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German Pages [132] Year 2013
© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403440 — ISBN E-Book: 9783647403441
Kölner Reihe – Materialien zu Supervision und Beratung Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. (DGSv)
Band 4 Elke Döring-Seipel / Heinrich Dauber Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält Empirische Ergebnisse zur Bedeutung psychosozialer Ressourcen im Lehrerberuf
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Elke Döring-Seipel / Heinrich Dauber
Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält Empirische Ergebnisse zur Bedeutung psychosozialer Ressourcen im Lehrerberuf
Unter Mitwirkung von Nils Altner und Sebastian Sauer
Mit 4 Abbildungen und 16 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40344-0 ISBN 978-3-647-40344-1 (E-Book) © 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Lektorat: Anna Lea Pasdzierny, Berlin Satz: Fernando Aguado Menoyo, Köln Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Teil 1
Gesundheitssituation von Lehrkräften in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungen, Belastung und die Entstehung von Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ressourcen und ihre Bedeutung im dynamischen Prozess von Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen für die Untersuchung von Gesundheitsressourcen im Lehrerberuf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gruppe der Gestaltpädagoginnen und -pädagogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gruppe der Supervisorinnen und Supervisoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Achtsamkeitspraxis als Gesundheitsressource für Lehrerinnen und Lehrer (Nils Altner und Sebastian Sauer) . . . . . . . . . . . . .
19 22 26 31 32 38 45
Teil 2
Die Kasseler Studie zu Lehrergesundheit und Lehrerbelastung . . . . . . . . . . . . 55 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Schlussfolgerungen und weiterführende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Anhang
Aufbau des Fragebogens – erfasste Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Autorin und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
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Vorwort Das vorliegende Buch und die Arbeiten zur Lehrergesundheit, die den Kern des Buches bilden, sind das Ergebnis eines langen Prozesses, an dem eine Reihe von Personen in verschiedenen interdisziplinären Arbeits- und Projektzusammenhängen mitgewirkt haben. Dies gilt sowohl im Blick auf ihren Entstehungszusammenhang wie für die theoretische Begründung, die empirische Konzeption und die praktische Durchführung. Am Anfang standen zwei aufeinander aufbauende Arbeitsgruppen des neugegründeten Zentrums für Lehrerbildung an der Universität Kassel, die sich zu einer Zeit zusammenfanden, als die Frühpensionierungszahlen im Lehrerberuf ihren Höhepunkt erreichten. • Was sind die hauptsächlichen Belastungsfaktoren im Lehrerberuf, die zur Frühpensionierung aus Krankheitsgründen führen? • Wie gehen Lehrerinnen und Lehrer mit diesen Belastungsfaktoren um? • Was kann bzw. muss getan werden, um diese Belastungen rechtzeitig zu verringern und eine stabilere Gesundheit der Lehrkräfte zu erreichen? • Und: Welchen Beitrag kann Lehrerbildung und -forschung zur Verbesserung dieser Situation leisten? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt der ersten interdisziplinären Arbeitsgruppe „Psychosoziale Belastungen im Lehramt“ am Zentrum für Lehrerbildung der Universität Kassel, in der seit Sommer 2001 aus den Bereichen Leherbildung (alle drei Phasen), Schulpsychologie, ärztliche Psychotherapie, Schulleitung sowie Schulverwaltung zusammengearbeitet haben. Zunächst wurde eine empirische Untersuchung (Dauber u. Vollstädt 2004) durchgeführt, um ein konkretes Bild vom Stand der Frühpensionierung in Nordhessen zu ermitteln. Auf der Grundlage der ermittelten Befunde und bereits stattfindender Aktivitäten zur Gesundheitsförderung im Lehramt wurden anschließend erste Vorschläge erarbeitet, wie die Lehrerbildung in allen Phasen zur Verringerung der Frühpensionierung beitragen kann. Die Ergebnisse und erarbeiteten Vorschläge wurden dem Hessischen Kultusministerium vorgelegt (leider ohne dort auf entsprechende Resonanz zu stoßen, was möglicherweise der Tatsache geschuldet ist, dass die durch Frühpensionierung aus Krankheitsgründen entstehenden Kosten (nur) die Pensionskassen und nicht den Haushalt des Kultusministeriums belasten). Die folgende – ebenfalls interdisziplinäre – Arbeitsgruppe „Eignung zum Lehrerberuf “ entstand im WS 2004/5 als Nachfolgeprojekt der Gruppe „Psychosoziale Belastungen im Lehramt“. Aus den Ergebnissen der ersten Untersuchung hatte sich die Frage ergeben, was schon in der ersten Phase der Lehrerbildung getan werden könne, um einen Selbstprofessionalisierungsprozess im Hinblick auf für den Lehrerberuf zentrale soziale und personale Kompetenzen einzuleiten und solche Studierenden
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frühzeitig zu identifizieren, zu beraten und zu fördern, die nur eingeschränkt über die entsprechenden Kompetenzvoraussetzungen verfügen. Als Ergebnis dieser Arbeitsgruppe wurde ein Seminarmodell entwickelt, das seit 2008 integraler Bestandteil der Lehrerausbildung der Universität Kassel ist und das Studienanfängerinnen und -anfängern im Lehramtsstudium Erfahrungs- und Erprobungsräume für wichtige psychosoziale Basiskompetenzen bietet und mit einem individuellen Beratungs- und Feedbackgespräch abrundet. Im Dezember 2009 wurde dieses Seminarmodell vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der gemeinnützigen Hertie-Stiftung mit dem 1. Preis für Exzellenz in der Lehre ausgezeichnet. Ein ausführlicher Zwischenbericht über den derzeitigen Stand dieses Seminars, das kontinuierlich weiterentwickelt wird, findet sich in Bosse, Dauber, Döring-Seipel, Nolle (2012). Parallel zu den auf eine Verbesserung der Lehrerbildung an der Universität Kassel gerichteten Aktivitäten dieser (zweiten) Arbeitsgruppe entstand das Konzept zu einer weiteren empirischen Untersuchung, die an die erste Studie anknüpfen, diese weiterführen und offengebliebene Fragen klären sollte. Im Zentrum der ersten Studie an frühpensionierten Lehrerinnen und Lehrern hatte die Frage nach den Faktoren gestanden, die aus Sicht der Befragten zum Nachlassen ihrer Gesundheit und letztlich zur Frühpensionierung geführt hatten. In den Ergebnissen dieser Studie zeigten sich jedoch auch erste Hinweise auf die Faktoren, die zur Gesunderhaltung von Lehrerinnen und Lehrern beitrugen. So beschrieben sich in der rückblickenden Selbsteinschätzung diejenigen Kolleginnen und Kollegen als weniger belastet, die mit ihrer Lebens- und Berufssituation zufrieden waren, die soziale Unterstützung erlebten, die ihre Arbeit als bedeutsam und sich selbst als wirksam erlebten und die mit Problemen offensiv umgingen. Offen blieb bei der ersten Untersuchung, was die Frühpensionierten von den Lehrerinnen und Lehrern unterschied, die länger gesund im Schuldienst blieben. Unbefriedigend war diese erste Untersuchung auch insofern, als sie keine differenzierten Erkenntnisse erbrachte, wie berufliche Belastungen bewertet werden, wie sich daraus Gefühle von Überforderung ergeben und wie sich dies alles schließlich auf die tatsächliche Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern auswirkt. Aus diesen Fragen entstand das Design für die erste hier vorgelegte Untersuchung, die den Fokus auf die gesunderhaltenden Faktoren im Lehrerberuf legte und deren Arbeitstitel demzufolge „Salutogenese in Lehrberuf und Schule (SALUS)“ lautete. In der praktischen Durchführung (Druckkosten der Fragebogen) wurden wir unterstützt durch die Hardtwaldklinik II, Bad Zwesten und die DEBEKA (Auswahl der Stichprobe, Versendung der Fragebogen). Die ergänzende zweite Untersuchung wurde möglich durch die Zusammenarbeit mit Jörg Bürmann von der Gestaltpädagogischen Vereinigung, Annette Lentze und Jörg Fellermann von der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) sowie Nils
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Altner (Klinik und Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Duisburg-Essen) und Sebastian Sauer (Ludwig-Maximilians-Universität München), die sich ihrerseits bedanken bei Maria Tussi Kluge, Silke Rupprecht und Thomas Grosser. Wir hoffen und wünschen uns vor allem, dass unsere wichtigsten Adressaten, die im Beruf stehenden Lehrerinnen und Lehrer, sich trotz belastender äußerer Arbeitsbedingungen durch unsere Ergebnisse ermutigt fühlen, sich aktiv für deren Verbesserung einzusetzen und dabei auch für sich und ihre Gesundheit zu sorgen.
Elke Döring-Seipel und Heinrich Dauber
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Einleitung Die Gesundheitssituation von Lehrerinnen und Lehrern wurde seit den 1990er Jahren zum Gegenstand von zahlreichen Forschungsprojekten und empirischen Untersuchungen. Auslöser für die starke wissenschaftliche und inzwischen auch öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema waren die hohen krankheitsbedingten Frühpensionierungsquoten von Lehrkräften, die im Jahr 2001 mit ca. 60 Prozent einen vorläufigen Höhepunkt in den alten Bundesländern erreichten (seitdem sind die Frühpensionierungszahlen rückläufig und haben sich inzwischen bei 26 bis 30 Prozent eingependelt), verbunden mit der weiterhin alarmierend hohen Quote von – vor allem – psychischen Erkrankungen bei Angehörigen dieses Berufsstandes. Die Interpretationen dieser Statistiken fielen recht kontrovers aus und reichten vom berühmt gewordenen „faule Säcke“-Zitat des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder, das dem ganzen Berufsstand mangelnde Einsatzbereitschaft und eine nur eingeschränkte Belastbarkeit attestierte, bis zu etlichen aktuellen Wiederbelebungen der ursprünglich von Freud (1937, vgl. auch Carlsburg und Heitger 2005) geprägten Charakterisierung des Lehrerberufs als „unmöglichen Beruf “, die „Arbeit und Praxis von Lehrerin und Lehrer als unlösbare Zumutung“ (Tenorth 2006) umschreibt und unterstellt, dass vorzeitiger beruflicher Ausstieg und Krankheit im Lehrerberuf Folgen des mehr oder weniger zwangsläufigen Scheiterns an nicht einlösbaren beruflichen Anforderungen darstellen. Gründe für die unbefriedigende und erklärungsbedürftige Situation wurden also zum einen in der Person des Lehrers bzw. der Lehrerin gesucht und lösten in der Folge eine immer noch anhaltende Diskussion über Eignung zum Lehrerberuf aus, die auf der Annahme basiert, dass eine Reihe von Personen den Lehrerberuf ergreifen, die nicht über die notwendigen persönlichen Voraussetzungen dafür verfügen. Alternative Erklärungsansätze, die die Ursache für die schlechte Gesundheitssituation von Lehrerinnen und Lehrern vorwiegend in der äußeren Situation, d. h. in krankmachenden Bedingungen vermuten, führten entsprechend zur Erforschung von Belastungsfaktoren und zur Suche nach den kritischen Aspekten der Arbeitsbedingungen und Anforderungsstrukturen von Lehrkräften, von denen gesundheitsbelastende und -gefährdende Wirkungen ausgehen. Beide Richtungen – sowohl der person- als auch der situationszentrierte Forschungsansatz – teilen jedoch eine auf die Negativaspekte gerichtete Sichtweise, verbunden mit einer einseitigen Konzentration auf persönliche Defizite in der personorientierten und auf Belastungs- beziehungsweise Risikofaktoren in der situationsorientierten Perspektive. Eine Betrachtung von gesundheitsschützenden Faktoren wie Ressourcen, Widerstands- und Resilienzfaktoren, die einen konstruktiven Umgang mit beruflichen Anforderungen ermöglichen und eine Aufrechterhaltung von Gesundheit und Arbeitsfä-
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higkeit auch unter belastenden Bedingungen unterstützen, blieb demgegenüber lange Zeit weitgehend unberücksichtigt. Ressourcen und Widerstandsfaktoren scheinen jedoch entscheidend für die gesundheitlichen Auswirkungen von Stress- und Belastungsbedingungen zu sein. Dies legen zumindest salutogenetisch orientierte Gesundheitsmodelle nahe, die Krankheit nicht streng deterministisch als Folge von krankmachenden Bedingungen begreifen, sondern Krankheit und Gesundheit als Ergebnis einer Wechselwirkung von Belastungsbedingungen und individuellen Schutzfaktoren auffassen. Eine derartige Sichtweise verändert die Fragestellung: Im Zentrum steht jetzt nicht mehr allein die Suche nach den potenziell gesundheitsschädigenden Anforderungsbedingungen, denen Lehrerinnen und Lehrer ausgesetzt sind, sondern der Fokus richtet sich auf die spezifischen Ressourcen und Widerstandsfaktoren, die die Gesundheit von Lehrkräften stärken und die diese nutzen können, um gesund mit den Anforderungen ihres Berufs umzugehen. Dieser Perspektivenwechsel von den krankmachenden Bedingungen zu den gesundheitserhaltenden und -stabilisierenden Ressourcen inspirierte die beiden empirischen Studien des Autorenteams, über die in den folgenden Kapiteln berichtet werden soll. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Tatsache, dass einer – sicherlich inakzeptabel hohen – Quote von gesundheitlich beeinträchtigten Lehrerinnen und Lehrern ein ungefähr ebenso hoher Anteil von Lehrkräften gegenübersteht, der den Beruf gesund über viele Jahrzehnte ausübt. Die Untersuchung einer gesunden Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern und besonders der Vergleich mit einer entsprechenden, gesundheitlich beeinträchtigten Lehrerpopulation sollte Aufschluss über die situativen und persönlichen Faktoren geben, die die gesunde Gruppe im Unterschied zu ihren weniger gesunden Kollegen kennzeichnen und die es ihnen ermöglichen, ohne negative gesundheitliche Folgen mit ihren beruflichen Anforderungen umzugehen. Auf der Basis dieser Überlegungen entstand eine erste Studie, die gesunde und gesundheitlich mehr oder weniger stark eingeschränkte Lehrerinnen und Lehrer im Hinblick auf Anforderungen und Belastungsfaktoren, individuelle Formen der Verarbeitung und Bewältigung, vor allem aber auch im Hinblick auf verfügbare psychosoziale Ressourcen und deren Bedeutung für die gesundheitliche Situation verglich. Die Ergebnisse dieser Untersuchung waren äußerst aufschlussreich und unterstrichen die Bedeutung individueller Verarbeitungs- und Bewältigungsstile, vor allem aber die zentrale Rolle verfügbarer interner und externer Ressourcen für die Aufrechterhaltung der Gesundheit von Lehrkräften. Offen blieb in dieser ersten Studie, ob eine in diesem Sinne günstige oder ungünstige Ressourcenausstattung sozusagen „Schicksal“ ist oder ob es Kontexte gibt, die die Ausbildung und Bewahrung förderlicher Ressourcen begünstigen. Um erste Hinweise zur Klärung dieser Frage zu bekommen, wurde eine zweite Studie durchgeführt, die Lehrkräfte mit spezifischen Zusatzausbildungen bzw. Weiterbildungshintergründen einbezog und diese Gruppen untereinander sowie mit den kranken und gesunden Lehrerinnen und Lehrern der ersten Studie verglich. Für diese Studie sollten Formen der Zusatzausbildung bzw. Weiterbildung berücksichtigt werden, die von Lehrkräften hinreichend häufig gewählt werden und die aufgrund ihrer Ausbil-
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dungsziele und -inhalte erwarten ließen, dass sie Einfluss auf gesundheitsbezogene psychosoziale Ressourcen nehmen sollten. Anhand dieser Kriterien wurden letztlich Gestaltpädagogik, Supervision und achtsamkeitsbasierte Verfahren als drei verschiedene, in diesem Kontext vielversprechende Weiterbildungsrichtungen ausgewählt und drei Gruppen von Lehrern befragt, die zusätzlich zu ihrer Lehrertätigkeit eine Weiterbildung in einem dieser drei Bereiche absolvierten oder abgeschlossen hatten. Die Daten dieser Untersuchung zeigten eindrucksvoll, dass Personen mit einem derartigen Weiterbildungshintergrund im Mittel einen guten Gesundheitszustand aufweisen, der vergleichbar gut ist wie der der ausgewählten gesunden Gruppe aus der ersten Untersuchung, oder das Niveau dieser Gruppe zum Teil noch übertrifft. Außerdem zeichnen sich diese Lehrkräfte durch eine auffallend gute psychosoziale Ressourcenbasis aus, die je nach speziellem Weiterbildungshintergrund spezifische Ausformungen zeigt und ebenfalls das Niveau der gesunden Gruppe aus der ersten Studie erreicht oder in verschiedenen Bereichen sogar übertrifft. Die Anlage der Untersuchung erlaubt zwar keine Ursache-Wirkungs-Aussagen dahingehend, dass diese Formen der Weiterbildung ursächlich an der Ausbildung der Ressourcen beteiligt sind, jedoch sind die Ergebnisse vielversprechend genug, um die Annahme von ressourcenerweiternden und -stabilisierenden Effekten dieser Weiterbildungsformen mit langfristig positiven Auswirkungen auf die Gesundheit weiterzuverfolgen und eingehender zu untersuchen.
Überblick über die folgenden Kapitel Teil 1 Der erste Teil des Buches führt in das Thema Lehrergesundheit und Lehrerbelastung ein und gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Er beginnt mit einem kurzen Abriss der Ergebnisse zur Gesundheitssituation von Lehrkräften in Deutschland in Bezug auf körperliche Erkrankungen, psychische Erkrankungen und Burnout. Nach dieser deskriptiven Bestandsaufnahme geht es im folgenden Kapitel um die Entstehung von Gesundheit und Krankheit und um die Rolle, die Beanspruchung, Belastung und Stress im Prozess der Entwicklung von Krankheit und Gesundheit spielen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei Modellen des Zusammenwirkens von Person- und Situationsfaktoren bei der Entstehung von Stress und Belastung, Krankheit und Gesundheit. Ressourcen und ihre Bedeutung im dynamischen Prozess von Gesundheit und Krankheit stehen im Zentrum des anschließenden Kapitels, wobei verschiedene Ressourcenbereiche differenziert und in ihrer Bedeutung für die Erhaltung von Gesundheit dargestellt werden sollen. Den Abschluss des ersten Teils bildet die Vorstellung der drei ausgewählten Weiterbildungsbereiche Gestaltpädagogik, Achtsamkeit und Supervision, deren Weiterbildungs-
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ziele und -inhalte im Hinblick auf ihr Potenzial zur Förderung zentraler Ressourcen betrachtet werden sollen. Teil 2 Der zweite Teil des Bandes widmet sich der Darstellung einer aus zwei Teilstudien bestehenden empirischen Untersuchung der Ressourcen- und Gesundheitssituation von Lehrerinnen und Lehrern, deren Ergebnisse ausführlich beschrieben und im Hinblick auf ihre Implikationen für Gesundheitsförderung, Ausbildung und Weiterbildung von Lehrkräften diskutiert werden. Die ersten Abschnitte dieses Teils geben Aufschluss über Konzeption und Fragestellungen der Untersuchung und den Aufbau des verwendeten Fragebogens, der eigens für diesen Verwendungszweck entwickelt wurde und die zentralen Konzepte Gesundheit, Belastung und Ressourcen von Lehrerinnen und Lehrern erfasste. Befragt wurden in einer ersten Befragungswelle eine Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern mit gutem und eine Gruppe mit angegriffenem Gesundheitszustand. In einer zweiten Befragungswelle wurden Lehrkräfte einbezogen, die Weiterbildungen in Gestaltpädagogik, Supervision oder achtsamkeitsorientierten Verfahren durchlaufen hatten. Beide Befragungswellen erhoben Daten zur Gesundheits-, Belastungs- und Ressourcensituation, zu Bewältigungsstrategien im Umgang mit beruflichen Anforderungen und zu Merkmalen des Unterrichtshandelns. Verwendet wurde in beiden Teilstudien derselbe Fragebogen, der für die Teilnehmenden mit Weiterbildung um zusätzliche Fragen ergänzt wurde, die sich auf Spezifika der drei Weiterbildungsrichtungen bezogen. Die Befragung lieferte eine Fülle von Erkenntnissen zur Gesundheitssituation von Lehrerinnen und Lehrern und zu den verschiedenen Bedingungen, die mit Gesundheit und Krankheit in systematischer Weise zusammenhängen. Ein Vergleich von gesunden und kranken Lehrkräften miteinander und mit Lehrkräften mit spezifischen Weiterbildungen ergab aufschlussreiche Unterschiede in der Ressourcensituation der verschiedenen Gruppen und Hinweise auf relevante gesundheitsschützende und gesundheitsgefährdende Faktoren im Umgang mit beruflichen Anforderungen und Belastungen. Im Vergleich der Gruppen zeigte sich, dass Lehrerinnen und Lehrer mit Gesundheitsproblemen in nahezu allen untersuchten Aspekten von ihren gesunden Kolleginnen und Kollegen abwichen und dass Unterschiede in der Verfügbarkeit von Ressourcen offenbar besonders bedeutsam für Entwicklungen in Richtung auf Gesundheit oder Krankheit waren. Die Ergebnisse zur Gesundheitsrelevanz von psychosozialen Ressourcen wurden durch die Einbeziehung von Lehrergruppen mit Weiterbildung erhärtet, die zeigten, dass sich Absolventinnen und Absolventen der einbezogenen Weiterbildungsformen sowohl durch eine besonders gute Gesundheitssituation als auch durch einen besonders ausgeprägten Ressourcenstatus auszeichneten.
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Überlegungen zu möglichen Implikationen und Konsequenzen der Ergebnisse für die Gesundheitsförderung von Lehrkräften sowie für Aus- und Weiterbildungen schließen den zweiten Teil ab.
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Gesundheitssituation von Lehrkräften in Deutschland Die verfügbaren Daten der letzten zwei Jahrzehnte zur Gesundheitssituation deutscher Lehrkräfte legen den Schluss nahe, dass der Lehrerberuf mit nicht unerheblichen Gesundheitsgefahren verbunden ist, die im Sinne einer Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dringend einer sorgfältigen Analyse von möglichen Verursachungsbedingungen und von möglichen Veränderungsoptionen bedürfen. Der augenfälligste Indikator für die problematische Gesundheitssituation des Berufsstands in den ausgehenden 1990er Jahren war sicherlich die hohe Quote an krankheitsbedingten Frühpensionierungen im Lehrerberuf. So lag der Prozentsatz von krankheitsbedingten Frühpensionierungen an der Gesamtzahl der Ruhestandseintritte von Lehrkräften in den 1990er Jahren zwischen 50 und 60 % und stieg im Jahre 2000 auf den Höchststand von 64 %. Die Frühpensionierungsquote bei Lehrkräften lag damit deutlich höher als bei vergleichbaren Akademiker- und Beamtenberufen. Inzwischen haben sich nach Inkrafttreten der Versorgungsreform für Beamtinnen und Beamte, die mit Pensionsabschlägen für den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand verbunden war, die Zahlen deutlich reduziert und bewegen sich inzwischen auf einem Niveau von ca. 25 %. Diese administrative Intervention führte allerdings nur zu einer Verschiebung des Problems, so dass in neuerer Zeit ein Anstieg der Fehlzeiten durch Krankheit besonders in der Gruppe der älteren Lehrkräfte zu beobachten ist. Das mittlere Frühpensionierungsalter lag in verschiedenen Studien bei ca. 54 Jahren, was bedeutet, dass aus Krankheitsgründen vorzeitig pensionierte Lehrkräfte im Mittel zehn Jahre vor Erreichen der regulären Altersgrenze aus dem Beruf ausscheiden. Forscht man nach den Gründen, die zu einer Frühpensionierung wegen Dienstunfähigkeit führen, so spielen psychische und psychosomatische Erkrankungen eine prominente Rolle. Verschiedene Studien zeigen übereinstimmend, dass krankheitsbedingte vorzeitige Pensionierungen am häufigsten aufgrund von psychischen und psychosomatischen Leiden erfolgen (vgl. Schröder 2008; Buschmann und Gamsjäger 1999; Weber 2004), wobei Depressionen, Erschöpfungssyndrome und Anpassungsstörungen als besonders häufig gestellte Diagnosen auffallen. Hinweise auf ein erhöhtes psychisches Erkrankungsrisiko von Lehrkräften ergeben sich jedoch nicht nur aus Untersuchungen an frühpensionierten Lehrerinnen und Lehrern, sondern finden sich in ähnlicher Weise auch in Studien wieder, die aktiv berufstätige Lehrkräfte untersuchen. So berichten Lehrkräfte in repräsentativen Befragungen in höherem Maße über psychosoziale und psychosomatische Belastungen als Nicht-Lehrkräfte (Hillert 2007). Pruessner (2004) kommt auf der Basis vorliegender Studien zu der Einschätzung, dass im Jahresdurchschnitt 15–20 % der Lehrkräfte einer Schule unter psychosomatischen Erkrankungen leiden. Nach Daten von Bauer (2004) lag der Prozentsatz von Lehrkräften mit massiven
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psychischen Symptomen bei 20,3 %. In Folgestudien der Autorinnen und Autoren aus den Jahren 2006 und 2007 (Bauer et al. 2006; 2007) lag der Anteil von Personen mit ernsthaften psychischen Gesundheitsproblemen in der untersuchten Lehrerpopulation sogar bei 30 %. Verglichen mit einer Quote von 10–15 % in einer von den Autorinnen und Autoren herangezogenen großen repräsentativen Bevölkerungsstichprobe spricht dies für ein auffallend hohes Maß an psychischen Beeinträchtigungen und Gesundheitsproblemen in der Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer. In dieselbe Richtung gehen Ergebnisse von Becker (2006), der in einer Studie zur Stressbelastung von Lehrkräften unterschiedlicher Schultypen feststellte, dass „die von uns untersuchten Lehrkräfte (insbesondere die Lehrerinnen) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung im Mittel sowohl unter einer erhöhten chronischen Stressbelastung als auch einer erhöhten Symptombelastung leiden. Lehrer und insbesondere Lehrerinnen fühlen sich gehäuft durch ihre Arbeit und hohe soziale Anforderungen überlastet und überfordert und klagen über mangelnde soziale Anerkennung. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung berichten sie über eine höhere Symptombelastung, insbesondere körperliche Beschwerden, Konzentrations- und Entscheidungsschwierigkeiten, Depressivität und Ängstlichkeit. Diese erhöhte Symptombelastung weist eine beträchtliche Ähnlichkeit zur Burnout Symptomatik auf “ (Becker 2006, S. 91). Im obigen Zitat stellt Becker einen expliziten, wenn auch vorsichtigen Bezug zwischen dem beschriebenen Symptombild und dem Burnout-Konzept her, so dass an dieser Stelle vielleicht ein kurzer Einschub zur Burnout-Problematik angezeigt ist. Burnout entwickelt sich nach etlichen prominenten Fällen zumindest im Spiegel der Medien zu einer „Volkskrankheit“, die sich in verschiedenen beruflichen Feldern und Altersgruppen massiv ausbreitet und die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen dauerhaft einschränkt. Ursprünglich zur Kennzeichnung eines spezifischen berufsbedingten Erschöpfungssyndroms von sozialen Dienstleistungsberufen geprägt, findet sich die typische Burnout-Symptomatik inzwischen auch in Arbeitsbereichen, die wenig mit der ursprünglich als ursächlich vermuteten überhöhten Investition psychischer und körperlicher Energien in Beziehungs- und Emotionsarbeit, wie sie vor allem in helfenden Berufen vorzufinden ist, zu tun haben. Nach einer Arbeitsdefinition von Schaufeli und Enzmann aus dem Jahre 1989 (zit. nach Hillert u. Schmitz 2004, S. 52) ist Burnout „ein andauernder negativer, arbeitsbezogener psychischer Zustand ,normaler‘ Personen, der primär durch Erschöpfung gekennzeichnet ist und von Überforderung (distress), dem Gefühl verminderter Wirksamkeit, abnehmender Motivation sowie der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen begleitet wird“ [Hervorhebung durch die Verfasser]. Eine saubere Definition des Konzepts, die eine Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen mit vergleichbaren Symptomen – wie z. B. der Depression – ermöglichen würde, steht jedoch weiterhin aus. Dementsprechend ist Burnout auch keine eigenständige Diagnose im Sinne der Internationalen Klassifikation von Erkrankungen (International Classification of Diseases, ICD-10). Diese konzeptuellen und differen-
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zialdiagnostischen Unschärfen erschweren die Burnout-Forschung seit Jahren und lassen offen, ob sich Burnout langfristig als fruchtbares Konzept zur Erforschung von arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen erweisen wird. Nichtsdestotrotz wurde Burnout bei Lehrkräften in den letzten Jahren zum Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen; Lehrerinnen und Lehrer mit Burnout-Problemen stellen einen großen Prozentsatz des Klientels von Reha- und psychosomatischen Kliniken, Schmitz (2004) schätzt auf der Basis von Daten verschiedener Untersuchungen, dass zwischen 15 und 28 % der Lehrerinnen und Lehrer in deutschsprachigen Ländern von Burnout-Problemen betroffen sind. Alles in allem weisen die verschiedenen Befunde darauf hin, dass die Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer im Vergleich zu anderen Berufs- und Bevölkerungsgruppen offenbar ein erhöhtes Gefährdungspotenzial besonders im Hinblick auf ihre psychische Gesundheit aufweist und demnach in der Formulierung von Schaarschmidt „unter dem Gesichtspunkt der psychischen Gesundheit als Risikopopulation zu betrachten ist“ (Schaarschmidt 2004b, S. 98). Die Aufklärung dieser recht alarmierenden Situation ist bei weitem noch nicht befriedigend abgeschlossen, obwohl seit etlichen Jahren verstärkte Forschungsbemühungen zur Identifikation von relevanten Bedingungsfaktoren zu verzeichnen sind. Eine nähere Betrachtung von berufsspezifischen Anforderungsbedingungen, die kennzeichnend für den Lehrerberuf sind und die einen Erklärungsbeitrag liefern könnten, warum sich gerade diese Berufsgruppe offenbar besonders schwer damit tut, berufliche Anforderungen auf Dauer gesund zu meistern, schließt sich im nächsten Kapitel an. Zuvor ist jedoch eine Anmerkung angebracht, die ein etwas anderes Licht auf die berichteten Befunde wirft. Inzwischen ist ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend zu einem Anstieg von psychischen Erkrankungen zu beobachten; die Krankenkassen konstatieren quer durch alle Berufsgruppen eine kontinuierliche Zunahme von Ausfällen und Krankheitstagen, die durch psychische Erkrankungen bedingt sind. Somit wäre zumindest theoretisch denkbar, dass die seit Jahren bei Lehrkräften immer wieder nachgewiesene prekäre psychische Gesundheitssituation gar nicht so sehr durch die spezifischen Arbeitsbedingungen und Belastungen einer definierten Berufsgruppe bedingt ist, sondern eher als Vorbote einer generellen gesellschaftlichen Entwicklung verstanden werden kann. Sollte dies der Fall sein, wäre es müßig, nach den differenzierenden Bedingungsfaktoren zu fahnden, die kennzeichnend für die Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer sind und sich gleichzeitig von anderen Berufsgruppen unterscheiden. Eine nähere Erforschung der Gesundheitssituation von Lehrkräften hätte dann einen eher exemplarischen Charakter und ließe auch generalisierbare Aufschlüsse darüber erwarten, wie berufliche Anforderungen und persönliche Voraussetzungen von Arbeitskräften bei der Entstehung von Belastungssituationen zusammenwirken, wie diese bewältigt werden (können) und welche gesundheitlichen Folgen nach Jahren von immer wiederkehrenden Auseinandersetzungszyklen mit beanspruchenden beruflichen Anforderungen zu beobachten sind. Umgekehrt bietet diese erweiterte
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Perspektive wiederum die Möglichkeit, Erkenntnisse, die in der gesundheitspsychologischen Forschung und der Forschung zu Belastung und Beanspruchung in anderen Kontexten gewonnen wurden, auf diese spezifische Population zu beziehen, um daraus neue Einsichten für die Erklärung und Veränderung der Situation von Lehrkräften zu gewinnen. Diesem Ansatz folgten die beiden Studien des Autorenteams, über die im Folgenden ausführlich zu berichten sein wird.
