Versuche zur Errichtung des Absolutismus in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Territorialbsolutismus [Reprint 2021 ed.] 9783112568729, 9783112568712


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German Pages 276 [277] Year 1964

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Versuche zur Errichtung des Absolutismus in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Territorialbsolutismus [Reprint 2021 ed.]
 9783112568729, 9783112568712

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DEUTSCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN SCHRIFTEN DES INSTITUTS FÜR GESCHICHTE REIHE I I : L A N D E S G E S C H I C H T E BAND 8

PETER WICK

Versuche zur Errichtung des Absolutismus in Mecklenburg in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Territorialabsolutismus

A K A D E M I E - V E R L A G

1964



B E R L I N

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Leipziger Straße 3 — 4 Copyright 1963 by Akademie-Verlag GmbH Lizenz-Nr. 202 • 100/132/64 Gesamtherstellung: V E B Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer 2083/II/8 • ES 14 E . Preis: DM 3 8 , -

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung Kapitel I

5 Die Lage der Klassen in Mecklenburg am Anfang des 18. Jahrhunderts

13

1. Der Feudaladel 2. Das Bürgertum

13 17

3. Die Bauern

24

Kapitel II

Die verfassungsmäßige Situation und außenpolitische Lage Mecklenburgs

29

Kapitel III

Herzog Carl Leopold und seine Räte

35

Kapitel IV

Erste Auseinandersetzungen des Herzogs mit der Ritterschaft (1713-1716)

43

Kapitel V

Die Politik gegenüber Bauern und Bürgern

51

Kapitel VI

Die Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock bis zur Aufhebung des Schweriner Vertrages von 1715 im Mai 1716 durch den Reichshofrat .

57

Kapitel VII

Der Versuch Carl Leopolds, seine Macht mit Hilfe russischer Truppen zu stärken

75

Kapitel VIII Die absolute Herrschaft Carl Leopolds nach Abzug der Russen (Juli 1717-Januar 1719) 109 Kapitel IX Kapitel X

Die Reichsexekution Die Doppelregierung in Mecklenburg (bis 1727)

125 147

Kapitel XI

Die Absetzung Carl Leopolds und die Einsetzung Christian Ludwigs als 171 kaiserlicher Administrator 1728 Kapitel XII Die Planung und Vorbereitung einer gewaltsamen Aktion des Herzogs, um die Exekutionstruppen zu vertreiben und die Herrschaft wiederzugewinnen (1726-1733) 193 Kapitel XIII Das Landesaufgebot 215 Kapitel XIV Kurze Schilderung des weiteren Verlaufs der mecklenburgischen Angelegenheiten bis zum Landesgrundsgesetzlichen Erb vergleich 1755 . . . 249 Literaturverzeichnis

261

Ortsregister

271

1*

EINLEITUNG

Der Absolutismus entstand in der Übergangsperiode vom Feudalismus zum Kapitalismus, das heißt in der Periode, in der „die alten Feudalstände untergehen und der mittelalterliche Bürgerstand zur modernen Bourgeoisieklasse sich herausbildet". 1 Diese Herausbildung fand in einer wachsenden ökonomischen Stärke des Bürgertums und einem Verfall des Feudaladels ihren Ausdruck. Doch das Erstarken des Bürgertums, das sich in dem Entstehen kapitalistischer Produktionsformen zeigte, verursachte noch nicht die Auflösung der Feudalordnung, sondern bildete zunächst eine Voraussetzung für den Absolutismus. Bei der Errichtung des absoluten Regimes leistete das Bürgertum materielle Unterstützung und bildete auf diese Weise ein Gegengewicht zum Adel, der sich stets hartnäckig einer absoluten Herrschaft widersetzte, weil er sich dadurch in seinen Vorrechten geschmälert glaubte. So gelang es zum Beispiel den französischen Herrschern des 17. Jahrhunderts mit weitgehender Hilfe des Bürgertums, den frondierenden Adel zu bezwingen. Dafür entsprachen die Landesherren den Forderungen der Unternehmer, Verleger und Manufakturisten nach einem einheitlichen Markt und staatlichen Unterstützungen. Das Zusammengehen von Bürgertum und absolutem Staat beschränkte sich jedoch auf die Zeit, in der der Widerspruch zwischen den sich entwickelnden kapitalistischen Produktivkräften und den herrschenden feudalen Produktionsverhältnissen noch nicht voll in Erscheinung trat. Doch darf die Tatsache, daß der Absolutismus zeitweise mit dem Bürgertum paktierte und zur Entwicklung der Produktivkräfte beitrug, nicht darüber hinwegtäuschen, daß der soziale Inhalt der absoluten Monarchie „die Diktatur der Klasse des Adels" war. 2 Während bei der ständischen Monarchie der Adel und auch das Bürgertum einen bestimmten festgesetzten Anteil an der Regierung des Landes nahmen, wobei der Anteil des Adels dominierend war, regierte jetzt der Monarch als alleiniger Regent im Interesse des Feudaladels. Die selbständige Handlungsfreiheit wurde ausgeschaltet, aber der absolute Staatsapparat, der mit einem besoldeten Beamtenapparat regierte, diente zur Konservierung der feudalen Wirtschafts- und 1

2

Marx,K., Über die absolute Monarchie, in: M a r x / E n g e l s , Über Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung, Bd 1, Berlin 1961, S. 581. Große Sowjet-Enzyklopädie, Stichwort Absolutismus.

6

Einleitung

Gesellschaftsordnung, die eng mit dem Wirken des Feudaladels verbunden war. Während es in Frankreich gelang, die absolute Monarchie im nationalen Rahmen, verbunden mit einer äußerst starken politischen Zentralisation, aufzurichten, bildeten sich in Deutschland nur verschiedene Formen von Territorialabsolutismus heraus. Diese Tatsache „erklärt sich weitgehend aus dem verkrüppelten Entwicklungsgang der deutschen Bürgerklasse". 3 Die im Vergleich zu Westeuropa zurückgebliebene manufakturelle Entwicklung — und die damit zusammenhängende Schwäche des deutschen Bürgertums — konnte nur in äußerst geringem Maße zur Unterstützung absolutistischer Bestrebungen beitragen und ein Gegengewicht zum Feudaladel darstellen. Die Gründe für die schwache industrielle Entwicklung Deutschlands sind in den Folgen des Dreißigjährigen Krieges und vor allem in dem Bestehen der zweiten Leibeigenschaft zu suchen. Weil die Mehrheit der Bevölkerung an die Scholle gebunden war, fehlten Menschen für eine schnelle Entwicklung der manufaktureilen Produktion. Das zahlreiche Zunftbürgertum, das keine kapitalistischen Unternehmer hochkommen lassen wollte, zeigte sich mit der Legalisierung der zweiten Leibeigenschaft völlig einverstanden. Trotz des kraftlosen Bürgertums wurde in zahlreichen deutschen Staaten ein absolutes Regime errichtet. Aber damit wurde für Deutschland die verhängnisvolle partikularistische Entwicklung gestärkt; denn der Absolutismus brachte lediglich eine territoriale Zentralisation und war ganz im Gegensatz zu Frankreich antinationai ausgerichtet. Die deutsche Nation, deren Bildung sich, wenn auch in schwachen Umrissen, im 18. Jahrhundert abzuzeichnen begann, entstand nicht mit Hilfe des Absolutismus. Doch darf nicht übersehen werden, daß eine absolute Territorialherrschaft auch gewisse positive Seiten aufzuweisen hat. So wirkte sich die Ausschaltung der dezentralisierenden Kräfte des Adels in jedem Falle fördernd auf die Entwicklung der Produktivkräfte aus; denn jeder Landesherr war bei seiner Auseinandersetzung mit dem Adel gezwungen, die Kräfte zu stützen, die Gegner der herrschenden Feudalklasse waren. Dadurch wurde das Bürgertum gestärkt und die Entwicklung zum Kapitalismus hin in den größeren Ländern gefördert (jedenfalls in der ersten Zeit des Absolutismus). So kann man einerseits gewisse fortschrittliche Züge beim deutschen Territorialabsolutismus feststellen, während auf der anderen Seite die antinationale Tendenz die Lösung der nationalen Frage in Deutschland entscheidend hemmte. Der im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Verlaufe von Jahrhunderten entwickelte Partikularismus hatte in den einzelnen deutschen Territorien unterschiedliche gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungsstufen zur Voraussetzung und Folge. Wenn man davon ausgeht, daß die Entwicklung kapitalistischer Elemente im Schöße des Feudalismus, die sich vor allem beim Bürgertum zeigte, die wichtigste Voraussetzung für die Errichtung eines absoluten Regimes ist, so muß man doch bei der Untersuchung des deutschen partikularistischen Feudalabsolutismus noch 8

Marx, K., Über die absolute Monarchie, a. a. O., S. 581.

Einleitung

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zahlreiche andere Faktoren in Betracht ziehen. Es wäre sonst unverständlich, warum sich der Absolutismus in dem ökonomisch relativ weit entwickelten Sachsen nicht voll durchsetzen konnte, während er sich in Preußen, dessen Bürgertum bedeutend schwächer war, bis zur Militärdespotie steigerte. Andererseits konnte sich in dem Brandenburg benachbarten Land Mecklenburg, das eine ähnliche ökonomische Struktur aufwies, eine absolute Herrschaft überhaupt nicht halten, sondern der in diesem Lande allmächtige Adel blieb in der Auseinandersetzung mit seinem Fürsten siegreich. Doch auch in Württemberg, dessen Adel als reichsunmittelbar gar nicht zu den Landständen zählte, blieb dem Landesherrn eine dauernde, absolute Herrschaft versagt. Hier behauptete das Patriziat der Städte seine Machtposition. Wieder anders lagen die Verhältnisse in Hannover, wo eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Adelsfamilien alle führenden Positionen im Lande innehatte. Schon aus diesen Andeutungen ist zu erkennen, daß sich auf dem deutschen Territorium zahlreiche unterschiedliche Staatsformen gebildet hatten, die von einem voll ausgebildeten Absolutismus (Preußen) bis zur Herrschaft der Landstände (Mecklenburg) reichten. Bei der Untersuchung des Problems der Aufrichtung des deutschen Territorialabsolutismus muß man deshalb von den Besonderheiten der einzelnen deutschen Länder ausgehen. Es muß dabei für jedes Land festgestellt werden: 1. Wie war der Stand der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung, das heißt, was wurde produziert, wie wurde produziert, und wie sah die Klassenstruktur aus? Auf welche Kräfte im Lande (eine Klasse oder Teile einer Klasse) konnte sich der Landesherr bei der Errichtung einer absoluten Herrschaft stützen, um den stets widerstrebenden Adel bezwingen zu können? Es mußten Kräfte sein, die über das notwendige Geld zum Unterhalt und zur Besoldung der Truppen und des Beamtenapparates verfügten und dessen Vertreter zunächst dem Bürgertum angehörten. 2. Auf welche Weise gelang es einem Landesherrn, sich die nötigen Geldmittel zu beschaffen, wenn das Aufkommen des eigenen Landes dazu nicht ausreichte oder die Geldmittel verweigert wurden? Hier sind der Truppenverkauf und Subsidiengelder fremder Mächte zu berücksichtigen. 3. Welche Interessen verfolgten die umliegenden inner- oder außerdeutschen Staaten in dem zu untersuchenden Lande? Wieweit waren sie an einer absoluten Macht interessiert, oder stützten sie die widerstrebenden Kräfte? Hierbei ist insbesondere auch die Rolle des Kaisers zu berücksichtigen, der häufig seinen Einfluß oder seine Machtmittel dazu zu benutzen versuchte, die Errichtung einer absoluten Herrschaft zu erschweren oder zu verhindern. Infolge der Schwäche des Reiches und der vielen, oft gegensätzlichen Interessen der Einzelstaaten haben auch die europäischen Staaten, wie beispielsweise Frankreich, England, Rußland oder Schweden, einen erheblichen Einfluß auf die deutschen Territorien ausgeübt, zumal sie selbst häufig zu den Reichsständen gehörten. In dieserArbeit soll in der bereits angedeuteten Weise versucht werden, die Voraussetzungen, das Entstehen und Scheitern des Absolutismus in Mecklenburg darzustellen.

8

Einleitung

Dabei kann nicht allein von den mehr oder minder glücklichen Maßnahmen der betreffenden Herzöge und deren Ratgeber ausgegangen werden, sondern es muß die komplizierte Klassensituation in Mecklenburg herausgearbeitet werden, um verstehen zu können, warum die Aufrichtung des Absolutismus in Mecklenburg im Gegensatz zu anderen deutschen Staaten nicht gelang und warum die Auseinandersetzung zwischen Adel und Herzog zu einem vollen Sieg des Adels führte. Entscheidend ist dabei die Frage, warum die zahlenmäßig mächtigen Klassen der Bauern und Bürger, auf die sich der Herzog weitgehend stützen konnte, dem Adel unterlegen waren. Dabei zeigen sich die engen Beziehungen des mecklenburgischen zum hannoverschen Adel, die einem Streben nach Vorherrschaft Hannovers im norddeutschen Raum entgegenkamen. Da sich jedoch Brandenburg—Preußen als Anwärter auf diese Vorherrschaft fühlte, stützte es zwangsläufig in Mecklenburg den erbitterten Gegner des Adels, den Herzog. Auch Rußland, das im Nordischen Krieg gegen Schweden stand, zeigte ein Interesse an Mecklenburg, das im Bündnisvertrag von 1716 seinen Ausdruck fand. So kann der Kampf um eine absolute Herrschaft in Mecklenburg nicht isoliert betrachtet werden, sondern es ist eine Darstellung der Hauptgegensätze der großen und kleineren Mächte erforderlich. Dabei soll gezeigt werden, daß Gegensätze, vor allem die zwischen Rußland und Hannover—England, sehr deutlich in Mecklenburg in Erscheinung traten, das für sich genommen keine Rolle in der großen Politik spielen konnte. Die Macht des Kaisers und die ihm gegebenen Möglichkeiten, in die Reichsangelegenheiten eingreifen zu können, stellen eine zweite Frage dar, die behandelt werden muß; denn gerade in Mecklenburg gelang es dem Kaiser mit dem Reichshof rat, seine Autorität sowohl durch die Besetzung des Landes durch hannoversche Truppen (1719) als auch durch die Absetzung des Herzogs Carl Leopold 1728 voll zur Geltung zu bringen. Die Besetzung Mecklenburgs durch fremde Truppen und die kaiserliche Kommissionsregierung, die neben der fürstlichen Regierung wirkte, führten zu einer besonderen Situation im Lande. Ihre Auswirkungen auf die Klassensituation müssen eingehend untersucht werden, um die sich bis zu bewaffneten Auseinandersetzungen steigernden Klassengegensätze und die Befolgung des allgemeinen Landesaufgebots 1733 zu verstehen. Bei der Darstellung und Einschätzung des Landesaufgebots soll vor allem untersucht werden, ob es sich dabei um einen Aufstand mit revolutionärer Zielsetzung, etwa vergleichbar mit dem Großen Deutschen Bauernkrieg von 1525, gehandelt hat und ob von den Beteiligten revolutionäre Maßnahmen, gestützt auf eine bürgerliche Ideologie, erstrebt wurden. Die Bemühungen des Herzogs, seine Herrschaft wiederzuerlangen, die im Landesaufgebot ihren Höhepunkt fanden, spiegelten sich auch in zahlreichen diplomatischen Intrigen zwischen den Großmächten wider. Es dürfen deshalb auch die Verhandlungen Mecklenburgs mit Frankreich, Schweden und Rußland nicht außer acht gelassen werden. Allein schon aus diesen Verhandlungen gewinnt man ein eindrucksvolles Bild der abenteuerlichen Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts.

Einleitung

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Naturgemäß befassen sich die Hauptuntersuchungen mit der inneren Auseinandersetzung zwischen Adel und Herzog mit ihren Verbündeten. Dabei muß geklärt werden, warum die Stadt Rostock mit dem Adel zusammenging und was die Bürger der Landstädte, die Geistlichkeit und die Bauern bewog, zum Herzog zu halten. Gleichzeitig aber soll herausgestellt werden, daß der Herzog nicht beabsichtigte, den Adel etwa zugunsten von Bürgern und Bauern zu vernichten. Das brutale Vorgehen des Herzogs gegen den Adel und die Stadt Rostock sowie die Begünstigung der Bürger und besonders der Bauern entsprang lediglich der damaligen Situation und war nur taktischer und nicht grundsätzlicher Natur. Trotzdem stärkte diese Haltung des Landesherrn die unterdrückten Klassen in ihrem Kampf gegen ihre Ausbeuter und hätte bei Behauptung des Absolutismus in Mecklenburg für einige Zeit eine schnellere Entwicklung der Produktivkräfte wahrscheinlich gemacht. Alle Akten, in denen sich die Auseinandersetzung zwischen dem Landesherrn und seinen Landständen widerspiegelt, sind erhalten. Eine gute Ergänzung stellen die Kommissionsakten aus Hannover und Wolfenbüttel dar. Viele der archivalischen Quellen müssen sehr kritisch betrachtet werden, da beide einander gegenüberstehende Parteien in ihren Berichten an den Kaiser oder an den Reichstag zu Übertreibungen neigten, um ihren Standpunkten einen größeren Nachdruck zu verleihen. Das gilt besonders auch für die zahlreichen Beschwerden der Ritterschaft bei der kaiserlichen Kommission. Ebenfalls müssen die Protokolle von Verhören im Zusammenhang mit dem Landesaufgebot von 1733 kritisch beurteilt werden, da die Arretierten, um milde bestraft zu werden, vieles verschwiegen oder bagatellisierten. In dem Bestreben, auf die öffentliche Meinung einzuwirken, bedienten sich sowohl der Herzog als auch die Ritterschaft sehr häufig des Mittels der Publikation. So liegt neben dem handschriftlichen Archivmaterial ein sehr großer Teil der Akten in zeitgenössischen Drucken vor. Eines der wichtigsten Werke aus jener Zeit ist der „Höchstgemüßigte actenmäßige Bericht", der die Jahre 1713 bis 1719 umfaßt und von dem ritterschaftlichen Rechtskonsulenten Dr. Scheve verfaßt wurde. Während der Text als einseitige Darstellung im Sinne des Adels anzusehen ist, sind die „Beylagen" eine wertvolle Quellensammlung, die allerdings, dem Charakter des Werkes entsprechend, etwas einseitig ausgewählt sind. Von den zeitgenössischen Historikern sind Johann Henrich Klüver und David Franck die bedeutendsten, deren Werke auch heute noch viel benutzt werden. Besonders Klüvers Werk, das von Band IV an nach Klüvers Tod von dem Hofrat Jargow weitergeführt und herausgegeben wurde, zeigt eine Tendenz, die mehr im Sinne der Politik des Herzogs liegt. Allerdings wird häufig eine eigene Stellungnahme durch den Abdruck von Akten umgangen. Franck hält sich bei der Schilderung der Jahre 1713 bis 1719 sehr unkritisch an den obengenannten „Actenmäßigen Bericht", der durch Nachrichten über die Landstände und die Geistlichkeit ergänzt

10

Einleitung

ist. In diesem Teil seines Werkes nimmt er ganz einseitig Partei für die Ritterschaft. 4 Der besondere Wert des Franckschen Werkes besteht, vornehmlich für die Jahre 1719 bis 1733, in einer gründlichen und detaillierten Darstellung der Politik der kleinen Landstädte. Alle anderen historischen Darstellungen des 18. Jahrhunderts benutzen neben den Quellenpublikationen meistens das Werk von Klüver, sind aber noch durch eigene Erinnerungen der Verfasser ergänzt. 5 Diese Arbeiten sind nicht sehr ausführlich und häufig in Einzelheiten ungenau. Sie nehmen in dem Streit eine unterschiedliche Stellung ein.6 Erwähnt werden müssen noch die „Acht Bücher der Mecklenburgischen Geschichte" von Matthias Johannes von Behr, dem ritterschaftlichen Beauftragten in Wien. Dieses lateinisch geschriebene Werk wurde auf Veranlassung Bernstorffs verfaßt 7 und legt natürlich besonderen Nachdruck auf eine Darstellung der Privilegien der Ritterschaft. Im 19. Jahrhundert beschäftigte sich der Schweriner Archivrat Lisch viel mit der Zeit Carl Leopolds und veröffentlichte eine Reihe Beiträge. Man muß Lisch ebenso wie Ernst Boll und Julius Wiggers zu Mecklenburgs fortschrittlichen Männern des Bü rgertums rechnen, die ihre großen Verdienste haben. Doch sind ihrer Geschichtsschreibung klare Grenzen gesetzt. Das zeigt sich in ihrem unhistorischen Herangehen an die Ereignisse: in der Gleichsetzung der mecklenburgischen Ständevertretung mit einer bürgerlich-parlamentarischen Vertretung. Besonders auf Grund der Lischschen Studien kamen aber die beiden letztgenannten zu einer negativen Einschätzung des Herzogs und gleichzeitig auch seiner Maßnahmen. Diese Einschätzung von Lisch, Boll, Wiggers und anderen, wie zum Beispiel Vitense, zusammen mit dem immer noch viel benutzten Werk Francks lassen teilweise bis heute die Maßnahmen Carl Leopolds in den Jahren 1713 bis 1719 und auch später in einem zu dunklen Lichte erscheinen. Bei der scharfen Verurteilung des Herzogs Carl Leopold mußten diese liberalen Historiker, wenn auch unabsichtlich, zu einer Einstellung kommen, die auf eine Verteidigung der ständischen Libertät und damit des mecklenburgischen Adels hinauslief, auch wenn der Adel sonst, wie beispielsweise bei Boll, scharf verurteilt wird. 8 Diese Historiker sahen nicht, daß der mecklenburgische Herzog unbewußt und trotz charakterlicher Schwächen durch die Stärkung von Bürgern und Bauern und durch seinen Kampf gegen den Adel objektiv dem Fortschritt diente. Daß die Unterwerfung Z u r Haltung Francks vgl. die Biographie Francks im Registerband seines Werkes. Franck gehörte zu den wenigen Geistlichen, die sich nicht an der Geldsammlung f ü r den Herzog 1 7 4 7 beteiligten. {Lisch, G. C. F., Herzog Carl Leopold und die Geistlichkeit, S. 61.) 5 Beispielsweise die W e r k e v o n A . J . D. Aepinus, S. Buchholtz und die „Genealogischen Nachrichten" v o n M. Ranfft. 6 So sind Aepinus und Buchholtz mehr f ü r den Herzog, während die „Genealogischen Nachrichten" und auch der Staatsrechtler J. J . Moser, der die mecklenburgischen Landstände mit den württembergischen gleichsetzt, gegen den Herzog und proritterschaftlich eingestellt sind. ' Annalen der braunschweigisch-lüneburgischen Kurlande, Bd I, 1787, St. 1, S. 65. 8 V g l . die Einschätzung Carl Leopolds bei Wiggers, S. 6 8 1 — 6 8 2 . {Wiggers, /., Ein mecklenburgischer Landesvater, i n : Im neuen Reich, Leipzig 1875, Nr 45—47.) 4

Einleitung

11

des Adels nicht gelang und der Absolutismus sich in Mecklenburg nicht behauptete, ist nur zu einem geringen Teil dem Charakter und den Maßnahmen des Herzogs zuzuschreiben. Eine günstigere Einschätzung finden wir lediglich in einigen Arbeiten über Einzelprobleme aus der Zeit Carl Leopolds. 9 Aber auch ihre Autoren kamen zu einer verzerrten Beurteilung der Zeit, weil sie von der Person des Herzogs ausgingen und den Kampf der Klassen ignorierten. In den neuesten größeren Arbeiten über das Mecklenburg des 18. Jahrhunderts 10 wird unsere Frage mehr am Rande gestreift. Eine Ausnahme bildet der Aufsatz von Eckermann. 11 Er geht zwar richtig vom Klassenkampf aus, kommt aber bei seiner Abhandlung nicht über eine Untersuchung des Bürgertums hinaus, dessen Stärke er als alleinige Voraussetzung zur Niederwerfung des Adels und damit zur Aufrichtung des Absolutismus ansieht. Natürlich ist das Bürgertum, und besonders das Manufakturbürgertum (das es in Mecklenburg fast nicht gab) ein entscheidender Faktor, aber nicht der alleinige. So muß das Ergebnis des Aufsatzes (weil es den mecklenburgischen Herzögen nicht möglich war, „das Bürgertum als antifeudale Klasse zu stützen und zu fördern" 1 2 , konnte es keinen Absolutismus geben) unbefriedigend bleiben. Dazu kommt noch eine Anzahl sachlicher Ungenauigkeiten. 13 Über die diplomatischen und kriegerischen Aktionen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt es eine Reihe von Arbeiten. In ihnen spielt Mecklenburg als Streitobjekt und Verpflegungsbasis für Truppen immer eine gewisse Rolle, wenn auch die Problematik bisher nicht vom mecklenburgischen Standpunkt aus betrachtet wurde. 1 4 Wilhelmi, Graff, Sperling. Nichtmiß,J., Das Bauernlegen in Mecklenburg, Berlin 1954; Eckermann, W., Die Entwicklung der Wollmanufaktur im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklung Mecklenburgs im 18. Jahrhundert und die Einwirkung der Bützower Hugenottensiedlung auf diesen Prozeß, Berlin 1954, Habil.-Schr., Ms.; Heitz, G., Die sozialökonomische Struktur im ritterschaftlichen Bereich Mecklenburgs, in: Beitr. z. dt. Wirtschafts- u. Sozialgesch, d. 18. u. 19. Jh., Berlin 1961; Steinmann,P ..Bauer und Ritter in Mecklenburg, Schwerin 1960. 11 Eckermann, W., Über die Versuche zur Schaffung des territorialen Absolutismus, in: Wiss. Zeitschr. d. Univ. Greifswald, Jg. 3, 1953/54, S. 181 — 189. Dieser Aufsatz ist ein etwas erweitertes Kapitel aus der Arbeit über die Wollmanufaktur. 18 Eckermann, W., Absolutismus, S. 187. 13 Zum Beispiel sind die Darstellung der Politik Christians I. Louis (S. 184), die Einschätzung der auswärtigen Truppenkontingente und die Darstellung der kaiserlichen Exekution (S. 185) fehlerhaft. Völlig falsch erscheint der Einfluß der Hugenotten auf die Zahl der herzoglichen Truppen (S. 185). Ungenau sind die Angaben über Carl Leopold. Der Herzog stützte sich auf das gesamte Bürgertum. Eine Ausnahme bildete Rostock. In dieser Stadt ging der Herzog gegen Patriziat und Bürgerschaft vor. Einen „Engeren Rat" gab es nicht. Nicht nur die Junker, sondern auch die hannover-englischen Diplomaten erreichten die Reichsexekution (S. 185) usw. 14 Eine Ausnahme bildet Ballscbmieter, H.-J., Andreas Gottlieb von Bernstorff und der mecklenburgische Ständekampf (1680 — 1720), Köln/Graz 1962. In dieser Arbeit, die ich erst nach Abschluß meines Manuskriptes bekam, wurden besonders Akten aus dem Bernstorffschen Hausarchiv ausgewertet. 9

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Einleitung

Zu diesen Arbeiten zählen zum Beispiel das preisgekrönte marxistische Werk des sowjetischen Historikers Nikiforov 15 , das durch die Auswertung russischer Aktenbestände eine Lücke ausfüllte; das Werk von Chance16, der eine Auswertung englischer, hannoverscher und gedruckter russischer Quellen vorgenommen hat; die preußische Geschichte von Droysen17, der aber bei seinem bekannten borussophilen Standpunkt häufig zu einseitiger Darstellung neigt, sowie die Arbeiten von Naumann 18 und von Mediger 19 , um einige der Spezialarbeiten zu nennen. Alle genannten Werke bringen viel Quellenmaterial, aber sie ignorieren mit Ausnahme Nikiforovs den Kampf der Klassen untereinander und gehen von der Tätigkeit von Einzelpersonen aus. Nikiforov, L. A., Russisch-englische Beziehungen unter Peter I. (Übersetzung), Weimar 1954. Leider fehlt eine Literaturangabe, und es kommen Ungenauigkeiten bei Daten v o r . 18 Chance, J. F., Georg I and the Northern war, London 1909. " Droysen, J. G., Preußische Politik, Bd IV/2, 3, Leipzig 1869. 18 Naumann, M., Österreich, England und das Reich 1 7 1 9 — 1 7 3 2 , in: Neue deutsche Forschungen, A b t . Neuere Geschichte, Bd III, Berlin 1936. 19 Mediger, W., Rußlands W e g nach Europa, Braunschweig 1952. 15

KAPITEL I

Die Lage der Klassen in Mecklenburg am Anfang des 18. Jahrhunderts

1. Der Feudaladel Da sich die vorhandene Literatur vorwiegend mit der Person des Herzogs Carl Leopold beschäftigt, blieben die treibenden Kräfte bei der historischen Entwicklung Mecklenburgs weitgehend unberücksichtigt. Zum besseren Verständnis der harten Auseinandersetzungen, die sich in Mecklenburg innerhalb der Feudalgesellschaft abspielten, ist deshalb zunächst eine Darlegung der Klassensituation erforderlich. Von den Klassen in Mecklenburg war der Feudaladel (auch Ritterschaft genannt) zwar die kleinste, aber mit weitem Abstand mächtigste Klasse. In der Hand der Ritterschaft befanden sich etwa 500 bis 600 Güter mit den dazugehörigen Dörfern1, während der Herzog über etwa 250 bis 300 Güter mit den dazugehörigen Dörfern verfügen konnte.2 Trotz der doppelten Anzahl von Gütern in seinem Besitz hatte der Adel nach dem Kataster von 1702 nur 5134*/4 Hufen gegenüber 6006 Hufen des Domaniums zu versteuern. Die Ritter waren keine Feudalherren mehr wie zur Zeit der Naturalwirtschaft. Seit dem Dreißigjährigen Krieg und schon vorher kam es ihnen darauf an, höhere Erträge zu erzielen, um einerseits ihre Klassenherrschaft zu sichern und andererseits die Konjunkturen, die durch die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen gegeben waren, auszunutzen. Um höhere Erträge zu erzielen, waren höhere Leistungen der Bauern notwendig. Daher rührte das Bestreben, die zweite Leibeigenschaft durchzusetzen und zu legitimieren. Außerdem gehörten zu einer Großproduktion von Getreide und Vieh große landwirtschaftliche Nutzflächen. Solche Nutzflächen konnten sich die Gutsherren durch Vertreibung der Bauern von ihren Äckern verschaffen. Eine Vertreibung der Bauern fand vor allem im 18. Jahrhundert statt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war das Land so entvölkert, daß Bauern angesiedelt wurden, um Arbeitskräfte zu bekommen. Dieses auf Kosten des Bauernlandes vergrößerte Hofland wurde von den wenigen leibeigenen Bauern mit erhöhten Frondiensten und von leibeigenen Tagelöhnern bearbeitet.3 1 2

3

LHA Schwerin, Catastra und Verzeichnisse der adeligen Güter, Vol. II, 18. Jh. Nach einer Liste aus: LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. III, vom Jahre 1733. Erst nach Abschluß des Manuskriptes hatte ich die Möglichkeit, die gründliche Arbeit von G. Heitz (Die sozialökonomische Struktur im ritterschaftlichen Bereich Mecklenburgs) in den Druckfahnen einzusehen. Heitz vertritt in seiner Arbeit überzeugend folgende

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I. Lage der Klassen in Mecklenburg

Die landwirtschaftliche Großproduktion, hauptsächlich von Getreide, im ostelbischen Gebiet stand mit der Herausbildung kapitalistischer Verhältnisse in Westeuropa in einem engen Zusammenhang; denn aus der starken Nachfrage nach Getreide in England und den Niederlanden ergab sich für den ostelbischen Adel ein starker Anreiz, die Nachfrage zu befriedigen. Gleichzeitig konnte er bei den ansteigenden Getreidepreisen seine Schulden liquidieren und seine Luxusbedürfnisse befriedigen. 4 Interessant ist es, daß die Hauptkraft, die zur Weiterentwicklung der Produktivkräfte beitrug, der Adel war. Er führte den Großhandel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Er versuchte seinen Gewinn durch die verschiedensten Maßnahmen zu erhöhen. So schickten die Gutsbesitzer ihre Söhne zum Studium nach England und anderen Ländern. Auf wirtschaftlichem Gebiet übernahmen einige der Gutsherren die in Holstein bewährte Koppelwirtschaft, und man bemühte sich allgemein, die Wollproduktion durch die Einfuhr- von Zuchtböcken zu verbessern. Der Adel mußte schon hierdurch bei seinem Getreidehandel, den er nach Möglichkeit unter Ausschaltung der Kaufleute der Seestädte führen wollte, zwangsläufig in einen Gegensatz zu den Städten geraten, die bisher das Getreidehandelsmonopol innehatten. Im 16. Jahrhundert versuchten der Adel und die mecklenburgischen Herzöge, sich die selbständige Verschiffung und Ausfuhr von Getreide nach Holland anzueignen. Da sie sich gegen die Städte nicht durchzusetzen vermochten, benutzten sie illegale Häfen, die sogenannten Klipphäfen. Doch die Städte unterwarfen sich später und erhielten den Handel zurück, so daß nach dem Dreißigjährigen Krieg die Klipphäfen nicht mehr benutzt wurden. Doch war der Streit mit den Städten nicht beendet. Formal war bis 1708 zwischen

4

These: Es w a r die mecklenburgische Bauernschaft, die nach dem Dreißigjährigen Kriege mit ihrer Arbeitskraft die großen Schäden beseitigte. Dadurch erreichte sie eine solche wirtschaftliche Stellung, daß ein gewisser Differenzierungsprozeß einsetzte. Dieser Umstand veranlaßte den Adel, beginnend etwa um die Jahrhundertwende, eine höhere Rente in Form einer Arbeitsrente zu erpressen. Das Bauernlegen w u r d e nur als Teillegung durchgeführt, das heißt, nur die stärksten Bauern wurden davon betroffen, da es der Feudalherr v o r allem darauf abgesehen hatte, die Differenzierung der Bauernschaft zu stoppen und die Vorherrschaft seiner Klasse zu festigen und weiter auszubauen. M a n kann die Arbeit v o n Heitz als eine A r t Schlußwort in der bereits einige Jahre andauernden Diskussion um die sozialökonomische Struktur im ostelbischen Gebiet der Gutsherrschaft ansehen, einer Diskussion, die 1 9 5 3 und 1 9 5 4 durch einen Aufsatz und das Buch v o n J . Nichtweiß ausgelöst und in zahlreichen Rezensionen und Aufsätzen geführt wurde. Ich habe in meiner Arbeit darauf verzichtet, die unterschiedlichen Auffassungen zu den verschiedenen Fragen zu analysieren. Ich verweise auf die bei Heitz in der obengenannten Arbeit als auch in dem Aufsatz Über den Teilbetriebscharakter der gutsherrlichen Eigenwirtschaft in Scharbow (Mecklenburg) im 17. und 18. Jh. (Ein Beitrag zur Gutsherrschaftsdiskussion), i n : Wiss. Zeitschr. d. Univ. Rostock, Jg. 8, 1958/59, Ges.- u. sprachw. R., S. 2 9 9 — 3 2 0 ) angegebenen Literaturnachweise f ü r die einzelnen Beiträge. Eckermann, Die Entwicklung der Wollmanufaktur , . ., a. a. O., S. 5 0 ; Krause, H., System der landständischen Verfassung Mecklenburgs in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, Rostock 1927, S. 185.

1. Feudaladel

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Städten und Ritterschaft eine Union vorhanden, aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwischen beiden Partnern der Union schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten bestanden. Vor allem fühlten sich die Städte (unter denen Rostock mit seiner engen Verbindung zum Adel eine Ausnahme bildete) bei der Aufbringung der Steuern benachteiligt, da die Ritter selbst Steuerfreiheit besaßen und nur für ihre Bauernhufen Zahlungen zu leisten hatten (die die betreffenden Inhaber entrichten mußten). Als die Städte im Jahre 1708 die Union mit der Ritterschaft auflösten 5 , erweiterte der Adel seine gegen die kleinen Städte gerichteten Maßnahmen, die vorwiegend in der Umgehung städtischer Privilegien bestanden. Es wurde Bier auf dem Lande gebraut, und Handwerkszweige, die bis dahin den Städten vorbehalten waren, konnten nun auf Gutsland gedeihen. Dadurch trug der Adel in einem gewissen, wenn auch geringen Maße zur Durchlöcherung der mittelalterlichen Zunftverfassung bei, indem Handwerker unzünftig auf dem Lande arbeiten konnten. 6 Auf diese Weise war der Adel in gewisser Hinsicht daran beteiligt, durch eine Förderung von Produktivkräften bei der landwirtschaftlichen Produktion für den Export und durch sein Vorgehen gegen die Städte mit ihren Zünften die Herausbildung kapitalistischer Elemente zu begünstigen. Doch andererseits bestand er mit Nachdruck auf der Beibehaltung der Leibeigenschaft der Bauern und beharrte auf seinen zahlreichen feudalen Privilegien. So muß der Adel trotz des Vorhandenseins gewisser kapitalistischer Elemente ganz klar als Feudaladel bezeichnet werden, der als herrschende Klasse mit allen Mitteln seine Position zu behaupten versuchte. Durch die Exportgeschäfte, die die Ritter auf Grund ihrer schmutzigen Praxis des Bauernlegens und der Erhöhung der Frondienste tätigen konnten, erhielten sie den nötigen finanziellen Rückhalt, um ihren Kampf um Unabhängigkeit gegen den Herzog beim Reichshofrat und anderen Instanzen führen zu können. Aber nicht nur dazu brauchten sie ihr Geld; diese Mittel dienten auch dazu, sich direkt Rechte zu erkaufen. So übernahmen die Landstände, das heißt hauptsächlich die Ritterschaft, zweimal die sehr stark angewachsenen Schulden ihrer regierenden Herren. Im Jahre 1572 waren es 400000 fl., wofür die sogenannten Reversalen erteilt wurden. 7 Diese Privilegien wurden noch erweitert und präzisiert durch die Reversalen von 1621, die die Stände für die Übernahme von 1000000 fl. Schuldenlast erkauften. Diese Reversalen ließen sich Ritter- und Landschaft 1626 von Kaiser Ferdinand II. bestätigen. Beide Privilegienerteilungen bildeten die Grundlage für alle Forderungen 5 6

7

Siehe dazu S. 18. Heitz (Die sozialökonomische Struktur . . ., S. 41) glaubt auf Grund seiner Untersuchungen für 1703, daß auf dem Lande kein Platz für unzünftig arbeitende Handwerker gewesen sei und somit keine Konkurrenz für das städtische Handwerk bestanden habe. Es habe keinen Anreiz für die Übersiedlung von Handwerkern auf das Land gegeben. Demgegenüber stehen aber die heftigen Klagen der Landstädte gegen den Adel, die bei dem Vergleich von 1708 eine Rolle gespielt haben und die besonders in der Protestschrift der Stadt Schwerin aus dem Jahre 1722 zum Ausdruck kommen (vgl. S. 155/156). Buchholtz, S., Versuch einer Geschichte des Herzogthums Mecklenburg, Rostock 1753, S. 433-434.

16

I. L a g e der Klassen in Mecklenburg

und alle Beschwerden der Ritterschaft; denn die Landschaft (die Landstädte) war weniger bedeutend und schied 1708 mit Ausnahme Rostocks aus der Union mit der Ritterschaft aus, als sie ein Sonderabkommen mit dem Herzog einging. Welches waren nun die Hauptprivilegien des Adels? Alle Privilegien waren durch altes Herkommen oder durch die genannten Reversalen verankert. Ein wichtiges Recht war das an den Grundbesitz gebundene Recht der Landstandschaft, das heißt das Recht, an allen Landtagen teilnehmen zu können.8 Die wichtigsten Funktionen der Landstände auf den Landtagen waren: Gesetze und Ordnungen auszuarbeiten oder daran mitzuwirken und diesen zuzustimmen; die von den Herzögen geforderte Kontribution zu bewilligen, den modus contribuendi festzusetzen, das Geld im sogenannten Landkasten zu verwalten und darüber zu verfügen; die Landräte vorzuschlagen und zu wählen; Landesbeschwerden (Gravamina) zu überreichen. Seit 1623 bestand auch der engere Ausschuß, der sich aus Deputierten der Ritterund Landschaft zusammensetzte. Ursprünglich war er nur ins Leben gerufen, um die Schuldentilgung für die Herzöge zu überwachen. Aber er war allmählich zu einer Dauereinrichtung geworden, da die Schuldentilgung jahrzehntelang dauerte. Er führte die Geschäfte von Ritter- und Landschaft zwischen den Landtagen und wachte darüber, daß „denen Ritter- und Landschafftl. Gerechtsahmen nicht praejudiziret werde". 9 In dem engeren Ausschuß gab fast ausschließlich die Ritterschaft den Ton an. Eine sehr starke Stütze für die Ritterschaft war die 1523 erstmalig geschlossene und später erneuerte Union der mecklenburgischen Ritter- und Landschaft.10 Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen bei jeder Landesteilung auch die Stände mit geteilt wurden, blieben die Landstände in Mecklenburg trotz zweier Herzöge zusammen und trafen sich jährlich auf gemeinsamen Landtagen in Malchin bzw. Sternberg — allerdings nicht in den Jahren 1702 bis 1721. Von dieser Union hatten sich im Laufe der Zeit nur der Bischof von Schwerin, die Stadt Wismar und die zum schwedischen Gebiet gehörenden Ritter (seit 1648), die Landstädte des Schweriner Teils (1708) und die Stadt Rostock (1716) getrennt.11 Ein weiteres Privileg der Ritterschaft war es, wenn sie verschuldet war, ihre Lehngüter versetzen oder verpfänden zu dürfen. Eines der wichtigsten Vorrechte der Ritterschaft aber blieb die Befreiung von allen Zöllen, Lizenzen, Damm-, Brücken- und Wegegeldern. Das erstreckte sich auf alle ein- und auszuführenden Lebensmittel, zum Beispiel Korn und Vieh. In diese Vergünstigungen waren auch die Pensionarien der Ritter einbezogen. Auch die Freiheit von aller Kontribution und Einquartierung gehörte zu den Privilegien des Adels, ein Umstand, der besonders in dem behandelten Zeitabschnitt eine Rolle spielte. 8

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11

Klüver, H. H., Beschreibung des Hertzogthums Mecklenburg und dazu gehöriger Länder, B d I - V I , H a m b u r g 1 7 3 7 - 1 7 4 2 , S. 489ff. Klüver,H.H., a. a. O . , B d I, S. 507. V g l . Spangenberg, H., V o m Lehnsstaat zum Ständestaat, München/Berlin 1912, S. 158— 166. Klüver,H.H., a. a. O . , B d I, S. 5 2 2 - 5 2 3 .

1. Feudaladel

17

1621 erlangten die Ritter im § 16 der Reversalen auch die völlige Gewalt über die mecklenburgische Bauernschaft.12 Durch diesen Artikel wurden die Bauern zu Zeitpächtern erklärt, wenn sie kein erbliches Leiherecht an ihren Hufen nachweisen konnten. Da ein solcher Nachweis nicht möglich war, hatte der Adel praktisch das Recht, die Bauern beliebig zu legen. Aus allem oben Gesagten geht eindeutig hervor, über was für eine mächtige Stellung der mecklenburgische Adel verfügte. Er war natürlich nicht gewillt, diese Stellung aufzugeben oder auch nur auf einen Teil seiner Privilegien zu verzichten. Der Adel war gleichmäßig über ganz Mecklenburg verteilt. Oft waren mehrere Güter in einer Hand (z. B. bei Bernstorff), deren Besitzer dann eine besonders wichtige Rolle bei der Ritterschaft spielten. Alle Adligen hielten stets zusammen (im Gegensatz zum Bürgertum) und unterwarfen sich der Leitung des engeren Ausschusses, der ihre Belange vertrat. Die Klasse des Adels strebte danach, den bestehenden Zustand einer faktisch dezentralisierten Herrschaft der Ritter ohne wesentlichen Einfluß der Herzöge gegenüber allen Bemühungen der Landesherren, absolut zu regieren, aufrechtzuerhalten. Diese Versuche des Adels hatten die Verhinderung einer starken Zentralgewalt, der Entwicklung von Manufakturen und eines großen Binnenmarktes zum Inhalt; dagegen erforderten sie die Beibehaltung der Leibeigenschaft der Bauern. Der Herzog wurde nur als ein gleichberechtigter Adliger angesehen, wenn auch in allen Schriftstücken der Jahre 1713 bis 1720 Respekt und Verehrung zum Ausdruck kommen.13 2. Das Bürgertum Wenden wir uns nun dem Bürgertum Mecklenburgs in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts zu. Man muß in Mecklenburg zwischen den Bürgern von Rostock und denen der mecklenburgischen Landstädte mit ihren Vorderstädten Güstrow, Parchim und Schwerin unterscheiden. Doch das Bürgertum war durchaus in sich differenziert. Man kann deutlich vier verschiedene Schichten erkennen. Den größten Einfluß besaßen zweifelsohne die handeltreibenden Patrizier, die meistens in Rostock wohnten und dort im Rat saßen. Sie trieben Fernhandel mit den fortgeschrittenen westeuropäischen Ländern und exportierten dorthin die in Mecklenburg aufgekauften Rohstoffe, während sie dafür Fertigwaren importierten. Die große Masse des Bürgertums bestand aus kleinen Handwerkern, die als kleine Warenproduzenten ihr Leben fristeten und auf den Jahrmärkten ihre Waren feilboten. Sie waren meistens den reaktionären, feudalen Zunftbestimmungen unterworfen. Von einem Manufakturbürgertum, der dritten Schicht, kann man in Mecklenburg kaum sprechen. Es war zahlenmäßig sehr gering und hatte einen sehr schweren Nichtweiß,/., a.a.O., S. 55ff. Dort auch weitere Literatur. Der §16 ist abgedruckt ebenda, S. 59. 13 • Sogar in der Zeit der absoluten Herrschaft Carl Leopolds ging man nicht davon ab. Vgl. Schreiben des engeren Ausschusses an den Herzog vom 6. Mai 1718, in: Beylagen, Nr 647. 12

2

Wiek, Absolutismus

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I. Lage der Klassen in Mecklenburg

Stand gegenüber den anderen Schichten des Bürgertums und gegenüber' dem Adel, dessen Stärke auf der feudalen Ausbeutung beruhte. Als vierte Schicht müssen die Geistlichkeit und Intelligenz (Advokaten usw.) bezeichnet werden. Der Klerus war eng mit dem Landesherrn als seinem „summus episcopus" verbunden und stand häufig in scharfer Auseinandersetzung mit den einzelnen Kirchenpatronen, die Mitglieder des Adels waren. Die Landstädte hatten die seit 1523 bestehende Union mit der Ritterschaft im Jahre 1708 aufgehoben, als es dem Herzog Friedrich Wilhelm gelungen war, sie durch eine neue „Consumptions- und Steuer-Ordnung" 14 für sich zu gewinnen. Im einzelnen wurde in dem Vertrag von 1708 festgesetzt, daß der Herzog die jährliche Kontribution der Bürger übernahm. Dafür zahlten die Städte die in der Steuerordnung festgesetzten Summen in den fürstlichen Kriegskasten und nicht in den Landkasten. Außerdem wurden noch einige Sondervergünstigungen gewährt, wie zum Beispiel Erlaß von 1/10 der abzuliefernden Summe zur Tilgung der Stadtschulden, von 1/20 zur Besoldung der Lizenzbedienten, eine Summe für sich neu ansiedelnde Bürger, ein Zuschuß zum Königsschuß und das Versprechen, die bürgerliche Nahrung (Maltzen, Bierbrauen, Branntweinbrennen und den Ausschank auf dem Lande sowie den Schutz des städtischen Handwerks) wiederherzustellen.15 Dadurch konnte der Herzog die ritterschaftliche Opposition gegen den Schweriner Vergleich von 1701, der die Gesamtkontributionssumme der Stände auf 120000 Rthl. festgesetzt hatte, etwas schwächen. Die Bürger hatten ebenso ein Interesse an dem Schutz des Herzogs gegen die Machenschaften des Adels, der sich nicht oder nur wenig um die Privilegien der Städte kümmerte und verschiedene Handwerkszweige und Brauereien auf dem Lande als Konkurrenz für die städtischen Handwerker und Brauer duldete oder sogar förderte. Die Städte mußten vor dem Vergleich von 1708 ihre Steuern nach dem sogenannten Erbenmodus aufbringen, der für sie sehr ungünstig war, da ein Erbe, das sind Immobilien, etwa doppelt so hoch wie eine Hufe veranschlagt wurde. 1702 mußte die Kontribution für 3747 1/g Erben aufgebracht werden.16 Rostock dagegen entsagte nicht der Union mit dem Adel, da die Rostocker Kaufleute für den Export auf die Erzeugnisse der Rittergüter angewiesen waren. Das schloß jedoch nicht aus, daß es Differenzen zwischen Rostock und der Ritterschaft gab, beispielsweise in puncto Zollfreiheit des Adels. Aber in entscheidenden Situationen, mit denen wir uns später auseinandersetzen werden, stand Rostock treu der Ritterschaft zur Seite. In den Landstädten waren die Bürger meistens Handwerker. Aber diese Handwerker betrieben fast alle noch nebenbei Landwirtschaft, die einen großen- Teil ihrer Arbeitskraft in Anspruch nahm. Dazu kam noch, daß die Ausbildung der Lehrlinge nicht die beste war, da diese meistens für Hausarbeiten eingesetzt und nicht fachlich ge14

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18

Abgedruckt bei Klüver, H. H., a. a. O., Bd I V , S. 21 ff. Klein, J. v., Fortsetzung des J o h . Friderich v. Chemnitz Historisch-Genealogischen Nachrichten aller Mecklenburgischen Regenten bis aufs Jahr 1722, Frankfurt/Leipzig 1749, S. 4 8 - 4 9 . L H A Schwerin, Catastra und Verzeichnisse, a. a. O.

2. Bürgertum

19

fördert wurden. Die ein- bis zweijährige Wanderung der Gesellen führte auch nur selten über Mecklenburgs Grenzen hinaus, so daß die Handwerker dabei ihre Fähigkeiten kaum bereichern konnten. Die Arbeit dieser Handwerker war teuer und qualitativ schlechter als die fremder Handwerker, die ihre Erzeugnisse auf den Märkten anboten.17 Nicht besser sah es in den mecklenburgischen Manufakturen aus, die gelegentlich im 17. und 18. Jahrhundert gegründet wurden. Die wichtigsten manufakturellen Betriebe befaßten sich mit der Salzgewinnung in Sülze und der Eisenproduktion im Südwesten Mecklenburgs. 18 Dazukamen dann noch ein Alaunwerk bei Eldena, das vielleicht mit einem Eisenwerk verbunden war, ein Kupfer- und Messingwerk bei Neustadt, Pulvermühlen, Papier-, Walk-, Säge- und Ölmühlen.19 Auch einige Glashütten gab es in waldreichen Gegenden. Alle diese Betriebe konnten sich auf die Dauer nicht halten. Eine Ausnahme bildete die Salzgewinnung in Sülze. Deshalb vermochten die Besitzer oder Pächter der Manufakturbetriebe keinen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, daß sich der Landesherr gegenüber dem Adel durchsetzen konnte. Der Herzog Friedrich Wilhelm erkannte dies wohl und versuchte, wie viele Fürsten jener Zeit, das Manufakturwesen durch Heranziehung von ausländischen Facharbeitern in Gang zu bringen. 20 Das ist als progressive Handlung, die zur Entwicklung der Produktivkräfte führen konnte, zu bewerten. 1698 wurde ein Vertrag mit einem Kaufmann Salomon Jordan über die Ansiedlung von Franzosen in Bützow geschlossen. Es waren alles Réfugiés, die nicht direkt aus Frankreich kamen, sondern in einigen Städten, wohin sie von Frankreich gezogen waren, angeworben wurden. Fast alle übten ein Handwerk aus, das mit der Textilverarbeitung zu tun hatte (Zeug- und Raschweber, Etaminmacher, Wollkämmer, Hut- und Strumpfmacher). 1703 wurde ein weiterer Vertrag mit Hamburger Kaufleuten geschlossen, die französische Familien, die Wolle verarbeiten konnten, ins Land führen sollten. In beiden Verträgen waren für die Einwanderer große Vergünstigungen festgelegt, wie eine Geldzahlung, Mietfreiheit, Steuerfreiheit, Zollfreiheit und natürlich freie Religionsausübung. Ebenso wurden deutsche Tuchmacher unter den gleichen Bedingungen außer in Bützow auch in Schwerin und Warin angesiedelt. Es gelang aber nicht, 17

18

19

20

2*

Nugent, Th., Reisen durch Deutschland und vorzüglich durch Mecklenburg, Bd I u. II, Stettin 1781, S. 1 1 2 - 1 1 3 . Lisch, G. C. F., Geschichte der Eisengewinnung in Mecklenburg aus inländischem Rasenerz, in: Jb. d. Vereins f. mecklenb. Gesch., Bd VII, 1842, S. 52. Rudioff, F. A. v., Pragmatisches Handbuch der mecklenburgischen Geschichte, Bd. 3, 2, Rostock/Schwerin 1822, S. 167. Die neueste Arbeit zu diesem Problem ist die gründliche Untersuchung von Eckermann (Die Entwicklung der Wollmanufaktur. . .). Eckermann gibt einen umfassenden Überblick über die Veränderungen der sozial-ökonomischen Struktur Mecklenburgs im 18. Jahrhundert und stellt das Problem der wirtschaftlichen Auswirkungen der Hugenottenansiedlung auf die mecklenburgische Wollproduktion in den Mittelpunkt seiner Forschung. Doch nur damit geht Eckermann über die ältere Arbeit v o n Stieda hinaus. Insgesamt mißt Eckermann meines Erachtens dem Wirken und Einfluß der Hugenotten eine zu große Bedeutung bei. ( Stieda, W., Eine Hugenotten-Kolonie, in: Jb. d. Vereins f. mecklenb. Gesch. Bd 61, 1896, S. 8 1 - 1 6 5 . )

20

I. Lage der Klassen in Mecklenburg

einen blühenden Manufakturbetrieb zu schaffen21, da die Erzeugnisse der französischen Ansiedlung nicht abgesetzt werden konnten. Kein Verleger oder Unternehmer wollte die Handwerker für sich arbeiten lassen und den Vertrieb der Waren übernehmen. Als der Herzog selbst die Waren aufkaufte und in Schwerin dafür ein Magazin einrichten ließ, konnte auch er keine Käufer finden. So war es kein Wunder, daß sich die Réfugiés anderen Erwerbszweigen zuwandten oder wieder abwanderten. Schon 1707 beschäftigte sich etwa ein Drittel der Kolonisten mit Tabakbau. Dieser Anbau von Tabak hielt sich einige Jahre, um dann der immer stärker werdenden Konkurrenz, die sich bei den ersten Erfolgen einstellte, zum Opfer zu fallen. Wenn man sich fragt, warum in Mecklenburg das Manufakturwesen eine so kümmerliche Rolle spielte und sich das Bürgertum im allgemeinen als schwach erwies, so ist festzustellen, daß der Zunftzwang eine großzügige Entwicklung der Industriezweige durch Auswanderung auf das vom Zunftzwang freie Land verhinderte und die in Mecklenburg ausgebildete Leibeigenschaft den notwendigen Zuzug von Arbeitskräften unmöglich machte, da bei der landwirtschaftlichen Großproduktion des Adels für den Export alle Arbeitskräfte benötigt wurden. 22 Der Adel hatte durch seine Gewinne beim Export die Macht, sich gegenüber dem Bürgertum durchzusetzen. Das zeigte sich beispielsweise darin, daß in die Stadt entlaufene Gutsuntertanen ausgeliefert werden mußten.23 Neben diesen beiden Hauptgründen, Zunftbestimmungen und Leibeigenschaft, gab es noch eine Reihe anderer Gründe für die schwache manufaktureile Entwicklung. Die auf dem Lande erzeugten Rohmaterialien, zum Beispiel Wolle und Flachs, waren von geringer Qualität, so daß sich eine Verarbeitung kaum lohnte. Eine bäuerliche Hausindustrie für den Markt wie in anderen Ländern ist nicht nachweisbar. Es fanden sich keine Geldgeber zur Einrichtung von Manufakturen, da einheimische und auswärtige Bürger ihr Geld lieber in Landbesitz anlegten. Wie schon oben gesagt, war die auswärtige Ware der einheimischen an Billigkeit und Qualität überlegen. Und ein sehr wichtiger Grund war das Fehlen einer Staatsmacht, die Manufakturen einrichtete, unterhielt und für Arbeitskräfte sorgte. Ein Niederhalten des Adels war nur mit Hilfe eines starken Bürgertums möglich. Deshalb war der Herzog Friedrich Wilhelm auch emsig bestrebt, diese Klasse zu fördern und zu stärken. Aber trotz Steuervergünstigungen und Anwerbung von ausländischen Facharbeitern hatte er bei seinem Kampf mit dem eingesessenen Adel kein Glück. Es gelang ihm nicht, entscheidende Maßnahmen zur Stärkung des Bürgertums durchzusetzen. Das lag natürlich an den bereits angeführten Gründen, aber von Seiten des Herzogs vor allem an der schwachen Zentralgewalt. Diese Zentralgewalt war nicht in der Lage, die Städte vor dem Zugriff des Adels zu schützen. Ferner war es dem Landesherrn unmöglich, den Städten in Notzeiten finanzielle Hilfe zukommen zu lassen. So war die Situation für den Herzog ein circulus vitiosus : 21

22 23

Eine Ausnahme bildete der Hugenotte Vial, der als Manufakturist ungefähr v o n 1 7 1 0 bis 1 7 1 5 in Bützow tätig war. V g l . Eckermann, W., Die Entwicklung der Wollmanufaktur . . ., a. a. O., S. 1 5 1 . Marx/Engels, Briefwechsel I V , S. 6 9 2 ; Nichtmiß,/., a. a. O., S. 26. Erbvertrag mit Rostock v o n 1584, § 1 1 0 (s. Klüver, H. H., a. a. O., Bd II, S. 475.)

21

2. Bürgertum

Um selbst stark zu werden, brauchte er ein starkes Bürgertum — aber um ein starkes Bürgertum zu schaffen, mußte er selbst mächtig sein. Zur Schwäche des Bürgertums trug auch bei, daß die größte und mächtigste mecklenburgische Stadt, nämlich Rostock, nicht zu den anderen Städten und zum Herzog hielt, sondern ihre Politik in enger Zusammenarbeit mit dem Adel trieb. Für Rostock gilt das gleiche, was über das übrige Mecklenburg gesagt wurde, aber der Handel, der von Rostocks Handelspatriziat betrieben wurde, brachte trotz hoher Einbußen, von denen noch zu sprechen sein wird, immer noch so viel ein, daß Rostock in Mecklenburg eine Sonderstellung einnahm. Dazukamen noch eine Anzahl Privilegien, die Rostock in früheren Jahrhunderten zugebilligt worden waren, wie das jus accisarum 24 , das jus praesidii und das jus venerationis (das Akzise-, Besatzungs- und Jagdrecht), um die wichtigsten zu nennen. In Rostock lebte immer noch etwas vom Geist der alten Hanse, der es der Stadt verbot, sich voll und ganz unter die Souveränität der Herzöge zu begeben. Die Ratsherren von Rostock glaubten, unter solchen Umständen ein besseres Leben führen und einen höheren Wohlstand erreichen zu können, als unter der Herrschaft des Landesherrn. Auch das war ein Grund für die lang andauernden Auseinandersetzungen mit dem Landesherrn und auch ein Grund für den engen Zusammenhalt mit der Ritterschaft. Beide, Ritterschaft und Rostock, bildeten eine Macht, die ein Herzog allein nicht bezwingen konnte. Dabei wurden die Verhältnisse für Rostock seit dem Dreißigjährigen Krieg laufend schlechter. Neben Wismar war auch der Hafen Warnemünde durch den Westfälischen Frieden in der Hand Schwedens. Da alle Rostocker Schiffe Warnemünde passieren mußten, drückte der von Schweden erhobene Zoll auf Rostocks Umschlaghandel und auch auf die reine Schiffahrt. Denn die Höhe des Zolls betrug etwa 10 bis 20% des Wertes der ein- und ausgehenden Waren und wurde außerdem noch in Form von Schiffsgebühren erhoben.25 Rostock konnte seine günstige Lage zum Sund für den Zwischen- und Stapelhandel nicht mehr ausnutzen, da der Schwedenzoll diese Formen des Handels unrentabel machte. So trat eine erhebliche Verringerung des Schiffsbestandes ein. Für eine Anzahl von Schiffen wurden Lübeck, Stockholm und Danzig zu neuen Heimathäfen. Uber den sinkenden Schiffsbestand gibt folgende Tabelle Auskunft 26 : 1646: 1654: 1672: 1694: 1712: 24

26 26

91 113 79 52 31

Schiffe Schiffe Schiffe Schiffe Schiffe

Die Akzise wurde für alle Waren erhoben, die Rostocks Stadtgrenze passierten. Dazu zählten: eine Abgabe auf das Getreide, das verschifft wurde, ein Warenzoll in Höhe von etwa 3% des Wertes, eine Mahlsteuer und eine Vieh- und Schlachtsteuer. Zusätzlich wurde ein Tor- und Brückengeld erhoben. Diese Rostocker Akzise mußten auch die Ritter trotz ihres Privilegs für Zollfreiheit zahlen. Deshalb importierten sie vielfach über Lübeck oder Preußen. Vgl. Müller, W., Rostocks Seeschiffahrt, Rostock 1930, S. 19—20. Müller, IT., a. a. O., S. 13. Ebenda, S. 14.

22

I. Lage der Klassen in Mecklenburg

Der Anteil Rostocker Schiffe am Sundverkehr verminderte sich zusehends und betrug 1701 nur noch 21 Fahrten, 1705 16 Fahrten und 1710 17 Fahrten. Außerdem hatte Rostock, wie übrigens alle mecklenburgischen Städte, durch den Dreißigjährigen Krieg sehr gelitten. Die Bevölkerung war auf 5000 Einwohner herabgesunken und infolge von Einquartierungen kaiserlicher und schwedischer Truppen verarmt. Dazukam eine Feuersbrunst im Jahre 1677, die die Alt- und Mittelstadt fast völlig vernichtete. Zwei Fünftel der Stadt lagen noch Jahrzehnte eingeäschert. Man begann erst wieder um 1730 mit der Bebauung der Brandstellen.27 Die Auswirkungen des merkantilistischen Systems erschwerten Rostocks Situation, unabhängig vom Dreißigjährigen Krieg und seinen Folgen. Jeder nationale Staat suchte den für die Ein- und Ausfuhr erforderlichen Schiffsraum für die eigene Flotte zu sichern. Dies führte zum fast völligen Erliegen des Rostocker Zwischenhandels. Das Darniederliegen des Rostocker Handels mußte natürlich seine Auswirkungen auf die Klassensituation innerhalb Rostocks haben. Die finanzkräftigen Schiffseigner konnten abwandern, und für die Zurückbleibenden ergab sich immer noch ein ausreichender, wenn auch geschmälerter Gewinn. Einige mit dem Export im Zusammenhang stehende Gewerbe erlitten schwere Verluste und waren jetzt auf das finanziell schwache Land angewiesen. Das mußte die Spannungen zwischen Rat und Bürgerschaft, wie schon oft in der hansischen Geschichte, verstärken. Diese Spannungen sollte sich Carl Leopold später bei seinem Vorgehen gegen Rostock zunutze machen.28 Langsam begann sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Rostocker Handel zu erholen. Der Grund dafür ist in dem gesteigerten Getreideexport zu suchen. Durch die allmähliche Ablösung der Dreifelderwirtschaft durch die holsteinische Koppelwirtschaft wurde im Laufe der Zeit ein derartiger Getreideüberschuß erzielt, daß Mecklenburg in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts an der Spitze der Weizenproduktion im Ostseegebiet stand.29 Eine bedeutende Rolle in Rostock und auch in ganz Norddeutschland hatte jahrhundertelang die Universität gespielt. Zwar hatte sie auch noch nach dem Dreißigjährigen Krieg einen gewissen Zulauf, aber ihre frühere Bedeutung sollte sie nicht mehr erlangen. 1665 wurde die Universität Kiel gegründet, die eine Reihe der besten Professoren Rostocks abzog. 30 Der Nordische Krieg bewirkte, daß die Zahl der Studierenden noch weiter zurückging. 31 27

28

29 30

31

Eschenbach II, J. C., Kurze Übersicht der Schicksale der Rostockschen Akademie in dem Jahrhundert 1719 — 1819. in: Wöchentliche Rostocksche Nachrichten und Anzeigen, Rostock 1819, S. 194; G. Kohfeld (Rostocker Professoren und Studenten im 18. Jh., Rostock 1919, S. 7) schätzt die Einwohnerzahl Rostocks 1713 auf etwa 8000. Die Regierungsgeschäfte wurden in Rostock vom Rat geführt. Ihm zur Seite stand die Bürgervertretung, die Hundert Männer. Müller, W., a. a. O., S. 21. Meyer, A. O., Die Universität Kiel und Schleswig-Holstein in Vergangenheit und Gegenwart, Kiel 1919, S. 7. Im Jahre 1717 waren nur 12 Studenten „inscribiret". Vgl. Sperling, A., Die mecklenburgische Geistlichkeit in den Wirren unter Herzog Carl Leopold (1713 — 1747), Rostock

2. Bürgertum

23

Die Universität wurde von zwei Stellen unterhalten. Der Rostocker Rat hatte das Kompatronat über die Universität und besetzte einen Teil der Professorenstellen. Nach den Satzungen der Universität sollte der Lehrkörper der Universität aus 14 fürstlichen und 9 rätlichen Professoren bestehen. Doch wurde eine volle Besetzung aller Stellen nur selten erreicht. Die Professoren stammten meistens aus Mecklenburg oder waren mit Rostocker Familien verwandt. Nach einem Studium in Rostock oder an den nächstgelegenen Universitäten bemühten sie sich um einen Lehrstuhl, ohne zumeist ihren Gesichtskreis durch ein Studium an größeren Universitäten oder im Ausland erweitert zu haben. Die Mecklenburger Professoren wurden gewöhnlich vom Herzog berufen und als fürstliche Ratgeber gebraucht. Von ihnen waren Schöpffer, Schaper, Fecht und Döderlein die bekanntesten. Die Universität war bekannt für ihre orthodoxe Haltung gegenüber allen freieren Strömungen ihrer Zeit. Sie kämpfte gegen die Philosophie Wolifs und gegen alle pietistischen, mystischen und rationalistischen Richtungen. 32 Die Gehälter der Professoren waren sehr dürftig; das zwang die fürstlichen, sich einen Nebenerwerb als Theologen und Juristen im Konsistorium oder als Prediger, und die städtischen, sich einen solchen als Advokaten oder Ärzte zu suchen. Die fürstlichen Professoren standen sich materiell noch besser als die städtischen. Für ihren Unterhalt standen die Erträge einiger säkularisierter Klöster zur Verfügung. 3 3 Die mecklenburgische Landeskirche zeigte kein frisches Leben und keine geistige Bewegung, sondern war ein Hort sturer Orthodoxie, der sich gegen alle anderen Strömungen innerhalb der Kirche wandte. 34 Die führenden Vertreter dieser Orthodoxie waren die Rostocker Professoren J. Fecht (gest. 1716) und A. J. v. Krakewitz (1674—1732).35

32

1924, Diss. Ms., S. 10. Ebenso zeigte sich ein entscheidender Abfall der Arbeiten des Spruchkollegs der Juristenfakultät. Vgl. Haalck,J., Die Rostocker Juristenfakultät als Spruchkollegium, in: Wiss. Zeitschr. d. Univ. Rostock, Jg. 8, 1958/59, Ges. R., H. 3, S. 406. Kohfeld, G., a. a. O., S. 12—27. Als Illustrierung dieser Haltung kann folgendes dienen: 1735 wandte sich der Dekan der Theologischen Fakultät, F. A. Aepinus, an den Rektor mit der Bitte, eine Schrift des Studiosi Mascow, die den Namen Gottes mißbrauche, zu konfiszieren, um so dem „scandalo" ein Ende zu bereiten. Etwas später verlangte die philosophische Fakultät die Vorladung Mascows, um ihn zu Schuldbekenntnis und Reue zu veranlassen. Der Rektor entsprach diesen Gesuchen. (Universitätsarchiv Rostock, R V C 21, St. IV, V.) Im Jahre 1720 verfaßte die juristische Fakultät (Dekan J. Carmon) ein Gutachten, das vorschlug, einen Mann aus Mecklenburg-Strelitz wegen „Blasphemie und Gotteslästerung" zu 4 Tagen Pranger und lebenslanger Karrenarbeit zu verurteilen. (Univ.-Arch. Rostock, S. 276, Nr 33.)

33

Eschenbach II,J. C., a. a. O., S. 199.

34

Boll, E., Geschichte Mecklenburgs mit besonderer Berücksichtigung derCulturgeschichte, II. Theil, Neubrandenburg 1856, S. 421. Krakewitz wandte sich in einer Schrift gegen den radikalen Pietisten Dippel (Malt^an, J. v., Einige gute mecklenburgische Männer, Krakewitz, S. 4) und trat auch gegen den mecklenburgischen pietistischen Pfarrer Haering auf. (Wilhelmi, H., Augusta, Prinzessin zu Mecklenburg-Güstrow, und die Dargunschen Pietisten, Schwerin 1883, S. 105.)

35

24

I. Lage der Klassen in Mecklenburg

Bei dieser orthodoxen Einstellung der Geistlichkeit dürfen wir jedoch nicht übersehen, daß sie einen wichtigen Faktor in der Opposition gegenüber dem Adel darstellte. Der Klerus des Landes stand offen im dauernden Konflikt mit dem Adel des Landes. Dieser Zustand währte schon seit den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts. Die Pastoren hatten mit ihren Patronen häufig Prozesse wegen ihrer Äcker oder auch sonst einen schweren Stand, um die verordnete Kirchenzucht einzuhalten, da der Adel sich weigerte, mit den Bauern zusammen das Abendmahl zu nehmen, Haustaufen und Haustrauungen verlangte usw.36 Aber die Ritter gingen noch weiter. Sie wollten die Kirche in ihrem Bereich ganz beherrschen. So forderten sie, über die Kirchenstühle verfügen, den Schlüssel zum Kirchenkasten bewahren und sogar die Sakristeien als Familiengruft benutzen zu dürfen. Dabei trat ihnen allerdings der Landesherr entgegen. Aber bis in die Gegenwart sind solche Begräbnisplätze des Adels erhalten. Die Geistlichen traten für eine bessere Schulbildung ein und forderten eine Kontrolle der Lehrer. Durch seinen Gegensatz zum Adel stand der Klerus schon von vornherein auf Seiten des Herzogs. Diese seine Haltung wurde noch dadurch unterstützt, daß der Herzog oberster Bischof war, dem die einzelnen Superintendenten der Kreise unterstanden. Schon Friedrich Wilhelm hatte 1710 und 1711 Privilegien für die Geistlichen erlassen, die die Steuerfreiheit des Klerus, seines Gesindes und der Pfarrbauern garantierten.37

3. Die Bauern Durch den schon erwähnten Paragraphen 16 der Reversalen von 1621 waren alle mecklenburgischen Bauern zu einfachen Zeitpächtern38 erklärt worden, es sei denn, sie konnten ihren Hufenbesitz als erblich nachweisen. Da sie meistens dazu nicht in der Lage waren, besaß der Adel ein schrankenloses Legerecht. Ebenso wurde in § 44 der gleichen Reversalen der Herzog verpflichtet, die in die fürstlichen Ämter geflüchteten Bauern wieder herauszugeben und sich aller Werbungen von Adelsbauern zu enthalten. Die mecklenburgische „Gesinde- und Bauernordnung" von 164539, die mit geringfügigen Änderungen in die „Gesinde-, Tagelöhner-, Bauern-, Schäfer-, Tax- und Victualordnung" von 1654 überging, setzte unter die Entwicklung der zweiten Leibeigenschaft einen Schlußstrich und sanktionierte sie. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die meisten Bauern leibeigen. Nur selten traf man freie Bauern an. Die freien Leute auf dem Lande, die auch der Gerichtsbarkeit des Gutsherrn unterstanden, waren vorwiegend nur die Müller, Schäfer, Krüger und Dorfhandwerker. Auch einige der sogenannten Einlieger, die vom Gutsherrn Wohnung und Garten gestellt bekamen und dafür Dienste für Tagelohn oder Korn36

Schmält^, K., Kirchengeschichte Mecklenburgs, Bd III, Schwerin 1952, S. 105.

37

Sperling, A., a. a. O., S. 14.

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Das heißt, die Bauern durften nur solange auf ihrem Lande sitzen, wie es dem betreffenden Gutsherrn gefiel. Maybaum,H., Die Entstehung der Gutsherrschaft im nordwestlichen Mecklenburg, Berlin/Stuttgart/Leipzig 1926, S. 190.

