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German Pages [504] Year 2023
Peter Funke
Von Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten Ausgewählte Schriften zur griechischen Geschichte
Peter Funke
Von Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten Ausgewählte Schriften zur griechischen Geschichte Herausgegeben von Nils Fischer, Helena Fotopoulos, Klaus Freitag und Matthias Haake
Verlag Antike
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Mit 3 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Verlag Antike, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Eine Karte des „griechischen Raumes“ mit den wichtigsten im Buch erwähnten Orten. Kartenzeichner: Michael Tieke. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlaggestaltung: disegno visuelle kommunikation, Wuppertal Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-949189-47-0
Inhalt
Von Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten oder Peter Funkes ‚Griechische Geschichte‘ (Nils Fischer – Helena Fotopoulos – Klaus Freitag – Matthias Haake) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Schriftenverzeichnis von Peter Funke zu Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten in der griechischen Welt (1980–2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII
I. STAATLICHKEIT, POLITIK UND RELIGION IM ANTIKEN GRIECHENLAND Stamm und Polis. Überlegungen zur Entstehung der griechischen Staatenwelt in den „Dunklen Jahrhunderten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was ist der Griechen Vaterland? Einige Überlegungen zum Verhältnis von Raum und politischer Identität im antiken Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgerschaft und Bürgersein – Teilnehmen als Teilhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peraia. Einige Überlegungen zum Festlandbesitz griechischer Inselstaaten . . . . . . . Integration und Abgrenzung. Vorüberlegungen zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in der griechischen Staatenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultstätten und Machtzentren. Zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in antiken Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Nabel der Welt. Überlegungen zur Kanonisierung der „panhellenischen“ Heiligtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überregionale Heiligtümer – Orte der Begegnung mit dem Fremden . . . . . . . . . . .
3 25 39 59 79 93 109 119 135
II. POLISÜBERGREIFENDE POLITISCHE ORGANISATIONSFORMEN Staatenbünde und Bundesstaaten. Polis-übergreifende Herrschaftsorganisationen in Griechenland und Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 An Introduction to Federalism in Greek Antiquity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Greek Amphiktyonies. An Experiment in Transregional Governance . . . . . . . . . . . 189 Alte Grenzen – neue Grenzen. Formen polisübergreifender Machtbildung in klassischer und hellenistischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Poleis and Koina. Reshaping the World of the Greek Wtates in Hellenistic Times 223
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Inhalt
Die Bedeutung der griechischen Bundesstaaten in der politischen Theorie und Praxis des 5. und 4. Jh. v. Chr. (Auch eine Anmerkung zu Aristot. pol. 1261a 22–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
III. STÄDTISCHE WELTEN
Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Die Polis – von Athen bis Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
IV. ATHEN Wendezeit und Zeitenwende. Athens Aufbruch zur Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . Athen und Kleinasien im 4. Jh. v. Chr. Überlegungen zum historisch-politischen Kontext eines neuen Proxeniedekretes aus Kaunos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Von des attischen Reiches Herrlichkeit.“ Vergangenheitsbezug und Neupositionierung in der athenischen Politik der hellenistischen Zeit . . . . . . . . . . . Grenzfestungen und Verkehrsverbindungen in Nordost-Attika. Zur Bedeutung der attisch-boiotischen Grenzregion um Dekeleia . . . . . . . . . . . . . . Miltiades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konons Rückkehr nach Athen im Spiegel epigraphischer Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . A Politician in Exile. The Activities of the Athenian Kallistratos of Aphidnai in Macedonia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polykrates von Athen – ein Theoretiker der Demokratie oder ein sophistischer Redner? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287 307 323 337 347 355 399 409
V. RHODOS Stasis und politischer Umsturz in Rhodos zu Beginn des IV. Jahrhunderts v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Nochmals zu den Wechselfällen rhodischer Politik zu Beginn des IV. Jahrhunderts v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
Inhalt
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VI. DIE PELOPONNESISCHE STAATENWELT Sparta und die peloponnesische Staatenwelt zu Beginn des 4. Jahrhunderts und der Dioikismos von Mantineia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Between Mantinea and Leuctra. The Political World of the Peloponnese in a Time of Upheaval . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461
Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
Von Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten oder Peter Funkes ‚Griechische Geschichte‘ Einleitende Bemerkungen Nils Fischer – Helena Fotopoulos – Klaus Freitag – Matthias Haake
Städte, Staatenbünde und Bundesstaaten – diese thematische Trias stand und steht nicht nur im Zentrum von Peter Funkes Forschungen zur griechischen Geschichte, sondern hat auch in seiner akademischen Lehre eine herausragende Bedeutung gespielt. So kann es denn auch nicht verwundern, dass sich Peter Funke seit der Publikation seiner Kölner Dissertation Homónoia und Arché: Athen und die griechische Staatenwelt vom Ende des peloponnesischen Krieges bis zum Königsfrieden (404/3–387/6 v. Chr.) im Jahre 1980 nicht nur in seinen zahllosen wissenschaftlichen Publikationen immer wieder dem Politischen in der Geschichte der griechischen Welt gewidmet hat, sondern auch für Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten in Lehrbüchern sowie für ein breites Lese publikum in einer in mehreren Auflagen erschienenen und in mehrere Sprachen übersetzten kleinen Monographie dieses Thema wiederholt aufbereitet hat. Für Peter Funke stand nie in Frage, dass das Politische in vergangenen Gesellschaften ein zentrales Aufgabengebiet für Historikerinnen und Historiker darstellt. Dabei hat er keinen engen Politikbegriff, sondern das Politische ist für ihn weit gefasst und reicht vom vordergründig ‚großen Ganzen‘ bis zu vermeintlich kleinen Details: Neben ‚klassischen‘ politikgeschichtlichen Beiträgen finden sich Arbeiten, die eine der Kulturgeschichte des Politischen geschuldete Perspektive einnehmen; neben Unter suchungen zur politischen Praxis stehen Analysen zu theoretischen Reflexionen antiker Autoren; neben Studien zum Verhältnis von ‚Religion und Politik‘ stehen Forschungen zu Mikrokosmen unterhalb der polis-Ebene. Zeitlich reichen die Publikationen dabei von den ‚dunklen Jahrhunderten‘ bis in die hellenistische Zeit, räumlich erstrecken sie sich von Rhodos über die Peloponnes und Athen bis hin nach Nordgriechenland. Auf der Grundlage literarischer, epigraphischer, numismatischer und archäologischer Zeugnisse hat Peter Funke in seinen methodischer Vielfalt und argumentativer Stringenz verpflichteten Arbeiten so seit seinen frühesten Publikationen nie vorrangig die ‚klassischen‘ Themen der griechischen Geschichte bearbeitet, sondern ganz wesentlich dazu beigetragen, die Perspektive auf politische Phänomene in einer von ihm stets polyzentrisch gedachten und vermittelten griechischen Geschichte auszuweiten, die bis dato nicht unbedingt im Fokus der althistorischen Forschung gestanden hatten. Die hier vorgelegten 30 Aufsätze mögen von diesen Bestrebungen ein beredtes Zeugnis geben. Hinsichtlich der inhaltlichen Organisation dieser ausgewählten Kleinen Schriften haben wir uns entschieden, den vorliegenden Band in sechs Hauptkapitel zu untergliedern, innerhalb derer wiederum die einzelnen Beiträge thematisch angeordnet sind. Alle Auf-
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sätze sind neu gesetzt, kleinere Fehler stillschweigend korrigiert und in sehr wenigen und begründeten Ausnahmefällen ist neuere Literatur nachgetragen worden; die ursprüngliche Paginierung ist zur einfacheren Orientierung in den Texten verzeichnet. Ein in italienischer Sprache veröffentlichter Beitrag erscheint in seiner geringfügig modifizierten deutschen Urversion. Am Ende unserer Arbeiten an den Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten bleibt uns die angenehme Pflicht des Dankens – und Dank abstatten möchten wir vielen Personen und Institutionen. Wie schon im Falle des Bandes Die Heimat des Acheloos. Nordwestgriechische Studien. Ausgewählte Schriften zu Geschichte, Landeskunde und Epigraphik, so gilt auch bei diesem zweiten Band ‚ausgewählter Schriften‘ Peter Funkes unser herzlicher Dank Vandenhoeck & Ruprecht Verlage. Unserem Vorschlag, Ausgewählte Schriften zur griechischen Geschichte von Peter Funke zu publizieren, standen sie sofort positiv gegenüber. Bei Kai Paetzke wussten wir unser Vorhaben erneut in besten Händen – für seine kompetente Betreuung des Bandes, seine Unterstützung sowie Geduld sind wir ihm sehr dankbar. Zu danken haben wir wiederum auch allen Verlagen, die als Rechteinhaber unsere Anfragen bezüglich der Aufnahme von Peter Funkes Aufsätzen in die vorliegende Sammlung positiv beschieden haben, sowie den Herausgeberinnen und Herausgebern der ursprünglichen Publikationsorgane für ihr Einverständnis zur erneuten Veröffentlichung der Beiträge. Besonderen Dank aussprechen möchten wir in diesem Zusammenhang Hans Beck, der als Mitautor eines der hier wiederveröffentlichten Aufsätze sein Einverständnis gegeben hat, als wir ihn um Zustimmung baten, den gemeinschaftlich verfassten Beitrag in die vorliegende Sammlung aufzunehmen. Der Universität Münster wissen wir uns für ihre finanzielle Unterstützung der Drucklegung des vorliegenden Bandes zu großem Dank verpflichtet, dem Münsteraner Exzellenzcluster „Dynamiken von Tradition und Innovation“ sind wir für die organisatorische Unterstützung bei der Vorbereitung der Publikation dankbar. Peter Funke gilt unser herzlicher Dank, dass er unserer Idee zugestimmt hat, einen zweiten Band aus seinen weit verstreut publizierten Beiträgen zur griechischen Geschichte aus einem Zeitraum von nahezu vier Jahrzehnten zusammenzustellen und unter einem spezifischen ‚Funkeschen‘ Fokus vorzulegen. Dass er den Plan in der ihm eigenen Weise in jedweder Hinsicht unterstützt hat, erwähnen wir dankbar. Wie schon im Falle der Nordwestgriechischen Studien, so gilt auch hinsichtlich des hier vorgelegten Bandes, dass er keineswegs einen Schlusspunkt von Peter Funkes Forschungen zum Themenfeld Städte, Staatenbünde und Bundesstaaten darstellt. In Druck befindliche Aufsätze wie Independent – Subordinated – Allied: Changes in the Political Landscape of the Peloponnese in Classical and Hellenistic Times, Die Zukunft in den Bergen erfragen. Die griechischen Orakelstätten im ‚felsigen‘ Delphi und im ‚winterlich rauen‘ Dodona, Panhellenic Sanctuaries.
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The Local and the Regional Perspective1 und Die griechische Poliswelt und ihre Nachbarn in Nordwestgriechenland (hervorgegangen aus Vorträgen gehalten auf internationalen Tagungen in Tegea, Dezember 2019; Schruns, Oktober 2021; Sydney, November 2019 und Jena, September 2018) zeigen eindrücklich, dass ihr Autor auch weiterhin mit der ihm eigenen Begeisterung und Leidenschaft einem seiner Forschungsschwerpunkte nachgeht. Einen ganz besonderen Dank möchten wir an dieser Stelle Michael Tieke aussprechen, der – uns zum Teil seit Jahrzehnten eng verbunden – im November letzten Jahres viel zu früh verstorben ist: Seit Ende der 1980er Jahre war er auf vielfältige Weise in zahlreiche Projekte von Peter Funke involviert – in die landeskundlichen Forschungen in Nordwestgriechenland, in die Erschließung historischer Reiseberichte über die südliche Balkanhalbinsel, in die elektronische Aufbereitung epigraphischer Datensätze und vor allem in die Erstellung zahlloser Karten zur griechischen Geschichte. Dazu gehört auch diejenige, die sich auf dem Cover dieses Bandes findet und die in gemeinsamen Zoom-Sitzungen im Frühjahr 2022 entworfen und dann von ihm in gewohnter Beharrlichkeit und Sorgfalt realisiert worden ist. Möge sie ein Zeichen der Erinnerung an ihn sein. Bonn – Köln – Aachen – Tübingen, im März 2023 Nils Fischer – Helena Fotopoulos – Klaus Freitag – Matthias Haake
1 Jetzt erschienen unter dem Titel Panhellenic Sanctuaries: Local and Regional Perspectives, in: H. Beck – J. Kindt (eds.), The Local Horizon of Ancient Greek Religion, Cambridge 2023, 362–375.
Schriftenverzeichnis von Peter Funke zu Städten, Staatenbünden und Bundesstaaten in der griechischen Welt (1980–2019)
Monographien Homónoia und Arché. Athen und die griechische Staatenwelt vom Ende des peloponnesischen Krieges bis zum Königsfrieden (404/3–387/6 v. Chr.) (= Historia Einzelschriften, Bd. 37), Wiesbaden 1980. Athen in klassischer Zeit, München 1999, 20032 , 20073, 20194. Atenas clàsica, Madrid 2001. Atene nell’epoca classica, Mailand 2001.
Herausgeberschaften Kult – Politik – Ethnos. Überregionale Heiligtümer im Spannungsfeld von Kult und Politik „Kolloquium, Münster, 23.–24. November 2001“ (= Historia-Einzelschriften, Bd. 189), Stuttgart 2006 [hg. gem. m. K. Freitag u. M. Haake]. Räume und Grenzen. Topologische Konzepte in den antiken Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes (= Quellen und Forschungen zur Antiken Welt, Bd. 52), München 2007 [hg. gem. m. R. Albertz u. A. Blöbaum]. The Politics of Ethnicity and the Crisis of the Peloponnesian League (= Hellenic Studies, Bd. 32), Cambridge, MA – London 2009 [hg. gem. m. N. Luraghi]. Greek Federal States and Their Sanctuaries. Identity and Integration Proceedings of an International „Conference of the Cluster of Excellence „Religion and Politics“ Held in Münster, 17.06.– 19.06.2010“, Stuttgart 2013 [hg. gem. m. M. Haake]. Federalism in Greek Antiquity, Cambridge 2015 [hg. gem. m. H. Beck]. Rechtliche Verfahren und religiöse Sanktionierung in der griechisch-römischen Antike. Akten einer deutsch-italienischen Tagung, Palermo, 11.–13. Dezember 2014/Procedimenti giuridici e sanzione religiosa nel mondo greco e romano. Atti di un convegno italo-tedesco, Palermo, 11–13 dicembre 2014, Stuttgart 2016 [hg. gem. m. D. Bonanno u. M. Haake].
Aufsätze Stasis und politischer Umsturz in Rhodos zu Beginn des IV. Jhdts. v. Chr., in: W. Eck/H. Galsterer/ H. Wolff (Hgg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff (= Kölner historische Abhandlungen, Bd. 28), Köln – Wien 1980, 59–70.* Konons Rückkehr nach Athen im Spiegel der epigraphischen Zeugnisse, ZPE 53, 1983, 149–189.*
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Nochmals zu den Wechselfällen rhodischer Politik zu Beginn des IV. Jhdts. v. Chr., Hermes 112, 1984, 115–119.* Stamm und Polis. Überlegungen zur Entstehung der griechischen Staatenwelt in den „Dunklen Jahrhunderten“, in: J. Bleicken (Hg.), Colloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von Alfred Heuss (= Frankfurter Althistorische Studien, Bd. 13), Kallmünz 1993, 29–48.* Staatenbünde und Bundesstaaten. Polis-übergreifende Herrschaftsorganisationen in Griechenland und Rom, in: K. Buraselis (Hg.), Unity and Units of Antiquity. Papers from a Colloquium at Delphi, 5–8.4.1992, Athen 1994, 125–136.* Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jhdt. v. Chr., Electrum 1, 1997, 35–41.* Athen und Kleinasien im 4. Jh. v. Chr. Überlegungen zum historisch-politischen Kontext eines neuen Proxeniedekretes aus Kaunos, Kadmos 37, 1998, 211–228.* Die Bedeutung der griechischen Bundesstaaten in der politischen Theorie und Praxis des 5. und 4. Jh. v. Chr. (Auch eine Anmerkung zu Aristot. pol. 1261a 22–29), in: W. Schuller (Hg.), Politische Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, 59–71.* Miltiades, in: K. Brodersen (Hg.), Große Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra, München 1999, 301–310.* Peraia. Einige Überlegungen zum Festlandsbesitz griechischer Inselstaaten, in: V. Gabrielsen/P. Bilde/T. Engberg-Pedersen/L. Hannestad/J. Zahle (Hgg.), Hellenistic Rhodes. Politics, Culture, and Society (= Studies in Hellenistic Civilization, Bd. 9), Aarhus 1999, 55–75.* Grenzfestungen und Verkehrsverbindungen in Nordost-Attika. Zur Bedeutung der attisch- boiotischen Grenzregion um Dekeleia, in: P. Flensted-Jensen/T. Heine Nielsen/L. Rubinstein (Hgg.), Polis & Politics. Studies in Ancient Greek History Presented to Mogens Herman Hansen on his Sixtieth Birthday, August 20, 2000, Kopenhagen 2000, 121–131.* Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jhdt. v. Chr., in: Ρόδος 2.400 Χρόνια. Η πόλη της Ρόδου από την ίδρυσή της μέχρι την κατάληψη από τους Τούρκους (1523), hg. v. Υπουργείο Πολιτισμού/ΚΒ’ Εφορεία Προϊστορικών και Κλασικών Αρχαιοτήτων Δωδεκανήσου, Athen 1999, 275–280. Wendezeit und Zeitenwende: Athens Aufbruch zur Demokratie, in: D. Papenfuß/V.-M. Strocka (Hgg.), Gab es das griechische Wunder? Griechenland zwischen dem Ende des 6. und der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Tagungsbeiträge des 16. Fachsymposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung vom 5. bis 9. April 1999 in Freiburg im Breisgau, Mainz 2001, 1–20.* Gesellschaft und politische Verfassung, in: H. Krefeld (Hg.), Hellenika. Einführung in die Kultur der Hellenen. Neue Ausgabe, Berlin 2002, 15–61. Gli ombelichi del mondo. Riflessioni sulla canonizzazione dei santuari ‚panellenici‘, Geographia Antiqua 12, 2003, 57–65. Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis, in: K.-J. Hölkeskamp/J. Rüsen/E. Stein-
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Hölkeskamp/H. T. Grüttler (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 211–224.* „Polis wird in vielerlei Bedeutungen verwandt“. Städtische Welten in der griechischen Antike, in: P. Johanek/F.-J. Post (Hgg.), Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff (= Städteforschung A/61), Köln – Weimar – Wien 2004, 91–105. Sparta und die Peloponnesische Staatenwelt zu Beginn des 4. Jahrhunderts und der Dioikismos von Mantineia, in: C. Tuplin (Hg.), Xenophon and his World. Papers from a Conference held in Liverpool in July 1999 (= Historia-Einzelschriften, Bd. 172), Stuttgart 2004, 427–435.* Die Nabel der Welt. Überlegungen zur Kanonisierung der „panhellenischen“ Heiligtümer, in: T. Schmitt/W. Schmitz/A. Winterling (Hgg.), Gegenwärtige Antike – Antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger, München 2005, 1–16.* Policrate di Atene. Un teorico della democrazzia o un retore sofistico?, in: U. Bultrighini (Hg.), Democrazia e antidemocrazia nel mondo greco. Atti del Convegno Internazionale di Studi (Chieti, 9–11 aprile 2003), Alessandria 2005, 251–262.* Einleitung, in: K. Freitag/P. Funke/M. Haake (Hgg.), Kult – Politik – Ethnos. Überregionale Heiligtümer im Spannungsfeld von Kult und Politik. Kolloquium, Münster, 23.–24. November 2001 (= Historia-Einzelschriften, Bd. 189), Stuttgart 2006, 7–15 [gem. mit K. Freitag und M. Haake].* Fremde und Nicht-Bürger in den griechischen Heiligtümern der antiken Mittelmeerwelt. Eine historische Einführung, in: A. Naso (Hg.), Stranieri e non cittadini nei santuari greci. Atti del convegno internazionale (= Studi Udinesi sul Mondo Antico, Bd. 2), Florenz 2006, 1–12. Alte Grenzen – neue Grenzen. Formen polisübergreifender Machtbildung in klassischer und hellenistischer Zeit, in: R. Albertz/A. Blöbaum/P. Funke (Hgg.), Räume und Grenzen. Topologische Konzepte in den antiken Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes (= Quellen und Forschungen zur Antiken Welt, Bd. 52), München 2007, 187–204.* Die staatliche Neuformierung Griechenlands. Staatenbünde und Bundesstaaten, in: G. Weber (Hg.), Kulturgeschichte des Hellenismus. Von Alexander dem Großen bis Kleopatra, Stuttgart 2007, 78–98. Between Mantineia and Leuktra. The Political World of the Peloponnese in a Time of Upheaval, in: P. Funke/N. Luraghi (Hgg.), The Politics of Ethnicity and the Crisis of the Peloponnesian League (= Hellenic Studies, Bd. 32), Cambridge, MA – London 2009, 1–14.* Polis und Asty. Einige Überlegungen zur Stadt im antiken Griechenland, in: G. Fouquet/G. Zeilinger (Hgg.), Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne (= Kieler Werkstücke: Reihe E: Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 7), Frankfurt/M. 2009, 63–79. Was ist der Griechen Vaterland? Einige Überlegungen zum Verhältnis von Raum und politischer Identität im antiken Griechenland, Geographia Antiqua 18, 2009 [2010], 123–131.* Integration und Abgrenzung. Vorüberlegungen zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in der griechischen Staatenwelt, Archiv für Religionsgeschichte 11, 2009, 285–297.* Bürgerschaft und Bürgersein – Teilnehmen als Teilhaben, in: K.-J. Hölkeskamp/E. Stein-Hölkes-
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kamp (Hgg.), Die griechische Welt. Erinnerungsorte der Antike, München 2010 (ND 2019), 472–486. 653–655.* Die Polis – von Athen bis Frankfurt, in: H. Beck/R. Kaehlbrandt (Hgg.), Bürgergesellschaft und Bürgerstädte. Wurzeln, Gegenwart, Zukunft, Frankfurt/M. 2011, 43–64.* Kultstätten und Machtzentren. Zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in antiken Bundesstaaten, in: R. Rollinger/G. Schwinghammer/B. Truschnegg/K. Schnegg (Hgg.), Altertum und Gegenwart. 125 Jahre Alte Geschichte in Innsbruck. Vorträge der Ringvorlesung Innsbruck 2010 (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft NF, Bd. 4), Innsbruck 2012, 53–71.* Die griechische Staatenwelt in klassischer Zeit (550–336 v. Chr.), in: H.-J. Gehrke/H. Schneider (Hgg.), Geschichte der Antike. Quellenband, Stuttgart 20132 , 59–143. Greek Amphiktyonies. An Experiment in Transregional Government, in: H. Beck (Hg.), A Companion to Ancient Greek Government (= Blackwell Companions to the Ancient World), Malden, MA – Oxford – Chichester 2013, 451–465.* „Von des attischen Reiches Herrlichkeit“. Vergangenheitsbezug und Neupositionierung in der athenischen Politik der hellenistischen Zeit, in: P. Hoeres/A. Owzar/C. Schröer (Hgg.), Herrschaftsverlust und Machtverfall, München 2013, 21–31.* Überregionale Heiligtümer – Orte der Begegnung mit dem Fremden, in: R. Rollinger/K. Schnegg (Hgg.), Kulturkontakte in antiken Welten. Vom Denkmodell zur Fallstudie. Proceedings des internationalen Kolloquiums aus Anlass des 60. Geburtstages von Christoph Ulf, Innsbruck, 26. bis 30. Januar 2009 (= Colloquia Antiqua, Bd. 10), Leuven 2014, 53–65.* An Introduction to Federalism in Greek Antiquity, in: H. Beck/P. Funke (Hgg.), Federalism in Greek Antiquity, Cambridge 2015, 1–29 [gem. m. H. Beck].* Was die Amphiktyonie im Innersten zusammenhält. Überlegungen zum Wechselspiel von Religion und Politik in zwischenstaatlichen Verfahren im frühen Griechenland, in: D. Bonanno/ P. Funke/M. Haake (Hgg.), Rechtliche Verfahren und religiöse Sanktionierung in der griechisch-römischen Antike. Akten einer deutsch-italienischen Tagung, Palermo, 11.–13. Dezember 2014/Procedimenti giuridici e sanzione religiosa nel mondo greco e romano. Atti di un convegno italo-tedesco, Palermo, 11–13 dicembre 2014, Stuttgart 2016, 19–34. A Politician in Exile. The Activities of the Athenian Kallistratos of Aphidnai in Macedonia, in: M. Kalaitzi/P. Paschidis/C. Antonetti/A.-M. Guimier-Sorbets (Hgg.), Βορειοελλαδικά. Tales from the Lands of the Ethne. Essays in Honour of Miltiades B. Hatzopoulos (= Meletemata, Bd. 78), Athen 2018, 159–166.* Poleis and Koina. Reshaping the World of the Greek States in Hellenistic Times, in: H. Börm/ N. Luraghi (Hgg.), The Polis in the Hellenistic World, Stuttgart 2018, 109–129.* Die griechische Staatenwelt in klassischer Zeit (500–336 v. Chr.), in: H.-J. Gehrke/H. Schneider (Hgg.), Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, Stuttgart 20195, 145–210.
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Die mit einem Stern (*) gekennzeichneten Aufsätze fanden Eingang in den vorliegenden Band; relevante Publikationen zu Nordwestgriechenland, die in Die Heimat des Acheloos. Nordwestgriechische Studien. Ausgewählte Schriften zu Geschichte, Landeskunde und Epigraphik publiziert worden sind, haben keine Berücksichtigung in dieser Bibliographie gefunden. Bei Querverweisen auf Aufsätze, die in diesem Band erschienen sind, wird die Abkürzung KS I verwendet.
I. STAATLICHKEIT, POLITIK UND RELIGION IM ANTIKEN GRIECHENLAND
Stamm und Polis Überlegungen zur Entstehung der griechischen Staatenwelt in den „Dunklen Jahrhunderten“
Die Frage nach den Voraussetzungen und den Rahmenbedingungen der Neuformierung der griechischen Staatenwelt in der nachmykenischen Zeit zählt zu den zentralen Themen der Forschungsdiskussion über die Grundlagen der griechischen Geschichte.1 Die Schwierigkeit, hier zu angemessenen Antworten zu kommen, liegt nicht zuletzt in der überaus disparaten Quellenlage begründet. Der große Mangel an zeitgenössischem Quellenmaterial sowie die Unbestimmtheit und die schwierige Interpretierbarkeit erschweren den Zugang zu einer Zeit, die für die Genese der griechischen Polis-Welt von ausschlaggebender Bedeutung war. Nicht von ungefähr wird daher der für unsere Fragestellung vor allem relevante Zeitraum, das zwölfte bis neunte Jahrhundert v. Chr., als die Dark Ages, die Dunklen Jahrhunderte, bezeichnet. Andererseits hat aber auch gerade das diesen Zeitraum umgebende Dunkel zweifellos dazu angeregt, sich ihm immer wieder aufs Neue zu nähern, um dort die Ursachen und Wurzeln für das zu finden, was uns dann am Ende dieses Zeitraumes entgegentritt: die griechische Staatenwelt mit ihren zahllosen Poleis und vielfältigen stammesstaatlichen Gebilden. Schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel bemerkte diesbezüglich in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, daß die verwirrten und sich widersprechenden Nachrichten von den Gelehrten auf die mannigfaltigste Weise in Einklang zu bringen versucht worden seien, da eben eine trübe und dunkle Zeit ein besonderer Gegenstand und Ansporn der Gelehrsamkeit sei.2 Ich möchte mich heute in die lange | [S. 30] Reihe derer stellen, die versuchen, ein wenig mehr Licht in diese trübe und dunkle Zeit der Dark Ages zu bringen. Ich möchte aber gleich zu Beginn klarstellen, daß das, was ich im folgenden darlegen werde, nur als ein erster Versuch zu verstehen ist, als ein Suchen nach Lösungsmöglichkeiten, nicht schon als Lösung selbst. Und es wird sich zeigen, daß dieser Vorbehalt weit mehr ist als eine bloße captatio benevolentiae. Lange Zeit konnte sich die altertumswissenschaftliche Forschung sogar noch auf relativ sicherem Boden wähnen: Ließ sich doch aus der mythologischen Überlieferung über die Wanderbewegungen und aus den Gründungssagen einzelner Städte in Kombination mit der geographischen Verteilung der griechischen Dialekte in klassischer Zeit ein scheinDieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: J. Bleicken (Hg.), Colloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von Alfred Heuss, Kallmünz 1993, 29–48. 1 Es sei in diesem Zusammenhang nur auf einige Untersuchungen hingewiesen, in denen auch Hinweise auf die ältere einschlägige Forschungsliteratur zu finden sind: De Polignac 1984; Van Effenterre 1985; Starr 1968; Sakellariou 1989 (mit einer eingehenden Darstellung aller Forschungspositionen und einer umfassenden Bibliographie!); Coulson 1990. 2 Hegel 1986, 279.
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bar recht geschlossenes und passendes Bild von der Genese der griechischen Staatenwelt zusammensetzen. Und auch die homerische Überlieferung ließ sich noch aufs Beste mit dem Wenigen in Übereinstimmung bringen, was man bis vor einigen Dekaden über die Zeit der mykenischen Kultur wissen konnte, und war im übrigen ebenfalls in das einmal erstellte Bild der Dunklen Jahrhunderte zunächst problemlos einzufügen. Es hatte sich die landläufige Vorstellung herausgebildet, daß die Griechen im Verlaufe des zweiten Jahrtausends v. Chr. in mehreren Wellen als bereits festgefügte und geschlossene, große Stammesverbände in die südlichen Ausläufer der Balkanhalbinsel eingedrungen seien. Als letzter Stamm seien dann um 1200 v. Chr. die Dorier von Norden her eingewandert und hätten nicht nur die mykenische Kultur vernichtet, sondern auch die zuvor eingewanderten griechischen Stämme zum Teil aus ihren Wohnsitzen verdrängt. Auf diese Weise sei eine erneute Wanderbewegung in Gang gesetzt worden, die dann schließlich zur Festsetzung der griechischen Stämme in ihren endgültigen Siedlungsräumen geführt habe. In der Folgezeit habe sich dann auf der Grundlage einer stammesstaatlichen Ordnung durch Zersplitterung und Verselbständigung einzelner Stammesteile in vielen Regionen der Polisstaat entwickelt. Geschlossene Stammesverbände erscheinen hier als Vorstufe oder Anfänge staatlicher Strukturen im antiken Griechenland. Phylen und Phratrien, die wir als feste Unterabteilungen der Poleis kennen, bildeten nach dieser Auffassung überkommene bzw. übernommene Relikte einer alten Stammesordnung. So kann man etwa in der Griechischen Geschichte von Ernst Curtius aus dem Jahre 1858 lesen: Die ältesten Thatsachen der griechischen Geschichte gehören alle einer Welt an, welche die Küsten des Archipelagus zu einem großen Ganzen vereinigt. (…) Unbekannte Volksstämme regen sich in ihren abgelegenen Hochlanden; einer schiebt den andern vorwärts, ganze Reihen von Völkerschaften werden nach einander in Bewegung gesetzt; die alten Staaten gehen zu Grunde, ihre Königssitze veröden, neue Landtheilungen erfolgen und aus einer langen Zeit wilder Gärung tritt Griechenland endlich mit neuen Stämmen, Staaten und Städten hervor.3 Und noch 100 Jahre später schreibt | [S. 31] Victor Ehrenberg in seinem grundlegenden Werk über den Staat der Griechen: Nach dem äußeren wie inneren Untergang der mykenischen Zeit und ihres Königtums trat jetzt die Stammesordnung wieder in ihr Recht. Auch wo die Stämme nicht wie vielfach in loser dörflicher Siedlungsform ansässig wurden, wo man vielmehr … in (jetzt stets ummauerter) Stadt wohnte, gewann die Stammesorganisation ent3 Curtius 1858, 84.
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scheidende Bedeutung, so daß schließlich auch die koloniale Polis sie – mehr oder weniger als Fiktion – übernahm. 4 Nun hat sich jedoch in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund neuer Entdeckungen und Erkenntnisse unser Bild von den Vorgängen im zweiten Jahrtausend v. Chr. und insbesondere in der Umbruchzeit um 1200 v. Chr. grundlegend verändert. Für keinen anderen Zeitabschnitt der Geschichte des antiken Griechenland hat sich in jüngster Zeit eine derartige Fülle neuer Perspektiven und Einsichten ergeben.5 Es ist hier nicht der Ort, diese Ergebnisse im einzelnen vorzustellen. Ich möchte mich daher nur auf einige ganz wenige Hinweise beschränken, denen für unsere Fragestellung ein besonderes Gewicht zukommt: Die Entzifferung der in mykenischer Zeit in Griechenland gebräuchlichen Linear B-Schrift gewährt uns heute einen guten Einblick in die Sozial- und Organisationsstruktur der durch große Palastzentren zwischen dem 16. und 13. Jahrhundert v. Chr. ausgeübten Herrschaft.6 Diese läßt nun mit ihrem straffen und hierarchisch gegliederten Aufbau keinen Platz für eine irgendwie geartete stammesmäßige Ordnung, die nach dem Zusammenbruch der mykenischen Herrschaftszentren unmittelbar wiederzubeleben gewesen wäre.7 | [S. 32] Auch weist die zentralistisch gelenkte Palastherrschaft mykenischer Provenienz eine deutliche Diskrepanz auf zu der von Homer beschriebenen Adelswelt, die – wenn überhaupt – nur noch ein schwach ausgebildetes Königtum und eher kleinräumige Herrschaftsgebilde kennt. In dieser Hinsicht erschließen uns die Dichtungen Homers also nicht mehr die mykenische Welt, sondern bezeichnen vielmehr Umfang und Ausmaß eines tiefgreifenden sozialen und politischen Wandels in den Dark Ages. Was natürlich nicht bedeuten soll, daß sich in den homerischen Dichtungen nicht auch eine gehörige Portion alter Traditionen und Überlieferungen findet. Aber eben nicht in der vorgegebenen sozio-politischen Struktur.8 4 Ehrenberg 1965, 11. 5 Einen guten Überblick vermittelt Snodgrass 1983; Snodgrass 1987, 170–210. 6 Vgl. hierzu etwa die Überblicksdarstellungen (mit weiterführender Literatur) bei Heubeck 1966; Chadwick 1979; Gschnitzer 1981, 10–26; Maddoli 1981; Hiller/Panagl 1986. 7 Damit soll die Existenz jeglicher stammesmäßiger Ordnungen im Gesamtgefüge der mykenischen Staatenwelt bzw. in einer Randlage zu ihr nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden; hier geht es nur darum, daß eine für die mykenische Palastherrschaften konstitutive Rolle von Stammesorganisationen, die dann nach dem Zusammenbruch der mykenischen Machtzentren als schon festgefügte Einheiten quasi bruchlos das Herrschaftserbe zu übernehmen imstande gewesen wären, – nach allem, was sich heute sagen läßt – kaum anzunehmen ist; vgl. hierzu vor allem Gschnitzer 1971a, 90–92; Welwei 1988, 16–18; s. im übrigen den Forschungsüberblick zu dieser Frage bei Sakellariou 1989, 293–333. 8 Daß die „homerische Welt“ grundsätzlich andere sozio-politische Formen aufwies als die mykenische, steht heute wohl weithin außer Frage, auch wenn die genaue zeitliche Zuordnung der in den homerischen Epen geschilderten Zustände durchaus umstritten ist; eine eingehendere Begründung der im Text dargelegten Auffassung erübrigt sich daher, so daß nur auf das mit einer umfassenden Bibliographie der relevanten Forschungsliteratur versehene Buch von
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Darüber hinaus zwingen uns die neuen Ergebnisse umfangreicher archäologischer Forschungen, unser Bild vom Ablauf der Wander- und Siedlungsbewegungen im nachmykenischen Griechenland gründlich zu korrigieren. Wir müssen Abschied nehmen von der alten Vorstellung, daß die sogenannte „Dorische Wanderung“ die erste und einzige Ursache für die Vernichtung der mykenischen Welt und die Ausbildung und Etablierung neuer staatlicher Formen in Griechenland gewesen ist. Die Vorgänge – so wie sie sich uns heute darstellen – sind zeitlich genauer zu differenzieren und waren ganz offenbar weitaus komplexer. Auch hier müssen einige knappe Anmerkungen9 genügen: | [S. 33] Nach der Zerstörung der meisten großen mykenischen Palastzentren um 1200 v. Chr. setzte zunächst für kurze Zeit eine gewisse Wiederbelebung ein, der dann erst seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts – nach ca. 1150 v. Chr. – der endgültige Niedergang folgte. Bereits in dieser Zeit vollzog sich in mehreren großen Wellen eine Wanderbewegung vom peloponnesischen Bereich aus nach Zypern. Gleichzeitig kam es auch in Griechenland selbst in verschiedenen Regionen zur Ausbildung neuer Siedlungs- und Herrschaftszentren, die zeigen, daß die Machtfülle der alten Herrschaftszentren gebrochen war. Was die Ursache des Niedergangs der mykenischen Welt betrifft, hat Gustav Adolf Lehmann mit überzeugenden Argumenten die Auffassung vertreten, daß u. a. auch fremde Invasoren, die sogenannten Seevölker, Verursacher des Untergangs der mykenischen Palastherrschaften gewesen sind. Es sind die gleichen, offenbar aus dem nordadriatischillyrischen Bereich stammenden Gruppen, die auch an der gleichzeitig erfolgten Vernichtung der Großreiche in Kleinasien und an der Levanteküste einen entscheidenden Anteil hatten. Daß diese Seevölkergruppen, die von See aus offenbar in relativ kleinen Verbänden ihre Angriffe führten, zumindest mitverantwortlich für den Zusammenbruch der Großmächtekonstellation im östlichen Mittelmeerraum einschließlich der mykenischen Latacz 1989 verwiesen sei; vgl. darüber hinaus auch Raaflaub 1991 (K. A. Raaflaub danke ich, daß er mir sein Manuskript vorab zugänglich gemacht hat). Kontroverser wird hingegen die Frage diskutiert, inwieweit sich in den homerischen Epen überhaupt Traditions- und Überlieferungsstränge finden, die einen konkreten Bezug zur mykenischen Zeit aufweisen. Der vor allem von Historikern und Philologen immer wieder geäußerte übergroße Skeptizismus in dieser Frage scheint mir übertrieben und steht m. E. in einer auffälligen Diskrepanz zu den neueren archäologischen Befunden. Da aber diesem Aspekt im Zusammenhang mit unserer Fragestellung keine größere Bedeutung zukommt, mag hier ein Hinweis auf die die Forschungsdiskussion berücksichtigende Untersuchung von Stein-Hölkeskamp 1989, 15–56 genügen, deren Auffassung ich jedoch nicht in allen Fällen zu teilen vermag; s. aber auch die herausragende Analyse von Hölscher 1989. 9 Einen umfassenden und materialreichen Überblick bietet Schachermeyr 1980; Schachermeyr 1982; s. auch die einschlägigen Kapitel in Edwards/Gadd (et al.) 1975; im übrigen sei für den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand auch auf folgende Kolloquiumsbände hingewiesen: | [S. 33] Musti 1985; vgl. dazu auch die Zusammenfassung der Beiträge von Lévêque 1983; Thomas 1987; Latacz 1991; Musti 1991.
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Herrschaftsgebilde waren, dürfte nach allem, was sich heute über diese Gruppe sagen läßt, außer Frage stehen.10 Diese Seevölker stellen jedenfalls ein eigenes Element dar, mit dem wir im griechischen Bereich nach 1200 v. Chr. zu rechnen haben, und das wir scharf von den sogenannten dorischen Stammesgruppen trennen müssen, die erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt in Griechenland in Erscheinung treten. Denn erst für die Mitte des elften Jahrhunderts v. Chr. indizieren die archäologischen Funde ein verstärktes Eindringen – und auch dann noch keineswegs eine uno actu vollzogene Landnahme – von Neueinwanderern aus dem nord- | [S. 34] westgriechischen Bereich in die Peloponnes;11 ungefähr gleichzeitig begann dann auch eine Siedlungsbewegung aus dem ostgriechischen Mutterland über die Ägäis nach Kleinasien.12 Aufs Ganze besehen stellen die Siedlungs- und Wanderungsbewegungen im nachmykenischen Griechenland also einen überaus vielschichtigen und komplizierten Vorgang dar, mit dem sich die Vorstellung von einer massiv vorgetragenen und systematisch vollzogenen Landnahme und Etablierung straff organisierter Stammesverbände nicht mehr vereinbaren läßt. Das alte, eingangs skizzierte schematische Bild von den griechischen Stammeswanderungen ist zunehmend prekär geworden. Damit stellt sich aber ganz neu die Frage nach den sozialen und politisch-rechtlichen Formationen in den Dunklen Jahrhunderten und somit auch nach den Voraussetzungen und Grundlagen für die Entstehung der nachmykenischen Staatenwelt. In den vergangenen Jahren hat sich daher an dieser Frage eine rege Diskussion entzündet. Hierbei kommt zwei Untersuchungen von Denis 10 Lehmann 1985. Über diese Seevölker wurde und wird viel gestritten. Am besten zu greifen sind sie in zahlreichen Textdokumenten des 13. Jh.s v. Chr. aus dem ägyptischen, hethitischen und Levante-Bereich, in denen sie als eine ständige existentielle Bedrohung für die gesamte ostmediterrane Staatenwelt erscheinen; den besten Überblick bietet das genannte Werk von Lehmann, in dem auch alle relevanten Quellen und die wichtigste Forschungsliteratur angeführt werden; vgl. darüber hinaus auch Lehmann 1977; Lehmann 1983. 11 Das archäologische Fundmaterial ist zusammengetragen von Schachermeyr 1980; vgl. auch Schachermeyr 1983. Der Versuch von Schachermeyr, gegen diese nordwestgriechische Zuwanderung in die Peloponnes noch eine spezifisch dorische Einwanderung historisch abzuheben, ist von Lehmann 1985, 64, Anm. 135 zu Recht in Frage gestellt worden. Die umfassende Gesamtbewertung der nordwestgriechischen Wanderbewegungen an der Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr. von Kirsten 1983 enthält zwar zahlreiche wichtige Einzelbeobachtungen, orientiert sich aber aufs Ganze besehen allzu sehr an dem „albanischen und aromunischen Modell des Seßhaftwerdens von Gebirgshirten“ (359) und mißt den Aspekten des Hirtennomadismus und der Transhumanz ein übergroßes Gewicht bei; vgl. hierzu auch das von Snodgrass 1987, bes. 192–195 entworfene pastoralist model, das zwar ebenfalls von einer starken Zunahme des Wanderhirtentums und der Transhumanz in der nachmykenischen Zeit ausgeht, aber die gleichzeitige Existenz seßhafter Gemeinschaften vor allem in Mittel- und Südgriechenland stärker im Blick behält. 12 Vgl. dazu Cook 1975; Sakellariou 1978, 143–164; Emlyn-Jones 1980, 12–35; s. auch den Überblick über die archäologische Fundsituation bei Boardman 1981, 28–36.
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Roussel und Félix Bourriot ein besonderer Stellenwert zu, da beide Werke seit ihrem Erscheinen quasi das Fundament für eine Neubestimmung der sozialen und politischen Organisationsformen im nachmykenischen Griechenland bilden.13 Roussel und Bourriot waren – unabhängig voneinander – der Frage nachgegangen, inwieweit Gene, Phratrien und Phylen, die in fast allen griechi- | [S. 35] schen Poleis der archaischen und klassischen Zeit als Untergliederungen des Bürgerverbandes begegnen, wirklich als Überreste einer älteren Stammesordnung aufzufassen sind – wie dies landläufig geschieht. Beide Forscher kamen einhellig zu dem gleichen Ergebnis: Genos, Phratrie und Phyle sind nicht überkommene Relikte einer älteren Stammesgesellschaft, sondern sind als solche schon von ihrem Ursprung her mit der Genese der Polis untrennbar verbunden. Die Phratrien waren weder Vereinigungen sogenannter Adelsgeschlechter und ihrer Anhängerschaften noch Unterabteilungen der Phylen, sondern bildeten ebenso wie die Phylen integrale Bestandteile der Polisgemeinschaft, die somit gleichsam als höhere Einheit ein Geflecht von verschiedenen genossenschaftlich organisierten Verbänden umfaßte.14 Der eigentliche Kulminationspunkt für soziales, wirtschaftliches und politisches Handeln waren einzig und allein die jeweils in einem Oikos zusammenlebenden familialen Verbände. Ich möchte mich nun an dieser Stelle nicht mit den Argumenten von Roussel und Bourriot über die soziale Binnengliederung der Polis auseinandersetzen, sondern den Blick auf einen anderen, für unsere Fragestellung relevanteren Aspekt lenken. Wenn Roussel und Bourriot mit ihren Ergebnissen das Richtige treffen – und zumindest für ihre grundsätzliche Einschätzung des Stellenwertes der Phratrien und Phylen scheint dies der Fall zu sein –, dann wird damit der alten Theorie einer linearen Entwicklung von einer frühen Stammesorganisation der Gesellschaft auf der Grundlage von Sippen zu einer politischen, territorialen Organisation endgültig die Grundlage entzogen, ohne daß allerdings schon eine neue Antwort gefunden wäre.15 Zu Recht hat daher wieder Karl-Wilhelm Welwei darauf hingewiesen, daß immer noch die Frage offen bleibt, „ob und in welcher Form ältere soziale Strukturelemente die Voraussetzungen für die Entstehung der archaischen Phratrien und Phylen bildeten.“16 Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Frage nach den Voraussetzungen für die Entstehung der griechischen Staatenwelt in den Dunklen Jahrhunderten angelangt. Und hier scheinen mir die Lösungen derjenigen, die auf den Arbeiten von Roussel 13 14 15 16
Bourriot 1976; Roussel 1976. So die treffende Zusammenfassung bei Welwei 1988, 13. S. dazu etwa Qviller 1981, hier bes. 109–110; Nippel 1990, bes. 123. Welwei 1988, 13.
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und Bourriot aufzubauen suchen, bisher wenig zufriedenstellend. In der Regel begnügt man sich nun mit einem Hinweis auf die Forschungsergebnisse der beiden Gelehrten und nimmt diese dann schon als Erweis für das Fehlen jeglicher umfassenderer oder gar stammesmäßiger Ordnungen auch in den Dark Ages. Mir erscheint dies als eine allzu einfache Lösung des Problems. Die Binnenstrukturen der Polis – wie Phratrien und Phylen – mögen in vieler Hinsicht rezent sein; aber diese | [S. 36] Feststellung kann nicht ausreichen, um die Frage nach einer möglichen – wie auch immer gearteten – stammesmäßigen Gliederung in den Dark Ages als obsolet zu verwerfen. Hier wird dann nur das Bild von den geschlossenen Stammesverbänden als Anfang staatlicher Strukturen durch das gegenteilige Bild einer gänzlichen Atomisierung personaler und herrschaftlicher Bindungen konterkariert. Es entsteht die Vorstellung von einer parzellierten Gesellschaft, die erst am Ende der Dunklen Jahrhunderte allmählich aus der Kleinräumigkeit herausfand und zu übergreifenden Formationen fähig wurde. Eine solche radikale Abkehr vom alten Stammesbegriff zugunsten eines unbedingten Beharrens auf kleinstgekammerten, letztlich am einzelnen Oikos ausgerichteten Herrschaftsverhältnissen bleibt eine unbefriedigende und meines Erachtens auch unzureichende Antwort, um die Organisation der Gesellschaft für die Zeit nach 1200 v. Chr. angemessen zu erklären. Ich halte es für unabdingbar, auch für die Dunklen Jahrhunderte nach Handlungsspielräumen und Rahmenbedingungen für – im weitesten Sinne – politisches Agieren zu fragen, die über den eng begrenzten Raum des Oikos hinausreichten.17 Die bloße Annahme eines dichten Beziehungsgeflechtes von „Face to face-Sozialsystemen wie Nachbarschafts- und Verwandtschaftsverhältnissen“18 will mir da allerdings ungenügend erscheinen. Ich glaube, daß die derzeitige Diskussion vielfach vor allem daran krankt, daß sie – nicht zuletzt auch aufgrund einer voreiligen und unreflektierten Rezeption der Thesen von Roussel und Bourriot – von einer meines Erachtens im Ansatz bereits verfehlten Dichotomie ausgeht, wenn als mögliche gesellschaftliche Formierungen nur entweder der gentilizisch strukturierte und politisch-rechtlich formierte Stammesverband oder der familiale, im Kernbestand über die Verwandtschaft ersten Grades nicht hinausreichende Kleinverband ins Auge gefaßt werden. Eine solche überscharfe Kontrastierung führt doch allzu leicht dazu, andere denkbare Lösungsmöglichkeiten erst gar nicht in Betracht zu ziehen.19
17 In diese Richtung zielt auch die Fragestellung von Donlan 1985; Donlan 1989; vgl. aber auch schon Sarkady 1983 sowie insbesondere die entsprechenden Ausführungen (mit weiterer Literatur) bei Sakellariou 1989. 18 Welwei 1988, 23. 19 Vgl. hingegen die in Anm. 17 zitierte Literatur sowie auch Welwei 1988, 12–23, der hier ebenfalls im Vergleich zu früheren Äußerungen – s. etwa Welwei 1981, 3–6; Welwei 1983, 29–35. 56–62 – genauer zu differenzieren sucht.
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Die Lektüre selbst neuerer Arbeiten kann nicht den Eindruck verwischen, daß in der altertumswissenschaftlichen Forschung eine allzu starre Auffassung von dem, was eigentlich einen Stamm kennzeichnen kann, vorherrscht. In den einschlägigen althistorischen Abhandlungen – vor allem im deutsch- | [S. 37] sprachigen Bereich – setzt man sich immer noch weitgehend mit einem überkommenen Stammesbegriff auseinander, wie er im 19. Jahrhundert unter dem Einfluß romantischer Denkmodelle entwickelt worden war und vor allem in den 20er und 30er Jahren unseres Jahrhunderts eine Renaissance erlebt hatte. Er ist geprägt von einer Idealvorstellung, die im Stamm eine natürlich gewachsene menschliche Gesellschaft, gleichsam einen naturhaft gestalteten und festgefügten Organismus, sehen will.20 Obgleich neuere Forschungen in den historischen, ethnologischen und soziologischen Nachbardisziplinen hier zu einem ganz entschieden differenzierteren Bild geführt haben, hat im Bereich der Altertumswissenschaften – zumindest im Hinblick auf die frühgriechische Geschichte21 eine wirkliche Abkehr von diesem romantischen Bild des Stammes zum größeren Teil noch nicht stattgefunden. Und dies, obgleich Eduard Meyer schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner Geschichte des Altertums hier ganz neue Wege gewiesen hatte.22 Auch ist es erstaunlich festzustellen, daß eine so bedeutende Untersuchung wie die von Reinhard Wenskus über Stammesbildung und Verfassung bei den frühmittelalterlichen gentes – um nur ein geradezu schon klassisches Werk zu nennen – in der Diskussion um die Stammesbildung im frühen Griechentum so gut wie keine Berücksichtigung findet.23 Natürlich bleibt die Übertragung von Modellvorstellungen auf andere Zeiten und Räume stets ein grundsätzliches methodisches Problem, zumal in unserem Falle, da wir die in Frage stehende Entwicklung in den Dark Ages nur von ihren Ergebnissen her rekonstruieren können. Vieles von dem, was sich hier sagen läßt, kann zwangsläufig nur am Grad der Plausibilität gemessen werden. Dies gilt nun freilich in gleichem Maße auch für die bisherigen, im Vorangegangenen kurz skizzierten Erklärungsansätze, so daß die Suche nach neuen Lösungswegen nicht unbedingt hypothetischer ausfallen muß.
20 Vgl. hierzu etwa Schulze 1985, 11–13. 21 Hinsichtlich der Erforschung der Stammesbildung und Ethnogenese vor allem in den Randzonen des römischen Imperiums in der Hohen Kaiserzeit und in der Spätantike stellt sich der Sachverhalt allerdings anders und besser dar. 22 Vgl. bes. Meyer 1965a 12–35. 58–63. 73–80; Meyer 1965b, 297–301; den von Meyer vorgezeichneten Weg hat dann im deutschsprachigen Bereich erst wieder Gschnitzer 1955 mit seiner grundlegenden Untersuchung beschritten. 23 Wenskus 1961. Eine auch die neuen französischen und angelsächsischen Forschungsansätze berücksichtigende Wiederbelebung der trotz der wissenschaftlichen Bemühungen von Gschnitzer in der deutschen Altertumswissenschaft bisher nur unzureichend geführten Grundsatzdiskussion über den Stammesbegriff erscheint mir dringend erforderlich und dürfte entscheidend zu einer präziseren Begriffsbildung und damit auch zu einem besseren Verständnis der hier behandelten Vorgänge beitragen.
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| [S. 38] Ausgangspunkt für alle Überlegungen sind und bleiben die Gegebenheiten, die wir im achten Jahrhundert v. Chr. und später erfassen können. Und hier gibt es in der Tat Anhaltspunkte, die vielleicht doch zu einem besseren oder zumindest plausibleren Verständnis der Neuformierung der griechischen Staatenwelt beitragen können. Ich denke dabei keineswegs in erster Linie an die Mythen über die frühgriechischen Wanderbewegungen und die Gründungssagen griechischer Städte. Deren Ausdeutung möchte ich hier sogar ganz bewußt außer Betracht lassen, obgleich sie meines Erachtens neben später Fiktion zweifellos auch ein gerütteltes Maß an konkreter Rückerinnerung enthalten. Statt dessen möchte ich die Aufmerksamkeit erneut auf ein Detail lenken, dem immer wieder in der Diskussion um die Frühformen griechischer Staatlichkeit eine besondere Bedeutung beigemessen worden ist. Gemeint ist der auffällige Tatbestand, daß wir in archaischer und klassischer Zeit in zahlreichen Poleis, die sich dem ionischen bzw. dem dorischen Stamm zurechneten, ganz erstaunliche Übereinstimmungen in der Binnengliederung nach Phylen finden. Während in den dorischen Poleis in der Regel die Bürgerschaft in drei Phylen eingeteilt war, wiesen die ionischen Poleis vielfach eine Untergliederung in vier Phylen auf. Allerdings gibt es auch zahlreiche Abweichungen von diesem Schema durch zahlenmäßige Erweiterungen.24 Es ist aber auch gar nicht so sehr die Ähnlichkeit in der Anzahl der Phylen, auf die ich das Interesse lenken möchte, sondern vielmehr die Übereinstimmung in der Benennung der Phylen: In den ionischen Poleis – sei es nun in Athen, in der Ägäis oder in Kleinasien – finden sich als Kernbestand immer wieder die gleichen vier Namen: Argadeis, Aigikoreis, Geleontes und Hopletes. Diese Namen sind auch dann im Kern noch erhalten, wenn – wie etwa im Fall Milets – zusätzliche Phylen eingerichtet wurden.25 Noch eindeutiger ist der Befund bei den Namen der drei dorischen Phylen der Hylleer, Dymanen und Pamphyler. Diese Namen lassen sich nicht nur in zahlreichen peloponnesischen Staaten nachweisen, sondern darüber hinaus auch bis nach Kreta, Thera, Rhodos und Kalymna und sogar im sizilischen Akra- | [S. 39] gas.26 Der jeweiligen Namensgleichheit korrelieren zusätzlich kultische Gemeinsamkeiten, auf die hier im einzelnen nicht eingegangen werden soll. Was läßt sich nun aus diesen Gemeinsamkeiten schließen? Die ältere Forschung sah in ihnen den Erweis für die Existenz früher, schon vor den großen Wander- und Siedlungsbewegungen entstandener fester Stammesorganisationen, von denen die Phylen der Poleis der archaischen und klassischen Zeit als letzte Residuen unmittelbar herzuleiten 24 Vgl. zu den Phylen allgemein Szántó/Swoboda 1906, 216–288. 419; K. Latte, Phyle, RE XX, 1, 1941, 994–1011 (= Latte 1968); Jones 1987; Sakellariou 1989. 25 Zu den ionischen Phylen vgl. außer der in Anm. 24 angeführten Literatur auch Sakellariou 1967, 294–302; Ehrhardt 1988, bes. 98–107; Piérart 1983. 26 Zu den dorischen Phylen vgl. außer der in Anm. 24 angeführten Literatur auch Jones 1975; Jones 1980; Antonetti 1989.
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seien. Demgegenüber wird in der neueren Forschung – vor allem seit dem Erscheinen der Arbeiten von Roussel und Bourriot – zunehmend die Ansicht vertreten, daß diese weiträumigen Phylenordnungen bereits von ihrem Ursprung her erst das künstliche Produkt einer späten Zeit gewesen seien. Erst nach der Ausbildung der griechischen Polisstaaten habe sich aufgrund sprachlich-kultureller Eigenarten ein polis-übergreifendes Zusammengehörigkeitsgefühl etwa von Doriern oder Ionern herausgebildet und zur Konstituierung entsprechender Großstämme geführt. Diese hätten dann auch die Grundlage für die sich in Namen und Struktur gleichenden Phylenordnungen der Poleis abgegeben. Das Aufkommen eines polis-übergreifenden Zusammengehörigkeitsgefühls und die damit verbundene Identität der sich jeweils über einen großen geographischen Raum erstreckenden Phylenordnungen wären demnach das Ergebnis eines allmählichen Selbstvergewisserungsprozesses innerhalb einer erstarkenden griechischen Aristokratie gewesen, dessen Ursachen vor allem in neuen historischen Bedingungen des achten Jahrhunderts v. Chr. gesucht werden.27 Nun wird man die große Bedeutung des achten Jahrhunderts v. Chr. kaum in Abrede stellen können. Die Entwicklung einer neuen Schriftlichkeit und der Beginn einer intensiven Kolonisationstätigkeit in weiten Räumen des Mittelmeeres sind hierfür nur einige Indikatoren. Allerdings sollte man die Bedeutung des achten Jahrhunderts v. Chr. auch nicht überschätzen und im Gegenzug die Bedeutung der vorangehenden Dunklen Jahrhunderte minimalisieren. Vieles von dem, was lange Zeit als ein Novum des achten Jahrhunderts v. Chr. galt, reicht nach Ausweis neuester Forschungsergebnisse bis weit in die Dark Ages zurück. Der vor einigen Jahren geprägte Begriff von der griechischen Renaissance des achten Jahrhunderts v. Chr.28 kann da sehr in die Irre führen. So hat etwa Hans-Volkmar Herrmann aufgrund eingehender Untersuchungen früher Bronzeweihungen aus Olympia den Nachweis erbracht, daß die Anfänge der griechischen Westkolonisation bis in das neunte Jahrhundert v. Chr. | [S. 40] zurückreichen.29 Auch kann in diesem Zusammenhang auf die Ergebnisse der jüngsten Grabungen in Lefkandi auf Euböa hingewiesen werden.30 Der Fund eines von einem großen Gräberfeld umgebenen Heroons aus dem ausgehenden zehnten Jahrhundert v. Chr. zeigt, daß die Heroenverehrung keineswegs ein Phänomen erst des achten Jahrhunderts v. Chr.
27 Vgl. etwa – im Anschluß an Heuß 1969 – Gehrke 1986, 36–38. 28 S. den Titel des wichtige Beiträge zur Erforschung des 8. Jh.s v. Chr. enthaltenden Sammelbandes: Hägg 1983. 29 Herrmann 1984. 30 Popham/Sackett 1979–1980; Popham/Touloupa/Sackett 1982a; Themelis 1982; Kalligas 1984/5, 253–269; Popham/Kalligas/Sackett 1988/89; s. auch die Vorberichte in: Catling 1980/81, 7; Catling 1981/2, 15–17; Catling 1982/3, 12–15; Catling 1983/4, 17; Catling 1984/5, 15–16; Catling 1986/7, 12–14.
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und ein Zeichen für ein erst damals einsetzendes genealogisches Denken im Sinne einer Selbstvergewisserung war.31 Zugleich ist durch die jüngsten Grabungsergebnisse in Lefkandi deutlich geworden, daß unsere Vorstellungen eines erst im achten Jahrhundert v. Chr. beginnenden starken Bevölkerungswachstums zumindest zu relativieren sind. Galt Lefkandi noch bis vor zehn Jahren als Exempel eines für die Dunklen Jahrhunderte angeblich typischen kleinen Siedlungsverbandes mit maximal 15–25 Personen, so hat sich dieses Bild jetzt doch gründlich verändert. | [S. 41] Inzwischen wird die Bevölkerungszahl um ein Vielfaches höher geschätzt.32 Nun gilt es obendrein zu bedenken, daß die Entdeckung des Grabbaus in Lefkandi doch eher ein Zufallsfund und ganz sicher kein Einzelfall gewesen ist.33 Man wird also 31 Zum „Heroon“ von Lefkandi vgl. außer der in Anm. 30 angeführten Literatur Popham/Touloupa/Sackett 1982b; Blome, 1984. – Die Ursachen und Hintergründe der Genese und die Formen der Ausprägung von heroischen Bestattungen und Heroenkulten in geometrischer und archaischer Zeit sind Gegenstand einer vor allem durch die Arbeiten von Coldstream und Snodgrass angeregten Forschungsdiskussion, deren aktueller Stand unter Berücksichtigung der relevanten Literatur von Whitley 1988, 173–175 zusammengefaßt worden ist; vgl. darüber hinaus auch Stein-Hölkeskamp 1989, 17–20; Korres, 1981/2. Die Charakterisierung der Grablege in Lefkandi als Heroon wird meines Erachtens in der Forschung (s. etwa Whitley 1988, 175, Anm. 17) oft allzu vorschnell und ohne eine hinreichende Begründung verworfen. Die Art der Bestattung und die sehr reiche Ausstattung sowie die auffällige Massierung jüngerer Gräber im unmittelbaren Umkreis der Grabstätte lassen sich meines Erachtens durchaus als Indizien für eine Heroisierung deuten. Durch die hier im Text vertretene Auffassung – s. dazu auch Snodgrass 1987, 161. 163. 196 – soll die Interpretation der archäologischen Befunde, die eine herausragende Bedeutung der Heroenverehrung im 8. Jh. v. Chr. nahelegen, selbstverständlich nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden; der Einwand richtet sich vielmehr gegen eine einseitige Ausdeutung des archäologischen Quellenmaterials, die die Entwicklungstendenzen vor dem 8. Jh. v. Chr. zu wenig in den Blick nimmt. 32 Die minimalistischen Schätzungen von Snodgrass 1980, 18 sind mittlerweile von Snodgrass 1983b, 167–169 revidiert worden; allerdings erscheinen mir seine jetzigen Schätzungen, die von einer zwischen ca. 20 bis 55 Personen schwankenden Einwohnerzahl Lefkandis in der nachmykenischen Zeit ausgehen, – zumal nach den Neufunden der vergangenen Jahre (s. Anm. 30) – immer noch entschieden zu niedrig; vgl. auch Raaflaub 1991, 215–222. 33 Vor allem in jüngster Zeit werden in den verschiedensten Regionen Griechenlands – bisher noch weitgehend unpublizierte – Funde zutage gefördert, die auffällige Parallelen zu den Befunden von Lefkandi aufweisen; in diese Richtung scheinen z. B. – nach einer mündlichen Mitteilung von Prof. J. A. Papastolou (Ioannina) – die ersten Ergebnisse der Grabungen im aitolischen Thermon zu deuten; vgl. etwa auch Mazarakis-Ainian 1985, bes. 5–12. Man sollte daher die Bedeutung Lefkandis nicht einseitig überbewerten; vielmehr scheint vieles darauf hinzudeuten, daß sich der Befund von Lefkandi als durchaus paradigmatisch erweisen wird und künftighin auch anderenorts nachzuweisen sein wird. Insofern hat Snodgrass 1987, 64–65 zu Recht vor einer Überschätzung der auch von ihm als überaus bedeutend bewerteten Grabungsergebnisse von Lefkandi gewarnt, zumal bisher nur ca. 2 % des Siedlungs- und Gräberareals archäologisch erforscht seien. Dieser Tatbestand verdeutlicht allerdings ebenfalls auch die Problematik der in Anm. 32 angeführten Schätzungen der Bevölkerungszahlen durch Snodgrass.
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künftighin gut daran tun, nicht mehr allein im achten Jahrhundert v. Chr. nach Voraussetzungen und Bedingungen für die Ausbildung weiter ausgreifender gesellschaftlicher Formationen zu suchen. Damit können wir wieder zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurückkehren: den auffälligen Übereinstimmungen im Grundbestand der Nomenklatur der ionischen und dorischen Phylen. Es ist heute wohl kaum noch in Zweifel zu ziehen, daß die Phylen als solche stets nur Untergliederungen und Ordnungseinheiten der Poleis gewesen sind und daß sich eine unmittelbare Ableitung aus alten Stammesstrukturen verbietet. In dieser Hinsicht liefern die eingehenden Untersuchungen von Roussel und Bourriot nur die Bestätigung für eine Auffassung, die bereits Max Weber – und im Anschluß an ihn vor allem Alfred Heuß – immer wieder mit großer Entschiedenheit vertreten hatten.34 Es bleibt aber die Frage, ob die vollständige Übereinstimmung im Kern- | [S. 42] bestand der Phylennamen – zumal angesichts der überaus breiten geographischen Streuung – nicht eben doch auf ältere übergreifende Formierungen zurückweist. Dies hat auch Weber zu bedenken gegeben, ohne jedoch eine Lösung des Problems angedeutet zu haben.35 In den Arbeiten von Roussel und Bourriot stellt die Behandlung dieser Frage einen – auch von Philippe Gauthier in einer ansonsten überaus positiven Besprechung angemahnten – Schwachpunkt dar.36 Sie übergehen den Tatbestand allzu rasch und bleiben eine schlüssige Antwort schuldig. Jedenfalls erscheint mir die Annahme einer insgesamt erst späten, nach der Genese der Polis vollzogenen Neubildung und Angleichung der Phylennamen wenig überzeugend. Dies würde meines Erachtens ein Übermaß an rationalem Handeln für das achte und siebte Jahrhundert v. Chr. voraussetzen, zumal wenn man für die vorangehende Zeit nur reine Kleinstformen annehmen möchte. Darüber hinaus bleibt auch gänzlich ungeklärt, wie wir uns die Genese und den Zusammenhalt anderer, schon in den homerischen Dichtungen erwähnter Völkerschaften wie die der Arkader, Aitoler, Lokrer und Phoker vorzustellen haben.37 Auch hier handelt es sich ja nicht nur um Stammesnamen, die an fest umgrenzte Landschaftsräume gebunden sind. So findet sich etwa der Name der Aitoler eben nicht nur in Nordwestgriechenland, sondern ebenso auch – zweifellos als Folge von Wander- und Siedlungsbewegungen – in Teilen der Peloponnes.38 Diejenigen, die sich gegen jegliche umfassenderen gesellschaftlichen Formierungen schon in den Dark Ages aussprechen, geraten hier in eine Aporie, aus der auch der Versuch, die in den homerischen Dichtungen erwähnten 34 Vgl. u. a. Weber 1976, bes. 237–242. 746–748. 768–770; Weber 1924, 96–97; Heuß 1969, bes. 45–63; Heuß 1962, 139–141; Heuß 1981, bes. 3–7; | [S. 42] s. auch Finley 1987, bes. 109–113. 35 Vgl. u. a. Weber 1976, 237. 241; s. auch Finley 1987, 110. 36 Gauthier 1978, bes. 511; vgl. Sakellariou 1989, 299–301. 37 Zu den Stammesnamen in den homerischen Dichtungen vgl. Gschnitzer 1971b. 38 Gschnitzer 1978, 24–26; s. auch Gschnitzer 1990, bes. 288–289.
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Zusammenschlüsse der genannten Völkerschaften kurzerhand zu dichterischen Fiktionen zu erklären,39 keinen akzeptablen Ausweg bietet. Einen gangbareren Weg hat hingegen Lehmann – zumindest in bezug auf die Genese des Doriertums – eingeschlagen. Lehmann | [S. 43] kommt bei der Ausdeutung der drei dorischen Phylennamen zu folgendem Ergebnis: Sowohl die Phyle der Hylleer als auch die der Dymanen „geht (…) auf einen eigenständigen Volksnamen zurück, während die 3. Phyle der Πάμφυλοι (das ‚Allerweltsvolk‘) nur durch einen rein appellativischen Sammelbegriff gekennzeichnet wird. Zeigt das Ethnikon der Δυμᾶνες-Phyle eindeutig nordwestgriechisches Gepräge, so dürften die Hylleer (…) am ehesten auf die ‚Seevölker‘-Invasoren und Herrenschicht des 12. Jh. v. Chr. zurückzuführen sein. In der zahlenmäßig-abstrakten Überschaubarkeit und der Verwendung einer so eindeutig subsummierenden Bezeichnung wie Πάμφυλοι weist diese Phylenordnung offenbar auf eine herrschaftliche Integration heterogener Verbände (oder Schichten) im Rahmen einer großen ‚Stämme-Föderation‘ hin, von der sich schließlich bis in die Polis-Zeit der Archaik und Klassik hinein einigermaßen konkrete Erinnerungen an einen alten, engen Zusammenhang der peloponnesisch-dorischen Landschaften bewahrt haben“.40 Lehmann bietet hier eine ansprechende Lösung für das Problem der gesellschaftlichen Formierung der unterschiedlichsten Elemente, die das Kräftefeld im nachmykenischen Griechenland bestimmten. Allerdings ist mit der grundsätzlichen Annahme einer herrschaftlichen Integration noch nicht die Frage gelöst, welches Ausmaß an politisch-rechtlicher Formalisierung und Institutionalisierung damit verbunden war. Dies ist aber im Grunde die Kernfrage, die sich auch in bezug auf die übrigen Gruppierungen stellt – seien es nun Arkader, Aitoler oder auch Ioner. Die jeweils gemeinsamen Stammesnamen müssen in dieser Hinsicht noch nicht viel besagen. Natürlich sind sie Ausdruck eines zweifellos vorhandenen Zusammengehörigkeitsgefühls; dieses kann aber auf ganz unterschiedlichen Faktoren abstammungsmäßiger, sprachlicher, kultureller, siedlungsmäßiger oder auch politisch-organisatorischer Art begründet sein.41 Jedenfalls ist ein solcher Gemeinsamkeitsglaube zwar eine notwendige, aber noch keine unbedingt hinreichende Voraussetzung für die Ausbildung festerer Gemeinschaften. Weber spricht hier von ethnischer Gemeinsamkeit, die ganz unabhängig von der Frage, ob Blutsverwandtschaft objektiv vorliegt oder nicht, gegeben sei. Solche ethnische Gemeinsamkeit könne zwar die Vergemeinschaftung erleichtern, würde aber nicht zwingend schon zu realem Gemeinschaftshandeln befähigen.42 39 So etwa Welwei 1983, 31; aber anders akzentuiert bei Welwei 1988, bes. 21–23, wo von „Vorstellungsweisen, die mit tribalen Elementen des gesellschaftlichen Zusammenhaltes in Verbindung zu bringen sind“, (22) ausgegangen wird. 40 Lehmann 1985, 64–65. 41 Vgl. hierzu u. a. Wenskus 1961, 14–112; Schulze 1985, 14–30. 42 Weber 1976, bes. 235–240.
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Diese Differenzierung ist mir im Hinblick auf unsere Fragestellung sehr wichtig. Wir können nämlich bei anderen, nicht griechischen Völkerschaften | [S. 44] in der Antike die Beobachtung machen, daß zwar ein solches ethnisches Gemeinsamkeitsbewußtsein existierte, das auch in einem gemeinsamen Namen Ausdruck finden konnte, daß aber ein Bedürfnis nach Regelung gemeinsamer Aufgaben im Rahmen eben dieser ethnischen Gemeinsamkeit – noch – nicht bestand und daher eine institutionalisierte Zentralinstanz nicht ausgebildet wurde. Weber hat hier vom Fehlen einer außerhäuslich geordneten Dauergewalt gesprochen und in diesem Zusammenhang – wohl angeregt durch Wellhausen 1900 – zu Recht die arabischen Stammesbildungen in der vorislamischen Zeit als Beispiel angeführt.43 Für Weber handelt es sich hier um prinzipiell labile Einverständnisgemeinschaften, die in Friedenszeiten quasi in Anarchie koexistieren und nur im Ausnahmefall auf gemeinschaftlicher Ebene eine Gelegenheitsautorität entwickeln, während im übrigen die reguläre, dauernd vorhandene Autorität auf sich enger zusammengehörig fühlende Teilbereiche begrenzt bleibt. Ganz ähnliche Überlegungen finden sich im übrigen auch schon bei Meyer, der ebenfalls auf die arabischen Stämme in der Antike hinweist, darüber hinaus aber auch die frühen israelitischen Stammesformierungen mit in den Blick nimmt.44 Und in der Tat läßt sich in beiden Fällen – wenigstens über einen bestimmten Zeitraum hin – das eben beschriebene Phänomen beobachten. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit wir vergleichbare Verhältnisse etwa auch für das Griechenland der Dark Ages zumindest als eine denkbare Möglichkeit anzunehmen berechtigt sind. In der althistorischen Forschung ist ein solches Vergleichsverfahren zunehmend auf Widerspruch gestoßen. So hat sich etwa Moses I. Finley auf dem 16. Internationalen Historikerkongreß in Stuttgart mit Vehemenz dagegen ausgesprochen, von anthropologischen Forschungsergebnissen über vorstaatliche Gesellschaften anderer Länder und Kulturkreise Rückschlüsse auf Griechenland zu ziehen. Ein solcher Vergleich sei schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil diese Gesellschaften keine staatliche Organisation entwickelt hätten; und das sei der Schritt, der den griechischen Historiker zu interessieren habe.45 Einmal ganz davon abgesehen, daß eine solche Feststellung schon grundsätzlich durchaus fragwürdig bleibt, wird man jedenfalls für die von mir hier angeführten Fälle diese Behauptung so nicht gelten lassen können. Sowohl die israelitischen Stämme als auch Teile arabischer Stämme – um nur bei diesen Exempla zu bleiben – haben in der Antike sehr wohl eine dauer- | [S. 45] haftere staatliche Organi-
43 Weber 1976, 514–519, bes. 519; bei der von Weber erwähnten Darstellung über die Araber handelt es sich wohl um Wellhausen 1900. 44 Meyer 1965a, 12–35. 45 Finley 1987, 111–112.
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sation entwickelt. Man denke nur an die Begründung des israelitischen Königtums oder an das arabische Nabatäerreich.46 Eine Vergleichsanalyse auf der Grundlage ethnologischer und sozialanthropologischer Forschungsergebnisse erscheint mir also durchaus immer noch als ein gut gangbarer Weg. Und hier kann ein Erklärungsmodell in besonderer Weise erhellend und hilfreich sein, das Frank Crüsemann – und im Anschluß an ihn auch Manfred Clauss – einer Analyse der gesellschaftlichen und politischen Formationen der israelitischen Stämme in der prämonarchischen Zeit zugrunde gelegt hat.47 Es ist dies ein Erklärungsmodell, das Christian Sigrist in den 60er Jahren auf der Grundlage der Arbeiten von Émile Durkheim und Weber zur Erklärung bestimmter afrikanischer Stammesgesellschaften entwickelt und in seinem Buch Regulierte Anarchie ausführlich begründet hat.48 Sigrist hat einen Teilaspekt der von Weber geforderten Durchführung einer „ethnographischen Kasuistik der verschiedenen Entwicklungsstadien primitiver politischer Verbände“49 behandelt, indem er das von Weber beschriebene Phänomen einer in der Regel anarchischen, prinzipiell labilen Einverständnisgemeinschaft im eben skizzierten Sinne anhand konkreter Beispiele beschrieben und das Spannungsgefüge zwischen den einzelnen Teilbereichen einer solchen Gemeinschaft angesichts des Mangels einer Zentralinstanz analysiert hat. Sigrist bedient sich dabei des von Durkheim geprägten Begriffs der segmentären Gesellschaft,50 deren entscheidendes | [S. 46] Merkmal die grundsätzliche Gleichheit aller zu einer größeren Einheit gehörenden sozialen – in sich oft noch abgestuften – Einheiten ist; dabei erweist sich das Integrationsniveau der Gesellschaft trotz des Fehlens einer Zentralinstanz als so hoch, daß auch im Falle weiterer Segmentation der Zusammenhalt zwischen Stammgruppe und abgesplitterter Gruppe aufrecht erhalten bleibt. Das Fehlen einer Zentralinstanz ist nicht Ausdruck organisatorischen Unvermögens, sondern bewußten Beharrens auf Wahrung von Gleichheit und Eigenständigkeit. Nur unter besonderen historischen Bedingungen wird das Prinzip der Homogenität und Gleichheit der Segmente aufgegeben und eine Zentralinstanz ausgebildet. So entwirft Sigrist das Bild einer „akephalen (d. h. politisch nicht durch eine Zentralinstanz organisierten) Gesellschaft, deren politische Organisation durch politisch gleichrangige und gleichartig unterteilte, mehr- oder vielstufige Gruppen vermittelt ist“.51 46 Zur Ausbildung der Königreiche in Juda und Israel vgl. etwa Clauss 1980; Clauss 1986, bes. 50–64. 69–89 (mit weiterer Literatur); zur Genese des arabischen Nabatäerreiches vgl. Funke 1989 (mit weiterer Literatur). 47 Crüsemann 1978, bes. 201–208; Clauss 1980; Clauss 1985; Gutsfeld 1989, bes. 157–165 hat den gleichen Erklärungsansatz auch einer Analyse der gesellschaftlichen Strukturen im antiken Nordafrika zugrunde gelegt. 48 Sigrist 1979, vgl. auch Sigrist 1962; Sigrist 1978. 49 Weber 1976, 519. 50 Durckheim 1902; vgl. auch Sigrist 1979, 21–24. 51 Sigrist 1979, 30.
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Ich halte es nun für durchaus möglich, eine solche Modellvorstellung auch auf die Verhältnisse in den Dunklen Jahrhunderten zu übertragen. Sie erscheint mir sogar besonders geeignet, die Widersprüche aufzulösen, die sich aus den bisherigen Erklärungsversuchen ergeben hatten. Die Herrschaft der zahlreichen Könige und Adligen, von denen es ja bekanntlich bei Homer auch innerhalb der einzelnen Stammesgruppen oft immer gleich mehrere gibt,52 ist mit dem Bild einer segmentären Gesellschaft dargelegten Zuschnitts ebenso zu vereinbaren wie die übergreifenden gesellschaftspolitischen Formationen, die sich schon in den Ethnika der frühgriechischen Dichtung und eben wohl auch in den Namen der späteren Phylenverbände widerspiegeln. Die große Eigenständigkeit der einzelnen Segmente bei gleichzeitig vorhandenem Gemeinsamkeitsempfinden erklärt auch die große Spannweite und Flexibilität und die bunte Fülle der Erscheinungsformen bei der weiteren Formierung der griechischen Staatenwelt,53 die dann sowohl die Polis als auch den sich immer stärker politisch-rechtlich konstituierenden Stammesstaat kennt. Es ist bereits eingangs betont worden, daß das hier vorgestellte Denkmodell angesichts der problematischen Quellenlage stets in hohem Maße hypothetisch bleiben muß. Ein Blick auf die soziopolitischen Strukturen der nordwestgriechischen Stammesstaaten in klassischer Zeit kann aber die Tragfähigkeit des zuvor Dargelegten doch zumindest stützen. Bekanntlich haben sich in Mittelgriechenland – von einigen Küstenregionen abgesehen – bis zur hellenistischen Zeit keine eigenständigen Polisstaaten entwickelt; statt dessen hielten sich hier stammesstaatliche Organisations- | [S. 47] strukturen, die dann seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. die Grundlage für die Ausbildung wirkkräftiger Bundesstaaten abgaben.54 Nun ist gegen einen Vergleich dieser stammesmäßigen Strukturen mit den Verhältnissen in der nachmykenischen Zeit vorgebracht worden, daß die Stammesstaaten so, wie wir sie kennen, auch schon das Ergebnis eines politischen Formenwandels seien und daher „die historischen griechischen Ethne z. B. in Thessalien, Boiotien, Aitolien und Achaia (…) selbstverständlich als tertium comparationis nicht in Betracht (kämen), da es sich hierbei um entwickelte Gemeinwesen mit einer ausdifferenzierten institutionellen Organisation handelte“.55 Zumindest für das nordwestgriechische Aitolien trifft diese Behauptung jedoch erst für die Zeit nach dem Peloponnesischen Krieg zu. In einigen kurzen Notizen des Thukydides über die Aitoler können wir hingegen noch einen früheren Zustand greifen, der noch keine ausdifferenzierte Organisationsstruktur aufweist,
52 Zum „homerischen Königtum“ vgl. (mit weiterer Literatur) Qviller 1981; Drews 1983; Carlier 1984, 136–230. 53 Zur Vielfalt der Erscheinungsformen vgl. auch Runciman 1984. 54 Zur Entwicklung von Bundesstaaten in dieser Region vgl. Larsen 1968, 173–302. 55 Welwei 1988, 16.
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sondern in auffälliger Weise den zuvor entwickelten Vorstellungen nahe kommt.56 In der Beschreibung des Thukydides erscheinen die Aitoler als ein Verband aus drei einzelnen, namentlich unterschiedenen Stämmen, die zahlenmäßig ganz unterschiedlich groß und noch in weitere Teilstämme unterteilt sind. Diese drei Stämme stehen offenbar weitgehend unverbunden nebeneinander und handeln gemeinsam als Aitoler erst, wenn es um die Abwehr eines feindlichen Angriffs oder die Durchführung einer militärischen Offensive geht. Und als eine gemeinsame Gesandtschaft nach Sparta geschickt wird, stellt jeder der drei sehr unterschiedlich großen Stämme einen Gesandten. Dies macht die starke Eigenstellung der einzelnen aitolischen Stämme zur damaligen Zeit besonders deutlich.57 Aufs Ganze besehen erscheinen die Aitoler in der Schilderung des Thukydides als ein spätes Beispiel – oder dürfen wir sogar sagen: als ein Relikt? – einer segmentären Gesellschaft im beschriebenen Sinne, mit der wir also auch im griechischen Bereich rechnen müssen und die daher auch für die Dunklen Jahrhunderte nicht grundsätzlich als Möglichkeit ausgeschlossen werden sollte. Mir scheint es jedenfalls angebracht, die Gültigkeit des Modells einer akephalen, polysegmentären Gesellschaft mit einer – wenn überhaupt – nur ansatzweise und gelegentlich ausgebildeten Zentralinstanz für die gesellschaftliche und politische Formierung in den Dark Ages zumindest prüfend in Erwägung zu ziehen.58 | [S. 48] Im Vorangegangenen ist der Versuch unternommen worden, vor dem Hintergrund der aktuellen Forschungsdiskussion für die Formierung der griechischen Staaten welt nach dem Zusammenbruch der mykenischen Palastkultur ein Erklärungsmodell zu entwickeln, das imstande ist, die Aporien zu vermeiden, in die viele der bisherigen Interpretationsansätze geführt haben. Es war ein Versuch, die allzu starren Vorstellungen über die Stämme im griechischen Altertum in Frage zu stellen, ohne gleich in das Extrem ihrer gänzlichen Leugnung zu verfallen. Natürlich ist vieles von dem, was hier dargelegt wurde, noch unfertig und bedarf der Präzisierung. Mir scheint aber doch, daß sich auf diese Weise die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Genese der so überaus vielfältigen griechischen Staatenwelt zumindest ein wenig aus der Dunkelheit der Dark Ages heraus in ein helleres Licht rücken lassen, ohne dabei in ein allzu großes Zwielicht zu geraten. 56 Thuk. 3,94–98. 100. 102. 57 Vgl. dazu auch Funke 1985. 58 In ein solches Modell ließen sich auch die Überlegungen etwa von Welwei 1988 und Donlan 1985 und 1989 einfügen. Snodgrass 1987, 179 bezweifelt hingegen die Existenz eines „network of acephalous tribal societies“ in der nachmykenischen Zeit. In eine ähnliche Richtung wie der hier vorgelegte Versuch | [S. 48] einer Modellbildung zielt auch das von C. Renfrew und J. F. Cherry entwickelte Konzept der peer polity interaction; s. dazu Renfrew 1986. – Erst nach Abschluß der Drucklegung erschien: Ulf 1990; diese Untersuchung, die sich in manchen Fragestellungen mit dem hier Dargelegten berührt und zum Teil gleichgelagerte Lösungswege verfolgt (vgl. bes. S. 215–220), konnte im Text leider nicht mehr berücksichtigt werden. Ich möchte daher an dieser Stelle ausdrücklich auf diese Arbeit hinweisen.
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Was ist der Griechen Vaterland? Einige Überlegungen zum Verhältnis von Raum und politischer Identität im antiken Griechenland
Die im Titel formulierte Frage nach einem gemeinsamen Vaterland der Hellenen stellt eigentlich einen Anachronismus dar und wäre bei den Bürgern in der klassischen griechischen Staatenwelt wenn nicht auf Unverständnis, so doch zumindest auf Befremden gestoßen – ganz unabhängig davon, ob sie im Mutterland, in Sizilien oder Kleinasien oder auch am Pontos beheimatet waren. Die Idee von einer die einzelnen griechischen Staaten übergreifenden patrís ist dem politischen Denken der antiken Griechen immer fremd geblieben. Erst aus der Perspektive des nationalstaatlichen Denkens des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, das in den europäischen und insbesondere in den deutschen Altertumswissenschaften zu einem wirkkräftigen Deutungsmuster der Geschichte der antiken griechischen Staatenwelt wurde, entwickelte sich die Vorstellung, dass die griechische Poliswelt ein geschlossener Raum nationaler Gesinnung im Sinne einer gemeinsamen patrís und daher ihrem Wesen nach zu einer nationalen Einheit bestimmt gewesen sei; die politische Unfähigkeit der Griechen habe diese jedoch nicht zustande kommen lassen. Der Verlauf der griechischen Geschichte wurde damit als Geschichte einer gescheiterten Nation gedeutet.1 Auch wenn sich diese Sichtweise als nicht tragfähig erwiesen hat und mittlerweile als überwunden gelten kann, so wird doch immer wieder die Frage aufgeworfen, ob dem modernen Konstrukt einer hellenischen patrís nicht schon ein antikes Pendant entsprochen habe. Man beruft sich in diesem Zusammenhang dann auf die einschlägige Passage im Panegyrikós des Isokrates, in der es von den Griechen, die gegen die Perser kämpften, heißt: „Als ihre Städte (áste) betrachteten sie ihre póleis, als gemeinsames Vaterland (patrís) aber galt ihnen Hellas“.2 Man muss bei der Bewertung dieser Aussage, für die es keine weiteren Entsprechungen gibt,3 jedoch in Rechnung stellen, dass Isokrates hier vor dem politischen Hintergrund der Zeit um 380 v. Chr. aus panhellenischem Enthusiasmus heraus in einer verklärenden Rückschau auf die Ereignisse der Perserkriege seine Gedanken entwickelte. Und nur | [S. 124] wenige Sätze später verfällt Isokrates wieder in das übliche Schema und kontrastiert die patrídes der Griechen mit der Gesamtheit von Hel-
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: GeogrAnt 18, 2009 [2010], 123–131. 1 Vgl. hierzu u. a. Thomas 1994; Funke 1998. 2 Isokr. or. 4,81. 3 Allenfalls Isokr. or. 5,127 scheint noch in die gleiche Richtung zu weisen; vgl. dazu Buchner 1958; Nielsen 2004, der auch noch auf Aischyl. Pers. 186. 403 und auf Lykurg. Leokr. 104 verweist.
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I. Staatlichkeit, Politik und Religion im antiken Griechenland
las, indem er davon spricht, dass die Griechen im Kampf gegen die Perser „nicht nur ihre eigenen Vaterländer (patrídas), sondern ganz Hellas (sýmpasan Helláda)“ errettet hätten.4 Der Hellenenbund der Jahre ab 481 v. Chr. – also nach Herodot der Zusammenschluss der „Hellenen, die die bessere Gesinnung für Hellas hatten“5 – war in der Tat ebenso weit von der Vorstellung einer gemeinsamen patrís entfernt wie die politischen Zustände zur Zeit des Isokrates. Damit soll allerdings keineswegs ein panhellenisches Denken weder für die Zeit der Perserkriege noch die Zeit des Isokrates grundsätzlich in Abrede gestellt werden.6 Aber die Vorstellung von Hellas als einer patrís blieb allenfalls ein marginales rhetorisches Denkspiel jenseits der politischen Wirklichkeit. Die immer wieder aufs Neue konstruierte und beschworene syngéneia aller Hellenen war letztlich nichts anderes als ein Ersatz für die fehlende gemeinsame patrís. Die syngéneia bildete ein wichtiges Bindeglied zwischen den patrídes und sollte den Zusammenhalt der Hellenen befördern. Was die Griechen im Übrigen untereinander verband, das war das, was Herodot in einer schon vielfach diskutierten Passage als to Hellenikón bezeichnet hat: In einer Rede, in der die Athener im Winter 480/79 angesichts der persischen Bedrohung die Einheit der Griechen beschworen, lässt Herodot sie nachdrücklich beteuern, dass sie nicht zu Verrätern an der gemeinsamen griechischen Sache – to Hellenikón – werden wollten. To Hellenikón wird dann von den Athenern näher bestimmt. Neben dem gleichen Blut und der gemeinsamen Sprache („hómaimón te kaí homóglōsson“) werden die gemeinsamen Heiligtümer und Opfer („theōn hidrýmatá te koiná kaí thysíai“) als gesamtgriechisches Merkmal hervorgehoben.7 Bezeichnenderweise lässt diese Charakterisierung hingegen jeglichen Raumbezug vermissen; dennoch blieb diese hellenische Selbstvergewisserung eng mit einer – wenn auch eher unbestimmten – räumlichen Dimension verknüpft. Ich werde darauf abschließend noch einmal zurückkommen, möchte aber zunächst noch der Frage nach der patrís der Griechen weiter nachgehen. Vor nicht allzu langer Zeit hat Thomas Heine Nielsen sämtliche Belege für den Wortgebrauch von patrís zusammengestellt.8 Mustert man diesen Quellenbestand, so ergibt sich für die Frage nach dem Vaterland der Griechen ein klarer und eindeutiger Befund: Wer auf die Frage nach seiner patrís nicht wie Diogenes von Sinope mit dem knappen Hinweis, man sei kosmopolítes, replizierte,9 für den gab es als einzige Antwort offensichtlich nur die Gleichsetzung von patrís und pólis. Und das Bekenntnis zum Kosmopolitismus konnte dem Diogenes umso leichter fallen, da er auch zu sagen pflegte, dass die 4 Isokr. or. 4,83. 5 Hdt. 7,145,1. 6 Zum Panhellenismus vgl. die umfassende Studie von Mitchell 2007 (mit der älteren Literatur). 7 Hdt. 8,144,2 – vgl. dazu Parker 1998, 10–24; Konstan 2001; Hall 2002, 189–205; Zacharia 2008. 8 Nielsen 2004. 9 Diog. Laert. 6,63.
Was ist der Griechen Vaterland?
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Flüche der Tragiker auf ihn zuträfen, denn er sei „der Vaterstadt, dem Haus, der Heimat fern, ein Bettler, Flüchtling, Kämpfend um sein täglich Brot“ („ápolis, áoikos, patrídos estereménos“).10 Zu Recht hat daher Nielsen patrís als ein „emotional substitute for polis“ bezeichnet.11 Mit dieser Feststellung gerät man nun aber unweigerlich in das an Untiefen und Strudeln reiche Fahrwasser der Diskussion um den Gehalt des Polisbegriffes, auf die ich mich hier allerdings nicht näher einlassen möchte. Mir geht es nur um den Aspekt der Territorialität der pólis, der mittlerweile wohl unstrittig sein dürfte. Zumindest darf | [S. 125] man die Radikalität, mit der man das Territorium als einen konstitutiven Bestandteil einer pólis in Frage gestellt hatte, als überwunden und die These Franz Hampls von den „Poleis ohne Territorium“ als obsolet betrachten.12 Es ist in diesem Zusammenhang zwar immer wieder auf die Auseinandersetzung zwischen Adeimantos und Themistokles um das Mitspracherecht des Themistokles bei den Entscheidungen vor der Schlacht bei Salamis und die Drohung des Themistokles, die pólis der Athener nach Siris zu verlagern,13 Bezug genommen worden, da man hierin einen Erweis für die Denkbarkeit einer Polis ohne Territorium sehen zu können glaubte. In die gleiche Richtung suchte man auch die Quellenaussagen zu interpretieren, in denen der Vorrang der Bürger für die Existenz einer pólis herausgestellt wird: Sei es das Diktum des Alkaios, dass weder Steine noch Holz noch die Kunstfertigkeit der Baumeister eine pólis ausmachten, sondern tapfere Männer die Schutzwehr der Polis seien,14 oder der thukydideische Schlusssatz der Rede des Nikias an die athenischen Truppen in Sizilien kurz vor der endgültigen Niederlage, dass „Männer eine Stadt ausmachen, nicht Mauern und nicht unbemannte Schiffe“ (ándres gar pólis, kai ou teíche oude nées andrón keinaí).15 Vor allem aber unter dem Eindruck der staatsphilosophischen Schriften des Platon und des Aristoteles, in denen die pólis vornehmlich als koinonía politōn politeías betrachtet wird,16 erschien es Manchen gerechtfertigt, bei der Frage nach dem Wesen der pólis den Aspekt der Territorialität vollständig auszuklammern. Gerade das erwähnte Streitgespräch zwischen Adeimantos und Themistokles basiert auf der Vorstellung von einer unverbrüchlichen Verbundenheit von patrís, pólis und Territorium, wie sie etwa auch bei Euripides in 10 Diog. Laert. 6,38. 11 Nielsen 2004, 68 und 74. 12 Die Unzulänglichkeit der These von Hampl 1939 bedarf hier keines erneuten Nachweises, zumal die jüngeren Forschungen nicht nur des von Mogens Herman Hansen initiierten Inventory of archaic and classical Poleis eine zwingende gegenseitige Bedingtheit der räumlichen und politischen Dimensionen einer pólis hinreichend dargelegt haben; vgl. Hansen/Nielsen 2004; hier (XII–XIII) auch eine Zusammenstellung der übrigen Publikationen dieses Forschungsunternehmens sowie 70–73 eine Zusammenfassung der Kritik an Hampls These von Nielsen. 13 Hdt. 8,61–62; vgl. dazu auch Blösel 2004, 193. 14 Alk. frg. 35,10 D (= 112,10 Lobel/Page); dazu auch Aristeid. 3,298 (Behr). 15 Thuk. 7,77,7. 16 Aristot. pol. 1276 b 1.
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I. Staatlichkeit, Politik und Religion im antiken Griechenland
der Klage der Medea zum Ausdruck kommt, weder eine pólis noch dóma patrós zu haben, sondern ápolis zu sein, da man sie aus ihrem Land – ek ges barbárou – geraubt habe.17 Das Konzept von patrís und pólis schloss die Territorialität stets mit ein und diese Territorialität stellte ein bestimmendes Element für die Identität eines jeden Polisbürgers dar, was auch im athenischen Ephebeneid klar zum Ausdruck kam, in dem die hóroi tes patrídos in die Schwurformel mit aufgenommen waren.18 An die hier konstatierte Verknüpfung von patrís, pólis und Territorialität schließen sich meine weiteren Darlegungen an. Wenn im Folgenden vor diesem Hintergrund die Frage nach dem Verhältnis von Raum und politischer Identität gestellt wird, dann geht es nicht darum, der Monumentalisierung und der architektonischen Ausgestaltung von Polisterritorien in ihren verschiedenen Erscheinungsformen nachzugehen und diese als sinnfälligen Ausdruck der Identität und Mentalität von Polisbürgern auszudeuten. Ich möchte vielmehr eine andere Form der Gestaltung politischer Räume in den Blick nehmen, wobei politische Räume als geographische Größe aufgefaßt und darunter ebenfalls konkret die Territorien verstanden werden, auf denen sich jeweils ein Bürgerverband konstituierte. Meine Frage richtet sich aber auf die räumlichen Dimensionen der institutionellen und strukturellen Ausgestaltung staatlicher Territorien, die auf die Schaffung und Sicherung der politischen Identität der jeweiligen Bürgergemeinschaft abzielte. Es geht mir also letztlich um die räumlichen Dimensionen bei der Ausgestaltung und Festigung eines als patrís empfundenen espace civique. | [S. 126] Meinen Ausgangspunkt bildet die Überlegung, dass die Strukturen, die den institutionellen Rahmen für den Zusammenhalt eines Bürgerverbandes bildeten, umso komplexer ausfallen mussten, je größer dieser Bürgerverband war. Dabei wurde die Komplexität der strukturellen Ausgestaltung nicht nur durch die bloße Zahl der Bürger, sondern vor allem auch durch die jeweilige räumliche Größe des Territoriums bestimmt, das von den Bürgern als ihr Eigen beansprucht und als ihre patrís angesehen wurde. Eine solche Feststellung dürfte eigentlich unmittelbar einleuchten und mag daher auf den ersten Blick eher banal erscheinen; und in der Tat ist dieses institutionelle Wechselverhältnis zwischen räumlicher Größe und politischer Identität mit Blick auf eine als patrís empfundene pólis vergleichsweise leicht nachzuvollziehen. Ich möchte im Folgenden meine Überlegungen aber nicht nur auf die pólis beschränken, sondern die Frage nach der patrís auch auf die Vielfalt staatlicher Erscheinungsformen jenseits der Polis ausweiten, um dann abschließend doch noch einmal auf die Frage nach einem gemeinsamen Vaterland aller Hellenen zurückzukommen.
17 Eur. Med. 255–256; vgl. auch Eur. Or. 1076–1077; Isokr. or. 14,46. 18 SEG XXI 629 = Rhodes-Osborne, GHI 88.
Was ist der Griechen Vaterland?
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Wenden wir uns also zunächst der pólis zu. Hier kann es genügen, exemplarisch auf hinlänglich Bekanntes knapp zu verweisen. Schon das früheste überlieferte Zeugnis der politischen Ordnung einer pólis, die spartanische Rhetra, machte mit der Forderung nach Einrichtung von Phylen und Oben und der lokalen Fixierung des Versammlungsplatzes der apélla „zwischen Babyka und Knakion“ die räumliche Strukturierung des Politenverbandes zu einem wesentlichen Element der Begründung der Polis Sparta.19 Auch wenn bei der Konstituierung der Phylen und Oben immer auch der gentilizischen Komponente zweifellos eine wichtige Rolle zugefallen war, kann von der räumlichen Komponente nicht abgesehen werden, zumal beide – nicht nur in Sparta – in der Regel wenn schon nicht deckungsgleich, so doch zumindest eng aufeinander bezogen waren. Ein zweites, geradezu klassisches und besonders gut dokumentiertes Paradigma für die Durchgestaltung eines politischen Raumes ist die kleisthenische Phylenreform in Athen, deren Details hier nicht im Einzelnen dargelegt werden müssen.20 Der neue Zuschnitt des athenischen Bürgerverbandes erfolgte durch eine so hoch artifizielle Verteilung der einzelnen Demen auf Trittyen und Phylen, dass die Behauptung des Aristoteles, diese Verteilung sei durch eine Losung zustande gekommen, wohl in Zweifel zu ziehen ist.21 Die planvolle Neugestaltung der regionalen Binnenstrukturen der Polis Athen war weit mehr als eine bloß administrative Maßnahme; sie zielte vielmehr auf ein Aufbrechen territorialer Binnengrenzen und auf eine Durchmischung des Bürgerverbandes zur Stärkung des inneren Zusammenhalts und zur Verfestigung einer Polisidentität. Das Aufbrechen territorialer Binnengrenzen bedeutete aber keineswegs eine völlige Aufhebung von Identitätsräumen unterhalb der Polisebene. In den Demen, Phratrien, Gene etc. gab es – quasi zwischen oíkos und pólis – durchaus eigenständige, regional verankerte politische Identitätsebenen, die zwar stärker in das Ganze der Polis integriert wurden, deren Existenz grundsätzlich aber unangetastet blieb. Ein wohlabgewogener Ausgleich verband nicht nur in institutioneller und rechtlicher, sondern auch in kultischreligiöser Hinsicht die Einheit der Polis mit der Vielfalt ihrer räumlichen Strukturen.22 Hierauf gründete auch der | [S. 127] nachhaltige Erfolg der kleisthenischen Neuordnung. Die Athener waren daher offenbar auch später sehr darum bemüht, diese räumliche Ausgewogenheit in politicis unbedingt aufrechtzuerhalten. Jedenfalls spricht manches dafür, dass die Athener angesichts demographischer und siedlungsgeographischer Veränderungen Nachbesserungen in der proportionalen Verteilung der demenweise zu besetzenden Ratssitze vorgenommen haben, und zwar ganz unabhängig von der hier 19 Plut. Lykurg. 6,2. 20 Hierzu immer noch grundlegend Siewert 1982; Traill 1986; Traill 1975; vgl. auch Osborne 1996, 294–304. 375–377 (mit weiterer Literatur). 21 Aristot. Ath. pol. 21,4; vgl. dazu den Forschungsüberblick bei Chambers 1990, 226–231; Rhodes 1992, 251–256. 773. 22 Vgl. dazu Funke 2003; Funke 2009a.
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nicht zu diskutierenden Problematik der sogenannten PrytanieTrittyen und wohl auch unbeschadet der Vererbbarkeit der Demenzugehörigkeit.23 Die Boule, die in ihrer Zusammensetzung die Gesamtheit der Polis repräsentierte, hatte eben immer zugleich auch ein reales Abbild des Raumes dieser Polis zu sein. Ihre Wirkung haben diese Bemühungen um die Stärkung der Polisidentität, die sich in ähnlicher Weise auch für viele andere Poleis nachweisen ließen, nicht verfehlt: patrís, das war nach Ausweis aller Quellen stets die pólis; es gibt jedenfalls nicht einen einzigen Beleg dafür, dass etwa auch ein démos, eine kóme oder irgendeine andere Unterteilung einer pólis von einem Griechen als seine patrís bezeichnet worden wäre. Die Integrationsleistung, die erforderlich war, um die territoriale Einheit einer Polis trotz oft vielfältiger lokaler Differenzen sicherzustellen, wird besonders deutlich, wo im Rahmen eines Synoikismos zwei oder auch mehrere Siedlungen zu einer neuen, größeren und meist stärker urban ausgeprägten Siedlungsagglomeration zusammengeschlossen wurden. Ein solcher Synoikismos war in der Regel die Konsequenz einer zuvor schon entstandenen Polisidentität und wurde zum sichtbaren Ausdruck eines gewachsenen Zusammengehörigkeitsgefühls.24 Dennoch scheint es gerade auch in diesen Fällen nicht zur vollständigen Aufgabe der alten lokalen Bindungen gekommen zu sein. Wie nachhaltig die lokalen Beharrungskräfte sein konnten und welchen Wechselfällen das Verhältnis zwischen Poliszentralität und räumlicher Diversität bisweilen ausgesetzt war, lässt sich am Beispiel der Stadt Mantineia verdeutlichen, die in der ersten Hälfte des fünften oder vielleicht auch schon um die Mitte des sechsten Jahrhunderts v. Chr. durch den Zusammenschluss von vier oder fünf Landgemeinden (komai) entstanden war. Noch Generationen später – im Jahre 385 v. Chr. – war es den Spartanern möglich, das urbane Siedlungszentrum Mantineias aufzulösen und die Mantineer zu zwingen, ihre Häuser in der Stadt aufzugeben und sich wieder in den alten Landgemeinden anzusiedeln. Eine noch fortdauernde, wohl auch durch alte Besitzrechte begründete Verankerung der Bürger in den jeweiligen Gemarkungen der mantineischen Ebene wird hier offenkundig. Die weitere Entwicklung zeigt dann aber, dass sich der bis zum Dioikismos des Jahres 385 v. Chr. gewachsene Zusammenhalt des Bürgerverbandes als stärker erwies: Nur 15 Jahre später – im Jahre 370 v. Chr. – nutzten die Mantineer die veränderte politische Lage nach der spartanischen Niederlage bei Leuktra, um erneut einen Synoikismos durchzuführen und die Stadt Mantineia wieder aufzubauen.25 Schwieriger gestaltete sich das Spannungsgefüge zwischen Polisidentität und regionalen Eigeninteressen in den Fällen, in denen es zu einem sympolitischen Zusammenschluss zweier oder mehrerer, ehemals eigenständiger politischer Gemeinden kam, ohne dass 23 Vgl. dazu die in den Anm. 21 und 22 aufgeführten Literaturhinweise. 24 Hierzu grundlegend Moggi 1976; vgl. auch (mit weiterer Literatur) Funke 2007a. 25 Zu den Synoikismoi von Mantineia s. Moggi 1976, 140–156 Nr. 24; Hodkinson/Hodkinson 1981, 256–261; Nielsen 2002, bes. 171–175.
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zugleich auch ein Synoikismos durchgeführt wurde. Schon einer der ältesten, inschriftlich überlieferten Sympolitieverträge – der Sympolitievertrag zwischen Mantineia und Helisson aus dem | [S. 128] frühen vierten Jahrhundert v. Chr.26 – vermittelt einen Eindruck über die teilweise doch sehr große territoriale Ausdehnung solcher Sympolitien. So wurde mit Helisson eine Gemeinde in die Polis Mantineia integriert, die noch jenseits des Mainalon-Gebirges mehr als 20 km vom städtischen Zentrum Mantineias entfernt gelegen war; und Helisson war nur Teil eines weit umfangreicheren sympolitischen Verbundes der Mantineer. Was nun die neue politische Identität der Helissonier betraf, so lässt der Vertragstext (Z. 3–8) keinen Zweifel: „Die Helissonier sollen Mantineer sein, zu gleichem und ebenbürtigem Recht, und an allem Anteil haben wie die Mantineer; sie sollen ihr Land (chóra) und ihre Stadt (pólis) in Mantinea und in den Gesetzesbereich der Mantineer einbringen.“ Zugleich wird den Helissoniern aber ausdrücklich der Fortbestand ihres Siedlungszentrums – im Text als pólis bezeichnet – zugestanden: „Die Stadt (pólis) der Helissonier soll, wie sie jetzt ist, auf alle Zeit bestehen bleiben und die Helissonier sollen ein Dorf (kóme) der Mantineer sein.“ Deutlich ist hier das Bemühen zu greifen, die neu geschaffene Polisidentität und die traditionellen lokalen Bindungen in Einklang zu bringen. Wie wirkungsvoll dieses Unterfangen war, muss offen bleiben, zumal die Sympolitie wohl nur wenige Jahre Bestand hatte und im Zusammenhang mit dem Dioikismos von Mantineia durch die Spartaner zerschlagen worden sein dürfte.27 Sympolitien waren aber nicht nur äußerem Druck ausgesetzt, sondern blieben auch strukturell anfällig und daher oft kurzlebig, da sich eine neue patrís in der Regel nur schwer verordnen ließ. Die ausgesprochen detailreichen Regelungen und Abmachungen vieler Sympolitieverträge legen ein beredtes Zeugnis davon ab, wie man das Zusammenwachsen des neuen Bürgerverbandes zu stärken gedachte und der stets latent vorhandenen Gefahr eines erneuten Auseinanderfalls entgegenzuwirken suchte.28 Dennoch wird es im Einzelfall schwierig geblieben sein, die Mitglieder eines sympolitischen Bürgerverbandes auf eine neue patrís einzuschwören, vor allem dann, wenn nicht zugleich auch ein neues gemeinsames Siedlungszentrum gegründet wurde. Eine positive Evidenz ist den Quellen jedenfalls nicht zu entnehmen, was jedoch auch überlieferungsbedingt sein könnte. Gleichwohl ist es aber nur schwer vorstellbar, dass etwa die Sympolitie zwischen Argos und Korinth,29 die nur für eine kurze Zeit während des Korinthischen Krieges existierte, 26 SEG XXXVII 340 = Rhodes-Osborne, GHI 14; s. auch IPArk 98–111 Nr. 9. 27 Zum historischen Kontext vgl. Funke 2004a. 28 Eine Liste inschriftlich überlieferten Sympolitieverträge bieten Gauthier 1985, 198–199; Te Riele/Te Riele 1987, 187–188; hinzu kommen noch die Verträge zwischen Latmos und Pidasa (SEG XLVII 1563) und Kildara und Th(odasa?) (SEG LI 1496, Z. 13) sowie einige möglicherweise Mylasa betreffenden Sympolitien (vgl. I.Mylasa 102. 861. 866. 867. 913). 29 Die Zusammenstellung der Quellen bei Moggi 1976, 242–251 Nr. 39; vgl. auch Funke 1980, 82, Anm. 29; Tuplin 1982; Whitby 1984.
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selbst bei längerem Fortbestand das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer neuen, gemeinsamen patrís bei den Bürgern dieser beiden Städte hätte aufkommen lassen. Zu stark dürfte die Verbundenheit mit der je eigenen Polis gewesen sein. Abschließend sollen noch die polisübergreifenden staatlichen Zusammenschlüsse in den Blick genommen werden. Dabei möchte ich die so genannten Stammesstaaten ganz außer Betracht lassen. Die vielschichtige, oft drei- und mehrstufige Binnengliederung griechischer Stämme30 entzieht sich hinsichtlich der hier anstehenden Fragestellung angesichts der | [S. 129] überaus dürftigen Quellensituation einer angemessenen Analyse; und da, wo uns die Quellen genauere Informationen liefern, befinden sich die Stammesstaaten bereits in einer Umbruchsituation und im Übergang zu bundesstaatlichen Formen, auf die ich noch eingehen werde. Auch die Staatenbünde sind hier eigentlich nicht näher zu berücksichtigen, da sie schon von ihrem Selbstverständnis her nicht bestrebt sein konnten, jenseits der jeweiligen Grenzen ihrer Bündner eine gesonderte Identität im Sinne einer patrís zu schaffen. Der Zusammenschluss in einem Staatenbund – ganz unabhängig davon, ob dieser dem Prinzip gleicher Teilhabe an den Entscheidungen folgte oder hegemonial strukturiert war – diente zunächst einmal der Sicherung der Eigeninteressen jedes einzelnen Bündners, der eben gerade nicht bereit war, seine politische Eigenständigkeit preiszugeben. Ganz ähnlich verhielt es sich im Übrigen auch bei den Amphiktyonien, deren Mitgliedsstaaten durch Eide und gemeinsame Kulte zwar enger miteinander verbunden waren, die aber gerade durch die Fokussierung auf zentrale, jeweils von allen Amphiktyonen gemeinsam gepflegte Kulte und Heiligtümer auch ihre je eigene politische Identität sicherten.31 Auch im Peloponnesischen Bund lassen sich – zumindest im fünften Jahrhundert v. Chr. – kaum Bestrebungen der Spartaner ausmachen, über die Wahrung ihrer Vormachtstellung hinaus auf eine stärkere Integration ihrer Bündnerstaaten hinzuwirken. Anders verhielt es sich jedoch mit dem Delisch-Attischen Seebund. Entschieden konsequenter als die Spartaner verfolgten die Athener das Ziel einer herrschaftlichen Durchdringung des unter ihrer Hegemonie stehenden Territoriums. Das Arsenal an militärischen, ökonomischen, rechtlichen und auch kultisch-religiösen Herrschaftsmitteln, das die Athener dabei in Anwendung brachten, ist vor allem in den Untersuchungen von Wolfgang Schuller und Bernhard Smarczyk ausführlich dargelegt worden.32 Sie haben die Transformation des Seebundes hin zu einem athenischen Seereich nachgezeichnet, dessen Ausgestaltung durchaus Ansätze zu einer dauerhafteren polisübergreifenden staatlichen Organisationsform zeigte, die gekennzeichnet war durch eine „wachsende Zen30 Exemplarisch sei hier nur auf die komplexen Verhältnisse in Epirus verwiesen; vgl. dazu Cabanes 1981; Cabanes 1985; | [S. 129] Cabanes 1985; Davies 2000; Funke 2009b. 31 Vgl. hierzu die entsprechenden Ausführungen bei Tausend 1992; Baltrusch 1994; Funke 2007a; Baltrusch 2008. 32 Vgl. Meiggs 1972; Schuller 1974; Smarczyk 1990.
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tralisierung von Entscheidungskompetenzen für den großen geographischen Raum der arché auf Athen und seine politischen Institutionen“.33 Zu Recht weist Smarczyk aber auch darauf hin, dass es die Athener dennoch nicht vermocht hatten, die – wie Herfried Münkler es genannt hat – „augusteische Schwelle“ von der Expansionshin zur Konsolidierungsphase zu überschreiten.34 Vielleicht fehlte ganz einfach nur die Zeit, so dass sich „eben all das … nicht bilden (konnte), was sonst zum moralischen Ornat einer Großmacht gehört“.35 Ob sich jedoch das attische Seereich eines Tages wirklich zu einer neuen patrís für seine Bewohner entwickelt hätte, darf wohl mit gutem Recht bezweifelt werden. Die Gegensätzlichkeit von Polisautonomie und Großmachtstreben war dann doch | [S. 130] zu stark ausgeprägt, um die „augusteische Schwelle“ überschreiten zu können und aus der Position einer Großmacht heraus die Grundlagen für eine neue, größere patrís aller Reichsuntertanen zu legen. Erfolgreicher war in dieser Hinsicht aber eine andere polisübergreifende Organisationsform, die sich bereits in klassischer Zeit neben der pólis als eine überaus wirkkräftige politische Größe entfalten konnte und dann in hellenistischer Zeit zu einem entscheidenden Faktor im Mächtespiel wurde. Gemeint sind die bundesstaatlichen Zusammenschlüsse, wie sie sich etwa in Boiotien, Arkadien oder auf der Chalkidike, und dann vor allem von Aitolien und Achaia ausgehend in Mittelgriechenland und in weiten Teilen der Peloponnes herausgebildet hatten.36 Die Attraktivität der föderalstaatlichen Ordnung bestand vor allem darin, dass durch ein austariertes Zusammenspiel zwischen Bundesgewalt und Gliedstaaten eine angemessene Teilhabe jeder einzelnen Bundespolis am politischen Entscheidungsprozess sichergestellt wurde, so dass die Eigeninteressen der Einzelstaaten gewahrt blieben. Bezeichnend ist die Beschreibung des Achaiischen Bundes durch Polybios, in der er nachdrücklich die rechtliche Gleichstellung der Poleis innerhalb des koinón und die Ausgeglichenheit der Interessen der einzelnen Gliedstaaten hervorhebt.37 Die föderalstaatliche Ordnung bot – insbesondere dann in der hellenistischen Zeit – die Chance, in einer politisch anders dimensionierten Welt die pólis neu zu positionieren, ohne sie in ihrer Grundgestalt aufzugeben. Vieles lief – was zunächst paradox klingen mag – sogar eigentlich auf eine Stärkung der pólis hinaus, da mit der zunehmenden Größe der Bundesterritorien und der damit verbundenen wachsenden Komplexität der Binnenstrukturen die Repräsentativorgane bei der politischen Entscheidungsfindung stetig an Bedeutung gewannen. Diese Stärkung der Repräsentative auf der Bundesebene festigte den inneren Zusammenhalt der koiná, bedingte aber zugleich auch eine Siche33 34 35 36
Smarczyk 2007, 205. Smarczyk 2007 unter Verweis auf Münkler 2005, 80–81. 105–126. Meier 1993, 537. Zu den griechischen Bundesstaaten immer noch grundlegend: Larsen 1968; vgl. darüber hinaus mit der neueren Literatur Beck 1997; Siewert 2005. 37 Pol. 2,37,9–11. 38,5–9.
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rung der politischen Identität der Gliedstaaten. „So besehen trugen die Bundesstaaten in hellenistischer Zeit sogar zu einer Revitalisierung der Poleis bei“.38 Mit Blick auf die Bundesstaaten wird die Frage nach der patrís der Griechen ambivalent. Die fortschreitende Ausgestaltung und Stabilisierung bundesstaatlicher Ordnungen und auch der außenpolitische Erfolg dürften durchaus dazu beigetragen haben, dass auch die koiná als eine neue, größere patrís empfunden wurden, was auch im sogenannten doppelten Bürgerrecht seinen formalen Ausdruck fand.39 Die gängige Herkunftsangabe eines Bundesbürgers, die stets die Zugehörigkeit sowohl zum Bund wie zu einem Gliedstaat – nach dem Muster Aitolós ek Kallipólios oder Akarnán ex Alyzéas –40 bezeichnete, lässt aber keinen Zweifel daran, wo die eigentliche Heimat auch für die Angehörigen eines Bundesstaates zu verorten war. Die Kongruenz von patrís und pólis, wie sie auch Nielsen aus seiner Quellenanalyse abgeleitet hat, ist wohl unabweisbar und war offensichtlich tief im griechischen Denken verwurzelt. Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal die anfänglich aufgeworfene Frage nach einem gemeinsamen Vaterland der Griechen zurückkommen. Streng genommen waren die Hellenen als Hellenen eigentlich vaterlandslos. Dennoch gab es trotz aller Verschiedenartigkeiten und Gegensätzlichkeiten auch eine panhellenische Wahrnehmungsund Verständigungsebene, die sich aus einem gesamthellenischen Zusammengehörigkeits- | [S. 131] gefühl speiste und deren Substrat das war, was Herodot als to hellenikón definiert hatte und dem – wie ich eingangs ausgeführt habe – eine räumliche Dimension im Sinne eines fest fixierten Territoriums fehlte. Es gab aber Versatzstücke dieses hellenikón, die durchaus geographisch zu verorten waren. Hierzu zählten die gemeinsamen Heiligtümer und Opfer (theon hidrýmatá te koiná kaí thysíai), die Herodot als ein gesamtgriechisches Merkmal besonders hervorhebt und von denen auch Thukydides als ta hierá ta koiná spricht.41 Das waren neben den Heiligtümern, die zugleich als Austragungsorte der großen panhellenischen Wettkämpfe dienten, vor allem auch die überregionalen Orakel- und Heilkulte; aber auch die Mysterienkulte wie in Eleusis und Samothrake dürften dazu gehört haben. Alle diese Heiligtümer waren Bestandteile einer panhellenischen sacred landscape, deren geographische Koordinaten durch ein gemeinsames religiöses Selbstverständnis der Griechen bestimmt wurden und die als eine mental map in den Köpfen der Griechen eingezeichnet war.42 Und da diese Heiligtümer, die aufs Ganze besehen die griechische Staatenwelt wie ein Netz überspannten und an allen Ecken und Enden miteinander verbanden, durch ihre Kulte, Riten und 38 Funke 2007b, 98. 39 Zum „doppelten Bürgerrecht“ vgl. zusammenfassend Funke 2007b, 438, Anm. 18 (mit der älteren Literatur). 40 IG IX 12 ,3, 783; SEG XLII 1041. 41 Hdt. 8,144,2; Thuk. 5,18,2; dazu auch Hornblower 1996, 471–472. 42 Funke 2004b.
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Festfeiern zu Fixpunkten einer regelmäßigen Begegnung aller Hellenen wurden, waren sie sogar weit mehr als bloße Elemente einer sacred landscape. Sie bildeten Orientierungsmarken einer panhellenischen Landschaft, deren konkrete Grenzen eher unbestimmt waren und die – nicht zuletzt auch durch ein oft wucherndes Wachstum einer panhellenischen syngéneia befördert – eine ständige Umgestaltung erfuhr. Aber wenn überhaupt, dann war hier die von Isokrates beschworene koiné patrís aller Griechen zu finden. Eine imaginierte Heimat, deren Bedeutung für die Selbstvergewisserung und den Zusammenhalt der eigentlich heimatlosen Hellenen aber nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
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Bürgerschaft und Bürgersein – Teilnehmen als Teilhaben Was alle angeht, können nur alle lösen. Jeder Versuch eines einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muß scheitern. (Friedrich Dürrenmatt, 21 Punkte zu den Physikern)
Wer sich eine Untersuchung über die Verfassung (…) vornimmt, der hat zuallererst den Staat zu betrachten und festzustellen, was ein Staat ist. (…) Da aber ein Staat zu den Dingen gehört, die zusammengesetzt sind wie jedes andere Gebilde, das zwar ein Ganzes darstellt, jedoch aus vielen Teilen zusammengesetzt ist, so ist klar, daß man vorher nach dem Bürger fragen muß, denn der Staat ist eine bestimmte Anzahl von Bürgern. Mit diesen Sätzen leitet Aristoteles das dritte Buch seiner Politik ein, um dann näher zu bestimmen, was einen Bürger ausmacht. Dabei gelangt er zu der Auffassung, daß Bürger nur der sei, der „sowohl am Regieren wie auch am Regiertwerden teilhat.“ Der Kreis dieser Teilhaber, also der Bürger, bestimme sich aber nach den Vorgaben der jeweils geltenden Verfassung und erreiche seine ideale Form nur dort, wo er aus denjenigen bestehe, „die fähig und willens sind, zu regieren und regiert zu werden im Sinne eines tugendgemäßen Lebens.“ Wenn Aristoteles – und vor ihm auch schon auf je unterschiedliche Weise Platon und mancher Vorsokratiker – die Teilhabe, das metechein, an den politischen Entscheidungen zum zentralen Kriterium für das Bürgersein macht, so erscheint dies aus heutiger Sicht oft allzu schnell als eine Selbstverständlichkeit. Es gerät dabei aus dem Blick, daß die postulierte Konstante einer engen Wechselbeziehung zwischen dem Bürgersein und einer im eigentlichen Wortsinn entscheidenden Teilhabe „am Regieren und Regiertwerden“ einen langen und hart umkämpften Entwicklungsprozeß zur Voraussetzung hatte, der in der griechischen Staatenwelt eigentlich erst das entstehen ließ, was heute Politik genannt wird.1 Die Anfänge reichen bis in das frühe erste Jahrtausend v. Chr. zurück und sind aufs engste mit der Genese der Polis verbunden. Mit der Herausbildung dieser neuen Siedlungsform entstand zugleich auch ein neuer Handlungsraum. Das fest umgrenzte, markierte und in der Regel eher kleinräumige Territorium einer Polis wurde zu einem Bezugsrahmen, innerhalb dessen sich die Bewohnerschaft neu zu ordnen begann. Die Zugehörigkeit zur jeweiligen Polis überlagerte die alten stammesmäßigen Bindungen und wurde schließlich zum bestimmenden Merkmal | [S. 473] einer je eigenen polisDieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: K.-J. Hölkeskamp/E. Stein-Hölkeskamp (Hgg.), Die griechische Welt. Erinnerungsorte der Antike, München 2010 (2. Auflage 2019), 472–486. 653–655. 1 Aristot. pol. 1274 b 33–40 bzw. 1283 b 42. S. dazu Meier 1980; Meier 2009, sowie zu Platon und Aristoteles Höffe 2010.
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mäßigen – eben ‚politischen‘ – Identität. Nach außen hin wurde dieser neuen Identität dadurch Ausdruck verliehen, daß die Selbstbezeichnung einer Polis durch die Angabe der Gesamtheit ihrer Bürger erfolgte: Nicht Athen, sondern ‚die Athener‘, nicht Korinth, sondern ‚die Korinther‘ etc. waren die offiziellen, später auch in den Staatsurkunden gebräuchlichen Namen der Poleis. Nachdrücklicher läßt sich die Identität von Polis und Bürgerverband nicht betonen.2 Mit einer solchen Abgrenzung nach außen waren allerdings das Problem von Integration und Abgrenzung innerhalb einer Polis und damit die zentrale Frage der Zugehörigkeit zum Bürgerverband noch keineswegs gelöst, zumal wenn es um das Recht auf Teilhabe an der ‚Politik‘ ging, also an den Entscheidungen, die die Polis als Ganze betrafen. Daß Fremde, Sklaven, Frauen und Kinder von diesem Recht ausgeschlossen waren, entsprach antikem Selbstverständnis und wurde daher nie und nirgends in Frage gestellt. Anders stand es mit den Ansprüchen der volljährigen männlichen Bürger. Hier galt es Kriterien zu finden und auch durchzusetzen, um die Partizipationsrechte zu begründen und aufzuteilen. Solche Kriterien ließen sich allerdings nicht auf Dauer festschreiben; vielmehr war deren Akzeptanz innerhalb einer Polisgemeinschaft von ganz unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und auch außenpolitischen Rahmenbedingungen abhängig, deren Veränderungen immer auch Rückwirkungen auf den Zugang der Bürger zu den politischen Entscheidungsprozessen haben konnten. Dieses Wechselspiel bedingte innerhalb der Poleis eine Dynamisierung der politischen Auseinandersetzungen um die Ausweitung bzw. Einschränkung der politischen Rechte der Bürger. Zwangsläufig kam es zugleich zu einer dauernden Destabilisierung der Verhältnisse, und die Frage nach der politischen Teilhabe wurde letztlich vor allem auch zu einer stets prekären Machtfrage, deren Folgen Aristoteles mit den Worten kommentiert: Wenn der Staat eine Gemeinschaft ist – und er ist eine Gemeinschaft, gebildet aus Bürgern, die miteinander die Verfassung gemeinsam haben (koinonia politon politeias) –, dann dürfte wohl die Folgerung unausweichlich erscheinen, daß auch der Staat nicht mehr der gleiche ist, wenn die Verfassung der Art nach verändert und umgestaltet wird. Solche – nur allzu oft von brutalen Bürgerkriegen begleiteten – Verfassungswechsel gehörten zum politischen Alltag im archaischen und klassischen Griechenland.3 Und sie alle waren vornehmlich auf den einen Punkt gerichtet: den Kampf um die Teilhabe an den politischen Entscheidungen. Die griechische Staatenwelt war zu einem einzigen großen Experimentierfeld für die Ausgestaltung und Erprobung des politischen Zusam2 Funke 2009 [2010]. 3 Aristot. pol. 1276 b 1, Übers. nach E. Schütrumpf. Vgl. dazu Gehrke 1985.
