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German Pages 497 [498] Year 2004
I Immanuel Kant Vorlesung zur Moralphilosophie
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Immanuel Kant Vorlesung zur Moralphilosophie Herausgegeben von
Werner Stark mit einer Einleitung von
Manfred Kühn
Walter de Gruyter · Berlin · New York
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Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017906-7 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
©Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: + malsy, kommunikation und gestaltung, Bremen Titelbild: Silhouette aus dem Album des Pfarrers Stein in Juditten. Anonym, 1788. Foto: akg-images Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co.KG, Göttingen
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Inhalt Einleitung (Manfred Kühn) . . . . . . . . . . . . . . . Immanuel Kant: Vorlesung über allgemeine praktische Philosophie und Ethik (Nachschrift Kaehler) . . . . . Einleitung (Prooemium) . . . . . . . . . . . . . . . [I: Philosophia practica universalis] . . . . . . . . . Cap. 1: Obligatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cap. 2: Obligantia . . . . . . . . . . . . . . . . . [II:] Ethica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prolegomena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tractatio. Pars I: Generalis . . . . . . . . . . . . . . . . Cap. 1: Religio . . . . . . . . . . . . . . . Cap. 2: Officia erga te ipsum . . . . . . . Cap. 3: Officia erga alia . . . . . . . . . . Pars II: Specialis . . . . . . . . . . . . . . . . Cap. 1: Respectu animae . . . . . . . . . Cap. 2: Respectu corporis . . . . . . . . . (Von der letzten Bestimmung des menschlichen Geschlechts) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachwort (Werner Stark) . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Querverweise des Textes . . . . . . . . . . . . . . 2. Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) . . . . . 3. Literatur und Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . 4. Spezialindex (Bibel / Kant) . . . . . . . . . . . . 5. Glossar und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . 6. Personen-Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 1 . 3 . 35 . 35 . 53 . 105 . 105 . . . . . . .
115 115 169 279 349 349 358
. . . . . . . . .
364 371 409 411 415 429 443 447 453
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Einleitung
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Einleitung von Manfred Kühn
I. Immanuel Kants Werke über ethische oder moralische Themen sind insgesamt relativ spät entstanden und erschienen. Die Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral von 1764 ist das erste Werk, das sich überhaupt mit spezifisch moralischen Problemen auseinandersetzt und in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten von 1785 beschäftigt sich Kant zum ersten Mal ausschließlich mit einem Thema der Ethik. Zum Teil erklärt sich dies vielleicht daraus, daß Kant die Professur für Logik und Metaphysik anstrebte und diese auch im Jahre 1770 erhielt. Hätte er die Professur für praktische Philosophie angestrebt und diese schließlich sogar erhalten, so hätte er sich mit Sicherheit nicht nur früher, sondern auch intensiver mit allen Problemen der Ethik befaßt. Aber dieser Umstand erklärt das beschriebene Phänomen nicht vollständig, denn es scheint, daß Kant stets auch an praktischen Fragestellungen und insbesondere auch solchen der Ethik interessiert gewesen ist. Wichtiger war vielleicht, daß die Ethik für Kant letztlich nur als ein Teil der Metaphysik relevant wurde. Es ist kein Zufall, daß das erste moralphilosophische Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und nicht etwa „Lehrbuch der praktischen Philosophie“ heißt. Sowohl in der Untersuchung von 1764 als auch in der Grundlegung geht es letztlich darum die „sichere Methode“, die „Grundwahrheiten“ oder das „fundamentale Prinzip“ der Moral festzustellen, wobei er in 1764 noch bemerkte, daß die ersten Grundwahrheiten der Moral im Gegensatz zu denen der Theo-
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logie „nach ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit noch nicht aller erforderlichen Evidenz fähig“ seien.1 Der Grund liege darin, daß man nicht wisse, „ob lediglich das Erkenntnißvermögen oder das Gefühl (der erste, innere Grund des Begehrungsvermögens) die erste Grundsätze dazu entscheide“.2 Auch in der Grundlegung ist Kant sich sicher, daß eine Diskussion der Belange der Moral ohne eine vorherige Klärung der Aufgaben und Grenzen der Metaphysik im allgemeinen und der Metaphysik der Sitten insbesondere problematisch wäre, auch wenn es ihm hier nun fraglos erscheint, daß es die reine Vernunft ist, die entscheidet. Die kritische Ethik, so wie sie in der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft entwickelt wird, ist primär Teil der Klärung der Aufgaben und Grenzen der Metaphysik und damit nur sekundär ein Beitrag zur Ethik per se. Ähnliches gilt auch von der späteren Metaphysik der Sitten und der früheren Inauguraldissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (Über die Form und die Prinzipien der sinnlichen und der intelligiblen Welt) von 1770. Auch Kants Briefe weisen darauf hin, daß er ein Werk über theoretische, ethische und ästhetische Gegenstände schreiben wollte.3 Doch selbst wenn Kant relativ regelmäßig auch Vorlesungen über ethische Themen hielt und an diesen großes Interesse gehabt zu haben scheint, sollte man den metaphysikkritischen Impetus seines Denkens nicht unterschätzen. Dies gilt mit gewissen Einschrän-
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II, 298 (Akademie Ausgabe von Kant’s gesammelten Schriften, Berlin 1900 ff.) Zitate aus der Nachschrift Kaehler werden durch Angabe der Originalseite nachgewiesen. II, 300. Siehe Manfred Kühn, „The Moral Dimension of Kant’s Inaugural Dissertation: A New Perspective on the ‚Great Light of 1769‘“, in Proceedings of the Eighth International Kant Congress Memphis 1995, vol. I, part 2, ed. Hoke Robinson (Milwaukee: Marquette University Press, 1995), pp. 373–92, und Clemens Schwaiger, Kategorische und andere Imperative. Zur Entwicklung von Kants praktischer Philosophie bis 1785 (Stuttgart-Bad Cannstatt 1999) [Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abtlg. II: Monographien, 14].
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kungen wahrscheinlich auch für die Vorlesungen der siebziger Jahre. Es gilt aber mit Sicherheit für die Vorlesung Kaehler, die hier vorgestellt wird. Viele der Theorien, die später Eingang in die Grundlegung und die Kritik der praktischen Vernunft fanden, wurden zuerst in diesen Vorlesungen konzipiert und sie prägen die Vorlesung Kaehler deutlich. Auch wenn Kant selbst derartigen Vorlesungsnachschriften skeptisch gegenüberstand, sind sie für ein besseres Verständnis von Kants Entwicklungsgeschichte und die Interpretation seiner späteren Werke unverzichtbar.4 Die hier vorgelegte Nachschrift geht auf Vorlesungen aus dem Winter-Semester 1773/74 oder allenfalls des Winters 1774/75 zurück.5 Dies gibt ihr ein noch größeres Gewicht. Sie zeigt, wie nahe Kant der kritischen Ethik in vieler Hinsicht schon war. Sie zeigt aber auch, daß einige der später von ihm als grundlegend angesehenen Ansichten, noch nicht entwickelt waren und deswegen relativ spät konzipiert worden sein müssen. Die Vorlesung gewährt darüber hinaus einen Einblick in Möglichkeiten, die bedauerlicherweise unrealisiert geblieben sind.
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So schreibt Kant am 20. Oktober 1778 an Marcus Herz: „Dieienige von meinen Zuhöreren die am meisten Fahigkeit besitzen alles wohl zu fassen sind gerade die so am wenigsten ausführlich u. dictatenmäßig nachschreiben sondern sich nur Hauptpunkte notiren welchen sie hernach nachdenken. Die so im Nachschreiben weitläuftig sind haben selten Urtheilskraft das wichtige vom unwichtigen zu unterscheiden und häufen eine Menge misverstandenes Zeug unter das was sie etwa richtig auffassen möchten. Uberdem habe ich mit meinen Auditoren fast gar keine Privatbekantschaft und es ist mir schweer auch nur die aufzufinden die hierinn etwas taugliches geleistet haben möchten. Empirische Psychologie fasse ich ietzo kürzer nachdem ich Anthropologie lese. Allein da von Jahr zu Jahr mein Vortrag einige Verbesserung oder auch Erweiterung erhält vornemlich in der systematischen und wenn ich sagen soll Architektonischen Form und Anordnung dessen was in den Umfang einer Wissenschaft gehöret so können die Zuhörer sich nicht so leicht damit einer dem andern nachschreibt helfen“ (AA X, 242). Dies betraf allerdings in der Hauptsache die Vorlesungsnachschriften der weitaus schwierigeren Metaphysikvorlesungen. Siehe unten das Nachwort von Werner Stark, S. 402 ff.
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Eine erschöpfende Diskussion dieser Möglichkeiten bedürfte einer gründlichen Untersuchung des Verhältnisses aller Vorlesungsnachschriften zur reifen Philosophie Kants, die leider noch aussteht und auch hier nicht geliefert werden kann. Selbst der Ansatz zu einer derartigen Untersuchung oder auch eine detaillierte Diskussion des Verhältnisses dieser hier neu vorgestellten Vorlesungsnachschrift zu Kants kritischer Ethik würde weit über das hinausgehen, was in der Einleitung zu einer dieser Vorlesungen gesagt werden kann. Man darf jedoch hoffen, daß die Veröffentlichung dieser Vorlesung einer derartigen Diskussion Impulse geben wird, die zu einem besseren Verständnis der kantischen Ethik führen kann. Ich möchte mich deshalb hier auf zwei relativ klar begrenzte Themen beschränken und zeigen, wie sich Kants Theorie in der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft von den Vorstellungen, wie sie in dieser Vorlesung dargestellt wurden, unterscheiden. Diese Themen betreffen das Verhältnis von Sinnlichkeit oder Gefühl und Vernunft auf der einen Seite und dem kategorischen Imperativ auf der anderen. Obwohl diese beiden Themen zunächst als ziemlich disparat erscheinen könnten, wird sich in der Diskussion zeigen, daß sie auf das engste miteinander verbunden sind und so letztlich unter einem Titel diskutiert werden sollten. Man könnte sagen, daß dieses Thema, nämlich das Verhältnis des Gefühls oder der Sinnlichkeit und der Vernunft, oder die Frage, „ob lediglich das Erkenntnißvermögen oder das Gefühl (der erste, innere Grund des Begehrungsvermögens) die erste Grundsätze dazu entscheide“, wie es noch 1764 hieß, das Hauptthema dieser Vorlesung ist, das alle anderen Themenbereiche beeinflußt.6 6
Die Formulierung der Untersuchung ist sicher anachronistisch, wenn man sie von der Vorlesung her zu verstehen sucht, denn hier geht es nicht mehr um „Erkenntisvermögen“, sondern um ein Prinzip „intellectuale internum“ (80). Außerdem geht es nicht um „erste Grundsätze“, sondern um das „oberste Princip“. Aber auch der Ausdruck „Vernunft“, der in der Grundlegung dominiert, ist strikt genommen anachronistisch, wenn man ihn auf die Position anwendet, die in der Vorlesung entwickelt wird.
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II. Fußnoten in philosophischen Werken sind nicht selten Symptome ungelöster oder nicht völlig bewältigter Probleme. Sie können auf Spannungen, Brüche und Dissonanzen verweisen, die ein Denker nicht aus dem Weg räumen oder zumindest nicht zu seiner vollkommenen Zufriedenheit auflösen konnte. Manchmal markieren sie sogar die Konfrontation inkompatibler Denkansätze, die in der Entwicklung des Autors wirksam waren und im Text gleichsam wie tektonische Platten aufeinanderprallen oder aneinander vorbei gleiten. Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Kritik der praktischen Vernunft liefern dafür ein gutes Beispiel. Besonders in der Grundlegung betreffen eine große Anzahl der Fußnoten ein fundamentales Problem von Kants Praktischer Philosophie, nämlich das Verhältnis von Vernunft und Gefühl in der Moral, das Kant von den ersten Anfängen seiner ethischen Überlegungen bis zu den letzten veröffentlichten Schriften beschäftigte. So räumt Kant, kurz nachdem er Pflicht als die Notwendigkeit einer Handlung „aus Achtung fürs Gesetz“ definiert hat, in der zweiten Fußnote dieses Werks ein, man könne ihn kritisieren und ihm vorwerfen, als suchte ich hinter dem Worte Achtung nur Zuflucht in einem dunkelen Gefühle, anstatt durch einen Begriff der Vernunft in der Frage deutliche Auskunft zu geben. Allein wenn Achtung gleich ein Gefühl ist, so ist es doch kein durch Einfluß empfangenes, sondern durch einen Vernunftbegriff selbstgewirktes Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch unterschieden. Was ich unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der Unterordnung meines Willens unter einem Gesetze ohne Vermittelung anderer Einflüsse auf meinen Sinn bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben heißt Achtung, so daß diese als Wirkung des Gesetzes aufs Subject und nicht als Ursache desselben angesehen wird. Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Werthe, der meiner Selbstliebe Abbruch thut. Also ist es etwas, was weder als Gegenstand der Neigung, noch der Furcht betrachtet wird, obgleich es mit beiden zugleich etwas Analogisches hat. Der Gegenstand der Achtung ist also lediglich das Gesetz und zwar dasjenige, das wir uns selbst und doch als an sich nothwendig auferle-
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gen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unsers Willens und hat in der ersten Rücksicht Analogie mit Furcht, in der zweiten mit Neigung. Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel giebt. Weil wir Erweiterung unserer Talente auch als Pflicht ansehen, so stellen wir uns an einer Person von Talenten auch gleichsam das Beispiel eines Gesetzes vor (ihr durch Übung hierin ähnlich zu werden), und das macht unsere Achtung aus. Alles moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs Gesetz.7
Ganz abgesehen davon, daß niemand vor Kant auch nur auf die Idee gekommen wäre, „Achtung“ als Bewußtsein der „unmittelbare[n] Bestimmung des Willens durchs Gesetz“ zu definieren und auch heute die übliche Bedeutung von „Achtung“ nahezu nichts mit Kants Definition zu tun hat, kaschiert die Fußnote ein weiteres Problem, wie nämlich ein oder auch „das“ Gesetz unmittelbar auf meinen Willen wirken kann. „Achtung“ ist zunächst einmal etwas, das man Personen schuldet.8 Und Kant weiß dies auch, denn er sagt: „Thue das, was dich zum Object der Achtung und Schätzung macht. Alle unsere Pflichten gegen uns selbst haben solche Beziehung, Achtung in unsern Augen und Beyfall in den Augen anderer“ (93) und: „Der Hauptpunkt ist dieser: die Menschheit in unser Person ist ein Gegenstand der höchsten Achtung und in uns unverletzlich“
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IV, 401 „Achtung, die; –; eine Achtung gebietende, auch achtunggebietende Persönlichkeit“, Der Duden, 22. Auflage. „Richtig heißt es Achtung vor jmdm. / vor etwas haben, also z. B. Sie hatte keine Achtung vor ihren Großeltern. Neben der Präposition vor war früher auch der Anschluss mit ‚für‘ durchaus üblich: Dazu habe ich viel zu viel Achtung für einen Offizier (Lessing).“ Aus: Richtiges und gutes Deutsch (c) Dudenverlag 1998. Dieter Henrich, „Ethik der Autonomie“, in Selbstverhältnisse (Stuttgart: Reclam, 1982), behauptet, daß Kant der erste war, der „Achtung“ in der heutigen Bedeutung gebraucht hat. Dies ist in zweifacher Bedeutung falsch: (i) Kants Gebrauch ist aus heutiger Sicht in mancher Hinsicht unüblich und (ii) Herder (1769) sowie Mendelssohn und Lessing benutzten dieses Wort schon in den siebziger Jahren in der heutigen Bedeutung.
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(283).9 Weiterhin kann man fragen, was im Zusammenhang der Grundlegung „Analogie mit Furcht“ und „Neigung“ bedeuten sollen. Kant liefert dort keine Sacherklärung, sondern eine sehr technische Definition, in der zwei Sachverhalte miteinander verbunden werden, die normalerweise nicht als so verbunden angesehen werden. Man könnte Kant also durchaus vorwerfen, hier eine „willkürliche Verbindung der Begriffe“ vorzunehmen (wie sie in der Mathematik üblich und angebracht ist), aber keineswegs von dem Begriff eines „gegebenen“ Dings auszugehen, wie es nach seiner eigenen früheren Untersuchung über die Deutlichkeit eigentlich notwendig wäre. Auf jeden Fall analysiert Kant an dieser Stelle nicht den tatsächlichen Begriff der Achtung, der vielleicht „verworren und nicht genugsam bestimmt“ sein mag, sondern verändert dessen Bedeutung für seine eigenen Absichten. Man vermißt die Analyse des Begriffs genauso wie die Vergleichung der „abgesonderte[n] Merkmale zusammen mit dem gegebenen Begriffe in allerlei Fällen“, die nach seiner eigenen Auffassung erforderlich wäre, um einen „abstracten Gedanken ausführlich und bestimmt“ zu machen. Die Idee wird gerade nicht „in allerlei Beziehungen betrachte[t], um Merkmale derselben durch Zergliederung zu entdecken, verschiedene abstrahirte Merkmale verknüpfen, ob sie einen zureichenden Begriff geben, und unter einander zusammenhalten, ob nicht zum Theil eins die andre in sich schließe“ (II, 276 f.). Kant sagt uns, was der Begriff „eigentlich“ bedeutet, was hier nicht viel mehr heißt als, wie er ihn in seinem System verwendet wissen möchte. In der vorliegenden Vorlesung ist dies noch nicht der Fall. Ähnliches kann in der fünften Fußnote der Grundlegung bemerkt werden, in der Kant einfach behauptet: 9
Siehe auch 324, 339, 340–345, 350, 420, 429, 431. Es findet sich auch der Begriff der Achtung von Gesetzen, etc. Er ist aber hier deutlich der sekundäre oder abgeleitete Begriff. Siehe u. a. 135, 141, 354, 356, und Kritik der praktischen Vernunft: „Achtung geht jederzeit nur auf Personen […].“ (V 76).
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Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein Bedürfniß. Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens aber von Principien der Vernunft heißt ein Interesse. Dieses findet also nur bei einem abhängigen Willen statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß ist; beim göttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken. Aber auch der menschliche Wille kann woran ein Interesse nehmen, ohne darum aus Interesse zu handeln. Das erste bedeutet das praktische Interesse an der Handlung, das zweite das pathologische Interesse am Gegenstande der Handlung. Das erste zeigt nur Abhängigkeit des Willens von Principien der Vernunft an sich selbst, das zweite von den Principien derselben zum Behuf der Neigung an, da nämlich die Vernunft nur die praktische Regel angiebt, wie dem Bedürfnisse der Neigung abgeholfen werde. Im ersten Falle interessirt mich die Handlung, im zweiten der Gegenstand der Handlung (so fern er mir angenehm ist). Wir haben im ersten Abschnitte gesehen: daß bei einer Handlung aus Pflicht nicht auf das Interesse am Gegenstande, sondern bloß an der Handlung selbst und ihrem Princip in der Vernunft (dem Gesetz) gesehen werden müsse.10
Auch hier werden „Neigung“ und „Interesse“ nicht analysiert, sondern durch eine mehr oder weniger willkürliche Verbindung von Begriffen definiert.11 Selbst wenn Kants philosophische Position sich seit der Untersuchung über die Deutlichkeit verändert hat und die Analyse der Begriffe für ihn nicht mehr die einzige oder die vorrangige Aufgabe der praktischen Philosophie ist,
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IV, 414 f.; siehe auch IV, 411 und IV, 426. Siehe auch IV, 463: „Interesse ist das, wodurch Vernunft praktisch, d.i. eine den Willen bestimmende Ursache, wird. Daher sagt man nur von einem vernünftigen Wesen, es woran ein Interesse nehme, vernunftlose Geschöpfe fühlen nur sinnliche Antriebe. Ein unmittelbares Interesse nimmt die Vernunft nur alsdann an der Handlung, wenn die Allgemeingültigkeit der Maxime derselben ein genugsamer Bestimmungsgrund des Willens ist. Ein solches Interesse ist allein rein. Wenn sie aber den Willen nur vermittelst eines anderen Objects des Begehrens, oder unter Voraussetzung eines besonderen Gefühls des Subjects bestimmen kann, so nimmt die Vernunft nur ein mittelbares Interesse an der Handlung, und da Vernunft für sich allein weder Objecte des Willens, noch ein besonderes ihm zu Grunde liegendes Gefühl ohne Erfahrung ausfindig machen kann, so würde das letztere Interesse nur empirisch und kein reines Vernunftinteresse sein. Das logische Interesse der Vernunft (ihre Einsichten zu befördern) ist niemals unmittelbar, sondern setzt Absichten ihres Gebrauchs voraus.“
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hätte man doch mehr analytische Anstrengung von ihm erwarten dürfen. Und auch wenn er den kategorischen Imperativ als einen synthetischen Satz versteht und sein Werk als eine Untersuchung der Bedingungen a priori der Moral ansieht, darf man fragen, ob und inwieweit Kant berechtigt ist, „mit dem Willen ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgend einer Neigung die That a priori, mithin nothwendig (obgleich nur objectiv, d.i. unter der Idee einer Vernunft, die über alle subjective Bewegursachen völlige Gewalt hätte)“ zu verknüpfen, wie er es in einer weiteren Fußnote auf Seite 420 tut. Es mag sein, daß dies „ein praktischer Satz“ ist, „der das Wollen einer Handlung nicht aus einem anderen, schon vorausgesetzten analytisch ableitet (denn wir haben keinen so vollkommenen Willen), sondern mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens unmittelbar als etwas, das in ihm nicht enthalten ist, verknüpft“12, aber dies beantwortet nicht die Frage, inwieweit diese Verknüpfung legitim ist, d. h. durch die Analyse der Moralität gerechtfertigt ist. Was in diesen Passagen klar wird, ist, daß Kant der Sinnlichkeit als solcher oder dem Gefühl als solchem in der Grundlegung keinerlei Rolle oder Platz in der Moral einräumen möchte und daß die Begriffe „Achtung“, „Neigung“ und „Interesse“ von allem empirischen (und nur gefühlsmäßigen) Inhalt befreit werden sollen. Dies mag im Zusammenhang des Projekts einer rein formalen Ethik, die mit bloßer Psychologie oder Anthropologie nichts gemein haben soll, nur als sinnvoll erscheinen. Und dieses Projekt scheint ihm zumindest seit 1770 vorzuschweben, denn in einem Brief an Johann Heinrich Lambert vom 2. September 1770 schreibt er, er hoffe: „diesen Winter [s]eine Untersuchungen über die reine moralische Weltweisheit, in der keine empirische principien anzutreffen sind u. gleichsam die Metaphysic der Sitten, in Ordnung zu bringen u. auszufertigen, Sie wird in vielen Stücken den wichtigsten Absichten bey der veränderten Form der Metaphysick den Weg bähnen, und scheinet mir überdem bey denen zur Zeit noch so schlecht entschiedenen 12
IV, 420.
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principien der practischen Wissenschaften eben so nöthig zu seyn.“13 Dieses Projekt mußte allerdings auf die Fertigstellung der Kritik der reinen Vernunft warten und die Prinzipien dürften sehr viel weniger substantiell ausgefallen sein, als Kant sie sich noch 1770 vorstellte.14
III. Die zentrale Frage des Projekts einer von allem empirischen (und nur gefühlsmäßigen) Inhalt befreiten Grundlegung zur Metaphysik der Sitten lautet 1785: ob nicht die Natur der Wissenschaft es erfordere, den empirischen von dem rationalen Theil jederzeit sorgfältig abzusondern und vor der eigentlichen (empirischen) Physik eine Metaphysik der Natur, vor der praktischen Anthropologie aber eine Metaphysik der Sitten voranzuschicken, die von allem Empirischen sorgfältig gesäubert sein müßten, um zu wissen, wie viel reine Vernunft in beiden Fällen leisten könne, und aus welchen Quellen sie selbst diese ihre Belehrung a priori schöpfe?15
Oder genauer, Kant fragt: ob man nicht meine, daß es von der äußersten Nothwendigkeit sei, einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, die von allem, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört, völlig gesäubert wäre; denn daß es eine solche geben müsse, leuchtet von selbst aus der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze ein. Jedermann muß eingestehen, daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d.i. als Grund einer Verbindlichkeit, gelten soll, absolute Nothwendigkeit bei sich führen müsse; […] daß mithin der Grund der Verbindlichkeit hier nicht in der Natur des Menschen, oder den Umständen in der Welt, darin er gesetzt ist, gesucht werden müsse, sondern a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft.
Seine Bearbeitung dieser vom Empirischen völlig gesäuberten Moralphilosophie hängt wesentlich von seiner scharfen Unter-
13 14 15
X, 97. Siehe Kühn, „The Moral Dimension of Kant’s Inaugural Dissertation“. IV, 388–89.
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scheidung zwischen pflichtmäßigen Handlungen und Handlungen aus Pflicht ab. Nur Handlungen aus Pflicht haben einen moralischen Wert. Handlungen, die bloß pflichtgemäß sind, haben keinen eigentlichen moralischen Wert, auch wenn sie in anderer Hinsicht durchaus verdienstlich sein können. Kant führt schließlich den kategorischen Imperativ ein, um zu zeigen, welche Handlungen moralischen Wert besitzen und welche nicht. Das Kriterium für Handlungen aus Pflicht ist der kategorische Imperativ oder das Prinzip, daß wir so handeln sollen, daß die Regel unseres Handelns von allen vernünftigen Wesen als Gesetz angenommen werden kann. Nur wenn wir uns sicher sein können, daß jedes rationale Wesen auch so handeln könnte wie wir, dürfen wir sicher sein, daß wir den Einfluß von Neigungen und das Streben nach Glückseligkeit vollkommen ausgeschaltet haben: „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“.16 Nur rein rationale Handlungen können darum moralischen Wert besitzen. Doch wie kommt Kant zu dieser radikalen Position? Zunächst einige Selbstverständlichkeiten zur Erinnerung. In diesem Imperativ sind drei für Kants nicht empirische Ethik wichtige Begriffe enthalten, nämlich der einer Maxime, der des Gesetzes und der des Wollens oder des Willens, die hier in eine interessante Verbindung gebracht werden. Als Maxime bezeichnet er bekanntlich „das subjective Princip des Wollens“, wohingegen er „das objective Princip (d.i. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjectiv zum praktischen Princip dienen würde, wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte)“ als „das praktische Gesetz“ bezeichnet.17 Und der Wille schließlich ist von Interesse, weil die Moral davon ausgehen muß, daß „nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung 16 17
IV, 421. IV, 400.
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für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille“.18 Handlungen also, die auf einer Maxime der Pflicht beruhen, haben einen moralischen Wert und verdienen darum unser Lob. Wenn jemand z. B. „den Tod wünscht und sein Leben doch erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus Pflicht: alsdann hat seine Maxime einen moralischen Gehalt.“ Wenn er hingegen jemandem hilft, weil es ihm Spaß macht, dann fehlt der Maxime „der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht zu thun.“ Da nun Kant Handlungen aus Pflicht auch als rationale Handlungen ansieht, glaubt er außerdem, daß es der kategorische Imperativ ist, „welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objectivnothwendig vorstellte“.19 In der reinen Moral ist darum nicht nur der reine Wille von größter Wichtigkeit, sondern auch die Begriffe der Achtung und des Interesses. Die reine Moralphilosophie besteht dementsprechend in der Analyse und Entwicklung dieser Begriffe. Wenn nun die Definitionen von Begriffen wie „Achtung“, „Neigung“ und „Interesse“ wirklich rein willkürlich wären, dann könnte man durchaus argumentieren, daß es Kant letztlich nicht gelungen ist, eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, die von allem völlig gesäubert wäre, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört. Kant war sich dieses Problems durchaus bewußt. So heißt es in einer Fußnote zur Kritik der praktischen Vernunft: Man könnte mir noch den Einwurf machen, warum ich nicht auch den Begriff des Begehrungsvermögens, oder des Gefühls der Lust vorher erklärt habe; obgleich dieser Vorwurf unbillig sein würde, weil man diese Erklärung, als in der Psychologie gegeben, billig sollte voraussetzen können. Es könnte aber freilich die Definition daselbst so eingerichtet sein, daß das Gefühl der Lust der Bestimmung des Begehrungsvermögens zum Grunde gelegt würde
18 19
IV, 393. IV, 414.
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(wie es auch wirklich gemeinhin so zu geschehen pflegt), dadurch aber das oberste Princip der praktischen Philosophie nothwendig empirisch ausfallen müßte […].20
Und das wäre fatal. Der empirische Charakter, dessen Prinzip wäre „allererst auszumachen.“ Und Kant glaubt, diese Ansicht „in dieser Kritik gänzlich widerlegt“ zu haben. Er will daher die Erklärung hier so geben, wie sie sein muß, um diesen streitigen Punkt wie billig im Anfange unentschieden zu lassen. – Leben ist das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln. Das Begehrungsvermögen ist das Vermögen desselben, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein. Lust ist die Vorstellung der Übereinstimmung des Gegenstandes oder der Handlung mit den subjectiven Bedingungen des Lebens, d.i. mit dem Vermögen der Causalität einer Vorstellung in Ansehung der Wirklichkeit ihres Objects (oder der Bestimmung der Kräfte des Subjects zur Handlung es hervorzubringen).
Mehr brauche er nicht „zum Behuf der Kritik von Begriffen, die aus der Psychologie entlehnt werden,“ denn „das übrige leistet die Kritik selbst“: Man wird leicht gewahr, daß die Frage, ob die Lust dem Begehrungsvermögen jederzeit zum Grunde gelegt werden müsse, oder ob sie auch unter gewissen Bedingungen nur auf die Bestimmung desselben folge, durch diese Erklärung unentschieden bleibt; denn sie ist aus lauter Merkmalen des reinen Verstandes, d.i. Kategorien, zusammengesetzt, die nichts Empirisches enthalten. Eine solche Behutsamkeit ist in der ganzen Philosophie sehr empfehlungswürdig und wird dennoch oft verabsäumt, nämlich seinen Urtheilen vor der vollständigen Zergliederung des Begriffs, die oft nur sehr spät erreicht wird, durch gewagte Definition nicht vorzugreifen. Man wird auch durch den ganzen Lauf der Kritik (der theoretischen sowohl als praktischen Vernunft) bemerken, daß sich in demselben mannigfaltige Veranlassung vorfinde, manche Mängel im alten dogmatischen Gange der Philosophie zu ergänzen und Fehler abzuändern, die nicht eher bemerkt werden, als wenn man von Begriffen einen Gebrauch der Vernunft macht, der aufs Ganze derselben geht.21 20
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In der Grundlegung hieß dies: „Man könnte mir vorwerfen, als suchte ich hinter dem Worte Achtung nur Zuflucht in einem dunkelen Gefühle […]“. Hier heißt es: „Man könnte mir noch den Einwurf machen, warum ich nicht auch den Begriff des Begehrungsvermögens, oder des Gefühls der Lust vorher erklärt habe […]“. V, 9.
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Ist dies aber wirklich eine zufriedenstellende Analyse der Begriffe und ihrer Verhältnisse zueinander? Wohl kaum. Selbst wenn es falsch sein sollte, daß die Lust, „dem Begehrungsvermögen immer zum Grunde gelegt werden müsse“ und sie manchmal (oder auch immer) eine Folge unserer willentlichen Entscheidungen ist, so heißt dies doch nicht, daß man den Begriff des einen unabhängig von dem Begriff des anderen definieren kann oder daß man a priori ausschließen kann, daß eine jede Definition der beiden empirisch ausfallen müsse. Aus der Möglichkeit, die beiden Begriffe nur auf der Basis von Kategorien definieren zu können, folgt keineswegs die Angemessenheit einer solchen Definition. In der Tat, der Mangel an Behutsamkeit und Gewagtheit, den Kant seinen empirischen Kritikern vorwirft, scheint eher ein Resultat seiner Definitionen als ein Fehler seiner Kontrahenten zu sein. Und dies wirft zumindest die Frage auf, inwieweit ihm die Durchführung des eigenen Projekts einer Moral, die von allem, was bloß empirisch ist, gesäubert wäre, wirklich gelungen ist. Wie vielfach geschehen, könnte man durchaus argumentieren, daß ihm dies nicht gelungen sei. Einer der frühesten und besten Kritiker von Kants rein formaler Ethik war Christan Garve, der 1792 in einem Buch über „verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Leben“ genau auf dieses Problem einging. Ein zentraler Punkt seiner Kritik besteht nämlich in der Beobachtung, daß Kants „feine Unterscheidungen der Ideen“ in Hinsicht auf die Moral und insbesonders auf die Frage nach dem Verhältnis von Glückseligkeit und Pflicht „sich schon im Nachdenken auf partikuläre Gegenstände“ verdunkeln, sich aber voll und ganz verlieren, „wenn es aufs Handeln ankommt.“22 Zwei seiner Punkte verdienen in diesem Zusammen22
Christian Garve, Versuche über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Litteratur und dem gesellschaftlichen Lebens I. Teil (Breslau, 1792), S. 111–116. Ich zitiere nach dem Nachdruck in Kant – Gentz – Rehberg. Über Theorie und Praxis. Mit einer Einleitung von Dieter Henrich (Frankfurt//M. 1967), S. 134–138, 135.
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hang besonders hervorgehoben zu werden. Nach Garve wollte Kant (i), „daß die Beobachtung des moralischen Gesetzes, ganz ohne Rücksicht auf Glückseligkeit, der einzige Endzweck für den Menschen sei, daß sie als der einzige Endzweck des Schöpfers angesehen werde.“23 Dies ist aber nach ihm unmöglich. Niemand kann oder darf seine Glückseligkeit aus den Augen verlieren. Kants Theorie beruhe (ii) auf einer Unterscheidung zwischen dem Motiv, glücklich zu werden, und dem Motiv, der Glückseligkeit würdig zu werden, sowie auf der Behauptung, daß nur das zweite Motiv wahrhaft tugendhaft ist. Garve findet: „Ich für mein Theil gestehe, daß ich diese Theilung der Ideen in meinem Kopfe sehr wohl begreife, daß ich aber diese Theilung der Wünsche und Bestrebungen in meinem Herzen nicht finde; daß es mir sogar unbegreiflich ist, wie irgend ein Mensch sich bewußt werden kann, sein Verlangen nach Glückseligkeit selbst rein abgesondert und also die Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben.“24 Da die Begriffe von „Glückseligkeit“ und „Lust“ auch für Kant eng miteinander verbunden sind, betreffen Garves Ausführungen auch das Verhältnis von Begehrungsvermögen und Lust. Und da Kant versucht hat, diese Kritik zu entkräften, ist seine Antwort auf Garve auch hier relevant. 23
24
Garve, Kant-Gentz-Rehberg, S. 134. Siehe auch August Wilhelm Rehberg: „Es muß also jener Uebergang durch etwas mit dem Sinnlichen gleichartiges geschehen, wodurch die reine Vernunft der Zeitbestimmung unterworfen wird, ohne sinnlich zu werden. Dieses ist das moralische Gefühl, die Achtung gegen das Gesetz. Aber ist diese Achtung keine Empfindung? Kant windet und drehet sich im 3ten Hauptstücke der Analytik auf die mannichfaltigste Art, um zu beweisen, daß sie kein sinnliches Gefühl sey. Aber hier ist er ganz unbefriedigend. […] Der Gedanke, das Gesetz selbst, nicht aber das Vergnügen am Gesetze, die Triebfeder der Sittlichkeit seyn müsse, ist selbst Schwärmerey. Denn was ist es anders als Schwärmerey? (die in der Erdichtung übersinnlicher Gegenstände besteht,) wenn Achtung fürs Gesetz ein Gefühl und doch keine sinnliche Empfindung seyn soll?“ (Rezension der Kritik der praktischen Vernunft. In: Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 188 a und b vom 6. August. 1788, Sp. 345–360; hier 353ff. Zitiert nach Eberhard Günter Schulz: Rehbergs Opposition gegen Kants Ethik. Köln 1975.) Garve, Kant-Gentz-Rehberg, S. 134 f. Siehe auch VIII, 284.
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Kants Antwort auf die erste Frage ist einfach und überzeugend. Er zeigt, daß Garve ihn mißverstanden hat, und daß er nie gesagt hat, man solle oder könne die Glückseligkeit aus den Augen verlieren, oder das Streben nach Glückseligkeit als unwichtig abtun. Schon in der Grundlegung sagte er eindeutig: „seine eigene Glückseligkeit sichern, ist Pflicht (wenigstens indirekt)“ (IV, 399). Ihm war nicht ein asketischer Lebensstil wichtig, sondern eine Begründung der Metaphysik der Sitten in einem vollkommen rationalen Prinzip der Moral.25 Er abstrahiert also vom Zweck der Glückseligkeit, das heißt aber nicht, daß dieser Zweck unwichtig ist. Zu Garves zweiter Kritik äußert Kant das folgende: […] ich räume gern ein, daß kein Mensch sich mit Gewißheit bewußt werden könne, seine Pflicht ganz uneigennützig ausgeübt zu haben: denn das gehört zur inneren Erfahrung, und es würde zu diesem Bewußtsein seines Seelenzustandes eine durchgängig klare Vorstellung aller sich dem Pflichtbegriffe durch Einbildungskraft, Gewohnheit und Neigung beigesellenden Nebenvorstellungen und Rücksichten gehören, die in keinem Falle gefordert werden kann; auch überhaupt kann das Nichtsein von Etwas (mithin auch nicht von einem ingeheim gedachten Vortheil) kein Gegenstand der Erfahrung sein. Daß aber der Mensch seine Pflicht ganz uneigennützig ausüben solle und sein Verlangen nach Glückseligkeit völlig vom Pflichtbegriffe absondern müsse, um ihn ganz rein zu haben: dessen ist er sich mit der größten Klarheit bewußt; oder, glaubte er nicht es zu sein, so kann von ihm gefordert werden, daß er es sei, so weit es in seinem Vermögen ist: weil eben in dieser Reinigkeit der wahre Werth der Moralität anzutreffen ist, und er muß es also auch können. Vielleicht mag nie ein Mensch seine erkannte und von ihm auch verehrte Pflicht ganz uneigennützig (ohne Beimischung anderer Triebfedern) ausgeübt haben; vielleicht wird auch nie einer bei der größten Bestrebung so weit gelangen. Aber so viel er bei der sorgfältigsten Selbstprüfung in sich wahrnehmen kann, nicht allein keiner solchen mitwirkenden Motive, sondern vielmehr der Selbstverläugnung in Ansehung vieler der
25
Wenn Kant von Pflicht spricht, denkt er an nichts anderes als die „Einschränkung des Willens auf die Bedingung einer allgemeinen, durch eine angenommene Maxime möglichen Gesetzgebung, der Gegenstand desselben oder der Zweck mag sein, welcher er wolle (mithin auch die Glückseligkeit); von welchem aber und auch von jedem Zweck, den man haben mag, hiebei ganz abstrahirt wird“ (IV, 280).
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Idee der Pflicht entgegenstehenden, mithin der Maxime zu jener Reinigkeit hinzustreben sich bewußt zu werden: das vermag er; und das ist auch für seine Pflichtbeobachtung genug. (VIII, 284 f.)
Auch diese Antwort stimmt vollkommen mit Kants Aussagen in der Grundlegung und der zweiten Kritik überein. So sagt er z. B. in der Grundlegung, daß eine Maxime oder Handlung nur dann einen „moralischen Gehalt“ hat, wenn sie aus reiner Pflicht und nicht aus Furcht und Neigung entsteht (IV, 397 f.). Gleichzeitig behauptet er dort, daß es „in der That […] schlechterdings unmöglich [ist], durch Erfahrung einen einzigen Fall mit völliger Gewißheit auszumachen, da die Maxime einer sonst pflichtmäßigen Handlung lediglich auf moralischen Gründen und auf der Vorstellung seiner Pflicht beruht habe.“26 Die Klage, „daß man von der Gesinnung, aus reiner Pflicht zu handeln, so gar keine sichere Beispiele anführen könne, daß, wenn gleich manches dem, was Pflicht gebietet, gemäß geschehen mag, dennoch es immer noch zweifelhaft sei, ob es eigentlich aus Pflicht geschehe,“ ist eine gerechte Klage.27 Das heißt aber, daß wir im Prinzip nie wissen können, ob wir wirklich tugendhaft, d. h. vollkommen uneigennützig, gehandelt haben. Und dies ist genau der Punkt der Kritik Garves. Sollen impliziert Können; und wie kann ich versuchen, etwas zu tun, von
26
27
Er fährt fort: „Denn es ist zwar bisweilen der Fall, daß wir bei der schärfsten Selbstprüfung gar nichts antreffen, was außer dem moralischen Grunde der Pflicht mächtig genug hätte sein können, uns zu dieser oder jener guten Handlung und so großer Aufopferung zu bewegen; es kann aber daraus gar nicht mit Sicherheit geschlossen werden, daß wirklich gar kein geheimer Antrieb der Selbstliebe unter der bloßen Vorspiegelung jener Idee die eigentliche bestimmende Ursache des Willens gewesen sei, dafür wir denn gerne uns mit einem uns fälschlich angemaßten edlern Bewegungsgrunde schmeicheln, in der That aber selbst durch die angestrengteste Prüfung hinter die geheimen Triebfedern niemals völlig kommen können, weil, wenn vom moralischen Werthe die Rede ist, es nicht auf die Handlungen ankommt, die man sieht, sondern auf jene innere Principien derselben, die man nicht sieht.“ (IV, 407). IV, 406.
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dem ich von vornherein sagen kann, daß ich nie wissen werde, ob ich es getan habe? Man könnte natürlich versuchen, dieser Kritik durch einen Hinweis auf empirische oder soziologische Befunde zu entkräften, die zeigen, daß derart irrationale Handlungen durchaus im Bereich des menschlich Möglichen liegen. Aber gerade dieser Weg steht Kant nicht offen, denn es geht bei ihm um rationale Praxis. In Analogie zum Problem des praktischen Syllogismus, nach der ein rational Handelnder, der einen bestimmten Zweck will, auch die Mittel zu diesem Zweck wollen muß, kann man hier argumentieren, daß ein rational Handelnder einen bestimmten Zweck nicht wollen kann, wenn es prinzipiell unmöglich ist, die Mittel, die dazu notwendig wären, anzuwenden oder auch nur zu bekommen.28 Es ist eben genauso wenig rational, durch bloßes „Denken“, einen Löffel verbiegen zu wollen, wie durch „Wollen“ einen Zustand anzustreben, von dem man prinzipiell nie sagen kann, ob man ihn erreicht hat (oder ob man ihm überhaupt näher gekommen ist). Romantiker mögen „die blaue Blume“ suchen, aber diese Suche ist gerade nicht mit unserer „Alltagsrationalität“ zu vereinbaren, was meines Erachtens zeigt, daß auch der romantisierte Idealismus für Kant keine Alternative darstellen kann.29 Ein anderer Ausweg wäre vielleicht zu sagen, daß, auch wenn wir selbst nie genau wissen können, ob wir moralisch gehandelt haben, es ein anderes Wesen geben könne, das dies erkennt, weil es allwissend oder Gott ist, und daß wir unsere Hoffnung auf dieses Wesen setzen könnten, weil es gütig und gerecht ist, und uns so in unserer Unwis28
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Zum Problem des praktischen Syllogismus (und relevante Sekundärliteratur) siehe Konstantin Polloks hilfreiche Abhandlung „Normative Rationalität als Bestimmung des Menschen. Über die gemeinsame Wurzel der Kantischen Imperative“, in Kant-Studien (im Druck). Was natürlich nicht heißt, daß historisch gesehen Kants Idealismus dem Romantizismus nicht zumindest Pate gestanden hat. Es geht hier jedoch nicht um bloße historische Zusammenhänge, sondern darum, ob Kants Lösungsversuch einer „vom Empirischen völlig gesäuberten“ Ethik philosophisch überzeugen kann.
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senheit beisteht. Dies wäre die (mehr oder weniger) christliche Lösung des Kantischen Problems. Dies ist natürlich in gewisser Weise auch der kantische Ausweg in der Kritik der praktischen Vernunft – aber eben nur „in gewisser Weise“, nämlich in einer solchen, die man als eher halbherzig bezeichnen könnte.30
IV. Was die hier publizierte Vorlesung in diesem Zusammenhang besonders interessant macht, ist die Umgehung genau dieses Problems. Vergleicht man Kants reife Position mit derjenigen der Vorlesungsnachschrift, so bemerkt man, daß sich die Probleme, die wir gerade identifiziert haben, hier entweder überhaupt nicht oder doch in einer wesentlich anderen Form stellen. Die Gründe dafür liegen darin, daß in der Vorlesung weder der Begriff der Achtung noch die damit verbundenen Probleme der moralischen Motivation eine Rolle spielen, und daß es auch das damit verbundene Lehrstück vom kategorischen Imperativ noch nicht gibt, auch wenn man schon dessen Vorläufer identifizieren kann.31 Kants Position hinsichtlich des Verhältnisses von Gefühl und Intellekt ist in der Vorlesung gemäßigter und (vielleicht gerade darum auch) vernünftiger. 30
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Einen besseren Lösungsversuch oder vielleicht eine bessere Formulierung des Lösungsversuchs, den Kant in diesem Zusammenhang versuchte, findet man in der Metaphysik der Sitten. Kant spricht dort davon, daß ein „Pflichtgesetz, nicht für die Handlungen, sondern blos für die Maximen der Handlungen“ gegeben sein kann (VI, 410). Aber auch diese Formulierung scheint mir letztlich zu scheitern. Vgl. zu einer weiteren Auswegstrategie mit Blick auf Kants 1794 erschienenen und wenig beachteten Aufsatz Das Ende aller Dinge Konstantin Pollok, „Kant und Habermas über das principium executionis moralischer Handlungen“. In: Moralische Motivation. Kants Ethik in der Diskussion. Hg. v. Heiner F. Klemme, Manfred Kühn und Dieter Schönekker, Hamburg: Felix Meiner-Verlag (in Vorbereitung). Über Kants Begriff der Achtung siehe auch S. 339 ff., wo er von der „Neigung der Achtung“ spricht und sagt, daß die Achtung „auf den inneren Wert des Menschen“ zielt.
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Dies hat vor allem mit seiner Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Prinzipien der Moral zu tun, von denen das eine dem anderen als dem obersten Prinzip untergeordnet wird. Denn Kant meint hier nicht den kategorischen Imperativ, sondern er unterscheidet zwischen dem „Principium der Diiudikation der Verbindlichkeit“ und dem „Principium der Execution oder Leistung der Verbindlichkeit“. Er spricht von „Richtschnur und Triebfeder“, wobei die Richtschnur das Principium der Diiudikation und die Triebfeder das Prinzip der Ausübung ist; und er argumentiert, daß in der Moral alles falsch sei, weil man diese beiden immer wieder miteinander verwechselt habe: Wenn die Frage ist, was ist sittlich gut oder nicht, so ist das das Principium der Diiudication, nach welchem ich die Bonitaet oder Pravitaet der Handlung beurtheile. Wenn aber die Frage ist, was bewegt mich, diesen Gesetzen gemäß zu leben, so ist das das principium der Triebfeder. Die Billigung der Handlung ist der objektive Grund, aber noch nicht der subjektive Grund. Dasjenige was mich antreibt, das zu thun, wovon der Verstand sagt, ich soll es thun, das sind die motiva subjective moventia (70).32
Nun liegt nach dem Kant der Vorlesung das principium diiudicationis im Verstand, wohingegen das principium executionis oder das, was er die motiva subjectiva moventia nennt, im Herzen, im Gefühl oder im moralischen Sinn liegt. Kant insistiert genau wie in 1785 darauf, daß nur das principium diiudicationis eine Norm des Handelns liefert. Es ist objektiv und nicht subjektiv oder pathologisch (71), da es weder auf einer physischen Neigung noch auf einem moralischen Gefühl beruht (72). Es ist ein moralisches Gesetz, das kategorisch befiehlt und schon aus diesem Grund ein intellektuelles Prinzip sein muß. Doch mehr noch: es muß ein rein intellektuelles Prinzip sein, ein Prinzip der reinen Vernunft, da es von keinen Neigungen abhängen darf. Dies könnte vielleicht an Wolff und Cumberland erinnern, ist aber – zumindest nach Kant – nicht dasselbe, da deren Prinzipien für ihn genauso tautologisch sind wie das Prinzip des Aristoteles (74–75), wohingegen er das von 32
Siehe auch S. 55 f., Fußnote 35.
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ihm identifizierte moralische Gesetz als nicht tautologisch verstanden sehen will. Weiterhin sagt er, es wäre falsch, es als ein theologisches Prinzip zu verstehen, da ein solches Verständnis es zu einem externen und nicht zu einem internen Prinzip machen würde (75–76). Er behauptet, das moralische Gesetz sei nicht gut, weil Gott es gewollt habe, sondern Gott habe es gewollt, weil es gut ist. Und weil es unabhängig vom göttlichen Willen ist, kann es letztlich keinen theologischen Sachverhalt darstellen. Das moralische Gesetz besteht in einer Regel. In der Tat: „Alle Moralitaet ist das Verhältniß der Handlung zur allgemeinen Regel. In allen unsern Handlungen ist das, was man moralisch nennt, regelmässig“. Das ist das wesentliche „Stük der Moralitaet, daß unsre Handlungen aus dem BewegungsGrunde der allgemeinen Regel geschehen. Wenn ich das zum Grunde lege, daß meine Handlungen müssen zusammenstimmen mit der allgemeinen Regel, die zu jederzeit und für jedermann gillt, so ist sie entsprungen aus dem moralischen principio“ (80–81). Wenn wir eine bestimmte Intention mit einer Handlung verfolgen, müssen wir uns fragen, ob diese Intention zu einer allgemeinen Regel gemacht werden kann. Ist dies möglich, dann ist die Handlung moralisch, ist dies unmöglich, dann ist sie unmoralisch. Es ist sicher kein Zufall, daß diese Beschreibung des moralischen Gesetzes und seiner Bestimmung sich kaum von der Beschreibung des kategorischen Imperativs in der Grundlegung unterscheidet. Sogar der Begriff der Maxime als der einer „subjektiven“ Regel oder eines subjektiven Gesetzes findet sich schon hier, wenngleich Kant die Maxime hier noch weiter als ein Gesetz bestimmt, „nach dem man würklich handelt“, und das „verborgen“ werden muss, weil es (meistens?) unmoralisch ist (82). Aber – und dies ist von nicht zu überschätzender Wichtigkeit – es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen dem kategorischen Imperativ, so wie er in der Grundlegung bestimmt wird, und dem obersten Prinzip der Moralität, von dem er hier spricht. Denn in der Vorlesung geht es nur um das objective Prinzip der Handlung. Dem principium diiudica-
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tionis geht es nicht um das, was uns zu dieser Handlung motiviert. Es geht nicht um die Triebfeder der Handlung.33 Denn, von dem objectiven principio der Handlung ist eben jetzt geredet; das subjective principium, die Triebfeder der Handlung ist das moralische Gefühl. Nun kommen wir wieder auf das Gefühl, welches wir vorher in einem andern Verstande verworfen haben. Das moralische Gefühl ist eine Fähigkeit durch ein moralisches Urtheil afficirt zu werden. Wenn ich durch den Verstand urtheile, daß die Handlung sittlich gut ist, so fehlt noch sehr viel, daß ich diese Handlung thue, von der ich so geurtheilt habe. Bewegt mich aber dieses Urtheil, die Handlung zu thun, so ist das das moralische Gefühl. Das kann und wird auch keiner einsehen, daß der Verstand sollte eine bewegende Krafft zu urtheilen haben. Urtheilen kann der Verstand freylich, aber diesem VerstandesUrtheil eine Krafft zu geben, und daß es eine Triebfeder werde den Willen zu bewegen, die Handlung auszuüben, das ist der Stein der Weisen (85).34
Kant behauptet, wir benötigen beides: ein objektives Prinzip zur Beurteilung der Handlung und ein subjektives Prinzip zur Ausführung der Handlung (86–87). Das heißt aber auch, daß das Studium der Moral auch die Anthropologie benötigt, denn „diese beyden Wissenschaften hangen sehr zusammen und die Moral kann ohne die Antropologie nicht bestehen; denn man muß das Subject erst kennen, ob es auch im Stande ist das zu leisten, was man von ihm fordert das es thun soll. Man kann zwar die practische Philosophie wohl erwägen auch ohne die Antropologie oder ohne die Kenntniß des Subjects; allein dann ist sie nur speculativ und eine Idee, so muß doch wenigstens der Mensch hernach studirt werden“ (6).35 Kant bestreitet hier also genau das, was in der Grundlegung zur leitenden Idee wird. Denn dort wird die Anthropologie ir33 34 35
Siehe auch S. 64 f., Fußnote 44. Vgl. S. 69, Fußnote 47. Man kann also das Projekt einer von allen empirischen Prinzipien gesäuberten Metaphysik der Sitten betreiben, aber dieses Projekt liefert noch nicht die Anwendung der Prinzipien. Kant wird auch später von der Anwendung der Prinzipien der reinen praktischen Vernunft reden und dabei die Anthropologie nennen, aber in seinen kritischen Werken leistet die reine Theorie mehr und ist unabhängig von der Anthropologie.
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relevant, da es gerade das moralische Gesetz selbst sein soll, das den Willen zur Handlung bestimmen soll, denn das „Wesentliche alles sittlichen Werths der Handlungen kommt darauf an, daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme.“36 Was er in diesen Vorlesungen vorträgt, wird von ihm später „eine vermischte Sittenlehre, die aus Triebfedern von Gefühlen und Neigungen und zugleich aus Vernunftbegriffen zusammengesetzt ist“ genannt und als unter der Würde der Moral zurückgewiesen.37 Man könnte sagen, daß der Vorlesungs-Kant einen ähnlichen Unterschied einführt wie John Stuart Mill, der in seinem Werk über den Utilitarismus zwischen der Beurteilung der Regel einer Handlung und der Beurteilung der Motive des Handelnden unterscheidet. Ähnlich wie Mill sagt auch er, daß die Regel, die die Handlung charakterisiert, maßgeblich für die moralische Beurteilung ist, wohingegen die Motive von zweitrangiger Bedeutung sind und nur dann ins Spiel kommen, wenn ich den Charakter des Handelnden beurteilen will. Der kategorische Imperativ hat im Vergleich mit der Position der Vorlesung zugleich den Status des principium diiudicationis und den Status des principium executionis. Man könnte also sagen, daß der kategorische Imperativ, so wie er in der Grundlegung eingeführt wird, die Funktion dieser beiden zunächst getrennten Prinzipien übernehmen soll. Vielleicht wäre es aber besser zu sagen, daß Kant sein objektives principium diiudicationis so umfunktioniert, daß es nicht nur die Rolle des subjektiven principium executionis mit übernimmt, sondern dieses auch noch läutert und zu einem Aspekt des objektiven rein rationalen Prinzips erhebt. Während er in den Vorlesungen behauptet, daß „keiner“ einsehen wird oder auch nur einsehen kann, „daß der Verstand sollte eine bewegende Krafft zu urtheilen haben“, versucht er in der Grundlegung gerade zu zeigen, „daß der Wille
36 37
V, 71. IV, 411.
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hier ohne andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz, bestimmt werde“.38 Aber schon in dieser Vorlesung hat das principium diiudicationis als das objektive Prinzip den höheren Rang. Es ist das Prinzip der Moralitaet und es beruht auf intellectualen Gründen (24), ist intern (27) und gilt absolut. Es vertritt daher den kategorischen Imperativ in gewisser Hinsicht. Es wäre meines Erachtens allerdings ein Fehler zu behaupten, daß Kant hier (oder vielleicht auch schon früher) den kategorischen Imperativ entdeckt hätte oder daß er in seinen wesentlichen Zügen schon entwickelt worden sei.39 Die Unterschiede sind wichtiger als die Ähnlichkeiten – zumindest entwicklungsgeschichtlich. Auch wenn das principium diiudicationis das höchste Prinzip der Moral ist, kommt man in der Realität nicht ohne ein empirisches Prinzip, dem principium executionis aus.40 Das principium executionis benötigt allerdings „ein drittes Wesen, das da nötiget dasjenige zu thun, was moralisch gut ist“ (76 f.). Ohne Gott hätten wir keine Motivation das Richtige zu tun, obwohl wir durch das principium diiudicationis genau wüßten, was zu tun richtig wäre. „Wenn aber ein sittlicher Mensch 38
39
40
IV, 419. Siehe auch XXVII, 97 f. (Praktische Philosophie Powalski): „Der erste Teil der Moral enthält die criteria die diiudication deßen was practisch gut und böse ist. Die practische Philosophie hat also auch einen theoretischen theil, was blos der speculativen Vernunft opponirt wird. Der zweyte enthält die Regeln und Mittel der Execution. Mittel wodurch ein Wille der der nach Regeln abgehandelt wird möglich ist. dieser zweyte theil ist der schwerste, weil man den Menschen studiren muß.“ Siehe z. B. Josef Schmucker, Die Ursprünge der Ethik Kants in seinen vorkritischen Schriften und Reflektionen (Meisenheim 1961) und Dieter Henrich, „Über Kants Entwicklungsgeschichte,“ Philosophische Rundschau 13 (1966), S. 252–263. Siehe auch Henrich „Ethik der Autonomie“, S. 16 f. Das Argument dieser Einleitung zeigt deutlich, daß es gravierende Unterschiede in der Konzeption der Ethik vor und nach 1785 gibt. Henrich, „Ethik der Autonomie“ benutzt den Unterschied zwischen principium diiudicationis und principium executionis um die Struktur der kritischen Ethik darzustellen. Ich bin mir nicht sicher, ob dies der Sachlage angemessen ist.
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aus innerm Trieb, wegen der innern Bonitaet der Handlung, sich bestrebt das moralische Gesetz auszuüben und die göttlichen Gebothe gerne thut, der ehret Gott“ (79). Und so führt Sittlichkeit nicht nur zur Frömmigkeit, sondern auch zur Theologie. Ohne Gott gäbe es keine Motivation das Gute zu tun.
V. Damit wären wir bei einem weiteren Problem, dem Problem der Existenz Gottes und deren Relevanz für die Moral. Es geht hierbei um die so genannte Postulatenlehre, wie sie sich in dem zweiten Teil der zweiten Kritik, im Abschnitt ‚Von der Dialektik der reinen Vernunft in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut‘ findet, wonach die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes als Bedingungen der Möglichkeit des höchsten Guts oder der Vereinigung von Glückseligkeit und Tugendhaftigkeit postuliert werden müssen. Kant argumentiert dort, daß das moralische Gesetz von uns verlangt, das höchste Gut zu fördern. Das höchste Gut verlange aber, daß Tugendhaftigkeit und Glückseligkeit einander proportional sein sollen. Eine solche Proportionalität wiederum sei nur unter der Voraussetzung der Existenz einer höchsten moralischen Intelligenz möglich, die allwissend und gütig sein müsse, welche schließlich dem Begriff eines persönlichen Gottes gleichkommt, wie er im Christentum gelehrt wird. Nach Kant dürfen (und müssen) wir einen solchen Gott annehmen, weil es ein Bedürfnis der Vernunft dazu gibt. Ohne Gott könnten wir nicht einmal verstehen, wie es möglich sein sollte, Tugendhaftigkeit und Glückseligkeit, zwei Begriffe, die eigentlich nach Kant nichts miteinander zu tun haben, miteinander zu verbinden. Wir sind aber auch berechtigt, einen Gott anzunehmen, weil wir schon in der theoretischen Philosophie notwendigerweise auf einen (dort noch) problematischen Begriff von Gott geführt werden. Läge „nicht ein problematischer, aber doch unvermeidlicher Begriff der Vernunft vor Augen, nämlich der eines schlechterdings nothwendigen Wesens“,
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dann „würden wir nicht ein Bedürfniß der Vernunft vorschützen können“. Kant äußert dazu folgende Ansicht: Dieser Begriff will nun bestimmt sein, und das ist, wenn der Trieb zur Erweiterung dazu kommt, der objective Grund eines Bedürfnisses der speculativen Vernunft, nämlich den Begriff eines nothwendigen Wesens, welches andern zum Urgrunde dienen soll, näher zu bestimmen und dieses letzte also wodurch kenntlich zu machen. Ohne solche vorausgehende nothwendige Probleme giebt es keine Bedürfnisse, wenigstens nicht der reinen Vernunft; die übrigen sind Bedürfnisse der Neigung. (V, 142)
Nun kann man natürlich fragen, warum eine Fiktion eines unendlichen Wesens, selbst wenn sie unvermeidlich ist, es uns erlaubt die Realität dieses Wesens anzunehmen. Ist es hier nicht plausibler, einfach den Wunsch als Vater des Gedankens anzusehen? Diese Frage wurde schon sehr früh gestellt und Kant geht in einer Fußnote zur Kritik der praktischen Vernunft auf sie ein: „Im deutschen Museum, Febr. 1787, findet sich eine Abhandlung von einem sehr feinen und hellen Kopfe, dem sel. Wizenmann, dessen früher Tod zu bedauren ist, darin er die Befugniß, aus einem Bedürfnisse auf die objective Realität des Gegenstandes desselben zu schließen, bestreitet und seinen Gegenstand durch das Beispiel eines Verliebten erläutert, der, indem er sich in eine Idee von Schönheit, welche blos sein Hirngespinst ist, vernarrt hätte, schließen wollte, daß ein solches Object wirklich wo existire.“ Und er antwortet Ich gebe ihm hierin vollkommen recht in allen Fällen, wo das Bedürfniß auf Neigung gegründet ist, die nicht einmal nothwendig für den, der damit angefochten ist, die Existenz ihres Objects postuliren kann, viel weniger eine für jedermann gültige Forderung enthält und daher ein blos subjectiver Grund der Wünsche ist. Hier aber ist es ein Vernunftbedürfniß, aus einem objectiven Bestimmungsgrunde des Willens, nämlich dem moralischen Gesetze, entspringend, welches jedes vernünftige Wesen nothwendig verbindet, also zur Voraussetzung der ihm angemessenen Bedingungen in der Natur a priori berechtigt und die letztern von dem vollständigen praktischen Gebrauche der Vernunft unzertrennlich macht. Es ist Pflicht, das höchste Gut nach unserem größten Vermögen wirklich zu machen; daher muß es doch auch möglich sein; mithin ist es für jedes vernünftige Wesen in der Welt auch
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unvermeidlich, dasjenige vorauszusetzen, was zu dessen objectiver Möglichkeit nothwendig ist. Die Voraussetzung ist so nothwendig als das moralische Gesetz, in Beziehung auf welches sie auch nur gültig ist.41
Es gibt nur wenige Philosophen, die sich von dieser Antwort überzeugen konnten.42 Selbst wenn man zugäbe, daß diese Voraussetzung genauso notwendig ist wie Kants Formel des moralischen Gesetzes, hieße dies nicht viel, denn insofern diese abhängig ist von der Definition von „Achtung“ und „Interesse“ sowie der „Erklärung“ von „Begehrungsvermögen“ und „Lust“, ist auch die Begründung dieser Formel eher fragwürdig. Es gibt meines Erachtens letztlich keinen guten Grund dieser Voraussetzung der Existenz zuzustimmen, selbst wenn man Kants Ausführungen über das moralische Gesetz als solche akzeptiert. Ein objektives „Vernunftbedürfnis“ ist so fragwürdig wie ein „selbstgewirktes Gefühl“ der Achtung, das von allen anderen Gefühlen, „die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, specifisch unterschieden“ ist. Ja, man kann auf der Basis der Definition von „Vernunftinteresse“ genau wie auf der Basis der Definition von „Achtung“ die Frage stellen, ob seine Ethik „a priori lediglich in Begriffen der reinen Vernunft“ gründet oder nicht zumindest in Teilen auf einer fragwürdigen Vereinnahmung von nichtkognitiven Inhalten als rationalen Voraussetzungen beruht.43 41 42
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V, 143 f. Es sind natürlich nicht nur solche Fragen gestellt worden, sondern es ist auch der Einwand formuliert worden, daß die Annahme eines Gottes, der garantiert, daß (auch die eigene) Glückseligkeit sich in der richtigen Proportion zur Tugendhaftigkeit verhalten wird, eine eudaimonistische Dimension in die kantische Ethik einführt, die Kant im ersten Teil seine Kritik und in der Grundlegung so vehement kritisiert. Kant selbst versichert, daß dies nicht Fall ist. Viele Leser Kants werden aber durch solche Versicherungen nicht nur nicht überzeugt, sondern in der Frage bestärkt, ob die Ausführungen zur Postulatenlehre nicht das Projekt einer Kritik der praktischen Vernunft in Frage stellen. Achtung spielt auch in der Postulatenlehre eine Rolle von nicht zu überschätzender Wichtigkeit. Außerdem wäre die folgende Fußnote aus den Prolegomena hier durchaus angebracht, in der Kant Platner zustimmt, „‘wenn die Vernunft ein Kriterium
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In der Vorlesung ist die Verbindung der moralischen Gesetze mit göttlichen Geboten sehr viel direkter und „natürlicher“: „Der Geist der moralischen Gesetze liegt in der Gesinnung und die moralischen Gesetze können zugleich als Göttliche Gebothe angesehen werden, weil sie seinem Willen gemäß sind“ (98). Die Moralität ist dem Willen Gottes gemäß, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie scheint eher untauglich, die Existenz Gottes zu begründen oder als Grundlage für dessen Postulierung zu dienen. Und das scheint mir sinnvoll zu sein.
VI. Die hier veröffentlichte Vorlesungsnachschrift kann nicht nur zeigen, wie die Probleme der moralischen Motivation durch Achtung, des kategorischen Imperativs und der Postulatenlehre historisch erklärt werden können; sie kann vielmehr auch dem Aufweis dienen, daß Kant diese Probleme erst später einführte und daß man sich eine kantische Ethik vorstellen kann, die diesen Problemen nicht entkommen muß – weil es sie gar nicht gibt. Dies wäre eine kantische Ethik, die an der Unterscheidung zwischen einem principium diiudicationis und somit an einer schwächeren Version des kategorischen Imperativs festhielte, die aber auch ein principium executionis anerkennte, das unserer menschlichen Natur Rechnung trägt. Wie Kant in der Kritik der ist, so kann kein Begriff möglich sein, welcher der menschlichen Vernunft unbegreiflich ist. – In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt. Hier entsteht die Unbegreiflichkeit aus der Unzulänglichkeit der erworbenen Ideen.‘ – Es klingt also nur paradox und ist übrigens nicht befremdlich, zu sagen, in der Natur sei uns vieles unbegreiflich (z. B. das Zeugungsvermögen), wenn wir aber noch höher steigen und selbst über die Natur hinaus gehen, so werde uns wieder alles begreiflich; denn wir verlassen alsdann ganz die Gegenstände, die uns gegeben werden können, und beschäftigen uns blos mit Ideen, bei denen wir das Gesetz, welches die Vernunft durch sie dem Verstande zu seinem Gebrauch in der Erfahrung vorschreibt, gar wohl begreifen können, weil es ihr eigenes Product ist.“ (IV, 349)
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reinen Vernunft sagt, brauchen wir für die Erkenntnis sowohl Sinnlichkeit als auch Verstand, da Begriffe ohne Anschauungen leer und Anschauungen ohne Begriffe blind sind. Man könnte auch sagen, daß ein kategorischer Imperativ, der von allem Empirischen sorgfältig gesäubert ist, aber dennoch ein principium executionis sein soll, so leer ist, wie ein principium executionis ohne ein objektives Beurteilungskriterium blind ist. Ich bin versucht, den Kant dieser Vorlesung dem reifen Kant vorzuziehen. Doch auch wenn man dieser Versuchung widersteht, lohnt es sich zu überlegen, warum Kant zwischen 1775 und 1785 diese Position aufgab und eine radikalere Version entwickelte.44
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Vielleicht müßte man sogar sagen, daß er sie zwischen 1781 und 1785 aufgab, denn in der Kritik der reinen Vernunft findet man noch Aussagen, die auf die Position von 1775 hinweisen.
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Collegium Philosophiae 1practicae universalis una cum Ethica a Viro Excellentissimo Professore Ordinario Domino Kant privatim pertractatum studio vero persecutum ab 2 Regiomonti Joanne Friderico per Semestre Kaehler Aestivum 1777. Iur. utrq. et Phil. Cultore.
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practicae Hg.] practicum Kae] | Von zweiter Hand: „J Berdau“. | Die Seite ist leer.
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Prooemium
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Prooemium.
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Alle Philosophie ist entweder theoretisch oder practisch; die theoretische ist die Regel der Erkenntniß, die practische ist die Regel des Verhaltens in Ansehung der freyen Willkür. Der Unterscheid der theoretischen von der practischen Philosophie ist das Object; die theoretische hat zum Object die Theorie und die practische die Praxin. 1Sonst theilt man die Philosophie ein in die speculative und practische. Man nennt überhaupt Erkenntnisse theoretisch und practisch, die Objecte mögen seyn wie sie wollen; theoretisch sind sie, wenn sie der Grund sind von den Begriffen der Objecte, practisch aber, wenn sie der Grund von der Ausführung der Erkenntniß der Objecte seyn; so ist zE. eine theoretische und practische Geometrie, eine theoretische und practische Mechanic, theoretische und practische Medicin, theoretische und practische Jurisprudentz, das Object ist immer dasselbe. Also wenn ohnangesehn des Objects doch die Erkenntnisse theoretisch und practisch seyn, so betrifft es nur die Form der Erkenntniß, und [4] zwar die theoretische zur Beurtheilung des Objects, die practische zur Hervorbringung des Objects. Hier ist aber der Unterscheid des
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[XXVII: 243,07] Diese Einteilung der Philosophie gehört zum akademischen Alltag an einer deutschen protestantischen Universität nach den Melanchthon’schen Reformen im ersten Drittel des 16ten Jahrhunderts; vgl. Arnoldt 1746 und Goldbeck 1782. – Kant ist ab dem Sommer 1770 Inhaber der theoretischen Professur (Logik und Metaphysik). Zur Zeit der Vorlesung ist Carl Andreas Christiani (1707–1780) sein Spezialkollege, d. h. Professor für praktische Philosophie (Ethik und Naturrecht), bei dem er vielleicht selbst als Student Vorlesungen gehört hat. Auf Christiani folgt ein Schüler von Kant: Christian Jacob Kraus (1753–1807). – In der Sache selbst vgl. R: 6612 (XIX: 110) bzw. die späte R: 7203 (XIX: 282f.).
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theoretischen und practischen in Ansehung des Objects; die practische Philosophie ist nicht der Form nach, sondern dem Object nach practisch und dieses Object sind die freye Handlungen und das freye Verhalten. Das theoretische ist das Erkennen und das practische ist das Verhalten. Wenn ich vom Gegenstande abstrahire, so ist die Philosophie des Verhaltens diejenige, die uns Regel giebt vom guten Gebrauch der Freyheit, und dieses ist das Object der practischen Philosophie ohne Ansehen der Gegenstände. So wie die Logic vom Gebrauch des Verstandes redet ohne Ansehn der Gegenstände, also handelt die practische Philosophie vom Gebrauch der freyen Willkür, nicht in Ansehung der Gegenstände, sondern unabhangig von allen Gegenständen. Die Logic giebt uns Regeln in Ansehung des Gebrauchs des Verstandes und die practische Philosophie in Ansehung des Gebrauchs des Willens, welches die zwo Kräffte sind, woraus alles in unserm Gemüth entstehet. Wenn wir nun die Obere Kräffte vom Erkenntniß [5] und BegehrungsVermögen nehmen, so ist das erste das OberErkenntnißVermögen oder der Verstand und das zweyte das OberbegehrungsVermögen oder die freye Willkür; Nun haben wir zwo Instructiones für beyde Kräffte, nemlich die Logic für den Verstand und die practische Philosophie für den Willen. Die Untere Kräffte können nicht instruirt werden, weil sie blind seyn. Wir erwägen also hier ein Wesen, was freye Willkür hat, welches nicht allein ein Mensch, sondern auch ein jedes vernünftiges Wesen seyn kann. Und hier erkennen wir die Regel des Gebrauchs der Freyheit und das ist die practische Philosophie generaliter. Sie hat also objective Regel des freyen Verhaltens. Eine jede objective Regel sagt was geschehen soll, wenn es auch niemals geschicht, die subjective Regel aber sagt, was da würklich geschicht. Denn auch bey den Lasterhafften sind Regel, nach denen sie handeln. 2Die Antropologie beschäfftigt sich mit den subjectiven practi2
[XXVII: 244,11] Das Wort ‚Anthropologie‘ wird im Text des Ethik-Kollegs insgesamt sieben Mal benutzt (p. 5–8, p. 444 f.). In den chronologisch benachbarten Nachschriften der Anthropologie-Vorlesung finden sich ent-
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schen Regeln, sie betrachtet das würkliche Verhalten des Menschen, allein die moralische Philosophie sucht sein gutes Verhalten unter Regel zu [6] bringen, nemlich was geschehen soll; etwas soll seyn heißt eine mögliche Handlung kann gut seyn; sie enthält Regel des guten Gebrauchs des Willens, so wie die Logic Regel enthält des richtigen Gebrauchs des Verstandes. Die Wissenschafft der Regel, wie der Mensch sich verhalten soll, ist die practische Philosophie; und die Wissenschafft der Regel des würklichen Verhaltens ist die Antropologie. Diese beyden Wissenschafften hangen sehr zusammen und die Moral kann ohne die Antropologie nicht bestehen; denn man muß das Subject erst kennen, ob es auch im Stande ist das zu leisten, was man von ihm fordert das es thun soll. Man kann zwar die practische Philosophie wohl erwägen auch ohne die Antropologie oder ohne die Kenntniß des Subjects; allein dann ist sie nur speculativ und eine Idee, so muß doch wenigstens der Mensch hernach studirt werden. Es wird immer gepredigt, was geschehen soll, und Keiner denkt daran, ob es geschehen kann; deswegen werden auch die Ermahnungen, welches tautologische Wiederhohlungen der Regel die schon Ieder weiß sind, einem sehr langweilig vorkommen, in denen nichts mehr gesagt wird, als was man schon weiß, und die CanzelReden von solchen Ermahnungen sind leer, wenn der [7] Redner nicht zugleich auf
sprechende Äusserungen zum Verhältnis beider Disziplinen resp. Vorlesungen. Friedländer (Ms germ quart. 400, p. 12 / XXV: 472): „Die Moral muß mit der Kenntnis der Menschheit verbunden werden. Die Enthaltung von vielen Lastern ist nicht die Folge von der Moral und Religion, sondern von der Verfeinerung. Man unterläßt Laster nicht deswegen, weil sie wieder die Moral sind, sondern weil sie grob sind. Damit aber die Moral und die Religion ihren Entzweck erhalten, so muß die Kenntnis der Menschen damit verbunden werden.“ Auch in den Notaten zu den Initia finden sich zwei entsprechende Vermerke (R: 6706 / XIX: 137,05 f.): „Die subiectiv practische philosophie ist anthropologie und mit der moral verschwistert.“ / (R: 7203 / XIX: 283,02f.): „Die obiective Bedingungen des Verhaltens lehrt die moral, die subiectiven Anthropologie.“ Nur der erste Vermerk stammt aus den 1770er Jahren.
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die Menschheit sieht; 3hierin ist der Spalding allen vorzuziehen. Dahero muß man den Menschen kennen, ob er auch das thun kann, was man von ihm fordert. Die Betrachtung der Regel ist unnütz, wenn man nicht die Menschen bereitwillig machen kann, solcher Regel zu befolgen; deswegen hangen diese beyde Wissenschafften zusammen. Es ist eben so, als wenn die theoretische Physic mit den Experimenten verbunden wird, denn man macht auch mit dem Menschen Experimente zE man probiert einen Bedienten ob er treu ist. Es sollte also bey einem Examen des Predigers eben so auf seinen Character und Hertz gesehen werden, als auf seine dogmatische Kenntniß. Die practische Philosophie ist demnach nicht der Form, sondern dem Object nach practisch. Es ist eine Ausübungslehre. So wie die Logic eine VernunfftWissenschafft ist, nicht der Form nach, sondern weil das Object die Vernunfft ist, so soll auch das Object der practischen Philosophie die Praxis seyn. Sie ist also eine Wissenschafft über die objective Gesetze der freyen Willkür, eine Philosophie der objectiven Nothwendigkeit der freyen Handlungen oder des Sollens das heißt aller möglich guten [8] Handlungen; so wie die Antropologie eine Wissenschafft ist über die subjective Gesetze der freyen Willkür. Die practische Philosophie hat nicht eine besondere Art von Gegenständen der Praxis, 4sondern handelt ohnangesehen aller Gegenstände der 4
sondern handelt Hg.] sondern Kae]
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[XXVII: 244,32] Vgl. den ganz ähnlichen Hinweis auf Spalding im Anthropologie-Kolleg des ersten Winters, Nachschrift Philippi, p. 2 (XXV: Col-Nr. 006). Die Aussage der Vorlesung ist zu wenig konkret, um sie auf eine bestimmte Aussage beziehen zu können. Menzer (1924, S. 332) verweist auf die Schrift Über die Nutzbarkeit des Predigtamts und deren Beförderung (1772 u. ö.); Lehmann (XXVII: 1108) nennt daneben die Gedanken über den Wert der Gefühle im Christenthum (1761 u. ö.) und die 1765–1784 erscheinenden Predigten. – Zum intellektuellen Werdegang von Spalding und der Rezeption seiner Schriften vgl. Schwaiger 1999a. Zur Funktion von Spalding als Vermittler der Schriften und Konzeptionen von Shaftesbury und Hutcheson vgl. Schollmeier 1967.
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Praxis überhaupt von freyen Handlungen, so wie die Logic. Die practische Regeln die da sagen, was geschehen soll, sind dreyerley: Regel der Geschiklichkeit, Regel der Klugheit und Regel der Sittlichkeit. Eine jede objective practische Regel wird durch den Imperativum ausgedrukt, die subjective practische Regel aber nicht zE die Alten pflegen zu 5geizen, das ist zwar, aber es sollte doch nicht seyn. Als zE. Man sollte im Alter nicht mehr so sparen als in der Iugend, weil man im Alter nicht mehr so viel braucht, indem man nicht so lange zu leben hat als in der Iugend. Es giebt also dreyerley imperativos, einen Imperativum der Geschiklichkeit, der Klugheit, der Sittlichkeit. Denn ein jeder Imperativus drükt ein Sollen, also eine objective Nothwendigkeit aus, und zwar eine Nothwendigkeit der freyen und guten Willkür, denn das gehört zum Imperativum und necessitirt objectiv. Alle Imperativi enthalten eine objective [9] Nöthigung und zwar unter der Bedingung einer guten freyen Willkür. Die Imperativi der Geschiklichkeit sind problematisch; die Imperativi der Klugheit sind pragmatisch, die Imperativi der Sittlichkeit sind moralisch. Die problematische Imperativi sagen daß bey einer Regel eine Nothwendigkeit des Willens zu einem beliebigen Zwek angezeigt wird. Die Mittel werden assertorisch enuncirt, die Zwekke sind aber problematisch zE die practische Geometrie ertheilt solche Imperativos zE Wenn ein Triangel soll gemacht werden, oder ein Quadrat oder ein Sechsek, so muß man nach folgenden Regeln verfahren; es ist also ein beliebiger Zwek durch angezeigte Mittel. Also alle practische Wissenschaften generaliter als Geometrie, Mechanic p enthalten Imperativos der Geschiklichkeit. Sie sind von grossem Nutzen und müssen allen übrigen Imperativis vorgehen; denn man muß im Stande seyn beliebige Zwekke auszuführen, und Mittel haben, solche Zwekke zu erlangen, ehe man aufgegebene Zwekke ausführen kann. Die Imperativi der Geschiklichkeit imperiren nur hypothetisch, denn die Nothwendigkeit des Ge5
geizen, Hg.] zeigen, Kae] | Am Rand ein Zeichen, das anscheinend auf das fehlerhafte „zeigen“ Bezug nimmt. Mit Mrongovius XXVII: 1399,03.
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brauchs der Mittel ist allemal [10] bedingt, nemlich unter der Bedingung des Zweks. Die practische Philosophie enthält nicht Regel der Geschiklichkeit, sondern Regel der Klugheit und Sittlichkeit. Sie 6ist also eine pragmatische und moralische Philosophie, pragmatisch in Ansehung der Regel der Klugheit und moralisch in Ansehung der Regel der Sittlichkeit. Die Klugheit ist die Fertigkeit im Gebrauch der Mittel zum allgemeinen Zwek der Menschen, das ist zur Glükseligkeit, also ist hier schon der Zwek bestimmt, welches bey der Geschiklichkeit nicht ist. Zur Regel der Klugheit wird zweyerley erfordert, den Zwek selber zu bestimmen und dann den Gebrauch der Mittel zu diesem Zwek. Es gehört also dazu eine Regel der Beurtheilung dessen was zur Glükseligkeit gehört und die Regel des Gebrauchs der Mittel zu dieser Glükseligkeit. Die Klugheit ist also eine Fertigkeit den Zwek und auch die Mittel zu dem Zwek zu bestimmen. Die Bestimmung der Glükseligkeit ist das erste bey der Klugheit, 4denn viele streiten noch, ob die Glükseligkeit im Enthalten oder Erwerben besteht, der scheint glüklicher zu seyn, der keine Mittel hat, aber auch nichts braucht von dem, was durch diese Mittel kann erlangt werden, als derjenige, der viel Mittel hat aber auch viel braucht. Also ist die Bestimmung des Zweks der Glükseligkeit [11] und worin sie besteht das erste und die Mittel das zweyte der Klugheit. Die Imperativi der Klugheit gebieten nicht unter einer problematischen Bedingung, sondern unter einer assertorischen allgemeinen nothwendigen Bedingung, die bey allen Menschen ist. Ich sage nicht, wofern du willst glüklich seyn, so mußt du das und jenes thun, sondern weil jeder glüklich seyn will, welches doch von jedem praesupponiret wird, so muß er das beobachten, es ist also eine subjective nothwendige Bedingung, ich sage nicht 6
ist also Hg.] also Kae]
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[XXVII: 246,20] Vgl. weiter unten p. 14 ff. die Gegenüberstellung des Cynikers Diogenes einerseits und Epikur andererseits.
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du sollst glüklich seyn, denn wäre es eine objective nothwendige Bedingung, sondern ich sage, weil du glüklich seyn willst, must du dieses und jenes thun. Wir können uns aber noch einen imperativum denken, wo der Zwek ausgemacht ist mit einer Bedingung, die nicht subjectiv, sondern objectiv imperirt, und das sind die sittlichen Imperativi zE du sollst nicht lügen, ist kein problematischer Imperativus; denn sonst müste es heissen: Wenn 7es dir einen Schaden bringt, dann sollst du nicht lügen, sondern es imperirt categorisch und schlechthin, du sollst nicht lügen. Es ist also dieser Imperativus entweder ohne alle Bedingung oder unter einer objectiven nothwendigen Bedingung. Der Zwek ist bey dem [12] moralischen Imperativo eigentlich unbestimmt, die Handlung ist auch nicht nach dem Zwek bestimmt, sondern geht auf die freye Willkür, der Zwek mag seyn welcher er wolle. Der moralische Imperativus imperiret also absolut ohne auf die Zwekke zu sehen. Unser freyes Thun und Lassen hat eine innere Bonitaet, der Zwek mag seyn welcher er will. Die moralische Bonitaet giebt also dem Menschen einen unmittelbaren innern absoluten Werth der Sittlichkeit zE. derjenige der Wort hält, hat immer einen unmittelbaren innern Werth der freyen Willkür, der Zwek mag seyn, welcher er will. Die pragmatische Bonitaet giebt aber dem Menschen keinen innern Werth.
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Zum Grunde 5aller moralischen Systemen der Alten lag die Frage vom Summo Bono, worin dasselbige bestehe; in der Be7
es Kae] | Nämlich das Lügen. Vgl. Anm. zu p. 27.
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[XXVII: 247,15] So weit anhand der studentischen Kolleghefte nachvollziehbar, hat Kant auch seine anderen im engern Wortsinn ‚philosophischen‘ Vorlesungen (Logik, Metaphysik) stets mit einem kurzen Abschnitt über die Historie der Disziplin eingeleitet; vgl. XXIV: 385ff.; 509, 613, 700 f., 796 ff.,
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antwortung dieser Frage unterschieden sich die Systemate der Alten. Dieses Summum Bonum 6nenne ich ein Ideal, das ist ein
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bzw. XXVIII: 156 f. (Herder); 175–177 (Pölitz: L 1). – Zur neuzeitlichen Suche nach dem höchsten Gut als Movens der praktischen Philosophie vgl. den instruktiven Artikel ‚Gut, höchstes‘ [summum bonum] von Robert Spaemann, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3 (1974); für den Kantischen Kontext siehe die Darlegungen von Klaus Düsing 1971 und Maximilian Forschner 1989. – In der 1770 erschienenen deutschen Fassung von Adam Smith’s Theorie der moralischen Empfindungen handelt der 6te und letzte Teil ‚Von den Systemen der Moralphilosophie‘. Er besteht aus vier Abschnitten: „[1] Von den Fragen, die in einer Theorie der Moralischen Empfindungen müssen untersuchet werden (S. 439 ff.), [2] Von den verschiedenen Erklärungen, die über die Natur der Tugenden gegeben sind (S. 442ff.), [3] Von den verschiedenen Systemen, durch welche man das Principium der Billigung erklären wollen (S. 516 ff.), [4] Von der Art, wie verschiedene Schriftsteller von den practischen Regeln der Sittlichkeit gehandelt haben (S. 546–576).“ – Die Anlage der beiden mittleren Abschnitte ähnelt sehr dem Vorgehen in der Vorlesung. Vgl. auch die spätere Ethik-Nachschrift von Powalski (1777/78?), die ebenfalls einen ausführlichen Abschnitt über die „Historie der Moral“ (XXVII: 100–110) enthält. Der Anfang der EthikNachschrift von Herder (1764?) ist für einen Vergleich leider zu lückenhaft überliefert; jedoch scheint Kant schon zu der Zeit ähnlich verfahren zu sein; vgl. XXVII: 003–005 und seine Notate in den Baumgarten’schen Initia zu Beginn; vgl. z. B. die R: 6584, 6601, 6607. [XXVII: 247,18] Ein definierendes Autor-Ich tritt im Text der Vorlesung nur hier in Erscheinung; auch sonst ist ein redendes Ich die Ausnahme (p. 11 und p. 137); häufiger ist der rhetorische ‚Plural der Bescheidenheit‘ „wir merken“ oder „bemerken“; vgl. etwa p. 52, 105, 114, 125, 269, 281, 295, 334, 335, 349, 363, 368, 400, 426. Es liegt nahe, in der besonderen Emphase des ‚nenne ich‘ einen verschliffenen Hinweis auf die Kantische Dissertatio pro loco vom Sommer 1770 zu sehen. Im § 9 heißt es: „Maximum perfectionis vocatur nunc temporis ideale, Platoni idea (quemadmodum ipsius idea reipublicae), et omnium, sub generali perfectionis notione contentorum, est principium, quatenus minores gradus nonnisi limitando maximum determinari posse censentur“. (II: 396,11–15) [„Das Größte an Vollkommenheit heißt heutzutage Ideal, bei Plato Idee (wie etwa die Idee des Staates), und ist der Grund von allem, was unter dem allgemeinen Begriff irgendeiner Vollkommenheit enthalten ist, sofern die minderen Grade nach allgemeinem Dafürhalten nur durch Einschränkung des Größten bestimmt werden können;“ Übersetzung der Weischedel-Ausgabe, Bd. 6] – Zum Autor-Ich vgl. auch die entsprechende Beobachtung für die Nachschriften des Anthropo-
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Maximum der Sache was man sich denken kann, wornach man alles bestimmt und abmißt. Man muß sich in allen Stükken zuerst ein Muster concipiren, wornach alles kann beurtheilt werden. Das summum bonum ist kaum möglich, [13] sondern ist nur ein Ideal, das ist eine Muster Idee, ein Urbild aller unsrer Begriffen vom Guten. Worin besteht das höchste Guth? 7Die vollkommenste Welt ist das höchste erschaffene Guth. Zu der vollkommensten Welt gehört aber die 8Glükseligkeit der vernünftigen Geschöpfe und die Würdigkeit dieser Geschöpfe solcher Glükseligkeit.
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logie-Kollegs in der Einleitung zu Bd. XXV (S. lxxxiv f.) der Akademie-Ausgabe bzw. den Text der Vorlesung selber: „Der Auctor räumt den Leser auch eine Stimme zum Urteil ein, wenn er im Plurali redet, daher das Wort wir bescheiden ist.“ (Philippi p. 3R). – Von einem ‚praktischen Ideal‘ wird auch im ersten Anthropologie-Kolleg gehandelt, vgl. Collins p. 81, 87 f.; Parow p. 40 f. – Es würde die Grenzen einer Edition bei weitem übersteigen, wenn en passant den literarischen Quellen oder Anlässen nachgespürt werden wollte, die den zweifellos um 1770 bei Kant anzunehmenden Platonismus motiviert haben; vgl. dazu Schwaiger 1999, S. 81 ff. und Santozki 2002, S. 35 ff. [XXVII: 247,24] Die „vollkommenste Welt“ ist das Stichwort der sogenannten Optimismusdebatte in der Mitte des 18ten Jahrhunderts, in die Kant sich auch direkt eingeschaltet hat; vgl. II: 027ff; insbesondere (II: 033,10 ff.): „Mich deucht, man könne anjetzt mit einer Gewißheit, welcher die Gegner wenigstens nichts Größeres entgegen zu setzen haben, einsehen: es sei unter allem Endlichen, was möglich war, eine Welt von der größten Vortrefflichkeit das höchste endliche Gut, allein würdig von dem obersten unter allen Wesen gewählt zu werden, um mit dem Unendlichen zusammengenommen die größte Summe, die sein kann, auszumachen.“ Vgl. auch die Lose Blatt Reflexionen, Nr. 3703, 3704 (XVII: 229 ff.) [XXVII: 247,25] Der Dualismus von Würdigkeit und Glückseligkeit bleibt für die praktische Seite der Philosophie bei Kant bestimmend. Dieser Dualismus strukturiert den überwiegenden, nämlich den praktischen Teil der in der Critik der reinen Vernunft formulierten drei Fragen, in denen sich das Interesse der Vernunft vereinigt: „Was soll ich thun? Was darf ich hoffen?“ (III: 522; = A 805 / B 833). – Vgl. auch die R: 4461 (XVII: 560f.) und die Petersburger Handschrift der Anthropologie-Vorlesung p. 321 (siehe ‚Menschenkunde‘ XXV: 1198 ff.)
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Die Alten sahen wohl ein, daß blos die Glükseligkeit nicht das eintzige höchste Guth seyn könnte; 9denn wenn allen Menschen diese Glükseligkeit treffen möchte ohne Unterschied des Gerechten und Ungerechten, so wäre zwar die Glükseligkeit da, aber keine Würdigkeit derselben, also kein höchstes Guth. Wir müssen also bey den Menschen anzutreffen suchen, die Glükseligkeit und die Würdigkeit derselben, und wenn dieses zusammen genommen wird, so ist es das höchste Guth. 10Der Mensch kann nur in so fern hoffen glüklich zu seyn, in so fern er sich derselben würdig macht, denn das ist die Bedingung der Glükseligkeit, die die Vernunfft selbst vorlegt. Ferner sahen sie ein, daß die Glükseligkeit beruhe auf der Bonitaet des freyen Willens, auf den Gesinnungen alles dessen sich zu bedienen, was ihm die [14] Natur reichlich schenkt. Wer reich ist und alle Schätze hat, von dem frägt es sich, was hat er vor Gesinnung, von 8diesen für einen Gebrauch zu machen? 8
diesen Hg.] diesem Kae]
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[XXVII: 247,28] Nicht ermittelt ist ein philosophiehistorischer Bezug der Anspielung. – Eine ähnliche Konzeption ist auch der Biblisch-Christlichen Tradition eigen. Ezechiel 21,8: „und will in dir ausrotten Gerechte und Ungerechte“; Matthäus 5,45: „Denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte“. [XXVII: 247,32] Die von Kant in seinen späteren Schriften häufiger benutzte, fast formelhafte Redeweise von der ‚Würdigkeit glücklich zu sein‘ ist – anscheinend – seine eigene Prägung: „Die erste Sorge des Menschen sey: nicht wie er glücklich, sondern der Glückseligkeit würdig werde.“ (XII: 416,04 f.; Stammbuchvers für den späteren Wolfenbütteler Bibliothekar Langer vom 19. Oktober 1772; ohne Angabe einer literarischen Quelle in Bd. XIII). Für die Kantischen Schriften vgl. etwa III: 523,30 Critik der reinen Vernunft (A 806 / B 834); bzw. IV: 450; V: 110; 130; VII: 326,13; VIII: 278. Für die Ethik-Vorlesung vgl. weiter unten p. 100, 142, 145, 153; oder in der Powalski Nachschrift von 1777/78 (XXVII: 101,30; 104,11). Auch in der Anthropologie-Vorlesung wird die Formel von Beginn an verwendet; vgl. Parow (1772/73, p. 40); bzw. ‚Menschenkunde‘ (1781/82, S. 349); ähnlich in der Metaphysik-Vorlesung (XXVIII: 337; 350) der späten 1770er Jahre. Für den möglichen britischen (Shaftesbury, Hutcheson) Hintergrund vgl. Schollmeier 1967, S. 162.
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Also ist die Beschaffenheit und Vollkommenheit der freyen Willkür, welche den Grund enthält von der Würdigkeit der Glükseligkeit, die moralische Vollkommenheit. Das physische Guth oder das Wohlbefinden, wozu Gesundheit, Wohlhaben p gehört, macht nicht das höchste Guth aus, sondern das moralische Guth, das Wohlverhalten, die Würdigkeit der Glükseligkeit muß dazu kommen und dieses macht das höchste Guth aus. Man stelle sich vor: Wenn die Welt von solchen vernünftigen Geschöpfen 9voll wäre, die sich alle wohl verhielten, also der Glükseligkeit würdig wären, und sie wären in den dürftigsten Umständen von Kummer und Noth umgeben, dann hätten sie keine Glükseligkeit, folglich wäre da kein höchstes Guth, und umgekehrt, wenn alle Geschöpfen von Glükseligkeit umgeben wären und wäre kein Wohlverhalten, keine Würdigkeit, so wäre alsdenn auch kein höchstes Guth. 11Das Ideal des höchsten Guths war bey den Alten 3fach: 1. Das Cynische Ideal, das ist der Sekte des Diogenes, 2, Das Epicurische Ideal, 3, Das stoische Ideal, das ist der Sekte 10des Zeno. [15] Diese Sekten sind nach Begriffen abgetheilt. Das Cynische Ideal ist das Ideal der Unschuld oder vielmehr der Einfalt. Diogenes sagte, das höchste Guth bestehe in der 9 10
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voll wäre, Hg.] wäre, Kae] | Mit Mrongovius XXVII: 1401,13. des Hg.] der Kae] [XXVII: 248,13] Das tatsächlich viergliedrige Schema der antiken ‚Ideale‘ geht in der Vorlesung aus von dem grundlegenden Gegensatz von ‚Natur (Diogenes) und Kunst‘; differenziert die ‚Kunst‘ in zwei wiederum gegensätzliche Typen (Epikur – Zeno) und kulminiert in einem denkbaren vierten ‚übernatürlichen‘, dem mystischen (Plato). Ob Kant sich in diesem Vorgehen auf ihm vorliegende Muster bezogen hat, ist nicht geklärt. Einige Reflexionen im Handexemplar der Baumgarten’schen Initia von 1760 zeigen, daß Kant zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Schematisierungen gleichsam ausprobiert hat; vgl. R: 6583, 6584, 6601, 6607, 6611, 6624, 6827, 6829, 6879, 6882, 6894.
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Einfalt, in der Genügsamkeit des Genusses der Glükseligkeit. Das Epicurische Ideal war das Ideal der Klugheit. Epicur sagte, das höchste Guth bestehe allein in der Glükseligkeit, und das Wohlverhalten wäre nur ein Mittel zur Glükseligkeit. Das stoische Ideal war das Ideal der Weisheit, es ist umgekehrt von dem Vorigen. Zeno sagte, das höchste Guth bestehe nur allein in der Sittlichkeit, in der Würdigkeit, also im Wohlverhalten, und diese Glükseligkeit wäre eine Folge der Sittlichkeit. Derjenige wäre schon glüklich, der sich wohl verhielte. Die Cynische Sekte sagte, das höchste Guth wäre eine Sache der Natur und nicht der Kunst. Beym Diogenes waren die Mittel der Glükseligkeit negativ. Er sagte, der Mensch ist von Natur mit Wenigem zufrieden, weil der Mensch von Natur keine Bedürfnisse hat, so empfindet er auch nicht den Mangel der Mittel und genüßt unter diesem Mangel seine Glükseligkeit. Diogenes hat vieles vor sich, denn der Vorrath von Mittel und Gaben der Natur vermehrt unsre Bedürfnisse; denn je mehr Mittel wir haben, je mehr Bedürfnisse ereignen sich und die [16] Neigung des Menschen wächst immer nach grösserer Befriedigung, das Gemüth ist also immer unruhig. 12Rousseau, der feine Diogenes, behauptet es auch, daß unser Wille von Natur gut wäre, nur wir werden immer corrumpirt, die Natur hätte uns mit allem versehn, nur wir machen uns mehr Bedürfnisse; er
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[XXVII: 248,38] Rousseau, Emile, 1ter Satz: „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen“ (Schmidts 1975, S. 9). – Diskurs über die Ungleichheit Erster Teil: „Ebenso steht es mit dem Menschen selbst: Indem er soziabel und Sklave wird, wird er schwach, ängstlich und kriecherisch; […]. Fügen wir hinzu, daß der Unterschied zwischen dem wilden und dem domestizierten Zustand beim Menschen noch größer sein muß als beim Tier; denn da das Tier und der Mensch von Natur gleich behandelt worden sind, sind alle Annehmlichkeiten, die der Mensch sich mehr verschafft als den Tieren, die er zähmt, ebenso viele besondere Ursachen, die ihn spürbarer degenerieren lassen.“ (Meier 1990, S. 93). – Die Vorlesung kommt unten p. 170 darauf zurück. – Zu Rousseau als ‚Diogenes redivivus‘ siehe die Hinweise bei Müller (1997, S. 229 f., 239).
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will auch, 13daß die Erziehung der Kinder nur negativ seyn soll. Diesem ist 1411Home entgegen, der da behauptet, daß es eine Sache der Kunst und nicht der Natur sey. Diogenes sagt: Ihr könnt glüklich seyn ohne Überfluß, ihr könnt sittlich seyn ohne Tugend. Seine Philosophie war der kürtzeste Weg zur Glükseligkeit, durch die Genügsamkeit lebt man glüklich, indem man alles entbehren kann; seine Philosophie war auch der kürtzeste Weg zur Sittlichkeit, denn wenn man keine Bedürfnisse hat, so hat man auch keine Begierden, und dann stimmen unsere Handlungen mit der Moralitaet überein, und einem solchen Mann kostet es nichts ehrlich zu seyn, folglich wäre die 15Tugend nur eine Idee. Es ist also die Einfalt auch der kürtzeste 11
Home Hg.] Hume Kae]
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[XXVII: 249,03] Rousseau, Emile, 2tes Buch (Schmidts 1975, S. 72): „Die erste Erziehung muß also rein negativ sein. Sie darf das Kind nicht in der Tugend und in der Wahrheit unterweisen, sondern sie muß das Herz vor Laster und den Verstand vor Irrtümern bewahren.“ Ebenso schon in der Moral-Herder XXVII: 089,15. Auch im Anthropologie-Kolleg hat Kant von Beginn an zustimmend auf diesen Grundzug der Rousseau’schen Erziehungslehre hingewiesen; vgl. Bd. XXV: Col-Nr. 029 et al. Auch in Kant’s eigener, aus den 1780er Jahren stammender Pädagogik steht die ‚negative Erziehung‘ am Anfang; IX: 452. [XXVII: 249,04] Eine explizite Kritik von David Hume an der Rousseau’schen Grundkonzeption ist nicht ermittelt worden; demgegenüber hat Henry Home vielfach auf die Lehr- und Lernbarkeit moralisch guten Verhaltens hingewiesen. So auch Kant’s Hinweis in der nur wenig späteren Nachschrift von Powalski (XXVII: 102,21 ff.): „Roußeau, […] der Meinung, daß die Natur in uns zum guten Willen alles angelegt habe. Sie sagten wir wären von Natur der Glückseligkeit würdig, und die practischen Regeln müßen nie negative seyn, es sey denn, daß unser Willen durch böse Sitten verdorben wäre. Ritter Home behauptet das Gegentheil und sagt: daß die Tugend gelehrt werden müße, wo noch keine Anweisung nichts civilisirtes war, da herrschte Grausamkeit und alle mögliche böse Handlungen.“ Vgl. auch schon die Herder’sche Ethik-Nachschrift vom Beginn der 1760er Jahre (XXVII: 080,36ff.) – Siehe auch die Erläuterungen zum Anthropologie-Kolleg des Winters 1772/73 (XXV: Col-Nr. 177 et al.) [XXVII: 249,13] Klaus Reich 1964 (2001, S. 306 ff.) hat die These entwickelt, in dieser platonisierenden Redeweise ein Echo der Lektüre von Rousseau’s
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Weg der Sittlichkeit. Die Epicurische Sekte behauptete, das höchste Guth wäre eine Sache der Kunst und nicht der Natur, so wie es die Cynische sagte, hierin war also der Unterschied der beyden Sekten, indem diese gegen die erste umgekehrt war. Epicur sagte, wenn wir auch von Natur keine Laster haben, so haben wir [17] doch einen Hang dazu, also die Unschuld und Einfalt nicht gesichert ist, es muß Kunst dazu kommen, und hierin kam Zeno mit dem Epicur überein, der es auch als eine Sache der Kunst ansah. Denn zE. Wenn ein unschuldiges Landmädchen von allen gewöhnlichen Lastern frey ist, so ist es deswegen, weil es keine Gelegenheit zur Ausschweifung hat. Und ein Landmann, der mit schlechter Kost sich behilft und dabey doch zufrieden ist, ists nicht deswegen, weil er einsieht, es sey einerley, sondern weil ers nicht besser hat, und wenn man ihm Gelegenheit gäbe, besser zu leben, so würde er es auch begehren. Also ist die Einfalt nur negativ. Epicur und Zeno nahmen also die Kunst an, sie war aber bey ihnen verschieden. Die zwey Elemente des höchsten Guths sind, das physische Guth, das moralische Guth, das Wohlbefinden und das Wohlverhalten.
de l’imitation théatrale (1764) wahrzunehmen. Ausgangspunkt ist ein kurzer Exkurs zum Terminus der ‚Idee‘, der sich in den Nachschriften des Kantischen Kollegs über Natürliche Theologie der 1780er Jahre findet (XXVIII: 1058 f.; 1274). Etwa zeitgleich wird dieselbe These auch von Dieter Henrich (1963, S. 431 Anm.) vertreten. – Zu dieser These vgl. die kritischen Einwände von Schwaiger 1999, S. 81 ff. – In der Moral-Vorlesung selber wird das Thema erst spät wieder aufgegriffen p. 438. In den Notaten zu den Initia wird zwar verschiedentlich von einem ‚Ideal der Tugend‘ (XIX: 095,25; 174,10; 189,22; 190,06) gesprochen; von einer ‚Idee der Tugend‘ ist – wenn ich recht sehe – allenfalls indirekt die Rede (XIX: 190,01): „idee des höchsten Gutes (Wohlfarth und tugend)“; (XIX: 205,31 f.): „Ob die tugend aus Begriffen oder aus einer idee abgeleitet werden könne?“ Vgl. auch R: 6611 (XIX: 108ff). Die Critik der reinen Vernunft macht Gebrauch von der ‚Idee der Tugend‘ (III: 247 / IV: 201). – In der Pölitz-Nachschrift der Metaphysik-Vorlesung wird wohl erstmals (zweite Hälfte der 1770er Jahre) der für die reife Kritische Position charakteristische Verdacht formuliert: Ohne die Vorstellung eines lohnenden und strafenden Gottes werde die Idee der Tugend zur bloßen Chimäre; vgl. XXVIII: 320,07–18.
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Weil alle Philosophie darauf hinausgeht, Einheit in den Erkenntnissen hervorzubringen, und auf die wenigsten Principia zu reduciren, so versuchte man, ob aus diesen zwey Principiis nicht könnte eins zusammen gebracht werden. Man benennt doch jede Sache vom Zwek und nicht vom Mittel. Also nach der Idee des Epicur war die Glükseligkeit der Zwek und die Würdigkeit nur ein Mittel, mithin wäre die Sittlichkeit eine Folge der Glükseligkeit. Zeno suchte auch beyde Principia [18] zu verbinden, und nach seiner Idee wäre die Sittlichkeit der Zwek, die Würdigkeit und Tugend wären an sich selber das höchste Guth, und die Glükseligkeit wäre nur eine Folge der Sittlichkeit Das Ideal und das Muster des Diogenes ist der Mensch der Natur; das Muster des Epicurs ist der Weltmann; das Muster oder die Idea Archetipon des Zeno ist der Weise, der in sich selbst die Glükseligkeit fühlt; der besitzt alles, er hat in sich den Quell der Heiterkeit und der Rechtschaffenheit, er ist der König, indem er sich selbst beherscht, er kann nicht gezwungen werden indem er sich selbst zwingt. Einen solchen Weisen zogen sie den Göttern vor, indem zu ihren Göttern nicht viel gehörte; denn die Gottheit hatte keine Verführung und keine Hindernisse zu überwinden, aber ein solcher Weise wäre durch seine Stärke in Ueberwindung der Hindernisse zu solcher Vollkommenheit gelangt. Wir können uns noch ein mystisches Ideal gedenken, wo das höchste Guth darin besteht, daß sich der Mensch sieht in der Gemeinschafft des höchsten Wesens. Dieses ist das Platonische Ideal, welches ein 12fanatisches Ideal ist. 12
fanatisches Hg.] phanatisches Kae] | Es ist keineswegs ohne weiteres klar, daß – eine Vertauschung von Buchstaben annehmend – in ‚phantastisch‘ (Mnz S. 11; XXVII: 250,14) geändert werden muß. In den älteren Passagen der Kantischen Notizen in den Baumgarten’schen Initia, wo ‚Platon‘ oder ‚Platonisch‘ vorkommt, steht in der Regel nur „mystisch“ als Adjektiv (XIX: 095,16; 104,16; 108,26f.); allein in R: 6611 einmalig „fanatisch“ (XIX: 109,18). Nimmt man den Sprachgebrauch der Anthropologie-Vorlesung hinzu, dann liefert das Ms-Parow (1772/73) p. 61: „Es ist daher Fanatismus wenn ein Mensch immer denckt in Gemeinschaft mit höhern Geistern zu seyn immer sehr gefähr-
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Das Ideal des Christen ist das Ideal der Heiligkeit und das Muster ist der Christ. Der Christ ist auch ein blosses Ideal, ein Urbild von der sittlichen Vollkommenheit, welches [19] heilig ist durch die Göttliche Beyhülfe. Dieses muß aber nicht mit den Menschen vermengt werden, die sich Christen nennen, denn die suchen nur diesem Ideal, diesem Muster näher zu kommen. Epicur und Zeno fehlten darinn, daß Epicur der Tugend Triebfeder geben wollte, und keinen Werth. Die Triebfeder war die Glükseligkeit und der Werth die Würdigkeit. Zeno erhob den inneren Werth der Tugend, und setzte darin das höchste Guth und benahm der Tugend die Triebfeder. Epicurs höchstes Guth war also die Glükseligkeit oder wie er es nannte Wollust, das ist eine innere Zufriedenheit und ein fröhliches Hertz. Man muste sicher seyn für allen Vorwürfen von sich und von andern, das ist aber keine Philosophie der Wollust, man hat 13ihn also übel verstanden. 16Man hat noch einen Brief von ihm, worin er jemanden zu sich invitirt, wo er ihn aber mit nichts aufzunehmen verspricht, als mit einem fröhlichen Hertzen, und mit der Polenta, das ist eine 14schlichte epicureische Mahlzeit. Solche
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lich.“ mit einer fast parallelen Formulierung zur Ethik-Vorlesung (p. 146) einen Bestätigung für die Lesart ‚fanatisch‘; denn „Fanatismus“ ist die gedachte Gemeinschaft mit höheren Geistern. Vgl. die damit ganz einstimmige Definition in den Beobachtungen von 1764 (II: 251,32ff.) und den Wortgebrauch der Moral-Herder (XXVII: 021f.). – In der Moral-Kaehler ist ‚fanatisch / phanatisch‘ viermal gebraucht (p.: 18, 147, 211, 433). Vgl. Mnz S.: 011,12; 098,05; 144,07; 303,32; wobei an den ersten drei Stellen ‚phantastisch‘ gesetzt ist. Ähnlich Collins/Lehmann XXVII: 250,14; 305,07; 338,14; 460,16. Wobei in Apparat und Varianten in Bd. XXVII teilweise auch dort ‚fanatisch‘ bzw. ‚phanatisch‘ (S. 1182, 1207, 1235, 1258, 1269) belegt ist. Mrongovius hat „phantastisch“ XXVII: 1402,43; 1451,02, 1573,39 und „fanatisch“ XXVII: 1478,07. – Zur Gegenüberstellung von „Phantast“ und „Fanatiker“ vgl. II: 267. ihn Hg.] ihm Kae] schlichte Hg.] schlechte Kae] [XXVII: 250,29] „Kant denkt wohl an den Brief an Menoikeus; vgl. Diogenes Laertius, De vitis philosophorum X, 130 f.“ Menzer 1924, S. 332, vgl. Gerhard Lehmann (XXVII: 1109).
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Wollust war also eine Wollust eines Weisen. Er nahm also der Tugend den Werth, indem er die Sittlichkeit zum Mittel der Glükseligkeit machte. Zeno machte es umgekehrt, er setzte die Glükseligkeit in den Werth und gab der Tugend keine Triebfeder. [20] Triebfeder sind alle Gründe unseres Willens, die hergenommen sind von den Sinnen. Das Bewustseyn der Würdigkeit der Glükseligkeit stillt noch nicht die Begierden des Menschen, und wenn der Mensch seine Begierden nicht erfüllt, wenn er auch in sich fühlt, daß er würdig ist, so ist er doch nicht glüklich. Die Tugend gefällt über alles, nur sie vergnügt nicht, denn alsdenn würden alle tugendhafft seyn. Die Begierden eines Tugendhafften sind um dieser Tugend willen desto stärker nach der Glükseligkeit sich zu sehnen; je tugendhaffter und wenig glüklicher ein Mensch ist desto schmertzhaffter ist es, daß er nicht glüklich ist, ob er gleich dessen würdig ist, alsdenn ist der Mensch mit seinem Verfahren aber nicht mit seinem Zustande zufrieden. Epicur versprach dem Menschen Zufriedenheit mit sich selbst, wenn er es erst so würde gemacht haben, daß sein Zustand glüklich sey. Zeno versprach dem Menschen Zufriedenheit mit seinem Zustande, wenn er es erst so würde gemacht haben, daß er mit sich selbst zufrieden seyn werde. Der Mensch kann mit sich pragmatisch oder moralisch zufrieden oder unzufrieden seyn; beydes wird aber sehr offt bey dem Menschen verwechselt, er glaubt offt Gewissensbisse zu haben, ob er sich gleich nur für einem Richter der Klugheit fürchtet. Wenn man jemanden [21] in einer Gesellschafft offendirt hat, so macht man sich zu Hause Vorwürfe deswegen, welches Vorwürfe vom Richter der Klugheit sind, indem man sich einen Feind zu vermuthen hat; denn alle Reproche der Klugheit ist diejenige, durch die ein Schaden entsteht, weiß man nun, daß es der andere es nicht gemerkt hat, so ist man zufrieden, folglich ist es ein Vorwurf der Klugheit, und man hält es doch für einen Vorwurf der Sittlichkeit. Nun sagte Epicur: Führe dich so auf, daß du keine Vorwürfe von dir und von andern zu erwarten hast, so bist du glüklich.
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Das Ideal der Heiligkeit ist nach der Philosophie genommen das vollkommenste Ideal, denn es ist ein Ideal der grösten reinen sittlichen Vollkommenheit, weil aber solche von dem Menschen nicht kann erreicht werden, so gründet es sich auf den Glauben eines Göttlichen Beystandes. Nicht allein die Würdigkeit der Glükseligkeit hat in diesem Ideal die gröste sittliche Vollkommenheit, sondern dieses Ideal hat auch die gröste Triebfeder und das ist die Glükseligkeit aber nicht in dieser Welt. Also das Ideal des Evangelii hat die gröste Reinlichkeit der Sitten und auch die gröste Triebfeder, das ist die Glükseligkeit oder die Seligkeit. Die Alten hatten keine grössere sittliche Vollkommenheit, [22] als die aus der Natur des Menschen fliessen konnte, da nun diese sehr mangelhafft war, so waren auch ihre moralische Gesetze mangelhafft; ihr moralisches System war also nicht rein, sie accommodirten die Tugend der Schwäche des Menschen, folglich war sie incomplet. In diesem Ideal ist aber alles complet und da ist die gröste Reinlichkeit und die gröste Glükseligkeit. Die principia der Sittlichkeit sind in ihrer gantzen Heiligkeit vorgetragen, und nun heißt es, du sollst heilig seyn; weil aber der Mensch unvollkommen ist, so hat dieses Ideal ein adjument, nemlich göttlichen Beystand.
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Vom principio der Moralitaet. *Nachdem wir das Ideal der grösten sittlichen Vollkommenheit erwogen haben, so müssen wir sehen, worin das principium der Sittlichkeit bestehe. *Vorläufig ist davon noch nichts mehr gesagt, als daß es auf der Bonitaet der freyen Willkür beruhe, es muß aber untersucht werden, worin eigentlich das principium der Sittlichkeit 15bestehe. Es hält überhaupt sehr schwer das erste principium der Wissenschafft festzusetzen, besonders wenn schon die Wissenschafften einige Grösse erreicht haben. So ist es 15
bestehe. Hg.] beruhe. Kae]
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schwer das erste principium [23] zE. des Rechts, der Mechanic festzusetzen. Da wir doch aber alle ein principium der moralischen Diiudication haben müssen, nach welchem wir einstimmig darüber urtheilen können, 16 was sittlich gut oder nicht gut ist, so sehen wir ein, daß es ein einiges principium geben muß, das aus dem Grunde unseres Willens fließt. Nun kommt es darauf an dieses principium zu eruiren, worin wir die Sittlichkeit setzen, und wornach wir das sittliche vom Unsittlichen unterscheiden können. Wenn ein Mensch viele gute Fähigkeiten und Geschiklichkeiten besitzt, so frägt sich doch gleich, wie ist denn sein Character?; wenn er alle Bonitaeten besitzt, so frägt man doch immer nach seiner moralischen Bonitaet. Was ist denn nun das oberste principium der Sittlichkeit, wornach wir alles beurtheilen, und worin unterscheidet sich die sittliche Bonitaet von aller übrigen Bonitaet? Ehe wir diese Frage bestimmen, *müssen wir erst die Eintheilung der verschiedenen Gesichtspunkte anführen, aus denen das principium auf verschiedene Art bestimmt ist. 17Der Lehrbegrif (welcher hier nicht ein Lehrgebäude anzeigt, sondern nur 17einen Begrif, aus welchem man ein Lehrgebäude machen kann) der Moralitaet bestehet darin, daß die Moralitaet entweder auf 18empyrischen oder [24] auf Intellec-
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| Dittographie, gestrichen: „Wenn ein Mensch viele gute Fähigkeiten“. einen Hg.] ein Kae] [XXVII: 252,29] Der Terminus „Lehrbegriff “ ist in den Kantischen Schriften bis 1785 geläufig, für die frühen Schriften vgl. insbesondere II: 013,02. In der Grundlegung wird er einmalig gebraucht in einer Wendung gegen verschiedene ‚Theorien der Sittlichkeit‘ (IV: 443,28), die deutlich auf die eigene Vorlesungspraxis („Widerlegung aller dieser Lehrbegriffe“) Bezug nimmt. Offensichtlich hat Kant zur Zeit der Vorlesung seinen eigenen „Lehrbegriff “, seine eigene Theorie der Moral, noch nicht so weit entwickelt, wie sie in den Zusätzen der Reflexion 6631 (XIX: 119,10) in den Initia festgeschrieben ist; vgl. auch das ‚Lose Blatt Duisburg 6‘ (R: 7202 / XIX: 280,17). [XXVII: 252,33] Mit dem Abweis ‚empirischer Prinzipien‘ in der Moral wollte Kant im Winter 1770/71 beschäftigt sein; vgl. seinen Brief an Lambert vom 2. Sept. 1770 (X: 097,29 ff.).
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tualen Gründen beruhe, und entweder aus empyrischen oder intellectualen Principien abzuleiten sey. Empyrische Gründe sind die von den Sinnen abgeleitet werden, in so ferne unsere Sinne wodurch befriedigt werden. Intellectuale Gründe sind die, da alle Moralitaet aus der Uebereinstimmung unserer Handlungen mit den Gesetzen der Vernunfft abgeleitet wird. 19Also Systema morale est vel Empyricum vel intellectuale. Wenn das System der Moral auf empyrischen Gründen 18beruhet, so beruhts entweder auf innern oder äussern Gründen, nach den Gegenständen des inneren und äussern Sinnes. Beruht die Moralitaet auf innern Gründen, so ist das der erste Theil des empyrischen Systems, beruht sie auf äussern Gründen, so ist das der zweyte Theil des empyrischen Systems. Die die Moralitaet aus den innern Gründen des empyrischen principii herleiten, nehmen ein Gefühl an, ein physisches und ein moralisches Gefühl. Das physische Gefühl besteht in der Selbstliebe, die zwiefach ist, der Eitelkeit und des Eigennutzes; sie ziehlt ab auf seinen eigenen Vortheil und ist ein eigensichtiges principium, wodurch unsere Sinne befriedigt werden; es ist ein principium der Klugheit. Die Autores des principii der Selbstliebe sind, unter den Alten, [25] Epicur, wie er auch überhaupt ein principium der Sinnlichkeit hatte; unter den Neuern 20Helvetius,
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beruhet, Hg.] beruhe, Kae]
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[XXVII: 253,01] Die nachfolgend en detail (bis p. 28) durchgeführte Einteilung findet sich fast genauso noch in einer Tafel der 1788 erschienenen Critik der practischen Vernunft (V: 040). In der Vorlesung wird das Thema p. 69 unter einem anderen Blickwinkel wieder aufgenommen. [XXVII: 253,15] Vielleicht ist nicht nur an den 1760 übersetzten Discurs über den Geist des Menschen, aus dem Kant häufiger zitiert – er besaß ein Exemplar (Warda 1922, S. 49) –, sondern auch an das zweibändige Hinterlassene Werk vom Menschen, von dessen Geistes-Kräften, und von der Erziehung desselben zu denken. Die Übersetzung ist 1774 in 2 Bänden erschienen. Zu Beginn des zweiten Bandes findet man eine für das Thema der Vorlesung einschlägige längere Auseinandersetzung mit Rousseau über die Lehr- bzw. Lernbarkeit der Tugend. In den Notaten zu den Initia wird Helvétius zweimal erwähnt
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21Mandeville. Das zweyte principium des innern Grundes des empyrischen Systems ist, wenn der Grund im moralischen Gefühl gesetzt wird, wodurch man unterscheiden kann, was gut und böse ist. Die vornehmste Autores sind 22Shaftesbury, 23Hutcheson.
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(R: 6611 / XIX: 109,29; R: 6637 / XIX: 122,02); nur an der letzteren Stelle ist er in Parallele gesetzt zu Mandeville. [XXVII: 253,15a] Vor dem Hintergrund der deutschen Rezeptionsgeschichte des Bernard Mandeville im 18. Jahrhundert ist seine namentliche Nennung in der Vorlesung (auch bei Powalski XXVII: 107,28), den Notaten zu den Initia (XIX: 118,28; 122,02) und in der Critik der practischen Vernunft (V: 040) auffällig. Es scheint, als ob Kant „was the only critic of Mandeville in eighteenth-century Germany who had a clear grasp of the quality of Mandeville’s thought.“ (Fabian 1976, S. 722). Es ist darüberhinaus anzunehmen, daß Kant über Mandeville’s moralphilosophische Ansichten nur indirekt informiert war. [XXVII: 253,18] Bereits in seiner Programmschrift für das Wintersemester 1765/66 hat Kant sich positiv auf Shaftesbury bezogen (II: 311,26), dessen Schriften ihm vermutlich durch zwei von Spalding verfaßte Übersetzungen (1745 bzw. 1747) bekannt waren. In der Dissertatio pro loco aus dem Sommer 1770 wird Shaftesbury in der gleichen Weise wie in der Vorlesung für die Theorie des moralischen Gefühls in Anspruch genommen (II: 396). Vielleicht hat dabei auch die 1768 herausgekommene deutsche Fassung in den Characteristicks oder Schilderungen von Menschen, Sitten, Meynungen und Zeiten eine Rolle gespielt. Herder hat jedenfalls Kant per Brief vom November 1768 darauf hingewiesen (X: 077,12). In mehreren Passagen des zweiten Teils der Übersetzung ‚Sensus Communis; Versuch über die Gränzen des Witzes und der Laune‘ (1768, S. 65–174) läßt sich erkennen, inwiefern Kant seiner eigenen moralphilosophischen Lehre eine Nachbarschaft zu Shaftesbury hat attestieren können. S. 110 heißt es z. B.: „Wenn die Neigung Gutes zu thun, nicht an sich selbst eine gute und rechtmäßige Neigung ist; so weis ich nicht, wie es möglicher Weise so etwas, als Güte oder Tugend, geben könne.“ Shaftesbury wendet sich gegen Behauptungen (S. 90) „neuerer Philosophen“, wonach „Tugend und Laster […], kein anderes Gesetz oder Maaß [hätten], als bloße Mode und herrschenden Geschmack.“ – Im übrigen vgl. eine kritische Passage des Briefes von Mendelssohn an Kant (25. Sept. 1770, X: 114,30–36): Der Text der Vorlesung zeigt, daß die Formulierung der Dissertatio den intendierten Sachverhalt arg verkürzt hat. [XXVII: 253,19] Kant nennt Hutcheson als wichtigen Referenzautor bereits in seiner ersten explizit moralphilosophischen Schrift, der Untersuchung über
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Zu dem empyrischen System des Lehrbegrifs der Moralitaet gehören zweytens: äussere Gründe. Diejenige, die darin die Moralitaet setzen, sagen: Alle Moralitaet beruhe auf zwey Stükke: Auf der Erziehung und auf der Regierung. Alle Moralitaet wäre nur eine Gewohnheit, und wir urtheilen aus Gewohnheit über alle Handlungen nach Regel der Erziehung oder des Gesetzes der Obrigkeit. Also entspringe die moralische Beurtheilung aus Beyspiel oder aus Vorschrifft der Gesetze. Das erste behauptet 24Montaigne. Er sagt: Wir finden den Menschen in
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die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1763); nämlich II: 300,22; vgl. II: 311,26 / IV: 442,36 / V: 040. – Kant besaß Exemplare der Übersetzungen von 1760 und 1762 (Warda 1922, S. 50); im übrigen vgl. die Arbeiten von Dieter Henrich 1954 – 1966. [XXVII: 253,27] Von wem ist die Rede? Auch in der Critik der practischen Vernunft (V: 040) steht ‚Montaigne‘ für den Part einer durch Erziehung bestimmten Moral. – In der Herder’schen Ethik-Nachschrift aus den 1760er Jahren wird jedoch in eben dem Kontext von Voltaire gesprochen (XXVII: 043,06ff.): „Aber wenn Voltaire alles Gewissen vor erworben hält, und es durch einige Beispiele der Nationen beweist, so ist dies zu weit: – die Esquimaux, die ihre Eltern ermorden, als einen Liebesdienst, […].“ Irmscher, der 1964 die Herder’schen Notizen zuerst herausgegeben hat, nahm ein Versehen an und verwies für die zitierte Stelle auf Kap. 3 ‚No innate practical principles‘ des ersten Buches in John Locke’s Essay concerning Humane Understanding (1690). Der 9te Paragraph enthält in der Tat eine lange Liste von Fundstellen für unterschiedliche Moralvorstellungen diverser Völkerschaften. Doch ist just das Beispiel der Esquimaux nicht darunter. Dieses wird nun in einer Nachschrift des Geographie-Kollegs aus der Mitte der 1770er Jahre (Kaehler p. 20 / Rink-Edition IX: 164,20ff.) im europäischen Lappland verortet – dem älteren Diktat-Text (Holstein p. 337 / Rink-Edition IX: 432,12 ff.) zufolge war dies jedoch im nördlichen Amerika Brauch. Nur für diese Stelle ist die literarische Quelle identifiziert. In dem 1758 erschienenen, Nordamerika gewidmeten Bd. 16 der Allgemeinen Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande ist S. 648 zu lesen: „Wenn sie das Alter außer Stand setzet, zu arbeiten, so stellen sie einen Schmaus an, wozu sie ihre ganze Familie einladen. Nach einer langen Rede, worinnen sie die Einigkeit anpreisen, überreichen sie demjenigen von ihren Kindern, welches sie am liebsten haben, einen Strick, den sie sich selbst um den Hals fest machen, und bitten es, sie zu erdrosseln, damit sie vom Leben befreyet würden, welches ihnen und andern zur Marter ist. Jedermann lobet ihren Entschluß; und der Sohn eilet, ihnen zu gehorchen. Man wird Gelegenheit haben, in einem andern
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verschiedenen Gegenden in Ansehung der Moralitaet auch verschieden, so ist in Africa der Diebstall erlaubt, so ist in China den Eltern erlaubt ihre Kinder auf die Strasse zu werfen, die Esquimaux erdrosseln sie und in Brasilien vergraben sie sie lebendig. Das zweyte behauptet 2519Hobbes. Er sagt: Die Obrigkeit kann alle Handlungen [26] erlauben und auch verbieten. Also lassen sich die Handlungen nicht aus der Vernunfft moralisch beurtheilen, sondern man handelt nach Beyspiel der Gewohnheit und nach Befehl der Obrigkeit; folglich wäre kein moralisches Principium als nur aus der Erfahrung entlehnt. Allein wenn das principium der Moralitaet auf der Selbstliebe beruht, so beruht es auf einem zufälligen Grunde; denn die Beschaffenheit der Handlungen, nach welcher sie mir Vortheil bringen oder nicht, beruht auf zufälligen Umständen. Beruht das principium auf einem moralischen Gefühl, wo man die Handlungen nach dem Wohlgefallen oder Mißfallen, nach dem Ekel oder überhaupt nach dem Gefühl des Geschmaks beurtheilt, so beruht es auch auf einem zufälligen Grunde. Denn wenn Iemand eine Annehmlichkeit woran hat, so kann ein anderer einen Abscheu davor haben; 26so speyen die Wilden den 19
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Hobbes Hg.] Hobes Kae] Abschnitte ihre Gebräuche beyzubringen.“ – Kurz: Weder bei Montaigne, noch sonst haben sich eine oder mehrere Stellen ausmachen lassen, die den in der Ethik-Vorlesung dargelegten Sachverhalt literarisch hinreichend absichern können. Eine für die chronologische Bestimmung relevante Information scheint hier nicht verborgen zu sein; denn die Ratio der Stelle ist eindeutig: ein Autor (Montaigne) und je ein Beispiel für absonderliche Moral-Vorstellungen aus den vier nicht zu Europa gehörigen Weltgegenden: Afrika, Asien, Nord- und Südamerika. [XXVII: 253,32] Obwohl kein Titel eines Werkes genannt ist, wird man in erster Linie an den Leviathan denken müssen, der zuerst in englischer (1651) und dann auch in lateinischer Sprache (1670) erschienen ist. In den Notizen zu den Initia nennt Kant sowohl ‚Hobbes‘ (XIX: 099,34; 121,17) als auch den ‚Leviathan‘ (XIX: 099,24 & 31). [XXVII: 254,06] Die Stelle ist auffällig, denn sowohl in der Vorlesung über Geographie und als auch der über Anthropologie wird häufig auf Brandwein
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Wein aus, den wir gerne trinken. Und so ist es auch mit den äussern Gründen der Erziehung und Regierung. Also beruht das principium der Moralitaet nach dem empyrischen System auf zufälligen Gründen. Das zweyte systema morale ist das Intellectuale. Nach diesem urtheilt der Philosoph, daß das principium [27] der Moralitaet einen Grund im Verstande habe und völlig a priori eingesehen werden kann. ZE. du sollst nicht lügen; wenn dies auf dem principio der Selbstliebe beruhen sollte, so würde es heissen, du sollst nur dann nicht lügen, wenn 20es dir Schaden zuwege bringt, wenn es aber Nutzen schaffte, so wäre es erlaubt. Beruhte es auf dem moralischen Gefühl, so würde demjenigen, der ein so feines moralisches Gefühl nicht hat, welches ihm einen Ekel wieder die Lügen zuwege brächte, erlaubt seyn zu lügen. Möchte es auf der Erziehung und Regierung beruhen, so könnte derjenige, der so erzogen ist, und der unter solcher Regierung stünde, die das erlaubt, frey haben zu lügen. Aber wenn es beruht auf einem principio, welches im Verstande liegt, so heißt es schlechthin: du sollst nicht lügen, die Umstände mögen seyn wie sie wollen. Wenn ich meine freye Willkür betrachte, so ist das eine Uebereinstimmung der freyen Willkür mit sich selbst und anderer. Es ist also ein nothwendiges Gesetz der freyen Willkür. Diejenige principia aber, die allgemein, beständig und nothwendig gelten sollen, können nicht aus der Er20
es Kae] | sc. das Lügen. Vgl. Anm. zu p. 11. trinkende, ja saufende wilde Völker auf allen nicht europäischen Kontinenten hingewiesen. Im Unterschied zum Brandwein (eine Erfindung der Europäer) sind vergorene Tiermilch oder Pflanzensäfte, wie Bier oder Wein, Bestandteil vieler Kulturen. Worauf zielt also die Bemerkung der Moral-Vorlesung? Möglich ist, daß an eine ganz besondere Gruppe von ‚Wilden‘ zu denken ist, nämlich an die Südsee-Insulaner, die mit der ersten Cook-Reise bzw. den Berichten von dem französischen, von Bougainville geleiteten Pendant zu einem großen Thema der europäischen Reiseliteratur geworden sind. Vgl. die in Bd. XXV im Kommentar-Nr. 063a zur ‚Menschenkunde‘ zitierte Stelle aus Hawkesworth 1774, Bd. 2, S. 197 f.
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fahrung, sondern aus reiner Vernunfft abgeleitet werden. Iedes moralische Gesetz [28] drükt eine cathegorische Nothwendigkeit aus und nicht eine solche, die aus der Erfahrung geschöpft ist Alle nothwendige Regel müssen a priori feststehen, folglich sind die principia intellectual. Die Beurtheilung der Moralitaet geschicht gar nicht durch sensitive und empyrischen Principiis, denn die Moralitaet ist gar kein Gegenstand der Sinne, sondern sie ist ein Gegenstand blos des Verstandes. Dieses Intellectuale principium kann zwiefach seyn 1. So ferne es beruht auf der innern Beschaffenheit der Handlungen, so ferne wir sie durch den Verstand betrachten. 2, Oder es kann ein äusseres principium seyn, so ferne unsere Handlungen ein Verhältniß haben mit einem andern fremden Wesen. Dieses principium ist das theologische principium der Moral, man hat also eine theologische Moral, so wie man auch eine moralische Theologie hat. Dieses theologische principium ist aber auch irrig; denn der Unterscheid des sittlich Guten und Bösen besteht nicht im Verhältniß auf ein anderes Wesen, sondern das principium morale est intellectuale internum. Worin nun dieses principium intellectuale internum bestehe, *das soll unser Zwek in der Moral seyn, dasselbige zu bestimmen, welches [29] aber nur mit der Zeit nach und nach kann ausgemacht werden. Alle imperativi sind Formeln einer practischen Necessitation. Die practische Necessitation ist eine Nothwendigmachung einer freyen Handlung. Alle unsere freye Handlungen können aber zwiefach necessitirt werden: entweder sie können nach Gesetzen der freyen Willkür nothwendig seyn und denn sind sie practisch nothwendig; oder sie können nach Gesetzen der sinnlichen Neigung nothwendig seyn, und denn sind sie pathologisch nothwendig; demnach werden unsere Handlungen practisch necessitirt das ist nach Gesetzen der Freyheit, oder 21pathologisch das ist nach Gesetzen der Sinnlichkeit. Die practi21
pathologisch Hg.] patologisch Kae]
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sche Necessitation ist eine objective Necessitation der freyen Handlungen; die pathologische Necessitation ist eine subjective Necessitation. Also alle objective Gesetze unserer Handlungen sind alle practisch nothwendig und nicht pathologisch. Alle imperativi sind nur Formel der practischen Necessitation, sie drükken eine Nothwendigkeit unserer Handlungen aus unter der Bedingung der Bonitaet. Die Formel, die die practische Nothwendigkeit ausdrükt ist die caussa impulsiva einer freyen Handlung, und weil sie objectiv necessitirt, so nennt man [30] sie ein motivum oder einen Bewegungsgrund, also zur jeden practischen Necessitation gehört ein motivum. Die Formel, die die pathologische Necessitation ausdrükt, ist caussa impulsiva per stimulos, weil sie subjectiv necessitirt. Also alle objective Necessitations, sind necessitationes per motiva, und alle subjective Necessitations sind necessitationes per stimulos. Die Imperativi enunciren die objective Necessitation, und da es dreyfache Imperativos giebt, so giebts auch eine dreyfache Bonitaet. 1, Der Imperativus problematicus sagt: Etwas ist gut als ein Mittel zu einem beliebigen Zwek, und das ist die Bonitas problematica. 2, Der pragmatische Imperativus ist ein Imperativus nach dem Urtheil der Klugheit, und sagt, daß die Handlung nothwendig sey als ein Mittel zu unserer Glükseligkeit, hier ist schon der Zwek bestimmt, also ist dieses eine Necessitation der Handlung unter einer Bedingung, zwar aber unter einer nothwendigen und allgemein gültigen Bedingung; und das ist die Bonitas pragmatica. 3, Der moralische Imperativus enuncirt die Bonitaet [31] der Handlung an und vor sich selbst, also ist die moralische Necessitation cathegorisch und nicht hypothetisch, die moralische Nothwendigkeit besteht in der absoluten Bonitaet der freyen Handlung, und das ist die Bonitas moralis.
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Aus diesen dreyen imperativis entspringt folgendes: Alle moralische Necessitation ist eine Obligation, und die Nothwendigkeit der Handlung aus Regel der Klugheit oder die pragmatische Necessitation ist keine Obligation. Die Verbindlichkeit ist also eine practische und zwar moralische Verbindlichkeit. Alle Verbindlichkeit ist entweder aus Pflicht oder eine ZwangsVerbindlichkeit, *wovon in der Folge ein Mehreres gesagt wird. Alle Obligation ist nicht blos eine Nothwendigkeit der Handlung, sondern auch eine Nöthigung, eine Nothwendigmachung der Handlung, also ist die obligatio necessitatio und nicht necessitas. Der Göttliche Wille ist in Ansehung der Moralitaet nothwendig, aber der Menschliche Wille ist nicht nothwendig, sondern genöthigt. Also ist die practische Nothwendigkeit in Ansehung des höchsten Wesens keine Obligation, das höchste Wesen handelt moralisch nothwendig aber hat keine Obligation. Warum sage ich nicht: Gott ist verbunden wahrhafftig, heilig p zu seyn. Die moralische [32] Nothwendigkeit ist eine objective Nothwendigkeit; wo sie aber auch eine subjective Nothwendigkeit ist, denn ist sie keine Necessitation. Die moralische Nothwendigkeit ist alsdenn eine objective NothwendigMachung und eine Obligation, wenn die subjective Nothwendigkeit zufällig ist. Alle Imperativi drükken die objective Nothwendigmachung der Handlung aus, die aber subjectiv zufällig seyn. zE. du sollst essen, wenn dich hungert und du was hast, dieses ist eine subjective Nöthigung und auch eine objective und deswegen ist es keine Necessitation oder Obligation. Also in Ansehung eines vollkommenen Willens, bey dem die moralische Nothwendigkeit nicht allein objectiv, sondern subjectiv nothwendig ist, findet keine Necessitation und Obligation statt; aber in Ansehung eines unvollkommenen Wesens, wo das moralische Gute objectiv nothwendig ist, da findet die Nothwendigmachung und Nöthigung und also auch die Obligation statt. Es müssen demnach die sittlichen Handlungen nur zufällig seyn, wenn sie eine Nöthigung haben sollen, und die einen moralisch unvollkommenen Willen haben, stehen unter der Verbindlichkeit, und das sind Menschen.
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Alle Obligation ist aber eine necessitatio practica und nicht pathologica, eine objective und nicht subjective Nöthigung. Eine pathologische Necessitation ist, wo die [33] Triebfeder aus den Sinnen und aus dem Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen hergenommen sind; der etwas thut, weil es angenehm ist, wird pathologisch necessitirt, der etwas thut, weil es gut ist an und vor sich, der handelt nach Motiven und wird practisch necessitirt. Also die caussae impulsivae, so fern sie vom Guten hergenommen sind, sind aus dem Verstande, und ein solcher, der laut denen wozu bewogen wird, wird per motiva necessitirt; so ferne aber die caussae impulsivae vom Angenehmen hergenommen sind, sind aus den Sinnen, und ein solcher, der laut denen wozu bewogen wird, wird per stimulos necessitirt. Demnach ist alle Obligation nicht eine pathologische oder pragmatische Necessitation, sondern eine moralische; die motiva sind entweder hergenommen aus pragmatischen Gründen oder aus moralischen der innern Bonitaet. Alle pragmatische motiva sind nur bedingt, in so fern als die Handlungen Mittel der Glükseligkeit sind, also ist hier kein Grund in der Handlung selbst, sondern als ein Mittel. Also alle Imperativi pragmatici hypothetice necessitant et non absolute. Aber die Imperativi morales necessitant absolute, und enunciren eine Bonitatem absolutam, so wie die [34] Imperativi pragmatici eine Bonitatem hypotheticam enunciren. Die Wahrhafftigkeit kann nach Gründen der Klugheit also mittelbar gut seyn zE im Handel, da ist sie so gut als baar Geld, aber absolut betrachtet, so ist wahrhafft zu seyn an sich selbst gut und in aller Absicht gut, und die Unwahrheit an sich selbst schändlich. Also ist die moralische Necessitation absolut, und das motivum morale enuncirt Bonitatem absolutam. Wie das möglich ist, daß eine Handlung eine Bonitatem absolutam hat, *kann noch nicht erkläret werden. Vorläufig muß man aber merken: Die UnterOrdnung unsres Willens unter die Regel allgemein gültiger Zwekke ist die innere Bonitaet und absolute Vollkommenheit der freyen Willkür, denn stimmt sie mit allen Zwekken überein, das in casu zu zeigen läßt sich nicht so zE. Wahrhafftig
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stimmt mit allen meinen Regeln zusammen, denn eine Wahrheit stimmt mit der andern Wahrheit überein und stimmt auch mit allen Zwekken und auch mit dem Willen anderer überein, so daß sich jeder darnach richten kann. Aber Lügen wiedersprechen sich, stimmen nicht mit meinen Zwekken und mit andern überein. Die moralische Bonitaet ist also die Regierung unserer Willkür durch Regel, wodurch alle Handlungen meiner [35] Willkür allgemein gültig übereinstimmen. Und solche Regel, die das principium der Möglichkeit der Uebereinstimmung aller freyen Willkür ist, ist die moralische Regel. Alle freye Handlungen sind nicht durch die Natur und durch kein Gesetz bestimmt, 27also ist die Freyheit was schrekliches, weil die Handlungen gar nicht determiniret sind. Nun ist in Ansehung unserer freyen Handlungen eine Regel nöthig, wodurch alle Handlungen einstimmig sind und das ist die moralische Regel; stimmen meine Handlungen nach der pragmatischen Regel, so stimmen sie zwar nach meiner Willkür überein, aber nicht mit der Willkür anderer, ja selbst auch nicht einmal mit meiner Willkür, denn sie sind hergenommen von dem Wohlbefinden, Da wir aber das Wohlbefinden nicht a priori einsehen können, so folgt, daß wir keine Regel a priori geben können von der Klugheit, sondern a posteriori, dahero kann es keine Regel für alle Handlungen seyn, sollte sie das seyn, so müste sie a priori seyn, also sind die pragmatische Regel weder mit der Willkür anderer noch mit meiner eigenen übereinstimmend. Dahero müssen Regel seyn, wornach meine Handlungen allgemein gelten, und diese werden von den allgemeinen Zwekken der Menschen hergeleitet, und nach denen [36] müssen unsere Hand27
[XXVII: 258,03] Wenn ich recht sehe, benutzt Kant in seinen Schriften weder als rhetorische Figur noch als Argument ein Erschrecken über die Freiheit. In der Sache ist ein derartiger Schrecken mit dem ‚Horror vacui‘ verwandt: beide wenden sich gegen die Vorstellung einer Lücke in der Natur vgl. Critik der reinen Vernunft – ‚Postulate des empirischen Denkens überhaupt‘ (insbesondere IV: 151,21 ff.; A 229 / B 282: „Denn was das Leere betrifft, […].“). – Die Vorlesung kommt weiter unten p. 222 auf das ‚Schreckliche der Freiheit‘ zurück.
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lungen übereinstimmen, und das sind moralische Regel. Die Moralitaet der Handlungen ist gantz was besonderes, welches sich unterscheidet von allen pragmatischen und pathologischen Handlungen. Dahero muß die Moralitaet gantz subtil, rein und besonders vorgetragen werden. Obgleich aber zur moralischen Bonitaet, wenn nicht moralische motiva fruchten, auch pragmatische, ja wohl auch pathologische caussae impulsivae genommen werden, allein wenn die Frage ist von der Bonitaet der Handlungen, so frägt sich nicht, wodurch man zu der Bonitaet bewegt wird, sondern worin die Bonitaet der Handlung an und vor sich selbst bestehe. Das motivum morale muß also gantz rein an und vor sich selbst erwogen und von andern motivis der Klugheit und der Sinne abgesondert werden. Wir sind in unserm Gemüth von Natur geschikt genug die moralische Bonitaet sehr genau und subtil von der problematischen und pragmatischen Bonitaet zu unterscheiden, und denn ist die Handlung so rein als wenn sie vom Himmel käme. 28Und ein reiner moralischer Grund hat grössere Triebfeder, als wenn er untermengt ist mit pathologischen und pragmatischen motivis; denn solche motiva haben [37] mehr bewegende Krafft für die Sinnlichkeit, aber der Verstand 22sieht auf die allgemein gültige bewegende Krafft. Die Sittlichkeit ist zwar von schlechtem Ein22
sieht auf Hg.] sieht nicht Kae] | Mit Mnz S. 23,02.