Anforderungen, Belastung und die Entstehung von Gesundheit und Krankheit Geht man auf der Grundlage der im vorangegangenen Kapitel aufgeführten Daten und Befunde von einem allgemeinen Trend zu einer Zunahme psychischer Erkrankungen und darüber hinaus von einer jenseits dieses generellen Trends auffallend hohen Quote psychischer und psychosomatischer Probleme speziell in der Gruppe der Lehrerinnen und Lehrer aus, so stellt sich die Frage nach möglichen Verursachungsfaktoren und nach Erklärungsmodellen, die herangezogen werden könnten, um theoretisch begründete Zusammenhänge zwischen Klassen von Bedingungsfaktoren und dem Auftreten von psychischen Gesundheitsstörungen herzustellen und Annahmen über Prozesse der Krankheitsentstehung zu formulieren. (Chronischer) Stress und langandauernde Belastungen werden seit längerer Zeit als wichtige Bedingungsfaktoren für die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen diskutiert, wobei insbesondere berufliche Belastungen als wichtige Quelle für stress- und belastungsabhängige Gesundheitsstörungen zunehmend in den Fokus des Interesses rücken. Es liegen inzwischen gesicherte Erkenntnisse zum Zusammenhang von beruflichem Stress und dem Auftreten von psychischen Störungen vor, die darauf verweisen, dass besonders psychomentale und psychosoziale berufliche Belastungen offenbar eine besonders gewichtige Rolle für die Entstehung von psychischen Überforderungszuständen und Erschöpfungssyndromen spielen. Weitgehende Einigkeit herrscht über die Annahme, dass Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt sind, und dass der Lehrerberuf gerade im Bereich der psychosozialen und psychomentalen Anforderungen besonders hohe Ansprüche stellt, mit denen sich die Angehörigen dieses Berufs tagtäglich auseinandersetzen müssen und die sie immer wieder aufs Neue erfolgreich bewältigen müssen (vgl. Schaarschmidt 2004b; Becker 2006). Theoretisch wird die Verbindung zwischen Anforderungen, Bewältigung von Anforderungen und Gesundheit bzw. Krankheit in transaktionalen Stress- bzw. Gesundheitsmodellen wie z. B. dem Anforderungs-Ressourcen-Modell der Gesundheit (Becker 2003) hergestellt, das davon ausgeht, dass „der Gesundheitszustand einer Person davon abhängt, wie gut es ihr gelingt, externe
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und interne Anforderungen mithilfe externer und interner Ressourcen zu bewältigen“ (Becker 2006, S. 82). Externe Anforderungen beziehen sich in diesem Kontext auf verschiedene berufliche und familiäre Anforderungen, während interne Anforderungen auf basalen Bedürfnissen nach Orientierung, Sicherheit, Kontrolle, Bindung, Anerkennung und Selbstverwirklichung beruhen. Bezogen auf die Ressourcen werden unter externen Ressourcen alle außerhalb der Person liegenden – vor allem soziale – Ressourcen verstanden und unter internen die psychischen und körperlichen Ressourcen, die innerhalb der Person lokalisiert sind. (Nähere Ausführungen zu Ressourcen finden sich im Kap. „Ressourcen und ihre Bedeutung im dynamischen Prozess von Gesundheit und Krankheit“.) Die zitierte Kernaussage des Anforderungs-Ressourcenmodells der Gesundheit formuliert in komprimierter Form ein Bedingungsmodell von Gesundheit, das mehrere bedeutsame Aspekte enthält: Zunächst einmal wird explizit die Abhängigkeit des Gesundheitszustandes einer Person von einer gelingenden respektive nicht gelingenden Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Lebens formuliert. Gesundheit wird danach als dynamischer Prozess betrachtet, der immer wieder aktiv hergestellt und austariert werden muss und der aus dem Wechselspiel von Anforderungen und individuellen Formen der Bewältigung dieser Anforderungen entsteht. Wichtig für die Gesundheit ist demnach nicht allein die Höhe, Intensität, Dauer oder Schwierigkeit von Anforderungen, sondern das, was die Person diesen Anforderungen entgegensetzen kann und wie gut es ihr gelingt, mit diesen Anforderungen zurechtzukommen. Mit diesem Konzept wird eine deutliche Abkehr von physikalisch-mechanistischen Vorstellungen vollzogen, aus deren Kontext die Begriffe Stress, Belastung und Beanspruchung ursprünglich entlehnt wurden und die ganz allgemein davon ausgehen, dass (äußere) Belastungen auf einen (passiven) Organismus einwirken und dort zu Beanspruchungen führen, die in Abhängigkeit von Dauer und Intensität dieser Beanspruchung auf längere Sicht Schädigungen und Krankheiten hervorrufen. Dieses Modell erwies sich als zu einfach, um zu erklären, wie aus Anforderungen Belastungen werden, wie psychischer Stress entsteht und wie dieser wiederum mit der Entstehung von psychischen Erkrankungen zusammenhängt. Folgt man aktuellen transaktionalen Modellen, so ist Stress keine alleinige und unmittelbare Folge des Einwirkens von Umweltstressoren, sondern das Ergebnis eines subjektiven Verarbeitungsprozesses, der die wahrgenommenen Anforderungen mit den eigenen Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Anforderungen in Beziehung setzt. Stress entsteht dann, wenn wahrgenommene Anforderungen die adaptiven Ressourcen einer Person übersteigen oder zu übersteigen drohen. Schon die Entstehung von Stress ist demnach abhängig von den Ressourcen, die eine Person aufzubieten hat und auf die sie dann im weiteren Verlauf zurückgreifen kann, um die Situation zu bewältigen. Das bedeutet wiederum, dass Personen, die über vielfältige Bewältigungsressourcen verfügen,
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ein geringeres Risiko tragen, häufig belastende Stresssituationen zu erleben und dass sie selbst dann, wenn sie Stresserfahrungen ausgesetzt sind, bessere Chancen haben, diese gesund zu bewältigen, weil sie auf Grund ihrer soliden Ressourcenbasis über ein höheres Potenzial zur Generierung von erfolgreichen Bewältigungsstrategien verfügen. Diese Zusammenhänge ließen sich auch empirisch nachweisen und zeigten sich z. B. eindrucksvoll in mehreren empirischen Untersuchungen, die Bedingungen für den mehr oder weniger erfolgreichen Umgang von Personen mit prekären Lebenslagen erforschten (vgl. Lantermann, Döring-Seipel, Eierdanz, Gerhold 2009). Die Bedeutung von Ressourcen als wichtigem Gelingensfaktor für einen erfolgreichen und gesunderhaltenden Umgang mit Anforderungen, der an mehreren Stellen im Prozess der Belastungsentstehung und -bewältigung wirksam wird und zur Aufrechterhaltung von Gesundheit beiträgt, wird hier deutlich. Einen noch größeren Stellenwert erhalten Ressourcen in einem anderen Modell der Stressentstehung und -bewältigung, das auf der Theorie der Ressourcenerhaltung von Hobfoll (Hobfoll 2002; Hobfoll et al. 1994) beruht. Nach diesem Konzept sind Personen bestrebt, Ressourcen verschiedenster Art zu gewinnen und zu erhalten. Stress entsteht dann, wenn Ressourcen bedroht sind, verloren gehen oder fehlinvestiert werden, was bedeutet, dass sich der Einsatz von Ressourcen nicht in entsprechende Ressourcengewinne umsetzt. Um stressreichen Situationen erfolgreich begegnen zu können, werden wiederum Ressourcen benötigt; sie müssen eingesetzt werden, um drohende Ressourcenverluste abzuwenden, um Verluste auszugleichen und zu kompensieren und um neue Ressourcen zu gewinnen und aufzubauen. Aus dieser Dynamik des fortlaufenden Ressourcenauf- und -abbaus können im Laufe der Zeit sogenannte Gewinn- oder Verlustspiralen entstehen. Menschen, die über vielfältige Ressourcen verfügen, können Ressourcen investieren, um damit weitere Ressourcen zu gewinnen und so auf lange Sicht eine positive Ressourcenbilanz aufbauen, die Ressourcenbedrohungen und -verluste abfedert und diese Personen widerstandsfähiger gegenüber Anforderungen und schwierigen Lebenssituationen werden lässt. Personen mit einer eingeschränkten Ressourcenbasis sind demgegenüber verwundbarer und tragen ein höheres Risiko, in eskalierende Verlustspiralen abzugleiten, die dann entstehen, wenn (drohende) Ressourcenverluste mit dem Einsatz weiterer Ressourcen kompensiert werden müssen, was die verbliebenen verfügbaren Ressourcen weiter strapaziert und die Verletzlichkeit gegenüber weiteren Bedrohungen der Ressourcenbasis erhöht. Die Voraussetzungen für einen ressourcenerhaltenden, erfolgreichen Umgang mit Anforderungen werden auf diese Weise zunehmend ungünstiger, während gleichzeitig das Risiko für eine langfristige Erschöpfung der Ressourcenbasis steigt. Buchwald und Hobfoll (2004) nutzen dieses Modell, um Burnout-Prozesse zu beschreiben, die sie als fortgeschrittenes Stadium von derartigen Ressourcenverlustspiralen konzipieren. Burnout resultiert demnach aus einem anhaltenden Missverhältnis von Ressourcenverbrauch und -gewinn und lässt sich als schleichender Prozess des Ressourcenverlusts verstehen,
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„bei dem bestehende Ressourcen durch eine permanente Arbeitsbelastung schneller aufgebraucht als ersetzt werden können“ (Buchwald u. Hobfoll 2004, S. 249). Die berufliche Anforderungsstruktur von Lehrerinnen und Lehrern birgt nach Buchwald und Hobfoll besondere Gefahren, in eine ungünstige Ressourcendynamik hineinzugeraten: „LehrerInnen investieren extrem viele Ressourcen in die Arbeit mit ihren SchülerInnen. Neben dem vorrangigen Ziel der Wissensvermittlung steht vor allem die Beziehungsarbeit zu den SchülerInnen im Vordergrund. Stressfaktoren wie große Klassen, Lautstärke und lernschwache Kinder bilden eine lange Kette von Mikroverlusten auf Seiten der Lehrenden. Die typische Isolation von LehrerInnen verschärft die Situation zusätzlich (Schmid 2003). Trotz massiver Anstrengungen und Investitionen erhalten LehrerInnen nur wenig Ressourcengewinne zurück“ (Buchwald u. Hobfoll 2004, S. 250). Die Problematik einer unausgewogenen Bilanz von „Investitionen“ und „Erträgen“ wurde schon zuvor in der soziologisch orientierten Stressforschung mit dem Konzept der beruflichen Gratifikationskrise beschrieben und als Risikofaktor für Burnout diskutiert (vgl. Siegrist 1996). Buchwald und Hobfoll betrachten diesen Prozess nun unter einer ressourcentheoretischen Perspektive und stellen die schleichende Aushöhlung verfügbarer Ressourcen ohne die Möglichkeit eines Ausgleichs durch entsprechende Ressourcenzugewinne in den Mittelpunkt ihres Erklärungsmodells für die Entstehung von psychischen und physischen Erschöpfungszuständen mit den damit verbundenen emotionalen, motivationalen und leistungsbezogenen Problemen, die den Kern des Burnout-Komplexes bilden. Vergleichbare Überlegungen zum Zusammenhang von Anforderungen, Ressourcen und Gesundheit bilden die Basis einer von Schaarschmidt (2004a) entwickelten Typologie verschiedener Bewältigungsmuster im Umgang mit beruflichen Anforderungen und Belastungen, die einen empirisch abgesicherten systematischen Zusammenhang zu Gesundheit und Krankheit aufweisen. Schaarschmidt unterscheidet vier charakteristische Verhaltens- und Erlebensmuster bei der Bewältigung von Arbeits- und Berufsanforderungen, von denen zwei als gesundheitlich unbedenklich und zwei weitere als gesundheitliche Risikomuster eingestuft werden. Das Gesundheitsmuster „G“ zeichnet sich durch eine ausgewogene Balance von Ressourceneinsatz und -erhaltung aus. Lehrerinnen und Lehrer, die diesem Muster zugeordnet werden, verfügen über eine ausgeprägte psychosoziale Ressourcenbasis und verbinden hohes berufliches Engagement, d. h. Bereitschaft zur Investition von Ressourcen mit ausgeprägten Fähigkeiten zur Regeneration, zum Schutz und zur Erhaltung von Ressourcen. Dieses Muster erzeugt offenbar eine nachhaltig stabile Ressourcensituation und erwies sich in verschiedenen Studien als positiv für die Aufrechterhaltung eines guten Gesundheitszustands. Das Schonungsmuster „S“ ist vor allem auf den Schutz verfügbarer Ressourcen ausgerichtet. Aus gesundheitlicher Perspektive ist dieses Muster unproblematisch – allerdings um den Preis, dass berufliche Anforde-
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rungen nicht angenommen, sondern weitgehend mit Rückzug und Vermeidung beantwortet werden. Die beiden gesundheitlichen Risikomuster, das Überforderungsmuster „A“ und das Burnoutmuster „B“ weisen jeweils eine negative Ressourcendynamik auf, der Unterschied zwischen beiden Mustern besteht letztlich darin, dass der Ressourcenverlustprozess beim Muster B schon relativ fortgeschritten ist, während das Muster A den Einstieg in eine Verlustspirale markiert, die durch überhöhte, selbstüberfordernde Ressourceninvestitionen charakterisiert wird. Die Muster wurden empirisch aus der Analyse umfangreichen Datenmaterials entwickelt, das bei Erhebungen an verschiedenen Berufsgruppen – vor allem aber an großen Lehrerstichproben in Deutschland und Österreich – gewonnen wurde und konnten inzwischen in verschiedenen Folgestudien validiert werden. Insbesondere zeigten sich auch die unterstellten Zusammenhänge zwischen Gesundheit auf der einen Seite und den verschiedenen Formen der Auseinandersetzung mit beruflichen Anforderungen und der Verfügbarkeit von und des Umgangs mit Ressourcen auf der anderen Seite. Dies führt nun zum Ausgangspunkt des Kapitels zurück – zu der Frage nach den Bedingungen für Gesundheit und Krankheit und zum Grundgedanken des Anforderungs-Ressourcen-Modells – nämlich dass der Gesundheitszustand durch die Art und Weise der Bewältigung von Anforderungen beeinflusst wird, für deren Gelingen bzw. Nicht-Gelingen Ressourcen eine entscheidende Rolle spielen. Gesundheit ist demnach das Ergebnis eines komplexen Wechselwirkungsprozesses zwischen verschiedenen Einflussfaktoren und wird maßgeblich beeinflusst von Anforderungen, die einerseits von außen an die Person herangetragen werden und andererseits aus ihren eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen resultieren, von verfügbaren Ressourcen, die die Person in der Auseinandersetzung mit den Anforderungen mobilisieren kann und von den Formen der Bewältigung, die die Person auf der Basis der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen wählt.
Ressourcen und ihre Bedeutung im dynamischen Prozess von Gesundheit und Krankheit Das vorige Kapitel stellte eingehend die Bedeutsamkeit von Ressourcen im Rahmen der Bedingungen von Gesundheit und Krankheit heraus, ohne bisher näher darauf einzugehen, was genau unter Ressourcen zu verstehen ist und welche Ressourcen einen gesundheitsförderlichen Umgang mit Anforderungen und Belastungen unterstützen. Im folgenden Abschnitt soll daher eine Klärung und vor allem eine Konkretisierung des Ressourcenbegriffs vorgenommen und der Frage nachgegangen werden, welche spezifischen Ressourcen im Zusammenhang mit Belastung, Bewältigung und Gesundheit bisher untersucht wurden und für einen gesundheitsförderlichen Umgang mit Anforderungen und Belastungen im Lehrerberuf relevant sein könnten.
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In allgemeinster Form bezeichnen Ressourcen die Gesamtheit an verfügbaren Mitteln, auf die Personen zur Erreichung von Zielen zurückgreifen können und die es ihnen ermöglichen, Situationen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Grunde handelt es sich um einen Sammelbegriff für so heterogene Dinge wie Geld, Zeit, Arbeitsmaterialien und Geräte, Wissen, soziale Beziehungen, persönliche Charakteristika, Handlungskompetenzen und Selbstregulationsfähigkeiten, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie für die Person in der aktuellen Situation verfügbar sein müssen und zur Erreichung von anstehenden Zielen eingesetzt werden können. Eine erste systematische Berücksichtigung fanden Ressourcen im Rahmen des auf Antonovsky zurückgehenden Salutogenese-Konzepts. Dieses Modell leitete eine veränderte Sichtweise auf Gesundheit ein, die nun nicht mehr negativ – als Abwesenheit von Krankheit – sondern positiv definiert wurde. Gleichzeitig verschob sich die Perspektive weg von einer Konzentration auf Auslöser von Krankheiten und gesundheitliche Risikofaktoren hin zu den Bedingungen, die Gesundheit schützen und zur Erhaltung von Gesundheit beitragen (Widerstandsressourcen). Antonovsky formulierte erstmals das Konzept der allgemeinen Widerstandsressourcen, worunter er „jedes Merkmal einer Person, Gruppe oder Umwelt, das eine wirksame Spannungsbewältigung erleichtern kann“ (Antonovsky 1979, S. 99), verstand. Im salutogenetischen Modell erzeugen Stressoren verschiedener Art Spannungszustände, die von der Person bewältigt werden müssen und deren erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Bewältigung Konsequenzen für die Gesundheit nach sich ziehen kann. Ressourcen werden im Hinblick auf ihre Rolle bei der Bewältigung von potenziellen gesundheitsschädigenden Einflüssen, die allgemein als Stressoren bezeichnet werden, bestimmt (vgl. Faltermaier 2005). Als allgemeine Widerstandsressourcen wird dabei eine Klasse von Ressourcen bezeichnet, denen eine Wirksamkeit im Umgang mit verschiedenartigen Belastungssituationen unterstellt wird, im Gegensatz zu spezifischen Widerstandsressourcen, die nur in bestimmten Situationen nutzbar gemacht werden können. In der salutogenetischen Perspektive findet demnach eine Eingrenzung der Bereiche, auf die sich Ressourcen beziehen, in der Weise statt, dass nicht das Gesamtspektrum an möglichen Zielen und Handlungssituationen betrachtet wird, sondern dass die Bewältigung von potenziell gesundheitsschädlichen Einflüssen im Fokus steht, verbunden mit der Identifikation von Ressourcen, die speziell für diesen Aufgabenbereich wirksam werden und hilfreich sein können. Faltermaier erweitert den Ressourcenbegriff und spricht statt von Widerstandsressourcen von Gesundheitsressourcen, worunter er „dauerhaft verfügbare Kräfte oder Merkmale einer Person, sozialen Gruppe oder Umwelt [versteht], die eine positive Einflussnahme auf das Gesundheitskontinuum ermöglichen oder erleichtern können“ (Faltermaier 2005, S. 157). Salutogenetische Überlegungen fanden ihren Niederschlag in der Entwicklung von ressourcenorientierten Therapie- und Beratungsansätzen, die statt der Beschäftigung mit Defiziten und Problemen von Klientinnen und Klienten die Herausarbeitung und
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Stärkung von Potenzialen in den Mittelpunkt stellen, die diese zur Bewältigung ihrer Probleme nutzen können. Ressourcenorientierte Ansätze gehen davon aus, dass prinzipiell alle Menschen in einem gewissen Umfang über Ressourcen verfügen, die sie befähigen, mit Belastungen und persönlichen Problemen konstruktiv umzugehen. Aufgabe der Therapie oder Beratung ist es, Unterstützung bei der Wahrnehmung, Aktivierung und Nutzung dieser Potenziale zu gewähren und damit die eigenständigen Problemlösefähigkeiten der Klientinnen und Klienten zu stärken. Im Unterschied zu Antonovskys Konzept der allgemeinen Widerstandsressourcen, deren Qualität vor allem darin besteht, dass sie in verschiedenartigen Belastungssituationen und Kontexten wirksam werden, stützen sich ressourcenorientierte Therapieund Beratungsansätze auf eine strikt funktionale Definition von Ressourcen, bei der ausschließlich die Funktionalität für Ziele und Anliegen des betreffenden Individuums darüber entscheidet, ob bestimmte Merkmale zu Ressourcen für diese Person werden. Inhaltlich wird häufig zwischen externen und internen Ressourcen unterschieden (vgl. z. B. Becker 2006; Renneberg und Hammelstein 2006). Externe Ressourcen beziehen sich auf Umfeldfaktoren, auf die eine Person bei der Bewältigung von Belastungen zurückgreifen kann. Auch wenn materielle, technische und natürliche Hilfsmittel in die Definition von externen Ressourcen explizit einbezogen werden, werden in der Forschung vorwiegend soziale Ressourcen, vor allem soziale Unterstützungssysteme und Beziehungen als externe Ressourcen thematisiert und im Hinblick auf ihre Bedeutung als Gesundheitsressource untersucht (vgl. Faltermaier 2005; Schröder 1997). Die Wirkung von sozialer Unterstützung als Widerstandsressource, die die konstruktive Bewältigung von belastenden Situationen unterstützt und die sich positiv auf Gesundheit auswirkt, konnte empirisch vielfach nachgewiesen werden. In Abgrenzung zu den externen Ressourcen beziehen sich interne Ressourcen, die häufig auch als personale Ressourcen bezeichnet werden, auf Faktoren, die in der Binnensphäre der Person lokalisiert sind. In erster Linie werden unter personalen Ressourcen psychische Merkmale von Personen verstanden, die den Prozess der Stressverarbeitung günstig beeinflussen können. Persönlichkeitsmerkmale, Handlungskompetenzen, Selbstregulationsfähigkeiten, Überzeugungen und überdauernde Haltungen können grundsätzlich als personale Ressourcen aufgefasst werden. Empirisch wurden bislang insbesondere positive Erwartungshaltungen wie Selbstwirksamkeitserwartung und dispositionaler Optimismus (eine optimistische Lebenshaltung als Persönlichkeitsdisposition) in ihrer Bedeutung als personale Gesundheitsressourcen untersucht. Positive Erwartungshaltungen können – so die Annahme stresstheoretischer Modelle – über verschiedene Ansatzpunkte Einfluss auf den Prozess der Auseinandersetzung mit stressreichen Anforderungen nehmen und gesundheitlich positive Verläufe von Stress- und Belastungsepisoden wahrscheinlicher machen: Hohe Selbstwirksamkeitserwartungen können einer resignativ-hilflosen Einschätzung von Anforderungssituationen entgegenwirken und stattdessen herausforderungs- und bewältigungsorientierte Situationseinschätzungen befördern. Darüber hinaus können sie negative Emotionen
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und Belastungsgefühle abmildern, die durch kritische Anforderungssituationen ausgelöst werden und sie können die Wahl aktiver, konstruktiver Bewältigungsformen unterstützen. Diese theoretisch postulierte stressreduzierende und gesundheitsschützende Wirkung von Selbstwirksamkeitserwartungen und optimistischen Erwartungshaltungen ließ sich denn auch in vielen Kontexten empirisch nachweisen (vgl. z. B. Schmitz & Schwarzer 2002). Eine Sonderrolle innerhalb des Bereiches personaler Ressourcen kommt dem Kohärenzgefühl zu. Ursprünglich wurde es von Antonovsky in seinem salutogenetischen Modell als eine Art „Meta-Ressource“ konzipiert, deren Ausprägung einerseits das Ausmaß vorhandener Widerstandsressourcen und (Lebens-)Erfahrungen erfolgreicher Bewältigung widerspiegelt und andererseits darüber entscheidet, wie gut Menschen in der Lage sind, vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu nutzen. Das Kohärenzgefühl bezeichnet eine allgemeine Grundhaltung der Welt und dem Leben gegenüber, die durch die Zuversicht gekennzeichnet ist, dass Ereignisse des Lebens trotz vieler Unwägbarkeiten verstehbar und erklärbar sind, dass Probleme und Schwierigkeiten lösbar sind, und dass das Leben insgesamt und die Dinge, die man tut, einen Sinn ergeben (vgl. BZgA 2001; Faltermaier 2005). Aktuelle gesundheitspsychologische Ansätze und Untersuchungen behandeln das Kohärenzgefühl als eine personale Ressource, die zwar als bedeutsam eingestuft wird (so z. B. Schröder 2003), der jedoch nicht die von Antonovsky postulierte herausgehobene Position zugeschrieben wird. Gemessen an der unterstellten Wichtigkeit des Kohärenzgefühls als personale Gesundheitsressource ist die Menge der empirischen Untersuchungen, die das Konzept einbeziehen, relativ überschaubar. Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen allerdings weitgehend die Annahme, dass dem Kohärenzgefühl eine wichtige gesundheitserhaltende und -schützende Bedeutung zukommt. So konnten Lantermann et al. (2009) zeigen, dass Personen in prekären Lebenssituationen, die über ein ausgeprägtes Kohärenzgefühl verfügten, ein geringeres Risiko trugen, massive psychische Befindenseinschränkungen zu erleiden und gleichzeitig besser als Personen mit geringem Kohärenzgefühl in der Lage waren auch in schwierigen Lebenslagen in einer selbstsorgenden Weise mit sich und ihrem Leben umzugehen und so ein Durchschlagen prekärer Lebenssituationen auf ihre gesundheitliche Situation weitgehend zu verhindern. Allerdings zeigte sich in einer Folgeuntersuchung das Kohärenzgefühl zwar als wichtiger Faktor zur Aufrechterhaltung einer autonomen selbstsorgenden Lebensführung, der jedoch selbst wiederum einem negativen Einfluss widriger Lebensumstände unterlag (Bude und Lantermann, in Vorbereitung). Der Verlust des Gefühls gesellschaftlicher Einbindung und Zugehörigkeit – als gesellschaftliches Exklusionsempfinden bezeichnet – erschütterte nach diesen Befunden das Kohärenzgefühl der Betroffenen und führte so – vermittelt über die Beeinträchtigung dieser wichtigen personalen Ressource – zu einem Nachlassen selbstsorgenden Handelns. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Modellannahmen Hobfolls, der Ressourcen als dynamische Größen betrachtet, die gewonnen und erweitert, aber ebenso auch verloren gehen oder erschöpft werden können.
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Mit den Konzepten Selbstwirksamkeitserwartung, dispositionaler Optimismus und Kohärenzgefühl sind bereits zentrale personale Ressourcenaspekte benannt, die sich bislang als wichtige gesundheitsschützende und -erhaltende Faktoren in empirischen Untersuchungen herauskristallisierten. Angemerkt werden sollte an dieser Stelle, dass diese Aspekte weder konzeptuell noch empirisch als unabhängige Faktoren betrachtet werden können, sondern nicht unerhebliche Schnittmengen aufweisen. Während die Bedeutung personaler und sozialer Ressourcen für die Erhaltung von Gesundheit mittlerweile empirisch gut belegt ist, gibt es relativ wenig systematisches Wissen darüber, ob und wie sich diese Ressourcen entwickeln (lassen). Der Klärung dieser Frage käme jedoch unter Präventions- und Interventionsgesichtspunkten eine hohe Bedeutung zu. Existierende Informationen und vereinzelte Befunde deuten darauf hin, dass sich diese Frage möglicherweise nicht für alle Ressourcenaspekte und -bereiche in einheitlicher Weise beantworten lassen wird. Das Konzept der Selbstwirksamkeit als generalisierter Erwartungshaltung und gleichzeitig wichtiger selbstregulativer Fähigkeit ist in diesem Zusammenhang bereits vergleichsweise gut erforscht. So ließ sich beispielsweise in biographisch orientierten Studien mit Lehrerinnen und Lehrern nachweisen, dass sich Selbstwirksamkeitserwartungen im Laufe der Berufsbiographie erheblich verändern und dass gerade die Berufseinstiegsphase entscheidend für den Aufbau positiver Selbstwirksamkeitserwartungen ist (vgl. Day 2008; Herzog 2007). Schmitz verfolgte im Rahmen einer Längsschnittstudie die Veränderungen von Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehrerinnen und Lehrern, die die Grundlage für die Entwicklung von Interventionen zum Aufbau von Selbstwirksamkeit bildeten (Schmitz 2000; Schwarzer 1998). Nachgewiesen ist damit nicht nur, dass sich Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit von Lebenserfahrung verändern kann, sondern auch, dass Impulse zum Aufbau von Selbstwirksamkeit von gezielten Interventionen ausgehen können und sich in einer Erweiterung dieser spezifischen personalen Ressource niederschlagen können. In den letzten Jahren gerät das Konzept der Achtsamkeit als weitere zentrale Gesundheitsressource zunehmend in den Blickpunkt des Interesses. Die Wirksamkeit von Achtsamkeit als „wichtigem salutogenetischen Faktor“ (Berking und Znoj 2006) wurde inzwischen belegt und gleichzeitig konnten Interventionsprogramme (vgl. Mindfulness Based Stress Reduction, Kabat-Zinn 1990; TEK, Berking 2008) den Nachweis erbringen, dass Achtsamkeit als Ressource entwickelt und ausgebaut werden kann. Weniger eindeutig stellt sich die Befundlage zum Kohärenzgefühl dar. Antonovsky ging ursprünglich davon aus, dass es sich dabei um ein weitgehend stabiles Merkmal handelt, das sich bis zum 30. Lebensjahr in Abhängigkeit von den gemachten Lebenserfahrungen herausbildet, das sich danach aber nicht mehr nennenswert verändert. Vergleichbare Annahmen herrschten lange Zeit auch in der Persönlichkeitspsychologie vor, die ebenfalls davon ausging, dass sich basale Persönlichkeitsmerkmale (wie z. B. Extraversion oder auch emotionale Stabilität) bis zum Alter von ca. 30 Jahren entwickeln und dann während des weiteren Erwachsenenalters stabil bleiben. Neuere Forschungsergeb-
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nisse (vgl. Roberts, Wood & Caspi 2008) konnten dagegen inzwischen zeigen, dass sich selbst grundlegende Persönlichkeitsmerkmale im späteren Erwachsenenalter noch verändern, dass diese Veränderungen in Zusammenhang mit veränderten Anforderungen in der Lebenssituation stehen und dass gezielte Interventionen wie z. B. Psychotherapien Veränderungen auf der Ebene von Persönlichkeitsmerkmalen bewirken (beispielsweise eine Zunahme emotionaler Stabilität). Überträgt man diese Befunde, so lässt sich erwarten, dass sich auch die Ressource Kohärenzgefühl verändern und entwickeln lässt, dass jedoch davon auszugehen ist, dass eine Veränderung solch elementarer Grundhaltungen nicht über isolierte, oberflächliche „Trainingsmaßnahmen“ zu erreichen ist, sondern einen Rahmen benötigt, der eine umfassendere Persönlichkeitsentwicklung ermöglicht. Bisher vorliegende Forschungsergebnisse deuten direkt oder indirekt darauf hin, dass eine Entwicklung von Ressourcen möglich ist und dass von gezielten Trainings, Aus- und Weiterbildungsangeboten Impulse für eine Entwicklung und den Aufbau von Gesundheitsressourcen ausgehen können.
Konsequenzen für die Untersuchung von Gesundheitsressourcen im Lehrerberuf Wenn die genannten Faktoren – wie oben ausgeführt – als allgemeine Widerstandsressourcen wirken, die die Aufrechterhaltung von Gesundheit unter unterschiedlichen Anforderungs- und Belastungsbedingungen unterstützen, dann sollten diese Ressourcenaspekte auch für die speziellen beruflichen Anforderungssituationen, denen sich Lehrerinnen und Lehrer stellen müssen, nutzbar sein und einen positiven Einfluss auf die gesundheitliche Situation der Lehrkräfte entfalten. Diese Überlegungen stellten einen Ausgangspunkt der vorliegenden empirischen Studien dar, über die im Detail noch zu berichten sein wird, deren zentrales Anliegen darin bestand, die Gesundheits- und Ressourcensituation von Lehrkräften zueinander in Beziehung zu setzen, um Aufschluss über wichtige Wirkfaktoren für gesundheitlich konstruktive Formen des Umgangs mit beruflichen Belastungen und Anforderungen zu gewinnen. Sollte sich die gesundheitliche Bedeutung von bestimmten personalen und sozialen Ressourcenfaktoren auch für die spezifische Anforderungssituation des Lehrerberufs erhärten lassen, so würde dies zu einer Anschlussfrage überleiten, die sich auf die Identifikation von geeigneten Kontexten bezieht, die Ressourcen unterstützen und stabilisieren, um so im besten Fall langfristige „Ressourcengewinnspiralen“ im Sinne von Buchwald und Hobfoll (2004) zu etablieren. Auch dieser Frage wurde in der vorliegenden Untersuchung nachgegangen und in einem ersten Zugriff verschiedene auch oder überwiegend von Lehrerinnen und Lehrern genutzte Weiterbildungskontexte in die Analyse einbezogen, die einen relativ umfassenden Anspruch an persönliche Weiterentwicklung verfolgen. Sollte sich nachweisen
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lassen, dass Lehrerinnen und Lehrer, die Weiterbildungen dieser Art durchlaufen haben, anderen Lehrkräfte ohne diesen Hintergrund im Hinblick auf ihre Gesundheits- und Ressourcensituation überlegen sind, so wäre dies ein erster Hinweis darauf, dass diese Weiterbildungsangebote Anregungskontexte bereitstellen, die zur Entwicklung, Nutzung und Stabilisierung von Ressourcenpotenzialen beitragen. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen wurden drei Weiterbildungsrichtungen ausgewählt, die sich speziell oder unter anderem an Lehrerinnen und Lehrer richten und von dieser Zielgruppe hinreichend häufig wahrgenommen werden. Inhalte und Themen der ausgewählten drei Weiterbildungsrichtungen Supervision, Gestaltpädagogik und achtsamkeitsbasierte Verfahren lassen erwarten, dass die Entwicklung von Gesundheitsressourcen direkt oder indirekt eine Rolle spielt. In den folgenden Abschnitten sollen zunächst diese drei Richtungen vorgestellt werden, um dann im zweiten Teil des Bandes auf die Kasseler Studie zur Lehrergesundheit einzugehen, die Gruppen von Lehrkräften mit Weiterbildungen in einer der drei genannten Richtungen untersuchte und mit Gruppen von Lehrkräften verglich, die sich durch einen besonders guten oder aber stark angegriffenen Gesundheitszustand auszeichneten.
Die Gruppe der Gestaltpädagoginnen und -pädagogen Kennzeichen der Gruppe Alle in die Kasseler Studie einbezogenen Personen dieser Gruppe sind im Hauptberuf Lehrerinnen oder Lehrer und Mitglieder der Gestaltpädagogischen Vereinigung (GPV), die unseren Fragebogen an ihre Mitglieder verschickt hat. Die GPV ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 1991 die Zeitschrift für Gestaltpädagogik herausgibt und als dessen Vereinszweck in der Satzung (2008) definiert ist: „Zweck des Vereins ist, zu einer Humanisierung von Bildungsinstitutionen insbesondere dadurch beizutragen, dass er die Weiterentwicklung und Verbreitung der Gestaltpädagogik in Theorie und Praxis fördert und unterstützt“ (www.gestaltpaed.de/Satzung. htm). Gestaltpädagogisch arbeitende Lehrerinnen und Lehrer pflegen zwar im Rahmen ihrer Weiterbildungsinstitute, in der GPV und vereinzelt in der Kommission „Humanistische Pädagogik und Psychologie“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch, sind jedoch verständlicherweise stärker an ihrem Berufsalltag und seiner erfolgreichen und befriedigenden Gestaltung interessiert als an einer öffentlichkeitswirksamen Vertretung ihres Ansatzes in der Öffentlichkeit bzw. der Scientific Community. Im Unterschied zur Supervision verfügt die Gestaltpädagogik weder über eine wissenschaftlich differenzierte noch eine allgemein akzeptierte einheitliche Theorie. Aus diesem Grund konnte sie sich auch nicht auf Dauer als Schwerpunkt von Forschung
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und Lehre an wissenschaftlichen Hochschulen etablieren und einen starken Berufsverband aufbauen, der eine solche Entwicklung hätte wirksam vorantreiben können. Heute kann unterschieden werden zwischen einer im weiteren Sinn gestaltpädagogischen Praxis in verschiedenen pädagogischen Kontexten (Didaktik und Methodik des Unterrichts, Schulentwicklung und Schulklima), Schwerpunkte, die sich auch in unserer Untersuchung niederschlagen und den speziellen Zielsetzungen einer Weiterbildung in Gestaltpädagogik, in deren Zentrum die lehrende Person steht. Aus Sicht der Gestaltpädagogik müssen Lehrerinnen und Lehrer angesichts der begrenzten Planbarkeit und prinzipiellen Unverfügbarkeit von Lernprozessen über ein hohes Maß an innerer Distanzierungsfähigkeit und Ungewissheitstoleranz verfügen, eine personale Ressource, deren Bedeutung auch von unseren Ergebnissen gedeckt wird. Als das Zentrum gestaltpädagogischer Arbeit bezeichnet Bürmann (1992, S. 44ff.) vier Arten persönlich bedeutsamen Lernens: • ganzheitliches Lernen, • lebensgeschichtliche Vertiefung und biographische Selbsterfahrung, • aktive, selbstverantwortete Lebensgestaltung und Sinngebung, • vertiefte Vergegenwärtigung und Reflexion der sozialen und historischen Dimension der Existenz. Eine Reihe von Prinzipien, die in den 1980er Jahren im Kontext der sich ausdifferenzierenden Humanistischen Psychologie (personzentrierte/nicht-direktive Pädagogik, Themenzentrierte Interaktion, Gestaltpädagogik, Psychodrama, Psychosynthese, Integrative Pädagogik u. a.) entwickelt wurden, sind heute nicht mehr auf diese beschränkt, sondern auch durch die neurobiologische Forschung bestätigt worden und in verschiedene humanistisch orientierte reformpädagogische Strömungen eingegangen: Personorientierung und Kontakt, Ganzheitlichkeit und Kongruenz, Bewusstheit und Integration, Hier-undJetzt-Prinzip und Kontextbezogenheit, Entfaltung schöpferischer Potenziale in der Verbindung kognitiver und emotionaler Lernprozesse, organismische Selbststeuerung. Dazu gehört in der neueren Diskussion insbesondere die Förderung von Achtsamkeit und Gewahrsein. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen des Bewusstseins für das, was hier und jetzt in mir, mit mir und mich herum vorgeht: • Achtsamkeitspraxis als bewusste Wahrnehmung von äußeren Sinneseindrücken (Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken) im Modus von Spüren, • Achtsamkeitspraxis als bewusste Wahrnehmung von inneren Prozessen (Gefühle, Gedanken, Assoziationen, Phantasien) im Modus von Empfinden, • Achtsamkeitspraxis als bewusstes Gewahrsein von äußeren Sachverhalten und Kontextbedingungen aus der exzentrischen Position des Beobachters im Modus von Analysieren, • Achtsamkeitspraxis als bewusstes Gewahrsein von inneren Prozessen in der Selbstreflexion aus der exzentrischen Position des inneren Zeugen im Modus von Reflektieren (Dauber 2012).
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So gesehen hat die heutige Gestaltpädagogik wenig Alleinstellungsmerkmale. In den 1980er und 1990er Jahren gingen – beschränkt auf einzelne Hochschullehrerinnen und -lehrer – Elemente der Gestaltpädagogik in Kassel (Dauber, Burow, Knoche), Bielefeld/Mainz (J.Bürmann), Berlin (Frech, Hofmann), Köln (Glück), Bremen (Holzapfel, Ortmann, Becker), Hamburg (Portele, Luca, Iwers-Stelljes), Osnabrück (I. Bürmann), Graz (Höfer, Kienzl, Scala) und Innsbruck (Rauchegger-Fischer) auch in die staatliche Lehrerausbildung ein. In jüngster Zeit (2010) kam es zu einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Gestaltpädagogischen Vereinigung und dem Land Hessen (Amt für Lehrerbildung) zur Durchführung einer Weiterbildung zum Pädagogischen Supervisor/Pädagogischem Coach, deren Zielsetzung wie folgt beschrieben wird: „Eine gestaltpädagogisch fundierte Supervision hat sich dabei als besonders nachhaltig in ihrer Wirkung erwiesen, da sie – ausgehend von der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit – die Erweiterung pädagogischer Handlungskompetenz als reflexiven Prozess alltäglicher Erfahrungsverarbeitung fördert. Sie schafft die notwendigen Voraussetzungen dafür durch Differenzierung und Vertiefung der Wahrnehmung nach außen und innen, durch biografische Selbstreflexion und Abbau fixierter Wahrnehmungs- und Handlungsmuster sowie durch eine Erweiterung des Umgangs mit und des Einsatzes von nicht sprachlichen Symbolisierungen in Bildungsprozessen und durch ein besonderes Verständnis der Arbeit an eigenen und fremden Widerständen“ (unveröffentlichtes Dokument, Kooperationsvertrag 25.10.2010). Neben der detaillierten Auswertung eines Ausbildungsseminars des Berliner Instituts für Gestaltpädagogik (Burow 1993) liegen im wesentlichen Abschlussarbeiten aus Ausbildungsseminaren und Praxisberichte, aber keine i. e. S. empirischen Untersuchungen zur Wirksamkeit gestaltpädagogischer Arbeit vor. Das kann aus Sicht der empirischen Bildungsforschung als Nachteil gesehen werden, liefert andererseits aber eine Fülle an „narrativ“ gehaltvollen Reflexionen im Wechselspiel von selbstreflexiv durchgearbeiteten biographischen Erfahrungen, äußeren Beobachtungen aus einer veränderten Unterrichtspraxis und einem dadurch bestimmten Unterrichtsstil. Im Zentrum dieser Arbeiten steht durchgängig die Entwicklung einer für die jeweilige Person stimmigen „inneren Haltung“ gegenüber Schülerinnen und Schülern, gegenüber sich selbst („Selbstfürsorge“), den Unterrichtsinhalten („persönlich bedeutsames Lernen“) und den sozialen Partnerinnen und Partnern (Kollegium, Eltern etc.) im Lehrerberuf; weniger die Anwendung oder der Einsatz bestimmter (kreativer) Methoden. Kennzeichnend ist eine „Veränderung von Unterrichtsplanung und -gestaltung hin zu einem offenen Prozess der gemeinsamen, vom Lehrer moderierten Gestaltung des Lehrens und Lernens […] Wenn der Lehrer weniger von Durchsetzungs- und Kontrollanstrengungen absorbiert ist, gewinnt er die Möglichkeit […], sein Gewahrsein auch auf sich selbst zu lenken. So kann er auf seine Gefühle achten“ (Bürmann u. Heinel 2000, S. 171).
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Eine nicht repräsentative Befragung von Teilnehmenden an drei gestaltpädagogischen Seminaren (N = 35) an der Universität Kassel (Roth 1993) zeigte vor allem deutliche Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Studierenden. „In der Reihenfolge der Häufigkeit stehen bei beiden Geschlechtern die Veränderungen in den Sozialkontakten und in der Partnerschaft an gleicher Stelle, die Plätze von Veränderungen im Selbstwertgefühl bzw. in den Perspektiven und im Studium/Beruf sind jedoch vertauscht. Verglichen mit den Erwartungen an das Seminar haben sich gerade dort die meisten Veränderungen ergeben, wo es die beiden Geschlechter in geringerem Maß erwartet haben: Männer wollten in erster Linie eine Fortbildung für ihren Beruf bzw. für ihren Umgang mit ihren Mitmenschen. Die meisten Veränderungen liegen bei ihnen jedoch im Bereich des Selbst. Frauen wollten hauptsächlich etwas Gutes für sich selbst tun und persönlich wachsen. Sie veränderten sich im Bereich Studium/Beruf am meisten“ (Roth 1993, S.107 f.). Merkmale gestaltpädagogischer Arbeit (vgl. J. Bürmann 2008, S. 30f.): Im Zentrum gestaltpädagogischer Arbeit steht die lebendige, schöpferische Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen Mitmenschen und seiner Umwelt mit allen Sinnen und auf allen Ebenen – kognitiv, emotional und geistig-seelisch – zu ermöglichen und in einer Weise zu unterstützen, dass neben fachspezifischen Kompetenzen Selbstbestimmung und gesellschaftliche Verantwortung gestärkt werden. Gestaltpädagogisch orientierte Lehrerinnen und Lehrer setzen in ihrem Unterricht je nach Alter der Schülerinnen und Schüler, Unterrichtsthema und Bildungsinstitution ein breites Spektrum kreativer Arbeitsformen ein: Wahrnehmungs- und Phantasieübungen, Bewegungs- und Atemarbeit, soziale Rollenspiele, die Arbeit mit Farben, Ton und anderen Materialien, Tanz und Musik, vielleicht auch Stilleübungen und Meditationstechniken. Entscheidend ist jedoch, dass sie dies aus einer besonderen Haltung heraus tun; nicht, um besondere, gar spektakuläre Lernerfahrungen oder -ergebnisse zu erzielen, sondern um Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für den eigenen Lernprozess und damit für persönliches Wachstum im Hier und Jetzt zu fördern. Darin unterscheidet sich ihre Arbeit von Methoden und Techniken, die vordergründig kreativ sein mögen, aber eben nur ein bestimmtes Verhalten trainieren, ohne die dafür notwendige innere Haltung auszubilden. Eine solche „integrative“, „ganzheitliche“ Haltung lässt sich allerdings nicht in einem Wochenend-Schnellkurs vermitteln, sondern bedarf (auch) einer längeren Auseinandersetzung mit der eigenen Lern- und Lebensgeschichte. Darum ist biographische Selbstreflexion (Dauber u. Zwiebel 2006) ein unverzichtbares Element einer guten Lehrerausbildung. Die Fähigkeit zu umfassender Wahrnehmung und kritischer Selbstreflexion auf Seiten der Erziehenden ist für professionelle pädagogische Beziehungen, in denen sich ja latent immer auch Generationenkonflikte melden, in denen es um Übertragungen und Gegenübertragungen geht, von zentraler Bedeutung. Zur Wahrnehmung und zur Reflexion der eigenen Leiblichkeit setzen Gestaltpädago-
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gen bisweilen auch Körperübungen ein. Gestaltpädagogik lässt sich aber „beileibe nicht“ auf Körper- und Wahrnehmungsübungen oder kreative Verfahren beschränken. Historischer Hintergrund Was heute Gestaltpädagogik genannt wird, muss in einem größeren historischen Zusammenhang gesehen werden: als Teil einer dritten Welle der Reformpädagogik. Schon die herausragenden Vertreterinnen und Vertreter der reformpädagogischen Bewegung in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts vertraten ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das mit dem Menschenbild der heutigen Gestaltpädagogik weitgehend deckungsgleich ist und sich mit wenigen Stichworten zusammenfassen lässt: • Orientierung an den schöpferischen Kräften des Individuums, • Orientierung an einer auf Respekt und Würde der Person gegründeten Ordnung der Gemeinschaft als Modell einer demokratischen Gesellschaft, • Überwindung der letzten Reste der alten Paukschule des 19. Jahrhunderts mit ihren festgelegten Lernrhythmen und -zeiten, der Einteilung nach altershomogenen Alters- und Leistungsgruppen und staatlich für alle vorgegebenen Lerninhalten. • Im Zentrum reformpädagogischer Arbeit stand (und steht bis heute) die Orientierung an weitgehend selbstgesteuerten, ganzheitlichen Lernkonzepten. Diese breite reformpädagogische Strömung endete abrupt mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ihre Vertreterinnen und Vertreter wurden (wie in den verwandten psychologischen und psychotherapeutischen Richtungen, insbesondere der Psychoanalyse) verfolgt und ins Exil getrieben. Beispielhaft seien hier genannt: S. Freud, A. Adler, W. Reich, S. Bernfeld, L. und F. Perls, Ch. Bühler, R. Cohn, K. Lewin, aber auch M. Buber, P. Geheeb, E. Jouhy und viele andere mehr. Viele ihrer Schriften und pädagogischen Konzepte wurden in Deutschland erst gegen Ende der restaurativen Adenauer-Ära im Zuge der Studentenbewegung nach und nach wieder entdeckt und teilweise aus Amerika reimportiert. Vereinfacht könnte man sagen: Die reformpädagogische Tradition, insbesondere die Humanistische Psychologie/ Psychotherapie, kehrte über die Kinder und Enkelkinder ihrer ausgewanderten oder geflohenen Gründergeneration nach Deutschland zurück, wo ihre historischen Wurzeln lagen. Lässt man diese Rezeptionsgeschichte außer Acht, kann der verkürzte Eindruck entstehen, Gestaltpädagogik sei mehr oder weniger direkt aus den Prinzipen der Gestalttherapie (Kontaktstufen etc.) abgeleitet. Dabei gibt es einen erkenntnistheoretischen und anthropologischen Kern der verschiedenen Richtungen der Humanistischen Pädagogik, der mit folgenden Stichworten umrissen werden kann: • Menschen entwickeln sich, indem sie ihrem Leben, ihrem Handeln einen Sinn geben und damit persönliche Bedeutung verleihen. • Sie tun dies insbesondere in direkter, ganzheitlicher Begegnung mit anderen Menschen und in Kontakt und Auseinandersetzung mit den natürlichen, sozialen, kulturellen
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und transpersonalen (i. w. S. spirituell-religiösen) Kontexten, in denen sie leben. • Wahrnehmung und Erkenntnis der „inneren“ wie der „äußeren“ Welt sind leibgebunden; Eindruck und Ausdruck verschränken sich in phänomenologischer Erfahrung. Im Menschen angelegt ist eine formative Tendenz zur Selbstverwirklichung, die besonders gefördert wird in einem Modus schöpferischer Indifferenz, einer breiten Wahrnehmung von Körperempfindungen, Gefühlen, Gedanken und Phantasien und damit offen ist für alles, was da ist. • Die Auseinandersetzung mit sich selbst und den Kontexten, in denen Menschen sich verwirklichen, geschieht in einem Wechselspiel von Identifikation und Disidentifikation, so dass „alte“, im Prozess des Wachstums unangemessen gewordene, unbewusste Muster und Verhaltensweisen bewusst gemacht, erkannt und verändert werden können, mithin der innere und äußere Erfahrungs- und Bewegungsraum größer wird. • Dies geschieht ganz wesentlich in der Form „dialogischen Verstehens“. Nach wie vor gilt der von Martin Buber, dem entscheidenden philosophischen Lehrer von Lore Perls, geprägte Leitsatz: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Seit ihren Ursprüngen, etwa in der Person von Paul Goodman, dem amerikanischen Bürgerrechtler, Schriftsteller, Pädagogen und Gestalttherapeuten der ersten Generation, aber auch bis heute nehmen Gestaltpädagoginnen und -pädagogen, leider oft eher implizit als explizit, eine kritische Position zu den gesellschaftlichen und traditionellen schulischen Verhältnissen ein, in denen sie in der Tradition der Humanistischen Psychologie eine der Hauptursachen für individuelle und soziale Entfremdung sehen.