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menlebens der Polisgemeinschaften geworden. Nicht alles lief notwendig auf Demokratie hinaus – aber erstmals entstand überhaupt ein Bewußtsein von der Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit politischer Ordnungen und von der Möglichkeit, diese als Bürger selbst in die Hand zu nehmen. Das Drängen auf politische Partizipation wurde zu einem bestimmenden Merkmal für die Formen und Normen politischen Denkens und Handelns, wie sie sich in den zahllosen griechischen Poleis – allen voran in Athen – ausgebildet und dann auch in den theoretischen Reflexionen der antiken Staatsphilosophie ihren Nie- | [S. 474] derschlag gefunden hatten. Die Idee der politischen Teilhabe als Wesensmerkmal des Bürgerseins, die sich im archaischen und klassischen Griechenland – und wohl auch nur dort – entwickeln konnte, hat bis heute ihre Spuren hinterlassen und (Nach-)Wirkungen gezeitigt. Sie gehört fraglos – wie es Dolf Sternberger im Titel eines seiner Bücher treffend bezeichnet hat – zu den „Wurzeln der Politik“ und bestimmt auch heute noch die „antiken Züge im Gesicht des modernen Staates.“ „Indem die Griechen das Politische entwickelten, bildeten sie das Nadelöhr, durch das die Weltgeschichte hindurch mußte, wenn sie zum modernen Europa gelangen sollte.“4 So besehen erscheint es angebracht, diesem Kernelement (eben nicht nur) antiker Staatlichkeit einen Platz unter den Erinnerungsorten der griechischen Antike einzuräumen und im folgenden den Versuch zu unternehmen, zumindest in Umrissen seine historischen Dimensionen nachzuzeichnen.
Das Aufbegehren des Thersites – Teilnehmen ohne Teilhaben Etwas Unvorhersehbares hatte sich vor den Toren Troias ereignet. Agamemnon wollte den Kampfeswillen der Achaier auf die Probe stellen und hatte in der Heeresversammlung den Sinn weiterer Kämpfe bezweifelt und die Rückkehr nach Griechenland erwogen. Daraufhin drohten die Dinge außer Kontrolle zu geraten. Statt – wie erwartet – mit Entschlossenheit zu widersprechen und für die Fortsetzung des Krieges einzutreten, verließen die Achaier fluchtartig die Versammlung, um die Heimreise anzutreten. Nur mit Mühe gelang es Odysseus, sie wieder zum Versammlungsplatz zurückzuholen. Während er die vornehmen und angesehenen Krieger mit gewinnenden Worten zur Umkehr überredete, verfuhr er mit dem einfachen Volk in ganz anderer Weise: Doch welchen Mann des Volkes er erblickte und beim Schreien ertappte, den prügelte er mit dem Stab und fuhr ihn an mit Worten: ‚Unmöglicher! Setz still dich hin und hör die Rede andrer, die besser sind als du! Du bist ja ohne Kampf- und Wehrkraft 4 Sternberger 1978; Sternberger 1985; vgl. Nippel 2008; Zitat: Meier 1980, 13.
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und weder in der Schlacht von Zählwert noch bei der Beratung! Wir werden doch nicht alle König spielen wollen, wir Achaier! Mehrfachkommando ist nicht gut! Der Kommandant sei einer, einer der König – dem es der Sohn des krummgesinnten Kronos verliehen!‘ So gab er Weisung und schuf Ordnung in dem Heer. (Hom. Il. 2,198–207, Übers. nach J. Latacz) Die harschen Worte des Odysseus lassen keinen Zweifel daran aufkommen, welchen Regeln die Versammlung unterworfen war. Sie entsprechen dem, was die homerischen Epen auch von Volksversammlungen in verschiedenen Poleis zu berichten wissen.5 Diese Erzählungen sind ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der frühen Entwicklungsgeschichte der griechischen Bürgerschaft, denn sie sind zeitgenössische Zeugnisse der gesellschaftlichen Zustände der früharchaischen Zeit | [S. 475] des achten Jahrhunderts v. Chr. und gewähren einen Einblick in die Bedingungen damaliger politischer Entscheidungsprozesse. Zugang zur Versammlung hatten grundsätzlich alle freien erwachsenen Männer ohne Unterschied ihrer sozialen Stellung. Das Entscheidungsrecht stand aber allein dem König zu, der jedoch nur im Zusammenwirken und nach Beratung mit einem aus führenden Adeligen bestehenden Rat handeln konnte. Der König war kein unumschränkter Herrscher, sondern auf das Einvernehmen mit den übrigen Adligen angewiesen, die ebenfalls unterschiedslos als ‚Könige‘ (basileis) bezeichnet wurden. Daher konnte Alkinoos, der Oberherr der Phaiaken, Odysseus gegenüber seine Stellung als die eines ‚Ersten unter Gleichen‘ beschreiben: ausgezeichnet als Könige walten zu zwölft hier im Volke Führende Männer, und ich bin der dreizehnte. (Hom. Od. 8,390–391, Übers. nach A. Weiher) Das Rede- und Beratungsrecht war einer kleinen Gruppe führender Adliger vorbehalten, deren Vorrang von Odysseus bemerkenswerterweise nicht ausschließlich auf ihre Abstammung, sondern auf ihren „Zählwert in der Schlacht und bei der Beratung“ zurückgeführt wurde. Bereits hier wird ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Stellung im Heer und dem Recht auf politische Teilhabe hergestellt. Diese Verknüpfung von Wehr- und Staatsverfassung wurde in der Folgezeit – nicht nur in der Antike, sondern noch bis in die Gegenwart hinein – zu einem entscheidenden Kriterium für die Zumessung politischer Partizipation.
5 Gschnitzer 2001a; Gschitzer 2001b; Ulf 1990; Hölkeskamp 2002.
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Das übrige Volk war in den Versammlungen zum Schweigen verpflichtet und mußte stumm den Beratungen beiwohnen. Es nahm teil, ohne teilzuhaben – und dennoch war seine Anwesenheit vonnöten, da die Entscheidungsfindung offenbar einer Öffentlichkeit bedurfte, auch wenn deren Meinung und ausdrückliche Zustimmung (noch) nicht gefragt war. Aber ein Wandel kündigte sich gleichwohl schon an. Kaum hatte Odysseus in der Heeresversammlung für Ordnung gesorgt, kam es zu einem Eklat: Die andern alle setzten sich, gebändigt auf den Sitzen. Thersites aber ganz allein, der krächzte maßlos weiter, er, der in seinem Sinn viele ungehörige Worte wusste, nur um drauflos und nicht nach Anstand mit den Königen zu streiten, (…) Der war aber als der häßlichste nach Ilios gekommen: O-beinig war er, lahm auf einem Bein, und beide Schultern waren ihm Gekrümmt, zur Brust hin eingezogen; und erst obendrüber – Spitz war er da am Kopf, dünn sproß drauf die Wolle. Zuwider war er ganz besonders dem Achill und dem Odysseus, denn die beschimpfte er zumeist. Doch hier war es der hochedle Agamemnon, den er schrill schreiend schmähte. (…) | [S. 476] So also sprach, beschimpfend Agamemnon, des Kriegsvolkes Hirten, Thersites. Neben den trat aber rasch der göttliche Odysseus, und fuhr, von unten blickend, hart ihn an mit scharfer Rede: ‚Thersites, Mann der wirren Worte! Klangvoll zweifellos als Redner – Halt ein und untersteh dich, ganz allein zu streiten mit den Fürsten! (…) Wenn ich bei solchem Unsinn dich noch einmal erwischen sollte wie jetzt eben – ja, dem Odysseus soll dann nicht der Kopf mehr auf den Schultern sitzen, und nicht mehr Vater Telemachs soll ich dann heißen, wenn ich dich dann nicht packe und dir ausziehe deine hübschen Sachen – den Mantel und das Hemd dazu und was die Scham umhüllt –, und nackt und bloß dich heulend zu den schnellen Schiffen schicke, fortprügelnd dich vom Versammlungsplatz mit schmählichem Geprügel!‘ So sprach er, und mit seinem Szepter auf den Rücken und auf beide Schultern hieb er ihm. Und der krümmte sich, und reichlich quollen ihm die Tränen, und blutig trat ein Striemen ihm hervor auf seinem Rücken vom Stab, dem goldnen – und er setzte sich und zitterte vor Schrecken, und voller Schmerzen leer ins Weite blickend wischte er ab die Tränen. Die aber mußten, trotz des Mißmuts, über ihn doch herzlich lachen.
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Und mancher sah zum Nachbarn hin und ließ verlauten: ‚Oje! Wahrhaftig, tausend wackre Dinge hat Odysseus schon geleistet, wenn er zu Plänen Anstoß gab, die glückten, und ein Kampfgeschehen krönte; doch was er jetzt hier hat bei den Argeiern, ist das Allerbeste! Daß er den da, das Lästermaul, den Dauerquaßler, stoppte.‘ (Hom. Il. 2,211–275, Übers. nach J. Latacz) Mit seiner vehementen Klage gegen den Führungsstil des Agamemnon hatte Thersites hartnäckig, aber letztlich doch vergebens ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen von König und Rat eingefordert. Er blieb mit seiner Forderung auch unter seinesgleichen isoliert, die ihn mit Spott und Gelächter für sein Verhalten abstraften. Schon durch die Beschreibung seiner äußeren Gestalt wurde Thersites zum Außenseiter abgestempelt. Sein Aufbegehren erschien – trotz eines allgemeinen Unmuts – allen als ein Regelbruch, den Odysseus ahnden mußte, der daher den Thersites zu Recht mit Gewalt zum Schweigen brachte. Die breite Zustimmung, auf die Odysseus für sein Vorgehen rechnen konnte, läßt offenbar werden, daß die Rollenverteilung zwischen König, Rat und Volksversammlung und die damit verbundenen ‚Spielregeln‘ der Macht von allen akzeptiert und gutgeheißen wurden. Die uneingeschränkte Teilnahme an der Volksversammlung wurde so zum Ausdruck für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die noch weit davon entfernt war, als ganze an der Politik auch entscheidend teilzuhaben. Teilnehmen war eben noch nicht gleichbedeutend mit Teilhaben. Mit dem Auftreten des Thersites zeichnet sich allerdings bereits im homerischen Epos ein Umbruch ab, | [S. 477] der dann im siebten und sechsten Jahrhundert v. Chr. die Teilhabe an der Politik zu einer wesentlichen Forderung immer breiterer Schichten werden ließ und damit die Ausbildung von Bürgergemeinschaften beförderte.
Festgeschrieben auf Stein – Durchsetzung und Sicherung der Teilhabe Das Zusammenspiel zwischen König, Rat und Volksversammlung basierte im homerischen Epos auf allgemein akzeptierten Verhaltensnormen, unterlag aber noch nicht einem fixierten Regelsystem. Dies änderte sich, als im siebten und sechsten Jahrhundert v. Chr. tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse zu grundlegenden Verschiebungen in der Verteilung politischer Entscheidungsgewalt führten. Die königlichen Oberherren büßten ihre Vorrangstellung endgültig ein, so daß die politische Macht voll und ganz in die Hände aristokratischer Führungsschichten gelangte, die ihrerseits alles unternahmen, um sich unter Verweis auf ihre Abstammung als die ‚Besten‘ (aristoi) vom übrigen Volk, den ‚Schlechten‘ (kakoi), abzusetzen und ihm weiterhin jegliche Teilhabe an den politischen Entscheidungen zu verwehren. Gegen diese Ausgrenzungsstrategie regte sich zunehmender Widerstand, der in den Poleis vor allem von denen getragen wurde, die
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aufgrund gewachsenen Reichtums ein großes soziales Ansehen genossen, ohne daß sie über einen entsprechenden politischen Einfluß verfügten. Die tiefe Kluft zwischen sozialer und politischer Stellung vergrößerte sich noch dadurch, daß auch nichtaristokratische Schichten aufgrund ihres Besitzstandes verstärkt zum Militärdienst für die Polis herangezogen wurden, um die Kampfweise in der Phalanxformation immer wirksamer entfalten zu können. Die Ausgestaltung der Phalanxtaktik setzte auf den massenhaften Einsatz von Schwerbewaffneten (hoplitai) in einer tief gestaffelten Schlachtreihe und erzwang damit die Rekrutierung möglichst aller, die sich aufgrund ihres Besitzes eine Hoplitenrüstung leisten konnten. Diese Einbindung breiterer nichtaristokratischer besitzender Schichten in eine neugestaltete Militärordnung erhöhte zusätzlich deren Anspruch auf eine stärkere Beteiligung auch in politicis. Die Teilnahme an der militärischen Verteidigung der Polis mußte geradezu notwendig die Forderung nach der Teilhabe auch an der politischen Macht zur Folge haben. Damit verschoben sich die politischen Gewichte innerhalb der Poleis grundlegend. Die Polisgemeinschaften wurden auf neue konstitutive Grundlagen gestellt, die eine Neujustierung der Zuteilung von politischer Entscheidungsgewalt unter Einschluß der Rechtsprechung und Gesetzgebung erforderlich machten. Die Maßgaben, nach denen eine solche Zumessung erfolgen sollte, mußten innerhalb der Poleis neu ausgehandelt werden. Das vollzog sich nicht ohne Widerstände. Es entstanden konfliktträchtige Situationen, die sich nicht selten in blutigen Parteienkämpfen entluden. Gleichwohl lief alles darauf hinaus, die Teilhabe an den politischen Entscheidungen nicht mehr von einer aristokratischen Abstammung abhängig zu machen, sondern | [S. 478] nach dem jeweiligen Besitzstand als dem Ausweis der wirtschaftlichen und militärischen Leistungsfähigkeit zu bemessen. Dieser Übergang zu einer timokratischen Ordnung, in der die Ausübung politischer Rechte von einer bestimmten Mindesthöhe des Vermögens abhängig war, markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Verfassungsgeschichte der griechischen Staatenwelt, denn er ermöglichte einer beträchtlich erweiterten Schicht von Polisbürgern die aktive Teilhabe an der Politik. Das konnte aber nicht ohne Rückwirkungen auf die Prozesse politischer Entscheidungsfindung bleiben. Es entwickelten sich neue Formen der Meinungsbildung in der Volksversammlung und im Rat. In Rede und Gegenrede galt es den nunmehr weitaus größeren Kreis der Entscheidungsträger zu überzeugen, so daß der Dichter Phokylides aus Milet im sechsten Jahrhundert v. Chr. resümiert: Was nützt adliger Stammbaum jenem, der weder beim Reden sich Beifall erringt noch im Rate (boule)? (Phokylides frg. 3 Gentili/Prato) Die Ausweitung des Mitsprache- und Entscheidungsrechtes ging ineins mit einer stärkeren Institutionalisierung der zentralen Entscheidungsinstanzen der Poleis und einer
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Reglementierung der politischen Verfahrensweisen. Die Poleis erhielten eine innere Ordnung, die den politischen Handlungsrahmen für ihre Bürger vorgab. Ein sehr frühes Beispiel für diese Vorgänge bietet die sogenannte Große Rhetra, mit welcher die Polis Sparta bereits an der Wende vom achten zum siebten Jahrhundert v. Chr. in eine neue Ordnung gebracht wurde.6 Diese nur lückenhaft überlieferte Satzung lautet: Man soll ein Heiligtum des Zeus Syllanios und der Athana Syllania errichten; Phylen und Oben einrichten; einen Rat von Dreißig einschließlich der Heerführer (= die beiden Könige) konstituieren; von Zeit zu Zeit (= in regelmäßigen Abständen) die Volksversammlung zwischen Babyka und Knakion einberufen und so (= unter Beachtung der vorangehenden Bestimmung) einbringen und abtreten (= der Versammlung Anträge zur Abstimmung vorlegen und sie durch Abtreten auflösen). (Plut. Lykurg. 6,2, Übers. nach K. Bringmann) Diese Bestimmungen enthalten klare Regelungen für die Ausgestaltung und das Zusammenwirken von Rat (gerousia), Volksversammlung (apella) und Führungsämtern (hier den beiden spartanischen Königen). Mit der – wenn auch noch sehr vagen, aber doch auf Regelmäßigkeit abzielenden – Fixierung der Zeit und der präzisen Festlegung des Ortes für die Volksversammlung wurde einer möglichen Willkür bei der Einberufung vorgebeugt und die Stellung dieses zentralen Entscheidungsorgans durch verbindliche Vorgaben abgesichert. Eng mit diesem Institutionalisierungsprozeß verbunden war eine Formalisierung der spartanischen Bürgerschaft. Durch ihre Einteilung in die als Personen verbände organisierten Phylen und die eher regional ausgerichteten Oben erhielten die Bürger als politische Gemeinschaft einen Zuschnitt, der ihren Zusammenhalt und ihre Homogenität stärkte und der sie dadurch zugleich auch von den übrigen Bewohnern klar abgrenzte. Die Zuteilung zu den Phylen und Oben war – von einigen weiteren Vor- | [S. 479] gaben abgesehen7 – ein konstitutives Element für die Zugehörigkeit zum spartanischen Bürgerverband. Sie war eine Voraussetzung für den Zugang zur Volksversammlung und damit für die Teilhabe an der spartanischen Politik. Mit der ‚Großen Rhetra‘ war aber die Konsolidierung der spartanischen Bürgerschaft noch lange nicht abgeschlossen. Die Frage der Zugehörigkeit zum Bürgerverband, dessen Mitglieder sich selbstbewußt als die ‚Gleichen‘ (homoioi) bezeichneten, war zwar grundsätzlich geklärt. Um das Maß der Teilhabe der Bürger an den politischen Entscheidungen wurde aller6 Bringmann 1986; Nafissi 1991, 51–81; Walter 1993, 150–175. 7 Weitere, hier nicht näher auszuführende Voraussetzungen für den Besitz des Bürgerrechts waren zumindest in späterer Zeit u. a. das Absolvieren des spartanischen Erziehungssystems (agoge) und der Besitz eines von Heloten bewirtschafteten Landgutes (klaros), mit dessen Erträgen wiederum die ebenfalls verpflichtende Teilnahme an den täglichen gemeinsamen Männermahlzeiten (syssitia) finanziert wurde. S. dazu den Beitrag von Hölkeskamp 2010.
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dings auch weiterhin gerungen. Die späteren Korrekturen der Großen Rhetra durch die Einführung eines Vetorechtes für den Rat und die Etablierung eines jährlich von der Volksversammlung zu wählenden Kollegiums von fünf Ephoren als machtvolles Gegengewicht zum Rat und zu den Königen lassen deutlich werden, mit welcher Entschiedenheit die ‚Gleichen‘ um eine ihrem eigenen Selbstverständnis entsprechende Teilhabe an der Politik kämpfen mußten. Die verfassungsgeschichtliche Entwicklung Spartas in archaischer Zeit wurde zweifellos vor allem auch von den spezifischen Bedingungen der Ausweitung des Polisterrito riums über den gesamten Südteil der Peloponnes mitbestimmt. Dennoch dürften sich damals in vielen anderen Poleis durchaus vergleichbare Vorgänge abgespielt haben. Soziale und wirtschaftliche Spannungen zwischen den herrschenden Aristokraten und der übrigen Bürgerschaft, aber auch heftige Auseinandersetzungen zwischen den Aristokraten erhöhten allenthalben den Druck, die Teilhabe an den politischen und rechtlichen Entscheidungsprozessen neu auszubalancieren und dabei der Anwendung des timokratischen Prinzips Geltung zu verschaffen. Wo man dies nicht aus eigener Kraft schaffte, weil die Widerstände zu groß und die Gegensätze innerhalb der Bürgerschaft unüberbrückbar erschienen, bestellte man sachkundige Vertrauenspersonen, denen – wie es schon deren Funktionsbezeichnungen zum Ausdruck brachten – die Aufgabe zufiel, als ‚Mittler‘ und ‚Versöhner‘ (diallaktai) die Verhältnisse „wieder ins Lot zu bringen“ (katartisteres).8 Wie das in den einzelnen Poleis vonstatten ging, ist in den meisten Fällen mangels entsprechender Quellen nicht mehr nachzuvollziehen. Die Vorgänge lassen sich nur noch von ihren Ergebnissen her erfassen, die sich vor allem in einer Anzahl von Inschriften aus dem siebten und sechsten Jahrhundert v. Chr. widerspiegeln.9 In diesen Dokumenten, die zu den ältesten griechischen epigraphischen Zeugnissen gehören, wurden Beschlüsse und Gesetze aufgezeichnet, die von Bürgergemeinschaften erlassen worden waren, die sich selbst als autoritative politische Körperschaft mit Namen wie polis, damos (‚Volk‘) oder auch – nach dem öffentlichen Versammlungsplatz – agora bezeichneten. Der Prozeß der Institutionalisierung und Formalisierung politischer Verfahrensweisen war bereits weit vorangeschritten und hatte alle Voraussetzungen geschaffen, die es den Bürgern in den Poleis ermöglichten, sich als beschlußfähiges Organ zu konstituieren und sich in Volksversammlung und Rat für alle verbindlich zu artikulieren. Indem die Entscheidungen der Bürgerschaft zur dauerhaften Sicherung schriftlich aufgezeichnet und zumeist als Steinoder Bronzeinschriften an zentralen Plätzen in den Poleis veröffentlicht | [S. 480] wurden, waren sie dem willkürlichen Zugriff einzelner entzogen und für alle jederzeit verfügbar 8 Hölkeskamp 1999, bes. 12–13; Meier 2009, 261–263. 9 Eine Zusammenstellung der relevanten Inschriften (mit Übersetzung) bietet Koerner 1993; vgl. hier insbesondere Nr. 11 (Athen); Nr. 24 (Mykene); Nr. 31 (Tiryns); Nr. 61 (Chios?); Nr. 90 (Dreros). Vgl. generell Hölkeskamp 2000.
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und auch einklagbar.10 Die Bürgerschaft war damit endgültig in der Lage, innerhalb der Polis über die Regeln und Normen des eigenen politischen Handelns zu entscheiden. Diese Entwicklung brachte es aber mit sich, daß sich die Frage nach der grundsätzlichen Zugehörigkeit zum Bürgerverband und vor allem nach der Zuteilung des Rechtes auf politische Mitsprache schärfer als zuvor stellte. Das Bemühen um Versachlichung und Reglementierung erforderte auch mit Blick auf das Bürgerrecht klare Abgrenzungen und definitive Zuweisungen. In den einzelnen Poleis kam es dabei durchaus zu unterschiedlichen Lösungen, die den jeweiligen Machtverhältnissen innerhalb der Bürgerschaft geschuldet waren. Es blieb eben letztlich doch eine Ermessens- und vor allem eine Machtfrage, in welchem Ausmaß die politische Partizipation des Bürgerverbandes auf der Grundlage timokratischer Prinzipien ausgeweitet wurde. Alle Bestrebungen – so unterschiedlich sie im einzelnen auch ausfielen – blieben aber darauf ausgerichtet, die herrschende dysnomia (‚Ungeordnetheit‘) zu überwinden und die eunomia (‚Wohlgeordnetheit‘) im Sinne einer den Verhältnissen der Polis angemessenen Zuteilung der politischen Rechte wiederherzustellen. Nachdrücklich hatte dies auch Solon von Athen in seiner ‚Staatselegie‘ gefordert: Mit Leidenschaft fühle ich mich gedrängt, die Athener zu belehren, daß Ungeordnetheit (dysnomia) sehr viel Übel dem Staat beschert, Wohlgeordnetheit (eunomia) dagegen zeigt alles gut bestellt und macht es passend, und sie legt in Fesseln den Mann, der das Recht übertritt. Sie glättet das Rauhe, setzt der Gier ein Ende, drückt Überheblichkeit nieder, sie läßt die Verblendung, die hoch wuchert, verdorren und vergehen, sie richtet gerade verbogenes Recht, und die Taten des Hochmuts besänftigt sie; sie beendet die Werke der Zwietracht, beendet auch die Bitterkeit schmerzlichen Streites. Wo sie ist, wird bei den Menschen alles passend und vernünftig. (Sol. frg. 4 West, Übers. in Anlehnung an H. Fränkel und Ch. Mülke) Bei der Suche nach dem rechten Maß für die eunomia ging es um die Teilnahme, vor allem aber um die Teilhabe an den Entscheidungen der Volksversammlung und des Rates sowie um den Zugang zu den politischen Führungsämtern. Das lief in vielen Poleis paradoxerweise darauf hinaus, daß zwar das aktive Bürgerrecht auf einen größeren Personenkreis ausgedehnt, die Zahl der Teilnehmer an den Versammlungen insgesamt aber durchaus reduziert werden konnte. Das geschah überall dort, wo im Rahmen einer zunehmenden Formalisierung der politischen Verfahren der Zugang zu den Versammlungen strikt auf die ‚Vollbürger‘ begrenzt wurde, denen aufgrund eines festgelegten Mindesteinkommens 10 Zur Bedeutung vor allem der Gesetzgebungsverfahren für den Konsolidierungsprozeß der Bürgergemeinden vgl. Hölkeskamp 1999, sowie Hölkeskamp 2003.
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ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht zugestanden worden war. Es gab aber auch Formen einer abgestuften Zuteilung politischer Bürgerrechte, wie sie im frühen sechsten Jahrhundert v. Chr. in | [S. 481] Athen, wahrscheinlich aber auch in manchen anderen Poleis eingeführt wurden. In Athen hatte Solon alle Bürger ihrem jeweiligen Besitzstand entsprechend in vier Klassen eingeteilt und den Zugang zu dem von ihm neu geschaffenen ‚Rat der 400‘ sowie zu den Ämtern jeweils von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse abhängig gemacht.11 An der Volksversammlung und ihren Entscheidungen konnten aber alle Bürger unterschiedslos teilhaben, so daß auch der untersten Klasse der Theten ein Mindestmaß an politischer Mitbestimmung eingeräumt wurde. Diese frühe, wenn auch abgestufte Einbeziehung aller Bürger in das politische Handeln der Polis mußte „die Menschen in Attika (…) zu einem Bewußtsein der Einheit und Zusammengehörigkeit bringen und ihnen so ein Gefühl der Verantwortlichkeit fürs Ganze geben.“12 Solons Umsetzung des eunomia-Gedankens bildete daher eine wesentliche Voraussetzung für die weitere Entwicklung Athens hin zur Demokratie. Nicht die Frage der prinzipiellen Teilhabe an der Volksversammlung, sondern das Maß der Kompetenzen ihrer Teilnehmer wurde in der Folgezeit zum Gradmesser einer fortschreitenden Demokratisierung in Athen. Daran hatte auch das tyrannische Zwischenspiel der Peisistratiden nichts geändert; vielmehr wurden damals – wenn auch unbeabsichtigt – die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Kleisthenes nach dem Sturz der Tyrannis mit seiner grundlegenden Neuorganisation des athenischen Bürgerverbandes erste Schritte unternehmen konnte, der Forderung nach gleicher Teilhabe aller Bürger an der Politik (isonomia) nachzukommen. Kernstück seiner Reformen war die Bildung eines ‚Rats der 500‘, der nunmehr allen Bürgern uneingeschränkt durch timokratische Mindestanforderungen offenstand. Die neue, rein regional ausgerichtete Phylenorganisation scheint auf die Zusammensetzung dieses Rates geradezu zugeschnitten worden zu sein. Sie garantierte aufgrund einer ausgeklügelten proportionalen Verteilung der Ratssitze eine gleichmäßige Vertretung aller Landesteile und damit eine ausgewogene Repräsentanz des gesamten Bürgerverbandes. Da darüber hinaus die Dauer und die Wiederholbarkeit der Mitgliedschaft im Rat begrenzt waren und dadurch die Partizipation einer überaus großen Zahl von Bürgern an den Entscheidungen des Rates erforderlich war, wurde der ‚Rat der 500‘ „zu einer Schule der Demokratie.“13 Hier konnten die athenischen Bürger alle Formen politischen Handelns erproben und einüben und die machtvolle Stärke gemeinsamen Entscheidens täglich aufs neue erfahren. Die kleisthenischen Reformen hatten eine Entwicklung in Gang gesetzt, die in den folgenden Jahrzehnten zu einer sukzessiven Erweiterung der politischen Rechte der 11 Auf eine detaillierte Darstellung der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung Athens muß hier verzichtet werden; vgl. im übrigen dazu Bleicken 1994; Welwei 1998. 12 Bleicken 1994, 22. 13 Lotze 2000, 128, sowie Hölkeskamp/Stein-Hölkeskamp 2010.
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Bürger führte. Nicht erst der Aufbau der riesigen athenischen Flotte, mit dem seit den siebziger Jahren des fünften Jahrhunderts v. Chr. alle Schichten der Bürgerschaft in die Verantwortung für die Verteidigung der Polis eingebunden wurden, sondern bereits die überragenden Erfolge in den Perserkriegen hatten das Selbstvertrauen der Athener gestärkt und ihnen Mut gemacht, die gemeinsame Sache auch gemeinsam in die Hände zu nehmen. Das war jedoch nicht ohne Widerstände zu erreichen und mußte über Jahrzehnte mühsam erkämpft werden. Nachdem aber dem Areopag auch die letzten politischen Vorrechte genommen und alle | [S. 482] timokratischen Einschränkungen politischer Teilhabe beseitigt worden waren, verwirklichten die Athener für sich die Demokratie als die radikalste Form der Isonomie: Die Gemeinschaft aller Bürger verfügte über die Vollgewalt in der Volksversammlung, im Rat und in den Gerichtshöfen und über den uneingeschränkten Zugang zu allen Ämtern. Die Polis war zu einer Gemeinschaft von Bürgern, zu einer koinonia politon, geworden, in der ‚Regieren und Regiertwerden‘ eine untrennbare Einheit bildeten. Diese Form des demokratischen Bürgerstaates wurde zum prägenden Vorbild für die Ausgestaltung politischer Gemeinschaften in der griechischen Staatenwelt. Die politische Teilhabe des einzelnen wurde zwar nicht immer und überall mit der gleichen Radikalität in den Bürgerrechten festgeschrieben, aber das Ideal der Polis als koinonia politon blieb bis weit in die hellenistische Zeit hinein lebendig14 und geriet trotz mancher wesentlicher Veränderungen auch in der Zeit der römischen Oberherrschaft nie ganz in Vergessenheit.
Kultgemeinschaft und Bürgergemeinde – ungeteilte Teilhabe Als die Spartaner im ausgehenden achten Jahrhundert v. Chr. darangingen, das Gefüge ihrer Polis in eine festere Ordnung zu bringen, wurde ihnen in der bereits zitierten ‚Großen Rhetra‘ vor allen anderen Regelungen auferlegt, ein Heiligtum für Zeus Syllanios und Athena Syllania zu errichten – erst danach folgten die übrigen Vorschriften für die Neuordnung der spartanischen Bürgerschaft. Schon in diesem wohl frühesten Zeugnis für die institutionelle Ausgestaltung einer Polisgemeinschaft wird die herausragende Bedeutung von Religion und Kult für die Konstituierung eines antiken Bürgerverbandes deutlich. Die Zugehörigkeit zur Bürgergemeinschaft definierte sich grundlegend durch die Teilhabe an den Kulten der Polis. Eine Bürgergemeinde bildete immer zugleich auch eine Kultgemeinschaft. Die griechische Religion war daher zwar nicht nur, aber vor allem Polis-Religion.15 Sie war in gewisser Weise ein Abbild des politischen Systems der griechischen Poliswelt und daher auch in ihren Erscheinungsformen durch eine entsprechende 14 Vgl. etwa die bei Fröhlich/Müller 2005 zusammengestellten Beiträge. 15 Sourvinou-Inwood 2000.
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Vielfalt gekennzeichnet. Jede Polis verfügte über eigene zentrale Heiligtümer, Festtage und Kultkalender, die ein unabdingbares Bindeglied für den Zusammenhalt des jeweiligen Bürgerverbandes bildeten. Sie waren ein fester Bestandteil der Polisidentität, die in entscheidender Weise religiös begründet wurde. Jeder Versuch, die religiösen Anschauungen und kultischen Traditionen einer Polis in Frage zu stellen, wurde daher zugleich auch als eine Gefährdung der staatlichen Ordnung angesehen und konnte (wie etwa in Athen) zu einer Anklage wegen ‚Gottlosigkeit‘ (asebeia) und – wie im Falle des Sokrates – zur Todesstrafe führen. Diese untrennbare Verknüpfung von Religion und Politik blieb eine unabänderliche Konstante. Das wird besonders augenfällig an den raumbildenden Funktionen der städtischen Heiligtümer, die François de Polignac16 als eine ‚religiöse Bipolarität‘ beschrieben hat, um damit eine doppelte Funktion der Kultstätten in den | [S. 483] Poleis zu bezeichnen: einerseits die Markierung eines sozialen Raumes für die Bürger innerhalb einer Polis durch den Bau von Tempeln an zentralen, öffentlichen Orten und andererseits durch die Errichtung von Grenzheiligtümern die Fixierung des je eigenen Polisterritoriums und damit zugleich die Abgrenzung zu anderen auf gleiche Weise festgelegten Polisterritorien. Schon Platon hatte im sechsten Buch seiner Gesetze diese ‚religiöse Bipolarität‘ prägnant beschrieben, wo nach langen Ausführungen über die beste Form des Staates auch die Frage seiner baulichen Gestaltung aufgeworfen wird: Und da unser Staat ja neu und bisher noch unbewohnt ist, so muss er sich natürlich so ziemlich um das gesamte Bauwesen kümmern und überlegen, wie er es mit allen Einzelheiten und so auch mit den Heiligtümern und Mauern halten soll. Als erstes wird dann der Bau der Heiligtümer beschrieben: „Die Heiligtümer soll man rings um die ganze Agora und rings um die ganze Stadt im Kreis an hochgelegenen Plätzen erbauen“ (Plat. leg. 778b–c, Übers. nach K. Schöpsdau). Die Heiligtümer um die Agora als Integrationsfaktor und die Heiligtümer auf den Höhen rings um die Polis als Abgrenzungsfaktor dienen hier als markante Bezugspunkte zur Schaffung und Wahrung bürgerlicher Identität. Obgleich aber Bürgergemeinde und Kultgemeinschaft in den griechischen Poleis aufs engste miteinander verflochten waren, kam es in den Heiligtümern vergleichsweise selten zu einer strikten Beschränkung des Zugangs nur auf die jeweiligen Bürger. Es gab zwar zahllose Vorschriften und Reglements, durch die bestimmten Gruppen oder Individuen aufgrund spezifischer Begründungen der Zugang zu einzelnen Heiligtümern und Kulten verwehrt wurde; überaus selten geschah dies jedoch mit einem ausdrücklichen Bezug auf den Bürgerstatus wie zum Beispiel auf Delos, wo im sogenannten Archegesion, dem 16 De Polignac 1995.
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Heiligtum des mythischen Königs Anios, in zwei gleichlautenden Inschriften das Verbot ausgesprochen wurde: „Einem Fremden ist der Zugang zum Heiligtum verboten.“17 Eine solche rigorose Ausgrenzung von Fremden scheint eher die Ausnahme gewesen zu sein. Die Poliskulte waren in der Regel durchaus von einer gewissen Offenheit geprägt. Diese Offenheit der Poliskulte bedeutete allerdings nicht, daß Bürger und Nichtbürger in gleicher Weise an den Kulten partizipierten, es sei denn, daß es besondere Gründe gab, auch die Fremden stärker an den Kulten zu beteiligen, um sie auf diese Weise auch enger an die Polis zu binden. Darauf zielten beispielsweise die Bemühungen der Athener ab, im fünften Jahrhundert v. Chr. die Mitglieder des Delisch-Attischen Seebundes – teilweise sogar unter Zwang – an den Festfeiern der Panathenäen zu beteiligen. Den Athenern ging es eben gerade darum, das Fremdsein der Bündner wenn schon nicht im rechtlichen Sinne, so doch zumindest über Kult und Religion zu überwinden und auf diese Weise das Gefüge ihres Bündnissystems zu festigen.18 In der Regel galten für Fremde jedoch besondere Regeln, sofern sie nicht grundsätzlich von den städtischen Kulten ausgeschlossen waren. In dem Gesetz, das die Ostlokrer als Grundlage für die Gründung ihrer Kolonie im westlokrischen Naupaktos beschlossen hatten, wurde ausdrücklich festgelegt, daß die Lokrer, die sich | [S. 484] in Naupaktos ansiedeln, da sie dann ja Naupaktier seien, in ihrer ursprünglichen Heimat nur als Fremde an heiligen Handlungen teilnehmen und opfern dürften.19 Gerade dieses Beispiel einer Kolonie gründung zeigt besonders deutlich, wie stark der Bezug des Bürgers zu seiner Polis auch religiös geprägt war und wie sehr das Eingebundensein eines Bürgers in seine Polis gerade auch über die Kulte gefestigt werden sollte. Das Bürgerrecht, das die Teilhabe an den politischen Entscheidungen garantierte, schloß immer auch das Recht und die Pflicht auf die Teilhabe an den städtischen Kulten ein. Daher war es eine folgerichtige Konsequenz dieser ungeteilten Teilhabe, daß in Athen jedem, der wegen bestimmter Vergehen mit der atimia (‚Ehrlosigkeit‘, das heißt dem Entzug der bürgerlichen Rechte) belegt war, nicht nur die Partizipation an den politischen Entscheidungsprozessen, sondern zugleich auch an den Kulten und Festfeiern sowie der Zugang zu den städtischen Heiligtümern verwehrt wurden.
Bürgersein jenseits der Polis – geteilte Teilhabe Das Bürgerrecht bildete die Grundkonstituente einer jeden Polis und war ein unabdingbares Merkmal ihrer politischen Eigenständigkeit. Bürgerrecht und Poliszugehörigkeit waren zwei Seiten ein und derselben Medaille. In der Frühzeit der griechischen Poleis 17 I.Délos 68 A+B. Vgl. hierzu Krauter 2004; Funke 2006. 18 Smarczyk 2007. 19 IG IX 12 ,3, 718.
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war man bei der Vergabe des Bürgerrechts auch an Fremde offenbar noch recht großzügig verfahren. Je fester sich aber im Laufe der Zeit die Bürgergemeinschaften konstituierten, um so detaillierter und auch exklusiver wurde das jeweilige Bürgerrecht ausgestaltet und umso stärker grenzten sich die Bürger der Poleis gegeneinander ab. Die Öffnung eines Bürgerverbandes für Angehörige einer fremden Polis wurde dadurch immer schwieriger. Dennoch wurde schon in klassischer Zeit einzelnen Personen oder Personengruppen als Auszeichnung für besondere Verdienste das Bürgerrecht verliehen, um auf diese Weise eine enge Verbundenheit mit den durch die Bürgerrechtsverleihung Geehrten zu begründen. In Ausnahmefällen konnte eine solche Ehrung sogar auf die gesamte Bürgerschaft einer fremden Polis ausgedehnt werden.20 In hellenistischer Zeit entwickelte sich aus dieser Praxis eine spezifische Form zwischenstaatlicher Beziehungen, die isopoliteia (‚gleiches Bürgerrecht‘), eine – oft gegenseitige – Verleihung des Bürgerrechts einer Polis an eine andere Polis unter Wahrung der jeweiligen politischen Unabhängigkeit.21 Durch eine solche Ehrung, die einer engen freundschaftlichen Verbindung zweier Poleis Ausdruck verleihen sollte, wurden die Bürger der mit der Isopolitie ausgezeichneten Polis den Bürgern der anderen Polis rechtlich gleichgestellt und im Falle einer Übersiedlung in den dortigen Bürgerverband aufgenommen. Vielfach dürften solche Isopolitieverleihungen kaum mehr als bloße Ehren bezeugungen dargestellt oder allenfalls der Erleichterung gegenseitiger Kontakte gedient haben. Sie konnten aber auch von einzelnen Staaten als Herrschaftsinstrument eingesetzt werden. So wußte etwa der Aitolische Bund im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. die Isopolitie virtuos zu | [S. 485] nutzen, um ferngelegene Poleis an sich zu binden und damit den politischen Einfluß des Bundes weit über den eigentlichen Herrschaftsbereich in Mittelgriechenland hinaus auszudehnen. Die Isopolitie beruhte auf dem Prinzip der unbedingten Wahrung der Autonomie und Eigenstaatlichkeit jeder einzelnen Polis. Das Zugeständnis einer potentiellen Teilhabe an den bürgerlichen Rechten und Pflichten der je anderen Polis minderte in keiner Weise das Bürgerrecht der Heimatpolis. Die Isopolitie garantierte eine doppelte oder sogar auch mehrfache Staatsangehörigkeit, und es stand jedem Bürger frei zu entscheiden, ob und wann er welches Bürgerrecht – in der Regel durch einen Wohnortwechsel – aktivieren wollte. Anders verhielt es sich jedoch in den Fällen, in denen zwei oder auch mehr Poleis durch ihr Zusammengehen eine neue Polis begründeten. Es waren in der Regel benachbarte Poleis, die auf diese Weise ihre eigene Machtposition gegenüber Drittstaaten zu stärken suchten. Dabei kam es zu ganz unterschiedlichen Formen politischer Integration. So ging zu Beginn des vierten Jahrhunderts v. Chr. die kleinere Gemeinde Helisson 20 Vgl. generell Funke 2007a und 2007b. Ein frühes Beispiel ist die Verleihung des athenischen Bürgerrechts an die Bürger von Samos im Jahre 405/4 v. Chr. (IG I3 127 + Add. p. 949). 21 Gauthier 1972, 347–373; Gawantka 1975.
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vollständig in der großen Polis Mantinea auf, indem zwischen diesen beiden peloponnesischen Staaten vereinbart wurde, daß „die Bürger von Helisson fortan Bürger von Mantinea zu gleichen Rechten und Pflichten seien.“22 Auf der Insel Rhodos hingegen gaben 408/7 v. Chr. alle drei Poleis Ialysos, Kamiros und Lindos ihre politische Eigenständigkeit auf und schlossen sich zu der neuen, nach der Insel benannten Polis Rhodos zusammen. Die vertragliche Grundlage für solche Zusammenschlüsse bildete in allen Fällen eine sogenannte sympoliteia (‚gemeinsames Bürgerrecht‘), in welcher die Übertragung der alten Bürgerrechte in das künftighin geltende Bürgerrecht präzise geregelt wurde. Mit großer Akribie wurde die Sicherung der politischen Teilhabe der Bürger am neuen Staatswesen in allen Einzelheiten festgeschrieben. Die gegebenen urbanen Strukturen blieben von diesen politischen Veränderungen völlig unberührt, sofern sich nicht die Bürger der durch eine Sympolitie vereinten Poleis dazu entschlossen, durch einen synoikismos (‚Zusammensiedlung‘) für die neu konstituierte Polis zugleich auch ein neues urbanes Zentrum zu schaffen und – wie im Falle von Rhodos oder Megalopolis – eine ganz neue Hauptstadt aus dem Boden zu stampfen. Der Zusammenschluß zu größeren Bürgerverbänden in neu begründeten Poleis stieß aber dort an seine Grenzen, wo die räumlichen Dimensionen allzu groß wurden oder sich der Widerstand gegen die Aufhebung der Autonomie einzelner Staaten als zu stark erwies. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich bereits im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr. erste bundesstaatlich organisierte Verbünde, die im Hinblick auf die Organisation des zwischenstaatlichen Miteinanders der Poleis zukunftsweisende Formen aufwiesen. Zunächst vor allem an den Randzonen der Poliswelt entstanden, waren die Bundesstaaten dann in hellenistischer Zeit die vorherrschende politische Organisationsform, in die sich nahezu alle ehemals eigenständigen Poleis im griechischen Mutterland eingefügt hatten. Die Schaffung föderativer Staatsstrukturen bot neue Möglichkeiten, die offenkundigen Schwä- | [S. 486] chen der Vielstaatenwelt Griechenlands zu überwinden, da sie die Eigeninteressen der Poleis und die Erfordernisse polisübergreifender Politik in Einklang zu bringen vermochten. Grundlegend für die antiken Bundesstaaten waren die dynamischen Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Poleis und der Zentralgewalt. Aufgrund gemeinsamer Vereinbarungen hatten die Gliedstaaten einen Teil ihrer eigenstaatlichen Kompetenzen auf die Bundesebene übertragen und in die Verfügungsgewalt des gesamten Bundes gestellt. Die Kompetenzbereiche des Bundes und der Gliedstaaten waren aber nicht immer klar gegeneinander abgegrenzt, sondern konnten durchaus in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen und bedurften dann einer wechselseitigen Abstimmung. Aufs Ganze gesehen dürften die Verhältnisse prinzipiell kaum anders geordnet gewesen sein als in der Regel auch in den Bundesstaaten der Neuzeit, in denen ebenfalls die Entschei22 SEG XXXVII 340.
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dungen eines Teilstaates, die Konsequenzen auch für die übrigen Bundesmitglieder und den Bund selbst nach sich ziehen, ebenso der gemeinsamen Abstimmung bedürfen wie die Entscheidungen des Bundes, sofern sie die Kompetenzbereiche der Gliedstaaten berühren. Die Aufspaltung der politischen Entscheidungsprozesse in die verschiedenen Ebenen des Bundes und der Gliedstaaten erforderte daher eine besondere Ausgestaltung des Bürgerrechts, das als Klammer zwischen der Bundesgewalt und den einzelnen Mitgliedspoleis dienen mußte. Um die Teilhabe eines jeden Bürgers an den politischen Beschlüssen auf allen Ebenen zu gewährleisten, wurde das Bürgerrecht aufgeteilt, indem es quasi verdoppelt wurde: Jeder Bürger erhielt mit dem Erwerb des Bürgerrechts eines Gliedstaates zugleich immer auch das Bundesbürgerrecht. Dieses sogenannte doppelte Bürgerrecht eröffnete ganz neue, überaus flexible Wege zwischenstaatlichen Handelns und prägte die besondere Attraktivität föderaler Staatengebilde. Nachdem zunächst die auf die Bundes- und die Gliedstaatenebene aufgeteilte politische Teilhabe die doppelte unmittelbare Teilnahme an den entsprechenden Versammlungen auf beiden Ebenen zur Voraussetzung hatte, änderten sich die Rahmenbedingungen für Teilnahme und Teilhabe im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. grundlegend. Angesichts der Größe vieler Bundesstaaten verloren vielfach die Bundesversammlungen (an denen alle Bürger unterschiedslos teilnehmen konnten) gegenüber den Bundesratsgremien (in denen die Gliedstaaten proportional zu ihrer Größe durch Abgeordnete vertreten waren, die die Teilhabe der nicht teilnehmenden Bürger bei den politischen Entscheidungsprozessen auf der Bundesebene sicherzustellen hatten) an Bedeutung. So wurde bereits in der Antike das bundesstaatliche Prinzip mit den Ideen von Proportionalität und Repräsentativität verbunden, die heute zu den Grundgedanken des modernen Parlamentarismus gehören und die Vorstellungen von einer demokratischen Verfassung entscheidend prägen. Und wenn heute die politischen Rechte in einem geeinten Europa neu verhandelt werden, so geschieht auch das durchaus in Erinnerung an die in der Antike entwickelten Vorstellungen von der Teilnahme und Teilhabe aller an dem, was alle angeht, eben an der Politik.
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Peraia Einige Überlegungen zum Festlandbesitz griechischer Inselstaaten
In einem Essay über die mediterrane Welt hat Fernand Braudel einmal geäußert, „daß – scheinbar ein Paradox – die geschichtlichen Anfänge der mediterranen Bevölkerungen im Hügel- und Bergland liegen, wo die Bewirtschaftung stets beschwerlich und ungewiß war, jedoch geschützt vor der mörderischen Malaria und den immer wieder drohenden Kriegsgefahren.“1 Mit Blick auf die festländischen Küstenregionen des Mittelmeeres wird man dieser Feststellung durchaus zustimmen können; richtet man sein Augenmerk aber auch auf die Inselwelt, so muß man diese Aussage doch relativieren. Auch auf den Inseln finden sich bekanntlich sehr frühe Spuren menschlicher Zivilisation; von Beginn an kam der Inselwelt – insbesondere im östlichen Mittelmeerraum – sogar eine besonders wichtige kulturelle Mittler- und Brückenfunktion zu. Die systematische Erschließung und Besiedlung der Festlandsküste stellt hingegen in der Tat ein vergleichsweise sehr spätes, auffällig sekundäres Phänomen dar. Die Küsten regionen waren offenbar zunächst vor allem Durchzugsland, Abfahrtsort und Landeplatz und weit weniger ein Ort ständigen Aufenthaltes. Über die Ursachen und Hintergründe könnte man im einzelnen lange reflektieren; dies würde uns allerdings von unserem eigentlichen Thema dann doch allzu weit wegführen. Ich möchte es daher mit der Feststellung bewenden lassen, daß die Nutzung und Beherrschung von Küstenregionen auf dem Festland die Menschen seit jeher in der Geschichte vor ganz besondere Probleme gestellt haben. Und dennoch hat es nicht an Versuchen gefehlt, sich auch an den Küsten dauerhaft festzusetzen. Zum Teil schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. und dann vor allem aber in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. erfolgte im Rahmen großer Kolonisationsschübe eine umfassende und systematische Erschließung und Besiedlung | [S. 56] der mediterranen Küstenregionen überall dort, wo die geographischen Bedingungen ein solches Unternehmen begünstigten. Dabei lassen sich vor allem zwei verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden: 1. Die Gründung neuer Städte durch überseeische Kolonisation. 2. Die kolonisatorische Erschließung naher Küstenbereiche von einer jeweils vorgelagerten Insel. Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: V. Gabrielsen/P. Bilde/T. Engberg-Pedersen/ L. Hannestad/J. Zahle (Hgg.), Hellenistic Rhodes. Politics, Culture, and Society, Aarhus 1999, 55–75. 1 Braudel 1987, 23.
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Auch wenn auf den ersten Blick diese beiden Aspekte sehr verwandt erscheinen, möchte ich doch die Notwendigkeit ihrer Differenzierung nachdrücklich betonen und im folgenden mich ausschließlich dem zweiten Punkt widmen: der Schaffung von Einflußzonen und abhängigen Territorien auf der Peraia durch griechische Inselstaaten. Sieht man einmal von der Erforschung der rhodischen Peraia ab, so muß man konstatieren, daß dieser Aspekt bisher allzu wenig als ein besonderes und eigenständiges historisches Phänomen betrachtet wurde und daher kaum Gegenstand intensiverer Forschungen war. Charakteristisch für die Forschungslage ist der entsprechende Artikel Peraia in Pauly-Wissowas Realenzyklopädie: Fast 80 % des Textes sind der rhodischen Peraia gewidmet; hinzu kommen ein längerer Abschnitt über die korinthische Perachora und einige sehr kurze und unzureichende Ausführungen über die Peraiai von Magnesia am Mäander, Milet, Mytilene und Tenedos.2 Die unverhältnismäßig starke Berücksichtigung der rhodischen Peraia im Artikel der Realenzyklopädie ist nicht zuletzt durch eine entsprechend einseitige Quellenlage bedingt. Die fast ausschließliche Beschränkung der Forschung auf die rhodische Peraia verstellt jedoch den Blick für die Eigenheiten und Charakteristika des historischen Gesamtphänomens Peraia und zugleich aber auch für das Besondere der rhodischen Peraia. Was ich unter diesen Prämissen nun vorstellen möchte, das können nur einige erste, noch recht allgemeine Überlegungen sein, und ich werde mehr Fragen als Antworten präsentieren;3 auch werde ich mich dabei notwendigerweise von dem Raum und der Zeit des eigentlich auf das hellenistische Rhodos begrenzten Themas entfernen müssen. Der angestrebte kontrastive Vergleich bedingt es, daß gerade auch die nichtrhodischen Peraiai in Betracht gezogen werden müssen und vor allem auch die vorhellenistische Zeit Berücksichtigung zu finden hat. Im folgenden möchte ich zunächst einen knappen historisch-geographischen Überblick über die Peraiai der griechischen Inselstaaten geben; das Schwergewicht werde ich dabei auf den Bereich der Ägäis legen; im Anschluß daran werde ich einige Überlegungen zur Motivation für die Gründung von Peraiai vortragen; sodann sollen Fragen der Siedlungsformen in den Peraiai erörtert und das Problem | [S. 57] der unterschiedlichen Ausgestaltung der formalen Beziehungen zwischen den Inselstaaten und ihrer jeweiligen Peraia gestellt werden. 2 Meyer 1937; Ruge 1937; Honigmann 1937. 3 Die Erforschung der Peraiai griechischer Inselpoleis soll in den nächsten Jahren einen Schwerpunkt der Untersuchungen an der von mir geleiteten Forschungsabteilung für „Historische Landeskunde des antiken Griechenland“ des Seminars für Alte Geschichte der Universität Münster bilden. Die hier vorgelegten Überlegungen stellen nur einen ersten vorläufigen Ausgangspunkt für dieses Forschungsprojekt dar. Ich möchte an dieser Stelle allen Mitarbeitern der Forschungsabteilung, insbesondere M. Fell, K. Freitag und M. Tieke, der auch die Kartenvorlagen gezeichnet hat, für die vielfältige Unterstützung bei der Erstellung des Manuskriptes danken.
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I. Peraia: ein historisch-geographischer Überblick Ein Blick in die Geschichte lehrt, daß Inselstaaten offenbar immer bestrebt waren, ihre Insularität durch die Inbesitznahme von Festlandsterritorien zumindest partiell zu überwinden. Man denke zum Beispiel nur an den Jahrhunderte währenden Streit zwischen England und Frankreich um den Besitz von Teilen der Normandie. Es gab aber nicht nur Inselstaaten, die sich to peran anzueignen suchten. Wir kennen – um wieder in die griechische Antike zurückzukehren – auch den umgekehrten Fall, wie das Beispiel der spartanischen Kontrolle über die Insel Kythera zeigt.4 Aber auch die an der Wende vom fünften zum vierten Jahrhundert v. Chr. für kurze Zeit erfolgreichen Versuche der Achaier, Teile der aitolischen Gegenküste, der sogenannten Aiolis, in den eigenen Staatsverband zu integrieren,5 könnte man dem Aspekt Peraia ebenso zuordnen wie die Bemühungen der Aitoler, besonders im dritten Jahrhundert v. Chr. jenseits des Kalydonischen Golfes am westlichen Küstensaum der Peloponnes in Elis, Triphylien und Arkadien Fuß zu fassen.6 Für Milet dürften seine auf der gegenüberliegenden Seite des Latmischen Golfes gelegenen Territorien ebenso als Peraia erschienen sein wie für Megara und Korinth die Halbinsel Perachora, die in der Antike daher den Namen peiraia oder auch to peiraion trug.7 Auch das zwischen Milet und Magnesia am Mäander umstrittene Territorium von Myus wird als chōra tēs peraias bezeichnet;8 und für Athen lag der Peiraieus – wie der Name schon sagt – eben auch peran.9 Die hier angeführten, ganz unterschiedlichen Beispiele sollten deutlich machen, daß Peraia keineswegs nur einen Küstenstreifen in Bezug auf die ihm vorgelagerte Insel bezeichnen konnte, sondern einen weitaus größeren Bedeutungsrahmen aufweist. Diese Anmerkung ist wichtig, um deutlich zu machen, daß die Anwendung des Begriffes Peraia auf den Festlandbesitz von Inselstaaten bereits eine thematische Eingrenzung darstellt. Diese Engführung ergibt sich aber aus der anfangs dargelegten Fragestellung, die eben nicht darauf abzielt, den Begriff der Peraia in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt zu analysieren, sondern auf das Problem des Festlandbesitzes griechischer Inselstaaten begrenzt bleiben soll.
4 Thuk. 4,53–54; vgl. dazu auch Weil 1880, 238–240; Leonhard 1899, 32; Huxley 1972, bes. 37–40. 5 Xen. hell. 4,6,1; Diod. 15,75,2; Merker 1989; vgl. auch Bommeljé 1988, bes. 309–313. 6 Zu Elis: Pol. 4,5,4; 4,9,10; zu Arkadien: Pol. 2,46,2; zu Triphylien: Pol. 4,79,1–8; vgl. auch Walbank 1957, 242–243; Larsen 1975. 7 Xen. hell. 4,5,1; Xen. Ag. 2,18; Steph. Byz. s.v. Πειραία; vgl. dazu auch Payne 1940, 1–4; Legon 1981, 50–53. 8 Syll.3 588, Z. 29 = I.Milet I.3 148, Z. 29. 9 Strab. 1,3,18.
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Dieser historisch-geographische Überblick ist nicht auf Vollständigkeit angelegt. Ich möchte nur eine Auswahl der wichtigsten Beispiele geben, um die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Peraia im genannten Sinne herauszustellen. Ich werde dabei auf eine ausführliche Diskussion topographischer und chronologischer Detailfragen verzichten; die hier vorgelegte Grundskizze wird sich der | [S. 58] Klarheit halber mit einem teilweise noch recht groben Raster begnügen; insofern dient auch die zugrunde gelegte Karte nur der ersten Orientierung. Unsere frühesten literarischen Nachrichten über den Festlandbesitz griechischer Inseln beziehen sich auf die ionische Inselwelt: In der Ilias wird davon berichtet, daß das Territorium von Kephallenia neben den benachbarten Inseln auch Teile des Festlandes umfaßt habe; Homer spricht in diesem Zusammenhang von ēpeiros und antiperaia;10 und in der Odyssee erfahren wir, daß ein Großteil der Herden des Odysseus en ēpeirō weidete11 und daß Noemon, der Sohn des Phronios, aus Ithaka Pferde in Elis hielt.12 Dieser Festlandbesitz scheint aber schon recht früh verloren gegangen zu sein, da wir über keinerlei spätere einschlägige Zeugnisse verfügen. Allenfalls einer Notiz bei Stephanos von Byzanz könnte in diesem Zusammenhang Bedeutung zukommen, der zufolge Astakos an der gegenüberliegenden akarnanischen Küste eine Apoikie von Kephallenia gewesen sei.13 Einige wenige Hinweise vor allem bei Thukydides zeigen, daß auch Leukas und Korkyra zumindest noch in klassischer Zeit ebenfalls Territorien auf dem Festland besaßen.14 Aber alle diese Quellenberichte sind so unzureichend, daß sich im Hinblick auf unsere Fragestellung keine genaueren Aussagen treffen lassen. Ich möchte daher im folgenden die ionische Inselwelt weitgehend außer Betracht lassen und in das Zentrum meiner Überlegungen die Inseln vor der thrakischen und kleinasiatischen Küste stellen. Außer Rhodos verfügten in diesem Bereich vor allem fünf Inseln über einen ausgeprägten Festlandbesitz: Thasos, Samothrake, Tenedos, Lesbos und Samos. Im einzelnen ergibt sich dabei folgendes Bild.
10 Hom. Il. 2,635. 11 Hom Od. 14,100. 12 Hom. Od. 4,634–635. 13 Steph. Byz. s.v. Ἀστακός; vgl. auch die Bezeichnung Kephallēniakos porthmos für den Sund zwischen Ithaka und Akarnanien bei Strab. 8,3,26. 14 Leukas: Thuk. 3,94,2; Korkyra: Thuk. 3,85,2; möglicherweise ist auch Strab. 7 frg. 6 Kramer (= Strab. 7 frg. 3,7–15 Radt) als ein Hinweis auf die Existenz von Festlandbesitz Korkyras zu deuten.
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I.1 Thasos Offenbar schon sehr bald nach – oder sogar im unmittelbaren Zusammenhang mit – der Gründung der parischen Kolonie auf der Insel begannen die griechischen Neusiedler noch im siebten Jahrhundert v. Chr., auch das Thasos gegenüberliegende Festland zu unterwerfen. In Auseinandersetzung mit den Thrakern gelang es ihnen, im Verlaufe des sechsten Jahrhunderts v. Chr. den gesamten Küstenstreifen zwischen Strymon und Nestos in Besitz zu nehmen und darüber hinaus auch weiter im Osten mit der Gründung von Stryme einen weiteren Brückenkopf zu etablieren in unmittelbarer Nachbarschaft zu Maroneia, einer Tochterstadt von Chios.15 Bis in die 60er Jahre des fünften Jahrhunderts v. Chr. konnten die Thasier ihren Festlandbesitz offenbar unangefochten behaupten, verloren ihn dann aber – zumindest für einige Jahrzehnte – nach einem Abfallversuch vom Delisch-Attischen Seebund.16 Eine Stärkung erfuhr die thasische Präsenz auf dem Festland dann um 360 v. Chr. durch | [S. 59] die Gründung von Daton, dem späteren Philippi, dessen Bewohner Münzen mit der Aufschrift Thasiōn Ēpeiro(u), „Thasier des Festlandes“, prägten.17 Unter der makedonischen Vorherrschaft verloren die Thasier erneut die Kontrolle über ihre | [S. 60] Peraia, die ihnen erst wieder im ersten Jahrhundert v. Chr. von den Römern zugestanden wurde.18 15 Für die Frühzeit der thasischen Peraia ist man auf die archäologischen Befunde angewiesen; die frühesten literarischen Belege: Archil. frg. 146 Bergk (Bezug fraglich); Hdt. 6,46,2–3; 7,109,2; 7,118; Thuk. 1,100,2–101,3; 4,107,3; 6,6,1; dazu auch Diod. 12,68,4; vgl. (mit weiterführender Literatur) Collart 1937, 72–101; Pouilloux 1954, 32–34; Lazaridis 1971a, bes. 16–18; Isaac 1986, 8–13; Grandjean 1988, bes. 468; Pouilloux 1989; Bresson 1993, 201–214. Grundlegend ist die Untersuchung von Koukouli-Chryssanthaki 1990 zur räumlichen Erstreckung der thasischen Peraia auf der Basis neuerer archäologischer Forschungen. 16 Thuk. 1,100,2–1,101,3; Plut. Kim. 14,2. Die weitere Geschichte der thasischen Peraia im 5. Jh. v. Chr. nach der Niederlage gegen Athen ist weithin unbekannt. Ob bereits mit der Erhöhung des an den attischen Seebund zu entrichtenden Tributes von 3 auf 30 Talente zwischen 446 und 443 v. Chr. auch schon die Rückgabe zumindest eines Teils der Peraia an Thasos verbunden war, ist nicht eindeutig zu entscheiden, zumal Neapolis und Galepsos auch danach noch weiterhin in den Tributlisten separat aufgeführt werden; vgl. u. a. ATL III, 259; Collart 1937, 99–100; Pouilloux 1954, 109–120; Gschnitzer 1958, 28; Meiggs 1972, bes. 85–86. 550–551; Isaac 1986, 48–49. Da aber in die Regelungen, mit denen in Thasos gegen Ende des 5. Jh.s v. Chr. Belohnungen für die Denunziation von Hochverrätern ausgesetzt wurden, auch die thasischen Apoikien miteinbezogen wurden (Pouilloux 1960, 118–121 Nr. 31 = Meiggs/Lewis, GHI2 252–255 Nr. 83), hatte Thasos zum damaligen Zeitpunkt aber zumindest über einen Teil der Peraia eine gewisse Verfügungsgewalt zurückgewonnen; vgl. auch die Regelungen des ungefähr zeitgleichen thasischen Weingesetzes (IG XII Suppl. 347 II). 17 Head 1911, 265; Hill 1906, 78–79; vgl. dazu Collart 1937, 135–136. 162–166; Pouilloux 1954, 218–223; Le Rider 1956, 16–18; Gschitzer 1958, 31; Hammond/Griffith 1979, 358– 359; Isaac 1986, 49. Im übrigen zeigt auch Ps.-Skyl. (GGM 1) 67, daß Thasos spätestens um die Mitte des 4. Jh.s v. Chr. weitgehend wieder im Besitz der Peraia war; vgl. auch FGrHist 328 Philochoros F 43 ap. Harpokr. sv. Στρύμη; Demosth. or. 12,17; 50,21–22; Ps.-Skymn. 656–657; dazu Gschnitzer 1958, 28. 18 Dunant/Pouilloux 1958, 51–56; Lazaridis 1971a, 20–22.
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I.2 Samothrake Wann die Bewohner von Samothrake die Küstenregion zwischen Mesembria im Westen und der Hebrosmündung im Osten unter ihre Kontrolle brachten, läßt sich aufgrund der unzureichenden Quellenlage nicht feststellen.19 Sicher ist nur, daß dieser Festlandsstreifen spätestens zu Beginn des fünften Jahrhunderts v. Chr. zu Samothrake gehörte, denn Herodot berichtet, Xerxes sei von Doriskos aus nach Westen gezogen vorbei an den samothrakischen teichea, deren westlichstes Mesembria sei.20 Bei den übrigen Plätzen muß es sich um die ebenfalls schon für das fünfte/vierte Jahrhundert v. Chr. bezeugten Orte Drys, Zone und Sale gehandelt haben;21 seit hellenistischer Zeit werden dann noch die – wie Strabon sie nennt – polichnia Tempyra und Charakoma, deren Gründungs datum unbekannt ist, als zu Samothrake gehörig bezeichnet.22 Teile der samothrakischen Peraia bestanden auch aus Landschenkungen – hiera chōra – an die Megaloi Theoi von Samothrake.23 Bis auf eine kurze Phase während des Peloponnesischen Krieges konnte Samothrake den Einfluß auf seine Peraia auch in hellenistischer und römischer Zeit zumindest teilweise wahren. | [S. 61] I.3 Tenedos Über die Ausdehnung der Peraia von Tenedos finden sich nur einige wenige Angaben bei Strabon, dem zufolge der Festlandbesitz von Tenedos südlich von Sigeion beim Achaiion begann und sich zeitweilig bis nach Larisa und Kolonai erstreckt habe.24 Ab wann und wie lange Tenedos über diese Peraia verfügen konnte, läßt sich nur ansatzweise feststellen. Einer Notiz in der aristotelischen Rhetorik ist zu entnehmen, daß sich die Tenedier enanchos („erst jüngst“) in einem Streit mit Sigeion auf Periander berufen hätten.25 Dabei kann es sich nur um den alten Schiedsspruch des Periander im Streit zwischen Athen und Mytilene um den Landbesitz südlich von Sigeion gehandelt haben.26 Folglich erhob Tene19 Zur Geschichte der samothrakischen Peraia mit einer Zusammenstellung der einschlägigen Quellen vgl. IG XII 8, pp. 39–40; Robert 1940; Gschnitzer 1958, 32–34; Lewis 1958; Fraser 1960; Ehrhardt 1985, 65–68; Isaac 1986, 125–158; Tsatsopoulou 1987–1990, 325–329. 20 Hdt. 7,108,2. 21 Hdt. 7,59,2; Ps.-Skyl. (GGM I) 67; Hekataios bezeichnet hingegen Drys und Zone noch als thrakische bzw. kikonische Stadt (FGrHist 1 Hekataios F 160 ap. Steph. Byz. s.v. Δρῦς – F 161 ap. Steph. Byz. s.v. Ζώνη). 22 Strab. 7 frg. 48 Kramer (= Strab. 7 frg. 20,1–14 Radt); auch bei Ov. trist. 1,10,19–21 findet sich ein enger Zusammenhang zwischen Samothrake und Tempyra. 23 IG XII 8, p. 40 Nr. 1–2 (= I.Thrake Aeg. E 434; E 448); McCredie 1968, 220–221; vgl. Roussel 1939; Gschnitzer 1958, 33–34; Cole 1984, 148 Nr. 15; Bringmann/von Steuben 1995, 262– 263 Nr. 234 [E]. 24 Strab. 13,1,32; 13,1,44; 13,1,46–47. 25 Aristot. rhet. 1375 b 31. 26 Hdt. 5,95,2; Strab. 13,1,38; FGrHist 244 Apollodoros F 27a ap. Diog. Laert. 1,74.
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dos spätestens im Verlaufe des vierten Jahrhunderts v. Chr. Ansprüche auf Teile der gegenüberliegenden Küste, nachdem dieses Gebiet wohl bis zum Beginn des Peloponnesischen Krieges zunächst noch weitgehend zur Peraia von Mytilene gehört hatte und 427 v. Chr. gemeinsam mit den aktaiai poleis den Mytileneern durch Athen entzogen worden war. Nach dem Ende des Delisch-Attischen Seebundes nutzte dann im vierten Jahrhundert v. Chr. Tenedos offenbar die Chance, die eigene Einflußzone auf den Bereich zwischen Achaiion und Larisa im Süden auszudehnen.27 Insbesondere durch die Gründung von Alexandreia Troas dürfte sich dann allerdings die Peraia von | [S. 62] Tenedos erheblich verkleinert haben; in römischer Zeit war sie nur noch auf das Gebiet unmittelbar um das Achaiion herum begrenzt.28 I.4 Mytilene Von allen griechischen Inselstaaten verfügte Mytilene – neben Rhodos – lange Zeit über den größten Festlandbesitz. Wohl schon im achten und siebten Jahrhundert v. Chr. hatten sich die Mytileneer an mehreren Plätzen zwischen dem Südausgang des Hellespont und dem südlichen Ende des Golfes von Adramytteion festgesetzt.29 Damit gehörten – wie bereits erwähnt – anfangs offenbar auch große Teile der späteren Peraia von Tenedos zu Mytilene. Der Inselstaat erlitt jedoch 427 v. Chr. das gleiche Schicksal wie knapp vier Dekaden früher auch schon Thasos. Nach erfolglosem Widerstand gegen Athen verlor Mytilene seinen gesamten Außenbesitz; und die sogenannten aktaiai poleis wurden seitdem in den Tributlisten des Seebundes gesondert geführt. Und als die Mytileneer in 27 Ps.-Skyl. (GGM I) 95 führt zwar die Festlandstädte gegenüber Tenedos auf, läßt aber eine Zugehörigkeit zu Tenedos noch unerwähnt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß die Tenedier nicht vor der Mitte des 4. Jh.s v. Chr., sondern vielmehr erst vor dem Hintergrund der Schwächung der persischen Position in Kleinasien während des Satrapenaufstandes ihre Ansprüche auf die Peraia geltend machten; zu sicheren Schlüssen wird man hier aber aufgrund der disparaten Quellenlage kaum kommen; Hornblower 1982, 128–129 vermutet, daß Tenedos bereits vor dem Königsfrieden eine Peraia besessen und diese nach 386 v. Chr. verloren habe. Diese Annahme findet allerdings in den Quellen keine Stütze; weder wissen wir etwas von der Existenz der tenedischen Peraia vor der Mitte des 4. Jh.s v. Chr. noch lassen sich überhaupt generelle Aussagen über das Schicksal der Peraiai der griechischen Inselstaaten an der kleinasiatischen Festlandküste nach dem Königsfrieden machen. Da diese wichtige Frage noch eingehender Detailuntersuchungen bedarf, möchte ich sie hier noch nicht näher behandeln; jedenfalls wird man Hornblower 1982, 128–129, der auch für Rhodos, Chios und Samos den Verlust der jeweiligen Peraia konstatiert, in diesem Punkt nicht vorbehaltlos zustimmen können. Auch bleibt angesichts der in Anm. 25 zitierten Notiz aus der Rhetorik des Aristoteles die Ansicht von Hornblower 1982, 128. 144 mehr als fraglich, daß der bei Arr. an. 1,17,8 erwähnte Landbesitz des Memnon mit der Peraia von Tenedos gleichzusetzen ist. 28 Vgl. die in Anm. 24 angeführten Belege; siehe auch Meyer 1925, 23. 29 Über die Frühgeschichte der Peraia von Mytilene ist so gut wie nichts bekannt; vgl. Ruge 1937, 583–584; zur Auseinandersetzung zwischen Mytilene und Athen um den Besitz von Sigeion im 6. Jh. v. Chr. (die Quellen sind in Anm. 26 zusammengestellt) vgl. (mit weiterführender Literatur) Biraschi 1989, 23–42.
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Antandros Fuß zu fassen suchten und den Platz ausbauen wollten, unterband Athen dieses Unternehmen gewaltsam.30 Erst nach dem Zusammenbruch der attischen Vorherrschaft konnte Mytilene erneut einen Küstenstreifen unter seine Kontrolle bekommen; allerdings waren die aktaiai poleis an der West- und Südküste der Troas endgültig verloren. Um die Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. erstreckte sich Pseudo-Skylax zufolge die chōra Lesbia zwischen Adramytteion im Norden und Atarneus mit der Peraia von Chios im Süden. Über diese Region scheint Mytilene – mit einigen Gebietseinbußen vor allem während der Blütezeit Pergamons – bis in die römische Kaiserzeit verfügt zu haben.31 I.5 Samos Über die Geschichte der samischen Peraia sind wir weitaus besser informiert als über die Genese aller anderen Peraiai. Vor allem eine aus dem frühen zweiten Jahrhundert stammende Inschrift mit dem rhodischen Schiedsspruch im Streit zwischen Samos und Priene um Gebietsanteile in der Küstenregion enthält eine Fülle von Informationen über die historische Entwicklung des samischen Festlandbesitzes.32 Die Anfänge der samischen Peraia reichen zurück bis in die Zeit um 700. Nach der Zerstörung der Stadt Melia durch die im Ionischen Bund vereinten Städte gelang es den Samiern, z. T. offensichtlich durch Gebietstausch mit anderen Städten ihre Peraia zu konsolidieren. Schließlich besaß Samos im Süden der Mykale Theben und nördlich davon den gesamten Küstenstreifen von Marathesion bis Trogilion, so daß nur noch die Priene zugehörige Region um Karion und Dryussa diesen zusammenhängenden Landbesitz unterbrach. Dieser Umstand | [S. 63] führte bekanntlich zu einem Jahrhunderte dauernden Streit zwischen Samos und Priene, in den im fünften Jahrhundert v. Chr. Athen und später dann auch immer wieder die Diadochen verwickelt waren und der letztlich erst durch den erwähnten rhodischen Schiedsspruch und dessen mehrmalige Bestätigung durch den römischen Senat im zweiten Jahrhundert v. Chr. endgültig beigelegt werden konnte.33 30 Thuk. 3,50,3; 4,52,2–3; 4,75,1; vgl. ATL I, 467, III, 88. 223–224; Meiggs 1972, 316–317. 331–332. 533; Gehrke 1985, 117–120. 31 Ps.-Skyl. (GGM I) 98; Strab. 13,1,49; 13,1,51; vgl. dazu auch Meyer 1925, 106–107; auf eine Auseinandersetzung zwischen Chios und Mytilene um Festlandbesitz, in die auch Hermias von Atarneus einbezogen war, ist eine wohl auf Theopomp zurückgehende Notiz zu beziehen, die sich im Demosthenes-Kommentar des Didymos findet: FGrHist 115 Theopompos F 291 ap. Didym. comm. in Demosth. col. 4,59–5,20 in der Neulesung von Didym. comm. in Demosth. 14–15 col. 5,5–8 (Pearson/Stephens). 32 I.Priene 37; vgl. hierzu und zum folgenden Lenschau 1944, 232–237; Transier 1985, 19–46; Shipley 1987, bes. 10–12. 31–37. 240. 266–268. 33 Über die Zugehörigkeit der Peraia zu Samos unmittelbar in der Zeit nach dem Königsfrieden ist nichts bekannt. Shipley 1987, 135. 155–156 geht im Anschluß an Hornblower 1982, 127– 129 davon aus, daß auch Samos seine Peraia nach 386 v. Chr. verlor, die Eigentümer aber gegen Pacht- und Tributzahlungen weiterhin im Besitz ihres Landes bleiben konnten; vgl. hierzu aber die entsprechenden Ausführungen in Anm. 27.
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Ich möchte diesen knappen Überblick an dieser Stelle beenden. Den bestens bekannten Fall Rhodos lasse ich dabei bewußt außer Betracht,34 da es mir – wie bereits eingangs dargelegt – in erster Linie darum geht, die übrigen Paradigmata | [S. 64] für Peraia zu analysieren, um eine Folie für eine angemessene Beurteilung gerade des rhodischen Falles zu bekommen. Auffällig ist bei diesem Überblick der Tatbestand, daß Chios nur über eine sehr bescheidene Peraia im vergleichsweise weit entfernten Gebiet von Atarneus verfügte. Diese hatten die Chioten um 547 v. Chr. von den Persern erhalten35 und besaßen sie zumindest noch bis zur Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr., wie wir aus Pseudo-Skylax erfahren, der hē Chiōn chōra kai polis Atarneus erwähnt.36 Noch bemerkenswerter ist es, daß es keinerlei literarische oder epigraphische Hinweise auf die Existenz einer Peraia von Kos an der kleinasiatischen Küste gibt. Susan Sherwin-White hat in diesem Zusammenhang wohl mit Recht darauf hingewiesen, daß die starke Stellung der zur ionischen Hexapolis gehörenden Städte Halikarnassos und Knidos eine Ausweitung des koischen Einflusses auf die Küste verhindert hätte.37 Aus ganz ähnlichen Gründen dürfte wohl auch Chios die Bildung einer größeren Peraia verwehrt worden sein. Die mächtigen Nachbarstädte auf dem gegenüberliegenden Festland wie Teos, Erythrai, Klazomenai und Smyrna werden sich einer Ausweitung des chiotischen Einflusses erfolgreich entgegengestellt haben. Dieser Sachverhalt verdeutlicht eine zweifellos ausschlaggebende Voraussetzung für die Gründung einer Peraia: Der zu besetzende Küstenstreifen mußte noch „frei“ sein, d. h., er durfte nicht zum Einflußbereich einer griechischen Festlandsstadt gehören oder sonstwie durch Koloniegründungen weiter entfernter griechischer Mutterstädte erschlossen worden sein. Der jahrhundertelange Streit zwischen Samos, Priene und auch Milet um die jeweiligen Einflußbereiche in der Küstenregion zeigt, zu welchen Friktionen und Unbeständigkeiten es anderenfalls führen konnte. Natürlich kam es auch ansonsten immer wieder zu konkurrierenden Unternehmungen: Man denke nur an die thasische Gründung von Stryme zwischen der chiotischen Gründung Maroneia und dem samothrakischen Mesembria. Gleichwohl bleibt zu konstatieren, daß eine Peraia dort die größte Bestandskraft besaß, wo sie in einem „barbarischen“ oder besser gesagt: wenig urbanisierten Umfeld begründet wurde. Dort kam der Peraia dann immer auch die Funktion einer kulturellen
34 Dazu immer noch grundlegend Fraser/Bean 1954. 35 Hdt. 1,160,5; vgl. auch Hdt: 8,106,1; Xen. hell. 3,2,11; Diod. 13,65,3; vgl. dazu auch Roebuck 1986. 36 Ps.-Skyl. (GGM I) 98; vgl. auch die in Anm. 31 erwähnte Notiz aus dem Demosthenes-Kommentar des Didymos. 37 Sherwin-White 1978, 31–32.
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und/oder auch ökonomischen Kontaktzone zu.38 Diese Feststellung führt zum zweiten Aspekt meines Themas, nämlich zu der grundsätzlichen Frage nach den Ursachen und der Motivation für die Gründung von Peraiai.
II. Ursachen und Motive zur Gründung von Peraiai Die Frage nach der Motivation ist nur in den seltensten Fällen eindeutig zu beantworten. In der Regel kamen sicherlich mehrere Beweggründe zusammen, von denen ich im folgenden nur die wichtigsten anhand einiger Beispiele anführen möchte. | [S. 65] Die wirtschaftlichen Interessen eines Inselstaates werden in der Regel vorrangig gewesen sein; eine besondere Bedeutung dürfte dabei der Erschließung neuen Landes für Ackerbau, aber auch für Viehzucht zugekommen sein. Ich erinnere hier nur an die bereits erwähnten frühesten literarischen Nachrichten in den homerischen Epen, in denen immer wieder von den Ziegen, Schafen und Pferden erzählt wird, die Inselbewohner auf dem Festland weiden ließen. Für eine an landwirtschaftlichen Nutzflächen so arme Insel wie Samothrake39 war die Verfügbarkeit über die Peraia lebensnotwendig. Die Niederlassungen im Westen der Peraia – Drys und Mesembria – besaßen jeweils eigene kleinere Agrarflächen; besonders ertragreich aber war der Ostteil mit der großen Fruchtebene, in deren Zentrum heute Alexandroupolis liegt und wo wir die samothrakischen Plätze Sale, Zone, Tempyra und Charakoma zu suchen haben.40 Hier erstreckten sich auch die großen Ländereien, die die hellenistischen Herrscher als hiera chōra dem Heiligtum der Megaloi Theoi auf Samothrake weihten und damit eine wichtige Subsistenzgrundlage für die Bewohner der Insel sichern halfen. Ehrenbeschlüsse aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. für ptolemäische Kommandanten, die sich in besonderer Weise um die Sicherung der Küstenplätze und die Intensivierung des Ackerbaus in der Peraia verdient gemacht hatten, bezeugen die große landwirtschaftliche Bedeutung, die der Festlandbesitz für Samothrake immer gehabt hatte.41 Entsprechend katastrophal waren auch die Folgen, als die Athener nach 425 v. Chr. nicht nur die Phoroszahlungen Samothrakes massiv erhöhten, sondern zugleich auch die Orte der Peraia gesondert veranlagten und damit der Insel wichtige wirtschaftliche Grund-
38 Dabei konnte es durchaus auch zu quasi Sekundärgründungen von Emporia im Hinterland kommen, deren ökonomische Mittlerfunktion durch eine Inschrift beleuchtet wird, die Velkov/Domaradzka 1994 publiziert haben. 39 Philippson/Kirsten 1959, 213–217. 40 Robert 1940; Isaac 1986, 125; Tsatsopoulou 1987–1990, 329–334. 41 IG XII 8, 156 = Syll.3 502; Bakalakis/Scranton 1939; vgl. auch Roussel 1939; Fraser 1960, 39–40.
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lagen entzogen.42 Damals verfaßte der attische Redner Antiphon seine Rede Peri tou Samothraïkōn phorou, in welcher er mit beschwörenden Worten auf die mangelhaften Ressourcen der Insel hinwies: hē gar nēsos … estin hypsēlē kai tracheia. kai ta men chrēsima kai ergasima mikra autēs esti, ta d’arga polla, mikras autēs ousēs.43 In der landwirtschaftlichen Nutzung der Peraia werden wir sicherlich eines der wichtigsten Motive für deren Inbesitznahme durch einen Inselstaat sehen müssen. Das gilt für Samothrake ebenso wie für die meisten anderen Inseln, auf denen die natürlichen Voraussetzungen für den Ackerbau oft sehr ungünstig waren. Hieraus erklärt sich auch die Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit, mit der etwa Samos seine Ansprüche auf die Peraia über Jahrhunderte hinweg verteidigte. Da die Insel selbst nur über sehr begrenzte Anbauflächen verfügte, sicherten die landwirtschaftlichen Erträge der sehr fruchtbaren und auch baumreichen Schwemmlandebene der Anaitis und Batinetis den Wohlstand der Insel.44 Eine so reiche und fruchtbare Insel wie Chios45 war hingegen nicht in gleicher Weise auf zusätzliche Ackerflächen auf dem Festland angewiesen; und das mag | [S. 66] ein weiterer Grund dafür gewesen sein, daß der Festlandbesitz von Chios stets auf die Gegend um Atarneus begrenzt blieb. Das Beispiel der Peraia von Mytilene zeigt aber, daß die wirtschaftliche Subsistenzsicherung selbstverständlich nicht der alleinige Grund für ein Ausgreifen auf das Festland war. Wie Chios besaß auch Mytilene auf der Insel selbst gute landwirtschaftliche Nutzflächen in ausreichendem Maße;46 und dennoch war Mytilene ständig darum bemüht, auch auf dem Festland einen möglichst großen Einflußbereich unter seine Kontrolle zu bringen. Hier dürfte – wie in anderen Fällen auch – der Wunsch eine Rolle gespielt haben, zusätzliche Erträge vor allem in der Öl- und Weinproduktion für den gewinnbringenden Export zu erzielen. Der Erwerb einer Peraia war eben nicht immer nur von der nackten Not diktiert. Natürlich spielten auch gewinnorientierte Wirtschaftsinteressen eine große Rolle. So hat sich z. B. in Thasos das Interesse an zusätzlichen landwirtschaftlichen Nutzflächen vermischt mit dem Interesse an den weitaus lukrativeren Gewinnen aus den Erträgen der Minen am Pangeion- und Lekanegebirge und aus dem Handel mit dem Hinterland.47 Ta en tē antiperas Thrakē emporia kai to metallon48 waren dann ja auch der Anlaß für den Konflikt zwischen Thasos und Athen in den 60er
42 Getrennte Veranlagung der Städte in der samothrakischen Peraia: IG I3 77, Z. 27–31; vgl. dazu auch ATL III, 195. 217; Meiggs 1972, 241. 43 Antiph. frg. 50 Thalheim; vgl. dazu ATL I, 158; Meiggs 1972, 240–241. 327. 44 Philippson/Kirsten 1959, bes. 264–265; Transier 1985, 79–81; Shipley 1987, 33–34. 275– 276. 45 Philippson/Kirsten 1959, bes. 252–257; Yalouris 1986. 46 Philippson/Kirsten 1959, bes. 239–242. 47 Koukouli-Chryssanthaki 1990. 48 Thuk. 1,100,2.
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Jahren des fünften Jahrhunderts; und um dem besiegten Thasos auch die ökonomischen Grundlagen für dessen Reichtum und politische Macht zu entziehen, zwangen die Athener die Insel zum Verzicht auf tēn te ēpeiron kai to metallon.49 Die Funktion der Peraia als ein wichtiger Wirtschaftsfaktor steht also außer Frage. Einerseits kam dem Territorium als agrarische Nutzfläche oder auch als Rohstofflieferant für Holz, Metalle etc. große Bedeutung zu; aber auch die Rolle der Peraia als Bindeglied und Kontaktzone zwischen dem engeren Wirtschaftsraum einer Inselpolis und den Absatzmärkten des festländischen Hinterlandes darf nicht unterschätzt werden.50 Eine solche Brückenkopf-Funktion konnten Niederlassungen in der Peraia aber nicht nur im Hinblick auf das Hinterland erfüllen; gewöhnlich bot eine Peraia auch die Möglichkeit, weitere Hafenplätze einzurichten und damit auch den Aktionsradius zur See zu erweitern. Das brachte zusätzliche Vorteile für den Handel; erleichterte aber auch manche andere Tätigkeit wie etwa im Falle von Tenedos, dessen Bewohner offenbar zu einem nicht geringen Teil von der Fährschifffahrt am Hellespont lebten.51 Die Kontrolle der Peraia erfüllte für manche Inselstaaten aber auch eine Schutzfunktion. Für Inseln, die in nur sehr geringer Entfernung zum Festland liegen, war die Kontrolle der gegenüberliegenden Küste häufig eine unabdingbare Voraussetzung oder doch zumindest eine entscheidende Stärkung der eigenen Verteidigungskraft. Die in den Quellen des öfteren erwähnten teichea oder ochyrōmata dienten sicherlich zunächst einmal dem Schutz der Peraia selbst; sie konnten aber | [S. 67] auch unmittelbarer Bestandteil des Verteidigungssystems einer Inselpolis sein; ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet Chalkis auf Euboia mit seinem stark befestigten Territorium auf dem boiotischen Festland jenseits des Euripos.52 Aber auch etwa für Thasos oder Samos – um auch hier von Rhodos ganz zu schweigen – dürfte die Peraia auch eine militärstrategische Bedeutung gehabt haben, zumal wenn sie günstige Hafenplätze besaß. Außer den bisher genannten Motiven und Beweggründen muß noch ein weiterer Aspekt in Betracht gezogen werden. Ich meine das Bestreben, jenseits aller ökonomischen und strategischen Überlegungen den eigenen Einflußbereich nur um der Herrschaft willen möglichst weit auszudehnen. Solche Machtambitionen sind allerdings ein Faktor, der sich nur schwerlich nachweisen läßt, der aber gleichwohl bei einer so grundsätzlichen und allgemeinen Betrachtung nicht ungenannt bleiben sollte.
49 Thuk. 1,101,3. 50 Dazu eine Inschrift bei Velkov/Domaradzka 1994; vgl. auch Bresson 1993b. 51 Aristot. pol. 1291 b 25. Gigon 1971, 329 hat diese Stelle wohl zu Recht auf die Tätigkeit der Tenedier als Fährschiffer am Hellespont bezogen; vgl. auch schon Newman 1902, 172. 52 Bakhuizen 1970; Bakhuizen 1985, bes. 91–94; Gehrke 1986, bes. 97–101.
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III. Siedlungsformen und Erscheinungsbild Ebenso vielfältig wie die Motive zur Erschließung einer Peraia war offensichtlich auch das äußere Erscheinungsbild der Peraiabesiedlung. Allerdings sind wir hierüber vielfach noch weitaus schlechter informiert. Es ist unmöglich, hier zu allgemein verbindlichen Aussagen zu kommen. Die antike schriftliche Überlieferung zu dieser Frage ist nur äußerst fragmentarisch und disparat; die wenigen einschlägigen Nachrichten stammen aus sehr verschiedenen Zeiten und zum Teil ganz unterschiedlichen literarischen Gattungen. Daher ist das relativ breite Spektrum der in den Quellen verwandten Terminologie zur Bezeichnung der Siedlungsplätze für eine vergleichende Analyse des äußeren Erscheinungsbildes weitgehend ungeeignet. Begriffe wie polis, polichnion, emporion, apoikia, vicus, colonia etc. können Hinweise zur Funktion und vielleicht noch zum Rechtsstatus enthalten; sie bleiben aber weitgehend unspezifisch im Hinblick auf die Siedlungsform.53 Allenfalls termini wie teichos und ochyrōma sowie das für die Peraia von Samothrake belegte Toponym Charakōma können als Indiz für die Existenz befestigter Siedlungen gelten. Entscheidende Fortschritte in dieser Frage wird man nur von der Archäologie erwarten dürfen. Hier steht die Erforschung der Peraia-Territorien allerdings noch ganz am Anfang. Wir haben zwar mittlerweile eine gewisse Vorstellung gewonnen über das Aussehen der einzelnen Siedlungszentren an der kleinasiatischen und seit jüngster Zeit auch an der thrakischen Küste:54 größere Orte mit eher städtischem Charakter stellten wohl eher die Ausnahme dar; in der Regel handelte es sich um kleinere, befestigte Siedlungsplätze; darüber hinaus ist aber sicherlich auch mit unbefestigten Streusiedlungen und Einzelgehöften zu rechnen, über die | [S. 68] wir jedoch noch so gut wie keine Informationen besitzen, da entsprechende archäologische Untersuchungen über die Besiedlung und wirtschaftliche Nutzung des offenen Landes bisher weitgehend fehlen.
IV. Rechtliche und institutionelle Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Inselstaat und Peraia Die derzeit möglichen Antworten auf die Frage nach den Siedlungsformen der Peraiai sind alles andere als zufriedenstellend; noch weit unbefriedigender allerdings müssen die Antworten auf die zentrale Frage nach der rechtlichen und institutionellen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Inselpolis und Peraia ausfallen. Die Feststellung 53 Roussel 1939, bes. 140–141; Lazaridis 1971b, 36–38. 43–44. 217; Isaac 1986, 127–128. 135; Tsatsopoulou 1987–1990, bes. 328–334. 54 Einen guten Überblick über die rasch fortschreitende archäologische Erforschung der thrakischen Küstenplätze vermitteln die regelmäßigen Veröffentlichungen in der seit 1987 in Thessaloniki erscheinenden Zeitschrift: To Archaiologiko Ergo sti Makedonia kai Thraki.
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einer faktischen Kontrolle von Küstenregionen durch einen nahe gelegenen Inselstaat führt selbstverständlich auf die Frage nach der Rechtsstellung dieser Gebiete gegenüber der jeweiligen „Kontrollmacht“. Die Quellenlage ist in diesem Punkt jedoch so dürftig, daß sie in der Regel keine präziseren Rückschlüsse erlaubt. Insbesondere das Problem des Verhältnisses zwischen der indigenen Bevölkerung und den griechischen Neusiedlern und deren Integration ist kaum noch zu eruieren.55 In manchen Fällen lassen sich aber doch Hinweise ausfindig machen, die wenigstens einige tendenzielle Aussagen im Hinblick auf die besondere Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Inselpolis und Peraia ermöglichen. Der Wert dieser Aussagen bleibt angesichts der desolaten Quellenlage natürlich überaus begrenzt, zumal sicher anzunehmende, diachrone Statusveränderungen kaum nachzuvollziehen sind. Die rhodischen Verhältnisse lasse ich – wie schon zuvor – bewußt außer Betracht. Für Samos läßt sich zumindest soviel sagen, daß in hellenistischer Zeit auch Bewohner des Festlandes in den Bürgerverband integriert waren. In einer inschriftlich überlieferten Liste aus Samos findet sich der Name eines Mannes, dem die Herkunftsangabe Mykaleus beigefügt ist. Graham Shipley hat überzeugend nachgewiesen, daß es sich hierbei um einen samischen Vollbürger handeln muß und daß die Mykaleis wahrscheinlich eine eigene chiliastys innerhalb des samischen Bürgerverbandes bildeten.56 Wir haben es hier aber nur mit einem singulären Beleg zu tun, so daß es voreilig wäre, hieraus den Schluß zu ziehen, daß auch andere Siedlungsplätze der samischen Peraia in gleicher Weise in die Polis Samos eingebunden gewesen wären. Hier gilt ein non liquet ebenso wie für alle anderen bisher in Betracht gezogenen Fallbeispiele; für keine dieser Peraiai läßt sich eine vergleichbare Integration der festländischen Siedlungen in den jeweiligen Bürgerverband eindeutig nachweisen.57 Es finden sich aber auch andere Ansätze, den Festlandbesitz enger an eine Inselpolis anzubinden. So dürfte vor allem die Bewirtschaftung des Küstenlandes durch | [S. 69] Kleruchen eine wichtige Rolle gespielt haben. In einem Dekret des dritten Jahrhunderts v. Chr. aus Samothrake ist von Bürgern die Rede, die in der Peraia klērouchēsontes kai georgsontes tēn chōran tätig waren.58 Ganz ähnlich wird man sich die Verhältnisse vielleicht auch in anderen Peraiai vorzustellen haben. Inwieweit es darüber hinaus auch Verpach55 Hier vermittelt die Inschrift bei Velkov/Domaradzka 1994 einen ersten Einblick in die rechtlichen Rahmenbedingungen eines – allerdings im thrakischen Binnenland gelegenen und wohl vornehmlich als Handelsstützpunkt dienenden – Emporions. 56 Wiegand/Wilamowitz-Moellendorff 1904; Pouilloux 1960, Nr. 34B, Z. 27; vgl. dazu Shipley 1987, 287. 292. 57 So besehen bildet die sogenannte „incorporated Peraea“ von Rhodos eine bemerkenswerte Ausnahme; war es doch den Rhodiern gelungen, den Festlandbesitz zu einem gleichrangigen und vollständig integrierten Bestandteil des eigenen Polisterritoriums zu machen; vgl. dazu Fraser/Bean 1954. 58 Syll.3 502, Z. 41 = IG XII 8, 156 B, Z. 20.
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tungen von Land an indigene Bewohner gegeben hat, entzieht sich mangels einschlägiger Nachrichten unserer Kenntnis. Daneben hat es in vielen Peraiai aber immer auch Siedlungsplätze gegeben, die – soweit sich das erkennen läßt – eine größere Eigenständigkeit besaßen, sei es nun, daß sie ihnen von vornherein zugestanden worden war oder daß diese ihnen erst im Verlaufe der Zeit zugewachsen war. Einige thasische und samothrakische Küstenorte wie Galepsos, Oisyme, Neapolis und Zone prägten zeitweilig eigene Münzen;59 einer delphischen Inschrift der Zeit um 200 v. Chr. ist zu entnehmen, daß Oisyme und Neapolis neben Thasos eigene Theorodoken stellten; und möglicherweise hatte auch das zur samothrakischen Peraia gehörende Charakoma einen eigenen Theorodoken.60 Man kann natürlich nicht ausschließen, daß diese Orte zeitweilig eine vollständige politische Unabhängigkeit erlangt hatten; zwingend ist diese Schlußfolgerung jedoch nicht, zumal wenn man bedenkt, daß Pseudo-Skylax zumindest Galepsos und Oisyme ausdrücklich als thasische Emporia bezeichnet,61 obgleich diese zum damaligen Zeitpunkt eigene Münzen prägten. Man muß mit der Möglichkeit ganz verschieden ausgeprägter Abhängigkeitsformen rechnen, die den einzelnen Peraiasiedlungen durchaus ganz unterschiedlich große politische Freiräume ermöglichten. Anders wäre es wohl auch gar nicht denkbar, daß etwa die Siedlungen der samothrakischen Peraia in den Jahren nach 425 v. Chr. – aus welchen Gründen auch immer – durch die Athener von der Inselpolis getrennt und als eigenständige Einheiten in den Tributlisten aufgeführt wurden, obgleich deren enge Bindung an Samothrake in den älteren Quellen stets betont wird. Nähe und Ferne zwischen Peraia und Insel, enge Bindung und politische Eigenständigkeit kommen auch da besonders zum Vorschein, wo Plätze auf dem Festland zum Zufluchtsort für politische Exulanten wurden. Das war in Korkyra nicht anders als in Samos, wo das Gebiet um Anaia zum Sammelpunkt der Exulanten wurde; und als die Mytileneer 424 v. Chr. Antandros ausbauen wollten, wußten die Athener dies zu verhindern, da sie befürchteten, daß Antandros zu dem werde, was Anaia für Samos war.62 Die Ereignisse in Thasos während der Auseinandersetzungen mit Athen zwischen 411 und 407 v. Chr. verdeutlichen besonders gut das spezifische Spannungsfeld zwischen Inselstaat und Peraia. Die Thasier versuchten in dieser Zeit | [S. 70] proathenisch-demokratische Umsturzpläne durch gesetzliche Maßnahmen zu vereiteln, die allen Denunzianten Belohnungen für entsprechende Hinweise in Aussicht stellten.63 Die Regelungen 59 Vgl. die Zusammenstellungen bei Isaac 1986, 64–65. 67–68. 130–131. 60 Plassart 1921, 18, col. III, Z. 72 (Charakoma), Z. 81 (Oisyme) und Z. 82 (Neapolis); zu Chara koma vgl. jedoch C. Habicht bei Isaac 1986, 133 mit Anm. 55. 61 Ps.-Skyl. (GGM I) 67; vgl. dazu auch Gschnitzer 1958, 28 mit Anm. 5. 62 Thuk. 3,85,2; 4,75,1; zur Peraia als Zufluchtsort für Exulanten vgl. auch Balcer 1979; Gehrke 1985, passim. 63 Pouilloux 1960, Nr. 31 = Meiggs/Lewis, GHI 2 252–255 Nr. 83.
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schlössen ausdrücklich auch die thasischen apoikiai der Peraia mit ein, zu denen damals vermutlich auch Neapolis gezählt wurde, obgleich Neapolis im Gegensatz zu Thasos eine konsequent proathenische Politik verfolgte. Offenbar in Folge dieser Maßnahmen wurde u. a. der Besitz von sechs Männern konfisziert, zu denen neben vier Thasiern auch zwei Bürger aus Neapolis gehörten.64 So unklar die genaueren Umstände der Ereignisse auch sein mögen; es wird auf jeden Fall deutlich, daß zwischen Thasos und den Siedlungen der Peraia – Neapolis wohl mit eingeschlossen – ein besonderes Beziehungsgeflecht bestanden hat.65 In die gleiche Richtung weist auch eine thasische Inschrift aus der Zeit um 400 v. Chr., die gesetzliche Vorschriften über den Weinhandel enthält und in der u. a. verfügt wird, daß in dem Gebiet zwischen dem Athos und der im übrigen unbekannten, wohl im Osten der thasischen Peraia liegenden Pacheia kein fremder Wein eingeführt werden dürfe.66 Thasos beanspruchte also die Kontrolle über ein weit über das engere Polisterritorium hinausreichendes Gebiet. In demselben Gesetz wird im übrigen auch eine eigene Behörde erwähnt, die offenbar für alle die Peraia betreffenden Angelegenheiten zuständig war: hoi pros tēn ēpeiron epitetrammenoi.67 Auch dies wiederum ein Hinweis auf das besondere Binnenverhältnis zwischen Thasos und seiner Peraia, das vielleicht am besten in den Münzen zum Ausdruck kommt, die um 360 v. Chr. in der von Thasos neugegründeten Stadt Daton geprägt wurden. Diese Münzen trugen die Aufschrift: THASION ĒPEIRO, wohl zu lesen als Thasiōn Epeirou, „Thasier des Festlandes“.68 Schon Fritz Gschnitzer hat hierin ein Indiz für die „Gemeinsamkeit des Bürgerrechts mit der Mutterstadt“ gesehen und diesen Status mit demjenigen der attischen Kleruchien etwa auf Lemnos verglichen. Gschnitzer hat aber zugleich auch mit Recht davor gewarnt, „von hier aus (…) ohne weiteres auf den Status der älteren thasischen Festlandsplätze (zu) schließen“.69 Auf jeden Fall wird man aber festhalten können, daß die Thasier bis zur Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. Formen staatsrechtlicher Bindungen entwickelt hatten, die geeignet waren, den Zusammenhalt zwischen der Insel und der Peraia zu festigen. Wie erfolgreich diese Bindungen auf Dauer hätten sein können, war nicht mehr unter Beweis zu stellen, da die Eroberungen in der Peraia durch Philipp II. diese Bindungen nachhaltig zerstörten.
64 IG XII 8, 263. 65 Zu diesem in der Forschung immer noch sehr kontrovers behandelten Vorgängen in Thasos vgl. Pouilloux 1954, 137–164; Chamoux 1959, bes. 351–358; Graham 1964, 83–90; Gehrke 1985, 160–163; Picard 1990. 66 IG XII Suppl. 347, bes. Z. 8–9; vgl. Salviat 1986, 147–150. 183–185; Bresson 1993b, 203–204. 67 IG XII Suppl. 347, Z. 3. 68 Vgl. hierzu Anm. 17. 69 Gschnitzer 1958, 31.
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Ich möchte an dieser Stelle meinen zugestandenermaßen eher sporadischen Überblick abschließen. Vollständigkeit war nicht angestrebt; aber schon die hier vorgestellten Exempla dürften hinreichend deutlich gemacht haben, daß die Beziehungen zwischen Inselstaat und Peraia in einer von Fall zu Fall oft ganz unter- | [S. 71] schiedlichen, aber doch jeweils besonderen Weise ausgestaltet waren. Es waren dies Gestaltungsformen, die sich in ihrer spezifischen Eigenart den landläufigen Deutungskategorien entziehen. Hier liegt auch das Dilemma der bisherigen Forschungsdiskussion, die das historische Phänomen „Peraia“ in der Regel einfach dem Problemfeld „Kolonisation“ zuordnet. So bezeichnet etwa Shipley die samische Peraia ganz einfach als „a sort of colony within Ionia“ 70 und auch Benjamin Isaac hat in seiner Untersuchung der griechischen Ansiedlungen in Thrakien zu wenig differenziert zwischen der Erschließung einer Peraia und der Anlage ganz neuer Kolonialstädte. Demgegenüber hatte Gschnitzer schon sehr früh auf die Besonderheiten der Peraiai hingewiesen, die er allerdings unter den größeren Aspekt der „Abhängigkeit“ subsumierte. Auch wenn dadurch die Eigenbedeutung von Peraia nur unzureichend herausgestellt wird, könnte der von Gschnitzer in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff der „Außengemeinde“ für eine künftige Analyse einen durchaus tauglichen Arbeitsbegriff abgeben.71 Ich habe im Vorangegangenen den Versuch unternommen, das Phänomen Peraia einmal als eine generelle Erscheinungsform antiker Staatlichkeit darzustellen. Vieles konnte nur angedeutet werden, vieles mußte auch offen bleiben. Angesichts der mangelhaften Quellenlage wird es immer ein schwieriges Unterfangen bleiben, die unterschiedlichen Bindungsformen präzise zu analysieren und zu strukturieren. Es bleibt aber ein lohnendes Ziel; denn mit der herrschaftlich-institutionellen Durchdringung einer Peraia und deren organisatorischer Einbindung in den politischen Raum eines Inselstaates wurden zum Teil schon sehr früh neue staatsrechtliche Formen entwickelt. Diese konnten in der Antike dann auch Ansätze und Vorbilder darstellen für die Umsetzung polisübergreifender Herrschaftsstrukturen an anderen Orten und zu anderen Zeiten. Vor allem aber wird vor diesem Hintergrund erst recht das herausragende und einmalige Format der rhodischen Peraia deutlich und damit auch die große politische Leistung der Rhodier, die sich mit dieser Schöpfung verband. Sie war nicht zuletzt ein Grund für das hohe Lob aller Historiographen der hellenistischen und römischen Zeit auf die Staatskunst der Rhodier.
70 Shipley 1987, 47; auf die Notwendigkeit einer Differenzierung verweist auch Graham 1964, 90, ohne dies allerdings näher auszuführen. 71 Gschnitzer 1958, bes. 155–158.
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Integration und Abgrenzung Vorüberlegungen zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in der griechischen Staatenwelt*
Das Spannungsgefüge zwischen Religion und Politik wird derzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ in einem sehr weiten Rahmen thematisiert und von Forscherinnen und Forschern aus fast allen Bereichen der Theologischen, Juristischen und Philosophischen Fakultäten sowohl in synchronen Querschnitts- wie auch in diachronen Längsschnittanalysen untersucht.1 In diesem Zusammenhang steht auch das von mir geleitete Teilprojekt, in dem der Frage nachgegangen wird, welche politische Rolle Religion und Kult im komplexen zwischenstaatlichen Miteinander der antiken griechischen Poliswelt gespielt haben. Nun ist auch dies noch ein sehr weites Themenfeld, innerhalb dessen vorerst zwei Aspekte im Vordergrund stehen: Einerseits geht es um die Bestimmung des Stellenwertes von Religion und Kult in zwischenstaatlichen Vereinbarungen – Bündnisverträgen, Friedenschlüssen, Asylieverträgen etc. – und andererseits um die Analyse der politischen Funktionen von so genannten „überregionalen“ Heiligtümern. Auch wenn der erstgenannte Aspekt im Folgenden weitgehend außer Betracht bleiben wird2 und | [S. 286] nur der zweite Aspekt näher ausgeführt werden soll, können die hier in einem ersten Teil vorangestellten Grundüberlegungen doch eine gemeinsame Basis für die genannten Untersuchungen bilden, da beide Bereiche in mancherlei Weise ursächlich Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Archiv für Religionsgeschichte 11, 2009, 285–297. * In den folgenden Darlegungen möchte ich einige Grundüberlegungen zur Diskussion stellen, die ich erstmals im Rahmen des Münsteraner DFG-Sonderforschungsbereiches 493 „Funktionen von Religionen in antiken Gesellschaften“ entwickelt hatte und die ich jetzt im Münsteraner Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ weiter bearbeiten kann. Der Text geht zurück auf einen Vortrag, den ich im Januar 2009 in Kairo auf einem Arbeitstreffen des Forschungsclusters 4 „Heiligtümer“ des Deutschen Archäologischen Instituts gehalten habe. Ich danke allen Diskutanten für die anregenden und ertragreichen Wortbeiträge. – Die bibliographischen Angaben sind auf ein Minimum reduziert und verweisen vielfach auf weiterführende Literatur, um ein Überborden der Anmerkungen zu vermeiden, zumal es hier zunächst einmal nur um einige grundlegende Vorüberlegungen geht. 1 Zu den Zielsetzungen und Themenfeldern des Münsteraner Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ vgl. die entsprechende Website: http:// www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/. 2 Mit diesem Bereich beschäftigen sich innerhalb des Teilprojektes zwei Promotionsvorhaben: Sebastian Scharff untersucht unter dem Arbeitstitel „Eid und Außenpolitik. Studien zur religiösen Fundierung der Akzeptanz zwischenstaatlicher Vereinbarungen im vorrömischen Griechenland“ (= Scharff 2016) die Rolle von Kulten und Heiligtümern in antiken Staatsverträgen, | [S. 286] während Katharina Knäpper unter dem Arbeitstitel „Hieros kai asylos. Territoriale Asylie im Hellenismus in ihrem historischen Kontext“ (= Knäpper 2018) die politischen und religiösen Funktionen hellenistischer Asylieverleihungen analysiert.
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miteinander verbunden sind. Den anschließenden Ausführungen eignet in Vielem noch ein vorläufiger Charakter und sie können daher kaum mehr sein als die Markierung eines Ausgangspunktes für weitere Untersuchungen. In der antiken Staatenwelt – vor allem der griechischen –, die in ihrem Denken und Handeln unabänderlich orientiert blieb an den Maximen von Ehre, Rache und Vergeltung, die auch Vergebung miteinschließen konnten, war Gewalttätigkeit allgegenwärtig; Kriege und Bürgerkriege in ihrer brutalsten Ausprägung bildeten eher die Regel als die Ausnahme.3 Sowohl der innerstaatliche Zusammenhalt in den einzelnen griechischen Poleis wie auch das zwischenstaatliche Beziehungsgeflecht befanden sich permanent in einem prekären Zustand, dessen Stabilisierung nur auf dem Wege gemeinschaftlicher Vereinbarungen zu erreichen war. Die Sicherung des Zusammenhalts der bürgerlichen Gemeinschaften in den Poleis und die Gewährleistung eines regulierten zwischenstaatlichen Miteinanders dieser Gemeinschaften untereinander wie auch mit nichtgriechischen Staaten erforderten die Aufstellung und Durchsetzung von Verhaltensnormen, die auf die Einhegung und Kontrolle von Gewalt hinwirken sollten, wenn sie denn schon nicht gänzlich verhindert werden konnte. Voraussetzung für die Formulierung und die Anwendung solcher Normen war zunächst einmal deren Akzeptanz bei allen jeweils Beteiligten. Die bloße gegenseitige Akzeptanz allein wurde aber in der Regel nicht als ausreichend anerkannt; es bedurfte offenbar vielmehr der Verankerung der Normen in einem kollektiven Sinnzusammenhang. Diesen vermochten in besonderer Weise Religion und Kult zu bieten, da diese sowohl auf der Ebene der Einzelstaaten – der Poleis und Stämme – wie auch auf gesamtgriechischer Ebene zentrale, identitätsstiftende bzw. identitätswahrende Funktionen erfüllten oder doch zumindest erfüllen konnten und daher für einen begründenden und absichernden Rekurs nicht nur geeignet, sondern sogar unabdingbar waren. Darüber hinaus konnten Religion und Kult offenbar sogar auch zwischen griechischen und nichtgriechischen Entitäten Grundlagen für eine gemeinsame | [S. 287] Vertrauensbasis schaffen, so dass etwa die Beeidung zwischenstaatlicher Vereinbarungen durch die Berufung auf die je eigenen Götter gegenseitig akzeptiert wurde. Allerdings war ein solcher Rekurs nicht nur, aber vor allem immer dann, wenn der Bereich der Polisreligion überschritten wurde, in überaus komplexe Rahmenbedingungen eingebunden: Die polytheistische Religion der Griechen kannte zwar ein gesamtgriechisches Pantheon und die Griechen waren sich durchaus einer im Grunde gemeinsamen Religion bewusst und praktizierten diese auch etwa an den panhellenischen Kult- und Orakelstätten; es gab aber dennoch eben auch eine Konkurrenz der Polisreligionen und es gab die parteiischen Götter, die sich etwa im Kampf um Troja zerstritten und die sich unversöhnlich und rachsüchtig auf die eine oder andere der gegnerischen Seiten stell3 Grundlegend dazu Gehrke 1985; Gehrke 1987; vgl. darüber hinaus (mit der neueren Literatur) Van Wees 2000; Fischer/Moraw 2005; Seidensticker/Vöhler 2006; Zimmermann 2009.
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ten. Und noch komplexer wurden die Gegebenheiten, wenn es in politicis zum Beispiel bei vertraglichen Vereinbarungen darum ging, einen gemeinsamen Bezugsrahmen in religiosis zu finden, dieser aber im Verhältnis zu fremden, nicht-griechischen Religionen auszumachen war. Es ist bemerkenswert, dass selbst in solchen Fällen in der Regel eine gemeinsame Verständigungsebene herzustellen war. Im Folgenden soll der Blick aber zunächst nur auf die griechische Staatenwelt fokussiert bleiben. Religion und Kult bildeten hier offenbar einen bestimmenden Faktor eines im Vorangegangenen nur knapp skizzierten Akzeptanzsystems, dessen Grundlagen, Funktionsmechanismen und Wirkungsweisen unter religionsgeschichtlicher Perspektive immer noch einer genaueren Analyse bedürfen. Der Rekurs auf die religiöse Sphäre gestaltete sich vergleichsweise problemlos, da die polytheistische Welt in ihrer Wesenhaftigkeit Bestandteil eines allseitig anerkannten religiösen Gesamtsystems war, also eben nicht schon gleichzeitig religiöse Pluralität bedeutete, sondern auf einem fest gefügten, allseits akzeptierten Pantheon gründete und damit dann doch wieder eine gewisse religiöse und kultische Einheit implizierte.4 Hier aber liegt auch eine erste große Schwierigkeit: Wie einheitsstiftend war eigentlich dieses religiöse Zusammengehörigkeitsgefühl bei den Griechen? Bekanntlich existierten die (antiken) Griechen als eine politische Entität nicht; vielmehr waren sie in mehr als achthundert politischen Einheiten ganz unterschiedlichen Zuschnitts – als Polis oder Stammesverbund – organisiert, von denen eine jede auf die unbedingte Wahrung ihrer Autonomie und Freiheit | [S. 288] bedacht war. Dieser politischen Vielfalt, die wir uns nicht bunt genug vorstellen können, stand ein kulturelles Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber, das in dem Bewusstsein von der Existenz eines alle Griechen gemeinsamen „Hellenikon“ zum Ausdruck kam, zu dessen zentralen Bestandteilen gerade auch die gemeinsame Religion gehörte, was später noch näher auszuführen ist. Gleichwohl blieb ein permanentes Spannungsgefüge zwischen den polisbezogenen und den panhellenischen Dimensionen griechischer Religion, das die Rahmenbedingungen der politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer grundlegend und voraussetzungsreich bestimmte und auf das ich daher zunächst näher eingehen möchte. Von der griechischen Religion sprechen heißt immer zugleich auch von der Polis sprechen. „The polis provided the fundamental framework in which Greek religion operated. (…) The Greek polis articulated religion and was itself articulated by it; religion became the polis’ central ideology.“5 Mit dieser Feststellung hat Christiane SourvinouInwood den Grundzug griechischer Religion klar gekennzeichnet. Die griechische Religion ist primär Polis-Religion. Religion und Kult waren daher ein unmittelbares Abbild 4 Zu diesem der griechischen und auch römischen Religion inhärenten Spannungsgefüge vgl. die grundlegende Studie von Versnel 1990; s. auch (mit weiterer Literatur) Gladigow 1998 und die entsprechenden Beiträge in Schabert/Riedl 2009. 5 Sourvinou-Inwood 2000, 13. 22.
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des politischen Systems der griechischen Poliswelt und damit in ihren Erscheinungsformen durch eine entsprechende Vielfalt gekennzeichnet. Jede Polis verfügte bekanntlich über eigene zentrale Heiligtümer, Festtage, Kultkalender und Jahresrhythmen, die ein entscheidendes Bindeglied für den Zusammenhalt des jeweiligen Bürgerverbandes bildeten. Sie waren fester Bestandteil der Polisidentität, die in entscheidender Weise religiös begründet wurde. Es sei hier nur auf die Untersuchungen von François de Polignac über „Kulte, Territorium und die Ursprünge der griechischen Polis“ verwiesen, der mit Blick auf die Heiligtümer in den griechischen Poleis von einer religiösen Bipolarität griechischer Städte spricht und damit eine doppelte Funktion der Kultstätten in den Poleis beschreibt: Einerseits die Konstituierung eines sozialen Raumes innerhalb einer Polis (also in Bezug auf den Bürgerverband und teilweise durchaus auch die übrigen Bewohner), zugleich aber auch durch die Errichtung von Grenzheiligtümern die Fixierung des Polisterritoriums und damit die Abgrenzung zu den umliegenden, auf gleiche Weise festgelegten Polisterritorien.6 Was de Polignac in seinem Buch entwickelt, findet schon im sechsten Buch der platonischen Nomoi eine Entsprechung, wo nach langen Ausführungen über die beste Form des Staates auch die Frage der baulichen Gestaltung aufgeworfen wird: „Und da unser Staat ja neu und bisher noch unbewohnt ist, so muss er sich natürlich so ziemlich um das gesamte Bauwesen kümmern und überlegen, wie er es mit allen Einzelheiten und so auch mit den Heiligtümern und Mauern | [S. 289] halten soll.“ Und als erstes wird dann der Bau der Heiligtümer beschrieben: „Die Heiligtümer soll man rings um den ganzen Markt und rings um die ganze Stadt im Kreis an hochgelegenen Plätzen erbauen.“ 7 Die Heiligtümer um den Markt als Integrationsfaktor und die Heiligtümer auf den Höhen rings um die Polis als Abgrenzungsfaktor: Prägnanter lässt sich die von de Polignac bezeichnete religiöse Bipolarität und die doppelte Funktion der Kultstätten in den Poleis kaum beschreiben. Wenn nun aber der „Polis-Religion“ ein so hoher Stellenwert zukam, ergibt sich aber zugleich auch die Frage nach der Exklusivität aller dieser Polis-Religionen. Was bedeutet „Polis-Religion“ hinsichtlich der Teilhabe an allen diesen Heiligtümern und Kulten? Eine Antwort auf diese Frage kann sich nicht an den zahllosen Vorschriften und Reglements orientieren, durch die bestimmten Gruppen oder Individuen aufgrund spezifischer Begründungen der Zugang zu einzelnen Heiligtümern und Kulten verwehrt wurde. Ich erinnere – um nur einige wenige Exempel anzuführen – an den Ausschluss der Thebaner von der Befragung des Orakels im Amphiareion8 oder das Verbot für Dorer, den Tempel der Athena auf der Athener Akropolis zu betreten.9 Es gab Heiligtümer und Kulte, die nur Frauen oder Männern offen standen; andere Heiligtümer wiederum durften nur 6 De Polignac 1995. 7 Plat. leg. 778b–c (Übersetzung nach K. Schöpsdau). 8 Hdt. 8,134,2. 9 Hdt. 5,72,3–4; vgl. dazu Parker 1998.
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von Priestern oder Kultbeamten betreten werden und wieder andere Heiligtümer waren überhaupt unbetretbar (abaton). Diese Aufzählung ließe sich noch um Vieles erweitern.10 Solche Tabuisierungen fanden ihre Begründung im jeweiligen Einzelfall und sind daher wenig geeignet, um auf unsere Frage nach der Exklusivität von Polis-Religion eine angemessene Antwort zu finden. Hier gilt es vielmehr nach einem spezifischen Tabu zu fragen, das die Zugehörigkeit zur Polis zugleich auch zum Kriterium macht für den Zugang zu Heiligtümern und für die Beteiligung an Kulten. In den Quellen finden sich diesbezüglich erstaunlich wenig eindeutige Aussagen wie etwa die gleichlautenden Inschriften auf zwei Architravblöcken in Delos, die dem so genannten Archegesion, dem Heiligtum des mythischen Archegeten von Delos, Anios, zuzuweisen sind. In strikter Form wird dort | [S. 290] gefordert: Ξένωι οὐχ ὁσίη ἐσιέναι – „einem Fremden ist der Zugang zum Heiligtum verboten“.11 Eine solche rigorose Ausgrenzung von xenoi findet sich allerdings nur selten und scheint eher die Ausnahme gewesen zu sein.12 Das dürfte seinen Grund darin haben, dass die Poliskulte in der Regel durchaus von einer gewissen Offenheit geprägt waren. Diese Offenheit der Polis-Kulte bedeutete allerdings nicht, dass Bürger und xenoi in gleicher Weise an den Kulten partizipierten, es sei denn, dass es besondere Gründe gab, auch die xenoi stärker an den Kulten zu beteiligen, um sie auf diese Weise auch enger an die Polis zu binden. Darauf zielten beispielsweise die Bemühungen der Athener ab, die Mitglieder des Delisch-Attischen Seebundes – teilweise sogar unter Zwang – an den Festfeiern der Panathenäen zu beteiligen. Den Athenern ging es eben gerade darum, das Fremdsein der Bündner wenn schon nicht im rechtlichen Sinne, so doch zumindest über Kult und Religion zu überwinden und auf diese Weise das Gefüge ihres Bündnissystems zu festigen.13 In der Regel galten für Fremde aber doch besondere Regeln, sofern sie nicht grundsätzlich von den Kulten ausgeschlossen waren. In dem Gesetz, das die Ostlokrer als Grundlage für ihre Koloniegründung in Naupaktos beschlossen, wurde ausdrücklich festgelegt, dass die Lokrer, die sich in Naupaktos ansiedeln, da sie dann ja Naupaktier seien, in ihrer ursprünglichen Heimat Ost-Lokris nur als xenoi an heiligen Handlungen teilnehmen und opfern dürften.14 Gerade dieses Beispiel einer Koloniegründung zeigt besonders deutlich, wie ausgeprägt der Bezug des Bürgers zu seiner Polis | [S. 291] auch in religiosis
10 S. etwa die Zusammenstellung bei Nilsson 1957, 75–77; vgl. Krauter 2004, bes. 53–113; Funke 2006. 11 I.Délos 68; s. auch Le Guen-Pollet 1991, Nr. 22; Koerner 1993, Nr. 54. Diese Inschrift wurde als I.Délos 68A gemeinsam mit der neu entdeckten, gleichlautenden Inschrift I.Délos 68B von Butz 1994 veröffentlicht; vgl. SEG XLIV 678. 12 Vgl. dazu Butz 1996; Krauter 2004; Funke 2006. 13 Vgl. dazu Smarczyk 2007. 14 IG IX 12 ,3, 718, bes. Z. 1–4; s. auch Syll.3 47; Meiggs/Lewis, GHI2 20; Koerner 1993, Nr. 49; Nomima I, Nr. 43.
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war, und wie sehr das Eingebundensein eines Bürgers in seine Polis gerade auch über die Kulte gefestigt werden sollte. Die feste Verankerung der Religion im Gesamtsystem der Polis bedingte aber auch, dass die Zahl der verschiedenen Kulte und Gottheiten so unüberschaubar war wie die der griechischen Poleis und Stämme. Paul Cartledge hat einmal festgestellt, that religion was above all the totality of public festivals celebrated by each of the hundreds of political communities; and the total was extraordinarily high, both absolutely and as proportion of the days in the year given over to festivals by the cities. Our evidence is unfortunately very incomplete and uneven. But altogether in excess of 300 public, state-run religious festivals are known to have been celebrated at over 250 places in honour of more than 400 deities.15 Diese Vielfalt religiöser und kultischer Erscheinungsformen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Bei aller Diversifikation der religiösen Welt der Griechen, die sich auch in den Epiklesen der Götternamen in besonderer Weise widerspiegelt, ist es aber doch ein besonderes Charakteristikum, dass es – wie bereits eingangs vermerkt – quasi als eine Art Überbau auch die Vorstellung eines gemeinsamen religiösen Zusammenhaltes gab.16 Sourvinou-Inwood hat davon gesprochen, dass „(…) each polis was a religious system which formed part of the more complex world-of-the-polis system, interacting with the religious systems of the other poleis and with the Panhellenic religious dimension.“17 Mit den „panhellenischen Dimensionen“ hat es allerdings seine besondere Bewandtnis, denn in gewisser Weise handelt es sich dabei um ein Konstrukt, was auch schon den antiken Zeitgenossen klar gewesen war. Schon die von Herodot geäußerte Auffassung über die Ursprünge des griechischen Pantheons weist in diese Richtung, wenn er sagt, dass erst Homer und Hesiod für die Hellenen „den Stammbaum der Götter geschaffen und den Göttern die | [S. 292] Beinamen gegeben und ihre Ämter und Fertigkeiten gesondert und ihre Gestalten deutlich gemacht haben“.18 Dabei ist es für unsere Fragestellung unerheblich, inwieweit sich hinter dieser Äußerung ein religiöser Skeptizismus oder eine Distanzierung von einer Theogonie verbergen. Mir geht es nur um die bloße Feststellung, dass wir hier trotz aller Diversifikationen nicht nur in politicis, sondern auch in religiosis eine panhellenische Wahrnehmungsebene greifen, die unabhängig von der persönlichen Einstellung Herodots für das religiöse Denken der Griechen signifikant gewesen ist. Diese panhellenische Perspektive kam vor allem 15 Cartledge 1985, 98–99. 16 Die folgenden Ausführungen knüpfen unmittelbar an frühere Überlegungen an; vgl. dazu Funke 2004; Funke 2005; Funke 2006; Funke 2009 [2010]. 17 Sourvinou-Inwood 2000, 13. 18 Hdt. 2,53,2; s. dazu Burkert 1985; Thomas 2000, 216–217.
