Collége francais 128 Dampfmaschinen 232, 591, 608 Dispositionskasse 254 –255, 375, 389, 461, 524 Emanzipation 16, 20, 24, 31 –32, 36, 40, 47 – 48, 51 –53, 89, 106, 175, 240, 248, 329, 337, 385 –387, 474, 506, 512, 562, 569, 595, 598, 613, 615 –616, 638, 641 – 643 Emanzipationsedikt (1812) 37, 47, 52, 629, 640, 642 –643 Erbfolgekrieg, Bayerischer 386, 388, 501 Ersatzbürgertum 21 –22, 245, 276, 401 Exekutionen 178, 196, 199 –201, 209 – 210, 355, 415, 421, 424 –425, 445, 447, 449, 451 –456, 458 –462, 464, 477, 488, 490, 517, 555 –556, 622, 628 Fabrikanten 186, 189 –190, 193, 202 – 203, 215, 220 –222, 226, 228, 231, 233, 235 – 236, 238, 245 –246, 307, 332, 436, 439, 486, 489, 573 –574, 579, 583, 587, 589 – 591, 606 –607, 609, 622 –623 Fabrikensystem 80, 103, 109, 153, 184, 292, 498, 58 Geheimer Rat 69 –70, 74, 399 –401 Gemeindeangestellte, jüdische (publique Bediente) 87 –89, 145 –146, 245, 285, 337 – 343, 345, 347, 355, 390 –392, 403 – 404, 407, 409, 416, 508

Sachregister Generaldeputierte der Judenschaft 308, 358, 396, 502 – 503, 508, 511, 527, 536 – 538, 547 Generaldirektorium 46 – 47, 58, 60 – 61, 70, 74, 81, 83, 85 – 86, 90, 103, 108 – 109, 111, 114, 117 – 123, 125 – 126, 128 – 133, 135, 137, 139, 141 – 143, 145, 147, 152 – 153, 155 – 157, 163 – 164, 166, 169 – 172, 174, 178, 186, 194, 196, 198 – 199, 205 – 206, 208, 238, 241 – 242, 246, 248, 254 – 255, 260 – 269, 277 – 279, 282, 286, 288 – 293, 295 – 297, 299 – 304, 306 – 313, 324, 328, 330, 332, 334 – 343, 345, 352 – 353, 360, 375 – 376, 382 – 383, 390 – 391, 393 – 397, 402, 404 – 407, 409, 412 – 414, 419 – 420, 422 – 424, 426 – 433, 435, 437, 441 – 445, 449, 474 – 475, 478, 493, 495, 499 – 500, 503 – 505, 511, 513, 519 – 520, 522 – 523, 527 – 532, 537 – 538, 541 – 543, 546 – 548, 550, 555, 557, 562 – 564, 567, 570, 572, 574 – 575, 577 – 578, 596, 598, 602, 606, 637 – 640 – Bergwerks- und Hüttendepartement 521 – 522 – III. Departement 306, 312 – 313, 393 – Fabrikendepartement (V.) 83, 110, 137, 147 – 149, 165, 168, 171, 174, 184 – 185, 189 – 195, 197 – 198, 200 – 201, 204, 208, 212 – 213, 217, 220 – 226, 229 – 231, 236 – 238, 253, 299, 304, 336, 344, 401, 441 – 442, 521, 526, 565 – 566, 572 – 574, 587 – 588, 592 – 593, 597, 605, 607 – 610, 638 – Manufaktur- und Kommerzkollegium 214, 608, 624 – Technische Deputation 580, 608 Generalfiskalat 43, 45, 47, 61, 82, 86, 93, 106, 121 – 123, 126, 128 – 129, 132, 144, 147, 156, 158, 163, 165, 334, 342, 382, 407, 445, 500, 515, 542 – 544 Generalreglement – von 1730 33, 73, 75 – 76, 83, 88, 296, 326