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[XXVII: 258,33] Vgl. den Brief an Herz von ‚Ende 1773‘: „Der oberste Grund der Moralität muß nicht blos auf das Wohlgefallen schließen lassen er muß selbst im höchsten Grade wohlgefallen den er ist keine blos spekulative Vorstellung sondern muß Bewegkraft haben und daher ob er zwar intellectual ist so muß er doch eine gerade Beziehung auf die erste Triebfedern des Willens haben.“ (X: 145,12 ff.; Brief Nr. 79. Das Brief-Datum wird genauer auf den 25. Okt. 1773 festzusetzen sein, nämlich als anzunehmenden Einschluß zum Brief Nr. 77; vgl. Stark 2003, S. 33 f.). Eine dem Inhalt nach mit der Briefstelle bzw. den Ausführungen der Vorlesung übereinstimmende Fragestellung ist für Kant verbunden mit dem Namen Sulzer; so jedenfalls sein Hinweis auf den in der AA-Kant als Nr. 62 gezählten Brief vom 8. Dez. 1770; vgl. IV: 411,24 ff. – Zur bewegenden Kraft der Verstandes vgl. die Vorlesung weiter unten p. 85–87 und p. 428.
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druk, sie gefällt und vergnügt nicht so, aber es ist eine Beziehung auf das allgemein gültige Wohlgefallen, sie muß so gar dem höchsten Wesen gefallen und das ist der stärkste BewegungsGrund. Zur Klugheit wird erfordert guter Verstand, und zur Sittlichkeit wird erfordert guter Wille, unser freyes Verhalten beruht blos auf dem guten Willen, wenn es die sittliche Bonitaet besitzen soll, also kann unser Wille an sich gut seyn; bey der Klugheit kommt es nicht auf den Zwek an, denn sie haben alle denselben Zwek nemlich die Glükseligkeit, sondern auf den Verstand, in so fern er den Zwek und die Mittel dazu zu gelangen einsieht, da kann einer klüger seyn als der Andere, also zur Klugheit wird ein guter Verstand, und zur Sittlichkeit ein an sich schlechthin guter Wille erfordert. Der Wille zE. reich zu werden ist gut in Verhältniß auf den Zwek aber nicht an sich selbst. Was nun an sich selbst schlechthin guter Wille ist, auf den die moralische Bonitaet ankommt, *das soll eben erklärt werden. Das moralische motivum muß nicht nur vom pragmatischen [38] unterschieden werden, sondern es kann nicht einmal demselbigen entgegen gesetzt werden. Um dieses besser einzusehen, *so merke man noch vorher: Alle moralische motiva sind blos obligandi oder obligantia; motiva obligandi sind Gründe ad obligandum einen zu obligiren; wenn diese Gründe aber zureichend seyn, so sind sie obligantia verbindende Gründe. Nicht alle Gründe der Verbindlichkeit sind auch verbindende Gründe. Motiva moralia non sufficientia non obligant, sed motiva sufficientia obligant. Es giebt also moralische Regel der Verbindlichkeit, die aber nicht verbinden. zE. Einen in der Noth zu helfen. Es giebt aber auch an sich selbst moralische Regel, die schlechthin obligiren, also nicht allein verbindlich, sondern auch verbindend seyn und meine Handlung nothwendig machen zE. Du solst nicht lügen. Wenn wir die motiva pragmatica und moralia verbinden, sind 23die Homogenia? So wenig als die Redlichkeit, wenn sie einem 23
die Kae] sie Hg?]
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fehlt, dadurch kann ersetzt werden, daß derjenige Geld hat; und so wenig diejenige Person die häßlich ist, dadurch die Schönheit erlangt, wenn sie viel Reichthümer besitzt; eben so wenig können die motiva pragmatica in die Reihe der motivorum moralium gesetzt und mit ihnen verglichen werden. Die necessitirende Krafft kann doch aber mit einander verglichen werden. Es scheint als wenn vor dem [39] Urtheil des Verstandes es rathsamer ist den Vortheil der Tugend vorzuziehen. Allein die moralische Vollkommenheit und der Vortheil können gar nicht verglichen werden, so wenig eine Meile mit dem Iahr kann verglichen werden, denn es ist hier eine Verschiedenheit. Wie geht das aber zu, daß wir es würklich verwechseln? zE. Es ist ein Unglüklicher, der andere sagt, du kannst zwar dem Unglüklichen helfen, aber ohne deinen Schaden. Hier ist wenn der Verstand urtheilt kein Streit zwischen dem moralischen und pragmatischen motivo, sondern zwischen der moralischen und pragmatischen Handlung; denn es sagt mir nicht allein die Klugheit auf meinen Vortheil zu sehen, sondern auch die Sittlichkeit, ich kann nur den Ueberschuß von meinem Vermögen dem Unglüklichen zum Besten verwenden; denn wenn der Mensch seine Mittel weggiebt, so setzt er sich selbst in Bedörfnisse und muß selbst alsdenn Wohlthaten von andern zu erflehen suchen und setzt sich ausser Stand moralisch zu seyn. Also objective kann ein moralisches motivum dem pragmatischen motivo nicht entgegen gesetzt werden, weil sie ungleichartig sind.
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Obligatio activa ist eine obligatio obligantis et obligatio passiva ist eine obligatio obligati; doch der Unterschied ist nicht erheblich. Alle Verbindlichkeit zu grosmüthigen Handlungen sind [40] obligationes activae, ich bin verbunden zur Handlung, die doch ein Verdienst ist. Pflichten, wodurch wir andere verbinden können wenn wir sie ausüben, sind Verdienste. Wir sind zu Handlungen gegen jemanden verbunden ohne diesem andern verbunden zu seyn. Obligati sumus ad actionem ita ut illi non obligati sumus. Wir sind zur Handlung verbunden aber nicht einem verbunden. Ich bin verbunden dem Unglüklichen zu helfen, also zur Handlung, aber nicht dem Menschen, das wäre obligatio activa. Wenn ich aber einem schuldig bin, so bin ich zur Handlung der Bezahlung allein auch dem Creditor verbunden, und das ist obligatio passiva. Es scheint aber daß alle obligatio passiva sey; denn wenn ich verbunden bin, so bin ich genöthiget. Allein bey der obligatio activa ist eine Nöthigung der Vernunfft, ich werde durch meine eigene Ueberlegung genöthigt, es ist also nichts leidendes und die obligatio passiva muß durch einen andern geschehen, wenn man aber durch die Vernunfft necessitirt wird, so herrscht man selbst. Also ist der Unterscheid der Obligation recht. Obligatio passiva est obligatio obligati erga obligantem. Obligatio activa est obligatio obligati erga non obligantem. Autor: Obligations können grösser und kleiner seyn und können sich wiederstreiten. Allein die obligations können sich nicht wiederstreiten, denn was moralisch nothwendig ist, da kann keine andere Obligation das Gegentheil nothwendiger machen zE die Obligation gegen den Creditor die Schuld zu bezahlen [41]
sectio 1: In genere §§ 10 ff.
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und gegen den Vater dankbar zu seyn. Wenn die eine Obligation zu nennen ist, so ist die andere keine Obligation. Gegen den Vater bin ich conditionate obligirt, Gegen den Creditor aber categorice. Also ist das erste eine Obligation und das andere nicht, im ersten Fall ist eine Necessitation und im andern Fall nicht. Also meynt man den Wiederstreit der Motiven aber nicht der Pflicht. Viele obligations, entstehen, wachsen und hören auf. Wenn Kinder geboren werden, so entsteht eine Obligation, und so wie sie wachsen, so wachsen auch die obligations, wenn das Kind Mann wird, so hört die Obligation, die es als Kind schuldig war, auf; es ist zwar noch obligirt, aber nicht als Kind sondern gegen ihre Wohlthäter. Ie mehr ein Arbeiter arbeitet, desto mehr wächst die Obligation, wenn es ihm bezahlt wird, so hört die Obligation auf. Einige obligationes können niemals aufhören zE. gegen den Wohlthäter, der einem zuerst Wohlthaten erwiesen hat, wenn man es ihm auch noch so vergeltet, so bleibt er doch derjenige, der mir zuerst Wohlthat erzeigte und ich bin ihm beständig obligirt. Doch hört in einem Fall die Obligation auf, nemlich wenn mir mein Wohlthäter einen schelmischen Streich spielt, welches aber selten geschiehet, wenn man nur gegen den Wohlthäter dankbar ist. [42] Der Actus, wodurch eine Obligation entspringt heißt actus obligatorius. Ieder Contract ist ein actus obligatorius. Es kann durch einen actum obligatorium eine Obligation gegen mich entspringen, aber es kann auch durch einen actum obligatorium eine Obligation gegen den andern entspringen zE. die Zeugung der Kinder ist actus obligatorius, wodurch sich die Eltern gegen die Kinder Obligation aufgeladen haben. Allein ob durch die Zeugung die Kinder gegen die Eltern obligirt seyn, glaube ich noch nicht, denn das Daseyn ist keine Obligation, denn um da zu seyn ist noch kein Glük an sich selber, ja um recht unglüklich zu seyn, muß man da seyn, sondern sie sind vermöge der Erhaltung ihnen verbunden. Wo die Handlungen gar nicht frey seyn, wo keine Persönlichkeit ist, da giebts auch keine Verbindlichkeit zE. so hat der Mensch keine Verbindlich-
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keit das Schlukken zu unterlassen, denn es steht nicht in seiner Gewalt. Man setzt also zur Verbindlichkeit den Gebrauch der Freyheit voraus. Die obligatio wird unterschieden in positivam et naturalem. Die obligatio positiva ist durch eine positive und willkürliche Festsetzung entsprungen, die obligatio naturalis aber aus der Natur der Handlung selbst. Alle Gesetze sind entweder natürliche oder arbitrariae. Wenn die obligatio aus dem lege naturali entsprungen ist, und zum Grunde die Handlung selbst hat, ist sie naturalis, [43] ist sie aber aus dem lege arbitraria entsprungen und hat den Grund in der Willkür eines andern, denn ist sie obligatio positiva. 29Crusius meynt, alle Verbindlichkeit beziehe sich auf die Willkür eines andern, nach seiner Meynung wäre also alle Obligation eine Necessitation per 24arbitrium alterius. Es hat zwar den Schein, daß man bey einer Obligation necessitirt wird per 25arbitrium alterius; allein ich werde necessitirt durch ein 26arbi24 25 26
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arbitrium Hg.] arbitrarium Kae] arbitrium Hg.] arbitrarium Kae] arbitrium Hg.] arbitrarium Kae] [XXVII: 262,06] Menzer (1924, S. 332) und Lehmann (XXVII: 1110) verweisen auf die Abhandlung De appetitibus insitis voluntatis humanae (1742). In § 49 heiße es: „Est igitur obligatio illa inter superiorem et inferiorem relatio, qua hic ad voluntati illius parendum ob suam ab illo dependentiam impellitur.“ Mit wenigstens dem gleichen Recht kann jedoch auf den § 162 der 1744 erschienenen Anweisung vernünftig zu leben hingewiesen werden, wo es S. 202 heißt: „Die Verbindlichkeit der Tugend ist dasjenige Verhältniß eines Thuns oder Lassens gegen ein göttliches Gesetz, welches macht, daß wenn wir nicht so verfahren, das Gesetz übertreten wird.“ Oder S. 200f.: „Tugend […] Uebereinstimmung des moralischen Zustandes eines Geistes mit dem göttlichen Gesetz“. – In den Notaten zu den Baumgarten’schen Initia wird Crusius nicht namentlich genannt; wohl aber in der tabellarischen Übersicht zu den moralischen Systemen in der Critik der practischen Vernunft (V: 040). Aus Königsberger Perspektive ist darüberhinaus zu notieren, daß der Privatdozent August Wilhelm Wlochatius (1744–1815) im Winter 1775/76 ein moralphilosophisches Kolleg nach Crusius angekündigt hat; Oberhausen / Pozzo (Hg) 1999, S. 381.
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trium internum aber nicht durch ein 27arbitrium externum; also durch die nothwendige Bedingung der allgemeinen Willkür; demnach giebt es auch eine 28natürliche Verbindlichkeit. Alle obligatio positiva geht nicht unmittelbar auf die Handlung, sondern wir sind zu einer Handlung verbunden, die an sich gleichgültig ist. Also alle obligatio positiva est indirecta und nicht directa. zE. wenn ich deswegen nicht lügen sollte, weil es Gott verbothen hat, er hat sie aber verbothen, weil es ihm so gefallen hat, also hätte er sie auch nicht verbieten können, wenn er nicht gewollt hätte. Die obligatio naturalis ist aber directa. Ich muß nicht lügen, weil es von Gott verbothen ist, 30sondern 27 28
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arbitrium Hg.] arbitrarium Kae] natürliche Kae] | Gegen Mnz S. 27,21: „allgemeine“. Vgl. Ms-Kaehler p. 243 bzw. Mnz S. 165. [XXVII: 262,20] Dies ist die erste von – wenn ich recht sehe – insgesamt vier Stellen, wo in der Vorlesung von einem Argument Gebrauch gemacht wird, das auf Platon zurückgeht. Im Dialog Euthyphron heißt es 10 d/e: „Sokrates: Was sagen wir also von dem Frommen, Euthyphron? Nicht, daß es von allen Göttern geliebt wird, wie die Erklärung lautet? / Euthyphron: Ja. / Sokrates: Ob wohl deshalb, weil es fromm ist, oder wegen etwas anderm? Euthyphron: Nein, sondern deshalb. / Sokrates: Also weil es fromm ist, deshalb wird es geliebt, und nicht weil es geliebt wird, deshalb ist es fromm. / Euthyphron: So scheint es. […] / Sokrates: Das Gottgefällige aber sei, weil es von den Göttern geliebt wird, eben dieses Geliebtwerdens wegen gottgefällig, nicht aber, weil es gottgefällig ist, werde es geliebt.“ (Schleiermacher Übersetzung) – Es scheint nun kein Zufall, daß in der Moral-Vorlesung just zwei Verbote als unbedingt, nicht durch den Willen einer transcendenten Gottheit befohlen, vorgestellt werden. a) Du sollst nicht lügen! (p. 43 f.) / b) Du sollst Dich selbst nicht töten! (p. 218, 280). Es sind dies die beiden Kardinalfälle einer reinen moralischen Gesetzgebung, deren Eigenart als ‚obligatio naturalis‘ (Initia § 29) auch allgemein formuliert wird, p. 76: „Es ist wahr, das moralische Gesetz ist ein Befehl und sie können Gebothe des göttlichen Willens seyn, aber sie fliessen nicht aus dem Geboth. Gott hat es gebothen, weil es ein moralisches Gesetz ist und sein Wille mit dem moralischen Gesetz übereinstimmt.“ (vgl. p. 79 f.; p. 97–99). – Im Hinweis auf den Platonischen Euthyphron folge ich einer Anmerkung von Patrice Henriot zu seinem französischen Auszug der Menzer-Edition (1978/79, S. 50) zu Menzer S. 149 (= Kaehler p. 218).
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weil 29es an sich selbst gut ist. Alle Moralitaet beruht aber darauf, daß die Handlungen ausgeübt werden wegen der innern Beschaffenheit der Handlung [44] selbst; also nicht die Handlung macht die Moralitaet, sondern die Gesinnung, aus der ich sie thue. Thue ich etwas, weil es gebothen oder Nutzen bringt und unterlaß ich etwas, weil es verbothen ist, oder Schaden bringt, so ist das keine moralische Gesinnung. Aber thue ich etwas deswegen, weil es an sich selbst schlechterdings gut ist, so ist das eine moralische Gesinnung. Es muß also eine Handlung geschehen nicht deswegen weil sie Gott will, sondern weil sie an sich selbst rechtschaffen und gut ist, und weil sie so ist, so will sie auch Gott und verlangt sie von uns. Obligatio kann affirmativa auch negativa seyn; also wird die negativa nicht der positiva, sondern der affirmativa entgegen gesetzt, 31welches schon einmal in jure auch hier angenommen ist. Obligationem negativam hat der Mensch ad omittendum, obligationem affirmativam hat der Mensch ad committendum. Die Consectaria der Handlungen sind entweder gut oder böse, sie können seyn naturalia und arbitraria, auch physica und moralia. zE. die Folge der Beschaffenheit ist ein Consectarium physicum. Autor nimmt die Consectaria als naturalia und arbitraria an. Naturalia sind solche, die aus der Handlung selbst fliessen, arbitraria, die aus der Willkür eines andern Wesens fliessen zE. die Bestrafungen. [45] Handlungen sind entweder directe an sich gut oder böse oder sie sind indirecte oder zufällig gut oder böse; die Bonitaet der Handlung ist also entweder interna vel externa. Die moralische Vollkommenheit ist vel subjectiva vel objectiva. Die objective Vollkommenheit besteht in der Handlung 29
es Kae] | Nämlich das Nicht-Lügen. Vgl. Anm. zu p. 11 und 27.
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[XXVII: 262,33] Nicht ermittelt. – Das Pütter / Achenwall’sche Lehrbuch des Naturrechts (Elementa iuris naturae, Göttingen 1750) hingegen teilt in § 86 die Verbindlichkeit in positive und negative.
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§ 37/8
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selbst, die subjective Bonitaet besteht in der Übereinstimmung der Handlung mit der Willkür des andern. Moralitas objectiva liegt also in der Handlung selbst. Die oberste Willkür, die den Grund aller Moralitaet enthält ist die Göttliche, also können wir in allen unsern Handlungen entweder objective oder subjective Moralitaet betrachten. Es giebt objective Gesetze der Handlungen und das sind praecepta und die subjectiven Gesetze der Handlungen sind Maximen, sie stimmen selten mit den objectiven Gesetzen der Handlungen überein. Alle objective Moralitaet können wir ansehen als subjective Moralitaet des göttlichen Willens, aber nicht als subjective Moralitaet des menschlichen Willens. Die göttliche Gesinnungen sind moralisch gut, aber nicht des Menschen. Die göttliche Gesinnung oder die göttliche subjective Moralitaet stimmt also [46] überein mit der objectiven Moralitaet, und wenn wir der objectiven Moralitaet gemäs handeln, so handeln wir auch dem göttlichen Willen gemäs, demnach sind alle moralischen Gesetze praecepta, weil sie Regeln sind des göttlichen Willens. In Ansehung der moralischen Beurtheilung sind alle Gründe objectiv und kein eintziger muß subjectiv seyn. Aber in Ansehung der moralischen Triebfeder giebt es subjective Gründe. Also Gründe der Dijudication sind objectiv aber Gründe der Exsecution können auch subjectiv seyn. Zu unterscheiden was sittlich gut oder böse ist, muß nach dem Verstande beurtheilt werden, also objectiv, aber um eine Handlung zu thun können auch subjective Gründe seyn. Die Quaestion ob etwas moralisch sey ist eine Frage, die die Handlung selbst angeht. Die moralische Bonitaet ist also was objectives, denn sie besteht nicht in der Uebereinstimmung mit unsern Neigungen, sondern an und vor sich selbst. Alle subjective Gründe sind aus der Beschaffenheit dieses oder jenes Subjects hergenommen und gelten auch nur in Ansehung dieses oder jenes Subjects, sie sind restringirt auf dieses oder jenes Subject. Die moralischen Gesetze sollen aber allgemein und überhaupt von freyen Handlungen gelten, ohne Ansehen der Verschiedenheit [47] des Subjects.
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Beym Göttlichen Willen sind die subjectiven Gesetze seines Willens mit den objectiven Gesetzen des allgemeinen guten Willens einerley, aber sein subjectives Gesetz ist kein Grund der Moralitaet, er ist selbst deswegen gut und heilig, weil sein Wille diesem objectiven Gesetz gemäs ist. Also die Frage der Moralitaet bezieht sich gar nicht auf subjective Gründe, sondern kann nur allein nach den objectiven Gründen ausgemacht werden. Wenn wir die Moralitaet unterscheiden in objective et subjective Moralitaet, so ist das gantz wiedersinnig, denn alle Moralitaet ist objectiv, allein die Bedingung der Anwendung der Moralitaet kann subjectiv seyn. Des Autors erstes moralische Gesetz ist: Fac bonum et omitte malum.
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Das Gute muß vom Angenehmen unterschieden werden. Angenehm geht auf die Sinnlichkeit, gut auf den Verstand. 32Der Begrif des Guten ist ein Gegenstand der allen gefällt, folglich kann er durch den Verstand beurtheilt werden. Das Angenehme gefällt nur nach dem privat Wohlgefallen. Also könnte der Satz bedeuten: Thue das, was dein Verstand dir als gut vorstellt, und nicht, was deinen Sinnen [48] angenehm ist. Allein wenn das auch ist, so wissen wir doch, daß alle Imperativi sagen, man soll das thun was gut ist und nicht was angenehm ist, das Sollen bedeutet immer die Bonitaet des Guten und nicht des Angenehmen, also bleibt es doch tautologisch. Bey diesem Satz hätte 32
[XXVII: 264,14] In den frühen Nachschriften der Vorlesung über Anthropologie ist die Trias der wertenden Prädikate komplett (Parow p. 186 / XXV: 387): „Was in der Empfindung gefällt, das vergnügt, was in dem Geschmack gefällt das ist schön und was denn im Verstande gefällt, das ist gut und wird gebilligt. Was vergnügt, ist angenehm, was gefällt, ist schön, und was gebilligt wird ist gut.“ Vgl. Collins p. 145 bzw. ganz ähnlich die R: 6603 in den Initia. Ansonsten wird in den Notaten zu den Initia das Gute nur dem Angenehmen gegenübergesetzt; vgl. R: 6589, 6691, 6845.
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doch können der Unterscheid der Bonitaet gemacht werden: Thue das was moralisch gut ist. Allein alsdenn müste eine andere Regel seyn, die da sagte, worin die moralische Bonitaet bestehe. Also kann es auf keine Art ein principium der Moralitaet seyn. Nicht alle Imperativi sind obligations, welches der Autor meynt, so sind die Imperativi problematici et pragmatici keine obligations; *ut supra. Die Obligation ist aber nach dem Autor: die Verknüpfung der vorzüglichen Gründe zu meiner Handlung. Denn er sagt: das Gute hat bewegende Gründe in sich zu handeln und das vorzüglich Gute hat vorzügliche BewegungsGründe zu handeln. Der Satz aber Fac bonum et omitte malum kann kein moralischer Grundsatz seyn zur Verbindung, denn das Gute kann vielfältig gut seyn zu beliebigen Zwekken: denn ist es ein Grundsatz der Geschiklichkeit und der Klugheit, wenn es aber gut ist zu moralischen Handlungen; denn wäre es ein moralischer [49] Grundsatz. Also ist dieses ein principium vagum. Ferner ist es auch ein principium tautologicum. Eine tautologische Regel ist welche, indem sie eine Frage auflösen soll eine leere Resolution giebt. Wenn die Frage ist: Was soll ich thun in Ansehung meiner Verbindlichkeit? und die Antwort: Thue das Gute und unterlasse das Böse, so ist das eine leere Antwort; denn Fac bedeutet soviel als, es ist gut daß es geschehe, also heist der Satz, es ist gut, daß du das Gute thust, folglich tautologisch. Er giebt nicht zu erkennen, was gut sey, sondern er sagt, daß ich das thun soll, was ich thun soll. Es ist keine Wissenschafft mit tautologischen Sätzen so angefüllt als die Moral, sie bringt das zur Auflösung, was die Quaestion war, die Quaestion ist mit der Resolution des Problems tautologisch. Denn das, was im Problem oder Quaestion implicite war 30und in der Resolution explicite gesetzt ist, ist tautologisch, und die Moral ist voll solcher Sätze, und ein jeder denkt alles gethan zu haben, wenn er seinem Lehrling die Sätze der Moral so erklärt und an30
und in Hg.] in Kae]
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gezeigt hat. zE. Wenn jemand Verstopfung hat und der Medicus sollte sagen: Mache, daß deine Gedärme schlüpfrig seyn, dunste gut aus und verdaue gut; so ist dieses, was er gesagt das, was er eben wissen wollte. Das sind tautologische Regeln der Diiudication. [50] Es ist aber die Frage, welches sind die Bedingungen unter 31denen meine Handlungen gut seyn? Autor sagt: Bonorum sibi oppositorum Fac melius, so fließt das *aus dem vorigen tautologischen Satz. Die Abnegation bedeutet hier Aufopferung und Selbstverleugnung, wo man in Ansehung eines kleinen Gutes Verzicht thut um ein grösseres zu erlangen. Die Aufopferung bedeutet Zulassung des Bösen, damit nicht ein grösseres Böse entsteht. Die abnegation kann pragmatisch und moralisch seyn. Ich kann einen Vortheil unterlassen, wo ein Grösserer zu erlangen ist, das ist abnegatio pragmatica Wenn ich aber aus moralischem Grunde eine Handlung unterlasse, um eine grössere zu thun, so ist die abnegation moralisch. Der Satz des Autors als der Grund der Obligation: Quaere perfectionem quantum 32potes, ist doch wenigstens bestimmter ausgedrukt, hier ist doch nicht totale tautologie, also hat er einen Grad der Brauchbarkeit. Was ist denn vollkommen? Die Vollkommenheit der Sache und des Menschen ist unterschieden. Die Vollkommenheit der Sache ist die Hinlänglichkeit aller requisitorum um die Sache zu constituiren, also generaliter bedeutet es die Vollständigkeit. Aber die Vollkommenheit des Menschen bedeutet noch nicht Moralitaet. Die Vollkommenheit und moralische Bonitaet sind unterschieden. [51] Die Vollkommenheit ist die Vollständigkeit des Menschen in Ansehung seiner Kräffte, Vermögen und Fertigkeit alle beliebige Zwekke auszuführen. Diese Vollkommenheit kann grösser und kleiner seyn, einer kann vollkommener seyn, wie der andere. Die Bonitaet ist aber die Eigenschafft sich aller dieser Vollkommenheiten gut und wohl zu bedienen. Also besteht die 31 32
denen Hg.] der Kae] potes, Hg.] potest, Kae]
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moralische Bonitaet in der Vollkommenheit des Willens und nicht des Vermögens, allein zu einem guten Willen ist nöthig die Vollständigkeit und das Vermögen aller Kräffte alles das zu vollführen, was der Wille will, also können wir sagen: daß die Vollkommenheit indirecte nur in so ferne zur Moralitaet gehöre. Also ist der Satz indirecte moralisch. Ein anderes moralisches principium des Autors ist: Vive convenienter naturae. Dieses ist ein stoisches principium. Wo schon in der Moral viele principia sind, da sind gewiß keine, denn es kann nur ein wahres principium seyn. Wenn der Satz auch so gesetzt wird: Lebe gemäß den Gesetzen, die dir die Natur durch die Vernunfft giebt, so ist er doch tautologisch; denn der Natur gemäß leben, würde bedeuten, seine Handlungen nach der physischen Ordnung der natürlichen [52] Dinge einzurichten, also wäre es eine Regel der Klugheit, aber nicht ein moralisches principium, ja auch nicht einmal eine gute Regel der Klugheit; denn wenn es heist: Richte deine Handlungen so ein, daß sie mit der Natur übereinstimmen, so weiß ich nicht, ob es gut ist, wenn die Handlungen mit der Natur übereinstimmen. Vielweniger ist es ein principium der Moralitaet. Das letzte principium ist: Ama optimum, quantum 33potes. Dieser Satz taugt ebenso wenig als die vorigen. Wir lieben alles, was zu unserer Vollkommenheit gehört und etwas beyträgt und in so fern liebt ein jeder das. Es giebt eine zwiefache Art, etwas zu lieben: aus Neigung und aus Grundsätzen, so liebt ein Spitzbub das Gute auch aus Grundsätzen aber das Böse aus Neigung. Also sind alle diese Sätze keine principia der Moralitaet.
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Sectio 2. Vom moralischen Zwange.
sectio 2: Coactio moralis § 50 ff.
Erstlich merken wir vom Zwange überhaupt an: daß die Necessitation zwiefach sey: objective et subjective Necessitation. Die 33
potes. Hg.] potest. Kae]
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objective Necessitation ist die Vorstellung der Nothwendigkeit der Handlung aus den BewegungsGründen der Bonitaet, die subjective Necessitation ist die Nothwendigkeit der Handlung [53] per stimulos oder durch die caussas impulsivas des Subjects. Der objective Zwang ist die Nothwendigkeit der Handlung aus objectiven BewegungsGründen; der subjective Zwang ist die Nöthigung einer Person durch das, was in seinem Subject die gröste nöthigende und bewegende Krafft hat. Der Zwang ist also nicht eine Nothwendigkeit sondern eine Nöthigung zur Handlung. Das Wesen aber, was genöthiget wird, muß ein solches seyn, welches diese Handlung ohne Nöthigung nicht thun würde, ja auch noch GegenGründe dawieder hätte. Also kann Gott nicht genöthigt werden. Der Zwang ist demnach eine Nöthigung einer ungern geschehenen Handlung. Diese Nöthigung kann objectiv und subjectiv seyn. So läßt man etwas ungern aus einer Neigung fahren, was man nach der anderen thut, so läßt zE. ein Geitziger einen kleinen Vortheil fahren, wenn er dadurch einen grössern erlangt, aber ungern, er wollte sie lieber beyde haben. Aller Zwang ist entweder pathologisch oder practisch. Der pathologische Zwang ist die Nothwendigmachung einer Handlung per stimulos; der practische [54] Zwang ist die Nothwendigmachung einer ungern geschehenen Handlung per motiva. Pathologisch kann kein Mensch gezwungen werden wegen des freyen Willens. Die Menschliche Willkür ist ein arbitrium liberum, indem sie nicht per stimulos necessitirt wird. Die Thierische Willkür ist ein arbitrium brutum und nicht liberum, weil sie durch stimulos necessitirt werden kann zE. Wenn ein Mensch zu einer Handlung gedrungen wird durch viele und grausame Quaal, so kann er doch nicht gezwungen werden die Handlung zu thun, wenn er nicht will, er kann ja die Quaal ausstehen. Comparative kann er zwar gezwungen werden, aber nicht stricte, es ist doch möglich die Handlung ohnerachtet aller sinnlichen Antriebe dennoch zu unterlassen, das ist die Natur des arbitrii liberi. Die Thiere werden per stimulos necessitirt; so muß ein Hund essen wenn ihm hungert und er was vor
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sich hat, der Mensch kann sich aber in demselbigen Fall enthalten. Demnach kann ein Mensch pathologice gezwungen werden, aber nur comparative zE durch die Tortur. Eine Handlung ist nothwendig, der man nicht wiederstehen kann; Gründe sind necessitirend, denen zu wiederstehen, die menschlichen Kräffte nicht zureichen. Der Mensch [55] kann aber practisch per motiva gezwungen werden, er wird nicht gezwungen sondern bewogen. Der Zwang ist aber dann nicht subjectiv sondern objectiv; denn sonst wäre er ja nicht practisch, und geschicht per motiva und nicht per stimulos, denn die stimuli sind motiva subjective moventes. Practisch kann beym freyen Wesen eine Handlung nothwendig seyn und zwar im grossen Grad, der gar nicht kann übertroffen werden, die aber der Freyheit nicht wiederspricht. So muß Gott nothwendig die Menschen, deren Verhalten den moralischen Gesetzen gemäß ist, belohnen, und dann hat er nach den Regeln des besten Beliebens gethan, denn das Verhalten der Menschen stimmt mit den moralischen Gesetzen und also auch mit der göttlichen Willkür überein. So kann ein ehrlicher Mann nicht lügen, er thut es aber aus eigenem Willen nicht. Also können Handlungen nothwendig seyn, ohne der Freyheit zu wiederstreiten. Es kann eine practische Nothwendigkeit statt finden ohne der Freyheit zu wiederstreiten. Diese practische Necessitation kann aber nur bey Menschen und nicht bey Gott statt finden. zE. Kein Mensch giebt gerne das seinige weg, wenn er aber seine Kinder nicht anders als mit Verlust alles Seinigen [56] retten kann, so thut ers und ist hier practisch necessitirt. Folglich der aus BewegungsGründen der Vernunft genöthigt ist, ist ohne der Freyheit zu wiederstreiten genöthigt. Wir thun die Handlungen zwar ungern, aber wir thun sie doch, weil sie gut seyn.
Von der practischen Necessitation. Alle Necessitation ist nicht pathologisch, sondern practisch. Die practische Necessitation ist nicht subjectiv sondern objec-
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tiv; denn wenn sie subjectiv wäre, so wäre es eine necessitatio pathologica. Mit der Freyheit stimmt keine andere Necessitation als die practische Necessitation per motiva, diese motiva können pragmatica und moralia seyn, die pragmatica sind von der Bonitate mediata hergenommen, die moralia sind von der Bonitate absoluta der freyen Willkür hergenommen. Ie mehr ein Mensch kann moralisch gezwungen werden, desto freyer ist er, je mehr er pathologisch, welches aber nur comparative geschicht, gezwungen wird, desto weniger frey ist er. Es ist besonders, jemehr einer kann gezwungen werden nemlich aber moralisch desto freyer ist er. Moralisch zwing ich einen durch motiva objective moventia, durch BewegungsGründe [57] der Vernunfft mit seiner grösten Freyheit, ohne allen Antrieb. Demnach gehört ein grosser Grad der Freyheit um moralisch gezwungen zu werden, denn alsdann ist das arbitrium liberum mächtiger, es kann durch BewegungsGründe gezwungen werden und ist von den stimulis frey. Ie mehr also jemand von den stimulis frey ist, desto mehr kann er moralisch necessitirt werden. Die Freyheit wächst mit dem Grade der Moralitaet. Bey Gott findet keine necessitatio practica statt; denn bey ihm sind die subjectiven Gesetze mit den objectiven einerley. Aber bey Menschen findet eine necessitatio practica statt, denn er thut es ungern also muß er gezwungen werden. Ie mehr er aber dem moralischen BewegungsGrunde nachgiebt desto freyer ist er. Der ist freyer, der weniger Verbindlichkeit hat, so fern jemand unter der Obligation steht, so ist er nicht frey, hört aber die Obligation auf, so wird er frey. Unsere Freyheit wird also durch die Obligation verringert, aber bey Gott wird die Freyheit durch die moralische Nothwendigkeit nicht verringert, er ist auch nicht dazu obligirt, denn ein völlig guter Wille ist nicht obligirt, weil ein solcher Wille an sich selbst das will, was [58] gut ist, also kann er nicht obligirt werden, aber die Menschen, weil ihr Wille böse ist, können obligirt werden. So ist einer nicht frey wenn er Wohlthaten angenommen hat. Doch können wir Comparative in einem Stük mehr Freyheit haben als im
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andern. Der da unter der obligatione passiva steht ist weniger frey, als der da unter obligatione activa steht. Wir können zu keiner Handlung der Grosmuth gezwungen werden, wir sind doch aber dazu obligirt, folglich stehen wir unter obligatione activa. Zu Handlungen der Schuldigkeit können wir gezwungen werden, und stehen denn unter der obligatione passiva; wer nun unter der obligatione passiva bey jemanden steht, der ist weniger frey, als derjenige, der ihn obligiren kann. Wir haben obligationes internas erga nosmet ipsos, in Ansehung derer sind wir äusserlich völlig frey, ein jeder kann mit seinem Körper machen, was er will, das geht keinen was an, aber innerlich ist er nicht frey, sondern ist durch die nothwendigen und wesentlichen Zwekke der Menschheit gebunden. Alle Obligation ist eine Art von Zwang, ist dieser Zwang moralisch, so werden wir entweder äusserlich gezwungen oder wir zwingen uns selbst und dieses ist eine coactio interna. Es kann aber auch einer [59] äusserlich moralisch vom andern gezwungen werden, wenn ein anderer uns eine Handlung, die wir ungern thun, aber nach moralischen Motiven abnöthigt. Wenn ich zE. jemanden was schuldig bin, und der andere sagt, willst du ein ehrlicher Mann seyn, so must du mir bezahlen, ich will dich nicht verklagen, allein ich kann es dir nicht erlassen, weil ich es brauche; so ist dieses ein äusserlicher moralische Zwang durch die Willkür eines andern. Ie mehr einer sich selbst zwingen kann, desto freyer ist er, je weniger er darf vom andern gezwungen werden, desto innerlich freyer ist er. Wir müssen hier noch unterscheiden das Vermögen der Freyheit und den Zustand der Freyheit. Das Vermögen der Freyheit kann grösser seyn, obgleich der Zustand schlechter ist. Ie grösser mein Vermögen der Freyheit ist, je freyer die Freyheit von den stimulis ist, desto freyer ist der Mensch. Wäre der Mensch des Selbstzwanges nicht bedürftig, so wäre er gantz frey; denn wäre sein Wille gantz gut und alles Gute möchte er gern thun, weil er sich nicht zwingen dürfte, das ist aber nicht der Fall des Menschen, doch kömmt einer diesem näher als der andere, wenn nemlich bey dem einen die sinnlichen Triebe die
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stimuli stärker sind als bey dem andern. Ie mehr sich [60] einer übt zu zwingen, desto mehr wird er frey. Mancher ist schon von Natur zur Grosmuth, Vergebung, zur Rechtschaffenheit 34auferlegt, desto besser kann er sich selbst zwingen und desto freyer ist er. Aber kein Mensch ist des Selbstzwanges überhoben. Alle Verbindlichkeit ist entweder äusserlich oder innerlich. Obligatio externa est necessitatio moralis per 35arbitrium alterius. Obligatio interna est necessitatio moralis per 36arbitrium proprium. Eine Willkür ist eine Begierde, die ich in meiner Gewalt habe. Ein Wunsch ist aber eine Begierde, die ich nicht in meiner Gewalt habe. Die Necessitation durch fremde Willkür ist die necessitatio moralis externa, denn der Fremde hat es in seiner Gewalt mich zu zwingen, und die Obligation, die daraus entspringt ist obligatio externa. Die necessitatio moralis, die nicht durch fremde sondern durch meine eigene Willkür geschicht, ist die necessitatio moralis interna, und die Verbindlichkeit, die daraus entspringt ist obligatio interna zE. Ich habe Verbindlichkeit einem andern zu helfen, die ist aber innerlich. Die Erstattung der Beleidigung ist moralisch nothwendig durch fremde Willkür und das ist obligatio externa. Die äussere Obligations sind grösser als die innere; denn die äussere Obligations sind zugleich innere, aber [61] die innere sind nicht zugleich äussere. Die obligatio externa setzt schon zum voraus, daß die Handlung überhaupt unter der Moralitaet stehe und deswegen ist sie interna, denn die obligatio externa ist darum eine Obligation, weil die Handlung schon interne eine Obligation ist. Denn deswegen, daß die Handlung eine Pflicht ist, ist es eine innere Verbindlichkeit, aber weil ich ihn zu dieser Pflicht noch durch meine Willkür zwingen kann, so ist es auch eine obligatio externa. Bey der obligatione externa muß meine 34
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auferlegt, Kae] aufgelegt, Hg?] | Eine Textänderung ist unnötig; denn die heute ungewöhnliche Redeweise (ebenso nur noch p. 294) findet sich auch in frühen Kantischen Druckschriften (II: 118,36; 240,36; 247,24). arbitrium Hg.] arbitrarium Kae] arbitrium Hg.] arbitrarium Kae]
§ 51–53
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Handlung mit der Willkür eines andern übereinstimmen und dazu kann ich auch vom andern gezwungen werden. Die obligatio externa kann von einem anderen auch pathologisch gezwungen werden, wenn er sich nicht moralisch zwingen läßt, er hat eine Befugniß mich pathologisch zu zwingen. Ueberhaupt jedes Recht hat eine Befugniß pathologisch zu zwingen. Die innere obligations sind unvollkommene obligations, weil wir dazu nicht können gezwungen werden; die obligationes externae sind aber perfectae; denn da kommt noch ausser der innern Verbindlichkeit die äussere Nöthigung dazu. Der BewegungsGrund, nach welchem wir aller Obligation ein Gnüge thun, ist entweder innerlich, und denn heißt [62] er Pflicht, oder äusserlich und denn heißt er Zwang. Wenn ich meiner Verbindlichkeit satisfacire durch die Willkür eines andern, so werde ich dazu genöthigt, dann ist der BewegungsGrund äusserlich und ich thue die Handlung aus zwang also stimulus pro arbitrio alterius necessitans est coactio. Wenn ich aber meiner Verbindlichkeit satisfacire durch meine eigene Willkür, denn ist der BewegungsGrund innerlich und ich thue die Handlung aus Pflicht. Derjenige der seiner Verbindlichkeit ein Gnüge thut aus Pflicht, und derjenige, der ihr ein Gnüge thut aus Zwang, haben beyde ihrer Verbindlichkeit ein Gnüge gethan, aber der Erste aus innerm BewegungsGrunde und der Andere aus äusserem BewegungsGrunde. Der Landesherr sieht nicht darauf, aus was für einem BewegungsGrunde die Verbindlichkeit gegen ihn geleistet wird, ob es aus Pflicht oder aus Zwang geschiehet, es ist ihm einerley. Aber Eltern verlangen die Verbindlichkeit von den Kindern aus Pflicht. Wenn also Autor die Verbindlichkeit eintheilt, in so fern man sie thut aus Pflicht oder aus Zwang, so ist das falsch, die Verbindlichkeit kann nicht so eingetheilt werden, denn der Zwang macht keine Verbindlichkeit, sondern die Verbindlichkeiten müssen an sich selbst unterschieden werden, so ferne sie entspringen ex arbitrio alterius, [63] denn sind sie externae oder ex arbitrio proprio, denn sind sie internae, *ut supra. Allein die motiva satisfaciendi zu allen Verbindlichkeiten, sie mögen ex-
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ternae oder internae seyn, können so unterschieden werden, sind die BewegungsGründe innerlich, fliessen sie aus meiner eigenen Willkür; so sind sie Pflichten; sind sie aber äusserlich, fliessen sie aus der Willkür eines andern, so ist es Zwang; die obligations aber mögen seyn wie sie wollen. Objective BewegungsGründe sind vom Gegenstande entlehnt, und sind Gründe von dem was wir thun sollen. Subjective BewegungsGründe sind Gründe der Gesinnung und Bestimmung des Willens der Regel ein Gnüge zu thun. Nach den objectiven Gründen sind die Verbindlichkeiten innerlich und äusserlich, nach den subjectiven Gründen sind sie Pflicht oder Zwang. Alle obligations, deren BewegungsGründe subjectiv oder innerlich seyn, sind Ethische Verbindlichkeiten. Alle obligations deren BewegungsGründe objectiv oder äusserlich seyn, sind im stricten Verstande juridisch; die ersten sind Verbindlichkeiten der Pflicht, die andern Verbindlichkeiten des Zwanges. Der Unterscheid vom Jure und der Ethic besteht nicht in der Art der Verbindlichkeit, sondern in den BewegungsGründen, den [64] Verbindlichkeiten ein Gnüge zu thun. Die Ethic redet von allen Verbindlichkeiten, es mögen Verbindlichkeiten des Wohlwollens, Grosmuth und Güte seyn, oder es mögen Verbindlichkeiten der Schuldigkeit seyn, so betrachtet die Ethic sie alle zusammen nur so, daß der BewegungsGrund innerlich ist, sie erwägt sie aus Pflicht und aus der innern Beschaffenheit der Sache selbst, und nicht aus Zwang. Das Jus aber betrachtet die satisfaction der Verbindlichkeit nicht aus Pflicht sondern aus Zwang. Es wird aber auf die Triebfeder des Zwanges attendirt. Die Verbindlichkeiten werden betrachtet, wie sie sich verhalten zum Zwang. Wir haben Verbindlichkeiten gegen Gott; Gott verlangt aber nicht nur, daß wir die Verbindlichkeiten thun, sondern 33daß 33
[XXVII: 272,05] Bibel, NT, Johannes 14,15: „Liebet ihr mich, so haltet ihr meine Gebote.“ 14,21: „Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der mich liebt.“ / 1. Johannes 5,2: „Daran erkennen wir, daß wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.“ Ähnlich schon an
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wir sie gern, aus innern BewegungsGründen thun sollen; den obligations gegen Gott thut man nicht Gnüge, wenn man sie aus Zwange thut, sondern aus Pflicht. Thue ich etwas gerne, aus guter Gesinnung, so thue ich es aus Pflicht, und die Handlung ist Ethisch; thue ich aber etwas aus Zwang, so ist die Handlung juridisch recht. Es ist also ein wahrer Unterschied der obligationum, wenn man sie eintheilt in Internas und externas, aber darin besteht nicht der Unterscheid der Ethic und des Juris, sondern der Unterschied besteht in den BewegungsGründen zu diesen Verbindlichkeiten; denn wir können den [65] obligationibus externis Gnüge thun aus Pflicht und aus Zwang, zur obligatione externa kann mich die Willkür eines andern nöthigen, obgleich er mich noch nicht zwingt, und dann thue ich sie aus Pflicht, zwingt er mich aber würklich, so thue ich sie aus Zwang. Die obligatio externa ist nicht deswegen eine obligatio externa, weil ich dazu kann gezwungen werden, sondern weil sie eine obligatio ist, so kann ich dazu gezwungen werden, aus der Obligation fließt die Befugniß zu zwingen, sie ist eine Folge der Obligation.
verschiedenen Stellen des AT; z. B. 5. Mose 11,1. – Auffällig häufig bezieht sich Kant in der Vorlesung auf diesen christlichen Lehrsatz (p. 69, 79, 135, 180, 206) – ebenso in der Critik der practischen Vernunft (V: 083,12 f.).
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Eine jede Formel, die die Nothwendigkeit einer Handlung ausdrükt, heißt ein Gesetz. So können wir natürliche Gesetze haben, wo die Handlungen unter der allgemeinen Regel stehen, oder auch practische Gesetze. Demnach sind alle Gesetze physisch oder practisch, die practische drükken die Nothwendigkeit der freyen Handlungen aus, und sind entweder subjectiv, so ferne sie würklich vom Menschen geschehen oder objectiv so ferne sie geschehen sollen; die objective sind wieder zwiefach: pragmatische und moralische, von den letzten ist *hier die Rede. Das Recht, so fern es Befugniß bedeutet ist die Uebereinstimmung [66] der Handlung mit der Regel des Rechts, so ferne die Handlung der Regel der Willkür nicht wiederstreitet, oder die moralische Möglichkeit der Handlung, wenn die Handlung den moralischen Gesetzen nicht wiederstreitet. Das Recht aber als Wissenschafft genommen ist der Inbegrif aller Gesetze des Rechts; jus in sensu proprio est complexus legum obligationum externarum, quatenus simul sumuntur. Jus in sensu proprio est vel jus late dictum vel jus stricte dictum. Jus late dictum ist das Recht der Billigkeit; jus stricte dictum ist das strenge Recht, so ferne es die Befugniß hat andere zu zwingen. Also ein freyes Recht und ein ZwangsRecht. Die Ethic wird dem Juri stricto entgegen gesetzt, und nicht dem juri überhaupt; sie geht auf Gesetze der freyen Handlung, in so ferne wir nicht können dazu gezwungen werden; das jus stricte geht aber auf die Gesetze der freyen Handlung, so ferne wir können dazu gezwungen werden. Das jus stricte ist entweder positivum seu statutarium oder jus naturale. Jus positivum ist, welches aus der Willkür des Menschen entspringt; jus naturale aber so ferne es aus der Natur der Handlung durch die Vernunfft eingesehen
sectio 1: Lex § 60 ff.
§ 64 § 65
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wird. Jus positivum ist vel divinum vel humanum. Jus positivum enthält Gebothe, jus naturale aber Gesetze in sich; die [67] göttlichen Gesetze sind aber auch zugleich göttliche Gebothe, oder das jus naturale ist zugleich jus positivum des göttlichen Willens, nicht in so fern sie in seinem Willen allein, sondern in der Natur der Menschen liegen, aber nicht umgekehrt, alle göttliche Gesetze sind natürliche Gesetze; denn Gott kann auch ein positives Gesetz geben. Das jus positivum sowohl als auch das jus naturale kann entweder ein freyes Recht oder ein ZwangsRecht seyn. Viele Gesetze sind nur Gesetze der Billigkeit. Das jus aequitatis ist aber wenig cultivirt, welches zu wünschen wäre, zwar nicht darum, damit sie in Gerichtshöfen darnach urtheilen sollten, denn da müssen sie nur valide urtheilen, das jus aequitatis ist aber kein äusseres Recht, sondern gilt nur coram foro conscientiae. Im jure positivo und naturali redet man immer vom jure stricto, und nicht vom jure aequitatis, denn das gehöret nur zur Ethic. 37 Alle Pflichten auch ZwangsPflichten, wenn der BewegungsGrund ihnen zu satisfaciren aus der innern Beschaffenheit hergenommen wird, gehören sogleich zu Ethic. Denn die Gesetze können dem Inhalt nach zum Jure oder zur Ethic gehören, aber sie können nicht allein dem Inhalt nach [68] so seyn, sondern auch dem BewegungsGrunde nach entweder zum jure oder zur Ethic gehören. Der Landesherr fordert nicht, daß man seine Abgaben gern giebt, das fodert aber die Ethic, beyde sowohl der es gern giebt als der es aus zwang giebt sind gleiche Unterthanen, weil sie beyde gegeben haben. Die Gesinnung kann nicht vom Landesherrn gefordert werden, weil sie nicht erkannt werden, indem sie innerlich ist. Nun befiehlt aber die Ethic Handlungen aus guter Gesinnung zu thun. Die Beobachtung der göttlichen Gesetze ist der eintzige Fall, wo jus und Ethic übereinstimmen, und beyde sind in Ansehung Gottes ZwangsGesetze; denn Gott kann zu ethischen und juridischen Handlungen zwingen, aber er fodert die Handlungen nicht aus Zwang sondern aus Pflicht. Es kann also eine Hand37
| Dittographie, gestrichen: „Denn die Gesetze können dem Inhalt nach“.
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lung rectitudinem juridicam haben, so fern sie mit den ZwangsGesetzen übereinstimmt; aber die Uebereinstimmung der Handlung mit den Gesetzen aus Gesinnungen und aus Pflicht, die hat die Moralitaet; sie besteht also in der gutwilligen Gesinnung. Demnach ist die moralische Bonitaet der Handlung von der rectitudine juridica zu unterscheiden; die rectitudo ist das genus, ist sie nur juridisch, so hat sie keine moralische Bonitaet. So kann die Religion rectitudinem juridicam haben, wenn man die göttlichen Gebothe aus [69] Zwang und nicht aus guter Gesinnung thut. Gott will aber nicht die Handlung sondern das Hertz; Hertz ist das principium der moralischen Gesinnung. Also will Gott die moralische Bonitaet; und diese ist belohnenswerth. Demnach ist die Gesinnung der Leistung der Pflichten zu cultiviren; und dieses ist das, was der Lehrer des Evangelii sagt; 34daß man alles aus Liebe zu Gott thun soll, Gott lieben ist aber seine Gebothe gern thun. Leges können noch seyn praeceptivae, wodurch etwas gebothen wird; prohibitivae, wodurch Handlungen verbothen werden; und permissivae, wodurch Handlungen erlaubt werden. Complexus legum 38praeceptivarum ist jus mandati; complexus legum 39prohibitivarum ist jus vetiti; man könnte sich auch noch jus permissi denken.
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35Wir haben hier zuerst auf zwey Stükke zu sehen, auf das principium der Diiudication der Verbindlichkeit, und auf das
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praeceptivarum Hg.] praeceptarum Kae] prohibitivarum Hg.] prohibitarum Kae] [XXVII: 274,14] Vgl. oben die zu p. 64 gegebenen Bibel-Stellen. [XXVII: 274,22] Diese für den Argumentationsgang der Vorlesung und für zahlreiche Notate in den Initia (R: 6608, 6618, 6619, 6915, 6972, 6987) essentielle Differenz ist nach Schwaiger 1999, S. 91 ff. vermutlich eine „Neuprä-
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principium der Execution oder Leistung der Verbindlichkeit. Richtschnur und Triebfeder ist hier zu unterscheiden. Richtschnur ist das principium der Diiudication und Triebfeder der Ausübung der Verbindlichkeit, indem man nun dieses verwechselte, so war alles in der Moral falsch. [70] Wenn die Frage ist, was ist sittlich gut oder nicht, so ist das das principium der Diiudication, nach welchem ich die Bonitaet und Pravitaet der Handlung beurtheile. Wenn aber die Frage ist, was bewegt mich diesen Gesetzen gemäß zu leben, so ist das das principium der Triebfeder. Die Billigung der Handlung ist der obiective Grund, aber noch nicht der subjective Grund. Dasjenige was mich antreibt, das zu thun, wovon der Verstand sagt, ich soll es thun, das sind die motiva subjective moventia.
gung Kants“ (S. 92), die „Resultat von Überlegungen ist, die erst aufgrund der platonischen Wende richtig eingesetzt haben dürften.“ (S. 93) Sachlich – nicht terminologisch – gesehen läßt sich diese Differenz mit einer Unterscheidung zur Deckung bringen, die Adam Smith dem sechsten Teil seiner Theorie der moralischen Empfindungen (1770) zugrunde gelegt hat. Zu Beginn des ersten, die gesamte Darlegung strukturierenden, kurzen Abschnitts heißt es, S. 440: „Wenn man von den Principien der Moral handelt, so müssen zwo Fragen in Betrachtung gezogen werden, die erste: worin besteht die Tugend? welches ist die Gemüths-Fassung und das durchgängige Verhalten, das den vortreflichen und lobenswürdigen Character ausmacht, der ein natürlicher Gegenstand der Hochachtung, der Ehre und des Beifalls ist? Die andere: durch welche Kraft oder durch welches Vermögen der Seele wird dieser Character, worinnen er auch bestehen mag angepriesen? oder mit andern Worten, wie geht es zu, durch welche Mittel wird es bewirkt, daß die Seele eine Art des Verhaltens der andern vorzieht, […]?“ Kant’s terminologische Invention auf einem durch Smith eröffneten Weg? Vielleicht! – Man kann jedoch der Sache auch einen anderen metaphorischen Dreh geben und das alte, auch Kant wohl vertraute Bild von der Seele, die als Pilot ihr Schifflein führt, herbeirufen und beispielsweise mit dem Kant der Anthropologie von 1798 (VII: 267,25 f. vgl. Anthropologie-Parow p. 218) an Alexander Pope erinnern, der in seinem Essay on Man schrieb: „On life’s vast ocean diversly we sail, / Reason the card, but Passion is the gale“ (II 107). Einerseits: Principium diiudicationis, Norm, Leitfaden, Kompaß; andererseits: Principium executionis, Motiv, Triebfeder, Fahrtwind.
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Das oberste principium aller moralischen Beurtheilung liegt im Verstande, und das oberste Principium alles moralischen Antriebes, 40diese Handlung zu thun, liegt im Hertzen; diese Triebfeder ist das moralische Gefühl. Dieses principium der Triebfeder kann nicht mit dem principio der Beurtheilung verwechselt werden. Das principium der Beurtheilung ist die Norm, und das principium des Antriebes ist die Triebfeder. Norm ist im Verstande, die Triebfeder aber im moralischen Gefühl. Die Triebfeder vertritt nicht die Stelle der Norm. Das hat einen practischen Fehler, wo die Triebfeder wegfällt, und das hat einen theoretischen Fehler, wo die Beurtheilung wegfällt. *Anjetzo wollen wir noch kürtzlich zeigen negative, [71] 36worin das principium der Moralitaet nicht bestehe: Das principium der Moralitaet ist nicht pathologisch, pathologisch wäre es, wenn es aus subjectiven Gründen, aus unseren Neigungen, aus unserm Gefühl hergeleitet wäre. Die Moral hat kein pathologisches principium, denn sie enthält objective Gesetze, was man thun soll und nicht was man zu thun begehrt. Sie ist nicht Zergliederung der Neigung, sondern eine Vorschrifft, die wieder alle Neigung ist. Das pathologische principium der Moralitaet bestünde darin, allen seinen Neigungen ein Gnüge zu thun, das wäre der Viehische 41Epicureismus, das ist aber noch nicht der wahre 42Epicureismus. Wir können uns aber zwey principia pathologica der Moralitaet gedenken, das erste geht auf die satisfaction aller Neigung, dieses ist das physische Gefühl. Das zweyte geht auf die satisfaction einer Neigung, die auf die Moralitaet geht, und gründete sich also auf eine intellectuale Neigung, wovon wir aber 40 41 42
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diese Hg.] dieses Kae] Epicureismus Hg.] Epicureissmus Kae] Epicureismus Hg.] Epicureissmus Kae] [XXVII: 275,09] Zur gesamten bis p. 80 reichenden Erörterung, die man auch als indirekten Beweisgang (via negationis) lesen kann, vgl. die R: 6754 (XIX: 149).
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*gleich zeigen werden, daß eine intellectuale Neigung ein Wiederspruch ist. Denn ein Gefühl für Gegenstände des Verstandes ist an sich selber ein Unding, demnach ist das moralische Gefühl aus intellectualer Neigung ein Unding folglich nicht möglich. [72] Ein Gefühl kann ich nicht für was ideales halten, es kann nicht etwas intellectual und sinnlich seyn. Und wenn es auch möglich wäre, daß wir eine Empfindung für der Moralitaet hätten, so könnten doch keine Regel auf dieses principium etablirt werden; denn ein moralisches Gesetz sagt categorisch was geschehen soll, es mag gefallen oder nicht, es ist also keine Befriedigung unserer Neigung. Alsdenn dörfte auch kein moralisches Gesetz seyn, sondern jeder möchte nach seinem Gefühl handeln. Gesetzt auch es wäre das Gefühl bey allen Menschen in gleichem Grad, so wäre das doch keine Obligation nach dem Gefühl zu handeln; denn alsdenn könnte es nicht heissen, wir sollen das thun, was uns gefällt, sondern es möchte solches jeder von selbst thun, weil es ihm gefällt. Das moralische Gesetz befiehlt doch aber categorisch, also kann sich die Moralitaet auf 43kein pathologisches principium weder auf das physische noch moralische Gefühl gründen. Diese Methode sich auf ein Gefühl zu beruffen in einer practischen Regel ist auch gantz der Philosophie entgegen. 37Ein jedes Gefühl hat nur eine privatGültigkeit und keine Begreiflichkeit für einen anderen, und es ist auch an sich selbst 44pathologisch, wenn jemand sagt, er fühlt das so in 43 44
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kein Hg.] ein Kae] | Mit Mrongovius XXVII: 1423,40. pathologisch, Hg.] tauthologisch Kae] | Dem Kontext entsprechend, mit XXVII: 276,05 und gegen Mnz 046,11. Der Fehler findet sich auch in nahezu allen anderen Nachschriften; vgl. den Apparat und die Varianten in Bd. XXVII. ‚Tautologisch‘ läßt sich evtl. verteidigen, wenn man es mit ‚nichtssagend‘ übersetzt und die Interpunktion ändert: „[…] einen anderen. Und es ist auch an sich selbst tautologisch; wenn jemand sagt, er fühlt das so in sich. Das kann […].“ – Zur Abwehr des Gefühls oder der Empfindung vgl. [XXVII: 276,03] Vgl. R: 541 / XV: 237,11 „Daher Geschieht das Urtheil über das Gute und Böse nicht durchs Gefühl, weil dessen Urtheile nur privatgültigkeit haben; […].“
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sich, das kann doch nicht für andere gelten, die doch nicht [73] wissen, wie er es fühlt, und der sich schon auf ein Gefühl 45beruft, der giebt alle Gründe der Vernunfft auf. Es findet also das pathologische principium gar nicht statt. Dahero muß ein intellectuales principium der Sittlichkeit seyn, so ferne es aus dem Verstande entlehnt ist. Dieses bestehet entweder in der Regel des Verstandes, sofern uns der Verstand die Mittel an die Hand giebt, unsere Handlungen so einzurichten, daß sie mit unsern Neigungen übereinstimmen; oder so fern der Grund der Sittlichkeit durch den Verstand unmittelbar erkannt werde. Das erste ist zwar ein intellectuales principium, so fern uns der Verstand die Mittel an die Hand giebt, aber es ist doch offenbar in die Neigungen gelegt. Dieses Schein intellectuale principium ist das pragmatische principium. Es beruht in der Geschiklichkeit der Regel den Neigungen Gnüge zu thun. Dieses principium der Klugheit ist das wahre epicureische principium. Wenn es also heißt, du 46sollst deine Glükseligkeit befördern, so heißt das soviel, brauche deinen Verstand die Mittel zu erfinden dein Vergnügen und deine Neigungen zu befriedigen, in so fern ist dieses principium intellectual, weil der Verstand die Regel vom Gebrauch der Mittel unser Glük zu befördern [74] entwerfen soll. Also ist das pragmatische Principium abhängig von den Neigungen, indem die Glükseligkeit in der Befriedigung aller Neigungen besteht. Die Moralitaet gründet sich aber auf kein pragmatisches principium, weil sie unabhängig von aller Neigung ist. Bestünde die Moralitaet darin, so könnten die Menschen in der Moralitaet nicht übereinstimmen, denn ein jeder würde sein Glük nach seinen Neigungen suchen. Die Moralitaet kann aber nicht auf den subjectiven Gesetzen der Neigun-
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Anthropologie-Philippi p. 8’ „Denn die Berufung auf Empfindung schneidt aller Untersuchung den Faden ab. Ehe man sich also aufs Gefühl beruft, sehe man zu, ob es sich nicht in dunkle Reflexionen auflösen laße.“ Bzw. Anthropologie-Collins p. 11. beruft, Hg.] beruht Kae] | Mit Mnz S. 46,14. sollst Hg.] sollt Kae]
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gen des Menschen beruhen, also ist das principium der Moral nicht pragmatisch. Es muß zwar intellectual seyn, aber nicht mediate wie das pragmatische ist, sondern es muß ein unmittelbares principium der Sittlichkeit seyn, so fern der Grund der Sittlichkeit durch den Verstand unmittelbar erkannt wird. Das principium der Moral ist also ein pur reines intellectuelles principium der reinen Vernunfft. Dieses reine intellectuelle principium kann aber nicht wieder tautologisch seyn und in der Tautologie der reinen Vernunfft bestehen. So 38wie B. Wolff ein solches vortrug: Fac bonum, et omitte malum, es ist leer und unphilosophisch, *ut supra. Das 39zweyte tautologische principium ist das Cumberlands, welches besteht [75] in der Wahrheit. Er sagt, wir suchen alle die Vollkommenheit, werden aber betrogen durch den Schein, die Moral zeigt uns aber die Wahrheit. Das 40dritte ist des Aristoteles, das principium der Mittel-
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[XXVII: 277,01] Menzer (1924, S. 332) führt aus: „Folgende Formulierung entspricht wohl dem, was Kant kurz zusammenfaßt: Lex naturae praescribit facienda, quae bona, honesta, licita, recta et decora sunt; atque non facienda, quae mala, inhonesta, illicita, minus recta et indecora sunt. Vgl. Philosophia practica universalis ed. 1744 § 205.“ Ebenso Gerhard Lehmann in (XXVII: 1111) – Wolff erscheint auch in der Systemtabelle der Critik der practischen Vernunft (V: 040) und einigen Notaten in den Initia R: 6624, 6625, 6634. – Heiner F. Klemme verweist in seiner jüngst (2003, S. 229f.) vorgelegten Ausgabe der zweiten ‚Kritik‘ zu Recht auf die folgende Stelle der Wolff ’schen Schriften: „Es bleibet demnach feste: die Natur verbindet uns, die an sich gute Handlungen zu vollbringen und die an sich bösen zu unterlassen […]. Und so haben wir eine Regel darnach wir unsere Handlungen, die wir in unserer Gewalt haben, richten sollen, nemlich: Thue was dich und deinen oder anderer Zustand vollkommener machet; unterlaß, was ihn unvollkommener machet.“ (Wolff 1733 [1976], S. 11 f.) [XXVII: 277,02] Weder in der Systemtabelle der Critik der practischen Vernunft (V: 40) noch in den verschiedenen Aufzeichnungen in den Initia (siehe jedoch die Lücke in R: 6624 / XIX: 116,11) wird der zu den Cambridge Platonikern zählende Richard Cumberland oder seine Schrift de legibus naturae (1672) genannt. Zur moralphilosophischen Position von Cumberland vgl. die Hinweise von Gerhard Lehmann in XXVII: 1097 zu Powalski (XXVII: 121,16). [XXVII: 277,05] Vgl. etwa Aristoteles Nikomachische Ethik, Zweites Buch, 1106 b / 1107 a.
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strasse: Tene medium, welches ist nun aber die Mittelstrasse? folglich ists tautologisch. Dieses reine intellectuelle principium muß aber nicht ein principium externum seyn, so ferne unsre Handlungen ein Verhältniß haben auf ein fremdes Wesen, also beruhet es nicht auf dem göttlichen Willen: es kann nicht heissen, du sollst nicht lügen, weil es verbothen ist. Demnach kann das principium der Moralitaet auch kein externum folglich kein Theologicum seyn. Die dieses behaupten, sagen, man müste zuerst Gott haben und hernach die Moralitaet, welches principium sehr commod ist. Moral und Theologie ist keines ein principium des Andern, zwar kann die Theologie nicht ohne die Moral und diese wieder nicht ohne jene bestehen, allein es ist hier nicht die Rede, daß die Theologie eine Triebfeder der Moral sey, das ist sie freylich, sondern ob das principium der Diiudication der Moral ein theologisches sey, und das kann es nicht seyn. Wenn das wäre [76] so müsten alle Völker erst Gott erkennen, ehe sie den Begrif von den Pflichten hätten; also müste folgen, daß alle Völker, die keinen rechten Begrif von Gott hätten, auch keine Pflichten hätten, welches aber falsch ist. Völker erkannten ihre Pflichten richtig, sie sahen ein die Häßlichkeit der Lügen ohne den rechten Begrif von Gott zu haben. Ferner so haben sich so gar Völker unheilige und falsche Begriffe von Gott gemacht, und hatten doch richtige Begriffe von den Pflichten. Folglich müssen die Pflichten aus einem andern Quell entlehnt seyn. Die Ursache dieser Ableitung der Moralitaet aus dem göttlichen Willen ist diese: weil die moralischen Gesetze lauten: du sollst das thun, so denkt man es muß ein drittes Wesen seyn, welches das verbothen hat. Es ist wahr, das moralische Gesetz ist ein Befehl und sie können Gebothe des göttlichen Willens seyn, aber sie fliessen nicht aus dem Geboth. Gott hat es gebothen, weil es ein moralisches Gesetz ist und sein Wille mit dem moralischen Gesetz übereinstimmt. Ferner so scheint alle Verbindlichkeit eine Beziehung zu haben auf einen obligantem. Wir haben keine Obligation als durch einen universaliter obligantem. Es scheint also Gott obligator der moralischen Gesetze zu seyn.
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In der 47Execution muß zwar freylich ein drittes Wesen seyn, das da nöthiget dasjenige zu thun, was [77] moralisch gut ist. Allein zur Beurtheilung der Moralitaet brauchen wir kein drittes Wesen. Alle moralischen Gesetze können richtig seyn ohne ein drittes Wesen. Aber in der Ausübung wären sie leer, wenn kein drittes Wesen uns dazu nicht nöthigen möchte. 41Man hat also mit Recht eingesehen, daß ohne einen obersten Richter alle moralischen Gesetze ohne Effect wären, alsdenn wäre keine Triebfeder, keine Belohnung und keine Bestrafung. Also die Erkenntniß Gottes ist in Ansehung der Ausübung der moralischen Gesetze nothwendig. Allein zur Beurtheilung der moralischen Gesetze müssen wir kein drittes Wesen voraussetzen. Wie erkennen wir denn den göttlichen Willen? Es fühlt keiner den göttlichen Willen in seinem Hertzen, und wir können auch aus keiner Offenbarung das moralische Gesetz erkennen, denn sonst wären diejenige darin völlig unwissend, die keine hätten, 42da doch Paulus selbst sagt, daß auch solche nach ihrer Vernunfft gerichtet werden. Wir erkennen also den göttlichen Willen durch die Vernunfft: Wir stellen uns Gott vor als der den heiligsten und vollkommensten Willen hat. Nun frägt sich welches ist der vollkommenste Wille, dieses zeigt uns das moralische Gesetz und so haben wir die gantze Moral. [78] Nun sagen wir der göttliche Wille ist diesem moralischen Gesetz gemäß und deswegen ist sein Wille der heiligste und vollkommenste. Also erkennen wir die Vollkommenheit des göttlichen Willens aus dem moralischen Gesetz. Gott will alles was sittlich gut und
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Execution Hg.] Excution Kae]
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[XXVII: 278,02] Vermutlich nicht auf eine bestimmte literarische Quelle beziehbar. [XXVII: 278,10] Bibel, NT, Römer 2, 14–15: „Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, sind dieselben, dieweil sie das Gesetz nicht haben, sich selbst ein Gesetz, als die da beweisen des Gesetzes Werk sei geschrieben in ihren Herzen, […].“
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anständig ist und deswegen ist sein Wille 48ein heiliger und der vollkommenste. Was nun sittlich gut ist, zeigt uns die Moral. Alle Theologische Begriffe sind desto corrupter, je corrupter die moralischen Begriffe sind. Wenn in der Theologie und Religion die Begriffe der Moral rein und heilig wären, so möchte man sich nicht bestreben auf eine Menschliche und Gott unanständige Art Gott zu gefallen. Ein jeder stellt sich Gott nach seinem Begrif, der ihm am bekanntesten ist, vor zE. als einen grossen gewaltigen mächtigen Herrn, der etwas mehr ist als der Mächtigste hier auf Erden, dahero bildet sich auch ein jeder einen solchen Begrif der Moralitaet, der dem Begriffe, den er sich von Gott gemacht hat, gemäß ist. Dahero bemühen sich die Menschen durch Gunstbezeugungen und Lobeserhebungen Gott gefällig zu werden, und rühmen ihn als einen solchen grossen Herrn, der gar nicht gefunden werden kann, sie erkennen ihre Mängel, und denken, daß alle Menschen solche Mängel haben, daß keiner [79] im Stande wäre was Gutes zu thun, dahero nehmen sie alle ihre Sünden in einem Püngel und legen sie Gott vor die Füsse und seufzen und meynen ihn dadurch zu ehren, und sehen nicht ein, daß ein solch geringes Lob von solchen Würmern wie sie sind ein Tadel für Gott sey, sie sehen nicht ein, daß sie Gott gar nicht loben können. 43Gott ehren ist aber seine Gebothe gerne thun, aber nicht mit Lobsprüchen erheben. Wenn aber ein sittlicher Mensch aus innerm Trieb, wegen der innern Bonitaet der Handlungen, sich bestrebt das moralische Gesetz auszuüben, und die göttlichen Gebothe gerne thut, der ehret Gott. Wenn wir aber seine Gebothe darum ausüben sollen, weil er sie befohlen hat und weil er so mächtig ist, daß er uns durch Gewalt dazu bringen kann, so üben wir sie aus Befehl, aus Furcht und Schrekken aus, und sehen gar nicht die Billigkeit der Vorschrifft ein, und wissen nicht, warum wir das
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ein Hg.] nun Kae]
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[XXVII: 278,13 Lücke] Vgl. die oben zu p. 64 gegebene Erläuterung.
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thun sollen, was Gott befohlen hat, und warum wir ihm gehorsam seyn sollen. Denn die vis obligandi kann nicht in der Gewalt bestehn, wer da drohet, der obligirt nicht, sondern der extorquirt. Wenn wir also das moralische Gesetz aus Furcht für der Strafe und Gewalt Gottes ausüben sollen, das weiter keinen Grund hat, als weil es Gott befohlen, so thun wir es nicht aus Pflicht und Verbindlichkeit, sondern aus Furcht und Schrekken, dadurch wird aber [80] nicht das Hertz gebessert. Wenn aber die Handlung aus einem innern principio entsprungen ist, wenn ich die Handlung darum, weil sie an sich selbst schlechthin gut ist, und also gerne thue, so hat das einen wahren Wohlgefallen bey Gott. Gott will Gesinnungen haben und die müssen aus einem innern principio kommen, denn wenn man was gerne thut, so thut man es aus guter Gesinnung. Selbst wenn die Göttliche Offenbarung soll gut ausgelegt werden, so muß solches nach dem innern principio der Moralitaet geschehen. Die Sittlichkeit ist also keine Frömmigkeit, welches sie nach dem Theologischen principio wäre, sondern die moralische Sittlichkeit ist Tugend, wenn sie aber nach dem göttlichen, gutthätigen Willen geschicht, so wird die Sittlichkeit zur Frömmigkeit. *Da nun gezeiget ist, worin das principium der Moralitaet nicht bestehe, so muß *nun gezeigt werden, worin es denn bestehe. Das principium der Moralitaet ist aber intellectuale internum, es muß in der Handlung selbst durch pure reine Vernunfft gesucht werden. Worin besteht es denn? 44Die Moralitaet ist die
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[XXVII: 278,13 Lücke] Diese Formulierung des Moralprinzips ist sichtlich sowohl sprachlich als auch dem Gehalt der Aussage nach von der ‚Formel‘ entfernt, die Kant in der 1785 publizierten Grundlegung gefunden hat. Im Verlauf der Vorlesung wird einigemale auf das Prinzip zurückgegriffen (p. 223, 225f., 252, 258, 260). – Bezeichnenderweise findet sich unter den frühen Notizen in den Initia kein Gegenstück, sondern in den Reflexionen zur Metaphysica (R: 4254 / XVII: 484,11 ff.; R: 4611 / XVII: 609,11 ff.), die nach Adickes’ Datierung aus der ersten Hälfte der 1770er Jahre stammen. Die von Adickes / Berger entschieden in die zweite Hälfte der 1770er Jahre gesetzten Fassungen in den Initia entsprechen weder derjenigen der Vorlesung noch derjenigen der Grundlegung (R: 6950 / XIX: 212,11 ff.): „Der allge-
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Uebereinstimmung der Handlung mit 49einem allgemein gültigen Gesetz der freyen Willkür. Alle Moralitaet ist das Verhältniß der Handlung zur allgemeinen Regel. In allen unsern Handlungen ist das, was man moralisch nennt, regelmässig. Das ist das [81] wesentliche Stük der Moralitaet, daß unsre Handlungen aus dem BewegungsGrunde der allgemeinen Regel geschehen. Wenn ich das zum Grunde lege, daß meine Handlungen müssen zusammenstimmen mit der allgemeinen Regel, die zu jederzeit und für jedermann gillt, so ist sie entsprungen aus dem moralischen principio. zE. 50sein Versprechen zu halten aus Befriedigung der Sinnlichkeit ist nicht moralisch: denn wenn jeder sein Versprechen so halten wollte, wie er es 51meynte, so würde das Versprechen zuletzt nichts helfen, wenn ich es aber nach dem Verstande beurtheile, ob es eine allgemeine Regel ist und deswegen mein Versprechen halte, indem ich wünsche, daß alle auch ihr Versprechen gegen mich halten möchten, dann stimmt meine
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einem Hg.] meinem Kae] | Gegen Mnz S. 51,10; in Collins/Lehmann fehlt die gesamte Passage (Ms-Kaehler p. 77–88), vgl. XXVII: 278,13 und die entsprechenden Varianten S. 1209,29 „einem“; S. 1224,08 „einem“; S. 1251 (vacat); S. 1276,03 f. „einem“; auch das Ms-Mrongovius hat „einem“ (XXVII: 1426,40). sein Hg.] kein Kae] | Gegen Mnz 51,19; vgl. XXVII: 1209,36 „sein“; 1224,16 „Sein“; 1276,10 ff. (anderer Satzbau); 1427,04 „Sein“. meynte Kae] mögte Hg?] möchte Hg?] | Die sprachliche Fassung des Beispiels vom „Versprechen“ ist offensichtlich nicht ganz gelungen. meine Wille der Menschheit geht auf die Erhaltung dessen, was (zu) der Menschlichen Natur wesentlichen Zweken gehört.“ Vgl. (R: 6989 / XIX: 221,08 ff.) Die Ausdrucksweise des ‚Losen Blattes Duisburg 6‘ steht ebenfalls der Vorlesung näher als der Grundlegung (R: 7202 / XIX: 278,05–16); vgl. auch die R: 7204, 7210 bzw. die Pölitz-Nachschrift des Metaphysik-Kollegs XXVIII: 288. – Nimmt man den Begriff des Zwecks als essentiellen Bestandteil auch des frühen in der Ethik-Vorlesung diskutierten Moralprinzips, dann zeigt sich bei einem elektronischen Durchgang der Kantischen Notate in seinen Beobachtungen von 1764 rasch, daß dort noch nicht einmal in Ansätzen von einem derartigen Prinzip die Rede ist.
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Handlung mit der allgemeinen Regel aller Willkür überein. Oder zE. bey der Handlung der Grosmuth. Wenn jemand in der äussersten Noth ist, und ich bin im Stande ihm zu helfen, bin aber dabey gleichgültig, ja wende lieber das Geld zum Vergnügen an; probiere ich nun das nach meinem Verstande, ob es eine allgemeine Regel seyn kann, und ob es auch meinem Willen gemäß wäre, wenn ein anderer eben so gleichgültig gegen mich in solcher Noth wäre, so finde ich, daß solches mit meiner 52Willkür nicht übereinstimmt, also ist auch solche Handlung nicht moralisch. [82] Ieder Mensch, der wieder die Sittlichkeit ist, hat seine Maximen. Vorschrifft ist ein objectives Gesetz, nach dem man handeln soll. Maxime aber ist ein subjectives Gesetz, nach dem man würklich handelt. Ieder sieht das moralische Gesetz als ein solches an, 45welches er öffentlich declariren kann, aber jeder sieht seine Maximen als solche an, die verborgen werden müssen, weil sie der Moralitaet zuwieder seyn und zur allgemeinen Regel nicht dienen können zE. Iemand hat die Maxime reich zu werden, die kann und wird auch kein Mensch declariren, denn sonst würde er seinen Zwek nicht erreichen, würde dieses zur allgemeinen Regel werden, dann würde jedermann reich werden wollen und dann wäre es nicht möglich reich zu werden, weil es alle wüsten und es alle werden wollten. Die Exempel von den Pflichten gegen sich selbst sind etwas schwerer einzusehen, weil sie die unbekanntesten sind, welches doch sehr befremdet, daß die die uns am nächsten angehen, uns am unbekanntesten sind, sie sind aber mit den pragmatischen Regeln sein Wohl zu befördern verwechselt, *wovon unten ein mehreres vorkommt zE. Ob jemand sich könne selbst an seinem Leibe Schaden thun, um etwas zu profitiren zE. seinen Zahn verkaufen, oder 52
Willkür Hg.] Wilkür Kae]
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[XXVII: 278,13 Lücke] Vgl. (R: 6642 / XIX: 122f.) bzw. die spätere (R: 7082 / XIX: 244f.); Vgl. auch mutatis mutandis VI: 349,22ff. und VIII: 382,17 ff.
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sich für Geld zum Besten halten lassen. Worin liegt hier die Moralitaet? Ich untersuche nach dem Verstande, ob die Intention der Handlung so [83] beschaffen ist, daß sie eine allgemeine Regel seyn könnte. Die Intention ist seinen Vortheil zu vergrössern, nun sehe ich, daß sich alsdenn der Mensch zu einer Sache und zu einem Instrument der Thierischen Belustigung macht, als Menschen sind wir aber nicht Sachen, sondern Personen, hier entehrt man die Menschheit in seiner eigenen Person. So ist es auch beym Selbstmorde, nach der Regel der Klugheit könnte es Fälle geben, wo man um aller Noth zu entgehen sich ermorden kann, aber es ist wieder die Moralitaet; denn die Intention ist, mit Aufopferung seines Zustandes alle Schmertzen und Ungemächlichkeiten seines Zustandes mit einmal aufzugeben; alsdenn ist aber die Menschheit der Thierheit unterworfen, und mein Verstand wird von den Thierischen Antrieben regiert; alsdenn wiederspreche ich mich, wenn ich Rechte der Menschheit zu haben verlange. In allen moralischen Urtheilen fassen wir den Gedanken, wie ist die Handlung beschaffen, wenn sie allgemein genommen wird. Stimmt die Intention der Handlung wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht wird, mit sich selbst, so ist sie moralisch möglich; stimmt die Intention der Handlung wenn sie allgemein gemacht wird nicht mit sich selbst, so ist sie moralisch unmöglich zE. Lügen um ein grosses Vermögen zu erhalten, [84] wird das allgemein, so ist es nicht möglich solches zu erhalten, indem jeder schon den Zwek weiß. Das ist also eine unmoralische Handlung, deren Intention sich selbsten aufhebt und zerstört, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht wird, moralisch ist sie aber, wenn die Intention der Handlung mit sich selbst übereinstimmt, wenn sie zur allgemeinen Regel gemacht wird. Der Verstand ist das Vermögen der Regel unsere Handlungen wenn sie mit der allgemeinen Regel übereinstimmen, so stimmen sie mit dem Verstande überein und dann haben sie BewegungsGründe des Verstandes. Wenn die Handlung also deswegen geschicht, weil sie nach der allgemeinen Regel des Verstandes übereinstimmt, so ist sie aus dem principio mora-
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litatis puro intellectuali interno geflossen. Da nun der Verstand das Vermögen der Regel und der Urtheile ist, so besteht die Moralitaet in der Unterordnung der Handlung überhaupt unter dem principio des Verstandes. Wie nun der Verstand ein principium der Handlungen enthalten soll, ist etwas schwer einzusehen. Der Verstand enthält auch gar nicht den Zwek der Handlung, sondern die Moralitaet der Handlung besteht in der allgemeinen Form (die pur intellectual ist) des Verstandes; wenn nemlich die Handlung allgemein genommen wird sie als Regel bestehen kann. Es ist hier der Unterscheid von dem [85] *schon vorher geredet ist, herbeyzuhohlen von dem objectiven principio der Diiudication und von dem subjectiven principio der Execution der Handlung. Von dem objectiven principio der Handlung ist eben jetzt geredet; das subjective principium, die Triebfeder der Handlung ist das moralische Gefühl. Nun kommen wir wieder auf das Gefühl, welches wir *vorher in einem andern Verstande verworfen haben. Das moralische Gefühl ist eine Fähigkeit durch ein moralisches Urtheil afficirt zu werden. Wenn ich durch den Verstand urtheile, daß die Handlung sittlich gut ist, so fehlt noch sehr viel, daß ich diese Handlung thue, von der ich so geurtheilt habe. Bewegt mich aber dieses Urtheil, die Handlung zu thun, so ist das das moralische Gefühl. Das kann und wird auch keiner einsehen, 46daß der
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[XXVII: 278,13 Lücke] Zur ‚bewegenden Kraft des Verstandes‘ vgl. (mit Krauß 1926, S. 111 Anm. 132) die Formulierung in der (R: 4334 / XVII: 509,08ff.): „Der gute Verstand hat bestimmende Gründe, aber nach gesetzen des Verstandes durch intellectuale motiva; der afficirte überläßt sich der sinnlichkeit. […] Der Verstand muß selber die Sinnlichkeit excitiren, damit sie die Handlung determinire; also geschieht sie nach Gesetzen der sinnlichkeit und doch des Verstandes.“ Die Frage, ob der Verstand unter dem Namen des ‚moralischen Gefühls‘ eine bewegende Kraft hat, die direkt zu Handlungen führt, wird klar verneint in der einzigen bekannt gewordenen Metaphysik-Vorlesung, die aus den späten 1770er Jahren stammt (Pölitz); vgl. XXVIII: 257 f., 318 f., 334 – (XXVIII: 258,19–21): „Es ist ein Unglück fürs menschliche Geschlecht, daß die moralischen Gesetze, die da objectiv necessitiren nicht zugleich subjectiv necessitiren.“
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Verstand sollte eine bewegende Krafft 53zu urtheilen haben. Urtheilen kann der Verstand freylich, aber diesem VerstandesUrtheil eine Krafft zu geben, und daß es eine Triebfeder werde den Willen zu bewegen, die Handlung auszuüben, 47das ist der Stein der Weisen. 53
zu urtheilen Kae] im Urtheil Hg?] zur Handlung Hg?]
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[XXVII: 278,13 Lücke] Schon Krauß hat (1926, S. 71) die später – 1960 – von Dieter Henrich (1960, S. 99 & 111; vgl. 1963a, S. 368) mit einigem Erfolg lancierte These vertreten, Kant selbst sei – nach Auskunft der Vorlesung – in den 1770er Jahren noch auf der Suche nach einem derartigen ‚Stein der Weisen‘. Die These hat Zustimmung und Kritik hervorgerufen; vgl. etwa Böhme / Böhme 1983, S. 369; Brandt 1988, S. 190 Anm.; Schwaiger 1999, S. 108. – Wie ist die Stelle zu verstehen? Suchte Kant mit alchemistischer Manier nach einem Mittel, unedle Metalle in wahres Gold zu verwandeln? – Oder anders gewendet: kann dem vortragenden Kant der 1770er Jahre eine in der Rede vom ‚Stein der Weisen‘ implizierte Arbeitshypothese unterstellt werden? Eine Hypothese, die er in der Critik der practischen Vernunft des Jahres 1788 expressis verbis zurückweist? (V: 163; vgl. VIII: 415,13 f.) Auch wenn man den Handschriftlichen Nachlaß (XVI: 783; XXIII: 468) oder die Nachschriften anderer Vorlesungen (XXVIII: 378,24; XXIX: 765) hinzuzieht, so bleibt der Befund: die Redeweise hat eine pejorativspöttische Konnotation. Besonders deutlich ist dies in einer der Moral-Vorlesung chronologisch sehr nahe stehenden Anthropologie-Nachschrift; Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 197 / XXV: 530): „Den Phantasten der Empfindung kann man Träumer nennen. Dergleichen sind die Alchemisten, Chymisten p. Die bilden sich noch immer ein den Stein der Weisen zu erlangen. Solche Träumerey findet statt aus Mangel der Erfahrung.“ – Ganz abwegig wird die von Krauß und Henrich entwickelte Auffassung, wenn man auf die in der metaphorischen Rede steckende Sache blickt; denn in der Vorlesung stellt der ‚Lapis philosophorum‘ nur das Gegenstück zu einem ‚Probierstein‘ (touchstone) dar, der in einem damals üblichen, tatsächlich wirksamen Testverfahren Gold prüft. Zwar begegnet in der Moral-Vorlesung der sonst von Kant gern (Für die Bände I-IX zeigt der WordCruncher 59 Belegstellen.) benutzte Terminus ‚Probierstein‘ nicht im gegenwärtigen Zusammenhang (wohl aber p. 347); so ist doch kaum zu bezweifeln, daß der ‚Lapis philosophorum‘ für das gesuchte ‚Principium executionis‘ stehen soll. Damit sind zwei verschiedene Steine bzw. Verfahren bestimmt: Probierstein sive principium diiudicationis // Stein der Weisen sive principium executionis. Vgl. dazu oben die Erl. zu p. 069,18. – Selbst der mitunter sehr
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Der Verstand respuirt alles was die Möglichkeit der Regel aufhebt. Der Verstand nimmt alle Gegenstände auf, die mit dem Gebrauch seiner Regel übereinstimmen, er wiedersetzt sich aber alle dem, was der Regel zuwieder ist. [86] Da nun die unsittliche Handlungen wieder die Regel sind, indem sie nicht zur allgemeinen Regel können gemacht werden, so wiedersetzt sich der Verstand denenselben, weil sie wieder den Gebrauch seiner Regel laufen. Also stekt doch im Verstande vermöge seiner Natur eine bewegende Krafft. Demnach sollen die Handlungen so beschaffen seyn, daß sie mit der allgemeinen Form des Verstandes übereinstimmen, und daß sie allemal eine Regel werden können, denn ist die Handlung moralisch. Woran liegt es nun, wenn die Handlung nicht moralisch ist, an dem Verstande oder am Willen? Fehlt der Verstand, wenn er nemlich nicht gut unterrichtet ist, in der Diiudication der Handlung, so ist die Handlung moralisch unvollkommen, allein die Pravitaet die Bösartigkeit der Handlung besteht nicht in der Diiudication, liegt also nicht am Verstande, sondern sie besteht in der Triebmystifizierende Königsberger Privatgelehrte Johann Georg Hamann, benutzt die Rede vom ‚Stein der Weisen‘ mit deutlich ironischem Unterton. Die Sokratischen Denkwürdigkeiten des Jahres 1759 beginnen „Mit einer doppelten Zuschrift an Niemand und an Zween“. Der anonyme Verfasser teilt gleich zu Beginn dem ‚Niemand‘, d. h. dem Publicum oder dem Leser seiner Schrift, mit, wer denn die anderen „Zween“ sind, denen das Buch gewidmet ist. Anders jedoch als Sven-Aage Jørgensen sehe ich in der zuerst geschilderten Person primär den Königsberger Philosophen Kant und in der zweiten den Kaufmann Berens aus Riga; denn: „Der erste arbeitet am Stein der Weisen, wie ein Menschenfreund, der ihn für ein Mittel ansieht, den Fleiß, die bürgerlichen Tugenden und das Wohl des gemeinen Wesens zu befördern. […] Der andere möchte einen so allgemeinen Weltweisen und guten Münzwardein abgeben, als Newton war. Kein Theil der Kritick ist sicherer, als die man für Gold und Silber erfunden hat.“ (Hamann / Jørgensen (Hg) 1974, S. 8/9) Zumindest für die beiden Angesprochenen selber sollte die Charakteristik zur Wiedererkennung hinreichend sein; wenigstens denkbar ist auch, daß Hamann Charakterzüge der beiden abgeschilderten Personen so miteinander kombiniert, daß eine eindeutige Zuordnung ausgeschlossen wird. – Für die Identifikation der ‚Zween‘ als solchen vgl. J. G. Hamann, Briefwechsel, Bd. 5, S. 358 f.
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feder des Willens. Wenn der Mensch gelernt hat alle Handlungen zu diiudiciren, so fehlt es ihm noch an der Triebfeder solche auszuüben. Die Unsittlichkeit der Handlung besteht also nicht in dem Mangel des Verstandes, sondern in der Pravitaet des Willens oder des Hertzens. Die Pravitaet des Willens ist aber, wenn die bewegende Krafft des Verstandes überwogen wird von der Sinnlichkeit. Der Verstand hat keine elateres animi, ob er gleich [87] bewegende Krafft und motiva hat, die aber nicht vermögend sind die elateres der Sinnlichkeit zu überwiegen. Diejenige Sinnlichkeit, die mit der bewegenden Krafft des Verstandes übereinstimmt, wäre das moralische Gefühl; wir können freylich die Bonitaet der Handlung nicht fühlen, der Verstand wiedersetzt sich aber einer übeln Handlung, weil sie wieder die Regel läuft. Dieser Wiederstand des Verstandes ist der BewegungsGrund; kann dieser BewegungsGrund des Verstandes die Sinnlichkeit 54zur Uebereinstimmung und Triebfeder bewegen, so wäre das das moralische Gefühl. Worauf kommt es denn nun an, daß der Mensch solches moralische Gefühl habe? Ieder kann einsehen, daß die Handlung verabscheuungswürdig ist, aber der diesen Abscheu fühlt, hat ein moralisches Gefühl. Der Verstand verabscheut nicht, sondern er sieht die Abscheulichkeit ein, und wiedersetzt sich derselben, aber die Sinnlichkeit muß nur verabscheuen, wenn nun die Sinnlichkeit dasjenige verabscheut, was der Verstand als abscheulich einsieht, so ist dieses das moralische Gefühl. Den Menschen dahin zu bringen, daß er die Abscheulichkeit des Lasters fühle, ist gar nicht möglich, denn ich kann ihm nur das sagen, was mein Verstand einsieht, und so weit bringe ich ihn auch, [88] daß er es einsieht, aber daß er den Abscheu fühlen soll, wenn er nicht solche Reitzbarkeit der Sinne hat, ist nicht möglich; er sieht ein, daß die Handlung abscheulich ist, er wünscht, daß alle so wären, aber daß er nur von ihnen dadurch profitiren möchte; das fühlt er besser, wenn er etwas in der Tasche hat. Also läßt sich sowas überhaupt nicht hervorbringen. 54
zur Hg.] der Kae]
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Der Mensch hat nicht solche geheime Organisation durch obiective Gründe 55bewogen zu werden, es ist keine Feder von Natur, die da könnte aufgezogen werden solches hervorzubringen. Allein wir können doch einen habitum hervorbringen, der nicht natürlich ist aber doch die Natur vertritt, der durch die Nachahmung und öftere Ausübung zum habitu wird. Aber alle Methoden die Laster 56verabscheuungswürdig zu machen sind bey uns alle falsch. 48Wir sollen unmittelbaren Abscheu wieder solche Handlung schon von Iugend auf einflössen, aber nicht einen mittelbaren, der nur einen pragmatischen Nutzen hat, wir müssen nicht eine Handlung als verbothen oder als schädlich vorstellen, sondern als an sich selbst innerlich verabscheuungswerth zE. das Kind was da lügt muß nicht bestraft sondern beschämt werden, man muß einen Ekel, einen Abscheu, eine Verachtung für ihn hegen, so als wenn es mit Koth beworfen wäre, durch solche öftere Wiederhohlung, können wir bey ihm 55 56
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bewogen zu Hg.] bewogen Kae] verabscheuungswürdig Hg.] verabscheuend Kae] [XXVII: 278,24] Bis in die Wortwahl gleicht die Passage einer Stelle in der Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 835 / XXV: 727): „Wenn aber das Kind lügt, so muß man es so beschämen und so verachten, als wenn sich kein Mensch mit ihm abgeben wollte, und es nicht werth hält, daß man mit ihm redet. Man muß es so ansehen, als ob man sich für ihn scheut, als wenn es mit Koth beworfen wäre, […].“ Ähnlich auch die von Rink herausgegebene Pädagogik (IX: 480,16 f.): „Wenn das Kind z. E. lügt, muß man es nicht bestrafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen, ihm sagen, daß man ihm auch in Zukunft nicht glauben werde, und dergl.“ Möglicherweise steht hier erneut Rousseau’s Emile im Hintergrund (Schmidts 1975, S. 81): „Predigt also nicht gegen die Lüge, bestraft das Kind auch nicht eigentlich, weil es gelogen hat, aber sorgt dafür, daß es an sich alle böse Folgen erfährt. Zum Beispiel, daß man ihm nicht mehr glaubt, auch wenn es die Wahrheit sagt: daß man es beschuldigt, auch wenn es nichts getan hat und sich noch so sehr verteidigt.“ Freilich läuft die sich bei Rousseau anschließende Analyse der Kinderlüge als solcher geradezu auf das Gegenteil hinaus. (Schmidts 1975, S. 82 f.): „Da das Kind nicht weiß, was es mit dem Versprechen tut, so kann es damit auch nicht lügen. […]. Hieraus folgt, daß Kinderlügen das Werk der Lehrer sind, […].“
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einen solchen Abscheu wieder die Handlung erwekken, [89] der ihm zum habitu werden kann. Wenn er aber davor in der Schule bestraft wird, so denkt er, bist du aus der Schule, so bist du auch schon von der Strafe und solcher Handlung entledigt, er wird ein ander mal durch jesuitische Streiche der Strafe zu entgehen suchen. So denken auch 57alte Leute und fassen den Vorsatz, kurtz vor ihrem Ende sich zu bekehren und alles vorige gut zu machen, welches hernach eben so gut ist, als wenn sie das gantze Leben hindurch sittlich gelebt hätten; daher sie den plötzlichen Tod in dem Stük für unglüklich halten. Es soll also die Erziehung und die Religion darauf hinausgehen, einen unmittelbaren Abscheu gegen die üblen Handlungen und eine unmittelbare Lust gegen die Sittlichkeit der Handlung einzuflössen.
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Die Verknüpfung des Gesetzes mit den Ursachen und Gründen, worauf das Gesetz beruht ist littera legis. Wir können den Sinn des Gesetzes am besten einsehen, wenn wir das principium einsehen, aus dem das Gesetz abgeleitet ist, allein wir können den Sinn bestimmen auch ohne das principium einzusehen. Der Sinn, den das Wort in dem Gesetz hat ist anima legis. Die Worte haben zwar einen Sinn, allein die Worte können auch einen andern Sinn haben, der vom gemeinen abgeht und das ist anima legis. [90] zE. Im göttlichen positiven 49Gesetz vom Sabbath, da ist der Sinn nicht überhaupt die Ruhe, sondern die feyerliche Ruhe. 57
alte Hg.] alle Kae]
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[XXVII: 279,11] Zum Beispiel: Bibel, AT, 2. Mose 31,13: „Sage den Kindern Israel und sprich: Haltet meinen Sabbat; denn derselbe ist ein Zeichen zwischen mir und euch auf eure Nachkommen, daß ihr wisset, daß ich der Herr bin, der euch heiligt.“
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Aber anima legis, wenn es soviel bedeutet als der Geist des Gesetzes, bedeutet nicht den Sinn, sondern den BewegungsGrund. In jedem Gesetz ist die Handlung selbst, die darnach geschieht, der litterae legis gemäß. Aber die Gesinnung aus der die Handlung geschicht ist der Geist des Gesetzes. Die Handlung selbst ist littera legis pragmatici aber die Gesinnung ist anima legis moralis. Die pragmatischen Gesetze haben keinen Geist; denn die fordern keine Gesinnungen sondern Handlungen, aber die moralischen Gesetze haben einen Geist; denn die fordern Gesinnung, und 50die Handlung soll nur die Gesinnung erklären. Wer also die Handlung thut ohne gute Gesinnung, der erfüllet das Gesetz quoad litteram aber nicht dem Geiste nach. Man kann die göttliche und alle moralische Gesetze als pragmatische nur quoad litteram erfüllen zE. Es denkt jemand der sich seinem Ende naht, wenn Gott ist, so muß er alle gute Handlungen belohnen, wenn er nun Vermögen hat, so kann er dasselbe auf keine bessere 58Interessen geben, als wenn er damit gute Handlungen ausübt, aus der Absicht um nur von Gott belohnt zu werden, welches die Bibel 51den ungerechten Mammon nennt, und sagt, daß die Kinder der Finsterniß klüger seyn als die Kinder [91] des Lichts; weil nun ein solcher das gethan, was das moralische Gesetz fordert, aber ohne Gesinnung, so hat er
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Interessen Hg.] Interesse Kae]
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[XXVII: 279,21] Gemäß der alttestamentarischen Tradition etwa Psalm 28,4: „Gib ihnen nach ihrer Tat und nach ihrem bösen Wesen; gib ihnen nach den Werken ihrer Hände; vergilt ihnen, was sie verdient haben.“ Die Differenz von ‚Buchstabe‘ und ‚Geist‘ ist im Neuen Testament insbesondere der Paulinischen Linie eigen; etwa Römer 7,6: „[…], also daß wir dienen sollen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen des Buchstabens.“ [XXVII: 279,30] Bibel, NT, Lukas 16, 8–9: „Und der Herr lobte den ungerechten Haushalter, daß er klüglich gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichtes in ihrem Geschlecht. / Und ich sage euch auch: Machet euch Freunde mit dem ungerechtern Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“
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es quoad litteram erfüllt. Allein die anima legis moralis war nicht erfüllt, diese fordert sittliche moralische Gesinnung, es ist nicht gleichviel und einerley, aus was für einem BewegungsGrunde die Handlung geschicht. Das moralische Gesetz ist also nur das, was Geist hat, überhaupt ein Gegenstand der Vernunfft hat Geist, nun ist aber mein Vortheil kein Gegenstand der Vernunfft, also hat auch solche Handlung, die aus dieser Absicht geschicht, keinen Geist. Autor ist in der Erklärung des Juris so weitläuftig, daß er nur Worte illustrirt und das Ethische mit dem juridischen zusammennimmt. Die Verbindlichkeit ist ethisch, wenn der Grund der Obligation in der Beschaffenheit der Handlung selbst ist; juridisch aber, wenn der Grund der Obligation in der Willkür eines andern ist. Der Unterschied der Ethic bestehet also darin: Erstlich sie unterscheidet sich vom jure in Ansehung der Gesetze, die sich gar nicht auf andere Menschen beziehen, sondern nur auf Gott und auf sich selbst. Zweytens daß wenn sie sich auf andere Gesetze bezieht, so hat die Verbindlichkeit zu der Handlung ihren Grund nicht in dem arbitrio eines andern sondern in der Handlung selbst. [92] Und endlich, daß der BewegungsGrund seiner Verbindlichkeit ein Gnüge zu thun nicht der Zwang sondern die freye Gesinnung oder Pflicht sey. Der äussere BewegungsGrund ist Zwang und die Handlung ist juridisch, der innere BewegungsGrund ist Pflicht und die Handlung ist ethisch. Bey der juridischen Obligation frägt man nicht nach der Gesinnung, die mag seyn wie sie will, wenn nur die Handlung geschicht. Bey den ethischen Obligationen muß der BewegungsGrund innerlich seyn, man muß die Handlung deswegen thun, weil es sich geziemt; ich muß meine Schuld bezahlen, nicht weil mich der andere zwingen kann, sondern weil es sich geziemt. Autor redet hier noch von der Transgression oder Uebertretung der Gesetze, von der Beobachtung der Gesetze und von den Personen, denen entgegen gehandelt wird, oder von der Laesion. Das Gesetz wird nicht laedirt, sondern übertreten, aber die Person kann laedirt werden. Die Laesion kommt nicht
sectio 3: Principia iuris § 87 ff.
§ 83
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§ 85
§§ 92–94
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in der Ethic vor, denn ich laedir keinen Menschen, wenn ich keine Ethische Pflichten gegen ihn thue. Also oppositio Juris alterius ist eine Laesion. Die Antinomie oder Wiederstreit kann bey den Gesetzen statt finden, wenn die Gesetze nur den Grund zur [93] Obligation enunciren, wenn aber die Gesetze an sich selbst obligiren, können sie nicht wiederstreiten. Autor trägt drey Grundsätze vor, 52die als Axiomata der Moral angenommen sind: Honeste vive, Neminem laede, suum cuique tribue. *Wir wollen zeigen, was ihr Sinn ist, so fern sie als Axiomen der Moral ihre Gültigkeit haben sollen. Der erste Satz: honeste vive kann angesehen werden als ein gemeines principium der Ethic. Denn der BewegungsGrund seine Verbindlichkeit zu erfüllen, ist nicht aus Zwang, sondern aus dem innern BewegungsGrunde genommen. Honestus bedeutet dasjenige Verhalten und die Eigenschafft des Menschen, wenn er was thut, das Ehrenwerth ist. Der Satz würde also lauten: Thue das, was dich zum Object der Achtung und Schätzung macht. Alle unsere Pflichten gegen uns selbst haben solche Beziehung, Achtung in unsern Augen und Beyfall in den Augen anderer. Der ist geringschätzig, je weniger innern Werth er in sich hat. Die 59Schädlichkeit für andere bringt Haß hervor, die Nichtswürdigkeit bringt Verachtung hervor. Man soll sich also nach diesem Satz so aufführen, daß man Ehrenwerth sey, daß man wenn es allgemein bekannt wird von allen Achtung und Schätzung verdient. ZE. die unnatürlichen Sünden sind von der Art [94] daß sie die Menschheit entehren in ihrer eigenen Person ein sol-
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Schädlichkeit für andere Hg.] Schädlichkeit andern Kae] | Gegen Mnz S. 59,26 und XXVII: 281,08: „Schändlichkeit anderer“. – Eine Läsion, ein Schaden ruft einen individuellen Haß gegen den Verursacher hervor. Vgl. die weiter unten (Ms-Kaehler p. 340; Mnz S. 235; XXVII: 407) folgende Gegenüberstellung von „Haß“ und „Verachtung“.
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[XXVII: 280,35] Zu den drei Ulpian’schen Formeln, vgl. VI: 236; bzw. von den Notaten in den Initia die R: 7078.
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cher ist nicht ehrenwerth, und wenn es allgemein bekannt wird, so wird er verachtet. Einer positiven Ehre ist aber der nur werth, dessen Handlungen verdienstlich sind, dessen Handlungen mehr enthalten, als sie schuldig sind zu enthalten. Der ist aber nur der Ehre nicht unwerth, der alles schändliche unterlassen hat, der ist nur ehrlich, welches aber kein Verdienst ist, sondern das minimum der Moralitaet, denn so fern etwas daran fehlt, so ist man schon ein Schelm. Dahero ist der Zustand desjenigen Landes sehr schlecht, wo die Ehrlichkeit hoch gehalten wird; denn daselbst ist sie sehr selten und rar, dahero wird sie hoch gehalten. Diejenigen Handlungen sind aber nur Ethisch, die mehr enthalten als die Schuldigkeit fordert. Handele ich so, daß ich nichts mehr thue, als ich schuldig bin, so habe ich nur ehrlich gelebt, aber deswegen verdiene ich noch keine Ehre. Wenn ich aber mehr thue als ich schuldig bin, so ist das eine ehrenwürdige Handlung und die gehören zur honestate. Also ist dieses principium der Ethic noch so möglich. Die zween andere Sätze: neminem laede oder suum cuique tribue können als principia der juridischen Verbindlichkeit angesehen werden, denn sie beziehen sich auf Zwangspflichten. Denn Lasse jedermann das Seinige heißt soviel, du mußt Iedem dasjenige, was er mit Zwang von dir fordern [95] kann, lassen. Beyde Sätze können mit einander verbunden werden, denn wenn ich Iemand das Seinige nehme, so laedire ich ihn. Ich kann einen laediren entweder durch Omission, wenn ich ihm das Seinige nicht gebe, oder durch Commission, wenn ich ihm das Seinige nehme. Also kann ich einem das Seinige negative und positive nehmen. Negative ist wichtiger, denn es ist mehr dem Anderen das Seinige nicht zu nehmen, als es ihm nicht zu geben. Die Laesion besteht also in der Handlung, die dem Gesetz des Andern entgegen ist; denn laedire ich die Person. Der hat ein Recht von mir das zu fordern, was nach allgemeinen Gesetzen der Willkür nothwendig ist. In der Moral haben die Gesetze eine Beziehung auf die Glükseligkeit anderer; nach der juridischen Verbindlichkeit haben die Gesetze eine Beziehung auf den Willen des andern. Ethice
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obligans respectu aliorum est felicitas aliorum, juridice obligans respectu aliorum est arbitrium aliorum. Die erste Bedingung aller ethischen Pflichten ist aber diese, daß der juridischen Verbindlichkeit zuerst ein Gnüge gethan wird. Diejenige Verbindlichkeit, die aus dem Recht des andern entspringt, muß zuerst satisfaciret werden; denn wenn ich noch unter der juridischen Obligation stehe, so bin ich nicht frey, denn ich stehe unter der Willkür des Andern; wenn [96] ich nun aber eine ethische Pflicht ausüben will, so will ich eine freye Pflicht ausüben; die kann ich aber noch nicht ausüben, wenn ich noch nicht von der juridischen Obligation frey bin, 60ich muß mich erst von der juridischen Obligation frey machen, indem ich sie erfülle und denn kann ich erst die ethische Pflicht ausüben. So unterlassen sehr viele ihre schuldige Pflichten und wollen verdienstliche ausüben. So macht der, der in der Welt viel Unrecht gethan und vielen das Seinige entzogen, zuletzt Vermächtnisse an das Hospital. Allein die Stimme ist durchdringlich und eisern, die da schreyt, daß man seine Schuldigkeit noch nicht gethan hat, und die kann ein solcher durch alle verdienstliche Handlungen nicht unterdrükken, und solche verdienstliche Handlungen sind noch grössere Verbrechen, denn sie sind als Bestechungen und Geschenke gegen das höchste Wesen gegeben, um die Schuld gut zu machen. Also ist die Glükseligkeit nicht der HauptbewegungsGrund aller Pflichten. Dahero kann mich einer nicht glüklich machen wieder meinen Willen, sonst thut er mir Unrecht. Dahero ist die Art einen andern zu zwingen 53auf 60
ich muß] ich muß ich muß Kae]
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[XXVII: 282,27] Die Stelle erinnert einerseits an die im Augsburger Religionsfrieden (1555) gefundene Formel ‚cuius regio ejus religio‘, wonach die Religion der adligen Herrscher die der Untertanen bestimmt. Andererseits steht sie einer bekannten Randglosse des jugendlichen (21. Juni 1740) preußischen Königs Friedrich II nahe: „Die Religionen müßen alle toleriret werden und muß der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, daß keine der andern Abbruch tuhe, den hier muß ein jeder nach seiner Fasson selich werden.“ (Murawski 1963, S. 131)
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seine Manier glüklich zu seyn, Gewalt zE der Vorwand der Edelleute gegen ihre Unterthanen. [97]
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Moralische und pragmatische Gesetze sind zu unterscheiden, im moralischen Gesetz ist der Sinn die Gesinnung, im pragmatischen Gesetz ist der Sinn die Handlung, dahero obligiren Obrigkeiten nur zu Handlungen und nicht zur Gesinnung. Pragmatische Gesetze können gegeben werden, das ist leicht einzusehen, ob aber jemand moralische Gesetze geben kann und über unsere Gesinnungen gebieten kann, die nicht in seiner Gewalt sind, *das ist zu untersuchen. Derjenige, der da declarirt, daß ein Gesetz, welches seinem Willen gemäs ist, den andern dazu obligirt, der giebt ein Gesetz. Der Gesetzgeber ist nicht zugleich ein Urheber des Gesetzes; sondern nur dann, wenn die Gesetze zufällig seyn. Wenn aber die Gesetze nothwendig practisch seyn, und er sie nur declarirt, daß sie seinem Willen gemäß sind, der ist ein Gesetzgeber. Vom moralischen Gesetz ist also kein Wesen auch das göttliche nicht ein Urheber, denn sie sind nicht aus der Willkür entsprungen, sondern sind practisch nothwendig, wären sie nicht nothwendig, so könnte auch seyn, daß die Lüge eine Tugend wäre. Allein die moralischen Gesetze können doch [98] unter einem Gesetzgeber stehen, es kann ein Wesen seyn, welches alle Macht und Gewalt hat diese Gesetze zu executiren und zu declariren, daß dieses moralische Gesetz zugleich ein Gesetz seines Willens sey und alle obligiren darnach zu handeln. Alsdenn ist dieses Wesen ein Gesetzgeber aber kein Urheber. Eben so wie Gott davon kein Urheber ist, daß ein Triangel drey Winkel hat. Der Geist der moralischen Gesetze liegt in der Gesinnung und die moralischen Gesetze können zugleich als Göttliche Gebothe angesehen werden, weil sie seinem Willen gemäß sind. Die moralischen Gesetze können aber auch als pragmatische
sectio 4: Legislator §§ 100 ff.
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Gesetze Gottes angesehen werden in so ferne wir nur auf die Handlung sehen, die im Gesetze gebothen ist zE. das moralische Gesetz fordert die Glükseligkeit aller Menschen zu befördern und dieses will auch Gott; handele ich nun dem göttlichen Willen gemäß, und übe Wohlthaten aus, um hernach von Gott dafür Belohnung zu erhalten, so habe ich nicht aus moralischer Gesinnung die Handlung gethan, sondern aus Beziehung 61auf den göttlichen Willen um hernach dafür belohnt zu werden. In so fern hat er dem göttlichen Gesetz pragmatisch Genüge gethan; gleichwohl hat er doch das Gesetz erfüllet [99] und hat sich in so fern gute Folgen zu versprechen, indem er doch das gethan hat was Gott gewollt hat, obgleich die Gesinnung unrein war. Allein Gott will die Gesinnung, die Moralitaet ist seinem Willen gemäß, und als solche Gesetze obligiren sie schon vollkommen; geschicht nun eine Handlung der Moralitaet gemäß, so ist das die gröste Uebereinstimmung mit dem göttlichen Willen. Wir haben also Gott nicht als einen pragmatischen Gesetzgeber sondern als einen moralischen Gesetzgeber anzusehen.
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Von Belohnungen und Bestrafungen.
sectio 5: Praemia §§ 106 ff.
Ein Praemium ist vom mercede zu unterscheiden. Die praemia sind entweder auctorantia oder remunerantia. Auctorantia sind solche Belohnungen, wo die Handlungen BewegungsGründe sind, wo man die Handlung blos wegen der verheissenen Belohnung thut; remunerantia sind solche Belohnungen, wo die Handlungen nicht BewegungsGründe sind, sondern die Handlung blos aus guter Gesinnung, aus reiner Moralitaet geschicht. Die ersten sind antreibende und die andern vergeltende Belohnungen. Demnach können die praemia auctorantia nicht moralia, die praemia remunerantia aber können moralia seyn. Die auctorantia sind pragmatica und die remunerantia [100] sind 61
auf den göttlichen Willen Hg.] des göttlichen Willens Kae] | Gegen Mnz S. 62,33; XXVII: 283,24.
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praemia moralia. Wer aus dem BewegungsGrunde der physischen Wohlfarth eine Handlung thut, blos wegen der verheissenen Belohnung, dessen Handlung hat keine Moralitaet, demnach hat er keine praemia remunerantia, wohl aber praemia auctorantia zu erwarten; Handlungen aber, die blos aus guter Gesinnung und reiner Moralitaet geschehen sind der praemiorum remunerantium fähig. Die praemia auctorantia sind viele blos natürliche Folgen und Verheissungen, zE. die Gesundheit ist ein praemium auctorans der Mässigkeit; ich kann aber auch mässig seyn aus moralischen Gründen. So hat die Ehrlichkeit, wenn sie wegen des Vortheils und Beyfalls geschicht, ein praemium auctorans: Der dem moralischen BewegungsGrunde gemäs handelt, ist des praemii remunerantis fähig. Diese praemia sind grösser als die auctorantia; denn hier ist die Uebereinstimmung der Handlung mit der Moralitaet und das ist die gröste Würdigkeit der Glükseligkeit, demnach müssen auch die praemia grösser seyn, als die pragmatica. Die praemia moralia haben eine unendliche Bonitaet, die pragmatica aber nur eine bestimmte Bonitaet. Der moralisch Gesinnte ist darum einer unendlichen Belohnung und Glükseligkeit fähig, weil er immer bereit ist solche gut gesinnte Handlungen auszuüben. [101] Es ist nicht gut, wenn man in der Religion die praemia als auctorantia vorstellt, und daß man darum moralisch seyn soll, weil man künftig dafür belohnt wird; denn es kann kein Mensch von Gott verlangen, daß er ihn belohne und glükselig mache. Er kann die Belohnung vom höchsten Wesen erwarten, welches ihn wegen seiner ausgeübten guten Handlungen schadlos hält; allein es muß die Belohnung nicht der BewegungsGrund zur Handlung seyn. Der Mensch kann hoffen glükselig zu seyn, das muß ihn aber nicht bewegen sondern nur trösten. Derjenige, welcher moralisch lebt, kann hoffen, deswegen belohnt zu werden, daß der frohe Muth entspringt, aber nicht aus dem BewegungsGrunde der Belohnung; denn die Menschen haben doch keine rechte Vorstellung von der künftigen Glükseligkeit, es weiß doch keiner, worin sie bestehen wird, welches die Vorsicht mit Fleiß uns verborgen hat, würde ein solcher Mensch
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§ 107
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die Glükseligkeit kennen, so würde er wünschen, bald da zu seyn, das thut aber kein Mensch, er wünscht doch immer länger hier zu bleiben, und wenn man ihm noch so die künftige Glükseligkeit gegen dieses elende Leben hoch preiset, so wünscht doch jeder nicht bald da zu seyn, indem er noch zeitig genung daselbst zu gelangen denkt, und es ist auch natürlich, daß [102] ein jeder dieses gegenwärtige Leben mehr empfindet, weil es klarer kann erkannt und gefühlt werden. Dahero ist es umsonst die praemia als auctorantia vorzustellen, wohl aber als remunerantia, und diese hofft auch jeder Mensch; denn das natürlich moralische Gesetz führet schon solche Verheissungen mit sich bey einem Subject, welches moralisch gute Gesinnungen hat, und wenn ihm auch keiner diese praemia remunerantia gepriesen und empfohlen hätte. Ein jeder Rechtschaffene hat diesen Glauben, er kann unmöglich rechtschaffen seyn, ohne zugleich zu hoffen nach der Analogie der physischen Welt, daß solches auch müste belohnt werden. Aus eben dem Grunde, aus welchem er an die Tugend glaubt, glaubt er auch an die Belohnung. Merces ist ein Lohn, den man mit Recht von jemanden zu fordern hat. Lohn ist also von der Belohnung zu unterscheiden, wenn man seinen Lohn erwartet, so fordert man ihn vom andern nach seiner Schuldigkeit. Von Gott können wir keinen Lohn für unsere Handlungen fordern, weil wir ihm doch 62nichts zu gut gethan haben, sondern wir nur zu unserm Besten alles gethan, was wir zu thun schuldig waren. Ob wir zwar von Gott keinen Lohn als Verdienst zu erwarten haben, so können wir doch praemia gratuita erwarten, die gleichwohl als Lohn angesehen [103] werden, besonders in Ansehung anderer Menschen, gegen die wir gute Handlungen ausgeübt haben. 54Nun 62
nichts Hg.] nicht Kae]
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[XXVII: 285,26] Bibel, NT, Paulus, Galater 1,4: „der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat, daß er uns errette von dieser gegenwärtigen, argen Welt nach dem Willen Gottes und unseres Vaters“. Bzw. 1. Johannes 2,2: „Und derselbe ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber die unseren sondern auch für die der ganzen Welt.“
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können wir Gott als einen solchen ansehen, der alle die Schulden der Menschen bezahlet, indem Gott diejenige verdienstliche Handlungen, die wir gegen andere ausgeübt, denen wir es doch nicht zu thun schuldig waren, vergeltet. Also haben wir würklich verdienstliche Handlungen, zwar nicht gegen Gott, sondern gegen andere Menschen, dieser Mensch ist doch alsdenn in meiner Schuld, die er mir gar nicht abtragen kann, für den aber Gott alles ersetzt; welches auch das Evangelium sagt: 55wenn ihr einem von diesen geringsten etwas thut, so habt ihr es mir 63gethan p. Der Mensch hat also einen Lohn vom andern Menschen verdient, den ihm aber Gott vergeltet. Man muß hier nicht eine eingebildete Reinlichkeit der Moral annehmen und alle verdienstliche Handlungen wegstreichen. Denn Gott will die Glükseligkeit aller Menschen und zwar durch Menschen, und wenn nur alle Menschen zusammen einstimmig wollten ihre Glükseligkeit befördern, so könnte man 56in Nova Zembla ein Paradies machen. Gott setzt uns in den Schauplatz, wo wir uns einander können glüklich machen, es beruht nur auf uns, sind die Menschen elend so sind sie selbst schuld. So leidet ein Mensch offt Noth aber nicht um Gottes willen, Gott aber läßt ihn in der Noth zum Beweiß für die [104] Menschen, die ihn Noth leiden lassen, die 64ihm doch zusammen helfen könnten.
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gethan p. Hg.] gethan. p Kae] ihm Hg.] ihn Kae] [XXVII: 285,33] Bibel, NT, Matthäus 25,40: „Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ [XXVII: 286,01] Über die Eiswüsten von Nowaja Semlja heißt es im sog. Diktat-Text (ca. 1758) der Vorlesung über die Physische Geographie: „Die Inseln Nova Zembla, Spitzbergen und andere mehr sind nicht bewohnt, aber man muß nicht glauben, daß sie so ganz unbewohnbar sind; als sie die Holländer, die unter Hemsckerck darauf überwinterten, gefunden haben; Professor Müller berichtet, daß fast jährlich einige Russen, um der Iagd willen, den Winter darauf zubringen.“ (Ms Holstein p. 343; bzw. mit signifikanten Auslassungen in der Edition von Rink in IX: 435f.)
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sectio 6: Poenae §§ 115 ff.
§ 116
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Gott will nicht, daß 65es einem eintzigen elend gehe, 57er hat uns alle dazu bestimmt, einstimmig einer dem andern zu helfen. Dahero ist der Satz des Autors: Thue das, was dir die meiste Belohnung verspricht, offenbar der Moralitaet entgegen. Da ist der BewegungsGrund die meistbietende Belohnung; allein thue das, was der grösten Belohnung würdig ist, wäre recht. Strafe überhaupt ist das physische Uebel, was um des moralischen Uebels einem zu theil wird. Alle Strafen sind entweder warnende oder rächende, warnende sind diejenigen, die blos zu dem Ende declarirt werden, damit das Uebel nicht geschehe; rächende sind aber solche, die da declariret werden, weil das Uebel geschehen ist. Die Strafen sind also Mittel entweder das Uebel zu verhindern oder zu bestrafen. Alle Obrigkeitliche Strafen sind warnende Strafen, entweder den Menschen selbst der gesündigt zu warnen oder andere zu warnen durch dieses Beyspiel. Allein solches Wesen, welches der Moralitaet gemäß die Handlungen bestraft, hat rächende Strafen. Alle Strafen gehören entweder zur Strafgerechtigkeit oder zur Klugheit des Gesetzgebers. Die ersten sind moralische, die andern pragmatische Strafen. Die [105] moralische Strafen werden ertheilt, weil gesündiget worden, es sind consectaria der moralischen Uebertretung, die pragmatische werden ertheilt, damit nicht gesündigt werde, sie sind Mittel, dem Verbrechen vorzubeugen. Die pragmatische nennt der Autor: poenas medicinales, diese sind entweder correctivae oder exemplares; die correctivae werden ertheilt um den zu bessern der verbrochen hat, und das sind animadversiones; die exemplares geschehen zum Beyspiel anderer. Alle Strafen der Fürsten und der Obrigkeit sind pragmatische entweder zu corrigiren oder andern zum 65
es einem Hg.] einem Kae]
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[XXVII: 286,08] Bibel, NT, 1. Petrus 4,10: „Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“
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Beyspiel. Die Obrigkeit straft nicht, weil verbrochen ist, sondern damit nicht verbrochen werde. Allein ein jedes Verbrechen hat doch noch ausser dieser Strafe eine Strafwürdigkeit darum daß es geschehen ist. Solche Strafen die also nothwendig auf die Handlung folgen müssen, sind die moralische und das sind poenae vindicativae. So wie eine Belohnung folgt auf eine gute Handlung, nicht darum, damit man ferner gute Handlungen thue, sondern weil gut gehandelt ist. Wenn wir die Bestrafungen und Belohnungen vergleichen, so merken wir, daß weder die Bestrafungen noch die Belohnungen als BewegungsGründe der Handlung sollen angesehen werden. Die Belohnungen [106] sollen kein BewegungsGrund seyn die gute Handlung zu thun, und die Bestrafungen sollen kein BewegungsGrund seyn die böse Handlung zu unterlassen, indem sie eine GemüthsArt gründen, die niedrig ist, 58indolem 66abjectam. Diese heißt bey dem, der durch Belohnung bewegt wird die gute Handlung auszuüben indoles mercenaria, und bey dem der durch die Strafen von den bösen Handlungen abgehalten wird indoles servilis; beyde machen aber die indolem 67abjectam aus. Der BewegungsGrund soll moralisch seyn; der Grund eine gute Handlung zu thun soll nicht in der Belohnung gesetzt werden, sondern die Handlung soll belohnt werden weil sie gut ist, so soll auch nicht der Grund eine böse Handlung zu unterlassen in die Strafen gesetzt werden, sondern die Handlung soll unterlassen werden, weil sie böse ist. Die Belohnungen und Bestrafungen sind nur subjective BewegungsGründe, wenn
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abjectam Hg.] objectam Kae] abjectam Hg.] objectam Kae] [XXVII: 287,07] Bereits in den handschriftlichen Bemerkungen in seinen Beobachtungen von 1764 setzt sich Kant mit einer derartigen Beschaffenheit oder ‚Gemütsart‘ auseinander (XX: 112); ebenso in der Moral-Herder (XXVII: 041 f.). – Im Hintergrund dürften Baumgarten’s Metaphysica (§ 732) und die Ethica (§ 248) gestanden haben. Vgl. auch Metaphysik-Pölitz XXVIII: 258,31 ff.
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die objective nicht mehr fruchten; sie dienen nur den Mangel der Moralitaet zu ersetzen. Zuerst muß das Subject an die Moralitaet angewöhnt werden, es muß zuerst, ehe man mit Bestrafungen und Belohnungen angestochen kommt, die indoles erecta excitirt werden, das moralische Gefühl muß erst rege gemacht werden, damit das Subject durch moralische motiva kann bewegt werden, helfen die nicht, denn muß man zu den subjectiven BewegungsGründen [107] der Belohnungen und Bestrafungen schreiten. Der wegen guter Handlungen belohnt wird, wird die gute Handlung wieder ausüben, nicht weil sie gut ist, sondern weil sie belohnt wird, und der wegen böser Handlungen bestraft wird, der haßt nicht die böse Handlung sondern die Strafe, er wird die böse Handlung doch thun und durch Jesuitische Schlauigkeit der Strafe zu entgehen suchen. Es ist also in der Religion nicht gut, die bösen Handlungen aus dem BewegungsGrunde der ewigen Strafen zu unterlassen anpreisen; denn sonst wird jeder die bösen Handlungen thun und bey sich denken am Ende durch eine geschwinde Bekehrung allen Strafen zu entgehen. Allein die Belohnungen und Bestrafungen können doch indirecte als Mittel in Ansehung der moralischen Zucht dienen; wer gute Handlungen wegen Belohnungen thut, dessen Gemüth gewöhnt sich hernach an die guten Handlungen, so daß er sie hernach auch ohne Belohnung thut, sondern blos deswegen weil sie gut sind; unterläßt jemand die bösen Handlungen wegen der Strafe, so gewöhnt er sich daran und befindet, daß es besser ist solche Handlungen zu unterlassen. Wenn ein 68Besoffener deswegen den Soff nachläßt, weil es ihm Schaden zuwegebringt, so gewöhnt er sich daran, so daß er ihn hernach unterläßt auch ohne solchen Schaden, blos weil er einsieht daß es besser ist ein Mässiger als ein Trunkenbold zu seyn. Die Belohnungen schikken sich noch besser als Mittel der Ausübung der guten Handlungen, als die Strafen [108] der Unterlassung der bösen Handlungen. Die Belohnungen stimmen mehr mit der 68
Besoffener Kae] Versoffener Hg?]
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Moralitaet überein; denn die Handlung thue ich deswegen, weil die Folge derselben angenehm ist, und das Gesetz, welches mir für meine gute Handlung Belohnung verspricht, werde ich lieb haben können, aber das Gesetz, welches Strafe droht, kann ich nicht so lieben, die Liebe ist aber ein grosser Bewegungsgrund die Handlung zu thun. Dahero ist in der Religion besser mit den Belohnungen, als mit den Strafen anzufangen. Die Strafen müssen aber mit der indole erecta, mit der edlen DenkungsArt übereinstimmen, sie müssen nicht verächtlich und schimpflich seyn, denn sonst machen sie eine unedle GemüthsArt.
De imputatione.
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Alle Zurechnung ist das Urtheil von einer Handlung, so fern sie aus der Freyheit der Person entstanden ist, in Beziehung auf Gewisse practische Gesetze. Es muß also bey der Zurechnung eine freye Handlung und ein Gesetz seyn. Wir können einem etwas zuschreiben aber nicht zurechnen zE. einem Rasenden oder Besoffenen, seine Handlungen können ihm zugeschrieben aber nicht zugerechnet werden. Bey der Zurechnung muß die Handlung aus Freyheit entspringen, dem Besoffenen können zwar seine Handlungen nicht, wohl aber die Trunkenheit selbst, wenn er nüchtern ist, zugerechnet werden. Bey [109] der Imputation muß also die freye Handlung und das Gesetz verbunden werden. Eine That ist eine freye Handlung, die unter dem Gesetz ist. Habe ich nun auf die That Acht, so ist das imputatio facti; habe ich aufs Gesetz acht, so ist das imputatio legis. Bey der imputatione facti kommen vor momenta in facto, dieses ist das Mannigfaltige in der That, was der Grund der Imputation ist. Momenta sind elementa des Grundes, es sind Theile des zureichenden Grundes, also sind im facto momenta der imputation. Die momenta in facto geben keine imputation, sondern sind der Grund der imputation. Die momenta sind entweder essentialia oder extraessentialia. Die momenta essentialia müssen erst gesammelt werden; wenn alle die momenta essentialia in
sectio 7: Imputatio facti §§ 125 ff.
§ 128
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facto enunciret werden, so ist das species facti, was express zu dem facto gehöret. Die Extraessentialia facti sind nicht momenta facti, und gehören also nicht zur specie Facti. Bey der imputatione facti muß nicht gleich imputatio legis kommen zE es kann einer den andern zwar getödtet aber noch nicht ermordet haben, zuerst ist die Frage ob die Handlung von ihm geschehen sey. Wenn das factum gleich soll aufs Gesetz imputiret werden, so sind gleich zwey imputationes. Die imputatio legis ist die Frage, ob die Handlung unter diesem oder jenem practischen Gesetze stehe? Es ist die Frage, [110] ob einem das kann imputirt werden, was er Krafft des Gesetzes hat thun müssen zE. dem General der Tod so vieler Feinde, die in der Schlacht geblieben? Zwar der Tod aber nicht das Morden. Allein er wird hier 69betrachtet, in so fern seine Handlung nicht frey war, sondern durchs Gesetz gezwungen war, demnach kanns ihm nicht imputirt werden; als eine freye Handlung wäre sie ihm zuzuschreiben, aber als eine legale Handlung nicht, sondern dem, der das Gesetz gegeben. Alle Zurechnung generaliter geschieht entweder in meritum Verdienst, oder in demeritum Schuld. Die Folgen und die Würkungen der Handlung können jemanden imputirt auch nicht imputirt werden. 70
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§ 133
Hievon merke man folgendes: Was ich mehr oder weniger Guts thue als ich schuldig bin, das kann mir in Ansehung der Folgen imputirt werden; wenn ich aber weder mehr noch weniger Guts thue, als ich schuldig bin, so kann mir in Ansehung der Folgen nichts imputirt werden. Wenn ich nicht mehr guts thue, als ich schuldig bin, so kann mir 71 die Folge nicht zum merito oder 69 70 71
betrachtet, Hg.] betrachten, Kae] | Dittographie, gestrichen: „Von der Imputatione“. | Dittographie, gestrichen: „zum merito oder Verdienst“.
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Verdienst imputirt werden zE. Wenn ich meine Schuld abtrage, wodurch sich der andere ein grosses Glük erworben hat, so kann mir diese gute Folge der Handlung nicht [111] imputirt werden zum merito, weil die Handlung aus Schuldigkeit geschehen muß, also ist kein Ueberschuß zum merito; wenn ich aber nicht weniger Guts thue als ich schuldig bin, so kann die Folge mir nicht zum demerito oder Schuld imputirt werden. Auf der andern Seite können aber alle Folgen der Handlung mir imputirt werden, so fern ich mehr oder weniger Guts thue als ich schuldig bin. Thue ich mehr, als ich schuldig bin, so wird mir die Folge zum merito imputirt zE. Ein Vorschuß 72den ich gethan habe, durch den ein grosses Glük dem andern entsprungen ist, kann mir mit allen Folgen imputirt werden, weil ich mehr gethan als ich schuldig war. So wird mir auch die Folge meiner Handlung zum demerito imputirt, wenn ich weniger thue, als ich schuldig bin zE. Ich habe meine Schuld zu rechter Zeit nicht abgetragen und deswegen hat der Andere bancerot gespielt, so können mir die Folgen imputirt werden, weil ich es nicht gethan habe, ob ich es gleich schuldig war. Wenn ich also nur meine Schuldigkeit thue, so kann mir nichts imputirt werden, weder zum merito noch zum demerito. zE. Wenn jemand sagt: Hättest du 73mir man damals so und so viel Vorschuß gegeben, so wäre das Unglük nicht geschehen. Da kann mir das Unglük nicht imputirt werden, weil ich es nicht schuldig zu thun war. Denn so fern der Mensch seine Schuldigkeit thut, so ist er nicht frey denn er hat die [112] Handlung gethan, indem er durchs Gesetz necessitirt war. Handelt er aber seiner Schuldigkeit entgegen, thut er weniger als er soll, so wirds ihm imputirt; denn da handelt er wieder frey, ja so gar dem Gesetz was 74ihn zu der Handlung necessitirt entgegen, er mißbraucht also die Freyheit, und da können alle Folgen legaliter imputirt werden. Denn der Schuld entgegen zu handeln 72 73 74
den Hg.] denn Kae] mir man Kae] mir nur Hg?] mir nicht Hg?] ihn Hg.] ihm Kae]
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ist noch mehr Freyheit. Juridice imputire ich nicht die Folgen der Handlung wozu einer genöthiget war zum indemerito, denn alsdenn ist er nicht frey gewesen, das factum zwar an sich, aber nicht die Unrechtmässigkeit des facti. In Ansehung der Ausübung der Ethischen Handlung ist der Mensch frey folglich können ihm alle Folgen imputirt werden; die Folgen aber, die aus der Unterlassung der Ethischen Handlung entspringen, können nicht imputirt werden, weil es nicht als eine Handlung kann angesehen werden, indem ich das unterlasse zu thun, was ich nicht zu thun schuldig bin zE. Ich habe jemanden keinen Vorschuß gegeben, so kann mir des Anderen sein Unglük, welches daher entsprungen, nicht imputiret werden, weil ich es zu thun nicht schuldig war; wenn ich aber eine Handlung zu thun unterlasse, die ich schuldig war, so ist das schon eine Handlung und kann imputirt werden zE. Ich soll meine Schulden bezahlen und ich unterlasse es, so ist das schon eine Handlung die mir imputirt wird. Also Ethische Unterlassungen [113] sind gar nicht Handlungen; aber juridische Unterlassungen sind Handlungen und können imputiret werden, denn es sind Unterlassungen dessen, wozu ich durchs Gesetz necessitirt werden kann; aber zu ethischen kann ich nicht necessitirt werden, es kann mich keiner zwingen Wohlthaten auszuüben. Also ethische Unterlassungen mit ihren Folgen können mir niemals imputirt werden, wohl aber die juridische Unterlassungen. Und wieder umgekehrt ethische Ausübungen der Handlungen können mir mit den Folgen imputirt werden aber juridische Ausübungen der Handlungen können mir nicht imputirt werden, denn es sind Handlungen der Schuldigkeit. Der Schluß also der gantzen imputation in Ansehung der Folgen ist die Freyheit.
Gründe der Imputationis moralis. Imputatio moralis kann statt finden bey juridischen und ethischen Gesetzen. Die imputatio moralis besteht im merito und
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Gründe der Imputationis moralis
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im demerito. 59Die Beobachtung der juridischen Gesetze und die Uebertretung der ethischen Gesetze können weder zum merito noch zum demerito imputiret werden, und zwar die Beobachtung der ersteren nicht zum merito und die Uebertretung der andern nicht zum demerito. Denn wenn ich zE. meine Schuld bezahle, welches ein juridisches Gesetz [114] ist, so war das meine Schuldigkeit, ich konnte durchs Gesetz dazu gezwungen werden, und wenn ich es thue, so habe ich nichts mehr gethan, als was ich zu thun schuldig war, folglich kann mir die Beobachtung des juridischen Gesetzes mit allen consectariis nicht zum merito imputirt werden. Uebertrete ich ein ethisches Gesetz, so habe ich das unterlassen zu thun, wozu ich nicht konnte gezwungen werden, unterlasse ich nun das wozu die Gesetze nicht zwingen, so thue ich auch nichts, also ist keine Schuld, folglich kann die Uebertretung der Ethischen Gesetze mir nicht zum demerito imputirt werden, vielweniger zum merito zE. Die Unterlassung eines Vorschusses hat den andern zum Fleiß aufgemuntert; diese gute Folge aus meiner Unterlassung kann mir nicht zum merito imputiret werden. Zweytens merken wir umgekehrt: Die Uebertretung juridischer Gesetze und die Beobachtung ethischer Gesetze müssen jederzeit zum demerito und zum merito imputiret werden, und zwar die Uebertretung der juridischen zum demerito und die Beobachtung der ethischen zum merito. Uebertrete ich ein juridisches Gesetz, so habe ich das nicht gethan, wozu ich kann gezwungen werden, also weniger als ich schuldig war, demnach wird es mir zum demerito imputirt. Also ist in Ansehung der juridischen Gesetze keine Handlung ein meritum weder der 75Belohnung, noch vielweniger der [115] Bestrafung. Allein in Ansehung der ethischen Gesetze ist jede Handlung ein meritum, weil die ethischen Gesetze keine ZwangsGesetze sind. Die Ue-
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Belohnung, Hg.] Beziehung, Kae] | Mit Mnz S. 73,32 f.
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[XXVII: 290,15] Vgl. insbesondere R: 6784, 6786 (XIX: 159 f.).
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bertretung der ethischen Gesetze ist also kein demeritum und die Beobachtung derselben ist jederzeit ein meritum. Ein meritum hat immer positive Folgen sowohl der Belohnung als der Bestrafung. Alle Beobachtung juridischer Gesetze und Uebertretung der ethischen Gesetze haben keine positive Folgen; die ersteren keine Folgen der Belohnung, die anderen keine Folgen der Bestrafung, denn das erstere ist kein meritum und das andere kein demeritum. Die Beobachtung juridischer Gesetze hat nur eine negative Folge zE. Bezahle ich meine Schuld, so werde ich nicht verklagt. Aber die Uebertretung juridischer Gesetze und die Beobachtung ethischer Gesetze haben jederzeit positive Folgen, die erstere eine positive Folge der Bestrafung und die andere der Belohnung. Also führen die Beobachtung juridischer Gesetze keine positive Folge der Belohnung mit sich, und die Uebertretung ethischer Gesetze keine positive Folge der Bestrafung mit sich. Alles dieses was wir von der imputatione angeführt haben, gilt nur in Ansehung der andern Menschen, aber nicht in Ansehung Gottes. [116]
sectio 8: Auctor §§ 149 ff.
Imputatio facti. Facta juridice necessaria können nicht imputirt werden, denn die Handlung ist nicht frey. Facta die dem juridischen Gesetz entgegen sind können imputirt werden; denn die Handlung war frey, ja ein Mißbrauch der Freyheit, dem Gesetz entgegen zu handeln. Bey den ethischen Handlungen ists umgekehrt: Facta die dem ethischen Gesetz gemäß sind werden imputirt weil sie frey sind; facta die dem ethischen Gesetz nicht gemäß sind, können auch nicht imputirt werden, weil die Unterlassung dessen, wozu ich nicht schuldig bin, keine Handlung ist. Also ist im juridischen Verstande jede Handlung die imputirt wird eine böse Handlung; aber im ethischen Verstande ist jede Handlung die imputirt wird, eine gute Handlung. Denn die
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ethischen Gesetze sind keine ZwangsGesetze, wohl aber die juridischen.
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Die Grade der Imputation kommen auf die Grade der Freyheit an. Die subjectiven Bedingungen der Freyheit sind: das Vermögen zu handeln, ferner, daß man das wisse was dazu gehöre, daß man den BewegungsGrund und den Gegenstand der Handlung wisse. In Ermangelung dieser subjectiven Bedingung findet keine imputation statt. Dahero 76kann man Kindern, die was nützliches verderben, nichts imputiren, weil sie den Gegenstand nicht kennen. Indessen kann man [117] Handlungen in gewissem Grade imputiren. Alles ist imputabel, was zur Freyheit gehört, wenn es auch directe nicht durch die Freyheit entsteht, aber doch indirecte aus der Freyheit entstanden ist. zE. Was jemand in betrunkenem Muth gethan, kann wohl nicht imputirt werden, 77 aber die 78Trunkenheit kann ihm imputirt werden. Dieselbigen Ursachen die da machen, daß etwas einem nicht kann imputirt werden, können in einem niedern Grade einem imputirt werden. Wir haben Hindernisse und Bedingungen der Imputation. Ie mehr eine Handlung Hindernisse hat, desto mehr kann sie imputirt werden; je weniger die Handlung aus Freyheit entspringt, desto weniger ist sie zu imputiren. Der Grad der Moralitaet der Handlung muß nicht vermengt werden mit dem Grad der Imputabilitaet des facti. Wenn jemand den Andern im Zorn und Eifer tödtet, 79hat er nicht soviel Bosheit, als der bey kaltem Blut und Ueberlegung einem einen 76 77
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kann man Hg.] kann Kae] | Dittographie, gestrichen: „Wir haben Hindernisse und Bedingungen der Imputation“. Trunkenheit Hg.] Trunkeit Kae] hat er Hg.] hat Kae]
sectio 9: Gradus imputabilitatis §§ 159 ff.