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immer dann zum Tragen, wenn es um die Betonung der Zusammengehörigkeit und des Zusammenhalts der Griechen ging. So konnte sich Aristagoras von Milet ebenso auf die θεοὶ Ἑλλήνιοι berufen wie der Korinther Soklees und der Athener Hippias.19 Im Jahre 480 lehnten die Athener das persische Friedensangebot ab „aus Furcht vor dem Zeus der Hellenen“;20 und Hegesistratos von Samos rief 479 in Delos die Griechen im Namen der „gemeinsamen Götter“21 zur Fortführung des Kampfes gegen die Perser auf. Und als die Athener im Winter 480/79 angesichts der persischen Bedrohung die Einheit der Griechen beschworen, beteuerten sie nachdrücklich, dass sie nicht zu Verrätern der gemeinsamen griechischen Sache – τὸ Ἑλληνικόν – werden wollten. Τὸ Ἑλληνικόν wird dann von den Athenern näher bestimmt. Neben dem gleichen Blut und der gemeinsamen Sprache werden vor allem die gemeinsamen Heiligtümer und Opfer als gesamtgriechisches Merkmal hervorgehoben.22 Diese panhellenische Sicht auf die griechische Götterwelt war nun eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich auch so Etwas wie eine panhellenisch orientierte sacred land scape entwickeln konnte, deren Grundlagen zwar in einer polisorientierten religiösen Welt verankert waren, die aber doch einen eigenen polisübergreifenden, eben panhellenischen Charakter besaß.23 Die Theoi Hellenioi wurden in einer Welt von Heiligtümern verortet, deren geographische Koordinaten durch ein gemeinsames religiöses Selbstverständnis der Griechen bestimmt wurde. Es war eine spezifische kultische Oikumene, die nicht nur aus | [S. 293] der einfachen Summe einer Vielzahl von Tempeln und Kultplätzen bestand, sondern durch die Existenz einzelner, weit über einen engeren lokalen Bereich hinaus wirksamer Heiligtümer, die auch in der nichtgriechischen Welt in Ansehen standen, in besonderer Weise gekennzeichnet war. Das Spezifische, das diese Welt zusammenhielt, das war eine panhellenische Akzeptanz und – als Kehrseite der Medaille – eine panhellenische Verfügbarkeit. Unbeschadet der administrativen Zuständigkeit einzelner Poleis, Ethne oder amphiktyonischer Verbände waren diese Heiligtümer in den Augen der Griechen in gewisser Weise panhellenisches Gemeingut. Es sei in diesem Zusammenhang nur auf die erste Klausel des Nikias friedens von 421 verwiesen, in der es heißt: „Bezüglich der gemeinsamen Heiligtümer (περὶ μὲν τῶν ἱερῶν τῶν κοινῶν): Wegen der Opfer, Orakelbefragungen und Festfeiern (θύειν μαντεύεσθαι θεωρεῖν) soll nach altem Brauch (κατὰ τὰ πάτρια) jedem, der es wolle, freier Zugang zu Wasser und zu Lande garantiert werden.“24 Auch wenn diese Regelung 19 20 21 22
Aristagoras: Hdt. 5,49,3; Soklees: Hdt 5,92η; Hippias: Hdt 5,93,1. Hdt. 9,7α: Δία Ἑλλήνιον αἰσθέντες. Hdt. 9,90,2: θεοὶ κοινοί. Hdt. 8,144,2: ὅμαιόν τε καὶ θεῶν ἱδρύματά τε κοινὰ καὶ θυσίαι– vgl. dazu Parker 1998; Konstan 2001; Hall 2002, 189–205; Zacharia 2008. 23 Vgl. zum Folgenden Funke 2004; Funke 2005. 24 Thuk. 5,18,2.
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vor dem Hintergrund der damaligen athenisch-spartanischen Auseinandersetzungen um die Kontrolle Delphis gesehen werden muss, legt es die Formulierung περὶ μὲν τῶν ἱερῶντῶν κοινῶν doch nahe, dass sie sich auf einen größeren Kreis von Heiligtümern bezogen haben muss. Es handelte sich hierbei ganz offensichtlich um nichts anderes als um eine Garantieerklärung für den besonderen Schutz der Heiligtümer, die nach allgemeiner Auffassung für alle Griechen von besonderer Bedeutung waren. Dabei ist es bemerkenswert, dass es hier ebenso wie schon in der zitierten Rede der Athener keiner weiteren Erläuterungen bedurfte, um welche Heiligtümer es sich konkret bei τὰ ἱερὰ τὰ κοινά handelte. In dieser Frage bestand aber offenbar ein allseitiges Einverständnis, das für die griechischen Zeitgenossen selbstverständlich und unumstößlich war. Die Vorstellungen über τὰ ἱερὰ τὰ κοινά im klassischen Griechenland beruhten also keineswegs nur auf einem eher unspezifischen emotionalen Empfinden, sondern waren sehr konkret mit bestimmten Heiligtümern verbunden, die in ihrer Gesamtheit eine sacred landscape formten und die als solche in einer mental map in den Köpfen der Griechen eingezeichnet waren. Hierbei handelte es sich unter anderem neben den – letztlich keineswegs nur vier – Austragungsorten der großen panhellenischen Wettkämpfe vor allem um Orakel- und Heilkulte; aber auch Mysterienkulte wie die in Eleusis und Samothrake dürften dazu gehört haben – um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Heiligtümer, die aufs Ganze besehen die griechische Staatenwelt wie ein Netz umspannten und an allen Ecken und Enden miteinander verbanden, wurden durch ihre Kulte, Riten und Festfeiern zu Fixpunkten einer regelmäßigen Begegnung aller Hellenen und waren damit sogar weit mehr als bloße Elemente einer sacred landscape. Sie bildeten Orientierungsmarken einer pan- | [S. 294] hellenischen Landschaft, deren konkrete Grenzen eher unbestimmt waren und die – nicht zuletzt auch durch ein oft wucherndes Wachstum einer konstruierten panhellenischen syngeneia befördert – eine ständige Umgestaltung erfuhr. Es war ein imaginiertes Vaterland, dessen Bedeutung für die Selbstvergewisserung und den Zusammenhalt der eigentlich vaterlandslosen Hellenen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.25 In der Regel werden alle diese Heiligtümer unter dem Oberbegriff „panhellenisch“ subsumiert;26 und die panhellenische Dimension kennzeichnet auch zweifellos einen spezifischen Charakterzug dieser Kultstätten. Mit einer solchen panhellenischen Fokussierung wird aber zugleich auch ein doch sehr stark bipolarer Gegensatz zu dem konstruiert, was im ersten Teil der Ausführungen als Bereich der Polisreligion kurz skizziert worden ist. Eine solche Dichotomisierung verdeckt dann aber die mögliche funktionale Vielfalt von Kulten und Heiligtümern – in religiosis wie in politicis. Denn so, wie innerhalb – oder 25 Vgl. dazu Funke 2009 [2010]. 26 S. etwa Bruit Zaidman/Schmitt Pantel 1994, 112–140; zum Panhellenismus vgl. auch die umfassende Studie von Mitchell 2007 (mit der älteren Literatur).
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auch unterhalb – der Polisreligion eine Vielzahl religiöser Erscheinungsformen in Gestalt von Geschlechter-, Familien- und Individual-Kulten existierte, öffnete sich jenseits der Polisreligion auch ein breit gefächertes Spektrum an räumlich wie auch funktional verschiedenen Einflussbereichen und Wirkungskreisen „polisübergreifender“ Heiligtümer, das sich mit dem Begriff „panhellenisch“ nicht angemessen bezeichnen lässt. Stattdessen erscheint es mir angebrachter, in diesem Zusammenhang nicht vorschnell mit Sammelbegriffen wie „panhellenisch“ oder „polisübergreifend“ zu operieren, sondern zunächst einmal die verschiedenen Einflussbereiche und Wirkungskreise jedes einzelnen Heiligtums der jeweiligen geographischen Erstreckung und ihrer Funktionalität entsprechend zu bestimmen und zu differenzieren. Als Ausgangspunkt können dabei die unterschiedlichsten Faktoren dienen. Nur stichwortartig und exemplarisch seinen hier als Kategorien genannt: die Herkunft und Typologie von Weihungen, die geographische Streuung von Asylieurkunden, die räumliche Erstreckung der Akzeptanz eines im Zusammenhang bestimmter Festfeiern verkündeten allgemeinen Landfriedens (ekecheiria), die Sitzverteilung in Amphiktyonenräten, der Einzugsbereich von Freilassungsurkunden, die Herkunft von Orakelanfragen. Mit Hilfe solcher Indikatoren sind ganz unterschiedlich dimensionierte, durchaus auch überlappende Einflussbereiche und Wirkungskreise auszumachen, die dann wiederum auch Rückschlüsse zulassen auf die jeweiligen Personengruppen und die Art ihrer Selbstidentifizierung mit dem entsprechenden Kult bzw. Kultplatz. | [S. 295] Eine solche Vorgehensweise empfiehlt sich umso mehr, da durchaus ein und dasselbe Heiligtum sowohl auf lokaler und regionaler Ebene wie auch auf überregionaler und panhellenischer Ebene und noch darüber hinaus bis in nichtgriechische Bereiche hinein Wirksamkeit entfalten und Einfluss geltend machen konnte – aber eben nicht beliebig und nicht in jedem Fall.27 Funktionalität und räumliche Dimensionen scheinen vielmehr in einem sich gegenseitig bedingenden Wechselverhältnis zueinander zu stehen, dessen jeweilige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in jedem Einzelfall zu klären sind. Nur auf diese Weise lassen sich dann auch die jeweiligen politischen Dimensionen genauer bestimmen. Im Einzelfall birgt eine solche Analyse, die als Voraussetzung für jede funktionale Bestimmung eines Kultplatzes unabdingbar zu fordern ist, allerdings besondere Schwierigkeiten vor allem dann, wenn es um die Auswertung der nichtschriftlichen Quellenbefunde geht. Weder die Bestimmung des Objektes selbst noch die seiner Provenienz erlaubt zugleich auch schon sichere Rückschlüsse auf den funktionalen oder räumlichen Zuschnitt von Einflussbereichen und Wirkungskreisen eines Heiligtums. Hier bedarf es noch der Entwicklung und Anwendung spezifischer Methoden, bei denen qualitative und quantitative Analysen miteinander verbunden werden müssen, um zu entsprechenden Aussagen gelangen zu können. 27 Zu welchen Erträgen einer solcher Ansatz führen kann, hat die exemplarische Untersuchung von Moustakis 2006 gezeigt.
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Abschließend soll das im Vorangegangenen Skizzierte an einem Beispiel zumindest ansatzweise verdeutlicht werden: Einen spezifischen Typus polisübergreifender Heiligtümer stellten die so genannten amphiktyonischen Heiligtümer dar, die den kultischen Mittelpunkt von Zusammenschlüssen benachbarter Staaten, Stämme oder sonstiger politisch-gesellschaftlicher Gemeinschaften bildeten.28 Dabei ist der Übergang zu den Heiligtümern durchaus fließend, die als kultische und politische Zentren für oft vielstufig gestaffelte und vielfach auch nur sehr locker verbundene stammes- oder bundesstaatlich strukturierte Entitäten fungierten. Von den amphiktyonischen Verbänden ist die delphische Amphiktyonie zweifellos der bekannteste, aber keineswegs der ein- | [S. 296] zige Fall in der griechischen Staatenwelt.29 Das delphische Heiligtum fungierte nun aber nicht nur als amphiktyonischer, also regional begrenzter Kultort, der in Mittelgriechenland stammes- und polisübergreifend eine auch politisch wirksame integrative Kraft darstellte; vielmehr war Delphi zu bestimmten Zeiten auch ein kultisches Zentrum panhellenischer Wettkämpfe und eine sogar weit über den griechischen Raum hinaus wirksame Orakelstätte und blieb zugleich doch immer auch zentraler Ort einer lokal begrenzten Polisreligion. Der Blick soll hier aber ausschließlich auf den Aspekt der Amphiktyonie gerichtet bleiben. Die Bedeutung amphiktyonischer Staatenbünde für die Genese und Ausgestaltung spezifischer zwischenstaatlicher, aber auch eigenstaatlicher Strukturen in der Antike wird in der jüngeren Forschung weit unterschätzt und aufgrund einer einseitigen Fixierung auf den jeweiligen kultischen Charakter kaum noch wahrgenommen. Hier scheint das Gespür für die unmittelbare Wechselwirkung und den untrennbaren Zusammenhang von Religion und Kult einerseits und dem, was wir „Staatlichkeit“ nennen könnten, aus dem Blick geraten zu sein. Es ist erstaunlich, wie stark in der neueren Forschung die politischen Aspekte der Amphiktyonien gegenüber den rein sakralen zurückgetreten sind. Es muss daher darum gehen, das Augenmerk wieder verstärkt auf die multifunktionale Organisationsstruktur von Amphiktyonien und auch anderen überregionalen Heiligtümern und Kultverbänden zu richten und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Regelungen und Mechanismen der Binnenstrukturen dieser zwischenstaatlichen Verbünde mit zu berücksichtigen. Lassen sich hier doch überaus interessante Ansätze finden, zumindest Grundregeln eines friedlichen und geordneten Zusammenlebens eigenständiger, zunächst meist unmittelbar benachbarter, aber keineswegs zwingend ethnisch verwandter Staaten festzulegen, die
28 Vgl. hierzu die entsprechenden Ausführungen bei Tausend 1992; Baltrusch 1994; Siewert 2005, 19–24; Funke 2007; Baltrusch 2008. 29 Vgl. Busolt/Swoboda 1926, 1280–1310 sowie die in Anm. 27 aufgeführte Literatur; s. auch Mylonopoulos 2006; speziell zur pyläisch-delphischen Amphiktyonie s. Lefèvre 1998; Sánchez 2001.
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durch religiöse Rückbindung abgesichert wurden und deren Bruch durchaus sanktioniert werden konnte.30 | [S. 297] So besehen erhalten amphiktyonische Kultzentren einen Bezugsrahmen und einen Funktionszusammenhang, die über die rein religiösen und sakralrechtlichen Sphären weit hinausreichen. Auf diese Weise konnten überregionale Heiligtümer auch in politicis eine große Integrationskraft entfalten und identitätsstiftend bzw. -sichernd wirken für diejenigen, die Teilhaber dieser Heiligtümer waren. Kultgemeinschaft und politische Gemeinschaft waren dabei aufs engste miteinander verwoben, jedoch dergestalt, dass die amphiktyonische Identität sich zur je eigenstaatlichen Identität nicht konkurrierend, sondern ergänzend verhielt. Die Relationen zwischen diesen Identitäten waren allerdings nicht starr, sondern konnten sich vielmehr in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln: Einerseits konnte das Zusammenwirken an den überregionalen Kulten und Heiligtümern für die beteiligten Gemeinschaften zu einer Stabilisierung auch der je eigenen „staatlichen“ oder ethnischen Identität beitragen, indem ganz bewusst der übergreifende amphiktyonische bzw. zwischenstaatliche Charakter auch in der institutionellen Ausgestaltung der Kultverwaltung und -praxis etwa in Form eines repräsentativ zusammengesetzten Amphiktyonenrates zum Tragen kam; andererseits kam es aber durchaus auch zu sehr weitgehenden Annäherungen zwischen den am Kult beteiligten Gemeinschaften auch in politicis immer da, wo staaten- und stammesbündische Amphiktyonien bundesstaatliche Zusammenschlüsse generierten und die überregionalen Kultzentren zum Kulminationspunkt dieser Entwicklung wurden, um vor allem auch mögliche politische Spannungen zwischen den einzelnen Gliedstaaten eines Bundes aufzufangen und zu kompensieren.31 Auch wenn dieser sehr knappe Verweis auf die griechischen Amphiktyonien nur auf einen einzelnen Aspekt aus der Fülle möglicher Einflussbereiche und Wirkungskreise 30 Die für die delphisch-pyläische Amphiktyonie belegten Regeln sprechen dafür, dass auch die Mitglieder anderer Amphiktyonien, die politisch unabhängige Staaten blieben, sich in durch Eide bekräftigten Übereinkünften verpflichteten, auch im Konfliktfall bestimmte Regeln im zwischenstaatlichen Miteinander einzuhalten, um wenigstens die Existenzgrundlagen aller Amphiktyonen sicherzustellen. Somit fungierten die griechischen Amphiktyonien als eine sehr frühe Instanz zur Stabilisierung zwischenstaatlicher Beziehungen. – Zum delphischen Eid vgl. Aischin. 2,115. Selbst wenn die bei Aischines überlieferte Eidesformel ein spätes Konstrukt sein sollte [so etwa | [S. 297] Sánchez 1997; s. aber auch Lefèvre 1998, 147–151], zeigt doch die diesem Konstrukt dann zugrunde liegende Sichtweise, dass die politische Funktion der delphischen Amphiktyonie als Regulativ im zwischenstaatlichen Miteinander erkannt und im Blick war. 31 Vgl. die für diesen Sachverhalt bezeichnende Notiz bei Pol. 2,39,5–6, der zufolge sich die süd italienischen Städte Kroton, Sybaris und Kaulonia wohl um die Mitte des 5. Jh.s v. Chr. zu einem Städtebund zusammengeschlossen und ein gemeinsames Heiligtum für Zeus Homarios gegründet hatten, das als Versammlungsort für die Bundesversammlung und den Bundesrat diente. Vgl. dazu Walbank 2000, 23–24.
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Bezug genommen hat, mag dennoch deutlich geworden sein, wie sich durch eine entsprechende Differenzierung Vielfalt und Komplexität nicht nur, aber auch der politischen Funktionen von Heiligtümern besser erschließen lassen. Entscheidende Orientierungspunkte waren offenbar stets Identitätsstiftung bzw. Identitätssicherung durch Integration und Abgrenzung im Kultischen als Ausdruck einer eben auch politischen Selbstvergewisserung.
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Integration und Abgrenzung
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Kultstätten und Machtzentren Zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in antiken Bundesstaaten
Der Einladung, an der Ringvorlesung mit dem Titel „125 Jahre Alte Geschichte in Innsbruck: Aktuelle Forschungen und Vernetzungen“ teilzunehmen, bin ich nur allzu gerne gefolgt. Bot sie doch einen willkommenen Anlass, einen Forschungsaspekt zu thematisieren, der mich schon seit langem intensiv beschäftigt und der mich in besonderer Weise auch mit dem Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik in Innsbruck verbindet.1 Bereits Mitte der 90er Jahre hatte ich die Gelegenheit, in Innsbruck einige Überlegungen zu den theoretischen Grundlagen des antiken Föderalismus vorzutragen; und ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass damals zu meiner freudigen Überraschung auch Franz Hampl anwesend war und sich intensiv an der Diskussion beteiligte. Der Bogen spannt sich von dort über einige Lehrveranstaltungen, die ich zum Thema „Staatenbünde und Bundesstaaten“ am Innsbrucker Seminar durchgeführt habe, bis hin zum Festkolloquium für Christoph Ulf im Jahre 2009, als es um die Analyse der „komplexen Welt der Kulturkontakte“ ging und ich die überregionalen Heiligtümer im antiken Griechenland als „Orte der Begegnung mit dem Fremden“ vorstellen durfte.2 Die folgenden Darlegungen knüpfen an die damals vorgetragenen Gedankengänge an und gründen auf Untersuchungen, die ich derzeit im Rahmen des Münsteraner Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und | [S. 54] Moderne“ durchführen kann.3 Ich werde in drei Schritten vorgehen und zunächst einige Grundlegungen erörtern, um den breiteren Rahmen zu verdeutlichen, in den die Frage nach den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in den griechischen Bundesstaaten eingebettet ist. Daran anschlieDieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: R. Rollinger/G. Schwinghammer/B. Truschnegg/ K. Schnegg (Hgg.), Altertum und Gegenwart. 125 Jahre Alte Geschichte in Innsbruck. Vorträge der Ringvorlesung Innsbruck 2010, Innsbruck 2012, 53–71. 1 Ganz herzlich danke ich allen Kolleginnen und Kollegen des Innsbrucker Instituts für Alte Geschichte und Altorientalistik für die ehrenvolle Einladung, an dieser Ringvorlesung mitzuwirken. Diese Einladung ist ein weiteres Zeichen der engen Verbundenheit und Freundschaft, derer ich mich seit langer Zeit erfreuen darf. Dazu zählen zwei Jahrzehnte intensiver Zusammenarbeit im ERASMUS-Programm, dem nun mit der Einführung des „European Master in Classical Cultures“ auch ein gemeinsamer Studiengang wahrhaft europäischen Zuschnitts zur Seite gestellt wird. Dazu zählt aber auch ein ebenso langer wissenschaftlicher Diskurs über die Frühformen gesellschaftlicher und politischer Formierung im antiken Griechenland, über die Grundlegungen antiker Historiographie und vor allem auch über die Fragen polisübergreifender und föderaler Herrschaftsbildungen. 2 Funke 2011. 3 Die folgenden Ausführungen habe ich auch an den Universitäten in Heidelberg und Tartu sowie in Kairo auf einer Tagung des Forschungsclusters 4 „Heiligtümer“ des Deutschen Archäologischen Instituts und in Münster auf einer internationalen Konferenz über „Greek Federal States and Their Sanctuaries. Identity and Integration“ vorgetragen; vgl. Funke 2009; Funke 2013.
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ßend werde ich als exemplarischen Fall die Gegebenheiten im Aitolischen Bundesstaat vorstellen und in einem abschließenden dritten Schritt in einer kontrastiv-vergleichenden Perspektive den Blick auf die übrigen Bundesstaaten richten. Am Ausgangspunkt der Überlegungen steht die Frage nach der politischen Rolle von Religion und Kult im zwischenstaatlichen Miteinander der antiken griechischen Poliswelt und zwar fokussiert auf eine differenzierte Analyse der politischen Rolle oder besser gesagt: der politischen Rollen – überregionaler Heiligtümer. Dabei geht es vor allem auch darum, das näher zu bestimmen, was in der Regel nur ganz allgemein als „überregional“ bezeichnet wird. Es gilt, die bipolare Perspektive auf die griechischen Heiligtümer aufzubrechen, die häufig nur zwischen einer Polis zentrierten und einer panhellenisch orientierten Dimension unterscheidet. Eine solche Dichotomisierung verdeckt die mögliche funktionale Vielfalt von Kulten und Heiligtümern – in religiosis wie in politicis.4 Denn so, wie innerhalb – oder auch unterhalb – der Polisreligion eine Vielzahl religiöser Erscheinungsformen in Gestalt von Geschlechter-, Familien- und Individual-Kulten existierte, öffnete sich auch jenseits der Polisreligion ein breit gefächertes Spektrum an räumlich wie auch funktional verschiedenen Einflussbereichen und Wirkungskreisen überregionaler Heiligtümer, das sich mit dem Begriff „panhellenisch“ nur unzureichend bezeichnen lässt. Das Heiligtum in Delphi fungierte eben nur zu bestimmten Anlässen als ein panhellenisches Heiligtum und erfüllte ansonsten eben auch die Funktion eines amphiktyonischen, also auf einen weitaus kleineren Kreis von Teilhabern eingegrenzten Zentrums oder auch einer weit über die griechische Welt hinaus wirkenden Orakelstätte; und zugleich blieb das Heiligtum immer auch eine lokale Kultstätte. Es konnte also ein und dasselbe Heiligtum sowohl auf lokaler und regionaler Ebene wie auch auf überregionaler und panhellenischer Ebene und noch darüber hinaus bis in nichtgriechische | [S. 55] Bereiche hinein Wirksamkeit entfalten und Einfluss geltend machen – aber eben nicht beliebig und nicht in jedem Fall. Funktionalität und räumliche Dimensionen scheinen vielmehr in einem sich gegenseitig bedingenden Wechselverhältnis zueinander zu stehen, dessen jeweilige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in jedem Einzelfall zu klären sind. Nur auf diese Weise lassen sich dann auch die jeweiligen politischen Dimensionen genauer bestimmen.5 Es geht also letztlich um eine funktionale Ausdifferenzierung überregionaler Heiligtümer unter besonderer Berücksichtigung ihrer jeweiligen politischen Rolle. Diese Fokussierung auf die politischen Dimensionen zielt vornehmlich auf die Bestimmung der formativen Funktion von Religion und Kult für die Ausgestaltung von Herrschaft und politischer Ordnung. An den überregionalen Heiligtümern der griechischen Staaten 4 Vgl. zur Problematik Morgan 2003; De Polignac 2009; Scott 2010, besonders 250–273. 5 Zu welchen Erträgen ein solcher Ansatz führen kann, hat die exemplarische Untersuchung von Moustakis 2006 gezeigt.
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welt lässt sich exemplarisch die formierende und integrierende Funktion von Religion aufzeigen. Diese Heiligtümer eignen sich daher auch in besonderer Weise, um die Funktion ihrer Kulte im Hinblick auf die Entwicklung und Ausgestaltung zwischenstaatlicher Organisationen in der Antike zu analysieren. Ein besonderer Typus solcher überregionalen Heiligtümer waren die so genannten amphiktyonischen Heiligtümer, die den kultischen Mittelpunkt von Zusammenschlüssen benachbarter Staaten, Stämme oder sonstiger politisch-gesellschaftlicher Gemeinschaften bildeten.6 Von diesen ist die delphische Amphiktyonie zweifellos der bekannteste, aber keineswegs der einzige Fall.7 Die Bedeutung solcher Formen von amphiktyonischen Staatenbünden für die Genese und Ausgestaltung spezifischer zwischenstaatlicher, aber auch eigenstaatlicher Strukturen in der Antike wird in der jüngeren Forschung allzu oft unterschätzt und aufgrund einer einseitigen Fixierung auf den jeweiligen kultischen Charakter oft zu wenig wahrgenommen. Hier scheint das Gespür für die unmittelbare Wechselwirkung und den untrennbaren Zusammenhang von Religion und Kult einerseits und dem, was wir „Staatlichkeit“ nennen können, andererseits aus dem Blick geraten zu sein. Es gilt daher, das Augenmerk wieder stärker auf die politische Wirkkraft von Amphiktyonien und auch anderen überregionalen Heiligtümern und | [S. 56] Kultverbänden zu richten und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die strukturellen Regelungen und Mechanismen dieser Staaten übergreifenden Verbünde mitzuberücksichtigen. Auf diese Weise lässt sich der Bezugsrahmen dieser Kultzentren verdeutlichen, der über eine rein religiöse und sakralrechtliche Sphäre weit hinausreicht. Die überregionalen Heiligtümer konnten eben auch in politicis eine große Integrationskraft entfalten und identitätsstiftend bzw. identitätswahrend wirken für diejenigen, die Teilhaber dieser Heiligtümer waren. Kultgemeinschaft und politische Gemeinschaft waren dabei aufs engste miteinander verwoben, jedoch dergestalt, dass die „amphiktyonische Identität“ sich zur je „eigenstaatlichen Identität“ nicht konkurrierend, sondern ergänzend verhielt und damit eine zusätzliche Integrationskraft entwickeln konnte. Dieses Wirkungsverhältnis ließe sich am Beispiel Delphis oder des Panionions oder des Triopions ebenso exemplifizieren wie im Falle von Delos als dem frühen Zentrum des „Delisch-Attischen Seebundes“.8 Die Relationen zwischen den verschiedenen Identitäten waren allerdings nicht starr, sondern konnten sich vielmehr in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln: Einerseits konnte das Zusammenwirken an den überregionalen Kulten und Heiligtümern für 6 Vgl. hierzu die entsprechenden Ausführungen bei Tausend 1992; Baltrusch 1994; Siewert 2005, 19–24; Funke 2007; Baltrusch 2008. 7 Vgl. Busolt/Swoboda 1926, 1280–1310; s. auch Mylonopoulos 2006; speziell zur pyläischdelphischen Amphiktyonie s. Lefèvre 1998; Sánchez 2001. 8 Es mag hier genügen, auf die in den Anm. 6 und 7 genannte Literatur zu verweisen; vgl. auch De Polignac 2009.
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die beteiligten Gemeinschaften zu einer Stabilisierung auch der je eigenen „staatlichen“, ethnischen etc. Identität beitragen, indem ganz bewusst der übergreifende amphiktyonische bzw. zwischenstaatliche Charakter auch in der institutionellen Ausgestaltung der Kultverwaltung und -praxis zum Tragen kam; andererseits kam es aber durchaus auch zu sehr weitgehenden Annäherungen zwischen den am Kult beteiligten Gemeinschaften auch in politicis immer da, wo zentrale Heiligtümer von Stammesbünden oder Staatenbünden bundesstaatliche Zusammenschlüsse generierten und die überregionalen Kultzentren zum Kulminationspunkt dieser Entwicklung wurden. Damit sind wir nun beim Kernpunkt angelangt, von dem die weiteren Darlegungen ihren Ausgang nehmen. Der Stellenwert und die Wirkungsweisen von zentralen Kulten und Heiligtümern in den griechischen Bundesstaaten sind im Ensemble der Identitätsebenen der Griechen bislang noch nicht systematisch untersucht worden. Innerhalb dieser aus mehreren, in der Regel zumindest theoretisch gleichgestellten Gruppierungen bestehenden Verbände entwickelte sich im Verlauf der Zeit ein aus religiöser Praxis, aus Heiligtümern, Gottheiten, Ritualen, religiösen Institutionen | [S. 57] und Handlungen bestehendes symbolisches System, das die religiöse Einheit der Kultgemeinschaft anzeigte, zugleich aber auch zum Ausdrucksmittel und Stabilisierungselement ihres Zusammenhaltes und ihrer Identität in politicis wurde. Auf diese Weise konnten Heiligtümer und Kulte auf der bundesstaatlichen Ebene zu Orten der Einheitsstiftung werden, die dann auch von den Bürgern der einzelnen Gliedstaaten eines Bundes als zentrale Bezugspunkte bundesstaatlicher Identifikation akzeptiert wurden. So konnten die Bundesheiligtümer in den griechischen Föderalstaaten in Ermangelung eines ausgeprägten Vorortes quasi als „Ersatzzentren“ dienen. Sie waren daher – allerdings nicht immer und nicht zwangsläufig – nicht nur kultisch-religiöse Mittelpunkte, sondern zugleich auch die Versammlungsorte der jeweiligen Bundesinstitutionen: Die Bünde betrieben eine gemeinsame Bautätigkeit in den Heiligtümern, sie wählten Kultbeamte und erhoben an das Heiligtum abzuführende Strafgelder. Die im Heiligtum regelmäßig gefeierten Bundesfeste sicherten als symbolische Handlungen die kollektive Identität der Bundesmitglieder. Hier ist die Wirksamkeit der Religion als ein Fokus für Gruppenidentitäten zu greifen, die durch eine gemeinsame Kultausübung, normierte Verhaltensregeln gegenüber dem „Heiligen“ und durch die Feste als Gipfel und Verdichtung des kultischen Lebens hergestellt wurden. Die Bundesstaaten gründeten in der Selbstwahrnehmung ihrer Mitglieder nicht nur auf einer rein politischen, von jeglichen religiösen und kultischen Bindungen losgelösten Kooperation, sondern bildeten vielmehr eine Art Lebens- und Kultgemeinschaft, auch wenn der Zusammenschluss durch politische Akte hergestellt und durch Gesetze abgesichert wurde. In den Bundesheiligtümern manifestierte sich die bindende Kraft einer allseits akzeptierten und daher auch wirksamen Ordnung, die die Bundesstaaten intern zugleich als religiöse und politische Einheiten vernetzte. Diese zugestandenermaßen noch sehr allgemeine Beschreibung dürfte den landläufigen Vor-
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stellungen über den inneren Zusammenhalt der antiken Bundesstaaten weitgehend entsprechen; und sie findet vorderhand zunächst durchaus eine Bestätigung in dem Fallbeispiel des Aitolischen Bundes, das im Folgenden in gebotener Kürze erörtert werden soll.9 Ὁρᾷς, τὸ δῖον οὗ βέλος διέπτατο. „Du siehst, es traf sein Ziel das göttliche Geschoss“. | [S. 58] Diesen Spruch schrieben im Jahre 218 v. Chr. die makedonischen Soldaten auf die Wände des von ihnen verwüsteten Heiligtums im aitolischen Thermos. Der Schöpfer dieses Spruches war der Dichter Samos, der den makedonischen König Philipp V. auf dem Kriegszug gegen Thermos begleitet hatte.10 Er hatte einen Vers aus den „Hiketiden“ des Euripides abgewandelt und durch die Verwendung des Wortes dion anstelle des ursprünglichen labron (oder habron) zu einem zweideutigen Spruch gemacht.11 Jeder, der den Spruch hörte oder las, musste die Doppeldeutigkeit der Wortes dion erkennen und umdeuten in ein: „Du siehst es, Dion, nicht hat das Geschoss sein Ziel verfehlt.“ Damit wurde für jeden klar und unmissverständlich auf den Kriegszug angespielt, bei dem ein Jahr zuvor, im Jahre 219, aitolische Truppen das makedonische Heiligtum in Dion verwüstet hatten. Mit seinem überraschenden Angriff auf Thermos wollte Philipp V. Rache nehmen für die Zerstörungen, die die Aitoler in Dion und im selben Jahr auch in Dodona angerichtet hatten. So, wie die Aitoler sich mit ihren Feldzügen gegen die großen religiösen und auch politischen Zentren des epirotischen Bundes und Makedoniens gewandt hatten, so wollte Philipp V. nun die Aitoler auf die gleiche Weise treffen. Polybios’ detaillierte Beschreibung des Verlaufs des Feldzugs lässt keinen Zweifel daran, dass es Philipp V. nicht um eine möglichst großflächige Zerstörung aitolischen Territoriums ging. Der Überfall auf Thermos war als ein Überraschungsangriff angelegt und zielte auf die geographische, vor allem aber auf die symbolische Mitte und damit das ‚politische Herz‘ des Aitolischen Bundes. In Thermos befand sich ein Heiligtum, dessen Anfänge bis weit in die „Dunklen Jahrhunderte“ zurückreichten und das bereits im letzten Drittel des siebten Jahrhunderts durch den Bau eines neuen Tempels eine eindrucksvolle Ausgestaltung erfahren hatte.12 Vermutlich bildete das Heiligtum in Thermos spätestens seit früharchaischer Zeit einen kultischen Mittelpunkt für die umliegenden aitolischen Stämme und dürfte schon früh Funktionen wie ein amphiktyonisches Heiligtum erfüllt haben. Jedenfalls sind der frühe Tempelbau in Thermos – wie etwa auch 9 Zu den folgenden Ausführungen über den Aitolischen Bund vgl. auch die erweiterte und ausführlicher kommentierte Fassung Funke 2013. 10 Pol. 5,9,2–6. 11 Eur. Suppl. 860; vgl. dazu Walbank 1957, 547. 12 Zur Frühgeschichte des Heiligtums vgl. Papapostolou 2008; Papapostolou 2010 (mit der älteren Literatur).
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die frühen Tempel in Delphi und im achaiischen Helike – Beispiele dafür, dass die von François de Polignac in seinem Buch über „Kulte, Territorium und die Ursprünge der griechischen Polis“ vertretene und so nachhaltig wirksame These | [S. 59] von der „religiösen Bipolarität“ früher griechischer Heiligtümer keineswegs eine Ausschließlichkeit für sich beanspruchen kann.13 De Polignac beschreibt mit dem Begriff der „religiösen Bipolarität“ durchaus zutreffend das Wechselspiel zwischen intra- und extraurbanen Heiligtümern als ein bestimmendes Moment für die Genese der Poleis: Während die intraurbanen Tempel entscheidend zur Konstituierung eines sozialen Raumes innerhalb einer Polis beitrugen, diente die gleichzeitige Errichtung von Grenzheiligtümern der Fixierung des Polisterritoriums nach außen und damit der Abgrenzung zu den umliegenden, auf gleiche Weise festgelegten Polisterritorien. Eine solche bipolare Struktur war aber keineswegs zwingend. Einem extraurbanen Heiligtum korrespondierte eben nicht immer zwangsläufig ein intraurbanes Gegenstück. Mit Blick auf die griechischen Orakelheiligtümer hat dies Wiebke Friese noch einmal eindrücklich herausgearbeitet.14 Gleiches gilt aber auch für viele griechische Amphiktyonien, Stammes- und Bundesheiligtümer, in denen schon in sehr früher Zeit die Errichtung großer Tempel zum sichtbaren Ausdruck einer sich konstituierenden religiösen und damit immer auch schon politischen Gemeinschaft wurde. Und dies traf allem Anschein nach gerade auch für das Heiligtum in Thermos zu. Das Quellenmaterial ist für die geometrische und archaische Zeit allerdings zu dürftig, um diese These absichern zu können. Erst für die klassische Zeit geben einige historiographische Notizen Aufschluss über die zunächst noch sehr lockeren Binnenstrukturen der aitolischen Stämme und das entsprechend noch sehr rudimentär ausgebildete politische Zusammenwirken. Thukydides berichtet für die Zeit des Peloponnesischen Krieges über einzelne, unterschiedlich große und noch weitgehend eigenständige Stammesverbände, die sich aber schon als „Aitoler“ zusammengehörig fühlten und nach außen hin auch als ein geschlossener Verband auftraten.15 Spätestens zur damaligen Zeit fungierte das Apollon-Heiligtum in Thermos als ein Ort, der den Aitolern für die Pflege eines gemeinsamen Kults diente, der von ihnen aber zugleich zu einem augenfälligen Zeichen eines zunehmend auch politisch akzentuierten ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühls ausgebaut wurde. Dafür spricht auch eine bei Strabon überlieferte Notiz des Ephoros, derzufolge im ausgehenden fünften Jahrhundert v. Chr. in Thermos eine Statue des Aitolos als | [S. 60] augenfällige Identifikationsfigur errichtet worden war.16 In der beigefügten Inschrift, der eine korrespondierende Inschrift auf dem Sockel einer Statue des Oxylos in Elis ent13 14 15 16
De Polignac 1995; vgl. aber auch mit einer differenzierteren Sichtweise De Polignac 2009. Friese 2010. Vgl. Funke 1987 (mit der älteren Literatur); Funke 1997; Antonetti 2010. FGrHist 70 Ephoros F 122 ap. Strab. 10,3,2.
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sprach, wurde eine neue, der älteren Überlieferung noch fremde genealogische Konzeption zugrunde gelegt. Aitolos erscheint hier nicht mehr als Sohn des Oineus, des Königs von Kalydon, sondern erlangt als der Sohn des elischen Königs Endymion die Herrschaft in Aitolien einschließlich der Küstenregion. Durch diese mythologische Version wurde es möglich, die engen Bindungen zwischen Aitolien und dem elisch-pisatischen Teil der Peloponnes herauszustellen, ohne den aitolischen Anspruch auf den damals noch von Aitolien unabhängigen nördlichen Bereich des Kalydonischen Golfes aufzugeben. Diese Ausgestaltung der Sagentradition ist vor dem Hintergrund des im Verlaufe des fünften Jahrhunderts v. Chr. wachsenden politischen Zusammenhaltes der Aitoler zu verstehen, die auf diese Weise ihrem politischen Selbstverständnis und Machtanspruch ein ideologisches Rüstzeug zu geben suchten. Die Errichtung der Statue des Aitolos war ein demonstratives Zeugnis für dieses erstarkende politische Selbstbewusstsein der Aitoler; und es ist bezeichnend für die politische Bedeutung des Heiligtums von Thermos, dass diese Statue gerade an diesem Ort errichtet wurde. Der weitere Ausbau des Heiligtums – vor allem dann in hellenistischer Zeit – folgte ganz dieser Linie. Die Zeit ist zu knapp, um die Entwicklung im Detail nachzuzeichnen. Es muss daher genügen, ganz pauschal auf die vielen Beutewaffen, die im Heiligtum von Thermos aufbewahrt wurden, und auf die zahllosen Weihungen hinzuweisen, von denen auch Polybios im Zusammenhang mit dem makedonischen Überfall zu berichten weiß.17 Besonders charakteristisch war die Statue der Aitolia, die im zweiten Drittel des dritten Jahrhunderts nach dem Sieg der Aitoler über die Galater im Heiligtum von Thermos errichtet worden war. Sie bildete quasi ein Pendant zur Statue des Aitolos, auch wenn diese wohl keineswegs so monumental gestaltet war wie die der Aitolia, von der zeitgleich noch ein zweites Exemplar in Delphi aufgestellt worden war.18 Die herausragende Bedeutung dieser Statue für das politische Selbstverständnis der Aitoler wird auch daran ersichtlich, dass sie als Abbild auf den Münzen vieler aitolischer Silber- und Goldemissionen des ausgehenden dritten und frühen zweiten Jahrhunderts v. Chr. erscheint.19 Aufs Ganze besehen ließ die architektonische Ausgestaltung | [S. 61] des Heiligtums keinen Zweifel an der Funktion von Thermos als dem zentralen Ort der politischen Selbstvergewisserung des Aitolischen Bundes gerade auch in der Zeit der weit über die engeren Grenzen der Kernlandschaft Aitolien hinausgreifenden Expansion des dritten Jahrhunderts v. Chr. Selbst in den Jahrzehnten, als sich das Bundesgebiet über fast ganz Zentralgriechenland erstreckte, konnte Thermos seine Stellung als religiöses und zugleich politisches Zentrum des Bundes unangefochten behaupten. So hielten die Aitoler bis zum endgültigen Niedergang des Bundes daran fest, in Thermos jährlich eine reguläre Primärversammlung 17 Pol. 5,9,3 berichtet von „nicht weniger als 2000 Statuen“. 18 Zur Statue der Aitolia in Delphi vgl. Jacquemin 1985 und Knoepfler 2007. 19 Vgl. dazu Tsangari 2007, besonders 73–81. 201. 250–253 sowie Taf. XXIII–XXVIII.
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abzuhalten, bei der auch die Wahlen zu den Führungsämtern des Bundes erfolgten. Wie weit diese Tradition in die Geschichte des Aitolischen Bundes zurückreichte wird daran deutlich, dass bereits Ephoros im vierten Jahrhundert v. Chr. anmerkte, dass die Wahlen „nach althergebrachtem Brauch“ in Thermos erfolgten.20 Ergänzend berichtet Polybios im Zusammenhang mit den bereits erwähnten Plünderungen von Thermos im Jahre 218 v. Chr., dass die Aitoler dort alljährlich ihre Jahrmärkte und Bundesfeste abhielten und dann auch die Wahlen der Bundesmagistrate durchführten, und zwar regelmäßig in der Zeit unmittelbar nach dem Herbstäquinoktium.21 Diese Herbstversammlungen, die nicht nur den Wahlen vorbehalten waren, sondern auch der Beratung und Beschlussfassung aller zur Entscheidung anstehenden Bundesangelegenheiten dienten, werden von Polybios als αἱ τῶν Θερμικῶν σύνοδοι bezeichnet.22 Dem entspricht die Datierung Θερμικ[οῖς] im Präskript eines aitolischen Dekretes.23 Mit dem Begriff „Thermika“ wurde aber wohl nicht nur die Herbstversammlung selbst bezeichnet. Schon Maurice Holleaux hatte die Ansicht vertreten, dass mit „Thermika“ vielmehr in erster Linie die ebenfalls von Polybios erwähnten Bundesfeste24 in Thermos bezeichnet worden seien, aus deren Anlass die Aitoler zur gleichen Zeit und am gleichen Ort ihre Bundesversammlungen abgehalten hätten. Die Angabe Θερμικοῖς in der aitolischen Urkunde sei durchaus mit dem Vermerk Πυθίοις in den delphischen Dekreten und ähnlichen Angaben in den Beschlüssen anderer griechischer Staaten zu vergleichen, in denen ebenfalls durch den Verweis auf bestimmte Feste Zeit und Ort einer Beschlussfassung näher präzisiert wurden.25 | [S. 62] Diese Auffassung Holleaux’s hat sich durch epigraphische Funde aufs beste bestätigt. Der Name „Thermika“ konnte als Bezeichnung einer großen kultischen Feier, mit welcher zumindest in hellenistischer Zeit auch panhellenische Festspiele verbunden gewesen waren, zweifelsfrei nachgewiesen werden.26 Ob nun der Name des Festes auch auf die gleichzeitig stattfindende Bundesversammlung übertragen worden war, ist nicht zu entscheiden. Diese Frage ist auch weniger von Bedeutung, da der Sachverhalt selbst klar ist: Zu Herbstbeginn kamen die Aitoler anlässlich eines gemeinsamen großen Festes regelmäßig in ihrem Bundesheiligtum in Thermos zusammen und hielten bei dieser Gelegenheit zugleich auch eine Versammlung ab, in welcher die Bundesämter neu besetzt und alle wichtigen politischen Entscheidungen des Bundes gefällt wurden.
20 21 22 23 24 25 26
FGrHist 70 Ephoros F 122 ap. Strab. 10,3,2. Pol. 5,8,5; 5,37,2. Pol. 18,48,5. IG IX 12 ,1, 187, Z. 2. Pol. 5,8,5 (ἀγοράς τε καὶ πανεγύρεις). Holleaux 1905, 366–367. SEG XI 338, Z. 7.
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Holleaux konnte aber auch den Nachweis führen, dass die Herbstversammlung nicht die einzige reguläre Versammlung des Aitolischen Bundes war, sondern dass die Aitoler alljährlich noch eine zweite reguläre Versammlung durchgeführt hatten und dass diese Versammlung jeweils am Ende des Winterhalbjahres stattfand und offenbar als Frühjahrsversammlung gleichsam das Gegenstück zu den Herbsttagungen des Aitolischen Bundes in Thermos bildete.27 Es ist jedoch nicht zu entscheiden, ob der im Zusammenhang mit dieser Versammlung überlieferte Name „Panaitolika“28 in erster Linie ein Bundesfest oder die Versammlung selbst bezeichnete. Die Parallelität mit dem Namen „Thermika“ legt die Existenz eines Festes zwar nahe, jedoch finden sich in den Quellen keine entsprechenden Hinweise. Im Gegensatz zu den „Thermika“ waren die „Panaitolika“ an keinen festen Ort gebunden. Die „Panaitolika“ unterscheiden sich grundlegend von den „Thermika“ darin, dass sie an wechselnden Orten stattfanden. Die disparate Quellenlage ergibt allerdings keine Aufschlüsse darüber, nach welchen Kriterien die Auswahl des jeweiligen Tagungsortes erfolgte. Holleaux hat die Ansicht vertreten, dass die Einberufung der Panaitolika nach einer festen Ordnung erfolgte. Er sah enge Parallelen zu den Versuchen Philopoimens, zu Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr. im Achaiischen Bund die Bundesversammlungen abwechselnd in allen Bundesstaaten stattfinden zu lassen. Holleaux vertrat sogar die Auffassung, dass sich Philopoimen mit seiner Initiative am aitolischen Vorbild orientiert hätte.29 | [S. 63] Es gibt aber für den Aitolischen Bund keinerlei Indizien für die Existenz eines Rotationssystems, in dem turnusmäßig alle Mitgliedsstaaten bei der Ortswahl für die „Panaitolika“ in gleicher Weise Berücksichtigung gefunden hätten. In Anbetracht der Kleinteiligkeit des Aitolischen Bundes ist ein solches Verfahren auch kaum vorstellbar. Auffällig ist aber, dass die wenigen Städte, die wir als Tagungsorte von „Panaitolika“ kennen, allesamt außerhalb „Alt-Aitoliens“ lagen. Dass es also prinzipiell möglich und vielleicht sogar die Regel war, die Frühjahrsversammlungen in den wichtigsten Zentren außerhalb des aitolischen Kernlandes abzuhalten, könnte auf das Bemühen zurückzuführen sein, die später dem Aitolischen Bund angeschlossenen Gliedstaaten enger in den Bund zu integrieren.30 Mit dieser Überlegung verbindet sich die Frage nach dem Alter der „Panaitolika“. Möglicherweise wurden die Panaitolika – zumindest in der uns bekannten Form – erst im Verlaufe des dritten Jahrhunderts v. Chr. geschaffen, um den Erfordernissen des rasch expandierenden Bundes gerecht zu werden. Man mag dabei aber durchaus an ältere Traditionen einer immer schon im Frühjahr veranstalteten Zusammenkunft der Aitoler angeknüpft haben, zumal solche Frühjahrsversammlungen auch aus anderen Stammes- und 27 28 29 30
Holleaux 1905. IG IX 12 ,1, 192, Z. 2; vgl. im Übrigen die Zusammenstellung der Belege bei Holleaux 1905. Holleaux 1905, 372. So auch Scholten 2000, 66.
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Bundesstaaten bekannt sind; aber der Charakter der Panaitolika im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. weist „moderne“ Züge auf, wie sie eigentlich erst für diese Zeit vorstellbar sind vor dem Hintergrund der neuen politischen Rahmenbedingungen des weit über die engeren Stammesgrenzen hinaus erweiterten Bundes. Auf die recht späte Entstehung bzw. Neugestaltung der „Panaitolika“ deutet auch der Name selbst hin. Schon Pierre Roussel hat die Bezeichnung als Ausdruck eines „panaitolisme“ gewertet, der sich erst auf dem Höhepunkt aitolischer Machtentfaltung im dritten Jahrhundert v. Chr. entwickelt habe.31 Und es gibt in der Tat Indizien für Bemühungen in dieser Zeit, den Zusammenhalt des Bundes durch eine intensiv propagierte panaitolische Ideologie zu stärken. So zeigen beispielsweise die „aitolischen“ Dichtungen des Nikandros von Kolophon allenthalben die Tendenz, insbesondere den Sagentraditionen der neu in den Aitolischen Bund integrierten Gliedstaaten eine spezifisch aitolische Komponente zu verleihen.32 Hierher gehört aber auch die | [S. 64] mit großem propagandistischem Aufwand betriebene Ausgestaltung der Soterien in Delphi zu einem penteterischen Festagon, durch die sich der Aitolische Bund als Verteidiger der hellenischen Freiheit gegen die Barbaren feiern ließ und in deren Zusammenhang vielleicht auch die Errichtung einer Statue der Aitolia in Delphi steht.33 Diese „panaitolischen“ Bemühungen dürften nicht nur der Steigerung des aitolischen Prestiges in der griechischen Welt, sondern auch der inneren Festigung des Bundes gedient haben. Es spricht daher Vieles dafür, in den „Panaitolika“ wenn nicht eine Neuschöpfung, so doch zumindest das Ergebnis einer grundlegenden strukturellen Umgestaltung einer älteren Institution zu sehen, mit welcher man in Aitolien im dritten Jahrhundert v. Chr. den politischen und organisatorischen Bedürfnissen des größer gewordenen Bundes zu entsprechen suchte. Was aber hat nun dieser Exkurs zu den Panaitolika mit der eigentlichen Fragestellung nach dem politischen Stellenwert des Bundesheiligtums zu tun? Das Bemerkenswerte ist, dass für die „Panaitolika“ – im Gegensatz zu den „Thermika“ – die Anbindung an ein Heiligtum offenbar nicht entscheidend war. Hier hat es einen charakteristischen Unterschied zwischen beiden Versammlungstypen gegeben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die „Panaitolika“ in ihrem ganzen Zuschnitt stärker nach den politischen Erfordernissen des in hellenistischer Zeit weit über seine angestammten Grenzen hinausgewachsenen Bundesstaates ausgerichtet war. Während Thermos als zentrales Heiligtum des gesamten Aitolisehen Bundes weiterhin die Funktion erfüllte, durch gemeinsamen Kult den Zusammenhalt innerhalb des Bundes zu stärken, suchte man mit dem Wechsel 31 Vgl. Flacelière 1937, 43 mit Anm. 3. 32 Schon Vollgraf 1909, der die historischen Bezüge in den aitolischen Dichtungen des Nikandros zum politischen Geschehen im 3. Jh. v. Chr. aufzeigen konnte, hat auf die nachhaltige Wirkung dieser Dichtung auf die spätere Überlieferung hingewiesen: vgl. auch Cazzaniga 1973. 33 Vgl. hierzu die grundlegende Untersuchung von Nachtergael 1977, 209–382 und die ebenda, 435–495 zusammengestellten Zeugnisse; zur Statue der Aitolia siehe Anm. 18.
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der Versammlungsorte der „Panaitolika“ allem Anschein nach den Einzelinteressen insbesondere der „nicht aitolischen“, erst spät in den Bund integrierten Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen. Das Apollon-Heiligtum in Thermos blieb in seiner eher traditionellen Position unangefochten. Weder das „Schwester-Heiligtum“ der Artemis Laphria in Kalydon noch das Apollon-Heiligtum in Delphi, die beide im Verlaufe des vierten und dritten Jahrhunderts v. Chr. unter aitolische Kontrolle kamen, wurden für Thermos zu Konkurrenten. Sie entfalteten zwar eine noch weitaus größere Außenwirkung als das Heiligtum in Thermos, aber sie konnten und sollten wohl auch gar nicht die gleiche identitätsstiftende Wirkung innerhalb des Aitolischen Bundes entfalten. Vielmehr ergänzten sie auf der Ebene des Bundes das | [S. 65] Spektrum der überregionalen Heiligtümer und wurden zu festen Bestandteilen einer den Aitolischen Bund prägenden, vielgestaltigen sacred landscape, die in je unterschiedlicher Weise von den Aitolern auch politisch instrumentalisiert wurden, ohne dass jedoch die Stellung von Thermos tangiert worden wäre. So fungierten wie in Thermos auch die Heiligtümer in Kalydon und Delphi als Aufstellungsorte von Staatsurkunden und Ehrendekreten. Der delphische Amphiktyonenrat geriet parallel zur Expansion des Bundes sukzessive unter aitolische Kontrolle und wurde zu einem der wichtigsten Instrumente der aitolischen Machtpolitik.34 Und hinsichtlich des Heiligtums in Kalydon haben Andrea Jördens und Gereon Becht-Jördens mit überzeugenden Argumenten gezeigt, dass die kalydonische Eberjagd bezeichnenderweise eigentlich erst seit dem vierten Jahrhundert v. Chr. zu einem festen Bestandteil des aitolischen Gründungsmythos wurde und dass der Unterkiefer eines Ebers – eben des kalydonischen Ebers – neben der Lanzenspitze des Meleager dann in hellenistischer Zeit zum offiziellen, auf Urkundereliefs, Siegeln und Münzen allgegenwärtigen Staatssymbol avancierte, dem möglicherweise sogar – so zumindest die Thesen der beiden Autoren – Realien entsprachen, die quasi als Reliquien im kalydonischen Heiligtum aufbewahrt wurden.35 Auf diese Weise wurden die neu hinzugewonnenen überregionalen Heiligtümer in eine sacred landscape eingebunden, die auch den politisch-ideologischen Interessen der Aitoler dienstbar gemacht wurde. Zu dieser aitolischen sacred landscape zählten aber nicht nur diese großen überregionalen Heiligtümer. Den verschiedenen politischen Ebenen innerhalb des Bundes entsprechend gab es noch weitere Heiligtümer mit je ganz unterschiedlichen Wirkungskreisen. Das waren auf der einen Seite die Heiligtümer der einzelnen Gliedstaaten; das waren aber auch die zentralen Heiligtümer der koiná der Lokrer, Phoker, Dorer etc., denen auch noch nach ihrer Eingliederung in den Aitolischen Bund ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden worden war, indem sie als Bezirke (telé) auf einer Ebene zwischen den 34 Hierzu immer noch grundlegend Flacelière 1937; vgl. darüber hinaus Lefèvre 1998, passim; Scholten 2000, 240–252; Sánchez 2001, passim. 35 Jördens/Becht-Jördens 1994; vgl. auch Tsangari 2007, besonders 202–203.
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Gliedstaaten und der Zentralgewalt fortbestanden.36 Wir wissen aber immer noch viel zu wenig über das Eigenleben dieser Heiligtümer auf den unteren Ebenen des Aitolischen | [S. 66] Bundes, die zugleich immer auch eigene Identitätsebenen waren. Die erstaunliche Vitalität, die die kleineren mittelgriechischen koiná nach dem Auseinanderfallen des Aitolischen Bundes im zweiten Jahrhundert v. Chr. erneut zu entfalten vermochten, scheint jedenfalls dadurch mitbegründet gewesen sein, dass ihnen auch in der Zeit ihrer Mitgliedschaft im Aitolischen Bund eigenständige Residuen verblieben waren, zu denen auch die je eigenen kultischen Zentren gehört haben dürften. Wenn wir also nach den politischen Funktionen von Heiligtümern innerhalb eines antiken Bundesstaates fragen und ihren Stellenwert als Orte der Stiftung und der Wahrung von Identität zu analysieren suchen, dann müssen wir den Blick nicht nur auf die zentralen Bundesheiligtümer lenken, sondern viel stärker auch die anderen Heiligtümer auf und unterhalb der Bundesebene mit in Betracht ziehen. Erst dann wird sich das komplexe Spannungsgefüge von Religion und Politik innerhalb eines antiken Bundesstaates in seiner Vielgestaltigkeit angemessen erfassen lassen. Ein ähnlich differenzierter Blick wie der hier für die kultisch-religiösen Binnenstrukturen eines Bundesstaates geforderte ist aber auch dann vonnöten, wenn die politischen Funktionen zentraler Heiligtümer in den verschiedenen griechischen Föderalstaaten einem kontrastiven Vergleich unterzogen werden. Das im Vorangegangenen näher ausgeführte Fallbeispiel des Aitolischen Bundes hat gezeigt, dass sich hier trotz aller Vielfalt im Einzelnen mit dem Heiligtum in Thermos ein traditionelles kultisches Zentrum ausmachen lässt, dem als fester alljährlicher Treffpunkt einer der beiden Bundesversammlungen und als regulärer Tagungsort des Bundesrates und der Bundesmagistrate auch in politicis eine herausragende Stellung zukam. Ganz ähnliche Strukturen wies auch der Achaiische Bund auf, in dem das Heiligtum des Zeus Homarios bei Helike bzw. Aigion die Rolle eines zugleich kultischen und politischen Zentrums erfüllte.37 An diesem Vorbild orientierte sich auch der süditalische Bund, zu dem sich um die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. die Städte Kroton, Sybaris und Kaulonia zusammengeschlossen hatten. Als zentraler Versammlungsort wurde ein Heiligtum des Zeus Homarios neu begründet, dem damit eine konstitutive Rolle für den neuen Städtebund zukam.38
36 Hierzu Funke 1997, 158–159 mit Anm. 53 und 54, der die Auffassung vertritt, dass die in den Aitolischen Bund integrierten mittelgriechischen Bünde in der Form von Bezirken (tele) – wenn auch unter veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen – fortbestanden; vgl. auch Corsten 1999, 133–159, dessen Deutung der aitolischen Bezirke als gleich | [S. 66] große, „ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit“ (158) aufgeteilte Verwaltungsbezirke allerdings sehr problematisch bleibt. 37 Mylonopoulos 2003, besonders 424–427; Mylonopoulos 2006, 127–129 (mit der älteren Literatur). 38 Pol. 2,39,5–6; vgl. dazu Walbank 2000, 23–24.
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| [S. 67] In allen diesen Fällen dienten zentrale Heiligtümer als Vororte der Bünde. Das hatte den Vorteil, dass sich auf diese Weise das Problem möglicher Konkurrenzen zwischen den einzelnen Gliedstaaten und Streitigkeiten um die Vorrangstellung innerhalb eines Bundes umgehen ließen und sich auch die Aufnahme neuer Mitglieder in einen Bund einfacher gestaltete. Dennoch bildete eine solche Struktur keineswegs den Regelfall. Unsere landläufigen Vorstellungen sind hier allzu sehr vom aitolischen und achaiischen Exempel geprägt. Damit soll der hohe Stellenwert der Heiligtümer als ebenso religiöse wie politische Integrationskräfte innerhalb der einzelnen Bundesstaaten selbstverständlich grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden. Aber ihre Positionierung war keineswegs immer so eindeutig wie in den bislang genannten Fällen, auch wenn – wie im Falle des Arkadischen Bundesstaates – die Gründung von Megalopolis als einem ganz neuen, aus dem Boden gestampften politischen Zentrum die Ausnahme blieb.39 So ist die Frage nach einem zentralen Heiligtum des den Aitolern benachbarten Akarnanischen Bundes zumindest für die klassische und frühhellenistische Zeit nicht zweifelsfrei zu klären.40 Manches spricht zwar dafür, ein solches Heiligtum in Stratos oder dessen unmittelbarer Umgebung zu lokalisieren, aber beweisen lässt sich eine solche Hypothese nicht. Auf sicheren Boden können wir uns erst für das letzte Drittel des dritten Jahrhunderts v. Chr. bewegen, als nach der Neubegründung des Akarnanischen Bundes die Verantwortung für das Apollon-Heiligtum in Aktium vertraglich von der Polis Anaktorion auf den Bund übertragen wurde41 und damit die Kultstätte am Eingang des Ambrakischen Golfes die Rolle eines zentralen Bundesheiligtum aller Akarnanen übernahm. Damals war aber die institutionelle Ausgestaltung des Akarnanischen Bundes bereits soweit fortgeschritten, dass an eine Verlagerung der politischen Versammlungsorte nach Aktium nicht mehr zu denken war. Hingegen konnte das Heiligtum, das auch als Aufstellungsort von Staatsurkunden und offiziellen Weihungen diente, als prominenter Kult- und Festplatz und vor allem als Austragungsort der Aktia seine Wirksamkeit nicht nur nach außen hin entfalten, sondern auch zum politischen Zusammenhalt des strukturell immer labilen Bundes beitragen. Auch für den Boiotischen Bundesstaat der klassischen und hellenistischen Zeit ist die Frage nach einem zentralen Bundesheiligtum nicht klar zu beantworten. Bei der ersten Gründung des boiotischen Föderalstaates (447/6) war die Stellung der einzelnen Gliedstaaten als Poleis bereits soweit erstarkt, dass sich die zentralen | [S. 68] kultischen Funktionen auf mehrere Heiligtümer verteilt zu haben scheinen – so etwa auf das Heiligtum der Athena Itonia mit der Feier der Panboiotia und auf das Poseidon-Heiligtum 39 Zusammenstellung der Quellenbelege bei Moggi 1976, 293–325 Nr. 45. 40 Vgl. zum Folgenden Freitag 2013. 41 IG IX 12 ,2, 583.
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in Onchestos, das dann in hellenistischer Zeit bis zu einem gewissen Grad auch als ein administratives Zentrum des Bundes diente.42 Selbst in den kleineren mittelgriechischen Bünden waren es nicht immer die größeren überregionalen Heiligtümer, denen die Rolle als kultischer und zugleich politischer Vorort zufiel. Es sei hier nur auf Phokis verwiesen, wo nicht eines der großen überregionalen Heiligtümer wie etwa das Apollonorakel von Abai oder das Heiligtum der Artemis Elaphebolos von Hyampolis als gemeinsamer Versammlungsort diente, sondern das so genannte Phokikon als ein eigens für die Zusammenkünfte des Koinon geschaffener Platz, dem offenbar kaum mehr als ein Altar für gemeinsame Kultfeiern beigefügt war.43 Die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen.44 Die vorangegangenen Darlegungen sollten aber schon hinreichend deutlich gemacht haben, dass mythologische Traditionen und Konstruktionen ebenso wie die Praxis gemeinsamer Kulte und Feste offenbar in allen Bundesstaaten einen festen Bestandteil der Sicherung des inneren Zusammenhaltes bildeten. Ihre „Verortung“ an festen Plätzen und ihre Vernetzung waren jedoch keineswegs so einfach ausgestaltet wie landläufig vermutet. Die Gegebenheiten waren im Einzelnen wie im Ganzen weitaus komplexer und vor allem im eigentlichen Wortsinn – vielschichtiger. Was zu tun bleibt, ist also nicht mehr und nicht weniger, als die Stratigraphie dieser Vielschichtigkeit zu erkunden.
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42 Vgl. Ganter 2013. 43 Paus. 10,5,1–3; vgl. French/Vanderpool 1963; McInerney 1997; McInerney 2013. 44 Vgl. dazu die Beiträge der im Juni 2010 in Münster durchgeführten internationalen Konferenz „Greek Federal States and Their Sanctuaries. Identity and Integration“ bei Funke/Haake 2013.
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Einleitung
Die in diesem Band vorgelegten Aufsätze sind der Ertrag eines internationalen Kolloquiums, das am 23. und 24. November 2001 in Münster stattfand. Die Tagung stand in unmittelbarem Zusammenhang mit den Forschungen, die in den Jahren 2000 bis 2003 im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereiches 493 „Funktionen von Religion in antiken Gesellschaften des Vorderen Orients“ in dem von Peter Funke geleiteten Teilprojekt „Politische und wirtschaftliche Funktionen überregionaler Heiligtümer“ durchgeführt wurden. Dieses Teilprojekt war in einen größeren Themenbereich eingebettet, der den Wechselbeziehungen zwischen Religion und Herrschaft gewidmet war. In Anbetracht der überaus großen Spannweite dieser Thematik wurde der Fokus auf drei Funktionen von Religion gerichtet: auf Herrschaftsformation, Herrschaftslegitimierung und Herrschaftskritik. Dabei wurde Herrschaft nicht als universales Phänomen in sozialen Beziehungen betrachtet, sondern auf den Bereich des Politischen – und zwar im Sinne dessen, was man (bei aller Problematik hinsichtlich der antiken Gegebenheiten) als ‚Staatlichkeit‘ bezeichnen kann – eingegrenzt. Mit der Korrelation von Religion und Staat respektive Staatlichkeit in antiken Gesellschaften des östlichen Mittelmeerraumes wurde ein Aspekt in den Blick genommen, der angesichts aktueller Forschungstendenzen in den altertumswissenschaftlichen Fächern eine Neubewertung herausfordert, zumal die untrennbare Verknüpfung von Religion und Staat bisher vielfach unreflektiert vorausgesetzt wird.1 Vor diesem Hintergrund wurde im Teilprojekt „Politische und wirtschaftliche Funktionen überregionaler Heiligtümer“ der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Staat in einer spezifischen Konstellation nachgegangen. Die zentrale Frage richtete sich dabei auf die Funktion, die den Heiligtümern bei der Formierung und Legitimierung von Herrschaft zukam. Dieser Ansatz ist grundsätzlich gewiss nicht neu und hat im Hinblick auf die Genese und Ausgestaltung der griechischen Polis in jüngster Zeit geradezu eine Renaissance erlebt.2 Anders steht es jedoch um die politische Ausdeutung des Stellenwertes von überregionalen, also polis- und stammesübergreifenden Heiligtümern in der griechischen Staatenwelt.3 Die politischen und wirtschaftlichen Funktionen überregionaler Heiligtümer haben erst in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit | [S. 8] – und zwar vor allem von archäologischer und Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: K. Freitag/P. Funke/M. Haake (Hgg.), Kult – Politik – Ethnos. Überregionale Heiligtümer im Spannungsfeld von Kult und Politik. Kolloquium, Münster, 23.–24. November 2001, Stuttgart 2006, 7–15 (gem. mit K. Freitag und M. Haake). 1 Vgl. dazu auch Hölkeskamp 2000. 2 Verwiesen sei neben der grundlegenden Untersuchung von De Polignac 1995 auf die Arbeiten von Sourvinou-Inwood 1988; Sourvinou-Inwood 1990; Cole 1995; Parker 1996 und Woolf 1997; vgl. auch Schmitt-Pantel 1990. 3 Vgl. beispielsweise die Arbeiten von McInerney 1999 und Nielsen 2002.
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religionsgeschichtlicher Seite – erfahren.4 Dabei ist deutlich geworden, daß Ausstrahlungskraft und Wirkungsweisen von Heiligtümern, die über den engeren lokalen Bereich hinausreichen, zunächst jeweils für sich erforscht werden müssen. Überregionale Heiligtümer wirkten mitunter als religiöse Zentren von Amphiktyonien,5 während die großen panhellenischen Heiligtümer in Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea vor allem wegen ihrer Spiele und Feste6 in der gesamten hellenischen Welt Akzeptanz fanden.7 Orakelstätten wie das Apollon-Heiligtum in Delphi und das Zeus-Heiligtum in Dodona8 wurden sogar über den griechischen Bezugsrahmen hinaus ‚international‘ akzeptiert und zogen Ratsuchende aus allen Teilen der Mittelmeerwelt an.9 Heiligtümern hingegen, die als zentrale Kultstätten von Stammes- und Bundesstaaten dienten, kam eher eine regionale Bedeutung im Rahmen staatlicher Organisationsformen zu, die sich um die Kultstätten gruppierten und für die Verwaltung solcher Heiligtümer sorgten.10 Erst seit jüngster Zeit gerät dieser Typus von Heiligtümern in seiner politischen Wirkung und auch seiner ökonomischen Bedeutung11 verstärkt in den Blick der Forschung.12 Dabei treten häufig aber immer noch die politischen Aspekte gegenüber den sakralen zurück.13 Allenfalls wird noch – wie etwa im Fall der delphischen Amphiktyonie – nach der Möglichkeit einer hegemonialpolitischen Instrumentalisierung dieser Heiligtümer gefragt.14 Stattdessen war im Münsteraner Forschungsprojekt das Augenmerk auf die multifunktionalen und multidimensionalen Organisationsstrukturen von überregionalen – besser: supralokalen – Heiligtümern gerichtet, um in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Regelungen und Mechanismen der Binnenstrukturen der sich um die Heiligtümer gruppierenden zwischenstaatlichen Verbünde zu berücksichtigen. Bei einem derartigen Vorgehen lassen sich Ansätze extrapolieren, wie solche Verbünde versuchten, zumindest Grundregeln eines geordneten Zusammenlebens autonomer, ursprünglich meist unmittelbar benachbarter, aber keineswegs zwingend ethnisch verwandter staatlicher Verbände festzule- | [S. 9] gen. Neben Institutionen wie der Theoria und Theorodokia15 und dem 4 Vgl. Kilian-Dirlmeier 1985; Morgan 1990; Hellström/Alroth 1996; Alcock/Osborne 1994; Dillon 1997; Ulf 1997 und Perlman 2000. 5 S. Wüst 1954; Tausend 1992 und Forrest 2000. 6 Vgl. dazu Ulf 1997. 7 Zur Kanonisierung der panhellenischen Heiligtümer s. Funke 2003. Eine Studie zur Schiedsgerichtsbarkeit der panhellenischen Heiligtümer als Ausdruck ihrer Akzeptanz hat Freitag 2001 vorgelegt. 8 Vgl. dazu die im Rahmen des Projektes verfasste Dissertation von Moustakis 2006. 9 Vgl. Funke 2004. 10 Vgl. dazu Freitag 2003. 11 Vgl. Czech-Schneider 2002. 12 Dazu vor allem Morgan 2003. 13 Vgl. dazu Hölkeskamp 2000. 14 Vgl. Nilsson 1951, 16. S. auch Lefèvre 1995; Lefèvre 1996; Lefèvre 1998 und Sánchez 2001. 15 Hierzu s. die grundlegenden Studien von Perlman 1995 und v. a. Perlman 2000.
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antiken Asylwesen16 sei hier beispielsweise die Einrichtung des sogenannten Gottesfriedens, der Ekecheiria17 genannt, der sich überregionale Heiligtümer bedienten, um den Fest- und Kultteilnehmern einen geregelten Zugang zum jeweiligen Kultort zu sichern. Damit sind diese Kultzentren in einen Funktionszusammenhang eingeordnet, der über religiöse und sakralrechtliche Sphären hinausreicht. Überregionale Heiligtümer konnten so auch in politicis eine große Integrationskraft entfalten und identitätsstiftend bzw. -sichernd für diejenigen wirken, die in den entsprechenden Kultverbänden organisiert waren. Die verschiedenen Identitätsebenen – wie die amphiktyonische, die bundesstaat liche oder auch die panhellenische – verhielten sich dabei zur je eigenstaatlichen Identität in der Regel nicht konkurrierend, sondern komplementär.18 Die Relationen zwischen den genannten Identitäten waren allerdings nicht starr, sondern konnten sich vielmehr in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln: Einerseits trug das Zusammenwirken in überregionalen Kulten und Heiligtümern für die beteiligten Gemeinschaften zu einer Stabilisierung auch der je eigenen ‚staatlichen‘ oder ethnischen Identität bei. Ganz bewusst kam der zwischenstaatliche Charakter auch in der jeweiligen institutionellen Ausgestaltung der Kultverwaltung und -praxis zum Tragen. Andererseits lassen sich weitgehende Annäherungen zwischen den am Kult beteiligten Gemeinschaften auch in politicis immer da beobachten, wo staaten- und stammesbündische Amphiktyonien bundesstaatliche Zusammenschlüsse generierten und überregionale Kultzentren den Kulminationspunkt dieser Entwicklung bildeten. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sollte im Rahmen des Kolloquiums eine exemplarisch ausgerichtete historisch-politische Analyse des komplexen dialektischen Verhältnisses von Religion und Politik in den verschiedenen Identitäts- und Handlungsebenen der Griechen oberhalb von Gemeinschaften wie der Polis durchgeführt werden. Die drei kargen – zugestandenermaßen weit gefassten – Begriffe „Kult – Politik – Ethnos“ bezeichnen die Eckpunkte eines Spannungsgefüges, von dem die hier vorgelegten Beiträge grundlegend bestimmt werden. ‚Kult‘ als sinnfälliger allgemeiner Ausdruck für antike Religion angesichts der Prädominanz ritueller Akte gegenüber Glaubensinhalten19 umfasst die Kultteilnehmer, die Kultempfänger (d. h. die in den Heiligtümern verehrten Gottheiten), die Kultstätten und die dort stattfindenden Kulthandlungen.
16 Vgl. Rigsby 1996 sowie auch die Beiträge in Dreher 2003; s. auch Dreher 1996; Dreher 1997 und Traulsen 2004. 17 Vgl. Lämmer 1984; Theotikou 2013. 18 Vgl. dazu Schachter 2000. 19 Vgl. Graf 1997; zum Kult s. Lang 1993.
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| [S. 10] Unter ‚Politik‘ wird die Bedeutung von Heiligtümern, Kulten und den symbolischen Handlungen20 für die Genese, Ausgestaltung und Wahrung von Staatlichkeit und politischer Herrschaft analysiert. In der modernen Religionssoziologie werden Religion und Politik häufig als deutlich voneinander abgrenzbare autonome Bereiche eines gesamtgesellschaftlichen Systems betrachtet.21 Für das antike Griechenland ist eine derartige Systematisierung wegen der spezifischen Struktur polytheistischer Religionen wenig hilfreich. Dementsprechend wird in der modernen altertumswissenschaftlichen Forschung vor allem die Verflechtung zwischen Religion und anderen gesellschaftlichen Sektoren wie Recht und Ökonomie betont.22 Gerade der Wirkungszusammenhang zwischen „Politischem“ und „Religiösem“ ist für die Ausprägung und Stabilisierung verschiedenartiger politischer Organisationsformen im antiken Hellas von eminenter Bedeutung. Es ist allerdings wenig gewinnbringend, diesen Konnex allein zu konstatieren bzw. als gleichsam selbstverständlich wirksam zu betrachten; vielmehr ist es erforderlich, dieses Verhältnis und die Wirkkräfte, die Politik und Religion miteinander verbinden, genauer zu analysieren. In der griechischen Welt hat sich eine besondere Art des „Politischen“ herausgebildet, die sich dadurch auszeichnet, dass in einem verantwortlichen Kollektiv über Richtlinien politischen Handelns verhandelt und entschieden wurde. „Staatlichkeit“ entwickelte sich hier ohne die Macht eines Monarchen und ohne einen privilegierten Priesterstand, der religiöse Stützen für politische Autoritäten hätte liefern können.23 Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Politik und Religion im antiken Griechenland stellt sich jedoch nicht nur in der Welt der Poleis, sondern vor allem auch dann, wenn die engeren Grenzen des Polisverbandes überschritten werden. Und genau hier kommt der dritte Begriff, ‚Ethnos‘, ins Spiel: Unter diesem wird nicht nur das, was gemeinhin mit Stamm oder Stammstaat bezeichnet wird, verstanden, sondern jede Form staatlicher (oder noch allgemeiner: sozialer) Gemeinschaft, die das moderne Staats- und Völkerrecht als „Staatsvolk“ bezeichnet und dessen bestimmende Merkmale so überaus schwer zu definieren sind.24 Das, was mit Blick auf die Formen von Vergemeinschaftung im antiken Griechenland jenseits der Polis ethnische Identität genannt wird, ist in der Regel dauernden Wechselprozessen unterlegen. Ethnos ist nicht als Form eines primitiven, überkommenen Gegenmodells zur Polis aufzufassen; Ethne waren keine primordialen Stammesformationen, in denen gemeinsame Kulte die primäre und zen-
20 Vgl. Geertz 1983. 21 Vgl. dazu Jaeschke 2001. 22 Bremmer 1994, 2, bezeichnet griechische Religion als „eingebettete Religion“: „In Ancient Greece … religion was totally embedded in society – no sphere of life lacked a religious aspect“. 23 Vgl. Meier 1980. 24 Vgl. Funke 1993 und ferner auch Gehrke 2000.
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trale Verständigungsplattform darstellten.25 Vielmehr handelt es sich bei den Ethne um geglaubte Abstammungsgemeinschaften,26 um (Groß-)Verbände, die | [S. 11] in verschiedenem Maße politisch organisiert waren.27 Durch die verstärkten archäologischen und historisch-topographischen Forschungen in Gebieten, in denen sich Ethne ausformten, ist eine Neubewertung der Urbanisierungsprozesse in weiten Teilen Mittel- und Nordwestgriechenlands und auf der Peloponnes und deren Bedeutung für die Formierung und Ausgestaltung von Ethne vorgenommen worden.28 Daneben ist auch eine wichtige Erkenntnis aus dem Bereich der Polis auf die Ebene des Ethnos transponiert worden, die eine neue Perspektive auf das Verhältnis von Religion und Ethnos ermöglicht: Im Ethnos bestand genauso wenig wie in der griechischen Polis ein standardisierter und normierter Zugriff auf Religion.29 In den verschiedenen Regionen, in denen sich Ethne entwickelten, lassen sich vielmehr ganz unterschiedliche Muster von religiösen Systemen30 und je verschiedene Wirkungsweisen von Heiligtümern, Gottheiten und Kulten erkennen. So wird unter dem Blickwinkel der Ethnogenese31 die vielfältige Rolle von Heiligtümern im politischen Formierungsprozess der Ethne deutlich. Im Kolloquium wurde in diesen Zusammenhang vor allem die stabilisierende Funktion von Heiligtümern bei der Überwindung der strukturellen Labilität der Ethne exemplarisch herausgearbeitet. Ein weiterer, im Rahmen des Kolloquiums intensiv diskutierter Komplex, war die regionale Ausdehnung vieler Ethne in archaischer Zeit. Die identitätsstiftende bzw. -sichernde Funktion von Heiligtümern und Kulten32 zeigt sich gerade auch dort, wo diese der Definition von Territorium und Gemeinschaft dienten.33 Dieser thematische Aspekt wurde in mehreren Vorträgen und immer wieder auch in den Diskussionen des Kolloquiums in seiner zentralen Bedeutung herausgestellt. Kult und Heiligtümern kam aber nicht nur bei der Genese und (territorialen) Ausgestal tung der griechischen Ethne eine entscheidende Rolle zu; vielmehr erfüllten sie auch eine wichtige politische Funktion beim Übergang der Ethne zu föderalstaatlichen Gebilden in spätklassischer und hellenistischer Zeit.34 Die Erörterung dieses Themenkomplexes bildete den dritten wichtigen Ansatzpunkt des Kolloquiums. 25 Vgl. Morgan 1991; Morgan 2002; Hall 1995; Hall 1997; Hall 2001; Ulf 1996; Walbank 2000 und Mclnerney 2001; s. auch immer noch Gschnitzer 1971. 26 Vgl. dazu Hall 1997. 27 S. den kurzen Überblick von Freitag 2002. 28 Vgl. allgemein Morgan 2003; s. auch Funke 1991 und Funke 1997. 29 S. Gladigow 1983; Gladigow 1995 und Detienne 1986. 30 Vgl. Morgan 2003. 31 Zur Ethnogenese s. Ulf 1996. 32 Vgl. Parker 1998. 33 Zum Konzept der kollektiven Identität vgl. Gehrke 2001, 307–309. 34 Vgl. Beck 1997; Beck 2003; Funke 1998; Corsten 1999 und Lehmann 2001; vgl. auch Vimercati 2003.
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I. Staatlichkeit, Politik und Religion im antiken Griechenland
Um die – hier nur ansatzweise skizzierten – vielfältigen Funktionen von Heiligtümern angemessen in den Blick nehmen zu können, wurde der zeitliche Rahmen des Kolloquiums bewußt sehr breit angelegt. Der chronologische Bogen wurde von der Archaik bis in die römische Kaiserzeit gespannt, da erst in einer solchen longue durée die in Frage stehenden Funktionszusammenhänge hinreichend differenziert zu betrachten sind. | [S. 12] Die in diesem Band als Ergebnis des Kolloquiums versammelten Beiträge haben zum Ziel, diejenigen Kräfte und Mechanismen herauszuarbeiten, die im Spannungsfeld zwischen Kult, Politik und den polisübergreifenden Identitäten, hier in aller Kürze mit dem Schlagwort „Ethnos“ beschrieben, wirkten. Für die Hilfe bei der Planung und Durchführung des Kolloquiums und bei der Redigierung des Tagungsbandes sei an dieser Stelle M. Jung, N. Moustakis, H. Gorbahn, S. Grüber, E. Hübner, P. Quack, K. Rennwald, S. Scharff und A. Wessels ausdrücklich gedankt.
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Einleitung
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Die Nabel der Welt Überlegungen zur Kanonisierung der „panhellenischen“ Heiligtümer*
Mittelpunkt der bewohnten Erde – der Nabel der Welt – zu sein, das war ein hoher Anspruch und bedurfte der Begründung. Und daher wurde Zeus selbst bemüht, diese herausragende Position, die dem Apollonheiligtum in Delphi zugeschrieben wurde, zu legitimieren. Folgen wir den Darlegungen Strabons, so wußte schon Pindar im frühen fünften Jahrhundert v. Chr. davon zu berichten, daß Zeus jeweils einen Adler am westlichen und östlichen Ende der Welt habe aufsteigen und aufeinander zufliegen lassen. Unmittelbar über Delphi seien beide zusammengetroffen. Auf diese Weise sei Delphi zum Zentrum der Welt bestimmt worden. Sinnfälliger Ausdruck dieser mythologischen Überlieferung war ein steinerner, mit zwei Adlern verzierter Omphalos, der im Inneren des Apollontempels aufgestellt war.1 War die exzeptionelle Stellung des delphischen Heiligtums, die mit dieser Erzählung eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht wurde, in der Antike auch unbestritten, so war sie aber dennoch nicht einmalig. Es gab mehrere Nabel der Welt. Es wäre für das antike Griechenland auch eher verwunderlich, wenn nicht auch im Verhältnis der zahllosen griechischen Heiligtümer untereinander Konkurrenz bestanden hätte und der Wettstreit um einen führenden Platz prägend gewesen wäre. Das dürfte in besonderer | [S. 2] Weise bei den Heiligtümern der Fall gewesen sein, deren Wirkungskreis sich schon von ihrer Funktion her über einen engeren lokalen Bereich hinaus erstreckte oder zumindest erstrecken konnte – wie vor allem bei den Orakelstätten oder den Heilkulten. Die berühmte Erzählung Herodots über die Befragung der griechischen Orakel durch den Lyderkönig Kroisos vor seinem Kriegszug gegen den Perserkönig Kyros2 ist – ganz unabhängig von der Frage der Authentizität des Berichtes – ein deutlicher Erweis, daß es offenbar ein Ensemble griechischer Orakelstätten gab, die aus einer weitaus größeren Zahl solcher Heiligtümer herausragten und – wenn der Ausdruck erlaubt ist – quasi in der ersten Liga spielten. Neben Delphi waren es zu Kroisosʼ (oder auch Herodots) Zeit Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: T. Schmitt/W. Schmitz/A. Winterling (Hgg.), Gegenwärtige Antike – Antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger, München 2005, 1–16. * Die folgenden Ausführungen basieren auf Forschungen über die politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer in der griechischen Staatenwelt, die ich im Rahmen des Münsteraner DFG-Sonderforschungsbereiches 493 „Funktionen von Religion in antiken Gesellschaften des Vorderen Orients“ durchgeführt habe. Ich danke den Teilnehmern des wissenschaftlichen Kolloquiums zu Ehren von Rolf Rilinger sowie den Teilnehmern der Perugianer Konferenz „Elis und Olympia“ und insbesondere meinen Mitarbeitern Klaus Freitag, Matthias Haake, Michael Jung und Nikola Moustakis, mit denen ich die hier vorgetragenen Überlegungen ausführlich diskutieren konnte. Eine italienische Fassung erschien in GeogrAnt 12, 2003, 57–65. 1 Strab. 9,3,6; Paus. 10,16,3. 2 Hdt. 1,46–49.
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Abai in Phokis und Dodona in Epirus sowie das Amphiaraion und das Trophonion in Boiotien, Branchidai bei Milet und das libysche Zeus-Ammon-Heiligtum in der Wüstenoase Siwah. Um nun das beste Orakel herauszufinden, stellte Kroisos die genannten Orakel auf die Probe und ließ an sie alle die gleiche Frage stellen, deren richtige Antwort nur ihm allein bekannt war. Daß sich Delphi dabei als Gewinner herausstellte, ist zwar signifikant, soll uns hier aber nicht weiter beschäftigen. Die bei Herodot überlieferte Liste der Orakel, die Kroisos einer Probe unterziehen ließ, zeigt aber zugleich, wie weitgespannt das Netz dieser Kultorte war, die trotz aller Konkurrenz in gewisser Weise doch auch wieder als zusammengehörig betrachtet wurden. Das verdeutlicht die ebenfalls bei Herodot überlieferte Gründungsgeschichte des Zeus-Orakels von Dodona: Zwei schwarze Tauben seien vom ägyptischen Theben aus nach Libyen beziehungsweise nach Dodona geflogen und hatten dort jeweils die Gründung eines Zeus-Orakels veranlaßt.3 So wurden die beiden berühmten Orakelstätten an den äußersten Enden der griechischen Welt miteinander verbunden. Weiter hätte der Bogen geographisch kaum gespannt werden können, um das Beziehungssystem dieser Heiligtümer zu betonen und damit die räumliche Extension einer kultischen Oikumene in der griechischen Staatenwelt zu beschreiben, die Kroisos dann von seinen Gesandten in alle Richtungen durchstreifen ließ. Diese kultische Oikumene bestand aber eben nicht nur aus der einfachen Summe einer Vielzahl von Tempeln und Kultplätzen, sondern war durch die Existenz einzelner, weit über einen engeren lokalen Bereich | [S. 3] hinaus wirksamer Heiligtümer, die auch in der nichtgriechischen Welt in Ansehen standen, in besonderer Weise gekennzeichnet. Nun wird man die herodoteische Aufzählung der von Kroisos befragten Orakel nicht unbedingt als eine vollständige Liste aller damals renommierten Orakelstätten betrachten dürfen. Dennoch ist es auffällig, daß etwa das durch seine reichen archaischen Funde bekannte Heiligtum des Apollon Ptoios in Boiotien ungenannt bleibt;4 auch fehlt im Katalog Herodots das Zeus-Heiligtum von Olympia, dessen bedeutende Rolle als Orakel in früharchaischer Zeit Ulrich Sinn herausgearbeitet hat.5 Andererseits werden einige Kultorte aufgeführt, deren Bedeutung als Orakelstätten in späterer Zeit – soweit das aufgrund der Quellenlage zu beurteilen ist – eher gering war. Das Ensemble der besonders angesehenen Orakelstätten war also keineswegs unveränderbar, sondern scheint konjunkturellen Schwankungen unterworfen gewesen zu sein. Das muß auch nicht verwundern, da sich Erfolg und Mißerfolg hier leicht messen ließen – wie die Probe des Kroisos zeigt. Ganz ähnlich dürfte es sich auch im Fall der Heilkulte 3 Hdt. 2,55. – Vgl. hierzu Nesselrath1999; Bichler 2000, 174–176. 4 Zur Bedeutung dieser Orakelstätte vgl. Fossey 1988, 271–273; Schachter 1981, 52–73; Schachter 1994a, 11–21; Schachter 1994b, 291–306. 5 Vgl. Strab. 8,3,30. – Sinn 1991, 38–42; Sinn 1994, 153–156; Sinn 1996, 22–29; s.a. schon Parke 1967, 183–190.
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verhalten haben. Das Renommee der griechischen Orakel- und Heilkulte konnte jedenfalls tiefgreifenden Veränderungen unterliegen und blieb stets von den unterschiedlichsten Wechselfällen und wohl auch Moden abhängig, deren Ursachen und Hintergründe ich hier aber nicht näher analysieren möchte. Statt dessen möchte ich den Blick auf ein anderes Phänomen lenken. Ich habe im Vorangegangenen versucht, in aller Kürze darzulegen, daß sich im Bereich der griechischen Staatenwelt spätestens im sechsten Jahrhundert v. Chr. offenbar so etwas wie eine allgemein gültige Vorstellung von einer Rangliste bestimmter überregionaler Heilig tümer herausgebildet hatte, die allerdings – aus welchen Gründen auch immer – durch diachrone Veränderungen gekennzeichnet war. Daneben aber gab es auch eine Gruppe von Heiligtümern, die in der Auffassung der Griechen einen untrennbaren | [S. 4] und unveränderbaren Verbund bildeten und die in ihrer Zusammensetzung eine erstaunliche Konstanz aufwiesen. Gemeint sind hier Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea. Was diesen vier Plätzen – jenseits auch aller Verschiedenartigkeit in den Kulten – gemeinsam war, das war ihre ganz spezifische Funktion als Zentren der Begegnung für alle Griechen – und zwar durchaus mit einer ausdrücklichen Exklusivität, da nur den Griechen allein die aktive Teilnahme an den „panhellenischen“ Spielen erlaubt war, die in regelmäßigen Abständen an diesen Orten veranstaltet wurden.6 Daß diese Orte zugleich auch über die griechische Staatenwelt hinaus ein hohes internationales Ansehen genossen und daher auch von vielen nichtgriechischen Besuchern aufgesucht wurden, steht dabei auf einem anderen Blatt. Die Internationalität dürfte zwar in nicht geringem Maße durch die panhellenischen Spiele bedingt gewesen sein, sie ist aber nicht konstituierend für die gemeinsame Besonderheit der genannten vier Kultplätze, zumal das internationale Renommee von Olympia und Delphi wohl weitaus ausgeprägter gewesen sein dürfte als das von Isthmia und Nemea. Das Spezifische, das diese vier Kultorte miteinander verband, war ihre panhellenische Verfügbarkeit. Unbeschadet der administrativen Zuständigkeit amphiktyonischer Verbände oder einzelner Poleis wie Elis, Argos oder Korinth waren diese Heiligtümer in den Augen der Griechen in gewisser Weise panhellenisches Gemeingut. Diese Auffassung ist schon in einer bei Herodot überlieferten Rede zu greifen, in der die Athener im Winter 480/79 angesichts der persischen Bedrohung die Einheit der Griechen beschworen.7 Nachdrücklich beteuerten sie gegenüber den damals in Athen weilenden spartanischen Gesandten, daß sie nicht zu Verrätern der gemeinsamen griechischen Sache – τὸ Ἑλληνικόν – werden wollten. Τὸ Ἑλληνικόν wird dann von den Athenern 6 Zur Geschichte der panhellenischen Spiele sei hier nur auf einige wenige Überblickswerke hingewiesen, in denen sich aber weiterführende Literaturangaben finden: Ulf/Weiler 1980; Weiler 1988, 103–139; Richardson 1992; Decker 1995, 39–59; W. Decker, s.v. Sportfeste, DNP 11, 2001, 849–855. 7 Hdt. 8,144.
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näher bestimmt. Neben dem gleichen Blut und der gemeinsamen Sprache (ὅμαιμόν τε καὶ ὁμόγλωσσον) werden vor allem die gemeinsamen Heiligtümer und Opfer | [S. 5] (θεῶν ἱδρύματά τε κοινὰ καὶ θυσίαι) als gesamtgriechisches Merkmal hervorgehoben.8 Auf die gleichen Heiligtümer dürfte auch die erste Klausel des Nikiasfriedens von 421 v. Chr. zu beziehen sein, in der es heißt: „Bezüglich der gemeinsamen Heiligtümer (περὶ μὲν τῶν ἱερῶν τῶν κοινῶν): Wegen der Opfer, Orakelbefragungen und Festfeiern (θύειν, μαντεύεσθαι, θεωρεῖν) soll nach altem Brauch (κατὰ τὰ πάτρια) jedem, der es wolle, freier Zugang zu Wasser und zu Lande garantiert werden.“9 Auch wenn diese Regelung vor dem Hintergrund der damaligen athenisch-spartanischen Auseinandersetzungen um die Kontrolle Delphis gesehen werden muß, legt es die Formulierung περὶ μὲν τῶν ἱερῶν τῶν κοινῶν doch nahe, daß sie sich auf einen größeren Kreis von Heiligtümern bezogen haben muß.10 Es handelte sich hierbei ganz offensichtlich um nichts anderes als um eine Garantieerklärung für den besonderen Schutz der Heiligtümer, die nach allgemeiner Auffassung für alle Griechen von besonderer Bedeutung waren. Dabei ist es bemerkenswert, daß es hier ebenso wie schon in der zitierten Rede der Athener keiner weiteren Erläuterungen bedurfte, um welche Heiligtümer es sich konkret bei τᾶ ἱερὰ τὰ κοινά handelte, obgleich die Vertragsklausel eigentlich eine entsprechende Präzisierung erfordert hätte. In dieser Frage bestand aber offenbar ein common sense, der für die griechischen Zeitgenossen selbstverständlich und unumstößlich war. Das läßt sich anhand einer Passage aus den sogenannten Dissoi Logoi, einem anonymen Traktat aus dem frühen vierten Jahrhundert v. Chr. noch näher ausführen. In einer systematischen Gegenüberstellung werden hier Argumente für und gegen die Identität scheinbarer Gegensätze vorgebracht.11 In dem Abschnitt Περὶ δικαίου καὶ ἀδίκου wird unter anderem die Frage des Tempelraubs (τὸ ἱεροσυλέν) erörtert. Unter dem Stichwort Tempelraub heißt es: „Das Eigentum der Poleis (τὰ ἴδια τῶν πόλεων) lasse ich beiseite. Aber ist es nicht gerecht, das gemeinsame Eigentum | [S. 6] Griechenlands (τὰ κοινὰ τᾶς Ἑλλάδος) aus Delphi und aus Olympia (…) zu nehmen und es im Krieg zu verwenden, wenn der Barbar Griechenland bedroht?“12 Diese Gegenüberstellung von τὰ ἴδια τὼν πόλεων und τὰ κοινὰ τᾶς Ἑλλάδος bestätigt aufs beste die im Denken der Griechen fest verankerte Vorstellung von der Existenz einer besonderen Gruppe von Heiligtümern, die als gesamtgriechisch galten und die ganz bewußt von der großen Menge der Poliskulte getrennt wurden. Indem der Autor der 8 Hdt. 8,144,2. – Diese Textstelle ist auch im Rahmen der jüngsten Forschungsdiskussion über Fragen der Ethnogenese und der Ethnizität von zentraler Bedeutung; vgl. dazu: Konstan 2001; Hall 2002, 189–205. 9 Thuk. 5,18,2. 10 Hornblower 1996, 471–472. 11 Vgl. hierzu zuletzt Bringmann 2000, 495–499. 12 Dissoi Logoi 90,3,8; s.a. Robinson 1979, 118–119. 183.
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„Dissoi Logoi“ mit τὰ κοινὰ (…) τὰ ἐκ Δελφῶν καὶ τὰ ἐξ Ὀλυμπίας ausdrücklich auf Delphi und Olympia verweist, wird aber zugleich auch der Kreis der Kultplätze präzisiert, die er im Blick hatte. Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß hier Delphi und Olympia genannt wurden, weil sie die beiden prominentesten der vier großen panhellenischen Festspielorte waren. Die beiden übrigen – Isthmia und Nemea – dürften aber assoziiert und „mitgedacht“ und ebenfalls den τὰ κοινὰ τᾶς Ἑλλάδος zugerechnet worden sein. Ich bin auf diese Quellenzeugnisse näher eingegangen, um deutlich zu machen, daß die Vorstellungen über τὰ ἱερὰ τὰ κοινά im klassischen Griechenland keineswegs bloß auf einem eher unspezifischen emotionalen Empfinden beruhten, sondern durchaus sehr konkret mit bestimmten Heiligtümern verbunden waren. Es mag auf den ersten Blick nicht sehr erstaunlich sein, daß es sich hierbei um die vier Kultplätze handelte, die als traditionelle Austragungsorte der panhellenischen Wettkämpfe fungierten. Aber was für uns heute ebenso selbstverständlich zu sein scheint wie offenbar auch schon für die Griechen der klassischen Zeit, verbindet sich bei näherer Betrachtung mit einem historischen Problem, für das eine sichere Lösung kaum zu finden ist. Die Frage ist sehr einfach gestellt: Warum waren es diese vier Kultorte, die als Zentren einer panhellenischen Begegnung bei allen Griechen Akzeptanz fanden und bis in die römische Zeit hinein diese Stellung unangefochten behaupten konnten? Es gab in archaischer Zeit – und zum Teil schon früher – ja auch andere Heiligtümer, denen als kultischen Zentren eine überregionale Bedeutung zugekommen war und die ebenfalls Austragungsorte von Wettkämpfen waren, die allen Griechen offenstanden. Warum also bildete sich der Kanon gerade dieser vier Orte heraus? Daß Delphi und Olympia diesem Ensemble angehörten, verwundert weniger angesichts der schon früh in den archäologischen und auch lite- | [S. 7] rarischen Quellen zu greifenden großen Attraktivität dieser Kultorte, die in einem engen Zusammenhang mit der Ausbreitung des Griechentums in der Zeit der Kolonisation gesehen werden muß.13 Die Frage aber, warum diesen beiden Kultplätzen auch Isthmia und Nemea zur Seite gestellt wurden und warum es nur diese vier waren, hat bisher keine wirklich überzeugende Antwort gefunden. Und ich möchte gleich hinzufügen, daß auch ich keine endgültige Lösung für diese Frage bieten kann. Es scheint mir aber dennoch lohnend zu sein, dieses Phänomen einmal stärker in den Blick zu nehmen, als dies normalerweise in der Forschung geschieht. In der Regel wird nämlich die Existenz dieser Quadrupelallianz panhellenischer Heiligtümer einfach als ein Faktum konstatiert und nicht näher analysiert. Allerdings hat Christoph Ulf den Versuch unternommen, die Ursprünge dieser panhellenischen Feste zu verorten.14 Er knüpft dabei an Untersuchungen von Catherine Morgan 13 Delphi in den frühen literarischen Quellen: Hom. Il. 2,519–530; 9,404–405; Od. 8,79–82; 11,581; Hom. h. 3, passim, bes. 282–299. – Vgl. im übrigen: Forrest 1957; Kilian-Dirlmeier 1985; Malkin 1987; Londey 1990; Maaß 1992; Morgan 1993; Gauer 2000; Naso 2000. 14 Ulf 1997a.
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an, die die Anfänge dieser Feste in die Zeit der Dark Ages verlagert.15 Damals hatten die Feste im Rahmen einer vielleicht schon zyklisch wiederkehrenden „conspicuous consumption“ dem lokalen Adel dazu gedient, den eigenen Reichtum | [S. 8] und wohl auch die athletische Stärke an einem neutralen Platz öffentlich zu repräsentieren, um auf diese Weise den persönlichen Status in der eigenen Gruppe abzusichern. Morgan legt ihrer Interpretation der archäologischen Befunde Analogieschlüsse zugrunde, die sich an Erscheinungsformen prä- und frühstaatlicher Gesellschaften orientieren. Ulf folgt ihr zwar auf diesem Weg, kann aber aufgrund eines verfeinerten Interpretationsinstrumentariums die möglichen Formen und Funktionen überregionaler Feste im frühen Griechenland differenzierter darstellen. Er betont in diesem Zusammenhang zu Recht die besondere Bedeutung der gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Kommunikationsfunktionen dieser Feste, die wenigstens ebenso wichtig waren wie deren religiöse Motivationen. Ulf thematisiert dann in einem zweiten Schritt auch den Wandel dieser überregionalen Feste in der archaischen Zeit. Grundsätzlich seien die Feste in ihrer Existenz tendenziell gefährdet gewesen, da sie der Zentrierung von Macht durch die neu entstehenden Staaten entgegengestanden hätten. Dieser Konkurrenz mit den zentralistischen Ansprüchen der neuen Poleis hätten sich nur diejenigen Kultorte entziehen können, denen es gelang, „die Attraktivität der Heiligtümer zu steigern, ohne selbst über besondere politische Macht zu verfügen.“16 Von den am Ende der Dark Ages existierenden Festorten hätten schließlich nur noch Olympia, Delphi, Nemea und Isthmia im Laufe der archaischen Zeit ihren Einflußbereich kontinuierlich vergrößern können. Warum es aber gerade diese vier Heiligtümer und nicht andere oder mehr gewesen waren, das vermag auch diese Argumentation nicht zu erklären. Es bleibt darüber hinaus aber auch sehr fraglich, ob das von Ulf postulierte politische Ungleichgewicht zwischen neuen Poleis und alten überregionalen Kultorten wirklich in der von ihm skizzierten Weise wirksam geworden ist. Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, daß die Verstaatlichung der griechischen Welt auch ihre religiösen Landschaften nachhaltig verändert hatte. Daß aber überregionale Kultorte einen panhellenischen Charakter nur dort hätten behaupten oder auch erst durchsetzen können, wo sie nicht dem Einfluß einzelner mächtiger Staaten ausgesetzt gewesen seien, kann man zumindest angesichts des korinthischen Einflußes in Isthmia nicht ausnahmslos konstatieren.17 Die Veränderungen der | [S. 9] überregiona15 Morgan 1990. 16 Ulf 1997a, 51. 17 Korinth hat seinen Einfluß auf das Heiligtum und die Festspiele in Isthmia immer behaupten können; zu den Anfängen vgl. Morgan 1994; | [S. 9] auch die Leitung der Nemeischen Spiele blieb bekanntlich stets ein Zankapfel zwischen Kleonai und dem mächtigen Argos; vgl. auch Miller 1988, 144–145. Zur politischen Stellung Delphis s. Jacquemin 1996. Bezeichnend für das Problem der Anfälligkeit der panhellenischen Spiele für Einflußnahmen ist auch eine bei Hdt. 2,160 überlieferte Erzählung, derzufolge die Ägypter den Eleern den Rat erteilt haben sollen, selber nicht an den Spielen teilzunehmen, um einen gerechten Ablauf zu gewährleisten.
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len Beziehungssysteme in archaischer Zeit waren zweifellos von einem Spannungsgefüge zwischen einem wachsenden Selbstbewußtsein der einzelnen Poleis und einem ebenfalls zunehmenden panhellenischen Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt. Hieraus dürften sich dann hochkomplexe Wandlungsprozesse ergeben haben, deren Kräftespiel im einzelnen aber nicht mehr nachzuvollziehen ist. Wenden wir uns jedoch noch einmal der Tatsache zu, daß sich vor dem Hintergrund dieser Vorgänge auch der panhellenische Verbund der Festorte Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea herauskristallisierte. Auch wenn es auf die Frage nach den Gründen für die Auswahl dieser vier Orte wohl nie eine schlüssige Antwort geben wird, bleibt aber doch das Faktum der Kanonisierung, auf das ich nun die Aufmerksamkeit lenken möchte. Eine nähere, wenn auch nur zeitliche Bestimmung der Anfänge dieser Kanonisierung kann nämlich durchaus Einblick gewähren in die erwähnten politischen Wandlungsprozesse der griechischen Staatenwelt in archaischer Zeit. Auffällig ist zunächst einmal, daß es eigentlich so gut wie keine gemeinsamen Kriterien gibt, aufgrund derer sich die enge Verbindung der genannten vier Kultplätze erklären ließe. Weder die kultischen Funktionen der Heiligtümer noch die jeweils dort verehrten Götter und Heroen lassen sich in ein enger aufeinander bezogenes Beziehungssystem einfügen. Man hatte sich offenbar noch nicht einmal die Mühe gegeben, zumindest ex eventu diese vier Festorte durch eine gemeinsame mythologische Tradition miteinander zu verbinden. Das einzige Bindeglied war der Sport, die regelmäßige Durchführung panhellenischer Wettkämpfe. Hier ergibt sich aber zugleich auch eine bemerkenswerte Differenz. Folgen wir der literarischen Tradition, so reichen bekanntlich die Anfänge der panhellenischen Wettkämpfe in Olympia bis in das Jahr 776 v. Chr. | [S. 10] zurück, während die Gründungen beziehungsweise die panhellenische Ausgestaltung der drei anderen Festspiele in die erste Hälfte des sechsten Jahrhunderts datiert werden. Diese chronologischen Fixdaten sind zwar – zumindest bezüglich Olympias – fiktiv;18 sie spiegeln aber dennoch eine relative zeitliche Diskrepanz in der Entwicklung der Festorte wider, die sich auch im archäologischen Befund niedergeschlagen hat. Während in Olympia das Gelände des Heiligtums bereits um 700 v. Chr. stark vergrößert und ausgebaut wurde,19 scheint sich eine vergleichbare Entwicklung in den anderen Heiligtümern – zumindest in Isthmia und 18 Zum legendären Gründungsdatum der Olympischen Spiele (776 v. Chr.) und zur Authentizität der olympischen Siegerlisten vgl. Jacoby 1955, 221–228; Herrmann 1972, 216, Anm. 14; Crowther 1985, 520; Sinn 1991, 51–54; Sinn 1994, 149–153; Sinn 1996, 41–44; Peiser 1990; Ulf 1997b, 12, Anm. 8. – Zum Gründungsdatum der Pythischen Agone in Delphi (586 oder 582 v. Chr.) vgl. Miller 1978; Brodersen 1990. – Der Beginn der Isthmia wird auf 582 oder 580 v. Chr. und der Beginn der Nemea auf 573 v. Chr. datiert; vgl. dazu auch die in Anm. 6 genannte Literatur. 19 Mallwitz 1988; Mallwitz 1999, 181–284, bes. 193–199; vgl. auch Sinn 1996, 30–35.
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Nemea20 – erst einige Zeit später vollzogen zu haben. Dieser Befund indiziert eine Vorreiterrolle und damit auch Vorbildfunktion Olympias. Es bedarf allerdings noch genauerer vergleichender Untersuchungen des entsprechenden archäologischen Materials, um das hier Behauptete abzusichern. Meines Erachtens liegt aber hier die Vorrangstellung begründet, die Olympia auch später noch unter den panhellenischen Festspielorten einnahm. Es sei nur auf die unterschiedliche materielle Belohnung verwiesen, die in Athen – angeblich schon seit solonischer Zeit – den Siegern bei den großen Festagonen zugesprochen wurde: Während die Olympioniken 500 Drachmen erhielten, wurden die Sieger an den Isthmien und den übrigen großen Spielen nur mit 100 Drachmen entlohnt. Ganz unabhängig von der | [S. 11] Frage der Authentizität dieser späten, bei Plutarch und Diogenes Laertios überlieferten Notiz,21 kommt hier jedenfalls eine deutliche Bevorzugung der olympischen Spiele gegenüber den anderen panhellenischen Spielen zum Ausdruck, die sich auch in der übrigen literarischen Oberlieferung immer wieder greifen läßt. Damit bleibt aber immer noch ungeklärt, wann und auf welche Weise sich der Kanon der vier Festspielorte herausgebildet hatte. Stella Miller, die Ausgräberin von Nemea, hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen: „Among the many questions which could be posed in this connection is why, after the beginning of the sixth century, there were no more Panhellenic festivals founded throughout the rest of antiquity, despite an abundance of local games.“22 Diese Frage ist aber meines Erachtens falsch gestellt. Miller geht – wie übrigens fast alle Gelehrten – von der Voraussetzung aus, daß die Festlegung der Pythien, Isthmien und Nemeen als quasi kanonisierte panhellenische Festspiele bereits mit ihrer Gründung beziehungsweise ihrer Neugestaltung in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts erfolgte. Dafür fehlt uns allerdings jeder Beweis. Festzustellen ist nur, daß der Sport im frühen sechsten Jahrhundert im gesamten gesellschaftlichen und politischen Umfeld Griechenlands sehr schnell an Bedeutung zunahm.23 Vor diesem Hintergrund kam es aber eben nicht nur in Delphi, Isthmia und Nemea, sondern auch an vielen anderen Orten der griechischen Staatenwelt zur Etablierung neuer sportlicher Agone. Auch diese Agone erhoben durchaus einen überregionalen Anspruch und versuchten, sich einen panhellenischen Zuschnitt zu geben. Ich möchte hier nicht näher auf die zahlreichen Festspiele eingehen, die vor allem im Verlaufe der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts an jeweils ganz unterschiedlichen Kultstätten und Heiligtümern eingerichtet wurden und dem Vorbild Olympias nacheiferten. Es mag hier genügen, auf die frühen Siegesepigramme und die Epinikien vor allem des Pindar hinzuweisen, in denen vielfach Siege aneinandergereiht werden, die außer an den vier genannten auch an vielen ande20 Gebhard 1992; Gebhard 1993; Miller 1988; Miller 1992. 21 Plut. Solon 23,3; Diog. Laert. 1,55. 22 Miller 1988, 142. 23 Vgl. hierzu Mann 2001.
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ren Plätzen in Griechenland errungen worden waren. Neben zahlreichen Orten auf der Peloponnes wie Argos, Tegea, Kleitor, Pellana, Epidauros etc. werden hier zum Beispiel auch Athen, Aigina und Theben genannt.24 | [S. 12] Diese Quellenzeugnisse sind ein klarer Erweis für die Vielfalt der Festagone, deren Ausstrahlung auch schon im sechsten und frühen fünften Jahrhundert v. Chr. weit über den engeren lokalen Rahmen hinausreichte. Diese Texte sind zugleich aber auch Indikatoren für die Kanonisierung der vier großen panhellenischen Wettkämpfe, denen eine deutliche Vorrangstellung vor allen anderen zugesprochen wurde. Das führte oft sogar dazu, daß in den Epigrammen nur noch die Siege eine ausdrückliche Erwähnung fanden, die an einem oder mehreren dieser vier Festorte errungen worden waren.25 Auf die übrigen Erfolge wurde dann nur noch pauschal verwiesen mit Formeln wie: „Nicht leicht ist es, seine übrigen Siege zu zählen.“26 Oder: „Es ist nicht leicht, die übrigen Kränze nach ihrer Zahl zu bestimmen.“27 Oder es heißt ganz lapidar: καὶ τοὺς λοιποὺς ἀγῶνας („und die übrigen Agone“).28 In der Ehreninschrift für Theagenes aus Thasos, der im frühen fünften Jahrhundert v. Chr. zu den berühmtesten Athleten seiner Zeit zählte, werden dessen Siege in Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea ausführlich beschrieben; im übrigen heißt es dann aber nur noch: „Deine persönlichen Siege beliefen sich auf 1.300“ (αἱ δὲ ἴδιαι νῖκαι τρίς τε ἑκατὸν καὶ χίλιαι).29 Die außerordentliche Hervorhebung der immer gleichen vier Festspiele in einer quasi kanonisierten Form, die sich auch in der Werkordnung Pindars widerspiegelt, ist also schon für die Wende vom sechsten zum fünften Jahrhundert v. Chr. festzustellen. Dennoch wird die Vorstellung von der besonderen Bedeutung der Siege bei diesen vier Spielen erst sehr viel später auf einen Begriff gebracht und als periodos bezeichnet. Der Grammatiker Festus schreibt im zweiten Jahrhundert n. Chr.: In gymnicis certaminibus perihodon vicisse dicitur, qui Pythia, Isthmia, Nemea, Olympia vicit.30 Die literarischen und epigraphischen Belege für die Bezeichnung periodos als Ausdruck für den Sieg bei allen vier großen panhellenischen Spielen setzen erst im dritten Jahrhundert v. Chr. ein; und die Bezeichnung Periodon(e)ikes | [S. 13] läßt sich sogar erst in der römischen Kaiserzeit literarisch und epigraphisch nachweisen.31
24 Vgl. z. B. Pind. O. 7,77–88; 9 passim; 13 passim; N. 10,22–28. 32; I. 1 passim; s. dazu Kramer 1970; | [S. 12] vgl. auch die entsprechenden Beispiele bei Ebert 1972. 25 Vgl. Maróti 1985–88, 341, Anm. 34. 26 Ebert 1972, 66–69 Nr. 15. 27 Ebert 1972, 129–132 Nr. 39. 28 I.Didyma 97a, Z. 5–6. 29 Moretti, I.agonistiche 21 (= Ebert 1972, 118–126 Nr. 37). 30 Fest. 236, s.v. perihodos. 31 Knab 1934; Maróti 1985–1988; zur Entwicklung der periodos in der römischen Kaiserzeit s. auch Frisch 1991.
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Die Sache selbst existierte also weitaus früher als der Begriff, den man ihr gab. So wird in der „Kranzrede“ des Demosthenes ein Psephisma zitiert, in dem die Rede ist von den αἱ ἀν τᾷ Ἑλλάδι παναγύριαι Ἴσθμια καὶ Νεμέα καὶ Ὀλύμπια καὶ Πύθια.32 Allerdings bleibt hier zu bedenken, ob es sich bei dieser Passage nicht um einen späteren Einschub handelt. Es gibt aber auch noch andere und zeitlich frühere Hinweise darauf, daß die Vorstellung einer periodos und die damit untrennbar verbundene panhellenische Idee nicht allein in den frühen Siegerinschriften und Epinikien propagiert wurde,33 sondern auch ganz allgemein im damaligen Denken und Handeln der Griechen bereits fest verwurzelt war. So wird in einem athenischen Volksbeschluß aus dem zweiten Drittel des fünften Jahrhunderts v. Chr. der Kreis derjenigen bestimmt, die regelmäßig an der Speisung im Prytaneion teilnehmen durften. Diese außerordentliche Ehrung wurde neben den eleusinischen Priestern und den Nachkommen der Tyrannenmörder auch denen zugestanden, die bei den Olympiaden, den Pythien, den Isthmien oder den Nemeen gesiegt hatten.34 Dieser Beschluß hat ganz offensichtlich die Vorstellung von dem kanonisierten Ensemblecharakter der vier großen panhellenischen Festspiele bereits zur Voraussetzung; und er läßt zugleich erkennen, in welchem starken Maße diese Vorstellung sich auch in politicis auswirkte. Aber auf die enge Verflechtung von Sport und Politik möchte ich hier gar nicht näher eingehen. Das ist – zuletzt wieder von Christian Mann35 – hinreichend diskutiert worden und darf als bekannt gelten. Die Kanonisierung der vier panhellenischen Festspiele bedeutete zugleich auch eine Kanonisierung der zugehörigen Festorte (nicht aber einzelner spezifischer Kulte). Die politische und gesellschaftliche Wirksamkeit dieser Verknüpfung zeigt sich besonders klar in dem Verhalten der Griechen, spätestens seit dem frühen fünften Jahrhundert v. Chr. bevorzugt an diesen Orten staatliche Weihgaben, Ehrungen und auch internationale | [S. 14] Verträge aufzustellen. Dies geschah zum Teil selektiv, zum Teil aber auch mit dem Wunsch, an allen panhellenischen Kultorten gleichzeitig präsent zu sein. Allerdings ist hier eine sehr auffällige Abweichung festzustellen. Während in römischer Zeit mit der Formel ἔν τε τοῖς πανηγυριστηρίοις τῶν ἱερῶν ἀγώνων36 offensichtlich die Aufstellung an allen vier Kultplätzen veranlaßt wurde, erfolgte in klassischer und hellenistischer Zeit eine gemeinsame Aufstellung nur an dreien der vier Kultorte – zumindest soweit dies den Quellen zu entnehmen ist. Dies waren Olympia, Delphi und Isthmia; Nemea scheint hingegen zunächst stets ausgespart worden zu sein. Ich verweise exemplarisch auf die Beuteweihungen für den Sieg bei Plataiai, die in Olympia, Delphi und Isthmia,
32 Demosth. or. 18,91. 33 Zur Bedeutung der Epinikien für die Ausgestaltung und Verfestigung vgl. Mann 2001, 40–49. 34 IG I3 131, Z. 11–13. 35 Mann 2001. 36 SEG XXXV 304, Z. 15.
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nicht aber in Nemea errichtet wurden.37 Und im athenisch-spartanischen Friedensvertrag von 421 v. Chr. – dem „Nikias-Frieden“ – wurde vereinbart, in Delphi, Olympia und Isthmia Abschriften der Urkunde auf steinernen Stelen aufzustellen; auch hier blieb Nemea unberücksichtigt.38 Eine schlüssige Erklärung für das Fehlen von Nemea ist kaum zu finden. Die prinzipielle Orientierung an der periodos ist nicht in Zweifel zu ziehen. Man könnte aber vermuten, daß die Griechen innerhalb der periodos den einzelnen Festorten doch eine unterschiedliche Attraktivität zumaßen. Für Olympia steht dies – wie bereits gezeigt – sowieso außer Frage; aber möglicherweise gab es auch hinsichtlich der übrigen drei Plätze noch eine Rangfolge, bei der Nemea auf der letzten Position rangierte. Dem konnte auch die Aufzählung der vier Festspiele in dem erwähnten athenischen Dekret über die Speisung im Prytaneion entsprochen haben.39 Hier lautet die Reihung: Olympiaden, Pythien, Isthmien und Nemeen. Möglicherweise spielte auch die Tatsache eine Rolle, daß die Isthmien und Nemeen – im Gegensatz zu den penteterischen Olympiaden und Pythien – in einem zweijährigen Rhythmus abgehalten wurden; hinzu kam, daß die Nemeen und Isthmien nach der griechischen Zeitrechnung jeweils im gleichen Jahr stattfanden, da die Nemeen im Juli/August ( Jahresanfang) und die Isthmien im folgenden April/Mai (kurz vor Jahresende) gefeiert wurden.40 Inwieweit diese Gegebenheiten ursächlich mit der Rangstellung Nemeas zu verbinden sind, muß allerdings Vermutung und | [S. 15] Spekulation bleiben. Jedenfalls indiziert die Praxis der Griechen, u. a. bei staatlichen Weihungen Olympia, Delphi und Isthmia zu bevorzugen, eine gewisse Minderstellung von Nemea, die möglicherweise auf eine – wie auch immer begründete – geringere Attraktivität schließen läßt. Dennoch bildeten die vier Festspiele und entsprechend auch die vier Festspielorte ein kanonisiertes Ensemble, das auch schon im frühen fünften Jahrhundert v. Chr. nicht nur in der Epinikien-Dichtung präsent war, sondern ganz allgemein als ein festes Denk- und Deutungsmuster in den Köpfen der Griechen vorhanden war. Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea waren mit ihren Festspielen zu Fixpunkten panhellenischen Denkens und Handelns geworden. Mit dieser Feststellung ist die Frage nach den Ursprüngen allerdings immer noch nicht geklärt. Und angesichts der Quellenlage wird hier auch keine Antwort möglich sein.41 Was sich aber noch näher präzisieren läßt, das sind die Anfänge der Kanonisie37 38 39 40 41
Hdt. 9,81,1. Thuk. 5,18,10. Vgl. Anm. 34. Vgl. Miller 1990, 2–3. Auffällig bleibt allerdings die regionale Konzentration der vier Festspielorte auf die dorische bzw. nordwestgriechische Welt, die an einen dorischen Ursprung denken läßt. Um so bemerkenswerter ist aber dann die große Akzeptanz, die diese vier Kultplätze auch bei den übrigen griechischen Staaten fanden, so daß diese zu panhellenischen Zentren wurden.
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rung. Wenn man die zeitgenössischen epigraphischen und dichterischen Quellentexte zu den großen Festspielen insgesamt in den Blick nimmt und deren Aussagen kritisch mit den überlieferten Daten der Siegerlisten42 vergleicht, so kristallisiert sich das letzte Drittel des sechsten Jahrhunderts v. Chr. als die Zeit heraus, in der es zur panhellenischen Kanonisierung der vier Festorte gekommen war. Erst damals wurden also Isthmia und Nemea – in einer Welt konkurrierender Festorte – Olympia und Delphi zur Seite gestellt. Seitdem bildeten diese vier Kultorte einen festgefügten Verbund, dessen Agone an Ansehen alle anderen übertrafen und zu panhellenischen Kulminationspunkten geworden waren. Diese Kanonisierung war aber nicht nur eine Frage des Ansehens. Vielmehr muß sie auch einem allgemeinen Bedürfnis entsprochen haben und auf gesamtgriechischer Ebene akzeptiert worden sein. Sie hatte also einen panhellenischen common sense zur Voraussetzung. Daher ist der Vorgang dieser Kanonisierung ein Indikator dafür, daß im Verlaufe des sechsten Jahrhunderts v. Chr. das Zusammengehörigkeitsbewußtsein bei den Griechen in starkem Maße anwuchs und daß ein Bedürfnis bestand, diesem Gemeinschaftsgefühl auch einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen. | [S. 16] Schon seit der Frühzeit der Kolonisation waren die griechischen Siedler bestrebt gewesen, den Kontakt zum Mutterland nicht abbrechen zu lassen. Dabei wurden in einer zunehmend disparater werdenden Poliswelt u. a. Olympia und Delphi zu frühen panhellenischen Bindegliedern. Im siebten und sechsten Jahrhundert v. Chr. eröffnete dann die wachsende Attraktivität sportlicher Wettbewerbe ein weiteres Feld panhellenischer Aktivitäten. Die Kanonisierung der vier Festorte am Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. dürfte dann dem Wunsch entsprochen haben, einen stärker formalisierten Rahmen für eine gesamtgriechische Begegnung zu schaffen. Dem entsprach auch die – wahrscheinlich am olympischen Vorbild orientierte – Reglementierung der großen Festspiele: Die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme an den Wettbewerben blieb strikt auf die Griechen beschränkt, und die Durchführung der vier Festfeiern – und zwar anfangs nur dieser – wurde unter den Schutz der ekecheiria gestellt. So wurden Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea zu den τὰ ἱερὰ τὰ κοινά, die in ihrer kanonisierten Form zum Fokus panhellenischer Selbstvergewisserung wurden. Die Erfahrungen der Perserkriegszeit dürften das Ihre dazu beigetragen haben, diese Funktion noch zu stärken. Und als Titus Quinctius Flamininus an den Isthmien des Jahres 196 v. Chr. den dort versammelten Griechen die römische Freiheitserklärung verlesen ließ,43 konnte er immer noch an den panhellenischen Charakter anknüpfen, der diesem Ort zu eigen war.44 42 Moretti 1957; Moretti 1970; Moretti 1992. 43 Pol. 18,46,4–5; Liv. 33,32; Plut. T. Quinctius Flamininus 10,3–4; App. Mac. 9,4. 44 Erst nach Fertigstellung meines Manuskripts wurden mir aus dem von Helmut Kyrieleis herausgegebenen Kolloquiumsband ‚Olympia 1875–2000. 125 Jahre Deutsche Ausgrabungen, Mainz 2002‘ die folgenden, für meine Thematik zentralen Aufsätze zugänglich, die ich leider
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Überregionale Heiligtümer – Orte der Begegnung mit dem Fremden
Die folgenden Darlegungen sind Teil eines Experimentes, das von den Herausgebern dieses Sammelbandes initiiert worden war, indem sie dazu aufgefordert hatten, ein von Christoph Ulf entworfenes Modell zur Beschreibung und wissenschaftlichen Analyse interkultureller Kontakte1 durch eine Konfrontation mit Ergebnissen der eigenen Forschungsarbeiten zu diskutieren und exemplarisch zu konkretisieren. Es wurde also – dieser leicht schiefe Vergleich sei hier erlaubt – eine Modellbahn präsentiert, mit der umzugehen ein zugleich vergnügliches wie aber auch schwieriges intellektuelles Unterfangen darstellt. Gilt es doch, die eigenen Wagen auf die Bahn zu bringen und damit das | [S. 54] vorgegebene Modell im Experiment zu erproben. Und ich muss schon vorab eingestehen, dass ich im Folgenden nicht wirklich bis zu einer experimentellen Erprobung gelangen werde, sondern allenfalls den Aufbau der Versuchsanordnung darlegen kann, deren Tauglichkeit sich dann erst noch im wiederholten Versuch zu bewähren haben wird. Es geht mir letztlich um eine präzisere Bestimmung des Stellenwertes der so genannten überregionalen Heiligtümer als Kontaktzonen innerhalb des Modellentwurfs von Ulf. Die folgenden Darlegungen sind daher kaum mehr, aber eben auch nicht weniger als eine im eigentlichen Wortsinn Ortsbestimmung.2 Ulf, der sich auch schon früher sehr eingehend mit der Bedeutung überregionaler Heiligtümer auseinandergesetzt hat,3 weist diesen Heiligtümern in seinem Modell einen festen Platz zu als Orten von „open contact zones“ („offenen Kontaktzonen“), an denen nicht nur importierte Güter deponiert, sondern auch Informationen getauscht und soziale Beziehungen geknüpft werden konnten, so dass entscheidende Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die zu bestimmenden Transferwege von Kulturkontakten gegeben seien.4 Mag diese Feststellung zunächst auch durchaus einleuchten, so bleibt aber doch zu fragen, was denn mit Blick auf diese Transferleistungen eigentlich unter überregional zu verstehen ist und wie breit das Spektrum der behaupteten Fremdwahrnehmungen im Falle von – wohl auch nicht nur überregionalen – Heiligtümern ausgefächert war. Erst durch Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: R. Rollinger/K. Schnegg (Hgg.), Kulturkontakte in antiken Welten. Vom Denkmodell zur Fallstudie. Proceedings des internationalen Kolloquiums aus Anlass des 60. Geburtstages von Christoph Ulf, Innsbruck, 26. bis 30. Januar 2009, Leuven 2014, 53–65. 1 Ulf 2009. 2 Die Ausführungen gründen auf Überlegungen zu den politischen Funktionen überregionaler Heiligtümer, die ich erstmals im Rahmen des Münsteraner DFG-Sonderforschungsbereiches 493 „Funktionen von Religionen in antiken Gesellschaften“ entwickeln konnte und die ich jetzt im Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ weiter bearbeiten kann; vgl. dazu u. a. Funke 2004; Funke 2005; Funke 2010; Teile der folgenden Darlegungen sind eine überarbeitete Fassung von Funke 2009. 3 Ulf 1997; Ulf 2006. 4 Ulf 2009, bes. 93–95.