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3. Bauern

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deputat verrichten mußten, waren frei. 40 Alle übrigen Bauern hatten neben dem zur eigenen Nutzung überlassenen Acker die Felder des Gutshofes im sogenannten Hofdienst zu bestellen und alle sonstigen landwirtschaftlichen Arbeiten zu verrichten. Durch diese Frondienste, ohne die keine Gutswirtschaft bestehen konnte, wurde den Bauern so viel Zeit und Kraft genommen, daß ihr eigenes Land bei der Bestellung zurückbleiben mußte. Die Arbeit der Bauern bestand aus Hand- und Spanndiensten. Bei den Handdiensten mußten der Bauer, sein Gesinde oder seine Familienangehörigen nur ihre Arbeitskraft für die vorgeschriebene Zeit zur Verfügung stellen, während zu den Spanndiensten die Gestellung eines Gespannes mit der entsprechenden Bedienung gehörte. Daneben mußten noch „Extradienste", wie beispielsweise Korntransport oder Holzfuhren, über die festgesetzten Hofdienste hinaus geleistet werden. Auch Fuhren in die Stadt, das Schafscheren, Hopfenpflücken, Flachsbrechen, das Reinigen von Mühlgräben und andere Arbeiten gehörten zu unregelmäßigen Diensten, die von den Bauern auf Verlangen der Gutsherren ausgeführt werden mußten. 41 Das Ausmaß des Frondienstes richtete sich nach der Größe der Wirtschaft der einzelnen Bauern. Ein Vollbauer oder Vollhüfner, der etwa 80 bis 100 Morgen Land zur Nutzung besaß, mußte an den sechs Wochentagen 4 Pferde mit 2 Mann oder 2 Ochsen mit einem Mann stellen und dazu noch Handdienste leisten. Zur Erntezeit wurde dieser Dienst noch erhöht. Gearbeitet wurde im Sommer von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, wobei mittags 2 Stunden Pause für das Vieh eingelegt wurden. Im Winter wurde gearbeitet, solange es die Helligkeit des Tages gestattete, und die Mittagspause wurde auf eine Stunde verkürzt. Zur Winterarbeit gehörte auch die Verpflichtung der Bauersfrauen, 12 bis 16 Pfund Flachs zu spinnen. Besonders drückend für die Bauern war es, wenn der Gutsherr im Winter weitgehend auf den Hofdienst verzichtete und diese aufgeschobenen Dienste zur Zeit der Frühjahrsbestellung oder der Ernte nachforderte. Entsprechend weniger hatten die Dreiviertel-, Halb-, Viertelbauefn und Kossäten zu leisten.42 Wenn der Gutsherr aus irgendwelchen Gründen, sei es, daß er genügend Arbeitskräfte hatte oder der betreffende Bauer zu weit ab wohnte, auf den Hofdienst verzichtete, so verlangte er dafür das sogenannte Dienstgeld, das für einen Vollbauern 30 Rthl. betrug. Aber alle diese Angaben können den Wert der Frondienste nur ungefähr angeben, da alle Dienste der Bauern ungemessen waren und der Gutsherr sie ganz nach Willkür erhöhen konnte und auch erhöhte. Der Feudalherr hatte jederzeit die völlige Verfügungsgewalt über die Hof stellen der Bauern, das heißt, wenn es ihm beliebte, einen Bauern auf eine andere Hofstelle zu setzen, gab es dagegen kein Rechtsmittel. Der Bauer mußte sogar auf Verlangen seines Herrn seinen Hof völlig aufgeben und teilweise geringwertige Stellen bis Boll, E., a. a. O., II. Theil, S. 465. « Nichtmiß,/., a. a. O., S. 70; Boll, E., a. a. O., II. Theil, S. 1 5 0 - 1 5 1 . 42 Es gab große Kossäten mit 2 Pferden und kleine, die mit Ochsen pflügten. Sie hatten ihren Acker außerhalb der Feldflur des Dorfes. Vgl. Nichtweiß, /., a. a. O., S. 67. 40

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I. Lage der Klassen in Mecklenburg

hinunter zum Einlieger annehmen. Beim Tode eines Bauern konnte der Hof neu vergeben werden, wenn es auch die Regel war, daß der Sohn des Bauern die Hofstelle erhielt. Wenn keine Söhne vorhanden wären, bekam ein Hofknecht die Stelle, mußte aber die Witwe oder die Tochter des Bauern heiraten, damit der Gutsherr seiner Verpflichtung, für die Witwe zu sorgen, ledig war. Alle Kinder der Bauern unterlagen dem Gesindezwang auf dem Gutshof, das heißt, der Gutsherr wählte sich unter den in Frage kommenden diejenigen aus, die er brauchen konnte. Erst dann durften sich die Kinder der Bauern bei den größeren Bauern verdingen. Wollte der Sohn eines leibeigenen Bauern ein besonderes Handwerk erlernen, so benötigte er dazu die gutsherrliche Erlaubnis. Sogar für eine Eheschließung mußte ein „Heiratsconsens" erteilt werden. Auf den fürstlichen Domänen, die sich meistens in der Hand von Pächtern befanden, waren die Verhältnisse nicht ganz so drückend, wurde nicht ganz so willkürlich mit den Bauern verfahren. Die Dienste der einzelnen Bauern waren hier durch Dienstordnungen geregelt, die den Ausschreitungen von Pächtern oder Beamten gewisse Schranken setzten. Doch auch diese Ordnungen schützten die Bauern nicht in jedem Falle vor Willkür, und sie ertrugen sie oft lieber, als sich zu beschweren, um sich nicht mit den Pächtern zu verfeinden. Durch die Patrimonialgerichtsbarkeit der Feudalherren war den Bauern auch ein gerichtliches Vorgehen gegen ihre Unterdrücker sehr erschwert. Denn die Gutsherren waren Richter, Ankläger und Exekutoren in einer Person. Sie konnten harte Strafen über ihre Untertanen verhängen und hatten auch das Recht, Stock und Peitsche zu benutzen. Als Entgelt für alle diese Pflichten hatten die Leibeigenen auch einige Gegenleistungen zu beanspruchen, denen sich die Gutsherren nach Möglichkeit zu entziehen suchten. So sollten zum Beispiel die Bauern in Notfällen, bei Seuchen, Bränden, Krankheiten und ähnlichem unterstützt werden. Auch für Kranke, Alte und Gebrechliche sollte gesorgt werden. 43 Aus allem Gesagten ergeben sich eindeutig und klar die völlig rechtlose Lage der Bauern und der Zustand ihrer dauernden Unterdrückung durch die Gutsherren. Da der Bauer kein Eigentum an Land und Hofwehr besaß, bestanden seine einzigen Einnahmen in seinem Ernteertrag, aber auch davon blieb ihm nicht allzuviel, weil der größte Teil der Ernte als Abgaben für verschiedene Dinge, darunter auch für den Gutsherrn und den Landesherrn, verbraucht wurde. 44 Allerdings gab es zwischen dem 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewisse graduelle Unterschiede bei der Unterdrückung und Ausbeutung der Bauern. So trat der scharfe Klassenkampf nach dem Dreißigjährigen Kriege bis zur Beseitigung der Kriegsschäden etwas in den Hintergrund, da der Adel versuchte, die zahlreichen wüsten Hofstellen neu zu besetzen, um von den Bauern die damit verbundenen Leistungen und Abgaben zu erhalten. Systematische Bauernlegungen kamen daher nicht vor. Erst um die Jahrhundertwende sah sich der Adel teilweise 43 44

Nichtmiß, /., a. a. O., S. 71. Unpraejudicirlicher Anschlag einer Mecklenburgischen Bauernstelle . . . , in Collectanea Mecklenburgica, fasc. II, Zwischen S. 6 u. 7.

3. Bauern

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veranlaßt, gegen die stärker gewordene Bauernschaft mit Umsetzungen und Legungen vorzugehen, um seine eigene Stellung zu festigen und sein Einkommen zu erhöhen. Die genannten Maßnahmen wurden besonders bei der Übernahme der holsteinischen Koppelwirtschaft angewandt. An zahlreichen Stellen kam es zu verstärktem Widerstand 45 , der sich noch beträchtlich steigerte, als die Bauern merkten, daß der Herzog Carl Leopold den Klagen der Bauern zugänglich war und sie rechtlich gegen die Willkür der Gutsbesitzer zu schützen versuchte. Aber die aktiven Widerstandsaktionen trugen mit Ausnahme des Landesaufgebots 1733 und vielleicht auch der Aktionen in den Jahren 1717 und 1718, als viele Gutsbesitzer infolge der Maßnahmen des Herzogs aus dem Lande gingen, nur spontanen Charakter und fanden vereinzelt statt. Dagegen scheint der passive Widerstand allgemein verbreitet gewesen zu sein, der sich in langsamer Arbeit, schlechter Pflege der Hofwehr, Vernachlässigung des Viehs, aber auch in Flucht mit oder ohne Inventar auf fürstliches Gebiet oder in andere Länder äußerte. 46 Allgemein war in Mecklenburg die Dreifelderwirtschaft üblich, die seit Jahrhunderten in Gebrauch war. Jeder Bauer hatte an jedem Feld seine entsprechenden Anteile. Diese Gemengelage machte den Flurzwang notwendig, der sich oft ungünstig auswirkte. Bei gutem Boden kam zuweilen die Vierfelderwirtschaft vor. Auch eine Wirtschaftsordnung ohne Schlageinteilung fand sich vereinzelt. Die Erträge waren nur dürftig. Als Durchschnittsertrag wurde das 4. Korn angegeben. Bei besserem Boden rechnete man mit dem 6. Korn (d. h. das Vier- bzw. Sechsfache der Aussaat). Dieser geringe Ertrag war zurückzuführen auf die schlecht durchgeführte Feldbestellung, die mangelhafte Düngung, die ungenügende Entwässerung und den Flurzwang, der die Bauern veranlaßte, stets gemeinsam die Arbeit zu verrichten, ohne die Kornart, Feuchtigkeit oder Trockenheit des Ackeranteils zu berücksichtigen. Um die Jahrhundertwende kündigte sich eine fortschrittlichere Entwicklung der Agrikultur an durch die vereinzelte Übernahme der holsteinischen Koppelwirtschaft, die sich allmählich in die den mecklenburgischen Verhältnissen entsprechende mecklenburgische Schlagwirtschaft umwandelte. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fand die neue Schlagordnung, die die Dreifelderwirtschaft ablöste und neben dem Getreideanbau größeren Wert auf eine verbesserte Viehhaltung und Milchwirtschaft legte, allerdings noch keine allgemeine Verbreitung im Lande. 47 Die Auswirkungen dieser neuen Wirtschaftsform zeigten sich in vermehrten Umsetzungen oder Legungen von Bauern, was wiederum einen verstärkten Widerstand der Bauern hervorrief, den der Herzog Carl Leopold bei seinem Vorgehen gegen den Adel zu nutzen versuchte. Das sind einige zusätzliche Gründe für die trostlose Lage der Bauernschaft, aber die Hauptursache ihrer Verelendung war die ungeheure Ausbeutung durch die Guts46 46

47

Vgl. dazu Steinmann, P., a. a. O., S. 43—46. Im Jahre 1713 gingen die Bauern eines Gutes samt Vieh ins fürstliche Amt Crivitz. LHA Schwerin, Landtagsprotokolle 1713. Vgl. die bei Heitz, G., Die sozialökonomische Struktur . . gegebene Tabelle über die in Mecklenburg von 1697 bis 1736 vorgenommenen ökonomischen Veränderungen.

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I. Lage det Klassen in Mecklenburg

herren, die jede Initiative der Bauern für eine Verbesserung im Keim erstickte. Denn die Bauern sagten sich mit Recht, daß ein höherer Ertrag nur höhere Abgaben nach sich ziehen würde. Ebenso trübe sah es mit der Viehwirtschaft aus. Das Vieh wurde auf dem Außenland, der „ewigen" Weide, geweidet. Nicht nur diese Weide, auch die Wiesen waren in einem sehr schlechten Zustand. Man ließ das Vieh auch in Wald und Busch seine Nahrung suchen. Da nur äußerst mangelhafte Vorsorge für eine Winterfütterung getroffen wurde, magerten die Tiere in den Wintermonaten völlig ab und gaben fast keine Milch. Im Frühjahr wurden sie so zeitig auf die Weide getrieben, daß die Weiden durch ein zu frühes Abfressen der Gräser verdorben wurden. Der schlechte Zustand der Tiere wirkte sich nachteilig auf die Dunggewinnung aus. Dazukamen die dauernden Tierseuchen, die in den Rinderherden wüteten. Eine gewisse Rolle spielte die Schafzucht, die für den Wollexport große Bedeutung hatte. Aber trotz dieser für die Landwirtschaft so wichtigen Einnahmequelle verschloß man sich fast allen Bestrebungen, die auf eine Verbesserung der Schafzucht (z. B. durch Hereinnahme fremden Zuchtmaterials) hinzielten. Die Schafe waren zum großen Teil Eigentum herumziehender freier Schäfer, die auf den Gütern für eine bestimmte Zeit Weideland zugewiesen erhielten und dafür bestimmte Abgaben und Dienste zu leisten hatten. Aus der Untersuchung der einzelnen Klassen in Mecklenburg ergibt sich sehr deutlich, daß das Bürgertum und die Bauernschaft weder ökonomisch noch politisch über eine Position verfügten, die eine Veränderung der Machtverhältnisse im Lande herbeiführen konnte. Der Adel hielt auf Grund seines Landbesitzes und dank seiner Privilegien allen ökonomischen und politischen Einfluß in seiner Hand und suchte ihn mit allen Mitteln zu verteidigen. Das führte dazu, daß Bürger und Bauern im Herzog einen natürlichen Bundesgenossen in ihrem Klassenkampf gegen den Adel sahen, als Carl Leopold Versuche unternahm, die Macht der Feudalherren einzuschränken und eine absolute Herrschaft aufzurichten. Vor allem aus dieser Tatsache ist die bei allen Zeitgenossen gerühmte Beliebtheit des Herzogs Carl Leopold zu erklären.

K A P I T E L II

Die verfassungsmäßige Situation und außenpolitische Lage Mecklenburgs

Herzog Carl Leopold war durchaus nicht der erste unter den mecklenburgischen Herzögen, der die große Macht der Landstände zu brechen versuchte. Solche Versuche gab es schon im 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts. 1 Zum besseren Verständnis der Bemühungen, eine absolute Herrschaft zu errichten, ist ein kurzer Überblick über die mecklenburgische Verfassung erforderlich. Das Land Mecklenburg zeigte, verglichen mit den übrigen deutschen Territorialstaaten, eine eigentümliche verfassungsrechtliche Struktur. Es bestand aus zwei Herzogtümern, die im 17. Jahrhundert durch Landesteilung entstanden waren: Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Güstrow. Nach erbitterten Erbstreitigkeiten Ende des 17. Jahrhunderts wurde 1701 eine neue Landesteilung in Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz mit Ratzeburg festgelegt (Hamburger Vertrag). Doch es gab nur eine Ständevertretung für beide Herzogtümer, die jeweils periodisch abwechselnd in dem einen bzw. dem anderen Herzogtum zusammengerufen wurde 2 , um bei der Gesetzgebung mitzuwirken und Steuern zu bewilligen. So kann man wohl definieren: Es gab einen Staat Mecklenburg mit zwei Herzögen, von denen jeder die Lehnshoheit über einen Teil des Landes hatte. Die Bestandteile Mecklenburgs waren im einzelnen: das Herzogtum Mecklenburg oder der mecklenburgische Kreis, das Herzogtum Güstrow oder der wendische oder stagardsche Kreis, der Rostocker Distrikt, die Herrschaft Wismar (sie schied 1648 aus der Ständischen Union aus), die Fürstentümer Schwerin und Ratzeburg und die Klostergüter, von denen letztere seit 1572 an die Ritterschaft verpfändet waren. Auf Grund der Privilegien der Ritterschaft waren die Landesherren nur Herrscher auf ihren Domänen, die etwa 38% der Gesamtfläche Mecklenburgs einnahmen. Die Güter der Ritterschaft umfaßten etwa 47%, die der Landesklöster etwa 3% und die der städtischen Güter etwa 12% 3 der Gesamtfläche. 1

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3

Auf eine Darstellung der Herausbildung des mecklenburgischen Territorialstaates, der Landeshoheit und der Stände im 15. und 16. Jh. wurde im Rahmen dieser Arbeit verzichtet. Vgl. dazu die Literaturnachweise bei Krause, H., a. a. O. In Malchin und Sternberg. Nichtmiß, /., a. a. O., S. 65.

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II. Verfassungsmäßige Situation — außenpolitische Lage

Im Friedensvertrag von Osnabrück wurde der faktisch schon in vielen deutschen Staaten bestehenden Situation Rechnung getragen und die Souveränität der Reichsstände festgelegt. 4 Diese ging sogar so weit, daß jeder Reichsstand Bündnisse mit dem Ausland schließen konnte. Diese Rechte wurden dann auch im Reichsabschied von 1654 und in den verschiedenen Wahlkapitulationen der Kaiser bestätigt. Um diese Souveränität auch im Innern zu realisieren, versuchten die mecklenburgischen Herzöge Christian I. Louis (1658—1692), Gustav Adolf (1654—1695) und Friedrich Wilhelm (1697—1713) sich von den Landständen unabhängig zu machen. Es fehlten ihnen jedoch dazu die notwendigen Geldmittel. Ihre Domänen warfen infolge Verschuldung nichts ab.5 Bei den Geldforderungen auf den Landtagen sperrten sich die Stände und wollten erst eine große Zahl von Gravamina berücksichtigt sehen. Außerdem wurde Mecklenburg dauernd von Truppendurchzügen heimgesucht, so daß die schweren Wunden, die der Dreißigjährige Krieg geschlagen hatte, nur sehr langsam heilen konnten. Mecklenburg war infolge seiner geographischen Lage und seiner Schwäche schon immer als Leidtragender in militärischen Aktionen verwickelt gewesen. Es reizte jede kriegführende Macht, Kontributionen aller Art aus dem schwachen Lande herauszupressen. So hatte Mecklenburg im Schwedisch-Polnischen Krieg (1655 — 1660) als gänzlich unbeteiligtes Land viel unter den Truppendurchzügen und Einquartierungen schwedischer, kaiserlicher, brandenburgischer und polnischer Truppen zu leiden.6 Ebenso war es 1675, als schwedische, brandenburgische, dänische und Reichstruppen das Land heimsuchten. Nach dem russischen Sieg bei Poltava zog sich das in Polen stehende schwedische Korps des Generals von Krassow über die Oder nach Schwedisch-Pommern zurück. Im Haag war 1710 die Konvention abgeschlossen worden, die die schwedischen Besitzungen in Deutschland für neutral erklärte. Die Überwachung dieser Konvention wollte ein neutrales Truppenkontingent übernehmen, das in Norddeutschland Aufstellung nehmen sollte. Als Karl XII. von Bender aus dagegen lebhaft protestierte und befahl, Pommern zu verteidigen, rückte eine Armee von 24000 Sachsen, Polen und Russen durch Brandenburg in Mecklenburg ein, drang von dort aus zusammen mit dänischen Truppen in Vorpommern ein und besetzte es völlig mit Ausnahme von Stettin und Stralsund. Auch Rügen blieb in schwedischer Hand. Auf Rügen landete der schwedische General Steenbock mit neuen Truppen, konnte siegreich vordringen und die mit den Sachsen vereinigten Dänen bei Gadebusch zur Freude der Mecklenburger vernichtend schlagen. Die Dänen hatten die Schlacht leichtfertig angenommen, ohne auf die in der Nähe befindlichen Russen unter Peter I. zu 4

5

6

Der Westfälische Friede von 1648. Deutsche Textausgabe der Friedensverträge von Münster u. Osnabrück, Hrsg. v. Six, F. A., Berlin 1942,1. P. O., Art. 8, § 2. Die Stände verzögerten die Abzahlung der 1621 übernommenen Schulden so, daß sich 1653 ein Zwist um die noch zu zahlende Summe erhob (Boll, E., a. a. O., II. Theil, S. 155). Wick,P., Die Rolle Mecklenburgs im Nordischen Krieg 1655—1660, in: Zeitschr. f. Geschichtswissenschaft 9, 1961, S. 615—28.

II. Verfassungsmäßige Situation — außenpolitische Lage

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warten. Alle Truppen rückten dann den Schweden nach Holstein nach und zwangen sie zur Kapitulation. Die verbündeten Truppen zogen sich später wieder nach Mecklenburg zurück. 7 Neben diesen durchziehenden Truppen lagen außerdem seit 1711 von allen beteiligten Ländern Soldaten rund um die Festung Wismar. Sowohl die Belagerten als auch die Belagerer ernährten sich aus dem Lande. Ebenso hatten die Dänen 1711 Rostock besetzt. Der mecklenburgische Herzog versuchte, um diesen Drangsalen zu entgehen, beim Kaiser ein Protektorium zu erreichen, welches dann auch am 16. Januar 1713 den kreisausschreibenden Fürsten Friedrich in Preußen und Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg übertragen wurde, die natürlich auch in keiner Weise eine Verbesserung der Lage herbeiführen konnten. Die Truppen der verbündeten Mächte lebten rund gerechnet etwa drei Jahre auf Kosten Mecklenburgs. Das Land erlitt dadurch einen Schaden von über 21/2 Millionen Rthl. 8 Die Mecklenburg benachbarten Territorialstaaten wachten eifersüchtig darüber, daß kein Land irgendwie auf Kosten Mecklenburgs Machtzuwachs erhielt. Das kam deutlich bei der bereits angeführten Exekution durch Celle-Lüneburg zum Ausdruck. Die offene Feindschaft zwischen Schweden und Dänemark im Nordischen Krieg führte dazu, daß beide Länder sich Mecklenburgs als Verpflegungsbasis für ihre Truppen bedienten. Annektionsabsichten auf mecklenburgisches Gebiet sind nicht bekannt. Anders hingegen verhielt es sich mit Brandenburg-Preußen und Hannover. Zwischen Preußen und Hannover bestanden keine sehr freundschaftlichen Beziehungen. Bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bestand eine Rivalität zwischen den beiden zum niedersächsischen Kreis gehörenden Staaten. Während Braunschweig seine Einmischungsversuche stets mit der Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit des Kreises begründete, motivierte Preußen seine Einmischung in mecklenburgische Verhältnisse als Erbfolger. Als einen Versuch, die mecklenburgische Regierung zu beeinflussen, kann man auch die Indienstnahme Bernstoffs ansehen.9 Beide Länder hatten sich in den letzten Jahren zu sehr mächtigen Staaten im deutschen Staatsgebilde entwickelt. In Norddeutschland hatte seit dem Dreißigjährigen Krieg Schweden als Reichsstand die größte Rolle gespielt. 10 Als sich nun im Nordischen Krieg zeigte, daß Schwedens Macht gebrochen war und seine deutschen 7 8

Witte, H., Mecklenburgische Geschichte, Wismar 1 9 1 3 , S. 248. Die genauen Forderungen Mecklenburgs ließ Carl Leopold auf dem Braunschweiger K o n g r e ß überreichen. Danach hatten zu zahlen: Dänemark Schweden Polen und Sachsen Rußland Summa

9 10

5 4 4 5 3 8 Rthl. 37 ß 9 Pf. 747503 „ 3 „ 11V2 „ 3 9 5 4 8 5 „ 4 1 „ 10 „ (Fast 2 2 0 0 0 0 Rthl. waren schon bezahlt.) 926591 „ 12 „ 3 2 6 1 4 1 1 8 Rthl. 4 7 ß 91/* Pf.

V g l . S t A Hannover, Cal. Br. Arch. Des. 24, Mecklenburg, Nr 60. Baiischmieter, H.-J., a. a. O., S. 1 1 . Schweden besäß das Erzbistum Bremen und Verden, Wismar, den Warnemünder Zoll, V o r p o m m e r n mit Stettin und Rügen.

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II. Verfassungsmäßige Situation — außenpolitische Lage

Besitzungen vielleicht bald in andere Hände übergehen würden, kam es zu einer Rivalität zwischen Preußen und Hannover-England um die Vorherrschaft im norddeutschen Raum. Während Preußen mit Hilfe Rußlands zum Ziel kommen wollte, baute Hannover auf den Kaiser und die eigene Kraft. Mecklenburg war das Land, in dem diese widerstreitenden Interessen aufeinanderprallten; denn Hannover wünschte keine Stärkung Preußens durch Mecklenburg, dessen Herzog durch Erbvertrag an Preußen gebunden war, sondern wollte selbst einen Einfluß auf Mecklenburg ausüben, indem es alle die Kräfte stützte, die gegen eine starke Zentralgewalt im Lande auftraten und damit eine selbständige Politik Mecklenburgs zugunsten Hannovers verhinderten. Diese Kräfte waren die mecklenburgischen Ritter, die gleichzeitig enge Verbindungen zu hannoverschen Politikern hatten. Vom Reich war keine praktische Unterstützung für Mecklenburg zu erwarten. Es wurde zwar ein Kongreß nach Braunschweig einberufen, der von 1713 an tagte; aber das war auch alles. Der kaiserliche Beauftragte war der Graf von Metsch. Es sollte eine Regelung der nordischen Angelegenheiten getroffen werden. Mit der Einberufung dieses Kongresses, der allerdings nie die beabsichtigte Wirkung erzielt hat und häufig vertagt wurde, versuchte der Kaiser sich in die nordischen Angelegenheiten einzuschalten, obwohl er durch den gerade beendeten Spanischen Erbfolgekrieg und den Türkenkrieg stark in Anspruch genommen war. 11 Die Reichsgewalt stellte keine große Macht dar. Die Bestimmungen des Westfälischen Friedens, der Reichsabschied von 1654 und die Wahlkapitulationen der Kaiser verhinderten es, daß der Kaiser als mächtiges Staatsoberhaupt aufzutreten und seinen Willen gegenüber den mächtigeren Reichsständen durchzusetzen vermochte. 12 Er konnte nicht einmal die Gebietsverluste des Reiches verhindern, wobei nur an die Reunionskammer Ludwigs XIV., an den Raub Straßburgs und die Friedensschlüsse der französischen Raubkriege erinnert zu werden braucht. Doch verfügten die habsburgischen Kaiser über eine starke Hausmacht, die in Verbindung mit einigen kaiserlichen Reservatrechten einen gewissen Einfluß auf die Reichsangelegenheiten möglich machte. Wegen dieser Hausmacht war es besonders für die schwächeren Reichsstände nicht geraten, sich offen gegen kaiserliche Befehle zu stellen. Der Reichstag brachte nichts zustande. An eine Durchführung der bestehenden Reichsgesetze war ebenfalls kaum zu denken. 13 Auch die wichtigste Reichsbehörde, das Reichskammergericht, trat nie richtig in Aktion, da neben seiner schleppenden Arbeitsweise und seiner Schwäche die Einziehung des „Kammer-

11

12

13

Cal. Br. Arch. Des. 11, E I, Nr 132; Erdmannsdorf er, B., Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen, Berlin 1892/93, Bd II, S. 340. Mecklenburg wurde auf diesem Kongreß durch den Reichshofrat von Petkum vertreten. Vgl. LHA Schwerin, Correspondenz des Herzogs Carl Leopold mit seinen Räten u. Dienern sowie die letzteren unter sich. Vol. 1, Nr 6. Vgl .Härtung, F., Deutsche Verfassungsgeschichte . . ., S. 156; Schur, R., Der Rheinbund von 1658 in der deutschen Verfassungsgeschichte, Bonn 1955, S. 28. Vgl. die Dissertation von Bitderbick, A., Der deutsche Reichstag zu Regensburg im Jahrzehnt nach dem Spanischen Erbfolgekrieg 1714—1724, Bonn 1937, S. 1—35.

II. Verfassungsmäßige Situation — außenpolitische Lage

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zielers", der zu seiner Erhaltung festgesetzten Steuer, nie so organisiert war, wie es im Westfälischen Frieden vorgesehen war. 14 Die einzige Reichsinstitution, die häufig angerufen wurde und auch Entscheidungen fällte, war der Reichshofrat, der deshalb ein wichtiges Instrument kaiserlicher Macht darstellte. Aber auch der Reichshofrat konnte seine Entscheidungen nicht immer durchsetzen. Nur in Ausnahmefällen gelang es, mit Hilfe mächtiger Reichsstände der Reichsautorität Geltung zu verschaffen. Aber nur schwache Länder beugten sich dem Kaiser. 15 Starke Reichsstände, wie beispielsweise Preußen, trotzten Kaiser und Reich mit Erfolg. Es ist deshalb gar nicht verwunderlich, wenn der mecklenburgische Herzog versuchte, die bestehenden Gesetze über die Landeshoheit trotz der Gegenbefehle von Kaiser und Reichshofrat in seinem Lande durchzusetzen.

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Kormann, K., Die Landeshoheit in ihrem Verhältnis zur Reichsgewalt im alten deutschen Reich seit dem Westfälischen Frieden, in: Zeitschr. f. Politik, Bd 7, Berlin 1914, S. 149. Feine, H. E., Zur Verfassungsentwicklung des Heiligen Römischen Reiches seit dem Westfälischen Frieden, in: Zeitschr. d. Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, G. A., Bd 52, 1932, S. 111.

3

Wiek, Absolutismus

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KAPITEL i n

Herzog Carl Leopold und seine Räte

Am 31. Juli 1713 starb der Herzog Friedrich Wilhelm in Mainz. Die Regierung für Mecklenburg-Schwerin übernahm am 4. August der in Doberan weilende jüngere Bruder des verstorbenen Herzogs, Carl Leopold. 1 1679 in Grabow geboren, genoß er die übliche Erziehung junger Adliger. Von 1692 an unternahm er Reisen durch Deutschland, Holland, England und Frankreich. 1695, nach seiner Rückkehr, verlangte er von seinem Bruder, daß das Herzogtum zwischen den Brüdern geteilt werden sollte. Als er damit keinen Erfolg hatte, ging er wieder außer Landes und hielt sich meistens in Hamburg auf, nahm aber auch an Feldzügen Karls XII. in Polen teil und erwarb sich „viel Ehre durch seine Tapferkeit", wie ein Zeitgenosse zu berichten weiß. 2 Da der Hamburger Vertrag für Mecklenburg die Primogenitur festgesetzt hatte, wurde 1707 zwischen den Brüdern ein Vergleich ausgehandelt, der die Apanagen für Carl Leopold mit 15000 Rthl. und für Christian Ludwig mit 10000 Rthl. festsetzte.3 Carl Leopold erhielt dazu das Amt Doberan angewiesen, wo er bis zu seinem Regierungsantritt wohnte, sich zweimal verheiratete und sich von seinen Frauen wieder trennte.4 Dieser Herzog wird meistens in der Literatur als ein grausamer Tyrann hingestellt, der darauf ausging, sich ohne Rücksicht eine selbstherrliche Machtstellung zu verschaffen, und dabei vor keinem Unrecht zurückschreckte. Dieses Urteil wurde be1

2 3 4

Zur besseren Kenntnis der herzoglichen Familie muß mitgeteilt werden: Christian I. Louis starb 1692 ohne Erben. Dessen Bruder, Friedrich von Grabow, hatte drei Söhne, die nacheinander zur Regierung kamen: Friedrich Wilhelm (1692—1713), Carl Leopold (1713— 1747, 1728 seiner Regierung entsetzt), Christian II. Ludwig. (1747 — 1756, von 1728 an mit der Regierung betraut.) Buchholtz, S., a. a. O., S. 587. Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 5 - 1 5 . 1708 heiratete er Sophie Hedwig von Nassau-Dietz. Die Ehe wurde vom Greifswalder Konsistorium geschieden, was zu einigen Verwicklungen führte, da der Kaiser sich auf eine Beschwerde hin einmischte. Die zweite Frau war ein Fräulein von Lepel, die er zur linken Hand heiratete und nach kurzer Zeit an den Kammerjunker von Bibow weiterreichte. Vgl. G r a f f , W. P., Die zweite Ehe des Herzogs Carl Leopold . . ., in: Jb. d. Vereins f. mecklenb. Gesch. u. Altertumskd., Bd 60, S. 205—206.

3*

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III. Herzog Carl Leopold und seine Räte

sonders im Hinblick auf seine Ehescheidungen und die Hinrichtung des Rates WolfFradt gefällt. Doch trifft dieses Urteil für seine ersten Regierungsjähre nicht zu. Carl Leopold war nicht mehr als durchschnittlich begabt. Sein Bruder und Vorgänger, Friedrich Wilhelm, war ihm meines Erachtens an Begabung und vor allem Geschmeidigkeit überlegen. Carl Leopold verstand nicht mit Menschen umzugehen. Daß er besonders belesen war, ist nicht bekannt. Eine eigene Vorstellung von der Staatsform in Mecklenburg, die er sich auf Grund eines Studiums staatstheoretischer oder staatsrechtlicher Schriften hätte erwerben können, scheint er nicht gehabt zu haben. Seine Vorbilder sah er in Schweden und Brandenburg-Preußen. Alle von ihm durchgeführten Maßnahmen zur Aufrichtung des Absolutismus sind nur mit Hilfe seines Geheimratskollegiums denkbar. Als nach der Reichsexekution die besten Räte entlassen wurden und nur ergebene Räte ohne eigene Meinung übrigblieben, zeigte sich der Herzog ziemlich hilflos. Auch seine früher gepriesene Tapferkeit hatte er 1719 eingebüßt. Als alle Vorbereitungen zum Kampf gegen die Exekutionstruppen getroffen wurden und eine bewaffnete Auseinandersetzung unvermeidlich schien, befand sich der Herzog in sicherer Entfernung, in Rostock. Nach 1719 trat immer mehr ein starkes Mißtrauen gegen seine Umgebung hervor, das vermutlich der Anlaß zu der Hinrichtungsaffaire in Dömitz war. Auch soll er sehr jähzornig gewesen sein und seine Diener und Räte geprügelt haben. Wie viele andere Fürsten seiner Zeit besaß er eine besondere Vorliebe fürs andere Geschlecht und hatte mehrere illegitime Nachkommen. Seine Religiosität war nur äußerlich, wie seine Versuche beweisen, durch Religionswechsel seine Macht zu stärken. Aber wichtiger als seine Person sind die unter seiner Regierung in den Jahren 1713 bis 1719 durchgeführten bzw. geplanten Maßnahmen. Und diese Maßnahmen, die er mit Hilfe tüchtiger Ratgeber durchführte, waren zunächst auf eine Verstärkung der zentralen Macht in Mecklenburg und später auf eine völlige Niederwerfung des Adels gerichtet. Beide Arten von Maßnahmen hätten sich bei ihrer Verwirklichung positiv auf die Entwicklung des Landes ausgewirkt und sind deshalb für ihre Zeit als fortschrittlich einzuschätzen. Während der Herzog von 1716 bis zur Reichsexekution 1719 tatsächlich im Besitz aller Macht im Lande war, schränkte die kaiserliche Kommission seinen Einfluß stark ein. Um nun seine frühere Herrschergewalt zurückzugewinnen, erschien ihm jedes Mittel recht und billig. Seine Pläne gingen dabei vom allgemeinen Volksaufstand bis zum gemeinen Meuchelmord persönlicher Widersacher. Wir werden sehen, daß alle Mittel, die unter den damaligen Bedingungen gegeben waren, eingesetzt wurden, um zum Ziel zu gelangen; und es war nur zum Schaden des Landes, daß die Ritterschaft Sieger blieb und im Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755 ihre Macht für Jahrhunderte stabilisieren konnte.5 Die einflußreichsten Männer des Kabinetts, das sich der neue Herzog bei seinem Regierungsantritt im Jahre 1713 schuf, waren neben anderen die Geheimen Räte 6

A u f eine Darstellung der Differenzen Carl Leopolds mit seinem Bruder Christian Ludwig wurde verzichtet, da sie in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Thema stehen. Es handelte sich vor allem um die Apanage Christian Ludwigs. Näheres siehe bei Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 3 2 5 - 3 6 5 .

III. Herzog Carl Leopold und seine Räte

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von Klein, der als Kanzler fungierte; von Petkum, der Präsident des Geheimen Rates wurde; Grund uff der Worth; Schöpffer; Schaper. Einen gewissen Einfluß auf die Politik muß man auch dem Oberhofmarschall von Eichholtz und dem Hofintendanten Walter einräumen.6 Bis auf Petkum übernahm Carl Leopold alle Räte von seinem Bruder. Im neuen Kabinett fehlte der Graf von Horn, der seinerzeit, aus Schweden kommend, beim Hamburger Vergleich von 1701 für Friedrich Wilhelm die Verhandlungen geführt hatte und seitdem einen ziemlichen Einfluß ausüben konnte.7 Der einflußreichste und auch zweifellos fähigste unter diesen Ministern war Edzard Adolf von Petkum, ein Gutsbesitzer aus Ostfriesland. Im 17. Jahrhundert hatte er als dänischer Envoyé an den Friedensverhandlungen von Nijmwegen teilgenommen. Dabei war er schon mit den mecklenburgischen Angelegenheiten vertraut geworden. Einige Zeit wirkte er als Minister in Ostfriesland. Später hielt er sich in Hamburg auf. Er wurde von Dänemark und dem hannoverschen Gesandten Fabricius dem Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg-Strelitz empfohlen. Dänemark befürchtete, daß der mit den dänischen Angelegenheiten vertraute und dazu fähige Mann nach Schweden gehen könnte. Hannover, vertreten durch den mecklenburgischen Gutsbesitzer Fabricius, hatte kein Interesse an einem Machtzuwachs des Schweriner Herzogs und sah in Petkum einen Mann, dies zu verhindern. Petkum löste den strelitzschen Minister Gutzmer bei den Verhandlungen in Hamburg ab und erreichte dank seiner Geschicklichkeit, daß der Strelitzer Herzog von Mecklenburg blieb und das damit verbundene Votum auf dem Reichstag behielt. Die in den meisten Darstellungen berichtete Tatsache, daß Petkum bestochen und den Abschluß des Hamburger Vertrages beschleunigt habe, während schon ein Kurier des Kaisers mit einer Botschaft unterwegs war, die Adolf Friedrich das ganze Herzogtum Güstrow zusprach, ist allem Anschein nach eine Verleumdung, die vielleicht schon von dem verdrängten Gutzmer gegen Petkum vorgebracht wurde. 8 Im Jahre 1704 erwarb Petkum den Titel Reichshofrat.9 Im gleichen Jahre verließ er den Dienst bei Adolf Friedrich und wurde Ratgeber des damaligen Prinzen Carl Leopold. An den Verhandlungen um den brüderlichen Vergleich von 1707 war er beteiligt. Durch seine Hände liefen nach 1713 alle Regierungsgeschäfte. Von ihm stammten wahrscheinlich die Vorschläge zu den Maßnahmen, die auf die Errichtung eines absolue

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Der Meinung von Lisch, daß die meisten Diener des Herzogs „schlechte, leichtfertige, ungeschickte oder aufgeblasene Menschen waren", kann ich nicht zustimmen. Vgl. Lisch, G. C. F., Der Kammerpräsident v. Wulffen und die Vererbpachtung, ein Beitrag zur Geschichte des Herzogs Carl Leopold von Mecklenburg, in : Jb. d. Vereins f. mecklenb. Gesch. u. Altertumskd., B d X I I I , 1848, S. 197. Aepinus, F. J., Die Geschichte von Mecklenburg für jedermann in . . . Briefen, Bd III, Neubrandenburg 1798, S. 58. Buchwald, G. v., a. a. O., S. 93. Er erhielt den Titel für seine Verdienste in Ostfriesland, für verschiedene Gesandtschaften zu Königen, Kurfürsten, Fürsten und Republiken und f ü r seine Mitwirkung am Güstrower Successionsstreit. Nach der Bestallungsurkunde L H A Schwerin, Acta Collegiorum et Dicasteriorum, Generalia, Vol. 2 7 ; vgl. Gschließer, O. v., Der Reichshofrat, Wien 1942, S. 526.

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III. Herzog Carl Leopold und seine Räte

tistischen Regimes hinausliefen.10 Er war deshalb zusammen mit Schöpffer und Schaper der von der Ritterschaft am meisten gehaßte Mann. 11 Petkum führte noch von 1719 an Verhandlungen bei der kaiserlichen Kommission in Rostock, wurde im Juli 1720 ohne Gehalt entlassen und starb als alter Mann im Jahre 1721.12 Der zweite wichtige Minister Carl Leopolds war der energische Johann Joachim Schöpffer. Er wurde 1661 als Sohn eines Rechtsanwaltes in Quedlinburg geboren und war schon in jungen Jahren als Professor der Rechte an einigen Universitäten, darunter auch in Rostock (von 1687 an), tätig und gleichzeitig Herzoglich Güstrower Rat. Dieser tüchtige Jurist hatte schon 1688 eine anonyme Schrift erscheinen lassen. Sie enthielt eine Stellungnahme zum Güstrower Erbfolgestreit.13 1713 erschien sein Hauptwerk „Synopsis juris privati romani et forensis in qua solida jurisprudendiae fundamenta" in neuer Auflage. Unter Friedrich Wilhelm war er zeitweise mit der „administration der justice" betraut gewesen. 14 Für den Dienst bei Carl Leopold gab er seine Professur in Kiel auf.15 Er wurde Direktor der Justizkanzlei und 1715 Geheimer Rat. Seine ganze Kraft und sein Geld stellte er für den Kampf gegen den Adel und den Kaiser, für die Ziele seines Landesherrn zur Verfügung, erntete aber schließlich nur den Undank des Herzogs sowie die große Feindschaft des Adels und der Rostocker Bürgerschaft. 1719 entlassen, starb er noch im gleichen Jahre. Der Haß der Ritterschaft verfolgte ihn noch nach seinem Tode, als von der Rostocker Universität zu Schöpffers Ehre eine Schrift gedruckt und dieser Nachruf von den Kanzeln verlesen werden sollte. Auf Antrag des engeren Ausschusses der Ritterschaft wurde der Druck von Hannover verboten, da Schöpffer den Adel mit Geldstrafen drangsaliert hätte und die Edikte und Patente Carl Leopolds zum großen Teil ihm zuzuschreiben wären. 16 10

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Annales Mecklenburgici, sine Geschaffte de Gelehrten in Mecklenburg, Rostock 1 7 2 2 et 1723, S. 7 5 - 7 6 . Z u seiner Charakteristik schreibt Franck: ,,. . . und führte sich daher in Mecklenburg als eine unvorsichtige A m m e auf, die das K i n d erdrücket, so sie säugen soll; woraus des guten Landes jämmerliche Zerrüttung und des Hochfürstl. Hauses unsäglicher Schaden entstand. Es w u r d e n die Glieder an diesem Staats-Cörper dergestalt verrencket, daß sie kaum mit der größten Fürsichtigkeit einigermassen wieder konten in Ordnung gebracht werden. . ." (Bd X V I I , S. 4.) Eichholtz charakterisierte in seinen Erinnerungen Petkum als „der wahre Eheteufel und ein Erztaugenicht und Bösewicht". (Les Anecdotes. . .) Diesen Charakteristiken schloß sich auch Lisch an. {Lisch, G. C. F., Der Kammerpräsident . . ., S. 221.) Er strengte wegen seines rückständigen Gehaltes eine Klage gegen den Herzog an, die v o n seinen Erben weitergeführt wurde. Laut Rescript v o n Huldenberg v. 2. N o v . 1720. (StA Hannover, Han. 9 g., I, Nr 4 ; auch Han. 9 g, Gen. 4 ; vgl. Diarium Commissionis, V o l . I.) Buchwald, G. v., a. a. O., S. 79. V o n 1 7 0 7 bis 1 7 1 2 w a r er Rat und Vicedirektor der herzoglichen Justizkanzlei ( Krause, A D B X X X I I , S. 3 5 8 - 3 5 9 . ) V o n 1 7 1 2 bis 1 7 1 4 war er in Kiel als Professor tätig. V g l . Franck, D., A l t - und neues Mecklenburg, (19 Bände), Bd X V I I , G ü s t r o w 1 7 5 3 - 1 7 5 7 , S. 3 1 . S t A Hannover, Han. 9 g, I S, Nr 2 1 .

III. Herzog Carl Leopold und seine Räte

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Eine weitere einflußreiche Persönlichkeit war der Arzt Johann Ernst Schaper. Dieser wurde 1668 in Küstrin als Advokatensohn geboren. 1689 wurde er Doktor der Medizin und im gleichen Jahre „Leibmedicus" des Herzogs von Sachsen-Merseburg. 1692 wurde er an die Rostocker Universität berufen, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1721 die Professur für Medizin innehatte. 1705 wurde er Leibarzt von Friedrich Wilhelm und erhielt damit allmählich auch Einfluß auf die Regierungsgeschäfte. Im Jahre 1710 wurde er Hofrat. 1713 übernahm ihn Carl Leopold. 1715 ernannte man ihn zum Regierungsrat, 1718 zum Geheimen Rat. 1719 ebenfalls in Ungnade entlassen war er bis zu seinem Tode 1721 als Professorin Rostock tätig. 17 Als Wissenschaftler und auch als Politiker leistete er Bedeutendes. Er hatte fünfmal das Rektorat der Universität inne, zuletzt 1717, und war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien. Er hat eine Anzahl damals vielgelesener medizinischer Schriften hinterlassen.18 Es kann für Carl Leopold als positiv gewertet werden, wenn ein solcher Mann sich neben seiner Lehrtätigkeit für Regierungsgeschäfte zur Verfügung stellte. Fast alle Entwürfe für Schreiben, Edikte usw. waren von Petkum, Schöpffer und Schaper signiert, während die anderen Räte dabei seltener in Erscheinung traten. Von dem Kanzler Johann von Klein ist nur bekannt, daß er 1659 in Rostock geboren wurde, dort einen Lehrstuhl für Rechte innehatte und einige Male Rektor der Universität (zuerst 1693) war. Vorher war er schon Professor in Königsberg und Kiel gewesen. Er trat mit einigen Publikationen rechtlichen Inhalts an die Öffentlichkeit. 19 Schon unter Friedrich Wilhelm war er Kanzler. 1708 hatte er als der mecklenburgische Hauptunterhändler beim Vertrag rpit Preußen gewirkt. Aber er stand später mit seinem Denken auf der Seite der Ritterschaft (er war selbst Gutsbesitzer) und des Patriziats von Rostock. Deshalb nahm er seinen Abschied. Er behielt zunächst noch das Präsidium am Land- und Hofgericht. Aber am Ende des Jahres 1716 legte er auch diese Funktion nieder und floh nach Lübeck. 1719 kehrte er nach Rostock zurück und stellte sich später Christian Ludwig als Berater zur Verfügung. 20 Er starb 1732. Von dem Geheimen Rat Dr. Gerhard Hermann Grund uff der Worth ist fast nichts bekannt. Er stammte aus Hamburg, wurde 1701 Kanzleirat in Schwerin, 1704 Regierungsrat und 1713 Geheimer Rat. 21 Nach 1713 war er an den Maßnahmen gegen Rostock beteiligt, mußte aber schon häufig wegen Krankheit aussetzen. Er bat am 28. August 1715 um seinen Abschied und starb 1719. " Krause, A D B X X X , S. 575. Annales Mecklenburgici . . ., a. a. O., S. 6—18. 1 9 Sein Hauptwerk, das 672 Seiten umfaßt, lautet: „Annotationes ad . . . Johannis Joachim Schöpfferi. . . Synopsis juris privati. . . Rostockii et Lipsiae 1706." — Sowohl Schöpffer als auch Klein haben sich offenbar nicht speziell mit Staatstheorie oder Staatsrecht befaßt. So gibt es von allen unter Klein und Schöpffer angefertigten und jetzt noch vorhandenen Dissertationen nur eine rein staatsrechtlichen Charakters. (1698 unter Klein angefertigt: „ D e praerogativis principum sacri romani imperii".) 20 Franck, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 80. 2 1 LHA Schwerin, Acta collegiorum . . Vol. 28.

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III. Hetzog Carl Leopold und seine Räte

Der Oberhofmarschall Johann Dietrich von Eichholtz war der herzogliche Vertreter in Wien. Er versuchte, auch auf die Politik Carl Leopolds Einfluß zu gewinnen, was ihm aber offenbar nicht ganz gelang. Von Eichholtz war katholischer Konfession. Er war ein mit allen Schlichen vertrauter Höfling. Als solcher stand er in Wien in ziemlich hohem Ansehen. An den Plänen des Herzogs für einen eventuellen Übertritt zur katholischen Kirche scheint er nicht unbeteiligt gewesen zu sein. Seine Memoiren, die 1721 geschrieben wurden, haben viel zur negativen Einschätzung Carl Leopolds beigetragen. 22 Sie wurden von diesem schlauen Höfling nur zu seiner Rechtfertigung geschrieben, um bei der kaiserlichen Kommission in Rostock nach seinem Abschied auf Kosten des Herzogs Geld zu bekommen (10545 Rthl.), das er angeblich im Dienste des Herzogs verbraucht hatte, wie er eidesstattlich versicherte. Er verstand es, sich in diesen Memoiren in das rechte Licht zu setzen. Von Eichholtz trat später in den Dienst Christian Ludwigs. Ein dem Herzog sehr treu ergebener Ratgeber war der Hofintendant und spätere Geheime Rat Walter. Walter war der Sohn eines Schneiders und Lakaien. Er wurde Junge eines Kammerdieners, dann selbst Kammerdiener und später Hofintendant Carl Leopolds. Walter trat schon vor dem Regierungsantritt Carl Leopolds in dessen Dienst. Eine besondere Rolle spielte er bei den Verhandlungen mit Rußland, die er oder der Geheime Rat von Habichtsthal führte. Während des Aufenthalts des Herzogs 1720 in Wien befand sich Walter in seiner Begleitung. Doch hier scheint er keinen güsntigen Eindruck hinterlassen zu haben; vielleicht ist es aber auch seine niedere Herkunft, die alle Zeugnisse über ihn äußerst negativ ausfallen ließ. 23 Walter starb 1729. Zusammenfassend läßt sich über das Geheimratskollegium der ersten Regierungsjahre Carl Leopolds sagen, daß es sich im wesentlichen ausgebildeten und im Staatsdienst bewährten Männern zusammensetzte. Die Räte Petkum, Schöpffer und Schaper gaben diesem Kollegium das Gepräge. Die von ihnen mit Einverständnis des Herzogs betriebene Politik hatte eine starke Zentralregierung und eine Einschränkung der Privilegien des Adels zum Ziel. Es war eine Politik, die durchaus fortschrittlich war. Daß diese Politik am Ende doch fehlschlug, ist auf Faktoren zurückzuführen, die dem Einflußbereich des Geheimratskollegiums weitgehend entzogen waren: auf die Haltung der anderen Mächte und teilweise auf die starre und allen Ratschlägen unzugängliche Haltung des Herzogs. Noch ein paar Worte seien über den großen und mächtigen Gegenspieler Carl Leopolds und Petkums, Andreas Gottlieb von Bernstorff, gesagt. Dieser reiche mecklenburgische Gutsbesitzer und intrigante Politiker war „die Seele der Seelen der Ritterschaft" 24 in Mecklenburg. Er war als junger Mann im Auftrage Christians I. Louis für dessen französische Gemahlin Isabella Angelika als Dolmetscher tätig, 22 23

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Diese Memoiren (Les anecdotes . . .) wurden ausgiebig von Graff ausgewertet. In einem Bericht aus Wien von einem unbekannten Verfasser (nach Graff, W. P., a. a. O., S. 289, war es der fürstliche Geheimschreiber Casimir) wurde Walter als „Ein homme sans honneurs, der Prügel ein nimbt, wan es dem Hertzog beliebet, und sich zu allem gebrauchen läßt" charakterisiert. (StA Hannover, Han. 9 g, I S, Nr 24.) Friis,A., Die Bernstorffs, Leipzig 1905, Bd I, S. 348.

III. Herzog Carl Leopold und seine Räte

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als diese in Abwesenheit ihres Mannes in Mecklenburg die Regierungsgeschäfte führte (1670—1672. I n dieser Stellung durchkreuzte er nach K r ä f t e n die Politik v o n Christian Louis, die auf die Niederhaltung der Stände gerichtet war. Diese Dienststellung mußte er auf Befehl des Herzogs aufgeben u n d w u r d e Kriegsrat bei H e r z o g Georg Wilhelm v o n Celle (1672—1677) 2S, dann allmächtiger Minister u n d Geheimer Rat. E r arbeitete rastlos an der Vereinigung der weifischen Herzogtümer, w u r d e 1709 Staatsminister in H a n n o v e r u n d nach 1714 Leiter der „Deutschen Kanzlei" in L o n d o n . D a m i t hatte er maßgeblichen Anteil an den hannoverschen Regierungsgeschäften. I n die mecklenburgischen Verhältnisse mischte er sich ein, w o er n u r konnte. Sein ganzes Streben war auf die Schwächung der fürstlichen Gewalt u n d die Stärkung der ständischen Libertät gerichtet. So unterstützte er Adolf Friedrich beim Güstrower Erbfolgestreit mit Geld und guten Ratschlägen gegen Christian Louis bzw. Friedrich Wilhelm. 2 6 E r war die treibende Kraft, die die Opposition gegen den Schweriner Vergleich v o n 1701 entfachte. V o n Bernstorff f ü h r t e mit P e t k u m 1714 einen Briefwechsel, in dem er seine Ansichten v o n der besten Regierungsform in Mecklenburg darlegte u n d Vorschläge über einen Vergleich mit der Ritter- u n d Landschaft unterbreitete. 2 7 A u c h setzte er seine ganze K r a f t ein, u m bei seinen diplomatischen Machenschaften die mecklenburgische Ritterschaft nicht zu kurz k o m m e n zu lassen. 1720 fiel er in Ungnade, gab seine Stellung in L o n d o n auf u n d starb 1726 auf seinem Schlosse Gartow. 2 8 Bis zu seinem T o d e blieb er der Ratgeber des mecklenburgischen Adels. 25

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Nach dem etwas zweifelhaften Zeugnis der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans (von der Pfalz) hatte B. eine Liebschaft mit Isabella Angelika. Vgl. Friis, A., a. a. O., S. 2 - 3 . Buchwald, G. v., a. a. O., S. 8 1 - 8 5 . LHA Schwerin, Acta diff., Vol. I de anno 1714. Friis, A., a. a. O., S. 8; siehe auch Köcher, A., ADB XXIV, S. 433-436.

KAPITEL IV

Erste Auseinandersetzungen des Herzogs mit der Ritterschaft (1713—1716)

Sogleich nachdem Carl Leopold die Regierung übernommen und dies in den größeren Städten angezeigt hatte, ließ er am 15. August einen Landtag zum 4. Oktober 1713 ausschreiben. Da in Malchin, das als Landtagsort an der Reihe war, die russischen Truppen ihr Magazin hatten, wurde dieser Landtag in Sternberg abgehalten. 1 Die Ritterschaft hegte die Hoffnung, den neuen Herzog nach kurzer Zeit für sich zu gewinnen und damit einen bequemeren Landesherrn zu erhalten, als Friedrich Wilhelm es gewesen war. Der obenerwähnte Bernstorff wurde beauftragt, dem neuen Herzog das bisherige Verhältnis zwischen Ritterschaft und Landesherrn darzulegen und ihm Vorschläge zur Schaffung eines besseren Verhältnisses zwischen beiden zu machen.2 Dieses Unterfangen sollte mit der Überreichung eines „ansehnlichen Don Gratuit" unterstützt werden. Aber der Herzog ließ sich nicht bewegen, auf die Vorschläge Bernstorffs einzugehen, und sich auch nicht durch versteckte Drohungen einschüchtern. Auf dem Landtag wurde die gewöhnliche Kontribution verkündet und ausgeschrieben. Die Ritterschaft war damit gar nicht zufrieden, sondern verlangte eine Anrechnung der angeblich zuviel gezahlten Gelder aus der Zeit Friedrich Wilhelms auf Grund eines Schreibens des Kaisers vom 17. November 1712. Außerdem forderte sie, daß ihr der Kontributionsmodus überlassen bliebe. Natürlich hatte die Ritterschaft auch wieder eine ganze Liste Gravamina zur Hand, die sie abgestellt haben wollte. Ebenso verlangte sie als wichtigsten Punkt die Bestätigung ihrer Privilegien. Dafür war sie dann bereit, die Huldigungen zu leisten.3 Darauf ließ sich der Herzog nicht ein, und er erkannte auch ein Präsent von 20000 Rthl. nicht an, das man ihm nach langem Hin und Her bewilligen wollte, sondern ließ den Landtag durch Pet1 2 3

Fratick, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 7. V g l . Baiischmieter, H.-J., a. a. O., S. 1 1 5 . Die Situation im Lande mag noch durch folgende Episode charakterisiert w e r d e n : W ä h r e n d des Landtags, am 12. Oktober, kamen 4 0 Mann der Truppen aus Wismar nach Sternberg und trieben trotz Protestes der Deputierten eine Kornlieferung ein. (Vgl. Franck, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 12.)

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VI. Erste Auseinandersetzung (1713—1716)

kum am 16. Oktober mit der Festsetzung von 50000 Rthl. Kontribution schließen.4 Da die Ritter der Zahlung nicht nachkamen, wurden die Gelder durch Exekution eingetrieben, das heißt, auf die ritterschaftlichen Güter wurden Soldaten gelegt, die bis zur Zahlung dort blieben. Die Ritterschaft reichte sofort beim Reichshofrat Klage gegen den Herzog ein und erreichte damit ein kaiserliches Mahnschreiben vom 28. Juni 1714 an den Herzog, über die zuviel gezahlten Gelder in zwei Monaten eine Regelung zu treffen und sich auch sonst an das Herkommen und die landesfürstlichen Reversalen zu halten. Eine Intervention des Freiherrn von Eichholtz in Wien blieb ohne Erfolg. Die Absicht des Herzogs, sofort nach seinem Regierungsantritt im Jahre 1713 eine offene absolute Herrschaft aufzurichten, ist nicht aktenmäßig nachweisbar, wenn es auch von Zeitgenossen allgemein behauptet wurde. 5 Dagegen hatte der Landesherr allerdings die Absicht, den dauernden Truppendurchzügen und Einquartierungen auf Kosten der mecklenburgischen Bevölkerung ein Ende zu machen; er suchte dafür auch die Ritterschaft zu gewinnen. Dieser Plan lief auf die Aufstellung neuer eigener Truppen hinaus, und diese kosteten mehr Geld, als die laufende Kontribution einbrachte. Die Ritterschaft war gegen diesen Plan eingestellt, weil sie meinte, daß Truppendurchzüge nicht dauernd stattfänden und alle Lasten der Einquartierung auf die Bauern abgewälzt werden könnten. Außerdem befürchtete sie natürlich mit Recht, daß ein stehendes Heer ihrer Vormachtstellung ein Ende bereiten könnte. Erst aus dieser Situation heraus scheint sich Carl Leopold 1714 dazu entschlossen zu haben, den Einfluß der Ritterschaft zu mindern und selbstherrlich zu regieren, nachdem die Vergleichsverhandlungen zwischen Petkum und Bernstorff gescheitert waren. 6 Zu diesem Zweck wurde trotz der erwähnten kaiserlichen Schreiben zum 27. September 1714 ein neuer Landtag nach Sternberg ausgeschrieben und in der Proposition gesagt, daß neben der allgemeinen Kontribution laut eines kaiserlich ratifizierten Beschlusses der Reichsversammlung von 1702 auch Steuern für eine insgesamt 80000 4

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Landtagsprotokoll 1 7 1 3 ; Landtagsabschied, abgedruckt bei Franck, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 1 4 - 1 5 . Klüver zweifelte es auch an (a. a. O., Bd IV, S. 1 0 1 ; dagegen Franck, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 4). Franck stützt sich auf den Kanzler Klein, dessen Buch auch als Rechtfertigungsschrift anzusehen ist. Klein schreibt (S. 58), daß Carl Leopold gleich beim Regierungsantritt ihm gegenüber geäußert habe, „daß Ihme dieses Principium beigebracht worden, daß Er, als ein in seinen Landen Souverain regierender Reichs-Fürst solches willkürlich regieren könne; und an keinen Verträgen, Reversalien und Pacten seiner Herren Vorfahren in der Regierung, noch an Haltung v o n Ihnen Ihren Unterthanen ertheilten, obgleich ab Imperatoribus allergnädigst confirmirten Privilegiorum gebunden sey". Er (Klein) habe versucht, die Schädlichkeit dieses Standpunktes vorzutragen, aber kein Gehör gefunden. Deshalb habe er sein A m t niedergelegt. Diese Darstellung ist zumindest ungenau, denn Klein hat erst einige Jahre nach dem Regierungsantritt Carl Leopolds sein A m t zur Verfügung gestellt. Vgl. [Sebeve], Höchst-gemüßigter Historischer-ACTENmäßiger Bericht . . . Mit Beylagen, 1719 (im folgenden: Höchstgemüßigter Bericht), S. 3. L H A Schwerin, Acta diff., Vol. I de anno 1714. (die mit Bernstorff geführte Korrespondenz.)

IV. Erste Auseinandersetzung (1713—1716)

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Mann starke Reichsarmee aufzubringen wären.7 Mit diesem Ansinnen wollte man herzoglicherseits wahrscheinlich die zuviel gezahlten Kontributionen der früheren Jahre liquidieren. Doch die Ritterschaft verbat sich solche Kontribution gänzlich, da eine kaiserliche Bestätigung dieses Beschlusses von 1702 nicht zustande gekommen wäre. Sie ersuchte wegen der vielen Unkosten durch Besatzung und andere Kriegsunbilden um Herabsetzung der Kontribution um die zuviel gezahlte Summe und bat, den Landtag bis zur Festsetzung dieser Summe zu verschieben. Doch Carl Leopold setzte die Kontribution von 170 000 Rthl. fest und erließ dazu am 16. Oktober 1714 ein Kontributionsedikt, das außerdem befahl, das Geld nicht in den Landkasten, sondern in die fürstliche Kriegskasse zu liefern. Die Ritterschaft reagierte hierauf neben einem Memorial an den Herzog vom 24. November 8 mit einer Kurrende des engeren Auschusses, die Kontribution nicht gutwillig zu leisten. Daraufhin sah sich der Herzog zur gewaltsamen Eintreibung veranlaßt. Wegen der Kontributionsordnung wurde in Wien geklagt und wegen der gewaltsamen Eintreibung die Attentatenklage beim Reichshofrat gegen den Landesherrn angestrengt. Es erfolgten auch sofort ohne Befragung des Herzogs zwei Reichshofratskonklusa, die die Einstellung der Exekution der Reichssteuern und die Wiederherstellung des Landkastens befahlen. 9 Im Jahre 1715 wollte der Herzog seine Macht gegenüber der Ritterschaft durchsetzen. Er zwang Rostock in die Knie, wovon noch zu reden sein wird, und verlangte von den Rittern, die in seinem Dienst standen oder als Bittsteller zu ihm kamen, die Unterzeichnung eines eidlichen Reverses, treu zu ihm zu stehen und sich nicht in die Auseinandersetzungen zwischen Herzog und Ritterschaft einzumischen. Die Absicht des Herzogs war es dabei, die Geschlossenheit der Ritterschaft zu untergraben. Doch diesen Eid unterschrieben nur Adlige, die als Offiziere im Militärdienst standen, während die übrigen, welche die Mehrheit bildeten, die Unterschrift unter die ihnen im August 1715 zugestellten Reverse verweigerten. 10 Außerdem ließ der Herzog durch seinen Anwalt Georg Ferdinand Maul am 18. Juni 1715 eine „allerunterthänigste Supplication" an den Kaiser richten. In diesem Schriftstück waren die Absichten des Herzogs mit den dazugehörigen Begründungen ausführlich dargelegt. Der Herzog bezweifelte die Gültigkeit des Schweriner Vertrages von 170111, auf den sich die kaiserlichen Verordnungen gegen ihn stützten, weil 1. ein Teil der Ritter ständig dagegen protestiert hatte, 2. Herzog Friedrich Wilhelm den Vertrag nur unterschrieben hatte, um den dauernden Prozessen ein Ende zu machen, und nicht wissen konnte, daß die Ritterschaft sich nicht an den Vertrag halten würde, 3. Friedrich Wilhelm den Vertrag, nachdem er durch einige 7 8 9 10 11

Beide Dokumente abgedruckt bei Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 428—429 ; 429—430. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 23. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen, Nr 25 u. 26. LHA Schwerin, Acta diff., Vol. I, de anno 1715. 1701 wurde durch eine kaiserliche Kommission unter Führung J. M. Geschwind von Pecksteins eine Kontributionssumme von 120000 Rthl. zuzüglich 50000 Rthl. Kreisund Reichssteuern festgesetzt. Vgl. Des Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn . . . gegebener Vergleich . . . Anno 1701.

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I V . Erste Auseinandersetzung ( 1 7 1 3 — 1 7 1 6 )

Vertreter der Ritterschaft gebrochen war, ebenfalls nicht mehr anerkannte, 4. selbst Kaiser Joseph den Vertrag nicht mehr anerkannt hatte, und 5. Kaiser Karl VI. den Herzog Friedrich Wilhelm angewiesen hatte, sich nur bis zu einer neuen Verordnung daran zu halten, 6. die Ritter selbst erklärt hatten, daß sie sich nicht an den Vertrag gebunden fühlten. Wer konnte es daher Carl Leopold verübeln, nach den im ganzen Reich gültigen Gesetzen auch in seinem Lande zu verfahren und die Ritter zur entsprechenden Zahlung heranzuziehen. Er tat dabei nicht mehr als die anderen Reichsstände in ihren Ländern. 12 Weitere wichtige Gründe für eine Außerkraftsetzung des Vertrages, an den sich Carl Leopold auf Anweisung des Reichshofrates halten sollte, waren: Die alte Union zwischen Ritter- und Landschaft war praktisch durch den Vergleich der Landstädte mit dem Herzog von 1708 aufgehoben, was entgegen der Meinung der Ritterschaft durchaus berechtigt war, da der Adel über die Landstädte eine Art Vormundschaft ausübte. Die Steuern der Städte wurden nun in die fürstliche Kasse gezahlt. Durch die Verlegung der Residenz nach Rostock war es notwendig geworden, die Befestigungen der Stadt in einen gehörigen Verteidigungszustand zu bringen, um die Besetzung durch fremde Truppen auszuschalten. Das kostete natürlich Geld und war nicht von der Summe von 1701 zu bezahlen. Auch die Ausschaltung des Landkastens in Rostock, der unter der Aufsicht und Verwaltung der Landstände stand, war durchaus berechtigt, da Teile der Ritterschaft ihr Kontributionsquantum gar nicht eingebracht hatten. Andere hatten Gelder in einen eigenmächtig angelegten sogenannten Nebenkasten gezahlt, um sie für Prozeßkosten zu verwenden. Die Summe von 120000 Rthl. war schon allein deshalb überholt, weil sich der Zustand des Landes und dessen Vermögenslage erheblich gebessert hatten. Der Widerstand des Adels war zum Teil das Ergebnis der verbesserten Vermögenslage. 13 Die zwischen Landständen und Landesherr getroffenen früheren Vereinbarungen waren nicht so beschaffen, daß der Herzog Kontributionen bei Weigerung der Stände durch Exekution eintreiben konnte.14 Aber Carl Leopold nahm sich dieses Recht mit der Begründung, daß es dem Lande zum Vorteil gereiche, und setzte sich damit über alte Abkommen hinweg. Eine rechtliche Handhabe dazu gab ihm der Artikel 19 der Wahlkapitulation Karls VI., der alle Klagen von Untertanen gegen ihre Obrigkeit an den Landesherrn zu verweisen versprach. Aus allen diesen Gründen und weil die Landstände außerdem „den Landes-Fürsten und Herren in ihren äußersten Nöthen, darinnen diese mehrentheils durch verwegerte zulängliche Steuren gerathen, dann und wann etwas abgezwicket, so sie Privilegien und Reversalen nennen.. ," 1 S hielt es Carl Leopold für erforderlich, ihre Mitregierung einzuschränken oder sie sogar von der Regierung auszuschließen. Er bat deshalb den Kaiser, die Ritterschaft anzuhalten, zu den Legations-, Fortifi12 13 14

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V g l . Klüver,H.H., a. a. O., Bd I V , S. 452. V g l . Klüver,H.H., a. a. O., Bd I V , S. 456. Reversalen v o n 1572, § 3 , in: Mecklenb. Urkunden u. Daten, hrsg. v . H. Sachsse, Rostock 1900, S. 2 6 7 - 2 6 8 . Klüver,H.H., a. a. O., Bd I V , S. 458.

IV. Erste Auseinandersetzung (1713 — 1716)

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kations- und Garnisonskosten, dem Kammerzieler und hauptsächlich zur Landesdefension ihrem Vermögen nach beizutragen. Bei dieser Vorstellung an den Kaiser konnte sich der Herzog auf §§14 und 180 des Reichsabschieds von 1654 stützen. Die Festsetzung der Steuersumme geschah außerdem, wie es in der Wahlkapitulation Karls VI., Artikel 15 und 19, festgelegt war, nicht nach dem Ermessen der Landsassen, sondern nach dem Befehl des Landesherrn. Es kann wohl als sicher gelten, daß der mecklenburgische Herzog bei seinem Versuch, den mächtigen Adel von der Regierung auszuschließen und die Kontribution zu erhöhen, um die Verteidigungsbereitschaft des Landes zu stärken, nicht die Absicht hatte, den Adel als Klasse völlig auszuschalten. Er wollte nur eine absolute Herrschaft über sein ganzes Land ausüben, wobei ihm der Adel in seinem Offizierskorps und Beamtenapparat stets sehr willkommen war. Die höhere Steuer, die er von den Rittern verlangte, konnten diese ohne Schwierigkeiten aufbringen, denn der ritterliche Landbesitz sollte in den nächsten Jahren ganz anderen Belastungen ausgesetzt werden, ohne daß sich deshalb Auswirkungen auf die Wirtschaft bemerkbar machten. Der Nordische Krieg und die inneren Auseinandersetzungen in Mecklenburg wirkten sich nur gering auf die Preise für Lebensmittel aus.16 So muß man das oben angeführte Schreiben vom Juni 1715 und alle anderen Bestrebungen des Herzogs und seiner Räte gegen den Adel aus der Zeit von 1713 bis 1715 als einen Versuch einschätzen, die Landstände zwar in ihrer Mitregierung einzuschränken und von ihnen höhere Abgaben zu erheben, aber dabei durchaus die ewigen Prozesse mit der Ritterschaft zu beenden und zu einer möglichst guten Übereinkunft zu gelangen. Um dies zu beschleunigen, versuchte man außer durch gütliche Verhandlungen unmittelbar mit der Ritterschaft bzw. auf dem Umweg über den Kaiser oder Reichshofrat auch auf mehr oder minder gewaltsame Weise zu einem Ausgleich zu kommen, wie es zum Beispiel mit Rostock gelang. Man spekulierte dabei mit einer gewissen Berechtigung auf die Schwerfälligkeit des Reichsapparates, von der der Reichshof rat von Petkum im gleichen Zusammenhang sagte: „Der Kayser zieht sein Schwert langsam aus." 17 Inzwischen waren die am Nordischen Krieg beteiligten Heere auf dem Rückmarsch aus Holstein wieder in Mecklenburg angekommen. Sie hatten die Absicht, Wismar und Stralsund zu belagern und den Schweden zu entreißen. In Stralsund hielt sich der 1714 aus der Türkei zurückgekehrte Karl XII. auf, den kurz nach seiner Ankunft Adolf Friedrich von Mecklenburg-Strelitz und der Prinz Christian Ludwig aufgesucht hatten. Zwischen Karl XII. und Carl Leopold bestand schon von früher her ein gutes Verhältnis. Der Mecklenburger sah in dem Schwedenkönig sein Vorbild, was sich unter anderem in Nachahmung der Kleidung ausdrückte. Um zu verhindern, daß Rostock abermals von kriegführenden Truppen besetzt wurde, befahl der Herzog die Befestigung dieser Stadt. 18 Dazu wurden die Untertanen der 16

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Die Kornpreise in Mecklenburg von 1710 — 1733, in: Norddeutscher Korrespondent, 1860, Nr 272. Franck, D., a. a. O., Bd XVII, S. 45. Der Wiener Hof zeigte sich mit dieser Absicht einverstanden. In Lübeck war bereits Pulver gekauft. (Les Anecdotes . . ., a. a. O.)

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IV. Erste Auseinandersetzung (1713—1716)

Ritterschaft mit dem nötigen Schanzwerkzeug und Verpflegung versehen, nach Rostock 2itiert oder auch gewaltsam dorthin gebracht.19 Die Ritterschaft protestierte ohne Erfolg gegen diese Maßnahme, wobei sie die Meinung vertrat, alle Verpflichtungen laut Schweriner Vergleich mit der Kontributionssumme erfüllt zu haben. Außerdem erließ der Herzog am 17. Juni 1715 „zum Schutz des Landes und maintenirung der Neutralität" ein Landesaufgebot, das alle Ritter mit Pferd, Gewehr und Verpflegung für 14 Tage zum 13. Juli nach Rostock befahl.20 Aber die „patriotischen" mecklenburgischen Ritter dachten gar nicht daran, diesem Befehl nachzukommen. Sie waren der Ansicht, die Heere der Nachbarn wären so stark, daß ein Widerstand nur größeren Schaden bringen würde, und appellierten deshalb an den Reichshofrat. 21 Doch schon vor dem 13. Juli besetzten die Dänen Rostock 22 , und damit entfiel das Aufgebot. Auch die zusammengetriebenen Ochsen wurden, da Rostock nicht verteidigt wurde, zurückgegeben. Es erhebt sich die Frage, ob die vielumstrittene Landesdefension überhaupt möglich war. Natürlich mußte es Carl Leopold klar sein — und es war ihm auch klar —, daß selbst die beste Armee sein Land nicht verteidigen konnte. Das wollte er meines Erachtens auch nicht, sondern er beabsichtigte, das Land mit einem Netz von Festungen zu überziehen, die von durchziehenden Truppen nicht genommen werden konnten und somit eine gewisse Sicherheit gewährleisteten. Von den mecklenburgischen Festungen waren diejenigen die wichtigsten, die Geld einbrachten. Das waren Rostock und die beiden Elbzollstellen Dömitz und Boitzenburg. Am 20. August hatte der engere Ausschuß ein neues Memorial an den Herzog gerichtet und ihn um Befolgung des kaiserlichen Abmahnungsschreibens vom 26. Juli 1715 ersucht, in dem auf Wiederherstellung des Landkastens und der Rechte der Stadt Rostock sowie auf Abstellung der ritterlichen Beschwerden über zuvielgezahlte Steuern gedrungen wurde. Gleichzeitig war die Konservation angedroht worden. In seiner Antwort vom 7. September 1715 erklärte der Herzog zornig die bisherige Kontribution für noch nicht zureichend. Außerdem hoffte er, daß der Kaiser ihn auf seine Vorstellungen hin nach den Reichsgesetzen verfahren lassen würde. Inzwischen war zum 25. September wieder ein Landtag nach Sternberg ausgeschrieben worden. In der Proposition wurde eine erhöhte Kontribution gefordert. Die Empörung der Ritterschaft darüber klingt deutlich aus der „unterthänigsten Antwort" auf die Proposition heraus. Der Adel stellte fest, daß er bereit wäre, die 120000 19

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Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 1 6 9 ; es war befohlen, v o n „jeder besetzten Hufe eine Mannsperson und von zwei Kossatenstellen eine zur Arbeit tüchtige Weibsperson . . . zur Arbeit nach Rostock" zu schicken. Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 158. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 171. Klüver, H. H„ a. a. O., Bd IV, S. 1 5 8 - 1 5 9 ; siehe auch Droysen, J. G., a. a. O., Bd IV, 2, S. 150. Ein Widerstand der mecklenburgischen Truppen in Rostock wurde dadurch verhindert, daß der dänische König den mecklenburgischen Herzog einlud und ihn erst wieder entließ, als letzterer versprochen hatte, Rostock zu übergeben. Als Geheimpunkt bei der Kapitulation Rostocks war die Rückgabe Wismars an Mecklenburg festgesetzt. (Les Anecdotes . . ., a. a. O.)

I V . Erste Auseinandersetzung ( 1 7 1 3 — 1 7 1 6 )

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Rthl. zu zahlen; aber bisher wäre er dazu wegen der Truppendurchgänge nicht in der Lage. Um seinen guten Willen zu zeigen, bot er jedoch 30000 Rthl. an. Diese wurden nicht angenommen und daraufhin von der Ritterschaft noch um 5000 Rthl. erhöht.23 In dem Landtagsabschied vom 11. Oktober 1715 wurden auch die 35000 Rthl. zurückgewiesen und mit Rücksicht auf die Einquartierung 50 000 Rthl. Kontribution festgesetzt. Das bedeutete eine Erhöhung, da bisher nur ein Drittel von 120000 Rthl.24, abzüglich des Teiles für den Stargarder Kreis, gezahlt worden war. Trotzdem sollte man sich einmal die für die Ritterschaft lächerliche Summe vorstellen ; wenn man bedenkt, daß dazu 500 bis 600 Güter beisteuerten, so betrug die Summe je Gut noch keine 100 Rthl. Zwei Handlungen vom Anfang des Jahres 1715, die der Herzog ohne Mitwirkung der Landstände ausführte, müssen noch erwähnt werden. Das war erstens der Abschluß eines sogenannten Cartells vom 5. Februar 1715, das heißt eines Abkommens mit Schweden, das vorsah, sich gegenseitig die Überläufer wieder auszuliefern, aber auch, was bezeichnend für die Bauernpolitik war, alle entlaufenen Leibeigenen zurückzugeben. 25 Es gab wahrscheinlich viele Deserteure unter den mecklenburgischen Truppen und viele Leibeigene, die den schwedischen Kriegsdienst der Knechtschaft auf den mecklenburgischen Gütern vorzogen; Die Verwirklichung der Bestimmungen dieses „Cartells" lag offensichtlich ebenso im Interesse der Ritterschaft wie des Herzogs. Wenn sich der Adel trotzdem dagegen wandte, zeugt das davon, wie sehr es ihm zuwider war, daß der Herzog ein Abkommen ohne ritterschaftliche Zustimmung geschlossen hatte. Als zweite eigenmächtige Handlung erließ Herzog Carl Leopold am 27. März 1715 ein Duelledikt, das bereits sein Vorgänger geplant hatte. Dieses Gesetz war der Ritterschaft deshalb besonders unangenehm, weil es auch für den Adel Strafen in solcher Höhe festsetzte, die bisher dafür nicht vorgesehen waren, obwohl immer noch bei der Festsetzung der Strafe der Klassenunterschied gebührend berücksichtigt war. 26 Gegen dieses Duelledikt wandte sich die Ritterschaft ebenfalls auf dem Landtag, ohne etwas zu erreichen. Daraufhin erfolgte natürlich die obligate Beschwerde beim Reichshofrat. Aber auch Carl Leopold richtete ein Rechtfertigungsschreiben an den Kaiser und beklagte sich über die Widerspenstigkeit seiner Ritterschaft, wobei er behauptete, daß es der Ritterschaft nicht an Vermögen fehlte, „gestalt dieselbe dann noch vor gar kurtzer Zeit auf eine ungeziemende / ihren Pflichten unanständige / und dahero höchst straffbahre Weise / unter sich eine Collecte zur Beförderung ihrer wider mich führenden unverantwortlichen Machinationen aufgebracht hat / davon die Summe das von ihr zur Contribution offerirte Quantum gedoppelt übersteiget". 27 Am 4. Februar erfolgten dann die sicher von beiden Parteien erwarteten Klüver,H.H., a. a. O., Bd I V , S. 4 6 3 - 4 7 8 . Domanium, Städte und Adel zahlten je ein Drittel. 25 Klüver,H.H., a. a. O., Bd I V , S. 1 0 6 - 1 0 9 . 2« Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 1 0 9 - 1 2 8 . 2 ' Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 182. — Diese Tatsache wurde im Höchstgemüßigten Bericht, S. 97, bestritten, aber m. E. ist es durchaus wahrscheinlich. 23

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Wiek, Absolutismus

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IV. Erste Auseinandersetzung (1713—1716)

Konklusa des Reichshofrates: Die erbetene Revision der kaiserlichen Entscheidung vom 26. Juli 1715 wurde abgelehnt. Der Ritter- und Landschaft wurde der Vertrag von 1701 als verbindlich hingestellt, während dem Herzog ein Einspruch dagegen erhalten blieb. Zum Landtagsbeschluß und Duelledikt wurde befohlen, daß es bei der Kontribution von 120000 Rthl. zu bleiben hätte, nicht mehr gefordert werden dürfte und das zuviel Eingetriebene zurückzuerstatten sei. Ritter und Landschaft sollten sich nach den kaiserlichen Duellpatenten richten. Über die modi und quotae der Kontribution sollte binnen zwei Monaten berichtet werden. Ebenso sollte ein Bericht über die Trennung der Union von der Ritter- und Landschaft und die Einziehung der städtischen Lizenzen in die fürstliche Kriegskasse in zwei Monaten eingereicht werden.28 Aus diesen Beschlüssen des Reichshofrates ist schon ganz klar die proritterschaftliche Tendenz zu ersehen. Wenn man in Wien in den Entscheidungen noch nicht ganz so rücksichtslos wie später gegen den Herzog Stellung bezog, so waren doch schon jetzt alle Konklusa im Sinne der Ritterschaft abgefaßt. Im April 1716 reiste Carl Leopold nach Danzig zur Hochzeit, wovon noch zu berichten sein wird. In der Zwischenzeit, im Mai 1716, wurden ohne Einverständnis von Ritter- und Landschaft drei neue Landräte ernannt. Man hoffte damit willfährige Leute zu Landräten zu machen, die im Sinne des Herzogs ihren Einfluß auf die Ritterschaft ausübten. Die Namen der neuen Landräte waren Joachim von Moltken, A. Henning von Bülow und C. von Freyburg. Auf den letzteren setzte man wohl besonders große Hoffnungen, weil er als Neuadliger bei den übrigen nicht in Ansehen stand.29 28 29

Ebenda Beylagen Nr 1 8 3 - 1 8 7 . Sein Großvater war noch Leibeigener gewesen und hieß Schlottmann, Vgl. Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 4 8 3 - 4 8 4 ; Framk,D., a. a. O., Bd X V I I , S. 73.