Gestaltpädagogische Weiterbildungen Verschiedene Weiterbildungsinstitute in Deutschland und Österreich (Überblick bei Reichel und Scala 1996) beziehen sich in ihrem theoretischen Hintergrund auf unterschiedliche, teils reformpädagogische, teils therapeutische Traditionen aus dem Kontext der Humanistischen Pädagogik und Psychologie (Überblick bei Reichel u. Scala 1996, S. 13; Dauber 2009, S. 89) und verbinden dementsprechend ihre Ausbildungsschwerpunkte in unterschiedlicher Weise. Generalisierend können genannt werden: • Persönlichkeitsentwicklung (insbesondere berufsbezogene biographische Arbeit, Kultivierung und Differenzierung von Wahrnehmungsfähigkeit und Bewusstheit für sich und andere, achtsamer Umgang mit Emotionen, Psychodrama), • erlebnisaktivierende experimentelle Erfahrungen mit kreativen Medien (bildnerisches Gestalten, Musik und Bewegung, Spiel und Theater), • Verbindung von Sach- und Personorientierung im didaktischen Handeln (persönlich bedeutsames Lernen) sowie
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• die Arbeit mit Gruppen und institutionellen Kontexten (Gruppendynamik, Klassenführung, Teamarbeit, Bearbeitung von Übertragungen und Projektionen, Strategien der sozialen Unterstützung bei Veränderungen, Umgang mit Widerstand und beruflichen Belastungsfaktoren). Nicht selten wird eine – in der Regel mehrjährige – gestaltpädagogische Weiterbildung erst auf dem Hintergrund längerer Berufstätigkeit angefangen und ist dann mit einer professionellen Um- und Neuorientierung verbunden. Bürmann (Bürmann und Heinel 2000) ordnet seine Auswertung der Abschlussarbeiten von 20 Lehrkräften, die an einer mehrjährigen „Gestaltpädagogischen Weiterbildung“ am Fritz Perls Institut Düsseldorf teilgenommen hatten, nach folgenden Gesichtspunkten, die geeignet erscheinen, eine Vielfalt persönlicher Stile und Erfahrungen als Auswirkungen dieser Weiterbildung zu dokumentieren: 1. Die Schülerinnen und Schüler für den Unterricht gewinnen 2. Lernen als „Möglichkeitsraum“ – offene Unterrichtsplanung – Mitgestaltung des Unterrichts durch die Lernenden 3. Reformulierung eigener Ansprüche – anderer Umgang mit Zeit – innere Distanznahme und selbstkritische Reflexion – Wahrnehmung eigener innerer Zustände/ Gefühle – verbesserte Gefühle von Selbstwirksamkeit 4. Ausbruch aus Berufsroutinen – die Erfahrung, persönlich gesehen zu werden – Erfahrung eigener Grenzen – Selbstakzeptanz – Versöhnung mit der eigenen Biographie – Erfahrung verlässlicher Begleitung/sozialer Unterstützung 5. Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit – Reflexion eigener Stärken und Schwächen – Aufbruch in eine neue Lernkultur 6. Veränderungen des eigenen Lebensgefühls – Sensibilität – Zugehörigkeit – Realismus – Zuversicht 7. Ausbildung einer „neuen Haltung“ – Balance zwischen Offenheit gegenüber dem Hier und Jetzt und einer durch Wertüberzeugungen stabilisierten Haltung. Diese subjektiven Erfahrungsberichte können als qualitativ-empirisch gesicherte Hinweise verstanden werden auf die Frage, wie gesunderhaltende personale Ressourcen durch berufliche Fort- und Weiterbildungsangebote entwickelt, gefördert und als komplexe „persönliche Haltungen“ stabilisiert werden können.
Die Gruppe der Supervisorinnen und Supervisoren Kennzeichen der Gruppe Alle in die Kasseler Studie einbezogenen Personen dieser Gruppe sind Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. (DGSv), die unseren Fragebogen an diejeni-
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gen ihrer Mitglieder verschickt hat, die im Hauptberuf Lehrerinnen oder Lehrer sind. Die Deutsche Gesellschaft für Supervision ist ein Berufsverband, der seit 1989 für qualifizierte Beratung/Coaching am Arbeitsplatz eintritt und inzwischen mehr als 3.900 Mitglieder hat, die in wenigstens 17 verschiedenen Arbeitsfeldern (von Arbeitsmarktintegration über Kirchen, Krankenhäuser, in zahlreichen Unternehmen und Organisationen, Schulen und der Lehrerbildung) arbeiten. Die DGSv zertifiziert Qualifizierungen zur Supervisorin bzw. zum Supervisor (DGSv 2012). Das Weiterbildungsprofil der Anbieter reicht über ein breites Spektrum verschiedener Hintergrundkonzepte und Schulrichtungen: auf der psychologischen Seite u. a. von der Psychoanalyse über die Gestalttherapie, die Verhaltenstherapie, die Transaktionsanalyse bis zu systemischen Konzepten, auf der eher soziologischen Seite von der Gruppendynamik über verschiedene Formen der Arbeitsweltforschung und der Organisationsentwicklung, gelegentlich in Verbindung beider Ansätze (Haubl und Voß 2011). Die von uns befragten Mitglieder der DGSv haben, soweit uns dazu Angaben vorliegen, ebenfalls sehr verschiedene Aus- und Weiterbildungen durchlaufen: bei über der Hälfte waren verschiedene Konzepte in die Weiterbildung integriert, zum einen mit einem eher psychotherapeutischen Hintergrund, zum anderen mit einem eher gruppendynamisch-organisationstheoretischen Hintergrund. Zusätzlich haben in unserer Stichprobe die Supervisor/innen häufig eine Weiterbildung zur Mediatorin/ zum Mediator erworben. Aufgrund dieser Datenlage können wir deshalb nur generelle Aussagen zu den Wirkungen einer Supervisionsweiterbildung machen. Die unterschiedlichen Angebote führen im Allgemeinen in der Selbsteinschätzung der Teilnehmenden zu verbesserten Kommunikationsstrukturen in den Weiterbildungsgruppen und zu einem besseren Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz. Angesichts der verschiedenen Einsatzbereiche kommt besonders der Feldkenntnis der Supervisorin/des Supervisors eine besondere Bedeutung zu, im Fall der Untersuchungsteilnehmnden der Kenntnis typischer Belastungen im Berufsfeld der Lehrerin bzw. des Lehrers. Dabei legen die von uns erhobenen Daten nahe, dass Lehrkräfte sich mit einer Supervisionsweiterbildung für einen Teil ihrer wöchentlichen Arbeitszeit zwar ein zweites berufliches Standbein geschaffen haben, damit aber nicht gesagt ist, dass sie die dabei erworbenen Qualifikationen auch im engeren eigenen Berufsfeld, z. B. der Schule, an der sie unterrichten, in Form eines gesonderten Arbeitsauftrags oder einer besonderen Funktion einsetzen. Historischer Hintergrund Im Unterschied zum „Gestaltpädagogen“ bezeichnet „Supervisor“ weniger eine von Präsenz, Gewahrsein und Verantwortung geprägte generelle Haltung oder „Lebensphilosophie“ (Naranjo 1993) als vielmehr eine spezifische berufliche Beratungstechnik mit klar definierten Settings und Rollen (wer den Auftrag vergibt, wer supervisiert, wer sich supervidieren lässt etc.). Die inhaltliche Ausrichtung sowie die verwendeten
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Techniken hängen weitestgehend von den jeweiligen Schultraditionen im Hintergrund, den spezifischen Zielsetzungen und den situativen Bedingungen ab. Dabei kommt es in supervisorischer Arbeit auf effiziente, nachhaltige und förderliche Lösungen an, deren Folgen für alle Beteiligten verantwortlich mitbedacht werden. In den allgemeinen Zielsetzungen und Werten gibt es mehr Überschneidungen (s. o.) als mit der Gruppe der Achtsamkeit Praktizierenden: Beide sind primär berufsbezogen. Im Mittelpunkt steht weniger die persönliche (psycho-somatische) Situation als die erfolgreiche Bewältigung der beruflichen Praxis. Im Mittelpunkt supervisorischer Arbeit stehen soziale Wertschätzung, Reflexion der eigenen Biographie und Position im Berufsfeld sowie als übergeordnetes, allgemeines Ziel, einen Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft und insbesondere der Arbeitswelt zu leisten. In dieser Perspektive soll gesellschaftlicher Wandel eher gestaltet als generell kritisch in Frage gestellt werden, wie dies einer bestimmten Tradition der Gestalttherapie („Ostküstenstil“, insbes. Paul Goodman) entsprechen würde. Im Unterschied zu den verschiedenen psychologisch-psychotherapeutischen Schulrichtungen, aus deren theoretischem und praktischem Reservoir heutige Supervisorinnen und Supervisoren schöpfen, findet sich in der Entstehungsgeschichte der supervisorischen Bewegung kein Stammvater bzw. keine Stammmutter, vergleichbar mit Sigmund Freud für die Psychoanalyse, Fritz und Laura Perls für die Gestalttherapie, Jacob Moreno für das Psychodrama, Carl Rogers für die nichtdirektive Gesprächspsychotherapie, Eric Berne für die Transaktionsanalyse oder Ruth Cohn für die Themenzentrierte Interaktion etc. Je nach Zielsetzung der Weiterbildungsinstitution kommt ihnen insbesondere im theoretischen Hintergrund eine mehr oder weniger große Bedeutung zu. Supervision ist vor über 100 Jahren in den USA als Praxisanleitung und -beratung für die Arbeit von zumeist ehrenamtlichen Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit entstanden. Als zweite Wurzel können die tiefenpsychologischen Fallkonferenzen mit Ärzten des englischen Psychiaters Balint bezeichnet werden. In den letzten 30 Jahren hat sich Supervision, oft synonym gebraucht mit Coaching, in fast allen Feldern moderner sozialer Dienstleistungen ausgebreitet und als fast unabdingbarer Teil professioneller sozialer Arbeit, später auch in der Personal- und Organisationsentwicklung von Wirtschaftsunternehmen fest etabliert. Auf diesem historischen Hintergrund ergeben sich heute zwei Akzente supervisorischer Aus- und Weiterbildung: einerseits die berufliche Tätigkeit beratender Supervisorinnen und Supervisoren systemisch-pragmatisch zu professionalisieren, andererseits in einem analytischen Ausbildungsprozess deren persönliche Qualifikationen und Kompetenzen zu verbessern. Neben ihrem unbestreitbaren Beitrag zur Humanisierung von sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz kann dies unter gesellschaftskritischen Aspekten auch als weitere Entmündigung von für und in ihren Gemeinschaften selbstverantwortlich handelnden Menschen gesehen werden. Im Anschluss an Illich (2006) könnte Supervision als – neben der Schule – „mythenbildendes Ritual“ der Industriegesellschaft gedeutet werden.
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So wie Lernen heute unabdingbar an schulische Unterweisung gebunden ist, scheint „qualifizierte“ Soziale Arbeit nur noch unter supervisorischer Beratung möglich. Der „Nutzen“ von Supervision Die Gruppe der Supervisorinnen und Supervisoren in unserer Untersuchung zeigt im Vergleich zu den anderen Gruppen (gesunde und kranke Lehrkräfte, Gestaltpädagoginnen und -pädagogen, Achtsamkeit Praktizierende) besonders, dass sie in ihrer Weiterbildung offenbar gelernt haben, mit Ungewissheiten im beruflichen Alltag distanziert umzugehen und deshalb psychisch gesünder und in ihrer Selbsteinschätzung arbeitsfähiger sind. Angesichts der hohen Zahl von Frühpensionierungen aufgrund ständig wachsender, teilweise widersprüchlicher Anforderungen an den Lehrerberuf erscheint es auch plausibel, Supervision als Pflichtbestandteil in die verschiedenen Phasen der Lehrerbildung (derzeit Nordrhein-Westfalen) einzuführen (Gerdes 2011) – so jedenfalls die selten hinterfragte Standardbegründung. Begründet werden diese – nicht zuletzt gesundheitspolitisch motivierten – Initiativen aus der Bildungspolitik damit, dass Supervision in ihren verschiedenen Varianten (Einzel- und Gruppensupervision, Fallarbeit sowie institutionelle Supervision/Organisationsentwicklung) ein „wirkungsvolles Beratungsinstrument in der Schule“ (DGSv 2010b) darstellt. Ein von der DGSv herausgegebenes Verzeichnis von Evaluationen und wissenschaftlichen Arbeiten zum Nutzen von Supervision (DGSv 2008) resümiert ebenso bescheiden wie zutreffend: „Supervision gleicht nicht ungenügende Fachlichkeit und Wissensstände, fehlende Leitung/Führung oder gesellschaftliche Missstände aus. Bei nicht vorhandener Bereitschaft zu Einsicht und Veränderung, beispielsweise bei Machtmissbrauch, Rechtsverletzung und ethisch bedenklicher Praxis kann Supervision kaum oder keine Wirkung zeigen. Auch Supervision stößt an Grenzen bei stetiger Verknappung von zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen, bei nicht mehr zumutbaren Arbeitsanforderungen und Arbeitsbedingungen oder bei nicht erfüllter Sorgfaltspflicht der Auftraggeber/innen. Supervision professionalisiert, fördert, unterstützt und entlastet dort, wo dafür notwendige Bedingungen vorhanden sind und/oder mit Hilfe von Supervision geschaffen werden können“ (S. 10). Gelehrt, und damit auch in der Forschung etabliert, wird Supervision heute an den Hochschulen Bielefeld, Kassel, Frankfurt a. M., Freiburg, Münster und einer Reihe weiterer Hochschulen sowie an zahlreichen privaten Weiterbildungsstätten (DGSv 2012). Um die von der DGSv definierten Kriterien zu erfüllen, haben die Weiterbildungsstätten Anforderungen an die Weiterbildungsbewerbenden definiert, die folgende Nachweise umfassen:
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• • • • •
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Hochschulabschluss (rsp. im Ausnahmefall ihren Berufsabschluss), die Art und den Umfang ihrer Berufserfahrung, die Art und den Umfang ihrer Weiterbildungserfahrungen, die Art und den Umfang ihrer eigenen Erfahrungen mit berufsbezogener Beratung, ihre Motivation für eine Qualifizierung sowie ihre beruflichen Ziele (DGSv 2012, S. 9).
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Anforderungen an die Weiterbildungsstätten. Inwieweit diese Ziele in den jeweiligen Weiterbildungsstätten tatsächlich erreicht werden, ist schwer zu beurteilen. In der zweiten Ausgabe der von der DGSv herausgegebenen Broschüre „Der Nutzen von Supervision“ (2008) wird die Überprüfung der Wirksamkeit supervisorischer Arbeit als wesentliches berufspolitisches Ziel der DGSv benannt. „Da sich Supervisionen nach den Zielen und den Vorstellungen der Supervisand/innen, dem Tätigkeitsfeld, den Auftraggeber/innen und den Angeboten der Supervisor/innen unterscheiden, kann der Nutzen von Supervision weder einheitlich beforscht, noch können allgemein gültige Effekte abgeleitet werden. Dennoch lassen sich aus den Evaluationen und wissenschaftlichen Arbeiten einige gemeinsame Dimensionen in Bezug auf den Nutzen von Supervision generieren. Die folgende Auflistung zeigt Tendenzen auf, sie erhebt aber keinen Anspruch auf eine generalisierte Wirksamkeit, für diesen Anspruch ist in der Supervision noch umfangreiche empirische Forschung notwendig. Supervision kann Wesentliches für folgende Dimensionen anbieten: Kooperation • Supervision verbessert die kooperative Basis professionellen Handelns in Organisationen • Supervision unterstützt Teamentwicklungsmaßnahmen (Herstellung, Erhalt und Implementierung von Teamarbeit) • Supervision erhöht die Konfliktfähigkeit und vermindert Reibungsflächen in den Arbeitsabläufen in (multiprofessionellen) Teams • Supervision unterstützt den höheren Grad an (Selbst-)Steuerung und (Selbst-)Regulierung in komplexeren Zusammenhängen • Supervision erhöht die Kommunikationsfähigkeit und fördert Kommunikationsprozesse • Supervision unterstützt arbeitsfeldbezogene Lernprozesse Berufliche Kompetenz • Supervision ist eine hilfreiche Unterstützung für professionelle Arbeit, welche vielfach einem starken Wandel ausgesetzt ist • Supervision fördert die Aufgabenorientierung
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• Supervision hilft, auf berufliche Anforderungen adäquat reagieren zu können • Supervision fördert den Selbstreflexionsprozess über Anliegen, Aufgaben, Ziele und Strategien • Supervision stärkt das fachliche Kompetenzprofil • Supervision unterstützt das Erkennen von Mustern im beruflichen Handeln und erweitert die Handlungskompetenz • Supervision befähigt, persönliche Reaktionsweisen, objektive Erkenntnisse, aktuelle Arbeitssituationen und subjektive Erfahrungen zu integrieren • Supervision fördert die Problemlösefähigkeit Entlastung • Supervision stärkt persönliche Ressourcen zur Bewältigung beruflicher Anforderungen • Supervision schafft neue Sichtweisen und eröffnet weitere/andere Handlungsmöglichkeiten • Supervision entlastet im Hinblick auf klientenbezogene Tätigkeiten • Supervision schafft Klarheit über die Bedeutung von Beziehungsaspekten, persönlichen Aspekten sowie von strukturellen und institutionellen Bedingungen beruflicher Arbeit • Supervision hilft, zwischen veränderbaren und nicht veränderbaren Bedingungen zu unterscheiden • Supervision führt zu einer verbesserten Belastungsregulation • Supervision ist eine Burn-out-Prophylaxe in vielen Branchen“ (DGSv 2008, S. 8f.). Diese Auflistung stützt sich (ähnlich wie bei den Gestaltpädagoginnen und -pädagogen) weitgehend auf subjektive Erfahrungsberichte, Selbsteinschätzungen und kleinere Fragebogenuntersuchungen. Systematische Bezüge zur Frage der persönlichen Ressourcen und Bewältigungsstrategien angesichts der beruflichen Belastungen werden selten hergestellt und empirisch nachgewiesen. Lehrerinnen und Lehrer scheinen, im Unterschied zu anderen Berufsgruppen etwa im sozialarbeiterischen oder medizinischen Bereich, eher zurückhaltend gegenüber Supervision zu sein. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass sie weniger gewohnt sind, in Teams zu Fallberatungen zusammenzuarbeiten und gegenüber jeder Form der „Beaufsichtigung“ ihrer Arbeit empfindlich reagieren. Inwiefern sich durch Supervision nicht nur die Selbsteinschätzungen der Betroffenen, sondern auch ihre professionelle Handlungsmuster geändert haben, ist aus einer Vielzahl von (auch forschungsmethodischen) Gründen selten erfasst und dokumentiert worden. Neuere Dissertationen können dazu weiterführende Hinweise geben. Unsere Untersuchung versteht sich als Beitrag in dieser Richtung. Im Blick auf den Lehrerberuf hatte Schneider schon 1996 einen systemisch-systematischen Zusammenhang zwischen objektiven Lehrerbelastungen vor allem auf der
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Beziehungsebene pädagogischer Interaktion, den unklaren und widersprüchlichen Anforderungen sowie den damit verbundenen persönlichen Bewältigungsformen und Krisen aufgezeigt: „Ziel der Supervision ist die Professionalisierung der Supervisandinnen. Professionalisierung erfolgt über Kompetenzgewinne im Hinblick auf die Bewältigung der beruflichen Anforderungen, die sich inhaltlich als Prozessorientierung auf der Basis systemischer anstelle kausal-linearer Sichtweisen und formal als individuell verfügbare Verfahren [...] im Umgang mit Anforderungen beschreiben lassen. Die Kompetenzgewinne basieren auf Lernprozessen, die durch Supervision ausgelöst werden“ (Schneider 1996, S. 191). In einer umfangreichen Studie von Denner zu supervisorischer Arbeit mit Lehrerinnen und Lehrern in Form von Gruppenberatung mit 143 Interviews (Denner 2000), in der qualitative und quantitative Methoden zum Einsatz kamen, kommt die Autorin zu Schlussfolgerungen, die eine hohe Plausibilität haben und weithin konsensfähig sein dürften, ohne allerdings die im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehenden Zusammenhänge von beruflichen Anforderungen, persönlichen Ressourcen, Bewältigungsstrategien, Unterrichtsstilen und Lehrergesundheit zu thematisieren. Demnach dient schulinterne Gruppenberatung der Erweiterung von Perspektiven, der persönlichen Entlastung, dem fachlichen Austausch, der Überwindung von Einzelkämpfertum und Förderung der Motivation zur aktiven Mitgestaltung der Schule (Denner 2000, S. 378). In der Arbeit von Erbring (2007) zur Veränderung der Formen pädagogisch-professioneller Kommunikation von Lehrkräften unter Supervision wird gezeigt, wie sich die Kommunikation der teilnehmenden Lehrkräfte im Laufe eines Jahres schrittweise von „habitueller“ zu „professioneller“ Kommunikation verändert hat. In ihrer methodischen Differenziertheit und breiten inhaltlichen Übersicht besonders beeindruckend ist die Arbeit von Christiane Linden (1994) zur Supervision in Lehrergruppen. Fast alle Arbeiten, die supervisorische Aus- und Weiterbildungsprozesse mit z.T. erheblichem empirischen Forschungsaufwand dokumentieren, leben allerdings von der Hoffnung, dass sich die in der Weiterbildungs-/Trainingsgruppe veränderten Verhaltensweisen auch auf den beruflichen Alltag auswirken und dort wiederfinden. Dennoch zeigt sich eine hohe inhaltliche Übereinstimmung zwischen den Zielen der Supervision lehrenden Institutionen, den wissenschaftlich dokumentierten Veränderungen in der Selbsteinschätzung von Supervisionsteilnehmenden und Absolventinnen und Absolventen dieser Weiterbildungsgänge und den in unserer Untersuchung festgestellten Ressourcen dieser Gruppe (vgl. Kapitel „Ergebnisse“).
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Achtsamkeitspraxis als Gesundheitsressource für Lehrerinnen und Lehrer (Nils Altner und Sebastian Sauer) Achtsamkeit Seit Ende der 1970er Jahre gehören achtsamkeitsfördernde Methoden mit wachsender Verbreitung zum Spektrum der therapeutischen und pädagogischen Arbeit (Altner 2006, 2009, 2012; Kaltwasser 2008). Dazu zählen Meditationsformen wie die atemzentrierte Vipassana-Meditation, körperzentrierte Aufmerksamkeitsübungen wie der Body Scan – eine Meditation mit Fokus auf dem Körper – und Bewegungsübungen wie Hatha Yoga, Qigong oder Taiji Chuan. Motiviert vom Interesse an diesen Methoden sind seit den späten 1970er Jahren Interventions- und Schulungsprogramme entwickelt worden wie die Mindfulness-Based Stress Reduction von Kabat-Zinn (1990), die Mindfulness-Based Cognitive Therapy von Segal, Williams und Teasdale, die sich vor allem an remittiert Depressive wendet, das MB-EAT-Program von Kristeller für Essgestörte sowie das von Marlatt et al. zusammengestellte Programm für Alkohol- und Drogenabhängige. Programme wie die von Linehan entwickelte Dialektisch-Behaviorale Therapie für Menschen mit Borderline-Störungen, die Acceptance and Commitment Therapy von Hayes et al. sowie die Methode der Introvision von Wagner legen dabei weniger Wert auf die formale Praxis von Achtsamkeitsmeditationen, sondern sie schulen achtsamkeitsfördernde Elemente im Sinne kognitiver Skills. Den kulturellen Hintergrund für das Erlernen und Ausüben von Achtsamkeitsmethoden bietet das zunehmende Interesse in den westlichen Industrienationen für Methoden der meditativen Selbstschulung, die im Kontext buddhistischer und taoistischer Traditionen entwickelt und tradiert worden sind. Die Grundannahme der buddhistischen Philosophie, dass Leben Leid sei und dass es Wege gebe, Leiden zu verringern und zu überwinden, hat offensichtliche Relevanz auch für postmoderne Menschen, ebenso wie das Ziel taoistischer Adepten, möglichst lange bei möglichst guter Gesundheit zu leben. Die spirituellen Aspekte der Achtsamkeitspraxis gehen dabei weit über die gesundheitsfördernden regulativen Wirkungen hinaus und berühren die Dimension der Verbundenheit mit einem über die Person hinausreichenden großen Ganzen. Achtsamkeitsmethoden schulen die Aufmerksamkeit für Ereignisse, die im gegenwärtigen Moment stattfinden, wobei ein Schwerpunkt auf der inneren Wahrnehmung liegt. Dabei wird die Kultivierung einer wachen, sensiblen, achtungs- und liebevollen Haltung gegenüber den Wahrnehmungen und damit letztlich zu sich selbst angestrebt. Die Einladung lautet, alles, was in das Feld der Aufmerksamkeit tritt, akzeptierend anzunehmen und sein zu lassen. Zum einen gehören dazu angenehme und freudvolle Wahrnehmungen, die unter Umständen durch die wachsende Beachtung einen größeren
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Stellenwert im Erleben erhalten. Zum anderen können auch körperliche Missempfindungen sowie internalisierte Selbstabwertungen, Ängste, Befürchtungen und aggressive Impulse zunehmend wahrgenommen, akzeptiert und sein gelassen werden. Unliebsame Wahrnehmungen werden also nicht wie in herkömmlichen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen disqualifiziert und ersetzt, sondern es wird der Versuch unternommen, sie auf metakognitiver Ebene als Bestandteile der Realität zu akzeptieren. Die wachsende Fähigkeit zur intentionalen Lenkung, Ausrichtung und Fokussierung der Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Kultivierung des sogenannten Beobachter-Selbst kann zudem eine Befreiung aus dem Sog emotionalen Überengagements erleichtern. Eine Haltung der Akzeptanz und Selbstfürsorge Im Kontext der Achtsamkeitsschulungen wird eine grundsätzlich akzeptierende Haltung gegenüber allen Lebensaspekten angestrebt, was nicht mit positivem Denken zu verwechseln ist. Ziel ist es nicht, alles zu mögen bzw. das Positive besonders zu betonen, sondern Einsicht in die Natur des Geistes zu gewinnen und in seine Tendenz, ständig in Gutes und Schlechtes zu differenzieren. Diese angestrebte Qualität des NichtWertens wird z. B. in MBSR Kursen (Mindfulness-Based Stress Reduction) in erster Linie durch die von den Kursleitenden ausgehenden Interaktionen verkörpert. Immer wieder werden dabei die Kursteilnehmenden im Gruppenprozess und auch in der Einzelarbeit eingeladen, ihre bewusst gewordenen Wahrnehmungen zu beschreiben. Die Art und Weise, wie die Kursleitenden darauf eingehen, verkörpert eine achtsame Haltung und wirkt modellhaft über den gesamten Zeitraum der Intervention. In der Regel sind dies acht bis zwölf Wochen. Ziel ist es dabei, die Teilnehmenden zu befähigen, sich selbst gegenüber eine zunehmend achtsame Haltung einzunehmen und auch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen achtungsvoll zu gestalten. In ihrer wachstumsorientierten Intention zur Entwicklung von heilsamen und heilenden Persönlichkeitseigenschaften lassen sich Parallelen zwischen achtsamkeitsfördernden Programmen und Methoden der humanistischen Psychologie und Pädagogik (Dauber 2008) sowie der Positiven Psychologie (Auhagen 2004) und der salutogenetischen Mind-BodyMedizin (Dobos und Paul 2011) finden. Therapeutische Wirkungen achtsamkeitsbasierter Interventionen Im Verlauf achtsamkeitsbasierter Interventionen fürPatientinnen und Patienten tritt häufig eine Linderung der Beschwerden ein. Zum Teil treten sie auch ganz in den Hintergrund des Erlebens. Positive Ergebnisse von achtsamkeitsfördernden Interventionen sind sowohl bei Menschen, die unter einer Reihe chronischer psychischer Störungen wie Depression, Angst und Panik litten, nachgewiesen, als auch bei chronischen Schmerzen, Fibromyalgie, Krebs und koronarer Herzerkrankung (de Vibe et al. 2012). Dabei ließen sich zum Teil über mehrere Jahre stabile Rückgänge der Beschwerden zeigen und das Wohlbefinden sowie die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten stiegen. Die Wirkungen sind von mittlerer Effektstärke und vor allem für
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reduziertes Stresserleben und Angst, weniger grübelnde Gedankenaktivität, mehr Empathie und Selbstsorge messbar. De Vibe et al. (2012) fanden in einer Metaanalyse ähnliche Effekte auf Gesunde. Wirkzusammenhänge der Achtsamkeitspraxis Die positiven Ergebnisse einer wachsenden Anzahl von Outcome-Studien haben in den letzten Jahren das Interesse an Untersuchungen zu den zugrundeliegenden Wirkzusammenhängen gestärkt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine strukturierte Praxis von Achtsamkeit u.a. zu folgenden physiologischen Veränderungen führen kann: • reduzierte Kortisolkonzentration in Plasma und Speichel (Matousek, Dobkin und Pruessner 2010), • reduzierter Blutdruck (Campbell et al. 2011), • verstärkte Immunaktivität bei HIV-Infizierten (Robinson et al. 2003) und Autoimmunerkrankten (Fang et al. 2010), • Zunahme positiver Affekte bei vermehrter linksseitiger präfrontaler Hirnaktivität und korrelierender Immunaktivierung (Davidson et al 2003), • verstärkte Verknüpfung von Hirnnetzwerken, die mit Aufmerksamkeit, Sinneswahrnehmung und reflektierendem Bewusstsein assoziiert sind (Kilpatrick und Suvenobu 2011), • hirnphysiologisch abbildbare Veränderungen in der Verarbeitung, Bewertung und neuronalen Übertragung von Schmerzreizen (Zeidan et al. 2011), • morphologische Veränderungen im Kortex bei Langzeitmeditierenden (Lazar et al. 2005) sowie nach achtwöchiger Intervention (Holzel et al. 2010). Bei der von Davidson et al. durchgeführten Untersuchung zu Hirnaktivität und Immunfunktion vor und nach einem achtwöchigen Achtsamkeitskurs konnte z. B. ein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Verschiebung der Gehirnaktivität von der rechten zur linken präfrontalen Region der Hirnrinde, der damit verbundenen Verbesserung der Gestimmtheit und der Intensität der Immunreaktion auf eine Grippeschutzimpfung festgestellt werden. Je positiver die generelle Gestimmtheit einer Person geworden war, desto robuster reagierte ihr Immunsystem (Davidson et al. 2003). Chiesa fand in einer Metaanalyse, dass Achtsamkeitsmeditation die Bereiche des Kortex aktiviert, die mit der Blutdruckregulation und Herzfrequenz, mit Schmerzempfinden sowie mit kognitiven Funktionen wie der Antizipation von Belohnung, mit Entscheidungsfindung, Empathie und emotionalem Erleben assoziiert werden. Zudem lassen sich Korrelationen zwischen Meditationspraxis und der Ausprägung kortikaler Strukturen nachweisen, die mit Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Interozeption verbunden sind (Chiesa 2010). Hinweise auf gesundheitsfördernde Auswirkungen von Entspannungstraining und Meditation bzw. Qigong auf epigenetische Strukturen finden sich bei Dusek et al. (2008).
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Auf kognitionspsychologischer Ebene wird vor allem „Reperceiving“ als der aussichtsreichste Wirkmechanismus von Achtsamkeit gehandelt (Shapiro et al. 2006). Unter einem Wirkmechanismus wird derjenige Prozess verstanden, der zwischen Achtsamkeit und dem Ergebnis von Achtsamkeitsübung, z. B. besserem Wohlbefinden, steht. Ein Wirkmechanismus ist also ein vermittelnder Prozess oder Mediator. Reperceiving könnte versuchsweise als „wieder neu wahrnehmen“ übersetzt werden. Damit ist gemeint, dass Achtsamkeit dazu führt, dass man eine Wahrnehmung nicht in eine „Schublade“ steckt, sondern jedes Mal aufs Neue oder wie zum ersten Mal betrachtet. Damit ist Achtsamkeit relativ nahe an der philosophischen Richtung der Phänomenologie oder, genauer, an der phänomenologischen Methode angesiedelt (Husserl 1986). Bei beiden Methoden geht es darum, das Wesentliche einer Erscheinung zu erkennen – jegliches Vorwissen („Ich weiß genau, wie sich dieser Schüler jetzt verhalten wird!“) soll außen vor gelassen werden. Als Effekt resultiert eine Art Verschiebung des Fokus vom begrifflichen oder sprachlichen Modus hin zum Wahrnehmungsmodus (Teasdale 1999). Diese Verschiebung kann wiederum eine Reihe von Sekundäreffekten nach sich ziehen. Zum einen werden psychologische Automatismen dadurch möglicherweise gestoppt: Im begrifflichen Modus des Geistes werden benachbarte Begriffe sehr leicht miteinander verknüpft. Ein zeitweiliges Verlassen des begrifflichen Modus in den Wahrnehmungsmodus der Achtsamkeit verringert das Ausbreiten von z. B. Furchtreizen im semantischen Netzwerk. Studien lieferten erste Indizien, dass die hohe Wirksamkeit von Achtsamkeit teilweise auf diesen Mechanismus zurückgeführt werden könnte (Hayes, Strosahl und Wilson 1999). Dieser Mechanismus könnte auch erklären, warum Achtsamkeit zu einer Unterbrechung von sog. Ruminationen – ständigen Grübeleien in dysphorischer Gestimmtheit – beiträgt (Teasdale 1999). Die Unterbrechung des Autopiloten und des unkontrollierten begrifflichen Modus kann eine Ursache darstellen, warum Achtsamkeit gegen den Rückfall in Depression schützt. Ein verwandter Forschungsstrang zeigte auf, dass Achtsamkeit die Empfänglichkeit oder besser die Reaktivität gegenüber aversiven Reizen vermindert (Sauer, Walach und Kohls 2011b). In einem derzeit laufenden Forschungsprojekt zur betrieblichen Gesundheitsförderung untersuchen wir, ob und in welcher Weise die vom immerwieder-neu-wahrnehmen-Können gekennzeichnete Haltung der Achtsamkeit zu Prozessen von Führung, Selbstführung und kreativer Wertschöpfung beitragen kann (Altner und Paul, in Vorbereitung). Ein zweiter Mechanismus, der durch das Reperceiving ausgelöst werden könnte, ist mit der Übernahme anderer oder weiterer Perspektiven verbunden. Dadurch, dass die Tatsachen im Sinne des Wahrnehmungsgegenstands wieder zu Wort kommen und das vermeintlich offenkundige Ergebnis hinten angestellt und nochmals geprüft wird, wird es möglich, Dinge aus einem anderen Licht zu betrachten. Dieser Effekt kann auch für Empathie und kreatives Lernen verantwortlich sein. So zeigte eine Studie aus Harvard, dass eine Klasse, welche mit einer auf Achtsamkeit basierenden Lernmethode unterrichtet wurde, bessere Ergebnisse in Mathematik erzielte als eine Kontroll-
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klasse (Kamii und Lewis 1991). Beide Klassen waren hinsichtlich der schulischen Performanz nivelliert. Schließlich wird noch ein dritter Mechanismus, der durch das Reperceiving ausgelöst sein könnte, in der Literatur diskutiert. Dieser Mechanismus ist bekannt als „Experiential Avoidance“ oder „Erfahrungsvermeidung“ (Hayes, Orsillo und Roemer 2010). Unter Erfahrungsvermeidung versteht man eine „Vogelstrauß-Methode“ – ungewollte Eindrücke werden schlichtweg ignoriert und ausgeblendet; dieses Verhalten wird mehrheitlich als nicht adaptiv und bei extremen Ausmaßen sogar als psychopathologisch eingestuft. Achtsamkeit mit seinem Fokus, jegliche Wahrnehmung vorurteilsfrei zu beobachten – seien es gewollte, ungewollte oder sogar gefürchtete und gehasste Eindrücke –, steht der Erfahrungsvermeidung zuwider. Vermeidungsprozesse werden somit unterbrochen, die maladaptiven Konsequenzen von Vermeidungshalten gestoppt. Zusammenfassend heißt das, dass Reperceiving der im Moment vielversprechendste kognitionspsychologische Erklärungsansatz ist, um die Wirkweise von Achtsamkeit zu verstehen. Achtsamkeit führt demnach zu einem „Neu-Wahrnehmen“ von Eindrücken, was wiederum über Sekundärmechanismen positive Effekte wie Stressabbau, Wohlbefinden und Gesundheit vermittelt. Die Erkenntnisse zur Wirkung von Achtsamkeit auf somatischer, emotionaler und kognitiver Ebene lassen sich durch Studienergebnisse auf der Verhaltensebene ergänzen. So zeigte eine Untersuchung, dass Eltern von autistischen und entwicklungsverzögerten Kindern, die lernten, achtsames Gewahrsein zu praktizieren, zugewandter, gelassener und zufriedener wurden und dass dadurch auch ihre schwierigen Kinder lernten, freundlicher mit ihren Geschwistern umzugehen (Singh et al. 2007). Zwei Untersuchungen mit Ehepaaren zeigen, dass die Praxis von achtsamem Gewahrsein Liebespartner dabei unterstützt, konstruktiv und liebevoll miteinander zu sprechen und umzugehen. Die achtsamen Frauen und Männer konnten besser mit Beziehungsstress umgehen, regten sich deutlich weniger übereinander auf, konnten Ärger und andere Gefühle besser regulieren und konstruktiver in Worte fassen und waren glücklicher mit ihren Beziehungen als vor der Achtsamkeitsschulung (Barnes et al. 2007; Wachs und Cordova 2007). Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Ausbildung, die regelmäßig Meditation praktizierten, erzielten signifikant bessere Therapieerfolge als ihre nichtmeditierenden Kolleginnen und Kollegen (Grepmaier et al. 2007). Untersuchungen von Meditationsangeboten für Pflegepersonal zeigten, dass sie sowohl die Fähigkeiten der Selbstfürsorge als auch die fürsorgliche Interaktion mit den Patientinnen und Patienten förderten (Raingruber und Robinson 2007). Psychiatrisches Personal, das mit selbstverletzenden Menschen mit Borderline-Symptomatik arbeitete, profitierte durch eine Ausbildung in Dialektisch-Behavioraler Therapie nach Linehan. Ihre Stressbewältigungsfähigkeiten im direkten Patientenkontakt und auch in anderen Kontexten nahmen zu, wobei der Aspekt der Achtsamkeit als besonders hilfreich erlebt wurde (Perseius et al. 2007).