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I. Staatlichkeit, Politik und Religion im antiken Griechenland
die genauere Analyse der Überregionalität eines Heiligtums lässt sich auch die Qualität der transferierten und gegebenenfalls auch rezipierten Güter präziser bestimmen, deren Fremdsein und spezifische Andersartigkeit in einer direkten Relation zu dem stand, was die jeweilige Eigenart der als überregional bezeichneten Heiligtümer und Kultplätze ausmachte. Die mit einer solchen Fragestellung verbundene Problematik lässt sich durch eine Fokussierung der Analyse auf die griechische Staatenwelt besonders deutlich machen. Angesichts der hier vorherrschenden bunten Fülle unterschiedlichster Erscheinungsformen von Heiligtümern und Kulten sieht man sich bei der Bestimmung des Faktors Überregionalität mit Schwierigkeiten konfrontiert, deren Lösung aber zugleich auch grundlegend zur Klärung des in | [S. 55] Frage stehenden Kulturtransfers beizutragen vermag. Entscheidend ist dabei, dass man sich von der Vorstellung löst, dass sich die Vielfalt der griechischen Kulte in einen bipolaren Schematismus zwängen lässt, der nur zwischen Polisheiligtümern einerseits und nicht weiter differenzierten überregionalen – oft synonym auch nur als panhellenisch bezeichneten – Heiligtümern andererseits zu unterscheiden weiß. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, durch eine – von Ulf auch eingeforderte – eher mikroskopische Sichtweise ein differenzierteres Bild zu skizzieren. Ich werde dabei in drei Schritten vorgehen und zunächst die poliszentrierten und die panhellenischen Dimensionen griechischer Heiligtümer in gebotener Kürze beschreiben, um dann in einem dritten Schritt eine funktionsorientierte Ausdifferenzierung polisübergreifender Kulte vorzunehmen und in Verbindung damit die Frage nach Identität und Fremdwahrnehmung als bedingende Faktoren für Kulturkontakte und Kulturtransfer in Heiligtümern neu zu justieren. Das Alles ist allerdings nicht mehr als eine erste Gedankenskizze und bedarf dann noch der konkreten experimentellen Erprobung. Bekanntlich existierten die Griechen in der Antike zu keinem Zeitpunkt als eine politisch zusammengehörige Entität; sie waren vielmehr in schließlich wohl weit mehr als 800 politischen Einheiten ganz unterschiedlichen Zuschnitts – als Polis oder Stammesverbund – organisiert, von denen eine jede auf die Wahrung ihrer Autonomie und Freiheit bedacht war. Dieser politischen Vielfalt, die wir uns nicht bunt genug vorstellen können, stand ein kulturelles Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber, das in dem Bewusstsein von der Existenz eines alle Griechen gemeinsamen hellenikon zum Ausdruck kam, zu dessen zentralen Bestandteilen gerade auch die gemeinsame Religion gehörte und auf das später noch näher einzugehen sein wird. Gleichwohl blieb ein permanentes Spannungsgefüge zwischen den polisbezogenen und den panhellenischen Dimensionen griechischer Religion, auf das jetzt zunächst näher eingegangen werden soll. Zunächst zu den poliszentrierten Dimensionen griechischer Religion: Von der griechischen Religion sprechen heißt immer zugleich auch von der Polis sprechen. „The polis provided the fundamental framework in which Greek religion operated. (…) The Greek polis articulated religion and was itself articulated by it; religion became the polis’ cen-
Überregionale Heiligtümer – Orte der Begegnung mit dem Fremden
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tral ideology.“5 Mit dieser Feststellung hat Christiane Sourvinou-Inwood den Grundzug griechischer Religion klar gekennzeichnet. Die griechische Religion ist primär Polis-Religion. Reli- | [S. 56] gion und Kult waren daher ein unmittelbares Abbild des politischen Systems der griechischen Poliswelt und damit in ihren Erscheinungsformen durch eine entsprechende Vielfalt gekennzeichnet. Jede Polis verfügte bekanntlich über eigene zentrale Heiligtümer, Festtage, Kultkalender und Jahresrhythmen, die ein entscheidendes Bindeglied für den Zusammenhalt des jeweiligen Bürgerverbandes bildeten. Sie waren fester Bestandteil der Polisidentität, die in entscheidender Weise religiös begründet wurde. Es sei hier nur auf die Untersuchungen von François de Polignac über Kulte, Territorium und die Ursprünge der griechischen Polis verwiesen, der mit Blick auf die Heiligtümer in den griechischen Poleis von einer „religiösen Bipolarität“ spricht und damit eine doppelte Funktion der Kultstätten in den Poleis beschreibt: Einerseits die Konstituierung eines sozialen Raumes innerhalb einer Polis in Bezug auf den Bürgerverband und teilweise auch die übrigen Bewohner; zugleich aber auch durch die Errichtung von Grenzheiligtümern die Fixierung des Polisterritoriums und damit die Abgrenzung zu den umliegenden, auf gleiche Weise festgelegten Polisterritorien.6 Was de Polignac in seinem Buch entwickelt, findet nicht nur im archäologischen Befund eine vielfältige Bestätigung, sondern auch im sechsten Buch der platonischen Nomoi eine theoretische Entsprechung, wo nach langen Ausführungen über die beste Form des Staates auch die Frage der baulichen Gestaltung aufgeworfen wird: „Und da unser Staat ja neu und bisher noch unbewohnt ist, so muss er sich natürlich so ziemlich um das gesamte Bauwesen kümmern und überlegen, wie er es mit allen Einzelheiten und so auch mit den Heiligtümern und Mauern halten soll.“ Und als erstes wird dann der Bau der Heiligtümer beschrieben: „Die Heiligtümer soll man rings um den ganzen Markt und rings um die ganze Stadt im Kreis an hochgelegenen Plätzen erbauen“ (Plat. leg. 778b– c).7 Die Heiligtümer um den Markt als Integrationsfaktor und die Heiligtümer auf den Höhen rings um die Polis als Abgrenzungsfaktor: Prägnanter lässt sich die von de Polignac so bezeichnete „religiöse Bipolarität“ und die doppelte Funktion der Kultstätten in den Poleis kaum beschreiben. So wurden die Bürger gerade auch über die Kulte fest in ihre jeweilige Polis eingebunden. Daher wurde es auch immer dann kompliziert, wenn sich zwei oder mehr Poleis entschlossen, enger zusammenzugehen und ein isopolitisches oder gar ein sympolitisches Verhältnis zu begründen. Neben den Regelungen der bürgerrechtlichen Fragen galt immer den kultischen Angelegenheiten besondere Aufmerksamkeit. So wurde in 5 Sourvinou-Inwood 2000a, 13; vgl. darüber hinaus auch Sourvinou-Inwood 2000b; Cole 1995; Parker 1996; Woolf 1997; Schmitt-Pantel 1990. – Zu Recht hat Kindt 2009 aber auch auf die Problematik einer zu starken einseitigen Fokussierung auf die Polisreligion hingewiesen. 6 De Polignac 1995, bes. 81–88. 7 Übersetzung nach K. Schöpsdau.
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einer Vereinbarung über die gegenseitigen Rechtsbeziehungen zwischen Milet und der Tochterstadt Olbia am Schwarzen | [S. 57] Meer bereits in der ersten Klausel festgelegt, dass der Milesier in Olbia wie ein Bürger von Olbia an denselben Altären opfern und dieselben Heiligtümer besuchen solle (I.Milet I.3, 136, bes. Z. 2–6 [ca. 330 v. Chr.?]).8 Hier werden also Restriktionen aufgehoben, denen Fremde ansonsten offenbar vielfach unterworfen waren, weil man eben den Status der xenoi durch den der isopolitai ersetzen wollte. Entsprechend war es nur konsequent, dass man dann im Fall einer sympoliteia, also eines vollen staatlichen Zusammenschlusses von Poleis – wie im Falle der beiden zentralgriechischen Städte Medeon und Stiris – vereinbarte, dass „die Bürger von Medeon an allen Opfern in Stiris, und die Bürger von Stiris an allen Opfern in Medeon teilnehmen sollen“ (IG IX 1, 32, Z. 50–55).9 Gerade vor dem Hintergrund der zahllosen isopolitischen und sympolitischen Sonderregelungen, von denen hier nur zwei exemplarisch erwähnt werden, zeichnet sich der identitätsstiftende Charakter der griechischen Religion als Polisreligion besonders gut ab. Die feste Verankerung der Religion im Gesamtsystem der Polis bedingte aber auch, dass die Zahl der verschiedenen Kulte und Gottheiten ebenso unüberschaubar war wie die der griechischen Poleis und Stämme. Paul Cartledge hat einmal festgestellt, that religion was above all the totality of public festivals celebrated by each of the hundreds of political communities; and the total was extraordinarily high, both absolutely and as proportion of the days in the year given over to festivals by the cities. Our evidence is unfortunately very incomplete and uneven. But altogether in excess of 300 public, state-run religious festivals are known to have been celebrated at over 250 places in honour of more than 400 deities.10 Diese Vielfalt religiöser und kultischer Erscheinungsformen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Bei aller Diversifikation der religiösen Welt der Griechen, die sich auch in den Epiklesen der Götternamen in besonderer Weise widerspiegelt, ist es aber doch ein besonderes Charakteristikum, dass es – wie bereits eingangs vermerkt – quasi als eine Art Überbau auch die Vorstellung eines gemeinsamen religiösen Zusammenhaltes gab.11 Sourvinou- Inwood hat davon gesprochen, dass „each polis was a religious system which formed part of the more complex world-of-the-polis system, interacting with the religious systems of the other poleis and with the Panhellenic religious dimension.“12 Mit den „panhellenischen Dimensionen“ hat es allerdings seine besondere Bewandtnis, denn 8 9 10 11 12
S. auch Syll.3 286; Staatsverträge 3, 408; Rhodes-Osborne, GHI 93. S. auch Syll.3 647. Cartledge 1985, 98–99. Vgl. zum Folgenden auch Funke 2004; Funke 2005. Sourvinou-Inwood 2000a, 13.
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in gewisser Weise handelt es sich dabei um ein | [S. 58] Konstrukt, das auch schon den antiken Zeitgenossen klar gewesen war. Schon die von Herodot geäußerte Auffassung über die Ursprünge des griechischen Pantheons weist in diese Richtung, wenn er sagt, dass erst Homer und Hesiod für die Hellenen „den Stammbaum der Götter geschaffen und den Göttern die Beinamen gegeben und ihre Ämter und Fertigkeiten gesondert und ihre Gestalten deutlich gemacht haben“ (Hdt. 2,53,2).13 Dabei ist es für die hier aufgeworfene Fragestellung unerheblich, inwieweit sich hinter dieser Äußerung ein religiöser Skeptizismus oder eine Distanzierung von einer Theogonie verbergen. Festzuhalten bleibt, dass sich trotz aller Diversifikationen nicht nur in politicis, sondern auch in religiosis eine panhellenische Wahrnehmungsebene greifen lässt, die unabhängig von der persönlichen Einstellung Herodots für das religiöse Denken der Griechen signifikant gewesen ist. Diese panhellenische Perspektive kam vor allem immer dann zum Tragen, wenn es um die Betonung der Zusammengehörigkeit und des Zusammenhalts der Griechen ging. So konnte sich daher Aristagoras von Milet (Hdt. 5,49,3) ebenso auf die theoi hellenioi berufen wie der Korinther Soklees (Hdt. 5,92) und der Athener Hippias (Hdt. 5,93,1). Im Jahre 480 lehnten die Athener das persische Friedensangebot ab „aus Furcht vor dem Zeus der Hellenen“ (Dia hellenion aidesthentes) (Hdt. 9,7α,2); Hegesistratos von Samos rief 479 in Delos die Griechen im Namen der „gemeinsamen Götter“ – theoi koinoi – zur Fortführung des Kampfes gegen die Perser auf (Hdt. 9,90,2); und als die Athener im Winter 480/79 angesichts der persischen Bedrohung die Einheit der Griechen beschworen, beteuerten sie nachdrücklich, dass sie nicht zu Verrätern der gemeinsamen griechischen Sache – to hellenikon – werden wollten. To hellenikon wird dann von den Athenern näher bestimmt. Neben dem gleichen Blut und der gemeinsamen Sprache werden vor allem die gemeinsamen Heiligtümer und Opfer als gesamtgriechisches Merkmal hervorgehoben.14 Diese panhellenische Sicht auf die griechische Götterwelt war nun eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich auch so Etwas wie eine panhellenisch orientierte sacred landscape entwickeln konnte, deren Grundlagen zwar in einer polisorientierten religiösen Welt verankert waren, die aber doch einen eigenen polisübergreifenden, eben panhellenischen Charakter besaß. Die theoi hellenioi wurden in einer Welt von Heiligtümern verortet, deren geographische Koordinaten durch ein gemeinsames religiöses Selbstverständnis der Griechen bestimmt wurde. Es war eine spezifische kultische Oikumene, die nicht nur aus | [S. 59] der einfachen Summe einer Vielzahl von Tempeln und Kultplätzen bestand, sondern durch die Existenz einzelner, weit über einen engeren lokalen Bereich hinaus
13 S. dazu Burkert 1985, 121–132; Thomas 2000, 216–217. 14 Hdt. 8,144,2: homaimon te kai homoglosson, kai theon hidrymata te koina kai thysiai – vgl. dazu Parker 1998; Konstan 2001; Hall 2002, 189–192; Zacharia 2008.
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wirksamer Heiligtümer, die auch in der nichtgriechischen Welt in Ansehen standen, in besonderer Weise gekennzeichnet war. Das Spezifische, das diese Welt zusammenhielt, das war eine panhellenische Akzeptanz und – als Kehrseite der Medaille – eine panhellenische Verfügbarkeit. Unbeschadet der administrativen Zuständigkeit einzelner poleis, ethne oder amphiktyonischer Verbände waren diese Heiligtümer in den Augen der Griechen in gewisser Weise panhellenisches Gemeingut. Es sei in diesem Zusammenhang nur auf die erste Klausel des Nikiasfriedens von 421 verwiesen, in der es heißt: „Bezüglich der gemeinsamen Heiligtümer (peri men ton hieron ton kainon): Wegen der Opfer, Orakelbefragungen und Festfeiern soll nach altem Brauch jedem, der es wolle, freier Zugang zu Wasser und zu Lande garantiert werden“ (Thuk. 5,18,2).15 Auch wenn diese Regelung vor dem Hintergrund der damaligen athenisch-spartanischen Auseinandersetzungen um die Kontrolle Delphis gesehen werden muss, legt es die Formulierung peri men ton hieron ton kainon doch nahe, dass sie sich auf einen größeren Kreis von Heiligtümern bezogen haben muss. Es handelte sich hierbei ganz offensichtlich um nichts anderes als um eine Garantieerklärung für den besonderen Schutz der Heiligtümer, die nach allgemeiner Auffassung für alle Griechen von besonderer Bedeutung waren. Dabei ist es bemerkenswert, dass es hier ebenso wie schon in der zitierten Rede der Athener keiner weiteren Erläuterungen bedurfte, um welche Heiligtümer es sich konkret bei ta hiera ta kaina handelte, obgleich die Vertragsklausel eigentlich eine entsprechende Präzisierung erfordert hätte. In dieser Frage bestand aber offenbar ein common sense, der für die griechischen Zeitgenossen selbstverständlich und unumstößlich war. Die Vorstellungen über ta hiera ta kaina im klassischen Griechenland beruhten also keineswegs bloß auf einem eher unspezifischen emotionalen Empfinden, sondern waren durchaus sehr konkret mit bestimmten Heiligtümern verbunden, die in ihrer Gesamtheit eine sacred landscape formten und die als solche in einer mental map in den Köpfen der Griechen eingezeichnet waren. Hierbei handelte es sich u. a. neben den – keineswegs nur vier – Austragungsorten der großen panhellenischen Wettkämpfe vor allem um Orakel- und Heilkulte; aber auch Mysterienkulte wie die in Eleusis und Samothrake dürften dazu gehört haben – um nur einige Beispiele zu nennen.16 | [S. 60] Diese Heiligtümer, die aufs Ganze besehen die griechische Staatenwelt wie ein Netz umspannten und an allen Ecken und Enden miteinander verbanden, wurden durch ihre Kulte, Riten und Festfeiern zu Fixpunkten einer regelmäßigen Begegnung aller Hellenen und waren damit sogar weit mehr als bloße Elemente einer sacred landscape. Sie bildeten Orientierungsmarken einer panhellenischen Landschaft, deren konkrete Grenzen eher unbestimmt waren und die – nicht zuletzt auch durch ein oft wuchern15 Vgl. dazu auch Hornblower 1996, 471–472. 16 Funke 2004.
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des Wachstum einer konstruierten panhellenischen syngeneia befördert – eine ständige Umgestaltung erfuhr. Es war ein imaginiertes Vaterland, dessen Bedeutung für die Selbstvergewisserung und den Zusammenhalt der eigentlich vaterlandslosen Hellenen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.17 Was folgt aber aus dieser zugestandenermaßen eher holzschnittartigen Skizze der poliszentrierten und panhellenischen Dimensionen griechischer Religion für unsere Fragestellung nach der Kulturtransferleistung vor allem, aber nicht nur der so genannten überregionalen Heiligtümer? Wann und auf welche Weise werden sie zu Orten der Begegnung mit dem Fremden? Um hierauf eine angemessene Antwort zu finden, bedarf es noch einer feineren Differenzierung und genaueren Ortsbestimmung und erst dann wird man nach dem jeweils Fremden und Andersartigen fragen können. In der Regel werden alle diese Heiligtümer unter dem Oberbegriff panhellenisch subsumiert; und die panhellenische Dimension kennzeichnet auch zweifellos einen besonderen Charakterzug der soeben nur sehr summarisch und exemplarisch genannten Kultstätten. Mit einer solchen panhellenischen Fokussierung wird aber zugleich auch ein sehr starker bipolarer Gegensatz zu dem konstruiert, was im ersten Teil als Bereich der Polis-Religion skizziert worden ist; und auch der weiter gefasste Oberbegriff überregional erweist sich letztlich als zu unspezifisch. Eine solche Dichotomisierung verdeckt in der Regel die mögliche funktionale Vielfalt von Kulten und Heiligtümern – in religiosis wie in politicis. Denn so, wie innerhalb – oder auch unterhalb – der Polisreligion eine Vielzahl religiöser Erscheinungsformen in Gestalt von Geschlechter-, Familien- und IndividualKulten existierte, öffnete sich auch jenseits der Polisreligion ein breit gefächertes Spektrum an räumlich wie auch funktional verschiedenen Wirkungsbereichen polisübergreifender Heiligtümer, das sich mit dem Begriff panhellenisch oder auch überregional nicht angemessen bezeichnen lässt. Stattdessen erscheint es angebrachter, in diesem Zusammenhang nicht vorschnell mit Sammelbegriffen zu operieren, sondern zunächst die Wirkungs- und Einflussbereiche ihrer jeweiligen geographischen Erstreckung und ihrer | [S. 61] Funktionalität entsprechend zu bestimmen und zu differenzieren. Als Ausgangspunkt können dabei ganz unterschiedliche Faktoren dienen, die im Einzelnen hier nicht näher ausgeführt werden sollen. Zu nennen wären etwa Herkunft und Typologie von Weihungen und vor allem auch der Weihenden, geographische Streuung von Asylieurkunden, Geltungsbereiche der Akzeptanz einer ekecheiria, Sitzverteilung in Amphiktyonenräten, Einzugsbereiche von Freilassungsurkunden, Herkunft von Orakelanfragen. Mit Hilfe solcher Indikatoren sind in ihrer räumlichen Erstreckung ganz unterschiedlich dimensionierte, durchaus auch überlappende Wirkungs- und Einflussbereiche von Kulten und Heiligtümern auszumachen, die dann wiederum auch Rückschlüsse zulassen auf die jeweiligen Personen17 Funke 2009 [2010].
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gruppen, die an den entsprechenden Kulten teilhaben konnten, und auf die Art ihrer Selbstidentifizierung mit diesen Kulten bzw. Kultplätzen. Nur durch ein solches Vorgehen kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass ein und dasselbe Heiligtum zugleich sowohl auf lokaler und regionaler Ebene wie auch auf überregionaler und panhellenischer Ebene und darüber hinaus bis in nichtgriechische Bereiche hinein Wirksamkeit entfalten und Einfluss geltend machen konnte – aber eben nicht beliebig und nicht in jedem Fall. Funktionalität und räumliche Dimensionen standen vielmehr in einem dialektischen Wechselverhältnis, dessen jeweilige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in jedem Einzelfall zu klären sind. Das soll abschließend an drei Fallbeispielen zumindest ansatzweise deutlich gemacht werden. Einen spezifischen Typus polisübergreifender Heiligtümer stellten die so genannten amphiktyonischen Heiligtümer dar, die den kultischen Mittelpunkt von Zusammenschlüssen benachbarter Staaten, Stämme oder sonstiger politisch-gesellschaftlicher Gemeinschaften bildeten. Von den amphiktyonischen Verbänden ist die delphische Amphiktyonie zweifellos der bekannteste, aber keineswegs der einzige Fall. Das delphische Heiligtum fungierte aber eben nicht nur als amphiktyonischer, also regional begrenzter Kultort, sondern war zu bestimmten Zeiten zugleich auch ein kultisches Zentrum panhellenischer Wettkämpfe und eine sogar weit über den griechischen Raum hinaus bedeutsame Orakelstätte und blieb dabei immer auch zentraler Ort einer lokal begrenzten Polisreligion. Als zweites Fallbeispiel soll mir das Zeus-Heiligtum von Dodona in Epirus dienen. Auch dieser Kultort fungierte auf regionaler Ebene als ein wichtiges kultisches und politisches Zentrum für die umliegenden Stämme und dann auch für das molossische Königtum und den epirotischen Bund.18 Die bei Herodot überlieferte Gründungsgeschichte des dortigen Zeus-Orakels lässt das | [S. 62] Heiligtum zugleich aber auch als einen festen Bestandteil einer panhellenischen sacred landscape erscheinen: Zwei schwarze Tauben seien vom ägyptischen Theben aus nach Libyen zur Oase Siwah und nach Dodona geflogen und hätten dort jeweils die Gründung eines Zeus-Orakels veranlasst (Hdt. 2,55).19 So wurden die beiden Orakelstätten an den äußersten Enden der griechischen Welt miteinander verbunden und in die kultische Oikumene der griechischen Staatenwelt integriert. Die Analyse des sehr umfangreichen Bestandes an Orakel täfelchen zeigt dann allerdings, dass der Einzugsbereich der Orakelstätte geographisch weitestgehend auf den Nordwesten Griechenlands und auf Magna Graecia beschränkt blieb.20 Die konkrete Einflusssphäre eines Heiligtums musste also keineswegs deckungs-
18 Vgl. hierzu Meyer 2013; Meyer 2015. 19 Vgl. hierzu Burkert 1985, 124–125; Nesselrath 1999; Bichler 2000, 174–177. 20 Moustakis 2006.
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gleich sein mit dem panhellenischen Anspruch und der panhellenischen Wahrnehmung; die geographischen Dimensionen sind also jeweils neu zu bestimmen. Noch komplexer gestalten sich die Verhältnisse im Falle der athenischen Panathenäen. Die Verbreitung der panathenäischen Preisamphoren lässt keinen Zweifel daran, dass die penteterischen Wettkämpfe den „Großen Panathenäen“ ganz ähnliche panhellenische Dimensionen verliehen hatten wie die Spiele in Olympia, Delphi, Nemea und Isthmia den dortigen Heiligtümern. Hingegen waren die jährlich abgehaltenen „Kleinen Panathenäen“ eigentlich ein polisbezogenes Kultfest, das aber in der Zeit des Ersten Attischen Seehundes durch die Bemühungen der Athener, ihre Bündner – teilweise sogar unter Zwang – an den Festfeiern der Panathenäen zu beteiligen, eine weit über die Polis hinausreichende Wirkung entfaltete.21 Ich muss es bei dieser mosaikartigen Zusammenstellung der nur knapp skizzierten Beispiele belassen. Es sollte aber deutlich geworden sein, dass ein Heiligtum nicht schon per se poliszentriert oder in irgendeiner Form überregional ausgerichtet war, sondern dass ein und dasselbe Heiligtum funktionsabhängig ganz unterschiedlich dimensionierte Räume von Regionalität bzw. Überregionalität generieren konnte. Daraus folgt, dass ein Heiligtum durchaus auch mehrere und ganz unterschiedliche Kontaktzonen ausbilden konnte, in denen sich Kulturtransfers entsprechend auf verschiedenen Ebenen abspielten und das Beziehungsgeflecht zwischen Produzenten, Transmittoren und Rezipienten wie auch der transferierten Güter je anders ausgeprägt waren. Dieser Feststellung ist entscheidend für den Ausgangspunkt dieser Darlegungen, die Frage nach der von Ulf postulierten Rolle überregionaler Heilig- | [S. 63] tümer als „offene Kontaktzonen“ für Kulturtransfers. Denn die Bestimmung solcher Kontaktzonen setzt voraus, dass zunächst einmal die von mir so bezeichneten Einfluss- und Wirkungsbereiche der Heiligtümer präzise erfasst werden. Erst ihre Festlegung ermöglicht nach dem Verfahren von Inklusion und Exklusion dann auch die Charakterisierung dessen, was als eigen und was als fremd wahrgenommen und entsprechend – gegebenenfalls durchaus auch wechselseitig – rezipiert werden konnte. Hinzu kommt als ein weiteres wesentliches Moment die prinzipielle Offenheit griechischer Kulte und Heiligtümer gegenüber Fremden. Wir kennen zwar zahllose Vorschriften und Reglements, durch die bestimmten Gruppen oder Individuen aufgrund spezifischer Begründungen der Zugang zu einzelnen Heiligtümern und Kulten verwehrt wurde. Ich erinnere – um nur einige wenige Exempel anzuführen – an den Ausschluss der Thebaner von der Befragung des Orakels im Amphiareion oder das Verbot für Dorer, den Tempel der Athena auf der Athener Akropolis zu betreten. Es gab Heiligtümer und Kulte, die nur Frauen oder Männern offen standen; andere Heiligtümer wiederum durften nur 21 Vgl. zu den Panathenäen Deubner 1932, 22–35; Smarczyk 1990, bes. 549–592; Smarczyk 2007, bes. 217–222; Tracy 1991; Parker 1996, 75–76. 89–92; Parker 2005, 253–269; Shear 2001.
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von Priestern oder Kultbeamten betreten werden und wieder andere Heiligtümer waren überhaupt unbetretbar – abaton. Diese Aufzählung ließe sich noch um Vieles erweitern.22 Solche Tabuisierungen fanden ihre Begründung aber im jeweiligen Einzelfall. Eine strikte Ausgrenzung von xenoi findet sich hingegen nur überaus selten und scheint eher die Ausnahme gewesen zu sein. Es lässt sich vielmehr eine große Offenheit von Heiligtümern und Kulten gegenüber Fremden konstatieren, die in der Regel nicht ausgeschlossen, sondern allenfalls besonderen Regelungen unterworfen wurden. Fremd war dann aber eben nicht nur das Exotische und ganz Andere, sondern konnte – abhängig vom Zuschnitt des jeweiligen Einfluss- und Wirkungsbereiches und von den jeweiligen Trägergruppen – auch das mehr oder weniger Benachbarte sein. Griechische Heiligtümer konnten eben auch als Kontaktzonen für Kulturtransfers innerhalb der griechischen Welt fungieren. Ulfs Deutungsmuster, das im Sinne einer Großtheorie zunächst einmal wohl eher großräumige Kulturkontakte im Blick hat, kann sich so besehen aber auch als tragfähig erweisen in seiner Anwendung auf kleinräumigere Kulturkontakte, die sich innerhalb der griechischen Staatenwelt – in kolonialen, aber auch in regionalen Dimensionen – abgespielt haben. Für den Nachweis solcher Kulturkontakte konnte im Vorangegangenen aus dem vorgegebenen Modell nur eine erste Versuchsanordnung abgeleitet werden, die sich in Probeläufen erst noch zu bewähren haben wird.
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22 S. etwa die Zusammenstellung bei Nilsson 1957, 75–77; vgl. auch Krauter 2004, bes. 53–113; Funke 2006.
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II. POLISÜBERGREIFENDE POLITISCHE ORGANISATIONSFORMEN
Staatenbünde und Bundesstaaten Polis-übergreifende Herrschaftsorganisationen in Griechenland und Rom
Die langwierigen kriegerischen Auseinandersetzungen während des Peloponnesischen Krieges (431–404/3 v. Chr.) und des Korinthischen Krieges (395–386 v. Chr.) hatten zu einem Zusammenbruch der von Sparta und Athen dominierten Herrschaftssysteme geführt, die zuvor zumindest eine Zeitlang innerhalb der von ständigen internen und externen Machtkämpfen zerrissenen Welt der griechischen Polisstaaten ein gewisses Maß an Stabilität sicherstellen konnten – wenn auch unter den Vorzeichen einer zunehmend starren Blockbildung. In der Folgezeit wurde während des vierten Jahrhunderts v. Chr. in immer neuen Anläufen der Versuch unternommen, durch umfassende zwischenstaatliche Vereinbarungen bei Wahrung der einzelstaatlichen Autonomie eine allgemeine Friedensordnung, Koine Eirene, zu schaffen und auf diese Weise ein einigermaßen erträgliches und geregeltes Miteinander der zahllosen griechischen Stadtstaaten zu gewährleisten.1 Die Koine Eirene war aber nur eine – und letztlich dann doch erfolglose – | [S. 126] Antwort auf die veränderten politischen Rahmenbedingungen, an denen sich die griechischen Polisstaaten dann vor allem auch in hellenistischer Zeit neu zu orientieren hatten. Eine andere Antwort war die Ausbildung wirkkräftiger Bundesstaaten. Ein Blick auf die politische Landkarte des dritten Jahrhunderts v. Chr. verdeutlicht den tiefgreifenden Wandel der griechischen Staatenwelt. Das griechische Mutterland hatte sich von einer Welt zahlloser, jeweils auf die eigene Autonomie sorgfältig bedachter Einzelstaaten in eine Welt von Bundesstaaten verwandelt. Sieht man einmal von einigen ganz wenigen Poleis wie Athen und Sparta ab, deren politische Bedeutung stark zurückgegangen war, so waren alle ehemals eigenständigen Staaten in der einen oder anderen Weise Mitglieder eines bundesstaatlich organisierten Verbandes.2 Der Bogen reicht vom Epirotischen und Thessalischen Bund im Norden über den Akarnanischen, den Boiotischen und Euboiischen Bund bis hin zum Nesiotenbund in der Ägäis; allen voran dominierten – einmal von den makedonischen Einflußsphären abgesehen – im politischen Kräftespiel der griechischen Freistaatenwelt der Aitolische Bund in Mittelgriechenland und der Achäische Bund auf der Peloponnes.3
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Κ. Buraselis (Hg.), Unity and Units of Antiquity. Papers from a Colloquium at Delphi, 5–8.4.1992, Athen 1994, 125–136. 1 Vgl. hierzu (mit weiterführender Literatur): Cawkwell 1981; Jehne 1994; Ryder 1965; Seager 1974; Sordi 1985. 2 Einen Überblick über die historische Entwicklung bieten u. a. Ténékidès 1956; Préaux 1978, 461–473; Will 1979, 208–231. 343–396; Walbank 1984; Halfmann 1989. 3 Grundlegend für die Geschichte und die institutionelle Struktur der griechischen Bundesstaaten ist Larsen 1968; vgl. darüber hinaus Hermann/Swoboda 1913; Busolt/Swoboda 1920–1926; Giovannini 1971; Walbank 1976/1977.
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II. Polisübergreifende politische Organisationsformen
Die Anfänge der Ausbildung dieser Bundesstaaten reichen ins fünfte und vierte Jahrhundert v. Chr. zurück und vollzogen sich quasi im Windschatten der Geschichte der griechischen Poliswelt. Zunächst vorrangig lands- | [S. 127] mannschaftlich orientiert und stammesstaatlich organisiert bildeten sich vor allem an den Randzonen der Poliswelt – etwa in Achaia, Aitolien und Akarnanien und besonders früh in Boiotien4 – Keimzellen, aus denen heraus sich spätestens im Verlaufe des vierten und dritten Jahrhunderts v. Chr. neuartig strukturierte Staatengebilde entwickelten, die im Hinblick auf die Organisation des zwischenstaatlichen Miteinanders der Poleis ganz neue und zukunftsweisende Formen aufwiesen. Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen den Hegemonialmächten Athen und Sparta im fünften Jahrhundert v. Chr., in die die bis dahin eher randständigen Regionen Griechenlands zunehmend hineingezogen wurden, und später dann auch die Einflußnahme durch die hellenistischen Großreiche hatten einen Entwicklungsprozeß in Gang gesetzt, der in Reaktion auf den außenpolitischen Druck neue Wege aufwies, um durch die Schaffung föderativer Organisationsformen die offenkundigen Schwächen der Vielstaatenwelt Griechenlands zu überwinden. Auch wenn die Formen und Strukturen der neuen Bundesstaaten noch sehr unterschiedlich waren und ihre jeweilige Ausprägung auch noch steten Wechseln und Veränderungen unterworfen war, so wird man gleichwohl nicht umhinkönnen, dieser politischen Entwicklung einen hohen historischen Stellenwert einzuräumen. Zutreffend hat daher Frank W. Walbank geurteilt, wenn er schreibt: (…) die Bundesstaaten von Achaia und Aitolien [– und man darf getrost auch die meisten der übrigen griechischen Bundesstaaten hinzurechnen – (Zusatz vom Verf.)] (verkörperten) in einer Welt der monarchisch regierten Staaten die ungebrochene Fähigkeit der Griechen, auf | [S. 128] eine neue politische Herausforderung mit neuen Lösungen zu antworten. Es drängt sich die Frage auf, ob nicht der Föderalismus, ein anderes Jahrhundert ohne Rom vorausgesetzt, frische und fruchtbare Aspekte entwickelt hätte (…). Der Föderalismus bot die Möglichkeit, die Begrenzungen von Größe und die relative Schwäche, die den einzelnen Staaten anhaftete, zu überwinden. Es fehlte nur die Zeit dazu.5 Im Schatten der hellenistischen Reiche hatte sich in der griechischen Staatenwelt ein Umformungsprozeß vollzogen, der durch die Intervention Roms im griechischen Osten zwar vorzeitig zum Stillstand gekommen war, der aber trotzdem schon für sich genom4 Vgl. neben den entsprechenden Kapiteln der in Anm. 3 genannten Literatur auch Koerner 1974; Larsen 1969; Sordi 1969; Funke 1991; Langher 1968; Salmon 1978; Buck 1979; Buckler 1980; Demand 1982. 5 Walbank 1983, 163.
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men ein historisch überaus interessantes Paradigma für die frühe Genese und Wirkkraft föderalstaatlicher Strukturen bildet. Gleichwohl sucht man diesen Aspekt in den Schulbüchern vergebens. Zumindest in Deutschland – aber wenn ich recht sehe, auch in den anderen europäischen Ländern – findet im Geschichtsunterricht diese historisch überaus interessante Phase der griechischen Geschichte nicht statt. Statt dessen herrscht das allseits bekannte Schema: Polis-Werdung → attische Demokratie → Alexander und die hellenistischen Großreiche → griechische Kultur vor. Dem entspricht im römischen Bereich die hinlänglich bekannte Formel „Rom – Stadtstaat und Weltreich“. Es erscheint mir unnötig, diesen Schematismus hier weiter zu vertiefen. Der Einengung der römischen Geschichte auf die „polybianische“ Perspektive der Etablierung und Sicherung der römischen Weltmachtstellung entspricht die weitgehende Reduktion der griechischen Geschichte auf die Ausbildung der Polisstaaten und die attische Demokratie. Auch wenn ich hier bewußt überspitze, bleibt meine Aussage zumindest tendenziell doch richtig. Es ist mir natürlich auch bewußt, daß nicht alles, was in der antiken Geschichte von breiterem historischen Interesse ist, auch im Geschichtsunterricht Berücksichtigung finden kann. Ich halte es aber für dringend erforderlich, die die Lehrpläne bestimmende Disposition: „hier attische Polis, da römisches Weltreich und dazwischen der Sonderfall: Alexander der Große“ zu revidieren, und zwar zugunsten einer vielfältigeren Perspektive, die im Bereich der politischen Geschichte auch historische Phänomene in den Blick nimmt, die jenseits dieser bipolaren Konstruktion anzusiedeln sind. Hierbei kommt meines Erachtens der von mir hier vorgestellten Thematik „Staatenbünde und Bundesstaaten“ eine ganz herausragende Bedeu- | [S. 129] tung zu. Es gilt, die lange Zeit vorherrschende Meinung zu überwinden, der Föderalismus sei der Antike unbekannt gewesen und die Antike sei letztlich stets polisbezogen geblieben. Die Frage nach den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, unter denen sich in der Antike Grenzen von Einzelstaaten überwindende, föderale Organisationsformen entwickeln konnten, vermag den Blick auch für die mit dieser Fragestellung verbundenen grundsätzlichen historischen und politischen Probleme zu schärfen. Gerade in der heutigen Zeit erscheint mir eine verstärkte Einbeziehung solcher Aspekte ein unbedingtes Erfordernis. Die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen in einem vereinten Europa, die Suche nach neuen Formen des politischen Zusammenwirkens in der Staatenwelt des Machtbereichs der ehemaligen Sowjetunion, die zunehmende Bedeutung internationaler und supranationaler Institutionen bei gleichzeitig sich verstärkendem Regionalismus, der dauerhafte Streit um die Kompetenzverteilung zwischen Zentralgewalten und Gliedstaaten jeglicher Art – all’ das sind nur Stichworte, die genügen mögen, um den Fragenkomplex zu verdeutlichen. Die historische Perspektive kann hier – zumal wenn sie auf die vermeintlich so weit zurückliegende Antike Bezug nimmt – zwar nicht unbedingt und in jedem Fall Lösungsmuster aufzeigen, aber doch
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zumindest das Problembewußtsein schärfen. Es geht mir dabei nicht um vordergründige und kurzfristige Aktualitätsbezüge, sondern um die Vermittlung meines Erachtens zentraler Grundeinsichten. Ich versuche daher eine Lanze für eine stärkere Berücksichtigung antiker polisübergreifender Herrschafts- und Staatsformen im Geschichtsunterricht zu brechen. Welche Möglichkeiten sich hier bieten, werde ich im folgenden an einigen ausgewählten Beispielen aufzeigen, ohne damit Vollständigkeit anstreben zu wollen. In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst auf die Organisationsstrukturen der beiden politisch führenden Bundesstaaten der hellenistischen Zeit zu sprechen kommen. Ein kontrastiver Vergleich des institutionellen Aufbaus des Aitolischen Bundes mit dem des Achäischen Bundes eignet sich in besonderer Weise für die Vermittlung der zentralen Problematik eines föderalen Staatsaufbaus.6 Eine Gegenüberstellung der wichtigsten verfassungsrechtlichen Institutionen dieser beiden Bundesstaaten und ihrer jeweiligen Kompetenzbereiche | [S. 130] vermag auf recht einfache Weise zentrale Probleme einer föderalen Gestaltung von Staatlichkeit zu verdeutlichen. Nachdem zunächst noch in beiden Bundesstaaten alle den jeweiligen Bund als Ganzen betreffenden Beschlüsse durch eine Bundesversammlung, an der alle stimmberechtigten Bürger mit gleichem Stimmrecht teilnehmen konnten (Primärversammlung), gefaßt werden mußten, wurden gegen Ende des dritten Jahrhunderts v. Chr. im Achäischen Bund im Rahmen einer Verfassungsreform wichtige Kompetenzen (alle Bundesbeschlüsse einschließlich der Bundesgesetzgebung mit Ausschluß der Beschlüsse über Krieg und Frieden) von der Bundesversammlung auf den Bundesrat übertragen.7 Diese Kompetenzverlagerung führte zu einer ganz entscheidenden Stärkung des aus Vertretern der einzelnen Gliedstaaten repräsentativ zusammengesetzten Ratsgremiums. Damit entwickelte sich ein Repräsentativgremium zur eigentlichen Entscheidungsinstanz, was eine gleichmäßigere Partizipation aller Gliedstaaten am politischen Entscheidungsprozeß gewährleistete, da eine regelmäßige Teilnahme an den Bundesversammlungen schon allein aufgrund der Größe dieser Bundesstaaten fraglos nur einem kleineren Teil der stimmberechtigten Bundesbürger möglich war. Im Achäischen Bund hatte sich damit eine Entwicklung vollzogen, die wir in den übrigen Bundesstaaten zur damaligen Zeit (noch) nicht, später dann aber auch im Lykischen Bund in Kleinasien8 verwirklicht finden. Ich habe hier nur einen Aspekt hervorgehoben. Die Differenzierung im Rahmen eines kontrastiven Vergleichs ließe sich noch weiter ausführen, indem etwa die Abgrenzung einzelner Kompetenzbereiche zwischen Bundesgewalt und Gliedstaaten noch detaillierter dargestellt oder die Organisationsstruktur anderer, zeitgleicher Bundesverfassungen 6 Vgl. zum folgenden die entsprechenden Darlegungen in den in Anm. 3 genannten Werken. 7 Ich folge hier der Auffassung von Larsen 1966, 75–85. 165–188; vgl. auch Larsen 1968, 223– 232; vgl. aber auch Walbank 1979, 406–414. 8 Larsen 1968, 248–252.
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miteinbezogen würde. Es dürfte aber schon jetzt hinreichend deutlich geworden sein, welche Chancen die Behandlung antiker Bundesstaaten im Hinblick auf die Vermittlung grundlegender politischer Kategorien bietet. Gerade die Vielfalt der Erscheinungsformen, die ja das Ergebnis eines politischen Gärungsprozesses ist, der durch | [S. 131] das Eingreifen Roms jäh unterbrochen wurde, ermöglicht eine differenzierte Betrachtungsweise und eine gute Einführung in zentrale historisch-politische Fragestellungen. Ich möchte mein Plädoyer für eine Abkehr von einer allzu starken „Polis-Zentrierung“ jedoch nicht auf die Analyse der griechischen Bundesstaaten des Hellenismus beschränkt wissen. So läßt sich etwa durch die Einbeziehung der zwischen 447 und 386 gültigen Verfassung des Boiotischen Bundes das Problem von Proportionalität und Repräsentative in besonders geeigneter Form erörtern. Wir sind über die Form der boiotischen Verfassung aufgrund einer genauen Beschreibung in der nur fragmentarisch überlieferten Geschichtsdarstellung der Hellenika von Oxyrhynchos informiert.9 Der Boiotische Bund war in elf offenbar weitgehend gleich große Bezirke aufgeteilt, deren staatsrechtlicher Status durchaus dem der Gliedstaaten anderer Föderalstaaten vergleichbar war. An allen politischen Rechten und Pflichten auf der Bundesebene wurden die einzelnen Bundesdistrikte genau proportional zu ihrer Größe beteiligt.10 Wir fassen hier im Detail Gegebenheiten, die wir für andere Bundesstaaten nur ansatzweise oder gar nur vermutungsweise postulieren können. Ich habe bisher ausschließlich von den griechischen Bundesstaaten gesprochen; es gab aber bekanntlich auch noch andere Formen polisübergreifender Herrschaftsorganisation, die gleichermaßen interessant und im Geschichtsunterricht überaus ertragreich zu behandeln wären. Im Rahmen dieses kurzen Überblicks kann ich im folgenden nur noch skizzenhaft die Richtung andeuten. So denke ich einmal an die delphische Amphiktyonie. Ihre anfängliche Organisation als eine Art Eidgenossenschaft stellt die sehr frühe Form einer einzelne „Staaten“ (= Stämme) übergreifenden Institution dar, die auch mit einer allgemeinen, die „zwischenstaatlichen“ Verhältnisse regelnden Ordnungsfunktion ausgestattet war.11 Die weitere Entwicklung der Amphiktyonie zeigt dann, wie diese „internationale“ Institution zumindest zeitweilig in der Hand einzelner Hegemonialmächte – wie etwa Thessaliens und später dann Aitoliens – zu einem bloßen Herrschaftsinstrument wird und das dem Amphiktyonenrat | [ S. 132] eigene Repräsentativsystem unterlaufen und pervertiert wird.12 Ein weiterer, letzter Aspekt sei hier noch angeschlossen. Ich meine das Phänomen der als hegemoniale Symmachien konstruierten Staatenbünde, wie wir sie etwa im Peloponnesischen Bund, im Ersten Attischen Seebund oder auch im römischen Wehrgenossensystem 9 10 11 12
Hell. Oxyrh. 16(11),3–4 [Bartoletti]. Vgl. Bruce 1967, 102–104; McKechnie/Kern 1988, 154–158. Siehe den bei Aischin. 2,115 überlieferten Amphiktyoneneid. Flacelière 1937.
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des dritten und zweiten Jahrhunderts v. Chr. vor uns haben.13 Ich bin mir bewußt, daß die genannte Zusammenstellung einen sehr kühnen Zugriff darstellt und daß die Beispiele nur bedingt zusammenzubringen sind; vor allem der Verweis auf das römische Wehrgenossensystem, das dem Rückhalt der römischen Vorherrschaft in Italien in republikanischer Zeit bildete, mag in diesem Zusammenhang zunächst Verwunderung hervorrufen. Das überaus komplexe und durch ein sehr ausdifferenziertes und vielfältiges staatsrechtliches und zwischenstaatliches Regelwerk zusammengehaltene Herrschaftssystem läßt sich jedoch im Rahmen einer strukturellen Betrachtung den zuvor genannten, von einer Führungsmacht dominierten Staatenbünden durchaus an die Seite stellen. Darüber hinaus ließen sich in diesem Zusammenhang sogar auch noch die – vor allem in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten – rechtlich wie auch sozial ganz unterschiedlich strukturierten Bindungen der einzelnen Teile des römischen Reiches an die „römischitalische Zentralmacht“ in die Betrachtung miteinbeziehen.14 Indem der Blick stärker auf die Ausgestaltung der Binnenstruktu- | [S. 133] ren der die Grenzen von Einzelstaaten übergreifenden Herrschaftssysteme der Antike gelenkt wird, lassen sich an dem Wechselspiel von Einheit und Vielfalt einige Methoden und Funktionsweisen staatlich – imperialer Herrschaftspraktiken exemplarisch verdeutlichen. Die genannten Beispiele erscheinen mir in besonderer Weise geeignet, bestimmte Formen der Machtetablierung und Herrschaftssicherung von Großmächten innerhalb einer vielfältig strukturierten Staatenwelt zu verdeutlichen, Formen, die auch zu anderen Zeiten und in anderen Räumen zur Anwendung kommen. Damit bietet sich auch hier die Möglichkeit, im Geschichtsunterricht von der Antike her epochenübergreifende Fragestellungen aufzunehmen, wie es in dieser Weise bisher zu selten geschieht. Die hier für den Geschichtsunterricht vorgeschlagene Thematik ist sicherlich nicht einfach umzusetzen. Die Auseinandersetzung mit den vorgestellten Aspekten ist sehr voraussetzungsreich und stellt zweifellos hohe Anforderungen an die Schüler. So besehen wäre eine Behandlung des Stoffes in den unteren Schulstufen wohl weniger angebracht; warum aber soll es im Geschichtsunterricht der Oberstufe bei der Erörterung von Fragen der Politik und Verfassung – falls dann die Antike überhaupt noch einmal wieder zum Gegenstand gemacht wird – eigentlich immer nur eine Wiederholung der bereits in den früheren Jahrgangsstufen erörterten Themenbereiche wie „attische Demokratie“ und „römischer Prinzipat“ geben? Gerade für den geforderten „historischen Längsschnitt“ dürfte sich eine Beschäftigung mit den antiken Staatenbünden und Bundesstaaten unter den im Vorangegangenen kurz skizzierten Aspekten als wenigstens gleichermaßen ertragreich erweisen. 13 Vgl. hierzu die entsprechenden Kapitel bei Hermann/Swoboda 1913 und Busolt/Swoboda 1920–1926; s. darüber hinaus zum Peloponnesischen Bund: Wickert 1961; Gschnitzer 1978; – zum Ersten Attischen Seebund: Meiggs 1972; Schuller 1974; Smarczyk 1990; – zum römischen Wehrgenossensystem: Galsterer 1976; Hantos 1983. 14 Ich verweise hier nur auf die zusammenfassende Darstellung von | [S. 133] Vittinghoff 1990.
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An Introduction to Federalism in Greek Antiquity
Federalism begins with a paradox. In a transhistorical perspective, federalism represents a design to unite a multitude of state-entities whose powers and prerogatives are safeguarded in the course of integration. But in its attempt to achieve unity, federalism empowers constituents and grants them authority in such a manner that they might also jeopardize the goal of integration. Federalism therefore requires persistent and complex negotiation. There is a wide range of possible responses to the challenge of shaping a federal union. To maintain federal equilibrium, members may engage in, for instance, economic, cultural, linguistic, juristic, and genuine political negotiations. Today, in federal systems with highly developed state-bureaucracies, as is the case in the European Union or in Canada, the notion of fiscal federalism has become one of the most pressing issues of such negotiations. In response to potential tensions within their organization, federal systems thus draw on a broad platform of dialogue and exchange; in turn, each response offers the opportunity to readjust the terms of cooperation and, effectively, reinvigorate the foundations of unity (Ward/Ward 2009; Erk/Swenden 2010). In historical scholarship, the common associations of federalism depend largely on the political, societal, and cultural environment that surrounds them. As an historical category, federalism is subject to references that vary through time and space. This ascribes a distinct meaning to federalism in each historical epoch. For instance, the triangular conception of state as an organization with a monopoly on the use of force over a defined group of people within a certain territory may well be a functional template for several periods in history. But the morphology of each of these tiers, and the emphasis that is put on each, differs from society to society. Along with the idea of sovereignty, the vital determinants of state are entrenched in networks of presumptions that make political cultures distinguishable from one another. The same goes for related conceptions | [S. 2] of, e. g., citizenship, constitution, and commonwealth.1 Beyond the historical encodings of statehood, federalism refers to a hardwired principle that cuts across the dividing lines of history. It indicates that the traditional boundaries between the inside and the outside of a state are somewhat yielding. In a federal state, the members subscribe to a design that extends this dichotomy through the creation of an intermediary. While each of the constituents maintains its own inside, their mutual relations, which are traditionally in the sphere of their outside affairs, are transferred to a new extended – or federal – inside. In consequence, this extended inside also demarcates the new boundary between a collective of insides and their shared outside. This pattern links the present-day Republic of Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: H. Beck/P. Funke (Hgg.), Federalism in Greek Antiquity, Cambridge 2015, 1–29 (gem. mit Hans Beck). 1 See Fibiger Bang/Scheidel 2013. On the particular encoding of sovereignty in antiquity, see Davies 1994. Citizenship as a historical paradigm: Magnette 2001.
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India to the Republic of the Seven United Netherlands after its inception in 1581 and the Iroquois League of Five (after 1722, Six) Nations.2 The world of ancient Greece witnessed some of the most elaborate experiments with federalism in the pre-modern era. In general terms, Greek history is of course marked by the coexistence of a high number of independent ‘city-states’ or poleis. A recent inventory lists over 1.000 poleis for the Archaic and Classical periods alone (roughly five times the membership of the United Nations today), a great number of them in the relatively small natural environment of Greece itself (Hansen/Nielsen 2004). As is to be expected, poleis maintained a dense network of relations. The exchange was regulated through customary procedures that governed the foreign behavior of a city-state: the idea of guest-friendship (proxenia) and ritualized friendship (philia), awards of citizenship to individuals ([iso]politeia), adherence to a commonly accepted protocol of interstate arbitration, and the respect for the integrity of ambassadors (presbeis, theōroi or spondophoroi) are but few of those procedures that were regarded as agraphoi nomoi, or “unwritten laws” in the exchange between Greeks.3 In addition, the interaction between poleis was streamlined by multiple forms of political cooperation. The broader picture of such initiatives, each with its own inherent agenda, included grand military alliances (symmachiai), notably the Peloponnesian League and the Second Athenian League; the so-called amphictyonies, usually clustered | [S. 3] around a regional cult center, that oversaw the conduct of religious and other matters related to the sanctuary; bonds between mother-cities and their colonies; the integration of neighboring cities; and, at the microlevel, the absorption of smaller villages into larger city-states.4 All of these projects of interstate cooperation impacted the spheres associated with the city-state in one way or the other. Take, for instance, the issue of autonomy that is considered so vital to the nature of the polis. The political discourse in Classical Greece was heavily influenced by questions of autonomia – literally speaking, self-governance; for a few decades in the fourth century BCE, the call for autonomy steered the course of the political, diplomatic, and military history of Greece (Ostwald 1982; Jehne 1994; Raaflaub 2004). Naturally, this has triggered a high volume of studies that explore the notion of autonomy and its implications for the city-state.5 But fascination with the autonomous 2 On the intellectual foundations of the inside/outside approach towards state-units and their foreign policy, cf. the research carried out by the ‘Normative Orders’ Cluster of Excellence at Frankfurt University, www.normativeorders.net/en. See Hellmann/Fahrmeir/Več 2016. 3 “Unwritten laws”: Thuk. 2,37,3; cf. also Soph. Ant. 449–461; Rhodes-Osborne, GHI 35, ll. 14–15 speaks of “the common laws of the Hellenes”; Thomas 2005, 50–51. For an overview of governing norms in Greek interstate affairs, cf. Low 2007. Studies on individual devices include Adcock/Mosley 1975; Marek 1984; Herman 1987; Perlman 2000; Cojocaru 2013. 4 See Funke 2013a; Figueira/Jensen 2013; Ager 2013; on symmachies, Dreher 2003 and Buraselis 2003; see also Raaflaub 2015. 5 In particular the works published under the aegis of the Copenhagen Polis Centre (CPC) between 1993 and 2004. See Hansen/Nielsen 2004, xii–xiii for a full list of publications.
An Introduction to Federalism in Greek Antiquity
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city-state should not obfuscate the plain insight that all Greek states were interconnected with one another in a tapestry of exchanges. While some of these exchanges recalibrated their autonomy, others suspended it for the time being; yet others, such as the absorption of one polis into another, discontinued it altogether. Interstate integration impacted the course of Greek history just as much as the quest for independence did (cf. Beck 2016). Federalism stands as the landmark in these forms of cooperation. The sheer prevalence of the phenomenon is staggering. As calculated in a recent study, towards the end of the Classical period almost half of all city-states in mainland Greece and the Peloponnese were integrated into one federal state or another.6 For the longest time, however, the study of federalism in Greece was an uphill expedition, for two reasons. First, the polis has long been an extremely powerful paradigm in Classical scholarship. It has always been acknowledged that Greek history was shaped by a rich diversity of states that were not necessarily poleis but so-called ethnos-states or ‘tribal states’ (see below). But those states were considered something of an embarrassment to the discipline. Preoccupation with the polis as the quintessential form of Hellenic statehood fostered the interpretation that ethnos-states were merely backwaters, characterized by a lesser form of cultural advancement and even lesser political development – and hence less worthy of examination. This view also seemed to be supported by some | [S. 4] ancient authorities, most eminently Thucydides in the so-called Archaeology section of his work.7 Today, polis-centric readings of Greek history have given way to significantly more colourful renderings that account for both poleis and ethnos-states “beyond Athens and Sparta” (Gehrke 1986; cf. also Brock/Hodkinson 2000). More generally, it has become axiomatic to acknowledge the rich diversity of political organizations, poleis and non-poleis alike, that branded Greek political culture. Beyond the city-state and its thrust towards the local, the forces of regionalism, emanating from ethnos-states everywhere, were equally commanding. This puts the study of Greek federal states on a new footing. The second obstacle revolved around the federal paradigm as such, and its application to the ancient world. Since federal states require certain criteria to qualify as federal, it was sometimes remarked that it is not justified to attribute federal concepts to antiquity. The suitability of the paradigm was denied because its application would be anachronistic and in any case avant la lettre, since federalism was deemed an intrinsically modern concept. Its explanatory force, it was argued, only unfolds in response to certain traits of state development that, if posited in the context of antiquity, might obfuscate the object under examination (Giovannini 1971; contra: Walbank 1976/1977). Jakob A. O. Larsen, the greatest authority on the topic, addressed this concern in the opening sections of his authoritative study Greek Federal States (Larsen 1968), remarking that “[t]he statement 6 Mackil 2013, 1 and n. 3 calculates that up to 40 per cent of all city-states were associated with a league. 7 See esp. Thuk. 1,5–10 on the implied cultural backwardness of many ethnos-states. See also Luraghi 2000; Nicolai 2001.
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which follows would be almost equally appropriate as a part of the conclusion of the book, but it is impossible to follow an account of the history and accomplishments of Greek federal states without some knowledge of the nature of such a state” (xi). In other words, in his effort to disclose the mechanics of Greek federalism, Larsen built on a set of presumptions that, to a certain degree, predetermined the conclusions of his analysis. Today, the implicit danger of anachronistic concept attribution is less pressing than in Larsen’s day. First, tremendous progress has been made with the disclosure of genuine federal discourses in Greek political thinking. Whereas Larsen had complained about the general lack of ancient reflections on the topic – which he explained with the extent to which ancient political thought was dominated by the polis (Larsen 1968, xiv; cf. Walbank 1970) – subsequent scholars were able to restore the traces of federal discourses in the writings of several authors, including Xenophon, Polybius, and Aristotle, among others. These studies adumbrate a different picture than Larsen had | [S. 5] in mind. They indicate that the intellectual reflection on federalism in antiquity was much more sophisticated than previously believed.8 In the fourth and third centuries BCE, those reflections were complemented by what has been interpreted as a federal movement in mainland Greece and the Peloponnese, with an ever-increasing number of states adopting federal features and adjusting them to their particular needs and circumstances of governance.9 Second, it has become a red herring to argue against the existence of federal designs in pre-modern times simply because the study of federalism has undergone a major transformation in recent years. The way in which social scientists view institutions has been altered on various accounts; in particular, it is now widely acknowledged to apply an approach that is receptive to the forces of social meaning and historical change.10 As has already been noted, the variant of federalism in antiquity differs – by default – from that in other periods of time; the transformation of the related concepts and cognate vocabularies in the present day once again adds its very own layer of meaning to the topic. Yet this poses no hindrance to the investigation. Today’s debate is not so much impacted by 8 See Winterling 1995; Funke 1998; Hansen 1999; Lehmann 2001; Beck 2001; Bearzot 1994 and Bearzot 2004. Note the substantial amount of politeiai studies on federal states that were written in Aristotle’s school, including treatises on the Aitolians (Aristot. fr. 473 R3 ap. Strab. 7,7,2), Akarnanians (fr. 474 R3 ap. Strab. 7,7,2), Arkadians (fr. 483 R3 ap. Harpokr. 280; Photios s.v. μυρίων; Lex. Seg. 280,4 s.v. μύριοι), Eleians (fr. 492 R3 ap. Harpokr. s.v. ἑλλανοδίκαι; Schol. Pind. O. 3,22), Epeirotes (fr. 494 R3 ap. Steph. Byz. s.v. Ἀμύνται), and Thessalians (fr. 495 R3 ap. Schol. Verg. georg. 2,97; Hesych. s.v. Ἀμιναῖον; Macr. Sat. 3,20,6). Of most of these, only the title and a few fragments survive, but the composition itself speaks to the rich intellectual engagement. 9 A federal movement was advocated for by, for instance, Hornblower 2002, 200; see also Beister 1989. The thrust towards federalization of Greek politics was, however, in all likelihood driven by power politics rather than the cognitive reproduction of political structures: Beck 2000; Funke 2009, 4–6. 10 See Ward/Ward 2009, especially parts 1 and 2; Greif 2006; Mackil 2013, 10–13.
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the question of whether federalism existed in antiquity, but rather by the disclosure of the specific circumstances and configurations that shaped the design of federalism in ancient Greece. In sum, the rigid application of the federal paradigm to modernity is now relinquished for a historically layered, multi-faceted conception.
A Brief History of Scholarship: Trends, Themes, and Today’s Operating Consensus The debate over the concept-attribution problem indicates just how much the understanding of ancient Greek federalism owes to the persistent advancement of scholarship. A brief survey of the major protagonists in the field and the development of trends and themes over time is in order.11 | [S. 6] The history of scholarship begins with the first volume of Edward A. Freeman’s History of Federal Government, published in 1863 in London.12 Writing in the decades following the Greek War of Independence (1821–1832), Freeman regarded federalism as a means by which to restore freedom in a country that was struck both by internal division and foreign domination – in antiquity as much as in his more recent past. Although he distanced himself from another major political upheaval that had occurred only a generation before him, that is “the excitement of the War of Secession of America” (Freeman 1893, xiii), occasional references to The Federalist Papers betray just how much Freeman’s scholarly interest was triggered by the “late events in America” (xiii). The intellectual link between both, The Federalist and the freedom-paradigm as ascribed to federal states such as the Achaian and Aitolian Leagues, was Polybius, who, in Freeman’s words, had served as a “chief guide throughout (…) my work” (xi). With no predecessors in the field, the accumulation of references from the body of literary sources available at the time amounted to nothing less than a Herculean task. Freeman mastered it in almost dazzling fashion, offering minute narrative histories of all forms of political aggregation beyond the local level, both in Greece and Italy, including the Lombard League and a “Fragment of the Kingdom and Confederation of Germany” (Freeman 1893, 618–634). Despite this promising start, however, the book did not set the pace for subsequent scholarship. In John B. Bury’s History of Greece (Bury 1900), which became the trend-setting account in the English-speaking world for the next two generations, federalism was entirely marginalized. To be sure, Bury had served as editor of the second edition of Free11 For an annotated research bibliography that traces the landmark contributions to the debate, see also Beck 2015. 12 Freeman’s work was originally designed as a two-volume project, but he never returned to the topic again after the completion of the first volume. With Bury’s second edition of that volume from 1893, Freeman’s History of Federal Government became factually a one-volume publication.
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man’s work, published in 1893; hence, he was intimately familiar with the subject matter.13 For his own monograph, however, Bury chose a decidedly Athenian and, to a lesser degree, Spartan perspective on Greek history, full of veneration for the grandeur of both city-states. By the turn of the century, the tides in federal scholarship had shifted from England to the continent. In German-speaking academia, Georg Busolt and Heinrich Swoboda supplanted Freeman’s antiquarian approach with a more systematized analysis. The key notion of their investigation revolved around the idea of double citizenship, which soon became the heuristic tool with which to define a Greek federal state. The implicit Staatsrecht-approach | [S. 7] was not altogether dissimilar to that of Theodor Mommsen in the field of Roman history (Swoboda had worked with Mommsen as a postdoc in 1880 and 1881 in Berlin). At the same time, the double-citizenship paradigm was fueled by the political controversy that had arisen in German state-law, more precisely the attempt to solidify the constitution of a German federal state, or ‘Bundesstaat’, visà-vis a confederation of German states (‘Staatenbund’). In the 1920s, this approach culminated in the publication of two towering volumes of Griechische Staatskunde (Busolt/ Swoboda 1920–1926), which cemented the double-citizenship paradigm in scholarship.14 The axiomatic belief in two layers of citizenship enjoyed great longevity, even though the Staatsrecht-approach itself was soon on the retreat. Victor Ehrenberg, who was professor in Prague (where Swoboda had taught until 1926) until he was forced into emigration to England in 1939, fostered the concept in the relevant sections of his influential The Greek State, from 1960. According to Ehrenberg, the “true federal state” was characterized by the “transfer of the Polis constitution to the league” (Ehrenberg 1960, 126). Along with this went an inversion of political power: while the city-state was geared towards direct citizen participation, the nature of the league made it more difficult for all members to engage in politics. Effectively, federalism called for a strong league executive, whose authority was sanctioned by the abstract powers of a common citizenship. Ehrenberg’s reading again owed much to Polybius and his emphatic portrayal of the Achaian League as one super-polis (Pol. 2,37,11; Ehrenberg 1960, 130). In a similar vein, Ehrenberg argued for a model of a generic advancement from the “primitive form of tribal or
13 See the previous note. 14 The notion of double citizenship was first established by the Austrian scholar Szántó (Szántó 1892). On Busolt, see Chambers 1990. Busolt died in 1920. The second volume of the Staats kunde was edited by Swoboda, based on Busolt’s manuscript. The economic crisis of the day had prevented the publisher from pushing for publication of the second half along with the first in 1920, cf. Busolt/Swoboda 1920–1926, v–vi. Swoboda’s own oeuvre included several studies on individual federal states (Swoboda 1910, Swoboda 1912) and a separate volume on “Staatsaltertümer”, Swoboda/Hermann 1913. The topic of his inaugural address as Principal of the University of Prague in 1914 was entitled Die griechischen Bünde und der moderne Bundesstaat (Swoboda 1915).
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cantonal state” to the leagues of the Hellenistic Age, whose greatest political achievement was viewed in their “overcoming the old Greek state” (Ehrenberg 1960, 130). The true breakthrough in the post-War generation was made in North America. Jakob A. O. Larsen, a contemporary of Ehrenberg, first got involved with the study of Greek federalism in 1921 (see Larsen 1968, vii). In 1928 he received his PhD from Harvard University for a thesis entitled A Study of Representative Government in Greek and Roman History. Part 1: Greek History. | [S. 8] The dissertation was not published but it earned Larsen enough esteem to land prestigious appointments at Ohio State and, from 1930, at the University of Chicago. In 1955, Representative Government in Greek and Roman History was published (Larsen 1955). A prize-winning book, Representative Government clearly built on Larsen’s PhD thesis. The manuscript itself, however, was actually the result of Larsen’s appointment as Sather Professor in Berkeley in the previous year; the book resembled a set of eight lectures rather than a genuine monograph. The latter came only with the masterly Greek Federal States, already mentioned above, published when Larsen was eighty years of age (Larsen 1968). Greek Federal States was thus the great synthesis of a scholarly engagement that had lasted almost fifty years.15 Larsen’s approach was straightforward. Its very core lay in the narrativization of political structures and institutions; i. e., Larsen offered an account in which the narrative exposition of the history of Greek federalism was also the main methodological tool to carry out the analysis. The strength of this approach, in which Polybius once again figured as the key witness, was the accessibility of the topic, the weakness its lack of in-depth structural analysis. In Europe, the new wave of Polybius studies led Frank Walbank (Walbank 1957–1979) and Paul Pédech (Pédech 1964) towards similar, philology-driven investigations. Yet in their accounts, the study of federalism was subordinated to philological questions and compartmentalized, limited mostly to the Achaian League. It was left to Larsen to craft the first synoptic study since the days of Freeman, and in fact the first monograph ever that was focused, comprehensive, and systematic enough to qualify as a true handbook on Greek federalism. The study of individual regions of the Hellenic world had always been on the radar of scholarship (for instance, Oberhummer 1887; Woodhouse 1897; Schober 1924; Stählin 1924). In some accounts, such regional approaches also amounted to interspersed studies on individual federal states (Aymard 1938; Sordi 1958; Roesch 1965). But only in the 1980s did federalism transform from a tentative object of investigation into a dynamic research topic, witnessing a formidable diversification of approaches and a broadening of scopes. Hitherto the study of regionalism drew largely on individual sets of evidence and the scholarly approaches associated with them, including historical topography, archae15 Larsen: see the obituaries in CPh 70, 1975, 126 and AHR 80, 1975, 746–748. Representative Government in Greek and Roman History won the C. J. Goodwin Award of Merit in 1957. The road to both monographs was paved by multiple article publications on individual leagues, including Larsen 1952; Larsen 1953; Larsen 1955; Larsen 1957 and Larsen 1960.
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ology, numismatics, and epigraphy. The inherent quality of the new interest in regional studies was that they attempted to | [S. 9] integrate various bodies of evidence; in conjunction with the methodological premises of the “New Archaeology” and its commitment to contextual analysis (cf. Hall 2014, 13–16), this trend promoted a focus on regional distinctness and diversity rather than universal readings of Greek history and culture. The exploration of Boiotia became in many ways a forerunner: first, the discovery of the Hellenika from Oxyrhynchos in the early twentieth century triggered considerable excitement over the expansion of the literary sources that came with the new papyrus fragments. Second, the literary tradition was appended by an ever-growing multitude of non-literary sources. By the mid-1980s, scholarly fascination with the region manifested itself in a sparkling research output, including two publication series and an ongoing review bibliography emanating out of one university in Canada alone.16 In the same vein, over the next decades numerous articles, edited volumes, and monographs appeared that (re-) examined the history of all Greek federal states.17 The trend of regional diversification – and, by implication, fragmentation – of scholarship was complemented by a marked increase in systematic analyses that tried to grasp the federal paradigm through the lens of certain themes. Among others, this included the general morphology of the Greek federal state (Daverio Rocchi 1993; Beck 1997; Siewert/Aigner-Foresti 2005); patterns in territoriality (Corsten 1999); the impact of a common coinage (Psoma 2001; Warren 2007); and the reception of Greek federalism in political thought and theory of later ages (Lehmann 1981 and Lehmann 1985; Knoepfler 2013; Meyer-Zwiffelhoffer 2014). Very recently, the theme of common currencies was developed further in a work that skilfully disentangles the realms of political, cultural, and economic integration in a Greek federal state (Mackil 2013). The great thematic shockwave, however, came from a series of studies that disclosed the mechanics of ethnic identity formation at the regional level. In short, the ‚ethnic turn‘ and its associated paradigm shift (Hall 1997; Morgan 2003) redefined the correlation between tribe and league. In particular, it toppled the orthodox view that primitive cantonal states transformed into modern federal states, as for instance Ehrenberg understood. With this came a new conceptual approach towards the fashionable academic label of ethnicity. The impact of this “ethnicity school”18 will be | [S. 10] discussed in greater detail below. Here it is important to note that the ethnic identity-approach prompted a second wave of regional studies that married the themes of regionalism and ethnic identity with federalism (McInerney 1999; Kühr 2006; Luraghi 2008). Despite the tre16 Boeotia antiqua, the Proceedings of International Conferences on Boiotian Antiquities series, and Teiresias. A Review and Bibliography of Boiotian Studies, all of which emanated originally from McGill University. See now https://www.uni-muenster.de/Ejournals/index.php/tjo/index. 17 See the bibliographies in the regional case studies below for details. 18 See Beck 2003, 179; Mackil 2013, 7 n. 23.
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mendous knowledge increase that derives from these studies it has also been remarked, with regards to the potential direction of future research, that there remains a wide gulf between patterns of ethnic identity formation on the one hand and the fermentation of political structures in a federal state on the other. The interface between tribal togetherness and federalism has so far been deciphered only in part.19 This brief survey reveals how Greek federal scholarship was exposed to great tidal waves of externalism. From an overtly constitutional approach to the primacy of philology and on to the conceptual ramifications of the cultural studies turn, research has undergone several paradigm shifts. In the nineteenth century, under the triple impression of state-unification processes in Europe, new intellectual foundations of the idea of nation, and an allnew juristic conception of politics, the prevailing theme in federal studies was the notion of double citizenship. After the Second World War, federalism was associated with the paradigm of freedom and its inherent capacity to unite against a common enemy. At one point, in the early 1960s, this view culminated in a study that explored Greek federalism from the perspective of nuclear balance and hegemonic rivalry (Larsen 1962; cf. also Larsen 1944). Since the late 1980s, the politics of transnational integration in the European Union has triggered a new wave of studies that have committed themselves to the cultural legacy of ancient Hellenic federalism. This has led to repeated conferences and symposia that were dedicated to the study of, for instance, the “roots of the common European house” (Aigner-Foresti [et al.] 1994). Most recently, the rising prominence of the twin paradigms of ethnicity and identity coincided with, and most likely was a reflection of, the political milieu of globalization and the responses it invites in the present day, including the violent competition between ethnic groups and their quest for identity at the regional level. Today’s scholarship is not free from the remnants of externalism either, but its force is arguably less imperative. This has mostly to do with the hesitation among scholars about operating with universally viable definitions that hamper the investigation by fitting as badly as a Prokrustean bed | [S. 11] (although this tendency might be in itself an academic reflection of the more general state of apprehension in the world today). In lieu of monolithic explanations, the notion of flexibility and the dynamics of change have become characteristic of prevalent approaches. A good example for this is the delineation between federal designs of integration and other forms of regionalism. The region of Attica was incorporated into one polis by means of a sophisticated political and territorial organization. Traditionally associated by the Athenians with the synoikism performed by their legendary founding hero Theseus, the unification of Attica became a functional reality only in 508/7 BCE with the passage of Kleisthenes’ political reforms. Kleisthenes’ measures 19 Note, in this regard, the edited volume Funke/Luraghi 2009, which explores the intersection between ethnicity and the rise of federal structures, at one particular moment and in a specific political constellation (i. e., affairs in the Peloponnese in the 360s BCE).
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precipitated “a fully integrated region-state” (Anderson 2003, 42) in which the entire Attic peninsula became one with the polis of Athens. In neighboring Boiotia, which is very similar to Attica in terms of size (Farinetti 2011), the integration of the region followed a different trajectory. With city-states mushrooming around the shores of Lake Kopais and along the valleys of the Asopos and Kephisos rivers, any movement towards integration was prefigured by the existence of developed poleis. When the Boiotians extended their mutual exchanges and intensified their cooperation, roughly at around the time of the Kleisthenic reforms, the only viable way to do so was to respect the powers and privileges of their respective cities.20 The Peloponnesian League followed a different path once again. When the league was transformed into a more coherent fighting alliance at the end of the sixth century BCE (Cartledge 2002, 226), the cooperation of its members was steered to only a minimal degree of integration into any kind of state- structure. Its formulaic prescription to “follow wherever Sparta should lead” (Meiggs-Lewis, GHI2 67bis) held little, if any impact on the genuine state-quality of its participating communities. The trajectories towards integration and (trans-)regional cooperation are distinct enough to be presented in opposite terms: Boiotia was united by federalism and Attica was brought under the state-authority of one polis, whereas the Peloponnesian League was a military alliance. While the general delineation is clear, many nuanced forms of integration existed between these alternatives.21 | [S. 12] The picture is again more complex than advocacy for a universal definition suggests. In some regions, such as Elis, Messenia, the Chalkidike, or on the island of Keos the incorporation of larger territories was facilitated through measures that drew on the models of both polis-synoikism and federalism. In others, for instance in Phokis, the regional character of interaction is well attested through common magistracies and a vibrant sense of communality, but it is hard to assert just how this communality was negotiated at the grass roots level of cities and villages. Yet in others, regional cooperation was mostly concerned with the conduct of warfare. In Thessaly, southern Italy, and on Crete, for instance, members of the respective leagues were at times tied together mostly by the strands of military integration; with such a strong (yet not exclusive) vector of warfare, the league effectively resembled a fighting alliance. The concepts of regionalism and federalism thus often overlapped, but they were not identical. 20 See Beck/Ganter 2015. 21 See, however, Figueira/Jensen 2013, who note that the Peloponnesian League, in its earliest phase, “shows affinities with alliances formed through ethnic solidarity” (481). A similar sense of notorious hybridity applied to the Athenian Empire, where the notion of symmachy was intermingled with a strong thrust towards polis-integration. Cf. Morris 2009, who advocated for the Athenian domain as some sort of “super state.” The strict separation between symmachies and other forms of interstate cooperation (as suggested by Tausend 1992) should thus be viewed with caution.
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The scholarly communis opinio here is to view those Greek regions as a federal state in which different sets of political authority are traceable; this also accounts for the idea noted above, that participating constituents in a federal state maintained their own political insides, while at the same time shaping a new collective that governed their relations with the outside. As was indicated in the survey over scholarly approaches, the most common expression of different sets of state-authority has long been considered to be the existence of two layers of citizenship. Such an approach is, however, also fraught with problems (see below, pp. 172–173 [= 18–19]), including the tendency to isolate and, effectively, prioritize the realm of politics over other modes of state-incorporation. In most pre-modern societies, and in the dynamic environment of ancient Greece in particular, the world of politics was inextricably intertwined with other realms – religious, cultural, societal, economic, and monetary, to name but the most evident ones. In more recent examinations of coin emissions, for instance, it was demonstrated how the production of “cooperative coinages” requires a substantial degree of cooperation between those who engage in them. Although those coinages have long been interpreted as an economic rather than a political phenomenon, it has now become obvious that it bears little promise to tell both features strictly apart (Mackil/van Alfen 2006; cf. Psoma 2001). On the whole it has become axiomatic to chart the integration of an ethnos along various trajectories (e. g., political, economic, cultural) and craft thick descriptions that account for multiple features of federalism rather than | [ S. 13] one. The disclosure of those features is a good benchmark that separates federal integration from other forms of regionalism.22 Another consensus concerns modern language practice. It was attempted by Larsen, among others, to discern the different meanings between these terms and attribute varying degrees of integration to each one of them. To this end, Larsen reserved the term confederacy for the “true federal state” and applied league only to “looser organizations” (Larsen 1968, xiv–xv). But Larsen immediately recognized the difficulties that such a division causes with the classification of some organizations, as the negotiation of federal affairs at times has led to either more or less unity. Some organizations might have floated between high levels of integration and low ones; hence they oscillated between the status of league and confederacy. This alone suggests that it is difficult to impose tight categories. But there are other objections. The first has to do with practicality. It has become conventional, for instance, to use the designations ‘Boiotian League’ and ‘Boiotian Confederacy’ mostly interchangeably. In Anglophone scholarship, both labels are well established and applied with no marked difference.23 Second, what makes a restrictive language practice less desirable is that the semantic underpinnings of the English vocabulary do not neces22 See Beck 2014, 34–35; see also the tentative list of criteria by McInerney 2013, 470–471, that is designed to flesh out the “isomorphism” of regions integrated by means of federalism. 23 But see Raaflaub 2015, who favors a more discriminate distinction.
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sarily resonate in other modern languages. For instance, the German distinction between ‘Bundesstaat’ and ‘Staatenbund’, which builds on its own legal tradition, is a notorious case. Its common denominator ‘Bund’ equals the French ‘fédération’, but the English terms ‘league’ and ‘confederacy’ do not fully match with either one of these. The semantic gap between ‘federal’, ‘fédéral’, ‘föderal’, too, is significant.24 Finally, the diversity of federal designs, with many regional variations and multiple moments of adaptation and change, speak against rigid terminological definitions. The breadth of federal experiments clearly exceeds crude dichotomies such as “loose” and “true” state-integration. The scholarly vocabulary today largely avoids preconceived classifications. It is preferable to apply a terminology that is receptive to diversity and allows for a meaningful description of dynamic federal designs in the particular political culture of ancient Greece. | [S. 14]
Political Features of Federalism in Ancient Greece The Greeks had their own issues with terminology, and accordingly there is a rich vocabulary in ancient Greek that relates to federalism. In the literary and non-literary evidence – inscriptions especially, but also coinage – federal states are regularly referred to simply by the collective plural of their ethnikon, their tribal designation, i. e., Arkadians, Aitolians, Euboians, and others. In a more technical sense, a federal state is conventionally labelled a koinon (plural koina), which simply means league or confederacy. The term implies some sort of association of constituent members; hence, more generally, it can also be applied to the koinon of craftsmen, theater performers or colleges of priests (Fröhlich/Hamon 2012). In politics, the koinon of, for instance, the Achaians or Akarnanians refers to the federal state of those groupings, often in juxtaposition to its constituent members. Another term that occurs frequently is the already mentioned ethnos (plural ethnē), usually translated ‘tribe’. Its overtones of primordial relations and blood-ties trigger associations of ethnicity (see below, pp. 173–179 [pp. 20–26]), but it is also used as the technical designation of a federal state (Mackil 2013, 5). Moreover, in the Hellenistic period, the noun sympoliteia is attested, which propels the idea of a joint polity. Upon its first appearance in the sources, in the first half of the fourth century BCE, the word is introduced by means of a verb, sympoliteuein, which means, literally, to share in politics or in a common politeia.25 24 See Stewart 1982, with reference to a more centralized semantic underpinning of the word federal, especially in American English, whereas föderal and fédéral imply a more peripheral perspective. 25 On sympoliteuein, Beck 2001; Bearzot 2004, 48; sympoliteia in general, Reger 2004 and Schmitt 1994, with an attempt to shape different categories of sympoliteiai, notably federal and synoikistic sympolities; cf. also Rzepka 2002, 240–244; Funke 2007, 194–200.
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Although each of these terms has a slightly nuanced connotation, their usage is by no means exclusive. In the Hellenistic period, all three are sometimes present in one and the same document. It is not always clear just how stringent their application is (SEG XVIII 570 from c. 167 BCE). The literary sources also betray conspicuous combinations. Polybius, for instance, in an attempt actually to provide terminological precision, speaks of the Achaian League as an ethnikē sympoliteia (Pol. 2,44,5; cf. 2,50,8: koinē politeia; 28,14,3, with Reger 2004, 148–9). By implication, this means that the term sympoliteia covered a wider range of unions from which the ethnikē sympoliteia was somewhat distinct. So by the time of Polybius’ writing, the term sympoliteia alone was not altogether unambiguous. The governing bodies in a koinon were basically the same as in a polis. The full slate of institutions in a federal state includes the federal ekklēsia (“assembly”, sometimes also koinē ekklēsia or synodos). In most leagues, the | [ S. 15] common assembly met in one city, for instance in Elis, Olynthos, or Thebes, which effectively acquired the status of a capital, despite the difficulties such a definition entails (see Roy 2007, 291). If the ekklēsia was organized as a primary assembly, this obviously gave a political advantage to the inhabitants of the capital city as they enjoyed a formidable majority among the assembled voters at any given time. To counter such dominance, some leagues held meetings in rotating cities or locations. The members of the Arkadian League founded a new federal center, the city of Megalopolis, to neutralize the attempts of any one city to dominate the federal ekklēsia. Another way to respond to the challenge of local predominance was to replace the primary assembly with a representative body, usually based on the size of the population in constituent cities; or to take the votes in the federal assembly by cities, a principle that was well established in the Achaian and Boiotian Leagues of the second century BCE. In many koina, then, the politics of federal integration were interwoven with ideas of representative government. On a practical level, representation was achieved through the sending of delegates to the federal center who acted for their member-communities and had the authority to make decisions on their behalf. As most cities maintained meticulous registers of citizens,26 and hence fairly accurate records of their respective citizen body, it was relatively easy to refine this principle and extend it to the proportional representation of member-states in the federal government. To make such an arrangement workable, several koina created subdivisions of their territory which provided a formula for league membership. The standard terms to denote such subdivisions were meros (plural merē), meaning simply part or division, and telos (plural telē), best translated as “district.” In the literary sources, the term synteleia occurs in relation to territorial districts, 26 The evidence for Athens from Aristot. Ath. Pol. 42,1 is most likely paradigmatic rather than unique. The dokimasia, which included positive proof of citizenship, is also attested outside of Athens: Feyel 2009, 363–370. See Scafuro 2013 for a survey of public record-keeping practices.
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but the term also has a strong connotation of dependency.27 The nature of those divisions is often misunderstood. It will be best to discuss the feature of telē further below, when the examination turns to the question of how a federal state emerged. For the moment it suffices to say that in any subdivision, the capacities to make contributions to the koinon and send contingents to the federal army were pooled and then determined in relation to the number of citizens in a meros. The same goes for taxation | [S. 16] purposes and contributions to the federal treasury. Participation rights of members were estimated accordingly. When a koinon was built on merē, those subdivisions were reference figures and at times artificial units for the mechanics of representative government. Unlike the Swiss cantons or the American states, the Greek merē were not the members of the federal state in themselves, but they were used to calculate the privileges and contributions of the actual member-communities to the central government. The politics of representation can be traced in other institutions, too. For instance, the law courts (dikastēria) of the koinon were often staffed with delegates who represented their local communities, as were other federal boards and colleges. The federal army was, almost naturally, mustered from member-contingents in relation to their hoplite and cavalry capacities. But the bodies that were most susceptive to the idea of political representation were the federal council, the boulē or synedrion, the league executives, the archons (“officials”) and stratēgoi (“executive commanders”), and federal bodies for the reconciliation of grievances. The boulē was appointed to run the daily affairs of the league, which naturally put it at the center of the political administration. It was there that federal negotiations between member-states were most commonly conducted, and it was the place in which league members formulated their policies within the koinon and in relation to others. Such negotiations are attested in both the literary and epigraphical sources, although it is not always clear if member-states were represented proportionally or directly, with each one community casting one vote.28 Be that as it may, the idea of sending delegates to the federal government demonstrates that they were vested with the authority to fully represent their communities and take action in their stead; in turn, delegates reported from the center back to their cities and informed them of league affairs. For executive magistrates, the idea of representation was even more vital, since they were in a position to yield immediate political power. The board of commanders and executive leaders shaped the affairs of the koinon like no other institution, both in war and in other league affairs, and members had a natural desire to be represented and make 27 See Bakhuizen 1994; the concept of synteleia is addressed in various case studies, including Nielsen 2015; Beck/Ganter 2015; Funke 2015; Daverio Rocchi 2015 and Behrwald 2015. 28 The recently discovered inscription SEG LVIII 370 from Messene from c. 180 BCE exemplifies this, dealing with a border dispute with Megalopolis in the broader frame of reference of the Achaian League. The text sheds light on multiple instances and institutions of federal reconciliation. See Luraghi/Magnetto 2012 and Rizakis 2015.
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their voices heard in this process. The representation of a member-state in the executive board was therefore an important step towards a federal equilibrium. None the less, with this in mind it should be stressed that some federal states abstained from such a representative policy and elected their highest magistrates in a | [S. 17] primarily federal assembly, with no recognition of their local origin and member-state affiliation. In this scenario, a koinon might have functioned without provision for representation of constituent members at all.29 The designation of federal institutions was often derived from a regional vocabulary of proper names that voiced the league identity; again, the practice resembled that of many city-states. In Boiotia, the leading executives of the federal state were called boiotarchs, literally “leaders of the Boiotians”, which highlighted the call for federal authority; the offices of lykiarch, libyarchēs, or phokarchai signaled the same claim in their respective leagues. In Thessaly, the traditional designation of regional leaders, tagos and tetrarch, amalgamated with the league language. The short-lived Arkadian League designed its own brand label, Arkadikon, while the central meeting place of the Phokian League was called Phokikon. In Aitolia, the cyclical gatherings of the federal assembly were named after the great regional market gatherings, Thermika and Panaitolika; the latter emphasized the claim for a body that spoke for all Aitolians.30 Many leagues thus promoted their regional identity through a variety of technical terms that related to their tribal ethnikon and gave to it a political twist; again, the large body of federal laws and decrees attests to the vast variety of official formulae that signaled the political identity of the league. At the same time, the local communities of a koinon continued to identify themselves by means of their city-ethnic, or local ethnikon. In practical terms, this supported the trend towards a language use that was characterized by the listing of two ethnika in a koinon rather than one. In a federal state, the identification of citizens was often made in the form of tribal ethnic + city-ethnic, e. g., an Achaian of Aigion or an Akarnanian of Alyzeia.31 It would be misleading to present this duality between the koinon and its local constituents by means of a uniform model. The dichotomous nature of the federal organization was more complex. This had to do with the vast diversity of constituent members at the local level. The nature of the members of a koinon varied substantially both in size and shape. Most federal states comprised of a larger number of poleis, some of them with large citizenries and vibrant urban centers. Beyond member-cities, some federal 29 In such a scenario, the division between federal cooperation and other forms of regional integration is once again more difficult to discern. At one point in its history, in the fourth century BCE, the Boiotian League appears to have experienced such a thrust towards the political dominance of the city of Thebes. Similarly in the Chalkidic League, affairs were geared towards the dominance of Olynthos. 30 See Funke 2013b and Funke 2015. 31 IG II2 13 (Achaia), SEG XLII 1041 (Akarnania), but see below on the multi-layered meaning of such expressions.
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states integrated smaller towns, sometimes mere villages or loose | [S. 18] agglomerations of farmsteads (komai). In Akarnania, the members of the league were divided into poleis and ethnē, a distinction which referred to members with and without an urban center.32 In other federations, the membership was mostly made up of tribes or scattered sub-tribes. In yet others, for example in Arkadia, a diverse mixture of all of these is attested.33 While the political organization of larger city-state members is generally fairly well documented, very little is known about the political life in smaller constituents such as komai or sub-tribes. For instance, it is not altogether clear how developed and, effectively, how exclusive the mechanism of political participation was in such communities. It is particularly hard to assess precisely how advanced the concept of citizenship was in such sub-tribes, and what privileges it entailed. The notoriously high number of Phokian communities provides a perfect example. According to the sources, the Phokian League comprised over twenty communities that were labelled poleis. But few of them had any urban features or a local administration to manifest their political identity; most of them comprised only scattered villages or, at times, just a few hamlets.34 Very little is known about their political organization, let alone their citizenship regulations. In Lykia, one of the most eminent examples of representative government, the league came into being significantly before advanced political institutions were implemented at the local level of member-communities. Examples from other federal states include the nature of constituents in Messenia, Elis, and Aitolia, but also in the peripheral regions between Boiotia and Thessaly, notably in Doris, Malis, and Ainianis.35 The observation is of some importance because it challenges the idea that the existence of double citizenship is the decisive factor in the definition of a Greek federal state. As was noted above, it was long held that Greek federalism was characterized by two layers of citizenship, a federal and a local one, which defined the political realms of polis and koinon and which demarcated their respective spheres of action. Such a scheme is attested for many federal states, but not for all; for some, such as the Cretan koinon, a joint league-citizenship can be actively denied.36 The expression of two ethnika, too, seems to support the view that double citizenship was a vital feature of Greek federalism. Nevertheless, it has to be kept in mind | [S. 19] that the combination of ethnics does not automatically point to the workings of citizenship, as ethnika, more generally, might be used as expressions of origin or regional identity; their application is inconsistent, and they are not necessarily tied to the legal frame of citizenship (Gschnitzer 1955; Hansen/Nielsen 2004, 58–69). If such a connection was in place, the mere existence of two ethnika says little about the actual groundings of citizenship. From the examples that survive in the sources, including the many grants of federal 32 Cf. Gehrke/Wirbelauer 2004, 352; see Freitag 2015. 33 Nielsen 2002; cf. also Nielsen 2015. 34 Demosth. or. 19,123; see Beck 1997, 108; McInerney 1999, 40–85; Oulhen 2004. 35 For details, see the various case studies below. 36 See Chaniotis 2015. Similar conditions seem to have prevailed in Lykia, see Behrwald 2015.
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citizenship to foreigners or other privileges such as the rights to own property (enktēsis) or intermarriage (epigameia), it is reasonably clear that the use and application of citizenship regulations differed widely from league to league. The corresponding privileges of individuals who enjoyed two citizenships also varied significantly. In many cases they were merely the result of ad hoc settlements, coined under the particular circumstances of the day, rather than the product of grand designs of juristic demarcation or the separation of legal realms.37 The case of double citizenship should therefore not be overstated. It is a lively expression of federalism, but on the whole it is preferable to operate with a broader definition of federalism that recognizes the existence of two arenas in which the conduct of politics took place.
Regional Identity and Territoriality The delineation of those arenas is intertwined with the development of statehood in Greece. The issue is among the most difficult pertaining to federalism. It will be left to the next chapter to discuss the problem in detail,38 but some of the more basic implications are too important for the general understanding to be passed over in silence here. It has long been recognized that the majority of Greek federal states had an ethnic background. They were related one way or another to the Hellenic tribes, called ethnē in Greek. Hence, the word ethnos related to both a developed federal state (see the previous section) and a group of people with a shared ethnic identity.39 Although both kinds of ethnē were not the same, it is widely accepted that | [S. 20] the tribe was in some way formative for the networks of political integration. In a reference that serves as locus classicus, the anonymous author of the Hellenika from Oxyrhynchos (fourth century BCE) digresses on the affairs in the Boiotian League, which he calls a koinon. Towards the end of the section, when a summary conclusion is offered, he remarks that “in this way the entire ethnos came 37 This is highlighted by the high volume of grants of isopoliteia that survive from many cities and leagues, especially from the third century BCE; see Gawantka 1975; Rousset 2013. 38 See Hall 2015. 39 The most basic overview, also with regards to the development of conceptual paradigms, continues to be McInerney 1999, 8–39. Note the potential disconnect between what the Greeks meant by ethnos and what modern scholars have chosen to study under the label ethnic/ethnicity (McInerney 1999, 25; Hall 2002, 18). More recent comparisons between the complex of ethnicity in anthropology and ancient manifestations of it make the analytical concept stand on uncertain ground. Another caveat noted by Mitchell/Greatrex 2000, xiv comes with the ease with which ethnicity, | [S. 20] identity, and culture are often conflated in scholarship, and scholars take different definitions for each, which amounts to an unresolvable problem, cf. Cooper/Brubaker 2005. In a more recent contribution that determines the effect of theoretical assumptions on the conceptualization of antiquity, ethnic identity in Greece is labeled as “heterological ethnicity” (Siapkas 2003), highlighting its non-uniformity, flexibility, and notion of change.
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together to join in politics” (Hell. Oxyrh. 19,4 [Chambers]). The immediate implication is that the Boiotian League embraced the whole Boiotian tribe, which was noteworthy enough to be spelled out. But the passage also betrays the assumption that tribe and league were, in principle, different entities, with different modes of participation and expressions of belonging. While what was at the heart of the Boiotians’ tribal identity is left unsaid, the character of the league was described as determined by their desire to come together in politics.40 In later periods, various koina extended their political organization beyond the region associated with their tribe and admitted ‘foreign’ members to their league, mostly through the award of citizenship or grants of associated political and economic rights. This force of federalism is attested as early as the fourth century BCE, but the great leagues of the Hellenistic Age, the Achaian and Aitolian Confederacies, are the evident landmarks in this process of trans-tribal integration.41 While the relation between ethnos and league is fairly well understood in later periods, the early relation between the two is more difficult to assess. When did federalism emerge? In other words: when, and how, did federal structures that offered the opportunity for a distinct form of regional integration come into being, and what was the interface between tribal bonds and federal cooperation (see Beck 2003; Morgan 2009)? The quest for a uniform answer bears again little promise, but there are two ways to approach the subject. The first is to examine the development from the perspective of emerging local communities. Federalism requires a certain degree of advancement in order to facilitate infrastructures for the political negotiation between member-states and the koinon. It is easy to see how developed city-states meet the criteria for such an advancement, | [S. 21] but the issue is again more complicated in regions where the process of polis-formation was somewhat delayed. In Aitolia, for instance, the earliest koinon of the late fifth and fourth centuries BCE comprised a series of tribes, Eurytanes, Ophiones, and others, which in themselves consisted of smaller sub-tribes. Among them was the tribal group of the Kallieis on the fringes of the territory of the Ophiones. Next to nothing is known about this group during the Classical period, except for Thucydides’ statement (Thuk. 3,96,3) that the Kallieis were recognized as a sub-tribe that contributed its own contingent to the federal army of the Aitolians. At some point in the fourth century, the Kallieis founded their own urban center, Kallipolis, laid out as a planned city with its own defense circuit and reserved public spaces within. To reflect this advancement, the Kallieis henceforth called themselves Kallipolitai, indicating that their community had merged into a developed polis. In Aitolia, then, the interaction between multiple tribes and sub-tribes fueled the emergence of local 40 Hell. Oxyrh. 19,2–4 [Chambers]; Bearzot 2009. 41 Among the earliest attested cases of federal expansion beyond the boundaries of the tribe ranks the integration of Kalydon on the northern shores of the Corinthian Gulf into the Achaian League, which was initiated at some point before 389 BCE: Xen. hell. 6,4,1. See Moggi 2002; Freitag 2009. On the later development in the Aitolian League in particular, see Funke 2015.
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infrastructures, both in an urban and administrative sense; ultimately, this culminated in the creation of fully developed local communities (Funke 1987; Funke 1997).42 Together with examples from other federal states, the case of the Kallieis demonstrates that the state-formation in a koinon was determined by divergent forces. As in any other polis, the development of local communities was shaped by the internal process of urbanization and institutionalization, and it was of course subject to outside force or hostile interaction with foreign parties. Rising state communities acquired control of their surrounding countrysides, staked their claims in opposition to neighboring cities and fought wars over territories and natural resources. These actions were complemented by power negotiations within each community, where the exercise of political authority was gradually absorbed by citizen assemblies, councils and polis executives. If anything, the notion of autonomy became a guiding principle for the political action of those communities long before autonomia evolved as a governing principle in interstate affairs. This said, it has to be kept in mind that the rise of independent communities never fostered a total segregation of those cities from the tribal bonds that surrounded them. Between the manifold expressions of a polis’ local identity and the macro-identity of Panhellenism, belonging to one of the | [S. 22] ethnic sub-branches of the Hellenes marked the third, intermediate layer of communal identity.43 In a koinon, the identity forces of city and tribe differed from region to region, and at times they might have worked in open competition with each other. In Boiotia, for example, the city of Thebes developed a notoriously strong sense of an independent community, so much so that it almost gave the impression of overpowering the other Boiotian poleis (there were many of them) and, effectively, dominating the Boiotian tribe. In Achaia or Aitolia, poleis such as Pellene, Pleuron, or Kalydon often went their own ways, with little intention of engaging in the affairs of their tribes, and vice versa. In Thessaly, on the other hand, developed city-states such as Pharsalos and Pherai were entrenched in the networks of feudal lordships and other forms of tribal bonds that gave a nuanced meaning to their status as independent communities (Sprawski 1999). Despite these variations, it is important to recall that in each of these cases the conduct of local politics was impacted by a sense of tribal togetherness that cut across the narrow borders of the polis. The ethnos provided a frame of reference that transcended the realm of otherwise independent city-states. Its members persistently interacted with each other and negotiated their relations; along this pro42 See also Morgan 2000 for a similar development in Achaia. – The relation between urban development, tribe, and sophistication of the koinon is also reflected in a much debated passage in Aristot. pol. 1261 a 22–31. Aristotle’s verdict that “it is by this characteristic that a city (polis) will also surpass a tribe (ethnos) in which the population is not scattered among villages but organized like the Arkadians” continues to be somewhat puzzling, despite the various interpretations that have been offered (see above n. 8). 43 It is a truism to note that this goes also for Athens and Sparta as leading protagonists of the Dorian and Ionian tribes, no matter how the process of identity formation in both ethnē is conceived of, and when it actually took place. On Panhellenism, see Mitchell 2015.
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cess of interaction, the members of a tribe refined their local organization, and they forged new means of exchange with one another. Naturally, this trend strengthened not only their local institutions, but it instilled in them a sense of political self-reliance, if not sovereignty. At the same time, increasing regional exchange also helped to structure the interaction between the members of an ethnos and enhance their collective identity as a tribe. This points to the second path of inquiry, which traces the nascence of federalism from the perspective of developing tribal identities. The correlation between early tribal organizations and federal states has long puzzled scholars. Only recently has the dynamic between the two been properly understood. Today, the orthodox view is that the regional identities of the various Hellenic tribes (Arkadians, Phokians, Malians, and others) were not societal relics of a remote past. Rather, they ought to be regarded as essentially changing, flexible, and, at times, relatively late constructs that took shape only in the Archaic period.44 So when the earliest federal states | [S. 23] emerged towards the end of the Archaic period, they were not a revival, or modernization, of early tribal organizations; the pre-existence of such tribal aggregations has in itself become questionable. Federalism did not evolve in a linear process from backwater tribes to developed koina, but rather it worked in parallel with the rise of a new tribal awareness. Both trends, the fermentation of ethnic identities and the development of (proto-)political structures, were mutually dependent. On the one hand, the rise of poleis and non-urban communities reinstated the sense of togetherness, as reflected in distinct material cultures, tales of epic ancestry, and also more ‘rationalized’ expressions of ethnic cohesion, such as calendars and, from the fifth century BCE, regional histories and chronicles.45 On the other hand, the belief of common descent complemented the advancement of new patterns in political interaction. It is now widely acknowledged that this new sense of togetherness was not only formative for the creation of a league but continued to play an important role in the ongoing process of federal negotiations in later periods (cf. Freitag 2007). This requires further explanation. Recent scholarship has entertained the idea that Greek ethnogenesis overlapped with federalism in the sense that ethnicity offered a vibrant platform for the integration of local communities into a league. For example, three more recent studies on Boiotian ethnogenesis show how the region’s political integration was practically predisposed to and, in turn, made possible through a common set of regional cults and foundation 44 According to the communis opinio of the day, the historical ethnē were viewed as sociopolitical extensions, as it were, of tribal organizations that dated back to a time of great migrations. This opinion was already challenged by Roussel 1976 and Bourriot 1976, but it took almost another generation to topple the prevailing orthodoxy. See the contributions by Funke 1993; Ulf 1996; | [S. 23] Gehrke 2000, which, in conjunction with the works of the Anglo–American ‘ethnicity school’, have become immensely impactful along the way. 45 Material culture: Morgan 1991 and 2003; epic ancestry: e. g., Prinz 1979; Scheer 1993 (with regards to Hellenistic cities); Gehrke 1994; calendars: Trümpy 1997.
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myths that go back to the late eighth century BCE. All three works argue, independently from another and with different methodologies, that the federal integration of Boiotia was driven by vivid reflections of a shared ethnic identity (Kühr 2006; Larson 2007; Kowalzig 2007; cf. Freitag 2010). First, the fundamental belief of common primordial descent and legends of collective action fueled the idea of political cooperation. Second, unification in a koinon supported the idea of separation from other tribes; hence, it reinstated the notion of tribal distinction. In the conduct of regional affairs, there were of course various ways in which the agencies of the tribe and league intersected. For instance, in their regional networks, aristocratic leaders no doubt finessed narratives of heroic descent, which realigned the political action in a koinon with ideas of legendary ancestors and foundation heroes. The Homeric Catalog of Ships is the earliest example for such an imagined realignment with the | [S. 24] past; indeed, almost every federal state of the later period associated its tribal roots with the respective section of the Homeric text, despite some variations over time.46 Foundation myths and stories of primordial togetherness were accompanied by, and in turn fed into, the rise of tribal cults and the veneration of specific gods and heroes associated with them. In the koina of the Classical and Hellenistic periods, many of those gods became the chief deities of the federal state, venerated in state cults, festivals, and games. This leads to yet another, and probably the most intensive intersection between tribe and koinon, the role of regional sanctuaries that acted as a platform for the expression of tribal cohesion and, along the way, as centers of political interaction.47 The earliest history of those sites is sometimes associated with their roots as so-called amphiktyonic centers, a term that implies that the amphiktyontes, literally “those who dwell around” the site, engaged in various acts of exchange there (Funke 2013a). The religious economy of sanctuaries – and competition between them – put the histories of individual sites on vastly different trajectories. In some cases, early cult sites developed into flourishing federal centers; in others they went through repeated cycles of growth and decay; in yet others, their regional impact perished altogether. The shrine at Kalapodi in Phokis is just one fascinating example for the long and volatile history of a regional cult center, and the various functions it might absorb from the Late Bronze Age to the Classical period and beyond.48 In southern Italy and Epeiros, the eventful histories of both koina were inextricably associated with those of the sanctuaries of Zeus Homarios and of Zeus at Dodona. On Delos and on Lesbos, the sanctuaries of Apollo and Zeus at Messon were apparently the real engine of federal integration, whereas their impact was again magnified by the 46 Simpson/Lazenby 1970; Visser 1997; Kühr 2006, 54–70 (Boiotia); cf. Hall 2015. 47 Funke/Haake 2013 include many case studies; to these, add Schachter 1994 on the intriguing case of the Basileia near Lebadeia and their impact on the Boiotian League. 48 Kalapodi: Felsch 1996–2007, which has contributed immensely to the identification of the site, vis-à-vis the site of Hyampolis nearby; Ellinger 1993; McInerney 2013. Another example is the volatile history of the sanctuary and site of Onchestos in Boiotia.
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specific geographical setting of the island-world of the Aegean.49 Despite | [S. 25] the differences in scale, these examples all attest to the inherent quality of sanctuaries as nodes of trans-local interaction that provided the members of a tribe with a hub for non-violent cooperation, exchange, and, effectively, the construction of “aggregative identities”.50 The implication of all this is that it has become increasingly difficult to argue for a blunt delineation between early tribal states and advanced federal states. Both marked a distinct form of communal aggregation, but at the same time, cooperation in an ethnos and political integration into a koinon were two sides of the same coin. Many Greek federal states were not only glued together by legislation, representative governance, or citizenship regulations, but also by the sense of ethnic togetherness and the expression of this identity as a tribe in cult and ritual. In other words, the political workings of federalism were tied to a “symbolic system” (Funke 2013b, 12) of religious practices and institutions, sanctuaries, and other cultural expressions of ethnic cohesion that demonstrated the binding force of their order. With this in mind, it is important to recall that a koinon, unlike a tribe or kinship group, is characterized by the existence of a federal center which embodies genuine state-authority (whatever the definition of state may be at the time). In many federal states, the ultimate stimulus for such a center came from outside, when hostile interaction with others triggered coercive attempts to raid settlements, sanctuaries, and territories of another tribe, or to unite against a foreign invader. Under the influence of outside pressure, many tribes moved towards closer cooperation in politics. All the while, the road to political integration was also at times less straightforward. Coercive action in response to outside threat was only one among many ways of interaction between the members of a tribe. Other forms included, as mentioned before, the social networking of local aristocracies and their competition at regional games, or the celebration of common cults and festivals. The resources that were necessary to facilitate the infrastructure for all this quickly exceeded the means of any one individual community. So, in their attempt to carry out any one of those activities, for instance the building of a regional hero shrine or temple precinct, the members of a tribe were quickly led 49 See Meyer 2015; Buraselis 2015 and Fronda 2015. A similar force was at work in the three regional sanctuaries of western Asia Minor as described by Herodotus, the Panionion with the sanctuary of Poseidon on Cape Mykale (Hdt. 1,148), the sanctuary of Apollo at Gryneion as the common meeting place of the Aiolian League (Hdt. 1,149), and the Dorian Hexapolis, which celebrated a festival with games in honor of Triopian Apollo on a promontory near Knidos (Hdt. 1,144). Of these, at least the site of the Panionion enjoyed substantial longevity (I.Milet I.2, 10; Lohmann 2005). Yet none of these sanctuaries developed enough gravitational force to integrate their surrounding cities into a lasting political body. 50 Hall 1997, 47–50, who detects a shift from patterns in aggregative-identity construction to oppositional patterns in the aftermath of the Persian Wars. The picture has recently become more complicated as scholars point also to the inherent capacity of regional sanctuaries to generate instability, social pressure, and intercommunal rivalry, cf. McInerney 2013. The aggregative force of sanctuaries was thus complemented by their quality as potential fracture zones.
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towards yet another form of interaction, that of pooling of resources and, more generally speaking, economic exchange (Mackil 2013). In the process of such lively interaction, | [S. 26] the exchange between communities became almost invariably more structured. As this process unfolded, the local members of a tribe were pressed to position themselves, explore new means of collaboration, and regularize their contacts with other states that stood beyond their tribe. Eventually, all this prompted the advancement of a political organization that served as a permanent platform of regional exchange. At the end of this process, the koinon emerged as a new intermediary unit, a developed entity that extended the genuine inside-realms of local communities, with its own set of common institutions, laws, and magistracies, and so on. Some scholars have advocated that federalism necessarily calls for some sort of founding act, with which the members of a tribe officially mark the transition of their organization to a developed koinon. Furthermore, it was conjectured that such an inauguration was usually accompanied by the creation of territorial subdivisions (merē or telē), which legally demarcated the rights and privileges of the league’s participating members (Corsten 1999).The nature of merē has already been discussed; as mentioned above, if a league operated on the principle of proportional representation, they served as arithmetic references for the calculation of the league shares held by each member-community, usually in relation to its citizen number. It is indeed conceivable that some koina, for instance when admitting new members or reforming their affairs, formally adopted a policy of representation according to merē. Further, it goes without saying that some federal states over time will have reinvigorated their organization through reforms and constitutional change that might have started a new chapter in the league’s history. Such refoundations are attested for various koina; at times, the initiated measures resembled a genuine refoundation of the league that was performed by the participating members. This aspect once again highlights the quality of federalism as a persistent negotiation, and its power to provide a multi-faceted response to the political challenge of the day. But the act of reform or restoration as such had little bearings on the nature of federalism. Beyond all discontinuities and adaptations over time, the politics of federalism were intertwined with the social dynamics of tribal affairs. This, rather than constitutional features alone, was the quintessence of federalism in the Greek world.
The Scope of This Book Federalism, it was remarked by Walbank (1981, 157–8), “exemplif[ied] the continuing ability of the Greeks to respond to a new political challenge with new solutions. One is bound to ask whether, | [ S. 27] given another century without Rome, federalism might not have developed fresh and fruitful aspects … Federalism offered the possibility of tran-
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scending the limitations of size and relative weakness of the separate city-state. But time ran out.” This verdict is somewhat emphatic, yet it encapsulates one of the defining traits of federalism in ancient Greece: that is, the skillfulness with which the Greeks, in all periods of their history, experimented with the idea of federal integration. In the Archaic Age, the rise of federalism complemented the naissance of tribal identities. By the late sixth century BCE, ethnē such as the Thessalians, Akarnanians, and Aitolians had developed a strong sense of tribal togetherness, yet at the local level, the growth of political communities in cities and villages, too, fostered a sense of belonging and participation. As the citizens in those communities felt loyalties towards both their city and tribe, the relation between these two entities became increasingly charged. Federalism offered a cognitive solution to bracket divergent loyalties and mould them into one political unit. In the Classical period, federal integration enabled many city-states to evade Athenian and Spartan attempts at control, if not subjugation. By the fourth century BCE, federal states such as the Thessalian, Arkadian, and Boiotian Leagues rose to significant power; their combined resources put them in a formidable position to safeguard the interests of their members and, in some cases, rise to the status of trans-regional hegemonic powers. Finally, in the Hellenistic Age, the federal states of Aitolia and Achaia embodied the idea of city government and local independence in a world that was dominated by largescale territorial monarchies and, ultimately, the rise of Rome. Sandwiched between overwhelming forces, federalism offered an alternative that quintessentially guaranteed the survival of the city-state. In the Lykian Confederacy, this trend extended well into the era of Roman domination. Throughout these periods of time, the politics of federal integration varied greatly in shape and type, and the multiplicity of the phenomenon was once again complemented by regional diversification and adaptation to historical change. The dazzling variety of experiments with integration and unity alone makes the exploration of federalism in ancient Greece worthwhile. The present volume offers a new research tool. It is the first synoptic work on Greek federalism since Larsen’s seminal 1968 book. Today’s research continues to be deeply indebted to Larsen’s achievement, but it is not surprising that this volume differs substantially from its predecessor in form, content, and scope. The outline of the book itself takes a different avenue of inquiry. Over the past three decades, a high volume of studies has | [S. 28] become available examining the history and institutions of individual federal states. Regional scholarship has fostered a tremendous increase in knowledge, as has the ongoing refinement of methodologies and conceptual advances. In addition, countless archaeological, epigraphic, and numismatic discoveries have put scholars in a new position where they can augment, and often revise, the traditional understanding of many federal states. The conceptual call for diversity and plurality of the phenomenon adds its own momentum to the investigation. As the boundaries between federalism and other forms of regional integration have become more permeable, the present volume draws
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on a broader variety of regional case studies. Among them are the federal states (sometimes appended with a question mark) of Elis, Messenia, the Kyrenaïka, and various island leagues in the Aegean. In Central Greece, the study of microleagues in Doris and Oitaia reveals the creative force of federalism in a truly small natural environment. The increasing specialization of regional scholarship makes it concurrently difficult for any one author to maintain a steady grip on a blossoming body of evidence, and to keep up effectively with the swift advancement of knowledge about all regions of the Hellenic world alike, through all layers of time. Our obvious response to this challenge was to assign each koinon to scholars who are fully engaged in the ongoing exploration of their assigned regions; indeed, many of the authors assembled in this volume are the leading researchers globally in the respective areas. It speaks to the vibrant spirit in Greek federal studies, we believe, that our invitations to contribute to this ‘New Larsen’ were greeted with so much enthusiasm, despite the tight publishing schedules everyone encounters. The – equally obvious – challenge that emanated from our opting for an edited volume was the potential issue of disparity. A round-table meeting was held at Münster University in 2010 that assembled contributors to explore the grounds for a common conceptual approach. Many consultation sessions followed. Subsequently, the write-up stage saw a lively exchange among authors and between authors and editors, in order to provide for as much coherence as possible. The result is more than ‘just’ an edited volume. Rather, it attests to the willingness to engage in a research project, the outcome of which depends so heavily on the ability of participants to collaborate along the lines of common conceptual premises, and their consent to compromise. Of course, this does not exclude the possibility of genuine scholarly disagreement. This, too, is reflected in some of the chapters below. Unlike Larsen’s book, this volume includes various thematic chapters that build upon, and extend, the research agenda of systematic studies on | [ S. 29] Greek federalism. Much has been achieved in that field in recent decades. Rather than treating those aspects in passing, we felt that they should be examined in sections that are separate from the regional case studies. The last one of these, on the Nachleben of Greek federalism in federal thinking of later periods in history, discloses the impact of koina such as the Achaian and Lykian Leagues on the Federalist Papers from 1787 and 1788. From there, it is only a small step to the publication of Freeman’s History of Federal Government, which marks the beginning of the history of scholarship on Greek federalism as referenced above. Thus closes the circle of the investigation. The conceptual advancement of scholarship is reflected throughout the book. As monolithic approaches to federalism have lost much of their attraction, a broader understanding is necessary. The new benchmark is the disentanglement of multiple fabrics of integration: the organizational features of federalism and its multiple manifestations in different arenas of communal life, its grounding in ethnic identities, and its interconnectedness with other forms and means of regionalism. The twenty-eight chapters that fol-
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low address each of these aspects in one way or the other. And they disclose once again, we believe, that Greek political culture was framed as much by federalism and features of regional cooperation as it was by the autonomous city-state.
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Greek Amphiktyonies An Experiment in Transregional Governance
Sanctuaries: Religious and Political Centers Religion and cult were of great importance in ensuring cohesion among ancient societies. Besides the (often fictional) certainty of a common ancestry, common gods and shared cult practices provided an essential foundation for the development of early statehood in ancient Greece. For those states that were tribally organized without an urban structure (ethnē; sing. ethnos), transregional shrines or sanctuaries served as central meeting-places, not only for the celebration of religious festivals, but also for trading and for deliberating matters of mutual interest (Morgan 2003, 107–163). Sacred place, market, and public space were closely associated. Such central sanctuaries functioned as sites of reassurance for the members of an ethnos, allowing them to experience their political communality. The ritual community and the political community were directly related to one another and gradually became one. Thus these sanctuaries could simultaneously serve as cultic and political catalysts in the ethnogenesis of tribal associations. The central sanctuaries of the Aitolians in Thermos and of the Achaians in Helike and Aigion are examples of this phenomenon. Up until the fourth century BCE such sanctuaries supported and consolidated the ethno-political cohesion of these tribal associations. In the Late Classical and Hellenistic periods they developed an important integrative function that allowed them to reach far beyond the traditional boundaries of their tribes, as the incorporation of new members into the expanding leagues of the Aitolians and Achaians was a concern of both federal states (cf. McInerney 2013; Funke 2009; Funke/Haake 2013). However, participation in a transregional sanctuary did not necessarily forge an inseparable connection or necessitate the standardization of cultic and political identity. In the early centuries of the first millennium BCE sanctuaries had already emerged whose ritual communities consisted of various ethnic origins and who, above all, were separate political entities. The motives for sharing in the celebration of ritual festivals could differ greatly in each specific case. In principle, however, they seem to have resulted from | [S. 452] a need for nonviolent interstate communication. Owing to the peculiarities of their system of city-states, the Greek poleis were compelled to develop a manner of interstate coexistence to ensure their survival and settle conflicts peacefully, if it was not possible to prevent them altogether. The increasing politicization and institutionalization of the Greek system of city-states also required a greater institutionalization of the
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: H. Beck (Hg.), A Companion to Ancient Greek Government, Malden 2013, 451–465.
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mechanisms of interstate exchange. The formation of transnational associations was of particular importance in this process. Transregional sanctuaries offered an appropriate, “neutral” platform of encounter for such associations. The cults and religious festivals which were jointly celebrated there provided a suitable setting for a reciprocal exchange of views, since common faith in the gods united the Greeks across ethnic and political boundaries.1 A tight bond thus existed between the ritual and the political community. Nonetheless shared cultic identity did not rival but instead complemented political identity. Political independence and the affiliation with such a transnational cultic community, which always had political connotations, were not mutually exclusive but stabilized one another. In Archaic times these were the decisive conditions for a close interaction between states, whose concern was the creation of a permanent balance of individual and collective interests. The right of participation in such “interstate sanctuaries” (Morgan 1990; Morgan 1993; Ulf 1997) depended upon qualifications that differed significantly from case to case. Membership in the Panionion in Asia Minor, for instance, was based upon (alleged) common descent from the Ionians; access to the Panhellenic ritual festivals and agones in Olympia, Delphi, Nemea, and Isthmia was open only to those who, according to the view at the time, could be counted amongst the Greeks. Yet often it was merely the spatial reference that was decisive for affiliation with an interstate sanctuary. From an early date in some parts of Greece, neighboring but politically independent – and often ethnically unrelated – tribes and poleis united to form cultic leagues which were clustered around a sanctuary. In some cases the origins of such unions went back to the Dark Ages; for lack of appropriate sources, the motives for the foundation of such cultic leagues can only be conjectured, at best. There was no shortage of attempts to postulate continuity with Mycenaean times with reference to the very old age of some of the leagues’ central sanctuaries, or to consider league members as components of previously self-contained tribes that fell apart in the Mycenaean period (Wüst 1954/1955; Tausend 1992). Even though the antiquity of many such interstate sanctuaries is beyond question, there is no compelling reason to ascribe the foundation of these leagues to ethnic considerations. The basis of their union was primarily determined by a spatially defined structure; the node of their communication was marked by a central sanctuary. Thus, a realm of clearly defined interaction was established, enabling the existence of an interstate community whose duties consisted not only of the maintenance of the shared cult, but also encompassed all areas of a conflict-ridden interstate arena. 1 According to Hdt. 8,144,2, the “joint sanctuaries and sacrifices” were an integral part of to hellenikon; cf. Parker 1998, 10–24; Konstan 2001; Hall 2002, 189–192; Zacharia 2008; Funke 2009 [2010].
Greek Amphiktyonies
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The notion of spatiality manifests itself in the fact that some of those leagues are referred to as “amphiktyonies” (amphiktyoniai; sing. amphiktyonia), and their members as “amphiktyons” (amphiktiones/amphiktyones; amphi = around + ktizein = dwell, giving “dwellers around”).2 The Delphic amphiktyony was the most renowned among them, but it was not the only one. But even in Antiquity it was considered archetypal | [S. 453] and thus, according to the sources, other comparable associations were named after it. It will therefore be the main topic of the following discussion.
The Role-Model Amphiktyony: Anthela and Delphi The beginnings of the Delphic amphiktyony date to the Early Archaic period. It was probably in the eighth century BCE at the latest that a number of neighboring but independent tribes in Western Central Greece joined to form a league whose cultic center was a sanctuary of Demeter at Anthela, near Thermopylai. Presumably after an indeterminate time lag, the sanctuary of Apollo at Delphi came under the aegis of this league and established itself as its second cultic center. The sanctuary at Anthela kept its central status, but over time the Delphic sanctuary rose to far greater fame. At some point, then, there were two cultic centers in which the league carried out its affairs.3 The league’s early history can only be traced in a rough outline as the earliest evidence dates back to no earlier than the fifth century BCE. Although Homer’s epics and the Homeric hymns describe the importance of the Delphic oracular sanctuary (e. g., Hom. Il. 9,404–405; Hom. h. 3,282–299), they contain no indication of activities of any kind performed by the league at Anthela and Delphi. The accounts of the so-called First Sacred War and the destruction of Krisa/Kirrha, in which the league seems to have participated in some fashion in the early sixth century BCE, do little to unlock the amphiktyony’s early history. The tradition is clearly charged by the armed conflict over Delphi to such an extent that historicity and fiction concerning the First Sacred War can hardly be distinguished. Whether the league was in control of the Delphic sanctuary at that time, or if it won the sanctuary’s supervision only as a result of the First Sacred War cannot even 2 The inconsistent spelling of amphiktiones and amphiktyones in ancient literary and epigraphic sources was already discussed by ancient authors and led to various interpretations about the early history of the Delphic amphictyony (e. g. FGrHist 324 Androtion F 58 ap. Paus. 10,8,1). The different types of spelling seem to be simply dialectal variations; cf. Calabi 1953, 11–26; Sánchez 2001, 32–37; differently Wüst 1954/1955, 142–143. 3 In order to emphasize the importance of this doubling of centers within the league, it is often referred to as Pylaeic-Delphic instead of Delphic amphiktyony, primarily in non-anglophone research: e. g., “pyläisch-delphische Amphiktyonie” (Busolt/Swoboda 1926, 1292–1310); “l’amphiktionie pyléo-delphique” (Lefèvre 1998); “l’amphiktionie des Pyles et de Delphes” (Sánchez 2001). For the sake of brevity, the term (Delphic) amphiktyony will be used here.
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be determined (Parke/Wormell 1956, 99–113; Lefèvre 1998, 13–16; Sánchez 2001, 58–80). “The only incontrovertible fact is that the earliest evidence for amphiktyonic responsibility for the upkeep of Delphi is Herodotus’ (2.180) account of the rebuilding of the temple of Apollo after the fire of 548.” (Morgan 2003, 130). Herodotus is the first to give a clear indication of the function of the sanctuary of Demeter at Anthela as the league’s assembly place: Between the river and Thermopylai there is a village named Anthela, past which the Asopos flows out into the sea. There is a wide space around Anthela in which stands a temple of the amphiktyonic Demeter, seats for the Amphiktyons, and a temple of Amphiktyon himself (Hdt. 7,200,2; cf. also 7,213).4 Here, as on various other occasions (Hdt. 2,180; 5,62; 7,228), the name amphiktyones is used for the first time to designate the members of the league. Even though Herodotus employs the same term on a different occasion (Hdt. 8,104) to mean very generally “those who dwell around a place,” there is no doubt that in these passages amphiktyones is used as a quasi-technical term to denote the members of the league of Anthela and Delphi (Calabi 1953, 11–26). Attic orators attest the term amphiktyonia, derived from the name amphiktyones, no earlier than the mid-fourth century BCE. However, the natural use of this term by Isokrates and Demosthenes (Isokr. 5,74; Demosth. 5,19; 11,4) suggests that the description of the league of Anthela and Delphi as amphiktyony was already in use much earlier, at first referring exclusively to the league of Anthela and Delphi. | [S. 454] Thus the terms amphiktyonia and amphiktyones were not originally generic terms but rather proper names denoting only the league of Anthela and Delphi as well as their members. It was only later that these terms were also transferred to other comparable phenomena (Calabi 1953, 26; Lemche 1977). Nevertheless, the use of the terms remained relatively unspecific and limited to only a few cases, with the result that no clearly defined typology of an amphiktyony can be extracted from the ancient sources. Thus one has to be extremely cautious when grafting the term “amphiktyony” as a category of interpretation onto leagues for which the term is not explicitly testified (cf. Cauer 1894, 1905).5 4 Another early indication confirming Anthela as a meeting place can be found in Sophokles (Trach. 638–639) as well as in an Athenian inscription dating to the mid-fifth century BCE, which mentions the assembly called Pylaia, named after the nearby Thermopylai (IG I3 9; concerning the problematic additions cf. SEG XXIX 4; Sánchez 2001, 109–111). 5 The ongoing discussion about M. Noth’s thesis of an Israelite amphiktyony (Noth 1930) may here be indicated exemplarily; for criticism cf. Smend 1971; Lemche 1977. But the term amphiktyony is often used indiscriminately also in the history of ancient Greek and Roman religion.
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The generic history of what the amphiktyony entailed was already debated in Antiquity. Controversies arose over the semantic meaning of amphiktyones. Attempts to trace the term back to a founder of the amphiktyony called Amphiktyōn were opposed by the explanation that the members of the league were named amphiktyones because they dwelled as neighboring tribes around a common sanctuary (cf. Paus. 10,8,1). Both the narratives about the eponymous hero Amphiktyōn and other, partly contradictory, foundation myths are doubtlessly secondary etiological constructs (cf. Cauer 1894, 1932–1933; Sánchez 2001, 16–37).6 It thus seems best to accept the view that was already represented in the fourth century BCE by the historians Anaximenes (FGrHist 72 Anaximenes F 2 ap. Harpokr. sv. Ἀμφικτύονες) and Androtion (FGrHist 324 Androtion F 58 ap. Paus. 10,8,1): that the terms amphiktyones and amphiktyonia simply referred to the league’s spatial organization. Remarkable here is not so much the notion of neighborhood and vicinity of the league’s members in itself, but rather that this became a defining characteristic of the league’s vocabulary. Evidently, reference to spatial criteria was regarded as the decisive feature of interaction, taking precedence over ethnic bonds or primordial relations.7 However, this realization in no way denies the importance of the sanctuaries at Anthela and Delphi. The amphiktyony’s sanctuaries acted as the guarantors of its cohesion, but that was not their sole purpose. They rather served as central and universally recognized reference points for the amphiktyons’ interaction in a limited but multipolar network of independent tribal confederations. Therefore, from its very beginning, the amphiktyony was not only a cultic league; at the same time it was an early interstate league. Both forms of interaction were inseparably interwoven. Due to the disparate sources, detailed information about the amphiktyony’s composition, internal structure, and competences is available no earlier than the Late Classical and Hellenistic periods. Since the earliest membership lists date from the fourth century BCE, it cannot even be decided with any certainty whether the members had always remained the same or if there had been change and expansion. All ancient authors agree that the amphiktyony had always consisted of twelve members. However, their lists are not only incomplete but also inconsistent, with the result that only a comparison with the 6 The mythological traditions about the Delphic amphiktyony differ in various ways regarding the place of foundation (Anthela or Delphi) as well as the names of the founders (Amphiktyōn or Akrisios). At least part of the origins of these traditions probably goes far back in time, since already Herodotus (Hdt. 7,200) mentions besides the temple of Demeter Amphiktyonis also a temple of Amphiktyōn at the meeting place of the amphiktyony. However, the narratives’ secondary aitiological character is evident. Thus the assumption by Wüst is untenable (Wüst 1954/1955, 132–135; cf. also Tausend 1992, 38–39), who wants to see in the narratives about the hero Eponymos a reminiscence of the existence of a tribal association that was originally closed and had later fallen apart, which in his view formed the amphiktyony’s core. 7 For the meaning of spatial organization for transregional sanctuaries especially in the Dark Ages and the Archaic Period, cf. De Polignac 1995; Morgan 2003; De Polignac 2009, 434–439.