KAPITEL V

Die Politik gegenüber Bauern und Bürgern

Die Bauernpolitik Carl Leopolds in den Jahren 1715bisl718 ist eng mit dem Wirken des Kammerpräsidenten Lüben von Wulffen verbunden. Dieser löste den Kammerpräsidenten von Plessen, der ein Anhänger Bernstorffs war, am 15. Januar 1715 ab. Der neue Kammerpräsident Christian Friedrich von Wulffen 1 war zuvor bis 1710 preußischer Hofkammerrat gewesen und hatte in Preußen von 1700 an, allerdings ohne dauernden Erfolg, versucht, Domänenländereien in Erbpacht zu geben. 2 Der Herzog Carl Leopold brauchte zur Unterhaltung seiner vorhandenen und geplanten Truppen sowie zum Ausbau der Festungen viel Geld, das ihm die Ritterschaft, wie wir gesehen haben, nicht im notwendigen Maße bewilligte. Es war daher kein Wunder, wenn er den Lubenschen Erbpachtprojekten sein Ohr lieh, die ihm eine erhebliche Mehreinnahme aus den Domänen garantierten. Bei der Durchführung dieser Projekte hat der Herzog meiner Ansicht nach nicht an eine Verbesserung der Lage der Bauern gedacht, sondern ausschließlich an das Geld, das dabei einkommen sollte. Daraus ist zweifellos die Hast zu erklären, mit der die Lubenschen Projekte in die Praxis umgesetzt wurden. Statt den Bauern bessere Lebensbedingungen ohne hohe Abgaben zu gewähren, wurde das bereits genannte „Cartell" mit Schweden abgeschlossen, das den Leibeigenen den wahrscheinlich oft gegangenen Weg in schwedische Kriegsdienste unmöglich machte.3 Auch die Bauern, die mit ihrer Habe vom ritterschaftlichen Gebiet aus ins fürstliche Amt Crivitz flüchteten (1713), wurden wieder ausgeliefert. 4 Man sieht, daß der Herzog in den ersten beiden Jahren seiner Regierung, als er noch hoffte, den Adel zumNachgeben gegenüber seinen absolutistischen Plänen bewegen zukön1

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Über den Lebenslauf Lübens siehe Lisch, G. C. F., Der Kammerpräsident . . ., a. a. O. S. 197ff. Ranke, L.v., Sämtliche Werke, Bd 25 u. 26, Leipzig 1874, S. 463—469; Strehlke, R., Der Verlauf der Domänenerbpacht im 18. Jh. . . ., Berlin 1954. (MS) Im Abschnitt 2 dieses „Cartells" heißt es: „Keine Erb-Unterthanen, oder sogenannte Leibeigene sollen weder, wann sie sich freywillig angeben, in Diensten genommen, noch weniger aber dazu gezwungen, sondern . . . sogleich ohneweigerlich wiederum loßgegeben und ohne Entgelt ausgeliefert werden." Vgl. Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 107. LHA Schwerin, Landtagsprotokolle 1713. Engerer Ausschuß.

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V . Politik gegenüber Bauern und Bürgern

nen, ganz und gar nicht der „Bauernherzog" war, dem die „Hebung der Unterdrückten und die Stärkung des Bauernstandes am Herzen" lagen. 5 Dagegen bewies Lüben bei seinen Projekten zur Weiterentwicklung und Erhöhung der Produktivität der mecklenburgischen Landwirtschaft großen Weitblick. 6 Daß keine Erbverpachtungen durchgeführt wurden, ist nicht seine Schuld, da die Kriegsumstände und die dauernden Einquartierungen während dieser Jahre keine günstigen Bedingungen für Neuerungen waren. Auch wirkte sich die Hast, mit der alle Maßnahmen eingeleitet wurden, negativ aus. Man wollte eben möglichst schnell zu Geld kommen. Auf einen Widerhall seiner Maßnahmen bei der Bauernschaft bin ich in den von mir benutzten Akten nicht gestoßen. Ein Zusammenhang zwischen diesen Maßnahmen und der Beliebtheit des Herzogs bei den Bauern ist zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich, sonst hätte die Resonanz bei der Bauerschaft größer sein müssen.7 Die Anhänglichkeit der Bauern an den Herzog rührt eindeutig von dem Eingreifen Carl Leopolds in den Klassenkampf zwischen Bauern und Adel her. Auch das Bestreben des Herzogs, das Land von Truppendurchzügen zu befreien, trug dazu bei. Als bei der Auseinandersetzung zwischen Herzog und Ständen etwa in der zweiten Hälfte des Jahres 1715 offenbar wurde, daß an eine gütliche Unterordnung des Adels und an eine Übereinkunft nicht zu denken war, ging der Landesherr gewaltsam gegen die Ritter vor. Bei diesem Kampf gegen den Adel waren die Bauern neben den Bürgern der Landstädte seine besten Verbündeten. Die Bauern hatten Gelegenheit, bei der gewaltsamen Portionseintreibung in den Jahren 1717 und 1718 als Soldaten des Herzogs mitzuwirken, und diejenigen, die keine Soldaten waren, hatten die Genugtuung, daß ihre Unterdrücker von ihren Höfen flüchteten8 und deren Güter von einem fürstlichen Verwalter übernommen wurden. Die Bauern auf den adligen Gütern waren sich stets des herzoglichen Schutzes gewiß, wenn sie sich über Ausschreitungen der Ritter beschwerten. Carl Leopold setzte sich auch über den berüchtigten Artikel 16 der Reversalen von 1621 hinweg; Gutsherren, die den Versuch unternahmen, Bauern zu legen, wurden durch das Hofgericht oder die Justizkanzlei bestraft, und die Bauern wurden geschützt.9 Ebenso dachte man fürstlicherseits nicht mehr daran, entlaufene Leibeigene des Adels wieder auszuliefern, sondern diese wurden fürstliche Soldaten, waren dann häufig auf adligen Gütern einquartiert und emsig bei der Eintreibung der befohlenen Kontributionen tätig. 5 6

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Beyer, C., a. a. O., S. 32. Eine Darstellung der Lubenschen Tätigkeit in Mecklenburg siehe bei Wiek, P-, Versuche zur Erbverpachtung und A u f h e b u n g der Leibeigenschaft in Mecklenburg zu Beginn des 18. Jahrhunderts, i n : Jahrbuch f ü r Wirtschaftsgeschichte 1 9 6 1 , Teil 1, Berlin 1 9 6 1 , S. 45 —60. D o r t weitere Literaturangaben. Nichtweiß, /., a. a. O., S. 94, und SchmältK., a. a. O., S. 1 2 8 , f ü h r e n die Beliebtheit darauf zurück. Frank, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 8 0 ; Höchtsgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 517. S t A Hannover, Han. 9 g, I L, Nr 2 ; Cal. Br. A r c h . Des. 2 4 Mecklenburg, Nr 63, Leysers Manualakten.

V. Politik gegenüber Bauern und Bürgern

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Die Beliebtheit des Herzogs bei den Bauern läßt sich nicht allein aus seinem Eintreten für die Bauernschaft erklären, sondern rührt hauptsächlich von seiner Feindschaft gegen den Adel her. Eben aus dieser Auseinandersetzung mit der Ritterschaft resultieren die Maßnahmen, die der Bauernschaft zugute kamen. Die Bedeutung der Geistlichkeit und ihr Einfluß auf die Menschen wurden vom Herzog und seinen Ratgebern nicht verkannt. Man bemühte sich um ein gutes Verhältnis zu ihr. So wurden die früher abgebrochenen Arbeiten für einen neuen und einheitlichen Landeskatechismus wieder aufgenommen, der 1717 zur Jubiläumsfeier der Reformation fertiggestellt wurde. Der Verfasser war der schon genannte Professor und Superintendant von Krakewitz, während die anderen Superintendanten das Werk begutachteten. Gleichzeitig wurden die Wünsche der Geistlichkeit berücksichtigt, von denen die wichtigsten waren: Katechismusunterricht vom 6. Lebensjahre an und Unterricht und Kontrolle des Lehrers durch die Pastoren.10 Das bedeutete, daß der Geistlichkeit das gesamte Bildungswesen im Lande überlassen war. Zu einer Zeit, in der das Analphabetentum auf dem Lande vorherrschte, war diese Regelung ein wichtiger Schritt vorwärts auf dem Wege, ein normales Schulleben überhaupt in Gang zu bringen. Der Preis für den neuen Katechismus, der durch herzogliche Verordnung vom 15. Februar 1718 im ganzen Land eingeführt wurde, betrug 4 ß; er wurde den Armen umsonst geliefert. 11 Dieser Katechismus war dann in Mecklenburg fast 200 Jahre in Gebrauch. Allerdings fehlte daneben nicht der Versuch, die Geistlichkeit ihrer bisherigen Steuerfreiheit zu berauben. So dachte der Herzog bei seinen Bemühungen, überall Geld aufzutreiben, im Jahre 1717 auch an den Klerus und beabsichtigte, ihn und seine Bauern zur Kontribution mit heranzuziehen. Auch vor Einquartierungen verschonte er ihn nicht. Aber auf Grund zahlreicher Klagen nahm er zunächst davon Abstand. Doch am 25. Januar 1718 erließ er aufs neue eine Verordnung, die eine „Spezification der Kirchen-, Priester- und Ökonomie- und Hospitalhufen" forderte. 12 Diesem Befehl kam die Geistlichkeit mit Ausnahme des Güstrower Superintendanten Schaper 13 nicht nach. Wochen später wurde daher ein erneuter Erlaß herausgegeben, bei dessen Nichtbefolgung eine Festsetzung nach eigenem Ermessen erfolgen sollte. Aber statt der Befolgung dieses Befehls kamen von allen Seiten Proteste, die den Herzog veranlaßten, die in der Kirchenordnung festgesetzte Steuerfreiheit zu bestätigen. Dabei war sicher die Überlegung maßgebend, sich mit diesem Schritt die Sympathie aller Geistlichen zu erwerben, die er gerade jetzt, im Jahre 1718, als die Russen schon abgezogen waren, so dringend brauchte. Denn mit dem Klerus sicherte er sich ein oder besser das einzige Propagandaorgan, das einen großen Einfluß auf die Volksmassen ausüben konnte und auch ausübte. Doch sagt das gute Verhältnis zur Geistlichkeit des Landes nichts über die Religiosität des Herzogs aus. Carl Leopold versuchte, sich mit bigotter Frömmelei politische 10 11 12 13

Sperling, A., a. a. O., S. 12. Malt^an, I. v., a. a. O., S. 7. Franck, D., a. a. O., BdXVII, S. 109; Sperling, A., a. a. O., S. 15, 17. Vetter des Leibarztes und Geheimen Rates gleichen Namens.

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V . Politik gegenüber Bauern und Bürgern

Vorteile zu verschaffen und die Geistlichkeit für sich zu gewinnen. Als das allein nicht ausreichte, bequemte er sich, die Steuerfreiheit zu bestätigen. Um den Kaiser für sich als Verbündeten zu gewinnen, ließ er das Angebot machen, zur katholischen Kirche übertreten zu wollen. Die Verhandlungen wurden in Wien durch von Eichholtz geführt. Vom Kaiser wurden für den Übertritt zum katholischen Glauben die Erzherzogin Magdalena als Frau und der Erwerb von Schlesien oder Tirol in Aussicht gestellt. Der Kaiser sandte auch den Prälaten von Gottweih zur Bekehrung nach Mecklenburg, der jedoch ohne Erfolg wieder abfuhr. Die eigentliche Ursache dafür aber bestand — nach dem Bericht des Freiherrn von Eichholtz — darin, daß der Herzog mit der Erzherzogin Magdalena das Königreich Neapel oder die Herrschaft über die Niederlande verlangte; und dazu war man in Wien nicht bereit.14 Auch scheint der Herzog, allerdings ebenfalls ohne Erfolg, bei seinem Aufenthalt in Wien im Jahre 1720 Verbindung mit dem Beichtvater des Kaisers, dem Pater Tönnemann, aufgenommen zu haben.15 Die Politik gegenüber den Landstädten war für den Herzog und seine Räte am einfachsten zu führen; denn bereits Carl Leopolds Vorgänger war es gelungen, ein gutes Verhältnis zu den kleinen Städten zu schaffen. Da die auf dem Vertrag von 1708 basierende Politik fortgesetzt wurde, gab es praktisch keine Differenzen mit den Landstädten, die das gute Einvernehmen trüben konnten. So fand Carl Leopold von vornherein im Bürgertum der kleinen Landstädte eine Stütze. Rostock dagegen ging eindeutig mit dem Adel. Deshalb richtete der Herzog seine erste Aktion gegen Rostock, um sich die Stadt zu unterwerfen. Der Unterschied zwischen Zunft- und Manufakturbürgertum fiel in den behandelten Jahren nicht entscheidend ins Gewicht. Die manufakturellen Bestrebungen einzelner Verleger wurden fürstlicherseits nicht mehr unterstützt. Die für die Rüstung wichtige Eisenhütte in Neustadt ließ man 1717 sogar eingehen, obgleich größere Truppenkontingente im Lande zum Teil neu ausgerüstet werden mußten. 16 Es kam dem Herzog und seinen Ratgebern auch bei der Bürgerpolitik nur auf schnellen Gelderwerb an; Manufakturen waren aber Zuschußbetriebe. So reicht für den untersuchten Zeitraum die Unterscheidung zwischen den Landstädten und Rostock aus. Für die Landstädte trat der Herzog ein, um diese Städte auf seiner Seite zu halten und die Bemühungen der Ritterschaft, die alte Union wiederherzustellen, zu durchkreuzen. So wurde auf Bitten der Landstädte am 14. August 1714 wegen drohenden Kornmangels ein Kornausfuhrverbot publiziert. Auch wurde 1715 der Vertrag von 1708 zwischen dem Herzog und den Landstädten von Carl Leopold bestätigt, trotz Protestes der Ritterschaft und Beschwerde beim Reichshofrat.17 Später, bei der 14

16 16

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Les Anecdotes . . . , a. a. O., Lisch, G. C. F., Graf Heinrich X X I V . Reuß . . S c h w e r i n 1849, S. 17. Graff, W. P., a. a. O., S. 287. Eckermann, W., Die Entwicklung der Wollmanufaktur . . a. a. O., S. 77. Er glaubt allerdings, daß das Fehlen von Truppen in Mecklenburg und das Ende des Spanischen Erbfolgekrieges die Stillegung bewirkten. Klüver, H.H., a . a . O . , Bd IV, S. 482—483; die Entscheidung des Reichshofrates siehe Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 187.

V. Politik gegenüber Bauern und Bürgern

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Verpflegung der russischen und mecklenburgischen Truppen, wurden die Städte weitgehend geschont, bzw. es wurde ihren Vorstellungen nachgegeben. Nur eine starke Landesherrschaft war in der Lage, die kleinen Handwerker in den Städten vor der Gefahr einer Konkurrenz der Dorfhandwerker zu schützen und zu verhindern, daß beispielsweise der Adel sein Bier selbst brauen ließ und auf das Bier der städtischen Brauereien verzichtete. Das wußten die Landstädte und hielten deshalb zum Herzog. Eine Sondereinnahme konnten sich die Herzöge schon früher durch Priviligienverleihungen an Bürger verschaffen. Diese Privilegien bedeuteten ein Monopol in Mecklenburg für einen bestimmten Erwerbszweig (z. B. Seifensiederei, Anfertigung von Sensen und Messern, Weinhandel, Handel mit Tabak usw.). Auch Carl Leopold übernahm diese Sitte seiner Vorgänger. 18 Anders dagegen wurde mit Rostock verfahren, dessen Rat zur Ritterschaft hielt. 18

Mecklenburgische Tabaksmonopolien vor zweihundert Jahren, in: Rostocker Zeitung, 1882, Nr 21.

KAPITEL VI

Die Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock bis zur Aufhebung des SchwerinerVertrages von 1715 im Mai 1716 durch den Reichshofrat

Sofort nach Übernahme der Regierung im August 1713 ließ Carl Leopold durch den Reichshofrat von Petkum und den Hofrat Gusman die Huldigung der Stadt Rostock einholen. Auch in alle anderen Städte wurden Räte zur Einholung der Huldigung gesandt. Carl Leopold hatte wohl von Anfang an die Absicht, Rostock keine Privilegien im Lande einzuräumen und ihm damit seine Sonderstellung zu nehmen. Vor allem war ihm wohl die enge Verbindung zur Ritterschaft ein Dorn im Auge. Ohne Rostock konnte er seinen Plan, das Land von Truppendurchzügen zu befreien, nicht verwirklichen. Wenn sein Projekt, das Land durch Befestigungen zu sichern, erfolgreich ausgeführt werden sollte, brauchte er dazu Rostock, das sich mit verhältnismäßig geringen Mitteln zu einer schwer einnehmbaren Festung ausbauen ließ. Außerdem konnte er in Rostock die Ein- und Ausfuhr überwachen und zum Beispiel einem Getreideausfuhrverbot bei einer Mißernte den nötigen Nachdruck verleihen. Deshalb war eine Kontrolle Rostocks für den Herzog unbedingt notwendig. Aus diesem Grunde wurde schon in den Augusttagen 1713 der Obristleutnant von Hammerstein mit 70 Mann nach Rostock geschickt, um dort um Einlaß zu ersuchen. Als rechtliche Grundlage für diesen Schritt wurde der mit Herzog Friedrich Wilhelm im Jahre 1702 abgeschlossene Vergleich über ein Compraesidium (Mitbesatzungsrecht) in Rostock herangezogen. 1 Als weitere Begründung diente die Versicherung, die Stadt vor erneuter Besetzung durch eine kriegführende Macht zu schützen.2 Der Rat wollte den Truppen aber erst nach dem Treueid auf die Stadt den Einlaß gestatten. Der Obristleutnant von Hammerstein, der die Truppe anführte, wurde nur deshalb mit seinen 70 Mann eingelassen, weil er bisher auch noch keinen Treueid auf den neuen Herzog geleistet hatte. Carl Leopold war über dieses Verhalten der Stadt verschnupft und ließ die Truppen auf sich allein vereidigen. Obrist Curd von Schwerin wurde zum Garnisonskommandanten Rostocks ernannt. Kurz danach kam der Herzog selbst nach Rostock, und der Sitte gemäß wurden ihm für die Dauer seiner Anwesenheit die Stadtschlüssel überreicht. Bei seiner Abreise jedoch gab er sie nicht an den Bürgermeister zurück, sondern übergab sie dem Obristen von Schwerin. Darin sahen Rat 1 2

Höchstgemüßigter Bericht, S. 5. Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 366.

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VI. Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock

und Hundert Männer eine Einschränkung ihres seit dem Erbvertrag von 1576 bestehenden jus praesidii. Man fragte deshalb am 21. August 1713 beim Herzog an, ob er sie um ihre Privilegien bringen wolle. In seiner Antwort vom 29. August versicherte der Herzog dem Rat seine besten Absichten zum Wohle der Stadt, die er durch Verlagerung seiner Residenz dorthin und den damit verbundenen Vorteil aus „Armuht und Bedruck" führen wolle. Hingegen sollte die Akzise zu „mehrer Sicherheit und Conservation dieser Stadt" gebraucht werden. 3 Aus diesem Brief ging hervor, daß der Herzog die Rostocker Akzise als zusätzliche Einnahmequelle benutzen und diese Einnahmen der fürstlichen Kammer- und Kriegskasse zuwenden wollte. Die Einmischung in die Akziseangelegenheiten der Stadt verstieß gegen den 2. Erbvertrag von 1584, der unter anderem die früheren Akzisestreitigkeiten beendet hatte. In diesem Vertrag war in § § 4 4 bis 53 festgesetzt, daß der Stadt die Steuererhebung für 30 Jahre gegen eine jährliche Zahlung von 500 Gulden zustand und daß man diese 30 Jahre unter gleichen Bedingungen verlängern konnte, während bei einer Erhöhung der Akzise 600 Gulden zu zahlen waren. 4 Verlängerungen dieser Art fanden 1620 für 35 Jahre, 1657 für 20 Jahre und 1677 für 30 Jahre statt. Die letzte Verlängerung gewährte Friedrich Wilhelm im Jahre 1712 für 10 Jahre, nachdem er den Vertrag schon 1707 für 5 Jahre verlängert hatte. Mit Hilfe solcher Machenschaften gelang es dem Herzog, die für die neue Konzession fällige Extrasumme einzuziehen.8 Juristisch gesehen gab es für den Herzog Carl Leopold keinen Grund, in die Akzisewirtschaft der Stadt einzugreifen. Doch es stellte sich heraus, daß die Stadt das Original des letzten Vertrages von 1712 nicht vorweisen konnte, da es wahrscheinlich gar nicht ausgehändigt worden war. Es lag nur das Protokoll vor, das die Bürgerschaft mit der Konzession bekannt gemacht hatte. Hier bot sich für den Herzog eine Gelegenheit zum Eingreifen. Außerdem hatte der Rat ohne Wissen des Landesherrn eine neue Akzise eingeführt, und es lag der Verdacht nahe, daß die gesamte Akziseverwaltung unordentlich geführt wurde und daher schwer zu kontrollieren war. Der Herzog hielt sich daher für befugt, die dem Rat überlassene Akzise wieder zurückzufordern und sie zum Wohle von Bürgerschaft und Stadt zu regulieren. Gleichzeitig versuchte Carl Leopold, die Bürgerschaft für sich zu gewinnen und vom Rat abzuziehen. Die Bürgerschaft wurde zum 3. Oktober vor die fürstlichen Räte zitiert, um die „Vorschläge und 3 4

s

Abgedruckt bei Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 3 6 6 - 3 6 9 . „ 5 1 . Würde aber auch innerhalb obberührten 30 Jahren, die Noth und Gelegenheit in der Stadt Rostock also vorfallen, daß die itzo ihr vergönnten Accisen zu erhöhen oder auch nach Ausgang der 30 Jahren, die Stadt fernere Anlegung der Ziesen und Strand-Geldes benöthiget seyn würde, so soll der Rath den regierenden Landesfürsten solches unterthänig berichten. Darauf wollen und werden S. F. G . und deren Nachkommen zu jederzeit der Stadt die gesuchte Erhöhung der Zinsen oder fernere Anlegung deren gegen Überreichung gewöhnlichen Reversal-Briefes verwilligen. 52. Und wollen alsdann I. F. G. mit 600 fl. jährlichen Recognition-Geldes jedoch Gülden zu 24 ß Lübisch gerechnet, in Gnaden friedlich seyn". (Klüver, H. H., a. a. O., Bd II, S. 460.) Kanten, Geschichtliches über die Accise in Rostock, in: Neue Rostocksche Nachrichten, 1838, Nr 25, S. 1 9 3 - 1 9 6 .

VI. Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock

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Intention zur Wiederaufhelffung der nahrlosen Bürgerschafft und Verminderung der bishero so vielen unerträglichen Steuren gesamter Bürgerschafft" anzuhören.® Die Bürger erschienen auch zum großen Teil, aber ungebetenerweise auch der Rat. Da man wußte, daß der Rat dagegen sein würde, wurde gar nicht erst mit den Verhandlungen begonnen. Sehr sicher scheint sich der Herzog bei der Durchführung seiner Pläne nicht gefühlt zu haben, weil er immer wieder auf Verhandlungen drängte und vor allem die Bürger durch die von ihm veröffentlichten „Conditiones" für die Überlassung der Akzise zu gewinnen versuchte. 7 Andererseits zeigt uns dieses Vorgehen, daß Carl Leopold auch in Rostock anfangs durchaus ohne Gewalt zum Vergleich kommen wollte. Diese „Conditiones" des Herzogs waren zweifellos geeignet, die Bevölkerung Rostocks zu gewinnen, und so formuliert, daß auch der Rat ihnen zustimmen konnte. Das hätte aber einen Bruch mit der Ritterschaft bedeutet, und dazu waren die Patrizier aus Rostock nicht bereit. Im gleichen Zusammenhang sind die Bemühungen des Landesherrn zu sehen, zur Verbesserung der Universität beizutragen und nach Prüfung durch den Kanzler von Klein eine bestimmte jährliche Summe auszusetzen. Der Beginn der Unterhandlungen mit Schweden über die Verpfändung des Schwedenzolls in Warnemünde gehört ebenfalls hierher. Am 14. März 1714 verpfändete Schweden den Zoll für 23000 Rthl. an Carl Leopold, doch mit der Bedingung, daß sämtlicher Gewinn nach Abzug der Zinsen und Unkosten an Schweden fallen sollte.8 Aber Schweden hatte nach wie vor kein Geld, seine Garnison in Wismar versorgen zu können, und Mecklenburg mußte Geld und Verpflegung vorstrecken. So kam am 15. Juni 1714 ein neuer Vertrag zustande, der für die geliehene Summe von 46000 Rthl. und alle bisherigen Leistungen an Gold und Lebensmitteln den Zoll ohne Abgaben an Schweden dem Herzog überließ. Dabei war allerdings Bedingung, daß der Zoll bei Einlösung sofort an Schweden zurückzugeben sei und in der Zwischenzeit nicht herabgesetzt oder aufgehoben werden dürfe. Die Verhandlungen Mecklenburgs mit Schweden, die vorwiegend von Generalmajor Klingstädt geführt wurden, beunruhigten Hannover. Eichholtz riet aus Wien zur strikten Neutralität. Deshalb unterließ es der Herzog, Karl XII. persönlich in Stralsund zu begrüßen, sondern übersandte nur ein Glückwunschschreiben. Mit dem Erwerb des Zolls schlug der Herzog zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens konnte er seinem Freunde Karl XII. mit einer Geldsumme gefällig sein, und zweitens hatte er mit dem Zoll eine Waffe gegen die Rostocker Kaufleute und auch gegen den Getreide exportierenden Adel in seiner Hand. Andererseits ergab sich wahrscheinlich auch die 4

Schreiben Carl Leopolds vom 27. Sept. 1713; vgl. Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 372. ' LHA Schwerin, Specialia Civitatum, Vol. LXXIX«, Rostock Lit. S. Fase. XLIV 0 , Stadt Sachen Vol. 31°. 8 Barnewitz, F., Geschichte des Hafenorts Warnemünde, Rostock 1919, S. 107. Die Verhandlungen zur Verpfändung und Abtretung des Zolls sind ausführlich in dem Teildruck der Diss. von Mangel, F., Beiträge zur Geschichte Mecklenburg-Schwerins während des Nordischen Krieges 1713—1719, Rostock 1932, Teildruck, in: Beiträge zur Geschichte der wirtschaftlichen Beziehungen Meckl.-Schwerins und Schwedens während des ausgehenden Nordischen Krieges, Rostock 1932, dargestellt. (S. 10—23.)

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Möglichkeit, durch gewisse Erleichterungen in der Zollabfertigung den Rostocker Handel zu beleben. Neben der Akzise bildete das Jagdrecht in der Rostocker Heide einen weiteren Streitpunkt des Herzogs mit der Stadt. Dieses Recht war Friedrich Wilhelm im Jahre 1702 auf Lebenszeit zugestanden worden. Herzog Friedrich Wilhelm war ein begeisterter Jäger gewesen, aber in den letzten Jahren seiner Regierung war er krank und schwach, so daß die Jagd unterblieben war. Die Folge war eine für die umliegenden Felder schädliche Zunahme des Wildbestandes. Auch Wölfe soll es damals gegeben haben. Als der Herzog durch einen Minister die Jagdgerechtigkeit zurückforderte, erhielt er unter Hinweis auf den Wildschaden, der bei der Jagdgerechtigkeit Carl Leopolds noch zunehmen würde, eine Absage. Der erboste Carl Leopold verbot daraufhin den Rostockern die Jagd und sandte einen Leutnant mit etlichen 20 Dragonern in das Dorf Rövershagen, der alle Rostocker Jäger fernhalten sollte. Außerdem ließ er eine große Wolfsjagd durchführen, wozu unter anderen auch die zu Rostock gehörenden Rövershagener Bauern mit aufgeboten wurden. Diese Jagd ging durch die Rostocker Heide. Nach einigem Zögern gaben die Rostocker ihre Bauern dazu her. 9 Das sind in kurzen Zügen die drei Hauptpunkte, um die es bei der ganzen Auseinandersetzung mit Rostock ging. Die jura praesidii, venationis et accisarum waren auch die Rechte, welche die ziemlich selbständige Stellung Rostocks ausmachten — und diese Selbständigkeit zu verlieren war zumindest der Rostocker Rat nicht willens. Die Bürger und die Stadtarmut hatten wahrscheinlich gar nicht so viel gegen die neuen Vorschläge des Herzogs einzuwenden; denn gegen die Überlassung der Akzise, die dem Herzog einen finanziellen Gewinn einzubringen versprach, wurden folgende Vorteile in Aussicht gestellt: 1. Rostock sollte Residenzstadt werden. 2. Es sollten die dafür notwendigen Gebäude und ein Schloß errichtet werden. 3. Allen sich neu in Rostock ansiedelnden Personen sollten Vergünstigungen gewährt werden, um Rostock wieder zu bevölkern und seine wüsten Stellen zu bebauen. 4. Die Stadt sollte von der neuen Akzise den gleichen Ertrag haben wie in früheren Jahren. 5. Außer der Akzise sollten in Rostock keine Steuern erhoben werden. 6. Die neue Akzise sollte gerechter festgesetzt werden als die bisherige. 7. Rat und Hundert Männer sollten in ihren Ämtern bestätigt werden. 10 Die Vorteile für die Bürgerschaft und die Stadt lagen auf der Hand, aber für den patrizischen Rat enthielten diese Bedingungen keine Vergünstigungen, sondern nur den Nachteil einer Einschränkung seiner Macht. Deshalb wandten sich der Rat und ein Teil der Hundert Männer scharf gegen den Herzog und seine Vorschläge. Der Rat war durch seine Verbindung mit der Ritterschaft ein Machtfaktor, der nicht so leicht zu bezwingen war. Schon bald nach den ersten Maßnahmen Carl Leopolds wandten sich Rat und Hundert Männer unter tatkräftiger Mithilfe der Ritterschaft und des engeren Ausschusses an den Kaiser und Reichshofrat und brachten ihre verschiedenen Klagen vor. 9 10

Klüver, H. H„ a. a. O., Bd IV, S. 3 7 4 - 7 5 . Vgl. Anm. 7.

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Das war dem Herzog nicht sonderlich angenehm. Er wußte, daß in Wien Geld gebraucht wurde, daß mecklenburgische Beiträge stets willkommen waren und daß die maßgeblichen Leute in Wien bei den Prozessen fast nur ihr Privatinteresse im Auge hatten. Die Ritterschaft hatte den nötigen finanziellen Rückhalt, um langwierige Prozesse zu führen und zu gewinnen. Im Zusammenhang mit diesen Beschwerden äußerte Carl Leopold wahrscheinlich, es sei noch zweifelhaft, ob er an die Vergleiche und Kontrakte seines Vorfahren gebunden sei. Es konnte nicht ausbleiben, daß diese Worte gehört und verbreitet wurden. Es hieß, „der Herzog werde mit der Zeit den Ständen alle Privilegien entziehen". 11 Die Beschwerde beim Reichshofrat wurde bald entschieden. Ohne einen Bericht vom mecklenburgischen Herzog anzufordern, entschieden Reichshof rat und Kaiser am 28. März 1714, daß Carl Leopold alles, was er gegen die in der Stadt vorhandene Verfassung, die Erbverträge und die sonstigen Pakte schon vorgenommen hätte, sofort abstellen sollte. Darüber sollte binnen zwei Monaten an den Kaiser berichtet werden. Außerdem wurde verlangt, daß die Stadt „in puncto Praesidii, als der verlangten Accise führohin nicht gravire, damit wir (der Kaiser) nicht nöthig haben möchten, befindlichen Dingen nach, mit Erkennen des gebethenen Mandati, oder auch zugleich gesuchten Conservatorii zu verfahren". 12 Im gleichen Sinne wurde über die Jagd entschieden. Ein Einspruch des herzoglichen Anwalts Friedrich Klerf in Wien blieb ohne Erfolg, ebenso ein persönliches Schreiben Carl Leopolds an den Kaiser Karl VI. vom 15. Juni 1714, der lediglich am 3. August eine weitere Frist von 2 Monaten setzte. Die Verlautbarungen des Herzogs über seine Verbesserungsmaßnahmen für Rostock begannen Erfolge zu zeigen. Am 20. Juni 1714 wurde Carl Leopold eine Erklärung Rostocker Bürger überreicht, die besagte, daß den Bürgern eine Akzise des Herzogs lieber wäre als die Besteuerung des Rates. Sie klagten über die hohen Steuern des Rates und schrieben unter anderem: „ . . . auf was vor arth die Unmöglichkeit länger zu ertragende Hundertste und andere schwehre an- und auflagen, womit E. E. Rat Unß bishero beleget hat, köndten abgeschaffet, und eine erleidliche Accise eingeführet werden..." 1 3 Diese Erklärung wurde auf Willen und Befehl des Herzogs mit Namen versehen und den fürstlichen Räten übergeben. Es unterschrieben im Namen der Bürger die Älterleute der Pantoffel-, Hut- und Filzmacher, „Saltzhacken" 14 und Drechsler. 16 Solche Erklärungen waren natürlich dem Herzog sehr willkommen und für seine 11 12 13 14 16

Aepinus, F. /., a. a. O., Bd III, S. 60. Rescriptum Caesarei v. 28. März 1714. Vgl. Höchtsgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 8. LHA Schwerin, Specialia Civitatum, Vol. LXXIX", Rostock Stadtsachen, Vol. 31 a . Saltzhacken = Salzhöker. Ebenda. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in dieser ersten Zeit noch bedeutend mehr Rostocker mit dem Herzog sympathisierten und ein Ende der Ratsherrschaft herbeisehnten. Doch waren in den Archiven von Schwerin und Rostock keine weiteren Unterlagen aufzufinden. Unwahrscheinlich ist — sicher handelt es sich dabei um ein vom Rat ausgestreutes Gerücht —, daß diese Erklärung von Bürgern verfaßt wurde, die von der Regierung gedungen waren. Auch Aepinus, der dies berichtet (a. a. O., Bd III, S. 60), hält es nicht für bewiesen und für eine Mutmaßung.

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Pläne dienlich. Im November 1714 begann er endgültig damit, sich gewaltsam in die Akziseangelegenheiten der Stadt einzumischen. Am 23. November 1714 richtete er ein Schreiben an den Rat, in dem festgestellt wurde, daß bei der Administrierung der Akzise große Mängel aufgetreten seien „und in denen Auflagen die Bemittelte übersehen, hingegen die Arme und Unvermögende unverantwortlicherweise graviert, und ihnen die größeste Last aufgebürdet worden. . ." 16 Um daher den Ruin Rostocks zu verhindern, wurde die Einsetzung einer Überprüfungskommission angekündigt, die alle Ungerechtigkeiten bei der Akzisewirtschaft aufdecken sollte. Als Mitglieder dieser Kommission wurden genannt: der Geheime Rat Grund uff der Worth, der Justiz- und Kanzleidirektor Schöpffer und der Hofrat Schaper. Um die Überprüfung vornehmen zu können, wurden schon in den Novembertagen die Besatzungstruppen um 100 Mann verstärkt, der Stadt mit der Begründung, die Kontribution sei nicht ordnungsgemäß entrichtet worden, die Akzisebuden genommen und alle Briefschaften und Bücher sichergestellt.17 Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft wollten natürlich solche Eingriffe in ihre Stadtangelegenheiten nicht dulden; sie hatten wohl auch ein schlechtes Gewissen und erwirkten einen Beschluß des Reichshofrates dagegen, der allerdings die Einschränkung hatte, wenn sich Akziseunregelmäßigkeiten ergeben hätten, sollte das berichtet werden (20. Dez. 1714).18 Ein Protokoll vom 27. November 171419 gibt uns über Schöpffers und Schapers Ermittlungen Auskunft. (Grund uff der Worth konnte wegen Krankheit nicht an der Überprüfung teilnehmen.) Es wurde festgestellt, daß die Akzisewirtschaft liederlich geführt worden war. Man hatte sich nicht nach der herzoglichen Konzession von 1657 gerichtet, sondern mehr genommen, aber bei gewissen Leuten, beispielsweise bei Brauern und Kaufleuten, weniger. Unterlagen über die Ausgaben der Akzisebuden waren keine vorhanden. Man hatte nur notiert, daß Geld abgeliefert worden war. Es hatte den Anschein, als ob Unterschlagungen stattgefunden hätten. Die Briefschaften des Einnehmers waren in äußerst schlechtem Zustande, das heißt, „daß viele Einnahmen, unter vielen rubriquen gantz general gesetzet wären". Die alten Einnahmebücher waren so unordentlich aufbewahrt, daß man nicht bestimmt sagen konnte, ob alles wiederzufinden war. Unter den Akten befanden sich auch Rechnungen vom Jahre 1713. Es hatte jede Kontrolle gefehlt, und keiner konnte sagen, ob alles gerecht zugegangen wäre. 20 Um nun gegen die an dieser Mißwirtschaft Schuldigen vorgehen zu können, fuhr Schöpffer nach Helmstedt, Halle, Wittenberg und Erfurt und holte bei den dortigen Universitäten entsprechende Gutachten ein, die besagten, daß gegen den Rat „per Inquisitionen wol criminaliter zu verfahren und selbiger gegen Caution aus dem Arrest nicht zu erlassen sey" 21 . 16 17 18 19 20

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Specialia Civitatum, a. a. O. RA Rostock, Streit mit Herzog Carl Leopold, Vol. A I . Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 376-377. LHA Schwerin, Specialia Civitatum, a. a. O. „Vorläufige Nachricht, wie es mit der Rostockschen Accise bewandt und was anietzo dabei vorgekommen, v. 23. Febr. 1715." Ebenda, Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 377.

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Bezeichnenderweise wurde bei den Beschwerden des Rates und der Ritterschaft über das Verfahren Carl Leopolds die Unzufriedenheit großer Teile der Bürger nicht erwähnt, sondern man beschränkte sich auf die Aussagen zweier Bürger, Johann Gerhard Bapst und Baltzar Guhle, die angeblich aus Haß und Animosität gegen den Magistrat und aus Privatinteresse sich dazu bewegen ließen, Verschiedenes „wider Ihren Bürger-Eyd, auch theils wider offenbahre W a h r h e i t . . . von der Accise, dem Augmento (Erhöhung der Akzise), Administration der Stadt Güter, und deren Rechnungen etc. eydlich auszusagen. . .". 22 Die Unordnung der Buchführung in den Akzisebuden wurde den fürstlichen Einnehmern in die Schuhe geschoben, und auch eine Konzession für die Erhöhung der Akzise von 1674 vermeinte man zu haben.23 Die vorgebrachten Beweise waren aber nicht überzeugend. Trotzdem hatten die Universitäten Helmstedt und Halle auf diese Argumente, die ihnen vom Rat übersandt wurden, das Gegenteil ihrer früheren Gutachten zu diesem Punkt verkündet. 24 Wahrscheinlich spielte das Geld auch hier eine Rolle. Obgleich der Herzog in der Lage war, dem Rat einiges an Mißwirtschaft nachzuweisen, ließ sich dieser auf keine langen Verhandlungen ein, sondern protestierte im Verein mit der Ritterschaft unentwegt gegen das Vorgehen Carl Leopolds. Der Herzog ging jedoch trotz Kaiser und Reichshofrat, gestützt auf seine Gutachten der vier Universitäten, gegen den Rat und die Bürgerschaft Rostocks vor. Zweifellos war er hierbei von seinem völligen Recht überzeugt. Er wollte gleichzeitig mit der Aufbesserung seiner Finanzen die in Rostock vorhandenen Mißstände abstellen und eine neue Blütezeit für die darniederliegende Stadt herbeiführen. 25 Am Abend des 12. Februar 1715 wurden die drei Bürgermeister Stever, Tielcke und Beselin und die zwei Ratsherren Voß und Müller wegen der Akziseunregelmäßigkeiten und weil ein „Höchststraffbarer Eingriff in Sr. hochfürstliche TerritorialGerechtsam und Hoheit geschehen" 24 mit Hausarrest belegt, ihre Habe wurde versiegelt. Außerdem wurde das Rathaus besetzt und durch „fleißiges Patroulliren aller Auflauf des Pöpels gehindert". 27 Für den folgenden Tag, den 13. Februar, wurden die übrigen Ratsmitglieder durch den Geheimen Rat Grund ins Rathaus gefordert, wo ihnen der Verhaftungsgrund für die Bürgermeister und Ratsherren mitgeteilt wurde. Außerdem verkündete er im Namen Carl Leopolds, daß zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Stadt der Kanzleidirektor Schöpffer und der Justizrat Oertling das Direktorialamt in Rostock übernommen hätten. Grund selbst fungierte 22 23

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Höchstgemüßigter Bericht, S. 19—20. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 29 u. 30. Nr 29 enthält nur einen Protokollauszug, der besagt, daß die Schweriner Konzession verlesen wurde. Ein Original ist nicht vorhanden. Nr 50 enthält zwar die Zusage des Güstrower Herzogs zur Akziseerhöhung, aber gleichzeitig den Vermerk, daß der Schweriner Herzog ebenfalls zustimmen muß. Kurze, jedoch wahrhafftige Facti Species, Wie es mit der Stadt Rostock deren zugehörigen Accisen und deren Anlegung, Erhöhung und Gebrauch . . . eigentlich bewandt sey. Anno 1715 im Augusto". S. 33—52; Höchstgemüßigter Bericht, S. 21. Klüver,H.H., a. a. O., Bd IV, S. 370. Protokoll v. 13. Febr. 1715. LHA Schwerin, Specialia Civitatum, a. a. O. Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 377.

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als fürstlicher Kommissarius. Abschließend wurde von ihm die Versicherung abgegeben, die Gerechtsamen und Privilegien der Stadt nicht zu schmälern. 28 Der Rat und einige Angehörige der Bürgerschaft baten um Freilassung der Arretierten. Es wurde auch eine Kaution angeboten. Aber von Seiten des Herzogs ging man nicht darauf ein, im Gegenteil: Die Verhafteten wurden nach Schwerin ins Schloß gebracht, wo ihnen der Prozeß gemacht werden sollte. Die Ratsherren und die Hundert Männer ernannten die Ratsmitglieder Hinrich Knesebeck und Doktor Schwabe zu Interimsbürgermeistern, die aber vom Herzog nicht anerkannt wurden. Die juristische Vertretung des Rates und der Bürgerschaft übernahmen am 14. Februar die Rostocker Professoren Dr. Stein und Dr. Siebrandt. 29 Außerdem beschloß man eine „Appelatio ad Caesarem", der sogar die vier Gewerke der Bürgerschaft zustimmten. Man bat um die Freiheit für die Arrestanten, um Abstellung der Gewalttätigkeiten und um ein Konservatorium an den niedersächsischen Kreis. Trotz seiner Rechtfertigung erhielt Carl Leopold am 9. März den Befehl, die Arrestanten freizulassen und alles andere in den vorigen Stand zu bringen. Das Ersuchen des Rates an den Herzog, statt der verordneten fürstlichen Direktoren eigene wählen zu dürfen, wurde abgelehnt; jedoch wurde ihm gestattet, bei den gegenwärtigen Direktoren mitzusitzen, wenn er wollte. Der Rat lehnte dies aber ab. Deshalb forderte Schöpffer am 19. Februar vom Rat und von den Hundert Männern die Herausgabe aller Briefschaften, die „ad publicum" gehörten, da sie es abgelehnt hätten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Außerdem verlangte er die Schlüssel zum Rathaus, Zeughaus, zur alten und neuen Kasse und zur Waage. Da sich Rat und Hundert Männer weigerten, dieser Aufforderung nachzukommen, wurde über alle Arrest verhängt, den sie in der sogenannten blauen Stube des Rostocker Rathauses, von 6 Mann bewacht, absitzen mußten. Es waren etwa 80 Mann, die in der blauen Stube auf engem Raum zusammengedrängt waren. Als am nächsten Tage Schöpffer und Oertling kamen, protestierten die Gefangenen heftig und übergaben auch ein Protestschreiben an den Herzog. Die Antwort war eine Mitteilung des Herzogs, aus der noch größere Ungnade sprach, und Schöpffer ließ anzeigen, daß er „sich hinführo zu der Stadt Briefträger nicht weiter gebrauchen lassen, gestalt er diesmal dabei gewitzigt worden". 30 Am 21. Februar ließ Schöpffer die Kriegskasse und die Kämmerei besetzen. Der Herzog ließ am selben Tage alle sich in der blauen Stube befindenden Gefangenen auffordern, einen Eid zu leisten, daß sie keine Briefschaften besäßen oder wüßten, wo welche wären. Rat und Bürger aber baten zunächst um ihre beiden Professoren, die ihre Rechtsberater waren, und um einen Prediger; außerdem um weniger Heizung, da die Hitze unerträglich war. Man hatte nämlich gut eingeheizt, und die vielen 28 28

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Protokoll v. 13. Febr. 1715, in: LHA Schwerin, Specialia Civitatum, a. a. O. Eggerdes Protokollum (abgedruckt in: Neue wöchentliche Rostock'sche Nachrichten und Anzeigen, 1841, Nr 3 - 9 , 1 1 - 1 3 , 1 5 - 1 8 , 20, 2 2 - 2 6 , 28, 29, 31, 32, 40, 4 9 - 5 1 , S. 9 - 2 1 3 ) Nr 4, S. 14. Eggerdes Protokollum, Nr 6, S. 24.

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Menschen in dem einen Raum taten das ihrige dazu.31 Am 22. Februar durften die Professoren und der Prediger kommen und sich mit dem Rat und den Hundert Männern beraten. Man beschloß, ein Memorial an den Herzog zu senden, das von dem Protokollführer des Rates, Eggerdes, Schöpffer vorgetragen und anschließend ihm überreicht wurde. Einzelne Gesuche der Arretierten wurden daraufhin vom Herzog genehmigt. So durfte zum Beispiel ein Prediger Gottesdienst in der blauen Stube halten, ein Barbier durfte kommen usw.; dagegen wurde eine Übersiedlung in den größeren Kaisersaal abgelehnt. Am 25. Februar, d. h. am sechsten Tage der Haft, hielten Carl Leopold und seine Ratgeber die Zeit für gekommen, gegen die Arretierten einen Prozeß anzustrengen. Denn sie mochten wohl einsehen, daß die Forderung auf Herausgabe der Papiere allein sie nicht dazu berechtigte, einen längeren Aufenthalt in der blauen Stube zu verhängen. Deshalb kamen die Herren Grund, Schöpffer und Schaper in die blaue Stube und eröffneten den dort versammelten Gefangenen, daß der Herzog beschlossen habe, gegen alle Ratsherren und Bürger einen fiskalischen Prozeß zu führen, da sie sich durch ihre Appellation an den Kaiser vom 15. Februar gegen das dem Herzog zustehende „Privilegium de non appellando" einen Verstoß gegen die hohe „Criminal-Jurisdiction" hätten zuschulden kommen lassen. Die Rostocker konnten sich bei ihrem Schritt auf den Erbvertrag von 1573 stützen, nach dem bei dergleichen Streitigkeiten das Reichskammergericht zuständig war, während Carl Leopold meinte, daß durch neuere Reichsgesetze 32 diese Bestimmungen des Erbvergleiches aufgehoben wären. Alle Bürger bekannten sich zur Appellation: Sie sei mit Billigung aller geschehen. Daraufhin wurden am 28. Februar 1715 alle Beteiligten zu je 100 Mark „löthigen Goldes" verurteilt. 33 Die Strafe sollte zwar erst nach 3 Wochen erhoben werden, aber man begann doch schon am 5. März, die Güter der Angeklagten sicherzustellen, damit nichts beiseite gebracht würde. Allerdings wurde später allen vom Herzog die Strafe erlassen. Carl Leopold wollte sicher nur seine Macht demonstrieren, ohne sich die Bürger zu Feinden zu machen. Doch hatte er sich verrechnet: Haft und Gefängnis, dazu die Agitation der Ritterschaft hatten alle Sympathien, die Carl Leopold zu Beginn seiner Regierung gehabt hatte, schwinden lassen. Diese Gewaltpolitik gegenüber den Hundert Männern war kein geschicktes Manöver gewesen. Da wahrscheinlich immer noch sehr viele Briefsachen und Akten unauffindbar blieben, versuchten die Beauftragten des Herzogs weiterhin, durch Eideserklärungen zum Ziel zu kommen. Alle Bürger wurden vom 1. März an der Reihe nach vorge-

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Die grausige Schilderung im „Höchstgemüßigten Bericht", S. 24ff., stellt die Haft zweifellos schlimmer dar, als sie wirklich war, denn die vorgebrachten Beschwerden über Unterkunft usw. wurden meistens berücksichtigt, wie aus dem sehr sorgfältig geführten Protokoll von Eggerdes hervorgeht. Da die meisten späteren Historiker als Quelle direkt oder indirekt den „Höchstgemüßigten Bericht" benutzten, der ja ganz einseitig gegen den Herzog eingestellt ist, ist z. B. die Geschichte vom „geborstenen Ofen" u. a. zunächst von Franck (Bd XVII, S. 34) und dann immer wieder gern gebracht worden. Privilegium de non appellando vom 28. Okt. 1651. 100 Mark waren etwa 9600 Rthl.

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Wiek, Absolutismus

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laden, um den Eid abzulegen, daß sie keine Papiere hätten und auch nicht wüßten, wo sich solche Papiere befänden. Nach Ableistung dieses Eides sollte die Entlassung erfolgen. Es erschien jedoch keiner. Die Bürger waren außerordentlich hartnäckig. Selbst 200 Rthl. Strafe vermochten der Aufforderung kein Gewicht zu verleihen. So blieb nur eine gewaltsame Vorführung übrig, die auch kaum Erfolge zeitigte. Am 6. März drohte Schöpffer mit dem Abtransport. Doch am gleichen Tage kamen überraschend Petkum und Grund in die blaue Stube, um sich Vorschläge für eine Vereinbarung anzuhören, aber mit der Einschränkung, daß die Akzise in einen weit besseren Stand gebracht werden müßte. Der Rat hatte um einige „ministros" gebeten, um zu verhandeln, und dies war die Antwort Carl Leopolds. Außerdem wurde gleichzeitig die Auflösung der Stadtmiliz verfügt, da kein Geld mehr in der Stadtkasse war. Sie wurde sofort in fürstlichen Sold übernommen. Die Professoren Stein und Siebrandt erreichten bei den Verhandlungen, daß alle nach Hause gehen konnten, nachdem sie eidesstattlich versichert hatten, sich, wenn erforderlich, wieder zu stellen. Sodann wurde eine Verhandlungskommission gebildet, der 16 Personen von Rat und Bürgerschaft angehörten. Doch diese mußten stets vor dem Plenum über ihre Verhandlungen mit den Räten des Herzogs berichten. Petkum verlangte, Akzise, Besatzungsrecht und Jagd an den Herzog abzutreten. Auf dieses Angebot von Seiten Petkums machten Rat und Bürgerschaft folgende Zugeständnisse: 1. Die Jagd sollte Carl Leopold auf Lebenszeit überlassen werden. 2. Die Akziseordnung sollte nach dem Vorschlag des Herzogs gehandhabt werden, allerdings nur versuchsweise für einige Jahre und so, daß die Stadt die Direktion und Aufsicht über die Akzise behielt. Dem Herzog wollte man jährlich seinen Teil zukommen lassen; auch eine halbjährliche Kontrolle wurde zugestanden. 3. Das Besatzungsrecht wollten Rat und Bürgerschaft gern behalten, wobei der Vertrag von 1702 maßgebend sein sollte. 4. Die Gefangenen aus Schwerin sollten zur Verhandlung nach Rostock gebracht werden, oder 5. sie wollten mit diesen Gefangenen durch Deputierte verhandeln können.34 Diese Bedingungen wurden Petkum und Grund uff der Worth vorgetragen. Aber Petkum fuhr gleich dazwischen; „man wollte von keinen Conditionen wissen", sondern sich nur über die drei Punkte äußern. Petkum legte dann noch einmal alle Vorteile für die Stadt dar, die sich aus der Annahme der betreffenden Punkte ergäben. Er und Grund bedauerten, daß die Vertreter der Stadt so entschieden hätten. Gezwungen sollten sie nicht werden, aber sie würden schon sehen, was sie erwarte. Die Deputierten baten um Bedenkzeit, um sich mit den übrigen Bürgern beraten zu können. Die fürstlichen Kommissare versprachen zu warten. Gleichzeitig wurden der Rat und die Hundert Männer angewiesen, sich bei Strafe von 500 Rthl. nicht nach Hause zu begeben, sondern in der blauen Stube zu bleiben. Bei der Beratung waren Rat und Bürgerschaft einstimmig der Meinung, nicht weitergehen zu können, als es in den Bedingungen festgelegt war, die den fürstlichen Räten vorgetragen waren. Petkum und Grund wiesen darauf hin, daß die Stadt auch jetzt durch die 34

Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 59, 60, 61.

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Ritterschaft keine Unterstützung erfahren würde, da man gegen die Ritterschaft ebenso vorgehen würde, weil diese das Gerücht verbreitet hätte, man wolle die Stadt um ihre Privilegien bringen. Später kamen beide nochmals in die blaue Stube und führten unter anderem aus, daß sie wohl wüßten, daß es nur wenige wären, die die übrigen in ihrer Haltung bestärkten und zum Widerstand aufmunterten. Man müsse die „Böcke von denen Schaffen . . . sondern". 35 Rat und Hundert Männer besprachen sich noch einmal, ohne zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Sie wurden dann gebeten, so lange zusammenzubleiben, bis man dem Herzog Bericht erstattet habe. Doch nach einiger Zeit wurde ihnen aufs neue der Arrest in der blauen Stube angekündigt. Diese Verhandlungen wurden deshalb bis ins einzelne geschildert, um zu zeigen, daß es dem Herzog offenbar doch daran lag, schnell und möglichst ohne weitere Gewaltanwendung zu einem Vergleich zu kommen. Die Weigerung der Bürgerschaftsvertretung, die in ihren Entschlüssen wohl stark vom Rat beeinflußt wurde, zeigte, daß das Patriziat Rostocks bei weitem nicht den politischen Weitblick hatte, um die Vorteile einer Unterordnung unter die Landesherrschaft zu erkennen, ganz zu schweigen von der Vermeidung der Belastungen, denen die Stadt noch in den nächsten Jahren ausgesetzt war. Der Herzog begann jetzt, verärgert über die allen Verhandlungen unzugänglichen Hundert Männer, gewaltsam vorzugehen. In Rövershagen wurde von der Stadtheide Besitz ergriffen. Das Zeughaus wurde besetzt, nachdem man den Schlüssel durch Soldaten gewaltsam hatte beschaffen lassen. Die Stadtgüter, Äcker und Häuser, wurden samt der städtischen Schreiberei beschlagnahmt. Auch die Rechtskonsulenten durften nicht mehr zu den Arrestanten kommen, es sei denn, sie verpflichteten sich zum Stillschweigen außerhalb der blauen Stube. Hier hatte sich die Zahl der Inhaftierten inzwischen etwas vermindert. Durch Krankheit waren einige Abgänge zu verzeichnen, darunter der neugewählte Bürgermeister Knesebeck.38 Außerdem hatten 24 Bürger den geforderten Eid abgelegt und waren nach Hause entlassen worden. Bei den übrigen wurden in den nächsten Tagen die Vorladungen zur Eidesleistung fortgesetzt. Trotz Androhungen von Geldstrafen bis zu 1000 Rthl., die sofort durch Exekution eingetrieben wurden, oder Gefängnisdrohung erfolgte häufig keine Eidesleistung. Nur wenige leisteten noch den Eid und konnten nach Hause gehen. Auch der kranke Bürgermeister Knesebeck, der in seinem Hause im Bett lag, unterschrieb, daß er für seine Person mit den drei Punkten einverstanden sei, nach dem man ihm 1000 Rthl. zudiktiert, zur Eintreibung 6 Soldaten ins Haus gelegt und ihm mit Abtransport gedroht hatte. Alle, die nicht unterschrieben hatten, wurden erst in die Kämmerei und dann „bey großem Zulauf und Aufsicht der Stadt" 37 in die Schreiberei gebracht. In die Schreiberei kamen zunächst 12 Angehörige der 36 36

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Ebenda. Die Entlassung der Kranken und andere Vergünstigungen wurden auf Betreiben Schöpffers veranlaßt. V g l . Eggerdes Protokollum, Nr 22, S. 9 1 . Höchstgemüßigter Bericht, S. 40.

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Bürgerschaft, während die restlichen 30 am 23. März folgten. Am gleichen Tage wurden alle Ratsmitglieder, die den Eid verweigert hatten (10 Mann), auf zwei Wagen geladen und nach Bützow transportiert, wo sie bis zum 4. April streng bewacht in Einzelhaft zubringen mußten. Inzwischen hatten Kaiser und Reichshofrat auf die Appellation der Stadt Rostock reagiert und mit Datum vom 9. März den Herzog bei Strafe von 50 Mark löthigen Goldes ermahnt, alles in den vorherigen Stand zu setzen. Der mecklenburgische Agent Klerf in Wien wurde beauftragt, dagegen Vorstellungen zu unternehmen, aber das hatte keinen Erfolg und wurde am 18. März verworfen. Ebenso mischte sich der Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg-Strelitz ein und schrieb am 22. März in einem Brief an Carl Leopold, daß die Ritterschaft bei ihm vorstellig geworden sei und sich beschwert habe, daß er die Union zwischen Ritterschaft und Rostock zerreiße und sich auch sonst an keine Pakte und Privilegien der gemeinsamen Vorfahren hielte. Er ersuchte ihn, von seinem Treiben abzulassen, sonst würde er sich höheren Orts beschweren müssen. Er fürchtete wohl vor allem, daß auch er unter einem Sieg des Herzogs Carl Leopold zu leiden hätte und vielleicht auf das ihm laut Hamburger Vertrag zustehende Kontributionsquantum verzichten müßte. Deshalb sandte er auch einen ähnlichen Brief an Georg I. von England, der als Kurfürst einer der Garanten des Hamburger Vertrages war. Daraufhin erhielt Carl Leopold eine ,,Freund-Vetterliche" Ermahnung des englischen Königs, die Sache nicht zu weit zu treiben.38 Aber Carl Leopold ließ sich durch solche Schreiben in keiner Weise beirren, sondern verfolgte seine Politik ohne Rücksicht weiter. Er hoffte zweifellos, die Opposition gegen seine Maßnahmen im Lande beseitigt zu haben, ehe sich der Kaiser oder der englische König zu irgendwelchen Aktionen aufgerafft hätten. Der schwächere und einfacher zu besiegende Gegner, der zuerst bezwungen werden mußte, war Rostock. Die Ritterschaft glaubte 1715 noch, den Kampf mit kaiserlichen Schreiben und Beschlüssen des Reichshofrates gewinnen zu können. Von Gewaltanwendung gegen die Ritterschaft wurde nur gesprochen; doch um sie durchzusetzen, fühlte sich Carl Leopold zu schwach. Doch wieder zurück zu dem in Bützow festgesetzten Rat. Die dort Inhaftierten erfuhren, daß die drei Bürgermeister und die drei Ratsherren (einer war noch dazugekommen), die nach Schwerin gebracht worden waren, inzwischen dem herzoglichen Ersuchen nachgegeben und sich mit den Forderungen Herzog Carl Leopolds einverstanden erklärt hatten, über die besagten drei Punkte zu unterhandeln. In Doberan trafen die aus Schwerin und Bützow kommenden Ratsmitglieder und Bürgermeister zusammen, die sich über die Annahme der fürstlichen Bedingungen einigten. Sie hatten in Doberan Bewegungsfreiheit, durften jedoch die Stadt nicht verlassen. Der Syndikus Crohn und der Protonotarius Eggerdes wurden abgesandt, um der Bürgerschaft in Rostock über die Vorgänge zu berichten und um eine Delegation der vier Gewerke nach Doberan einzuladen, die sich den Entwurf eines Vertrages über einen Vergleich anhören sollte. Gleichzeitig wurden am 11. April 38

Abgedruckt ebenda, Beylagen Nr 7 9 - 8 2 .

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alle in der Schreiberei in strengem Arrest sitzenden Bürger gegen die Versicherung, sich jederzeit wieder freiwillig zu stellen, entlassen. Am 15. April wurde dem Rat und den Deputierten der Hundert Männer ein Vergleichsentwurf vorgelegt, und sie wurden kategorisch gefragt, ob sie den Vergleich annehmen wollten oder nicht. 39 In diesem Entwurf waren die gleichen günstigen Bedingungen wie in den früheren fürstlichen Vorschlägen enthalten. Doch dazu kam die Forderung, allen Appellationen, Prozessen und der Union mit der Ritterschaft zu entsagen. Bürgermeister und Rat erhoben keine Einwände, und der Herzog glaubte schon sein Spiel gewonnen zu haben. Aber er sah sich getäuscht. Die Bürgerschaft, die noch vor einem Jahr zum Teil hinter ihm gestanden hatte, bezog nun gegen ihn Stellung. Der Herzog und seine Räte hatten wohl doch den Bogen gegenüber der Bürgerschaft überspannt, so daß jetzt, als der Rat kapitulierte, die Hundert Männer nicht bereit waren, dem Vergleich zuzustimmen. Wir müssen uns hier die Situation des Herzogs vorstellen. Entweder er einigte sich mit Rostock auf den Status quo und gab damit seine Pläne von der Spaltung der Union mit der Ritterschaft auf, wozu dann noch ein Eingeständnis seiner Unterlegenheit gegenüber Rat und Hundert Männern kam, oder er setzte seinen gewaltsamen Weg fort und zwang den Rat und die Bürgerschaft, seine Autorität anzuerkennen. Und der Herzog wählte den gewaltsamen Weg. Der Rat versuchte, seine Haftentlassung mit dem Versprechen durchzusetzen, auf die Bürgerschaft im Sinne des Herzogs einzuwirken. Doch der Herzog traute dem Rat nicht und behielt ihn in Haft. Den Hundert Männern ließ der Herzog den fiskalischen Prozeß ankündigen. 40 Außerdem wurden am 1. Mai die gerade erst vor einigen Tagen entlassenen Bürger wieder eingesperrt. Dazu kamen dieses Mal auch die Kranken, die man vorher nach Hause entlassen hatte. Die drei Bürgermeister wurden nach Schwerin in ihre alten Haftquartiere zurückgebracht, während der Rat in Doberan streng bewacht wurde. Um den Kaiser und Reichshofrat etwas hinzuhalten, ließ Carl Leopold mit Datum vom 13. Mai durch seinen Agenten Klerf melden, daß alle Bürger auf freiem Fuße wären und „mit denenselben gütliche Traktaten angefangen wären". Er ließ darum bitten, „vor Endigung der angefangenen gütlichen Traktaten, nichts vorzunehmen. . .". 4 1 Am 15. Mai wurde ein erneuter Versuch unternommen, Bürgermeister und Rat zur bedingungslosen Annahme des herzoglichen Vergleichs zu bewegen. Dazu wurden die Bürgermeister wieder nach Doberan gebracht. Doch die ablehnende Haltung der Hundert Männer hatte den Widerstand des Rates und der Bürgermeister gestärkt, und sie verweigerten ihre Unterschrift. Daraufhin wurden Bürgermeister und Rat erneut auf Umwegen (es sollte zuerst nach Schwerin gehen) nach Rostock geschafft, wo sie im Rathaus eingesperrt wurden. Auch die in der Schreiberei festgehaltenen Bürger wurden am 20. Mai auf das Rathaus gebracht, und der Geheime Rat Grund und der Oberhofmarschall von Eichholtz redeten ihnen gut zu, den Vergleich anzu39 40 41

Der Entwurf ist abgedruckt: Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 88. Ebenda, Beylagen Nr 90 und 92. Höchstgemüßigter Bericht, S. 48—49.

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nehmen. Am 22. Mai verfaßten Rat und Bürgerschaft ein gemeinsames Memorial an den Herzog, in dem sie sich über die Besatzung und die Jagd zur gütlichen Einigung bereit erklärten, aber eine Verhandlung über die Akzise ablehnten. Die Antwort war die Ankündigung des Herzogs, den Prozeß fortzusetzen. Alle saßen wieder vereint auf dem Rathaus. Ausgenommen waren nur diejenigen, die den Eid wegen der Briefschaften abgeleistet hatten. Im ganzen befanden sich noch 57 Mann in Haft. Am 30. Mai wurde den Arrestanten bekanntgemacht, daß sie sich für Montag früh, das heißt in vier Tagen, zur Abreise rüsten und sich entsprechend mit Hemden und Leinenzeug versehen sollten. Am 3. Juni früh um 3 Uhr begann der Abtransport der Arrestanten. Zwei Kaufleuten jagte man noch einen besonderen Schrecken ein, indem man sie zum Köpfelberg (Galgenberg) vorausschickte, wo man sie eine halbe Stunde lang im Ungewissen warten ließ.42 Bürgermeister und Rat wurden auf Wagen verladen. Die Hundert Männer marschierten hinterher; sie mußten den Marsch bis Schwerin durchhalten. In Schwerin wurden Bürgermeister, Rat und die zwei Kaufleute in besonderen Räumen des Schlosses eingesperrt; der Bürgermeister Tielcke bezog wieder die ihm schon aus früherer Haft bekannte Bleikammer. Alle übrigen Bürger, etwa 40 Mann, kamen in ein Gewächshaus, das sogenannte Orangenhaus, wo sie alle bei kärglicher Nahrung, wenig Stroh, einem stinkenden Kübel „behuff Ihrer Nothdurfft" 43 und viel Ungeziefer fast zwei Monate aushalten mußten. Das machte mit der Zeit die standfesten Bürger mürbe. Aber endgültig wurden sie wohl erst durch die Nachricht von der Besetzung Rostocks durch dänische Truppen (1. Juli) zum Nachgeben bewogen. Bei der fremden Besatzung war ihr Vermögen und Besitz in unmittelbarer Gefahr, denn in den Kriegszeiten bestand kaum Aussicht auf Erstattung. Bei den übermäßigen Kontributionen Carl Leopolds lag aber eine Erstattung immerhin im Bereich des Möglichen, da der Kampf mit der Ritterschaft noch nicht entschieden war. Mit den dänischen Befehlshabern mußten sich inzwischen die fürstlichen Direktoren Schöpffer und Oertling einigen. Beide traten augenscheinlich sehr im Interesse Rostocks auf; denn ihnen wurde wegen ungenügender Lieferung von Brot und Bier eine Exekutionstruppe von Reitern in ihre Häuser gelegt. Die in Rostock zurückgebliebenen Mitglieder des Kollegiums der Hundert Männer und auch die gesamte übrige Bürgerschaft fühlten sich jetzt viel stärker, weil die Gefahr einer erneuten Gewaltanwendung durch den Herzog wegen der dänischen Besatzung vorläufig ausgeschlossen war. Die Gefangenen in Schwerin baten den Herzog am 15. Juli, mit den Verhandlungen zu beginnen. Daraufhin wurden sie durch Petkum, Eichholtz und den Hofintendanten Walter veranlaßt, einen eidlichen Revers zur gütlichen Verhandlungsbereitschaft 42

43

Die häufig in Darstellungen anzutreffende Behauptung, daß alle Bürger auf dem Galgenberg rasten mußten, entspricht nicht den Tatsachen. Sonst hätte der „Höchstgemüßigte Bericht" sicher darauf verwiesen (vgl. S. 50—51). Vgl. z. B. Bernitt,H., Zur Geschichte der Stadt Rostock, Rostock 1956, S. 189. Höchstgemüßigter Bericht, S. 52.

VI. Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock

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über alle drei Punkte zu unterschreiben. Das brachte ihnen eine gewisse Hafterleichterung ein. Am 24. Juli begannen dann die Verhandlungen zu einem neuen Vergleich. Um einen Vergleich zustande zu bringen, der auch Gültigkeit hatte 44 , schrieben Bürgermeister und Rat nach Rostock und baten um die Übersendung der Siegel der vier Gewerke sowie um das Erscheinen von Bevollmächtigten der zurückgebliebenen Vertreter der Hundert Männer. Es könnten aber auch alle kommen, schrieben sie. Aber die sich in Rostock befindenden Mitglieder der Hundert Männer fühlten sich durch die dänische Besatzung so stark, daß sie die Herausgabe der Siegel und die Delegierung von Vertretern verweigerten und außerdem schon von vornherein gegen einen etwa abzuschließenden Vergleich protestierten. Ebenso protestierten die vier Gewerke. Den Protest unterschrieben 294 Bürger. Inzwischen trafen wiederum von Kaiser und Reichshofrat Schreiben ein (vom 26. Juni 1715 und 1. Aug. 1715), die den Herzog ernsthaft ermahnten, von seinem Verfahren gegen Rostock abzulassen. Zur Untersuchung der Akziseangelegenheit in Rostock wurden die Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel und Sachsen-Gotha als kaiserliche Kommission eingesetzt. Das von Stadt und Ritterschaft erbetene Konservatorium wurde aber abgelehnt. 45 Trotz der Proteste der Rostocker Bürger und der ernsten Ermahnungen aus Wien gingen die Verhandlungen in Schwerin weiter. Am 21. August war der Vergleich zur Unterschrift fertig und wurde im Beisein von Petkum, Eichholtz und Walter unterschrieben und mit dem Stadtsiegel versehen. Diese Ausfertigung sollte so lange gelten, bis ein gleichartiges Exemplar des Vertrages mit den Siegeln der vier Gewerke versehen sein würde. Alle Arretierten erhielten dann ihre Freiheit wieder, das Prozeßverfahren wurde aufgehoben, die Akziseuntersuchungen wurden eingestellt und Rat und Bürgerschaft sehr zuvorkommend behandelt. Als allerdings dieser Vertrag am 5. September in Rostock publiziert wurde, protestierte die Bürgerschaft dagegen. Mehr als die Hälfte der Hundert Männer und der gesamte Rat konnten infolge ihrer Eidesleistung in Schwerin nichts mehr unternehmen. Doch alle übrigen richteten ein Gesuch um Annullierung an den Reichshofrat. 46 Diese Protestbewegung war sicher von der Ritterschaft beeinflußt, die auf der Ratstagung am 31. August durch Deputierte vertreten gewesen war. Diese ritterschaftlichen Vertreter protestierten im Namen der Ritterschaft gegen den sogenannten Schweriner Vergleich, weil die Rostocker „einseitig und ohne vorher ergangene Communication mit ihnen, wie sie vernehmen müssen, in einen gütlichen Vergleich mit Sr. Hochf. Durchl. sich eingelassen, und zwar der mit einander von etlichen 44

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Alle wichtigen Rostocker Verträge und Vergleiche mußten laut Erbvertrag von 1584 [Klüver, H.H., a.a.O., Bdll, S. 475—476, Punkt 113) im Namen von Bürgermeister, Rat, der Hundert Männer, vier Gewerke und der ganzen Gemeinde der Stadt abgeschlossen werden und mit den vier Siegeln der Gewerke versehen sein. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 103, 105 u. 106. Drei Protestschreiben: Von den Deputierten der Gewerke, vom Rest der Hundert Männer und den Ältesten der Gewerke. Vgl. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 109 bis 111.

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V I . Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock

Seculis her beibehaltenen Union schnurstracks zuwider, . . ,". 4 7 Einen weiteren Protestschritt unternahm die Ritterschaft auf dem im Oktober 1715 in Sternberg stattgefundenden Landtag und verfaßte ein Memorial an den Reichshofrat mit der Bitte, den Vergleich „zu cassiren, und nunmehro der bedrängten Stadt das ausgebethene Kayserl. Conservatorium allergnädigst zu ertheilen". 48 Ebenso sandte natürlich auch der Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg-Strelitz ein Protestschreiben nach Wien. Aber auch Gegenvorstellungen des Herzogs in Wien blieben nicht ohne Wirkung. 49 War diese Protestbewegung gegen den Schweriner Vergleich wirklich so gerechtfertigt? Zeigte sich der Herzog als grausamer Gewaltherrscher, als er den Vertrag aushandeln ließ? 50 Das kann man nicht sagen. Der Vertrag wahrte durchaus die Rostocker Belange und berücksichtigte sogar die reaktionären Zunftinteressen. Er bestand aus 10 Punkten: 1. Die Residenz des Herzogs bleibt in Rostock. Bei Handel und Gewerbe tritt keine Änderung ein. Keine Freimeister dürfen in ein Amt eingesetzt, in eine Kompanie oder Zunft eingestellt werden. Die Zweimeilengrenze für auswärtige Handwerker bleibt gewahrt. Nur Rostocker Bier darf ausgeschenkt werden. Alle Ausrüstung für die fürstliche Miliz soll in Rostock gekauft oder angefertigt werden. 2. Der Herzog erhält das Präsidium (Besatzungsrecht) für Rostock. Der Stadt verbleiben die Geschütze und das Zeughaus. Außerdem bleibt die Stadt von allen Beiträgen zur „Fortification", wie Lichten und Holz, frei. 3. Die Akzise wird dem Herzog überlassen, aber mit der Zusicherung, sie nie zu erhöhen. Die Stadt hat jährlich einen bestimmten Anteil an der Akzisesumme. 61 Die Rostocker Kaufleute sind bei Jahrmarktsbesuch von der Akzise befreit. Alle früheren Befreiungen von der Akzise bleiben bestehen, z. B. bei Bürgermeistern, Professoren, Doktoren, Predigern, deren Bedienten usw. 4. Die Jagd in der Rostocker Heide wird dem Herzog überlassen. Das Holz und die Gerichtsbarkeit dieses Gebietes bleiben bei Rostock. 5. Wenn der Herzog seinen Versprechungen nicht nachkommen sollte, ist die Stadt nicht an den Vertrag gebunden. 6. Alle übrigen Jura, Privilegia, Freiheiten und Gerechtigkeiten werden vom Herzog bestätigt. Dafür versprechen Rat und Bürgerschaft dem Herzog Treue und Gehorsam. 47 48 49 60 61

Eggerdes Protokollum v o m 3 1 . A u g . 1 7 1 5 . Höchstgemüßigter Bericht, S. 5 7 ; Beylagen Nr 1 1 3 . V g l . Beylagen Nr 1 1 5 ; Klüver,H.H., a. a. O., Bd I V , S. 403. Der Vertrag ist abgedruckt bei Klüver, H. H., a. a. O., Bd II, S. 5 0 5 - 5 2 4 . 1 6 4 3 9 Rthl. zur Besoldung des Rates, der Professoren, der Prediger, Schul- und Stadtbedienten, zur Unterhaltung des Tiefs in Warnemünde, des Bollwerks, der Brücken, des K r a n s und des Schlachthauses. Alles übrige steht dem Herzog zur Verfügung, der dafür das Stadtquotum zur Landeskontribution übernimmt. A u c h die Stadtschulden v o n 5000 Rthl. übernimmt der Herzog.