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Die Dialektik der Achtsamkeit Die Vielzahl und Breite der empirischen Befunde, die für eine Ausübung von Achtsamkeit sprechen, mögen zu ihrer Funktionalisierung verleiten. Doch geht es bei der Kultivierung von Achtsamkeit nicht in erster Linie um effektive Techniken zum Erreichen schneller oder spektakulärer Effekte. Vielmehr stehen hier langfristige und nachhaltige Entwicklungsprozesse im Mittelpunkt des Interesses, die zu einer bewussten Lebensgestaltung oder auch Lebenskunst beizutragen vermögen. Diese Dialektik der Achtsamkeit soll abschließend näher beleuchtet werden (vgl. Sauer et al. 2011a. Dazu wird die dialektische Struktur von Achtsamkeit anhand dreier dialektischer Positionen aufgegliedert: zum ersten die Dialektik der „Aktivität vs. Passivität“, zum Zweiten die Dialektik des „Wollens vs. Nicht-Wollens“ und zum Dritten die Dialektik der „Veränderung vs. Nicht-Veränderung“. Die Dialektik der Aktivität vs. Passivität. Achtsamkeit ist auf der einen Seite in hohem Maße aktiv. Während der Achtsamkeitsübung werden die Übenden angehalten, sich voll und ganz in die jeweilige Tätigkeit zu begeben, es soll so aufmerksam wie möglich bei der Sache geblieben werden. Jeder Moment soll bewusst als solcher wahrgenommen werden; kein Fahren im „Autopiloten“ (Langer 1989), sondern wache Gegenwärtigkeit in der Situation ist der Kern dieser Praxis. Diese Gegenwärtigkeit kann einfach, spielend und anstrengungslos vor sich gehen; die Übung in solcher Präsenz kann aber auch ermüdend, anstrengend und schwierig sein. Unabhängig von dem Maß an Anstrengung gilt: Die Bewusstheit von Moment zu Moment, das möglichst ununterbrochene Verweilen im Jetzt ist eine aktive, intentionale Tätigkeit. Da diese Präsenz in jedem Moment erlebt werden soll, ist Achtsamkeit insofern als ein Reinbild von Aktivität zu verstehen. Auf der anderen Seite ist Achtsamkeit in hohem Maße passiv. Im eigentlichen Sinne tun die sich in Achtsamkeit Übenden „nichts“ – außer voll und ganz präsent zu sein. Sie üben sich in Gegenwärtigkeit, sind insofern aktiv; aber sonst verhalten sie sich passiv. Diese „aktive Passivität“ äußert sich darin, dass die Übenden auf jegliche „Einladungen“ von Gefühlen, Gedanken oder sonstigen mentalen Vorkommnissen nicht reagieren. Sie stehen ihnen lediglich (aktiv) beobachtend gegenüber. Sie registrieren innere oder äußere Ereignisse einem neutralen Beobachtenden gleich und verhalten sich damit insofern passiv. Achtsamkeit kann damit als eine Synthese von Aktivität und Passivität verstanden werden: Aktive Beobachtung, ohne auf die Beobachtungen zu reagieren. Die Dialektik des Wollens vs. Nicht-Wollens. In vielen Achtsamkeitsdefinitionen wird angeführt, dass Achtsamkeit mit „Nicht-Wollen“ assoziiert sei, ja gar jeglichem Wollen diametral gegenüberstünde (Kabat-Zinn 1990). Dies ist zwar nicht falsch, kann aber leicht missverstanden werden. Denn warum würde sich jemand in Achtsamkeit üben, wenn nicht aus irgendeinem Grund, also wenn er nicht irgendetwas erreichen wollte? Deswegen ist Achtsamkeit mit „Wollen“ nicht grundsätzlich unvereinbar, denn ohne Wollen kann ein Mensch im Alltag nicht existieren. Mit dem Begriff „Nicht-Wollen“
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wird vielmehr darauf hingewiesen, dass starkes, übertriebenes Wollen, welches aus dem inneren Gleichgewicht bringt, nicht mit Achtsamkeit kompatibel ist. Denn wenn jemand einem Ding so sehr nachhängt, dass er bei Nicht-Erreichen seines Wollens nicht mehr neutral beobachten kann, so ist er nicht mehr achtsam. Übermäßiges Wollen, „Verlangen“ oder „Gier“ ist per definitionem durch eine Dysbalance gekennzeichnet: Wenn die Dinge nicht so laufen wie erhofft, geht die emotionale Balance verloren – diese Haltung ist keine Haltung der Achtsamkeit. Zusammengefasst lässt sich die Haltung der Achtsamkeit als eine „sanfte“ Form des Wollens charakterisieren. Ziele können angestrebt werden; Erreichen oder Nicht-Erreichen des Gewollten führen aber – bei echter Achtsamkeit – nicht zu einem emotionalen Ungleichgewicht. Die Dialektik der Veränderung vs. Nicht-Veränderung. Das vielleicht schwierigste Paradox der Achtsamkeit betrifft die Frage nach der „Veränderung vs. Nicht-Veränderung“. Dient nicht das Üben von Achtsamkeitspraxis dem besseren Umgang mit Stress – z. B. als Lehrkraft im Schulalltag? D. h., jemand übt sich vielleicht in Achtsamkeit, um die eigene Stresskompetenz zu erhöhen und vielleicht bereits vorhandene Stresssymptome oder sogar Anzeichen eines Burnouts abzubauen. Diese Ziele sind auf eine Veränderung der aktuellen Situation ausgerichtet. Auf der anderen Seite mag entgegnet werden, dass Achtsamkeit auf Akzeptanz ausgerichtet ist; Akzeptanz will nicht verändern, sie lässt gewähren – sie akzeptiert. Diese Haltung scheint dem Ziel einer Veränderung zu widersprechen. Tatsächlich liegt hier ein Hauptmissverständnis der Achtsamkeit begründet. Das Ziel der Achtsamkeit ist nicht, Symptome zu reduzieren oder den „Glücksmuskel“ zu trainieren. Vielmehr ist Achtsamkeit nicht nur Methode, sondern – so paradox, wie es scheint – ihr eigenes Ziel. Das bedeutet, dass die achtsame Begegnung mit schwierigen Situationen ihren eigenen Wert hat. In einer weiteren Ebene bedeutet es, dass es existenziell unmöglich ist, schwierigen Situationen komplett aus dem Weg zu gehen. Daher zielt die Achtsamkeit nicht darauf ab, diese Situationen zu ändern, sondern „lediglich“ die Einstellung diesen schwierigen Situationen gegenüber zu ändern. „Ach, da ist er wieder, der Gedanke, dass mich dieser Schüler abgründig nervt“ –, so könnte eine achtsame Reaktion gegenüber einem „störenden“ Gedanken sein. Der störende Gedanke an sich wird weder unterdrückt, verändert, analysiert oder ersetzt – er wird zur Kenntnis genommen und vorurteilsfrei beachtet; ein wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Praktiken z. B. der Kognitiven Verhaltenstherapie (Hayes 2004). Dadurch passiert allerdings etwas Folgenstarkes: Die eigene Einstellung gegenüber diesen störenden Gedanken ändert sich. Der Gedanke hat plötzlich nicht mehr die Kraft, zu lähmen oder Stress und Depression auszulösen; er wird weniger bedrohlich (Sauer et al. 2011b). Aus der Angstforschung und dem Einsatz von achtsamkeitsbasierten Therapieverfahren ist bekannt, dass Angst an sich kein Problem ist – solange keine Angst vor der Angst besteht (Hayes 2004). Als Fazit lässt sich resümieren: Achtsamkeit ist auf eine Veränderung der Einstellung zu den Eindrücken aus, legt es jedoch nicht auf eine Veränderung der Eindrücke oder Kognitionen an.
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Fazit Die Praxis der Achtsamkeit hat das Pozential, zur Entwicklung der Fähigkeiten für Selbsterkenntnis und Selbstfürsorge beizutragen. Dass Achtsamkeit wirksam ist, d. h. nachgewiesene therapeutische Wirkungen zeigt, aber auch jenseits von therapeutischen Interventionen der Gesunderhaltung dient und in diesem Sinne eine wichtige Gesundheitsressource darstellt, sollte aus den Ausführungen des Abschnitts hinreichend deutlich geworden sein. Gerade auch für den Lehrerberuf, der sich durch ein hohes Maß an psychomentalen Anforderungen auszeichnet, könnte Achtsamkeit eine wirksame Widerstandsressource darstellen, die einen gesundheitsfördernden Umgang mit psychosozialen und emotionalen Belastungen des Lehrerberufs unterstützt. Achtsamkeit ist eine personale Ressource, die sich durch Fort- und Weiterbildungsangebote aufbauen und entwickeln lässt. So zeigten sich als Ergebnis von relativ kurzzeitigen Achtsamkeitsinterventionen Veränderungen, die sich selbst auf der hirnphysiologischen Ebene nachweisen ließen. Fort- und Weiterbildungsangebote in Achtsamkeitsverfahren zielen auf die Initiierung von Selbstentwicklungsprozessen, die den Aufbau einer achtsamen Haltung und die Vermittlung von Verfahren umfassen, die eine gesundheitsförderliche und selbstfürsorgliche Gestaltung des Lebens stärken und zur Bewältigung von Stress und Belastung eingesetzt werden können. Es existieren Fort- und Weiterbildungsangebote für Achtsamkeit, die sich speziell an Lehrerinnen und Lehrer richten, jedoch handelt es sich bei diesen Angeboten nicht um eine spezifische berufliche oder pädagogische Qualifikation. In diesem Punkt unterscheiden sich die Zielrichtungen achtsamkeitsorientierter Fort- und Weiterbildungsangebote von Weiterbildungen in Supervision und Gestaltpädagogik. Der Schwerpunkt achtsamkeitsorientierter Fort- und Weiterbildungen liegt eindeutig auf der persönlichen Weiterentwicklung und dem Aufbau einer wichtigen personalen Gesundheitsressource. Dennoch erscheint es möglich, dass Achtsamkeit als Ressource ebenfalls im pädagogischen Feld eingesetzt werden kann und in die Gestaltung von Unterricht und anderen sozio-emotionalen Situationen im pädagogisch-schulischen Kontext wirkungsvoll einfließen kann. Auf Achtsamkeit basierende Lernmethoden wurden bereits entwickelt und auf ihre Effektivität geprüft, woraus sich ableiten lässt, dass die Praxis und Haltung der Achtsamkeit ebenfalls die professionelle Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern erweitern kann.
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Teil 2
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Die Kasseler Studie zu Lehrergesundheit und Lehrerbelastung Bei der Kasseler Studie handelt es sich um eine umfangreiche Fragebogenuntersuchung, die in zwei aufeinanderfolgenden Erhebungswellen verschiedene Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern zu Gesundheit, Belastungen, Bewältigungsformen, Unterrichtshandeln und Ressourcen befragte. Die erste Befragungswelle wurde von der DEBEKA-Krankenversicherung unterstützt und richtete sich an zwei Gruppen von Lehrkräften, die sich im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand unterschieden und sich durch einen guten respektive einen angegriffenen Gesundheitszustand auszeichneten. In diese erste Befragung wurden Lehrerinnen und Lehrer einbezogen, die das 50. Lebensjahr überschritten hatten und die noch aktiv im Lehrerberuf tätig waren. Aus dieser Gruppe wählte die Krankenkasse 1500 Personen aus, die im vorausgegangenen Jahr hohe Krankheitskosten verursacht hatten (oberstes Quartil der Verteilung der angefallenen Kosten) und weitere 1500 Personen, für die in diesem Zeitraum sehr geringe Krankheitskosten angefallen waren (unterstes Quartil der Verteilung). Anhand des Kriteriums Krankheitskosten wurden die beiden Gruppen als gesunde und kranke Lehrergruppe definiert. Die insgesamt 3000 ausgewählten Personen erhielten über die Krankenkasse einen Fragebogen, den sie dann anonym an das Forscherteam der Universität Kassel zurücksandten. Auf diese Weise konnte eine strikte Trennung von personbezogenen Versicherungsdaten und Fragebogendaten sichergestellt werden. Zeitgleich wurde eine weitere Lehrergruppe befragt, die sich aus den Mitgliedern der Gesellschaft für Gestaltpädagogik rekrutierte. Bei den 300 Personen, die in diesem Zusammenhang angeschrieben wurden, handelte es sich um eine Gruppe, deren verbindendes Merkmal darin bestand, dass alle Personen über eine Weiterbildung in Gestaltpädagogik verfügten, die entweder bereits abgeschlossen war oder zum Zeitpunkt der Befragung noch andauerte. Eine zweite Befragungswelle erweiterte den Personenkreis um zwei weitere Gruppen mit spezifischen Weiterbildungshintergründen. Diese zweite Erhebung wurde in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Supervision sowie Nils Altner und Sebastian Sauer, die in beide zum Thema Achtsamkeit forschen, durchgeführt und richtete sich zum einen an Lehrerinnen und Lehrer mit einer Supervisionsweiterbildung, die zum Mitgliederkreis der Deutschen Gesellschaft für Supervision zählten und zum anderen an Lehrerinnen und Lehrer, die über Fortbildungen in verschiedenen Achtsamkeitsverfahren verfügten. Die zweite Befragungswelle wurde als Online-Befragung durchgeführt. Dafür wurde der ursprüngliche Fragebogen ohne inhaltliche Veränderungen in ein online-taugliches Format transformiert. Potenzielle Teilnehmende wurden direkt per E-Mail und durch Hinweise auf folgenden Webseiten erreicht: http://innerkids.ning.com, http://www.sharingmind-fulness. net, www.achtsamkeit.com. Die Befragung selbst fand für beide Gruppen (Supervision
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und Achtsamkeit) elektronisch über die Website www.mindfulness-research.net statt. Das Modell Die Befragung orientierte sich an einem transaktionalen Modell zur Entstehung und Verarbeitung von Stress und Belastung. Dieses Modell geht davon aus, dass objektive Ereignisse, Situationen und Anforderungen zunächst subjektive Bewertungsprozesse durchlaufen, über die sie ihre subjektive Bedeutung für den weiteren Handlungsverlauf und für die Entstehung von Belastung, Stress und möglichen Belastungsfolgen erhalten. Ein Einschätzprozess (Situationsbewertung) bewertet die persönliche Bedeutsamkeit der aktuellen Situation im Hinblick auf das eigene Wohlbefinden und persönliche Bedürfnisse und Anliegen. Ereignisse können als irrelevant für das eigene Wohlbefinden eingeschätzt werden oder aber als in positivem oder negativem Sinne bedeutsam. Positiv bedeutsam heißt zunächst einmal, dass alles gut läuft und keine weiteren Bemühungen zum Umgang mit der Situation notwendig werden, stressrelevant werden Ereignisse hingegen, wenn sie mit erwarteten oder bereits eingetretenen negativen Auswirkungen für die eigene Person und das persönliche Wohlbefinden verbunden werden und wenn es darüber hinaus zweifelhaft erscheint, diese negativen Auswirkungen abwenden zu können. Solcherart stressrelevante Bewertungen können verschiedene Formen annehmen, je nachdem, ob Situationen als herausfordernd (Anforderungen fordern die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten heraus aber überfordern sie nicht), als Bedrohung (negative Auswirkungen werden antizipiert) oder Schaden/Verlust (negative Auswirkungen sind bereits eingetreten) wahrgenommen werden. In einem weiteren Einschätzprozess (Ressourcenbewertung) werden die verfügbaren Ressourcen daraufhin geprüft, ob sie zur Bewältigung der Anforderungen brauchbar sind und ausreichen. Wenn Situationen als stressrelevant bewertet werden, d. h. als Bedrohung oder Schaden für die eigene Person und das eigene Wohlbefinden aufgefasst werden, und wenn die verfügbaren Ressourcen zur Bewältigung der Situation (scheinbar) nicht ausreichen, werden Stress- und Belastungsreaktionen ausgelöst, die dann Bewältigungsbemühungen zum Umgang mit den (auslösenden) Anforderungen und den emotionalen und körperlichen Stress- und Belastungsreaktionen notwendig machen. Als Bewältigung werden alle Anstrengungen verstanden, die sich darauf richten, Anforderungen, Belastungen und damit verbundene emotionale und körperliche Reaktionen zu meistern, zu tolerieren, zu mildern oder zu vermeiden. Bewältigungsversuche können sich dabei auf unterschiedliche Aspekte richten und unterschiedliche Formen annehmen, wie z. B. eine Veränderung der auslösenden Situation anstreben, soziale Unterstützung mobilisieren, die eigene Emotionslage und eingetretene körperliche Veränderungen beeinflussen, sich passiv-resignativ ins scheinbar Unabänderliche zu fügen oder eine weitere Konfrontation mit dem Problem so gut es geht real oder kognitiv zu vermeiden. Der Umgang mit Belastungssituationen, die gewählte Form der Bewältigung, scheint offenbar ein wichtiger Einflussfaktor zu sein, der darüber entscheidet, ob Stresssituationen und Belastungen auf die Dauer gesundheit-
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liche Folgen nach sich ziehen oder durchgestanden und toleriert werden können, ohne dass daraus längerfristig gesundheitliche Beeinträchtigungen entstehen. Zusammenfassend spezifiziert das Modell als Antwort auf die Frage zum Zusammenhang von beruflichen Belastungen und Krankheit drei Gruppen von psychologischen Komponenten, die zwischen (belastenden) Anforderungssituationen und deren möglichen gesundheitlichen Auswirkungen vermitteln, und deren Zusammenwirken darüber bestimmt, ob Anforderungs- und Belastungssituationen gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen oder nicht. Diese drei Gruppen von psychologischen Wirkfaktoren sind: 1. Subjektive Bewertungen, die Wahrnehmung von und Reaktionen auf Ereignisse prägen, 2. Ressourcen als Bewältigungspotenzial, dessen Ausprägung und Ausgestaltung darüber entscheidet, ob schwierige und problematische Anforderungen als prinzipiell beherrschbar erscheinen und die Basis für die Erarbeitung und Auswahl von Bewältigungsstrategien bilden und 3. unterschiedliche Bewältigungsformen, die potenzielle gesundheitliche Auswirkungen von Stress und Belastung mildern oder verschärfen können. Der Fragebogen Ziel der Befragung war es, Informationen zur Gesundheitssituation von Lehrerinnen und Lehrern zu erheben und diese im Zusammenhang mit berufsspezifischen Belastungen und Anforderungen, Bewältigungsstilen und -strategien und den verfügbaren externen und internen Ressourcen zu betrachten. Im Zentrum stand dabei die Klärung der Bedeutung von personalen und sozialen Ressourcen. Im Unterschied zu existierenden Studien mit rein gesundheitspsychologischem Fokus wurden Ressourcen jedoch nicht nur im Hinblick auf ihre Bedeutung als gesundheitliche Protektivfaktoren untersucht, sondern zusätzlich in ihrer Beziehung zum Bereich der Unterrichtsgestaltung und des pädagogischen Handelns betrachtet. Sollte sich herausstellen, dass dieselben personalen und sozialen Ressourcen, die der Gesunderhaltung dienen, auch als Potenzial betrachtet werden können, das berufliche Kompetenzen unterstützt und die Realisierung qualitätvollen Unterrichts ermöglicht, so wären damit Eckpunkte eines sich wechselseitig stabilisierenden professionellen Dreiecks aus Ressourcen, Gesundheit und professionellem Lehrerhandeln benannt, das für Ausbildung, Weiterbildung, Prävention und Intervention Bedeutsamkeit gewinnen könnte. Die Struktur des Fragebogens orientierte sich an dem beschriebenen transaktionalen Anforderungs-Ressourcen-Modell und erfasste in verschiedenen Fragenblöcken die dort spezifizierten zentralen Konzepte Gesundheit, Anforderungen und Belastungen, subjektive Bewertungen, Bewältigung und Ressourcen, ergänzt um den Bereich Unterrichtsgestaltung und pädagogisches Handeln. 1
1 Eine vollständige Liste der erfragten Konzepte und Themen findet sich im Anhang.
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Gesundheitszustand Die Fragen zum Gesundheitszustand erfassten verschiedene Aspekte des aktuellen Gesundheitszustands und Wohlbefindens. Erfragt wurde eine globale Gesamteinschätzung des aktuellen Gesundheitszustands und der aktuellen Arbeitsfähigkeit, ergänzt um Fragen zu körperlichen und psychosomatischen Beschwerden, psychischen Störungen allgemein und spezifischen Angst-, Depressions- und Burnout-Symptomen. Als ergänzende Informationen zum allgemeinen Wohlbefinden der Befragten wurden verschiedene Aspekte von Lebens- und Arbeitszufriedenheit einbezogen. Anforderungen und Belastungen Zur Beschreibung der beruflichen Situation der Befragten und der damit verbundenen Anforderungen wurden verschiedene Fragenperspektiven gewählt: Objektive Merkmale der beruflichen Situation Zur Charakterisierung der objektiven Arbeitsbedingungen und -anforderungen wurden verschiedenste Informationen zur beruflichen Situation erhoben, wie z. B. Schulform, Unterrichtsfächer, Größe des Kollegiums, Anzahl der Berufsjahre, Beschäftigungsform (Vollzeit/Teilzeit), durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit und vieles mehr (vollständige Liste s. Anhang). Subjektiv wahrgenommene Merkmale der beruflichen Situation Ergänzend zu den objektiven Lagecharakteristika wurden verschiedene Parameter der subjektiv wahrgenommenen beruflichen Situation einbezogen, die sich in früheren Studien als bedeutsam für die Belastungs- und Gesundheitssituation von Lehrerinnen und Lehrern herauskristallisiert hatten. Ein kritischer Aspekt gerade für den Lehrerberuf mit seinen verschiedenen nicht auflösbaren Antinomien (vgl. Helsper 1996) scheint das Ausmaß der Rollenambiguität zu sein, womit die empfundene Klarheit respektive Unklarheit und Widersprüchlichkeit der beruflichen Aufgaben und der wahrgenommenen Erwartungen an die Ausübung der beruflichen Rolle beschrieben wird. Rollenambiguität „beschreibt den Grad der Ungewissheit, den Personen als Folge fehlender oder mehrdeutiger Informationen über verschiedene Aspekte ihrer Arbeitsrolle erleben“ (König 2003, S. 55). In der Literatur gilt Rollenambiguität als beruflicher Belastungsfaktor. „Auslöser des Belastungserlebens durch Rollenambiguität sind nach Kramis-Aebischer (1995) z. B. die von verschiedenen Seiten höchst unterschiedlichen teilweise divergierenden Erwartungen an Lehrende“ (König 2003, S. 61). Ein weiterer Belastungsfaktor bezieht sich auf das soziale Umfeld in der Schule und beschreibt das Ausmaß an negativer sozialer Kontrolle, der sich Lehrerinnen und Lehrer ausgesetzt fühlen. Im Zentrum dieser als „Kontrolliertheitserleben“ (König 2003; Enzmann und Kleiber 1989) bezeichneten Sicht auf die soziale Situation in der Schule
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steht das Gefühl, vom Kollegium überwacht und kontrolliert zu werden und sich ihm gegenüber rechtfertigen zu müssen. Ein ausgeprägtes Kontrolliertheitserleben markiert damit einen Bezug zum sozialen Kontext Schule, der als wenig wohlwollend und unterstützend, sondern als belastend und beeinträchtigend wahrgenommen wird. Die Bedeutsamkeit der Arbeit als dritter wichtiger Aspekt der subjektiven Wahrnehmung der beruflichen Situation spiegelt den Stellenwert der Arbeit als Lehrkraft im persönlichen Leben wider. Eine hohe Bedeutsamkeit der Arbeit ist wichtig für ein berufliches Engagement, das als befriedigend und sinnerfüllt erlebt wird (vgl. Schaarschmidt 2004a), andererseits stellt eine überwertige Bedeutung der Arbeit einen möglichen Vulnerabilitätsfaktor dar, wenn Arbeit zum zentralen Lebensinhalt wird, aus dem Befriedigung und Sinn geschöpft werden können und Ausgleichsmöglichkeiten über andere gleichwertige Lebensbereiche fehlen. Belastungen durch berufsspezifische Anforderungen Die Beschreibung der objektiven Tätigkeitsmerkmale wurde ergänzt durch Fragen zur subjektiv eingeschätzten Belastung durch verschiedene berufsspezifische Anforderungen. Die Liste umfasste eine Reihe typischer Anforderungen und Bedingungen des Lehrerberufs, die in verschiedenen Studien übereinstimmend als zentrale berufsspezifische Belastungsfaktoren benannt wurden, wie beispielsweise der Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern, Interaktionen mit Eltern, Kollegium und Schulleitung, Stundendeputate, Korrekturen und Vertretungen. Die Dominanz von sozialen Anforderungsbereichen in der Liste war beabsichtigt und spiegelt Befunde wider, die besagen, dass der sozial-kommunikative Bereich mit seinen vielfältigen Interaktions- und Beziehungsanforderungen in der Regel von Lehrkräften als besonders herausfordernd und stressreich erlebt wird. Die Befragten wurden gebeten, jeweils anzugeben, wie stark sie sich durch jeden einzelnen der aufgezählten Aspekte belastet fühlten. Hier wurde explizit nach der subjektiv wahrgenommenen Belastung durch verschiedene Aspekte der Lehrertätigkeit gefragt, die deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil sowohl theoretische Stressmodelle als auch empirische Ergebnisse darauf verweisen, dass objektiv beschreibbare Anforderungsbedingungen erst dann stress- und gesundheitsrelevant werden, wenn sie über individuelle Bewertungs- und Interpretationsprozesse transformiert und subjektiv als belastend wahrgenommen werden. Bewertung der beruflichen Situation als Anforderungssituation Ergänzend zur Einschätzung spezifischer Belastungsfaktoren wurde eine Gesamtbewertung der beruflichen Situation erfragt. Die Teilnehmenden sollten in diesem Zusammenhang angeben, ob sie ihre berufliche Situation eher als Herausforderung einschätzten und sie mit positiv getönten Emotionen wie Interesse oder Neugier assoziierten oder ob sie ihre berufliche Situation insgesamt als Bedrohung auffassten, die sie immer wieder mit der Gefahr des Scheiterns konfrontierte. Transaktionalen
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Stresskonzepten zufolge markiert eine solche emotional-kognitive Globalbewertung von Situationen nach Kategorien wie Herausforderung, Bedrohung oder Schaden (antizipiertem oder schon erfolgtem Scheitern) schon in einem frühen Stadium der Auseinandersetzung mit Ereignissen eine zentrale kognitive und emotionale Schaltstelle, die über die Entstehung von Stress und den Verlauf von Bewältigungsprozessen entscheidet und die daher in hohem Maße bedeutsam ist für die Art und Weise, wie Personen ihre Lebenssituation wahrnehmen und wie sie damit umgehen (können). Bewältigungsstrategien Die Art und Weise, wie Personen mit Belastungen umgehen, welche Strategien sie einsetzen, um mit Anforderungen und Belastungen fertig zu werden, um „sie zu meistern, zu tolerieren, zu mildern oder zu vermeiden“ (Lazarus und Launier 1981, zit. nach Kaluza 2005, S. 50) ist offenbar ganz entscheidend dafür, ob Stressereignisse und Belastungen zu negativen Folgen für die Gesundheit der Betroffenen führen oder nicht. Um Aufschluss über typische Reaktionsweisen und bevorzugte Strategien im Umgang mit Belastungen und Schwierigkeiten zu gewinnen, wurden die Teilnehmenden nach ihren üblichen Verhaltensweisen im Umgang mit Problemen und Belastungen befragt. Die angebotenen Alternativen orientierten sich an existierenden Inventaren zur Erfassung von Bewältigungsformen und deckten eine Reihe unterschiedlicher Strategien ab, die in der Literatur als bedeutsam beschrieben werden, wie z. B. problemlösendes Handeln, Informationssuche, Planung, Reflexion und Suche nach sozialer Unterstützung als aktive Bewältigungsformen sowie Resignation, Ablenkung/Handlungsaufschub, Tabletten-/Alkoholkonsum als passiv-vermeidende Reaktionsformen. Ressourcen Der Bereich der verfügbaren Ressourcen wurde besonders differenziert erfasst, da sich die zentrale Fragestellung der Untersuchung auf den Beitrag von Ressourcen zur Aufrechterhaltung von Gesundheit und zur Gestaltung von Unterricht bezog. Erfasst wurden sowohl interne – personale – als auch externe – soziale – Ressourcen. Die Kategorie der internen Ressourcen umfasste persönliche Merkmale und Dispositionen, Kompetenzen und überdauernde Haltungen und Einstellungen, deren Bedeutung für Aufrechterhaltung und Schutz von Gesundheit in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesen werden konnte. Im Einzelnen wurden die Untersuchungsteilnehmenden zu folgenden personalen Ressourcenaspekten befragt: • Selbstwirksamkeitserwartung allgemein, • Lehrerselbstwirksamkeit, • Achtsamkeit, • Kohärenzgefühl, • Ungewissheitstoleranz, • Distanzierungsfähigkeit,
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• emotionale Stabilität, • Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit), • transpersonales Vertrauen. Soziale Ressourcen zählen zu den wichtigsten externen – also außerhalb der Person liegenden – Ressourcenquellen. Als soziale Ressourcen können verschiedene Formen der sozialen Unterstützung aufgefasst werden, auf die eine Person zur Bewältigung von Belastungen und Schwierigkeiten und zum Erreichen persönlicher Ziele zurückgreifen kann. Soziale Unterstützung kann sowohl nach verschiedenen Formen (emotional, instrumentell) als auch nach verschiedenen Quellen (Personen/Personengruppen), differenziert werden. Grundsätzlich vorhandene oder mögliche soziale Unterstützung wird jedoch erst dann zur sozialen Ressource, wenn sie von der betreffenden Person als verfügbar wahrgenommen wird. Zur Abschätzung des Ausmaßes an vorhandenen sozialen Ressourcen wurde im Fragebogen demzufolge die Verfügbarkeit verschiedener Formen sozialer Unterstützung durch verschiedene Personen bzw. Personengruppen im beruflichen und privaten Umfeld erfasst, im Einzelnen: • soziale Unterstützung durch das Kollegium, • soziale Unterstützung durch die Schulleitung, • private soziale Unterstützung, • emotionale soziale Unterstützung, • instrumentelle soziale Unterstützung. Nähere Beschreibung der personalen Ressourcen Selbstwirksamkeit Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung beschreibt eine generalisierte Grundüberzeugung bzw. Erwartungshaltung, auf Situationen und Ereignisse durch eigenes Handeln Einfluss nehmen zu können, selbst unter schwierigen Bedingungen und auch dann, wenn sich Widerstände auftun. Diese subjektive Kompetenzüberzeugung stellte sich in verschiedenen gesundheitspsychologischen Untersuchungen als wichtige personale Ressource heraus, die Gesundheit positiv beeinflusste und Auswirkungen auf die Art der Bewältigung von Belastungen zeigte. Lehrerselbstwirksamkeit Lehrerselbstwirksamkeit bezeichnet eine bereichsspezifische Selbstwirksamkeitserwartung, die sich auf Aspekte der Lehrertätigkeit und berufliche Anforderungen von Lehrerinnen und Lehrern richtet. Lehrkräfte mit ausgeprägter Lehrerselbstwirksamkeit sind davon überzeugt, Anforderungssituationen, die ihnen im Rahmen ihres beruflichen Tätigkeitsumfeldes begegnen, erfolgreich handhaben zu können.
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Achtsamkeit Achtsamkeit meint eine aufmerksame, akzeptierende Haltung den eigenen Erfahrungen und Empfindungen gegenüber, die sich auszeichnet durch Aufmerksamkeit und Offenheit gegenüber den Erfahrungen und den angenehmen und unangenehmen Empfindungen des Augenblicks, ohne diese zu bewerten und ohne sie unmittelbar verändern zu wollen. Berking und Znoj verstehen Achtsamkeit als „zentralen salutogenetischen Faktor“ (2006, S. 307). Kohärenzgefühl Als Kohärenzgefühl wird eine Grundhaltung bezeichnet, „die Welt als zusammenhängend und sinnvoll zu erleben“ (BZgA, Bd. 6, 2001, S. 29). Menschen mit einem ausgeprägten Kohärenzgefühl gehen davon aus, dass ihre Umwelt verstehbar und erklärbar ist, dass Probleme und Schwierigkeiten in der Regel zu bewältigen sind, dass ihr Leben insgesamt einen Sinn hat und dass die Dinge, die sie tun, bedeutsam und wertvoll sind. Nach Antonovsky „befähigt ein starkes Kohärenzgefühl einen Menschen dazu, seine Bewältigungsstile flexibel an die momentanen Umstände anzupassen, also seine Ressourcen optimal auszuschöpfen“ (Renneberg u. Hammelstein 2006, S. 17). Schröder kommt auf der Grundlage vorliegender empirischer Befunde zu dem Schluss, dass das Kohärenzgefühl die „wichtigste personale Gesundheitsressource“ (2003, S. 263) darstellt. Ungewissheitstoleranz Ungewissheitstoleranz bezieht sich auf eine offene – im Kontrast zu einer abwehrenden, vermeidenden – Haltung gegenüber neuartigen, unstrukturierten, wenig plan- und vorhersagbaren Situationen. Personen mit hoher Ungewissheitstoleranz können mit offenen, ungewissen Situationen gut umgehen, können sich gut auf Veränderungen einstellen und fühlen sich durch unsichere Bedingungen und Kontexte nur wenig belastet. Lehrerinnen und Lehrer, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit auf ständig wechselnde Situationen einstellen müssen, die nur eingeschränkt planbar und vorhersehbar sind, profitieren offenbar von der Fähigkeit, sich angstfrei in derartigen Situationen bewegen zu können. So erwies sich Ungewissheitstoleranz in verschiedenen Studien als wichtige personale Ressource für den Lehrerberuf, die sich stabilisierend auf das Wohlbefinden auswirkte und aktive Formen der Bewältigung von Belastungen und schwierigen Situationen begünstigte (vgl. Friedel u. Dalbert 2003; König 2003; König u. Dalbert 2004). Distanzierungsfähigkeit Distanzierungsfähigkeit als Ressource wurde vor allem von Schaarschmidt untersucht und stellt eine der zentralen Dimensionen in seiner Typologie der Bewältigungsmuster im Umgang mit beruflichen Anforderungen und Belastungen dar (Schaarschmidt 2004a). Distanzierungsfähigkeit bedeutet, sich von der Arbeit psychisch erholen zu können und
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sich von Arbeitsproblemen in sinnvoller Weise abgrenzen zu können. Distanzierungsfähigkeit ermöglicht einen zielgerichteten und balancierten Einsatz von Ressourcen und reduziert das Risiko, in gesundheitlich problematische Selbstüberforderungs- und Ressourcenverlustspiralen (vgl. Buchwald u. Hobfoll 2004) abzugleiten. Emotionale Stabilität Emotionale Stabilität gehört zu den grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen. Emotional stabile Personen zeichnen sich durch eine geringe Anfälligkeit gegenüber andauernden negativen Gefühlzuständen aus, sie können leicht in eine ausgeglichene Stimmungslage zurückfinden und erholen sich schnell von Misserfolgen und Rückschlägen. Emotionale Stabilität stärkt die Widerstandskraft gegenüber psychischen Belastungen und kann daher als wichtige Gesundheitsressource betrachtet werden. In der Typologie von Schaarschmidt (2004a) ist emotionale Stabilität eines der Merkmale, das die Gruppe mit gesunderhaltenden Bewältigungsmustern auszeichnet und von gesundheitlich riskanten Verarbeitungsmustern abhebt. Transpersonales Vertrauen Transpersonales Vertrauen spricht die Ebene der Spiritualiät an und kennzeichnet eine „Lebenshaltung, in der eine Person neben ihrem Ich-Bezug auch eine umfassende Eingebundenheit in einen größeren („spirituellen“) Sinnzusammenhang zulassen kann und erfahren hat. Transpersonales Vertrauen wird getragen vom Bewusstsein des Verbundenseins mit einer höheren Macht“ (Belschner 2008). Belschner konzipiert transpersonales Vertrauen als Teil seines Modells der integralen Gesundheit. Transpersonales Vertrauen ist demnach eine wichtige Gesundheitsressource, die ein Lebenskonzept des eigenen Bewirkens und des Sich-Verlassens auf eigene Kräfte und Kompetenzen (Selbstwirksamkeit) durch eine Haltung des Führens, Fügens und Zulassens ergänzt und damit eine Ressourcendimension eröffnet, die über eigene Könnensdimensionen hinausgeht. Empirisch konnten Zusammenhänge von transpersonalem Vertrauen mit Indikatoren für seelische Gesundheit und mit Therapiererfolgen nachgewiesen werden. Resilienz Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen und pathogenen Bedingungen. Das Konzept der Resilienz wurde im Rahmen des salutogenetischen Ansatzes entwickelt und bezieht sich auf Beobachtungen, dass manche Personen auch unter belastenden Lebensbedingungen gesund bleiben, während andere auf vergleichbare Einflüsse mit Krankheit und psychischen Störungen reagieren. Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal gilt daher als wichtiger protektiver Faktor gegenüber riskanten Lebensbedingungen und Belastungen, der allerdings konzeptuell Überschneidungen mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit und des Kohärenzgefühls aufweist. Empirisch ließ sich nachweisen, dass Personen mit hoher Resilienz ganz
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allgemein über ein besseres allgemeines Wohlbefinden verfügen und seltener unter körperlichen Beschwerden und Gesundheitsproblemen leiden. Unklar ist, ob Resilienz ganz allgemein protektive Wirkung entfaltet oder sich erst dann positiv auswirkt, wenn sich Menschen mit belastenden Lebensumständen auseinandersetzen müssen. Unterrichtsgestaltung und pädagogisches Handeln Verschiedene Facetten des Unterrichtshandelns der befragten Lehrkräfte wurden mit einem eigens für die Untersuchung vom Autorenteam entwickelten Fragenkatalog erfasst. Die Fragen deckten eine Reihe verschiedener Formen, Richtungen und Dimensionen von Unterrichtsgeschehen ab und erfassten, wieweit diese nach Aussage der Befragten im eigenen Unterricht realisiert wurden. Empirisch ließen sich diese Fragen zu sechs Dimensionen des Unterrichtshandelns gruppieren, die als Schülerorientierung, Bevorzugung selbständiger Arbeitsformen, emotional-motivationaler, erlebnisorientierter Lernzugang, Betonung von Wissensund Stoffvermittlung, Flexibilität und Rigidität/Störanfälligkeit bezeichnet wurden und im Folgenden über die jeweils zugeordneten Fragebogenitems näher charakterisiert werden sollen: Schülerorientierung (1) 1. Soziales Lernen ist mir genauso wichtig wie Wissensvermittlung. 2. Ich interessiere mich für die persönliche/häusliche Situation meiner Schülerinnen und Schüler. 3. Ich versuche, mir immer wieder Zeit zu nehmen, um mit Schülerinnen und Schülern auch persönliche Gespräche zu führen. Bevorzugung selbständiger Arbeitsformen (2) 1. Ich bin daran interessiert, dass die Schülerinnen und Schüler den Unterricht weitgehend selbständig gestalten. 2. Ich bevorzuge indirekte, nicht vollständig von der Lehrkraft kontrollierte Unterrichtsmethoden wie selbständige Einzelarbeit, Partner- und Gruppenarbeit, Projektund Stationenarbeit etc. Emotional-motivationaler, erlebnisorientierter Lernzugang (3) 1. Ich versuche, den Unterricht so zu gestalten, dass der Funke im Unterricht überspringt und die Schülerinnen und Schüler interessiert/begeistert mitmachen. 2. Die Schülerinnen und Schüler zum Staunen zu bringen, ist mir wichtiger, als von ihnen richtige Antworten zu hören. Betonung von Wissens/Stoffvermittlung (4) 1. Im Unterricht geht es darum, systematisch Wissen zu vermitteln. 2. In meinem Unterricht konzentriere ich mich auf den Stoff.