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epigraphic material renders the naming of the members possible at least for the Classical period: Thessalians, Phokians, Delphians, Dorians, Ionians, Perrhaibians along with the Dolopians, Boiotians, (Western and Eastern) Lokrians, Achaians from Phthiotis, Magnetes, Ainianes along with the Oitaians, Malians.8 At first the amphiktyony’s core consisted exclusively of tribal states (ethnē). But after admission to the amphiktyony of the Delphians, Athenians (representing the Ionians together with the Euboians), and the Spartans (Peloponnesian Dorians), the amphiktyony probably experienced changes (cf. Strab. 9,3,7). The inner structure of | [S. 455] the amphiktyony was presumably affected both by Delphi’s assumption of control over the sanctuary and by the consequences of the First Sacred War. It is possible that the doubling of votes was part of these alterations, since in later times the twelve members each held two votes. A possible explanation for the number of votes may be that “distant states such as Sparta and Athens were admitted and then the original tribal votes were doubled; but the question remains obscure” (Ehrenberg 1969, 110). The number of members (12) and of votes (24) remained unchanged until the Roman Imperial era, even though in the Hellenistic period first the Macedonian kings and later the Aitolian league involved the Delphic amphiktyony in their ambitions for political power. While the Macedonian kings temporarily took over the two Phokian votes (Lefèvre 1998, 94–101; Sánchez 2001, 220–268), the Aitolians themselves were never part of the amphiktyony. Instead, they exercised their influence through the votes of those amphiktyons who were members of the Aitolian league, or they assigned votes to some of their new members. This resulted in a very close interweaving of the Delphic amphiktyony and the Aitolian league in the third and early second centuries BCE (Flacelière 1937; Lefèvre 1998, 102–121; Sánchez 2001, 270–363). After the reorganization of the amphiktyony in the second century BCE (Habicht 1987; Sánchez 2001, 364–425), the Augustan era saw a radical revision of the membership and a redistribution of the 24 votes, ten of which were assigned to the recently founded Nikopolis. Further changes followed in the first and second centuries CE due to the political deliberations of the Roman emperors, leading, among other things, to an increase in the number of votes to 30 (Lefèvre 1998, 124–134; Sánchez 2001, 426–436). The regional principle always remained a constituent element of the Delphic amphiktyony during its thousand-year history. The principles of the institutional structures, too, do not seem to have changed over time. Control over the sanctuary at Delphi and the amphiktyony’s increasing involvement in the political affairs of all Greek states resulted 8 Lists of the amphiktyons: FGrHist 115 Theopompos F 63 ap. Harpokr. sv. Ἀμφικτύονες; Aischin. 2,116; Paus. 10,8,2; also Suda s.v. Ἀμφικτύονες. It remains controversial whether Herodotus’ list (7,132) of the Greek tribes that joined Xerxes in 480 BCE or resisted him, is based on a list of amphiktyons (thus Cauer 1894, 1928); cf. also Lefèvre 1998, 21–139; Sánchez 2001, 37–41. 518 (synopsis of the lists of members). About the early history of the Greek tribes cf. Sakellariou 2009.
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in the development of new committees and commissions, and gave rise to a more extensive administrative system. Nevertheless, the core of the amphiktyony’s traditional organizational structure survived. The location, scheduling, and frequency of assembly meetings were strictly adhered to, as was the number of its members. The distribution of seats entitled to vote, whose number was first twelve, and later 24, remained valid until the Augustan era, and can also be traced to the beginnings of the amphiktyony. The equal allocation of votes to all members without any consideration of size or significance resembled early forms of decision-making; in later times, this must have been considered antiquated. But this aspect in particular became the defining criterion of the amphiktyony since the Classical period at the latest. This may explain, then, why such early forms of interaction were retained and survived into later times. Nonetheless, in light of the available evidence, the amphiktyony’s early history remains obscure. The mere fact of its foundation implies a certain degree of regulation and institutional organization (Ehrenberg 1969, 110–111). Thus it was decided that the assemblies, called Pylaiai after the nearby Thermopylai and held twice a year in spring and autumn, were to take place at the sanctuary of Demeter Amphiktyonis at Anthela. When Delphi was added as a second place of assembly, the assemblies were held in both places, but kept their original name. Three names for the representatives sent by the amphiktyons are known from the sources: hieromnēmones, pylagoroi, and agoratroi. The terms pylagoroi and agoratroi are synonyms for one and the same office | [S. 456] (Roux 1979, 26), but the duties of pylagoroi/agoratroi and hieromnēmones cannot be clearly distinguished. Moreover, it is impossible to decide which of the two offices was older, and neither can we determine whether the hieromnēmones had always held voting rights, or if this had once been the right of the pylagoroi. In any case, the later total of 24 hieromnēmones, along with a number of pylagoroi, served as the amphiktyons’ delegates in a council called synhedrion, where all the amphiktyony’s decisions were made (Strab. 9,3,7; cf. also Dion. Hal. ant. 4,25,3).9 The issue of institutional organization is closely related to the (controversial) discussion concerning the amphiktyony’s aims, as well as its associated duties and responsibilities. In early research, not only religious aspects but also political causes were frequently attested during the amphiktyony’s formative phase at Thermopylai (cf. Cauer 1894, 1909– 1910; Busolt/Swoboda 1926, 1292–1294; see also the compilation by Sánchez 2001, 46). In contrast, more recent research emphasizes the amphiktyony’s religious character almost exclusively, denying any political function (e. g. Tausend 1992, 34–47). However, 9 It remains an unsolved question, whether a plenary assembly called ekklēsia existed in the early history of the amphiktyony, in addition to this synhedrion (Aischin. 3,124; cf. Londey 1990, 248–251; Sánchez 2001, 507–509). Cf. regarding the amphiktyony’s institutional structures the examinations by Lefèvre 1998, 179–220 (with a complete compilation of all relevant sources and the research discussions up to now).
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the dichotomous question of whether the foundation of the amphiktyony was either religiously or politically motivated seems misguided to begin with. As Victor Ehrenberg observed (Ehrenberg 1969, 109), “[w]e find it true here, as always in Greece, that to make an absolute separation between the spheres of religion and politics does violence to the facts.” For an analysis of the reasons of the amphiktyony’s foundation, more emphasis should be laid on the amphiktyony’s reference to geography, especially since the name of the amphiktyons acknowledged the spatial factor. As shown above, the union of neighboring but independent ethnē contributed to the development of a common area of interaction that was equally determined by religious and political factors. It is impossible to know exactly how this area of interaction between states was used in the early history of the amphiktyony – as early as Strabo (9,3,7) the ancient authors had already had to admit “that now the facts of olden times are unknown”. Nonetheless, it is likely that Strabo’s very general description of the amphiktyony’s duties hits a core of truth. He identifies them as “both to deliberate concerning common affairs and to keep the superintendence of the temple more in common.”10 It is undisputed that the amphiktyony’s central tasks included the maintenance of its cults and festivals as well as the upkeep of the temples in Anthela and Delphi. However, whether or not deliberation of “common affairs” (ta koina) had always belonged to the amphiktyony’s duties remains an unsolved riddle. The actual meaning of “common affairs” is often defined too narrowly, encompassing either military or economic matters, which can be easily dismissed (e. g., Bowden 2003). Instead, it would be advisable to consider the broader sociopolitical conditions of the Early Archaic period, when the lack of legally binding regulations made the peaceful communication between political communities difficult, if not downright impossible. In such an environment, unification by means of an amphiktyony created a consistent alternative that allowed members to embark on joint deliberations, resolve problems, and determine a collective course of action. Solidarity among the members, based on common cult practices, ensured mutual acceptance and compensated for the lack of other forms of legitimatory support. The amphiktyony was thus probably concerned with the entire spectrum of everyday life in peace and war whenever questions of interstate coexistence were affected. In this sense, then, the amphiktyony also served as a very early authority for the stabilization of interstate relations. | [S. 457] The oath with which the amphiktyons are said to have confirmed their membership also suggests this. A lone reference to this oath can be found, namely in a speech by the Attic orator Aischines dating to 343 BCE:
10 Even though both statements are probably anachronistic and unhistorical in their details (Sánchez 2001, 44–48), the general notion should not be discarded too easily.
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At the same time I reviewed from the beginning the story of the founding of the shrine, and of the first synod of the Amphiktyons that was ever held; and I read their oaths, in which the men of ancient times swore that they would raze no city of the Amphiktyonic states, nor shut them off from flowing water either in war or in peace; that if anyone should violate this oath, they would march against them as one and raze his cities; and if anyone should violate the shrine of the god or be accessory to such violation, or make any plot against the holy places, they would punish him with hand and foot and voice, and all their power. To the oath was added a mighty curse. (Aischin. 2,115) The oath’s historicity has been questioned in recent research (Sánchez 1997; Sánchez 2001, 48–50; cf. but also Lefèvre 1998, 147–151. 352–354). But even if the oath handed down by Aischines was a later construct, the view represented there – that the amphiktyony functioned as an acknowledged intermediary in interstate affairs – was commonly accepted. The decidedly archaic character of the wording also needs to be considered, especially since they targeted not the prevention of war, but merely the regulation of military conflicts that seem to have been thought of as inevitable. Thus they are well “in line with the practices observed in archaic Greek warfare and reflects a deference to Delphi in these matters that almost certainly goes back to the sixth century” (Singor 2009, 597). Ehrenberg’s verdict, therefore, appears to hold true (Ehrenberg 1969, 109): “Apart from the maintenance of cult, it was the special task of the amphiktyony to guarantee certain rules of behaviour between different states.” But in the Archaic period, the interstate activities that were governed by those “rules” remained strictly limited to the territory of the amphiktyony’s members. This is confirmed by the amphiktyonic decisions during the Persian Wars as recorded by Herodotus. Both the announcement of a bounty for the capture of Ephialtes, a man from the tribe of the Malians (members of the amphiktyony), who had revealed to the Persians how to bypass the Thermopylai (Hdt. 7,213– 214), and the honors awarded by the amphiktyons to those who had fallen during the battle at Thermopylai (Hdt. 7,228) concerned the members of the amphiktyony and had an immediate impact on their affairs. All in all, then, in its early phase, the amphiktyony was recurrently and exclusively concerned with matters of common interest in religiosis as well as in politicis. There were no fundamental changes to this even in later times. But the balance shifted somewhat. A law of the amphiktyons, published in 380 BCE in Athens (CID I 10/CID IV 1; cf. also IG II2 1126), records that the duties of the hieromnēmones were apparently reorganized (cf. Sánchez 2001, 153–163). This law, along with numerous other resolutions, clearly shows that the tasks relating to the assumption of control over the sanctuary at Delphi increasingly rose in importance, while others were given less attention. Since, in the Greek system of city-states other legal forms developed that governed the interstate behaviour of
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poleis, the role of the amphiktyony in that realm gradually diminished over time. Henceforth, its primary responsibility was reduced to the governance of the sanctuary at Delphi which occupied the everyday affairs of the amphiktyony, although it did not engage in the cultic affairs of the sanctuary itself. Rather, the amphiktyony | [S. 458] dealt with the maintenance of the buildings, the management of the temple’s great assets, and the supervision of the “holy territory” dedicated to Apollo. In addition, the organization and management of the Panhellenic games in Delphi (Pythia and since the third century BCE Sōtēria) belonged to its duties. The great reputation enjoyed by Delphi among the Greeks as the location of Panhellenic games, but also as the most “international” oracle in the ancient world, had the effect that the boundaries between amphiktyonic, Panhellenic, and international authorities became increasingly blurred. Thus the amphiktyony was also involved in political conflicts outside its actual borders, becoming more and more exposed to the danger of political instrumentalization (Hornblower 2009). The amphiktyony gradually grew into a new role, even though its institutional character, in principle, remained unchanged. It may even have profited from keeping the traditional forms and methods. Its traditional basis in the religious sphere gave it recognition and influence even on an international level where it technically lacked institutional power. Simon Hornblower calls this the “‘soft’ political aspect” (Hornblower 2009, 50). However, the associated turn to the outside caused a fundamental change in the amphikyony’s defining features. Given a history of more than a thousand years, this might not seem surprising.
Spatial Connectivity at Sea: The Amphiktyony of Delos The notion of maritime connectivity, as coined by Horden and Purcell (Horden/Purcell 2000, esp. 123–172), captures a characteristic feature of the Mediterranean region. In the case of the Aegean, the sea was not a dividing, but a connecting element. The sea fulfilled the important function of bridging the gap between the numerous islands, thus creating a maritime communication area whose participants were, apparently from very early on, closely connected by their common religious and cultic traditions without sacrificing their independence. As Christy Constantakopoulou (Constantakopoulou 2007, 29) observes: Island interaction and networking is at the heart of the history of the Aegean. … Religious activity … was one of the ways through which interaction between communities was expressed. More particularly, the formation of religious amphiktyonies in the Archaic period was one of the ways in which island interaction was manifested. We are fortunate to have enough information … about two early religious amphiktyonies centerd on islands: that of Calauria in the Argosaronic sea, and that of Delos in the Aegaean.
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It is important to note, however, that the evidence for the application of the term “amphiktyony” for the sanctuary of Poseidon in Kalaureia stems only from the Hellenistic period. In the case of the sanctuary of Apollo at Delos there is no direct evidence at all; the usage of the term can only be conjectured. Early sources mention the existence of a sanctuary at Delos, known and visited by people from all over the Aegean (cf. Hom. h. 3,146–164), but nowhere is it referred to as belonging to an amphiktyony. However, in this context the official name amphiktyones, held by the Athenian magistrates who controlled the Delian sanctuary in the fifth and fourth centuries, has been attested. After the Athenians had assumed control over the sanctuary in the middle of the fifth century BCE, the Athenian amphiktyones were responsible for the | [S. 459] sanctuary’s administration (Chankowski 2008, 41–47. 149–233). These amphiktyones are first mentioned in an account of 414/413–411/410 BCE (IG I3 1459/I.Délos 92). The amphiktyones continued to exercise their function until 314 BCE (with a few short interruptions).11 In accordance with older research, Constantakopoulou has expressed the belief that the naming of the Athenian magistrates as amphiktyones contains a reminder of the existence of an older Delian amphiktyony: “By using the term amphiktyones, Athenian officials adopted the role of the representatives from the entire network of participants that constituted in a previous era the religious network around Delos and now the official allies of Athens” (Constantakopoulou 2007, 70; cf. also Smarczyk 1990, 475–480). In contrast to this view, Véronique Chankowski (Chankowski 2008, 5–49) recently voiced the opinion that all attempts to establish a connection between the naming of the Athenian magistrates as amphiktyones and the existence of an early Delian league are futile. She believes that the title was the result of an ideological construct of the Athenians through which they wanted to associate their commitment on Delos with the activities of the Delphic amphiktyony, thus providing yet another buttress to their contemporary hegemony. Chankowski’s view deserves consideration insofar as the use of the term amphiktyones was without doubt a secondary, later adaption of what was at first, in the rigid sense, a Delphic terminology (cf. above). Furthermore, it is plausible to relate this adaption to the Athenians’ political intentions in the fifth century BCE. But it remains doubtful as to whether or not this observation itself suffices to question the existence of an association that resembled a Delphic amphiktyony, with the sanctuary of Apollo on Delos as its center. The use of Delphic terminology for the administration of the Delian sanctuary would not have been possible unless the conditions on Delos were to some degree 11 In the case of the earliest preserved account of 434/433 BCE (IG I3 402/I.Délos 89; also Meiggs-Lewis, GHI 2 62) the prologue, which probably contained a mention of the amphiktyones, does not survive. For the other accounts of the amphiktyones from the fifth and fourth centuries BCE cf. IG I3 1460–1461/I.Délos 94–95; I.Délos 96–104 (33); in addition Rhodes-Osborne GHI, 28; now also the epigraphic appendix by Chankowski 2008, 413–497 with important emendations and comments.
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analogous to those at Delphi. The Athenians’ ideological appropriation of the Delian sanctuary also indicates the existence of a comparable cultic union on Delos at the time. Archaeological evidence supports this assumption. The early monumentalization of the sanctuary at Delos with the construction of three temples and numerous treasuries (oikoi) clearly speak to the active engagement of many neighboring states as early as the Archaic period (Constantakopoulou 2007, 49–53). It seems thus reasonable to suppose that these states undertook such building on Delos as members of a transnational cultic association, as described in the early depiction of cultic festivals on Delos in the Homeric Hymn to Apollo (Hom. h. 3,146–164). There is good reason, then, to posit the existence of an early cultic league that clustered around the Delian sanctuary. However, this begs the question of how this cultic league was specifically amphiktyonic, rendering it similar to the Delphic amphiktyony and leading to the possibility of a terminological association between the two leagues as bolstered by the Athenians. As indicated above, geographical proximity of the members of the Delphic amphiktyony was regarded as the main catalyst of their interaction. Evidently, this was also the defining characteristic of the Delian association. Even though the ancient sources often mention an Ionian hegemony on Delos, and the sanctuary on Delos functioned as a cultic center for all Ionians, ethnic affiliation was not the decisive criterion for membership in the Delian cultic association (contra Tausend 1992, 47–55). Thus Herodotus (4,35,3) consistently calls the members “the islanders and Ionians,” and Thucydides (3,104,3; cf. also Strab. 10,5,2) names them “Ionians and the islanders round about.” The common worship of Delian Apollo was not at all limited only to | [S. 460] Ionian poleis. Constantakopoulou (Constantakopoulou 2007, 38–53) assembles the archaeological evidence, disclosing a strong presence of many non-Ionian island communities in the Delian sanctuary as early as the Archaic period (cf. also Schachter 1986, 212–214).12 The Delian cultic association was therefore primarily based on a spatial, not an ethnic, system of relations. The connecting element was a “conscience regionale” (Prontera 1989, 177). Constantakopoulou (Constantakopoulou 2007, 49. 58) has thus concluded that the early cult network of the Delian Apollo was “primarily a nesiotic, rather than Ionian, network” and that “Delos was the religious centre not of a purely Ionian world but predominantly of a nesiotic world.” It is likely that the spatial system of relations of this “nesiotic world” gave the Delian cultic association its unique character as early as the Archaic period. On the one hand, it distinguished it from similar cultic associations whose existence was primarily founded upon a common ethnic origin; on the other hand, it turned the association into a Del12 Furthermore, the use of the name of the month-name Dalios in many Doric states hints at the participation of non-Ionian poleis in the Delian cult of Apollo from very early on. Many Doric states had adopted the worship of Apollo Delios as part of their own state cults; cf. Smarczyk 1990, 474–475; Chankowski 2008, 18–19.
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phic analogue, inviting the adoption of amphiktyonic terminology. The reasons for the creation of an amphiktyonic union with the sanctuary of Apollo on Delos as its center would have been similar to those that led to the foundation of the Delphic amphiktyony. In both cases the aim was to intensify interstate connectivity in an area of limited size, either on land or at sea. The shared cult created a platform (if only a rudimentary one) that facilitated coexistence at a time when other forms and procedures of interstate relations had not yet been developed. Next to nothing can be said about the institutional organization of the Delian amphiktyony. The question of who had been responsible for the sanctuary’s administration before the Athenians assumed control in the fifth century BCE remains open. The same applies to the later development of the original Delian cultic community, after Delos had become the center of the newly founded Delian league in 478/477 BCE. Bernhard Smarczyk (Smarczyk 1990, 478–479) assumes that the choice of Delos as center of the Delian league was not immediately associated with the Delian amphiktyony, but that the latter continued to exist independent of the Delian league even after 478/477. In contrast, Constantakopoulou (Constantakopoulou 2007, 62) conjectures that “the idea of transformation of the archaic religious network centred at Delos into the imperial network of allies of the Delian league.” Due to the lack of appropriate sources it is impossible to decide between these positions. The third stance is, of course, to deny the existence of a Delian amphiktyony in the Archaic period, as suggested by Chankowski 2008, yet this seems hardly convincing.
The Other Amphiktyonies: Kalaureia and Onchestos Even though originally only the cultic league of Anthela and Delphi was called an amphiktyony, the designation is attested for two other cultic unions. Strabo uses the term when he describes the two sanctuaries of Poseidon in Boiotian Onchestos (Strab. 9,2,33) and on the island Kalaureia (modern Poros) in the Saronic Gulf (Strab. 8,6,14). Since Strabo probably wrote this with earlier descriptions of the Late Classical and Hellenistic periods in mind, it is likely that his terminology, too, goes back to these sources. However, it is impossible to determine when and under what circumstances the Delphic terminology was transferred to the cultic associations of Onchestos and Kalaureia. In contrast, it | [S. 461] is possible to show that these two cultic associations, too, were essentially defined as consisting of neighboring entities which did not necessarily share a common ethnic affiliation. It was precisely this spatial organization that turned these associations into Delphic analogues. “Onchestos is the place where the Amphiktyonic council (to amphiktyonikon) usually assembled.” This short remark by Strabo (9,2,33) is the sole mention in the entire ancient
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tradition of the existence of an amphiktyony at the sanctuary of Poseidon in Onchestos. There are no further indications regarding the amphiktyony’s age, institutional organization, or responsibilities. The sanctuary was located on the top of a pass between the Teneric plain and the Kopais basin (Schachter 1986, 207–208. 212; Schachter 1992, 47–48; Kühr 2006, 289). This strategically convenient location may well have been the decisive factor in the choice of the sanctuary of Poseidon as the center of an amphiktyony, whose members shared an interest in protecting an orderly interstate coexistence in this region. Therefore, the circle of members of this amphiktyony does not appear to have been limited to Boiotia, but probably also encompassed “the older, non-Boiotian, stocks in Boiotia, such as the Oropians, and the inhabitants of trans-Asopic territories” (Buck 1979, 90). So the decisive criterion for membership in this amphiktyony was again the aspect of geography and not the idea of ethnic affiliation.13 Even though the cultic traditions may have gone back as far as the Mycenaean period (cf. Schachter 1986, 214– 220), the amphiktyony’s foundation probably took place as late as the post-Mycenaean period. In the late sixth century BCE, a series of profound changes led to the foundation of a first Boiotian league, and those changes would have also triggered the gradual erosion of the existing amphiktyonic structures. The sanctuary of Poseidon at Onchestos, along with the sanctuary of Athena Itonia at Koroneia, developed into a cultic and political center of the new Boiotian league and finally became the league’s capital in the Hellenistic period (Roesch 1982, 266–282). For the existence of an amphiktyony at the sanctuary of Poseidon on the island of Kalaureia, Strabo (8,6,14) is once again the main witness: There was also some kind of amphiktyony [amphiktyonia tis] connected with this temple, consisting of seven cities, which performed sacrifices in common. These were Hermion, Epidauros, Aigina, Athens, Prasiai, Nauplia, and Minyan Orcho menos. The Argives contributed on behalf of Nauplia, and the Lakedaimonians on behalf of Prasiai.
13 Tausend 1992, 26–28 also speaks of an originally non-Boiotian character of the amphiktyony of Onchestos. However, he sticks to his hypothesis that amphiktyonies were always based on ethnic relations, and thus postulates for the sanctuary of Onchestos a tribal cult with Ionian origins, which was later on performed with the participation of the Boiotians. At the same time he assumes the existence of an amphiktyony also for the sanctuary of Athena Itonia at Koroneia. But there is no indication that the cultic association of this sanctuary was organized as an amphiktyony, nor that it was named as such. It is necessary to always distinguish between the two types of cultic association. The membership of the amphictyony of Onchestos based on ethnic relations was fundamentally different from the exclusively Boiotian cultic association of Koroneia. It is precisely this difference that marks the distinction between an amphiktyony and other cultic associations.
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This short remark is the sole indication in the ancient literary tradition of the amphiktyony of Kalaureia. With the exception of Orchomenos, labelled “Minyan” here by Strabo and thus clearly the Boiotian Orchomenos, all member states were located near the Saronic Gulf (cf. Constantakopoulou 2007, 30, fig. 3). The only explanation for the membership of Boiotian Orchomenos is that at the time of the amphiktyony’s foundation it had access to the Euboian Gulf and was thus also a “coastal” state, although relatively remote (Wilamowitz-Moellendorff 1896, 167–168; Harland 1925, 163).14 The membership of Orchomenos is telling, as is the absence of Troizenians from the league, to whom the sanctuary on Kalaureia belonged, and of a few important naval powers, such as Korinth or the Euboian port cities. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1896, 163–164) doubted the completeness of the membership list for these reasons, but it is impossible to confirm or rebuke his doubts. Be that as it may, the membership list as provided by Strabo contains decisive information about the amphiktyony’s period of foundation. It shows that originally both Nauplia and Prasiai were independent members of the amphiktyony; | [S. 462] the Argives and Lakedaimonians took their place only after Nauplia had been conquered by the Argives in the second half of the seventh century BCE (FGrHist 115 Theopompos F 383 ap. Strab. 8,6,11; Paus. 4,24,4; 4,35,2), and Prasiai had been taken by the Lakedaimonians soon after the middle of the sixth century (Hdt. 1,82). Thus the conquest of Nauplia is a terminus ante quem for the amphiktyony’s foundation, allowing the assumption that this event took place in the course of the eighth or in the first half of the seventh century BCE (Constantakopoulou 2007, 32–36; cf. also Mylonopoulos 2003, 427–431; Mylonopoulos 2006, 133–136).15 Important additions to the information given by Strabo are offered by a small fragment of an inscription found in the late nineteenth century during the archaeological excavations in the sanctuary of Poseidon at Kalaureia, dating to the second century BCE (IG IV 842). In spite of the fragmentary character of the inscription, reference to the amphiktyons and the hieromnamones is manifest, which indicates the amphiktyony’s existence in Hellenistic times. Furthermore, it shows that the amphiktyony’s contemporary institutional structures were apparently shaped according to the model posed by the Delphic amphiktyony. The question of when Delphian nomenclature was adopted, however, remains unanswered. Wilamowitz-Moellendorff (1896, 160–161) expressed the 14 As early as Curtius 1876, 388–390, and most recently Kelly 1966, 120–121, scholars have questioned the information given by Strabo and supported an equalization with Orchomenos; cf. Breglia 2005 and Constantakopoulou 2007, 31–32 who do not agree. 15 With reference to the discovery of a Mycenaean sanctuary at the Eastern coast of the peninsula of Methana in 1991 J. Mylonopoulos proposes the existence of an amphiktyony already for the Mycenaean period, which, according to him, fell apart at the beginning of the Dark Ages. However, there is no indication whatsoever for this assumption, even if it was true that the cultic worship of Poseidon in this region went back to the Mycenaean period.
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grounded belief that the amphiktyony had ceased to exist in the Classical period and was not revived until the Hellenistic period when for a short time and under new auspices it experienced an “artificial rebloom” (cf. also Busolt/Swoboda 1926, 1281; Mylonopoulos 2003, 429; Mylonopoulos 2006, 135). It is therefore impossible to decide whether terms like amphiktyons and hieromnamones were introduced during the Hellenistic period or had already been in use earlier. Despite these uncertainties, it seems nevertheless safe to postulate its amphiktyonic character as early as the Archaic period; most likely, it was a Delphic analogue. The many attempts to put the circumstances and aims of the Kalaurian amphiktyony’s foundation in concrete terms are hardly convincing (cf. the compilation of various, and at times rather speculative, explanations in Mylonopoulos 2003, 430; Mylonopoulos 2006, 135–136). As in the case of Delos, the Kalaurian amphiktyons, too, were presumably mostly concerned with the creation of a neighborhood organization on a cultic basis, in order to improve their maritime connectivity. Inspired neither by ethnic relations nor by tribal togetherness, the driving force of their interaction came from the shared maritime space that the members of this association inhabited.16 The Kalaurian amphiktyony thus ultimately aimed at improving their coexistence and balancing their divergent interests. This motive is probably also reflected in the ancient tradition, according to which the island Kalaureia used to carry the name Eirēnē (“Peace”) in earlier times (Aristot. fr. 597 R3 ap. Plut. mor. 295e–f; FGrHist 140 Antikleides F 9 ap. Harpokr. s.v. Kalaureia; Phot. s.v. Kalaur(e)ia).
Amphiktyonic Approaches Not every cultic association with a transregional sanctuary at its center was an amphiktyony. In Antiquity, the relatively unusual term “amphiktyony” appears to have described a very specific form of cultic association. Its essential constituent was the creation of a | [S. 463] space sanctioned by a common cult that allowed interaction between a certain number of neighboring tribes or poleis. The political independence of the members was decisive – they were not, or not necessarily, ethnically or tribally related. Thus the many tribal sanctuaries in Central Greece or the Peloponnese were not amphiktyonies as such. Rather, they served as platforms for the consolidation and manifestation of solidarity between those who participated in them. In amphiktyonies, by contrast, the notion of interstate relations was prevalent. It is not always possible to distinguish clearly between amphiktyonies and other transregional cultic communities. There were some amphiktyonic associations that were not 16 Constantakopoulou 2007, 36–37 argues against the opinion that the Kalaurian amphiktyony was a cultic association of local non-Dorian cities (e. g. Foley 1988, 163; Tausend 1992, 18–19).
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explicitly named amphiktyonies but could nevertheless be counted among this category due to the composition of their members and their objectives. One of them was, for example, the cultic association at the sanctuary of Poseidon at Samikon on the western coast of the Peloponnese (Strab. 8,3,13), whose members merged to form the ethnically and politically related group of the Triphylians in the Late Classical period (Nielsen 1997; Ruggeri 2004, 96–102; Ruggeri 2009, 54–55; Parker 2009, 197–198).17 In Asia Minor, the cultic leagues of the Panionion18 on the Mykale peninsula and of the Triopion19 near Knidos also had an amphiktyonic character. Although ethnic (Ionic or Doric) identity was a requirement for membership, not all ethnically related states were necessarily entitled to participate. In truth both leagues consisted of an exclusive group of states, whose union was presumably the result of political motivations more than anything else. Amphiktyonic leagues were a particular phenomenon of early Greek history. They were an attempt to overcome the fragmentation of the Greek system of developing citystates as early as the Dark Ages and the Archaic period. At the same time, they became early models for the development of new forms of federal integration in the Classical and Hellenistic periods (see McInerney 2013). Most of the amphiktyonies did not survive the dynamic changes of the Late Archaic and Classical periods, unless they absorbed new responsibilities along the way, which transcended the amphiktyony’s original goals – Delphi and Delos are the most obvious examples for this. Other amphiktyonies (e. g., the Panionian or the Kalaurian amphiktyony) were revived in the Hellenistic period to experience a short period of resurgence, most likely in response to a particular sense of religious atavism. But, as the grand-scale monarchies of the Hellenistic world cast a longer shadow over Greek affairs, the original purpose of amphiktyonic governance had long faded into obscurity.
Bankel 2004: H. Bankel, Knidos. Das Triopion. Zur Topographie des Stammesheiligtums der dorischen Hexapolis, in: E.-L. Schwandner/K. Rheidt (Hgg.), Macht der Architektur – Architektur der Macht, Mainz 2004, 100–113. Berges 2006: D. Berges, Knidos. Beiträge zur Geschichte der archaischen Stadt, Mainz 2006. Bowden 2003: H. Bowden, The Functions of the Delphic Amphictyony before 346 BCE, SCI 22, 2003, 67–83. Breglia 2005: L. Breglia, The amphictyony of Calaureia, AncW 36, 2005, 18–33. Buck 1979: R. J. Buck, A History of Boeotia, Edmonton 1979. Busolt/Swoboda 1926: G. Busolt/H. Swoboda, Griechische Staatskunde, Bd. 2, München 1926. 17 Differently Tausend 1992, 19–21, Mylonopoulos 2003, 431–432, and Mylonopoulos 2006, 137–140 who assume that ethnic relations united the cultic association of Samikon from very early on. 18 For a summary see Smarczyk 1990, 353–359; cf. also Lohmann (et al.) 2007. 19 Bankel 2004; Berges 2006. Cf. also Forrest 2000, 281–283.
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II. Polisübergreifende politische Organisationsformen
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Alte Grenzen – neue Grenzen Formen polisübergreifender Machtbildung in klassischer und hellenistischer Zeit
Von Phasis an den Hängen des Kaukasus im Osten bis zu den Säulen des Herakles, den Felsen von Gibraltar, im Westen säßen die Griechen rund um das Schwarze Meer und das Mittelmeer wie Frösche um einen Teich. So beschreibt Sokrates im platonischen Dialog Phaidon die geographische Ausdehnung der griechischen Staatenwelt in klassischer Zeit.1 Was diesen griechischen „Fröschen“ gemeinsam war, das hatte schon Herodot auf den Punkt gebracht und als to hellenikón bezeichnet, das er dann noch präzisierte, indem er gleiches Blut und gleiche Sprache, gleiche Heiligtümer und Opfer sowie gleichgeartete Sitten als gemeinsame und alle Griechen verbindende Merkmale dieses hellenikón herausstellte.2 Was die „Frösche“ aber trennte, das waren ihre politischen Organisationsformen. Mochten diese strukturell auch noch so ähnlich sein, so bildeten sie doch die institutionalisierte Grundlage einer Staatenwelt, die sich aus mehr als 800 selbstständigen politischen Gemeinwesen zusammensetzte. Sie alle fühlten sich zwar mehr oder weniger dem hellenikón zugehörig, waren aber zugleich aufs sorgsamste darauf bedacht, in politicis ihre jeweilige Eigenständigkeit – ihre eleutheria und autonomia, ihre Freiheit nach außen und innen – zu behaupten. Das galt grundsätzlich für alle poleis und gleichermaßen auch für die stammesmäßig organisierten ethne, und zwar stets ganz unabhängig von ihrer jeweiligen Größe. Dass entsprechende politische Ansprüche allerdings nicht von jeder Polis mit gleichem Gewicht und Nachdruck im zwischenstaatlichen Miteinander durchgesetzt werden konnten, steht auf einem anderen Blatt und soll hier nicht näher ausgeführt werden. Ganz unabhängig davon aber fand dieses unbedingte Beharren einer jeder Polis auf politischer | [S. 188] Eigenständigkeit seinen sichtbaren Ausdruck auch in der Bestimmung und Umgrenzung des jeweiligen Polisterritoriums. Die Geschichte der griechischen Polis ist von Beginn an immer auch die Geschichte von Grenzverletzungen und territorialen Konflikten. Und nicht von ungefähr bildete sich als eines der frühesten Instrumente im zwischenstaatlichen Verkehr die griechische Schiedsgerichtsbarkeit zur Regelung von Grenzkonflikten aus.3 Mochte also die griechische Polis auch vornehmlich durch einen personalen Charakter gekennzeichnet gewesen sein und sich primär als Bürgerverband verstanden haben, so wird man mit Blick auf die realen Verhältnisse kaum mit Franz Hampl von „Poleis ohne Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: R. Albertz/A. Blöbaum/P. Funke (Hgg.), Räume und Grenzen. Topologische Konzepte in den antiken Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes, München 2007, 187–204. 1 Plat. Phaid. 109a–b. 2 Hdt. 8,144,2. 3 Vgl. die Zusammenstellung der entsprechenden zwischenstaatlichen Vereinbarungen aus archaischer und klassischer Zeit bei Piccirilli 1973.
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II. Polisübergreifende politische Organisationsformen
Territorium“ sprechen können, denen so etwas wie eine „staatliche Gebietshoheit“ gänzlich fremd gewesen sei.4 Die klare Abgrenzung eines festen Territoriums gehört zweifellos zu den konstituierenden Faktoren einer Polis. Das hat auch Klaus Freitag unter dem Aspekt der Konstruktion und Wahrnehmung von Räumen und Grenzen in der griechischen Staatenwelt deutlich herausgestellt.5 Und hieran sollen die folgenden Überlegungen unter dem Blickwinkel der Wirksamkeit und Überwindung von Räumen und Grenzen unmittelbar anschließen. Dabei können allerdings nicht einmal ansatzweise alle Facetten dieses vielschichtigen und komplexen Themas erörtert werden. Es wird vielmehr vor allem darum gehen, nur einige wenige zentrale Aspekte der rechtlichen Ausgestaltung grenzüberschreitenden – im Sinne von polisübergreifenden – Agierens zur Sprache zu bringen, um auf diese Weise zumindest die Grundlinien der hier in Frage stehenden Problematik nachzuzeichnen. Fragen wir zunächst nach der generellen Wirksamkeit der Polisterritorien und ihrer Grenzen, so dürfte diese mit Blick auf die Gesamtheit der griechischen Staatenwelt auf der Hand liegen. Die Koexistenz zahlloser, ganz unterschiedlich großer und in ihren Interessen vielfach divergierender, immer auf ihrer Eigenständigkeit beharrender Gemeinwesen musste im zwischenstaatlichen Miteinander einen dauerhaft prekären Zustand erzeugen, zumal es außer einem nur sehr rudimentär wirksamen Fremden- und Gastrecht keine allgemein anerkannten völkerrechtlichen Regeln und Normen | [S. 189] gab.6 Mit der Zunahme der Interaktionen zwischen den einzelnen Staatswesen wuchs daher auch deren inhärente Konflikthaltigkeit und damit aber auch das Bedürfnis, Strategien zum Interessensausgleich und zur Beherrschung möglicher Auseinandersetzungen zu entwickeln, wenn man nicht willens oder imstande war, einen offenen Konflikt in Permanenz auszuhalten. Die Gründe konnten vielfältig sein, auf einen bi- oder multilateralen Ausgleich zu sinnen und damit die eigenen Grenzen wenn schon nicht zu überwinden, so doch zumindest – nicht allein im übertragenen Sinne – zu überschreiten. Da hier nur einige erste, grundsätzliche Überlegungen zu einem sehr viel komplexeren Thema dargelegt werden sollen, möchte ich es bei der Benennung von drei eher allgemeineren Kategorien von Motivationen belassen, ohne weiter ins Detail zu gehen: 1. An erster Stelle ist das Bedürfnis zu nennen, die Regelung gemeinsamer Interessen im zwischenstaatlichen Verkehr gegenseitig anerkannten, rechtlich bindenden Vereinbarungen zu unterwerfen. Hier ist das Spektrum besonders breit und reicht von der Anerkennung gemeinsamer Grenzen über Fragen des Weiderechts
4 Hampl 1939. 5 Vgl. dazu Freitag 2007. 6 Busolt/Swoboda 1920–1926, 18–27.
Alte Grenzen – neue Grenzen
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und der Handelsbeziehungen bis hin zur Akzeptanz von Eheschließungen zwischen Bürgern verschiedener Poleis. 2. Ein weiterer Beweggrund ergibt sich aus dem Bestreben, die Ausweitung der Herrschaft einer Polis über die eigenen Grenzen hinaus offensiv zu betreiben und Lösungsmöglichkeiten für die damit verbundene Integration der unterworfenen bzw. hinzugewonnenen Poleis in den erweiterten Machtbereich zu finden. 3. Ein dritter Begründungszusammenhang ergibt sich quasi im Umkehrschluss aus dem vorangegangenen Punkt und stellt in gewisser Weise die defensive Variante des zuvor Gesagten dar: Gemeint ist das Zusammengehen von zwei oder mehreren Poleis zur Stabilisierung und Stärkung der eigenen Stellung – in der Regel in Reaktion auf sich verändernde machtpolitische Gesamtkonstellationen. Auch wenn mit diesen drei Aspekten der Motivationshaushalt noch keineswegs ausgeschöpft ist, dürften aber doch zumindest die wichtigsten Eckpunkte für unsere Frage nach möglichen Gründen für polisübergreifendes Handeln hiermit benannt sein. Diese mit dem staatlichen Partikularismus verbundenen Problemfelder zwangen die Griechen, nach Mitteln und Wegen zu suchen, ihre zwischenstaatlichen Beziehungen auf geregelte Grundlagen | [S. 190] zu stellen. Betrachtet man die griechische Verfassungsgeschichte unter diesem Aspekt, so erscheint sie wie ein einzigartiges großes Experimentierfeld, auf dem immer wieder neue Institutionen und Instrumentarien zur Lösung der bezeichneten Konflikte entwickelt wurden. Auf die schon sehr frühe Ausbildung von Schiedsgerichtsverfahren habe ich bereits hingewiesen. Hierbei unterwarfen sich die Poleis der Entscheidung eines Richterkollegiums, das von den Konfliktparteien im gegenseitigen Einvernehmen bestellt wurde. Die Schiedsrichter stammten in der Regel aus unbeteiligten, oft aber mit den streitenden Parteien befreundeten Staaten. Die Akzeptanz der Urteile hing – wie vielfach auch noch im heutigen internationalen Recht – sowohl von der Autorität der Entscheidungsinstanz wie auch vom guten Willen der beteiligten Poleis ab.7 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang aber auch die Bildung staatenübergreifender Zusammenschlüsse in der Form von Vereinigungen benachbarter Stämme und Poleis um ein gemeinsames zentrales Heiligtum zu so genannten Amphiktyonien.8 Die Apollon-Heiligtümer in Delphi und auf der Insel Delos und das Poseidon-Heiligtum 7 Zum Schiedsgerichtsverfahren im zwischenstaatlichen Verkehr in der griechischen Staatenwelt vgl. Busolt/Swoboda 1920–1926, 1257–1259; Piccirilli 1973; Ager 1996; Magnetto 1997. In diesen Werken, die eine Zusammenstellung aller Fälle von der archaischen bis zur hellenistischen Zeit bieten, finden sich auch Hinweise auf weitere relevante Forschungsliteratur. 8 Grundlegend zu den griechischen Amphiktyonien immer noch: Busolt/Swoboda 1920–1926, 1280–1310; vgl. auch Tausend 1992, 19–63 und Siewert/Aigner-Foresti 2005, 19–24 mit der neueren Literatur; speziell zur pyläisch-delphischen Amphiktyonie s. Lefèvre 1998; Sánchez 2001.
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II. Polisübergreifende politische Organisationsformen
in Kalaureia im Osten der Peloponnes waren die kultischen Zentren der bedeutendsten Amphiktyonien, deren Aufgaben sich aber nicht in der Pflege eines gemeinsamen Kultes erschöpften; vielmehr verpflichteten sich die Mitglieder, die politisch unabhängige Staaten blieben, in ihren durch Eide bekräftigten Übereinkünften, auch im Konfliktfall bestimmte Regeln im zwischenstaatlichen Miteinander einzuhalten, um wenigstens die Existenzgrundlagen aller Amphiktyonen sicherzu- | [S. 191] stellen. Somit fungierten die griechischen Amphiktyonien als eine sehr frühe Instanz zur Stabilisierung zwischenstaatlicher Beziehungen.9 Eine andere Form eines staatenübergreifenden Zusammenschlusses waren die Symmachien, Kampfbündnisse, die vorrangig militärische Ziele verfolgten. Eine Symmachie konnte defensiv ausgerichtet sein und der Abwehr eines gemeinsamen Feindes dienen; sie konnte aber auch auf die Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges abzielen. Die Zweckbestimmung sowie die oft sehr präzisen Regelungen der Beistandsverpflichtungen und der Verteilung der militärischen Kompetenzen und Führungsaufgaben wurden vertraglich festgelegt und von den Bündnispartnern beeidet.10 Ein sehr typisches Beispiel für eine solche Symmachie war die Gründung des gegen die Perser gerichteten Hellenenbundes im Jahre 481.11 Symmachiale Verträge konnten aber auch die Grundlage großräumiger Bündnissysteme bilden, auf denen einzelne Staaten ihre Vormachtstellung aufbauten. Durch den Abschluss jeweils zweiseitiger Beistandsvereinbarungen und deren Bündelung in einer Hand konnte eine auf Vorherrschaft drängende Polis ihre Führungsrolle absichern. Die Verträge wurden dann in der Regel ohne zeitliche Begrenzung abgeschlossen und enthielten mit der Verpflichtung, „die gleichen Freunde und Feinde zu haben“, eine nur sehr allgemeine Zweckbindung, die der jeweiligen Führungsmacht einen großen außenpolitischen Handlungsspielraum einräumte. Der Peloponnesische Bund unter der Führung Spartas und der Delisch-Attische Seebund unter der Führung Athens sind hier die bekanntesten, aber keineswegs einzigen Beispiele solcher hegemonialen Symmachien,12 die auch in hellenistischer Zeit durchaus noch als ein polisübergreifendes Herrschaftsinstrument Anwendung fanden. | [S. 192] Alle diese Formen zwischenstaatlichen Agierens sind bekannt und bedürfen hier nicht der weiteren Erörterung. Es sind dies Teile eines noch viel breiteren Spektrums von Formen zwischenstaatlicher Beziehungen, die zwar einer engen, polisübergreifenden 9 Vgl. Aischin. 2,115. Selbst wenn die bei Aischines überlieferte Eidesformel ein spätes Konstrukt sein sollte [so etwa Sánchez 1997; s. aber auch Lefèvre 1997, 147–151], zeigt doch die diesem Konstrukt dann zugrundeliegende Sichtweise, dass die politische Funktion der delphischen Amphiktyonie als Regulativ im zwischenstaatlichen Miteinander erkannt und im Blick war. 10 S. (mit der älteren Literatur) Tausend 1992; Baltrusch 1994 und Schmitt 2005a. 11 Staatsverträge 2, 130; vgl. auch Baltrusch 1994, 30–51; Kienast 2003 mit der älteren Literatur. 12 Vgl. (mit weiterführender Literatur) zum Peloponnesischen Bund: Baltrusch 1994, 19–30 sowie die zusammenfassende Darstellung von Birgalias 2003; zum Delisch-Attischen Seebund: Meiggs 1972; Schuller 1974; Steinbrecher 1985; Smarczyk 1990; Baltrusch 1994, bes. 52–68.
Alte Grenzen – neue Grenzen
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Kooperation zwischen einer unterschiedlich großen Anzahl von Staaten dienten, die aber doch zumindest im Kern den Bestand jedes dieser Staaten unberührt ließen und den Handlungsspielraum der Poleis allenfalls hinsichtlich ihrer außenpolitischen Entscheidungen einengten. So besehen blieben also die Existenz der Poleis grundsätzlich gewahrt und ihre jeweiligen Grenzen wirksam und unangetastet. Für den Delisch-Attischen Seebund gilt das allerdings – zumindest in seiner Schlussphase – nur noch sehr bedingt. Um die Mitglieder enger an sich zu binden, griffen die Athener mit immer rigideren Mitteln auch in die inneren Angelegenheiten ihrer Bündner ein und verletzten zunehmend deren Autonomie. Diese Integrationsbestrebungen gipfelten dann im Jahre 405 in der Verleihung des attischen Bürgerrechts an die Bewohner der Insel Samos13 – eine Maßnahme, die allerdings wegen des bald darauf erfolgten Endes des attischen Seebundes keine größeren Auswirkungen mehr zeitigte. Mit der Aufnahme der Samier in den attischen Bürgerverband hatten die Athener aber einen Weg beschritten, der in der damaligen Zeit auch in anderen Teilen der griechischen Welt zunehmend in Anwendung kam, um aus ganz unterschiedlichen, oben bereits kurz skizzierten Erwägungen heraus neue Formen polisübergreifenden Zusammenwirkens zu praktizieren. Den primären Ansatzpunkt dazu bot das Bürgerrecht, das die Grundkonstituente einer jeden Polis bildete und ein unabdingbares Merkmal ihrer politischen Eigenständigkeit darstellte. Die Öffnung eines Bürgerverbandes für Angehörige einer fremden Polis war daher immer auch eine besondere Art von Grenzüberschreitung und konnte damit zum Ausdruck eines besonderen Nahverhältnisses werden. Schon in klassischer Zeit wurde daher Einzelpersonen das Bürgerrecht einer Polis als Auszeichnung für besondere Verdienste verliehen. In hellenistischer Zeit entwickelte sich aus dieser Praxis eine spezifische Form zwischenstaatlicher Beziehungen, die isopoliteia, eine – oft gegenseitige – Verleihung des Bürgerrechts einer Polis an eine andere Polis unter Wahrung der jeweiligen politischen Unabhängigkeit.14 Durch eine solche Ehrung, die der freundschaftlichen Verbindung zweier Poleis | [S. 193] Ausdruck verleihen sollte, wurden die Bürger der mit der Isopolitie ausgezeichneten Polis den Bürgern der anderen Polis rechtlich gleichgestellt und im Falle einer Übersiedlung in den dortigen Bürgerverband aufgenommen. Vielfach dürften solche Isopolitieverleihungen kaum mehr als bloße Ehrenbezeugungen dargestellt oder allenfalls der Erleichterung gegenseitiger Kontakte gedient haben. Sie konnten aber auch – wie im Falle des Aitolischen Bundes – als probates Mittel eingesetzt werden, um weiter entfernte Poleis an den Bund zu binden und damit den politischen Einfluss weit über den eigentlichen Herrschaftsbereich hinaus sicherzustellen.15 Die Wahrung von Grenzen im Sinne der Achtung der Polisautono13 IG I3 127 + Add. p. 949; s. dazu Smarczyk 1986, 22–31; Koch 1993. 14 Hierzu immernoch grundlegend: Gauthier 1972, 347–373; Gawantka 1975. 15 Gawantka 1975, 83–84 und 221 (Auflistung aitolischer Isopoltieverleihungen); vgl. hierzu zuletzt Buraselis 2003, 45–47.
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mie und die Überwindung von Grenzen mittels isopolitischer Rechtsformen bedingten einander und bezeichneten so einen besonderen Weg zur Etablierung weitausgreifender Einflusssphären, der den spezifischen politischen Rahmenbedingungen der griechischen Staatenwelt Rechnung zu tragen suchte. Ganz andere Wege beschritten im fünften Jahrhundert die sizilischen Tyrannen durch den Aufbau territorial geschlossener Herrschaftsbereiche. Zwar konnten auch sie die Autonomie der einzelnen Poleis nicht gänzlich außer Kraft setzen; aber durch eine rigorose „Städtepolitik“, die vor radikalen Eingriffen in die Zusammensetzung der Bürgerschaften und auch vor der totalen Vernichtung von Städten nicht zurückschreckte, machten sie sich die von ihnen unterworfenen Poleis gefügig. Systematisch hatte Gelon ab 485 Syrakus zu seinem neuen Herrschaftszentrum ausgebaut. Das Stadtareal wurde in großem Stil erweitert und die Bevölkerungszahl um ein Vielfaches erhöht. Allein aus Gela, wo Gelon seinen Bruder Hieron als Tyrannen eingesetzt hatte, wurde die Hälfte der Bewohnerschaft zwangsweise nach Syrakus umgesiedelt; weitere Massendeportationen erfolgten aus zuvor eroberten Städten, von deren Bewohnern die Reichen in die syrakusanische Bürgerschaft integriert wurden, während die Angehörigen der ärmeren Schichten in die Sklaverei verkauft wurden. Darüber hinaus spricht Diodor von 10.000 Söldnern, denen Gelon das syrakusanische Bürgerrecht verliehen haben soll.16 Nach ähnlichem Muster verfuhr 476 auch Hieron mit der Stadt Katane: Nachdem Hieron zunächst deren Bewohner ebenso wie die von Naxos nach | [S. 194] Leontinoi verpflanzt hatte, siedelte er 10.000 neue Bewohner an – je zur Hälfte aus der Peloponnes und aus Syrakus –, benannte Katane in Aitna um und setzte seinen Sohn Deinomenes dort als Herrscher ein. Hierons Neugründung hatte jedoch nur wenige Jahre Bestand. Nach dem Sturz der Deinomeniden kehrten die ursprünglichen Bewohner in die nun wieder Katane genannte Stadt zurück, während sich die hieronischen Siedler in der Stadt Inessa niederließen, die sie in Aitna umbenannten.17 403 wurden die Bewohner Katanes erneut Opfer syrakusanischer Politik, als Dionysios I. die Stadt eroberte, die Einwohner in die Sklaverei verkaufen ließ und an ihrer Stelle kampanische Söldner ansiedelte, die dann aber schon wenige Jahre später auch nach Aitna/Inessa verpflanzt wurden.18 Die Poleis und ihre Bürgerschaften wurden so zu einer disponiblen Masse im tyrannischen Mächtespiel, dessen oberstes Ziel die Sicherung einer territorial möglichst weit ausgreifenden Herrschaft blieb.19 Diese westgriechische Variante polisübergreifender Machtbil16 Hdt. 7,156; Thuk. 6,5,3; Diod. 11,72,3; vgl. dazu Berve 1967, 142–143. 600–601; Finley 1979, 75–77. 17 Diod. 11,49,1–2; 11,76,3; Strab. 6,2,3; vgl. dazu Berve 1967, 149. 604–605. 18 Zusammenstellung der einschlägigen Quellen bei Berve 1967, 640–642; vgl. auch Stroheker 1958, 58–61; Finley 1979, 108–109. 19 So heißt es im 7. Brief Platons, dass Dionysios ganz Sizilien in einer Polis zusammengezogen habe (Plat. epist. 7,332c).
Alte Grenzen – neue Grenzen
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dung, die sich noch um viele weitere Exempla bereichern ließe und die in hellenistischer Zeit – und dann keineswegs mehr nur im Westen – ihre ungebrochene Fortsetzung fand, mag zwar als Extrem erscheinen; aber auch sie ist nur eine Konsequenz der eingangs beschriebenen prekären Konstellation der griechischen Vielstaatenwelt. Im letzten Teil dieser Ausführungen soll nun aber wieder das griechische Mutterland im Zentrum stehen und es sollen die Formen polisübergreifender Machtbildung in den Blick genommen werden, die in der Forschung gemeinhin unter dem Begriff der Sympolitie subsumiert werden.20 Es geht dabei – um es zunächst einmal ganz allgemein auszudrücken – um besondere rechtliche Ausgestaltungen des Bürgerrechts, mit denen die politische Teilhabe in polisübergreifenden bzw. mehrere Poleis integrierenden politischen Organisationsformen sichergestellt werden sollte. Anders als im Fall der Isopolitie haben wir es hier mit einer – zumindest partiellen – | [S. 195] Aufhebung staatlicher Eigenständigkeit zu tun, also mit einer extremen Form politischer Grenzüberwindung. Wenn die Forschung in diesem Zusammenhang von Sympolitie spricht, so bedient sie sich eines aus den antiken Quellen übernommenen Begriffs, dem bei genauerer Betrachtung keineswegs die Eindeutigkeit eignet, die ihm im modernen Sprachgebrauch häufig zugeschrieben wird. Unzutreffend ist jedenfalls ist die Behauptung von Hans Beck, dass „das erst im Hellenismus belegte Substantiv he sympoliteia … ausschließlich auf die bundesstaatlichen Vereinigungen in Griechenland“21 zu beziehen sei. Die wenigen epigraphischen Belege lassen sich nur teilweise mit bundesstaatlichen Phänomenen in Zusammenhang bringen, und sie sind auch keineswegs nur auf Griechenland begrenzt.22 Und auch die insgesamt ebenfalls nicht gerade zahlreichen literarischen Belege, von denen fast die Hälfte dem polybianischen Geschichtswerk entstammen, dienen der Kennzeichnung unterschiedlicher Rechtsverhältnisse. So verwendet Polybios das Wort sympoliteia zwar überwiegend zur Bezeichnung der spezifischen Organisationsformen der hellenistischen Bundesstaaten; wenn er aber an einer Stelle ausdrücklich in Bezug auf den Achaiischen Bundesstaat von einer ethnike sympoliteia spricht,23 dann legt es dieser Wortgebrauch nahe, dass es ihm hier um die Präzisierung einer im übrigen offenbar mehrdeutigen Terminologie ging, die mit der auch ansonsten anzutreffenden Unschärfe griechischer Rechtsbegriffe durchaus korreliert. Der ethnike sympoliteia müssen daher auf jeden Fall eine oder mehrere andere Formen von sympoliteiai gegenüber gestanden haben, die eben nicht ethnikai waren und keinen bundesstaatlichen Bezug aufwiesen.
20 Vgl. hierzu u. a.: Busolt/Swoboda 1920–1926, 156–160; Giovannini 1971, 20–24 [allerdings mit zum Teil problematischer Deutung; dazu Walbank 1976/7]; Schmitt 1994; Reger 2004; Schmitt 2005b. 21 Beck 1997, 12. 22 Vgl. etwa I.Milet I.3, 149, Z. 49; I.Mylasa 892. 23 Pol. 2,44,5.
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Noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ließ sich das, was in den Quellen gemeinhin als sympoliteia bzw. sympoliteuein bezeichnet wurde, nur in groben Umrissen analysieren. Die doch recht kargen Aussagen der verfügbaren Quellen ermöglichten aber zumindest die Unterscheidung zweier grundsätzlich verschiedener Formen von sympoliteiai: Einerseits bezeichnete der Begriff – präziser als ethnike sympoliteia – die besondere Ausgestaltung des Bürgerrechts in den antiken Bundesstaaten, deren Anfänge in die klassische Zeit zurückreichten und die als föderale Zusammen- | [S. 196] schlüsse ehemals eigenständiger Poleis die politische Landkarte des hellenistischen Griechenland bestimmten. Die antiken Bundesstaaten waren geprägt von dynamischen Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Poleis und der Zentralgewalt.24 Aufgrund gemeinsamer Vereinbarungen hatten die Poleis als Gliedstaaten einen Teil ihrer eigenstaatlichen Kompetenzen auf die Bundesebene übertragen und in die Verfügungsgewalt des gesamten Bundes gestellt. Das betraf vor allem Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik, aber auch große Bereiche der Gesetzgebung und der Rechtsprechung. Die Kompetenzbereiche des Bundes und der Gliedstaaten waren aber nicht immer klar voneinander getrennt, sondern konnten durchaus – wie auch in modernen Bundesstaaten – in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander stehen und bedurften dann einer wechselseitigen Abstimmung. Wie in den einzelnen Gliedstaaten gab es auch auf der Bundesebene eigene Magistrate und Entscheidungsorgane. In diesen Ethne, Koina oder eben auch (ethnikai) Sympoliteiai genannten Bünden wurde die Mitwirkung jedes Bürgers auch an den Entscheidungen auf der Bundesebene dadurch garantiert, dass er zusammen mit dem Erwerb des Bürgerrechts eines Gliedstaates immer auch das Bundesbürgerrecht erhielt. In diesem Sinne bezeichnete sympoliteia dann ein „doppeltes Bürgerrecht“. Deutlich davon zu trennen ist der Begriff sympoliteia zur Bezeichnung der vertraglichen Grundlagen für einen Zusammenschluss zweier oder mehrerer Poleis zu einer neuen politischen Einheit – also der wohl radikalsten und konsequentesten Überwindung von Polisgrenzen. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts hatte Emil Szántó auf der Basis der bis dahin bekannten Quellenzeugnisse die bis heute grundlegende Unterscheidung zwischen den „bundesstaatlichen Sympolitien“ und den von ihm so genannten „synökistischen Sympolitien“ getroffen: „Das ist eben der Unterschied zwischen der bundesmäßigen und der synökistischen Sympolitie …, daß hier das Bürgerrecht der Sonderstaaten [gemeint sind die Gliedstaaten eines Föderalstaates] besteht und das gemeinsame Bürgerrecht nach sich zieht, dort aber der eine Staat völlig aufhört zu existieren.“25 Dieser zweite, von Szántó als | [S. 197] „synoikistisch“ bezeichnete Typus von Sympolitie ließ sich allerdings lange Zeit 24 In vieler Hinsicht immer noch grundlegend zu den antiken Bundesstaaten: Hermann/Swoboda 1913, 208–443; Busolt/Swoboda 1920–1926, 1395–1507; Larsen 1968; vgl. im Übrigen die bei Beck 2003 und Siewert/Aigner-Foresti 2005, 156–165 zusammengestellte Literatur. 25 Szántó 1892, 114–115; s. auch Swoboda 1924; Kolbe 1929; Schwahn 1931; vgl. auch Beck 1997, bes. 9–29 und Schmitt 2005b (mit der älteren Literatur).
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aufgrund einer nur unzureichenden Quellenlage nur in Umrissen und nur annäherungsweise beschreiben. Vor allem wurde er – wie es auch Szántós Begriff „synoikistisch“ indiziert – mit einem anderen, weniger staatsrechtlichen als vielmehr urbanistischen Phänomen der griechischen Staatenwelt der klassischen und hellenistischen Zeit gleichgesetzt oder doch zumindest aufs engste verbunden: dem auch schon in der Antike so genannten synoikismos. Dieser Begriff bezeichnete aber – streng betrachtet – eben keinen verfassungsgeschichtlichen, sondern einen siedlungsgeschichtlichen Vorgang und bezog sich vorderhand auf die Gründung oder auch Wiederbegründung einer Stadt ganz konkret im Sinne der Anlage eines urbanen Zentrums; darüber hinaus konnte Synoikismos aber auch den Zusammenschluss zweier oder mehrerer Siedlungen zu einem neuen Urbanen Zentrum meinen oder auch den Anschluss von Siedlungen an ein vorhandenes urbanes Zentrum unter Aufgabe der alten Sieldungsagglomeration.26 Solche synoikismoi sind vor dem Hintergrund der Fragestellung nach grenzenüberwindenden Phänomenen in der griechischen Poliswelt schon für sich genommen ein überaus interessanter und aufschlussreicher Untersuchungsgegenstand, der im Rahmen dieser eher allgemein gehaltenen Zusammenschau aber nur in seiner Verflechtung mit anderen, tendenziell gleichgerichteten Erscheinungsformen erwähnt werden kann. Die Gründe für einen Synoikismos konnten vielfältig sein. So war die Gründung von Städten wie Elis oder Mantineia – um nur zwei Beispiele aus klassischer Zeit zu nennen27 – das Ergebnis einer siedlungsmäßigen Konzentration innerhalb eines (weitgehend unverändert fortbestehenden Gemeinwesens; der politische Rahmen und auch die territorialen Grenzen der jeweiligen Polis blieben also unverändert. Bei den oben erwähnten Vorgängen in Sizilien – auch diese seien hier nur beispielhaft genannt – handelte es sich hingegen vielfach um die Wiederbegründung von durch Krieg und/oder Bevölkerungsdeportationen vernichteten Poleis und damit also um die Restitution alter Zustände und eben auch alter Grenzen. | [S. 198] Anders hingegen verhielt es sich mit Städten wie z. B. Rhodos oder Megalopolis, deren Gründung aus der Zusammenlegung zweier oder mehrerer, ehemals eigenständiger Gemeinwesen hervorgegangen ist.28 In diesem Fall – und eigentlich nur in diesem Fall – ging ein Synoikismos mit einer Sympolitie in eins:29 Das neue Siedlungszentrum wurde zugleich auch zum Zentrum einer neu konstituierten Polis oder umgekehrt: eine
26 Vgl. u. a. Moggi 1976; Musiolek 1981; Gauthier 1985, 202–203; Gauthier 1987–1989; Moggi 1996; Hansen 2003, 180. 27 Elis: Moggi 1976, 157–166 Nr. 25; Roy 2002 – Mantineia: Moggi 1976, 140–156 Nr. 24; Hodkinson/Hodkinson 1981, 256–261; Nielsen 2002, bes. 171–175. 28 Rhodos: Moggi 1976, 213–226 Nr. 34; Gabrielsen 2000 – Megalopolis: Moggi 1976, 293– 325 Nr. 45; Nielsen 2002, 414–455. 29 Zur Differenzierung vgl. schon Feldmann 1885.
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neu konstituierte Polis schuf sich zugleich auch ein neues urbanes Zentrum. Diese dialektische Verknüpfung war allerdings keineswegs zwingend.30 Der außerordentliche Zuwachs an neuem einschlägigen Quellenmaterial in den letzten Jahrzehnten aus allen Teilen der antiken griechischen Poliswelt erlaubt heute eine weitaus differenziertere Betrachtung des Phänomens sympolitischer Zusammenschlüsse, als es noch bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts möglich war. Die mittlerweile vorliegenden Textzeugnisse31 lassen die ganze Bandbreite unterschiedlicher Gestaltungsformen bei der Bildung einer neuen Polis durch das Zusammengehen alter Poleis deutlich werden. Das Ergebnis ist in allen Fällen die Bildung eines neuen Bürgerverbandes. Das konnte durch die Aufnahme der Bürger einer kleineren politischen Einheit in die Bürgergemeinschaft einer größeren politischen Einheit geschehen; es konnten sich aber auch – wie etwa im Falle von Rhodos32 – ehemals eigenständige Bürgergemeinschaften zu einem ganz neuen Bürgerverband zusammenschließen. Es ist hier nicht der Ort, die vielfältigen sympolitischen Zusammenschlüsse im Detail zu untersuchen. Eine solche vergleichende Analyse dürfte aber zeigen, dass Szántós Differenzierung zwischen bundesstaatlicher und | [S. 199] synoikistischer Sympolitie schon in der Begrifflichkeit zu kurz greift. Hinsichtlich der bundesstaatlichen Organisationen im antiken Griechenland mag der Terminus: „bundesstaatliche Sympolitie“ noch einigermaßen operationabel sein, auch wenn – wie dargelegt – die Kompetenzverteilung zwischen der Bundesgewalt und den Gliedstaaten in den antiken Föderalstaaten keineswegs einheitlich geregelt war. Hinsichtlich der nicht-bundesstaatlichen Sympolitien vermag Szántós Begriff der „synoikistischen Sympolitien“ den komplexen Sachverhalt, wie er sich uns heute in den Quellen darstellt, allerdings nicht mehr angemessen zu beschreiben. Zu unterschiedlich sind die – auch begrifflich different gefassten33 – Formen, unter denen 30 Vgl. hierzu auch Funke 1987; Funke 1991; Funke 1997. 31 Eine Liste inschriftlich überlieferter Sympolitieverträge bieten Gauthier 1985, 98–99 und Te Riele/Te Riele 1987, 187; hinzu kommen noch die Verträge zwischen Latmos und Pidasa (SEG XLVII 1563) und Kildara und Th(odasa?) (SEG LI 1496, Z. 13) sowie einige möglicherweise Mylasa betreffenden Sympolitien (vgl. I.Mylasa 102. 861. 866. 867. 913). Zu den historischen Hintergründen (Wechsel von einem symmachialen zu einem sympolitischen Zusammenschluss) des von Te Riele/Te Riele 1987 veröffentlichten Sympolitievertrages zwischen Mantineia und Helisson (SEG XXXVII 340 = IPArk 9) vgl. Funke 2004; zu SEG XLVII 1563 vgl. Wörrle 2003. 32 Moggi 1976, 213–226 Nr. 34; Gabrielsen 2000. 33 So finden sich – um nur einige Beispiele anzuführen – neben den Begriffen sympoliteia (Milet – Pidasa: I.Milet I.3 149, Z. 49) und sympoliteuein (Stiris – Medeon: Syll.3 647, Z. 6) auch Termini wie apopoliteuein/politeuein (Pereia – Melitaia: Syll.3 546B, Z. 14–16), homopoliteia (Kos – Kalymnos: Staatsverträge 3,545, Z. 18) politeia (Smyrna – Magnesia am Sipylos: Staatsverträge 3, 492, Z. 44. 46), politeuma (Herakleia am Latmos – Pidasa: SEG XLVII 1563, Z. 32–33. 41), synoikia (Orchomenos – Euaimon: Staatsverträge 2, 297, Z. 2), synthesis/koinazein (SEG XXXVII 340, Z. 2. 4).
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sich die neuen Bürgergemeinschaften konstituierten.34 Daher ist auch schon Hatto H. Schmitt vor einigen Jahren für eine strengere Trennung von nichtbundestaatlichen Sympolitien und Synoikismoi eingetreten und hat stattdessen den Begriff „EingemeindungsSympolitie (incorporating sympolity)“35 ins Spiel gebracht. Aber auch dieser Vorschlag scheint mir dem Gesamtphänomen noch nicht hinreichend gerecht zu werden, da er Phänomene einer vielleicht doch unpassenden Kategorisierung zu unterwerfen sucht, die allzu sehr einer staatsrechtlichen Systematik verhaftet bleibt, die dem Rechtsdenken der Griechen doch eher fremd war. Was zu tun bleibt, ist eine vergleichende Neuanalyse der hier nur deskriptiv und äußerst knapp skizzierten, unterschiedlichsten Erscheinungsformen polisübergreifender Interaktionen, die nicht von einem primär systematischen Ansatz ausgeht, sondern die zunächst die historischen Rahmenbedingungen erschließt und nach den je spezifischen Voraussetzungen, Gründen und Ursachen fragt, um erst dann neue, durchaus auch modellhafte und vielleicht sogar systemische Inter- | [S. 200] pretationsraster und Deutungsmuster zu entwickeln, um Möglichkeiten und Grenzen politischen Agierens jenseits der Polis besser ausloten zu können. Im Vorangegangenen konnte und sollte nicht mehr als nur das historische Potential aufgezeigt werden, das für die Beantwortung einer solchen Fragestellung verfügbar ist.
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34 So kam es beispielsweise nicht immer gleichzeitig auch zu einem synoikismos im eigentlichen Sinne; vgl. z. B. SEG XXXVII 340 (Mantineia – Helisson) oder Staatsverträge 2, 297 (Orchomenos – Euaimon). 35 Schmitt 1994, 37.
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Poleis and Koina Reshaping the World of the Greek States in Hellenistic Times*
When the Macedonian king Demetrios II died at the beginning of the year 229 BCE, the Athenians exploited the unstable situation of the pending regime change to free themselves once and for all from Macedonian hegemony, which had lasted for nearly a hundred years.1 In the course of successful negotiations Diogenes, the commander of the Macedonian garrison, was induced to vacate all the fortresses in Attica and to dismiss all troops assigned to him. We cannot conclusively determine to what extent the recovery of Athenian freedom at that time was due to the Achaian politician Aratos of Sikyon. Plutarch and Pausanias leave no doubt that Aratos should be credited with the actual realisation of the agreement: he had had himself carried to Athens in a litter, in spite of a severe illness, in order to convince the Macedonians to give up their outposts in Attica. Furthermore, he had personally made a significant financial contribution towards the sum the Athenians had to pay Diogenes.2 It has long been recognized that Plutarch and Pausanias clearly based their descriptions of the events on Aratos’ own presentation in his memoirs, and so they “greatly exaggerated” his role.3 Nonetheless, we must start from the fact that Aratos gambled everything on freeing Athens from the grip of Macedon. He saw the opportunity to finally achieve peacefully a goal he had long been unable to achieve by force, namely, to bring Athens to the Achaian side and per- | [S. 110] suade the Athenians to join the Achaian League. The escalating conflict with Sparta made Athenian support seem more important than ever. Aratos’ expectations were famously disappointed. The Athenians withstood his courtship and opted for a strict political neutrality. Aratos’ bitterness over the failure of his political endeavours still resonates in Polybius’ comments on the failure of his plan, also likely deriving from Aratos’ memoirs: “The Athenians were now delivered from the fear of Macedonia and regarded their liberty as securely established … They took no part in the affairs of the rest of Greece, but were profuse in their adulation of all the kings, and chiefly of Ptolemy.”4 Clearly the Athenians, after decades deprived of freedom, hoped to seamlessly resuscitate their old foreign policy and regain an autonomous course of action Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: H. Börm/N. Luraghi (Hgg.), The Polis in the Helle nistic World, Stuttgart 2018, 109–129. * The following is a revised and expanded version of Funke 2007a. 1 For additional information on these events see Habicht 1982, 79–105 and Habicht 1997, 173–194. 2 Plut. Aratos 34,5–6; Paus. 2,8,6. 3 Habicht 1997, 174. 4 Pol. 5,106,6–8 (trans. W. R. Paton/F. W. Walbank/C. Habicht).
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in order to defend their newly-won freedom.5 Aratos’ offer to join the Achaian League, on the other hand, was obviously not an acceptable option in their eyes. Their categorical rejection of Aratos, however, was based on an overestimate of their own capability for power politics and on a certain atavism, which would also leave its mark on Athenian foreign politics in the period that followed. The fear of losing their recently regained sovereignty must have been, at the least, one of the decisive factors in the Athenians’ staying away from the Achaian League and looking elsewhere for coalition partners. The signs of the times, however, pointed in a different direction. By that time, federal structures had established themselves as a viable alternative to the traditional patterns of alliances in power politics and proven their clout. They appeared attractive especially because they provided new means to offset the weaknesses that consistently undermined the interstate cohesion of bilateral or multilateral alliances of other kinds. The structure of a federal state, while compelling the poleis that joined it to give up parts of their own sovereignty in order to function in an institutionally cohesive system, made it possible to give appropriate consideration to the particular interests of individual states. At its heart it was all about creating for individual states overarching associations for political action which provided to each member, as a result of joining the federation, greater security and power, while at the same time ensuring for every polis an adequate level of participation in the making of political decisions in a balanced interplay between federal authority and member states. To achieve this, an institutional structure was established at the federal level parallel to the member states’ political decision-making bodies, consisting generally of at least a federal assembly, a federal council and several federal magistracies. Every league member participated in these | [S. 111] institutions in a balanced, mostly proportional fashion. There were no strict rules on how powers were distributed between federal authorities and member states. Rather, individual federal states arranged them quite differently, adapting them repeatedly over time to the changing needs of the member states. In this way, the framework of federal states could ensure a balance of interests, which was very difficult to achieve and even more difficult to preserve for long periods of time in alliances of other kinds, in which the member states joined forces for purely offensive and/or defensive alliances. These military alliances, termed symmachíai, tended generally to develop into so-called “hegemonic” symmachíai, where – as in the times of the Delian or Peloponnesian League – a single state became prevalent. The other members of such alliances, despite still having their full sovereignty, at least formally (unlike members of federal states), were severely limited in voicing their own respective interests. Precisely this tendency toward hegemonic powers repeatedly doomed to failure all attempts 5 Habicht 1982, 79–158; Habicht 1997, 173–194; Perrin-Saminadayar 1999; Cuniberti 2006, 77–123; Scherberich 2009.
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in pre-Hellenistic times at establishing a shared peaceful order encompassing the whole world of the Greek city-states (koiné eiréne) based on the strictly enshrined autonomy of the polis.6 Compared with this the application of federal principles presented an attractive possibility for the arrangement of interstate coexistence. What in 229 BCE may have appeared to the Athenians as an unacceptable loss of autonomy in reality presented a chance to reposition the polis in the reconfigured political landscape after Alexander the Great without surrendering it in its basic form. It was no coincidence that Athens was surrounded by communities organised in federal states. When in 224 BCE a Hellenic League was founded under the leadership of Antigonos III Doson, this league, unlike its predecessors, was not comprised of individual communities, but rather was exclusively comprised of federal states with different legal frameworks.7 And after Sparta had been forced to join the Achaian League as a result of their defeat at Sellasia in 222 BCE, Athens remained the only polis in the whole of Greece which was not a member of any federal state. While the Achaian League and the Aitolian League were the biggest federal states, they were far from the only ones asserting their autonomy – with mixed results – in the power struggles of the Hellenistic empires. | [S. 112]
1. A Reshaped Political Landscape The political map of Hellas had changed fundamentally over the course of the third and the first half of the second century BCE. The federal states known as éthne or koiná had altered the character of Greece.8 And yet they were far from an entirely new phenomenon unknown before Hellenistic times. Their origins went far back into classical times: as early as the fifth and fourth century BCE a process of fundamental political change was beginning, especially in the periphery of the polis-world – thus especially in north-western and central Greece and parts of the Peloponnese.9 The changes taking place at that time are likely to have been sparked by the power political quarrels which culminated in the Peloponnesian War and its war-like aftermath. Even regions which had previously been sheltered from events were increasingly dragged into the conflicts. The pressure to be increasingly engaged in foreign politics led to a progressive dissolution of the tradi6 On the symmachíai see Tausend 1992 and Baltrusch 1994. On the koiné eiréne see Jehne 1994. See also Buraselis 2003; Funke 2007b and Figuera/Jensen 2013. 7 Staatsverträge 3, 507, pp. 212–217; cf. Scherberich 2009. 8 For problems of terminology see Giovannini 1971, 14–24; cf. also Walbank 1976/1977, who rightly contradicts Giovannini’s overly narrow interpretation of the terms in question; cf. Funke 1998, 66–67; Beck 1997, 10–13; Beck/Funke 2015, 14–15. 9 Cf. Daubner 2018.
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tional tribal structures, because these structures could not meet the new challenges for appropriate action in the interstate domain. This disintegration correlated with a growing political self-confidence on the part of the individual parts of the various collapsing tribal communities. One could indeed speak in this context of a ‘politicisation’ of the individual tribal subdivisions. And although this resulted in a breakdown of the institutional framework of the tribal state structures, it did not lead to a full-scale fragmentation: despite all tendencies to disintegration an awareness of tribal solidarity persisted. This tie rendered it possible to (re)integrate the various sub-tribes, which had assumed a separate existence as independent poleis, in a newly founded federal state, especially external pressure forced a closer cohesion. As a result the newly established federal structures developed a remarkably strong cohesive power, precisely because the individual member states retained an exceptionally large political scope. This structural principle eased the inclusion also of foreign political units under the umbrella of such a federal state. The result was that the tribal element receded into the background and affiliation to a federal state came to be principally politically based, and in consequence legally constituted. In this way, the federal states provided entirely new opportunities to take into account the ubiquitous tension between the insistence on the autonomy of the individual states and the pursuit of interstate security. Therefore, in Hellenistic times federal associations gained even more appeal, as the political structure of the world of Greek city-states came under continual pressure, in particular as a result of the claims | [S. 113] to power of the new kingdoms. The federal apparatus, which should have secured a balanced political participation, opened new scope in interstate relations. This, however, was not only able to help protect the poleis’ self-interests, but at the same time also created new ways for individual states to dress their desire for international power in new constitutional structures.
2. The Aitolian League – A Case Study These two aspects are two sides of the same coin especially in Hellenistic times. This is made particularly clear by the rise of the Aitolian League to a leading power in the world of Greek free states at the time.10 By the beginning of the third century BCE the Aitolians had extended their sphere of influence from the Aitolian inland to West Lokris and brought Delphi under their control. After their victory over the Celts who invaded Greece in 279 BCE11 they were able to expand their federal territory to the north and east in the course of the third century over all of central Greece. Temporarily they also 10 Flacelière 1937 remains fundamental on the expansion of the Aitolian League; important corrections in Lefèvre 1998 and in Sánchez 2001; cf. also Grainger 1995; Grainger 1999; Scholten 2000; Tsangari 2007, 22–36; Mackil 2013, 91–128. 359–361. 11 Paus. 1,4,1–4; 10,19,5–23,14; see Nachtergael 1977; Champion 1995; Scholten 2000, 31–45.
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annexed parts of the Akarnanian League, Kephalonia and Thessaly. They even tried to extend their political influence into the Peloponnese and to constitutionally bind especially Elis and the southern parts of Triphylia and Messenia closely to their federal state.12 This powerful expansion was doubtless driven by the Aitolians’ resistance to the Macedonian claims of power and by their firm intention to expand their own hegemonic status, especially given their hostile stance toward the Achaian League. Although there is no doubt about the aggressiveness of the Aitolians’ foreign policy, their striking success cannot be ascribed to their military power alone. The victory over the Celts, which the Aitolians represented propagandistically with immense | [S. 114] votive offerings and in their coinage,13 and the fact that the Aitolian league was the only serious anti-Macedonian adversary in Greece, had doubtless given the Aitolians a certain prestige, which made them appear to many states a welcome, or at least the only possible, ally. In addition to this their adroit integration policy set the large-scale expansion of the league on a comparatively solid foundation by means of a suitable organisation of the internal federal structures, and in particular was able to integrate the political elites of the newly won over member states each time. All central Greek tribal communities (West and East Lokrians, Phokians, Dorians, Malians, Ainianians, Oitaians, Dolopians etc.), many of which were at that time already organised in federal states, were incorporated in the Aitolian League by integrating their respective subunits as autonomous member states. Nevertheless, these tribal communities could preserve their identity in its entirety, since certain institutional structures on a middle level between federal authority and individual member states were conceded to them in the form of districts (télē).14 This may be the reason why after Rome’s declara12 Because of the terminological vagueness in Polybius’ report the precise legal form of the temporary connection of parts of the Peloponnese to the Aitolian League cannot be clearly ascertained; cf. Larsen 1968, 202–203; Scholten 2000, 116–130. There is evidence that the Aitolians constructed around their federal state, which at the height of its powers covered nearly all of central Greece, a network of relationships with states of the Peloponnese and also especially in many parts of the Aegean. This network tied these states tightly to the Aitolian koinon by bestowing citizenship (isopoliteía) or special protection agreements (asyleía) without their actually receiving the status of a member state. For the Aitolian actions in the Aegean cf. Funke 2008. 13 There is a belated reflection of the propaganda in Iust. 28,2,1–14. – On the coinage cf. Tsangari 2007, esp. 73–81, 201 and 250–253 as well as pl. XXIII–XXVIII. – On the erection of a statue in reaction to the Aitolian victory over the Celts see Jacquemin 1985; Knoepfler 2007; Antonetti 2012; Papapostolou 2015. 14 In case of the Aitolian League there are only two verifiable districts: telos Stratikon (IG IX 12 ,1, 3B, l. 2) and telos Lokrikon (SGDI 2070, ll. 1–2; SGDI 2139, ll.1–2; IG IX 12 ,3, 618, ll.1–2; 625a, l. 1). At least the region of Doris seems to have constituted its own telos during its membership of the Aitolian League. This is suggested by an inscription from Xanthos of the year 206/5 BCE containing several documents regarding an embassy of the polis Kytenion in Doris, which was part of the Aitolian League (SEG XXXVIII 1476). It needs to be contemplat-
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tion of Greek freedom in Isthmia (196 BCE) and in particular after the end of the Third Macedonian War in 168 BCE the Aitolian League was forced to reduce its territory more or less to its original heartland once again, while the states in central Greece and Thessaly were able to seamlessly find a new, sovereign existence on the scale of their old tribal communities, but in federal state structures.15 | [S. 115]
3. The Greek World of States – A World of Leagues In Hellenistic times a second prevalent power emerged parallel to the Aitolian League and in constant confrontation with it: the Achaian League. The Achaians, too, were experts in playing the game of federal state building to extend their supremacy. In the early fourth century BCE a first federal alliance already included a few poleis north of the Gulf of Corinth and so exceeded the tribal borders, but it broke up by the end of the century. After this, a union of some west-Achaian poleis founded in 281 BCE gave birth to a federal state, which very soon reached beyond the geographical borders of Achaia once more. Politicians such as Aratos and Philopoimen promoted an exceedingly dynamic expansion, and ultimately the League’s territory encompassed the entire Peloponnese.16 Just as with the Aitolian League, the inclusive force of federal structures ensured – at least by Greek standards – a remarkable stability. For precisely this reason it was not only in Boiotia and Akarnania that the federal state structures originating in the classical era functioned once again in the Hellenistic period as the basis of the state order; in fact even quite diverse regions like Epirus and Euboia evolved in the same direction.17 After the death of the last Molossian king 232 BCE a federal state proved to be the right arrangement to ensure the future cohesion of the complex and variously subdivided tribal structures together. In the same way the poleis of Euboia organised themselves in a loose federal state in an attempt to preserve their individual ed whether the differentiation between the koinon of the Dorians, the polis of the Kytenians, and the remaining Aitolians (esp. ll. 7–11. 35–37) may be an indication of the existence of a telos Dōrikon. – About the districts see Larsen 1968, 197; cf. also Sordi 1953, 442–445; Rzepka 2006, 33–45; Mackil 2013, 380–384. Löbel 2014, 145–161 is as unconvincing as Corsten 1999, 133–159, who interprets the Aitolian districts as administrative districts of equal size and split up “ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit [with no regard for ethnic together ness]” (158); cf. Funke 2015, 95–97 and Funke 2016. 15 On the smaller Greek federal states in late Hellenistic times see Martin 1975; cf. also the respective chapters in Beck/Funke 2015. 16 On the Achaian League cf. Larsen 1968, 215–240; Urban 1979; Lehmann 1983; Roy 2003; Rizakis 2015. 17 See the relevant chapters in Beck/Funke 2015.
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autonomy in a world completely altered in its power political conditions. Further, these developments towards the organization of new forms of federal entities crossing polisand tribal boundaries were not restricted to the Greek motherland. A number of island states of the Aegean Sea united in the so called Nesiotic League under the patronage of the Ptolemies in the third century BCE; it was then renewed with the help of a Rhodian initiative in the second century BCE.18 In Asia Minor the Lycian League emerged in the second century BCE at the latest and consisted of twenty-three poleis. Its constitution preserved in Strabo along with the one known from the Achaian League were still highly regarded in the context of constitutional debates in the late 18th century, especially in France and the USA.19 | [S. 116] The Greek world of poleis had taken on a new shape. It is all the more surprising that the significance of the federal states is perceived and reflected in different ways in the literary sources. Aristotle knew about the existence of federal states and differentiated between them and poleis. But then again he failed to recognise their political potential.20 It took Polybius and his famous description of the Achaian League for a detailed account of the idiosyncrasies of a federal state organisation. He accurately characterised the federal state’s structure and its particular capability of integration even though he tended to idealise it to some extent.21 Although Polybius’ praise of the Achaian League is 18 On the Nesiotic League see König 1910; Wiemer 2002, 271–276 and Buraselis 2015. 19 Strab. 14,3,3. – On the Lycian League see Larsen 1968, 240–264 and Behrwald 2015. – On the importance of the Lykean and the Achaian federal constitution in state theoretical debates of the early modern time cf. Lehmann 2015. 20 Cf. Winterling 1995; Funke 1998; Lehmann 2001, 34–45. 21 Pol. 2,37,9–2,38,9: “For while many have attempted in the past to induce the Peloponnesians to adopt a common policy, no one ever succeeding, as each was working not in the cause of general liberty, but for his own aggrandizement, this object has been so much advanced, and so nearly attained, in my own time that not only have they formed an allied and friendly community, but they have the same laws, weights, measures and coinage, as well as the same magistrates, senate, and courts of justice, and almost the whole Peloponnesus falls short of being a single city only in the fact of its inhabitants not being enclosed by one wall, all other things being, both as regards the whole and as regards each separate town, very nearly identical. (38) In the first place it is of some service to learn how and by what means all the Peloponnesians came to be called Achaians. For the people whose original and ancestral name this was are distinguished neither by the extent of their territory, nor by the number of their cities, nor by exceptional wealth or the exceptional valor of their citizens. Both the Arcadian and Laconian nations far exceed them, indeed, in population and the size of their countries, and certainly neither of the two could ever bring themselves to yield to any Greek people the palm for military valor. How is it, then, that both these two peoples and the rest of the Peloponnesians have consented to change not only their political institutions for those of the Achaians, but even their name? It is evident that we should not say it is the result of chance, for that is a poor explanation. We must rather seek for a cause, for every event whether probable or improbable must have some cause. The cause here, I believe to be more or less the following. One could not find a political system and principle so favorable to equality and freedom of speech, in a ward so sincerely democratic, as that of the Achaian league. Owing to this, while some of the Peloponnesians
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without question patriotic in tone, it could have been applied in a comparable manner to other koiná. The position of the member states within the Achaian League, which Polybius so firmly emphasizes, is based on a particular organization of the franchise, which also formed the decisive link between the federal authority and the individual member poleis in the other federal states, since it ensured | [S. 117] the political involvement of each and every citizen on the federal level as well. The distinguishing feature of all these koiná was the so called ‘double citizenship’ of its members, who possessed an additional common citizenship, in that they were citizens of one of the member states of the league, and in this way were directly integrated into the decision-making processes both in their individual polis and in their koinón. This specific type of citizenship22 – as varied in form as it may have been in individual cases – offered entirely new and flexible ways of interstate interaction and made federal states seem particularly attractive. This sketch of Hellenistic Greece’s political landscape leaves no doubt about the dominance of federal state organizations as a characteristic feature. It is one thing to establish this as something unusual. It is another to actually evaluate the feature’s significance. Stating and describing it alone will not be sufficient to accomplish this task. Since we must interpret the phenomenon of Hellenistic federal states as an element or a consequence of a process of historical change, the question inevitably arises what exactly constitutes its novelty, and above all what element of this novelty, if any, is in fact characteristic of Hellenistic times. This question is even more pressing in this case because federal state structures were certainly already available in Classical times and were by no means a product of the Hellenistic period.23 One could refer to the example of the Boiotian League, newly founded in 447 BCE, the constitution of which is described in detail in the Hellenika Oxyrhynchia.24 One may also mention here the Chalkidian League led by Olynth and founded in the late fifth or early fourth century BCE, and the Arkadian koinón founded after 371 BCE.25 In the beginning the sense of tribal solidarity still formed an important
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chose to join it of their own free will, it won many others by persuasion and argument, and those whom it forced to adhere to it when the occasion presented itself suddenly underwent a change and became quite reconciled to their position. For by reserving no special privileges for original members, and putting all new adherents exactly on the same footing, it soon attained the aim it had set itself, being aided by two very powerful coadjutors, equality and humanity. We must therefore look upon this as the initiator and cause of that union that has established the present prosperity of the Peloponnese” (tr. W. R. Paton/F. W. Walbank/C. Habicht). The ‘double citizenship’ is usually labelled as sympoliteía. The term is not, however, as unambiguous as is often assumed; cf. Beck 1997, 9–29. 174–187; Funke 1997; Freitag 2012; Beck/ Funke 2015, 5–19. Cf. e. g. Funke 1998 and Siewert 2005. Hell. Oxyrh. 19,2–41, Z. 373–405 [Chambers]; see Lehmann 2001, 25–33 and Lérida Lafarga 2007, 509–600. On the Chalkidian League see Psoma 2001 and Zahrnt 2015. – On the Arkadian League see Nielsen 2002 and Nielsen 2015.
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foundation for these alliances. However, the integration into the Achaian League of the originally Aitolian polis Kalydon, situated on the north coast of the Gulf of Corinth, which took place a considerable time before 389 BCE,26 as well as the integration of Triphylia into the Arkadian League in the 360s BCE27 indicate that even in Classical times federal connections of individual member states among themselves had to some extent replaced tribal affiliation as the decisive factor. Thus, even states from beyond the original tribal boundaries | [S. 118] could join in this way. The ‘double citizenship’ had shown even then how powerful its integrative force was, and it had already become clear that it could be deployed for political integration even beyond the narrow tribal boundaries. Thus although federal states were not a new phenomenon in Hellenistic times, it is obvious that the application of federal state principles in the face of the changed political circumstances of the Hellenistic times, and conditioned by those circumstances, took on a new momentum. At first, this momentum is recognisable in purely quantitative terms through the simple increase in federal state structures in comparison to earlier times. These can then correspondingly be registered and their ways of functioning and acting can be described. This will certainly not suffice if one wishes to define more precisely the significance of this process of political transformation. Hence it is instead necessary to also consider the qualitative change and its consequences, which are reflected in the increasingly widespread establishment of federal states in Greece’s overall political structure.
4. The Federal Authority and the Power of the Member States In his description of the Achaian League Polybius is entirely right to particularly emphasize the legal equality of the poleis within the koinón and the balance of interests of the individual member states.28 However, this cannot hide the fact that political action followed different rules in a world characterized by federal states in contrast to a world of individual states. Decision processes were more complex and political interaction more diverse.29 In 206/5 BCE a delegation from the polis Kytenion, situated in the Doris in central Greece and at that time part of the Aitolian League, approached Xanthos in Lykia to gather money for the rebuilding of their city’s fortifications, which had been first destroyed by an earthquake and shortly after (about 228 BCE) by Antigonos Doson. The envoys presented to the Xanthians not only a letter from their home town which confirmed their orders and contained a detailed description of Kytenians’ request, but together with it an authorizing decree from the Aitolian federal assembly and a corresponding letter from 26 Xen. hell. 4,6,1; cf. Merker 1989. 27 Cf. Nielsen 1997; Nielsen 2002, 229–269. 28 See above, n. 21. 29 Cf. e. g. Flaig 2013, 300–312.
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the league’s highest magistrates and the league council. Thus the polis Kytenion was certainly still allowed to maintain direct diplomatic relations with foreign states about its own concerns. Still, these activities evidently required for a compulsory referral to the federal organs. The detailed epigraphic documentation of this procedure not only sheds light on the ambivalent relation between the federal authority and the member states, but | [S. 119] also gives the impression that as early as the late third century such a procedure ran in accordance with well-practised diplomatic routines, which the changed circumstances had already internalized, even for the action of individual poleis.30 This example nicely illustrates how the relation between member states and the federal authority set the tone of political action. Although this interplay existed in an always- unsteady and constantly renegotiated balance, federal state systems nevertheless gained a lot of their obvious appeal through the possibilities for flexible organizational structures. It is often said in scholarship that the spread of federal states indicates political decline or more drastically the demise of the polis. Quite the contrary, one should rather pose the question whether in an altered world of states federalism provided a new chance of survival for the poleis.
5. Novel Political Opportunities in a Changing World One of the main features of Hellenistic Greece was the systematic construction of numerous urban complexes in regions which had until then been scarcely or not at all urbanised. For all of central and north-western Greece and parts of the Peloponnese a process of urbanisation can be observed. The process also seems to have played out in a similar way in other regions of the Greek world of states, especially in Asia Minor, at roughly the same time. This development, too, began in late Classical times but came to maturity in the Hellenistic period. At that time an extraordinary efflorescence of urban development occurred in formerly peripheral areas of the Greek world, which also went hand in hand with the development of new technologies of fortification. There is much evidence that the increase in urbanisation processes may stand in a causal relation to the contemporaneous expansion of federal state structures in precisely these regions. The initial impulse evidently stemmed from a set of conditions in a dialectic relationship between in terms of the organization of the federal states’ central power on the one hand and the strengthening of the respective member states on the other. Some of the latter, before their integration into the relevant koinon, were not constituted as a polis but were in parts still organised in a tribal manner. These tribal structures increasingly dissipated over the course of the federalisation in favor of a fundamental polis-structure. Although this was initially a mere 30 Bousquet 1988; cf. SEG XXXVIII 1476.
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political development it was often reflected in settlement processes, which could lead to the formation of urban centres with a corresponding cityscape.31 | [S. 120] These processes of urbanisation were a significant side effect of the federalisation the actual importance of which was quite independent of the degree of urbanisation but rather lay in the political constitution of the member states. The creation of a central federal power did not lead to a process of centralisation, which would have accorded the member states at best a marginal position. Rather it ensured a constant renewal of the balance between the central power and the member states as well as between the members themselves, who were careful to ensure that their respective interests were adequately taken into consideration. So, even if the strictly equal status of the members in federal states was not a concern, achieving a relatively balanced equilibrium was. In accordance with this the competences seem to have been distributed among the federal state and the member states very carefully. All matters which reached beyond the concerns of an individual state (especially matters of foreign policy, but also legal relations between member states) apparently involved making a decision on the federal level. Questions of private law, the right to acquire property inside the federal territory, commerce, prerogative of coinage and much more required common rules and a corresponding vote on the federal level. Unfortunately, the available source-material prevents us from knowing how in detail the competences were distributed between the central power and the member states in individual federal states. Therefore, in the absence of adequate sources, the fundamental question about the scope of action available to the member states within their respective federal states cannot be answered with precision. All the evidence, though, suggests that the relationship between federal body and member states was not as fiercely competitive as is often generally assumed for Greek federal states.32 Rather, it was an organised interaction on the basis of an agreement on the distribution of the various powers in order to avoid overlapping competences. Generally speaking the fundamental organisation of these relationships cannot have been very different from that typical of federal states in modern times, where decisions of a member state affecting the other participants and the federal state itself must be made together. The same goes for decisions on the federal level, if they affect areas of competence attributed to the members. However, we cannot progress beyond these quite general observations. In particular, there is no satisfactory way to answer the decisive problem for the characterization of a federal state, the so-called ‘competence-competence’, i. e. the federation’s right to autonomously expand the federal power’s area of competence. If there was ever such a ‘competence-competence’ in an ancient federal state, then it would have been very restricted. As Polybius’ de- | [S. 121] scription of the Achaian 31 Cf. Funke 1987 and Funke 1997 (with further literature). 32 Cf. e. g. Swoboda 1923.
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League shows,33 the legal equality of the league-members took absolute priority. In principal, this obtained for all other federal states, too. Their organisational structure aimed at preventing domination by the central power and hence avoided an undue limitation of the league-members’ independent legal status. It is telling that in Hellenistic federal states the function of administrative centres was not fulfilled by those poleis, who were exceptionally large or politically powerful. In founding the Arkadian League in the fourth century BCE, the Arkadians attempted to respond to this problem by building a massive federal capital from scratch according to the most modern principles of urban planning at the time: Megalopolis, where they resettled inhabitants of numerous surrounding cities.34 Their attempt was nevertheless unsuccessful, as once again it ultimately resulted in the predominance of a single polis. For this reason, in Hellenistic times temples and cult places performed the role of administrative centres in most federal states, since they had often enjoyed more than regional importance since time immemorial, and were thus better able to convey an identity simply because of their cultic status.35 Aigion with its Achaian sanctuary of Zeus Homarios succeeded the city of Helike, which had been destroyed by an earthquake in 373 BCE, as the Achaian League’s federal centre. The centre of the Aitolian League was Thermon with its sanctuary of Apollo. In 338 BCE a very conscious decision made Onchestos, with its Boiotian sanctuary of Poseidon, the administrative centre of the renewed Boiotian League, in order to nip a renewed Theban hegemony in the bud. This drew on a principle which had already proved its usefulness in Archaic times, when in many places tribal states and even poleis had come together in so called Amphiktyonies (amphiktyoníai) equipped with a central cult centre to deal with interstate matters besides sharing a common practice of worship.36 Furthermore, several federal states tried to confront their innate polycentrism by carrying out at least some of their federal assemblies at rotating locations.37 | [S. 122]
33 See n. 21. 34 A compilation of the sources is provided by Moggi 1976, 293–325 n. 45; see also Nielsen 2002, 414–455 and Nielsen 2004, 520–522. 35 Cf. Funke/Haake 2013. 36 Cf. Funke 2013a (with further literature). 37 Although in the Aitolian League the regular autumn meeting (Thermiká) always took place at the central federal sanctuary in Thermos, the regular spring meeting (Panaitoliká) occurred at different places. This change of place was probably introduced in the context of the expansion of the league in the third century BCE; see Funke 2013b. In the Achaian League a similar rotation system, initiated by Philopoimen, was introduced in 189/8 BCE (Liv. 38,30,2–5); cf. Lehmann 2001, 51–53.
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6. New Scope for Politics The federal states’ polycentrism permanently defined their political elites’ range of action, too. They attempted to position themselves in the complex network of relationships on the levels of league and member states with the aim of keeping an enduring political influence as long as possible. We can determine only to a limited extent which strategies the politicians employed to achieve this aim since our literary sources convey an incomplete picture and the inscriptions can only provide limited information on this point. Nevertheless, the example of the Aitolian League may allow us to sketch a plausible outline of the answer. The annual replacement of all federal magistrates and the reappointment of all positions in the federal council, which was proportionally filled by the member states, clearly formed an obstacle to a permanent concentration of power. In particular, there was a rule which, although it did not prohibit re-election of the chief federal magistrates, did prevent consecutive terms. Thus, a continuous occupation of the highest offices by one and the same person was impossible. However, the conduct of the annual elections for the federal council (synédrion), which took place in the member states, was by all accounts different, and it is clear that there was no ban on re-election or continuing in office. As a result the Aitolian federal council’s composition did not change annually, unlike e. g. the Council of 500 in the Athenian democracy, by way of which a general participation of all eligible citizens had been accomplished. In fact the member states’ leading families, who in turn provided the inner circle of the foremost federal politicians, could establish themselves in the federal council on a long-term basis and produce their own ‘classe politique’, legitimised by periodical elections, on the level of the koinón. The massacre of 167 BCE, which occurred in the Aitolian synédrion, is at any rate evidence for a composition of the federal council along these lines.38 Otherwise it would be hard to explain how the assassination and expulsion of the council members who stood in opposition to Rome could have hit the core of anti-Roman resistance in Aitolia. This only makes sense if we assume that the group gathered in the synédrion was not a body of representatives more or less randomly assembled through an annual rotation, but rather the long-term protagonists of Aitolian politics. Therefore, the way into federal politics was necessarily via the member states whose strength was also revealed in the filling of federal offices. In the third and second century BCE citizens of the Aitolian main land and of all subsequently included central Greek regions held such offices. In this context it is worth pointing out that politicians from newly incorporated states were elected to even the highest federal | [S. 123] offices, sometimes immediately after their states’ admittance. It must have been precisely these integra-
38 Liv. 45,28,7.
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tion mechanisms that made federal states appear so appealing to many poleis; Polybius describes them as follows with reference to the Achaian league: One could not find a political system and principle so favourable to equality and freedom of speech, in a word so sincerely democratic, as that of the Achaian league. Owing to this, while some of the Peloponnesians chose to join it of their own free will, it won many others by persuasion and argument, and those whom it forced to adhere to it when the occasion presented itself suddenly underwent a change and became quite reconciled to their position. For by reserving no special privileges for original members, and putting all new adherents exactly on the same footing, it soon attained the aim it had set itself, being aided by two very powerful coadjutors, equality and humanity.39
7. Adaptation by Change The importance of the member states in Hellenistic federal states is also reflected by an institutional change which can be observed in the third and second centuries BCE. As the federal states grew – and thus developed a more complex internal structure – the federal council’s importance as a representative organ of the members consistently gained significance compared to the federal assembly. This development correlated with structural changes, which are particularly well illustrated by the example of the Aitolian League. These changes show the dynamic, which the federal states were able to deploy in their relationship to the federal power. This is clear from the striking innovations of the Aitolian federal council’s governing board, which are revealed above all by the epigraphic sources.40 The federal council was under the direction of a presidium that simultaneously participated in the supervision of the federal assembly. The numerical composition of this board changed over the course of time. Initially, two or three boúlarchoi headed the synédrion; in the course of the third century BCE, their number increased at first to four, then to six.41 This numerical enlargement of the council presidium took place simultaneously with the Aitolian League’s major phases of expansion during the 70s and 60s as well as 39 Pol. 2,38,6–9 (tr. W. R. Paton/F. W. Walbank/C. Habicht); cf. also n. 21. 40 For the following see Funke 2015, 116–117. 41 The increase in the number of boúlarchoi can be extrapolated from the chronology of the following inscriptions: IG IX 12 ,1, 8, ll. 11–15; 11f, ll. 42–43; 12f, ll. 39–41; 166, ll. 9–15; 9, ll. 8–14; 22, ll. 5–8; 23, ll. 2–3; 61, ll. 10–13; 71, ll. 5–7; 31k, ll. 74–76; Staatsverträge 3, 542, ll. 9–12; IG IX 12 ,3, 605, ll. 2–5; cf. also Antonetti/Cavalli 2012, 179–181 T 5. 192–193 T 17. 194–195 T 19.
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| [S. 124] the 30s of the third century BCE, when there was also a considerable extension of the synédrion, which was proportionally composed from the elected representatives of all member-states. The increase in the number of boúlarchoi and the numerical augmentation of the federal council can probably be traced back to an effort to adapt the organisational structures of the synédrion to the changed conditions in the koinón, which by now extended far beyond its more narrow boundaries. Thus, the new league-members’ claim to political participation was accounted for not only through proportional involvement in the council, but also by an enlargement of the council presidium. The regulation mandating that the Panaitoliká take place in various locations had a similar aim.42 A further change in the chairmanship of the council occurred at the end of the third century BCE. As part of a fundamental reorganization of the council’s chairmanship, the responsibility and leadership of the synedrion was transferred to two magistrates now called prostátai (“principals”), who were provided with their own secretary.43 In fact, there seems to be much evidence to suggest that the restructuring of the Aitolian synédrion was by no means limited to a reorganisation of the executive committee but was linked to a farther-reaching reform of the federal council aimed at expanding its authority, and at stronger cooperation between the federal council and the federal magistrates. Since the primary assembly, convening only occasionally, was hardly able to react suitably to all the new challenges of the quickly expanding league, the political weight of the council and other governing bodies grew, especially in the third century, when the increasing importance of Aitolia in power politics meant that their decisions had ever greater consequences for the League and its members. This development most likely tended to accommodate the needs of the individual member-communities to participate as much as possible in federal politics, which was far better achieved by means of a proportionally staffed federal council than through a primary assembly, where individuals voted, rather than each state as a body. Thus, the question arises as to whether the reform of the council in the late third century BCE also triggered a re-allocation of competences between federal council and federal assembly, in addition to the institutional rearrangement of the synédrion, in order to take account of the more complex circumstances of political business. The extremely disparate sources do not permit a definite answer. Yet despite all the uncertainties we can conclude that the federal council as an independent, decision-making body was noticeably more prominent in Aitolian documents from the end of the third century BC than in earlier documents. | [S. 125] This observation suggests that structural changes had taken place in the Aitolian League at that time which clearly corresponded both temporally and in substance with developments in other Greek koiná. There are documents of the Akarnanian 42 See n. 37. 43 IG IX 12 ,1, 188, ll. 32–35.
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League from after the Social War (220 to 217 BCE), in which besides the federal secretary (grammateús) a second council Secretary (grammateús tai boulai) is mentioned for the first time. Furthermore, the mode of appointment to the most important federal offices underwent a decisive change between 216 to 208/7 BCE. Up until then only citizens of a single member state at a time constituted the executive committee in a yearly rotation. This principle was given up in favour of a new one, whereby citizens of different member states were chosen simultaneously for the leading magistracies.44 This doubtless arose from an attempt to ensure a stronger presence of as many member states as possible in the federal councils. At the same time the Achaian League’s constitution was probably subject to substantial revision, too, so that most of the competences – all federal decisions, including federal legislation, with the exception of decisions on war and peace – were transferred from the primary assembly to the federal council. In addition, around this time or earlier, the voting procedure in the Achaian federal assembly, just as in the Boiotian League, changed. While it had previously been the case that every participant in the assembly had a vote it now was common to assign a collective vote to each member state (katá póleis).45 Most of the Greek federal states experienced a fundamental political change at that time. Unfortunately, only a few set pieces can be recognized and it is difficult to piece them together into an overall pattern. But at least a shared basic tendency is apparent. It appears that in every case the status of the federal council and of the federal magistrates within the internal structures of the koinón were strengthened so that the representative organs of the member states increased in importance with respect to the primary assemblies. Underlying these changes were two aims. On the one hand, they certainly served to improve the capacity for political action, and so achieved pragmatic aims. On the other hand, the desire of the member communities for a more intensive participation in league affairs was probably decisive. This cemented the internal cohesion of the koinón, but also secured the member states’ political identity. The increasing extension of the principle of proportional representation thus offered the poleis a new pattern for a survival in a politically changed world. Viewed in this way, the federal states contributed to a revitalisation of its poleis in Hellenistic times, | [S. 126] which would then take on an entirely different trajectory through the intervention of Rome.46 44 On the changes in the Akarnanian League see Funke/Gehrke/Kolonas 1993 and Freitag 2015. 45 Cf. Lehmann 2001, 72–81 (with references) and Rizakis 2015, 123–128. 46 Walbank 1981, 157–158 rightly claims that “in a world of monarchies the federal states […] exemplify the continuing ability of the Greeks to respond to a new political challenge with new solutions. One is bound to ask whether, given another century without Rome, federalism might not have developed fresh and fruitful aspects […]. Federalism offered the possibility of transcending the limitations of size and relative weakness of the separate city-state. But time ran out.”
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Die Bedeutung der griechischen Bundesstaaten in der politischen Theorie und Praxis des 5. und 4. Jh. v. Chr. (Auch eine Anmerkung zu Aristot. pol. 1261a 22–29)
Verwirrung und Zwietracht, ἀκρισία und ταραχή, seien in Hellas nach der Schlacht noch größer geworden als vorher. Mit dieser Feststellung beschließt Xenophon bekanntlich seinen Bericht über die Schlacht bei Mantineia im Jahre 362 und zugleich auch seine gesamte Darstellung der griechischen Geschichte seit 411.1 Mit diesen wenigen Worten charakterisierte er die Ausweglosigkeit der machtpolitischen Konstellation Griechenlands in der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. Die Schlacht bei Mantineia und die ihr vorausgegangenen Auseinandersetzungen hatten wieder einmal die Unfähigkeit der griechischen Staatenwelt erwiesen, eine polis-übergreifende Friedensordnung dauerhaft zu sichern. Die Schlacht bei Mantineia bedeutete aber nicht nur ein erneutes Scheitern der Bemühungen um eine Koine Eirene,2 sondern sie markierte zugleich auch den Zerfall des Arkadischen Bundes und damit das Ende eines föderalstaatlichen Versuchs, der nicht einmal zehn Jahre Bestand gehabt hatte; allerdings ging der Arkadische Bund nicht gänzlich zugrunde, sondern spaltete sich in einen nördlichen und einen südlichen Bund auf. Beide Hälften blieben föderalstaatlich konstituiert und existierten noch einige Jahrzehnte bis zur Auflösung durch Alexander im Jahre 324.3 So | [S. 60] kurzlebig dieses auf – noch näher zu erläuternden – föderalstaatlichen Prinzipien aufgebaute Staatswesen auch war, wirft es doch ein bezeichnendes Licht auf die staats- und verfassungsrechtlichen Strukturen der damaligen griechischen Staatenwelt, die weitaus vielfältiger und differenzierter ausgestaltet waren als oft angenommen und die sich eben nicht nur auf eine bipolare Typologie von Polis und Stammesstaat reduzieren lassen. Dabei kommt der Bildung von Staatenbünden in der Form von Amphiktyonien oder – mehr oder weniger durch eine Hegemonialmacht beherrschten – Symmachien eine wichtige, aber – wie im folgenden zu zeigen sein wird – eben nicht die einzige Rolle zu; vielmehr gilt es bereits für das fünfte und vierte Jahrhundert v. Chr. das Phänomen der Ausbildung auch bundesstaatlicher Strukturen stärker als bislang geschehen in den Blick zu nehmen. Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: W. Schuller (Hg.), Politische Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, 59–71. 1 Xen. hell. 7,5,27: ἀκρισία δὲ καὶ ταραχὴ ἔτι πλείων μετὰ τὴν μάχην ἐγένετο ἢ πρόσθεν ἐν τῇ Ἑλλάδι. – Für zahlreiche wertvolle Hinweise sei K. Freitag M. A. an dieser Stelle herzlich gedankt. 2 Vgl. hierzu Jehne 1994. 3 Zur Geschichte des Arkadischen Bundes vgl. u. a. Swoboda/Hermann 1913, 219–227; Busolt/Swoboda 1920–1926, 1395–1409; Larsen 1968, 180–195; Dušanić 1970 (in Serbokroatisch mit engl. Resümee); Giovannini 1971, 43–46; zur Auflösung der Bundesstaaten durch Alexander vgl. aber auch Worthington 1986; zur vieldiskutierten Frage des Gründungsdatums der arkadischen Bundeshauptstadt Megalopolis s. Leschhorn 1984, 167–175 und Hornblower 1990 (mit der älteren Literatur).
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Ich möchte daher im folgenden zunächst einen Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen griechischer Bundesstaaten im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr. vor dem Hintergrund des historischen Kontextes geben und im Anschluß daran das Problem der zur Kennzeichnung dieser Erscheinungsformen in der zeitgenössischen Historiographie und Staatsphilosophie gebräuchlichen antiken Terminologie erörtern; abschließend werde ich dann der Frage nachgehen, welcher Stellenwert den föderalstaatlichen Prinzipien in der staatsphilosophischen Diskussion der vorhellenistischen Zeit zukam. Wenden wir uns zunächst also den bundesstaatlichen Phänomenen selbst zu. Die delphische Amphiktyonie werde ich dabei außer Betracht lassen, auch wenn sie strenggenommen ebenfalls in diesem Zusammenhang abzuhandeln wäre. Handelt es sich dabei doch keineswegs nur um eine kultische Vereinigung, sondern um den frühesten für uns faßbaren Zusammenschluß mehrerer Staaten zu einem Verband, dessen zentralen Institutionen von den Mitgliedsstaaten dieser „Eidgenossenschaft“ neben der Pflege des gemeinsamen Kultes durchaus auch politische Aufgaben übertragen worden waren, wie sie im Amphiktyoneneid niedergelegt waren.4 | [S. 61] Auf den Arkadischen Bundesstaat hatte ich bereits eingangs hingewiesen. Ich möchte auf diesen Bund ein wenig näher eingehen, da er im folgenden noch eine besondere Rolle spielen wird. Auch wenn wir nur über sehr spärliche historiographische und epigraphische Quellenzeugnisse verfügen, läßt sich die föderalstaatliche Grundstruktur dieses Bundes doch einigermaßen nachzeichnen.5 Infolge der spartanischen Niederlage bei Leuktra war es in den Jahren zwischen 371 und 369 mit boiotischer Unterstützung zum Zusammenschluß der zuvor eigenständigen arkadischen Gemeinden gekommen.6 Das landsmannschaftliche Zusammengehörigkeitsbewußtsein dürfte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Für die Bildung eines Einheitsstaates reichte es allerdings schon lange nicht mehr aus; dafür hatten sich die einzelnen Staaten in Arkadien in der Vergangenheit allzu sehr auseinanderentwickelt und waren nun auf den weitgehenden Erhalt ihrer Selbständigkeit sorgsam bedacht; andererseits hatte sich bei den Arkadern die Erkenntnis durchgesetzt, daß angesichts der durch den Zerfall der spartanischen Vormachtstellung bedingten tiefgreifenden Veränderungen ein engerer staatlicher Zusammenschluß nur von Vorteil sein konnte. Dieses Spannungsgefüge gegenläufiger Interessen führte zur Konstituierung eines Bundesstaates, dessen oberstes Beschlußorgan eine Bundesversammlung, οἱ μύριοι, war, zu welcher wohl alle Vollbürger des Bundes uneingeschränkt Zutritt hatten. Aus der Namens 4 Ganz folgerichtig hatte daher schon Emmius 1626 in seiner systematischen Darstellung der griechischen Staatenwelt neben dem Achaiischen Bund, dem Aitolischen Bund etc. auch der delphischen Amphiktyonie ein eigenes Kapitel gewidmet. In neueren Abhandlungen findet in der Regel der politische Aspekt gegenüber dem sakralen eine allzu geringe Wür- | [S. 61] digung; vgl. aber auch Tausend 1992. 5 Vgl. zum Folgenden die in Anm. 3 angeführte Literatur. 6 Vgl. dazu Roy 1971; Demand 1990, bes. 111–118.
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gebung οἱ μύριοι – „die Zehntausend“ – wird man kaum auf eine wie auch immer bedingte Zugangsbeschränkung zur Bundesversammlung schließen dürfen; οἱ μύριοι diente wohl nur der Bezeichnung einer zahlenmäßig undefinierten, großen Zahl und stand für die Gesamtheit aller Bundesbürger – vergleichbar etwa der Bezeichnung οἱ χίλιοι, die alternativ zur Bezeichnung τὸ κοινόν für die Bundesversammlung des Akarnanischen Bundes verwandt wurde.7 In der arkadischen Bundesversammlung wurden alle den Bund als Gan- | [S. 62] zen betreffenden Beschlüsse gefaßt (auswärtige Angelegenheiten, Krieg-Frieden-Beschlüsse, Bundesfinanzen, Bundesgerichtsbarkeit, Bundes-Proxenie und -Bürgerrechtsverleihungen etc.). An dieser Beschlußfassung war auch – wahrscheinlich in probuleumatischer Funktion – ein Rat beteiligt, in den die einzelnen Gliedstaaten Vertreter entsandten; allerdings ist weder die Anzahl der von den einzelnen Mitgliedern des Bundes in den Rat Entsandten noch die Gesamtzahl aller Ratsmitglieder bekannt. Rückschlüsse auf eine wahrscheinlich proportionale Vertretung der einzelnen Gliedstaaten in den zentralen Gremien des Bundes lassen sich allenfalls aus der Zusammensetzung eines Kollegiums von 50 Damiurgen ziehen, die am Schluß eines von den μύριοι und der βουλή der Arkader gefaßten Proxeniebeschlusses aufgeführt werden.8 Die Funktion dieser Damiurgen ist nicht eindeutig zu klären. Entweder handelte es sich um einen Ausschuß des Rates oder um einen eigenständigen Ausschuß, der gemeinsam mit dem Strategen und den übrigen Bundesmagistraten die laufenden Geschäfte des Bundes führte. In dieses Damiurgenkollegium entsandte jeder Gliedstaat in der Regel fünf Mitglieder mit Ausnahme von Megalopolis, der neugegründeten Bundeshauptstadt, die zehn Damiurgen stellte, und Lepreon und Mainalion, die nur drei bzw. zwei Vertreter stellten. Möglicherweise richtete sich die Zahl der Damiurgen nach der Größe der jeweiligen entsendenden Stadt.9 Einen anderen, sehr erwägenswerten Lösungsvorschlag hat Pierre Salmon unterbreitet. Er geht von einer Bezirkseinteilung des Arkadischen Bundes nach dem Vorbild des Boiotischen Bundes aus, dessen Verfassungsstruktur – zumindest bis 386 – nach einem strikten Proportionalitätsprinzip ausgerichtet war. Nach Salmons Auffassung repräsentiert jede der in der Inschrift genannten sieben Poleis, die jeweils fünf Damiurgen stellten, einen Bundesbezirk; Megalopolis habe aufgrund seiner Größe zwei Bezirke gebildet, während Lepreon und Mainaleon zu einem einzigen Bezirk zusammengelegt worden seien. Folglich hätten insgesamt zehn, von der Größe her weitgehend ausgeglichene Bezirke als Gliedstaaten die föderale Grundstruktur des Arkadischen Bundes geprägt.10 Eine endgültige Entscheidung ist hier kaum möglich, auch wenn die zweite Lösung – wie sich noch zeigen wird – m. E. eine gewisse Präferenz beanspruchen kann. Jedenfalls 7 Schaefer 1961, bes. 310–314; vgl. auch außer der in Anm. 3 genannten Literatur Larsen 1966, bes. 74–75; zur Bezeichnung der akarnanischen Bundesversammlung vgl. Funke/Gehrke/Kolonas 1993, bes. 140–141. 8 Syll.3 183 = Tod, GHI 132. 9 Zu den Damiurgen des Arkadischen Bundes vgl. Veligianni-Terzi 1977, bes. 108–111. 10 Salmon 1978, 5. 104–106.
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bleibt in beiden Fällen die Feststellung einer bundesstaatlichen Konstitution Arkadiens in der Zeit nach 370/69, die auf der Grundlage einer sympolitischen Verbindung der einzelnen Glied- | [S. 63] staaten beruhte, denen in diesem Rahmen stets auch ein Bereich für eine autonome Betätigung verblieb. Der Arkadische Bund des vierten Jahrhunderts war aber bekanntlich nicht der erste Versuch, eine föderale Staatsstruktur zu schaffen. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß die Verfassungsstruktur des nach 379 unter thebanischer Vorherrschaft neu begründeten, zum Teil aber auch noch die des alten, zwischen 447 und 386 existierenden Boiotischen Bundes bei der Gründung des Arkadischen Bundes ganz offenbar Pate gestanden hatte. In Boiotien war es besonders früh zur Ausgestaltung einer bundesstaatlichen Organisation gekommen. Mit der Neugründung des Boiotischen Bundes 447 verband sich ein tiefgreifender struktureller Wandel: Durch die Einführung föderalstaatlicher Strukturen suchte man ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit zu gewährleisten, nachdem die Erfahrungen der vorangegangenen Zeit gelehrt hatten, daß die landsmannschaftlichen Bindungen nicht mehr ausreichten, die zentrifugalen Kräfte aufzufangen, die durch den Anspruch einzelner boiotischer Poleis auf politische Eigenständigkeit in der Vergangenheit freigesetzt worden waren. Es war dies übrigens eine Folge nicht zuletzt auch der attischen Politik, die in den Jahren zwischen 457 und 447 den Zusammenhalt der Boioter bewußt untergraben und die Autonomie der boiotischen Einzelpoleis gefördert hatte. Die detaillierte Beschreibung der boiotischen Bundesverfassung, die wir dem Autor der Hellenika von Oxyrhynchos verdanken, vermittelt uns das Bild eines klar gegliederten und die Zuständigkeitsbereiche von Zentralgewalt und Gliedstaaten deutlich abgrenzenden Staatsaufbaus,11 der eben doch weitaus mehr darstellte als – wie etwa Hans Schaefer annehmen zu müssen glaubte – eine bloße Symmachie, „deren Beziehungen geregelter und fortgeschrittener waren als die der anderen Symmachien, da sie auf dem Stamme aufbauen konnte“.12 Ich möchte hier nicht noch auf weitere Einzelheiten eingehen, sondern statt dessen auf einige andere Staaten hinweisen, die ebenfalls bereits in vorhellenistischer Zeit zumindest Ansätze bundesstaatlicher Strukturen aufwiesen. Als erstes wäre hier der unter der Führung Olynths gegründete Chalkidische Städtebund zu nennen. Auch wenn wir diesbezüglich nur über einige wenige Nachrichten Xenophons und einige inschriftliche Er- | [S. 64] wähnungen verfügen, so reichen diese doch aus, um den föderalstaatlichen Charakter dieses Bundes sicher feststellen zu können, wie dies bereits Georg Busolt und 11 Hell. Oxyrh. 16(11),2–4 [Bartoletti] = 19,2–4, Z. 373–405 [Chambers]; dazu (mit weiterführender Literatur): Bruce 1967, 102–109; McKechnie/Kern 1988, 152–161; s. auch Salmon 1978, bes. 225–235. 12 Schaefer 1932, 91; vgl. gegen Schaefer etwa auch Giovannini 1971, 49.
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Heinrich Swoboda gegen Karl Julius Beloch und Eduard Meyer getan haben.13 Ob sich auch in Phokis und Lokris bereits im fünften oder frühen vierten Jahrhundert ein Wandel hin zu einer bundesstaatlichen Organisation zu vollziehen begann, läßt sich aufgrund der gänzlich unzureichenden Quellenlage letztlich nicht entscheiden. Wenn aber im Zusammenhang mit der Auflösung des Phokischen Bundes nach dem Ende des Dritten Heiligen Krieges davon die Rede ist, daß die phokischen Städte zerstört und ihre Bewohner in offenen Dörfern angesiedelt wurden,14 so liegt die Vermutung nahe, daß mit der Vernichtung der urbanistischen Struktur nicht nur militärstrategische Ziele verfolgt wurden, sondern auf diese Weise auch die tragenden Elemente eines vielleicht dann doch schon eher bundesstaatlich organisierten Phokis beseitigt werden sollten.15 Auch in Achaia scheint die Ausbildung bundesstaatlicher Strukturen am Ende des fünften Jahrhunderts bereits weit entwickelt gewesen zu sein; anders ließe sich die zeitweilige, noch geraume Zeit vor 389 erfolgte Integration der an der Nordküste des Golfes von Patras gelegenen und eigentlich zu Aitolien gehörenden Polis Kalydon in den achaiischen Staatsverband kaum erklären.16 Offenbar hatte sich die staatliche Binnenstruktur Achaias bereits so weit verändert, daß auch hier nicht mehr die stammesmäßige Zugehörigkeit, sondern die sympolitische Verbindung der einzelnen Gliedstaaten untereinander zum entscheidenden Faktor geworden war, so daß sich grundsätzlich auch Staaten außerhalb Achaias dem Achaiischen Bund auf diese Weise anschließen konnten.17 | [S. 65] Eine durchaus vergleichbare Veränderung in der staatlichen Binnenstruktur hat sich offenbar, wenn auch zeitlich versetzt wohl erst im Verlaufe des vierten Jahrhunderts, in Nordwestgriechenland – vor allem in Akarnanien und Aitolien und dann auch in Epeiros – vollzogen. In allen Fällen scheint es zunächst einmal zu einer fortschreitenden Auflösung des stammesstaatlichen Zusammengehörigkeitsgefühls gekommen zu sein; mit dieser Desintegration verband sich zugleich auch ein wachsendes politisches Selbstbewußtsein der einzelnen auseinanderbrechenden Teile des Stammesstaates. Diese „Politisierung“ einzelner Stammesteile führte in der Regel zwar zur Zerstörung der stammesstaatlichen Binnenstrukturen, jedoch nicht zur vollständigen Zersplitterung. Da das Stammesbewußtsein gewöhnlich nicht zur Gänze schwand, konnte sich eine mehr oder weniger lockere (Re-)Integration der quasi als Poleis verselbständigten 13 Swoboda 1924, 9. 28; Swoboda/Hermann 1913, 215–218; Busolt/Swoboda 1920–1926, 1504–1507; Beloch 1922, 101; Meyer 1958, 286. 297; gegen die Position Belochs und Meyers, die dann erneut u. a. von Hampl 1935, vertreten wurde, vgl. auch Larsen 1968, 58–78; s. darüber hinaus Zahrnt 1971, bes. 80–111. 14 Diod. 16,60,2; Paus. 10,3,1–3. 15 Hierzu s. Larsen 1968, 40–48; Giovannini 1971, 50–53. 16 Xen. hell. 4,6,1: οἱ Ἀχαιοὶ ἔχοντες Καλυδῶνα, ἣ τὸ παλαιὸν Αἰτωλίας ἦν καὶ πολίτας πεποιημένοι τοὺς Καλυδωνίους …; vgl. Merker 1989. 17 Larsen 1968, 80–89 bes. 85; anders Giovannini 1971, 54–55, dessen Argumentation allerdings nicht überzeugt.