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tödtlichen Stich beybringt, obgleich das factum des ersteren grösser ist. Diejenige Handlung zu der ich 80mich zwingen soll wo ich viel Hindernisse zu überwinden habe, wird mehr imputirt, je williger sie ausgeübt wird und desto weniger ihre Unterlassung zE. Wenn ein Hungriger aus der Speisekammer was entwendet, so wird ihm das nicht so imputirt, weil er [118] sich da sehr zwingen muste. Die Apetite erfordern Selbstzwang, wenn sie aber sollen den Grad der imputation vermindern, was möchte da wohl herauskommen; dahero ist zu unterscheiden der Apetit der Natur und der Appetit der Lüsternheit; der erstere ist nicht so zu imputiren als der andere. Die Lüsternheit kann ausgerottet werden und muß nicht eingewurtzelt werden, so kann einem das nicht so imputirt werden, wenn er was thut, wozu ihn der Hunger treibt, als wozu ihn die Wollust treibt. Aber von der natürlichen Neigung ist zu merken: Ie mehr ein Mensch mit seiner natürlichen Neigung kämpft, desto mehr ist es ihm zu imputiren. Dahero uns die Tugend mehr zu imputiren ist als den Engeln, die nicht so viel Hindernisse haben. Ie mehr einer von aussen gezwungen wird zu einer Handlung desto weniger wird ihm die Handlung imputirt, überwindet er aber den Zwang und unterläßt er doch die Handlung, so wird es ihm desto mehr imputirt. Es giebt merita und demerita conatus, man kann auch merita und demerita propositi dazu rechnen. Viele Menschen rechnen sich zum Verdienst, wenn sie den Vorsatz zu einer Handlung hatten. Beym proposito kann keine Handlung imputirt werden, denn es ist noch keine Handlung, wohl aber beym Conatus, weil das schon eine Handlung ist, denn im Subject ist alles zureichend und die Kräffte sind angewendet, aber weil sie nicht [119] zureichen, so erfolgt die Würkung nicht. Dieweil wir erst aus dem Ausgang auf die sufficientz der Kräffte schliessen können, und also nicht wissen können, ob der Conatus schon da war und nur die Kräffte gefehlt haben; so 80
mich Hg.] mir Kae]
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imputiren die juridischen Gerichte den Conatus nicht so als die ethischen Gesetze zE. Wer im Begrif war, einen in der Stube zu tödten, und wird mit dem blossen Degen ertapt, 60wird für keinen Mörder nach juridischen Gesetzen gehalten, obgleich der Conatus da war; die Ursache ist, weil offt der Conatus nicht als actus kann angesehen werden. Es kann jemand den Conatum haben und vermuthet solche Bosheit von seinem Hertzen denselben auszuführen, wenn er aber an die Handlung kommt, so erschrikt er für der Abscheulichkeit der Handlung und tritt zurük und ändert also den Vorsatz. Also nehmen die Richter das sicherste Mittel, damit die Unschuld gerettet werde, indem doch kein Beweis ist. Aber moralisch ist ein 81complettes propositum eben so als die That selbst. Das propositum muß aber so seyn, daß es auch bey der Ausführung bleiben möchte; denn offt ändert sich das propositum vor der Ausführung zE. Man nimmt sich vor auf seinen Freund zornig zu seyn und ihm grob zu begegnen, er erscheint aber selbst gegenwärtig, so läßt man seinen Vorsatz fahren. [120] Consuetudinarius ist der die Handlungen aus Gewohnheit nothwendig macht. Die Gewohnheit macht Leichtigkeit in der Handlung zuletzt aber auch Nothwendigkeit. Diese Nothwendigkeit aus Gewohnheit verringert die Imputation, weil sie unsere Willkür gefesselt hat, allein der actus, wodurch die Gewohnheit zugezogen ist, ist zu imputiren. Die unwillkürliche Gewohnheit verringert also die Imputation zE. Man ist unter Zigeuner auferzogen, wo die Gewohnheit zur Bösen Handlung zur Nothwendigkeit geworden ist, alsdenn ist die imputation zu vermindern. Allein die Gewohnheit ist ein Beweiß der öfftern Wiederhohlung der Handlung und also um desto mehr zu imputiren. Wenn einer offt eine gute Handlung ausgeübt hat, und sie ihm zur Gewohnheit durch eine öftere Wiederhohlung wird,
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complettes Hg.] compllttes Kae]
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[XXVII: 292,19] Nicht ermittelt.
§ 166
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so wird sie ihm um desto mehr imputirt. Dieses gilt auch von bösen Handlungen. So sind angeborne Affecten nicht so zu imputiren, allein angewohnte, die durch wiederhohlte Anreitzung zur Nothwendigkeit geworden beweisen die Vergehungen und sind also um desto mehr zu imputiren. Zuletzt kommen wir auf zwey Punkte, die als Gründe der Verringerung der Imputabilitaet könnten angesehen werden, nemlich [121] auf die Schwäche der Menschlichen Natur und auf die Zerbrechlichkeit der Menschlichen Natur. Die Schwäche der Menschlichen Natur ist, so fern ihr der Grad der moralischen Bonitaet fehlt, der nöthig ist die Handlungen dem moralischen Gesetz adaequat zu machen. Die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur ist, so fern in ihr nicht nur ein Mangel der moralischen Bonitaet ist, sondern sogar grosse principia und Triebfeder zu bösen Handlungen. Die Moralitaet bestand darin, daß eine Handlung aus dem BewegungsGrunde der innern Bonitaet derselben entspringe, und das gehört zur moralischen Reinigkeit. (rectitudo moralis) Der höchste BewegungsGrund zur Handlung ist also die rectitudo moralis. Obgleich dieses der Verstand wohl einsieht, so hat doch dieser BewegungsGrund keine treibende Krafft. Die moralische Vollkommenheit hat zwar einen Beyfall in unserm Urtheil, weil aber dieser BewegungsGrund der moralischen Vollkommenheit aus dem Verstande geschöpft ist, so hat er nicht solche starke treibende Krafft als der sinnliche, und das ist die Schwäche der Menschlichen Natur, wenn ihr die moralische Bonitaet und rectitudo fehlt. Allein laßt uns nicht hinter der Schwäche der menschlichen [122] Natur grüblen, und untersuchen, ob 82sie zur moralischen Reinigkeit unfähig sey; denn diese Bemühung alle seine Handlung unrein zu finden macht, daß der Mensch das Zutrauen zu sich verliert, gute und moralisch reine Handlungen auszuüben, und daß er bey sich denkt, seine Natur ist zu schwach und dessen nicht fähig; wir müssen vielmehr glauben, daß die rectitudo moralis ein grosser BewegungsGrund unserer Handlungen seyn 82
sie Hg.] er Kae]
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kann. Die Menschliche Seele ist nicht völlig leer von allen BewegungsGründen der reinen Moralitaet zE. Wenn uns ein Elender selbst um etwas anspricht, so werden wir durch Mitleiden gegen ihn gerührt, und ertheilen ihm das, welches wir nicht gethan, wenn er nicht selbst gegenwärtig gebeten, sondern schrifftlich hätte bitten lassen. Oder sieht man 61im Vorbeyreisen an der Landstrasse Elende liegen, und man thut ihnen Gutes, so hat man doch da keinen andern Bewegungsgrund der Ehre oder des Nutzens, indem man doch von da wegreißt, sondern man thut es aus innere Bonitaet der Handlung. Also [123] ist in unserer Handlung etwas moralisch reines, es hat nur nicht völlig hinreichende treibende Kraft wegen unsern sinnlichen Antrieben. Allein das Urtheil über die Reinlichkeit der Moralitaet zieht viele BewegungsGründe der Reinlichkeit vermittelst der Association mit herbey, und treibt unsere Handlungen mehr an und wir gewöhnen uns daran. Also muß man nicht die Flekken und Schwäche zE. 62im Leben eines Socrates und anderer aufsuchen; denn es nützt uns doch nicht, vielmehr schadet es uns. Denn alsdenn können wir uns mit unserer moralischen Unvollkommenheit schmeicheln, indem wir Beyspiele von moralischer Unvollkommenheit vor uns haben. Es verräth etwas bösartiges und mißgünstiges, die Moralitaet in Andern gläntzen zu sehen, da man sie selbst nicht hat. Der Grundsatz, den wir aus der Schwäche der Menschlichen Natur ziehen ist: die moralischen Gesetze müssen niemals nach der menschlichen Schwäche eingerichtet werden, sondern das Gesetz muß heilig, rein und sittlich vollkommen vorgetragen werden, der Mensch mag beschaffen seyn wie er will. Dieses ist
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[XXVII: 293,36] Wohl Anspielung auf ein in der christlichen Moral-Lehre gern zitiertes Beispiel; Bibel, NT, Lukas 10,33ff: „Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und als er ihn sah, jammerte in sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden und goß darein Öl und Wein und hob ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte sein. Des andern Tages reiste er […].“ [XXVII: 294,06] Das Thema wird später p. 169 genauer diskutiert.
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sehr wichtig zu bemerken. [124] 63Alle alte Philosophen foderten vom Menschen nichts mehr als was seine Natur leisten konnte, dahero hatte ihr Gesetz 83keine Reinigkeit. Ihre Gesetze waren also der Fähigkeit der Menschlichen Natur accommodirt, und wo sie sich über die Fähigkeit der Menschlichen Natur erhoben, so war der Antrieb dazu nicht das reine moralische Urtheil, sondern Stoltz, Ehre zE. zur ausserordentlichen Tapferkeit, Grosmuth. Seit der Zeit des Evangelii ist nun die völlige Reinigkeit und Heiligkeit des moralischen Gesetzes eingesehen, ob es gleich in unserer Vernunfft liegt; das Gesetz muß nicht nachsichtig, sondern die gröste Heiligkeit, Reinigkeit muß darin gezeigt werden, und wir müssen wegen unserer Schwäche den göttlichen Beystand erwarten, daß er uns dem heiligen Gesetze ein Gnüge zu leisten geschikt mache, und das, was der Reinigkeit unserer Handlungen fehlt, ersetze. Allein das Gesetz muß an sich rein und heilig seyn. Die Ursache ist: das moralische Gesetz ist das Urbild, das Richtmaas, das Muster unserer Handlungen. Das Muster muß aber exact und precise seyn, wäre es nicht so, wornach sollte man denn alles beurtheilen. Die höchste Pflicht ist Also das moralische Gesetz in aller Reinigkeit und Heiligkeit [125] vorzutragen, so wie es das höchste Verbrechen ist, von der Reinlichkeit desselben was abzunehmen. In Ansehung der Gebrechlichkeit der menschlichen Natur merken wir, daß es zwar an dem ist, daß seine Natur gebrechlich ist, daß er nicht allein kein positives Gute nicht hat, sondern daß er auch sogar positives Böse hat. Allein alles moralische Böse entspringt doch aus Freyheit, denn sonst wäre es nicht moralisch böse. So sehr als auch die Natur Hang dazu hat, so 83
keine Hg.] hatte Kae] | Mit Mnz S. 79,29. Im Ms von alter Hand ebenso geändert; vgl. in der Sache p. 22,03 f.
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[XXVII: 294,18] Wohl kaum auf eine bestimmte Quelle beziehbar; eher eine Schlußfolgerung von Kant im Blick auf die eigene, sich von der gesamten Tradition absetzende Konzeption.
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entspringen doch die bösen Handlungen aus Freyheit, deswegen werden sie uns auch als Laster angerechnet. Der Grundsatz in Ansehung der Gebrechlichkeit der Menschlichen Natur ist: In der Beurtheilung der Handlung muß ich die Gebrechlichkeit der Menschlichen Natur in keinen Betracht ziehen. Das Gesetz muß heilig und das Gericht in uns nach diesem Gesetz muß gerecht seyn, das heißt: die Strafe des Gesetzes muß mit aller praecision auf die Handlung des Menschen angewendet werden. Die Fragilitas humana kann also niemals ein Grund coram foro interno seyn, die Imputabilitaet zu verringern. Der innere Richter ist gerecht, er sieht die Handlung an und vor sich selbst an, [126] ohne auf die Gebrechlichkeit des Menschen zu sehen, wenn wir nur seine Stimme hören und sie nicht unterdrükken, sondern empfinden wollen zE. Man hat einen mit einem Wort aus Uebereilung beleidigt, kommt man nach Hause, so geht das einem im Kopf herum, man wünscht Gelegenheit zu haben, es gut zu machen, man kann sich auf keine Weise der Vorwürfe entledigen, wenn man auch noch solche scheinbare Ausreden hat, die gewiß für allen irdischen Richter gelten müssen; man ist doch ein Mensch, wie bald kann einem nicht ein Wort entfahren, allein dieses gilt nichts für den innern Richter, er sieht gar nicht auf die Fragilitaet der Natur, sondern auf die Handlung selbst wie sie ist. Aus diesem erhellet auch, daß in der Menschlichen Natur auch BewegungsGründe der reinen Moralitaet seyn, und daß wir also nicht nöthig haben auf die Schwäche der Menschlichen Natur so sehr loszuziehen. Die Fragilitas und infirmitas humana kann nur in Betracht gezogen werden blos um anderer Menschen Handlungen zu beurtheilen. Ich selbst muß aber in Ansehung meiner Handlung nicht auf die Fragilitate et infirmitate rechnung machen und die Handlung dadurch entschuldigen. [127] Der Mensch als ein pragmatischer Gesetzgeber und Richter 84muß in Absicht anderer die Infirmitatem und Fragilitatem humanam in Betracht zie84
muß in Absicht anderer Hg.] muß Kae] | Mit Mnz S. 81,20 f.
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sectio 11: Forum §§ 180 ff.
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hen, er muß denken, daß es doch Menschen sind. Allein wer Handlung selbst gethan hat, kann nicht seine fragilitatem und infirmitatem in Betracht ziehen. Imputatio valida ist eine rechtskräfftige Zurechnung, wodurch die effectus a lege determinati durch das judicium imputans mit actuirt werden. Wir können über alle Menschen urtheilen, und Ieder kann urtheilen aber nicht richten, weil unsere Imputatio nicht valida ist. Das heißt mein Urtheil hat nicht die Befugniß die Folgen a lege determinata zu actuiren. Das Urtheil welches befugt ist das Consectarium zu Stande zu bringen, was das Gesetz determinirt hat, ist eine rechtskräfftige Zurechnung, damit aber das Urtheil könne die Folgen, die durchs 85Gesetz determinirt sind, ausführen, so muß es Gewalt haben. Es giebt also kein rechtskräfftiges Urtheil ohne Gewalt; es muß also Gewalt seyn, um die Folgen die das Gesetz bestimmt hat in Ausführung zu bringen. Derjenige, der rechtskräftig zu urtheilen die Befugniß hat und auch Gewalt hat, solches auszuführen ist ein Richter. Das richterliche Amt [128] hält also zwey Stükke in sich: die Befugniß rechtskräfftig nach dem Gesetz zu urtheilen und die Macht solches auszuführen. Ein Richter hat also Befugniß zu urtheilen, ob ein factum certum casus datae legis sey, aber er muß auch valide ein Gesetz aufs factum appliciren können, also Macht haben, dem Gesetz ein Gnüge zu leisten. Forum ist diejenige Person, (diese ist vel physica wenn es nur eine Person ist vel moralis wo verschiedene Personen sind die aber als Eine angesehen werden) die die Befugniß und Macht hat, rechtskräfftig über die Handlungen zu urtheilen. Forum competens ist die Beziehung der Befugniß und der Macht des Gerichtshofes auf gewisse Personen und gewisse Gattung von Factis in Ansehung ihrer rechtskräfftig zu urtheilen. Verschiedene Personen gehören unter verschiedene fora und auch verschiedene Handlungen derselben gehören auch unter verschiedene fora.
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Iudex non competens ist entweder, wenn er gar nicht zu urtheilen versteht, oder wenn er nicht Befugniß hat zu urtheilen, indem ihm dieselbe benommen ist, wenn er nemlich abgesetzt ist, oder ist er ein würklicher Richter, wenn aber das factum nicht unter dem Gesetz steht, worüber er zu urtheilen hat, oder er ist auch non competens, wenn er keinem Menschen Recht verschaffen kann. [129] Das Forum ist zweyerlei, Forum externum, welches das forum humanum ist, und Forum internum; welches das forum conscientiae ist, mit diesem Foro interno verbinden wir zugleich das forum divinum; denn unsere facta können in diesem Leben nicht anders vor dem Göttlichen foro imputiret werden als per conscientiam, demnach ist das forum internum in diesem Leben ein forum divinum. Ein Forum soll Zwang ausüben, sein Urtheil soll rechtskräfftig seyn, es soll die Consectaria des Gesetzes auszuführen zwingen können. Wir haben ein Vermögen zu urtheilen, ob etwas recht oder unrecht ist, und dieses geht sowohl auf unsere als anderer Handlungen; dieses Vermögen liegt im Verstande, wir haben auch ein Vermögen der Lust und Unlust, sowohl über uns als andere zu urtheilen was da gefällt oder mißfällt und das ist das moralische Gefühl. Wenn wir nun das moralische Urtheil und das moralische Gefühl vorausgesetzt haben; so finden wir auch noch drittens einen Instinct, einen unwillkürlichen und unwiederstehlichen Trieb in unserer Natur; welcher uns zwingt über unsere Handlungen rechtskräfftig zu urtheilen, so daß es uns einen innern Schmertz über die böse und eine innere Freude über die guten Handlungen austheilt, nach dem Verhältniß, 86das die Handlung zum Gesetz hat. [130] Das Gewissen ist der Instinct über unsere Handlungen zu urtheilen und zu richten. Es ist kein Vermögen sondern ein Instinct, wäre es ein willkürliches Vermögen, so wäre es kein Gerichtshoff, indem es uns alsdenn nicht zwingen könnte; soll es ein innerer Gerichtshof seyn, so muß es Macht haben uns zu 86
das Hg.] die Kae]
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§ 185
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sectio 12: Forum externum §§ 186 ff.
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zwingen, unwillkürlich über unsere Handlungen zu urtheilen, und zu richten, und uns innerlich lossprechen oder verdammen. Ieder hat ein Vermögen speculativ zu urtheilen, welches aber in unserer Willkür steht; aber es ist in uns etwas, was uns zwingt, über unsere Handlungen zu urtheilen, es legt uns das Gesetz vor, es zwingt uns vor 87dem Richter zu erscheinen, es richtet uns wieder unsere Willkür; es ist also ein wahrer Richter. Dieses forum internum ist ein forum divinum, indem es uns nach unsern Gesinnungen selbst urtheilt, und wir können uns auch keinen andern Begrif vom foro divino machen, als daß wir uns selbst nach unsern Gesinnungen richten müssen. Also alle Gesinnungen und Handlungen, die äusserlich nicht können bekannt werden, gehören fürs forum internum, denn das forum externum humanum kann nicht nach Gesinnungen urtheilen. Es ist also das Gewissen der Repraesentant des fori divini. Coram foro externo humano gehören keine ethische [131] Handlungen, denn die haben keine Befugniß des äusseren Zwanges, welche nur ein äusserlicher Richter hat. Coram foro externo gehört aber alles, was äusserlich kann erzwungen werden, also alle äusserliche ZwangsPflichten. Die Befugniß und die Beweise des facti müssen äusserlich gültig seyn. Äussere Gründe der Imputation sind aber, die nach den äussern allgemeinen Gesetzen gültig sind. Solche Imputations, die gar nicht äussere gültige Gründe haben, gehören nicht fürs forum externum sondern internum. Nun probiert man in foro externo in solchen Sachen, wo keine äusserlich gültige Gründe sind, ob das forum internum nicht könne in foro externo gebraucht werden. Man zwingt einen solchen fürs forum divinum zu treten (ob es gleich würklich in ihm schon vorgegangen ist) man nöthigt ihn sich für demselben straffällig zu finden, wenn es unrecht ist; man zwingt ihn solches öffentlich zu declariren und das ist ein Schwur. Das forum internum ist schon da, er wird 87
dem Hg.] den Kae]
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sich schon in sich straffällig finden, ohne daß er es noch declarirt, nur das declariren macht einen grössern Eindruk auf ihn. Der Mensch denkt wenn er nicht declarirt, er auch nicht [132] in foro divino gestraft werde; allein er mag solches declariren, daß er sich der Strafe unterziehen will, wenn er Unrecht hat oder nicht so wird er doch gestraft. Es ist dahero sehr ungereimt zu 88schwören und zu sagen ich will dieses oder jenes, daß es geschehe, wofern es nicht wahr ist, indem es nicht auf uns ankommt zE. Ich will krumm und lahm werden, wenn es nicht so ist, so kommt es ja gar nicht hier auf seinen Willen an krumm oder lahm zu werden. Dahero das Evangelium hier sehr fein davon spricht, wenn es sagt: 64du 89sollst nicht schwören bey dem Himmel, denn er ist ja nicht dein oder bey deinem Haupt von dem du nicht ein Haar zu vergeben vermagst. Es mag nun dieses so seyn oder nicht, so ist solches der Menschlichen Natur accommodirt. Der Mensch stellt sich die Gefährlichkeit des Göttlichen Urtheils vor. Autor redet hier noch von verschiedenen Sachen, die man nur nachlesen darf zE. Process, Sentenz p. Process ist eine methodische Imputation legis, wo ich per actionem civilem mir mein Recht beym foro externo zu verschaffen suche. Die Summe aller Imputationen sind die Acten. Die Sententz ist das Urtheil.
Finis Philosophiae practicae universalis.
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schwören Hg.] schweren Kae] sollst nicht schwören Hg.] sollt nicht schweren Kae] [XXVII: 298,07] Bibel, NT, Matthäus 5,34–36: „Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel, noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schören, denn du vermagst nicht ein einziges Haar schwarz oder weiß zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.“
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[133] Ethica.
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Alle Handlungen sind zwar nach der Diiudication nothwendig, allein es gehört noch ein BewegungsGrund dazu um diese Handlungen auszuüben. Ist der BewegungsGrund aus dem Zwange hergenommen, so ist die Nothwendigkeit der Handlung juridisch, ist aber der BewegungsGrund aus der innern Bonitaet der Handlung hergenommen, so ist die Nothwendigkeit der Handlung ethisch. Die Ethic handelt also von der innern Bonitaet der Handlungen. Die Jurisprudentz redet davon, was recht ist, sie geht nicht auf Gesinnungen, sondern nur darauf, wozu jemand befugt ist und wozu er kann gezwungen werden. Die Ethic geht aber blos auf die Gesinnung, sie erstrekket sich auch zwar über die juridischen Gesetze, sie fordert aber auch solche Handlungen, zu denen man kann gezwungen werden, daß man sie thue aus der innern Bonitaet der Gesinnung, und nicht aus Zwang; also sind die juridischen Handlungen auch unter der Ethic begriffen, so fern aber der BewegungsGrund ethisch ist. Es ist also gantz was anderes die Nothwendigkeit der Handlung juridisch oder ethisch zu erwägen. Die Ethic ist also nicht eine Wissenschafft, [134] die keine ZwangsGesetze und Handlungen in sich faßt, sie erstrekt sich freylich auch über die Zwangshandlungen, nur der BewegungsGrund ist nicht Zwang, sondern die innere Qualitaet. Die Ethic ist also eine Philosophie der Gesinnungen, und eben dadurch ist sie eine practische Philosophie, denn die Gesinnungen sind Grundsätze unserer Handlungen, die Gesinnungen sind die Verknüpfung der Handlung mit den BewegungsGründen. Es ist schwer zu erklären, was man durch Gesinnungen versteht zE. Wer seine Schuld bezahlt, ist deswegen noch nicht ein ehrlicher Mann, thut er es auß Furcht vor der Strafe p so ist er
Ethica Prolegomena §§ 1ff.
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§1
Ethica Prolegomena
zwar ein guter Bürger, und seine Handlung hat rectitudinem iuridicam aber nicht ethicam, thut er es aber wegen der innern Bonitaet der Handlung so ist seine Gesinnung moralisch und hat rectitudinem ethicam. Dieses ist sehr zu unterscheiden zE. In der Religion. Wenn Menschen Gott als den obersten Gesetzgeber und Regenten ansehn, der die Erfüllung seiner Gesetze fordert und nicht sieht auf den BewegungsGrund, aus dem die Handlung geschicht, so ist hier zwischen Gott und dem weltlichen Richter in so weit kein Unterscheid, nur daß Gott besser einsieht die äussern Handlungen, und man ihm nicht so hintergehen kann als dem [135] weltlichen Richter; thut nun jemand seinen Gesetzen ein Gnüge, so ist die Handlung gut aber sie hat nur rectitudinem juridicam, indem er sie nur aus Furcht vor der Strafe gethan hat: wer aber eine böse Handlung nicht 90aus Furcht vor der Strafe, sondern wegen ihrer innern Abscheulichkeit unterläßt, und deswegen sie unterläßt, weil er weiß, daß Gott als ein heiliger Gott vom Menschen gute Gesinnungen fordert, und die Handlung unterläßt, wenn sie auch nicht bestraft würde, so ist seine Handlung ethisch. Dieses ist, was der Lehrer des Evangelii besonders auszuüben lehrte, er forderte ethische Handlungen, er sagte; 65man müßte aus Liebe zu Gott alles thun, Gott lieben heißt aber aus guter Gesinnung seine Gebothe gern thun, *wovon unten ein Mehreres. Die Ethic ist also eine Philosophie der guten Gesinnung und nicht blos der guten Handlungen. Die Ethic wird auch Tugendlehre genannt, denn die Tugend besteht in der rectitudine actionum ex principio interno. Wer ZwangsGesetze ausübt ist noch nicht tugendhafft. Zwar fordert die Tugend und setzt zum voraus Achtung und peinliche Beob90
aus Furcht vor der Hg.] aus Kae]
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[XXVII: 300,07] Bibel, NT, 1. Johannes 5,3: „Denn das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer.“ Vgl. XV: 679,01 f. / VI: 179,38 / VII: 147,34. / XXV: Par-Nr. 168, Mro-Nr. 026.
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achtung der menschlichen Rechte, aber sie geht auf den BewegungsGrund [136] auf die Gesinnung, aus dem die Handlung, die rectitudinem juridicam hat, entspringt. Die Tugend besteht also nicht in der rectitudine juridica sondern in den Gesinnungen. Es kann einer ein guter Bürger seyn, der rectitudinem juridicam in seiner Handlung hat, aber er kann noch kein tugendhaffter Mann seyn. Dahero muß man aus den äussern Handlungen, die rectitudinem juridicam haben, noch nicht auf die Gesinnung schlüssen zE. Wenn jemand Wort hält aus Furcht vor der Strafe oder aus Furcht vor dem Schaden, oder wegen seines Nutzens, indem ihm alsdenn jedermann auf der Börse traut und sein Wort alsdenn so gut wie baar Geld ist, so hat er zwar Wort gehalten, die Handlung an sich ist hier gut, aber es ist zweyerley ob er dieses Gesetz aus dem juridischen oder ethischen Sinn thut, juridisch war dieses Gesetz ausgeübt, indem er es gethan hat, aber nicht ethisch. Wenn ich einsehe die moralische Nothwendigkeit der Handlung, die juridisch ist, so kann ich sie thun im juridischen und ethischen Sinn, im ersten Fall ist die Handlung dem Gesetz aber nicht der Gesinnung gemäß; und denn sagt man auch von den juridischen Gesetzen die Moralitaet fehlet ihnen. 91Moralitaet wird aber nur blos von 92ethischen Gesetzen gebraucht, denn wenn auch juridischen Gesetze moralische Nothwendigkeit haben, so ist doch der BewegungsGrund derselben [137] Zwang und nicht Gesinnung. Tugend drükt aber nicht gantz genau die moralische Bonitaet aus. Tugend bedeutet Stärke in der Selbstbeherrschung und SelbstUeberwindung in Ansehung der moralischen Gesinnung; hier betrachte ich aber die erste Quelle der Gesinnung. Es ist hier etwas unwahrgenommenes, welches sich erst *in der Folge aufklärt, denn die Ethic hat lediglich die Gesinnung zum Vorwurf. Mann hat das Wort Sitten und Sittlichkeit genommen, um die Moralitaet auszudrukken, allein Sitten ist der Inbegrif der Anständigkeit. Zur Tugend gehört aber ein gewisser Grad 91 92
Moralitaet Hg.] Maralitaet Kae] ethischen Hg.] juridischen Kae]
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Ethica Prolegomena
der sittlichen Bonitaet, ein gewisser Selbstzwang und Herrschafft über sich selbst. Völker können Sitten haben aber keine Tugend zE. Frantzosen. Und andere können Tugend haben aber keine Sitten. (Conduite ist die Manier der Sitten.) Wissenschafft der Sitten ist noch keine Tugendlehre, und Tugend ist noch keine Moralitaet, weil wir aber kein anderes Wort für die Moralitaet haben, so nehmen wir die Sittlichkeit für die Moralitaet, weil wir nicht Tugend anstatt der Moralitaet nehmen können. Das moralische Gesetz 66gebietet dem Geist nach die Gesinnung, dem Buchstaben nach die Handlung; also *werden wir in der Ethic sehen, wie das moralische Gesetz dem Geist nach ausgeübt wird, und uns an Handlungen gar nicht kehren. [138] Die Ethic kann vortragen Gesetze der Sittlichkeit, die 93nachsichtlich seyn, die auf die Schwäche der Menschlichen Natur eingerichtet sind, sie kann sich dem Menschen bequemen, so daß sie nur soviel verlangt als die Menschen leisten können; die Ethic kann aber auch auf der andern Seite strenge seyn und die höchste sittliche Vollkommenheit fordern. Das moralische Gesetz muß auch strenge seyn, es muß die Bedingung der Rechtmässigkeit enunciren, der Mensch mag solches leisten können oder nicht, das Gesetz muß nicht nachsichtlich seyn und sich der Menschlichen Schwäche accommodiren, denn das Gesetz enthält die Norm der sittlichen Vollkommenheit, die Norm muß aber exact und strenge seyn zE. die Geometrie giebt Regeln an die Hand die strenge seyn, sie kehrt sich nicht daran ob sie der Mensch in der Ausübung beobachten kann zE. der Punkt des Zirkels ist zu dik für den mathematischen Punkt. Da nun die Ethic auch Regeln vorträgt, welche die Richtschnur unserer Handlungen seyn sollen, so müssen sie sich nicht nach dem Vermögen des Menschen richten, sondern zei-
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nachsichtlich Hg.] noch sittlich Kae]
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[XXVII: 301,01] Vgl. oben die Note zu p. 90 (Römer 7,6).
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gen was moralisch nothwendig sey. Die nachsichtliche Ethic ist das Verderben der moralischen Vollkommenheit der Menschen; das moralische Gesetz muß rein seyn, es giebt aber einen theologischen und moralischen purismus, welches nur phantasterey ist, 94nach welchem man in gleichgültigen [139] Dingen grübelt und durch Spitzfindigkeit in denselben was moralisches auszuwühlen sucht; solchen purismum hat die Ethic nicht. Allein die Puritaet in Ansehung der Grundsätze ist was anders. Das moralische Gesetz muß Puritaet haben. Das Evangelium hat solche puritaet in seinem moralischen Gesetz, die keiner von den alten Philosophen hatte, und selbst zu den Zeiten des Lehrers des Evangelii nur gläntzende Pharisäer waren, die strenge auf den cultum externum hielten, 67wovon das Evangelium offt sagte, daß das gar nichts sey, daß es darauf gar nicht ankomme, sondern auf die moralische Reinigkeit. Das Evangelium läßt nicht die geringste Unvollkommenheit zu, es ist gantz strenge und rein, und hält ohnnachsichtlich auf die Ausübung desselben; ein solches Gesetz ist ein heiliges; dieses Gesetz fordert auch nicht zuviel, so daß es in der Ausübung mit der Hälfte der Beobachtung zufrieden wäre, sondern jeder sieht es ein, daß der Grund in seinem Verstande liegt, und man kann den Beweiß aus jedes seinem Verstande hernehmen; diese Pünktlichkeit, Subtilitaet, Strenge und Reinigkeit des moralischen Gesetzes, welches die rectitudo heißt, zeigt sich bey uns in allen Fällen zE. Man darf nur in einer unbekannten Geselschafft einen eintzigen unwissentlich beleidigen, und wenn man auch nichts davon zu befürchten [140] hätte, indem man wegreisete, so wirft man sich ohnerachtet alles dessen dennoch 94
nach welchem Hg.] nachwelchem Kae]
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[XXVII: 301,31] Bibel, NT, Matthäus 23,26: „Du blinder Pharisäer, reinige zum ersten das Inwendige an Becher und Schüssel, auf das auch das Auswendige rein werde!“ / Lukas 11,39: „Ihr Pharisäer haltet die Becher und Schüsseln auswendig reinlich, aber euer Inwendiges ist voll Raubes und Bosheit.“
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§ 5/6
Ethica Prolegomena
solches vor, und man kann es auf keine Weise verhüten, auch nicht das Gesetz bey sich umzuformen. Der ist ein Latitudinarius, der sich das moralische Gesetz so denkt, daß er dadurchgehen könnte mit seinen gebrechlichen Handlungen, der sich nachsichtliche Gesetze fingirt. Die Ethic muß precise und heilig seyn, diese Heiligkeit kommt dem moralischen Gesetz zu, nicht weil es uns offenbart ist, sondern es kann demselben auch durch die Vernunfft zukommen, weil es ursprünglich ist, wornach wir selbst die Offenbarung beurtheilen; denn die Heiligkeit ist das höchste vollkommenste sittliche Gute was wir doch aus unserm Verstande und aus uns selbst nehmen. Der Autor theilt die Ethic ein in die schmeichelnde und in die Mürrische Ethic. Die BewegungsGründe der Sittlichkeit müssen der Moralitaet anständig seyn, die Triebfeder der Moralitaet muß mehr verbunden seyn, als sie sich mit ihr schikken, das heißt, sie müssen ihrer Würde gemäs seyn. Es kommt nicht darauf an, daß die 95Handlungen geschehen, sondern aus was für einer Quelle sie geschehen. Der schmeichelt der Ethic, der das tugendhaffte Verhalten für ein feines Wohlleben hält. Es ist wahr die Tugend ist auch eine Regel der Klugheit, man befindet sich dabey wohl; so ertheilen [141] viele den Armen Wohlthaten, weil sie dabey 96ein Vergnügen finden, wenn sich die Armen darüber freuen; allein da ist der BewegungsGrund nicht moralisch, wenn man wegen Vortheil oder Vergnügen gute Handlungen ausübt. Viele prahlen viel Gutes gethan zu haben, wenn es auch aus unrichtigen Gründen herrührte. Eine gute Sache muß aber nicht durch falsche Gründe unterstützt werden. Die Tugend ist eine gute Sache, man muß sie nur nicht durch falsche Gründe unterstützen zE. daß sie schon in diesem Leben viele Annehmlichkeiten mit sich führt, das ist falsch; denn die tugendhaffte Gesinnung vergrössert noch den Schmertz dieses Lebens, indem er denkt er ist tugendhafft und doch geht es ihm schlecht, wäre er nicht tugendhafft, so könnte er es noch ehe er95 96
Handlungen Hg.] Handlung Kae] ein Hg.] ein ein Kae]
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tragen, weil er es verdient hätte, allein ist er tugendhafft und leidet Hunger, so kann ihm das tugendhaffte gar nicht den Hunger stillen. Die Ethic muß also durch solche Schmeicheleyen nicht angepriesen werden; wird sie in ihrer Reinigkeit vorgetragen werden, so führt sie Achtung mit sich und ist ein Gegenstand der höchsten Billigung und des höchsten Wunsches, und die Einschmeichelungen vermindern noch die Triebfeder anstatt daß sie dieselben vergrössern sollten. Die Moralitaet muß sich nicht herablassen, man muß sie durch sich selbst empfehlen, alles [142] übrige, selbst die himmlische Belohnung ist nichts gegen sie; denn ich bin nur durch sie aller Glükseligkeit würdig. Die sittlichen BewegungsGründe müssen gantz besonders vorgetragen, und alles übrige, auch die gutartigen Triebfeder abgesondert werden. Die Ursache von der wenigen Würkung der Moralitaet ist, weil sie niemals ist rein vorgetragen worden. Bis dato haben alle Moralisten und auch Geistliche verfehlt die Sittlichkeit rein zu empfehlen. Sie gewinnt mehr, wenn sie durch ihren eigenen innern Werth empfohlen wird, als wenn sie mit sinnlichen Reitzen und Anlokkungen begleitet wird. Die buhlerische Ethic verdirbt es ehr, als daß sie sich empfehlen sollte, so wie es auch mit allen Buhlereyen ist. Die bescheidene Schönheit nimmt unendlich ehr ein, als alle buhlerische Künste und Reitze. So bewegt und nimmt auch die Tugend ehr ein, wenn sie an und für sich selbst ohne alle Reitze weder der Belohnung noch der Bestrafung sondern gantz rein vorgelegt wird. Alle Anreitzungen und sinnlichen Antriebe müssen bey den moralischen Lehren selbst nicht angebracht werden, sondern nachdem die 97Lehren der Sittlichkeit gantz rein gefaßt sind, und nachdem man sie hat hochachten und schätzen lehren denn können solche Triebfeder ins Spiel gebracht werden [143] nicht um deswillen, damit die Handlung deswegen geschehe, denn sonst wäre sie alsdenn nicht mehr moralisch, sondern sie sollen nur als motiva subsidiaria dienen, weil unsere Natur in Ansehung solcher intellectuellen Begrif97
Lehren Kae] Regeln Mnz 095,13]
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Ethica Prolegomena
fen, die für den Verstand sind, gegen die Triebfeder inertiam besitze, wenn diese sinnlichen Triebfeder aber ihre Würkung gethan haben, so müssen die echten und genuinen moralischen BewegungsGründe wieder Platz einnehmen; sie dienen also nur zur Wegräumung grösserer sinnlichen Hindernisse, damit der Verstand wieder herschen könne, aber alles unter einander zu mengen ist ein grosses Verderben, dawieder noch sehr gefehlt wird. Dieser reine moralische Begrif thut einen Effect bey demjenigen, der ihn besitzt, der ungewöhnlich ist, er reitzt ihn mehr als alle sinnlichen Antriebe. Darin stekt ein grosses Hülfsmittel die Sittlichkeit den Menschen zu empfehlen, welches schon in der Erziehung muß beobachtet werden; dadurch würden die Menschen fähig eines reinern Urtheils und reinern Geschmaks an der Sittlichkeit, Eben so wenig wie jemand den reinen Wein nicht schmekken kann, wenn er mit vielen andern Getränken vermischt ist, die ihn daran verhindern, eben so muß auch in der Moral, wenn man ihre Reinigkeit einsehen soll, alle Hindernisse bey Seite geschafft werden. [144] Der buhlerischen Ethic ist die mürrische entgegen gesetzt; 68man nennt diese mürrische Ethic auch die misantropische. Diese misantropische Ethic setzt die Sittlichkeit allen Vergnügungen entgegen, so wie sie die buhlerische damit vermengte. Die mürrische setzt alles Vergnügen des Lebens, alle Annehmlichkeiten der Sinne der Sittlichkeit entgegen. Ob es gleich scheint, daß diese mürrische Ethic einen grössern Fehler habe als die buhlerische; so ist es nicht an dem, denn sie kann, weil sie sich auf den Stoltz des Menschen bezieht, erhabene Handlungen hervorbringen, der Mensch wird durch sie aufgefordert alle Annehmlichkeiten des Lebens einer eintzigen erhabenen Handlung aufzuopfern. Die schmeichlerische Ethic verbindet alle Annehmlichkeiten des Lebens mit der Sittlichkeit, die mür68
[XXVII: 303,34] Nicht in der Ethica von 1763; Baumgarten verdeutscht zu § 6 ‚morosa‘ als ‚mürrisch‘. Der Begrifflichkeit der Vorlesung ‚misanthropische Ethik‘ entspräche heute eher die Rede von einer asketischen, nämlich sinnen- oder genußfeindlichen Ethik.
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rische aber setzt sie der Sittlichkeit entgegen, welches zwar ein Fehler ist, daß sie die Annehmlichkeit der Sittlichkeit entgegen setzt, allein so wird doch eben dadurch die Sittlichkeit von den Annehmlichkeiten des Lebens unterschieden und dieses ist ein grosses Verdienst. Wenn also ein Fehler in der Ethic schon sollte zugelassen werden, so wäre es besser den Fehler der mürrischen Ethic zuzulassen. Es ist wahr, viel Annehmlichkeit und Reitze werden durch diese mürrische [145] Ethic aufgeopfert, allein diese Annehmlichkeiten möchten sich wohl auch bey verfeinertem Geschmak nicht einmal zusammen passen und von selbst wegfallen. Diese misantropische Ethic hat doch etwas hochachtungswürdiges, sie sieht auf die Strenge und precision der Sittlichkeit, ob sie gleich darin fehlt, daß sie die Vergnügungen entgegen setzt. Um die mürrische Ethic zu corrigiren, so muß man merken, Sittlichkeit und Glükseligkeit sind zwey Elemente des höchsten Guts, die von verschiedener Art sind und also unterschieden werden müssen. Aber sie sind in nothwendiger Beziehung auf einander. Die Sittlichkeit hat nothwendige Beziehung auf die Glükseligkeit, denn das moralische Gesetz führt natürliche Verheissung mit sich, habe ich mich so verhalten, daß ich der Glükseligkeit würdig bin, so kann ich auch hoffen dieselbige zu genüssen; und das sind die Triebfeder der Sittlichkeit. Die Glükseligkeit hat auch nothwendige Beziehung auf die Sittlichkeit, ich kann keinem versprechen die Glükseligkeit ohne die Sittlichkeit zu erlangen. Die Glükseligkeit ist kein Grund, kein principium der Moralitaet, aber ein nothwendiges corolarium derselben. 98In dem Stük hat die schmeichlerische Ethic den Vorzug, daß sie die Glükseligkeit mit [146] der Sittlichkeit verbindet, die aber nur eine natürliche Folge der Sittlichkeit ist, die mürrische hat aber in dem Stük was stoltzes, daß sie Verzicht thut auf alle Glükseligkeit, allein die renunciation aller Glük-
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In dem Hg.] Indem Kae]
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§7
Ethica Prolegomena
seligkeit unterscheidet die Sittlichkeit von der Glükseligkeit; sie ist aber von der Seite unnatürlich, weil sie transcendent ist. Autor redet hier noch von der Ethica deceptrice oder betriegerischen Ethic. Diese besteht darin, daß sie ein Ideal realisirt. Alles ist betrügrisch, was den Schein enthält, der der Wahrheit entgegen ist. Aber die täuschende Ethic muß so beschaffen seyn, daß das täuschende an sich moralisch ist, aber doch täuschend indem es der Menschlichen Natur gar nicht angemessen ist, die zwar vollkommen ist, die wir aber nicht erreichen können zE das Bewustseyn seiner selbst als dem principio des Wohls aller Menschen verursacht eine grosse Freude, die aber keiner erreichen kann. Der höchste Grad der sittlichen Vollkommenheit findet nicht natürlicher Weise bey Menschen statt. Die höchste Vollkommenheit setzen wir in das höchste Wesen, die Gemeinschafft mit dem höchsten Wesen wäre die höchste sittliche Vollkommenheit; würden wir mit solchem Wesen unmittelbar verbunden seyn, so wäre dieses die höchste sittliche Vollkommenheit, die wir erreichen könnten; dieses ist aber ein Ideal welches nicht kann erreicht werden. Plato [147] realisirte dieses Ideal. Diese Ethic kann die 99fanatische und schwärmerische Ethic heissen.
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fanatische Hg.] phanatische Kae] | Vgl. Note zu p. 18.
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Die natürliche Religion sollte billig in der Moral den Schluß machen, sie sollte das Siegel in der Moralitaet seyn, die Idee der sittlichen Vollkommenheit sollte in der natürlichen Religion 100executirt und zu Stande gebracht werden, in der Religion sollte die Vollendung aller unserer Sittlichkeit in Ansehung ihres Gegenstandes erreicht werden. Allein es hat unserm Autor beliebt, sie vorhero abzuhandeln, und weil es darauf nicht viel beruht, so lassen wir es auch, indem doch schon der Begrif der Ethic, so fern er *hier in der natürlichen Religion nöthig ist, vorhergegangen. Die natürliche Religion ist keine Regel der 101Moralitaet. Die Religion ist die Moralitaet auf Gott angewandt. Die Moralitaet auf Theologie angewandt ist die Religion: Welche Erkenntniß von Gott, also welche Theologie muß der natürlichen Religion zum Grunde gelegt werden? Die natürliche Religion ist practisch und enthält natürliche Erkenntnisse unserer Pflichten in Ansehung des höchsten Wesens; also Moralitaet und Theologie verbunden macht Religion aus. Es ist also keine Religion möglich ohne Moralitaet. [148] Doch giebt es Religionen ohne Moralitaet und Menschen glauben Religion zu haben, ob sie gleich keine Moralitaet haben, solche Religion besteht aber nur im äussern Cultu und in Observantzen, da ist keine Moralitaet sondern Achtsamkeit und Beflissenheit eines klugen Verhaltens gegen Gott, dem man durch solche Observantzen sucht gefällig zu werden, da ist eben so wenig Religion als in der Beobachtung bürgerlicher Ge100 101
executirt Hg.] excutirt Kae] Moralitaet. Hg.] Moratitaet. Kae]
sectio 1: Religio interna §§ 11 ff.
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setze und Observantzen gegen den König. Weil also Religion Theologie voraus setzt und die Religion Moralitaet haben soll, so frägt sich, was für 102Theologie Nöthig ist, die der Religion zum Grunde liegen soll? Ob Gott ein Geist ist und wie er allgegenwärtig ist, so daß er den gantzen Raum erfülle, oder anders, das gehört nicht zur Theologie, so fern sie der natürlichen Religion zum Grunde liegen soll, sondern zur Speculation. 69So machte sich ein aegyptischer Priester ein körperliches Bild von Gott, wie man ihm das benommen hatte, so sagte er, man hätte ihm seinen Gott genommen, erst konnte er sich doch einigermaassen Gott vorstellen, jetzt aber gar nicht. In der Beobachtung und Ausübung der Pflichten, macht das alles nichts, die Vorstellungen von Gott können seyn, wie sie wollen, wenn sie nur ein hinreichender Grund zur reinen Sittlichkeit seyn. Zu einer solchen Theologie, die ein Grund der natürlichen Religion ist, soll gehören: die Bedingung der [149] moralischen Vollkommenheit. Wir müssen uns also vorstellen ein oberstes Wesen, welches heilig ist in Ansehung seiner Gesetze, gütig in Ansehung seiner Regierung und gerecht in Ansehung seiner Bestrafung und Belohnung. Es ist also in der natürlichen Religion keine andere 103Theologie nöthig, 70als daß wir uns concipiren 102 103
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Theologie Hg.] Religion Kae] Theologie Hg.] Religion Kae] | Korrektur von zweiter Hand. [XXVII: 305,36] Nicht ermittelt. Eine im Detail etwas abweichende Wiedergabe findet sich auch im Text der Logik-Bauch p. 59 (Kant / Pinder (Hg) 1998, S. 94). – Es dürfte sich um eine antike Quelle handeln, deren Umfeld etwa in Sectio IX von Hume’s Natural history of religion beschrieben wird: „The Romans commonly adopted the gods of the conquered people; and never disputed the attributes of those local and national deities, in whose territories they resided. The religious wars and persecutions of the Egyptian idolaters are indeed an exception of this rule; but are accounted for by ancient authors from reasons singular and remarkable.“ (Grose / Green, Bd. 2 (1898), S. 337) [XXVII: 306,10] Die anzunehmende Quelle eines orientalischen Reiseberichtes scheint aus den 1760er oder gar 1750er Jahren zu stammen. Möglicherweise hat Kant jedoch selbst diese Trias geprägt oder für seine Zwecke
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einen heiligen Gesetzgeber, gütigen Regierer und gerechten Richter, dieses nun in einem Wesen gedacht ist der Begrif von Gott, der zur Theologie nöthig ist, so ferne sie der Grund der natürlichen Religion ist. Dieses sind die moralischen Eigenschafften Gottes, die natürlichen Eigenschafften Gottes sind nur in so fern nöthig, als sie den moralischen Eigenschafften eine grössere Vollkommenheit geben und nur in so fern 104die Religion einen grössern Effect geben könne. Also unter der Bedingung der Allwissenheit, der Allmacht, der Allgegenwart und der 105Einigkeit des obersten Wesens finden die moralischen Eigenschafften statt. Diese Eigenschafften beziehen sich nur auf die moralische Eigenschafften. Das heiligste 106und gütigste Wesen muß allwissend seyn, damit es meine innere Moralitaet, die in der Gesinnung beruht, wahrnehmen könne; es muß daher auch allgegenwärtig seyn; der weiseste Wille kann aber nur [150] ein eintziger seyn, also nur ein einiges Wesen, weil ohne
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die Religion … könne. Kae] der Religion … können. Hg?] | Der Halbsatz fehlt Mnz 099,31. Vgl. XXVII: 306,13 ff., wo das Problem stilistisch anders gelöst ist. Einigkeit Kae] Ewigkeit Hg?] | Der Vorschlag von Krauß (S. 111 Anm. 109) scheidet aus: A) wegen der anschließenden Sätze. B) das Substantiv ‚Ewigkeit‘ ist der Vorlesung ansonsten fremd; das Adjektiv „ewig“ nur: p. 107, 178, 197. C) der Vorschlag ist sinnlos; denn ‚Ewigkeit‘ – Zeit – steckt bereits in der ‚Allgegenwart‘. Es kommt kein weiteres, viertes Attribut hinzu, vielmehr wird die bedingende, bloß logische ‚Einheit‘ hier ausdrücklich gemacht. und Hg.] und und Kae] zugerichtet. Ein zufälliges Zusammentreffen der jenseitigen Dreifaltigkeit mit einer diesseitig Politischen – nämlich der Gewaltenteilung, die gemeinhin Montesquieu zugeschrieben wird (Legislative, Exekutive, Judikative) – ist kaum glaublich. Sowohl in der Moral-Vorlesung (Kaehler p. 152, 161, 179 f., 196; Powalski XXVII: 171,10–21) als auch sonst verwendet Kant die Trias häufig. Für die Vorlesung über Natürliche Theologie vgl. XXVIII: 1073 f., 1183 f.; für die Metaphysik-Vorlesung vgl. XXVIII: 338. Für das Anthropologie-Kolleg vgl. die Col-Nr. 197 bzw. Pil-Nr. 78; für den Briefwechsel (X: 210,18–20). Vgl. auch für die publizierten Schriften: V: 131,34 ff. / VI: 139,23ff.; 313,17 ff. / VIII: 257,09 ff.
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diese Bedingung das principium der Moralitaet 107bloß erdichtet seyn könnte. Und dieses macht das Wesen der Theologie der natürlichen Religion aus. Die Quellen dürfen nicht aus Speculation sondern aus der gesunden Vernunft geschöpft werden, die speculative Kenntniß ist nur nöthig zur 108Wissbegierde, wenns aber um Religion zu thun ist, und was im Thun und Lassen nöthig ist, so ist weiter nichts mehr nöthig, als was durch die gesunde Vernunfft eingesehen und wahrgenommen werden darf. Wie entspringt diese Theologie? Wenn die Sittlichkeit rein vorgetragen wird, so bringt der Begrif der Moralitaet von selbst zum Glauben auf Gott. Durch den Glauben versteht man hier in der philosophischen Betrachtung nicht das Zutrauen, das man auf eine Offenbarung widmet, sondern der aus dem Gebrauch der Vernunfft entspringt. Dieser Glaube an einen Gott, der aus dem principio der Moralitaet wenn sie practisch ist entspringt ist so mächtig, daß keine speculative GegenGründe im Stande sind, diesen Glauben aus dem sittlichen Gefühl heraus zu heben. Der Grund hievon ist: In der Moralitaet kommt es vorzüglich auf die reinste Gesinnungen an, diese aber wäre verlohren, wenn kein Wesen wäre, das solche wahrnehmen könnte. Es ist unmöglich, daß ein Mensch solchen moralischen Werth besitzen und fühlen kann, ohne zugleich zu glauben, daß solches von einem Wesen könne wahrgenommen [151] werden; denn warum sollte man alsdenn reine moralische Gesinnungen hegen, die doch keiner ausser Gott wahrnehmen kann. Alsdenn könnte man zwar dieselbe Handlung thun, aber nicht aus reiner sondern aus unlauteren Absicht; man könnte Wohlthaten, aus Ehre, Vergnügen ausüben, die Handlung wäre immer dieselbe, die Analoga der Sittlichkeit thun dieselbige
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bloß erdichtet seyn Hg.] erdicht werden Kae] | Mnz 100,07 hat „nicht gedacht“; XXVII: 306,21 f. „erdichtet werden“. Wissbegierde Hg.] Witzbegierde Kae] | Die Schreibweise des Substantivs ist gleich in allen fünf Fällen – außer p. 150 noch p. 151, 258, 411(2). Vermutlich hat der Schreiber die Ligaturform des ‚ß‘ bzw. ‚ss‘ am Wortende mit der des ‚tz‘ verwechselt. Belegstellen für „Witz“ sind nur p. 165, 261.
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Würkung. Also moralisch reine Gesinnung zu hegen ist unmöglich, als daß man sich zugleich concipire diese Gesinnungen stehen in Verknüpfung mit einem höchsten Wesen welches sie allein wahrnehmen kann. Es ist auch nicht möglich sich zur Sittlichkeit zu wenden, wenn man keinen Gott glaubt. Alle sittliche Vorschrifften wären zu nichts, wenn kein Wesen wäre, das auf sie sehe. Das ist die Vorstellung von Gott aus moralischem Begrif. Man kann also glauben, daß ein Gott sey, ohne gewiß zu wissen, daß ein Gott sey. Die natürliche Religion hat also zur Hauptwissenschafft die simplicitaet, das heißt: der gemeinste Mann ist eben so weit in der Theologie als zur natürlichen Religion gehörig, wie der speculative Kopf. Alles übrige, was man in der Theologie hat, dient zu nichts mehr als unsere 109Wissbegierde zu befriedigen. Die Sittlichkeit muß mit der Religion verbunden werden, welches die alten Philosophen nicht eingesehen haben. Die Religion ist nicht der Ursprung der Moral, sondern sie besteht darin, [152] daß die sittlichen Gesetze auf die Erkenntniß Gottes angewendet werden. Man stelle sich die Religion vor aller Sittlichkeit vor, sie müste doch eine Beziehung auf Gott haben, und denn würde sie darin bestehen, daß ich Gott als einen mächtigen Herrn ansehe, dem man schmeicheln muß. Alle Religion setzt Moral voraus, demnach kann die Moral nicht aus der Religion abgeleitet werden. Alle Religion, die nicht Moral voraussetzt, besteht in cultu externo, in Dienstleistungen und Hochpreisungen, so waren alle Heydnische Religionen sie stellten sich die Gottheit als furchtbar und dabey mißgönstig vor, der man nicht genug Weihrauch opfern konnte. Alle Religion setzt demnach Moralitaet als ein Fundament voraus. Die Religion giebt der Moralitaet Nachdruk, Schönheit und Realitaet. Denn die Moralitaet an sich ist etwas Ideales. Wenn ich mir vorstelle wie schön das wäre, wenn alle Menschen rechtschaffen und moralisch wären, so möchte mich ein solcher Zustand reitzen moralisch zu seyn; Allein die Moral sagt, du sollst an und 109
Wissbegierde Hg.] Witzbegierde Kae]
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vor dich moralisch seyn, die anderen mögen seyn wie sie wollen, denn fängt das moralische Gesetz an in mir idealisch zu werden. Ich soll der Idee der Moralitaet folgen, ohne irgend hoffen glüklich zu seyn, und dieses ist nicht möglich, also wäre die Moral ein Ideal, wenn kein Wesen ist, was die Idee exsecutirt. Dahero muß ein Wesen seyn, welches den moralischen Gesetzen Nachdruk und Realitaet giebt, 71dieses Wesen muß aber alsdenn ein heiliges, gütiges und gerechtes Wesen seyn. Ohne solche Vorstellung [153] ist die Moral eine Idee. Die Religion ist das was der Sittlichkeit Gewicht giebt, es soll die Triebfeder der Moral seyn. Hier erkennen wir, daß derjenige, der sich so verhalten hat, 72daß er der Glükseligkeit würdig sey, auch hoffen kann, dieselbe zu erlangen, weil ein solches Wesen ist, das glüklich machen kann. Und das ist der erste Ursprung der Religion, die auch ohne alle Theologie möglich ist; es ist ein natürlicher Fortgang aus der Moral in die Religion. Die Religion hat keine speculative Kenntniß von Gott nöthig. Die Moral führt also natürliche Verheissung mit, denn sonst könnte sie mich nicht obligiren, denn wer mich nicht schützen kann, dem bin ich auch keinen Gehorsam schuldig, die Moral kann uns aber ohne Religion nicht schützen. 73Der Satz: wir sind obligirt zur Religion, ist identisch; denn alle unsere moralische Handlungen bekommen durch die Religion completudinem. Ohne Religion ist alle Verbindlichkeit ohne Triebfeder. Die Religion ist die Bedingung sich die verbindende Krafft der Gesetze zu denken. Aber es giebt Menschen die da Gutes thun ohne Religion, wie geht das zu? Es ist sehr commode die Wahrheit zu sagen und ehrlich zu seyn, denn ein solcher braucht nichts nachzudenken sondern die Sache so zu sagen wie sie ist, solche Menschen thun also nicht nach Grundsätzen sondern aus sinnlichen Absichten Gutes, alsdenn 71 72 73
[XXVII: 307,38] Vgl. die zu p. 149 gegebene Erläuterung. [XXVII: 308,02] Vgl. die Noten zu p. 13. [XXVII: 308,11] In diesem Sinn enden stereotyp die §§ 11–21 der Baumgarten’schen Ethica: „Ergo obligaris ad religionem.“
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wenn die Noth, wenn sich das Laster auf der feinen Seite der Mode [154] zeigt, bey dessen Begehung man doch ein bürgerlich guter Mann seyn kann, ist denn nicht Religion, so ist es sehr schlimm. Die Erkenntniß von Gott durch moralische Bedürfniß ist die beste. Autor redet von der innern Religion. Der Unterscheid der Religion in die innere und äussere ist sehr schlecht. Äussere Handlungen können entweder Mittel der innern Religion oder Würkungen 110derselben seyn; aber die äussere Religion ist ein Unding. Die Religion ist was innerliches. Religion besteht nur in Gesinnung. Es könnte also eine zwiefache Religion geben, Religion der Gesinnung, und Religion der Observanzen. Die wahre Religion ist aber die Religion der Gesinnung. Aeussere Handlungen sind keine ReligionsHandlungen, sondern sind Mittel oder Würkungen der Religion. Religieuse Handlungen sind in mir selbst; die Menschen können in allen ihren Handlungen religieuse seyn, wenn nemlich alle ihre Handlungen die Religion begleitet. Die innere Religion macht also die gantze Religion aus. Frömmigkeit ist das Wohlverhalten aus dem BewegungsGrunde des göttlichen Willens, fromme Handlungen sind solche, die aus diesem 111Bewegungsgrunde geschehen. Ist aber der BewegungsGrund aus der innern Bonitaet der Handlung geflossen, so ist dieses Sittlichkeit oder Tugend. Also ist Frömmigkeit und Tugend nicht in Handlungen sondern in Bewegungsgründen unterschieden. Die Frömmigkeit schließt nicht die tugendhaffte BewegungsGründe aus, sondern fordert sie vielmehr. [155] Der eigentliche BewegungsGrund zur Handlung muß aber die Tugend selber seyn. Denn deswegen verbindet uns Gott wozu, weil es an sich selbst innerlich gut ist. Der BewegungsGrund ist also Moralitaet und nicht der göttliche Wille; denn der göttliche Wille geht ja eben auf die innere Bonitaet und Gesinnung. Daß die Handlung geschehe, der Bewegungs110 111
derselben seyn Hg.] derselben Kae] Bewegungsgrunde Hg.] BewegunsGrunde Kae]
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Grund und die Absicht mag seyn wie sie will, ist nicht die Sache der Religion, sondern daß die Handlung aus Gesinnung geschehe. Der göttliche Wille ist die Triebfeder aber kein Bewegungsgrund. Ein frommer Mann würde seyn, der die Observanzen, die Mittel der Religion gut beobachtet; ein Gottesfürchtiger Mann bedeutet aber schon etwas mehr, nemlich eine gewisse Pünktlichkeit in Beobachtung der Mittel der Religion. Ein Gewissenhaffter ist der, welcher sich einen göttlichen Richter vorstellt. Handlungen die tugendhafft sind aus Religion sind fromme Handlungen; Handlungen die lasterhafft sind aus Religion sind gottlose Handlungen. Uebernatürliche Religion kann von der übernatürlichen Theologie unterschieden werden. Die Theologie kann übernatürlich oder geoffenbart seyn und die Religion kann doch natürlich seyn, wenn sie nemlich nur die Pflichten enthält, die ich durch die Vernunfft in Ansehung des höchsten Wesens [156] einsehe. Also ist eine natürliche Religion möglich bey einer übernatürlichen Theologie. Man sehe sich doch um, so wird man finden, daß die Menschen bey der übernatürlichen Theologie doch natürliche Religion haben; hätten sie übernatürliche Religion so müßte ein übernatürlicher Beystand bey ihnen angetroffen werden; wir sehen aber, daß die Menschen nur solche Pflichten ausüben, die sie natürlich durch die Vernunfft einsehen können. Natürliche Religion ist von der Uebernatürlichen zu unterscheiden, aber nicht so, daß sie sich entgegengesetzt sind, sondern die natürliche ist der Gebrauch der Erkenntniß Gottes, so fern sie durch die Vernunfft des Menschen möglich ist mit der Moralitaet verbunden; die übernatürliche ist die Ergäntzung der Natürlichen durch einen höhern göttlichen Beystand. Wenn auch in der übernatürlichen Religion vieles ist, was die Gebrechlichkeit der Menschen ersetzen kann, so ist die Frage, was denn dem Menschen kann imputirt werden? Alles kann ihm imputiret werden, was von ihm natürlicher Weise durch seine eigene Kräffte hervorgebracht wird. Durch solches Verhalten und den guten Gebrauch seiner natürlichen Kräffte
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kann er sich nun würdig machen aller Ergäntzung seiner Gebrechlichkeit. Die natürliche Religion wird also der übernatürlichen nicht entgegengesetzt, sondern die übernatürliche ist eine Ergäntzung der natürlichen. Die natürliche ist eine wahre Religion, nur incomplett, [157] wir müssen durch sie erkennen, wie viel wir aus unserer Krafft thun können und wie viel uns kann zugerechnet werden, und wenn wir uns nun so verhalten so machen wir uns der Ergäntzung würdig. Was macht uns fähig die Vollständigkeit und Ergäntzung unsrer Unvollkommenheit durch übernatürliche Mittel der Religion zu bekommen? Nichts als der gute Gebrauch der natürlichen Religion. Die Uebernatürliche setzt also die natürliche voraus. Der Mensch kann keinen übernatürlichen Beystand hoffen, der sich nicht so verhalten wie er natürlich soll. Man kann also nicht die übernatürliche Religion sogleich annehmen, und sogleich durch einen höhern Beystand unterstützt werden und die natürliche fahren lassen. Die natürliche Theologie könnte man auch ehr entbehren, und sogleich an die übernatürliche oder geoffenbarte Theologie gehen; die natürliche Religion ist aber die nothwendige Bedingung, unter der wir der Ergäntzung würdig werden könnten, weil die übernatürliche ein Supplement der natürlichen ist. Nur unser Wohlverhalten macht uns des höhern Beystandes würdig; denn die natürliche Religion ist der Inbegrif aller moralischen Handlungen und die übernatürliche ist die Ergäntzung der Unvollständigkeit unserer moralischen Handlungen, würden wir die natürliche Religion weglassen, so würde die [158] Uebernatürliche was passives seyn, denn müste der Mensch mit sich machen lassen, was Gott wollte, er hätte also nichts zu thun, weil alles übernatürlich zugehen müste. Muß aber Moralitaet in den Handlungen seyn, so muß die natürliche Religion vorhergehn. Also muß bey jedem Menschen eine natürliche Religion seyn die ihm zugerechnet werden kann und durch die er sich der Ergäntzung würdig macht.
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Die ReligionsIrthümer sind zu unterscheiden von den theologischen Irthümern. Theologische Irthümer sind, die die Erkenntniß Gottes betreffen, ReligionsIrthümer aber betreffen die Corruptibilitaet der Moralitaet. Die Irthümer, die die Moralitaet afficiren, sind Ketzereyen (haeresis) Die Irthümer die die Theorie oder Theologie afficiren sind nur Irlehren Heterodoxie. Also sind die Irthümer zu unterscheiden in die, welche die Theologie und welche die Moral afficiren oder die Religion. Es kann theologische Irthümer geben, die die Religion nicht afficiren; die Religion kann sehr gut seyn, obgleich die Erkenntniß von Gott sehr antropomorphistisch ist. Eine Religion kann gut seyn, wenn sie auch nicht vollständig wäre und die Natürliche Religion kann immer gut seyn. Aber sich gantz der natürlichen Krafft entledigen und sich auf die übernatürliche verlassen, das ist die Religion der Faullentzer. [159] Die Unwissenheit betrifft theils die Theologie theils die Religion. In der Theologie sind wir alle sehr unwissend, die Ursache ist, weil der Begrif von Gott eine Idee ist, welche anzusehen ist als der 112Grenzbegriff der Vernunft und der 113Allbegrif aller abgeleiteten Begriffe, auf diesen Begrif suche ich alle Eigenschafften anzuwenden, ob sie auch passen. Dieses zu bestimmen fehlet uns sehr. Die Unwissenheit in der Theologie kann groß seyn, aber in Ansehung der Religion und der Moralitaet ist sie als nichts zu betrachten. Was die Irthümer in Ansehung der Theologie betrifft, so haben die Menschen jederzeit geirrt, wenn sie speculirten, und 112
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Grenzbegriff Hg.] GrenzBegrif Kae] | Zunächst ist eindeutig ‚Zwangsbegrif‘ geschrieben worden; wobei der erste Bestandteil des Kompositums dann vom Schreiber selbst auf nicht ganz sicher zu lesende Art überschrieben wurde mit ‚Grenz‘. Mnz 106,21 hat ebenfalls einmalig „Grenzbegriff“. Der Terminus ist in den Kantischen Druckschriften ebenfalls nur einmal belegt (III: 211,35 = A 255 / B 310.) Allbegrif Kae] Inbegriff Mnz 106,21]
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denn hat der Irthum gar nicht die Religion afficirt, sondern ist von der Religion gantz abgesondert, allein in solchen Erkenntnissen Gottes, wo der Einfluß auf unser Verhalten groß ist, da ist zu sehen, ob nicht solcher Irthum auch die Religion afficire. Dahero ist man in Ansehung der Theologischen Irthümer sehr subtil, weil sie die Religion afficiren könnten, dahero muß man so viel als möglich theologische Irthümer vermindern. Das Hausmittel hiebey ist gar nicht dogmatisch zu urtheilen; denn verfällt man in keine Irthümer zE. in den Untersuchungen wie Gott allgegenwärtig ist, laß ich mich gar nicht ein, wenn ich nur soviel weiß, daß er das Urbild der moralischen Vollkommenheit, [160] ist und daß er darauf hällt, und weil er gütig und gerecht ist, so wird er auch das Schiksal dem Verhalten conform austheilen; denn geräth man in keinen Irthum und zu den dogmatischen Urtheilen braucht man nicht zu gehen. Zu den Irthümern der Theologie rechnen wir zuerst den Atheismum, welcher zwiefach ist: die Ohngötterey und die Gottesleugnung. Die Ohngötterey ist, wo man von Gott nichts weiß, die Gottesleugnung aber, wo man dogmatisch behauptet, es ist kein Gott. Wer aber von der Erkenntniß Gottes leer ist, von dem kann man noch nicht sagen, daß er auch von moralischen Handlungen leer ist, er weiß nur nicht, daß ein Gott ist, würde er es wissen, so möchte er gleich Religion haben; der Ohngötterey ist also abzuhelfen. Auf der andern Seite aber ist der Mensch wieder zu böse, ob er gleich weiß, daß ein Gott ist, er doch so lebet, als wenn keiner wäre, und denn wäre es besser wenn er nicht wüste daß ein Gott sey, so würde er noch zu entschuldigen seyn; dessen Handlungen sind religionswiedrig und nicht religionsleer. Der Atheismus kann in der puren Speculation seyn, aber in der praxi kann ein solcher ein Theist oder ein Verehrer Gottes seyn; dessen Irthum erstrekt sich auf die Theologie und nicht auf die Religion, solche Personen, die aus Speculation in den Atheismum verfielen, sind nicht so böse auszustreichen als man sonsten pflegt, ihr Verstand war nur corrumpirt [161] aber
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nicht ihr Wille zE. 74der Spinoza, der that das, was ein religieuser Mann thun soll, sein Hertz war gut, und der wäre bald zurecht zu bringen, er traute den speculativen Gründen zu viel zu. Der Atheismus ist ein solcher Irrthum der Theologie, der einen Einfluß in die Moralitaet und Religion hat, denn alsdenn haben die Regel des Wohlverhaltens keine bewegende Krafft. Es giebt noch mehr Arten von Irthümern in der Theologie, die * wir aber übergehen, indem sie mehr zur Theologiae rationali als in die Ethic gehören. Allein in Ansehung des theoretischen führen wir zweyerley fehlerhaffte Ausschweifungen an, und zwar in Ansehung des Erkenntnisses: Vernünfteley und Aberglauben; und in Ansehung des Hertzens: Religionsspötterey und Schwärmerey. Dieses sind die Grentzen der Ausschweifungen. Was die Vernünfteley betrifft, so besteht sie darin, wenn man durch die Vernunfft als nothwendig die Erkenntniß von Gott die der Religion zum Grundsatz liegt, ableiten will und es als nothwendig einsehen und beweisen will. Allein das ist nicht nöthig, in der Religion darf sich nur die Erkenntniß Gottes auf Glauben gründen, so fern wir nur Gott als das principium der Sittlichkeit ansehen, und ihn 75als einen heiligen Gesetzgeber, gütigen Weltregierer und gerechten Richter erkennen, so ist dieses hinreichend zu einem Glauben an Gott, so fern [162] er der Religion zum Grunde liegen soll ohne solches logisch beweisen zu können. Die Vernünfteley ist also der Fehler, wo jemand keine andere Religion annimmt, als die, die sich auf solche Theologie gründet, die durch die Vernunfft eingesehen werden kann. Allein dieses hat der Mensch nicht nöthig einzusehen und zu beweisen, der nur die Theologie zur Religion braucht, denn es kann eben so wenig der Atheismus, der 114Spinozismus, der Deismus und Theismus p bewiesen werden. Es ist also nur 114
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Spinozismus Hg.] Sperosismus Kae] [XXVII: 312,08] Der Amsterdamer Jude Spinoza wurde im 17. und 18. Jahrhundert weithin als Atheist angesehen. [XXVII: 312,25] Vgl. die zu p. 149 gegebene Erläuterung.
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eine vernünftige hypothesis nöthig, nach welcher ich nach Regeln der Vernunfft hinreichend alles bestimmen kann. Dieses ist eine nothwendige hypothesis, wenn man diese bey Seite legt, so kann man sich von nichts einen Begriff machen, weder der Ordnung der Natur, noch des Zwekmässigen, noch auch den Grund einsehen, warum man dem moralischen Gesetz gehorsam seyn soll. Setze ich diese nothwendige Hypothese voraus, nehme ich an einen heiligen Gesetzgeber p so werde ich mich in keine speculative Streitigkeiten einlassen, noch auch solche Bücher lesen, die das Gegentheil zu behaupten suchen, indem es mir doch nichts hilft und mich nichts von diesem Glauben abbringen kann, denn alsdenn würde ich keinen festen Grundsatz haben, wenn mir solches strittig gemacht würde und was soll man denn thun? Dieses ist eben so viel, als ich will mich entschlüssen, alle Grundsätze des moralischen Gesetzes [163] bey Seite zu setzen und ein Bösewicht zu seyn, das moralische Gesetz befiehlt doch aber und ich sehe auch ein daß solches gut ist, demselben gehorsam zu seyn, welches aber ohne einen obersten Regierer von keinem Werth und Gültigkeit ist; ich werde also nicht speculative Gründe, sondern meine Bedürfnis fragen und ich kann mir kein Gnüge thun als solches anzunehmen. Demnach ist die Vernünfteley in Religionssachen gefährlich. Sollte unsere Religion auf speculativen Gründen beruhen, so würde sie sehr schwach gesichert seyn, wenn man von allem Beweise fordern sollte; denn die Vernunfft kann sehr irren. Damit also die Religion gesichert sey, so muß alle Vernünfteley wegfallen. Auf der andern Seite ist wieder der Aberglaube etwas Vernunfftwidriges, er besteht nicht in Sätzen sondern in der Methode. Nimmt man zum principio der Urtheile in der Religion etwas an, was sich auf die Furcht, oder alte Sage, oder Ansehen der Personen gründe, so sind das Quellen des Aberglaubens, auf denen die Religion sehr unsicher und unzuverlässig steht. Der Aberglaube schleicht sich immer in die Religion ein, weil die Menschen nicht geneigt sind den Maximen der Vernunfftlehre zu folgen; wenn sie das, was aus einem intellectuellen principio hergeleitet werden muß, aus der Sinnlichkeit herleiten zE wenn
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die Observantzen, die nur Mittel der Religion sind als Principien angenommen werden, [164] so ist die Religion abergläubisch. Die Religion ist aber etwas was sich auf die Vernunfft gründe zwar nicht auf Vernünffteley. Wenn ich also von den Maximen der Vernunfft abgehe und durch Sinnlichkeit mich leiten lasse, so ist das Aberglauben. Allein die Leitung der Erkenntniß in der Religion durch blosse Speculation ist die Vernünfteley. Beydes ist der Religion schädlich. Die Religion gründet sich nur auf Glauben, der keiner logischen Beweise bedarf, sondern schon hinreichend ist, denselben als eine nothwendige hypothesis vorauszusetzen. Auf der andern Seite sind der Religion aus Gesinnungen zwey 115Enden der Ausschweifung entgegen und zwar: Spötterey und Schwärmerey. Die Spötterey ist, wenn man nicht allein die Religion nicht ernsthafft behandelt, sondern auch sogar die Religion als etwas ungereimtes ansieht, was als etwas Geringschätziges verdient behandelt zu werden. Weil die Religion was wichtiges ist, so ist es keine Sache des Spottes zE. Wenn ein Richter einen Uebelthäter vorhat, so wird er nicht mit ihm Spott treiben, weil es was wichtiges ist, indem es ihm sein Leben kosten soll. Also alle Religion, sie mag noch solche Ungereimtheiten haben, ist gar keine Sache des Spotts, denn die Menschen die sie besitzen, werden dadurch interessirt, es beruht ihr künftiges Wohl darauf, sie sind also 76ehr zu beklagen als zu belachen. Allein allgemein die Religion zu spotten ist ein entsetzliches Vergehen, denn sie ist etwas wichtiges. Doch muß man nicht den, der über sie launigt redet, so gleich für einen Spötter halten, 115
Enden Hg.] Ende Kae] | Nicht eindeutig zu lesen zu Beginn der zweiten Zeile des Absatzes; Korrektur mit Mnz 110,10.
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[XXVII: 314,11] Für die beiden alternativ gedachten Lebenseinstellungen (heute meist als Optimist / Pessimist bezeichnet), stehen seit der Renaissance zwei griechische Philosophen: ein lachender Demokrit und ein weinender Heraklit. Auch in den Anthropologie-Vorlesungen macht Kant von diesem Paar Gebrauch; vgl. Parow p. 26, Pillau p. 77, Mrongovius p. 84. Zu dem gesamten Komplex vgl. Brandt 2000, S. 91–109.
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[165] solche Personen haben Religion innerlich, nur sie lassen ihrer Laune und ihrem Witz den Lauf, der sich nicht so über die Religion als über gewisse Personen erstrekket, der zwar nicht zu billigen, aber doch für keinen Spötter zu halten ist. Es kommt offt aus Unüberlegtheit, Lebhafftigkeit und Mangel genugsamer Prüfung. Die Schwärmerey ist etwas, nach welcher man ausserhalb und überhalb der Maxime der Vernunfft ausschweift. Der Aberglaube erstrekt sich unterhalb die Maxime der Vernunfft, die Schwärmerey aber ueberhalb der Maxime; der Aberglaube gründet sich auf sensuale Principien, die Schwärmerey aber auf mystische und hyperphysische principia. Die Spötterey ist theils auf Aberglauben theils auf die Schwärmerey gerichtet; sie ist nicht geziemend, aber doch ein Mittel solche Menschen aus dem Wahn zu reissen, und ihn in seinen schwindlichten himmlischen Anschauungen irre zu machen. Die Vernünfteley oder Rationalismus ist dem Aberglauben entgegengesetzt; wenn wir aber zwey Dinge im practischen der Religion entgegensetzen, so wäre es Frömmigkeit und Andachteley. Andachteley oder Bigotterie bedeutet, so wie die Vernünfteley, ein Spiel; ist also von der Andacht zu unterscheiden. Frömmigkeit ist etwas practisches und besteht in der Beobachtung [166] der Göttlichen Gesetze aus dem BewegungsGrunde des Göttlichen Willens. Andachteley besteht in der Geflissenheit Gott zu verehren, dadurch daß man Worte und Ausdrükke der Unterwerfung und Ergebenheit darbietet, um sich durch solche äussere Ehrenbezeigungen, Lobeserhebungen, Gunst zu erwerben. Die Art Gott zu verehren darin zu setzen, ist etwas heßliches und Abscheuliches, denn wir glauben alsdenn ohne Moralitaet durch Schmeicheley Gott zu gewinnen und stellen uns Gott vor als einen weltlichen Herrn, dem man durch unterwürfige Dienstleistungen, Lobeserhebungen, Schmeicheleyen zu gefallen sucht. Andacht ist die mittelbare Beziehung des Hertzens auf Gott um dasselbe zu üben und die Erkenntniß Gottes auf unsern Willen würksam zu machen. Die Andacht ist also keine Handlung, sondern eine Methode sich
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eine Fertigkeit in den Handlungen zu erwerben. Die wahre Religion besteht aber in den Handlungen, in Ausübungen des moralischen Gesetzes, daß man das thue, was Gott haben will. Damit man aber dazu geschikt sey, so gehört dazu eine Uebung und das ist die Andacht, wir suchen uns dadurch eine Erkenntniß von Gott zu erwerben, die solchen Eindruk auf uns macht, daß wir dadurch angetrieben werden practisch zu seyn, und das moralische Gesetz auszuüben. Also ist das nicht zu mißbilligen, wenn jemand andächtig ist, wenn er sich nemlich dadurch zur Ausübung gut gesinnter Handlungen vorzubereiten und zu üben sucht. Allein übt sich jemand seine Erkenntniß [167] von Gott fruchtbar zu machen, und es kommt ein elender Unglükliche der ihn um Hülfe anspricht, er will sich aber dadurch von seiner Andacht nicht stöhren lassen, so ist das sehr ungereimt, denn die Andacht ist eine Uebung zu guten Handlungen, nun ist hier der Fall, wo er eine gute Handlung ausüben soll, wozu er sich durch die Andacht geübt hat, nun soll er das ausüben, wozu er sich durch die Andacht als ein Mittel anzugewöhnen suchte. Die Andacht als eine blosse Beschäfftigung und als ein abgesondertes Geschäffte ist an sich selbst gar nicht nöthig, denn wenn wir durch Uebung guter Handlung dahin gekommen sind, daß wir glauben können, die Erkenntniß Gottes sey in uns kräfftig genug, einen Eindruk zu machen, noch mehr gute Handlungen auszuüben denn braucht gar keine Andacht. Denn da ist nur wahre Gottesfurcht, wo der Effect sich jederzeit in Handlungen zeigt, also kann die Gottesfurcht durch blosse Handlungen und nicht durch Andacht geübt werden.
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Autor redet schon vom Unglauben, ob er gleich noch nicht vom Glauben geredet hat. *Wir wollen diesen Begrif so viel als es hier in der Ethic nöthig ist, erklären. Glaube kann in zwiefachem Verstande genommen werden. Erstlich bedeutet es die Fertigkeit einem Zeugnisse Beyfall zu
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geben, und denn ist es der historische Glaube. Viele können den historischen Glauben nicht haben aus Unfähigkeit ihres Verstandes, [168] wenn sie die Zeugnisse nicht einsehen können. Das historische Beurtheilen ist bey Menschen Verschieden, wenn auch gleich die data dieselben sind, und man kann einen wovon unmöglich überzeigen, da ein anderer solches leicht glaubet zE. ZeitungsNachrichten. Es giebt also discrepantes in dem historischen Glauben, wovon man eben so wenig Gründe als in der discrepanz im Geschmak angeben kann. So glaubt 77116Boulanger, daß die sieben Könige in Rom sieben Planeten bedeuten. Also giebts auch in Ansehung des historischen einen Hang zum Unglauben. Der Mensch ist sehr inclinirt zum Zweifel und Untersuchung als zum Beyfall, er findet sicherer das Urtheil aufzuschieben. Allein dies beruht auf dem Verstande und auch darauf, daß man sonst offt mit Nachrichten betrogen ist, obgleich nicht aus böser Absicht, sondern um sich vor dem Irthum sicher zu halten, obgleich dieses der Weg zur Unwissenheit ist, wenn man allen Zugang abschneidet. Hier geht uns aber der historische Glaube nichts an, indem er seinen 116
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[XXVII: 316,06] Die deutsche Fassung Das durch seine Gebräuche aufgedeckte Alterthum. Oder Critische Untersuchung der vornehmsten Meynungen, Ceremonien und Einrichtungen der verschiedenen Völker des Erdbodens in Religions- und bürgerlichen Sachen ist 1767 erschienen. Ganz offensichtlich bezieht sich Kant, wie schon (Bd. XXV, S. lxiv) angemerkt, auf die S. 348: „Man hat schon eine Menge Zweifel wider die Zuverläßigkeit der Geschichte der Römischen Könige gemacht. Diese Anmerkung kann zur Vermehrung derselben dienen, und ich würde dieselbe völlig rechtfertigen, wenn es hier nicht zu weitläuftig wäre, eine ordentliche Vergleichung der sieben Könige mit den sieben Planeten anzustellen. Ich behaupte hiemit keineswegs, daß Rom nicht so alt sey, als es seyn soll: […]. Nur von dem historischen Rom, nur von der Historie aller[! – lies: alter] Völker, glaube ich, daß man etwas abschneiden müsse, da man die eingebildeten Epochen und Perioden, die mehr aus Unwissenheit in dem wirklichen Alterthum, als aus Eitelkeit für alt angesehen werden, erfunden sind, nicht wirklich zugeben kann.“ – Die R: 5645 scheint sich auch auf diese Stelle zu beziehen; vgl. XVIII: 289,01.
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im Verstande und nicht im Willen hat. Hier ist nur die Rede was in der Moralitaet liegt. Der Glaube im andern Verstande ist, wenn man an die Würklichkeit der Tugend glaubt. Der moralische Unglaube ist, wenn man an die Würklichkeit der Tugend nicht glaubt, dieses ist ein Misanthropischer Zustand zu glauben es sey eine Idee, es ist eine Masque der Eitelkeit seiner Neigung Gnüge zu thun. Man kann darinn hochgehn, und nicht einmal ein Analogon der Tugend bey Menschen zugeben. Bey solchen Menschen kann man es nicht einmal soweit bringen, daß man [169] für einen rechtschaffenen Mann gehalten werde, und denn wird man sich auch nicht bemühen einer zu werden. Es ist nicht gut die Tugend und den 78Keim des Guten bey Menschen verdächtig zu machen, welches viele Gelehrte thaten 117Sitz
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Sitz Hg.] Willen Kae]
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[XXVII: 316,25] Mit dem Terminus technicus ‚Keim‘ wird Bezug genommen auf die damals vor allem in Frankreich (bei Buffon und anderen) beginnende moderne wissenschaftliche Biologie; im Rahmen der Moral-Vorlesung wird der Ausdruck neun mal verwendet: p. 169(3), 170(3), 358, 443, 448. Zum Konzept des ‚Keims‘ gehört nicht allein die Vorstellung eines anfänglichen ‚Samens‘, sondern vor allem die im Keim sichtbaren Entwicklungs- oder Veränderungsprozesse. Im Keim eines pflanzlichen oder tierischen Organismus sollen sämtliche Anlagen – unter dem Mikroskop – erkennbar sein: was in der Anlage fehlt, kann sich aus einem Keim nicht entwickeln. Zu ‚Anlage‘, vgl. p. 244, 397, 446(2). – Dieser Wortgebrauch von ‚Keim‘ bei Kant in den Druckschriften erstmals 1768 (II: 377,15; vgl. II: 425,06; 434ff.); anders zuvor nur (I: 265,22; II: 270,34). Auch für die Critik der reinen Vernunft hat Kant auf dieses Konzept zurückgegriffen; vgl. III: 084,09; 507,01; 539,32; 540,16 – desgleichen für die Religion innerhalb der bloßen Vernunft, deren Erörterung ohne den ‚Keim‘ nicht auskommt; vgl. VI: 020,09; 038,32; 045,12; 057,05; 066,33; 080,33; 122,33; 125,12; 131,32). Auch in den Bänden VII – IX zahlreiche Belegstellen; jedoch nicht in der Grundlegung von 1785 und der Critik der practischen Vernunft von 1788. Auch in den Bemerkungen zu seinen Beobachtungen von 1764 ist von einem ‚Keim‘ nicht die Rede. Es wird jedoch das Verb ‚aufkeimen‘ verwendet (XX: 070,05; 077,14), das auch in den Druckschriften gelegentlich in einem nicht-technischen Sinn benutzt wird (II: 041,30 / V: 458,07 / VII: 225,02 / VII: 425,28).
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um dem Menschen desto besser seinen verderbten Zustand zu zeigen und den Gedanken daß er tugendhafft wäre zu benehmen. Solches ist aber sehr verhaßt, die Unvollkommenheit des Menschen zeigt sich schon hernach aus der Reinigkeit des moralischen Gesetzes. Der den Keim des Bösen bey Menschen aufsucht ist beynahe ein 79Advocat des Teufels. So suchte wieder den 80118Belisar ein gewisser 81119Hofstede die Tugend zu untergraben, was ist das aber für Nutzen für die Religion? Es hat weit grössern Nutzen, wenn ich zE. den Character des Socrates, 82er 118 119
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Belisar Hg.] Belisaeus Kae] Hofstede Hg.] Hoffsleben Kae] [XXVII: 316,31] ‚Advocatus diaboli‘ ist eine scherzhafte Bezeichnung für den Generalglaubensanwalt, der im Selig- oder Heiligsprechungsverfahren der Römisch-Katholischen Kirche als amtlicher Widersacher des Klagebegehrens tätig ist. Der advocatus diaboli verfolgt das Ziel, die Heilig- oder Seligsprechung abzuwenden. [XXVII: 316,32] Kant erwähnt die 1767 auf Deutsch herausgekommene Schrift des Jean François Marmontel Bélisar […] nebst der glücklichen Familie auch in der 1798 erstmals erschienenen Anthropologie in pragmatischer Hinsicht: „oder mit dem Prediger Hofstede in seinem Angriff auf Marmontels Belisar selbst einen Sokrates zu verleumden, um ja zu verhindern, daß irgend jemand an die Tugend glaube, ist ein an der Menschheit verübter Hochverrath.“ (VII: 153) [XXVII: 316,32a] Die Schrift Des Herrn Marmontels herausgegebener Belisar beurtheilt, und die Laster der berühmtesten Heiden angezeigt, zum Beweise, wie unbedachtsam man dieselben ihrer Tugenden wegen selig gepriesen […]. Aus dem Holländischen übersetzt ist zwar schon 1769 herausgekommen, jedoch ist erst am 10. Mai 1771 in den Königsbergischen Gelehrten und Politischen Zeitungen eine kurze Besprechung erschienen. Damit dürfte auch ein Datum gesetzt sein für eine Kenntnisnahme durch Kant. [XXVII: 316,34] Das Thema ist schon p. 123 kurz angesprochen worden. Der Sache nach handelt es sich um eine Erörterung über die Bedeutung oder Funktion, die der christlichen Offenbarungsreligion für die Lebensführung zugebilligt wird: Hat der Ahnherr der abendländischen Philosophie, der lange vor Jesus Christus lebende Sokrates, ein wirklich tugendhaftes Leben führen bzw. die Tugend lehren können? – In Königsberg hat Johann Georg Hamann schon 1759 durch seine anonym erschienenen Sokratischen Denkwürdigkeiten dazu eingehend Stellung genommen. Ganz zweifellos hat
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mag nun erdichtet oder wahr seyn, als vollkommen tugendhafft schildern höre und dieses Bild noch vollkommener zu machen suche, als daß ich Flekken darin aufsuchen und ausknuweln sollte; es erhebt doch meine Seele zur Nachahmung in der Tugend, es ist eine Triebfeder für mich. Wer aber solchen Unglauben wieder die Tugend und den Keim des Guten im Menschen predigt, der will damit soviel sagen, daß wir alle zusammen von Natur Spitzbuben seyn, und daß keinem Menschen zu trauen wäre, der nicht durch die Gnade und den Beystand Gottes erleuchtet wäre. Allein diejenigen bedenken nicht, daß eine solche Gesellschafft von Grundbösen Menschen gar nicht des göttlichen Beystandes würdig wäre. Denn die Idee des 120teuflischen [170] Bösen ist was gantz rein ist in seiner Art, wo gar kein Keim zum Guten, ja nicht einmal ein guter Wille, so wie wieder das Englische oder himmlische Gute gantz rein vom Bösen ist. Allein alsdenn ist ja nicht möglich, daß solche Menschen Beystand haben können, denn sonst müste sie Gott neu umschaffen aber nicht beystehen. Also hat der Mensch Tugend und der Eigendünkel seiner Tugend wird schon durch die Reinigkeit des moralischen Gesetzes unterdrükt. Demnach muß man an Tugend glauben. Wäre das nicht, so würde der ärgste Dieb eben so 120
teuflischen Hg.] teuflichsen Kae] Kant diese Schrift gekannt; vgl. dazu oben die Anmerkung zu p. 85 bzw. den Brief Nr. 17 der AA-Kant (Hamann an Kant, Dezember 1759). – Auch in dem mit der Moral-Kaehler etwa zeitgleichen Kantischen AnthropologieKolleg findet sich ein ähnlicher Hinweis auf diese Sokrates-Debatte; vgl. Friedländer (Ms germ. qu. 400, p. 143 / XXV: 512). Freilich hat dort – in der Anthropologie – Sokrates von Beginn an (1772/73) die Rolle einer Leitfigur; vgl. Collins p. 6, Parow p. 9, 32, 121, 186. – Der Umstand, daß sich für das Moral-Kolleg der 1770er Jahre (Kaehler / Powalski) kein Fixpunkt für die thematisch und chronologisch naheliegende Annahme einer Bezugnahme auf die 1772 herausgekommene, sehr umfangreiche Schrift von Johann August Eberhard: Neue Apologie des Sokrates, oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden hat ermitteln lassen, scheint dafür zu sprechen, daß Kant diese nicht zur Kenntnis genommen bzw. sich nicht darauf bezogen hat. – Anders die Wertung in XXV: Friedländer Kommentar-Nr. 031.
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gut seyn als ein anderer, indem er doch schon in sich den Keim zum Stehlen hat, nur die Umstände fügten es daß Er es ist und der andere nicht. Viele haben behauptet, daß im Menschen kein Keim zum Guten, sondern zum Bösen ist und nur der 83eintzige Rousseau hat angefangen das Gegentheil zu behaupten. Dieses ist der moralische Unglaube. Der zweyte Unglaube ist der ReligionsUnglaube. Wenn man nicht glaubt, daß es ein Wesen gebe, welches sowohl den guten Gesinnungen Zulänglichkeit zum göttlichen Wohlgefallen als auch unserm Wohlverhalten gehörige Folgen ertheile. Wir finden uns durch ein moralisches Gesetz angewiesen zu guten Gesinnungen als Principien unserer Handlungen und durch die Billigkeit dieses Gesetzes werden wir zur gewissen Praecision dieses Gesetzes adstringiret, so daß wir ein heiliges Gesetz haben. Allein dieses Gesetz können wir nicht so rein ausüben, unsere Handlungen sind dem Gesetze nach sehr unvollkommen, so daß sie in unsern Augen selbst tadelhafft seyn, wenn wir nur unsern innerlichen Richter [171] der nach diesem Gesetz urtheilt nicht übertäuben und 84ihm Ferien geben; der dieses ansieht der müste zuletzt aufgeben solches Gesetz zu beobachten, weil er für einen solchen heiligen und gerechten Richter nicht bestehen könnte. Der Mensch findet sich also nach dem moralischen Gesetz sehr fehlerhafft. Allein der Glaube an eine himmlische Ergäntzung unserer Unvollständigkeit in der Moralitaet ersetzt unsern Mangel. Wenn wir nur gute Gesinnungen hegen und uns aus allen unsern eigenen Kräften bemühen das moralische Gesetz zu erfüllen, so können wir hoffen, daß der Himmel Mittel haben werde solcher Unvollständigkeit abzuhelfen. Wenn wir uns also nur mit aller Gewalt bemühen das moralische Ge-
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[XXVII: 317,17] Vgl. oben die Hinweise zu p. 16. [XXVII: 317,30 Lücke] Wie in XXV: (Col-Nr. 130) nachgewiesen, geht diese Redeweise zurück auf den satirischen Roman Hudibras von Samuel Butler. Im 5. Gesang, der deutschen Übersetzung des Jahres 1765, heißt es S. 227: „Warum soll das Gewissen nicht eben so wol seine Vacanzen haben, als andere Gerichtshöfe?“
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setz zu erfüllen, alsdenn sind wir auch würdig des himmlischen Beystandes. Hat nun jemand diesen Glauben, so ist das der ReligionsGlaube in Ansehung unseres Verhaltens und der erste Theil des Glaubens. Der andere ist nur als eine Folge anzusehen, nemlich: Wenn wir uns so verhalten haben, so können wir hoffen einer Belohnung. Es giebt also einen Unglauben in der natürlichen Religion, und die Ursache aller Ceremonien in der Religion ist der Unglaube. Denn die Menschen glauben dadurch die Moralitaet zu ersetzen. Sie suchen Gott durch unmoralische Handlungen zu gewinnen. Wenn also der wahre ReligionsGlaube fehlt, so entspringt daraus, daß man, weil man Unvollständigkeit in sich findet und deswegen statt dessen an die himmlische Ergäntzung glauben sollte, [172] zu Ceremonien, Wallfahrten, Casteyungen, Fasten schreitet, wodurch man selbst seine Unvollständigkeit ergäntzen will, und das läßt man nach, was ihn eines himmlischen Beystandes würdig machen könnte. Erbauung bedeutet die Vollführung einer thätigen, practischen Gesinnung so fern sie aus der Andacht entspringt. Menschen können andächtig seyn ohne daß sie sich erbauen. Erbauen heißt soviel als etwas bauen, wir müssen also ein appartes Gebäude der Gesinnung der Sittlichkeit errichten, dieses hat zum Fundament die Erkenntniß von Gott, die den sittlichen Gesetzen Nachdruk, Leben und bewegende Krafft giebt. Die Erbauung ist also eine Würkung der Andacht; eine Vollendung einer würklich thätigen Gesinnung des Hertzens dem Willen Gottes gemäß zu handeln. Wenn also gesagt wird, der Prediger hat erbaut gepredigt, 121bedeutet es nicht, daß er dadurch was gebaut hat, sondern daß dadurch eine Erbauung möglich sey, ein System von thätigen practischen Gesinnungen aufzurichten; alsdenn ist noch nichts gebaut, denn es ist ja noch nichts, der Mensch kann erst die Wahrheit seiner Erbauung aus seinem nachfolgenden Leben schlüssen; und der Prediger eben aus den Folgen die seine Erbauung hervorgebracht. Der Unterschied 121
bedeutet es Hg.] bedeutet Kae]
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des Predigers besteht also nicht in Worten, äussern Ausdrükken, Stimme p sondern so ferne seine Rede Krafft hat, Gebäude der Gottesfurcht in den Zuhörern zu errichten. Erbauen will also viel sagen, und erbaut seyn ist wenn ein Gebäude der Gottseligkeit in ihm errichtet ist. [173] Autor redet noch von der theoretischen und practischen Erkenntniß von Gott, wovon wir *schon oben etwas erinnert haben. Zur Speculation in Ansehung Gottes gehöret viel, sie gehört aber nicht zur Religion, sondern die ReligionsErkenntniß muß practisch seyn. Theologie kann zwar speculative Erkenntniß enthalten, die aber in soweit nicht zur Religion gehören. Rechtschaffene Lehrer werden also speculative Erkenntnisse aus der Religion weglassen, damit der Mensch desto aufmerksamer aufs practische werde. ReligionsGrübeley Spitzfindigkeit können als Hindernisse der Religion angesehen werden, indem sie vom practischen abwendig machen. Um nun zu wissen, was zur Religion und Speculation gehöre, so muß man folgende Prüfung anstellen, was keinen Unterscheid in meinen Handlungen macht, es mag so oder anders beantwortet werden, gehört nicht zur Religion sondern Speculation, wenn also die Regel des Verhaltens dieselbe bleibt, so gehörts zur Speculation und nicht zur Religion – Autor redet von der Zufriedenheit des Göttlichen Willens. Man kann geduldig seyn aus Noth, weil man es nicht andern kann, weil das Klagen vergeblich ist, diese scheinbare Zufriedenheit ist nicht mit der moralischen Bonitaet und dem göttlichen Willen, sondern diese Zufriedenheit mit dem göttlichen Willen besteht im Wohlgefallen und Vergnügen an der göttlichen Regierung. Weil diese Zufriedenheit allgemein ist, [174] so muß sie in allen Zuständen angetroffen werden, in die man nur immer gelangen kann, sie mögen seyn, wie sie wollen gute oder schlechte. Ist auch solche Zufriedenheit möglich? Wir müssen den Menschen nicht heuchlerisch machen, es ist wieder die Natur des Menschen in Kummer und Noth zu seyn und Gott noch davor zu danken; denn danke ich Gott davor, so bin ich zufrieden und denn ist es kein Kummer, wie soll man aber davor danken, was man wünscht, daß es nicht geschehen wäre.
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Allein bey aller Noth und allen Drangsahlen ist es doch gleichwohl möglich eine Ruhe und Zufriedenheit zu besitzen, wir können traurig und doch zufrieden seyn ohne daß man Gott davor danken soll. Durch die Vernunfft können wir zufrieden seyn obgleich nicht durch die Sinne, wir können durch die Vernunfft einsehen, welches uns auch einen Grund zum Glauben giebt daß der Regierer der Welt nichts thue, was nicht einen Zwek haben sollte, demnach haben wir Trost bey den Uebeln des Lebens, aber nicht über die Uebel des Lebens, es ist eine Wakkerheit und Zufriedenheit mit dem gantzen Lauf des Lebens. Wir können Gott auf eine zwiefache Art was verdanken, wir können entweder seiner ausserordentlichen Direction was zu verdanken haben, oder seiner allgemeinen Vorsorge. Das erste ist Vorwitz unsers Urtheils über seine Regierung und Zwekke. Dagegen das Urtheil nach welchem wir Gott seiner [175] allgemeinen Vorsorge etwas beymessen, ist der pflichtmässigen Bescheidenheit, die wir in der Beurtheilung der Wege Gottes zu beobachten haben, angemessen. Die Wege Gottes sind göttliche Absichten, die die Regierung der Welt bestimmen, diese müssen wir nicht besonders bestimmen, sondern generaliter urtheilen, daß darin Heiligkeit und Gerechtigkeit hersche. Es ist Vermessenheit, die besondern Wege Gottes erkennen zu wollen und die Absicht bestimmen zu wollen. Und eben so vermessen ist es, das Gute, was uns besonders wiederfährt, in Ansehung unser bestimmen zu wollen. zE Man hat in der Lotterie gewonnen, und man will Gott als eine besondere Schikkung von ihm zuschreiben, es liegt zwar im Allgemeinen der göttlichen Vorsehung, aber daß ich als ein Glükskind von Gott sollte ausersehen worden seyn, ist vermessen, erkennen zu wollen. Gott hat allgemeine Absichten und Zwekke und es kann etwas eine Nebenfolge einer grössern Absicht seyn, aber nicht eine besondere Absicht Gottes, sondern eine Ausführung einer grössern Absicht. Solche Personen demnach, die alle besondern Vorfälle der Vorsicht Gottes zuschreiben, und sagen, Gott hätte sie mit Wohlthaten und Glük überhäuft, glauben darin gottesfürchtig zu seyn, und meynen, solches gehöre zur Religion, und daß man
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Respect vor Gott haben soll, den sie darin setzen, daß sie alles unmittelbar seiner speciellen Direction zuschreiben. Es liegt [176] alles in der allgemeinen Vorsorge. Es ist daher besser nichts in seinen Reden von den Absichten Gottes besonders bestimmen zu wollen. Im Lauf der Welt im gantzen genommen gründet sich alles auf den gütigen Vorsorger, und wir können hoffen, daß alles im Allgemeinen nach der Vorsicht Gottes geschehe. Das Allgemeine der Natur soll unsere Dankbarkeit auffordern, und nicht besondere Umstände, die zwar in Ansehung unser uns mehr angehen, so ist es doch nicht so edel. Die Entsagung Resignation in Ansehung des göttlichen Willens ist unsere Pflicht. Wir entsagen unserm Willen und übergeben es einem andern, wenn wir einsehen, daß er es besser versteht und es mit uns Gut meynt. Wir haben also freylich Ursache, Gott alles zu übergeben und dem göttlichen Willen schalten zu lassen, das heißt aber nicht, wir sollen nichts thun und Gott alles thun lassen, sondern wir sollen das, was nicht in unserer Gewalt steht Gott übergeben und das thun, was wir thun sollen und was in unserer Gewalt steht. Und das ist die Uebergebung des göttlichen Willens.
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Glauben nehmen wir *hier in dem Sinn, daß wir das Beste thun sollen, was in unserer Gewalt ist und zwar in der Hoffnung, daß Gott nach seiner Gütigkeit und Weisheit [177] unsere Gebrechlichkeit unseres Verhaltens ersetzen werde. Es bedeutet der Glaube also das Zutrauen, daß Gott das was nicht in unserer Gewalt ist ersetzen werde, wenn wir alles das, was in unserer Gewalt ist werden gethan haben. Dieses ist der Glaube der Demuth und Bescheidenheit, der mit Ergebenheit verbunden ist; dieser Glaube schreibt nichts vor, sondern thut das, was nach seinem Vermögen zu thun seine Pflicht ist, und hoffet ohne Bestimmung einer Ergäntzung, von solchem kann man sagen, er hat einen unbedingten Glauben, dieses ist der practische Glaube.
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Der praktische Glaube besteht also nicht darin, daß Gott unsere Absichten erfüllen werde, wenn wir nur ihm fest zutrauen, sondern daß wir durch unsern Willen Gott auf keine Weise was vorschreiben, sondern seinem Willen überlassen, er werde durch Mittel, die er am besten weiß, unserer Gebrechlichkeit und Unvermögen abhelfen, wenn wir nur das, was nach unserm natürlichen Vermögen möglich ist, werden gethan haben. Das fleischliche Vertrauen besteht im festen Zutrauen, wodurch man Gott zu bewegen sucht unsern fleischlichen Neigungen ein Gnüge zu leisten; Fleischliche Absichten betreffen jede Befriedigung unserer Neigung, die aufs sinnliche gerichtet ist. Fleischliches Vertrauen ist, wo wir die weltlichen Zwekke unserer Neigung selbst bestimmen. Hievon können wir nicht glauben, daß unser Zutrauen der Befriedigung unserer Neigung könne ein [178] Bewegungsgrund seyn, daß es Gott auch thun werde. Die Zwekke der Gottheit müssen von Gott determiniret werden, wir können 122keine weltliche Zwekke determiniren. Der eintzige Gegenstand des geistigen Vertrauens ist die reine Sittlichkeit die Heiligkeit des Menschen, und denn seine ewige Glükseligkeit unter der Bedingung der Sittlichkeit, darauf können wir mit aller Sicherheit ein Vertrauen setzen und in Ansehung dieses können wir ein unbedingtes Vertrauen haben. Ein fleischliches Vertrauen Auf Gott haben, nennt der Autor Tentatio Dei, Gott versuchen, das heißt probieren, ob unser Zutrauen zu Gott nicht ein BewegungsGrund seyn kann unsere fleischliche Absichten zu erfüllen. Es ist ein Versuch ob wir nicht durchs Zutrauen Gottes die göttlichen Rathschlüsse nach unserm Urtheil bestimmen können. Ich kann mit Vernunfft auf nichts vertrauen, daß es Gott thun werde, als was im allgemeinen Plan seiner Weisheit beschlossen ist, da ich nun dieses nicht wissen kann so ist es ein vermessenes Zutrauen die Zwekke der göttlichen Weltregierung zu bestimmen und zu glauben mein thörigter Wunsch liege in dem Plan der Weisheit. Wer also Gott 122
keine weltliche Kae] Mnz 120,12] XXVII: 321,23] keine göttlichen nur weltliche Hg?]
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durch zeitliche Wünsche zu bewegen sucht vom höchsten Plan der Weisheit abzugehen und jedem von seinem Wunsche Gnüge zu thun, der versucht Gott. Es ist eine Verletzung Gottes. Was soll man nun von 123solchen sagen, die da glauben, dieses sey der rechte Glauben? Damit aber unser Zutrauen mit dem Plan der Weisheit [179] übereinstimme, so muß unser Zutrauen ein weises Zutrauen seyn, wenn wir nemlich vertrauen, daß Gott das thue was mit seiner Weisheit übereinstimme, denn weil wir dieses nicht wissen, so können wir es nicht bestimmen, demnach muß unser Vertrauen unbedingt seyn, welches überhaupt vertraut, daß Gott nach seiner Gütigkeit und Heiligkeit sowohl in Ansehung des Sittlichen uns einen Beystand leisten werde, als auch die Glükseligkeit uns zu theil werden lasse. Unser Verhalten gegen Gott ist von dreyerley Art: Wir können Gott ehren, Gott lieben, und Gott fürchten. 85Wir ehren Gott als einen heiligen Gesetzgeber, wir lieben Gott als einen gütigen Regierer und fürchten Gott als einen gerechten Richter. Gott ehren ist sein Gesetz als heilig und gerecht ansehn und es veneriren und dasselbe in seiner Gesinnung zu erfüllen suchen. Wir können jemand äusserlich beehren, aber die Verehrung entspringt aus der Gesinnung des Hertzens. Das moralische Gesetz ist in unsern Augen hochachtend, hochschätzend und ehrenwerth. Betrachten wir nun Gott als den Gesetzgeber dieser Gesetze, so müssen wir ihn auch nach der höchsten moralischen Würde ehren. Giebts noch andere Fälle Gott practisch zu ehren? Wir können zwar Gott bewundern, über seine Grösse und 124Unermeßlichkeit in Erstaunen gerathen, auch unsere Niedrigkeit gegen ihn erkennen, allein Gott ehren können wir nur allein der Moralitaet nach. Wir können auch einen [180] Menschen nicht anders verehren als nach seiner Moralitaet, seine 123 124
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solchen Hg.] solchem Kae] Unermeßlichkeit Hg.] Ermeßlichkeit Kae] | Mit Mnz S. 121,20 f. ‚Unermeßlich‘ im Text der Vorlesung auch p. 332 f. [XXVII: 322,06] Vgl. die Erläuterung zu p. 149.
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Geschiklichkeit und Fleiß können wir bewundern aber nicht ehren. Gott lieben können wir nur ihn als einen gütigen Regierer lieben, nicht wegen seiner Vollkommenheiten, denn die sind für ihn sie sind bewunderungswürdig, aber nicht liebenswürdig; den können wir nur lieben, der im Stande ist uns was gutes zu erzeigen; wir lieben also in Gott nur den göttlichen Willen. Die Furcht Gottes geht nicht auf Heiligkeit oder Gütigkeit, sondern auf die Gerechtigkeit seines Gerichts, als gerechter Richter muß Gott gefürchtet werden. Die Furcht Gottes ist zu unterscheiden von der Furcht vor Gott. Die Furcht vor Gott ist, wenn man sich eines Vergehens schuldig findet; die Furcht Gottes ist aber, die Gesinnung zu haben, sich so zu führen, daß man vor ihm bestehen kann. Der Gott fürchtet, führet sich so auf, daß er nicht nöthig hat sich vor Gott zu fürchten. Also ist die Furcht Gottes ein Mittel wieder die Furcht vor Gott. Wenn die Furcht Gottes mit der Liebe zu Gott verbunden ist, so heißt sie denn die kindliche Furcht, 86wenn man seine Gebothe gern und aus guter Gesinnung thut. Dagegen die Furcht vor Gott eine sklavische Furcht ist, und entstehet daher, wenn unser Gehorsam in Ansehung Gottes ungern seinen Gebothen folgt, oder man fürchtet sich vor Gott, wenn man entweder seine Gebothe übertreten hat, oder noch Lust hat sie gerne zu übertreten, denn fürchtet man sich schon zum voraus, wenn man sich seiner hertzlichen Neigung [181] seine Gebothe zu übertreten bewust ist. 87Nachahmung Gottes ist nicht gut gewehlt. Wenn 86 87
[XXVII: 322,32] Siehe die Erläuterung zu p. 64. [XXVII: 322,37] Im Rahmen der Vorlesung ist dies die erste von zwei Stellen, wo „Nachfolge“ von „Nachahmung“ positiv abgesetzt wird; vgl. p. 203 f. – In der Grundlegung findet sich eine solche Entgegensetzung nicht, wohl aber die Ablehnung der „Nachahmung“ (IV: 409,03). Die R: 778 (XV: 340 f.) zeigt, daß „Nachfolge“ der jüngere Terminus in diesem Begriffspaar ist. Die Vorlesung zeigt, daß eine mit der „Idee“ bzw. einem „Urbild“ assoziierte „Nachfolge“ nicht allein auf dem Gebiet der Ästhetik (V: 309, 318 f.) sondern auch in der Moral (V: 85, 283) und der Religion (VI: 64, 82, 128, 160, 162) angesiedelt ist. – Eine positiv besetzte „Nachfolge“ eröffnet für
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Gott sagt seyd heilig, so ist das nicht, wir sollen ihm nachahmen, sondern dem Ideal der Heiligkeit nachzugehen, welches wir nicht erreichen können. Ein Wesen, was der specie nach verschieden ist, kann unmöglich nachgeahmt werden, aber wir können Folge leisten und gehorsam seyn. Es soll dieses Urbild nicht nachgeahmt werden, sondern wir müssen suchen, demselben conform zu seyn.
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Allgemein erwogen scheint es, daß das Gebeth in Ansehung des höchsten Wesens unnöthig sey. Denn unsere Bedürfniß ist dem höchsten Wesen besser bekannt als uns. Der Wunsch der Creatur, er mag durch Worte ausgedrukt seyn oder nicht, ist Gott bekannt. Alle unsere Erklärung in Ansehung unserer Bedürfniß scheint unnütz zu seyn, weil Gott unsere Dürftigkeit und Beschaffenheit unserer Gesinnung offenbar einsieht. Die Declaration unserer Gesinnung durch Worte ist eben so unnütz, denn Gott sieht unser innerstes, und wir brauchen es daher ihm nicht durch Worte zu declariren. Objectiv sind also die Gebethe gantz unnöthig. Eine Declaration ist nur gegen solche Wesen nöthig, die es nicht wissen, was man verlangt. Die Gebethe sind Menschen einen Weg zwischen der bloßen „Nachäffung“ und der Originalproduktion eines gottähnlichen „Genies“. Die Nachschriften der ersten Anthropologie-Vorlesung (1772/73) kennen die Disjunktion sicher nicht; vgl. Collins p. 65, 81, 145; Parow p. 42, 177, 201, 216, 305. In den Druckschriften begegnet „Nachfolge“ erstmals im 1776 erschienenen Aufsatz über das ‚Dessauer Philanthropin‘ (II: 448,22); vgl. auch III: 249,02; 540,03. – In den Notaten zu den Initia ist „Nachfolge“ nicht belegt; zu „nachahmen“ vgl. R: 6887, 7185 bzw. die Moral-Herder XXVII: 033,27 ff. zu § 92 der Ethica von Baumgarten, wo „imitatio“ mit „Nachahmung“ übersetzt ist. Zu Herder’s Zeit wird die „Nacheiferung“ als Alternativ-Terminus benutzt (XXVII: 056,06 ff.). Zur späteren Ablehnung der Nachahmung vgl. auch VII: 293,03. – Für die christliche Tradition sei hier nur kurz verwiesen auf (Paulus, 1. Korinther 11,1), wo es in der Luther-Übersetzung von 1545 heißt: „Seid meine Nachfolger / gleich wie ich Christi.“
sectio 7: Preces internae §§ 93 ff.
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aber subjectiv [182] nöthig, nicht damit Gott, der der Gegenstand ist, zu dem man sich richtet, etwas erfahre und dadurch bewogen werde, solches zu ertheilen, sondern um unseres Subjects willen. Wir Menschen können unsere Begriffe nicht anders faßlich machen als sie in Worte einzukleiden, wir kleiden also unsere fromme Wünsche und unser Zutrauen in Worte ein, damit wir sie uns lebhafter vorstellen können. Dagegen giebts Gegenstände des Gebeths, die nicht zur Absicht haben moralische Gesinnungen vermittelst des Gebeths in uns zu errichten, sondern die auf die Bedürfnisse abgezielet sind, und denn ist das Gebet niemalen nöthig zE. Man ist in einer Noth, denn ist das Gebet objectiv nicht nöthig; denn Gott weiß es, daß ich in Noth bin, und subjectiv auch nicht, indem ich mir hier den Begrif nicht lebhafft vorzustellen nöthig habe. Gebethe sind demnach in moralischen Absichten nöthig, wenn sie in uns eine moralische Gesinnung errichten sollen, aber niemaln in pragmatischen Absichten als Mittel der Erwerbung unserer Bedürfnisse. Sie dienen dazu die Moralitaet in dem Innersten des Hertzens anzufeuren, sie sind Mittel der Andacht. Die Andacht aber bestand darin, daß wir uns üben, daß die Erkenntniß Gottes in Ansehung unseres Thuns und Lassens einen Eindruk mache; die Gebete sind nun solche AndachtsUebungen. Es ist überhaupt etwas wiedersinniges, daß man mit Gott reden wolle, wir können nur mit dem reden, den wir sehen können, da wir aber [183] Gott nicht anschauen können, sondern nur glauben, daß ein Gott ist, so ist es gantz wiedersinnig, mit dem zu reden, den man nicht anschaut sondern glaubt. Das Gebet hat also nur einen subjectiven Nutzen, es ist eine Schwäche des Menschen, daß er seine Gedanken durch Worte ausdrükken muß, er redet alsdenn, wenn er betet mit sich selbst, und drükt seine Gedanken durch Worte aus, damit er sich nicht irre, und deswegen ist es auch wiedersinnig, aber ohnerachtet dessen doch ein subjectiv nothwendiges Mittel seiner Seele Stärke zu geben und seinen Gesinnungen zu guten Handlungen Krafft zu geben. Gemeine Menschen können offt nicht anders als laut beten, indem sie nicht im Stande sind im Stillen nach-
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zudenken. Das laute Beten ihnen aber grössern Nachdruk giebt, wer sich aber übt seine Gesinnungen in der Stille zu eröfnen, bedarf nicht laut zu beten. Wenn nun die moralisch Gott devote Gesinnung in Person Stärke genug hat, so brauchen solche Menschen alsdenn gar nicht den 88Buchstaben des Gebets, sondern den Geist des Gebets; wer schon in Uebung ist, Ideen und Gesinnungen zu haben, der hat die Mittel der Worte und der Declaration nicht nöthig, wenn ich dieses vom Gebet wegnehm so bleibt der Geist des Gebets übrig, das ist die Gott devote Gesinnung, die Richtung des Hertzens zu Gott, sofern wir im Glauben zu ihm das Zutrauen fassen, er werde unsere moralische Gebrechlichkeit ergäntzen und die Glükseligkeit ertheilen. Der Geist [184] des Gebets findet ohne allen Buchstaben statt. Der Buchstabe hat keine Absicht in Ansehung Gottes, indem Gott unmittelbar in die Gesinnung sieht. Deswegen ist doch aber der Buchstabe des Gebets nicht tadelhafft, sondern wenn es feyerlich zE. in der Kirche p geschicht, so hat es bey jedem Menschen grossen Effect; an und vor sich selbst ist der Buchstabe todt. Woher kommts, daß Menschen, die da beten, ihre Stellung, die sie sonst im gemeinen Leben haben, verändern, und wenn sie darin betroffen werden sich schämen? Weil es wiedersinnig ist Gott seine Wünsche zu declariren, da er sie doch weiß, und weil es eine Schwäche des Menschen ist, seine Gesinnungen in Stimme und Worte einzukleiden. Dieser Gebrauch des Mittels ist aber der Schwäche des Menschen angemessen. Auf den Geist des Gebets kommt alles an. 89Im Evangelio wird wieder das laute und öffentliche Gebet auf den Strassen geeifert. Das Gebet, das in eine Formel eingekleidet ist, nemlich
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[XXVII: 324,14] Vgl. die zu p. 90 zitierte Bibel-Stelle. [XXVII: 324,34] Bibel, NT, Matthäus 6,5–6: „Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen und beten in den Schulen und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen werden. […] Wenn du aber betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; […].“
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das 90Vater Unser enthält nur das Nothdürftigste unserer Bedürfnisse, und lehrt uns, daß man keine Wortreiche Gebete haben soll, sondern daß die Gebete auf Gesinnung gehen sollen. Kein Gebet muß ein bestimmendes Gebet seyn, als das, welches auf moralische Gesinnungen geht, und darum kann ich categorisch und unbedingt beten, um alles übrige muß ich bedingter Weise beten. Warum ist aber nöthig eine Bedingung zu proponiren, wodurch ich doch gestehe, daß meine [185] Bitte dumm und mir selbst nachtheilig seyn könnte, die Vernunfft sagt uns also, daß unsere Gebete gar nichts bestimmendes enthalten sollen, sondern überhaupt in Ansehung unserer Bedürfnisse es der Weisheit Gottes überlassen und von ihr das ertheilte annehmen. Weil aber die Menschen schwach sind, 91so giebt das Evangelium Erlaubniß in weltlichen Angelegenheiten bedingt zu beten. Bestimmende Gebete sind als Vorwitzige anzusehen, denn der Eigendünkel ist verkehrt; ich würde selbst erschrekken, wenn Gott mir besondere Bitten gewähren möchte; denn ich könnte nicht wissen, ob ich mir nicht selbsten das gröste Unheil auf den Hals gewünscht hätte. Bestimmende Gebete sind 125unglaubliche, denn ich bitte unter einer Bedingung, und glaube nicht, daß es gantz gewiß erhört werde, denn sonst würde ich nicht mit Bedingung beten. Allein Gebete im Glauben, sind gar nicht bestimmende sondern allgemeine. Wer aber Gott vorschreibt und gerne haben wollte, daß es so einmal nach seiner Manier gehen sollte, der hat kein Zutrauen zu Gott. Der Geist des Gebets, der uns zu guten Handlungen geschikt macht,
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unglaubliche, Hg.] ungläubliche, Kae] | Im Ms ‚ungläubliche‘ überschrieben aus ‚ungläubige‘.
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[XXVII: 324,36 Lücke] Bibel, NT, Matthäus 6,9–13: „Darum sollt ihr also beten: Unser Vater […] Amen.“ [XXVII: 325,08] Bibel, NT, Matthäus 21,22: „Und alles, was ihr bittet im Gebet, so glaubet, werdet ihr’s empfangen.“ / Markus 11,24: „Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, so glaubet nur, daß ihr’s empfangen werdet, so wird’s euch werden.“
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ist das Vollkommene was wir suchen, der Buchstabe ist aber nur ein Mittel zum Geist zu gelangen. Demnach müssen die Gebete nicht als eine besondere Art Gott zu dienen angesehen werden, sondern nur als ein Mittel die Gott devote Gesinnung zu erwekken. Wir dienen nicht Gott mit Worten, Ceremonien und Grimassen, sondern [186] wenn wir die Gott devote Gesinnung in unsern Handlungen äussern. Der also gebetet hat, hat dadurch noch nichts Gutes gethan, sondern sich nur geübt, Gutes in seinen Handlungen zu äussern. Wir müssen alles removiren von dem, was practisch gut ist und den reinsten Begrif aufsuchen. Das Resultat ist also, daß das Gebet die Bonitaet eines Mittels hat. Wenn nun die Gebete, die nur den Werth des Mittels haben, für eine besondere Art Gott zu dienen und für unmittelbares Gute angesehen werden, so ist dieses ein falscher Wahn der Religion. Ein Irthum in der Religion ist noch eher zu verzeihen, als ein Wahn der Religion, denn die IrrReligion kann gebessert werden, aber der Wahn, nicht allein, daß er nichts hat, sondern er wiedersteht auch noch der Realitaet der Religion. Das Gebet scheint eine Vermessenheit und ein Mißtrauen auf Gott zu erwekken, als wenn man Gott nicht zutraue, daß er das nicht wüsse, was uns nützlich ist. Auf der andern Seite scheint das anhaltende unablässige Bitten eine Versuchung Gottes zu seyn, wodurch wir dennoch Gott bewegen wollen unsere Willkür zu befriedigen. Es frägt sich, ob ein solches anhaltendes Gebet von Effect sey? Ist das Gebet im Glauben geschehen, und hat man den Geist und nicht den Buchstaben des Gebets, so ist dies Zutrauen auf Gott ein Bewegungsgrund der Ertheilung der Bitte; die Bestimmung des Gegenstandes des Gebets ist aber kein Bewegungsgrund, der Gegenstand [187] des Gebets muß allgemein und nicht determinirt seyn, wo sich die Weisheit Gottes am allergemessensten hervorthun kann. Allgemein ist das Gebet aber, wenn wir um die Würdigkeit 126aller Wohlthätigkeit, die uns Gott zu geben bereit ist, bitten; und ein solches Gebet ist erhörlich, denn es ist moralisch und also der Weisheit Gottes gemäß; 126
aller Kae] all der Hg?] zu aller Hg?]
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im zeitlichen ist aber die bestimmte Bitte unnöthig, denn alsdenn muß man immer zusetzen, wofern es Gott anständig ist, diese Bedingung hebt aber schon die Bestimmung auf. Obgleich aber bestimmte Bitten unnöthig sind, der Mensch aber ein hülfloses, unvermögendes Geschöpf ist, welches mit Ungewissenheit des künftigen Glüks umgeben ist, so ist dem Menschen nicht zu verdenken, wenn er bestimmt bittet zE. Auf der See 127nicht in Noth zu seyn. Es ist eine Aeusserung der Bedürfniß eines hülflosen Geschöpfs in der grösten Noth. Diese Bitte ist in so fern erhört, indem das Zutrauen ein BewegungsGrund seyn kann, daß Gott ihm entweder diese Bitte gewehre, oder ihm auf eine andere Art helfe, ob man gleich nicht fest glauben kann, daß Gott ihn gerade den Gegenstand ertheilen werde. Im Glauben beten heißt das von Gott bitten, wovon man auf eine vernünftige Weise hoffen kann, Gott werde ihm solches ertheilen, also muß ich nur um das bitten, wovon ich fest hoffen kann, und überzeigt bin, daß dieses ein Gegenstand [188] ist, den mir Gott gewehren wird. Dieses sind nur geistlichen Gegenstände; bitt ich nun darum aus reiner Gesinnung, so ist mein Gebet aus dem Glauben und denn bin ich auch der Ergäntzung meiner moralischen Gebrechlichkeit würdig. Bitte ich aber um zeitliche Güter, so kann ich von denen nicht vernünftiger Weise hoffen, Gott werde mir solches gewehren, also kann ich darum nicht im Glauben beten. 92Man sagt sonst jedes Ge127
nicht in Hg.] in Kae] | Mnz S. 127,02 hat einfach „in Not.“ ohne Hilfsverb. – Beide Versionen sind möglich. Entweder denkt man an ein Gebet vor der Abreise: ‚Auf der See nicht in Noth zu seyn.‘ oder während der Reise: ‚auf der See in Noth um Rettung.‘
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[XXVII: 326,30 Lücke] Möglicherweise sind Bibel-Stellen wie die zu p. 185 zitierten gemeint; nimmt man ‚erhörlich‘ als Stichwort, so zeigt der WordCruncher für die Abtlg. der Kantischen Werke die folgenden Stellen: VI: 196 Anm. / VII: 010,29; 056,07. – Vgl. Auch Bibel, NT, Johannes 9,31: „Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht hört; sondern so jemand gottesfürchtig ist und tut seinen Willen, den hört er.“ bzw. Hebräer 5,7: „[…], und ist auch erhört, darum daß er Gott in Ehren hatte.“
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bet, was im Glauben geschicht, ist erhörlich; dieses ist wahr, allein es ist ein identischer Satz, und heißt soviel, man muß um nichts anders bitten, als wovon man hoffen kann, Gott werde es erhören, also um Verlängerung des Lebens zum Exempel kann man nicht im Glauben beten, denn davon kann man nicht vernünftiger Weise hoffen, Gott werde es gewehren. Demnach sind das keine Gebete im Glauben, wo die Menschen aus inbrünstigem und innerlichem Zutrauen auf Gott um zeitliche Güter beten und dadurch ihre Bitte zu erkünsteln suchen. Im Glauben kann ich nur beten um die Würdigkeit der Güte Gottes, hievon kann ich gewiß glauben, daß Gott mich erhören werde. 93Der Geist ist also vom Buchstaben des Gebets zu unterscheiden, der Geist des Gebets ist die Gott devote Gesinnung, der Buchstabe ist nur in Ansehung unser so fern nöthig in uns den Geist des Gebets zu erwekken. Beten ist also eine Handlung der Andacht; wenn die Uebung im Beten also dahin gerichtet ist, damit das Gebet in uns thatige und practische Gesinnungen, die sich in Handlungen [189] äussern, erwekke, denn ist das Gebet andächtig.
Autor redet von der Reinigkeit der Religion.
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Rein ist entgegen gesetzt dem Vermischten oder auch dem beflekten. Reine Religion, so ferne es entgegen gesetzt ist dem Vermischten, bedeutet eine Religion der blossen Gesinnung, die auf Gott gerichtet sind und Moralitaet enthalten. Vermischte Religion ist, so ferne sie mit Sinnlichkeit vermengt ist, die nur als Mittel der Moralitaet ist. Nun können wir sagen, bey Menschen ist keine reine Religion möglich, denn der Mensch ist sinnlich, deshalb sind die sinnlichen Mittel in der Religion nicht zu tadeln, allein die reine Idee der Religion muß uns ein Urbild seyn und zum Grunde dienen, denn dieses ist das Ziel, dahero *hier in der Moral stark darauf gesehen wird. 93
[XXVII: 326,30] Vgl. die zu p. 90 gegebene Bibel-Stelle (Römer 7,6).
sectio 8: Pii habitus §§ 100 ff.
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Ferner redet der Autor vom ReligionsEifer.
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Eifer ist ein unwandelbarer entschlossener Wille, mit unveränderlicher Gesinnung den Zwek zu erlangen. Solcher Eifer ist in allen Sachen gut, aber wenn er in der Religion Affect bedeutet, der dahin gerichtet ist um alles in der Religion zu befördern, denn ist er blind, und wo man irgend nur die Augen in der Welt offen haben soll, so ist es in der Religion. Demnach muß in der Religion kein Eifer seyn, wohl aber ein ohnwandelbarer, gesezter Ernst. Fromme Einfalt, so ferne sie dem Künstlichen entgegengesetzt ist bedeutet precision im Gebrauch der Mittel, vermittelst der die Handlungen der Grösse nach gerade dem Zwek angemessen [190] ist. In der Religion ist nur darauf zu sehen, was auf den Zwek abzielet. Theologie bedarf Gelehrsamkeit, Religion aber Einfalt. Ein practischer Atheist ist derjenige, der so lebt, daß man von ihm glauben sollte, er statuirte keinen Gott, man nennt auch Solche practische Atheisten, die so leben, daß sie an Gott nicht denken, allein das ist übertrieben. Der practische Atheist ist der, von dem man sagt, er ist gottlos. Denn die Gottlosigkeit ist eine Art frecher Bosheit, die Trotz bietet den Strafen, die uns die Vorstellung von Gott einflößt. Vernünfteley, Andachteley und Aberglauben sind drey Abweichungen der Religion, wovon *schon oben etwas daran ist gedacht worden. Andachteley ist wenn der Buchstabe der Religion für den Geist gehalten wird. Aberglaube besteht in der Vorstellung, nach welcher wir das, was der Maxime der Vernunfft wesentlich zuwieder ist zum Grunde unserer Vernunfft annehmen. ReligionsAberglaube ist mehrentheils ReligionsWahn. ReligionsSchwärmerey ist ein Betrug des innern Sinnes, nach welchem man glaubt in Gemeinschafft mit Gott und 128anderer Geister zu stehen.
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anderer Kae] der anderer Hg?]
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So wie wir Gottesfurcht und Gottesdienst von einander *unterschieden haben, also unterscheiden wir die religieuse Handlungen in Handlungen der Gottesfurcht und in Gottesdienstliche Handlungen. Der Antropomorphismus ist Ursache, warum man sich die Pflichten gegen Gott nach der Analogie mit den Pflichten [191] der Menschen eben so vorstellt, man glaubt Gottesdienstliche Handlungen auszuüben, wenn man Gott seine Unterwürfigkeit und Demuth, durch Verehrung, Lobeserhebung und EhrenErklärung bekannt mache. Wir können zwar jedem Menschen so groß er auch seyn mag immer einen Dienst erzeigen, demnach kann ein jeder Unterthan seinem Herrn einen Dienst thun. Unter die Dienste sind einige gezehlet, die blos in Versicherungen der Bereitwilligkeit zu beliebigen Diensten dem andern bestehen, dahin gehört das Cour machen, wo man nur seine Person darstellt, daß man bereit ist Dienste zu thun die dem andern gefällig sind. Ein Fürst ist ohnedem ehrbegierig und dadurch geschicht ihm auch ein Dienst. Nun sind aber die Menschen geneigt solche dienstliche Handlungen auf Gott zu appliciren und ihm Dienste zu erzeigen, und Cour machen oder declariren daß man bereitwillig ist alle ihm gefällige Dienste zu erzeigen mit Unterwerfung und Demuth, und durch solche Ehrenbezeigungen glauben sie ihm schon einen Dienst gethan zu haben. Dahero ist die Opinion entsprungen, 94daß die Gottheit um die Menschen in der Uebung zu erhalten Befehle gegeben habe, die an sich selber leer sind, wodurch die Menschen nur geübt wären auf die Befehle zu attendiren und wodurch sie immer dienstbar erhalten würden, dahero einige Religionen Fasten, Wallfahrten, Casteyungen haben, wodurch sie beweisen, daß sie bereit sind die Befehle zu befolgen. Das sind blos Observanzen, [192] die gar keine Bonitaet haben und keinem was helfen. Alle Religionen sind voll davon. Man nennt den Inbegrif der Handlungen, die keine Absicht haben als nur die Dienstgefliessenheit 94
[XXVII: 328,15] Nicht ermittelt.
sectio 9: Cultus dei externus §§ 110 ff.
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den Befehlen Gottes ein Gnüge zu leisten den Gottesdienst. Der wahre Gottesdienst besteht aber nicht in Observanzen und äussern Gebräuchen sondern in den Gott geheiligten Gesinnungen, die im Leben durch Handlungen thätig sind. Der Mensch ist Gottesfürchtig, der für sein allerheiligstes Gesetz Ehrfurcht hat, und dessen Gottesfurcht alle seine Handlungen begleitet, das ist eine Art Gott zu dienen, also sind die Gottesdienstliche Handlungen keine besondern Handlungen, sondern in allen Handlungen kann ich Gott dienen, und das ist ein unaufhörlicher Gottesdienst, der durch das gantze Leben sich erstrekket, aber nicht in besondern Handlungen besteht, die man nur zu gewisser Zeit zu beobachten hat. Die Gottesfurcht und der Gottesdienst ist keine besondere Handlung, sondern die Form aller Handlungen. Man hat aber in Religionen Handlungen, wodurch man glaubt unmittelbar Gott damit zu dienen; allein wir können keine andere Handlungen thun, als deren Würkung sich auf diese Welt erstrekket, auf Gott können wir gar nicht würken, als nur Gott ergebene Gesinnungen widmen. Demnach giebts gar keine 129religieuse Handlungen, wodurch man Gott einen Dienst erzeigen könnte, und alle AndachtsUebungen haben gar nicht die Absicht, um Gott dadurch zu gefallen und einen Dienst [193] zu erzeigen, sondern nur in uns die Gesinnungen der Seele zu stärken, damit sie Gott in unserm Leben durch Handlungen gefällig werden; dazu gehört zE. das Gebet und alle sinnliche Mittel, die nur Vorbereitungen und Uebungen sind, um unsere Gesinnungen practisch zu machen. Der wahre Gottesdienst besteht im Lebenswandel, der durch wahre Gottesfurcht 130geläu129
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religieuse Hg.] Gottreligieuese Kae] | Die seltsame Wortbildung scheint durch eine Schwanken zwischen Deutsch und Französisch ‚gottgefällig – religieux‘ verursacht; ‚gottgefällig‘ ist in der Vorlesung nicht belegt. geläutert Kae] | Krauß S. 19 erwägt – nach seinen Zeugen A und C – ‚geleistet‘ und ‚geleitet‘. Zu bedenken ist, daß „geläutert“ in der Vorlesung nur hier gebraucht ist; auch ‚geleitet‘; findet sich sonst nicht. Nimmt man eine vom ostpreußischen Dialekt gefärbte Aussprache an, dann sind ‚jeleitet‘ und ‚jeläutert‘ kaum unterschieden; es bliebe bloß der kurze Zungenschlag eines ‚r‘ bzw. der entsprechende Federstrich als Differenz.
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tert ist. Man geht also nicht zum Dienst Gottes, wenn man in die Kirche geht, sondern da geht man nur zur Uebung, um hernach im Leben Gott dienen zu können; wenn man nun aus der Kirche kommt, so muß man das ausüben, wozu man sich darin geübt hat, und denn erst im Leben Gott dienen. Zum Cultu gehören zwey Stükke: dasjenige, was dazu gehört, wie eine moralische Uebung, oder was dazu, als eine blosse Observantz gehört. Zur moralischen Uebung gehört zum Exempel das Gebet, Vortrag in der Predigt, und auch einige körperliche Handlungen, die dazu dienen sollen um den Gedanken in uns zu erhöhen und unsern moralischen Handlungen mehr Nachdruk zu geben. Ie mehr aber der Cultus mit Observanzen beladen ist, desto leerer ist er von moralischen Uebungen. Der Cultus hat nur einen Werth als Mittel, unmittelbar ist Gott dadurch gar nicht gedient, er dient nur dazu, das Gemüth des Menschen in Gesinnungen zu üben, sich dem höchsten Willen im Leben gemäß zu verhalten. Die Menschen sind geneigt das was den Werth des Mittels hat [194] für die Sache selbst zu halten und also die Observanzen für würklich Gottesdienstliche Handlungen zu halten. Dieses ist der grosse Fehler und das Uebel, das alle Religionen an sich haben nicht wegen ihrer Beschaffenheit, sondern wegen der Neigung, die alle Menschen an sich haben; dieses ist ein Religionswahn, oder diejenige Illusion desjenige was den Werth des Mittels hat für den Dienst Gottes selber zu halten, wenn man das was ein Mittel der Gottesfurcht und des Gottesdienstes ist für die Gottesfurcht und den Gottesdienst selber hält. Allein in der That Gott zu dienen und Gott devote Gesinnungen anzunehmen ist sehr schwer; denn durch die Gesinnungen müssen die Menschen ihren Neigungen Zwang anthun, und sie continuirlich hegen, allein eine gewisse Zahl von Gebeten, Fasten, Wallfahrten sind Dinge, die uns nicht unaufhörlich verpflichten, sondern nur eine Zeit dauern und wenn sie vorbey sind, so ist der Mensch wieder frey, dann kann er wieder thun was er will, auch bischen betrügen, und denn wieder die Observanzen beobachten, um das vorige gut zu machen, und mit
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einer Unterwerfung eine Reue zu declariren. Die Menschen mögen gern für die moralische Gesinnung den Cultum ausüben, weil die moralische Gesinnungen sehr schwer und lästig sind und jeden Augenblik müssen beobachtet werden, dahero sich die Menschen lieber ein System vom Cultu machen. Solches hat dieses effectuirt; daß die Menschen die Religion für [195] ein Pflaster des Gewissens hielten, wodurch sie dasjenige, was sie gegen Gott gesündigt gut zu machen glauben. Es ist also der Cultus eine Erfindung der Menschen. Da sie zween Wege haben Gott zu gefallen durch Moralitaet und durch cultum, so fallen sie auf den zweyten Weg um dadurch das erste zu ersetzen, denn wenn Menschen in Ansehung der Moralitaet nicht pünktlich sind, desto pünktlicher sind sie in Ansehung des Cultus und der Observanzen, denn dadurch sucht er die Moralitaet zu ersetzen. Es ist dahero nöthig, daß Lehrer der Gemeine solches zu benehmen und auszurotten suchen. Demnach hat der Cultus und alle Observanzen an sich selber gar keinen Werth in Ansehung Gottes sondern nur in Ansehung unser als ein Mittel die Gesinnungen zu stärken und zu erwekken, die in Handlungen aus Liebe gegen Gott sollen geäussert werden. Wenn weiß aber der Mensch daß er den Cultum nur als ein Mittel braucht? Wenn er in seinem Leben auf seine Handlungen Acht hat, ob in ihnen moralische Gesinnung und Gottesfurcht anzutreffen ist. Aussere Religion ist contradiction, alle Religion ist innerlich, es können wohl äussere Handlungen seyn, die aber gar nicht die Religion ausmachen, und durch die wir auch gar nicht Gott dienen können; sondern alle diese Handlungen, die auf Gott gerichtet sind, sind Mittel, die Gott ergebliche Gesinnung kräftig zu machen, damit wir geschikter wären, sein heiliges Gesetz [196] zu befolgen und Gott im Leben durch moralische Handlungen gefällig zu werden. Zum Cultu externo gehören äussere Mittel, die die Seele beleben sollen zu guten Gesinnungen, die sich im Leben durch Handlungen zeigen sollen. Es giebt also würklich äussere Mittel, die die innere Gesinnungen, Vorstellungen Erkenntnisse verstärken, denselben Leben und Nachdruk verschaffen zE. in einer gantzen Versammlung der Ge-
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meine einstimmig Gotte heilige Gesinnungen zu widmen. Wer aber dadurch schon denkt Gott einen Dienst gethan zu haben, der hat den abscheulichsten ReligionsWahn. Ein Umstand des Mißverständnisses hat in diesem Stük einen grossen Schaden in der Religion gemacht. Weil die Menschen grosse Gebrechlichkeit in allen Handlungen der Sittlichkeit haben und nicht allein dasjenige, was sie als eine gute Handlung ausüben, ist sehr mangelhafft und beflekt, sondern da sie auch noch mit Bewustseyn und Willen das göttliche Gesetz übertreten, so können sie gar nicht hoffen für einen heiligen und gerechten Richter, der nicht das Laster simpliciter vergeben kann, zu bestehen. Es frägt sich: Ob wir von der Gütigkeit Gottes durch unser heftiges Bitten und Flehen Vergebung aller Laster erwarten können? Nein, man kann sich keinen gütigen Richter vorstellen, das ist eine Contradictio, 95ein Richter muß gerecht seyn, als Regierer kann er wohl gütig seyn. [197] Denn könnte Gott alle Laster vergeben, so könnte er sie auch erlaubt machen, denn kann er sie straflos erklären, so beruht es auch auf seinem Willen sie erlaubt zu machen, alsdenn aber wären die moralischen Gesetze etwas willkürliches, nun sind sie aber nicht was willkürliches, sondern eben so nothwendig und ewig wie Gott. Die Gerechtigkeit Gottes ist die precise Austheilung der Strafe und Belohnungen nach dem Wohl und UebelVerhalten. Der göttliche Wille ist unwandelbar, demnach können wir nicht hoffen, daß Gott wegen unseres Bittens und Flehens uns alles vergeben soll, denn alsdenn käme es nicht auf das Wohlverhalten sondern aufs Bitten und Flehen an. Wir können uns also keinen gütigen Richter denken, das ist ungereimt, fordern wir das, so ist es eben so viel als wenn wir haben wollen, der Richter soll diesesmal die Augen zumachen und sich durch Schmeicheleyen und Bitten bestechen lassen, solches aber nur alsdenn nur einigen wiederfahren kann, und also stille gehalten werden muß; denn wenn es allgemein bekannt
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[XXVII: 330,37] Vgl. die oben zu p. 149 gegebene Erläuterung.
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würde, so würde es jeder eben so haben wollen, und alsdenn würde mit dem Gesetz Gespötte getrieben werden. Das Bitten kann also keine Erlassung der Strafen zuwege bringen. Das heilige Gesetz bringt nothwendig mit sich, daß die Strafen den Handlungen angemessen [198] seyn sollen. Allein soll denn der Mensch keine Hülfe haben, weil er in Ansehung der Sittlichkeit gebrechlich ist? Ia er kann von einem gütigen Regierer hoffen aber nicht die Erlassung der Strafe seiner Laster, denn alsdenn wäre der göttliche Wille nicht heilig, er ist aber heilig, so fern er dem heiligen moralischen Gesetz adaequat ist; wir können aber von einem gütigen Regierer hoffen nicht allein in Ansehung des physischen, wo schon die gute Handlungen an sich gute Folgen bringen, welches auch schon Gütigkeit ist, sondern auch eine Gütigkeit in Ansehung des moralischen, aber nicht von der Moralitaet und von den Folgen der Uebertretung derselben dispensirt zu werden, sondern die Gütigkeit besteht in den Hülfsmitteln, wodurch Gott die Mängel unserer natürlichen Gebrechlichkeit ergäntzen kann, darin kann Gott seine Gütigkeit beweisen. Wenn wir in Ansehung unser alles thun was wir thun können, so können wir eine Ergäntzung hoffen, daß wir vor seiner Gerechtigkeit bestehen und dem heiligen Gesetz adaequat seyn können. Wie Gott diese Ergäntzung zuwege bringen, und was für Hülfsmittel er dazu braucht, das wissen wir nicht, und das brauchen wir auch nicht zu wissen, wir können aber solches hoffen. Alsdenn haben wir anstatt einer nachsichtlichen Gerechtigkeit eine Ergäntzung der Gerechtigkeit. Weil die Menschen aber geglaubt haben, daß sie allemal, so weit sie es auch immer im Guten bringen dennoch in ihren Augen vielmehr als in den Augen Gottes [199] mangelhafft wären, so glaubten sie Gott müste alles an ihnen thun oder ihnen alle Sünden erlassen, dahero haben sie sich äusserer Mittel bedient, solches von Gott zu erflehen und seine Gunst zu erlangen und ergaben sich also dem Cultu, ihre Religion war also eine Religion der Gunstbewerbung, und keine Religion des guten Lebenswandels, welche darin besteht, daß man das heilige Gesetz aus reiner Gesinnung pünktlich zu beobachten sucht, und hoft, daß seiner
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Gebrechlichkeit eine Ergäntzung verstattet werde. Solcher hat nicht eine Religion der Gunstbewerbung sondern des guten Lebenswandels. Die Religion der Gunstbewerbung ist schädlich und dem Begrif von Gott gantz zuwieder und ist ein System der Religionsschminke und Verstellung, wo man unter dem Schein der Religion und des äussern Gottesdienstes, wodurch man alles vorige gut zu machen denkt, hernach wieder aus neue darauf los sündigt in Hofnung solches wieder durch solche äussere Mittel gut zu machen. Was helfen zE. einem Kaufmann alle seine Morgen und AbendAndachten, wenn er gleich drauf als er aus der FrühMette kommt einen einfältigen Käufer durch einen Handel seiner Waare hintergeht, und denn auch wohl Gott noch oben drein für den Segen, den er ihm heute bescheret, in paar StoßGebethen, die er im Vorbeygehen an der Kirchenthüre thut, danket, das ist recht Gott durch Iesuitische Ränke zu hintergehen trachten. Hierin kommt die Vernunfft mit dem Evangelio [200] völlig überein, welches das 96Exempel der beyden Brüder beweist, wovon der eine ein Gunstbewerber Complimentarius war, und sogleich versprach den Willen seines Vaters zu befolgen, es aber nicht that, der andere hingegen Schwierigkeiten machte, aber doch seine Pflicht gegen seinen Vater beobachtete. Solche Gunstbewerbende Religion ist schädlicher als alle 131Irreligion, denn davor ist kein Mittel mehr. Ei-
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Irreligion Hg.] Irrreligion Kae] | Ein in der deutschen Schriftsprache des 18. Jahrhunderts stets vermiedenes Zeichentripel wie ‚rrr‘ ist durch eine aufgehobene Trennung am Zeilenende verursacht: Irr-/religion.