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Flexibilität (5) 1. Ich weiche von meinem vorbereiteten Unterrichtskonzept ab, wenn die Situation es erfordert. 2. In meinem Unterricht gehe ich auf Vorschläge und Anregungen der Schülerinnen und Schüler ein. Rigidität/Störanfälligkeit (6) 1. Unterrichtsstörungen bringen mich leicht aus dem Konzept. Dieser Teil des Fragebogens sollte Aufschlüsse darüber vermitteln, welche Formen des Unterrichtshandelns bevorzugt werden, welche zugrundeliegenden pädagogischen Konzepte Unterrichtsplanung und -handeln leiten und auch, welche Schwierigkeiten im Unterricht erlebt werden. Weiterbildungsspezifische Anhänge Die Grundform des Fragebogens umfasste 241 Fragen, die sich auf die beschriebenen Konzepte und Themen verteilten. In dieser Form wurde der Bogen an die 3000 über die Krankenversicherung rekrutierten Lehrerinnen und Lehrer verschickt; die drei Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern mit spezifischen Weiterbildungen (Gestaltpädagogik, Supervision, achtsamkeitsbasierte Verfahren) erhielten darüber hinaus jeweils ein zusätzliches Fragenpaket, das Spezifika der jeweiligen Weiterbildung erfragte. Für Personen mit Weiterbildung in Gestaltpädagogik und Supervision bezogen sich diese Fragen beispielsweise auf Zeitraum und Abschluss der Weiterbildung, auf Benennung des Weiterbildungsinstituts und auf das Vorliegen zusätzlicher Weiterbildungen. Für die weniger stark curricular und institutionell verankerte Fort- und Weiterbildung in achtsamkeitsbasierten Verfahren wurden die Fragen etwas anders gestaltet und bezogen sich auf Zugangswege zum Thema Achtsamkeit, Ziele und Zwecke, die mit Achtsamkeit verknüpft wurden, erlernte Methoden und Ausgestaltung der Praxis mit verschiedenen Verfahren. Diese weiterbildungsspezifischen Ergänzungen wurden von unseren jeweiligen Kooperations- beziehungsweise Ansprechpartnerinnen und -partnern, Frau Annette Lentze (Deutsche Gesellschaft für Supervision) für den Bereich Supervision, Nils Altner (Klinik und Lehrstuhl für Naturheilkunde der Universität Duisburg-Essen) und Sebastian Sauer (Ludwig-Maximilians-Universität München) für den Bereich Achtsamkeit sowie Jörg Bürmann für den Bereich Gestaltpädagogik, gestaltet.
Die Befragten Die Rückläufe aus beiden Erhebungswellen resultierten in einem Gesamtdatensatz von 1234 vollständig beantworteten Fragebögen. Aus der Gruppe der 1500 angeschriebenen gesunden Lehrkräfte (geringe Krankheitskosten) antworteten 404 Personen, aus der
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Gruppe der 1500 kranken Lehrkräfte (hohe Krankheitskosten) 628 Personen. Die drei Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern mit spezifischen Weiterbildungshintergründen waren naturgemäß erheblich kleiner und umfassten 64 Personen mit gestaltpädagogischer Weiterbildung, 84 mit Supervisionsweiterbildung und 54 Personen mit achtsamkeitsbezogenen Weiterbildungen. Tab. 3.1: Demographische Angaben
weiblich
männlich
Durchschnittsalter
in Partnerschaft Kinderlebend zahl
Gruppe 1 Niedrige Krankheitskosten (gesunde Lehrkräfte)
233 (57,7 %)
171 (42,3 %)
M* = 56 Jahre SD** = 3 Jahre 85,9 %
1,8
Gruppe 2 Hohe Krankheitskosten (kranke Lehrkräfte)
408 (65 %)
220 (35 %)
M = 56 Jahre SD = 3 Jahre
76,5 %
1,2
Gruppe 3 Weiterbildung Gestaltpädagogik
47 (73,4 %)
17 (26,6 %)
M = 56 Jahre SD = 6 Jahre
85,9 %
1,3
Gruppe 4 Weiterbildung achtsamkeitsbasierte Verfahren
42 (77,8 %)
12 (22,2 %)
M = 48 Jahre SD = 9 Jahre
72,2 %
1,1
Gruppe 5 Weiterbildung Supervision
58 (69 %)
26 (31 %)
M = 52 Jahre SD = 6 Jahre
85,7 %
1,4
*Mittelwert **Standardabweichung
446 Personen – das entspricht 36,1 % der Befragten – waren männlichen und 788 (63,9 %) weiblichen Geschlechts. Das durchschnittliche Lebensalter der Gesamtgruppe betrug 55 Jahre. Durchschnittsalter und Geschlechterverteilung in den einzelnen Gruppen sind in Tab. 3.1 wiedergegeben. Die fünf Gruppen unterscheiden sich signifikant in Bezug auf Geschlecht, Alter, Partnerschaft und Kinderzahl. In den Gruppen 3 und 4 finden sich mehr Frauen als in den Gruppen 1, 2 und 5. Angehörige der 1. Gruppe haben im Durchschnitt mehr Kinder als Angehörige der anderen Gruppen, in den Gruppen 2 und 4 leben mehr Personen allein als in den Gruppen 1, 3 und 5. Die Gruppen 1, 2 und 3 unterscheiden sich altersmäßig nicht, die Gruppen 4 und 5 sind jedoch signifikant jünger als die Gruppen 1, 2 und 3. Diese Altersunterschiede sind der Tatsache geschuldet, dass für die ersten beiden Gruppen vorab eine Eingrenzung auf einen Altersbereich von 50–65 Jahren erfolgte, während in den 3 Weiterbildungsgruppen Personen unabhängig vom Alter in die Studie einbezogen wurden.
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Befragte mit spezifischen Weiterbildungen (Gestaltpädagogik, Supervision, achtsamkeitsbasierte Verfahren) Weiterbildung in Gestaltpädagogik (Gruppe 3) Von den 64 befragten Lehrerinnen und Lehrern mit gestaltpädagogischer Weiterbildung machten 57 vollständige Angaben zu Eckdaten ihrer Weiterbildung. Die Weiterbildungsdauer betrug im Durchschnitt 5,2 Jahre (Standardabweichung SD = 3,2 Jahre). Minimal ein Jahr und maximal 16 Jahre Weiterbildungszeit wurde von den Befragten in ihre gestaltpädagogische Weiterbildung investiert. In der Mehrzahl der Fälle lag die Weiterbildung zum Zeitpunkt der Befragung schon länger zurück. • 45,6 % beendeten ihre Weiterbildung zwischen 1988 und 1995, davon 42,3 % mit Graduierung, • 33,3 % beendeten ihre Weiterbildung zwischen 1996 und 2000, davon 36,7 % mit Graduierung, • 15,8 % beendeten ihre Weiterbildung zwischen 2001 und 2005, davon 77,8 % mit Graduierung und • 5,3 % beendeten ihre Weiterbildung später als 2005 bzw. befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung noch in der Weiterbildung. Insgesamt hatten 46,7 % ihre gestaltpädagogische Weiterbildung mit einer Graduierung abgeschlossen, 50 % hatten ihre Weiterbildung ohne Graduierung abgeschlossen, 3,3 % hatten ihre Weiterbildung zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht beendet. Die Befragten absolvierten ihre gestaltpädagogische Weiterbildung fast ausnahmslos an privaten Instituten mit gestaltpädagogischer bzw. -therapeutischer Orientierung. Knapp die Hälfte der Nennungen (45 %) entfielen auf das Fritz Perls Institut (FPI); das Gestaltzentrum Berlin (GZB) wurde von 8,3 %, die Gestalttherapeutische Vereinigung (GPV) und das Institut für Gestalttherapie und Gestaltpädagogik (IGG Berlin) von jeweils 6,7 % als Weiterbildungsinstitut benannt. 50 % der Lehrerinnen und Lehrer mit gestaltpädagogischer Weiterbildung verfügten zusätzlich über mindestens eine weitere Aus- oder Weiterbildung (31,2 % gaben neben der Gestaltpädagogik eine zusätzliche Weiterbildung an, 12,5 % zwei weitere, jeweils 3,1 % drei beziehungsweise vier weitere Aus- oder Weiterbildungen). Die Inhalte der zusätzlichen Weiterbildungen umfassten eine große Bandbreite an Themen von Supervision und Mediation über Qigong und Yoga bis zu therapeutischen Verfahren. In Bezug auf diese zusätzlichen Weiterbildungsinhalte ergeben sich Überschneidungen mit der Gruppe der Lehrkräfte mit Supervisionsweiterbildung und Weiterbildung in achtsamkeitsbasierten Verfahren (s. u.).
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Fort- und Weiterbildung in achtsamkeitsbasierten Verfahren (Gruppe 4) Von den 54 Befragten praktizierten 90,4 % formale Achtsamkeitsmethoden, in den meisten Fällen wurden mehrere Methoden praktiziert. 14,8 % der Befragten gaben an, eine formale Achtsamkeitsmethode zu praktizieren, 27,8 % praktizierten zwei, 35,2 % drei und 13 % mehr als drei formale Achtsamkeitsmethoden. Die meisten Nennungen entfielen auf Meditation (67 %), gefolgt von Yoga (48,2 %), Bodyscan (30,4 %), Kontemplation (21,4 %), Qigong (16,1 %), Zen (14,3 %), Vipassana (7,1 %), Dzogchen (1,8 %) und Sufi (0). 21,4 % gaben noch weitere Methoden an. Informal praktizierten 81,5 % der Befragten, 57,4 % Atemachtsamkeit im Alltag und 24,1 % verschiedene andere Praktiken. Im Durchschnitt praktizierten die Befragten Achtsamkeit seit 9 Jahren (M = 9,01 Jahre, SD = 9,25 Jahre). Das Minimum lag bei einem Monat, das Maximum bei 33 Jahren. Der kleinere Teil (14,8 %) hatte Achtsamkeit in einem MBSR-Kurs (Mindfulness-Based Stress Reduction nach Kabat-Zinn 1990) oder einer MBSR-Kursleiter-Weiterbildung (5,6 %) kennengelernt. 79,6 % beschrieben verschiedenste andere Zugänge von Literatur über Kurse, Bekannte oder Studium. Tab 3.2: Häufigkeit Achtsamkeitspraxis (Angaben in Prozent der Befragten) formal
informal
nie
9,3
14,8
weniger als einmal pro Woche
1,9
7,4
ca. einmal pro Woche
24,1
5,6
alle 2–3 Tage
25,9
11,1
einmal täglich
31,5
14,8
mehrmals täglich
7,4
46,3
Achtsamkeitspraxis nimmt offenbar im Leben der Befragten einen recht großen Raum ein. Nur 9,3 % gaben an, keinerlei formale Praxis auszuüben, ca. 1/3 der Befragten praktiziert einmal täglich (vgl. Tab. 3.2). 50 % der Befragten praktizierten mit anderen gemeinsam, 94,4 % erhielten Unterstützung von Freundinnen und Freunden, Familie, Kollegium etc. Als wichtige Motive für das Erlernen und Ausüben dieser Methoden wurden von den Befragten spirituelle Bedürfnisse und der Wunsch nach der Verbesserung der Beziehung mit sich selbst genannt. Ein besserer Umgang mit Belastungen oder Beschwerden und Gesundheitsförderung waren weitere zentrale Ziele (vgl. Tab. 3.3).
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Tab. 3.3: Ziele, die mit Achtsamkeitspraxis verfolgt werden primäres Ziel
%
um besser mit Belastungen oder/und Beschwerden umzugehen
14,8
um mich zu entspannen
3,7
um meine Gesundheit zu fördern
13,0
um meine Beziehung zu Schülerinnen und Schülern und zum Kollegium zu verbessern
0
um meine Beziehung zu mir selbst zu verbessern
20,4
um mein Erleben zu intensivieren
9,3
aus einem spirituellen Bedürfnis heraus
22,2
ohne Ziel
3,7
andere Ziele
13,0
50 % der Befragten gaben an, Methoden der Achtsamkeit mit ihren Schülern und Schülerinnen zu praktizieren. Supervisionsweiterbildung (Gruppe 5) Von den 86 Befragten hatten 97,6 % eine Qualifizierungzur Supervisorin bzw. zum Supervisor absolviert oder befanden sich noch in der Weiterbildung. 85,7 % hatten die Weiterbildung bereits abgeschlossen (davon 13 % im Zeitraum von 1988–1995, 32 % im Zeitraum von 1996–2000, 26,7 % im Zeitraum von 2001–2005 und 28 % im Zeitraum von 2006–2010). 13,1 % hatten die Weiterbildung noch nicht abgeschlossen.1,2 % hatten die Weiterbildung ohne Abschluss beendet. Die Weiterbildungen wurden an unterschiedlichen Weiterbildungsinstituten absolviert (insgesamt wurden über 30 verschiedene Einrichtungen genannt). Diese sind z. T. an Hoch- oder Fachhochschulen angesiedelt, z. T. handelt es sich um private Institute mit unterschiedlichen theoretischen Ausrichtungen (Gestalt, Themenzentrierte Interaktion TZI, Psychoanalyse, Psychodrama). 91,7 % der Befragten sind supervisorisch tätig. Davon 54,8 % bis zu 3 Stunden wöchentlich; 26,2 % bis zu 6 Stunden wöchentlich und 10,7 % mehr als 6 Stunden wöchentlich. 76,2 % der Befragten haben noch mindestens eine weitere Aus- und Weiterbildung. Am häufigsten genannt werden Coaching, Mediation, unterschiedliche Formen von Beratung und Therapie, verteilt auf verschiedene Ansätze und Schulen, Organisationsentwicklung und -beratung. Diese Gruppe ist demnach ausgesprochen vielseitig qualifiziert und betreibt sehr aktiv Kompetenzerweiterung und Fortbildung.
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Ergebnisse Charakterisierung der beruflichen Situation im Gruppenvergleich Berufsjahre Im Durchschnitt üben die befragten Lehrerinnen und Lehrer ihren Beruf seit 28,6 Jahren aus, jedoch unterscheiden sich alle fünf Gruppen signifikant voneinander. Die jüngste Gruppe (Gruppe 4) weist mit durchschnittlich 16,8 Jahren die kürzeste, die Gruppe der kranken Lehrerinnen und Lehrer (Gruppe 2) mit durchschnittlich 30,3 Jahren die längste Tätigkeitsdauer auf. Tab. 3.4: Berufliche Tätigkeit als Lehrerin bzw. Lehrer in Jahren Berufsjahre Mittelwert
Standardabweichung
Gesamt
M = 28,6
SD = 7,2
Gruppe 1 gesunde Lehrkräfte
M = 29,5
SD = 5,5
Gruppe 2 kranke Lehrkräfte
M = 30,3
SD = 5,3
Gruppe 3 Weiterbildung Gestaltpädagogik
M = 27,4
SD = 8,2
Gruppe 4 Weiterbildung Achtsamkeit
M = 16,8
SD = 10,4
Gruppe 5 Weiterbildung Supervision
M = 20,2
SD = 10,1
Schulform Alle Schulformen sind in der Untersuchung vertreten. Die höchsten prozentualen Anteile entfallen auf Grundschule (21,6 %), Hauptschule (18,7 %) und Gymnasium (17,8 %). Die verschiedenen Gruppen verteilen sich nicht gleichmäßig auf die unterschiedlichen Schulformen, auch hier gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. So ist die Gruppe 5 im Vergleich zu den anderen Gruppen an Grund- und Hauptschulen sowie an Gymnasien eher unterrepräsentiert und unterrichtet dafür mehr als alle anderen Gruppen an Berufs- und Berufsfachschulen. Die Gruppe 3 unterrichtet auffallend häufig an Gesamtschulen und ebenfalls vergleichsweise selten an Grund- und Hauptschulen.
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Tab. 3.5: Verteilung der Gruppen auf die verschiedenen Schulformen
Grund- Hauptschule schule
Realschule
Sonder- Berufsschule schule
Gymna- Gesamt- Hochsium schule schule
Berufsfachschule
Gesamt
21,6
18,7
11,2
8,4
11,6
17,8
8,4
1,9
Gruppe 1 Gesunde
25,9
18,5
10
6,5
11,0
19,5
8,7
Gruppe 2 Kranke
21,2
22,7
12,9
8,6
9,3
17,7
7,5
Gruppe 3 Gestaltpäd.
11,1
9,5
11,1
11,1
17,5
14,3
25,4
Gruppe 4 Achtsamk.
24,1
5,6
7,4
11,1
16,7
22,2
3,7
Gruppe 5 Supervision
9,6
6,0
7,2
12,0
24,1
9,6
3,6
0,4
9,3 27,7
Kollegium Der überwiegende Teil der Befragten arbeitet an Schulen mit Kollegien, die zwischen 20 und 100 Personen umfassen. Auch hier sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen signifikant. Die Gruppen 3 und 5 unterrichten eher an größeren Schulen und sind an Schulen mit kleinen Kollegien unterdurchschnittlich vertreten. Dies dürfte in direktem Zusammenhang mit dem vergleichsweise geringen Anteil an Grundschullehrkräften in diesen Gruppen stehen, da speziell im Grundschulbereich kleinere Schulen und damit auch kleinere Kollegien anzutreffen sind. Tab. 3.6: Größe des Kollegiums Größe des Kollegiums bis 10
11–20
21–50
51–100
über 100
Gesamt
8,4
19,2
34,3
28,4
9,7
Gruppe 1 Gesunde
10,4
20
32,9
28,0
8,7
Gruppe 2 Kranke
7,8
19,9
36,3
28,2
7,8
Gruppe 3 Gestaltpäd.
3,2
15,9
31,7
33,3
15,9
Gruppe 4 Achtsamk.
13,0
20,4
24,1
27,8
14,8
Gruppe 5 Supervision
4,8
11,9
34,5
28,6
20,2
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
Einsatz an mehreren Schulen Insgesamt ist nur ein kleiner Teil der Befragten an mehreren Arbeitsorten tätig (4,7 %), es zeigen sich jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den Gruppen. So sind knapp 20 % und damit fast ein Fünftel der Lehrkräfte mit Achtsamkeits- und Supervisionsweiterbildung (Gruppen 4 und 5) an mehr als einer Schule tätig. Neue Unterrichtsfächer Circa ein Drittel der Befragten wurde in den letzten zwei Jahren in einem für sie neuen Unterrichtsfach eingesetzt. Der Prozentsatz variiert erheblich zwischen den Gruppen und liegt zwischen 25 % in der Gruppe 1 und 40 % in der Gruppe 4. In diesem Kontext interessant ist das Ergebnis, dass der Einsatz in einem neuen Unterrichtsfach in den Gruppen mit Weiterbildungshintergrund (Gruppe 3, 4 und 5) in erheblich höherem Umfang auf eigenen Wunsch geschah als in den Gruppen 1 und 2. Dies ist ein Hinweis darauf, dass Veränderungen in der Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit von einem großen Teil der Befragten aus den Gruppen 3, 4 und 5 aktiv initiiert wurden, während sie der überwiegenden Zahl der kranken und gesunden Lehrkräfte der Gruppen 1 und 2 von außen vorgegeben wurden und demnach eher als Anpassungsanforderung und weniger als selbstverantworteter Entwicklungsschritt bzw. gewollte Umorientierung aufgefasst wurde. Tab. 3.7: Einsatz an mehreren Schulen, Einsatz in neuem Unterrichtsfach Einsatz an mehreren Schulen
Einsatz in neuem Unterrichtsfach
davon auf eigenen Wunsch
Gesamt
4,7 %
31, 0 %
40,0 %
Gruppe 1 Gesunde
2,5 %
25,2 %
34,3 %
Gruppe 2 Kranke
3,0 %
32,6 %
38,8 %
Gruppe 3 Gestaltpäd.
6,3 %
35,9 %
50,0 %
Gruppe 4 Achtsamk.
18,5 %
40,7 %
57,1 %
Gruppe 5 Supervision
17,9 %
36,9 %
45,1 %
Beschäftigungsform Bei der Analyse der Beschäftigungsverhältnisse zeigten sich die üblichen Geschlechtsunterschiede: während knapp 90 % der befragten männlichen Lehrer mit einer vollen Stelle im Lehrerberuf tätig sind, gilt dies nur für 57 % der Lehrerinnen. Die Quote an Teilzeitbeschäftigten bei den Lehrerinnen entspricht in etwa den Zahlen des Statistischen Bundesamts (Referenzjahr 2009) für die BRD, der Anteil vollzeitbeschäftigter männ-
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licher Lehrer liegt in unserer Stichprobe noch um einiges höher als im statistischen Bundesdurchschnitt. Im Gruppenvergleich fällt der hohe Anteil von Teilzeitbeschäftigten in den Gruppen 4 und 5 auf. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass sich berufliche Aktivitäten der betreffenden Lehrerinnen und Lehrer nicht ausschließlich auf den Lehrerberuf konzentrieren. Der auffallend hohe Prozentsatz an teilzeitbeschäftigten Männern in der Gruppe 4 sollte auf Grund der geringen Fallzahlen nicht inhaltlich interpretiert werden. Tab. 3.8: Beschäftigungsform (Vollzeit/Teilzeit) Vollzeit
Teilzeit
Gesamt
männlich
weiblich
Gesamt
männlich
weiblich
Gesamt
68,9
89,9
57,1
31,1
10,1
42,9
Gruppe 1 Gesunde
69,8
93,6
52,4
30,2
6,4
47,6
Gruppe 2 Kranke
71,6
89,0
62,3
28,4
11,0
37,7
Gruppe 3 Gestaltpäd.
64,1
88,2
55,3
35,9
11,8
44,7
Gruppe 4 Achtsamk.
51,9
58,3
50,0
48,1
41,7
50,0
Gruppe 5 Supervision
59,5
88,5
46,6
40,5
11,5
53,4
Arbeitszeit Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit im Lehrerberuf bezogen auf die letzten drei Monate betrug 47,4 Stunden (SD = 9,6) bei den Vollzeit- und 37 Stunden (SD = 11,3) bei den Teilzeitbeschäftigten. Übernahme zusätzlicher Funktionen in der Schule Der überwiegende Teil der Befragten (88 %) übt neben der Unterrichtstätigkeit weitere Funktionen im Schulsystem aus (vgl. Tab. 3.9). Die Bandbreite der Aufgaben umfasst Leitungsfunktionen in der Schul-, Abteilungs- und Fachleitung, Koordinationsaufgaben, Mitwirkung und Leitung von Steuergruppen, Beratungs(lehrer)- und Mentorentätigkeiten sowie weitere Tätigkeitsfelder. Das Engagement in diesen schulbezogenen Aufgabenfeldern und Funktionen fällt in den Gruppen 4 und 5 mit 78 % und 82 % im Vergleich zu den anderen befragten Lehrerinnen und Lehrern deutlich geringer aus.
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
Tab. 3.9: Anteil von Lehrkräften mit Zusatzfunktionen Zusätzliche Funktion in % Gesamt
88,4
Gruppe 1 Gesunde
90,4
Gruppe 2 Kranke
88,4
Gruppe 3 Gestaltpäd.
92,2
Gruppe 4 Achtsamk.
77,8
Gruppe 5 Supervision
82,1
Außerschulische Zusatzaktivitäten 61,6 % der Befragten engagieren sich in außerschulischen Bereichen z. B. in Vereinen, Verbänden, Kirchen, Parteien oder karitativen Organisationen und wenden dafür im Schnitt 10 Stunden im Monat auf (vgl. Tab. 3.10) . In den Gruppen 3, 4, und 5 ist der Anteil an Personen, die sich in außerschulischen Aktivitätsbereichen engagieren, deutlich größer als in den Gruppen 1 und 2. Selbst wenn man unterstellt, dass dieser Effekt durch das Verfahren der Stichprobengewinnung mitbedingt sein könnte (die Befragten der Gruppen 3, 4 und 5 wurden über Weiterbildungsverbände angesprochen, deren Mitglied sie damit qua definitionem sind und in denen sie sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit engagieren), so fällt doch auf, dass annähernd ¾ der Lehrkräfte mit Weiterbildungshintergrund zusätzliche außerschulische Tätigkeitsbereiche pflegen gegenüber einer Quote von knapp 60 % in den beiden über die Krankenkassen rekrutierten Lehrergruppen. Eine gesundheitlich positive Wirkung außerschulischen Engagements konnte bereits in früheren Studien nachgewiesen werden (vgl. Buschmann und Gamsjäger 1999) und zeigte sich ebenfalls in den Daten der vorliegenden Studie. Eine Betrachtung des Anteils an außerschulischen Aktivitäten, getrennt nach Beschäftigungsform, zeigt, dass die Unterschiede zwischen den Gruppen mit Weiterbildungshintergrund (Gruppe 3, 4 und 5) und den beiden anderen Gruppen (1 und 2) bei den Teilzeitbeschäftigten noch markanter ausfallen. Während über 80 % der Lehrkräfte aus den Gruppen 3, 4 und 5 einen außerschulischen Aktivitätsbereich pflegen, gilt dies nur für etwas mehr als die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer aus den Gruppen 1 und 2. Ein interessantes Muster ergibt sich, wenn man die Ergebnisse zum Erwerbsstatus, zur Übernahme von zusätzlichen Funktionen in der Schule und zum nebenberuflichen Engagement im Zusammenhang betrachtet: Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildungshintergrund, insbesondere mit Weiterbildungen in Supervision oder Achtsam-
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
keitsverfahren sind nach unseren Daten häufiger teilzeitbeschäftigt, übernehmen seltener zusätzliche Funktionen in der Schule als die anderen befragten Lehrkräfte und sind gleichzeitig – ebenso wie die Gruppe mit gestaltpädagogischer Weiterbildung – häufiger in außerschulischen Tätigkeitsbereichen engagiert, besonders dann, wenn sie Teilzeitstellen in der Schule bekleiden. Tab. 3.10: Anteil von Lehrkräften, die regelmäßig außerschulische Aktivitäten ausüben, durchschnittlicher monatlicher Zeitaufwand für außerschulische Aktivitäten durchschnittl. monatl. Zeitaufwand
außerschulische Aktivitäten in % Gesamt
Vollzeit
Teilzeit
Stunden
Gesamt
61,6
61,9
60,8
10,4
Gruppe 1 Gesunde
60,9
62,4
57,4
10,9
Gruppe 2 Kranke
57,8
59,5
53,4
9,9
Gruppe 3 Gestaltpäd.
71,9
65,9
82,6
8,7
Gruppe 4 Achtsamk.
68,5
57,1
80,8
10,5
Gruppe 5 Supervision
81,0
80,0
82,4
11,9
Dieses Ergebnismuster lässt sich dahingehend interpretieren, dass sich insbesondere jene Lehrkräfte mit Supervisions- oder Achtsamkeitsweiterbildung Lebens- und Aufgabenbereiche jenseits von Schule und Lehrerberuf erschlossen haben, die eine übergroße Abhängigkeit ihres Lebens- und Kompetenzgefühls von den Aufs und Abs des Schulalltags verhindern und auf diese Weise die Widerstandskraft gegenüber beruflichen Belastungen im Kontext Schule stärken. Die besonders starken Unterschiede zwischen den Gruppen bei teilzeitbeschäftigten Lehrkräften verweisen möglicherweise auf unterschiedliche motivationale Grundlagen für eine Teilzeitbeschäftigung in den verschiedenen Gruppen. Während Lehrkräfte mit Weiterbildungshintergrund eine reduzierte zeitliche Bindung an die Schule mit einem erhöhten Engagement in außerschulischen Beschäftigungen kombinieren und damit ihre Tätigkeitsschwerpunkte diversifizieren, gilt dies nicht für die Gruppe der gesunden und der gesundheitlich beeinträchtigten Lehrkräfte. Die teilzeitbeschäftigten Lehrkräfte in beiden Gruppen gehen regelmäßigen außerschulischen Aktivitäten eher noch seltener nach als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen, so dass die reduzierte Arbeitszeit in der Schule möglicherweise einem allgemeinen Wunsch nach Reduzierung von Anforderungen und Verpflichtungen entspringt.
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
Wunsch nach Veränderungen in Umfang und Inhalt der beruflichen Tätigkeit Wunsch nach Reduzierung der Unterrichtsstundenzahl Die Hälfte der befragten Lehrerinnen und Lehrer würde gern die Zahl ihrer Unterrichtsstunden reduzieren, der Stundenumfang der gewünschten Reduktion beträgt im Mittel 7 Stunden und liegt bei 50 % derjenigen, die sich eine solche Reduzierung wünschen zwischen 1 und 6 Stunden. Circa 57 % der Vollzeitbeschäftigten würden gern weniger unterrichten, aber auch 35 % der Teilzeitkräfte würden ihre Unterrichtsstunden gern noch weiter reduzieren. In ihrem Wunsch nach Reduzierung des Stundenumfangs unterscheiden sich die Gruppen erheblich voneinander. In den Gruppen 4 und 5 ist der Anteil derjenigen, die Stunden reduzieren wollen mit 35 % und 38 % am geringsten, während der Wunsch nach Stundenreduzierung mit knapp 60 % in der Gruppe der kranken Lehrerinnen und Lehrer (Gruppe 2) deutlich stärker ausgeprägt ist als in den anderen Gruppen und zwar sowohl bei den Vollzeit- (65,9 %) als auch bei den Teilzeitbeschäftigten (43,7 %). D. h., nahezu zwei Drittel der Vollzeitkräfte in dieser Gruppe und immerhin noch 44 % derjenigen, die bereits mit einem geringeren Stundendeputat beschäftigt sind, würden gern ihre Unterrichtsverpflichtungen noch weiter reduzieren. Dies könnte darauf verweisen, dass die gesundheitlich beeinträchtigten Lehrerinnen und Lehrer ihre als Belastung wahrgenommene berufliche Situation durch eine quantitative Reduzierung der Arbeitsmenge zu bewältigen suchen. Tab. 3.11: Anteil von Lehrkräften, die eine Stundenreduzierung wünschen Wunsch nach Stundenreduzierung Vollzeit
Teilzeit
Ja in %
Ja in %
Ja in %
Gesamt
50,3
56,9
35,5
Gruppe 1 Gesunde
40,8
46,9
26,3
Gruppe 2 Kranke
59,7
65,9
43,7
Gruppe 3 Gestaltpäd.
46,9
53,7
34,8
Gruppe 4 Achtsamk.
35,2
35,7
34,6
Gruppe 5 Supervision
38,1
46,0
26,5
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
Schulwechsel 11 % der befragten Lehrerinnen und Lehrer würden gerne aus persönlichen Gründen die Schule wechseln; in Bezug auf diesen Veränderungswunsch gibt es keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen. Der Wunsch nach einem Schulwechsel resultiert zumindest in einem Teil der Fälle mit hoher Wahrscheinlichkeit aus negativen Erfahrungen und Erlebnissen im sozialen Kontext der spezifischen Schule. So berichten Lehrerinnen und Lehrer, die gern aus persönlichen Gründen die Schule wechseln würden, über eine signifikant höhere Belastung durch Mobbing und Probleme mit der Schulleitung als ihre Kolleginnen und Kollegen, die kein Bedürfnis nach einem Schulwechsel äußern. Tätigkeitswechsel Tab. 3.12: Wunsch nach Tätigkeitswechsel (Angaben in %):
ja
davon mit Teil der Arbeitszeit
davon mit voller Arbeitszeit
Gesamt
35,6
67,4
32,6
Gruppe 1 Gesunde
26,1
67,6
32,4
Gruppe 2 Kranke
35,4
60,3
39,7
Gruppe 3 Gestaltpäd.
48,4
83,9
16,1
Gruppe 4 Achtsamk.
53,7
82,8
17,2
Gruppe 5 Supervision
61,9
78,8
21,2
Etwas mehr als ein Drittel der befragten Lehrkräfte würde gern das berufliche Tätigkeitsfeld mit einem Teil der Arbeitszeit oder auch vollständig wechseln. Für 13,7 % dieser Personen käme Verwaltung als mögliches alternatives Tätigkeitsfeld in Frage, 5,3 % könnten sich eine Tätigkeit im Schulamt vorstellen, eine Bibliothekstätigkeit würden sich 15,5 % wünschen, Einzelförderung und Fortbildung sind mit 23,1 % und 17,8 % die beiden attraktivsten alternativen Tätigkeitsfelder; weitere Tätigkeitsfelder werden von 24,7 % der Personen benannt, die gern einen partiellen oder vollständigen Tätigkeitswechsel vornehmen würden. Sowohl in ihrem Wunsch nach einem Wechsel des Tätigkeitsbereichs als auch im Hinblick auf den Umfang dieses Wechsels unterscheiden sich die fünf Gruppen voneinander. Auffällig ist, dass deutlich mehr Lehrkräfte mit Weiterbildungshintergrund (Gruppe 3, 4 und 5) einen Tätigkeitswechsel in Betracht ziehen, der jedoch in diesem Perso-
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
nenkreis eher als Erweiterung des beruflichen Tätigkeitsfeldes und weniger als Ausstieg aus der Lehrertätigkeit angedacht wird. So streben weniger als 20 % der Befragten der Gruppen 3, 4 und 5, die sich einen Wechsel des Tätigkeitsfeldes wünschen, einen vollständigen Umstieg in einen alternativen Bereich an, gegenüber knapp 40 % in der Gruppe der kranken Lehrkräfte, die dann, wenn sie einen Tätigkeitswechsel in Betracht ziehen, offenbar eher eine völlige berufliche Neuorientierung vorziehen würden. Fortbildung und Supervision Fortbildung wird von den Gruppen mit Weiterbildungshintergrund deutlich intensiver betrieben als von den anderen befragten Lehrkräften. Auch wenn die Daten nur begrenzt vergleichbar sind, da die Antwortkategorien in der zweiten Erhebungswelle verändert wurden, lassen sich dennoch prägnante Unterschiede zwischen den Gruppen erkennen. Fortbildung Tab. 3.13: Teilnahme an Fortbildungen im vergangenen Jahr (Nennungen in Prozent) Anzahl der Fortbildungen im vergangenen Jahr 0
1–2
3
mehr als 3
Gruppe 1 Gesunde
13,6
49,1
18,9
18,4
Gruppe 2 Kranke
15,2
48,2
17,7
18,8
Gruppe 3 Gestaltpäd.
1,6
28,1
18,8
51,5
Anzahl der Fortbildungstage im vergangenen Jahr 0
1–3
4–6
mehr als 6
Gruppe 4 Achtsamk.
3,7
25,9
35,2
35,2
Gruppe 5 Supervision
2,4
32,1
21,4
44,0
So geben 13,6 % der Gruppe 1 und 15,2 % der Gruppe 2 an, im vergangenen Jahr keine Fortbildung besucht zu haben, während nur zwischen 1,6 und 3,7 % der Gruppen 3, 4 und 5 im letzten Jahr nicht an Fortbildungen teilgenommen haben. 51,5 % der Gruppe 3 besuchten mehr als drei Fortbildungsveranstaltungen im vergangenen Jahr, jedoch nur 18,4 % der Gruppe 1 und 18,8 % der Gruppe 2. 35,2 % der Gruppe 4 und 44 % der Gruppe 5 verbrachten mehr als 6 Tage des vergangenen Jahres mit Fortbildungen. Ein vergleichbares Muster ergab sich im Hinblick auf die Nutzung von Supervision. Supervision scheint in der beruflichen Tätigkeit der Befragten der Gruppen 1 und 2
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kaum eine Rolle zu spielen (84,1 % der gesunden und 78,8 % der kranken Lehrkräfte geben an, im vergangenen Jahr nicht an Supervisionen teilgenommen zu haben). Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildungshintergrund nutzen Supervision demgegenüber weitaus häufiger, ein nicht eben geringer Anteil betrachtet Supervision offenbar als selbstverständlichen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit, den sie regelmäßig und mit hoher Frequenz nutzen. Dies gilt naheliegenderweise besonders für die Gruppe mit Supervisionsweiterbildung, allerdings in kaum geringerem Umfang auch für die Gruppe mit gestaltpädagogischer Weiterbildung und in etwas geringerem Ausmaß – aber immer noch in deutlichem Abstand zu den Gruppen 1 und 2 – für die Gruppe mit Weiterbildung in Achtsamkeitsverfahren. Supervision Tab. 3.14: Teilnahme an Supervision im vergangenen Jahr (Nennungen in Prozent) keine
1–5 Mal
6–12 Mal
mehr als 12 Mal
Gesamt
73,3
17,6
6,1
3,0
Gruppe 1 Gesunde
84,1
13,8
1,3
0,8
Gruppe 2 Kranke
78,2
16
4,6
1,3
Gruppe 3 Gestaltpäd.