VI. Auseinandersetzung mit der Stadt Rostock

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7. Alle Urteile und Prozesse gegen Rostocker von Seiten des Herzogs und diejenigen von seiten der Bürgerschaft werden aufgehoben. Alle Briefschaften werden zurückgegeben. 8. Keiner darf wegen der Prozesse später belangt werden. 9. Der Herzog verpflichtet sich für sich und seine Erben, alles treu zu halten. 10. Bürgermeister, Rat, Hundert Männer, vier Gewerke und gemeine Bürgerschaft verpflichten sich für sich und ihre Nachkommen, alle Punkte treu zu halten. Im Vertrag besteht der Herzog zwar klar auf den drei Rechten (Besatzung, Jagd und Akzise), berücksichtigt aber durchaus die Belange Rostocks. Es kam dem Herzog hauptsächlich auf die Zerschlagung der Union mit der Ritterschaft an. Im Zusammenhang damit wurde ein finanzieller Vorteil für die fürstliche Kasse erzielt, der jedoch mit einem gleichzeitigen Aufblühen der Stadt verbunden sein sollte, da dem selbstherrlichen und vielleicht sogar korrupten Wirtschaften des Rates der Boden entzogen war. Da der Rat und ein großer Teil der Hundert Männer sich zum Vergleich verpflichtet hatten, hatte Schöpffer jetzt einen Verhandlungspartner. Schöpffer fiel nun die Aufgabe zu, den Schweriner Vergleich in die Praxis umzusetzen. Er stieß aber auf dauernden Protest und konnte trotz ständigen Druckes auf den Rat nicht zum Ziel gelangen. Natürlich wurden die einzelnen Punkte des Vertrages durchgesetzt, aber der Vertrag selbst wurde von großen Teilen der Bürgerschaft nicht anerkannt. In Wien wurden zur gleichen Zeit fleißig Vorstellungen erhoben. Für Rostock setzten sich der ritterschaftliche Beauftragte von Behr und die Rostocker Anwälte Joanelli und Praun ein. Carl Leopolds Anwalt Klerf bekam als Hilfskraft den Legationssekretarius Johann Seger zugeteilt. Alle hielten Vorträge beim Reichshofrat. 52 Inzwischen waren die Russen im Anmarsch, und die Dänen rüsteten zum Aufbruch aus Rostock. Am 26. Mai rückten sie ab. Da gelang es zwei Bürgern aus Rostock, Ludwig Christoph Bendeler und Jonas Schmidt, mit Unterstützung des engeren Ausschusses der Ritterschaft den Reichshofrat zu einer wichtigen Entscheidung gegen den Herzog zu bestimmen. In dem Beschluß vom 26. Mai 1716 wurde der Schweriner Vergleich für null und nichtig erklärt, die Wiederherstellung des alten Zustandes nochmals anbefohlen, ein kaiserliches Konservatorium für Rostock dem Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg und dem Herzog von Wolfenbüttel „eventualiter" übertragen und die den Herzögen von Sachsen-Gotha und Braunschweig-Wolfenbüttel zuerkannte Kommission zur Untersuchung der Rostocker Akzise erneuert.53 Aber auch hierdurch ließ sich Carl Leopold in seiner Politik nicht beirren, und wir werden im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der russischen Truppen in Mecklenburg sehen, wie der Vergleich im August 1716 endgültig durchgesetzt werden konnte. 52 63

Franck, D.y a. a. O., Bd X V I I , S. 63. Höchstgemüßigter Bericht, Beylagen Nr 125.

KAPITEL VII

Der Versuch Carl Leopolds, seine Macht mit Hilfe russischer Truppen zu stärken

Es wurde bereits berichtet, daß die Kriegsunruhen in den Jahren 1711 bis 1713 auch über Mecklenburg hinweggebraust waren. Viel Not, Elend und Schulden waren damals zurückgeblieben. Die Bestrebungen des Herzogs Carl Leopold waren in den ersten Jahren seiner Regierung dahin gegangen, weitere Truppendurchzüge zu verhindern. Aber wie wir bereits gesehen haben, erlitt er mit diesen Plänen völligen Schiffbruch. Man gab sich von seiten der Landstände gar keine Mühe, die Vorschläge überhaupt nur zu erwägen, sondern lehnte sie stets mit den höflichsten Ausdrücken ab. Als stärkste norddeutsche Festung galt damals Wismar. Wismar hatte schon von 1711 bis 1712 eine Belagerung durchgemacht und wurde am 27. Juli 1715 aufs neue eingeschlossen. Der Besitz Wismars galt allen alliierten Mächten als wichtig. Deshalb beteiligten sie sich auch alle an der Belagerung. 1 Insgesamt rückten über 50 000 Mann alliierter Truppen nach Mecklenburg und Pommern, um schwedische Gebiete und Festungen zu erobern. Die russischen Truppen hatten schon 1713 bis auf geringe Reste Mecklenburg in Richtung Osten wieder verlassen. Inzwischen war der Zar nicht müßig gewesen. Die russischen Truppen hatten 1713 und 1714 durch den Sieg bei Hangö ganz Finnland und die Alandsinseln in ihre Gewalt gebracht. Peter I. war es auch wohl, der seine deutschen Verbündeten, die oft unter sich uneinig waren, zu neuen Aktionen antrieb.2 Schon früher hatte er versucht, seine Politik der Annäherung an die westlichen Länder durch eine Ehepolitik zu unterstützen.3 Die ersten Verhandlungen zwischen Mecklenburg und Rußland wurden bereits 1709 geführt. Der mecklenburgische Gesandte in Wien, Baron von Eichholtz, übergab dem russischen Bevollmächtigten, Baron von Urbich, am 2. März 1709 ein Promemoria, in welchem der russischen Regierung ein „Commerden Tractat" und 1

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6 Regimenter aus Preußen, 4 aus Hannover, 5 aus Dänemark. Vgl. Klüver, H. H., a. a. O., Bd IV, S. 157. Stählin, K., Geschichte Rußlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, Königsberg/Berlin 1930, Bd II, S. 1 1 1 . Sein Sohn hatte eine braunschweigische Prinzessin geheiratet.

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VII. Russische Truppenhilfe f ü r Carl Leopold

eine „defensiv-Allianz" angeboten wurde. 4 Dabei wurden die Vorzüge des Rostocker Hafens aufgezählt: die gute Verbindungsmöglichkeit zur Elbe und zur Oder sowie nach Berlin. Als Vorleistung verlangte Mecklenburg vom Zaren jedoch eine viermalige Zahlung von 150000 Rthl. oder einer entsprechenden Guldensumme als Subsidien zum Ausbau der Rostocker Befestigungsanlagen und zum Unterhalt einer Garnsion in Rostock. Die Vorteile für beide Vertragspartner lagen auf der Hand: Der Zar gewann einen Stapelplatz in Mecklenburg und eine gute Aufmarschbasis für seinen Kampf gegen Schweden, während der mecklenburgische Herzog Friedrich Wilhelm mit russischer Hilfe seine Position gegenüber den Ständen festigen und damit rechnen konnte, mindestens den Warnemünder Zoll zurückzuerhalten. Interessant ist, daß dieses Angebot schon vor der Schlacht bei Poltava gemacht wurde, was darauf hindeutet, daß die schwedische Macht nicht mehr für so stark eingeschätzt wurde wie bisher. Die Warnemünder Zollangelegenheit wurde in aller Ausführlichkeit dem russischen Vertreter von Urbich erläutert, und es wurden ihm sogar 10000 Rthl. für seine Bemühungen versprochen, falls er beim Zaren die mecklenburgischen Wünsche durchzusetzen half. Der Zar zeigte sich zwar den mecklenburgischen Wünschen gegenüber nicht abgeneigt und ließ verlauten, daß er bei einem Frieden mit Schweden die mecklenburgischen Interessen wahren würde, aber nach dem Sieg bei Poltava stellte er die Verhandlungen für einen Vertragsabschluß zunächst noch zurück. Am 11. Juni 1710 berichtete der Baron von Eichholtz aus Wien von dem Gerücht, daß der Erbprinz von Kassel als Gemahl für eine Nichte des Zaren geworben werden sollte.5 Es seien 1 Million Rthl. Brautschatz, der Titel eines Vizekönigs von Astrachan und die Stellung eines Generalissimus der russischen Armee mit jährlich 100000 Rthl. Revenuen dafür geboten. Diese Mitteilung scheint offenbar dem damals noch nicht regierenden Carl Leopold zu Ohren gekommen zu sein, denn von 1710 an ließ der spätere Herzog über einen Mittelsmann in Hamburg gewisse einleitende Verhandlungen für ein Bündnis mit Peter I. und die Vermählung mit einer Zarennichte führen. 9 Schon zwei Monate nach dem Regierungsantritt Carl Leopolds fand eine Unterredung zwischen ihm und dem Fürsten Mensikov statt, bei der neben Schadenersatzforderungen und dem Abzug der russischen Truppen aus Mecklenburg auch das Heirats- und Bündnisprojekt erörtert wurde. 7 Der Adjutant Mensikovs, Karl Gustav 4

6 6 7

L H A Schwerin, Auswärtiges (befindet sich im Staad. Archivlager in Göttingen), Russiça, Nr 284. Schreiben v. Urbichs an Eichholtz v. 20. Febr. 1710, Ebenda. Vgl. den Briefwechsel Jordan—Petkum. Ebenda. Vgl. das Schreiben Mensikovs v. 9. Okt. 1713 (alten Stils). Ebenda. Die Verhandlungen über die Verpflegung der russischen Truppen in Pommern im Jahre 1 7 1 2 wurden nicht mit Herzog Carl Leopold, der erst 1713 zur Regierung gelangte, geführt, wie Nikiforov, L . A . (Russisch-Englische Beziehungen unter Peter I. (Übers.), Weimar 1954, S. 184), Martens, F. (Recueil des Traités et Conventions, conclus par la Russie avec les puissances étrangères. St. Petersburg 1880, Bd V , S. 136) und BaiiTbim-KaMencKHÜ, H. H., O03op

VII. Russische Truppenhilfe für Carl Leopold

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von Löwenwolde, der vom mecklenburgischen Herzog mit Zuwendungen für die mecklenburgischen Interessen gewonnen wurde 8 , überbrachte im November 1713 dem Zaren einige „Reflexionen" Carl Leopolds. Darin wurde vorgeschlagen: 1. eine engere Verbindung der beiden regierenden Häuser; 2. freie Passage russischer Waren von Rostock zur Elbe; 3. eine spätere Allianz zwischen Mecklenburg und Rußland sowie die Rückgabe Wismars an Mecklenburg. 4. Falls Wismar nicht mit Waffengewalt zu erobern sei, solle Rußland bei den Friedensverhandlungen für die Rückgabe sorgen. 5. Rußland solle nach einem Allianzvertrag die mecklenburgischen Interessen vertreten. 9 In den ersten Vorschlägen ist bereits die gesamte Außenpolitik des Herzogs Carl Leopold für die nächsten Jahre in ihren Grundzügen enthalten. In ihnen findet sich noch nicht der Gedanke, die Allianz zu einer Unterwerfung der Ritterschaft auszunutzen. Ebenfalls fehlt das bereits mit Mensikov besprochene Heiratsprojekt, das erst zu Beginn des Jahres 1714 wieder erwähnt wird. Die „Reflexionen" wurden in St. Petersburg mit Zustimmung aufgenommen, und der Schweriner Herzog wurde ersucht, einen bevollmächtigten Minister zum Vertragsabschluß zu schicken. Bei dem Heiratsprojekt spielte der Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel eine gewisse vermittelnde Rolle. An ihn hatte sich Carl Leopold vermutlich gewandt, um die finanziellen Vorteile einer verwandtschaftlichen Verbindung mit der Zarenfamilie zu erfahren. Im März 1714 wurde der bisher am preußischen Hof tätige mecklenburgische Geheime Rat von Habichtsthal zum bevollmächtigten Gesandten für Rußland ernannt und zusammen mit dem Hofintendanten Walter nach Petersburg geschickt, um die Verträge zustande zu bringen. Offenbar fuhr Walter zunächst allein, während sich Habichtsthal auf den Weg machte, nachdem er am 21. April seine Instruktion erhalten hatte.10 Diese Instruktion umfaßte 13 Punkte und verlangte im einzelnen: 1. Habichtsthal soll den Wunsch nach einer Vermählungsallianz mitteilen. 2. Er soll einen Brief des Herzogs überreichen. 3. Die von Herzog Anton-Ulrich in Aussicht gestellten 300000 Rthl. sollen durch Wechsel in Hamburg oder Lübeck sichergestellt werden. 4. Falls die Summe nicht zur Verfügung stünde, will Carl Leopold sich zunächst mit der Hälfte zufriedengeben. 5. Bei einem Frieden mit Schweden soll Wismar nicht vergessen werden. 6. Wismar sei der bequemste Hafen für eine „Communicationslinie", da dort ganze Schiffsflotten vor Anker gehen könnten. BHeuiHHX CHomeHHft POCCHH, Moskau 1 8 9 6 , T . I I , S . 1 0 4 ) meinen; fehlerhaft erscheint auch Droysen,J.G. (IV, 2, S. 152), der den Dezember 1713 als Beginn der Verhandlungen ansetzt. 8 LHA Schwerin, Auswärtiges, Russica, Nr 284. Ihm wurden im März 1714 20000 Rthl. oder ein Gut mit 1000 Rthl. jährlichen Einkünften bei erfolgreicher Interessenvertretung in Aussicht gestellt. 9 Ebenda. 10 Vgl. einen Briefentwurf Carl Leopolds v. 7. März 1714 sowie die Instruktion für Habichtsthal. Ebenda.

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VII. Russische Truppenhilfe für Carl Leopold

7. Betrifft die Überlassung einiger Regimenter, die nach Rostock transportiert werden sollten. 8. Der Zar soll jährlich eine Summe von 200000Rthl. zum Unterhalt der Truppen zahlen oder selbst eine höhere Summe festsetzen. 9. Der fertige Vertrag soll in Abschrift an den Herzog von Kurland übersandt werden. 10. Nach Abschluß des Heiratsvertrages soll sofort mit den Verhandlungen zum Defensiwertrag begonnen werden. 11. Man würde sich von Schwerin aus bemühen, noch andere „Constatus Imperii" für diese Allianz zu gewinnen. 12. Das Projekt für diese Allianz solle vom Zaren ausgehen, während Carl Leopold im Reich Bewerber für die anderen russischen Prinzessinnen ausfindig machen und vorschlagen wolle. 13. Schließlich soll Habichtsthal so verhandeln, daß der Zar „ein völliges Vergnügen darob zu schöpfen Ursach haben könne . . Bei dieser Instruktion fällt auf, daß überhaupt nicht von einer bestimmten Person als Braut für den Herzog die Rede ist, sondern nur vom Geld, von den Truppen und von dem Hafen Wismar, die mit der Heirat gewonnen werden sollten. Es steht nicht in der Instruktion, wofür die Truppen gedacht waren, aber es scheint so zu sein, daß der Herzog sie einmal zum Schutz seines Landes gegen durchziehende Truppen benötigte und außerdem sich ihrer vielleicht auch gegenüber dem Adel bedienen wollte, um die widerstrebenden Kräfte, die, wie wir oben gesehen haben, Beschwerde beim Kaiser führten und von Wien gestützt wurden, zu unterwerfen. Eine Geheiminstruktion gleichen Datums ergänzte die genannte Instruktion. In ihr wurde Habichtsthal ermahnt, seine Mission überall geheimzuhalten und sich vor der Audienz beim Zaren mit Vater und Sohn Löwenwolde zu beraten. Nach eigenem Ermessen sollte er handeln, wenn Schweden den Frieden anbieten sollte, wenn sich durch preußische Vermittlung die Friedensbedingungen änderten oder wenn französische Intrigen Mißverständnisse verursachen sollten. Bei allen seinen Vorschlägen sollte er nach dem Grundsatz „Generalia qua nihil concludunt" handeln. Mit Schweden sollte er keine Abmachungen treffen. Mit Löwenwolde sollte er sich beraten, auf welche Weise eine gute Ubereinkunft zwischen Rußland und Frankreich erzielt werden könnte. Aus dieser Geheiminstruktion geht die berechtigte Sorge des Herzogs hervor, daß bei vorzeitigem Bekanntwerden der mecklenburgischen Pläne andere Mächte Gegenmaßnahmen ergreifen könnten. Außerdem finden wir hier bereits die ersten Andeutungen von Versuchen, mit Bündnisvermittlungen in die große Diplomatie Europas einzugreifen, Versuche, die dann zwanzig Jahre später wirklich unternommen wurden. Die Nichterwähnung des Warnemünder Zolls in beiden Instruktionen hatte seinen guten Grund; denn seit März 1714 wurde mit Schweden über diese Angelegenheit verhandelt. Von diesen Verhandlungen hatte man offenbar Rußland nicht unterrichtet. Die Gesandten von Preußen und Hannover, die trotz aller Geheimhaltungsmaßnahmen von Habichtsthals Mission erfahren hatten und auch über die Zollverhandlungen unterrichtet waren, versuchten deshalb, Carl Leopold beim Zaren als Intriganten hinzustellen, der mit Schweden unter einer Decke stecke.11 Vermutlich 11

Schreiben Habichtsthals v. Juni 1714. Ebenda.

VII. Russische Truppenhilfe für Carl Leopold

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verhielt sich der Zar deshalb äußerst reserviert, so daß trotz aller Bemühungen Habichtsthals der Vertragsabschluß für eine Allianz nicht näherrückte. Auch das Heiratsprojekt brachte keine Fortschritte. Man machte plötzlich am russischen Hofe Zweifel an der Ungültigkeit von Carl Leopolds erster Ehe geltend. Die Situation wurde für den mecklenburgischen Gesandten so unangenehm, daß er bereits Sorgen hatte, eine „unanständige Spatzier-Reise nach Asiatischen Gräntzen zu thun". 12 Mit Hilfe seiner Gönner Safirov und Ostermann gelang es Habichtsthal jedoch, den Zaren von der Lauterkeit der mecklenburgischen Absichten zu überzeugen. Der Zar äußerte, daß er zwar Verständnis für zeitweilige Verhandlungen mit den Schweden hätte, aber strikte Neutralität bis zum Abschluß des Traktates verlange. Er wolle nicht betrügen, aber auch nicht betrogen werden und verlange dafür eine Sicherheit.13 Trotz dieser Klarstellung kamen die Verhandlungen nicht vom Fleck. Inzwischen wurden in Mecklenburg Bündnisverhandlungen zwischen Rußland auf der einen und Dänemark und Hannover auf der anderen Seite bekannt, die den Verdacht aufkommen lassen konnten, daß die mecklenburgische Allianz im Sande verlaufen würde. In dieser Situation rief Carl Leopold am 14. Oktober 1714 seine Ratgeber von Petkum, von Eichholtz und den seit einigen Monaten aus Rußland zurückgekehrten Walter zu einer Beratung über die Heirats- und Bündnispläne mit Rußland zusammen.14 Es wurde nochmals die Frage aufgeworfen, ob Carl Leopold eine russische Prinzessin heiraten solle; sie wurde einstimmig bejaht. Carl Leopold sollte nicht, wie ursprünglich geplant, nach Rußland reisen, sondern wegen der politischen Situation von Eichholtz als bevollmächtigten Minister nach Rußland senden. Für die Heirat sollten folgende Bedingungen gestellt werden: 1. die Überlassung von Wismar und des Warnemünder Zolls; 2. 300000 Rthl., in Hamburg oder Amsterdam angewiesen; 3. die Übergabe von zwei russischen Regimentern an den Herzog, die jedoch vom Zaren verpflegt werden und erforderlichenfalls dem Zaren zur Verfügung stehen sollten; 4. der Oberbefehl Carl Leopolds über ein in der Nähe stehendes russisches Korps, womit eine Beteiligung Mecklenburgs an der nordischen Allianz zum Ausdruck gebracht werden sollte; 5. eine Vereinbarung über den versprochenen Schadenersatz; 6. die Übernahme aller Kosten durch den Zaren, die aus der Allianz für Mecklenburg entständen. Eichholtz fuhr jedoch noch nicht ab, weil man den Eindruck hatte, der Zar wäre bereit, über die Verträge zu verhandeln. 15 Der Zar wollte Löwenwolde als seinen Beauftragten nach Mecklenburg senden. Da sich dessen Reise aber zerschlug, geriet Habichtsthal mit seinen Bemühungen wiederum in arge Schwierigkeiten, da der gegen Carl Leopold gerichtete Einfluß Hannovers und Preußens infolge der abgeschlossenen Bündnisverträge verstärkt wirksam werden konnte. Aus Schwerin wurde Habichtsthal angehalten, zu versichern, daß nach wie vor ein großes Inter12 13 14

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Schreiben Habichtsthals v. 24. Dez. 1714. Ebenda. Schreiben Habichtsthals v. 10. Jan. 1715. Ebenda. Das Protokoll der Sitzung siehe ebenda. Eichholtz erfuhr angeblich auf dieser Sitzung erstmalig von diesem Projekt. Vgl. Les anecdotes . . . a. a. O. LHA Schwerin, Auswärtiges, Russica, Nr 284. Schreiben Habichtsthals v. 27. Sept. u. Carl Leopolds v. 7. Nov. 1715.

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VII. Russische Truppenhilfe für Carl Leopold

esse an einem Bündnis mit Rußland bestünde, „damit das Rußische Reich mit Mecklenburg der Situation nach solche verfaßung nehme, welche die Pforte der Hölle nicht Zu überwältigen vermögen". 16 Außerdem erhielt Habichtsthal 1500 Rubel, um sie den Ministern Safirov und Ostermann als Neujahrsgeschenke zu überreichen. Besonders Safirov nahm sich der mecklenburgischen Sache an und erreichte, daß der Zar erneut seine Bereitschaft 2ur Allianz erklärte und den Sondergesandten Jagocinskij zur persönlichen Rücksprache nach Schwerin sandte. Daraufhin hielt nun endlich Carl Leopold am 23. Dezember 1715 offiziell um die Hand der Zarennichte Anna, der verwitweten Herzogin von Kurland, an und kündigte von Habichtsthal und seinen Hofintendanten Julius von Walter als bevollmächtigte Verhandlungspartner an. Die wichtigsten Punkte der Instruktion für beide waren, daß Rußland mit Hilfe seiner Autorität Mecklenburg im Reiche die Stellung verschaffen sollte, die andere Reichsstände innehätten. Mit Wismar wäre Eile geboten, da sich sonst andere Mächte dort festsetzten. Zum Abschluß eines Pactum perpetuum sollte mit der Herzogin ein bevollmächtigter Minister nach Schwerin kommen. Die verlangte Geldsumme von 300000 Rthl. sollten sie sich am besten gleich in bar aushändigen lassen. Doch erlebte der mecklenburgische Herzog eine herbe Enttäuschung, als er im Schreiben Habichtsthals lesen konnte17, daß der Zar zwar 10000 Mann vor Wismar rücken lassen wolle, die dem Preußenkönig als für das Schonenunternehmen bestimmt präsentiert werden sollten, und daß er auch selbst nach Mecklenburg kommen wolle, um die mecklenburgischen Interessen besser vertreten zu können, daß er aber seine andere Nichte als Braut für den Herzog bestimmt habe. Außerdem wolle der Zar den geforderten Brautschatz wegen seiner hohen Kriegsausgaben nicht zahlen. Als Trost versicherte Habichtsthal, daß die neue Braut mit einem „unvergleichlich gemüth" begabt sei. Carl Leopold ärgerte sich vermutlich darüber, denn er hatte fest mit dem Besitz von Kurland gerechnet. Über Safirov unternahm er noch einen letzten vergeblichen Versuch, die Kurländerin zu bekommen und bestand außerdem auf einer schnelleren Hochzeit und dem unverzüglichen Abschluß eines Bündnisvertrages, um eine Entschuldigung für das Einrücken russischer Truppen in Mecklenburg zu haben. Doch nur im letzten Punkt kam Peter I. dem Schweriner Herzog entgegen. Er sandte Löwenwolde nach Schwerin, ließ Carl Leopold bitten, nach Danzig zu einer Besprechung zu kommen, und ihm außerdem mitteilen, daß ein russisches Korps unter Fürst Repnin nach Mecklenburg unterwegs sei.18 Inzwischen hatten Safirov und Habichtsthal in Petersburg den Ehevertrag ausgearbeitet und unterzeichnet. Dieser Vertrag besteht aus 7 Artikeln und einem Zusatzartikel. Die Artikel 1 bis 5 enthalten Bestimmungen, die im Interesse der Braut festgelegt wurden, wie freie Religionsausübung, Unterhaltungskosten für sie selbst und ihre Bedienten, Witwenrente und Aussteuer. Dagegen haben die Artikel 6 und 7 politische Bedeutung. Im Artikel 6 versprach der Zar, dem Herzog bei der Erlan16 17 18

Schreiben Walters v. 18. Nov. 1715. Ebenda. Schreiben v. 27. Jan. 1716. Ebenda. Promemoria Peters I. für Löwenwolde v. 29. Febr. 1716 (alten Stils). Ebenda.

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gung von Wismar und des Hafens von Warnemünde, die sich seit dem Westfälischen Frieden 1648 in schwedischer Hand befanden, behilflich zu sein. Dazu sollte ein russisches Korps vor Wismar rücken, um an den Operationen gegen Wismar teilzunehmen. Außerdem verpflichtete sich der Zar, beim römischen Kaiser und bei allen nordischen Alliierten dafür einzutreten, daß dem mecklenburgischen Herzog Wismar zuerkannt würde. Der Artikel 7 ist von noch größerer Bedeutung, denn er gibt darüber Auskunft, daß neben Verhandlungen über den Abschluß eines „pactum perpetuum" bereits Besprechungen über „commerce tractats" stattgefunden hatten, die nur noch in eine vertragliche Form gebracht werden sollten. Während von dem Bündnisvertrag zwei Projekte vorliegen, die von Safirov und Eichholtz in Danzig beraten wurden19, habe ich über Verhandlungen zu einem Handelsvertrag kein Material finden können. Der Ehevertrag wurde am 7. April 1716 von beiden Seiten ratifiziert und der Vertrag über ein „ewiges Bündnis" am 19. April, am Tage der Trauung des mecklenburgischen Herzogs mit der Zarennichte Ekaterina Ivanovna, in Danzig von beiden Vertragspartnern unterzeichnet.20 Das NichtZustandekommen der Handelsverträge war wahrscheinlich hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß der wichtige Hafen Wismar nicht von russischen Truppen besetzt und an den Schweriner Herzog übergeben werden konnte. Der Bündnisvertrag umfaßt 9 Artikel, in denen die gegenseitigen Verpflichtungen festgelegt sind. Beide Partner verpflichteten sich, in Frieden und Krieg treu zusammenzustehen und diesen Vertrag auch im Namen ihrer Nachkommen abzuschließen (Art. 1). Der Zar versprach, mit seiner Truppenmacht für die Sicherheit des mecklenburg-schwerinschen Herzogtums zu sorgen, ohne dafür eine Bezahlung zu verlangen (Art. 2). Außerdem wollte er dafür eintreten, daß dem mecklenburgischen Herzog aller durch den Nordischen Krieg entstandene Schaden ersetzt würde (Art. 3). Da dem mecklenburgischen Herzog die nötige Truppenmacht fehlte, um bei den Kriegswirren in seinem Lande Ordnung schaffen zu können, versprach der Zar, ihm 9 bis 10 Regimenter Infanterie seiner Truppen zu überlassen, die in „des Herzog Eyd und Pflichten genommen" und von ihm verpflegt wurden. Hingegen sollte der Zar während der Anwesenheit der russischen Armee auf Reichsterritorium die Soldzahlung übernehmen. Nach dem Abzug der russischen Armee sollten dem Herzog auf dessen Sold und Verpflegung so viel Truppen überlassen werden, wie er begehrte, mit der einzigen Bedingung, dem Zaren, wenn er es verlangen sollte, mit allen Truppen, die ohne Gefahr aus dem Lande gezogen werden könnten, zu Hilfe zu kommen (Art. 4). Man versprach sich gegenseitig, das beiderseitige Interesse am kaiserlichen Hofe zu wahren (Art. 5), wobei das herzogliche Interesse natürlich weit im Vordergrund stehen mußte, da der Zar allein in der Lage war, seine Belange in Wien wahrzunehmen. Im Artikel 6 wird das Hauptanliegen des Herzogs Carl LeoM 20

Die Vertragsprojekte siehe in L H A Schwerin, Auswärtiges, Russica, Nr 284. Abgedruckt bei Martens, F., a. a. O., Bd V , S. 1 4 4 — 1 5 1 . V g l . die kritischen Bemerkungen v o n Schirren zu der Ausgabe v o n Martens, insbesondere zu den beiden Verträgen mit Mecklenburg 1 7 1 6 . ( Schirren, C., Z u r Geschichte des Nordischen Krieges, Rezensionen, Kiel 1 9 1 3 , S. 1 2 5 - 2 0 6 , insbesondere S. 171.)

6 Wiek, Absolutismus

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pold behandelt. Der Zar versprach, den Herzog beim Kaiser gegen seine widerspenstigeRitterschaft sowie gegen die Verordnungen des Reichshofrates zu unterstützen. Notfalls sollte mit Waffengewalt gegen ein gewaltsames Vorgehen der Ritter und ihrer Verbündeten im Reich eingeschritten werden (Art. 6). Ferner bekräftigte der Zar noch einmal, dem Herzog bei der Erlangung Wismars mit den dazugehörigen Ämtern Neukloster und der Insel Poel sowie des Warnemünder Zolls mit allen Mitteln zu helfen (Art. 8). Dafür erklärte sich der mecklenburgische Herzog bereit, den russischen Kaufleuten in den mecklenburgischen Häfen und Landen freien Aufenthalt, freie Religionsausübung und Wohnung zu gewähren sowie die Anlage von Stapelplätzen für russische Waren zu gestatten (Art. 7). Außerdem versprach der Herzog, den russischen Truppen immer, wenn sie beim Kampf gegen ihre Feinde oder bei Hilfeleistung für ihre Verbündeten ins römische Reich einrückten, die mecklenburgischen Häfen zur Verfügung zu stellen und den Durchmarsch durch sein Land zu erlauben. Auch konnten diese Truppen bei Bedarf, allerdings auf eigene Kosten, in Mecklenburg Magazine einrichten (Art. 9). Bei einer Analyse dieses Vertrages zeichnen sich sofort die verschiedenen Interessen der beiden Vertragspartner ab. Der Zar beabsichtigte, sich in einem verhältnismäßig weit westlich Hegenden Land eine Position zu schaffen, die ihn in den Stand setzen konnte, erfolgreiche Operationen gegen Schweden vorzunehmen. Wenn auch in dem Vertrag nicht auf das von Rußland und Dänemark gemeinsam geplante Schonenunternehmen eingegangen wird, so muß doch als sicher angenommen werden, daß sich der Artikel 9 auf diesen Plan bezieht. Das Hauptanliegen des Zaren bei der Vorbereitung eines solchen Unternehmens mußte die Sicherstellung einer materiellen Basis sein, um seine Truppen mit der notwendigen Verpflegung versorgen zu können. Für einen solchen Zweck war Mecklenburg als reines Agrarland besonders gut geeignet. Die notwendigen Proviantmengen zur Verpflegung der Truppen und zur Einrichtung von Magazinen konnten unmittelbar aus dem Lande bezogen werden. Für die Verschiffung von Truppen und Kriegsmaterial standen von den mecklenburgischen Häfen Rostock bestimmt und Wismar nach seiner Eroberung mit großer Wahrscheinlichkeit zur Verfügung. Doch neben der aktuellen Inanspruchnahme mecklenburgischen Gebietes für die unmittelbare Vorbereitung eines entscheidenden Schlages gegen Schweden verfolgte der Zar weitergehende Ziele, die im Artikel 7 zum Ausdruck kommen. Es handelt sich dabei um sein Bestreben, den russischen Kaufleuten möglichst weit im Westen in einem befreundeten Land einen Hafen und einen Stapelplatz zu sichern, um sich wirksam gegen die mächtige Konkurrenz der Engländer und Holländer behaupten zu können. Nicht bewiesen ist die Behauptung Nikiforovs, daß Peter I. Mecklenburg für den russischen Handel sichern wollte, weil angeblich ein Projekt zum Bau eines Kanals durch Mecklenburg bestand, der Ost- und Nordsee miteinander verbinden sollte und mit dem man für die russischen Schiffe den drückenden Sundzoll einsparen konnte. 21 Das Kanalprojekt stammte schon aus einer Zeit lange vor dem 21

HiiKHifiopoB, JI. A., a. a. O., S. 183; die gleiche Meinung wird auch vertreten in den OnepitH HcTopHH C C C P , nepHOR a. a. O., S. 132.

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am 15. April 1724 und am 6. Juni 1725 Verordnungen gegen Bettler, Landstreicher und Zigeuner, die jedoch keinerlei Wirkung hatten, zumal sie im Lande kaum bekannt wurden, da sich die Geistlichkeit, wie schon erwähnt wurde, weigerte, die Verfügungen von der Kanzel zu verlesen. So sahen sich die Gutsherren veranlaßt, einen Selbstschutz zu organisieren. Aber auch dieser erwies sich nicht als wirksam genug, um dem Unwesen Einhalt zu gebieten. Der Reichshof rat, der, wie schon gesagt, alle Wünsche der kaiserlichen Kommission in Mecklenburg in kaiserliche Befehle umwandelte, hatte seinen Sitz in Wien, so daß die Befolgung dieser Anordnungen nur durch die Lüneburger Truppen durchgesetzt werden konnte. Wenn diese Anordnungen aus Wien gegen die hannoverschen Interessen gerichtet oder den Wünschen der mecklenburgischen Ritterschaft zuwider waren, war an eine Durchführung nicht zu denken. Die gleiche Situation war gegeben, wenn Befehle an den Herzog erlassen wurden, die nicht gewaltsam von der Kommission durchgesetzt werden konnten, weil sie den Herzog selbst, die von ihm besetzten Städte Schwerin und Dömitz oder fürstliche Rechte, wie beispielsweise die Kirchenaufsicht, betrafen. Trotz seiner Machtlosigkeit, die es ihm unmöglich machte, seinen Befehlen durch militärische Stärke den nötigen Nachdruck zu verleihen, verfügte der Kaiser dank seiner Hausmacht im Reiche über viel Autorität. Vor allem Kaiser Karl VI. versuchte seine Position im Reichsverbande durch eine geschickte Politik zu festigen. Dazu gehörte, daß sich der Reichshofrat in der mecklenburgischen Angelegenheit um jede Einzelheit kümmerte und sich über jeden Vorgang genau berichten ließ. Gestützt auf die Konklusa des Reichshofrates, verfügte die kaiserliche Kommission über den notwendigen rechtlichen Rückhalt zur Durchführung ihrer Maßnahmen. Es war dem Kaiser ebenfalls gelungen, im Reichstag von Regensburg eine Mehrheit der Reichsstände für seine Maßnahmen gegenüber Mecklenburg zu gewinnen. So sind die zahlreichen Bemühungen des Herzogs Carl Leopold und seiner Beauftragten zu erklären, beim Kaiser und beim Reichstag eine Besserung seiner Lage und die Aufhebung der Kommission zu erreichen. Aber auch die Kommission fühlte sich häufig bemüßigt, ihre Schritte im Lande zu rechtfertigen. Der Herzog Carl Leopold unterhielt dauernd Gesandte in Wien und Regensburg, die seine Angelegenheiten zu vertreten hatten. So war der Hofrat Seger in den Jahren 1723 und 1724 in Wien. Der jeweilige Gesandte hatte die Aufgabe, die zahlreichen Schreiben Carl Leopolds zu übergeben und zu erläutern. Das war häufig keine leichte Aufgabe, da alle Schreiben im wesentlichen den gleichen Inhalt hatten.47 Sie alle brachten eine ausführliche Darstellung und Rechtfertigung der Maßnahmen gegen die Ritterschaft in den Jahren 1713 bis 1719 und betonten die Rechtmäßigkeit der Landesdefension nach § 180 des Reichsabschiedes von 1654. Überhaupt bestritt Carl Leopold grundsätzlich, daß sein Handeln der Reichsverfassung zuwiderlief. Daneben versicherte er dem Kaiser immer wieder, daß er jederzeit bereit und willig wäre, ihm, dem Kaiser, im Rahmen der Reichsverfassung volle „Parition" 47

Alle Schreiben siehe L H A Schwerin, Act. diff., Vol. X V I u. XVII, zum Teil auch bei Klüver, H. H., a. a. O., Bd V . Ein großer Teil der Schreiben wurde gedruckt und publiziert. L H A Schwerin, Impressa de differentiis Carl Leopold, Vol. IV.

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zu leisten. Außerdem enthielt jedes Schreiben eine lange Liste mit Ausschreitungen von Lüneburger Soldaten. Die Kommission wurde im Schreiben vom 1. Dezember 1722 sogar der „Despotique" beschuldigt.48 In den Schreiben des Kaisers und den Konklusa des Reichshof rates49 wurden dagegen immer wieder der Ungehorsam gegen den Kaiser und die Anfechtung der höchsten kaiserlichen Gerichtsbarkeit durch Carl Leopold betont. Auf die „Parition" wies man stets mit besonderem Nachdruck hin. Man verlangte vom Herzog, allen kaiserlichen Anordnungen zu gehorchen, auch wenn sie ihn auf dem Umweg über die Kommission erreichten, die durch die Subdelegierten in Rostock vertreten wurde. Der Herzog stimmte dem niemals zu. Außerdem wurden fast immer mehrere Einzelverordnungen für die Verwaltung des Landes Mecklenburg erlassen, nach denen sich die Kommission und der Herzog richten sollten. Solche Verordnungen waren zum Beispiel folgende: Die kaiserlichen Verordnungen sollten auch in Schwerin und Dömitz publiziert werden. Carl Leopold sollte sich an die Pakte seiner Vorfahren halten. Ohne Hinzuziehung der Landstände sollte der Herzog keine Bündnisse abschließen dürfen. Das 1718 neu eingeführte Landessiegel wurde aufgehoben. Die von der Ritterschaft vorgeschlagenen Klosterhauptleute für die Landesklöster Dobbertin, Ribnitz und Malchow sollten vom Herzog bestätigt werden. Für die Gerichtskosten sollte zusammen mit Ritter- und Landschaft eine neue „Tax-Ordnung" aufgestellt werden. Eine Verpfändung von Lehngütern wurde gestattet. Alle fürstlichen Verordnungen, die ohne Billigung von Ritter- und Landschaft oder engerem Ausschuß und Landräten erlassen worden waren, wurden aufgehoben. Das bezog sich auf fast alle Edikte aus der Zeit etwa von 1700 an, wie beispielsweise die fürstliche Rangordnung von 1704, die Schulzen- und Bauernordnung von 1702, das Duelledikt von 1715, das Salzedikt von 1718 u. a. Es kam der Ritterschaft bei ihrem Bemühen, alle diese Edikte aufheben zu lassen, das in Wien von ihrem Beauftragten von Behr betrieben wurde, weniger auf den Inhalt der aufzuhebenden Edikte als vielmehr auf das Prinzip an, daß es keine Edikte ohne ihre Zustimmung geben sollte. Daneben erließ der Kaiser neue Verfügungen, die die Macht des Herzogs einschränken und die Stellung der Ritterschaft stärken sollten. Dazu gehörte, ein neues „Zollreglement" zu schaffen, das die Zollfreiheit wieder befestigen sollte. Dem Herzog wurde untersagt, in den Prozeß des Bauernlegens einzugreifen „wieder deßen Territorialsuperiorität auf verfänglichste weise ziel und Maaße gesetzet" 50 , der Ritterschaft wurde gestattet, auch in der verbotenen Zeit zu schießen, und andere Verfügungen ergingen im gleichen Sinne. Bei seinen Auseinandersetzungen mit dem Kaiser stand Carl Leopold durchaus nicht allein. Besonders Rußland unterstützte seine Argumentation durch seinen Wiener Gesandten von Lancinsky. Der Zar kam damit seiner im Bündnisvertrag von 1716 übernommenen Verpflichtung nach. Auch finanzielle Unterstützung wurde 48 49

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Die Schreiben entstammten offenbar alle der Feder Wolffs. A l l e Schreiben siehe L H A Schwerin, Act. diff., V o l . X V I u. X V I I ; teilweise auch bei Klüver, H. H., a. a. O., Bd V . Kaiserliches Schreiben v . 19. Okt. 1724, L H A Schwerin, Act. diff., V o l . X V I .

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gewährt. 51 Der russische Gesandte verwandte sich schon 1722 beim Reichsvizekanzler, dem Grafen von Schönborn, für den Herzog Carl Leopold. Doch erhielt er eine Absage, das heißt, es wurde ihm zu verstehen gegeben, daß der Kaiser Gehorsam verlange oder mit Reichsmitteln einschreiten würde. Was für Reichsmittel gemeint waren, ist nicht bekannt. Möglicherweise hat man sich in Wien schon damals mit der Absicht getragen, den Herzog seiner Regierung zu entsetzen.52 Die Schreiben Carl Leopolds aus den Jahren 1723 und 1724 wurden entweder von Seger oder Lancinsky übergeben. Seger wurde ausdrücklich angewiesen, sich mit Lancinsky darüber zu beraten, an wen man sich noch um Fürsprache wenden sollte. Es war dabei an den Prinzen Eugen und an andere kaiserliche Ratgeber gedacht. Lancinsky erhielt von seiner Regierung ähnliche Anweisungen. Auf keinen Fall sollten sich beide an den Reichshofratspräsidenten von Wurmbrandt wenden, da dieser als Feind Carl Leopolds bekannt war. Aber allen Bemühungen beider Gesandten beim Prinzen Eugen, beim Geheimen Konferenzminister von Staremberg, beim Reichsvizekanzler von Schönborn und beim Hofkanzler von Sintzendorf blieb jeglicher Erfolg versagt. Alle maßgeblichen Leute in Wien sahen in der vollständigen „Parition" des Herzogs den einzig erfolgversprechenden Weg, der jedoch von Carl Leopold nicht in der geforderten Weise, daß heißt bei völligem Gehorsam gegenüber der kaiserlichen Kommission, beschritten wurde. 53 Über die dauernden Mißerfolge war Carl Leopold sehr verstimmt und zitierte Seger zur Berichterstattung nach Danzig. 54 Andererseits waren auch die kaiserlichen Minister, besonders Prinz Eugen, über die dauernden Belästigungen mit der mecklenburgischen Angelegenheit ungehalten. Neben dem häufigen Schriftwechsel mit dem Kaiser lief ein nicht minder häufiger mit den einzelnen Reichsständen, an die der Herzog von Mecklenburg bei jedem sich bietenden Anlaß Zirkularschreiben sandte.55 Nur die kaiserlichen Konservatoren blieben unberücksichtigt. Diese Zirkularschreiben unterschieden sich in ihrem Inhalt nicht sehr von den an den Kaiser gerichteten Schriftstücken. In ihnen wurde die rechtliche Situation dargelegt und um Unterstützung beim Kaiser gebeten. Gleichzeitig wurde Klage über die verschiedenen Ausschreitungen der Truppen im Lande und über die Ausplünderung von Bürgern geführt. Sehr häufig wurden die Zirkularschreiben durch einen Beauftragten persönlich übergeben, seltener mit der Post befördert. Meistens unterschieden sich die Schreiben an die einzelnen Reichsstände 51

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Das geht aus einem anonymen Bericht aus Braunschweig v. 7. Mai 1724 hervor, der besagt, daß der russische Kommissar in Hamburg einen Wechsel über einen namhaften Betrag nach Dömitz überbracht habe. L H A Schwerin, Act. diff., V o l . X V I . Bericht Lancinskys an Carl Leopold v . 3 1 . Sept. 1722, ebenda. In allen Paritionsschreiben, die in Wien übergeben wurden, wurde dagegen V e r w a h r u n g eingelegt. Seger leistete der A u f f o r d e r u n g , nach Danzig zu kommen, nicht Folge, da er kein Geld zur Reise und obendrein zahlreiche Schulden hatte. A l l e Zirkularschreiben und Antwortbriefe der Reichsstände siehe L H A Schwerin, Act. diff., V o l . X V I I I u. X I X ; teilweise auch bei Klüver, H.H., a . a . O . , Bd V . Ein großer Teil der Schreiben w u r d e gedruckt und publiziert. L H A Schwerin, Impressa de differentiis Carl Leopold, V o l . I V .

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wenig voneinander. Einzelne Reichsstände wurden von Carl Leopold besonders umworben, und zwar neben Preußen vor allem die alten Bündnispartner Mecklenburgs : Köln, Bayern und die Pfalz. Diese hatten seinerzeit mit dem Herzog Christian Louis ein Bündnis geschlossen, um in ihren Ländern absolutistische Bestrebungen durchsetzen zu können. Jetzt versuchte der Herzog diese über 50 Jahre alte Verbindung neu zu beleben und in seinem Interesse auszunuzten. Doch, Preußen ausgenommen, lauteten alle Antworten nicht eindeutig positiv. Im allgemeinen wurde der Herzog wegen seines schweren Schicksals bedauert, aber nirgends wurde eine praktische Hilfe in Aussicht gestellt. Die meisten Reichsstände, zum Beispiel die Erzbischöfe von Mainz und Köln, verhielten sich gleich ablehnend und rieten dem Herzog, sich dem Kaiser bedingungslos zu unterwerfen. Andere dagegen stimmten der Argumentation Carl Leopolds zu und stellten ihre Unterstützung durch ein Schreiben an den Kaiser in Aussicht 56 oder versprachen zumindest, sich mit anderen Reichsständen über die Mecklenburger Angelegenheit zu beraten. Dazu gehörten im Januar 1721 noch der Erzbischof von Trier, der Herzog von Sachsen-Gotha, der Pfalzgraf bei Rhein-Sülzbach und der Herzog von Württemberg. Die Antworten gingen jedoch immer spärlicher ein, obgleich der enge Vertraute Carl Leopolds, Christian David Schröder, mit der Uberbringung der Schreiben beauftragt wurde. So trafen auf das Zirkularschreiben vom 11. September 1725, von dem 42 Exemplare versandt wurden, nur noch 4 Antworten ein. Sie kamen vom fränkischen Grafenkollegium 57 , das die Hoffnung ausdrückte, daß bald eine Einigung zwischen Herzog und Ritterschaft zustande käme; vom Bischof von Würzburg und vom Landgrafen von Hessen, die dem Herzog rieten, sich dem Kaiser zu unterwerfen, und vom Landgrafen von Brandenburg-Bayreuth, der nur sein Bedauern über die Zustände in Mecklenburg zum Ausdruck brachte. Am 6. Dezember 1725 meldete der Freiherr von Hagen, der neben Christiani in Regensburg die Interessen des Herzogs vertrat, es bestünde keine Aussicht mehr, daß noch weitere Antwortschreiben eintreffen würden. Alle Reichsstände wären sich darin einig, daß nur die völlige „Erkennung der Kayserl. Jurisdiction" den Zustand in Mecklenburg ändern könnte. Er riet, mit Rußlands Hilfe und unter Ausnutzung der Spannung zwischen dem Kaiser und Hannover den Abzug der Exekutionstruppen zu erreichen. Eine Sonderstellung in bezug auf die allgemeine Haltung zur Situation in Mecklenburg nahm Brandenburg-Preußen ein. Preußen stand in allen Jahren mehr oder weniger entschieden auf der Seite Carl Leopolds. Schon am 12. August 1721 hatte es den Kaiser ersucht, zur kaiserlichen Kommission hinzugezogen zu werden oder wenigstens am mecklenburgischen Landtag mit einem Beobachter teilnehmen zu können. Zu gewaltsamen Aktionen, die im Sinne Carl Leopolds gewesen wären, konnte sich Preußen nicht entschließen, zumal sich 66

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Kurbayern und Kurpfalz setzten sich 1724 für eine friedliche Regelung beim Kaiser ein. LHA Schwerin, Impressa de differentiis Carl Leopold, Vol. IV. Die Briefe an die Prälaten und Grafen erhielten den Zusatz, daß sich die alten Häuser bei der Behauptung ihrer Rechte beistehen müßten und daß es ihnen einmal ähnlich wie ihm (Carl Leopold) ergehen könnte.

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im Jahre 1719 zwischen England und Preußen eine Annäherung vollzogen hatte.58 Aber der Wunsch Englands, Preußen für einen Krieg gegen Rußland zu gewinnen, ging nicht in Erfüllung, denn trotz eines gewissen Ausgleichs mit England vertrat Preußen den Standpunkt Carl Leopolds. Der mecklenburgische Herzog versuchte immer wieder, Preußen unter Anspielung auf das Bündnis zwischen beiden und das frühere Eingreifen preußischer Truppen gegen die mecklenburgische Ritterschaft (1708) zu aktiven Handlungen zu ermuntern, aber Friedrich Wilhelm reagierte darauf nicht.59 Dagegen unternahm er im Jahre 1724 einen Versuch, einen Ausgleich zwischen Herzog und Ritterschaft herbeizuführen. Seinen Vorschlag übermittelte er an Hannover und Wolfenbüttel. 60 Ebenso protestierte er häufig beim Kaiser gegen die Behandlung des mecklenburgischen Herzogs, aber jeder Protest wurde von Wien zurückgewiesen. Preußen rechnete in all den Jahren mit der Möglichkeit, daß Hannover-England sich in Mecklenburg festsetzen könnte, und dies veranlaßte die preußische Regierung, immer ein wachsames Auge auf die Vorgänge in Mecklenburg zu richten. Es wurde schon gesagt, daß Rußland in Wien mit großem Eifer die mecklenburgische Angelegenheit vertrat. Das hatte neben der Erfüllung des Bündnisvertrages noch einen anderen Grund, nämlich den, ein Festsetzen Hannover-Englands in Mecklenburg zu verhindern. Auf Grund der Erringung der Vorherrschaft in der Ostsee durch Rußland hatte sich der Gegensatz zwischen Rußland und England vertieft 61 ; dieser Gegensatz kam im Abbruch der diplomatischen Beziehungen im Jahre 1719 zum Ausdruck. Daraufhin schloß England am 29. August 1719 ein Bündnis mit Schweden, ohne allerdings den vollständigen Sieg Rußlands über Schweden verhindern zu können. Es gelang England nicht, eine Koalition, an der sich Preußen, das Reich und Schweden beteiligen sollten, zustande zu bringen. Hannover hegte die Befürchtung, daß der Zar nach dem Friedensschluß mit Schweden Mecklenburg besetzen würde. Deshalb sollte entweder zur Verhinderung dieses Unternehmens die englische Flotte in der Ostsee bleiben oder zur Sicherung gegen eine Invasion eine ausreichende Anzahl Truppen in Mecklenburg einrücken. Interessant ist dabei, daß sich in der mecklenburgischen Frage ein gewisser Unterschied zwischen den Standpunkten Hannovers und Englands zeigte. England war den Plänen Hannovers gegenüber, Mecklenburg mit stärkeren Truppenverbänden zu besetzen, gänzlich abgeneigt. Nach dem Frieden von Nystadt unternahm Bernstorff nochmals von Hannover aus den Versuch, in England die Zustimmung für eine Besetzung Mecklenburgs und besonders Rostocks zu erreichen, angeblich gegen eine drohende Invasion von Seiten Rußlands. Auch Dänemark sollte zur Teilnahme an diesem Unternehmen veranlaßt werden. Der Zar sollte angeblich einen Angriff auf Hannover im Schilde führen, worin ihn der mecklenburgische Herzog bestärkte. Doch, wie 58 69

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Vgl. Droysen, J. G., a. a. O., Bd IV, 2, S. 261 fF.; Mediger, W., a. a. O., S. 44. Beispielsweise im Zifkularschreiben v. 11. Sept. 1725, LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XIX. Anonymer Bericht aus Braunschweig v. 7. März 1724, ebenda, Vol. XVI. Bei der Darstellung des russisch-englischen Gegensatzes bin ich weitgehend der Schilderung Medigers (a. a. O., S. 47— 65) gefolgt.

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Mediger dazu richtig bemerkt, war die Haupttriebkraft für Hannover und für Bernstorff der Wunsch, sich unter dem Deckmantel einer angeblichen russischen Gefahr Mecklenburgs zu bemächtigen. Es ist denkbar, daß auch die mecklenburgische Ritterschaft einen solchen Plan unterstützte, da sie unter hannoverscher Herrschaft keine Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Libertät zu befürchten hatte. Mit einem anderen Projekt 62 vom Dezember 1721 versuchte Hannover, England unter Hinweis auf seinen durch Rußland bedrohten Handel zum Eingreifen zu veranlassen. Es wurde behauptet, daß der Zar den gesamten Ostseehandel an sich reißen und dann seinen Einfluß noch weiter ausdehnen würde. Deshalb würde er sich in alle deutschen und nordischen Händel einmischen. Dabei könnte er sich auf den Herzog von Gottorp und den Herzog von Mecklenburg stützen. Aus diesem Grunde wurde in dem hannoverschen Projekt gefordert, eine Armee zum Schutze Mecklenburgs bereitzustellen und ein Defensivbündnis zwischen Schweden, Dänemark, Polen, Holland und England zur Sicherung des Handels und der Freiheit der Ostsee abzuschließen. Diesen Bund sollten Militärabkommen mit dem Kaiser, mit Preußen und Sachsen-Polen ergänzen. Einerseits mußte dieses Projekt natürlich in England Anklang finden, da durch eine solche Isolierung Rußlands die russische Konkurrenz weitgehend ausgeschaltet werden konnte; doch andererseits wurde der englische Handel selbst dadurch empfindlich getroffen, denn England bezog dringend benötigte Waren (Masten, Pech, Hanf, Flachs, Talg und Häute) aus Rußland. Ein Versuch Englands, diese Waren von Übersee zu importieren, scheiterte. So siegten am Ende die Handelsinteressen Englands über die Annexionsbestrebungen Hannovers, und es kam 1731 zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen und 1734 zum Abschluß eines Handelsvertrages zwischen Rußland und England. Es ist mir keine Quelle bekannt, aus der hervorgeht, daß Rußland die ihm unterschobenen Absichten wirklich gehabt hat. Außerdem ist es höchst fraglich, ob es die militärische Kraft aufgebracht hätte, nach dem sein Potential bis aufs Äußerste beanspruchenden Nordischen Krieg einen Krieg mit England und zahlreichen anderen Staaten zu riskieren. Der einzige Gewinner eines solchen Krieges hätte der mecklenburgische Herzog sein können, der auf diese Weise in den Besitz seines Landes gelangen konnte. Deshalb ist es möglich, daß Carl Leopold den Versuch unternommen hat, Rußland zu einem Angriff auf Hannover zu verleiten. Daß er in der Art eines Görz, Bernstorff oder Alberoni diplomatische Intrigen zu spinnen und aus den daraus entstehenden Kriegen Vorteile für seine Lage herauszuholen versuchte, geht aus mehreren Projekten hervor. Auch an Dänemark und Schweden wandte sich Carl Leopold mit der Bitte, ihn gegen den Kaiser und die Konservatoren zu unterstützen.63 Beide Staaten waren gleichzeitig mächtige Reichsstände, und ihre Stimmen hatten einiges Gewicht im Reiche. Der dänische König jedoch antwortete auf mehrere ausführliche Schreiben überhaupt nicht, und auch ein Brief des Regierungsrates Wolff an den dänischen Minister 62

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Das Projekt stammte nach Mediger, W. (a. a. O., S. 56) vermutlich aus der Feder des Großvogtes von Bülow. Alle Schreiben in: LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XVIII.

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von Gabel blieb ohne Erfolg. Schweden — man sandte den Kammerkanzlisten Bährens 1723 mit einem ausführlichen Schreiben dorthin — wurde ausdrücklich an seine Garantie des Westfälischen Friedens erinnert. Der schwedische Reichsrat von Lillienstädt versprach zwar am 21. Mai 1723, sich mit besten Kräften für Mecklenburg einzusetzen. Aber das war auch alles, weiter erfolgte nichts. Immerhin war es keine glatte Absage, und dieser Umstand ließ den mecklenburgischen Herzog im Jahre 1726 erneut den Versuch unternehmen, Schweden für eine aktive Unterstützung seiner Angelegenheiten zu gewinnen. Carl Leopold wollte Schweden und Frankreich zu kriegerischen Handlungen mit Hannover-England und Dänemark veranlassen, um auf diese Weise den Westfälischen Frieden, das heißt in diesem Falle die volle Souveränität des mecklenburgischen Herzogs, gewaltsam durchzusetzen. Das mecklenburgische Projekt, das vermutlich von dem Generalmajor von Klingstedt ausgearbeitet wurde, sah im einzelnen vor, daß Niedersachsen der Kriegsschauplatz sein sollte, da diese Gegend von allen Kriegführenden bequem zu erreichen war. Gleichzeitig sollte der Kaiser durch französische Umtriebe gezwungen werden, seine Truppen auf die verschiedensten Grenzgebietes seines Reiches zu zerstreuen, um in Niedersachsen nicht eingreifen zu können. Mecklenburg wollte dadurch den Abzug der Exekutionstruppen erreichen und selbst mit französischen und vielleicht sogar mit englischen Subsidien Truppen zum Verkauf an die kriegführenden Mächte aufstellen. Als Vermittler dieser ganzen Intrige sollte Stanislaus Leczynski gewonnen werden, dem Versprechen hinsichtlich der Herrschaft in Polen gemacht wurden. 64 Klingstedt fuhr im Mai 1726 nach Stockholm, aber er konnte dort keine Gegenliebe für seinen utopischen Plan finden und erhielt eine Absage. Ursprünglich sollte Klingstedt zuerst nach Frankreich fahren und den französischen König für dieses Projekt erwärmen, aber nach der Absage Schwedens unterblieb die Frankreichreise ganz. Zu der Frage, warum weder die Reichsstände noch die europäischen Mächte 65 sich energisch für Mecklenburg einsetzten und dessen Herzog zu seinem in der Reichsverfassung garantierten Recht verhalfen, muß man folgendes feststellen: Einerseits wurde wohl die mecklenburgische Frage für zu gering angesehen, um deshalb einen Krieg zu riskieren, andererseits aber spielte zweifellos auch die Macht des Kaisers eine Rolle, die einen leichten Sieg sehr in Frage stellte. Dazu kamen die abenteuerlichen Pläne des mecklenburgischen Herzogs, der unbedenklich zur Durchsetzung seiner persönlichen Macht einen Krieg vom Zaume brechen wollte, der große Teile Europas in Mitleidenschaft gezogen hätte. Dafür ihre Truppen und ihr Geld herzugeben, sahen die europäischen Mächte keinen Anlaß. 64 65

LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XXII: Correspondenz mit Schweden. Auch an die Niederlande hatte sich Carl Leopold 1723 ohne Erfolg gewandt. LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XIX.

KAPITEL XI

Die Absetzung Carl Leopolds und die Einsetzung Christian Ludwigs als kaiserlicher Administrator 1728

Bei dieser Situation im Lande, die fast einer Anarchie gleichkam, wobei der Herzog Befehle erließ, die die Kommission außer Kraft setzte, und die Kommission Anordnungen verkündete, deren Befolgung der Herzog verbot, war an keine Besserung der Verhältnisse zu denken. Schon in den Jahren vor 1728 war es der Wunsch zahlreicher einflußreicher Mitglieder des Adels, darunter des engeren Ausschusses, gewesen, den regierenden Herzog ganz von seiner Stellung zu verdrängen und seinen Einfluß auszuschalten. In diesem Sinne betätigte sich in Wien der ritterschaftliche Beauftragte von Behr, der von Huldenberg, dem hannoverschen Gesandten, unterstützt wurde. Die Ritter versprachen sich davon die völlige Unabhängigkeit im Lande und Sicherheit für die von ihnen durchgeführten oder eingeleiteten Maßnahmen; denn es war ihnen durchaus bewußt, daß ein Abzug der Exekutionstruppen und die Aufhebung der kaiserlichen Kommission sie unweigerlich der Rache Carl Leopolds preisgeben würde. Doch der Reichshof rat und der Kaiser scheuten sich, diesen Schritt zu tun; denn obgleich sich die meisten Reichsstände passiv verhielten und das bisherige Vorgehen des Kaisers stillschweigend gebilligt hatten, standen immer die mecklenburgischen Verbündeten Preußen und Rußland drohend im Hintergrund, so daß zumindest die Möglichkeit unangenehmer Folgen für Kaiser und Reich bestand. Doch da trat ein Ereignis ein, das eine andere Lösung ermöglichte. Am 22. Juli 1727 starb der englische König Georg I., und damit war die vom Kaiser ihm als Kurfürsten von Hannover übertragene Kommission erloschen. Doch es geschah zunächst nichts. Der Reichshofrat hüllte sich in Schweigen und reagierte nicht auf die Anfragen der Subdelegierten in Rostock. Diese blieben deshalb an ihrem bisherigen Tätigkeitsort und setzten ihre frühere Arbeit fort. Es blieb alles, wie es vorher gewesen war, so als ob die Kommission gar nicht erloschen wäre. 1 Der Herzog Carl Leopold suchte diese Lage auszunutzen und wandte sich in einem ausführlichen Schreiben an Georg II., der sich für die Mecklenburger Sache nicht 1

Die Konimission war 1717 an den Kurfürsten von Hannover und den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel gemeinsam übertragen worden. Infolge des Todes des einen der beiden Konservatoren erlosch die gesamte Kommission.

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so stark interessierte wie sein Vater. Er stellte ihm seine ganze Not, die ihm angetane Ungerechtigkeit und die Ausschreitungen der Kreistruppen vor und bat um Abhilfe. Ein ähnliches Schreiben ging an den Herzog von Wolfenbüttel. Die^ Antworten erweckten jedoch bei Carl Leopold wenig Hoffnung. Georg schrieb, daß sein Vater alles auf kaiserlichen Befehl ausgeführt habe, der Herzog solle sich deshalb an den Kaiser wenden. Und der Herzog von Wolfenbüttel gab nur den Rat, sich dem Kaiser zu unterwerfen. Erneute Schreiben Carl Leopolds an die beiden Reichsstände vom 19. Dezember 1727, in denen er sie darum ersuchte, sich nicht dazu herzugeben, verfassungswidrige Befehle des Kaisers auszuführen, blieben ohne Antwort. Auch an den Kaiser wurde wieder ein ausführliches Schreiben gerichtet.2 Doch die Antwort darauf war für den Herzog eine große Enttäuschung; denn am 11. Mai 1728 kam aus Wien ein Dekret, das den Herzog seiner Funktion enthob, d. h. faktisch absetzte, und dessen Bruder Christian Ludwig als Administrator einsetzte.3 Das war ein für damalige Verhältnisse unerhörter Schritt des Kaisers, der den Machtanspruch 2

Schreiben v. 4. Febr. 1728, abgedruckt bei Klüver, H.H., a . a . O . , Bd V, S. 633-634. Es lief damals in Mecklenburg das Gerücht um, daß der Kaiser dem Überbringer des Schreibens, dem Regierungskanzleirat Schröder, zugesagt hätte, dem Herzog Hilfe und Satisfaktion für den erlittenen Schaden zu verschaffen. Auch sollte er ein Bündnis in Aussicht gestellt haben. (Klüver, H. H., a. a. O.) Es ist möglich, daß dieses Gerücht seinen Ursprung in einem von russischer Seite unternommenen Vermittlungsprojekt hatte. (LHA Schwerin, Act. diff. Vol. LI.) Dies Projekt ist undatiert und sah vor, einen gütlichen Ausgleich zwischen dem Herzog und seiner Ritterschaft zu finden. Mecklenburg sollte ein Bündnis mit dem Kaiser, Hannover und Rußland eingehen. Dem Kaiser sollte vom Herzog vollkommene Submission geleistet werden. Dies Projekt war vom Grafen Biron und dem mecklenburgischen Hofrat Heil (im Text „Heyl" geschrieben) ausgearbeitet worden. Doch ist die Mitarbeit Heils unwahrscheinlich. (Vermutlich wurde das Projekt erst in späteren Jahren in die Akten aufgenommen und schriftlich festgehalten, wobei dann der Rußlandexperte späterer Jahre, Heil, für das Projekt mit verantwortlich gemacht wurde.) Heil trat erst 1732 in den Dienst Carl Leopolds. Doch hätte er, wenn dies Projekt erst nach 1732 entstanden wäre, bei seinem sehr eingehenden Verhör in Wien nach seiner Verhaftung 1735 darüber Angaben gemacht. Meines Erachtens stammt das Projekt aus den Jahren 1727/28. Möglicherweise ist es auch etwas später ausgearbeitet worden. Übrigens lehnte Carl Leopold das Projekt ab, da er noch andere Mittel zu finden hoffte, was möglicherweise den Kaiser in seinem Beschluß vom 11. Mai 1728 bestärkt haben mag.

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Das Dekret ist abgedruckt bei Klüver,H.H., a. a. O., Bd V, S. 634—641. Das Dekret und der sich daraus ergebende Schriftwechsel sind auch in Mosers Teutschem Staat-Recht abgedruckt. (Bd XXIV, 1746, S. 264—361.) Moser tritt in seinen kurzen Erläuterungen für die ständische Freiheit in Mecklenburg ein und charakterisiert den Herzog, der „seine Lande und Unterthanen auf alle nur ersinnliche Weise" tyrannisierte. (S. 264—265.) Er ging bei seiner Einschätzung zweifellos von den württembergischen Landständen aus, deren soziale Zusammensetzung von der der mecklenburgischen grundverschieden war, weil das Hauptelement in Mecklenburg, die Ritterschaft, in Württemberg fehlte. In enger Anlehnung an Moser (offenbar als einzige Quelle) behandelte J. Brennert das Dekret und seine Folgen (neben der Reichsexekution gegen den Fürsten von NassauSiegen, dessen Land 1707 dem Domkapitel von Köln zur Administration übergeben wurde). (Brennert, J., Reichsexekution im alten Reiche, in: Zeitschrift f. Politik, Jg. XXII,

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Karls VI. deutlich zum Ausdruck brachte.4 Gleichzeitig wurden alle Untertanen ihres Eides gegenüber dem bisherigen Herzog entbunden und ihnen Gehorsam gegenüber Christian Ludwig anbefohlen. Christian Ludwig wurde angewiesen, sich bei der Landesadministration, die er im Namen des Kaisers führen sollte, an die Landesverträge, Reversalen und Herkommen zu halten. Zwei in Landesangelegenheiten bewährte Persönlichkeiten der Landstände sollten ihm zur Seite stehen. Über alle Vorkommnisse sollte er dem Kaiser Bericht erstatten und sich nach den kaiserlichen Erkenntnissen richten. Auch Schwerin sollte von den Truppen Carl Leopolds befreit werden. Die kaiserliche Kommission wurde aufgehoben, jedoch wurden Hannover und Wolfenbüttel als Konservatoren bestätigt. Gleichzeitig wurde aber auch der König von Preußen in seiner Eigenschaft als Mitdirektor des niedersächsischen Kreises zum Konservator ernannt. Diese Erneuerung des Konservatoriums und die Hinzuziehung Preußens erfolgten aus dem Grunde, um die Sicherheit des Administrators und die Ausführung der kaiserlichen Dekrete zu gewährleisten. Außerdem war einem einseitigen Vorgehen Hannovers mit einer Perspektive, die auf eine Annexion Mecklenburgs hinauslaufen konnte, durch die Mitwirkung Preußens ein Riegel vorgeschoben; denn Preußen konnte nun mit kaiserlicher Rückendeckung seine Rechte als Erbberechtigter im Lande wahren. In zwei vorerst noch geheimgehaltenen Schreiben gleichen Datums wurde der Mainzer Kurfürst beauftragt, die Stimmung der Reichsstände im Zusammenhang mit dem Schritt des Kaisers festzustellen, und der Graf von Metsch als kaiserlicher Vertreter des niedersächsischen Kreises angewiesen, Verhandlungen über die Bezahlung der Exekutionskosten zu führen, wobei die fürstlichen Ämter unter Garantie des Kaisers als Hypothek geboten werden konnten. Auch an die mecklenburgische Ritter- und Landschaft wurde am 11. Mai ein Schreiben des Reichshofrats gesandt, das die mecklenburgischen Stände über die Absetzung ihres Herzogs unterrichtete, ihnen aber auch mitteilte, daß der Herzog seine drei Stimmen auf dem Regensburger Reichstag behalten würde. In dem Schreiben des Reichshofrates an den Herzog Carl Leopold vom 11. Mai 1728, das diesem seine Entsetzung verkündete, sind die Gründe dargelegt, die den Kaiser zu diesem Schritt veranlaßten. Es wird darin vom Ungehorsam des Herzogs gegenüber dem Kaiser, von der Bedrückung der Ritterschaft, von den für den Kaiser verletzenden Ausdrücken in den Schreiben an die Reichsstände, von der Mißachtung

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Berlin 1933, S. 817 — 822.) In diesem Artikel werden die Moser unterlaufenen Fehler mit übernommen, z. B. wird als Beginn der Regierung Carl Leopolds 1 7 1 4 (richtig 1713) angegeben. Für das Einrücken der Exekutionstruppen 1 7 1 9 wird die Begründung des Kaisers für die Absetzung Carl Leopolds 1728 angegeben. Bei der Einschätzung dieses Dekrets und seiner Folgen richte ich mich im wesentlichen nach der meines Erachtens weitgehend richtigen Darlegung von G. Matthias. (Die Mecklenburger Frage in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und das Dekret des Kaisers Karl VI. vom Mai 1728, Diss., Halle 1885, S. 26ff.) Der erste Teil der Arbeit (S. 5 - 2 5 ) , der die Vorgeschichte der Entsetzung des Herzogs, und auch der dritte Teil, der die Folgezeit behandelt, scheinen zu kurz und oberflächlich zu sein.

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der kaiserlichen obersten Gerichtsbarkeit und von der dauernden Renitenz und Opposition Carl Leopolds gesprochen. Außerdem war der Kaiser empört darüber, daß Carl Leopold den Wolfenbütteler Herzog aufgefordert hatte, seinen Befehlen nicht nachzukommen (19. Dez. 1727). Weiter waren als Begründungen die Feindseligkeiten des Herzogs gegen die kaiserliche Kommission, die Zerrüttung des Justizwesens und die anarchischen Zustände im Lande sowie der „Kriminalexzeß" in Dömitz angeführt. Gleichzeitig ermahnte der Kaiser den Herzog, nunmehr von seinem strafwürdigen Verhalten abzulassen, damit nicht noch schärfere „reichskonstitutionsmäßige" Maßnahmen ergriffen werden müßten. Dieser Schritt des Kaisers rief bei allen Reichsständen große Aufregung hervor. Im „Mercure historique et politique" vom Jahre 1729 wurde die Absetzung des Herzogs als das wichtigste Ereignis des vergangenen Jahres bezeichnet.8 Man muß Matthias zustimmen, wenn er feststellt, daß der Kaiser tatsächlich gegen das Herkommen und die Reichsverfassung gehandelt hatte. Denn das kaiserliche Verfahren entsprach nicht dem Artikel 8 des IPO, wo es im § 2 heißt, daß solche Maßnahmen nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn sie von sämtlichen Ständen auf einem freien Reichstag bewilligt wurden. Diese Bestimmung hatte Karl VI. noch ausdrücklich in seiner Wahlkapitulation (Artikel 19) bestätigt mit dem Hinweis auf § 180 des Reichsabschiedes von 1654. So war das Recht nach der Verfassung auf Seiten des mecklenburgischen Herzogs. Bei der Klärung der Frage, warum trotzdem die Absetzung Carl Leopolds und die Einsetzung einer Interimsadministration in Mecklenburg durch den Kaiser keinen allgemeinen Entrüstungsstürm unter den Reichsständen hervorrief, kommt der Haltung der großen Territorialfürsten entscheidende Bedeutung zu. Der einzige Verbündete Mecklenburgs im Reich, Preußen, trat plötzlich nicht mehr wie früher für Carl Leopold ein. Der preußische König hatte sich zunächst im Zusammenhang mit seinem Bündnis 6 mit England neben anderen Forderungen auch um die Anerkennung seines mecklenburgischen Titels, den die preußischen Könige seit der Allianz von 1708 trugen, und seiner Erbfolge bemüht 7 , aber aus England waren nur ausweichende Antworten gekommen. Infolgedessen hatte sich Friedrich Wilhelm nun dem Kaiser genähert. In den Verhandlungen, die im Mai 1727 in Berlin geführt wurden, forderte Preußen unter anderem auch die Beteiligung an der Kommission in Mecklenburg. Als der preußische König zum Mitkonservator ernannt wurde und so das Recht erhielt, sich in die mecklenburgischen Angelegenheiten einzumischen, verbesserten sich die Beziehungen zwischen Berlin und Wien in einem solchen Maße, daß es zu dem Vertrag vom 23. Dezember 1728 kam, in dem sich der preußische König bereit erklärte, die höchste Gerichtsbarkeit des Kaisers uneingeschränkt zu unterstützen und der kaiserlichen Politik auf dem Regensburger Reichstag seine Stimme zukommen zu lassen.8 5 8

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Matthias, C., a. a. O., S. 31. Die Herrenhauser Allianz v. 3. Sept. 1725 zwischen England, Frankreich und Preußen, die gegen den Kaiser gerichtet war. Vgl. Naumann, M., a. a. O., S. 103. Droysen, J. G., a. a. O., Bd IV, 2, S. 407. Vgl. Erdmannsdorf er, B., a. a. O., Bd II, S. 4 2 4 - 4 3 0 .

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In dem Verhältnis zwischen Mecklenburg und Preußen war schon eine gewisse Abkühlung eingetreten, als zwischen Wien und Preußen Verhandlungen geführt wurden. Der Preuße habe viel Bosheit im Sinn, schrieb Carl Leopold an seinen Kommandanten Tilly in Schwerin. 9 Schon einige Tage, nachdem Carl Leopold von seiner Absetzung erfahren hatte, erhielt er aus Berlin die Nachricht, daß Preußen die Allianz mit Mecklenburg lösen wolle, jedoch den mecklenburgischen Titel und das Wappen mit Hilfe seiner Truppenmacht zu behaupten beabsichtige. Auch die Nachricht, daß Preußen das Konservatorium über Mecklenburg habe, wurde Carl Leopold durch einen Vertrauensmann nach Danzig übermittelt. Der Herzog sandte zwar sofort seinen engsten Vertrauten, den Regierungsrat WolfF, nach Berlin, doch konnte dieser nichts erreichen, ja er wurde nicht einmal zur Audienz vorgelassen. Erst im September oder Anfang Oktober 1728 gelang es WolfF in Berlin, Preußen zu der Erklärung zu veranlassen, daß man bei der Allianz bleiben wolle. 10 Doch die Freude Carl Leopolds darüber wurde sehr schnell wieder getrübt durch ein Schreiben des preußischen Königs vom 9. November 1728, in dem dieser mitteilte, daß er die Konservation übernommen hätte. 11 Er riet dem Herzog, sich in sein Schicksal zu fügen. Trotz der Bemühungen Carl Leopolds, Preußen von seiner Haltung abzubringen, setzte Berlin unbeirrt seinen eingeschlagenen Kurs fort. In seinen Schreiben an den Herzog (vom 20. Aug. 1729 und 28. Aug. 1729) tat Preußen seine Absicht kund, die ihm übertragene Aufgabe richtig durchzuführen. Dem Herzog wurde „Submission" gegenüber dem Kaiser angeraten. Schon vorher hatte Preußen dem Kaiser, dem Administrator und den mecklenburgischen Landständen seine Bereitwilligkeit zur Übernahme der Konservation mitgeteilt und versprochen, die kaiserliche Administration zu unterstützen.12 Bei Christian Ludwig in Bützow trat Graf Truch9

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L H A Schwerin, Militaria, Infanterie-Abteilungen, Akte Mecklenburgisch-Schwerinische Infanterie unter dem Generalmajor von Tilly 1721—1740. Spezifikation Tillys aller Befehle Carl Leopolds 1 7 2 6 - 1 7 3 0 . Schreiben v. 20. Dez. 1727. Ebenda, Schreiben v. 12. Juni, 28, Juli. 18. Aug. u. 16. Okt. 1728. Klüver, H.H., a. a. O., Bd V , S. 662. — Der Herzog mußte mit Recht auf.Preußen sehr erbost sein; denn vier Wochen vorher hatte Preußen ihm seine Allianz versichert, und jetzt trat es offen für die Absetzung Carl Leopolds ein. Es stellte sich damit in Gegensatz zu dem Allianzvertrag v. 14. Dez. 1717, der mit Carl Leopold abgeschlossen war, in dem es im Punkt 6 hieß, daß der König den mecklenburgischen Herzog bei der Kontributionserhebung unterstützen wollte (was auch bisher nicht geschehen war). Im Punkt 7 hatte Preußen versprochen, sich dafür einzusetzen, daß sich die mecklenburgische Ritterschaft und die übrigen Untertanen nicht an den Kaiser oder Reichshofrat wandten oder daß die kaiserlichen Mandate, Rescripte oder Konservatoria entweder nicht erfolgen oder „in suspensu" gehalten werden sollten. Außerdem wollte es eine Exekution verhindern oder, wenn das nicht möglich sein sollte, auf Bitten des Herzogs eingreifen. Dieses Versprechen, auf Bitten des Herzogs einzugreifen, hatte der preußische K ö n i g weder 1719 noch auf das Schreiben Carl Leopolds v. 17. Nov. 1728 ( Klüver, H. H., a. a. O., Bd V, S. 666) erfüllt. Schreiben Preußens an die Landstände v. 9. Nov. 1728 {Klüver, H. H., a. a. O., Bd V , S. 662); an den Kaiser v. 29. April 1729 (ebenda, S. 750); an Christian Ludwig v. 27. u. 29. April 1729 ( Matthias, C., a. a. O., S. 33).