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[XXVII: 332,20] Bibel, NT, Matthäus 21, 28–31: „Was dünkt euch aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zum ersten uns sprach: Mein Sohn gehe hin und arbeite heute in meinem Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Ich will’s nicht tun. Darnach reute es ihn und er ging hin. Und er ging zum andern uns sprach gleichalso. Er aber antwortete aber und sprach: Herr, ja! – und ging nicht hin. Welcher unter den zweien hat des Vaters Willen getan?“
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sectio 12: Pium exemplum §§ 133 ff.
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nen 132Ruchlosen kann man offt durch ein Wort auf den rechten Weg bringen aber nicht den Heuchler. Alle diese Betrachtung dient dazu, daß man einsehe, daß das Aeussere der Religion, der Cultus nur einen Werth des Mittels in Ansehung unser habe, aber unmittelbar in Ansehung Gottes gar nichts gelte, und daß man nicht glaube, daß unsere sittliche Unvollkommenheit durch den cultum externum 133ergäntzt werde, sondern daß sie durch Gott bekannte Mittel dem heiligen Gesetz adaequat gemacht werde.
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Ein Beyspiel ist, wenn ein allgemeiner Satz der Vernunfft im gegebenen Fall in concreto statt findet. Wir müssen von den Sätzen a priori Beweise haben, daß sie auch in concreto statt finden und nicht nur in dem Verstande residiren, denn sonsten werden sie unter die 97Fictiones gerechnet, zE. ein durch die Vernunfft ausgedachter Plan der Regierung muß durch ein Beyspiel können dargethan werden, daß er auch in Concreto möglich [201] ist. Nun frägt es sich: Ob auch Beyspiele in der Moral und Religion sollen zugelassen werden? Was apodictisch
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Ruchlosen Kae] Gottlosen Mnz 136,03]. Der hier vorliegende Gebrauch scheint sich auf die im Grimm’schen Wörterbuch belegte, ältere Wortbedeutung ‚sorglos‘, ‚arglos‘, ‚unachtsam‘ zu beziehen. Zu ‚ruchlos‘ vgl. p. 213, 239, 265. ergäntzt Kae] | Im Ms überschrieben aus „ersetzt“. [XXVII: 333,01] A. G. Baumgarten spricht in seiner Ethica § 214 von ‚fictiones […], quales heuristicae […]‘ und übersetzt diese als „Erdichtungen durch welche etwas erfunden werden kan.“. In den Kantischen Notaten zu den Initia wird ‚fictiones‘ nur in der R: 6611 (XIX: 108,24) gebraucht. Sachlich und chronologisch einschlägig ist vor allem der Kantische Entwurf einer Opponenten-Rede zur Kreutzfeld-Disputation (XV: 903ff. / R: 1525) aus dem Februar 1777 de principiis fictionum generalioribus. Auch die Critik der reinen Vernunft kennt heuristische Fiktionen (III: 503,13).
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a priori ist, bedarf keines Beyspiels, denn da sehe ich die Nothwendigkeit a priori ein zE mathematische Sätze bedürfen keines Beyspiels, denn das Beyspiel dient nicht zum Beweise sondern zur Illustration. Dagegen Begriffe, die aus der Erfahrung genommen sind, von denen können wir nicht ehe wissen, ob sie möglich sind, bis ein Beyspiel im gegebenen Fall in Concreto da ist. Alle Erkenntnisse der Sittlichkeit und der Religion lassen sich apodictisch durch die Vernunfft a priori darthun; die Nothwendigkeit sich so und nicht anders zu verhalten sehen wir a priori ein; dahero sind keine Beyspiele in Sachen der Religion und Moral nöthig. Es giebt also keine Muster in der Religion, weil der Grund das principium des Verhaltens in der Vernunfft liegen muß und nicht a posteriori abgeleitet werden kann, und wenn mir auch die Erfahrung kein eintziges Beyspiel der Ehrlichkeit der Rechtschaffenheit, der Tugend giebt, so sagt mir doch die Vernunfft ich soll so seyn. Ia die Beyspiele selbst müssen in der Religion aus allgemeinen Principien der Sitten beurtheilt werden, aber nicht die Sittlichkeit und die Religion aus den Beyspielen. Das Urbild liegt in dem Verstande. Wenn uns also heilige Leute als Muster in der Religion vorgestellt werden, so mögen sie so heilig seyn als sie wollen, so [202] muß ich sie nicht nachahmen, sondern sie nach allgemeinen Regeln der Sitten beurtheilen. Es giebt zwar Beyspiele der Rechtschaffenheit und der Tugend ja auch der Heiligkeit, so wie uns 98das Evangelium ein solches darbietet, allein dieses Beyspiel der Heiligkeit lege ich nicht zum Grunde, sondern beurtheile es nach dem 134heiligen Gesetz, stimmt es mit demselben überein, so sehe ich erst ein, daß dieses ein Beyspiel der Heiligkeit ist. Die Beyspiele dienen uns zur Aufmunterung und zur Nachfolge, aber als Muster müssen sie nicht gebraucht werden. 134
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heiligen Kae] moralischen Mnz 137,18] XXVII: 333,30] [XXVII: 333,28] Offensichtlich gemeint ist die Person des Jesus Christus, den Kant in der Grundlegung (IV: 408,33) als den ‚Heiligen des Evangelii‘ bezeichnet; vgl. das unten folgende Personenverzeichnis.
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Sehe ich etwas in Concreto so erkenne ich es desto deutlicher, die Ursache warum Menschen in ReligionsDingen gerne nachahmen, ist: Sie bilden sich ein, wenn sie sich so verhalten wie die gröste Zahl unter ihnen, so wollen sie Gott dadurch zwingen, indem er sie doch alle nicht bestrafen kann, daß wenn er allen vergiebt, er auch ihm allein vergiebt. Ferner so mögen die Menschen gerne dasjenige beybehalten, was die Vorfahren glaubten, denn alsdenn meynen sie haben sie nicht schuld wenn es unrecht ist, sondern ihre Vorfahren die sie dazu anhielten, und wenn nur der Mensch die Schuld auf andere schieben kann, so ist er schon ruhig, man meynt dadurch sich für der Verantwortung zu praecaviren. Dahero derjenige, der die Religion seiner Eltern und Vorfahren verändert und zur andern übergeht 99für einen Waaghals angesehen wird, der was sehr gefährliches unternimmt, weil er alsdenn alle Schuld auf [203] sich nimmt. Wenn wir das Allgemeine der Religion nehmen was bey jeder Religion statt finden muß, nemlich durch innere Gesinnung Gott zu gefallen und sein heiliges Gesetz auszuüben und von seiner Gütigkeit eine Ergäntzung seiner Gebrechlichkeit zu hoffen, so mag ein jeder immerhin der Religion seiner Väter nachfolgen, so schadet es ihm nicht, wenn er nur nicht glaubt, durch den Cultum seiner Religion ehr Gott zu gefallen als durch den Cultum einer andern äussern Religion. Die Observanzen mögen seyn wie sie wollen, wenn sie nur als Mittel angesehen werden, wodurch Gott devote Gesinnungen sollen erwekket werden, werden sie aber für einen unmittelbaren Dienst Gottes angesehen, so ist das ein grosser Schade einer solchen Religion, und darin ist eine Religion so schädlich als die andere.
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§ 134
Ein Beyspiel ist nicht zur Nachahmung wohl aber zur Nachfolge. Der Grund der Handlung muß nicht aus dem Beyspiel 99
[XXVII: 334,06] Nicht ermittelt.
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sondern aus der Regel abgeleitet werden, wenn aber andere gezeigt haben, daß solches möglich sey, so müssen wir seinem Beyspiel nachfolgen, und auch solche sittliche Handlungen auszuüben uns bemühen, und nicht andere uns darin vorkommen lassen. Ueberhaupt mögen die Menschen gerne Beyspiele haben, und wenn kein Beyspiel ist, so mögen sie sich damit excusiren, daß sie sagen, es lebt ja jeder so, sind aber Beyspiele, und kann man sich auf welche beruffen und sagen: siehe doch den Mann an, [204] wie der lebt, so muntert solches zur Nachfolge auf. Ein schlimmes Beyspiel ist aber ein Anstoß und giebt Gelegenheit zu zween Uebeln. Zur Nachahmung als ein Muster und zur Entschuldigung. So geben Männer im vornehmen oder geistlichen Stande durch ihr Beyspiel Gelegenheit zur Nachahmung, obgleich man in der Religion gar nicht nachahmen soll, aber es geschicht doch. Allein das ist doch ein scandalum, wenn ein Beyspiel zur Entschuldigung Anlaß giebt. Kein Mensch will gerne allein böse seyn, so wie er auch nicht allein eine Pflicht thun will, sondern er beruft sich immer auf andere. Und je mehr Beyspiele von der Art sind, desto lieber sieht man es, um sich auf mehrere beruffen zu können. Alle Scandala sind entweder Scandala data oder accepta. Scandalum datum ist was nothwendigerweise ein nothwendiger Grund ist von bösen Folgen auf die Sittlichkeit anderer; scandalum acceptum ist was nur ein zufälliger Grund von bösen Folgen auf die Sittlichkeit anderer ist. Obgleich mir das nicht kann zur Schuld zugerechnet werden, wenn ein anderer von meinen Handlungen einen Mißbrauch macht welches zwar dann in Ansehung seiner Sittlichkeit üble Folgen haben kann, aber nicht in Ansehung meiner Sittlichkeit; denn ich kann solches anders eingesehen haben, so daß es mit meiner Sittlichkeit wohl übereinstimmt, und obgleich ich nicht davor kann daß ein anderer von meinen Handlungen einen verkehrten Gebrauch macht, so muß man sich doch Zwang anthun, um nicht zu solchem Scandalo Gelegenheit zu geben. Allein wenn ich die Gelegenheit [205] zu solchem Scandalo accepto vermeiden muß dadurch daß ich in
§ 134
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meinen Handlungen affectiren und wieder mein Gewissen selbst handeln muß, so brauche ich es nicht zu vermeiden, wenn ich es auf keine andere Art vermeiden kann; denn alle meine Handlungen müssen rechtschaffen und nicht affectirt seyn, und bin ich in meinem Gewissen vom Gegentheil der Sache überzeigt so möchte ich dadurch, daß ich dem anderen kein Anstoß geben wollte, indem ich es thun möchte, wieder mein eigen Gewissen handeln. ZE Bin ich in meinem Gewissen überzeigt, daß das Niederfallen für Bilder eine Abgötterey ist, und ich bin an solchem Orte, so solches geschicht, so würde ich wenn ich es thäte um den Anstoß zu vermeiden wieder mein Gewissen handeln, wozu mich aber niemand verbinden kann; denn ich kann nicht meinem Gewissen zuwieder handeln, um dem Andern keinen Anstoß zu geben; es thut mir leid, daß er sich daran stößt, aber ich kann nicht dafür. 100Man muß behutsam und zurükhaltend seyn den Schwachen kein Anstoß zu geben, denn die mögen gern nachahmen. Man soll auch nicht wieder Religionssätze, 135die indirecte wieder die Moralitaet sind, spotten, sondern sie in Achtung halten, sie mag sonst seyn wie sie will, so ist sie doch als Religion Achtungswerth, indem sie doch eine Disciplin der Menschen ist, unser Betragen soll so seyn die Religion zu vereinigen als durch Spott zu entzweyen. Zur Religion gehören zwey Stükke: Gott ehren und Gott lieben. [206] Ich kann jemanden auf zwiefache Art ehren, practisch, wenn ich das thue, was sein Wille ist, und schmeichlerisch, durch äussere Merkmale der Hochachtung, durch Ehrenbezeugungen und Lobeserhebungen. Gott kann ich nicht schmeichlerisch durch Versicherungen der Hochachtung p ehren, sondern practisch durch Handlungen. Wenn ich also das heilige göttliche Gesetz aus erkannter Schuldigkeit und Hoch135
die indirecte Hg.] die nur directe Kae] | Mnz 140,04 hat: „die nur indirekt“.
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[XXVII: 335,26 Lücke] Bibel, NT, Paulus, 1. Korinther 8,9: „Sehet aber zu, daß diese eure Freiheit nicht gerate zum Anstoß der Schwachen!“
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achtung gegen ihn als den Gesetzgeber ausübe und bereitwillig seine Gebote die Ehrenwerth sind erfülle, so ehre ich Gott. Ich ehre Gott, wenn ich Achtung für seine Gebothe habe. 101Gott practisch lieben heißt seine Gebote gern thun weil sie liebenswürdig sind, ich liebe Gott, wenn ich Liebe zu seinem Gesetze habe, und aus Liebe es erfülle. Die falsche Deutung der Ehre Gottes hat der Aberglaube hervorgebracht und die falsche Deutung der Liebe Gottes hat die Schwärmerey hervorgebracht. Was heißt Gott loben? Die Grösse Gottes sich lebendig vorzustellen als ein BewegungsGrund unseres Willens dem göttlichen heiligen Willen gemäß zu leben. Die Bemühung die Vollkommenheit Gottes einzusehen gehöret nothwendig zur Religion, die unsern Gesinnungen Krafft und Nachdruk geben soll dem heiligen Willen Gottes gemäs zu leben. Auf der andern Seite ist aber die Frage, was das Lob Gottes dazu beytrage? Das Lob Gottes in Worten und Lobgesängen eingekleidet, welches Mittel unserer Begriffe sind, dient nur dazu, die practische Ehrfurcht gegen [207] Gott in uns zu vergrössern; also hat es in Ansehung unser einen subjectiven Nutzen, aber gar nicht einen objectiven Nutzen denn durch das Lob Gottes geschicht Gott unmittelbar kein Wohlgefallen. Wir loben nur den Gott, wenn wir seine Vollkommenheiten und die Verherrlichung derselben als ein 136Bewegungsgrund brauchen in uns practisch gute Gesinnungen zu erwekken. Wir können bey Gott keine Neigung statt finden lassen von uns gelobt zu werden. Unsere Erkenntniß von Gott ist auch der Grösse Gottes sehr unadaequat und diejenige Begriffe wodurch wir glauben Gott zu loben sind sehr irrig. Also sind die Lobeserhebungen gar nicht der Vollkommenheit Gottes adaequat. Der Nutzen ist also nur subjectiv und der indirecte dadurch objectiv. Es wäre gut wenn man dem Menschen angewöhnte, wie er wahre Ehrfurcht gegen Gott in seiner 136
Bewegungsgrund Hg.] Bewegungs Kae] | Die Auslassung ist anscheinend verursacht durch den Wechsel der Zeile: „Bewegungs / brauchen“.
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[XXVII: 335,35] vgl. die oben zu p. 64 zitierte Bibel-Stelle.
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Seele empfinden sollte, als daß man ihn einige Lobeserhebungen in Worten und Formeln ausdrükken läßt, welches er doch nicht empfindet. Wie kann man aber solchen Begrif von Gott erhalten, der solche Ehrfurcht in der Seele zuwege bringt? Dies geschicht nicht durch Ausdrükke und durch nachgesagte Formeln von Lobeserhebungen der göttlichen Vollkommenheit; diejenigen, die die Formeln der Erhebung der Güte und Allmacht Gottes für ein Lob Gottes ansehen irren sich sehr. Damit wir aber die Grösse Gottes in uns empfinden, so müssen wir sie anschauen können daher [208] wäre es sehr gut, wenn in der Religion die Gemeine nicht durch allgemeine Begriffe von der Hochpreisung seiner Allmacht unterrichtet würde, sondern daß sie auf die Werke Gottes zu erkennen geführet würde, dessen alle Menschen fähig sind 102zE. Von dem unendlichen Weltbau, in welchem viele Weltkörper sind, die mit vernünftigen Geschöpfen angefüllet sind, solche Vorstellung und Anschauung der Grösse Gottes effectuirt mehr in unserer Seele als alle Lobgesänge. Die Menschen glauben aber, daß solche Lobsprüche Gott unmittelbar gefallen. Allein alle Arten von Observanzen, so ferne sie als Gunstbewerbung geschehen, sind verwerflich, das sind zwar Methoden, die die Menschen hintergehen können, aber nicht Gott. Alle Observanzen müssen darauf abgezielt seyn, die Seele mit guten Gesinnungen anzufüllen und zu beleben. Observanzen sind kein Theil der Religion sondern nur Mittel derselben. Die wahre Religion 137ist die Religion der Gottesfurcht und des guten LebensWandels. Wenn bey dem Menschen in seinen Handlungen nichts zu besehen ist, so hat der Mensch keine Religion, er mag da reden was er will. 137
ist Hg.] ist die Kae] | Ein ‚die‘ wurde vom Schreiber (p. 208,16) nicht gestrichen als er ein Versehen korrigierte: „[…] ist die wahre Gottesfurcht die Religion […].“
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[XXVII: 336,33] Ein offenes Bekenntnis des Vortragenden zu den physikotheologischen Perspektiven der eigenen, früheren Schriften – insbesondere der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels von 1755; vgl. dazu die eingehende Studie von Waschkies 1987.
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Zeichen der Religion sind zwiefach: wesentliche und zweydeutige. Zu den wesentlichen gehört zE. die Gewissenhaftigkeit des Lebenswandels. Zu den zweydeutigen Zeichen gehört zE die Beobachtung des Cultus, weil aber der Cultus ein zweydeutiges Zeichen ist, so darf er deswegen nicht gantz [209] verworfen werden, er ist ein Zeichen, daß Menschen sich bemühen durch den Cultum Gott devote Gesinnungen zu erwekken. Es ist aber der Cultus in der Beurtheilung anderer ein zweydeutiges Zeichen, aber nicht zur Beurtheilung seiner selbst, der Mensch kann es an sich wissen, ob er den Cultum als ein Mittel der wahren Religion braucht, oder ob er es für einen unmittelbaren Dienst Gottes hält, denn ist es für ihn kein zweydeutiges Zeichen, aber andere können das an ihm nicht sehen. Der Mensch kann in sich fühlen, daß er den Cultum beobachtet um Gott devote Gesinnungen zu erwekken, daß er solches aber thut kann er nur im Leben durch Handlungen beweisen.
Von der Schaam in Ansehung der Andacht.
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Der Frömmigkeit und der Gottesfurcht schämt sich kein Mensch; es sey denn, wenn man in solcher Gesellschafft ist, die gantz boshafft ist und allen Trotz bietet, und denn schämt man sich ein Gewissen zu haben, so wie man sich schämt unter Spitzbuben ein ehrlicher Mann zu seyn. Unter gesitteten Menschen wird sich aber kein Mensch der wahren Gottesfurcht schämen. Aber der Andacht schämen sich doch die Menschen. Dieses führen wir nur als eine Beobachtung und nicht als zur Religion gehörig an. Ie rechtschaffener der Mensch ist desto ehr schämt er sich, wenn er bey einer Andachtshandlung [210] ertapt wird, ein Heuchler wird sich nicht schämen, sondern er will es vielmehr haben. Wenn das Evangelium sagt: 103wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein, so ist das deswegen, damit es nicht scheinen soll, man sey ein Heuchler; denn der Mensch 103
[XXVII: 337,26] Vgl. die oben zu p. 184 zitierte Stelle aus NT, Matthäus 6,6.
§ 144
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schämt sich wenn ein anderer was von ihm denkt, wenn es auch nicht ist zE. Es kommt etwas in der Gesellschafft weg, und es wird vermißt und darnach gefragt, und man sieht jemanden an, so wird er roth. Die erste Ursache der Schaam ist also, daß man nicht für einen Heuchler gehalten werde. Die zweyte Ursache ist: Gott erkennen wir nicht anschauend sondern durch einen Glauben. Wir können demnach von Gott als dem Gegenstande des Glaubens zE. also sprechen: Wenn es Gott durch seine Güte in der Erziehung der Kinder dahin lenken wollte, daß p so wird man sich solches Wunsches gar nicht schämen, und so können wir auch davon in einer Gesellschafft reden, aber gesetzt es würde jemand in der Geselschafft die Hände aufheben und beten, ob er gleich nichts mehr, sondern dasselbe sagen würde, so würde es doch sehr frappiren. Woher kommt das? Der Gegenstand des Glaubens wird zum Gegenstande der Anschauung gemacht, und denn rede ich mit Gott als wenn ich ihn vor Augen hätte. Zwar ist der Glaube eben so stark als die Anschauung, aber Gott ist doch nun einmal kein Gegenstand der Anschauung, sondern des Glaubens, also muß ich Gott als einen Gegenstand des Glaubens anreden; wenn ich ihn aber in einer Form des [211] Gebets anrede, so tractire ich ihn als einen Gegenstand der Anschauung und denn ist es eine schwärmerische Anschauung, aber wenn ich wünsche, so tractire ich ihn als einen Gegenstand des Glaubens. Allein warum betet man denn? Wenn ich allein bete so kann ich eine Anschauung nachahmen und meine Seele zusammen nehmen. Aber in der Kirche hat das Gebet was pathetisches an sich, indem der Gegenstand des Glaubens zum Gegenstande der Anschauung gemacht wird. Es kann aber auch ein Prediger zu Gott als zum Gegenstande des Glaubens beten, allein das 104patema läßt sich in solcher Ge-
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[XXVII: 338,13] Die nicht bloß für Kant ungewöhnliche Redeweise vom ‚Pathema‘ deutet vielleicht darauf hin, daß er mit der rhetorischen Tradition des Pseudo-Loginos Vom Erhabenen bekannt gewesen ist. – Zedler’s Universal-Lexikon Bd. 36 (1740) verweist unter dem Stichwort ‚Pathema‘ auf den Artikel ‚Affectus‘ des ersten Bandes.
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meine gut erregen, aber in anderer Gesellschafft wäre es sehr fanatisch.
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und in wie fern etwas ein status confessionis sey, und welches die Bedingungen sind, unter denen der status confessionis statt finde; dieses läßt sich *in Beyspielen am besten einsehen. In fremden Ländern, wo eine abergläubische Religion ist, hat man nicht nöthig seine Religion zu declariren. Wenn ich urtheile, die Ceremonien als das Hinfallen für den Heiligen sind eine Hinderniß der Religion, und es ereignet sich ein Fall, daß da wo ich bin alle für einen Heiligen hinfallen, so kann ich immerhin hinfallen, so schadet es mir nicht, da brauche ich meine Religion nicht zu declariren, denn Gott sieht das gebeugte Hertz und nicht den gebeugten Körper an. Allein wenn [212] ich durch LebensGefahr gedrohet werde die Religion oder die Gebräuche mitzumachen; so wie solches 105138Niebuhr erzählt von den Reisenden die nach Mecca gehen zu sehen die Ceremonien der Mahometaner, daß sie entweder ums Leben kommen oder 138
Niebuhr Hg.] Niebahr Kae]
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[XXVII: 338,27] In der 1772 erschienenen Schrift Beschreibung von Arabien. Aus eigenen Beobachtungen und im Lande selbst gesammelten Nachrichten, heißt es S. 360: „Ein französischer Wundarzt, der sich vor nicht gar vielen Jahren in dieser Stadt [Káhira] aufhielt, hatte sich auf die Versprechung, daß er bey seiner Religion bleiben könnte, entschlossen als Leibmedicus zu Emîr Hadsj mit nach Mekke zu gehen. Er mußte sich aber gleich den folgenden Tag nach seiner Ankunft in dem Lager bey Birket el Hádsj, nur vier Stunden weit von Káhira beschneiden lassen, und nachher erlaubte man ihm als einem Mohammedaner die Reise fortzusetzen.“ In den von A. F. Büsching in Berlin herausgegebenen Wöchentlichen Nachrichten findet sich unter dem 4. Januar (S. 1–4) und 15. Febr. 1773 (S. 49–53) eine ausführliche Würdigung der Schrift: das Beispiel des französischen Wundarztes wird nicht erwähnt. Eine weitere Bezugnahme auf die Schrift oder wenigtens die Expedition selbst datiert aus dem Frühjahr 1775 (II: 432,09).
sectio 10: Confessio dei §§ 118 ff.
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§ 123
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sich müssen beschneiden lassen, welches auch mit einem Franzosen geschehen war, so ist das auch kein status confessionis, ich kann mich immer beschneiden lassen, das schadet doch nichts besonders wenn ich das Leben dadurch retten kann, und denn ist das doch noch kein Beweis für die Religion, daß sie die wahre sey, weil sie einen Menschen gezwungen, sie anzunehmen. Allein wenn jemand gezwungen wird seine Gesinnungen zu declariren, und dasjenige was er als falsch hält durch Verschwerungen und Betheurung anzunehmen, und dasjenige zu verwerfen was er hochzuschätzen verbunden ist; so ist das ein status confessionis, denn kann ich sagen: Leute 139eure Gebräuche will ich immer annehmen, allein den Augenblik neue Gesinnungen zu fassen, das geht nicht an, so bald kann ich mich nicht besinnen, demnach muß ich in Ansehung der Gesinnung nichts declariren. Der seine Religion verleugnet ist ein Renegat oder auch Apostat. Man kann auch ein Apostat seyn, ohne ein Renegat zu seyn, das heißt, man kann von freyen Stükken von einer Religion abtrünnig werden zE. wie Spinoza von der jüdischen, aber deswegen hat man noch nicht renegirt. Der Göttliche Name kann gemisbraucht werden zur Heucheley und zur Ruchlosigkeit. [213] Man muß nicht sogleich Menschen für ruchlos halten zE. wenn man hört, daß sie fluchen, offt sind es die sanftesten Menschen, nur dieses ist eine Sache der Gewohnheit bey ihnen. Als zE. bey einem commandirenden Officier, die thun dieses nur blos deswegen, um ihrem Commando einen Nachdruk zu geben, ob sie gleich wohl wissen, daß sie das Donnerwetter nicht so regieren können, daß es in die Soldaten einschlagen soll. *Hiemit ist der Theil der natürlichen Religion geendigt und jetzt kommen wir zu der eigentlichen Moralitaet.
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*Nachdem wir nun bis hieher abgehandelt haben, was zur natürlichen Religion gehört, so gehen wir jetzt zu der eigentlichen Moralitaet, und zu den eigentlichen Pflichten gegen alles, was in der Welt ist. Das erste Object ist aber die Pflicht gegen sich selbst, diese wird nicht juridisch betrachtet, denn das Recht betrift nur 140ein Verhältniß gegen andere Menschen, Recht kann nicht gegen mich selbst beobachtet werden, denn was ich gegen mich selbst thue, das thue ich mit meiner Einwilligung, ich handele nicht wieder die Gerechtigkeit, wenn ich wieder mich [214] selbst handle. *Wir werden hier von dem Gebrauch der Freyheit in Ansehung seiner selbst reden. Als eine Einleitung merke man: In der Moral ist kein eintziges Stük mangelhaffter abgehandelt als dieses Stük von den Pflichten gegen sich selbst, es hat sich keiner den rechten Begrif von der Pflicht gegen sich selbst gemacht, man 141sahe sie als eine Kleinigkeit an, und man hat sie als ein Supplement in der Moralitaet nur zuletzt erwogen, und geglaubt, daß der Mensch, wenn er alle Pflichten erfüllt habe, er auch zuletzt an sich denken könne. In diesem Stük sind alle philosophische Moralen falsch. Gellert verdient kaum hier genannt zu werden, 106der kommt nicht einmal auf den Einfall 140 141
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ein Hg.] im Kae] sahe Hg.] sehe Kae] [XXVII: 340,21] Im Gliederbau der 1770 nach Gellert’s Tod in 2 Bänden herausgegebenen Moralischen Vorlesungen haben ‚Pflichten gegen sich selbst‘ tatsächlich keinen Ort. Das Werk besteht aus 26 Vorlesungen und einem ‚Anhang: Moralische Charaktere‘. Arrangiert sind die begrifflich-systema-
sectio 1: Cognitio tui ipsius §§ 150 ff.
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von den Pflichten gegen sich selbst zu reden, 107er redet nur immer von Gütigkeit und Wohlthaten, welches das dichterische Stekkenpferd ist, zuletzt aber denkt man denn auch an sich, damit man sich doch gar nicht vergesse, so wie ein Gastwirth der
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tisch nicht miteinander verknüpften einzelnen Lektionen in drei Abteilungen: I. „Erklärung der Gründe und Eigenschaften der Moral überhaupt“ (Lekt. 1–5), II. „Allgemeine Mittel zur Tugend zu gelangen und sie zu vermehren, in kurzen Regeln vorgetragen und erläutert“ (Lekt. 6–10), III. „Von den vornehmsten Pflichten des Menschen“ (Lekt. 11–26). Der Beginn der Lekt. 11 macht klar, daß Gellert sämtliche Pflichten aus einem Gehorsam gegen Gott ableitet. „Die Summe der menschlichen Glückseligkeit besteht aus vielen einzelnen Gütern, die sich bald auf Bedürfnisse unsers Körpers, bald auf unsre gesellschaftliche Wohlfahrt, bald auf das Glück unserer Seele beziehen. Die innerliche Anleitung des Gewissens und der Vernunft, diese Güter zu behaupten und dem Endzwecke, zu dem sie uns von Gott gegeben sind, gemäß anzuwenden, heißt überhaupt die Pflicht des Menschen, und die regelmäßige Ausübung dieser Pflichten aus der rechten Absicht, heißt Tugend. Das allgemeine Amt des Menschen bestehet also darinne, diese Pflichten, so wohl nach ihrer Absicht, als nach ihren Mitteln aufrichtig zu erforschen, sie als den göttlichen Willen zu verehren, und dieselben immerdar und in allen Vorfällen, in seiner Seele durch Einwilligung und Vorsatz, aber auch durch äußerliche Handlungen durch die That auszuüben.“ (Bd. 1, S. 257 f.) – Überraschend dennoch S. 270, wo Gellert in einer Anmerkung lobend auf eine anonyme Schrift ‚die ganze Pflicht des Menschen‘ hinweist, insbesondere auf das „2te Capitel von den Pflichten gegen uns selbst“. Auf diese Schrift wird auch hingewiesen (S. 241) in der 10ten Vorlesung, die eine geraffte Umschau unter den Mitte der 1760er Jahre aktuellen moralphilosophischen Autoren enthält. – Eine besondere Königsberger Note ist darin zu sehen, daß ausweislich des Catalogus lectionum, der Privatdozent Weymann dieses Werk von Gellert viermal seinen Vorlesungen zugrunde gelegt hat: Winter ’76/77, Sommer ’77, Winter ’77/78, Sommer ’78; vgl. Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. 395 ff. – Zum langjährig gespannten Verhältnis zwischen Kant und Weymann vgl. Stark 1999. [XXVII: 340,22] Am ehesten scheint die Bemerkung auf die 24ste Vorlesung beziehbar zu sein „Von den Pflichten der Verwandtschaft und Freundschaft“. (Bd. 2, S. 529 ff.) Freilich kann die unten p. 249 in der Kantischen Vorlesung mit wörtlichen Anklängen wiederkehrende Aussage auch generell den Gellert’schen Ton treffen wollen. Auch im etwa zeitgleichen Anthropologie-Kolleg findet sich eine dem gemäße Aussage (Friedländer, Ms germ. qu. 400, p. 525 / XXV: 629f.): „Gellerts Moral lehrt alles gute aus Guthertzigkeit und nicht aus Grundsätzen thun.“
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schon alle Gäste gespeist auch an sich zuletzt denkt. Dahin gehört auch Hutcheson, 108der wohl sonst mit mehrerem philosophischen Geist gedacht hat. Alles dieses kommt daher, weil man keinen reinen Begrif hatte, worauf eine Pflicht gegen sich selbst beruhe. Man dachte die Pflicht gegen sich selbst bestehe darin, unsere eigene Glükseligkeit zu befördern, 109so wie auch Wolff definirte, nun kommts darauf an, wie jeder seine Glükseligkeit bestimmt, denn würde die Pflicht gegen sich selbst in einer allgemeinen Regel bestehen, alle seine Neigungen zu befriedigen um seine [215] Glükseligkeit zu befördern. Allein dieses würde hernach eine grosse Hinderniß der Pflichten gegen andere seyn. Dieses ist auf keine Weise das principium der Pflicht gegen sich selbst, sie gehen gar nicht auf das Wohlbefinden und auf unsere zeitliche Glükseligkeit. Weit gefehlt daß die Pflichten gegen sich selbst die niedrigsten sind, so haben sie im Gegentheil den obersten Rang und sind die wichtigsten unter allen. Denn ohne noch zu erklären, was die Pflicht gegen sich selbst ist, so kann man sagen, wenn ein Mensch seine eigene Person entehrt, was kann man von dem noch fordern? Wer die Pflicht gegen sich selbst übertritt, wirft die Menschheit weg und denn ist er nicht mehr im Stande Pflichten gegen andere auszuüben. So kann ein Mensch der die Pflichten gegen andere schlecht ausgeübt hat, der nicht grosmüthig, gütig, mitleidig gewesen, der aber die Pflicht gegen sich selbst beobachtet hat, der gelebt hat, so wie es sich geziemte, doch an sich einen gewissen innern Wehrt haben. Der aber die Pflicht gegen sich selbst übertreten hat, hat an sich gar keinen innern Werth. Also die Verletzung der Pflichten gegen sich selbst nimmt dem Menschen den gantzen Werth und die Verletzung der Pflicht gegen andere 108 109
[XXVII: 340,26] Vgl. die zu p. 25 gegebenen Hinweise. [XXVII: 340,30] Die Tatsache, daß dieser mit Namen versehene Hinweis in den bisherigen Editionen und Übersetzungen nicht hat enträtselt werden können, erklärt sich vielleicht dadurch, daß Wolff ’s Auffassung vom ‚Glück‘ einem gravierenden Wandel unterworfen war; vgl. dazu insgesamt Schwaiger 1995 und zur Erläuterung der Stelle insbesondere S. 44–48 „die cartesische Definition des Glücks in Wolffs erstem Ethikentwurf “.
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nimmt dem Menschen nur einen respectiven Werth. Demnach sind die Pflichten gegen sich selbst die Bedingung, unter der andere Pflichten können beobachtet werden. *Wir wollen zuerst die Verletzung [216] der Pflichten gegen sich selbst in einigen Beyspielen zeigen zE. Ein Säufer thut keinem Menschen Schaden und wenn seine Natur stark ist, so thut er auch sich selbst keinen Schaden, er ist aber ein Gegenstand der Verachtung. So ist eine kriechende Unterwürfigkeit uns nicht gleichgültig, solcher Mensch entehrt seine Person, der Mensch muß nicht kriechend seyn, dadurch vergiebt man die Menschheit. Aber wenn sich jemand um was zu gewinnen von andern wie ein Ball zu allem gebrauchen läßt, und mit sich alles machen läßt, der wirft den Werth des Menschen weg. Die Lüge ist mehr eine Verletzung der Pflicht gegen sich selbst als gegen andere, ein Lügner wenn er auch keinem Menschen dadurch einen Schaden thut, so ist er doch dadurch ein Gegenstand der Verachtung, er wirft seine Person weg, er handelt niederträchtig, er übertritt die Pflicht gegen sich selbst. Ia wenn wir weiter gehen wollen, so ist auch das schon einer Pflicht gegen sich selbst zuwieder, wenn man Wohlthaten annimmt; denn der Wohlthaten annimmt, macht Schulden die er niemals bezahlen kann, er kann dem, der sie ihm erzeigt niemals zuvorkommen, weil er der erste war, der ihm aus freyen Stükken solche ertheilte, erzeigt man ihm wieder Wohlthaten, so thut man es nur in so fern, weil er einem vorher welche erzeigt hat, also bleibt man ihm immer Dank schuldig; wer wird sich aber verschulden? Denn wer schuldig ist, ist jederzeit unter dem Zwange, er muß sodann dem er schuldig ist höflich [217] und schmeichelhafft begegnen, denn thut er es nicht, so läßt er es ihm bald empfinden, er muß offt dem Schuldner durch viele Umschweife aus dem Wege gehen, und sich sehr zwingen, wer aber alles sogleich bezahlt, der darf sich gar nicht zwingen, er kann frey handeln, es wird ihm keiner darin hinderlich seyn. So ist auch der zaghaffte, wenn er über sein Schiksal und Unglük klagt und seufzt und weint, in unsern Augen ein Gegenstand der Geringschätzung, wir suchen uns von ihm zu entfernen, anstatt daß wir Mitleiden haben sollten,
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wer aber in seinem Unglük einen standhafften Muth zeigt, zwar den Schmertz darüber empfindet, aber doch nicht kriechend klagt, sondern sich darin zu finden weiß, gegen den äussern wir ehr unser Mitleiden. Ferner der seine eigene Freyheit wegwirft und sie für Geld verkauft, handelt wieder die Menschheit, das Leben ist nicht so hoch zu halten, als daß man so lange wie man lebet als ein Mensch lebe, das heißt nicht im Wohlleben sondern so daß er die Menschheit nicht entehrt, er muß auch als ein Mensch würdig leben, alles was ihn nun darum bringt macht ihn unfähig zu allem und hebt ihn als einen Menschen auf. Ferner wer seinen Körper dem Muthwillen anderer um was zu gewinnen Preis giebt zE für ein paar Stof Bier einen Pukkel voll Prügel aushält, und die das Geld geben handeln eben so niederträchtig, solcher wirft seine Person weg. So kann auch eine Person sich gar nicht Preis geben um die Neigung [218] anderer zu befriedigen, wenn sie auch dadurch ihre Freunde und Eltern vom Tode erretten könnte, denn sonst wirft sie ihre Person weg, noch weniger kann solches um Geld geschehen, thut solches eine Person um ihre eigene Neigung zu befriedigen, so ist es doch noch natürlicher, ob es gleich auch sehr untugendhafft ist und wieder die Moralitaet läuft, allein thut sie es um Geld oder andern Absicht, so wirft sie den Werth der Menschheit weg, indem sie sich als eine Sache, da sie doch Person ist, gebrauchen läßt. So sind auch Laster wieder sich selbst die Crimina carnis, die auch deswegen 110unnennbar sind, dadurch wird kein Mensch laedirt, allein dadurch wird der Mensch in seiner eigenen Person entehrt, es ist die Verletzung der Würde 110
[XXVII: 342,29] In den etwa zeitgleichen Vorlesungen über Anthropologie wird auch der Grund für die Unnennbarkeit angegeben; es ist das Gefühl des Ekels (Friedländer, Ms germ. qu. 400, p. 305. / XXV: 564f.): „Es giebt Laster deren Misbilligung [lies: Mitteilung ?] allezeit Eckel hervorbringt, und das sind Laster wieder die Natur, daher sie auch unnennbar sind. Der Eckel ist unter allen Empfindungen ohne Ersatz, weil er die Qvelle des Lebens hemmt.“ Vgl. Anthropologie-Pillau p. 78; bzw. im Moral-Kolleg weiter unten p. 311 f. Auch in der späten Rechtslehre bezeichnet Kant die ‚unnatürlichen Laster‘ als ‚unnennbar‘. (VI: 277,18)
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der Menschheit in seiner eigenen Person. Der Selbstmord ist die höchste Verletzung der Pflicht gegen sich selbst. Worin besteht denn nun die Abscheulichkeit dieser Handlung? Von allen solchen Pflichten muß man den Grund nicht suchen in dem Verboth Gottes, denn der Selbstmord ist nicht abscheulich, weil ihn Gott verbothen hat, sondern weil er abscheulich ist so hat ihn Gott verbothen; wäre das erste, so wäre der Selbstmord nicht abscheulich, wenn er nicht verbothen wäre, und denn wüste ich nicht, warum ihn Gott verbothen hat, weil er an sich nicht abscheulich wäre, der Grund also den Selbstmord und andere Verletzung der Pflicht für abscheulich [219] zu halten und als sträflich anzusehen muß nicht aus dem göttlichen Willen sondern aus der innern Abscheulichkeit hergeleitet werden, und diese besteht darin, daß der Mensch seine Freyheit braucht um sich selbst zu destruiren, seine Freyheit soll er aber nur da brauchen, daß er als Mensch lebe, er kann über alles disponiren, was zu seiner Person gehört aber nicht über seine Person und nicht die Freyheit wieder sich brauchen. Es ist in diesem Fall sehr schwer die Pflicht gegen sich selbst einzusehen, denn der Mensch hat zwar einen natürlichen Abscheu für dem Selbstmord, aber wenn er anfängt zu klügeln, so kann man glauben es sey möglich Hände an sich zu legen um aus der Welt zu gehen, um dadurch sich alles Unglüks zu entreissen, dieses hat grossen Schein, nach der Regel der Klugheit ists offt das sicherste und beste Mittel, allein er ist an sich abscheulich, hier ist die Regel der Sittlichkeit, die über alle Regel der Klugheit und Reflection geht, die apodictisch und categorisch befiehlt die Pflicht gegen sich zu beobachten, denn der Mensch bedient sich hier seiner Kräffte und seiner Freyheit wieder sich selbst, er macht hier sich selbst zum Aas p Der Mensch kann zwar über seinen Zustand disponiren, aber nicht über seine Person, denn er ist selbst ein Zwek und kein Mittel; 111alles in der Welt hat 111
[XXVII: 343,21 Lücke] Die Formulierung ist sehr nahe bei der Position, die in der Grundlegung des Jahres 1785 dargestellt ist; vgl. IV: 428f. Ein derart moralisch aufgeladener Begriff der ‚Person‘ fehlt beispielsweise in den Kan-
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nur den Werth des Mittels, der Mensch ist aber eine Person und keine Sache, also kein Mittel, [220] das ist gantz wiedersinnig, daß ein vernünftiges Wesen, welches ein Zwek ist warum alle Mittel sind, sich als ein Mittel gebrauche, zwar kann eine Person zum Mittel bey andern dienen zE. Gott durch seine Arbeit, aber so daß er als Person und Zwek nicht aufhört, wer das thut, wodurch er kein Zwek seyn kann braucht sich als ein Mittel und macht seine Person zur Sache. Ueber seine Person als Mittel zu disponiren steht ihm nicht frey; wovon *in der Folge ein Mehreres vorkommen wird. Die Pflichten gegen sich selbst beruhen nicht auf der Beziehung der Handlung zu den Zwekken der Glükseligkeit, denn sonst würden sie auf den Neigungen beruhen, und denn würden sie eine KlugheitsRegel seyn, solche Regeln sind aber nicht moralisch, die nur die Nothwendigkeit der Mittel zeigen in Befriedigung der Neigungen, und denn könnten sie auch nicht verpflichten. Die Pflichten gegen sich selbst sind aber unabhängig von allen Vortheilen, und gehen nur auf die Würde der Menschheit, sie beruhen darauf, daß wir in Ansehung unserer Person nicht eine ungebundene Freiheit haben, daß die Menschheit in seiner eigenen Person müsse hochgeschätzt werden, weil wenn das nicht ist der Mensch ein Gegenstand der Verachtung ist, welches ein absoluter Tadel ist, indem er nicht allein in Ansehung anderer sondern auch an sich selbst nichts
tischen Notaten zu seinen Beobachtungen von 1764. Wenn ich recht sehe, dann ist die früheste Stelle, wo dieser spezifische Begriff von ‚Person‘ gebraucht wird in den Träumen eines Geistersehers von 1766; vgl. II: 362,02ff. – Der 1772/73 etablierten Vorlesung über Anthropologie ist dieser Begriff von Beginn an eigen (Collins p. 3): „Es liegt auch in ihm [dem Bewußtsein] die Personalitaet. Jeder Mensch, jedes Geschöpf, was sich selbst zum Gegenstand seiner Gedancken macht, kann sich nicht als ein Theil der Welt ansehen, das Leere der Schöpfung auszufüllen, sondern als ein Glied der Schöpfung, und als der Mittelpunckt derselben, und ihr Zweck.“ In den Notaten zu den Initia wird dieser Begriff von Person bereits verwendet, vgl. z. B. die R: 6590, 6598, 6621; vgl. auch die R: 4228 (XVII: 467) in der Metaphysica von 1757.
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werth ist. Die Pflichten gegen sich selbst sind die [221] oberste Bedingung und das principium aller Sittlichkeit, denn der Werth der Person macht den moralischen Werth aus, der Werth der Geschicklichkeit bezieht sich nur auf seinen Zustand. Socrates war 112in einem elenden Zustande, der gar keinen Werth hatte, aber seine Person war in diesem Zustande in dem grösten Werth. Wenn auch alle Annehmlichkeiten des Lebens aufgeopfert werden, so ersetzt die Erhaltung der Würde der Menschheit den Verlust aller dieser Annehmlichkeiten und erhält den Beyfall; denn wenn auch alles verlohren gegangen, so hat man doch einen innern Werth. Unter dieser Würde der Menschheit können wir nur die andern Pflichten ausüben, dieses ist die Basis aller übrigen Pflichten. Wer keinen innern Werth hat, der hat seine Person weggeworfen und der kann keine Pflicht mehr ausüben. Worauf beruht denn das principium aller Pflichten gegen sich selbst? 113Die Freyheit ist einerseits dasjenige Vermögen welches 112
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[XXVII: 344,05] Sokrates betreffend ist primär zu denken an die Situation im Kerker, die vielfach auch in der Malerei aufgegriffen worden ist. – Zur Differenz von Person und Zustand unter der Perspektive des Wertes, vgl. etwa die R: 3716 (insbesondere XVII: 256,18 f.) bzw. in den Initia (R: 6590, 7242) oder in der Critik der practischen Vernunft (V: 060) [XXVII: 344,15] Ganz ähnlich die chronologisch benachbarte Vorlesung über Anthropologie, Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 290 f. / XXV: 560): „Intellectuale Lust besteht in dem Bewustseyn des Gebrauchs der Freiheit nach Regeln. Die Freiheit ist das größte Leben des Menschen, dadurch exerciret er seine Thätigkeit ohne Hindernis. Durch einige Hinderniß der Freiheit ist das Leben eingeschränckt, weil die Freiheit nicht unter dem Zwange der Regel steht. Wäre dieses, so wäre sie nicht frey, da dieses aber eine Regellosigkeit mit sich führt, wenn der Verstand dieselbe nicht dirigirte, die Regellosigkeit aber sich selbsten hindert, so kann uns keine Freiheit gefallen, als die unter der Regel des Verstandes steht. Dieses ist die intellectuale Lust, die aufs moralische geht.“ Daß die ‚Freiheit‘ als das Charakteristikum des Menschen anzusehen ist, wodurch er sich aus dem Tierreich und der übrigen Schöpfung erhebt, lehrt auch der Kant-Schüler Herder. Im ersten Teil seiner Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit von 1784 heißt es: „Der Mensch ist zu feinern Trieben, mithin zur Freiheit organisiert.“ (4tes Buch, 4ter Abschnitt, Ed. 1966, S. 117)
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allen übrigen Vermögen unendliche Brauchbarkeit giebt, sie ist der höchste Grad des Lebens, sie ist diejenige Eigenschafft, die eine nothwendige Bedingung ist, die allen Vollkommenheiten zum Grunde liegt. Alle Thiere haben Vermögen ihre Kräffte nach Willkür zu gebrauchen, diese Willkür ist aber nicht frey sondern durch Reitze und stimulos necessitirt, in ihren Handlungen ist bruta necessitas, hätten [222] alle Wesen solche an sinnliche Triebe gebundene Willkür, so hätte die Welt keinen Werth, der innere Werth der Welt das summum bonum ist aber die Freyheit nach Willkür die nicht necessitirt ist zu handeln. Die Freyheit ist also der innere Werth der Welt. Von der andern Seite aber so fern sie nicht restringirt ist unter gewisse Regel des bedingten Gebrauchs, 114so ist sie das schreklichste was nur seyn kann. Alle Thierische Handlungen sind regelmässig, denn sie geschehen nach Regeln die subjectiv necessitiret sind; in der gantzen nicht freyen Natur finden wir ein inneres subjectiv necessitirendes principium, 115wornach alle Handlungen in der gantzen nicht freyen Natur regelmässig geschehen. Nehme ich nun aber die Freyheit bey Menschen, so ist da kein subjectiv necessitirendes principium der Regelmässigkeit der Handlungen, wäre dieses, so wäre es keine Freyheit; was wird nun daraus folgen? Wenn die Freyheit nicht durch objective Regeln restringirt wird, so kommt die gröste wilde Unordnung heraus, denn ist es ungewiß, ob nicht der Mensch seine Kräffte brauchen wird, sich, andere, und die gantze Natur zu destruiren, bey der Freyheit kann ich alle Regellosigkeit denken, wenn sie nicht objectiv necessitirt ist, diese objectiv necessitirenden Gründe müssen im Verstande liegen, die die Freyheit restringiren.
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[XXVII: 344,27] Vgl. oben Erläuterung zu p. 35. [XXVII: 344,30] Ein Stereotyp zu Beginn des Logik-Kollegs; in der Warschauer Handschrift, p. 1: „Alles in der Welt geschicht nach Regeln. Der Baum bewegt sich nach Regeln: der Stein fält nach Regeln: die ganze Einrichtung der Natur ist weiter nichts als ein Zusammenhang von Erscheinung nach Regeln.“ Kant / Pinder (Hg) 1998, S. 505 – vgl. XXIV: 311,01 ff. / 502,02 ff. / 608,02ff / 693,03ff. / 790,02ff.
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Also der gute Gebrauch der Freyheit ist die oberste Regel. [223] Welches ist die Bedingung, unter der die Freiheit restringiret ist? Dieses ist das Gesetz. 116Das Allgemeine Gesetz ist also dieses: Verfahre so daß in allen deinen Handlungen Regelmässigkeit hersche; Was wird denn das seyn, was in Ansehung meiner selbst die Freiheit restringiren soll? Dieses ist den Neigungen nicht zu folgen. Die ursprüngliche Regel nach der ich die Freiheit restringiren soll, ist die Uebereinstimmung des freyen Verhaltens mit den wesentlichen Zwekken der Menschheit. Ich werde also nicht den Neigungen folgen, sondern sie unter die Regel bringen. Wer seine Person den Neigungen unterwirft, der handelt wieder den wesentlichen Zwek der Menschheit; denn als ein freyhandelndes Wesen muß er nicht den Neigungen unterworfen seyn, sondern er soll sie durch Freyheit bestimmen, denn wenn er frey ist so muß er Regel haben, diese Regel aber ist der wesentliche Zwek der Menschheit. Bey den Thieren sind schon die Neigungen durch subjectiv necessitirende Gründe bestimmt, es kann dahero unter ihnen keine Regellosigkeit statt finden, folgt nun der Mensch frey seinen Neigungen, so ist er noch unter den Thieren; denn alsdenn entsteht bey ihm eine Regellosigkeit, die bey den Thieren nicht ist. Alsdenn aber wiederstreitet der Mensch den wesentlichen Zwekken der Menschheit in seiner Person und handelt wieder sich selbst. 142Alle Uebel in der Welt kommen aus der Freyheit. Die Thiere handeln nach Regeln, weil sie nicht frey sind, aber freye Wesen [224] können nur in so fern regelmässig handeln, wenn sie ihre Freyheit durch Regel restringiren. Laßt uns die Handlungen der
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Alle Uebel Kae] Alles Böse Hg?] | Vgl. die klare Abgrenzung p. 225 und p. 264, wo freilich auch vom ‚Uebel in der Welt‘ die Rede ist.
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[XXVII: 345,04] Die Vorlesung zeigt sehr schön, daß das ‚allgemeine – formale – Gesetz‘ gedacht wird in exakter Parallele zur Regelhaftigkeit natürlicher Vorgänge, und daß eine inhaltliche Bestimmung sive Einschränkung erst durch die ‚Zwecke der Menschheit‘ erfolgt. Das Moralgesetz ist schon genannt worden p. 80.
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Menschen die sich auf ihn selbst beziehen erwegen und da die Freyheit betrachten. Die Handlungen die sich auf den Menschen selbst beziehen entspringen aus Antrieben und Neigungen oder aus Maximen und Principien. Es ist also nöthig, daß der Mensch sich auf Maximen setze und durch Regel seine freye Handlungen die sich auf ihn selbst beziehen restringire, und das sind Regel und Pflichten, die auf ihn selbst gerichtet sind; denn wenn wir den Menschen in Ansehung seiner Neigungen und Instincte betrachten, so ist er darin ungebunden und durch keine Instincte und stimulos necessitirt. In der gantzen Natur ist nichts, was dem Menschen in Befriedigung seiner Neigung schädlich wäre, alles schädliche ist durch seine Erfindung und Gebrauch seiner Freyheit zE alle starke Getränke und die vielerley Speisen für seinen Geschmak; wenn er nun seiner Neigung, die er sich selbst ersonnen hat ohne Regel folgt, so wird er der abscheulichste Gegenstand, indem er durch seine Freyheit um seine Neigung zu befriedigen die gantze Natur umformen kann, dieses kann man ihm wohl einräumen, daß er vieles zur Befriedigung seiner Neigung erfindet, er muß nur eine Regel haben sich dessen zu bedienen, hat er keine Regel, so ist seine Freyheit sein gröstes Unglük Sie muß also restringirt werden aber nicht durch andere Eigenschafften [225] und Vermögen, sondern durch sich selbst. Ihre Oberste Regel ist diese: In allen Handlungen in Ansehung seiner selbst so zu verfahren, daß all der Gebrauch der Kräffte mit dem grösten Gebrauch derselben möglich ist zE. Habe ich heute zu viel getrunken, so bin ich unmächtig nach meiner Freyheit meine Kräffte zu gebrauchen; oder bringe ich mich selbst um, so nehme ich mir das Vermögen meine Freyheit und meine Kräffte zu gebrauchen, es wiederstreitet also dieses mit dem grösten Gebrauch der Freyheit, daß die 117Freyheit als das principium des höch117
[XXVII: 346,13] Weiter unten p. 275 wird von der Freiheit als dem „höchsten Grad des Lebens“ gesprochen. – Eine ganz ähnliche Redeweise findet sich auch in der zeitlich benachbarten Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 290 f.; vgl. oben dazu Zitat zu p. 221) und der Metaphy-
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sten Lebens sich selbst und allen Gebrauch derselben aufhebe. Unter gewissen Bedingungen kann nur die Freyheit mit sich selbst übereinstimmen, sonst collidirt sie mit sich selbst. Gesetzt in der Natur wäre keine Ordnung, so hörte alles auf und so ist es auch mit der regellosen Freyheit. Die Uebel stekken zwar in der Natur, aber das wahre Böse, die Laster stekken in der Freyheit. Einen Unglüklichen bedauren wir, aber einen Lasterhafften hassen wir und frohlokken über seine Strafe. – Die Bedingungen, unter denen nur allein der gröste Gebrauch der Freyheit möglich ist, und unter denen sie mit sich selbst übereinstimmen kann, sind die wesentlichen Zwekke der Menschheit, mit diesen muß die Freyheit übereinstimmen. 118Das principium aller Pflichten ist also die Uebereinstimmung [226] des Gebrauchs der Freyheit mit den wesentlichen Zwekken der Menschheit. Wir wollen dieses *in Beyspielen zeigen zE. der Mensch ist nicht befugt für Geld seine Gliedmaassen zu verkaufen, und wenn er auch für einen Finger 10.000 Reichsthaler bekäme, oder einen Zahn zum Besten des Andern ausziehen lassen, denn sonst könnte man dem Menschen alle Gliedmaassen abkaufen; über Sachen die keine Freyheit haben kann man disponiren, aber nicht über ein Wesen was selbst freye Willkür hat; thut nun der Mensch solches, so macht er sich zu einer Sache, und denn kann jeder mit ihm machen was er will, weil er seine Person weggeworfen und sich zur Sache gemacht. So ist es zE. mit der Geschlechter Neigung, wo sich ein Mensch zum Object des Genusses also zur Sache des andern macht, dahero auch darin eine Abwürdigung der Menschheit ist, dahero man sich auch dessen schämt. Eine Person, die sich für Geld Preis giebt zum Genusse des Andern hat die Menschheit weggeworfen, in-
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sik-Nachschrift aus den späten 1770er Jahren (Pölitz) XXVIII: 249 f. – Wenn ich recht sehe, dann begegnet diese Redeweise oder eine dieser entsprechende Konzeption weder in den späteren Nachschriften des Anthropologie-Kollegs noch in den Kantischen Publikationen 1781 ff. [XXVII: 346,23] Vgl. oben p. 80.
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dem sie sich zur Sache gemacht hat. So ist es auch mit dem, der sich für Geld dem andern verkauft, wo der andere mit seiner Person machen kann was er will. Dieses streitet alles mit den wesentlichen Zwekken der Menschheit. Die Freyheit ist also der Grund der entsetzlichsten Lastern, indem sie sich vieles erkünsteln kann, um ihre Neigung zu befriedigen zE. die Crimina Carnis contra naturam; so wie sie auch der Grund [227] zur Tugend ist, die die Menschheit ehret. Einige Verbrechen und Laster, die aus der Freyheit entspringen bringen Grausen hervor, als der Selbstmord, andere bringen Ekel hervor, ja sogar denn wenn man sie nennt, das sind Crimina Carnis contra naturam, wir schämen uns ihrer, weil wir uns dadurch unter die Thiere setzen; diese sind noch ärger als der Selbstmord, denn den kann man doch noch ohne Grausen nennen, jene aber ohne einen Ekel nicht; der Selbstmord ist das abscheulichste Laster des Grausens und des Hasses, aber der Zustand des Ekels und der Verachtung ist noch abscheulicher. Das principium der Pflichten gegen sich selbst besteht nicht in der Selbstgunst, sondern in der Selbstschätzung, das heißt, unsere Handlungen müssen übereinstimmen mit der Würde der Menschheit, so wie 119das principium des Rechts heißt neminem laede, so könnte man hier sagen, noli humanam naturam in te ipso laedere. Zween Gründe unserer Handlungen 119
[XXVII: 347,12] In den 1750 erschienen Anfangsgründen des Naturrechts von Gottfried Achenwall und Johann Stephan Pütter, die Kant seinen rechtsphilosophischen Vorlesungen vermutlich in der allein von Achenwall veranstalteten fünften Auflage des Jahres 1763 zugrunde gelegt hat, wird in § 213 der Satz „störe nicht die Erhaltung anderer“ / „ne turbes aliorum conservationem“ als „allgemeiner, eigener, erster und angemessener Grundsatz des Naturrechts“ eingeführt. Der folgende § 214 lautet: „Actio contra legem perfectam vocatur laesio. Hinc: neminem laede, est lex perfecta.“ / „Eine Handlung gegen ein vollkommenes Gesetz heißt Verletzung. Daher ist: Verletze niemanden, ein vollkommenes Gesetz.“ (Übersetzung: Jan Schröder) – Ein Exemplar der fünften Auflage lag nicht vor. Auch Rousseau hebt in seinem Emile diese negative Grundregel hervor (Schmidts 1975, S. 86): „Die einzige Sittenlehre, die der Kindheit zusteht und die für jedes Alter gleich wichtig ist, ist die, niemals jemandem etwas Böses zuzufügen.“
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haben wir in uns, die Neigungen, welche thierisch sind, und die Menschheit der die Neigungen unterworfen seyn müssen; die Pflichten gegen uns selbst sind negativ und restringiren unsere Freyheit in Ansehung der Neigungen, die auf unser Wohlbefinden gerichtet sind. So wie die Lehre des Rechts unsere Freyheit restringirt in Ansehung unseres Betragens gegen andere Menschen so restringiren die Pflichten gegen uns selbst unsere Freyheit in Ansehung unser selbst. [228] Allen Pflichten gegen uns selbst liegt eine innere Ehre eine Ehrliebe zum Grunde, die darin besteht, daß sich der Mensch selbst schätzt und seinen eigenen Augen nicht unwürdig ist, daß seine Handlungen mit der Menschheit selbst übereinstimmen die innere Ehre, in seinen eigenen Augen würdig zu seyn, die Schätzung des Beyfalls ist das wesentliche der Pflichten gegen sich selbst. Um die Pflichten gegen sich selbst besser einzusehen, so stelle man sich die üblen Folgen der Uebertretung derselben vor, so wird man finden, wie nachtheilig die Uebertretung derselben dem Menschen ist, zwar sind die Folgen nicht das principium der Pflichten, sondern die innere Schändlichkeit, die Folgen dienen aber doch dazu um das principium besser zu verstehen. Weil wir Freyheit und Vermögen haben, unsere Neigungen durch allerhand Erfindungen zu befriedigen, so würden die Menschen sich selbst zu Grunde richten, wenn hier keine Restriction wäre; zwar könnte man dieses für eine Regel der Klugheit halten, allein mit unserer Klugheit ists so bewandt, daß sie erst aus den Folgen kann geschöpft werden dahero muß ein principium seyn, daß der Mensch seine Freyheit restringire, damit er sich selbst nicht wiederstreite, und dieses principium ist moralisch. *Ietzt wollen wir zu den besondern Pflichten gegen uns selbst gehn, und zwar in Ansehung unseres Zustandes überhaupt so fern [229] wir uns als denkende Wesen betrachten. Der Mensch hat eine allgemeine Pflicht gegen sich selbst, sich so zu disponiren, daß er zu Beobachtung aller moralischen Pflichten fähig ist, daß er also moralische Reinigkeit und moralische Grundsätze in sich festsetze und nach denselben zu handeln trachte.
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Also ist die erste Pflicht gegen sich reine moralische Gesinnung zu hegen und dieselbige in ihrer Reinigkeit und Stärke zu erhalten. Dahin gehört die Selbstprüfung und die Selbstforschung ob die Gesinnungen auch moralische Reinigkeit haben. Die Quellen müssen untersucht werden, aus denen die Gesinnungen entspringen, ob aus Ehre, oder aus Wahn, oder aus Aberglauben, oder aus reiner Moralitaet. Die Vernachlässigung alles dieses ist ein grosser Schaden der Moralitaet, würde mancher untersuchen, was seiner Religion oder seinen Handlungen zum Grunde liegt, so würden die mehresten finden, daß nichts moralisches darin ist, sondern vielmehr Ehre oder Mitleiden oder Klugheit oder Gewohnheit als Moralitaet seyn. Diese Exploration seiner selbst ist also das erste, was man aus Pflicht gegen sich zu beobachten hat. 143Diese Exploratio soll continuirlich seyn, zwar ist die Exploration seiner selbst eine besondere Handlung, die nicht beständig fortdauern kann, nach welcher der Mensch die Tiefen seines Hertzens, seiner Gesinnung (so wie wir auch 120Tiefen des Verstandes haben) untersucht, aber wir sollen continuirlich Acht auf uns haben; in Ansehung unserer [230] Handlungen gehört eine Achtsamkeit und das ist die vigilantia moralis. Diese Wachsamkeit soll auf die Reinigkeit unserer Gesinnung und auf die Pünktlichkeit unserer Handlungen gerichtet seyn. 143
Diese Hg.] Dieses Kae]
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[XXVII: 348,18 Lücke] Worüber im Anthropologie-Kolleg von Beginn an gehandelt wird (Collins p. 12 / XXV: 024): „Von der Tiefe des menschlichen Verstandes / Das Gemüth worunter man die Selbstthätigkeit verstehet, so fern sie den Eindrücken des Cörpers entgegen würckt, hat für den Menschen selbst unerforschliche Tiefen. Darauf gründet sich die Rechtmäßigkeit des Befehls, nicht sich, auch nicht andere zu richten. Wer weiß wie viele der besten Handlungen bey uns durch eine Veranlaßung des Ohngefehrs entstehen, oder Folgen des Temperaments oder Spiele des Glücks sind; nur sehr wenige hingegen aus reiner Willkühr geschehen. Wir sind indeßen sehr geneigt uns selbst zu taüschen, und zu überreden bey den guten Handlungen immer die reinsten motiven zu haben.“ Vgl. Parow p. 15 oder Menschenkunde S. 23.
§ 157
§ 159
184 § 161
Moralische Träume können entweder das moralische Gesetz selbst oder unsere moralische Handlungen betreffen; die erste Erträumung ist eine Einbildung vom moralischen Gesetz, daß dasselbe in Ansehung unser nachsichtlich ist, die andere Erträumung ist eine Einbildung von unsern moralischen Vollkommenheiten, daß dieselbe mit dem moralischen Gesetz congruiren, die erste Erträumung ist schädlicher als die zweyte, denn bildet er sich ein, daß seine Vollkommenheiten dem moralischen Gesetz gemäß sind, so kann er doch davon bald überführt werden, nemlich wenn man nämlich ihm die Reinigkeit des moralischen Gesetzes zeigt, allein concipirt er sich ein nachsichtliches Gesetz, so hat er ein falsches moralisches Gesetz, nach welchem er sich auch solche Maximen und Principien macht, da alsdenn auch seine Handlungen keine sittliche Bonitaet haben können.
sectio 2: Diiudicatio tui ipsius §§ 165 ff. § 168
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Von der geziemenden Selbstschätzung. Zu der geziemenden Schätzung seiner selbst gehört auf der einen Seite die Demuth, auf der andern Seite der wahre edle Stoltz; die entgegengesetzte Seite hievon ist die Niederträchtigkeit. Wir haben Ursache von unserer Person eine kleine Meynung zu hegen, aber in Ansehung unserer Menschheit sollen [231] wir eine grosse Meynung haben, denn wenn wir uns mit dem heiligen moralischen Gesetz vergleichen, so finden wir, wie weit wir abstehen, um mit demselben zu congruiren und ihm adaequat zu seyn. Diese kleine Meynung von unserer Person entspringt aus der Vergleichung mit dem heiligen Gesetz, und da haben wir Ursache genug uns zu demüthigen; aber wir haben keine Ursache von uns in Vergleichung mit andern eine kleine Meynung zu hegen, 144 da brauchen wir uns nicht zu demüthigen, in Ansehung anderer kann ich mich eben so hoch schätzen und eben so wehrt
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| Dittographie, gestrichen: „aber in Ansehung unserer Menschheit sollen wir eine grosse Meynung haben“.
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halten als ein anderer, diese Selbstschätzung in Vergleichung mit anderen ist der edle Stoltz; die kleine Meynung von seiner Person in Ansehung anderer ist keine Demuth, sondern das verräth eine kleine Seele und ist eine kriechende Gemüthsart, solche eingebildete Tugend die nur ein Analogon der wahren Tugend ist, ist eine Mönchstugend, diese Demuth und Mönchstugend, wo wir eine kleine Meynung von uns in Ansehung anderer haben ist gantz unnatürlich, denn der Mensch, der sich gegen andere so demüthig stellt, ist eben dadurch stoltz. Unsere Selbstschätzung ist billig, denn dadurch thun wir dem andern keinen Schaden, wenn wir uns mit ihnen gleich werth schätzen. Wir sollen uns aber mit dem reinen moralischen Gesetz [232] vergleichen, wenn wir ein Urtheil von uns fallen wollen und da finden wir, daß wir Ursache haben uns zu demüthigen. Mit andern rechtschaffenen Männern müssen wir uns nicht vergleichen denn das sind nur Copien des moralischen Gesetzes. Das Evangelium lehrt uns nicht die Demuth, sondern macht demüthig. Wir können Selbstschätzung der Liebe haben, welches eine Selbstgewogenheit und SelbstGunst wäre. Die pragmatische Selbstschätzung nach Regeln der Klugheit ist billig und möglich, so fern sie die Gleichheit zu beobachten sucht, keiner kann verlangen, daß ich mich erniedrigen und geringer halten soll als andere, jeder hat aber Recht zu fordern daß sich der andere nicht überhebe. Allein die moralische Selbstschätzung, die auf der Würde der Menschheit beruht, muß niemals auf der Vergleichung mit andern, sondern auf der Vergleichung mit dem moralischen Gesetz selbst beruhen. Die Menschen sind sehr geneigt andere zum Maasstabe ihres moralischen Wehrts zu nehmen, und wenn sie denn glauben einigen zuvor zu kommen, so glaubt man das wäre der moralische Eigendünkel, allein der moralische Eigendünkel ist vielmehr, wenn man sich in Vergleichung mit dem moralischen Gesetz als vollkommen zu seyn glaubt. Ich kann immer glauben ich bin besser als andere, ob ich gleich dadurch, daß ich besser bin als die 145schlechtesten, noch gar 145
schlechtesten, Hg.] schlechsten, Kae]
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nicht viel besser bin, also ist das eigentlich kein moralischer Eigendünkel. [233] Wenn nun die moralische Demuth die Einschränkung des Eigendünkels in Ansehung des moralischen Gesetzes ist, so geht die Demuth niemals auf die Vergleichung mit andern Menschen, sondern mit dem moralischen Gesetz. Die Demuth ist also die Einschrenkung des moralischen Eigendünkels oder der grossen Meynung von unserm moralischen Wehrt durch die Vergleichung unserer Handlungen mit dem moralischen Gesetz. Die Vergleichung der Handlungen mit dem moralischen Gesetz macht demüthig; der Mensch hat Ursache kleine Meynung von sich zu haben, weil seine Handlungen sowohl dem moralischen Gesetz entgegen gesetzt sind, als auch der Reinigkeit ermangeln, aus Gebrechlichkeit übertritt der Mensch das Gesetz und handelt ihm zuwieder, und aus Schwäche kommen seine gute Handlungen der Reinigkeit des Gesetzes nicht bey. Wer sich das moralische Gesetz nachsichtlich vorstellt, der kann von sich grosse Meynung haben und Eigendünkel besitzen, weil der Maasstab womit er seine Handlungen vergleicht unrichtig war. Alle Begriffe der Alten von der Demuth und allen moralischen Tugenden waren nicht rein und congruirten nicht mit dem moralischen Gesetz, das Evangelium allein ist das erste, was das moralische Gesetz in aller Reinigkeit vorträgt, und nichts hat, so weit uns die Geschichte Beweise geben kann, das moralische Gesetz so rein vorgetragen, als [234] das Evangelium. Diese Demuth kann aber nachtheilige Folgen haben, wenn sie übel verstanden wird, sie bringt nemlich eine Muthlosigkeit, Kleinmüthigkeit zu wege, daß der Mensch glaubt aus Unvollständigkeit der Handlungen niemals mit dem moralischen Gesetze zu congruiren, woraus hernach die Unthätigkeit entspringt, indem der Mensch hernach gar nichts zu thun wagt. 121Eigendünkkel und
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[XXVII: 350,24] Das Bild ist offenbar älter: Erasmus, Vom freien Willen (1524): „Mir sagt die Meinung derer zu, die einiges dem freien Willen, doch das meiste der Gnade zuschreiben. Man hätte doch nicht so die Scylla der Hoffart meiden sollen, daß man der Charybdis der Verzweiflung oder der Gleichgültigkeit verfiel; […].“ (Ed. Schumacher, S. 87 f.)
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Muthlosigkeit sind die zween Abwege und Klippen, in die der Mensch geräth, wenn er auf der einen oder der andern Seite sich vom moralischen Gesetz entfernet. Auf der einen Seite muß der Mensch nicht verzagen, sondern glauben, er habe Kräffte das moralische Gesetz zu befolgen, wenn er auch nicht völlig demselben conform werde; auf der andern Seite kann er aber in den Eigendünkel verfallen und gar zu viel auf seine Kräffte bauen. Dieser Eigendünkel kann aber verhütet werden, durch die Reinigkeit des Gesetzes, denn wenn das Gesetz in seiner völligen Reinigkeit vorgetragen wird, so wird keiner ein solcher Thor seyn, daß er glauben sollte, durch seine Kräffte das Gesetz völlig rein zu erfüllen; dahero auf der Seite nicht so viel Gefahr ist als auf der andern Seite, wo der Mensch alles Zutrauen auf sich aufgiebt und sich gar nicht einmal wagt, es auszuüben. Solche Religion ist eine Religion der Faulen, die gar nichts thun wollen, sondern alles Gott überlassen. Um dieser Muthlosigkeit abzuhelfen, so merke man folgendes an: 122daß wir hoffen [235] können, unserer Schwäche und Gebrechlichkeit werde durch Göttliche Hülfe eine Ergäntzung wiederfahren, wenn wir nur so viel gethan, als nach Bewustseyn unseres Vermögens und unserer Kräffte uns zu thun möglich war, aber unter dieser Bedingung eintzig und allein und unter keiner andern können wir solches hoffen, denn dadurch sind wir der Göttlichen Beyhülfe würdig, wenn wir alles gethan, was nach unsern Kräfften möglich war. Es ist nicht gut, daß einige 123Autores die guten Gesinnungen dem Menschen zu benehmen suchten, und dadurch glaubten den Menschen 146von seiner Schwäche zu überzeugen, wodurch er angetrieben werden sollte zur Demuth und zur Erflehung göttlicher Beyhülfe; es ist zwar dem Menschen anständig und gut seine 146
von seiner Hg.] seiner Kae]
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[XXVII: 350,38] Die Ausführungen der Vorlesung decken sich mit Kant’s eigener brieflicher Darlegung aus etwa derselben Zeit. Vgl. den Brief an Lavater vom 28. April 1775, insbesondere X: 176,21–35. [XXVII: 351,05] Nicht ermittelt.
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Schwäche und Unvollständigkeit einzusehen zu geben, aber nicht ihn um seine gute Gesinnungen zu bringen, denn wenn Gott ihm Beyspiele geben soll, so muß er doch wenigstens derselben würdig das heißt nicht unfähig seyn. Die Verringerung des Wehrts der menschlichen Tugenden muß nothwendig den Schaden zuwege bringen, daß der Mensch hernach alles sowohl den niederträchtigen als wohlthätigen Menschen für einerley hält, denn alsdenn ist bey dem wohlthätigen auch keine gute Gesinnung. Ieder Mensch wird doch bey sich empfinden, daß er doch wenigstens einmal eine gute Handlung aus moralischer Gesinnung gethan hat, und daß er derselben noch mehr zu thun fähig ist, obgleich sie noch immer sehr [236] unrein seyn und niemals dem moralischen Gesetz völlig gleich seyn werden, so nähern sie sich doch immer mehr und mehr demselben.
sectio 3: Officia erga conscientiam §§ 175 ff.
Vom Gewissen. Das 124Gewissen ist ein Instinct sich selbst nach moralischen Gesetzen zu richten; es ist kein blosses Vermögen, sondern ein
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[XXVII: 351,22] Nicht nur für das Verhältnis der Vorlesungen über Anthropologie und Ethik ist die Behandlung des ‚Gewissens‘ von zentraler Bedeutung, denn im anthropologischen Gliederbau der Seelen- oder Gemütsvermögen hat das Gewissen bei Kant zu keiner Zeit einen bestimmbaren Ort. Gleichwohl nennt das Anthropologie-Kolleg Wort und Sache gelegentlich; Collins p. 132, 148 f. / Parow p. 152 / Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 599, 726, 733 / Pillau p. 120, 123 / Menschenkunde S. 222, 349 / Mrongovius p. 39, 93 / Dingelstaedt p. 95 / Busolt p. 76 / Dohna p. 47, 136, 138, 191. Auch die 1798 erstmals veröffentlichte Anthropologie in pragmatischer Hinsicht weist dem ‚Gewissen‘ keinen Ort zu; Wort und Sache kommen eher zufällig und nur in einer Anmerkung ganz am Ende des Buches (VII: 333,12) zur Sprache. – Legt man die Bandeinteilung der Akademie-Ausgabe zugrunde, so ist der Band VI der eigentümliche Ort des Gewissen; bei einer wiederum signifikanten Ausnahme: In der Critik der practischen Vernunft (1788) wird es einmalig erwähnt, nämlich als das „wundersame Vermögen in uns, welches wir Gewissen nennen“ (V: 098,13 f.). In der Grundlegung von 1785 ist hingegen davon nur beiläufig die Rede (IV: 404,20; 422,19).
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125Instinct, nicht über sich zu urtheilen, sondern zu richten. Wir haben ein Vermögen uns selbst nach moralischen Gesetzen zu beurtheilen, von diesem Vermögen können wir aber Gebrauch nach Belieben machen. Das Gewissen hat aber eine treibende Gewalt uns vor den Richterstuhl wieder unsern Willen wegen der Rechtmässigkeit oder Unrechtmässigkeit der Handlungen zu fordern es ist also ein Instinct ein natürlicher Antrieb und nicht blos ein Vermögen der Beurtheilung. Es ist aber ein Instinct zu richten und nicht zu urtheilen. Der Unterschied des Richters von dem der nur beurtheilt ist darin; daß der Richter valide urtheilen kann, und das Urtheil nach dem Gesetz würklich in Ausführung bringen kann, sein Urtheil ist rechtskräfftig und eine Sentenz, ein Richter muß nicht nur urtheilen, sondern auch entweder strafen oder lossprechen. Wäre das Gewissen ein Trieb zum urtheilen, so wäre es ein ErkenntnißVermögen so wie andere Vermögen zE. der Trieb sich mit andern zu vergleichen sich zu schmeicheln; diese Triebe sind nicht Triebe zum Richten. Das Gewissen ist aber ein Trieb zu richten. Ein jeder hat einen Trieb, sich Lob über seine Handlungen die gut sind zu ertheilen nach Regel der Klugheit, [237] im Gegentheil macht er sich auch Vorwürfe, daß er so unklug gehandelt hat. Ieder hat also einen Trieb sich selbst zu schmeicheln und sich zu reprochiren nach Regel der Klugheit, dieses aber ist noch kein Gewissen sondern nur ein Analogon des Gewissens, nach welchem sich der Mensch Lob oder Tadel ertheilt. Dieses Ana-
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[XXVII: 351,23] Die Bedeutung des Begriffs läßt sich ziemlich genau eingrenzen, wenn man etwa zeitgleiche Definitionen aus dem AnthropologieKolleg hinzuzieht. (Parow 1772/73, p. 18 / XXV: 254): „Dieses ist ein wahrer Instinckt, den die Natur dem Menschen eingepflanzt, vermöge deßen er immer thätig seyn muß, und sollte er auch irren.“ – Friedländer (1775/76, Ms germ. quart. 400, p. 373 f. / XXV: 584) handelt von zwei natürlichen Instinkten, dem zur Selbsterhaltung (nach Nahrung) und dem zur Erhaltung der Art (nach dem anderen Geschlecht). Ebenso VIII: 112,27–28. – Ein Instinkt ist demnach nicht etwas vom Menschen Erworbenes, sondern ihm durch Gottheit oder Natur gegebenes Inneres, das zu bestimmten Handlungen einen Antrieb liefert.
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logon des Gewissens pflegen offt die Menschen mit dem Gewissen zu verwechseln. Ein Verbrecher der auf den Tod sitzt, der ärgert sich und macht sich die bittersten Vorwürfe und beunruhigt sich sehr, aber am meisten darüber, daß er in seinen Handlungen so unvorsichtig so unklug war, daß er dabey ertappt wurde, diese Beunruhigung und diese Vorwürfe die er sich macht verwechselt er mit den Vorwürfen des Gewissens wieder die Moralitaet; wäre er nur hier so ohne Schaden weggekommen, so hätte er sich keine Vorwürfe gemacht, welches doch aber wenn er ein Gewissen hat auch alsdenn geschehen müste. Also muß das Urtheil nach Regeln der Klugheit von dem Urtheil des Gewissens wohl unterschieden werden. Viele Menschen haben nur ein Analogon des Gewissens, welches sie für das Gewissen selbst halten, und die Reue die sich offt auf dem Krankenbette eintrifft ist nicht die Reue ihres Verhaltens wieder die Moralitaet, sondern daß sie so unklug gehandelt haben, daß sie jetzo da sie vor dem Richter erscheinen sollen nicht bestehen werden. Wer seine begangene Laster verabscheut, deren Folgen jederzeit Strafe sind, welche Strafen doch die Straffälligkeit [238] zu erkennen geben, der weiß nicht ob er seine Laster verabscheut wegen der Strafen oder der Straffälligkeit. Wer kein moralisches Gefühl, das heißt einen unmittelbaren Abscheu wieder das moralische Böse und einen Gefallen gegen das moralische 147Gute hat, der hat kein Gewissen. Wer sich wegen einer bösen Handlung verklagen, 148verhassen lässt, der macht sich keine Vorwürfe wegen der Abscheulichkeit der Handlungen, sondern wegen der üblen Folgen, die er sich dadurch zugezogen hat, ein solcher hat kein Gewissen, sondern nur ein Analogon desselben. Wer aber die Abscheulichkeit der That fühlt, die Fol147 148
Gute hat, Hg.] Gute, Kae] verhassen Kae] | Krauß (S. 19) erwägt ‚verhaften‘; jedoch scheint der ungewöhnliche Infinitiv zu ‚verhaßt‘ möglich; zumal auch ‚verhaften‘ ansonsten in der Vorlesung nicht vorkommt. Die Ligaturen von ‚ss‘ und ‚ft‘ oder ‚fft‘ sind leicht verwechselbar. In Mnz 162,27 ist das Problem umgangen: „[…] Handlung verklagt zu werden befürchten muß, der […].“ Ebenso XXVII: 352,30f.
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gen mögen seyn wie sie wollen, der hat ein Gewissen. Diese beyden Stükke sind keinesweges mit einander zu verwechseln; die Vorwürfe wegen der Folgen der Unklugheit müssen nicht vor Vorwürfe der Moralitaet wegen gehalten werden. Darauf ist im Leben zE. vom Prediger sehr zu sehen, ob der Mensch aus wahrem Gefühl der Abscheulichkeit der Handlungen sie bereut, oder sich deswegen nur solche Vorwürfe macht, weil er jetzt vor einem Richter erscheinen soll wo er wegen seiner Handlungen nicht bestehen wird. Wenn die Reue sich erst auf dem Todbette eintrifft, so ist da wohl keine Moralitaet, diese Reue kömmt nur deswegen, weil man sterben soll, würde das nicht folgen, so möchte man sich auch wegen der Abscheulichkeit der Handlungen keine Vorwürfe machen. Alsdenn aber wenn die Stunde des Todes herannahet macht man sich Vorwürfe über seine unkluge [239] Handlungen, daß man doch nicht so gehandelt habe, damit man jetzo bestehen könnte. Eben so wie ein Spieler der da verlohren hat, dieser ist der 149wütendste gegen sich, er ärgert sich, daß er so dumm gehandelt hat und schlägt sich selbst vor den Kopf; mit dieser Reue auf dem Sterbebette ist es auch so bewandt, man verabscheut nicht die Laster an sich, sondern die Folgen, die jetzt daraus entstehen. Man muß sich hüten solchen Menschen Krafft dieses Analogon des Gewissens Trost zuzusprechen. Die Klugheit macht uns Vorwürfe, aber das Gewissen klagt uns an. Hat man einmal wieder die Klugheit gehandelt oder ist schon einmal ein Unglük geschehen, und man quält sich nicht lange mit Vorwürfen der Klugheit, man hält sich nicht länger dabey auf als nur so viel es zur Belehrung nöthig ist, so ist dieses selbst eine Regel der Klugheit, und gereicht einem noch zur Ehre, indem es eine starke Seele verräth. Allein die Anklage des Gewissens läßt sich nicht abweisen und soll auch nicht abgewiesen werden, hier beruht es nicht auf unserm Willen; in der Abweisung der Anklage und der Bisse des Gewissens kann man keine Stärke der Seele suchen, sondern das ist Ruchlosigkeit oder im theologischen Ver149
wütendste Hg.] wütenste Kae]
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stande Verstokkung. Wer seine Anklage seines Gewissens abweisen kann, wenn er will, der ist ein Rebell, so wie der einer ist, wer die Anklage von seinem Richter abweisen kann, über den der Richter keine Gewalt hat. Das Gewissen ist ein Instinct nach moralischen Gesetzen [240] rechtskräfftig zu urtheilen, es fällt eine Sentenz und richterlichen Ausspruch, so wie ein Richter nur strafen oder lossprechen kann aber nicht belohnen, so spricht auch das Urtheil des Gewissens entweder los oder es erklärt der Strafe schuldig. Die Verurtheilung des Gewissens ist rechtskräfftig wenn es empfunden und wenn es ausgeübt wird, daraus entstehen zwey Folgen: die moralische Reue ist die erste Würkung der Sentenz und des rechtskräfftigen richterlichen Ausspruchs, die zweyte Würkung, ohne welche die Sentenz keinen Effect hätte, ist, daß die Handlung dem richterlichen Ausspruch gemäß geschehe. Das Gewissen ist müssig, wenn es keine Bestrebung hervorbringt das auszuüben, was zur Satisfaction des moralischen Gesetzes erfordert wird, und wenn man auch noch so viel Reue bezeigt, so hilft die Reue nichts, wenn man das nicht leistet, was man nach dem moralischen Gesetz zu leisten schuldig ist, denn in foro humano ist ja schon die Schuld nicht mit dem Bereuen sondern mit dem Bezahlen befriedigt. Dahero haben Prediger auf dem Krankenbette darauf zu dringen, daß die Leute zwar die Uebertretung der Pflicht gegen sich selbst bereuen, weil die nicht mehr zu ersetzen sind, aber daß sie das würklich zu ersetzen suchen, was sie den andern Unrecht gethan haben, wenn sie jemand beleidigt haben, wenn sie jemand was abgedrungen oder entzogen oder 150gekränkt oder zuviel gethan haben, denn wenn sie darüber auch noch [241] so seufzen oder heulen und bereuen, so hilft doch das gar nichts, eben so wie es auch in foro humano nicht angenommen wird vielweniger in foro divino. Man hat doch aber noch nie erfahren und erlebt, daß Menschen solches auf ihrem Sterbebette gethan haben, daß sie ihrem Feind sollten abgebeten, ihre Schulden entrichtet, ihre Ungerechtigkeiten, wegen 150
gekränkt Hg.] gekränk Kae]
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deren sie nicht belangt werden konnten, gut gemacht und ersetzt haben; daraus ist zu ersehen, daß hier noch ein wesentliches Stük vernachlässiget wird. Wir können den innerlichen Gerichtshoff des Gewissens mit dem äusserlichen Gerichtshof vergleichen; wir finden also in uns einen Ankläger, welcher aber nicht seyn könnte, wenn nicht ein Gesetz wäre, das aber nicht zum 151Gewissen gehört, sondern in der Vernunfft liegt, welches wir gar nicht corrumpiren können und seine Richtigkeit und Reinigkeit nicht leugnen können. Dieses moralische Gesetz liegt als ein heiliges und 152unanzutastendes Gesetz dem Menschen zum Grunde; zweytens so ist auch zugleich ein Advocat in dem Menschen, welches seine Eigenliebe ist, er entschuldiget sich und wendet vieles wieder die Anklage vor, worüber ihm der Ankläger wieder einwendet und seine Einwürfe zu benehmen sucht. Zuletzt finden wir einen Richter in uns, der den Menschen entweder losspricht oder verurtheilt, dieser Richter ist gar nicht zu verblenden, [242] ehe kann es geschehen, daß der Mensch keine GewissensUntersuchung anstellt, wenn ers aber schon thut, so richtet der Richter unpartheyisch, sein Ausspruch fällt ordentlich auf die Seite der Wahrheit aus, es sey denn, daß er falsche principia der Moralitaet hat. Es ist wahr, die Menschen geben dem Advocaten weit ehr Gehör, aber auf dem Sterbebette mehr dem Ankläger. Zu einem guten Gewissen gehört erstlich: die Reinigkeit des Gesetzes; denn muß der Ankläger bey allen unsern Handlungen wachsam seyn; in der Beurtheilung der Handlungen müssen wir Richtigkeit haben; und endlich Autoritaet und Starke des Gewissens in Ansehung der 153Execution des Urtheils nach dem Gesetz. Das Gewissen soll principia der Thätigkeit haben und nicht blos speculativ seyn, also muß es auch 151
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Gewissen Kae] Gefühl Mnz 164,29] bürgerlichen positiven Gesetz XXVII: 354,15] unanzutastendes Hg.] unantastendes Kae] | Mit Krauß S. 19; Mnz 164,33; XXVII: 354,18. Auch ‚unantastbares‘ ist möglich, vgl. Kaehler p. 359. Execution Hg.] Excution Kae]
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Ansehen und Stärke haben sein Urtheil auszuführen. Welcher Richter wird sich begnügen nur Verweise zu geben und seinen richterlichen Ausspruch nur anhören zu lassen? Es muß dem richterlichen Ausspruch Gnüge geleistet werden. Der Unterschied des irrenden und richtigen Gewissens beruht darauf: Der Irthum des Gewissens kann zwiefach seyn: error facti und error legis. Der einem irrenden Gewissen gemäs handelt, der handelt seinem Gewissen gemäs, thut er aber das, so ist seine Handlung zwar fehlerhafft, sie kann ihm aber nicht zum Verbrechen zugerechnet werden. Es giebt errores culpabiles et inculpabiles; in Ansehung [243] der natürlichen Verbindlichkeit kann keiner im Irthum seyn, denn die natürliche moralische Gesetze können keinem unbekannt seyn, indem sie in jedes seiner Vernunfft liegen, also ist 154da keiner in solchem Irthum unschuldig; aber in Ansehung eines positiven Gesetzes sind errores inculpabiles, da kann man gemäß einer conscientia erronea unschuldig handeln. In Ansehung des natürlichen Gesetzes giebts aber nicht errores inculpabiles. Wenn nun aber ein positives Gesetz dem natürlichen entgegen handelt zE wie in einigen Religionen ist, wieder die Leute nicht von derselben Religion zu toben und Gewalt auszuüben; welchem Gesetz soll man gemäß handeln? Gesetzt einer ist darin informirt, daß man wie zE bey den Jesuiten eine gute Handlung durch Schelmerey ausüben könnte, so handelt ein solcher nicht seinem Gewissen gemäß, denn das natürliche Gesetz ist ihm bekannt daß er keine Ungerechtigkeit ausüben soll, aus keiner Absicht; da hier der Ausspruch des natürlichen Gewissens entgegen ist dem Ausspruch des informirten Gewissens, so muß er dem Ausspruch des natürlichen Gewissens Gehör geben. Das positive Gesetz kann nichts enthalten was dem natürlichen zuwieder ist, denn das natürliche ist die Bedingung aller positiven Gesetze. Es wird ihn also nicht die Kirche oder das positive Gesetz entschuldigen, weil ihm das natürliche Gesetz das Gegentheil sagt. Es ist [244] eine üble Sache sich mit dem irrenden Gewissen zu ent154
da Hg.] der Kae] | Mit Mnz 165,32.
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schuldigen, es kann vieles auf diese Rechnung geschrieben werden, allein man muß auch von den Irthümern Rechenschafft geben. Autor nennt das Gewissen ein natürliches, vielleicht will er es vom geoffenbarten unterscheiden. Alles Gewissen ist natürlich, diesem natürlichen Gewissen kann aber ein 155übernatürliches oder geoffenbartes Gesetz zum Grunde liegen. Das Gewissen stellt den göttlichen Gerichtshof in uns vor, erstlich, weil es unsere Gesinnungen und Handlungen nach der Heiligkeit und Reinigkeit des Gesetzes beurtheilt, zweytens, weil wir es nicht betrügen können, und endlich, weil wir demselben nicht entfliehen können; indem es uns eben so als die göttliche Allgegenwart gegenwärtig ist. Es ist also das Gewissen ein Stellvertreter des göttlichen Gerichts in uns, demnach muß das Gewissen gar nicht laedirt werden. Der Conscientiae naturali könnte man die artificialem entgegen setzen. Es haben 126viele behauptet, das Gewissen wäre ein Werk der Kunst und der Erziehung, und es ertheilt und spricht los nach Gewohnheit. Allein wenn dieses wäre, so könnte der, der solche Erziehung und Uebung des Gewissens nicht hätte, sich der Gewissensbisse entschlagen, welches aber nicht ist. Die Kunst und Unterweisung muß freylich das zur Fertigkeit bringen, wozu wir schon von Natur eine 127Anlage haben, demnach müssen wir freylich vorhero Er155
übernatürliches Hg.] natürliches Kae] | Mit Mnz 166,22.
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[XXVII: 355,37] Vgl. die oben zu p. 25 gegebene Erläuterung. Offensichtlich ist an die Autoren zu denken, die einen ‚empirischen Moralbegriff ‘ vertreten. [XXVII: 356,04] Der in der Vorlesung hier erstmals benutzte Terminus verweist wie der des Keims (dazu p. 169) auf den Kontext der Biologie; ‚Anlage‘ wird noch dreimal benutzt p. 397, 446(2). – In den Werken so erstmals in der Programmschrift über Menschenrassen (Sommer 1775): „Die in der Natur eines organischen Körpers (Gewächses oder Thieres) liegenden Gründe einer bestimmten Auswickelung heißen, wenn diese Auswickelung besondere Theile betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Größe oder das Verhältniß der Theile untereinander, so nenne ich sie natürliche Anlagen.“ Zuvor
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kenntnisse des Guten und Bösen haben, wenn [245] das Gewissen richten soll, allein wenn unser Verstand cultivirt wird, so darf das Gewissen nicht cultivirt werden. Das Gewissen ist also lediglich nur ein natürliches Gewissen. Das Gewissen kann unterschieden werden in das Gewissen vor der That, in der That und nach der That; vor der That ist das Gewissen zwar 156noch kräfftig den Menschen von der That abzuführen, in der That aber noch stärker und nach der That am stärksten; vor der That kann das Gewissen noch nicht so stark seyn weil die That noch nicht geschehen und der Mensch sich alsdenn nicht so sträflich findet, und weil die Neigung noch nicht befriedigt ist, welche also noch stark genug ist dem Gewissen zu wiederstehen; in der That da würkt es schon kräfftiger, aber nach der That findet sich der Mensch erst recht sträflich und weil denn schon die Neigung befriedigt ist, so ist sie schon zu schwach und zu schlap dem Gewissen zu wiederstehen, folglich ist es denn am stärksten. Nach der Befriedigung der stärksten Neigung, die aus Leidenschafft geschicht, geräth der Mensch nach der That so gar in einen Ekel, weil ein starker Affect, wenn er befriedigt ist, gantz schlaff wird und nicht wiederstehen kann und dann ist das Gewissen am stärksten. Denn 156
noch Hg.] nach Kae] nicht Hg?] | Mit Mnz 167,12]. Auffällig ist, daß im Ms die beiden folgenden ‚noch‘ aus ‚nach‘ gebessert worden sind. Ein dreifaches Auftreten ein und derselben Partikel ‚noch / nach‘ ist offenkundig sinnlos. findet sich allein im Beweisgrund von 1763 (II: 126,19 ff.) eine erste Spur davon, daß Kant sich über den Kontext der neuen Terminologie im Klaren war. Auch die Grundlegung von 1785 kennt diese ‚Anlagen‘ (IV: 395f., 430). – Im Anthropologie-Kolleg sind beide Begriffe von Beginn an vertreten; unter moralphilosophischer Perspektive sind von besonderem Interesse: Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 726 ff., Pillau p. 139, Menschenkunde S. 366. Von einer in den späteren Schriften häufig begegnenden „moralischen Anlage“ ist erstmals in der Critik der practischen Vernunft (1788) (V: 163,13) ausdrücklich die Rede. Im 1785 geschriebenen ‚Muthmaßlichen Anfang‘ spricht Kant schon – Rousseau referierend – von den „Anlagen der Menschheit als einer sittlichen Gattung“ (VIII: 116).
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kommt die Reue aber das Gewissen ist noch incomplett, das nur dabey bleibt, es muß dem Gesetz ein Gnüge leisten. Die Conscientia concomitans das begleitende Gewissen wird durch Gewohnheit und Uebung schwach und man gewöhnt [246] sich zuletzt an die Laster so wie an das Tobakrauchen an. Zuletzt kommt das Gewissen um alle Autoritaet und denn hört auch der Ankläger auf, dieweil er entbehrlich ist, da bey dem Gerichtshof nicht mehr entschieden und vollzogen wird. Wenn man dem Gewissen viele kleine Vorwürfe von gleichgültigen Sachen, adiaphoris, macht, so ist das ein micrologisches Gewissen, und die Fragen, die solchem micrologischen Gewissen vorgelegt werden ist die Casuistic. zE. Ob man einem aus Schertz um ihn so zu sagen Aprill zu jagen was vorlügen soll, ob man bey gewissen Gebräuchen diese oder jene Handlung thun soll pp Ie micrologischer und subtiler das Gewissen in solchen Kleinigkeiten ist, desto schlechter ist es im practischen. Besonders pflegen solche bey speculativen Gesetzen zu speculiren, und in andern Stükken wird das Thor geöfnet. Ein 157lebendes Gewissen ist wenn sich der Mensch Gebrechen vorwerfen kann. Es giebt aber auch ein schwermüthiges Gewissen, wo man sich in seinen Handlungen was Böses vorzustellen sucht, wozu würklich kein Grund ist. Allein solches schwermüthiges Gewissen ist unnöthig, das Gewissen soll in uns kein Tyrann seyn, wir können ohne Verletzung des Gewissens in unsern Handlungen immer heiter seyn. Solche die da ein grüblerisches Gewissen haben und sich quälen, ermüden hernach gäntzlich in allen Stükken und 128geben ihrem Gewissen Ferien. [247] 157
lebendes Kae] | Im Ms nicht eindeutig: ‚lebendes‘ – ‚lobendes‘; mit Mnz 168,10] gegen die Errata-Korrektur (XXVII: 1582) zu XXVII: 356,27: ‚lobendes‘. Wenn ‚lobendes‘, dann wäre der Satz fortzuführen: ‚wenn sich der Mensch kein Gebrechen vorwerfen kann‘. Und weiter: Gebrechen / Verbrechen / Vergehen ? – Von welchem Typ des Gewissens – gemäß § 184 der Ethica – war die Rede?
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[XXVII: 357,04] Siehe oben die zu p. 171 gegebene Erläuterung.
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§ 194/171
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Von der Eigenliebe. Die Liebe des Wohlgefallens gegen andere ist das Urtheil des Wohlgefallens über ihre Vollkommenheit; die Liebe des Wohlgefallens gegen sich selbst aber oder die Eigenliebe ist eine Neigung mit sich selbst über das Urtheil der Vollkommenheit wohl zufrieden zu seyn. Die Philautie oder moralische Eigenliebe ist der Arroganz oder dem moralischen Eigendünkel entgegengesetzt. Der Unterschied der Philautie von der Arroganz ist, daß die Philautie nur eine Neigung ist mit seinen Vollkommenheiten zufrieden zu seyn, die Arroganz aber eine unbillige Anmaassung aufs Verdienst macht, sie eignet sich mehr moralische Vollkommenheiten zu, als ihr zukommen, die Philautie macht keine Forderung, nur sie ist mit sich zufrieden und macht sich keine Vorwürfe; die Arroganz ist stoltz auf ihre moralische Vollkommenheit; die Philautie ist nicht stoltz, sondern glaubt unsträflich und so unschuldig zu seyn, die Arrogantz ist also ein schädlicherer Fehler; die Philautie prüft sich nicht selbst mit dem moralischen Gesetz als mit der Richtschnur sondern mit Beyspielen und dann hat man wohl Ursach mit sich zufrieden zu seyn; die Beyspiele moralischer Menschen sind Maasstäbe aus der Erfahrung, aber das moralische Gesetz ist ein Maasstab 129aus der Vernunfft; vergleicht man sich nun mit dem ersten Maasstabe, so entspringt daraus [248] die Philautie oder auch wohl die Arroganz. Die Arrogantz entspringt entweder wenn man das moralische Gesetz sich enge und nachsichtlich denkt, oder wenn der moralische Richter in uns partheyisch ist. Ie weniger man das moralische Gesetz strenge macht und je weniger uns der inner-
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[XXVII: 357,24] Ob Kant in der Vorlesung selber (bzw. sein Nachschreiber) schon die in der Critik der reinen Vernunft von 1781 präsente Differenz zwischen einem für Begriffe zuständigen ‚Verstand‘ und einer Ideen produzierenden ‚Vernunft‘ vor Augen hatte? – Vgl. dazu insbesondere p. 73 f., 200 und p. 159, 368. – In der Metaphysik-Pölitz ist die Sache entschieden, vgl. XXVIII: 241–244; 328f.
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liche Richter strenge beurtheilt; desto arroganter kann man seyn. Von der Liebe ist die Schätzung unterschieden, die Schätzung geht auf den innern Wehrt, die Liebe aber auf den Verhältnisweisen Werth der Beziehung aufs Wohlergehen hat. Wir schätzen das, was einen innern Werth hat und lieben das was verhältnisweise einen Werth hat; zE. Verstand hat einen innern Werth ohne zu erwegen, worauf er angewandt wird; der die Pflichten gegen sich selbst beobachtet, der seine Person nicht entehrt, ist schätzenswerth, der gesellig ist, ist liebenswerth. So kann das Urtheil von uns entweder uns liebenswerth oder achtungswerth vorstellen. Wer da glaubt, daß er ein gutes Hertz hat, daß er gern allen Menschen helfen möchte, wenn er nur reich wäre und wenn er auch würklich reich ist, so denkt er wieder, wenn er nur so reich wäre, wie der andere, der noch reicher ist, dieses wäre nur so nothdürftig, womit er zu jetziger Zeit nicht einmal recht sicher ist, welches alle Geitzige denken, der findet sich liebenswerth. Der aber in Ansehung seiner Selbst die wesentlichen Zwekke der Menschheit genau zu erfüllen glaubt [249] der glaubt achtungswerth zu seyn; wenn ein Mensch glaubt guthertzig zu seyn und durch leere Wünsche das Wohl aller Menschen befördert, der verfällt in die Philautie. Daß sich der Mensch alles Gute gönnt ist wohl natürlich, aber daß er von sich eine gute Meynung hege ist nicht natürlich. Die Menschen verfallen in die Philautie oder Arroganz nach der Verschiedenheit ihres Temperaments. 130Gellerts Moral ist mit Liebe und Gütigkeit angefüllt, und redet viel von Freundschafft, welches das Stekkenpferd aller Moralisten ist, solche Moral giebt Gelegenheit zur Eigenliebe. Allein der Mensch muß nicht suchen so liebenswerth, als schätzungs- und achtungswerth zu seyn. Ein gewissenhaffter rechtschaffener Mann, der nicht partheyisch ist, keine Geschenke annimmt, der ist nicht ein Gegenstand der Liebe, und weil er in Ansehung seiner Einnahme gewissenhafft ist, so wird er auch wenige Handlungen der Liebe und der Gros130
[XXVII: 358,14] Vgl oben die zu p. 214 gegebene Erläuterung.
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muth ausüben können, demnach wird er nicht liebenswerth bey andern seyn, aber sein Werth bestehet darin, daß er geschätzt und Achtungswerth gehalten wird, die Tugend ist sein innerer wahrer Werth. Es kann dahero jemand ein Gegenstand der Achtung und kein Gegenstand der Liebe seyn, weil er nicht so einschmeichelnd ist; wir können auch einen schlechten Mann lieben aber nichts weniger als hochachten. Alles was in der Moral die Eigenliebe vermehrt, soll abgewiesen werden und nur das empfohlen werden was einen schätzungswerth macht zE. [250] die Beobachtung der Pflichten gegen sich selbst, rechtschaffen und gewissenhafft in allen seinen Handlungen, und wenn man denn auch kein Gegenstand der Liebe ist, so kann man mit getrostem Muth, zwar nicht mit Trotz, jedermann in die Augen sehen, denn man ist alsdenn was werth; dieses ist aber nicht die Arroganz, denn hier ist der Maasstab des Gesetzes nicht verfehlt, vergleiche ich mich mit dem moralischen Gesetz, so bin ich in Ansehung dessen demüthig, aber in Vergleichung mit andern Menschen brauche ich nicht demüthig zu seyn, sondern ich kann mich schätzungsWerth halten. Die moralische Philautie, wo der Mensch in Ansehung seiner moralischen Vollkommenheiten eine hohe Meynung von sich hat, ist verächtlich, sie kommt daher, wenn man seine Gesinnungen für gute Gesinnungen hält, und durch leere Wünsche und romanische Ideen das Wohl aller Menschen zu befördern glaubt, 131er liebt den Tatar und möchte Gütigkeit gegen ihn ausüben, wenn er nur könnte, aber an seinen Nächsten denkt er nicht, denn der ist ihm zu nahe. Die Philautie ist unthätig und besteht in Wünschen, wodurch mir das Hertz welk wird. Die Eigenliebige sind Süsslinge, die nicht wakker, nicht thätig sind, die Arroganz ist doch noch thätig. Es giebt Sophisterey in dem innerlichen moralischen Gerichtshof, welche unser Advocat, der die Eigenliebe ist, anrichtet. Dieser Advocat wenn er die Gesetze nach seinem Vortheil 131
[XXVII: 359,03] Rousseau, Emile (Schmidts 1975, S. 12): „Mancher Philosoph liebt die Tartaren, damit er seinen Nächsten nicht zu lieben braucht.“
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[251] sophistisch auslegt, ist ein Rabbulist. Auf der andern Seite ist er aber auch betrügerisch, das Factum zu leugnen. Allein der Mensch findet doch, daß sein Advocat, ob er gleich noch so sophistisch ist, bey ihm nicht in gutem Credit stehet, sondern er sieht ihn als einen Rechtsverdreher an; der Mensch, der das nicht denkt, der das nicht einsieht, ist ein schwacher Mensch. Dieser Rabbulist macht allerhand Auslegungen des Gesetzes, er macht sich den Buchstaben des Gesetzes zu nutze, und beym Facto sieht er nicht auf die Gesinnung sondern auf die äussern Umstände, er handelt nach Probabilitaet; dieser moralische probabilismus ist ein Mittel wodurch sich der Mensch betrügt und überredet recht und nach Grundsätzen gehandelt zu haben. Dieses ist das Aergste und Abscheulichste sich ein solches Gesetz zu erkünsteln, nach welchem man unter dem Schutz des rechten Gesetzes Böses thun kann. So lange der Mensch das moralische Gesetz übertreten hat, aber es noch in seiner Reinigkeit erkennt, der kann noch zurecht gebracht werden, weil er noch ein richtiges reines Gesetz vor sich hat, wer sich aber ein günstiges und falsches Gesetz erkünstelt hat, der hat einen Grundsatz zu seiner Bosheit, und bey dem ist keine Besserung. Der moralische Egoismus ist, wenn man sich in Verhältnis mit andern gantz allein hochschätzt. Der Mensch muß seinen Werth aber nicht in Verhältnis mit andern beurtheilen, sondern mit [252] der Regel des moralischen Gesetzes, denn der Maasstab mit andern ist sehr zufällig, und denn kommt ein gantz anderer Wehrt heraus, und finden wir wieder, daß wir von kleinerem Werth sind als andere, so hassen wir die von grösserem Werth und da entspringt der Neid und Mißgunst, und diesen bringen die Eltern durch die Vergleichung mit andern in die Natur der Kinder, wenn sie ihre Kinder nicht durch die Moralitaet zu ziehen suchen, 132sondern ihnen immer Muster von NachbarsKindern vorhalten, gegen welche sie alsdenn gehässig werden, denn wenn die nicht wären, so würden sie die besten seyn. Der moralische Solipsismus ist, wenn wir uns in Verhältnis mit 132
[XXVII: 359,37] Vgl. unten p. 392 f.
§ 195
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andern allein lieben. Dieses gehört aber nicht zu den Pflichten gegen sich selbst, sondern gegen andere.
Von der Oberherrschafft über sich selbst.
§ 200
*Das allgemeine principium der Pflichten gegen sich selbst war die Schätzung seiner Person in Beziehung auf die wesentlichen Zwekken der menschlichen Natur; und die Pflichten gegen sich selbst sind die Bedingung, unter der allein die andern Pflichten können ausgeübet werden. Dieses ist das principium der Pflichten gegen sich selbst, und die objective Bedingung der Moralitaet, welches ist nun aber die subjective Bedingung der Ausübung der Pflichten gegen sich selbst, unter der wir allein fähig sind die Pflichten gegen uns selbst auszuüben? [253] Die Regel ist diese: Suche über dich selbst die Herrschafft zu unterhalten, denn unter dieser Bedingung bist du fähig die Pflichten gegen dich selbst auszuüben. Im Menschen ist 133ein gewisser Pöbel, der unter der Regierung stehen muß, und den ein wachsames Regiment unter der Regel erhalten muß, und die auch Gewalt haben muß gemäs der Anordnung der Regierung diesen Pöbel unter die Regel zu zwingen. Dieser Pöbel im Menschen sind die Handlungen der Sinnlichkeit, diese stimmen nicht mit den Regeln des Verstandes überein, sie sind aber nur in so fern gut als sie mit den Regeln des Verstandes übereinkommen. Der
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[XXVII: 360,14] Auch die Anthropologie-Vorlesungen kennen im Menschen derart niedere Schichten (Parow p. 166 / XXV: 354): „Pöbel der Leidenschaften“; (Friedländer, Ms germ. quart. 400, p. 678 / XXV: 678 f.): „[…], von Natur sind alle Menschen Poebel, und die es jetzt nicht sind, die sind durch die bürgerliche Ordnung und Disciplin verfeinert. Würde die aber aufhören, so würde auch die Verfeinerung aufhören, und alle Menschen würden solcher Poebel seyn.“ Ebenso vertritt Kant schon dort seine später veröffentlichte These (VIII: 023; 064 / IX: 441), daß der Mensch ein Tier ist, das einen Herrn bzw. Disziplin nötig hat. (Parow p. 283, 325; Friedländer, Ms germ. quart. 400, p. 568 f.; Mrongovius p. 127) – Vgl. auch weiter unten p. 257, 268, 446.
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Mensch muß Disciplin haben, der Mensch disciplinirt sich selbst nach der Regel der Klugheit zE. Offt hat er Lust noch länger zu schlafen, allein er zwingt sich aufzustehen, weil er sieht, daß es nöthig ist, so hätte er offt Lust etwas mehr zu essen oder zu trinken, allein er sieht, daß es ihm schädlich ist. Diese Disciplin ist die executive Gewalt der Vorschrifft der Vernunfft über die Handlungen, die aus der Sinnlichkeit entspringen, dieses ist die Disciplin der Klugheit oder die pragmatische. Wir müssen aber noch eine andere Disciplin haben nemlich die moralische, nach dieser müssen wir alle unsere sinnlichen Handlungen nicht nach der Klugheit sondern dem sittlichen Gesetz gemäs zu beherrschen und zu zwingen suchen. In dieser Gewalt die Handlungen dem moralischen Gesetz gemäß einzurichten [254] besteht die moralische Disciplin, und dieses ist die Bedingung, unter der wir allein die Pflichten gegen uns selbst ausüben können. Demnach können wir sagen die Herrschafft über sich selbst ist die höchste Pflicht gegen sich selbst, weil sie die oberste Bedingung der Pflichten gegen sich selbst ist. Die Herrschafft über sich selbst besteht darin, daß wir alle principia und Vermögen unserer freyen Willkür unterwerfen können. Diese kann nach zwo Regeln gelenkt werden, nach der Regel der Klugheit und der Sittlichkeit. Alle Klugheit 158beruht zwar auf der Regel des Verstandes, allein bey der Regel der Klugheit dient der Verstand der Sinnlichkeit, er giebt ihr Mittel an die Hand, wodurch die Neigung befriedigt wird, weil er in Ansehung der Zwekke von der Sinnlichkeit abhängt. Die wahre Oberherrschafft über uns selbst ist die moralische nach der Regel der Sittlichkeit. Diese Oberherrschafft ist souverain und die Gesetze befehlen categorisch über die Sinnlichkeit und nicht so wie die pragmatische; denn da braucht der Verstand eine Sinnlichkeit wieder die Andere. Aber um souveraine Gewalt über uns zu haben müssen wir der Moralitaet die höchste Gewalt über uns geben, daß sie über unsere Sinnlichkeit herrscht. Kann der Mensch diese Gewalt über sich erhalten wenn er will? Es 158
beruht Hg.] besteht Kae]
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scheint dieses zwar so zu seyn, weil es nur 159auf ihm zu beruhen scheint, und man glaubt daß es schwerer sey, die Herrschafft über andere zu bekommen als über sich selbst. Allein eben darum weil es eine [255] Herrschafft über uns selbst ist, so ist sie schwer, denn da ist unsere Gewalt getheilt, da ist die Sinnlichkeit wieder den Verstand im Streit, wenn wir aber gegen andere Herrschafft haben wollen, so samlen wir unsere gantze Gewalt. Die Herrschafft über uns selbst ist auch darum schwer, weil das moralische Gesetz Vorschrifft aber keine Triebfeder hat, es fehlt 160ihr die executive Gewalt und dieses ist das moralische Gefühl. Dieses moralische Gefühl ist keine Unterscheidung des Guten und Bösen, sondern eine Triebfeder, wo unsere Sinnlichkeit mit dem Verstande übereinstimmt. Menschen können zwar gute Urtheilskrafft im moralischen haben aber kein Gefühl, sie sehen wohl ein, daß eine Handlung nicht gut, sondern strafwürdig ist, aber sie begehen sie doch. Nun beruht aber die Herrschafft über sich selbst auf der Stärke des moralischen Gefühls. Wir können aber gut über uns regieren, wenn wir die wiederstehende Gewalt schwächen, dieses thun wir aber wenn wir sie theilen. Demnach müssen wir 134erstlich uns selbst 159 160
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auf ihm Hg.] auf Kae] ihr Kae] ihm Mnz 174,13] | Beide Bezüge (der Herrschaft – dem Gesetz) sind möglich. [XXVII: 361,27] Obwohl kein ‚zweitens‘ folgt, ist ein Zweischritt in der Vorlesung erkennbar: 1) Disziplin, 2) Kultur (p. 256); dem entsprechend ist dann p. 257 von einer ‚zweifachen Gewalt‘ die Rede: Die negativ einschränkende Disziplin läßt sich als ‚dirigirende‘ und die positiv aufbauende Kultur als ‚executive‘ Gewalt auffassen. – Die Vorlesung kennt noch nicht den späteren klaren Dreischritt (Kultivierung, Zivilisierung, Moralisierung mit den zugeordneten inneren Instanzen: Talent, Temperament, Charakter) der Anthropologie-Vorlesung von 1781/82 ‚Menschenkunde / Petersburg‘ (XXV: 1156 f.; vgl. auch den Schluß der Anthropologie-Mrongovius p. 127 ff. und der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht VII: 326) bzw. der Publikationen nach der ‚Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ (VIII: 026,20ff.). Offensichtlich fehlt der Moralvorlesung noch der Bezug auf die Entwicklung der Gattung als ganzer: weder ‚cosmopolitisch‘
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discipliniren das heißt in Ansehung seiner selbst durch wiederhohlte Handlungen den Hang ausrotten, der aus der Sinnlichen Triebfeder entspringt. Wer sich moralisch discipliniren will, muß sehr auf sich Acht haben, von seinen Handlungen vor dem innerlichen Richter offt Rechenschafft ablegen, durch lange Uebung wird er dem moralischen BewegungsGrund Stärke geben und durch Cultur wird er sich angewöhnen in Ansehung des moralischen Guten oder Bösen Lust oder Unlust zu bezeigen, [256] hiedurch wird das moralische Gefühl cultivirt, denn wird die Moralitaet Stärke der Triebfeder haben, durch diese Triebfeder schwächt er die Sinnlichkeit und überwiegt sie und auf solche Art erhält er die Herrschafft über sich selbst. Ohne Disciplin seiner Neigung kann der Mensch nichts erhalten. Demnach liegt in der Herrschafft über sich selbst eine unmittelbare Würde; denn Herr über sich zu seyn zeigt eine Unabhängigkeit von allen Sachen an. Wo nun keine Herrschafft über sich selbst ist, das ist eine Anarchie, allein wenn auch eine moralische Anarchie beym Menschen ist so tritt doch die Klugheit an die Stelle der Moralitaet und regieret anstatt derselben, damit doch nicht eine völlige Anarchie wäre. Die Herrschafft über sich nach Regel der Klugheit ist ein Analogon der moralischen Herrschafft über sich selbst. Die Gewalt die die Seele über alle Vermögen und den gantzen Zustand hat, denselben 161ihrer freyen Willkür, ohne daß sie 161
ihrer Hg.] unter ihrer Kae] noch ‚weltbürgerlich‘ oder das neue Verb ‚moralisieren‘ werden gebraucht. – Entsprechend die Nachschriften des Anthropologie-Kollegs: Mehrfach belegt ist das lateinische Gegenstück ,comopolitisch‘ in den Nachschriften des Winters 1781/82 (Petersburg p. 30, 152, 324f. / Menschenkunde S. 48, 215, 373 f.) und den späteren von Mrongovius p. 32, und Dohna p. 316. Das Substantiv ,Weltbürger‘ – freilich anders – schon Kaehler p. 380 bzw. Anthropologie-Prieger p. 210. Das Verb ‚Moralisieren‘ zuerst in Petersburg p. 218, 224, 285, 314, 321 / Menschenkunde S. 337, 368, 369. In den Druckschriften erstmals III: 489,31 (A 748 / B 776). – Zum Menschengeschlecht im Ganzen gesehen, vgl. unten p. 451 ff.
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dazu genöthigt ist zu unterwerfen ist die Autocratie. Befleissigt sich der Mensch nicht auf diese Autocratie, so ist er ein Spiel von andern Kräfften und Eindrükken wieder seine Willkür, denn hängt er vom Zufall und vom unwillkürlichen Lauf der Zustände ab. Hat er nicht sich selbst in seiner Gewalt, so hat seine Imagination freyen Lauf, er kann sich nicht dirigiren, sondern wird von ihr unwillkürlich nach den Gesetzen der Association fortgerissen. Und weil er sich den Sinnen gerne ergiebt, so wird er wenn er sie nicht einschrenken kann ein Spiel von denselben, [257] und sein Urtheil wird durch die Sinne bestimmt. Ohne die Neigungen und die Leidenschafften zu berühren, allwo dieses noch in einem Grössern Grad geschiehet, so erwägen wir nur seinen denkenden Zustand, der sehr unwillkürlich ist, wenn man ihn nicht in seiner Gewalt hat. Ein jeder Mensch hat daher darauf zu sehen, daß er alle seine Kräffte und seinen Zustand der Gewalt der freyen Willkür unterwerfe. Wir haben eine zwiefache Gewalt über uns, die dirigirende und die hervorbringende Gewalt. Die executive Gewalt kann uns zwingen ohnerachtet aller Hindernisse gewisse Würkungen hervorzubringen, alsdenn hat sie Macht. Die dirigirende Gewalt ist aber nur die Gemüthskräffte zu lenken. Wir haben in uns zE einen Trieb der Trägheit, dieser kann nicht durch die 162dirigirende Gewalt sondern durch die ZwangsGewalt unterdrükt werden. Habe ich Vorurtheile, so muß ich nicht blos das Gemüth dirigiren, sondern muß Gewalt brauchen um nicht von ihrem Strom fortgerissen zu werden. Menschen haben Krafft das Gemüth zu dirigiren aber noch nicht zu beherrschen. Wenn im Gemüth nichts wiederstreitet, sondern wenn nur keine Regel da sind, denn kann es nur dirigirt werden. Unsere Sinnlichkeit ist 135eine Art von Pöbel, der keine Gesetze, keine Regel hat; obgleich dieser Pöbel nicht wiederstreitet, so muß er doch dirigiret werden. Al-
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dirigirende Hg.] dirigende Kae]
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[XXVII: 362,35 Lücke] Vgl. die zu p. 253 gegebenen Hinweise.
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lein es ist in unseren Kräfften etwas Habituelles, was der Macht der freyen Willkür wiederstreitet, wo wir leidende Subjecte sind zE. sinnliche Wollust, Faulheit p diese müssen nicht nur dirigirt, sondern [258] beherrscht werden. Die Autocratie ist also die Gewalt wieder alle Hindernisse wozu zu zwingen. Die Beherrschung seiner selbst und nicht blos die dirigirende Gewalt ist was zur Autocratie gehört. Autor begeht einen Fehler in Herzählung der Pflichten gegen sich selbst, den wir hier etwas berühren müssen. Er zehlt zu den Pflichten gegen sich selbst alle Vollkommenheiten des Menschen, auch die Vollkommenheiten die sein Talent betreffen. Er redet von den Vollkommenheiten der sämmtlichen Kräffte der Seele, auf solche Art könnte die Logic und alle Wissenschaften, die den Verstand vollkommen machen und unsere 163Wissbegierde befriedigen, hieher gehören. Allein hierin ist ja gar nichts moralisches. Die Moral zeigt uns ja nicht, was wir thun sollen in Ansehung der Geschiklichkeiten unserer Kräffte vollkommen zu werden; alle solche Vorschrifften sind nur pragmatische Vorschrifften und KlugheitsRegeln nach denen wir unsere Kräfte erweitern sollen, indem dieses zu unserm Wohlbefinden beyträgt. Wenn aber die Rede von der Sittlichkeit ist, so wird hier nichts gehören, als wie wir uns in Ansehung unsers innern Wehrts vollkommen machen sollen, wie wir die Würde der Menschheit in unserer eigenen Person erhalten sollen, wie wir alles unserer freyen Willkür unterwerfen sollen, 136so fern unsere Handlungen durch sie den wesentlichen Zwekken der Menschheit gemäs eingerichtet werden. Alle Sätze und Regeln des Autors, in denen er die Pflichten [259] gegen uns selbst lehrt und alle seine definitiones sind tautologische Sätze. Practische Sätze sind tautologisch, aus denen keine 164Execution folgen kann, die die Mittel angeben, nach denen das nicht kann 163 164
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Wissbegierde Hg.] Witzbegierde Kae] Execution Hg.] excution Kae] [XXVII: 363,18] Rekurs auf das p. 80 abgeleitete Moralprinzip.
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ausgeführt werden, was gefordert wird, die die Bedingungen enthalten, welche mit den Bedingungen der Forderung einerley sind. Das ist eine tautologische Resolution des Problems, wenn die Resolution die Bedingung enthält, die die Forderung enthält. Alle practische Wissenschafften a priori ausser der Mathematic enthalten tautologische Sätze zE die practische Logic ist voll davon, sie sagt: die Bedingungen, die die theoretische Logic gesagt hat, suche vollkommen zu machen. Und so ist es auch in der Moral, wo man die Bedingung in der Resolution herzählt, die in der Forderung sind, und wo keine Mittel angegeben werden diese Bedingungen zu erfüllen. Dieses ist ein allgemeiner Fehler, den wir unserm Autor nicht allein zueignen können; und wenn wir auch diesen Fehler nicht gäntzlich ergäntzen können, so werden wir 165 wenigstens zeigen, worin er besteht, wodurch wir die Lükke in den Wissenschafften bemerken, 137die doch noch kann ausgefüllt werden, welches aber nicht geschehen könnte, wenn wir glaubten, es wäre keine Lükke, sondern wir hätten alles vollkommen. Die Beförderung der Vollkommenheit seiner Talente gehört also nicht zu der Pflicht gegen uns selbst, von denen der Autor weitläufftig nach dem 138Leitfaden der Psychologie handelt. [260] Wir können auch ohne Speculation bey schwachen Ein-
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| Dittographie, gestrichen: „auch diesen Fehler nicht“.
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[XXVII: 363,36] Auch in den beiden anderen frühen Zeugnissen nach Kant’s Ethik-Vorlesung finden sich Deklarationen des noch unfertigen Status der eigenen Konzeption. Herder (XXVII: 062,21 ff.): „Eine Ethik vor den Menschen, bestimt in seiner Natur ist noch zu schreiben, nach seinen ErkenntnißKräften und Fähigkeiten.“ Powalski (XXVII: 131,12 ff.): „Ueberhaupt die eigentliche Quellen und ersten principia der Moral haben niemals recht können ausgemittelt werden, und können nicht zu einer practischen Regel dienen.“ [XXVII: 364,01] Gemeint ist die empirische Psychologie der Metaphysica von A. G. Baumgarten selber, die Kant als Handbuch seiner Vorlesung über Anthropologie gedient hat. Der Text ist abgedruckt in AA-Kant XV: 005ff; zum Aufbau der Schrift vgl. die Synopsis in XVII: 019–023.
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sichten die Pflichten gegen uns selbst ausüben. Alle Zierrathen der Seele gehören zwar zum luxu der Seele zum melius esse aber nicht zum esse des Gemüths. Allein die 139Gesundheit der Seele im gesunden Körper gehört zur Pflicht gegen uns selbst. So ferne die Vollkommenheiten unserer Seelenkräffte zusammen hangen mit den wesentlichen Zwekken der Menschheit, so ferne gehört es zu unserer Pflicht gegen uns selbst dieselbe zu befördern. Alle unsere Gemüthszustände und Seelenkräffte können Beziehung auf die Sittlichkeit haben. Die Autocratie des menschlichen Gemüths und aller seiner Kräffte der Seele, so fern sie sich auf die Moralitaet beziehen ist das principium der Pflicht gegen sich selbst und eben dadurch aller übrigen Pflichten. *Laßt uns die Seelenkräffte, so ferne sie eine Beziehung auf die Moralitaet haben durchgehen und sehen, wie in Ansehung ihrer die Autocratie oder das Vermögen dieselbe unter der freyen Willkür zu erhalten zu beobachten sey, und aus diesem Grunde zuerst die Imagination nehmen. Die grösten Einbildungen und Bilder haben wir nicht von dem Reitz der Gegenstände, sondern von unsrer bildenden Krafft. Diese müssen wir in unserer Gewalt haben, daß sie nicht schwärme und uns unwillkürliche Bilder andichte. Die Gegenstände, die die Bilder in uns machen, sind uns nicht immer gegenwärtig, allein die Einbildungen können uns immer gegenwärtig seyn, die führen wir immer mit uns. Daraus entstehen nun grosse Einbrüche und Verletzungen der Pflichten gegen uns selbst zE. [261] wenn man in Ansehung der Wollust seiner Imagination den Lauf läßt, so daß man der Imagination sogar Realitaet giebt, so entstehen dadurch die Laster, die wieder die Natur laufen und die höchste Verletzung der Pflicht gegen sich selbst ist; also haben seine Einbildungen den Reitz seines Gegenstandes erhöhet. Die Autocratie soll also darin bestehen daß der Mensch seine Einbildungen gäntzlich aus dem Gemüth verbannt, damit die Imagination nicht das ZauberSpiel treibt, die Gegenstände vorzustellen die man nicht erhalten kann. Das wäre die Pflicht ge139
[XXVII: 364,05] „mens sana in corpore sano“ Iuvenal, Satiren X 356.
§§ 250ff.
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§§ 157/202 ff.
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gen uns selbst in Ansehung der Imagination. In Ansehung 166der Sinne überhaupt, weil sie den Verstand übertölpen und denselben auch 167überlisten, 140so können wir nicht anders als daß wir sie wieder 168überlisten, wenn wir dem Gemüth anstatt des Unterhaltes, den die Sinne darbieten, einen andern zu verschaffen suchen, und es durch idealische Vergnügen, wozu alle schöne Wissenschafften gehören zu beschäfftigen suchen. Die Bezähmung des Witzes in Ansehung der Moralitaet gehört nicht zur Pflicht gegen uns selbst, seine Vollkommenheit zu befördern, wir müssen uns dadurch, daß wir das Gemüth ins Spiel versetzen uns solches Vergnügen zu verschaffen suchen, welches nicht auf die Kosten der Pflichten gegen uns selbst geht. Autor rechnet zur Pflicht gegen uns selbst die Beobachtung seiner Selbst, dieses muß aber nicht im Belauschen seiner [262] selbst bestehen, sondern man muß sich selbst durch Handlungen beobachten und auf seine Handlungen attendiren. Die Bemühung uns selbst zu kennen, um zu wissen, ob wir gut oder böse sind, müssen wir im Leben exerciren und unsere Handlungen beobachten, ob sie gut oder böse seyn. Das erste ist hier: sucht euch im Leben durch Handlungen gut und thätig zu beweisen, nicht durch Stoosgebete, durch leere Wünsche, durch gute Meynung von seiner Gesinnung, sondern durch Ausübung guter Handlungen, durch Ordentlichkeit und Arbeitsamkeit, durch Rechtschaffenheit und thätiges Wohlwollen gegen den Nächsten, denn kann man sehen ob man gut ist. Eben so wenig wie man einen Freund durch Unterredung kennen lernt, son-
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der Sinne überhaupt, Hg.] überhaupt, Kae] | Mit Mnz 179,03] überlisten, Hg.] überlästen, Kae] | Mit Mnz 179,04] überlisten, Hg.] überlästen, Kae] [XXVII: 364,35] In der 1798 erstmals publizierten Anthropologie findet sich eine ganz ähnliche Redeweise (VII: 152,10 ff.): „Mit Gewalt ist wider die Sinnlichkeit in den Neigungen nichts ausgerichtet; man muß sie überlisten und, wie Swift sagt, dem Walfisch eine Tonne zum Spiel hingeben, um das Schiff zu retten.“
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dern dadurch daß man sich in Geschäffte mit ihm einläßt, eben so wenig ist es auch leicht, sich selbst zu kennen aus seiner Meinung, die man gegen sich hat. 141Und überhaupt ist es nicht so leicht sich selbst zu kennen; so wusten viele nicht, daß sie hertzhafft waren als bis sie es bey einer Gelegenheit durch That erfahren haben. So hat offt ein Mensch eine Gesinnung wozu, er weiß aber nicht, ob er sie auch alsdenn würklich ausüben könnte zE. Es denkt offt jemand: wenn du in der Lotterie ein grosses Loos gewinnen wirst, so 169willst Du diese oder jene grosmüthige Handlung ausüben, wenn es nun auch so weit kommt, so wird hernach doch nichts daraus. So geht es auch mit dem Uebelthäter, der den Tod vor Augen sieht, er hat alsdenn die ehrlichste und redlichste [263] Gesinnung, sie kann auch wohl redlich seyn, aber er kennt sich selbst nicht, er weiß nicht, ob er sie auch ausüben möchte, wenn er befreyt würde, er kann sich in diesem Zustande das nicht vorstellen; allein würde dieser hernach vom Tode befreyt, so würde er eben ein solcher Spitzbube bleiben, der er war, er kann sich zwar ändern, aber nicht mit einmal. Also muß sich der Mensch immer nach und nach kennen lernen. *Anjetzo wollen wir zu dem gehen, was der Autocratie immer mehr und mehr näher kommt, dazu gehöret die suspensio judicii. In unserm Urtheil müssen wir soviel Autocratie haben, daß wir es aufschieben können, wenn wir wollen und nicht durch jeden Persuasions Grund bewogen werden, unser Urtheil zu eröfnen. Das Aufschieben des Urtheils zeigt eine grosse Stärke der Seele an, das Urtheil mag seyn wie es will zE sein Ur-
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willst Du Hg.] willstu Hg.]
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[XXVII: 365,17] Zur Prozeßhaftigkeit der Erkenntnis heißt es in der Anthropologie-Parow (1772/73, p. 307 f. / XXV: 438): „In den Iugendlichen Iahren ist des Menschen Character noch nicht kennbar und ein Mensch von 16–17 Iahren kann noch selbst nicht seinen Character kennen lernen, weil sich vielleicht noch keine Fälle ereignet, wo sich der Character könnte sehen laßen. Dann bildet sich der Character allmählig aus.“
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§§ 226 ff.
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theil in der Wahl, in der Entschliessung bis zur Ueberlegung aufzuschieben, zeigt eine Stärke der Seele an. zE. Wenn ich einen Brief bekommen habe, der auf der Stelle in mir einen Zorn erwekt, antworte ich demselben auf der Stelle, so laß ich meinen Zorn sehr merken, kann ich ihn aber bis auf den folgenden Tag aufschieben, so werde ich denselben aus einem andern Gesichtspunkte ansehen. Die suspensio judicii ist also ein grosser Artikkel der Autocratie. [264] In Ansehung der Thätigkeit beweist man die Autocratie, wenn man sein Gemüth unter der Beschwerlichkeit der Arbeit thätig und würksam erhält, wenn es bey aller Arbeit dennoch vergnügt ist, wenn es Satisfaction mit sich selbst hat, wenn es in sich bewust ist, daß es Stärke genug fühlt, solche Arbeit ohne Verdruß auszuführen, und wenn es Krafft hat, die Ungemächlichkeit der Arbeit zu überwiegen, also muß man den Vorsatz haben, fest einmal darauf zu beharren, was man sich vorgenommen, und die Persuasion des Aufschubs zu vernichten. Die Gegenwart des Geistes gehört auch zur Autocratie. Die Gegenwart des Geistes ist die Vereinigung und Harmonie der Gemüthskräffte, die sich bey der Vollziehung der Geschäffte zeigen. Dieses ist zwar nicht Iedermanns Ding, sondern es beruhet auf dem Talent, es kann aber doch durch Uebung gestärkt werden. *Ietzt wollen wir die Pflichten in Ansehung seiner selbst in Ansehung des Vermögens der Lust und Unlust, des Wohlgefallens und Mißfallens nehmen. Das Uebel ist das Gegentheil des Wohlbefindens, das Böse aber das Gegentheil des Wohlverhaltens; das Böse entspringt aus der Freyheit und kommt also gäntzlich von uns, das Uebel aber kommt auch von der Natur! In Ansehung alles Uebels in der Welt soll der Mensch eine gesetzte, gleichmüthige und standhaffte Seele beweisen; aber in Ansehung des Bösen ist es anders bewandt, da geht es nicht an, daß der Mensch eine gesetzte und gleichgültige Seele blikken lasse, denn das erhöhet noch mehr seine Bosheit, das ist ein Zustand [265] einer ruchlosen Seele und einer verruchten Gemüthsart das Böse der Handlungen muß vielmehr mit dem Be-
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wustseyn des Schmertzes der Seele begleitet seyn. Allein die gesezte und fröhliche Seele bey den Uebeln und Unglüksfällen erhöhet den Wehrt des Menschen; es ist wieder die Würde des Menschen der Gewalt der physischen Uebel zu unterliegen, und von dem Spiel des zufälligen Zustandes abzuhängen. Der Mensch hat aber nicht nöthig von den Uebeln abzuhängen, er hat einen Quell ein Vermögen des Gemüths in sich, allen Uebeln zu wiederstehen. Die Gründe, diese standhaffte Seele zu cultiviren sind, daß man den falschen Schein, der in den vermeyntlichen Gütern des Lebens und in dem vermeinten Glük liegt, zu benehmen suche. Die gröste Ursache des Glüks und Unglüks, des Wohlbefindens und Uebelbefindens, des Wohlgefallens und Mißfallens liegt in dem Verhältniß mit andern Menschen; denn 142wenn in einer Stadt alle mit einander schlechte Kost essen, so esse ich auch mit Vergnügen und mit heiterer Seele dieselbe schlechte Kost, allein wenn alle im Wohlleben wären und ich allein nur in schlechten Umständen, so würde ich es für ein Unglük halten. Es hängt also alles Glük und Unglük von uns ab, und von der Art wie unser Gemüth dasselbe aufnimmt. Betrachten wir das Glük dieses Lebens, welches nur in dem Wahn besteht, und wo offt der Pracher am Thor glüklicher ist als der König auf dem Thron, erwägen wir die Nichtigkeit dieses Glüks aus der Kürtze des Lebens, [266] sehen wir darauf wie ein grosses Unglük, für welchem jedermann schaudert, doch erträglich ist, wenn man sich schon darin befindet, betrachten wir, daß wir gar keine Ansprüche aufs Glük machen können, und daß wir uns nur deswegen unglüklich schätzen, weil wir vorhero jederzeit glüklich waren und dadurch nur verzärtelt sind, und also jetzt jede Verminderung des Glüks als ein neues Unglük ansehen, so sehen wir daß wir vieles mit Grosmuth entbehren können, und bey allen Uebeln dennoch eine standhaffte und fröhliche Seele zeigen können. Weil wir hier 142
[XXVII: 367,02; 438,38] Nicht ermittelt; vgl. unten p. 395. In der etwa zeitgleichen Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 8 f.) findet sich eine ganz ähnliche Aussage.
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auf kein besseres Glük Ansprüche machen können, indem uns Gott hier auf den Schauplatz der Erde gesetzet hat, wo er uns alle Materialien zum Wohlbefinden gegeben hat und uns auch mit Freyheit versehen, solche nach unserem Gefallen zu brauchen, und es also nur darauf ankommt, wie sich die Menschen mit den Glüksgütern theilen, wo es zwar freylich die Menschen unter sich verderben; so laßt uns die Güther des Lebens nehmen, so wie wir sie bekommen haben, und mit der allgemeinen Weisheit und Fürsorge Gottes zufrieden seyn, und gar kein Elend und Unglük auf uns sitzen lassen. Derjenige der im Elende ist, aber mit gesetzter und fröhlicher Seele sein Elend trägt, der sich nichts daraus macht, weil es einmal schon da und nicht zu ändern ist, der ist nicht elend, der sich aber elend glaubt zu seyn, der ist elend; derjenige der sich unglüklich schätzt der ist auch boshafft, er beneidet das Glük an andern. So sagte 143ein [267] boshaffter Lord: Gott haßt den Unglüklichen, denn sonst würde er ihn nicht im Unglük sitzen lassen und wir befördern den Zwek Gottes, wenn wir einen Unglüklichen noch unglüklicher zu machen suchen. Allein wenn wir diesem boshafften Gedanken eine andere Wendung geben, so können wir sagen, daß derjenige, der sich unglüklich schätzt, verdient gehaßt zu werden; wer aber in seinem Unglük doch immer eine standhaffte heitere Seele zeigt, wer einen gesetzten Muth behält, wenn er auch alles verlohren hat, der hat doch was in sich, das noch einen Werth in sich enthält, und ein solcher verdient ehe Mitleiden. Um also die Seele von der Bosheit des Neides frey zu halten, so müssen wir jedes Unglük zu ertragen suchen, und weil es schon einmal da ist, den Vortheil davon ziehen, der immer beym Unglük ist. Es steht bey uns, uns in eine gewisse Laune zu versetzen, welches eine willkürlich angenommene Disposition ist, nach welcher wir die Welt und die Schiksale betrachten und nach welcher wir das Urtheil über die Welt und das Schiksal ergehen lassen. 143
[XXVII: 367,32] Nicht ermittelt. Vgl. die Kom-Nr. 091 zur AnthropologieFriedländer in Bd. XXV.
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Von der Oberherrschafft über sich selbst
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Was die Direction des Gemüths in Ansehung der Affecten und Leidenschafften betrifft, so unterscheiden wir hier die Empfindungen und Neigungen von den Affecten und Leidenschafften. Es kann einer etwas empfinden oder Neigung wozu haben, ohne Affect oder Leidenschaft zu haben. Wenn [268] die Empfindungen und Neigungen so mit der Vernunfft verbunden sind, daß ihre Summe mit der Vernunfft übereinstimmt, so können sie mit den Pflichten gegen uns zusammen stimmen. Zur Pflicht gegen sich selbst und zur Würde der Menschheit wird erfordert, daß der Mensch gar keine Affecten und Leidenschaften habe, dieses ist die Regel, obgleich es eine andere Sache ist, ob es der Mensch würklich so weit bringen kann. Der Mensch soll in seiner Arbeit wakker ordentlich und standhafft seyn, und sich hüten in die FieberHitze der Leidenschafften zu gerathen denn der Zustand des Menschen in der Leidenschafft ist immer ein wahnsinniger Zustand, dann ist seine Neigung blind und das kann mit der Würde der Menschheit nicht übereinstimmen; demnach müssen wir nichts zur Leidenschafft kommen lassen, und die Forderung der Stoicker war hier recht. Die devote Leidenschafft ist die Gottloseste, denn da denkt man unter dem Mantel der Gottseligkeit alles begehen zu können. *Der Schluß hievon ist, daß wir die Autocratie des Gemüths auf alle Kräffte und Vermögen der Seele als die vornehmste Bedingung der Beobachtung der Pflichten gegen uns selbst halten. Unsere Maximen müssen wohl überlegt seyn, und es ist doller Böses zu thun aus Maximen, als aus Neigung, aber Gutes muß man aus Maximen thun. Autor redet noch vom Siege über sich selbst. Allein wenn sich der Mensch so gut regiert, daß er alle Empörung des Pöbels in seiner Seele verhütet, und Friede in der Seele erhält; [269] der Friede in der Seele ist hier aber nicht die Zufriedenheit mit allem, sondern die gute Herrschafft und Einigkeit in der Seele; wenn er nun ein solches gute Regiment in sich selbsten führt, alsdenn wird kein Krieg bey ihm entstehen, und wo kein Krieg ist, da ist auch kein Sieg nöthig. Es ist also weit besser, wenn der Mensch so in sich regiert, daß er keinen Sieg über sich zu erhalten bedarf.
§§ 235ff.
§§ 246ff.
§ 248
216 sectio 11: Cura corporis §§ 250 ff.
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Von den Pflichten gegen den Körper in Ansehung des Lebens. Hier kommt vor die Befugniß, die wir haben, über unser Leben zu disponiren, und ob wir diese Befugniß haben; auf der andern Seite die Pflichten für unser Leben Sorge zu tragen. Vorläufig bemerken wir: Wenn der Körper zufälligerweise zum Leben gehörte nicht als eine Bedingung des Lebens, sondern zum Zustande des Lebens, so daß wir den Körper ablegen könnten, wenn wir wollten, und einen andern annehmen könnten, wenn wir uns so aus dem Körper ausschlupfen könnten und in einen andern hineingehen so wie in ein Land; denn könnten wir über den Körper disponiren, dann würde der Körper unsrer freyen Willkür unterworfen seyn; allein alsdenn würden wir nicht disponiren über unser Leben, sondern nur über den Zustand, über die bewegliche Güter über die Mobilien die zum Leben angehörten. Nun ist aber der Körper die gäntzliche Bedingung des Lebens, so daß wir keinen Begrif von einem andern Leben [270] haben als vermittelst unseres Körpers, und der Gebrauch unserer Freyheit ist nur durch den Körper möglich; so sehen wir daß der Körper einen Theil unserer selbst ausmacht; so fern also jemand seinen Körper zerstört, und sich hiedurch sein Leben nimmt, so hat er seine freye Willkür gebraucht, die Macht seiner freyen Willkür selbst zu zerstören; alsdenn aber wiederstreitet sich die freye Willkür selbst. Wenn die Freyheit die Bedingung des Lebens ist, so kann sie nicht dazu dienen das Leben aufzuheben, denn sonst zerstört und hebt sie sich selbst auf; dann braucht der Mensch das Leben um das Leben aufzuheben. Das Leben soll gebraucht werden um die Leblosigkeit hervorzubringen, welches sich aber wiederstreitet. Vorläufig sehen wir schon, daß der Mensch nicht über sich selbst und sein Leben disponiren kann wohl aber über seinen Zustand. Vermittelst des Körpers hat der Mensch Macht an seinem Leben; wäre er ein Geist, so könnte er sein Leben nicht zernichten, weil die Natur in dem absoluten Leben eine Unzerstörlichkeit gelegt hat, so folgt, daß man darüber als über den Zwek nicht disponiren kann.