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Stammesteile und Unterstämme in einen dann neuen Bundesstaat leichter verwirklichen lassen; und andererseits erleichterte die neue Gliedstaatenstruktur die Integration auch stammesfremder politischer Einheiten, was am Beispiel der politischen Integration von Kalydon in den Achaiischen Bund an der Wende vom fünften zum vierten Jahrhundert v. Chr. deutlich wird. Der hier zugestandenermaßen eher abstrakt beschriebene Wandlungsprozeß ließe sich anhand der Entwicklungsgeschichte des Akarnanischen und vor allem des Aitolischen Bundes im fünften und vierten Jahrhundert noch konkretisieren, worauf allerdings an dieser Stelle verzichtet werden soll.18 Es dürfte auch so hinreichend deutlich geworden sein, daß die Anfänge der Ausbildung bundesstaatlicher Strukturen in Griechenland bis ins fünfte Jahrhundert v. Chr. zurückreichen und sich quasi im Windschatten der Geschichte der griechischen Poliswelt vollzogen. Zunächst vorrangig landsmannschaftlich orientiert und stammesstaatlich organisiert, bildeten sich vor allem an den Randzonen der Poliswelt – etwa in Achaia, Aitolien und Akarnanien und besonders früh in Boiotien – Keimzellen, aus denen heraus sich spätestens im Verlaufe des | [S. 66] vierten und frühen dritten Jahrhunderts v. Chr. neuartig strukturierte Staatengebilde entwickelt hatten, die im Hinblick auf die Organisation des zwischenstaatlichen Miteinanders der Poleis ganz neue und zukunftweisende Formen aufwiesen. Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen den Hegemonialmächten Athen und Sparta im fünften Jahrhundert v. Chr., in welche die bis dahin eher randständigen Regionen Griechenlands zunehmend hineingezogen wurden, hatten einen Entwicklungsprozeß in Gang gesetzt, der in Reaktion auf den außenpolitischen Druck neue Wege aufwies, um durch die Schaffung föderativer Organisationsformen die offenkundigen Schwächen der Vielstaatenwelt Griechenlands zu überwinden. Auch wenn die neuen Formen und Strukturen noch sehr unterschiedlich waren und ihre jeweilige Ausprägung auch noch steten Wechseln und Veränderungen unterworfen war, so wird man gleichwohl nicht umhin können, dieser politischen Entwicklung einen hohen historischen Stellenwert einzuräumen. Es muß daher überraschen, daß diesem doch auch schon im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr. sehr differenzierten und weitgefächerten Spektrum staatlicher Erscheinungsformen die in der zeitgenössischen Historiographie und Philosophie gebräuchliche Terminologie in keiner Weise entspricht. In der Regel wurde alles, was nicht Polis war, mit Ethnos bezeichnet. Das Begriffspaar πόλεις καὶ ἔθνη wurde schon von Herodot verwandt, um die Gesamtheit der antiken Staa-
18 Die Erforschung der frühen Geschichte der griechischen Bundesstaaten ist ein dringendes Desiderat der Forschung; man ist immer noch weitgehend auf die entsprechenden Ausführungen in den in Anm. 3 genannten Grundlagenwerken von Busolt, Swoboda, Larsen und Giovannini angewiesen: eine Untersuchung über den Aitolischen Bund bereite ich derzeit für die Drucklegung vor; vgl. hierzu vorerst Funke 1987; Funke 1991; Funke 1997.
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tenwelt zu kennzeichnen,19 und an diesem Sprachgebrauch hielt man dann auch in der Folgezeit fest. Ich erinnere hier nur an die königlichen Sendschreiben aus hellenistischer Zeit, die sich an die πόλεις καὶ ἔθνη wenden und den Adressatenkreis allenfalls noch um die βασιλεῖς und δυνάσται erweitern.20 Dem Begriff Ethnos kommt in diesem Zusammenhang eine semantische Breite zu, die sich eigentlich nur im Ausschlußverfahren bestimmen läßt. Auf jeden Fall ist Ethnos nicht auf das Bedeutungsfeld „Volk, Völkerschaft“ im bloß ethnographischen Sinne zu begrenzen. Zu Recht hat Adalberto Giovannini hierzu festgestellt: „Alles, was nicht Polis ist, ist Ethnos, auch im staats- und völkerrechtlichen Sinne.“21 Ethnos kann also unterschiedslos einen Stammesstaat wie auch einen Föderalstaat bezeichnen. Wir werden hier mit dem Phänomen konfrontiert, daß es im Sprachgebrauch der klassischen und hellenistischen Zeit keinen terminus technicus zur Bezeichnung eines Bundesstaates gab, zumal auch der Ausdruck | [S. 67] κοινόν, eine ebenfalls oft – vor allem im urkundlichen Material – gebräuchliche Bezeichnung eines Bundesstaates, eine zumindest gleich große Bedeutungsbreite aufweist und für sich genommen nicht als ein spezifischer Ausdruck für Bundesstaat gelten kann. In gleicher Weise unspezifisch sind im übrigen auch die Begriffe σύστημα und συντέλεια. Am nächsten kommt dem Gemeinten noch der Begriff συμπολιτεία, da er rechtlich klar definiert ist und die besonderen staatsrechtlichen Binnenstrukturen eines antiken Bundesstaates zu kennzeichnen vermag.22 Aber gerade dieser Begriff findet im antiken Quellenmaterial im hier diskutierten Zusammenhang am wenigsten Anwendung. Diese unzureichende Begrifflichkeit sollte uns jedoch nicht allzu sehr verwundern angesichts der Tatsache, daß auch wir heute kaum über ein besseres sprachliches Instrumentarium verfügen, das geeignet wäre, die Vielfalt der staatlichen Erscheinungsformen jenseits eines Einheitsstaates angemessen zu benennen. Ganz unabhängig von der beträchtlichen Unschärfe der einschlägigen antiken Terminologie ist aber festzuhalten, daß bundesstaatliche Organisationen von den antiken Historiographen bereits in klassischer Zeit als eigenständige Erscheinungsformen durchaus wahrgenommen wurden. Die Anmerkungen des Xenophon zur Binnenstruktur des Chalkidischen Städtebundes, in denen er ἐπιγαμία und ἔγκτησις als besonders bemerkenswerte Elemente des bundesstaatlichen Zusammenhaltes charakterisiert,23 bezeugen dies ebenso wie die ausführliche Beschreibung der boiotischen Verfassung durch den Autor der ‚Hellenika von Oxyrhynchos‘.24 19 Hdt. 5,2; 7,8; 8,108; unrichtig ist daher die Annahme von Vilatte 1984, 191: „Hérodote … utilise le terme d’ethnos, mais sans l’opposer à celui de polis.“ 20 Eine Auswahl von Belegen bei Rostovtzeff 1956, 1202, Anm. 277. 21 Giovannini 1971, 16. 22 Zur Problematik der Terminologie vgl. Giovannini 1971, 14–24 und insbesondere Walbank 1976/7, der sich zurecht gegen Giovanninis allzu enge Auslegung der einschlägigen Begriffe wendet; s. darüber hinaus auch Larsen 1945, bes. 78, Anm. 72; Larsen 1968, XIV–XV. 23 Xen. hell. 5,2,18–19. 24 Vgl. Anm. 11.
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Um so erstaunlicher ist es, daß die Bundesstaaten in der überlieferten zeitgenössischen staatsphilosophischen Diskussion so gut wie keine Berücksichtigung fanden, obgleich auch hier das Phänomen bundesstaatlicher Ordnung durchaus erkannt war. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine Textpassage aus der aristotelischen ‚Politik‘ verweisen und hierauf näher eingehen, da ihr m. E. eine Schlüsselfunktion zukommt: Οὐ μόνον δ᾽ ἐκ πλειόνων ἀνθρώπων ἐστὶν ἡ πόλις, ἀλλὰ καὶ ἐξ εἴδει διαφερόντων· οὐ γὰρ γίνεται πόλις ἐξ ὁμοίων. | [S. 68] Ἕτερον γὰρ συμμαχία καὶ πόλις· τὸ μὲν γὰρ τῷ ποσῷ χρήσιμον, κἂν ᾖ τὸ αὐτὸ τῷ εἴδει (βοηθείας γὰρ χάριν ἡ συμμαχία πέφυκεν), ὥσπερ ἂν εἰ σταθμὸς πλεῖον ἑλκύσειε· (διοίσει δὲ τῷ τοιούτῳ καὶ πόλις ἔθνους, ὅταν μὴ κατὰ κώμας ὦσι κεχωρισμένοι τὸ πλῆθος, ἀλλ᾽ οἷον Ἀρκάδες)·25 Diese Textstelle ist immer wieder eingehend behandelt worden und hat ganz unterschiedliche Ausdeutungen erfahren: Keine der bisher vorgetragenen Interpretationen erscheint mir jedoch zufriedenstellend.26 Der erste Teil des Vergleichs bietet die geringsten Schwierigkeiten. In der Gegenüberstellung von Polis und Symmachia betont Aristoteles die je unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Teilbereiche im Hinblick auf die je | [S. 69] oberste Einheit. Dabei vergleicht er die aus ganz unterschiedlichen Gruppen bestehenden 25 Aristot. pol. 1261a 22–29; schon die im folgenden zitierten Übersetzungen lassen die Schwierigkeiten der Interpretation dieser Textstelle erkennen: Gigon 1971, 70: „Der Staat besteht außerdem nicht nur aus vielen Menschen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind. Aus ganz Gleichen entsteht kein Staat. Denn ein Staat und eine Bundesgenossenschaft sind verschieden. Diese ist begründet in ihrer Quantität, auch wenn keine Unterschiede in der Art vorhanden sind (denn die Bundesgenossenschaft ist ihrem Wesen nach um der gegenseitigen Hilfe willen da), so wie etwa ein Gewicht rein durch seine Größe hinunterzieht. Auf dieselbe Weise unterscheidet sich ja auch ein Staat von einem Stamme, soweit die Leute nicht nach Dörfern getrennt sind, sondern wie bei den Arkadern.“ Schütrumpf 1991, 12: „Ein Staat setzt sich aber nicht nur aus einer größeren Anzahl von Menschen zusammen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind, denn ein Staat entsteht nicht aus Gleichen. Grundsätzlich unterscheidet sich nämlich ein Waffenbündnis von einem Staat: der Nutzen eines Waffenbündnisses beruht allein auf der zahlenmäßigen Stärke, auch wenn (die Mitglieder) von gleicher Art sind – denn ein Waffenbündnis dient seiner Natur nach der militärischen Hilfeleistung – (es wirkt) wie ein zusätzliches Gewicht, das (die Waagschale) zum Sinken bringt. In dieser (Differenz von Einheit unter wesensmäßig Verschiedenen und zahlenmäßiger Addition Gleicher) besteht auch der Unterschied zwischen einem Staat und einem Volksstamm, sofern die große Zahl (seiner Mitglieder) nicht vereinzelt über Dörfer zerstreut wohnt, sondern wie die Arkader organisiert ist.“ 26 Eine Zusammenfassung der bisherigen Forschungsdiskussion mit Angabe der wichtigsten Literatur findet sich bei Vilatte 1984 und bei Schütrumpf 1991, 164–166; der grundsätzliche Mangel fast aller Interpretationsansätze besteht in einer allzu starken Fokussierung der Fragestellung auf einen bipolaren Gegensatz Polis – Ethnos, Staat – Volksstamm/Stammesstaat; vgl. auch Weil 1960, 269–272; eine seltene Ausnahme bilden Larsen 1945; Walbank 1970, bes. 14–17; Walbank 1976/7.
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Teile einer Polis mit den in der Zuordnung zu einer Zentralgewalt grundsätzlich zunächst einmal gleichgearteten Bündnispartnern einer Symmachia und erklärt die von ihm postulierte Differenz aus der je unterschiedlichen Zielsetzung einer Polis bzw. einer Symmachia. Die Interpretation des zweiten Vergleichs zwischen Polis und Ethnos bereitet größere Probleme.27 Der Begriff Ethnos wird zunächst durch die ausschließende Bedingung: ὅταν μὴ κατὰ κώμας ὦσι κεχωρισμένοι τὸ πλῆθος („sofern die Bewohner nicht vereinzelt in Dörfern zerstreut wohnen“) näher bestimmt. Wilhelm Dittenberger hatte hieraus in einem Umkehrschluß gefolgert, daß ein κατὰ κώμας siedelndes Ethnos von Aristoteles strukturell mit einer Polis gleichgesetzt worden sei.28 Das ist sicherlich ein Trugschluß; es ging Aristoteles an dieser Stelle wohl kaum um eine schärfere Kontrastierung des Begriffspaares Polis – Ethnos im Sinne eines bipolaren Gegeneinanders; vielmehr wurde hier ganz offensichtlich der Versuch unternommen, den vieldeutigen Ethnos-Begriff im Vergleich zum eindeutigeren Polis-Begriff auszudifferenzieren. Der älteren und wohl auch landläufigeren Verwendung des Begriffs Ethnos zur Kennzeichnung eines schon durch seine spezifische Siedlungsstruktur charakterisierten Stammesstaates wird hier die Verwendung des Begriffes Ethnos im Sinne von Bundesstaat zur Seite gestellt. Nicht anders wird man den Verweis οἷον Ἀρκάδες zu verstehen haben. Aristoteles unterscheidet also zwei Typen von ἔθνη, von denen nur einer unter dem vorgegebenen Aspekt mit πόλις, kontrastiv und mit συμμαχία strukturell vergleichbar ist, nämlich der bundesstaatliche (arkadische) Typ. Hierauf hatten bereits Franz Susemihl und Robert D. Hicks in ihrer 1894 erschienenen kommentierten Ausgabe der aristotelischen Politik hingewiesen.29 Gleichwohl ist immer wieder vorgebracht worden, Aristoteles habe nicht den Arkadischen Bund als ganzen im Blick gehabt, sondern nur eine einzelne der durch Synoikismos entstandenen arkadischen Städte; und hier werden dann ganz verschiedene Namen ins Spiel gebracht: Megalopolis, Mantineia, Tegea u. a. Ethnos werde als besonderer Terminus für eine | [S. 70] durch Synoikismos entstandene Polis verwandt.30 Mir scheint eine solche Interpretation allerdings kaum haltbar, zumal sich keinerlei Parallelbelege für einen solchen Wortgebrauch anführen lassen. Auch vermag ich nicht zu erkennen, wo der dann anzunehmende prinzipielle Unterschied zwischen einer Polis aristotelischer Prägung und einer durch Synoikismos entstandenen Polis liegen sollte.
27 Vgl. etwa Gigon 1971, 278 (zu Aristot. pol. 1261a 27–29): „Eine bis zur Unverständlichkeit verkürzte Stelle.“ 28 Dittenberger 1874. 29 Susemihl/Hicks 1894, 217. 322–325; s. auch schon Newman 1887, 231–232; so auch wieder Larsen 1945, 78, Anm. 72; Walbank 1967/7, 31–32. 30 Vgl. die Zusammenstellung bei Susemihl/Hicks 1894; auch wenn der Versuch einer Neubestimmung des aristotelischen Ethnosbegriffes durch Vilatte 1984, in eine noch andere Richtung zielt, so gehen die Ausführungen doch von einer allzu starken Akzentuierung des Synoikismos von Megalopolis aus und unterschätzen die föderalen Strukturen des Arkadischen Bundes.
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II. Polisübergreifende politische Organisationsformen
Darüber hinaus darf man auch den vorangehenden Vergleich zwischen Polis und Symmachia nicht ganz außer Betracht lassen. Die Abgrenzung von Polis gegenüber Symmachia einerseits und Ethnos arkadischer Prägung andererseits wird man in einem gedanklichen Zusammenhang sehen müssen, der deutlich werden läßt, daß Symmachia und Ethnos arkadischer Prägung zwar auch strukturell Vergleichbares aufweisen (τῷ τοιούτῳ), gleichwohl aber nicht nur von Polis, sondern auch voneinander zu scheiden sind. Das, was beide verbindet, ist offenbar die additive Zusammensetzung aus wesensmäßig gleichen Teilen. Hierbei dürften den einzelnen Mitgliedern einer Symmachia die einzelnen Gliedstaaten eines Bundesstaates (hier: Ethnos) entsprochen haben. Und sollte Salmon mit seiner These recht haben, daß der Arkadische Bund aufgrund einer Bezirkseinteilung aus jeweils gleich großen Gliedstaaten bestand,31 dann ist leicht einsichtig, weshalb Aristoteles bei seinem Vergleich gerade auf den Arkadischen Bund rekurrierte. Aristoteles unternimmt also letztlich nichts anderes, als Polis, symmachialen Staatenbund und föderalen Bundesstaat gegeneinander abzugrenzen; und da ihm zur Kennzeichnung des föderalen Bundesstaates keine spezifische Begrifflichkeit zur Verfügung stand, mußte er sich des Begriffes Ethnos bedienen und diesen durch die ausschließende Formel ὅταν μὴ κατὰ κώμας ὦσι κεχωρισμένοι τὸ πλῆθος von dessen landläufiger Bedeutung im Sinne von Stammesstaat abgrenzen. So besehen greifen wir an dieser Stelle der aristotelischen Politik den – soweit ich sehe – einzigen Versuch, die in der politischen Wirklichkeit existierende Vielfalt staatlicher Formationen zumindest typologisch zu erfassen. Damit stellt sich allerdings die Frage noch schärfer, weshalb in den überlieferten staatstheoretischen Schriften der klassischen und frühhellenistischen Zeit eine theoretische Grundlegung des Bundesstaates nicht statt- | [S. 71] fand, zumal sich bekanntlich unter der aristotelischen Sammlung von Staatsverfassungen eben auch die Politeiai der Arkader, Aitoler, Lokrer u. a. befanden.32 Schon 1937 hatte Hans Kelsen angemerkt: „Immer schon hat man es zu den Unbegreiflichkeiten der aristotelischen Lehre gezählt, daß diese den Staat schlechthin mit dem Stadtstaat, der spezifisch hellenischen Polis, identifiziert, daß sie den neuen Gestaltungen der politischen Wirklichkeit ihrer Zeit gegenüber blind zu sein scheint.“33 Eine schlüssige Antwort auf dieses Problem kann auch ich nicht geben. Offenbar vermochte man in den neuen bundesstaatlichen Formen, die ja zweifellos wahrgenommen wurden, keine wirklich fruchtbare Alternative zur Polis und keine ertragreiche Antwort auf Probleme zu sehen, welche auch die Koine Eirene nicht lösen konnte. Vielleicht aber entspricht die Beschränkung des Aristoteles auf die Polis, also auf eine damals fast schon 31 Salmon 1978. 32 Vgl. u. a. Aristot. fr. 473 R3 ap. Strab. 7,7,2; fr. 474 R3 ap. Strab. 7,7,2; fr. 475 R3 ap. Schol. Pind. N. 3, 27; fr. 483 R3 ap. Harpokr. 280; Phot. s.v. μυρίων; Lex. Seg. 280,4 s.v. μύριοι; fr. 547 R3 ap. Pol. 12,5,4–8. 11; Athen. 6,264c. 33 Kelsen 1933, 660.
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überkommene Form von Staatlichkeit, der durchaus parallel gelagerten Tendenz in der ‚Poetik‘: Auch hier herrscht die Behandlung traditioneller, zur damaligen Zeit eigentlich schon überkommener literarischer Formen vor.
Nachtrag Das Manuskript wurde im Juli 1996 letztmalig überarbeitet, so daß später erschienene Literatur nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Folgende Abhandlungen seien hier aber doch wenigstens noch nachgetragen: Beck 1997; Winterling 1995.
Beck 1997: H. Beck, Polis und Koinon. Untersuchungen zur Geschichte und Struktur der griechischen Bundesstaaten im 4. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart 1997. Beloch 1922: K. J. Beloch, Griechische Geschichte. Bd. 3: Bis auf Aristoteles und die Eroberung Asiens, Leipzig 19222 . Bruce 1967: I. A. F. Bruce, A Historical Commentary on the Hellenica Oxyrhynchia, Cambridge 1967. Busolt/Swoboda 1920–1926: G. Busolt/H. Swoboda, Griechische Staatskunde, 2 Bde., München 1920–19263. Demand 1990: N. H. Demand, Urban Relocation in Archaic and Classical Greece: Flight and Consolidation, Oklahoma 1990. Dittenberger 1874: W. Dittenberger, F. Susemihl, Aristotelis politicorum libri octo vetusta translatione Guilelmi de Moerbeka recensuit Franciscus Susemihl, Leipzig 1872 (Rez.) GGA 43/44, 1874, 1349–1384. Dušanić 1970: S. Dušanić, Arkadski savez IV veka, Belgrad 1970. Emmius 1626: U. Emmius, Vetus Graecia, 3 Bde., hg. von W. Emmius, Leiden 1626. Funke 1987: P. Funke, Zur Datierung befestigter Stadtanlagen in Aitolien. Historisch-philologische Anmerkungen zu einem Wechselverhältnis zwischen Siedlungsstruktur und politischer Organisation, Boreas 10, 1987, 87–96 (= KS I, S. 62–78). Funke 1991: P. Funke, Zur Ausbildung städtischer Siedlungszentren in Aitolien, in: E. Olshausen/ H. Sonnabend (Hgg.), Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 2, 1984 und 3, 1987, Bonn 1991 313–332 (= KS I, S. 79–92). Funke 1997: P. Funke, Polisgenese und Urbanisierung in Aitolien im 5. Und 4. Jh. v. Chr., M. H. Hansen (Hg.), The Polis as an Urban Centre and as a Political Community, Kopenhagen 1997, 145–188 (= KS I, S. 93–103). Funke/Gehrke/Kolonas: P. Funke/H.-J. Gehrke/L. Kolonas, Ein neues Proxeniedekret des Akarna nischen Bundes, Klio 75, 1993, 131–144 (= KS I, S. 201–218). Gigon 1971: O. Gigon, Aristoteles. Politik, Zürich 19712 . Giovannini 1971: A. Giovannini, Untersuchungen über die Natur und die Anfänge der bundesstaatlichen Sympolitie in Griechenland, Göttingen 1971. Hampl 1935: F. Hampl, Olynth und der Chalkidische Staat, Hermes 70, 1935, 177–196. Hornblower 1990: S. Hornblower, When was Megalopolis Founded?, ABSA 85, 1990, 71–77. Jehne 1994: M. Jehne, Koine Eirene. Untersuchungen zu den Befriedungs- und Stabilisierungs bemühungen in der griechischen Poliswelt des 4. Jahrhunderts v. Chr., Stuttgart 1994.
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II. Polisübergreifende politische Organisationsformen
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III. STÄDTISCHE WELTEN
Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis*
Als die Studiengruppe des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, die „Sinnkonzepten als lebens- und handlungsleitenden Orientierungssystemen“ nachzugehen suchte, ihre theoretischen Grundüberlegungen an konkreten Fallbeispielen aus verschiedenen Kulturen und politischen Systemen in der griechisch-römischen Antike erproben wollte, kristallisierte sich schon sehr bald die Frage nach Identitäten im Sinne von Zu(sammen) gehörigkeitsvorstellungen und nach entsprechenden Verhaltensmodi als eine zentrale Analysekategorie heraus.1 Dabei erwiesen sich die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der griechischen Poliswelt als in besonderer Weise geeignet, die Komplexität kollektiver Identitäten in der Antike exemplarisch zu beschreiben und das Nebeneinander der durch ihren jeweiligen situativen Identifikationsbezug ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen in ein und derselben Polisgemeinschaft darzustellen. Die folgenden Ausführungen vermögen das hier angesprochene Phänomen allerdings nicht in allen seinen Dimensionen auszuloten. Es kann hier nur darum gehen, mit Blick auf die generelle Fragestellung einige charakteristische Grundzüge aufzuzeigen und eine erste Richtung anzudeuten, in welche sich eine künftige Diskussion dieser Thematik perspektivisch entwickeln sollte. In klassischer Zeit wurde die Polis zwar nicht zur einzigen, aber doch zur dominanten und prägenden Form staatlicher, aber eben auch siedlungsmäßiger Organisation in der griechischen Welt – und das war damals der größere Teil der gesamten mittelmeerländischen Oikumene.2 Damals erfuhr die Polis in den staatsphilosophischen Schriften vor allem Platons und Aristoteles’ auch ihre idealtypische Ausformung. Die Polis erscheint hier – zugestandenermaßen sehr vereinfacht – als ein durch eine gemeinsame Rechtsordnung verbundener und außen- wie innenpolitisch unabhängiger Personenverband freier Bürger, die in einem überschaubaren, mehr oder weniger urban verdichteten Raum gemeinsam lebten. Diese vor allem staats- und verfassungsrechtliche Betrachtungsweise hat die wissenschaftliche Diskussion um die Polis bis heute nachhaltig geprägt, so daß es zu einer Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: K.-J. Hölkeskamp/J. Rüsen/E. Stein-Hölkes kamp/H. T. Grüttler (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 211–224. * Für die Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Hinweise danke ich K. Freitag und M. Haake; für die Überlassung der Photos bin ich H. R. Goette und für die Anfertigung der Karten M. Tieke zu Dank verpflichtet. 1 Aus der mittlerweile kaum noch zu überschauenden Fülle der Literatur zur Identitätsforschung sei hier nur auf Assmann/Friese 1998 und Niethammer 2000 hingewiesen, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung bieten. 2 Die folgenden Ausführungen bleiben der Prägnanz willen ausdrücklich auf die antike Staatsform der Polis beschränkt, auch wenn sich die hier vorgetragenen Überlegungen zumindest teilweise auch auf andere antike Staatsformen übertragen ließen. Zur Vielfalt der staatlichen Erscheinungsformen in klassischer Zeit vgl. Funke 1998.
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III. Städtische Welten
zunehmenden Verunsicherung bei der Verwendung eines Stadtbegriffes kam, der einem modernen Bedeutungswandel unterlegen ist und eben nicht mehr – oder zumindest nicht mehr primär und unbedingt – | [S. 212] rechtlich und verfassungspolitisch definiert ist.3 Mit der terminologischen Bindestrich-Lösung des „Stadt-Staates“ suchte man sich dann auf die verfassungsrechtliche Seite zu retten und die personenverbandlichen Organisationsformen in den Vordergrund zu rücken; dabei wurde die Frage nach den städtischen Siedlungsstrukturen weitgehend ausgeblendet. Selbst die in vieler Hinsicht grundlegende, 1956 publizierte Arbeit von Ernst Kirsten über „Die griechische Polis als historisch-geographisches Problem des Mittelmeerraumes“, die ausdrücklich den räumlichen Dimensionen der Polis gewidmet war, konnte sich nicht ganz dieser Sichtweise entziehen.4 Angesichts der Kleinräumigkeit der Siedlungszentren vieler Poleis belegte Kirsten diese mit dem bezeichnenden Ausdruck „Stadtdorf “, um mit diesem Kompositum die Kleinräumigkeit (Dorf ) mit den verfassungsrechtlichen und institutionellen Funktionen (Stadt) zu verbinden. Auch hier findet der Stadtbegriff wieder eine ganz spezifische, durch eine übermäßige Fixierung auf die politisch-rechtlichen Funktionen der Polis geprägte Ausdeutung. In einem Ende der 80er Jahre erschienenen Aufsatz charakterisierte Oswyn Murray die allgemeine Forschungssituation treffend wie folgt: The German pólis can only be described in a handbook of constitutional law; the French polis is a form of Holy Communion (gemeint ist die Schwerpunktsetzung der französischen Altertumswissenschaften auf Mythos und Ritual); the English pólis is a historical accident; while the American pólis combines the practises of a Mafia Convention with the principles of justice and individual freedom.5 Die einseitige Sichtweise, in welcher die Polis ausschließlich oder doch vornehmlich als – um einen Begriff Max Webers anzuwenden – politischer Anstaltsbetrieb erscheint,6 verstellt den Blick für die siedlungsgeographischen Strukturen einer Polis, die durchaus eigene Lebenswelten konstituieren konnten. Das galt keineswegs für alle Poleis. Es war vor allem auch eine Frage der Größe des jeweiligen Siedlungsverbandes. Der überwiegende
3 Es ist hier nicht der Ort, auf die breite Forschungsdiskussion um den antiken Stadtbegriff näher einzugehen; einen Überblick (mit weiterer Literatur) bieten u. a. Finley 1977; Kolb 1984; Gawantka 1985; Deininger 1989; Mohlo/Raaflaub/Emlen 1991; Meier 1994; Nippel 1996; Weber 1999; Hansen 2000 (hier auch bibliographische Verweise auf die weiteren bisherigen Forschungsergebnisse des von M. H. Hansen geleiteten Copenhagen Polis Centre); vgl. auch Funke 2003a in einer um Ausführungen zum antiken Stadtbegriff erweiterten Fassung der hier vorgetragenen Überlegungen. 4 Kirsten 1956. 5 Murray 1987, 326. 6 Zum anstaltsmäßigen Charakter vgl. etwa Nippel 1994, 55–56; Weber 1999, passim.
Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis
259
Teil der in klassischer Zeit mehr als 800 Poleis hatte an heutigen Maßstäben gemessen eher einen dörflichen Charakter. Hier bildeten Polisterritorium und Siedlungsverband eine in sich geschlossene Einheit. Zwar existierte auch hier in der Regel ein fester Siedlungskern, der sich durch eine verdichtete Bebauung auszeichnete; dieser verfügte aber gewöhnlich nicht über eine quantitativ hinreichend große „kritische Masse“, um sozusagen jenseits der Polis eigene Lebensräume zu konstituieren. Es gab aber auch andere Fälle, wie im Folgenden an zwei Beispielen verdeutlicht werden soll. Eine vor wenigen Jahren veröffentlichte Inschrift7 überliefert den Text eines sogenannten Sympolitievertrages zwischen den peloponnesischen Staaten Mantinea und Helisson, in dem | [S. 213] die vollständige politische Integration des kleineren Helisson in den größeren Staat Mantinea vereinbart wurde: „Die Bürger von Helisson seien (fortan) Bürger von Mantinea zu gleichen Rechten und Pflichten“. Weiter heißt es dann: Die Helissonier „sollen ihre Chora (ihr Land) und ihre Polis in Mantinea und in den Gesetzesbereich der Mantineer einbringen; dabei soll (aber) die Polis der Helissonier so, wie sie jetzt ist, auf alle Zeit bestehen bleiben und die Helissonier eine kóme8 der Mantineer bilden“. Es ist dies einer der ganz wenigen Belege, in denen urkundlich der Begriff pólis eindeutig im siedlungsgeographischen Sinne verwandt wird und mit dem in diesem Fall im staatsrechtlichen Sinne gebrauchten Begriff kóme kontrastiert wird. Dem Siedlungs verband der Helissonier wird also auch nach seiner Aufnahme in die Polis Mantinea ein eigener Lebensbereich ausdrücklich zugestanden, der vornehmlich siedlungsmäßig bestimmt blieb. Der sympolitische Zusammenschluß zweier Poleis stellt aber zugestandenermaßen einen Sonderfall dar, bei dem sich die Existenz – oder besser gesagt: der Fortbestand – einer Polis im Urbanen Sinne aus ihrer vorangehenden, auch verfassungsrechtlichen Eigenständigkeit als Polis im politisch-rechtlichen Sinne erklärt. Gleichwohl bleibt vor dem Hintergrund der leidigen Polis-Stadt-Debatte zu konstatieren, daß auch innerhalb einer Polis mehrere eigene, urban verdichtete Lebenswelten Bestand haben konnten. Besonders deutlich läßt sich dies an dem zweiten Fallbeispiel ablesen: der Binnengliederung der Polis Athen. Nun ist die Polis Athen schon allein aufgrund ihrer Größe, die bekanntlich ungefähr den Umfang des heutigen Luxemburg hatte, nicht
7 Te Riele/Te Riele 1987 (= SEG XXXVII 340); IPArk 98–111 Nr. 9; zur historischen Einordnung dieser Inschrift vgl. Funke 2003b. 8 Der Begriff kóme dient eigentlich zur Bezeichnung dessen, was im Deutschen landläufig mit „Dorf “ wiedergegeben wird; hier aber ist kóme als Bezeichnung eines Bezirks, einer politischen Teileinheit der Polis Mantinea zu verstehen.
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III. Städtische Welten
der Regeltyp einer Polis.9 Sie ist fraglos ein Extremfall, aber auch keineswegs ein Einzelfall. Poleis wie Korinth, Milet, Syrakus oder Rhodos lassen sich durchaus Athen zur Seite stellen.10 Betrachtet man nun die innere Struktur der Polis Athen, so zeigt sich ein ganz eigentümliches Spannungsgefüge zwischen der verfassungsrechtlichen und siedlungsgeographischen Ordnung des Polisterritoriums, das ich im Folgenden kurz darstellen möchte: Zum Polisterritorium zählte eben nicht nur die Stadt Athen, sondern ganz Attika. Von den Gebirgszügen des Parnes und des Kithairon im Norden bis zur Südspitze von Kap Sunion erstreckte sich das athenische Staatsgebiet über mehr als 2600 km2 .11 In der „Hauptstadt“ Athen und ihrer näheren Umgebung lebte wohl kaum mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung; die übrige Einwohnerschaft verteilte sich auf ganz Attika, das nicht nur in den Küstenregionen und in den fruchtbaren Ebenen von Eleusis, Athen und des Binnenlandes, sondern auch an den Randzonen der Gebirge und in den nordöstlichen und südlichen Hügelland- | [S. 214] schaften dicht besiedelt war. Es gab weit mehr als 100 Landgemeinden (Demen) ganz unterschiedlicher Größe; Streusiedlungen mit zahlreichen Einzelgehöften und Dörfern bestanden neben kleineren urbanen Zentren mit durchaus städtischem Gepräge.12 Die Vielfalt und Dichte der Besiedlung Attikas hatte der Ausbildung zahlreicher lokaler Sonderinteressen Vorschub geleistet. Um diesen Sonderinteressen entgegenzuwirken und den Zusammenhalt der gesamten Polis zu stärken, hatte der Athener Kleisthenes im ausgehenden sechsten Jahrhundert v. Chr. eine radikale, auf einem rein territorialen Ordnungsprinzip aufbauende Neuordnung des athenischen Bürgerverbandes ins Werk gesetzt. Die Basis dieser Neuordnung bildeten die einzelnen Demen, die allerdings auf der Grundlage eines komplizierten Verteilungsverfahrens zu größeren politischen Einheiten (Phylen) zusammen 9 Zum territorialen und demographischen Umfang der antiken griechischen Staaten sind Beloch 1886 und Gomme 1933 immer noch grundlegend; vgl. aber auch Kahrstedt 1934; Ehrenberg 1965, 32–47; Ruschenbusch 1985, dessen detaillierte Berechnungen allerdings nicht in allen Fällen zu überzeugen vermögen. 10 Cohen 2000, 12–15 betont die Einzigartigkeit der Größe des athenischen Territoriums, aufgrund derer Athen ein in seiner Binnenstruktur unvergleichlicher Einzelfall innerhalb der griechischen Staatenwelt gewesen sei. Aber auch wenn man mit Cohen das Staatsgebiet von Sparta oder die Territorien der zahlreichen Stammes- und Bundesstaaten aufgrund der jeweils spezifischen staatsrechtlichen Rahmenbedingungen von der Betrachtung ausnimmt, bleibt doch noch eine Anzahl von Poleis, die in ihrem Zuschnitt durchaus an die Größe Athens heranreichten oder diese – wie im Falle etwa von Syrakus und Akragas – sogar noch übertrafen; vgl. hierzu auch Gschnitzer 1991, der in diesem Zusammenhang den Ausdruck „Großpoleis“ verwendet. 11 Zur Geographie Attikas immer noch grundlegend: Philippson/Kirsten 1952. 12 Zur Vielfalt und Dichte des attischen Siedlungsbildes vgl. Osborne 1985; Lohmann 1993; Goette 1999.
Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis
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gefügt wurden, in denen jeweils Demen aus ganz unterschiedlichen Regionen Attikas (Stadt Athen, Küste und Binnenland) vertreten waren (vgl. Abb. 2). Erst auf der Ebene dieser Phylen konnte sich die politische Teilhabe der Bürger an den politischen Entscheidungsprozessen der Polis voll entfalten. Das Alles ist bekannt, und soll daher hier auch nicht weiter ausgeführt werden.13 Um was es hier vor allem gehen soll, das ist die urbane Siedlungsstruktur eines Teils der attischen Demen, deren besonderer Charakter immer noch allzu wenig wahrgenommen wird. Hans Rupprecht Goette hat in einem grundlegenden Aufsatz am Beispiel der attischen Demen Piräus, Rhamnus, Sunion und Thorikos den städtischen Zuschnitt der zugehörigen Demenzentren herausgestellt.14 Von Festungsmauern umgeben verfügten diese Siedlungen über eine dichte Wohnbebauung, öffentliche Platzanlagen, Theater und Heiligtümer; und im Fall von Rhamnus verband sogar eine repräsentative, mehr als einen Kilometer lange Gräberstraße das Südtor des Demenzentrums mit dem extraurbanen Heiligtum der Nemesis (vgl. hierzu die Abb. 1). Dieser knappe Verweis auf das städtische Erscheinungsbild dieser Demenzentren mag genügen, um einen ungefähren Eindruck zu vermitteln von der Vielfalt urbaner Siedlungsformen innerhalb der Polis Athen. Eine Vielfalt, die angesichts des Glanzes der „Hauptstadt Athen“ allzu rasch aus dem Blick gerät und daher in der Regel zu wenig Beachtung findet. Man hat es hier mit einer Städtewelt innerhalb einer Polis zu tun, die ganz eigene Lebenswelten ausbildete, deren Eigenarten sich nicht allein dadurch erfassen lassen, daß man den verfassungsrechtlichen Status dieser Städte als Demen innerhalb der staatlichen Ordnung der Polis Athen beschreibt. Demen wie Sunion oder Rhamnus oder gar die Hafenstadt Piräus unterschieden sich von den zahlreichen Demen, die oft kaum mehr als eine größere Ansammlung von Bauernhöfen waren,15 eben nicht nur durch ihre Größe. Im städtischen Erscheinungsbild dieser Demen spiegelt sich ein besonderes Selbstbewußtsein und Selbstverständnis seiner Bewohner, das sich erst erschließen läßt, wenn man sich auch auf eine quasi ikonographische Ausdeutung dieser Siedlungsbilder einläßt. | [S. 215]
13 Einen guten Überblick (mit weiteren Literaturverweisen) über die Forschungsdiskussion zu den kleisthenischen Reformen bieten Traill 1975; Siewert 1982; Traill 1986; Welwei 1998, 157–165. 301–303; Welwei 1999, 1–21. 14 Goette 1999; vgl. auch Goette 2000. 15 Vgl. etwa das Beispiel des von Lohmann 1993 erforschten Demos Atene in Südattika.
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III. Städtische Welten Abb. 1: Das Demenzentrum von Rhamnous (Negativ H. R. Goette – Photograph G. Kouroupis)
Die attischen Demen bildeten als Sub einheiten der Polis zwar auch verfassungsrechtlich konstituierte und entsprechend institutionell ausgestaltete Einheiten mit einem Demarchen an der Spitze und einer eigenen Demenversammlung. Das galt aber für alle Demen, die also unbe- | [S. 216] schadet ihrer Größe und ihres urbanen Zuschnitts (unter Einschluß ihres Umlandes) immer auch rechtlich formiert waren.16 Allerdings sollte man stärker, als dies landläufig geschieht, unterscheiden zwischen dem rechtlich klar definierten Bürgerverband der Demenangehörigen, zu denen aufgrund der Erblichkeit der Demenzugehörigkeit auch athenische Bürger zählten, die nicht mehr im angestammten Demos wohnten, und der Einwohnerschaft eines Demos, der auch Nichtbürger und oft auch Angehörige anderer Demen zuzurechnen sind.17 Die Ansässigkeit in einem Demos wie Sunion, Rhamnus oder gar Piräus konnte durchaus ein spezifisches Zusammengehörigkeitsbewußtsein und damit eine eigene Identität begründen, die von derje- | [S. 217] nigen des bürgerlichen Demotenverbandes Das hier skizzierte Bild erhält noch eine andere Konturierung, wenn man den Blick auf das eigentliche Zentrum der Polis, den zentralen Vorort Athen, richtet. Das Areal innerhalb der Stadtmauern war in mehrere Demen aufgeteilt, die ihrerseits wiederum seit der kleisthenischen Neuordnung mit anderen Demen außerhalb der „Stadt“ aus den Bereichen Küste und Binnenland jeweils zu einer Phyle zusammengeschlossen waren (vgl. Abb. 2).18 Der von den Festungsmauern umschlossene „städtische“ Raum war also kein gesonderter Rechtsraum; die einzelnen Demengebiete der Stadt (ásty) Athen wurden sogar teilweise von den Stadtmauern durchschnitten (vgl. Abb. 3). | [S. 218]
16 Osborne 1985; Whitehead 1986; Osborne 1990; Welwei 1999, 11–15; Jones 1999, 56–69. 17 Dazu auch Jones 1999, 56–57, der in diesem Sinne zwischen „constitutional deme“ und „territorial deme“ differenziert; vgl. aber auch schon Whitehead 1986, 76–77 und auch Whitehead 2001 in Auseinandersetzung mit Skydsgaard 2000. 18 Traill 1975; Siewert 1982; Traill 1986.
Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis
Abb. 2: Das kleisthenische Phylen- und Demensystem (Karte: M. Tieke)
| [S. 219]
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III. Städtische Welten Abb. 3: Die Demen der Stadt Athen (Karte: M. Tieke)
Die innerhalb der Mauern lebenden Bürger – von dem größeren Teil der nichtbürgerlichen Bevölkerung einmal ganz abgesehen – bildeten für sich keinen rechtlich geschlossenen, quasi städtischen Personenverband. Sie waren in gleicher Weise hoi Athenaíoi wie auch die Bürger aus Rhamnus, Sunion, Thorikos oder Piräus; und im übrigen waren sie Mitglieder ihres jeweiligen Demos. Dennoch wird niemand der ásty Athen ihren städtischen Charakter absprechen wollen; und es dürfte wohl außer Frage stehen, daß auch die „städtische“ Bevölkerung Athens als solche ein eigenes Selbstbewußtsein besaß und eine eigene Identität ausgebildet hatte – jenseits oder auch quer zu ihrer Einbindung in die verfassungsrechtlichen Strukturen der Polis. Die attische Komödie entwirft ein eindrucksvolles Bild des besonderen Milieus innerhalb der Stadt Athen und vermittelt einen Eindruck von der ganz eigenen Lebenswelt, die sich doch erheblich von dem unterschied, was das Leben in den Bergdörfern Nordostattikas oder in den Bergbaugebieten des südlichen Polisgebietes bestimmte.19 Wie aber läßt sich ein durch diese städtische Lebenswelt geprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl adäquat erfassen bzw. als solches eigentlich erst bestimmen? Die Fixierung auf den Polisbegriff hilft hier ebensowenig weiter wie die Suche nach rechtsverbindlichen Kriterien. Man wird sich dem Problem nur nähern können, wenn man (wieder) stärker auch die siedlungsgeographischen Aspekte und das äußere Erscheinungsbild mit in die Betrachtung einbezieht. Dies waren im übrigen auch schon in der Antike gültige Kategorien zur Bestimmung dessen, | [S. 220] was eine Stadt ausmachte bzw. dessen, was wir auch aus heutiger Perspektive noch als Stadt bezeichnen könnten. Ich verweise nur auf die Reisebeschreibung des Herakleides Kretikos (oder Kritikos?) aus dem dritten Jahrhundert v. Chr., die deutlich macht, daß das äußere Erscheinungsbild ein ausschlaggebendes Moment darstellte: Von hier … zu der Stadt (ásty) der Athener. Der Weg ist angenehm, führt ganz durch angebautes Land und bietet herzerfreuenden Ausblick. Die Stadt (pólis) ist ganz trocken, gar nicht gut mit Wasser versehen, von winkligen Straßen unschön durchschnit19 Hierzu immer noch grundlegend Ehrenberg 1968.
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ten, da in alten Zeiten erbaut. Die meisten Häuser sind minderwertig, nur wenige genügen höheren Anforderungen; kaum dürfte ein Fremder beim ersten Anblick glauben, daß dies „die Stadt der Athener“ sei. Nach kurzer Zeit wird er es aber wohl glauben. So ist dort das Schönste auf Erden: ein Theater, der Beachtung wert, groß und bewunderungswürdig; ein prachtvolles Heiligtum der Athena, der Welt entrückt, sehenswert, der Parthenon, über dem Theater gelegen; großen Eindruck macht er auf die Beschauer.20 Auch die descriptiones und laudes urbium, denen Carl Joachim Classen eine umfangreiche Untersuchung gewidmet hat,21 zeugen von der Bedeutung, die dem Stadtbild auch in der Antike beigemessen wurde. Zuletzt sei in diesem Zusammenhang eine bezeichnende Notiz in den Reisebeschreibungen des Pausanias aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. zitiert: Von Chaironeia (einer Stadt im mittelgriechischen Boiotien) sind es zwanzig Stadien nach Panopeus, einer phokischen Stadt (pólis), wenn man auch einen solchen Ort eine Stadt nennen darf, der weder Amtsgebäude, noch ein Gymnasion, noch ein Theater, noch einen Markt besitzt, nicht einmal Wasser, das in einen Brunnen fließt, sondern wo man in Behausungen etwa wie den Hütten in den Bergen an einer Schlucht wohnt. Und doch haben auch sie ihre Landesgrenzen gegen die Nachbarn und schicken ebenfalls Vertreter in die phokische Bundesversammlung.22 Schon Pausanias artikuliert hier die Aporie, in die auch heute noch jeder gerät, der versucht, allein mit dem Polisbegriff das Wesen der antiken Stadt näher zu bestimmen, zumal wenn dies unter den Prämissen einer modernen Stadtforschung geschieht. Die Berücksichtigung der Besonderheiten der griechischen Polis ist für das Verständnis auch der städtischen Lebenswelten zwar unverzichtbar, aber eben allenfalls zur Klärung der Rahmenbedingungen. Man kann sich dem Phänomen Stadt in der griechischen Antike nicht allein über den Polisbegriff nähern, wie man sich umgekehrt auch dem Phänomen der Polis nicht allein über den Stadtbegriff nähern kann. Es wird nötig sein, neue Zugänge zu schaffen, und sich möglichst – wie dies schon 1960 Hans Schaefer gefordert hatte – von dem „zu starren und … unfruchtbar gewordenen Begriff ‚Polis‘ zu befreien“.23 Und auch der Stadtbegriff bedarf im Hinblick auf seine Übertragbarkeit auf antike Verhältnisse der Überprüfung. Dabei wird man vielleicht nicht ganz soweit gehen müs- | [S. 221] sen wie Friedrich Vittinghoff, der bereits 1978 der Stadtforschung vorhielt, daß der Begriff ‚die Stadt‘ zu einem bloßen „Kenn20 21 22 23
Herakl. Kret. 1,1; hier in der Übersetzung von Pfister 1951, 73. Classen 1980. Paus. 10,4,1. Schaefer 1960, 395.
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III. Städtische Welten
wort“ geworden sei, das „für den Historiker kaum noch analytisch-kognitive Bedeutung beanspruchen, allenfalls noch als Reizwort für einen permanenten und unfruchtbaren Definitionsstreit dienen (kann) – was heißt ‚Stadt‘?“24 Ob man nun wirklich den Stadtbegriff gleich ganz verwerfen soll, möchte ich vorerst dahingestellt sein lassen. Was m. E. aber Not tut, das ist eine stärkere Berücksichtigung der siedlungsgeographischen und urbanistischen Faktoren, um den viel zitierten ‚Lebensraum Stadt‘ in seinen Konstituenten wie auch in seinen Wandlungsmomenten besser begreifen zu können. Dafür muß vieles zusammenkommen. Es bedarf der Rezeption neuer Interpretationsmuster der Urbanistik und der Siedlungs- und Sozialgeographie; vor allem aber bedarf es archäologischer Feldforschungen mit einer entsprechenden Fragestellung. Ansätze hierzu sind vielfach vorhanden: Schon seit den 70er Jahren werden unsere Kenntnisse über die siedlungsgeschichtliche Entwicklung im antiken Mittelmeerraum durch zahlreiche flächendeckende Surveys entscheidend erweitert.25 Das Deutsche Archäologische Institut führt seit geraumer Zeit ein umfangreiches Forschungsprojekt zum Thema „Wohnen in der klassischen Polis“ durch,26 und die Bayerische Akademie der Wissenschaften hat unter der Federführung von Paul Zanker eine „Kommission zur Erforschung des antiken Städtewesens“ ins Leben gerufen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, „die Stadt in all ihren visuellen Erscheinungsformen als Spiegel, aber auch als Element politischer und sozialer Strukturen und Prozesse“ zu untersuchen.27 Schon die Zielsetzung dieses Akademieunternehmens zeigt, daß eine stärkere Berücksichtigung urbanistischer Strukturen nicht auf die bloß antiquarische Rekonstruktion topographischer Räume zielt, sondern weit darüber hinaus reicht. Es gilt, den Ensemblecharakter des äußeren Erscheinungsbildes einer Stadt möglichst vollständig zu erfassen und ihn dann vor allem in seinen Wirkungszusammenhängen zu analysieren und damit die Wechselbeziehungen zwischen „Stadtbild und Bürgerbild“ – um den Titel eines von Zanker und Michael Wörrle herausgegebenen Bandes zu zitieren – nachzuzeichnen.28 In gewisser Weise sind wir damit doch wieder – wenn schon nicht auf den Polisbegriff selbst, so doch zumindest auf seinen doppelten semantischen Gehalt zurückverwiesen, da es eigentlich um nichts anderes geht, als das diesem Begriff inhärente Spannungsgefüge zwischen urbanistischem und politischem Gehalt zur Grundlage eines Deutungsmusters zu machen. Die Frage nach der Ausgestaltung städtischer Lebenswelten und nach deren 24 Vittinghoff 1978, 547; vgl. hierzu im übrigen auch Gawantka 1985. 25 Vgl. hierzu den Überblick bei Gehrke 2000 und Sinn 2000, 68–70 sowie die Fallstudien von Lohmann 1993 und Lang 2001 (mit weiterer Literatur). 26 Ein Ergebnis dieses Forschungsunternehmens ist u. a. die (wenn auch in einigen Teilen problematische, gleichwohl aber) wegweisende Untersuchung von Hoepfner/Schwandner 1994; vgl. dazu auch Schuller/Hoepfner/Schwandner 1989. 27 Zitiert nach der Projektbeschreibung im Internet (http://www.badw.de/deuweb/akad23.htm). 28 Wörrle/Zanker 1995; vgl. auch schon Zanker 1990.
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identitätsbildenden Wirkungszusammenhängen macht die Rückbindung des siedlungsgeographischen Zugriffs an die sozio-politischen, rechtlichen und ökonomischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zwingend erforderlich. So läßt sich ein dynamisches Erklärungsmodell entwickeln, das ganz neue Wege öffnen kann, um auch den „Weberschen Perspektivenreichtum“29 neu zu erschließen und für die Frage nach dem, was die antike Stadt ausmachte, abermals fruchtbar zu machen.
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III. Städtische Welten
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Die Polis – von Athen bis Frankfurt1
Meine Damen und Herren, die Sie hier festlich versammelt sind, ich muss es noch einmal sagen: Es ist ein erstaunliches Jubiläum, das wir hier begehen und zu dem wir hier unsere Glückwünsche darbringen. Vor auf den Tag genau 34 Jahren, am 24. November 1966, eröffnete Dolf Sternberger mit diesen Worten in der Aula der Frankfurter Universität seine Festrede zum 150jährigen Bestehen der „Polytechnischen Gesellschaft“.2 Es ist mir eine besondere Freude, mit den gleichen Worten zu dem noch jugendlichen Geburtstag der Stiftung als dem jüngsten Spross der polytechnischen Familie gratulieren und auch meine Wünsche überbringen zu dürfen. Denn zumindest ebenso erstaunlich und in jeder Hinsicht bemerkenswert wie der schon so langwährende Bestand der „Polytechnischen Gesellschaft“ ist auch die vor nunmehr fünf Jahren erfolgte Gründung der Stiftung. Es ist der gleiche philanthropische Geist, der schon die Gründung der Gesellschaft am 24. November 1816 prägte, aus dem heraus sich die Stiftung der zukunftsgerichteten Gestaltung einer modernen, bürgernahen Stadtgesellschaft verschrieben hat.3 Gerne bin ich daher der Einladung gefolgt, im Rahmen des Polytechnik-Kollegs „Bürgergesellschaft und Bürgerstädte. Wurzeln, Gegenwart, Zukunft“ mit diesem Einführungs- | [S. 44] vortrag daran mitzuwirken, die ideellen Grundlagen einer modernen Bürgergesellschaft im Spannungsgefüge zwischen Vergangenheitsbezug und Zukunftsgerichtetheit zu verorten.4 Dabei ist mir die Aufgabe zugedacht worden, eine Brücke zu den antiken Fundamenten zu schlagen, auf denen auch heute noch die Einheit von Bürgersinn und Gemeinsinn als Ausdruck eines bürgerlichen Selbstbewusstseins gründet. Dass es ein solches antikes, nachhaltig wirksames Fundament gibt, ist allerdings zunächst einmal nur eine Behauptung, deren Sachgehalt erst noch zu erweisen ist. Wohlweislich geht es bei diesem Polytechnik-Kolleg nicht um das Thema „Gesellschaft und Stadt“ im Allgemeinen, sondern um „Bürgergesellschaft“ und „Bürgerstädte“. Und die Frage nach deren Wurzeln wurde von den Veranstaltern – durchaus zu Recht – theDieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: H. Beck/R. Kaehlbrandt (Hgg.), Bürgergesellschaft und Bürgerstädte. Wurzeln, Gegenwart, Zukunft, Frankfurt 2011, 43–64. 1 Die folgenden Ausführungen stellen eine überarbeitete und in Teilen erweiterte Fassung von Überlegungen dar, die ich zuvor an verschiedenen Orten vorgetragen habe und wie folgt publiziert wurden: Funke 2003; Funke 2004; Funke 2009; Funke 2010. Im vorliegenden Text bleiben die bibliographischen Hinweise auf einige weiterführende Literaturhinweise beschränkt. Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten. 2 Sternberger 1985a, 21. 3 Vgl. Lerner 1966; Bauer 2010. 4 Für die Einladung danke ich der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main sowie den beiden Mitveranstaltern, dem Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der GoetheUniversität Frankfurt am Main.
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III. Städtische Welten
matisch auf einen einzigen Begriff fokussiert: die Polis. Die Genese und Ausgestaltung dieser ganz spezifischen Siedlungs- und vor allem eben auch Lebensform in der griechischrömischen Antike waren ein historisch einmaliger Prozess, mit dem unabdingbare Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass etwas für uns heute vielleicht allzu Selbstverständliches entstehen konnte: ein Bürger zu sein und als Bürger zu handeln. Um diesen Prozess zumindest in groben Umrissen nachzuzeichnen, wird mein Brückenschlag in die Antike in drei Schritten erfolgen: Nach einigen grundsätzlichen Erwägungen zum PolisBegriff sollen zunächst die historischen Grundzüge der Herausbildung der Polis als Siedlungs- und politischer Handlungsraum – eben als Bürgerstadt – nachgezeichnet werden, um dann abschließend die Konstituierung der Polis als Bürgergesellschaft zu beschreiben. Wenn von der antiken Stadt die Rede ist, so wird in der Regel von der Polis gesprochen.5 Seit jeher schien der Begriff der Polis dem am nächsten zu kommen, was man gemeinhin unter Stadt verstand bzw. verstehen zu können glaubte. Nur folgerichtig über- | [ S. 45] setzte daher beispielsweise im 14. Jahrhundert Nicole Oresme in seiner französischen Ausgabe der aristotelischen Politik polis mit cité; und 1550 wird in einer englischen Übersetzung desselben Textes polis mit city wiedergegeben; und auch für Niccolò Machiavelli war die griechische Polis selbstverständlich eine cittá. Die Gleichsetzung von Polis und Stadt bzw. city, cittá oder cité ist vor dem Hintergrund der damaligen Zeit nur allzu verständlich und auch durchaus berechtigt. Wies doch der Polisbegriff eine vergleichbare semantische Breite auf wie der Stadtbegriff, der sich – grosso modo noch bis weit in die Neuzeit hinein – an den Gegebenheiten etwa der „Freien und Reichsstädte“ im Heiligen Römischen Reich oder auch an den oberitalienischen Stadtrepubliken orientierte. Was in diesem Fall beide Begriffe kennzeichnete, das war vor allem die spezifische Verknüpfung räumlicher und politisch-rechtlicher Komponenten. Das Verbindende war die Präsenz einer freien Bürgergesellschaft auf einem fest umrissenen, mehr oder weniger urban strukturierten Territorium. Prekär wurde eine solche Gleichsetzung von Polis und Stadt erst im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert, als sich nicht nur der äußere Zuschnitt der Städte, sondern vor allem auch deren rechtliche Rahmenbedingungen radikal veränderten. Der weitgehende Verlust städtischer Autonomie ließ die Diskrepanz zur Polis immer deutlicher hervortreten. Ein sich ausprägendes nationalstaatliches Denken musste die Eigenarten einer von zahllosen eigenständigen Poleis geprägten antiken Staatenwelt umso schärfer wahrnehmen, je mehr in der eigenen Erfahrungswelt die Städte in umfassendere nationalstaatliche Gebilde fest eingebettet wurden und ihrer staatsrechtlichen Eigenständigkeit zunehmend verlustig gingen. Der mit diesen Veränderungen einhergehende Bedeutungswandel des Stadtbegriffs fand seinen Niederschlag in den Bindestrichkomposita, mit denen man nun Polis von Stadt begriff- | [S. 46] lich zu unterscheiden suchte. Die Polis wurde zum Stadt-Staat bzw. zum city-state, stato-cittá, cité-Etat oder man verlegte sich ganz auf die 5 Vgl. zum Folgenden Gawantka 1985; Hansen 1998, bes. 15–16.
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Quellensprache selbst und beließ es bei dem Terminus polis. Die Sache wurde dadurch aber nicht einfacher. Die Spezifizierung des Begriffs Stadt durch die ergänzende Beifügung des nicht weniger eindeutigen Begriffes Staat verweist zwar auf die dem Polisbegriff inhärente Verbindung rechtlicher und siedlungsgeographischer Aspekte; sie verstellt damit aber zugleich den Blick auf das Gesamtphänomen der antiken Polis. Das Kernproblem liegt in der Vieldeutigkeit schon des antiken Polisbegriffes. Mit dieser Vieldeutigkeit hatte sich schon Aristoteles auseinandersetzen müssen, der in den Politika bezeichnenderweise feststellt: „polis wird in vielerlei Bedeutungen verwandt“ (Aristot. pol. 1276 a 23–24). Diese Äußerung steht im Zusammenhang mit der Frage, in welchem wesentlichen Verhältnis der Raum (tópos) und die Menschen (ánthropoi) eine Polis konstituieren. Aristoteles sieht die von ihm konstatierte Vielschichtigkeit des Polisbegriffes ganz offenbar darin begründet, dass diesem sowohl eine siedlungsgeographische wie auch eine politisch-rechtliche Bedeutung zu eigen sind. Die Erkenntnis dieser Vieldeutigkeit war aber nicht erst das Ergebnis theoretischer Reflexionen der griechischen Staatstheorie des vierten Jahrhunderts v. Chr., sondern bestimmte bereits einige Jahrhunderte vorher in archaischer Zeit das politische Denken. In den homerischen Epen bezeichnet das Wort polis noch ganz unterschiedslos und ausschließlich einen befestigten Siedlungsplatz, eine Mauer bewehrte Stadt; und wahrscheinlich hatte polis/ptolis auch schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. – in mykenischer Zeit – eben diese Bedeutung. Aber schon in den Dichtungen Hesiods zeichnet sich ein grundlegender Bedeutungswandel – oder besser gesagt: eine Bedeutungserweiterung ab – die sich dann in der früh- | [S. 47] griechischen Lyrik besonders gut greifen lässt. Zwei Zitate mögen hier genügen, um dies zu verdeutlichen. In einem Epigramm des Dichter Phokylides aus Milet im sechsten Jahrhundert v. Chr. heißt es: „Dies sagt Phokylides auch: Eine kleine, hoch in den Felsen gebaute, wohlgeordnete Polis ist besser als das törichte Ninive“ (Dion Chrys. 36,13 = Phokylides frg. 4 Gentili/Prato). Durch die Kontrastierung der wohlgeordneten Polis mit dem törichten Ninive wird nicht mehr nur auf den siedlungstypologischen Aspekt abgehoben, sondern auch schon der Aspekt der politischen Ordnung angesprochen. Entschieden deutlicher wird dies in dem Fragment eines Gedichtes des Alkaios aus Mytilene auf der Insel Lesbos, der an der Wende vom siebten zum sechsten Jahrhundert v. Chr. lebte. Nicht Steine noch Holz noch die Kunstfertigkeit der Baumeister machten die Polis aus, sondern „tapfere Männer seien die Schutzwehr der Polis“ (Alk. frg. 35,10 D [= 112,10 Lobel/Page]; vgl. auch Aristeid. 3,298 Behr). Schon in der archaischen Zeit wurde polis also nicht nur siedlungsgeographisch, sondern auch politisch-rechtlich konnotiert. Beide Bedeutungskomponenten standen aber nicht unvermittelt nebeneinander, sondern blieben in einer spezifischen Weise aufeinander bezogen und bedingten einander. Dieses Bedingungsgefüge zwischen dem Raum und den in ihm lebenden Menschen bildete dann die charakteristische Grundlage einer besonderen Form von Staatlichkeit im antiken Griechenland. Es entwickelte sich die
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III. Städtische Welten
Bürgerstadt, um schließlich zur Bürgergemeinde zu werden. Das alles war Ergebnis einer lang andauernden und überaus komplexen historischen Entwicklung, die ich im Folgenden nur in groben Umrissen skizzieren möchte. Dafür muss ich allerdings zeitlich weit zurückgreifen bis in die Anfänge des ersten Jahrtausend v. Chr. Nach dem Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt im | [S. 48] ausgehenden zweiten Jahrtausend v. Chr. war in den sogenannten „Dunklen Jahrhunderten“ zwischen dem elften und achten Jahrhundert v. Chr. das Siedlungsbild in Griechenland dem archäologischen Befund zufolge weitgehend von offenen dörflichen Strukturen geprägt. Dem entsprach eine weitgehend stammesmäßig gegliederte Gesellschaft. Recht früh existierten daneben aber auch schon geschlossene Siedlungsagglomerationen größeren Umfangs. Aus diesen entwickelten sich spätestens im neunten und achten Jahrhundert v. Chr. erste, oft schon von festen Mauern umgebene Stadtanlagen. Das war für sich genommen – als siedlungstypologisches Phänomen – aber noch keineswegs innovativ. Die Vorbilder hierfür lagen vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür. Trotz des tiefgreifenden Wandels der östlichen Mittelmeerwelt an der Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend bildete die Ägäis auch weiterhin einen großen zusammenhängenden Interaktionsraum, der einen engen kulturellen Austausch zwischen Griechenland, Kleinasien und der Levante beförderte. So konnten dann auch die damaligen eindrucksvollen Stadtanlagen des Vorderen Orient den Griechen zum Vorbild werden. Diese Siedlungsstruktur wurde bei den griechischen Kolonisationsbewegungen der ersten Hälfte des ersten Jahrtausend v. Chr. zum Leitbild für die neugegründeten Städte. In klassischer Zeit bildete die Polis dann zwar nicht die einzige, aber doch die dominante und prägende Form siedlungsmäßiger, aber eben auch staatlicher Organisation in der griechischen Welt – und das war damals der größere Teil der gesamten mittelmeerländischen Oikumene. Diese urbanen Siedlungen fungierten zugleich auch als Kern politisch autonomer Einheiten, die nicht nur das städtische Zentrum, sondern auch ein unterschiedlich großes, in der Regel ebenfalls besiedeltes Umland umfassten. Mit diesen Poleis schufen sich die Griechen nicht nur eine neue Siedlungsform, sondern erschlossen | [S. 49] sich zugleich auch eine neue politische Lebensform. Nicht weiträumige, stammesmäßige Bindungen, sondern das Bewusstsein der Zugehörigkeit zum Siedlungsverband der Polis bestimmten primär das Zusammenleben und das gemeinsame politische Handeln ihrer Bewohner. Bevor ich aber der Frage nachgehe, wie sich diese Poleis mit „politischem“ Leben füllten und zu Orten von Bürgergesellschaften wurden, möchte ich zunächst noch ein wenig genauer den siedlungstypologischen Befund skizzieren und das Phänomen der griechischen Bürgerstadt beschreiben, das häufig allzu sehr in den Hintergrund tritt, wenn man die Polis ausschließlich oder doch vornehmlich mit Max Weber als „politischen Anstaltsbetrieb“ betrachtet.6 6 Weber 1999, passim; zum anstaltsmäßigen Charakter vgl. Nippel 1994, 55–56.
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Als ein häufig zitiertes „Paradebeispiel“ für die frühe Phase der Entstehung urbaner griechischer Siedlungsformen dient das kleinasiatische Smyrna, das bereits im neunten Jahrhundert v. Chr. als ummauerte Siedlung angelegt wurde und dann in der Folgezeit mehrfach ausgebaut wurde. Hier greifen wir exemplarisch im monumentalen Befund eine der Wurzeln der Anfänge der griechischen Poliswelt. Mit ca. 400–500 Häusern mit Steinfundamenten und Lehmziegelwänden und einer Einwohnerschaft von ca. 2000 Menschen und noch einmal halb so vielen Bewohnern außerhalb der Mauern war Smyrna aber schon eine vergleichsweise große Stadt.7 Der überwiegende Teil der in klassischer Zeit mehr als 800 Poleis hatte an heutigen Maßstäben gemessen einen eher dörflichen Charakter. Hier bildeten Polisterritorium und Siedlungsverband eine in sich geschlossene Einheit, die in der Regel über einen Siedlungskern mit einer verdichteten Bebauung, und einem mehr oder weniger großen Umland verfügte. Diese Einheiten waren in der Regel klein und sehr überschaubar, aber sie bildeten doch jede für sich einen je eigenen, durch diese besondere Siedlungsstruktur grund- | [S. 50] legend geprägten Lebensraum, der zugleich immer auch – und das ist das entscheidende Charakteristikum – ein völlig eigenständiger politischer Raum war, will sagen: im Selbstverständnis seiner Einwohner: ein – nach unseren Vorstellungen – eigener Staat. So eine Polis konnte durchaus einen sehr ärmlichen – um nicht zu sagen: erbärmlichen – Zuschnitt haben. Als Beispiel mag eine Notiz des antiken Reiseschriftstellers Pausanias dienen, der im zweiten Jahrhundert n. Chr. die kleine Polis Panopeus im mittelgriechischen Boiotien wie folgt beschreibt: Von Chaironeia sind es zwanzig Stadien nach Panopeus, einer phokischen Polis, wenn man einen solchen Ort überhaupt eine Polis nennen darf, der weder Amtsgebäude, noch ein Gymnasion, noch ein Theater, noch einen Markt besitzt, nicht einmal Wasser, das in einen Brunnen fließt, sondern wo man in Behausungen wie den Berghütten an einer Schlucht wohnt. Und doch haben auch sie ihre Landesgrenzen gegen die Nachbarn. (Paus. 10,4,1; Übers. nach E. Meyer) Diese Beschreibung lässt aber auch erkennen, dass man gleichwohl Vorstellungen darüber hatte, welche städtischen Erscheinungsformen eine Polis in der Regel aufweisen sollte. Um Ihnen die ganze Spannweite der Erscheinungsformen, zugleich aber auch das verbindende Grundtypische einer Polis exemplarisch vor Augen zu führen, möchte ich im Folgenden den Blick auf das antike Athen lenken. Nun ist die Polis Athen schon allein aufgrund ihrer Größe, die ungefähr dem Umfang des heutigen Luxemburg entsprach, nicht der Durchschnittstyp einer Polis. Sie ist fraglos ein Extremfall, aber nicht ein Ein7 Vgl. Rubinstein 2004, 1099–1101 Nr. 867.
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III. Städtische Welten
zelfall. Poleis wie Korinth, Milet, Syrakus, Rhodos oder auch Sparta lassen sich Athen größenmäßig durchaus zur Seite stellen. Athen eignet sich als Exempel aber besonders gut, weil es nicht nur alle erdenklichen Erscheinungs- | [S. 51] formen einer Polis in sich vereint, sondern aufgrund des verfügbaren Quellenmaterials auch in seiner historischen Entwicklung besonders gut zu greifen ist.8 Von der Polis Athen sprechen, heißt zunächst einmal nicht – oder zumindest nicht nur – von der Stadt Athen sprechen. Zum Polisterritorium zählte eben nicht allein die Stadt Athen, sondern ganz Attika. Von Gebirgszügen des Parnes und des Kithairon im Norden bis zur Südspitze von Kap Sunion erstreckte sich das athenische Staatsgebiet über mehr als 2600 km2 . In der „Hauptstadt“ Athen und ihrer näheren Umgebung lebte wohl kaum mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung; die übrige Einwohnerschaft verteilte sich auf ganz Attika, das nicht nur in den Küstenregionen und in den fruchtbaren Ebenen von Eleusis, Athen und des Binnenlandes, sondern auch an den Randzonen der Gebirge und in den nordöstlichen und südlichen Hügellandschaften dicht besiedelt war. Es gab weit mehr als 100 Landgemeinden – so genannte Demen – von ganz unterschiedlicher Größe. Dörfer und Streusiedlungen mit zahlreichen Einzelgehöften bestanden neben kleineren urbanen Zentren mit durchaus städtischem Gepräge.9 Obgleich diese Mannigfaltigkeit in der Siedlungsstruktur mittlerweile archäologisch sehr gut erforscht ist, hat man sie immer noch zu wenig vor Augen, wenn man über die Polis Athen (oder auch ganz allgemein über die Polis) spricht. Aber erst der Blick auf diese Vielfalt eröffnet zugleich auch den Weg zu einem besseren Verständnis für die besondere Leistung, die sich mit der untrennbaren Verbindung von Polisgesellschaft und Bürgergesellschaft verbindet. Hans Rupprecht Goette hat in einem grundlegenden Aufsatz am Beispiel der attischen Demen Piräus, Rhamnus, Sunion und Thorikos den städtischen Zuschnitt der zugehörigen Demenzentren herausgestellt.10 Von Festungsmauern umgeben verfügten diese Siedlungen über eine dichte Wohnbebauung, | [S. 52] öffentliche Platzanlagen, Theater und Heiligtümer; und im Fall von Rhamnus verband sogar eine repräsentative, mehr als einen Kilometer lange Gräberstraße das Südtor des Demenzentrums mit dem extraurbanen Heiligtum der Nemesis. Es ist dies eine Vielfalt des Siedlungsbildes, die angesichts des Glanzes der „Hauptstadt Athen“ allzu rasch in den Hintergrund gedrängt und oft zu wenig Beachtung findet. Man hat es hier mit einer Städtewelt innerhalb einer Polis zu tun, die ganz eigene Lebenswelten ausbildete, deren Eigenarten sich nicht allein dadurch erfassen lassen, dass man den verfassungsrechtlichen Status dieser Städte als Demen innerhalb der staatlichen Ordnung der Polis Athen beschreibt. Demen wie Sunion oder Rhamnus oder gar die 8 Vgl. zum Folgenden Funke 2003. 9 Zur Vielfalt und Dichte des attischen Siedlungsbildes vgl. Osborne 1985; Lohmann 1993. 10 Goette 1999; vgl. auch Goette 2000; Funke 2009.
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Hafenstadt Piräus unterschieden sich von den zahlreichen Demen, die oft kaum mehr als eine größere Ansammlung von Bauernhöfen waren, eben nicht nur durch ihre Größe. Im städtischen Erscheinungsbild dieser Demen spiegelt sich ein besonderes Selbstbewusstsein und Selbstverständnis seiner Bewohner, das sich erst erschließen lässt, wenn man sich auch auf eine quasi ikonographische Ausdeutung dieser Siedlungsbilder einlässt. Es konnte – wie im Falle Athens – durchaus verschiedene städtische und dörfliche Welten innerhalb einer Polis geben. Diese Gegebenheiten lassen es umso deutlicher werden, welcher Anstrengungen – will sagen: welchen politischen Willens – es bedurfte, unter solchen Bedingungen eine bürgerliche Einheit und Eintracht zu schaffen und zu erhalten. Es ist aber eben dieser politische Wille, der als ein Spezifikum die antike Staatenwelt prägte und der die Grundlagen für das schuf, auf das wir uns heute immer wieder zurückzubesinnen versuchen: Das Bürgersein. Dieser untrennbare Zusammenhang – ja die Identität – von Polis/Bürgerstadt einerseits und Bürgergesellschaft andererseits soll uns nun abschließend beschäftigen. | [S. 53] Wer sich eine Untersuchung über die Verfassung … vornimmt, der hat zuallererst … festzustellen, was eine polis ist. … Da aber eine polis zu den Dingen gehört, die … zwar ein Ganzes darstellen, jedoch aus vielen Teilen zusammengesetzt sind, so ist klar, dass man vorher nach dem Bürger fragen muss, denn die polis ist eine bestimmte Anzahl von Bürgern. (Aristot. pol. 1274 b 33–40) Mit diesen Sätzen leitet Aristoteles das dritte Buch seiner Politika ein, um dann näher zu bestimmen, was einen Bürger ausmacht. Dabei gelangt er zu der Auffassung, dass Bürger nur der sei, der „sowohl am Regieren wie auch am Regiertwerden teilhat“ (Aristot. pol. 1283b 43). Wenn nun Aristoteles die Teilhabe, das metechein, an den politischen Entscheidungen zum zentralen Kriterium für das Bürgersein macht, so erscheint dies für uns aus heutiger Sicht oft allzu schnell als eine Selbstverständlichkeit. Es gerät dabei außer Acht, dass die postulierte Konstante einer engen Wechselbeziehung zwischen dem Bürgersein und der Teilhabe „am Regieren und Regiertwerden“ einen langen und hart umkämpften Entwicklungsprozess zur Voraussetzung hatte, der in der griechischen Staatenwelt eigentlich erst das entstehen ließ, was heute Politik genannt wird. Mit der zuvor nur kurz skizzierten Herausbildung der Polis als neuer Siedlungsform war zugleich auch ein neuer politischer Handlungsraum entstanden. Das fest umgrenzte und markierte und in der Regel eher kleinräumige Territorium einer Polis wurde zu einem Bezugsrahmen, innerhalb dessen sich die Bewohnerschaft neu zu ordnen begann. Die Zugehörigkeit zur jeweiligen Polis überlagerte die alten stammesmäßigen Bindungen und wurde schließlich zum bestimmenden Merkmal einer je eigenen polismäßigen, eben ‚politischen‘ Identität. Nach außen hin wurde dieser neuen Identität dadurch Aus-
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druck verliehen, dass die Selbst- | [S. 54] bezeichnung einer Polis durch die Angabe der Gesamtheit ihrer Bürger erfolgte: Nicht Athen, sondern „die Athener“, nicht Korinth, sondern „die Korinther“ etc. waren die auch in den Staatsurkunden gebräuchlichen Namen der Poleis. Nachdrücklicher ließ sich die Identität von Polis und Bürgerverband nicht betonen. Die Polis war der wesentliche, ja eigentlich sogar der ausschließ liche Rahmen des politischen Handelns ihrer Bürger. Damit verband sich ein unbedingter Wille zur Souveränität der Polis, deren Eigenständigkeit auch zum Ausdruck kam in den je eigenen Kulten, Festen und Kalendern – mit zum Teil sogar verschiedenen Jahresanfängen und -einteilungen. Mit einer solchen Abgrenzung nach Außen waren allerdings das Problem von Integration und Abgrenzung innerhalb einer Polis und damit die zentrale Frage der Zugehörigkeit zum Bürgerverband noch keineswegs gelöst, zumal wenn es um das Recht auf Teilhabe an der Politik ging, also den Entscheidungen, die die Polis als Ganze betrafen. Dass Fremde, Sklaven, Frauen und Kinder von diesem Recht ausgeschlossen waren, entsprach antikem Selbstverständnis und wurde daher nicht in Frage gestellt. Anders stand es mit den Ansprüchen der volljährigen männlichen Bürger. Wer durfte dazu gehören und wer nicht? Hier galt es Kriterien zu finden und auch durchzusetzen, um die Partizipationsrechte zu begründen und aufzuteilen. Solche Kriterien ließen sich allerdings nicht auf Dauer festschreiben; vielmehr war deren Akzeptanz innerhalb einer Bürgergemeinschaft von ganz unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und auch außenpolitischen Rahmenbedingungen abhängig, deren Veränderungen immer auch Rückwirkungen auf den Zugang der Bürger zu den politischen Entscheidungsprozessen haben konnten. Dieses Wechselspiel bedingte innerhalb der Poleis eine Dynamisierung der politischen Auseinandersetzungen um die Auswei- | [S. 55] tung bzw. Einschränkung der politischen Rechte der Bürger. Zwangsläufig kam es zugleich auch zu einer dauernden Destabilisierung der Verhältnisse und die Frage nach der politischen Teilhabe wurde letztlich vor allem auch zu einer stets prekären Machtfrage. Die griechische Staatenwelt der archaischen und klassischen Zeit wurde so zu einem einzigen großen Experimentierfeld für die Ausgestaltung und Erprobung des politischen Zusammenlebens innerhalb der Polisgemeinschaften. Dabei lief keineswegs Alles notwendig auf Demokratie hinaus; aber es entstand ein Bewusstsein von der Verfügbarkeit und Beherrschbarkeit politischer Ordnungen und von der Möglichkeit, diese als Bürger selbst in die Hand zu nehmen. So konnte sich im archaischen und klassischen Griechenland – und wohl auch nur dort – als Wesensmerkmal des Bürgerseins die Idee der politischen Teilhabe entwickeln, der die Verpflichtung zum vorbehaltlosen Einsatz für die Polis korrelierte. Das Drängen auf politische Partizipation wurde zu einem bestimmenden Merkmal für die Formen und Normen politischen Denkens und Handelns, wie sie sich in den zahllosen griechischen Poleis – allen voran in Athen – ausgebildet und dann auch in den theoretischen Reflexionen der antiken Staatsphilosophie ihren Niederschlag gefun-
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den hatten. Diese „Entstehung des Politischen“11 hat bis heute ihre Spuren hinterlassen und (Nach-)Wirkungen gezeitigt. Die Entscheidung über die politische Teilhabe gehört fraglos – wie es Sternberger im Titel eines seiner Bücher treffend bezeichnet hat – zu den „Wurzeln der Politik“12 und bestimmt auch heute noch die „antiken Züge im Gesicht des modernen Staates“.13 „Indem die Griechen das Politische entwickelten“, – so Christian Meier – „bildeten sie das Nadelöhr, durch das die Weltgeschichte hindurch musste, wenn sie zum modernen Europa gelangen sollte.“14 Wie aber entstand dieses Nadelöhr? Wie und unter welchen | [S. 56] Voraussetzungen wurde die neu entstandene Siedlungsform Polis mit im eigentlichen Wortsinne „politischem“ Leben gefüllt und eben mit einer Bürgergesellschaft belebt? Den Ausgangspunkt bildeten tiefgreifende gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die im siebten und sechsten Jahrhundert v. Chr. – in enger Wechselwirkung zur Genese der Polis – zu grundlegenden Verschiebungen in der Verteilung politischer Teilhabe führten. Die Monopolisierung der politischen Entscheidungsgewalt durch kleine aristokratische Führungsschichten stieß auf den wachsenden Widerstand derjenigen, die aufgrund gewachsenen Reichtums ein großes soziales Ansehen genossen, ohne dass sie über einen entsprechenden politischen Einfluss verfügten. Die tiefe Kluft zwischen sozialer und politischer Stellung vergrößerte sich noch dadurch, dass auch nichtaristokratische Schichten aufgrund ihres Besitzstandes verstärkt zum Militärdienst für die Polis herangezogen wurden. Die Teilnahme an der militärischen Verteidigung der Polis musste geradezu notwendig die Forderung nach der Teilhabe auch an der politischen Macht zur Folge haben. Damit verschoben sich die politischen Gewichte innerhalb der Poleis grundlegend. Die Polisgemeinschaften wurden auf neue konstitutive Grundlagen gestellt, die eine Neujustierung der Zuteilung von politischer Entscheidungsgewalt unter Einschluss der Rechtsprechung und Gesetzgebung erforderlich machten. Die Maßgaben, nach denen eine solche Zumessung erfolgen sollte, mussten innerhalb der Poleis neu ausgehandelt werden. Das vollzog sich nicht ohne Widerstände. Es waren konfliktträchtige Situationen entstanden, die sich nicht selten in blutigen Parteienkämpfen entluden. Gleichwohl lief Alles darauf hinaus, die Teilhabe an den politischen Entscheidungen nicht mehr von einer aristokratischen Abstammung abhängig zu machen, sondern nach dem jeweiligen Besitzstand als dem Ausweis der | [S. 57] wirtschaftlichen und damit eben auch der militärischen Leistungsfähigkeit zu bemessen. Dieser Übergang zu einer timokratischen Ordnung, in der die Ausübung politischer Rechte von einer bestimmten Mindesthöhe des Vermögens abhängig war, markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Verfassungsgeschichte der griechischen Staatenwelt, 11 12 13 14
Meier 1995; vgl. auch Meier 2009. Sternberger 1984. Sternberger 1985b. Meier 1995, 13.
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III. Städtische Welten
denn er ermöglichte einer beträchtlich erweiterten Schicht von Polisbürgern die aktive Teilhabe an der Politik. Das konnte aber nicht ohne Rückwirkungen auf die Prozesse politischer Entscheidungsfindung bleiben. Es entwickelten sich neue Formen der Meinungsbildung in der Volksversammlung und im Rat. In Rede und Gegenrede galt es den nunmehr weitaus größeren Kreis der Entscheidungsträger zu überzeugen, so dass Phokylides aus Milet im sechsten Jahrhundert v. Chr. resümiert: „Was nützt adliger Stammbaum jenem, der weder beim Reden sich Beifall erringt noch in der Ratsversammlung?“ (Phokylides frg. 3 Gentili/ Prato) Der Druck nahm stetig zu, die Teilhabe an den politischen und rechtlichen Entscheidungsprozessen neu auszubalancieren und dabei der Anwendung des timokratischen Prinzips Geltung zu verschaffen. Wo man dies nicht aus eigener Kraft schaffte, weil die Widerstände zu groß und die Gegensätze innerhalb der Bürgerschaft unüberbrückbar erschienen, bestellte man sachkundige Vertrauenspersonen, denen – wie es schon deren Amtsbezeichnungen zum Ausdruck brachten – die Aufgabe zufiel, als „Mittler“ und „Versöhner“ (diallaktaí) die Verhältnisse „wieder ins Lot zu bringen“ (kataristéres).15 Die Bezeichnung der „Wieder-ins-Lot-Bringer“ lässt deutlich werden, dass der neue Zuschnitt politischer Teilhabe – so umstritten er auch gewesen sein mag – durchaus als Reform und nicht als revolutionärer Akt verstanden wurde. Alle Bestrebungen blieben darauf ausgerichtet, die herrschende dysnomia („Ungeordnetheit“) zu überwinden und die | [S. 58] eunomia („Wohlgeordnetheit“) im Sinne einer den Verhältnissen der Polis angemessenen Zuteilung der politischen Rechte wiederherzustellen, denn nichts anderes meint eunomia im eigentlichen Wortsinn: „das angemessene Zuteilen“. Nachdrücklich hatte dies zu Beginn des sechsten Jahrhunderts v. Chr. auch Solon von Athen in seiner ‚Staatselegie‘ gefordert: Mit Leidenschaft fühle ich mich gedrängt, die Athener zu belehren, dass Ungeordnetheit (dysnomia) sehr viel Übel dem Staat beschert, Wohlgeordnetheit (eunomia) dagegen zeigt alles gut bestellt und macht es passend, und sie legt in Fesseln den Mann, der das Recht übertritt. Sie glättet das Rauhe, setzt der Gier ein Ende, drückt Überheblichkeit nieder, sie läßt die Verblendung, die hoch wuchert, verdorren und vergehen, sie richtet gerade verbogenes Recht, und die Taten des Hochmuts besänftigt sie; sie beendet die Werke der Zwietracht, beendet auch die Bitterkeit schmerzlichen Streites. Wo sie ist, wird bei den Menschen alles passend und vernünftig. (Solon frg. 4 West; Übers. in Anlehnung an H. Fränkel und C. Mülke)
15 Hölkeskamp 1999, bes. 12–13; Meier 1995, 261–263.
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Die Suche nach dem rechten Maß für die eunomia, für das angemessene Zuteilen, lief zunächst vielfach auf eine abgestufte Zuteilung politischer Bürgerrechte hinaus, wie sie in archaischer Zeit in vielen Poleis eingeführt wurde. In Athen, das uns hier erneut als Beispiel dienen soll, hatte Solon alle Bürger ihrem jeweiligen Besitzstand entsprechend in vier Klassen eingeteilt und den Zugang | [S. 59] zu dem von ihm neu geschaffenen ‚Rat der Vierhundert‘ sowie zu den Ämtern jeweils von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Vermögensklasse abhängig gemacht. An der Volksversammlung und ihren Entscheidungen konnten aber alle Bürger unterschiedslos teilhaben, so dass auch der untersten Klasse der Theten ein Mindestmaß an politischer Mitbestimmung eingeräumt wurde. Diese frühe, wenn auch abgestufte Einbeziehung aller Bürger in das politische Handeln der Polis musste „die Menschen in Attika … zu einem Bewusstsein der Einheit und Zusammengehörigkeit bringen und ihnen so ein Gefühl der Verantwortlichkeit für das Ganze geben.“16 Solons Umsetzung des eunomia-Gedankens bildete daher eine wesentliche Voraussetzung für die weitere Entwicklung Athens hin zur Demokratie. Nicht die Frage der prinzipiellen Teilhabe an der Volksversammlung, sondern das Maß der Kompetenzen ihrer Teilnehmer wurde in der Folgezeit zum Gradmesser einer fortschreitenden Demokratisierung in Athen. Daran hatte auch das tyrannische Zwischenspiel der Peisistratiden nichts geändert, so dass Kleisthenes am Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. nach dem Sturz der Tyrannis mit seiner grundlegenden Neuorganisation des athenischen Bürgerverbandes erste Schritte unternehmen konnte, der Forderung nach gleicher – eben nicht mehr abgestufter – Teilhabe aller Bürger an der Politik (isonomía) nachzukommen. Kernstück seiner Reformen war die Bildung eines ‚Rats der Fünfhundert‘, der nunmehr allen Bürgern uneingeschränkt durch timokratische Mindestanforderungen offen stand. Die neue, rein regional ausgerichtete Phylenorganisation garantierte aufgrund einer ausgeklügelten, proportionalen Verteilung der Ratssitze eine gleichmäßige Vertretung aller Landesteile und damit eine ausgewogene Repräsentanz des gesamten Bürgerverbandes. Da darüber hinaus die Dauer und die Wiederholbarkeit der Mitgliedschaft im | [S. 60] Rat begrenzt waren und dadurch die Partizipation einer überaus großen Zahl von Bürgern an den Entscheidungen des Rates erforderlich war, wurde der ‚Rat der Fünfhundert‘ „zu einer Schule der Demokratie“.17 Hier konnten die athenischen Bürger alle Formen politischen Handelns erproben und einüben und die machtvolle Stärke gemeinsamen Entscheidens alltäglich aufs Neue erfahren. Die kleisthenischen Reformen hatten eine Entwicklung in Gang gesetzt, die in den folgenden Jahrzehnten zu einer sukzessiven Erweiterung der politischen Rechte der Bürger führte. Nicht erst der Aufbau der riesigen athenischen Flotte, mit dem seit den siebziger Jahren des fünften Jahrhunderts v. Chr. alle Schichten der Bürgerschaft in die 16 Bleicken 1994, 22. 17 Lotze 2000, 128.
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III. Städtische Welten
Verantwortung für die Verteidigung der Polis eingebunden wurden, sondern bereits die überragenden Erfolge in den Perserkriegen hatten das Selbstvertrauen der Athener gestärkt und ihnen Mut gemacht, die gemeinsame Sache auch gemeinsam in die Hände zu nehmen. Das war jedoch nicht ohne Widerstände zu erreichen und musste über Jahrzehnte mühsam erkämpft werden. Nachdem aber dem Areopag auch die letzten politischen Vorrechte genommen und alle timokratischen Einschränkungen politischer Teilhabe beseitigt worden waren, verwirklichten die Athener für sich die Demokratie als die radikalste Form der isonomía. Die Gemeinschaft aller Bürger verfügte über die Vollgewalt in der Volksversammlung, im Rat und in den Gerichtshöfen und über den uneingeschränkten Zugang zu allen Ämtern. Die Polis war zu einer Gemeinschaft von Bürgern, zu einer koinonía politón, geworden, in der ‚Regieren und Regiertwerden‘ eine untrennbare Einheit bildeten. Diese Form des demokratischen Bürgerstaates wurde zum prägenden Vorbild für die Ausgestaltung politischer Gemeinschaften in der griechischen Staatenwelt. Das Ideal der Polis als koinonía politón blieb in der hellenistischen Zeit lebendig und geriet auch in der römischen Kaiserzeit nicht in | [S. 61] Vergessenheit. Und so suchte auch das städtische Bürgertum schon seit dem Mittelalter bei der eigenen Selbstvergewisserung den unmittelbaren Bezug zu den antiken Traditionen von polis und civitas. Um den Weg über die Brücke von der Antike zurück nach Frankfurt zu finden, lassen Sie mich noch einmal auf die eingangs zitierte Rede von Sternberger zurückkommen. Nachdem er ausführlich die Bedeutung und die Leistungskraft der bürgerlichen Vereine der Neuzeit gewürdigt hatte, verwies auch er auf die antiken Wurzeln des Bürgersinns. Ich möchte diese Schlusspassage ausführlich zitieren, weil sie an Aussagekraft nichts eingebüßt hat: Das ist einfach der unmittelbare Drang, gemeinsam unser Milieu, unsere Stadt, auch unseren Staat so einzurichten, dass wir gerne miteinander darin leben. … Und der Bürgersinn ist deshalb unaustilgbar, weil der Mensch nach dem unsterblichen Worte des Aristoteles ein Zoon politikon ist, das heißt von Natur ein politisches Wesen, ein städtisches Wesen, ein staatliches Wesen, ein bürgerliches Wesen. Jean Jacques Rousseau hat zwar ein bißchen stark übertrieben, als er schrieb: sobald ein Bürger die Achseln zucke und von den öffentlichen Angelegenheiten sage „Was geht das mich an?“, so sei der Untergang des Bürgerstaates besiegelt. Wir wollen soweit nicht gehen. Wir wollen es lieber herumdrehen und unsererseits sagen: Solange es Bürger gibt, einige, eine Anzahl, möglichst eine ausreichende Menge, die von dieser und von jener öffentlichen Angelegenheit sagen „Das geht mich an!, da will ich mittun, da wollen wir uns zusammentun“ –, so lange lebt der Staat. Und so lange lebt die Stadt. Zum Beispiel die Stadt Frankfurt.18 18 Sternberger 1985a, 32–33.
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Dem ist nur noch das Motto der Polytechnischen Gesellschaft hinzuzufügen: Nobis cura futuri.
Bauer 2010: T. Bauer, In guter Gesellschaft. Die Geschichte der Polytechnischen Gesellschaft in Frankfurt am Main, Frankfurt 2010. Bleicken 1994: J. Bleicken, Die athenische Demokratie, Paderborn 19942 . Funke 2003: P. Funke, Politische und soziale Identitätsformen jenseits der Polis, in: K.-J. Höl keskamp/J. Rüsen/E. Stein-Hölkeskamp/H. T. Grüttler (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 211–224 (= S. 257– 269 in diesem Band). Funke 2004: P. Funke, „Polis wird in vielerlei Bedeutungen verwandt“. Städtische Welten in der griechischen Antike, in: P. Johanek/F.-J. Post (Hgg.), Vielerlei Städte. Der Stadtbegriff, Köln 2004, 91–105. Funke 2009: P. Funke, Polis und Asty. Einige Überlegungen zur Stadt im antiken Griechenland, in: G. Fouquet/G. Zeilinger (Hgg.), Die Urbanisierung Europas von der Antike bis in die Moderne, Frankfurt 2009, 63–79. Funke 2010: P. Funke, Bürgerschaft und Bürgersein – Teilnehmen als Teilhaben, in: K.-J. Höl keskamp/E. Stein-Hölkeskamp (Hgg.), Die griechische Welt. Erinnerungsorte in der Antike, München 2010, 472–486. 653–655 (= S. 39–57 in diesem Band). Gawantka 1985: W. Gawantka, Die sogenannte Polis. Entstehung, Geschichte und Kritik der modernen althistorischen Grundbegriffe. Der griechische Staat, die griechische Staatsidee, die Polis, Stuttgart 1985. Goette 1999: H. R. Goette, Städtische Siedlungen in Attika, in: L. Schwandner/K. Reidt (Hgg.), Stadt und Umland. Neue Ergebnisse der archäologischen Bau- und Siedlungsforschung, Mainz 1999, 160–167. Goette 2000: H. R. Goette, Ὁ ἀξιόλογος δῆμος Σούνιον. Landeskundliche Studien in SüdostAttika, Rahden 2000. Hansen 1998: M. H. Hansen, Polis and City-State. An Ancient Concept and its Modern Equivalent, Kopenhagen 1998. Hölkeskamp 1999: K.-J. Hölkeskamp, Schiedsrichter, Gesetzgeber und Gesetzgebung im archaischen Griechenland, Stuttgart 1999. Lerner 1966: F. Lerner, Bürgersinn und Bürgertat. Geschichte der Frankfurter Polytechnischen Gesellschaft 1816–1966, Frankfurt 1966. Lohmann 1993: H. Lohmann, Atene. Forschungen zu Siedlungs- und Wirtschaftsstruktur des klassischen Attika, 2 Bde., Köln 1993. Lotze 2000: D. Lotze, Der Bürger und seine Teilhabe an der Regierung der Polis, in: D. Lotze, Bürger und Unfreie im vorhellenistischen Griechenland. Ausgewählte Aufsätze, Stuttgart 2000, 117–149. Meier 1995: C. Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt 19953. Meier 2009: C. Meier, Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas?, München 2009. Nippel 1994: W. Nippel, Max Weber zwischen Althistorie und Universalgeschichte. Synoikismos und Verbrüderung, in: C. Meier (Hg.), Die okzidentale Stadt nach Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter, München 1994, 35–58. Osborne 1985: R. Osborne, Demos. The Discovery of Classical Attika, Cambridge 1985. Rubinstein 2004: L. Rubinstein, Ionia, in: M. H. Hansen/T. Heine Nielsen (Hgg.), An Inventory of Archaic and Classical Poleis, Oxford 2004, 1053–1107.
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III. Städtische Welten
Sternberger 1984: D. Sternberger, Drei Wurzeln der Politik, Frankfurt 1984. Sternberger 1985a: D. Sternberger, Über den Bürgersinn, Rede in Frankfurt, in: D. Sternberger, Die Stadt als Urbild. Sieben politische Beiträge, Frankfurt 1985, 34–46. Sternberger 1985b: D. Sternberger, Antike Züge im Gesicht des modernen Staates, in: D. Sternberger, Die Stadt als Urbild. Sieben politische Beiträge, Frankfurt 1985, 60–75. Weber 1999: M. Weber, Die Stadt, hg. von W. Nippel, Tübingen 1999.
IV. ATHEN
Wendezeit und Zeitenwende Athens Aufbruch zur Demokratie
Thomas Pekáry zum 70. Geburtstag
Dem Spartanerkönig Kleomenes muß es wie eine verkehrte Welt erschienen sein, was ihm da im Jahre 508 v. Chr. in Athen widerfuhr. Es waren gerade einmal zwei Jahre vergangen, daß er an der Spitze einer spartanischen Interventionstruppe die Akropolis belagert und entscheidend zur Vertreibung der athenischen Tyrannen beigetragen hatte, die sich dort verbarrikadiert hatten. Damals betrieben führende athenische Adelsfamilien, allen voran die Alkmaioniden, aus dem Exil heraus den Sturz der Peisistratiden, die über mehr als eine Generation hinweg als Tyrannen in Athen geherrscht hatten. Da aber die eigenen Kräfte nicht ausreichten, hatten sie alles darangesetzt, im Kampf gegen die Tyrannis auch die Spartaner auf ihre Seite zu ziehen. Und mit ihrer Hilfe gelang es bekanntlich dann ja auch, Athen von der peisistratidischen Tyrannis zu befreien.1 Für die Spartaner zahlte sich dieses Engagement allerdings nicht aus. 508 v. Chr. – nach einem zweiten Eingreifen – fanden sie sich – gerade noch Helfer in der Not gegen die Tyrannen – nun selber unversehens in der Rolle der Belagerten wieder: Ein bewaffnetes Bürgeraufgebot blockierte die Akropolis, hinter deren Mauern sich der damals amtierende Archon Isagoras und König Kleomenes mit einigen hundert Gefolgsleuten und spartanischen Soldaten verschanzt hatten. Schon am dritten Tag mußten sich die Belagerten geschlagen geben. Den Spartanern wurde freier Abzug gewährt; und nicht nur König Kleomenes dürfte sich an den von ihm nur zwei Jahre zuvor erzwungenen Abzug der Tyrannen erinnert gefühlt haben, als er mit seinen Soldaten die Akropolis räumen und sich nach Sparta zurückziehen mußte. | [S. 2] Gemeinsam mit den abziehenden Truppen konnte auch Isagoras unentdeckt entkommen; seine zahlreichen Parteigänger aber wurden gefangengenommen und hingerichtet.2 Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: D. Papenfuß/V.-M. Strocka (Hgg.), Gab es das griechische Wunder? Griechenland zwischen dem Ende des 6. und der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Tagungsbeiträge des 16. Fachsymposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung vom 5. bis 9. April 1999 in Freiburg im Breisgau, Mainz 2001, 1–20. 1 Im Folgenden möchte ich einige Darlegungen zur Geschichte Athens an der Wende vom 6. zum 5. Jh. v. Chr., die ich in meinem Buch „Athen in klassischer Zeit“ (München 1999) nur knapp skizzieren konnte, näher ausführen und begründen. Mein Hauptinteresse gilt dabei dem Wechselspiel zwischen den außen- und innenpolitischen Entwicklungslinien. Die Quellen- und Literaturangaben werden sich daher vornehmlich auf diesen Punkt beschränken. Im übrigen sei vorab für alle anderen, hier nicht näher diskutierten Aspekte verwiesen auf die mit einem umfangreichen Quellen- und Literaturapparat versehenen und auch die aktuelle Forschungsdiskussion zusammenfassenden Werke von Stein-Hölkeskamp 1989; Bleicken 1994; Hansen 1995; Welwei 1998; vgl. auch Rausch 1994. Die erst nach Abschluß des Manuskriptes erschienenen Bücher von Rausch 1999a und Welwei 1999 habe ich zumindest an den wichtigsten Stellen noch nachträglich eingearbeitet. 2 Die Hauptquellen für diese Vorgänge: Hdt. 5,62–66.69–73; Aristot. Ath. pol. 19–20; vgl. dazu insgesamt auch den Kommentar bei Rhodes 1981, 233–248; Chambers 1990, 217–223.
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IV. Athen
Dieses harsche Vorgehen der Athener gegen ihren obersten Magistraten Isagoras und seine Anhänger und gegen die Spartaner markiert einen der wichtigsten Wendepunkte der Geschichte Athens in der Zeit vor den Perserkriegen. Eine erbitterte Auseinandersetzung um die politische Neugestaltung in Athen nach dem Sturz der Tyrannis war an ein – zumindest vorläufiges – Ende gelangt. Mehr als zwei Jahre hatten vor allem Isagoras und der Alkmaionide Kleisthenes um den Vorrang in der Polis gekämpft. Beide drängten zur Macht. Während aber Isagoras Athen wieder in die Bahnen einer Adelsherrschaft alten Stils zurücklenken wollte, hatte Kleisthenes erkannt, daß sich das Rad nicht mehr zurückdrehen ließ. Die Tyrannis war endgültig in Mißkredit geraten; aber ebenso waren auch die früheren, gentilizisch-aristokratischen Herrschaftsformen obsolet geworden. Die Tyrannis hatte die Rahmenbedingungen für politisches Handeln unwiederbringlich verändert. Fast ein halbes Jahrhundert hatten die Peisistratiden die führenden Adelshäuser in Athen politisch kalt gestellt und deren eigenständiges Agieren in politicis weitgehend unterbunden. Damit waren die traditionellen Bindungen zwischen dem Adel und der übrigen Bevölkerung nachhaltig gestört und eingefahrene politische Verhaltensmuster aus der Übung gekommen.3 Um ein Gegengewicht zu den Fraktionsbildungen und zur Cliquenwirtschaft der einzelnen Adelshäuser zu schaffen und deren Wirksamkeit zu entkräften, hatten die Peisistratiden an solonische Maßnahmen angeknüpft und ganz bewußt einen politischen Kurs verfolgt, der auf eine unbedingte Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der athenischen Gesamtbürgerschaft zielte. Während aber für Solon die Neuverteilung der politischen Macht innerhalb der Bürgerschaft im Vordergrund stand, diente für die Tyrannen die Integration jedes einzelnen Bürgers in die Polis ausschließlich dem eigenen Machterhalt.4 Jede Beeinträchtigung ihrer politischen Vorherrschaft sollte ausgeschlossen bleiben. Die Tyrannen lenkten daher die Entfaltungsmöglichkeiten der Athener auf politikfernere Bereiche, die aber gleichwohl geeignet waren, den inneren Zusammenhalt der gesamten Polis zu stärken. Es ist hier nicht der Ort, die Grundlinien dieser peisistratidischen Politik im einzelnen nachzuzeichnen. Jedenfalls bleibt zu konstatieren, daß die Lösung der Bürger aus ihrer politischen Bindung an einzelne Adelshäuser und ihre ideologische Ausrichtung auf den athenischen Staat insbesondere in den wohlhabenderen Schichten das bürgerliche Selbstbewußtsein ganz entscheidend gestärkt hatten. Es war nur eine Frage der Zeit und vor allem auch der Gelegenheit, daß diese Gruppierungen auch auf ihre politische Teilhabe an der Polis nicht mehr verzichten wollten. So entsprechen die Folgewirkun3 Vgl. hierzu (mit weiterer Literatur) Stahl 1987; Stein-Hölkeskamp 1989, bes. 139–177; Walter 1993, bes. 200–209. 4 Kolb 1977; Shapiro 1989/1995; Lavelle 1993; De Libero 1996, 41–134.
Wendezeit und Zeitenwende: Athens Aufbruch zur Demokratie
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gen der peisistratidischen Politik | [S. 3] keineswegs den eigentlichen Intentionen. Was nur dem eigenen Machterhalt dienen sollte, hatte letztlich entscheidend dazu beigetragen, den Forderungen einer breiten Schicht der Bürgerschaft nach einer grundlegenden Neuordnung der politischen Entscheidungsprozesse in Athen den Weg zu bahnen. Die Peisistratiden hatten sich mit ihrer Politik also quasi selbst überholt und ihren eigenen Niedergang beschleunigt. Nach dem Sturz der Tyrannis griff Kleisthenes diese Forderungen auf und propagierte die Idee einer umfassenden Neugestaltung des athenischen Bürgerverbandes mit dem Ziel, allen Bürgern eine möglichst unmittelbare Teilhabe an der Politik zu gewähren. Christian Meier hat in diesem Zusammenhang den treffenden Begriff von der „présence civique“, der „bürgerlichen Gegenwärtigkeit“ geprägt.5 Mit einem sicheren Gespür für das veränderte politische Klima in Athen konnte Kleisthenes sich auf diese Weise in der Auseinandersetzung mit Isagoras um die politische Führung in Athen die Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten verschaffen. Kampflos wollten die Gegner des Kleisthenes das Feld aber nicht räumen, zumal es ihnen 508 v. Chr. gelungen war, ihren Wortführer Isagoras in das oberste Amt des Archonten zu bringen. In die Defensive gedrängt rief Isagoras die Spartaner zur Hilfe. Erneut intervenierte König Kleomenes in Athen, und gestützt auf die spartanischen Truppen gelang es Isagoras, Kleisthenes und die Familien von 700 seiner Parteigänger aus Attika zu vertreiben.6 Aber auch diese Maßnahmen reichten nicht mehr aus, um die eigenen Ziele durchzusetzen. Die Spielregeln der politischen Auseinandersetzungen hatten sich verändert, da es Kleisthenes schon vorher vermocht hatte, „den Demos seiner Hetairie hinzuzufügen“.7 Obgleich Kleisthenes und seine gesamte engere Anhängerschaft außer Landes waren, fanden sich doch immer noch so viele Bürger zum bewaffneten Widerstand zusammen, daß es ihnen gelang, Isagoras und seine politische Gefolgschaft mitsamt den spartanischen Soldaten unter der Führung des Kleomenes auf der Akropolis einzuschließen. Was dann folgte, war die schon beschriebene demütigende Kapitulation der spartanischen Truppen und die Hinrichtung sämtlicher Gefolgsleute des Isagoras. Inwieweit es Kleisthenes zu diesem Zeitpunkt schon gelungen war, die von ihm propagierten Reformvorschläge zu einer grundlegenden Neuordnung der Polisgemeinschaft umzusetzen, läßt sich angesichts der kargen Quellenlage heute nicht mehr sagen. Kleisthenes’ Pläne, das attische Phylensystem auf der Basis eines rein regionalen Ordnungsprinzips völlig neu zuzuschneiden und zum Grundraster der politischen Organisation des Bürgerverbandes zu machen, bestimmten zwischen 510 und 508 v. Chr. zwei5 Meier 1973; in deutschsprachiger Überarbeitung: Meier 1995a; vgl. auch Meier 1995b, 182– 218. 6 Hdt. 5,72; Aristot. Ath. pol. 20,3. 7 Hdt. 5,66,2: ὁ Κλεισθένης τὸν δῆμον προσεταιρίζεται; vgl. auch Aristot. Ath. pol. 20,1; zur Frage der Anhängerschaft des Kleisthenes Welwei 1999, 4–9.
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IV. Athen
fellos die politische Debatte; ob diese Pläne bereits in Angriff genommen worden waren und was gegebenenfalls davon schon vor der zweiten spartanischen Intervention realisiert worden war, bleibt ungewiß. Hier hilft auch der Hinweis des Herodot nicht weiter, daß der letzte Auslöser des offenen Wider- | [S. 4] standes gegen Isagoras der Versuch des Kleomenes gewesen sei, den bestehenden Rat aufzulösen und die Regierungsgewalt in die Hände von 300 Anhängern des Isagoras zu geben.8 Es ist meines Erachtens eine letztlich unlösbare Frage, ob es sich hierbei um den alten solonischen Rat der 400 oder einen bereits nach den politischen Vorstellungen des Kleisthenes neu zusammengesetzten Rat gehandelt hat. Diese schon vielfach erörterte Frage9 ist aber gerade in jüngster Zeit wieder intensiv diskutiert worden. Den Ausgangspunkt dieser neuen Überlegungen bildet die auch in anderen Zusammenhängen in den beiden letzten Jahrzehnten oft traktierte Notiz aus einer spätbyzantinischen Sammelhandschrift, die uns einige in der Tat beachtenswerte Angaben über die Einführung des Ostrakismosverfahrens durch Kleisthenes überliefert.10 Demnach hatte Kleisthenes die Durchführung der von ihm neu geschaffenen Ostrakophorie dem Rat übertragen, dessen Mitglieder bei einer Mindeststimmenzahl von 200 einen Politiker für zehn Jahre des Landes verweisen konnten. Erst später – ich vermute zu Beginn der 80er Jahre des fünften Jahrhunderts – sei der Ostrakismos dann der Volksversammlung überantwortet worden, deren Entscheidungen an eine Mindeststimmenzahl von mehr als 6.000 Stimmen gebunden gewesen seien. Ich gehöre nun durchaus zu denjenigen, die diese Angaben ernst nehmen und eine zweiphasige Entwicklung des Ostrakismosverfahrens mit einem Wechsel von einem „Rats-“ zu einem „Volksostrakismos“ für historisch sehr wahrscheinlich halten.11 Für einen Nachweis aber, daß das kleisthenische Konzept zumindest in Teilen doch schon vor dem Sturz des Isagoras durch die Konstituierung eines neuen Rates verwirklicht worden sei, erscheint mir dieses Textzeugnis untauglich zu sein. Wenig überzeugend ist daher der Versuch von Norman Doenges, aus eben dieser Quellennotiz und dem dort erwähnten Quorum von 200 Stimmen auf die Existenz eines kleisthenischen (!) Rates der 400 rückzuschließen, der fungiert habe als „provisional body in office until the boule of Five Hundred was organized“.12 Ganz ähnlich argumentierte jüngst auch Mario Rausch und kam zu dem 8 Hdt. 5,72; Aristot. Ath. pol. 20,3. Der Versuch von Rausch 1998, hier bes. 366–367, einen Gegensatz zwischen der herodoteischen und der aristotelischen Schilderung zu konstruieren, vermag nicht zu überzeugen; gegen solche Versuche hat sich auch schon Petzold 1990, bes. 156 ausgesprochen. 9 Zur Forschungsdiskussion vgl. Rhodes 1981, 246; Chambers 1990, 222–223; Welwei 1998, 20–21. 10 Neu veröffentlicht von Keaney/Raubitschek 1972. 11 So vor allem schon Lehmann 1981 und zuletzt wieder Doenges 1996; zur Forschungsdiskussion und den abweichenden Interpretationen der Notiz aus der spätbyzantinischen Sammelhandschrift vgl. Martin 1989; Petzold 1990, 163–171; Welwei 1998, 302–303; Welwei 1999, 20–21. 12 Doenges 1996, 400.
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Schluß, daß es vor Einrichtung des Rates der 500 einen „provisorischen kleisthenischen Rat“ gegeben habe, der aus „mindestens 200“ und „höchstens 400“, wahrscheinlich aber aus „etwa 300“ Mitgliedern bestanden habe.13 Der rein spekulative Charakter dieser Deutungen liegt auf der Hand. Ist doch der Quelle, die hier als Ausgangspunkt dient, mit keinem Wort zu entnehmen, daß die dort dem Kleisthenes zugeschriebene Ratsostrakophorie bereits vor der Belagerung der Akropolis im Jahre 508/7 | [S. 5] v. Chr. institutionalisiert wurde. Und im Hinblick auf die erwähnte Zahl von 200 Stimmen hat schon vor mehr als 15 Jahren Gustav A. Lehmann darauf hingewiesen, daß „das Mindestmaß für eine erfolgreiche relative Mehrheit an Voten gegen einen einzelnen Bürger … mit 200 Stimmen im Rat der 500 (sogar) recht hoch angesetzt war, zumal (es) sonst keinerlei Festlegung und Beschränkung“14 in der Auswahl der zu Ostrakisierenden gab. In der Frage nach dem Grad der Umsetzung der kleisthenischen Reformen vor 508/7 v. Chr. und nach der Zusammensetzung des Rates, dessen Auflösung Kleomenes und Isagoras letztlich vergeblich versucht hatten, sollte man es bei einem non liquet belassen. Zu konstatieren bleibt aber – und das erscheint mir in diesem Zusammenhang weitaus wichtiger – das hohe Maß der Politisierung einer breiten Schicht der athenischen Bürgerschaft, die sich mit der Mehrheit der Mitglieder des Rates – wie auch immer er konstituiert war – solidarisierte und den Machtambitionen des Isagoras entschlossen und erfolgreich Widerstand leistete, und zwar ohne unmittelbare Hilfe durch Kleisthenes und seine mächtige Hetairie, die sich ja im Exil befanden. Mit dem Sieg über Isagoras und seine Anhänger hatten sich die Athener im Jahre 508 v. Chr. gegen alle aristokratischen Restaurationsversuche erfolgreich zur Wehr gesetzt und ihrer Forderung nach einer größeren Teilhabe an der Politik zum entscheidenden Durchbruch verholfen. Was durch die Reformen Solons vorbereitet war und unter der Tyrannis der Peisistratiden – von diesen ungewollt – reifen konnte, trug nun Früchte. Das bürgerliche Selbstbewußtsein breiterer Schichten hatte sich erstmals politisch Geltung verschafft und sollte künftighin zu einem ausschlaggebenden Faktor für die weitere Ausgestaltung der athenischen Staatsordnung in klassischer Zeit werden. Der Sieg über Isagoras war aber auch ein Sieg des Kleisthenes. Er hatte mit seinen Ideen die entscheidenden Impulse zum Widerstand gegeben; und da die Athener noch nicht über das erforderliche Selbstvertrauen und auch noch nicht über die notwendige Erfahrung verfügten, die staatliche Neuordnung eigenständig in die Hand zu nehmen, setzten sie ihre Hoffnungen auf Kleisthenes, der sogleich aus dem Exil zurückgerufen wurde.15 Hier verharrten die Athener noch ganz in den Verhaltens- und Erwartungsmustern der überkommenen Adelsherrschaft. Das galt auch für Kleisthenes. Für ihn 13 Rausch 1998, bes. 357. 363–364. 368–369. 14 Lehmann 1981, 91. 15 Hdt. 5,73; Aristot. Ath. pol. 20,3.
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war die Umsetzung seiner Reformpläne auch eine Frage der Selbstbehauptung in der Auseinandersetzung mit seinen adeligen Konkurrenten. Daher blieben die kleisthenischen Reformmaßnahmen immer auch, aber eben nicht nur ein Stück adeliger Rivalitätskämpfe. Waren Solon von den streitenden Parteien noch besondere Vollmachten zur Durchsetzung einer neuen Ordnung übertragen worden, so fand Kleisthenes eine so breite Zustimmung bei den athenischen Bürgern, daß er seine Ziele allem Anschein nach auf dem Wege regulärer Mehrheitsentscheidungen verwirklichen konnte. Das, was Kleisthenes mit seiner Phylen- und Ratsreform ins Werk gesetzt hatte, ließ sich kaum von einem Tag auf den anderen vollenden. Die neue Ordnung wollte erprobt und eingeübt und gegebenenfalls durch Veränderungen den Erfordernissen angepaßt werden.16 All’ das scheint in den folgenden Jahren – soweit dies die zugestandenermaßen eher dürftige | [S. 6] Quellenlage erkennen läßt – vergleichsweise reibungslos vonstatten gegangen zu sein. Das mag zum einen daran gelegen haben, daß sich auch die alten politischen Kräfte mehrheitlich mit der neuen Ordnung abfanden und arrangierten und dann auch mit ihr umzugehen lernten. Man ließ sich auf die neuen Bedingungen ein und übte sich im Umgang mit dem neuen Rat und der Volksversammlung. Autorität und Erfahrung der alten Adelsgeschlechter zählten weiterhin, so daß sich auch die breiteren Schichten der athenischen Bürgerschaft ihrer Führung anvertrauten, solange nur die neu geschaffenen politischen Spielregeln eingehalten wurden. Daher lenkten auch in nachkleisthenischer Zeit vorwiegend Angehörige der alten Adelshäuser die politischen Geschicke Athens17 – aber eben nicht mehr aus eigener Machtvollkommenheit, sondern nur noch im Einvernehmen und mit Zustimmung aller Bürger. Diese erstaunlich konfliktfreie Konsolidierung der innenpolitischen Verhältnisse wäre jedoch kaum möglich gewesen, wenn die tiefgreifenden Umbrüche in Athen nicht auch von großen außenpolitischen Erfolgen begleitet gewesen wären. Schon in den 20 Jahren vor Marathon bestand ein geradezu dialektisches Beziehungsgefüge zwischen den außenund innenpolitischen Entwicklungen, deren Zusammenschau den Gang der damaligen Geschichte Athens erst eigentlich verständlich werden läßt. Welchen großen Wert die Athener einer außenpolitischen Absicherung des in Angriff genommenen kleisthenischen Reformwerkes beimaßen, wird schon daran deutlich, daß sie unmittelbar nach der Rückkehr des Kleisthenes in Sardes um ein Bündnis mit dem persischen Großkönig nachsuchten. Da dieser aber die Unterwerfung Athens zur Voraussetzung für ein Bündnis machte, zerschlug sich die Sache.18 So blieb Athen auf sich gestellt und mußte sich allein der ersten großen Bewährungsprobe stellen, als es 506 v. Chr. von allen Seiten bedrängt wurde.19 Die Nachbarstaaten sahen in der politischen Umbruch16 17 18 19
Vgl. hierzu Develin/Kilmer 1997. Dazu grundlegend Martin 1974; Stein-Hölkeskamp 1989; vgl. auch Petzold 1990. Hdt. 5,73. Die Hauptquelle im Folgenden: Hdt. 5,74–77.
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situation eine vermeintliche Schwächung Athens, die sie zu ihren Gunsten ausnützen zu können glaubten. König Kleomenes wähnte eine Gelegenheit, die Niederlage von 508 v. Chr. wieder wettzumachen und unternahm den Versuch, Isagoras gewaltsam nach Athen zurückzuführen und ihn dort als Tyrannen einzusetzen. Diese militärische Unternehmung scheiterte allerdings bereits im Ansatz. Zwietracht in den eigenen Reihen brachte den Vorstoß schon bei Eleusis zum Stehen und zwang schließlich zur Auflösung des spartanischen Bundesheeres und zum Rückzug. In Absprache mit den Spartanern hatten aber auch die Nachbarn im Norden, die Boioter und das euboiische Chalkis, gegen Athen mobil gemacht und zeitgleich die nördlichen Grenzregionen Attikas auf breiter Front angegriffen. Hier war es in den vergangenen Jahrzehnten zu einer erheblichen Ausweitung der athenischen Einflußsphäre gekommen. Unter der Herrschaft der Peisistratiden war die Nordgrenze Athens über die Gebirgsketten des Kithairon und Parnes hinaus bis an das Südufer des Asopos vorgeschoben worden.20 Diese | [S. 7] territorialen Zugewinne Athens hofften die Boioter und Chalkidier wieder rückgängig machen zu können. Sie hatten sich in der Einschätzung der militärischen Abwehrkraft Athens jedoch gründlich getäuscht. Nach dem unerwarteten Rückzug des spartanischen Heeres gingen die Athener mit ihrem gesamten Aufgebot gegen die Angreifer im Norden vor. In kürzester Zeit – angeblich sogar innerhalb eines Tages – konnten sie über ihre Gegner in zwei getrennten Schlachten einen vollständigen Sieg erringen. Damit hatten die Athener nicht nur das territoriale „Erbe“ der Peisistratiden erfolgreich verteidigt, sondern noch einen zusätzlichen Gewinn eingefahren, da sie auch auf Euboia Fuß fassen konnten, wo sie 4.000 athenische Bürger auf den Ländereien der Chalkidier ansiedelten.21 Die Niederlassung dieser Bürgerkolonie stand aber nicht isoliert da; vielmehr wurden ungefähr zur gleichen Zeit auch auf den Inseln Lemnos und Imbros erstmals athenische Kleruchien begründet. Miltiades hatte diese Inseln damals von der thrakischen Chersones aus erobert und den Athenern zur Besiedlung überlassen.22 Zweifellos ein geschickter politischer Schachzug, mit dem Miltiades auf die ver20 Hdt. 5,74,2 bezeichnet die südlich des Asopos gelegenen Orte Oinoe und Hysiai als „äußerste Demen Attikas“. Diese Gebietserweiterung ist wohl kaum erst nach 510 v. Chr., sondern bereits in peisistratidischer Zeit erfolgt; zur vielfach diskutierten Frage, ob sich damals auch schon die Plataier an Athen angeschlossen hatten, vgl. ausführlich Hennig 1992. Der Bericht Herodots über die gleichzeitigen Angriffe der Chalkidier läßt eine damalige Zugehörigkeit auch der Region um Oropos zu Attika wahrscheinlich erscheinen. 21 Zu der bei Hdt. 5,77,2 genannten Zahl von 4000 Kleruchen vgl. Welwei 1999, 25. 22 Alle einschlägigen Quellen zur Eroberung von Lemnos und damit wohl auch von Imbros sind zusammengestellt und kommentiert bei Kinzl 1968, 145–154. Die Aussagen dieser Quellen lassen allerdings keine eindeutige und präzise Bestimmung des Zeitpunktes der Eroberung zu. Am plausibelsten ist aber immer noch der von Berve 1937, 44–56 vorgeschlagene Zeitpunkt im letzten Jahrzehnt des 6. Jh.s v. Chr.; so auch Evans 1963; Ruschenbusch 1995, 144; Salomon 1997, bes. 31–37; vgl. auch Funke 1999, bes. 305–307. Allzu früh erscheint mir der zeitliche
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änderte Lage in seiner Heimatstadt reagierte. Auch nach dem Sturz der Peisistratiden war ihm am Wohlwollen der Athener gelegen; und für diese war der Erwerb der beiden Inseln an der Zufahrt zum Hellespont ein willkommener Ausgleich für den Verlust von Sigeion, das dem vertriebenen Tyrannen Hippias damals als Zufluchtsstätte diente. Es fügt sich in das Gesamtbild, daß nach Ausweis des frühesten inschriftlich überlieferten athenischen Volksbeschlusses in jenen Jahren auch der Status der auf Salamis siedelnden Athener als Kleruchen neu geregelt und ihre Integration in den athenischen Bürgerverband gestärkt wurde.23 Parallel zur Umgestaltung der Binnengliederung der Polis wurden so auch neue Formen der Einbindung der athenischen Außenbesitzungen entwickelt. So besehen hatte die Anlage von Kleruchien, deren Bewohner athenische Bürger blieben, nicht nur eine strategische Sicherungsfunktion, sondern diente auch der Stärkung des bürgerlichen Zusammenhaltes. Darüber hinaus kam den Kleruchien vor allem auch eine große ökonomische Bedeutung zu. Tausende von Bürgern konnten mit neuem Ackerland versorgt werden, und Athen gewann zugleich dringend benötigte zusätzliche Anbauflächen zur Versorgung der | [S. 8] eigenen Bevölkerung. Die innenpolitischen Auswirkungen dieses in jenen Jahren entwickelten Kleruchiensystems, das zu einem wichtigen Instrument athenischer Macht- und Wirtschaftspolitik werden sollte, können daher kaum unterschätzt werden.24 Ihren militärischen Triumph über Boiotien und Chalkis feierten die Athener durch die Errichtung eindrucksvoller Weihemonumente. Nach ihrem Sieg hatten sie Hunderte von Boiotern und Chalkidiern gefangen gesetzt und erst gegen immens hohe Lösegeldzahlungen wieder in die Freiheit entlassen. Die eisernen Fesseln, in denen man die Kriegsgefangenen abgeführt hatte, wurden der Stadtgöttin Athena geweiht und demonstrativ auf der Akropolis zur Schau gestellt, wo sie noch Herodot an einer von den Zerstörungen durch die Perser rußgeschwärzten Mauer hängen sah. Und vom Zehnten des Lösegeldes errichteten die Athener auf der Akropolis ein großes bronzenes Viergespann als weitere
Ansatz bei Kinzl 1968, 56–80, der die Eroberung der Inseln noch vor dem Skythenzug des Dareios und damit in die letzten Jahre der Peisistratidenzeit datiert. In einen Zusammenhang mit dem Ionischen Aufstand haben diese Eroberungen des Miltiades zuletzt wieder gebracht (mit der älteren Literatur) Rausch 1999b; Rausch 1999a, 125–129. 276–286; Welwei 1999, 26. Die Buchstabenformen der von Rausch zur Stütze seiner These angeführten epigraphischen Zeugnisse – insbesondere der Helmweihungen – sind allerdings keineswegs so präzise auf das Jahrzehnt genau zu datieren wie angegeben; vielmehr liegt oft den Datierungen selbst eine historische Interpretation zugrunde, so daß die Argumentation letztlich auf einem Zirkelschluß beruht. 23 IG I3 1 add. 24 Rausch 1999a, 308–309 unterschätzt die nichtmilitärischen Aspekte der damaligen athenischen Kleruchien; zur Bedeutung der Kleruchien insgesamt Salomon 1997.