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seß als preußischer Gesandter sein Amt an. Der preußische König erklärte sich sogar dazu bereit, die mecklenburgische Schuldsumme (die bisherigen Kommissionskosten) vorzuschießen, um eine Verpfändung mecklenburgischer Ämter an Hannover zu verhindern. Doch war er nicht mit einer kaiserlichen Garantie der Summe einverstanden, sondern verlangte den Elbzoll bei Dömitz als Pfand dafür, was der Kaiser nicht zugestand.13 Der Herzog hatte immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, süddeutsche Reichsstände für sich zu gewinnen. Trotz der ausweichenden und häufig ablehnenden Antworten auf seine Zirkularbriefe unternahm er 1728 aufs neue einen Versuch in dieser Richtung und sandte seinen Kammerprokurator, den Rechtsgelehrten Franz Ludwig Lüders, mit einem Schreiben nach Kurköln, Kurtrier, Bayern und Kurpfalz.14 Die Herrscher dieser Länder waren Fürsten, die wenigstens auf frühere Schreiben geantwortet und den Vorstellungen Carl Leopolds gegenüber nicht ganz verschlossen gewesen waren. Sie hatten nur auf der Submission des Herzogs bestanden, um ihm ihre Hilfe gewähren zu können. Solch ein Submissionsschreiben (vom 13. Nov. 1726) an den Kaiser führte Lüders neben anderen Papieren, wie zum Beispiel dem Allianzvertrag von 1671, mit sich. Als Carl Leopold am 25. Mai 1728 inoffiziell von seiner Absetzung erfahren hatte, wurde Lüders sofort beauftragt, ganz besonders auf das Reichsverfassungswidrige dieser Maßnahme hinzuweisen. Außerdem bestand seine Aufgabe darin, die alten Allianzpartner Mecklenburgs (von 1671) zum Eingreifen zu veranlassen. Außerdem sollte mit Hilfe von Kurpfalz der Reichsvizekanzler von Schönborn für die mecklenburgische Sache gewonnen werden. 15 Lüders zeigte sich sehr rührig und erreichte, daß die vier Kurfürsten eine Konferenz miteinander abhielten. Doch das Ergebnis war für den Herzog nicht ermutigend. Sie rieten ihm in inhaltlich übereinstimmenden Schreiben, sich zu überwinden und sich dem Kaiser zu fügen. Falls er das nicht wolle, sei ihm nicht zu helfen, und seine Lage würde nur noch schlimmer werden. Ein Eingreifen wurde mit der Begründung abgelehnt, daß sich dadurch die Situation für den Herzog nur noch verschlechtern würde. Nur durch „Submission" könnte er noch retten, was zu retten sei. Im August erklärten sich die Kurfürsten sogar bereit, für die Beibehaltung der fürstlichen Obrigkeit Carl Leopolds einzutreten, forderten aber von ihm völlige Unterwerfung unter den Kaiser. Noch im November bat der Pfälzer Kurfürst Carl Philipp (1716—1742) den Herzog inständig, sich doch zu „submittieren", weil dann die ganze Angelegenheit viel leichter auf dem Regensburger Reichstag zu behandeln wäre. Doch alle Vorstellungen, die zum Teil sicher ehrlich

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L H A Schwerin, Act. diff., Vol.. X I X ; Naumann, M., a. a. O., S. 152. L H A Schwerin, Act. diff., V o l . X I X . Schreiben Carl Leopolds an Lüders v. 23. Juni 1728. (LHA Schwerin, Act. diff., V o l . X I X . ) — D e r Reichsvizekanzler hatte sich schon am A n f a n g des Jahrhunderts f ü r den Herzog und gegen die Ritterschaft ausgesprochen und sich auch später noch ( 1 7 1 4 ) f ü r Carl Leopold eingesetzt. Er war maßgeblich an den Bestrebungen, Carl Leopold zur Änderung seiner Religion zu veranlassen, beteiligt. V g l . Baiischmieter,H.-J., a.a.O., S. 103, 120.

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gemeint waren, blieben umsonst. Der Schweriner Herzog verharrte in seinem Trotz und pochte hartnäckig auf sein Recht.16 Er wünschte ein aktives Eingreifen, welches die angesprochenen Reichsstände, selbst wenn sie es für notwendig erachtet hätten, nicht riskieren konnten. Das alles war eben eine reine Machtfrage, und das Übergewicht lag auf Seiten des Kaisers. Ein ausführliches Zirkularschreiben an alle Reichsstände vom 5. März 1729 und ein weiteres Schreiben an den Reichstag zu Regensburg vom 18. März 172917 enthielten zwar ausführliche Abhandlungen über die Ungerechtigkeit des Kaisers gegenüber dem Schweriner Herzog, legten überzeugend den Rechtsstandpunkt des Herzogs dar und begründeten ihn mit zahlreichen Anlagen, brachten jedoch nicht den erhofften Erfolg. Auch Frankreich, an das im November 1729 ein Schreiben gerichtet wurde, zeigte kein Interesse an der Mecklenburger Sache. So blieb auch die Haltung der kleineren und weniger mächtigen Reichsstände bei dieser Maßnahme des Kaisers gegen den Schweriner Herzog, die die verfassungsmäßigen Rechte jedes dieser kleinen Länder berührte, unentschlossen und schwach. Von den größeren Reichsständen hatte Preußen klar im Sinne des Kaisers Stellung genommen. Ganz anders jedoch war die Reaktion der bisherigen Konservatoren. Hannover und Wolfenbüttel zeigten sich mit der Maßnahme des Kaisers durchaus nicht einverstanden, sondern wandten sich energisch dagegen. Sie wiesen vor allen Dingen darauf hin, daß es ihnen unmöglich sei, ihre Truppen aus dem Lande zu ziehen, ohne ihre Besatzungskosten ersetzt bekommen zu haben. Das bewog den Kaiser, am 29. Januar 1729 den Herzog von Wolfenbüttel zu ermahnen, die Rechnungen für die Truppenhaltung und die Konservation so bald wie möglich einzusenden, und ihm zu befehlen, alle Truppen bis auf 300 bis 400 Mann abrücken zu lassen. Außerdem wurde der Wolfenbütteler Herzog offiziell als kaiserlicher Kommissar entlassen und die Kommission auf Christian Ludwig übertragen. Der englische König wurde zur Herausgabe der Kommissionsakten angehalten. Doch Hannover und Wolfenbüttel gaben sich keinesfalls damit zufrieden. Sie erklärten Christian Ludwig, daß sie weder ihre Subdelegierten abziehen noch ihre Truppen abrücken lassen würden, bevor nicht ihre Geldforderungen befriedigt wären. 18 Dem Kaiser stellten sie ihre hohen Kosten eindringlich vor und versuchten zu beweisen, daß es ihre Aufgabe sei, zuerst noch die Befriedung des Landes zu Ende zu führen. Gegen die Absetzung Carl Leopolds auf Grund kaiserlicher Oberherrlichkeit protestierten sie heftig und erklärten diese für einen für das ganze Reich bedenklichen Präzedenzfall. Sie ersuchten den Kaiser, die ganze Angelegenheit dem Regensburger Reichstag

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Trotz seiner eifrigen Bemühungen verlor Lüders das Vertrauen des Herzogs, wurde am 27. Oktober zurückzitiert und bei seiner Ankunft in Danzig (Januar 1729) nicht einmal vorgelassen, sondern mußte sich schriftlich rechtfertigen. LHA Schwerin, Act. diff., Vol. X I X . LHA Schwerin, Act. diff., Vol. X X . Vgl. Klüver, H. H., a. a. O., Bd V , S. 673 —692 u. 705. Allerdings war man dem Verlangen des Kaisers insoweit nachgekommen, als zwei der Subdelegierten, v. Alvensleben und v. Bärtling, im Mai 1728 Rostock verlassen hatten. Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 12. Wiek, Absolutismus

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XI. Absetzung Carl Leopolds

zur Beschlußfassung zu überweisen.19 England versuchte auch Preußen in seinem Sinne zu beeinflussen. Es machte seine Bedenken gegen die Absetzung Carl Leopolds geltend und wies darauf hin, daß der Kaiser ja jeden Fürsten willkürlich seiner Herrschaft berauben könnte, wenn man das zuließe. Da das den Reichsgesetzen zuwider wäre, sollte sich auch Preußen dagegen wenden. Im gleichen Sinne äußerte sich auch Wolfenbüttel in einem Schreiben an Preußen. Doch Preußen entsprach nicht dem Verlangen Hannovers und Wolfenbüttels, sondern blieb bei der von ihm eingeschlagenen Politik. Der Kaiser ließ in einem ausführlichen Schriftstück an England und Wolfenbüttel seine Maßnahme in Mecklenburg rechtfertigen. Die ursprüngliche Kommission hätte wegen der sich dauernd vergrößernden Schuldenlast nicht weiter bestehenbleiben können, weil das zur Verpfändung eines beträchtlichen Teiles des Landes hätte führen müssen. Solch eine Verpfändung in Mecklenburg könnte der preußische König als erbberechtigter Anwärter auf das Land nicht dulden. Außerdem handelte es sich in Mecklenburg nur um einelnterims-undnichtumeinedauernde Administration. Und zur Einsetzung einer Administration sei er als Kaiser kraft seiner obersten Gerichtsbarkeit durchaus berechtigt. In den Reichsgesetzen stünde nichts, was ihm dies untersagte. Doch konnte diese Rechtfertigung juristisch sehr leicht angegriffen werden; denn im Artikel 20 der Wahlkapitulation Kaiser Karls VI. war die Interpretation der Reichsgesetze ausdrücklich den Reichsständen vorbehalten. Daß der Kaiser sich darüber hinwegsetzte, beweist, daß er sich mächtig genug fühlte, einen solchen Machtkampf zu wagen. Macht und Ansehen des Kaisers konnten durch einen solchen Schritt gestärkt werden; außerdem konnte sich die Durchsetzung einer solchen Kraftprobe günstig auf die Sicherung der Pragmatischen Sanktion auswirken. Da der Kaiser, gestützt auf seine Hausmacht, die kleineren Reichsstände nicht zu fürchten brauchte, bestand die Wiener Politik darin, die großen Länder des Reiches in Uneinigkeit untereinander zu halten. Dieses Bestreben trat auch bei der Behandlung der Mecklenburger Frage zutage. Hier stand der Kaiser zunächst mit Hannover und Sachsen gegen Preußen und trat später mit Preußen gegen Hannover auf. 20 Auf das letzte Schreiben des Kaisers, das noch einmal von den Konservatoren die Einsendung der Kasserechnungen gefordert hatte, antworteten England und Wolfenbüttel mit der Ausrede, die vollständigen Rechnungen nicht einsenden zu können, weil sie nur über den von ihnen kontrollierten Teil Mecklenburgs genaue Zahlen zur Verfügung hätten. Da jedoch ein Teil des Landes seine Abgaben an den Herzog leisten müßte (Schwerin und Dömitz), könnten nur ungefähre Summen angegeben werden. Es bliebe nichts anderes übrig, als die Kasse in der alten Form beizubehalten und die Truppen im Lande zu belassen, bis alle Schulden gedeckt seien, da der Kaiser „niemahls eine Dismembrirung derer Mecklenburgischen Lande placidiren würden, 19

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Klüver,H.H., a. a. O., Bd V , S. 705—713. So kam es auch in der Mecklenburger Frage zu einer Spannung zwischen England und dem Kaiser. Die Spannung bestand schon wegen der von Georg zugesagten Rückgabe von Gibraltar an Spanien und der Freigabe des Südamerikahandels. Vgl. Matthias, C., a. a. O., S. 36. Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung zu dieser Frage hei Matthias, C., a. a. O., S. 40 -47.

X I . Absetzung Carl Leopolds

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disseits auch von Anfang her nicht intendiret worden, im Herzogthum Mecklenburg Acquisitiones zu machen". 21 Das war einwandfrei eine Negierung des kaiserlichen Befehls und führte dazu, daß in Mecklenburg alles beim alten blieb. Im Juni 1729 gab der Kaiser dem Drängen von England und Wolfenbüttel nach und ließ das kaiserliche Dekret, das Christian Ludwig als Administrator einsetzte, durch den kaiserlichen Gesandten, den zum Fürsten erhobenen Landgrafen zu Fürstenberg, dem Regensburger Reichskonvent vorlegen. 22 Es begann eine langandauernde Verhandlung über die Mecklenburger Angelegenheit in Regensburg. Auch in Wien wurde der Streit um die Administrationsregierung fortgesetzt. Der Reichshofrat war gegenüber den hannoverschen Argumenten ratlos. Am 15. August 1730 sandte der Kaiser ein Schreiben an seinen Gesandten in Regensburg und setzte ihm ausführlich die Gründe für seine Maßnahmen auseinander. Es erschienen zahlreiche Druckschriften für und gegen das Verfahren des Reichshofrates.23 Schließlich waren die Reichsstände der Meinung, daß die erkannte Interims-Administrationsregierung den reichsständischen Gerechtsamen zu nahe trete. 24 Daraufhin zeigte sich der Kaiser England und Wolfenbüttel gegenüber etwas nachgiebiger und bestand in seiner Resolution vom 10. November 1730 nicht mehr hartnäckig auf der Abziehung der Truppen, sondern wies im Gegenteil alle drei Konservatoren (auch Preußen) an, den Herzog Christian Ludwig mit ihren Truppen zu schützen und dem Adel die notwendige Sicherheit zu verschaffen; doch sollte das Land nicht übermäßig mit Truppen belegt werden, um dem Herzog Carl Leopold keinen Grund zur Klage zu geben.26 Möglicherweise hätte der Schweriner Herzog im Jahre 1729 seine Regierung zurückerhalten können, wenn er dem Rat zahlreicher Reichsstände gefolgt wäre und sich völlig dem Kaiser unterworfen hätte; denn die Verhandlungen in Regensburg verliefen ja, wie schon gesagt, für ihn nicht ungünstig. Doch zeigte er eine Starrheit und einen Stolz, die es ihm unmöglich machten, sich dem Kaiser zu unterwerfen. 21 22 23

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Klüver,H.H., a. a. O., Bd V , S. 735. Franck, D., a. a. O., Bd X V I I I , S. 3 4 ; Naumann, M., a. a. O., S. 152. L H A Schwerin, Act. diff., V o l . X X ; Klüver, H. H., a. a. O., Bd V I , S. 6 2 - 8 0 . Moser, /. /., a. a. O . ; vgl. auch Brennert, J., a. a. O., S. 820. Klüver, H. H., a. a. O., Bd V I , S. 61 —62. Trotzdem hatte der Kaiser seinen Willen gegenüber dem Reichstag durchgesetzt, und die Reichsstände empfanden das durchaus. Das zeigte sich an der Veränderung der nächsten Wahlkapitulation f ü r Kaiser K a r l VII. D o r t heißt es in dem Artikel I, § 3 : „ . . . Bevorab aber allen und jeden Ständen des Reiches ihren freien Sitz und Stimm auf Reichstagen aufrechterhalten und ohne deren K u r fürsten, Fürsten und Stände vorhergehende Bewilligung keinen Reichsstand, der Sessionen und V o t u m in denen Reichskollegiis hergebracht, davon provisorie noch in sonstigerWeise suspendieren und ausschließen"; § 4 : „ . . . noch ihrer Landesregierung, es geschehe gleich provisorie oder in contumaciam oder auf irgendeine andere Weise entsetzen." (Abgedruckt bei Brennert,]., a. a. O., S. 8 2 1 — 8 2 2 . ) Klüver,H.H., a. a. O., Bd V I , S. 81 — 82. Der A n l a ß zu dieser Resolution waren nicht allein die Verhandlungen in Regensburg und die Argumente Englands und Wolfenbüttels gegenüber dem Reichshofrat, sondern auch die nach der Rückkehr Carl Leopolds entstandenen Unruhen, besonders in der Lewitz. Siehe darüber weiter unten.

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XI. Abstezung Carl Leopolds

Er war fest davon überzeugt, daß ihm Unrecht geschähe (womit er recht hatte), und beschränkte sich deshalb in seinen Schreiben an den Kaiser (z. B. vom 1. und 22. Juli 1730) fast ausschließlich auf einen rechtlichen Beweis seiner Unschuld und auf Klagen über die Lüneburger Truppen in seinem Lande. Der im Dienst Carl Leopolds stehende Duc de Falari bemühte sich Ende 1730 in Wien um einen möglichen Ausgleich mit dem Kaiser. Der kaiserliche Hof stellte jedoch folgende unerläßliche Bedingungen: a) die Forderungen der Kommissionshöfe zu begleichen, b) alle Privilegien der Ritterschaft und Rostocks unverändert beizubehalten und c) an Christian Ludwig und anderen Personen keine Rache zu üben.26 Nicht nur Carl Leopold hielt diese Bedingungen für unannehmbar; auch die Ritterschaft, die man ersucht hatte, sich beim Herzog dafür einzusetzen, wandte sich dagegen. Es war keine leichte Aufgabe, die Christian Ludwig als kaiserlicher Administrator zu lösen hatte. Er konnte sich zwar auf den tüchtigen ehemaligen mecklenburgischen Kanzler von Klein stützen, verfügte jedoch sonst über keinerlei reale Machtmittel, um irgendeinen Befehl des Kaisers oder eine eigene Anordnung durchsetzen zu können. Die bisherigen kaiserlichen Komissare dachten nicht daran, dem neuen Administrator den notwendigen Rückhalt zu geben, sondern führten ihre Regierungsgeschäfte wie bisher mit ihren Subdelegierten in Rostock und der Exekutionskasse in Boitzenburg weiter. Da diese Kasse, wie schon erwähnt wurde, über die gesamten Einkünfte des Landes verfügte, war der neue Administrator völlig von den Zuwendungen aus dem Landeshaushalt durch den Kassedirektor abhängig. Dieser handelte natürlich nur auf Anweisungen, die aus Hannover oder Wolfenbüttel kamen. Christian Ludwig bat daraufhin den Kaiser, den Herzog von Wolfenbüttel zu beauftragen, ihn in die Administrationsgeschäfte einzuweisen. Doch dieser hatte Bedenken und wollte diesen Auftrag auch auf den englischen König ausgedehnt wissen.27 So kam überhaupt keine Unterstützung für den Administrator zustande. Die Ritterschaft, von der man meinen sollte, daß sie Christian Ludwig die nötige Unterstützung im Lande geben würde, verhielt sich ebenfalls sehr passiv. Sie sandte zwar an Christian Ludwig ein ergebenes Glückwunschschreiben zur Übernahme der Administration, aber darin beschränkte sich ihre Mitarbeit. Christian Ludwig forderte die Landstände auf, zum 15. Dezember 1728 Bevollmächtigte zu ihm nach Neustadt zu schicken. Er versicherte in seinem Schreiben, daß es seine Absicht sei, das zerstörte Vertrauen zwischen Haupt und Gliedern des Landes wiederherzustellen, wozu er „ihr Räthliches und Patriotisches Gutachten" 28 vernehmen wollte. Gleichzeitig ließ er verlauten, daß sich die Ritterschaft aller ihrer Privilegien, Freiheiten und Rechte für versichert halten könne. Die Ritterschaft aber nahm zu dieser Aufforderung eine abwartende Haltung ein. Der Hauptgrund dafür war, daß sie nicht in einen Gegensatz zur englischen und Wolfenbütteler Ansicht über die mecklenburgische Administration geraten wollte. Ein Vertreter der Ritterschaft charakterisierte diese Haltung folgendermaßen: „ . . . sie hätten sich vorzusehen, daß sie gegen den Kayser nicht ungehorsam, gegen den König von Engelland nicht un26

27 28

Klüver, H.H.,

a. a. O . , B d V I , S. 106.

Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 15. Klüver, H. H., a. a. O., Bd V, S. 664-665.

XI. Absetzung Carl Leopolds

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danckbar und gegen Hertzog Carl Leopold nicht criminell erfunden würden." 29 Anfang Dezember wurde in Rostock ein Landeskonvent der Ritterschaft veranstaltet, auf dem beschlossen wurde, sich vorläufig still zu verhalten und abzuwarten, bis der Kaiser ihnen Anweisungen erteilen würde. Diese Anweisungen wurden vom Kaiser am 17. Januar 1729 erlassen, in denen unter anderem die Ritter- und Landschaft aufgefordert wurde, die kaiserliche Resolution vom 11. Mai 1728 zu befolgen. Der engere Ausschuß schrieb daraufhin einen neuen Landeskonvent aus (zum 16. März 1729), an dem auch die Städte teilnahmen, nachdem sie sich auf einem eigenen Städtekonvent in Sternberg ebenfalls auf eine abwartende Haltung geeinigt hatten. Der Landeskonvent beschloß erneut, vorläufig nichts zu unternehmen, sondern abzuwarten, was der Herzog Christian Ludwig tun würde. Man teilte am 2. Mai dem kaiserlichen Administrator in einem Schreiben mit, daß man seinem Begehren nicht nachkommen könnte, da der Kaiser sie noch nicht ihrer bisherigen Pflicht entbunden und auf die Administrationsregierung verwiesen hätte. Wie sollte der neue Administrator den zahlreichen Ermahnungen von Kaiser und Reichshofrat nachkommen, wenn er im Lande keine Stütze für seine Bemühungen fand? Er sollte alle Angelegenheiten im Lande gründlich untersuchen, besonders die zahlreichen Unruhen und Streitigkeiten, die Räubereien abstellen und eine verfassungsmäßige Justiz organisieren. Um diese Aufgaben zu lösen, brauchte er die Hilfe der Ritterschaft und vor allem Geld. Beides erhielt er nicht. Eine der energischsten Forderungen Wiens bestand darin, endlich einen neuen Landtag zustande zu bringen, um über alle Mißstände beraten zu können. Deshalb unternahm Christian Ludwig einen weiteren Versuch, Deputierte von Ritter- und Landschaft zu sich nach Bützow, wohin er aus Sicherheitsgründen übergesiedelt war, zu zitieren. Doch die Ritterschaft und ebenso die Städte beschlossen auf ihren daraufhin abgehaltenen Konventen, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten. Die Bürgermeister glaubten als Hofräte Carl Leopolds keine Veranlassung zu haben, dem Administrator zu gehorchen, während die Ritterschaft sich nicht in Gegensatz zu den bisherigen Konservatoren zu stellen wagte, die die Legalität des Kaisers für die Einsetzung des Administrators angezweifelt hatten. Sie hatten sich bei der bisherigen Regierung der Subdelegierten auch zweifelsohne viel wohler gefühlt und sahen mit einem gewissen Mißtrauen auf das Mitglied des regierenden Hauses in Mecklenburg. Sie verfaßten daher einen Brief an Christian Ludwig, in dem sie sich für das Nichterscheinen von Deputierten entschuldigten. Infolgedessen mußte ein Landtag weiterhin unterbleiben; eine Kontributionszahlung wurde also nicht ausgeschrieben. Die Ritterschaft wurde gleichermaßen durch das Ausbleiben von Kontributionsgeldern geschädigt; denn sie hatte stets einen großen Teil davon für ihre Belange verbraucht. Sie half sich jedoch auf ihre Art. Um die Forderungen ihrer Schuldner, besonders die der Erben des verstorbenen BernstorfF, erfüllen zu können, benötigte die Ritterschaft etwa 50000 Rthl. Diese Summe sollte durch eine „zureichende Collecte auf die Untersassen des Adels" 30 aufgebracht werden. Damit man diejenigen, 29 30

Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 16. Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 17.

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XI. Absetzung Carl Leopolds

die dieser Maßnahme nicht zustimmten, zur Zahlung zwingen konnte, bemühte man sich um kaiserliche Approbation und um die Erlaubnis, die Gelder notfalls durch Exekution einzutreiben. Es gelang dem ritterschaftlichen Vertreter in Wien tatsächlich, am 16. März 1730 das gewünschte Konklusum zu erhalten, das die „freywillige Collectation" der Ritterschaft billigte. Der Herzog Carl Leopold empfand diese „Collectation" mit Recht als einen Eingriff in sein „Steuerregal" und reagierte darauf in einem Patent vom 13. Januar 1730 in so scharfer Form, 31 daß die Ritterschaft dagegen eine Beschwerde beim Reichshofrat einbrachte.32 Auch für den neuen Administrator war der bisherige Regent ein Faktor, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen war. Carl Leopold verfügte trotz seines Aufenthaltes im fernen Danzig über einen großen Einfluß im Lande. Seine Regierung in Dömitz und Schwerin war durchaus aktiv, besonders das Land- und Hofgericht in Schwerin. In zahlreichen Schriftstücken ermahnte er seine Untertanen, ihm die Treue zu halten, zum Beispiel in seinem Schreiben vom 2. Juni an die Vorderstädte. In einem Manifest vom 17. Dezember 1728 wandte er sich in besonders heftiger Weise gegen seinen Bruder und beschimpfte ihn als einen, der in „criminellster Weise" handele.33 Dieses 31

32

33

In diesem Patent hieß es: „ . . . der so benannte Enger-Ausschuß habe sich von seiner verstockten Halsstarrigkeit noch nicht nüchtern gemacht, und wolle nicht vernünfftig bedencken, daß das verdamliche Rebellionslaster allendlich ein Ende mit Schrecken nähme, sondern habe sich noch würcklich erfrechet mit eigenmächtiger Auflage und Eintheilung also schnöde betitulten Necessarien-Gelder, einen weitern Zunder von aufrührischem Wesen anzulegen." Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 26. Der Reichshofrat hob am 10. Mai 1730 das Patent auf und versicherte der Ritterschaft Schutz gegen alle Gewalttätigkeiten und Bedrohungen Carl Leopolds. Vgl. Klüver, H. H., a. a. O., Bd VI, S. 5 - 6 . In diesem Manifest heißt es unter anderem: „Diese und andere zwar an sich gröblichste Beleidigungen und Exorbitantien [gemeint sind frühere, mehr persönliche Zwistigkeiten zwischen den Brüdern — P. W.] sind unsers verwandten Bruders Lbd. noch nicht ersätlich gewesen, sondern Er hat sich auch erstaunlicher aller criminellster Weise, nechsthin als ein vermeintlicher Administrator . . . aufwerfen . . . Diesemnach verwarnen wir mitelst feyerlichster Vorbehaltung aller Reichs-Gesetzmäßigen gerechtesten Satisfaction und Competentien unsere Anfangs bedeutete sämtliche Collegia, Militär- und übrige Bediente, Beamte, Ritterschaft, Magistraten, Gerichte, Clerisey, Bürger- und Bauernschafften und insgemein alle und jede unsere Unterthanen und Landes-Eingesessenen, und gebieten denenselben hiemit samt und sonders bey Vermeidung unserer grösten Ungnade auch bey unnachläßiger strengsten Ahndung und Beschaffung an Ehren und Gütern, Leib und Leben, daß sie durch mehr ernannten unsers Bruders Christian Ludwigs Lbden in seinen criminellesten Unternehmungen sich auf keinerley Weise unter falschen Landes väterlichen Deckmantel in der That Landes-verräterlich irre machen, noch im geringsten einiges be- und Verbot von demselbigen annehmen und befolgen, weniger auf dessen Berufung erscheinen, und sich mit demselben auf einige Art und Weise verpflichten, oder sonsten einlassen, sondern uns als ihren von Gott vorgesetzten eintzigen wahren und rechtmäßigen Landes-Fürsten mit schuldigster Treue, Pflicht, Gehorsam und Folge beständig anhangen sollen." Vgl. Klüver,H.H., a. a. O., Bd V, S. 679 -682.

X I . Absetzung Carl Leopolds

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Manifest wurde von den Städten nach kurzer Beratung ausgehängt und von den Exekutionstruppen nach kurzer Zeit wieder gewaltsam entfernt. Doch beweist schon allein die Tatsache, daß die Städte dieses Manifest auszuhängen wagten, daß sie Carl Leopold in Treue ergeben waren. Außerdem wurde dieses Schriftstück durch die Geistlichen von allen Kanzeln verlesen und so der ganzen Bevölkerung bekanntgemacht. Keinerlei Befehle der Kommission, des Kaisers oder des neuen Administrators vermochten den Klerus zu einer anderen Haltung zu veranlassen. Im November 1729 ließ der Herzog ein weiteres Patent an seine Untertanen im Lande publizieren, in dem auf das frühere Patent vom 19. Oktober 1723 und auf das bereits erwähnte Manifest hingewiesen wurde. Alle Untertanen wurden noch einmal nachdrücklich zum alleinigen Gehorsam gegenüber ihrem „regierenden" Herzog Carl Leopold aufgefordert. So kam überhaupt keine Regierung zustande. Der Administrator war im Lande völlig isoliert. Der engere Ausschuß sträubte sich gegen eine Zusammenarbeit mit ihm. Die Landstädte hielten zum früheren Herzog. Die Geistlichkeit verlas Patente gegen Christian Ludwig und die kaiserlichen Beschlüsse. Die bisherigen Konservatoren dachten nicht daran, ihre Stellung aufzugeben. Ihre Subdelegierten versuchten weiter zu wirken. Die Truppen Hannovers und Wolfenbüttels blieben im Lande. Die Einkünfte des Landes wurden nach wie vor durch die Exekutionskasse in Boitzenburg verwaltet. Auch Preußen, der neu hinzugezogene Konservator, hielt sich trotz aller Christian Ludwig gemachten freundschaftlichen Zusicherungen zurück und setzte seine Soldatenwerbungen in Mecklenburg wie bisher ungehindert fort. 34 Im Auslande Geld zu leihen gelang dem Administrator ebensowenig wie eigene Truppen anzuwerben.35 Eine solche Situation im Lande mußte einerseits zwangsläufig die anarchischen Zustände verschlimmern und zwang andererseits die unterdrückten Klassen, vor allem das Bürgertum der Landstädte, dem Adel mit aktiven Widerstandshandlungen zu begegnen. Bis zur Absetzung Carl Leopolds hatten sich die Bürger der Landstädte im allgemeinen damit begnügt, den Forderungen des Adels Proteste und Beschwerden entgegenzusetzen. Man scheute sich vor Gewaltanwendung, weil einerseits unter Umständen doch noch die Möglichkeit bestand, daß die Beschwerden von der kaiserlichen Kommission berücksichtigt oder vom Land- und Hofgericht in Schwerin bearbeitet wurden, und es andererseits überhaupt nicht möglich war, sich gegenüber den Kommissionstruppen zu behaupten. Kontributionsverweigerungen wurden erbarmungslos mit Exekution geahndet. Als jedoch die Unordnung im Lande zunahm, die durch die verworrenen Regierungsverhältnisse (drei verschiedene Stellen 34

36

Schon am 29. Jan. 1 7 2 9 war Preußen v o m Kaiser ermahnt w o r d e n , seine W e r b u n g e n in Mecklenburg einzustellen, da „die mecklenburgische Ritterschaft wegen ihrer zum Landbau unentbehrlichen Leibeigenen Leute in . . . sehr empfindlichen Schadens gesetzet worden." Klüver, H. H., a. a. O., Bd V , S. 691. Noch 1 7 3 2 gab es Klagen über Werbungen. L H A Schwerin, Wolfenbüttler Kommissionsakten, X V , 1, 5. Christian Ludwig versuchte, aus Holland Geld zu leihen und württembergische sowie schwarzburgische Truppen zu erhalten. L H A Schwerin, Act. diff., V o l . LI.

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versuchten zu regieren) noch erheblich gesteigert wurde, schritten auch die Bürger zur Selbsthilfe. Besonders scharfe Formen nahm die Auseinandersetzung im östlichen Teil Mecklenburgs an. Dort besaß die Familie von der Lühe zahlreiche Güter. Der Kammerjunker Dietrich von der Lühe hatte außerdem seit alter Zeit die Jurisdiktion über die kleinen Städte Sülze und Marlow. Die Schiffahrt auf dem Flüßchen Recknitz, an dem auch die Stadt Ribnitz liegt, war ein ausschließliches Privileg des fürstlichen Salzwerkes in Sülze. An der Mündung der Recknitz liegt der kleine Hafen Wustrow, wo das Salz verschifft werden konnte. Die Holzlieferung für das Salzwerk hatte Lühe übernommen und dafür die Erlaubnis von der Kassedirektion erhalten (1. Nov. 1723), einen eigenen Prahm bauen zu lassen. Als nun Lühe im Jahre 1727 sein Getreide nach Wustrow befördern wollte, um es von dort nach Lübeck zu verkaufen, versagten die Ribnitzer Bürger den Wagen Lühes die Durchfahrt durch ihre Stadt.36 Daraufhin hatte Lühe sein Korn auf seinen Prahm verladen und die Recknitz abwärts nach Wustrow transportiert. Doch konnte der Prahm nicht zurückfahren, da die Ribnitzer bei der Brücke zwischen Ribnitz und Damgarten die Durchfahrt mit Pfählen gesperrt hatten. Sie bemächtigten sich des Bootes und brachten es in die Stadt. Ein Protest Lühes blieb ohne Erfolg. Der Bürgermeister von Ribnitz erklärte kaltblütig, Lühe solle die Stadt doch bei der fürstlichen Regierung in Dömitz verklagen. Nur auf fürstliches Mandat würde man das Schiff herausgeben. Ein Befehl der Kommission, den Prahm gegen Kaution herauszugeben, wurde nicht befolgt. Doch griff die Kommission in diesem Falle nicht gewaltsam ein, trotz ihrer Sorge um die Zufuhr von Holz für das Salzwerk, über deren Einnahmen die Kassedirektion verfügte. Sie überließ diesen Streit dem fürstlichen Gericht. Dessen Entscheidung ist uns zwar nicht bekannt, doch scheint es einen Ausgleich zwischen beiden Kontrahenten gegeben zu haben. — Bedeutend ernster war die Auseinandersetzung zwischen Lühe und der Stadt Sülze.37 Lühe hatte am 13. Mai 1727 kraft seiner Jurisdiktion zwei Bürgermeister, einen Ratsherrn und den Stadtvogt „erwehlet". Die Bürgerschaft war damit nicht einverstanden, wählte ihrerseits andere Leute für diese Funktionen und ließ diese von der Dömitzer Regierung bestätigen. Lühe beorderte daraufhin drei Mann zum Schutze seiner Leute in die Stadt. Die Bürgerschaft gab sich jedoch damit nicht zufrieden, sondern sandte ein Schreiben zum Herzog nach Danzig, in dem sie ihn um die Erlaubnis ersuchte, Lühes Leute nach Dömitz zu bringen. Da griff die Kommission in Rostock ein und ermahnte die Städte Sülze und Marlow, sich aller Tätlichkeiten zu enthalten. Zum offenen Kampf kam es dadurch, daß Lühe mit seinen Brüdern und Vettern den fürstlichen Bürgermeister Johann Bernhard Drude ergriff, verprügelte und zunächst nach Telkow, dem Gut der Lühes, brachte, wo er unter Aufsicht eines Schinderknechtes gehalten wurde (im September 1727). Die Rostocker Subdelegierten versuchten ohne Erfolg, Lühe zur Freilassung Drudes zu veranlassen, um sich bei der Landschaft „nicht sogar 36

37

Alle Schriftstücke zu diesem Streit befinden sich im LHA Schwerin, Wolfenbüttler Kommissionsakten, XIV, B 47. StA Hannover, Han. 9 g, I S, Nr 19.

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verhaßt zu machen". Die Folge davon war nur, daß der gefangene Bürgermeister auf ein entfernteres Gut, nach Wendorf (Besitzer: de Puis) gebracht wurde. Da zogen am 1. November 1727 frühmorgens zahlreiche Sülzer Bürger unter der Führung des cand. jur. Johann Hermann Keding 38 , des Sohnes eines früheren Bürgermeisters, und Hans Böhmers nach Telkow, drangen dort gewaltsam ein, um Lühe festzunehmen. Sie fanden ihn aber nicht, sondern nur seine Ehefrau, „die in ihren bloßen Nachtkleidern in den Garten sich retiriret". Man brachte sie mit einem Wagen nach Sülze und sperrte sie ein. Mit Lühes Pferden wurde die Verfolgung des geflüchteten Gutsherrn aufgenommen, wobei man neben den Pferden auch noch Geld und Waffen aus Telkow mitnahm. Inzwischen hatten sich zu den Verfolgern auch Tessiner Bürger gesellt, die allein aus Solidarität an der Aktion teilnahmen; denn Tessin hatte mit dem Streit nichts zu tun. Am 3. November gelang es, den Kammerjunker auf dem adligen Hof Klein Tessin gefangenzunehmen. Er wurde auf dem Rathaus von Tessin festgehalten. Nur gegen Freilassung von Drude wollte man ihn entlassen. Lühe bat deshalb seine Vettern, schleunigst Drude holen zulassen, da „der Pöbel. . . gantz unsinnig und . . . ihm bey Wegnehmung schon manchen Stoß und über die maaßen brutale Worte gegeben . . .". Durde wurde schnell gebracht, und man ließ Lühe laufen, nachdem schon am Tage vorher seine Frau nach Hause gehen konnte. Der Kammer) unker bat sofort in Rostock um Truppen für die Sicherheit seiner Person, aber auch die Stadt Sülze ersuchte bei ihrer Rechtfertigung vom 6. November um Schutz, da sie die Rache Lühes fürchtete. Das Vorgehen wurde mit der Mißachtung fürstlicher Befehle durch Lühe begründet. Carl Lepold hatte die von den Sülzern gewählten Bürger unter seinen Schutz gestellt. Die Subdelegierten standen natürlich auf der Seite Lühes und stationierten Ende Dezember Soldaten in Sülze, die alle Ansammlungen der Bürger verhindern sollten. Keding mußte flüchten und begab sich nach Danzig zum Herzog. 39 Die Stadt erkannte die Jurisdiktion Lühes notgedrungen an, doch blieb die Spannung bestehen. Proklamationen der kaiserlichen Kommission wurden häufig abgerissen, so daß die gelegentlich abgezogenen Truppen immer wieder in die Stadt gelegt werden mußten. Im Jahre 1730 war der Streit noch nicht beendet; denn Sülzer Bürger versuchten die Holzknechte Lühes dazu zu veranlassen, kein Holz mehr für den verhaßten Gutsherrn zu fahren; auch drohten sie damit, seinen Prahm zu zerschlagen.40 Außerdem versuchten die Sülzer, den Pächter des Salzwerkes zu schädigen, indem sie von ihm keine Pfannen zum Salzsieden mehr mieteten, sondern sich dabei an einen bürgerlichen Mitinteressenten des Salzwerkes wandten. Als Keding im August 1731 nach Sülze zurückkehrte — er war inzwischen von Carl Leopold zum Landeskommissar ernannt worden—, ersuchte Lühe sofort die Kommission, ihn „zu paaren" zu treiben, daß „andere in seinen Fußtapfen tretende sich an seinem Exempel spiegeln mögen", während die Sülzer Bürger die Kommission baten, die auf Sülze lastende Exekution aufzuheben.

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40

Keding war 1721 an der Rostocker Universität immatrikuliert. Keding wurde 1729 mit der Beförderung von Zirkularschreiben nach Kiel und Eutin beauftragt. LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XX. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, XIV, B 89.

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Sie verpflichteten sich dafür, Keding in sicherem Gewahrsam zu halten.41 Doch die Subdelegierten entsprachen wie üblich der Bitte Lühes und ließen Keding verhaften und nach Rostock bringen. Er scheint indes nicht allzulange dort gessessen zu haben; denn er war schon bald wieder für Carl Leopold tätig. Lühe hatte sich inzwischen auch zusammen mit anderen Rittern das fürstliche Salzwerk Sülze übertragen lassen und alle bisherigen Salzinspektoren und anderen Bedienten entfernt. Die am Salzwerk beteiligten Bürger, die dagegen heftig protestiert hatten, ließ Lühe nachts überfallen, übel zurichten, ins Gefängnis werfen und zum Teil nach Rostock schleppen. Dies wurde von zwei Schreibern Lühes, seinen Bauern und acht Dragonern ausgeführt. 42 Auch die Bürger der kleinen Stadt Brüel drohten ihrem Gerichtsherrn, dem schon früher genannten von Freyburg, seinen Hof zu stürmen und dort alles zu ruinieren.43 Sie waren wegen ihrer Dienstleistungen mit ihrem Herrn in Streit geraten. Freyburg erreichte bei der Kommission, daß Truppen in Brüel einrückten und daß die Rädelsführer verhaftet und nach Rostock gebracht wurden. Ein Befehl Carl Leopolds, die Verhafteten sofort freizulassen, wurde natürlich nicht beachtet. Die Unbeliebtheit des Administrators Christian Ludwig und der zu seinem Schutz sich in Neustadt befindenden Truppen zeigt der Tumult von Bürgern und Handwerksgesellen in Neustadt am 16. Januar 1729.44 Der Grund dafür war, daß in dem sogenannten Vietz, wo arme Bauern wohnten, Quartier für ein Kommando Soldaten gemacht werden sollte. Der Tumult entstand abends im Wirtshaus. Es kam zur Beschimpfung (man solle nicht eher aufhören, bis das Kommando und die Hofbedienten Prügel bekommen hätten) und Verprügelung der Wache. Gegen 3 Uhr morgens verliefen sich die Tumultanten. Der Anführer dieser Aktion, der Tischler Struve, und vier Gesellen flüchteten, wurden aber später ergriffen und mit Arrest und Geldbußen bestraft. Der Gutsherr von Oldenburg, der seinen Besitz in der Gegend von Waren hatte, versuchte in den zwanziger Jahren dauernd, sein Gebiet auf Kosten der Stadt zu vergrößern und der Stadt auf alle mögliche Art und Weise Schaden zuzufügen. 45 So versuchte er den Weg zu Warens Heuwiesen, der über seine Koppel führte, zu sperren, um sich die Heuwiesen anzueignen. Oldenburg befahl im Juli 1731 seinen Leuten, von den Bürgern der Stadt Pferde zu pfänden, falls sie über seine Koppel fahren sollten. Doch die Warener kamen mit Bürgermeister, Rat und 50 Mann, die allerhand Waffen und ähnliches Gerät mitführten, erzwangen die Durchfahrt und drohten dem herbeigeeilten Oldenburg, sie würden sein Gut Federow sengen, brennen und plündern, falls er noch irgendwelche Wagen von ihnen pfänden ließe. Das war eine Sprache, die dieser Herr verstand. Sein Hilferuf an die Kommission 41 42 43 44

45

Ebenda, Wolfenbütteler Kommissionsakten, XV, 1, 4. Klüver,H.H., a. a. O., Bd VI, S. 1 1 4 - 1 1 5 . Nichtweiß, /., a. a. O., S. 9 7 - 9 8 . StA Hannover, Han. 9 g, I N, Nr 5; LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, XIV, B 79; vgl. auch Klüver, H. H., a. a. O., Bd V, S. 591. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, XV, 1, 3 u. 4.

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wurde mit dem Befehl für beide Parteien beantwortet, sich aller Gewalt zu enthalten. Die Klagen Oldenburgs wurden an das fürstliche Gericht verwiesen. Die angeführten Beispiele zeigen, daß die Bürger der Landstädte sehr viel selbstbewußter als früher auftraten. Aber gleichzeitig erkennt man deutlich, daß es sich, vielleicht mit Ausnahme Sülzes, nur um geringfügige Angelegenheiten gehandelt hat. Wenn auch eine gewisse Tendenz der fürstlichen Regierung zu erkennen ist, diese Unruhen zu steuern und zu fördern, so waren sie doch im wesentlichen spontaner Natur. Bezeichnend ist, daß die Exekutionstruppen nur zum Schutze der Gutsherren eingesetzt wurden. Weiterhin tritt deutlich die Wirksamkeit des fürstlichen Gerichts in Erscheinung, das selbst die Kommission nicht immer zu übergehen wagte. Der Schweriner Exekutor Seywald war dauernd unterwegs, um Strafgelder einzuziehen. Ein Ritter von Bülow wurde auf eine Beschuldigung seines Verwalters hin nach Schwerin vorgeladen, verhaftet, konnte fliehen und wurde in Wismar ( ! ) wieder aufgegriffen. 48 Auch unter der mecklenburgischen Bauernschaft kam es in diesen Jahren zu einigen aktiven Widerstandshandlungen, die jedoch in ihrem Ausmaß und ihrer Intensität hinter den bürgerlichen Unruhen zurückblieben. Eine Ausnahme, bei der sich Ansätze zu größeren Kampfhandlungen zeigten, war die weiter unten behandelte sogenannte Jagd in der Lewitz, die jedoch nicht von der Bauernschaft ausging und sich nicht eindeutig gegen die Ritterschaft wandte, sondern auf Befehl des Herzogs gegen die Exekutionstruppen ausgeführt wurde. Der Widerstand der Bauern wurde eindeutig durch die Dömitzer Regierung und die Justizkanzlei in Schwerin gestärkt, die sich die größte Mühe gaben, der Ritterschaft durch die rechtliche Unterstützung der Bauern Schaden zuzufügen. 47 Es wurden zahlreiche Strafen gegen die Adligen verfügt, doch stieß die Vollstreckung der Urteile auf Schwierigkeiten, da die Verurteilten sich an das zum Teil in Güstrow verbliebene Hofgericht, das zwar außer „Activiteet" gesetzt war, oder an die kaiserliche Kommission in Rostock wandten, die häufig genug die Strafen aus Schwerin aufhoben. Die Exekutionskasse tat alles in ihren Kräften Stehende, die Domänenpächter, die zum Herzog hielten, durch Gegner Carl Leopolds abzulösen. Auf diese Weise sollte Adligen die Möglichkeit gegeben werden, sich auf Kosten der Domänen zu bereichern. So erhielt zum Beispiel der Ritter von der Lühe zu Panzow, der „berüchtigte und criminelle", die Ämter Neubukow und Redentin für seine Schadensliquidation (7000 Rthl.), wo er die doppelte Kontribution eintrieb.48 Die bisherigen Pächter von Domänen, die ihren Pachtvertrag erneuern wollten, wurden von Rittern in der von ihnen gebotenen Pachtsumme überboten, und zwar manchmal so weit, daß die Summe den Domänenertrag überstieg. Häufig handelte es sich um Adlige, 46 47

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Ebenda, X V , 1 , 1 . Vgl. die von der Kommission aufgestellten Gravamina: Gravamen V I , VII u. X V , in: StA Hannover, Han. 9 g, I L, Nr 2 ; Cal. Br. Arch., Nr 63. Klüver, H. H., a. a. O., Bd V , S. 589—590: Gedrucktes Schreiben Carl Leopolds an seinen Gesandten in Regensburg v. 29. Jan. 1727; LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, X V , I, 3.

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deren Besitz in der Nachbarschaft dieser Domänen lag. Sie erzielten durch rücksichtslose Ausbeutung der Bauern trotzdem einen Gewinn. 49 Auf den Adelsgütern setzte außerdem ein vermehrtes Bauernlegen ein, um die Einnahmen zu steigern. Die Ritterschaft ließ sich vom Reichshof rat im Konklusum vom 19. Oktober 1724 ihr Bauernlegerecht auf Grund des Artikels XVI der Reversalen von 1621 ausdrücklich bestätigen. Gegen diese maßlose Bedrückung und Ausbeutung durch die Ritterschaft oder durch von der Exekutionskasse eingesetzte Domänenpächter setzte sich die Bauernschaft immer mehr zur Wehr. Während sich die Bauern ebenso wie die Bürger in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre vorwiegend auf passiven Widerstand beschränkten, gingen sie mit rechtlicher Rückendeckung durch den Herzog und sein Gericht allmählich zu aktivem Widerstand über. So hatten vier Bauern aus dem Dorf Prisannewitz 50 , das dem Gutsbesitzer von Clausenheim zugesprochen war, die Dienstleistungen, Pachtzahlungen und „wüste Hufen Gelder" verweigert. Bereits 1720 hatte der Ritter diese Bauern durch Kreistruppen arretieren und zur Zahlung anhalten lassen. Sie blieben hartnäckig. Als er 1723 den Betrag um die Hälfte ermäßigte und die andere Hälfte durch Fuhren, Stein- und Holzarbeit abarbeiten lassen wollte, hatte er ebensowenig Erfolg. Der zur Pfändung nach Prisannewitz gesandte Notar wurde von den Bauern verjagt. Ja, die Bauern gingen sogar noch einen Schritt weiter und trieben ihr Vieh auf Clausenheims Weide. Das Vieh wurde zwar gepfändet, aber die Bauern nahmen den Holländer, der die Pfändung vorgenommen hatte, so lange gefangen, bis er gelobte, keine Pfändungen mehr vorzunehmen (1730). Der Schreiber des Gutsherrn, der die Bauern zum Hofdienst anhielt, wurde mit Prügel bedroht und verjagt. Gepfändetes Vieh wurde gewaltsam zurückgeholt; dabei wurde mit Mord und Totschlag gedroht. Da dieses Beispiel schon auf andere Ortschaften übergriff, forderte die Ritterschaft ein sofortiges Eingreifen der kaiserlichen Kommission. Die Bauern des fürstlichen Dorfes Lüningsdorf und besonders sein Schulze Stoffer Kooß wehrten sich energisch gegen die Versuche des Ritters von Wikede zu Tolzin, die ungenaue Grenzziehung zwischen seinem Gutsland und dem Dorf zu seinen Gunsten auszunutzen. Das äußerte sich in mehreren Viehpfändungen und Grasmähen auf umstrittenen Koppeln und Wiesen. Der Streit, der sich schon seit 1722 hinzog, endete schließlich damit, daß sich die Kommission für diese verhältnismäßig geringfügige Sache für nicht zuständig erklärte. Die Bauern konnten ihre Position gegenüber Wikede erfolgreich behaupten. 51 Der Gutsherr von Bülow hatte zwei Bauern in dem Dorfe Garlitz gelegt. 52 Diese waren mit ihren Familien in benachbartes Gebiet gezogen. Um noch ihre letzten 49

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Beispielsweise bot der Ritter von Bülow zu Plüschow etwa 400 Rthl. mehr als der bisherige Pächter, der die Pacht schon über 20 Jahre innehatte. Den fürstlichen Pächtern, die häufig von ihren bisherigen Pachthöfen nicht weichen wollten, wurde von den Subdelegierten die gewaltsame Vertreibung angedroht. LHA Schwerin, Act. diff., Vol. LI. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, XV, 1, 3. Ebenda, XIV, B. 96. Ebenda, X V , 1, 3.

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Sachen zu holen, hatten sie sich von einem Jäger aus Lauenburg einen Wagen geborgt, sich mit Forken bewaffnet und die Knechte und Mägde des Jägers mitgenommen. Die übrigen Garlitzer Bauern waren sich mit den gelegten Bauern einig und brachten ihren Protest gegen den Gutsherrn durch Verweigerung der Hofdienste und durch Drohungen, das Dorf anzuzünden, zum Ausdruck. Ein Dragoner, der zur Aufrechterhaltung der Ordnung ins Dorf gelegt wurde, erhielt keine Verpflegung und konnte nichts ausrichten. Das Schweriner Gericht hatte die Bauernlegung verboten. Der Gutsherr ersuchte deshalb den engeren Ausschuß, ihm ein Eingreifen entgegen dem Schweriner Urteil zu ermöglichen. Der engere Ausschuß bestätigte natürlich das Recht des Gutsherrn, Bauern nach Belieben anzusetzen oder zu legen. Auch in Goldebow wehrten sich die Gutsuntertanen (1730) gegen die Bestrebungen ihres Gutsherrn von Lützow, zahlreiche Bauern zu legen. 53 Sie beschwerten sich beim Herzog, der mehrere Strafmandate gegen Lützow verfügte und ihm verbot, Bauern zu legen. Diese Haltung des Herzogs bestärkte die Bauern in ihrem Widerstand, und sie bemächtigten sich mit Gewalt wieder der ihnen genommenen Äcker. Als daraufhin der Gutsherr drei Bauern auspeitschen ließ, rotteten sich die Bauern zusammen und nahmen eine drohende Haltung ein. Auf Bitten Lützows wurde ein Kommando Exekutionstruppen nach Goldebow gelegt, das jedoch noch keine Ordnung zu schaffen vermochte. Im Gegenteil, das Beispiel Goldebows begann in anderen Dörfern Schule zu machen. Da wurden auf Ersuchen Lützows fünf „Rädelsführer" gefangen nach Rostock geführt, und Lützow konnte sein Gut ungestört in Koppeln legen. In Catelbogen hatte es ein Untertan des Gutsherrn von Pleß verstanden, alle Dorfbewohner bis auf drei zum Verlassen des Dorfes zu überreden. 54 Dieser Untertan mit Namen Johann Friedrich Hobe wurde deshalb, weil er „Zu Zweijenmahlen untreu geworden und davon gelauffen, auch noch Mehrere von seinen Domestiquen zu eben der Boßheit verführet", zum Karrenschieben verurteilt. Er sollte zum Kalkberg nach Lüneburg zum Festungsbau kommen. Als ganz besonders brutal erwies sich der von der Exekutionskasse im Amt Wredenhagen eingesetzte Pächter Brands.55 Als die Bauern die Dienste verweigerten, verlangte er von den Lüneburger Truppen, die Bauern zusammenzuholen, ganz gleich, wo man sie gerade anträfe. Bei dieser Gelegenheit schoß man sogar in eine Hochzeitsgesellschaft hinein, wobei ein Knecht getötet und zwei verwundet wurden. Zwei Bauern wurden zum Kalkberg nach Lüneburg gebracht, angeblich auf Lebenszeit. Brands war ein enger Freund des Jägermeisters von Knesebeck, der ein Gut im Amt Marnitz besaß. Dieser wußte gegen den Widerstand der Bauern kein anderes Mittel, als sie beim geringsten Aufbegehren sofort zu schlagen, ihnen Fesseln anlegen und sie im Keller krumm binden zu lassen. Die Abgaben hatte er willkürlich erhöht. Bei Nichtzahlung mußten die Bauern den Hof verlassen. Auch hatte Brands die Dienste vermehrt, ohne dazu ein Recht zu haben. 53 54

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Dieser Fall ist ausführlich bei P. Steinmann dargestellt, a. a. O., S. 53—62. StA Hannover, Han. 9 g, I P, Nr 46.

Klüver,H.H., a. a. O., Bd VI, S. 112-114.

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Die angeführten Beispiele zeigen deutlich, daß auch bei der Bauernschaft ein verstärkter Widerstand zu spüren war. Doch waren alle bäuerlichen Unruhen rein spontaner Natur und ohne eine erkennbare weitergehende Zielsetzung. Die Bauern wehrten sich gegen die gesteigerte Ausbeutung, die drakonischen Strafen der Ritter und vor allem gegen das Bauernlegen. Da der Herzog und sein Gericht häufig gegen die Ritterschaft und für die Bauern entschieden, glaubten die Bauern einen Anwalt ihrer Interessen gefunden zu haben. Dazu trug ohne Zweifel auch das Wirken des Klerus bei, der dem Herzog treu ergeben war. So wurden alle Patente des Herzogs gegen seinen Bruder und gegen die kaiserlichen Konservatoren von den Kanzeln verlesen und erläutert. Es zeigte sich, daß die Ritter in Auseinandersetzungen mit ihren eigenen Bauern immer die stärkeren waren. Alle bäuerlichen Unruhen wurden mit eigenen Hilfskräften oder mit den Truppen der Kommission unterdrückt. Als schwieriger erwies sich es, ganze Trupps von entlaufenen Bauern und Elementen der Stadtarmut, die sich Zigeunern angeschlossen hatten, zu vertreiben oder gefangenzunehmen . Mecklenburg war in den zwanziger Jahren ein besonderer Anziehungspunkt für solche Trupps. Sie waren organisiert in Gruppen von 30 bis 100 Personen einschließlich Frauen und Kindern. Die Männer waren mit Gewehren, Degen und Piken wohl versehen. Im Sommer zogen sie durch das Land; und im Winter quartierten sie sich in abgelegenen Gegenden häufig gewaltsam ein. Mit den armen Bevölkerungsschichten des Landes standen sie offenbar in guter Verbindung. So klagte der Bürgermeister des Städtchens Lübs den Subdelegierten am 30. Juni 172956, daß es in der Stadt zahlreiche Personen unter der Führung eines ehemaligen Kommissars Löper gäbe, die gegen den Rat eingestellt wären und sich an keine Bestimmung hielten. Diese stünden in enger Verbindung mit den Räuberbanden. Sie würden die „Zigeuner, Bettler und Spitzbuben" bei sich aufnehmen und „folgbar ihren Schnöden und Verdammlichen Gewin bey und unter ihnen suchen". Auch mit den Glasarbeitern der Glashütten in den Wäldern scheinen sich diese Trupps gut verstanden zu haben. Die Glashütten waren wegen ihrer abgelegenen Lage in den Wäldern ein willkommener Zufluchtsort für den Winter. So hatten sich die Zigeuner schon 1727 gewaltsam in der Vielister Glashütte einquartiert. Sie kamen mit 100 Personen, darunter 50 bewaffneten Männern. Dies war nicht das erste Mal, schon einige Jahre früher hatten sie den Glasermeister Gundelach und dessen Familie aus seinem Hause delogiert. Als diese Trupps 1728 von Mecklenburg-Strelitz aus verfolgt wurden, zogen sie sich wieder in die Wälder um diese Glashütte im Amt Lübs zurück. 14 Tage vor Weihnachten, als es kalt zu werden begann, nutzten sie die Abwesenheit des Glasermeisters Gundelach aus und besetzten die Glashütte, wo über 100 Arbeiter beschäftigt waren. Die Glasarbeiter nahmen die Banden auf (vielleicht nur der Not gehorchend), hatten aber auch gewisse Vorteile davon, die vermutlich in einer gewissen Beteiligung an dem Diebesgut bestanden. Die Gutsbesitzer schwebten in dauernder Angst und versuchten in zahlreichen Schreiben, Truppenhilfe zu erhalten. Die Vielister Glashütte wurde schließlich am 14. Januar 1729 von 200 Mann unter der 56

LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, X V , 1, 1.

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Führung des schon durch seinen Streit mit der Stadt Waren bekannt gewordenen Gutsherrn von Oldenburg umstellt. Alle Häuser der Glasarbeiter und Holzbauern wurden durchsucht und die „Gäste" gefangengenommen und weggeführt. Die Arbeiter und Bauern wurden bei diesem Unternehmen, ebenso wie der Glasermeister Gundelach, als Komplicen behandelt. Im März 1729 erfolgte eine weitere Aktion gegen die Banden. Doch schon im Oktober 1729 wandte sich die Ritterschaft der Ämter Lübs, Wredenhagen und Plau erneut um Hilfe an den engeren Ausschuß. Zwei Trupps von 30 bis 50 Personen mit Frauen und Kindern zögen durch die Gegend. Sie seien straff unter der Führung eines gewissen Schapmeister organisiert und aus dem Lüneburgischen herübergekommen. Alle Gutsherren waren in großer Furcht. Sie wagten es nicht, von sich aus etwas gegen die Banden zu unternehmen, da sie deren Rache fürchteten. Drohungen und Angriffe auf Gutshöfe waren keine Seltenheit.57 Die gefangenen Bandenmitglieder wurden voneinander getrennt. Die Männer kamen nach Lüneburg zum Kalkberg, die Kinder wurden den Müttern weggenommen und bei anderen Familien in Pflege gegeben. Die Mütter mußten, soweit man sie wieder laufen ließ, schwören, ihre Kinder nicht wiederzuholen. 58 Trotz dieser strengen Maßnahmen gelang es nicht, dem Bandenunwesen Einhalt zu gebieten. 57

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Ebenda. Der Ritter von Pressentin zu Lütgen-Stiletz z. B. weigerte sich in einem Schreiben an den engeren Ausschuß, eine in seinem Gebiet umherziehende Bande verhaften zu lassen. Er hielt den längeren Aufenthalt der Bande in seinem Gebiet für möglich, meinte aber, daß es bis zu 100 Bewaffnete wären, die seine Leute nicht überwältigen könnten. Außerdem fürchtete er die Rache der Entkommenen. Schon vor zwei Jahren wäre bei ihm ein Gebäude in Brand gesteckt worden; ebenda, X V , 1, 2. Vgl. die Vernehmung einer aufgegriffenen Frau, die zu einer solchen Bande gehörte, aber keine Zigeunerin war. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, X V , 1, 4; Schreiben des Rostocker Bürgers Rahtsack v. 26. April 1731. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, X V , 1, 3.

K A P I T E L XII

Die Planung und Vorbereitung einer gewaltsamen Aktion des Herzogs, um die Exekutionstruppen zu vertreiben und die Herrschaft wiederzugewinnen (1726—1733)

Das ganze Sinnen und Trachten des Herzogs und seiner Ratgeber während des Aufenthaltes in Danzig ging dahin, die volle Herrschaft im Lande zurückzugewinnen. Dazu war ihm jedes Mittel recht. Es wurde schon erwähnt, daß 1723 erste Versuche unternommen wurden, die Landesmiliz einsatzbereit zu machen, was von der Kommission durch Verhaftung der fürstlichen Offiziere unterbunden wurde. Doch ließ sich der Herzog dadurch nicht entmutigen. Er glaubte genügend Menschen für eine gewaltsame Aktion in Mecklenburg zusammenbringen zu können, doch fehlten ihm Offiziere, die diese Massen zusammenhalten und anführen konnten. Deshalb versuchte man auf jede nur mögliche Art und Weise, Offiziere anzuwerben. Als Werber bediente man sich des Präpositus Siggelkow aus Hagenow, eines Mannes, der dem Herzog treu ergeben war. Dieser konnte einige Offiziere anwerben, die sich in Wismar aufhielten und für deren Unterhalt der alte Priester sorgte, wie Siggelkow von Tilly bezeichnet wurde. 1 Aber auch in Danzig und Lübeck hielten sich angeworbene Offiziere auf. Die Offiziere in Lübeck wurden von dem ehemaligen Oberadministrator Paulsen, der in Holstein Gutsbesitzer war, auf eigene Kosten verpflegt. Verantwortlich für alle Vorbereitungen in Mecklenburg war der Generalmajor Tilly 2 , der Kommandant von Schwerin. Ihm unterstand auch der Dömitzer Kommandant, der Obristleutnant Erich. Neben Tilly gab es aber noch eine Anzahl anderer Personen, die als Beauftragte des Herzogs im Lande herumreisten, Stimmungsberichte sammelten und die Antipathie gegen die Exekutionstruppen und den Administrator 1

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Siggelkow konnte acht Offiziere anwerben, die von ihm Wartegeld erhielten (1725 — 1727). Von diesen verschwanden vier. Die restlichen vier erhielten weiterhin Gelder. LHA Schwerin, Militada, Landesaufgebot, Vol. XIV, Bl. 111 — 112. Johann Gottfried Tilly war der Typ eines Landsknechts. Er wurde vermutlich 1688 in Süddeutschland geboren. Sein Vater war lutherisch geworden und in polnisch-litauisches Gebiet gezogen. Tilly diente zunächst unter dem König Sobiersky in der litauischen Armee, trat dann unter August dem Starken in sächsische Dienste, bewarb sich dann erfolgreich für die Armee des Zaren und wurde 1717 in mecklenburgischen Dienst übernommen. 1725 unternahm er eine Reise nach Sibirien und wurde im gleichen Jahr zum Generalmajor befördert. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIV, Bl. 100.

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Wiek, Absolutismus

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schürten. Diese Leute unternahmen mehrere Reisen nach Danzig und empfingen ihre Anweisungen vom Herzog persönlich. Zu diesen gehörten der Apotheker Mirow mit seinen Leuten 3 , der Chirurgus Brade 4 , der Kaufmann Rudolph Caselitz5, der schon genannte Präpositus Siggelkow, der zum Landeskommissar ernannte Keding u. a. An allen wichtigen Punkten des Landes befanden sich dem Herzog ergebene Leute, die über alle geplanten Maßnahmen der Kommission oder des Administrators fleißig berichteten. So war beispielsweise der Hofmeister des Prinzen Friedrich, des Sohnes Christian Ludwigs, ein Spion des Herzogs.6 Schon 1726 ergingen von Danzig aus an Tilly genaue Anweisungen zur Vorbereitung eines Aufstandes. 7 So sollte Tilly genügend Proviant aus dem Lande nach Schwerin schaffen lassen, die Orangerie sollte heimlich zur Stallung umgebaut werden. Magazine sollten angelegt und soviel Pferde wie möglich nach Schwerin gebracht werden. Der Wall um Schwerin sollte wieder hergerichtet und die Stücke sollten nachgesehen werden. Tilly wurde beauftragt, die Möglichkeiten zur Anwerbung von Leuten im Lande zu erkunden. Bei Lebensstrafe wurde verboten, sich irgendwie mit den Exekutionstruppen einzulassen. Da Carl Leopold vermutete (1728), daß die Exekutionstruppen bei einer bewaffneten Auseinandersetzung Schwerin angreifen würden, wurden von ihm genaue Verteidigungsmaßnahmen angeordnet. Tilly sollte besonders auf die im Schweriner Schloß 8

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Mirow scheint ein Mensch gewesen zu sein, der sich zu allem, was von ihm verlangt wurde, gebrauchen ließ. In Schwerin versuchte er zusammen mit Brade, Gold zu machen. Er soll zur Ermordung des Geheimen Rats Fabrice von der Boitzenburger Exekutionskasse bereit gewesen sein, und auch Brade sollte von ihm ermordet werden. Brade flüchtete, als er davon erfuhr. Fabrice war dem Herzog deshalb so verhaßt, weil er geäußert hatte, daß nur der Engel Gabriel dem Herzog wieder zur Landesherrschaft verhelfen könnte (laut Aussagen Brades, in: LHA Schwerin, Act. difF., Vol. LI). Johann Samuel Brade wurde 1700 in Hessen-Darmstadt als Sohn des Predigers zu Brückenheim geboren. Er wurde Chirurg und war als solcher in Frankfurt, Darmstadt, Speyer, Holland und England gewesen. In Hannover wurde er für ein Jahr Feldscher und reiste dann in den Harz, weiter nach Hamburg und kam über Boitzenburg nach Schwerin, wo ihn Carl Leopold angeblich festhalten ließ, um ihn zum Kammerrat, Jägermeister und sogar zum Premierminister zu machen. Vgl. das Verhör Brades, in: LHA Schwerin, Act. difif., Vol. LI. Der Kaufmann Rudolph Caselitz wurde um 1670 in Boitzenburg geboren. Er war offenbar ein im Lande herumziehender Händler, der mit Strümpfen, Stoffen usw., aber auch mit Lebensmitteln, wie Hühnern, Hasen usw., handelte. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. X V : Verhör von Caselitz, Bl. 35. Vgl. Verhör Brades, in: LHA Schwerin, Act. diff., Vol. LI, Spitzelberichte, ebenda, Vol. XLI, XLVII. Vgl. auch LHA Schwerin, Correspondenz des Herzogs Carl Leopold sowie seiner Räte und Diener mit Verschiedenen, Vol. I. Hier finden sich zahlreiche, häufig chiffrierte Schreiben an den Herzog oder seine Räte. LHA Schwerin, Militaría, Infanterie-Abteilungen, Mecklenburgisch-Schwerinsche Infanterie unter dem General-Major von Tilly 1721 — 1740; Spezifikation Tillys aller Befehle Carl Leopolds 1726 — 1729. Vgl. auch das Verhör Tillys, in: LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIV.

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wohnende preußische Königin achtgeben, die man immer schonen würde. 8 Bei Beginn eines Angriffs auf Schwerin sollte er sofort alle Kollegien auf dem Schloß versammeln und die Siegel an sich nehmen. Falls Schwerin nicht mehr zu halten sei, sollte er mit dem Schiff flüchten und im Lande selbst das Äußerste versuchen; es würden sich sicher noch mehr Verteidigungsmöglichkeiten ergeben. Zusammen mit dem alten Priester sollte er sich darüber Gedanken machen, wie die Lewitz 9 am besten zu verteidigen wäre. Es sollte auch einer der schwedischen Offiziere aus Wismar (die von Siggelkow angeworben waren) zu Rate gezogen werden. Auch mit Caselitz, der gute Verbindungen im Lande hätte, und mit dem Kammerrat Faber, der früher in Neustadt Amtmann gewesen war, sollte sich Tilly wegen der Landesdefension bzw. wegen eines Landesaufgebots beraten. Caselitz hatte im Lande fleißig agitiert und eine mehrere Bogen umfassende Liste zusammengestellt, die die Namen all derer enthielt, die zu einem Aufgebot bereit waren. Auch Geld und Lebensmittel konnte Caselitz aus verschiedenen Städten zusammenbringen. Tilly selbst folgte den Anordnungen seines Herrn von Danzig aus nur widerwillig; so kam er dem Wunsche Carl Leopolds, einen von Caselitz als Feind Carl Leopolds bezeichneten ritterschaftlichen Einnehmer aus dem Amt Gadebusch zu verhaften, nicht nach, sondern versuchte zusammen mit Oertling, dem Direktor des Hofgerichts, zu beweisen, daß man dazu bei den herrschenden Umständen nicht in der Lage wäre. Überhaupt war Tilly gegen ein Landesaufgebot, weil er meinte, daß sich Bauern und Bürger damit nicht abgeben würden „und liederliches Armes Gesindel müste unterhalten werden, wozu sie ja Keinen Vorrath hätten". 10 Aber die Antwort Carl Leopolds darauf war (1729), die Förster nach Schwerin zu beordern und mit ihnen das Aufgebot zu besprechen, da diese am besten dazu zu gebrauchen wären. Doch Tilly und Faber sprachen sich dagegen aus und meinten, daß es am günstigsten wäre, wenn der Herzog zurückkäme, das heißt, der Herzog sollte nur alles selber machen. Es war dabei zweifellos ihre unausgesprochene Absicht, eine Versöhnung zwischen den Brüdern herbeizuführen. Ganz deutlich wagten sie ihre Meinung nicht zu sagen, da ihnen das Mißtrauen ihres Herzogs bekannt war, der Tilly immer wieder angewiesen hatte, selbst auf die vertrautesten Personen, wie beispielsweise Siggelkow, ein wachsames Auge zu haben. Außerdem war ihnen bekannt, daß der General von Vietinghoff nach seiner Entlassung aus der Haft dem Herzog in Danzig geraten hatte, sich zu unterwerfen, und dafür für „verworren im Kopfe" erklärt worden war. 11 In Danzig befaßten sich neben dem Herzog selbst vorwiegend der Forstmeister Neuendahl, der Proviantmeister Kracht und der Schuster Trannau mit der Vorbereitung des Aufstandes, während Schröder, Tiedemann und Wolff die Schreiben aufsetzten und Verhandlungen mit den fürstlichen Beauftragten in Wien und Regensburg sowie mit der Regierung in Dömitz führten. 8

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Es handelte sich um die Schwester Carl Leopolds, die 1708 den preußischen König Friedrich I. geheiratet hatte, aber beim Tode Friedrichs von Friedrich Wilhelm I. wieder nach Hause geschickt worden war. Die Lewitz ist ein sumpfiges und waldreiches Gebiet südlich des Schweriner Sees. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIV, Bl. 200. Spezifikation Tillys. Schreiben Carl Leopolds v. 22. Mai 1728.

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Die zahlreichen Unruhen im Lande bedauerte Carl Leopold (1730). Aber auf den Vorschlag Tillys, die Umtriebe im Lande gemeinsam mit den Lüneburger Truppen zu bekämpfen, reagierte er mit einem glatten Nein. So etwas sei völlig unmöglich, noch dazu, wo der Kaiser selbst Hannover nicht mehr als Kommissionsmacht anerkenne. Nur dann, wenn man überall im Lande Fuß gefaßt hätte und sich wehren könnte, wäre es möglich, die Ordnung wiederherzustellen. Wenn die Feinde zur Gewalt griffen, würde es zum Generalaufgebot kommen, worauf die treuen und rechtschaffenen Leute vorbereitet sein müßten. Um dieses Unternehmen durchzuführen, kehrte Carl Leopold selbst wieder nach Mecklenburg zurück. Mit nur wenigen Begleitern fuhr er von Danzig ab, landete auf Fischland und begab sich mit einem Wagen nach Schwerin, wo er am 8. Juni 1730 eintraf. Unterwegs wurde der Herzog erkannt, und die Nachricht von seiner Rückkehr verbreitete sich in Windeseile im ganzen Lande. Der Regierungsrat Wolff und der Forstmeister Neuendahl waren schon einige Tage früher eingetroffen und hatten sich nach Dömitz begeben. Beim Adel rief die Ankunft des Herzogs große Bestürzung hervor. Einige von ihnen, wie beispielsweise von der Lühe zu Panzow, von Halberstadt zu Gottesgabe und von Barner zu Bülow, zogen es vor, zunächst einmal aus dem Lande zu gehen und sich den weiteren Verlauf der Dinge von fem anzusehen.12 Die Städte dagegen fragten an, ob sie zur Rückkehr des Herzogs gratulieren könnten. Sie wurden zum 15. Juni eingeladen. Nach der Glückwunschzeremonie trug der Herzog den Bürgermeistern vor, daß es nötig wäre, daß von den Städten sich dauernd Deputierte in Schwerin aufhielten. Außerdem wurde den Städten zugemutet, eine „reelle Probe von ihrer Freude über die glückliche Rückkunft des Herzogs zu Tage" zu legen. 13 Die Städte bewilligten daraufhin 25000 Rthl., die in zwei Raten an den Herzog gezahlt wurden. Im Juni 1730 fand auch das Jubelfest anläßlich der 200jährigen Wiederkehr der Augsburger Konfession statt. Der Herzog benutzte die Gelegenheit, um mit einem von ihm vorgeschriebenen Gebet, das mit kraftvollen Ausdrücken auf die Lage im Lande einging, auf seine Untertanen einzuwirken. Alle Geistlichen erhielten den Befehl, die Anzüglichkeiten gegen fremde Glaubensgenossen zu unterlassen und ihre Predigten vorher an die Regierung einzusenden. Die Städte und auch die Geistlichkeit waren über die Rückkehr des Herzogs ehrlich erfreut. Sie hofften auf den Herzog, dem es sicher möglich sein würde, ihre harte Bedrückung durch die Exekutionstruppen zu lindern. Dabei dachten sie allerdings in der Mehrzahl eher an einen Ausgleich Carl Leopolds mit seinem Bruder als an eine gewaltsame Auseinandersetzung, die der Herzog im Sinn hatte. Erst die bald folgenden Ereignisse belehrten sie, daß ein bewaffneter Kampf bevorstand. Die Ritterschaft beriet auf einem eigens dazu einberufenen Konvent, wie sie sich zur Rückkehr des Herzogs verhalten sollte. In Anbetracht des im Lande umherschwirrenden Gerüchts von einem Ausgleich des Herzogs mit dem Kaiser erschien 12 13

Klüver, H. H., a. a. O., Bd VI, S. 7. Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 3 0 - 3 1 .