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Der 144Selbstmord kann auf allerley Seiten erwogen werden, auf der tadelhafften, auf der erlaubten, ja wohl gar auf der heroischen Seite. Der Selbstmord hat erstlich eine scheinbare Seite der Zulässigkeit und Erlaubtheit. Die Vertheidiger desselben sagen: der Mensch disponirt frey, zwar ohne Verletzung des Rechts des andern über die [271] Güter der Erde; was seinen Körper betrifft, so kann er in Ansehung desselben in vielen Stükken disponiren; er kann sich zE. ein Geschwür 170öfnen lassen, eine Narbe nicht achten p ein Glied abnehmen, es steht ihm also alles frey in Ansehung seines Körpers, das vorzunehmen, was ihm rathsam und zuträglich ist; soll er denn auch nicht befugt seyn, sich das Leben zu nehmen, wenn er sieht, daß dieses für ihn am zuträglichsten und rathsamsten wäre? wenn er sieht, daß er nunmehro auf keine Weise leben kann, wenn er dadurch so vieler Quaal so vielem Unglük und Schaam entgehen kann? Und obgleich dieses eine Beraubung des völligen Lebens ist, so entgeht man doch dadurch auf einmal allem Unheil. Dieses scheint sehr einnehmend zu seyn. Wir wollen auf der andern Seite die Handlungen nur an sich und nicht von der ReligionsSeite betrachten. So lange wir die Absicht haben uns selbst zu erhalten, so können wir unter dieser Bedingung über unsern Körper disponiren, so kann sich einer den Fuß ab170
öfnen Hg.] öfnen öfnen Kae.]
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[XXVII: 369,35] Zur Diskussion um die Thematik des ‚Selbstmords‘ vgl. die noch immer sehr lesenswerte Studie von Rudolf Hirzel (1908), die, obgleich primär auf die antike Diskussion gerichtet, zahlreiche Hinweise gerade für das 18. Jahrhundert bietet. Für einen direkten Blick auf die MoralVorlesung und das abendländisch-christliche Verbot des Suicids vgl. de Vleeschauwer 1966, wo eingangs auf die Erörterung in Rousseau’s nouvelle Héloise von 1761 (Teil 3, Brief 21) hingewiesen wird. – Weiter in die Diskussion des Themas im 18. Jahrhundert führen die instruktiven Erläuterungen von Reinhold Wolff zu Brief 21 und 22 im Rahmen seines Nachworts zur 1978 erschienenen deutsch-sprachigen Ausgabe der neuen Héloise.
§ 252
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nehmen lassen, in so fern er ihn an seinem Leben hindert. Also zur Erhaltung unserer Person haben wir die Disposition über unsern Körper; der sich aber das Leben raubt, der erhält dadurch nicht seine Person, dann disponirt er über seine Person, aber nicht über seinen Zustand, dann raubt er sich das selbst. Dieses ist der obersten Pflicht gegen [272] sich selbst zuwieder, denn dadurch wird die Bedingung aller übrigen Pflichten aufgehoben. Dieses geht über alle Schranken des Gebrauchs der freyen Willkür; denn der Gebrauch der freyen Willkür ist nur dadurch möglich, daß das Subject bleibt. Ferner hat der Selbstmord dadurch eine scheinbare Seite, wenn nemlich die Verlängerung des Lebens auf solchen Umständen beruht, die den Wehrt des Lebens aufgeben kann, wo man nicht mehr der Tugend und der Klugheit gemäß leben kann, und also dem Leben einen Abschnitt machen muß aus edlem BewegungsGrunde. Die von dieser Seite den Selbstmord vertheidigen, führen das Beyspiel des 145Cato an, der sich selbst tödtete, nachdem er eingesehen, daß es nicht möglich wäre, den Händen des Caesars zu entgehen, auf ihn aber sich das gantze Volk noch stützte, sobald er aber als der Verfechter der Freyheit sich unterworfen hätte, so hätten die andern gedacht, wenn sich Cato unterwirft, was sollen wir machen, wenn er sich aber tödtete, so könnten die Römer doch noch ihre letzten Kräffte zur Vertheidigung aufopfern, was sollte nun Cato machen? Es scheint also, daß er seinen Tod als nothwendig ansah,
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[XXVII: 370,31] Der Anführer der konservativen Senatspartei tötete sich selbst in Utica. Sein Tod ist seit dem Beginn der Neuzeit ein Thema für die Bühne und in der Malerei, auch im 18ten Jahrhundert. Auf politische Intentionen des Suicids verweist Kant in der Anthropologie-Mrongovius (1784/85), p. 84: „Cato ermordete sich auch darum, um die Römer durch sein Beispiel aufzumuntern sich dem Julius Caesar nicht zu ergeben. Er dachte; ergebe ich mich dem Caesar; so werde ich dadurch viele verführen deßgleichen zu thun“. Vgl. schon die Kantische ‚Bemerkung‘ in seinen Beobachtungen von 1764 (XX: 004,12); dazu Kant / Rischmüller (Hg) 1991, S. 139 f. – Verschiedene Autoren des 18ten Jahrhunderts haben den Stoff literarisch verarbeitet, u. a. Addison (1713), Gottsched (1732), Bodmer (1765).
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er dachte, da du nicht mehr als Cato leben kannst, so kannst du gar nicht leben. Man muß bey diesem Beyspiel freylich gestehen, daß in solchem Fall wo der Selbstmord eine Tugend ist, er einen grossen Schein für sich hat. Dieses ist auch das eintzige Beyspiel, was der Welt Gelegenheit gab, den Selbstmord [273] zu vertheidigen; allein es ist auch nur das eintzige Beyspiel in seiner Art, es hat noch niemals einen solchen ähnlichen Fall gegeben. 146Lucretia ermordete sich auch selbst aber aus Schaamhafftigkeit und Wuth der Rache; freylich ist es eine Pflicht seine Ehre zu erhalten besonders beym zweyten Geschlecht, bey denen es ein Verdienst ist, aber man soll seine Ehre nur in so weit zu retten suchen, daß man sie nicht aus eigennützigen und wollüstigen Absichten Preis giebt, aber nicht in solchem Fall wie hier ist, denn das lag nicht an ihr, sie sollte sich also lieber zur Vertheidigung ihrer Ehre so lange wehren, bis sie umgebracht worden wäre, dann hätte sie recht gethan, dann wär es kein Selbstmord; denn sein Leben gegen Feinde zu wagen, um die Pflicht gegen sich selbst zu vertheidigen, und dasselbe auch aufzuopfern, das ist kein Selbstmord. Zum Selbstmord kann mich keiner unter der Sonne, kein Landesherr verpflichten. 147Der LandesHerr kann seine Unterthanen zwar verpflichten, ihr Leben gegen den Feind fürs Vaterland zu wagen, und wann man da auch umkommt, so ist das kein Selbstmord, sondern das hieng vom Schiksal ab. So ist das wieder im Gegentheil keine Erhaltung des Lebens, wenn man sich für den Tod, den das Schiksal schon nothwendig droht, fürchtet und feiges Hertzens ist. Wer da entflieht, um sein Leben für den Feind zu retten, 146
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[XXVII: 371,07] Die Selbsttötung einer vergewaltigten Frau aus der Frühzeit des Römischen Reiches ist ein großes Thema in der abendländischen Kulturgeschichte; Lucretia lieferte den Stoff zu zahlreichen Bühnenstücken und Gemälden. – Lehmann (XXVII: 1119) verweist auf Cicero de legibus II 10. [XXVII: 371,18] Thomas Abbt veröffentlichte – als preußischer Untertan – gegen das Ende des dritten Schlesischen Krieges (1756–1763) sein viel beachtetes Plädoyer Vom Tode für das Vaterland (1761). Obwohl weder Autor noch Titel genannt sind, scheint ein Bezug gegeben.
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und läßt alle Seinigen im Stich, dann ist er feige, vertheidigt er sich und die Seinen aber bis auf den Tod, dann [274] ist er kein Selbstmörder sondern das ist nobel und edel gedacht Denn das Leben ist an und vor sich selbst auf keine Weise hochzuschätzen, sondern ich muß mein Leben nur in so fern zu erhalten suchen, als ich zu leben werth bin. Es muß ein Unterschied gemacht werden zwischen einem Selbstmörder und zwischen einem, der sein Leben durch das Schiksal verlohren hat. Wer sein Leben durch Unmässigkeit verkürtzt, so ist zwar seine Unvorsichtigkeit Schuld daran, sein Tod kann ihm also indirecte imputirt werden, aber nicht directe, er intendirte doch nicht sich zu tödten, es ist kein vorsetzlicher Tod; denn alle unsere Vergehen geschehen entweder culpa oder dolo, obgleich hier also kein dolus ist, so ist doch culpa. Zu dem kann man sagen, du bist selbst Schuld an deinem Tode, aber nicht du bist ein Selbstmörder. Die Intention sich selbst zu destruiren macht den Selbstmörder aus. Ich muß also nicht die Unmässigkeit, die die Ursache der Verkürtzung des Lebens ist zum Selbstmord machen. Denn wenn ich die Unmässigkeit zum Selbstmord erhöhe, so wird dadurch wieder der Selbstmord erniedrigt und zur Unmässigkeit gemacht; es ist also ein Unterschied, die Unvorsichtigkeit, wobey doch noch der Wunsch zu leben übrig bleibt, und die Absicht sich selbst zu ermorden. Die höchste Verletzung der Pflichten gegen uns selbst, bringen entweder Abscheu mit Grausen hervor und von dieser Art ist der Selbstmord, oder Abscheu mit Ekel und von der Art sind die Crimina Carnis. Der Selbstmord ist ein Abscheu [275] mit Grausen, denn jede Natur sucht sich selbst zu erhalten, ein verletzter Baum, ein lebendiger Körper, ein Thier; und nun soll beym Menschen die Freyheit, 148die der höchste Grad des Lebens ist und den Werth des Lebens ausmacht, ein principium seyn sich selbst zu zerstöhren? Dieses ist das erschreklichste was sich denken läßt, denn wer es schon soweit gebracht hat, daß er jedesmal ein Meister über sein Leben ist, der ist auch ein Meister 148
[XXVII: 372,12] Vgl. die oben zu p. 225 gegebenen Hinweise.
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über jedes andern sein Leben, dem stehen die Thüre zu allen Lastern offen, denn ehe man ihn habhafft werden kann so ist er bereit sich aus dieser Welt wegzustehlen; es erwekt also der Selbstmord ein Grausen, zum Theil könnte man auch sagen, daß er einen Ekel erwekt, indem er sich dadurch unter das Vieh setzt, wir sehen einen Selbstmörder als ein Aas an. Der durch das Schiksal umkommt, mit dem hat man ein Mitleiden. Die Vertheidiger des Selbstmordes suchen die Freyheit des Menschen aufs höchste zu treiben, welches schmeichelhafft ist, daß Personen im Stande sind sich das Leben zu nehmen, wenn sie wollen, daher auch wohlgesinnte Personen denselben aus dieser Absicht vertheidigen. An der Stelle, daß das Leben unter vielen Bedingungen aufzuopfern sey; 171(wenn ich mein Leben nicht anders erhalten kann als durch die Verletzung der Pflicht gegen mich selbst, so bin ich verbunden dasselbe aufzuopfern, als daß ich die Pflicht gegen mich selbst verletzen soll) so ist auf der anderen Seite der Selbstmord unter [276] keiner Bedingung erlaubt. Die Menschheit hat eine Unverletzlichkeit in seiner Person, es ist was heiliges was uns anvertraut ist, dem Menschen ist alles Unterworfen, nur sich selbst muß er nicht angreifen. Ein Wesen was durch seine Nothwendigkeit da wäre könnte sich unmöglich selbst destruiren, ein Wesen was nicht nothwendig da wäre, sieht das Leben als die Bedingung von allem an. Er sieht daß das Leben ihm anvertraut ist, er fühlt es, kehret er es nun wieder sich selbst, so scheint es als wenn er zurük 172bebe, so ferne er dieses Heiligthum was ihm anvertraut ist antastet. Worüber der Mensch disponiren kann, daß muß eine Sache seyn, die Thiere werden hier auch als Sachen angesehen, der Mensch ist aber keine Sache, destruirt sich der Mensch aber, so braucht er sich als eine lebendige Sache, das ist ein Vieh, er versetzt sich also in den Werth 171
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(wenn ich mein Leben … soll) Kae] | Fraglich, woher die wie eine Zusammenfassung klingende, in Klammern gesetzte Bemerkung stammt. Sie ist allen Mss gemeinsam; auch: Mnz 189,25 und XXVII: 372,27–30. bebe, Hg.] lebe, Kae]
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des Viehes. Wer sich aber als so etwas nimmt, der die Menschheit nicht respectirt, der sich zur Sache gemacht hat, der wird ein Object der freyen Willkür für jedermann, mit dem kann hernach ein jeder machen was er will, er kann vom andern als ein Thier als eine Sache behandelt werden, man kann sich an ihm exerciren so wie an seinem Pferd oder Hund, denn er ist kein Mensch mehr, er hat sich selbst zur Sache gemacht, demnach kann er nicht fordern, daß die andern seine Menschheit in 173seiner Person respectiren sollen, da er sie selbst schon weggeworfen hat. Die Menschheit ist aber Achtungswerth, und wenn der Mensch auch ein schlechter Mensch ist, so ist doch seine Menschheit [277] in seiner Person achtungswerth. Der Selbstmord ist nicht deswegen abscheulich und unerlaubt, weil das Leben ein so hohes Guth seyn sollte, denn sodann käme es nur auf jeden an, ob er es für sein hohes Guth hält. Nach der Regel der Klugheit wär es offt das beste Mittel sich selbst aus dem Wege zu räumen, aber nach der Regel der Sittlichkeit ist es unter keiner Bedingung erlaubt, weil es die Destruction der Menschheit ist, wo die Menschheit unter die Thierheit gesetzt wird. Sonst ist in der Welt vieles weit höher als das Leben, die Beobachtung der Moralitaet ist weit höher als das Leben. Es ist besser das Leben aufzuopfern als die Moralitaet zu verletzten. Es ist nicht nöthig zu leben, aber das ist nöthig daß man so lange als man lebe Ehrenwehrt lebe, wer aber nicht mehr Ehrenwerth leben kann, der ist gar nicht mehr werth zu leben. Es läßt sich aber jederzeit so lange leben, als man die Pflichten gegen sich selbst beobachten kann, ohne Gewalt über sich selbst zu gebrauchen, derjenige aber, der bereit ist, sich sein Leben zu nehmen, ist nicht mehr wehrt zu leben; nun kann ich nichts ärgers sagen, als der Mensch ist nicht mehr Werth zu leben. Der pragmatische BewegungsGrund zu leben ist die Glükseligkeit; kann ich mir wohl deswegen das Leben nehmen, weil ich nicht glüklich leben kann? Nein das ist nicht nöthig, daß ich so lange
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seiner Person Hg.] seiner Kae]
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als ich lebe glüklich leben soll, aber das ist nothwendig, daß ich so lange ich lebe Ehrenwerth lebe. Das Elend berechtiget keinen Menschen [278] sich das Leben zu nehmen, denn wären wir befugt aus Mangel der Vergnügen uns das Leben zu nehmen, so möchten alle unsere Pflichten gegen uns selbst auf das Vergnügen des Lebens abzielen, nun aber erfordert die Erfüllung der Pflichten gegen sich selbst offt die Aufopferung des Lebens. Ist bey dem Selbstmord 174Heroismus oder Feigheit anzutreffen? Es ist nicht gut wenn man auch aus guter Absicht Sophisterey ausübt, es ist nicht gut die Tugend und das Laster aus Sophisterey zu vertheidigen. Es schmählen auch wohldenkende Personen auf den Selbstmord aber nicht mit Gründen, sie sagen es ist eine grosse Feigheit darin, allein es giebt auch ein Selbstmord, wo ein grosser 175Heroismus ist zE. 149Cato 176Uticensis. Solchen Selbstmord kann ich nicht zaghafft nennen. Graam, Affect und Wahnsinn ist mehrentheils die Ursache des Selbstmordes, dahero Personen, die von demselben 177aus der Hälfte errettet werden, erschrekken selbst über sich, und wagen es nicht zum andermaal. Es ist ein Zeitalter bey den Römern und Griechen gewesen, wo der Selbstmord eine Ehre brachte, dahero auch 150die Römer ihren Sklaven verbothen sich selbst umzubringen, weil sie nicht sich selbst sondern ihrem Herrn zugehörten, also als eine Sache angesehen wurden, so wie ein jedes andere Thier. Der 151Stoiker sagte, der Selbstmord wäre der sanfte Tod des Weisen,
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Heroismus Hg.] heroissem Kae] Heroismus Hg.] heroissem Kae] Uticensis Hg.] Atticus Kae] aus der Hälfte Kae] | Gemeint ist „aus dem nicht vollendeten Selbstmord“. [XXVII: 374,03] Vgl. den zu p. 272 gegebenen Hinweis. [XXVII: 374,11] Nicht ermittelt. [XXVII: 374,14] Vgl. AA-Kant XXV: Anthropologie-Parow, Kom-Nr. 220 / Menschenkunde, S. 318, Kom-Nr. 236 bzw. AA-Kant VI: 422,23.
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er geht aus der Welt, so wie aus einer Stube die da raucht in die andere, weil es ihm nicht mehr darin gefällt, er geht aus der Welt, [279] nicht weil er keine Glükseligkeit in derselben hat, sondern weil er sie alle verachtet. *Es ist schon vorhero berühret, daß es sehr schmeichelhafft dem Menschen ist, die Freyheit zu haben, sich selbst aus der Welt wegzuschaffen, wenn er will, und obgleich man es auch nicht thun wird, so gefällt doch die Freyheit, daß man es thun könnte, wenn man wollte. Ia es scheint auch was moralisches darin zu seyn, denn ein solcher, der die Macht hat aus der Welt zu gehen, wenn er will, darf keinem unterworfen seyn, sich durch nichts binden lassen, dem grösten Tyrannen die gröbsten Wahrheiten zu sagen, indem ihn derselbe durch keine Marter zwingen kann, weil er sich geschwind aus der Welt expediren kann, so wie ein freyer Mensch aus dem Staate gehen kann, wenn er will. Allein dieser Schein wird gehoben, wenn die Freyheit 178nicht durch eine unwandelbare Bedingung bestehen kann, die sich unter keinen Umständen nicht ändern kann, diese unwandelbare Bedingung ist, daß ich meine Freyheit nicht wieder mich selbst zur Destruction gebrauche, sondern daß ich meine Freyheit durch nichts äusseres einschrenken lasse, dieses ist die edle Freyheit; ich muß mich durch kein Schiksal und Unglük abschrekken lassen zu leben, sondern so lange leben, als ich als ein Mensch und Ehrenwerth leben kann. Das Klagen über Schiksal und Unglük entehrt schon den Menschen. Wenn Cato unter allen Martern, die ihm Caesar hätte anthun lassen, [280] dennoch mit standhaffter Seele bey seinen Entschlüssungen fest geblieben wäre, so wäre das edel, aber nicht wenn er Hand an sich legte. Die Vertheidiger und Lehrer der Befugniß des Selbstmordes sind einer Republik sehr nachtheilig. Man stelle sich vor daß es eine allgemeine Gesinnung wäre die die Menschen hegten, es sey eine Befugniß, ja ein Verdienst oder Ehre sich selbst zu ermorden, so wären sol178
nicht durch … nicht ändern kann, Kae] nur durch … Umständen ändern kann, Hg.] | Es handelt sich um eine überflüssige doppelte Verneinung, die bei dialektgefärbter, mündlicher Rede leicht unterlaufen kann.
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che Menschen für jedermann erschreklich, denn der sein Leben sogar nach Grundsätzen nicht achtet, den kann gar nichts für den erschreklichsten Lastern zurükhalten, er scheut keinen König und keine Marter. Aller Schein verliert sich aber doch, wenn man den Selbstmord noch in Ansehung der Religion erwägt. Wir sind in diese Welt zu gewissen Bestimmungen und Absichten gesetzt, ein Selbstmörder wiederstreitet aber dem Zwek seines Schöpfers, er kommt in jene Welt als ein solcher an, der seinen Posten verlassen hat, er ist also als ein Rebelle wieder Gott 179anzusehen. 179
anzusehen. Kae] anzusehen. / So lange wir diese Wahrheit andeuten, daß die Erhaltung des Lebens zu den Absichten Gottes gehöre, sind wir verpflichtet, unsere freien Handlungen denselben gemäß einzurichten. Wir haben weder Fug noch Recht, den Erhaltungskräften unserer Natur Gewalt anzutun und die Weisheit in ihrer Verrichtung zu stören. Diese Schuldigkeit liegt uns so lange ob, bis Gott uns den ausdrücklichen Befehl gibt, dieses Leben zu verlassen. Wir Menschen sind hier wie Schildwachen ausgestellt und wir müssen also unsere Posten nicht verlassen, bis wir von einer anderen wohltätigen Hand abgelöst werden. Gott ist unser Eigentumsherr, wir sind sein Eigentum, und seine Vorsehung besorgt unser Bestes. Ein Leibeigener, der unter der Vorsorge eines gütigen Herrn steht, handelt sträflich, wenn er sich den Absichten desselben widersetzt. Mnz 193,05–18] / Collins (XXVII: 375,12–24); Dilthey (XXVII: 1296) | Nicht: Kaehler p. 280; von Brandt (XXVII: 1217); Friedlaender (XXVII: 1240); anonymus-Berlin 2 (XXVII: 1262); Mrongovius II (XXVII: 1507,20). – Die folgenden Termini sind im elektronisch erschlossenen Korpus zu den Moral-Vorlesungen (Menzer-Ausgabe, MsKaehler, AA-Kant Bd. XIX) nur hier vertreten: andeuten, ausdrücklich, Eigentumsherr, Erhaltungskraft, Fug, Leibeigener, Verrichtung. Hinzu kommt: (1) daß weder ‚Eigentumsherr‘ noch ‚Erhaltungskraft‘ in den Werken (Abtlg. I der AA-Kant) oder dem Korpus der Anthropologie-Nachschriften belegt ist; (2) daß die Wendung ‚Fug – Recht‘ von Kant in seinen Werken nur einmal gebraucht wurde (VIII: 197,31); (3) daß von diesen Termini in Kant’s Notaten in den Initia, d. i. R: 6456–7322, nur ‚ausdrücklich‘ (5 mal) und stets in Verbindung mit ‚Gesetz‘ vorkommt und zwar in den R: 6745–6747. Also wird man wenigstens annehmen müssen, daß die Passage nicht zum Kantischen Textbestand der Moral-Vorlesung in der Mitte der 1770er Jahre gehört. Vgl. die mit anderen Mitteln (anhand seiner Hefte A, C, H, J, K und der Menzer’schen Edition) zum selben Ziel geführte Argumentation von Krauß S. 63–65. Auch dem Inhalt nach widerspricht die Passage einer anderen Aussage der Vorlesung, vgl. Kaehler p. 301.
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Der Selbstmord ist aber unerlaubt und abscheulich nicht deswegen, weil ihn Gott verbothen hat, sondern Gott hat ihn verboten weil er abscheulich ist. Also muß von allen Moralisten die innere Abscheulichkeit des Selbstmordes zuerst gezeigt werden. Der Selbstmord findet sich gemeinhin bey denen, die über die Glükseligkeit des Lebens gekünstelt haben, denn hat jemand die Künsteley der Vergnügen geschmekt, und kann sie nicht immer besitzen, so versetzt er sich in Graam, Kummer und Schwermuth. [281]
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für dasselbe Sorge zu tragen, so merken wir an: Das Leben an und vor sich selbst ist nicht das höchste Gut was uns anvertraut ist, und wofür wir Sorge tragen sollen, es giebt Pflichten die weit höher sind als das Leben, und die offt mit Aufopferung des Lebens müssen ausgeübt werden. Aus der Beobachtung der Erfahrung sieht man, daß ein Nichtswürdiger mehr sein Leben schätzt als seine Person, wer also keinen innern Wehrt hat, setzt auf sein Leben grossen Werth; wer aber mehr innern Werth hat, setzt auf sein Leben einen kleinen Werth. Ein Mensch von innerm Werth wird lieber sein Leben aufopfern, ehe er eine niederträchtige Handlung begehen sollte, er zieht also den Wehrt seiner Person dem Leben vor; der aber keinen innern Werth hat, begeht lieber eine niederträchtige Handlung; ehe er sein Leben aufopfert; denn erhält er zwar sein Leben, allein er ist nicht mehr werth zu leben, weil er die Menschheit und die Würde derselben in seiner Person entehret hat. Wie hängt aber das zusammen, daß derjenige sein Leben geringer schätzt, der einen Werth in seiner Person hat? Hier stekt was verborgenes, obgleich es klar genung ist, daß es sich so verhält. Der Mensch sieht das Leben, was in der Verbindung der Seele mit dem Körper besteht, als zufällig an, wie es denn auch würklich ist, das frey handelnde principium in ihm ist aber von der Art, daß das [282] Leben, welches in der Verbindung der Seele mit dem Kör-
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per besteht in Ansehung dieses geistischen principii als gering gehalten wird; so bald es also Handlungen sind, die ein geistisches principium und deren Pünktlichkeit den Wehrt seines Geistes angeht, in Ansehung deren wird der Wehrt des Lebens, das nur in der Verbindung der Seele mit dem Körper besteht, klein. Wenn demnach zE einige Personen unschuldiger weise wegen einer Verrätherey angeklagt wären, unter denen aber würklich ehrliche und Ehrenwehrte Personen wären, andere aber auch niederträchtige, die keinen innern Wehrt hätten, obgleich sie dieses mal unschuldig wären, wenn allen diesen zusammen die Strafen dictirt wäre zu sterben oder 152auf zeitlebens an die Karre, von diesen beyden Strafen sollte sich nun jeder wählen was er wollte, so ist es gantz gewiß, daß die Ehrenwehrte Personen den Tod, die Nichtswürdige aber die Karre wählen würden; der einen innern Werth hat, der scheut den Tod nicht, er stirbt lieber, als daß er als ein Gegenstand der Schande in der Gesellschafft der andern Spitzbuben an der Karre leben sollte, der Nichtswürdige geht aber lieber an die Karre beynahe als wenn er schon dahin gehörte. Es giebt also Pflichten unter denen das Leben weit unten an steht, und um diese zu erfüllen müssen wir keine Feigheit in Ansehung der Erhaltung unseres Lebens blikken lassen. Die Feigheit des Menschen entehrt die Menschheit. Die Hochschätzung des physischen 180Uebels ist sehr feighafft. Der Mensch, der bey jeder Gelegenheit wegen einer Kleinigkeit [283] sehr bange um sein Leben thut, kommt jedermann sehr lächerlich vor. Man muß seinen Tod standhafft erwarten. Das hat einen kleinen Werth dessen Verachtung grossen Werth hat. Auf der andern Seite sollen wir aber unser Leben nicht wagen und aus blosser Interesse und Privat Absicht aufs Spiel setzen alsdenn handelt man nicht allein unklug sondern 180
Uebels Kae] Lebens Mnz 195,06]
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[XXVII: 376,22] Kant äußert sich auch in seiner Rechtslehre (1797) ganz ähnlich wie in der Vorlesung; vgl. VI: 333 f. Vielleicht ist ebenda indirekt auch die nicht ermittelte literarische Bezugsstelle angegeben.
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auch niederträchtig zE wenn man wetten wollte auf viel Geld über ein Wasser durchzuschwimmen. Wir sind wegen keines Guths der Welt verbunden unser Leben zu wagen, nicht aus Feigheit, sondern aus Pflicht. Allein es giebt doch solche Zustände, des Lebens, wo man sein Leben aus Interesse wagt zE. der Soldatenstand im Kriege. Das ist aber keine PrivatAbsicht sondern ein allgemeines Wohl, weil nun die Menschen schon einmal so beschaffen sind, daß sie Kriege führen, so finden sich auch Menschen, die sich dazu widmen. Die Regel sind sehr subtil, in wie fern wir unser Leben zu schätzen, und in wie fern wir es zu wagen haben. Der Hauptpunkt ist dieser: die Menschheit in unser Person ist ein Gegenstand der höchsten Achtung und in uns unverletzlich. In den Fällen, wo die Menschheit dadurch entehrt wird, da ist der Mensch verbunden lieber sein Leben aufzuopfern, als seine Menschheit in seiner Person zu entehren, denn ehrt er seine Menschheit, wenn sie von andern soll entehrt werden; kann der Mensch sein Leben nicht länger anders erhalten, als durch Entehrung seiner Menschheit, so soll er es lieber aufopfern, denn setzt er [284] zwar sein thierisches Leben in Gefahr, allein er fühlt doch, daß er so lange als er gelebt hat, Ehrenwerth gelebt habe. Es liegt nicht daran, daß der Mensch lange lebe (denn der Mensch verliert nicht durch einen Zufall sein Leben, sondern nur die Verlängerung der Iahre seines Lebens, das Urtheil ist ihm schon von Natur gesprochen, einmal zu sterben) sondern daß er so lange er lebe Ehrenwerth lebe und die Würde der Menschheit nicht entehre kann er nun nicht länger so leben, so kann er gar nicht leben, denn ist sein moralisches Leben zum Ende, das moralische Leben ist aber denn zum Ende, wenn es mit der Würde der Menschheit nicht übereinstimmt, dieses moralische Leben ist durch keine Uebel und Marter determinirt, ich kann unter allen Martern dennoch moralisch leben; ich muß lieber alle Marter ja den Tod selbst ausstehen, ehe ich durch eine niederträchtige Handlung die Menschheit entehre. In dem Zeitpunkt, wo ich nicht mehr mit Ehren leben kann, sondern durch eine solche Handlung des Lebens unwürdig werde, denn kann ich gar nicht leben. Es ist also
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weit besser mit Ehren und Ruhm zu sterben als sein Leben auf einige Iahre durch eine niederträchtige Handlung verlängern und als ein Schelm zu leben fortfahren. Wenn nun zE. eine Person ihr Leben länger nicht anders erhalten kann, als durch Preisgebung ihrer Person dem Willen des Andern, so ist sie verbunden lieber [285] ihr Leben aufzugeben als die Würde der Menschheit in ihrer Person zu entehren, welches sie doch dadurch thut, wenn sie sich als eine Sache der Willkür des andern unterwirfft. Es ist also die Erhaltung des Lebens nicht die höchste Pflicht sondern man muß offt das Leben aufgeben, um nur ehrenwerth zu leben. Solcher Fälle giebt es viel. Und obgleich 153die Juristen sagen, daß die Erhaltung des Lebens die höchste Pflicht ist, und daß man im Casu necessitatis verbunden sey für sein Leben zu stehen, so gehört die Sache gar nicht zur Jurisprudenz, die soll nur die schuldige Pflichten gegen andere entscheiden, was Recht und Unrecht ist, aber nicht die Pflichten gegen sich selbst, und sie können auch keinen Menschen zwingen, daß er in solchem Fall sein Leben aufgeben soll, denn wodurch wollen sie ihn zwingen? Dadurch daß sie ihm wieder sein Leben nehmen? Und die Juristen müssen auch das Lebens als die höchste Pflicht ansehen, weil sie nur durch Beraubung des Lebens einen am höchsten strafen können. Und es giebt überdem keinen andern casum necessitatis, als wo mich die Sittlichkeit von der Vorsorge für mein Leben losspricht. Alle Noth, Gefahr und Marter in die ich kommen kann ist kein casus necessitatis mein Leben zu erhalten, denn die Noth kann die Sittlichkeit nicht aufheben. Wenn ich also mein Leben nur durch Niederträchtigkeit erhalten kann, so spricht mich die Tugend von der Pflicht mein Leben zu erhalten los, weil hier eine höhere Pflicht gebietet, und fällt mir das Urtheil mein Leben aufzuopfern. [286]
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[XXVII: 378,04] Nicht ermittelt.
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Von den Pflichten in Ansehung des Körpers selbst.
§ 253
Unser Körper gehört zu unserm Selbst, und zu den allgemeinen Gesetzen der Freyheit, nach denen uns die Pflichten zukommen. Der Körper ist uns anvertraut, und unsere Pflicht in Ansehung desselben ist: daß das menschliche Gemüth den Körper erstlich discipliniren, und dann Vorsorge für ihn tragen soll. Der Körper muß erstlich disciplinirt werden, denn es sind im Körper principia, wodurch das Gemüth afficirt wird, 181wo durch den Körper der Zustand des Gemüths verändert wird. Das Gemüth muß also davor Sorge tragen, daß es eine Autocratie über den Körper hat, damit der Körper den Zustand des Gemüths nicht ändern kann. Das Gemüth muß also die Obergewalt über den Körper erhalten, daß es ihn nach moralischen und pragmatischen Principien und Maximen dirigiren und afficiren kann. Hiezu wird eine Disciplin erfordert, 154diese Disciplin ist nur negativ, das Gemüth muß nur verhindern, daß der Körper dasselbe nicht wozu necessitiren kann, daß er das Gemüth nicht afficiren soll, kann wohl nicht gehindert werden. Es beruht vieles auf dem Körper in Ansehung unseres ErkenntnißVermögens, des Vermögens der Lust und Unlust, und der Begierden. Wenn das Gemüth nicht gehörige Herrschafft über den Körper hat, so werden die Gewohnheiten, die man dem Körper erlaubt zur Nothwendigkeit, und wenn das Gemüth den Hang des Körpers nicht unterdrükt, [287] so entspringt daraus die Ueberwiegung des Körpers über das Gemüth. Diese Oberherrschafft des Gemüths über den Körper oder die Oberherrschafft der Intellectualitaet über die Sensualitaet können wir recht gut 155ver181
wo durch Hg.] wodurch Kae] | An der Stelle findet ein Zeilenwechsel statt. Ein fehlerhafter Trennstrich verbindet beide Worte.
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[XXVII: 378,35] Vgl. die oben zu p. 16 und p. 255 gegebenen Hinweise. [XXVII: 379,09] Das wohl prominenteste Exemplar einer vergleichenden oder parallelisierenden Betrachtung von Individuum und Gesellschaft findet sich in der Platonischen Politeia 368e.
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gleichen mit einer Republik, in der entweder eine gute oder schlechte Oberherrschafft ist. Die Disciplin kann zwiefach seyn: so fern der Körper entweder soll gestärkt oder geschwächt werden. 156Viele schwärmerische Moralisten glaubten, daß durch die Schwäche und durch die Benehmung aller Sinnlichkeit des Körpers alles zu erhalten sey; man 182müsse dem Körper alles das was sein sinnliches Vergnügen befördert, versagen, damit dadurch das thierische des Körpers unterdrükt würde, und das geistische Leben, welches sie dermaleins zu erlangen hofften schon hier sollte anticipirt werden, und der Körper demselben durch eine allmählige Ablegung aller Sinnlichkeit immer näher komme. Man kann solche Uebungen nennen die Tödtung des Fleisches, welcher Ausdruk zwar bey den Heyden unbekannt war, solche Uebungen aber 157nannten sie exercitia telestica, wo sie sich bemühten sich von den Banden des Körpers zu befreyen. Alle solche Uebungen wozu zE Fasten, Casteyungen gehört, sind schwärmerisch und Mönchstugenden, die nur den Körper abmergeln. Die Vollkommenheit der Disciplin des Körpers besteht darin, daß der Mensch seiner Bestimmung gemäß leben kann, der Körper muß zwar der Disciplin unterworfen seyn, aber er muß nicht vom Menschen [288] zerstört und seine Kräffte verletzt werden. Zu der Disciplin wird also gehören, daß der Körper des Menschen gestärkt werde welches durch alle mögliche Abhärtungen geschehen kann, wo der Körper zwar versorgt aber nicht verwehnt wird. Wir müssen also nichts von den Vergnügen des Körpers in ihm einnisteln lassen, sondern ihn so einzurichten suchen, daß er im Stande ist ausser der Bedürfniß alles zu entbehren, mit schlechter Kost vorlieb zu nehmen, alle Strapazen und Unglüksfälle mit Munterkeit zu ertragen. Der Mensch fühlt sein Leben mehr, je weniger er be182
müsse Hg.] müssen Kae]
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[XXVII: 379,12] Vgl. die oben p. 235 nicht ermittelten Verfechter der menschlichen Schwäche. [XXVII: 379,20] So jedenfalls Baumgarten in § 262 seiner Ethica.
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§ 262
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§ 260
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darf seine Lebenskrafft zu erhalten. Wir müssen unsern Körper so abhärten wie 158der Diogenes, der als ein Sklave nichts gelernt hat als zu regieren, 183der die Kinder seines Herrn gezogen hat, die gegen alle Ungemächlichkeiten des Lebens abgehärtet dabey aber von munterer und heiterer Seele waren und principia der 184Rechtschaffenheit besassen. So wie auch die Glükseligkeit des Diogenes, *wie zu Anfange gesagt ist nicht im Ueberflusse sondern im Mangel, in der Entbehrung der Glüksgüter bestand. Da wir auf der einen Seite den Körper discipliniren sollen, so haben wir auch auf der andern Seite eine Pflicht, vorsorge für den Körper zu tragen; dazu gehört, daß wir die Lebhafftigkeit, Munterkeit, Thätigkeit, Stärke und Muth zu befördern suchen. In Ansehung der Disciplin des Körpers haben wir folgende zwey [289] Pflichten zu beobachten: die Mässigkeit in Ansehung der würklichen Bedürfnisse des Körpers, und die Genügsamkeit in Ansehung der Ergötzlichkeiten des Körpers. Die Bedürfnisse können dem Körper nicht versagt werden, allein es ist besser daß der Mensch innerhalb diesen Schranken bleibe, als daß er sie überschreite, daß er lieber dem Körper von seinen Bedürfnissen etwas versage, als daß er darin zu weit gehe. Denn die Weichlichkeit macht ein Unvermögen aus. In Ansehung der Mässigkeit giebt es zween Abwege: die Gefrässigkeit im essen und Versoffenheit im Trinken. Das Uebermaas im Trinken geht nicht auf die Quantitaet, es wird niemals jemand Lüsternheit haben zu viel Wasser zu trinken, sondern in Ansehung der Delicatesse und der Qualitaet des Getranks. Aber im Essen kann der Mensch auch durch schlechte Kost verleitet werden zu viel zu essen. Beyde Abwege der Mässigkeit sind Verletzungen 183 184
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der die Hg.] die Kae] Rechtschaffenheit Hg.] Rechenschaffenheit Kae] [XXVII: 379,37] Vgl. die dem entsprechende Anmerkung von Kant in seiner Anthropologie (VII: 292f.) und den zugehörigen Kommentar (Brandt 1999, S. 424).
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der Pflichten gegen sich selbst, durch beyde entehrt sich der Mensch, weil beydes viehisch ist. Denn einige Laster der Menschen sind menschliche, die mit seiner Natur zusammen stimmen, ob sie gleich auch Laster sind zE. die Lügen; einige sind aber so, daß sie ausserhalb der Menschheit sind, sie lassen sich gar nicht mit der Natur und dem Character der Menschen zusammen 185räumen, von solchen Lastern sind zwo Arten: die [290] viehische und teuflische Laster; durch die Viehische setzt sich der Mensch unter das Thier, und die teuflische sind ein Grad der Bosheit, die weit über die Bosheit der Menschen Geht, wozu wir drey rechnen: Neid, Undankbarkeit und Schadenfreude zu den Viehischen rechnen wir diese: Frässigkeit und Versoffenheit, und auch die Crimina contra naturam. Alle viehische Laster sind Gegenstände der grösten Verachtung, die teuflische sind aber Gegenstände des grösten Hasses. Welches unter diesen beyden viehischen Lastern der Frässigkeit und Versoffenheit ist verächtlicher und niedriger? Der Hang zum Trunk ist nicht so niedrig als zur 186Gefrässigkeit; denn der Trunk ist ein Mittel der Geselligkeit und 187Gesprächigkeit und befördert die Begeisterung des Menschen und in so fern hat er eine Entschuldigung, wenn aber der Trunk über diesen Grad steigt, so wird es ein Laster der Versoffenheit, in so fern sich also diese Versoffenheit auf den Trunk der Geselligkeit gründet, so bleibts zwar noch immer ein viehisches Laster, aber doch nicht so verächtlich als die Gefrässigkeit, die noch niedriger ist, weil durch die Gefrässigkeit weder die Geselligkeit noch die Belebung des Körpers befördert wird, sondern blos das thierische sich zeigt. Der Trunk und die Versoffenheit in der 188Einsamkeit ist eben so schimpflich, denn da fällt die Ursache weg, die sie über die Gefrässigkeit ein klein wenig erhob. [291] 185
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räumen, Kae] reimen, Hg?] | Ein orthographisches Echo der ostpreußischen Aussprache? Gefrässigkeit; Hg.] Versoffenheit; Kae] Gesprächigkeit Hg.] Gesprächichkeit Kae] Einsamkeit Hg.] Emsigkeit Kae] | Mit Mnz 200,30.
234 sectio 12: Cura occupationum et otii §§ 267 ff.
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Von der Pflicht des Lebens in Ansehung des Genusses desselben. Der Mensch fühlt sein Leben durch Handlungen und nicht durch den Genuß. Ie mehr wir beschäfftigt seyn, desto mehr fühlen wir daß wir leben und desto mehr sind wir uns unseres Lebens bewust. In der Musse fühlen wir nicht allein, daß uns das Leben so vorbey streicht, sondern wir fühlen auch so gar eine Leblosigkeit. Die Thätigkeit gehört also zum Unterhalt unseres Lebens. Eine jede leere Zeit ist, die nicht ausgefüllt ist, wie wird nun aber die Zeit ausgefüllt? Der Genuß des Lebens füllt die Zeit nicht aus, sondern läßt sie leer, für einer leeren Zeit hat aber das menschliche Gemüth einen Abscheu horror vacui wenn wir die Zeit nicht mit Empfindungen oder Handlungen ausfüllen, so haben wir lange Weile, Unmuth und Ekel. Die gegenwärtige Zeit kann uns zwar scheinen ausgefüllt zu seyn, aber in der Erinnerung kommt sie uns doch leer vor; denn wenn sie ausgefüllt wird mit Spiel p so scheint sie zwar so lange voll zu seyn, so lange sie gegenwärtig ist, aber in der Erinnerung ist sie leer; denn wenn man in seinem Leben nichts gethan hat, sondern die Zeit nur so verschleudert, und man sieht auf seine LebensZeit zurük, so weiß man nicht, wie sie so geschwinde zu Ende gebracht ist, weil man nichts darin gethan hat. Die Zeit wird aber nur ausgefüllt mit Handlungen, wir fühlen [292] nur unser Leben in Beschäfftigung, im Genuß fühlen wir unser Leben nicht genugsam. Denn das Leben ist das Vermögen der Selbstthätigkeit und das Gefühl aller Kräffte des Menschen die Beschäfftigung macht uns aber aller unserer Kräffte bewust, je mehr wir aber unsere Kräffte fühlen, desto mehr fühlen wir auch unser Leben. Die Empfindung ist nur die Krafft die Eindrükke wahrzunehmen, da ist man nur passiv, und in soweit nur activ, als man darauf Acht hat. Ie mehr aber ein Mensch gehandelt hat, desto mehr fühlt er sein Leben, desto mehr kann er sich seines Lebens erinnern, weil er viel darin gethan hat, und desto mehr ist er seines Lebens satt, wenn er stirbt; seines Le-
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bens satt seyn ist aber nicht seines Lebens überdrüssig seyn, wer lauter Vergnügen genossen hat, wird zuletzt des Lebens überdrüssig; der blosse Genuß des Lebens macht einen des Lebens überdrüssig; aber satt sterben kann man nur denn, wenn man sein Leben mit Handlungen und Beschäfftigungen ausgefüllt hat, und es recht angewendet hat, so daß einem nicht leid thut, daß man gelebt hat; man stirbt des Lebens satt, wenn man auch nicht lange gelebt hat, aber doch findet, daß man so lange als man gelebt hat viel gehandelt und ausgeübt hat und sein Leben recht genutzt hat. Der wird des Lebens überdrüssig, der nichts gethan hat, der aber ist des Lebens satt, der viel gethan hat. Der Mensch kann also auf solche Art sein Leben einigermaassen verlängern, denn wenn er in seiner Lebenszeit viel gethan hat, denn [293] kommt ihm seine Lebenszeit lang vor, indem er viel zu besehen hat, was er darin gethan hat; wer aber nichts gethan hat, dem kommt es vor, als wenn er noch gar nicht gelebt hat, sondern nun erst recht anfangen wollte zu leben. Demnach müssen wir unsere Lebenszeit mit Handlungen ausfüllen, dann werden wir uns nicht über die Länge der Zeit in jedem Abschnitt derselben, und über die Kürtze der Zeit im Gantzen genommen, wenn man auf sie zurük sieht, beschweren. Denn darüber klagen alle Leute die nichts thun, jeder Theil der Zeit wird ihnen zu lang, indem sie nichts darin zu thun haben, und wenn sie sich wieder zurük erinnern, wissen sie nicht wo die Zeit geblieben ist; bey dem Menschen aber der beschäfftigt ist, ists umgekehrt, dem wird jeder Theil der Zeit zu kurtz, er weiß nicht wo ihm die Zeit bleibt unter seiner Beschäfftigung, die Stunden schlagen ihm immer zu geschwind wenn er sich aber herum und zurüksieht, so sieht er wie viel er in der Zeit schon gethan hat. Der Mensch muß also seine LebensKrafft das heißt die Thätigkeit durch viele Uebung erhalten. Der Werth des Lebens beruht auf dem Maasse dessen was wir thun; alle Nachlässigung ist demnach eine Verminderung des Grades des Lebens. Dieses ist die Bedingung aller Pflichten, daß wir in uns einen Trieb zur Thätigkeit zu erhalten suchen, denn sonst sind alle moralische Vorschrifften umsonst; denn hat der Mensch keinen
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[294] Trieb zur Thätigkeit, so wird er sich auch nicht einmal die Mühe geben einen Anfang darin zu machen. Der Mensch muß also thätig und wakker seyn, das heißt auch zu schweren Beschäfftigungen entschlossen und rüstig, das heißt ohne Aufschub; dem rüstigen ist das zögernde entgegen gesetzt. Alle Beschäfftigung ist entweder Geschäffte oder Spiel; nun ists besser wenn man keine Geschäffte hat lieber Beschäfftigungen des Spiels als gar keine Beschäfftigung zu haben; denn dadurch unterhält man doch wenigstens die Thätigkeit, ist man aber gantz unbeschäfftiget, so verliert man was von der Lebenskrafft, und denn wird man immer träger, hernach ists aber wieder sehr schwer das Gemüth in die vorige Thätigkeit zu bringen. Der Mensch kann nicht glüklich leben ohne Beschäfftigung, und wenn er sich sein Brodt verdient, so ißt er es vergnügter als wenn es ihm zugeschnitten wird. So geht 159der Kaufmann gern aufs Concert oder in Gesellschafft, wenn der Posttag vorbey ist und ist vergnügter als wenn gar keiner gewesen wäre. Wenn der Mensch viel gethan hat, so ist er nach der Arbeit vergnügter, als wenn er gar nichts gethan hat; denn durch die Arbeit hat er seine Kräffte in Bewegung gebracht und fühlt sie dahero desto besser und denn ist auch das Gemüth belebter Vergnügen zu geniessen, wer aber nichts gethan, der fühlt sein Leben und seine Kräfte nicht, und ist auch denn nicht zum Vergnügen 189auferlegt. [295] Ruhe ist von der Musse zu unterscheiden, sein Leben in Ruhe zubringen, geht wohl an, wenn es ein Schluß eines würksamen Lebens ist, man kann zwar von der allgemeinen Beschäfftigung der Welt oder des gemeinen Wesens ruhen, indem man die Rolle der Welt niedergelegt hat, allein man kann doch 189
auferlegt. Kae] | Vgl. Note zu p. 60.
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[XXVII: 382,39] Ähnlich eine Aussage im ersten Anthropologie-Kolleg (1772/73), Collins p. 171: „Kaufleüten ist kein Tag angenehmer, als der Postag. Wer den Vormittag gut an gewandt hat, der wird den Nachmittag vergnügt zu bringen.“ Ebenso Parow, p. 247 f.
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noch vor sich im Privatleben beschäfftiget seyn, denn lebt man in der Ruhe als ein Weiser. Diese Ruhe des Alters ist keine Lässigkeit sondern eine Erhohlung nach der Beschäfftigung. Um also in der Ruhe zu seyn muß man beschäfftiget seyn, denn wer nichts gethan hat, der kann nicht ruhen; die Ruhe läßt sich nach der Beschäfftigung recht geniessen, wer recht viel gethan hat, der wird die Nacht gut schlafen können, wer aber nichts gethan hat, dem ist die Ruhe nicht so angenehm. Anjetzo merken wir etwas von der Zeitverkürzung an. Es giebt viele Ausdrükke und Mittel die Zeit zu verkürtzen in der der Mensch ist. Ie mehr einer der Zeit gewahr wird, desto mehr fühlt er daß sie leer ist zE. Wer nach der Uhr sieht dem wird die Zeit lang. Wer aber was zu thun hat, der wird der Zeit nicht gewahr und desto kürtzer kommt sie ihm vor. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf Gegenstände richten, so nehmen wir die Zeit nicht gewahr und denn ist sie uns kurtz, so bald wir aber auf die Ausmessung der Zeit denken, und sie beobachten, so ist sie uns leer. [296] Unser Leben ist also länger, je mehr es angefüllt ist mit Handlungen, und kürtzer, je weniger es damit angefüllt ist. Beobachtung. 160Alle Meilen nahe an der Hauptstadt scheinen kleiner zu seyn und weiter davon länger; denn derjenige der eine Meile gereiset und nichts darin sieht, dem kommt die Meile lang vor, wenn er sie fährt, hat er sie aber schon zurük gelegt und besinnt sich darauf so kommt sie ihm kurtz vor, weil er in dem Raum nichts hat worauf er sich besinnen kann, indem er nichts wahrgenommen hat Nun ist nahe an den Hauptstädten mehr zu sehen und wahrzunehmen als weiter davon.
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[XXVII: 383,29] Es handelt sich offenbar um eine Reminiszens der Lektüre von Henry Home Grundsätze der Critik Bd. 1 (1763), S. 259: „Und dieses erklärt uns im Vorbeygehen, einen Umstand der sonderbar scheinen kann, daß nämlich in einem wüsten Lande die Meilen immer länger sind, als nahe bey der Hauptstadt, wo das Land fruchtbarer und volkreicher wird.“ Vgl. die Kom-Nr. 207 zum Anthropologie-Kolleg des Winters 1781/82 (Menschenkunde S. 262)
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Von der Pflicht gegen seinen Körper in Ansehung der Geschlechter Neigung.
sectio 13: Cura castitatis §§ 272 ff.
Der Mensch hat eine Neigung die auf andere Menschen gerichtet ist, nicht so fern er die Arbeit und die Dienste anderer Menschen geniessen kann, sondern unmittelbar auf andere Menschen als Objecte seines Genusses. Der Mensch hat zwar keine Neigung des andern Menschen sein Fleisch zu genüssen, und 161wo es nur ist, da ist es mehr eine Kriegesrache als Neigung, aber es bleibt eine Neigung beym Menschen die Appetit heissen kann und auf den Genuß des andern Menschen geht, dieses ist die GeschlechterNeigung. Der Mensch kann sich zwar des andern Menschen bedienen als eines Instruments zu seinen Diensten, er kann seine [297] Hände, seine Füsse durch seine Dienste brauchen, ja alle seine Kräffte, ich kann also einen Menschen zu meiner Absicht gebrauchen aber mit seiner freyen Willkür. Aber wir finden gar nicht, daß der Mensch ein Object des Genusses von andern seyn kann als durch die Geschlechterneigung. Hier liegt eine Art vom Sinn zum Grunde, 190den man den sechsten Sinn nennen könnte, vermittelst dessen der Mensch ein Genuß vom Appetit des Andern ist. Man sagt der
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den Hg.] denn Kae]
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[XXVII: 384,07] So Kant auch in seinem etwa zeitgleichen Kolleg über ‚Physische Geographie‘, Nachschrift von Johann Sigismund Kaehler (Sommer 1774 oder 1775), p. 132: […], allein überhaupt dürfen wir solchen Nachrichten von Menschenfreßern nicht trauen, weil die Erfahrung lehrt, daß dieselben nur ihre Kriegsgefangenen, wenn sie lebendig seyn schlachten und zwar mit den grösten Solennitaeten.“ Bzw. in der Rink-Edition IX: 229,04ff. Doch hat Kant sich schon spätestens im Sommer 1770 von einer früheren unkritischen Position abgesetzt. Im Geographie-Heft von Georg Hesse heißt es, p. 218: „Die Einwohner [der Nicobaren] werden für Menschenfreßer ausgegeben, vermuthlich weil sie denen Europäern, die ihnen ihr Land wegnehmen wollten, gefährlich in der Gegenwehr gewesen, denn es giebt wirklich keine Menschenfreßer außer in America, wo sie die Gefangene zum Siegeszeichen speisen, […].“
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Mensch liebt die Person, so fern er Neigung zu ihr hat. Wenn wir diese Liebe als Menschenliebe betrachten, wenn er die Person aus wahrer Menschenliebe liebt, so muß in ihm kein Unterschied in Ansehung des Menschen seyn, diese Person mag alt oder jung seyn, so kann er sie aus wahrer Menschenliebe lieben. Allein wenn er sie blos aus Geschlechterneigung liebt, so kann dieses keine Liebe seyn sondern Appetit. Die Liebe als Menschenliebe ist die Liebe des Wohlwollens, Gewogenheit, Beförderung des Glüks und Freude über das Glük anderer. Allein nun ist offenbar, daß Menschen, die blos GeschlechterNeigung haben aus keiner vorigen Absicht der wahren Menschenliebe die Person lieben, sie sind gar nicht auf ihr Glük bedacht, sondern sie bringen sie sogar, um nur ihre Neigung und ihren Appetit zu befriedigen, in ihr gröstes Unglük. Wenn sie sie blos aus GeschlechterNeigung lieben so machen sie die Person [298] zum Object ihres Appetits; sobald sie nur die Person genossen haben, und ihren Appetit gestillt, so werfen sie dieselbe weg, eben so 162wie man eine Zitrone wegwirft, wenn man den Safft aus ihr gezogen hat. Die Geschlechterneigung kann zwar mit der Menschenliebe verbunden werden und denn führt sie auch die Absicht der Menschenliebe mit sich aber wenn sie allein an sich genommen wird, so ist es nichts mehr als Appetit. Es liegt doch in dieser Neigung auf solche Art eine Erniedrigung des Menschen; denn sobald er ein Object des Appetits des andern ist, so fallen alle Triebfeder der sittlichen Verhältnisse weg, weil er als ein Gegenstand des Appetits des Andern eine Sache sey, wodurch der Appetit des Andern gestillt wird und die von jedem als solche Sache kann gebraucht werden. Es giebt keinen Fall, wo der Mensch durch die Natur bestimmt sey ein Object des Genusses von andern zu seyn als diesen, wovon die Geschlech-
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[XXVII: 384,33] Die Herkunft der bis heute gebräuchlichen Redensart ‚wegwerfen, wie eine ausgepreßte Zitrone‘ ist nicht ermittelt. In einschlägigen Lexika (Brockhaus 1999 / Schemann 1989) ist sie nicht verzeichnet. – Erinnert sei daran, daß Zitronen im 18. Jahrhundert nördlich der Alpen zu den Luxus-Artikeln zu rechnen sind.
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terNeigung der Grund ist. Dieses ist die Ursache, warum man sich schämt solche Neigung zu haben und warum alle strenge Moralisten und die als Heilige angesehen werden wollten diese Neigung zu unterdrükken und zu entbehren gesucht haben. Zwar wäre solcher Mensch, der solche Neigung nicht hätte ein unvollkommener Mensch, indem man glauben sollte, daß ihm die Werkzeuge dazu fehlten, welches also eine Unvollkommenheit von ihm als einem Menschen wäre, allein man affectirte darin und suchte sich der Neigung zu enthalten, [299] weil sie den Menschen erniedrigt. Weil die GeschlechterNeigung nicht eine Neigung ist, die ein Mensch gegen den andern Menschen als einen Menschen hat, sondern eine Neigung gegen das Geschlecht ist, so ist diese Neigung ein principium der Erniedrigung der Menschheit, ein Quell ein Geschlecht dem andern vorzuziehen und es aus Befriedigung der Neigung zu entehren. Die Neigung, die man zum Weibe hat geht nicht auf sie als auf einen Menschen, sondern weil sie ein Weib ist, demnach ist einem Manne die Menschheit am Weibe gleichgültig und nur das Geschlecht der Gegenstand seiner Neigung; die Menschheit wird also hier hinten an gesetzt, hieraus folgt daß ein jeder und eine jede sich bemühen wird, nicht der Menschheit sondern ihrem Geschlecht einen Reitz zu geben und alle Handlungen und Begierden nur aufs Geschlecht zu richten. Wenn dieses ist, so wird man die Menschheit dem Geschlecht aufopfern. Wenn also ein Mann seine Neigung befriedigen will und ein Weib wieder die ihrige, so reitzt einer die Neigungen des andern wieder auf sich, und beyde Neigungen gerathen gegen einander und gehen gar nicht auf die Menschheit sondern aufs Geschlecht und einer entehrt des Andern seine Menschheit; demnach ist die Menschheit ein Instrument die Begierden und Neigungen zu befriedigen, dadurch wird sie aber entehrt und der Thierheit [300] gleich 191geschätzt. Die GeschlechterNeigung setzt also die Menschheit in Gefahr, daß sie der Thierheit gleich werde. Da nun aber der Mensch diese Neigung einmal von der 191
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Natur hat, so frägt es sich, in wie fern ist jemand befugt von seiner GeschlechterNeigung einen Gebrauch zu machen ohne Verletzung der Menschheit, in wie fern kann jemand seine facultates sexuales gebrauchen und in wie fern kann eine Person erlauben einer Person vom andern Geschlecht an ihr seine Neigung zu befriedigen, kann sie sich verkaufen oder vermiethen, oder durch irgend einen Contract erlauben von ihren facultatibus sexualibus einen Gebrauch zu machen? Alle Philosophen setzen dieser Neigung nur die Schädlichkeit und Zerrüttung theils seines Körpers theils des gemeinen Wesens entgegen, und glaubten daß in der Handlung an sich nichts verächtliches wäre; allein wenn dieses wäre, wenn keine innere Abscheulichkeit und Verletzung der Moralitaet im Gebrauch der Neigung wäre, so könnte ein solcher, der alle diesen Schaden evitiren könnte auf alle nur mögliche Art von seiner Neigung einen Gebrauch machen; denn was nur nach der Regel der Klugheit verbothen ist, das ist nur bedingterweise verbothen, dann ist die Handlung an sich gut unter einigen Umständen aber nur schädlich. Allein es ist hier in der Handlung selbst was verächtliches, was wieder die Moralitaet läuft, demnach müssen Bedingungen möglich seyn, unter denen nur allein der Gebrauch [301] der facultatum sexualium mit der Moralitaet übereinstimmt, es muß ein Grund seyn, der unsere Freyheit in Ansehung des Gebrauchs unserer Neigungen restringirt, daß sie mit der Moralitaet congruirt. Diese Bedingungen und den Grund *wollen wir aufsuchen. Der Mensch kann über sich selbst nicht disponiren, weil er keine Sache ist, der Mensch ist nicht ein Eigenthum von sich selbsten, das ist eine Contradictio, denn so fern er eine Person ist, so ist er ein Subject, das ein Eigenthum an andern Dingen haben kann, wäre er nun aber ein Eigenthum von sich selber, so wäre er eine Sache, über die er ein Eigenthum haben kann, nun ist er aber eine Person, die da Eigenthum hat, demnach kann er keine Sache seyn, an der er ein Eigenthum haben kann, denn es ist ja unmöglich Sache und Person zugleich zu seyn, ein Eigenthümer und ein Eigenthum zu seyn. Demnach kann der Mensch nicht über sich disponiren, er ist nicht befugt einen Zahn oder ein ander Glied von sich zu ver-
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kaufen. Wenn nun aber eine Person aus Interesse sich als ein Gegenstand der Befriedigung der GeschlechterNeigung des andern gebrauchen läßt, wenn sie sich zum Object des Verlangens des andern macht, dann disponirt sie über sich als über eine Sache und macht sich dadurch zu einer Sache, wodurch der andere seinen Appetit stillt, eben so wie durch den Kalbsbraten seinen Hunger. Nun ist offenbar, da die [302] Neigung des Andern auf das Geschlecht und nicht auf die Menschheit geht, daß die Person ihre Menschheit zum Theil dahingiebt, und dadurch in Ansehung der moralischen Zwekke Gefahr läuft. Der Mensch ist also nicht befugt zur Befriedigung seiner GeschlechterNeigung aus Interesse sich als eine Sache dem andern zum Gebrauch darzugeben, denn alsdenn läuft seine Person seine Menschheit Gefahr von jedermann als eine Sache als ein Instrument der Befriedigung seiner Neigung gebraucht zu werden. Diese Art der Befriedigung der GeschlechterNeigung ist die vaga libido, wo man aus Interesse die Neigung des andern befriedigt, welches von beyderley Geschlechten geschehen kann. Dieses ist das schändlichste sich für Geld dem andern zur Befriedigung seiner Neigung Preis zu geben und seine Person zu vermiethen. Der moralische Grund ist also, daß der Mensch nicht sein Eigenthum sey und mit seinem Körper machen kann was er will; denn da der Körper zu seinem Selbst gehöret, so macht er mit ihm eine Person aus, nun kann er aber seine Person nicht zur Sache machen, welches aber durch die 192vagam libidinem geschicht, demnach ist diese Art die GeschlechterNeigung zu befriedigen nach der Moralitaet nicht erlaubt. Allein ist es nicht erlaubt, seine Neigung durch die zweyte Art nemlich durch den Concubinatum zu befriedigen? Wo die Personen wechselseitig ihre Neigungen befriedigen und gar keine [303] Interesse zur Absicht haben, sondern die eine zur Befriedigung der Neigung der andern Person dient? Hier scheint zwar nichts zwekwiedriges zu liegen, allein eine Bedingung macht auch diesen Fall unerlaubt. Der Concubinatus ist wenn sich eine Person der andern nur zur Befriedigung der Nei192
vagam libidinem Hg.] vaga libidine Kae]
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gung Preis giebt, aber in Ansehung ihrer übrigen Umstände, die ihre Person betreffen, die Besorgnis ihres Glüks und ihres Schiksals, sich selbst eine Freyheit und ein Recht vorbehällt. Der Mensch aber, der sich der andern Person nur blos zur Befriedigung der Neigung dargiebt, der läßt doch noch immer seine Person als eine Sache gebrauchen, die Neigung geht doch noch immer nur blos aufs Geschlecht und nicht auf die Menschheit. Nun ist offenbar, daß wenn der Mensch einen Theil von sich dem andern überläßt, so überläßt er sich gantz; denn der Mensch ist eine Einheit, widmet er einen Theil dem andern von sich, so widmet er sich gantz, es ist nicht möglich über einen Theil des Menschen zu disponiren, ohne zugleich ein Recht zu haben über den gantzen Menschen zu disponiren; denn ein Theil des Menschen gehört zum gantzen Menschen. Durch den Concubinat aber hab ich kein Recht auf die gantze Person, sondern nur auf einen Theil von ihr, nemlich auf die organa sexualia. Der Concubinat setzt ein pactum voraus, dieses pactum sexuale geht nur auf den Genuß eines Theils der Person aber nicht auf den [304] gantzen Zustand der Person, es ist zwar der Concubinatus ein Contract der aber ungleich ist, wo von beyden Theilen nicht die Rechte gleich sind. Wenn ich aber im Concubinat einen Theil vom Menschen genüsse, so genüsse ich dadurch den gantzen Menschen, ich habe aber vermöge des Concubinats nicht ein Recht auf den gantzen Menschen, sondern nur auf einen Theil vom Menschen, folglich mache ich seine gantze Person zur Sache. Demnach ist auch diese Art seine Neigung zu befriedigen nach der Moralitaet nicht erlaubt. Die einige Bedingung unter der die Freyheit statt findet von seiner Geschlechter Neigung Gebrauch zu machen gründet sich auf das Recht über die gantze Person zu disponiren. Dieses Recht über die gantze Person des andern zu disponiren betrifft den gantzen Zustand, das Glük und alle Umstände die ihre gantze Person angehen. Das Recht aber, das ich über die gantze Person zu disponiren habe, giebt mir auch ein Recht über einen Theil von der Person zu disponiren, also auch die organa sexualia zur Befriedigung der GeschlechterNeigung zu gebrauchen. Wodurch erlange ich aber dieses Recht auf die gantze Per-
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son? Dadurch daß ich der andern Person ein eben solches Recht auf meine gantze Person gebe, dieses geschicht nur allein in der Ehe. Das Matrimonium bedeutet ein Vertrag zwoer Personen, wo sie sich wechselseitig gleiche Rechte constituiren, und [305] die Bedingungen eingehen, daß ein jeder seine gantze Person dem andern gantz übergiebt, so daß jeder ein völliges Recht auf die gantze Person des andern hat. Nun läßt sich durch die Vernunfft einsehen, wie ein Commercium sexuale ohne Erniedrigung der Menschheit und Verletzung der Moralitaet möglich sey. Die Ehe ist also die eintzige Bedingung von seiner GeschlechterNeigung Gebrauch zu machen. Wenn sich nun eine Person der andern widmet so widmet sie nicht allein ihr Geschlecht sondern auch ihre gantze Person, dieses läßt sich nicht separiren. Wenn nun ein Mensch dem andern seine Person, sein Glük, sein Unglük und alle seine Umstände übergiebt, daß er ein Recht darauf hat und diese Person nicht wieder ein eben solches und dasselbe Recht auf seine Person hat, so ist hier eine Ungleichheit. Wenn ich aber meine gantze Person der andern weg gebe und gewinne dadurch die Person des andern in die Stelle, so gewinne ich mich selbsten wieder und habe mich selbsten dadurch reoccupirt; denn ich habe mich dem andern zum Eigenthum gegeben, ich nehme aber den andern wieder zu meinem Eigenthum, so gewinne ich mich selbsten wieder, denn ich gewinne die Person, der ich mich zum Eigenthum gegeben habe. Demnach machen beyde Personen eine Einheit des Willens aus. Es wird also keine Person ein Glük oder Unglük, Freude oder Mißvergnügen erdulden, wonicht die andere mit Antheil [306] daran nehmen wird. Die GeschlechterNeigung macht also unter den Menschen eine Vereinigung und unter dieser Vereinigung ist der Gebrauch der GeschlechterNeigung allein möglich. Diese Bedingung die nur unter der Ehe allein möglich ist von seiner GeschlechterNeigung Gebrauch zu machen ist moralisch. Wenn dieses noch weiter und systematischer bearbeitet wird so muß noch folgen, daß keiner auch im matrimonio zwey Weiber haben kann, denn sonst hätte jede Frau einen halben Mann, da sie sich ihm doch gantz ergiebt, und sie also ein gleiches Recht auf seine gantze Person hat. Es
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giebt also moralische Gründe die der vagae libidini wiederstreiten; denn bleibt noch der Concubinat übrig, diesem wiederstreiten auch moralische Gründe; denn bleibt noch matrimonium übrig; dann giebts moralische Gründe, die der Polygamie in matrimonio wiederstreiten. Folglich findet nur allein ein matrimonium und zwar nur die Monogamie statt, unter dieser Bedingung kann ich nur allein einen Gebrauch von meinen facultatibus sexualibus machen. Weiter können wir 163hier nicht gehen. Nun können wir noch fragen, ob es moralische Gründe geben kann, die dem incestus in allen Arten des Commericii sexualis wiederstreiten? Incestus ist die 193Gemeinschaft der Geschlechter, die die Schranken der 194Gemeinschaft übertritt wegen Naheit des Bluts. Die moralischen Gründe in Ansehung [307] des Incestus sind nur in einem eintzigen Fall unbedingt in andern Fällen sind sie nur bedingt. So ist der Incestus zwischen Bruder und Schwester nur bedingt zE. Im Staat ist es nicht erlaubt aber nach der Natur ist es kein Incestus, denn 164die ersten Menschen müssen aus dem Geschwister geheyrathet haben. Allein die Natur hat hierin schon von selbst einen natürlichen Wiederwillen gelegt, denn die Natur wollte, daß wir uns mit anderen 165Racen verbinden sollten, damit nicht in einer Gesellschafft eine gar zu grosse Verbindung wäre; denn die Neigung in einer gar zu grossen Verbindung und Bekanntschafft wird gleichgültig und ekelhafft, die Menschen müssen diese Neigung 193 194
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Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae] Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae] [XXVII: 389,12] Gemeint ist offensichtlich das Kolleg über Moralphilosophie – in einem Kolleg über das Naturrecht könnte Kant weiter gehen; vgl. XXVII: 1379 f. [XXVII: 389,20] Gemäß der Biblischen Schöpfungsgeschichte. [XXVII: 389,22 Lücke] Der Terminus ‚Race‘ wird in der Vorlesung nur hier gebraucht. Wenn kein Mißverständnis des Nachschreibers angenommen wird, dann scheint hier eine weniger technische Bedeutung vorzuliegen, als in der etwa gleichzeitigen Programmschrift des Sommers 1775 Von den verschiedenen Racen der Menschen (II: 427 ff.).
§ 275
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aber durch Bescheidenheit einschrenken, daß sie die Neigungen oder den Gegenstand der Neigung nicht zu gemein machen, und damit nicht durch die gar zu grosse 195Gemeinschaft eine Gleichgültigkeit entspringt, denn diese Neigung ist sehr delicat, die Natur hat ihr Stärke gegeben, aber sie muß auch durch Schaamhafftigkeit eingeschrenkt werden. Demnach sind die Wilden die gantz nakt gehen gantz kalt gegen einander. Also ist auch die Neigung gegen eine Person, die man von Iugend auf immer gekannt hat, sehr kalt, aber die Neigung gegen eine fremde Person ist weit stärker und reitzbarer. Die Natur hat also von selbst schon die Neigungen gegen das Geschwister eingeschrenkt. Der eintzige Fall aber [308] wo die moralischen Gründe in Ansehung des Incestus unbedingt sind ist die 196Gemeinschaft der Eltern mit den Kindern; denn in Ansehung dieser zwey Theilen ist eine Achtung nöthig, die auch durch das gantze Leben dauren muß; die Achtung schließt aber die Gleichheit in Ansehung der Vereinigung des Geschlechts aus. Dieses ist der eintzige Fall wo der incestus unbedingt schon durch die Natur unerlaubt sey, die andern Incestus verbieten sich von selbst, aber nach der Ordnung der Natur ist es doch kein Incestus. Eine andere Ursache daß dieses nur ein Incestus sey ist: In der GeschlechterGemeinschafft ist die gröste Unterwürfigkeit beyder Personen, zwischen Eltern und Kindern ist aber nur die Unterwürfigkeit einseitig, die Kinder sind nur den Eltern unterworfen, also ist keine Gemeinschafft.
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Die Crimina Carnis sind der Pflicht gegen sich selbst entgegen, weil sie wieder die Zwekke der Menschheit laufen. Crimen Carnis ist der Mißbrauch der Geschlechterneigung. Ieder Gebrauch der GeschlechterNeigung ausser der eintzigen Bedingung der 195 196
Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae] Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae]
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Ehe ist ein Mißbrauch derselben also ein crimen carnis. Alle crimina carnis sind entweder secundum naturam oder contra naturam. Die Crimina carnis secundum naturam sind der gesunden Vernunfft entgegen, die Crimina carnis contra naturam sind der Thierheit entgegen. [309] Zu den Criminibus Carnis secundum naturam gehört die vaga libido, welche dem matrimonio entgegengesetzt ist. Diese vaga libido ist zwiefach entweder scortatio oder concubinatus. Concubinatus ist zwar ein pactum aber inaequale, die Rechte sind nicht wechselseitig, nach diesem pacto unterwirft sich die Person dem Manne in Ansehung ihres Geschlechts der Mann unterwirft sich aber nicht gäntzlich der Frau in Ansehung seines Geschlechts. Es ist also der Concubinat unter der vaga 197libidini begriffen. Das zweyte Crimen Carnis secundum naturam ist das adulterium, dieses trifft nur in der Ehe statt, wenn nemlich die Ehe gebrochen wird. Da die EheVerlobung die gröste Verpflichtung zwischen zwoen Personen ist, die auf ihr gantzes Leben fortdauert, also die allerununterbrüchlichste Verlobung ist, so ist das adulterium unter allen Treulosigkeiten und Brechungen der Verpflichtungen die gröste Treulosigkeit, weil keine wichtigere Verlobung ist als diese. Demnach ist das adulterium auch 166die Ursache der Trennung des matrimonii, 167eine andere Ursache der Trennung ist auch die Ungeselligkeit, Uneinigkeit der Personen, wodurch die Einheit und Eintracht des Willens der Personen nicht möglich ist. Es wird gefragt ob der Incestus der an sich ein Incestus ist aber nicht aus bürgerlichen Gesetzen ein Crimen carnis secundum naturam oder contra naturam sey? Hier muß aber erst unterschieden werden ob die Frage nach dem [310] natürlichen Instinct oder nach der Vernunfft beantwortet werden soll. Nach dem natürlichen Instinct ist der Incestus nur ein Crimen carnis secundum naturam, denn es ist doch immer eine 197
libidini Hg.] libidine Kae]
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[XXVII: 390,30] Nicht ermittelt. [XXVII: 390,31] Nicht ermittelt.
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Gemeinschafft beyderley Geschlechter, also contra naturam animalem ist es nicht, denn die Thiere machen hier keinen Unterscheid, sondern bedienen sich des Geschlechts ohne Unterscheid. Zu den criminibus carnis contra naturam gehöret der Gebrauch der GeschlechterNeigung, der dem natürlichen Instinct und der Thierheit entgegen ist; hiezu wird gerechnet die Onanie, dieses ist der Mißbrauch des GeschlechtsVermögens ohne allen Gegenstand, wenn nemlich der Gegenstand unserer GeschlechterNeigung gantz und gar wegfällt und der Gebrauch unseres GeschlechtsVermögens dennoch ohne allen Gegenstand exercirt wird. Dieses läuft offenbar wieder die Zwekke der Menschheit und ist sogar der Thierheit entgegen, hiedurch wirft der Mensch seine Person weg und setzt sich unter das Thier. Zweytens gehört zu den Criminibus carnis contra naturam die Gemeinschafft des sexus homogenii, wenn der Gegenstand der GeschlechterNeigung zwar unter den Menschen bleibt, aber verändert wird, wo die Gemeinschafft des sexus nicht heterogen sondern homogen ist, das ist wenn ein Weib gegen ein Weib und ein Mann gegen einen Mann seine Neigung befriedigt. Dieses läuft auch wieder die Zwekke der Menschheit, denn der Zwek der Menschheit in Ansehung [311] der Neigung ist die Erhaltung der Art ohne Wegwerfung seiner Person, hiedurch erhalte ich aber gar nicht die Art, welches noch durch ein Crimen carnis secundum naturam geschehen kann, nur da werfe ich wieder meine Person weg, also versetze ich mich hierdurch unter das Thier und entehre die Menschheit. Das dritte crimen carnis contra naturam ist, wenn zwar der Gegenstand der GeschlechterNeigung auch die Verschiedenheit des Geschlechts bleibt, aber von Menschen unterschieden ist. Hiezu gehören zE. die Sodomiterey, die Gemeinschafft mit den Thieren. Dieses läuft auch wieder die Zwekke der Menschheit und ist dem natürlichen Instinct zuwieder, hiedurch unterwerfe ich die Menschheit unter die Thierheit, indem kein Thier von seiner Species abgeht. Alle Crimina carnis contra naturam erniedrigen die Menschheit unter die Thierheit, machen den Menschen der Menschheit unwürdig, der Mensch verdient nicht daß er eine
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Person sey. Dieses ist das unedelste und niedrigste, was der Mensch in Ansehung der Pflichten gegen sich selbst begehen kann. Der Selbstmord ist zwar das schreklichste was der Mensch in Ansehung seiner begehen kann, er ist aber doch nicht so niedrig, so unedel, als die Crimina carnis contra naturam. Dieses ist das verächtlichste was der Mensch begehen kann. Deswegen sind auch die Crimina carnis contra naturam 168unnennbar, weil selbst dadurch daß [312] man sie nennt ein Ekel verursacht wird, welches doch nicht beym Selbstmord ist, jeder scheut sich diese Laster zu nennen, jeder Lehrer enthält sich selbige zu nennen, nicht einmal aus guter Absicht seinen Untergebenen dafür zu warnen. Indem sie aber dennoch so häufig geschehen, so ist man hier im Gedrenge und in Verlegenheit, ob man sie nennen sollte um sie kennbar zu machen und dadurch verhindern daß sie nicht so häufig geschehen, oder ob man sie nicht nennen sollte, um nicht dadurch Gelegenheit zu geben, daß man sie kennen lernt und sie hernach häufiger begeht. Die Ursache dieser Schaamhaftigkeit ist, weil die 198Nennung dieselben so familiarisirt, daß man den Abscheu dawieder verliert, und daß sie dadurch daß man sie nennt erträglich werden, wenn man aber in Nennung derselben behutsam ist und einen Wiederwillen sie zu nennen hat, so scheint es als wenn man noch einen Abscheu dagegen hegt. Eine andere Ursache dieser Schaamhafftigkeit ist, ein jedes Geschlecht schämt sich der Laster, dessen sein Geschlecht fähig ist, der Mensch schämt sich also das zu nennen, wessen sich die Menschheit schämen soll, daß sie dessen fähig ist; man muß sich schämen, daß man ein Mensch ist und dadurch dessen fähig ist, denn ein Thier ist aller solcher 199Criminarum carnis contra naturam nicht fähig.
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Nennung dieselben Hg.] Neigung derselben Kae] Criminarum Hg.] Criminum Kae] [XXVII: 392,04] Vgl. die oben zu p. 218 gegebenen Hinweise.
250 sectio 14: Cura necessitatum commoditatumque vitae §§ 276 ff.
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Von den Pflichten gegen sich selbst in Ansehung des äussern Zustandes. Es ist *schon oben gesagt, daß der Mensch einen Quell der Glükseligkeit in sich selbst hat, diese kann zwar nicht darin bestehen, [313] daß der Mensch eine völlige Unabhängigkeit von allen Bedürfnissen und äussern Ursachen sich erwerbe, allein sie kann so seyn, daß er wenig dazu bedarf. Um dieses aber zu erlangen, so muß der Mensch eine Autocratie über seine Neigungen haben, er muß seine Neigung auf Sachen die er nicht haben kann oder die er mit vieler Mühe haben kann, bezämen, dann ist er in Ansehung ihrer unabhängig. Er muß ferner solche principia haben, sich solche Annehmlichkeiten des Lebens zu verschaffen, die er in seiner Gewalt haben kann, das sind die ideale Vergnügen. Also Genügsamkeit und Erhöhung der geistischen Vergnügen. Was aber die äussern Dinge betrifft so fern sie die Bedingung und die Mittel des Wohlbefindens sind, so sind dieselben zwiefach: entweder Mittel der Bedürfniß und der Nothdurfft, oder der Gemächlichkeit; die Mittel der Nothdurfft dienen nur dazu, daß man lebe, aber die Mittel der Gemächlichkeit dienen nicht dazu, daß man lebe, sondern daß man gemächlich lebe. Der natürliche Grad der Zufriedenheit ist mit der Bedürfniß verbunden allein wenn ich mit den Mitteln der Bedürfniß zufrieden bin, dann habe ich noch keine Ergötzlichkeit. Die Zufriedenheit ist was negatives, allein die Annehmlichkeiten was positives. So lange ich Lust zu leben habe, bin ich zufrieden, und wenn ich keine Lust zu leben habe, dann bin ich unzufrieden, nun [314] habe ich aber Lust zu leben, wenn ich nur dürftig leben kann, allein dann habe ich noch keine Annehmlichkeiten. Die Annehmlichkeiten sind Mittel des Wohlbefindens, die man entbehrlich findet, wo aber keine Entbehrlichkeit ist, da ist es schon ein Mittel der Bedürfniß. Nun kommt es darauf an, was wir für ein Mittel der Annehmlichkeit, und was wir für ein Mittel der Bedürfniß ansehen; wie viel wir zur Annehmlichkeit und wie viel wir zur Bedürfniß rechnen, und was wir entbehren können oder nicht. Alle An-
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nehmlichkeiten und Vergnügen müssen wir so genüssen, daß wir sie auch entbehren können, wir müssen sie niemals zur Bedürfniß machen. Auf der andern Seite müssen wir uns angewöhnen alle Ungemächlichkeiten standhafft zu ertragen (Ungemächlichkeit ist aber noch kein Unglük) Also in Ansehung der Ergötzlichkeiten sollen wir uns zur Entbehrlichkeit und in Ansehung der Ungemächlichkeiten zur Leidlichkeit angewöhnen. Die 200Alten drükten dieses dadurch aus, 169wenn sie sagten: sustine et abstine. Wir dürfen uns nicht aller Annehmlichkeiten und Vergnügen entschlagen und gar keine geniessen, dieses wäre eine Mönchstugend, sich alles dessen zu entschlagen, was dem menschlichen Leben angemessen ist, aber wir müssen sie nur so genüssen, daß wir sie auch immer entbehren können und nicht zur Bedürfniß machen; alsdenn bin ich abstinent gewesen. Auf der andern Seite müssen wir uns angewöhnen alle Ungemächlichkeiten des Lebens zu ertragen und unsere Stärke in Erduldung derselben zu versuchen und die Zufriedenheit [315] dabey nicht zu verlieren, dann besitzen wir Stärke der Seele, wenn wir diejenigen Uebel die nicht zu ändern sind mit heiterer Seele und fröhlichem Muth ertragen; dieses ist das sustine der Alten. Wir dürfen uns nicht selbst Ungemächlichkeiten auflegen, und alle Uebel versuchen und uns durch Kasteyungen züchtigen, dieses ist eine Mönchstugend, von der sich die philosophische unterscheidet, welche Uebeln die da kommen und unvermeidlich sind fröhlich entgegen geht, zuletzt läßt es sich doch alles ertragen. Es wird hier also das sustine und abstine nicht als eine Disciplin genommen 201sondern als eine 202Entbehrlichkeit in Ansehung der Annehm200 201 202
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Alten drükten Hg.] Alten Kae] sondern als Hg.] sondern Kae] Entbehrlichkeit Kae] Enthaltsamkeit Hg?] [XXVII: 393,25] Vgl. die zur Anthropologie-Menschenkunde (XXV: 892 / Kom-Nr. 036) gegebenen Hinweise; ausgehend von Gellius Noctes Atticae XVII 19,6.
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§ 277
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lichkeit und Ergötzlichkeit und eine Erduldung aller Ungemächlichkeiten mit fröhlichem Muthe. Es giebt wahre Bedürfnisse des Lebens, deren Beraubung uns gäntzlich unzufrieden macht zE Unbekleidet und ohne Nahrung zu seyn. Es giebt aber auch Scheinbedürfnisse durch deren Beraubung wir zwar unzufrieden werden, die wir aber immer entbehren können. Ie mehr einer von den Scheinbedürfnissen abhängt, desto mehr ist er in seiner Zufriedenheit ein Spiel und ein Ball von denselben. Der Mensch muß also seine Seele in Ansehung der Bedürfnisse des Lebens discipliniren. Wenn wir die Bedürfnisse unterscheiden wollen so können wir von der Ergötzlichkeit das Uebermaas im Genuß Ueppigkeit und das Uebermaas von der Gemechlichkeit Weichlichkeit nennen. Die Ueppigkeit macht uns abhängig von [316] einer Menge von Sachen des Genusses, der Mensch hängt von einer Menge von Scheinbedürfnissen ab, die er sich hernach nicht verschaffen kann, wodurch er hernach in allerhand Kummer versetzt wird, so daß er sich auch wohl gar das Leben nimmt, denn wo die Ueppigkeit überhand nimmt, da pflegt der Selbstmord zu herrschen. Wenn die Ueppigkeit überhand nimmt, so verringert sie das Wohlbefinden des Zustandes, und wenn die Weichlichkeit überhand nimmt, so ist das die völlige Ausrottung der männlichen Stärke. Die Ueppigkeit ist der üppige luxus, die Weichlichkeit der weichliche luxus. Der üppige luxus ist thätig, der weichliche aber 203lässig; die thätige Ueppigkeit ist den Kräfften des Menschen nützlich, dadurch werden die Kräffte des Lebens gestärkt, 170so gehört reiten zum üppigen luxu. Alle Arten von
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lässig Hg.] lästig Kae] | Adjektivbildung analog zu ‚Tun und Lassen‘ – ‚tätig und lässig‘ (sc. aktiv und passiv); ‚lästig‘ vermutlich infolge einer Verwechslung der Ligaturen ‚st‘ und ‚ss‘.
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[XXVII: 394,26] Ähnlich in der Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 363), vgl. XXV: 581, Fri-Nr. 081. Die Quelle ist Home 1774–1775, 1. Buch, 8. Versuch ‚Das Wachsthum und die Wirkungen des Luxus‘ (Bd. 1, S. 391–392): „Das Reisen zu Pferde, ob es gleich weniger Stärke
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Weichlichkeit sind sehr schädlich, dadurch werden die Kräffte des Lebens verringert, so gehört das SänftenTragen und Kutschenfahren zur Weichlichkeit. Wer zum üppigen luxu geneigt ist, der erhält die Thätigkeit bey sich und andern Menschen, demnach ist es besser, wenn man sich auf die Verfeinerung des Genusses als der Weichlichkeit leget; denn der üppige luxus excolirt unsere Kräffte und erhält die Thätigkeit bey andern Menschen. In Ansehung der Ueppigkeit sowohl als der Weichlichkeit müssen wir auch die Regel von sustine et abstine beobachten, wir müssen uns von beyden unabhängig machen; denn jemehr der Mensch von der Ueppigkeit und Weichlichkeit abhängt, desto weniger ist er frey und [317] desto näher ist er dem Laster. Wir dürfen uns aber auch nicht sklavisch aller Ergötzlichkeit entziehen, sondern sie nur immer so geniessen, daß wir sie auch entbehren können. Der Mensch, der weder seine noch des andern Pflichten verletzt, kann so viel Vergnügen genüssen als er nur immer kann und will, er bleibt dabey immer gutartig und erfüllt den Zwek der Schöpfung Auf der andern Seite dürfen wir uns auch nicht alle Uebel auflegen und sie erdulden; denn darin ist kein Verdienst Uebel zu erdulden, die man sich selbst auferlegt und derer man hätte überhoben seyn können; aber solche Uebel müssen wir mit fröhlichem Muthe ertragen, die uns das Schiksal zuschikt, und die einmal nicht zu ändern sind; denn das Schiksal ist eben so unmöglich aufzuhalten, als eine Mauer die schon einfält. Alles dieses ist aber an sich keine Tugend so wie das Gegentheil auch kein Laster ist, sondern es ist nur die Bedingung der Pflichten. Der Mensch kann 204lässiger
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lässiger Hg.] lästiger Kae] erfodert als das Gehen, ist kein Luxus, weil es eine gesunde Leibesübung ist. Ich wage es nicht, eben so viel für das Fuhrwerk zu sagen: eine Kutsche, die in Riemen hängt, und nur auf einem ebenen Wege fährt, verschafft eben keine Leibesübung, oder doch so wenig, daß sie keine Krankheit verhindert: sie dienet nur zur Entkräftung des Leibes, und gewissermaaßen auch der Seele. Die Vermehrung des Fuhrwerks in einem Jahrhunderte ist ein starker Beweis von dem Wachsthume der Weichlichkeit und Trägheit.“
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sectio 15: Cura laboris §§ 281 ff.
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seine Pflicht nicht erfüllen, wenn er nicht alles entbehren kann, denn sonst übertäuben ihn die sinnlichen Lokkungen, er kann nicht Tugendhafft seyn wenn er nicht im Unglük standhafft ist, er muß also erdulden können, damit er 205tugendhaft sey. Dieses ist die Ursache, 171warum Diogenes seine Philosophie den kürtzesten Weg zur Glükseligkeit nannte, darin fehlte er zwar, daß er solches für eine Pflicht hielt, da es doch nur so weit geht, daß der Mensch auch in solchem Grad zufrieden seyn kann. Die Epicurische Philosophie [318] ist nicht die Philosophie der Ueppigkeit, sondern der männlichen Stärke, 172nach ihm sollte man auch mit der Polenta zufrieden seyn, und doch fröhlich und heiter und fähig aller Vergnügen der Gesellschafft und aller Annehmlichkeit des Lebens, also faßten sie die Glükseligkeit an beyden Enden. Der Stoicker hat sich nicht allein solches nicht erlaubt, sondern auch sogar 206versagt. Unter der Beschwerlichkeit die wir uns zu ertragen angewöhnen müssen und zu erdulden gehöret die Arbeit, welches eine zwekmässige Beschäfftigung ist, die eine Absicht hat. Es giebt aber auch Beschäfftigungen die keine Arbeiten sind sondern nur zum Vergnügen dienen und keine Beschwerlichkeiten in sich fassen, solche Beschäfftigung ist ein Spiel, Je erhabener die Zwekke sind, desto mehr Hindernisse und Beschwerlichkeiten faßt die Arbeit in sich, aber wenn sie auch noch soviel Beschwerlichkeiten in sich faßt, so müssen wir uns doch an die Arbeit angewöhnen, daß sie auch selbst ein Spiel wird, und uns gar nicht beschwerlich fällt, sondern uns unterhällt und vergnügt. Der Mensch muß also thätig und arbeitsam seyn und die Beschwerlichen Geschäffte gern und fröhlich über sich nehmen; denn sonst hat die Arbeit das Merkmal des Zwanges und nicht der Leichtigkeit. Es giebt Menschen, die aus Zwek be205 206
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tugendhaft Hg.] standhafft Kae] versagt. Unter Kae] | Absatz eingefügt per Hg. [XXVII: 395,17] Vgl. oben p. 16. [XXVII: 395,22] Vgl. oben p. 19.
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schäfftiget, andere, die nicht aus Zwek 207beschäfftiget seyn, diese die gar keinen ernsthafften Zwek haben, sind 173geschäfftige Müssiggänger, welches eine läppische Art von Beschäfftigung [319] ist: wir haben zwar Beschäfftigung ohne Zwek zE das Spiel, das ist aber nur eine Erhohlung 208von der beschwerlichen Arbeit, aber beständig ohne Zwek beschäfftigt zu seyn, ist noch ärger als gar nicht geschäfftigt seyn, denn dieses macht noch ein Blendwerk einer Beschäfftigung. Das Gröste Glük des Menschen ist, daß er selber der Urheber seiner Glükseligkeit ist, wenn er sich fühlt das zu genüssen, was er sich selbst erworben hat, der Mensch kann ohne Arbeit niemals zufrieden seyn, wer sich in Ruhe setzen will und befreyt sich von aller Arbeit, der fühlt und genüßt gar nicht sein Leben, sondern so fern er selbst thätig ist, fühlt er, daß er lebt, und so fern er arbeitsam ist, kann er nur zufrieden seyn. Ein Mann muß Arbeit haben, eine Frau darf nur Beschäfftigung haben. Die Beschäfftigung, wo kein Zwek des Beschafftigens ist, ist eine Beschäfftigung in der Musse, wo man sich nur beschäfftigt um sich zu unterhalten. Die Beschäfftigung mit dem Zwek des Beschäftigens ist ein Geschäffte. Ein Geschäffte mit Beschwerlichkeit ist eine Arbeit. 174Die Arbeit ist ein ZwangsGeschäfte, wo wir uns entweder selbst zwingen, oder von andern gezwungen werden; wir zwingen uns selbst, wenn wir einen BewegungsGrund haben, der alle Beschwerlichkeiten der Arbeit überwiegt; auf der andern Seite zwingen uns viele Sachen zur Arbeit zE Pflicht, Amt p Wer zu seiner Arbeit nicht wodurch gezwungen wird, sondern 207 208
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beschäfftiget Hg.] beschäfftig Kae] von der Hg.] der Kae] [XXVII: 396,02] Vom geschäftigen Müßiggang wird auch gehandelt in der Anthropologie-Pillau p. 84, Menschenkunde S. 47 und der ‚Anthropologie‘ von 1798 (VII: 203,29ff.). [XXVII: 396,18] Ganz entsprechend die Bestimmungen im AnthropologieKolleg, vgl. Collins (1772/73) p. 171; Parow p. 247; Pillau p. 105, Menschenkunde S. 49 f.; Mrongovius p. 67, 80; Dohna p. 219; Reichel p. 19, 74. Vgl. V: 308 / VII: 232.
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sectio 16: Cura facultatum §§ 285 ff.
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beliebig [320] arbeiten kann, der kann seine Zeit nicht so mit beliebiger Arbeit besetzen und sie so ausfüllen, als wenn er die Arbeit aus Pflicht thun muß, dann denkt man, du darfst es nicht thun, es zwingt dich keiner. Es gehört also zu unserer Bedörfniß, daß wir ZwangsArbeit haben. Wenn die Arbeit verrichtet ist, so empfindet man eine Annehmlichkeit, welcher keiner fähig ist, als der die Arbeit gethan hat. Es ist aber auch ein Verdienst, ein Beyfall, ein Selbstlob, das man sich geben muß wenn man nehmlich ohnerachtet aller Beschwerden dennoch die Arbeit vollzogen hat. Der Mensch muß sich discipliniren, die gröste Disciplin ist aber sich zur Arbeit angewöhnen. Dieses ist ein Trieb zur Tugend, man hat bey der Arbeit keine Zeit auf die Laster zu sinnen, und die Arbeit bringt natürlich diejenigen Vortheile hervor, auf die ein anderer boshafft denken muß durch Betrug zu erlangen. Vom luxu ist noch zu merken, daß er 175lange ein Gegenstand der philosophischen Betrachtung gewesen, man hat lange untersucht, ob er zu billigen oder zu mißbilligen sey, und ob er der Moralitaet gemäs oder derselben entgegen ist. Es kann etwas der Moralitaet gemäs seyn, was doch indirecte hinderlich ist. Zuerst vermehrt der luxus die Bedürfnisse, er vermehrt die Anreitzungen und Anlokkungen der Neigungen, und dadurch wird es schwerer die Sittlichkeit zu beobachten, denn je einfacher und einfältiger unsere [321] Neigungen sind, desto weniger Verleitung haben wir denselben Gnüge zu leisten. Indirecte macht also der luxus einen Einbruch in die Moralitaet. Auf der andern Seite aber befördert der luxus alle Künste und Wissenschafften, er entwikkelt alle Talente des Menschen, und es scheint also, daß dieser Zustand die Bestimmung des Menschen sey. Er verfeinert die Moralitaet; denn in Ansehung der Mora-
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[XXVII: 396,37] Für die seit der Antike geführte Diskussion vgl. die gründliche Studie von Dorit Grugel-Pannier 1996. – In der Kantischen Anthropologie-Vorlesung ist das Thema erst ab Mitte der 1770er Jahre präsent; vgl. Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 362 f. / Pillau p. 80 / Menschenkunde S. 283–290 / Mrongovius p. 71–75.
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litaet kann entweder Rechtschaffenheit oder Feinheit beobachtet werden, die Rechtschaffenheit ist wenn man der Moralitaet nicht wiedersteht, die Feinheit der Moralitaet besteht aber darin, daß man auch die Annehmlichkeiten mit der Sittlichkeit verbindet zE Gastfrey gegen andere zu seyn. Der luxus entwikkelt also die Menschheit bis zum grösten Grad der Schönheit. Luxus ist aber von der luxuries zu unterscheiden. Der luxus besteht in der Varietaet, die luxuries aber in der Quantitaet, Unmässigkeit die findet sich bey Menschen die gar keinen Geschmak haben zE. Wenn ein reicher Geitzhals einmal dazu kommt daß er tractirt, so häuft er die Speisen in grosser Menge und sieht nicht auf die Mannigfaltigkeit. Der luxus findet sich aber bey Menschen die Geschmak haben, er excolirt durch die Mannigfaltigkeit unsere Urtheilskrafft und beschäfftigt viele Hände der Menschen, er belebt das gantze gemeine Wesen. Also ist wieder den luxus von der Seite nichts in Ansehung der Moralitaet einzuwenden. Nur es müssen doch Gesetze [322] seyn nicht um den luxum einzuschrenken sondern zu dirigiren. Man muß im luxu nicht zuweit gehen, sondern so weit mans aushalten und bestreiten kann. Der luxus der Weichlichkeit muß eingeschrenkt werden, dazu gehört zE der weibische Anzug bey Männern, die Weichlichkeit im Essen und alle Verzärtlungen. So sehen auch die Frauenzimmer mehr auf einen wakkeren, tüchtigen und arbeitsamen Mann, als auf einen süssen geputzten Herrn; wenn nur der erste die Grentzen seines Anzuges auf der anderen Seite nicht gar zu sehr übertritt, daß er seine Unwissenheit und Gleichgültigkeit darin verräth, sondern wenn er sich nur so ziemlich seinem Stande und seiner Zeit gemäs kleidet, alsdenn hat er mehr Anstand; der andere aber, der in seinem Betragen und Kleidern so sehr weichlich und weibisch ist, der beschäftigt sich mehr mit sich und sieht mehr auf sich als auf das Frauenzimmer. 176Der Mann muß demnach männlich, das Weib aber weiblich seyn; vom Mann gefällt eben 176
[XXVII: 398,01] Die Geschlechterdifferenz wird auch im zweiten Teil des Anthropologie-Kollegs durchgängig betont.
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so wenig das weibliche als vom Weibe das männliche. Solcher weiblicher luxus macht den Mann weiblich. Zum männlichen luxu und Vergnügen gehört zE die Iagd.
sectio 17: Cura deliciarum externarum §§ 290 ff.
Von den GlüksGütern. Wir nennen einen Menschen wohlhabend, wenn sein Besitz der Glüksgüter seinen Bedürfnissen vollkommen adaequat seyn; wir nennen ihn bemittelt, wenn er nicht blos Güter zu seinen Bedürfnissen, sondern auch zu beliebigen Absichten [323] hat; wir nennen ihn begütert, wenn er Güter überflüssig sowohl zu Bedürfnissen als zu beliebigen Zwekken hat. Reich heißt einer, wenn er zulangt auch andere wohlhabend zu machen, der Reichthum ist die sufficiens zum luxu. 177Auf der andern Seite ist einer arm, wenn er Mangel an Gütern zu beliebigen Ausgaben hat, dürftig aber, wenn er Mangel an Gütern zu nothwendigen Ausgaben hat. Die GlüksGüter werden nicht allein von dem der sie besitzt sondern auch von andern geschätzt. Ein begüterter Mann wird von andern deswegen hochgeachtet weil er begütert ist. Und ein dürftiger Mann wird deswegen weniger hochgeachtet, weil er dürftig ist. Die Ursache *werden wir gleich einsehen. Alle GlüksGüter heissen Mittel, so fern sie Mittel sind, seine Bedürfniß und seine beliebige Absichten und Neigungen zu befriedigen. Der Ueberschuß der GlüksGüter über seine Bedürfniß und beliebige Absicht ist ein Vermögen, dieses ist schon mehr als bemittelt zu seyn. Das Vermögen hat zween 177
[XXVII: 398,11] Ganz anders die Definition, die Kant dem Adam Smith des Wohlstands der Nationen von 1776 folgend im Anthropologie-Kolleg des Winters 1781/82 vorgetragen hat: „wenn ist der Mensch arm? Der eine schlechte Mahlzeit hat. Nein! Dieser wird doch satt, sondern der, welcher keine Schuhe hat, und also nicht unter Menschen gehen kann; denn da verliert er das, was den Menschen sanft macht. Arm ist also der, der sich in keiner Gesellschaft zeigen kann, und ein solcher ist bedauernswürdig.“ (Menschenkunde S. 289); vgl. den dazu in Bd. XXV als Kom-Nr. 220 gegebenen Nachweis.
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Vortheile, erstlich macht es uns von andern unabhängig, haben wir Vermögen, so brauchen wir nicht andere und bedürfen nicht anderer Hülfe; zweytens hat aber auch das Vermögen Gewalt, man hat durch sein Vermögen vieles in seiner Gewalt, man kann vieles erkaufen, alles was menschliche Kräffte hervorbringen können, kann man für ein Vermögen haben. [324] Demnach ist Geld und Guth Vermögen im wahren Verstande. Dadurch bin ich unabhänglich, ich darf keinem dienen, keinen um etwas bitten, denn ich kann alles für Geld haben, wenn ich Geld habe, so kann ich andere durch ihren Eigennutz mir unterwerfen, daß sie mir dienen und mit ihrer Arbeit mir dienen wollen. Der Mensch aber so fern er von andern unabhängig ist und sich vermögend befindet ist ein Gegenstand der Achtung, denn dadurch verliert ein Mensch seinen Werth, wenn er vom andern abhängt. Es liegt schon in der Natur den weniger zu achten, der von dem andern abhängt, hat er aber wieder über andere zu befehlen, so ersetzt das wieder zE. ein Officier, dahero ein gemeiner Soldat und ein Bedienter weniger geachtet wird. Dieweil also das Geld unabhängig macht, so werden wir zuletzt vom Gelde abhängen, und da uns das Geld vom andern frey macht, so macht es uns wieder zu Sklaven von sich selbst. Dieser Werth, der von der Unabhängigkeit herrührt, ist nur negativ. Der positive Werth, den das Vermögen giebt, rührt von der Gewalt her, die das Vermögen giebt. Durch das Geld habe ich Gewalt die Kräffte anderer zu meinem Dienst zu gebrauchen. 178Die Alten sagten zwar, der Reichthum ist nicht erhaben, weil die Verachtung des Reichthums eigentlich erhaben ist. Es ist wahr, für den Verstand ist die Verachtung des Reichthums erhaben, aber in der Erscheinung ist der Reichthum erhaben. Ein reicher Mann [325] hat Einfluß ins gemeine Wesen und in das allgemeine Wohl er beschäfftigt viele Hände; dieses ist aber nicht eine Erhabenheit der Person, die Verachtung des Reichthums macht aber die Person erhaben, der Reichthum macht nur den Zustand der Person aber nicht die Person selbst erhaben. 178
[XXVII: 399,10] Nicht ermittelt.
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Von der Anhänglichkeit des Gemüths an die GlüksGüter, oder vom Geitz.
§ 287
Der Besitz allein eines Vermögens zu beliebigen Zwekken ist an sich selbst angenehm, demnach sind Reichthümer an sich angenehm, weil sie sich auf Zwekke beziehen, oder die Reichthümer sind auch angenehm ehe ich mir die Zwekke verschaffe, wenn ich auch auf alle Zwekke Verzicht thue und mich nur in dem Besitz und im Vermögen fühle alle Zwekke zu erreichen; denn wenn man erst das Vermögen in seiner Gewalt hat, so ist das schon angenehm, indem man es alsdenn genüssen kann, wenn man will, es beruht nur blos auf meinem Willen, denn das Geld ist doch schon in der Tasche, 179man genüßt also hier das Vermögen in Gedanken, weil man es doch genüssen kann wenn man will; die Menschen kränken sich, wenn sie das entbehren müssen, wozu sie Appetit haben und es nicht in ihrer Gewalt ist, 209 aber das ist ihnen leicht zu entbehren, wenn sie auch Appetit dazu haben, [326] wenn es nur in ihrer Gewalt ist. So schmertzt es einem jungen ledigen Menschen, daß er das Ver209
| Nicht bemerkte Dittographie: „aber das ist ihnen leicht zu entbehren, wenn sie auch Appetit dazu haben, wenn es nur in ihrer Gewalt ist,“ Im Text getilgt durch Hg.
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[XXVII: 399,28] Ähnlich die Darstellung einer vom Geiz gesteuerten Imagination im Anthropologie-Kolleg des Winters 1772/73 (Collins p. 149 f. / XXV: 171): „Behällt man das Geld immer nur als ein Mittel zu Befriedigung seiner Neigungen in Händen, so ists Kargheit, sucht man noch mehr damit zu verdienen, und sieht man das Geld nur als ein Mittel an, neüe Mittel zu erwerben; so ist das der eigentliche Geiz – eine sonderbare Art sich des Geldes zu bedienen. Solche Leute weiden sich mit der Imagination, sie sehen ruhig andere in die Comoedie fahren, und freüen sich daß es nur auf sie ankommt, jedes Vergnügen sich zu verschaffen und alles mitmachen zu können. Sie sehen ihren Geldkasten an, und sehen alles darinn, Lustörter, Kutschen, Redouten, Opern, Bälle und Masqueraden, ohne daß es ihnen einen Schilling kostet. Es ist gleichsam ein optischer Kasten, eine zauberische Macht, die alles hervorbringen kann, und einer Allmacht gleicht.“ Vgl. Parow p. 193 f.; bzw. Menschenkunde S. 122.
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gnügen entbehren muß was ein Ehemann hat, und obgleich ein Ehemann eben solchen Appetit hat, so ists ihm doch leichter zu entbehren, indem er stets denkt, du kannst es doch allemal haben. Wenn der Mensch also wozu Appetit hat, und er hat kein Vermögen selbigen zu befriedigen, so schmertzt es ihm stärker als es ihm schmertzen möchte, wenn er bey demselben Appetit sich solches entsagen möchte, da er das Vermögen dazu hat. Es stekt also in dem blossen Besitz des Vermögens was angenehmes, indem man dadurch alles haben kann, wenn man will. Daher gehen reiche Personen die geitzig sind schlecht gekleidet, denn sie achten die Kleider nicht, indem sie denken, sie können solche Kleider immer haben, weil sie doch das Geld dazu haben, sie dürfen nur wenn sie wollen sich Laken abschneiden lassen, und sich solche Kleider machen lassen, wenn sie Kutsch und Pferde sehen, so denken sie, sie können das alles eben so gut haben wie der da, wenn sie nur wollen, sie nähren sich also mit den Gedanken an dem Genuß, den sie in ihrer Gewalt haben, sie gehen alle in prächtigen Kleidern, sie fahren in Kutschen mit 6 Pferden, sie essen täglich 12 Gerüchte, aber alles in Gedanken, denn wenn sie nur wollten, so könnten sie solches allemal haben. Der Besitz des Vermögens dient ihnen zum würklichen Besitz aller Vergnügen, sie können durch blossen [327] Besitz des Vermögens aller Vergnügen genüssen, und auch aller Vergnügen entbehren. Wenn das Vergnügen genossen und das Geld dafür ausgegeben, so ist die Hofnung weg, daß man es noch genüssen kann, man hat kein Vergnügen mehr im Prospect. Leute von keiner feinen Empfindung mögen sich lieber mit der Hofnung abspeisen, das Vergnügen zu genüssen und das Geld zu behalten als das Vergnügen würklich empfinden und das Geld ausgeben. Ein Mensch der ein Vergnügen genossen hat, ist lang nicht so vergnügt, als wenn er noch den Prospect hat das Vergnügen zu genüssen. Ein Geitziger, der das Geld in der Tasche hat, stellt sich vor, wie wird dir zu Muthe seyn, wenn du das Geld für das Vergnügen wirst ausgegeben haben, du wirst hernach eben so klug seyn wie anjetzo, also behalt du lieber das Geld, er denkt also
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nicht an das Vergnügen was er genüssen wird, er kann nicht denken, wie wird dir hernach zu Muthe seyn nach dem Genuß des Vergnügens. Der Verschwender stellt sich aber das Vergnügen vor, wenn er es genüssen wird, er kann nicht denken, wie wird es dir hernach zu Muth seyn, wenn du es wirst genossen haben, darauf verfällt er gar nicht. In der Anhänglichkeit an den GlüksGütern ist etwas anzutreffen, was mit der Tugend 210eine Aehnlichkeit hat, es [328] ist ein Analogon der Tugend. Ein solcher beherscht sich selbst und seine Neigung, er entzieht sich vieler Vergnügen, er befördert dadurch seine Gesundheit, er ist in allem ordentlich. Daher auch alte Leute wenn sie geitzig sind länger leben, als wenn sie es nicht wären; denn indem sie sparen, so leben sie mässig, sie würden sonst nicht mässig leben, wenn es ihnen nur nicht Geld kostete, dahero können sie gut essen und trinken, wenn es auf einen fremden Beutel geht, indem ihr Magen in guter Ordnung ist. Geitzige Leute werden von andern, selbst von Personen die nichts von ihnen verlangen, verabscheut, und jemehr sie sich selbst was entziehen, je mehr werden sie verachtet aber sie können es nicht einsehen, warum? Bey allen übrigen Lastern findet man, daß der Mensch sich selbst tadelt, es findet jeder, daß es ein Laster ist, und wenn sie sich auch nicht mässigen können, um von dem Laster abzustehen, so sieht es doch jeder ein und weiß es, daß es ein Laster ist, und 211 tadelt sich selbst darüber, beym Geitzigen aber allein wird man finden, daß er das Laster gar nicht tadelt, er weiß nicht, daß das ein Laster ist, er kann das gar nicht begreifen, wie das ein Laster seyn kann. Die Ursache hievon ist diese: Ein Geitziger ist derjenige, der nur in Ansehung seiner Selbst karg und hart ist, gegen andere kann er im210
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eine Hg.] an der Kae] | Mit Mnz 226,19 und XXVII: 400,32. Gleichwohl scheint kein einfacher Schreibfehler sondern eine Auslassung vorzuliegen; die Varianten in Bd. XXVII bieten keine Alternative zur vorgenommenen Konjektur. | Dittographie, gestrichen: „wenn sie sich auch nicht mässigen können“.
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mer gerecht seyn, er nimmt sonst keinem [329] was weg, aber er giebt auch keinem was, er kann also gar nicht begreifen, warum ihn ein Anderer Mensch verachten soll, da er doch keinem andern was thut, und was er in Ansehung seiner selbst thut, dadurch entsteht doch dem andern kein Schade, und das geht auch keinem was an, ob er viel oder wenig oder gar nichts essen möchte, ob er prächtig in Kleidern oder schlecht oder koddrig gehen möchte, darum hat sich kein Mensch zu bekümmern; darin hat er zwar recht und deswegen sieht er es auch nicht ein, daß es ein Laster ist, und man kann einem Geitzigen auf alle diese Einwendungen nicht so recht dreist antworten, wenn er nur sonst nicht ungerecht ist, welches aber Geitzige selten sind. Sie halten sich rein von aller Schuld. Sie haben auch einigen Vorwand, warum sie sparen zE ein künftiges Uebel; oder sie sagen, sie sparen für ihre Anverwandte, allein das ist nur ein Blendwerk, das er sich selbsten macht. Würde die Absicht des Geitzigen seyn, für seine Anverwandte zu sparen, so würde er sie doch am Leben unterstützen, um das Vergnügen an ihrem Wohlseyn zu haben. Geitzige Personen sind gemeinhin auch sehr andächtig; denn indem sie keine Unterhaltung haben, in keine Gesellschafft gehen, weil es Geld kostet, so ist ihr Gemüth mit ängstlichen Sorgen beschäfftigt, in diesen ängstlichen [330] Sorgen wollen sie Trost und Unterstützung haben, dieses wollen sie also durch ihre Andachterley, die doch nichts kosten, von Gott erhalten. Besonders denken sie wäre es sehr gut und profitable, wenn sie Gott auf ihre Seite bekommen möchten, das möchte nicht schaden und wäre noch besser als jährlich zu 12 pro Cent. So niedrig er in allen Handlungen ist, eben so niedrig ist er auch in der Religion und so wie er alles erwerben will, so will er auch das Himmelreich erwerben, er sieht nicht auf den moralischen Werth seiner Handlungen, sondern er denkt, wenn er nur inständig bittet, denn das kostet ihm nichts, so wird er schon umsonst ins Himmelreich kommen. Ein Geitziger ist auch sehr abergläubisch, er glaubt aus jeder Begebenheit wird eine Gefahr entstehen, daher bittet er Gott, er wolle doch alle Menschen für Gefahr bewahren, sich meynt er aber
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besonders, wenn ein Unglük entstanden wo viele unglüklich geworden, so beklagt er sie sehr, und es thut ihm sehr leid indem er denkt, sie werden etwas aus seinem Beutel begehren. Der Geitzige ist also sich selbst unbekannt, er kennt sich selbst nicht, demnach ist er unverbesserlich, indem man ihn gar nicht von seinem Laster überzeugen kann. Kein Geitziger kann bekehrt werden, ob es gleich ein jeder andere Lasterhaffte werden kann. Der Geitz ist vernunftwiedrig, deswegen hilft keine vernünftige Vorstellung bey einem Geitzigen, denn wär er fähig diese Vorstellung einzusehen, so wär er nicht geitzig 180Der Geitz ist aber deswegen vernunfftwiedrig, weil das Geld [331] einen Werth des Mittels hat, aber kein Gegenstand des unmittelbaren Wohlgefallens ist, nun hat aber der Geitzige ein unmittelbares Wohlgefallen an dem Gelde, obgleich es nichts ist als ein blosses Mittel. Es ist nur ein Wahn der Möglichkeit davon einen Gebrauch zu machen, der Vorsatz das Geld zu gebrauchen wird niemals würklich. Dieser Wahn ist durch die Vernunfft nicht zurechte zu bringen; denn der wäre schon selbst wahnsinnig, der mit dem Wahnsinnigen klug und vernünftig reden wollte. Wär dieses Laster nicht durch die Erfahrung gegründet, so könnten wir es gar nicht einsehen, daß es möglich ist, weil es so sehr der Vernunft wiederstreitet. Der Geitz verschlukt zwar alle Laster aber 212davon ist er unverbesserlich.
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davon Kae] davor Hg?]
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[XXVII: 402,09] Vgl. die umfängliche Erörterung des Geizes im Anthropologie-Kolleg des Winters 1775/76 (Friedländer, Ms germ. quart. 400, p. 489 / XXV: 618 f.): „Man pflegt einige Leidenschaften nicht vom Zweck, sondern von den Mitteln zu benennen, unter denen ist der Geitz die einzige Leidenschaft die gar keinen Zweck, gar keinen Gegenstand hat, sondern nur bloß auf ein Mittel geht. Dahero ist auch der Geitz wiedersinnig, weil er sich selbst wiederspricht. Wer Geld spart, um es hernach anzuwenden, um sich hervor zu thun, oder um anderer Zwecke willen, der ist nicht Geitzig, sondern der, welcher ohne allen Zweck spart. Hier kann man philosophische Untersuchungen anstellen, wie der Geitz möglich ist.“
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Der Geitz entspinnt sich aber auf folgende Weise, wozu schon die Vernunfft einen Grund leget. Wenn man viele Gegenstände und Vergnügen des Lebens sieht, so wünscht man sich auch dieselbe zu besitzen und zu genüssen, da aber das Vermögen die Bedingung und die Mittel solche zu erhalten fehlen, so nimmt man sich vor, die Mittel hiezu zu erwerben und einen 213Fonds anzulegen um solches auch zu genüssen. Um aber solche Mittel zu erwerben, so gewöhnen wir uns an, uns eines nach dem Andern zu entziehen, wenn dieses nun einen langen Fortgang hat, so entwöhnen wir uns alle der Vergnügen gäntzlich und ihre Gegenwart und ihr Genuß [332] ist uns gleichgültig, da wir uns dieses alles zu entbehren angewöhnt haben in Erwerbung der Mittel, so entbehren wir es auch, wenn wir uns schon würklich die Mittel erworben und in unserer Gewalt haben. Auf der andern Seite haben wir uns wieder das sammlen angewöhnt, daher sammlen wir auch hernach noch immer fort, wenn wir auch nicht mehr nöthig haben zu sammlen und beyzulegen. Die Erfindung des Geldes ist auch eine Quelle des Geitzes, denn vor Erfindung des Geldes kann nicht so der Geitz geherrscht haben, daher ist das der filtzigste Geitz mit solchen Sachen sparsam umzugehen, die unmittelbar können genossen und gebraucht werden zE. Mit Eßwaaren oder alte Kleider. Das Geld giebt aber Anlaß zum Geitz, denn es ist kein Gegenstand des unmittelbaren Genusses, sondern ein Mittel alles mögliche dafür zu erhalten. Denn wenn ich noch im Besitz einer Summe Geldes bin, so kann ich unermesliche Projecte haben, mir Annehmlichkeiten und Gegenstände zu verschaffen, zu denen allen das Geld tauglich ist, ich kann also hier das Geld noch verwenden, wozu ich will, ich sehe alle die Annehmlichkeiten und alle Objecte meines Wohlgefallens als solche an, die ich noch immer haben kann, habe ich aber auf eins von alle dem schon das Geld ausgegeben, dann bin ich nicht mehr in Ansehung der Disposition des Geldes frey, jetzt kann ich nicht mehr was anders dafür kaufen und alle die Projecte von Annehmlichkeiten 213
Fonds Hg.] Font Kae]
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[333] und von Gegenständen haben nun ein Ende. Hier entspringt aber bey uns eine Illusion, wenn wir das Geld noch besitzen so sollten wir das Geld disjunctive betrachten, indem wir es entweder dazu oder dazu gebrauchen könnten, wir betrachten es aber collective und glauben alles dafür zu haben; wenn der Mensch das Geld noch besitzt, so hat er noch eine angenehme Träumerey sich alle die Annehmlichkeiten zu verschaffen, nun bleibt der Mensch gern in diesem süssen Irthum, dahero beraubt er sich dessen durch die Vernunfft nicht, da er nun das Geld für ein Mittel hällt alle Vergnügen dadurch zu genüssen, so hällt er das Geld für das gröste Vergnügen, indem in demselben alle Vergnügen liegen, die er alle genüssen kann wenn er will, er genüßt also so lange er das Geld hat alle die Vergnügen in Hofnung, wenn er aber das Geld auf den Gegenstand des einen Vergnügens anwenden sollte, so ist die Unermeßlichkeit aller übrigen Vergnügen mit einemmal weg, demnach sieht der Mensch das Geld für den Gegenstand des grösten Vergnügens an, in welchem alle übrigen Vergnügen und Gegenstände liegen. Dieses Spiel geht täglich in dem Kopf des Geitzigen vor, es ist eine Illusion bey ihm. Wenn nun der Geitzige also sieht, wie Andere alle Annehmlichkeiten des Lebens genüssen, so denkt er, du kannst ja alles das haben wenn du nur willst, es schmertzet ihm zwar und er mißgönnt es andern, allein wenn die Andern schon das Vergnügen genossen haben und das [334] Geld dafür auch schon weg ist, dann ist die Reihe an ihm zu triumphiren, dann hat er noch sein Geld in der Tasche und lacht sie alle aus, indem sie jetzt eben so klug sind. Wenn wir die Verhältnisse des Geitzes 181in Ansehung des Standes des Geschlechts und des Alters erwägen, so bemerken wir in Ansehung des Standes, daß man dem geistlichen Stande vorwirft er sey dem Geitz ergeben, diesen Vorwurf könnte man aber überhaupt auf alle Gelehrte werfen, und also auch auf den Geistlichen, so fern sie unter die Gelehrten gehören; es sey denn wenn ein Geistlicher kleine Einkünffte hat und sich also 181
[XXVII: 403,39] Eine typisch anthropologische Erörterung!
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angewöhnt, jede Kleinigkeit hochzuhalten, daß dann bey ihm der Geitz besonders entsteht. Allein die Ursache, warum man dieses allen Gelehrten insgemein vorwerfen kann ist diese: Die Gelehrsamkeit ist keine unmittelbare Erwerbung des Vermögens, sondern nur in so fern sie geschätzt wird, daher sieht jeder Gelehrte sein Metier an als ein solches, was nicht so fruchtbar ist und was kein Geschäffte ist, welches an sich selber eine Brodtkunst sey wodurch man unmittelbar dadurch Geld verdient so wie andere, er ist also unsicherer bey allen seinen Einkünften, als ein anderer der durch seine Kunst und Handwerk jederzeit sein Brodt verdienen kann. Dieses kann also einen Gelehrten zum Geitz disponiren und das Geld hochzuhalten. Ferner Leute die ein sitzendes Geschäffte haben, gewöhnen sich zum Geitz an, denn indem sie nicht ausgehen, so entwehnen sie sich alle der Ausgaben die damit verbunden sind, wenn [335] sie von allen Belustigungen und Vergnügen entfernt sind, so sind sie auch von dem dazu erforderlichen Aufwande frey; indem sie nun aber ein sitzendes Geschäffte haben, so unterhalten sie sich mit solchen Vergnügen die auch ihr Gemüth unterhalten und dabey gewöhnen sie sich an die Enthaltsamkeit. Der Kaufmann wäre wohl mehr zur Haabsucht als Geitz geneigt. Der Militairstand ist gar nicht zum Geitz geneigt, denn indem sie nicht wissen wie lange und wenn sie das Ihrige genüssen könnten, und sie auch damit nicht recht sicher sind, ja auch ein Stand ist, der aus einer grossen Gesellschafft besteht, so sind bey ihm keine Quellen zum Geitz. In Ansehung des Geschlechts merken wir, daß das weibliche Geschlecht mehr zum Geitz auferlegt ist als das Männliche, welches auch mit ihrer Natur wohl übereinkommt, denn indem sie diejenigen nicht sind, die da erwerben, so müssen sie auch mehr sparen, dagegen kann derjenige schon grosmüthiger seyn, der da erwirbt. In Ansehung des Alters merken wir, daß das Alter mehr zum Geitz geneigt ist als die Iugend, denn die Iugend ist noch vermögend sich alles zu erwerben; das Alter ist aber unvermögend, Geld ist aber ein Vermögen, indem es auch so heißt alle Zwekke
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zu erreichen die einem mangeln. Das Geld hat eine Macht, so suchen 214auch zuletzt Diebe die so viel zusammen gestohlen haben durch das Geld sich eine Sicherheit für der Strafe zu erwerben zE. er läßt sich adeln, 182damit er nicht so leicht könnte gehangen werden. Also sucht auch das Alter [336] durch ein künstliches Vermögen den Mangel ihrer Kräffte und Macht zu ersetzen. Eine Andere Ursache ist auch bey dem Alter die Furcht für der künfftigen Dürftigkeit und Mangel, denn wenn sie alles verlohren haben, so sind sie nicht mehr vermögend sich mehreres zu erwerben, die Iugend kann sich aber mehreres erwerben, sie kann was anderes anfangen, wenn es mit einem nicht glükt, sie kann sich neue Plane machen, das kann aber das Alter nicht, dahero muß sich das Alter einen 215Fonds etabliren, wodurch es für allem Mangel in Sicherheit steht. Bey filtzigen Geitzigen ist mehrentheils die Furcht die Ursache ihres Geitzes, bey einigen aber auch um nur Macht und Gewalt zu haben, welches sie am besten durch Geld haben können.
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Betrachtung der Sparsamkeit was es mit ihr für Bewandniß hat. Die Sparsamkeit ist eine Peinlichkeit und Aufmerksamkeit in Ansehung des Aufwandes der Güter. Die Sparsamkeit ist keine Tugend, denn zum Sparen gehört weder Geschiklichkeit noch Talent. Wenn wir sie mit der Verschwendung gegen einander halten, so gehört dazu, um ein Verschwender mit Geschmak zu seyn, weit mehr Talent und Geschikke, als zum Sparen. Denn Geld ablegen kann auch der Dümmste. Um das Geld auf verfeinerte Vergnügen zu verthun, gehört Kenntniß und Geschiklichkeit, aber Geld durchs Ersparen zu erwerben dazu ge214 215
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auch Hg.] sich auch Kae] Fonds Hg.] Font Kae] [XXVII: 405,01] Nicht ermittelt.
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hört gar keine Geschiklichkeit. Dahero auch solche Personen, die da Geld durchs Sparen erwerben, sehr niedrige Seelen sind, unter den Verschwendern findet man aber aufgewekte [337] und Geistreiche Personen. Wenn wir fragen, was ist dem Menschen im Staate schädlicher der Geitz oder die Verschwendung? so müssen wir vorhero von beyden absondern dasjenige, wodurch sie in die Rechte anderer Menschen Eintrag thun können, nämlich von dem Geitzigen die Haabsucht und von dem Verschwender die Verthuung anderer Güter. Alsdenn sehen wir, daß der Verschwender sein Leben genossen hat, und der Geitzige hat sich selbst betrogen, indem er es immer in Hoffnung genüssen wollte, er geht also aus der Welt wie ein dummer Tropf, der nicht einmal weiß, daß er gelebt hat. Wenn wir aber auf der andern Seite die Unbehutsamkeit erwegen, so ist es bey dem Verschwender eine Unklugheit, indem er doch nicht weiß wie lange er lebt, und er also hernach alles entbehren muß, wenn er es vorher verschwendet hat, welches der Geitzige nicht nöthig hat. Aber bey dem Geitzigen ist es ja eben so, der Geitzige beraubt sich des gegenwärtigen Lebens, da sich der Verschwender des künftigen beraubet. Es ist zwar schwerer zuerst das Wohlleben genossen zu haben und hernach im Mangel zu seyn, als vorhero sich was zu entziehen und das Vergnügen zuletzt zu genüssen, allein so hat doch der Verschwender schon das Vergnügen genossen, und wenn es der Geitzige auch zuletzt genüssen möchte, dann wäre es gut, allein er genüßt es niemals, sondern er schiebt es immer auf, es ist ihm immer [338] künftig, und er speißt sich nur mit der Hofnung des Vergnügens. Ein Verschwender ist also ein liebenswürdiger Thor, ein Geitziger aber ein Hassenswürdiger Narr. Der Verschwender hat seinen Character noch nicht verdorben, er kann also noch Muth fassen in seinem Unglük zu leben; der Geitzige ist aber immer von schlechtem Character. Wenn wir aber in Ansehung anderer fragen, wer besser ist, der Verschwender oder der Geitzige? So lange beyde leben, so ist der Verschwender besser als der Geitzige, aber nach dem Tode nützt der Geitzige mehr den Andern. Die Vorsehung hat so
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gar durch den Geitzigen Mittel ihre Zwekke zu befördern, sie sind Maschinen, die in der Ordnung der Dinge mit allgemeinen Zwekken übereinstimmen, sie sorgen dadurch für ihre Nachkommen, die durch ihn in den völligen Besitz der Güter kommen, und weil das Geld daselbst auf einem Haufen ist, so können dadurch grosse Geschäffte unternommen werden, und durch diese Unternehmungen kommt das 183Geld wieder in Circulation. Die Sparsamkeit ist keine Tugend, sondern Klugheit, aber Genügsamkeit ist eine Tugend; die Genügsamkeit ist entweder Mässigung oder Resignation gäntzliche Entschlagung. Es ist leicht was gäntzlich zu entsagen, als sich worin mässigen. Wenn man was entsagt, so hat man noch nichts empfunden, wenn man sich aber mässigen soll, so muß man vorhero schon was genossen haben, also sind da schon die Appetite angefeuert, demnach [339] ist es schwerer sich dessen zu enthalten, was man schon zum Theil genossen hat, als etwas gäntzlich zu entsagen. Zur Resignation gehört Tugend aber zur Mässigung noch mehr. Diese Tugenden laufen auf die Herrschafft über sich selbst hinaus.
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[XXVII: 406,28] Die bis heute gängige Redeweise setzt die Entdeckung des Blutkreislaufs durch William Harvey (1628) voraus. Im 24sten Kapitel seines Leviathan (1651) propagierte Thomas Hobbes eine Analogie zwischen dem Blutkreislauf im einzelnen Menschen und der Zirkulation des Geldes im Staat. Rund 100 Jahre später ist in David Hume’s Essay ‚Of Money‘ der konkrete Anfang der bildlichen Rede in ähnlicher Weise verschwunden wie bei Kant im Moral-Kolleg. (Ebenso die Herder-Nachschrift XXVII: 080,30) – Wenn ich recht sehe, dann hat Kant in seinen Druckschriften die hier vorliegende Redeweise nicht benutzt. So blickt zwar auch die Definition des Geldes im Rahmen der ‚Rechtslehre‘ von 1797 (VI: 286ff.) auf die Sphäre des Handelns und Tauschens, doch fällt der Terminus ‚Zirkulation‘ nicht.
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Wir haben von der Natur zween Triebe, nach denen wir vom andern verlangen geachtet und geliebt zu werden; diese Triebe beziehen sich also auf die Gesinnung anderer. Welche Neigung ist von diesen die stärkste? Die Neigung der Achtung. Die Ursache ist zwiefach: Die Achtung zielt auf unsern innern Werth, die Liebe aber nur auf den relativen Werth anderer Menschen; man wird geachtet, weil man einen innern Werth hat, man wird aber von andern geliebt, weil man in Ansehung ihrer vortheilhafft ist und ihr Vergnügen auf allerhand Art befördert; wir lieben das, was uns einen Vortheil zuwege bringt und achten das, was an sich einen Werth hat. Die andere Ursache ist, weil uns die Achtung in grössere Sicherheit für andere stellt als die Liebe; durch die Achtung sind wir mehr unverletzlich und gesicherter für Beleidigung. Die Liebe kann aber auch bey der Geringschätzung statt finden, die Liebe beruht auf dem Belieben anderer Menschen, es kommt auf andere an, ob sie mich lieben oder verstossen und hassen [340] wollen. Wenn ich aber einen innern werth habe, so werde ich von Iedermann geachtet, es kommt hier nicht auf jemandes Belieben an, sondern wer meinen Werth einsieht, der wird mich auch achten. Wenn wir das Gegentheil von beyden nehmen, so ist die Verachtung schmertzhaffter als der Haß; beyde sind unangenehm, wenn ich aber ein Gegenstand des Hasses bin, so werde ich doch nur von einem oder dem Andern gehaßt und wenn ich auch viel Unglük von Haß zu erwarten hab, so werde ich doch, wenn nur andere meinen Werth erkennen Muth und Mittel genug finden, den Haß zu ertragen und mich ihm entgegen zu setzen. Die Verachtung ist aber unerträglich. Ein Gegenstand der Verachtung ist ein allgemeiner Gegenstand der Verachtung, sie nimmt uns den Werth bey andern weg und nimmt uns auch das Bewustseyn unseres eigenen Werth weg. Wenn wir wollen geachtet seyn, so müssen wir auch Achtung für andere Menschen haben und die Menschheit überhaupt achten. Auf der andern Seite
sectio 18: Cura existimationis §§ 293ff.
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liegt uns dieselbe Pflicht ob, daß wir, wenn wir wollen geliebt seyn, auch Menschenliebe beweisen; also müssen wir das thun, was wir von andern fordern, daß sie es gegen uns thun sollen. Wenn wir die Achtung die wir gerne von andern haben wollen noch weiter analysiren, so finden wir daß die Vorsicht will, daß uns das Urtheil anderer nicht gleichgültig seyn soll, sondern daß es uns unmittelbar soll daran gelegen seyn, was andere von uns urtheilen, dieses fordern wir aber von Andern nicht aus Nutzen, Vortheil [341] und anderer Absicht, denn sonst wären wir nicht Ehrliebig sondern Ehrbegierig, Ehrgeitzig, in dieser 216Absicht will ein Kaufmann für reich gehalten werden, denn er hat davon Nutzen. Die Sachen müssen aber nicht von den Mitteln sondern von dem Zwek benannt werden, so ist derjenige nicht geitzig der Geld zusammen spart, um es hernach in allem Pomp zu verprassen, sondern Ehrsüchtig. Also ist auch die Neigung ein günstiges Urtheil von andern zu erhalten nicht eine Folge des Vortheils sondern es ist eine unmittelbare Neigung, die blos auf Ehre gerichtet ist und keinen Vortheil zum Object hat, und deswegen kann man nicht ehrgeitzig sondern ehrliebig genannt werden. Die Vorsicht hat also diese Neigung in uns gelegt, dahero ist kein Mensch, wenn er noch ein so grosser Herr ist gegen ein Urtheile des Andern gleichgültig, zwar sieht einer mehr darauf als der Andere, so scheint es, daß dem Edelmann das Urtheil des Bauren oder auch wohl gar der Bürger gleichgültig ist, und dem Fürsten das Urtheil seiner sämmtlichen Unterthanen, allein ein jeder wird doch nach dem Urtheil seines Gleichen fragen, welches ihm nicht gleichgültig ist, so wird dem Fürsten das Urtheil eines andern Fürsten nicht gleichgültig seyn, obgleich die Achtung dessen, der unter ihm ist, nicht so beträchtlich zu seyn scheint, weil man über einen solchen Gewalt hat und also seine Achtung nicht so viel Werth hat, als dessen über den er keine Gewalt [342] hat; aber auf seines Gleichen scheint sich die Ehrliebe sehr zu beziehen, so schämt sich ein junges Frauenzimmer niedrigen Standes mehr für ihres 216
Absicht Hg.] Absich Kae]
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Gleichen als für den Vornehmen, von denen sie lieber die Verachtung aussteht als von ihres Gleichen. Die Achtung grösserer Personen gegen uns, schmeichelt uns aber mehr als der Geringere; der aber auch gegen die Achtung Geringerer nicht gleichgültig ist, der schätzt die Menschheit überhaupt, dem ist das Urtheil des schlechtesten Menschen eben so wenig gleichgültig, als des Vornehmern. Die Absicht dieser Neigung der Achtung von Andern ist bey der Vorsicht diese, daß wir unsere Handlungen mit dem Urtheile Aller abwiegen möchten, damit unsere Handlungen nicht allein aus eigenliebiger Absicht geschehen möchten, weil unser Urtheil allein die Handlungen corrumpirt, sondern daß auch andere über unsere Handlungen richten möchten. 184Von der Ehrliebe muß die Ehrbegierde unterschieden werden, wenn wir diese beyde in Verhältniß halten, so ist die Ehrliebe was negatives, man ist nur bedacht um kein Gegenstand der Verachtung zu seyn, die Ehrbegierde aber begehrt ein Gegenstand der Hochachtung von andern zu seyn. Die Ehrliebe könnten wir honestatem nennen, sie müste aber denn von der Ehrbarkeit unterschieden werden; Ehrbegierde ist aber Ambition. Man kann ehrliebig seyn, wenn man auch nicht in der Gesellschafft von andern 217Menschen ist, man kann aus Ehrliebe die Einsam217
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Menschen ist, Hg.] Menschen, Kae] [XXVII: 408,34] Die terminologischen Bestimmungen decken sich nicht mit den Ausführungen in der Ethica, insbesondere § 296, wo ‚ambitio‘ mit ‚Ehrgeitz‘ übersetzt wird. In der Vorlesung wird ‚ehrgeitzig‘ nur zweimal (p. 341) gebraucht, das entsprechende Substantiv gar nicht. Für die lateinische ‚ambitio‘ steht ‚Ehrbegierde‘; vgl. p. 341 zu Beginn. Blickt man auf den Sprachgebrauch der Kantischen Druckschriften, so fehlt ‚Ehrgeiz‘ als Substantiv und als Adjektiv vollständig. Auch in den Vorlesungen über Anthropologie, lassen sich entsprechende Beobachtungen machen: ‚Ehrgeiz‘ wird auffällig selten gebraucht, in den frühen Zeugen (1772/73) ‚Collins‘ (p. 182) und ‚Parow‘ (p. 281) nur je einmal. Wird auch die Nachlaßabteilung konsultiert (Karsten Worm, Kant im Kontext II, Berlin: November 2003; CD-ROM), so vervollständigt sich das Bild: ,Ehrgeiz / Ehrgeitz‘ wird – nach 1770? – bewußt gemieden; vgl. XX: 047,11; 130,18; 192,09 / XVI: 532,03 / XV: 754,05.
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keit suchen, um nur kein Gegenstand der Verachtung zu seyn, ehrbegierig [343] kann man aber nicht in der Einsamkeit seyn, denn man will von den andern hochgeachtet werden, es ist also die Ehrbegierde eine Anmaassung eine Forderung von andern, daß man ihn hochachten soll. Ehrliebe billigen wir an jedermann allerwärts, aber Ehrbegierde wollen wir an keinem haben, das ist die Bescheidenheit, wenn die Ehrliebe zu keiner Ehrbegierde wird. Nach der Ehrliebe wollen wir von jedermann Achtung haben, so daß wir nicht verachtet werden, nach der Ehrbegierde verlangen wir aber mehr hochgeachtet zu werden als es gemeinhin geschiehet, man will vorzüglich hochgeachtet seyn, man maasset sich an die Urtheile anderer nach meiner Meynung zu zwingen. Da aber die Urtheile Anderer in Ansehung unser frey sind, so müssen die Gründe unserer Achtung so seyn, daß die Urtheile anderer ohnzudringlich erfolgen; der aber ehrbegierig ist, der sucht die Urtheile Anderer zu seiner Achtung zu zwingen, er fodert, daß ihn die Andern achten sollen und dadurch macht er sich lächerlich er thut einen Eingrif in die Rechte aller Menschen. Demnach werden wir dem Menschen der ehrbegierig ist gleich Wiederstand leisten, der nur aber ehrliebig ist und nur auf seine Achtung hällt um nur nicht verachtet zu werden, den achten wir auch, und je mehr er der Achtung wehrt ist und jeweniger er Anmaassung darauf macht, desto eher kommen wir ihm mit Achtung entgegen. In der 218Ehrliebe sind zwey Stükke zu unterscheiden, die [344] Eitelkeit und die wahre Ehrbegierde; die Eitelkeit ist eine Begierde nach Ehre in Ansehung dessen, 219was nicht zum Werth unserer 220Person gehört zE. wenn man eine Ehre im Tittel, in der Kleidung sucht; die wahre Ehrbegierde ist aber eine Begierde nach Ehre in Ansehung dessen was zum Werth unserer Person gehört. Alle Ehr218
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Ehrliebe Kae] Ehrbegierde Mnz 238,06] XXVII: 409,25f.] | Unter den Varianten wie Kaehler nur S. 1303. was nicht Hg.] was Kae] Person Kae] | Im Ms von zweiter Hand: ‚Zustandes‘ statt ‚Person‘. – Das zuvor per Hg. eingefügte „nicht“ ist der einfachere Eingriff.
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begierde, ob sie gleich dem Menschen natürlich ist, muß doch zurük gehalten werden. Alle Menschen sind Ehrbegierig, aber keiner muß sie vorrükken, denn alsdann verfehlt die Ehrbegierde ihren Zwek, indem die Menschen die Anmaassung auf ihr günstiges Urtheil sogleich zurüktreiben, weil sie in ihrem Urtheil frey seyn wollen und nicht gezwungen werden wollen. Wir können etwas an sich wehrtschätzen, aber hochschätzen und ehren können wir nur das, was einen verdienstvollen Werth hat. Alltägliche Menschen sind die solchen Werth haben, den man von jedermann ohne Unterscheid fordern kann, diese sind nicht verdienstlich und sind nicht würdig geehrt zu werden, sie sind der Achtung und Schätzung werth, aber nicht daß sie hochgeschätzt und geehrt werden. Redlichkeit, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit in Beobachtung seiner Schuldigkeit gehört dazu, was man von jedem fordern kann, und deswegen verdient man geachtet und geschätzt, aber nicht geehrt und hochgeschätzt zu werden. Weil einer ehrlich ist, kann er deswegen noch nicht Beehrung verlangen, sondern nur Achtung, denn er hat keinen [345] vorzüglich hervorragenden Werth. In allen Zeitaltern wo die Ehrlichkeit Ehre erwirbt und wo es ein Punkt der Ehrbegierde ist, und man dadurch einen verdienstlichen Werth hat, daß man ehrlich ist, da ist schon Corruption der Sitten, da ist die Ehrlichkeit schon selten, man rechnet sie als ein Verdienst, da sie doch eine altägliche Eigenschafft eines jeden seyn sollte, denn wer einen sehr kleinen Theil weniger ist als ehrlich, der ist schon ein Schelm. So wird 185an den Türkischen Richtern als was verdienstliches gelobt, daß sie sich nicht haben bestechen lassen, und wenn Aristides der Gerechte genannt worden, so ist das zwar ein Lob für ihn, aber ein Schimpf für sein Zeitalter, indem alsdenn, weil dieses so sehr an ihm gerühmt worden, wenige Gerechte waren. Zu den verdienstlichen Handlungen gehört aber zE Grosmuth, Güte, denn dieses kann ich nicht von jedem fordern, demnach werden solche Menschen nicht allein geachtet, sondern geehrt und hochgeschätzt. Achtung erwirbt 185
[XXVII: 410,12] Nicht ermittelt.
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man sich wegen des Wohlverhaltens, Ehre aber wegen verdienstlichen Handlungen, man bringt sich um die Achtung, wenn man schuldige Pflichten unterläßt. Eben so wie die Natur gebietet die Geschlechterneigung zu verhehlen und ein Geheimniß davon zu machen, ob sie gleich in jedes Natur ist, diese Verhehlung aber dazu dient, diesem Hange und Neigung Schranken zu setzen und sie nicht so gemein und offenbar machen, damit [346] sie desto stärker erhalten werde; ebenso fordert auch die Natur, daß man seine Neigung zur Ehrbegierde zu verbergen suche, denn so bald wie sie sich äussert, so ist’s schon eine unbillige Anmaassung. Der Mensch hat einen Trieb zur Ehre, der gantz uneigennützig ist, offt ist der Ehrbegierige auch 221eigennützig, wenn er nemlich deswegen Ehre sucht, um seinen Zustand zu verbessern, ein Amt oder eine Frau dadurch zu bekommen, wer aber Ehre ohne alle Absicht und nur in dem Beyfall anderer sucht, der ist Ehrliebig. Wenn wir den Trieb zur Ehre nehmen, den auch die Menschen dadurch zeigen, indem sie auch nach dem Tode gern den Beyfall anderer erhalten wollen, so sehen wir, daß darin nichts eigennütziges ist. Ohne diese Ehre würde sich keiner bemühen den Wissenschafften sich zu ergeben, 186wenn er auf der wüsten Insel wäre, so möchte er alle Bücher wegwerfen und lieber Wurtzeln suchen; der Mensch hat aber einen Trieb der Ehre seine Erkenntnisse den andern mitzutheilen. Es frägt sich ob dieser Trieb zur Ehre der ächte oder unächte Quell der Wissenschafften ist? Die Vorsehung hat den Trieb zur Ehre in uns gelegt, damit unsre Handlungen und unser Verfahren mit dem allgemeinen Urtheile Aller übereinstimmen möchten, hätten wir diesen Trieb nicht, würden wir unsere Handlungen nicht allgemein nützig machen, wir könnten uns in unserm eigenen Urtheil irren, demnach würden auch unsere Erkenntnisse offt sehr 221
eigennützig, Hg.] eigenützig, Kae]
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[XXVII: 410,38] Ganz ähnlich die Aussagen in den späteren Anthropologie-Nachschriften Mrongovius p. 73 und Dohna p. 167.