753

– von 1750 18, 27, 33, 48, 83 –85, 87, 89, 94, 96, 107, 118, 138, 144, 148, 240, 261, 282, 286, 293, 296, 305, 326, 329, 338, 350, 434, 500 –502, 510, 614, 618 – für Südpreußen (1797) 512 Haftbarkeit, solidarische 74, 76, 106, 130, 179, 502 –503, 507 –508, 512, 577 Handel 73, 75, 77, 80 –81, 83, 85, 87, 93, 95, 109, 111, 114 –115, 138, 149, 152 – 153, 167, 171, 173, 199, 210, 243, 246 – 248, 257, 263 –264, 286, 288, 290, 297, 301, 310, 333, 338 –339, 341 –342, 344, 347, 351 –352, 370, 381, 401, 410, 424, 435, 438, 442, 452, 459, 463, 466, 468, 472, 483 –484, 486, 500, 502, 518 –519, 529, 534 –535, 537, 539, 556, 563, 575, 596 – 598, 605 –606, 617 Handwerk / Handwerker 16, 73, 112, 233, 244, 275, 403, 427, 596 Hauptbrennholzadministration 219 Hausbesitz 15, 19, 27, 56, 73, 75, 82, 89, 92 – 94, 96, 261, 264, 274, 284, 286 –288, 291, 298, 305 –306, 308 –309, 311, 313, 315, 319 –320, 322, 324 –325, 329 –331, 338, 363 –364, 376, 391, 393, 395 –396, 408, 410 –411, 413, 417, 421, 437, 439, 441, 448 –449, 451, 453, 457 –458, 464, 474, 491 –492, 495, 503, 517, 540, 544, 553 – 557, 625, 628, 631 Hausierhandel 16, 73, 98, 154 Hausvogtei Berlin 366, 399 Hoffaktoren / Hofjuden 70, 90, 266, 370, 372 Holz 255, 398, 486, 522 –523, 537, 559 Hugenotten 21, 45, 67 –68, 127 Innungsprivilegien 235 –237 Institut für Deutsche Ostarbeit (Krakau) 48 Kabinett 45 –46, 114, 272, 302, 336, 400, 405, 432, 488, 505, 559 Kalendergelder 28, 44, 76, 129 – 130, 509

754

Sachregister

Kammergericht Berlin 84, 365, 398 – 399, 594 Kantonsystem 76, 402, 510 Kantoren, jüdische 338 – 340, 342, 357 Katholiken / Katholizismus 67, 80, 331, 506, 633 Kaufmannschaft, christliche 69 – 70, 73, 83, 93, 115, 139, 149, 153, 169, 196, 242, 244, 248, 276, 285, 288, 290, 315, 333, 337, 381, 483 Kinder, jüdische – erstgeborene 151, 292 – 297, 327, 342, 376, 390 – 392, 395, 400, 405, 408, 412, 416 – 417, 425, 428, 436, 442, 451, 453, 465, 470, 479, 487, 491, 516, 530 – 532, 543, 545 – 546, 557, 568, 601 – zweitgeborene 27, 85 – 86, 102 – 104, 108, 111 – 114, 116 – 117, 119 – 120, 122 – 125, 125, 130 – 132, 134 – 142, 147 – 148, 151, 158, 161 – 164, 166 – 169, 171 – 176, 181 – 182, 189, 191 – 192, 194 – 195, 199 – 206, 208, 211, 215, 225, 240 – 245, 248 – 249, 261, 265 – 266, 276, 292 – 293, 297 – 303, 325, 327 – 329, 358, 365, 372, 375 – 376, 378, 383, 390 – 392, 395 – 396, 405, 408 – 409, 411 – 412, 416, 418, 420 – 421, 429, 451, 457, 465, 554, 556, 564 – 568, 570 – 571, 575, 585, 597 – 605, 611, 616, 618 – 619, 621, 623, 625 – 628, 635, 640, 643 – drittgeborene 86, 151 Königliche Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) 27 – 28, 55, 60 – 61, 63 – 64, 90, 101, 250, 253 – 256, 258 – 259, 262 – 266, 268 – 272, 274, 280 – 281, 284, 289 – 293, 296, 301 – 304, 309 – 311, 313, 315, 318, 322, 324, 329, 331 – 333, 336, 338 – 341, 345, 350, 352 – 355, 359, 363 – 364, 366 – 367, 369 – 370, 372, 374 – 375, 377 – 378, 381 – 382, 388 – 390, 394, 404, 406 – 409, 411 – 412, 420, 424, 434 – 435, 439, 444, 447, 452, 456 – 457, 459, 461, 466, 468, 470, 474, 476, 480, 486, 488, 495 – 496, 514 – 517, 520, 522 – 525, 527, 529 – 532,