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es nicht angebracht, den Herzog einfach zu ignorieren. Doch zu einem Glückwunschschreiben konnten sich die Ritter ebenfalls nicht entschließen, weil sie die Einstellung des Herzogs ihnen gegenüber natürlich genau kannten und sich keiner als Überbringer hergeben wollte. So zogen sie sich mit einem Entschuldigungsschreiben an die Schweriner Regierung aus der Affäre, in dem sie erklärten, daß sie nicht kämen, weil sie nicht geladen seien. Die Räte antworteten darauf am 17. Juli und versicherten ihnen die Gnade des Herzogs, wenn sie wie die Städte zu ihm kämen.14 Aber die Ritter kamen nicht, sondern hielten sich nach wie vor bei allen ihren Beschwerden an die Kommission. Auch Christian Ludwig sandte an seinen Bruder ein Glückwunschschreiben und ließ es durch einen märkischen Adligen (mecklenburgische Adlige wagten es nicht, sich zum Herzog zu begeben) nach Schwerin überbringen. Doch dieser wurde gar nicht vorgelassen und erhielt erst nach zweitägiger Wartezeit einen groben Antwortbrief, aus dem eindeutig hervorging, daß jegliche Verständigung zwischen den beiden Brüdern ausgeschlossen war. Der Herzog Carl Leopold ging sogar noch weiter in seinem Haß. Er äußerte häufig, daß weder Christian Ludwig noch dessen Sohn Friedrich der Regierung würdig wären. Er wolle ihnen, wenn er ihrer habhaft werden könnte, die Köpfe vor die Füße legen. Angeblich waren sogar Jäger bestellt, die Christian Ludwig bei der Jagd fangen sollten.15 Man vermutet, daß die Geliebte des Herzogs, die „Wolffrädtin", den Herzog in diesen Absichten unterstützte und bestärkte. Sie hoffte, nach dem Tode der Herzogin 18 , der schon genannten russischen Prinzessin, als legitime Ehefrau Carl Leopolds anerkannt zu werden. Sie hatte dem Herzog zwei Söhne geboren, von denen der älteste, Emanuel, genannt Manchen, die Thronfolge übernehmen sollte.17 Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Rückkehr des Herzogs die Unruhe im Lande erheblich verstärkte. Besonders die Bürger der kleinen Landstädte wurden dazu ermutigt, ihren begonnenen aktiven Widerstand gegen den Adel fortzusetzen. Auch bei der Bauernschaft kann man einen zunehmenden Widerstand nachweisen, besonders im Zusammenhang mit der Lewitz-Affäre. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Schwerin entfaltete der Herzog eine fieberhafte Tätigkeit. Es ist nicht ganz klar, ob er sofort mit einer kühnen Aktion das ganze Land in Aufruhr bringen und die Herrschaft zurückerobern wollte oder ob sein Unternehmen als eine Art Generalprobe gedacht war. Wahrscheinlicher ist letzteres. Carl Leopold versuchte sich einen Überblick zu verschaffen, wie weit er sich auf seine Untertanen stützen konnte und wie die Kommissionstruppen reagieren würden. Seine erste Maßnahme bestand darin, sofort in Schwerin die Wachen zu verdoppeln, die Zugbrücke dauernd hochgezogen zu halten und nur wenige zur Audienz zuzulassen. Allen Pächtern und Amtleuten wurde insgeheim befohlen, schnellstens einige Pferde ohne Entgelt nach Schwerin zu schicken, um damit eine Eskadron 14 15 16 17

Klüver, H.H., a. a. O., Bd VI, S. 3 8 - 4 1 . Protokoll über Brade, LHA Schwerin, Act. diff., Vol. LI. Die Herzogin starb am 25. Juni 1733 in St. Petersburg. Vgl. das Protokoll über Brade, der angab, „die von der Wolffrähtin intendirte Succession ihres Sohnes mit zum Stande" bringen zu wollen. LHA Schwerin, Act. diff., Vol. LI.

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beritten machen zu können. Sattler, Schuster und Riemer waren pausenlos beschäftigt, das nötige Zaumzeug herzustellen. An Bürger und Bauern wurden Befehle erlassen, sich bereit zu halten und Waffen herzustellen. Die Bauern fertigten Stangen an und richteten Sensen gerade. Die Tätigkeit blieb den Subdelegierten und der Kassedirektion nicht verborgen. Sie suchten sich dadurch zu sichern, daß sie unter Androhung schwerer Strafen allen Bauern die Teilnahme an einem Aufgebot verboten. Zahlreiche Amtmänner wurden nach Rostock vorgeladen und mußten sich zum Gehorsam verpflichten. Gleichzeitig verlangte man von ihnen, auf die Schulzen einzuwirken und sie ebenfalls zum Gehorsam anzuhalten. Etwa eine Woche nach der Ankunft des Herzogs in Schwerin wurden unter dem Vorwand, die Jagd Carl Leopolds in der Lewitz zu sichern, 40 Mann nach dem Jagdhaus Friedrichsmoor geschickt. Gleichzeitig rückte der Kapitän de Lisle mit 50 Reitern (von denen allerdings nur 6 beritten waren) nach Banzkow aus und vertrieb die Lüneburger Besatzung, die aus dem Fähnrich Roth und drei Mann bestand. Die beiden Dorfausgänge wurden befestigt und mit fünf Schweriner Feldstücken besetzt. Auf gleiche Weise wurde das in der Nähe von Banzkow liegende Dorf Goldenstädt von einem Leutnant, einem Fähnrich und 30 Mann eingenommen; die sich dort befindenden drei Dragoner wurden vertrieben.18 Gleichzeitig wurden die Untertanen des fürstlichen Amtes Neustadt durch den Amtsschreiber Warnecke angewiesen, sich an einem bestimmten Tage „mit Sensen, Äxten und Gräbern" in der Lewitz einzufinden, um dort angeblich Gräben in Ordnung zu bringen. Ob den Schulzen und Bauern der eigentliche Zweck ihres Zusammenkommens bekannt war, ist nicht nachzuweisen; aber es ist durchaus möglich, daß sie darüber orientiert waren. Es kamen etwa 300 bis 400 Bauern aus den Dörfern Steinbeck, Spornitz, Brenz, Dutzow, Blievendorf, Stolpe, Wöbbelin und Lüblow nach Banzkow. 19 Außerdem fanden sich dort die gesamte Bürgerschaft des Städtchens Crivitz sowie Förster und Jäger ein. Insgesamt waren also etwa 500 bis 600 Mann zur Verteidigung von Banzkow aufgeboten. Die Kommission ergriff sofort Gegenmaßnahmen und beauftragte den Wolfenbütteler Major von Sommerlade, die verlorenen Plätze wieder einzunehmen. Dieser kam am 21. Juni mit 260 Mann und 60 Dragonern in Plate (eine halbe Meile von Banzkow) an. Am folgenden Tag rückte er vor Banzkow und forderte den mecklenburgischen Offizier auf, das Dorf zu räumen. Der Kapitän de Lisle bat um eine gewisse Bedenkzeit, um Verhaltungsmaßregeln aus Schwerin einzuholen. Doch aus Schwerin kam keine Antwort. De Lisle weigerte sich, Banzkow zu räumen. Sommerlade befahl den Angriff, der mit gefälltem Bajonett ausgeführt wurde und zur leichten Eroberung führte. Es gab sechs Verwundete und einen Toten. Die Bürger und Bauern flüchteten, trafen aber dabei auf die Wolfenbütteler Dragoner und wurden kräftig verprügelt. Zahlreiche Gewehre wurden erbeutet. Der Kapitän de Lisle und seine Truppen wurden nach Schwerin eskortiert. Auf ähnliche Weise wurde auch Goldenstädt eingenommen. Die dort befindlichen Bauern ergriffen die Flucht.20 18 19 20

Klüver, H.H., a. a. O., Bd VI, S. 8 - 1 0 . LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, II, A 16. Klüver, H. H., a. a. O., Bd VI, S. 8 - 1 0 .

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Die Kommission ging jetzt so vor, daß sie möglichst alle Anführer des Unternehmens zu arretieren versuchte. Das waren vor allem sämtliche Schulzen der beteiligten Dörfer, der Bürgermeister von Crivitz und zahlreiche Förster. Die Gefangenen, wozu auch der Amtsschreiber Warnecke zählte, wurden nach Rostock gebracht und dort auf eigene Kosten in Arrest gehalten. Alle Verhafteten stammten aus dem Amt Neustadt, das bei der Kommission als das unruhigste Amt in Mecklenburg galt. 21 Das wurde der Tätigkeit des späteren fürstlichen Kammerrats Faber zugeschrieben, der ein ergebener Anhänger des Herzogs war. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, den Schulzen Geicke aus Spornitz zu verhaften. Geicke galt als einer der Schlimmsten im Amte. Als zwei Mann den Schulzen am 29. Juli arretieren wollten, eilten sofort zahlreiche Dorfbewohner herbei und befreiten ihren Schulzen, wobei die beiden fast totgeschlagen wurden. Daraufhin wurde der neu eingesetzte Amtsschreiber Streubel von der Kommission beauftragt, die Spornitzer „Rädelsführer" zu verhaften (3. Aug. 1730). Die Bauern erfuhren davon und stellten Feldwachen aus. Der Schulze selbst hielt sich in Parchim verborgen. Daraufhin wurde ein Kommando von 20 Mann in Marsch gesetzt; Wagen für den Abtransport der „Rädelsführer" wurden bereitgestellt. Auch hiervon erfuhren die Spornitzer, zogen sofort die Sturmglocke und machten sich zur Verteidigung bereit. Doch die verhältnismäßig große Zahl der Soldaten veranlaßte die Bauern, die Flucht zu ergreifen. Als die Truppen am 20. August morgens um 3 Uhr in Spornitz einrückten, fanden sie das Dorf zum größten Teil verlassen vor. Die Soldaten verschanzten sich auf dem Kirchhof und begannen alle Häuser zu durchsuchen. Sie gingen dabei ziemlich rücksichtslos vor. Sie verprügelten Bauern und hinterließen eine ziemliche Unordnung. Dies wurde selbst von der Kommission in einem Bericht vom 12. Oktober 1730, der diese Handlungen rechtfertigen sollte, zugegeben. Dagegen wurden Grausamkeiten, die nach Behauptung Carl Leopolds ausgeübt worden waren, wie zum Beispiel das Anlegen von Daumenschrauben, das Herauswerfen von Bauern aus ihren Häusern, das Schlachten des Viehs und das Verprügeln einer hochschwangeren Frau, abgestritten. Zwei Bauern und zwei Knechte wurden ergriffen. Man versuchte diese der Teilnahme zu überführen, wogegen sie heftig protestierten.22 Es gelang nicht, den Schulzen Geicke zu ergreifen. Die anderen Arretierten wurden nach einiger Zeit gegen die Versicherung, sich nicht mehr an militärischen Aktionen des Herzogs zu beteiligen, wieder entlassen. In der Stadt Crivitz und den am Aufgebot beteiligten Dörfern wurde eine große Anzahl Soldaten einquartiert. Bei diesem ganzen Unternehmen, das als „Jagd in der Lewitz" bekannt ist, handelte es sich offenbar lediglich darum, die Möglichkeiten zu erkunden, die für ein allgemeines Landesaufgebot gegeben waren. Aus der Befolgung seiner Anordnungen konnte der Schweriner Herzog deutlich ersehen, daß sein Einfluß im Lande so stark war, daß er bei seinen Aktionen auf die Bürger der Landstädte und zumindest auch auf Domanialbauern rechnen konnte. Andererseits zeigte sich, daß die Exeku21 22

LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, II, A 16. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, IX, 22. Die Kommission verfaßte zu ihrer Rechtfertigung einen „Glaubhaften Bericht" vom 12. Okt. 1730. Vgl. Klüver, H.H., a. a. O., Bd VI, S. 9 2 - 9 4 .

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tionstruppen außerordentlich schnell reagierten und die Gefahr, die ihnen aus Schwerin drohte, in ihrem ganzen Umfang erkannt hatten. Der Widerstand der Spornitzer Bauern gegen die Lüneburger Truppen ist ein weiteres charakteristisches Merkmal für die zunehmende Intensität des aktiven Widerstandes der Bauern. Die gesamten Auseinandersetzungen um die Dörfer Banzkow und Goldenstädt war aber eindeutig nur gegen die Kommissionstruppen gerichtet. Der Adel wurde davon nicht betroffen. Die Bauern der Ritterschaft waren nicht daran beteiligt und vermutlich auch nicht aufgeboten. 23 Auch in anderen Landstädten bestand die Neigung, sich an einem Aufgebot zu beteiligen. Die aus Schwerin zurückkehrenden Bürgermeister wirkten in ihren Städten meistens im Sinne des Herzogs. Am deutlichsten zeigte sich dies in Gadebusch. Dort wurden die Stadttore geschlossen und Wachen aufgestellt. Der Bürgermeister Rassow gab für den Fall eines Angriffs Schießbefehl.24 Nach dem Scheitern der Lewitz-Affäre legte sich allerdings die Aufregung sehr schnell wieder. Die Unruhe in Gadebusch und die aktive Beteiligung von Crivitz waren für die Kommission der Anlaß, ein Schreiben an alle Landstädte zu richten, in dem diese ermahnt wurden, sich solcher Unternehmungen, wie sie die Crivitzer Bürgerschaft durchgeführt hatte, zu enthalten. Man müßte sonst mit ihnen wie mit Ruhestörern verfahren. Dieses Schreiben sollte in allen Städten ausgehängt werden. Alle Städte erklärten in ihren Antwortschreiben ihren Respekt gegenüber der Kommission, bekannten sich jedoch zu ihrem regierenden Landesherrn. Die mehr im Osten des Landes liegenden Städte Ribnitz, Marlow, Tessin, Neukahlen, Gnoyen, Stavenhagen, Prenzlin, Waren, Röbel, Malchow, Teterow u. a. kamen der Aufforderung der Kommission nach und hängten das Schreiben aus. Die mehr westlich liegenden Städte Neubukow, Gadebusch, Sternberg, Grabow und Bützow dagegen teilten der Kommission in übereinstimmenden Schreiben mit, daß sie sich nur dem regierenden Landesherrn verpflichtet fühlten. In diesen Städten wurde das Schreiben der Kommission nicht ausgehängt. 25 Diese Stimmung in den Städten versuchte der Herzog auszunutzen und ließ von seinem Regierungsrat Wolff ein Schreiben aufsetzen, das die Städte als Vorlage für 23

24 25

In einer in den Jahren 1956/57 erschienenen Arbeit über die Geschichte der mecklenburgischen Landwirtschaft wird dieses Unternehmen als „einziger Bauernaufstand Mecklenburgs" bezeichnet. In diesem Aufstand sollen die Bauern gegen die ritterschaftlichen Truppen bewaffnet ins Feld gezogen sein, wobei sie „von demselben Wunsch erfüllt" waren, „den bereits zwei Jahrhunderte vorher die Bauern in dem großen Bauernkrieg hatten, sie wollten einen neuen Staat mitschaffen helfen, in dem der Bauer eine ihm zustehende Stellung einnimmt". (Schulz, K. R., Geschichte der mecklenburgischen Landwirtschaft, II. Teil, in: Wiss. Zeitschr. d. Univ. Rostock, 6. Jg., 1956/57, mathemat.naturwiss. Reihe, H. 3, S. 466.) Der Verfasser befindet sich mit dieser Meimung m. E. in einem Irrtum, der auf einer Überschätzung der ganzen Affäre und des Bewußtseins der Dominialbauern beruht. Während er der Lewitzjagd etwa 25 Zeilen widmet, hat er für das viel bedeutendere Landesaufgebot nur ganze 5 Zeilen übrig. LHA Schwerin, Wolfenbütteler Kommissionsakten, II, A 18. Ebenda.

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ein Schriftstück benutzen sollten, das alle Streitigkeiten zwischen den Städten und der Ritterschaft behandelte. Der Herzog wollte es vermutlich als Beilage für seine Berichte an den Kaiser oder den Reichstag verwenden. Doch den Städten erschien die Ausdrucksweise als zu grob, und sie änderten sehr viel, was den Herzog arg verstimmte. Um die Städte noch enger als bisher an sich zu binden, suchte Carl Leopold die Bürgermeister der Vorderstädte, Busse, Lemke und Storch, die schon Hofräte waren, zu veranlassen, seine Ratgeber zu werden und ihm einen Eid als fürstliche Räte zu leisten. Doch die Bürgermeister lehnten dieses Ansinnen ab, weil sie der Sicherheit der Stellung des Herzogs nicht vertrauten, wie Franck andeutet. 26 Mit dieser Ablehnung kündigte sich schon der spätere Abfall der Vorderstädte Parchim Güstrow vom Herzog an. Die Bürgermeister der Vorderstädte, Busse, Lemke, Vick und Storch, wurden einige Monate lang in Schwerin zurückgehalten, um mit ihnen ein gemeinsames Vorgehen gegen den Adel und die Kommissionstruppen zu beraten. Doch sträubten sich diese, ohne Hinzuziehung der anderen Städte definitive Beschlüsse zu fassen. So wurde auf fürstlichen Befehl zum 8. November 1730 ein Städtekonvent nach Schwerin ausgeschrieben. Aus den meisten Städten erschienen Deputierte. Die Verteter der Vorderstädte trugen vor, daß die Städte mit dem Herzog gemeinsame Sache gegen den Adel machen sollten, weil die Ritterschaft „alle bürgerliche Nahrung zu sich gezogen". 27 Außerdem sollten sich die Städte verpflichten, 106 Last Roggen nach Schwerin zu liefern. Die Städte machten bei der Bewilligung dieser Getreidelieferung einige Schwierigkeiten. Sie behaupteten, daß bereits zahlreiche Bürger den Ratsbedienten bei der Eintreibung früherer Lieferungen gedroht hätten. Die Verhandlungen zogen sich bis zum 11. November hin und endeten zunächst damit, daß die Lieferung verweigert wurde. Auch von einem Vorgehen gegen den Adel und die Lüneburger wollten die Deputierten der Städte nichts wissen. Doch da griff der Herzog persönlich in die Verhandlungen ein und bestellte fünf Deputierte aus den kleinsten Städten zu sich aufs Schloß. Er trug ihnen vor, daß es gar nicht seine Absicht sei, „daß die Städte sollten auf die Lüneburger offensive zu gehen, und mit ihnen chargiren; sondern die Bürger, samt den Bauren, solten sich nur an einem gewissen Ort, wohin es verlanget würde, einfinden. Wenn solches geschehen, so könte der Hertzog, durch schriftliche Vorstellungen an erforderlichen Orten, seine Gerechtsame und des Landes kläglichen Zustand desto kräftiger behaupten, damit fremde Potentaten bewogen würden, dem Hertzoge beyzutreten, und zu verhüten, daß nicht desperation dazu schlüge; hierzu verlange der Hertzog nur das Korn." 28 Mit den fremden Potentaten war offenbar Preußen gemeint. Es gelang dem Herzog tatsächlich, mit solchen Überredungskünsten die Städte zu beruhigen. Die Kornmenge wurde auf die einzelnen Städte aufgeschlüsselt. Den meisten Deputierten wurde daraufhin gestattet, wieder nach Hause zurückzukehren, dagegen mußten die Bürgermeister der Vorderstädte noch bis zum Januar Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 3 7 - 3 9 . " Franck, D., a. a. O., Bd. XVIII, S. 40 u. 4 1 . 28 Ebenda, S. 42. 26

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1731 bleiben. Von Januar an waren in Schwerin noch sechs Deputierte aus sechs Städten, die von allen Städten gemeinsam unterhalten werden sollten. Charakteristisch für die Haltung Carl Leopolds gegenüber den Bauern ist es, daß in Schwerin nur gelegentlich Vertreter der Bauern anwesend waren, etwa in Gestalt der Dorfschulzen. Den Bauern sandte man lediglich Befehle zu, in denen ihnen bestimmte Lieferungen diktiert wurden. Die Kommisssion befürchtete mit Recht, daß sich der Herzog mit seinem mißglückten Unternehmen in der Lewitz nicht zufriedengeben würde. Diese Befürchtung wurde durch zahlreiche Denunziationen und Gerüchte über die Vorgänge in Schwerin bestärkt. Man versuchte deshalb zunächst, durch die Vorladung von Förstern und Schulzen einer Befolgung von Befehlen aus Schwerin entgegenzuwirken. 29 Die Dörfer rund um Schwerin wurden mit 15 Kompanien Soldaten belegt, deren Aufgabe es sein sollte, alle Aktionen von Schwerin aus sofort im Keime zu ersticken. Der Verkehr von und nach Schwerin wurde kontrolliert und ständig behindert. Carl Leopold fühlte sich dadurch bedroht und ließ Feldwachen ausstellen, als ob Feindseligkeiten ausgebrochen wären. Die Lüneburger drohten damit, diese Feldwachen auszuheben. Es wurden auch mehrere Arretierungen vorgenommen, beispielsweise der Wache eines Jagdhauses in der Lewitz. Förstern, die nach Schwerin unterwegs waren, wurden ihre Gewehre abgenommen. Besonders empfindlich zeigten sich die Subdelegierten in Rostock über die selbstbewußten Antworten einiger Sfädte auf ihre Aufforderung vom Juli 1730, sich aller Unruhen zu enthalten. Sie hatten wohl nicht mit klaren Bekenntnissen zum Herzog gerechnet. Die Folge war, daß alle Bürgermeister nach Rostock zitiert wurden, wo man sie ernsthaft ermahnte. Fünf von ihnen, die Bürgermeister aus Bützow, Gadebusch, Crivitz, Sternberg und Grabow, wurden bis zu sechs Wochen in Arrest gehalten, weil sie sich zum Gehorsam gegenüber Carl Leopold bekannten. Ähnlich wurde mit allen Personen verfahren, die mit dem Herzog in Verbindung standen und in Schwerin ein- und ausgingen. 30 Im September 1730 hatten die Subdelegierten erfahren, daß der zweite Bürgermeister und andere Bürger von Bützow nach Schwerin befohlen worden waren. Nach ihrer Rückkehr vermeinte man in Rostock „gefährliche Bewegungen" zu verspüren. Carl Leopold hatte anfragen lassen, ob die Bützower Bürgerschaft treu zu ihm stünde und notfalls auf sein Verlangen mit Ober- und Untergewehr erscheinen würde. Dazu erklärten sich Rat und Bürgerschaft bereit und versprachen auch eine Lebensmittellieferung. Die Kommission befürchtete nun, daß man sich der Besatzung in der Stadt entledigen wolle. Die Deputierten wurden deshalb nach ihrer Rückkehr aus Schwerin nach Rostock zitiert, doch leisteten sie der Aufforderung nicht Folge. Daraufhin schickte man eine Kompanie Soldaten nach Bützow, die sie gefangennehmen sollte. Doch die Bützower Bürger sperrten die Stadttore, und die gesuchten 29

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Klüver, H. H., a. a. O., Bd VI, S. 32—35. Bei Klüver finden sich die zahlreichen, von Carl Leopold ausgesandten Berichte für den Regensburger Reichstag über die Verhältnisse in Mecklenburg und einige Rechtfertigungsschreiben der kaiserlichen Kommission. Ebenda, S. 8 8 - 9 1 u. 9 4 - 1 0 0 u. 103.

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Deputierten konnten nach Schwerin entkommen. In vielen anderen Städten aber konnten sich die von den Lüneburgern gesuchten Personen nicht in Sicherheit bringen, sondern wurden ergriffen und häufig gefesselt nach Rostock gebracht. Am 1. Oktober ereilte zum Beispiel drei Crivitzer Bürger dieses Schicksal. Da wegen des nahenden Winters die Einschließung von Schwerin durch größere Truppenverbände nur schwer aufrechtzuerhalten war, wurden am 8. November 1730 eine Reihe neuer Maßnahmen befohlen, die das Land gegen jegliche Aktionen des Herzogs sichern sollten.31 Die Truppen wurden für den Winter so in die einzelnen Städte verteilt, daß besonders im westlichen Teil des Landes genügend Kräfte zur Verfügung standen, um in den Städten die Ruhe aufrechtzuerhalten und der umliegenden Ritterschaft besser und schneller zur Hilfe eilen zu können. Von der Infanterie kamen zwei Kompanien nach Parchim, eine Kompanie nach Gadebusch, eine Kompanie nach Sternberg und je eine halbe Kompanie nach Crivitz und Neustadt. Vor Schwerin blieb lediglich „ein zulänglich Commando Dragoner, um die darige Guarnison zu observiren". 32 Außerdem wurden in den Städten Parchim, Crivitz, Neustadt, Hagenow, Wittenburg, Gadebusch, Brüel, Bützow und Warin Dragoner einquartiert, die beständig Patrouillenritte unternehmen mußten. 33 Für Reisen nach Schwerin wurde ein Paßzwang eingeführt. Wenn man auch im allgemeinen keine Schwierigkeiten bei der Ausgabe von Passierscheinen nach Schwerin machte, so bedeutete diese Maßnahme doch eine gewisse Verschärfung der Kontrolle. In allen Städten und mehreren Dörfern rund um Schwerin, aber auch in Rostock und Bützow wurden Paßkontrollen eingerichtet, während an allen nach Schwerin führenden Straßen Kontrollposten aufzogen. Als besonders gefährlich und unruhig wurden von der Kommission die Städte Sternberg, Neustadt, Crivitz, Bützow und Grabow eingeschätzt. Zwar waren die Bürgermeister auf ihre Versicherung, sich künftig ruhig zu verhalten und sich an keinen Aktionen gegen die Lüneburger Truppen zu beteiligen, auf freien Fuß gesetzt worden, doch traute man diesen Versprechungen nicht. Deshalb versuchten die Kommissionstruppen — meistens mit Erfolg —, die Bürger der genannten Städte zu entwaffnen. Alle diese Gegenmaßnahmen der Kommission konnten den Herzog und seine Ratgeber in Schwerin nicht beirren. Sie hielten an ihrem alten Plan fest, durch ein gewaltsames Unternehmen die Macht in Mecklenburg wiederzugewinnen. Allerdings traten bei der Vorbereitung zunächst noch gewisse Schwierigkeiten auf. Die angeworbenen Offiziere, die die Fragwürdigkeit der ganzen geplanten Aktion erkannten, wollten nicht mehr mitmachen und nahmen ihren Abschied oder desertierten. Dazu gehörten auch Dreier und de Lisle, die Befehlshaber des LewitzUnternehmens vom Juni 1730. Die Lustlosigkeit der Offiziere wurde noch dadurch verstärkt, daß sie ihren Sold sehr unregelmäßig erhielten. Auch unter den Truppen 31

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R A Rostock, Streit mit dem Herzog K a r l Leopold, A II. Klüver,H.H., a. a. O., Bd V I , S. 104. Eine Verstärkung der Lüneburger Truppen im Lande und die Einnahme v o n Schwerin und Dömitz hatte der Kaiser f ü r den Fall zugestanden, daß der Herzog Feindseligkeiten beginnen würde. Droysen, J. G., a. a. O., Bd I V , 3, S. 97.

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machten sich in den Jahren 1730 bis 1732 Anzeichen von Ungehorsam und Uneinigkeit bemerkbar. Das betraf besonders die in der Lewitz stationierten Gruppen, die sich in ihrer Haut nicht wohlfühlten, weil sie sich dauernd von der Lüneburger Übermacht bedroht sahen. Im August 1730 wurde der Befehlshaber in der Lewitz, Leutnant Reich, abgelöst und durch Major Beselin ersetzt. Carl Leopold mußte außerdem noch mehrere Male seine Soldaten zum Gehorsam ermahnen.34 Die geringe Anzahl der Offiziere und die UnZuverlässigkeit der Truppen veranlaßten den Herzog, sich bei seinen Vorbereitungen weitgehend auf Zivilisten zu stützen. Die militärischen Berater waren Leutnant Dreier (bis zu seiner Desertation) und Generalmajor Tilly; daneben aber übten der Kanzlist Tiedemann, der Proviantmeister Kracht, der Forstmeister Neuendahl und der Schuster Trannau einen sehr starken Einfluß auf den Herzog aus.35 Auch der Regierungsrat Wolff und der Präpositus Siggelkow wurden nach wie vor zu Beratungen hinzugezogen. Während der Jahre 1730 bis 1732 waren dauernd Beauftragte des Herzogs unterwegs, um die Stimmung im Lande festzustellen, für die Einhaltung der versprochenen Geld- und Getreidelieferungen der Städte zu sorgen und die Bürger zum Gehorsam gegenüber der Schweriner Regierung anzuhalten. Anscheinend wurden die Ergebnisse dieser Reisen dem Herzog und seinen Ratgebern hauptsächlich mündlich übermittelt; denn es findet sich nur ein einziger schriftlicher Bericht in den betreffenden Akten. 38 Dieser Bericht stammt von dem schon genannten Johann Hermann Keding und wurde am 11. September 1731 verfaßt. Keding hatte den Auftrag, festzustellen, „wie insonderheit die 5 Städte Ribnitz, Marlow, Tessin, Sültz und Gnöyen Bey der hienechst geschehenden Vorkommenheit ins Gewehr zu Bringen" seien, und geeignete „Mitt-Commandeurs und Subalterns" vorzuschlagen. Keding hatte die Städte bereist und glaubte, daß sich auf fürstlichen Befehl etwa 1000 Mann erheben würden. Als günstigsten Sammelplatz schlug er Sülze vor. Für Ribnitz hielt er die Bürgermeister Krüger und Hagen als Anführer geeignet und meinte, auch in den anderen Städten entsprechende Befehlshaber finden zu können. Interessant ist es, daß Keding seine Berichterstattung nicht auf die Städte allein beschränkte, sondern ein verhältnismäßig anschauliches Bild der Möglichkeiten gab, die bei der Landbevölkerung zu erwarten waren. Er war der Meinung, daß die Bauern der fürstlichen Ämter dem Befehl der fürstlichen Amtleute folgen und sich nach dem Beispiel der Städte richten würden. Auch von den Bauern des Adels glaubte Keding, daß sie als Leibeigene nur schlecht für die Ritter kämpfen würden, wie es bei der Sülzer Affäre, von der bereits berichtet wurde, geschehen war. Es war für ihn ziemlich sicher, daß die Bauern sogar ihren Protest gegen die Tyrannei des Adels und die Unerträglichkeit der Hofdienste dadurch zum Ausdruck bringen würden, daß sie ihre Gewehre gegen den Adel richten oder zumindest nicht schießen würden. Man müßte nur den Bauern 34

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LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. I, XIV, Verhör Tillys. An drei Stellen in der Lewitz befanden sich auch nach dem Lewitz-Unternehmen noch Schweriner Kommandos. Verhör Brades, LHA Schwerin, Act. diff., Vol. II. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. I.

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klarmachen, daß sie dem Landesherm mehr zu gehorchen hätten als ihrem Gerichtsherrn. Keding glaubte, daß die Adligen durchaus nicht alle gegen den Herzog stünden, sondern daß sich viele passiv verhalten würden. Aus dem gleichen Bericht geht hervor, daß das Aufgebot bald erfolgen sollte, das heißt im Jahre 1732. Die gleiche Aufgabe wie Keding hatte der Ribnitzer Bürger Kalckhorst in den westlichen Städten Mecklenburgs übernommen. Er wurde in Grevesmühlen auf Veranlassung des Drosten von Lützow verhaftet. Kalckhorst bestritt zwar alles, was ihm zur Last gelegt wurde 37 , aber seine Mission war dennoch klar und eindeutig festzustellen. Gleichzeitig kann man aus dem Verhör sehr gut ersehen, wie weit die Kommission über die Vorbereitungen Carl Leopolds informiert war. Der Plan des Herzogs 38 selbst lief darauf hinaus, möglichst viel Bürger und Bauern gleichzeitig zum Aufstand zu veranlassen, um mit dieser Übermacht die Lüneburger Besatzungstruppen vernichtend zu schlagen oder zur Flucht zu zwingen. Sämtliche Garnisonsstädte sollten in einer Nacht überraschend angegriffen werden. Es war geplant, insgesamt etwa 60000 Personen aufzubieten, die dann nach Vertreibung der Lüneburger Truppen die Linie von der Elbe bis Gadebusch zum Schutz gegen Gegenangriffe von Hannover aus besetzen sollten. Gleichzeitig war beabsichtigt, diese Linie anschließend so schnell wie möglich durch neu angeworbene Truppen besetzen zu lassen. Unterstützung bei der Truppenwerbung sollte von fremden Staaten kommen. Daß sich dieser utopische Plan nicht verwirklichen ließ, trat bald klar zutage. Es war eine Unmöglichkeit, in Mecklenburg 60 000 Mann aufzubieten. Ein neuer Plan aus dem Jahre 173237 nahm sich deshalb auch schon viel bescheidener aus, was die mögliche Truppenzahl anbetrifft. Er sah nur noch 21370 Mann vor, wobei den Zahlen die Berichte der einzelnen Beauftragten im Lande zugrunde gelegt waren. Bei den Bauern hoffte man auf eine zahlreiche Teilnahme. Man rechnete damit, daß aus jedem fürstlichen Dorf 20 Mann und aus jedem adligen Dorf oder Gut 10 Mann dem Aufgebot folgen würden. 40 Man schätzte also den Haß der leibeigenen Bauern gegenüber ihren Herren nicht so stark ein, daß er zur Erhebung aller Bauern führen würde. Die 21370 Mann sollten 9 Divisionen bilden, die auf bestimmte Gebiete in Mecklenburg verteilt waren, mit bestimmten Sammelplätzen und genauen Marschanweisungen. Als „Chefs" der Divisionen und Unterkommandeure waren dem Herzog ergebene Leute vorgesehen, die einen besonderen Treueeid geleistet hatten. Interessant ist, daß die Berufsoffiziere unter ihnen nur eine Minderheit bildeten. Die meisten Kommandeure waren Bürgermeister, Jäger, Unteroffiziere und Bürger. Die erste Aufgabe sollte darin bestehen, die Garnisonstädte der Lüneburger Truppen zu erobern. Das waren Rostock, Güstrow, Bützow und vor allem Parchim. In allen Städten wurden „Insinuanten" bestimmt, die dafür verantwortlich waren, daß die benötigten Mannschaften ordnungsgemäß aufgebracht wurden. 37 38 39 40

Verhör Kalckhorsts, StA Hannover, Han. 9 g, I K , Nr 4. Verhör Tillys, LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIV. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. I. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. I. Selbst diese Zahlen erwiesen sich als zu hoch.

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Gleichzeitig wurden Aufgebotspatente vorbereitet. Diese Patente wurden bereits zum Ende des Jahres 1732 fertiggestellt. Dazu mußten Schweriner Drucker extra ins Schloß umziehen, um die Geheimhaltung sicherzustellen. Insgesamt wurden 5600 Exemplare benötigt, die am Ende des Jahres bereitlagen und in die nur noch das Datum und die genaue Anschrift einzusetzen waren. Ein Teil der Anschrift wurde gleich mitgedruckt, zum Beispiel „An die gesammte Bauernschaft des Dorfes NN", „An die Sämblich Einlieger des Dorfes NN", „An den Pensonarium und Pachtmann zu NN", „An den Einhaber des Guhts NN", „An den Schulzen des adeligen Guhts NN", „An die gesambte Bauernschaft des adeligen Guhts NN", „An den Bürgermeister und Rath zu NN" usw. 41 In einer Instruktion vom Oktober 1732 wurden noch einmal die wichtigsten Punkte für das Landesaufgebot zusammengefaßt: 1. Die hauptsächlichste „Force" sollte sein, daß die Feinde in „denen qvartiren coupiret" werden. 2. Die Hälfte der feindlichen Truppen würde desertieren, wenn dies gelingen würde. 3. Die Ritter würden sich bei den ersten Erfolgen des Aufgebots in zwei Parteien teilen. Ein Teil von ihnen würde bestimmt zum Herzog übertreten. Die Bauern und Einlieger der geflüchteten Ritter würden sich dann auch ohne Zweifel dem Aufgebot anschließen. 4. „Bey der Wahrenschen und Sültzer affairen konte ohndem der anfang am füglichsten seyn, wenn Contumacer personne Magistratu eingeholet und die Lüneburger solches verwehren wolten." Auch für die Verpflegung der Aufständischen war Sorge getragen. Bis ins einzelne war festgelegt, wieviel Gelder und Naturalien jedes adlige oder fürstliche Gut und jede Stadt aufbringen sollte.42 Bei der Betrachtung dieser Pläne für die Wiedergewinnung der Landesherrschaft zeigt sich auf der einen Seite deutlich eine sorgfältige und exakte Vorbereitung in organisatorischer Hinsicht, aber andererseits muß man über die Naivität und Blindheit des Herzogs und seiner Ratgeber staunen, die die Möglichkeit, daß jederzeit so viel Truppen aus dem benachbarten Hannover einrücken konnten, wie zur Niederschlagung des Aufstandes benötigt wurden, einfach ignorierten. Gegenteilige Hinweise von Tilly und anderen wurden mit dem Bemerken abgetan, daß Hannover mit keinen neuen Truppen in Mecklenburg einrücken würde. Der Grund für diese Ansicht ist vermutlich darin zu sehen, daß man glaubte, die Kommission sei erloschen und der Kaiser oder andere Mächte würden ein Eingreifen nicht zulassen.43 41

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Ebenda. In den Exemplaren „ A n den Einhaber des Guths" war für die Gutsherren noch ein Generalpardon hinzugefügt, wenn sie sich drei Wochen nach Zustellung des A u f g e bots persönlich beim Herzog einfinden würden. Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 79. L H A Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. I. Verhör Raisers, ebenda, Vol. X I V ; Generalrelation der Untersuchungskommission, ebenda.

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Auch um die Bewaffnung der Aufständischen machte man sich Sorgen. Der Wunsch aller Beteiligten war es, mit Gewehren ausgerüstet zu werden. Carl Leopold ließ durch den Präpositus Siggelkow das Versprechen abgeben, die benötigten Gewehre bereitzustellen. Doch in Wirklichkeit wurden keine Gewehre angeschafft. General Tilly wies zwar den Herzog wiederholt auf die Notwendigkeit hin, die Aufständischen mit Gewehren zu bewaffnen, doch Carl Leopold meinte, daß Piken (18 bis 20 Fuß lang) besser wären. Als Begründung gab er an, daß auch die schwedische und russische Infanterie solche Piken führte. Allen Vorstellungen seiner Ratgeber gegenüber, die darauf hinwiesen, daß man mit einer solchen Bewaffnung nichts gegen die Gewehre der Lüneburger Truppen ausrichten könnte, blieb der Herzog taub. So wurden dann unter dem Vorwand, sie für Bau- und Reparaturarbeiten zu gebrauchen, einige tausend Eschenlatten für die Piken nach Schwerin gefahren. Für weitere Pikenstangen wurden im Werderholz bei Schwerin Buchen geschlagen. Die Pikenspitzen wurden vorwiegend in Lübeck und zum geringeren Teil auch in Schwerin hergestellt. Auch in der Festung Dömitz wurde ein größerer Vorrat an Piken angelegt. 44 Da sich die Herstellung dieser Waffen längere Zeit hinzog, verschob sich der Aufstandsbeginn entgegen der ursprünglichen Absicht auf das Jahr 1733. Wie schon gesagt wurde, konnte sich Christian Ludwig als Administrator im Lande in keiner Weise durchsetzen. Weder die Ritterschaft noch die bisherigen kaiserlichen Konservatoren unterstützten ihn. Der Regensburger Reichstag hatte sich auf die Intervention Hannovers und Wolfenbüttels hin gegen die Maßnahmen des Kaisers vom Jahre 1728 gewandt. Die von Carl Leopold im Lande publizierten Patente sorgten dafür, daß auch die übrige Bevölkerung sich ihnen gegenüber ablehnend verhielt. Erst allmählich trat hier eine Änderung ein. Dazu trug entscheidend der Ausgleich der Spannungen zwischen England und dem Kaiser bei, der in dem Wiener Vertrag von 1731 zum Ausdruck kam.45 Für die Mecklenburger Angelegenheit hatte das zur Folge, daß der Kaiser sämtliche Einwände Englands und auch Preußens gegen die Einsetzung Christian Ludwigs als Administrator an seinen Reichshofrat verwies und diesen um ein Gutachten ersuchte. Zwischen den Höfen war vereinbart worden, statt der Administrationsregierung eine neue Kommission zu bilden, die Christian Ludwig übertragen werden sollte.46 44 45

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L H A Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, V o l . X I V , Verhör Tillys. In diesem Vertrag versprach der Kaiser, die 1722 ins Leben gerufene Handelsgesellschaft von Ostende aufzulösen und den Handel von diesem belgischen Küstenplatz aus einzustellen. Dafür garantierte England die Pragmatische Sanktion. Auch Holland und Spanien traten dem Vertrag bei. Parma wurde Spanien überlassen. Näheres darüber siehe bei Erdmannsdorf er, B., a . a . O . , Bd II, S. 416—420; vgl. auch die ausführliche Darstellung bei Naumann, M., a. a. O., S. 86ff. u. 131 f. In England hat man zeitweise daran gedacht, Carl Leopold wieder zu seinem Herzogtum zu verhelfen. Vgl. das Schreiben Georgs an Carl Leopold v. 20. Febr. 1731, in welchem er den Schweriner Herzog um Parition gegenüber dem Kaiser ersuchte und um einen Bericht binnen zwei Monaten bat, um ein Gutachten an den Kaiser verfassen zu können. Doch in seiner Antwort v. 11. April 1731 versuchte Carl Leopold lediglich nachzuweisen, daß der Kaiser mit seinem Verfahren im Unrecht wäre. Damit verpaßte der Herzog eine

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Das Gutachten des Reichshofrates wurde am 1. September 1732 vorgelegt und am 30. Oktober 1732 als kaiserliche Resolution veröffentlicht. Der Reichshofrat war offenbar sehr verstimmt darüber, daß seine frühere Entscheidung über die Administrationsregierung in Mecklenburg stillschweigend vom Kaiser und von den Reichsständen aufgehoben worden war; denn es fehlte bei der Reichshofratsentschließung die übliche Klausel „Ihro Kayserl. Maj. haben gehorsamsten Reichs-Hofraths Gutachten allergnädigst approbiret". Die kaiserliche Resolution bestimmte im einzelnen: Wegen der Unruhe im Lande und der Widersetzlichkeit Carl Leopolds wurde Christian Ludwig eine neue kaiserliche Kommission übertragen. Christian Ludwig wurde ermahnt, die Kommissionsregierung genauso zu führen wie früher Hannover und Wolfenbüttel. Christian Ludwig sollte endlich einen Landtag ausschreiben, der schon so viele Jahre unterblieben war, und für die notwendige Kontribution sorgen. Alle Landesgravamina sollten untersucht und dem Kaiser zur Resolution vorgelegt werden. Auf dem Landtag sollte weiter der „Miliz-Punct" behandelt werden, das heißt die Herstellung der Sicherheit im Lande durch den Einsatz von Truppen eines an Mecklenburg nicht interessierten Reichsstandes. Wenn der Landtag für die nötige finanzielle und materielle Sicherstellung dieser Truppen sorgte, sollten alle bisherigen Exekutionstruppen abziehen, allerdings mit Ausnahme von 300 bis 400 Mann, die zur Sicherstellung der Schuldenabzahlung im Lande bleiben müßten. Auch wurden die Exekutionskosten neu festgesetzt. Sie beliefen sich für Hannover auf 789856 Rthl. und für Wolfenbüttel auf 268750 Rthl. Das waren über 1000000 Rthl., eine ungeheure Summe für das kleine Land. Als Sicherung für dieses Quantum sollten fürstliche Kammergüter dienen. Außerdem sollte die Exekutionskasse in Boitzenburg bis zur Befriedigung aller Ansprüche, einschließlich der Aufsicht über die mecklenburgischen Beamten, soweit sie mit den Einkünften des Landes zu tun hätten, unter der Verwaltung der alten Kommission bleiben. Weiter wurde Christian Ludwig angewiesen, das Justizwesen im Lande neu zu ordnen und evtl. die Stellen an den Gerichten neu zu besetzen; alle Streitigkeiten zwischen dem Herzog und den Landstädten gründlich zu untersuchen; seine Regierung dem Herkommen nach zu führen und sich mit fähigen Räten zu umgeben; dem Herzog Carl Leopold jährlich 40000 Rthl., einschließlich der Einnahmen aus Schwerin und Dömitz, zu überlassen. Zur Untersuchung von Streitigkeiten sollten mecklenburgische Räte, die notfalls von ihrem Amtseid entbunden sein müßten, herangezogen werden, ohne daß Christian Ludwig als mutmaßlicher „Successor" sich damit befaßte. Man sieht, daß die Regierung des neuen Kommissars nur auf sehr schwachen Füßen stand. Er sollte sich zwar eigene Truppen anschaffen, aber das Geld für die Anwerbung und die Mittel für den Unterhalt der Truppen mußten erst noch bewilligt werden, was bei der Haltung der Ritterschaft, die selbst große Geldforderungen angemeldet Gelegenheit, seine Herrschaft zurückzuerhalten, und England wurde in dem Glauben bestärkt, daß eine neue Kommissionsregierung notwendig sei. Die Briefe befinden sich im LHA Schwerin, Act. diff., Vol. II.

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hatte, durchaus nicht sicher war. Die gesamten Einkünfte des Landes blieben unter der Aufsicht der alten Konservatoren, so daß Christian Ludwig selbst über kein Geld verfügte. Und dazu lag auf dem Lande die ungeheure Schuldenlast. Daneben durfte der neue Kommissar auch die Macht Carl Leopolds im Lande nicht unterschätzen. Es dauerte nicht lange, da rührte sich der Herzog wieder. Er veröffentlichte am 15. Dezember 1732, das heißt nur kurze Zeit, nachdem er die kaiserliche Resolution vom Oktober erhalten hatte, ein langes Patent an seine Untertanen, das von allen Kanzeln des Landes verlesen wurde. 47 In diesem Schriftstück wurde noch einmal mit Nachdruck auf die Reichsgesetze hingewiesen, die das gesamte Verfahren gegen ihn untersagten. Alle Untertanen wurden aufgerufen und ermahnt, nur ihm, dem rechtmäßigen Herzog, die Treue zu wahren. Mit der kaiserlichen Resolution vom Oktober 1732 war Christian Ludwig aber noch nicht endgültig als Kommissar eingesetzt. Er mußte vorher noch (laut kaiserlicher Verfügung vom 20. Febr. 1733) bestimmte Reversalen nach Wien schicken, in denen er die genaue Einhaltung der kaiserlichen Vorschriften gelobte. Im März 1733 richtete er ein entsprechendes serviles Schreiben an den Kaiser. Erst nach Eingang dieses Schreibens wurde die Kommission bestätigt (am 28. April 1733).48 Die Ritterschaft sah ein, daß sie sich auf die Dauer nicht gegen Christian Ludwig sträuben konnte, da ihre starke Stütze England-Hannover ebenfalls mit der neuen Kommission einverstanden war. Sie hoffte jedoch, daß der Reichshof rat ihre Gravamina anerkannte, bevor der neue Kommissar sein Amt angetreten hatte, von dem sie Schwierigkeiten erwartete. Ihre Beschwerden, die vor allem den Kontributionsmodus und den Schadenersatz betrafen, lagen seit Jahren beim Reichshofrat vor, ohne daß dieser bisher eine Entscheidung getroffen hatte. Um diese Entscheidung noch vor der endgültigen Bestätigung der neuen Kommission herbeizuführen, fuhr der Landrat von Plüskow nach Wien. Seine Bemühungen waren nicht umsonst. Es gelang ihm tatsächlich, am 23. März eine Resolution des Reichshofrates zu erhalten. Für die Kontribution sollte der Hufenmodus von 1628 bestehenbleiben. Das bedeutete, daß alle in fürstlichen Besitz übergegangenen Güter für die Ritterschaft Steuern zahlen mußten. Für die Städte blieb der Erben- und Hufenmodus bis zu einem gütlichen Ausgleich zwischen Ritterschaft und Städten in Kraft. Ebenfalls wurde die Wiedergutmachung der in den Jahren 1713 bis 1719 durch Carl Leopold verursachten Schäden festgelegt. Für die von Carl Leopold eingetriebene Kontribution und die Administration von Adelsgütern wurden 40950 Rthl. 383/4 ß festgesetzt. Die Schadenssumme für alle übrigen Forderungen wurde auf 303049 Rthl. 45 ß taxiert und „gemäßiget". Die Rechtmäßigkeit dieser Summen mußte von den Gutsherren beschworen werden. Für die Tilgung dieser Gelder sollte der Landkasten aufkommen. Zusätzlich wurden der Ritterschaft noch 7000 Rthl. bewilligt „zu ihrer specialen Disposition und Bestreitung derer unbenannten Posten", worüber Belege eingesandt werden sollten. 47 48

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LHA Schwerin, Impressa Vol. VI, Carl Leopold, Fase. 4. Die Originalurkunde über die Einsetzung Christian Ludwigs befindet sich im RA Rostock, Streit mit dem Herzog Karl Leopold, Vol. D XVII. Wiek, Absolutismus

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A m 13. April fiel die Entscheidung über Rostocks Forderungen. Der Reichshofrat bestimmte, daß der Schweriner Vergleich von 1715 und dessen spätere Ratifikation von 1716 ungültig seien. Die Privilegien der Stadt wurden bestätigt. Die Schadensrechnung Rostocks wurde anerkannt und sollte aus dem Landkasten bezahlt werden. Der frühere Vertrag mit Friedrich Wilhelm vom Jahre 1702 wurde ebenfalls aufgehoben. Aufstellungen über die Kosten der Einquartierung sollten vorgelegt werden. Damit hatte auch Rostock seine Ansprüche durchgesetzt. Nach diesen Resolutionen, die der Ritterschaft und Rostock in allen ihren Forderungen entgegenkamen, und nach dem Schreiben Christian Ludwigs an den Kaiser, alle seine Befehle getreulich zu befolgen, erfolgte die endgültige Einsetzung Christian Ludwigs als kaiserlicher Kommissar. A m 18. Juni 1733 beendete die alte kaiserliche Kommission anscheinend endgültig ihre Tätigkeit in Rostock mit einer feierlichen Abschieds Veranstaltung. Die beiden Subdelegierten hielten ihre Abschiedsreden. Der Landmarschall von Lützow, der im Auftrage des engeren Ausschusses sprach, dankte für die große Hilfe, die die Kommission der Ritterschaft erwiesen habe, und bat auch um „künftige protection Von Mecklenbg. Ritter- und Landschafft, auch der Stadt Rostock. . , " . 4 9 Als Vertreter der fürstlichen Regierung (d. h. Carl Leopolds) nahm der Konsistorialrat Carmon an dieser Veranstaltung teil. Doch bedeutete diese Abschiedsveranstaltung keineswegs, daß die Subdelegierten Rostock sofort verließen und Hannover und Wolfenbüttel allen Einfluß auf Mecklenburg aufgaben. Wie in der kaiserlichen Resolution vom Oktober 1732 festgelegt war, blieb die Exekutionskasse bestehen, und bis zur Übernahme kommissionseigener Truppen blieben alle Lüneburger Soldaten zum Schutz des neuen Kommissars und seiner Regierung im Lande. Man rechnete nicht mit einem baldigen A b z u g ; denn die Truppen hatten gerade Weisung erhalten, sich für weitere sechs Monate mit Proviant zu versehen. 50 Für den Schweriner Herzog waren die kaiserliche Resolution vom April 1733 und die Beendigung der Tätigkeit der Subdelegierten in Rostock Anlaß zu erhöhter Aktivität. Jetzt mußte sich zeigen, ob die Bürger und Bauern noch hinter ihm standen oder ob sie dem neuen kaiserlichen Kommissar folgen würden. A m 29. April wurden von Schwerin aus Schreiben an die Bürgermeister der Städte Parchim, Crivitz, Gadebusch, Rhena, Grevesmühlen, Neubukow, Kröpelin, Brüel und Sternberg gesandt. Ihnen wurde befohlen, sich nur nach den Manifesten des Herzogs zu richten, keinen Befehlen der Kommission zu gehorchen und Material über Ausschreitungen der Lüneburger beizubringen. Als Antwort auf die kaiserliche Resolution richtete Carl Leopold am 23. Mai 1733 ein Manifest an seine Untertanen. In diesem von allen Kanzeln verlesenen Schriftstück wird Christian Ludwig als „schändliche Mißgeburth" beschimpft und die kaiserliche Resolution für ungültig erklärt. Alle Untertanen sollten nur ihm, dem rechtmäßigen Herzog, gehorchen. Keiner, der den Befehlen des neuen Kommissars zuwiderhandele, habe das Geringste zu befürchten, da alle Reichsgesetze für Carl Leopold sprächen. 49

60

Ebenda, Vol. D IV. DroysenJ. G., a. a. O., Bd IV, 3, S. 221.

X I I . Versuche, die Herrschaft wiederzugewinnen

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Gleichzeitig wurde eine Verordnung an die Stadt Rostock, die Landstädte, die fürstlichen Bedienten, die „Pensonarien", Geistlichen und Getreuen der Ritterschaft erlassen, die es ihnen verbot, Christian Ludwig und seiner Kommission zu gehorchen, weil „solche Reichs-HofF-Räthliche Ausgehungen aber und was damit intendiret wird, im allergeringsten von keiner statthafft- noch gültigkeit" sei.51 Inzwischen war auch Christian Ludwig nicht müßig gewesen. Seinen Regierungssitz hatte er nach Bützow gelegt. Von dort ließ er durch Notare am 4. Juni seine Einsetzung als Kommissar in den Städten bekanntmachen. Die Räte einiger Städte, die sich gegen das Aushängen dieses Patents sträubten, wurden nicht lange gefragt, sondern die Notare hefteten das Patent selbst an den Rathäusern an. In Schwerin und Dömitz gelang ihnen dies allerdings nicht. Dort wurden sie an den Stadttoren abgewiesen. Der engere Ausschuß, der sich nun zu Christian Ludwig bekannte, schrieb zum 16. Juni einen Landeskonvent in Rostock aus, wozu zunächst (außer der Ritterschaft) nur die Stargardschen Städte eingeladen wurden. Die nicht eingeladenen Städte aus dem Schweriner und Güstrower Kreis wurden noch nachträglich zur Mitarbeit aufgefordert. Daraufhin erschienen als Vertreter der beiden zuletzt genannten Kreise die Bürgermeister der Vorderstädte Parchim und Güstrow. Man beschloß, Christian Ludwig zu seinem Amt zu beglückwünschen. Zur Delegation des Konvents gehörten auch die Bürgermeister Busse und Vick aus Parchim und Güstrow. Die Delegation wurde von Christian Ludwig und seinem Geheimen Rat Püchler, dem Nachfolger des 1732 verstorbenen Kanzlers von Klein, sehr freundlich empfangen. Als Carl Leopold von der Teilnahme Güstrows und Parchims an dem Landeskonvent in Rostock erfuhr, war er arg verstimmt. Besonders empört war der Herzog darüber, daß die Bürgermeister mit zu Christian Ludwig nach Bützow gegangen waren. Sie wurden deshalb zum 29. Juni vor die Regierungskanzlei nach Schwerin zitiert; gleichzeitig wurde ihnen mitgeteilt, daß sie im Falle des Nichterscheinens ihrer Ämter enthoben würden. Ebenso wurde in einem Schreiben an alle anderen Städte darauf hingewiesen, keine Ausschreibungen zu Städtekonventen anzunehmen. Der Parchimer Bürgermeister machte zumindest den Versuch, nach Schwerin zu gelangen; doch glückte es ihm nicht, unter Umgehung der ausgestellten Posten die Stadt zu erreichen. Er wurde angehalten und mußte (vielleicht war es ihm ganz recht) umkehren. Der Güstrower Bürgermeister versuchte es gar nicht erst, sondern blieb gleich zu Hause. Daraufhin wurden beide Bürgermeister abgesetzt. Diese Gelegenheit ergriff sogleich Christian Ludwig und bot beiden Bürgermeistern kaiserlichen Schutz und die Bestätigung ihrer Ämter an. Beide nahmen das Angebot dankend an, und Carl Leopold hatte die beiden größten und wichtigsten Städte, die bisher treu zu ihm gehalten hatten, verloren, das heißt zumindest die einflußreichen, regierenden Bürger dieser Städte. Trotzdem versuchte er noch einmal, Einfluß auf diese Städte zu gewinnen und schrieb am 7. Juli an die Stadtsprecher, die Gewerke und die Bürgerschaft der Vorstädte, daß es bei der Absetzung der 61

Klüver,H.

14*

H., a. a. O . , B d V I , S. 2 0 8 - 2 1 1 , 2 1 3 - 2 2 1 .

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XII. Versuche, die Herrschaft wiederzugewinnen

Bürgermeister bleiben sollte. Sie aber, die Bürger, sollten trotz aller militärischen Zwangsmittel ihm, dem rechtmäßigen Herzog, treu bleiben. Das Blatt würde sich wenden, und alles, was ihnen auf Grund ihrer Treue verlorenginge, würde ihnen zurückerstattet werden. Man könne „nicht Gott und Belial" zugleich dienen, hieß es in Anspielung auf Christian Ludwig. Die Bürgermeister wandten sich nunmehr an ihre früheren Gegner im engeren Ausschuß und baten um Hilfe, die ihnen auch versprochen wurde. Christian Ludwig tat ein übriges und wies die Landstädte an, den Aufforderungen zu Städtekonventen weiterhin nachzukommen. Dafür erklärten sich dann auch die Parchimer und Güstrower Bürgermeister bereit, Christian Ludwig bei einem im September vorgesehenen Landtag zu unterstützen und alle Geldforderungen für die Übernahme fremder Truppen zu bewilligen. 52 Von Schwerin aus versuchte man indessen weiterhin, die Bevölkerung gegen Christian Ludwig aufzuwiegeln und zum Gehorsam gegenüber Carl Leopold zu veranlassen. So wurde am 29. Juni ein Patent erlassen, das allen befahl, treu zum Herzog zu stehen. Die Übertragung der Kommission auf Christian Ludwig wird als „ReichsGesetz-Grundstürtzendes Blendwerck" bezeichnet.53 Am 5. August wurde ein weiteres langes Patent publiziert, das nach Aufzählung aller Ungerechtigkeiten gegenüber Carl Leopold und dem Lande allen Untertanen verbot, der Kommission Christian Ludwigs zu dienen oder deren Befehlen zu gehorchen. Am 26. August erschien ein Gegenpatent Christian Ludwigs, das verbot, die Patente Carl Leopolds anzuschlagen. So lösten sich Befehle und Gegenbefehle der beiden Brüder ab, wobei die Patente Carl Leopolds im Lande bekannt wurden, während Christian Ludwigs Befehle nur von wenigen gelesen werden konnten; denn die Geistlichkeit verlas nur Schriftstücke Carl Leopolds und weigerte sich, Befehle der Kommission oder des Kaisers vorzutragen. Am 20. März 1733 teilten die Subdelegierten dem englischen König in einem Schreiben mit, daß Carl Leopolds Manifest vom Dezember 1732 von allen Geistlichen in Stadt und Land verlesen worden sei. Darauf erfolgte ein scharfes Verbot des Kaisers, das jedoch überhaupt keine Wirkung hatte. Auch schärfere Maßnahmen, wie die Einquartierung von Truppen in die Häuser der Superintendenten und deren Gefangensetzung, nützten nichts. Die Geistlichkeit stand treu zu ihrem Summus Episcopus. Versuche, der Ritterschaft ergebene Pfarrer einzuführen, blieben ohne Erfolg. Eher blieben die Pfarrstellen unbesetzt. Einen besonderen Streich spielte Carl Leopold seinem Bruder dadurch, daß er nach dem Tode seiner Gemahlin (gest. Juni 1733) eine Änderung der Fürbitte im Kirchengebet vornehmen ließ, in dem Christian Ludwig und dessen Familie künftig ausgelassen wurde. Eine ähnliche Haltung nahmen zahlreiche Bürgermeister und Schulzen ein. Dabei machte auch Rostock im großen und ganzen keine Ausnahme. Als die Subdelegierten dem Rostocker Rat befahlen, das Manifest vom Dezember 1732 herauszugeben, weigerte sich dieser und verlangte Aufschub, um sich mit der Bürgerschaft bespre62 63

Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 6 3 - 6 4 , 6 9 - 7 3 u. 75. L H A Schwerin, Impressa Vol. VI, Carl Leopold, Fase. 4.

XII. Versuche, die Herrschaft wiederzugewinnen

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chen zu können. Die Subdelegierten verfügten daraufhin, daß der Rat nicht eher von der Stelle weichen dürfe, bis die Manifeste und alle Originalschreiben des Herzogs herausgegeben wären. Trot2 der Drohung, „force zu gebrauchen", wurde die Herausgabe weiterhin verweigert. Erst als Truppen einzugreifen drohten, wurden die Manifeste ausgeliefert. Doch beschloß man, dem Herzog darüber zu berichten. Auch spätere Patente wurden vor dem Rat verlesen, wenn auch deren Aushängung wegen der Anwesenheit zahlreicher Truppen in Rostock nicht möglich war. 54 V o r die neue Kommission wurden zahlreiche Schulzen und Domänenpächter zitiert, um sie über die kaiserlichen Patente zu belehren und sie zu veranlassen, alle Patente und Manifeste Carl Leopolds abzugeben. Diese Vorladungen, die im August vorgenommen wurden, erwiesen sich als vollkommen erfolglos. Die Schulzen behaupteten meistens, nichts von Patenten Carl Leopolds zu wissen oder gehört zu haben. Auch an die Städte erging die Verordnung, alle Befehle Carl Leopolds abzuliefern und nur die Schriftstücke Christian Ludwigs auszuhängen. Doch war es häufig so, daß niemand von den Bürgermeistern oder vom Rat in den Städten aufzufinden war, wenn Befehle der Kommission überbracht wurden. Die Bürger selbst entfernten aber auch keine von den Kommissionsbeauftragten angehefteten Schreiben, sondern überließen das den im Auftrage Carl Leopolds umherreisenden Leuten, die jedes kaiserliche Patent entfernten und dafür ein herzogliches anhefteten. 55 Eine weitere Möglichkeit, die Manifeste Carl Leopolds in die Hand zu bekommen, bestand in einer immer genaueren Überwachung der Ein- und Ausfahrtstraßen Schwerins. Im Grunde genommen war Schwerin bereits eingeschlossen, nur daß keine offensichtlichen Feindseligkeiten vorkamen und ein gewisser Verkehr stattfand. Trotz genauer Überwachung gingen die Beauftragten des Herzogs mit den Patenten und Manifesten ein und aus, ohne in die Hände der um Schwerin stationierten Soldaten zu fallen. Die Ausgabe von Pässen für Reisen nach Schwerin wurde zwar immer mehr eingeschränkt, es gelang aber trotzdem zahlreichen Personen, Pässe zu erhalten, um vor allem Getreide nach Schwerin zu verkaufen, da in Schwerin die Preise etwas höher lagen. 56 Christian Ludwig berichtete die ganze Zeit über fleißig dem Kaiser über die V o r gänge in Mecklenburg und ersuchte ihn um die Vollmacht, gewaltsam gegen alle Störversuche Carl Leopolds vorgehen zu können. A m 7. September 1733 erließ der Kaiser eine Resolution, in der er alle Maßnahmen gegen den Schweriner Herzog billigte und einer Übernahme von Truppen aus Württemberg zustimmte. Gegen alle widersetzlichen Personen sollte scharf vorgegangen werden. Die von Carl Leopold abgesetzten Bürgermeister Parchims und Güstrows sollten unter den besonderen Schutz der Kommission gestellt werden. Superintendenten, die sich nicht nach den Anweisungen richteten, sollten so lange von ihrem Amt suspendiert werden, bis sie versprächen, sich den kaiserlichen Verordnungen zu fügen. Alle Personen, die Patente oder Manifeste verbreiteten, sollten arretiert werden. Unverzüglich sollte 64 65 66

RA Rostock, Streit mit Herzog Karl Leopold, Vol. G V. Vgl. die Untersuchungsprotokolle, LHA Schwerin, Act. diff., Vol. LV. Klüver,H.H.,

a. a. O., Bd VI, S. 164.

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XII. Versuche, die Herrschaft wiederzugewinnen

der Landtag stattfinden, wobei den Städten das Erscheinen anbefohlen werden sollte. Bei Nichterscheinen der Städte sollte der Kommissar den Landtag ohne sie abhalten lassen. Auf dem Landtag sollte beschlossen werden, wohin die Justizkollegien verlegt werden konnten. Alle Patente Carl Leopolds an seine Untertanen sollten annulliert werden. Diese Verfügung des Kaisers erreichte jedoch ihren Empfänger nicht mehr vor dem allgemeinen Landesaufgebot. Sie ist nur ein Beweis für die Bestrebungen Christian Ludwigs, sich im Lande durchzusetzen. Unabhängig von diesem kaiserlichen Befehl hatte Christian Ludwig, dem früheren Drängen des Kaisers folgend, am 14. August 1733 einen Landtag nach Sternberg zum 23. September ausgeschrieben. Jetzt mußte sich zeigen, ob alle Landstände hinter dem kaiserlichen Kommissar standen oder ob das Ansehen und die Macht des „regierenden Herzogs" den Landtag verhindern konnten. Die Ritterschaft war sehr mit der Abhaltung eines Landtages einverstanden, befürchtete aber, daß in Sternberg, in nicht allzu großer Entfernung von Schwerin, durch gewaltsame Aktionen von Schwerin aus ihre Sicherheit bedroht werden könnte. Sie beschloß auf ihrem Konvent in Rostock, den Kommissar darum zu ersuchen, den Landtag hinter den sicheren Mauern von Rostock abzuhalten. Christian Ludwig billigte dieses Ersuchen und bat den Kaiser, ihm ebenfalls zuzustimmen. Doch inzwischen hatte Carl Leopold eine Gegenmaßnahme ergriffen und seinerseits ebenfalls zum 16. September einen Landtag ausgeschrieben, der auf dem Berge vor Schwerin abgehalten werden sollte. Es ging das Gerücht um, daß sich 30 Vertreter der Ritterschaft und die Deputierten der Städte einfinden wollten. Außerdem wurden den Ratgebern Christian Ludwigs Nachrichten übermittelt, daß in Schwerin eine Anzahl Offiziere und Mannschaften bereit ständen, um den Sternberger Landtag zu stören. Sie sollten „die Land-Stände . . . massacriren und den Hn. Hertzog Commissarium gefänglich nach Dömitz . . . bringen" 87 . Auf dieses Gerücht reagierten die Lüneburger Truppen mit einer verschärften Postierung um Schwerin. 200 Dragoner und 320 Mann Infanterie hielten Schwerin eingeschlossen, und zwar war der Einschlußring von der Fähre (südlich des Schweriner Sees beim Einfluß der Stör) über Mues, Zippendorf, Görries, Wittenförden, Lankow, Neumühle und Medewege gezogen. Die zwischen den Dörfern liegenden „Hölzer waren verhauen von einem Dorf zum andern". 58 Zwischen den Seen waren Gräben gezogen. Es sollte völlig unmöglich gemacht werden, daß Personen ohne Kontrolle nach Schwerin gelangen oder aus Schwerin herauskommen konnten. Die Verpflegung der Truppen mußte von den fürstlichen Bauern dieser Dörfer übernommen werden. Aber selbst diese gründliche Absperrung nützte nichts: Die Beauftragten des Schweriner Herzogs gingen nach wie vor ins Land und bereiteten das Aufgebot vor. " Ebenda, S. 270. 68 Ebenda, S. 271.

KAPITEL XIII

Das Landesaufgebot

Im Sommer 1733, vermutlich im August, nachdem Christian Ludwig sein Amt als kaiserlicher Kommissar übernommen und einen Landtag ausgeschrieben hatte, fand im Schweriner Schloß eine Konferenz statt, an der neben dem Herzog der Regierungsrat Wolff, der General Tilly, der Generaladjutant Raiser und der inzwischen zum Hauptmann ernannte Keding teilnahmen. Beratungsgegenstand war das allgemeine Aufgebot. Schon vor der Ernte hatte der Herzog darauf gedrungen, mit dem Aufstand zu beginnen, doch hatten besonders Tilly und Keding davon abgeraten, so daß bis dahin kein endgültiger Termin festgesetzt worden war. Inzwischen hatte man in Schwerin ausreichende Mengen Getreide gelagert, und auch die Eschen- und Buchenlatten waren mit den aus Lübeck gelieferten Eisenspitzen zu Piken verarbeitet worden. Die Berichte der Beauftragten Carl Leopolds gaben kein ungünstiges Bild; sie sagten aus, daß ein großer Teil der Bürgerschaft aus den Landstädten bereit war, einem Aufgebot Folge zu leisten. Bei der Landbevölkerung meinte man nicht so viele Umstände machen zu brauchen. Es wurden Schulzen und Pächter nach Schwerin zitiert, über die Stimmung ihrer Bauern befragt und mit dem Befehl, sich bei Erlaß eines Aufgebotspatents zu stellen, wieder entlassen. Eine dauernde Verbindung mit diesen Vertrauensmännern wurde durch Förster und andere, häufig berittene Boten, unterhalten. Trotz aller getroffenen Vorbereitungen waren Tilly, Raiser und Keding der Meinung, daß die zur Verfügung stehenden Kräfte für einen Aufstand gegen die Lüneburger Truppen zu schwach wären. Erst Anfang September beugten sich Raiser und Keding dem herzoglichen Befehl und erklärten sich zum Aufgebot bereit. Tilly erhob immer noch Einwendungen und wurde deshalb zunächst von der Teilnahme ausgeschlossen, das heißt nicht mit dem Oberbefehl beauftragt, wie es ursprünglich beabsichtigt war, sondern zum Kommandanten von Schwerin ernannt. Oberbefehlshaber wurde der Generaladjutant Hinrich Günther Raiser. 1 Sein Stell1

Raiser wurde 1683 in Stade geboren. Seit seinem 9. Lebensjahr lebte er in Wismar, wo sein Vater zuerst Kanzlist bei der schwedischen Regierung und später Sekretär beim Tribunal war. Er selbst wurde zunächst Gerichtsaktuarius in schwedischen Diensten, trat dann in schwedische Kriegsdienste und wurde bis zum Rittmeister und Oberadjutanten befördert. 1713 geriet er in Tönningen in Gefangenschaft und blieb 41/2 Jahre auf holsteinischen Festungen in Haft. Anschließend wurde er Haus- und Stallmeister bei dem

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XIII. Das Landesaufgebot

Vertreter wurde Hauptmann Keding. Auch die Zahl der wahrscheinlich dem Aufgebot Folge leistenden Männer war geringer als ursprünglich vorgesehen. Wie aus dem erhalten gebliebenen Taschenbuch Raisers hervorgeht, war er Oberkommandierender über fünf Korps mit insgesamt 10240 Mann.2 Die schon seit vielen Monaten bereitliegenden Aufgebotspatente wurden mit dem Datum des 7. September 1733 versehen und an die für die Verteilung vorgesehenen Leute ausgegeben. Neben dem Aufgebotspatent wurde ein „General-PardonsPatent" vom Herzog erlassen. Dieses Patent besagte, daß allen, die sich bisher von Carl Leopold abgewandt hätten, ein Generalpardon gewährt würde, wenn sie sich innerhalb von drei Wochen für das Aufgebot zur Verfügung stellten. Jeder der fünf Korpskommandeure erhielt eine besondere Instruktion, in der die Städte und Dörfer aufgeführt waren, die seinem Befehl unterstanden und in denen Bewaffnete aufgeboten werden sollten. Im übrigen waren alle Instruktionen inhaltlich gleichlautend. So erhielt Leutnant Graber, Befehlshaber des 3. Korps, die Instruktion, das Amt Doberan, die Stadt Kröpelin und die Rostocker Dörfer aufzubieten. Die zusammengebrachte Mannschaft sollte er sofort kampfbereit aufstellen, die „Piquinerirer" ins vordere Glied und die Gewehrträger ins hintere Glied. Dabei sollten Offiziere und Unteroffiziere eingeteilt werden. Er sollte seine Mannschaft zu Abteilungen und Zügen formieren; mit diesen Einheiten sollte exerziert werden. Besonders nachts wäre äußerste Wachsamkeit erforderlich. Jeder der Aufständischen sollte für 14 Tage Verpflegung mit sich führen. Requirierungen waren nur gegen Abgabe einer Quittung gestattet. Alle Lüneburger Truppen, denen man begegnete, sollten stets sofort angegriffen und entwaffnet werden. Das ganze Korps sollte zu dem vereinbarten Treffpunkt marschieren und dort weitere Befehle des Oberkommandierenden abwarten. Auf diese Weise sollte sich allmählich die gesamte Kampfkraft der Aufständischen zusammenballen. Alle Leute sollten bei guter Disziplin zusammengehalten werden. Jegliches Plündern war untersagt. Bei der Beschlagnahme von Wagen durfte den Eigentümern kein Leid angetan werden. Alles sollte später zurückerstattet werden. Alle Korps sollten nach Schwerin marschieren. Zum allgemeinen Aufstandstag wurde der 13. September bestimmt. An diesem Tage, einem Sonntag, ließ der Herzog von allen Kanzeln ein vermutlich von ihm selbst verfaßtes schwülstiges Gebet verlesen, das den Sieg für sein Unternehmen erflehte. In der Nacht vom 6. zum 7. September wurden 16 Personen mit einem Schiff über den Schweriner See aus Schwerin herausgebracht und etwa 12 km weiter nördlich am Ufer abgesetzt. Unter ihnen befanden sich Raiser, Keding, Graber, der Bürgermeister Eckhorst aus Goldberg, der Hofjäger Knebusch, der Bürgermeister Cappehl aus Tessin, der Schuster Trannau aus Grabow, der Proviantmeister Kracht u. a. 3

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kaiserlichen Gesandten, dem Grafen v. Fuchs, in Hannover. Daneben betätigte er sich von Hamburg aus als Sekretär im Lande Hadeln. 1728 oder 1729 trat er auf Empfehlung in die Dienste Carl Leopolds, wurde Generaladjutant und als Rat einige Male mit diplomatischen Missionen betraut. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIV. Siehe LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. X I V : Verhör Tillys. Diese Gruppe erhielt zur Bestreitung ihrer Unkosten 180 Rthl. Vgl. ebenda, Militaría, Casse, Vol. X V .

XIII. Das Landesaufgebot

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In der Nacht vom 9. zum 10. September verließ eine zweite Gruppe Schwerin und durchfuhr mit einem Schiff die Umklammerung. Zu dieser Gruppe gehörten die Kommandeure der mehr in der Nähe Schwerins gelegenen Ämter. Es waren die Oberjäger Meckel und Thiede, der Küchenmeister Suhr, Rudolph Caselitz, der Kornett Restorff, der Ratsherr Pauli aus Grabow u. a., insgesamt 11 Personen. 4 Auf der anderen Seite des Sees standen an einer verabredeten Stelle Pferde bereit, und die Aufgebotspatente gelangten ungehindert in das ganze Land. Auf dem Lande waren es vor allem die Förster, die von einem Dorf zum anderen ritten und die Bauern aufforderten, dem Aufgebot Folge zu leisten. In den Städten wurde das Patent ausgehängt, und die Bürgermeister oder andere einflußreiche Bürger drängten zum Aufbruch. Das Aufgebotspatent wurde im allgemeinen nicht sehr freudig aufgenommen. Trotz der Abneigung gegenüber den fremden Truppen und dem Haß gegen zahlreiche Gutsbesitzer und von der Exekutionskasse eingesetzte Domänenpächter nahmen die meisten Bauern und Bürger eine abwartende Haltung ein, wobei die Lustlosigkeit bei der Bauernschaft noch deutlicher als bei der Bürgerschaft zum Ausdruck kam. Die Gründe dafür sind in der waffenmäßigen Überlegenheit der Lüneburger Truppen, aber auch — das gilt besonders für die Bauern — in der Trostlosigkeit der Lage auf dem Lande zu suchen. Die Bauern wußten nicht, wofür sie kämpften. Eine Vertreibung der fremden Truppen zugunsten des Herzogs erwies sich allein nicht als zugkräftig genug, um sie für einen entschlossenen Aufstand zu begeistern. Trotz der bereits angeführten Beliebtheit des Herzogs waren die Bauern nicht bereit, ihr Leben für ihn zu wagen. Sie konnten mit Recht annehmen, daß auch nach einem Siege des Herzogs ihr Los sich nicht entscheidend bessern würde. Diese Haltung der Bauern trat zum Beispiel im Amt Schwerin in Erscheinung. Man sollte meinen, daß gerade die Bauern dieses Amtes besonders gern gegen die Lüneburger Truppen in den Kampf gezogen wären, da sie jahrelang die Last von Einquartierungen und Verpflegungslieferungen für die Soldaten, die um Schwerin lagen, zu tragen hatten. Doch auch sie verhielten sich sehr vorsichtig. Als fürstlicher Beauftragter ritt der Förster Flügge aus Warnitz zusammen mit dem Försterssohn Sommer aus Drieberg durch die Dörfer, rief die Bauern zusammen, verlas das Patent und forderte die Bauern auf, mitzugehen. Nur sehr wenige gingen freiwillig mit. Die Bauern von Trebbow erkundigten sich zunächst einmal bei dem Sekretär Vohrkampf auf dem adeligen Gute Rabenstück (Besitzer: von Schmettau), was sie machen sollten. Der sagte, er könne ihnen darauf auch keine Antwort geben. So beschlossen sie abzuwarten, bis man sie holen würde. 5 In Pingelshagen, einem fürstlichen Dorf, rührte sich überhaupt keiner. Erst als die Bauern des Adelsdorfes Neumark mit „piquen" durch das Dorf zogen, entschlossen sich auch die Bauern von Pingelshagen mitzugehen. Der Schulze des Dorfes kehrte wieder um, als er merkte, daß sein Knecht bereit war, auch allein mitzugehen. Die Bauern in Niemarck beschlossen, zunächst einige Knechte nach Pingelshagen zu schicken, um zu sehen,

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Klüver,H.H.,

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LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I V : Verhör des Försters Flügge, Zeugenaussagen des Leinwebers Bruhn und des Kossäten Dahl.

a. a. O., VI, S. 276-279.