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falsch seyn, wenn sie nur allein auf unserm eigenen Urtheil beruhen möchten, dahero ist dieser Trieb unabhängig, unser Urtheil über unsre Erkenntnisse [347] mit dem Urtheile anderer zu vergleichen, dieses ist der Probierstein, daß wir unsere Erkenntniß dem Urtheile vieler Köpfe unterwerfen, die allgemeine Vernunfft, das Urtheil Aller ist der Richterstuhl, für den unsere Erkenntnisse sich stellen müssen, denn sonst könnte ich nicht wissen, ob ich mich geirrt hätte oder nicht, welches 222auch aus vielen Ursachen seyn könnte, ein anderer könnte sich auch wohl irren, aber nicht gerade da, wo ich. Wir haben also einen Trieb der Ehre, unsere Erkenntnisse dem Urtheile anderer zu communiciren. Es ist wahr, dieser Trieb artet hernach in die Ehrbegierde aus, wo man die falschen Sachen und Erkenntnisse durch scheinbare Gründe auszuputzen sucht, um den Beyfall anderer zu erschleichen und Ehre zu erhalten wollen; aber in der ersten Quell ist es ein reiner und ächter Trieb, wenn er aber ausartet, so fällt auch der Zwek der Vorsehung dadurch weg. Die Ehrbegierde ist nicht so natürlich sondern nur unter Bedingungen, die Ehrliebe ist aber natürlich. Ohne alle Ehrliebe hätten die Wissenschafften keinen Antrieb. Es frägt sich, ob diese Ehrliebe an und vor sich selbst ohne allen Eigennutz die auch nach dem Tode nicht gleichgültig seyn kann, ja auch wohl noch stärker ist nach dem Tode Ehre und Beyfall von andern zu erhalten, weil man nach dem Tode nicht mehr was von sich abwischen kann, mit den Pflichten gegen sich selbst zusammenstimme, ja ob es auch ein Gegenstand der Pflicht gegen sich selbst ist? Allerdings stimmt dieser Trieb nicht nur mit allen Pflichten zusammen, sondern er ist auch ein Gegenstand unsrer Pflicht. [348] Der Mensch muß ehrliebig seyn, wer gleichgültig in Ansehung der Ehre ist, der ist niederträchtig. Die Ehre ist die Bonitaet der Handlungen in der Erscheinung, die Handlungen der Menschen müssen aber nicht allein gut seyn, sondern für den Augen anderer Menschen als gut erscheinen, denn die Moralitaet, der gute Wille und die Gesinnung geben dem Mensch222
auch Hg.] ich Kae]
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lichen Geschlecht den Werth, da 223dieses auch die moralische Verbindung ist, so muß ein jeder sehen, daß seine Handlungen nicht nur ein negatives Beyspiel geben, daß sie nichts böses in sich fassen, sondern daß sie auch ein positives Beyspiel geben, und was gutes in sich enthalten. Unsere Handlungen müssen also nicht allein gut seyn, sondern auch als ein Beyspiel andern in die Augen fallen. Unsere Handlungen müssen aus der Ehrliebe fliessen. Es frägt sich nun: Soll man sich in Ansehung der Ehre nach den Meynungen anderer richten, die sie von dem was Billigung oder Misbilligung verdient haben; oder soll man sich nach seinem eigenen principio richten? Die Meynungen anderer sind zwiefach: Aus empyrischen Gründen und da haben sie Gewalt, und aus der Vernunfft, da haben sie keine Gewalt. In Ansehung der Rechtschaffenheit, die ich durch meine Vernunfft einsehe, da kann ich keiner Meynung folgen, sondern nach meinem principio das ich aus der Vernunfft einsehe, mich richten. Wenn 224es aber zE. eine Sache der Gewohnheit ist, da muß ich mich nach den Meynungen anderer richten. Die Ehrbegierde kann noch zwiefach seyn: Wenn man das [349] für den Gegenstand der Ehre hällt, was die Leute von einem sagen und was die Leute von einem denken. Ieder muß das für den Gegenstand der Ehre halten, was die Leute von einem denken, das ist schon schlecht wenn man sich nur daran kehrt, was die Leute sagen. Ehrbarkeit ist die Würdigkeit des Verhaltens geehrt zu werden, das heißt kein Gegenstand der Verachtung zu seyn.
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dieses Kae] Mnz 241,12] XXVII: 411,38] | Der Bezug ist unklar: der gute Wille / die Moralität / das menschliche Geschlecht? – Vorschlag: „[…], da das menschliche Geschlecht auch eine moralische Verbindung hat, […].“ es aber Hg.] aber Kae]
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Der Autor begeht hier eine Ausschweifung, indem er redet von den Pflichten gegen Unbelebte, gegen belebte oder unvernünftige Wesen und gegen vernünftige Wesen. Wir haben aber nur Pflichten gegen andere Menschen, die unbelebten sind gäntzlich unsrer Willkür unterworfen, und die Pflichten gegen die Thiere sind Pflichten, in so weit sie in Ansehung unser gehen. Demnach werden wir alle Pflichten reduciren auf die Pflicht gegen andere Menschen. Bey diesen Pflichten bemerken wir zwo HauptGattungen: 1. Die Pflichten des Wohlwollens, der Gütigkeit, und 2. Die Pflichten der Schuldigkeit, der Gerechtigkeit. Im ersten Fall sind unsere Handlung gütig, im zweeten gerecht und schuldige Handlungen. Wenn wir zuerst die Pflichten des Wohlwollens nehmen, so können wir nicht sagen, wir sind verbunden andere Menschen zu lieben und ihnen wohl zu thun, denn wer den andern liebt, der will dem andern wohl, aber ohne daß er ihm solches schuldig ist, sondern aus williger Gesinnung, [350] gerne und aus eigenem Triebe. Liebe ist Wohlwollen aus Neigung. Es kann aber auch Gütigkeit statt finden aus Grundsätzen. Demnach ist unser Vergnügen und Wohlgefallen am Wohlthun anderer entweder ein unmittelbares Vergnügen, oder ein mittelbares Vergnügen. Das unmittelbare Vergnügen am Wohlthun anderer ist die Liebe, das unmittelbare Vergnügen des Wohlthuns, wo wir uns zugleich bewußt sind unsere Pflicht erfüllt zu haben, ist das Wohlthun nach Verbindlichkeit. Das Wohlthun aus Liebe entspringt aus dem Hertzen; das Wohlthun aus Verbindlichkeit entspringt aber mehr aus Grundsätzen des Verstandes. Man kann zE seiner Frau wohlthun aus Liebe, wo
sectio 1: Amor universalis §§ 301 ff.
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aber schon die Neigung weggefallen ist, so soll man es thun aus Verbindlichkeit. Es frägt sich, ob ein Moralist sagen kann, wir haben eine Pflicht andere zu lieben? Liebe ist ein Wohlwollen aus Neigung, nun kann mir nichts zur Pflicht auferleget werden, was nicht auf meinem Willen beruht, sondern auf meiner Neigung, denn ich kann ja nicht lieben wenn ich will, sondern wenn ich einen Trieb dazu habe. Pflicht ist aber jederzeit ein Zwang, entweder muß ich mich selbst zwingen oder werde vom andern gezwungen. Worin besteht aber der Quell der Verbindlichkeit des Wohlthuns aus Grundsätzen? Hier müssen wir den Schauplatz der Welt anschauen, auf den wir als Gäste von der Natur gesetzt sind, und auf dem wir alles finden, was zu unserm zeitlichen Glük nöthig ist. Zu diesen [351] Gütern der Welt hat jeder Recht sie zu genüssen, da nun aber ein jeder ein gleiches Antheil daran hat, Gott aber keinem 187seine Portion zugeschnitten hat, sondern es den Menschen überlassen sie unter sich zu theilen; so muß ein jeder diese Güter des Lebens so genüssen, daß er auch auf die Glükseligkeit anderer bedacht sey, die ein gleiches Antheil daran haben, und ihnen nichts vorentziehe. Weil also die Vorsorge allgemein ist, so muß man in Ansehung der Glükseligkeit anderer nicht gleichgültig seyn. Wenn ich zE. einen gedekten Tisch mit Speisen im Walde finde, so muß ich nicht denken daß das allein für mich ist, ich kann davon genüssen aber auch darauf bedacht seyn andern auch was zu lassen, auch nicht ein Gericht gantz allein aufessen, denn ein Anderer könnte auch Appetit dazu haben. Wo ich also sehe, daß die Vorsorge allge187
[XXVII: 414,07] Die ‚Freiheit eines Christenmenschen‘ im Gegensatz zu einem Muselmanisch-türkischen Fatalismus. Die literarische Quelle für die von Kant auch sonst anekdotenhaft eingestreute Geschichte ist nicht ermittelt. – „Was die Türken nach ihren Grundsätzen der Prädestination über die Mäßigkeit sagen: daß nämlich im Anfange der Welt jedem Menschen die Portion zugemessen worden, wie viel er im Leben zu essen haben werde, und, wenn er seinen beschiedenen Theil in großen Portionen verzehrt, er auf eine desto kürzere Zeit zu essen, […].“ (VII: 104 f.) Entsprechend in beiden Nachschriften des ersten Anthropologie-Kollegs: Collins p. 103; Parow p. 137; vgl. die Col-Nr. 110 in Bd. XXV.
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mein ist, so habe ich Verbindlichkeit meinen Gebrauch einzuschränken 225und zu denken, daß die Natur die Anstalt für alle gemacht hat. Dieses ist der Quell des Wohlthuns aus Verbindlichkeit. Wenn wir aber 226auf der andern Seite das Wohlthun aus Liebe nehmen, und einen Menschen der da aus Neigung liebt betrachten, so finden wir, daß ein solcher Mensch anderer Menschen bedarf, gegen die er sich gütig beweisen kann, er ist nicht befriedigt, wenn er nicht Menschen findet denen er wohlthun kann. Ein liebreiches Hertz hat ein unmittelbares Vergnügen und Wohlgefallen am [352] Wohlthun, es hat mehr Vergnügen als wenn es selbst genüßt. Diese Neigung muß befriedigt werden, denn es ist eine Bedürfniß. Dieses ist eine Gutartigkeit des Gemüths und des Hertzens, aber kein Moralist soll solches zu cultiviren suchen, sondern das Wohlwollen aus Grundsätzen muß cultivirt werden, denn die erste gründet sich auf Neigung und Bedürfniß des Menschen, woraus ein unregelmässiges Verhalten entspringt, ein solcher Mensch wird aus Neigung gegen jedermann wohlthätig seyn, wenn er aber von einigen hintergangen wird so wird es ihn gereuen, dann entschließt er sich wieder anders, und macht sich eine Regel von nun an keinem wohlzuthun. Sein Verhalten ist also gar nicht nach Grundsätzen abgemessen. Moralisten müssen demnach Grundsätze festsetzen und das Wohlwollen aus Verbindlichkeit empfehlen und cultiviren, und wenn alle Verbindlichkeit durch die Natur auch durch die Religion vorgelegt ist, so kann auch die Neigung cultivirt werden, aber nur in so fern sie unter den Grundsätzen stehen muß, dann können die Triebfeder zu den Handlungen der Gütigkeit aus Neigung vorgeleget werden. Wir gehen nun zur zwoten Art von Pflichten gegen andre Menschen nemlich zu den Pflichten der Schuldigkeit und Gerechtigkeit. Diese Pflichten entspringen nicht aus Neigung, sondern aus dem Recht anderer Menschen. Hier wird nicht gesehen auf die Bedürfniß anderer Menschen, wie bey den vorigen, 225 226
und zu Hg.] und Kae] auf Hg.] auf auf Kae]
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[353] sondern auf das Recht. Der andere Mensch mag nöthig haben oder nicht, er mag elend oder nicht elend seyn, wenn es sein Recht betrifft, so bin ich ihm schuldig zu satisfaciren. Diese Pflichten beruhen auf der allgemeinen Regel des Rechts. Die höchste unter allen diesen Pflichten ist die Hochachtung für das Recht anderer Menschen. Ich bin verbunden das Recht anderer Menschen hochzuhalten und es als heilig hochachten. Es ist in der gantzen Welt nichts so heilig als das Recht anderer Menschen, dieses ist unantastbar, unverletzbar. Wehe dem, der das Recht anderer kränkt und es mit Füssen tritt. Das Recht des andern Menschen soll ihn für alles in Sicherheit halten, es ist stärker denn alle Wehr und Mauer. Wir haben einen heiligen Regierer, und das was er den Menschen als heilig gegeben hat ist das Recht der Menschen. Wenn wir uns einen Menschen vorstellen, der nur nach Recht und nicht nach Gütigkeit handelt, so kann dieser Mensch sein Hertz immer vor jeden Menschen verschliessen, er kann gleichgültig seyn gegen sein elendes und jämmerliches Schiksal, wenn er aber nur gewissenhaft ist in Beobachtung der Pflichten gegen jedermann, wenn er nur jedes Menschen sein Recht, als ein heiliges und hochachtungswürdiges Stük, das der Regierer der Welt den Menschen gegeben hat, hält; wenn er keinem Menschen nicht das Geringste umsonst giebt, aber auch darin pünktlich ist, daß er ihm nichts entzieht; so handelt [354] er recht, und wenn alle so handeln möchten, wenn alle keine Handlungen der Gütigkeit und der Liebe ausüben möchten, aber das Recht jedes Menschen unverletzt liessen, dann wäre kein Elend in der Welt, ausser nur ein solches Elend, was nicht aus der Verletzung des Rechts Anderer fließt zE Krankheit, Unglüksfälle. Das gröste und mehreste Elend der Menschen 227beruht mehr auf der Ungerechtigkeit der Menschen als auf dem Unglük. Da aber die Achtung des Rechts eine Folge der Grundsätze 228ist, die Menschen aber einen Mangel an Grundsätzen haben, so hat die Vorsicht einen andern Quell 227 228
beruht mehr Hg.] beruht Kae] ist, Hg.] sind Kae]
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in uns gelegt, nemlich den Instinct 229 der Gütigkeit, wodurch wir das ersetzen, was wir auf eine unrechtmässige Art erlangt haben. Wir haben demnach einen Instinct zur Gütigkeit aber nicht zur Gerechtigkeit. Nach diesem Triebe erbarmen sich Menschen über andere und erzeigen Wohlthaten dem sie es vorhero entrissen, Obgleich sie sich keiner Ungerechtigkeit bewust sind, das kommt daher, weil sie es nicht recht untersuchen. Man kann mit Antheil haben an der allgemeinen Ungerechtigkeit, wenn man auch keinem nach den bürgerlichen Gesetzen und Einrichtungen Unrecht thut. Wenn man nun einem Elenden eine Wohlthat erzeigt, so hat man ihm nichts umsonst gegeben, sondern [355] man hat ihm das gegeben, was man ihm durch eine allgemeine Ungerechtigkeit hat entziehen helfen. Denn wenn keiner die Güter des Lebens 230nicht möchte mehr an sich ziehen wie der andere, so wären keine Reiche aber auch keine Armen, demnach sind selbst die Handlungen der Gütigkeit, Handlungen der Pflicht und Schuldigkeit, die aus dem Recht anderer entspringen. Wenn wir auf der andern Seite einen Menschen betrachten, der das Recht anderer nicht achtet, sondern gewohnt ist auch seine Schuldige Handlungen aus Gütigkeit zu thun, dem man nichts von Recht und Schuldigkeit vorreden soll, der wird viele Handlungen aus Gütigkeit ausüben, 231wenn aber einer seine Schuld beykommen wird zu fordern, der in der grösten Noth ist und seine Wechselschuld wieder bezahlen soll, wenn nun dieser die ordentliche Sprache der Schuldigkeit führet, so wird er von jenem angefahren, daß er so grob ist und alles mit zwang haben will, ob er es gleich mit Recht zwangsmässig fordern kann, wenn er nun die229
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| Dittographie, gestrichen: „der Gütigkeit aber nicht zur Gerechtigkeit. Nach diesem Triebe erbarmen sich Menschen über andere“. nicht möchte Kae] | Überflüssige doppelte Verneinung. wenn aber … zu fordern, Kae] | Ungewöhnliche Redeweise: ‚Schuld beikommen‘ etwa im Sinn von ‚Schuld auszugleichen‘ (Grimm Bd. 1, Sp. 1376). Mnz 246,26f. ist geglättet: „wenn aber einer kommen wird, seine Schuld beizufordern,“ / Ähnlich XXVII: 416,20 f.: „wenn …, seine Schuld abzufordern,“.
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sem Menschen seine Schuld nicht abgiebt, dieser aber dadurch unglüklich wird, so betragen alle seine wohlthätige und gütige Handlungen, die er in seinem gantzen Leben ausgeübt hat, nicht so viel, als das eine Unrecht, was er diesem Menschen angethan hat, denn dies ist eine gantz andere Art von Rechnung, zu der jene Handlungen gar nicht in Anschlag kommen. Er kann Gütigkeit ausüben vom Seinen was er übrig hat, aber er [356] muß keinem das seinige abziehen. Wenn nun alle Menschen nur blos aus Gütigkeit handeln wollten, so wäre gar kein Mein und Dein, dann wäre die Welt kein Schauplatz der Vernunfft sondern der Neigung, dann würde sich keiner bemühen was zu erwerben, sondern sich auf die Gütigkeit des Andern verlassen, alsdenn aber müste alles in gröstem Ueberfluß seyn, es wäre alles passiv, so als wenn Kinder was zusammen genüssen, wo eins dem andern was giebt so lange was da ist. Demnach ists gut, daß Menschen durch Arbeit ihr Glük besorgen müssen, und Achtung für das Recht des Andern haben muß. Demnach müssen alle Moralisten und Lehrer darauf sehen, daß sie die Handlungen der Gütigkeit so viel als möglich als Handlungen der Schuldigkeit ausgeben und sie aufs Recht reduciren. Man muß dem Menschen nicht schmeicheln wenn er Handlungen der Gütigkeit ausgeübt, denn sonst blähet er sein Hertz von Grosmuth auf und will, daß alle seine Handlungen alsdenn Handlungen der Gütigkeit seyn sollen. *Wir wollen noch etwas von den Pflichten des Wohlwollens und der Gütigkeit anführen. Das Wohlwollen aus Liebe kann nicht gebothen werden, wohl aber das Wohlwollen aus Verbindlichkeit. Wenn wir aber einem wohlthun aus Pflicht, so gewöhnen wir uns daran, so daß wir es auch hernach aus Liebe oder aus Neigung thun. Wenn wir von jemand Gutes reden, blos weil wir sehen er hat es nicht so verdient, [357] so gewöhnen wir uns daran, so daß wir ihm hernach würklich aus Neigung alles Gute nachsagen. Also ist auch die Liebe aus Neigung eine moralische Tugend, und könnte in so weit geboten werden, damit man sich üben möchte, erst aus Verbindlichkeit wohlzuthun und durch das Angewöhnen hernach auch aus Neigung wohlthun möch-
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ten. Alle Liebe ist entweder Liebe des Wohlwollens oder des Wohlgefallens. Die Liebe des Wohlwollens besteht im Wunsch und in der Neigung das Glük anderer zu befördern. Die Liebe des Wohlgefallens ist das Vermögen welches wir haben, an den Vollkommenheiten des Andern Beyfall zu beweisen. Dieses Wohlgefallen kann sinnlich und intellectual seyn. Alles Wohlgefallen wenn es Liebe ist muß doch vorhero Neigung seyn. Die Liebe des sinnlichen Wohlgefallens ist ein Gefallen an der sinnlichen Anschauung, aus sinnlicher Neigung zE die GeschlechterNeigung ist ein sinnliches Wohlgefallen, es geht nicht so auf die Glükseligkeit als auf die 232Gemeinschaft der Personen. Die Liebe des intellectuellen Wohlgefallens ist schon schwerer zu concipiren. Das intellectuelle Wohlgefallen ist nicht schwer sich vorzustellen aber die Liebe des intellectuellen Wohlgefallen. Welches intellectuelle Wohlgefallen bringt Neigung hervor? Die gute Gesinnungen der Gütigkeit. Wenn es nun heißt, 188du sollst deinen Nächsten lieben, wie ist das zu verstehn? Nicht mit der Liebe des Wohlgefallens soll ich ihn lieben, mit solcher kann ich auch [358] den grösten Bösewicht lieben, sondern mit der Liebe des Wohlwollens, das moralische Wohlwollen besteht aber nicht darin, daß man ihm wohl will, sondern daß man wünsche er möchte doch dessen würdig werden, und eben solche Liebe des Wohlwollens können wir auch gegen unsre Feinde haben, dieses Wohlwollen kann immer hertzlich seyn, ich wünsche damit er zu sich selbst gebracht würde und damit er sich alles Glüks würdig machen möchte und es würklich erreichte; solches Wohlwollen kann ein König gegen seinen Verräther haben, 189er kann ihn zwar bestrafen und hängen las232
Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae]
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[XXVII: 417,34] Bibel, NT, Matthäus 5,43–44: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist [3. Mose 19,18]: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.‘ Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen; […]“. Vgl. Lukas 6,27; 6,35. [XXVII: 418,05] Nicht ermittelt. – Eine Theaterszene? Ein antike Geschichte über einen orientalischen Tyrannen?
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sectio 2: Amor hominum §§ 304ff.
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sen, er kann 233ihn aber beklagen, daß er so unglüklich ist, daß er an ihm solche Strafe nach den Gesetzen ausüben muß, allein er kann ihm hertzlich wünschen, damit er sich der Seligkeit würdig machen möchte, um sie zu erlangen. Demnach kann die Liebe des Wohlwollens gegen seinen Nächsten jedermann gebothen werden. Allein die Liebe des Wohlgefallens kann nicht allgemein gebothen werden, indem keiner ein Wohlgefallen woran haben kann da wo kein Object der Billigung ist. Allein an dem Menschen ist ein Unterschied zu machen zwischen dem Menschen selbst und seiner Menschheit, demnach kann ich ein Wohlgefallen an der Menschheit haben, ob ich gleich an dem Menschen kein Wohlgefallen habe. Ich kann ein solches Wohlgefallen auch am Bösewicht haben, wenn ich den Bösewicht und die Menschheit von einander unterscheide, denn auch in dem grösten Bösewicht ist noch ein Keim des guten Willens, es ist kein Bösewicht, [359] der nicht einsehen und unterscheiden könnte das Gute vom Bösen und der nicht wünschen sollte tugendhafft zu seyn, also ein moralisches Gefühl und der gute Wille ist da nur die Krafft und die Triebfeder fehlen; denn wenn er noch ein solcher Bösewicht ist, so kann ich noch denken, wer weiß, was ihn dazu bewogen hat, vielleicht ist dieses nach seinem Temperament eben solche Kleinigkeit gewesen als kleine Vergehungen nach meinem, wenn ich mich nun in sein Gefühl versetze, so kann ich doch noch in ihm ein Gefühl zur Tugend finden, also muß die Menschheit doch an ihm geliebt werden. Demnach kann mit Recht gesagt werden, 190wir sollen unsern Nächsten lieben, ich bin verbunden nicht allein zum Wohlthun sondern auch zur Liebe gegen andere mit Wohlwollen und Wohlgefallen. Da die Menschen Gegenstände der 233
ihn Kae] sich Hg?] | Nämlich: Der König beklagt sein Unglück, daß er an dem Verräter eine gesetzliche Strafe ausüben muß. Gleichwohl kann der König dem bestraften Verräter herzlich wünschen, daß dieser die Glückseligkeit erlange.
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[XXVII: 418,30] Vgl. die oben zu p. 357 zitierte Bibel-Stelle.
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Liebe des Wohlgefallens sind, indem wir an ihnen die Menschheit lieben sollen; so müssen auch die Richter in Bestrafung der Verbrechen nicht die Menschheit entehren, zwar den Bösewicht bestrafen aber nicht seine Menschheit verletzen durch 234niedrige Strafen; denn wenn ein Anderer Iemandes Menschheit entehrt, so setzt der Mensch selbsten in seine Menschheit keinen Werth. Es sey denn, wenn er selbsten seine Menschheit so erniedriget hat, daß er nicht mehr werth ist ein Mensch zu seyn, dann muß man ihn als den allgemeinen Gegenstand der Verachtung behandeln. Es ist also das Geboth der Liebe gegen andere sowohl auf die Liebe aus Verbindlichkeit [360] als auch aus Neigung eingeschrenkt; denn wenn ich andere aus Verbindlichkeit liebe, so erwerbe ich mich dadurch Geschmak an der Liebe, und durch die Uebung wird die Liebe der Verbindlichkeit zur Neigung. Die Liebe aus Pflicht und überhaupt jede Pflicht künstelt, da denkt der Mensch nach, ob er auch dazu verbunden wäre, 235allein die Neigung geht ihren geraden Weg, allein sie muß ihren Weg auch nicht so gerade gehen, denn sie hat keine Regel. Die Leutseligkeit ist nichts anders als eine Manier in äußerm Betrage gegen andere, es ist ein Abscheu für jede Beleidigung die dem andern zugefügt werden kann, sie entspringt aus der Menschenliebe und moderirt den Zorn und die Rachbegierde gegen andere. Im Grunde ist sie was passives, der Leutselige thut nichts um das Wohl des andern zu verhindern, aber er ist auch nicht 234
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niedrige Kae] | Gemeint: erniedrigende; nicht das Maß der Strafe sondern ihre Art ist ‚niedrig‘. In diesem Sinn auch XXVII: 1305 zu XXVII: 418,36. allein die … gehen Kae] | Sprachlich unklar, wenn nicht widersprüchlich. Vielleicht ist das Folgende gemeint: „Eine Neigung ist auf direkte Befriedigung aus; wenn diesem geraden Weg Hindernisse entgegen stehen, dann sind auch Umwege kein Hinderungsgrund; sie muß nicht gerade gehen. Die Wege zur Befriedigung einer Neigung sind keiner Regel unterworfen.“ Mnz 250,12 ff. löst die Sache nicht: „Allein die Neigung geht ihren geraden Weg; allein sie muß mit ihrem Weg so gerade gehen, denn sie hat keine Regel.“ Auch XXVII: 419,09f. ist verfehlt: „[…], allein sie muß auch ihren Weg so grade gehn,“.
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grosmüthig es zu befördern. Freylich sollte beydes verbunden seyn, allein die Grosmuth die mit Wakkerheit und Stärke der Seele verbunden ist, läßt sich mit der Leutseligkeit die nur in der Sanftmuth und Gelindigkeit besteht nicht verbinden. Menschlichkeit ist das Theilnehmen an dem Schiksal anderer Menschen. Die Unmenschlichkeit ist das, wenn man keinen Antheil an dem Schiksal anderer nimmt. Warum heissen einige Wissenschafften Humaniora? Weil sie den Menschen verfeinern. Es bleibt dahero bey jedem Studierenden, wenn er auch sonst in der Gelehrsamkeit nicht viel erworben hat, dennoch solche [361] Verfeinerung und Gelindigkeit, denn die Wissenschafften, indem sie das Gemüth occupiren, geben ihm solche Gelindigkeit, die jedem hernach eigen bleibt. Der Kaufmann wird demnach jeden nach seinem Vermögen schätzen, wie viel er werth ist, der Studierende wird aber schon nach einem andern Werth schätzen. Leutseligkeit mit Offenhertzigkeit ist die Freymüthigkeit, welche sehr beliebt ist. Iede Freundlichkeit, Höflichkeit, Geschliffenheit, Artigkeit ist schon immer die Tugend selbst aber nur im Kleinen ausgeübt. Wo sich aber die Tugend mit Stärke anstrengt, das sind nur seltene Vorfälle. So gehört zur Tugend mit ihrer Stärke Freundschafftsdienst mit Aufopferung seiner eigenen Glükseligkeit, welches aber sehr selten ist. Es ist dahero nicht gut, wenn man einen Freund hat den man mit Ansprechen in der Noth zu helfen belästigt, man fällt seinem Freunde dadurch beschwerlich, dann denkt er sogleich, man wird ihm öfterer so kommen, es ist besser, wenn man lieber selbst die Ungemechlichkeit erduldet als den andern damit belästigt. Diejenige die über Mangel der Freunde klagen, sind eigennützige Leute, sie mögen immer gern was von ihren Freunden profitiren. Ich verlange solchen Freund nicht, von dem ich was ziehen kann, sondern nur dessen Umgang ich genüssen kann, und dem ich mich decouvriren kann; aber Höflichkeit verlange ich von jedem. [362] Ieder Umgang ist schon eine Cultur der Tugend und eine Vorbereitung zur grössern Ausübung der Tugend. Die Höflich-
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keit bedeutet diejenige Gefälligkeit, nach welcher wir bis auf die geringste Kleinigkeit fein genung sind uns dem Andern gefällig zu bezeigen. Die Geschliffenheit ist die Abfeilung der Grobheit, die Menschen schleifen und reiben sich an einander so lange ab, bis sie sich passen. Diese Geschiklichkeit zeigt Feinheit in der Urtheilskrafft solches einzusehen, was dem andern gefällig oder mißfällig ist. Kaltblütigkeit des Gemüths gegen andere ist was keine Affection der Liebe keine Gemüthsbewegung beweist; der keine wohlwollende GemüthsBewegungen beweist, der ist kalt. Die Kaltblütigkeit ist eben so nicht zu tadeln. Die Dichter mögen gern vom warmen Gefühl und Affection durchdrungen seyn, und schelten auf die Kaltblütigkeit, allein wenn die Kaltblütigkeit mit Grundsätzen und guten Gesinnungen begleitet ist, so sind solche Menschen die das haben allemal Leute auf die man sich verlassen kann. Ein kaltblütiger Vormund, der es gut mit mir meynt, ein Advocat, ein Patriot, sind Leute, die beständig sind, und die gewiß alles anwenden werden zu meinem Besten. Aber Kaltblütigkeit im Bösen ist auch wieder desto schlimmer, aber im Guten, obgleich es nicht so gut klingt, ist doch besser als ein warmes Gefühl von Affection, denn es ist beständiger. Kaltsinnigkeit ist der Mangel der Liebe, Kaltblütigkeit ist aber [363] der Mangel des Affects der Liebe; Kaltblütigkeit giebt der Liebe Regelmässigkeit und Ordnung; Kaltsinnigkeit ist aber der Mangel des Gefühls von dem Zustande anderer afficirt zu werden. Wir sollen andere lieben weil es gut ist andere zu lieben, und weil wir dadurch daß wir andere lieben gutartig werden. Wie kann man aber lieben, wenn der andere nicht liebenswürdig ist? Hier ist diese Liebe nicht eine Neigung an dem andern ein Wohlgefallen zu haben, sondern 236eine Neigung, damit der andere des Wohlgefallens würdig wäre, wir sollen geneigt seyn zu wünschen den andern der Liebe würdig zu finden, und ein solcher, der an dem Menschen sucht ob nicht etwas an ihm ist, was der Liebe würdig wäre, der wird auch gewiß was an 236
eine Neigung, Kae] ein Wunsch, Hg?]
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ihm finden, was seiner Liebe würdig ist; so wie auch ein liebloser Mensch, der an andern das aufsucht, was ihn der Liebe unwürdig macht auch würklich solches an ihm findet. Man soll des Andern Glük wünschen, aber man soll auch wünschen ihn liebenswürdig zu finden. Eine Regel ist hiebey zu bemerken: Wir müssen suchen, daß unsre Neigungen den andern zu lieben und ihm sein Glük zu wünschen nicht müssige Sehnsuchten sind, welches Begierden ohne Erfolg sind, sondern daß sie practische Begierden sind. Eine practische Begierde ist, die nicht so sehr nach dem Gegenstand gerichtet ist, als auf die Handlungen, wodurch dieser Gegenstand vollführt wird. Wir sollen nicht allein Wohlgefallen [364] an der Wohlfarth und Glük anderer haben, sondern dieses Wohlgefallen muß sich auf thätige Handlungen beziehen, die zu dieser Wohlfarth was beygetragen haben. Eben so soll ich nicht wünschen, wenn der andere im Elend ist damit er davon befreyt wäre, sondern ich soll 237solche zu befördern suchen. Alles Unglük und alle Uebel der Menschen sind nicht in so fern Gegenstände unseres Mißfallens, daß sie Uebel sind, sondern in so fern, daß dieses Uebel von Menschen hervorgebracht ist. Wenn ein Mensch an seiner Gesundheit oder Vermögen Schaden gelitten, so hat dieses weiter nichts zu sagen, wenn es durch ein allgemeines Schiksal geschehen ist, indem solches offt im Leben vorkommen kann, aber wenn dieses Uebel von einem andern Menschen zugefügt ist, so ist das ein Gegenstand unsres grösten Mißfallens. Wenn ich nun einen solchen Menschen im Elende sitzen sehe, und ich sehe, daß ich solches auf keine andre Art ändern kann, daß ich ihm auf keine Weise zu Hülfe kommen kann, so kann ich mich kalt umkehren und sagen wie der Stoicker, 191was geht es mich 237
solche Hg.] solches Kae] | Nämlich ‚die Wohlfahrt‘ und nicht ‚das Elend‘ bzw. ‚die Befreiung vom Elend‘.
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[XXVII: 421,25] Epiktet Handbuch der Moral, Nr. 16: „Siehst du jemand in Trauer und Tränen, weil ihm sein Sohn verreist oder gestorben ist, oder weil er um Hab und Gut gekommen ist, so nimm dich in acht, daß dich die Vor-
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an, meine Wünsche können ihm nichts helfen, aber so ferne ich nur eine Hand ausstrekken kann ihm zu helfen, so kann ich nur in so fern sein Glük befördern und Antheil daran nehmen, aber dann nehm ich gar kein Antheil an seinem Unglük, 238wenn ich sehnliche Wünsche hege, damit er davon möchte befreyt werden. Das Hertz ist also nur in so fern ein gutes Hertz als es etwas zum Glük des andern beytragen kann und nicht [365] wenn es nur des anderen sein Glük wünscht. Menschen rühmen sich ein gutes Hertz zu haben, wenn sie nur wünschen, daß jeder glüklich seyn möchte, der aber hat nur allein ein gutes Hertz, der was dazu beyträgt. Alle moralische Unterweisung wird also darauf beruhen, daß unser Wohlgefallen an dem Glük anderer nur in so fern bestehen soll, als wir ein Vergnügen finden, des andern sein Glük zu befördern. Demnach ist das Glük des andern nicht an und vor sich selbst ein Gegenstand unseres Wohlgefallens, sondern in so fern wir Beyhülfe daran geleistet haben. Hier aber glauben schon Menschen, die Theilnehmung an des andern seinem Schiksal und das gute Hertz bestehe schon in dem Gefühl und in den Wünschen. Derjenige Mensch aber, der aufs Elend anderer gar nicht sieht, wo er nichts helfen kann, der bey allem Unglük was nicht zu ändern ist, gleichgültig ist, der sich aber darum bekümmert, wo er etwas ausrichten und helfen kann; ein solcher Mensch ist practisch, und sein Hertz ist ein gutes Hertz weil es thätig ist, ob er gleich damit
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wenn ich Hg.] wenn ich, wenn ich Kae]
stellung nicht hinreiße, als wenn diese äußeren Dinge wahre Übel wären; […] Jedoch mache dir kein Bedenken, dich in Trostworten ihm anzubequemen und auch wohl gar mit ihm zu seufzen. Nimm dich jedoch in acht, auch innerlich mitzuseufzen.“ – Zitiert auch in den Nachschriften der Anthropologie: Parow p. 251; Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 467 bzw. den Druckschriften IV: 423,19 / VI: 457,11. – Blickt man auf das formelhafte ‚was geht’s mich an‘, so kann auch der Spectator des 5. Juni 1712 als literarische Quelle hinreichen; vgl. Bd. XXV: 407 f. (Par-Nr. 220).
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nicht solche Parade macht als Andere, die durch 239Wünschen Antheil nehmen und darin schon die Freundschafft setzen.
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§ 312
Dieses ist das Stekkenpferd aller dichterischen Moralisten und hierin suchen sie Nectar und Ambrosia. Die Menschen werden von zwo Triebfedern bewegt, die eine ist aus ihnen selbst hergenommen und dies ist die Triebfeder der Selbstliebe; die andere ist die moralische Triebfeder, [366] die von andern hergenommen ist, und das ist die Triebfeder der allgemeinen Menschenliebe. Diese zwo Triebfedern sind bey dem Menschen in dem Streit. Die Menschen würden andere lieben und ihr Glük besorgen, wenn sie nicht die Absichten ihrer Selbstliebe auszuführen hätten. Von der andern Seite sehen sie auch, daß die Handlungen der Selbstliebe kein moralisches Verdienst haben, sondern nur durch die moralischen Gesetze an sich erlaubt sind; dagegen ist es ein grosses Verdienst wenn der Mensch durch allgemeine Menschenliebe bewogen wird das Glük anderer zu befördern. Nun hällt aber der Mensch aber besonders darauf, was einen Werth seiner Person giebt. Aus dieser Idee fließt die Freundschafft. Wie fang ichs aber nun an? Soll ich zuerst aus der Selbstliebe mein Glük besorgen, und hernach wenn das besorgt ist, das Glük anderer zu befördern suchen? Allein alsdenn wird das Glük anderer hintenangesetzt, und die Neigung zu meinem Glük wächst immer stärker, so daß ich niemals zum Ende komme in Besorgung meines Glüks, und auf solche Art das fremde gar unterbleibt. Fange ich aber zuerst des andern sein Glük zu besorgen an, so bleibt mein Glük zurük. Wenn aber die Menschen so gesinnt sind, daß jeder für das Glük des Andern sorgt, so wird eines jeden Wohlfahrt durch den andern besorgt; wenn ich wüste, daß die Andern für mein Glük so sorgten, wie ich für anderer ihrs sorgen möchte, so 239
Wünschen Hg.] Wünchen Kae]
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möchte [367] ich in Besorgung meines Glüks nicht zu kurtz kommen, denn das würde mir dadurch ersetzt, daß ich das Glük des Andern besorgte, also würden wir unsere Wohlfahrt vertauschen und keiner möchte Schaden leiden, denn so gut er das Glük des Andern besorgt, so besorgt der Andere sein Glük eben so gut. Es scheint als wenn der Mensch 240verliert, wenn er für das Glük des Andern sorgt, allein wenn andere wieder für ihn sorgen, so verliert er nichts. Alsdenn würde jedes sein Glük durch die Grosmuth des Andern befördert. Dieses ist die Idee der Freundschafft, wo die Selbstliebe verschlungen ist in der grosmüthigen Wechselliebe. Wenn wir nun wieder die andere Seite nehmen, wo jeder sein eigen Glük besorgt, und gleichgültig ist gegen das Glük Anderer; so ist zwar freylich jeder befugt sein Glük zu besorgen, dieses ist zwar nur eine Erlaubniß der moralischen Regel, aber kein Verdienst, wenn jeder nur das Glük des Andern nicht gehindert hat, indem er sein eigenes besorgte so hat er zwar kein moralisches Verdienst, aber auch kein moralisches Verbrechen. Wann wir nun wählen sollten, was würden wir wählen? Freundschafft oder Selbstliebe? Aus moralischem Grunde würden wir die Freundschafft wählen, aber aus pragmatischem Grunde würden wir die Selbstliebe wählen, denn keiner könnte doch so gut mein Glük besorgen als ich. Wenn ich aber eins von beyden nehme, so ist doch immer [368] was fehlerhafftes. Wähle ich blosse Freundschafft, so leidet dadurch mein Glük, wähle ich blos Selbstliebe, so ist darin kein moralisches Verdienst und Werth. Die Freundschafft ist eine Idee weil sie nicht aus der Erfahrung abgezogen ist, indem sie da sehr mangelhafft ist, sondern in dem Verstande ihren Sitz hat, in der Moral aber sehr nöthig ist. Bey dieser Gelegenheit können wir merken, 192was eine Idee und ein Ideal ist. Wir ha240
verliert, wenn Hg.] verliert, wenn er für das Glük verliert, wenn Kae]
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[XXVII: 423,25] Es scheint hilfreich, den abstrakt vagen Ausführungen der Ethik-Vorlesung einige präzisierende Passagen aus anderen Vorlesungen und Werken beizugeben. – 1) Die reife Differenz von Idee und Ideal wird sehr
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ben ein Maas nöthig wornach wir die Grade schätzen können, dieses Maas ist entweder willkürlich, wenn nemlich die Grösse nach Begriffen a priori nicht bestimmt ist oder ein natürliches Maaß, wenn die Grösse nach Begriffen a priori bestimmt ist. In Ansehung der Grössen, so ferne sie a priori bestimmt werden, welches ist das bestimmte Maas, wornach wir sie schätzen können? Ihr Maas ist immer das Grösseste; so ferne dieses Grösseste ein Maas in Ansehung anderer Grössen ist, die minder sind, so ist dieses Maas eine Idee; so fern es aber ein Muster anderer ist, so ist es ein Ideal. Wenn wir nun die liebreiche Neigungen der Menschen gegen einander nehmen so sind da viele Grade schön ausgedrückt in der Pölitz-Edition einer Nachschrift des Kollegs über ‚Natürliche Religion‘ aus der ersten Hälfte der 1780er Jahre (XXVIII: 994,08f.): „Worin ist die Idee der Vernunft von dem Ideale der Einbildungskraft verschieden? Idee ist eine allgemeine Regel in abstracto, Ideal ein einzelner Fall, den ich unter diese Regel bringe.“ – 2) In der Critik der reinen Vernunft von 1781 hat die einschlägige Definition den folgenden Wortlaut (III: 383,21–24 bzw. A 568 / B 596): „Aber noch weiter als die Idee scheint dasjenige von der objectiven Realität entfernt zu sein, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares oder gar bestimmtes Ding, verstehe.“ – 3) In der Critik der Urtheilskraft von 1790 (V: 232,16–17): „Idee bedeutet eigentlich einen Vernunftbegriff und Ideal die Vorstellung eines einzelnen als einer Idee adäquaten Wesens.“ – 4) In den frühen Nachschriften des Anthropologie-Kollegs (Winter 1772/73) finden sich die folgenden, im sachlichen Kern damit einstimmigen Formulierungen (Collins p. 80 f. / XXV: 098,23ff.): „Eine Vorstellung die intellectualiter erdichtet ist, heißt Idee und man macht sie sich, indem man sich das maximum von einem Begriffe denckt, welches auf verschiedene Art geschehen kann. So war der Stoische Weise verschieden von dem Epikurischen glücklichen Menschen. Beyde waren die Idee des vollkommenen Menschen. Ideal ist eine Idee in concreto – Plato de republica.“ / (Parow p. 121 / XXV: 325,09ff.): „Platons Buch de Republica enthält gleichsam ein Ideal. Eine Idee die richtig ist, ist nöthig zur Beurtheilung, obwohl sie niemals erreicht wird. Ein Ideal bedeutet die Idee in Concreto oder das Maximum in concreto betrachtet. So soll Grandison das Ideal einer completten MannsPerson seyn, allein weit gefehlet. Das Ideal muß sehr richtig gezeichnet seyn. Sokrates kann ein Ideal seyn, wenn er so gelebt hat, wie er geschildert wird, […].“ – Im übrigen vgl. p. 13, 16, 200, 438 der Moral-Vorlesung.
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und Proportionen in Ansehung derer, die ihre 241Triebe unter sich und unter andere vertheilen. Das Maximum der Wechselliebe ist die Freundschafft und dieses ist eine Idee, denn es dient zum Maas die Wechselliebe zu bestimmen. Die gröste Liebe gegen den andern ist die, wenn ich ihn so lieb habe als mich selbsten, ich kann einen andern nicht mehr lieben als mich; wenn ich ihn aber so lieben [369] will als mich, so kann ich solches nicht anders thun, als wenn ich versichert bin, daß der andere mich wieder eben so lieben wird als sich, alsdenn wird mir das ersetzt, was ich mir selbst entgehen lasse, ich recuperire mich selbst dadurch. Diese Idee der Freundschafft dient dazu, daß wir dadurch die Freundschafft bestimmen können und sehen wie viel noch daran fehlt. Wenn daher 193242Aristoteles sagte: Meine lieben Freunde es giebt keine Freunde, so heißt das soviel, keine Freundschafft congruirt völlig mit der Idee der Freundschafft, darin hat er also recht, denn es ist auch nicht möglich. Die Idee ist aber doch was wahres. Wenn ich nun blos Freundschafft wähle und des Andern Glük allein besorge in der Versicherung der andere besorgt auch mein Glük eben so, so ist dieses zwar eine Wechselliebe, wodurch ich wieder ersetzt werde, hier würde jeder das Glük des andern aus Grosmuth besorgen, ich werfe mein Glük nicht weg, sondern ich habe es nur in andern Händen, indem ich des Andern seins in meinen 241 242
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Triebe Kae] Liebe Hg?] Aristoteles Hg.] Socrates Kae] | Vermutlich handelt es sich um ein Versehen auf Seiten der nachschreibenden Studenten. [XXVII: 424,08] Aristoteles Ethica Eudemia, 1245b 20: „Und was unser Suchen und unseren Wunsch betrifft viele Freunde zu haben, während wir im gleichen Atemzug das Wort aussprechen: ‚Keinen Freund hat, wer viele Freunde hat‘ – es ist beides richtig.“ Für weitere Nachweise vgl. Bd. XXV: Collins Kom-Nr. 093. – Auffällig ist, daß in der Moral-Vorlesung eine ähnliche Verwechslung vorliegt wie in manchen Manuskripten der Anthropologie-Vorlesung bis 1775/76: Der Satz wird Sokrates (Friedländer Ms germ. quart. 400, p. 118 / Prieger p. 33) bzw. Platon (Collins p. 87) zugeschrieben und nicht Aristoteles (Parow p. 130 / Menschenkunde S. 91).
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habe, allein diese Idee ist nur gut in der Reflection, aber unter den Menschen findet solches nicht statt. Wenn aber jeder nur allein für sich sorgte, ohne für den andern bekümmert zu seyn so würde gar keine Freundschafft statt finden. Also muß beydes unter einander gemischt seyn. Der Mensch sorgt für sich und auch für das Glük anderer. Weil hier aber die Grentzen nicht bestimmt sind und der Grad nicht bezeichnet werden [370] kann, wie weit ich für mich und wie weit ich für andre sorgen soll, so läßt sich das Maaß in der Freundschafftlichen Gesinnung durch kein Gesetz und Regel bestimmen. Ich bin verbunden für meine Bedürfnisse und für die Zufriedenheit des Lebens zu sorgen, wenn ich nun des andern sein Glük nicht anders als durch die Aufhebung meiner Bedürfnisse und der Zufriedenheit des Lebens besorgen kann, so kann mich keiner verpflichten, alsdenn das Glük des Andern zu besorgen und die Freundschafft gegen ihn auszuüben. Indem aber jedes seine Bedürfnisse steigen können, und jeder sich zur Bedürfniß so viel machen kann als er will, so läßt sich der Grad hier nicht bestimmen unter welcher Aufhebung von Bedürfnissen nur allein die Freundschafft nicht statt finden kann; denn es ist vieles von unsern Bedürfnissen, die wir uns zur Bedürfniß gemacht haben so beschaffen, daß wir viele derselben gegen unsern Freund aufopfern können. 194Die Freundschafft wird eingetheilt in die Freundschafft der Bedürfniß, in die Freundschafft des Geschmaks, und in die Freundschafft der Gesinnung. Die Freundschafft der Bedürfniß ist, nach welcher die Personen in Ansehung ihrer Bedürfnisse des Lebens sich einander eine wechselseitige Vorsorge vertrauen können. Dieses ist der erste Anfang der Freundschafft unter den Menschen gewesen.
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[XXVII: 424,37] Eine sehr ähnliche Typologie der Freundschaft schon bei Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII,3: „Es gibt also drei Arten der Freundschaft, entsprechend den Arten des Liebenswerten“ (Übersetzung Gigon). Sie beruhen auf dem Nutzen, der Lust oder der Tugend. – Daß Kant mit dieser triadischen Struktur bekannt gewesen ist, bemerkt in anderem Zusammenhang Brandt 2003, S. 103 Anm. 9.
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Sie findet aber nur in dem rohesten Zustande am meisten statt. [371] Wenn dahero Wilde auf die Iagd gehen und sie stehen in Freundschafft, so steht einer für die Bedürfniß des andern, einer sucht die Bedürfniß des Andern zu befördern. Ie weniger die Menschen Bedürfnisse haben, desto mehr haben sie solche Freundschafft, je mehr aber die Bedürfnisse zunehmen, desto weniger findet solche Freundschafft statt; denn wenn der Mensch in dem Zustande des Luxus ist, wo er viele Bedürfnisse hat, dann hat er auch viele eigene Angelegenheiten, und alsdenn kann er sich desto weniger mit den Angelegenheiten anderer beschäfftigen, weil er mit sich zu thun hat. In dem Zustand des Luxus findet also solche Freundschafft nicht statt. Ia man will in diesem Zustand nicht einmal solche Freundschafft haben; denn wenn der eine weiß, daß die Absicht des andern der Freundschafft diese ist, daß er einige Besorgung seiner Bedürfnisse durch diese Freundschafft erreichen will, so wird die Freundschafft interessant, und dann wird sie auch aufgehoben. Ist diese Freundschafft activ, das heißt, wenn der eine würklich die Bedürfnisse des andern besorgt, so ist sie grosmüthig, aber der passive Theil, der darauf ausgeht, solches vom andern zu erreichen, ist sehr ungrosmüthig. Demnach wird keiner seinem Freunde durch seine Angelegenheiten Ungemächlichkeiten verursachen, sondern jeder wird lieber seine Uebel selbst ertragen, als daß er seinen Freund damit belästigen soll. So ferne also die Freundschafft unter zwo [372] Personen von beyden Seiten edel ist, so abhorrirt jeder 243davor, keiner wird dem andern durch seine Angelegenheiten Ungemächlichkeiten verursachen. Gleichwohl aber müssen wir doch in jeder Freundschafft diese Freundschafft der Bedürfniß voraussetzen, aber nicht um sie zu genüssen sondern zu vertrauen, das heißt, ich muß von jedem meinem wahren Freunde das Vertrauen haben, daß er mir meine Angelegenheiten zu besorgen im Stande wäre und meine Bedürfniß befördern könnte, nur ich muß solches von ihm nicht fordern um es zu genüssen. Das ist ein wahrer Freund von 243
davor, Hg.] daran, Kae] davon, Hg?]
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dem ich weiß und voraussetzen kann, daß er mir würklich in der Noth helfen werde, weil ich aber auch ein wahrer Freund von ihm bin, so muß ich ihm solches nicht 244anmuthend seyn und ihn in solche Umstände und Verlegenheit versetzen, ich muß solches nicht von ihm fordern, sondern nur vertrauen, und lieber selbst erdulden als den andern damit belästigen; der andere muß solches Vertrauen auch wieder auf mich setzen aber solches 245nicht fordern. Also das Vertrauen auf die Wohlwollende Gesinnung des andern und auf die beystehende Freundschafft bey unsern Bedürfnissen wird vorausgesetzt; obgleich ein andrer Grundsatz ist, laut dem wir solches nicht mißbrauchen können. Weil mein Freund so grosmüthig ist, daß er solche Gesinnung gegen mich hat, mir wohlzuwollen und in aller Noth beyzustehen, so muß ich auch so grosmüthig seyn und solches nicht von ihm fordern. [373] Die Freundschafft die sich so weit erstreckt daß man dem andern mit seinem Schaden hilft ist sehr selten, und ist sehr delicat und fein, die Ursache ist diese: weil man solches dem andern nicht anmuthen kann; das süsseste und delicate der Freundschafft sind die wohlwollende Gesinnungen, diese muß aber der andere nicht zu verringern suchen, weil das delicate der Freundschafft nicht darin besteht, daß ich sehe, in des Fremdem seinem Geldkasten liegt auch ein Schilling für mich. Die andre Ursache aber ist: weil das Verhaltniß geändert wird. Das Verhältniß der Freundschafft ist das Verhältniß der Gleichheit, wenn nun aber ein Freund dem andern mit seinem Schaden hilft, so ist er sein Wohlthäter geworden und ich bin in seiner Schuld, ist dieses aber, so bin ich dadurch blöd gemacht und kann ihm nicht so dreist mehr unter die Augen sehen, also ist da schon das wahre Verhältniß aufgehoben und dann ist es keine Freundschafft mehr. Die Freundschafft des Geschmaks ist ein Analogon der Freundschafft und besteht im Wohlgefallen am Umgange und wechselseitiger Geselschafft und nicht an der Glükseligkeit des 244 245
anmuthend Hg.] anmuthen Kae] nicht fordern. Hg.] fordern. Kae]
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einen und des andern. Zwischen Personen von einerley Stande oder Gewerbe findet die Freundschafft des Geschmaks nicht so statt als zwischen Personen von verschiedenem Metier, so wird ein Gelehrter mit einem Andern Gelehrten in 246keiner Freundschafft des Geschmaks stehen, denn der eine kann [374] dasselbe, was der andere kann, sie können sich nicht satisfaciren und unterhalten, was der eine weiß, das weiß der andre auch; aber ein Gelehrter mit dem Kaufmann oder Soldaten kann wohl in der Freundschafft des Geschmaks stehen, wenn der Gelehrte nur kein Pedant und der Kaufmann kein dummer Kerl ist. Dann kann der eine den andern unterhalten, jeder von seiner Sache. Denn die Menschen sind nur durch das verbunden, was der eine zu der Bedürfniß des Andern beytragen kann, nicht durch das was der andere schon hat, sondern wenn der eine das besitzt was dem andern den Mangel ersetzt, also nicht durch die Einerleyheit sondern durch die Verschiedenheit. Die Freundschafft der Gesinnung und des 195Sentiments besteht nicht darin, daß einer vom Andern was verlangt, eine Dienstleistung p sondern die nur blos auf die aufrichtige reine Gesinnung gerichtet ist, dieses ist die Freundschafft die allgemein ist; die Freundschafft des Sentiments kann im deutschen nicht so recht ausgedrukt werden, es sind Gesinnungen der
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keiner Hg.] keiner keiner Kae]
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[XXVII: 426,38] ‚Sentiment‘ wird im Rahmen der Moral-Vorlesung nur p. 374 und 376 gebraucht. In den Druckschriften erscheint das Wort bei Kant nur einmal und zwar im Vorlesungsprogramm des Winters 1765/66: „daß die Unterscheidung des Guten und Bösen in den Handlungen und das Urtheil über die sittliche Rechtmäßigkeit gerade zu und ohne den Umschweif der Beweise von dem menschlichen Herzen durch dasjenige, was man Sentiment nennt, leicht und richtig erkannt werden kann;“ (II: 311,13–17) – Häufiger hingegen von Beginn an im Anthropologie-Kolleg, z. B. Collins p. 170; Parow p. 235–245; Friedländer Ms germ. quart. 400, p. 308, 770; Pillau p. 73, 81; Menschenkunde S. 279, 291, 347; Mrongovius p. 72’, 77, 85’, 115. – Bei Parow (p. 235) auch der Hinweis darauf, daß das englische Wort im Deutschen kein rechtes Gegenstück hat.
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Empfindung und nicht der würklichen Dienstleistung. Die Freundschafft des Sentiments gründet sich darauf: Es ist besonders daß wir wenn wir auch im Umgange und in der Gesellschafft stehn, doch nicht gäntzlich in der Gesellschafft stehn; in jeder Gesellschafft ist man zurükhaltend mit dem grösten Theil seiner Gesinnung, man schüttet nicht sogleich alle seine Empfindung seine Gesinnung und seine Urtheile aus. Ieder urtheilt so wie es nach Umständen rathsam sey, es ruhet [375] auf jedem ein Zwang, jeder hegt ein Mißtrauen gegen andre worauf denn eine Zurükhaltung folgt, laut der wir entweder unsre Schwäche verhehlen um nicht gering geschätzt zu werden oder auch unsere Urtheile zurük halten. Wenn wir uns aber von diesem Zwange entledigen können, wenn wir das was wir empfinden dem andern zukommen lassen, dann sind wir gäntzlich in Gesellschafft. Damit also ein jeder von diesem Zwange los werden könnte, so verlangt jeder einen Freund, dem er sich eröfnen kann, gegen den er gantz seine Gesinnung und seine Urtheile ausschütten kann, dem er nichts verhehlen kann und darf, dem er sich völlig communiciren kann. Hierauf beruht also die Freundschafft der Gesinnungen und der Geselligkeit. Hiezu haben wir einen grossen Trieb, um sich zu eröfnen und um gantz in Gesellschafft zu seyn. Dieses kann aber nur in einer Gesellschafft eines oder zweener Freunde seyn. Ferner so haben die Menschen auch nöthig sich zu eröfnen, denn dadurch können sie nur ihre Urtheile rectificiren, wenn ich einen solchen Freund habe, von dem ich weiß, er hat aufrichtige Gesinnung, er ist liebreich, er ist nicht höhnisch, nicht falsch, der wird mich schon in meinem Urtheile zurechte helfen, wenn ich geirret habe. Dieses ist der gantze Zwek des Menschen, was ihn seines Daseyns genüssen läßt. Es frägt sich, ob in solcher Freundschafft Zurükhaltung nöthig ist? Ia, aber nicht sowohl um seiner selbst als um des andern willen denn die Menschen haben Schwachheiten [376] und die muß man auch gegen seinen Freund verhehlen. Die Vertraulichkeit betrifft nur die Gesinnung und die Sentiments, aber nicht den Anstand, den muß man doch beobachten und seine Schwäche hierin zurük halten,
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damit nicht die Menschheit dadurch verletzt würde. Man muß seinem besten Freunde sich nicht so entdekken als man natürlich ist und sich kennt, denn sonst würde das ekelhafft seyn. In welchem Grad verbessern es die Menschen, wenn sie Freundschafft machen? Die Menschen machen sich nicht allgemein in ihrem Wohlwollen, sondern mögen sich gern darin restringiren auf einen kleinen Zirkel. Die Menschen haben Lust eine Secte, eine Parthey, eine Gesellschafft zu flechten. Die erste Gesellschafften sind die aus der Familie entspringen, dahero einige nur allein in der Familie verkehren, andere Gesellschafften werden durch Sekten, Logen, ReligionsPartheyen gestiftet, wodurch sie sich unter einander verbinden; dieses ist etwas rühmliches, es hat den Anschein als wenn sich die Menschen bemühen in Verbindungen ihre Empfindungen, ihre Urtheile p zu cultiviren. Allein es bringt diese Würkung vor, daß das Menschliche Hertz sich gegen die, die ausser dieser Gesellschafft sind, verschließt zE in der ReligionsParthey. Was aber das Allgemeine des Wohlwollens verringert und das Hertz gegen andere, nur gegen 247einige nicht, verschließt, das schwächt die wahre Bonitaet der Seele, welche aufs allgemeine Wohlwollen [377] hinausläuft. Die Freundschafft ist also eine Nothhülfe sich von dem Zwange, dem man aus Mistrauen sich ergiebt, gegen Personen, mit denen man in Verbindung steht, zu entledigen und denenselben sich ohne Zurükhaltung zu eröfnen. Allein wenn wir in solcher Freundschafft stehen, so müssen wir uns hüten unser Hertz gegen andere zu verschlüssen, die nicht in unserer Gesellschafft stehen. Freundschafft findet nicht im Himmel statt, denn Himmel ist die gröste moralische Vollkommenheit, und diese ist allgemein; Freundschafft ist aber eine besondere Vereinigung gewisser Personen, also ist dieses in der Welt nur eine Zuflucht seine Gesinnungen dem andern zu eröfnen und sich ihm zu communiciren, indem man hier im Mißtrauen gegen einander steht. Wenn Menschen über den Mangel der Freundschafft klagen, so kommt dieses daher, weil sie kein 247
einige Hg.] andere Kae]
§ 305
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Freundschafftliches Hertz und Gesinnung haben, und dann sagen sie, die andere sind keine Freunde; solche haben immer was von ihren Freunden zu fordern, und sie zu belästigen, ein anderer, der das nicht nöthig hat, entzieht sich der Freundschafft solcher Personen. Allein die allgemeine Klage des Mangels der Freunde ist eben so, als die allgemeine Klage wegen des Mangels am Gelde. Ie mehr die Menschen gesittet werden, desto allgemeiner werden sie und desto weniger finden die besondern Freundschafften statt. Der Gesittete sucht eine allgemeine [378] Freundschafft und Annehmlichkeit ohne besondere Verbindung zu haben. Ie mehr Wildheit in den Sitten herrscht, desto mehr sind solche Verbindungen nothig, die man sich nach seinen Gesinnungen und nach seinem Geschmak aussucht. Solche Freundschafft setzt von beyden Theilen Schwachheiten voraus, daß von keiner Seite dem andern ein Vorwurf kann gemacht werden, wo aber einer dem andern was nachzusehen hat, wo sich keiner was vorzuwerfen hat, dann ist unter beyden Gleichheit, und keiner kann sich dem andern vorziehen. Worauf beruht es denn bey der Zusammenpassung und Verbindung der Freundschafft? Hiezu wird nicht die Identitaet des Denkens erfordert, im Gegentheil errichtet vielmehr die Verschiedenheit die Freundschafft, denn da ersetzt der eine das was dem andern fehlt. Aber in einem Stük müssen sie überein kommen. Sie müssen gleiche principia des Verstandes und gleiche principia der Moralitaet haben, dann können sie sich complett verstehen; sind sie darin nicht gleich, so können sie gar nicht mit einander einig werden, weil sie im Urtheil weit auseinander sind. Ieder suche, daß er würdig sey ein Freund zu seyn, dieses kann er durch rechtschaffene Gesinnung, Offenhertzigkeit, Vertraulichkeit, durch ein Verhalten, das von Bosheit und Falschheit frey ist, aber mit Lieblichkeit, Munterkeit, Fröhlichkeit des Gemüths verbunden ist; dieses macht uns zu Gegenständen, die einer Freundschafft würdig sind; hat man sich würdig gemacht ein Freund zu seyn so wird sich schon einer oder der andere finden, der an uns einen [379] Geschmak haben und uns zu seinen Freunden wählen wird bis diese Freundschafft durch eine nä-
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here Verbindung immer mehr und mehr zunimmt. Freundschafft kann auch ein Ende nehmen, denn die Menschen können sich nicht durchschauen, sie finden das nicht, was sie an andern vermutheten und suchten. Bey Freundschafften des Geschmaks verliert sich die Freundschafft, weil sich der Geschmak durch die Länge verliert und auf neue Gegenstände verfällt. Und dann verdrängt einer den andern. Die Freundschafft auß Gesinnung ist rar, weil die Menschen selten Grundsätze haben. Es hören demnach Freundschafften auf, weil es keine Freundschafft der Gesinnung war. In Ansehung der vorigen Freundschafft muß man folgendes beobachten: Man muß Achtung für den Namen der Freundschafft haben, und wenn auch unser Freund wodurch unser Feind geworden ist, so müssen wir doch die vorige Freundschafft veneriren und nicht zeigen, daß wir des Hasses fähig sind. Es ist nicht allein an sich schlecht von seinem 248Feinde nachtheilig zu sprechen, indem man dadurch beweist, daß man keine Achtung für der Freundschafft hat, daß man in seiner Wahl des Freundes schlecht gehandelt hat und daß man jetzt gegen ihn undankbar ist, sondern es ist auch wieder die Regel der Klugheit, denn diejenige gegen die er solches spricht, denken es kann ihnen auch so gehen, wenn sie seine Freunde werden und sich hernach erzürnen und machen also keine Freundschafft. [380] 196Gegen den Freund hat man sich so aufzuführen, daß es uns nicht schadet, wenn er unser Feind wäre, wir müssen ihm 248
Feinde Kae] Freunde Hg?] | Vgl. Krauß S. 19. Besser wäre: ehemaligen Freunde und jetzigen Feinde. Bzw.: Feinde – einem ehemaligen Freund –. Der Sinn ist: Auch von dem Feind, der ein ehemaliger Freund ist, soll nicht nachteilig gesprochen werden.
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[XXVII: 429,37] Bei Wander 1867–1880, Bd. 1, Sp. 1191 ist zu lesen: „Mit Freunden gehe um, als könnten sie deine Feinde werden. [Lat.: Ita amicum habeas, posse ut fieri inimicum putes.“ – Vgl. die ausführlicheren Nachweise in Bd. XXV zu Mro-Nr. 247. Schon in der Moral-Herder heißt es: „Der das Sprichwort erfand: geh mit deinem Freunde so um als einem Feind, hätte mit ihm unter dem Galgen sollen zusammenkommen.“ (XXVII: 059,23ff.)
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nichts in die Hände geben, zwar muß man nicht voraussetzen, daß er unser Feind werden kann, denn sonst wäre keine Vertraulichkeit. Wenn man sich aber seinem Freunde gantz überläßt und alle seine Geheimnisse ihm anvertraut, die mein Glük verringern möchten, wenn er unser Feind wär und sie ausplaudern möchte, so ist dieses sehr unvorsichtig ihm solches anzuvertrauen, denn er könnte solche theils aus Unvorsichtigkeit ausplaudern, theils könnte er uns dadurch schaden, wenn er unser Feind wäre. Wer einen hitzigen Menschen zum Freunde hat, der wenn er aufgebracht ist, uns wohl an den Galgen bringen möchte, sobald er aber wieder besänftigt ist, selbsten wieder abbittet solchem muß man nichts in die Hände geben. Es frägt sich, ob man von jedem Menschen ein Freund seyn kann? Die Allgemeine Freundschafft ist, ein Menschenfreund überhaupt zu seyn, ein allgemeines Wohlwollen gegen jedermann zu haben, aber jedermanns Freund zu seyn, das geht nicht an, denn wer ein Freund von allen ist, hat keinen besondern Freund, die Freundschafft ist aber eine besondere Verbindung. Allein man könnte doch von einigen sagen, daß sie Freunde von jedermann sind, wenn sie fähig sind mit jedermann Freundschafft zu machen. Solcher Weltbürger giebts nur wenige, sie sind von guter Gesinnung und geneigt alles auf die beste Seite auszulegen. [381] Diese Guthertzigkeit mit Verstand und Geschmak verbunden macht einen 249allgemeinen Freund aus, dieses ist schon ein grosser Grad der Vollkommenheit. Aber die Menschen sind doch sehr geneigt besondere Verbindungen zu machen, die Ursache ist, weil der Mensch vom besondern anfängt und zum allgemeinen fortgehet und denn ist es auch ein Trieb der Natur. Ohne Freund ist der Mensch gantz isolirt. Durch die Freundschafft wird die Tugend im kleinen cultivirt
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allgemeinen Freund Hg.] allgemeinen Kae] | D. h. Menschenfreund.
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Feindschafft ist mehr als ein Mangel der Freundschafft; wenn der Mensch keinen Freund hat, daraus folgt noch nicht, daß er ein Feind von jedem ist, er kann immer ein gutes Hertz haben, allein er hat nicht die Gabe zu gefallen und einzunehmen, er kann auch rechtschaffene Gesinnung haben, nur er weiß sich nicht beliebt zu machen alle Fehler zu Gute zu halten; ein solcher kann keine Freunde haben, daraus folgt aber noch nicht, daß er deswegen eine schlimme Gemüthsart haben soll. So wie die Freundschafft in dem gegenseitigen Wohlwollen und Wohlgefallen besteht, so besteht die Feindschafft in gegenseitiger Ungunst und Mißfallen. Wir können an jemand Mißfallen haben, aber keine Ungunst, wir haben an einem Mißfallen wenn wir das Gute an ihm nicht finden, was wir suchen, wir können mit ihm nicht umgehen, er kann unser Freund nicht seyn, übrigens haben wir aber noch keine Ungunst gegen ihn, [382] wir wünschen ihm alles Gute, ja wir würden ihm auch wohl noch was geben, wenn er nur wegbliebe. Ungunst haben wir gegen jemand, wenn wir ihm nichts Gutes Wünschen. Da nun die Feindschafft in Ungunst und Mißfallen besteht, wo man ein Vergnügen an dem Uebel anderer findet, so müssen wir gegen keinem eine Feindschafft hegen, denn das ist an dem Menschen selber etwas häßlich, wenn er andere hasset und ihnen übel will. Der Mensch ist in seinen eigenen Augen denn liebenswürdig, wenn er sich liebensvoll findet. Man kann auch ohne Feindschafft auf seinen Feind zu haben, doch einen Feind haben, man kann ihn meiden, man kann auch wünschen, daß er das empfinden möge, was dazu gehört die Billigkeit des andern zu überschreiten, man kann gegen ihn böse und aufgebracht seyn, ohne ein Feind von ihm zu seyn, denn man sucht ihn doch nicht deswegen unglüklich zu machen. Also wahre Feindschafft müssen wir gegen keinen hegen; wir können wohl einen hassen, wenn er sich gegen uns so verhalten hat, unsere Geheimnisse wodurch uns Schaden geschehen ausgeplaudert hat, dann ist er hassenswerth, aber deswegen noch nicht ein Feind, wir dürfen
sectio 3: Studium pacis §§ 315 ff.
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ihm deswegen noch nichts Böses thun; denn Feindschafft ist eine declarirte Gesinnung einem was Böses zu thun. Friedfertig ist ein Mensch, der von aller Art Feindschafft Abscheu hat. Friedliebend ist man auf zwofache Art: wenn [383] man an seiner Person gern Friede haben will, und wenn man bey Andern Friede stiftet, das letzte ist grosmüthiger. Diese friedliebende Gesinnung ist unterschieden von der Indolentz, nach der man allem Streit und Ungemächlichkeiten aus dem Wege geht, weils Incommoditaet verursachet, die aber nicht aus dem sanften Character herkommt, sondern aus gutem Gemüth und aus Guthertzigkeit, die friedliebende Gesinnung aus Grundsätzen ist aber, wenn man ohnerachtet des sanften des Temperaments dennoch aus Grundsätzen friedliebend ist. Die Misantropie ist der MenschenHaß, welcher zwiefach ist der Menschenscheu und der Menschenfeind. Der Menschenscheue fürchtet sich für Menschen, indem er sie alle als seine Feinde ansieht; der Menschenfeind ist aber, wenn er selbst ein Feind von andern ist. Der Menschenscheue der scheut die Menschen aus Temperament er sieht sich selbst nicht für gut vor andre, er hält sich zu gering für andere, und weil er denn noch etwas ehrliebig ist, so verbirgt er sich für ihnen und fliehet sie; der Menschenfeind, der scheut Leute aus Grundsätzen, er hält sich selbst zu gut für andre. Die Misantropie kommt theils aus Misfallen theils aus Ungunst. Die Misantropie aus Misfallen sieht alle Menschen für schlecht an, er findet nicht an ihnen, das, was er gesucht hat, er haßt sie nicht, er wünscht allen was Gutes, nur er hat Mißfallen an ihnen. Solche sind triebsinnige Menschen, die sich keine Vorstellung vom Menschlichen Geschlechte machen können. Der Misantrop aus Ungunst ist, der keinem was gutes sondern Böses gönnet. [384]
Von den Pflichten, die aus dem Recht der Menschen entspringen. Im Iure wird bestimmt was Recht sey. Das Ius zeigt die Nothwendigkeit der Handlungen aus Befugniß oder aus Zwang. Die
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Ethic zeigt aber die Nothwendigkeit der Handlungen aus der innern Verbindlichkeit, die aus dem Recht anderer entspringt, so fern man nicht dazu gezwungen wird. Zuerst müssen wir pünktlich Acht haben, aus welchen Principien die Pflichten entsprungen sind. Wenn wir einem was schuldig sind nach seinem Recht, so müssen wir dieses nicht als eine Handlung der Gütigkeit und der Grosmuth ausgeben, die Handlung der Schuldigkeit nicht als eine LiebesHandlung vorwenden. Die Tittel der Pflichten müssen nicht verändert werden. Wenn man einem was entzogen hat und man ihm in der Noth eine Wohlthat erzeigt, so ist das keine Grosmuth, sondern eine schwache Ersetzung dessen, was man ihm entzogen hat. Selbst die bürgerliche Verfassung ist schon so eingerichtet, daß wir mit Antheil nehmen an den öffentlichen und allgemeinen Unterdrükkungen, demnach müssen wir eine Handlung, die wir gegen andere Ausüben, nicht als eine Handlung der Gütigkeit und Grosmuth ansehen sondern als eine kleine Erstattung dessen was wir ihm durch eine allgemeine Einrichtung entzogen haben. Zweytens sind alle Handlungen und Pflichten, die aus dem Recht anderer entsprungen sind, die gröste unter den Pflichten gegen andere. Alle Handlungen [385] der Gütigkeit sind nur in so fern erlaubt, als sie dem Recht eines andern nicht entgegen sind, ist sie das, so ist die Handlung moralisch nicht erlaubt. Ich kann also keine Familie vom Elende erretten und hernach Schulden nachlassen. Es ist also nichts in der Welt so heilig als das Recht des Andern. Gütigkeit ist nur Ueberfluß. Wer keine gütige Handlungen ausgeübt hat, aber auch nicht das Recht Anderer gekränkt, der kann immer rechtschaffen seyn, und wenn alle so wären, 250würde es keine Arme geben. Wer aber sein gantzes Leben gütige Handlungen ausgeübt und hat nur das Recht eines Menschen gekränkt, der kann durch alle seine gütige Handlungen dieses nicht ablöschen. Doch gleichwohl sind die Pflichten des Rechts und der Gütigkeit nicht so hoch, als die Pflichten gegen sich selbst, ich kann 250
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meine Schuld nicht bezahlen durch Verletzung der Pflicht gegen mich selbst. Die Pflichten aus dem Recht anderer müssen nicht zur Triebfeder haben den Zwang, denn sonst sind solche nur Schelme, die die Rechte nur aus Furcht für die Strafe ausüben. Auch soll die Triebfeder nicht seyn die Furcht für der Strafe Gottes, denn das ist derselbe Fall.
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Von der Billigkeit. Die Billigkeit ist ein Recht, welches aber keine Befugnis giebt den andern zu zwingen, es ist ein Recht, aber kein ZwangsRecht. Hat jemand für mich gearbeitet für einen [386] abgemachten Lohn, hat aber mehr gethan als ich gefordert, so hat er zwar ein Recht für seine übrige Arbeit Bezahlung zu fordern, aber er kann mich dazu nicht zwingen, will er die Sache wieder in den vorigen Zustand bringen, so kann er solches auch nicht thun, wenn ichs nicht haben will, denn an meinen Sachen hat weiter keiner mehr Recht daran; er hat also keine Befugniß mich zu zwingen, weil es nicht abgemacht war, es ist keine Declaration, denn damit einer befugt sey mich zu zwingen, so muß erstlich die Handlung aus dem Recht des andern selbst entspringen, dann aber muß sie auch auf äusserlich hinreichenden Bedingungen der Imputation des Rechts beruhen, diese werden durch Beweise die äusserlich sufficient seyn dargethan. Coram foro interno ist die Billigkeit ein strenges Recht aber nicht coram foro externo. Die Billigkeit ist also ein Recht, wo die Gründe der äussern Imputation coram foro externo nicht gelten, wohl aber vor dem Gewissen gelten.
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Von der Unschuld. Iuridisch ist jemand schuldig, so fern er eine Handlung gethan die dem Recht des andern zuwieder ist; Ethisch ist er aber schuldig, wenn er nur den Gedanken gehabt hat die Handlung zu be-
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gehen. Christus sagt das deutlich, wenn er spricht, 197sobald du ein Weib ansiehst p. Wenn einer also seine Gesinnung nicht bessert, so bleibt er immer ethisch schuldig der Verbrechen, die er [387] begangen hat, denn es fehlte nur die Gelegenheit, so wär die Handlung geschehen, wenn der Entschluß schon in Gedanken gefaßt war, die Umstände verhinderten es nur. Die Reinlichkeit in Gesinnungen befreyt uns von der Schuld der Ethischen Pflichten, ohne die Reinlichkeit der Gesinnung wird der Mensch im moralischen Gericht so angesehen, als wenn er die Handlung gethan hat; denn auch im äusserlichen Gerichte ist der Mensch der Handlung schuldig, wenn er auch nur durch Umstände und Gelegenheit dazu verleitet ist, wie mancher geht der des Verbrechens nicht schuldig ist, weil er nicht in dieselbe Umstände gerathen, wär er nur in dieselbe Versuchung gekommen, so wär er auch desselben Verbrechens schuldig geworden. Also lag es nur an äussern Umständen. Es ist demnach keine Tugend so stark, für die nicht sollte Versuchung gefunden werden. Wir kennen unsere Gesinnungen nicht recht, als bis wir in die Umstände kommen, wo wir solche äussern können, denn das Wünschen Gut zu seyn und sich davor halten, das thut jeder Bösewicht auch. Aber wer kann sagen der und jener ist in der Versuchung gewesen seinen NebenMenschen zu hintergehen und hat es nicht gethan? Die Reinlichkeit der Gesinnung bey jeder Gelegenheit practisch zu zeigen, das ist eine moralische Unschuld. Offt rühmt man sich unschuldig zu seyn und man hat die Versuchung nicht ausgestanden, man hat dahero Ursache sich für jeder Versuchung zu hüten, dahero [388] auch Christus in dem 198Vater Unser (welches ein gantz moralisches 251Gebet ist, ja selbst wenn wir ums tägliche Brodt bitten mehr 251
Gebet Hg.] Gesetz Kae] | Mit Mnz 270,19 und XXVII: 434,25.
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[XXVII: 433,33] Bibel, NT, Matthäus 5,28: „Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ [XXVII: 434,24] Vgl. die oben zu p. 184 gegebene Erläuterung.
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die Genügsamkeit anzeigt als Sorge für die Nahrung) uns gezeigt hat zu bitten nicht in die Versuchung geführt zu werden. Denn wer weiß wie weit unsere moralische Gesinnungen gehen, und wer hat schon alle Proben ausgestanden. Der Himmel weiß unsre Schuld am besten, moralisch unschuldig zu seyn, wer kann das sagen? Für dem foro externo können wir zwar unschuldig seyn aber nicht hier.
§ 320
Vom Schaden. Hievon kann nichts gesagt werden, weil das die rechte anderer schon betrift. Wer mich betrogen oder belogen hat, dem thue ich kein Unrecht, wenn ich ihn wieder betrüge oder was vorlüge, aber ich habe überhaupt nach dem allgemeinen Recht der Menschen Unrecht gethan, derjenige kann sich zwar nicht über mich beklagen, aber ich habe doch auch Unrecht, daß ich das überhaupt gethan habe, ob ich dem Menschen gleich kein Unrecht gethan habe. Also ist das nichts wenn wir uns rühmen keinem Menschen Unrecht gethan zu haben, wir können doch überhaupt Unrecht gethan haben. Bey der Beleidigung ist eine Entschuldigung oder Genugthuung nöthig, wenn das nicht geschehen kann, so muß Abbitte folgen. Wenn man über die Beleidigung sein Leid beweist und darüber betrübt ist daß man den andern beleidigt hat, der andere aber damit nicht zufrieden ist, so gereicht mir das zur Ehre, wenn ich ihm abbitte. Die Abbitte ist also keine Erniedrigung. [389]
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Von der Rache. Rechtsbegierde ist von Rachbegierde zu unterscheiden. Ieder Mensch ist verbunden sein Recht zu behaupten und zu sehen, daß sein Recht nicht von andern mit Füssen getreten wird. Diesen Vorzug der Menschheit ein Recht zu haben, muß er nicht
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aufgeben sondern so lange verfechten als er kann, denn sonst wenn er sein Recht wegwirft, so wirft er seine Menschheit weg. Alle Menschen haben also eine Rechtsbegierde ihr Recht zu schützen, so daß sie auch Gewalt verlangen, dem Recht anderer Menschen, welches beleidigt ist, zu satisfaciren. Wenn wir hören daß einem Unrecht geschehen ist, so ärgert es uns, wir sind begierig ihm empfinden zu lassen, was das heißt, das Recht anderer zu kränken. Gesetzt wir haben was für jemanden gearbeitet und er hat nicht Lust solches zu bezahlen, sondern macht viele Einwendungen, so ist das schon eine Sprache, die unser Recht angeht, mit dem müssen wir nicht spielen lassen hier ist es uns nicht mehr um die einige Thaler zu thun, sondern um unser Recht, welches mehr werth ist als 100 oder 1.000 Thaler. Wenn aber diese Rechtsbegierde weiter geht, als wir nöthig haben unser Recht zu verfechten, so ist das schon eine Rache, diese geht auf die Unversöhnlichkeit und auf den Schmertz und Uebel, welches wir wünschen daß demjenigen möchte zugefügt werden, der unser Recht gekränkt hat, wenn wir ihm auch dadurch keine Achtung mehr für unser Recht einflössen. Diese Begierde ist schon lasterhafft und die eigentliche Rachbegierde. [390]
Vom Ohrenbläser.
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Es muß ein Unterschied gemacht werden zwischen einem offenbaren und einem hinterlistigen Feinde; der schleichende, heimliche, hinterlistige Feind erscheint weit niederträchtiger als die offenbare Bosheit, wenn sie auch mit Gewalt 252verknüpft ist, denn alsdenn kann man sich doch dafür hüten, aber wieder die hinterlistige Bosheit nicht, die hebt alles Zutrauen der Menschen auf, aber die offenbare Feindschafft nicht, wer offenbar declarirt er sey ein Feind, auf den kann man sich verlassen, aber die hinterlistige geheime Bosheit, wenn die allgemein wär, so 252
verknüpft Hg.] verknüpt Kae]
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hörte das gantze Vertrauen auf. Diese Bosheit verachten wir mehr, als die Gewaltsame, denn die hinterlistige hat gar keinen Valeur, ist niederträchtig, hat gar keinen Quell des Guten in sich. Der offenbare Bösewicht kann noch disciplinirt werden, seine Wildheit kann ihm benommen werden, der aber keinen Quell des Guten hat, dem kann man keinen geben.
sectio 4: Vitia philanthropiae opposita §§ 328 ff.
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Von der Eifersucht und der daraus entsprungenen Mißgunst und Neid. Die Menschen haben zwey Mittel sich zu schätzen: wenn sie sich mit der Idee der Vollkommenheit vergleichen, und wenn sie sich in Verhältniß mit einander vergleichen. [391] Schätzt man sich mit der Idee der Vollkommenheit, so hat man einen guten Maasstab; schätzt man sich aber in Vergleichung mit Andern, so kann dadurch offt das Gegentheil von dem herauskommen, wenn man sich nach der Idee der Vollkommenheit schätzt, denn nun kommts darauf an, wie diejenige beschaffen sind mit denen er sich vergleicht. Vergleicht er sich mit der Idee der Vollkommenheit, so bleibt er darin sehr weit zurük, und er muß sich sehr beeifern derselben ähnlicher zu werden; vergleicht er sich aber mit andern, so kann er da noch einen grossen Werth haben, indem die mit denen er sich vergleicht grosse Schelme seyn können. Die Menschen mögen sich gern mit andern vergleichen und sich darnach schätzen, denn da haben sie immer Vortheil. Selbst von denen, mit denen sie sich vergleichen wollen, wählen sie immer die schlechteste und nicht die beste, denn da können sie am Meisten hervorstrahlen. Vergleichen sie sich mit Menschen die grössern Werth haben, so kommt das Facit ihrer Selbstschätzung zu ihrem Nachtheil heraus; vergleichen sie sich aber mit denen, die kleinern Werth haben, so kommt das Facit ihrer Selbstschätzung zu ihrem Vortheil heraus. Nun sind nur zween Wege übrig mit den Vollkommenheiten des Andern gleich zu werden: Entweder ich suche die Vollkommenheiten die der andere hat mich auch zu er-
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werben, oder ich suche die Vollkommenheiten des Andern zu verringern. Ich vergrössere also entweder meine Vollkommenheit [392] oder ich erniedrige die Vollkommenheit des Andern, dann bin ich immer superior. Weil nun das letzte commoder ist, so mögen die Menschen lieber die Vollkommenheit des andern erniedrigen, als die ihrige erhöhen. Dieses ist der Ursprung der Eifersucht; wenn Menschen sich mit andern vergleichen, und sie finden an den andern Vollkommenheiten, so werden sie über jede Vollkommenheit, die sie an dem andern gewahr werden, eifersüchtig und suchen sie zu verringern, damit die ihrige hervorragen möchten. Dieses ist die mißgönstige Eifersucht. Suche ich aber meine Vollkommenheiten zu vermehren, daß sie dem andern gleich werden; so ist dieses eine Nacheiferung. Die Eifersucht ist also das Genus und ist entweder eine mißgünstige Eifersucht oder eine nacheifernde Eifersucht, Weil nun die nacheifernde Eifersucht schwerer ist, so ist natürlich, daß die Menschen auf die mißgünstige Eifersucht verfallen. Eltern haben demnach in der Erziehung der Kinder darauf zu sehen, daß sie die Kinder zu guten Handlungen 199nicht durch die Nacheiferung 253der andern zu bewegen suchen, denn daraus entspringt bey ihnen eine misgünstige Eifersucht und sie werden demjenigen 254gram und suchen ihm hernach nachzustellen, der ihnen als ein Muster in der Nacheiferung vorgelegt ist. Wenn dahero die Mutter sagt: Sieh mal Iung wie [393] des Nachbars Fritz ist, wie schön daß er sich hält, wie fleissig daß er 253 254
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der Hg.] den Kae] gram Hg.] gramm Kae] [XXVII: 437,19] Vgl. oben p. 252 und die inhaltlich übereinstimmenden Ausführungen der Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 541 / XXV: 635): „Die Nachahmung verhindert auch den Charackter sehr, daher muß man in der Erziehung seine Kinder niemals auf des Nachbars Kinder verweisen, und ihnen viel von pfuy das läßt nicht vorreden, sondern ihren Charackter unmittelbar bilden, Grundsätze vom Guten und bösen, vom rechtschaffenen und edlen einflößen.“ Vgl. auch die Erläuterung zu p. 181 der Moral-Vorlesung.
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ist, so ärgert er sich gleich über des Nachbars Fritz und denkt, wenn der Iung man nicht wäre, so möchtest du nicht mit ihm verglichen werden, so wärst du der beste. Nun könnte sich zwar das Kind beeifern, ebendieselbe Vollkommenheiten zu erhalten, die des Nachbars Kind hat, weil das aber schwerer ist, so verfällt er auf Misgunst. Das Gute muß also den Kindern an und vor sich selbst angepriesen werden, die andern mögen besser oder schlechter seyn; denn wenn der andere nicht besser wär, so hätte dieser alsdenn keinen BewegungsGrund auch besser zu seyn. Denn so gut die Mutter sagen kann: Sieh mal, der ist besser wie du, so könnte ihr der Sohn antworten: ja der ist zwar besser als ich, aber seh sie mal die andern an, da sind ihrer mehrere, die noch weit schlechter sind; denn wenn die Vergleichung auf der einen Seite auf mich passen muß so kann sie auf der andern Seite ebenso gut passen. Dieses sind Fehler der Erziehung, die hernach sehr einwurtzeln. Dadurch cultiviren die Eltern die Eifersucht, die sie doch bey den Kindern voraussetzen, wenn sie ihnen andere zum Muster vorlegen, denn sonst könnten die Kinder gantz gleichgültig gegen andere seyn. Da sie nun hierin den letzten Weg nehmen, weil das leichter ist, des andern seine Vollkommenheiten [394] zu destruiren, als seine so weit zu erheben, so entspringt hieraus die Misgunst. Es ist nun zwar die Eifersucht sehr natürlich, aber das entschuldigt uns gar nicht, daß wir sie cultiviren, sondern sie ist nur ein subsidium eine Triebfeder wenn noch keine Maximen der Vernunfft sind, da wir aber schon Maximen der Vernunfft haben, so müssen wir sie durch Vernunfft einschrenken, denn da wir als thätige Wesen bestimmt sind, so sind uns viele Triebfedern gegeben, als Ehrbegierde p und unter diesen ist auch die Eifersucht. So bald aber die Vernunfft herrscht, so müssen wir nicht deswegen suchen vollkommener zu werden, weil uns andere vorkommen, sondern an sich. Denn muß die Triebfeder aufhören und an ihrer Stelle die Vernunfft herschen. Die Eifersucht herscht bey Personen besonders von gleichem Stande und Metier zE die Kaufleute unter einander, besonders aber Gelehrte von einer Profession, denn ein andrer kann ihnen nicht so zu-
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vor kommen. Das weibliche Geschlecht ist untereinander eifersüchtig in Ansehung des andern Geschlechts. Misgunst ist wenn man misvergnügt ist über den Vorzug des andern, wir werden durch das Glük des andern zu sehr erniedrigt und deswegen misgönnen wir es ihm. Sind wir aber darüber misvergnügt, daß der andere Antheil am Glük hat, so ist das der Neid. Der Neid ist also wenn wir die Unvollkommenheit und das Unglük anderer wünschen, nicht damit wir dadurch möchten vollkommen oder glüklich seyn, sondern damit [395] wir allein vollkommen und glüklich seyn möchten. Der Mensch sucht 255glüklich zu seyn so daß alle um ihn unglüklich sind; und dann ist das Neid, *von dem wir hernach hören werden, daß er teuflisch ist; die Mißgunst ist natürlich obgleich sie auch nicht zu billigen ist. Auch gutartige Seelen sind mißgönstig zE wenn man misvergnügt ist und alle andere sind fröhlich, so mißgönne ich den andern das; denn allein misvergnügt zu seyn, da alle um ihn fröhlich sind, das ist schwer. Habe ich allein ein schlechtes Gericht zu essen, und alle andere haben gut Essen, so kränkt mich das, und ich misgönne ihnen solches, 200wenn es aber alle in der gantzen Stadt nicht besser haben, so bin ich vergnügt. Der Tod ist erträglich, weil alle Menschen sterben müssen, sollten aber alle leben und ich allein möchte sterben müssen, so würde mich das sehr kränken. Wir setzen also den Werth in die Verhältniß der Dinge und nicht in die Dinge selbst. Wir sind misgünstig, weil andere glücklicher sind als wir. Wenn aber eine gutartige Seele glüklich und fröhlich ist, so wünscht sie daß alles in der gantzen weiten Welt eben so glük-
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glüklich zu seyn so daß alle um ihn unglüklich sind; Kae] glücklich zu sein und er sucht die Süßigkeit des Glückes darin, daß er allein dasselbe genieße, und alle anderen unglücklich sind, Mnz 275,23 ff.] | Ähnlich XXVII: 438,28ff. Gegen einen Auslassungsfehler bei Kaehler spricht, daß ‚Süßigkeit‘ ansonsten nicht vorkommt; in den Kantischen Druckschriften nur drei mal (II: 246,35 / VI: 471,10 & 21).
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[XXVII: 438,37] Nicht ermittelt; vgl. oben p. 265.
§ 328
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lich und fröhlich wäre, dann misgönnt sie solches keinem. Abgunst ist wenn man einem andern nicht einmal das gönnt was man selbsten nicht verlangt. Dieses ist schon eine Bösartigkeit der Seele aber noch kein Neid; denn dadurch daß ich dem andern dasjenige von meinem Eigenthum nicht gönne, was ich nicht brauchen kann, will ich noch nicht haben, [396] daß ich allein was haben soll und der andere gar nichts, ich misgönne ihm doch nicht 256sein Eigenthum. 201Es liegt schon viel in der Natur des Menschen von Misgunst, was Neid werden könnte aber noch nicht Neid ist. Die Erzehlungen in einer Gesellschafft vom Unglük des Andern, welches aber noch erträglich seyn muß, oder vom Fall gewisser reichen Personen sind wir sehr geneigt zu hören, und ob wir gleich kein Gefallen beweisen, so gefällt es uns doch bey sich selbst. Oder wenn wir beym Sturm und üblem Wetter am warmen Ofen und am Koffetisch sitzen und wir bringen den Mann der bey solchem Wetter unterwegens oder auf der See ist aufs Tapet; so genüssen wir dadurch unser Glük desto besser, es erhebt unsere Annehmlichkeit. Es liegt also die Misgunst in unsrer Natur, welches aber noch kein Neid ist. Diejenige drey Laster, die wir hier zusammen nehmen können und die der Inbegrif der niederträchtlichsten und boshafftesten Lastern sind, sind diese: die Undankbarkeit, der Neid und die Schadenfreude; wenn diese ihren völligen Grad erreichen, 202so sind es teuflische Laster. Alle Menschen werden beschämt durch Wohlthaten, indem man dadurch gebunden ist und der andere Verbindlichkeit und Ansprüche auf den hat, dem er Wohlthaten erzeigt hat. Dahero schämt sich jeder ver256
sein Hg.] seyn Kae]
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[XXVII: 439,12] Vgl. die ähnlichen Darlegungen in der AnthropologieFriedländer (Ms. germ. quart. 400), p. 457 f. [XXVII: 439,26] Vgl. oben p. 169 f., 290; bzw. die Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 455–457 und die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793) VI: 027,24–26.
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bunden zu seyn; ein grosmüthiger Mann wird [397] also nicht Wohlthaten annehmen um nicht verbunden zu seyn. Dieses ist schon eine Anlage zur Undankbarkeit, wenn dieser Mensch der Wohlthaten genossen hat stoltz und eigennützig ist, so wird er undankbar; denn aus Stoltz schämt er sich dem andern verbunden zu seyn, und aus Eigennutz will er dem andern solches nicht zukommen lassen, dahero wird er trotzig und undankbar. Wächst diese Undankbarkeit so weit daß er seinen Wohlthäter nicht leiden kann, daß er ihm feind wird, so ist das der Grad des teuflischen Lasters, indem es gar nicht mit der menschlichen Natur zusammenstimmt, denjenigen zu hassen und zu verfolgen, der einem Wohlthat erzeigt hat; und indem es auch einen entsetzlichen Schaden verursachen würde, weil alle Menschen dadurch vom Wohlthun abgeschrekt würden, und dadurch Misantropen würden, weil sie sehen möchten, daß sie schlecht dafür behandelt würden. Das zweyte Laster ist der Neid, dieser ist äusserst verhasst, denn da will der Mensch nicht nur glüklich seyn, sondern allein glüklich, er wünscht sein Glük so zu genüssen, daß allerwerts um ihn unglüklich ist, und er alsdenn in seinem Glük recht vergnügt seyn kann. Ein solcher will auf die Art die Glükseligkeit in der gantzen Welt ausrotten, und deswegen ist er ein unerträgliches Geschöpfe. Die dritte teuflische Bosheit ist die Schadenfreude, die darin besteht, daß man ein unmittelbares Vergnügen an dem Schaden [398] des Andern findet zE wenn man Feindschafften in der Ehe und sonst anzurichten sucht und sich über den Schaden des andern freut. Hier kann man sich eine Regel merken, daß man keinem Menschen das wiedersage, was von ihm nachtheiliges von Andern gegen mich gesagt ist, es sey denn, wenn dem Andern durch das Verschweigen Schaden entspringt, denn alsdenn richte ich Feindschafft an, wodurch der Andere beunruhiget wird, welches nicht geschehen möchte, wenn ich es verschwiegen hätte; und denn so handele ich auch gegen den andern der es mir gesagt hat treulos. Unsre Sorge hiebey ist, sich rechtschaffen zu verhalten, und denn mag die gantze weite
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§ 331
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Welt sagen was sie will, so muß ich solches nicht durch meine Worte sondern durch meinen Lebenswandel wiederlegen, wie 203Socrates sagt: wir müssen uns so aufführen, daß die Leute das nicht glauben werden, was uns zum Nachtheil gesagt wird. Alle drey, die Undankbarkeit (ingratitudo qualificata) Neid und Schadenfreude sind teuflische Laster, weil sie eine unmittelbare Neigung zum Bösen anzeigen. Daß der Mensch mittelbare Neigung zum Bösen hat ist menschlich und natürlich zE der Geitzige will gern alles an sich ziehen, er hat aber kein Vergnügen wenn der andere gar nichts hat. Es giebt also Laster, die directe und indirecte böse sind. Diese drey sind Laster die directe böse sind. Es frägt sich, ob in der menschlichen Seele eine unmittelbare Neigung zum Bösen [399] also eine Neigung zum Teuflischen Laster wäre? Teuflisch nennen wir das, wenn das Böse bey Menschen so weit getrieben wird, daß es den Grad der Menschlichen Natur überschreitet, so wie wir das Gute, was über die Natur des Menschen getrieben wird, englisch nennen. Alles Gute referiren wir in den Himmel und alles Böse in die Hölle, und das Mittel auf die Erde. Es ist aber zu glauben, daß in der Natur der menschlichen Seele eine unmittelbare Neigung am Bösen nicht statt finde, sondern daß solches nur indirecte böse sey. Der Mensch kann nicht so undankbar seyn, daß er den andern so gar hassen sollte, nur er ist gar zu stoltz dankbar gegen ihn zu seyn, übrigens wünschte er ihm alles Glük, nur er wollte gern von ihm entfernt seyn. So freut man sich auch nicht unmittelbar über den Schaden des Andern, sondern wenn zE einer unglüklich geworden ist, so freut man sich, weil er aufgeblasen, reich und eigennützig war, denn die Menschen mögen gern die Gleichheit erhalten. Der Mensch hat also keine directe Neigung zum Bösen als Bösen sondern nur eine indirecte. Die Schadenfreude zeigt sich aber schon offt sehr stark in der Iugend. So sind zE die Kinder gewöhnt andern mit einer Nadel unvermuthet einen Streich zu spielen, sie thun das nur aus Spaß und den-
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[XXVII: 440,24] Nicht ermittelt.
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ken nicht daß das der Andere fühlen muß; und andere dergleichen Streiche mehr; so auch den Thieren Angst auszupressen, wenn sie zE dem Hunde oder Katze den Schwantz einklemmen. Da sieht [400] man schon wo es hinaus will und diesem muß man frühe vorbeugen. Dieses ist aber eine Art von Thierheit, wo der Mensch was vom Raubthier an sich hat, welches er nicht überwältigen kann, den Quell davon wissen wir nicht. Von einigen Eigenschaften können wir gar keinen Grund anführen. So giebt es Thiere die solchen Hang haben alles wegzunehmen ohne einen Gebrauch davon zu machen und es scheint als wenn der Mensch diesen Hang von der Thierheit übrig behalten hat. Von der Undankbarkeit insbesondere können wir uns nachfolgendes merken: Der Beystand des Andern in Ansehung der Nothdurft ist eine Wohlthat, in Ansehung anderer Bedürfnisse ists Gütigkeit, und in Ansehung der Annehmlichkeit ist Höflichkeit. Wir können von einem andern eine Wohlthat erhalten, obgleich sie dem andern nicht viel kostet. Wir sind dem andern für die Wohlthat nach der Grösse des Grades des Wohlwollens die ihn angetrieben uns solches zu erzeigen dankbar; wir richten unsre Dankbarkeit nach der Ueberwindung die es dem andern gekostet hat uns solches zu geben ein. Wir sind dankbar nicht blos für das Gute das wir bekommen, sondern auch für die gute Gesinnung des Andern gegen uns. Die Dankbarkeit ist zwiefach: aus Pflicht und aus Neigung; aus Pflicht, wenn wir nicht durch die Gütigkeit des andern gerührt sind, sondern wenn wir sehen, daß es sich geziemet dankbar zu seyn, dann haben wir kein dankbares Hertz, sondern [401] Grundsätze der Dankbarkeit. Aus Neigung sind wir dankbar, so fern wir Gegenliebe in uns empfinden. Unser Verstand hat eine Schwäche die wir offt erkennen, so daß wir die Bedingung in die Sachen setzen, da es doch eine Bedingung unsres Verstandes ist, wir schätzen die Krafft nicht anders als nach den Hindernissen, also können wir auch den Grad des Wohlthuns nicht anders schätzen als nach dem Grad der Hindernisse. Nun können wir das Wohlthun und die Liebe eines solchen Wesens, was gar
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keine Hindernisse hat gar nicht einsehen. Wenn Gott einem 257wohl thut, so denkt der Mensch, das hat Gotte gar keine Mühe gekostet, und wenn er dankbar ist so schmeichelt er Gott, so denkt der Mensch natürlich. Der Mensch ist sehr fähig Gott zu fürchten, aber lange nicht so fähig Gott aus Neigung zu lieben, weil er hier ein Wesen erkennt, dessen Gütigkeit aus dem grösten Ueberfluß entspringt und ihn nichts hindert uns Güte zu erzeigen; dieses dient nicht dazu daß Menschen solches so thun sollen, sondern daß das Menschliche Hertz wenn man es erforscht würklich so denkt. 204Daher auch Völker die Gottheit misgünstig vorstellten, und sagten, die Götter wären zurükhaltend mit ihren Wohlthaten, sie wollten nur viel gebeten werden, und man sollte nur die Altäre mit viel Opfer belegen, da sie doch sehen, daß es Gott nichts kostet ihnen mehr zu geben; es liegt aber solches in dem Hertzen des Menschen. Allein wenn wir die Vernunfft zu Hülfe nehmen, [402] so sehen wir ein, daß ein grosser Grad der Gütigkeit bey einem solchen Wesen gehöret, wenn es einem Wesen gütig seyn soll, das so unwürdig ist; hiedurch können wir uns helfen. Wir sind Gott Dank schuldig nicht aus Neigung sondern aus Pflicht, weil Gott ein gantz anderes Wesen und kein Gegenstand unserer Neigung seyn kann. Man muß sich hüten Wohlthaten anzunehmen, es sey denn unter dieser zwiefachen Bedingung: erstlich aus grosser Noth, und dann aus grossem Zutrauen zu seinem Gönner, (der Wohlthäter ist kein Freund mehr sondern ein Gönner) er werde ihm solche zu keiner Verbindlichkeit anrechnen. Ohne Unterschied aber Wohlthaten anzunehmen und immer solche zu suchen ist nicht edel und grosmüthig, denn dadurch macht man sich verbindlich, ist man aber in grosser Noth, so muß man Verzicht thun auf seinen Werth und solche aus treibender 257
wohl thut, Hg.] Wohlthut, Kae]
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[XXVII: 442,15] Nicht ermittelt. Ein wenig erinnernd an David Hume The natural history of religion sectio 13. Zur deutschen Übersetzung von 1759 vgl. Gawlick / Kreimendahl 1987, S. 74 ff.
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Noth annehmen, oder ist man überzeugt von seinem Gönner, er sehe solches als keine Verbindlichkeit an, übrigens aber muß man sich lieber was entziehen als Wohlthat annehmen; denn die Wohlthat ist eine solche Schuld, die niemals getilgt werden kann; denn wenn ich meinem Wohlthäter auch zehenmal mehr gebe, als er mir gegeben, so bin ich doch nicht quitt; denn er hat mir eine Wohlthat erzeigt da er mir nichts schuldig war, er hat mir solche zuerst erzeigt, wenn ich ihm aber auch zehenfach wiedergebe, so thue ich es doch nur deswegen, um ihm die Wohlthat zu vergelten und die Schuld zu bezahlen. Ich kann ihm hier nicht mehr zuvorkommen, [403] er bleibt doch immer der, der mir zuerst Wohlthat erzeigt hat. Der Wohlthäter kann seine Wohlthaten dem Andern als eine Schuld oder als eine Aeusserung seiner Pflicht auferlegen, legt ers ihm als eine Schuld an, so empört er des andern seinen Stoltz und verringert dadurch die Dankbarkeit des andern, will er aber nicht, daß man undankbar seyn soll, so muß er denken eine Menschenpflicht ausgeübt zu haben, und es dem andern nicht als eine Schuld anrechnen, daß er darauf zu sinnen hat solche wieder gut zu machen, der andere muß aber diese Wohlthat doch als eine Verbindlichkeit annehmen und dankbar gegen seinen Wohlthäter seyn; dann können Wohlthaten statt finden. Ein wohldenkender Mensch nimmt nicht einmal Gütigkeiten an, vielweniger Wohlthaten. Dankbare Gesinnungen sind sehr liebenswürdig, so daß auch solche Züge in der Comoedie Thränen zuwege bringen, aber grosmüthige Gesinnungen sind noch süsser. Die Undankbarkeit hassen wir erstaunend, wenn sie auch nicht gegen uns gerichtet ist, so ärgert es uns doch, so daß wir uns selbst ins Mittel setzen möchten; dieses kommt daher, weil die Grosmuth dadurch verringert wird. Der Neid besteht nicht darin, daß man vorzüglich glüklich seyn will, das wäre die Misgunst, sondern daß man Allein glüklich seyn will, dieses ist das ärgste bey dem Neide, warum sollen andere nicht auch glüklich seyn, wenn ich glüklich bin? Der Neid äussert sich auch in einigen Sachen der Seltenheit zE. [404] bey den Holländern, welches überhaupt eine Neidische
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Nation ist, 205galten mal die Tulpen einige Hundert holländische Gulden. Ein reicher Kaufmann hatte aber eine von den besten und 258seltensten, und wie er hörte, daß ein anderer auch eine solche hätte, so kaufte er sie ihm für 2.000 Gulden ab und zertrat sie, indem er sagte, was soll ich damit, ich habe ja eine, ich wollte nur dieses haben, daß sie kein anderer haben sollte als ich; und so ist es auch in Ansehung des Glüks. Mit der Schadenfreude ist es anders bewandt, solche Menschen können da lachen wo andre weinen, sie haben da Vergnügen wo andere Schmertz haben. Macht man andre unglüklich, so ist dieses Grausamkeit, entspringt daraus ein körperlicher Schmertz, so ist es Blutdürstigkeit, alles zusammen ist Unmenschlichkeit, so wie das Mitleid und Theilnehmung Menschlichkeit ist, weil dieses den Menschen von den Thieren unterscheidet. Wie eine grausame Gesinnung statt finden könne ist schwer zu erklären, es muß wohl aus den Vorstellungen von der Bösartigkeit anderer herrühren, so daß man gegen sie Haß hat. Menschen die da glauben von andern Menschen gehaßt zu seyn, hassen sie deswegen wieder, obgleich jene aus gerechten Ursachen gegen sie Haß gefaßt haben. Denn wenn ein Mensch durch Eigennutz und andere Laster ein Gegenstand des Hasses wird, und er weiß, daß ihn die andere deswegen hassen, ob sie ihm gleich nicht Unrecht thun, so haßt er sie wieder. So werden [405] Könige weil sie wissen daß sie von den Unterthanen gehaßt werden noch grausamer. Eben so ist es auch, wenn jemand dem andern Gutes thut, so liebt ihn der andere, da dieser das weiß, daß ihn der andere liebt, so liebt er ihn deswegen wieder, er liebt ihn wegen der Gegenliebe, und so haßt einer den andern wegen des Gegenhasses. Man muß sich hüten von andern 258
seltensten, Hg.] setensten, Kae]
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[XXVII: 443,25] Die präzise Quelle ist nicht ermittelt; vgl. dennoch Bd. XXV, Collins p. 49 / Parow p. 66 bzw. die Collins Kom-Nr. 062. Der Höhepunkt des ‚Tulpenwahns‘ lag in den Jahren 1636/38; vgl. zu dem gesamten Phänomen Mike Dash 2001.
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gehaßt zu werden um seiner selbst willen; denn sonst wird man von Haß gegen die andere wieder afficirt, dieses beunruhigt den Menschen aber mehr der da haßt, als den andern, der da gehasst wird.
Von den ethischen Pflichten gegen andere; und zwar von der Wahrhafftigkeit.
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In der Gesellschafft der Menschen ist die Mittheilung der Gesinnungen die Hauptsache, und da ist die Hauptsache, daß jeder in Bezeichnung seiner Gedanken wahrhafft sey; denn ohne das hört aller Werth des Umganges auf, aus der Bezeichnung der Gedanken kann der andere nur urtheilen was er denkt, und wenn er declarirt er wolle seine Gedanken äussern, so muß er es auch thun, denn sonst kann keine Gesellschafft unter den Menschen statt finden; die 259Gemeinschaft unter den Menschen ist nur die zwote Bedingung der Gesellschafft, der Lügner hebt aber die 260Gemeinschaft auf, dahero verachtet man den Lügner, weil die Lüge den Menschen unfähig [406] macht, aus dem Gespräch des Andern was Gutes zu ziehen. Der Mensch hat einen Hang sich zurük zu halten und sich zu verstellen; 206die Zurükhaltung ist die dissimulatio und die Verstellung simulatio. Der Mensch hält sich in Ansehung seiner Schwachheiten und Vergehungen zurük und kann sich auch 259 260
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Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae] Gemeinschaft Hg.] Gemeintschafft Kae] [XXVII: 444,28] Vgl. die leicht differierende Verdeutschung in Baumgarten’s Ethica von 1763, § 346 „simulator / wer sich verstelt“ – „dissimulator / wer sich verbirgt“. Ganz der Moral-Vorlesung entsprechend die Übersetzung in der Anthropologie von Mrongovius (1784/85), p. 128: „Aus diesem Zurükhalten entsteht dissimulation (Zurükhaltung) und Simulation (Verstellung) welches zusammen den Character der Falschheit ausmacht.“ – In den Druckschriften findet sich nur in der nicht von Kant selbst publizierten Pädagogik ein Beleg (IX: 486,25)
sectio 5: Candor §§ 338ff.
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verstellen und einen Schein annehmen. Die Neigung sich zurükzuhalten und zu verbergen beruht darauf, daß die Vorsehung gewollt hat, der Mensch soll nicht gantz offen seyn, weil er voll Gebrechen ist; weil wir viele Eigenschafften und Begierden haben, die dem andern verwerflich sind, so möchten wir den andern von der Seite der Thorheit und des Hasses in die Augen fallen. Alsdenn aber möchte dieses entstehen, daß sich die Menschen an die böse Eigenschaften angewöhnen möchten, weil sie dieselben bey allen sehen würden. Demnach richten wir unser Verhalten so ein, daß wir theils unsere Vergehungen verhehlen theils auch einen anderen Schein annehmen und die Kunst besitzen anders zu erscheinen, als wir sind, folglich fällt andern Menschen von unsern Vergehungen und Schwachheiten nichts in die Augen als solche Erscheinung vom Wohlergehen, und durch dieses gewöhnen wir uns an Gesinnungen an, die Wohlverhalten zuwege bringen. Demnach ist kein Mensch in wahrem Verstande offenhertzig. Würde das seyn, 207wie Momus verlangte, daß Iupiter ein Fenster ins Hertz hätte setzen sollen, damit man jedes Menschen seine Gesinnung wissen möchte, so müsten die Menschen besser beschaffen seyn und [407] gute Grundsätze haben, denn wenn alle Menschen gut wären so dörfte keiner zurükhaltend seyn, da nun das aber nicht ist so müssen wir unsere 261Fensterladen zumachen. Eben so wie die Unreinigkeit im Hause am besondern Ort ist, und so 261
Fensterladen Hg.] Fensteladen Kae]
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[XXVII: 445,09] Lukian, Hermotimos (c. 20): „[…] aber den Vulkan tadelte er [Momus], daß er an der Brust seines Menschen keine Fenster angebracht habe, durch welche man in den Sitz seiner Gedanken und Gesinnungen hineinsehen, und sich also überzeugen könnte, ob was er sage, Verstellung oder seine wahre Meynung sey.“ Zitiert nach Carsten Zelle 1991 (Nachwort zu Lavater 1772), S. 111. – Ebenfalls benutzt von Stephan de la Boëtie ‚Abhandlung von der freywilligen Dienstbarkeit‘, enthalten in: Montaigne Essays, dt. Übersetzung von J. D. Tietz (Nachdruck 1992), Bd. 3, S. 513. – Wo die Veränderung vom unterirdisch schmiedenden Vulkan (Hephaistos) zum himmlischen Jupiter (Zeus) vorgenommen wurde, ist nicht ermittelt.
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wie wir einen Menschen nicht ins Schlafzimmer, wo NachtGeschirr p sind, herein nöthigen, ob er gleich weiß, daß wir solches eben so gut wie er haben, so thun wir es doch nicht, indem wir uns daran gewöhnen möchten; eben so verbergen wir unsere Fehler und suchen einen andern Schein anzunehmen und affectiren in der Höflichkeit, obgleich wir sonsten mistrauisch sind, allein dadurch gewöhnen wir uns an die Höflichkeit und zuletzt wird sie uns eigen, und geben dadurch noch ein scheinbar gutes Exempel; wäre das nicht, so würde sich jeder vernachlässigen, indem er keinen fände der besser wäre. Es macht also diese Bestrebung einen Schein anzunehmen, daß man würklich hernach so wird; wären die Menschen alle Gut, so könnten sie offenhertzig seyn, aber jetzt nicht. Die Zurükhaltung besteht darin, daß man seine Gesinnung nicht äussert, dieses kann man erstlich dadurch thun, daß man gantz schweigt, das ist ein kurtzes Mittel zurükhaltend zu seyn, es ist aber ein Mangel eines geselligen Umganges, es beraubt dem Menschen des Vergnügens des Umganges, und solche stille Menschen sind nicht allein in der Gesellschafft überflüssig, sondern sie machen sich auch verdächtig, und jeder glaubt, er paßt auf; denn [408] wenn er gefragt wird, was er von dem urtheile, und er sagte, ich schweige, so ist das so viel als daß er das nachtheilige Urtheil bejahe, denn würde er gut urtheilen, so könnte er ja sagen. Da das Schweigen einen verräth, so ist es nicht einmal der Klugheit gemäs zurükhaltend zu seyn. Man kann aber auch mit Klugheit ohne Schweigen zurükhaltend seyn, zu dieser Zurükhaltung aus Klugheit wird Ueberlegung erfordert, man muß urtheilen und sprechen von allem, nur von dem nicht worin man zurükhaltend seyn will. Die Verschwiegenheit ist gantz was anderes als das zurükhalten, ich kann etwas zurükhalten, wo ich keine Neigung habe es zu äussern zE seine Verbrechen zurükzuhalten, da treibt mich die Natur gar nicht sie zu verrathen; deswegen hat jeder Mensch seine Heimlichkeiten und die kann er leicht zurükhalten; aber es giebt Sachen, wo Stärke gehört, wenn man sie zurükhalten will, die Geheimnisse sind von der Art, daß sie ausbrechen wollen, und dazu gehört Stärke sie nicht zu verra-
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then und das ist Verschwiegenheit. Die Geheimnisse sind immer Deposita des Andern, diese muß ich nicht andern zum Gebrauch überlassen. Da aber die Gesprächigkeit den Menschen sehr interessirt, so ist die Erzählung der Geheimnisse was die Gesprächigkeit sehr unterhält, denn da sieht der andere solches als Geschenk an. Wie kann man Geheimnisse bewahren? Menschen die selbst nicht viel gesprächlich sind pflegen gut Geheimnisse zu bewahren. [409] Aber besser können die Geheimnisse bewahren, die gesprächig aber klug dabey sind; denn dem ersten könnte man doch etwas herauslokken aber diesem nicht, denn die wissen immer was anderes zu erzählen in die Stelle. So wie practische Sprachlosigkeit eine Ausschweifung auf der einen Seite ist, so ist die Schwatzhafftigkeit eine Ausschweifung auf der andern Seite. Die erste ist ein Männlicher Fehler, der andre ein weiblicher Fehler. Ein 208Autor sagt: die Weiber sind darum schwatzhafftig, weil ihnen die Erziehung der kleinsten Kinder anvertraut ist, und die sie durch ihre Schwatzhafftigkeit bald reden lehren, indem sie im Stande sind den gantzen Tag den Kindern was vorzuplaudern, bey den Männern würden die Kinder aber lange nicht so bald reden lernen. Die Sprachlosigkeit ist hassenswerth, man ärgert sich über Menschen die nichts reden, sie verräth einen Stoltz. Die Schwätzhafftigkeit bey den Männern ist verächtlich und wieder seine Würde. Dieses war 208
[XXVII: 446,22] Jean Baptiste René Robinet, Von der Natur. Erster Band (1764) Buch 1, Kap. 20 (Schutzrede für die Schwatzhaftigkeit der Weibspersonen), S. 168: „In der Absicht also, damit wir bey guter Zeit denken lernen, auch unsere kindische Einbildungskraft erwecket werde, hat die vorsichtige Natur den Weibspersonen ein so gutes Mundwerk gegeben.“ Vgl. Bd. XXV: Col-Nr. 055a. – Möglicherweise liefert das nicht ermittelte genaue Erscheinungsdatum der deutschen Übersetzung einen weiteren terminus a quo für die Herder’schen Aufzeichnungen nach Kant’s Moral-Kolleg: Er erwähnt den Namen „Robinet“ (XXVII: 020,26) und notiert ohne Namensnennung „Weibergesprächigkeit ist sehr angenehm –; da wir von Weibern erzogen werden, so bekommen wir durch diese Gesprächigkeit eher Begriffe“ (XXVII: 082,24ff.) Nach Warda (1922, S. 54) besaß Kant ein Exemplar der deutschen Übersetzung, die nach dem ersten Band nicht fortgesetzt worden ist.
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nur etwas in Ansehung des pragmatischen, *jetzt gehen wir zu was wichtiges. Wenn der Mensch sich äussert, daß er seine Gesinnungen entdekken will, soll er sie gantz mit Bewustseyn entdekken oder zurükhaltend seyn? Äussert er sich daß er seine Gesinnung entdekken will, und entdekt solche nicht, sondern sagt eine falsche Aussage, so ist das ein Falsiloquium eine Unwahrheit. Falsiloquium kann geschehen, wenn der andere nicht praesumiren [410] kann, daß ich meine Gesinnung äussern werde; man kann jemand hintergehen, ohne ihm was überhaupt zu sagen, ich kann mich simuliren, ich kann eine Aeusserung thun, woraus der Andere was abnehmen kann, was ich will, der andere hat aber kein Recht von meiner Ausserung eine Declaration der Gesinnung 262zu fordern, so machte es der berühmte 263Law 209er baute und wie sie alle dachten der wird nicht weggehen so reisete er ab. Ich kann aber auch ein Falsiloquium begehen, wo ich Absicht habe dem andern meine Gedanken zu verhehlen und wo der andere auch praesumiren kann, daß ich meine Gesinnung verhehlen werde, indem er Gesinnung hat von meiner Wahrheit einen Misbrauch zu machen zE. ein Feind kommt mir auf den Hals und frägt wo ich das Geld habe, so kann ich hier meine Gedanken verhehlen, indem er die Wahrheit mis-
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zu fordern, Kae] zu fordern, und dann habe ich ihn nicht belogen, denn ich habe nicht deklariert, meine Gesinnung zu äußern, z. E. wenn ich einpacke, so denken die anderen, ich reise weg, und das will ich auch haben; die anderen aber haben kein Recht, die Deklaration des Willens von mir zu fordern, Mnz 286,21–25] XXVII: 447,02 ff.] | Wiederum scheint keine Auslassung bei Kaehler vorzuliegen; denn der umfänglichere Text der späteren Zeugen kann als Versuch gelesen werden, Klarheit zu schaffen. Law Hg.] Lau Kae] [XXVII: 447,07] Die Bemerkung scheint auf John Law’s Abreise aus Paris am 14. Dezember 1720 zu zielen, vgl. Gleeson 1999, S. 245 f. – Es ist anzunehmen, daß eine nicht ermittelte zeitnahe Informationsquelle im Spiel ist, vgl. Hamann an Kant (Br.-Nr. 89, April 1774, X: 164,13), wo indirekt von Law die Rede ist.
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brauchen will, das ist noch kein mendacium, denn der andere weiß, daß ich meine Gesinnung zurükhalten werde und auch gar nicht Recht hat von mir die Wahrheit zu fordern. Gesetzt aber ich äussere würklich, daß ich meine Gesinnung declariren wolle, und der andere ist sich vollkommen bewust, daß er kein Recht habe solches von 264mir zu fordern, weil er ein Betrüger ist, so frägt es sich, bin ich dann ein Lügner? Wenn mich der andere betrogen hat und ich betrüge ihn wieder davor 265so habe ich zwar dadurch diesem Menschen kein Unrecht gethan, weil er mich betrogen hat, er kann sich darüber nicht beklagen, allein ich bin doch ein Lügner, weil ich dem Recht der Menschheit [411] zuwieder gehandelt habe. Es kann demnach ein Falsiloquium ein Mendacium (eine Lüge) seyn, wenn es dem Recht eines Menschen besonders entgegen ist, aber auch wenn es dem Recht der Menschheit entgegen ist. Wenn mir einer was vorgelogen hat, so thue ich Ihm nicht Unrecht, wenn ich ihm wieder vorlüge, aber ich handle wieder das Recht der Menschheit, denn ich habe wieder die Bedingung gehandelt und wieder das Mittel unter dem eine Geselschafft der Menschen statt finden kann, und also wieder das Recht der Menschheit gehandelt. Wenn also ein Staat mal Friede gebrochen hat, so kann der andre wieder mal zur Vergeltung keinen Frieden brechen, denn würde das statt finden können, so würde kein Friede sicher seyn. Wenn also etwas auch nicht dem Recht eines bestimmten Menschen entgegen ist, so ist es doch schon eine Lüge, weil es dem Recht der Menschheit entgegen ist. Wenn nun ein Mensch falsche Nachrichten erzählt, so thut er zwar dadurch keinem Menschen insbesondere Tort, wohl aber der Menschheit, denn wenn das allgemein wäre, so wäre dadurch die 266Wissbegierde der Menschen vereitelt; denn ich kann nur ausser der Speculation noch durch zween Wege meine Kenntnisse vermehren, durch Erfahrung und Erzählung, weil ich nun aber selbst nicht 264 265 266
mir Hg.] ihm Kae] so habe Hg.] so Kae] Wissbegierde Hg.] Witzbegierde Kae]
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alles erfahren kann, und die Erzählungen anderer falsche Nachrichten seyn sollten, so kann die 267Wissbegierde nicht befriedigt werden. Ein mendacium ist also ein Falsiloquium [412] in praejudicium humanitatis, wenn es gleich nicht wieder ein bestimmtes jus quaesitum des Andern ist. 210Juridisch ist ein mendacium ein Falsiloquium in praejudicium alterius, und da kanns auch nicht anders seyn, aber moralisch ist mendacium ein Falsiloquium in praejudicium humanitatis. Nicht jede Unwahrheit ist eine Lüge, sondern wenn man äusserlich declarirt, daß man wolle dem Andern seinen Sinn zu verstehen geben. Iede Lüge ist was verwerfliches und verachtungswürdiges, denn wenn wir einmal declariren unsern Sinn dem andern zu äussern und thun es nicht, so haben wir das pactum gebrochen und wieder das Recht der Menschheit gehandelt. Wenn wir aber in allen Fällen der Pünktlichkeit der Wahrheit treu seyn möchten, so möchten wir uns offt der Bosheit anderer Preis geben, die aus unserer Wahrheit einen Misbrauch machen wollten. Wenn alle gutgesinnt wären, so würde es nicht allein eine Pflicht seyn nicht zu lügen, sondern es möchte es auch keiner thun, indem er nichts zu besorgen hätte. Aber jetzo da die Menschen boshafft sind, so ist es wahr, daß man offt durch pünktliche Beobachtung der Wahrheit Gefahr läuft, und daher hat man den Begrif der Nothlüge bekommen, welcher ein sehr critischer Punkt für einen Moral Philosophen ist. Da man nun aber aus Noth stehlen, betrügen und tödten kann, so verderbt der Nothfall [413] die gantze Moralitaet, denn wird ein Nothfall behauptet, so beruhts auf jeden seinem Urtheil, ob er es für einen Nothfall hält oder nicht, und da hier der Grad nicht bestimmt ist, wenn ein Nothfall stattfinden kann, son267
Wissbegierde Hg.] Witzbegierde Kae]
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[XXVII: 448,06] Eben diese in Baumgarten’s Ethica nicht enthaltene und auch sonst nicht ermittelte Definition zitiert Kant (VIII: 426,27 f.) in seinem kurzen Aufsatz ‚Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen‘ (1797); für eine deutschsprachige Fassung vgl. (VI: 238,29ff.).
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dern hierin jeder Urtheilen kann wie er will, und was er für einen Nothfall halten kann, was kein Nothfall ist; so sind die moralische Regeln nicht sicher. ZE. Es frägt mich jemand, der da wüste, daß ich Geld habe: Hast du dein Geld bey dir? Schweige ich still, so schließt der andere daraus, daß ich es habe, sage ich Ia, so nimmt er es mir weg, sage ich Nein, so lüge ich; was ist hiebey zu thun? So ferne ich gezwungen werde durch Gewalt die gegen mich ausgeübt wird ein Geständniß von mir zu geben und von meiner Aussage ein unrechtmässiger Gebrauch gemacht wird, und ich mich durchs Stillschweigen nicht retten kann; so ist die Lüge eine Gegenwehr; die abgenöthigte Declaration, die gemisbraucht wird, erlaubt mir, mich zu vertheidigen; denn ob er mir mein Geständnis oder mein Geld ablokt, das ist einerley. Also ist kein Fall wo eine Nothlüge statt finden soll, als wenn die Declaration abgezwungen ist und ich auch überzeugt bin, daß der andere einen unrechtmässigen Gebrauch davon machen will. Es frägt sich wenn eine Lüge die keinen interessirt, keinem Schaden thut, doch eine 268Lüge sey? Ia, denn ich declarire meine Gesinnung zu äussern und wenn ich sie nicht richtig äussere, so handle [414] ich zwar nicht in praejudicium des bestimmten Menschen aber doch in praejudicium der Menschheit. Es giebt ferner Lügen wodurch der andere betrogen wird; Betrug ist ein lügenhaftes Versprechen. Untreue ist wenn wir etwas mit Wahrhaftigkeit versprechen, aber unser Versprechen nicht so hoch halten, daß wir es erfüllen. Aber das lügenhaffte Versprechen ist eine Beleidigung des andern, und obgleich es nicht immer eine Beleidigung ist, so ist es doch immer was niederträchtiges zE. ich verspreche einem zE Wein zu schenken, hernach aber lache ich ihn was aus, so ist das schon Betrug, denn ob er zwar kein Recht hat solches von mir zu fordern, so ist es doch ein Betrug, indem es schon in der Idee ein Theil von 269seinem Eigenthum war.
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Lüge Hg.] Lage Kae] seinem Hg.] meinem Kae]
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Die Reservatio mentalis gehört zur Dissimulation; und die aequivocatio zur simulation; aequivocatio ist erlaubt um den andern zum Stillschweigen zu bringen und ihn abzufertigen, damit er nicht weiter von uns die Wahrheit zu erforschen suche, wenn er sieht, daß wir die Wahrheit nicht sagen können und ihm nicht vorlügen wollen, ist der andere klug, so wird er sich auch dadurch abfertigen lassen. Gantz anders ist es aber sich der Aequivocation zu bedienen, wenn man äussert und declarirt seine Gesinnung bekannt zu machen denn alsdenn kann der andere aus der Aequivocation was anderes schlüssen und dann hab ich ihn betrogen. [415] Solche Lügen wodurch man was Gutes zu stiften vorgab nannten die 211Jesuiten peccatum philosophicum oder peccatillum, woraus 212hernach Bagatelle entstanden. Die Lüge ist aber an sich was nichtswürdiges, sie mag gute oder böse Absichten haben, weil es der Form nach böse ist, vielmehr ist sie nichtswürdig, wenn sie auch der Materie 270nach nicht böse ist; denn
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nach nicht Hg.] nach Kae] | Mnz 290,05 und XXVII: 449,30 haben keinen Anstoß genommen. Der vorgenommene Texteingriff setzt voraus, daß das mehrdeutige „vielmehr“ in einem gegensätzlichen Sinn gelesen wird und etwa durch ‚ja sogar‘ ersetzt werden könnte: „Die Lüge ist aber ansich was nichtswürdiges, […], weil es [sc. das Lügen] der Form nach böse ist, [ja sogar auch dann ist die Lüge nichtswürdig, wenn sie der] Materie nach nicht böse ist; […].“ Mit anderen Worten: Eine Lüge bleibt auch dann nichtswürdig, wenn durch sie ein guter Zweck verfolgt wird. D.h.: Es gilt ein striktes Lügenverbot. – Alternativ dazu wäre ein Verständnis des „vielmehr“ im Sinne einer Steigerung, etwa ‚noch mehr‘ oder ‚in höherem Grad‘, dann hängt aber die im Rahmen einer entwicklungsgeschichtlichen Betrachtung wichtige, in der Vorlesung nur hier ausdrücklich thematisierte Differenz von
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[XXVII: 449,26] Vgl. die zur Anthropologie-Nachschrift des Winters 1781/82 (Menschenkunde, S. 35) in Bd. XXV, S. 883, Men-Nr. 027 gegebenen Hinweise. [XXVII: 449,27] Die angegebene Etymologie ist falsch; das Wort ist als italienisch-französisches Diminutiv abgeleitet vom Lateinischen ‚baca‘ für ‚Beere‘. Auch in Druck-Schriften hat Kant das ‚peccatum philosophicum‘ mit der Bagatelle in Verbindung gebracht; vgl. VI: 440,15 f. / VIII: 385,22f.
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sectio 6: Diiudicatio aliorum §§ 348 ff.
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durch Lüge kann immer was Böses entstehen. Ein Lügner ist ein feiger Mensch, denn weil er sich durch keine andere Art Ehre erwerben oder aus der Noth ziehen kann, so fängt er an zu lügen. Ein hertzhaffter aber wird die Wahrheit lieben und keinen Casum necessitatis statt finden lassen. Alle solche Methoden, wo der andere Mensch nicht auf seiner Hut seyn kann, sind äusserst niederträchtig, dahin gehört die Lüge, der Meuchelmord, die Giftmischerey. Ein Anfall auf der Strasse ist nicht so niedrig, denn da kann man sich vorsehen, aber für dem Giftmischen nicht, denn man muß doch essen. Schmeicheley ist nicht immer Lügenhafftigkeit sondern ein Mangel der Selbstschätzung, wo man kein Bedenken trägt, seinen Wehrt der Schätzung unter den Wehrt des andern zu setzen, und den andern zu erheben, um dadurch was zu gewinnen. Man kann aber auch aus Guthertzigkeit schmeicheln, dieses thun einige gutartige Seelen, die von dem Wehrt anderer hohe Meynung haben. Es giebt also guthertzige und falsche Schmeicheley. Die erste ist schwach, die andere aber niederträchtig. [416] Wenn die Menschen nicht schmeicheln so verfallen sie auf den Tadel. Wenn man nun in der Gesellschafft von einem Manne urtheilt, so critisirt man ihn. Von seinem Freunde muß man aber nicht immer was gutes reden, denn sonst werden die andern darüber eifersüchtig und misgünstig, indem sie glauben daß es nicht möglich ist, da der andere doch nur ein Mensch ist, daß er alle gute Vollkommenheiten an sich habe, also muß 271man der Misgunst anderer Menschen etwas Preis geben, und auch einige Fehler von dem andern sagen, der andere wird mir solches nicht übel nehmen; indem ich seine Verdienste hervorragen lasse, so kann ich solche Fehler Preis geben, die allgemein sind und keine wesentliche Fehler sind.
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‚Materie‘ und ‚Form‘ gleichsam in der Luft und der Vorlesung ginge eine ihrer Pointen verloren. ‚Materie‘ als Terminus nur noch p. 428; ‚Form‘ hingegen p.: 3, 4 und 7 im Gegensatz zu ‚Object‘ – p. 84, 86: ‚Form des Verstandes‘ – p. 192: ‚Form der Handlung‘, p. 210 f.: ‚Form des Gebets‘. man Hg.] man was Kae]
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Schmarotzer sind die in der Gesellschafft andere erheben, um was zu gewinnen. Die Menschen sind dazu gemacht, daß sie über andere urtheilen sollen. Sind sie aber auch Richter? Durch die Natur sind sie auch zu Richter destinirt, denn sonst möchten wir uns in solchen Sachen, die nicht für die äussere Gesetzgebende Gewalt gehören, in den Augen der andern nicht so stellen als für einem Gerichtshofe zE. Einer hat eine Person geschändet, 213das strafft die Obrigkeit nicht, die andern beurtheilen ihn aber und strafen ihn auch, aber nur in so fern es in ihrer Gewalt steht ihn zu strafen, und dadurch dem Andern keine Gewalt geschicht zE Es geht keiner mit ihm um, da ist er schon genug gestrafft. Wäre das nicht, so möchten solche Handlungen, [417] die die Obrigkeit nicht strafft, gantz und gar ungestrafft bleiben. Was heißt aber das, wenn es heißt: 214Wir sollen andere nicht richten? Wir können andere nach complett moralischem Urtheil nicht richten, ob er vor dem göttlichen Gericht strafbar ist oder nicht, indem wir seine Gesinnungen nicht wissen. Anderer moralische Gesinnungen gehören also für Gott, in Ansehung meiner eigenen Gesinnung bin ich aber competenter Richter. Also über das innere der Moralitaet können wir nicht richten, indem die kein Mensch wissen kann. Aber in Ansehung des Äussern sind wir competente Richter. Wir sind also in Ansehung des moralischen nicht Richter über die Menschen, wir haben aber Recht von der Natur über andere zu urtheilen und die Natur hat uns bestimmt, daß wir uns nach dem Urtheil anderer richten sollen, wer das 213
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[XXVII: 450,24] Zu denken ist an die Schwängerung einer Frau; diese ist als solche nicht strafbar, unterliegt nicht dem Strafrecht. – Der juristische Hintergrund ist nicht ermittelt. [XXVII: 450,30] Bibel, NT, Matthäus 7,1: „Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.“ Lukas 6,37: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.“ Paulus, Römer 14,13: „Darum lasset uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr daß niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis darstelle.“ Vgl. dieselbe Bezugnahme in den frühen Nachschriften des Anthropologie-Kollegs (1772/73) Collins p. 12 / Parow p. 15 (XXV: Col-Nr. 28, Par-Nr. 21).
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Urtheil anderer nicht achtet, ist tadelhafft und niederträchtig. Es geschieht nichts in der Welt, worüber wir nicht urtheilen sollten, und wir sind auch sehr subtil in Beurtheilung der Handlungen, das sind die besten Freunde, die genau über ihre Handlungen urtheilen, solche Offenhertzigkeit kann nur unter zween Freunden Statt finden. Wenn wir nun den Menschen beurtheilen, so ist die zwote Frage, was sollen wir von dem Menschen sagen, ist der Mensch gut oder böse? Alle unsere Urtheile müssen wir so einrichten, daß wir die Menschheit liebenswürdig [418] finden, so daß wir niemals eine Sententz der Verwerfung oder Lossprechung thun, besonders im Bösen, eine Sententz spricht 272man, wenn man den Menschen nach der Handlung entweder der Verdammung oder Lossprechung würdig hält. Ob wir gleich befugt sind andere zu beurtheilen, so sind wir doch nicht befugt andere auszuspähen; jeder Mensch hat Recht zu verhindern, daß der andere nicht auf seine Handlungen nachforsche und ausspähe, ein solcher maasset sich ein Recht aufs fremde Thun und Lassen zu. Das muß keiner thun, daß er zE wenn jemand dem Andern was in der Stille sagt, daß man aufhöre, lieber weiter gehe, daß man nicht einen Laut davon höre, oder wenn man bey einem in die Stube kommt und man wird allein gelassen, und auf dem Tische liegt ein offener Brief, so ist das sehr niederträchtig, wenn man solchen zu lesen sucht; ein wohldenkender Mensch wird auch sogar allen Argwohn und Verdacht zu vermeiden suchen, er wird nicht gern in der Stube bleiben, wo Geld auf dem Tisch liegt, er wird nicht gerne Geheimnisse vom Andern annehmen, damit er nicht in Verdacht käme, daß er solche ausgeplaudert hätte, und weil ihn auch die Geheimnisse immer geniren, denn bey der grösten Freundschafft kann doch immer Verdacht statt finden. Der aber aus Neigung oder aus Appetit seinem Freunde was entzieht zE die Braut seines Freundes, der handelt bey alle dem sehr nied-
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man, wenn man Hg.] man Kae] | Mit Mnz 292,05 und XXVII: 451,12.
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rig; denn [419] so gut er Appetit nach meiner Braut bekommen, eben so gut kann er auch einmal Apetit nach meinem Geldbeutel bekommen. Es ist sehr niederträchtig seinem Freunde oder andern aufzulauren und auszuspähen zE. wenn man durchs Gesinde die Handlung des Andern zu erforschen sucht, alsdenn muß man sich mit dem Gesinde gemein machen, und dann will das Gesinde mit ihnen hernach immer so umgehen; durch alles was der Freymüthigkeit entgegen ist, verliert der Mensch seine Würde zE etwas hinter dem Rükken glupsch zu unternehmen, weil ein Gebrauch solches Mittels, wo der Mensch nicht freymüthig seyn kann, alle Gesellschaft aufhebt. Alles das schleichende ist weit niederträchtiger als eine gewaltsame Bosheit, denn für der kann man sich doch hüten, der aber nicht einmal Muth hat 273seine Bosheit offenbar zu äussern, in dem ist kein Fundament des Edlen, wer aber gewaltsam ist, sonsten aber Abscheu hat für alle dem was klein ist, kann noch gut werden, wenn er bezämt wird. Daher auch 215in Engelland das Vergeben mit Gifft eines Mannes durch 274seine Frau mit dem Verbrennen bestraft wird, weil wenn das einreist, kein Mann für seine Frau sicher seyn kann. Da ich nicht befugt bin dem andern aufzupassen, so bin ich auch nicht verbunden dem andern seine Fehler zu sagen, denn der andere wenn er es auch fodern sollte hört es niemals ohne Kränkung an; er weiß besser, daß er solche Fehler hat, allein er glaubt, daß der andere sie nicht gewahr wird, [420] sagt ihm aber der andere, so hört er, daß sie der andere gewahr geworden. Das ist also nicht gut, wenn man sagt, Freunde müssen sich ihre Fehler sagen, weil sie der andere besser wissen
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seine Bosheit Hg.] seine Kae] | Mit Mnz 293,06 und XXVII: 452,04. – Man könnte auch nur ‚sich‘ anstelle von ‚seine‘ lesen, indem man den Gebrauch von Siglen für die der Abschrift zugrundeliegenden Notate annimmt: Ein einfaches kleines ‚s‘ steht für das Possessivpronomen; ein in das ‚s‘ hineingesetzter Strich macht daraus ‚sich‘. seine Hg.] eine Kae] | Mit Mnz 293,10. [XXVII: 452,07] Nicht ermittelt.
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sectio 7: Auxilium aliis ferendum §§ 361 ff.
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kann; allein meine Fehler kann keiner besser wissen als ich; das kann zwar der andere besser wissen als ich, ob ich gerade stehe oder gehe; wer soll mich aber besser kennen, als ich mich selbst wenn ich mich nur Lust habe zu prüfen. Das ist Vorwitz des andern, wenn er jemanden seine Fehler sagt, und wenn es in der Freundschafft schon so weit kommt, dann dauert auch die Freundschafft nicht mehr lange, man muß gegen die Fehler des andern blind seyn denn dadurch sieht der andere, daß er seine Achtung gegen ihn verlohren hat, und dann setzt er gegen ihn auch alle Achtung aus den Augen. Fehler muß man sagen, wenn man über jemanden gesetzt ist, alsdenn ist man befugt Lehren zu geben und die Fehler zu sagen zE ein Mann seiner Frau. Da muß aber die Guthertzigkeit, wohlwollende Gesinnung und Achtung vorleuchten, sonsten wenn der Misfall nur allein ist, so ist ein Tadel und Bitterkeit. Der Tadel kann aber versüßt werden durch Liebe des Wohlwollens und durch Achtung, alles übrige thut nichts zur Besserung. Zur allgemeinen Menschenpflicht gehört die Leutseligkeit Humanitas, was bedeutet leutselig? selig ist soviel als eine Art vom Hange zu einer Handlung zE redselig. Leutselig [421] ist also eine habituelle Harmonie mit allen andern Menschen; ist sie thätig, so ist sie Gefälligkeit, diese ist entweder negativ, denn besteht sie blos im Nachgeben, oder positiv, denn besteht sie in der Dienstgeflissenheit. Von der Dienstgeflissenheit ist zu unterscheiden 275die Höflichkeit. Höflichkeit ist wodurch man beym andern nicht obligirt ist, die sich nur auf Gegenstände der Annehmlichkeit erstrekt. zE es schikt mir jemand seinen Bedienten mit, so ist das Höflichkeit, giebt mir aber der andere zu essen, so ist das Dienstgeflissenheit, weil es dem anderen Aufopferung kostet. Die negative Gefälligkeit ist nicht von solchem Werth als die Dienstgeflissenheit, indem sie nur im Nachgeben besteht, so giebts Leute, die sich aus Gefälligkeit besaufen, indem sie von andern dazu genöthiget worden
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die Hg.] ist Kae]
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und sie nicht Stärke genug haben es abzuschlagen, solcher Mensch würde gerne sehen, wenn er aus der Gesellschafft weg wäre, da er aber schon einmal da ist, so ist er gefällig, es zeigt einen Mangel der Stärke und der Männlichkeit an, wenn man nicht genug Muth und Stärke hat, sich nach seinem eigenen Sinn zu determiniren, solche Menschen sind keines Characters und keiner Handlungen nach Grundsätzen fähig. Das Gegentheil der Gefälligkeit ist der Eigensinn, der hat den Grundsatz sich niemals den Gesinnungen des Andern zu accommodiren. Der erste setzt sich niemals den Gesinnungen des Andern entgegen, und deswegen erscheint er etwas niedriger als der [422] Eigensinnige, denn der Eigensinnige hat doch Grundsätze. Man soll also lieber suchen etwas eigensinnig zu seyn, als sich gäntzlich den Gesinnungen des Andern gefällig zu erweisen. Die Entschlossenheit der Handlungen nach Grundsätzen ist nicht mehr Eigensinn, wenn sich aber die Entschlossenheit auf eine PrivatNeigung und nicht darauf was allgemein gefällt, bezieht so ist das Eigensinn. Der Eigensinn ist eine Eigenschafft der Dummen. Verträglichkeit ist ein Abscheu für Zwist und vor Wiederstreit der Gesinnungen des andern, wer Neigung hat sich den Gesinnungen des andern zu bequemen, die moralisch indifferents sind, der ist verträglich; der ist verträglich, mit dem man keinen Streit zu besorgen hat. Duldsam ist der, der das auch verträgt, was ihm zuwieder ist, damit er nur nicht in Streit verfallen möchte. Duldend ist der, wenn er andere wegen ihrer Fehler nicht hasst, der duldende ist tollerant, intollerant ist der die Unvollkommenheiten des andern ohne Haß nicht ertragen kann. Es giebt in der Gesellschafft Menschen, die intollerant sind, weil sie andere nicht leiden können und deswegen werden sie intollerable und werden von andern wieder nicht gelitten. Hieraus folgt daß die Tolleranz eine allgemeine Menschenpflicht ist. Die Menschen haben viele würkliche und scheinbare Fehler, nun muß einer die Fehler des andern dulden. Die Tollerantz in Ansehung der Religion [423] ist, wenn der eine die Unvollkommenheiten und Irthümer der Religion des Andern ohne Haß dulden kann, ob er gleich einen Misfal-
sectio 8: Studium propagandae religionis §§ 367 ff.