40,6
21,9
26,6
10,9
Gruppe 4 Achtsamk.
53,7
29,6
7,4
9,3
Gruppe 5 Supervision
25,0
35,7
23,8
15,5
Private Situation 37,4 % der befragten Lehrerinnen und Lehrer berichteten über belastende Erlebnisse im privaten Umfeld in den vergangenen sechs Monaten. Der höchste Anteil von Personen mit Belastungssituationen im Privatbereich findet sich in der Gruppe der kranken Lehrkräfte und in der Gruppe mit Supervisionsweiterbildung.
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
Tab. 3.15: Anteil von Personen mit privaten Belastungen in den letzten sechs Monaten private Belastung in % Gesamt
37,4
Gruppe 1 Gesunde
30,3
Gruppe 2 Kranke
42,4
Gruppe 3 Gestaltpäd.
31,3
Gruppe 4 Achtsamk.
35,2
Gruppe 5 Supervision
40,4
Die gesundheitliche Situation der befragten Lehrerinnen und Lehrer Körperliche Krankheiten Insgesamt berichten 15,2 % der Befragten über keine und weitere 21 % über geringfügige körperliche Erkrankungen in den erfragten Bereichen (gefragt wurde nach HerzKreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes, Rheumatismus, Übergewicht, Krebserkrankungen, Allergien, Erkrankungen des Bewegungsapparats/ Kreuz-, Rückenschmerzen, Migräne/Kopfschmerzen, Tinnitus). 45 % haben starke Beschwerden in einem der genannten Bereiche, weitere 19 % berichten massive Erkrankungen in mehreren Bereichen. Die Gruppen unterscheiden sich erheblich in Bezug auf ihren körperlichen Gesundheitszustand. Weitgehend frei von körperlichen Erkrankungen fühlen sich 60 % der Lehrkräfte mit Weiterbildung in Supervision und achtsamkeitsbasierten Verfahren. Der Anteil an körperlich gesunden Personen liegt damit noch um 10 % höher als in der Gruppe der gesunden Lehrkräfte (Gruppe 1) und ungefähr dreimal so hoch wie in der Gruppe der kranken Lehrkräfte (Gruppe 2). 48,9 % der Gruppe 1, 40,3 % der Gruppe 3, 60,8 % der Gruppe 4 und 59,7 % der Gruppe 5 – aber nur 20,8 % der Gruppe 2 berichten über keine oder keine nennenswerten körperlichen Erkrankungen (Summe der Angaben der Kategorie 1 + 2). 79,3 % der Gruppe 2 berichten über mindestens eine massive körperliche Erkrankung, gegenüber 51,1 % in der Gruppe 1 , 59,7 % in der Gruppe 3, 39,2 % in der Gruppe 4 und 40,3 % in der Gruppe 5 (Summe der Angaben der Kategorie 3 + 4).
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
*HVDPW
*UXSSH *HVXQGH
*UXSSH .UDQNH
*UXSSH *UXSSH *HVWDOWSlG $FKWVDPN
*UXSSH 6XSHUYLVLRQ
Abb. 3.1: Körperliche Erkrankungen Kategorien: 1 = völlig gesund; 2 = geringe bis mittlere Beschwerden in einem Bereich; 3 = starke Beschwerden in einem Bereich; 4 = starke Beschwerden in mehreren Bereichen
Psychische Erkrankungen Ein vergleichbares Bild ergibt sich im Hinblick auf die psychische Gesundheit der Befragten. Auch hier fühlen sich zwischen 60 und 70 % der Befragten aus den Gruppen 4 und 5 völlig gesund, während nur knapp 50 % der gesunden und sogar nur 28 % der kranken Lehrerinnen und Lehrer keine psychischen Beschwerden angeben. Ein Vergleich der Mittelwerte verschiedener Gesundheits- und Krankheitsindikatoren zeigt noch einmal die massiven Unterschiede zwischen den Gruppen in Bezug auf Gesundheitszustand und Wohlbefinden. Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen lassen sich nachweisen für die Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit, für körperliche und psychische Krankheiten sowie für Depressions-, Angst- und Burnout-Symptome.
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
*UXSSH *HVXQGH
*UXSSH .UDQNH
*HVDPW
*UXSSH *UXSSH *HVWDOWSlG $FKWVDPN
*UXSSH 6XSHUYLVLRQ
Abb. 3.2: Psychische Krankheiten Kategorien: 1 = keine bzw. sehr schwache Symptome; 2 = schwache bis mittlere Symptome in mindestens einem Bereich; 3 = starke bis sehr starke Symptome
Die Werte der Gruppe 2 unterscheiden sich bei allen Gesundheitsindikatoren signifikant von denen aller anderen Gruppen; diese Gruppe zeigt demnach auf allen Ebenen erhebliche Beeinträchtigungen ihres Gesundheitszustands und Wohlbefindens: Zugehörige dieser Gruppe klagen vermehrt über psychische Störungen, Depressions- und Angstgefühle, über verschiedene körperliche Krankheiten, sie fühlen sich insgesamt weniger gesund und nur eingeschränkt arbeitsfähig. Die Gruppen 4 (Achtsamkeitspraxis) und 5 (Supervisionsweiterbildung) fallen durch ihren außergewöhnlich guten Gesundheitszustand auf und heben sich im Hinblick auf einzelne Gesundheitsindikatoren nicht nur signifikant von der Gruppe der kranken, sondern darüber hinaus auch noch von der Gruppe der gesunden Lehrkräfte positiv ab. Im Vergleich zu den über die Krankenkasse gewonnenen gesunden Lehrkräften (Gruppe 1) zeigt die Gruppe mit Supervisionsweiterbildung weniger psychische Störungen und weniger Burnout-Symptome, die Gruppe mit Weiterbildung in achtsamkeitsbasierten Verfahren weniger körperliche Erkrankungen. Beide Gruppen (Gruppe 4 und 5) schätzen ihre aktuelle Arbeitsfähigkeit als signifikant besser ein als die gesunde Gruppe. Fasst man die drei Gruppen mit Weiterbildung zusammen2 und kontrastiert sie mit den Daten der Gruppen 1 und 2, so werden die Ergebnisse noch einmal deutlicher. Es
2 Eine solche Zusammenfassung ist aus methodischen Gründen sinnvoll. Es entstehen so annähernd gleiche Gruppengrößen, wodurch die statistische Auswertung an Präzision und Aussagefähigkeit gewinnt.
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Was Lehrerinnen und Lehrer gesund hält
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zeigt sich, dass die Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern mit Weiterbildung in Bezug auf alle geprüften Gesundheitsindikatoren signifikant bessere Werte erzielt als die kranke und ebenfalls als die gesunde Gruppe. Dies gilt für die globale Beurteilung des Gesundheitszustands, für körperliche und psychische Erkrankungen, für Depressions-, Angst- und Burnout-Symptome sowie Arbeitsfähigkeit. Betrachtet man die Werte der Gruppe 1 (nach Krankenkassendaten gesunde Lehrer) und Gruppe 2 (nach Krankenkassendaten kranke Lehrer) als Referenzwerte für einen guten respektive stark angegriffenen Gesundheitszustand und bezieht die Werte der drei Gruppen mit Weiterbildung auf diese Referenzwerte, so zeigt sich, dass diese Lehrerinnen und Lehrer über einen guten bis ausgezeichneten Gesundheitszustand verfügen und dass sich dieses Muster bei allen Gesundheitsindikatoren in vergleichbarer Weise zeigt. Belastung und Gesundheit Das Ausmaß der subjektiv erlebten Belastung weist zu allen erhobenen Gesundheitsund Krankheitsindikatoren hochsignifikante Zusammenhänge auf. Je ausgeprägter die empfundene Belastung, desto mehr häufen sich körperliche und psychische Erkrankungen, während sich Arbeitsfähigkeit und allgemeiner Gesundheitszustand mit steigender Belastung verschlechtern. Burnout als spezifisches Krankheitsbild, aber auch die umfassendere Kategorie der psychischen Erkrankungen, hängen am stärksten mit der Belastungssituation der Befragten zusammen, während körperliche Erkrankungen und der allgemeine Gesundheitszustand etwas weniger eng, aber immer noch hochsignifikant mit der Intensität der Belastung verknüpft sind. Belastung im Gruppenvergleich Ein Vergleich der Belastungssituation in den verschiedenen in die Untersuchung einbezogenen Lehrergruppen ergibt signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen. Die höchste Belastung berichtet die Gruppe der kranken Lehrerinnen und Lehrer, die sich in dieser Hinsicht sowohl von den gesunden Lehrkräften als auch von den Lehrerinnen und Lehrern mit Weiterbildung unterscheidet. Lehrkräfte mit einem angegriffenen Gesundheitszustand fallen demnach durch eine besonders ausgeprägte Belastungssituation auf. Am entgegengesetzten Pol der Belastungsausprägung befindet sich die Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern mit Supervisionsweiterbildung, die sich nicht nur am geringsten belastet fühlt, sondern sich in diesem Punkt auch von allen anderen Gruppen – den kranken und gesunden Lehrkräften und den beiden anderen Weiterbildungsgruppen – unterscheidet. Fasst man die drei Weiterbildungsgruppen zusammen, so zeigt sich eine hohe Übereinstimmung der Befunde zur Belastungs- und zur Gesundheitssituation im Gruppenvergleich. Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildung fühlen sich am wenigsten belastet und heben sich im Hinblick auf ihre Belastungssituation nicht nur positiv
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von den kranken, sondern ebenfalls von den gesunden Lehrkräften ab. Sie weisen demnach sowohl den stabilsten Gesundheitszustand als auch die günstigste Belastungssituation auf. Lebenssituation, Belastung und Gesundheit Geschlecht, Partnerschaft, Alter, Belastung und Gesundheit Das Geschlecht der Befragten hat keine Auswirkung auf ihre Belastungssituation. Ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Lehrkräften zeigt sich in Bezug auf psychische Erkrankungen und Burnout. Frauen tragen offenbar ein höheres Risiko psychisch zu erkranken als Männer. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist in der vorliegenden Studie signifikant aber vergleichsweise klein. Eine Lebenssituation ohne feste Partnerschaft erhöht ebenfalls die Vulnerabilität gegenüber psychischen Störungen, Depressions- und Angstsymptomen und Burnout. Auch hier handelt es sich um statistisch nachweisbare, aber recht kleine Effekte. Mit zunehmendem Lebensalter und mit zunehmender Dauer der Berufstätigkeit verschlechtert sich die Gesundheitssituation der Befragten. Dieser Befund ist recht banal und nur insofern berichtenswert, als der Zusammenhang ausschließlich für den Bereich der körperlichen Krankheiten nachweisbar ist. Weder das Ausmaß psychischer Störungen noch das Ausmaß der empfundenen Belastung verändert sich systematisch in Abhängigkeit vom Lebensalter und der Dauer der Berufstätigkeit. Private Belastung und Gesundheit Aktuelle oder noch nicht lange zurückliegende private Belastungssituationen und -erlebnisse wirken sich auf verschiedenen Ebenen gesundheitsbeeinträchtigend aus. Befragte, die angaben, in den letzten sechs Monaten belastende Ereignisse im privaten Umfeld erlebt zu haben, berichteten einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand, litten vermehrt unter körperlichen und psychischen Erkrankungen und klagten verstärkt über Depressions-, Angst- und Burnout-Symptome. Private Belastungssituationen wirken sich auch im schulischen Umfeld dahingehend aus, dass sich Lehrerinnen und Lehrer mit privaten Problemen auch durch die verschiedenen Anforderungen ihrer Lehrertätigkeit stärker belastet fühlen als ihre Kolleginnen und Kollegen, die keine einschneidenden privaten Ereignisse tolerieren mussten. Objektive Merkmale der beruflichen Situation, Belastung und Gesundheit Schulform, Belastung und Gesundheit Lehrkräfte, die in verschiedenen Schulformen arbeiten, fühlen sich unterschiedlich stark belastet. Am geringsten belastet fühlen sich Lehrerinnen und Lehrer an Sonderschulen und Berufsschulen, während Lehrkräfte an Haupt- , Real- und Gesamtschulen
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die höchsten Belastungswerte berichten, dicht gefolgt von Grundschul- und Gymnasiallehrerinnen und -lehrern, deren subjektive Belastung nur geringfügig unter der von Haupt-, Real- und Gesamtschullehrkräften liegt. Lehrerinnen und Lehrer aus verschiedenen Schulformen unterscheiden sich nicht im Hinblick auf ihren allgemeinen Gesundheitszustand und auch nicht im Hinblick auf körperliche Erkrankungen. Unterschiede ergeben sich hingegen, wenn man den psychischen Gesundheitszustand betrachtet, der sich bei Grund- und Hauptschullehrkräften signifikant schlechter darstellt als bei Lehrerinnen und Lehrern anderer Schulformen. Dieser Effekt lässt sich nicht allein auf den höheren Anteil an Frauen besonders im Grundschulbereich und die schlechtere psychische Gesundheitssituation von Frauen zurückführen, sondern bleibt auch dann erhalten, wenn man Geschlechtsunterschiede in Bezug auf psychische Erkrankungen berücksichtigt. Diese Befunde weisen darauf hin, dass Lehrkräfte an Grund- und Hauptschulen ein höheres Risiko tragen, psychische Störungen zu entwickeln als Beschäftigte in anderen Schulen. Größe des Kollegiums, Belastung und Gesundheit Die Größe des Kollegiums wirkt sich nicht auf das Ausmaß der Belastung von Lehrkräften aus. Auch für die Gesundheitssituation spielt die Größe des Kollegiums eine vergleichsweise geringe Rolle. Ein zwar signifikanter, aber kleiner Unterschied zeigt sich ausschließlich bei der Burnout-Belastung, die mit steigender Größe des Kollegiums sinkt. Einsatz an mehreren Schulen, Belastung und Gesundheit Tendenziell zeigt sich, dass der Einsatz an mehreren Schulen weder belastungssteigernd noch gesundheitlich beeinträchtigend wirkt. Personen, die an mehreren Schulen unterrichten, fühlen sich eher weniger belastet, körperlich gesünder und zeigen weniger Burnout-Symptome als diejenigen, die nur an einer Schule tätig sind. Allerdings können die Daten aufgrund der stark unterschiedlichen Gruppengröße (nur 4,7 % der Befragten unterrichten an mehreren Schulen) nur mit Vorsicht interpretiert werden. Einsatz in neuen Unterrichtsfächern Gesundheitsbelastend scheint sich die Übernahme von neuen Unterrichtsfächern auszuwirken. Lehrerinnen und Lehrer, die in den letzten zwei Jahren in einem für sie neuen Unterrichtsfach eingesetzt wurden, sind körperlich und psychisch weniger gesund als ihre Kollegen ohne eine solche Veränderung. Die Unterschiede sind klein, aber signifikant. Beschäftigungsform, Belastung und Gesundheit Teilzeitbeschäftigte fühlen sich tendenziell weniger belastet als Vollzeitbeschäftigte. Der Unterschied ist signifikant, aber sehr klein. Aufschlussreich ist eine Betrachtung der Belastung, differenziert nach verschiedenen Aspekten der Lehrertätigkeit. Hier zeigt sich, dass sich Teilzeitbeschäftigte nur durch die Zahl der zu leistenden Unterrichtsstunden deutlich weniger und durch den Aufwand
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für Korrekturarbeiten tendenziell weniger belastet fühlen als ihre vollzeitbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen. Alle anderen Bereiche der Lehrertätigkeit werden unabhängig von der Beschäftigungsform als ähnlich belastend empfunden. Dies gilt besonders für den interaktionsbezogenen Teil der Lehrertätigkeit, sprich Interaktionen mit Eltern, der Schulleitung und schwierigen Schülerinnen und Schülern. Letztere werden von Teilzeitbeschäftigten sogar als belastender empfunden als von vollzeitbeschäftigten Lehrerinnen und Lehrern – dieser Effekt ist signifikant, wenn auch klein. In Bezug auf ihren Gesundheitszustand unterscheiden sich Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte nicht, teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte sind weder gesünder noch kränker als ihre vollzeitbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen. Tendenziell erkennbare Unterschiede in Richtung auf einen schlechteren psychischen Gesundheitszustand von Teilzeitbeschäftigten verschwinden, wenn man das Geschlecht der Lehrkräfte berücksichtigt. Zusätzliche Funktionen, Belastung und Gesundheit Lehrerinnen und Lehrer, die neben ihrer eigentlichen Lehrertätigkeit zusätzliche Funktionen z. B. in der Schul-, Abteilungs- oder Fachleitung übernehmen, fühlen sich tendenziell stärker belastet als ihre Kolleginnen und Kollegen ohne weitere Funktionen. Auch dieser Effekt ist zwar signifikant, aber sehr klein. In Bezug auf die verschiedenen Gesundheitsindikatoren lassen sich keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen ausmachen. Außerschulische Aktivitäten, Belastung und Gesundheit Lehrerinnen und Lehrer, die sich außerhalb der Schule in Vereinen, Verbänden, sozial oder politisch engagieren, fühlen sich eher weniger belastet und sind psychisch gesünder als Lehrerinnen und Lehrer, die dies nicht tun. Dies gilt sowohl für den seelischen Gesundheitszustand allgemein als auch für spezifische Einschränkungen des psychischen Wohlbefindens durch Depressions-, Angst- oder Burnout-Symptome. Der protektive Effekt außerschulischer Beschäftigung auf Burnout wurde bereits von Buschmann und Gamsjäger (1999) nachgewiesen und diskutiert. Der auf den ersten Blick paradoxe Befund, dass Lehrkräfte, die nebenberuflich noch weiteren Beschäftigungen nachgehen und damit mehr zu tun haben, weniger Gefahr laufen, an Burnout zu erkranken, unterstreicht ein weiteres Mal, dass es nicht in erster Linie die reine Quantität an Aufgaben und Anforderungen ist, die Gesundheit strapaziert und in den Burnout führt. Zusätzliche Aktivitätsfelder müssen offenbar nicht unbedingt als Erholungstätigkeiten angelegt sein, um gesundheitsschützende Wirkung zu entfalten; auch außerschulisches Engagement, das mit Aufwand und Energieeinsatz verbunden ist, kann die Widerstandskraft gegen berufliche Belastungen stärken, weil es als sinnerfüllend erlebt wird, berufliche Belastungen relativieren kann und die Weiterentwicklung von Kompetenzen ermöglicht.
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Subjektiv wahrgenommene Merkmale der beruflichen Situation, Belastung und Gesundheit (Rollenambiguität, Bedeutsamkeit der Arbeit, Kontrolliertheitserleben) Weder für die Rollenambiguität noch für die subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit lässt sich ein signifikanter Zusammenhang mit Indikatoren für Belastung und Gesundheit nachweisen. Obwohl in der Literatur unklare und widersprüchliche Rollenanforderungen im Lehrerberuf als Belastungsfaktor diskutiert werden (König 2003; Enzmann und Kleiber 1989), ergeben sich aus den vorliegenden Daten keine Hinweise auf eine belastende Wirkung hoher Rollenambiguität. Auch für die Bedeutsamkeit der Arbeit, die nach Analysen von Schaarschmidt (2004a) in hoher, aber nicht extrem hoher Ausprägung für eine gesunde Form des beruflichen Engagements spricht, zeigt sich in den vorliegenden Daten kein Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der Befragten. Eine wichtige Rolle für die Gesundheitssituation und die subjektive Belastung der befragten Lehrerinnen und Lehrer spielt hingegen das Gefühl negativer sozialer Kontrolle, d. h. das Gefühl, sich vor dem Kollegium rechtfertigen zu müssen und von ihm überwacht und kontrolliert zu werden. Je stärker dieses Kontrolliertheitserleben ausgeprägt ist, desto ungünstiger stellt sich die gesundheitliche Situation der Befragten in allen Aspekten dar, wobei die psychische Gesundheit noch stärker betroffen ist als die körperliche Gesundheit. Mit steigendem Kontrolliertheitserleben verbindet sich ebenfalls eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Am deutlichsten zeigt sich dieser Effekt jedoch im Hinblick auf die subjektiv empfundene Belastung durch verschiedene Aspekte der beruflichen Tätigkeit. Je negativer das soziale Klima wahrgenommen wird, desto stärker wird die Lehrertätigkeit insgesamt als Belastung empfunden.
Subjektiv wahrgenommene Merkmale der beruflichen Situation im Gruppenvergleich Auffallend ist die hohe Rollenambiguität, die vor allem die Gruppe 4 (Achtsamkeitspraxis), aber auch die Gruppen 3 und 5 berichten. Die geringste Rollenambiguität erleben offenbar die Lehrkräfte der Gruppe 2 (kranke Lehrkräfte), die mit Abstand höchste Lehrkräfte mit Achtsamkeitspraxis, gefolgt von Lehrkräften mit gestaltpädagogischer oder Supervisions-Fortbildung, das heißt: Die gesundheitlich stabilsten Gruppen berichten die größte Rollenambiguität im Hinblick auf ihre Berufsrolle, während die gesundheitlich beeinträchtigte Gruppe offenbar über widerspruchsfreie, klare Vorstellungen der Rolle der Lehrerin bzw. des Lehrers verfügt. Wenn Rollenambiguität ein beruflicher Belastungsfaktor sein sollte, ist dieses Ergebnismuster zunächst wenig plausibel. Diese zunächst widersprüchliche Situation lässt sich jedoch unter Rückgriff auf das Konzept der Ungewissheitstoleranz aufklären. So konnte König (2003) zeigen, dass hohe Rollenambiguität nur dann zu Beeinträchtigungen des Befindens führt, wenn gleichzeitig die Ungewissheitstoleranz niedrig ist.
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Ungewissheitstoleranz puffert offenbar negative Auswirkungen der Rollenambiguität ab. Gleichzeitig werden vermutlich Lehrkräfte mit hoher Ungewissheitstoleranz widersprüchliche und unklare Rollenanforderungen und -erwartungen leichter akzeptieren und stehen lassen können, ohne diese auf ein widerspruchsfreies Bild reduzieren zu müssen. Eine Betrachtung der Ungewissheitstoleranzwerte für die verschiedenen Gruppen zeigt, dass die jeweiligen Gruppenwerte für Ungewissheitstoleranz und Rollenambiguität eng korrespondieren. Die höchsten Werte bei beiden Skalen zeigt die Gruppe 4 (Achtsamkeit), gefolgt von den Gruppen 3, 5, 1 und 2. Ungewissheitstoleranz scheint sich demzufolge als Ressource auszuwirken, die es ermöglicht, die Widersprüche in der Berufsrolle bewusst wahrnehmen, annehmen und ohne nennenswerte Beeinträchtigungen tolerieren zu können. Im Hinblick auf die Bedeutsamkeit der Arbeit für das eigene Leben zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Wahrnehmung negativer sozialer Kontrolle ist hingegen in den verschiedenen Gruppen unterschiedlich ausgeprägt. Die Gruppe der kranken Lehrkräfte fühlt sich stärker als alle anderen Gruppen vom Kollegium kontrolliert, sieht sich unter Rechtfertigungsdruck und hat den Eindruck mangelnder Wertschätzung der eigenen Arbeit. Offenbar scheinen die kranken Lehrerinnen und Lehrer zumindest aus ihrer subjektiven Perspektive einer sehr ungünstigen sozialen Situation in der Schule ausgesetzt zu sein, an deren Gestaltung sie möglicherweise mitgewirkt haben, die aktuell die Belastungssituation verschärft und sich als destabilisierender Faktor auswirkt. Bewertung, Belastung und Gesundheit Psychologische Ansätze in der Stress- und Belastungsforschung gehen davon aus, dass die subjektive Bewertung von objektiv beschreibbaren Anforderungen eine entscheidende Rolle für die Entstehung von Stress, Belastung und gesundheitlichen Belastungsfolgen spielt. Lehrerinnen und Lehrer, die ihre berufliche Situation insgesamt als Bedrohung ihres Selbsterlebens als kompetente Personen wahrnehmen, die sie immer wieder mit Anforderungen konfrontiert, denen sie sich kaum oder nicht gewachsen fühlen, tragen demnach ein höheres Risiko in gesundheitsgefährdende chronische Belastungssituationen zu geraten als ihre Kolleginnen und Kollegen, die ihre berufliche Tätigkeit vornehmlich als Herausforderung begreifen, die ihre Fähigkeiten und Kompetenzen anspricht und der sie sich mit Neugier und Interesse stellen. Die Ergebnisse stützen diese theoretischen Annahmen und belegen die enge Verknüpfung von Anforderungsbewertungen, Belastung und Gesundheit: Je positiver die berufliche Tätigkeit bewertet wird und je stärker der Herausforderungscharakter der Tätigkeit überwiegt, desto besser sind Gesundheitszustand und selbsteingeschätzte Arbeitsfähigkeit, und desto geringer fällt die subjektive Belastung der befragten Lehrerinnen und Lehrer aus. Eine eher negative Bewertung der beruflichen Tätigkeit mit Überwiegen des erlebten Bedrohungscharakters geht dagegen mit hohem Belastungserleben, gesundheitlichen Einschränkungen und einer reduzierten Arbeitsfähigkeit
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einher. Die Zusammenhänge zwischen Bewertung und den verschiedenen Belastungsund Gesundheitsindikatoren sind durchgängig hochsignifikant, jedoch besonders ausgeprägt im Hinblick auf psychische Gesundheit und Krankheit, Arbeitsfähigkeit und Ausmaß empfundener Belastung. Der körperliche Gesundheitszustand variiert ebenfalls systematisch mit der Art der Bewertung, jedoch ist die Verknüpfung weniger eng. Bewertung in Abhängigkeit von demographischen und Tätigkeitsmerkmalen Wenn die Art der Bewertung eine wichtige Rolle für die Belastungs- und Gesundheitswirkung in beruflichen Anforderungssituationen spielt, wie die Ergebnisse nahelegen, so stellt sich die weiterführende Frage, ob günstige oder ungünstige Formen der Bewertung wiederum in systematischer Weise mit objektiven Merkmalen der Tätigkeit oder der Person zusammenhängen oder aber weitgehend unbeeinflusst von diesen objektiv beschreibbaren Faktoren gebildet werden. Für die demographischen Personmerkmale zeigte sich, dass weder das Geschlecht noch das Alter, noch die Anzahl der Jahre im Beruf mit der Art der Bewertung der Tätigkeit in einem systematischen Zusammenhang stehen. Für die meisten der erhobenen objektiven Tätigkeitsmerkmale ergaben sich ebenfalls keine systematischen Zusammenhänge mit der Bewertung der beruflichen Anforderungssituation. Weder die Größe der Schule noch der Einsatz in mehreren Schulen oder neuen Fächern steht in Beziehung zu der Art und Weise, wie die berufliche Situation bewertet wird. Für die verschiedenen Schulformen lässt sich ein signifikanter, aber sehr kleiner Effekt dahingehend nachweisen, dass Berufsschullehrerinnen und -lehrer ihre Tätigkeit eher günstiger bewerten als Lehrkräfte anderer Schulformen. Für einige der erhobenen Merkmale ergeben sich zunächst nicht vermutete, kontraintuitive Zusammenhänge zur Bewertung der beruflichen Anforderungssituation: Vollzeitbeschäftigte bewerten ihre berufliche Situation günstiger als Teilzeitbeschäftigte, fühlen sich eher herausgefordert als bedroht, haben den Eindruck, den Anforderungen gewachsen zu sein und ihre Fähigkeiten im Beruf einbringen zu können. Ähnliches gilt für Lehrerinnen und Lehrer, die zusätzliche Funktionen ausüben und Lehrkräfte, die sich außerberuflich engagieren. Auch diese bewerten ihre berufliche Anforderungssituation positiver als Lehrkräfte ohne weitere Aufgabenbereiche oder Tätigkeitsfelder. Bewertung der beruflichen Tätigkeit in den verschiedenen Gruppen Im Hinblick auf die Bewertung der beruflichen Tätigkeit zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von befragten Lehrerinnen und Lehrern. Sowohl die gesunden Lehrkräfte (Gruppe 1) als auch die drei Lehrergruppen mit spezifischem Weiterbildungshintergrund (Gruppen 3, 4 und 5) zeigen ähnlich positive Bewertungsmuster, diese Gruppen unterscheiden sich nicht voneinander, weichen aber signifikant von der Gruppe der kranken Lehrkräfte ab, die sich durch ungünstige stressverstärkende Bewertungsmuster auszeichnet.
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Lehrkräften mit Weiterbildung in Achtsamkeitsverfahren, Supervision oder Gestaltpädagogik gelingt es offenbar, Bewertungsmuster und -strategien zu entwickeln, die die Entstehung und Eskalation von Stress- und Belastungssituationen in ihrem beruflichen Umfeld eindämmen und auf diesem Wege zur Erhaltung ihrer Gesundheit beitragen, während die Gruppe der kranken Lehrkräfte eher auf Bewertungsmuster zurückgreift, die stressverstärkend wirken und damit zur Verschärfung der Belastungssituation und zur Destabilisierung des angegriffenen Gesundheitszustands führen. Belastungssituation: Belastung durch verschiedene Aspekte der Lehrertätigkeit im Vergleich Betrachtet man die Belastungssituation der befragten Lehrkräfte differenziert nach verschiedenen Belastungsquellen im Rahmen der Lehrertätigkeit, so zeigt sich ein ähnliches Bild wie in vergleichbaren Studien. Gefragt wurde nach der Belastung durch schwierige Schülerinnen und Schüler, durch Interaktionen mit Eltern, Kollegium und Schulleitung, durch Umgang mit Behörden, durch Stundenzahl und Korrekturen und durch Mobbing am Arbeitsplatz. Vergleicht man die Angaben in Bezug auf die verschiedenen Belastungsfaktoren so steht die Belastung durch schwierige Schülerinnen und Schüler mit dem höchsten Mittelwert subjektiver Belastung im Vordergrund, gefolgt von Belastung durch Korrekturen und Stundenzahl, während Mobbing als Belastungsfaktor im Durchschnitt aller Befragten die geringste Rolle spielt. Dieser geringe Wert für die durchschnittliche Belastung durch Mobbing kommt zustande, weil für circa ¾ der Befragten Mobbing offenbar keine Rolle spielt und sie demzufolge den Minimalwert angegeben haben, für die 26 % der Betroffenen stellt Mobbing hingegen eine starke Belastung dar. Belastung durch verschiedene Aspekte der Lehrertätigkeit in den verschiedenen Gruppen Ein Vergleich der verschiedenen Gruppen im Hinblick auf ihre Belastungssituation ergibt einige interessante Unterschiede: Zunächst einmal fühlen sich nicht alle Gruppen durch schwierige Schülerinnen und Schüler am meisten belastet. In der Gruppe der gesunden Lehrerinnen und Lehrer stehen die schwierigen Schülerinnen und Schüler an zweiter Stelle und bei Lehrkräften mit Supervisions- und Gestaltpädagogikweiterbildung erst an dritter Stelle der Rangfolge der Belastungsfaktoren, während sowohl die Gruppe der kranken Lehrkräfte als auch die Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildung in Achtsamkeitsverfahren schwierige Schülerinnen und Schüler als den vergleichsweise stärksten Belastungsfaktor im Rahmen ihrer Tätigkeit empfinden. Offenbar profitieren Lehrkräfte mit Supervisionsund Gestaltpädagogikweiterbildung von den in diesen Weiterbildungsgängen besonders geförderten sozialen Beziehungskompetenzen. Vergleicht man die verschiedenen Gruppen im Hinblick auf die Intensität ihrer Belastung, so fällt die Gruppe der kranken Lehrkräfte dadurch auf, dass diese sich durch alle erfragten Anforderungsaspekte überdurchschnittlich stark belastet fühlen, während
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sich besonders die drei Gruppen mit Weiterbildungshintergrund durch die meisten dieser Anforderungsaspekte weit unterdurchschnittlich belastet fühlen. Die Unterschiede zwischen den Gruppen sind für alle erfragten Anforderungsaspekte signifikant. Die einzige Ausnahme bildet die Belastung durch den Umgang mit Behörden, die von allen Gruppen ähnlich (niedrig) bewertet wird. Auffällig ist die vergleichsweise günstige Situation der Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildungshintergrund. Diese unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Belastung nicht nur signifikant von den kranken, sondern darüber hinaus auch noch in vielen Belastungsaspekten von der Gruppe der gesunden Lehrkräfte. D. h., viele Aspekte der Lehrertätigkeit wie Interaktionen mit Eltern, Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern, Vertretungsstunden, Stundendeputate und Korrekturen werden von Lehrkräften mit Weiterbildung kaum als Belastung erlebt, während sie sich in der Gruppe der kranken Lehrerinnen und Lehrer zu einer hohen Gesamtbelastung summieren. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss man allerdings folgende Unterschiede zwischen den Gruppen miteinbeziehen: In den Gruppen 4 und 5 (Achtsamkeit und Supervision) finden sich mehr Teilzeitbeschäftigte als in den anderen Gruppen, so dass die Belastung durch hohe Stundendeputate dort weniger ins Gewicht fällt. Dies erklärt die geringere Belastung dieser Gruppen durch die Zahl der Unterrichtstunden. In der Gruppe 5 unterrichten überdurchschnittlich viele der Befragten an Berufs- oder Berufsfachschulen, in denen aufgrund des Alters der Schülerinnen und Schüler Interaktionen mit Eltern nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Dass sich Befragte aus dieser Gruppe durch Interaktionen mit Eltern unterdurchschnittlich belastet fühlen, ist auf diesem Hintergrund nicht weiter verwunderlich. Jedoch klären diese Unterschiede in der Tätigkeit die Belastungsunterschiede keineswegs vollständig auf. Es ist vielmehr anzunehmen, dass Angehörige dieser drei Gruppen zusätzlich über Kompetenzen verfügen, die es ihnen erlauben, mit den beruflichen Anforderungen auf eine Weise umzugehen, die die Entwicklung von intensiven, dauerhaften Belastungen verhindert oder eindämmt. Für die vergleichsweise selten auftretende Belastung durch Mobbing ergeben sich ebenfalls markante Unterschiede zwischen den Gruppen. Knapp 70 % derjenigen, die sich durch Mobbing stark bis sehr stark belastet fühlen, gehören der Gruppe der kranken Lehrkräfte an, ein Ergebnis, das selbst dann noch für eine überzufällig starke Belastung dieser Gruppe durch Mobbingerfahrungen spricht, wenn man berücksichtigt, dass die kranken Lehrkräfte mit rund 50 % die zahlenmäßig größte Gruppe der Befragung darstellten. Dieses Ergebnis unterstreicht noch einmal den schon im Zusammenhang mit dem hohen Kontrolliertheitserleben dieser Gruppe entstandenen Eindruck eines ungünstigen sozialen Umfelds in der Schule, das zur Intensivierung der Belastungserfahrungen dieser Gruppe beiträgt. Bewältigung und Gesundheit Bewältigung bezieht sich auf alle „Anstrengungen, sowohl verhaltensorientierte wie intrapsychische, mit externen oder internen Anforderungen […], die die Mittel einer
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Person beanspruchen oder übersteigen, fertig zu werden, d. h., sie zu meistern, zu tolerieren, zu mildern, zu vermeiden“ (Lazarus und Launier 1981; zit. nach Kaluza 2005, S. 50). D. h., Bewältigungsbemühungen richten sich auf stressreiche, belastende, schwierige Anforderungen und beziehen eine ganze Bandbreite von Verhaltensweisen ein, die nicht ausschließlich eine aktive Meisterung der Anforderungen zum Ziel haben müssen, sondern auch Versuche, Situationen zu tolerieren, zu vermeiden oder zu verleugnen, einschließen. Die große Zahl prinzipiell möglicher Bewältigungsverhaltensweisen lässt sich auf eine überschaubare Menge von Bewältigungsstrategien reduzieren. Personen unterscheiden sich in ihrer Präferenz für bestimmte Bewältigungsstrategien und neigen dazu, diese Strategie in verschiedenen Anforderungssituationen anzuwenden. Solche individuell präferierten Bewältigungsstrategien lassen sich z. B. dadurch erheben, dass man Personen danach fragt, wie sie mit Problemen und belastenden Situationen üblicherweise umgehen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Auswirkungen von Belastung auf Gesundheit von der gewählten Bewältigungsstrategie beeinflusst werden. Es lassen sich verschiedene Bewältigungsstile voneinander unterscheiden, die sich den Oberkategorien aktive und passive Bewältigung zuordnen lassen. Aktive Bewältigung versucht über verschiedene Wege, schwierige Situationen zu beeinflussen, Probleme zu lösen oder zu reduzieren. Typische Strategien aktiver Bewältigung sind z. B. problemlösendes Handeln, Reflexion zur Analyse der Situation und zur Generierung von Handlungsplänen, Suche nach sozialer Unterstützung und – als weitere Form – ein gezielter Aufbau von Kompetenzen durch Lernen und Weiterbildung, um für künftige schwierige Situationen besser gewappnet zu sein. Passive Bewältigung verzichtet auf Versuche zur Problemlösung und ist geprägt durch Resignation, Ablenkung und Handlungsaufschub oder Versuche z. B. über den Konsum von Alkohol oder Medikamenten problematische Situationen erträglicher zu gestalten. Es zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen Formen aktiver Bewältigung auf der einen Seite und Gesundheit und Arbeitsfähigkeit auf der anderen Seite sowie ein starker negativer Zusammenhang von passiver Bewältigung mit Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. Je stärker Personen auf aktive Bewältigungsstrategien im Umgang mit Schwierigkeiten und Problemen setzen und vor allen Dingen je stärker sie auf passive Bewältigungsformen verzichten, desto gesünder sind sie sowohl körperlich als auch psychisch und desto arbeitsfähiger fühlen sie sich. Diese Zusammenhänge sind alle hochsignifikant, jedoch besonders ausgeprägt für passive Bewältigungsformen und dort speziell im Hinblick auf psychische Erkrankungen und weisen damit auf eine deutlich gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung passiven Bewältigungsverhaltens hin. Die Befunde decken sich mit den Ergebnissen vorliegender Untersuchungen (vgl. z. B. Kaluza 2001) und verweisen darauf, wie Individuen durch die Art ihres Umgangs mit Anforderungen und Belastungen auf ihre gesundheitliche Situation Einfluss nehmen können.