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XIII. Das Landesaufgebot

was man dort mache. Flügge kam am darauffolgenden Tage wieder in die einzelnen Dörfer und konnte mit massiven Drohungen zahlreiche Bauern zum Mitgehen veranlassen. Es kursierte das Gerücht, daß Soldaten des Herzogs die Gehöfte, von denen niemand mitgegangen wäre, plündern würden. Daraufhin befolgten auch die bisher noch zögernden Bauern aus Rugensee und Wickendorf das Aufgebot. Aus anderen Dörfern, beispielsweise aus Drieberg oder Boeken, nahm niemand teil, sondern die Bauern verbargen sich irgendwo so lange, bis die Beauftragten des Herzogs wieder verschwunden waren. Aus diesen Dörfern konnten lediglich einige jüngere Männer, die gerade Pferde hüteten, für die Sache gewonnen werden. Übrigens mußte das Dorf Boeken dafür ein Regiment zwei Tage lang beköstigen. Vom Gutshof Rabenstück ging nur ein Knecht mit, obgleich der Gutsherr in großer Angst bereits alle Vorbereitungen zur Flucht getroffen hatte. Allerdings gab es auch einige Bauern, die sich bereits auf den Aufstand vorbereitet hatten. So lagen in Pingelshagen unter einem Backtrog versteckt geradegerichtete Sensen bereit. Man sieht, daß es eine ziemlich schwierige Aufgabe für den Förster Flügge war, die Bauern zusammenzuholen und bis nach Schwerin zu bringen.® Im Amt Boitzenburg hatte die Verteilung der Aufgebotspatente noch weniger Erfolg. Als Kommandant war der zweiunddreißigjährige Conrad Seeland vorgesehen7, der als Gärtnerssohn von Roggendorf nach Schwerin gezogen war und dort seinen Unterhalt mit Brauen und Brennen bestritt. Sein Wunsch war es, Lakai bei Carl Leopold zu werden. Er empfing die Aufgebotspatente am. 10. September von Caselitz, dessen Aufgabe es sein sollte, die Exekutionskasse in Boitzenburg auszuheben und Seeland den Weg zu zeigen. Aber schon bei Walsmühlen verschwand Caselitz8 (er wurde kurze Zeit später bei Walsmühlen von Lüneburger Truppen aufgegriffen). So ritt Seeland allein weiter in das Amt Boitzenburg. In einzelnen Dörfern konnte er seine Patente abgeben, andere Dörfer, zum Beispiel Schwanheide, lehnten die Annahme ab, und in einigen Dörfern hielten sich Lüneburger Dragoner auf, so daß er sich hier nicht zu zeigen wagte. In Boitzenburg hatte man von der Tätigkeit Seelands erfahren und 10 Mann ausgesandt, um ihn zu fangen. Zwar konnte man seiner nicht habhaft werden, aber Seeland kehrte nach Schwerin zurück. Einen beträchtlichen Teil seiner Patente war er nicht losgeworden. Eine seiner weiteren Aufgaben bestand darin, die Familie des Generals Tilly nach Wismar zu bringen, da dieser wackere General den Ausgang des ganzen Unternehmens schon ahnte und seine Frau nicht in den Händen Carl Leopolds zurücklassen wollte. In die Parchimschen Dörfer brachte der fünfundfünfzig jährige Wollkratzer Arend Köncker die Aufgebotspatente. Er hatte von Jugend an als Soldat in mecklenburgischen Diensten gestanden und war später entlassen worden. Im Jahre 1733 wurde er wieder als Sergeant eingestellt und, da er aus Parchim stammte, mit der Führung der Parchimer Bauern beauftragt. Er verteilte 24 Exemplare in den 8 Dörfern und brachte etwa 60 Mann zusammen. Als er mit dem Aufgebot von drei Dörfern (etwa 40 Mann) 6 7 8

Ebenda, Zeugenaussagen Siggelkow, Kloth, Olhof, Vertense, Sommer. Ebenda, Vol. X I X : Verhör Seeland. Ebenda, Vol. X V : Verhör Caselitz.

XIII. Das Landesaufgebot

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in Richtung Schwerin unterwegs war, wurde ihm bei Damm an der Eide von 14 Wolfenbütteler Soldaten der Weg verlegt, er geriet in Gefangenschaft, trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Bauern, die allerdings nur mit Forken bewaffnet waren. 9 Ob die Bauern gutwillig oder nur auf Drohungen hin mitgegangen waren, ist nicht genau festzustellen, da sich die Aussagen widersprechen. Vermutlich war es auch hier wie anderswo, daß ein kleiner Teil gutwillig mitging, während die meisten zum Mitgehen überredet oder gezwungen werden mußten. Im Amt Doberan, dessen Kommandant der Leutnant Graber war, wurden die Schulzen der Dörfer durch den Amtsverwalter Drewsen zusammengerufen, und der Leutnant Graber verlas die Patente. Der Schreiber Pflüger mußte herumreiten, um den Bauern mitzuteilen, daß Sievershagen Sammelplatz wäre. Beim ersten Mal erschien überhaupt niemand von den Bauern. Beim zweiten Mal kam nur ein Teil der Bauern; sie gingen gleich wieder nach Hause, als sie sahen, daß einige Dörfer fehlten. Erst beim dritten Mal gelang es, aus allen Dörfern Bauern zusammenzubringen (in Parkenden) und bis Kröpelin zu marschieren. Die Kröpeliner Bürger wollten jedoch erst am nächsten Tage aufbrechen, was viele Bauern veranlaßte, wieder nach Hause zu gehen.10 In den Ämtern und Städten Neukahlen, Stavenhagen, Teterow, Malchin und Penzlin, in denen man dem Oberjäger Kneebusch, dem Amtsschreiber aus Mirow, Moberg, und einem gewissen Thomsen das Kommando übertragen hatte, verlief das Aufgebot ebenfalls nicht sehr erfolgreich. Nur relativ wenige Bauern folgten dem Aufruf, und viele Malchiner Bürger erklärten, sie wollten lieber ihre Wälle und Mauern verteidigen als ausmarschieren. Diese wackeren Bürger hatten so wenig Selbstvertrauen und Mut, daß es ihnen nicht einmal gelang, die kleine Lüneburger Besatzung, bestehend aus einem Sergeanten und einigen Mann, zu vertreiben. Es kam lediglich zu einer erfolglosen Schießerei.11 Die Bürger von Gadebusch wurden von dem Ratmann Hartwig Kuberg, einem ergebenen Anhänger des Herzogs, zusammengerufen, nachdem die Bürgermeister Rassow und Wettering sich geweigert hatten, die überbrachten Aufgebotspatente anzunehmen. Kuberg gab sich große Mühe, den Aufstand in Gadebusch und Rhena zustande zu bringen. Es scheint auch eine gewisse Aufstandsstimmung unter den Bürgern geherrscht zu haben. In den Akten wird von den „dero Berauschten Bürgern" gesprochen. Doch waren die Gadebuscher ängstlich und hatten kein großes Selbstvertrauen, was für das Bürgertum überhaupt charakteristisch war. Sie versuchten zunächst zu erfahren, was die Rhenaer machen würden. Kuberg übernahm es, nach Rhena zu fahren. Dort berichtete er, daß alle Gadebuscher bereit wären, und die Rhenaer sollten nur nach Gadebusch kommen. Die Rhenaer versicherten Kuberg, wenn die Gadebuscher zu ihnen kämen, wollten sie auch mitgehen. Kuberg versprach ihnen außerdem noch, für die Entwaffnung der kleinen Torwache der Lüneburger Truppen zu sorgen. Doch die Gadebuscher änderten erneut ihren EntEbenda, Vol. XVI: Verhör Köhnker. Ebenda, Vol. XVI: Verhör Pflüger u. Engel. 1 1 Ebenda, Vol. X V : Verhör Kneebusch. 9

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Schluß und gaben ihn ganz auf, als am dritten Tage ein stärkeres Truppenkommando in Gadebusch einrückte. 12 In Rhena bestand eine verhältnismäßig große Gruppe, die häufig in Schwerin gewesen war und treu zum Herzog hielt. So hatte der Barbier Fritz den Bürgermeister Bull veranlaßt, die kaiserlichen Patente zurückzuweisen. Der Apotheker Suhr hatte die Schützenzunft aufgeboten und die Stadttore schließen lassen. Jedoch verhinderte der gleiche Suhr das Trommelschlagen zum Zusammenrufen aller Bürger, indem er die Trommelstöcke versteckte. Einzelne Bürger forderten, die wenigen Soldaten zu entwaffnen und auszumarschieren. Der als Kommandeur eingesetzte Leutnant Reiche hatte versucht, alle Bürger zum Rathaus zusammenzurufen. Da jedoch die Bürgermeister nicht kamen — angeblich wurden sie von den in ihrem Hause einquartierten zwei Dragonern daran gehindert — und außerdem plötzlich zwölf weitere Dragoner in das Städtchen einrückten, zerstreuten sich die Bürger eilends und verkrochen sich. Der Leutnant Reiche und der Küchenmeister Suhr flohen schleunigst aus der Stadt. In der Stadt Parchim war die Bürgerschaft wegen der ziemlich starken Besatzung nicht bereit, dem Aufgebot zu folgen. Doch weigerte sie sich ebenso, dem Befehl Christian Ludwigs nachzukommen, dem Wolfenbütteler Stadtkommandanten Obrist von Gröben notfalls mit Mannschaft und „Gestück" zu helfen. 13 Auch in der Stadt Güstrow blieb zunächst alles ruhig; die Anwesenheit bedeutender Lüneburger Truppeneinheiten in der Stadt verhinderten allen Aufruhr. In Grabow, einer kleinen Stadt an der Eide, gelang es, die beiden Anführer, einen Schuster und einen Färber, vor Beginn des Aufstandes gefangenzunehmen. Der Kommandeur, Schuster Trannau, konnte flüchten. Die Bürgermeister hatten sich dem Aufgebot entzogen. Einer war bettlägerig krank, der andere war nicht aufzufinden. Eine große Anzahl von Bürgern scheint aber dennoch an dem Aufstand teilgenommen zu haben; denn Grabow war einer der Sammelplätze.14 Doch in großen Teilen des Landes verlief das Aufgebot viel erfolgreicher. Besonders im Nordwesten, im Süden und zum Teil im Norden des Landes wurde dem Aufruf zum Aufstand im allgemeinen Folge geleistet. In der Stadt Kröpelin, im Norden des Landes, hatten sich die Bürger nach anfänglichem Zögern zum Abmarsch entschlossen. Allerdings waren schon viele Bauern und auch Bürger aus Doberan wieder auf dem Wege nach Hause. 12

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M

Vgl. ebenda, Vol. X V : Verhör Spahn, Nikolaus Suhr, Barbier Fritz, Tuchmacher Hagemann, Raschmacher Stender, Rheetz, Schlachter Zange, Gastwirt Groschopff; Vol. X V I : Verhöre Kuberg, Bürgermeister Wettering, Ratsherr Laurentius, Worthalter Wichmann, Goldschmidt Deters und Verwalterssohn Bühring. Aus diesen Städten gab es deshalb so viel Verhöre, weil der Landdrost v. Lützow so viele Anzeigen bei den Lüneburgern erstattet hatte und auf harte Bestrafung drängte. Bei den meisten ergab sich jedoch, daß sie aus Angst in keiner Weise schuldig geworden waren. RA Rostock, Streit mit Herzog Karl Leopold, Vol. D XVII: Befehl Christian Ludwigs v. 12. Sept. 1733. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X V I : Verhör Struve u. Gädke, Vol. III, Berichte des Kanzleirates Arpe.

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Besonders der Pastor Lüders aus Neubukow erwies sich als eifriger Anhänger des Her2ogs. Er hatte den Bauern das Abendmahl gegeben und sie zu Pferde, mit zwei Pistolen im Sattel, begleitet. 15 In Neubukow hatten sich sehr viele Bauern eingefunden, die zusammen mit den Bürgern in Richtung Schwerin aufbrachen. In dem Dorf Mecklenburg sollten sie mit den Bürgern aus den Städten Warin und Brüel zusammentreffen. Doch diese kamen nicht. So entschlossen sich die Kommandeure Leutnant Beselin, Forstschreiber Holst und Leutnant Bartels im Einverständnis mit den Bürgern von Neubukow, allein weiter nach Schwerin zu ziehen. In Schwerin versammelten sich ebenfalls am 13. September nachmittags die Garnison und die Bürgerschaft von Schwerin auf dem Marktplatz. Es wurde ihnen verkündet, daß sie am nächsten Tage die Posten rund um Schwerin vertreiben sollten. Allen Bürgern wurde befohlen, dabei mitzuwirken. Selbst einigen Gelehrten, die sich davon ausschließen wollten, wurde auf die Beschwerde anderer Bürger hin Dienst auf den Schloß- und Stadtwällen übertragen. Am Montag, dem 14. September, fanden sich etwa 400 Bürger und die Besatzung von Schwerin, bestehend aus 150 Dragonern, auf dem Platz vor dem Schloß ein. Dazu kamen noch 300 Mann Kavallerie, die angeblich General Tilly in die Stadt geführt hatte. 16 Ein Kampf fand nicht statt; denn die Lüneburger Truppen, die Schwerin eingeschlossen hielten, hatten es vorgezogen, sich vorher zurückzuziehen, so daß sämtliche Zufahrtstraßen nach Schwerin frei waren. Am 16. September traf noch eine weitere Kompanie Infanterie aus der Festung Dömitz in Schwerin ein. Am nächsten Tage rückten die aufgebotenen Bauern aus der Umgebung in Stärke von etwa 400 Mann, angeführt von Schreibern, Vögten und Schulzen, in die Stadt ein. Etwa zur gleichen Zeit oder nur wenig später kamen die Bürger und Bauern aus Neubukow und Umgebung sowie am 19. September etwa 800 Bürger und Bauern aus den Städten Goldberg und Sternberg und deren Umgebung nach Schwerin. 17 Die Sternberger rückten unter Führung ihres Bürgermeisters mit den Trommeln und Fahnen ihrer Schützenzunft in Schwerin ein und führten einige gefangene Lüneburger Soldaten mit. So verfügte Carl Leopold in Schwerin über etwa 2000 Mann, wenn man noch einige kleinere Trupps hinzurechnet, die aus südlicher Richtung nach Schwerin gelangen konnten. Einen größeren Widerhall fand das Aufgebotspatent in den südlichen Ämtern Mecklenburgs, beispielsweise in Wredenhagen, Mamitz und Kraak. Die Kommandeure waren hier die Jäger Meckel und Diede, ein gewisser Eggert, der Schuster Trannau u. a. Die Aufbietung der Bauern erwies sich in dieser Gegend als leichter, da zur Unterstützung der Kommandeure einige mecklenburgische Truppeneinheiten aus Dömitz zur Verfügung standen. Ein weiterer Vorteil war die nahe Grenze Preußens, die bei Nachstellungen ein Ausweichen ermöglichte. Ja, sogar preußische Truppen Ebenda, V o l . III: A k t e Lüdets. W o h e r die Kavallerie kam, steht nicht fest. A u c h die Behauptung, daß Tilly sie herangeführt haben soll, ist zweifelhaft. " Franck,D., a. a. O., B d X V I I I , S. 8 3 ; Klüver,H.H., a. a. O., Bd V I , S. 2 8 4 - 2 8 5 . 16 16

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beteiligten sich an der Aktion, indem sie zum Teil die Patentverteilungen an den Adel übernahmen.18 Die Bauern des Amtes Wredenhagen wurden von einem ehemaligen preußischen Soldaten namens Stapelfeld zusammengebracht. Das ganze wurde von der preußischen Stadt Meyenburg aus organisiert. Der Sammelplatz war Priborn, ein Dorf nahe der Grenze. Die ersten Aufständischen zeigten sich in dem kleinen Städtchen Röbel (bereits am 12. September), und am nächsten Tage folgten ihnen die Bauern des Amtes Dobbertin. Am 14. September versammelten sich die Bauern des Amtes Wredenhagen. Alle hatten sich irgendwie bewaffnet, wenige mit Gewehren, die meisten mit Spießen und Sensen. Die Marnitzer sammelten sich in Sukow. Der Adel war in großer Sorge und flüchtete, so schnell er nur konnte, auf preußisches Gebiet. Interessant ist es, daß die Bauern zwar ihren flüchtenden Herren „freundliche" Wünsche nachriefen, aber gar nicht daran dachten, sie anzugreifen. Der Absicht der Bauern, den Amtssitz des Amtshauptmannes von Knesebeck zu plündern, traten die Kommandeure entgegen. Das Aufgebot der Bauern wurde wirksam von den Predigern des Amtes Wredenhagen unterstützt. Sie ermahnten ihre Gemeinden, dem Aufgebot Folge zu leisten. Der Pastor aus Wipperau trat den vom Sammelplatz zurückkehrenden Bauern öffentlich entgegen und versuchte sie zurückzutreiben. 19 Die Bauern, die sich auf den Sammelplätzen Priborn und Sukow eingefunden hatten, vereinigten sich auf dem Hauptsammelplatz in Spornitz. Die Spornitzer Bauern, von denen schon früher berichtet wurde, marschierten geschlossen mit. Eigentlich sollte der Marsch von Spornitz aus über die Lewitz direkt nach Schwerin gehen; doch wurde der benachbarte Haufen, der sich in Grabow versammelt hatte, in Neustadt aufgehalten, so daß der Spornitzer Haufen zur Verstärkung zunächst nach Neustadt rückte. Jetzt machte sich schon eine gewisse Zaghaftigkeit unter den Bauern bemerkbar; denn man hatte ihnen erklärt, daß es zu keinen Kämpfen kommen würde, sie sollten nur zum Schrecken der Lüneburger mitgehen; diese würden dann das Land freiwillig verlassen.20 Insgesamt hatten sich in Spornitz schätzungsweise 500 Mann eingefunden, die unter scharfer Aufsicht der eingesetzten Offiziere und Unteroffiziere in Richtung Neustadt zogen. Es bestand bereits unter den Bauern eine ziemliche Tendenz, nach Hause zurückzukehren. Inzwischen hatte sich auch in der Umgebung von Grabow ein gewaltiger Haufen von etwa 500 Mann versammelt, der noch durch eine Kompanie Dömitzer Truppen verstärkt wurde. Auch diese Bauern, die aus den Dörfern Redefin, Kraak und anderen Orten kamen, waren teils freiwillig, teils mit Drohungen zum Mitgehen veranlaßt worden. Besonders die Kommandeure Tiede, Meckel, Eggers und der Hofjäger Langhnas hatten mit Prügel und der Dömitzer Karre gedroht. Die Dömitzer Soldaten 18 19

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LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. X V I : Verhör des Zöllners J. Boecke. LHA Schwerin, Domanialamt Wredenhagen, Vol. 79, Fase. 3a: Das zur Zeit der kaiserlichen Kommission im Jahre 1733 von Herzog Carl Leopold geschehene allgemeine Aufgebot und der darauf im Amt Wredenhagen erfolgte Aufstand 1733 — 1734. Berichte des Amtmanns Brandt an die Kassedirektion in Boitzenburg. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. X V I : Verhör Boecke.

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sorgten dafür, daß keiner zurückblieb („mit Schlägen und Hauen"). 21 Am 16. September abends kam der Grabower Haufen in Groß Laasch (kurz vor Neustadt gelegen) an. Er übernachtete dort, und am 17. September früh marschierten alle Bauern, Bürger und Soldaten von drei verschiedenen Seiten her in die Stadt ein.22 Neustadt war der Sitz des kaiserlichen Kommissars Christian Ludwig gewesen. Er selbst regierte zwar nun von Bützow aus, jedoch seine Frau und seine Kinder befanden sich noch im Neustädter Schloß. Die Lüneburger Besatzung stand unter dem Kommando des Majors Sommerlade und war durch Besatzungstruppen aus Parchim verstärkt worden, so daß für den Schutz der fürstlichen Familie etwa 200 Soldaten bereit standen. Das Schloß selbst hatte man in aller Eile mit Palisaden und spanischen Reitern gesichert. 23 Es entspricht meines Erachtens nicht den Tatsachen, daß der Angriff auf Neustadt als Handstreich auf die fürstliche Familie gedacht war 24 , sondern dieser Angriff mußte stattfinden, weil die Lüneburger Truppen den Weg nach Schwerin versperrt hatten und die zweifellos nicht sehr fähigen Befehlshaber der Bauern und Bürger sowie der Truppeneinheiten, die von drei Fähnrichen geführt wurden, getreu dem Befehl des Herzogs handelten, die Lüneburger überall dort anzugreifen, wo man auf sie stoßen würde. Völlig unklug war es, nicht auf die sich bereits in unmittelbarer Nähe befindenden Bauern und Bürger aus Spornitz zu warten; dann wäre es vielleicht möglich gewesen, mit etwa fünffacher Ubermacht die bessere Bewaffnung der Lüneburger Truppen auszugleichen. Die in die Stadt eingerückten Aufständischen zogen alle in Richtung Schloßplatz, jedoch wurden sie von den Lüneburger Truppen mit einer wohlgezielten Salve empfangen und trugen schon in den ersten Augenblicken einige Verluste davon. Mit den wenigen Gewehren, die vorhanden waren, wurde zwar das Feuer erwidert, aber ohne damit große Wirkung zu erzielen. Der ganze Angriff ging so harmlos und gefahrlos für die Verteidiger vor sich, daß die Schloßbedienten während der ganzen Zeit (der Angriff dauerte etwa eine Stunde) aus dem Fenster sahen und sich zum Teil sogar diejenigen, die Schüsse abgaben, merken konnten. 25 Als plötzlich Sommerlade einen Ausfall aus dem Schloß unternehmen ließ, stoben alle Angreifer in wilder Flucht unter Zurücklassung vieler Spieße, Sensen und Stangen davon. Einige von ihnen versuchten sich in der Stadt zu verstecken, wurden aber bald gefangengenommen. Gerade in diesem Augenblick kamen die etwa 500 Mann aus Spornitz an, die unter der Führung des Ingenieurs Seyer standen, der Kommandeur des gesamten Haufens war. Der Augenzeuge des Kampfes, Kanzleirat Arpe, berichtet, daß der Spornitzer Haufen „in gar großer Menge, daß alles so weit man sähe mit 21 22

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Ebenda, Vol. X V : Verhör des Jägerburschen Findorff. Franck und Klüver halten den 15. Sept. für das Datum des Neustadt-Unternehmens, doch ist dies auf Grund zahlreicher Aktenberichte unwahrscheinlich, so daß der 17. Sept. als richtiges Datum angenommen werden muß. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. IV: Berichte des Kanzleirates Arpe v. 17. Sept. Diese Ansicht wird z. B. von Witte, a. a. O., Bd II, S. 278 vertreten. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. X V : Verhör Förster Müller.

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Spieß und Sensen Bedeckt war", ankam. Doch gelang es den Befehlshabern nicht, die wilde Flucht des ersten Haufens zum Stehen zu bringen; im Gegenteil, die Neuankommenden wurden mitgerissen und brachten sich gleichfalls in Sicherheit. Trotz der kurzen Dauer des Gefechts war es das blutigste des ganzen Aufstandes. Die Zahl der Toten wird unterschiedlich angegeben. Sie wird etwa 30 bis 50 Mann auf mecklenburgischer Seite betragen haben; darunter befanden sich einer der Fähnriche und der Bürgermeister von Redefin. Außerdem gab es eine beträchtlich höhere Zahl von Verwundeten. Auf Lüneburger Seite waren zwei Tote und einige Verwundete zu beklagen. 26 Diese Niederlage übte eine gewaltige Wirkung auf das ganze Land aus. Die Parchimer Bürger, die gerade zum Aufstand bereit waren und sich erheben wollten (die Besatzung befand sich in Neustadt), blieben auf diese Nachricht hin brav zu Hause. Aus Furcht vor Nachstellungen kehrten viele Bauern nicht nach Hause zurück, sondern verbargen sich irgendwo oder flohen auf preußisches Gebiet. Ganze Dorfschaften und selbst die Stadt Grabow sollen damals leer gewesen sein. Andere Bauern kehrten wiederum, so schnell sie nur konnten, nach Hause zurück und taten, als ob sie nie weg gewesen wären. 27 Allerdings nahmen sie den Hofdienst (von wenigen Ausnahmen abgesehen) vorläufig nicht wieder auf. Sie gaben vor, auf einen neuen Befehl zum Aufgebot zu warten. Der Amtmann Brandt, der für seine Brutalität im Amt Wredenhagen bekannt war, ersuchte die Exekutionskasse um Soldaten, um seine Bauern zur Arbeit zu zwingen, da noch Getreide auf dem Felde sei und keine Winterbestellung möglich wäre, „zumahlen die Ambst-Knechte genug zu fahren gehabt, meine privat-Habseligkeit in salvo zu bringen". 28 Die Nachricht von dieser Niederlage der Aufständischen gelangte noch am gleichen Tage nach Schwerin. Der Herzog schrieb am 18. September an den Amtmann Boyes zu Eldena und den Amtmann Seitz zu Dömitz und machte ihnen heftige Vorwürfe, daß alle Aufständischen auseinandergelaufen seien. Aus diesem Brief geht übrigens auch deutlich hervor, daß nicht die Absicht bestand, Neustadt anzugreifen. Zunächst sollten überhaupt keine befestigten Plätze angegriffen werden, sondern es sollte sich erst einmal eine genügende Anzahl Aufständischer in Schwerin sammeln.29 Klüver, Franck und die Autoren der meisten neueren Darstellungen wollen wissen, daß die Reaktion des Herzogs auf diese Niederlage darin bestanden habe, dem General Tilly zu befehlen, am 19. September mit sämtlichen Truppen, 26

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Die Zahlen sind in den Quellen nicht übereinstimmend angegeben. Klüver spricht von 2 Offizieren, 40 Mann und zahlreichen Bauern. (VI, S. 285.) Die Zahl erscheint mir zweifellos zu hoch gegriffen. Witte greift diese Angaben auf und führt mehr als 100 Gefallene an. (II, S. 278.) Der Kanzleirat Arpe dagegen spricht nur von insgesamt 20 bis 30 Toten und vielen Verwundeten. (Bericht v. 17. Sept.) Beispielsweise befanden sich die Bauern des Amtes Kraak schon mittags und spätestens abends wieder zu Hause. Vgl. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XV: Verhör des Jägerburschen Findorff und Verhöre im Amt Kraak. LHA Schwerin, Domanialamt Wredenhagen, Vol. 79, Fase. 3a: Berichte des Amtmanns Brandt. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. I.

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Bürgern und Bauern nach Neustadt auszurücken, um für diese Niederlage Rache zu nehmen.30 Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen; denn Tilly wurde nicht nach Neustadt, sondern mit allen verfügbaren Kräften nach Güstrow geschickt. Laut Schreiben vom 19. September wurde er von Carl Leopold zum Oberbefehlshaber ernannt. Tilly marschierte am Abend des gleichen Tages mit seinen Truppen und Haufen geradeswegs nach Güstrow. 31 Inzwischen hatte sich im Nordwesten des Landes eine ansehnliche Streitmacht versammelt und Güstrow angegriffen. Wie schon gesagt, hatten sich der Oberkommandierende Raiser und Hauptmann Keding hierher begeben. Raiser und Keding kamen am Sonnabend, dem 12. September, in Sülze an. Mit Hilfe einiger Dragoner gelang es Raiser, die zahlenmäßig nicht sehr starken Lüneburger Truppen zu entwaffnen. Doch ließ er sie laufen, nachdem er sie noch davor gewarnt hatte, sich von aufständischen Bauern sehen zu lassen. Die entwaffneten Soldaten kamen einige Tage später in Rostock an. Am Sonntag, dem 13., früh um 5 Uhr, wurden alle Bürger zum Bürgermeister zitiert, und Keding verlas das Aufgebotspatent. Dann wurde an Hand einer Bürgerliste festgestellt, ob alle anwesend wären, und die Fehlenden wurden von Dragonern geholt. Außerdem wurden die Stadttore besetzt. Der siebzigjährige Bürgermeister Rubach gab allen ein Beispiel (angeblich gezwungen) und zog an der Spitze der Bürger aus. Nun konnten auch die zögernden und ängstlichen Bürger nicht zurückbleiben. Ähnlich verlief die Aktion in den Städten Ribnitz, Marlow und Laage. Der Sammelplatz war Tessin, wo sich einige tausend Bürger (Klüver berichtet von 4000) einfanden. Auch die Bauern der Umgebung leisteten dem Aufgebot weitgehend Folge. Ein Versuch, den verhaßten Ritter von der Lühe auf dessen Gut Telkow zu fangen, mißlang. Das ganze Gut wurde von Ribnitzer, Tessiner und Sülzer Bürgern durchsucht, aber nicht geplündert. Ob in Tessin auch die Bürger aus Stavenhagen und Penzlin dabeiwaren, läßt sich nicht genau nachweisen. Die Penzliner waren alle ausmarschbereit, wollten sich jedoch nach den Stavenhagenern richten.32 Von Tessin aus zog die gesamte Streitmacht der Aufständischen unter der Führung von Raiser, Keding und dem Tessiner Bürgermeister Cappehl nach Güstrow. Es wurden Fahnen und Trommeln mitgeführt. So trug zum Beispiel der Schuster Sievert aus Laage die Stadtfahne. Zu dieser Streitmacht stieß der Leutnant Ihn mit Aufständischen aus den Städten und Ämtern Plau, Lübs, Malchow, Röbel und Waren. Güstrow hatte eine Lüneburger Besatzung von 300 Mann unter dem Kommando von Obristleutnant Monroi. Es bestand wohl ursprünglich die Absicht, die Stadt zu verteidigen, doch angesichts der Unruhe der Bürgerschaft innerhalb der Stadt30

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Klüver,H.H., a. a. O., Bd VI, S. 285; Franck,D., a. a. O., Bd XVIII, S. 83; Witte,H., a. a. O., Bd II, S. 278. Vgl. Verhör Tillys, in: L H A Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I V . Dort findet man auch das Schreiben Carl Leopolds mit der Einsetzung Tillys zum Oberbefehlshaber. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I V : Verhör Raisers, Vol. X V I : Verhör des Tischlers Meve und des Bäckers Meschow, Vol. X V I I : Verhör von Schuster Sievert und Tagelöhner Linde. Wiek, Absolutismus

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mauern war dies recht schwierig. Die Belagerer der Stadt wurden aktiv von den Bürgern der Stadt unterstützt. So schlug der Bäcker Rossow, der bereits 64 Jahre alt war, zusammen mit dem Ledertauer Brechmacher und anderen die Pforte am Schnögentor mit einem Beil auf und ermöglichte so den Aufständischen das Eindringen. Schuster und Mühlenknechte liefen durch die Straßen und riefen „Feuer! Feuer!", um auf diese Weise die ängstlichen Bürger aus den Häusern zu locken. Der Schneider Wölper, der Sattler Schneider und andere Bürger hatten ihre Mitbürger zum Aufstand aufgefordert, waren selbst gegen die Lüneburger Soldaten vorgegangen und hatten sie zum Teil entwaffnen können. Unter diesen Umständen sah sich der Obristleutnant von Monroi gezwungen, die Stadt aufzugeben. Er zog sich mit seinen Truppen auf das Schloß zurück, das von den Aufständischen eingeschlossen wurde. Beim Angriff auf Güstrow fielen auf mecklenburgischer Seite einer der Kommandeure, der Leutnant Ihn, der mecklenburgische Trompeter und ein Unteroffcier. Von den Verteidigern der Stadt fiel ein Korporal. 33 Man muß die Leistungen der Bürger und Bauern hoch anerkennen; denn sie verfügten nur über sehr wenige Gewehre, für die es fast keine Munition gab. Einen Wert bekamen diese Waffen eigentlich erst in Güstrow selbst bei der Belagerung des Schlosses; denn Munition wurde in Güstrow in ausreichender Menge vorgefunden. Zwischen dem Schloß und der Stadt wechselte man zahlreiche Schüsse, ohne daß jedoch ein ernsthafter Versuch zu dessen Eroberung unternommen wurde. Die Belagerer waren zwar durch Güstrower Bürger verstärkt worden, aber nur in geringer Zahl. Die Mehrheit hielt sich zurück und versteckte sich. So hatte der Stadtkapitän Strohlmans bei der Einnahme Güstrows sein Haus verlassen und sich in seinen Weinkeller begeben. Auch die Aufständischen selbst hatten Abgänge zu verzeichnen. Viele meinten, ihrer Pflicht genügt zu haben, und gingen nach Hause. Da wurde der von Bürgermeister Cappehl als Kommandant eingesetzte Ratmann Buse aus Laage von Güstrow aus in seine Heimatstadt zurückgesandt, um die Zurückgebliebenen und Heimgekehrten erneut heranzuführen. Er erledigte seine Aufgabe auch, allerdings konnte er seine Mitbürger nur mit zahlreichen Drohungen zum Mitgehen veranlassen.34 Auf die Bauern der Umgebung von Güstrow wirkten das Herannahen der Aufständischen und die Einnahme der Stadt so, daß sie sich ihnen zum größten Teil anschlössen. Allerdings fühlten sich die Bauern stets dabei von ihren Herren abhängig. So wurde das Aufgebotspatent auf dem Gute Schwandt zunächst dem Besitzer von Voß überreicht und dessen Meinung eingeholt. Der erschreckte Gutsherr stellte seinen Bauern frei, was sie machen wollten, ob sie ausmarschieren wollten oder nicht. Unter Führung eines Häuslers zogen dann die meisten los. Der Adlige selbst hatte seine Bedienten und sein Hofgesinde mit Gewehren versehen, um sich gegen 33

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LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XVII: Verhör des Bäckers Rossow; Vol. X V I : Verhör Brechmacher, Vol. XVII: Verhöre des Schneiders Wölper und des Seifenhändlers Barkey, des Schusters Dahnke, des Barbiers Dose, des Sattlers Schneider u. a. Ebenda, Vol. X I V : Verhör Raisers, Vol. XVII: Verhöre des Färbers Wagenknecht und des Ratmanns Buse.

X I I I . D a s Landesaufgebot

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einen drohenden Angriff der Mecklenburger verteidigen zu können. Auf dem gleichen Gute fanden sich auch noch andere Gutsherren ein, die ebenfalls um ihr Leben fürchteten. Nach kurzer Zeit zogen es die Ritter jedoch vor, ihre Güter zu verlassen und sich außerhalb Mecklenburgs in Sicherheit zu bringen. Sehr verhaßt scheint der Amtmann Breiger des Pachthofes Nienhagen gewesen zu sein. Er war von der Boitzenburger Kasse eingesetzt worden. Deshalb sandte Keding zu ihm den „Arbeitsmann" Ebert, der früher bei ihm gearbeitet hatte, um Pferde und Ochsen zu requirieren. Bei der Gelegenheit veranlaßte dieser auch die Bauern von Marmerow und Nienhagen zum Aufstand. Der Amtmann besaß in Güstrow ein Haus, das nach Flucht seines Kutschers, seines Schreibers und der Diener geplündert wurde. Mehrere dem Herzog ergebene Pächter führten ihre Bauern selbst nach Güstrow. 35 Inzwischen waren die verantwortlichen Männer in Boitzenburg und Hannover nicht müßig gewesen. Gleich nach Bekanntwerden des Aufgebots wurden von Hannover aus zahlreiche Regimenter nach Mecklenburg in Marsch gesetzt. Ein Verbot der Exekutionskasse vom 11. September, das allen Beamten die Teilnahme am Aufgebot untersagte, hatte ebensowenig Wirkung wie das Gegenpatent Christian Ludwigs, das am 12. September in Rostock erlassen wurde. Allerdings kamen diese Erlasse den meisten Bürgern und Bauern gar nicht zu Gesicht, da es nur wenige gab, die sie auszuhängen wagten. Am 14. September rückten die ersten Lüneburger Truppen 36 von Ratzeburg aus in Mecklenburg ein. Am 15. September wurde Gadebusch besetzt. Am 16. ging der Marsch weiter über Wittenförden nach Groß Rogahn. Man konnte in Schwerin erwarten, daß ein Angriff auf diese Festung Carl Leopolds bevorstand, denn Groß Rogahn liegt etwa 7 km von dieser Stadt entfernt. Doch scheuten die Kommandeure vor einem Angriff zurück und wandten sich in südliche Richtung. Am 17. September wurden dann im Amt Kraak zahlreiche Bauern auseinandergetrieben, und am 18. wurde Neustadt besetzt, wo inzwischen der Major Sommerlade die Stellung so erfolgreich behauptet hatte. Überall, wohin die Truppen kamen, hausten sie übel. Besonders grausam verhielten sich 200 Dragoner, die am 18. September in das Dorf Spornitz einrückten. Die Dragoner, denen gesagt wurde, daß hier „die bösesten Bauern im Lande" wohnten, fanden jedoch keinen einzigen Bauern vor. Deshalb taten sie den zurückgebliebenen Frauen alle nur erdenklichen Drangsale an. Die Frau des Schulzen wurde „auf der blossen Haut" gepeitscht und mit faulen Eiern beworfen.37 Am 19. September marschierte man dann weiter, und über Parchim gelangten die Truppen ins Amt Goldberg, wo am 20. ein Ruhetag eingelegt wurde. E b e n d a , V o l . X V I : Verhöre des Häuslers T o d e , des Ledertauers Brechmacher und des Arbeitsmannes Ebert. 3 6 Die Unternehmungen der Lüneburger Truppen sind ausführlich in der K o r r e s p o n d e n z des Obristleutnants von Harling, einem Regimentskommandeur, geschildert. Klüver, a. a. O . , B d V I , S. 287ff., nahm zahlreiche dieser Berichte in seine S a m m l u n g auf. D i e gesamte Korrespondenz befindet sich in L H A Schwerin, Militaria, L a n d e s a u f g e b o t , Vol. I V . « Klüver, H. H„ a. a. O . , B d V I , S. 287; Franck, D,. a. a. O . , B d X V I I I , S. 8 3 - 8 4 . 35

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Uberall stieß man auf einzelne Gruppen Aufständischer, die häufig verprügelt und auseinandergejagt wurden. Das Harlingsche Regiment vereinigte sich mit dem Klinkowströmschen, das auf einem anderen Wege, in ähnlicher Weise hausend, bis Lübs gekommen war. An diesem Tage erhielten die Lüneburger Kommandeure die Nachricht von der Eroberung Güstrows und der schwierigen Lage, in der sich die kleine Besatzung auf dem Schloß befand. Auf dem daraufhin erfolgenden Marsch nach Güstrow trafen sie am 21. September mit den Truppen und Aufständischen des Generals Tilly zusammen. Tilly hatte vom 19. bis 21. September gebraucht, um die Strecke von Schwerin bis Güstrow zu bewältigen. Unterwegs hatte er noch möglichst viel Bürger und Bauern für den Aufstand zu gewinnen versucht, doch hatte seine Streitmacht eher ab- als zugenommen; denn Harling schätzte die Zahl seiner Truppen nur noch auf 1500 Mann. Überhaupt legte der General Tilly eine Haltung an den Tag, die nur als verräterisch bezeichnet werden kann. Nur auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs unternahm er überhaupt etwas. Bürger und Bauern, die nach Hause wollten, ließ er gehen. 38 So ist es kein Wunder, daß er dem angebotenen Kampf mit den Lüneburger Truppen auswich und seine Truppen nach Güstrow führte. Dort langte er eine Stunde vor den Lüneburgern an. Die Schwäche der Belagerer des Güstrower Schlosses zeigte sich darin, daß es den Eingeschlossenen gelang, einen Weg freizukämpfen, auf dem während der Nacht 10 Kompanien der Entsatztruppen zum Schloß gebracht werden konnten. Am Morgen des 22. September ließ man Tilly fragen, ob er Güstrow freiwillig räumen oder es auf einen blutigen Ausfall ankommen lassen wollte. Der Mecklenburger General erbat einen Waffenstillstand bis 3 Uhr nachmittags. Doch bereits mittags gegen 1 Uhr zog Tilly ab. Er soll über rund 6000 Mann verfügt haben. Er wurde nicht verfolgt und zog nach Schwaan, das heißt in Richtung Rostock. Die Lüneburger übten zunächst grausame Rache in Güstrow. Alle Bürger, die zu den Waffen gegriffen hatten und nicht vor den Lüneburgern geflohen waren, wurden aufgesucht, verprügelt und festgesetzt, „worunter aber wenig reputirliche Leute, sondern meist schlechte Knecht, welche dann von den Soldaten biß auf den Todt geprügelt worden", schreibt von Harling. Doch hat er damit nicht recht; denn die Verhörprotokolle ergeben eindeutig, daß die Mehrzahl von den Verhafteten Handwerker waren. Das Nächstliegende für die Mecklenburger Truppen wäre nun gewesen, die Stadt Rostock zu erobern. Damit rechneten offenbar der engere Ausschuß der Ritterschaft und auch Christian Ludwig. Der engere Ausschuß hatte sich schon kurz nach Beginn des Aufstandes in Sicherheit gebracht und war nach Wismar gegangen. Diesem Beispiel schlössen sich zahreiche Ritter an. Es bestand eine enge Korrespondenz zwischen der Ritterschaft und dem zu ihr stehenden Rat von Rostock. 39 Christian Ludwig war mit seinem Gefolge in entgegengesetzter Richtung geflohen und hatte sich nach dem kleinen Städtchen Barth in Pommern begeben. In Rostock gab es 38

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Diese Haltung kommt in seinen eigenen Aussagen vor der Untersuchungskommission im Jahre 1734 deutlich zum Ausdruck. Er versichert, alles aussagen zu wollen, nur bittet er um den Schutz vor der Rache Carl Leopolds, der ihm zugesagt wird. Vgl. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XIV. RA Rostock, Streit mit Herzog Karl Leopold, Vol. D XVII.

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eine starke Bewegung, besonders unter den Studenten und den Bootsleuten, die mit den Aufständischen sympathisierte. So berichtet Tilly, daß in Schwaan ein junger Student „mit einem Kleid, das kaum 5 ß wert gewesen sei", zum Hauptmann Keding gekommen sei und ihm mitgeteilt habe, wenn vor Rostock nur ein einziger Pistolenschuß ausgelöst würde und fürstliche Truppen anrückten, ihnen sogleich ein Tor geöffnet würde. Doch Tilly glaubte dem Studenten nicht und ließ ihn abweisen. General Tilly verfügte in Schwaan nur über 60 Reiter, das heißt reguläre Truppen, neben den zahlreichen Bürgern und Bauern. Deshalb glaubte er einen Angriff auf Rostock nicht wagen zu können und wandte sich nach Bützow, einer Stadt, die bisher noch von Lüneburger Truppen frei war. Inzwischen waren die Truppen in Güstrow durch das Gerücht alarmiert worden, daß Tilly Rostock überrumpeln wolle. Am 23. September wurde deshalb der Abmarschbefehl gegeben und abends Rostock besetzt. Von Harling berichtet, daß Tilly gleichzeitig in Rostock ankam, daß jedoch die Lüneburger Truppen durch das Mühlentor eingelassen wurden, während Tilly vor dem Steintor mit Kanonen und „starker Wache" empfangen wurde. Dabei hatten sich von Harling und mit ihm Klüver, Frank, Witte und andere, die diese Zeit behandelt haben, offenbar geirrt; denn Tilly sagte aus, daß er aus Furcht davor, daß ihm der Rückzug abgeschnitten werden könnte, nicht nach Rostock gezogen sei.40 Tilly blieb zunächst einige Tage in Bützow, riet aber den dortigen Bürgern, seiner eigenen Aussage nach, von einer weiteren Beteiligung am Aufgebot ab. Er versuchte sich sogar beim Adel dadurch anzubiedern, daß er dafür sorgte, daß jegliche Plünderungen von Gütern unterblieben oder den Eigentümern geraubtes Gut zurückgegeben wurde. Am 24. September erhielt er von Carl Leopold den Befehl, nach Parchim zu marschieren und unterwegs noch soviel Mannschaft wie nur möglich zusammenzubringen. Seine Streitmacht war inzwischen auf etwa 1200 Mann zusammengeschrumpft, so zahlreich waren die Desertationen. Mit diesen 1200 Mann zog er nach Sternberg, ließ aber auf Bitten der in Sternberg wohnenden Adligen, die Repressalien befürchteten, die Bauern außerhalb der Stadt. Am nächsten Tage langte er in Parchim an. Dort erpreßte er von der Bürgerschaft 2000 Rthl., weil sie sich nicht am Aufgebot beteiligt hatte. Von Schwerin aus war inzwischen erneut ein Aufgebotspatent erlassen worden, um noch einmal zu versuchen, die zum größten Teil auseinandergelaufenen Bürger und Bauern zu mobilisieren. Dieses neue Patent brachte der Stadtvogt Rathsack nach Neubukow, Brüel und Warin, und der Bürgermeister von Goldberg sorgte für die Verbreitung im Süden des Landes. Auch von Dömitz aus machte man große Anstrengungen, die Bürger und Bauern erneut zusammenzubringen. Das neue Aufgebot war schon am 19. September erlassen, aber erst um den 25. September herum publiziert worden. Es verursachte zwar eine ziemliche Bewegung unter den Bauern, wurde aber nur wenig befolgt. Die Bauern des Amtes Wredenhagen, die die Gutsarbeit bereits wieder aufgenommen hatten, verweigerten erneut den Hofdienst und verhielten sich abwartend. Eine erneute Fluchtbewegung des Adels setzte ein. 41 Zu einem Ausmarsch von Bürgern und Bauern scheint es jedoch nicht gekommen zu 40 41

Vgl. die Aussagen Tillys, in LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XIV. Domanialamt Wredenhagen, Vol. 79, Fase. 3a: Schreiben Brandts v. 26. u. 30. Sept.

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sein. So schreibt der Obrist Erich, der Festungskommandant von Dömitz, an den Herzog, daß die Amtmänner, Förster usw. unermüdlich tätig wären, um die Bauern zusammenzubringen. Aber er hätte Äußerungen gehört, „daß es unmöglich were Bauren Zu sammen Zu bringen. Den selbige fast alle geflüchtet, doch wolten sie sehen ob eß noch möglich were daß man welche Zu beysammen suchte". 42 Gegen dieses erneute Aufgebot erließ Christian Ludwig von Barth aus am 26. September ein „Pardonpatent". Es kündigte die Todesstrafe für alle diejenigen an, die jetzt nach Niederschlagung der Empörung noch ertappt würden. Allen, die vom Aufstand abließen, sollte Generalpardon erteilt werden, wovon jedoch die Rädelsführer ausgenommen sein sollten. Alle Untertanen wurden aufgefordert, die Rädelsführer und Offiziere auszuliefern. Die Lage für Tilly und seine Leute in Parchim wurde langsam unhaltbar; denn insgesamt 13 Regimenter aus Hannover und 2 Bataillone aus Wolfenbüttel standen auf der Gegenseite. Das Hauptquartier der Kommissionstruppen befand sich in Wittenförden, das heißt nur wenige Kilometer westlich von Schwerin. Die gesamten Lüneburger Truppen standen unter dem Oberbefehl des Generalmajors von Campen. Da erhielt Tilly aus Schwerin den Befehl, entweder in Parchim zu bleiben oder in die Lewitz auszuweichen. Um nicht in Parchim eingeschlossen zu werden, beschloß Tilly, in die Lewitz zu ziehen. Doch es war nur noch ein kleines Häuflein von einigen hundert Mann, das Parchim verließ. Allzu deutlich zeichnete sich bereits die völlige Niederlage des Schweriner Herzogs ab. Selbst die Kommandeure blieben nicht mehr bei der Truppe. Der Hauptmann Keding hatte sich, nur von einem Diener begleitet, von der Truppe entfernt, angeblich, um zum Herzog nach Schwerin zu gehen. Doch dort fand er sich nicht ein, sondern flüchtete auf sein Gut Stormsdorf in Pommern, dicht bei der Stadt Sülze gelegen. Der Ritter von der Lühe erfuhr davon und richtete sofort an die Truppen das Ersuchen, Keding zu arretieren. Doch gelang seine Verhaftung nicht. Keding flüchtete weiter nach Wismar, wo er sich einige Zeit bei Tillys Familie aufhielt. Dann suchte er Schutz bei den Preußen. Der Leutnant Niemann hatte sich freiwillig den Lüneburgern ergeben und wurde deshalb bald wieder freigelassen. Der Leutnant Graber hatte schon bald nach Beginn des Aufstandes begonnen, mit dem Pensonarius Borchwedel, einem erbitterten Feind Carl Leopolds, zusammenzuarbeiten und weitere Aktionen von Bürgern und Bauern zu hintertreiben. Er hatte sich dann freiwillig in Rostock gestellt. Am 30. September erhielt das Hauptquartier in Wittenförden die Nachricht, daß Tilly in die Lewitz gezogen sei und die kleinen Orte Friedrichsmoor und Jahmel besetzt hätte. Sofort wurden Truppen in Marsch gesetzt, um ihn einzuschließen. Am 1. Oktober, nachmittags 3 Uhr, war Tilly fast völlig umzingelt. Nur ein einziger Weg war noch frei. Tilly spielte mit dem Gedanken, vielleicht doch noch einen Entscheidungskampf zu wagen, doch wollte er vorher die Standhaftigkeit seiner Soldaten, Bürger und Bauern prüfen. Deshalb ließ er überraschend einen Schuß lösen, worauf die Bürger und Bauern „haufenweise durchgegangen" waren. 43 Unter diesen Um42 43

LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. I. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I V : Verhör Tillys.

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ständen bot er den Lüneburgern an, einen Trompeter mit Kapitulationsbedingungen in ihr Hauptquartier zu senden. Das wurde ihm zwar zugestanden, doch ließ man ihn gleichzeitig wissen, daß nur bedingungslose Kapitulation mit Kriegsgefangenschaft in Frage käme. Daraufhin ergab sich Tilly mit dem Rest seiner Leute. So endete das letzte Aufeinandertreffen zwischen Aufständischen und Lüneburger Truppen am 2. Oktober mit einem einzigen, im Auftrage Tillys abgegebenen Probeschuß. Das war das Ende des Landesaufgebots, das bei nüchterner Betrachtung vom ersten Tage an keinen Erfolg bringen konnte.44 In Gefangenschaft gerieten neben Tilly die Kommandeure Raiser, die Kornetts Streit, Kretlow, Pabst und Jörs. Dazu kamen 6 Unteroffiziere und 59 Reiter. Von Tillys Artillerie, bestehend aus 2 Kanonen, wurden 1 Leutnant, 1 Sergeant und 6 Gemeine gefangen. Bürger scheinen überhaupt nicht mehr dagewesen zu sein; denn es wird von nur 36 gefangenen Bauern berichtet, von denen interessanterweise 29 aus dem Amt Schwerin, 6 aus dem Amt Ribnitz und einer aus dem Amt Redentin stammten. Neben den Kanonen wurden 317 Gewehre, davon 52 ohne Schloß, erbeutet. Die Gefangenen wurden zunächst nach Wittenförden, dem Hauptquartier, und von dort weiter nach Ratzeburg gebracht. 45 Gleichzeitig begann im ganzen Lande die grausame Rache der Sieger. Überall versuchte man die „Rädelsführer und Aufwiegler" zu ergreifen. In Gadebusch, Güstrow, Rostock und anderen Städten fanden genaue Verhöre statt. Besonders eifrig war dabei das Regiment des Brigadiers von Behr, das in Rostock lag. Es unternahm ausgedehnte Streifzüge im Lande und brachte Aufständische nach Rostock. Die in Schwerin gefangengehaltenen Lüneburger Soldaten, die von den Bürgern Goldbergs und anderer Städte entwaffnet und mitgeführt worden waren, wurden am 22. Oktober wieder ausgeliefert. Es waren 30 Mann. 46 Besonders brutal verfuhr man mit dem schon genannten Pastor Lüders aus Neubukow. Dieser wurde zusammen mit dem Verwalter Engelke aus dem Amt Doberan und zahlreichen Bauern am 1. Oktober nach Rostock gebracht. In Rostock mußten der Verwalter Engelke und einige Bauern mit Kindertrommeln und Flöten durch die Stadt marschieren, um ein lächerliches Schauspiel zu bieten. Bei dem Pastor Lüders wurde es noch weit ärger getrieben. Er wurde zur Hauptwache gefahren und dort jämmerlich verprügelt und mißhandelt. Anschließend wurde er gezwungen, bis in die Nacht hinein mit dem Henkersknecht zu tanzen. Seine Mißhandlungen erwiesen 44

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Es stimmt nicht, daß „der mecklenburgische Bauernkrieg im Gefecht in der Lewitz bei Schwerin unter dem Feuer hannoverscher Infanterie" zusammenbrach {Görlitz, Die Junker, Glücksburg/Ostsee 1956, S. 115.), weil überhaupt kein Gefecht mehr stattfand. Nach dem Bericht v o n Harlings v . 2. Okt.; L H A Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, V o l . VIII. Klüver, H. H., a. a. O., Bd V I , S. 305. Bei Franck (a. a. O., Bd. X V I I I , S. 87) ist v o n einem Austausch der Lüneburger gegen mecklenburgische Reiter die Rede. Doch erscheint dies zweifelhaft; denn die gefangenen Reiter Tillys befanden sich noch später in Lüneburg u. Stade. Ein Teil v o n ihnen trat in kaiserliche Dienste. V g l . L H A Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, V o l . III.

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sich als so schwer, daß er am 2. Oktober in Rostock starb. Eine vorgenommene Obduktion bestätigte die brutalen Gewalttätigkeiten. 47 Das Pastorhaus in Neubukow war indessen völlig geplündert worden. Lüders hatte am 17. Oktober noch ein Schreiben an den Kaiser gerichtet und darin seine Mißhandlungen geschildert, doch scheint er darauf keine Antwort bekommen zu haben. Der Adel und einige Pächter ließen ihre Rache ebenfalls an ihren Bauern aus, die am Aufstand teilgenommen hatten. So mußte der Hauswirt Jürgen Vertense aus dem adligen Dorfe Trebbow nach seiner Rückkehr vom Aufstand „sein Gehöft quittiren" und sich in einem anderen Dorfe, in Pingelshagen, von seiner Hände Arbeit, das heißt als Tagelöhner, ernähren. Andere Bauern wurden mit vermehrtem Hofdienst bestraft usw. 48 Aber trotz der Niederschlagung des Aufstandes brodelte es immer noch im ganzen Lande. Die Kassedirektion mußte die Domänenpächter energisch zur Pachtzahlung anhalten, da diese unter den herrschenden Umständen gar nicht daran dachten, ihrer Zahlungsverpflichtung nachzukommen.49 Die Bauern verhielten sich auch noch nicht überall ruhig. So bat der schon genannte Amtmann Brandt aus Wredenhagen mehrmals um Truppen, um die Bauern zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen. Außerdem meldete er, daß diejenigen, die sich dem Aufgebot entzogen hatten, von den anderen belästigt würden. Am 14. Oktober berichtete Brandt, daß zwei Bauern die Gutsbesitzerin Frau von Flotow überfallen hätten, die sich noch auf der Flucht auf brandenburgischem Gebiet befand. Am 15. Oktober sah sich die Kassedirektion in Boitzenburg veranlaßt, für das ruhig gebliebene Dorf Rossau eine Prämie auszusetzen, um auf diese Weise die Beruhigung der Bauern und die Ergreifung der Rädelsführer zu beschleunigen, jedoch mit der gleichzeitigen Aufforderung, den berüchtigten Moberg und andere Aufwiegler zu ergreifen. Doch kam es auch vor, daß Anführer der Aufständischen von den Bauern bedroht wurden, wenn sich die Lasten einer Lüneburger Einquartierung oder die Repressalien der Ritter zu sehr auswirkten. So wurde im Dorfe Lübow einer der Antreiber zum Aufstand dauernd bedroht, wobei sich die Frauen besonders auszeichneten. Sie hielten ihm vor, wenn er nicht gewesen wäre, wäre ihnen die Einquartierung erspart geblieben.50 Die Verhöre im ganzen Lande, die sich noch längere Zeit hinzogen, da noch dauernd Bürger und Bauern ergriffen wurden, die geflüchtet waren und im Vertrauen auf das Pardonpatent Christian Ludwigs zurückkehrten, führten dazu, daß insgesamt 242 Personen nach Ratzeburg überführt wurden, um als Rädelsführer abgeurteilt zu werden. In dieser Zahl waren auch die regulären Soldaten von „Carl Lop int Holt" 51 , wie Carl Leopold von den Lüneburgern genannt wurde, einbegriffen. Nach Abtransport der Soldaten blieben in Ratzeburg 148 Kommandeure, Bürger und Bauern, von denen jedoch auf Anweisung der Exekutionskasse in Boitzenburg 92 aus " Ebenda, Vgl. auch die Darstellung bei Franck,D., a. a. O., Bd XVIII, S. 86. Ebenda, Vol. X I V : Verhör Vertense, Vol. X I X . 49 L H A Schwerin, Domanialamt Wredenhagen, Vol. 79, Frasc. 3a. 50 Ebenda, Militaria, Landesaufgebot, Vol. III. 6 1 Vgl. das im Auftrage Carl Leopolds 1736 in Wismar aufgestellte Protokoll über die Behandlung der Häftlinge in Ratzeburg. Ebenda, Vol. III. 48

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der Haft entlassen wurden, da ihnen von vornherein keine Aufwieglerrolle nachzuweisen war. Zur Inquisition blieben 56 verdächtige Personen in Ratzeburg zurück. Die Gefangenen waren mit Ausnahme Tillys — Generale haben ja immer den Vorteil einer besseren Behandlung — im Ratzeburger Stockhaus unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Sie mußten zum Teil aneinandergekettet liegen. Die Behandlung und Verpflegung der Gefangenen, deren Bewachung dem berüchtigten Brigadier von Behr übertragen wurde, war so schlecht, daß zwei Häftlinge den Strapazen ihrer Gefangenschaft erlagen. Die im Jahre 1734 und 1735 im Auftrage des Kaisers von den hannoverschen Regierungsräten Steinberg, Schräder und Laffert durchgeführte Verhandlung ergab, daß sich unter diesen zahlreiche Unbelastete befanden, die sofort entlassen wurden. Von den restlichen wurden viele, die als Aufwiegler verdächtigt worden waren, aber nicht überführt werden konnten, ebenfalls entlassen und begnadigt. Als Rädelsführer, Aufwiegler und Anführer blieben, einschließlich Tilly und Raiser, 20 Personen übrig, die jedoch ebenfalls sehr unterschiedlich eingeschätzt und zum Teil als getäuschte Menschen angesehen wurden. Als Milderungsgründe wurden von der Untersuchungskommission folgende Momente anerkannt: 1. Carl Leopolds Befehle duldeten keinen Widerspruch. 2. Alle Untertanen wurden mit Verlust von Ehre, Gut und Leben bedroht. 3. Es war den Untertanen mitgeteilt worden, daß die kaiserliche Kommission nicht mehr existiere und daß die Subdelegation in Rostock aufgehoben sei. 4. Ebenfalls war bekanntgemacht worden, daß die Exekutionstruppen im Einverständnis mit dem Kaiser abgezogen würden und daß 5. kein einziger Soldat mehr aus Lüneburger Landen nach Mecklenburg gebracht werden dürfe. 6. Die sich im Lande befindenden Truppen wären keine „Commissionsmilitz", sondern wären 7. nur zur Eintreibung der Exekutionsgelder im Lande geblieben. Außerdem wäre es eine Tatsache, daß 1. die Bürger und Bauern die kaiserlichen Patente gegen den Aufstand nicht gekannt hätten, 2. sie von ihren Pflichten gegenüber ihrem Landesherrn nicht ausdrücklich entbunden worden wären, 3. Carl Leopold immer die landesherrliche Administration und die jura episcopalia als regierender Herr ausgeübt hätte, 4. ein Untertan nicht gegen den Befehl seines Landesherrn räsonieren dürfe, 5. kein Zweifel bestünde, daß die Geistlichkeit diese Prinzipien gestärkt hätte, und 6. den sich in Schwerin befindenden Personen überhaupt keine kaiserliche Ermahnung kundgeworden sei.52 So wurden alle Angeklagten nicht des crimen laesae Majestatis et perduellionis, sondern nur des crimen seditionis vel potius turbatae pacis publicae beschuldigt. Trotzdem wurden dem Kaiser empfindliche Strafen von der Untersuchungskommission zur Bestätigung vorgelegt. Die Strafen reichten von Entlassung unter Anrechnung der Untersuchungshaft bis zu lebenslänglichem Karreschieben, Landesverweisung und Todesstrafe. Aufschlußreich ist die Urteilsbegründung für Tilly, dem man wegen seiner vollständigen Aussagen und seiner verräterischen Haltung während des Aufgebots schon erhebliche Hafterleichterungen zugestanden hatte. Es wurde vorgeschlagen, ihn zu entlassen, doch wegen der zu befürchtenden Rache Carl Leo-

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Vgl. die Generalrelation der Untersuchungskommission an den englischen König v. 23. Juni 1734. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XIV.

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polds unter den besonderen Schutz des Kaisers zu stellen. Tilly wäre schon alt und krank und für kriegerische Operationen nicht mehr zu gebrauchen. Außerdem sollte der Kaiser dafür sorgen, daß er von Carl Leopold seinen ihm zustehenden Sold noch erhielte, und für ihn ein Ruhegehalt festsetzen, um ihm und seiner zahlreichen Familie zu helfen. Erst am 6. März 1736 ordnete der Kaiser an, daß keine Todesstrafe verhängt werden sollte. Auch wurden die meisten Angeklagten begnadigt. Die Untersuchungskomsion 53 erhielt für ihre Bemühungen 2000 Rthl. auf mecklenburgische Kosten. Am 19. Mai wurde die Vollstreckung der Urteile gemeldet. Raiser wurde ad perpetuos carceras nach Dannenberg gebracht. Tilly wurde zu zweijähriger Gefängnishaft verurteilt, die er in Gifhorn absitzen sollte. Alle anderen wurden, soweit sie über kein Vermögen verfügten (Tagelöhner, Försterssöhne usw.), entlassen, während die vermögenden Häftlinge (Bürger oder Förster) die für sie aufgewandten Haftkosten bezahlen mußten und erst dann nach Hause gelassen wurden. Alle mußten Urfehde schwören, das heißt sich verpflichten, nicht mehr für ihren Herzog zu kämpfen. Für das Land hatte der Aufstand sehr viel Elend gebracht. Natürlich dachte niemand von den Siegern daran, sich um die zahlreichen Opfer dieser Aktion zu kümmern. Keiner unterstützte die Witwen und Waisen oder Invaliden. Aber auch der Hauptschuldige, Carl Leopold, war meistens gegenüber den Unterstützungsgesuchen taub. Nur gelegentlich wurden geringe Summen zur Linderung der ärgsten Not angewiesen. Auch die Häftlinge in Ratzeburg erhielten gelegentlich Geldzuwendungen. 54 Der Herzog Carl Leopold und sein Regierungsrat Wolff rechneten bei dem Landesaufgebot nicht allein mit der Kraft und Zahl der aufgebotenen Bauern und Bürger, sondern auch mit wirksamer Unterstützung durch andere Mächte. Unter ihnen spielte Preußen eine besondere Rolle. Es war zweifellos das Ziel der Schweriner Politik, Preußen für sich zu gewinnen und gegen Hannover auszuspielen. Dabei konnte sich der Herzog auf den Bündnisvertrag mit Preußen stützen. Aber der preußische König war als Mitkonservator für Mecklenburg eingesetzt, und es war ihm auf diese Weise auf Grund der kaiserlichen Erlaubnis möglich, sich in mecklenburgische Verhältnisse einzumischen, wenn er es wollte. Er dachte deshalb nicht daran, einen Krieg zu riskieren, um dem mecklenburgischen Herzog wieder zu seinem Thron zu verhelfen. Er beschränkte sich darauf, den Herzog zum Gehorsam gegenüber dem Kaiser zu ermahnen. Schon im Juli hatte sich Carl Leopold flehentlich an Preußen gewandt und um Beistand gegen das „detestable Verfahren seines Bruders" gebeten.55 Doch die Antwort war die gleiche wie in früheren Schreiben, nämlich, sich dem Kaiser zu unterwerfen und die Exekutionskosten zu übernehmen. Nach Beginn des Aufgebots sandte der Schweriner Herzog zahlreiche Schreiben 53

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Der Regierungsrat Steinberg war inzwischen durch den Regierungsrat v o n Hauff abgelöst worden. Die Verordnungen des Kaisers und der Bericht über die Urteilsvollstreckung findet man ebenda, Vol. X I X . Ebenda, Vol. III. Droysen,]. G., a. a. O., Bd IV, S. 221. Vgl. auch die Abhandlung Droysens zur Lage Preußens im internationalen Maßstab, die es ihm erschwerte, seine ganze Aufmerksamkeit auf Mecklenburg zu konzentrieren. (Ebenda, S. 220—221.)

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nach Berlin 56 , in denen er die preußische Intervention dadurch erreichen wollte, daß er zum Ausdruck brachte, ein erfolgreiches Aufgebot sei nur mit Hilfe Preußens möglich. Nur wenn die Gefahr eines Einmarsches preußischer Truppen bestand, konnte Hannover vielleicht von der Heranschaffung immer neuer Regimenter nach Mecklenburg abgehalten werden. In seinem Schreiben vom 15. September versuchte Carl Leopold sein Aufgebot zu rechtfertigen und richtete die flehentliche Bitte an den preußischen König, ihn nicht allein zu lassen. In dem Schreiben vom 18. September wird das Gefecht in Neustadt geschildert und um dringendes Eingreifen gebeten. Am 23. September berichtet Carl Leopold von der Verhaftungswelle im Lande. Er selbst sei eingeschlossen und könne stündlich mit seiner Überwältigung rechnen. Er bat um einige Regimenter zu seinem persönlichen Schutz, die in seinen Dienst treten sollten, und um ein Observationskorps, das an der Eide Aufstellung nehmen sollte. Am 29. September beschwor Carl Leopold nochmals den preußischen König, so schnell wie möglich einzurücken. Es wurde extra ein Bote nach Berlin gesandt, der durch persönliche Rücksprache beim König erreichen sollte, daß diesem Verlangen stattgegeben wurde. Doch Preußen antwortete anscheinend zunächst überhaupt nicht. Allerdings wurde mehrmals am englischen Hofe und in Wien Protest erhoben, was jedoch erfolglos blieb. Da entschloß sich Friedrich Wilhelm, sich auf ein Eingreifen in Mecklenburg vorzubereiten; denn er war nicht willens, Carl Leopold ganz fallenzulassen und einer völligen Besetzung Mecklenburgs durch Hannover zuzustimmen. Zu leicht konnte das zu einer Annektion des Landes führen. Deshalb befahl er am 25. September, ein Regiment Infanterie und zwei Regimenter Kavallerie bereitzustellen.57 Am 29. September erhielt der General von Schwerin den Oberbefehl über diese Regimenter; er wurde angewiesen, gegen eine Eroberung von Dömitz durch Lüneburger Truppen zu protestieren und notfalls einzugreifen. Auf das obenerwähnte Schreiben Carl Leopolds vom gleichen Tage wurde wiederum geantwortet, daß eine vollständige „Submission" das einzige sei, wozu Preußen seine guten Dienste zur Verfügung stellen wolle. Preußen übernahm ferner die Beförderung eines Schreibens Carl Leopolds an den Kaiser (v. 29. Sept.), in dem dieser seine „vollständige Devotion, Submission und Parition" erklärte, aber gleichzeitig behauptete, daß er gänzlich schuldlos sei. Er bat um Wiedereinsetzung als regierender Herzog. Der preußische König machte sich in dem Schreiben vom 6. Oktober an den Kaiser zum Fürsprecher des Schweriner Herzogs und bat den Kaiser, ihm mitzuteilen, worin die Parition und Submission Carl Leopolds bestehen solle. Er wolle dazu beitragen, daß alle Punkte erfüllt würden. Doch der engstirnige Herzog wollte von all dem nichts wissen. Er lehnte in seinem Schreiben vom 7. Oktober an Friedrich Wilhelm eine Submisson unter die Reichshofratskommission ab, da er sich als rechtmäßiger Landesherr keiner Kommission unterwerfen könne. Preußen wurde gebeten, Mecklenburg in dieser Frage zu unterstützen.58 Die drohende Haltung Preußens veranlaßte Hannover einerseits zur Vorsicht, andererseits aber zu größerer Aktivität. Es bestand die Absicht, das bereits eng eingeDer Briefwechsel mit Preußen befindet sich im LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XXII. « DroysenJ. G., a. a. O., Bd IV, 3. S. 223. 48 LHA Schwerin, Act. diff. Vol. XXII. 66

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XIII. Das Landesaufgebot

schlossene Schwerin zu nehmen und den Herzog als Gefangenen nach Wien zu bringen. 59 Dem Druck Preußens folgend, gab man in Hannover nach und erklärte, weder Dömitz noch Schwerin nehmen zu wollen (4. Oktober). Man wollte eine Entscheidung des Kaisers abwarten. Doch Preußen drängte auf den Abmarsch der Lüneburger Truppen, die sich immer noch in sehr großer Zahl im Lande aufhielten. Nur dann, wenn alle Hannoveraner abzögen, würde auch Preußen von einem Einmarsch absehen. Da das bislang nicht der Fall sei, würden auch preußische Truppen einrücken. Der General von Schwerin hatte sich inzwischen in sein Hauptquartier nach Lenzen begeben. Dort erfuhr er, daß die zurückgezogenen hannoverschen Regimenter schleunigst zurückbeordert worden waren, um die für Hannover wichtigen kleinen Städte längs der Elbe zu besetzen. Am 16. Oktober ließ der General von Schwerin den hannoverschen Oberkommandierenden, Obrist von Gröben und dem General-Wachtmeister von Campen, Schreiben überreichen, die besagten, daß Preußen zur Wiederherstellung der Ruhe in Mecklenburg einrücke. Er schlug vor, in Parchim oder Crivitz mit einem der Lüneburger Kommandeure zusammenzutreffen, um alles Nötige, wie die Verpflegung und die Unterbringung der Truppen, regeln zu können. Er ersuchte darum, von allen weiteren einseitigen Operationen, besonders gegen Dömitz, abzusehen. Auch warnte er davor, die Einschließung Schwerins so weit zu vervollständigen, „daß der Ort dadurch zur Extremität gebracht werde, massen widrigenfalls mich gemüßiget sehen werde, darwider mit gestärckter Hand zu setzen, und alles einseitige Procedere zu behindern". 60 Am 18. Oktober rückte von Schwerin mit 300 Reitern in Mecklenburg ein und besetzte Parchim. Am folgenden Tage rückten die übrigen Regimenter ein und quartierten sich in mehreren Städten, zum Beispiel Güstrow, Sülze, Waren und anderen Orten, ein. Von Schwerin ließ am 21. Oktober ein Patent im Lande publizieren, das allen Einwohnern mitteilte, daß Preußen als Mitkonservator mithelfen wolle, die Ruhe im Lande wiederherzustellen. Allen „Aufrührern und Tumultanten" wurde befohlen, die Waffen niederzulegen und sich nach Hause zu verfügen. Von vornherein ließ von Schwerin keinen Zweifel daran, daß er nicht gekommen sei, um den Herzog Carl Leopold wieder in seine alte Stellung einzusetzen; denn das mußte unweigerlich zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Hannover führen. Preußen praktizierte in Mecklenburg eine Politik, die scheinbar ganz im Sinne Hannovers und des Kaisers lag, jedoch in Wirklichkeit weitgehend den Interessen des Herzogs entgegenkam. So verbot Preußen in den von ihm besetzten Städten Verhöre von Aufwieglern und Rädelsführern sowie auch von Zeugen für oder gegen sich bereits in Haft befindende Personen. Zahlreiche aktive Teilnehmer am Aufstand stellten sich unter preußischen Schutz und konnten sich auf diese Weise den Verfolgungen der Lüneburger Truppen entziehen.61 Der General von Schwerin nahm sogleich die Verbindung mit dem kaiserlichen Kommissar auf. Er sandte seinen Adjutanten von Zastrow zu Christian 59 60 61

Droysen, J. G., a. a. O., Bd IV, 3, S. 224. Klüver,H.H., a. a. O., Bd VI, S. 316. Vgl. die Liste derjenigen, die nicht abgeurteilt werden konnten, da sie unter preußischem Schutz standen und mit „salve Gvarden auch Salvis conductibus" versehen waren. LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XVIII.

XIII. Das Landesaufgebot

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Ludwig nach Barth. Im Lande herrschten schreckliche Verhältnisse. Jegliche Ordnung war dahin. Die Lüneburger Truppen hatten arg gehaust, häufig geplündert und das Vieh geschlachtet. So war die Bevölkerung sehr erfreut über den Einmarsch preußischer Truppen, von denen sie sich eine bessere Ordnung der Verhältnisse versprach. Der Adel schwebte wiederum in großer Angst, und mehrere Mitglieder dieser Klasse zogen es vor, abermals das Land zu verlassen, um den Lauf der Dinge aus der Ferne zu beobachten. Der geschlagene Herzog Carl Leopold war über alles verstimmt. Er wandte sich in scharfer Form gegen das Patent seines Bruders vom 26. September. Carl Leopold ließ am 23. Oktober ein Patent publizieren, das seine Untertanen an seine früheren Patente vom 19. Oktober 1723, 15. Dezember 1732, 23. Mai 1733, 29. Juni 1733 und 5. August 1733 erinnerte und sie erneut ermahnte, nur seinen Befehlen zu gehorchen und seinem Bruder den Gehorsam zu verweigern. Er rechtfertigte das Landesaufgebot mit seinem jus armorum, das ihm nicht genommen werden könnte, denn er sei der richtige und rechtmäßige Landesherr. Auch über Preußens Verhalten war Carl Leopold verstimmt. Friedrich Wilhelm hatte das letzte Schreiben des Herzogs durch seinen Minister beantworten lassen und zu verstehen gegeben, daß nur völlige Parition gegenüber den Verordnungen des Reichshofrates in Frage käme. In einem Schreiben vom 21. November bedankte sich der Herzog zwar für das Einrücken der preußischen Truppen, die eine Aufhebung der Belagerung erwirkt hatten, doch zeigte er sich ziemlich enttäuscht, daß Preußen nicht auf Grund seiner Allianz, sondern als Mitkonservator gekommen sei, sich mit den Lüneburgern verständigt habe, die Kommission mit zur Wirkung bringen wolle und mit Christian Ludwig verhandele. Allerdings scheint Friedrich Wilhelm daraufhin Carl Leopold seinen Schutz zugesagt zu haben; denn in dem Schreiben vom 9. Dezember sprach ihm der Herzog seinen Dank dafür aus. 62 Inzwischen war am 3. November eine weitere Resolution des Kaisers eingegangen. 63 Der Kaiser machte darin Christian Ludwig sehr heftige Vorwürfe, daß er nach Barth geflüchtet wäre und nicht rechtzeitig für eigene Truppen gesorgt habe. Den mecklenburgischen Untertanen versicherte der Kaiser, daß nur die Rädelsführer bestraft werden sollten. Es wurde befohlen, keinem weiteren Aufgebot Folge zu leisten. An den kaiserlichen Minister von Seckendorff in Berlin wurde geschrieben, daß aus erbeuteten Papieren über ein Bündnis mit Frankreich zu ersehen sei, wie wenig ernst es dem Schweriner Herzog mit seiner Parition und Submission sei. Der Kaiser wolle zwar das jus foederorum nicht antasten, aber eine Allianz zur „Hintertreibung Kayserl. Verordnungen" könne er nicht zulassen. Carl Leopold wolle „denen Kayserl. ergangenen Erkenntnissen, die sich auf Privilegia der Ritter- und Land62 S3

L H A Schwerin, Act. diff., Vol. XXII. Abgedruckt bei Klüver,H.H., a. a. O., VI, S. 328—331. Das Schreiben an Seckendorff findet man in einer Kopie im L H A Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I V . Der Graf v. Seckendorff war eigens v o n Wien nach Berlin gesandt worden, um Preußen am Einmarsch in Mecklenburg zu hindern. Vgl. den Brief des Kaisers v. 5. Oktober heiKlüver, H.H., a. a. O., Bd V I , S. 3 1 1 .