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len an ihnen hat. Wer das für wahre Religion hält, was nach meiner Religion ein Irthum ist, so ist er auf keine Weise ein Gegenstand des Hasses. 276Ich soll keinen Menschen hassen, als wenn er ein vorsetzlicher Urheber des Bösen ist, so fern er aber durchs Böse oder Irthum denkt was Gutes zu thun, so ist er kein Gegenstand des Hasses. Odium theologicum ist ein Haß der Geistlichen, der da statt findet, wenn der Theolog seine eigene Sache der Eitelkeit zur Sache Gottes macht und einen Haß fasst, der sich auf Stoltz gründet, und glaubt weil er ein Lehrer Gottes ist praetendiren zu können ein Bevollmächtigter Gottes zu seyn, den Gott als einen Deputirten mit Autoritaet versehen geschikt hat die Menschen in seinem Namen zu regieren. Odium religiosum wird auf einen geworfen, wenn man glaubt sein Fehler sey ein Hochverrath der Gottheit, wo man die Fehler der Religion für Crimina laesae majestatis divinae ausgiebt. Wenn man nun die Urtheile des andern verdreht, anders auslegt, und vieles daraus folgert, um sie für Crimina laesae majestatis divinae auszugeben, der wirft einen odium religiosum auf den andern, der das thut ist ein Consequentiarius, indem er aus dem Urtheil des Andern folgert, was der Andre gar nicht gedacht hat. Dann [424] giebt er ihm einen Namen und sagt zE O das ist ein Atheist, dann macht der andere die Augen auf und sagt: Was? ein Atheist? den will ich doch kennen, wie ein Atheist doch aussieht, durch diesen Namen wird er bey allen verhaßt und wird intollerant. Das Crimen laesae majestatis divinae ist ein Unding, indem keiner solches begehen wird.
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Ich soll keinen […] Gegenstand des Hasses. Kae] | Der Satz scheint korrupt; vielleicht sollte zum Ausdruck gebracht werden: „Ich soll keinen Menschen hassen, es sei denn, er ist ein vorsätzlicher Urheber des Bösen; sofern jemand aber bloß in Folge eines Irrtums statt des Guten etwas Böses tut, so ist dieser kein Gegenstand des Hasses.“ Damit deckt sich dann auch die wenig später (p. 424) zu lesende Schlußwendung über Dissidenten. – Mnz 295,23ff. und XXVII: 454,03ff. lassen die Stelle unverändert.
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Der Orthodoxe behauptet, daß seine Religion nach seiner Meynung nothwendig allgemein seyn soll. 216Wer ist nun Orthodox? Wenn wir Alle an 277den Himmelspforten erschienen, und es würde gefragt, wer ist orthodox? so würde der Iude, der Türke und der Christ sagen: Ich bin. Die Orthodoxie muß keinen zwingen. Dissident ist der in Sachen der Speculation vom andern dissidirt, aber im practischen einerley ist. Die Friedliebende Gesinnung besteht darin, daß man alle Feindschafft der Dissidenten vermeide. Warum soll ich solchen Menschen hassen der sich verirrt hat. Sincretismus ist eine Art der Gefälligkeit, seine Gesinnungen mit den Gesinnungen aller Menschen zusammenzuschmeltzen um sich nur zu vertragen. Dieser ist sehr schädlich, denn wer seine Gesinnung mit jedes andern seinen zusammen schmiltzt der hat weder das eine noch das andere. Lieber last Menschen irren, wenn sie nur unterscheiden können, sie können doch noch aus dem Irthum befreyt werden. Der geheime VerfolgungsGeist, wo man den andern Menschen [425] hinter dem Rükken verfolgt und ihn beredet und ihn für Atheisten p ausgiebet ist ein sehr niederträchtiger VerfolgungsGeist. Der subtile VerfolgungsGeist ist, wenn ein Mensch gegen den andern, der nicht seiner Meynung ist, zwar nicht mit Haß verfolgt, aber doch einen Abscheu für ihn hat. 277
den Hg.] die Kae]
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[XXVII: 454,25] Der von Krauß 1926, S. 68 erwogene Gedanke hier eine Anspielung auf Lessing’s Nathan der Weise (1779) erkennen zu wollen, ist schon allein aus chronologischen Gründen abwegig; so auch schon Krauß ebenda. Kant erwähnt die Schrift im Anthropologie-Kolleg des Winters 1781/82 (XXV: Men-Nr. 029). – Wenn man einen literarischen Bezug der Vorlesung annehmen will, dann bietet auch Rousseau’s Emile einen Anknüpfungspunkt (Schmidts 1975, S. 313): „Ich betrachte die Verschiedenheit der Sekten, die auf der Erde herrschen und die sich gegenseitig der Lüge und des Irrtums beschuldigen, und frage: welche ist die richtige? Jeder antwortete mir: Meine!“
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Der VerfolgungsGeist aus der Ehre Gottes streitet wieder alles und achtet weder einen Wohlthäter noch Freund noch Vater noch Mutter. Ieder macht sich ein Verdienst den andern aus Ehre Gottes zu verbrennen. In Sachen der Wahrheit der Religion muß keine Gewalt gebraucht werden, sondern Gründe. Die Wahrheit vertheidigt sich selbst und ein Irthum erhält sich länger, wenn ihm Gewalt angethan wird. Die Freyheit der Untersuchung ist das beste Mittel der Wahrheit.
sectio 10: Auxilium vitae commode transigendae §§ 374 ff.
Von der Armuth und den daraus entsprungenen gütigen Handlungen. Eine gütige Handlung ist die den Bedürfnissen des Andern gemäs ist und auf sein Wohlbefinden abzielt, gütige Handlungen können auch grosmüthig seyn durch Aufopferung der Vortheile; betreffen sie die Nothdurft des Andern, so sind es wohlthätige Handlungen, zielen sie auf die äusserste Nothdurft des Lebens ab, so sind es Almosen. Die Menschen finden sich ab oder glauben daß sie sich abfinden in Ansehung ihrer Pflicht der Menschenliebe, wenn sie zuerst suchen sich alle GlüksGüter zu verschaffen und hernach ihren Tribut davor dem Wohlthäter dadurch abzutragen glauben, wenn sie den Armen was geben. Wären die Menschen pünktlich gerecht so möchte es keine [426] solche Arme geben in Ansehung derer wir dieses Verdienst 278 der Wohlthätigkeit zu beweisen glauben und Allmosen geben. Besser ist es gewissenhafft zu seyn in allen Handlungen und noch besser ist es durch unser Betragen dem Nothleidenden zu helfen und nicht nur dadurch, daß man das Ueberflüssige abgiebt; die Allmosen gehören zur Gütigkeit, die mit Stoltz ohne Mühe verbunden ist und zu solcher Gütigkeit die keine Ueberlegung erfordert, ob derjenige der Allmosen würdig oder nicht würdig ist. Durch die Allmosen werden die Menschen Niedrig gemacht, es wäre besser es auf eine andere 278
| Dittographie, gestrichen: „zu beweisen glauben“.
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Von gesellschafftlichen Tugenden
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Art zu überlegen dieser Armuth abzuhelfen, damit nicht Menschen so niedrig gemacht würden Allmosen anzunehmen. Viele Moralisten suchen unser Hertz weich zu machen und aus Weichmüthigkeit gütige Handlungen anzupreisen, allein wahre gute Handlungen entspringen aus wakkerer Seele; um tugendhafft zu seyn muß der Mensch wakker seyn. Die Wohlthätigkeit gegen andere muß mehr wie eine Schuldigkeit, als wie eine Grosmuth und Gütigkeit angepriesen werden, und so ist es auch in der That, denn alle gütige Handlungen sind nur kleine Ersetzungen unsrer Schuldigkeit.
Von gesellschafftlichen Tugenden.
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Der Autor redet hier von der Leichtigkeit des accessus, von der Gesprächigkeit, Politess und Geschliffenheit, Anständigkeit, Gefälligkeit, Insinuation Einschmeichelung oder vielmehr einnehmendes Wesen. Allgemein merken wir an, daß einige nicht zur Tugend gezählet werden, weil sie keinen grossen Grad der [427] moralischen Entschlüssung erfordern bewürkt zu werden, sie erfodern keine Selbstüberwindung und Aufopferung und gereichen auch nicht zur Glükseligkeit eines andern, zielen nicht auf die Nothdurft ab, sondern nur auf die Annehmlichkeit; es ist weiter nichts als Vergnügen und Annehmlichkeit der Menschen im Umgange. Wenn es aber auch keine Tugend ist, so ist es doch eine Uebung und Cultur der Tugend, wenn sich die Menschen im Umgange höflich p aufführen, so werden sie dadurch sanfter und verfeinerter, sie üben in Kleinigkeiten Tugendhaffte Handlungen aus. Offt hat man nicht Gelegenheit tugendhafte Handlungen auszuüben, aber man hat offt Gelegenheit gesellschafftliche und höfliche Eigenschafften auszuüben. Die Annehmlichkeit im Umgange gefällt uns an jemanden offt so, daß wir seine Laster übersehen. Ich brauche des andern seine Ehrlichkeit, seine Grosmuth nicht so offt, als seine Höflichkeit und Bescheidenheit im Umgange. Man könnte fragen: ob die Schrifften die zu nichts dienen als zur Unterhal-
sectio 11: Officia conversationis §§ 378 ff.
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tung, die unsere Phantasie beschäfftigen, ja die wohl gar in Ansehung einiger Leidenschafften als zE der Liebe bis an den Grad steigen, der die Schranken übersteigt, auch Nutzen haben? Ia, obgleich darin die Reitze und Leidenschafften sehr übertrieben werden, so verfeinern sie doch den Menschen in seiner Empfindung, wenn sie das, was ein Object der Thierischen Neigung ist, zum Object der verfeinerten Neigung machen, dadurch wird der Mensch fähig gemacht durch feine geistige Antriebe bewegt zu werden. [428] Indirecte hat es also einen Nutzen, die Menschen werden dadurch daß die Neigung excolirt wird civilisirter. Ie mehr wir die plumpe Art verfeinern, desto mehr verfeinert sich die Menschheit und dadurch wird der Mensch fähig gemacht zu empfinden die bewegende Krafft der tugendlichen Grundsätze. Autor redet vom Geist des Wiederspruchs und vom Studio der Paradoxie oder vom Sonderling der Urtheile. 217Die Paradoxie ist gut wenn es nicht darauf geht um was besonderes was gesagt ist anzunehmen, sondern im Urtheilen andere Wendung zu nehmen; es ist das unvermuthete im Denken, dadurch sind die Menschen offt auf einen neuen Weg der Gedanken gerathen. Der Geist des Wiederspruchs äussert sich im Umgange durch Rechthaberey. Die Gesellschafft hat aber zur Absicht die Unterhaltung und dadurch die Cultur, nun muß in der Gesellschafft nichts von wichtigen Materien vorgenommen werden, worin offt solcher Streit vorkommt, diesen muß einer entweder entscheiden oder durch eine neue Erzählung zum Spiel machen.
sectio 12: Officia in honorem aliorum §§ 387 ff. § 388
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Vom Hochmuth. Autor nennts superbia; arrogantia ist Stoltz, wenn man sich einen Werth anmaast, den man nicht hat; wenn man sich aber 217
[XXVII: 457,02] Das Kantische Lob der Paradoxie auch schon im ersten Anthropologie-Kolleg (Collins p. 15; Parow p. 18).
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Vom Hochmuth
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einen Vorzug vor andern anmaast, ists Hochmuth, alsdenn sezt man die andern herunter und schätzt sie geringer und niedriger; der stoltze schätzt andere nicht geringer, sondern er will nur eben solche Verdienste haben, er wird sich für andere nicht beugen und sich erniedrigen, er glaubt er [429] hat seinen bestimmten Werth, den er nicht gegen andere vergeben will, solcher Stoltz ist echt und billig, wenn er nur nicht die Schranken übertritt, wenn er aber andern zeigen will, daß er solchen Werth habe, so wird dieses Fehlerhaffte eigentlich Stoltz genannt. Der Hochmuth ist nicht eine Anmaassung der Schätzung und des Werths in Ansehung der Gleichheit mit andern, sondern es ist eine Praetension einer höhern Schätzung und eines vorzüglichen Werths in Ansehung seiner Selbst und einer Geringschätzung in Ansehung anderer. Der Hochmuth ist verhasst und lächerlich, denn die Schätzung ist innerlich, will nun einer vom andern geehrt werden, so muß er es nicht so anfangen, daß er es gebietet oder den andern geringer schätzt, dadurch wird er keine Achtung gegen sich bey andern erwekken, sondern er wird vielmehr verlacht, daß er solches praetendirt; alle Hochmüthige sind demnach zugleich Narren, sie werden ein Object der Verachtung, da sie 279nur einen Vorzug blikken lassen. Der Fastus Hoffarth besteht darin, daß man den Vorrang und den Vortritt vor andern haben will, nicht in Ansehung der Gedanken oder der würklichen vorzüglichen Verdienste, sondern in Ansehung des Äussern vor dem Andern vorzüglich zu erscheinen. Die Menschen sind hoffärtig, wenn sie immer die oberste Stelle haben wollen. Es ist eine Eitelkeit und Begierde, darin Vorzug zu suchen was keinen Werth hat. Hoffärtige Menschen suchen in Kleinigkeiten einen Vorzug, sie essen lieber schlecht, wenn sie nur gute Equipage gute schöne Kleider haben, sie sehen auf [430] Tittel und Stand und suchen vornehm zu erscheinen. Menschen von wahrem Verdienst sind weder hochmüthig noch hoffärtig, sondern demüthig, weil ihre Idee, die sie vom wahren Werth haben, so gros ist, daß sie derselben 279
nur Hg.] um Kae] nur ihren Mnz 300,24]
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kein Genüge thun und ihr nicht gleichkommen, sie sehen also ihren Abstand vom wahren Werth ein und sind demüthig. Hoffarth betrifft mehrentheils den niedrigen, besonders den mitleren Stand, als den hohen, denn weil es ein Klettern zum Hofe bedeutet, so sind solche hoffärtig, die demselben nahe kommen wollen.
218Von
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der Spötterey.
Die Menschen sind theils medisant theils moquant, das medisante ist Bosheit, das moquante ist Leichtsinn, der da abzielt andere zu belustigen, auf Kosten der Fehler anderer. Zur Verleumdung gehört Bosheit, offt ist die Ursache davon der Mangel der 280Gesprächigkeit und es nährt auch unsere Selbstliebe, denn alsdenn erscheinen unsere Fehler klein. Die Menschen fürchten sich mehr für der Raillerie als für dem medisanten, denn das Uebelnachreden und Verleumden geschicht insgeheim und kann nicht in jede Gesellschafft angebracht werden, und ich kann es auch nicht selbst hören, aber die Raillerie kann in jeder Gesellschafft statt finden, durch das railliren wird der Mensch mehr erniedrigt als durch das Böse; denn ist man vom Andern ein Object des Lachens, so hat man keinen Werth und ist der Verachtung ausgesetzt. Man muß aber sehen; worüber man ein Object des Lachens vom Andern ist, offt kann [431] man solches andern gönnen, wenn es weder mir noch dem andern was kostet, man verliert dadurch nichts. Ein Spötter von Profession verräth, daß er wenig Achtung für andere hat, und daß er die Sachen nicht nach dem wahren Werth beurtheilt.
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Gesprächigkeit Hg.] Gesprächichkeit Kae]
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[XXVII: 458,13] Schon die französischen Sprachelemente zeigen an, daß der Absatz in keiner Beziehung zum Baumgarten’schen Lehrbuch steht. Vgl. Anthropologie-Mrongovius (1784/85), p. 90.
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Autor redet hier noch von den Pflichten gegen Wesen die unter uns und die über uns sind. Allein weil alle Thiere nur als Mittel da sind und nicht um ihrer SelbstWillen, indem sie sich ihrer Selbst nicht bewust sind, der Mensch aber der Zwek ist, wo ich nicht mehr fragen kann, warum ist der Mensch da? welches bey den Thieren geschehen kann, so haben wir gegen die Thiere unmittelbar keine Pflichten, sondern die Pflichten gegen die Thiere sind indirecte Pflichten gegen die Menschheit. Weil die Thiere Analoga der Menschheit sind, so beobachten wir Pflichten gegen die Menschheit, wenn wir solche gegen Analoga beobachten und dadurch befördern wir unsere Pflicht gegen die Menschheit. Wenn zE ein Hund seinem Herrn lange sehr treu gedient hat, so ist das ein Analogon des Verdienstes, deswegen muß ich es belohnen und den Hund, wenn er nicht mehr dienen kann, bis an sein Ende erhalten, denn dadurch befördere ich meine Pflicht gegen die Menschheit, wo ich solches zu thun schuldig bin. Wenn also die Handlungen der Thiere aus denselben principiis entspringen, woraus die Handlungen der Menschen entspringen, und die Thierische davon Analoga sind, so haben [432] wir Pflichten gegen Thiere, indem wir dadurch die Pflicht gegen die Menschheit befördern. Wenn also jemand seinen Hund todt schiessen läßt, weil er ihm nicht mehr das Brodt verdienen kann, so handelt er zwar nicht wieder die Pflicht gegen den Hund, weil der nicht urtheilen kann, allein er vertilgt dadurch die Leutseligkeit und Menschlichkeit in sich, die er in Ansehung der Pflichten der Menschheit ausüben soll. Damit der Mensch solche nicht ausrotte, so muß er schon an den Thieren solche Guthertzigkeit üben, denn der Mensch der schon gegen Thiere solche Grausamkeiten ausübt ist auch gegen Menschen eben so abgehärtet. Man kann das Menschliche Hertz schon kennen auch in Ansehung der Thiere. So zeigt Hogarth in seinen Kupferstichen auf 219ei219
[XXVII: 459,26] Unzweifelhaft sind die vier Blätter der Serie ‚Four stages of cruelty‘ (1751) kurz beschrieben: Tom Nero als (1) Kind, (2) Kutscher, (3) er-
sectio 13: Officia erga alia, quae non sunt homines §§ 391 ff.
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nem den Anfang der Grausamkeit, wo schon die Kinder gegen Thiere solche ausüben zE wenn sie dem Hund oder Katze den Schwantz klemmen p auf einem andern Kupferstich den Fortgang der Grausamkeit, wo er ein Kind überfährt p und denn das Ende der Grausamkeit durch einen Mord, worauf denn der Lohn der Grausamkeit schreklich erscheint, dieses giebt gute Lehre für Kinder. Ie mehr man sich mit Beobachtung der Thiere und ihrem Betragen abgiebt, destomehr liebt man die Thiere, wenn man sieht, wie sehr sie für ihre Iunge Sorge tragen, alsdenn kann man auch nicht gegen den Wolf grausam denken. 220Leibnitz setzte das Würmchen, welches er beobachtet [433] hat, wieder mit dem Blatt auf den Baum, damit es nicht durch seine Schuld zu Schaden käme. Es thut dem Menschen leid, solches Geschöpf ohne Raison zu zerstöhren, diese Sanftmuth geht hernach zum Menschen über. In 221Engelland kommt in das Ge-
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tappter Mörder, dessen Leiche (4) in der Anatomie öffentlich seziert wird. (Paulson 1965, Bd. 2, Nrn. 201–204). – Schon zu Beginn der 1760er Jahre notierte Herder in seiner Nachschrift des Kantischen Moral-Kollegs einen Hinweis auf diese Stücke (XXVII: 086,02f.). [XXVII: 459,36] In Ludovici’s Ausführlichem Entwurff einer vollständigen Historie der Leibnitzischen Philosophie (1737) heißt es in Bd. 2, S. 230f.: „Merckwürdig ist, daß Hr. Leibnitz niemahls eine Fliege, wenn sie ihm auch noch so große Beschwerlichkeit verursachet hatte, getödtet habe. Auf Befragen, warum er einen solchen nach den bürgerlichen Rechten erlaubten Todtschlag zu begehen Bedencken trüge, pflegte er zu antworten: Man thue unrecht, eine so künstliche Maschine zu destruiren. Der berühmte Herr Christian Breithaupt berichtet solches. […] Wo der Hr. Breithaupt diese Nachricht von Herrn Leibnitz herhabe, meldet er nicht.“ Wie schon in XXV: Col-Nr. 025 angegeben; Kant verwendet dasselbe Beispiel auch in seiner Critik der practischen Vernunft (V: 160,10 ff.) [XXVII: 460,01] John Locke Some Thoughts Concerning Education (1693 – Übersetzung Deermann 1967, sectio 116, S. 109): „Denn die Gewohnheit Tiere zu quälen und zu töten, wird allmählich ihren Sinn auch gegen Menschen verhärten. Und diejenigen, die an dem Leiden und der Vernichtung niedriger Wesen Gefallen finden, werden nicht geneigt sein, sich recht und gütig gegen ihresgleichen zu bezeigen. Unser Gewohnheitsrecht berücksichtigt das durch Ausschluß der Metzger von den Geschworenengerichten, wenn es sich um Leben und Tod handelt.“ (Hinweis Patrick Kain) – Ähnlich
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richt der 12 Geschwornen kein Fleischer, noch ein Wundarzt und Medicus, weil die gegen den Tod schon abgehärtet sind. 222Wenn also anatomici lebendige Thiere zu den Experimenten nehmen, so ist es zwar grausam, obgleich es da zu was Gutem angewandt wird, weil nun die Thiere als Instrumente des Menschen betrachtet werden, so geht es an, aber auf keine Weise als ein Spiel. Wenn ein Herr seinen Esel oder Hund verstosst, weil er sein Brodt nicht mehr verdienen kann, so zeigt das immer eine sehr kleine Seele vom Herrn an. Die Griechen dachten darin edel, welches das 223Beyspiel vom Esel beweist, der an die
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Rousseau Emile, 2tes Buch (Schmidts 1975, S. 144): „In England werden Metzger ebensowenig wie Wundärzte als Zeugen zugelassen.“ Oder auch: Mandeville 1988, S. 159 f.: „Aus diesem Grunde erlaubt es ihnen [sc. den Chirurgen] das englische Recht nicht, in liebevoller Rücksicht auf das Leben der Untertanen, in einer Jury zu sitzen, die über Leben und Tod zu befinden hat, weil angenommen werden muß, daß ihre Berufspraxis an sich hinreicht, jedes Zartgefühl in ihnen zu verhärten und zu zerstören, […].“ Lehmann (XXVII: 1124) verweist u. a. auf The Laws of England, Third Edition Volume 23, London 1958, pg. 8, wonach einige Berufsgruppen von einer Pflicht befreit sind, als Geschworene zu wirken. [XXVII: 460,03] Kant weist auch in seinem ersten Kolleg über Anthropologie auf ebenfalls als ‚grausam‘ bezeichnete Vivisectionen an Tieren hin: Winter 1772/73, Collins p. 56, Parow p. 81. Es ist darüberhinaus anzunehmen, daß er über die Bedeutung von Experimenten an und mit lebenden Tieren für den Erkenntnisgewinn in der neuzeitlichen Medizin informiert war. [XXVII: 460,10] Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 5 (1987) ‚Glocke der Gerechtigkeit‘, Sp. 1295–1299 (1297): „Für eine in verschiedenen Kulturräumen länger anhaltende Tradition ist jedoch eine andere Erzählung maßgeblich, die zunächst in Persien und im mediterranen Gebiet bekannt wurde: Ein alter, abgemagerter, räudiger Esel (in Europa: Pferd) läutet die G. welche ein Herrscher ([…]) für Rechtssuchende als Verbindung zu ihm eingerichtet hat. Der Zustand des Tieres veranlaßt ihn, den Besitzer des Tieres zu lebenslanger Altersversorgung zu verurteilen.“ Auch in Herder’s Notaten des Moral-Kollegs wird davon Gebrauch gemacht (XXVII: 085,37f). Menzer (1924, S. 334) verweist auf eine Schrift des Philipp Camerarius Operae horarum subcisivarum Centuria prima (Frankfurt 1644) cap. 21 und G. Heidegger Acerra philologica (1735), S. 738. – Diesselbe Geschichte überliefert auch die ‚Menschenkunde‘ (XXV: Men-Nr. 166).
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Glokke der Undankbarkeit von ohngefähr gezogen hat. Also sind unsere Pflichten gegen die Thiere indirecte Pflichten gegen die Menschheit. Die Pflichten gegen andere geistige Wesen sind nur negativ. Wir müssen uns nicht in solche Handlungen einlassen, die ein Commercium eine Unterhaltung mit andern Wesen anzeigen, alle solche Handlungen sind von der Art, daß sie den Menschen fanatisch, träumerisch und abergläubisch macht, und der Würde der Menschheit entgegen ist, denn zur Würde der Menschheit gehört der gesunde Gebrauch der Vernunfft, giebt man [434] sich aber damit ab, so ist solcher gesunde Gebrauch der Vernunfft nicht möglich, es mögen immer solche Wesen seyn und es mag alles von ihnen wahr seyn, so kennen wir sie doch nicht und können mit ihnen nicht umgehen. In Ansehung der bösen Geister hat es dieselbe Bewandniß, wir haben so gut wie vom Guten eben so auch vom Bösen eine Idee und alles Böse referiren wir in die Hölle so wie das Gute in den Himmel, 281personificiren wir dieses vollkommene Böse, so haben wir die Idee vom Teufel, wenn wir nun glauben, daß solcher Einfluß auf uns haben könne, daß er des Nachts erscheine und herumspukke, so macht das in uns Hirngespinste, die den vernünftigen Gebrauch unserer Kräffte aufheben. Also sind unsere Pflichten gegen solche Wesen negativ. Autor redet noch von den Pflichten gegen leblose Sachen, diese zielen auch indirecte auf die Pflichten der Menschheit ab. Der ZerstörungsGeist der Menschen gegen Sachen, die noch können gebraucht werden ist sehr unmoralisch. Kein Mensch soll die Schönheit der Natur zerstöhren, denn wenn er es auch nicht brauchen kann, so können doch noch andere Menschen davon Gebrauch machen; obgleich er dieses nicht in Ansehung der Sache selbst zu beobachten hat, so doch in Ansehung anderer Menschen. Also alle Pflichten gegen Thiere andere Wesen und Sachen zielen indirecte auf die Pflichten der Menschheit ab. 281
personificiren Hg.] personiticiren Kae]
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Autor führt noch speciale Pflichten, die wir haben gegen besondere [435] Gattung der Menschen; also Pflichten in Ansehung der Verschiedenheit des Alters, des Geschlechts und der Stände, allein alle diese Pflichten lassen sich *aus den obigen allgemeinen Pflichten der Menschheit ableiten. Unter der Verschiedenheit der Stände ist eine Verschiedenheit die den innern Unterscheid des innern Werths macht; das ist der Stand des Gelehrten, dieser scheint einen Unterscheid eines innern Werths auszumachen. Die Unterschiede unter andern Ständen sind Unterschiede in Ansehung des äussern Wehrts, die andern Stände beschäfftigen sich mit physischen Sachen, die nur auf das Leben der Menschen abzielen. Der Gelehrte hat aber solchen Stand, dessen Hauptbeschäfftigung ist die Erkenntnisse zu erwegen, hier scheint ein Unterscheid des innern Wehrts zu liegen. Es scheint, daß der Gelehrte der eintzige ist, der die Schönheit, die Gott in die Welt gelegt hat, betrachtet und der die Welt zu dem Zwek braucht, zu dem sie Gott gemacht hat, denn warum hat Gott die Schönheit in die Natur und die Werke derselben gelegt als daß man sie betrachten soll. Da nun die Gelehrte den völligen Zwek der Schöpfung allein erfüllen, so scheint es, als wenn sie darin einen innern Werth allein haben. Die Erkenntnisse die sie erwerben sind die warum Gott die Welt gemacht hat. Ia die Talente die in dem Menschen liegen entwikkeln die Gelehrte allein aus. Es scheint also daß dieser Stand einen Vorzug vor andern hat, weil er sich durch einen innern Wehrt davon unterscheidet. [436] Rousseau kehrt dieses aber um und sagt: 224Der Zwek der Menschheit ist 224
[XXVII: 461,24] Vgl. die autobiographische Notiz von Kant über seine Rousseau’sche Bekehrung auf einem Durchschußblatt (gegenüber S. 22) des Handexemplars seiner Beobachtungen von 1764 (Kant / Rischmüller (Hg) 1991, S. 38 bzw. XX: 044,08ff.): „Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich
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nicht die Gelehrsamkeit, die Gelehrten verkehren dadurch den Zwek der Menschheit. Es wird nun gefragt: ob der Gelehrte deswegen, weil er die Schönheit der Welt betrachte die Talente entwikkele p den Zwek der Schöpfung erfülle und die Welt für ihn ist? Weil jeder einzelne Gelehrte nicht die unmittelbare Beschauung der Schönheit der Natur und die Entwikkelung der Talente und die Beförderung der völligen Volkommenheit der Menschheit zum Zwek hat, sondern nur die Ehre die er davon hat, wenn er es andern communicirt, er sucht darin eine Ehre, so wie jeder andere in seinem Gewerbe solche sucht: so kann jeder eintzelne Gelehrte nicht glauben, daß er einen Vorzug hat für jedem andern Bürger; obgleich alle Gelehrte zusammen im Gantzen zum Zwek der Menschheit beytragen, so kann sich doch keiner besonders das zumaassen, indem jeder Handwerker durch seine Arbeit ebenso gut als der Gelehrte zum Zwek der Menschheit was beyträgt. Es entsteht also aus den allgemeinen Quellen der menschlichen Handlungen nemlich aus der Ehre eine Zusammenstimmung der Zwekke der Welt. Es frägt sich, sind die Menschen überhaupt zur Gelehrsamkeit bestimmt, und soll ein jeder suchen ein Gelehrter zu werden? Nein die Kürtze des Lebens reicht nicht zu aber es gehört zur Bestimmung der Menschheit, daß sich einige dem widmen und ihr Leben darin aufopfern, so wie sich einige in andere Bestimmungen [437] zE zur See, unter den Soldaten aufopfern. Das Leben reicht auch nicht zu von der Gelehrsamkeit Gebrauch
fühle den gantzen Durst nach Erkentnis und die begierige Unruhe darin weiter zu kommen oder auch die Zufriedenheit bey jedem Erwerb. Es war eine Zeit da ich glaubte dieses allein könnte die Ehre der Menschheit machen und ich verachtete den Pöbel der von nichts weis. Rousseau hat mich zurechtgebracht. Dieser verblendende Vorzug verschwindet, ich lerne die Menschen ehren und ich würde mich unnützer finden wie den gemeinen Arbeiter wenn ich nicht glaubete daß diese Betrachtung allen übrigen einen Werth ertheilen könne, die rechte der Menschheit herzustellen“. Dazu passen sehr genau einige der – gleichzeitig ? – von Herder in der Vorlesung festgehaltenen Notate; vgl. XXVII: 039,23ff.
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machen zu können, hätte Gott gewollt, daß der Mensch in der Gelehrsamkeit hätte weit kommen sollen, so hätte er ihm ein längeres Leben gegeben. 225Warum muß Newton sterben zu der Zeit da er den besten Gebrauch von seiner Gelehrsamkeit hätte machen können? Und ein anderer muß wieder vom A B C anfangen und alle Classen durchgehen, bis er wieder so weit kommt, und wenn er dann es recht anwenden will, so wird er schwach und stirbt. Also jeder einzelne ist nicht zur Wissenschafft gemacht, aber im Gantzen wird dadurch der Zwek der Menschheit befördert. Die Gelehrte sind also Mittel des Zweks und tragen was zum Wehrt bey, aber sie haben dadurch nicht selbst einen vorzüglichen Wehrt. Warum soll ein Bürgersmann, der in seinem Beruff fleissig ordentlich ist und sonst einen guten Wandel führt, sein Haus gut bestellt, warum soll der nicht eben so viel Werth haben als der Gelehrte? Weil die Beschäfftigung des Gelehrten allgemeiner ist, das bringt schon sein Stand, seine Bestimmung mit sich. Rousseau hat in so weit Recht, aber
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[XXVII: 462,08] Ganz ähnlich eine Bemerkung in der Metaphysik-Pölitz XXVIII: 294,10 ff. – Emil Arnoldt (Gesammelte Schriften, Bd. 5, 1909, S. 296) hat angenommen, daß der vorliegende Text der Moral-Vorlesung erst Mitte der 1780er Jahre entstanden ist, indem hier eine Parallele zu einer längeren Anmerkung im ‚Muthmaßlichen Anfang der Menschengeschichte‘ von 1786 besteht; vgl. VIII: 117,29 ff. und VII: 325,30ff. Tatsächlich findet sich der Gedanke, daß allein bei der Gattung des ‚homo sapiens‘ bzw. dem ‚Menschengeschlecht‘ die „Species von Generation zu Generation vollkommener“ wird, erstmals in den Anthropologie-Nachschriften des Winters 1781/82 (Petersburg p. 19 / Menschenkunde S. 30) oder der des Winters 1784/85 (Mrongovius p. 125’). Allerdings fällt im Moral-Kolleg der Terminus der ‚Generation‘ nicht. In den Druckschriften wird ‚Generation‘ in diesem Sinn erstmals gebraucht in der ‚Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht‘ von 1784 (VIII: 020,13). Doch hat dies an sich nicht viel zu sagen, denn die Vorlesungen über Physische Geographie kennen von Beginn an (ca. 1758) derartige ‚Generationen‘ (Ms Holstein p. 117–119). Zu fragen ist vielmehr, ob der Hinweis auf ‚Newton‘ als Beispiel für die Vergeblichkeit eines je individuellen menschlichen Strebens nach Gelehrsamkeit (Schwaiger 1999, S. 154) dienen soll, oder ob die Gattungsgeschichte als Ganzes in den Blick genommen wird.
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darin fehlt er sehr, 226wenn er vom Schaden der Wissenschafften redet. Kein wahrer Gelehrte wird diese stoltze Sprache führen, die Sprache der wahren Vernunfft ist demüthig. Alle Menschen sind einander gleich und nur der hat einen innern vorzüglichen Werth vor allen [438] der moralisch gut ist. Die Wissenschafften sind Principien der Verbesserung der Moralitaet; um die moralische Begriffe einzusehen gehört Erkenntniß und erleuterte Begriffe. Ausgebreitete Wissenschafften veredlen den Menschen und die Liebe zu den Wissenschafften vertilgt viele niedrige Neigung. 227Hume sagt es ist kein Gelehrter, der nicht wenigstens ein ehrlicher Mann sollte seyn. Auf der andern Seite dient wieder die Moralitaet den Wissenschafften zur Beförderung; Rechtschaffenheit, Achtung fürs Recht anderer Menschen und seiner Person befördert sehr die VerstandesKenntnisse. Redlichkeit macht daß man seine Irthümer in einer Schrifft gesteht und die schwache Stellen nicht verhehlt. Der moralische Character hat also grossen Einfluß auf die Wissenschafften, wer dessen entbehrt, der geht mit den Producten seines Verstandes so um wie der Kaufmann mit seinen Waaren, er wird die schwachen 282Stellen verhehlen und das Publicum hintergehen. Dieses sind die Pflichten, die wir in Ansehung der Gelehrsamkeit zu beobachten haben.
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Stellen Hg.] stellen Kae]
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[XXVII: 462,23] Offensichtlich ist der Erste Discours gemeint: Rousseau 1751 bzw. die deutsche Übersetzung von 1752. [XXVII: 462,31] David Hume, Der Zweifler (Vermischte Schriften, 1756, Bd. 4, S. 286–287): „Es ist gewiß, daß ein ernsthafter Fleiß in den Wissenschaften und Künsten das Temperament sanft und günstig machet, und diesen feinen Regungen zu Hülfe kömmt, worinn die wahre Tugend und Ehre besteht. Es geschieht selten, sehr selten, daß ein Mann von Geschmack und Gelehrsamkeit nicht zum wenigsten ein ehrlicher Mann ist, was er sonst auch für Schwachheiten an sich haben mag.“ – Vgl. XV: 872,01 und XXV: Men-Nr. 261.
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Tugend ist eine Idee, und keiner kann die wahre Tugend besitzen; 228ein tugendhaffter Mann ist demnach eben so wenig gebräuchlich zu sagen als ein weiser Mann; jeder strebt sich der Tugend zu nähern so wie der Weisheit, aber in keinem wird der höchste Grad erreicht. Wir können zwischen Tugend und Laster ein mittleres [439] gedenken und das ist Untugend, welches nur im Mangel besteht. Tugend und Laster ist was positives. Tugend ist eine Fertigkeit nach moralischen Grundsätzen die Neigung zum Bösen zu 283überwinden. Also heilige Wesen sind nicht tugendhafft, weil sie keine Neigung zum Bösen zu überwinden haben, sondern ihr Wille ist dem Gesetz adaequat. Der Mensch, der nicht tugendhafft ist, ist deswegen noch nicht lasterhafft sondern er hat nur einen Mangel der Tugend, das Laster ist aber was positives, der Mangel der Tugend ist aber Untugend. Eine Achtlosigkeit der moralischen Gesetze ist Untugend. Aber die Verachtung der moralischen Gesetze ist Laster. 283
überwinden. Kae] überwinden. Oder, Tugend ist diejenige Stärke der moralischen Gesinnungen unter den Hindernissen der entgegengesetzten bösen Neigungen, da die ersten allemal das Uebergewicht behalten. Mnz 308,06–09] | Die Passage ebenfalls nicht XXVII: 463,13. ‚Übergewicht‘ ansonsten nicht; in der Sache vgl. Kaehler p. 137.
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[XXVII: 463,07] Der ‚tugendhafte Mann‘ „vir bonus“ ist Gegenstand von Cicero’s de officiis; z. B. Buch III (75) oder (81). – Im chronologisch benachbarten Anthropologie-Kolleg wird die These des Moral-Kollegs genauer ausgeführt (Friedländer Ms germ. quart. 400, p. 255 f. / XXV: 550f.): „Diejenige Erkenntnis von Dingen, die das Muster ist wornach was eingerichtet werden soll, diese Erkenntnis ist die Idee. Demnach giebts viele Erkenntniße, denen Ideen zum Grunde liegen. Die Idee ist also von der Erfahrung unterschieden, sie ist in der Vernunft und nicht in der Erfahrung. Daher ist es falsch zu sagen, ein tugendhafter Mann, sondern einer so der Idee der Tugend nach geht um ihr zu gleichen. Plato sagt, das vornehmste Werck des Philosophen ist die Idee zu entwickeln. Dieses Vermögen etwas nach einer Idee zu entwerfen, ist Vernunft. Die Vernunft kann sich Ideen machen von ihrer Bestimmung, ihren Grentzen des Gebrauchs.“
sectio 2: Officia virtuosi et vitiosi §§ 426ff.
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Untugend ist nur, daß man das moralische Gesetz nicht thue, Laster aber daß man das Gegentheil vom moralischen Gesetze thue, das erste ist was negatives, das zweyte was positives. Zum Laster gehört also sehr viel. Man kann Gutartigkeit des Hertzens haben ohne Tugend, denn die Tugend ist das Wohlverhalten aus Grundsätzen und nicht aus Instinct. 284 Gutartigkeit ist aber eine 285Uebereinstimmung des moralischen Gesetzes aus Instinct. Zur Tugend gehört viel. Die Gutartigkeit kann angebohren seyn, tugendhafft kann aber keiner ohne Uebung seyn, weil die Neigung zum Bösen nach moralischen Grundsätzen muß unterdrükt und die Handlungen [440] mit dem moralischen Gesetz übereinstimmend gemacht werden. Es frägt sich ob ein Lasterhaffter Tugendhafft werden kann? Es giebt eine Bösartigkeit des Gemüths die kann nicht corrigirt werden, sondern die bleibt beständig, aber ein böser Character kann immer in einen guten Character verwandelt werden, weil der Character nach Grundsätzen handelt, so kann dieser nach und nach durch gute Grundsätze vertilgt werden, daß er über die Bösartigkeit des Gemüths herrsche. So sagt man 229vom Socrates, daß er von Natur ein böses Hertz gehabt, wel284
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| Dittographie, gestrichen: „Zur Tugend gehört viel. Die Gutartigkeit des Hertzens kann angebohren seyn.“ Uebereinstimmung des moralischen Gesetzes Kae] XXVII: 463,25ff.] Übereinstimmung mit dem moralischen Gesetz Hg?] Übereinstimmung des Herzens mit dem moralischen Gesetz Hg?] Übereinstimmung der Handlungen mit dem moralischen Gesetz Mnz 308,23ff.] | ‚Gutartigkeit‘ zuvor nur p. 352. [XXVII: 463,36] Vgl. Cicero De fato V, 10: „Quid? Socraten nonne legimus quemadmodum notarit Zopyrus physiognomon, qui se profitebatur hominum mores naturasque ex corpore oculis vultu fronte pernoscere? Stupidum esse Socraten dixit et bardum, quod iugula concava non haberet: obstructas eas partes et obturatas esse dicebat; addidit etiam mulierosum – in quo Alcibiades cachinnum dicitur sustulisse.“ [„Weiter: können wir nicht nachlesen, wie Zophyros den Sokrates charakterisiert hat? Und er war als Physiognom ein Mann, der sich darauf verstand, den Charakter und die Naturveranlagung eines Menschen von seinem Körperbau, seinen Augen, seinen Gesichtszügen und seiner Stirn abzulesen. ‚Stupid und dumm‘ nannte er
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ches er aber durch Grundsätze beherrscht hat. Menschen verrathen offt 230in ihrem Gesicht, daß sie incorrigible sind, und daß sie beynahe schon zum Galgen destinirt wären, mit solchen hält es schwer tugendhafft zu werden, eben so wie ein rechtschaffener und ein ehrlicher Mann nicht lasterhafft werden kann und wenn er auch in einige Laster verfällt, so kehrt er wieder zurük, weil die Grundsätze in ihm schon feste Wurtzel gefaßt haben. Die Besserung ist von der Bekehrung zu unterscheiden; Besserung ist wenn man anders lebt aber Bekehrung ist, wenn man den festen Grundsatz und die sichere Grundlage hat, daß man niemals anders als tugendhafft leben wolle. Wir bessern uns offt aus Furcht für dem Tode und wissen nicht ob wir gebessert oder bekehrt sind; würden wir nur die Hofnung haben länger zu leben, so würde die Besserung nicht erfolgt seyn, die Bekehrung ist aber wenn man sich fest vornimmt, man [441] mag so lange leben als man will tugendhafft zu leben. Busse ist kein gutes Wort, es kommt von Büssungen, Kasteyungen her, wo man sich wegen seiner Vergehungen selbst strafft. Wenn der Mensch erkennt, daß er strafwürdig ist, dann strafft er sich selbst und glaubt, daß ihn Gott alsdenn nicht strafen wird, alsdenn büsset er. Solche Traurigkeit hilft aber keinem was. Die
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den Sokrates, weil er an der Kehle keine Einbuchtungen zwischen den Schlüsselbeinen habe, und er erklärte, diese Teile seien bei jenem versperrt und versteift. Und er fügte noch hinzu, er sei hinter den Weibern her; – bei dieser Bemerkung freilich soll Alkibiades laut aufgelacht haben.“ Übersetzung Bayer]. Vgl. auch Cicero Tusculanae disputationes IV 37 §§ 80–81. – Vgl. im übrigen XXV: Col-Nr. 021. [XXVII: 464,02] In der Ethik-Vorlesung ist dies die einzige Stelle, die ein Interesse an Physiognomie bezeugt. Gemäß den vorhandenen Zeugnissen der Vorlesungen über Anthropologie darf angenommen werden, daß Kant anfangs (1772/73) zwar der ‚Physiognomie‘ den Charakter einer Wissenschaft bestritten hat (Collins p. 195 / Parow p. 309 f.) jedoch erst im Verlauf des Erscheinens (1775–1778) der vierbändigen Physiognomischen Fragmente von Johann Caspar Lavater sich deutlich von solchen Bestrebungen distanziert hat. So gesehen, scheint kaum denkbar, daß die Aussage der Ethik-Vorlesung noch im Winter (1775/76) der Friedländer’schen Nachschriften über Anthropologie gefallen ist. – Vgl. XXV: Literaturverzeichnis ‚Lavater‘.
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innere Traurigkeit über sein Vergehen und die feste Entschlüssung ein besseres Leben zu führen hilft allein was und das ist die wahre Reue. Der Mensch kann in Ansehung seiner Laster auf zween Abwege gerathen in Ansehung der Niederträchtigkeit und das ist die Brutalitaet, wo er sich zE durch Verletzung der Pflicht gegen seine Person unter das Vieh versetzt; oder in Ansehung der Bosheit und das ist teuflisch, wo der Mensch sich Gewerbe macht auf Bosheit zu sinnen, wo keine gute Neigung mehr ist; hat er noch eine gute Gesinnung und Wunsch gut zu seyn, so ist er noch ein Mensch, macht er sich 286solche Bosheit aber zum Zwek, so ist er teuflisch. Von Natur ist der Mensch weder viehisch noch teuflisch. Der Zustand des Laster ist der Zustand der Knechtschafft unter der Macht der Neigung, je mehr der Mensch tugendhafft ist, je mehr ist er frey. Verstokt ist der Mensch, wenn er keinen Wunsch hat besser zu werden. Gesellschafft der Tugend ist das 231Reich des Lichts und die Gesellschafft des Lasters ist das Reich der Finsterniß. So tugendhafft der Mensch immer seyn [442] mag, so sind doch Neigungen zum Bösen in ihm und er muß immer im Kampfe stehen. Der Mensch muß sich hüten für dem moralischen Eigendünkel, daß er sich selbst nicht für moralisch gut hält und eine vortheilhaffte Meynung von sich hat, das ist ein träumerischer Zustand, der sehr unheilbar ist, er entspringt daher, wenn der Mensch lange am moralischen Gesetze künstelt, bis er es seinen Neigungen und seiner Gemächlichkeit adaequat gemacht hat. Die Tugend ist die moralische Vollkommenheit des Menschen, mit der Tugend verknüpfen wir Krafft, Stärke und Gewalt, es ist ein Sieg über die Neigung. Die Neigung vor sich selbst ist regellos, und das ist der Zustand des moralischen Menschen, selbige zu unterdrükken. Engel im Himmel können hei-
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solche Bosheit Hg.] solche Kae] | Nach Mnz 310,02 und XXVII: 464,29.
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[XXVII: 464,34] Vgl. unten p. 454.
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lig seyn, der Mensch kann es aber nur so weit bringen, daß er tugendhafft sey. Weil die Tugend nicht auf Instincten sondern Grundsätzen beruht, so ist die Uebung der Tugend eine Uebung der Grundsätze, denselben eine bewegende Krafft zu geben, daß sie überwiegend sind und sich durch nichts ableiten lassen von ihnen abzugehen. Man muß also einen Character haben; solche Stärke ist die Tugendstärke ja die Tugend selbst. Dieser Uebung setzen sich Hindernisse entgegen, welche man aber mit Religion und Regeln der Klugheit verbinden muß, wozu die Zufriedenheit des Gemüths gehört, Ruhe der Seele, frey von allem Vorwurf zu seyn, wahre Ehre, Schätzung seiner selbst und Anderer, Gleichgültigkeit oder vielmehr Gleichmüthigkeit und Standhafftigkeit gegen [443] alle Uebel, an denen man nicht schuld ist. Das sind aber nicht Quellen der Tugend sondern nur Hülfsmittel. Das sind die Pflichten in Ansehung der Tugendhafften. Von der andern Seite mit den Lasterhafften scheint es umsonst zu seyn von Pflichten zu reden, indessen hat doch jeder Lasterhaffte noch Keime in sich zur Tugend; er hat Verstand das Böse einzusehen, er hat noch ein moralisches Gefühl, denn es ist kein Bösewicht, der nicht wenigstens wünschen sollte gut zu seyn, auf dieses moralische Gefühl kann das System der Tugend gegründet werden. Das moralische Gefühl ist aber nicht der erste Anfang der Beurtheilung der Tugend, sondern das erste ist, der reine Begrif der Moralitaet, der mit dem Gefühl muß verbunden werden. Hat der Mensch einen reinen Begrif der Moralitaet, so kann er darauf die Tugend gründen, dann kann er erst das moralische Gefühl rege machen, und einen Anfang machen moralisch zu werden. Dieser Anfang ist freylich wieder ein weites Feld, er muß 232anfanglich negativ seyn, man muß zuerst unschuldig werden und blos alles unterlassen, welches durch allerhand Beschäfftigungen geschicht, die ihn von solcher Neigung abhalten, dieses kann der Mensch recht gut, obgleich das positive schwer ist. 232
[XXVII: 465,34] Vgl. oben p. 16 und den Hinweis auf die ‚negative Erziehung‘ von Rousseau.
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Ethica, p. II, c. II: Respectu coporis
Cap. II: Respectu corporis
sectio 1: Officia aetatum §§ 451 ff.
sectio 2: Officia sanorum et aegrotorum §§ 461 ff.
Was die Pflichten in Ansehung der Verschiedenheit des Alters betrifft, so hat Autor hier keine gute Ordnung getroffen, [444] er hätte diese Pflichten eintheilen können, in Ansehung der Verschiedenheit der Stände, des Geschlechts und des Alters. Der Unterschied des Geschlechts ist nicht so gering als man wohl glaubt, die Triebfeder beym männlichen Geschlecht sind sehr unterschieden von den Triebfedern des weiblichen Geschlechts. In Ansehung des Unterschieds des Geschlechts kann man 233in der Antropologie nachschlagen, woraus sich die Pflichten herausziehen lassen. Wir haben Pflichten gegen Andere nicht allein als Menschen sondern als unsere Mitbürger, da kommen bürgerliche Pflichten vor. Ueberhaupt ist die Moral ein unerschöpfliches Feld. Autor führt Pflichten wieder Gesunde und Kranke an, auf die Art hätten wir auch Pflichten gegen schöne und Heßliche, gegen grosse und kleine. Das sind aber keine besondern Pflichten, weil es nur verschiedene Zustände sind, in denen die allgemeine Menschenpflicht zu beobachten ist. Das Alter können wir eintheilen in das Alter der Kindheit wo man sich nicht selbst erhalten kann, in das Alter des Iünglings, wo man sich selbst erhalten, seiner Art erzeugen aber nicht erhalten kann; in das Männliche Alter, wo man sich selbst erhalten, seine Art fortpflantzen und erhalten kann. Der wilde Zustand stimmt mit der Natur überein, der bürgerliche aber nicht, man ist im bürgerlichen Zustande alsdenn noch ein Kind, ob-
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[XXVII: 466,09] Der „Unterschied“ der Geschlechter ist – nach Auskunft der Nachschriften – im ersten Anthropologie-Kolleg (Winter 1772/73: Collins p. 199–205 / Parow p. 332–352) noch nicht Thema gewesen; dies ist erst im Text des Winters 1775/76 (Friedländer Ms germ. quart. 400, p. 738 / XXV: 697): „Von dem Unterscheide beyder Geschlechter“ explizit der Fall.
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gleich man schon 287seine Art erzeugen kann, man kann sich aber noch nicht selbst erhalten, im wilden Zustand [445] ist man aber denn schon ein Mann. Einen 234weitläuffigern Unterscheid findet man in der Antropologie aus einander gesetzt. Weil der bürgerliche Zustand der Natur wiederstreitet der wilde aber nicht, so meynt Rousseau, 235daß der bürgerliche Zustand dem Zwek der Natur nicht gemäß ist; allein der bürgerliche Zustand ist doch dem Zwekke der Natur gemäß. Der Zwek der Natur der frühen Mündigkeit war die Vermehrung des Menschlichen Geschlechts; würden wir im 30sten Iahre mündig werden, so möchte diese Zeit mit dem bürgerlichen Zustande über-
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seine Hg.] seiner Kae]
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[XXVII: 466,26] Vielleicht sollte ausgedrückt werden, daß der eben aufgezeigte Unterschied in der Anthropologie weitläufiger auseinandergesetzt wird. – Offenbar ist wiederum das Kantische Kolleg über Anthropologie gemeint. Von der „bürgerlichen“ Gesellschaft ist ebenfalls erst im Kolleg des Winters 1775/76 die Rede (Friedländer Ms germ. quart. 400, p. 195 ff. über 90 mal, mit Schwerpunkt p. 666 ff.). – Die inhaltliche Übereinstimmung zwischen den letzten Seiten der Anthropologie und der Moral-Vorlesung ist frappierend. Abschreibe-identische Übereinstimmungen im Wortlaut sind freilich nicht beobachtet worden. [XXVII: 466,29] Vgl. wiederum die Parallelen in der Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 693. / XXV: 683): „Also wiederstreitet die Bestimmung der Natur der bürgerlichen Verfaßung.“ Vielleicht hat der Rousseau’sche Emile den Anlaß für die Kantisch zugespitze Formulierung geliefert (Schmidts 1975, S. 338 f.): „Da der Mensch sterben muß, muß er sich auch vermehren, damit die Gattung fortdauert und die Ordnung der Natur erhalten bleibt. […] Inzwischen gebe ich zu, daß man junge Leute verheiraten muß, wenn sie heiratsfähig sind. Aber diese Fähigkeit tritt vor der Zeit ein. […] Es gibt so viele Widersprüche zwischen den Rechten der Natur und unseren sozialen Gesetzen, daß man sich ständig drehen und wenden muß, um sie auszugleichen.“ Theodor Gottlieb von Hippel hat sich im ersten Kapitel seines erstmals 1774 erschienenen Buches Über die Ehe kritisch abgesetzt von einer neuerdings erfundenen „unnatürlichen Mode, die man Tugend nennt, […] die vorzüglich Mannspersonen zur Last fällt, nach welcher man nicht heirathen muß, als bis man kaum mehr dazu fähig ist.“ (Ed. Faust 1972, S. 9)
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einstimmen, allein alsdenn würde sich das menschliche Geschlecht im wilden Zustande nicht so vermehren; im wilden Zustande vermehret sich das menschliche Geschlecht aus vielen Ursachen sehr schlecht, dahero muß die Mündigkeit sehr frühe seyn, da aber im bürgerlichen Zustande die Ursachen gehoben sind, so ersetzt der bürgerliche Zustand das was dadurch entgeht, daß man nicht in dem Alter einen Gebrauch seiner Neigung machen kann. Die Zwischenzeit ist aber mit Lastern angefüllt. Wie ist nun der Mensch im bürgerlichen Zustande zu bilden für die Natur und für die bürgerliche Gesellschafft? Dieses sind die zween Zwekke der Natur, die Erziehung des Menschen in Ansehung des Natürlichen und in Ansehung des bürgerlichen Zustandes. Die Regel der Erziehung ist der Hauptzwek, wodurch der Mensch im bürgerlichen Zustande gebildet 288wird. In der Erziehung sind [446] zwey Stükke zu unterscheiden: die Entwikkelung der Natürlichen Anlagen; und die Hinzusetzung der Kunst. Das erste ist die Bildung des Menschen, das zweyte Unterricht oder Belehrung. Der das erste am Kinde thut, könnte der Hoffmeister Gouverneur heissen, der das andre thut aber Informator. In der Bildung ist darauf zu sehen, 236daß sie nur negativ sey, daß man das alles abhalte, was der Natur zuwieder sey. Die Kunst oder Belehrung kann zwiefach seyn: negativ und positiv abzuhalten und hinzuzusetzen. Das negative der Belehrung ist, zu verhüten, daß sich nicht Irthümer einschleichen, das positive, daß was mehreres von Kenntnissen hinzugesetzt wird. Das negative sowohl der Bildung als der Belehrung des Geschöpfs ist die Disciplin. Das positive der Belehrung ist die Doctrin. Die Disciplin muß vor der Doctrin 288
wird. In Kae] | Im Ms zwischen den beiden Worten ein nach rechts außen weisender Winkelhaken, der wohl als nachträgliche, evtl. nicht vom Schreiber stammende, Kennzeichnung für einen Absatz zu deuten ist. Der Vorschlag wird als sinnvoll übernommen.
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[XXVII: 467,13] Vgl. oben p. 16.
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vorausgehen, durch die Disciplin kann das Temperament und das Hertz gebildet werden, der Character wird aber mehr durch die Doctrin gebildet. Disciplin heißt soviel als Zucht, durch die Zucht wird aber dem Kinde nichts neues gelehrt, sondern die regellose Freyheit eingeschränkt. 237Der Mensch muß disciplinirt werden denn er ist von Natur roh und wild. Die Menschlichen Anlage sind nur durch Kunst bestimmt gesittet zu werden; bey Thieren entwikkelt sich die Natur von selbst, bey uns aber durch Kunst, also können wir nicht der Natur den Lauf lassen, sonst erziehen wir den Menschen wild. Disciplin ist Zwang, als Zwang [447] ist sie aber der Freyheit entgegen, Freyheit ist aber der Wehrt des Menschen, demnach muß der Zügling durch die Disciplin so dem Zwange unterworfen werden, daß die Freyheit erhalten werden, er muß durch Zwang aber nicht durch sklavischen Zwang disciplinirt werden. Alle Erziehung muß allso frey seyn, so fern der Zügling andere frey läßt. Der vornehmste Grund der Disciplin worauf die Freyheit beruht ist dieser: daß das Kind sein Verhältniß als ein Kind einsehe, und aus dem Bewustseyn seines KindheitsAlters und Vermögens müssen alle Pflichten hergeleitet werden. Ein Kind muß also nicht mehr Krafft exerciren als seinen Iahren gemäs ist, da es nun als ein Kind schwach ist, so muß es nicht durch Gebiethen und commandiren vieles ausrichten können, sondern es muß alles durch Bitten zu erlangen suchen, will es etwas mit Gewalt haben, erfüllt man es einmal, um es nur zu beruhigen, so exercirt es das öffterer und mit stärkerer Krafft, und vergißt seine Kindheitsschwäche; ein Kind muß also nicht gebieterisch erzogen werden, es muß nichts durch seinen Willen erhalten, sondern durch Gefälligkeit der anderen; die Gefälligkeit der Andern erhält es aber dadurch, daß es sich selbst ihnen gefällig beweist, wenn es also durch Zwang nichts erhält, so gewöhnt es sich hernach alles durch Bitten und gefällige Handlungen zu erlangen. Wenn ein Kind in seinem Hause seinen Willen gehabt hat, so wächst [448] es so gebieterisch auf und findet hernach in der 237
[XXVII: 467,24] Vgl. oben p. 253 mit Erläuterung.
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Gesellschafft allerwegen Wiederstand, den er gar nicht gewohnt ist, und ist alsdann für die Gesellschafft unnütz. So wie sich die Bäume im Walde unter einander discipliniren, indem sie die Lufft zu ihrem Wachsthum nicht neben den andern, sondern über sich suchen, wo sie keinen hindern, so wachsen sie auch gerade in die Höhe, da hingegen ein Baum auf freyem Felde wo er nicht durch andere eingeschrenkt wird gantz krüplich wächst, hernach 289es aber schon zu spät ist ihn zu 290discipliniren. Ebenso ist es auch mit dem Menschen; wird er frühe disciplinirt, so wächst er mit andern gerade auf, wird das aber versäumt so bleibt er ein krüplicher Baum. Die erste Disciplin beruht im Gehorsam. Diese Disciplin kann hernach auf viele Zwekke angewandt werden, auf den Körper, auf sein Temperament zE ist er auffahrend, so muß er grossen Wiederstand bekommen, ist er faul, so muß man gegen ihn auch nicht willfährig seyn; ferner auf seine Gemüthsart, dieser muß man sehr wiederstehen, besonders wo Bosheit, Schadenfreude, Neigung zum Zerstöhren und zu quälen sich äussert. In Ansehung des Characters ist nichts als Lüge und falsche betrügerische Gemüthsart das schädlichste; Falschheit und Lüge sind die Fehler des Characters und sind Eigenschafften des Feigen, darauf muß in der Erziehung sehr gesehen werden, daß es unterdrükt wird. Die Bosheit hat doch auch Stärke und darf nur disciplinirt werden; allein die geheime falsche Niederträchtigkeit hat keinen Keim des Guten mehr in sich. Von der Disciplin oder Zucht gehen [449] wir zur Unterweisung oder Doctrin. Diese ist dreyfach: die Belehrung durch die Natur und Erfahrung; durch Erzehlung; und durch Raisonnement oder Vernünffteln. Die Belehrung durch Erfahrung ist der Grund von allem; man muß einem Kinde nichts mehr lehren als was es in der Erfahrung bestätiget findet und beobachten kann, hierauf muß es angewöhnt werden selbst zu beobachten, wodurch sich Begriffe ent289 290
es aber Hg.] aber Kae] discipliniren. … wird er frühe disciplinirt, Hg.] discipliniren, Kae] | Mit XXVII: 468,20f. und Mnz 314,32 f.
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spinnen, die von der Erfahrung abgeleitet sind. Die Belehrung durch Erzehlung setzt schon Begriffe und Beurtheilung voraus. Das Vernünfteln muß nach dem Maas der Iahre eingerichtet werden, zu Anfange muß es nur empyrisch seyn und nicht durch Gründe a priori, also die moralischen Gesetze nicht durch Gründe a priori sondern durch den Effect in der Erfahrung; wenn er zE lügt, so muß man ihn gar nicht des Sprechens würdig halten. Es kommt besonders darauf an, wie die Erziehung den verschiedenen Iahren des Kindes angemessen sey. In Ansehung des Alters ist die Erziehung dreyfach: die Erziehung zum Kinde, zum Iünglinge, und zum Manne. Die Erziehung geht immer vorher und ist die Vorbereitung zu dem Alter. Die Erziehung als eine Vorbereitung zum IünglingsAlter ist wenn man ihm von allem Grund angiebt, zum KindheitsAlter kann das aber nicht seyn, denn Kindern werden die Sachen so vorgestellt als sie sind, denn sonst fragen sie immer weg und während der Antwort besinnen sie [450] sich wieder auf eine Frage. Zum IünglingsAlter gehört aber schon Vernunfft. 238Wenn fängt man an zum IünglingsAlter vorzubereiten? In dem Alter, wo er schon nach der Natur ein Iüngling ist, das ist ohngefähr im 10ten Iahre, denn da hat er schon Ueberlegung. Ein Iüngling muß schon was von Anständigkeit wissen, ein Kind aber nicht, dem kann man nur sagen es ist nicht gebräuchlich. Ein Iüngling muß schon Pflichten der bürgerlichen Gesellschafft haben; hier bekommt er den Begrif der Anständigkeit, der Menschenliebe, da ist er schon Grundsätze fähig, denn wird Moral und Religion cultivirt, nun verfeinert er sich schon selbst und kann durch Ehre disciplinirt werden, da ein Kind nur durch Gehorsam disciplinirt wird. Der dritte Zeitpunkt ist, daß der Iüngling erzogen wird zum Eintritt in das Alter des Mannes, welcher ist, wo er sich nicht allein selbst erhalten, sondern auch seine Art fort238
[XXVII: 469,18] Vgl. Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 692, 824. – Das Alter des moralisch urteilenden „etwa zehnjährigen Knaben“ in der Critik der practischen Vernunft (V: 155,20; vgl. IV: 411,37) ist demnach anthropologisch fundiert.
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pflantzen und erhalten kann. Im 16ten Iahre ist er nun am Rande des MannesAlters, da fällt die Erziehung der Disciplin weg, hier lernt er seine Bestimmung mehr und mehr kennen, daher muß er die Welt kennen lernen. In diesem Eintritt in das MannesAlter muß man ihm vorreden von wahrhafften Pflichten, von der Würde der Menschheit in seiner Person und von der Schätzung der Menschheit an andern, hier muß die Doctrin den Character bilden. Was das Verhältnis in Ansehung des Geschlechts betrifft, so ist darauf die höchste Sorgfalt zu verwenden, 291damit nicht die Affecten, worunter [451] der Affect der GeschlechterNeigung der stärkste ist, nicht gemisbrauchet werde. Rousseau sagt: 239Ein Vater soll hier in diesem Zeitalter seinem Sohne davon einen völligen Begrif machen und es nicht als ein Geheimnis halten, er muß ihm hier seinen Verstand aufklären, die Bestimmung dieser Neigung sagen und den Schaden der aus dem Misbrauch derselben entsteht. Er muß ihm hier aus moralischen Gründen die Abscheulichkeit der Handlungen zeigen, und die Entehrung der menschlichen Würde in seiner Person vor Augen legen. Dieses ist der delicateste und der letzte Punkt in der Erziehung. Ehe die Schulen so weit kommen werden noch viele Laster ausgeübt werden.
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damit nicht Kae] | Dialektgefärbte doppelte Verneinung.
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[XXVII: 470,01] Anscheinend ist an dieselbe Szene aus dem Emile zu denken, auf die Kant in schon seinem ersten Anthropologie-Kolleg (1772/73, Collins p. 62) hingewiesen hat; vgl. Bd. XXV, Col-Nr. 071; bzw. Schmidts 1975, S. 234 f.
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schen schon so vollkommen 292machen können und jedem die Glükseligkeit ausgetheilt haben, allein alsdenn wäre es nicht aus dem innern principio der Welt entsprungen, das innere principium der Welt ist aber die Freyheit. Die Bestimmung des Menschen ist also die gröste Vollkommenheit durch seine Freyheit zu erlangen. Gott will nicht allein, daß wir sollen glüklich seyn, sondern wir sollen uns glüklich machen, das ist die [452] wahre Moralitaet. Der allgemeine Zwek der Menschheit ist die höchste moralische Vollkommenheit, wenn sich nun alle so verhalten möchten, daß ihr Verhalten übereinstimmen möchte mit diesem allgemeinen Zwek, so wäre dadurch die höchste Vollkommenheit erreicht; es muß dahero jeder einzelne sich bemühen sein Verhalten diesem Zwek gemäs einzurichten, wodurch er das seinige dazu beyträgt, daß wenn nun ein jeder so macht die Vollkommenheit erreicht ist. Wie weit ist nun aber das menschliche Geschlecht auf dem Wege zu dieser Vollkommenheit? Wenn wir 240den erleuchtesten Theil der Welt nehmen, so
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machen können Hg.] machen Kae]
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[XXVII: 470,31] Gemeint ist ‚Europa‘; vgl. die R: 1499 (XV: 781,21) bzw. die Anthropologie-Pillau (1777/78), p. 142: „Wir finden Völcker die in der Vollkommenheit der menschlichen Natur nicht fortzuschreiten scheinen, sondern einen Stillstand gemacht haben, da andere, als in Europa immer fortschreiten.“ – Der Terminus ‚Fortschritt‘ wird weder als Verb noch als Substantiv in der Moral-Vorlesung gebraucht. Entwickeln / Entwicklung kommt acht mal vor, p. 321(2), 436f.(3), 446(2), 453. Von einer ‚Entwicklung des Menschengeschlechts im Ganzen‘ ist auch der Sache nach nicht die Rede. – Wenn ich recht sehe, dann wird in den Druckschriften erstmals in einem Zusatz (1777) zum Vorlesungsprogramm des Sommers 1775 in einem ersten Ansatz davon gehandelt. Es heißt dort: „Ein Anschlag, der meiner Meinung nach an sich selbst zwar thunlich, aber durch die weisere Natur ganz wohl verhindert ist, weil eben in der Vermengung des Bösen mit dem Guten die großen Triebfedern liegen, welche die schlafenden Kräfte der Menschheit in Spiel setzen und sie nöthigen, alle ihre Talente zu entwickeln und sich der Vollkommenheit ihrer Bestimmung zu nähern.“ (II: 431,26–32; vgl. II: 520) – Für das Anthropologie-Kolleg des Winters 1775/76, vgl. vor allem Friedländer (Ms germ. quart. 400), p. 728–734.
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finden wir daß alle Staaten gegeneinander in Waffen stehen, und schleift seine Waffen im Frieden gegen den andern; dieses hat solche Folgen die da verhindern daß sich die Menschen dem allgemeinen Zwek der Vollkommenheit nicht nähern können. Der 241Vorschlag des 293Abt von Saint Pierre von einem allgemeinen Volker Senat würde wenn er ausgeführt wird der Zeitpunkt seyn, wo das menschliche Geschlecht einen grossen Schritt zur Vollkommenheit thun würde, dann könnte die Zeit wo jetzt auf Sicherheit verwendet wird darauf angewandt werden was den Zwek befördern möchte. Da aber die Idee des Rechts bey den Fürsten nicht solche Gewalt hat als die Unabhängigkeit, eigene Gewalt und Begierde nach seiner Willkür zu regieren, so ist dieses von der Seite auf keine Weise zu hoffen. Wie ist nun aber diese [453] Vollkommenheit zu suchen und aus welchem Punkt wird sie zu hoffen seyn? 242Nirgends als durch die Erziehung. Diese mus allen Zwekken der Natur der bürgerlichen und der häußlichen Gesellschafft angemessen seyn. Unsere Erziehung im Hause und in den Schulen ist aber noch sehr fehlerhafft, sowohl in Ansehung der Cultur der Talente, der Disciplin und Doctrin, als auch in Ansehung der Bildung des Characters nach moralischen Grundsätzen. Man sieht
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Abt von Saint Pierre Hg.] Abt von Saint Pier Kae]
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[XXVII: 470,35] In den Vorlesungen über Anthropologie wird St. Pierre erstmals erwähnt im anonymen Pillauer Ms (1777/78) p. 41, 45 und anschließend im Petersburger Ms. bzw. der ‚Menschenkunde‘ (1781/82), p. 114 f. / S. 175 f. Im Nachlaßband XV: 210,27; vgl. 591 f. Anm. – Zum Project des Abbé im Blick auf Rousseau vgl. die Studie von Asbach 2002. [XXVII: 471,07] Der hier geäußerte Erziehungsoptimismus (ähnlich die Anthropologie-Friedländer, Ms germ. quart. 400, p. 716–720 und p. 823 ff.) steht in klarem Kontrast zu den politischen Perspektiven in der Spätschrift Der Streit der Facultäten von 1798. Hier heißt es: „In welcher Ordnung allein kann der Fortschritt zum Besseren erwartet werden? Die Antwort ist: nicht durch den Gang der Dinge von unten hinauf, sondern den von oben herab. – Zu erwarten, daß durch Bildung der Jugend […] ist ein Plan, der den erwünschten Erfolg schwerlich hoffen läßt.“ (VII: 092,12–21)
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mehr auf Geschiklichkeit als auf die Gesinnung sich derselben gut zu bedienen. Wie kann aber ein Staat durch solche Personen die nicht besser erzogen sind anders regiert werden! Wenn aber die Erziehung so eingerichtet wird, daß Talente gut entwikkelt der Character moralisch gebildet würden, dann würde das bis zum Thron hinaufsteigen und die Printzen würden hernach durch eben solche geschikte Personen erzogen werden. Anjetzo aber hat noch niemals ein Fürst was zur Vollkommenheit der Menschheit, der innern Glükseligkeit zum Wehrt der Menschheit was beygetragen, sondern nur immer auf den Flor seines Staats gesehen, welches bey ihnen die Hauptsache ist. Aber nach einer solchen Erziehung würden sie sich so ausbilden, daß solches auf die Vertragsamkeit einen Einfluß hätte. Wenn aber schon einmal die Quellen entsponnen sind, so hätte das Bestand und wenn es einmal allgemein ausgebreitet ist, so erhält es sich selbst durch das Urtheil eines jeden Menschen. Der Monarch kann aber nicht allein sondern alle Glieder [454] des Staats müssen so gebildet seyn, alsdenn hätte der Staat solche Festigkeit. Hat man dies jemals zu hoffen? 243Die Basedowsche Anstalten der Erziehung machen dazu eine kleine warme Hofnung. Wenn die menschliche Natur ihre gäntzliche Bestimmung und ihre höchst mögliche moralische Vollkommenheit wird erhalten haben; so ist dieses das 244Reich Gottes auf Erden, 243
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[XXVII: 471,29] Der Umstand, daß hier – anders als im Anthropologie-Kolleg des Winters 1775/76 (Friedländer Ms germ. quart. 400), p. 823ff. – das Basedow’sche Unternehmen nur knapp angedeutet ist, läßt sich vielleicht damit erklären, daß Kant nur die Programmschrift von Basedow aus dem Jahr 1774 Das in Dessau errichtete Philantropinum, Eine Schule der Menschenfreundschaft und guter Kenntnisse für Lernende und junge Lehrer, arme und reiche; Ein Fidei-Commiß des Publicums zur Vervollkommnung des Erziehungswesens aller Orten nach dem Plane des Elementarwerks gekannt hat, bzw. nur die enthusiastische Empfehlung von Sache und Schrift in A. F. Büsching’s Wöchentlichen Nachrichten vom 9. Januar 1775, S. 14–16. [XXVII: 471,33] In der Anthropologie-Friedländer (Ms germ. quart. 400, p. 725 f. / XXV: 693): „Demnach bleibt noch ein Zwang übrig, und das ist der Zwang seines Gewißens, und zwar seines eigenen, wo ein jeder Mensch über sein sittliches Verhalten durch sein Gewißen nach dem moralischen
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[Ende]
alsdenn wird das innere Gewissen, Recht und Billigkeit regieren, und keine obrigkeitliche Gewalt. Dieses ist der letzte bestimmte Zwek und die höchste moralische Vollkommenheit, zu der das Menschliche Geschlecht gelangen kann, die 294nach Verlauf vieler Iahrhunderte zu hoffen ist.
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Finis Ethicae. Regiomonti die XIX. Septbr. MDCCLXXVII.
Johann Friedrich Kaehler Iur. utrq. et Philosoph. Cultor.
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294 295
10
nach Hg.] nach nach Kae] | Ende des Ms. Gesetz urtheilt, und auch so handelt. Dieses ist das Reich Gottes auf Erden“. In einem Reich moralisch vollkommen handelnder Individuuen ist äußerer Zwang unnötig. Ein derartiges Reich hat – nach einer Bemerkung in der Critik der reinen Vernunft von 1781 (III: 527; A 812 / B 840) – Leibniz unter dem Namen eines „Reiches der Gnaden“ konzipiert; Kant erläutert: „Sich also im Reiche der Gnaden zu sehen, wo alle Glückseligkeit auf uns wartet, außer so fern wir unsern Antheil an derselben durch die Unwürdigkeit, glücklich zu sein, nicht selbst einschränken, ist eine praktisch nothwendige Idee der Vernunft.“ In der 1785 mit einem Jahr Verspätung erschienenen Grundlegung zur Metaphysik der Sitten unternimmt Kant die kritische Prüfung dieser Idee unter dem Namen eines „Reiches der Zwecke“ (IV: 433). Die Moral-Vorlesung aus der Mitte der 1770er Jahre kennt (noch) keine kritische Distanz zu einem derartigen moralischen Idealismus.
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– Vgl. S. 401 –
Nachwort
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Nachwort I. Manuskript und Edition Einer Edition handschriftlicher Zeugnisse, stellen sich in aller Regel je spezifische Fragen der Quellenkritik. Der Herausgeber ist aufgefordert, Angaben zu Entstehungszeit und Überlieferung beizubringen, wenn eine neue Quelle in wissenschaftlich verantwortbarer Weise benutzt werden soll. Besondere Sorgfalt wird man erwarten dürfen, wenn die Sache, für die ein neuer Zeuge in Anspruch genommen werden soll, in der bisherigen Forschung streitig oder im Ergebnis sehr schwankend verhandelt ist. Die Sache der hier erstmals edierten Handschrift ist die Kantische Moralphilosophie. Genauer: der Stand ihrer Entwicklung, soweit der Königsberger Professor für Logik und Metaphysik einem studentischen Publikum an der Albertus-Universität darüber Vortrag gehalten hat. Dem Genus nach handelt es sich bei der Quelle um eine Hörernachschrift, die als Original des 18. Jahrhunderts überliefert ist. Das Manuskript ist gebunden in einem zeitgenössischen Halblederband im Quart-Format mit einem Rückenschild: „KANT / PHILOSOPHIAE / PRACTICA / VNA CUM ETHICA.“ Das durchweg mit schwarzer Tinte auf Papier geschriebene Manuskript ist datiert und personalisiert. Auf der als 1 gezählten Titelseite1 ist zu lesen: „Collegium / Philosophiae practicum universalis / una cum Ethica / a / Viro Excellentissimo Professore Ordinario / Domino Kant / privatim pertractatum / studio
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Vgl. Faksimile vor S. 1.
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Nachwort
vero persecutum / ab / Joanne Friderico / Kaehler / Iur. utrq. et Phil. Cultore. / Regiomonti / per Semestre / Aestivum 1777.“ Rechts neben „ab“ von anderer Hand mit Tinte der unterstrichene Eintrag „J Berdau“, der ebenso auf der Innenseite des vorderen Deckels zu sehen ist. Mit Blei- oder Graphit-Stift ist hier zusätzlich festgehalten: „Krakat, / Hint. Tragheim 52 b.“ Der „Hintertragheim“ ist ein Königsberger Straßenname, der beispielsweise auf einem Stadtplan des Jahres 1931 zu finden ist.2 Bei „Krakat“ wird es sich um einen weiteren Besitzereintrag handeln. Dem Schriftzug nach möchte ich auf das erste Drittel des 20. Jahrhunderts tippen und einen Antiquar oder Buchhändler dahinter vermuten. Der Text des Ms endet p. 454 mitten auf der Rückseite eines Blattes: „Finis Ethicae. / Regiomonti / die XIX. Septbr. / MDCCLXXVII. / Johann Friedrich Kaehler / Iur. utrq. et Philosoph. Cultor.“ Es folgen noch 2 unbeschriebene Blätter und der rückwärtige Deckel. Der Einband ist fest und das Ms allem äußeren Anschein nach seit seiner Entstehung unversehrt erhalten. 1997 wurde es aus Münsteraner Privatbesitz durch die „Gesellschaft zur Förderung des Marburger Kant-Archivs e. V.“ erworben und befindet sich seit einigen Jahren als Depositum der genannten Gesellschaft in der Marburger Universitätsbibliothek. Die beiden sich selbst auf dem Titelblatt nennenden Personen (Kaehler, Berdau) sind – ausgehend vom Matrikel-Buch3 als Studenten der Albertina zu identifizieren: Johann Friedrich Kaehler ist am 10. April 1772 als Student der Theologie inskribiert worden. In den zum früheren Königsberger EtatsMinisterium (EM) gehörigen Berichtslisten über den Vorlesungsbesuch der Studenten findet man ihn jedoch ausschließlich unter den Jura-Studenten. Im Winter 1777/78 wird angegeben, daß er aus Friedland stammt und 22 Jahre alt ist. 2 3
Stadtplan von Königsberg. Stand 1931. Nachdruck (Leer: Rautenberg 1990). Ediert in den Jahren 1910–1917 von Erler und Joachim. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist nur der zweite, im Jahr 1676 einsetzende Band im Original erhalten; Universitätsbibliothek Torun´: Rps. 139 / IV.
Manuskript und Edition
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Derzeit höre er bei Kant Metaphysik, Moral und Anthropologie. Nach Erwähnungen in den Listen der beiden folgenden Semester (Sommer 1778 und Winter 1778/79) und der stets wiederkehrenden Angabe, daß er das ‚Beneficium convictorii‘ genieße – also unentgeltlich in der Mensa speisen konnte – geht seine Spur verloren.4 Vielleicht ist er verwandt mit dem am 14. Oktober 1775 immatrikulierten Studenten Johann Sigismund Kaehler, der ebenfalls aus Friedland stammt und von dem eine Nachschrift der Kantischen Vorlesung über Physische Geographie erhalten ist.5 Der zweite Namenszug ist alternativlos6 auf Johann Christoph Berdau zurückzuführen. Vergleichsweise detailreich sind die Informationen über seine Biographie.7 Berdau ist am 8. Februar 1754 in Mohrungen geboren; beim dortigen Diakon, Sebastian Friedrich Trescho (1733–1808), fungiert er – wie zuvor Herder – als Amanuensis; im Anschluß ist er im Königsberger Fridericianum nachgewiesen; sein Studium der Theologie beginnt offensichtlich erst mit der zweiten8 Immatrikulation am 3. Oktober 1772. In den erhaltenen Berichtslisten der Theologi-
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Er findet sich weder in der APB noch den beiden Prediger-Verzeichnissen von Rhesa (1834); er dürfte demnach tatsächlich eine juristische Laufbahn beschritten haben. Nicht auszuschließen ist freilich, daß er vergleichsweise früh verstorben ist. Der Angabe auf dem Titelblatt zufolge datiert diese aus dem Sommer 1775. Die Handschrift befindet sich in den USA, Pittsburgh, Pennsylvania State University Library: Ms German 36. Vgl. den Personen-Index der Matrikel, Bd. 3, S. 23. Herrn Dr. Martin Berdau (Berlin) danke ich für die zahlreichen, mir freundlicherweise in den Jahren 2001 ff. übermittelten Hinweise und Zusammenstellungen zum Lebenslauf seines Onkels. Sofern keine gedruckte oder handschriftliche Quelle eigens genannt wird, gehen die im Folgenden beigebrachten Angaben auf Herrn Dr. Berdau zurück. Vgl. auch Krollmann in APB, Bd. 1, S. 48. Erstmals genannt ist er in der Matrikel am 29. Mai 1772; mit dem Vermerk: „Ob proprium sibi scriptum testimonium et falsum commissum matricula privatus et iterum in collegium Fridericianum, in quo gratis per quatuor annos informationem habuit, missus est.“
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Nachwort
schen Fakultät wird er geführt im Winter 1772/73; dem Sommer 1774 und letztmals im Winter 1774/75. In den beiden letzten Semestern ist in den Akten des EM auch verzeichnet, welche Vorlesungen er besucht, darunter: Moral im Winter 1774/75 bei Kant. Er genieße zudem das Dohna’sche Stipendium und opponiert habe er auch schon.9 Während des Studiums hat er – außer bei Kant – auch bei Friedrich Johann Buck (Mathematik) und mehreren Theologen Veranstaltungen belegt. Berdau schlägt die theologische Laufbahn ein beginnend mit der Ordination in Potsdam als Feldprediger (November 1784), der folgenden (Dezember) Stationierung in Elbing und dem schließlichen Antritt einer Prediger- und Schulratsstelle in Marienwerder im Jahr 1794. Den Umkreis der Königsberger Universität scheint Berdau – soweit bisher ermittelt – nicht vor Mitte der 1780er Jahre verlassen zu haben: Festgehalten ist sein Name auf dem Titelblatt der Disputatio pro receptione (am 5. April 1781) von Christian Jacob Kraus10 und im offiziellen, lateinischen Catalogus praelectionum der Albertina: Vom Sommer 1782 bis zum Winter 1784/85 zeigt Berdau Kurse für die französische Sprache an.11 Ludwig von Baczko hoffte noch im März 1784 ihn für seine auf die Königsberger studentische Klientel zielende Privat-Pension gewinnen zu können.12 – Während der Zeit als Feldprediger verheiratete er sich mit einer Tochter des späteren Kant-Biographen Ludwig Ernst (von) Borowski: Johanna Regina Carolina Borowski (1767–1789) und Berdau werden am 6. Februar 1786 in Elbing getraut. Aus der Ehe gehen zwei Töchter hervor. Nach dem frühen Tod der Gattin bleibt Berdau ledig; sein weiterer Lebens- und Wirkungsbereich ist Marienwerder (Kwidzyn) an der Weichsel, wo er nach längerer Krankheit am 5. Oktober 1844 9
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GStAPK, HA XX, EM 139b, Nr. 25. Bd. 5, fol. 302 f. / Bd. 6, fol. 174 f.; fol. 224 f. Nicht identifiziert ist die anzunehmende (nicht in Komorowski 1988) Beteiligung an einer theologischen Disputation. Exemplar: Polnische National-Bibliothek Warschau: XVIII.2.06758 adl. Ehemals Stadtbibliothek Königsberg, Vorbesitz Rudolf Reicke. Vgl. Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. 739. Vgl. AA-Kant X: 370, Br.-Nr.: 225.
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verstorben ist. Auch nachdem er Königsberg verlassen hatte, muß sein Interesse an der Kantischen Philosophie weiter bestanden haben. Ein heute zur Danziger Akademie-Bibliothek13 gehöriges Exemplar (Signatur: Z 7178) der zweiten Auflage der Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1787) zeigt auf dem Titelblatt den Besitzereintrag „J. Berdau.“ Die Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges haben die kulturellen und wissenschaftlichen Traditionen der 1255 begründeten Stadt Königsberg nahezu vollständig beendet. So ist der Verbleib der Hauptmasse der insbesondere in ihren älteren Teilen unersetzlichen Bestände von Stadt- und Universitätsbibliothek weitgehend unaufgeklärt.14 Dokumente aus staatlichen und kirchlichen Archiven sind hingegen in erfreulich großem Umfang erhalten. Die mit dem Kriegsende und den unmittelbar anschließenden Jahren verbundenen Zerstörungen in der Region des damaligen Ostpreußen haben schließlich auch die Sammlungen von Privatpersonen oder kleineren Einrichtungen nahezu vollständig aufgelöst und zerstört oder weit verstreut. Gleichwohl hat das Marburger Kant-Archiv im Lauf von rund 20 Jahren mehr oder weniger aufschlußreiche Angaben zu über 160 Nachschriften Kantischer Vorlesungen zusammentragen können. Hinzu kommt eine Vielzahl von Informationen aus vormals Königsberger Archivalien und der personengeschichtlichen Literatur. Die dadurch gegebene Datenbasis erscheint hinreichend breit, um zu mehr als punktuellen Aussagen über Üblichkeiten und Verfahrensweisen im Vorlesungsbetrieb der Philosophischen Fakultät der Albertina gelangen zu können. Bei Ausnahme der Handschriften von Johann Gottfried Herder, der während seiner Königsberger Studienzeit (Sommer 1762 bis 13 14
Frau Beata Gryzio danke ich für ihren freundlichen Hinweis. Eine erste Übersicht hat die von Klaus Garber und Axel E. Walter im Herbst 1999 an der Universität Osnabrück durchgeführte internationale Konferenz „Königsberger Buch- und Bibliotheksgeschichte“ geschaffen; ein Tagungsband ist angekündigt.
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Nachwort
November 1764) vornehmlich bei einem Privatdozenten an der philosophischen Fakultät, nämlich Immanuel Kant, Kollegien besucht hat, sind ausschließlich solche Nachschriften bekannt geworden, die auf Kant’s Zeit als ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik (ab Sommer 1770) zurückgehen. Den Grundstock der Informationen zu den Nachschriften liefert eine Liste, die Paul Menzer (1873–1960) als Herausgeber der Abtlg. IV ‚Vorlesungen‘ der Kant-Ausgabe der noch Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1912 zusammengestellt hat. Der zwischenzeitlich eingestellte und Ende der 1950er Jahre wieder aufgegriffene Editionsplan enthielt auch die Vorlesungen über Moralphilosophie. Die Menzer’sche Liste bot Angaben zu insgesamt 90 Nachschriften, darunter 16 zur Moral. Derzeit verfügbar15 sind teils sehr rudimentäre Informationen über 25 Manuskripte nach Kant’s Vorlesungen über Praktische Philosophie. Wilhelm Krauß hat schon 1926 fünfzehn Nachschriften des Kantischen Kollegs in seinen Untersuchungen zu Kants moralphilosophischen Vorlesungen eingehend beschrieben und analysiert. Ein Dutzend dieser Handschriften erkannte Krauß als Glieder einer Abschriftentradition, deren Entstehung auf eine Vorlesung zurückgehe, „die in dem Zeitraum von W.S. 1774/75 bis W.S. 1778/79 gehalten worden ist.“16 Hinzu kamen drei weitere von dieser Tradition unabhängige Nachschriften: P = Powalski, R = Mrongovius und Z = Vigilantius. Das Powalski’sche Heft hat Krauß mittels einer kurzen Betrachtung der durch das Ms überlieferten „ethischen Grundansichten“ (S. 81–83) auf das Kolleg des Wintersemesters 1782/83
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Vgl. einerseits die Liste in Stark 1999a (S. 97–99) bzw. vollständig in Internet auf der Marburger Kant-Seite. Krauß 1926, S. 69. – Die maschinenschriftliche Dissertation geht zurück auf eine Anregung von Erich Adickes (1866–1928), dem damaligen Herausgeber der Abteilung III ‚Handschriftlicher Nachlaß‘ der Kant-Ausgabe der Berliner Akademie.
Manuskript und Edition
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zurückzuführen versucht.17 Das von Mrongovius selbst geschriebene kürzere Ms18 stammt nach Krauß (S. 96 f.) aus dem Wintersemester 1784/85, also dem des Titelblatts. – Unberücksichtigt bzw. unbekannt sind Krauß die Herder’schen Notate aus den 1760er Jahren,19 ein kurzzeitig aufgetauchtes Heft von William Motherby,20 und das für die Moralphilosophie einschlägige Manuskript eines Grafen Dohna.21 Darüber hinaus sind auch einige unspezifische Angaben zu sechs weiteren Nachschriften erwähnenswert. Vier Nachschriften, die der Verleger Vollmer um 1800 besessen hat,22 und ein Heft, das laut Daniel Jenisch’s Brief an Kant vom 14. Mai 1787 der Braunschweigsche Prinzeninformator Pockels sich aus Göt17
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Gerhard Lehmann hat – in Unkenntnis der Dissertation von Krauß – den Text in Bd. 27 der Akademie-Ausgabe veröffentlicht und dafür votiert, die Vorlesung chronologisch vor die Menzer-Vorlesung (Collins) zu setzen; vgl. Anhang zu XXVII: S. 1043 f. Heft P ist im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften erhalten; Heft Z ist verschollen. – Zu Anlage und Durchführung des Bandes 27 vgl. Schwaiger 2000. Veröffentlicht von Gerhard Lehmann in Bd. XXIX, S. 595–642; vgl. dazu . Zelazny / Stark 1987, Schwaiger 2000. Eine englische Übersetzung von Peter Heath erschien 1997 in den Lectures on Ethics im Rahmen der CambridgeEdition of the Works of Immanuel Kant. – Die Handschrift befindet sich in der Akademie-Bibliothek in Danzig (Ms 2218). Erstmals 1964 herausgegeben von Hans Dietrich Irmscher als Ergänzungsheft Nr. 88 der Kant-Studien. Vgl. Bauch 1914. – William Motherby wurde am 8. März 1792 in Königsberg immatrikuliert; wenigstens zeitweise war R. B. Jachmann sein akademischer Tutor. Falls das Motherby’sche Ms zur Kantischen Moral auf eine selbst gehörte Vorlesung zurückging, dann muß es sich um dieselbe Vorlesung des Winters 1793/94 handeln, die von Vigilantius nachgeschrieben worden ist. Laut Menzer-Liste von 1912: „Erster Theil der Moral. Von den Pflichten gegen sich selbst. 2. Theil der Moral von den Pflichten gegen unsere Nebenmenschen. 101 Seiten“ Immanuel Kants physische Geographie, Bd. 1 (Mainz / Hamburg: Gottfried Vollmer 1801) Vorrede, S. iv: „Von der Moral habe ich vier, von der Logik fünf Handschriften, aus verschiedenen Jahren, und sie werden, weil sie ohnedem so populär sind, gewiß ein neues Licht über sein System verbreiten.“
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Nachwort
tingen beschafft hat.23 Ich möchte vermuten, daß dieses Ms demjenigen ähnelte, das über einen litauisch-polnischen Studenten Mitte Oktober 1787 zeitweilig nach Marburg/Lahn gelangt war.24 Schließlich waren weder Adickes noch Krauß über ein offensichtlich erst gegen Ende des Jahres 1924 in Königsberg25 aufgetauchtes weiteres Manuskript nach Kant’s Moral-Kolleg informiert. Otto Schöndörffer (1860–1926)26 hat, mit Schreiben vom 10. Dezember 1924 an Paul Menzer, darüber berichtet, ohne auf eine öffentliche Mitteilung Wert zu legen.27 Es handelte sich dabei um die 1997 für das Marburger Kant-Archiv erworbene Handschrift des Jura-Studenten Johann Friedrich Kaehler.28 Sie tritt damit als 13tes Stück in die Reihe der von Krauß ausgemachten Abschriftentradition, die auch für die von Paul Men-
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„Pokels, der Herausgeber des Magazins für die Seelenkunde, und Prinzeninformator am Braunschweigschen Hofe, hatte mit dem jüngsten Prinzen eine Reise nach Königsberg projettirt, die ihm aber durch einen Zufall traversirt worden: unterdeßen hat er sich von Göttingen aus, Abschriften von ihrer Moral und Anthropologie geben laßen, die er dem Prinzen seit einem halben Iahre vorträgt.“ (X: 485 f.) – Anfragen beim StA Wolfenbüttel brachten keine weiteren Informationen zu Tage. Vgl. Stark 1996, S. 96 und S. 100. Einen Aufenthalt bei der Königsberger Kant-Feier (19.–24. April) 1924 hat Menzer zur Einsichtnahme in das anonyme Ms 2581 (Vorbesitz Rudolf Reicke) der Königsberger StUB benutzt und so noch einige Nachträge seiner Ausgabe Eine Vorlesung Kants über Ethik hinzufügen können; vgl. Kant / Menzer (Hg) 1924, S. 334 f. – Menzer wußte als ehemaliger Leiter der geplanten, aber 1922 eingestellten Abtlg. IV der Kant-Ausgabe wenigstens seit 1912 von sechzehn Nachschriften der Moral, wovon vier in Königsberg waren. Zwei der Handschriften gehörten – wie das Vigilantius-Heft – zur Gotthold’schen Bibliothek und eines zur Stadtbibliothek. Vgl. den Nachruf von Karl Vorländer in den Kant-Studien Bd. 31 (1926), S. 620 ff. Vgl. AA-Kant XXVII: S. 1044. Bereits 1997 konnten in der Einleitung zu Bd. XXV (S. lxiii f.) einige Hinweise gegeben werden; 1999 erfolgte eine Vorstellung des Kaehler’schen Manuskriptes als solchem. – Die in Stark 1999a enthaltenen Versehen sind in der hier vorgelegten Ausgabe stillschweigend korrigiert.
Manuskript und Edition
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zer 1924 erarbeitete Edition Eine Vorlesung Kants über Ethik die materielle Basis geliefert hat. Der Menzer’sche Text bildet von 1930 bis in das Jahr 2000 die Grundlage zu Übersetzungen in europäische und außereuropäische Sprachen sowie eine deutsche Neuausgabe. Die Edition von Gerhard Lehmann in Band 27 der Akademie-Ausgabe von Kant’s gesammelten Schriften (1974–1979) hat Menzer’s Pionierleistung nicht ersetzen können. In der deutschsprachigen und der davon hinsichtlich der Quellen weitgehend abhängigen internationalen Kant-Forschung blieb hingegen unbemerkt, daß der hochbetagte Danziger Prediger Christoph Coelestin Mrongovius schon im Jahr 1854 eine polnische Teilübersetzung29 in offensichtlichem Gedenken an den 50 Jahre zurückliegenden Todestag seines verehrten Lehrers herausgegeben hatte. Hier eine chronologische Übersicht:30 1854 – Mrongovius, Christoph Coelestin (Hg, Üb): Rozprawa filozoficzna o religii i moralnosci miana przez Immanuela Kanta a na jezyk polski przelozona przez Mrongowiusa … [Polnisch: Philosophische Abhandlung über Religion und Moral stammend von Immanuel Kant und in die polnische Sprache übersetzt von Mrongovius …] (Danzig: eigener Verlag, Druck: Szrot) [Auf der Basis eigener Nachschriften, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zur Danziger Stadtbibliothek bzw. nach 1945 zur Akademie-Bibliothek daselbst gehören.] 1930 – MacMurray, John (Hg) / Infield, Louis (Üb): Lectures on Ethics by Immanuel Kant with an Introduction by MacMurray (London: Methuen) [Nach Menzer] 1963 – MacMurray, John (Hg) / Infield, Louis (Üb): Lectures on Ethics by Immanuel Kant with an Introduction by John MacMurray [Reprint der Ausgabe von 1930; ergänzt um ein Vorwort von Lewis White Beck (New York / Evanston)] 1968 – Konishi, Kunio (Üb) / Nagano, Mitsuko (Üb): Eine Vorlesung Kants über Ethik [Japanisch] (Tokyo) [Nach Menzer] 29
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. . Vgl. Zelazny / Stark 1987. – Herr Zelazny (Torun´) bereitet gegenwärtig eine kritische Neuausgabe vor. Für Hinweise und Erläuterungen danke ich Margit Ruffing (Mainz), Piero Giordanetti (Milano/Varese), Vadim Kurpakov (Kaliningrad), Steve Naragon (North Manchester) und Tatsubumi Sugasawa (Tokyo).
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Nachwort
1971 – Guerra, Augusto (Üb): Lezioni di Etica [Classici della Filosofia Moderna] (Bari) / Biblioteca Universale Laterza (Roma / Bari), Nr. 126, weitere Auflagen: 1984, 1991]. [Nach Menzer] 1974–1979 – Lehmann, Gerhard (Bearb.): Vorlesungen über Moralphilosophie (Berlin) [= Kant’s gesammelte Schriften herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Bd. 27 / Kant’s Vorlesungen herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 4: Moralphilosophie Collins, S. 237–473 / S. 1168 ff.] 1978/79 – Henriot, Patrice (Üb): Leçons sur l’Ethique. Extraits traduit en français pour la première foi présentés et annotés, in: Revue de l’Enseignement philosophique (Paris) 29 (1978/79) Nr. 3, S. 38–60. [Nach Menzer] 1988 – Aramayo, Roberto Rodríguez (Einl, Üb) / Panadero, Concha Roldán (Üb): Lecciones de Ética (Barcelona) [307 S.] [Nach Menzer und der Edition von Gerhard Lehmann in Bd. 27 der Akademie-Ausgabe, mit eigenständigem kritischen Apparat und Erläuterungen] 1990 – Gerhardt, Gerd (Hg): Eine Vorlesung über Ethik (Frankfurt/M.) [295 S. / nach Menzer 1924 und Lehmann 1974–79] 1997 – Heath, Peter (Ed, Üb) / Schneewind, Jerome B. (Ed): Lectures on Ethics (Cambridge, UK / New York / Melbourne) [Part II: Moral Philosophy; S. 37–222.] [The Cambridge Edition of the Works of Immanuel Kant / Auf der Basis der Edition von Gerhard Lehmann in Bd. 27 der Akademie-Ausgabe, mit Ergänzung von Fehlstellen] 2000 – Sudakov, A. K. (Üb) / Krylov, V. V. (Üb): Lekcii po etike [Russisch] (Moskau) [Nach Menzer und der Ausgabe von Gerd Gerhardt (1990)]. 2002 – Mikoshiba, Yoshiyuki (Üb): Vorlesung über Moralphilosophie [Japanisch] (Tokyo), in: Bd. 20 der japanischen Gesamtausgabe der Werke von Immanuel Kant im Verlag Iwanami [Nach der Edition von Gerhard Lehmann in Bd. 27 der Akademie-Ausgabe].
II. Die Vorlesung a) ihr chronologischer Rahmen Interessiert man sich für den essentiellen, chronologischen Rahmen von Kant’s Vorlesungen über die Moralphilosophie, so ist ein solcher bekanntlich schon vor rund 100 Jahren durch das von Emil Arnoldt und Otto Schöndörffer auf der Grundlage der gedruckten Lektionskataloge und verschiedener Archivalien erstellte Verzeichnis der Vorlesungen geschaffen wor-
Die Vorlesung
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den.31 Die darin enthaltenen Angaben lassen sich für die Zeit nach 1770 leicht in eine tabellarische Form überführen, die seit 1997 im Internet zugänglich gemacht ist.32 Es zeigt sich, daß Kant nach der Übernahme der Professur für Logik und Metaphysik rasch zu einem sehr stabilen Rhythmus für sein Lehrangebot kommt: er hält die Moralphilosophie – vielleicht abgesehen von einer noch zu erwägenden Ausnahme – stets im Winter; parallel dazu Metaphysik und das neue Inhalte vermittelnde Kolleg über Anthropologie, welches erstmals im Winter 1772/73 geschieht. Kant hat einen derartigen Rhythmus nicht aus freien Stücken gewählt; vielmehr befolgt er eine damals für die Königsberger Universität gültige Planung. Auskunft gibt z. B. ein Aktenstück des Jahres 1799: „Wegen eines zweckmaessigen StudienPlans für die auf der Academie Studierende“ hielt Christian Jacob Kraus als Dekan der Philosophischen Fakultät unter anderem fest (f. 22): „V. Was die Philosophie anlangt, so bietet die auf hiesiger Universität Statt habende Einrichtung, daß allemal im SommerhalbJahre die Logic und im Winter die Metaphysic von dem Lehrer dieser Wissenschaften, so wie ebenmässig im Sommer die Moralphilosophie und im Winter das Naturrecht, in beständigen Frühstunden publice gelesen werden müßen, bequeme Gelegenheit zum Studio dieser Wissenschaften dar, welche, so fern sie dazu geeignet sind, das methodische Nachdenken über die allgemeinsten und für jeden Menschen als Menschen, interessante Gegenstände zu erwecken und zu üben, als Vorbereitungsstudien zu den obern Fakultätswissenschaften allgemein verdienen empfohlen zu werden.“33
Der einfache Sinn dieser die beiden Professoren der Philosophie im engeren Sinne (Theoretische / Praktische) bindenden Rege31
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Emil Arnoldt, Gesammelte Schriften, Bd. 5, S. 173 ff.„Möglichst vollständiges Verzeichnis aller von Kant gehaltenen oder auch nur angekündigten Vorlesungen nebst darauf bezüglichen Notizen und Bemerkungen“. http://www.uni-marburg.de/kant/webseitn/gt_v_tab.htm. APO: XXVIII/2/13, (f. 22); ehemals Universitätsarchiv Königsberg, Depositum im StA Königsberg. Vgl. auch die anderen (AA-Kant Bd. XXV, S. ci) gegebenen Belege.
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Nachwort
lung ist, daß auf diese Weise jeder Königsberger Student innerhalb von zwei Semestern sämtliche vier philosophischen Wissenschaften öffentlich, d. h. kostenfrei, an den vier akademischen Haupttagen (Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag) hören konnte. Auch die – von Kant anfangs als unbequem empfundene34 – Festsetzung einer frühen Uhrzeit ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Der als unverzichtbare Grundlage eines Studiums angesehene philosophische Kursus geriet so nicht in einen zeitlichen Konflikt mit dem Lehrangebot der höheren Fakultäten. Wechselt man die Perspektive und nimmt die nachfragende studentische Seite in den Blick, dann wird insbesondere für die Zeit vor 1781 oder 1785 auch auf die personellen Alternativen zu sehen sein. Denn ganz zweifelsfrei ist erst im Nachhinein der übrige Lehrkörper der Albertina von dem hell strahlenden Bild eines Weltphilosophen Immanuel Kant in einen unbeachteten oder unbeleuchteten Hintergrund gerückt worden. Kant stand mit seinem Privatkolleg über die „allgemeine praktische Weltweisheit zusammt der Ethic“35 in Konkurrenz zu dem Ordinarius für Praktische Philosophie und den Privatdozenten der Philosophischen Fakultät. Kant las nach Handbüchern des früh verstorbenen Professors an der Nachbar-Universität in Frankfurt/Oder: Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762). Anhand der gedruckten Vorlesungsverzeichnisse36 ergibt sich für den – im gegenwärtigen Zusammenhang allein interessierenden Zeitraum der Jahre 1773 ff. – das folgende Tableau: Privatkollegien über Moralphilosophie werden von mehreren Dozenten und zwar nach je verschiedenen Lehrbüchern ange34
35
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„Im Jahr 1770 als ich die logisch-metaphysische Professur annahm, durch die mein Collegium auf 7 Uhr morgends angesetzt wurde hielt ich einen Bedienten der mich wecken mußte.“ Bayerer 1992, S. 47. Die autobiographische Notiz steht auf dem Rand einer erst 1983 ans Licht gekommenen Vorarbeit zum dritten Teil des Streit der Fakultäten von 1798. So die exakte Bezeichung auf einem gleich (S. 401) noch zu erwähnenden Dokument. Oberhausen / Pozzo (Hgg:) 1999, S. 341 ff.
Die Vorlesung
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boten: Der Mathematiker Friedrich Johann Buck (1722–1786) benutzt ein Lehrbuch des Göttinger Professors Johann Georg Heinrich Feder (1740–1821); die Privatdozenten August Wilhelm Wlochatius (1744–1815) und Daniel Weymann (1732–1795) legen Werke der Leipziger Christian August Crusius (1715–1775) oder Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769) zugrunde. Der Königsberger Ordinarius für Praktische Philosophie, Carl Andreas Christiani (1707–1780) hat in den 1770er Jahren hingegen publice angeboten: 1773 (Thümmig: ius naturae politicum), 1773/74 (Wolff: ius gentium), 1774 (Thümmig: philos. pract. universalem.), 1774/75 (Thümmig: jus naturae ethicum), 1775 (Thümmig: ius naturae politicum), 1775/76 (Wolff: ius gentium universale), 1776 ([ohne Lehrbuch bzw. Angabe eines Autors]: philos. pract. universalem), 1776/77 (ad propria dictata: ius naturae ethicum), 1777 (ad propria dictata: ius naturae politicum), 1777/78 (ad propria dictata: ius gentium universale), 1778 (ad propria dictata: philosophiam practicam universalem), 1778/79 (ad propria dictata: ius nature ethicum), 1779 (Achenwall: ius naturae politicum), 1779/80 (Achenwall: ius sociale, pars II), 1780 (Achenwall: ius gentium universalis). Christiani hat sich also nicht stets so verhalten, wie ihm die Regel vorgibt: Ethic im Sommer! Nimmt man die beiden Ordinarien vergleichend in den Blick, dann ist sofort klar, daß Kant mit seinem moralphilosophischen Kolleg eine Koinzidenz mit dem sachlich entsprechenden, öffentlichen Angebot seines älteren Kollegen stets vermeidet.37 Auch nachdem – ab dem Frühjahr 1781 – mit Christian Jacob Kraus (1753–1807) ein deutlich jüngerer Kollege und
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Kant hat nach seiner Immatrikulation im Herbst 1740 durchaus bei Christiani, der im unmittelbaren Anschluß an seine Zulassung als Privatdozent (3. Oktober 1735) zum Extraordinarius für praktische Philosophie avancierte, selber Kollegien hören können. Ordinarius wurde Christiani freilich erst nach dem Tod des Amtsinhabers Johann Adam Gregorovius (1681–1749). Vgl. dazu meine Dokumentation zur Philosophischen Fakultät der Albertina im 18ten Jahrhundert im Internet; bzw. Stark 2000.
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Nachwort
ehemaliger Schüler die Praktische Philosophie vertritt, bleibt Kant bei diesem Verhalten. Nach der Etablierung des neuartigen Kollegs über Anthropologie ab dem Winter 1772/73 liest Kant allerdings auffallend häufig über Moralphilosophie: bis einschließlich Winter 1776/77 ist dies viermal hintereinander der Fall, sodaß man gern den Grund für ein solches Verhalten kennen würde. Beginnend im Winter 1777/78 oder38 1779/80 reduziert Kant die Häufigkeit der Moralvorlesung und liest darüber nur noch jeden zweiten Winter. Mit dem Semester 1788/89 endet auch dieser Usus, indem Kant danach sein Lehrangebot insgesamt deutlich eingeschränkt. Er hält – inzwischen 65 Jahre alt – nach dem Sommer des Sturms auf die Bastille nur noch zwei Veranstaltungen je Semester: eine öffentliche (Logik / Metaphysik) und eine private (Physische Geographie / Anthropologie). Möglich erscheint, daß hierbei primär seine gesundheitliche Verfassung ausschlaggebend war,39 oder auch daß wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt haben; denn per Königlicher Verfügung vom 3. März 1789 erhielt Kant eine jährliche Gehaltszulage von 220 Reichstalern.40 Er konnte leicht auf das je Privat-Kolleg von seinen Hörern zu entrichtende Honorar von 4 (vier) Talern ver38 39
40
Dazu gleich. Vgl. die Mitteilung an Reinhold, vom 21. September 1791, (XI: 288): „Seit etwa zwei Iahren hat sich mit meiner Gesundheit, ohne sichtbare Ursache und ohne wirkliche Krankheit (wenn ich einen etwa 3 Wochen dauernden Schnupfen ausnehme), eine plötzliche Revolution zugetragen, welche meine Appetite in Ansehung des gewohnten täglichen Genusses schnell umstimmte, wobei zwar meine körperlichen Kräfte und Empfindungen nichts litten, allein die Disposition zu Kopfarbeiten, selbst zu Lesung meiner Collegien, eine große Veränderung erlitt. Nur zwei bis drei Stunden Vormittags kann ich zu den ersteren anhaltend anwenden, da sie dann durch eine Schläfrigkeit (unerachtet des besten gehabten Nachtschlafs, unterbrochen wird […].“ Berlin, GStAPK HA XX: EM 139b, Nr. 25, Bd. 9, f. 212. / Königsberg, Universitätsarchiv: Senatsakten, Catalogum lectionum betr. 1788 ff.; vgl. dazu AA-Kant XIII: 230 f. zu Brief Nr. 348. Bzw. Kant’s Dankschreiben vom 27. März 1789 (XI: 012).
Die Vorlesung
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zichten. – Mitten im Sommer 1796 beendet Kant seine Vorlesungstätigkeit überhaupt.41 Zwei Besonderheiten sind abschließend kurz zu besprechen: (1) Ganz unorthodox hält Kant im Winter 1793/94 einmalig anstelle der Metaphysik eine Vorlesung über Metaphysik der Sitten. Der Catalogus Praelectionum verzeichnet: „Metaphysicam morum, sive Philosophiam practicam universalem, una cum Ethica, ad compendia Baumgarteniana“.42 (2) Im Arnoldt / Schöndörffer’schen „Verzeichnis“ ist eine Vorlesung über Moral für den Sommer 1777 aufgelistet, obwohl der gedruckte Catalogus Praelectionum hier für Kant das Naturrecht nach Achenwall angekündigt hat.43 Für den anschließenden Winter ist im Catalogus bei keinem der zur Praktischen Philosophie zählenden Kollegien der Name von Kant angegeben.44 Der Sommer ist eben das Semester, auf das sich Johann Friedrich Kaehler zweimal in seinem hier edierten Kollegheft bezogen hat: Auf dem Titelblatt „per semestre aestivum“, am Schluß das Datum „die XIX Septbr. MDCCLXXVII“. Der Winter 1777/78 ist derjenige, in dem Kaehler nach Lage der Akten (s. o. S. 372 f.) die Moral hören wollte. Zu (1): Für die absolute Ausnahme einer eigenen „Metaphysik der Sitten“ ist ein besonderer Anlaß zu vermuten, weil durch Briefwechsel und Biographen für das Jahr 1792 bezeugt ist,45 daß Kant eine „Metaphysik der Sitten“ herauszugeben willens ist. Das Kolleg könnte also mit dazu gedient haben, den Inhalt der ersten Schrift seines neuen zweigliedrigen „Gebäudes der Weltweisheit“ im mündlichen Vortrag zu prüfen. Möglicherweise hat bei einem solchen Probegang auch der Umstand eine Rolle gespielt, daß Kant vom Winter 1792/93 bis Winter 41 42 43 44 45
Vgl. Arthur Warda 1904. Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. 609. Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. 402. Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. 409. Borowski [1804] 1980, S. 39: „nun wird er auch noch ein sichres Gebäude der Weltweisheit durch seine Metaphysik der Sitten und Metaphysik der Natur aufbauen.“ Vgl. Kant an Erhard, 21. Dez., 1792 (XI: 399,07 f.)
386
Nachwort
1794/95 den Regierungsrat Johann Friedrich Vigilantius (1757–1823?) zu seinen Hörern zählen konnte. Sicher ist, daß Vigilantius wenigstens vier der Vorlesungen (Logik, Physische Geographie, Metaphysik der Sitten, Metaphysik) dieser Jahre nachgeschrieben hat.46 Zu (2): Die Frage ob Kant auch im Sommer 1777 (wie das Arnoldt’sche Verzeichnis angibt) oder im Winter 1777/78 (wie ich vermutet habe47) tatsächlich über Moral gelesen hat; möchte ich im Rahmen dieses Nachwortes offen lassen.48 Denn letztlich ist diese Frage für die Datierung des Textes der hier vorgelegten Edition des besten Vertreters der Menzer-Gruppe unerheblich. Die Abnahme der Häufigkeit des Moral-Kollegs in der zweiten Hälfte der 1770er Jahre mag mit den zunehmenden Arbeiten an der 1781 erscheinenden Critik der reinen Vernunft in Zusammenhang zu sehen sein. Keine Rolle gespielt hat dabei jedoch eine eventuell zu vermutende Rücksichtnahme auf den Inhaber der Professur für Praktische Philosophie (Moral und Naturrecht). b) ihre innere Verfassung Was die Ethik-Vorlesung selber angeht, so kann und muß festgehalten werden, daß Kant dieser seit Herder’s Studienzeit stets zwei Baumgarten’sche Handbücher zugrundegelegt hat.49 Die Vorlesung ist von ihrem Charakter her – wie in Königsberg 46
47 48
49
Die vier allem Anschein nach von Vigilantius selbst ausgeführten Nachschriften gehörten vor 1945 zur „Gotthold’schen Bibliothek“, einem Sonderbestand der Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek, deren wertvolle Handschriften bis dato weitgehend spurlos verschollen sind. Im Rahmen der Akademie-Ausgabe hat Gerhard Lehmann zwei dieser Texte (Metaphysik, Metaphysik der Sitten) auf der Basis von Abschriften des 19. Jahrhunderts veröffentlichen können. AA-Kant Bd. XXV, S. lxiv Anm. Vgl. dazu Schöndörffer in Emil Arnoldt, Gesammelte Schriften, Bd. 5, (1909) S. 243 f.; Lehmann in Bd. XXVII (1979), S. 1045; Stark in Bd. XXV, (1997) S. lxiii-lxiv Anm.; Stark 1999a, S. 75; Schwaiger 2000, S. 185 Anm. – Entscheidend neue Quellen (wie Kollegquittung oder Belegzettel) sind nicht ermittelt. Vgl. Kant / Irmscher (Hg) 1964 bzw. Lehmann in XXVII: S. 1047.
Die Vorlesung
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nicht erst seit einer Verordnung des Preußischen Ministers von Zedlitz vom 16. Oktober 1778 überwiegend50 üblich – als Kommentar zu einem gedruckten Lehrbuch konzipiert. Seit dem Beginn des Erscheinens der Abtlg. III der Kant-Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften vor fast 100 Jahren ist darüberhinaus bekannt,51 daß der Königsberger Privatdozent sich – anscheinend zur Vorbereitung auf den Lehrvortrag – entsprechende Lehrbücher vom Buchbinder durchschießen ließ, um über einen festen Ort für seine Notizen verfügen zu können. Dementsprechend – so Erich Adickes – dienten die Aufzeichnungen Kant „als Material für seine Vorlesungen und [diese] wurden vermuthlich zu einem grossen Theil unmittelbar vor oder nach ihnen niedergeschrieben, sei es zur Vorbereitung, sei es als Resultat: als eine im freien Vortrag […] erarbeitete Klärung und Bereicherung der Gedanken.“ (XIV, S. xxi). Ich teile die Auffassung von Gerhard Lehmann, daß die Herder’sche Nachschrift nicht erst auf den Winter 1764/65 zurückgehen kann. Der Text der Nachschrift belegt zweifelsfrei, daß Kant seiner Vorlesung beide Lehrbücher (Initia, Ethica) von Baumgarten zugrunde gelegt hat. Für die Magister-Zeit können nur die Akten und in einigen Fällen auch Königsberger Periodica 50
51
Vgl. das „Register der genannten Personen, Autoren, Werke und Handbücher“ in Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. 751 ff. Die Verordnung (GStAPK, HA XX. EM 139b, Nr. 25, Bd. 8, f. 170) schrieb im Kern vor: „Das schlechteste Compendium ist gewiß beßer als keines, und die Professores mögen, wenn sie soviel Weisheit besitzen, ihren Auctorem verbeßern, so viel sie können, aber das Lesen über Dictata muß schlechterdings abgeschaffet werden“. Vgl. die kurze Übersicht von Adickes in XIV (1911), S. xix f.: Vier der dort genannten Lehrbücher sind durchschossen. Die zur Königsberger StUB gehörenden Stücke sind seit 1945 verschollen; die beiden wichtigsten Quellen Meier’s Auszug aus der Vernunftlehre von 1752 und Baumgarten’s Metaphysica von 1757 sind Mitte der 1990er Jahre nach einer rund 100 Jahre währenden Ausleihe durch die Berliner Akademie wieder nach Tartu (Dorpat) zurückgekehrt. – Ein weiteres, gleichfalls durchschossenes Lehrbuch aus Kant’s Vorbesitz, Baumgarten’s Metaphysica von 1750, befindet sich, wie erst 2000 ermittelt wurde, in der Danziger Akademie-Bibliothek.
388
Nachwort
über die Kantischen Vorlesungen Auskunft geben, denn im Catalogus Lectionum sind vor 1770 die Veranstaltungen der Privatdozenten nicht angezeigt. Der älteste für die Moral-Vorlesungen einschlägige Aktenvermerk lautet vollständig: „1763. d. 10. October M. Immanuel Kant Ethicum et Morale in Baumeisterum. Logicum in Meierum. Metaphysicum, secundum Baumgartenium. Geographia-Physicum.“52 Auch für die Vigilantius-Nachschrift des Winters 1793/94 haben beide Baumgarten’schen Lehrbücher als Folie gedient. Krauß (1926, S. 87) hielt fest: „Schon der Titel ‚Metaphysik der Sitten‘ paßt nur für das W.S. 1793/94; es ist das einzige, in dem Kant seine moralphilosophische Vorlesung unter diesem Namen ankündigte. Die Anlage weist dementsprechend wichtige Aenderungen gegenüber früher auf. Der Betrachtung der Rechtslehre ist ein breiterer Raum gewährt (§§ 28–49; 66–70), wenn auch die strikte Zweiteilung von 1797 noch nicht durchgeführt ist. Dies war wohl deswegen schwierig, weil Kant sich wenigstens einigermaßen an den Gedankengang seines ‚Autors‘ Baumgarten halten mußte. Doch ist – trotz Baumgarten! – der Moraltheologie der Platz angewiesen, der ihr in Kants System zukommt: sie wird in den letzten 12 Paragraphen (137–148) behandelt. (Schon in der von Menzer herausgegebenen Vorlesung hat Kant sich darüber ausgesprochen, daß ‚die natürliche Religion billig in der Moral den Schluß machen sollte‘ (Mz. 98 Z. 8). ‚Allein es hat unserem Autor beliebt, sie vorher abzuhandeln, und weil es nicht viel darauf beruht, so lassen wir es auch so, indem doch schon der Begriff der Ethik, sofern er hier in der natürlichen Religion nötig ist, vorhergegangen‘ (98 Z. 13 ff.)). In den grundlegenden Fragen hat Kant sich noch viel mehr als früher von Baumgarten frei gemacht. Neu ist die Einschaltung von sechs Paragraphen (11–16), die von der Willensfreiheit handeln.“
Kant hat für sein Ethik-Kolleg also vom Anfang der 1760er Jahre bis in die 1790er Jahre zwei Bücher des ab 1740 im Brandenbur52
APO: XXVIII/1/306, fol. 407. Vgl. Emil Arnoldt, Gesammelte Schriften, Bd. 5, S. 196: „Ethik und Moral nach Baumeister“. Die Annahme einer Verwechslung (Baumgarten – Baumeister) ist zwingend; denn (1) mit „Ethicum et Morale“ wird ein Bezug auf zwei Lehrbücher angezeigt; welche zwei Lehrbücher des in Görlitz tätigen Rektors Christian Friedrich Baumeister (1709–1785) wären passend? – (2) Herder’s Notizen zeigen den Bezug auf Baumgarten. – Für die Zwecke der vorliegenden Edition ist ein detailliertes Eingehen auf die Datierung der Herder’schen Moral-Nachschrift ohne Belang.
Die Vorlesung
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gischen Frankfurt/Oder lehrenden Alexander Gottlieb Baumgarten benutzt: Die Initia philosophiae practicae primae (1760) und die dreimal aufgelegte Ethica philosophica (11740, 21751, 31763).53 Das Kantische Exemplar der Initia war nicht durchschossen, gleichwohl sind die darin befindlichen Notizen in Bd. XIX (1934) der Akademie-Ausgabe unter der Sigle „Pr“ chronologisch geordnet veröffentlicht worden.54 Ein Handexemplar der Ethica ist nicht bekannt geworden. Vielleicht benutzte Kant die dritte Auflage, denn erst darin finden sich kurze Verdeutschungen der lateinischen Fachtermini; denen er sich – den Nachschriften des Kollegs aus den 1770er Jahren zufolge – freilich nicht immer angeschlossen hat.55 In einem ungeklärten Kontrast zu dieser durch direkte Quellen nahegelegten Art der Präparation auf den Lehrvortrag stehen – im Blick auf das Moral-Kolleg – die Bemerkungen, die Reinhold Bernhard Jachmann im vierten Brief seiner 1804 erschienenen Kant-Biographie veröffentlicht hat: „Seine Vorträge waren ganz frei. In vielen Stunden bediente er sich nicht einmal eines Heftes, sondern er hatte sich auf dem Rande seiner Lehrbücher einiges notiert, das ihm zum Leitfaden diente. Oft brachte er nur ein ganz kleines Blättchen in die Stunde mit, worauf er seine Gedanken in kleiner abgekürzter Schrift verzeichnet hatte. Die Logik las er über Meier, die Metaphysik über Baumgarten; aber er benutzte diese Bücher zu nichts weiterm, als daß er ihrer Haupteinteilung folgte, und daß er bisweilen Gelegenheit nahm, das Unstatthafte ihrer Behauptungen zu beweisen. […] Für seine übrigen Vorlesungen hatte er sich besondere Hefte ausgearbeitet; nur bei der Physik legte er den Erxleben zum Grunde.“56 53
54
55 56
Vgl. die kürzlich im Internet veröffentlichte Bibliographie zu A. G. Baumgarten von Dagmar Mirbach, Universität Tübingen. Das Exemplar gehörte zur StUB Königsberg, Signatur: F 131; es ist seit 1945 verschollen. Vgl. die Kommentar-Nr.: 184, S. 273 (Kaehler p. 342). Jachmann 1980, S. 132. – Reinhold Bernhard Jachmann ist am 4. April 1783 immatrikuliert worden; er hatte dreimal Gelegenheit Kant’s Moral-Kolleg zu hören: 1784/85, 1786/87, 1788/89. Wenn er die erste dieser Vorlesungen besucht hat, dann ist er in Kant’s neuem, eigenen Hörsaal mit Christoph Coelestin Mrongovius (1764–1855) zusammengetroffen, der in diesem Semester seine unvollständige Nachschrift angefertigt hat.
390
Nachwort
Weil nun Jachmann, der in den Jahren 1783–1792 ständig bei Kant Vorlesungen besuchte,57 im Kontext des Zitats sich geradezu euphorisch über den Kantischen Vortrag der Moral äußert,58 ist der Schluß zwingend, daß Kant auch für die Moral ein „besonderes Heft“ angelegt hatte. Doch findet sich unter den zahlreichen bekannt gewordenen Nachlaßstücken keine Spur eines solchen Kantischen Heftes. Der Kontrast zwischen der Jachmann’schen Aussage und den bekannt gewordenen handschriftlichen Quellen aus Kant’s Nachlaß läßt sich einerseits etwas abmildern, wenn man bedenkt, daß Studenten in den 1780er Jahren kaum noch Gelegenheit gehabt haben dürften, Exemplare der lateinischen59 Lehrbücher von Baumgarten zu erwerben. Für einen Studenten wird ein im wesentlichen frei gehaltener Lehrvortrag als ganz eigenes Produkt des Vortragenden erschienen sein. Und mit der 1785 erfolgten Publikation der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten wurden entscheidende Elemente der moralphilosophischen Position des Königsberger Professors allgemein bekannt. Man wird also annehmen dürfen, daß insbesondere für seine Studenten die mühevolle Arbeit des eigenen Nachschreibens einer Vorlesung über Moralphilosophie an Dringlichkeit verloren hat. Die Überlieferungslage paßt jedenfalls zu einer solchen Annahme. Für die 1780er Jahre ist nur eine originäre, aktuelle Nachschrift des Moral-Kollegs bekannt geworden.60 Andererseits wird man die eindeutige Aussage eines zeitweilig bei Kant ein und ausgehenden Amanuensis Jachmann nicht per se für unglaubwürdig halten können. Mehr noch, da der vollständige Text der Kantischen Notate in den Baumgarten’schen Initia seit 1934 ediert und inzwischen elektronisch erschlos-
57 58 59
60
Vgl. Jachmann 1980, S. 132 bzw. Stark 2004. Vgl. Jachmann 1980, S. 132, 133, 165. Es ist völlig offen, ob die 1766 herausgekommene von G. F. Meier angefertigte deutsche Übersetzung der Metaphysik von Königsberger Studenten benutzt worden ist. Vgl. oben die Anm. 18.
Die Vorlesung
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sen61 ist, läßt sich vergleichsweise leicht – im Blick auf die für Paul Menzer (1924), Wilhelm Krauß (1926)62 und auch noch für Gerhard Lehmann (1974–1979) bestehende Situation – feststellen, in welchem Verhältnis der Text der Vorlesung zu den überlieferten eigenhändigen Reflexionen und Notaten tatsächlich steht. Diese günstige Überlieferungslage besteht zwar nur für den ersten Teil der Vorlesung, doch spricht meiner Ansicht nach nichts gegen die These, daß Kant auch für den Bereich des zweiten Handbuches – der Ethica – ähnlich verfahren ist. Für die Initia ist der Befund63 eindeutig: Die Meinung, man könne die eigenhändigen Notate primär und vollständig als Präparationen auf einen mündlichen Lehrvortrag lesen, ist abwegig und bereits quantitativ gesehen unrealistisch.64 Kant wird sich für die in der Nachschrift Kaehler repräsentierte Vorlesung auf andere nicht überlieferte Unterlagen gestützt haben. Vielleicht doch ein eigens ausgearbeitetes Heft?
61
62
63
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Herrn Christian Schmitz danke ich für die im Sommer 2003 freundlicherweise übermittelten Datensätze des Bandes XIX der Kant-Ausgabe; mittlerweile im Internet auf der Homepage des Bonner Instituts für Phonetik und Kommunikationsforschung zugänglich. Krauß (1926, S. 1) gibt ausdrücklich an, daß er die Adickes-Abschrift der Kantischen Notate in den Initia hat benutzen können. Eine systematische Durcharbeitung der Notizen und ein durchgehender Vergleich mit den Nachschriften „war jedoch nicht [sein] Ziel.“ Zur Begründung vgl. die in dieser Edition mittels fortlaufender Marginalvermerke hergestellte Beziehung zwischen der Vorlesung und den Kompendien; für die Diskussion einzelner Zusammenhänge im Stellenregister zu Kant die entsprechenden Einträge zu den Initia im Anhang S. 443. Diese These steht im expliziten Gegensatz zu der von Erich Adickes in der Einleitung zu Bd. XIV der Akademie-Ausgabe dargelegten Generalthese zum Charakter der Mehrzahl der handschriftlichen Notate in den verfügbaren Kompendien aus Kant’s Nachlaß.; vgl. das Zitat zu Beginn des gegenwärtigen Abschnitts.
392
Nachwort
III. Der Text a) die Nachschrift Studentische Nachschriften Kantischer Vorlesungen sind in erster Linie als Überbleibsel des Lehr- und Unterrichtsbetriebs an einer klassischen, humanistisch reformierten Universität anzusehen. Obwohl nicht alle Details der Verfahrensweisen bekannt bzw. erforscht sind, die von der meist studentischen Hörerschaft bei der Anfertigung ihrer ‚Hefte‘ befolgt wurden,65 sind die überlieferten Endprodukte die wichtigsten Quellen zur Information über die Vorlesungen des Königsberger Ordinarius für Logik und Metaphysik Immanuel Kant. Für jeden wissenschaftlich ernst zu nehmenden Ansatz, dem ein historisch getreues Verständnis der Kantischen Moralphilosophie nicht gleichgültig ist, stellen sich – mit der Existenz einschlägiger Nachschriften – vielfältige und zahlreiche konkrete Fragestellungen. Dementsprechend hat die nach 1945 erst allmählich wieder einsetzende Kant-Forschung den Wert und die Bedeutung der 1924 von Paul Menzer vorgelegten Edition anerkannt. Wichtige, auf ein genetisches Verständnis der Kantischen Moralphilosophie zielende Arbeiten (Henrich, Schmucker, Schwaiger) setzen diesen in den 1770er Jahren entstandenen Text voraus. Die hier vorgelegte Edition beansprucht, an die Stelle dieser Ausgabe und der inzwischen weithin als mißlungen angesehenen, fünfzig Jahre später im Rahmen von Bd. 27 (1974–1979) der Akademie-Ausgabe von Kant’s gesammelten Schriften vorgelegten Bearbeitung von Gerhard Lehmann zu treten. Der Anspruch gründet sich in erster Linie auf das Urteil, daß der Text des Kaehler’schen Manuskriptes sämtlichen zwölf anderen Textzeugen überlegen ist; und zweitens auf die mit dem erstmaligen Einsatz moderner, technisch gestützter Verfahren erreichbare Sicherheit in der Analyse und Präsentation des Textes der Vorlesung. 65
Vgl. dazu die eingehendere Darstellung in der Einleitung zu Bd. XXV, S. lxii-lxxiv.
Der Text
393
Nimmt man als erstes die Gruppe dieser dreizehn im Detail bekannt gewordenen Nachschriften des Kantischen Ethik-Kollegs aus der Mitte der 1770er Jahre66 in den Blick, dann ist allein die Tatsache einer so breiten Überlieferung erstaunlich: für keine andere der von Kant gehaltenen Vorlesungen ist dies der Fall. Die Gesamtzahl der Nachschriften über Anthropologie und über Physische Geographie ist zwar höher, doch sind diese hinsichtlich des ermittelten Zeitpunkts der je repräsentierten Vorlesungen chronologisch deutlich weiter gestreut, nämlich über das gesamte Spektrum der Jahre 1770–1796. Offensichtlich hat sich über mehrere Studentengenerationen67 hinweg die Meinung gehalten, daß es genau eine gut ausgearbeitete, sehr umfängliche Nachschrift der Kantischen Moralphilosophie gab, die zudem lange für Abschriften zur Verfügung stand. Ein solcher Schluß ergibt sich aus den folgenden beiden Umständen: (1) Von den dreizehn Mss sind sechs personalisiert und damit ausgehend vom Matrikeldatum des Studenten hinsichtlich des Datums der Anfertigung68 in guter Näherung zu fixieren. Die folgendeTabelle gibt Auskunft; erhaltene69 Manuskripte sind kursiviert:
66 67
68 69
Die Begründung dazu unten im nächsten Abschnitt (S. 402ff.). Vgl. die Methodologischen Anweisungen aus dem Jahr 1770 (dazu zusammenfassend Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999, S. xxix-xxxv). Diese sahen – bei Ausnahme der Medizin – eine Studiendauer von drei Jahren vor; tatsächlich wird man die durchschnittliche Verweildauer an der Königsberger Albertina höher – nämlich bei vier bis fünf Jahren – anzusetzen haben. Nicht des Datums der Vorlesung selber! Die Mss von Brauer [Krauß: H]: und Kutzner [Krauß: G] waren 1924 in Privatbesitz (Richard Hirsch); ihr derzeitiger Fundort ist unbekannt. Je eine der erhaltenen Handschriften befindet sich in den heutigen AkademieBibliotheken in Danzig (Ms 2213), Riga (R 2878) und in der Berliner Staatsbibliothek (Ms germ. qu. 401) bzw. im Marburger Kant-Archiv. Drei gehören zum Bestand ‚Nachlaß Kant‘ des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW). Vier Mss zählen zu den verschollenen Königsberger Beständen.
394
Nachwort
Student
Matrikel
Datumsvermerk des Ms
Kaehler
10. April 1772
Sommer 1777
Brauer
4. März 1779
Oktober 1780
Kutzner
21. Juli 1779
September 1780
Mrongovius
21. März 1782
Februar 1782
Collins von Brandt [?]
9. September 1784 28. März 1792
Winter 1784/85 April 1789
Schließt man das mit „C. F. von Brandt“ auf dem Titelblatt personalisierte Heft70 wegen der chronologisch nicht recht passenden Diskrepanz zwischen dem ermittelten71 Matrikel-Datum und dem Datumsvermerk aus; dann ändert sich der Befund nicht, wenn man eines der zahlreichen Details mit hinzunimmt, die durch Krauß über die nach 1945 verschollenen Königsberger Handschriften bewahrt sind. Denn (2) eines der erhaltenen anonymen Hefte72 gibt auf dem Titelblatt die Jahreszahl „1791“ an und es ist (Krauß 1926, S. 3 und 59) gesichert, daß dieses und das verschollene, zur Gotthold’schen Bibliothek gehörige Ms (14551) im ungewöhnlichen Folioformat von demselben unbekannten Schreiber angefertigt wurden. Und weiter: Krauß sah in dem anonymen Heft mit der Jahreszahl „1791“ einen der besten Repräsentanten der Vorlesung.73 Offenbar sind in Königs-
70 71 72
73
Fundort: Archiv der BBAW: Nachlaß Kant Nr. 21. Krauß 1926: Heft M. Vgl. das Register in Bd. 3 der Edition der Königsberger Universitätsmatrikel. Fundort: Archiv der BBAW: Nachlaß Kant Nr. 20. Krauß 1926: Heft A. Das zur Gotthold’schen Bibliothek gehörige Ms 14551 bei Krauß als Heft B. Genauer: Krauß hat drei Hauptgruppen und mehrere Untergruppen unterschieden. Zusammenfassend urteilt er über die 12 Hefte der MenzerGruppe (S. 104): „Am besten werden diese drei Gruppen vertreten durch die Hefte A, C [= Ms. germ. qu. 401 der SBBPK] und G [= Kutzner]. Die zuverlässigste Gruppe ist die zweite. Gerade sie ist in Menzers Edition leider nur in ungenügendem Maß zugezogen. Daher erfüllt diese Ausgabe nicht die Anforderungen, die vom Standpunkt strenger Wissenschaft zu stellen sind.“ – Ein näheres Eingehen auf die philologischen Beobachtungen und Argumentationen, die Krauß zu diesem Urteil geführt haben, muß hier un-
Der Text
395
berg bis in die 1790er Jahre hinein direkt oder indirekt Kopien dieser einen – anzunehmenden – Nachschrift angefertigt worden. Das 1997 wieder aufgefundene Kaehler’sche Heft ist der älteste Repräsentant dieser Nachschrift und der gut zwanzig Jahre alte Student Johann Friedrich Kaehler (aus Friedland / Prawdinsk) kann die zugrunde liegende Vorlesung selbst gehört haben. Blickt man zweitens auf das Kaehler’sche Ms, dann ergeben sich aus diesem Allgemeinen zwei speziellere Perspektiven: (A) einige der beobachtbaren Eigenschaften sind für die gesamte Gruppe der Mss bzw. die ihnen vorausliegende Vorlesung selber kennzeichnend oder typisch; andere (B) sind nur dem Ms von Kaehler eigen. Sowohl die von Wilhelm Krauß in den 1920er Jahren erarbeitete breite empirische Grundlage als auch die modernen, Computer gestützten Verfahrensweisen erzwingen – neben der genannten Scheidung von Allgemeinem und Besonderem – übereinstimmend die Einteilung der Nachschriften in zwei Klassen: Die von Paul Menzer zugrunde gelegten Handschriften (primär Brauer) enthalten in der Abhandlung des ‚Selbstmords‘ eine kurze Passage von rund 120 Worten, die als terminologischer Fremdkörper zu bestimmen ist.74 Und die von Krauß (1926, S. 63–65) mitgeteilten Detailbeobachtungen belegen, daß es sich hierbei um einen späteren,75 in den Text hineingeschobenen Marginalvermerk eines studentischen Hörers oder bloßen Besitzers handelt. Kaehler und weitere Manuskripte
74
75
terbleiben, weil diese Diskussion einen Rückgriff auf die komplexen methodologischen Prämissen seiner Betrachtungsweise erforderlich machen, für die hier kein Raum ist. Vgl. dazu oben die Textanmerkung Nr. 179, S. 225 (Kaehler p. 280) der vorliegenden Ausgabe bzw. Menzer 1924, S. 193,05–18 und Collins/Lehmann (XXVII: 375,12–24). Drei (Brauer, Kutzner, Collins) der personalisierten Hefte und zwei der anonyma (Dilthey, Gotthold 3) enthalten das kurze Stück. Aus dem Anfertigungsdatum des Brauer’schen Heftes ergibt sich, daß der Zusatz schon Ende der 1770er Jahre erfolgt ist.
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Nachwort
sind frei von dieser Zutat. – Es ist dies jedoch die einzige Stelle, die Anlaß geben kann, dem Text eine innere Geschlossenheit abzusprechen. Ganz das Gegenteil ist der Fall, wie zahlreiche Beobachtungen belegen: Schon der anzunehmende ursprüngliche Text folgt einem einheitlichen Plan, ist durch zahlreiche interne Verweise fest verkoppelt76 und kann in seiner Entstehung nur auf genau eine77 dahinter stehende, von Immanuel Kant selbst gehaltene Vorlesung erklärt werden. Mit anderen Worten: Es muß angenommen werden, daß Kant der Autor der komplexen Struktur der Vorlesung und der hinter der Nachschrift stehende Sprecher des Textes ist. Die Tatsache, daß die Vorlesung ihrerseits als Kommentar zu gedruckt vorliegenden Lehrbüchern angelegt ist, ändert diese Diagnose nicht. Denn die Kompendien boten den Hörern bzw. Nachschreibern einen beständig verfügbaren, absichernden Leitfaden für die schriftliche Ausarbeitung der beim mündlichen Vortrag nachgeschriebenen Notizen. Der Text der Nachschrift gibt, so gesehen, auch sehr genau Auskunft darüber, wo Kant dem Inhalt oder der Abfolge nach von ‚seinem Autor‘ abweicht. Offen ist freilich, inwieweit es dem oder den Nachschreibern gelungen ist, dem mündlichen Lehrvortrag eine adäquate schriftliche Form zu geben. Weil – wie dargelegt – Kant’s eigene, schriftliche Präparationen zur Vorlesung nicht überliefert sind, kann dieser Frage nur im Rekurs auf die überlieferten Nachschriften – hier also das Kaehler’sche Manu76
77
Vgl. dazu die weiter unten im Anhang (S. 411 ff.) gegebene Tabelle der Querverweise. Menzer (1924, S. 326) und Krauß (1926, S. 67 f.) haben dieses Kriterium nicht gesehen; gleichwohl attestieren sie dem Text Einheitlichkeit. Es ist für das Argument unerheblich, ob Kant diese eine Vorlesung etwa in zwei oder mehreren Semestern wiederholt hat; nämlich dann, wenn man annimmt, daß er sich dabei seinerseits stets auf einen identischen ihm schriftlich vorliegenden Strukturplan bezogen hat. – Das von Max Küenburg (1925) aufgeworfene dispositorische Problem (die zweifache Erörterung der Klassifizierung von Systemen der Moralphilosophie) kann durch den Hinweis von Schwaiger 2000 (S. 187 Anm) als gelöst angesehen werden.
Der Text
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skript – nachgegangen werden. Will man eine zirkuläre Argumentationsweise vermeiden, so bleibt – insbesondere im Rahmen eines Nachwortes – nur der Rückgriff auf äußerliche, statistisch zugängliche Merkmale. Der WordCruncher78 liefert genaue Angaben zum Umfang; der Text der Nachschrift enthält rund 98600 Worte. Verglichen mit den für die Edition der Anthropologie-Vorlesungen (Bd. 25) ermittelten Zahlen ist dies eine sehr große Textmasse. Nur die St. Petersburger Handschrift und die 1831 gedruckte Menschenkunde bieten mit 115 000 bzw. 103 000 Worten mehr Umfang. Der Text der Moral-Kaehler ist damit deutlich umfänglicher als die ihr chronologisch nahestehende Anthropologie-Vorlesung, die durch die beiden Friedländer’schen Mss germ. qu. 399 und 400 der SBBPK überliefert ist. Das vollständige Ms germ. qu. 400 enthält rund 91 000 Worte.79 Da auch die Menzer-Edition in ganz ähnlicher Weise80 als Datensatz vorliegt, liefert deren Vergleichszahl von 94600 Worten einen rein quantitativen Hinweis darauf, daß auf dem Weg der Abschriften-Tradition Textstücke verloren gegangen sein müssen. Ursache der Differenz sind jedoch nicht etwa längere ausgefallene Passagen oder eine 78
79 80
Benutzt wird eine DOS-Version des Mitte der 1980er Jahre von der Brigham Young University lizensierten Programms. In der praktischen Arbeit hat sich diese wegen ihrer Schnelligkeit und schnörkellos einfachen Handhabung als ein sehr effektives Werkzeug erwiesen. Modernere auf html oder sgml basierende Verfahren haben diese Vorteile – meines Wissens (noch?) – nicht. Vgl. AA-Kant, Bd. XXV: S. lxxxviii. Der Unterschied besteht einzig darin, daß im Datensatz der MenzerEdition der originale Zeilenzähler aus Gründen der Zeitersparnis nicht mitgeführt worden ist. – Aufschlußreich ist hier auch eine weitere per WordCruncher zu erzielende Größenordnung: Bringt man die in Bd. 19 der Kant-Ausgabe enthaltenen Kantischen Eintragungen in den Initia in eine WordCruncher geeignete Form, dann ergibt sich als Wortzahl rund 55000. Der die Initia kommentierende Teil des Ms Kaehler (p. 3–132) nimmt rund ein Drittel der Handschrift also knapp 33000 Worte ein. Für vergleichende terminologische Untersuchungen scheint mir die damit verfügbare Textmasse hinreichend breit.