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Bewältigung im Gruppenvergleich In der Art und Weise, wie sie mit schwierigen Situationen und Anforderungen umgehen, heben sich die verschiedenen Gruppen signifikant voneinander ab. Besonders die Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildungshintergrund (Gruppe 3, 4 und 5) zeichnen sich durch aktive Bewältigungsformen aus und unterscheiden sich sowohl von den kranken (Gruppe 2) als auch von den gesunden Lehrkräften (Gruppe 1). In der Bevorzugung einzelner Strategien, z. B. problemlösendes Handeln oder Suche nach sozialer Unterstützung, unterscheiden sich die drei Gruppen mit unterschiedlichen Weiterbildungsrichtungen zwar voneinander, aber insgesamt tendieren alle drei Gruppen in hohem Maße dazu, Schwierigkeiten und Probleme aktiv und offensiv anzugehen. Im Kontext der aktiven Strategien sticht besonders die Strategie Lernen/Weiterbildung hervor. Diese Strategie wird als proaktiv bezeichnet, weil sie im Gegensatz zu den anderen aktiven Strategien nicht auf bereits eingetretene schwierige Situationen reagiert, sondern im Vorgriff auf zukünftig auftretende Situationen vorausschauend Kompetenzen aufbaut, um das eigene Bewältigungspotenzial zu verbessern. Hier zeigt sich eine übereinstimmende Tendenz für die drei Gruppen 3, 4 und 5 (Gestaltpädagogik, Achtsamkeit, Supervision), die sie von den anderen beiden Gruppen deutlich unterscheidet: Personen mit Achtsamkeitspraxis, mit gestaltpädagogischer oder Supervisionsfortbildung nutzen besonders intensiv proaktive Formen der Bewältigung und versuchen über Lernen und Weiterbildung ihre Bewältigungsfähigkeiten zu verbessern. Das höchste Ausmaß an passiven Bewältigungsformen zeigte sich in der Gruppe der kranken Lehrerinnen und Lehrer. Im Umgang mit Anforderungen und schwierigen Situationen neigen diese Lehrkräfte eher als andere zu Resignation und zum Konsum von Alkohol, Zigaretten und Tabletten. Sie unterscheiden sich in der Präferenz von passiven Bewältigungsformen signifikant von den gesunden Lehrerinnen und Lehrern und von den Lehrkräften mit gestaltpädagogischer Weiterbildung, die durch das geringste Ausmaß an passiver Bewältigung auffallen und sich in diesem Punkt von allen anderen Gruppen signifikant unterscheiden. Offenbar reagieren die verschiedenen Lehrergruppen recht unterschiedlich, wenn sie mit Schwierigkeiten, Problemen und belastenden Anforderungen konfrontiert sind: während Lehrerinnen und Lehrer, die eine Weiterbildung durchlaufen haben, am meisten dazu neigen, auf aktive Formen der Bewältigung zurückzugreifen, zeigt sich in der Gruppe der Lehrerinnen und Lehrer mit eingeschränkter Gesundheit eine deutliche Tendenz zu passiv-resignativen Reaktionsformen. Gesundheits- und Erholungsverhalten Mit der Frage „Was tun Sie normalerweise, um Belastungen abzubauen oder aus Freude am Tun?“, wurden verschiedene Erholungs- und Regenerationsaktivitäten erhoben. Die meisten der unter dieser Rubrik zusammengefassten Aktivitäten fallen in die Kategorie des palliativ-regenerativen Stressmanagements (vgl. Kaluza 2005) und werden ausgeführt, um Stress- und Spannungszustände und damit verbundene negative Emotionen kurz-
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fristig abzubauen oder längerfristig die emotionale und physiologische Verfassung positiv zu beeinflussen. Typische Beispiele für diese Klasse von Verhaltensweisen sind: Bewegung/Sport, Aktivitäten mit Familie, Freundinnen und Freunden, „ein Gläschen trinken“, Einnahme von Medikamenten, Entspannungsübungen/Meditation, „Abschalten“, z. B. durch Fernsehen. Zusätzlich zu diesen klassischen Varianten des palliativ-regenerativen Stressmanagements wurde Supervision bzw. Intervision als weitere Verhaltensalternative mit palliativ-regenerativer Funktion in den Fragenkatalog aufgenommen. Der stärkste Zusammenhang mit körperlichen und psychischen Erkrankungen zeigt sich für die Einnahme von Medikamenten. Je stärker Personen zum Abbau von Belastungen und zur Regulation von Emotionen und Spannungszuständen auf Medikamente zurückgreifen, desto schlechter ist ihr psychischer und körperlicher Gesundheitszustand und ihre Arbeitsfähigkeit. Aktivitäten mit Ferundinnen, Freunden und Familie, Hobbys und sportliche Aktivitäten hängen erwartungsgemäß positiv mit Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zusammen. Passives „Abschalten“ korreliert schwach negativ mit psychischer und körperlicher Gesundheit. Weder Entspannung, Kontemplation und Meditation noch Super- oder Intervision als Erholungsaktivitäten korrelieren statistisch signifikant mit Gesundheit und Arbeitsfähigkeit. Gesundheits- und Erholungsverhalten im Gruppenvergleich Die Gruppe der kranken Lehrerinnen und Lehrer tendiert mehr als alle anderen dazu, Belastungen über Medikamentenkonsum abzubauen. Passives Abschalten, z. B. durch Fernsehen, wird von den Lehrerinnen und Lehrern der Gruppen 1 (Gesunde) und 2 (Kranke) signifikant stärker genutzt als von Lehrkräften mit gestaltpädagogischer Weiterbildung und Achtsamkeitspraxis, bei denen diese Form der passiven Erholung nur eine untergeordnete Rolle spielt. In Bezug auf sportliche Aktivitäten, Pflege von Hobbys und gemeinsame Aktivitäten mit Freundinnen, Freunden und Familie verhalten sich die Gruppen nicht unterschiedlich. Große Unterschiede zeigen sich hingegen bei den aktiv regenerativen Formen des Stressmanagements, die auf längerfristige Wirkungen angelegt sind, wie Entspannung/ Kontemplation/Meditation und Supervision/Intervision. Diese spielen ausschließlich in den Gruppen mit Weiterbildungshintergrund eine Rolle, wobei sich die Prioritäten gemäß der spezifischen Weiterbildungsrichtung unterscheiden. Lehrkräfte mit Weiterbildung in Achtsamkeitsverfahren nutzen Formen der Entspannung, Meditation und Kontemplation weit intensiver als alle anderen Gruppen, während die Gruppe der Lehrkräfte mit Supervisionsweiterbildung naheliegenderweise durch ihre Präferenz für Super- bzw. Intervision auffällt. Alle drei Gruppen mit Weiterbildung (Gruppe 3, 4 und 5) nutzen jedoch sowohl Entspannungs- und Meditationsmethoden als auch Super- und Intervision signifikant häufiger als die gesunden und kranken Lehrerinnen und Lehrer. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die drei Gruppen mit spezifischen Weiterbildungen Strategien erworben haben, die sie einsetzen, um schwierige Situationen zu bewältigen, Belastungen abzubauen und Gesundheit zu schützen.
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Ressourcen, Belastung und Gesundheit Personale Ressourcen Der Bereich der personalen Ressourcen wurde mit neun verschiedenen Ressourcenaspekten sehr umfassend erhoben. Erfasst wurden Informationen zu Selbstwirksamkeit (allgemein und lehrerspezifisch), Achtsamkeit, Kohärenzgefühl, Ungewissheitstoleranz, Distanzierungsfähigkeit, emotionaler Stabilität, transpersonalem Vertrauen und Resilienz. Führt man alle Einzelausprägungen der neun Ressourcenaspekte zusammen, so erhält man für jede Person einen Gesamtwert, der im Folgenden als „aggregierter Ressourcenindex“ bezeichnet wird. Dieser aggregierte Ressourcenindex wurde über die additive Verknüpfung aller Ausprägungen der verschiedenen personalen Ressourcen einer Person gebildet und kann als Indikator für die Elaboriertheit und Differenziertheit der personalen Ressourcenbasis der jeweiligen Person interpretiert werden. Im Folgenden werden Ergebnisse sowohl für diesen aggregierten Ressourcenindex als auch gesondert für die einzelnen Ressourcenaspekte berichtet. In den Daten zeigen sich enge Beziehungen zwischen personalen Ressourcen und Gesundheitssituation. Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang zwischen Gesundheitszustand und dem aggregierten Ressourcenindex, der als Indikator für den Gesamtumfang verfügbarer personaler Ressourcen interpretiert werden kann. Von allen in der Untersuchung erhobenen Faktoren weist dieser Ressourcenindex die stärkste Beziehung zur Belastungs- und Gesundheitssituation der Befragten auf. Je breiter und ausgeprägter die Ressourcenbasis, auf die Lehrerinnen und Lehrer zurückgreifen können, desto gesünder und arbeitsfähiger sind sie und desto weniger belastet fühlen sie sich, und umgekehrt, je eingeschränkter die verfügbare personale Ressourcenbasis, desto mehr zeigen sich körperliche und vor allem psychische Erkrankungen, Depressionsund Burnout-Symptome, desto geringer ist die Arbeitsfähigkeit und desto höher die erlebte Belastung. Dies ist ein deutlicher Hinweis, dass die personalen Ressourcen, die sich auch in früheren Untersuchungen als wichtig für Aufrechterhaltung und Schutz von Gesundheit erwiesen, aufs Engste mit Gesundheit und Wohlbefinden der befragten Lehrerinnen und Lehrer verknüpft sind. Betrachtet man die Ressourcen einzeln im Hinblick auf ihre Zusammenhänge mit den verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsindikatoren, so zeigt sich ein hohes Maß an Übereinstimmung dahingehend, dass alle Ressourcenaspekte mit Ausnahme des transpersonalen Vertrauens, das zu keinem der erfassten Indikatoren in einer signifikanten Beziehung steht, positiv mit Gesundheit und Arbeitsfähigkeit und negativ mit Krankheit und Belastung zusammenhängen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Kohärenzsinn, Distanzierungsfähigkeit und emotionale Stabilität korrelieren von allen einbezogenen Ressourcenaspekten am stärksten mit Gesundheit, körperlichen und psychischen Erkrankungen, Arbeitsfähigkeit und Belastung. Die Korrelationen mit Gesundheit und Arbeitsfähigkeit sind hoch positiv, die Korrelationen mit Erkrankungen
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und Belastungen hoch negativ, d. h., je stärker die Ressourcenausprägung, desto weniger gesundheitliche Beeinträchtigungen werden berichtet. Alle einbezogenen personalen Ressourcen zeigen die engsten Zusammenhänge mit psychischer Krankheit, Depressions-, Angst- und Burnout-Symptomen sowie Arbeitsfähigkeit. Körperliche Erkrankungen und subjektive Belastung hängen mit der Ausprägung personaler Ressourcen hingegen etwas weniger eng zusammen als der Bereich der psychischen Erkrankungen. Die im Vergleich zu den einzelnen Ressourcenaspekten besonders enge Verknüpfung des Gesamtressourcenindexes mit Gesundheit und Krankheit verweist darauf, dass es offenbar die Gesamtheit der verfügbaren Ressourcen ist, die den Unterschied macht. Kenntnisse, Kompetenzen, Merkmale werden erst dann zu Ressourcen, wenn sie zu aktuellen Anforderungssituationen passen und zur Bewältigung dieser Anforderungen und der Erreichung von Zielen eingesetzt werden können. Aus ressourcentheoretischer Perspektive bietet demnach eine breite Ressourcenbasis, die vielfältige Kompetenzen, Fähigkeiten und Haltungen umfasst, die vergleichsweise günstigsten Voraussetzungen, um für eine gesunde Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Anforderungen gerüstet zu sein. Personale Ressourcen in den verschiedenen Gruppen Ein Vergleich der verschiedenen Lehrergruppen zeigt, dass besonders Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildungen über eine ausdifferenzierte, breite Basis an personalen Ressourcen verfügen. Betrachtet man zunächst den Gesamtressourcenindex, so zeigen Lehrkräfte mit Weiterbildung signifikant höhere Werte als die Gruppe der kranken und auch als die Gruppe der gesunden Lehrkräfte Lehrerinnen und Lehrer aus den verschiedenen Weiterbildungsgruppen können somit auf eine sichere und breit gefächerte Ressourcenbasis zurückgreifen, die sich stark von der ungünstigen Ressourcensituation der kranken Lehrkräfte abhebt und die sich sogar noch positiver darstellt als die vergleichsweise günstige Ressourcensituation der gesunden Lehrerinnen und Lehrer. Diese Unterschiede lassen sich ebenfalls auf der Ebene der einzelnen Ressourcenaspekte für einen großen Teil der erfassten personalen Ressourcen nachweisen. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede zwischen den Gruppen zugunsten der Lehrerinnen und Lehrer mit Weiterbildung in den Ressourcenbereichen, die sich als besonders gesundheitsrelevant herauskristallisierten. In Bezug auf die drei gesundheitlich bedeutungsvollsten Ressourcen emotionale Stabilität, Distanzierungsfähigkeit und Kohärenzsinn heben sich Lehrkräfte mit Weiterbildung sowohl von der Gruppe der kranken als auch von der Gruppe der gesunden Lehrerinnen und Lehrer ab. Die signifikant höchsten Werte zeigen diese Lehrkräfte ebenfalls bei Ungewissheitstoleranz, lehrerspezifischer Selbstwirksamkeit und transpersonalem Vertrauen. Die Gruppe 4 (Achtsamkeit) ist am stärksten in einem spirituellen Hintergrund verankert. Die Werte dieser Gruppe sind bei den Ressourcenaspekten transpersonales
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Vertrauen und lehrerspezifisches transpersonales Vertrauen am höchsten und weichen signifikant von allen anderen Gruppen ab. Insgesamt sind diese spirituellen Ressourcen bei allen drei Gruppen mit Weiterbildungshintergrund stärker ausgeprägt als bei kranken und gesunden Lehrkräften, die sich diesbezüglich nicht unterscheiden. Die Werte der Gruppe 4 (Achtsamkeit) übersteigen die der Gruppen 3 (Gestaltpädagogik) und 5 (Supervision) jedoch auch noch signifikant. Interessanterweise weist die Gruppe 4 den zweitniedrigsten Wert bei der Ressource Achtsamkeit auf. Offenbar deckten die im Fragebogen verwendeten Fragen zur Achtsamkeit nicht das Konzept von Achtsamkeit ab, das der Praxis und der Erfahrung dieser Gruppe entspricht. Dieses scheint sich hingegen eher in den Items zum transpersonalen Vertrauen wiederzufinden. Achtsamkeit im Sinne des verwendeten Fragenkatalogs findet sich am stärksten bei der Gruppe mit Supervisionsweiterbildung, die in diesem Punkt sowohl der Gruppe 2 (kranke Lehrkräfte) als auch der Gruppe 1 (gesunde Lehrkräfte) überlegen ist. Insgesamt zeigt sich, dass Lehrerinnen und Lehrer, die eine Weiterbildung absolviert haben, unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung der Weiterbildung auf auffallend gut ausgeprägte personale Ressourcen zurückgreifen können. Sie verfügen über ein differenziertes Repertoire an personalen Ressourcen und heben sich gerade in den Ressourcenaspekten besonders stark von den anderen untersuchten Lehrergruppen ab, die für die Aufrechterhaltung und den Schutz von Gesundheit von entscheidender Bedeutung sind. Auch wenn sich auf der Basis von Querschnittsdaten keine Ursache-WirkungsBeziehungen prüfen lassen, so sind diese Ergebnisse doch ein Hinweis darauf, dass die außergewöhnlich gute Gesundheitssituation der Lehrkräfte mit Weiterbildung mit ihrer günstigen Ressourcensituation zusammenhängt und dass Weiterbildungen in Gestaltpädagogik, Supervision und Achtsamkeitsverfahren wiederum mit der Entwicklung und Stabilisierung dieser Ressourcenbasis verknüpft sein könnten. Soziale Ressourcen Der Bereich der sozialen Ressourcen wurde über die Verfügbarkeit von sozialer Unterstützung im beruflichen Umfeld (Unterstützung durch Schulleitung und durch Kollegen) und außerberuflichen Umfeld (Menschen auf die man sich verlassen kann, die für einen da sind) erfasst. Da die Angaben zu den verschiedenen Quellen sozialer Unterstützung hoch miteinander korrelieren, wurden sie zu einem Gesamtindex für die Verfügbarkeit sozialer Unterstützung zusammengefasst. Die externe Ressource soziale Unterstützung zeigt ebenfalls enge Bezüge zu den verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsindikatoren, die im Vergleich zum Bereich der personalen Ressourcen jedoch etwas schwächer ausgeprägt sind. Dieser Befund deckt sich mit Ergebnissen früherer Studien, die ebenfalls stärkere Gesundheitseffekte von personalen im Vergleich zu sozialen Ressourcen berichten (vgl. Schröder 1997). Je höher das Vertrauen in die Verfügbarkeit von sozialer Unterstützung, desto besser ist der körperliche und psychische Gesundheitszustand, desto weniger Depressions-, Angst- und Burnout-Symptome werden berichtet und desto besser wird die aktuelle
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Arbeitsfähigkeit eingeschätzt. Am engsten hängt soziale Unterstützung mit dem psychischen und am schwächsten mit dem körperlichen Gesundheitszustand zusammen, die Ergebnisse weisen somit deutliche Parallelen mit den Befunden zur Bedeutung der personalen Ressourcen auf. Mit steigender sozialer Unterstützung sinkt ebenfalls die subjektive Belastung durch berufliche Anforderungen, d. h., je mehr Lehrerinnen und Lehrer den Eindruck haben, von ihrem beruflichen und privaten Umfeld gestützt und getragen zu werden, desto weniger werden die Anforderungen ihres beruflichen Alltags als belastend erlebt. Die subjektive Belastung ist der einzige Bereich, der mit sozialen und personalen Ressourcen ähnlich eng korreliert, d. h., ob Tätigkeiten und Anforderungen des beruflichen Alltags zu Belastungen werden oder nicht, hängt in ähnlich starkem Maß von der Verfügbarkeit sozialer wie personaler Ressourcen ab. Soziale Ressourcen korrelieren außerdem positiv mit personalen Ressourcen. D. h., je ausgeprägter die personale Ressourcenbasis, auf die Individuen zur Bewältigung von Anforderungen zurückgreifen können, desto stärker vertrauen sie auch darauf, von Personen ihres beruflichen und privaten Umfelds unterstützt zu werden. Dieser positive Zusammenhang von – internen – personalen und externen – sozialen – Ressourcen zeigt sich auf der Ebene des Gesamtressourcenindexes und in ähnlich deutlicher Weise bei der personalen Ressource Kohärenzsinn, was bedeutet, dass mit steigendem Vertrauen in die Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit der Welt und des Lebens auch das Vertrauen in die Unterstützung durch andere Personen wächst. Auch dieses Ergebnis deckt sich mit Befunden aus früheren Untersuchungen, die auf der Basis der konsistenten Zusammenhänge von personalen und sozialen Ressourcen die Unabhängigkeit der sozialen Unterstützung als externer Ressource in Frage stellen (vgl. Schröder 1997) und darauf hinweisen, dass die Mobilisierung, Wahrnehmung und Nutzung sozialer Unterstützung nicht unwesentlich von persönlichen Voraussetzungen (z. B. von Selbstwirksamkeitserwartungen oder einem positiven Selbstkonzept) abhängen. Offenbar scheinen soziale Ressourcen weniger kompensatorisch zu wirken, indem sie fehlende personale Ressourcen ausgleichen oder ersetzen; vielmehr scheint die Möglichkeit zur Wahrnehmung, zum Abruf und zur Nutzung von potenziell vorhandenen externen Ressourcen wiederum von persönlichen Voraussetzungen abhängig zu sein, so dass günstige personale ressourcielle Bedingungen durch diese Dynamik noch stabiler und ungünstige Bedingungen nicht wesentlich verbessert werden. Soziale Ressourcen in den verschiedenen Gruppen Vergleicht man die fünf Lehrergruppen im Hinblick auf die Verfügbarkeit sozialer Ressourcen, so ergibt sich ein ähnliches Bild wie beim Vergleich der personalen Ressourcen. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen den Gruppen bei den sozialen Ressourcen kleiner als bei den personalen Ressourcen (alle Effekte sind signifikant, aber klein). Auch bei den sozialen Ressourcen ist die Lage der Gruppe 2 (kranke Lehrkräfte) am ungünstigsten und unterscheidet sich signifikant von der Ressourcensituation der
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anderen Gruppen: Kranke Lehrerinnen und Lehrer erfahren wenig Unterstützung durch Kollegium und Schulleitung, sie vertrauen nicht darauf, bei Schwierigkeiten und Problemen Rat, Hilfe oder Zuspruch zu bekommen, sie fühlen sich in ihrer Arbeit von der Schulleitung kaum unterstützt und bezweifeln, dass die Schulleitung ihnen und ihrer Arbeit vertraut. Ergänzt um die schon berichteten Befunde zum Kontrolliertheitserleben zeichnet sich ein Bild der sozialen Situation dieser Gruppe am Arbeitsplatz ab, die sich belastungsverstärkend statt -reduzierend auswirkt. Einerseits stehen soziale Ressourcen, die den Belastungseffekt von beruflichen Anforderungen abpuffern könnten, nur eingeschränkt zur Verfügung und andererseits wird das soziale Umfeld in der Schule, von dem sich diese Lehrerinnen und Lehrer kontrolliert und in ihrer Arbeit nicht hinreichend wertgeschätzt fühlen, zu einem zusätzlichen Belastungsfaktor. Die vergleichsweise eingeschränkte personale Ressourcenbasis kranker Lehrerinnen und Lehrer wird demnach offenbar nicht durch eine erhöhte Verfügbarkeit externer sozialer Ressourcen kompensiert, so dass sich eine fragile Gesamtressourcensituation ergibt, die nur wenig Reserven für die Bewältigung von Anforderungssituationen bietet. Signifikante Unterschiede zwischen der Gruppe der gesunden Lehrkräfte und den Lehrerinnen und Lehrern mit Weiterbildung ergaben sich nicht. Unterrichtshandeln im Geflecht von Belastung, Gesundheit und Ressourcen Empirisch ließen sich sechs unterscheidbare Dimensionen des Unterrichtshandelns identifizieren, die als Schülerorientierung (1), Bevorzugung selbständiger Arbeitsformen (2), emotional-motivationaler, erlebnisorientierter Lernzugang (3), Betonung von Wissens- und Stoffvermittlung (4), Flexibilität (5) und Rigidität/Störanfälligkeit (6) bezeichnet wurden. Prüft man, ob verschiedene Formen des Unterrichtens mit Unterschieden im Belastungserleben oder des Gesundheitszustands einhergehen, so ergeben sich für die Dimension „Störanfälligkeit des Unterrichts“ signifikante Korrelationen mit Belastung und Gesundheit. Je störanfälliger der Unterricht, je leichter Lehrkräfte aus dem Konzept zu bringen sind und je schwerer ihnen der Umgang mit Störungen fällt, desto stärker fühlen sie sich belastet und gesundheitlich – vor allem im Hinblick auf ihr psychisches Wohlbefinden – beeinträchtigt. Gleichsinnige Zusammenhänge, die immer noch signifikant, jedoch deutlich geringer ausgeprägt sind, zeigen sich für die Dimension „Betonung von Wissens- und Stoffvermittlung“. D. h., je stärker Lehrkräfte in ihrem Unterricht ausschließlich auf Wissens- und Stoffvermittlung – häufig gekoppelt mit lehrerzentriertem Frontalunterricht setzen, desto mehr steigt die subjektive Belastung und tendenziell das Risiko von Beeinträchtigungen des Wohlbefindens. Die vier weiteren Dimensionen des Unterrichtshandelns zeigen keine systematischen Beziehungen zu Gesundheits- oder Belastungsindikatoren. Schülerorientierter, motivierender und emotional packender Unterricht, Anregung selbständiger Arbeitsformen, flexible Anpassung des Unterrichts an situative Notwen-
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digkeiten können unabhängig von der Belastungs- und Gesundheitssituation der Lehrkräfte realisiert werden und wirken sich weder positiv noch negativ auf Belastungserleben und Wohlbefinden der Lehrerinnen und Lehrer aus. Deutliche Zusammenhänge zeigten sich hingegen zwischen verfügbaren personalen Ressourcen von Lehrkräften und ihren bevorzugten Formen des Unterrichtshandelns. Offenbar begünstigt die Verfügbarkeit von spezifischen personalen Ressourcen bestimmte Formen des Unterrichtshandelns wie Schülerorientierung, Anregung selbständiger Arbeitsformen, motivierender und emotional packender Unterricht und flexible Anpassung des Unterrichts, während andere Formen des Unterrichtshandelns wie eine einseitige Ausrichtung des Unterrichts auf Wissens- und Stoffvermittlung und eine hohe Störanfälligkeit eher dann wahrscheinlich werden, wenn spezifische personale Ressourcen nur unzureichend ausgebildet sind. Lehrerspezifische Selbstwirksamkeitserwartungen spielen für die Gestaltung des Unterrichtshandelns offenbar eine Schlüsselrolle: Je stärker Lehrerinnen und Lehrer überzeugt sind, dass sie erfolgreich mit beruflichen Anforderungen umgehen können, dass sie auch in schwierigen Situationen eine Lösung finden, desto eher setzen sie auf schülerorientierten Unterricht, auf selbständige Arbeitsformen, auf motivational und emotional angereicherte Lernzugänge, desto flexibler können sie sich auf veränderte Unterrichtssituationen einstellen und desto weniger störanfällig sind sie im Unterrichtsgeschehen.
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Abb. 3.3: Personale Ressourcen und Formen des Unterrichtshandeln „+“ in der Darstellung bedeutet „je mehr, desto mehr“; „–“ bedeutet „je weniger, desto mehr“
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Die personalen Ressourcen Achtsamkeit, Ungewissheitstoleranz und transpersonales Vertrauen, die im Hinblick auf Belastung und Gesundheit eine weniger große Rolle spielten, stellen anscheinend ebenfalls wichtige Voraussetzungen zur Realisierung bestimmter Formen des Unterrichtshandelns dar. Das Ausmaß der Schülerorientierung im Unterricht wird demnach neben der Lehrerselbstwirksamkeit auch von Achtsamkeit und transpersonalem Vertrauen auf der Ressourcenseite bestimmt. Selbständige Arbeitsformen werden eher von Lehrerinnen und Lehrern im Unterricht betont, die über eine ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartung und eine hohe Ungewissheitstoleranz verfügen. Die emotional-motivationale Dimension des Lehrens und Lernens wird dann gestärkt, wenn Lehrkräfte neben hohen Selbstwirksamkeitserwartungen auch auf Achtsamkeit, Ungewissheitstoleranz und transpersonales Vertrauen als personale Ressourcen zurückgreifen können. Flexibilität im Unterrichtsgeschehen gelingt dann leichter, wenn Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Ungewissheitstoleranz als Ressourcen zur Verfügung stehen. Auffällig ist, dass diese vier Dimensionen des Unterrichtshandelns (Schülerorientierung, selbständige Arbeitsformen, emotional-motivationale Anregung, Flexibilität im Unterrichtsgeschehen) positiv mit der Ressourcenausprägung zusammenhängen, d. h., je stärker die Ausprägung der jeweiligen Ressourcen, desto wahrscheinlicher wird die Realisierung dieser vier Formen der Unterrichtsgestaltung. Das Umgekehrte gilt für die Störanfälligkeit des Unterrichts und die einseitige Betonung von Wissens- und Stoffvermittlung. Diese hängen negativ mit der Ressourcenausprägung zusammen, was bedeutet, dass sich diese beiden Merkmale des Unterrichtens mit abnehmender Ressourcenverfügbarkeit verstärken: Je geringer die Ungewissheitstoleranz, also die Möglichkeit, sich offen auf ungewisse und wenig planbare Situationen einzulassen und je geringer gleichzeitig die Distanzierungsfähigkeit, desto stärker werden gut planbare Unterrichtsformen bevorzugt, die vor allem auf Wissens- und Stoffvermittlung setzen und in ihrer lehrerzentrierten Ausgestaltung wenig Spielraum für überraschende Entwicklungen lassen. Auf die Störanfälligkeit des Unterrichts wirkt sich eher ein Mangel an denjenigen Ressourcen aus, die sich auch für die Aufrechterhaltung von Gesundheit und für den Schutz gegen Belastungen als besonders bedeutsam erwiesen haben. Neben einer gering ausgeprägten lehrerspezifischen Selbstwirksamkeitserwartung sind es vor allem mangelnde Distanzierungsfähigkeit, geringe emotionale Stabilität und ein wenig ausgeprägter Kohärenzsinn, die die Störanfälligkeit des Unterrichts erhöhen und somit auch auf dieser Ebene zur Vulnerabilität der Lehrkräfte beitragen. Die statistischen Kennwerte weisen darauf hin, dass personale Ressourcen zwar einen nicht unerheblichen Einflussfaktor darstellen, der die Realisierung von bestimmten Arten des Unterrichtens unterstützt bzw. erschwert. Jedoch wird die Form der Unter-
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richtsgestaltung darüber hinaus durch weitere Faktoren determiniert, die in der vorliegenden Studie nicht erhoben wurden und die daher nicht weiter spezifiziert werden können (beispielsweise durch verschiedene Kompetenzen zur Unterrichtsgestaltung und Herstellung von Unterrichtsqualität). Trotz dieser Einschränkungen weisen die Befunde darauf hin, dass Formen des Unterrichtens, die ein hohes Maß an sozialer Gestaltung und emotionaler Sensibilität verlangen, an persönliche Voraussetzungen gebunden sind, die es ermöglichen, nicht völlig kontrollierbare Unterrichtssituationen zulassen und erfolgreich bewältigen zu können. Unterricht, der selbständiges Lernen unterstützt, flexibel auf den Kontext reagiert, Schülerinnen und Schüler aktiviert, sie emotional anspricht, und ihre soziale und persönliche Situation berücksichtigt, wird eher von Lehrkräften realisiert, die über eine hohe Ausprägung der genannten personalpsychischen Ressourcen verfügen, während eine einseitige Konzentration auf Wissensvermittlung und eine hohe Störanfälligkeit des Unterrichtsgeschehens eher von Lehrkräften mit ungünstigeren Ressourcenvoraussetzungen berichtet wurden. Unterrichtshandeln in den verschiedenen Gruppen Ein Vergleich der verschiedenen in die Untersuchung einbezogenen Lehrergruppen zeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer, die eine Weiterbildung durchlaufen haben, anders unterrichten als die Vergleichsgruppen der kranken und gesunden Lehrkräfte. Jene aus den drei Weiterbildungsgruppen legen deutlich mehr Wert auf Schülerorientierung, selbständiges Arbeiten und einen emotional-motivationalen, erlebnisorientierten Lernzugang. Im Hinblick auf diese Unterrichtsdimensionen unterscheiden sich Lehrkräfte der drei Weiterbildungsrichtungen nicht voneinander, heben sich aber sowohl von den gesunden als auch von den kranken Lehrerinnen und Lehrern ab, die diese Unterrichtsformen deutlich seltener realisieren. Eine einseitige Konzentration auf die Wissens- und Stoffvermittlungsfunktion von Unterricht findet sich in den Gruppen mit Weiterbildung hingegen signifikant weniger als in den Vergleichsgruppen der kranken und gesunden Lehrkräfte, die sich in dieser Hinsicht nicht voneinander unterscheiden. In Bezug auf die Dimension flexible Unterrichtsgestaltung zeigen Lehrkräfte mit Weiterbildung zwar ebenfalls die höchsten Werte aller Gruppen, jedoch sind die Unterschiede zwischen den Gruppen eher klein. Anders als bei den bisher berichteten Unterrichtsformen verlaufen die Trennungslinien zwischen den Gruppen bei der Störanfälligkeit von Unterricht, die bei kranken Lehrerinnen und Lehrern am stärksten von allen Gruppen ausgeprägt ist. Alle anderen Gruppen berichten eine signifikant geringer ausgeprägte Störanfälligkeit und unterscheiden sich in diesem Punkt auch nicht voneinander. Offenbar ist es diese Dimension von Unterricht, die am stärksten mit Belastung und Gesundheitseinschränkungen korrespondiert, wobei die Wirkungsrichtung nicht zweifelsfrei bestimmbar ist. So kann es sein, dass eine hohe Störbarkeit des Unterrichts einen dauerhaft wirkenden starken Belastungsfaktor darstellt, der sich längerfristig
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gesundheitlich negativ auswirkt. Genauso gut ist es möglich, dass Lehrerinnen und Lehrer mit gesundheitlichen Einschränkungen vulnerabler werden und weniger gut in der Lage sind, mit Unterrichtsstörungen effektiv und auf eine Weise umzugehen, die ihre Kräfte nicht überstrapaziert und sie nicht zu stark persönlich involviert. Am wahrscheinlichsten ist es, dass sich beide Wirkungsrichtungen zu einer Gesamtdynamik kombinieren und wechselseitig verstärken. Bezieht man die Bedeutung personaler Ressourcen für die Unterrichtsgestaltung ein, so rundet sich das Bild: Lehrkräfte mit Weiterbildungen, die über die differenzierteste und am besten ausgeprägte Ressourcenbasis verfügen, realisieren ein breites Spektrum von Unterrichtsformen, wobei vor allem die Formen von Unterrichtsgestaltung besonders ausgeprägt sind, die an spezifische ressourcielle Voraussetzungen geknüpft sind. Demgegenüber hat die Gruppe der kranken Lehrkräfte, deren Ressourcensituation im Verhältnis zu allen anderen Gruppen am ungünstigsten ist, die größten Schwierigkeiten, Unterrichtskonzepte in einer von ihnen beabsichtigten und für sie zufriedenstellenden Weise umzusetzen, ein Unterrichtsmerkmal, das umso stärker hervortritt, je eingeschränkter die Ressourcenbasis ist, auf die Lehrerinnen und Lehrer zurückgreifen können.
Zusammenfassung der Ergebnisse Ein zentrales Anliegen der Untersuchung bezog sich auf die Identifikation von Faktoren, die dazu beitragen, Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern zu stabilisieren und zu schützen. Betrachtet man die zahlreichen Befunde, die im Ergebnisteil beschrieben wurden, noch einmal unter der Perspektive dieser zentralen Fragestellung, so zeichnen sich in der Gesamtsicht der Daten Grundmuster ab, die in den folgenden Abschnitten dargestellt werden sollen. Eine Analyse der gesundheitlichen Bedeutsamkeit objektiver Merkmale der Lehrertätigkeit und der schulischen Arbeitssituation unserer Befragten ergab wenig Anhaltspunkte dafür, dass objektivierbare Merkmale schulischer Arbeitsfelder mit einem erhöhten gesundheitlichen Gefährdungspotenzial verbunden sind. Die verschiedenen in diesem Kontext erhobenen Merkmale zeigten nur wenig ausgeprägte und kaum systematische Bezüge zu Gesundheit und Belastung von Lehrerinnen und Lehrern. Das heißt nun keinesfalls, dass Arbeitsbedingungen von Lehrkräften keine belastungsinduzierenden und gesundheitsbelastenden Auswirkungen haben, sondern weist eher daraufhin, dass keine starken direkten Beziehungen zwischen Tätigkeitsmerkmalen und Gesundheitsbelastungen nachweisbar waren, die nicht durch persönliche Voraussetzungen, Verarbeitungs- und Bewältigungsweisen der dort tätigen Lehrkräfte transformiert und überlagert wären.
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Die vorliegenden Daten unterstreichen hingegen die Bedeutung subjektiver Formen der Bewertung und Verarbeitung von Situationen und vor allem der Verfügbarkeit verschiedener interner und externer Ressourcen für den Schutz vor Überlastung und die Aufrechterhaltung von Gesundheit. Ein Anforderungs-Ressourcen-Modell, das die Entstehung von Stress und Belastung vom Ergebnis subjektiver Bewertungs- und Verarbeitungsschritte abhängig macht und die Entwicklung gesundheitlicher Folgen von Stress- und Belastungsepisoden wiederum in Abhängigkeit von verfügbaren Bewältigungsressourcen und den gewählten Formen der Bewältigung sieht, deckte sich empirisch gut mit den Daten der Untersuchung. In dem Modell erwiesen sich die Bewertung der beruflichen Situation, die empfundene Belastung durch berufliche Anforderungen, die Verfügbarkeit personaler und sozialer Ressourcen und die Art der Bewältigung von Schwierigkeiten und Belastungen als zentrale Faktoren, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit und zur Entstehung von Krankheit beitragen. Lehrkräfte, die in hohem Maße über personale und soziale Ressourcen verfügen und die berufliche Anforderungen eher als Herausforderung denn als Bedrohung begreifen, sind deutlich weniger krankheitsgefährdet. Eine wichtige Rolle für die Entstehung einer Stress- und Belastungsdynamik spielt die subjektive Bewertung von Anforderungssituationen, die mehr oder weniger günstig oder ungünstig ausfallen kann. Günstige Bewertungen betonen den Herausforderungscharakter von Anforderungen, die prinzipiell bewältigbar erscheinen. Ungünstige Bewertungen lassen Anforderungen demgegenüber als potenzielle Bedrohungen und Überforderungen erscheinen, deren Bewältigung auf Basis der verfügbaren Möglichkeiten fraglich oder sogar weitgehend chancenlos erscheint. Diese Form der ungünstigen Bewertung, die nicht ausschließlich von den objektiven Kennzeichen der Anforderungssituation, sondern ebenso von persönlichen Voraussetzungen mitbestimmt wird, stellt eine wichtige Schaltstelle für die Entstehung von Stresssituationen dar und führt dazu, dass aus Anforderungen spürbare Belastungen werden. Günstige Bewertungen wirken sich demgegenüber eher belastungshemmend aus und tragen dazu bei, dass berufliche Anforderungen als wenig belastend wahrgenommen werden.