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Weihung an Athena und versahen es mit einer Inschrift, in der sie stolz ihren Sieg über die Boioter und Chalkidier verkündeten:25 Mit drückenden Fesseln aus Eisen erstickten die Hybris die Söhne der Athener durch ihre Taten im Kriege, als sie die Völker der Boioter und Chalkidier bezwangen und als Zehnten von ihnen der Pallas dieses Pferdegespann weihten. Die Siege von 506 v. Chr. dürften auch der Anlaß gewesen sein für die Errichtung des Schatzhauses der Athener im Heiligtum des Apollon in Delphi. Ich muß an dieser Stelle meine Position in der langen Diskussion um die Datierung dieses Schatzhauses in gebotener Kürze darlegen, da sie auch für meine spätere Argumentation noch eine gewisse Rolle spielen wird. Ich möchte mich dabei gar nicht erneut auf die Stildiskussion einlassen, deren bisherige Datierungsansätze zwischen 510 und 480 v. Chr. schwanken und die bisher keinen sicheren Anhalt für eine exakte Datierung des Athener Schatzhauses vor oder nach Marathon ergeben haben.26 | [S. 9] Ausschlaggebend war hier stets der Verweis auf die Angabe des Pausanias, derzufolge das Schatzhaus aus der Kriegsbeute des Sieges bei Marathon errichtet worden sei.27 Diese Aussage scheint sich mit der Inschrift auf einer langgestreckten Weih geschenkbasis zu decken, die unmittelbar vor dem Fundament der Südseite des Schatzhauses aufgestellt war. Der Text der Inschrift lautet: „Die Athener (weihen) dem Apollon Pythios von den Medern Akrothinia der Schlacht bei Marathon“.28 Offen bleibt, ob sich 25 Hdt. 5,77; IG I3 501 A und B; vgl. auch Diod. 10,24; Anth. Pal. 6,343; P.Oxy. 31,2535. Hansen 1999 möchte auch die „Perserkriegsepigramme“ (IG I3 503–504) auf die athenischen Siege von 506 v. Chr. beziehen; dem steht aber schon allein der panhellenische Tenor der Epigramme entgegen, der mir – anders als O. Hansen – für die Ereignisse von 506 v. Chr. kaum vorstellbar erscheint. Von dem in den Perserkriegen zerstörten Viergespann wurden auf der Akropolis Teile sowohl der ursprünglichen wie auch der erneuerten Basis mit Fragmenten der Inschrift gefunden, deren erste und dritte Zeile in der jüngeren, bei Herodot überlieferten Version gegenüber der älteren ausgetauscht wurden; vgl. den Kommentar zu IG I3 501 A und B; Rausch 1999a, 120–125. Der im Folgenden wiedergegebene Text der älteren Inschrift folgt der Übersetzung von Brodersen/Günther/Schmitt 1992, 13–14 Nr. 24. 26 Einen knappen, aber die wichtigsten Positionen gut dokumentierenden Überblick über die Forschungsdiskussion um die stilistische Datierung des Athener Schatzhauses bietet Rausch 1999a, 129–130; vgl. auch Maß 1993, 168–175. Selbst wenn Büsing 1979; Büsing 1994, bes. 123–127 mit seiner Annahme, daß die Bemalung auf der Innenseite des Türsturzes in die Zeit nach 490 v. Chr. gehört und für den Abschluß der Arbeiten am Schatzhaus datierend ist, das Richtige trifft, bleibt gleichwohl offen, ob damit auch der gesamte Bau erst in diese Zeit gehört; mit einer längeren, möglicherweise zeitweilig sogar unterbrochenen Bauzeit rechnet auch Jacquemin 1994, 191. 27 Paus. 10,11,5. 28 Syll.3 23 A–B; eine Neulesung hat Amandry 1998 vorgelegt; vgl. auch schon Bommelaer/Laroche 1991, 136–137. Die Inschrift ist eine die Buchstabenformen der ursprünglichen, aus dem frühen 5. Jh. v. Chr. stammenden und nur noch in wenigen Resten erhaltenen Inschrift nachahmende Wiederaufzeichnung wohl aus hellenistischer Zeit.
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diese Inschrift allein auf die auf der Basis aufgestellten Weihungen oder auch auf das Schatzhaus selbst bezog. Entscheidend für diese Frage ist der bauliche Zusammenhang von Weihgeschenkbasis und Schatzhaus. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den ersten Ergebnissen einer erneuten, eingehenden Untersuchung des Schatzhauses und der südlich angrenzenden, dreieckigen Terrassenmauer zu, die jüngst Pierre Amandry vorgelegt hat.29 Er kann nachweisen, daß beide Komplexe eine untrennbare bauliche Einheit bilden und zeitgleich errichtet worden sind; er sieht hingegen keine zwingende Notwendigkeit, auch die Weihgeschenkbasis, die auf der mit der Südmauer des Schatzhauses verbundenen Terrassenmauer errichtet wurde, unmittelbar mit der Errichtung des Schatzhauses und der Terrassenmauer zu verbinden. Die Terrassenmauer habe wahrscheinlich zunächst nur dem pragmatischen Zweck gedient, die aufragenden Fundamente des Schatzhauses zu stützen und den Bau zugleich architektonisch in die Geländesituation an der Kehre der Heiligen Straße einzupassen, und somit „un double rôle d’écran et de contrefort“30 erfüllt. Für eine zeitliche Trennung von Terrassenmauer und Weihgeschenkbasis spricht auch die – zuletzt wieder von Hermann Büsing konstatierte – Beobachtung, daß „die Unterlagsteine für die Inschriftenblöcke mit Anathyrose an das schon bestehende Schatzhaus-Fundament (anschließen)“31 und damit auf jeden Fall – in welchem zeitlichen Abstand auch immer – später angebaut wurden. Da nun Pausanias bei seiner zeitlichen Zuweisung des Schatzhauses offenbar von der genannten Inschrift ausging, wird seine Aussage durch den baulichen Befund relativiert. Da er die in der Inschrift erwähnten „Akrothinia“, auf die später noch einzugehen sein wird, unerwähnt läßt, waren diese zu seiner Zeit allem Anschein nach nicht mehr vorhanden; das erklärt um so mehr, weshalb er dann die Inschrift auf das dahinter liegende Schatzhaus bezog. Sollte diese – auch schon früher angestellte32 – Überlegung das Richtige treffen, entfällt der einzige feste Anhaltspunkt für eine literarisch gesicherte exakte Datierung des Athener | [S. 10] Schatzhauses; und damit ist der Weg wieder frei, die Errichtung dieses Baus mit den außenpolitischen Erfolgen des ausgehenden sechsten Jahrhunderts in Verbindung zu bringen.33 29 30 31 32 33
Amandry 1998; dazu auch schon Bommelaer/Laroche 1991, 133–138. Amandry 1998, 87. Büsing 1994, 126 Anm. 393; vgl. Auch schon Gauer 1980. Vgl. etwa Gauer 1968, 45–51. Aufgrund der erwähnten französischen Untersuchungen des Athener Schatzhauses geht auch Jacquemin 1994, 191 von einer Datierung zumindest des Baubeginns noch vor der Schlacht bei Marathon in „den ersten Jahren des 5. Jahrhunderts“ aus. Sie möchte jedoch einen Zusammenhang mit den „ersten Siegen (der Athener) in Asien“ – gemeint ist die Beteiligung der Athener am Ionischen Aufstand – herstellen. Aber selbst wenn das Baumaterial (parischer Marmor) und wahrscheinlich auch die Bauleute von den Kykladen kamen, ist ein Bezug auf den Feldzug von 498 v. Chr. nicht zwingend, angesichts der Kurzfristigkeit des athenischen Erfolges sogar eher unwahrscheinlich. Auch die u. a. von Gauer 1980 und von Boardman 1982 vertretene Ausdeutung der Amazonomachie als eine Anspielung auf das athenische Engagement in Ionien
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Die Aufstellung der monumentalen Weihegaben auf der Akropolis in Athen und auch an der Heiligen Straße in Delphi zeigt, welche Bedeutung die Athener ihren militärischen Siegen beimaßen und welches Selbstbewußtsein sie hieraus schöpften. Die gerade erst neu verfaßte – und in vielem auch noch gar nicht ganz ausgestaltete – Polis hatte den stärksten Mächten der griechischen Staatenwelt die Stirn geboten. Das nach den kleisthenischen Phylen neu geordnete Heeresaufgebot hatte seine erste Bewährung erfolgreich bestanden. Die Bürgerschaft war ohne die verhaßten Tyrannen und auch ohne persische Unterstützung zurecht gekommen und hatte allein auf sich gestellt die Polis gegen alle Zugriffe von außen verteidigt. Der Wert dieser außenpolitischen Erfolge für die Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse stand schon für Herodot außer Frage, der mit Blick auf die Ereignisse von 506 v. Chr. schrieb: Athens Macht war nun groß geworden. Es ist deutlich, daß die isegoría (das Mitspracherecht oder die Teilhabe aller am politischen Entscheidungsprozeß) nicht bloß in einer, sondern in jeder Hinsicht eine wertvolle Sache ist, wenn doch die Athener, solange sie unter Tyrannen standen, keinem der Umwohner in Hinsicht auf den Krieg überlegen waren, als sie aber die Tyrannen los waren, weitaus die ersten wurden. … Nachdem sie befreit worden waren, war jeder einzelne darauf bedacht, sich ganz einzusetzen, da es für ihn selber war.34 Die Erfolge von 506 v. Chr. haben der kleisthenischen Ordnung entscheidend zum Durchbruch verholfen. In den folgenden Jahren scheint es keine offenen politischen Richtungskämpfe mehr gegeben zu haben. Es bestand wohl ein weitgehender Konsens in den Grundfragen, so daß die Verfassung weiter ausgestaltet werden konnte. Bekanntes sei hier | [S. 11] nur kurz erwähnt:35 Im Jahre 501/500 v. Chr. wurde die militärische Kommandostruktur verändert. An die Spitze der einzelnen Phylenregimenter traten Strategen, die von der Volksversammlung jährlich gewählt wurden, wobei auch Wiederwahl möglich kann – falls sie überhaupt das Richtige trifft – keineswegs als sicheres Indiz für den ursprüng lichen Grund der Weihung des Schatzhauses genommen werden. Wenn A. Jacquemin’s Annahme einer längeren, vielleicht sogar zeitweilig unterbrochenen Bauzeit ( Jacquemin 1994, 191) und H. Bankel’s Beobachtung der technischen Unterschiede zwischen den unteren und oberen Teilen des Athener Schatzhauses (Bankel 1990) zutrifft, dann wäre allenfalls eine nachträgliche Berücksichtigung auch des athenischen Kleinasienunternehmens bei der künstlerischen Ausgestaltung in Erwägung zu ziehen. Aufs Ganze besehen aber erscheint es mir unabweisbar, daß die Errichtung des Schatzhauses (und wohl auch der dazugehörigen Terrassenmauer) mit den außenpolitischen Erfolgen Athens in den letzten Jahren des 6. Jh.s v. Chr. in Verbindung zu bringen ist. 34 Hdt. 5,78 (deutsche Übersetzung nach Marg 1983). 35 Vgl. zum Folgenden Aristot. Ath. pol. 22,2 mit den entsprechenden Kommentaren bei Rhodes 1981, 262–266 und Chambers 1990, 235–238; s. aber auch Martin 1974, 23–24.
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war. Das militärische Oberkommando verblieb vorerst beim Polemarchen, der sich aber von nun an mit den zehn Strategen ins Benehmen zu setzen hatte. Zur gleichen Zeit – wenn nicht schon einige Jahre früher – wurde auch ein Eid eingeführt, mit welchem sich die Ratsherren bei ihrem Amtsantritt verpflichten mußten, nur zum Besten der gesamten Bürgerschaft zu handeln. Die Ratskompetenzen blieben zwar uneingeschränkt, aber die Eidesformel unterstrich doch die starke Stellung der Volksversammlung und die konstitutive Bindung zwischen bulé und ekklesía. Der völlig neue, „isonome“ Zuschnitt der Binnenstruktur des athenischen Bürgerverbandes fand aber nicht nur in der institutionellen Formierung der Verfassung seinen Ausdruck. Vielmehr gehören in diesen Kontext etwa auch die gesetzlichen Einschränkungen des Grabluxus und die damit zeitlich wie tendenziell wohl korrespondierende Einführung des Staatsbegräbnisses für die Gefallenen.36 Und im kultisch-religiösen Bereich zielte die Einrichtung der Kulte für die zehn neuen Phylenheroen und die Ausgestaltung der großen Feste darauf ab, den Zusammenhalt und das Identitätsbewußtsein der Gesamtbürgerschaft zu stärken.37 Besonders signifikant ist in diesem Zusammenhang die Einführung des Dithyrambenagons als Wettstreit der neugeschaffenen Phylen bei den Großen Dionysien und dann auch bei zahlreichen anderen Festen. Die kleisthenischen Phylen, die aufgrund der regionalen Durchmischung in ihrer Zusammensetzung jeweils ein Abbild der Politengemeinschaft im Kleinen und daher ein tragendes Element der isonomen Verfassung waren, bedurften als zunächst zweifellos noch sehr abstrakte Ordnungsgrößen der Verlebendigung. Die Bürger mußten erst lernen, sich in diesen neuen Formationen zurechtzufinden und sich mit ihnen zu identifizieren. Die frühen militärischen Erfolge der Phylenregimenter mögen das Ihre dazu beigetragen haben. In den zahlreichen Dithyrambenagonen aber wurde im friedlichen Wettkampf der Phylen gegeneinander jedem einzelnen Bürger immer wieder aufs neue das Gefühl der Zugehörigkeit zu seiner Phyle – und damit auch zur neu formierten Bürgerschaft insgesamt – vermittelt. Zu Recht hat daher Bernhard Zimmermann in seiner Untersuchung zum Dithyrambos die politische Bedeutung und die traditionsbildende Wirkung des phylenweisen Dithyrambenagons hervorgehoben,38 die auch darin zum Ausdruck kam, daß in den Inschriften nur die | [S. 12] Phyle als Sieger verzeichnet und der Dichter nicht einmal 36 Hierzu grundlegend Stupperich 1977; zum Grabluxusgesetz auch Engels 1998, bes. 97–106; Rausch 1999a, 213–220. 37 Vgl. hierzu die entsprechende Zusammenfassung (mit der relevanten Literatur) der athenischen Staatskulte und Staatsfeste bei Rausch 1999a, bes. 40–118. 149–191. 38 Zimmermann 1992, bes. 35–38; Zimmermann 1993; die politische Bedeutung der Einführung des phylenweisen Dithyrambenagons betont auch schon Stoessl | [S. 12] 1974, bes. 228– 230. Es steht zwar außer Frage, daß die Dithyrambenagone auch einen militärischen Aspekt besitzen konnten, wie dies vor allem Siewert 1982, 62–66. 150–153 hervorhebt, der jedoch eine allzu enge Verbindung mit der Neuordnung des athenischen Heeres durch Kleisthenes
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genannt wurde. Namentliche Erwähnung fand nur der Chorege, der auf eigene Kosten für sich und seine siegreiche Phyle eine Dreifußweihung an der zum Dionysostheater führenden Tripodenstraße aufstellen durfte. Es ist bezeichnend, daß diese Dreifußweihungen, die zu Hunderten die Straße säumten, allein den Siegern in den Dithyrambenagonen vorbehalten waren. Daher sollte man sie nicht nur unter dem Aspekt der persönlichen Selbstdarstellung einzelner Choregen betrachten, sondern in ihnen vor allem auch eine öffentliche Manifestation des bürgerlichen Selbstbewußtseins der Phylengemeinschaften sehen. Die Konsolidierung der neuen Verfassung wurde zusätzlich unterfangen von einer Mystifizierung ihrer Anfänge. Es ist erstaunlich, wie schnell der eigentliche Verlauf der Geschehnisse in den Hintergrund trat. Schon im letzten Jahrzehnt des sechsten Jahrhunderts v. Chr. wurde in Trinkliedern und Gedichten die Ermordung des Hipparchos durch Harmodios und Aristogeiton als Ursache für den Sturz der peisistratidischen Tyrannis und als Beginn der Freiheit besungen. Spartas Intervention und auch die Verdienste des Kleisthenes wurden rasch verdrängt. Was zählte, war die Ideologie der Befreiung von der Tyrannis aus eigener Kraft. Harmodios und Aristogeiton, nicht Kleisthenes, wurden als Urheber der Isonomia gefeiert.39 Auch wenn die aristokratische Provenienz der Skolia und die anti-alkmaionidische Spitze unverkennbar sind,40 ist hier gleichwohl ein politischer Stimmungswandel zu greifen, der nicht mehr den alten Geist vergangener Tage atmet, sondern von dem Wunsch getragen ist, sich das neue Ideal der politischen Gleichberechtigung aller Bürger auf die eigenen Fahnen zu schreiben.41 Sichtbaren Ausdruck fand diese Ideologisierung in einer von dem Bildhauer Antenor geschaffenen Statuengruppe der beiden Tyrannenmörder, die um 500 v. Chr. auf der Agora an zentraler Stelle öffentlich aufgestellt wurde. Die Statuengruppe wurde zum Sinnbild für die neue Verfassung Athens; und als sie 480 v. Chr. von den Persern als Beutegut verschleppt wurde, ersetzten die Athener sie schon wenige Jahre später durch eine neue, bei den Bildhauern Kritios und Nesiotes in Auftrag gegebene Gruppe.42 Es spricht manches dafür, daß ungefähr zur gleichen Zeit auch das von den Persern zerstörte Viergespann neu aufgestellt wurde, das die Athener 506 v. Chr. aus Anlaß ihres Doppelsieges über die Boioter und Chalkidier auf die Akropolis geweiht hatten. Ich kann hier nicht näher auf die viel diskutierte Problematik der verschiedenen Aufstellungen dieses Weihmonumentes eingehen, von dem | [S. 13] sich Teile sowohl der ursprünglichen wie auch
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herstellt und die weiter reichenden politischen Implikationen zu gering einschätzt; in dieser Hinsicht ausgewogener und differenzierter ist die Beurteilung der Phylenagone bei Rausch 1998, 83–105; Rausch 1999a, bes. 151–182. Athen. 15,695a–b = PMG 893–896. Dazu Petzold 1990, bes. 151–153. Grundlegend ist immer noch die Behandlung dieser Skolia durch Ehrenberg 1956; vgl. auch Rausch 1999a, 50–54. Die einschlägigen Quellen sind zusammengestellt und unter Verweis auf die wichtigste Literatur kommentiert bei Rausch 1999a, 40–50; vgl. auch Fehr 1984.
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der zweiten Basis erhalten haben.43 In der Regel wird die Erneuerung der Weihung mit dem athenischen Sieg über die Boioter 457 v. Chr. oder über Chalkis 446 v. Chr. verbunden. Es besteht aber meines Erachtens kein zwingender historischer Grund, die Wiedererrichtung des Viergespanns erst in diese Zeit zu verlegen,44 zumal auch die Buchstabenformen der erhaltenen Inschriftenfragmente keine präzise zeitliche Einordnung ermöglichen. Es bleibt also ernsthaft in Erwägung zu ziehen, ob die zweite Aufstellung nicht doch in einem zeitlichen und vor allem auch intentionalen Zusammenhang mit der Erneuerung der Tyrannenmördergruppe zu sehen ist. Das würde dafür sprechen, daß beide Ereignisse – Tyrannenmord wie auch der erste große militärische Erfolg der isonomen Bürgergemeinschaft – zu elementaren Bestandteilen des kollektiven Gedächtnisses der Athener geworden waren und auch in der Rückbesinnung nach den Perserkriegen in einem Konnex gesehen und als grundlegende Voraussetzungen für die herrschende staatliche Ordnung erinnert wurden. Ich möchte nun aber noch einmal auf die beiden Jahrzehnte an der Wende vom sechsten zum fünften Jahrhundert zurückkommen. In einem steten, ungeheuer dynamischen Wechselspiel zwischen der Neugestaltung der inneren Ordnung und einem überaus erfolgreichen außenpolitischen Agieren hatten sich in den wenigen Jahren zwischen 508 und 500 v. Chr. die Verhältnisse in Athen so weit stabilisiert, daß die Athener sich nun sogar trauten, es mit den Persern aufzunehmen, und 498 v. Chr. auf Seiten der kleinasiatischen Griechen in den Ionischen Aufstand eingriffen.45 Das – allerdings nur auf ein Jahr begrenzte – Engagement in Kleinasien resultierte aus dem erstarkten Selbstbewußtsein einer athenischen Bürgerschaft, die sich ihrer Sache sicher und zu gemeinsamem Handeln entschlossen war. Die kleinasiatische Katastrophe stürzte daher die Athener aus dem Hochgefühl eigener Stärke in eine tiefe Verunsicherung. Das Scheitern des Aufstandes wurde auch in Athen als Niederlage empfunden, zumal mit der Flucht des Miltiades aus der thraki-
43 IG I3 501 A und B. Die nur sehr vagen Beschreibungen der Lage des (nach den Perserkriegen wiedererrichteten) Viergespanns bei Hdt. 5,77,4 und Pausan. 1,28,2 und im P.Oxy. 31,2535 haben seit jeher zu einer regen Forschungsdebatte über die verschiedenen Standorte des Weihgeschenkes geführt; vgl. etwa Judeich 1931; Stevens 1936, bes. 504–506; Stevens 1946, 81–82; Meiggs/Lewis, GHI2 29; Evans 1979; Mattingly, 1982, bes. 383–384; West 1985, bes. 283– 285; Pritchett 1993, 150–159. 44 Nur Mattingly 1982 hat eine erste Wiedererrichtung des Viergespanns bereits in den 70er Jahren in Erwägung gezogen; die von den übrigen Forschern in diesem Zusammenhang immer wieder vorgebrachten Verweise auf die athenischen Siege von 457 bzw. 446 v. Chr. als vermeintlicher Anlaß einer erneuten Aufstellung des Weihgeschenks vermögen aus historischen Gründen allerdings wenig zu überzeugen, zumal es überhaupt fraglich ist, ob die Wiedererrichtung unbedingt eine erneute Feindschaft zwischen Athenern und Boiotern bzw. Chalkidiern zur Voraussetzung haben mußte. 45 Hdt. 5,97–103.
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schen Chersones46 und dem Verlust der Inseln Lemnos und Imbros wichtige athenische Positionen in der Nordostägäis verloren und Teile des Kleruchensystems zusammengebrochen waren. Es war die erste große politische Schlappe der neu verfaßten Bürgerschaft. Das erklärt auch die emp- | [S. 14] findlichen Reaktionen der Athener, als Phrynichos im Frühjahr 492 v. Chr. mit der Tragödie Milétu Hálosis die persische Eroberung dieser Stadt und damit das Ende des Ionischen Aufstandes auf die Bühne brachte.47 Die Krise bedrohte den inneren Zusammenhalt der Bürgerschaft. Schon die Wahl des Hipparchos, eines Verwandten und Parteigängers der Peisistratiden, zum Archon für das Jahr 496/5 v. Chr.48 ist vielleicht als Indiz für neu aufgebrochene Richtungskämpfe zu werten, ohne daß sich allerdings genauer bestimmen ließe, an welchen Sachfragen – wenn überhaupt – sich diese entzündet hatten. Die Kleinasienfrage und das Verhältnis zu Persien könnten dabei eine Rolle gespielt haben; möglicherweise stand auch die staatliche Ordnung zur Disposition. Wahrscheinlich ging es sogar um beides, da die Dinge auf so vielfältige Weise mit einander verwoben und untrennbar verbunden waren. Ende der 90er Jahre hatten sich die Athener z u einer klaren Linie durchgerungen und waren z um unbedingten Widerstand gegen den drohenden persischen Angriff entschlossen. Sie schöpften Mut aus den frühen Erfolgen der ersten Jahre nach dem Sturz der Tyrannis und setzten alle ihre Hoffnungen auf Miltiades und dessen langjährige Erfahrungen im Umgang mit den Persern. Und diese Rechnung ging bekanntlich bei Marathon auf. Der erfolgreiche Kampf gegen die persische Übermacht hatte das erschütterte Vertrauen der Athener in die eigene Stärke wiederhergestellt. Der Sieg bei Marathon hatte Athen nicht nur Achtung und Ansehen in der griechischen Staatenwelt eingebracht, sondern vor allem auch das Selbstbewußtsein seiner Bürger gefestigt. Dies kam besonders sinnträchtig zum Ausdruck in dem Monument, das die Athener bald nach 490 v. Chr. dem Apollon in Delphi aus der Kriegsbeute von Marathon weihten. Gemeint ist hier nicht die wohl erst eine Generation später – vermutlich auf Initiative des Kimon, des Sohnes des „Marathonsiegers“ Miltiades – errichtete Statuengruppe im unteren Bereich der Heiligen Straße,49 sondern die bereits erwähnte Weihung vor der Südmauer des Athener Schatzhauses. Wenn der im Vorangegangenen hergestellte Bezug des Athener Schatzhauses auf die militärischen Siege des letzten Jahrzehnts des sechsten Jahrhunderts das Richtige trifft, dann wurde durch das „Heranschieben“ der Marathonweihung an die Fundamente dieses Schatzhauses die bewußte Verbindung zwischen diesen Ereignissen augenfällig gemacht. 46 Hdt. 6,41. 47 Hdt. 6,21; Rausch 1999a, 164–165 48 Archontat des Hipparchos: Dion. Hal. ant. 6,1,1; zur Person des Hipparchos s. etwa Rhodes 1981, 271–272. 49 Zu dieser von Paus. 10,10,1–2 beschriebenen Statuengruppe vgl. die (mit einer vollständigen Forschungsbibliographie) versehene Untersuchung von Ioakimidou 1997, 66–77. 179–200.
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Aber wie auch immer das zeitliche Verhältnis zwischen Schatzhaus und Marathonbasis gewesen sein mag; auf jeden Fall spiegeln die auf dieser Basis errichteten Weihgaben den Stolz der Athener auf den gemeinsam errungenen Sieg in ganz besonderer Weise wider. Neue Untersuchungen der Basis haben nämlich bestätigt, daß dort ursprünglich zehn Statuen aufgestellt waren, deren Zahl dann in hellenistischer Zeit schließlich auf 13 erhöht wurde.50 Und es steht wohl außer Frage, | [S. 15] daß es sich hier um die attischen Phylenheroen gehandelt haben muß, die den nach den kleisthenischen Maßgaben neu geordneten Demos von Athen als Sieger von Marathon repräsentierten. Die Aufstellung dieser frühesten uns bekannten Statuengruppe der attischen Phylenheroen war ein Ausweis des bürgerlichen Selbstbewußtseins der Athener und zugleich ein Dokument ihres Stolzes auf die neue politische Ordnung, die durch den Erfolg bei Marathon weiter gefestigt worden war. Sie entsprach im Geist der später bei Plutarch überlieferten Anekdote,51 der zufolge Miltiades nach Marathon eine Kranzehrung für sich gefordert hatte und in der Volksversammlung mit den Worten beschieden wurde: Wenn Du mit den Barbaren einmal allein kämpfen und sie besiegen wirst, dann magst Du auch für Dich allein eine Auszeichnung fordern. Die wiedergewonnene Zuversicht in das eigene Können war dann offenbar auch der Grund dafür, daß sich die Athener schon wenige Monate nach der Schlacht bei Marathon von Miltiades für einen Kriegszug gegen die Insel Paros gewinnen ließen.52 Nach allem, was wir wissen, hatte Miltiades persönlich noch eine alte Rechnung mit den Pariern zu begleichen. Das Vorgehen gegen Paros entsprach aber eben auch den allgemeinen Interessen Athens, da die persische Präsenz auf den Kykladen unmittelbar vor der eigenen Tür eine dauernde Bedrohung darstellte. Auch dürften die Athener gehofft haben, den verlorenen Einfluß in der Nordostägäis wiederzugewinnen. So willigten sie in die Pläne des Miltiades ein und stellten ihm Geld, Soldaten und die größte Flotte zur Verfügung, die sie bis dahin hatten in See stechen lassen: Mit 70 Schiffen war das Kontingent mehr als dreimal so groß wie dasjenige, das 498 v. Chr. zur Unterstützung des Aufstandes der kleinasiatischen Griechen ausgesandt worden war. Das war keine Kleinigkeit und schon 50 Bommelaer/Laroche 1991, 133–138; Jacquemin 1994, 191; Amandry 1998, bes. 82–86. Vatin 1991, bes. 183–234 hat aufgrund weitgehend überaus unsicherer Lesungen von Buchstabenresten auf den wenigen noch erhal- | [S. 15] tenen Steinen der Weihgeschenkbasis zahlreiche, zeitlich sehr differenzierte Bauphasen erschlossen und hat aufgrund dieser Beobachtungen neue historische Thesen auch zur Entwicklungsgeschichte der athenischen Phylenheroen aufgestellt. Da die Neulesungen der Inschriften nicht überprüfbar sind, bleiben die entsprechenden Rückschlüsse C. Vatins hier außer Betracht. 51 Plut. Kim. 8,1. 52 Zum Paros-Unternehmen des Miltiades: Hdt. 6,132–135; Nep. 1,7,1–4; vgl. auch Welwei 1999, 39–41.
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gar nicht ein bloßes Privatunternehmen des Miltiades, sondern ein machtpolitisches Unterfangen, das schon in vielem dem ähnelte, was sich die athenischen Bürger in den folgenden Jahrzehnten zutrauten. Das Paros-Unternehmen blieb bekanntlich schon im Ansatz stecken und scheiterte nach wenigen Wochen. Dieser Mißerfolg – so schwer er auch wog – konnte aber den Stolz über das bei Marathon Erreichte kaum schmälern. Und es war zweifellos dieser Stolz der gesamten athenischen Bürgerschaft, aus dem heraus sich die Forderungen ableiteten zu neuen Reformen im Sinne einer weiteren Stärkung der politischen Mitsprache der Politen. Die verfassungspolitischen Änderungen in den frühen 80er Jahren, lange vor der massiven Aufrüstung der athenischen Flotte, – die Einführung der Archontenlosung, die Aufwertung des Strategenamtes und wohl auch die Übertragung der Ostrakophorie in die Verantwortung der Gesamtbürgerschaft – alle diese Maßnahmen53 – so umstritten sie im einzelnen auch gewesen | [S. 16] sein mögen – wären ohne Marathon und vor allem auch ohne die vorangegangenen Erfolge kaum denkbar, geschweige durchsetzbar gewesen. In den ersten Jahrzehnten nach 510 wurde – um Detlev Lotze zu zitieren – „die Tür zur Entfaltung der Demokratie“ geöffnet.54 Die hier nur knapp und unvollständig nachgezeichneten Entwicklungen der ersten Jahrzehnte nach dem Sturz der Tyrannis geraten bei der Einschätzung der athenischen Geschichte des 5. Jahrhunderts allzu leicht aus dem Blick angesichts der tiefen Zäsur, die durch die verheerende Perserinvasion unter Xerxes und dem dann doch triumphalen Erfolg des antipersischen Hellenenbundes gesetzt wurde. Der Bruch war auch fraglos hart; und aus dem Perserschutt entstand in der Tat vieles Neue und geradezu revolutionär Anmutende. Darüber darf aber gleichwohl nicht vergessen werden, daß der Keim für vieles – in der Politik ebenso wie in der Kunst – schon weitaus früher angelegt war. Nach Salamis und Plataiai konnte sich das entfalten, was sich in den Jahrzehnten zuvor zu entwickeln begann. So besehen waren die Perserkriege keine „Stunde Null“. Die Dynamik, die wir dem Zusammenwirken von Herrschafts- und Verfassungspolitik im fünften Jahrhundert zu unterstellen bereit sind, gilt es auch viel stärker als Wirkkraft in den Blick zu nehmen, wenn es darum geht, die Vorgeschichte und damit die Ursachen und Hintergründe zu analysieren, die die klassische Blütezeit des demokratischen Athen erst ermöglichten. Damit rede ich nicht einer Entzauberung das Wort; aber wenn wir uns schon wundern, dann auch über das, was vor den Perserkriegen geschah und vieles danach erst möglich machte. Amandry 1998: P. Amandry, Notes de topographie et d’architecture delphiqueS. X. Le „socle marathonien“ et le trésor des Athéniens, BCH 122, 1998, 75–90.
53 Zu diesen hier nicht näher zu erläuternden Maßnahmen sei nur auf die entsprechenden Ausführungen bei Bleicken 1994, passim; Welwei 1999, 21–23 verwiesen; zum Ostrakismosverfahren vgl. auch die obige Anm. 11. 54 Lotze 1997, 90.
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Athen und Kleinasien im 4. Jh. v. Chr. Überlegungen zum historisch-politischen Kontext eines neuen Proxeniedekretes aus Kaunos
In ihrem historischen Kommentar zur editio princeps der neuen karisch-griechischen Bilingue aus Kaunos haben Peter Frei und Christian Marek die einschlägigen Quellenzeugnisse gemustert und deren – wegen der disparaten Überlieferungslage zwangsläufig nur bedingten – Aussagewert für die historische Einordnung der Inschrift eingehend analysiert.1 Dabei kommt ihren prosopographischen Überlegungen ein besonderes Gewicht zu, da sie eine auch vom epigraphischen Befund her gestützte Datierung der Inschrift in die zweite Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. nahelegen. Von den beiden mit der kaunischen Proxenie Geehrten ist zwar der Athener Lysikles, Sohn des Lysikrates, mit keiner anderen Persönlichkeit gleichen Namens zu identifizieren;2 anders steht es jedoch mit dem zweiten Proxenos Nikokles, Sohn des Lysikles, dessen von den Herausgebern vorgeschlagene Gleichsetzung mit dem gleichnamigen Athener aus dem Demos Kydantidai mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Richtige trifft. Die von Frei und Marek zusammengestellten Belege für die politischen Aktivitäten dieses Mannes, der zur begüterten Schicht in Athen gehörte und 323/2 Mitglied einer wohl antimakedonischen Gruppierung war, führen in die zweite Hälfte und hier vor allem in die 30er und 20er Jahre des vierten Jahrhunderts.3 Diese | [S. 212] Quellenzeugnisse sind allerdings zu dürftig, um unmittelbar und ursächlich mit der neuen kaunischen Proxenieverleihung in Verbindung gebracht zu werden und deren möglichen politischen Hintergrund zu erhellen. Hier bleibt man notgedrungen auf Vermutungen und Plausibilitätsargumente angewiesen; und nur auf solche können sich auch meine Erwägungen stützen, um durch eine weiter gespannte Betrachtung der attischen Kleinasienpolitik im vierten Jahrhundert das schon von Frei und Marek entfaltete Spektrum der eventuellen Anlässe für die kaunische Ehrung der beiden Athener vielleicht doch zu erweitern. Ich gehe dabei im folgenden davon aus, daß die kaunische Proxenieverleihung politisch motiviert war; auch schon insofern bleiben also die Ausführungen – soweit sie die Frage nach den historischen Hintergründen der Ehrung betreffen – selbstverständlich hypothetisch, da – wie die Herausgeber zu Recht anmerken – nicht grundsätzlich davon Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Kadmos 37, 1998, 211–228. 1 Frei/Marek 1997, bes. 53–89. – K. Freitag danke ich für die kritische Durchsicht einer ersten Fassung dieses Textes und für Anregungen und Hinweise. 2 Frei/Marek 1997, 66; grundsätzlich ist auch eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden Proxenoi nicht auszuschließen, auch wenn in einem solchen Fall eher eine umgekehrte Reihenfolge in der Nennung der Namen der Geehrten zu erwarten wäre (freundlicher Hinweis von C. Marek). 3 Frei/Marek 1997, 61–66.
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ausgegangen werden kann, daß „Proxenieverleihungen … immer in einer Beziehung zu dem Staat zu suchen (sind), der durch das Ethnikon des Geehrten repräsentiert ist“.4 In unserem Fall scheint aber meines Erachtens ein politisches Motiv für die Ehrung schon durch die Person des mit der Proxenie ausgezeichneten Atheners Nikokles und dessen öffentliche Tätigkeit – soweit sie in den Quellen zu erkennen ist – angezeigt. Und diese Annahme wird gestützt durch den Vergleich mit den bisher bekannten, ungefähr zeitgleichen Ehrenbeschlüssen karischer, lykischer und ionischer Gemeinden, die Marek in seiner grundlegenden Untersuchung zur griechischen Proxenie zusammengestellt hat und die – soweit sich das entscheiden läßt – fast ausschließlich politisch motiviert zu sein scheinen.5 Wer die attische Kleinasienpolitik des vierten Jahrhunderts betrachten will, kann dies nicht tun, ohne gleichzeitig auch die Beziehungen Athens zu Kleinasien im fünften Jahrhundert im Blick zu behalten: Die Machtpolitik Athens in der Zeit des Ersten Seebundes überschattete das Verhältnis Athens zur ägäischen und kleinasiatischen Staatenwelt bis in die Zeit des Lamischen Krieges hinein. Die – keineswegs immer nur negativen, sondern durchaus ambivalenten – Erfahrungen dieser Staaten mit der Herrschaftspraxis Athens im fünften Jahrhundert bildeten immer wieder ein bestimmendes Moment für deren außenpolitisches Gebaren auch noch im vierten Jahrhundert; wie umgekehrt auch die „überseeische Ostpolitik“ | [S. 213] Athens seit dem Ende des Peloponnesischen Krieges stets auch unter dem Eindruck der Seebundspolitik des fünften Jahrhunderts stand.6 Dabei ließ man sich in Athen in den 90er und frühen 80er Jahren des vierten Jahrhunderts zunächst noch von der Hoffnung tragen, die mit der totalen Niederlage im Jahre 404 erlittenen Verluste längerfristig doch noch rückgängig machen zu können. Und so ganz unberechtigt schienen diese Erwartungen auch nicht zu sein, da sich schon sehr bald abzeichnete, daß Sparta auf längere Sicht kaum imstande sein würde, seine 404 errungene Machtstellung unangefochten zu behaupten und eben nicht nur seinen eigenen angestammten Herrschaftsbereich zu wahren, sondern zugleich auch das Machtvakuum zu füllen, das der Zusammenbruch des Ersten Attischen Seebundes hinterlassen hatte.7 Die Niederlage der spartanischen Flotte bei Knidos im Jahre 394 und der damit verbundene Niedergang der spartanischen Vormachtstellung im ägäisch-kleinasiatischen Raum gab den attischen Wünschen auf eine Rückgewinnung der verlorenen Positionen in dieser Region neuen Auftrieb, obgleich die Athener hier zunächst noch eine eher verhaltene Politik betrieben. Während man im griechischen Mutterland schon seit 395 wieder im 4 Frei/Marek 1997, 67. 5 Marek 1984, bes. 297–310. 335–358; Frei/Marek 1997, 67–68. 6 Vgl. hierzu etwa Schmitz 1988; s. auch den Überblick (mit weiterer Literatur) von Badian 1995. 7 Vgl. zum Folgenden (mit weiterer Literatur) Seager 1967; Perlman 1968; Funke 1980; Strauss 1987; Hamilton 1991.
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offenen Krieg gegen Sparta stand, überließ man es an der kleinasiatischen Küste zunächst den Persern, die Machtverhältnisse in ihrem Sinne neu zu ordnen. Seit dem Jahre 390 trug dann aber auch die attische Kleinasienpolitik eine klare und eindeutige Handschrift. In diesem Jahr entschloß sich Athen, durch die Entsendung eigener – weitgehend mit persischen | [S. 214] Subsidien gebauter – Flottenkontingente auch in der Ägäisregion wieder als eine selbständige Macht aufzutreten. Und die Athener ließen keinen Zweifel daran, daß sie gewillt waren, die machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Persien und Sparta zum eigenen Vorteil zu nutzen und verlorene Einflußbereiche wieder zurückzugewinnen. So kam es im Frühsommer 390 vor Rhodos zur ersten direkten Konfrontation zwischen spartanischen und attischen Schiffskontingenten seit dem Ende des Peloponnesischen Krieges, als der spartanische Flottenkommandant Teleutias zehn attische Trieren kaperte, die sich auf der Fahrt von Athen nach Zypern befanden, um Euagoras von Salamis im erneut ausgebrochenen Konflikt mit Persien militärische Unterstützung zu leisten. Xenophon kommentiert in seinen Hellenika diesen Zwischenfall mit den Worten: So ergab sich also ein Fall, in dem beide (Spartaner und Athener) genau das Gegenteil von dem tun mußten, was ihren wirklichen Verhältnissen entsprach. Die Athener nämlich, als die Freunde des Großkönigs, sandten Waffenhilfe für Euagoras, der sich mit dem Großkönig im Kriegszustand befand, und Teleutias zerstörte, während die Lakedaimonier gegen den Großkönig Krieg führten, die Schiffe, die zum Kriege gegen eben diesen ausgesandt waren.8 Was Xenophon hier noch als ein Paradoxon beschreibt, war in Wirklichkeit die Folge des attischen Entschlusses, auch im Ägäisbereich eine eigenständige Machtpolitik zu betreiben, die sich aus den Abhängigkeiten von Dritten zu lösen suchte. Diese Bestrebungen traten klar zutage, als noch im gleichen Jahr 390 auf Betreiben des Thrasybulos und unter seiner Leitung eine attische Flottenexpedition ausgesandt wurde, die ganz systematisch das Ziel verfolgte, die attische Vormacht im östlichen Ägäisbereich wiederaufzurichten und mit allen Mitteln eine Restauration des verlorenen Seereiches zu betreiben. Nach der Festigung der attischen Stellung in der Nordägäis und der Rückgewinnung aller Poleis auf Lesbos wandte sich Thrasybulos gegen die ionischen Insel- und Küstenstädte, um auch dort die attische Vorherrschaft wiederherzustellen. Konsequent bewegte er sich dabei in den alten Bahnen der attischen Seebundspolitik und ließ deren Herrschaftsformen wiederaufleben. Die εἰκοστή, der 5 %ige Zoll auf | [S. 215] alle zur See ein- und ausgeführten Waren, wurde den Bündnern wieder auferlegt, und der 10 %ige Sundzoll für alle Waren aus dem Pontosgebiet wurde wieder eingeführt; und auch auf die Instrumentarien des Verfassungsumsturzes, der Stationierung von Garnisonstruppen und der 8 Xen. hell. 4,8,24 (Übersetzung nach G. Strasburger).
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Bestellung von Aufsichtsbeamten wurde erneut zurückgegriffen.9 Bis weit in den lykischen und pamphylischen Raum dehnte Thrasybulos seine Seeoperationen aus und stieß damit in Regionen jenseits der Chelidonischen Inseln vor, die im fünften Jahrhundert die äußersten Grenzen der attischen Einflußsphäre bildeten. Und nachdem Thrasybulos 389 ein unrühmliches Ende in Pamphylien gefunden hatte, wo er von den Bewohnern der Stadt Aspendos erschlagen wurde, setzten die Nachfolger Agyrrhios und Iphikrates sein Werk zunächst in gleichem Sinne fort. Im Jahre 387/6 fanden dann aber die attischen Seereichsträume bekanntlich ein rasches Ende. Die Athener hatten ihre Kräfte zweifellos überschätzt und mußten in die Bedingungen des „Königsfriedens“ einwilligen. Den attischen Machtambitionen im Ägäisbereich wurde eine klare Absage erteilt. Der Großkönig reklamierte „die Städte in Asien … und von den Inseln Klazomenai und Zypern“ für sich und erklärte alle „übrigen griechischen Poleis, kleine wie große“ für autonom.10 Athen verblieben allein die Kleruche ninseln Lemnos, Imbros und Skyros als letzte Brückenköpfe in der Ägäis. Damit sollten allen künftigen Bemühungen Athens (und auch anderer griechischer Staaten), auf die ostägäische Insel- und Küstenlandschaft Einfluß auszuüben, enge Grenzen gesetzt werden. Der „Königsfrieden“ hatte aber nicht nur einschneidende Konsequenzen im Hinblick auf die Einflußsphären konkurrierender Großmächte in dieser Region. Die klare und scharfe, durch den kleinasiatischen Küstenverlauf markierte Grenzziehung zwischen persischem und nicht-persischem Landbesitz mußte zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Festlandsbesitz der vorgelagerten Inselstaaten haben. Lesbos, Chios, Samos, Rhodos und wahrscheinlich auch das | [S. 216] kleine, aber strategisch gut gelegene Tenedos besaßen schon lange vor dem Abschluß des „Königsfriedens“ – zum Teil sehr umfangreiche – Peraiai, durch die sie eng mit dem kleinasiatischen Festland verbunden waren. Sollte es den Inselstaaten möglich gewesen sein, auch noch nach dem „Königsfrieden“ in irgendeiner Weise über diese Peraiai zu verfügen, so mußte jedes machtpolitische Zusammenspiel einer dieser Inseln etwa mit Athen nach 387/6 auch aus diesem Grund immer auch das Verhältnis zu Persien berühren. Der Klärung dieser Peraia-Frage ist in der bisherigen Forschung meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, obgleich sie für eine angemessene Beurteilung der Kleinasienpolitik der mutterländischen Poleis nach dem „Königsfrieden“ eine wichtige Rolle spielt. Auch ich kann an dieser Stelle hierauf nicht im Detail eingehen und muß es bei einigen wenigen Bemerkungen belassen:11 Bei näherer Betrachtung des – zugestandenermaßen recht disparaten und kargen – Quellenmaterials zeigt sich, daß keine der gängigen Forschungsmeinungen dem Sachverhalt gerecht wird. Weder wird man Karl 9 Vgl. hierzu Funke 1980, 148–161. 10 Xen. hell. 5,1,31; zum „Königsfrieden“ und seinen Folgen vgl. Badian 1991; Quass 1991; Urban 1991; Jehne 1994, 31–47. 11 Vgl. hierzu aber Funke 1999.
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Julius Beloch zustimmen können, der davon ausgeht, daß der Peraia-Besitz unbeschadet des „Königsfriedens“ uneingeschränkt fortbestand, noch kann man sich der Auffassung Simon Hornblowers anschließen, der von einem vollständigen Verlust des Peraia-Besitzes nach dem „Königsfrieden“ ausgeht.12 Es spricht vieles dafür, daß die genannten Inseln auch nach dem „Königsfrieden“ noch auf ihre Peraiai zugreifen konnten; allerdings läßt sich die rechtliche und institutionelle Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den Inselpoleis und ihrer Peraia nicht präzisieren. Es ist damit zu rechnen, daß nach 387/6 die Verbindungen zwischen den Inseln und dem Festland vielleicht auf eine neue Grundlage gestellt, nicht aber gänzlich unterbrochen wurden. Und diesen Sachverhalt sollte man im Blick behalten, wenn man die attische Kleinasienpolitik nach dem Königsfrieden untersucht. In Athen selbst hatte sich damals eine nüchternere Betrachtungsweise der außenpolitischen Möglichkeiten eingestellt. Die Träume der Wiedererrichtung der alten Arché waren vorerst ausgeträumt; und nun versuchte man sich unter den Rahmenbedingungen des | [S. 217] Königsfriedens neu einzurichten. Dies bedeutete aber keineswegs einen außenpolitischen Stillstand; vielmehr wurde unter strenger Wahrung der im „Königsfrieden“ eingegangenen Verpflichtungen ein außenpolitischer Kurs gesteuert, der sich stets am politisch Möglichen orientierte, hier aber durchaus die Grenzen des Machbaren auszuloten suchte. Das zeigte sich nicht nur an der Politik Athens im griechischen Mutterland, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, sondern auch in der Gestaltung der Außenbeziehungen zu den Staaten in der Ostägäis. Nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den großen Getreidehandelsrouten in das Schwarzmeergebiet und über die Dodekanes nach Ägypten war Athen darauf angewiesen, seinen Einfluß in dieser Region auch nach 387/6 soweit wie möglich aufrechtzuerhalten. Zwar war an eine Wiederaufnahme direkter Beziehungen zu den ehemals verbündeten Poleis an der kleinasiatischen Küste nicht zu denken, aber die im „Königsfrieden“ allen anderen Poleis zugesicherte Autonomie eröffnete die Chance, zumindest die alten Verbindungen zwischen Athen und den der Küste vorgelagerten Inselstaaten wiederaufleben zu lassen bzw. weiterhin zu pflegen. Schon im Sommer 384 wurde die Symmachie zwischen Athen und Chios wieder neu begründet, jetzt allerdings mit ausdrücklichem Bezug auf die Regelungen des „Königsfriedens“; und in den nächsten Jahren folgten – ebenfalls stets auf der Grundlage des „Königsfriedens“ – Verträge mit Tenedos, Mytilene, Methymna, Rhodos und Byzantion.13 Der Rekurs auf den Königsfrieden war dabei keine bloße Absicherung gegen die allgegenwärtige spartanische Interventionspolitik, sondern diente zugleich auch der Beruhigung Persiens, das das erneute Anwachsen des attischen 12 Beloch 1923, Bd. 3,2, 158. 165; Hornblower 1982, 128. 13 IG II2 34 (Chios). 41 (Byzantion). 43, Z. 79–83 (Chios, Tenedos, Mytilene, Methymna, Rhodos) (= Staatsverträge 2, 248. 256. 257); vgl. auch Hampl 1938, 126–134; Cawkwell 1973; Cargill 1981, bes. 51–67. 189–190.
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Einflusses unmittelbar vor der kleinasiatischen Küste nicht ohne Argwohn verfolgt haben dürfte, zumal viele der neuen (alten) Bündnerstaaten Athens über ihre Peraia immer noch mit der Festlandsküste verbunden waren. Angesichts der nach dem Abschluß des „Königsfriedens“ zumindest im griechischen Mutterland wieder erstarkten Vormachtstellung Spartas hatten die Athener aber eingesehen, daß die strikte Einhal- | [S. 218] tung dieses Friedens die besten Rahmenbedingungen bot, um die eigene machtpolitische Position zu festigen und auch weiter auszubauen. Die damals führenden Politiker Athens, allen voran Kallistratos von Aphidnai, den Eduard Meyer einmal einen zweiten Perikles genannt hat,14 hatten es verstanden, die Athener auf einen außenpolitischen Kurs einzuschwören, der von vornherein überzogenen Großmachtgelüsten eine Absage erteilte und die Durchsetzung eines attischen Führungsanspruches im Konzert der Mächte mit Augenmaß verfolgte. Das zeigte sich besonders, als Athen im Jahre 378/7 daran ging, die bis dahin mit ägäischen Staaten abgeschlossenen Verträge zu bündeln und zum Fundament eines neuen Seebundes zu machen. Die sogenannte „Charta des Zweiten Attischen Seebundes“, der Volksbeschluß, mit welchem Athen alle Hellenen und Barbaren, soweit sie nicht Untertanen des Großkönigs waren, zum Eintritt in diesen Bund aufforderte, bekräftigte noch einmal den Willen der Athener, die im „Königsfrieden“ festgelegten Spielregeln des politischen Zusammenlebens uneingeschränkt anzuerkennen, die Wahrung der Freiheit und Autonomie jedes einzelnen Staates zu garantieren und die territorialen Besitzansprüche des Großkönigs in Kleinasien unangetastet zu lassen. Die Gründung des Seebundes – ein geschickter Schachzug in der Auseinandersetzung mit Sparta – war zugleich auch ein Dokument der attischen Loyalität gegenüber Persien.15 Es war dies aber eine Loyalität, zu der es unter den im griechisehen Mutterland gegebenen Umständen auch gar keine Alternative gab. Zunächst gemeinsam mit Theben gegen Sparta und dann nach 371 gemeinsam mit Sparta gegen Theben um ein Austarieren der Verteilung der politischen Kräfte ringend mußte sich Athen das persische Wohlwollen sichern – schon um der eigenen Stärke willen. So gestaltete sich das Verhältnis zwischen dem neugegründeten Seebund und dem Achaimenidenreich in der ersten Dekade seines Bestehens – trotz der immensen Erweiterung des Mitgliederbestandes – offenbar weitgehend konfliktlos oder doch zumindest ohne offene Konfrontationen. Die Sachlage änderte sich jedoch grundlegend in den Jahren ab 367. Den Thebanern war es in diesem Jahr gelungen, aus den Verhandlungen in Susa als Sieger hervorzugehen und den Groß könig auf ihre Seite zu ziehen. Neben der abermaligen Bekräftigung einer | [S. 219] auf den Grundlagen des „Königsfriedens“ beruhenden Koine Eirene konnten sich die Thebaner
14 Meyer 1958, 469. 15 IG II2 43 (= Staatsverträge 2, 257); vgl. im übrigen die in Anm. 13 angeführte Literatur.
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mit ihrer Forderung nach einer Demobilisierung der attischen Flotte durchsetzen.16 Daß Athen diesen Forderungen nicht zustimmen konnte, lag auf der Hand. Entsprechend fiel die Reaktion des attischen Gesandten Leon aus: Wahrlich, bei Zeus, ihr Athener, was uns betrifft, so ist jetzt, wie es scheint, die Stunde gekommen, uns einen anderen Freund anstelle des Großkönigs zu suchen.17 Und dieser Freund fand sich schnell in dem Perser Ariobarzanes, der ab 367 gegen den Großkönig Artaxerxes II. revoltierte und die Reihe der Satrapenaufstände eröffnete, die im folgenden Jahrzehnt den kleinasiatischen Machtbereich des Perserkönigs erschütterten und die durch den „Königsfrieden“ gezogenen Grenzen ins Wanken brachten.18 Athen unterstützte Ariobarzanes, indem es im Jahre 366 Timotheos zu einer groß angelegten Flottenexpedition in die Ägäis entsandte – allerdings nicht ganz uneigennützig, sondern offenbar in der Erwartung, auch für die Stärkung der eigenen Machtposition etwas gewinnen zu können.19 Allerdings blieb man trotz des Zerwürfnisses mit dem Großkönig immer noch darauf bedacht, sich streng an die Vorschriften des „Königsfriedens“ zu halten und die territorialen Grenzen nicht zu verletzen. Die Athener gaben daher dem Timotheos eine entsprechende Direktive mit auf den Weg, an die er sich – soweit das in den Quellen zu erkennen ist – offenbar auch weitgehend gehalten hat.20 Die persische Seite hatte hingegen kurz zuvor erstmals gegen den „Königsfrieden“ verstoßen, als der persische Untersatrap Tigranes – entweder in Reaktion auf die Revolte des Ariobarzanes oder zur | [S. 220] Unterstützung einheimischer Oligarchen – eine Garnison in Samos stationiert und damit die im Friedensvertrag festgelegten territorialen Grenzen überschritten hatte. Dieser Vertragsbruch – oder doch zumindest Einmischungsversuch – dürfte Timotheos den Vorwand geliefert haben, Samos zu belagern und einzunehmen.21 16 Vgl. hierzu und zu der vorangegangenen Entwicklung Jehne 1994, 82–90 (mit den einschlägigen Quellen und weiterer Literatur). 17 Xen. hell. 7,1,37 (Übersetzung nach G. Strasburger). 18 Vgl. Moysey 1975; Weisskopf 1989. 19 Eine eingehende Darstellung der attischen Politik in der Nordägäis findet sich bei Heskel 1997; zur Flottenexpedition des Timotheos vgl. die eingehende Untersuchung von Radicke 1995, 169–182. 20 Demosth. or. 15,9; vgl. Heskel 1997, 132–138; s. aber auch die folgende Anm. 21. 21 Demosth. or. 15,9; s. Griffith 1978, 139–141; Shipley 1987, 136–143; Heskel 1997, 132–133; Cargill 1995, 18–21 sieht demgegenüber bereits in der Etablierung einer attischen Kleruchie auf Samos einen Bruch der Vereinbarungen des „Königsfriedens“ auch durch Athen. Ein Verstoß gegen diese Vereinbarungen könnte aber auch durch IG II2 108 (= I.Erythrai I 7) indiziert sein, falls dieser nur sehr fragmentarisch erhaltene attische Volksbeschluß aus dem Jahr 366/5 und vielleicht auch die Aussage bei Demosth. or. 8,24 auf militärische Aktivitäten des Timotheos in Erythrai zu beziehen ist; hierzu auch Hornblower 1982, 108–109. 189. Möglicherweise suchte Timotheos an die guten Beziehungen seines Vaters Konon anzuknüpfen, dem 394 in Erythrai das Bürgerrecht verliehen wurde (Syll.3 126 = Tod, GHI 106; vgl. dazu Funke 1980,
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Nach der Eroberung von Samos entschlossen sich die Athener, diesen wichtigen Vorposten in der Ägäis nicht dem Seebund anzugliedern, sondern in eine attische Kleruchie umzuwandeln und die Insel auf diese Weise direkt Athen zu unterstellen. Nach demselben Muster wurde wenig später auch mit Poteidaia, Sestos und der thrakischen Chersones verfahren. Athen baute sich so einen eigenen Machtbereich auf, der quasi neben dem Seebund stand und dem unmittelbaren Zugriff Athens unterstellt war.22 Formal stellte dieses Vorgehen keinen Bruch der Seebundsvereinbarungen dar, da sich die Erklärung Athens, auf die Einrichtung von Kleruchien zu verzichten, nur auf die Bündnerterritorien bezog. Gleichwohl konnte diese Politik nicht ohne Auswirkungen auf das Verhalten der Bündner bleiben, zumal Athen auch ansonsten eine härtere Tonart in der Außenpolitik anschlug: So kam es zur Eintreibung von Kontributionen und der Stationierung von Besatzungstruppen auch im Bündnergebiet; und selbst wenn sich für diese Maßnahmen im Einzelfall situationsbedingte Erklärungen finden ließen, war die neue außenpolitische Gangart Athens für die Bündner | [S. 221] unübersehbar und mußte ungute Erinnerungen an die Zeiten der attischen Herrschaft im Ersten Seebund wachrufen.23 Es kann daher nicht verwundern, daß sich bei ihnen anti-athenische Aversionen und Unabhängigkeitsbestrebungen breit machten, die durch die sich verschärfende persisch-athenische Konfrontation im Ägäisbereich weiteren Auftrieb erhielten. Welche Gefahren den Athenern hier drohten, wurde erstmals deutlich, als die neu aufgebaute thebanische Flotte24 unter Epameinondas im Jahre 364 in der Ägäis aufkreuzte und nicht nur an der Propontis die attischen Positionen in Bedrängnis brachte, sondern auch bis in rhodische Gewässer vorstieß und sogar an der karischen Festlandsküste operierte, wie uns ein jüngst von Wolfgang Blümel publiziertes Proxeniedekret der Knidier für Epameinondas zeigt.25 Der Hintergrund für diese Ehrung des Epameinondas dürfte dessen angestrebte Zusammenarbeit mit dem Hekatomniden Mausollos gewesen sein. Das knidische Proxeniedekret ist der erste direkte Beleg für die Erfolge des Epameinondas
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120–121 Anm. 51); es muß allerdings offen bleiben, ob er gegebenenfalls diese Beziehungen damals auch politisch nutzen wollte und konnte und einen offenen Bruch des Königsfriedens in Kauf zu nehmen bereit war; vgl. Radicke 1995, 169–182. Einen guten Überblick mit den entsprechenden Quellenbelegen bietet Cargill 1995, 22–31; vgl. auch Griffith 1978, 137–141; Schmitz 1988, 298–310; Heskel 1997, passim. Auch wenn die attischen Maßnahmen formal nicht im Widerspruch zu den Vertragsklauseln des Zweiten Seebundes standen, dürften sie sich gleichwohl negativ auf die Haltung der Bündnerstaaten ausgewirkt haben; so schon Beloch 1884, 156–159; Thiel 1922, 40 Anm. 4; der Versuch von Cargill 1981, bes. 131–145, die negativen Folgen der attischen Außenpolitik der 60er und frühen 50er Jahre zu minimieren, entspringt einer allzu formalistischen und einseitigen Betrachtungsweise; ein abgewogeneres Urteil bei Dreher 1995, 281–287. Zum thebanischen Flottenbauprogramm vgl. Carrata Thomes 1952; die Frage einer möglichen Unterstützung des Flottenbaus durch die Perser erörtert unter Einbeziehung neuerer Quellen und Literatur Jehne 1994, 82–83 Anm. 207. Blümel 1994.
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in der Südostägäis und spricht für die bisher nur auf Diod. 15,79,1 beruhende Annahme, daß bereits damals nicht nur Byzantion, sondern auch Staaten in dieser Region wie Rhodos und Chios von Athen abfielen und hierbei allem Anschein nach auch schon von Mausollos unterstützt wurden, dessen Machtinteressen denen der Athener spätestens seit dem attischen Samos-Unternehmen ebenfalls zuwiderliefen.26 | [S. 222] Die thebanischen Erfolge waren allerdings nur von kurzer Dauer. Die Flottenexpedition des Epameinondas blieb ein einmaliges Unternehmen, und nach 362 brach die thebanische Hegemonie auch im griechischen Mutterland rasch in sich zusammen. Byzantion, Chios und Rhodos kehrten aber offenbar nicht mehr in das attische Bündnissystem zurück, sondern suchten in den Wirren der Satrapenaufstände weiterhin den Anschluß an den karischen Satrapen Mausollos, dem die Erfolge des Epameinondas wie reife Früchte zufielen. Mausollos nutzte die Gunst der Stunde und dehnte seinen Einflußbereich über Karien hinaus aus, indem er mit Byzantion, Chios, Rhodos und Kos ein gemeinsames Bündnissystem aufbaute, das dann in den folgenden Auseinandersetzungen mit Athen den ausschlaggebenden Rückhalt gab.27 In Mausollos erwuchs den Athenern ein gefährlicher Gegner, der sich in Konkurrenz zu Athen zum Fürsprecher der griechischen Staatenwelt in der Ostägäis stilisierte. Seinen Bestrebungen, den eigenen Machtbereich über Karien hinaus auf die vorgelagerte Inselwelt auszudehnen, wollte Athen daher nicht tatenlos zusehen, zumal in Athen die politischen Kräfte überwogen, die ein Zurückschwenken Athens in die Rahmen der alten Seebundspolitik des fünften Jahrhunderts propagierten. Mit einem Angriff auf Chios eröffneten die Athener im Frühjahr 356 die offenen Feindseligkeiten. Die Einzelheiten dieses „Bundesgenossenkrieges“ sollen uns hier nicht beschäftigen.28 | [S. 223] Der Krieg endete für Athen desaströs. Athen mußte Chios, Rhodos und Byzantion die Unabhängigkeit vom Seebund zugestehen und hatte damit seine wichtigsten Bundesgenossen „in Übersee“ 26 Zur Entwicklung des Verhältnisses zwischen Athen und Mausollos s. Hornblower 1982, 183– 218. 27 Vgl. Ruzicka 1992, 74. 91; Ruzicka 1997, 120–121; für einen Abfall dieser Staaten von Athen erst mit Beginn des „Bundesgenossenkrieges“ haben sich im Anschluß an die gängige Forschungsmeinung zuletzt u. a. ausgesprochen: Berthold 1980, 42; Hornblower 1982, 126. 131; einen Anschluß an Boiotien und ein gleichzeitiges (noch) Festhalten am Bündnis mit Athen wird in Betracht gezogen von Radicke 1995, 17–18. Angesichts der überaus kargen Quellenlage ist die Frage der Stellung der südostägäischen Staaten nicht mit letzter Sicherheit zu klären; das neue knidische Proxeniedekret (s. Anm. 25) zeigt aber, daß im Hinblick auf die überseeischen Auseinandersetzungen zwischen Athen und Boiotien die fast ausschließlich auf Byzantion gerichtete Perspektive der historiographischen und rhetorischen Schriften doch zu einseitig ist. 28 Zur Chronologie und zum Verlauf des „Bundesgenossenkrieges“ s. jetzt den knappen Überblick (mit den einschlägigen Quellen und der neueren Literatur) bei Radicke 1995, 20–23; vgl. auch Sealey 1993, 102–136; im übrigen bleiben für diesen Zeitraum wie auch die folgenden Jahrzehnte immer noch die „klassi | [S. 223] schen“ Darstellungen maßgeblich von Schaefer 1885–1887; Beloch 1923; eine Fülle wichtiger Beobachtungen zu diesem gesamten Zeitrahmen enthält auch der oft allzu wenig beachtete Kommentar von Wankel 1976.
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verloren. Nur die Kleruchie auf Samos konnte erfolgreich verteidigt werden und bildete nunmehr einen isolierten Vorposten Athens in der südöstlichen Ägäis. Der Ausgang des Bundesgenossenkrieges markierte den Tiefstand des attischen Einflusses im ägäisch-kleinasiatischen Raum. In Athen schlug infolgedessen die politische Stimmung um. Die Parolen derer, die immer noch an eine Restauration der alten Vormachtstellung glaubten, verfingen nicht mehr. Statt dessen wurden Forderungen laut, sich wieder zurückzubesinnen auf die politischen Zielsetzungen der 80er und 70er Jahre, wie sie im Königsfrieden und in den Regelungen des Seebundes festgeschrieben worden waren. Unter der Führung des Eubulos schwenkte Athen wieder auf einen moderateren außenpolitischen Kurs ein, der im Rahmen des politisch Möglichen eine Stabilisierung und Konsolidierung der attischen Stellung „in Übersee“ anstrebte, ohne erneut in die Fehler der Vergangenheit zu verfallen.29 So nutzte man in der zweiten Hälfte der 50er Jahre zwar die Chance, die attische Einflußzone an der thrakischen Küste und auf der Chersones zu festigen und sogar auszubauen;30 gegenüber den südostägäischen Inselstaaten und der dort dominierenden Hekatomnidendynastie verfolgte man aber allem Anschein nach eine eher auf Ausgleich bedachte Politik und beschränkte sich auf die Sicherung der Kleruchie in Samos.31 Schon die mit den hochrangigen Politikern Androtion, Melanopos und Glauketes besetzte attische Gesandtschaft, die 355/4 zu Verhandlungen mit Mausollos nach Karien entsandt worden war, könnte dem Ziel einer ersten Annäherung zwischen Athen und den Hekatom- | [S. 224] niden gedient haben.32 Auch die zurückhaltende – von Demosthenes bekanntlich heftig, aber vergeblich attackierte33 – Politik der Nicht-Einmischung in die inneren Auseinandersetzungen in Rhodos im Jahre 351 weist in diese Richtung. Und 346 machte Demosthenes den Athenern den Vorwurf, sie erlaubten „dem Karer“, Rhodos, Kos und Chios zu besetzen.34 Der Erfolg dieser Politik hielt sich aber zunächst offenbar noch sehr in Grenzen. Die ostägäischen Inselstaaten, die sich unter Mausollos und seinen Nachfolgern zu einer Art hekatomnidischem Protektorat zusammengeschlossen
29 Zur außen- und innenpolitischen Lage Athens nach dem „Bundesgenossenkrieg“ vgl. Radicke 1995, 24–32. 30 Vgl. hierzu Schmitz 1988, 298–310; Cargill 1995, 18–31. 31 Shipley 1987, 157–158; Cargill 1995, 20–21. 32 Demosth. or. 24,12. Die Hintergründe dieser Gesandtschaft bleiben allerdings unklar. Mit der hier vorgeschlagenen Deutung schließe ich mich Ruzicka 1992, 97 mit Anm. 30 an. Demosthenes äußert sich zur Zielsetzung nicht; nur in einer Hypothesis zu dieser Rede werden Übergriffe des Mausollos auf Chios, Rhodos und Kos erwähnt, über die die Gesandten Beschwerde führen sollten; S. Ruzicka führt diese Aussage der Hypothesis auf die Fehlinterpretation eines Scholiasten zurück und verwirft sie; so auch Radicke 1995, 191; Hornblower 1982, 215–218 übernimmt hingegen die Begründung der Hypothesis. 33 Demosth. or. 15; dazu jetzt der ausführliche Kommentar von Radicke 1995. 34 Demosth. or. 5,25.
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hatten,35 verhielten sich noch bis in die späten 40er Jahre Athen gegenüber eher reserviert bis ablehnend. Erst dann begann sich ein Stimmungswandel abzuzeichnen. Ausschlaggebend hierfür waren vor allem die Expansionsbestrebungen Philipps II., die das Machtgefüge im gesamten östlichen Mittelmeerraum zu erschüttern und die Grundlagen des „Königsfriedens“ endgültig zu zerstören drohten. Die gemeinsame Furcht vor der neuen Bedrohung durch Makedonien beförderte ganz offenbar die Wiederannäherung zwischen Athen und der ostägäischen Staatenwelt. Der zunehmende makedonische Druck auf die Propontis-Region36 konnte auch die Insel- und Küstenstaaten weiter im Süden nicht unberührt lassen, so daß eine Eindämmung der Expansionspolitik Philipps II. in der Nordägäis im machtpolitischen Interesse Athens wie auch der führenden ägäischkleinasiatischen Staaten | [S. 225] und letztlich auch Persiens liegen mußte. Vor diesem Hintergrund sind die Bemühungen der Athener zu sehen, ihr Verhältnis zu diesen Staaten auf eine neue Grundlage zu stellen und auch diese in die anti-makedonische Front einzubinden. Demosthenes selbst, der im Jahre 341 der neuen attischen Politik in seiner dritten Philippika programmatisch Ausdruck verliehen hatte,37 konnte Bündnisse mit Byzantion und Abydos zuwege bringen.38 Sein Mitstreiter Hypereides, dessen verlorene Reden Ῥοδιακός und Χιακός39 wohl ebenfalls in die Zeit um 341 zu datieren sind, war mit seiner Gesandtschaftsreise nach Chios und Rhodos allerdings weniger erfolgreich;40 zu groß waren offenbar immer noch die Vorbehalte der alten Bündnerstaaten gegenüber der ehemaligen Vormacht, als daß man sich auf eine erneute enge vertragliche Bindung einlassen wollte. Zur gemeinsamen Verteidigung von Byzantion gegen die Angriffe Philipps fand man sich aber im Jahre 340 durchaus bereit. Rhodos, Chios und Kos entsandten – fraglos mit Zustimmung und vielleicht sogar auf Drängen der Hekatomniden41 – Flottenverbände nach Byzantion.42 Allerdings überwog auch hier zunächst noch die Skepsis gegenüber den Machtambitionen Athens. Dem Athener Chares, der mit 40 Trieren dem von Philipp belagerten Byzantion zur Hilfe eilte, wurde der Zugang zu den Häfen verwehrt; erst ein zweites, auf Betreiben des Phokion entsandtes und seiner Führung unterstelltes attisches Schiffskontingent nahmen die Byzantiner in ihre Stadt auf.43 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die einflußreiche Rolle, die Phokion hierbei zukam und die man nicht als bloße Überzeich35 Vgl. Ruzicka 1992, 114; Ruzicka 1997, 122. 36 Ellis 1976, 160–180; Cawkwell 1978, 114–137; Hammond/Griffith 1979, bes. 554–566; Buckler 1994, bes. 106–111; Hammond 1994, 120–132. 37 Demosth. or. 9. 38 Demosth. or. 18,302; vgl. Wankel 1976, Bd. 2, 1283. 39 Hyp. frg. 161 (or. 50). 194 (or. 65). 40 Vgl. Engels 1993, 87–92. 41 Vgl. Ruzicka 1992, 127–128. 130. 42 Diod. 16,77,2. 43 Plut. Phokion 14,3–5. Vgl. dazu Gehrke 1976, 46–52; Tritle 1988, 91–94.
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nung des Plutarch unterbewerten darf.44 Phokion war es offenbar | [S. 226] gelungen, das gegenüber der attischen Politik gehegte Mißtrauen zu überwinden und die in Byzantion versammelten Gegner Philipps zumindest für den Augenblick in einer anti-makedonischen Allianz zusammenzuführen. Entscheidend dürfte hierbei die politische Linie gewesen sein, die Phokion schon seit den 70er Jahren gradlinig und konsequent verfolgt hatte. Er galt in den Augen der Verbündeten als Gewährsmann einer attischen Politik, die nicht überkommenen Machtträumen anhing, sondern den Bahnen der mit Augenmaß und Zurückhaltung betriebenen Politik der Gründungsjahre des zweiten Seebundes zu folgen gedachte. So besehen stand Phokion für das „Erbe des Kallistratos“;45 und diese Haltung hatte ihm Achtung und Hochschätzung auch und gerade bei den Bündnern eingebracht, die die Seebundspolitik der 60er und frühen 50er Jahre zu Gegnern Athens hatte werden lassen. Dieses Ansehen des Phokion dürfte auch entscheidend dazu beigetragen haben, daß schon einige Jahre zuvor, 344/3, der Hekatomnide Idrieus den Athener ersuchte, gemeinsam mit Euagoras II. von Salamis in persischem Auftrag den Aufstand in Zypern zu bekämpfen.46 Daß Phokion dieser Bitte nachkam, sollte nicht mit einem Verweis auf ein für die Kondottieri der damaligen Zeit übliches Verhalten abgetan werden; auch die engen Beziehungen, die die Vorgänger Euagoras’ II. mit Athen unterhielten, reichen als alleinige Begründung kaum aus.47 Die Beteiligung des Phokion an der Niederschla- | [S. 227] gung des zyprischen Aufstandes ist vielmehr als ein auch politisch motiviertes und im Interesse Athens durchgeführtes Unternehmen zu werten. Die Teilnahme an der persisch-hekatomnidischen Militäraktion gegen Zypern bedurfte selbstverständlich nicht einer offiziellen Beschlußfassung durch die attische Volksversammlung. Phokion war aber zu sehr Politiker, als daß er sich 44 Aus Plut. Phokion 14,3–5 und Plut. mor. 851A ergibt sich in Kombination mit IG II2 1628, Z. 436–438. 1629, Z. 957–959, daß insgesamt wenigstens drei Strategen – Phokion, Chares und Kephisophon – an der Flottenoperation beteiligt waren. Diese Tatsache allein reicht aber nicht aus, die von Plutarch besonders hervorgehobene Rolle Phokions bei der Verteidigung von Byzantion grundsätzlich in Frage zu stellen und als eine aus dem biographischen Impetus des Autors heraus zu erklärende | [S. 226] Verzerrung der Vorgänge zu verwerfen; unter Berücksichtigung der politischen Gesamtkonstellation und der politischen Grundhaltung Phokions wird man der Darstellung Plutarchs durchaus ein fundamentum in re zusprechen können. 45 Zitat bei Gehrke 1976, 49; vgl. im übrigen Gehrke 1976, 4–5. 19–20. 23. 46 Diod. 16,42,3–9; 16,46,1 berichtet diese Ereignisse unter den Jahren 351/0 und 350/49; schon Beloch 1923, Bd. 3,1, 533. Bd. 3,2, 284–287 hatte erkannt, daß diese zeitliche Zuordnung falsch ist, und hat das Zypernunternehmen des Phokion in das Frühjahr 344 datiert; die – auch hier im Text zugrunde gelegte – Quellenanalyse von Gehrke 1976, 225–230 führt in das Jahr 344/3; zur Chronologie vgl. auch Moysey 1975, 199–200 [347/6]; Hornblower 1982, 43–44 [345/4 oder 344/3]; Ruzicka 1992, 116–117 [345/4]; Radicke 1995, 36–38 [343]; Tritle 1988, 73. 152–156 hält an der Datierung Diodors fest [351/0]. 47 Gehrke 1976, 38 betont zu Recht, daß Phokion „alles andere als der Typ eines Söldnerführers oder Kondottieres“ gewesen sei; Gehrkes Erklärung (36–40), die den Einsatz Phokions in Zypern ausschließlich auf persönliche Nahbeziehungen zwischen Phokion und Euagoras zurückführt, unterschätzt in diesem Fall aber die politischen Konnotationen.
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für ein Unternehmen hätte gewinnen lassen, das in Athen auf breiten Widerstand oder gar gänzliche Ablehnung gestoßen wäre; vielmehr verfolgte er offenbar einen außenpolitischen Kurs, der dem demosthenischen in den folgenden Jahren sehr nahe kam und zum Teil mit ihm konform ging. Es war dies ein Kurs, der sich in die Linie einer auf behutsame Annäherung und Ausgleich mit der ägäisch-kleinasiatischen Staatenwelt ausgerichteten Politik Athens einfügte48 und dessen erster greifbarer Erfolg sich dann 340/39 bei der gemeinsamen Verteidigung von Byzantion gegen Philipp erweisen sollte. Der Sieg Philipps bei Chaironeia setzte dann diesen Bemühungen Athens ein vorläufiges Ende. In den späten 40er und frühen 30er Jahren gelangte also die Staatenwelt in der Südostägäis wieder verstärkt in das Aktionsfeld attischer Politik. So besehen bieten sich auch diese Jahre durchaus als eine gute Möglichkeit an, das Ehrendekret aus Kaunos chronologisch einzuordnen, zumal der anti-makedonischen Komponente in der damaligen Politik Athens ein großes Gewicht zukam und einer der in diesem Dekret Geehrten wahrscheinlich (zumindest in den ausgehenden 20er Jahren) einer wohl anti-makedonischen Gruppie- | [S. 228] rung zugeordnet werden kann.49 Bedenkt man sodann die Rolle, die Phokion in den Beziehungen Athens zu diesen Staaten offenbar spielte, könnte man sogar in Erwägung ziehen, daß der mit der kaunischen Proxenie geehrte Athener Nikokles vielleicht doch mit jenem Nikokles identisch ist, der nach Plutarch zum engsten Kreis um Phokion gehörte, von dem wir allerdings ansonsten keine weiteren, dieser Person sicher zuzuweisenden Nachrichten besitzen.50 Sicherheit ist hier selbstverständlich nicht zu gewinnen; und für eine zeitliche Zuordnung des Ehrenbeschlusses in die Zeit des Lamischen Krieges lassen sich ebenfalls gute 48 Es widerspricht dieser politischen Einschätzung des zyprischen Engagements Phokions keineswegs, daß die Athener nur wenig später – wohl noch ebenfalls im Jahre 344 – den Bitten einer persischen Gesandtschaft um Unterstützung im Kampf gegen das aufständische Ägypten eine Absage erteilten und nur den Fortbestand der freundschaftlichen Beziehungen zusicherten (FGrHist 328 Philochoros F 157 ap. Didym. comm. in Demosth., Philippika 4 (or. 10) 10,34, col. 8, 8–23; Diod. 16,44,2–4; s. auch Demosth. or. 12,6). Die Frage, ob man auf die makedonische oder die persische Karte setzen solle, war damals bekanntlich immer noch offen und heftig umstritten und dürfte zunächst noch zur schwankenden Mehrheit bei der politischen Entscheidungsfindung geführt haben, bis dann die allgemeine Stimmung in Athen mehrheitlich der demosthenischen Richtung folgte; Sealey 1993, 170–179 sieht in der hinhaltenden bzw. auch ablehnenden Behandlung der persischen und der zeitgleichen makedonischen Gesandtschaften einen durchaus einvernehmlichen und eigenständigen Kurs, den die Athener zwischen den Fronten der Großmächte zu steuern suchten; im Lichte einer solchen Deutung erschiene das zyprische Unternehmen des Phokion noch deutlicher als ein Versuch, der Position Athens in der Südostägäis wieder eine stärkere Stellung zu verleihen. 49 Frei/Marek 1997, 63–66. 50 Plut. Phokion 17,3; 35,5; 36,5; vgl. Gehrke 1976, 100 mit Anm. 72. 119, 139; Tritle 1988, 49. 107. 111; auch Frei/Marek 1997, 66 mit Anm. 179 haben eine Identifizierung des in der Inschrift erwähnten Nikokles mit dem Freund und Vertrauten des Phokion in Erwägung gezogen, ohne jedoch einen Bezug zu den politischen Vorgängen der Zeit vor der Schlacht bei Chaironeia herzustellen.
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Argumente anführen – wie Frei und Marek gezeigt haben.51 Allerdings läßt sich ein unmittelbarer Athen-Bezug kaum weniger schwer herstellen. Das attische Werben scheint damals im östlichen Ägäisraum nur eher verhaltene Reaktionen ausgelöst zu haben. Hier mag dann doch wieder eine gewisse Skepsis gegenüber der von Athen propagierten κοινὴ τῶν Ἑλλήνων ἐλευθερία52 aufgekommen sein. Die Autonomie-Karte wurde nun auch von anderen Mächten ausgespielt, und dies war für Staaten wie Rhodos durchaus berechtigter Anlaß zur Hoffnung, neue politische Handlungsspielräume gewinnen zu können, ohne erneut auf Athen setzen zu müssen. Aber wie auch immer man die Dinge drehen und wenden mag; zum Schluß bleibt nur, dem von Frei und Marek zitierten Diktum Günter Neumanns zuzustimmen, daß uns nur bleibt, „nach Wahrheit zu streben – aber mit Wahrscheinlichkeit zufrieden zu sein“.53
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Athen und Kleinasien im 4. Jh. v. Chr.
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„Von des attischen Reiches Herrlichkeit.“ Vergangenheitsbezug und Neupositionierung in der athenischen Politik der hellenistischen Zeit
Versammelt sind wir hier unseres allergnädigsten kaisers königs und herrn … geburtstag in ehrfurcht und treue zu begehen. unsere universität, die, wie unser gesammtes preussisches und deutsches vaterland, unter seinem milden aber, gott sei dank, starken scepter sichtlich gesegnet worden, empfindet nicht minder lebhaft denn irgend ein berufskreis die dankbarkeit und die innige freude dass es ihr vergönnt ist diesen tag zu schauen; allein sie weiss sich in übereinstimmung mit dem erhabenen sinne ihres glorreichen schirmherren, wenn sie eine panegyrische feier des festlichen tages verschmäht. die gefühle von denen heute jedes preußische herz höher schwillt bedürfen keiner erweckung, ertragen keine steigerung.1 Anlass genug wäre gegeben, mit zumindest ähnlichen Worten denjenigen zu würdigen, dem dieser Sammelband und das vorangegangene Kolloquium gewidmet sind. Tatsächlich aber galten diese Worte nicht einem 65-Jährigen, sondern einem 81-Jährigen, denn mit diesen Sätzen begann im Jahre 1877 der damals 29-jährige, ein Jahr zuvor an die Universität Greifswald berufene Altertumswissenschaftler Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff seine Rede „zur feier des allerhöchsten geburtstages Sr. Majestät des Kaisers und Königs“. Der Gegenstand, den er sich wählte, sollte – wie der hier übernommene Titel besagt – „von des attischen Reiches Herrlichkeit“ handeln. Wilamowitz wollte einen „blick vorurteilsloser wahrhaftigkeit … auf das Reich lenken, welches die Athener bald nach den Perserkriegen auf beiden seiten der Propontis und des Archipels gegründet und zwei menschenalter lang beherrscht haben, auf den einzigen versuch des altertums die einigung eines volkes durch einen bundesstaat zu erzielen, den staat des Aristeides, Kimon, Perikles, Kleon.“2 Mit starken Worten richtete sich Wilamowitz gegen die kritische Beurteilung der Herrschaftspolitik Athens, „von dessen politischen leistungen man kaum ohne verachtung“3 rede. Aber ganz so vorurteilslos, wie Wilamowitz es behauptete, fiel die Rede dann doch nicht aus. Auf Einzelheiten soll hier nicht näher eingegangen werden. Aber die ganz unhaltbare Darstellung der athenischen Hegemonie als Vollendung eines „wolorganisirten bundestaates“4 wie auch die Ausdeutung der athenisch- spartanischen Auseinandersetzungen im Sinne eines Kampfes um eine nationale Einigung Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: P. Hoeres/A. Owzar/C. Schröer (Hgg.), Herrschaftsverlust und Machtverfall, München 2013, 21–31. 1 Wilamowitz-Moellendorff 1880, 1. 2 Wilamowitz-Moellendorff 1880, 2. 3 Wilamowitz-Moellendorff 1880, 2. 4 Wilamowitz-Moellendorff 1880, 10.
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der Hellenen unter der Führung Athens5 machen deutlich, dass alles darauf hinauslief, im Lob der Verdienste der Athener zugleich auch die Leistungen Preußens für die noch junge Reichs- | [S. 22] einigung aufleuchten zu lassen. Wilamowitz bekennt sich auch selbst dazu, wenn er zum Schluss seiner Rede feststellt: Ich fürchte mich nicht vor dem anschein, dass ich … die ähnlichkeiten gewisser beziehungen und rechtsformen des antiken staates mit dem modernen ungebührlich hervorgehoben hätte. allerdings ist in manchem die sinnesart welche zuerst im athenischen volke ausgebildet worden ist dieselbe die auch uns beseelt.6 Eine derartige Vergegenwärtigung des Vergangenen war nun – zumal im Deutschland des 19. Jahrhunderts – keineswegs neu. Diesem neuzeitlichen Aspekt wird im Folgenden allerdings nicht weiter nachgegangen; vielmehr soll der Blick auf die Antike zurückgelenkt und nach den Auswirkungen der Vergegenwärtigung des Vergangenen auf die konkrete Ausgestaltung der athenischen Politik in der Zeit nach dem machtpolitischen Niedergang gefragt werden. Denn der Rückbezug auf die athenische Vergangenheit diente nicht erst in der Neuzeit als Mittel politischer Selbstvergewisserung. Schon in der klassischen und hellenistischen Zeit nutzten die Athener selbst den Rekurs auf ihre politischen Erfolge in der Vergangenheit zur sichernden Selbstvergewisserung ihrer politischen Identität in der Gegenwart. Zunächst und vor allem waren es bekanntlich die Perserkriege, die bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. zum Dreh- und Angelpunkt einer Erinnerungstradition wurden, die ihre Wirkung bis in die römische Kaiserzeit – und auch noch darüber hinaus – zeitigten. War es anfangs noch allein der Sieg über die Perser bei Marathon, der – durch zehn Jahre vom Xerxeszug getrennt – historisch ja durchaus als eine Einzelbegebenheit zu betrachten ist, so bildeten schließlich die Perserkriege insgesamt den Bezugspunkt vergangener Größe. In einer 2006 veröffentlichten Untersuchung hat Michael Jung den Weg aufgezeigt, wie die Schlacht bei Marathon an den Beginn der Perserkriege herangerückt wurde und damit die Perserkriege schließlich als ein Gesamtereignis konstituiert und in das kollektive Gedächtnis der athenischen Bürgerschaft eingeschrieben wurden.7 Detailliert hat Jung das breit gefächerte Arsenal an Medien beschrieben, das die Athener in Anwendung brachten, um diese Erinnerung zu formulieren, zu vermitteln und 5 Wilamowitz-Moellendorff 1880, 45: „Wenn wir anerkennen, dass die nationale einheit ein gut ist an das die nation ihre existenz setzen soll, so musste Athen um der Hellenen willen den lebenskampf mit den Dorern wagen: und wenn es recht ist und dem beherrschten wie dem herrscher zum heile, dass der bessere, der höhere, der zum herrschen befähigtere auch herrsche: so konnte die nationale einheit nur die herrschaft Athens … bedeuten.“ 6 Wilamowitz-Moellendorff 1880, 45–46. 7 Jung 2006.
„Von des attischen Reiches Herrlichkeit.“
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immer wieder aufs Neue nachvollziehbar zu machen. Dabei kam den Ritualen, Kulten und Festen, die mit dem Geschehen unmittelbar verbunden waren oder auf das Geschehen hin umgedeutet wurden, und der Monumentalisierung vergangener Erfolge in Form von Denkmälern und Weihgeschenken die entscheidende Rolle bei der Etablierung und Kanonisierung eines geformten Vergangenheitsbildes zu, während die entsprechenden literarischen Diskurse in den Dramen, in der Historiographie und Rhetorik sowie in den philosophischen Schriften ihre Wirkung eher affirmativ als formbildend entfalteten. Im Verlaufe des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr. wuchs der Katalog der Verdienste Athens um weitere Versatzstücke und ergänzte das ‚offizielle‘ Geschichtsbild der Polis Athen. Hinzukamen nun die Erfolge der athenischen Hegemonie im Ersten Attischen Seebund, die Restauration der Demokratie nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges, aber auch das Wiederaufleben der Hegemonialpolitik in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. bis hin zur Schlacht bei Mantineia im Jahre 362 v. Chr. Das alles wurde zu einem historischen Gesamtbild verdichtet und vor allem beständig auf vielfältige Weise kommemoriert, so dass die Erinnerung an die vergangenen Großtaten einen Fixpunkt und festen Bestandteil des politischen Selbstverständnisses der athenischen Bürgerschaft bildeten; vor allem aber | [S. 23] wurden die so geprägten Vergangenheitsvorstellungen zum Argument in der politischen Auseinandersetzung sowohl innerhalb wie außerhalb der Polis, wenn es darum ging, den bis weit in das vierte Jahrhundert v. Chr. hinein immer noch ungebrochenen Willen zur Behauptung einer Vormachtstellung zu verteidigen und aus den Verdiensten der Vergangenheit ein Anrecht auf den Vorrang Athens in der griechischen Staatenwelt in der Gegenwart abzuleiten. Erinnerung wurde so zur Ressource für die Begründung eines hegemonialen Anspruches.8 Dieser Argumentation wurde allerdings spätestens dann der Boden entzogen, als mit dem Aufstieg Makedoniens zu einer neuen Großmacht unter Philipp II. und Alexander dem Großen und mit der Etablierung der hellenistischen Reiche das politische Kräftefeld im östlichen Mittelmeerraum grundlegend neu vermessen wurde. Die machtpolitischen Ambitionen der hellenistischen Monarchien – allen voran der makedonischen Antigoniden – zwangen auch Athen, sich in der veränderten Staatenwelt neu zu positionieren. Daher konnte auch der Rekurs auf die Großtaten der athenischen Hegemonialpolitik nicht mehr verfangen, nachdem die Spielräume athenischer Außenpolitik entschieden enger begrenzt und die überkommenen Hegemonieträume endgültig ausgeträumt waren. Infolgedessen kam es zu einer signifikanten Verschiebung im Repertoire athenischer Erinnerungsbestände, die in eins ging mit einer deutlichen ideologischen Neuakzentuierung. Seit dem ausgehenden vierten Jahrhundert v. Chr. verloren die Bezüge zu atheni8 Dazu grundlegend Albertz 2006, 67–92; Jung 2006, passim; Marincola 2007; vgl. auch Jost 1936; Allroggen 1972; Day 1980; Loraux 1981; Nouhaud 1982; Hölkeskamp 2001; Gehrke 2003; Saïd 2006.
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schen Aktivitäten nach der Perserkriegszeit fast gänzlich ihren Stellenwert für die politische Selbstvergewisserung der Athener. Sie traten fast vollständig hinter die Geschehnisse der Perserkriegszeit und vor allem des siegreichen Kampfes bei Marathon zurück. Gehörte die Perserkriegstradition auch zuvor schon zu einem wesentlichen Bestandteil der historischen Identität der Athener, so wurde sie nun in der hellenistischen Zeit zum Kernbestand und fast ausschließlichen Bezugspunkt. Zugleich veränderte sich auch ihre Semantik.9 Schon im fünften Jahrhundert v. Chr. waren die Erfolge in den Perserkriegen sehr bald mit einer Freiheitsparole verknüpft worden; allerdings wurde diese in eine enge Wechselbeziehung zum atheni- | [S. 24] schen Führungsanspruch in der griechischen Staatenwelt gesetzt. Mit dem Machtverfall Athens änderten sich seit dem ausgehenden vierten Jahrhundert v. Chr. diese Konnotationen. Nun ging es vornehmlich nicht mehr um Freiheit und Herrschaft, sondern darum, Freiheit und staatliche Autonomie gegen den Zugriff fremder Mächte zu verteidigen. Die Erinnerung an die Perserkriege wurde ganz unter das Vorzeichen des Kampfes um die Bewahrung von Freiheit und Eigenständigkeit gestellt. Wie aber gestaltete sich dieses Erinnern? Es war bisher nur sehr allgemein vom beständigen Kommemorieren die Rede. An dieser Stelle ist es aber angebracht, in gebotener Kürze auf die alltägliche Praxis des Erinnerns der Perserkriegszeit näher einzugehen. So soll zumindest eine ungefähre Vorstellung davon vermittelt werden, mit welcher Intensität, ja geradezu Penetranz dieses Erinnern betrieben oder besser gesagt: immer wieder aufs Neue inszeniert wurde, um ein kanonisiertes Geschichtsbild im kollektiven Gedächtnis der Athener festzuschreiben. Auf diese Weise lassen sich die Voraussetzungen deutlich machen, vor deren Hintergrund anschließend der Frage nach den Auswirkungen dieser mentalen Prägung auf das (außen)politische Verhalten der Athener in hellenistischer Zeit nachgegangen wird. An Kaisergeburtstagsfeiern und Sedan-Tagen hat es im antiken Athen wahrlich nicht gefehlt. Bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. war schon während und unmittelbar nach den Perserkriegen ein ganzes Ensemble von Ritualen, Kulten und Festen zur Erinnerung an die Siege über die Perser begründet worden, denen dann im attischen Festkalender alljährlich ein fester Platz zugewiesen war und von denen die meisten selbst noch in der römischen Kaiserzeit festlich begangen wurden.10 Hierzu zählte u. a. die Einführung des Kultes für Pan, der sich – wie auch manche andere Götter und Heroen – angeblich als ‚Bundesgenosse‘ der Athener im Kampf gegen die Perser erwiesen hatte. Die Herakleia von Marathon wurden zu einem Festagon ausgestaltet, der in seiner Bedeutung den großen Festfeiern von Delos, Brauron und Eleusis gleichrangig zur Seite gestellt wurde. Hinzu kamen neue Feste wie das für die Artemis Agrotera, der die Athener vor der Schlacht bei 9 Dazu ausführlich Jung 2006, bes. 170–204. 10 Vgl. zu den im Folgenden aufgezählten Kulten und Festfeiern ausführlich Jung 2006, 27–71 (mit den entsprechenden Quellenangaben und der älteren Literatur).
„Von des attischen Reiches Herrlichkeit.“
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Marathon gelobt hatten, so viele Ziegen zu opfern, wie sie Feinde töten würden. Da sie aber nach ihrem Sieg nicht genug Ziegen auftreiben konnten, wurde stattdessen beschlossen, jedes Jahr 500 Ziegen zu opfern. Auch dies war noch eine gute Grundlage für ein opulentes Fest, das dann auch in der Tat jährlich gefeiert wurde. Auch andere, schon ältere – hier aber im Einzelnen nicht näher aufzuführende – Kulte und Feste wurden auf die Ereignisse von Marathon hin umgedeutet und erfuhren damit eine neue Sinnstiftung. Auch jenseits der eigenen Polisgrenzen gedachten die Athener ihrer Erfolge in den Perser kriegen. So partizipierten sie am Kult und den Eleutheria genannten Wettkampfspielen für den Zeus Eleutherios – den ‚Zeus der Freiheit‘ –, die in Plataiai unmittelbar nach der Schlacht gegen die Perser eingerichtet worden waren. Die Bürgerschaft Athens war regelmäßig bei der dortigen Festprozession präsent und gedachte auch dort der eigenen Vergangenheit. Bis weit in die römische Kaiserzeit hinein hielt man an den Gedenkfeiern fest, so dass Plutarch im ersten oder zweiten Jahrhundert n. Chr. vermerken kann, dass die Athener immer noch alljährlich ihre Gedenkfeiern für Marathon, Salamis und Plataiai an den entsprechenden Tagen der Schlachten abhalten.11 Die Teilnahme der Bürger an diesen Festen „verankerte die Deu- | [S. 25] tung der Vergangenheit im Bewusstsein der feiernden Polisgemeinschaft. Die Wiederholung der Feste und Rituale sowie ihre Verbindung mit der Ehrung der Götter und der Toten sicherten der in ihnen zum Ausdruck kommenden Erinnerung ein hohes Maß an sozialer Verbindlichkeit.“12 Eine Fülle von Denkmälern erinnerte darüber hinaus die Athener beständig an die Zeiten der Perserkriege.13 Hinzu kamen einige ganz bewusst als Mahnmale der Perserkriege konservierte Ruinen. Eindrücklich beschreibt Herodot die rußgeschwärzten Mauern des von den Persern zerstörten Athenatempels, dessen Ruinen inmitten der Prachtbauten auf der Akropolis unverändert als Mahnmal erhalten worden waren;14 und in der nördlichen Befestigungsmauer der Akropolis waren weithin sichtbar die Säulentrommeln und Gebälkteile des von den Persern zerstörten Vorgängerbaus des Parthenon in architektonisch korrekter Anordnung zur steten Erinnerung verbaut worden.15 Der „verpflichtende Charakter der Erinnerung“16 wird besonders deutlich am Beispiel einiger Regularien der – anfangs obligatorischen, später dann freiwilligen – Ausbildung der 18-jährigen Athener, der so genannten Epheben. In hellenistischer Zeit gehörte zu den festen und unabdingbaren Bestandteilen des einjährigen Ephebencurriculums sowohl die Teilnahme an der erwähnten Festprozession in Plataiai und an den Wettspielen für 11 Plut. mor. 349 E–F; vgl. auch Pritchett 1979, 172–183; Chaniotis 1991. 12 Jung 2006, 392. 13 Zu den einzelnen Weihungen und Monumenten vgl. (mit weiterführender Literatur) Gauer 1968; Hölscher 1973; Lindenlauf 2003; Meyer 2005; Jung 2006, 72–125. 14 Hdt. 5,77. 15 Wycherley 1978, 106; Lindenlauf 2003; Hurwit 2004, 70–71. 16 Jung 2006, 392.
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Artemis Agrotera wie auch ein Zug nach Marathon, um am dortigen Gefallenengrab, dem Soros, alljährlich ein Totenopfer darzubringen; ebenfalls alljährlich fand eine Ausfahrt der Epheben nach Salamis statt, wo am Platz des Siegesmals, des Tropaions, dem Zeus Tropaios geopfert wurde.17 Es ist bezeichnend, dass die beiden Schlachten von Marathon und Salamis „die einzigen historischen Ereignisse der Polisgeschichte bleiben, auf die von den Epheben während ihres Dienstjahres gleich mehrfach Bezug genommen wird. … [In Attika] (wurden) nur in Salamis und Marathon Schlachtorte der Vergangenheit besucht und nur dort wurde in Kult und Ritual der großen Vergangenheit gedacht.“18 Hinzu kam im Vierjahresrhythmus die Beteiligung der Epheben an den „Freiheitsspielen“, den Eleutherien, in Plataiai. Spektakulärer Höhepunkt der noch in der römischen | [S. 26] Kaiserzeit viel besuchten Wettkämpfe war der Waffenlauf, der in Rüstungen der Perserkriegszeit „oder zumindest in einer Bewaffnung, die man als solche ausgab“,19 durchgeführt wurde. Kaum weniger spektakulär dürfte der als Dialogos bezeichnete Wettstreit gewesen sein, der spätestens in hellenistischer Zeit in Plataiai eingeführt wurde und ebenfalls noch für die römische Kaiserzeit vielfach bezeugt ist.20 In diesem rhetorischen Wettbewerb traten eine athenische und eine spartanische Jungmannschaft gegeneinander an, um in einem Rededuell darum zu streiten, welche Stadt sich die größeren Verdienste in den Perserkriegen und um die Pflege der Kulte in Plataiai erworben habe. Wiederum geht es um die Affirmation und Vermittlung eines Geschichtsbildes mit einer geradezu monomanischen Fokussierung auf die Perserkriegszeit. Diese rhetorischen Übungen dürften einem ganz ähnlichen Muster gefolgt sein, wie es auch den Epitaphien zugrunde gelegt war, denen in Athen bei der alljährlichen Ehrung der Gefallenen eine herausragende Rolle zukam. Im Zentrum dieser gemäß des pátrios nómos, der „ererbten Ordnung“,21 gehaltenen Leichenreden standen das Lob vergangener Großtaten und erneut vor allem die Geschehnisse der Perserkriegszeit.22 Das Spektrum der Exempla ließe sich durchaus noch erweitern; es dürfte aber schon ausreichend klar geworden sein, in welch starkem Maße die Ereignisse der Perserkriege das politische Denken in der athenischen Bürgerschaft auch noch in der hellenistischen Zeit bestimmten. Es war geprägt von einem Bild der Perserkriege, das bereits im vierten Jahrhundert v. Chr. kanonisiert war und seitdem weitgehend in der dann vorgegebenen 17 18 19 20 21 22
Vgl. (mit der älteren Literatur) Burckhardt 2004; Jung 2006, 176–181; Perrin-Saminadayar 2007. Jung 2006, 179. Jung 2006, 349. Jung 2006, 351–360. Thuk. 2,34. Zum Epitaphios Logos vgl. neben der in Anm. 8 genannten Literatur u. a. Loraux 1993; Prinz 1997; Derderian 2001, bes. 161–187; Die u. a. von Roscalla 2005, 43–44, und Jung 2006, 170–171, unter Verweis auf Cic. orat. 151 vertretene These eines in hellenistischer Zeit in Athen alljährlich wiederholten Vortrags des platonischen Menexenos ist allerdings in Zweifel gezogen worden von Vössing 2007.
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Gestalt tradiert wurde. Das schloss allerdings nicht aus, dass dieses Bild weitere Ausschmückungen erfuhr, die jedoch das bestehende Deutungsmuster nicht in Frage stellten, sondern allenfalls festigten. Erwähnt seien hier nur die Erzählungen vom Marathonläufer und von der verspäteten Ankunft der Spartaner auf dem Schlachtfeld von Marathon sowie der in Buchstabenformen des frühen dritten Jahrhunderts v. Chr. epigraphisch überlieferte vorgebliche Antrag des Themistokles zur Evakuierung Attikas angesichts des bevorstehenden Persereinfalls und (zumindest in Teilen) der Eid, den die gegen die Perser verbündeten griechischen Staaten vor der Schlacht bei Plataiai geschworen haben sollen. Diese Überlieferungen lassen sich allesamt als Fiktionen aus spätklassischer und hellenistischer Zeit entlarven und als eine invented tradition begreifen, die lückenlos in die vorgegebene athenische Geschichtsdeutung eingefügt ist.23 Sie sind damit eindrückliche Zeugnisse für die nachhaltige Wirk- | [S. 27] samkeit, die der Rekurs auf die Perserkriegstradition auch noch Jahrhunderte später zu entfalten vermochte und die schon im ausgehenden vierten Jahrhundert v. Chr. auf die entschiedene Kritik des Historikers Theopomp stieß, der späteren Quellen zufolge konstatierte, dass der Helleneneid erlogen wurde, den die Hellenen nach Aussagen der Athener geschworen haben sollen vor der Schlacht in Plataiai gegen die Barbaren, und (erlogen seien auch) die Abkommen der Athener mit dem Großkönig. Und auch die Schlacht von Marathon habe sich nicht so ereignet, wie alle sie in ihren Lobgesängen beschreiben, und er (Theopomp) sagt (wörtlich): ‚Aber auch in Bezug auf dieses tut sich die Stadt der Athener groß und täuscht die Hellenen.‘24 Es geht hier aber nicht um den Wahrheitsgehalt, sondern die argumentative Kraft, die dem Perserkriegsdiskurs insbesondere in seiner Zuspitzung auf die Freiheitssemantik in der damaligen politischen Situation zukam. In den Wirren der Diadochenzeit zu Beginn des dritten Jahrhunderts v. Chr. blieb die – auch durch innenpolitische Spannungen geschwächte – Position Athens im Spiel der Mächte überaus prekär. Christian Habicht hat die Jahre zwischen 307 und 287 v. Chr. zu Recht als eine Zeit „zwischen Freiheit und Unfreiheit“25 bezeichnet, in der aber der Wille Athens zur Aufrechterhaltung der politischen Eigenständigkeit der Polis ungebrochen überdauert hatte. Die Athener bezogen damals die Rechtfertigung für ihren politischen Anspruch auf Freiheit und Autonomie in 23 Zur Erfindung des Marathonlaufs und zur angeblich verspäteten Ankunft der Spartaner in Marathon vgl. Jung 2006, 170–204 (mit der älteren Literatur). Zum sogenannten „ThemistoklesDekret“ und zum „Eid von Plataiai“ immer noch grundlegend Habicht 1961; Siewert 1972; vgl. auch Davies 1996; vgl. im Übrigen (mit der relevanten Literatur) Meiggs/Lewis, GHI2 23; Rhodes/Osborne, GHI 88; Johansson 2001; Blösel 2004, 241–254; Johansson 2004. 24 FGrHist 115 Theopompos F 153 ap. Ailios Theon Progymnasmata 2,66–67. 25 Überschrift des dritten Kapitels in: Habicht 1995, 76–103.
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einem hohen Maße aus dem Rückverweis auf ihre Verdienste um die Freiheit der Hellenen in den Perserkriegen; und sie suchten dies auch nach außen hin sinnfällig zu demonstrieren, indem sie etwa mit Nachdruck darauf drängten, die aus der Perserkriegsbeute geweihten Schilde am Apollontempel in Delphi wieder anzubringen, nachdem diese nach der Zerstörung und Wiedererrichtung des Heiligtums im vierten Jahrhundert v. Chr. noch nicht wieder dort aufgehängt worden waren.26 Dieser permanente Rückverweis auf die Heldentaten der Vorväter brachte aber auch Kosten für die Athener mit sich, denn sie mussten sich an ihrem Anspruch messen lassen. Als sie im Jahre 291 v. Chr. ihre Will fährigkeit gegenüber Demetrios Poliorketes mit einem überaus anbiedernden Lobgesang bekundeten, in dem sie den König als Retter in höchster Not und als Gott priesen, überzog sie Duris von Samos mit beißendem Spott: So etwas sangen die Kämpfer von Marathon nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern sogar zuhause, die (Männer), die einstmals den hinrichten ließen, der sich vor dem Großkönig in den Staub geworfen hatte, (und) die Myriaden von Barbaren niedergemacht hatten.27 | [S. 28] Im Jahre 287 v. Chr. war es den Athenern gelungen, die antigonidische Vorherrschaft zu brechen und ihre Freiheit weitgehend zurückzugewinnen.28 Allerdings hielten die Makedonen den Hafen Piräus und zahlreiche attische Festungen auch weiterhin unter ihrer Kontrolle, so dass diese makedonischen Besatzungen ein Stachel im Fleische Athens blieben. Die – wie es in den attischen Volksbeschlüssen hieß – „aus allen Bürgern bestehende Demokratie“29 setzte daher alles daran, die Makedonen auch aus den letzten attischen Bastionen zu vertreiben und möglichst zugleich auch die makedonische Hegemonie über Griechenland endgültig zu beseitigen. Stärker als je zuvor setzten die Athener in diesem Konflikt auf die Perserkriegskarte, um eine antimakedonische Allianz zu schmieden. Die beiden athenischen Brüder Chremonides und Glaukon, die zusammen mit den Brüdern Phaidros und Kallias aus Sphettos und einigen anderen an der Spitze der antimakedonischen Bewegung standen,30 mobilisierten bei ihrer Agitation für den Befreiungskampf gegen Makedonien den gesamten ideologischen Vorrat der athenischen Perserkriegstradition und verstanden es, auch die übrigen Hellenen und insbesondere die Spartaner unmittelbar miteinzubeziehen. In einem Ehrenbeschluss des Hellenenbundes 26 Plut. Demetrios 13,1–3; vgl. dazu Habicht 1979, 34–44. 27 FGrHist 76 Duris von Samos F 13 ap. Athen. 6,253 D–F. 28 Zu den historischen Vorgängen im Einzelnen (mit zum Teil divergierenden Ergebnissen) Habicht 1995, bes. 129–146; Dreyer 1999, 197–281; Shipley 2000, 120–140; vgl. auch die einschlägigen Beiträge in Habicht 1982; Palagia/Tracy 2003; Oliver 2007. 29 Habicht 1979, 28, Anm. 48; Habicht 1995, 144. 30 Habicht 1995, 145.
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in Plataiai wird Glaukon dafür geehrt, dass er in Plataiai mit großem finanziellem Aufwand die Kulte für den Zeus Eleutherios, den ‚Befreier‘, und für die Homonoia, die ‚Eintracht‘, der Hellenen ausstattete und sich verdient machte um den Agon der plataiischen Freiheitsspiele, die – wie es in einem Ehrendekret für Glaukon heißt – „die Griechen veranstalten zu Ehren der heldenhaften Männer, die gekämpft haben gegen die Barbaren für die Freiheit der Hellenen.“31 So wurde in Plataiai auf der kultisch-religiösen, aber durchaus auch politisch vermittelten Ebene vorbereitet, was dann in politicis auf Antrag des Chremonides in der athenischen Volksversammlung umgesetzt wurde, als mit dem Beschluss über ein Bündnis mit Sparta zugleich zum Krieg gegen Makedonien aufgerufen wurde. In der Begründung des Antrages verwies Chremonides ausdrücklich auf die Perserkriege und stempelte damit zugleich den makedonischen König zum „neuen Xerxes“32 ab. Es heißt dort: Früher sind Athener und Lakedaimonier und die Bundesgenossen beider Städte gemeinsame Freundschaft und Bundesgenossenschaft eingegangen miteinander und haben viele ehrenvolle Kämpfe gekämpft miteinander gegen jene, die die Städte zu knechten sich unterfingen, woraus sie sich selber Ruhm erworben und den übrigen Griechen die Freiheit verschafft haben. Und nun, da eine ähnliche Krise ganz Hellas erfasst hat durch die, die den Umsturz der Gesetze und der bei allen bestehenden … Verfassungen anstreben, ist auch König Ptolemaios … sichtlich bemüht um die | [S. 29] gemeinsame Freiheit der Hellenen. … Damit nun allgemeine Eintracht eintrete unter den Hellenen und sie gegen die heutigen vertragsbrüchigen Vergewaltiger der Städte … miteinander bereitwillig kämpfen und künftig in Eintracht das Wohl der Städte wahren! (wird beschlossen …)33 Auch hier wurde an die vergangene Macht und Größe nur unter dem Aspekt der Freiheit erinnert und jegliche Frage nach einer möglichen Vorrangstellung ganz bewusst außer Betracht gelassen. Nur diese „Reduktion der Erinnerung auf das Ziel der Freiheit ermöglichte eine prinzipielle Vergleichbarkeit von Vergangenheit und Gegenwart“,34 da die Zielrichtung eben längst nicht mehr die Wiederherstellung von „des attischen Reiches Herrlichkeit“ sein konnte. Was aber geblieben war, das war das Selbstverständnis als eigenständige Macht, das sich in erheblichem Maße aus dieser Erinnerung an die vergangene Größe speiste und ihren Niederschlag fand in dem entschiedenen Willen zu einem aktiven und autonomen politischen Handeln. 31 Piérart/Étienne 1975; vgl. hierzu (mit einem gründlichen Überblick über die umfangreiche Forschungsdiskussion) Jung 2006, 298–343. 32 Habicht 1995, 149. 33 Staatsverträge 3, 476 [Übersetzung: Brodersen/Günther/Schmitt 1996, 122–125 Nr. 320]. 34 Jung 2006, 313.
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Erfolgreich waren die Bemühungen jedoch zunächst einmal nicht. Die antimakedonische Allianz scheiterte im so genannten ‚Chremonideischen Krieg‘ und Athen wurde für mehr als 30 Jahre zu einem – um mit Habicht zu sprechen – „Satellit Makedoniens“.35 In dieser Zeit wurden die Kulte, Feste und Gedenkfeiern, die die Perserkriege memorierten, zwar offenbar unverbrüchlich fortgesetzt; und die Marathonomachoi und die medóphonoi patéres, die Marathonkämpfer und die persertötenden Vorfahren, wurden auch in Grab epigrammen und literarischen Texten unablässig als Leitbilder für die eigene Gegenwart beschworen.36 Dennoch blieb Athen unter makedonischer Kuratel, bis der Tod des makedonischen Königs Demetrios II. den Athenern im Jahre 229 v. Chr. die ganz unverhoffte Chance bot, sich von der makedonischen Vorherrschaft freizukaufen und gegen eine hohe Geldsumme die Räumung der Garnisonen und den Abzug aller makedonischen Besatzungstruppen durchzusetzen. Die Politik, die die Athener in den folgenden knapp 30 Jahren verfolgten, bis sie sich dann auf die Seite Roms stellten, war geprägt von dem Willen, die zurückgewonnene Freiheit und Autonomie unbedingt zu erhalten.37 Zunächst hatten die Athener eine Gesandtschaft an den makedonischen Königshof entsandt, um die Chancen auf einen friedlichen Ausgleich mit dem Antigonidenhaus sondieren zu lassen. Nachdem sich dieses Unternehmen als ein Fehlschlag erwiesen hatte, wandte man sich an Ptolemaios III. und damit erneut an die hellenistische Großmacht, auf deren Unterstützung man bereits im | [S. 30] Chremonideischen Krieg gesetzt hatte und die sich auch jetzt wieder bereit fand, sich Athen quasi als Schutzmacht zur Verfügung zu stellen.38 Allen Bemühungen der Nachbarstaaten, Athen zu einem antimakedonischen Bündnis oder gar zu einem Beitritt zum Achaiischen Bund zu bewegen, erteilten die Athener hingegen eine brüske Absage. Damit wurden die – nicht zuletzt in Erinnerung an die führende Rolle Athens im Chremonideischen Krieg – hoch gespannten Erwartungen der griechischen Poliswelt herb enttäuscht. Rückschauend kommentierte der achaiische Politiker und Historiker Polybios diese athenische Haltung mit den Worten: Die Athener, von der Furcht vor Makedonien befreit und in der Meinung, schon im sicheren Besitz der Freiheit zu sein, nahmen … an keiner der übrigen griechischen 35 Habicht 1995, 154–175 (Zitat: 160); vgl. auch (mit der älteren Literatur) die Anm. 28 angeführte Literatur, insbesondere Dreyer 1999, 283–376. 36 Vgl. etwa das ca. Mitte des 3. Jh.s v. Chr. zu datierende Grabepigramm ISE 1,50–51 Nr. 24, in dem die Altersgenossen eines Gefallenen aufgerufen werden, sich ebenso zu bewähren wie der Tote, der „sich der einst bei Salamis persertötenden Vorfahren würdig“ gezeigt habe; zum historischen Kontext vgl. Habicht 1995, 165. Zum Leitbild der Marathonomachoi vgl. zusammenfassend Jung 2006, 128–146. 37 Habicht 1995, bes. 176–196; dazu Habicht 1982, bes. 79–158; Perrin-Saminadayar 1999; Cuniberti 2006, 77–123; vgl. auch Scherberich 2009, passim. 38 Habicht 1982, 105–112; Habicht 1994; Huß 2001, bes. 354–359.
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Unternehmungen teil. Vielmehr folgten sie dem Willen und den Initiativen ihrer Wortführer und biederten sich bei allen Königen an, am meisten von diesen aber bei Ptolemaios. Sie ließen jede Art von Beschlüssen und Proklamationen zu und gaben dabei nicht viel auf den Anstand wegen der Würdelosigkeit ihrer führenden Männer.39 In der Forschung ist diese scharfe Kritik immer wieder als unangemessen und als Ausdruck einer proachaiischen Parteinahme des Polybios verworfen worden; und in der Tat ist hier der achaiische Standpunkt nicht von der Hand zu weisen, in dem die tiefe Enttäuschung über die abweisende Haltung Athens zum Ausdruck kommt. Andererseits erscheint es mir aber fraglich, ob man den außenpolitischen Kurs Athens nach 229 v. Chr. allein unter der Perspektive einer strikten Neutralität und als Konsequenz einer radikalen Abkehr von der politischen Linie deuten kann, der man nach 287 v. Chr. bis zum Chremonideischen Krieg gefolgt war.40 Die Athener hielten sich zwar bis 200 v. Chr. aus allen innergriechischen Konflikten heraus und betrieben eine geschickte und erfolgreiche Diplomatie, die es ihnen ersparte, in irgendwelche kriegerischen Verwicklungen hineingezogen zu werden. Das alles war aber nur möglich, weil man sich im damaligen politischen Mächtespiel klar positioniert und durch das enge Zusammengehen mit den Ptolemäern eindeutig Stellung bezogen hatte, was die Athener auch dadurch demonstrativ zum Ausdruck brachten, dass sie für Ptolemaios III. einen neuen Staatskult einführten und eine zusätzliche Phyle, die Ptolemais, zur Unterteilung ihrer Bürgerschaft einrichteten.41 Es wird daher den Gegebenheiten nicht gerecht, die Ausrichtung der damaligen athenischen Politik nur unter dem Aspekt einer hartnäckigen Neutralität oder einer auf unbedingte Neutralität ausgelegten pazifistischen Verzichtspolitik zu betrachten.42 Ein solches Deutungsmuster greift ebenso zu kurz wie die Charakterisierung als „Isolationismus“.43 Eher könnte man von einer splendid isolation sprechen, die Athen sich aber nur leisten konnte, solange die Ptolemäer diese sicherzustellen imstande waren. Jedenfalls schloss diese splendid isolation keineswegs eine selbstbewusste und eben durchaus auch | [S. 31] parteiische Politik aus. Selbst wenn sich die Athener – wie Habicht wohl zu Recht anmerkt – damit abgefunden haben mochten, damals „im politischen Kräftespiel [nur noch] eine Macht zweiten Ranges zu sein“,44 bedeutete dies nicht zwangsläufig auch den völligen Verzicht auf politische Parteinahme. 39 Pol. 5,106,6–8 [Übersetzung nach Habicht 1982, 93–94]. 40 Habicht 1982, bes. 93–105; Habicht 1995, bes. 188–196. 41 Habicht 1982, 105–117; Huß 2001, 358 mit Anm. 21; vgl. auch (mit neuen Überlegungen zur Chronologie) Scherberich 2009, 93–95. 42 Cuniberti 2006, 102: „tenace neutralitá“; E. Gabba hat von einer „politica di pacifismo neutrale renunciatoria“ gesprochen; vgl. auch Habicht 1995, 188–196 („Athen als neutrale Macht“); Perrin-Saminadayar 1999. 43 Cuniberti 2006, 77. 44 Habicht 1982, 128.
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Die Weigerung Athens, nach der Befreiung von der makedonischen Vorherrschaft einen engeren Schulterschluss mit den Nachbarstaaten zu suchen und dem Drängen des Aratos von Sikyon nachzugeben, sich dem Achaiischen Bund anzuschließen, dürfte eben keineswegs nur dem Willen nach einer konsequenten Neutralitätspolitik entsprungen sein, sondern war durchaus von der Vorstellung getragen, nach der wieder errungenen Freiheit den eigenen politischen Handlungsspielraum soweit wie nur möglich auszuloten und eine möglichst eigenständige Rolle im damaligen Mächtespiel einzunehmen. Dabei scheinen die tonangebenden Politiker Athens verkannt zu haben, dass man nicht mehr ohne Weiteres an die längst vergangenen, aber im Bewusstsein immer aufs Neue wach gehaltenen Zeiten „von des attischen Reiches Herrlichkeit“ anknüpfen konnte. Letztlich aber verhielt sich Athen wie viele andere starke Mittelmächte in der Geschichte, die eher das Zusammenspiel mit einer – möglichst nicht allzu nahen – Großmacht suchen, als sich mit anderen benachbarten Mittelmächten einzulassen. So ließ sich zumindest der Anschein wahren, auch noch als eine Macht zweiten Ranges im großen Spiel der Mächte eine selbstständige politische Rolle zu spielen; und diesen Anspruch hatten die Athener eigentlich nie aufgegeben. Die Ideologie der athenischen Perserkriegstradition wirkte zu nachhaltig, als dass sie sich aus den Köpfen jemals wieder hätte verbannen lassen. Und immer wieder aufs Neue suchten die Athener durch Verweis auf ihre vergangenen Verdienste ihre politische Selbstständigkeit zu verteidigen – allerdings mit abnehmendem Erfolg. Noch im Mithridatischen Krieg im Jahre 86 v. Chr. soll Sulla auf die Eroberung Athens gedrängt haben, da er – so mutmaßt zumindest Plutarch – „eine Ehre darin suchte, gegen die Schatten des ehemaligen Ruhmes dieser Stadt zu kämpfen“;45 und als eine athenische Gesandtschaft einen letzten Versuch unternahm, die drohende Eroberung und Plünderung Athens abzuwenden und nochmalige Verhandlungen aufnehmen wollte und die Gesandten, „anstatt annehmbare Vorschläge zu machen, nur mit Theseus, Eumolpos und den Siegen über die Perser prahlten, gab Sulla ihnen zur Antwort: ‚Geht … und packt eure schönen Reden wieder ein. Ich bin nicht von den Römern geschickt worden, um in Athen Geschichte zu studieren, sondern um Rebellen zu bezwingen.‘“46 Und als Caesar knapp 40 Jahre später, im Jahre 48 v. Chr. nach seinem Sieg über Pompeius bei Pharsalos die um Vergebung bittenden Athener begnadigte, da soll er das mit den Worten getan haben: „Wie oft eigentlich noch soll euch der Ruhm eurer Vorfahren vor der eigenen Selbstvernichtung bewahren?“47
45 Plut. Sulla 13,1 [Übersetzung nach J. F. Kaltwasser]. 46 Plut. Sulla 13,5 [Übersetzung nach J. F. Kaltwasser]. 47 App. civ. 2,88.
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Grenzfestungen und Verkehrsverbindungen in Nordost-Attika Zur Bedeutung der attisch-boiotischen Grenzregion um Dekeleia
Im dritten Buch der xenophontischen Memorabilia verwickelt Sokrates den jüngeren Perikles in ein längeres Gespräch über die politische und militärische Lage Athens. Am Ende dieses Dialogs kommt Sokrates auch auf die Verteidigung der Grenzen zu sprechen, und zwar wie folgt: Hast du aber dies bedacht, Perikles, so fuhr er fort, daß unserem Land große Gebirge vorgelagert sind, welche sich bis nach Boiotien erstrecken, durch welche in unser Land nur enge und steile Zugänge führen, und daß es rings von schützenden Bergen umschlossen ist? Ich weiß es, war die Antwort. … Glaubst du nun nicht, so fragte er weiter, daß die attischen Epheben, wenn sie mit leichteren Waffen ausgerüstet auch die unserem Land vorgelagerten Gebirge besetzen würden, die Feinde schädigen, den Mitbürgern aber einen starken Schutz für das Land gewähren könnten? Ich bin völlig überzeugt, Sokrates, daß auch dies von Nutzen sein würde, war Perikles’ Antwort.1 Knapper und treffender lassen sich die strategische Lage im nordattischen Grenzg ebiet und die daraus abzuleitenden Verteidigungsmaßnahmen kaum beschreiben. Und es steht wohl außer Frage, daß Xenophon bei der Niederschrift die Gegebenheiten der attischen Grenzverteidigung vor Augen standen, wie wir sie auch aus der Beschreibung der aristotelischen Athenaion Politeia kennen.2 Attika wird bekanntlich nach Norden hin gegen Boiotien von fast durchgehenden, an ihrem höchsten Punkt bis auf über 1500 m ansteigenden Gebirgszügen abgeschottet, die nur an einigen Stellen von mehr oder weniger leicht zugänglichen Paßwegen in Nord-Süd-Richtung durchzogen werden, welche in der Antike und zum Teil dann auch im Mittelalter durch zahlreiche militärische Vorposten und Beobachtungsplätze und Festungen gesichert waren. Den Hauptriegel bilden das Kithairon-Gebirge und das Parnes-Massiv, zwischen denen die Hochebene von Skurta ein Bindeglied bildet. In diese Hochebene mündet die an der athenischen Grenzfestung Phyle vorbeiführende Paßstraße nach Boiotien. Ein nicht ganz 400 m hoher Sattel trennt den Parnes vom Pentelikon-Gebirge und dem nordattischen Bergland mit dem markanten | [S. 122]
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: P. Flensted-Jensen/T. Heine Nielsen/L. Rubinstein (Hgg.), Polis & Politics. Studies in Ancient Greek History Presented to Mogens Herman Hansen on his Sixtieth Birthday, August 20, 2000, Kopenhagen 2000, 121–131. 1 Xen. mem. 3,5,25.27 (in der Übersetzung von P. Jaerisch). 2 Aristot. Ath. pol. 42,4–5.
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Mavronoros;3 nur das Gebiet von Oropos liegt nördlich dieser Kette und ist daher geographisch eher auf Boiotien ausgerichtet, was ja bekanntlich auch dazu geführt hat, daß die Oropia einen ständigen Zankapfel zwischen Athen und Boiotien bildete.4 Die archäologischen Überreste in diesem nordattischen Grenzbereich sind – ganz anders als in den meisten übrigen Teilen Attikas – auch heute noch in einer erstaunlich großen Anzahl und vielfach auch noch in einem verhältnismäßig guten Zustand anzutreffen. Neben den Spuren einer sehr intensiven Besiedlung in den Talrandlagen und Beckenlandschaften der Gebirge finden sich an zahlreichen exponierten Plätzen und strategisch günstigen Punkten Baureste von Anlagen, die zweifellos Verteidigungsund Beobachtungszwecken und der Kontrolle der Wegeverbindungen dienten.5 Durch eine intensive landeskundliche Untersuchung ließe sich ein sehr genaues Bild der regionalen Binnenstruktur dieses Teils von Attika nachzeichnen, zumal die mit äußerster Präzision unter der Leitung von Ernst Curtius und Johann August Kaupert im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts durchgeführte kartographische Aufnahme Attikas im Maßstab 1 : 25 000 und die dazu gehörigen „Erläuternden Texte“ von Arthur Milchhoefer manche Lücke zu schließen vermögen, die auch in dieser Region durch moderne Baumaßnahmen etc. gerissen worden sind.6 Umso mehr erstaunt es, daß bisher in der Forschung ein insgesamt recht grobes und holzschnittartiges Bild der antiken Siedlungsund Verkehrsverhältnisse in Nordattika vorherrscht. Dies gilt in besonderer Weise für die Region östlich des Parnes, das Gebiet von Dekeleia über Aphidnai bis nach Rhamnous. Ich verweise hier nur auf die diesbezügliche Untersuchung von Josiah Ober, die in dieser Hinsicht m. E. im Vergleich zu den älteren Arbeiten etwa von James R. McCredie keinen Fortschritt darstellt.7 Das von Ober entworfene Bild der verkehrsmäßigen Binnenstruktur der Grenzregion um Dekeleia unterscheidet sich kaum von den bisherigen Entwürfen und spiegelt entsprechend die landläufige Vorstellung wider. Hiernach gab es insgesamt drei Hauptwege, die im Nordosten von Attika nach Boiotien bzw. Oropos führten. Am weitesten im Osten verlief die von Pausanias erwähnte Küstenstraße von Marathon über Rhamnous nach Oropos, deren Verlauf ich hier nicht diskutieren möchte; weiter im Westen werden dann in der Regel zwei Wegeverbindungen in Nord-Süd-Richtung angenommen, von 3 Zur geographischen Situation und zum Verlauf der Paßstraßen vgl. Milchhoefer 1889; Milchhoefer 1895; Philippson 1951, 522–547; Philippson 1952, 784–802; Ober 1985, 101–129; De Voto 1989, 108–109. 4 Einen knappen Überblick über die wechselvolle Geschichte der Oropia bietet Petrakos 1996, 5–11; vgl. auch die Testimoniasammlung bei Petrakos 1997, 487–511. 5 Allerdings gilt es, auch die zivile, sprich: bäuerliche Nutzung mancher Baukomplexe stärker in Betracht zu ziehen, als dies landläufig geschieht; darauf hat zu Recht Lohmann 1993, 138–139; Lohmann 1995, 515–523 nachdrücklich hingewiesen. 6 Curtius/Kaupert 1881–1900; Milchhoefer 1889; Milchhoefer 1895. 7 Ober 1985; McCredie 1966.