535 – 542, 544 –546, 550 –551, 560 – 561, 628 Kolonisten 183 –186, 188, 190 –191, 200, 202 – 204, 209, 213 –216, 218, 224, 226, 231, 233, 246, 403, 426 –427, 430, 432, 486, 489, 508, 573, 575, 594 Kriegs- und Domänenkammern und Kammerdeputationen 74, 81, 88, 112, 118, 123, 128, 137, 144 –145, 170, 172, 199, 219, 261, 264, 267, 296, 301 –302, 319, 338 – 339, 347, 376, 382 –383, 390, 405, 446, 504, 539, 548, 601, 637 – Bromberger Kammerdeputation 427 – 430, 433, 481, 485, 603 – Halberstädtische Kammer bzw. Kammerdeputation 148, 264, 281 – Klevische Kammer 307, 309 – 313, 568, 570 – 571, 578 – Kurmärkische Kammer 115, 119, 128, 131 – 133, 152, 159 –160, 170, 173, 176, 182, 185 –190, 192 –194, 196 –198, 200, 203 – 204, 208 –209, 216, 219, 221, 223, 225 – 226, 229 –231, 236 –238, 241 – 243, 245, 253, 278 –284, 298 –299, 318, 320, 323, 330, 332, 339 –341, 343, 355, 358 – 360, 398, 401 –402, 410, 436, 465, 474, 549, 565 –566, 587, 592 –594, 601, 606 – 607, 626, 640 – Lingener Kammerdeputation 549 – Mindener Kammer 38, 61, 314, 549, 639 – Neumärkische Kammer 132, 134 – 135, 166, 170 –171, 174, 189, 292, 316, 323, 338, 554 –558, 619 – Ostfriesische Kammer 25, 125, 265, 326 – 329, 414 –415, 419, 423 –424, 439, 518 – 520, 527, 532 – Ostpreußische Kammer 124, 139, 152 – 153, 156, 164 –165, 171, 206 –208, 248, 286, 289, 347, 435, 437, 567 – Plock 638 – Pommersche Kammer 128 – 129, 137, 147, 170, 531

Sachregister – Südpreußische Kammer 595 – Westpreußische Kammer 145, 347, 351, 475, 484, 495 Lagerhaus Berlin 62, 115, 208, 247, 255 Landjudenschaften 71, 105 – 108, 114, 117, 119 – 120, 122 – 123, 125, 179, 205, 230, 438, 453, 495, 501, 548, 551, 567, 570, 572, 579, 588, 627, 636 – Kleve-Märkische 118, 139, 566 – 569, 575, 577, 627 – Kurmärkische 119 – 120, 199, 213, 277, 277, 284, 409, 436, 567, 578, 585, 627 – Neumärkische 118, 438, 548 – Ostfriesische 415, 419, 438, 518 – Pommersche 118, 205, 620, 627 – Ravensberg-Tecklenburg-Lingensche 551, 627 – Schlesische 627 Levantische Handelskompagnie 111, 115, 258 Lotterie / Lotteriegesellschaft 111, 258 – 259, 271 – 272, 373, 380, 452, 467, 515, 539 Magistrate 196, 199, 203, 209, 212, 224, 229, 234, 240, 244 – 248, 254, 264 – 265, 267, 276, 279, 281, 283 – 284, 289, 293 – 295, 309, 315 – 318, 324, 327 – 328, 331, 340, 355, 359, 399, 415, 444 – 446, 448 – 450, 452 – 455, 457 – 463, 467, 469 – 470, 472 – 473, 477 – 478, 481, 483, 487 – 488, 515, 539, 545, 548, 552 – 557, 562, 573 – 574, 582, 584 – 585, 611 Manufakturen / Manufakturarbeiter 19, 21, 67, 80, 88, 100 – 101, 110, 112 – 117, 119, 122, 125, 130 – 135, 137 – 138, 141 – 142, 146, 148, 150, 156, 163, 165, 170 – 172, 174 – 176, 183, 185 – 195, 198 – 216, 218 – 239, 241, 248 – 258, 260, 262 – 263, 265, 267, 269, 271 – 272, 274 – 281, 283 – 284, 287, 290, 292, 298 – 303, 308, 324, 327, 333 – 334, 336, 340 – 341, 343 – 344, 353 – 354, 357 – 358, 363 –