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schaft und Land-Tages Schlüsse gründeten, eine unumschränckte Landes-Hoheit entgegen setzen. . .". Erst wenn Carl Leopold allen kaiserlichen Verordnungen ohne Ausnahme nachkäme und alle Widersetzlichkeit aufgäbe, könne von Parition gesprochen werden. Das war die Antwort an Preußen, das, wie schon gesagt wurde, den Kaiser am 6. Oktober um die Paritionsbedingungen gebeten hatte. Schon am 5. Oktober hatte der Kaiser Christian Ludwig in einem Schreiben mitgeteilt, daß er über sein Verhalten sehr ungehalten sei. Er hatte zwar die Verlegung des Landtages von Sternberg nach Rostock gebilligt, war aber ganz und gar nicht mit einem Aufschub des Landtages einverstanden. Doch war es bisher wegen des Aufgebotes unmöglich gewesen, die Landstände zusammenzubekommen. Der Kaiser befahl Christian Ludwig, sofort nach Rostock zurückzukehren und den Landtag zu eröffnen. Vor allem sollte er sich endlich ernsthaft um Truppen bemühen. Wenn Württemberg ihm keine überlassen wollte, dann sollte er versuchen, von Hamburg Truppen zu übernehmen. Zu seiner Unterstützung bei der Übernahme von Truppen in Hamburg wurde ihm der Baron von Kurzrock zugeteilt. Diesem Befehl konnte sich der Kommissar im Lande nicht widersetzen, und da außerdem inzwischen wieder Ruhe in Mecklenburg herrschte, kehrte Christian Ludwig am 23. Oktober mit einer Eskorte von 50 Mann in das von 1400 Mann Lüneburger Truppen besetzte Rostock zurück. Dort wurde er mit Salutschüssen empfangen, und Deputierte der Ritterschaft, der Universität, seines Ministeriums, des Rostocker Magistrats und die Bürgermeister von Parchim und Güstrow brachten ihm ihre Glückwünsche dar. Der Beginn des Landtages wurde auf den 4. November festgesetzt. Die Landstände, darunter auch zahlreiche Bürgermeister, waren schon am 28. Oktober in Rostock zu einem Landeskonvent eingetroffen. Auf diesem Konvent wurde die durch den preußischen Einmarsch entstandene Lage behandelt; doch wurden offenbar keine Beschlüsse gefaßt. Am 4. November versammelten sich zahlreiche Deputierte der Ritterschaft und viele Bürgermeister der Städte zur Eröffnung des Landtages. 64 Die von Christian Ludwig vorgelegte Proposition verlangte folgendes: 1. die Beibehaltung der bisherigen Kontribution vom Jahre 1701, 2. die Fortdauer des bisherigen Hufen- und Erbenmodus, 3. die Aufstellung eines Gutachtens wegen der Truppenübernahme, 4. eine Beratung über die Begleichung der rückständigen Kommissionskosten, 5. eine Beratung über rückständige Kontributionen früherer Jahre und 6. die Vorlage von Gravamina von Ritterschaft und Landschaft. Die Beratungen auf dem Landtage gingen sehr friedlich vor sich, da die Bürgermeister der Vorderstädte, die früher die Wortführer der Städte gegen den Adel gewesen waren, sich nun in keinen Streit mit dem Adel einlassen wollten, da sie von Carl Leopold abgesetzt waren und ihre Stellung dem Adel und dem kaiserlichen Kommissar verdankten. Die Bürgermeister der übrigen Städte wagten es nicht, eine starke oppositionelle Haltung einzunehmen, aus Sorge, daß man ihnen ihre Beteiligung am Landesaufgebot vorhalten könnte. Die Leitung der Verhandlungen über die bürger64

Die Verhandlungen auf dem Landtage sind eingehend bei Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 93—105, geschildert.

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liehe Nahrung und den Kontributionsmodus, die Hauptstreitpunkte mit dem Adel, wurde dem Hofrat Busse aus Parchim übertragen, der sich jedoch hütete, darüber verhandeln zu lassen, um das gute Einvernehmen mit dem Adel nicht zu stören. Die Verhandlungen wurden deshalb auf unbestimmte Zeit vertagt. Dagegen bemühten sich Ritterschaft und Städte gleichermaßen, die ehemalige Union zwischen beiden schnellstens wiederherzustellen. Das bedeutete eine Aufhebung des Vertrages von 1708, der unter den im Lande waltenden Umständen nach dem Landesaufgebot sowieso hinfällig geworden war. Um nun überhaupt einen gewissen Einfluß auf die Kontributionserhebung und vor allem auf den Kontributionsmodus ausüben zu können, mußten die Städte versuchen, ihre früheren Plätze im engeren Ausschuß wieder einzunehmen. Diesen Gedankengang verstanden die beiden mit dem Schweriner Herzog verfeindeten Bürgermeister Busse und Vick den anderen Bürgermeistern klarzumachen. Da auch der Kaiser bereits zweimal die Wiederherstellung der Union angeordnet hatte, wurde am 18. November 1733 ein Entwurf auf der Grundlage der Union vom Jahre 1523 fertiggestellt und von beiden Seiten angenommen. 65 Der Lohn für die Bemühungen Busses und Vicks war die Aufnahme in den engeren Ausschuß. Schon vorher hatten die Deputierten die Beratungen über die Proposition des Herzogs abgeschlossen und Christian Ludwig mitgeteilt, daß die Landstände 1. trotz der schlechten Zeiten für das Jahr 1733 120000 Rthl., das heißt die normale Jahreskontribution, aufbringen wollten und 2. mit dem Hufen- und Erbenmodus einverstanden wären. Mit den Städten wollten sie sich später vergleichen, das heißt, die Städte wagten keine Einwände gegen den sie erheblich mehr belastenden Erbenmodus zu erheben. 3. Die Garantierung der Sicherheit hielten sie für das wichtigste. Deshalb schlugen sie vor, sich in Württemberg, Sachsen-Gotha, Hamburg oder Holstein um Truppen zu bemühen, denn die Ritterschaft fürchtete ein erneutes Aufgebot von Schwerin aus. Wer diese Truppen bezahlen sollte, blieb offen. 4. Die Bezahlung der Exekutionskosten sollte der Herzog Carl Leopold übernehmen. Dazu sollte sich Christian Ludwig außerhalb Mecklenburgs um den erforderlichen Kredit bemühen. Als Sicherheit standen ja genügend fürstliche Ländereien zur Verfügung. 5. Kontributionsgelder für die Jahre aufzubringen, in denen kein Landtag stattgefunden hatte, wurde abgelehnt. 6. Die Landstände würden Gravamina sammeln und später vorlegen. 66 Mit dem Ergebnis der Beratungen über den Punkt 3 war Christian Ludwig nicht einverstanden; doch gelang es ihm nicht, seine Landstände zur Übernahme der Unterhaltungskosten für die Truppen zu bewegen. Sie erklärten sich lediglich bereit, 2300 Mann aus den Einkünften des Landkastens, das heißt von der Kontributionssumme, zu unterhalten. Auf dem Landtage fand sich auch der preußische General von Schwerin ein. Er übergab am 4. November ein Promemoria, in dem er als Bevollmächtigter seines Königs noch einmal seine auf die Ruhe im Lande abzielenden Bestrebungen bekräftigte. Aber gleichzeitig forderte er von den Landständen, daß seinen Truppen 66 86

Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 103. Klüver,H.H., a. a. O., Bd VI, S. 343; Franck,D.,

a. a. O., Bd X V I I , S. 1 0 0 - 1 0 1 .

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die gleichen Portionssätze wie den Lüneburgern bewilligt würden. Bisher hatten nämlich die Stände keinerlei Anstalten gemacht, für die Verpflegung der Preußen zu sorgen. Der Groll der Ritterschaft über den preußischen Einmarsch kam deutlich in der Absage der Landstände vom 6. November zum Ausdruck, in dem höflich, aber bestimmt von Schwerins Ansinnen abgelehnt wurde. Daraufhin überreichte der preußische General am 8. November erneut ein Schreiben, in dem er den Ständen den vernünftigen Vorschlag unterbreitete, auf Truppenanwerbung zu verzichten und dafür aus Preußen, Hannover und Wolfenbüttel je 600 Mann als Sicherheitstruppen zu übernehmen. Auch in bezug auf die Abzahlung der Exekutionskosten an Hannover und Wolfenbüttel wurden von ihm Vorschläge gemacht, die etwa dem späteren Beschluß der Landstände entsprachen. Doch auch hierauf antworteten die Landstände lediglich mit dem Hinweis, daß der Kaiser allein über solche wichtigen Angelegenheiten entscheiden könnte. So erwies sich alle Mühe von Schwerins, für seine Truppen genügend Verpflegung zu erhalten, als vergeblich. Da griff er zur Selbsthilfe und quartierte seine Truppen in Städten und fürstlichen Ämtern ein. Sein Hauptquartier legte er nach Parchim. Das kümmerte die Ritter nicht; als aber die ersten Klagen nach Rostock gelangten, daß auch von Adelsbauern Verpflegung gefordert würde, beschloß man sofort, einige Deputierte zu dem preußischen General zu senden, die die nötigen Vorstellungen erheben sollten. Schwerin antwortete ihnen, er wüßte nicht, wer von den Bauern adelig und wer fürstlich wäre, da ihm hierüber nichts mitgeteilt würde. In einem weiteren Promemoria vom 18. November drohte er sogar damit, daß er auch Adelsgüter mit besetzen ließe, wenn man ihm nicht bald Verpflegung für seine Truppen anweisen würde. Er versichterte, daß die preußischen Truppen auf jeden Fall im Lande bleiben würden, und zerstörte mit dieser Mitteilung die Hoffnung der Ritterschaft und Hannovers auf einen baldigen Abzug der preußischen Truppen. Als auch diese Drohung ohne Erfolg blieb, ließ von Schwerin die Verpflegung für seine Truppen mit Gewalt eintreiben.87 Schon bei den ersten Vorbereitungen zum Landesaufgebot dachte man in Schwerin daran, sich außerhalb Mecklenburgs Unterstützung dafür zu sichern. Wir haben bereits gesehen, daß die Bemühungen des Herzogs in den zwanziger Jahren, diplomatische Unterstützung zu erhalten, scheiterten. Das war aber für den Schweriner Herzog kein Grund, nicht immer wieder neue Versuche zu unternehmen. Dabei wurde von ihm ein früherer Plan, nämlich der Wechsel der Religion, erneut hervorgeholt. Mit Unterstützung der katholischen Kirche konnte es ihm vielleicht gelingen, den Kaiser zum Nachgeben zu bestimmen. Ein sich am Hofe in Schwerin aufhaltender Abenteurer, der Duc de Falari, erklärte sich bereit, als Mittelsmann des Herzogs nach Rom zu gehen und mit dem Papst zu verhandeln. Der Duc de Falari war angeblich aus Frankreich ausgewiesen worden und schließlich bis Schwerin gekommen, wo er sich als Verwandter des Herzogs ausgab. 68 Falari sollte in Rom als Gegenleistung für den Religionswechsel vom Papst Subsidiengelder und die Unterstützung " Klüver,H.H., a. a. O., Bd VI, S. 349 - 3 6 0 . 68 Er war angeblich mit der französischen Frau Christian Louis', des Onkels und Vorgängers seines Bruders, verwandt.

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des Herzogs am kaiserlichen Hofe fordern, um die vollständige Landesregierung wiederzuerlangen. Falari konnte in Rom tatsächlich so viel erreichen, daß sich der päpstliche Nuntius in Wien für die mecklenburgische Sache zu interessieren begann. Der Bischof von Hildesheim, Freiherr von Twickel, reiste nach Schwerin. Er erreichte immerhin, daß der Jesuitenpater Burchardius als Missionar nach Schwerin gesandt werden durfte. Beide bemühten sich, Carl Leopold zum Übertritt zum Katholizismus zu veranlassen, um auf diese Weise im Lande festen Fuß zu fassen. Doch aus unbekannten Gründen verzichtete der Herzog auf seinen ursprünglich beabsichtigten Religionswechsel. Burchardius konnte nur die Gründung einer katholischen Gemeinde in Schwerin erreichen. Der Duc de Falari kam vorläufig nicht zurück, da er auf seiner Rückreise ergriffen und in einen Schuldturm gesperrt wurde. Erst nach Jahren tauchte er wieder auf, konnte sich noch einmal das Vertrauen des Herzogs erwerben, der ihn als Gesandten nach Rußland schickte. Doch dort wurde er sofort nach seiner Ankunft verhaftet und vermutlich nicht mehr freigelassen. Carl Leopold verleugnete ihn. 69 Schon vorher hatte Carl Leopold von Danzig aus versucht, die Unterstützung pietistischer Kreise zu gewinnen. Im Lande überließ er der pietistischen Prinzessin Augusta von Mecklenburg-Güstrow das Amt Dargun. Mit August Herrmann Francke und anderen Pietisten korrespondierte er. Er fragte sie um Rat, was in seiner Lage zu tun sei, und bat sie, ihm Vorschläge zur Verbesserung des Kirchenzustandes in Mecklenburg zu machen. Doch kam keine Einigung mit den Pietisten zustande, da diese auf Unterwerfung des Herzogs unter den Kaiser bestanden.70 Innerhalb des Reiches hielt Carl Leopold an seiner bisherigen Gewohnheit fest, in ziemlich regelmäßigen Zeitabständen ausführliche Berichte an seinen Beauftragten in Regensburg zu senden, die in den Jahren von 1730 bis 1733 hauptsächlich Klagen über Ausschreitungen der Lüneburger Truppen und Rechtfertigung für die eigenen Maßnahmen enthielten. Daneben wurden aus Schwerin weiterhin Zirkularschreiben an die Reichsstände versandt. Im Jahre 1731 wurde der Hofrat Taddel in aller Stille auf Reisen geschickt, um bei der Abgabe der Zirkularschreiben noch persönliche Unterredungen zu führen, die den Inhalt der Schreiben unterstützen sollten. Er fuhr nach Gotha, Mannheim, Darmstadt, Mainz, Stuttgart, Köln, München und zuletzt noch nach Regensburg. Seine Ausführungen über die ungünstige Lage Carl Leopolds, der eingeschlossen in Schwerin saß, wurden zur Kenntnis genommen, aber mehr auch nicht. In den wenigen eingegangenen Antworten wurde das Bedauern über den traurigen Zustand in Mecklenburg zum Ausdruck gebracht, aber eine Bereitschaft zur Unterstützung war aus ihnen nicht zu entnehmen.71

69

70

71

16

Die Geschichte des Duc de Falari wurde ausführlich v o n Lisch, G. C. F., Graf Heinrich 24. Reuß . . ., Schwerin 1849, dargestellt. Vgl. auch L H A Schwerin, Generalia, Superintendantur Güstrow, Eccl. Generalia: Kirchenwirren unter Carl Leopold; LHA Schwerin, Act. diff., Vol. X L V I I I ; Ostermann-Korrespondenz, Auswärtiges Nr 309. Lisch, G. C. F., ebenda; eine bessere Darstellung findet man bei Wilhelmi, H., Augusta, Prinzessin von Mecklenburg-Güstrow, und die Dargunschen Pietisten, Schwerin 1883. L H A Schwerin, Act. diff., Vol. X X . Wiek, Absolutismus

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Im Januar 1733 bestellten der Generaladjutant Raiser und der Geheimsekretär Heil auf ihrer Reise nach Frankreich Zirkularbriefe oder gaben sie der Post auf. Die Verhandlungen, die zwischen Mecklenburg und Frankreich in den Jahren 1733 bis 1735 stattfanden, sind bisher in der Literatur sehr wenig bekannt geworden. Man weiß lediglich, daß der Kaiser wegen der Allianz mit Frankreich, auf die man durch die in Lewitz erbeuteten Papiere Raisers aufmerksam geworden war, eine genaue Untersuchung forderte.72 Es war die Abicht des Schweriner Herzogs, eine Allianz zustande zu bringen, um dann mit französischer, russischer und vielleicht auch schwedischer Unterstützung die Lüneburger Truppen zum Abzug zu veranlassen. Dieses schon früher einmal aufgegriffene Projekt fand jetzt in Frankreich einen günstigeren Nährboden infolge der durch den Tod Augusts des Starken eingetretenen Differenzen um die Nachfolge in Polen und infolge der wegen der Pragmatischen Sanktion im Reich auftretenden Unstimmigkeiten. Es war durchaus Carl Leopolds Wunsch, einen Krieg von europäischem Ausmaß zu entfesseln, um die Besatzungstruppen in seinem Lande loszuwerden; denn Schweden sollte für die Teilnahme an dem geplanten Kriege mit Bremen und Verden belohnt werden, während der Zarin für die Aufgabe ihres Bündnisses mit dem Kaiser eine Allianz mit Frankreich in Aussicht gestellt wurde. 73 Raiser und Heil reisten, mit solchen Instruktionen versehen, am 30. Januar 1733 von Schwerin ab und kamen in Paris am 8. März an. Doch ein Erfolg war den beiden Unterhändlern nicht beschieden. Die Verhandlungen wurden mit dem Secrétaire du Roy des affaires Etrangères, M. Piquet, dem Minister Garde de Seaux Chauvelin und dem Conseiller d'Etat Cuenz de Haanberg geführt. Über eine Unterredung mit Piquet berichtet Raiser in seinem Reisetagebuch : Auf ihre Bitte um französische Unterstützung sagte dieser, „er täte gar nicht begreifen, wie und was für assistance wir von Frankreich praedendirten, ob Ihro Durchl. denn verlangte, daß Frankreich mit dem Cayser, Mecklenburg halber, Krieg anfangen solte!" Das bestritten Raiser und Heil und meinten, nur Protektion (besonders in Regensburg) verlangt zu haben. Die „reele assistance, so wir gebeten, ginge nur unsere Nachbarn Feinde, denen Lüneburgern, an, welche, da sie weder durch ehemalige bereits ergangene Kayserl. Verordnung noch durch andere gebrauchte Mittel, die Mecklenburgische Lande, so Ihnen allzu gelegen und angenehm, verlassen wollten, im fall der Noht, mit résistance und Gewalt heraus gestoßen werden müßten; und ob sich gleich die Lüneburger mit dem Vorwand einer Kayserl.Commission schützten, so könnte doch solches gar nicht regardiret werden", da sie sich „als offenbare Feinde" erwiesen, hätten. Es folgen dann noch andere Ausdrücke, wie Räuber und Verräter des Landes die den Raub unter sich geteilt hätten, usw. 74 Man ist erstaunt über die Naivität der Argumente, mit denen die beiden Unterhändler Frankreich in einen Krieg mit Hannover-England zu verwickeln suchten. So verhielt sich denn auch Frankreich 72

,3

74

Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 93; einiges Material findet man auch bei Bülau, F., Geheime Geschichten und Rätselhafte Menschen, Leipzig 1851, Kap. X X , S. 417. Siehe auch Anm. 76. Vgl. dazu die Verhöre Raisers (LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIV), Heils (ebenda, Vol. X I X ) und Brades. (LHA Schwerin, Act. diff., Vol. LI.) Journal Raisers, in : LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. X I V .

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zunächst gänzlich abgeneigt; erst im Mai, als in Aussicht gestellt wurde, Rußland von seinem Bündnis mit dem Kaiser abbringen zu können, zeigten sich einige Lichtblicke für Mecklenburg. Es wurde den beiden Gesandten zwar zu verstehen gegeben, daß sie abreisen sollten, doch mit dem Zusatz, daß für Frankreich „noch nicht der favorable moment" gekommen wäre, um sich darein zu „meliren". Außerdem gab man ihnen zu verstehen, daß man französischerseits gern auf die mecklenburgischen Postulate eingehen würde, wenn Mecklenburg etwas für eine veritable Freundschaft zwischen Frankreich und Rußland tun könne, an der die Pariser Regierung wegen der polnischen Thronfolge besonders interessiert war. Als die beiden Gesandten mit diesem Bescheid Ende Juli nach Schwerin zurückkehrten, versuchten Carl Leopold und sein außenpolitischer Ratgeber, der Forstmeister Neuendahl (vorher hatte der inzwischen verstorbene Kanzleirat Schröder dieses Amt bekleidet) 75 , diese schwache Möglichkeit auszunutzen, den Vermittler für ein Bündnis zwischen Rußland und Frankreich zu spielen. Offenbar war der Schweriner Herzog bisher überhaupt nicht von Rußland dazu aufgefordert worden, in Paris das Terrain für ein russisch-französisches Bündnis zu sondieren. Sofort wurde beschlossen, Raiser und Heil nach Rußland zu entsenden, um in Moskau gewissermaßen als französischer Unterhändler aufzutreten. Raiser weigerte sich, nach Moskau zu fahren, da sein angegriffener Gesundheitszustand dies nicht zuließe. So fuhr Heil 76 allein. Seine Instruktion lautete, er solle die Renovation des 1716 geschlossenen Allianzvertrages „sollicitiren"; außerdem sollte Heil im Sinne der französischen Bündnisbestrebungen zuwege bringen, „daß Propositiones Zu einer wahren Freundschaft mit Russland auf das fundament des Retablishements Stanislai möge gerichtet werden". Anscheinend machte man sich in Schwerin Hoffnungen, daß Rußland vielleicht doch entsprechend dem Vertrag von 1716 mit seinen Truppen eingreifen würde, und rechnete damit, daß Frankreich sich zumindest mit Geldmitteln an dem Unterhalt der Truppen beteiligen würde. Heil reiste außerordentlich schnell und kehrte 75

76

Es ging in Schwerin das Gerücht um, daß Schröder nach Mißhandlungen durch Carl Leopold mit ihm zur Jagd reiten mußte, von der er nur als Toter zurückkam. Vgl. Lisch, G. C. F., Graf Heinrich 24. Reuß . . Schwerin 1849. Christian Wilhelm Heil wurde 1706 in Wittenberg geboren. Sein Vater war Appellationsrat und später Justizrat bei den sächsischen Kurfürsten. Nach Abschluß seines Jurastudiums trat Heil als Geheimer Sekretär in die Dienste Carl Leopolds (August 1732). 1 7 3 4 wurde er Hofrat. Er wurde mit diplomatischen Missionen betraut. Heil wurde nach seiner Gefangennahme 1735 nach Wien zum Verhör vor den Reichshofrat gebracht. Ende 1 7 3 6 oder 1737 wurde das Urteil über ihn gesprochen (liegt nur im Konzept v o r ; ohne Datum). Er hätte wegen seiner schweren Verbrechen gegen das Reich (gemeint waren seine diplomatischen Intrigen mit Frankreich und Rußland gegen das Reich) verdient, mit dem Schwert hingerichtet zu werden. Aber der Kaiser habe ihn begnadigt gegen den Eid, die kaiserlichen Erblande nicht zu betreten und sich zu keinen Intrigen mehr mißbrauchen zu lassen. Er mußte Urfehde schwören. Gleichzeitig wurde Christian Ludwig in Mecklenburg angewiesen, ein wachsames Auge auf ihn zu haben. Siehe LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I X . Vgl. auch Zontar, /., Christian Wilhelm Heil, ein Diplomat, Projektemacher und nationalökonomischer Theoretiker des 18. Jahrhunderts, in: Südostforschungen Bd 17, 1958, S. 3 7 6 - 4 0 6 .

16*

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bereits im August nach Schwerin zurück. Er brachte eine im freundlichen Ton gehaltene Antwort mit. Man hatte von Heil die genauen und vollständigen französischen Bedingungen für ein Bündnis wissen wollen, die dieser natürlich nicht angeben konnte. Man versprach Carl Leopold, ihm in seiner Angelegenheit die größtmögliche Hilfe zukommen zulassen. Frankreich hätte schon durch andere diplomatische Kanäle Rußland Bündnisangebote gemacht, jetzt aber würde man sich in Moskau besonders auf die Vermittlung Carl Leopolds stützen. Diese russische Antwort kann man keinesfalls als ein Hilfeversprechen bezeichnen. Es ist deshalb charakteristisch für das Selbstvertrauen des Herzogs auf die eigene Kraft und vielleicht auch für die verzweifelte Stimmung, daß trotzdem im September das Landesaufgebot erlassen wurde. Neben der Vorbereitung und der Durchführung des Aufgebots wurden aber die diplomatischen Verhandlungen nicht vernachlässigt. Heil sollte unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Frankreich fahren und die genauen „Propositiones" zu erlangen versuchen. Doch weil zwischen Frankreich und dem Reich inzwischen der Krieg um die polnische Thronfolge erklärt worden war, wagte Heil die Reise nach Frankreich nicht; er wurde statt dessen nach Danzig zu Stanislaus Leczynski und dem sich dort befindenden französischen Minister Marquis de Monti geschickt. Er sollte Monti veranlassen, ihm aus Frankreich die akkreditierten Propositionen zu verschaffen. Bei Stanislaus sollte er erreichen, daß dieser ihn ermächtigte, am russischen Hofe über die „Aufhaltung der Rushischen Hostilitäten" zu proponieren und zu versichern, daß Frankreich für die Einstellung des Kampfes nicht nur gute, annehmbare Vorschläge machen, sondern sich auch für die Sicherheit Rußlands gegen die Türkei und andere unruhige Nachbarn einsetzen würde. Verständlicherweise war Stanislaus damit einverstanden, doch Monti hielt die mecklenburgischen Vorschläge für „inutil", die von Rußland nicht angenommen würden. Er versprach jedoch, einen Kurier nach Paris zu schicken und die Antwort nach Schwerin zu übersenden. So kehrte Heil unverrichteterdinge nach Schwerin zurück, da er nun nicht, wie vorgesehen, nach Rußland Weiterreisen konnte. Der jähzornige Carl Leopold war wütend über den Mißerfolg, und weil Heil daran keine Schuld trug, zeigte er nur seine Empörung darüber, daß sein Gesandter mit dem „Verräter und Rebellen" Vietinghoff gesprochen hatte. Da die versprochene Antwort auf Montis Eilbotschaft ausblieb, wurde Heil im Januar 1734 erneut nach Frankreich geschickt. Er sollte die russische Antwort überbringen und verlangen, daß man ihm die Propositionen für ein russisch-französiches Bündnis mitteilte. Wegen des Kriegszustandes mit Frankreich fuhr er unter einem Decknamen mit seinem Kammerbedienten Hartwig mit dem Schiff über Holland nach Frankreich. Er konnte mit dem Minister Garde de Seaux sprechen, der ihm jedoch erklärte, daß man sich in Frankreich sehr über den Beginn der Feinseligkeiten gewundert und sehr lange keine Nachricht erhalten habe. Der Minister de Monti hatte offenbar gar keinen Kurier abgesandt. Heil erhielt die geforderten Propositionen nicht ausgehändigt, da man in Paris glaubte, daß Rußland sie, nach seinen scharf formulierten Manifesten zu urteilen, nicht annehmen würde. Wenn allerdings Carl Leopold erreichen könnte, daß Rußland seine Feindseligkeiten einstellte und die Versicherung abgäbe, Propositionen hören zu wollen, so sollte auch Mecklenburg geholfen werden.

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Im Februar 1734 kehrte Heil nach Schwerin zurück, aber schon acht Tage nach seiner Ankunft mußteer sich wieder auf den Weg nach Rußland machen, um dort Frankreichs Forderungen durchzusetzen. In Moskau verhandelte er mit Ostermann, der jedoch alles, was Heil vorbrachte, als wenig reell bezeichnete und zurückwies. Von Rußland die Einstellung der Feinseligkeiten zu verlangen, wäre eine Zumutung; Rußland wäre in einer so günstigen Situation (Danzig eingeschlossen), die man nicht aufgeben wolle. Heil versuchte trotzdem noch einmal, die mecklenburgische Angelegenheit voranzubringen, und schlug vor, wiederum nach Frankreich zu fahren, um die besagten Propositionen zu erhalten. Damit erklärte sich Ostermann einverstanden und gab ihm sogar einen Paß als russischer Kurier. Im April war Heil wieder in Schwerin und fuhr sogleich weiter nach Frankreich. In Paris war man anscheinend über den Verlauf der bisherigen Verhandlungen erfreut und bereit, zusammen mit Heil einen akkreditierten Minister nach Moskau zu schicken, um die Propositionen vorzutragen. Für Mecklenburg wurde bei günstigem Ausgang der Verhandlungen in Moskau folgendes vorgesehen: 1. eine jährliche Subsidienzahlung von 2 Millionen Livres; 2. das Rétablissement des Herzogs in alle Negotationen und Traktate mit einzuschließen, das heißt, bei allen Verträgen das Anliegen Mecklenburgs im Auge zu behalten; 3. den Feinden und Rebellen Carl Leopolds keinen Schutz zu gewähren; 4. zusammen mit Rußland dem Herzog zum sicheren Besitz seines Landes zu verhelfen ; 5. die Garantierung des Westfälischen Friedens. Das waren Bedingungen, die den mecklenburgischen Herzog hoffen ließen, daß er doch noch in seinem Landes den Sieg davontragen würde. Doch anscheinend gingen die Pläne des Schweriner Herzogs bei den sich ihm nun bietenden Aussichten sogleich erheblich weiter, als lediglich seine alte Stellung wiederzuerlangen und eine absolute Regierung zu schaffen. Heil sagte aus, daß es die Absicht Carl Leopolds gewesen wäre, nach Säuberung seines Landes sich vom Reich zu lösen, das alte wendische Königreich wiederzuerrichten, die Wolffrädtin zu heiraten, den gemeinsamen Sohn zu legitimieren, seinen Bruder und dessen Familie in Acht und Bann zu tun und sich an allen Feinden zu rächen.77 Dazu sollten 30000 Mann in Mecklenburg aufgestellt werden, von denen 20000 Mann aus Rußland kommen sollten. Diese 20000 Mann sollten zur Hälfte aus russischen Regimentern bestehen, während die restlichen 10000 Mann von den auf diese Zahl aufgefüllten mecklenburgischen Truppen in der Ukraine gestellt werden sollten. (Es handelte sich um die 1719 von Rußland übernommenen mecklenburgischen Truppen.) Die Kosten für diese Truppen waren auf insgesamt 1000000 Dukaten berechnet, die Frankreich zur Hälfte tragen sollte. Über Schwerin fuhren Heil und der bevollmächtigte französische Minister de Bernardoni nach Rußland. Bernardoni, der unter dem Decknamen Müller reiste, sollte nach Abschluß der Verträge als Envoyé extraordinaire in Moskau bleiben. Heil hatte in Moskau die Aufgabe, Bernardoni mit Ostermann zusammenzubringen und bei Ostermann für Mecklenburg die Erneuerung des Vertrages von 1716 zu erwirken sowie die Aufstellung der 20 000 Mann für die mecklenburgische Armee durchzusetzen. 77

LHA Schwerin, Militaría, Landesaufgebot, Vol. XIX: Verhör Heils.

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XIII. Das Landesaufgebot

Die Verhandlungen in Moskau fanden im August 1734 statt. Die französischen Propositionen sind uns leider nicht bekannt. Ostermann und Bernardoni kamen zwar mehrmals zusammen, aber eine Einigung wurde nicht erzielt. Heil sah die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen in dem verächtlichen Verhalten französischer Minister gegenüber den russischen Staatsmännern und in der schlechten Behandlung russischer Gefangener. Das Scheitern der Verhandlungen hatte für den mecklenburgischen Herzog zur Folge, daß auch alle mecklenburgischen Projekte hinfällig wurden. Anscheinend war bereits ein Vertrag mit Frankreich vorbereitet, der in Travemünde abgeschlossen werden sollte. Heil mußte sich nach seiner Rückkehr heftige Vorwürfe anhören, weil er den Abschluß des Vertrages nicht durch ein Geschenk von 1000000 Livres an Ostermann gefördert hätte. In diesen Verhandlungen kommt so recht zum Ausdruck, daß der machtlose Schweriner Herzog kein Mittel unversucht ließ, um sich für die ihm angetane Ungerechtigkeit zu rächen und sein Ziel, absolut zu regieren, zu erreichen. Dabei überschätzte er zweifellos in starkem Maße seine Möglichkeiten. Es hat den Anschein, als ob sich Carl Leopold als Angelpunkt europäischer Politik betrachtete, und es zeugt für seinen Größenwahn, wenn er sich einbildete, daß die Großmächte nur auf einen von ihm angezettelten Krieg warten würden, in dessen Verlauf er dann seine Ziele durchsetzen könnte. Es wurde bereits dargestellt, daß sich in den Kämpfen nach dem Landesaufgebot vom September 1733 der Herzog mit den Bürgern der Landstädte und den Bauern den Rittern und den Lüneburger Truppen gegenüberstand. Die Städte Rostock und Parchim beteiligten sich so gut wie nicht an dem Aufgebot. Die Ziele der Aufständischen wurden ausschließlich von Schwerin bestimmt, das heißt, es gab überhaupt keine revolutionären Ziele, die etwa darauf hinausliefen, „das Schicksal des Bauern zu wenden" 78, oder die einen Vergleich mit dem Großen Deutschen Bauernkrieg aushielten. Die Bauern erhoben sich nicht spontan und nicht gegen den Adel, sondern mußten von den Beauftragten des Herzogs mühsam zusammengeholt werden, gingen höchst widerwillig mit und nutzten meist die erste beste Gelegenheit, wieder nach Hause zu kommen. Bezeichnend ist, daß der Anteil der Domanialbauern, die häufig von den dem Herzog ergebenen Pächtern angeführt wurden, erheblich höher lag als der der Adelsbauern. Plünderungen von Gutshäusern waren eine Seltenheit, lebensbedrohliche Angriffe auf Angehörige des Adels kamen nicht vor. Das ist kein Beweis für eine hohe Disziplin, die die Führer des Aufstandes — wie wir gesehen haben — nicht aufrechterhalten konnten, sondern zeugt meines Erachtens davon, daß die Bauern sich infolge Fehlens einer revolutionären Ideologie und Tradition keine Besserung der Verhältnisse vorstellen konnten. Sie erkannten in ihrer Rück78

Diese These vertritt Tessin, G., Der mecklenburgische Bauer, seine Geschichte und sein Recht, in: Mecklenburg, Jg. 29, Nr 4, S. 101. Vgl. auchStenbock-Fermor, A., Graf, Aus Mecklenburgs Vergangenheit. Der mecklenburgische Bauernkrieg, in: Uns Kalenner — Hauskalender für Mecklenburg-Vorpommern auf das Jahr 1947, S. 42 —44. — Stenbock-Fermor vertritt einen ähnlichen Standpunkt wie Tessin. Unrichtig ist auch die These von W. Görlitz, der einen Zusammenhang zwischen den Plänen zur Erbverpachtung und dem „mecklenburgischen Bauernkrieg" sieht, (a. a. O., S. 115.)

XIII. Das Landesaufgebot

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ständigkeit und durch jahrzehntelange Ausbeutung bedingten Abgestumpftheit nicht, daß bei einer einmütigen Erhebung gegen ihre Ausbeuter, den Adel und den Herzog, vielleicht eine Besserung ihrer Verhältnisse möglich gewesen wäre. Sie fühlten instinktiv, daß der Herzog bei seinem Kampf nicht für eine Besserung ihrer Lage eintrat, sondern nur egoistische und despotische Ziele verfolgte. Gewohnt, den Befehlen ihrer Obrigkeit zu folgen, sträubten sie sich nicht, dem Aufgebot Folge zu leisten, versuchten jedoch dabei, sich möglichst von allen Kämpfen fernzuhalten. Dazu kam noch, daß für jeden einsichtigen Menschen die Erfolglosigkeit des ganzen Unternehmens auf der Hand lag, denn mit Sensen und Forken konnte man gegen die Gewehre der Lüneburger Soldaten nichts ausrichten. Etwas anders war die Situation bei den Bürgern der kleinen Landstädte. Hier bestand ein Gegensatz zum Adel, der durch die Ansiedlung von zunftfreien Handwerkern, die Mißachtung städtischer Privilegien usw. immer wieder die städtischen Einnahmen zu beschneiden versuchte. Verstärkt wurde die feindselige Haltung der Bürger durch die vom Adel geförderte und gebilligte Einquartierung der Kommissionstruppen. Im besonderem Maße empfanden die Städte den ungerechten Kontributionsmodus, der für sie das Vielfache von der Summe ausmachte, die die Ritterschaft zu tragen hatte. Daraus erklärt sich die aktive Rolle, die die Bürgerschaft bei dem Aufstand spielte und sie häufig zu dessen Organisatoren und Führern werden ließ. Aber andererseits zeigten sich bei ihnen auch Unentschlossenheit und Feigheit, die für die ganze spätere Zeit ein Merkmal des deutschen Bürgertums geblieben sind. So muß das Landesaufgebot von 1733 in Mecklenburg als ein Kampf innerhalb des Feudalwesens angesehen werden, in dem der Herzog sich gegenüber seiner Ritterschaft und dem mit ihr verbündeten Kurfürstentum Hannover durchzusetzen versuchte. Bei diesem Kampf fand der Herzog im Bürgertum und mit Einschränkungen in der Bauernschaft Bundesgenossen. Daß der Adel seine Position behaupten konnte, beweist, daß im 18. Jahrhundert in Mecklenburg der Verfall der Feudalordnung noch verhältnismäßig wenig in Erscheinung trat.

KAPITEL XIV

Kurze Schilderung des weiteren Verlaufs der mecklenburgischen Angelegenheiten bis zum Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich 1755

Für jeden einsichtigen Menschen mußte feststehen, daß für den Herzog keine Aussicht mehr bestand, seine Macht wiederzuerringen, ganz zu schweigen von einer absoluten Herrschaft. Doch in Schwerin dachte man darüber anders. Carl Leopold zog keinerlei Lehren aus seiner Niederlage im September 1733, sondern begann sofort mit der Vorbereitung weiterer Aktionen, die er mit Unterstützung Rußlands und Frankreichs durchzuführen beabsichtigte. Auch auf Preußen setzte er gewisse Hoffnungen; denn Preußen hatte ihm angeboten, Schwerin und Dömitz für ihn zu besetzen.1 Doch glaubte er dem nicht zustimmen zu können. Bereits im Dezember waren die Beauftragten des Herzogs wieder im Lande unterwegs. Am 21. Dezember 1733 meldete der Rostocker Kommandant von Klinkowström neue Vorbereitungen zu einem Aufstand. Schon kurz vorher hatte die Exekutionskasse in Boitzenburg jegliche Zusammenrottungen und Meutereien verboten und unter Strafe gestellt. 2 Die Niederschlagung des Landesaufgebots hatte zur Folge, daß die Befehle des kaiserlichen Kommissars Christian Ludwig allgemein respektiert wurden, wenn auch die Städte zunächst noch gleichzeitig die Schreiben Carl Leopolds publizierten. Die Geistlichkeit allerdings weigerte sich nach wie vor, Befehle des kaiserlichen Kommissars zu verlesen. Ein scharfes Vorgehen gegen die Superintendenten blieb völlig erfolglos. Noch bis zum Jahre 1735, das heißt bis zur Einnahme Schwerins, als ein Kompromiß geschlossen wurde, wurden dauernd Patente Carl Leopolds verlesen, die sich gegen Christian Ludwig und seine Maßnahmen wandten. 3 Seit Beendingung des Landtages bemühte sich der kaiserliche Kommissar fieberhaft um die Übernahme fremder Truppen von anderen Reichsständen, um die Lüneburger und preußischen Truppen loszuwerden. Hamburg hatte sich bereit erklärt, Mecklenburg etwa 800 bis 1200 Mann zu überlassen, doch sollten diese Truppen erst noch angeworben werden. Der Herzog von Holstein-Gottorp dagegen bot ein vollständiges Regiment mit 800 Mann an. Trotz energischer Vorstellungen Carl Leopolds beim Holsteiner Herzog, bei denen er auf das Reichsverfassungswidrige dieser 1 2 3

LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. X I X : Verhör Heils. RA Rostock, Streit mit dem Herzog Karl Leopold, Vol. D XVII. LHA Schwerin, Generalia, Superintendantur Güstrow: Runderlasse.

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XIV. Mecklenburgische Angelegenheiten bis 1755

Truppenübergabe aufmerksam machte, da er der rechtmäßige Landesherr sei, wurden die Truppen übernommen. Der Holsteiner Herzog ließ Carl Leopold zwar eine recht freundliche Antwort zukommen, verkaufte aber trotzdem gern seine Truppen, die zur Hälfte aus allerlei „unansehnlichen und liederlichen" Leuten bestanden, die allmählich durch in Mecklenburg angeworbene Söldner ersetzt werden sollten.4 Diese Anwerbung versuchte Carl Leopold durch ein Patent vom 28. Mai 1734 zu hintertreiben, indem er seine Untertanen zur Treue ermahnte und ihnen verbot, sich anwerben zu lassen. Dieses Patent kam nicht allen Einwohnern des Landes zur Kenntnis, weil die Städte es nur zum Teil auszuhängen wagten und es aus Angst vor Repressalien auch nicht alle Pastoren verlasen. Eine Beschwerde, die von dem mecklenburgischen Beauftragten in Regensburg, Christiani, vorgebracht wurde, hatte ebenfalls keinen Erfolg. Inzwischen gingen die Bemühungen des kaiserlichen Kommissars weiter, mit kaiserlicher Hilfe noch mehr Truppen zu übernehmen. Es gelang, vom Bischof von Bamberg 200 Mann Kavallerie und von den Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt ein Regiment Infanterie (800 Mann) zu erhalten. Jetzt standen zwar Truppen in Aussicht, aber Christian Ludwig wußte nicht, wovon er sie bezahlen sollte; denn der Landkasten war leer, und die auf dem letzten Landtag bewilligten Gelder waren noch nicht eingegangen. Sie konnten auch nicht eingehen, weil die gesamten fürstlichen Einkünfte in die Boitzenburger Kassen und in die preußische Kasse in Parchim flössen. Die Städte konnten nicht zahlen, weil sie die in ihren Mauern einquartierten Soldaten unterhalten mußten, und der Adel hatte es sowieso nie eilig, seinen Kontributionsverpflichtungen nachzukommen. Auf eine Beschwerde in Wien hin wurde vom Kaiser befohlen, daß die preußischen Truppen abmarschieren und ihre Kasse an Christian Ludwig übergeben sollten. Auch die Lüneburger Truppen erhielten die Anweisung, bei Ankunft der neuen Truppen das Land zu verlassen. Nur die schon genannten 400 Mann zur Sicherung der Besatzungskosten durften im Lande verbleiben. Die mecklenburgische Ritterschaft verstand es, diesen Geldmangel Christian Ludwigs auch zu ihrem Vorteil auszunutzen; denn bei der geplanten Geldaufnahme in Holland versuchte sie, sich auf Kosten der fürstlichen Domänen eine halbe Million Reichstaler zu verschaffen. Allerdings waren drei Schreiben an den Kaiser nötig, bis dieser sich damit einverstanden erklärte. Doch gelang es schließlich nicht, in Holland Geld zu erhalten. Der Aufforderung des Kaisers an Preußen und Hannover, Mecklenburg zu räumen, wurde nicht Folge geleistet. Preußen zog zwar seine Truppen bis auf 300 Mann heraus, behielt aber die Kriegskasse in Parchim für sich, in die einige Ämter ihre Einkünfte abliefern mußten. Hannover stellte für den Abmarsch seiner Truppen bis auf ein Restkontingent von 400 Mann die Bedingung, Schwerin mit den neu angeworbenen Truppen zu erobern und ihm als Sicherheit für die Exekutionsschulden einige fürstliche Ämter zu überlassen. Der Kaiser war damit einverstanden, schlug aber dem Kommissar Christian Ludwig vor, er solle doch versuchen, Geld aufzutreiben. Das 4

Franck, D., a. a. O., Bd XVIII, S. 111.

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würde vorteilhafter sein, weil dann alle Truppen aus dem Lande gezogen werden könnten; auch Preußen hätte dann keinen Grund mehr, seine Truppen im Lande zu belassen. Die Stadt Rostock hatte sich ebenfalls an den Kaiser gewandt und um die Erlaubnis ersucht, eine Kompanie Soldaten zu übernehmen, um ihr jus praesidii wiederherstellen zu können. Bis zur Wiederherstellung der vollständigen Ruhe im Lande gestattete der Kaiser der Stadt Rostock die Anwerbung einer Kompanie bei dem Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt. Da es Christian Ludwig nicht gelungen war, Geld aufzutreiben, befahl der Kaiser, bis zur Erstattung aller Kosten die Ämter Boitzenburg — mit Zoll —, Grevesmühlen, Gadebusch, Rhena, Mecklenburg, Wittenburg, Zarrentin und Backendorf einschließlich aller Einkünfte (aus der Forst, dem Zoll usw.) an Hannover abzutreten. Alle übrigen Ämter sollten geräumt werden und zum Unterhalt der neu angeworbenen Truppen dienen. Die Hannover zugestandenen Ämter stellten einen Wert von 60000 Rthl. jährlich dar. Den allgemeinen Exekutionskosten von über einer Million Rthl. wurden noch 50000 Rthl. zugeschlagen, die Hannover Christian Ludwig zur ersten Besoldung seiner neuen Soldaten geliehen hatte.5 Außerdem kam noch eine Summe von über 75000 Rthl. dazu, die von Hannover zusätzlich bei der Niederschlagung der Landesaufgebote 1733 verbraucht worden war. 6 Praktisch gingen die überlassenen Ämter völlig in fremden Besitz über, wenn auch festgesetzt wurde, daß die Landeshoheit bei Mecklenburg blieb. Die Abzahlung der Schulden dauerte viele Jahrzehnte. Erst in der Zeit zwischen 1766 und 1768 erfolgte die Wiedereinlösung. Die Preußen bemühten sich ihrerseits ebenfalls um eine Deckung der von ihnen aufgewandten Gelder. Sie bestanden zwar nicht auf den Einnahmen in Parchim, von denen sie sogar 21000 Rthl. an den Landkasten ablieferten, besetzten aber ebenfalls vier im Süden des Landes gelegene Ämter. Erst 1787 erfolgte die Wiedereinlösung. Inzwischen hatte Christian Ludwig zum 5. Oktober einen neuen Landtag nach Malchin ausgeschrieben. Carl Leopold hatte sofort darauf reagiert und in einem Patent allen Untertanen die Teilnahme verboten und befohlen, ihm die Treue zu halten. Der kaiserliche Kommissar stellte daraufhin die Befolgung von Mandaten und Patenten Schweriner Herzogs unter Strafe.7 Doch die Unruhe im Lande war immer noch groß, die Haltung der preußischen Truppen war ungewiß, und die Beauftragten aus Schwerin waren im Lande eifrig bei der Arbeit, so daß der Landtag zunächst ausgesetzt werden mußte und dann am 1. Dezember hinter den sicheren Mauern von Rostock begann. Der Landtag verlief normal. Man kam sogar einer Aufforderung des Kaisers nach und bewilligte einen Beitrag zum Unterhalt eines Reichsheeres gegen Frankreich. In der kaiserlichen Resolution vom 20. November 1734 wurde dem Plan zur Eroberung Schwerins nochmals ausdrücklich zugestimmt. Vor allem sollte man ver5 Kaiserliche Resolution v. 18. Nov. 1734. Vgl. Klüver, H. H., a. a. O., Bd VI, S. 4 0 8 - 4 0 9 . « StA Hannover, Han. 9 g, I h, Nr 1, Vol. II. 7 Klüver, H. H., a. a. O., Bd V I , S. 3 9 4 - 4 0 1 .

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suchen, die Verfasser der Patente des Herzogs zu fangen. Gleichzeitig wurde allen mecklenburgischen Untertanen nochmals verboten, Carl Leopold bei seinem „vorhabenden Tumult" zu unterstützen.8 Im Dezember 1734 wurde dem Herzog in Schwerin die Nachricht vom Anmarsch der Truppen aus Schwarzburg-Rudolstadt und Holstein übermittelt. Damit rückte der Angriff auf Schwerin in unmittelbare Nähe. Preußen war nicht geneigt, zugunsten Schwerins einzugreifen. Am 31. Dezember veröffentlichte Carl Leopold einen Aufruf, in dem er seine Untertanen aufforderte, zu seiner Verteidigung herbeizueilen, wenn er und seine Festung Schwerin angegriffen würden. Daraufhin erschien am 11. Januar 1735 ein Patent Christian Ludwigs, das schwere Strafen bei Unterstützung Carl Leopolds androhte. Am 29. Januar wurde nochmals ein Aufruf des Herzogs erlassen. Doch im Lande sehnte man sich allgemein nach Ruhe, und alle Aufrufe und Bemühungen des Schweriner Herzogs blieben ohne Erfolg. Am 29. Januar 1735 erreichten die Schwarzburger Truppen unter dem Befehl des Obristen von Diepenbrok Wittenburg, wo das Hauptquartier eingerichtet wurde. Gleichzeitig kamen die holsteinischen Truppen unter dem General von Platen, der den Oberbefehl über alle Streitkräfte erhalten hatte, in dem Hauptquartier an. 9 Die Lüneburger Truppen verließen das Land (bis auf die ihnen eingeräumten Ämter). Am 30. Januar war Schwerin von allen Seiten eingeschlossen.10 Am Abend des gleichen Tages kam auch die Artillerie in Wittenburg an. Sie bestand aus zwei zwölfpfündigen, einer vierpfündigen und mehreren zweipfündigen Kanonen. Zahlreiche Boote wurden herbeigeschafft: Man plante ursprünglich, damit nach dem Schelfwerder überzusetzen, weil die Stadt dort am wenisten befestigt war. Diese Absicht mußte wegen des gefrorenen Sees aufgegeben werden. Am 2. Februar wurde in Wittenburg Kriegsrat gehalten. Man beschloß, zunächst einmal Schwerin zur Übergabe aufzufordern. Der Parlamentär, der sich am 3. Februar nach Schwerin begab, wurde jedoch abgewiesen. Ein Offizier, der am 4. Februar in die Stadt gesandt wurde, verlangte den Kommandeur zu sprechen und wurde vor Carl Leopold geführt, der ihn jedoch ebenfalls abwies. Daraufhin wurde der Angriff beschlossen. Von den 1600 Mann sollten 600 unter der Führung von zwei Majoren den Angriff unternehmen, während die restlichen Truppen unter dem General von Platen und dem Obristen von Diepenbrok hinter den Schwerin vorgelagerten Gärten in Reserve bleiben sollten. 500 Mann sollten das leichter einzunehmende Spieltor erstürmen, während 100 Mann einen Scheinangriff auf das Mühlentor durchführen sollten. Am frühen Morgen des 5. Februar begann der Beschuß auf das Spieltor, den Spielzaun und die Innenstadt. Aus der Stadt wurde das Feuer erwidert. Am Abend des gleichen Tages bezogen die Angreifer ihre Ausgangsstellungen für den Angriff. 8 9

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Abgedruckt ebenda, S. 4 2 0 - 4 3 1 . W i e schon oben berichtet wurde, waren die holsteinischen Truppen bereits im Lande. Sie lagen in und um G ü s t r o w . Z u r Belagerung und Eroberung v o n Schwerin vgl. Klüver, H.H., a . a . O . , Bd V I , S. 4 4 5 - 4 5 7 ; Franck, D., a. a. O., Bd X V I I , S. 1 3 0 - 1 3 3 ; Jesse, W.; Geschichte der Stadt Schwerin, Schwerin 1920, Bd I, S. 2 8 6 - 2 8 7 .

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Am 6. Februar wurde das Spieltor so schwer getroffen, daß das Gegenfeuer eingestellt werden mußte. Auch 2ahlreiche Häuser und die Schelfkirche wurden beschädigt. Der General von Platen drohte, auch den Dom nicht verschonen zu wollen, wenn das Gegenfeuer von dort aus fortgesetzt würde. Am 7. Februar zogen sich die Verteidiger weiter ins Innere der Stadt zurück, und ein Pulvermagazin flog in die Luft. Die erschrockenen Bürger baten ihren Herzog dringend darum, die Stadt zu schonen und die Übergabe anzubieten. Der Herzog bemühte sich auch um Unterhandlungen, die zu einem kurzen Waffenstillstand führten. Doch Carl Leopold verlangte die Vermittlung des preußischen Königs, was die Belagerer nicht zugestehen wollten. So wurde die Kanonade nach zwei Stunden fortgesetzt. Am 8. Februar bezog eine neue Batterie vor der Stadt eine so günstige Stellung, daß mit ihr die Altstadt und der Bischofshof gut getroffen und beschädigt wurden. Auch der Dom wurde getroffen. Eine erneute Bitte der Bürger um Übergabe der Stadt wurde vom Herzog abgelehnt. In den frühen Morgenstunden des 9. Februar begann der Sturmangriff auf die Stadt. Er wurde so durchgeführt, wie er geplant war, das heißt mit einem Scheinangriff auf das Mühlentor und dem Hauptangriff auf das Spieltor. Die Besatzung des Spieltors wurde vertrieben, und die Angreifer drangen über die Schelfvorstadt gegen die Altstadt vor. Nur am alten Schelftor leisteten Schweriner Truppen schwachen Widerstand. Der Leutnant de Bois fiel auf herzoglicher Seite. Er sollte der einzige Tote des ganzen Unternehmens bleiben. Die Angreifer gelangten bis vor das Schloß, wohin sich die Verteidiger zurückgezogen hatten. Inzwischen war auch das Mühlentor genommen, und die Angreifer gelangten von dieser Seite in die Stadt. Trotzdem es noch gelungen war, die Schloßbesatzung durch 120 Mann aus Dömitz zu verstärken, war die Lage des Herzogs ziemlich hoffnungslos. Eine Unterhandlung mit dem Ziel, den herzoglichen Truppen freien Abzug zu gewähren, lehnten die Angreifer ab. Da die Erstürmung des Schlosses unmittelbar bevorstand, wählte der Herzog den besseren Teil der Tapferkeit und ließ sich mit wenigen Begleitern, darunter der Wolffrädtin, mittags gegen 1 Uhr nach Zippendorf rudern. 11 Von dort wurde die Flucht nach Wismar fortgesetzt. Eine Stunde nach der Flucht des Herzogs ergab sich die Besatzung des Schlosses. Mehr als 250 Mann gerieten in Gefangenschaft, darunter auch 30 Bürger. Damit befand sich die Stadt, von der aus der Herzog seinen Einfluß auf das ganze Land auszuüben vermochte, in der Hand seiner Gegner. Trotz ihrer schwachen Position versuchten Carl Leopold und seine wenigen Ratgeber auch von Wismar aus, neue Aktionen zur Wiedererlangung der Macht einzuleiten. Bereits 1735 wurden Pläne für ein neues Landesaufgebot geschmiedet. Als Voraussetzung für ein solches Unternehmen erschien die Einnahme von Schwerin 11

Vgl. das zweite Verhör Brades 1735, in LHA Schwerin, Act. diff., Vol. II. Brade war nach seiner früheren Flucht nach Boitzenburg wieder nach Schwerin zurückgekehrt, weil man ihn beschuldigt hatte, 12000 Dukaten gestohlen zu haben. In Schwerin ergab sich zwar die Haltlosigkeit dieser Anschuldigung, doch wurde er mit einer Kette an einen Block geschlossen. Er sollte Gold machen. Nachdem Schwerin erobert war, kam er auf Treueversicherung hin frei und konnte später flüchten.

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wünschenswert. Deshalb wurden zunächst alle Bemühungen darauf gerichtet, Verbindung mit der Besatzung aufzunehmen. Es gelang, heimlich einen Sergeanten der holsteinischen Truppen zu gewinnen, der, mit einem Kapitänspatent versehen, 150 Mann der Schweriner Besatzung anwerben sollte. Mit diesen Leuten sollte dann Schwerin überrumpelt werden. Doch die Bemühungen dieses Sergeanten waren anscheinend vergeblich. Er fiel bei Carl Leopold in Ungnade und machte sich 1737 aus dem Staube.12 Danach wurde der Leutnant Reich beauftragt, geeignete Leute von den Schwarzburger Truppen zum Verrat zu überreden. Es gelang ihm, in Schwerin eine Verschwörergruppe von 28 Mann zusammenzubringen. Der in Wismar vom Herzog und seinen Ratgebern aufgestellte Plan, wozu wiederum der Schuster Trannau, der Proviantmeister Kracht und der Superintendent Siggelkow zählten, sah vor, in der Nacht vom 12. zum 13. April 1738 Schwerin einzunehmen.13 Die Verschworenen gehörten zur Wachmannschaft und sollten vier Mann und den wachhabenden Offizier, die nicht für den Verrat gewonnen werden konnten, umbringen und die Tore öffnen. Leutnant Reich sollte vom Schloßgarten her mit seinen Leuten, wozu noch 100 bis 200 Mann aus Dömitz stoßen sollten, in die Stadt eindringen. Gleichzeitig sollte mit Hilfe von acht Verschworenen, die zur Wache am Spieltor gehörten, der Zugang in die Stadt von Norden ermöglicht werden. Es wurden Leute bestimmt, die den Stadtkommandanten von Platen, den Landrat von Oertzen, den Direktor Tielcke und andere führende Personen der Partei Christian Ludwigs umbringen sollten. Zwei Individuen konnten durch Bestechung dafür gewonnen werden, Christian Ludwig und seine Frau zu „massacriren". Am gleichen Tage sollte im ganzen Lande erneut ein allgemeines Landesaufgebot erlassen werden. Allerdings scheint die Bereitschaft der Bürger und Bauern zu solch einem Unternehmen nicht besonders groß gewesen zu sein. In den Quellen wird lediglich erwähnt, daß sich die Bürgerschaft von Sülze zu einem Aufstand bereit erklärt hatte. Es war vorgesehen, daß die Bürgerschaft von Sülze Rostock angreifen sollte. In Rostock selbst wollte der stud. theol. Heuck die Studenten aufwiegeln und den anmarschierenden Bürgern die Tore öffnen. Auch Güstrow und andere Städte sollten auf ähnliche Weise genommen werden. Waffen und Pferde für die Aufständischen standen zur Verfügung. Eine ausreichende Anzahl gedruckter Aufgebotspatente lag bereit. Einige Offiziere, wie der aus der Ukraine zurückgekehrte Major von Blücher, der Obrist von Plessen u. a., waren als militärische Führer der Aufständischen vorgesehen. Doch verlor der Leutnant Reich, übrigens ein Schwiegersohn des Superintendenten Siggelkow, im letzten Augenblick den Mut. Er verriet am 11. April das ganze Vorhaben an den schwedischen Kapitän Kuhlmann und bat ihn, dem Schweriner Stadtkommandanten davon Mitteilung zu machen. Die Folge davon war eine strenge Kontrolle an den Stadttoren Wismars und die Verhaftung fast aller Beauftragten des Herzogs.14 12

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14

Verhör des Leutnants Reich vor dem schwedischen Tribunal in Wismar. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XIII. Ursprünglich sollte das Unternehmen schon 1737 durchgeführt werden, aber wegen der hannoverschen Postierung vor Wismar wurde davon abgesehen. Ebenda. LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. XIII.

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Es nützte auch nichts, daß das Datum zum Losschlagen um einen Tag vorverlegt wurde. Das Unternehmen war verraten worden und ließ sich nicht mehr durchführen. Die Folge für den Herzog und sein Gefolge war, daß Schweden ihn ersuchte, das schwedische Wismar zu verlassen (1738). Doch kam Carl Leopold diesem Ersuchen erst 1741 nach und begab sich dann nach Dömitz.15 Trotz der dauernden Absagen anderer Mächte und Fürsten wurde immer wieder der Versuch unternommen, Unterstützung gegen den Kaiser und seinen Kommissar in Mecklenburg zu finden. Dabei tauchen immer wieder die gleichen Argumente auf, mit denen der Herzog seit über zwanzig Jahren den anderen Reichsständen und ausländischen Herrschern zur Last fiel. Carl Leopold glaubte immer noch daran, andere von der ihm angetanen Ungerechtigkeit überzeugen und zu einem aktiven Eintreten für ihn bewegen zu können. Das erste Zirkularschreiben16 nach dem Landesaufgebot aus dem Jahre 1734 enthielt noch zusätzlich eine Rechtfertigung des Landesaufgebots. Darin wurde nachzuweisen versucht, daß der Herzog auf Grund seines jus armorum durchaus berechtigt war, bei der allgemeinen Landesnot ein Aufgebot zu erlassen. Es folgten zahlreiche Klagen über die Ausschreitungen der Lüneburger Truppen. Weitere Zirkularschreiben an die deutschen Reichsfürsten wurden 1736, 1738, 1745, 1746 und 1747 abgesandt. Daneben liegen noch zahlreiche Entwürfe für solche Schreiben aus anderen Jahren vor, die entweder nicht ausgeführt oder aus unbekannten Gründen nicht versandt wurden. Alle diese Schreiben blieben ohne Wirkung, ja wurden meistens sogar nicht beantwortet. Mit besonderen Schreiben wurde Preußen bedacht. Allerdings findet sich darunter nur ein einziger Brief an Friedrich Wilhelm aus dem Jahre 1736, der Klagen über die Administration des Landes enthält. Der preußische König reagierte jedoch nicht darauf. Erst an Friedrich II. wurden in den Jahren 1741 bis 1746 mehrere Schreiben gerichtet, die den jungen preußischen König zu einer anderen Haltung gegenüber Mecklenburg zu bestimmen versuchten, aber auch all diese Schreiben blieben erfolglos. Neue Hoffnung erfüllte den Herzog, als Kaiser Karl VI. 1740 starb. Die Nachfolger dieses Kaisers erhielten schon nach kurzer Zeit von ihm Schreiben, in denen nach Darlegung des ganzen Sachverhalts um Wiedereinsetzung als regierender Herzog gebeten wurde. Aber weder Kaiser Karl VII. noch Kaiser Franz zeigten sich an den mecklenburgischen Vorgängen sonderlich interessiert; beide bestätigten die Verfügungen ihres Vorgängers, die dieser in der mecklenburgischen Angelegenheit getroffen hatte. Auch die bisher wenig erfolgreichen Verhandlungen mit Frankreich und Rußland wurden wieder aufgenommen. Carl Leopold konnte 1736 den Satiriker Liscow als Gesandten nach Frankreich schicken. Dieser war als vierunddreißigj ähriger Sekretär 1753 15

16

Ebenda, Act. diff. Vol. XXII. — Seine Geliebte, die „Wolffrädten", suchte sich in Wismar einen neuen Liebhaber, als sie einsehen mußte, daß ihr Wunsch, Herzogin zu werden, unerfüllt blieb. Alle Zirkularschreiben aus den Jahren 1734 bis 1747 befinden sich in LHA Schwerin, Act. diff., Vol. XXIII.

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in den Dienst des Herzogs getreten. Doch alle seine Bemühungen in Paris, Frankreich zur Parteinahme für den Herzog zu bewegen, blieben erfolglos. Auf seiner Rückreise nahm Liscow, verärgert über das ungnädige Verhalten Carl Leopolds, der ihm die Schuld am Mißerfolg gegeben hatte, seinen Abschied. Er erhielt keine Reisekosten erstattet.17 Noch zweimal wurde der Versuch unternommen (in den Jahren 1738 und 1742), französische Unterstützung zu gewinnen 18 , doch sind keine Erfolge dieser Bemühungen bekannt. Die Beziehungen zu Rußland wurden offenbar erst 1739 wieder aufgenommen. Doch dann wurden in den Jahren 1741, 1742 und 1743 Sondergesandtschaften nach Rußland geschickt, um über eine Erneuerung des Bündnisses von 1716 zu verhandeln. Auch 1745 und 1746 wurden mit dem russischen Botschafter in Stockholm darüber Besprechungen geführt. 19 Doch alle aufgewandte Mühe war umsonst, das Bündnis wurde nicht erneuert. Die Tochter Carl Leopolds, Anna Leopoldovna, die für kurze Zeit die Regentschaft in Rußland führte, hat offenbar keine großen Anstrengungen zur Unterstützung ihres Vaters unternommen. Der einzige Erfolg all dieser Bemühungen um russische Hilfe war die Zusicherung, die 1719 nach Rußland gezogenen mecklenburgischen Truppen zurückkehren zu lassen. Die Rückkehr dieses kleinen Häufleins zu Beginn des Jahres 1744 erregte noch einmal die Gemüter in Mecklenburg. 20 Diese einst einige tausend Mann zählende Streitmacht Carl Leopolds war seit 1719, als die Truppen an Rußland übergeben wurden, auf 12 Offiziere, 16 Unteroffiziere und 60 Soldaten zusammengeschmolzen. Befehligt wurde diese Schar von Obrist von Schack. Diese Truppen wurden in der Stadt Parchim einquartiert. Es gelang dem darüber sehr beunruhigten Christian Ludwig nicht, die Entlassung dieser Truppen durchzusetzen. Am Ende des gleichen Jahres wurde das Quartier in Parchim geräumt und eine Verlegung in das dem Herzog ergebene Dorf Spornitz in Amt Dömitz befohlen. Doch die starken Proteste, besonders von Christian Ludwig, bewirkten, daß sich die „Streitmacht" Carl Leopolds über Eldena weiter ins Amt Dömitz hinein zurückzog. Kurz vor seinem Tode plante der Herzog in den Jahren 1746 bis 1747 noch einmal ein Landesaufgebot, um wieder in den Besitz seines Landes zu gelangen. 21 Aber außer Carl Leopold selbst glaubte niemand mehr an den Erfolg einer solchen Aktion. Die Vorbereitungen wurden nicht mehr zu Ende geführt; denn am 28. November 1747 starb der Herzog, 68 Jahre alt. Bis an sein Lebensende verfügte Carl Leopold im ganze Lande, besonders aber im Amt Dömitz, das heißt in dem Teil des Landes, der ihm geblieben war, über beträchtliche Sympathien bei Bürgern und Bauern. Vor allem die Geistlichkeit hielt trotz aller Vorkommnisse in ihrer Mehrzahl zum summus episcopus in Dömitz. So veranstalteten die Pastoren der Superintendantur Parchim im Jahre 1747 eine Geld» Bülau, F., a. a. O., S. 4 1 4 - 4 1 9 . Repertorium der diplomatischen Vertreter aller Länder seit dem Westfälischen Frieden (1648), hrsg. von Friedrich Hausmann, Bd II ( 1 7 1 6 - 1 7 6 3 ) , Zürich 1950, S. 221. 19 Ebenda, S. 222. 20 LHA Schwerin, Militaria, Landesaufgebot, Vol. VII. 21 Ebenda. 18

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Sammlung und überreichten Carl Leopold am 5. April ein „freywilliges Don Gratuit" in Höhe von 569 Rthl. und 36 ß, dem noch kleinere Beträge folgten, die von den Geistlichen anderer Superintendenturen aufgebracht wurden. 22 Die Beliebtheit des Herzogs bei den Bauern im Amt Dömitz zeigte sich recht deutlich bei der Namensgebung. Carl Leopold war der am häufigsten anzutreffende Name.23 Allerdings reichte die Sympathie nicht bis zur begeisterten Befolgung eines Landesaufgebots. Christian Ludwig führte zwar bereits seit vielen Jahren die Regierung, aber erst nach dem Tode seines Bruders im Jahre 1747 wurde er als dessen Erbe offiziell regierender Herzog. Der Adel hätte es sicher gern gesehen, wenn die zerrütteten Verhältnisse in Mecklenburg angedauert hätten; doch gelang es dem neuen Herzog, seine Ritter zu Verhandlungen zu zwingen und alle Streitigkeiten zwischen Landesherr und Landständen beizulegen. 24 So konnte er mit Rostock eine Konvention abschließen und die Stadt damit von der Ritterschaft abziehen (1748). Im gleichen Jahre verglich er sich mit seinem Schwager, dem Herzog Adolf Friedrich III. von Mecklenburg-Strelitz. Beide Herzöge beschlossen, unbeschadet der Union von Ritter- und Landschaft, eigene Landtage abzuhalten. So fehlte auf dem Landtag des Jahres 1748 der Stargardsche Kreis und damit eine wichtige Stütze der Ritterschaft. Die Ritterschaft weigerte sich, Beschlüsse zu fassen. Die Folge davon war, daß in den nächsten sieben Jahren keine Landtage stattfanden. Die Landstädte versuchte Christian Ludwig ebenfalls durch günstige Angebote zu einer Übereinkunft mit ihm zu bewegen und von der Ritterschaft abzuziehen. Auch in seiner Außenpolitik beschritt er die Bahnen seiner Vorgänger, indem er die Erbverträge und Bündnisse der Jahre 1442, 1693, 1708 und 1717 mit Preußen erneuerte (1752). Gegen den Adel ging Christian Ludwig mit einigen Maßnahmen auch direkt vor. Er verbot die Auszahlung der Einkünfte des Amtes Doberan, das der Ritterschaft zur Tilgung ihrer Schulden überlassen worden war. Christian Ludwig erkannte den engeren Ausschuß nicht mehr als Vertretung der Landstände an, verbot die Anwendung des Nebenmodus bei der Aufbringung der Kontribution ohne landesherrliche Ausschreibung, untersagte Landeskonvente ohne seine Einwilligung usw. Mit solchen indirekten und direkten Maßnahmen sollte der Adel isoliert werden. Eine Beschwerde der Ritter beim Reichshofrat blieb erfolglos. Der Reichshofrat ergriff dieses Mal nicht sofort und eindeutig für den Adel Partei, sondern versuchte die Streitigkeiten durch einen gütlichen Vergleich zu beenden. Doch die Verhandlungen in Wien führten zu keinem Erfolg. In dieser Situation bequemte sich die Ritterschaft dazu, mit ihrem Landesherrn einen Vergleich auszuhandeln (vom Oktober 1754 bis April 1755). So entstand der Landesgrundgesetzliche Erbvergleich, der 1756 vom Kaiser bestätigt wurde. 25 22

23 24 25

J7

L H A Schwerin, Superintendantur Güstrow, Eccl. Generalia: Kirchenwirren unter Carl Leopold; Lisch, G. C. F., Herzog Carl Leopold und die Geistlichkeit, in: Jb. d. Vereins f. mecklenb. Gesch. u. Altertumskd., Bd 39, 1874, S. 5 9 - 6 1 . Nach Mitteilung v. Herrn Archivdirektor em. Dr. Strecker, Schwerin. Vgl. dazu Boll, E„ a. a. O., Bd II, S. 2 8 5 - 2 8 7 . Abgedruckt bei Franck, D., a. a. O., Bd X I X , S. 1 5 6 - 2 9 1 . Wiek, Absolutismus

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Der gesamte Erbvergleich zeigt, daß es der Ritterschaft gelang, ihre Sonderstellung im Lande voll und ganz zu behaupten. Der Sieg des Adels über den Landesherm erhielt seine rechtliche Grundlage. Der Vergleich besteht aus 25 Artikeln und 530 Paragraphen. Der wichtigste von allen Artikeln ist der erste, der von der Kontribution handelt. Die Ritterschaft war nur verpflichtet, für die Hälfte ihrer Hufen Steuern zu entrichten. Allerdings mußte der Adel zugestehen, daß seine Ländereien vermessen wurden. Das Land wurde nach dem Hufenmodus (9 Rthl. für die Hufe) versteuert. Der Nebenmodus wurde den Rittern genommen; es wurde bestimmt, daß die Freien auf dem Lande direkt zur Landeskontribution beitragen sollten (§ 44). Bei den Städten wurde von dem drückenden Erbenmodus abgegangen und dafür ein neuer Modus festgesetzt, der bestimmte Abgaben für Haus-, Land- und Viehbesitzer vorsah. Dazu kamen eine Schlachtsteuer und bestimmte Summen, die die Kaufleute und Handwerker entsprechend ihrem Umsatz oder nach der Anzahl ihrer Gesellen aufbringen mußten (§ 47). Für die Domänen galt ebenfalls der Hufenmodus. Bei der Berechnung der Kontribution wurde die bisher übliche Dreiteilung (Ritterschaft, Städte und Landesherr) zugrunde gelegt. Als Norm wurden je 4700 steuerbare Hufen angenommen (§ 84). Die Union zwischen Ritterschaft und Landschaft wurde ausdrücklich anerkannt (§ 138—144). Der engere Ausschuß, der in den letzten Jahrzehnten zu einer ständigen Vertretung der Landstände geworden war, wurde in dieser Funktion bestätigt (§ 176). Im § 188 wurde dem engeren Ausschuß ausdrücklich gestattet, an die Reichsgerichte zu appellieren. Einer der Hauptstreitpunkte zwischen dem Adel und den Städten bestand in der Nichtachtung der städtischen Privilegien auf dem Lande durch die Ritter. Hier wurde ein Kompromiß geschlossen, das besagte, daß „Mülzen, Brauen und BranndweinBrennen" auf dem Lande nur für den eigenen Verbrauch gestattet sein sollte (§ 246 bis 247). Krüge, die rings um die Städte innerhalb einer Zweimeilenzone lagen, sollten von den Städten mit Bier versorgt werden. Bei allen anderen Krügen mußte der Nachweis geführt werden, daß diese bereits 20 Jahre vor 1700 ihr Bier aus den Städten bezogen hatten (§ 232). Auch über die unzünftigen Handwerker auf dem Lande wurde eine Einigung erzielt. Nur einigen Berufen war es grundsätzlich gestattet, auf dem Lande zu wohnen (Glashüttenmeister, Ziegler, Kalkbrenner, Müller u. a.). Bei den anderen Berufen wurde eine bestimmte Anzahl, meistens ein Handwerker je Gut, zugestanden. Dazu gehörten Schmiede, Rademacher, Leinweber, Schneider, Maurer, Tischler, Schuster u. a. Diese Handwerker mußten sich einem Amt oder einer Zunft in einer Stadt anschließen (§ 259—260). Ausdrücklich wurden der Artikel XVI der Reversalen von 1621, der das Bauernlegen gestattete, und die in der Gesindeordnung von 1654 festgesetzte Auslieferung entwichener Leibeigener bestätigt (§ 325, 330, 334). Die Niederlegung eines ganzen Dorfes dagegen sollte nur mit Einverständnis des engeren Ausschusses und des Landesherrn gestattet sein (§ 336). Im Juli 1755 wurde zwischen dem Strelitzer und dem Schweriner Herzog die sogenannte Accessions-Acte abgeschlossen, die die frühere Konvention von 1748 aufhob. Die wichtigsten Punkte dieses Ubereinkommens waren: Jeder der beiden Landesherren entsagte allen Ansprüchen auf ein Condominium über das Land des

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anderen; die Landtage sollten wieder gemeinsam stattfinden; jeder Herzog sollte die Kontributionssumme erhalten, die in seinem Lande aufgebracht wurde. Diese Akte bildete die Voraussetzung für den offiziellen Beitritt des Strelitzer Herzogs zum Erbvergleich (September 1755). Dieser Erbvertrag bedeutete einen vollen Sieg der Landstände über den Landesherrn. Das war nach der Entwicklung in den vorhergegangenen Jahrzehnten zu erwarten, da es der Adel immer wieder verstanden hatte, die Versuche der Herzöge, ein absolutes Regime zu errichten, zunichte zu machen und sich gleichzeitig damit eine Anzahl Sonderrechte zu sichern. Die Feudalherrschaft in Mecklenburg, die in diesem Erbvergleich gesetzlich festgelegt wurde und sich auch bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein nur wenig änderte, ist der Hauptgrund dafür, daß Mecklenburg mit Recht als eines der rückständigsten Länder galt. Hier, wo fast in jedem Dorf ein anderer Feudalherr seine Bauern ausbeutete, wo die Städte sich nicht entwickeln konnten, weil auf dem Lande die Leibeigenschaft herrschte, wo die herrschende Klasse kein Interesse für die gewerbliche Produktion hatte, die neben landwirtschaftlichen Artikeln für den Export eine Rolle gespielt hätte, fehlten die Voraussetzungen für eine schnelle Weiterentwicklung der Produktivkräfte und damit auch der gesellschaftlichen Verhältnisse.

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LITERATURVERZEICHNIS

A. Quellen 1. Ungedruckte Quellen Landeshauptarchiv

Schwerin:

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