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Abb. 3.4: Zusammenwirken von Bewertung, Belastung, Bewältigung, Ressourcen und Gesundheit „+“ in der Darstellung bedeutet „je mehr, desto mehr“; „–“ bedeutet „je weniger, desto mehr“
Zusätzlich wirkt sich die Art der Bewertung auf die Form der Bewältigung von Anforderungssituationen aus: Günstige Bewertungen reduzieren die Neigung zu passiven Bewältigungsformen, während ungünstige Bewertungen die Wahrscheinlichkeit passiver Bewältigungsmuster, die durch Resignation, Verzicht auf aktive Lösungsversuche und erhöhten Medikamenten- und Alkoholkonsum gekennzeichnet sind, anwachsen lassen. Verfügbare Ressourcen nehmen direkten Einfluss auf die Art der Bewältigung von Anforderungen. Je breiter und differenzierter die Basis an verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen, auf die Lehrerinnen und Lehrer bei der Bewältigung von Anforderungen und Belastungen zurückgreifen können, desto eher wählen sie aktive Bewältigungsstrategien und desto weniger neigen sie zu passiv-resignativen Bewältigungsmustern. Gesundheitliche Belastungs- und Schutzfaktoren Fragt man nach den wichtigsten gesundheitsbelastenden und gesundheitsschützenden Faktoren, so kristallisieren sich eine hohe subjektive Belastung und eine Neigung zu passiven Formen der Belastungsbewältigung als zentrale gesundheitsgefährdende Faktoren und die Verfügbarkeit von Ressourcen, vor allem personaler Ressourcen, als wichtigster gesundheitlicher Schutzfaktor heraus. Das subjektive Belastungsempfinden und die Neigung zu passiven Bewältigungsstilen begünstigten entscheidend die Entstehung von Krankheit. Je höher das Belas-
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tungsempfinden und je stärker die Neigung zu passiven Formen der Bewältigung, desto größer wird das Risiko, körperlich oder psychisch zu erkranken. Mit steigender Belastung durch berufliche Anforderungen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für körperliche und in noch höherem Maße für psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen. Eine in hohem Maße als belastend empfundene berufliche Situation entfaltet demnach ein gesundheitliches Gefährdungspotenzial, das sich im Bereich psychischer Erkrankungen stärker auswirkt als im Bereich körperlicher Erkrankungen. Passiv-resignative Formen des Umgangs mit Problemen und Belastungen erhöhen ebenfalls die Vulnerabilität, wobei auch dieser Faktor stärker zur Destabilisierung des psychischen als des körperlichen Gesundheitszustands beiträgt. Die Bewertung von beruflichen Anforderungssituationen wirkt sich zusätzlich auf die gesundheitliche Situation aus. Günstige, herausforderungsorientierte Bewertungen von Anforderungen entfalten gesundheitsschützende Wirkungen, während ungünstige, Bedrohung und Überforderung fokussierende Bewertungen gesundheitliche Belastungsfaktoren darstellen. Möglicherweise wird diese Verbindung über eine optimistische Lebenshaltung als Persönlichkeitsmerkmal gestiftet, deren Bedeutsamkeit als gesundheitlicher Schutzfaktor bekannt ist und die sich als dispositioneller Faktor auch auf die Art der Bewertung von Anforderungen positiv auswirken dürfte. Die gesundheitsschützende Wirkung von Ressourcen Personale Ressourcen wirken als gesundheitliche Schutzfaktoren und werden an verschiedenen Stellen wirksam. Sie nehmen direkten Einfluss auf die Entwicklung von Krankheiten und reduzieren so die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von psychischen und körperlichen Erkrankungen. Sie fördern die Neigung zu aktiven Bewältigungsformen und reduzieren die Neigung zu passiven Bewältigungsformen und wirken so auf alle wichtigen Faktoren der Krankheitsentstehung sowohl direkt als auch indirekt ein. Lehrkräfte, die auf ein breites Spektrum an gut ausgebildeten personalen Ressourcen zurückgreifen können, haben eine höhere Chance, körperlich und vor allem psychisch gesund zu bleiben als ihre Kollegen, die nur eingeschränkt über personale Ressourcen verfügen. Neben diesem unmittelbaren gesundheitsschützenden Effekt wirken sich personale Ressourcen zusätzlich über indirekte Wege – vermittelt über ihren Einfluss auf die beiden krankheitsbegünstigenden Faktoren „empfundene Belastung“ und „passive Bewältigung“ – auf die gesundheitliche Situation von Lehrkräften aus. So determinieren personale Ressourcen in starkem Maße, welche Formen der Bewältigung ins Auge gefasst werden. Lehrkräfte, die auf gut ausgebildete personale Ressourcen zurückgreifen können, wählen eher aktive Formen der Bewältigung – besonders dann, wenn sie außerdem ein hohes Ausmaß an sozialer Unterstützung in der Schule erfahren – und neigen weniger dazu, auf entstehende Schwierigkeiten und Probleme passiv – mit Resignation, Grübeln, Alkohol- und Medikamentenkonsum – zu reagieren. Passive Bewältigungsformen
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erhöhen wiederum das Risiko, körperlich oder psychisch zu erkranken, so dass sich personale Ressourcen auf doppelte Weise gesundheitsschützend auswirken, indem sie neben einem unmittelbar positiven Effekt auf die gesundheitliche Situation auch noch die Wahrscheinlichkeit reduzieren, auf Anforderungen und Schwierigkeiten in einer Art und Weise zu reagieren, die die Entstehung von Gesundheitsproblemen begünstigt. Personale Ressourcen können somit als generalisierte Widerstandsressourcen betrachtet werden, deren Vorhandensein Gesundheit schützt und stabilisiert und deren Fehlen die Vulnerabilität gegenüber Krankheiten in fataler Weise erhöht. Eine ungünstige Ressourcensituation führt zu problematischen Aufschaukelungsprozessen: Wenige verfügbare personale Ressourcen lassen Anforderungen schnell als bedrohlich erscheinen. Die Belastung durch alltägliche Anforderungssituationen steigt auf ein chronisch hohes Niveau. Die eingeschränkte Verfügbarkeit über personale Ressourcen lässt diese Lehrkräfte den bedrohlichen Situationen scheinbar wehrlos entgegentreten, aktive Formen der Bewältigung werden weniger ins Auge gefasst, passiv-resignative Haltungen stattdessen befördert. Hohe Belastungen, passive Bewältigungsformen und geringe Ressourcen stellen wiederum die relevanten gesundheitsbeeinträchtigenden Faktoren dar. Eine ungünstige Ressourcenlage kann demnach in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale münden, in der die Auseinandersetzung mit beruflichen Anforderungen auf allen Ebenen ungünstig verläuft, zu dauerhaftem Überlastungserleben führt und letztlich die Gesundheit angreift, was wiederum zu einer weiteren Verschärfung der Ausgangslage führt, der die gesundheitlich beeinträchtigten Personen nun mit einer noch weiter eingeschränkten Verfügbarkeit von Ressourcen begegnen müssen. Den personalen Ressourcen Distanzierungsfähigkeit, emotionale Stabilität, Kohärenzsinn, Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Ungewissheitstoleranz kommt dabei besondere Bedeutung zu, da sie einerseits als generalisierte Widerstandsressourcen wirken, die unmittelbar Gesundheit stützen und mittelbar gesundheitsgefährdende Einflussfaktoren reduzieren, und die andererseits Einfluss darauf nehmen, welche Formen der Unterrichtsgestaltung gewählt werden (können). Eine hohe Ausprägung der genannten personalen Ressourcen erlaubt es offenbar, ein breites Spektrum von Unterrichtsformen zu realisieren, während Ressourcendefizite die Handlungsoptionen deutlich einschränken und Unterrichtsprobleme in den Vordergrund rücken. Unterricht, der schülerorientiert ist, der selbständiges Lernen ermöglicht, emotionale, motivationale und soziale Ebenen einbezieht und anspricht, eine Unterrichtsplanung, die adaptiv und situationsangemessen verändert werden kann, all dies kennzeichnet vor allem den Unterricht von Lehrerinnen und Lehrern, die über ein hohes Ausmaß der genannten personalen Ressourcen verfügen. Eine einseitige Fokussierung auf Unterricht als Mittel zur Vermittlung von Wissen und Stoff ließ sich hingegen eher bei Lehrkräften mit einer weniger guten Ressourcensituation beobachten, insbesondere bei den Lehrkräften, die sich im Beruf als wenig selbstwirksam erlebten und angaben, mit ungewis-
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sen, wenig planbaren Situationen nicht gut umgehen zu können. Ein hohes Maß an Irritierbarkeit und Störanfälligkeit ihres Unterrichts wurde vor allem von Lehrerinnen und Lehrern mit einer eher fragilen Ressourcenbasis berichtet. Wenn zentrale personale Ressourcen nicht in hinreichendem Maße verfügbar sind, so schränkt dies offenbar nicht nur die Möglichkeiten eines gesunden Umgangs mit Anforderungen ein, sondern erschwert darüber hinaus eine gelingende Ausübung des professionellen Kerngeschäfts des Lehrerberufs, das heute weit über das reine Unterrichten hinausgeht und vor allem auch die Gestaltung sozialer Beziehungen bedeutet, was eine sich anbahnende gesundheitsbelastende Dynamik womöglich noch weiter verschärfen dürfte. Wenn demnach personale, aber auch soziale Ressourcen, wie unsere Ergebnisse nahelegen, einerseits hilfreich sind, um Verarbeitungs- und Bewältigungsformen von beruflichen Anforderungen zu etablieren, die sich günstig auf die Aufrechterhaltung der Gesundheit auswirken und andererseits die Nutzung eines breiten professionellen Handlungsspektrums unterstützen, so sollte verstärkt darauf geachtet werden, dass Lehrerinnen und Lehrer ihre berufliche Laufbahn mit möglichst guten Ressourcenvoraussetzungen starten und während der Aus- und Weiterbildung Gelegenheit erhalten, entsprechende Ressourcen aufzubauen und weiterzuentwickeln. Gesundheits- und Ressourcensituation von Lehrkräften mit Weiterbildung Wie sieht die Gesundheits- und vor allem die Ressourcensituation ausgewählter Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern aus, die spezifische Weiterbildungen durchlaufen haben? Fallen diese Lehrkräfte durch Besonderheiten auf, die möglicherweise erste Anhaltspunkte dafür liefern, ob Weiterbildungen, die nicht nur spezifische Techniken und Methoden vermitteln, sondern den Anspruch verfolgen, die persönliche Weiterentwicklung ihrer Teilnehmenden anzuregen, geeignete Settings zur Verfügung stellen, die Raum bieten für die Entwicklung und den Ausbau von Ressourcen? Um sich diesen Fragen zu nähern, wurden Absolventinnen und Absolventen der drei Weiterbildungsrichtungen Gestaltpädagogik, Supervision und achtsamkeitsbasierte Verfahren in die vorliegende Befragung einbezogen und mit Referenzgruppen von gesunden respektive kranken Lehrerinnen und Lehrern verglichen. Unabhängig von der spezifischen inhaltlichen Ausrichtung fallen Lehrkräfte der drei Weiterbildungsgruppen durch ihre positive gesundheitliche Situation auf, die gestützt wird durch ein Überwiegen von stabilisierenden Faktoren und durch ein weitgehendes Fehlen von gesundheitlich riskanten Verhaltens- und Verarbeitungsweisen. Sie begreifen berufliche Anforderungen vorwiegend als Herausforderung, denen sie mit Interesse und durchaus mit Spaß an der Arbeit begegnen. Es gelingt ihnen, die vielfältigen Anforderungen, die die Lehrertätigkeit mit sich bringt, anzunehmen, ohne dass sich daran ein Gefühl übermäßiger persönlicher Belastung knüpfen würde, und sie reagieren auf auftretende Schwierigkeiten mit aktiven Lösungsversuchen statt mit resignativen, hilflosen, eskapistischen – vor der Wirklichkeit fliehenden – Strategien. Damit zeigen
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sie in Bezug auf die zentralen Faktoren, die gemäß dem oben dargestellten Modell Gesundheit beeinflussen, günstige Werte, die darauf hinweisen, dass diese Lehrkräfte Formen gefunden haben, ihren beruflichen Anforderungen auf eine Weise gerecht zu werden, die im Einklang mit der Erhaltung ihrer Gesundheit steht. Ein Blick auf die Ausgestaltung der personalen und sozialen Ressourcenbasis, die dieser Personengruppe zur Realisierung von Zielen und zur Bewältigung von Anforderungen zur Verfügung stehen, zeigt, dass sich Lehrerinnen und Lehrer, die eine der drei Weiterbildungen durchlaufen haben, durch ein hohes Maß an sozialen und vor allem personalen Ressourcen auszeichnen, auf die sie zurückgreifen können, und dass sie im Hinblick auf Vielfalt und Ausprägung nutzbarer interner und externer Ressourcen den beiden Referenzgruppen von gesunden und kranken Lehrkräften überlegen sind. Lehrkräfte mit Weiterbildung fallen demnach sowohl durch ihre außergewöhnlich gute Gesundheits- als auch Ressourcensituation auf sowie durch ihren gesundheitsstabilisierenden Umgang mit beruflichen Anforderungen und Belastungen. Diese Aussage gilt in ähnlicher Weise für alle drei einbezogenen Weiterbildungsrichtungen. Dieses Ergebnis in ist gewisser Weise überraschend, da sich die Weiterbildungsangebote zu Gestaltpädagogik, Supervision und Achtsamkeit in Bezug auf Inhalte und Ausrichtung deutlich voneinander unterscheiden. Trotzdem sind die Befunde in den drei untersuchten Stichproben im Hinblick auf Gesundheitssituation und Ressourcenausprägung weitgehend vergleichbar. Auch wenn sich Aussagen zu Ursache-Wirkungs-Beziehungen auf der Basis korrelativer Daten aus Querschnittsuntersuchungen, wie sie in unserer Studie vorliegen, streng genommen nicht ableiten lassen, so legt das Muster der Befunde doch nahe, dass es die komfortable Ressourcenausstattung von Lehrkräften mit entsprechenden Weiterbildungen ist, die eine entscheidende Gelingensbedingung für die Etablierung einer gesundheitsförderlichen und -stabilisierenden Dynamik und für die Verhinderung des Abgleitens in gesundheits- und ressourcenverzehrende Verarbeitungsspiralen darstellt. Ob diese gut entwickelte Ressourcenbasis Ergebnis der Weiterbildungen ist, ob also Weiterbildungen in Supervision, Gestaltpädagogik oder Achtsamkeit einen ursächlichen Beitrag zum Aufbau und Entwicklung von Ressourcen leisten, kann auf der Grundlage der vorliegenden Daten nicht entschieden werden. Es ist durchaus denkbar, dass bevorzugt Personen mit einer von vornherein günstigeren ressourciellen Ausgangslage motiviert und in der Lage sind, sich auf zeit- und energieintensive Weiterbildungskontexte einzulassen, die ein hohes Maß an Bereitschaft zur persönlichen Involvierung erfordern – und damit allerdings auch die Chance bieten, davon nachhaltig in Form von persönlicher Weiterentwicklung und Erweiterung von Ressourcen zu profitieren. Hinweise darauf, dass Fortbildungen vor allem von denjenigen Lehrerinnen und Lehrern genutzt werden, die schon über günstige Ausgangsvoraussetzungen verfügen, ergeben sich z. B. aus einer Studie von van Dick, Wagner und Christ (2004), die feststellten, dass kompetente Lehrkräfte häufiger Fortbildungen besuchen als weniger kompetente. Im Extremfall könnte dies bedeuten, dass Weiterbildungen der beschriebenen Art keine
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Auswirkungen auf das Ressourcenniveau ihrer Teilnehmenden nehmen, sondern einen spezifischen Personenkreis mit besonderen persönlichen Voraussetzungen ansprechen, womit die Besonderheiten dieser Gruppe von Lehrkräften auf einen Auswahl – und nicht auf einen Ausbildungseffekt zurückzuführen wären. Wahrscheinlicher ist es jedoch, von einem Wechselwirkungseffekt auszugehen, der auch in anderen Bereichen der Bildungsforschung bereits nachgewiesen wurde: Demnach profitieren nicht alle Personen in gleicher Weise von Lernangeboten, sondern in Abhängigkeit von ihren Eingangsvoraussetzungen mit dazu passenden Weiterbildungsangeboten in unterschiedlich starkem Maße. Gerade kompetentere Lehrerinnen und Lehrer würden unter diesen Bedingungen Weiterbildungskontexte besser zur persönlichen Weiterentwicklung nutzen können und damit ihr ohnehin schon gutes Ressourcen- und Kompetenzniveau weiter ausbauen. Die selbst im Vergleich zu einer großen Stichprobe von gesunden Lehrkräften noch außergewöhnlich günstige Ressourcensituation von Lehrerinnen und Lehrern mit Weiterbildung unterstützen denn auch eher diese Wechselwirkungsannahme. Neben der nicht zu unterschätzenden Bedeutung von Ressourcen für die Erhaltung von Gesundheit spielen jedoch auch andere Faktoren eine Rolle, die ebenfalls wiederum über Weiterbildungen beeinflusst sein könnten. In den Ergebnissen fällt auf, dass Lehrkräfte, die eine der drei Weiterbildungen durchlaufen haben, eher als andere Lehrerinnen und Lehrer Formen der Lebensgestaltung entwickelt haben, die ihnen Möglichkeiten zur Sinnstiftung jenseits des Lehrerberufs eröffnen. Die Ausgestaltung und das breite Engagement in außerschulischen Tätigkeitsfeldern, das diese Lehrkräfte auszeichnet, ist jedoch nicht mit einem Bedeutungsverlust ihres eigentlichen Berufs verbunden, sondern zeigt eher, dass diese Lehrkräfte eine ausbalancierte Lebenssituation geschaffen haben, in der sich Sinn- und Kompetenzerleben nicht ausschließlich aus einer Quelle speisen, sondern aus verschiedenen wichtigen Lebensbereichen abgeleitet werden können. Auch hier könnten die absolvierten Weiterbildungen einen Beitrag geleistet haben, indem sie entsprechende Zielorientierungen konkretisieren helfen und natürlich auch, indem sie Qualifikationen vermitteln, die es erlauben, solche außerschulischen Tätigkeitsbereiche für sich zu erobern und sich in ihnen erfolgreich zu bewegen.
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Schlussfolgerungen und weiterführende Überlegungen Zweifellos gehört der Beruf der Lehrerin und des Lehrers durch die (insbesondere im psychosozialen Bereich) gestiegenen Anforderungen heute zu den besonders belastenden Berufen mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Frühpensionierungen. Das ist die „schlechte“ Nachricht. Die „gute“ Nachricht lautet: Lehrerinnen und Lehrer sind nicht automatisch Opfer ihrer Berufsbedingungen, sondern können weitgehend selbst dazu beitragen, wie sie mit diesen Belastungen konstruktiv umgehen, um diesen Beruf lange, erfolgreich, gesund und mit Freude ausüben zu können. Im Zentrum unserer Untersuchung stand daher nicht die Suche nach potenziell krankmachenden „äußeren“ Faktoren im Lehrerberuf, sondern die Identifizierung der personalen Ressourcen und Widerstandsfaktoren, die die Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern stärken. Dabei zeigt sich – was nicht überraschend war, aber selten so klar nachgewiesen wurde –, dass Lehrkräfte, diese gesunderhaltenden Ressourcen durch Weiterbildung vertiefen und erweitern können. Dabei sind diese Ressourcen sowohl Voraussetzung wie Ziel weiteren Kompetenzerwerbs. Dass es sich dabei nicht um lineare Ursache-Wirkungs-Prozesse handelt, die auf der Basis korrelativer Daten aus einer Querschnittsuntersuchung auch nicht abgeleitet werden können, ist aus wissenschaftlicher Sicht banal. Deshalb lassen sich aus unseren Ergebnissen auch keine einfachen Schlussfolgerungen ziehen oder unmittelbare Rezepte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften ableiten. Gesunde Lehrkräfte können weder „gemacht“ noch Kranke „fit gemacht“ werden. Dennoch hat unsere Untersuchung gezeigt, dass Lehrerinnen und Lehrer durch selbstgewählte Fort- und Weiterbildungen im psychosozialen Bereich ihre personalen Ressourcen stärken und ausweiten können und in komplexen Lern- und Ausbildungsprozessen Kompetenzen erwerben können, die es ihnen ermöglichen, mit den Belastungen ihres Berufes konstruktiv umzugehen. Angesichts der Komplexität solcher Lernprozesse ist ermutigend, wie wirksam solche Fort- und Weiterbildungen sein können. Die von uns in die Untersuchung einbezogenen Weiterbildungen thematisieren den Prozess einer komplexen, „fließenden“ lebenslangen Selbstprofessionalisierung, in dem mehrere, in sich rückgekoppelte Bereiche und Faktoren bewusst gemacht und bearbeitet werden: • persönliche Voraussetzungen und äußere Bedingungen, • „objektive“ Anforderungen und deren „subjektive“ Bewertung, • personale Ressourcen („eigene Kompetenzen“) und soziale Ressourcen („Unterstützungssysteme von außen“), • psychische Verarbeitungsformen und eine körperlich gesunderhaltende Lebensweise.
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Die in diesen Aus-, Fort- und Weiterbildungen erworbenen und vertieften Ressourcen und die damit verbundenen oder daraus erwachsenden Kompetenzen führen in einem systemischen Zusammenspiel dazu, in Belastungssituationen eher aktive oder passive Bewältigungsformen zu wählen und in letzter Konsequenz gesund zu bleiben oder krank zu werden. Die empirische Bestimmung und Beschreibung dieser Faktoren und Prozesse steht im Mittelpunkt unserer Studien. Unsere quantitativen Ergebnisse sind hinreichend klar und auf dem Hintergrund des gewählten transaktionalen Modells nachvollziehbar. Bezogen auf die einzelne Lehrkraft in ihrer spezifischen persönlichen Situation und ihrem beruflichen Umfeld sind unsere statistischen Daten allerdings nicht geeignet für diagnostisches Screening im Sinne einer Checkliste oder prognostischen Klassifikationen im Blick auf eine potenzielle gesundheitliche Gefährdung. Sehr wohl hingegen können unsere Ergebnisse Hinweise liefern, was auf verschiedenen Ebenen getan werden kann, um die übergreifenden Metakompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern zu stärken, die geeignet erscheinen, beruflichen Belastungen konstruktiv zu begegnen und – last, but not least – einen anderen Umgang mit sich selbst, mit Schülerinnen und Schülern, mit Eltern, Kolleginnen und Kollegen zu entwickeln und zu pflegen. Aufgrund unserer Erfahrungen und anderer einschlägiger Studien (Nolle 2013) gehen wir davon aus, dass es vor allem auf persönliche Lernbereitschaften und einschlägige Lernerfahrungen in geeigneten Settings der Aus-, Fort- und Weiterbildungen ankommt. Die aus unserer Sicht wesentlichen Punkte dafür sind: 1. personale Kompetenzen fördern und entwickeln, soziale Unterstützungssysteme aufbauen, 2. über alle Phasen des Lehrerwerdens und Lehrerseins Selbstverantwortung für den eigenen beruflichen Professionalisierungsprozess ermöglichen, einfordern und individuell fördern, 3. institutionelle Anerkennung und Honorierung von psychosozialer Fort- und Weiterbildung im biographischen Verlauf. Dazu nochmals die wichtigsten Untersuchungsergebnisse und mögliche Konsequenzen: • Unsere Ergebnisse zeigen, dass es keinen statistisch nachweisbaren direkten Zusammenhang zwischen äußeren Belastungen am Arbeitsplatz und der gesundheitlichen Gesamtsituation gibt, wohl aber mit der subjektiven Bewertung der beruflichen Situation, damit mit der empfundenen Belastung durch berufliche Anforderungen, mit der Verfügbarkeit personaler und sozialer Ressourcen und der Art der Bewältigung von Schwierigkeiten und Belastungen als den zentralen Faktoren, die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit und zur Entstehung von Krankheit beitragen. Je breiter und differenzierter die Basis an verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen, auf die Lehrerinnen und Lehrer bei der Bewältigung
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von Anforderungen und Belastungen zurückgreifen können, desto eher wählen sie aktive Bewältigungsstrategien und desto weniger neigen sie zu passiv-resignativen Bewältigungsmustern. Dies bedeutet: Die Aus- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern muss neben Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaft um grundlegende Angebote zur Bedeutung und zum Training psychosozialer Basiskompetenzen im Lehrerberuf ergänzt werden (Bosse, Dauber, Döring-Seipel, Nolle 2012). • Die enge Verknüpfung des Gesamtressourcenindexes mit Gesundheit und Krankheit verweist darauf, dass es offenbar die Gesamtheit der verfügbaren Ressourcen ist, die den Unterschied macht. Kenntnisse, Kompetenzen, Merkmale werden erst dann zu Ressourcen, wenn sie zu aktuellen Anforderungssituationen passen und zur Bewältigung dieser Anforderungen und der Erreichung von Zielen eingesetzt werden können. Dies bedeutet: Insbesondere in allen praxisorientierten Ausbildungsphasen (schulpraktische Ausbildung in der Ersten Phase der Lehrerbildung, Referendariat, Berufseingangsphase, Fort- und Weiterbildung in der Dritten Phase) sollten in die Aus- und Weiterbildung integrierte und sie ergänzende Lernangebote zu zentralen psychosozialen Kompetenzfeldern nicht nur theoretisch vermittelt, sondern praxisnah bereitgestellt, erfahren und trainiert werden: Auftritt vor und Leitung von Gruppen, Teambildung und kollegiale Fallberatung, biographische Bearbeitung von beruflichen Konfliktsituationen in Supervisions- und Intervisionsgruppen (vgl. Vorschläge der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. [2010a]: Implementierung von Supervision in die erste Phase der Lehrerausbildung an der Universität/Hochschule). Dabei geht es weniger um einzelne, kleinschrittig standardisierte Verhaltensmerkmale als um den Aufbau einer inneren Haltung. • Eine ungünstige Ressourcenlage kann in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale münden, in der die Auseinandersetzung mit beruflichen Anforderungen auf allen Ebenen ungünstig verläuft, zu dauerhaftem Überlastungserleben führt und letztlich die Gesundheit angreift, was wiederum zu einer weiteren Verschärfung der Ausgangslage führt, der die gesundheitlich beeinträchtigten Personen nun mit einer noch weiter eingeschränkten Verfügbarkeit von Ressourcen begegnen müssen. Das bedeutet: Schulpsychologische und pädagogische Beratungsdienste sollten gezielte Ansprechmöglichkeiten für Burnout-gefährdete Lehrkräfte anbieten. Insbesondere Ausbilderinnen und Ausbilder in der Zweiten Phase sollten selbst über entsprechende Weiterbildungen verfügen. Angepasst an die personalen Voraussetzungen und situativen schulischen Bedingungen
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sollten für gesundheitlich beeinträchtigte Lehrerinnen und Lehrer individuelle Möglichkeiten der Unterrichtsentlastung im Klassenverband vor Ort geprüft werden und alternative Einsatzmöglichkeiten erleichtert werden (inklusive der Übernahme von Funktionsstellen). • Auch die Wahrnehmung und Nutzung sozialer Ressourcen (Unterstützungsformen von außen, im Kollegium, durch die Schulleitung, im privaten und außerberuflichen Umfeld) hängt eng mit den eigenen personalen Ressourcen zusammen und wirkt wiederum auf diese zurück. Mit steigender sozialer Unterstützung sinkt die subjektive Belastung durch berufliche Anforderungen, d. h., je mehr Lehrerinnen und Lehrer den Eindruck haben, von ihrem beruflichen und privaten Umfeld gestützt und getragen zu werden, desto weniger werden die Anforderungen ihres beruflichen Alltags als belastend erlebt. Das bedeutet: An Schulen bzw. Schulverbünden sollten insbesondere für Mentorinnen und Mentoren der Ersten und Zweiten Phase Qualifizierungsangebote eingerichtet werden, um die Auszubildenden in bewertungsfreien Beratungsformen in ihrem beruflichen und persönlichen Professionalisierungsprozess zu begleiten (vgl. Bos 2012; Justus 2012; Weyand 2012). • Im Blick auf die Gestaltung des Unterrichtshandelns spielen (lehrerspezifische) Selbstwirksamkeitserwartungen offenbar eine Schlüsselrolle: Je stärker Lehrerinnen und Lehrer überzeugt sind, dass sie erfolgreich mit beruflichen Anforderungen umgehen können, dass sie auch in schwierigen Situationen eine Lösung finden, desto eher setzen sie auf schülerorientierten Unterricht, auf selbständige Arbeitsformen, auf motivational und emotional angereicherte Lernzugänge, desto flexibler können sie sich auf veränderte Unterrichtssituationen einstellen und desto weniger störanfällig sind sie im Unterrichtsgeschehen. Personen mit hoher Unsicherheitstoleranz können mit offenen, ungewissen Situationen gut umgehen, können sich gut auf Veränderungen einstellen und fühlen sich durch unsichere Bedingungen und Kontexte nur wenig belastet. Lehrerinnen und Lehrer, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeit auf ständig wechselnde Situationen einstellen müssen, die nur eingeschränkt planbar und vorhersehbar sind, profitieren offenbar von der Fähigkeit, sich angstfrei in derartigen Situationen bewegen zu können. Das bedeutet: In allen Phasen sollten Schlüsselkompetenzen wie Ungewissheitstoleranz gezielt trainiert werden. Dazu bedarf es vor allem des Trainings flexibel modulierender Aufmerksamkeitsrichtungen im Lehrerhandeln (strukturierte Wissensvermittlung, selbständige Arbeitsformen, soziale Inklusion, emotional-erlebnisorientierte Lernzugänge und emotionale Achtsamkeit auf sich und andere, personale Präsenz).
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• Es kann zwar aufgrund unserer Ergebnisse nicht gesagt werden, dass Lehrerinnen und Lehrer, die eher traditionelle Unterrichtsformen (mit überdurchschnittlicher Betonung des Stoffs und frontaler Unterrichtsführung) unmittelbar gesundheitsgefährdeter sind, dass aber umgekehrt Lehrkräfte, die über ein breites Reservoir an personal-psychischen Ressourcen verfügen (insbesondere Selbstwirksamkeit, Achtsamkeit und Ungewissheitstoleranz, Distanzierungsfähigkeit, emotionale Stabilität), offenbar Unterrichtsformen bevorzugen, die weniger störanfällig sind, was sich dann als subjektives Belastungsempfinden indirekt wiederum auf ihre Gesundheitssituation auswirken kann. Lehrkräfte, die eine der drei in die Untersuchung einbezogenen Weiterbildungen absolviert haben, legen deutlich mehr Wert auf Schülerorientierung, selbständiges Arbeiten und einen emotional-motivationalen, erlebnisorientierten Lernzugang, was wiederum mit den in diesen Weiterbildungen geförderten personalen Ressourcen zusammenhängt. Das bedeutet: Bei dienstlichen Beurteilungen und Unterrichtsprüfungen sollte die Realisierung offener Planungsgestaltungen positiv bestätigt und gewürdigt werden und sich nicht ausschließlich auf didaktische Kriterien der Wissensvermittlung beschränken. Fort- und Weiterbildung kommt nicht nur der Gesundheit der daran teilnehmenden Lehrkräfte (und Schülerinnen bzw. Schüler) zugute, sondern fördert indirekt auch eine ebenso personorientierte wie lernförderliche Atmosphäre im Unterricht und sollte systematisch gefördert werden. • Unabhängig von der spezifischen inhaltlichen Ausrichtung der drei Weiterbildungsgänge fallen Lehrkräfte durch ihre positive gesundheitliche Situation auf, die gestützt wird durch ein Überwiegen von stabilisierenden Faktoren und durch ein weitgehendes Fehlen von gesundheitlich riskanten Verhaltens- und Verarbeitungsweisen. Sie begreifen berufliche Anforderungen vorwiegend als Herausforderung, denen sie mit Interesse und durchaus mit Spaß an der Arbeit begegnen. Es gelingt ihnen, die vielfältigen Anforderungen, die die Lehrertätigkeit mit sich bringt, anzunehmen, ohne dass sich daran ein Gefühl übermäßiger persönlicher Belastung knüpfen würde, und sie reagieren auf auftretende Schwierigkeiten mit aktiven Lösungsversuchen statt mit resignativen, hilflosen, eskapistischen – vor der Wirklichkeit fliehenden – Strategien. Damit zeigen sie in Bezug auf die zentralen Faktoren günstige Werte, die darauf hinweisen, dass diese Lehrkräfte Formen gefunden haben, ihren beruflichen Anforderungen auf eine Weise gerecht zu werden, die im Einklang mit einer ausbalancierten Lebenssituation der Erhaltung ihrer Gesundheit stehen. Das bedeutet: Als Voraussetzung für die Übernahme von Ausbildungsaufgaben und/ oder Leitungsaufgaben in der Schule (Schulleitung, pädagogische Leitung, Ausbildende etc.)sollten im Stellenprofil ausgewiesene psychosoziale Qualifikationen nachgewiesen werden.
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Entsprechende Aus-, Fort- und Weiterbildungen sollten in staatlicher Verantwortung angeboten werden. Im Falle der privaten Finanzierung sollten sich im Sinne der Förderung von Präventionsmaßnahmen auch Beihilfekassen und private Krankenkassen bereiterklären, geltend gemachte Aufwendungen zu bezuschussen oder (entsprechend den gesetzlichen Kassen) durch Punktesysteme vertraglich zu fördern. Zusammengefasst bedeutet dies: 1. institutionell und curricular verankerte Überprüfung der Ausbildungsvoraussetzungen zum Erwerb psychosozialer Basiskompetenzen zu Beginn der Ausbildung und Abklärung der Berufswahlentscheidung (inklusive Stufen- und Fächerwahl), 2. systematische Vermittlung, Förderung und Vertiefung psychosozialer Kompetenzen in allen Phasen der Aus-, Fort- und Weiterbildung, 3. intensivierte Begleitung und Beratung von Lehrerinnen und Lehrern in der Berufseingangsphase, 4. Erweiterung alternativer Einsatzmöglichkeiten für gesundheitlich gefährdete Lehrkräfte.
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Anhang
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Aufbau des Fragebogens – erfasste Konzepte
Konzept
Erfasste Aspekte
Itemzahl
demographische Merkmale
Alter, Geschlecht, in Partnerschaft lebend, Kinderzahl
4
körperlicher und psychischer Gesundheitszustand
globale subjektive Gesundheitseinschätzung, Einschätzung der Arbeitsfähigkeit körperliche Beschwerden, differenziert nach verschiedenen Krankheitsbildern, psychische Wohlbefindensbeeinträchtigungen, Depressions-, Angst-, Burnout-Symptome
29
Arbeitszufriedenheit
aufgeschlüsselt nach verschiedenen Arbeitsaspekten wie Entlohnung, Handlungsspielräume, Kollegium und Vorgesetzte etc.
8
Lebenszufriedenheit
Zufriedenheit insgesamt und mit verschiedenen Lebensbereichen
9
objektive Merkmale der beruflichen Situation
20 Anzahl der Berufsjahre, Unterrichtsfächer, Schulform, Größe des Kollegiums, Unterricht an mehreren Schulen, Einsatz in neuen Unterrichtsfächern, Teil- oder Vollzeittätigkeit, durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, zusätzliche Funktionen in der Schule, außerschulische Zusatzaktivitäten, Wünsche nach Veränderungen wie z. B. Reduzierung der Stundenzahl, Wechsel der Schule oder des Tätigkeitsfeldes, Fortbildung und Supervision
private Situation
private Belastungen in den letzten 6 Monaten
subjektiv wahrgenom- Rollenambiguität, mene Merkmale der Kontrolliertheitserleben, beruflichen Situation Bedeutsamkeit der Arbeit
1 10
Belastung durch berufsspezifische Anforderungen
Belastung durch schwierige Schülerinnen und Schüler, durch 8 Interaktionen mit Eltern, Kollegium und Schulleitung, durch Umgang mit Behörden, durch Stundenzahl, durch Korrekturen, durch Mobbing am Arbeitsplatz
Bewertung der beruflichen Situation als Anforderungssituation
Gesamtbewertung der beruflichen Anforderungssituation, aufgeschlüsselt nach den relevanten stressbezogenen Bewertungskategorien Herausforderung, Bedrohung und Verlust
4
Bewältigungsstrategien
aktive Bewältigung: problemlösendes Handeln, Reflexion, Suche nach sozialer Unterstützung, Lernen/Weiterbildung; passive Bewältigung: Resignation, Ablenkung/ Handlungsaufschub, palliativ/Pharmaka
28
Gesundheits- und Erholungsverhalten
Aktivitäten zum Abbau von Belastungen und „aus Freude am Tun“
8
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personale Ressourcen
Selbstwirksamkeitserwartung allgemein, Lehrerselbstwirksamkeit, Achtsamkeit, Kohärenzgefühl, Ungewissheitstoleranz, Distanzierungsfähigkeit, emotionale Stabilität, transpersonales Vertrauen, Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit)
47
soziale Ressourcen
Ausmaß wahrgenommener sozialer Unterstützung: soziale Unterstützung durch das Kollegium soziale Unterstützung durch die Schulleitung private soziale Unterstützung emotionale soziale Unterstützung instrumentelle soziale Unterstützung
10
Formen der Unterrichtsgestaltung und des pädagogischen Handelns
Schülerorientierung, Bevorzugung selbständiger Arbeitsformen, emotional-motivational, erlebnisorientierter Lernzugang, Betonung von Wissens-/Stoffvermittlung, Flexibilität, Rigidität/Störanfälligkeit
38
Übernommen wurden Items aus folgenden Fragebögen: • Objektive Merkmale der beruflichen Situation: König, S., 2003; • Selbstwirksamkeit: Jerusalem, M., Schwarzer, R., 1999; Schwarzer, R., Schmitz, G.,1999; • Ungewissheitstoleranz: Dalbert, C., 1999; • Distanzierungsfähigkeit, emotionale Stabilität und Bedeutsamkeit der Arbeit: Schaarschmidt, U., 1996; Schaarschmidt, U., Kieschke, U., 2007; • Achtsamkeit: Walach, H. et al., 2004; • Resilienz: Schumacher, J. et al., 2004; • Transpersonales Vertrauen: Belschner, W., 2000; Albani, C. et al., 2002; • Rollenambiguität: König, S., 2003; • Soziale Ressourcen: König, S., 2003; van Dick, R. et al., 1999; Schwarzer, R., Schulz, U., 2000; • Bewertung: Jerusalem, M., 1999; König, 2003; • Kontrolliertheitserleben: Enzmann, D., Kleiber, D., 1989; • Gesundheitszustand, Arbeitszufriedenheit: Altner, N., 2006; • Depression: Hautzinger, M., Bailer, M., 1993; • Bewältigungsstrategien: Janke, W., Erdmann, G., Kallus, W., 1985; Schwarzer, R., Greenglass, E. R., Taubert, S., 2000.
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Autorin und Autoren Altner, Nils, Dr. phil., Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler, forscht, lehrt und publiziert am Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen und an der Harvard Medical School zu Achtsamkeit, Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung. www.achtsamkeit.com
Dauber, Heinrich, Dr. phil., 1978–2009 Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Kassel; 1980–1990 Weiterbildung in Gestalttherapie/Integrative Leib- und Bewegungstherapie, grad. FPI, Düsseldorf; 1997–2002 Weiterbildung in Playbacktheater, School of Playback Theatre New York, grad. practitioner IPTN. Gründungsmitglied der Kommission „Pädagogik und Humanistische Psychologie“ in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Letzte Forschungsschwerpunkte: Lehrergesundheit und Lehrerbelastung, psychosoziale Basiskompetenzen im Lehrerberuf. www.heinrichdauber.de
Döring-Seipel, Elke, Dr., Dipl.-Psych., wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie des Instituts für Psychologie an der Universität Kassel. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Emotionale Kompetenz und Emotionsregulation, Lehrergesundheit und Lehrerbelastung, psychosoziale Basiskompetenzen im Lehrerberuf.
Sauer, Sebastian, Dr., Dipl.-Psych., habilitiert an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema Achtsamkeit.
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Gesundheitsressourcen fördern Dirk Kutting Lehrer und Gesundheit 2009. 110 Seiten, kartoniert ISBN 978-3-525-70102-7
Wenn Lehrer krank werden, dann hat das oft wenig mit Grippeviren und umso mehr mit dem schulischen Umfeld zu tun. Dirk Kutting zeigt von Kopf bis Fuß, wie man ihnen gesund standhält. Lehrerinnen und Lehrer werden bestärkt, ihre körperliche Selbstwahrnehmung zu schärfen. Ziel ist es, den eigenen Körper im Unterricht bewusst zu erleben. Blick, Gang, Gehör und Stimme werden ebenso untersucht wie Herz, Hirn, Bauch und Lunge. Wichtige Informationen, die sich auf einzelne Körper- und Sinnesorgane beziehen, leiten zu einem besseren Umgang mit dem eigenen Ich in der Schule an. Belastungen werden nicht länger ertragen, sondern führen zu Verhaltensänderungen. Dazu gehört es, distanziert engagiert, selbstvergessen bei der Sache und manchmal auch »nur« ausreichend gut sein zu dürfen. »Ein humorvolles, heilsames, hervorragendes Buch, das mit Sicherheit vielen Lehrkräften aus der Seele sprechen wird! Es ist somit ein ideales Geschenk für die Praxis ...« Reiner A. Neuschäfer, Glaube + Heimat
Christina Krause/ Claude-Hélène Mayer Gesundheitsressourcen erkennen und fördern Training für pädagogische Fachkräfte 2012. 175 Seiten, mit 3 Abb. und 29 Arbeitsblättern, kartoniert ISBN 978-3-525-70137-9
Das Training hat sich vielfach zur gesundheitsförderlichen Bewältigung der Belastungen, denen pädagogische Fachkräfte ausgesetzt sind, bewährt und basiert auf dem salutogenetischen Ansatz von Aaron Antonovsky. Das Training beinhaltet konkrete Vorschläge und Übungen, die thematisch nach Lernzielen und -inhalten geordnet sind. Es kann als Selbstlernprogramm genutzt, in der Supervision und Beratung im sozialsowie schulpädagogischen Kontext angewendet und für Fortbildungen eingesetzt werden. Ausgewählte Teile des Trainingsprogramms können vom pädagogischen Fachpersonal auch auf die eigenen Zielgruppen in Kindergarten, Schule und Jugendarbeit übertragen werden. »... ist nicht nur Pädagogen sehr zu empfehlen, sondern jedermann mit vergleichbaren Problemen.« Gesundheit und Gesellschaft
© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403440 — ISBN E-Book: 9783647403441