755

364, 366 –367, 369 –370, 375, 377 –382, 388 – 390, 392, 394 –396, 400 –404, 406, 411, 414, 429, 432, 437 –442, 447, 451, 455, 457, 465 –469, 474 –475, 478, 480, 496, 508, 512, 514 –517, 520, 522 –527, 529 – 531, 533 –534, 536 –537, 539, 541, 549, 553, 559 –560, 562, 564 –567, 570 – 579, 581 –594, 597 –598, 604 –611, 616, 618 – 624 Manufakturpolitik 80, 115, 184, 187, 251, 253, 562, 581, 608 Manufakturunternehmer 67, 93, 133 Manufakturwaren 27, 51, 62, 110, 114, 125, 130, 134 –135, 139 –140, 148 –149, 155, 160, 169, 172, 175, 198, 201, 203, 208, 238, 282, 284, 293, 298, 325, 344, 352, 370, 452, 554, 575, 604 Meißener Porzellanmanufaktur 250, 252, 352, 374, 378 –379, 521 Minister / Ministerialbürokratie 41 –42, 45 – 46, 85, 110 –111, 123, 150, 162, 186, 191, 231, 236, 241, 248, 251, 259 –260, 291, 303 –306, 309, 311, 345, 353, 363, 366, 377, 383, 387, 393, 404 –406, 414, 452, 469, 483, 521 –525, 528, 534 –535, 537, 549, 562, 594, 596, 599, 619 Montis Pietatis 72, 509 Münzjuden 19, 89, 97, 100 –102, 448 Naturrecht 41 –42, 48, 243, 318, 383, 449, 600, 625, 636 –637, 639, 643 Nichtduldungsprivilegien 24, 40, 240, 510 Oberlandesälteste der Judenschaft 132, 203 – 205, 207, 226 –227, 230, 233, 241 – 242, 278, 331, 390, 400, 412, 447, 474, 501, 503, 517, 527, 530 –531, 533, 536 – 539, 542 –543, 547 –551, 555, 564, 567 – 568, 574 –579, 583, 587, 611, 621 Officia Fisci 415, 446, 454, 458, 481, 485, 488 Osthandel 82, 240, 292