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Nachwort
durchgehende stilistische Redundanz,81 sondern eine sich durch den gesamten Text ziehende detailgetreuere, manchmal etwas holperig wirkende Art der Formulierungen bei Kaehler: Es liegen demgegenüber im Menzer-Text zahlreiche Haplographien (Auslassungen) vor. Hinzu kommt die erwähnte, freilich quantitativ gesehen nicht sehr gewichtige, eingeschobene Passage mit rund 120 Worten. Schon Krauß (1926, S. 107 Anm. 22) hat den Umfang der Nachschrift bzw. des Menzer-Textes in ein Verhältnis gesetzt zur Gesamtzahl der für ein Wintersemester anzunehmenden Vorlesungsstunden. Veranschlagt man 80 einzelne Vorlesungsstunden82 (4 Stunden je Woche) und verteilt diese auf die insgesamt 452 Manuskript-Seiten von Kaehler, so bleiben immerhin ca. 6,3 Seiten oder rund 1232 Worte je Vorlesungsstunde von 45 Minuten. Denn auch das ‚akademische Viertel‘ sollte beachtet werden. Der Text zeigt freilich keinerlei Spuren eines stundenweise gegliederten83 Vortrags; berücksichtigt man die damit anzunehmenden, sich über das gesamte Semester hinziehenden mehr oder weniger umfänglichen Wiederholungen des vortragenden Kant, dann rückt die Textmasse als solche in die Nähe einer vollständigen Wiedergabe des gesamten argumentativen Kerns der Vorlesung. Die von dem oder den nachschreibenden Studenten erbrachte Leistung ist deutlich höher als die bislang – im Blick auf die Anthropologie-Vorlesungen – ermittelten Durch81
82 83
Wie sie bei der Anthropologie zwischen den Mss. germ. qu. 399/400 einerseits und dem anonymen Prieger’schen Ms andererseits gegeben ist; Prieger enthält nämlich – bei weitgehend identischem Inhalt – nur rund 68000 Worte. Dazu auch Stark 1991, S. 99. Stattdessen finden sich 67 deutlich abgesetzte, meist unterstrichene Überschriften, die weitaus überwiegend mit Abschnitten (Sectionen) oder Paragraphen der zugrundeliegenden Lehrbücher harmonieren. Das stilistische Ziel des Nachschreibers ist also ein fortlaufender Kommentar in Absetzung zu einem Stundenprotokoll oder einer eigenständig strukturierten Abhandlung. Dies Ziel wird man auch dem vortragenden Kant unterstellen dürfen.
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schnittswerte. Vielleicht darf man hierin auch einen der Gründe für die über rund 15 Jahre währende Abschriften-Tradition vermuten. Andererseits findet sich eine durch den gesamten Text hinziehende Formulierung, die demnach für den Kantischen Stil der Vorlesung selber als charakteristisch gelten kann. 24 Mal begegnet ‚es frägt sich‘ oder ‚frägt man‘84 als deutliches Indiz für die Eigenart des Vortragenden, im Verlauf der Stunde Fragen aufzuwerfen und diese im Anschluß selbst zu beantworten. – Ein Kant selbst zumindest gelegentlich zu unterstellendes, redendes Autor-Ich tritt nur in zwei Kontexten in Erscheinung; stattdessen ist allenthalben der rhetorische ‚Plural der Bescheidenheit‘ Usus.85 Abschließend einige der für das Kaehler’sche Ms kennzeichnenden Eigenarten der Abschrift als solcher: Die Seiten sind sehr gleichmässig und dicht beschrieben mit je 23–26 Zeilen (ohne Kustodenzeile); Absätze sind meist deutlich erkennbar. Leer ist nur die Rückseite des als 1 gezählten Titelblattes. Eine eigene Zählung der Bogen ist nicht durchgeführt, jedoch sichern Kustoden (je ein Wort) stets den Seitenübergang. Kustodenfehler sind extrem selten (p. 86, 306, 426). Paginierungsfehler ebenfalls: 236–238 bezeichnet als 136–138; 438–439 bezeichnet als 238–239; ab und an ist eine fehlerhafte Seitenzählung durch Überschreiben korrigiert. Marginalnotizen, von unbekannter Hand sind nur vier vorhanden: p. 8, 111, 148, 344. In drei Fällen handelt es sich um kleine Striche; nur einmal ist der Wortlaut geändert.86
84
85 86
Nämlich p.: 14, 23(2), 36, 77, 92, 148, 186, 196, 201, 300, 346, 347, 348, 350, 375, 380, 398, 410(2), 413(2), 436, 440. Dazu kommt noch über 20 Mal „Frage / fragen“. Die lateinische „quaestio“: nur auf zwei Seiten p. 46, 49 insgesamt viermal; das Gegenstück „resolution“ (nicht responsio) insgesamt sechsmal auf den beiden Seiten p. 49, 259. Für die Anthropologie vgl. die Hinweise AA-Kant, Bd. XXV: S. lxxxv f. Vgl. dazu oben die Kommentar-Nr. 6; S. 10 der vorliegenden Edition. Vgl. oben S. 116, Anm. 103.
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Nachwort
Bemerkte Dittographien (mehr als ein Wort und vom Schreiber gestrichen): p. 023,04; 067,17 f.; 071,04; 110,12; 110,19; 117,05 f.; 147,08; 231,09 f.; 259,18; 277,03; 328,07 & 17 f.; 354,11–13; 426,01 f.; 439,18 f.; 451,16. – Unbemerkte Dittographien: p. 096,04; 149,19 f.; 271,03; 325,21 ff.; 351,18; 364,21 f.; 367,06 f.; 373,23 f. Nachträgliche Änderungen der intendierten Wortfolge durch übergeschriebene Ziffern: p. 029,14–15; 314,06; 315,05. Nur drei nicht ganz eindeutig zu lesende Stellen: p. 159,04; 164,11; 246,15. Siglen werden nicht gebraucht; Abkürzungen nur sehr selten; sogar das Gegenteil tritt auf: „z. E.“ wird gelegentlich ausgeschrieben: p. 188, 193. – Kurz, der vom Schriftbild und der äußeren Verfassung her, sich optisch aufdrängende Ersteindruck (vgl. die beiden Faksimile S. 369, 408) einer überaus sorgfältigen Abschrift ist dem Manuskript tatsächlich durchgehend eigen. Achtet man auf die Orthographie, dann ist Kaehler ausgesprochen konsequent und korrekt; er trennt zudem stets sauber zwischen den beiden handschriftlichen Buchstaben- oder Zeichensystemen (lateinische Antiqua / deutsche Kurrent). Die Namen nicht-deutscher Autoren sind fast überall richtig geschrieben; auch in den kurzen lateinischen Einsprengseln sind nur wenige Fehler festgestellt. Ob nun freilich aus der Johann Friedrich Kaehler als Abschreiber zuzubilligenden Sorgfalt auf die Sorgfalt der Nachschrift, d. h. die Verschriftlichung der mündlichen Rede, geschlossen werden darf, ist abhängig von der Frage, wer als Nachschreiber der Vorlesung identifiziert werden kann. Auch wenn die verfügbaren Quellen dazu ausreichen würden, bliebe grundsätzlich offen, in welchem Verhältnis der geschriebene Text zum mündlichen Lehrvortrag steht. Die Vertrauenswürdigkeit von Zeugenaussagen kann indessen vor Gericht nicht abhängig gemacht werden vom Inhalt des Berichtes. Wollte man dies tun, wären Zeugenaussagen letztlich wertlos. Auf eine Benutzung von Nachschriften müßte als Quellen für die Forschung verzichtet werden. Kein Gericht wird jedoch – sofern überhaupt Zeugenaussagen vorliegen – auf diese verzichten
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können, wenn nur durch diese Informationen über das Geschehnis, d.h. den mündlichen Vortrag, zu gewinnen sind. Hilfreich für die Abschätzung der Vertrauenswürdigkeit ist freilich, daß die Person oder die Personengruppe historisch greifbar ist, die als Zeuge in Anspruch genommen wird. Deswegen kommt den personalisierten Manuskripten87 prima facie eine höhere Glaubwürdigkeit zu, als den Produkten einer anonym bleibenden Nachschreibeindustrie. Ein unverzichtbares Element der notwendigen Zeugenbefragung ist die Datierung: Über welches Ereignis wird berichtet? War der Zeuge selbst bei dem Ereignis zugegen? Bzw. konkret: welche Vorlesung über Moralphilosophie hat Johann Friedrich Kaehler bei Kant besucht? Darüber könnte nach Lage der Dinge allein ein Zeugnis oder eine Subskriptionsliste verbindliche Auskunft geben. Das ist – wie oben dargelegt – nicht der Fall. Für eines der relevanten Semester kann jedoch sicher ausgeschlossen werden, daß Kaehler die Vorlesung besucht hat. Sein Name findet sich nicht auf der S. 370 faksimilierten Belegliste88 zur Moral-Vorlesung des Winters 1773/74. Interessanter Weise hat sich dort auch Carl Ferdinand Nicolai eingetragen; von seiner seit 1945 verschollenen Nachschrift stammen die erhaltenen Textzeugen des Anthropologie-Kollegs aus dem Winter 1775/76 ab.89 Kann Nicolai auch für die Anfertigung der Nachschrift des hier edierten Moral-Kollegs in Anspruch genommen werden? – Vielleicht!
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88
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Hierin ist auch der Grund zu sehen, weshalb Menzer drei personalisierte Mss seiner Ausgabe zugrunde gelegt hat: Brauer, Kutzner, Mrongovius. Er entschied sich damit bewußt gegen Collins und C. F. von Brandt. The New York Public Library; Lee Kohns Memorial Collection. Box 9: „Folgende Herren haben auf ein privatcollegium der / allgemeinen praktischen Weltweisheit zusammt der Ethic / welches in diesem Wintersemestre gehalten werden soll / unterzeichnet. Koenigsb. den 3ten Oct. 1773. I Kant.“ Es folgen 19 Unterschriften, davon zwei durchstrichen. Ein von Kant beigeschriebener Vermerk „ddt“ [dedit] besagt, daß das Honorar bezahlt ist. Vgl. AA-Kant XXV, S.cvi-cix.
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Nachwort
b) das Datum der Vorlesung Mit dem oben (S. 371 f.) dargelegten Datum der Anfertigung des Kaehler’schen Ms ist der terminus ad quem gegeben: die zugrundeliegende Vorlesung kann äußerstenfalls im Sommer 1777 gehalten worden sein. Ob Kant in diesem Semester über Moralphilosophie Vortrag gehalten hat, steht unter Zweifel.90 Plausibilitätserwägungen sprechen gegen eine derartige Annahme. Zu den oben angesprochenen Umständen kommt ein weiteres Moment hinzu: Sieht man das von Kaehler angegebene Schlußdatum des 19. Sept. 1777 als vertrauenswürdig an,91 dann muß die perfekte Ausführung, die Endredaktion und die sorgfältige Abschrift, gleichlaufend mit dem Vortrag geschehen sein. Denn das Sommersemester endet stets rund einen Monat vor dem im Termin fixen Beginn des Wintersemesters: zwei Wochen nach dem Fest Michaelis (29. September). Die dargelegte Verfassung des Textes – insbesondere die interne Verweisstruktur – scheint mir in der dann nur verbleibenden Zeit nicht herstellbar zu sein. Folglich bleibt – nach der Tabelle der Vorlesungen – der vorhergegangene Winter 1776/77 als terminus ad quem für den Vortrag. Letztlich wird sich jedoch zeigen, daß die Vorlesung selber noch älter sein muß als die beiden für das Ms von Kaehler möglichen Semester. Die andere Grenze der Intervallschachtelung ergibt sich aus im Text erwähnten bzw. ermittelten Extern-Verweisen. Zu den bereits von Menzer 1924 (S. 326), Krauß 1926 (S. 68 f.) und mir selbst 1999a (S. 84–88) angegebenen Bezügen sind – abgesehen von zwei vagen Vermutungen92 – keine datierungsrelevanten literarischen Erläuterungen hinzugekommen. Es bleibt dabei, daß der auf den letzten Seiten des Ms zu lesende Bezug auf die Basedow’sche Reformschule in Dessau93 und die auf Henry 90 91
92 93
Vgl. oben S. 385 f. Der Lieberknecht’sche Datumrechner liefert via Internet einen Freitag als Wochentag. Kom-Nr. 20, S. 22 f. bzw. Kom-Nr. 26, S. 25 f. Kom-Nr. 243, S. 367 f.
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Home zurückgehende Wendung gegen den Luxus des Kutschenfahrens94 den Winter 1774/75 als terminus a quo erzwingen. Damit fiele mit Menzer und Krauß die Vorlesung der Tendenz nach in die zweite Hälfte der 1770er Jahre. Die elektronisch gestützten Verfahren der Text-Analyse und die zunehmende Verfügung über Computer-Daten des gesamten auf Immanuel Kant zurückgehenden Text-Korpus erlauben, dies sei hier abschließend als allgemeine These formuliert, eine deutliche Erweiterung des methodischen Rüstzeugs der KantForschung und Kant-Edition. Bei der gegenwärtigen Ausgabe ist von diesen Möglichkeiten – so weit tunlich – Gebrauch gemacht worden. Die in den Erläuterungen mitgeführten Verweise auf Entwicklungen in der Kantischen Terminologie zeugen davon.95 Anders als die gleichsam statische Datierung in Form der Bestimmung äußerlich gegebener Grenzen erlaubt ein Zugriff auf das gesamte Text-Korpus auch inhaltliche Erwägungen, die freilich ebenfalls empirisch gesichert sind. Damit sind Aussagen der Form eines ‚noch nicht‘ oder ‚nicht mehr‘ möglich. Die chronologische Verortung als solche kann auf dynamische Entwicklungen der Theorie Bezug nehmen, ohne von spezifischen Interpretationen Gebrauch zu machen. Ein besonderes Augenmerk galt der Anthropologie; denn die Moral-Vorlesung enthält zu Beginn (p. 5 f., 8) und gegen Ende (p. 444) direkte Aufforderungen zum Rekurs auf das parallel gehaltene Kolleg. Auf diese Weise sind en passant Beobachtungen zur chronologischen Einordnung der Moral-Vorlesung in den allgemeinen Gang der Entwicklung der Kantischen Philosophie beigebracht worden. Diese Beobachtungen zeigen, daß das Moral-Kolleg terminologisch zwischen den Nachschriften der ersten Vorlesung über Anthropologie (Collins / Parow: Winter 1772/73) und denen des zweiten durch Nachschriften dokumentierten Semesters (Friedländer-Hefte: Winter 1775/76) anzusiedeln ist. Es bleiben damit für die Vorlesung allein die bei94 95
Kom-Nr. 170, S. 252 f. Vgl. unten das Stellenregister zu Kant.
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Nachwort
den Semester 1773/74 oder 1774/75 übrig. Rechnet man die literarischen Bezugnahmen zu einem bloß äußeren, für die gedankliche Substanz unerheblichen Dekor,96 dann sind beide Semester möglich. Will man dies nicht, so ist die dem Kaehler’schen Manuskript – und damit die der (Menzer-)Gruppe von 13 Handschriften – zugrundeliegende Vorlesung im Winter 1774/75 von Immanuel Kant in Königsberg gehalten worden.
IV. Verfahrensweise und Dank Ausgangsbasis der Edition ist eine möglichst zeilen- und zeichengetreue Transkription der Handschrift ‚Kaehler‘ gemäß einem Regelwerk, das im Zuge der Arbeiten an Bd. 25 der Akademie-Ausgabe (1987–1997) entwickelt worden ist. Die seither erfolgten computertechnischen Veränderungen (html als Quasi-Standard für Texte)97 haben nur geringfügige Veränderungen nach sich gezogen. Zurückgegriffen werden konnte auf die im Marburger Kant-Archiv vorhandene, für den WordCruncher aufbereitete elektronische Fassung des Textes der Menzer-Ausgabe von 1924. Ein technisch gestützter sukzessiver Abgleich beider Fassungen führte zu der Einsicht, daß der Kaehler-Text durchgehend als besser, weil sprachlich weniger geglättet und überformt, anzusehen ist. Der Rekurs auf den Variantenapparat (S. 1205 ff.), den Volltext der Mrongovius-Fassung (S. 1395 ff.) in Bd. 27 der Akademie-Ausgabe und die durch Wilhelm Krauß (1926) erreichte Übersicht zur Variationsbreite der vorhandenen 96
97
Ausdrücklich hinweisen möchte ich darauf, daß das ältere Moral-Heft von Mrongovius zu einem derartigen Ansatz einlädt; denn ihm fehlt die geschichtsphilosophische Zuspitzung der Schlußpassage (Kaehler p. 452 ff.) mit dem Bezug auf das Dessauer Philanthropin. Das zweite, ebenfalls das Jahr 1774 voraussetzende, äußere Indiz (Kaehler p. 316: Kutschenfahren; d. h. Home 1774) ist hingegen vorhanden; vgl. XXVII: 1581 (Menzer 1924, S. 325) bzw. XXVII: 1522,35. Die Transkription wird gleichzeitig mit dem Erscheinen der Buchausgabe im Internet zugänglich gemacht.
Verfahrensweise und Dank
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Textzeugen ließ (von Einzelfällen abgesehen) einen zusätzlichen Rückgriff auf Handschriften für die Herstellung des Editionstextes als unnötig erscheinen. Der Editionstext ist teils durch programmtechnische (quasi mechanische), teils durch individuelle Umformung aus der Transkription hervorgegangen. Die in der Handschrift vorhandene Differenz in der Buchstabenbildung (lateinische Antiqua, deutsche Kurrent) wird stillschweigend aufgehoben. Jedoch sind fremdsprachige, in die deutsche Syntax eingepaßte Substantive orthographisch angeglichen worden: Sie beginnen nunmehr stets mit einem Großbuchstaben. Lateinische Sprachpartikel sind hingegen in der Orthographie des Ms belassen,98 die auch sonst nicht geändert oder gar normalisiert99 ist. Ohne Hinweis getilgt sind geringfügige Überschreibungen und Streichungen. Dittographien und andere Einzelheiten vermerkt der textkritische Apparat. Beibehalten sind die Unterstreichungen (meist bei Überschriften) in der Handschrift. Eingriffe des Herausgebers sind im Text kursiviert und mit fortlaufenden philologischen Fußnoten protokolliert. Alternative Lesarten werden mit einfacher Notenziffer angegeben und ggf. erwogen. Im Apparat konnte wegen der außerordentlichen Qualität der Handschrift auf ein beständiges Mitführen der defizitären Fassungen der Menzer-Ausgabe von 1924 bzw. der Akademie-Ausgabe (Bd. 27) verzichtet werden. Etwaige Überschüsse (spätere Zusätze oder stilistische Umformungen) bei Menzer sind kursiviert zum Apparat genommen. Im Text mitlaufend ist der originale Seitenzähler in eckigen Klammern; die wenigen Versehen sind ohne Note korrigiert. Etwa vorhandene Kustoden sind beim Seitenwechsel unterdrückt. Zwei Grundsätze waren für die Erläuterungen leitend: Einmal sollten die in der Nennung von Namen und Ereignissen oder in anderen offenen Verweisen gegebenen Externbezüge 98 99
Ausnahme: ‚proemia‘ ist ersetzt durch ‚praemia‘. So hat Kaehler (p. 177; S. 140,01) tatsächlich ein einziges Mal „praktisch“ geschrieben.
406
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des Textes nach Möglichkeit100 aufgeklärt werden. Zum anderen sollte im Abgleich101 mit dem Textbestand der Kantischen Werke (Abtlg. I der AA-Kant), der primär einschlägigen Notizen des Nachlasses (Bd. 19, S. 3–317; Bd. 20, S. 1–192) und den benachbarten Vorlesungen über Anthropologie (Bd. 25) etwaigen Veränderungen der philosophisch relevanten Terminologie nachgegangen werden. Gemeinsames Ziel beider Absichten war die Ermittlung von Kriterien zur Datierung der Nachschrift und nicht eine eigenständige Kommentierung des rationalen Gehaltes der Vorlesung. Die Erläuterungen führen – nach dem Muster von Bd. 25 – eine eigene Zählung mit sich; eingangs wird zur Erleichterung der Orientierung je ‚Band: Seite, Zeile‘ des Collins-Textes nach der Edition von Gerhard Lehmann mitgeführt. Informationen aus den vorangegangenen Editionen und Übersetzungen werden in der Regel nicht eigens als solche nachgewiesen. Die sich über den gesamten Text der Vorlesung hinziehenden impliziten und expliziten Bezugnahmen auf die Baumgarten’schen Handbücher102 sind (anders als bisher geschehen, jedoch einem Grundzug der Vorlesung selber entsprechend) als außenliegender Marginalzusatz des Herausgebers mitgeführt. Desgleichen wurden mit halbfetter Type die dem Ms fehlenden lateinischen Kapitel- und Buchüberschriften der zugrundeliegenden Lehrbücher stillschweigend in den Text eingelagert. Auf diese Weise konnte auch für ein kurzes, den Gang der Erörterung wiedergebendes Inhaltsverzeichnis (S. v) Sorge getragen werden. Die vergleichsweise hohe Zahl der internen Querverweise der Nachschrift bot Anlaß, diese aus dem fortlaufenden
100
101 102
Eine auffällige Lücke sei hier ausdrücklich markiert. Eine ganze Gruppe der ‚nicht ermittelten‘ Stellen bezieht sich auf einen (vielleicht bestimmten) juristischen Hintergrund. Es sind dies die Kom-Nrn.: 31, 60, 150, 152, 153, 166, 167, 182, 185, 210, 213, 215. Technische Basis sind teils eigens angefertige WordCruncher-Fassungen. Vgl. auch die synoptische Darstellung im Anhang, S. 415 ff.
Verfahrensweise und Dank
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Apparat herauszunehmen und in einem eigenen Anhang (S. 411 ff.) zusammenzustellen. Mein erster Dank gilt Anne Pollok und Anke LindemannStark, die etwa je zur Hälfte meine Transkription mit der Handschrift verglichen und so die Korrektur deutlich erleichtert haben. Ferner gilt mein Dank den studentischen Teilnehmern an einem Lektüre-Seminar über den Kaehler-Text im Sommersemester 2003; der Apparat hat durch zahlreiche Nachfragen von ihrer Seite deutlich an Kontur gewonnen. Ebenfalls im Sommer 2003 haben mich Manfred Kühn (Marburg) und Patrick Kain (Purdue/Marburg) bei der Anlage des gesamten Bandes beratend unterstützt; auch bei der Herstellung von philologischem Apparat und Erläuterungen habe ich auf ihre kritischen Einwände und Kommentierungen bauen können. Anja Gerber (Potsdam) half bereitwillig bei Kontrolle und Anlage der Verzeichnisse und Übersichten. Steve Naragon (North Manchester) bewahrte mich in letzter Sekunde vor einigen Fehlern im ‚Nachwort‘. Schließlich danke ich Reinhard Brandt (Marburg) für seine stets wertvollen Hinweise und Anregungen zu früheren Fassungen der Erläuterungen und der Textanmerkungen. Volker Gerhardt, dem Vorsitzender der Kant-Kommission der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, weiß ich mich verpflichtet für die Zustimmung zu meinem Vorschlag, in diesem besonderen Kant-Jahr die Kantische Vorlesung über Moralphilosophie neu herauszugeben. Die Mitarbeiter des Verlages de Gruyter (insbesondere Herr Andreas Vollmer) gaben mir das nötige Vertrauen, die satztechnischen Erfordernisse der nunmehr vorliegenden Ausgabe als eine für mich vernachläßigbare Größe ansehen zu können. Cölbe, im Juni 2004.
Werner Stark
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Anhang
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Anhang
Querverweise des Textes
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1. Querverweise des Textes
Die 47 aufgefundenen Querverweise (f) und weiteren Gelenkstellen des MsKaehler, nach Seite und Zeile des handschriftlichen Originals. Im Editionstext sind die Ausgangspunkte der Verweise markiert durch ein: *. Mit S. wird auf Seite und Zeile der vorliegenden Edition Bezug genommen; p. zeigt auf die Paginierung der Handschrift. p. 003: PROOEMIUM p. 022: Vom Principio der Moralitaet p. 022,14 f.: p. 022,16 f.: p. 023,18–20: p. 028,22 f.: p. 031,13 f.: p. 034,10: p. 037,22: p. 038,03: p. 039: INITIA p. 048,14: p. 050,03: p. 063,02: p. 065,22: p. 070,24: p. 071,20: p. 074,22: p. 080,15: p. 080,16: p. 082,19–22: p. 085,01: p. 085,07:
Nachdem wir f S. 9,24 / p. 012,14 ff. Vorläufig ist davon f S. 9,18 f. / p. 012,07 ff. müssen wir erst f S. 21,18–23,05 / p. 023,21 – 025,07 das soll unser Zwek f // zielt auf die gesamte Vorlesung wovon in der Folge f S. 29,08–30,17 / p. 031,15–033,16 // S. 35,01 ff. / p. 039,21 ff. kann noch nicht f // zielt auf den ersten Teil der Vorlesung // „bonitas absoluta“ in der Folge nur: S. 47,06 / p. 056,15 das soll eben f S. 41,05 / p. 047,06 so merke man noch vorher f S. 34,26 / p. 039,20 ut supra [wie oben] f S. 29,02–07 / p. 031,07–14 aus dem vorigen f S. 41,12 ff. / p. 047,15 ff. ut supra [wie oben] f S. 48,09 ff. / p. 058,15 ff. hier die Rede f S. 53,02–55,22 / p. 065,11–069,16 Anjetzo wollen wir … negative f S. 57,14–64,20 / p. 071,02 – 080,15 gleich zeigen werden f S. 58,20 / p. 072,17 ut supra [wie oben] f S. 41,12 ff. / p. 047,15 ff. Da nun gezeiget ist f S. 57,12 / p. 070,24 nun gezeigt werden f S. 65,10 / p. 081,06 wovon unten ein mehreres f S. 169,02ff. / p. 213,11 ff. schon vorher f S. 55,03 / p. 069,17 ff. vorher in einem … verworfen f S. 25 ff. / p. 026 // S. 57 f. / p. 071 f.
412 p. 093,05: p. 097,09 f.:
Anhang Wir wollen zeigen f S. 77,33 / p. 095,12 // Ende das ist zu untersuchen f S. 79,12–80,18 / p. 097,11–099,10
p. 133: ETHICA p. 135,15: wovon unten ein Mehreres f S. 142,03 / p. 180,04ff. / S. 163,03 / p. 206,09 p. 137,06: in der Folge aufklärt […] f S. 111 f. / p. 141 ff. („reine Gesinnung“ ??) p. 137,21 f.: werden wir … sehen // Möglich ist auch, daß nicht die Ethica als Abschnitt bzw. Buch gemeint ist, sondern daß gemäß der Ethic darauf zu achten ist, wie […]. p. 147: RELIGIO p. 147,13: hier in der natürlichen Religion p. 161,09: die wir aber übergehen//anders Baumgarten §§ 38 f. p. 167,19 f.: Wir wollen diesen Begriff […] hier in der Ethic f S. 130,32– 132,12 / p. 167,21–169,02 p. 173,02: schon oben etwas f S. 126,09 / p. 161,10 // S. 129,22 / p. 165,23 p. 176,21: hier in dem Sinn p. 189,13: hier in der Moral p. 190,12: schon oben etwas f S. 126,09–130,27 / p. 161,10–167,16 p. 190,21: unterschieden haben f S. 129 f. / p. 166 f. // S. 142,08 / 180,09 p. 211,16: in Beyspielen f bis // S. 168,15 / p. 212,18 p. 213,08–10: Hiemit ist der Theil der natürlichen Religion geendigt und jetzt kommen wir zu der eigentlichen Moralitaet p. 213: Pflichten gegen sich selbst p. 213,12: Nachdem wir p. 214,01: Wir werden hier von dem Gebrauch der Freyheit … f bis // S. 177,28 / p. 222 unten p. 215,23: Wir wollen zuerst die Verletzung f bis S. 175,10 / p. 220,08 p. 220,08: in der Folge f S. 217,01 ff. / p. 270,19 ff. p. 226,03: in Beyspielen zeigen f bis S. 181,17 / p. 227,10 p. 228,23: Ietzt wollen wir zu den besondern Pflichten p. 252,15 f.: Das allgemeine principium der Pflichten gegen sich selbst war f S. 181,18 / p. 227,11 p. 260,13: Laßt uns die f bis S. 210,12 / p. 261,22 // 3 Vermögen: Imaginatio, Sinne überhaupt, Witz (Urteilskraft) p. 263,09: Anjetzo wollen wir f bis S. 215,27 / p. 268,22 p. 264,15: Ietzt wollen wir f bis S. 215,22 / p. 268,17 p. 268,17: Der Schluß hievon ist f S. 212,24 / p. 264,15 p. 279,02: Es ist schon vorhero f S. 221,08 / p. 275,15 p. 288,17: zu Anfange gesagt f S. 13–16 / p. 015–016
Querverweise des Textes p. 301,05: p. 312,22: p. 323,13:
413
wollen wir aufsuchen f bis S. 245,08 / p. 306,19 schon oben gesagt f S. 17 / p. 018 und S. 213 / p. 265 werden wir gleich einsehen f bis S. 259,34 / p. 325,05
p. 349: Pflichten gegen andere p. 356,18: Wir wollen noch etwas f bis S. 287,19 / p. 360,09 p. 395,03: von dem wir hernach hören f S. 317,17 / p. 397,16 ff. p. 409,17: jetzt gehen wir f S. 327,03–330,32 / p. 409,19–414,13 p. 435,03: aus den obigen f S. 169 ff. / p. 213 ff. und S. 279 ff. / p. 349 ff.
414
Anhang
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan)
415
2. Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) Einleitung
MS p. Überschriften / Stichworte der Vorlesung 3 Prooemium 12 Die moralische Systemata der Alten 22 Vom principio der moralitaet
Initia philosophiae practicae primae (1760) §§ des Lehrbuches Cap. I: Obligatio sectio 1: In genere 010 ff. 16 21 22 29 31 32 33 36
37/38 39
39 De obligatione activa et passiva 40 Autor: Oligations können größer 41 Viele obligations, entstehen 42 Der Actus, wodurch eine 42 Die obligatio wird 44 Obligatio kann affirmativa 44 Die Consectaria der Handlungen 44 Autor nimmt die Consectaria 45 Die moralische Vollkommenheit ist 45 Moralitas objectiva 47 Des Autors erstes moralische Gesetz ist:
416
Anhang 39
12 40 40 41 43 45/46
48 sectio 2: Coactio moralis 050 ff. –
51
51/52 51–53 57 58 50
Cap. II: Obligantia sectio 1: Lex 060 ff. 64
48 Nicht alle Imperativi sind obligations 48 Die Obligation ist aber 48 Denn er sagt: das Gute 50 Autor sagt: Bonorum 50 Die Abnegation bedeutet hier 50 Der Satz des Autors 51 Ein anderes moralisches principium 52 Das letzte principium ist 52 Sectio 2./Vom moralischen Zwange 56 Von der practischen Necessitation. 58 Wir haben obligationes internas 58 Alle Obligation ist eine Art 60 Obligation externa est 60 Die äussere Obligations 61 Die innere obligations 62 Wenn also Autor die Verbindlichkeit 65 Von den Gesetzen 66 jus in senso proprio est complexus
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) 65 67 68 –
75
sectio 2: Iuris perita 076 ff. sectio 3: Principia juris 087 ff.
417
66 Jus in senso proprio est vel 66 Das jus stricte 69 Leges können noch 69 Vom obersten principio der Moralitaet. 89 Autor redet hier de littera legis –
91 Autor ist in der Erklärung 83 85 92–94
sectio 4: Legislator 100 ff. sectio 5: Praemia 106 ff. 107 111 sectio 6: Poenae 115 ff. 116 sectio 7: Imputatio facti 125 ff. 128
92 Autor redet hier … Transgression 92 Die Antinomie oder 93 Autor trägt drey Grundsätze vor 97 Vom Gesetzgeber 99 Von Belohnungen und Bestrafungen 102 Merces ist ein Lohn 104 Dahero ist der Satz des Autors 104 Strafe überhaupt ist das physische Uebel 105 Die pragmatische nennt der Autor 108 De imputatione
109 Bey der imputatione facti
418
Anhang 133
–
sectio 8: Auctor 149 ff. sectio 9: Gradus imputabilitatis 159 ff.
110 Von der imputatione der Folgen der Handlungen 113 Gründe der Imputationis moralis. 116 Imputatio facti 116 Grade der Imputation
165 166 168/169 sectio 10: Imputatio legis 171 ff. sectio 11: Forum 180 ff. 180 181 183 185 sectio 12: Forum externum 186 ff. 191 sectio 13: Conscientia 200–205 –
118 Es giebt merita und demerita 120 Consuetudinarius ist der 121 Auf die Schwäche … – –
127 Imputatio valida ist eine 128 Forum ist diejenige Person 128 Forum competens ist die Beziehung 129 Das Forum ist zweyerley 129 Ein Forum soll Zwang ausüben 130 Coram foro externo humano 132 Autor redet hier noch von – –
132 Finis Philosophicae practicae universalis
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) Ethica philosophica (1751) §§ des Lehrbuches
001 ff. 1
Prolegomena
4 5/6 7
Tractatio Pars I: Generalis Cap. I: Religio
sectio 1: Religio interna 011 ff. 11 ff. 11/22
22
28
419
MS p. Überschriften / Stichworte der Vorlesung 133 Ethica 135 Die Ethic wird auch 138 Die Ethic kann vortragen 140 Die Autor theilt die Ethic ein 146 Autor redet hier noch von der
147 Von der natürlichen Religion 153 Der Satz: wir sind … 154 Autor redet von der innern Religion 154 Frömmigkeit ist das Wohlverhalten 155 Uebernatürliche Religion kann von
sectio 2: Vera dei cognitio 023ff. 33
36 38 sectio 3: Clara dei cognitio 040ff.
158 Von den Irthümern der Religion 159 Das Hausmittel hiebey ist die 160 Zu den Irthümern der Theologie – –
420
Anhang sectio 4: Certa dei cognitio 054 ff. 65
167 Autor redet schon
69
172 Erbauung bedeutet die Vollführung 173 Autor redet noch von der theoretischen
sectio 5: Viva dei cognitio 066 ff.
70
sectio 6: Cultus dei internus 072 ff. 75
79 80 –
83 84 88 92 sectio 7: Preces internae 093 ff. sectio 8: Pii habitus 100 ff. 100
102
173 Autor redet von der Zufriedenheit des Göttlichen 174 Wir können Gott 176 Die Entsagung Resignation 176 Vom Zutrauen auf Gott unter dem Begriff des Glaubens. 177 Das fleischliche Vertrauen besteht 178 nennt der Autor Tentatio Dei 180 Die Furcht Gottes 181 Nachahmung Gottes ist nicht 181 Vom Gebeth.
189 Autor redet von der Reinigkeit der Religion 189 Ferner redet der Autor von ReligionsEifer 189 Fromme Einfalt
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan)
421
105
190 Ein practischer Atheist 190 De cultu externo.
115
195 Aussere Religion ist – –
sectio 9: Cultus dei externus 110 ff.
sectio 11: Studium promovendae religionis 126 ff. sectio 12: Pium exemplum 133 ff. 134 134
200 Vom Beyspiel und Muster in der Religion. 203 Vom Anstoß 204 Alle Scandala sind
sectio 13: Piae ceremoniae 140 ff. 144
–
sectio 10: Confessio dei 118 ff. 123
Cap. II: Officia erga sectio 1: Cognitio te ipsum tui ipsius 150 ff. 157 159 161
208 Zeichen der Religion sind zwiefach: 209 Von der Schaam in Ansehung der Andacht 211 Vom Bekenntniß der Religion 212 Der seine Religion verleugnet 213 Von den Pflichten gegen sich selbst. 229 Dahin gehört die Selbstprüfung 230 Handlungen gehört eine 230 Moralische Träume können
422
Anhang 230 Von der geziemenden Selbstschätzung.
sectio 2: Diiudicatio tui ipsius 165 ff. 168
230 Zu der geziemenden Schätzung 236 Vom Gewissen.
177
242 Der Unterschied des irrenden 244 Autor nennt das Gewissen 245 Das Gewissen kann unterschieden werden 245 Die Conscientia concomitans 246 so ist das ein micrologisches 247 Von der Eigenliebe.
sectio 3: Officia erga conscientiam 175 ff.
180 181
181 176 sectio 4: Amor tui ipsius 191 ff. 194/171 195 200
{ sectio 5: Officia erga anlogon rationis } 201 ff. { sectio 6–10 } 221 ff. sectio 11: Cura corporis 250 ff.
247 Die Philautie oder moralische 251 Der moralische Egoismus ist 252 Von der Oberherrschafft über sich selbst 258 Autor begeht einen Fehler
259 … von denen der Autor weitläufftig … 260 Allein die Gesundheit der Seele
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) 157/202 220 221 ff. { sectio 7 } 226ff. { sectio 8 } 235ff. 246 ff. 248 sectio 11: Cura corporis 250ff. 252 252
253
262 260 sectio 12: Cura occupationum et otii 267 ff. 270 sectio 13: Cura castitatis 272 ff.
423
261 Autor rechnet zur Pflicht 263 dazu gehöret die suspensio judicii 264 Die Gegenwart des Geistes 264 … in Ansehung … der Lust und Unlust 267 … in Ansehung der Affecten … 268 Unsere Maximen müssen wohl 268 Autor redet noch vom Siege 269 Von den Pflichten gegen den Körper in Ansehung des Lebens 270 Vom Selbstmord 281 Was die Pflicht in Ansehung unseres Lebens betrifft. 286 Von den Pflichten in Ansehung des Körpers selbst 287 exercitia telestica … 289 In Ansehung der Mässigkeit 291 Von der Pflicht des Lebens in Ansehung des Genusses desselben 292 Der Mensch kann also 296 Von der Pflicht gegen seinen Körper in Ansehung der Geschlechter Neigung
424
Anhang 275 275 275
sectio 14: Cura necessitatum commoditatumque vitae 276 ff. 277 sectio 15: Cura laboris 281 ff. sectio 16: Cura facultatum 285 ff. sectio 17: Cura deliciarum externarum 290 ff.
320 Vom luxu ist noch zu merken 322 Von den GlüksGütern.
287
289
292 sectio 18: Cura existimationis 293 ff.
300 Da nun aber der Mensch 306 Nun können wir noch fragen 308 Von den Criminibus Carnis 312 Von den Pflichten gegen sich selbst in Ansehung des äussern Zustandes 315 Es giebt wahre Bedürfnisse 318 Unter der Beschwerlichkeit
325 Von der Anhänglichkeit des Gemüths an die GlüksGüter oder vom Geitz 336 Betrachtung der Sparsamkeit was es mit ihr für Bewandniß hat 337 Wenn wir fragen, was 339 Von den zween Trieben des Natur und den darauf beziehenden Pflichten.
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) Cap. III: Officia erga alia
sectio 1: Amor universalis 301 ff.
425
349 Von den Pflichten gegen andere Menschen 357 Alle Liebe ist entweder
sectio 2: Amor hominum 304ff. 311 312 305 313 sectio 3: Studium pacis 315 ff. 313 317
318 319 320 322 322 sectio 4: Vitia philanthropiae opposita 328ff.
328 331 334
362 Kaltsinnigkeit ist der Mangel 365 Von der Freundschafft 376 In welchem Grad verbessern es 380 Es frägt sich, ob 381 Von der Feindschafft 383 Die Misantropie 384 Von den Pflichten, die aus dem Recht der Menschen entspringen 385 Von der Billigkeit 386 Von der Unschuld 388 Vom Schaden 389 Von der Rache 390 Vom Ohrenbläser 390 Von der Eifersucht und der daraus entsprungenden Mißgunst und Neid 394 Misgunst ist, wenn man 398 (ingratitudo … 404 Wie eine grausame Gesinnung
426
Anhang sectio 5: Candor 338 ff.
341
343 344 334 342 345/346 sectio 6: Diiudicatio aliorum 348 ff. sectio 7: Auxilium aliis ferendum 361 ff. sectio 8: Studium propagandae religionis 367 ff. sectio 9: Studium propagandae scientiae et virtutis 370 ff. sectio 10: Auxilium vitae commode transigendae 374 ff. sectio 11: Officia conversationis 378 ff.
405 Von den ethischen Pflichten gegen andere; und zwar von der Wahrhafftigkeit 407 Die Zurückhaltung besteht darin 409 Wenn der Mensch sich äussert 411 Es kann demnach ein Falsiloquium 412 … den Begriff der Notlüge 414 Es giebt ferner Lügen 414 Die Reservatio mentalis 415 Schmeicheley ist nicht immer Lügenhafftigkeit 420 Zur allgemeinen Menschenpflicht gehört die Leutseligkeit 422 Duldsam ist der, der das auch verträgt – –
425 Von der Armuth und den daraus entprungenen gütigen Handlungen 426 Von gesellschafftlichen Tugenden
Gliederbau der Vorlesung (Strukturplan) 385/386 sectio 12: Officia in honorem aliorum 387 ff. 388 388 – sectio 13: Officia erga alia, quae non sunt homines 391 ff. 397/398
Pars II: Specialis Cap. I: Respectu animae
404
Cap. II: Respectu corporis
sectio 1: Officia aetatum 451 ff.
sectio 2: Officia sanorum et aegrotorum 461 ff.
428 Autor redet vom Geist des 428 Vom Hochmuth
428 Autor nennts superbia 429 Der Fastus Hoffart 430 Von der Spötterey 431 Von den Pflichten gegen Thiere und Geister 434 Autor redet noch von den Pflichten gegen
434 Autor führt noch speciale Pflichten,
sectio 1: Officia eruditorum et ineruditorum 400ff.
sectio 2: Officia virtuosi et vitiosi 426ff.
427
435 Unter der Verschiedenheit der Stände 438 Von den Pflichten der Tugendhafften und Lasterhafften 443 Was die Pflichten in Ansehung der Verschiedenheit des Alters betrifft 444 Autor führt Pflichten wieder Gesunde und Kranke an
428 Cap. III: Respectu status externi
Anhang – –
sectio 1: Officia vitae commodae et incommodae 471 ff. sectio 2: Officia honorati, neglecti et contemti 481 ff. sectio 3: Officia amicorum et amicis destituti 491–500
– –
– –
–
–
451 Von der letzten Bestimmung des menschlichen Geschlechts 454 Finis Ethicae
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
429
3. Literatur- und Abkürzungsverzeichnis Verzeichnet sind die für das editorische Nachwort und die Erläuterungen zum Text herangezogenen oder zitierten Werke. Zusätzlich notiert sind diejenigen Seitenzahlen der Kaehler’schen Handschrift (p.) zu deren Erläuterung auf den jeweiligen Titel hingewiesen wird. Die Bibel und das Kantische Oeuvre sind einzeln erschlossen. AA-Kant f Kant, Immanuel 1900 ff. Abbt, Thomas (1761): Vom Tode für das Vaterland (Berlin) !Vermischte Werke, Bd. 1 (Berlin 1772, Reprint: Hildesheim / New York 1978)" (p. 273). Addison, Joseph / Gottsched, Louise Adelgunde Victorie (Üb) (1735): Cato, ein Trauerspiel, aus dem Englischen (Leipzig) (p. 272). – / Merck, Johann Heinrich (Üb) (1763): Cato, ein Trauerspiel, aus dem Englischen (Frankfurt/M. / Leipzig) [80 S.] (p. 272). AHR / Schwabe, Johann Joachim (Hg) (1747–1774): Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande; oder Sammlung aller Reisebeschreibungen, welche bis itzo in verschiedenen Sprachen von allen Völkern herausgegeben worden und einen vollständigen Begriff von der neuern Erdbeschreibung und Geschichte machen; […] Durch eine Gesellschaft gelehrter Männer im Englischen zusammengetragen und aus demselben [und dem Französischen] ins Deutsche übersetzet. 21 Bde. (Leipzig) (p. 25). Aland, Kurt (1956): Die Handschriftenbestände der polnischen Bibliotheken insbesondere an griechischen und lateinischen Handschriften von Autoren und Werken der Klassischen bis zum Ende der patristischen Zeit. Ein vorläufiger Bericht auf Grund einer Studienreise im November/Dezember 1955 (Berlin) [Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft, Nr. 7]. AM (1864–1923): Altpreußische Monatsschrift zur Spiegelung des provinziellen Lebens in Literatur, Kunst, Wissenschaft und Industrie (Königsberg) APB / Krollmann, Christian / Forstreuter, Kurt et al. (Hg) (1936–2000): Altpreußische Biographie. Herausgegeben im Auftrage der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung, 5 Bde. [durchgehende Paginierung] (Königsberg / Marburg/L.) APO f Archiwum Pan´stwowe w Olsztynie [Staatliches Archiv, Olsztyn (Allenstein)] Aristoteles (–): Ethica Eudemia (p. 369).
430
Anhang
Aristoteles (–): Nikomachische Ethik !Übersetzt und herausgegeben von Olof Gigon, München 1975, zuerst Zürich 1951" (p. 75, 370). Arnoldt, Daniel Heinrich (1746): Ausführliche und mit Urkunden versehene Historie der Königsbergischen Universität. 2 Bde. + 2 Bde. Beylagen (Königsberg) (p. 3). Arnoldt, Emil (1892): Zur Beurtheilung von Kant’s Kritik der reinen Vernunft und Kant’s Prolegomena. Anhang No. 4 und No. 5 zu: Die äußere Entstehung und Abfassungszeit der Kritik der reinen Vernunft, in: AM, Bd. 29, S. 400–446, 465–564. – / Schöndörffer, Otto (Hg) (1907–1909): Gesammelte Schriften, 6 Bde. (Berlin) (p. 437). Asbach, Olaf (2002): Die Zähmung der Leviathane. Die Idee der Rechtsordnung zwischen Staaten bei Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau (Berlin) (p. 452). Basedow, Johann Bernhard (1774): Das in Dessau errichtete Philantropinum, Eine Schule der Menschenfreundschaft und guter Kenntnisse für Lernende und junge Lehrer, arme und reiche; Ein Fidei-Commiß des Publicums zur Vervollkommnung des Erziehungswesens aller Orten nach dem Plane des Elementarwerks. […] (Leipzig) (p. 454). Bauch, Bruno (1914): Kantische Vorlesungshefte von W. Motherby, in: KantStudien, Bd. 19, S. 531. Baumgarten, Alexander Gottlieb (1757): Metaphysica, Editio quarta (Halle) !Abdruck des Textes in AA-Kant, Bde. 15, 17, 18." (p. 106, 259). – (1760): Initia philosophiae practicae primae […] (Halle) !Abdruck in AAKant, Bd. 19." (p. 43.) – Für das Verhältnis zwischen dem Gang der Kantischen Moral-Vorlesung und dem Gliederbau des Handbuches vgl. die gesonderte Tabelle S. 415 ff. dieses Bandes. – (1763): Ethica philosophica. Editio tertia (Halle) !Abdruck in AA-Kant Bd. 28,2.1 (1975) S. 871–1028." (p. 106, 144, 153, 181, 200, 287, 342, 406, 412, 430.) – Für das Verhältnis … etc. Bayerer, Wolfgang Georg (1992): Eine Vorarbeit Kants zum ‚Streit der Fakultäten‘ (Abschnitt III: ‚Von der Macht des Gemüths, durch den blossen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein‘), nebst Notizen für seine Stellungnahme zu J. S. Becks ‚Standpunktslehre‘. Edition und Kommentar (Diss. Giessen) [213 S.] BBAW f Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Bibel / Burckardt, Hieronymus (Hg) / Luther, Martin (Üb) (1751): Biblia das ist die gantze Heilige Schrift, Alten und Neuen Testaments, Nach der teutschen Uebersetzung Luthers […] Samt einer Vorrede von Hieronymo Burckhardt (Basel) !Zu Kant’s eigenem Exemplar dieser von ihm benutzten Ausgabe siehe Borkowski 1937 und die R: 8112 in Bd. 19 der AA-Kant." – Siehe auch die Übersicht S. 443.
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
431
Bibel (1989): Elektronische Bibelkonkordanz von Norbert Demgensky. Version 2.0 (Berlin) Bibel (2000): Die Luther-Bibel. Originalausgabe 1545 und revidierte Fassung 1912. CD-ROM von Directmedia [Digitale Bibliothek Bd. 29] (Berlin) Bock, Friedrich Samuel (1782–1785): Versuch einer wirthschaftlichen Naturgeschichte von dem Königreich Ost- und Westpreussen, 5 Bde. (Dessau) Bodmer, Johann Jacob (1765): Gottsched, ein Trauerspiel in Versen, oder der parodirte Cato [47 S.] (Zürich) (p. 272). Böhme, Gernot / Böhme, Hartmut (1983): Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants (Frankfurt) (p. 85). Borkowski, Heinrich / Diesch, Carl (Hg) (1937): Die Bibel Immanuel Kants [Veröffentlichungen aus der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg Pr.] (Königsberg) Borowski, Ludwig Ernst von (1804): f Groß 1980. Boulanger, Nicolas Antoine / Dähnert, Johann Carl (Üb) (1767): Das durch seine Gebräuche aufgedeckte Alterthum. Oder Critische Untersuchung der vornehmsten Meynungen, Ceremonien und Einrichtungen der verschiedenen Völker des Erdbodens in Religions- und bürgerlichen Sachen (Greifswald) (p. 168). Brandt, Reinhard (1988): Der Zirkel im dritten Abschnitt von Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Oberer, Hariolf / Seel, Gerhard (Hgg): Kant. Analysen – Probleme – Kritik. (Würzburg) S. 169–191. (p. 85). – (1999): Kommentar zu Kants Anthropologie [Kant-Forschungen Bd. 10] (Hamburg) (p. 288). – / Euler, Werner (Hgg) / Stark, Werner (Co) (1999): Studien zur Entwicklung preußischer Universitäten [Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 88] (Wiesbaden) – (2000): Philosophie in Bildern. Von Giorgione bis Margitte (Köln) (p. 164). – / Stark, Werner (Hgg) (2000): Zustand und Zukunft der Akademie-Ausgabe von Immanuel Kants Gesammelten Schriften. [Kant-Studien, Jg. 91, Sonderheft] (Berlin / New York) – / Kain, Patrick (Üb) / Fisher, Jaimey (Üb) (2003): The Guiding Idea of Kant’s Anthropology and the Vocation of the Human Being, in: Jacobs / Kain (Hgg) 2003, S. 85–104. (p. 370). Brockhaus (1999): Die Enzyklopädie. 20ste überarbeitete Auflage, Bd. 27 ‚Zitate und Redewendungen‘ (Leipzig et al.) (p. 298). Butler, Samuel / Waser, Johann Heinrich (Üb) (1765): Hudibras, ein satyrisches Gedicht wider die Schwermer und Independenten zur Zeit Carls des Ersten, in neun Gesängen (Hamburg / Leipzig) (p. 171). Camerarius, Philipp (1644): Operae horarum subcisivarum sive meditationes historicae auctiores antea editae (Frankfurt) (p. 433). Campe, Joachim Heinrich (1807–1811): Wörterbuch der Deutschen Sprache, 5 Bde. (Braunschweig)
432
Anhang
Cicero, Marcus Tullius (–): De legibus (p. 273). Cicero, Marcus Tullius (–): Tusculanae disputationes (p. 440). – / Büchner, Karl (Hg, Üb) (1964): De officiis libros III. Latine et germanice / Vom rechten Handeln. Lateinisch und Deutsch (Zürich/Stuttgart) (p. 438). – / Bayer, Karl (Hg, Üb) (1980): De Fato / Über das Fatum. Lateinisch-deutsch, 3te Auflage (München) (p. 440). Crusius, Christian August (1744): Anweisung vernünftig zu leben, Darinnen nach Erklärung der Natur des menschlichen Willens die natürlichen Pflichten und allgemeine Klugheitslehren im richtigen Zusammenhang vorgetragen werden (Leipzig) (p. 43). Cumberland, Richard (1672): De Legibus naturae […] (London) (p. 74). Dash, Mike / Peschel, Elfriede (Üb) (2001): Tulpenwahn. Die verrückteste Spekulation der Geschichte (München) (p. 404). Diogenes Laertius / Apelt, Otto (Üb) / Reich, Klaus (Co) / Zekl, Günter (Co) (1967): Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 2 Bde. (Hamburg) (p. 19). Duden (2001): Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage (Mannheim et al.) Düsing, Klaus (1971): Das Problem des höchsten Gutes in Kants praktischer Philosophie, in: Kant-Studien, Bd. 62, S. 5–42. (p. 12). Eberhard, Johann August (1772): Neue Apologie des Sokrates, oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden [viii, 512 S.] (Berlin / Stettin) (p. 169). Enzyklopädie des Märchens / Brednich, Rolf Wilhelm et al. (Hg) (1987): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 5 (Berlin / New York) (p. 433). Epiktet / Mücke, R. (Hg, Üb) (o. J. [1926]): Was von ihm erhalten ist nach den Aufzeichnungen Arrians. Neubearbeitung der Übersetzung von J. G. Schulthess [1766] (Heidelberg) (p. 364] Erasmus von Rotterdam (1524): Vom freien Willen. Verdeutscht von Otto Schumacher, 4te Auflage (Göttingen 1979) (p. 234). Erler, Georg / Joachim, Erich (Hgg) (1910–1917): Die Matrikel [und die Promotionsverzeichnisse] der Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr., 3 Bde. (Leipzig) Euler, Werner (1994): Immanuel Kants Amtstätigkeit. Aufgaben und Probleme einer Gesamtdokumentation, in: Reinhard Brandt / Werner Stark (Hg): Kant-Forschungen, Bd. 5, S. 58–90. Fabian, Bernhard (1976): The Reception of Bernard Mandeville in eighteenthcentury Germany, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, ed. by Theodore Besterman. Vol. 152. Transactions of the Fourth international Congress on the Enlightenment (Oxford) S. 693–722. (p. 25).
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
433
Forschner, Maximilian (1989): Guter Wille und Haß der Vernunft. Ein Kommentar zu GMS 393–396, in: Otfried Höffe (Hg): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar (Frankfurt/M.) S. 66–82. (p. 12). Friedrich II, König von Preußen / Murawski, Erich (Hg) / Borchardt, Georg (Hg) (1963): Ihr Wintbeutel und Erzschäker. Die Randbemerkungen Friedrichs des Grossen. Nach Georg Borchardt neu bearbeitet und erläutert durch Dr. Erich Murawski. Zeichnungen von Dr. V. Regling (Bad Nauheim) (p. 96). Frischbier, Hermann (1882, 1883): Preussisches Wörterbuch. Ost- und westpreussische Provinzialismen in alphabetischer Folge, 2 Bde. (Berlin) Gawlick, Günther / Kreimendahl, Lothar (1987): Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse einer Rezeptionsgeschichte [Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung, Abtlg. II: Monographien, Bd. 4] (Stuttgart-Bad Cannstatt) (p. 401). Gellert, Christian Fürchtegott / Heyer, Gottlieb Leberecht / Schlegel, Johann Adolf (Hgg) (1770): Moralische Vorlesungen, nach des Verfassers Tode herausgegeben, 2 Bde. (Leipzig) (p. 214, 249). Gellius (–): Noctes atticae (p. 314). Gleeson, Janet / Müller, Michael (Üb) (1999): Der Mann, der das Geld erfand [John Law] [318 S.] (Wien) (p. 410). Goldbeck, Johann Friedrich (1782): Nachrichten von der Königlichen Universität zu Königsberg in Preußen und den daselbst befindlichen Lehr-, Schulund Erziehungsanstalten (o. O. / Dessau / Leipzig) (p. 3). Gottsched, Johann Christoph (1732): Der sterbende Cato, ein Trauerspiel (Leipzig) (p. 272) – Vgl. Addison. Groß, Felix (Hg) / Jachmann, Reinhold Bernhard / Wasianski, Ehregott Andreas Christoph / Borowski, Ludwig Ernst von (1980): Immanuel Kant. Sein Leben in Darstellungen von Zeitgenossen. Die Biographien von L. E. Borowski, R. B. Jachmann und A. Ch. Wasianski (Darmstadt) [IX, 306 S.] [Reprint der Ausgabe: Berlin 1912, Deutsche Bibliothek, Bd. 4] Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm (1854–1971): Deutsches Wörterbuch (Leipzig) Grugel-Pannier, Dorit (1996): Luxus. Eine begriffs- und ideengeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Bernard Mandeville [346 S.] (Frankfurt/Main [Diss. Münster 1995]) (p. 320). Gryzio, Beata (2001): Kantiana w Bibliotece Gdan´skiej PAN, in: Liber Gedanenses. Rocznik Biblioteki Gdan´skiej XVII / XVIII (Gdan´sk), S. 120–147. GStAPK f Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin-Dahlem Hamann, Johann Georg [anonym] (1759): Sokratische Denkwürdigkeiten (vorgeblich: Amsterdam) !Sven Aage Jørgensen (Hg): Stuttgart 1974, Reclam UB Nr. 926/26a/b" (p. 85, 169). – / Henkel, Arthur (Hg) / Ziesemer, Walther (Hg) (1955–1979): Briefwechsel, 7 Bde. (Wiesbaden / Frankfurt/M.) (p. 85, 169).
434
Anhang
Hawkesworth, Johann / Schiller, Johann Friedrich (Üb) (1774): Geschichte der See-Reisen und Entdeckungen im Süd-Meer welche auf Befehl Sr. Großbrittanischen Majestät unternommen, und von Commodore Byron, Capitain Carteret, Capitain Wallis und Capitain Cook […] ausgeführet worden sind; aus den Tagebüchern der verschiedenen Befehlshaber und den Handschriften Joseph Banks Esq. in drey Bänden verfaßt […] [Geschichte der Seereisen und Entdeckungen im Süd-Meer, Bde. 1–3] (Berlin) (p. 26). Heidegger, Gotthard (1735): Acerra philologica nova, […] 2te Auflage (Zürich) (p. 433). Helvétius, Claude Adrien / Gottsched, Johann Christoph (Hg) / Forkert, Johann Gabriel (Üb) (1760): Discurs über den Geist des Menschen, […] Mit einer Vorrede Herrn Joh. Christoph Gottscheds […] (Leipzig / Liegnitz) (p. 25] – / Wichmann, Christian August (Hg) (1774): Hinterlassenes Werk vom Menschen, von dessen Geistes-Kräften, und von der Erziehung desselben, 2 Bde. (Breslau) (p. 25). Henrich, Dieter (1954–1955): Das Prinzip der Kantischen Ethik, in: Philosophische Rundschau, Bd. 2, S. 20–38. (p. 25] – (1957–1958): Hutcheson und Kant, in: Kant-Studien, Bd. 49, S. 49–69. (p. 25). – (1960): Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. Festschrift für Hans-Georg Gadamer zum 60. Geburtstag, hg. Dieter Henrich (Tübingen) S. 77–115. (p. 25, 85). – (1963): Über Kants früheste Ethik. Versuch einer Rekonstruktion, in: KantStudien, Bd. 54, S. 404–431. (p. 16, 25). – (1963a): Das Problem der Grundlegung der Ethik bei Kant und im spekulativen Idealismus, in: Paulus Engelhardt (Hg): Sein und Ethos. Untersuchungen zur Grundlegung der Ethik [Walberberger Studien der Albertus-Magnus Akademie. Philosophische Reihe Bd. 1] (Mainz), S. 350–386. (p. 85). – (1966): Über Kants Entwicklungsgeschichte, in: Philosophische Rundschau, Bd. 13, S. 252–263. (p. 25). – (1975): Die Deduktion des Sittengesetzes. Über die Gründe der Dunkelheit des letzten Abschnittes von Kants ‚Grundlegung zur Metaphysik der Sitten‘, in: Denken im Schatten des Nihilismus. Festschrift für Wilhelm Weischedel zum 70. Geburtstag am 11. April 1975, Hrsg. Alexander Scharau (Darmstadt) S. 55–112. Herder, Johann Gottfried / Schmidt, Gerhardt (Vorw.) (1966): Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Textausgabe [552 S.] (Darmstadt) (p. 221). Hippel, Theodor Gottlieb von [anonym] (1774): Über die Ehe (Berlin) !Wolfgang Max Faust (Hg), Stuttgart 1972" (p. 445). Hirzel, Rudolf (1908): Der Selbstmord, in: Archiv für Religionswissenschaft, Bd. 11, S. 75–104, 243–284, 417–476. (Berlin) (p. 270).
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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Hobbes, Thomas (1670): Leviathan, sive De materia, forma & potestate civitatis ecclesiasticae et civilis (Amsterdam) (p. 25, 338). Hofstede, Peter (1769): Des Herrn Marmontels herausgegebener Belisar beurtheilt, und die Laster der berühmtesten Heiden angezeigt, zum Beweise, wie unbedachtsam man dieselben ihrer Tugenden wegen selig gepriesen […]. Aus dem Holländischen übersetzt (Leipzig / Wesel) (p. 169). Home, Henry Lord Kames / Meinhard, Johann Nicolaus (Üb) (1763, 1763, 1766): Grundsätze der Critik, 3 Bde. (Leipzig) (p. 296). – / Rautenberg, Christian Günther (Üb) (1768): Versuche über die ersten Gründe der Sittlichkeit und der natürlichen Religion in zween Theilen (Braunschweig) (p. 25). – / Klausing, Anton Ernst (Üb) (1774, 1775): Versuche über die Geschichte des Menschen, 2 Bde. (Leipzig) (p. 316). Hruschka, Joachim (1987): Die Konkurrenz von Goldener Regel und Prinzip der Verallgemeinerung in der juristischen Diskussion des 17./18. Jahrhunderts als geschichtliche Wurzel von Kants kategorischem Imperativ, in: Juristen-Zeitung, Bd. 42, S. 941–952. – (1993): Kants Bearbeitung der Goldenen Regel im Kontext der vorangegangenen und der zeitgenössischen Diskussion, in: Strafgerechtigkeit. Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (Heidelberg) S. 129–140. Hume, David / Sulzer, Johann Georg (Hg) et al. (1754, 1755, 1756, 1756): Vermischte Schriften. 4 Bde. / Bd. I: Über die Handlung, die Manufacturen und die andern Quellen des Reichthums und der Macht eines Staats. / Bd. II: Philosophische Versuche über die Menschliche Erkenntniß. / Bd. III: Sittenlehre der Gesellschaft. / Bd. IV: Moralische und politische Versuche. (Hamburg / Leipzig) (p. 338, 438). – / Resewitz, Friedrich Gabriel (Üb) (1759): Vier Abhandlungen: Die natürliche Geschichte der Religion. Von den Leidenschaften. Vom Trauerspiel. Von der Grundregel des Geschmacks (Quedlinburg / Leipzig) (p. 148, 401). – / Green, Thomas Hill (Hg) / Grose, Thomas Hodge (Hg) (1882–1886): The Philosophical Works, 4 Bde. (London) Hutcheson, Francis / Gellius, Johann Gottfried (Üb) (1760): Abhandlung über die Natur und Beherrschung der Leidenschaften und Neigungen und über das moralische Gefühl insonderheit (Leipzig) (p. 25). – / Merck, Johann Heinrich (Üb) (1762): Untersuchung unsrer Begriffe von Schönheit und Tugend in zwo Abhandlungen (Frankfurt / Leipzig) (p. 25). Iuvenal (–): Saturae (p. 260). Jachmann, Reinhold Bernhard 1804 f Groß 1980. Jacobs, Brian / Kain, Patrick (Hgg) (2003): Essays on Kant’s Anthropology [xi, 265 S.] (Cambridge)
436
Anhang
Kant, Immanuel (–) Siehe auch die Spezialliste, S. 443 ff. und die Aufstellung der Editionen und Übersetzungen, S. 379 f. Kant, Immanuel / AdW, Berlin (Hg) (1900 ff.): Kant’s gesammelte Schriften (Berlin) [Bde. I-IX = 1. Abtlg. ‚Werke‘ (1902–1923) / Bde. X-XIII (XXIII) = 2. Abtlg. ‚Briefwechsel‘ (1900–1922) / Bde. XIV-XXIII = ‚Handschriftlicher Nachlaß‘ (1911–1955) / Bde. XXIV-XXIX = ‚Vorlesungen‘ (1966 ff.)] Zitiert als ‚AA-Kant‘, mit römischer Ziffer für den Band. – / Menzer, Paul (Hg) (1924): Eine Vorlesung Kants über Ethik. Im Auftrag der Kantgesellschaft herausgegeben von Paul Menzer (Berlin-Charlottenburg: Pan Verlag Rolf Heise) (Philosophia practica universalis) [VII, 335 S.] [2. Auflage 1925] – / Irmscher, Hans Dietrich (Hg) (1964): Aus den Vorlesungen der Jahre 1762 bis 1764. Auf Grund der Nachschriften Johann Gottfried Herders (Köln) [178 S.] Kant-Studien, Ergänzungsheft Nr. 88. – / Weischedel, Wilhelm (Hg) (1974–1977): Werke in zwölf Bänden. [Zuerst Wiesbaden: Insel 1956 ff. Benutzt in einer der Suhrkamp Versionen Frankfurt/M. 1974 ff.] – / IKS e. V. Bonn (Hg) (1996): Kants gesammelte Schriften nach den Bänden I-XIII der Akademie-Textausgabe aufbereitet für WordCruncher […] (Bonn) [CD-ROM]. Kant-Forschungen / Brandt, Reinhard / Stark, Werner (Hgg) (1987–2001): KantForschungen (Hamburg) Komorowski, Manfred (1988): Promotionen an der Universität Königsberg 1548–1799. Bibliographie der pro-gradu-Dissertationen in den oberen Fakultäten und Verzeichnis der Magisterpromotionen in der philosophischen Fakultät (München et al.) Krauß, Wilhelm (1926 [1932]): Untersuchungen zu Kants moralphilosophischen Vorlesungen. (philos. Diss. Maschinenschrift / Handschrift) [113 S. + 4 Beilagen] (Tübingen) (p. 85, 424). Küenburg, Max S. J. (1925): Ethische Grundfragen in der jüngst veröffentlichten Ethikvorlesung Kants (Innsbruck) [Studien zur Geschichte der Moralphilosophie, Philos. und Grenzwissenschaften. Bd. 1, H. 4] Lavater, Johann Caspar (1772): Von der Physiognomik (Leipzig) !Karl Riha / Carsten Zelle (Hg): Johann Caspar Lavater, Von der Physiognomik und Hundert physiognomische Regeln. Mit zahlreichen Abbildungen (Frankfurt/M. / Leipzig 1991)" (p. 406). – (1775–1778): Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe, 4 Bde. (Leipzig / Winterthur) (p. 440). Lessing, Gotthold Ephraim (1779): Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen (Berlin) (p. 424). Lexikon Theologie / Kaspar, Walter (Hg) (1993 ff.): Lexikon für Theologie und Kirche. Dritte völlig neu bearbeitete Auflage (Freiburg / Basel / Rom / Wien)
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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Anhang
Paulson, Ronald (1965): Hogarth’s Graphic Works. First complete edition, 2 Bde. (New Haven / London) (p. 432). Pauly / Cancik, Hubert / Schneider, Helmuth (Hgg) (1996-): Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike (Stuttgart / Weimar) Platon (–): Euthyphron !Schleiermacher Übersetzung (Hamburg 1973)" (p. 43). Platon (–): Politeia (p. 12, 287, 368). Pope, Alexander: Moral Essays. In Four Epistles to several Persons !Adolphus William Ward (Hg): The Poetical Works of Alexander Pope (London 1930) [zuerst: 1869]" (p. 69). Pseudo-Longinos / Brandt, Reinhard (Hg, Üb) (1983): Vom Erhabenen. Griechisch und Deutsch, 2te Auflage (Darmstadt) (p. 211). Raabe, Paul (Hg) (1970): Ernst Theodor Langers Stammbuch. Aus dem Besitz der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel in Auswahl (Stuttgart) Reich, Klaus (1935): Kant und die Ethik der Griechen (Tübingen) – (1936): Rousseau und Kant (Tübingen) – (1964): Die Tugend in der Idee. Zur Genese von Kants Ideenlehre, in: H. Delius / G. Patzig (Hg): Argumentationen. Festschrift für Josef König, S. 208–215. (Göttingen) – (2001): Gesammelte Schriften. Mit Einleitung und Annotationen aus dem Nachlaß herausgegeben von Manfred Baum, Udo Rameil, Klaus Reisinger, Gertrud Scholz [xviii, 504 S.] (Hamburg) (p. 16). Rhesa, Ludwig (1834): Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit [der Reformation] 1775 an den evangelischen Kirchen in Ostpreuszen angestellten Predigern als Fortsetzung der Arnoldtschen Presbyteriologie auf Veranstaltung des Königlichen Consistoriums herausgegeben (Königsberg) [204 S.] – (1834a): Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den evangelischen Kirchen in Westpreuszen angestellten Predigern auf Veranstaltung des Königlichen Consistoriums herausgegeben (Königsberg) [292 S.] Robinet, Jean Baptiste René (1763–1766): De la nature, 4 Bde. (Amsterdam) – (1764): Von der Natur. Erster Band [mehr nicht erschienen] (Frankfurt / Leipzig) (p. 409). Rousseau, Jean-Jacques / Tietz, Johann Daniel [anonym] (Üb) (1752): Abhandlung welche bei der Akademie zu Dijon im Jahre 1750 den Preis über folgende von der Akademie vorgelegte Frage davongetragen hat: Ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste etwas zur Läuterung der Sitten beygetragen hat? (Leipzig) (p. 437). – / Mendelssohn, Moses (Üb) (1756): Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit unter den Menschen, und worauf sie sich gründe; ins Deutsche übersetzt mit einem Schreiben an den Herrn Magister Leßing und einem Briefe Voltairens an den Verfasser vermehret [256 S.] (Berlin) – / Gellius, Johann Gottfried et al. (Üb) (1761): Die neue Héloïse, oder Briefe zweyer Liebenden, aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen, […] (Leipzig)
Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
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!Winkler Dünndruck Ausgabe, München 1978, Reinhold Wolff (Hg)" (p. 270). – / Schwabe, Johann Joachim (Üb) (1762): Aemil, oder Von der Erziehung, 2 Bde. (Berlin) – / Hiller, Johann Adam (Üb) (1764): Auserlesene Gedanken über verschiedene Gegenstände aus der Moral, der Politik und den schönen Wissenschaften (Danzig / Leipzig) – Ein Exemplar lag nicht vor. – / Gagnebin, Bernard / Raymond, Marcel (Hgg) (1959–1969): Oeuvres complètes, 4 Bde. (Paris) – / Schmidts, Ludwig (Üb) (1975): Emil oder Über die Erziehung. In neuer deutscher Fassung. 3. unveränderte Auflage [zuerst: 1971] (Paderborn) (p. 16, 88, 227, 250, 424, 433, 443, 445, 451). – / Meier, Heinrich (Hg, Üb) (1990): Diskurs über die Ungleichheit. Discours sur l’inégalité. Kritische Ausgabe des integralen Textes. Mit sämtlichen Fragmenten und ergänzenden Materialien nach den Originalausgaben und den Handschriften neu ediert, übersetzt und kommentiert. Zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage (Paderborn et al.) (p. 16). – / Tietz, Johann Daniel [anonym] (Üb) / Konersmann, Ralf (Hg) / Märtens, Gesine (Hg) (1997): Abhandlung, welche bei der Akademie zu Dijon im Jahre 1750 den Preis über folgende von der Akademie vorgelegte Frage davongetragen hat: Ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste etwas zur Läuterung der Sitten beygetragen hat? In der ersten deutschen Übersetzung von Johann Daniel Tietz [73 S.] [Kleines Archiv des achtzehnten Jahrhunderts, 28] (St. Ingbert) Ruffing, Margit (Hg) / Malter, Rudolf (Co) (1999): Kant-Bibliographie. 1945–1990 (Frankfurt/M.) [Veröffentlichungen der Kant-Forschungsstelle am Philosophischen Seminar der Universität Mainz] Saint-Pierre, Charles Irénée Castel Abbé de (1713): Projet pour rendre la Paix perpétuelle en Europe (Utrecht) (p. 452). Santozki, Ulrike (2002): Kant und die Antike, dargestellt in ausgewählten Beispielen. Magisterarbeit im Fach Philosophie. Philipps-Universität Marburg. Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie [195 S.] (Marburg: Typoskript / Exemplar: Bibliothek Soziologie/Philosophie) (p. 12). SBBPK / SBPK f Staatsbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz Schemann, Hans (1989): Synonymwörterbuch der deutschen Redensarten (Straelen) (p. 298). Schmucker, Josef (1948): Die Entwicklung der Lehre Kants von den Prinzipien der Moralität bis zur Kritik der reinen Vernunft (Diss. München [unveröffentlicht]) – (1961): Die Ursprünge der Ethik Kants in seinen vorkritischen Schriften und Reflektionen (Meisenheim/Glan) [399 S.] [Monographien zur philos. Forschung Bd. 23].
440
Anhang
Schollmeier, Joseph (1967): Johann Joachim Spalding. Ein Beitrag zur Theologie der Aufklärung [254 S.] (Gütersloh [Theol. Diss. Marburg 1965]) (p. 7, 13). Schwaiger, Clemens (1995): Das Problem des Glücks im Denken Christian Wolffs. Eine quellen-, begriffs- und entwicklungsgeschichtliche Studie zu Schlüsselbegriffen seiner Ethik [234 S.] (Stuttgart-Bad Cannstatt [Philos. Diss. Trier 1993]) (p. 214). – (1999): Kategorische und andere Imperative. Zur Entwicklung von Kants praktischer Philosophie bis 1785 [250 S.] (Stuttgart-Bad Cannstatt) (p. 12, 16, 69, 85, 437). – (1999a): Zur Frage nach den Quellen von Spaldings ‚Bestimmung des Menschen‘. Ein ungelöstes Rätsel der Aufklärungsforschung, in: Norbert Hinske (Hg): Die Bestimmung des Menschen (Hamburg 1999) [Aufklärung 11/1] (p. 7). – (2000): Die Vorlesungsnachschriften zu Kants praktischer Philosophie in der Akademie-Ausgabe, in: Brandt / Stark (Hgg) 2000, S. 178–188. – (2000a): Ein ‚missing link‘ auf dem Weg der Ethik von Wolff zu Kant. Zur Quellen- und Wirkungsgeschichte der praktischen Philosophie von Alexander Gottlieb Baumgarten, in: Jahrbuch für Recht und Ethik / Annual Review of Law and Ethics, Bd. 8, S. 247–261. Sénelier, Jean (1950): Bibliographie générale des oeuvres de J.-J. Rousseau (Paris) Shaftesbury, Anthony Ashley-Cooper Earl of / Spalding, Johann Joachim (Üb) (1745): Die Sitten-Lehrer oder Erzehlung philosophischer Gespräche, welche die Natur und die Tugend betreffen. Aus dem Englischen des Grafen von Shaftesbury übersetzt. Nebst einem Schreiben an den Uebersetzer (Berlin) (p. 25). – / Spalding, Johann Joachim (Üb) (1747): Untersuchung über die Tugend aus dem Englischen des Grafen von Shaftesbury übersetzt. Nebst einem Schreiben des Uebersetzers (Berlin) (p. 25). – / Wichmann, Christian August (Üb) (1768): Characteristicks oder Schilderungen von Menschen, Sitten, Meynungen und Zeiten, aus dem Englischen übersetzt. Nebst einem Schreiben des Uebersetzers, welches die Anmerkungen des Freyherrn von Leibnitz enthält [cxx, 174 S.] (Leipzig) (p. 25). Smith, Adam / Rautenberg, Christian Günther (Üb) (1770): Theorie der moralischen Empfindungen. Nach der dritten Englischen Ausgabe übersezt (Braunschweig) !Reprint: Bristol, Thoemmes 2000, with an Introduction by Heiner F. Klemme" (p. 12, 69). – / Schiller, Johann Friedrich (Üb) (1776, 1778): Untersuchung der Natur und Ursachen von Nationalreichthümern, 2 Bde. (Leipzig) (p. 323). Spaemann, Robert (1974): Lexikonartikel ‚Gut, höchstes‘, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3 (Darmstadt) (p. 12). Spalding, Johann Joachim (1761): Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christenthum [182 S.] (Leipzig) (p. 7).
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– (1772): Über die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung [267 S.] (Berlin) (p. 7). StA f Staatsarchiv Stark, Werner f Brandt, Reinhard – (1984): Mitteilung in memoriam Erich Adickes (1866–1928), in: Kant-Studien, Bd. 75, S. 345–349. – (1991): quaestiones in terminis. Überlegungen und Fakten zum Nachschreibewesen im universitären Lehrbetrieb des 18. Jahrhunderts. Aus den Präliminarien einer Untersuchung zu Kants Vorlesungen, in: Stern, Martin (Hg): Textkonstitution bei mündlicher und bei schriftlicher Überlieferung. Basler Editoren-Kolloquium 19.–22. März 1990, autor- und werkbezogene Referate [editio. Beiheft 1], S. 90–99. – (1993): Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants (Berlin [Diss. Marburg 1992]) – (1996): Der Marburger Streit um das Verhältnis der Philosophie Kants zur Religion (1786–1793). Litauische und Deutsche Studenten in Königsberg und Marburg. [Vortrag auf der 6. Internationalen Kant-Tagung in Kaliningrad/ Svetlogorsk September 1993], in: Kant-Studien, Bd. 87, S. 89–117. – (1999): Hinweise zu Kants Kollegen vor 1770, in: Reinhard Brandt / Werner Euler (Hgg): Studien zur Entwicklung preußischer Universitäten [Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 88] (Wiesbaden) S. 113–162. (p. 214). – (1999a): Zu Kants Moral-Kolleg der 1770er Jahre. Die Relevanz der wiederentdeckten Nachschrift Kaehler, in: Aufklärung und Interpretation. Studien zur Philosophie Kants und ihrem Umfeld, hgg. von Heiner F. Klemme, Bernd Ludwig, Michael Pauen und Werner Stark (Würzburg), S. 73–103. – Stark, Werner (2000): Immanuel Kant – ein Dichter? in: Kant-Studien, Bd. 91, Sonderheft, S. 143–147. – / Kain, Patrick (Üb) (2003): Historical Notes and Interpretive Questions about Kant’s Lectures on Anthropology, in: Jacobs / Kain (Hgg) 2003, S. 15–37. (p. 36). – 2004): Amanuenses – die engsten Vertrauten des Professors [unveröffentlichtes Typoskript]. StUB f Staats- und Universitätsbibliothek Sturm, Thomas (1999): Buchbesprechung: Kants Gesammelte Schriften. Wordcruncher für Windows […] Hg. vom Institut für angewandte Kommunikationsund Sprachforschung (IKS) Bonn. Aktualisierte Auflage. Berlin 1996 [!] / Kant im Kontext – Werke auf CD-ROM. Für Windows […]. Hg. von Karsten Worm, 2., erweiterte Auflage. Bonn 1997 [!], in: Kant-Studien, Bd. 90, S. 107–110. Universal-Lexicon / Zedler, Johann Heinrich (Hg) (1732–1750): Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden, 64 Bde. (Leipzig / Halle) (p. 211).
442
Anhang
Vleeschauwer, Herman Jean de (1966): La doctrine du suicide dans l’éthique de Kant, in: Kant-Studien, Bd. 57, S. 251–265. (p. 270). Vorländer, Karl (1926): [Nachruf auf Otto Schöndörffer], in: Kant-Studien, Bd. 31, S. 620–623. Vorlesungsverzeichnisse Königsberg f Oberhausen / Pozzo (Hgg) 1999. Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1867–1880): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk, 5 Bde. (Leipzig) (p. 380). Warda, Arthur (1904): Zur Frage: Wann hörte Kant zu lesen auf?, in: AM, Bd. 41, S. 131–135. – (1922): Immanuel Kants Bücher. Mit einer getreuen Nachbildung des bisher einzigen bekannten Abzuges des Versteigerungskataloges der Bibliothek Kants (Berlin) (p. 25, 409). Waschkies, Hans-Joachim (1987): Physik und Physikotheologie des jungen Kant. Die Vorgeschichte seiner ‚Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels‘ (Amsterdam) (p. 208). Weisskopf, Traugott (1970): Immanuel Kant und die Pädagogik. Beiträge zu einer Monographie [Basler Beiträge zur Philosophie und ihrer Geschichte, Bd. 5] (Zürich) WN / Büsching, Anton Friedrich (Hg) (1773–1787): Wöchentliche Nachrichten von neuen Landcharten, geographischen, statistischen und historischen Büchern und Sachen (Berlin) (p. 212, 454). Wolff, Christian (1733): Vernünfftige Gedanken von der Menschen Thun und Lassen zu Beförderung ihrer Glückseligkeit, 4te Auflage (Frankfurt / Leipzig) !Reprint: Hildesheim 1976" (p. 74). – (1738–1739): Philosophia practica universalis methodo scientifica pertractata, […] (Frankfurt / Leipzig) (p. 74). – / Ecole, Jean (Hg) et. al. (1962 ff.): Gesammelte Werke. [Reprinte alter Ausgaben] (Hildesheim) (p. 74, 214). Worm, Carsten (2003): Kant im Kontext II. Komplettausgabe 2003. Werke, Briefwechsel und Nachlaß auf CD-ROM. Volltextretrievalsystem ViewLit Professional [1 CD + Begleitheft] (Berlin) Zedler f Universal-Lexicon . Zelazny, Miroslaw / Stark, Werner (1987): Zu Krzysztof Celestyn Mrongovius und seinen Kollegheften nach Kants Vorlesungen, in: Reinhard Brandt / Werner Stark (Hg): Neue Autographen und Dokumente zu Kants Leben, Schriften und Vorlesungen [Kant-Forschungen, Bd. 1] S. 279–292.
Spezialindex zu den Erläuterungen
443
4. Spezialindex zu den Erläuterungen Angegeben sind stets die Seitenzahlen (p.) der zugrundeliegenden Kaehler’schen Handschrift a) zur christlichen Bibel Altes Testament, p. 13, 64, 90, 307. Neues Testament: Matthäus, p. 13, 103, 132, 139, 184(2), 185, 188, 200, 210, 357, 359, 386, 417. Markus, p. 185, 188. Lukas, p. 90, 122, 139, 188, 357, 417. Johannes, p. 64(2), 79, 103, 135, 180, 188, 206. Briefe des Apostels Paulus, p. 77, 90, 103, 137, 181, 188, 205, 417. Andere, p. 104. b) zu Kant, Immanuel 1. Briefwechsel, Stammbuchverse etc. !AA-Kant, Bde. 10–12 [2te Auflage 1922], Bd. 23 [1955].", p. 13, 23, 25, 36, 149, 169, 234, 410. 2. Handschriftlicher Nachlaß (Akademie-Ausgabe) Bd. 15 Anthropologie und Anhänge, p. 72, 135, 169, 181, 200, 259, 438, 452. Bd. 16 Logik, p. 85. Bd. 17 Metaphysik, p. 13, 80, 85, 219, 221. Bd. 18 Metaphysik, p. 168. Bd. 19 Notate in den Initia (1760) von A. G. Baumgarten, p. 3, 5, 12, 14, 16, 23, 25, 43, 47, 69, 71, 74, 80, 82, 93, 113, 181, 200, 219, 221. Bd. 20 Notate in seinen Bemerkungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) – Siehe auch Kant / Rischmüller (Hg) 1991, p. 80, 106, 169, 219, 272, 436. Bd. 23 Vorarbeiten und Nachträge II, p. 85. 3. Vorlesungen (Akademie-Ausgabe) in alphabetischer Folge Anthropologie. Benutzt ist auch ein Datensatz der ehemaligen Marburger Arbeitsstelle der Göttinger Akademie der Wissenschaften. 1772/73 (Collins / Parow), p. 6 f., 12 f., 16, 47, 69, 135, 149, 164, 169, 171, 181, 219, 229, 236, 253, 262, 278, 294, 319, 325, 342, 351, 364, 368f., 374, 404, 409, 417, 428, 432f., 440, 444, 451.
444
Anhang
1775/76 (Friedländer), p. 5, 85, 88, 169, 214, 218, 221, 236, 244, 253, 265f., 316, 320, 330, 364, 369, 374, 392, 396, 438, 440, 444f., 450, 452–454. 1777/78 (Pillau), p. 149, 164, 218, 236, 244, 318–320, 374, 452. 1781/82 (Petersburg / Menschenkunde), p. 13, 26, 229, 236, 244, 255, 278, 296, 314, 318–320, 323, 325, 369, 374, 415, 424, 433, 437 f., 452. 1784/85 (Mrongovius), p. 135, 164, 236, 253, 255, 272, 319 f., 346, 374, 380, 406, 430, 437. 1788/89? (Busolt), p. 236. Andere / generell, p. 12, 236, 244, 255, 319 f., 322, 334, 346, 369, 440. Logik !AA-Kant, Bd. 24, S. 1 ff." – Siehe auch Kant / Pinder (Hg) 1999, p. 12, 148, 222. Metaphysik !AA-Kant, Bd. 28, S. 167 ff." Herder, p. 12, 16. Pölitz, p. 12 f., 16, 80, 85, 106, 149, 225, 247, 437. Moralphilosophie !AA-Kant, Bd. 27, S. 1 ff. – Zur Klarstellung: Nicht der Text der Collins-Fassung wird verzeichnet, sondern die zugehörigen Erläuterungen von Gerhard Lehmann, soweit im Apparat der vorliegenden Ausgabe ausdrücklich darauf Bezug genommen wird." 1764? (Herder), p. 12, 16, 25, 106, 181, 259, 338, 380, 409, 432f., 436. 1774/75? (Collins), p. 7, 19, 43, 74, 273, 433. 1777/78? (Powalski), p. 12 f., 16, 25, 74, 149, 169, 259. Natürliche [rationale] Theologie !AA-Kant, Bd. 28, S. 989ff.", p. 16, 149, 368. Naturrecht !AA-Kant, Bd. 27, S. 1317 ff.", p. 306. Physische Geographie, herausgegeben von Friedrich Theodor Rink, bearbeitet von Paul Gedan !AA-Kant, Bd. 9, S. 151 ff. Daneben auch nach den Ms-Seiten der Nach- und Abschriften. – Auch verfügbar als Datensatz der ehemaligen Marburger Arbeitsstelle der Göttinger Akademie der Wissenschaften bzw. der 2002 neu eingerichteten Potsdamer Arbeitsstelle der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften.", p. 25 f., 103, 296, 437. 4. Druckschriften (Akademie-Ausgabe) 1758: Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe […] (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 13 ff.", p. 23. 1759: Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (Königsberg) !AAKant, Bd. 2, S. 27 ff.", p. 13. 1760: Gedanken bei dem frühzeitigen Ableben des Herrn Johann Friedrich von Funk (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 37 ff.", p. 169.
Spezialindex zu den Erläuterungen
445
1763: Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 63 ff.", p. 244. 1764: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 205 ff.", p. –. 1764a: Versuch über die Krankheiten des Kopfes !Bd. 2, S. 257–271.", p. 169. 1764b: Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (Berlin) !AA-Kant, Bd. 2, S. 273 ff.", p. 25. 1765: Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765–1766 (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 303 ff.", p. 25, 374. 1766: Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 315 ff.", p. 219. 1768: Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume !AAKant, Bd. 2, S. 375 ff.", p. 169. 1770: De mundi sensibilis atque intelligibilis dissertatio pro loco professionis log. et metaph. ordinariae rite sibi vindicando […] D. xxi. Aug. A. MDCC LXX (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 2, S. 385 ff.", p. 12, 25. 1771: Recension von Moscati’s Schrift […] !AA-Kant, Bd. 2, S. 421 ff.", p. 169. 1775 / 1777: Von den verschiedenen Racen der Menschen (Königsberg) !AAKant, Bd. 2, S. 427 ff.", p. 169, 212, 244, 307, 452 [1777!]. 1776 / 1777: Aufsätze, das Philanthropin betreffend !AA-Kant, Bd. 2, S. 445ff.", p. 181. 1781: Critik der reinen Vernunft (Riga) !AA-Kant, Bd. 3 und Bd. 4", p. 13, 16, 35, 169, 181, 200, 247, 255, 368, 454. 1784: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht !AAKant, Bd. 8, S. 15 ff.", p. 253, 255, 437. 1785: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Riga) !AA-Kant, Bd. 4, S. 385 ff.", p. 13, 23, 25, 36, 80, 169, 181, 202, 219, 236, 244, 364, 450, 454. 1785a: Recension zu J. G. Herder’s Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit !AA-Kant, Bd. 8, S. 43 ff.", p. 253. 1786: Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte !AA-Kant, Bd. 8, S. 107 ff.", p. 236, 244, 437. 1788: Critik der practischen Vernunft (Riga) !AA-Kant, Bd. 5, S. 001 ff.", p. 13, 24 f., 43, 64, 74, 85, 149, 169, 181, 221, 236, 244, 432, 450. 1790: Critik der Urtheilskraft (Berlin / Liebau) !AA-Kant, Bd. 5, S. 165 ff.", p. 169, 181, 319, 368. 1791: Ueber das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee !AA-Kant, Bd. 8, S. 253 ff.", p. 149. 1793: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 6, S. 1 ff.", p. 82, 93, 135, 149, 169, 181, 188, 236, 396. 1793a: Ueber den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis !AA-Kant, Bd. 8, S. 273 ff.", p. 13. 1795 / 1796: Zum ewigen Frieden (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 8, S. 341 ff.", p. 82, 415.
446
Anhang
1796: Verkündigung des nahen Abschlusses eines Tractats zum ewigen Frieden in der Philosophie !AA-Kant, Bd. 8, S. 411 ff.", p. 85. 1797: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 6, S. 203 ff.", p. 82, 149, 218, 282, 338, 412. 1797a: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre (Königsberg) !AAKant, Bd. 6, S. 373 ff.", p. 278, 364, 415. 1797c: Ueber ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen !AA-Kant, Bd. 8, S. 423 ff.", p. 412. 1798: Der Streit der Facultäten (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 7, S. 1 ff.", p. 188, 351, 453. 1798a: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 7, S. 117 ff.", p. 13, 69, 135, 169, 181, 236, 255, 261, 288, 318 f., 437. 1803 / Rink, Friedrich Theodor (Hg): Ueber Pädagogik (Königsberg) !AA-Kant, Bd. 9, S. 437 ff.", p. 16, 88, 253, 406. Sonstiges und Allgemeines: !AA-Kant, Bde. 1–9.", p. 85, 169, 342. 5. Andere Ausgaben 1924 / Menzer, Paul (Hg) (1924): Eine Vorlesung über Ethik (Berlin), p. 7, 19, 43, 74, 433. 1964 / Herder, Johann Gottfried (Co) / Irmscher, Hans Dietrich (Hg): Aus den Vorlesungen der Jahre 1762 bis 1764. Auf Grund der Nachschriften J. G. Herders [Kant-Studien Ergänzungsheft 88] (Köln), p. 25. 1974–1977 / Weischedel, Wilhelm (Hg) (1974–1977): Werke in zwölf Bänden. [Zuerst Wiesbaden: Insel 1956 ff.] (Frankfurt/M.), p. 12. 1991 / Rischmüller, Marie (Hg) (1991): Bemerkungen in den ‚Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen‘ [Kant-Forschungen, Bd. 3] (Hamburg), p. 272, 436. 1998 / Pinder, Tillmann (Hg) (1998): Logik-Vorlesung. Unveröffentlichte Nachschriften I: Logik Bauch / Unveröffentlichte Nachschriften II: Logik Hechsel. Warschauer Logik, 2 Bde. [lxviii, 717 S. durchgehende Paginierung / Kant-Forschungen Bd. 8 & 9] (Hamburg), p. 148, 222. 2003 / Klemme, Heiner F. (Hg) / Brandt, Horst D. (Co) (2003): Kritik der praktischen Vernunft (Hamburg: Meiner / Philosophische Bibliothek 506), p. 74.
Glossar und Sachregister
447
5. Glossar und Sachregister
Bezogen auf die Ms-Seiten von Kaehler (p.); Mnz f Menzer 1924. a) unübliche deutschsprachige Worte ausklauben [excerpere], p. 47 / Mnz, S. 30: ausklauben. ausknuweln [auswählen], p. 169 / Mnz, S. 114: auskramen. auswühlen [eruere], p. 139 / Mnz, S. 92: auswirken. dermaleins [künftig], p. 287 / Mnz, S. 198: dermaleinst. doller [toller], p. 268 / Mnz, S. 184: ärger. einnisteln [einnesteln], p. 288 / Mnz S. 199: einnisten. Geflissenheit [Beflissenheit], p. 166 / Mnz, S. 111: Beflissenheit. geistisch [geistig], p. 282(2), 287, 313 / Mnz, S. 194: –, 198: geistige, 216: geistige. glupsch [scheel / heimlich], p. 419 / Mnz, S. 293: glupsch. Karre [einfacher Wagen], p. 282(4) / Mnz, S. 194 f. koddrig [jämmerlich, lumpig], p. 329 / Mnz, S. 227: koddrig. krüplich [krumm / lahm], p. 448(2) / Mnz, S. 314 f.: krüppelig. Pracher [Bettler], p. 265. / Mnz, S. 182: Bettler. Püngel [Bündel], p. 79 / Mnz, S. 50: –. schlecht [schlicht / einfach / gerade], p. 17, 19, 37, 249, 265, 288f., 329.
schmählen [herabsetzen], p. 278 / Mnz, S. 191. Schmarotzer [lebt auf Kosten anderer], p. 416 / Mnz, S. 291. Stof [Hohlmaß], p. 217 / Mnz, S. 148: Stoff. Tort [Unrecht / Unbill], p. 411 / Mnz, S. 287. vergeben [toxicare / vergiften], p. 419 / Mnz, S. 293. Vorsicht [Vorsehung], p. 101, 175 f., 340–342, 354. / Mnz, S. 118, 234–236, 246, 283. b) Termini und Redewendungen abiectus [niedergebeugt / verächtlich], p. 106. absolut, p. 12, 31, 33 f., 56, 220, 270. Achtung, p. 93, 135, 141, 205f., 249, 183, 308, 324, 339–345, 354, 356, 379, 389, 420, 429, 431, 438. Affekt, p. 120, 189, 245, 267 f., 363, 460 f. analysieren, p. 340. analytisch, p. –. Anarchie, p. 256. Anlage, p. 244, 397, 446. an sich selbst (selber), p. 34, 37 f., 42–44, 57, 62, 71 f., 80, 88, 93, 155, 167, 191, 195, 325, 334. Anschauung, p. 165, 208, 210 f., 357.
448
Anhang
Anstand / Anständigkeit, p. 137, 322, 376, 426, 450. anständig, p. 78, 140, 187, 235. Anthropologie, p. 5 f., 8, 444f. Anthropomorphismus / anthropomorphistisch, p. 158, 190. Antinomie, p. 92. Antrieb, p. 54, 57, 70, 83, 123 f., 142 f., 224, 236, 347, 437. Appetit, p. 118, 296–298, 301, 325 f., 338, 351, 418 f. a posteriori, p. 35, 201. a priori, p. 27 f., 35, 200f., 259, 368, 449. ausarten, p. 347. ausbilden, p. 453. aus Pflicht, p. 31, 64 f., 68, 79, 229, 283, 320, 356, 360, 400, 402. Autonomie, p. –. Autokratie, p. 256, 258, 260f., 263f., 268, 286, 313. Befehl, p. 26, 76, 79, 191. Begehrungsvermögen, p. 5. Begierde, p. 16, 20, 60, 286, 299, 344, 363, 389, 406, 429, 452. Begriff(e), p. 23, 47, 76, 78, 119, 130, 143, 147, 149–151, 159, 162, 167, 176, 182, 186, 199, 201, 206–208, 214, 233, 269, 412, 438, 443, 449–451. Beispiel, p. 25 f., 104 f., 123, 200–204, 211, 216, 226, 235, 247, 272 f., 348, 433. Bestimmung, p. 10, 63, 177, 186 f., 280, 287, 321, 436 f., 450f., 454. Beurteilung, p. 7, 10, 25, 28, 46, 70, 77, 125, 175, 209, 236, 242, 417, 443, 449. Bewegungsgrund, passim. bewußt, p. 181, 264, 291 f., 350, 354, 410, 431.
Bewußtsein, p. 20, 146, 196, 235, 265, 340, 409, 447. bilden / Bildung, p. 78, 260, 445f., 450, 453f. Bösartigkeit, p. 86, 395, 404, 440. Böse, das, p. 49, 52, 225, 238, 264f., 399, 430, 443. Bonität, moralische, p. 12, 23, 31, 34, 36f., 46, 48, 50f., 68f., 121, 137, 173. Bürger / Bürgersmann, p. 134, 136, 341, 436 f. bürgerlich, p. 154, 309, 354, 384, 444 f., 450, 453. Charakter, p. 7, 23, 169, 289, 338, 383, 421, 438, 440, 442, 446, 448, 450, 453. Causa impulsiva, p. 29 f., 33, 36, 53. Deduktion, p. –. Denkungsart, p. 108. determinieren, p. 35, 127, 178, 187, 284, 421. Dialektik / dialektisch, p. –. dirigieren, Direktion, dirigierend, p. 174 f., 256–258, 267, 286, 322. Dijudikation / dijudizieren, p. 23, 46, 49, 69 f., 75, 85f., 133. dogmatisch, p. 7, 159 f. Doktrin, p. 446, 449f., 453. Ehrgeiz, p. –. ehrgeizig, p. 341. Eigenliebe, p. 241, 247, 249f. Einbildung, p. 230, 260f. Einbildungskraft, p. –. empirisch, p. 23–26, 28, 348, 449. entwickeln / Entwicklung, p. 321, 435 f., 446, 453. Erkenntnisvermögen, p. 236, 286. Erscheinung, p. 324, 348, 406. Erziehung, p. 16, 25–27, 89, 143, 210, 244, 392f., 409, 445, 447–454.
Glossar und Sachregister exekutieren, Exekution, exekutiv, p. 46, 69, 85, 98, 147, 253, 255, 257. Exempel, p. 82, (188, 193) 200, 407. exkolieren, p. 315, 321, 428. Ethik, passim. fanatisch, p. 18, 147, 211, 433. Fictiones, p. 200. Form, p. 3 f., 7, 84, 86, 192, 210, 415. Formel, p. 29 f., 65, 184, 207. Fortgang / fortgehen, p. 153, 331, 381, 432. Fortschritt / fortschreiten, p. –. Freiheit, p. 4 f., 29, 35, 42, 55–59, 108, 112 f., 116 f., 125, 214, 217, 219–228, 264, 266, 270, 272, 275, 279, 286, 301, 303 f., 425, 447, 451. –, Begriff der, p. –. –, Idee der, p. –. –, regellose, p. 225, 446. –, das Prinzip des höchsten Lebens, p. 225. –, das innere Prinzip der Welt, p. 451. Gebrauch der Freiheit, p. 4 f., 42, 214, 222, 224–226, 270, 279. – der Vernunft, p. 150, 433f. – des Verstandes, p. 4, 6, (73, 85 f.). – des Willens, p. 4, 6. – der Willkür, p. 4, (221, 270,) 272. Gefühl, moralisches, p. 24–27, 70–72, 85, 87, 106, 129, 238, 255f., 359, 443. Gemüt, p. 4, 16, 36, 107, 193, 257, 260 f., 264f., 267 f., 286f., 291, 294, 325, 329, 335, 352, 361 f., 378, 383, 440, 442. Gemütsart, p. 106, 108, 231, 265, 381, 448. Gemütsbewegung, p. 362. Gemütskraft, p. 257, 264. Gemütszustand 260.
449
Gerechtigkeit, p. 175, 180, 197 f., 213, 349, 352, 354. Gesellschaft, bürgerliche, p. 445, 450, 453. Gesetz, moralisches, p. 22, 46f., 55, 66, 72, 76–79, 82, 90f., 97–99, 102, 121, 123 f., 136–140, 145, 152, 162 f., 166, 169–171, 179, 197 f., 230–234, 236, 240f., 243, 247 f., 250–253, 255, 366, 439f., 442, 447. Gesetz(e) der Freiheit, p. 29, 223, 286. –, bürgerliche(s), p. 148, 309, 354. –, ethische(s), p. 113–116, 119, 136. –, juridische(s), p. 113–116, 119, 133, 136. –, natürliche(s) / der Natur, p. 42, 51, 65, 67, 243. –, positive(s), p. 243. Gesetzgeber, p. 97–99, 127, 134, 149, 161 f., 179, 206. Gesinnung, moralische, p. 44, 69, 91, 98, 102, 134, 137, 151, 182, 184, 194 f., 229, 235, 338, 417. Gesinnung, praktische, p. 172, 188, 193, (207, 387). Gewissen, das, p. 130, 195, 205, 209, 236–246, 386, 454. Glückseligkeit, p. 10, 13–22, 30, 33, 37, 73 f., 95 f., 98, 100 f., 103, 142, 145 f., 153, 178 f., 183, 214 f., 220, 277, 279 f., 288, 312, 317–319, 351, 357, 361, 373, 397, 427, 451, 453. Grenzbegriff, p. 159. Grundsatz, p. 48 f., 52, 93, 123, 125, 134, 139, 153, 161 f., 229, 251, 280, 350, 352, 354, 362, 372, 379, 383, 401, 407, 412 f., 428, 439f., 442, 450, 453. Gut, das höchste, p. 13–19, 145, 281. Gute, das, p. 47–49, 52, 175, 359, 381, 393, 399f., 434.
Anhang
Handlung, passim. Hang, p. 17, 125, 168, 255, 286, 290, 345, 400, 406, 420. Humanitas [Menschlichkeit], p. 412, 420. Hypothese / Hypothesis, p. 162, 164. Ideal / idealisch, p. 12–15, 18 f., 21 f., 72, 146 f., 152, 181, 261, 313, 368. Idee, p. 6, 13–18, 147, 152 f., 159, 168 f., 189, 250, 366–369, 390f., 414, 430, 434, 438, 452. Illusion [illusio / Täuschung], p. 194, 333. Imagination [Einbildung], p. 256, 260 f. Imperativ [Befehl], p. 8 f., 11 f., 029–034, 048. Indoles [Naturanlage / natürliche Beschaffenheit], p. 106, 108. Instinkt, p. 129 f., 224, 36, 239, 310 f., 354, 439, 442. intellektual / intellektuell, p. 24, 26, 28, 71–75, 80, 84, 143, 163, 357. Intellektualität, p. 287. Interesse, p. 90, 283, 301–303. kategorisch, p. 11, 28, 31, 41, 72, 184, 219, 254. Kausalität, p. –. Kausa f Causa Keim, p. 169 f., 358, 443, 448. Kraft, bewegende, p. 37, 53, 85–87, 161, 172, 428, 442. –, treibende, p. 121, 123. Kritik, p. –. kritisch, p. 412. kritisieren, p. 416. kultivieren, p. 67, 69, 245, 256, 265, 352, 376, 381, 393f., 450. Kultur, p. 255, 362, 427 f., 453. Kunst f Natur.
Laster, passim. Lehrbegriff, p. 23, 25. Leidenschaft, p. 245, 257, 267 f., 427. Maßstab, p. 232f., 247, 250, 252, 391. Materie, p. 415, 428. Maxime, p. 45, 82, 163–165, 190, 224, 230, 268, 286, 394. Menschengeschlecht, p. –. Menschenpflicht, p. 403, 420, 422, 444. Menschheit, Recht(e) der, p. 83, 389, 410–412. Menschheit, Würde der, p. 218, 220f., 227, 232, 258, 268, (281,) 284f., 376, 433, 450. Menschheit, Zweck der, p. 58, 223, 225 f., 248, 258, 260, 308, 310 f., 436 f., 452. Menschlichkeit, p. 360, 404, 432. Mitleid / mitleiden, p. 122, (215,) 217, 229, 267, 275, 404. Motivum, p. 30, 33f., 36–39, 41, 54–56, 59, 63, 70, 87, 106, 143. moralisieren, p. –. Mündigkeit, p. 445. mystisch, p. 18, 165. nachahmen / Nachahmung, p. 88, 169, 181, 202–205, 211. nacheifern / Nacheiferung, p. 392. nachfolgen / Nachfolge, p. 202–204. Natur f Freiheit, p. –. Natur f Kunst, p. 15 f., 446. Natur f Sitten, p. –. Natur, menschliche / des Menschen, p. (15), 22, 67, 121–126, 132, 138, 146, 174, 252, 289, 396f., 399, (441, 446) 454. Naturgesetz, p. –. f f f
450
Glossar und Sachregister
451
Obligatio [Verpflichtung], p. 31–33, 39–44, 48, 50, 57 f., 60 f., 63–65, 72, 76, 91–93, 95f. Offenbarung, p. 77, 80, 140, 150. Ordnung, p. 51, 162, 225, 308, 328, 338, 363, 443. Organisation, p. 88.
Rasse, p. 307. Rationalismus, p. 165. Recht, das / ein, p. 23, 65–67, 95, 213, 227, 270, 303–306, 309, 337, 343, 351, 353–356, 384–386, 388f., 410–412, 417 f., 452, 454. Rectitudo [Richtigkeit / Geradheit] ethica, p. 134. –, moralis, p. 121 f. –, juridica, p. 68, 134–136. Regel der Sittlichkeit, p. 8, 10, 219, 254, 277. Regel des Rechts, p. 66, 353. Reich, das, p. 441, 454. Reinigkeit / Reinlichkeit, moralische, p. (103,) 121–123, 139, 229. Reinigkeit des (moralischen) Gesetzes, p. 124, 139, 169 f., 230. Rigorismus, p. –.
pathologisch, p. 29 f., 32f., 36, 53f., 56, 61, 71–73. Person, passim. Persönlichkeit, p. 42. Pflicht, passim / aus Pflicht f aus Pflicht, Begriff der, p. 76, 214. –, Idee der, p. –. –, moralische, p. 229. Phänomen, p. –. Phantasie, p. 427. Phantasterei, p. 138. Philautie, p. 247–250. Pöbel, p. 253, 257, 268. pragmatisch, passim. Principium des Rechts, p. 227. Principium, moralisches / Principium der Moralität, p. 22, 26, 48, 51 f., 69, 71, 75, 80 f., 145, 150, 228, 242, 286, 378. Principium, sittliches, p. 22 f., 73 f., 80, 161, 221. Probierstein, p. 347. Purismus, p. 138 f.
Satz, identischer, p. 153, 188. –, mathematischer, p. 201. –, praktischer, p. 259. Schicksal, p. 160, 217, 267, 273–275, 279, 303, 317, 353, 360, 364f. Selbstbewußtsein, p. –. Selbstbeherrschung, p. 137. Selbstbestimmung, p. –. Selbstliebe, p. 24, 26f., 365–368, 430. Selbsttätigkeit, p. 292. Selbstzwang, p. 59 f., 118, 137. Sentiment, p. 374, 376. Sinn, äusserer, p. 24. –, innerer, p. 24, 190. Sinnesart, p. –. Sinnlichkeit, p. 25, 29, 37, 47, 81, 86f., 163 f., 253–257, 287. Sitten, die, p. 21, 137, 201 f., 345, 378. Sittengesetz, p. –. Sittlichkeit f Regel, der souverän, p. 254. Staat, p. 279, 307, 337, 411, 452–454. Stein der Weisen, p. 85.
Necessitas [Notwendigkeit / Unvermeidlichkeit], p. 31, 221. Necessitatio [Not / bedrängte Lage], p. 29–34, 41, 43, 52, 55–57, 60. Neigung, sinnliche, p. 29, (177,) 357. Neminem laede [schade niemandem], p. 93 f., 227. Notwendigkeit, p. 7–9, 28f., 31 f., 52 f., 55, 57, 65, 120, 133, 136, 201, 220, 276, 286, 384.
452
Anhang
Sympathie, p. –. synthetisch, p. –. System / Systema, p. 12, 22, 24–26, 172, 194, 199, 443. Teilnehmung / teilnehmen, p. 360, 365, 404. Tortur, p. 54. transzendent, p. 146. transzendental, p. –. Trieb, p. 59, 79, 129, 222, 236f., 257, 293 f., 320, 339, 346f., 350, 354, 368, 375, 381. Triebfeder, p. 19–21, 33, 36, 46, 64, 69 f., 75, 77, 85–87, 121, 140–143, 145, 153, 155, 169, 255f., 298, 352, 359, 365f., 385, 394, 444. Tugend, passim. Tugend, Idee der, p. 16, 438. übersinnlich, p. –. Urbild, p. 13, 18, 124, 159, 181, 189, 201. Ursache, p. 76, 89, 117, 119, 124, 142, 159, 171, 176, 190, 202, 210, 230–233, 247, 265, 274, 178, 290, 298, 308f., 312 f., 317, 323, 328, 334, 336, 339, 347, 373, 381, 387, 404, 430, 445. Ursprung, p. 151, 153, 392. Urteilskraft, p. 255, 321, 362. Verbindlichkeit, p. 31 f., 38 f., 42f., 49, 57, 60–64, 69, 76, 79, 91–95, 153, 243, 350–352, 256f., 360, 384, 396, 402 f. Verhalten, das, passim. Vermögen der Lust und Unlust, p. 129, 264, 286. Verstand f Vernunft, p. 200.
Weisheit, p. 15, 178 f., 185, 187, 266, 438. Weltbürger, p. 380. Wert, moralischer, p. 150, 221, 232f., 330, (348), 368, 437 f. Widerstreit / widerstreiten, p. 40 f., 55 f., 66, 92f., 223, 225, 228, 257, 270, 280, 306, 331, 422, 445. Wille, guter, p. 37, 47, 51, 57, 59, 170, 348, 358f. –, heiliger, p. 78, (198,) 206. –, moralischer, p. –. Willkür, passim. Wissenschaft, p. 6–9, 22, 49, 66, 137, 258 f., 261, 321, 346f., 437 f. Wohlbefinden, das, p. 14, 17, 35, 215, 227, 258, 264–266, 313 f., 316, 425. Wohlverhalten, das, p. 14 f., 17, 154, 157, 161, 170, 197, 264, 345, 406, 439. Wohlwollen, das, p. 64, 262, 297, 349 f., 352, 356–359, 376, 380f., 400, 420. Wunsch, p. 60, 141, 178, 181 f., 184, 210, 249 f., 262, 274, 357, 364f., 441. Würde, die, p. 140, 179, 218, 220f., 227, 232, 256, 258, 265, 268, 281, 284 f., 409, 419, 433, 450f. Würde der Menschheit f Menschheit Würdigkeit, p. 13–15, 17–21, 100, 187 f., 349. zivilisieren, p. 438. Zweck, moralischer, p. –. Zweck der Menschheit f Menschheit, Zweck der Zweck der Natur, p. 252, 445, 453.
f
Personen-Index
453
6. Personen-Index
Verzeichnet sind ausschließlich die Seiten 1–368 (S.) des vorliegenden Bandes, also die Edition im engeren Sinn. Im Vergleich mit den zusätzlich angegebenen Seitenzahlen des Manuskriptes (p.), den Kommentar-Nummern (Kom-Nr.) und der folgenden Angabe der entsprechenden Stelle in der AA-Kant soll erkennbar werden können, ob eine Person im Text selbst oder in einem der beiden Apparate erscheint. Das auf eine Seitenzahl folgende Sternchen (*) zeigt an, daß eine Person nicht namentlich sondern indirekt genannt wird. Ein ebenso nachgestelltes Nummernzeichen (#) weist auf eine Verwechslung hin. Abbt, Thomas (1738–1766): Deutscher Schriftsteller in Berlin und Bückeburg S. 219. Kom-Nr.: 147. Achenwall, Gottfried (1719–1772): Aus Elbing (Ostpr.) gebürtiger Jurist in Göttingen S. 039, 181. Kom-Nr.: 031, 119. Addison, Joseph (1672–1719): Britischer Schriftsteller S. 218. Kom-Nr.: 145. Adickes, Erich (1866–1928): Prof. für Philosophie in Münster und Tübingen, Herausgeber der Abtlg. III ‚Handschriftlicher Nachlaß‘ der AkademieAusgabe von ‚Kant’s gesammelten Schriften‘ S. 064. Kom-Nr.: 044. Alkibiades (450–404 v. Chr.): Feldherr und Politiker aus Athen S. 354 f. Kom-Nr.: 229. Aristides [Aristeides] (2te Hälfte des 4ten Jhds. v. Chr.): Konservativer Athenischer Politiker, erhielt den Beinamen ‚der Gerechte‘ S. 275. (Kae p.: 345). XXVII: 410,14. Aristoteles, aus Stagira (384–322 v. Chr.): Griechischer Philosoph
S. 060, 295f. (Kae p.: 075, 369*). XXVII: 277,06; 424,08 [Sokrates]. Kom-Nr.: 040, 193, 194. Arnoldt, Daniel Heinrich (1706–1775): Professor für Theologie in Königsberg S. 003. Kom-Nr.: 001. Arnoldt, Emil (1828–1905): Königsberger Privatgelehrter S. 351. Kom-Nr.: 225. Asbach, Olaf S. 366. Kom-Nr.: 241. Atticus (109–32 v. Chr.): Römischer Ritter, Freund Ciceros. – Offensichtlich ist infolge eines Versehens durch einen Abschreiber der eine ‚Cato Uticensis‘ verwandelt worden in zwei scheinbar verschiedene Personen S. 223. (Kae p.: 278 [Textänderung!]). XXVII: 374,05. Basedow, Johann Bernhard (1724–1790): Deutscher Pädagoge und Schriftsteller, Gründer einer Musterschule in Dessau S. 367. (Kae p.: 454). XXVII: 471,29 f. Kom-Nr.: 243.
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Baumgarten, Alexander Gottlieb [Autor] (1714–1762): Prof. für Philosophie in Frankfurt/Oder; Verfasser beider Handbücher, die der Vorlesung zugrunde liegen; im Text der Vorlesung angesprochen als ‚Autor‘ S. 010, 013, 017, 035, 037, 039, 041–044, 050, 073, 075 f., 084f., 103, 110, 112, 114 f., 120 f., 130, 137, 140, 143, 149 f., 158, 195, 207 f., 210, 215, 231, 279, 323, 329, 341 f., 344f., 348f., 358. (Kae p.: 040, 044, 047, 048(2), 050(2), 051, 062, 089, 091, 092, 093, 104, 105, 132, 140, 146, 147, 154, 167, 173(2), 178, 189(2), 244, 258(2), 259(2), 261, 268, 349, 426, 428(2), 431, 434(2), 443, 444). XXVII: 260,36; 264,11 ff.; 265,17; 271,11; 279,01; 280,03ff.; 280,25–27; 280,34–36; 286,09; 298,11–12; 305,14–15; 308,23; 318,35; 319,12; 321,28–29; 326,37; 327,09; 355,27; 363,02; 364,01; 365,03; 368,33ff.; 413,02; 456,5ff.; 457,01; 457,13; 458,33; 460,30; 461,01; 466,03; 466,14. Kom-Nr.: 005, 011, 029, 058, 068, 073, 087, 097, 138, 157, 206, 210, 218. Bayer, Karl S. 355. Kom-Nr.: 229. Bélisar 1) Feldherr Kaiser Justinians I (482–565) lebte um 500; 2) Titelfigur eines Romans von Marmontel, deutsch: 1766 S. 133. (Kae p.: 169). XXVII: 316,32. Kom-Nr.: 080, 081. Berdau, Johann Christoph (1754–1844): Prediger und Schulrat in Marienwerder; immatrikuliert in Königsberg am 29. Mai 1772; zeitgenössischer Besitzer des Ms-Kaehler S. 001. (Kae p.: 001). Berens, Johann Christoph (1729–1792): Kaufmann in Riga S. 070. Kom-Nr.: 047.
Berger, Friedrich (1901–1975): Bearbeiter von Bd. 19 (1934) der AA-Kant S. 064. Kom-Nr.: 044. Bodmer, Johann Jacob (1698–1783): Schweizer Schriftsteller S. 218. Kom-Nr.: 145. Böhme, Gernot S. 069. Kom-Nr.: 047. Böhme, Hartmut S. 069. Kom-Nr.: 047. Boëtie, Étienne [de la] (1530–1563): Französischer Schriftsteller S. 324. Kom-Nr.: 207. Bougainville, Louis Antoine [Comte de] (1729–1811): Französischer Weltumsegler und Entdecker S. 026. Kom-Nr.: 026. Boulanger, Nicolas Antoine (1722–1759): Französischer Schriftsteller S. 131. (Kae p.: 168). XXVII: 316,06. Kom-Nr.: 077*. Brandt, Reinhard S. 069, 128, 232, 296. Kom-Nr.: 047, 076, 158, 194. Breithaupt, Christian (1689–1749): Deutscher Gelehrter und Philosoph S. 346. Kom-Nr.: 220. Büsching, Anton Friedrich (1724–1793): Deutscher Theologe und Pädagoge, Geograph und Historiker; lehrte in Berlin, St. Petersburg und Göttingen S. 167, 367. Kom-Nr.: 105, 243. Buffon, Georges-Louis LeClerc comte de (1707–1788): Französischer Naturforscher S. 132. Kom-Nr.: 078. Butler, Samuel (1612–1680): Englischer Dichter S. 135. Kom-Nr.: 084. Caesar, Gaius Iulius (100–44 v. Chr.): Römischer Politiker und Militär, wurde von einer Gruppe republikanischer Verschwörer ermordet S. 218,
Personen-Index 224. (Kae p.: 272, 279). XXVII: 370,33; 374,35. Kom-Nr.: 145. Camerarius, Philipp (1537–1624): Deutscher Gelehrter S. 347. Kom-Nr.: 223. Cato, Marcus Porcius [Uticensis] (95–46 v. Chr.): Römischer Politiker; tötete sich selbst nach dem Untergang der Republik, d. h. nach dem Sieg des Caesar, in Utica S. 218 f., 223f. (Kae p.: 272(4), 278, 279). XXVII: 370,31; –,35; –,38; 371,01; 374,05; –,34. Kom-Nr.: 145. Christiani, Carl Andreas (1707–1780): Prof. für praktische Philosophie in Königsberg, 1735 ff. S. 003. Kom-Nr.: 001. Cicero, Marcus Tullius (106–43 v. Chr): Römischer Schriftsteller und Staatsmann S. 219, 353, 354f. Kom-Nr.: 146, 228, 229. Cook, James (1728–1779): Britischer Weltumsegler S. 026. Kom-Nr.: 026. Crusius, Christian August (1715–1775): Prof. für Theologie in Leipzig, ab 1757 S. 037. (Kae p.: 043). XXVII: 262,06. Kom-Nr.: 029. Cumberland, Richard (1631–1718): Bischof in Peterborough (England) S. 060. (Kae p.: 074). XXVII: 277,03. Kom-Nr.: 039. Dash, Mike S. 322. Kom-Nr.: 205. Deermann, Johann Bernhard S. 346. Kom-Nr.: 221. Demokrit, aus Abdera (460–370 v. Chr.): Griechischer Philosoph S. 128. Kom-Nr.: 076. Diogenes, aus Sinope (412–324 [?] v. Chr.): Griechischer Philosoph, der Cyniker schlechthin S. 008, 013–015, 017, 232, 254. (Kae p.: 014, 015(3),
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016(2), 018, 288(2), 317). XXVII: 248,15; –,20; –,30; –,34; –,38; 249,05; 250,01; 379,37; 380,02; 395,17. Kom-Nr.: 004, 011, 012, 016. Diogenes, Laertius (–): Nicht weiter bekannter Verfasser der einzig erhaltenen umfassenden Darstellung der Geschichte der griechischen Philosophie; lebte vermutlich im 3ten Jahrhundert n. Chr. S. 018. Kom-Nr.: 016. Düsing, Klaus S. 010. Kom-Nr.: 005. Eberhard, Johann August (1738–1809): Professor für Philosophie in Halle/S. S. 134. Kom-Nr.: 082. Epiktet, aus Hierapolis (0050–0125 [?]): Griechischer Philosoph in Rom und Nikopolis S. 290. Kom-Nr.: 191. Epikur, aus Samos (341–270 v. Chr.): Athenischer Philosoph / Antike Philosophenschule S. 008, 013 f., 016–019, 022, 057, 059, 254, 294. (Kae p.: 014, 015(2), 016(2), 017(3), 018, 019(4), 020, 021, 025, 071(2), 073, 317). XXVII: 248,16; 249,14; –,27; –,20; –,28; –,35; 250,21(2); –,25; –,32; 251,09; –,24; 253,14; 275,18(2); 395,20. Kom-Nr.: 004, 011, 192. Erasmus von Rotterdam (1466–1536): Christlicher Humanist und Schriftsteller S. 186. Kom-Nr.: 121. Fabian, Bernhard S. 023. Kom-Nr.: 021. Faust, Wolfgang Max S. 359. Kom-Nr.: 235. Forschner, Maximilian S. 010. Kom-Nr.: 005.
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Friedrich II (1712–1786): König von Preußen: 1740 ff. S. 078. Kom-Nr.: 053. Gawlick, Günther S. 320. Kom-Nr.: 204. Gellert, Christian Fürchtegott (1715–1769): Deutscher Dichter und Professor an der Universität in Leipzig S. 169 f., 199. (Kae p.: 214, 249). XXVII: 340,20; 358,14. Kom-Nr.: 106, 107. Gellius, Aulus (geb. ca. 125 n. Chr.): Römischer Schriftsteller, Verfasser der ‚noctes atticae‘ S. 251. Kom-Nr.: 169. Gigon, Olof (1912-): Klassischer Philologe S. 296. Kom-Nr.: 194. Gleeson, Janet S. 327. Kom-Nr.: 209. Goldbeck, Johann Friedrich (1748–1812): Evangelischer Pfarrer und Privatgelehrter S. 003. Kom-Nr.: 001. Gottsched, Johann Christoph (1700–1766): Aus Juditten (Ostpr.) gebürtiger Philosoph und Sprachreformator, Professor in Leipzig S. 218. Kom-Nr.: 145. Grandison Titelfigur eines Romans von Samuel Richardson; ins Deutsche übersetzt von Gellert 1754–1755 S. 294. Kom-Nr.: 192. Green, Thomas Hodge S. 116. Kom-Nr.: 069. Grose, Thomas Hill S. 116. Kom-Nr.: 069. Grugel-Pannier, Dorit S. 256. Kom-Nr.: 175. Hamann, Johann Georg (1730–1788): Schriftsteller und Beamter in Königsberg S. 070, 133f., 327. Kom-Nr.: 047, 082, 209.
Harvey, William (1578–1657): Britischer Mediziner S. 270. Kom-Nr.: 183. Hawkesworth, John (1715–1773 [?]): Britischer Seemann [?] S. 026. Kom-Nr.: 026. Heemskerck, Jacob [van] (1567–1607): Niederländischer Polarforscher S. 083. Kom-Nr.: 056. Heidegger, Gotthard (1666–1711): Deutscher Gelehrter S. 347. Kom-Nr.: 223. Helvétius, Claude Adrien (1715–1771): Französischer Schriftsteller und Philosoph S. 022. (Kae p.: 025). XXVII: 253,15. Kom-Nr.: 020. Henrich, Dieter S. 016, 024, 069. Kom-Nr.: 015, 023, 047. Henriot, Patrice S. 038. Kom-Nr.: 030. Heraklit, aus Ephesus (540–480 v. Chr): Griechischer Philosoph S. 128. Kom-Nr.: 076. Herder, Johann Gottfried (1744–1803): In Mohrungen (Ostpr.) geborener Schriftsteller und Theologe, studierte 1762–1764 in Königsberg S. 023, 176. Kom-Nr.: 022, 113. Herz, Markus (1747–1803): Mediziner in Berlin, studierte 1766–1770 in Königsberg, Respondent bei Kant’s ‚Dissertatio pro loco‘ im Sommer 1770 S. 032. Kom-Nr.: 028. Hesse, Georg (1747–1787): Aus Riga; am 11. August 1769 als Student in Königsberg immatrikuliert; ging anschließend (1772) nach Jena und kehrte in das Baltikum zurück; von ihm eine Nachschrift der Kantischen Vorlesung über Physischen Geographie in der Universitätsbibliothek Helsinki; das Ms stammt aus dem Sommer 1770 S. 238. Kom-Nr.: 161.
Personen-Index Hippel, Theodor Gottlieb [von] (1741–1796): Königsberger Jurist und Bürgermeister S. 359. Kom-Nr.: 235. Hirzel, Rudolf (1846–1917): Klassischer Philologe S. 217. Kom-Nr.: 144. Hobbes, Thomas (1588–1679): Englischer Philosoph, lebte zeitweilig in Frankreich, Verfasser des 1751 erschienenen ‚Leviathan‘ S. 025, 270. (Kae p.: 025). XXVII: 253,32. Kom-Nr.: 025, 183. Hofstede, Petrus (1716–1803): Niederländischer Theologe S. 133. (Kae p.: 169). XXVII: 316,32. Kom-Nr.: 080. Hogarth, William (1697–1764): Englischer Kupferstecher und Maler in London S. 345. (Kae p.: 432). XXVII: 459,26. Kom-Nr.: 219*. Home, Henry [Lord Kames] (1696–1782): Schottischer Jurist und Philosoph; in den Manuskripten häufig verwechselt mit David Hume S. 015, 237, 252. (Kae p.: 016*). XXVII: 249,04*. Kom-Nr.: 014, 160, 170. Hume, David (1711–1776): Schottischer Philosoph und Historiker; in den Manuskripten häufig statt ‚Henry Home‘ S. 015, 116, 270, 320, 352. (Kae p.: 438). XXVII: 462,31. Kom-Nr.: 014, 069, 183, 204, 227. Hutcheson, Francis (1694–1746): Irisch-schottischer Philosoph und Professor für Moralphilosophie in Glasgow, ab 1729 S. 006, 012, 023, 171. (Kae p.: 025, 214). XXVII: 253,19; 340,26. Kom-Nr.: 003, 010, 023. Irmscher, Hans Dietrich S. 024. Kom-Nr.: 024.
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Iupiter [Zeus] Römischer Gott, Gemahl der Iuno S. 324. (Kae p.: 406). XXVII: 445,09. Kom-Nr.: 207. Iuvenal, Decimus Iunius (0060–0140): Römischer Satiriker S. 209. Kom-Nr.: 139. Jesus, aus Nazareth [Christus]: Wörtlich ‚der Gesalbte‘, Begründer der nach ihm benannten Religion; im Text der Nachschrift auch als ‚Lehrer des Evangelii‘; ähnlich in der ‚Grundlegung‘ (IV: 408,33) S. 055, 106, 109, 133, 143, 159, 309. (Kae p.: 069*, 135*, 139*, 386, 388). XXVII: 274,14; 300,06; 301,30; 433,33; 434,24. Kom-Nr.: 082, 087, 098. Jørgensen, Sven-Aage S. 070. Kom-Nr.: 047. Kaehler, Johann Friedrich (1755?-1???): Aus Friedland an der Alle in Ostpr.; in Königsberg als Student immatrikuliert am 10. April 1772; er schrieb das der gegenwärtigen Edition zugrunde liegende Ms S. 001, 368. (Kae p.: 001, 454). Kaehler, Johann Sigismund (1750?-17??): Am 14. Okt. 1775 in Königsberg als Student immatrikuliert; evtl. verwandt mit Johann Friedrich Kaehler; stammt ebenfalls aus Friedland (Kreis Bartenstein; heute: Prawdinsk) S. 238. Kom-Nr.: 161. Kain, Patrick S. 346. Kom-Nr.: 221. Kant, Immanuel (1724–1804): Ab 1770 Prof. für Logik und Metaphysik in Königsberg S. 001, 009–013, 015, 017f., 021–025, 031f., 049, 052, 056, 064f., 069f., 085, 098, 124, 128, 131–134, 148, 158f., 164*, 166, 170, 173f., 176, 179, 181, 187f., 196, 198, 208, 218, 225, 227, 232, 238, 245,
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Anhang
256, 258, 270, 273, 280, 299, 323, 326f., 329, 331, 342, 346f., 349, 355, 359, 364, 367f. (Kae p.: 001, 012*). Kom-Nr.: 001, 005, 006, 007, 008, 010, 011, 013, 014, 016, 017, 018, 020, 021, 022, 023, 025, 027, 028, 033, 035, 044, 047, 058, 063, 076, 077, 078, 080, 081, 082, 092, 097, 098, 102*, 104, 106, 110, 111, 113, 117, 119, 122, 124, 127, 129, 137, 138, 145, 152, 158, 161, 163, 175, 177, 183, 184, 187, 195, 206, 208, 209, 210, 212, 217, 219, 220, 222, 224, 230, 234, 235, 239, 243, 244. Klemme, Heiner F. S. 060. Kom-Nr.: 038. Kraus, Christian Jacob (1753–1807): Student in Königsberg ab April 1771; ebenda Prof. für praktische Philosophie 1781 ff. S. 003. Kom-Nr.: 001. Krauß, Wilhelm (1900–19??): Doktorand bei Erich Adickes in Tübingen S. 068, 069, 117, 152, 190, 193, 225, 303, 339. Kom-Nr.: 046, 047, 216. Kreimendahl, Lothar S. 320. Kom-Nr.: 204. Kreutzfeld, Johann Gottlieb (1745–1784): Ab 1777 Inhaber der Poetik-Professur in der Philosophischen Fakultät der Königsberger Albertina S. 158. Kom-Nr.: 097. Lambert, Johann Heinrich (1728–1777): Mathematiker und Philosoph, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften S. 021. Kom-Nr.: 018. Langer, Ernst Theodor (1743–1820): Nachfolger von Lessing als Bibliothekar in Wolfenbüttel S. 012. Kom-Nr.: 010. Lavater, Johann Caspar (1741–1801): Schweizer Pfarrer und Physiognom
S. 187, 324, 355. Kom-Nr.: 122, 207, 230. Law, John (1671–1729): Aus Schottland gebürtiger Oekonom, zeitweilig ‚Generalkontrolleur der Finanzen Frankreichs‘, Begründer der 1720 zusammenbrechenden Mississippi-Kompagnie S. 327. (Kae p.: 410). XXVII: 447,07. Kom-Nr.: 209. Lehmann, Gerhard (1900–1987): Langjähriger Mitarbeiter der KantAusgabe der Berliner bzw. der Göttinger Akademie der Wissenschaften S. 006, 018, 037, 060, 219, 347. Kom-Nr.: 003, 016, 029, 038, 039, 146, 221. Leibniz, Gottfried Wilhelm [Baron von] (1646–1716): Deutscher Mathematiker, Philosoph und Universalgelehrter, geboren in Leipzig, war lange Jahre im Dienst des Hauses Hannover, Mitbegründer der Berliner Akademie der Wissenschaften S. 346, 368. (Kae p.: 432). XXVII: 459,36. Kom-Nr.: 220, 244.0 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781): Deutscher Schriftsteller und Bibliothekar in Wolfenbüttel S. 339. Kom-Nr.: 216. Locke, John (1632–1704): Britischer Philosoph S. 024, 346. Kom-Nr.: 024, 221. Lord, boshafter (1???-): Nicht identifiziert; ebenfalls erwähnt in der etwa zeitgleichen Vorlesung über Anthropologie (Friedländer, Ms. germ. quart. 400, p. 488 / XXV: 618) und in späteren Nachschriften der Anthropologie ‚Menschenkunde‘ S. 319, Dohna p. 158 S. 215. (Kae p.: 267). XXVII: 367,32. Kom-Nr.: 143*. Lucretia (um 510 v. Chr.): Gemahlin des Tarquinius Collatinus, Muster der
Personen-Index treuen Gattin; ihr Freitod – nach einer Schändung durch den Königssohn Sextus Tarquinius – war mit ein Anlaß zur Abschaffung der Römischen Monarchie. Ihr Verhalten ist seit der Antike Stoff in zahlreichen Werken der literarischen und bildnerischen Kunst S. 219. (Kae p.: 273). XXVII: 371,07. Kom-Nr.: 146*. Ludovici, Carl Günther [Ludewig] (1707–1778): Deutscher Gelehrter S. 346. Kom-Nr.: 220. Lukian, aus Samosata (120–180): Griechischer Schriftsteller S. 324. Kom-Nr.: 207. Luther, Martin (1483–1546): Theologe und Kirchen-Reformator S. 143. Kom-Nr.: 087. Mandeville, Bernard de (1670–1733): Französisch-Niederländischer Arzt und Schriftsteller in London S. 023, 347. (Kae p.: 025). XXVII: 253,15. Kom-Nr.: 020, 021, 221. Marmontel, Jean François (1723–1799): Französischer Schriftsteller S. 133. Kom-Nr.: 080, 081. Meier, Heinrich S. 014. Kom-Nr.: 012. Melanchthon, Philipp (1497–1560): Professor an der Universität Wittenberg; einer der maßgeblichen Reformatoren in Universität und Kirche S. 003. Kom-Nr.: 001. Mendelssohn, Moses (1729–1786): Schriftsteller und Kaufmann in Berlin S. 023. Kom-Nr.: 022. Menoikeus (–): Freund und Zeitgenosse des Epikur S. 018. Kom-Nr.: 016. Menzer, Paul (1873–1960): Professor für Philosophie in Halle/S.; 1909–1922 Leiter der Abtlg. IV ‚Vorlesungen‘ der AA-Kant S. 006, 018,
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037, 038, 060, 347. Kom-Nr.: 003, 016, 029, 030, 038, 223. Momus [Momos] Gottheit in der griechischen Mythologie S. 324. (Kae p.: 406). XXVII: 445,09. Kom-Nr.: 207. Montaigne, Michel [Eyquem de] (1533–1592): Französischer Schriftsteller, Parlamentsrat in Bordeaux S. 024 f., 324. (Kae p.: 025). XXVII: 253,27. Kom-Nr.: 024, 207. Montesquieu, Charles de Sécondat [Baron de La Brède et de] (1689–1755): Französischer Schriftsteller und Politiker S. 117. Kom-Nr.: 070. Müller, Gerhard Friedrich (1705–1783): Deutsch-Russischer Historiker und Geograph S. 083. Kom-Nr.: 056. Müller, Reimar S. 014. Kom-Nr.: 012. Murawski, Erich S. 078. Kom-Nr.: 053. Newton, Isaac [Sir] (1642–1727): Mathematiker und Physiker in Cambridge und London, Entdecker der Gravitationsgesetze, Präsident der Royal Society ab 1703 S. 070, 351. (Kae p.: 437). XXVII: 462,08. Kom-Nr.: 047, 225. Niebuhr, Carsten (1733–1815): Dänisch-Deutscher Ingenieur, Justizrat und Hauptmann. Reisen nach Arabien und angrenzende Länder S. 167. (Kae p.: 212). XXVII: 338,27. Kom-Nr.: 105*. Oberhausen, Michael S. 037, 170. Kom-Nr.: 029, 106. Paulson, Ronald S. 346. Kom-Nr.: 219.
460
Anhang
Paulus [Apostel] (10–64 (?)): Aus Tarsus (Kilikien) gebürtiger Anhänger und Verfechter der christlichen Religion. Wurde durch das sog. Damaskuserlebnis vom jüdischen Saulus zum christlichen Paulus S. 062. (Kae p.: 077). XXVII: 278,10. Kom-Nr.: 050. Pinder, Tillmann S. 116, 177. Kom-Nr.: 069, 115. Platon (427–348 [?] v. Chr.): Griechischer Philosoph aus Athen S. 011, 013, 015, 017, 038, 056, 060, 114, 230, 294 f., 353. (Kae p.: 018, 146). XXVII: 250,13 f.; 305,06. Kom-Nr.: 006, 011, 015, 030, 035, 039, 155, 192, 193, 228. Pope, Alexander (1688–1744): Englischer Dichter S. 056. Kom-Nr.: 035. Pozzo, Riccardo S. 037, 170. Kom-Nr.: 029, 106. Priester, ägyptischer Nicht identifiziert; dieselbe Anekdote wird berichtet in einer Logik-Nachschrift der 1780er Jahre, ‚Bauch‘ p. 59. Vgl. Immanuel Kant / Tillmann Pinder (Hg), LogikVorlesung. Unveröffentlichte Nachschriften I [Kant-Forschungen Bd. 8], S. 94 S. 116. (Kae p.: 148). XXVII: 305,36 f. Pseudo-Longinos (–): Griechisch schreibender Autor im ersten Jahrhundert n. Chr. S. 166. Kom-Nr.: 104. Pütter, Johann Stephan (1725–1807): Prof. an der juristischen Fakultät in Göttingen S. 039, 181. Kom-Nr.: 031, 119. Reich, Klaus (1906–1996): Prof. für Philosophie in Marburg/Lahn S. 015. Kom-Nr.: 015. Rink, Friedrich Theodor (1770–1811): Prof. für Philosophie in Königsberg und Danzig; Herausgeber Kantischer
Schriften S. 072, 083. Kom-Nr.: 048, 056. Rischmüller, Marie S. 218, 349. Kom-Nr.: 145, 224. Robinet, Jean Baptiste René (1735–1820): Französischer Aufklärer S. 326. (Kae p.: 409*). XXVII: 446,22. Kom-Nr.: 208. Rousseau, Jean Jacques (1712–1777): Schweizer Schriftsteller und Philosoph S. 014 f., 022, 072, 181, 196, 200, 217, 339, 347, 349, 352, 357, 359, 366. (Kae p.: 016, 170, 436, 437, 445, 451). XXVII: 248,38; 317,18; 462,23; 466,29; 470,01. Kom-Nr.: 012, 013, 014, 015, 020, 048, 119, 127, 131, 144, 216, 221, 224, 226, 232, 235, 241. Saint-Pierre, Charles Irénée Castel de (1658–1743): Französischer Geistlicher und Schriftsteller S. 366. (Kae p.: 452). XXVII: 470,35f. Kom-Nr.: 241. Santozki, Ulrike S. 011. Kom-Nr.: 006. Schleiermacher, Friedrich (1768–1834): Theologe, Prof. in Berlin S. 038. Kom-Nr.: 030. Schmidts, Ludwig S. 014, 015, 072, 181, 200, 339, 347, 359, 364. Kom-Nr.: 012, 013, 048, 119, 131, 216, 221, 235, 239. Schollmeier, Joseph S. 006, 012. Kom-Nr.: 003, 010. Schröder, Jan S. 181. Kom-Nr.: 119. Schumacher, Otto S. 186. Kom-Nr.: 121. Schwaiger, Clemens S. 006, 011, 016, 055, 069, 171, 351. Kom-Nr.: 003, 006, 015, 035, 047, 109, 225.
Personen-Index Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper [third Lord of] (1671–1713): Englischer Philosoph und Schriftsteller S. 006, 012, 023. (Kae p.: 025). XXVII: 253,18. Kom-Nr.: 003, 010, 022. Smith, Adam (1723–1790): Prof. für Moralphilosophie in Glasgow (1752–1764); Schriftsteller und Staatsbeamter S. 010, 056, 258. Kom-Nr.: 005, 035, 177. Sokrates (470–399 v. Chr.): Griechischer Philosoph aus Athen S. 038, 070, 097, 133 f., 176, 294 f., 318, 354 f. (Kae p.: 123, 169, 221, 369#, 398, 440). XXVII: 294,07; 316,34; 344,05; 424,08 [Aristoteles]; 440,24; 463,36. Kom-Nr.: 030, 047, 080, 082, 112, 192, 193, 229. Spaemann, Robert S. 010. Kom-Nr.: 005. Spalding, Johann Joachim (1714–1804): Evangelischer Theologe, ab 1764 in Berlin als Prediger an der Nicolai-Kirche und Oberkonsitorialrat S. 006, 023. (Kae p.: 007). XXVII: 244,33. Kom-Nr.: 003, 022. Spinoza, Benedikt [d’Espinoza, Baruch] (1632–1677): NiederländischJüdischer Philosoph S. 126, 168. (Kae p.: 161, 162, 212). XXVII: 312,08; –,33; 339,08. Kom-Nr.: 074. Stark, Werner S. 032, 170. Kom-Nr.: 028, 106. Sulzer, Johann Georg (1720–1779): Philosoph, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften S. 032. Kom-Nr.: 028. Swift, Jonathan (1667–1745): Englischer Schriftsteller S. 210. Kom-Nr.: 140.
461
Tietz, Johann Daniel [Titius; Tietze] (1729–1796): Professor für Physik in Wittenberg S. 324. Kom-Nr.: 207. Ulpianus, Domitius [Ulpian] (0170–0228): Römischer Jurist S. 076. Kom-Nr.: 052. Vleeschauwer, Herman Jan de (1899–1986): Prof. für Philosophie in Gent und Praetoria S. 217. Kom-Nr.: 144. Voltaire, François Marie Arouet de (1694–1778): Französischer Schriftsteller S. 024. Kom-Nr.: 024. Vulkan [Hephaistos] Römischer Gott der Unterwelt S. 324. Kom-Nr.: 207. Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803–1879): Deutscher Gelehrter S. 303. Kom-Nr.: 196. Warda, Arthur (1871–1929): Jurist und Privatgelehrter in Königsberg S. 022, 024, 326. Kom-Nr.: 020, 023, 208. Waschkies, Hans-Joachim S. 164. Kom-Nr.: 102. Weischedel, Wilhelm (1905–1975): Prof. für Philosophie in Berlin, ab 1953 S. 010. Kom-Nr.: 006. Weymann, Daniel (1732–1795): Privatdozent an der Universität und Gymnasiallehrer in Königsberg S. 170. Kom-Nr.: 106. Wlochatius, August Wilhelm (1744–1815): Privatdozent (ab Oktober 1769) an der philosophischen Fakultät in Königsberg; 1794 zum außerordentlichen Professor ernannt S. 037. Kom-Nr.: 029. Wolff, Christian [Freiherr (sc. Baron) von] (1679–1754): Professor an den philosophischen Fakultäten in Halle/S. und Marburg/Lahn S. 060, 171.
462
Anhang
(Kae p.: 074, 214). XXVII: 277,01; 340,30. Kom-Nr.: 038, 109. Wolff, Reinhold S. 217. Kom-Nr.: 144. Worm, Karsten S. 273. Kom-Nr.: 184. Wundarzt, französischer (17??-1???): Nicht ermittelt S. 167. Kom-Nr.: 105. Zedler, Johann Heinrich (1706–1763): Verleger in Leipzig S. 166. Kom-Nr.: 104.
Zelle, Carsten S. 324. Kom-Nr.: 207. Zeno, aus Kitium (336–262 v. Chr.): Griechischer Philosoph, Gründer der Stoa S. 013 f., 016–019. (Kae p.: 014, 015, 017(3), 018, 019(3), 020). XXVII: 248,17; –,25; 249,20; –,28; –,37; 250,03; –,21; –,23; –,35; 251,11. Kom-Nr.: 011. Zopyros (5. Jhd. v. Chr.): Vermutlich aus Syrien stammender Magier und Physiognom S. 354. Kom-Nr.: 229.