756

Sachregister

Ouvriers (Arbeiter) 198, 216 – 217, 220 – 222, 234, 236 – 237, 253, 358, 440, 523, 560, 585 Petschierstecher, jüdische 73, 435, 437 Peuplierung 17, 184, 190, 202, 216 Pietismus 247, 521, 535 Politische Testamente Friedrichs des Großen – von 1752 78, 80, 346 – von 1768 251, 254, 259 Rabbiner 15, 84, 105, 135, 277, 453, 478 – 479, 618 Regie 111, 129, 147, 153, 157, 268, 498 Reichssippenamt 62, 644 – 645 Rekrutengelder 44, 76, 84, 129 – 130, 502, 509 Retablissement 52, 81, 97, 100, 108, 182, 246, 306, 313 – 314, 318 – 319, 324, 383, 480, 486, 535, 637 Rosenkreuzer 47, 321, 498 Schmuggel 153 – 154, 157 – 158, 161, 248 Schulmeister, jüdische 144, 317, 337, 342 – 344 Schutzgelder 28 – 29, 44, 53, 57, 69, 74, 76, 87, 105 – 106, 129 – 130, 167, 179, 199, 205, 264, 326 – 327, 342, 352, 356, 419, 424, 484, 487, 509, 518, 579, 628, 641 Schutzjuden – außerordentliche (Extraordinarii) 84, 87, 89, 132, 169, 214, 261, 277, 279 – 280, 296, 310, 314, 327, 336, 342, 344, 390 – 392, 401, 403, 405, 408 – 412, 417, 428, 430, 435, 509, 517, 527, 530 – 532, 548, 552 – 553, 563, 603 – generalprivilegierte 56, 89 – 92, 94, 99, 102, 119, 134, 237, 244, 260 – 261, 287, 290 – 291, 296, 329 – 334, 336 – 337, 364, 376 – 377, 381, 390 – 391, 405, 408, 410,

413, 428, 434, 437, 440 –441, 474 –475, 499, 501, 517, 530, 602, 628 – ordentliche (Ordinarii) 84, 87, 89, 132, 280, 293, 312, 327, 342, 428, 462, 480, 482, 490, 527, 552, 603 Seehandlung 111, 265, 366 –367, 380, 469, 560 Seide / Seidenfabrikanten 19, 23 –24, 62, 89, 98, 101, 109, 115, 133, 140, 198, 286, 288, 357, 455, 592 Siebenjähriger Krieg 19, 22, 25 –28, 46, 50, 52, 62, 89, 96, 98 –99, 101, 107, 110, 125, 127, 144 –145, 175, 182, 184, 187, 252, 254, 258, 269, 275, 282, 285, 303, 305, 308, 320 –321, 323, 346, 383, 395, 398, 535, 587, 629 –630, 633, 637, 642 Stempelgebühren 94, 311, 527, 545 Steuerräte 88, 95, 117, 133 –134, 137, 139, 144 – 147, 159 –160, 172 –173, 177, 179, 182, 188, 205, 209, 219, 223, 227 –230, 232, 242, 245 –246, 248, 267, 276, 278 – 279, 281 –284, 293, 309 –310, 312 –315, 318 – 324, 340 –341, 344, 355, 358, 360, 382 – 383, 390, 409 –410, 436, 481, 483, 491, 496, 539, 543, 557, 559, 619, 621, 624, 636 –637 Suppliken 195, 201, 212, 225, 238, 262, 277 – 279, 281 –283, 287 –288, 291, 295, 298, 300 –301, 310, 315, 329, 332, 334, 338, 352, 355, 358 –359, 382 –383, 396, 400, 409, 439, 441, 489, 519, 545, 578, 607, 611 Synagogen 291, 298, 346, 356 –358, 360, 451 Tagelöhner 218, 246, 563, 621 Totengräber, jüdische 88, 337, 339 –342, 402, 456, 463, 473 Trauscheine 44, 76, 84, 129, 139, 332, 334 – 335, 409, 416, 429, 470, 478, 532, 631 Witwen, jüdische 87, 136, 151 –152, 174, 179, 323, 393, 409, 411, 417, 478

Sachregister Wolle 138, 140 – 142, 177, 189 – 190, 197, 211, 224, 226 – 227, 231 – 232, 235, 245, 283, 518, 579, 582 – 583, 586, 590, 592, 609

757

Zoll 15, 111, 134, 147 –152, 154 –156, 158 – 159, 161 –162, 208, 255, 266 –270, 272 – 273, 289, 306, 309, 341, 352, 366 – 367, 381, 383, 406, 427, 438, 450, 467, 470, 521, 572, 626 Zünfte 235 –237, 244