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denen die eine über Aphidnai und die andere über Dekeleia und die östlichen Ausläufer des Parnes führt.8 Es sind dies die beiden gleichen Routen, die auch noch heute als wichtige Verkehrsverbindungen dienen. Dabei hat die Strecke am antiken Aphidnai vorbei zunächst durch den Bau einer Eisenbahnverbindung und dann in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch den Autobahnbau gegenüber der Dekeleia-Route eine absolute Vorrangstellung erhalten | [S. 123] und ist zur wichtigsten Nord-Süd-Verbindung Mittel griechenlands geworden. Es ist nun unbestritten, daß sowohl die Dekeleia-Route wie auch die Aphidnai-Route auch schon in der Antike genutzt wurden. Für beide Wege gibt es – wenn auch spärliche – archäologische und literarische Zeugnisse, auf die noch zurückzukommen sein wird. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit die in der Forschung fast einhellig vertretene Auffassung das Richtige trifft, derzufolge nicht – wie heute – die östlichere der beiden Wegeverbindungen die Haupttrasse von Athen nach Oropos und Boiotien bildete, sondern die Paßstraße über Dekeleia; dem Weg über Aphidnai sei – zumindest bis in die hellenistische Zeit – nur eine ganz untergeordnete, eher lokale Bedeutung zugekommen.9 Man mag diese Frage nach den Wegeverbindungen zunächst für unwesentlich halten, zumal beide Routen in verhältnismäßig geringem Abstand weitgehend nebeneinander verlaufen. Es gilt jedoch zu bedenken, daß eine angemessene Beurteilung der strategischen Ziele und der Auswirkungen der spartanischen Besetzung Dekeleias, die ja fraglos zu den einschneidensten Ereignissen des Peloponnesischen Krieges zählte, aufs Engste mit dieser Frage verbunden ist, die daher durchaus eine eingehendere Behandlung verdient. Die Grundlage für die landläufige Einschätzung des Wegesystems bildet eine Notiz des Thukydides, in der es heißt, daß es vor der Besetzung Dekeleias durch die Lakedaimonier im Jahre 413 v. Chr. für die Athener schneller und billiger gewesen sei, das Lebensnotwendigste aus Euboia – zu denken ist hier wohl in erster Linie an Vieh und Getreide – von Oropos zu Lande über Dekeleia (διὰ τῆς Δεκελείας) nach Athen zu schaffen; nach der Besetzung sei man auf den kostspieligeren Seetransport um Sounion herum angewiesen gewesen.10 Ist aber diese Anmerkung des Thukydides wirklich hinreichend, um daraus den Schluß ziehen zu können, daß die Hauptverkehrsachse zwischen Athen und der Oropia im eben beschriebenen Sinne direkt über Dekeleia nordwärts verlief ? Die Überprüfung der möglichen Wegeverbindungen anhand der bis heute unübertroffenen Attika-Karten von Curtius und Kaupert sowie die Autopsie des Geländes, die ich zu Beginn der 90er Jahre vornehmen konnte, haben mich skeptisch gestimmt. Der Weg, der auf den ersten flüchtigen Blick als der entschieden direktere und kürzere der beiden Zugänge nach Norden 8 Vgl. hierzu die in Anm. 3 genannte Literatur. 9 Westlake 1948, 4 m. Anm. 1; vgl. u. a. auch Curtius 1868, 62; Pfister 1951; Munn 1983, 105– 110; Ober 1985, 115. 10 Thuk. 7,28,1.
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erscheint,11 erweist sich beim genaueren Studium des Wegeverlaufes unter Berücksichtigung der jeweiligen Geländeformationen – Steigungen, Wegführungen in Serpentinen, Flußüberquerungen etc. – keineswegs als die kürzere Verbindung sowohl zwischen Athen und Oropos als auch zwischen Athen und der boiotischen Grenze; vielmehr unterscheidet sich die Gesamtlänge beider Wege – wenn überhaupt – nur ganz unwesentlich. Bleibt das Argument des bequemeren Zugangs und der vor allem für den Warentransport geeigneteren Streckenführung. Aber gerade mit diesem Argument läßt sich m. E. | [S. 124] die Präferenz für die Dekeleia-Paß-Route nicht begründen. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Um dies nachweisen zu können, ist es notwendig, den Verlauf der beiden in Frage stehenden Routen genauer in Augenschein zu nehmen, und zwar mittels der erwähnten Attika-Karten, da die normalerweise herangezogenen „Faustskizzen“ wenig hilfreich sind.12 Vorab aber zunächst einige wenige Anmerkungen zur Lage des attischen Demos Dekeleia, dessen Lokalisierung bei dem ehemaligen Dörfchen Tatoi – vor allem aufgrund epigraphischer Funde – heute als gesichert gelten kann. Nach Ausweis antiker Bauspuren befand sich das Demenzentrum offenbar an der Stelle, an welcher im vorvergangenen Jahrhundert unter der Regentschaft König Georgs I. ein königliches Mustergut und die königliche Sommerresidenz errichtet worden waren – und zwar genau in einer breiten Mulde zwischen dem ehemaligen Schloßpark und dem südlich gelegenen „Palaeokastro“,13 auf dem sich noch heute die Gräber der griechischen Königsfamilie befinden und der im Dekeleischen Krieg von den Lakedaimoniern befestigt und zum Ausgangspunkt ihrer Einfälle nach Attika gemacht worden war. Die Dekeleia-Paß-Route14 führte von Athen aus zunächst auf einer Strecke von ca. 16 km fast geradewegs nach Norden – allmählich bis auf eine Höhe von 300 m ansteigend – bis zum Fuß des östlichen Ausläufers des Parnes. Hier beginnt auch heute noch der eigentliche Aufstieg zur Paßhöhe. Auf einer Strecke von ca. 6 km steigt der Weg – unmittelbar am Demenzentrum bei Tatoi vorbeiführend – zu einem Sattel in 640 m Höhe hinauf. Diese Paßhöhe, die heute den bezeichnenden Namen to Kleidí trägt, wird im Osten vom 770 m hohen Strongili beherrscht und im Westen vom 850 m hohen Katsimidi, auf dessen Spitze sich noch die Reste eines kleinen antiken Wachtkastells oder Beobachtungspostens erhalten haben.15 Von hier gelangt der Weg dann nach ungefähr 4 km zu 11 So zuletzt auch wieder Mersch 1996, 118; vgl. im übrigen die in Anm. 9 genannte Literatur. 12 Hier insbesondere die Kartenblätter XIX (Marathon) und XX (Tatoi); dazu ergänzend die Karte VII 3 (Die Umgebung von Dekeleia) aus Curtius 1868. 13 Curtius 1868, 62; Milchhoefer 1895, 2–4; McCredie 1966, 56–57; Ober 1985, 141–142; Mersch 1996, 118–119 Nr. 19. 14 Zum Verlauf der Dekeleia-Paß-Route vgl. auch Munn 1983, 107–110. 15 Curtius 1868, Karte VII 4; Milchhoefer 1895, 4; McCredie 1966, 57–58; Ober 1985, 142– 144; Ober 1987, 203–204; Mersch 1996, 19.
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einem zweiten Sattel mit 630 m Höhe, kurz vor dem heutigen Kirchlein Hagios Merkurios, am westlichen Ausläufer des 840 m hohen Beletsi, auf dem sich ebenfalls Überreste eines kleinen antiken militärischen Vorpostens16 befinden. Von Hagios Merkurios aus führt der Weg dann auf einer Strecke von ca. 6 km in steilen Windungen in das Becken von Malakasa auf eine Höhe von unter 200 m hinab. Hier verzweigt sich der Weg und führt einerseits durch das Kakosalesi-Tal nach Tanagra/Boiotien und andererseits nordwärts nach Oropos weiter. Von Osten her führt an diesen Schnittpunkt auch ein Zweig des zweiten, westlich an Aphidnai vorbeiführenden Weges heran, den es nun noch kurz zu beschreiben gilt.17 Dieser Weg führte von Athen aus zunächst wohl am linken Ufer des Kephisos entlang und lief dann im Bereich der oberen Quellläufe des Kephisos direkt auf den Katiphori-Paß zu, dessen Scheitelhöhe nur 387 m beträgt.18 Von hier aus zog sich der Weg am Westrand des Beckens von Aphidnai | [S. 125] – längs der östlichen Ausläufer des Parnes – entlang – wie auch heute noch die Eisenbahnstrecke und die Nationalstraße –, um nicht unnötig an Höhe zu verlieren und um das recht unwegsame Gelände rings um das Demenzentrum von Aphidnai zu umgehen. Der Weg biegt im weiteren Verlauf dann leicht nach Nordwesten ab, um über den Kolopeza-Paß, der sich durch eine Talenge zwischen dem bereits erwähnten Beletsi im Westen und dem knapp 650 m hohen Mavronoros im Nordosten seinen Weg bahnt,19 stellt kein weiteres Hindernis dar, da seine Scheitelhöhe von ca. 370 m ja bereits am Katiphori-Paß erreicht war. Am Kolopeza-Paß dürfte ein Abzweig um den Mavronoros herum direkt nach Oropos geführt haben, während der eigentliche Weg beim heutigen Malakasa – wie bereits erwähnt – mit dem Paßweg von Dekeleia zusammentraf. Die beiden Streckenbeschreibungen sollten die Vor- und Nachteile der beiden Wegeverbindungen bereits hinreichend deutlich gemacht haben: Der Dekeleia-Paß war zweifellos leichter zu schützen und zu kontrollieren und bildete daher vor allem in Krisenzeiten einen sicheren Übergang; auch dürfte der Paß für die Athener – vor allem bei den Auseinandersetzungen mit Boiotien – von erheblicher militärischer Bedeutung gewesen sein. All das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Weg über den DekeleiaPaß weitaus größere Höhendifferenzen auf einer verhältnismäßig kleinen Strecke und ein entschieden schwierigeres Gelände zu überwinden hatte als der Weg an Aphidnai vorbei, den man getrost als die leichteste aller Nord-Süd-Passagen in der attisch-boiotischen Grenzregion bezeichnen darf. Und zumindest in Friedenszeiten wird daher dieser Weg und nicht derjenige über den Dekeleia-Paß als Hauptverkehrsweg in die Oropia gedient 16 Ober 1985, 144–145; Ober 1987, 204–205. 17 Zum Verlauf dieses Weges vgl. auch die Karte VII 3 (Die Umgebung von Dekeleia) aus Curtius 1868. 18 Zur verkehrstechnischen Bedeutung des Katiphori-Passes vgl. etwa Milchhoefer 1889, 57; Milchhoefer 1895, 1–5; Philippson 1952, 784–785. 19 Vgl. Milchhoefer 1900, 26–27.
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haben, zumal wenn man die für den Wagentransport überaus ungünstige, da sehr steile Streckenführung der Paßroute mit in Betracht zieht. Dagegen läßt sich auch nicht die bei Herodot überlieferte Nachricht ins Feld führen, derzufolge sich Mardonios nach der Verwüstung Athens und nach einem ergebnislosen Ausgreifen in die Megaris 479 v. Chr. über den Paß von Dekeleia nach Boiotien ins AsoposTal zurückgezogen hatte.20 Die Textpassage wird oft als Erweis für die Bedeutung dieses Weges als Hauptverkehrsweg in die Oropia angeführt. Diese Herodotnotiz kann meines Erachtens aber ebensogut als Gegenbeweis dienen. Herodot bemerkt nämlich ausdrücklich, daß die Boiotarchen dem Mardonios Leute aus dem Asopos-Tal schickten, die ihm den – folglich also gerade nicht sehr bekannten – Weg über Dekeleia nach Sphendale21 und weiter nach Tanagra zeigten. Mardonios wählte den – von seinem Ausgangspunkt, dem Grenzgebiet zur Megaris, betrachtet – Umweg über Dekeleia wohl nur, weil ihm eben alle Hauptwege offensichtlich versperrt waren. | [S. 126] Auch die Wegeverhältnisse des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in dieser Region können schwerlich die These stützen, daß der Dekeleia-Paß auch in der Antike der Verbindung über Aphidnai vorgezogen wurde. Der gute Ausbau des Weges über Dekeleia und die nur ganz unzureichende Erschließung des Katiphori- und des Kolopeza-Passes, die auf den Curtius-Kaupertschen Karten deutlich zu erkennen sind, lassen sich wohl auf den Umstand zurückführen, daß – ganz im Gegensatz zur sehr dichten Besiedlung in der Antike und im Mittelalter – die Gebiete an den Ausläufern des Pentelikon in der Zeit der Türkenherrschaft und insbesondere während der Befreiungskriege nahezu völlig entvölkert wurden und hier zahlreiche Dörfer gänzlich aufgegeben und zum Unterschlupf von Räuberbanden wurden. Noch zu Milchhoefers Zeiten setzten sich erst allmählich Neusiedler in diesen Gebieten fest.22 Auch die Errichtung der königlichen Sommerresidenz in Tatoi dürfte für die Entwicklung der modernen Binnenstruktur in dieser Region von Bedeutung gewesen sein. Im Zusammenhang mit der hier diskutierten Frage der Verkehrsverbindungen zwischen Athen und der Oropia ist auch noch ein literarisches Quellenzeugnis von Bedeutung: Gemeint sind die Reisebilder Περὶ τῶν ἐν τῇ Ἑλλάδι πόλεων des Herakleides (mit dem Beinamen Kritikos oder Kretikos) aus dem dritten Jahrhundert v. Chr.23 Hierin beschreibt Herakleides auch seinen Weg von Athen nach Oropos, der ihn über Aphidnai führte.24 In den Textkommentaren wird zu dieser Stelle nur angemerkt, daß Herakleides hier von dem eigentlichen Hauptweg über Dekeleia abgewichen sei, um auch das Amphiareion
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Hdt. 9,15,1. Zur Lokalisierung von Sphendale vgl. Milchhoefer 1900, 27. Milchhoefer 1889, 55. Pfister 1951. Herakl. Kret. 1,6.
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bei Oropos zu besuchen.25 Die Anmerkungen des Herakleides sprechen aber doch sehr dafür, daß er sich keineswegs auf Abwege begeben hatte, sondern durchaus einen vielbegangenen und keineswegs abseitigen Weg benutzt hat; lobt er doch die zahlreichen Ruheplätze und Gaststätten, die alles zum Leben Notwendige reichlich bieten und so dem Reisenden die Mühen der Wanderung erträglich machen.26 Nach Henry D. Westlake impliziert Herakleides’ Beschreibung, daß später der leichtere Weg über Aphidnai die Normalroute wurde; die Zeugnisse des Herodot und des Thukydides würden jedoch zeigen, daß zumindest im fünften Jahrhundert v. Chr. kein wichtiger Weg über Aphidnai geführt habe.27 Eine solche Schlußfolgerung erscheint mir allerdings mehr als problematisch. Und es stellt sich nun doch die Frage, ob wir die Aussage des Thukydides, vor der spartanischen Besetzung von Dekeleia seien die Transporte von Oropos διὰ τῆς Δεκελείας gegangen, nicht ganz einfach allzu sehr pressen, wenn wir dabei nur an die Route über den Katsimidi denken und zu wenig in Betracht ziehen, daß man von Dekeleia aus eben nicht nur den Paß am heutigen Tatoi vorbei, sondern durchaus auch den Weg westlich an Aphidnai vorbei kontrollieren konnte.28 | [S. 127] Dieser Weg streifte in seinem Verlauf ja sogar das südöstliche Demengebiet von Dekeleia, verlief also durchaus διὰ τῆς Δεκελείας, und war im übrigen – wie schon Milchhoefer angemerkt hat29 – durch einen bequemen Querweg, der das dekeleische Demengebiet durchzog, mit dem anderen weiter westlich verlaufenden Paß verbunden. Es wäre daher sogar zu überlegen, ob nicht auch die oben zitierte Angabe Herodots, das Heer des Mardonios sei 479 v. Chr. διὰ Δεκελέης nach Boiotien gezogen, entsprechend zu interpretieren und ebenfalls auf die westlich an Aphidnai vorbeiführende Route zu beziehen ist. Diese Beobachtungen unterstreichen die herausragende strategische Bedeutung von Dekeleia. Mit der Besetzung und Befestigung dieses Platzes30 hatten die Lakedaimonier 413 v. Chr. mit einem Schlag die Kontrolle über die gesamte nordostattische Grenzregion gewonnen, da man mit Sicherheit davon ausgehen kann, daß sie zugleich auch die Vorposten und Wachtkastelle auf dem Katsimidi und Beletsi in ihre Gewalt gebracht hatten. Dadurch wurde eine ständige und ungehinderte Beobachtung nicht nur der Paßwege, sondern der gesamten Oropia bis nach Euboia möglich.
25 Pfister 1951, 31. 34–35. 26 Wenn Herakleides 1,6 schon diesen Weg als steil und schwierig (prosonta) empfand, um wieviel beschwerlicher mußte dann den antiken Reisenden die Paßstraße über Tatoi erschienen sein, die fast doppelt soviele Höhenmeter auf einer noch weitaus steileren Wegführung zu überwinden hatte. 27 Westlake 1948, 4 m. Anm. 1. 28 So auch schon Chandler 1926, 16; vgl. auch Classen/Steup 1908, 43; Gomme/Andrewes/ Dover 1970, 395; dagegen zuletzt wieder Munn 1983, 158, Anm. 43. 29 Milchhoefer 1895, 5. 30 Thuk. 7,19,1–2; Diod. 13,9,2.
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Es hieße jedoch, die Besetzung Dekeleias zu unterschätzen, wollte man sie nur unter dem Blickwinkel einer Kontrolle der genannten Gebiete würdigen, zumal diese nach dem Abfall Euboias und der Einnahme der Oropia durch Boiotien im Jahre 412/1 v. Chr. weitgehend obsolet geworden war. Die Absichten der Lakedaimonier zielten von Anfang an weit darüber hinaus. Mit untrüglicher Sicherheit hatte Alkibiades, der ja den Spartanern den Rat zur Besetzung Dekeleias gegeben hatte,31 erkannt, daß es kaum einen besseren Ort in Attika gab, von dem aus gleichzeitig so viele Bereiche – eben nicht nur im Nordosten – des attischen Polisgebietes zu überschauen und durch rasche, überfallartige Ausfälle in Bedrängnis zu bringen waren. Die überaus günstige Lage am Südosthang des Parnes, „gegen die Ebene und die besten Teile des Landes gerichtet, sichtbar bis nach Athen“ wie Thukydides32 schreibt, bot die besten Voraussetzungen, von einem gesicherten Punkt aus Athen in einen dauernden Kriegszustand zu versetzen.33 Führt man sich diese hervorragende topographische Lage Dekeleias vor Augen, wird man besser verstehen, warum Dekeleia – wie im übrigen auch Aphidnai – zu den 12 alten Städten Attikas gerechnet wurde, die schon vor dem Synoikismos des Theseus bestanden hatten;34 und es erschließt sich auch die strategische Bedeutung des wohl nur wenig weiter westlich von Dekeleia in vergleichbarer Lage gelegenen Kastells Leipsydrion, das die Alkmaioniden 513 v. Chr. im Kampf gegen Hippias befestigten.35 | [S. 128]
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Grenzfestungen und Verkehrsverbindungen in Nordost-Attika
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Es muß ein prächtiges Bild gewesen sein, das sich dem bot, der um die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. den heiligen Bezirk des Apollon in Delphi betrat, um zum Tempel und zur Orakelstätte hinaufzugehen. Im Eingangsbereich zur Linken des Weges erhoben sich 13 goldglänzende Bronzestatuen, von denen eine Inschrift auf dem Postament verkündete, daß sie als Weihegabe aus der Beute des Sieges über die Perser bei Marathon errichtet worden seien. Dargestellt war der athenische Feldherr Miltiades, umgeben von Athena und Apollon und 10 attischen Heroen. Es war dies eine ganz besondere Ehrung, mit welcher die Athener der Verdienste des Miltiades gedachten; es war dies aber auch eine sehr späte Ehrung für einen Mann, der schon bald nach seinem größten militärischen Erfolg bei Marathon im Jahre 490 in Ungnade gefallen und kurz vor seinem Tod von den Athenern zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden war. Wohl mehr als 25 Jahre waren seitdem vergangen, als die Athener einem ihrer besten Künstler, dem Bildhauer Phidias, die Aufgabe übertrugen, diese in ihrem Ensemble für die damalige Zeit ganz außerordentliche Statuengruppe zu schaffen. Der Beschluß, diese Weihung nach Delphi zu stiften, dürfte maßgeblich von dem attischen Politiker Kimon, dem Sohn des Miltiades, beeinflußt worden sein. Ihm war es in den 70er und 60er Jahren gelungen, die Herrschaft Athens über die gesamte Ägäis und die kleinasiatische Küste auszudehnen und den persischen Einfluß in dieser Region weitgehend zurückzudrängen. Nun suchte Kimon, auf dem Höhepunkt seiner Macht, die Ehre seines Vaters Miltiades wiederherzustellen und zugleich den eigenen militärischen Erfolgen dadurch zusätzlichen Glanz zu verleihen, daß er das Gedenken an die Verdienste seines Vaters einforderte. Damals wurden die Erfolge bei Marathon zum legitimatorischen Aushängeschild kimonischer und eben auch athenischer Machtpolitik. Und diese ideologische Überhöhung macht es heute nicht ganz einfach, die Geschichte des „Siegers von Marathon“ nachzuzeichnen, zumal uns die historischen Quellen insgesamt nur ein sehr fragmentarisches Le- | [S. 302] bensbild hinterlassen haben. Das meiste wußte noch Herodot zu berichten, der bald nach Kimons Tod (450 v. Chr.) seine Geschichte der griechisch- persischen Auseinandersetzungen zu schreiben begann; aber auch schon bei ihm macht sich eine deutliche Tendenz bemerkbar, die Rolle des Miltiades in diesen Auseinandersetzungen zu verherrlichen. Spätere Autoren wie der römische Biograph Cornelius Nepos im ersten Jahrhundert v. Chr. oder der Reiseschriftsteller Pausanias und der Rhetor Aelius Aristides, die beide erst im zweiten Jahrhundert n. Chr. schrieben, sind vielfach von Herodot abhängig. Es finden sich in dieser späten Überlieferung aber auch von Herodot unabhängige Informationen, die wohl auf den Historiographen Ephoros aus dem
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: K. Brodersen (Hg.), Große Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra, München 1999, 301–310.
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vierten Jahrhundert v. Chr. zurückzuführen sind; allerdings sind diese in noch weitaus stärkerem Maße von den genannten tendenziellen Verzerrungen geprägt. Die Geschichte des Miltiades ist daher nur in einigen Versatzstücken und nur sehr schemenhaft zu greifen. Die biographischen Konturen sind aber doch zumindest soweit ausgeprägt, daß sie Aufschluß gewähren über das bewegte Leben eines Mannes, dessen Schicksal in besonderer Weise mit dem tiefgreifenden politischen Wandel der griechischen Staatenwelt an der Wende vom sechsten zum fünften Jahrhundert v. Chr. verbunden war. Nicht von ungefähr befand sich unter den Statuen, die den Miltiades auf der Weihung in Delphi umgaben, auch ein Bronzebild des Heroen Philaios, Sohn des troianischen Helden Aias. Philaios war der mythische Ahnherr des athenischen Adelsgeschlechtes der Philaïden, in das Miltiades Mitte des sechsten Jahrhunderts (um 550 v. Chr.) hineingeboren wurde. Sein Vater Kimon, dessen Namen Miltiades traditionsgemäß später auch wieder seinem eigenen Sohn geben sollte, war in jener Zeit tief in die politischen Auseinandersetzungen in Athen verwickelt. Auch nach den Reformen Solons war Athen nicht zur Ruhe gekommen. Die Rivalitäten zwischen den einzelnen Adelshäusern dauerten fort, und die rasch wechselnden Koalitionen der einen gegen die anderen im Kampf um Ehre, Macht und Einfluß zerrissen den athenischen Bürgerverband immer wieder aufs neue. Erst als es Peisistratos um 546 v. Chr. – nach dreimaligem Anlauf – endlich gelungen war, sich in Athen als Tyrann fest zu etablieren, stabilisierte sich die innenpolitische Lage einigermaßen. Wie zahlreiche andere Adlige verließ damals auch Miltiades’ Vater Kimon Athen und begab sich ins Exil. Über den Aufenthaltsort schweigen die Quellen. Griechische Adlige verfügten aber in der Regel über ein weitgespanntes Netz von Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen, so daß es auch Kimon nicht schwer gefallen sein dürfte, eine Zufluchtsstätte zu finden, die es ihm erlaubte, auch außerhalb Athens ein standesgemäßes Leben zu führen. Jedenfalls konnte sich Kimon auch als Exulant das kostspielige Vergnügen eines Viergespanns leisten, mit dem er an drei aufeinander folgenden Olympischen Spielen den Sieg | [S. 303] im Wagenrennen errang. So prägten Reichtum und adliges Standesdenken, aber auch die Erfahrung des Exils und des politischen Kampfes Kindheit und frühe Jugend des Miltiades. Die Verbindungen zur Heimat wurden nie ganz abgebrochen. Wie die meisten seiner Standesgenossen im Exil setzte auch Miltiades’ Vater Kimon alles daran, wieder nach Athen zurückzukehren. Aber auch Peisistratos mußte erkennen, daß er seine Tyrannis auf Dauer nicht aufrechterhalten konnte, ohne sich in irgendeiner Weise zumindest mit einigen der immer noch einflußreichen Adelshäuser zu verständigen. So kam es zu einer Wiederannäherung zwischen Peisistratos und Kimon, der schließlich mit einem geschickten Schachzug die Voraussetzung für seine Rückkehr nach Athen schuf. Als Kimon nämlich – wohl im Jahre 532 oder 528 v. Chr. – in Olympia seinen zweiten Viergespannsieg in Folge errang, ließ er Peisistratos an seiner Stelle als Gewinner ausrufen und überließ ihm den Sieg. Damit demonstrierte Kimon der gesamtgriechischen Öffentlichkeit seine
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Bereitschaft zur Aussöhnung mit dem athenischen Tyrannen. Dieser lohnte ihm den Prestigegewinn und erlaubte ihm die Heimkehr nach Athen. Für Kimon und seine Familie zahlte sich dieses politische Arrangement aus, zumal ein dritter Olympiasieg Ehre und Ansehen Kimons bei den Athenern wachsen ließ. Das Philaïdengeschlecht scheint in den letzten Jahren des Peisistratos und dann zunächst auch unter der Herrschaft seiner Söhne zunehmend an Einfluß gewonnen zu haben. Deutliches Zeichen hierfür ist die Übertragung des Archontats auf Miltiades im Jahre 524/23 v. Chr. Auch wenn dieses höchste athenische Amt kaum ohne das Einverständnis der Peisistratiden besetzt werden konnte, war diese Wahl doch zweifellos auch ein politischer Erfolg der Familie Kimons. Deren Machtstellung wurde dadurch noch weiter gestärkt, daß etwa zur gleichen Zeit der älteste Sohn Kimons und Bruder des Miltiades, Stesagoras, in der Obhut seines kinderlosen Onkels aufwuchs, um später dessen Erbe anzutreten. Dieser Onkel war Kimons Halbbruder mütterlicherseits; auch er trug den Namen Miltiades, und nach ihm hatte Kimon seinen zweiten Sohn benannt. Um beide voneinander unterscheiden zu können, wird er heute als Miltiades „der Ältere“ bezeichnet. Auf die Geschichte dieses Mannes ist an dieser Stelle kurz einzugehen, da sie auch für den weiteren Lebensweg des jüngeren Miltiades von entscheidender Bedeutung war. Miltiades der Ältere hatte schon einige Jahre vor Kimon – wohl in den frühen 50er Jahren des sechsten Jahrhunderts v. Chr. – der Heimat Athen den Rücken gekehrt. Als die Bewohner der thrakischen Chersones, der heutigen Halbinsel Gallipoli an der Nordwestküste der Dardanellen, ihn um Unterstützung gegen Übergriffe eines benachbarten Stammes gebeten hatten, war Miltiades diesem Hilfeersuchen gerne gefolgt. | [S. 304] In einem groß angelegten Kolonisationsunternehmen, das auch die Billigung des Peisistratos fand, hatte Miltiades athenische Bürger als Kolonisten auf der thrakischen Chersones angesiedelt. Zugleich hatten die thrakischen Dolonker ihn zu ihrem Fürsten gemacht, so daß Miltiades über einen eigenen Machtbereich verfügen konnte, der fast einem Drittel der Gesamtfläche Attikas entsprach. Da Miltiades der Ältere kinderlos war, hatte er Stesagoras, den ältesten Sohn seines Halbbruders, bei sich aufgenommen und ihn zu seinem Nachfolger bestimmt. Eine Übernahme dieser Herrschaft durch Stesagoras lag durchaus auch im Interesse der Peisistratiden, denen am athenischen Einfluß in der Nordostägäis sehr gelegen war. Hatte doch nicht nur das Kolonisationsunternehmen Miltiades’ des Älteren, sondern auch Peisistratos’ Einnahme von Sigeion am Südufer der Einfahrt in die Dardanellen diesem Ziel gedient. Der Getreideimport aus dem Schwarzmeergebiet gewann für Athen angesichts eigener knapper Ressourcen zunehmend an Bedeutung, so daß die Sicherung der Zufahrt zum Schwarzen Meer immer mehr zu einer Lebensfrage für Athen wurde. Sowohl Miltiades der Ältere wie dann auch Stesagoras konnten ihre Machtstellung auf der Chersones also durchaus im Einvernehmen mit den Peisistratiden wahren.
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Das Zweckbündnis mit den Philaïden mußte aber da an seine Grenzen stoßen, wo sich die Peisistratiden in ihrer Vorherrschaft bedroht glaubten. Eine solche Gefahr schienen nun die politischen Erfolge der Söhne Kimons heraufzubeschwören; denn kaum anders ist der Mordanschlag zu erklären, dem Kimon bald nach 524 v. Chr. zum Opfer fiel. Gedungene Mörder hatten ihm des Nachts in der Nähe des Ratsgebäudes aufgelauert. Die Hintergründe des Mordes blieben im dunkeln; als eigentliche Drahtzieher wurden aber die Peisistratiden ausgemacht, die auf diese Weise das führende Haupt einer Familie aus dem Wege räumen wollten, in deren Machtzuwachs die Tyrannen offenbar eine Gefährdung ihrer eigenen Stellung gesehen hatten. Der jüngere Miltiades war durch die Ermordung Kimons in eine prekäre Lage geraten. Sich auch weiterhin mit den Peisistratiden politisch zu arrangieren, erschien ausgeschlossen. Die Bluttat am Vater forderte vom Sohn Rache und Genugtuung. In dieser Situation überschattete ein zweiter Mord das Schicksal des Philaïdenhauses. Nur kurze Zeit nachdem Stesagoras die Herrschaft auf der thrakischen Chersones von seinem Onkel übernommen hatte, war er von einem Bewohner der Stadt Lampsakos, mit der schon Miltiades der Ältere im Kriege gelegen hatte, mit einem Beil erschlagen worden. Der thrakische Machtbereich der Philaïden war verwaist und damit drohte dem athenischen Einfluß an den Dardanellen eine empfindliche Schwächung. Wollten die Peisistratiden dem entgegenwirken, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich erneut mit den Philaïden zu arrangie- | [S. 305] ren. Zu fest war die Macht dieses Adelsgeschlechtes auf der Chersones verankert, als daß für die Peisistratiden überhaupt daran zu denken gewesen wäre, dort selbst in die Herrschaft einzutreten. Daher unterstützten sie das verständliche Bestreben des Miltiades, die Nachfolge seines Bruders auf der Chersones zu übernehmen, und stellten ihm für die Überfahrt ein Kriegsschiff zur Verfügung. Dies geschah wohl ungefähr im Jahre 520 v. Chr. oder bald danach. Auf der Chersones angelangt, ließ Miltiades keinen Zweifel aufkommen, daß er seine Herrschaft auf Tyrannenart zu gestalten beabsichtigte. Er war entschlossen, jeden mög lichen Widerstand im Keime zu ersticken, und er war zu keinerlei Zugeständnissen gegenüber den chersonitischen Städten bereit. Unmittelbar nach seiner Ankunft ließ er mit brutaler Gewalt alle führenden Männer gefangensetzen, als diese sich in seinem Hause eingefunden hatten, um ihm ihre Beileidsbekundungen zum Tode seines Bruders zu übermitteln, und zum persönlichen Schutz legte er sich eine Leibwache von 500 Mann zu. Er bediente sich also all der Herrschaftsmittel, die er selbst durch eigene bittere Erfahrungen unter den Peisistratiden kennengelernt hatte und die auch von vielen anderen griechischen Tyrannen als probate Machtinstrumente genutzt wurden. Wie seine Vorgänger übernahm Miltiades auch die Führung der Dolonker; er stärkte sogar seine Beziehungen zu den Thrakern, indem er eine Tochter des Fürsten Oloros heiratete. Diese thrakische Prinzessin – Hegesipyle mit Namen – wurde die Mutter seines Sohnes Kimon, während er von einer anderen Frau schon einen Sohn Metiochos und eine Tochter Elpinike hatte.
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In den ersten Jahren konnte Miltiades seine Herrschaft allem Anschein nach unangefochten behaupten. Die Dinge änderten sich, als in der Zeit um 513 v. Chr. der Perserkönig Dareios in einem groß angelegten Kriegszug seinen Machtbereich über den Bosporus hinaus nach Thrakien und in den Donauraum hinein auszudehnen versuchte, um die skythischen Stämme zu bezwingen, die eine ständige Bedrohung an der Nordgrenze des persischen Reiches bildeten. Damit geriet auch die Chersones in die unmittelbare Interessensphäre der Perser. Miltiades blieb kein anderer Ausweg, als sich der persischen Übermacht zu beugen und der Forderung zur Heeresfolge nachzukommen. Gemeinsam mit zahlreichen griechischen Tyrannen kleinasiatischer und hellespontischer Küstenstädte fuhr er mit einer Flotte an der westlichen Schwarzmeerküste entlang und von dort die Donau aufwärts, um an einem vereinbarten Punkt für das persische Heer eine Schiffsbrücke zu errichten. Als nun die Perser übergesetzt und tief in die skythischen Gebiete vorgestoßen waren, soll Miltiades auf Anraten der Skythen die griechischen Tyrannen, die als Wache an der Brücke zurückgeblieben waren, zur Zerstörung dieser Brücke aufgefordert haben, um dem persischen Heer den Rückzug zu verlegen. Es sei eine günstige Gelegenheit, | [S. 306] das Joch der Perser abzuschütteln und die kleinasiatischen Griechen zu befreien. Die Echtheit dieser schon bei Herodot überlieferten Erzählung ist zu Recht in Zweifel gezogen und als Legendenbildung verworfen worden. Miltiades mußte wissen, daß die griechischen Tyrannen in Kleinasien ihre Machtstellung nur mit persischer Rückendeckung aufrechterhalten konnten und deshalb unabdingbar auf den Großkönig angewiesen waren. Das Skythenunternehmen scheiterte kläglich, und nur mit Mühe erreichten die Perser wieder kleinasiatischen Boden. Als kleiner Teilerfolg gelangten aber zumindest Thrakien und Makedonien in den persischen Einflußbereich. Fest integrierte Verwaltungseinheiten des Perserreiches wurden diese Regionen allerdings nicht. Dies wiederum erlaubte es dem Miltiades, in den folgenden Jahren seine vergleichsweise unabhängige Position zu verteidigen. Nur einmal mußte er skythischen Angriffen weichen und die Chersones für einige Zeit verlassen, bis die Dolonker ihren Oberherrn wieder zurückführten. Wie eigenständig Miltiades agieren konnte, zeigte sich im letzten Jahrzehnt des sechsten Jahrhunderts v. Chr. Damals eroberte er die Inseln Lemnos und Imbros, die zuvor für kurze Zeit in persischer Hand gewesen waren, dann aber wieder ihre Unabhängigkeit erlangt hatten. Miltiades vertrieb die gesamte nichtgriechische Bevölkerung und übergab die strategisch überaus günstig an der Einfahrt in die Dardanellen gelegenen Inseln seiner Heimatstadt Athen zur Besiedlung. Offenbar reagierte er mit diesem Unternehmen auf die veränderte Lage in Athen, dessen politische Entwicklung er mit Aufmerksamkeit verfolgt haben wird. Auch nach dem Sturz der Peisistratiden war ihm am Wohlwollen der Athener gelegen; und für diese war der Erwerb der beiden Inseln ein willkommener Ausgleich für den Verlust von Sigeion, das damals dem vertriebenen Tyrannen Hippias als Zufluchtstätte diente.
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Die Übergabe von Lemnos und Imbros an die Athener sollte sich für Miltiades bald schon als günstige Morgengabe auszahlen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre des fünften Jahrhunderts v. Chr. wurde er zweifellos in die Wirren des Aufstandes der kleinasiatischen Griechen gegen die Perser hineingezogen, ohne daß sich heute noch etwas Genaueres über seine Beteiligung sagen ließe. Jedenfalls richteten sich die persischen Strafaktionen nach dem Zusammenbruch des Aufstandes auch gegen den Herrschaftsbereich des Philaïden. Nur mit knapper Not konnte sich Miltiades mit seiner Familie dem Zugriff der Perser entziehen und auf vier mit Reichtümern voll beladenen Schiffen nach Athen fliehen, während ein fünftes Schiff den Persern in die Hände fiel. Dieses Schiff stand unter dem Kommando seines Sohnes Metiochos, der wie manch anderer griechischer Adliger von Dareios in Gnade aufgenommen und mit Besitztümern ausgestattet in persische Dienste übernommen wurde. Als Miltiades 493 v. Chr. – nach mehr als 25 Jahren – wieder in Athen | [S. 307] eintraf, fand er eine ihm fremde Welt vor. Noch hatten weitgehend Mitglieder der alten Adelshäuser das Sagen; aber die Reformen des Kleisthenes hatten die Rahmenbedingungen für das politische Handeln der fürstlichen Herren grundlegend verändert. Wo die Tyrannis endgültig verschwunden war und unter dem Schlagwort der isonomia („politische Gleichberechtigung“) sowohl der Volksversammlung als auch dem neu konstituierten Rat der 500 entscheidende Befugnisse zugewachsen waren, konnte der heimgekehrte Thrakerfürst und Tyrann Miltiades zunächst nur mühsam seinen gesellschaftlichen und politischen Standort finden. Miltiades war aber sicherlich auch nicht ohne Rückhalt in Athen. Hatte er doch durch die Übergabe von Lemnos und Imbros seine Loyalität der Stadt gegenüber unter Beweis gestellt; darüber hinaus dürfte er jenen Athenern, denen die neuen politischen Entwicklungen zu weit gingen, als Gewährsmann einer konservativen Richtung erschienen sein. Manche Politiker hatten also durchaus Veranlassung, in Miltiades einen neuen Konkurrenten im Kampf um Macht und Einfluß zu sehen, und versuchten daher – allerdings vergeblich –, ihn wegen seiner Tyrannis auf der Chersones anzuklagen und durch einen Gerichtsprozeß von der politischen Bühne zu verdrängen. Ob damals auch der amtierende Archon Themistokles zu seinen Gegnern zählte, muß dahingestellt bleiben. Der in den späteren Quellen behauptete Dissens zwischen beiden Politikern in der Frage der Flottenpolitik ist jedenfalls mehr als fraglich, da auch dem Miltiades auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen in der Nordostägäis die Bedeutung maritimer Stärke bewußt sein mußte und er sich selbst schon recht bald an die Spitze einer großen Flottenmacht setzen sollte. Das alles beherrschende Thema im damaligen Athen war die Persergefahr. Man konnte sicher annehmen, daß die Perser Vergeltung üben würden für die Unterstützung, die Athen und das euböische Eretria den aufständischen Griechenstädten Kleinasiens 498 v. Chr. gewährt hatten. Erste Anzeichen der drohenden Gefahr waren schon 492 v. Chr. zu erkennen, als es dem persischen Feldherrn Mardonios gelungen war, die verlorenen Machtpositionen im Norden Griechenlands bis an die Grenzen Thessaliens wiederzugewinnen. Als
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dann im Frühjahr 490 die Perser mit großem Aufwand zum Feldzug gegen Griechenland rüsteten, blieben diese Vorbereitungen auch den Athenern gewiß nicht verborgen. Unter der Leitung von Datis und Artaphernes bewegten sich die Perser mit einer riesigen Flotte, auf der mehr als 20 000 Soldaten und Hunderte von Reitern mit ihren Pferden transportiert wurden, durch die Kykladen hindurch auf das festländische Griechenland zu. In Erwartung des Kommenden wählten die Athener Miltiades in das zehnköpfige Strategenkollegium, das gemeinsam mit dem Polemarchen Kallimachos für das militärische Aufgebot verantwortlich war. Man | [S. 308] setzte auf Miltiades’ langjährige Erfahrungen im Umgang mit den Persern; und diese Rechnung sollte aufgehen. Obgleich das Oberkommando von Amts wegen dem Polemarchen zustand, wurde Miltiades zum entscheidenden Akteur. Als nach der Zerstörung der Stadt Eretria auf der Insel Euböa, die Attika im Osten unmittelbar gegenüberlag, die persische Armada im Spätsommer 490 v. Chr. an der Küste von Marathon landete, war es Miltiades, der als Wortführer in der Volksversammlung den Entschluß durchsetzte, noch am gleichen Tag mit dem gesamten Heeresaufgebot auszurücken und sich den Persern bei Marathon entgegenzustellen. Gleichzeitig entsandte man einen Eilboten nach Sparta mit der Nachricht von der Landung der Perser und der dringenden Bitte um rasche Hilfe. Während die Perser auf der nordöstlichen Seite der weit ausladenden Bucht von Marathon ihr Lager aufgeschlagen hatten, bezogen die Athener im Süden ihre Stellung, wo die Ausläufer des Pentelikongebirges nahe ans Meer heranrückten und nur noch einen recht schmalen Durchgang für den Weg nach Athen freiließen. Hier bot sich eine günstige Gelegenheit, den Persern den Weg zu verstellen. Mehrere Tage lagen sich die Heere gegenüber, ohne daß eine Seite den Angriff vorzutragen wagte. Wieder soll es Miltiades gewesen sein, der seine wankelmütigen Mitstrategen, die eine offene Feldschlacht fürchteten, zum Ausharren bewegen konnte. Für die Perser verstrich wertvolle Zeit, da sie täglich mit der Ankunft der spartanischen Entsatztruppen rechnen mußten. Daher entschlossen sie sich endlich doch, den Kampf aufzunehmen und gegen die Athener vorzurücken. Trotz großer zahlenmäßiger Überlegenheit hielten die Perser aber dem Gegenangriff der athenischen, durch ein Heereskontingent aus Plataiai verstärkten Schlachtreihe nicht stand und wurden unter starken Verlusten zu ihren Schiffen zurückgedrängt. Die Perser konnten allerdings ihre Flotte weitgehend retten und das Gros ihrer Soldaten auf den Schiffen in Sicherheit bringen. Der Versuch, nach Umfahrung Attikas die Stadt Athen von Westen her unmittelbar anzugreifen, wurde schon bald aufgegeben, zumal die athenischen Truppen in Eilmärschen von Marathon zurückgeeilt und bei der Stadt erneut in Stellung gegangen waren. Sein entschiedener und erfolgreicher Einsatz im Kampf gegen die Perser hatte Ruhm und Ansehen des Miltiades noch weiter gesteigert und ihn zum tonangebenden Politiker werden lassen. Sein Rat war nun gefragt; und Miltiades nutzte diese Stimmungslage, um im Frühjahr 489 v. Chr. die Athener mit dem Versprechen auf reiche Beute für einen
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Kriegszug gegen die Insel Paros zu gewinnen. Nach allem, was wir wissen, hatte er noch eine alte Rechnung mit den Pariern zu begleichen, da ihn vor Jahren Lysagoras aus Paros bei den Persern in Mißkredit gebracht hatte. Das Vorgehen gegen Paros lag aber auch im allgemeinen | [S. 309] Interesse Athens, da die persische Präsenz auf den Kykladen unmittelbar vor der eigenen Tür eine dauernde Bedrohung darstellen mußte. Vielleicht hofften die Athener auch, den Ende der 90er Jahre verlorenen Einfluß in der Nordostägäis wiederzugewinnen. So willigte man in die Pläne des Miltiades ein und stellte ihm Geld, Soldaten und die größte Flotte zur Verfügung, die Athen bis dahin hatte in See stechen lassen: Mit 70 Schiffen war das Kontingent mehr als dreimal so groß wie dasjenige, das 498 v. Chr. zur Unterstützung des Aufstandes der kleinasiatischen Griechen ausgesandt worden war. Die hochgesteckten Erwartungen der Athener wurden aber bitter enttäuscht. Möglicherweise konnte Miltiades zwar einige kleinere Kykladeninseln für Athen gewinnen; die Belagerung von Paros aber mußte er nach 26 Tagen ergebnislos abbrechen. Am Oberschenkel schwer verwundet, kehrte er unverrichteterdinge nach Athen zurück. Das Charisma des „Siegers von Marathon“ hatte schweren Schaden genommen. Die Hochstimmung der Athener über die persische Niederlage war rasch verflogen. Betrug am Volk wurde dem vor Paros gescheiterten Strategen vorgeworfen. Seine politischen Gegner nutzten die Gunst der Stunde, strengten einen Hochverratsprozeß an und forderten die Todesstrafe. Wortführer der Ankläger war Xanthippos, dessen Sohn Perikles später zu den schärfsten Gegnern des Kimon, Sohn des Miltiades, gehörte. Seine Verletzung hinderte Miltiades daran, sich persönlich zu rechtfertigen. Freunde hatten für ihn die Verteidigung übernommen, während er selber machtlos auf einer Tragbahre dem Gerichtsverfahren beiwohnte. Für seine Widersacher muß es ein Triumph gewesen sein, den ehemaligen Herrscher über die Chersones und siegreichen Vorkämpfer von Marathon dieser Situation ausgesetzt zu sehen. Der eindringliche Hinweis seiner Fürsprecher auf die großen Verdienste, die sich Miltiades durch die Eroberung von Lemnos und Imbros und bei der Schlacht von Marathon erworben hatte, bewahrten ihn vor dem Schlimmsten. Die Athener verzichteten auf ein Todesurteil, belegten ihn aber mit der ungeheuer großen Strafsumme von 50 Talenten (das sind 300 000 Drachmen; der durchschnittliche Tageslohn eines einfachen Bürgers betrug damals nicht mehr als 1 Drachme). Miltiades erlag kurze Zeit später seiner schweren Verwundung. Und so war es an Kimon, die Ehre seines Vaters wiederherzustellen. Die hohe Geldbuße konnte Kimon rasch aus den überreichen Besitztümern der Familie erbringen. Mehr als zwei Jahrzehnte aber sollte es noch dauern, bis es Kimon auf dem Höhepunkt seiner eigenen politischen Karriere gelang, auch die Verdienste seines Vaters wieder ins rechte Licht zu rücken: Am Athener Marktplatz wurde die Stoa Poikile („Ausgemalte Halle“) mit einem Gemälde der Schlacht von Marathon ausgestaltet, auf dem Miltiades in besonderer Weise hervorgehoben war. Und | [S. 310] ungefähr zur gleichen Zeit schuf Phidias die Statuengruppe, die am Eingang zum Apollon-Heiligtum in Delphi den Philaïden Miltiades als Sieger von Marathon feierte.
Konons Rückkehr nach Athen im Spiegel epigraphischer Zeugnisse
In den Jahren nach 398/7 v. Chr. kam es zu einer Eskalation des seit 400 v. Chr. andauern den persisch-spartanischen Konfliktes im kleinasiatisch-ägäischen Raum, nachdem alle Bemühungen um einen Friedensschluß endgültig gescheitert waren und Persien sich entschlossen hatte, die verstärkte militärische Konfrontation einem Ausgleich mit Sparta vorzuziehen.1 Der Großkönig suchte nun die Entscheidung durch den Seekrieg zu erzwingen. Auf Betreiben des zyprischen Stadtkönigs Euagoras von Salamis und des Atheners Konon, der 405 v. Chr. nach der Niederlage bei Aigospotamoi aus Furcht vor einer möglichen Verurteilung in seiner Heimatstadt mit acht Trieren nach Zypern geflohen war und bei Euagoras Aufnahme gefunden hatte, wurde in den phoinikischen Häfen und auf Zypern ein großes Flottenrüstungsprogramm ins Werk gesetzt und die Leitung der Seeoperationen Konon und Pharnabazos übertragen. Die Vorgänge blieben nicht ohne Auswirkungen auf das griechische Mutterland. Hier hatte außer in Athen auch in den ehemals mit Sparta verbündeten Poleis – etwa in Theben und Korinth – schon unmittelbar nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges eine breite antispartanische Grundstimmung Platz gegriffen, nachdem die von Sparta in den Jahren nach 405 v. Chr. verfolgte Politik sehr bald hatte deutlich werden lassen, daß das spartanische Hegemonialstreben der erhofften und von Sparta stets propagierten Selbständigkeit der Einzelstaaten sehr enge Grenzen setzte. In völlig realistischer Einschätzung der gegebenen Machtverhältnisse sah man sich allerdings außerstande, offen gegen Sparta aufzubegehren. Erst die Entwicklung auf dem kleinasiatischen Kriegsschauplatz seit 398/7 v. Chr. ließ auf eine Schwächung der spartanischen Machtstellung und damit auf günstigere Voraussetzungen für einen aktiven, antispartanischen Widerstand hoffen. So regten sich vor allem in Athen bereits 397 v. Chr. Kräfte, die in einem engen Zusammengehen mit Persien eine willkommene Möglichkeit erblickten, der politischen Bevormundung durch Sparta ein Ende zu setzen und dem niemals aufgegebenen Wunsch nach einer Wiederherstellung der attischen Vormachtstellung erneut Geltung zu verschaffen. Zweifellos setzte man bei diesen Überlegungen auf die wohlwollende Unterstützung durch Euagoras2 und den Kreis um Konon, | [S. 150] in dessen Händen die persische Seekriegführung lag und zu dem man von Anfang an enge Verbindungen aufrechterhielt.3 Die Pläne mußten um so erfolgversprechender erscheinen, als auch Persien – zumal nachdem Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: ZPE 53, 1983, 149–189. 1 Zu den im folgenden nur grob skizzierten Vorgängen vgl. im einzelnen die entsprechenden Ausführungen bei Hamilton 1979; Funke 1980a (mit weiterer Literatur). 2 Zwischen Euagoras von Salamis und Athen bestanden bereits seit ca. 410 v. Chr. sehr enge Verbindungen: IG I3 113; dazu auch Osborne 1981a, 31–33 D 3; Osborne 1982, 21–24; vgl. im übrigen auch Spyridakis 1935, 46–54; Costa 1974, 45–47. 3 Hell. Oxyrh. 7(2),1–2 [Bartoletti]; Isaios 11,8; FGrHist 324 Androtion F 18 = FGrHist 328 Philochoros F 147 ap. Harpokr., α 13; dazu Funke 1980a, 62–66; vgl. auch das Unternehmen des Demainetos: Hell. Oxyrh. 6(1),1–3 [Bartoletti].
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Agesilaos im Frühjahr 396 v. Chr. in Reaktion auf die forcierten persischen Kriegsanstrengungen mit einem großen Heeresaufgebot nach Kleinasien entsandt worden war – die Zusammenarbeit mit den antispartanisch gesinnten Poleis in Hellas anstrebte und deren Widerstandswillen nach Kräften zu stärken suchte, um ein Gegengewicht zur Vormachtstellung Spartas zu schaffen und durch die Errichtung einer „zweiten Front“ spartanische Kräfte im Mutterland zu binden und womöglich Agesilaos zum Abzug zu zwingen.4 Die in Athen zunächst nur zögernd verfolgte Politik einer mit persischer Rückendeckung vollzogenen Abkehr von Sparta zeitigte dann 395 v. Chr. erste große Erfolge: Der Sieg über die Truppen des Lysander und Pausanias vor Haliartos und der Ausbau der boiotischattischen Symmachie zu einer umfassenden antispartanischen Allianz schien die Richtigkeit des in der attischen Bürgerschaft nun einmütig vertretenen außenpolitischen Kurses zu erweisen. Aber schon die Ereignisse des Kriegsjahres 394 v. Chr. brachten Ernüchterung. Im Frühsommer hatten die lakedaimonischen Truppen am Nemeabach gesiegt und im August desselben Jahres, nur wenige Tage nach dem glänzenden Seesieg des Pharnabazos und des Konon bei Knidos, konnte Agesilaos auf seinem Rückmarsch nach Sparta der „Korinthischen Allianz“ bei Koroneia eine zweite empfindliche Niederlage zufügen. Fortan erschöpften sich die kriegerischen Auseinandersetzungen in Griechenland in einem zermürbenden Stellungskrieg auf dem Isthmos. In Athen mußte man erkennen, daß sich die „Korinthische Allianz“ als zu schwach erwiesen hatte, um dem spartanischen Druck erfolgreich begegnen zu können. Das Ziel einer Restauration der alten Machtstellung war wieder in weite Ferne gerückt, zumal sich auch die an die Niederlage der spartanischen Flotte bei Knidos geknüpften Erwartungen auf eine erneute Stärkung des attischen Einflusses in der Ägäis und in Kleinasien vorerst nicht erfüllt hatten. Der Seesieg bei | [S. 151] Knidos, der in der späteren historiographischen Tradition und in der Rhetorik des vierten Jahrhunderts v. Chr. aus einer verklärenden Rückschau heraus als der Wiederaufstieg Athens zur Großmacht gefeiert wurde,5 war zunächst einmal ein persischer Erfolg, an welchem zu partizipieren den Athenern – zumindest bis 393 v. Chr. – nicht vergönnt war.6 Um so größer waren daher die Hoffnungen der Athener im Sommer 393 v. Chr., als Konon an der Spitze eines großen persischen Flottenkontingentes – mit Geld reichlich ausgestattet – in seine Heimatstadt Athen zurückkehrte, um von dort aus den Kampf 4 Vor diesem Hintergrund ist sowohl die Entsendung des Rhodiers Timokrates nach Griechenland (Xen. hell. 3,5,1–2; Hell. Oxyrh. 7(2),2; 18(13),1 [Bartoletti]; Paus. 3,9,8; Plut. Artox. 20,3) als auch der Aufenthalt des Rhodiers Dorieus auf der Peloponnes und dessen Hinrichtung durch die Spartaner (FGrHist 324 Androtion F 46 ap. Paus. 6,7,6) zu sehen; dazu Funke 1980b, 61–62. 5 Vgl. Perlman 1961, 157, Anm. 31; Nouhaud 1982, 333–338. 359. 6 So bereits Busolt 1873–1875, 669–671; vgl. im übrigen Seager 1967, 101–104; Hamilton 1979, 228–232; Funke 1980a, 118–135.
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gegen Sparta fortzuführen. Auch wenn sich die historiographischen Berichte über die Rückkehr Konons bei Xenophon und (Ephoros-)Diodor auf eine eher nüchterne Aufzählung seiner Taten in den Jahren 393/2 v. Chr. beschränken,7 so lassen doch die verstreuten Notizen bei den attischen Rednern und späteren Autoren über die überaus reichen Schenkungen und Weihungen Konons und die außerordentlichen Ehrungen, die die Athener Konon zukommen ließen, durchaus den Schluß zu, daß sich seine Ankunft kaum weniger triumphal gestaltet haben dürfte als diejenige des Alkibiades im Jahre 407 v. Chr.8 Zum Dank für den Seesieg bei Knidos brachte Konon eine – ihrem Namen gerecht werdende (οὐ ψευδωνύμως)9 – Hekatombe dar, welche die Bewirtung aller Athener mit einschloß; der Athena weihte er einen Goldkranz10 und der Aphrodite Euploia einen Tempel im Peiraieus.11 Die attische Bürgerschaft verlieh ihm die Atelie und errichtete ihm als erstem nach den Tyrannenmördern eine Bildnisstatue auf der Agora in der Nähe der Stoa Basileios beim Standbild des Zeus Eleutherios.12 | [S. 152] Diese für das damalige Athen ganz außergewöhnliche Ehrung wurde zugleich dem Euagoras von Salamis zuteil, dessen Statue am gleichen Ort – derjenigen des Konon unmittelbar zugeordnet – Aufstellung fand.13 Die überschwänglichen Ehrbezeugungen sind ein deutliches Indiz dafür, daß die Athener alles daran setzten, diese beiden Persönlichkeiten ganz für die nun wieder aussichtsreicher erscheinende Sache Athens einzunehmen. Wohl aus demselben Grund hat man zur gleichen Zeit auch einige andere Männer, die dem engeren Kreis um Konon angehört haben und an der Seekriegführung entscheidend beteiligt gewesen sein dürften, mit Ehrungen bedacht. Dies wird jedenfalls durch einige attische Ehren- und Bürger rechtsdekrete – insbesondere IG II2 17, 19 u. 20 – nahegelegt, die sich unter Berück 7 Xen. hell. 4,8,8–10; Diod. 14,85,2–4. 8 Zum Datum Robertson 1980. 9 Athen. 1,3d. 10 Demosth. or. 22,72 = Demosth. or. 24,180; IG II2 1424a; 1425. Die bei Lys. 19,39 erwähnten 5000 Goldstatere (= 16 Tal. und 4000 Dr.), welche aus der Hinterlassenschaft Konons für Weihegeschenke („ἀναθήματα“) an Athena und den delphischen Apollon bestimmt waren, sind – entgegen Davies 1971, 508–509 – nicht mit dieser Kranzweihung in Verbindung zu bringen. 11 Paus. 1,1,3. 12 Atelie für Konon: Demosth. or. 20,68–72; Ehrenstatue auf der Agora: Isokr. or. 9,57; Demosth. or. 20,70; Paus. 1,3,2; Nep. 13,2,3. Auf der Akropolis befand sich eine zweite Statue des Konon, der später auf der gleichen Basis (IG II2 3774 = Syll.3 152 = Tod, GHI 128) eine Statue seines Sohnes Timotheos beigefügt wurde: Paus. 1,24,3; zum archäologischen und epigraphischen Befund der Umgestaltung der Statuengruppe vgl. Stevens 1946, 4–10. (Funke 1980a, 122, Anm. 55 ist entsprechend zu korrigieren.) Vgl. im übrigen Gauer 1968. Der Frage, ob die Statuen auf der Akropolis tatsächlich „ohne wesentliche Bedeutungsunterschiede“ (Hölscher 1975, 191) zu denjenigen auf der Agora errichtet worden waren, soll in einer späteren Studie, die auch die Ehrenstatuen für Konon in Erythrai, Samos und Ephesos (Syll.3 126 = Tod, GHI 106 = I.Erythrai I 6; Paus. 6,3,16) mit einbezieht, nachgegangen werden. 13 Isokr. or. 9,57; Paus. 1,3,2.
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sichtigung entsprechender, epigraphischer Neufunde, bzw. Neulesungen nun besser als zuvor miteinander verbinden und auf die Vorgänge in Athen im Jahre 393 v. Chr. beziehen lassen. Es wird im folgenden zunächst darum gehen, diese Beziehungen im einzelnen genauer darzulegen; sodann wird in einem zweiten Abschnitt die Zuweisung eines attischen Ehrendekretes für einen Rhodier (Woodhead 1948, Nr. 65) und die eines sogenannten „Schiffskataloges“ (IG II2 1951) in ebendiese Zeit auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft. Im abschließenden dritten Teil der Untersuchung sollen die bis dahin erzielten Ergebnisse für eine Lösung der epigraphischen und topographischen Probleme, die sich mit dem Bau des Aphroditeheiligtums im Peiraieus durch Konon verbinden, Anwendung finden. * Die Veröffentlichung zweier Fragmente für Euagoras von Salamis aus dem Jahre 393 v. Chr. durch David M. Lewis – Ronald S. Stroud hat unsere Kenntnisse über die bis dahin nur in einem sehr kleinen Bruchstück vorliegende Inschrift sowohl hinsichtlich ihres formalen Aufbaus als auch ihres historischen Gehaltes beträchtlich erweitert.14 Auf die Bedeutung der nun zumindest in Teilen zu rekonstruierenden Begründung der für Euagoras beschlossenen Ehren haben die Herausgeber zu Recht gewiesen: We have here our earliest evidence for the way in which the Athenians faced, or rather, avoided, the uncomfortable fact that the fleet with which Konon had broken Spartan power was a Persian fleet, built in Persian-controlled harbors and financed with Persian funds.15 Der Ehrenbeschluß nimmt Bezug auf die Verdienste des Euagoras um Hellas und nicht allein um Athen und kommt somit im Tenor dem entsprechenden Beschluß für Konon gleich, in dessen Begründung es nach einem von Demosthenes zitierten Auszug hieß: ἐπειδὴ Κόνων ἠλευ- | [S. 153] θέρωσε τοὺς Ἀθηναίων συμμάχους („Weil Konon die Bundesgenossen der Athener befreite“).16 Eine unmittelbare Bezugnahme auf eine – sei es auch nur im Ansatz vorhandene – Restauration der attischen Machtstellung scheint also wohl in beiden Dekreten gefehlt zu haben. Offensichtlich wurde auf diese Weise – wenn auch in verklausulierter Form – dem Umstand Rechnung getragen, daß sich die machtpolitischen Verschiebungen nach der spartanischen Niederlage bei Knidos zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in nennenswertem Umfang zugunsten Athens ausgewirkt hatten 14 Die neuen Fragmente zu IG II2 20 bei Lewis/Stroud 1979 = SEG XXIX 86. 15 Lewis/Stroud 1979, 191. 16 Demosth. or. 20,69; dazu Funke 1980a, 120, Anm. 51.
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und eine Wiederbelebung der attischen Arche ganz entscheidend vom weiteren Wohlverhalten Konons und seines Freundeskreises abhängig war. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch das auf dem Fragment a teilweise erhaltene Eingangsformular der Inschrift, welches in der von den Herausgebern in überzeugender Weise rekonstruierten Form große Ähnlichkeit mit dem Präskript des attischen Dekretes für Phil [.......] es von Rhodos aus dem Jahr des Archonten Euboulides (394/3 v. Chr.) aufweist: IG II2 19a, Z. 1–5:17 [Φιλ . . . .7. . . ο Ῥοδ]ίο. [ἔδοξεν τῆι βολῆι καὶ τῶι δήμωι· …ν]τὶς ἐπρυτάνε[υε . . . . . . . . . . . .23. . . . . . . . . . . ἐγρα]μμάτευε, Εὐβο[λίδης ἦρχε . . . . . . . . .17. . . . . . . . ἐπ]εστάτει· Σώφ[ι]λ[ος εἶπε· ἐπαινέσαι μὲν Φιλ . . . .7. . .]ην τὸρ Ῥόδι[ον] ὅSEG XXIX 86, Z. 1–5:
[Εὐαγόρα τõ Σαλαμ]ινίο̣ [Ἀριστοκλῆς . . . . . . . . . .19–20. . . . . . . . . .] σιος ἐγραμμάτευε [ἔδοξεν τῆι βολῆι καὶ τῶι δήμωι· . . .7. . . . ἐ]πρυτάνευε, Ἀριστοκλ[ῆς ἐγραμμάτευε, – - – - – - ἦρχε, – - – - – ἐ]πεστάτε, Σώφιλος εἶ[πε· ἐπειδὴ ἀνὴρ ἀγαθός ἐστιν περὶ τὸν δῆμο]ν τὸν Ἀθηναίων καὶ νSowohl der Name des Antragstellers, Sophilos, als auch das Spatium für den – nur in einer der beiden Inschriften z. T. erhaltenen – Namen der amtierenden Prytanie sind identisch. Bereits Lewis und Stroud haben auf diese auffälligen Übereinstimmungen hingewiesen.18 Sie zögerten allerdings, beide Inschriften direkt aufeinander zu beziehen. Eine zeitliche Gleichsetzung der Beschlüsse und eine entsprechende Ergänzung insbesondere der fehlenden Jahresangabe in der Euagorasinschrift durch das Archontat des Euboulides erschien vor allem deshalb zu ungewiß, weil das Datum der Ankunft Konons in Athen, | [S. 154] mit welcher die Ehrung für Euagoras in einen unmittelbaren Zusammenhang bringen ist,19 nicht hinreichend zu präzisieren sei.
17 Der hier wiedergegebene Text folgt der Lesung von Osborne 1981a, 42 D 7. 18 Lewis/Stroud 1979, 187–188. 19 Lewis/Stroud 1979, 187, die mit Hinweis auf die in Z. 7 vermutlich erwähnten Gesandten auch die Frage aufwerfen, ob Euagoras selbst mit Konon 393 v. Chr. nach Athen kam (so u. a. Tod, GHI, Bd. 2, 27 im Kommentar zu Nr. 109). Eine endgültige Antwort ist kaum möglich.
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In der Tat ist aufgrund der historiographischen Berichte über die Aktivitäten Konons in der Zeit nach dem Seesieg bei Knidos nicht eindeutig zu entscheiden, ob Konon noch im Archontatsjahr des Euboulides (394/3 v. Chr.) oder erst in dem des Demostratos (393/2 v. Chr.) in Athen eintraf. Sicher ist, daß der mit dem Frühjahrs beginn 393 v. Chr. eingeleitete und im vorangegangenen Winterhalbjahr durch umfangreiche Rüstungsmaßnahmen in Kleinasien gründlich vorbereitete Angriff auf das spartanische Kernland geraume Zeit in Anspruch genommen hat, so daß davon auszugehen ist, daß Konon und Pharnabazos kaum vor Mai/Juni 393 v. Chr. zu den Verhandlungen mit den Synhedroi der „Korinthischen Allianz“ am Isthmos eingetroffen sind und dementsprechend Konon ca. Juni (/Juli?) in Athen angelangt sein dürfte.20 Diese nur sehr ungefähre Zeitangabe läßt also die Frage völlig offen, ob Konon noch am Ende des attischen Amtsjahres 394/3 v. Chr. oder erst zu Beginn des neuen Amtsjahres 393/2 v. Chr. nach Athen zurückkehrte, zumal zu berücksichtigen ist, daß der Wechsel im Amt des Archonten aufgrund der großen Schwankungen im attischen Kalender in der Regel – und so auch für die fraglichen Jahre – nicht mit Sicherheit einem festen julianischen Datum zuzuordnen ist.21 Eine Lösung dieses chronologischen Problems ergibt sich aus einem meines Erachtens bisher zu Unrecht vernachlässigten epigraphischen Zeugnis. Auf zwei attischen Schatzurkunden aus den Jahren 369/8 und 368/7 v. Chr. ist u. a. ein zumindest in den ersten Abschnitten zeitlich angeordnetes Verzeichnis der Weihgeschenke an Athena, die im „Alten Tempel“, d. h. im Erechtheion, aufbewahrt wurden, erhalten, in welchem an erster Stelle ein von Konon geweihter Goldkranz genannt wird: IG II2 1424a (= II2 , 2 p. 801), Z. 346–352:22 Ἐν τῶι ἀρχαίωι νεώι· στ[έφ]ανος χρυσοῦς, ὃν Κόνων ἀνέθηκεν, ἄστατος· στέ[φ]ανος χρυσοῦς, ὃν οἱ ταμίαι ἀνέθεσαν οἱ ἐπ’ Εὐβολίδο ἄρχοντος, ἄστατος = στέφανος χρυσο[ῦς], 394/3 v. Chr. ὃν οἱ πρέσβεις ἀνέθεσαν οἱ μετὰ Δίωνος· vac. στέφανος χρυσοῦς ἄστατος, ὃν οἱ ταμίαι ἀνέθεσα[ν] οἱ ἐπὶ Δημοστράτου ἄρχοντος = στέφανος χρυσοῦ[ς] 393/2 v. Chr. (od. 390/89 v. Chr.?)
20 Vgl. die Zusammenstellung der Quellen und die entsprechenden Ausführungen bei Funke 1980a, 82–83. 21 Vgl. Bickerman 1980, 35–38 (mit der wichtigsten Literatur). 22 Siehe auch IG II2 1425, Z. 283–292.
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| [S. 155] Zweifellos handelt es sich hier um den goldenen Kranz, den Konon aus Anlaß seines Seesieges bei Knidos weihte und der später – Mitte der 50er Jahre des vierten Jahrhunderts v. Chr. – zusammen mit zahlreichen anderen Weihungen auf Veranlassung des Androtion eingeschmolzen wurde.23 Aus der Rede des Demosthenes gegen Androtion ist sogar die Dedikationsformel bekannt, die unterhalb des eisernen Reifens, auf dem der Kranz ruhte, eingeschrieben war: Κόνων ἀπὸ τῆς ναυμαχίας τῆς πρὸς Λακεδαιμονίους („Konon wegen der Seeschlacht gegen die Lakedaimonier“).24 Die Anordnung der Kranzweihungen in den Schatzurkunden legt nun den Schluß nahe, daß die Weihung Konons und folglich auch seine Ankunft in Athen noch in das Archontatsjahr des Euboulides gehören. Man mag hiergegen einwenden, daß die Weihung auch noch vor der Rückkehr Konons – bald nach dem Seesieg25 – erfolgt sein könnte. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, daß ein solches Verfahren der damals üblichen Gepflogenheit widersprochen hätte, dererlei Weihungen erst nach dem endgültigen Abschluß der militärischen Operationen und in der Regel jedenfalls persönlich vorzunehmen. In diesem Zusammenhang verdient eine Kranzweihung durch Timotheos, den Sohn Konons, besondere Aufmerksamkeit. In dem Schatzverzeichnis der Athena aus dem Jahre 374/3 v. Chr. ist unter dem Archonten desselben Jahres (Sokratides) die Weihung eines Goldkranzes durch Timotheos verzeichnet.26 Der Anlaß für diese Weihung war ohne jeden Zweifel der erfolgreiche Seekrieg des Timotheos in den Jahren 375/4 v. Chr. und insbesondere sein in Athen mit großer Begeisterung aufgenommener Sieg über die spartanische Flotte bei Alyzeia im Sommer (12. Skirophorion) 375 v. Chr.27 Die inschriftliche Datierung der Kranzweihung auf | [S. 156] das Jahr des Archonten Sokratides macht nun 23 Ferguson 1932, 120–122. 24 Demosth. or. 22,72 = Demosth. or. 24,180. 25 Daß die Seeschlacht bei Knidos bereits in die Zeit des Archonten Euboulides (394/3 v. Chr.) gehört, ergibt sich aus Lys. 19,28, dessen zeitgenössische Angabe derjenigen bei Diod. 14,83,5 (Archontat des Diophantes: 395/4 v. Chr.) zweifellos vorzuziehen ist; gegen Pritchett 1974, 120–121, Anm. 121, der mit Verweis auf die Jahresangabe Diodors und auf die starken zeitlichen Schwankungen im attischen Kalender die Schlacht noch in das Amtsjahr 395/4 v. Chr. datiert, um auf diese Weise seine These, daß der Entschluß der Athener zum Wiederaufbau der Befestigungsanlagen erst nach dem Bekanntwerden der Niederlage der spartanischen Flotte erfolgt sei, mit der Mauerbauinschrift IG II2 1656 in Übereinstimmung zu bringen; hierzu vgl. auch Anm. 125. 26 IG II2 1424, Z. 21–23 mit den sicheren Ergänzungen von J. Kirchner nach IG II2 1425, Z. 315– 318; siehe auch IG II2 1424a, Z. 367–368 (allerdings ist hier die Archontatsangabe entfallen). IG II2 1424 gehört mit IG II2 1421 in das Jahr 374/3 v. Chr.; dazu Ferguson 1932, 114, Anm. 1 und 118, Anm. 1. 27 Die einschlägigen literarischen Quellen sind zusammengestellt bei K. Klee, Timotheos (3), RE VI A, 2, 1937, 1325–1326; vgl. auch den Kommentar von J. Kirchner zu IG II2 1424, Z. 22. Diese Kranzweihung dürfte ebenso wie die damals erfolgte Errichtung der Statuen des Timotheos in unmittelbarer Zuordnung zu denjenigen seines Vaters Konon (Paus. 1,3,2; 6,3,16; Nep. 13,2,3; vgl. auch Anm. 12) ein Ausdruck für das Bemühen gewesen sein, sich demonstrativ in die politische Nachfolge Konons zu stellen; s. hierzu die bezeichnende Anekdote
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deutlich, daß die chronologische Einordnung den Zeitpunkt der Weihung und nicht den ihres Anlasses anzeigt und daß diese Weihung durch Timotheos erst nach dessen Rückkehr im Sommer (zweites Halbjahr) 374 v. Chr. erfolgte.28 Man wird also kaum in der Annahme gehen, daß auch Konon den Goldkranz erst nach seinem Eintreffen in Athen weihte. Da im übrigen davon auszugehen ist, daß die Weihung Konons für den Sieg bei Knidos von den entsprechenden Ehrungen durch den attischen Demos zeitlich nicht getrennt werden kann, sind alle diese Vorgänge wohl in den Sommer 393 v. Chr., und zwar an das Ende des Archontatsjahres des Euboulides, zu datieren. Durch die hier vorgetragenen Überlegungen ist ein entscheidendes Argument gewonnen, mit dem ein zeitlicher Ansatz auch des Ehrendekretes für Euagoras von Salamis noch in das Jahr 394/3 v. Chr. begründet werden kann.29 Somit sind die chronologischen Probleme beseitigt, die einer direkten Verbindung mit dem attischen Ehren- und Bürgerrechtsbeschluß für den Rhodier Phil[....7....]es30 entgegenstanden. Darüber hinaus lassen sich für einen engen, durch die oben angeführten formalen Übereinstimmungen in den Präskripten nahegelegten Zusammenhang zwischen beiden Inschriften auch historische Erwägungen ins Feld führen. Adolf Wilhelm hatte den Namen des Rhodiers zu Φιλ[οκρατίδ]ης („Philokratides“) ergänzt und eine Gleichsetzung mit dem Gesandten Timokrates von Rhodos erwogen, der im persischen Auftrag den antispartanischen Widerstand in Griechenland schüren bei Athen. 13,577b. Hier liegen auch die eigentlichen Ursachen und Anfänge für die maßlose Überschätzung der Leistungen Konons in der späteren Überlieferung; vgl. auch die in Anm. 5 und 6 genannte Literatur. 28 Es sei hier nur am Rande bemerkt, daß diesem Zeugnis in der Diskussion um die sehr umstrittene chronologische Abfolge der Ereignisse der Jahre 375/4 v. Chr. bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 29 Allerdings wird man im folgenden eine Datierung dieses Ehrendekretes in „the earlier year“ 394/3 v. Chr., d. h. noch vor Konons Rückkehr, – wie dies Lewis/Stroud 1979, 187 als eine Möglichkeit erwähnen – außer Betracht lassen dürfen. Die Indizien, die für eine solche Annahme sprechen könnten, bleiben zu schwach. Durch die in den Z. 29–34 offensichtlich erwähnte Ausrufung der Ehrung an den Dionysien, die jeweils im Frühjahr stattfanden, wird eine solche „Frühdatierung“ jedenfalls nicht zwingend nahegelegt. Eine so außerordentliche Ehrung konnte durchaus geraume Zeit vor der Durchführung des nächsten Tragödienagons beschlossen werden; vgl. etwa IG II2 654, Z. 41–42; 657, Z. 61–66 (= Syll.3 371; 374). Das in der sechsten Prytanie (ca. Januar/ Februar) 393 v. Chr. beschlossene Ehrendekret für Dionysios I. von Syrakus (IG II2 18 = Syll.3 128 = Tod, GHI 108), welches zweifellos das Ergebnis der Bemühungen war, den Σικελίας ἄρχων (Z. 7) für die attische Sache zu gewinnen, impliziert noch nicht unbedingt – trotz der engen Verbindungen zwischen Athen und der kononischen Flotte (s. S. 150 mit Anm. 3) – den Plan eines zyprisch-attisch-syrakusanischen Bündnisses, wie es dann später von Konon – letztlich erfolglos – betrieben wurde (Lys. 19,19–20; vgl. dazu Funke 1980a, 106. 130 mit der wichtigsten Literatur). Darüber hinaus wird noch zu zeigen sein, daß vor allem auch der enge Konnex zwischen IG II2 17; 19; 20 die Rückkehr Konons nach Athen voraussetzt. 30 IG II2 19 + Add. p. 659; weitere Textedition: Osborne 1981a, 42 D 7 mit neuer Zeilenzählung für das Fragment b.
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sollte.31 Diese Interpretation setzt allerdings voraus, daß der | [S. 157] in seiner Form für einen Rhodier untypische Name „in der Endung von dem Antragsteller oder dem Schreiber oder von seinem Träger selbst, um seine Hinneigung zu Athen zu bekunden, der attischen Mundart angepaßt worden ist.“32 Zusätzlich mußte Wilhelm von Schwankungen in der literarischen Überlieferung der Namensform des rhodischen Gesandten ausgehen und voraussetzen, daß „der Name jenes Sendlings in maßgebender Überlieferung durch irgendein Versehen oder einen Zufall entstellt … (und) auch in späterer abhängiger Überlieferung entstellt festgehalten“ worden ist.33 Die „maßgebliche Überlieferung“ weist nun allerdings – trotz weitreichender Divergenzen in manchen Punkten – einheitlich die Namensform „Timokrates“ auf; nur bei Plutarch findet sich statt dessen zweimal der Name „Hermokrates“ und in der Handschrift P bei der zweiten Erwähnung abweichend „Demokrates“.34 Wilhelm konnte seine Argumentation also nur auf Spekulationen aufbauen, die tiefe Eingriffe in das verfügbare Quellenmaterial erforderlich machen und schon von daher wenig Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen können. Vorbehalte sind aber auch gegen die von Wilhelm als mögliche Alternative vorgeschlagene Interpretation angebracht, wenn er schreibt: „Doch mag der Beschluß IG II2 19 zu Ehren des Φιλοκρατίδης sehr wohl einem Landsmanne und Genossen des Rhodiers (Timokrates, der Verf.) gelten, der damals mit dem persischen Golde nach Hellas ging, oder irgendeinem anderen Rhodier, der sich in jener bewegten Zeit um Athen und die Demokratie Verdienste erworben hatte, z. B. bei der Vernichtung der Διαγόρειοι und der durch das Erscheinen der Flotte Konons entschiedenen Wiederherstellung der Demokratie in Rhodos im Jahre 395 v. Chr.“35 Die Einführung eines weiteren rhodischen Gesandten, der den griechischen Poleis persisches Gold zur Unterstützung im Kampf gegen Sparta überbrachte, bleibt rein spekulativ und entbehrt jeden Rückhaltes in den Quellen. Eine Beziehung zu den Vorgängen in Rhodos 396/5 v. Chr. hatte auch schon Ulrich Köhler im Kommentar zur Inschrift hergestellt und – allerdings ohne Erwähnung der entsprechenden Passagen in den Hellenika Oxyrhynchia36 – auf den Bericht über den rhodischen Abfall von Sparta bei Diod. 14,79,6–8 hingewiesen: „Rhodios primos inter insulanos etiam ante pugnam ad Cnidum factam iam a. 396/5 partes Lacedaimoniorum
31 Wilhelm 1974, 712–719 (= Attische Urkunden, Teil V, 96–103); zur Gesandtschaft des Rhodiers Timokrates siehe Anm. 4. 32 Wilhelm 1974, 712 (= Attische Urkunden, Teil V, 96); dazu jetzt Osborne 1981a, 43. 33 Wilhelm 1974, 719 (= Attische Urkunden, Teil V, 103). 34 Timokrates: Hell. Oxyrh. 7(2),2 [Bartoletti]; Xen. hell. 3,5,1–2; Paus. 3,9,8; Hermokrates, bzw. Demokrates: Plut. Artox. 20,3–4; Demokrates ist jedoch nur als Verschreibung der Hs. P anzusehen und auch die Namensform Hermokrates stellt eine kaum ins Gewicht fallende Variante zu Timokrates dar; bei Plat. Men. 90a findet sich noch die Form: Polykrates. 35 Wilhelm 1974, 719 (= Attische Urkunden, Teil V, 103). 36 Hell. Oxyrh. 15(10),1–3 [Bartoletti].
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reliquisse et in gratiam cum | [S. 158] Atheniensibus rediisse constat, Diod. XIV, 79.“37 Zurückhaltender, aber in gleichem Sinne hat sich zuletzt Martin J. Osborne geäußert: „Possibly Phil[ocratid]es’ actions were in some way connected with the Rhodian revolution fomented by Conon (summer 396).“38 Eine gewisse Beziehung zu den Ereignissen in Rhodos in jenen Jahren wird auch durchaus bestanden haben. Allerdings bleibt zu fragen, weshalb die Ehrungen, wenn ihr Anlaß allein mit dem rhodischen Abfall von Sparta und/oder dem darauf folgenden demokratischen Verfassungsumsturz39 in Verbindung zu bringen ist, erst so viel später – im Archontatsjahr des Euboulides – vom attischen Demos beschlossen wurden. Sowohl der Zeitpunkt des Ehrenbeschlusses für den Rhodier als auch die durch die neuen Fragmente der Euagorasinschrift indizierte Zusammengehörigkeit beider Dekrete lassen einen anderen Lösungsvorschlag plausibler erscheinen: Man wird in dem Rhodier einen Mann sehen müssen, der wohl spätestens seit 396/5 v. Chr., nachdem Rhodos zu einer wichtigen Marinebasis für die persische Flotte geworden war, dem Kreis um Konon und Euagoras angehörte und der sich in den folgenden Jahren während des Seekrieges gegen Sparta große Verdienste erworben und – wie die Begründung im Zusatzantrag des Ehrendekretes40 vermuten läßt – in besonderer Weise auch für die attischen Belange eingesetzt hatte. Die Bürgerrechtsverleihung an diesen Mann ist so ganz offensichtlich in einen direkten Zusammenhang mit den Ehrungen zu rücken, die die Athener dem Konon und Euagoras zuteil werden ließen. Auffällig ist das Hervortreten des Atheners Sophilos als Antragsteller. Er ist wohl mit dem Mann gleichen Namens identisch, der uns als einer der „Phylekämpfer“ aus der Zeit des attischen Bürgerkrieges 404/3 v. Chr. bekannt ist.41 In den ersten Jahren des Korinthischen Krieges scheint er jedenfalls | [S. 159] zu den Wortführern derjenigen gehört zu haben, die nach der im Kriegsjahr 394 v. Chr. eingetretenen Ernüchterung ihre Ret37 U. Köhler, IG II2 1,1, p. 12; die dem Köhlerschen Kommentar von Kirchner angefügte, bei Pausanias überlieferte Notiz des Androtion (FGrHist 324 Androtion F 46 ap. Paus. 6,7,6) über einen rhodisch-attischen Symmachievertrag, der 397/6 v. Chr. auf Betreiben Konons zustande gekommen sein soll, besagt in diesem Zusammenhang nichts, da die Angaben über diesen Vertrag wohl in die athenisch-patriotische Geschichtstradition einzuordnen sind und als Faktum nicht aufrechterhalten werden können; dazu zuletzt Lehmann 1976, 276, Anm. 30. 38 Osborne 1970, 169. Gegen die von Wilhelm vorgeschlagene Ergänzung der Namensform zu Philokratides (s. S. 262–263 [= S. 156] mit Anm. 31) hat sich dann Osborne 1981a, 42 zu Recht ausgesprochen; vgl. im übrigen auch Osborne 1982, 43–45; zu dem von Osborne in diesem Zusammenhang herangezogenen attischen Ehrendekret für Eteokarpathos (IG XII 1, 977) s. S. 377 [= S. 171] mit Anm. 94. 39 Vgl. zu den Vorgängen Funke 1980b, bes. 60–64; Berthold 1980, 35–37. 40 IG II2 19b, Z. 6–7 (= Osborne 1981a, D 7b, Z. 7–8); die von Feyel 1945, 129–133 für diese Zeilen vorgeschlagenen Ergänzungen sind zugunsten der Lesung von J. Kirchner abzulehnen; vgl. auch Osborne 1982, 42–43. 41 Raubitschek 1941, 287–295 Nr. 78 = SEG XXVIII 45, Z. 53; vgl. auch Lewis/Stroud 1979, 186.
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tung in Konon sahen und dieser Erwartung dann auch durch umfangreiche Ehrungen Ausdruck zu verleihen suchten. Sollten die vorangegangenen Erwägungen das Richtige treffen, so ergeben sich auf der Grundlage der von Lewis und Stroud vorgeschlagenen Rekonstruktion des Euagorasdekretes für die Präskripte der beiden hier besprochenen Inschriften folgende Ergänzungen: IG II2 19a, Z. 1–5: [Φιλ . . . .7. . . ο Ῥοδ]ίο Αἰα [ἔδοξεν τῆι βολῆι καὶ τῶι δήμωι· Λεω ν]τὶς ἐπρυτάνε- (demoticum) [υε, Ἀριστοκλῆς . . . . . . .13 . . . . . . ἐγρα]μμάτευε, Εὐβοdemoticum) [λίδης ἦρχε . . .(nomen, . . . . . .17. . . . . . . . ἐπ]εστάτει· Σώφ[ι]λ[ος εἶπε·
Στοιχ. 40
Erläuterungen: Die erhaltenen Teile des Prytanienamens erlauben angesichts einer Zeilenlänge von 40 στοιχηδόν geschriebenen Buchstaben allein die Ergänzung zu Aiantis oder Leontis.42 Die anderen möglichen Ergänzungen zu Akamantis oder Hippothontis sind auszuschließen, da in diesen Fällen der in Z. 2 verbleibende Raum weder durch die Eingangsformel: ἔδοξεν τῆι βολῆι καὶ τῶι δήμωι noch die kürzere: ἔδοξεν τῆι βολῆι vollständig auszufüllen wäre. Der Schreibername in Z. 3 ist nach der zeitlich gleichzusetzenden Euagorasinschrift ergänzt.43 Im noch 13 Buchstaben umfassenden Spatium dürfte die Angabe des Demotikons gestanden haben.44 Eine entsprechende Anordnung darf wohl auch für die Namensform des Epistates in Z. 4 als gegeben angesehen werden. Sollte das Ehrendekret für Euagoras nicht nur in der gleichen Prytanie, sondern auch auf der gleichen Volksversammlung beschlossen worden sein, so wäre in beiden | [S. 160] Inschriften auch derselbe Name des Epistates anzusetzen. Da nun im Euagorasdekret nur der Eigenname des Epistates angegeben war (s. u.) und dieser wohl aus sieben Buchstaben bestand, wäre gegebenenfalls für den hier in Z. 4 einzusetzenden Namen auch von sieben Buchstaben und entsprechend für die 42 So bereits Wilhelm 1974, 713 (= Attische Urkunden, Teil V, 97); siehe auch Osborne 1982, 43. 43 Lewis/Stroud 1979, 184–185 haben mit überzeugenden Argumenten die Ergänzung des Schreibernamens in der Euagoras-Inschrift zu Aristokles einer Ergänzung zu Aristokleides vorgezogen. 44 Die volle Namensform mit der Angabe von Patronymikon und Demotikon füllt in der Z. 2 der Euagoras-Inschrift ein Spatium von insgesamt ca. 33–34 Buchstaben; unzutreffend ist daher die Vermutung von Lewis/Stroud 1979, 188: „Twenty-three letters are available for the secretary’s name in line 3 of that decree (= IG II2 19, der Verf.), which does not perhaps exclude Aristokles, with his patronymic and demotic, as in IG II2 16, line 4 of the same year.“ Es kann in IG II2 19a, Z. 3 aber nur das Patronymikon oder das Demotikon gestanden haben. Ein Vergleich mit dem übrigen, zeitgenössischen Inschriftenmaterial legt nun ein Demotikon nahe, obgleich ein Patronymikon hier nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist; vgl. Henry 1977, 10–12. 31–32.
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Angabe des Demotikons von 10 Buchstaben auszugehen. Weiterführende Überlegungen sind in diesem Zusammenhang allerdings nicht möglich, da unentscheidbar bleibt, ob das Demotikon adjektivisch oder durch präpositionale Umschreibung angegeben war. Es sei hier aber noch eine Erwägung angefügt zu dem in IG II2 19b, Z. 4–11 erhaltenen Zusatzantrag, in dem der zunächst beantragten Ehrung des Rhodiers als Proxenos und Euergetes der Athener (IG II2 19a, Z. 8) noch die Verleihung des attischen Bürgerrechtes hinzugefügt und die Einladung ins Prytaneion entsprechend neu – ἐπὶ δεῖπνον (IG II2 19b, Z. 10) statt ἐπὶ ξένια (IG II2 19b, Z. 2) – formuliert wird.45 In IG II2 19b, Z. 4 verbleiben für den Namen des Antragstellers sieben Buchstaben. Da bekanntlich in zahlreichen Fällen Zusatzanträge von derselben Person gestellt wurden, die auch den Hauptantrag gestellt hatte,46 ist m. E. – zumal unter Berücksichtigung der mutmaßlichen politischen Beweggründe des Sophilos, die oben dargelegt wurden – folgender Ergänzungsvorschlag durchaus angebracht:
[Σώφιλος εἶπε· τ]ὰ μὲν ἄλλα κ[αθάπερ . . . . . . . . . . . . . ]47
SEG XXIX 86, Z. 1–5:
[Εὐαγόρα τõ Σαλαμ]ινίο̣ (patronymicum / demoticum) 19–20 . . . . . . . . . .]σιος ἐγραμμάτευε [Ἀριστοκλῆς . . . . . . . . . . Αἰα [ἔδοξεν τῆι βολῆι καὶ τῶι δήμωι· Λεω ντὶς ἐ]πρυτάνευε, Ἀριστοκλ- Στοιχ. 50 [ῆς ἐγραμμάτευε, Εὐβολίδης ἦρχε, . . . .7. . . ἐ]πεστάτε, Σώφιλος εἶ[πε· Erläuterungen: Da dem Namen des Schreibers in Z. 2 auf jeden Fall das Patronymikon und das Demotikon beigefügt waren,48 ist – auch angesichts der vorgegebenen Zeilen- | [S. 161] länge – davon auszugehen, daß in den Z. 3–4 der Schreiber und auch der Epistates nur mit dem Eigennamen genannt waren49 und zwischen beiden Angaben – wie etwa in IG II2 19a, Z. 3–4 – die Nennung des Archonten eingerückt war. Der Name des Archonten 45 Es handelt sich hier also keineswegs um eine bloße „repetition of the invitation to the prytaneum“ (Rhodes 1972, 279) durch den Antragsteller des Zusatzantrages, sondern um eine Änderung des Formulars, die durch die zusätzliche Verleihung des Bürgerrechts notwendig geworden war; vgl. auch Osborne 1981b. Die durch IG II2 29 (= Tod, GHI 116) und IG II2 109 aufgeworfenen Probleme (dazu ebenfalls Rhodes 1972, 279) bleiben allerdings bestehen. 46 Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei Rhodes 1972, 278 Nr. 1. 47 Vgl. zur Textkonstitution auch den Kommentar von Osborne 1981a, 43. 48 Vgl. Lewis/Stroud 1979, 185–186. 49 S. etwa IG II2 17; dazu die Neulesung von Osborne 1970 (= Osborne 1981a, 43–45 D 8); vgl. im übrigen Henry 1977.
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Euboulides, in dessen Amtszeit aufgrund der vorausgegangenen Darlegungen die Ehrungen für Euagoras zu datieren sind, ist hier in der gleichen Form: Εὐβολίδης eingesetzt, wie sie sich übereinstimmend auch in allen anderen uns bekannten Volksbeschlüssen des Jahres 394/3 v. Chr. findet.50 Die Ergänzung des Prytanienamens wird bereits durch die Rekonstruktion einer Zeilenlänge von 50 στοιχηδόν geordneten Buchstaben nahegelegt. Darüber hinaus spricht auch der hier zugrunde gelegte historische Zusammenhang zwischen beiden Inschriften für eine solche Ergänzung und stützt andererseits in gewisser Weise die von Lewis und Stroud wiederhergestellte Form der Inschrift.51 Den beiden bisher behandelten Ehrendekreten ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch der Bürgerrechtsbeschluß für den Seher Sthorys aus Thasos unmittelbar zur Seite zu stellen.52 Auf der diesbezüglichen Inschriftenstele sind insgesamt zwei, durch drei Leerzeilen voneinander getrennte Dekrete verzeichnet, von denen das zweite den eigentlichen Volksbeschluß zur Übernahme der dem Sthorys zustehenden Soldzahlungen durch die attischen Strategen und zur Verleihung des Bürgerrechtes enthält, während der erste – ein zeitlich zweifellos jüngerer Ratsbeschluß53 – einer Bitte des Sthorys nachkommt und die Errichtung zweier Stelen mit der Aufzeichnung der Sthorys betreffenden Ehrenbeschlüsse des attischen Demos auf der Akropolis und im Heiligtum des pythischen Apollon (ἐν] πόληι καὶ ἐν Πυθίο)54 zugesteht. In einer detaillierten Untersuchung aller erhaltenen Textfragmente dieser Stele hat Osborne einwandfrei nachgewiesen, daß die Angaben des Schreiber-, Archonten- und wohl auch Prytanienamens in den Z. 13–15 als Subskriptum dem Ratsbeschluß angefügt war und dieser folglich in das Archontat des Euboulides – in | [S. 162] die Zeit der Prytanie der Aigeis – zu datieren ist. Da die diesem Ratsbeschluß vorausgegangene Bürgerrechtsverleihung in der Begründung ganz offensichtlich auf die Seeschlacht bei Knidos Bezug nimmt, welche in der Zeit des Archonten Euboulides stattfand, gehört auch dieses Dekret in das attische Amtsjahr 394/3 v. Chr.55 50 IG II2 16; 17; 18; 19(?). 51 Siehe Lewis/Stroud 1979, 185–186. Daß mein Verweis auf die Plausibilität der im vorangegangenen dargelegten historischen Zusammenhänge die Gefahr eines Zirkelschlusses nicht gänzlich beseitigen kann, versteht sich von selbst, kann aber die hier angestellten Überlegungen nicht hinfällig machen. 52 Hier ist die Neulesung von IG II2 17 durch Osborne 1970 zugrunde zu legen. 53 Osborne 1970, 160; Osborne 1982, 45–46; s. auch schon den Kommentar zu IG II2 17 (p. 10– 11); im übrigen sei hier auf die Auseinandersetzung von Connor 1974, bes. 36–38 mit Rhodes 1972, 82–87 um die verfassungsrechtliche Einschätzung der Ratsdekrete jener Zeit hingewiesen; dazu auch Osborne 1982, 47–48. 54 IG II2 17, Z. 9–10 = Osborne 1981a, 43–45 D 8, Z. 9–10. 55 Osborne 1981a, 43–45 D 8, Z. 26–28: [καὶ ὅ]τ̣ ι πρ̣ ο[εῖπε (?) . . . .8. . . . τὰ γενόμ]ενα περὶ τῆς ν̣ αυμαχίας [μαντευσάμενος ἐκ τῶν ἱ]ε̣ ρῶν τῶν εἰσι τητηρίων ὧ[νπερ ἔθυσεν Vgl. auch SEG XVI 42; dazu die eingehende Darlegung von Osborne 1970, 162–167; s. auch Pritchett 1979, 61. 63–64; zum Datum der Seeschlacht bei Knidos s. Anm. 25.
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Osborne hat nun deutlich machen können, daß beide Beschlüsse innerhalb dieses Amtsjahres zeitlich eng zusammengehören müssen: To judge from the triviality of the amendment, the two decrees should probably be put quite close together. Sthorys apparently made the request for the amendment himself (l. 5), and it seems to have consisted in getting the right to have two stelai erected. The chances are that the decree of the Boule was made simply to clear up a slight ambiguity in the decree of the people: i. e. to make quite explicit what was entailed by the clause ἐν στήληι ἵναπερ αὐτῶι τὰ π̣ [ρ]ότερ[α ψηφί]σματα [ἀ]ναγέγραπται. Presumably the previous decrees had been set up in two places, but only one stele was specifically mentioned in this decree. Hence the need for clarification. If this is so, it is likely that the two decrees should be dated close together, for it is hardly plausible that Sthorys should be making such a trivial request at any great distance in time from the original enactment.56 Darüber hinaus hat Osborne überzeugend dargelegt, daß Sthorys seine Tätigkeit als Seher, um derentwillen er geehrt wurde, nicht in Athen, sondern „as a member of Conon’s staff “ auf dem Kriegsschauplatz ausgeübt hatte und daß „the gift of citizenship for Sthorys and the continuation of his pay will mean that the Athenians are rewarding Conon’s successful seer and taking him over for themselves.“57 Die Dekrete für Sthorys sind also mit den anderen, zuvor behandelten Ehrenbeschlüssen in ein und denselben politischen Kontext zu rücken und sind ein weiteres beredtes Zeugnis für die Erwartungshaltung des attischen Demos in jenen Monaten. Es war durchaus nicht ungewöhnlich, daß außer dem siegreichen Feldherrn auch dessen Mantis mit großen Ehren bedacht wurde.58 So bezeugt | [S. 163] das für den spartanischen Sieg bei Aigospotamoi errichtete Lysanderanathem in Delphi, welche herausragende Stellung ein Seher erlangen konnte: Das Monument bestand aus mindestens 37, in zwei Reihen hintereinander angeordneten Bronzefiguren. Während in der zweiten Reihe die Statuen der sogenannten „Nauarchen“, der engsten, an der Seeschlacht führend beteiligten Mitarbeiter Lysanders aus Sparta und den verbündeten Poleis, aufgestellt waren, befanden sich in der ersten Reihe neben den Standbildern der sechs spartanischen Schutzgottheiten die Statue des von Poseidon bekränzten Lysander und ihm zur Seite die seines Sehers Agias und die seines Steuermannes Hermon.59 Die Anordnung der Figuren ist deutliches Indiz 56 57 58 59
Osborne 1970, 164. Osborne 1970, 167. Zur Rolle des Mantis vgl. die Ausführungen bei Pritchett 1979, 47–90. Paus. 10,9,7–10; vgl. Pouilloux/Roux 1963, 16–19. 55–60; Borbein 1973, 77–79; Vatin 1981, bes. 453–459. Auch in Sparta selbst war dem Agias eine Bronzestatue errichtet worden: Paus. 3,11,5.
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für das enge, persönliche Verhältnis des Mantis zum Feldherrn und für seine außerordentlich einflußreiche Position. Eine vergleichbare Beziehung wird man auch zwischen Sthorys und Konon konstatieren dürfen, so daß die Annahme naheliegt, daß Sthorys Konon auch während der Flottenoperationen nach dem Sieg bei Knidos begleitete und erst im Sommer 393 v. Chr. gemeinsam mit diesem in Athen eintraf und die ihm zugedachten Ehren empfing. Bereits Osborne hat darauf hingewiesen, daß unter diesen Voraussetzungen „the second decree must be put very late in 394/3, perhaps in the late prytany. Conversly, the decree suggests that Conon’s arrival antedates the end of the year 394/3 by a fair amount.“60 Verbindet man nun diese Erwägungen mit den obigen Darlegungen zu den Ehren dekreten für Euagoras von Salamis und den Rhodier Phil[. . . .7. . .]es, so läßt sich der Zeitpunkt der Rückkehr Konons nach Athen sogar noch präziser bestimmen. Da der Ratsbeschluß für Sthorys in der Prytanie der Aigeis gefaßt wurde, die Beschlüsse für Euagoras und den Rhodier – und wahrscheinlich eben auch das eigentliche Ehrendekret für Sthorys – aber aus der Prytanie der Aiantis oder Leontis datieren,61 ist zu folgern, daß Konon mit dem persischen Flottenverband noch in der vorletzten Prytanie (also der Aiantis oder Leontis) des Jahres 394/3 v. Chr. in Athen eintraf.62 ** | [S. 164] Im folgenden werden zwei weitere attische Inschriften behandelt, die in der Forschung ebenfalls mit den Ereignissen des Jahres 394/3 v. Chr. in Verbindung gebracht werden. Im Rahmen einer eingehenden Analyse aller zu dem als IG II2 1951 publizierten „Schiffskatalog“ gehörigen Fragmente konnte Donald R. Laing die einzelnen Bruchstücke der Inschrift neu anordnen und so eine grundlegende Textrevision vorlegen.63 Die über60 Osborne 1970, 168, Anm. 89; vgl. auch Osborne 1982, 46. 61 Eine entsprechende Ergänzung des Präskriptes in den Z. 19–21 des Ehrendekretes für Sthorys ist aufgrund des Erhaltungszustandes der Inschrift allerdings nicht möglich. Unentscheidbar ist darüber hinaus die Frage, ob der Antragsteller der im vorangegangenen untersuchten Ehrenbeschlüsse, Sophilos, auch mit diesem Ehrendekret in Verbindung zu bringen ist. Die Einsetzung seines Namens in die Z. 2 muß sehr spekulativ bleiben, zumal die στοιχηδόν geordneten Zeilen eine unterschiedliche Länge von 37–39 Buchstaben aufweisen und daher eine präzise Bestimmung des Spatium an dieser Stelle nicht erlauben. 62 Die Umrechnung in ein julianisches Datum ist aus den oben genannten Gründen (s. S. 360 [= S. 154] mit Anm. 21) nicht möglich. Man wird aber am ehesten von der Zeit | [S. 164] Ende Mai/Anfang Juni ausgehen dürfen. Die Seeschlacht bei Knidos, welche Ende Juli/Anfang August 394 v. Chr. bereits während des Archontats des Euboulides stattfand (dazu Anm. 25 und Funke 1980a, 79–83) kann nur einen terminus ante quem für den Beginn des Archontatsjahres 394/3 v. Chr. bilden. 63 Laing 1965. Die von Laing erstellte Textfassung ist als IG I³ 1032 erschienen (Hinweis bei Lewis/Stroud 1979, 186, Anm. 7).
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zeugende epigraphische Rekonstruktion führte zu dem Ergebnis, daß auf der Inschriftenstele die Namenslisten aller Besatzungsmitglieder – darunter zahlreiche Fremde, Metöken und Sklaven – von insgesamt (mindestens) acht Trieren aufgeführt waren. Im Verlaufe seiner Untersuchung erörtert Laing nun auch die Frage des historischen Kontextes der Inschrift und wendet sich gegen die bisher weitgehend akzeptierte Verbindung des Textes mit der Seeschlacht bei den Arginusen 406 v. Chr. Bereits Köhler hatte den Bezug zur Arginusenschlacht hergestellt und in der Inschrift eine Urkunde über die Freilassung der an den Kämpfen auf attischer Seite beteiligten Sklaven sehen wollen.64 Auch Alfred Körte u. a. sahen einen Zusammenhang mit dieser Seeschlacht als gegeben an, dachten aber eher an eine Gefallenenliste.65 Helen Pope suchte die Inschrift auf die nur bei Thuk. 8,95 überlieferte Flottenexpedition des Thymochares nach Eretria/Euboia im Jahre 411 v. Chr. zu beziehen, während Borimir Jordan die Inschrift sogar in die Zeit vor 413 v. Chr. datieren zu müssen glaubte.66 Friedrich Hiller von Gaertringen verwarf – allerdings mit wenig überzeugenden Argumenten – jegliche Zuordnung der Inschrift zu Vorgängen aus der Schlußphase des Peloponnesischen Krieges und schlug statt dessen vor, den Text mit der Seeschlacht bei Knidos 394 v. Chr. oder bei Naxos 376 v. Chr. in Verbindung zu bringen.67 64 Köhler 1883, 179–180. Köhler wollte seine Deutung allerdings nur als einen ersten, sehr hypothetischen Interpretationsversuch verstanden wissen und verwies selbst auf die Schwächen seiner Argumentation, insbesondere auf den Umstand, daß die Auflistung der kompletten Schiffsmannschaften – also auch der Nicht-Sklaven – nur schwer mit einer Freilassungsurkunde in Verbindung zu bringen ist. 65 Körte 1932; vgl. im übrigen den Forschungsüberblick bei Laing 1965, 2–8. 98–103. 66 Pope 1935, 16–24; Pope 1953, 1047–1049; dazu im einzelnen S. 374–375 [= S. 168–169] mit Anm. 80. 83. Jordan 1975, bes. 71–72. 227. 263–264 stützt seine These auf die in IG II2 1951, Z. 229–260 (= Laing 1965, Z. 205–238) angeführten Namen von Besatzungsmitgliedern, die allesamt aus Staaten stammten, welche „were members of the First Athenian Confederacy. With the exception of Kimolos which joined later, they were also charter members of the league“ (72). Wenn er nun hieraus den Schluß zieht, „this can hardly be a mere coincidence, and we must therefore conclude that the inscription dates from a time when the Confederacy was more or less intact, that is to say, before the revolts of Chios and Rhodes in 413 BC and 412/411 BC respec- | [S. 165] tively“ (72), dann läßt er allerdings völlig außer acht, daß während des Peloponnesischen Krieges durchaus mit einer großen Zahl von Söldern zu rechnen ist, die unabhängig von der außenpolitischen Stellung ihrer Heimatpolis gegen entsprechenden Lohn auch auf fremden Schiffen Dienst taten. Darüber hinaus gab es gerade in der Schlußphase dieses Krieges viele exilierte Parteigänger Athens, die auf der attischen Seite kämpften. Vgl. im übrigen S. 374 (= S. 168 in diesem Band) mit Anm. 80. 67 F. Frhr. Hiller von Gaertringen, Rhodos, RE Suppl. V, 1931, 772, der aufgrund der Nachricht bei Xen. hell. 1,6,3 über die Rekrutierung von 50 bundesgenössischen Schiffen aus Chios, Rhodos und anderen Inseln durch den spartanischen Nauarchen Kallikratides vor der Arginusenschlacht eine Beteiligung von rhodischen Ruderern auf attischer Seite, die durch IG II2 1951, Z. 251–252 (= Laing 1965, Z. 227–228) belegt ist, für diese Seeschlacht ausschließen zu müssen glaubte und daher einen Bezug der Inschrift „eher zu Knidos 394 oder Naxos 376“ erwog. Gegen diese These sind jedoch prinzipiell die gleichen Einwände zu erheben, die ge-
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Demgegenüber leitet Laing aus den Ergebnissen seiner Studie einen Lösungsvorschlag ab, der ihm plausibler und den historischen Gegebenheiten angemessener erscheint als alle bisherigen Interpretationsansätze. Ausgehend von der Feststellung, daß erstens die Buchstabenformen dieser – in ihren Abmessungen durchaus monumentalen – Inschrift eine Datierung zwischen 410 und 390 v. Chr. zulassen und zweitens insgesamt acht Trieren im Text Erwähnung finden, kommt er zu dem Schluß, that this document be considered an honor for the crews of the eight triremes that got away from Aigospotamoi under Konon’s leadership, went to Cyprus, and enjoyed the hospitality of Euagoras I of Salamis. … The occasion for this dedication was probably long after the battle itself, when what had been a defeated remnant unexpectedly turned out to be the nucleus for a new Athenian fleet, and, through the leadership of Konon, provided the means of Athens recovery of a position of military and political importance. The monument was designed to serve as an honor for the living, and its detailed listing of the crews was recognition of their valuable service to their city. The most likely context for the erection of such a monument would have been the triumphal return of Konon to Athens in 393.68 Laing sieht also zwar einen historischen Bezug zur letzten Phase der Seekämpfe im Peloponnesischen Krieg, bringt jedoch die Errichtung der Inschrift in einen direkten Zusammenhang mit den Ehrenbeschlüssen, welche die Athener 393 v. Chr. für Konon und seinen Freundeskreis faßten. Gegen die seines Erachtens zu späte Datierung der Inschrift hat sich bereits Lewis unter Verweis auf die sehr große Ähnlichkeit der Schreiberhand mit derjenigen in den Erechtheion-Abrechnungen von 408/7 v. Chr. und in | [S. 166] IG I3 101, Z. 7–8 (in der Rasur) und Z. 46–64 (407/6 v. Chr.?) ausgesprochen.69 Es lassen sich darüber hinaus aber auch inhaltliche Einwände gegen die von Laing vorgeschlagene chronologische Zuordnung vorbringen. Auch wenn über den weiteren Verbleib der von Aigospotamoi nach Zypern entkommenen Trieren nichts bekannt ist und die Rückkehr – zumindest eines Teiles – der Schiffe nach Athen noch vor der endgültigen Blockade des Peiraieus durch Lysander sich keineswegs ausschließen läßt,70 so ist es doch naheliegend, daß eine gewisse Zahl der Besatzungsmitglieder mit Konon auf Zypern verblieb und sich der in Salagen die Ansicht von Jordan vorgebracht wurden (s. Anm. 66). Auch Bradeen 1964, 52 mit Anm. 80 plädiert für eine Datierung der Inschrift, bei der es sich seines Erachtens nicht um eine Gefallenenliste handeln kann, in das frühe 4. Jh. v. Chr.; vgl. hierzu S. 375 [= S. 169] mit Anm. 83. 68 Laing 1965, 107–108. 69 Lewis/Stroud 1979, 186, Anm. 7. 70 S. z. B. Busolt 1904, 1621–1622.
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mis ansässigen Gemeinde der aus allen Teilen der griechischen Welt, insbesondere aus Athen, stammenden Griechen anschloß.71 Unbestritten bleibt auch, daß sich während der 397 v. Chr. auf Zypern anlaufenden, persischen Flottenrüstungen vor allem der engere Mitarbeiter- und Führungsstab Konons,72 aber teilweise wohl auch die Schiffsmannschaften aus ebendieser Griechengemeinde rekrutierten. Laings These setzt nun allerdings voraus, daß alle acht Trieren nach 405 v. Chr. noch über Jahre hinaus auf Zypern als festes Flottenkontingent Bestand gehabt und zumindest noch in der ersten Phase des persisch-spartanischen Seekrieges in ihrem alten Verband innerhalb der persischen Flotte mitgekämpft hatten, denn nur so ist seine Annahme zu stützen, daß in jenen Jahren die Besatzungen dieser acht Trieren mit ihren Schiffen „the nucleus for a new Athenian fleet“ und „the nucleus for the rallying of anti-Spartan efforts in the Aegean“ 73 gebildet hatten und für diese Verdienste 393 v. Chr. in Athen geehrt worden waren. Folglich wäre davon auszugehen, daß sich diese acht Trieren unter den 40 Schiffen befanden, mit denen Konon wohl noch im Herbst 397 v. Chr. von Zypern aus zur Flottenbasis in Kaunos segelte.74 Eine solche Vermutung ist zwar vorderhand nicht auszuschließen, aber es muß doch verwundern, daß sich in den Quellen keinerlei diesbezügliche Angaben finden, obgleich ansonsten die zwar verstreuten, aber oft doch auch detailreichen Notizen bei den Historiographen und attischen Rednern zahlreiche Hinweise auf die Unterstützung der kononischen Flotte durch die antispartanisch gesinnten Poleis in Hellas, und hier insbesondere durch Athen, enthalten.75 Laing schränkt seine Darlegungen dahin gehend ein, daß „one need not assume that all of them (d. h. die acht bei Aigospotamoi entkommenen Trierenmannschaften, der Verf.) remained with their former units or even that they survived until the time of Konon’s triumphal return to Athens in the spring of 393. … The group of eight were no doubt supplemented in the course of the years from 396–394 by other greek contingents.“ 76 Hier stellt sich dann aber die grundsätzliche Frage nach dem möglichen Charakter der in das Jahr 393 v. Chr. datierten Ehrungen. Laing vergleicht sie mit den – z. T. auch inschriftlich erhaltenen – eindrucksvollen Ehrungen, die in Athen nach dem Ende des 71 Vgl. Isokr. or. 9,51–52. 72 Vgl. etwa die Stellung des Atheners Nikophemos, der wohl Ende des 5. Jh.s v. Chr. mit seiner Familie in Salamis auf Zypern Zuflucht gefunden hatte, im engsten Führungskreis um Konon; hierzu Davies 1971, 201–202. 73 Laing 1965, 107. 116. 74 Diod. 14,39,4; dazu Funke 1980a, 52 mit Anm. 21. 75 Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei Funke 1980a, 120–121; vor allem in einer Argumentation, wie sie Isokr. or. 4, bes. 119.142–143.154 vorträgt, wäre eine solche massive Unterstützung durch einen geschlossenen attischen Trierenverband nicht unerwähnt geblieben, zumal wenn ihrer auch noch durch eine so monumentale Inschrift gedacht worden wäre. 76 Laing 1965, 116.
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Bürgerkrieges der Jahre 404/3 v. Chr. denjenigen attischen Bürgern, Metöken, Fremden und Sklaven zuteil wurden, die sich aktiv am Kampf gegen das Terrorregime der „Dreißig“ beteiligt hatten.77 Ein solcher Vergleich ist allerdings wenig hilfreich. Mit den bald nach 404/3 v. Chr. gefaßten Beschlüssen hatten die Athener diejenigen geehrt, die die Kämpfe überlebt hatten und in der Folgezeit auch in den vollen Genuß der mit diesen Ehrungen verbundenen, im einzelnen genau aufgeführten Auszeichnungen und Privilegien kommen konnten. Hiervon prinzipiell zu trennen ist eine – in den Quellen allerdings nicht mehr unmittelbar nachzuweisende – Ehrung der Gefallenen.78 Demgegenüber impliziert Laings Interpretation des sogenannten „Schiffskataloges“, daß sowohl die (über-)lebenden als auch die bereits verstorbenen (bzw. gefallenen) Besatzungsmitglieder der acht Trieren durch ein und dieselbe Inschrift 393 v. Chr. wegen ihrer Verdienste im Kampf gegen die spartanische Suprematie geehrt worden waren. Das Verzeichnis der Schiffsmannschaften hat so besehen einen prinzipiell anderen Charakter als die Namensliste, die dem attischen Ehrendekret für die Nichtbürger, die sich 404/3 v. Chr. in Phyle oder auch erst im Peiraieus dem Thrasyboulos von Steiria angeschlossen hatten, beigefügt war und den Kreis derer festlegte, die berechtigt und imstande waren, die entsprechenden Auszeichnungen in Anspruch zu nehmen. Es ist also – gerade unter den von Laing postulierten Voraussetzungen – mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen, daß besondere Ehrentitel und Privilegien, wie sie etwa für die Mitkämpfer des Thrasyboulos und auch in den hier zuvor behandelten Ehrendekreten des Jahres 394/3 v. Chr. beschlossen | [S. 168] worden waren, 393 v. Chr. auch an die 405 v. Chr. bei Aigospotamoi Entkommenen verliehen wurden. Wollte man Laings Thesen dennoch aufrechterhalten, so ließe sich IG II2 1951 nur als eine Gedenkschrift erklären, welche zugleich den Lebenden und Verstorbenen dieser Schiffsmannschaften ein ehrendes Angedenken bewahren sollte. Das wäre allerdings – wenn ich recht sehe – ein in dieser Form für die damalige Zeit singulärer Fall. Eine solche Interpretation scheint allzu sehr heutigen Denkweisen und Vorstellungen verhaftet zu sein. Darüber hinaus gilt es auch zu bedenken, daß auf diese Weise der Kreis derer, die „a nucleus for the rallying of anti-Spartan efforts in the Aegean“ gebildet hatten, ungerechtfertigt eng begrenzt worden wäre. Viele Hinweise in den Quellen lassen nämlich darauf schließen, daß es zahlreiche Athener (und wohl auch Nichtbürger) gab, die zwar nicht 77 Ehrung für die attischen Bürger: SEG XXVIII 45; Ehrung für die Nichtbürger: IG II2 10 mit den epigraphischen Neufunden (Hereward 1952) in der Textedition bei Osborne 1981a, 37– 41 D 6; dazu Osborne 1982, 26–43. 78 Das auf Antrag des Theozotides zustande gekommene Psephisma (Stroud 1971 = SEG XXVIII 46), durch welches den Kindern derjenigen Männer, die während der „Oligarchia“ 404/3 v. Chr. im Kampf für die „Demokratia“ getötet worden waren, die gleichen Versorgungsansprüche zugestanden wurden wie den Kriegswaisen, macht eine Ehrung auch der Gefallenen selbst aber doch sehr wahrscheinlich.
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zu den „Aigospotamoi-Kämpfern“ gehört hatten, die aber gleichwohl während des persisch-spartanischen Seekrieges – z. T. schon von Anfang an – in der kononischen Flotte gedient oder auf andere Weise – vor allem von Zypern aus – die Interessen Athens in der Ägäis (vor und) nach dem Zusammenbruch 404 v. Chr. unterstützt hatten.79 Die hier vorgetragenen Überlegungen machen deutlich, daß der Sinn und Zweck, den Laing der Inschrift beimißt, und folglich auch die entsprechende Datierung in das Jahr 393 v. Chr. nicht zu überzeugen vermögen. Zeitpunkt und Anlaß der Errichtung der Inschriftenstele wird man vom historischen Bezug des Textes nicht trennen dürfen. So ergibt sich für einen chronologischen Ansatz als obere zeitliche Grenze das Jahr 408/7 v. Chr., da die Herkunft zweier Besatzungsmitglieder einer der Trieren in der Inschrift bereits mit POΔI (= „Rhodier“) angegeben wird, was erst nach der Bildung eines rhodischen Gesamtstaates und dem Synoikismos im Jahre 408 v. Chr. möglich war.80 Die untere zeitliche Grenze dürfte mit dem Ende des Peloponnesischen Krieges gleichzusetzen sein; hierauf hat schon Körte zu Recht nachdrücklich hingewiesen: Während sich also die Mannschaftslisten ganz ausgezeichnet in das Bild der Arginusenflotte einfügen, die auch den Kern der Flotte von Aigospotamoi bildete, erscheinen sie mir völlig undenkbar für eine attische Flotte | [S. 169] im Anfang des 4. Jhs.81 Über den Anlaß der Inschrift Endgültiges auszusagen, ist allerdings nicht möglich. Man wird aber vielleicht doch – wie auch von Körte vorgeschlagen – mit einer Gefallenenliste aus jenen Jahren rechnen dürfen,82 zumal die epigraphischen und prosopographi-
79 Daß es hierbei andererseits aber durchaus auch um die Durchsetzung eigener, privater Interessen gehen konnte, wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt: Funke 1980a, 126–127, Anm. 67. 80 IG II2 1951, Z. 251–252 (= Laing 1965, Z. 227–228); zum rhodischen Synoikismos vgl. Moggi 1976, 213–226 Nr. 34 (mit der wichtigsten Literatur); Berthold 1980, 34–35. Die Herkunftsangabe KHI (= Keer/aus Keos) in IG II2 1951, Z. 230–240 (= Laing 1965, Z. 206–216) kann kein Gegenargument sein. Die Bewohner der verschiedenen keeischen Poleis bildeten im 5. Jh. v. Chr. eine enge staatliche Föderation und wurden auch in den attischen Tributlisten stets als Κεῖοι geführt, während im Falle von Rhodos die einzelnen Inselpoleis genannt wurden; vgl. auch Lewis 1962. Die Erwähnung von „Rhodiern“ ist daher m. E. ein gewichtiges Argument gegen die Datierungsversuche von Pope und Jordan (s. Anm. 66). 81 Körte 1932, 1030 (= 86); vgl. auch Wilhelms Anmerkung in Busolt/Swoboda 1926, 1207, Anm. 2 und wieder Gomme/Andrewes/Dover 1981, 91. 82 Zumal wenn man mit Körte einen Bezug zur Arginusenschlacht in Betracht zieht: „In dieser bis zur Siedehitze erregten Leidenschaft kann man sehr wohl auch eine ganz ungewöhnliche Ehrung der Opfer der Schlacht erstrebt und ihre Aufzeichnung auf einen gemeinsamen Pinax beschlossen haben. Da die Schiffe mit Mann und Maus zugrunde gegangen waren, entsprach die Gefallenenliste der Bemannungsliste, und so wurde einfach die Mannschaftsliste in Stein gehauen und auf der Burg aufgestellt.“ (Körte 1932, 1031–1032 [= 87–88]); zum geistig-politischen Klima in Athen während des Arginusenprozesses vgl. auch Mehl 1982, bes. 64–66.
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schen Bedenken, die gegen eine solche Annahme vorgebracht wurden, nicht hinreichend begründet sind.83 In einen Zusammenhang mit der Außenpolitik Athens nach dem Seesieg Konons bei Knidos wird auch eine attische Proxenieinschrift gebracht, die Arthur Geoffrey Woodhead 1948 veröffentlicht hat und deren Text im folgenden zunächst wiedergegeben werden soll:84
[- – - – - – - – - – εἶ]π[εν· ἐπαινέσαι μὲν . . .]λ̣ λι [. . ., . . . . . .11. . . . . Ἰη]λυσί[ωι, ἐπειδὴ φίλος ἐν] τῶι πρ [όσθεν χρόνωι ἦν κ]αὶ τοῖς 5 [ἀδελφοῖς ὧν καὶ τ]ῶι Ἰηλυ [σίων κήρυκι (?), ἐπ]ειδὴ καὶ ὁ [πατὴρ αὐτῶν ἦ]ν πρόξενος | [S. 170] [καὶ εὐεργέτ]ης καὶ ἐπὶ τῶ[ν Τριάκοντα] καθηιρέθη ἡ 10 [στήλη· ἀναγρά]ψαι δὲ αὐτὸ [ν καὶ τὸς ἀδελ]φὸς τὸν γρα [μματέα τῆς βολῆ]ς τέλεσι [τοῖς . . . .8. . . . πρ]ο̣ ξένος [καὶ εὐεργέτας vvvv]vvvv 15 Obgleich in der Begründung des Dekretes in den Z. 7–11 auf die Stellung des Vaters des Geehrten als Proxenos und Euergetes der Athener und auf die Zerstörung der Stele unter den „Dreißig“ (404/3 v. Chr.) verwiesen wird, hielt Woodhead eine Wiederbelebung alter
83 Gegen die epigraphischen Einwände (siehe zuletzt außer Laing auch Bradeen 1964) vgl. schon die Argumentation von Körte 1932, 1031 (= 87); auch S. 371 [= S. 166] mit Anm. 69. Die prosopographischen Gegenargumente sind bei Laing 1965, bes. 61. 76–79.82.97–98. 100–101 angeführt. Den Beweis, daß einige der in IG II2 1951 genannten Personen auch noch für die Zeit des 4. Jh.s v. Chr. bezeugt sind, kann Laing in keinem Fall zweifelsfrei führen; vgl. Davies 1971, 395 Nr. 10423. 480 Nr. 12350. Die Identifizierung des Pytheas Kephisieus (Z. 80 = Laing 1965, Z. 93) mit dem gleichnamigen Athener in IG II2 2366, Z. 3 ist unsicher; auch schließt die Zuweisung dieser Inschrift durch Kirchner: „init. s. IV. a.“ eine Datierung in die letzten Jahre des 5. Jh.s v. Chr. nicht aus. Das „init. s. IV. a.“ datierte Weihegeschenk IG II2 4882 des in Z. 408 (= Laing 1965, Z. 387) genannten Morychos Thriasios kann ebenfalls durchaus noch in die letzte Dekade des 5. Jh.s v. Chr. gehören; hierauf haben bereits Meritt 1927, 469–470 und Körte 1932, 1032 (= 88), die auch eine Weihung nach später Rettung erwägen, hingewiesen. Zu dem in Z. 26 (= Laing 1965, Z. 69) erwähnten Hyperanthes vgl. Davies 1971, 515 Nr. 13905. 84 Woodhead 1948 = Walbank 1978, 376–378 Nr. 72 = SEG XXVIII 48.
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Rechts- und Ehrentitel unmittelbar nach der Restauration der attischen Demokratie – wie etwa in IG II2 6 und 985 – in diesem Fall für ausgeschlossen: Lines 7–8, in mentioning the father of the new proxenos, with the καί placed in a position of emphasis as an additional reason for bestowing the honor, make it necessary to restore a prior reason in line 4. This might be restored as ὅτι πρόξενος – – ἦν, a restauration which would obviate the difficulty that the delegate was not himself the chief proxenos and did not have his name recorded. But ἀναγράψαι in line 11 implies an initial grant of προξενία: if it were a renewal one would expect, e. g., ἀνανεώσασθαι. … (Es folgt ein Verweis auf eine delphische Proxenieinschrift aus dem Jahre 175/4 v. Chr.86) In the present instance it would seem that the father’s grant had not extended to his cildren.87 Den Anlaß für die Proxenieverleihung sieht Woodhead – und hier ist ihm die bisherige Forschung einhellig gefolgt – in „the resumption of diplomatic relations between Athens and Rhodes“88 und datiert die Inschrift auf ca. 394 v. Chr. Da nun das Ethnikon des „neuen“ Proxenos mit Ἰηλύσιος (aus Ialysos auf Rhodos) angegeben wird, ist er zu der Annahme gezwungen, daß auch noch mehr als eine Dekade nach der Gründung des rhodischen Gesamtstaates den einzelnen Poleis der Insel große außenpolitische Handlungsfreiheit zugestanden war: We now have an indication that … in the first years of the new city the Ialysians were able to act on their own initiative in foreign affairs, while the Athenians, for their part, regarded Ialysos as still of an importance to justify the appointment of proxenoi there besides, presumably, Rhodes itself.89 | [S. 171] Bevor es die Argumente Woodheads im einzelnen näher zu untersuchen gilt, soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern man eigentlich berechtigt ist, das Jahr 394 v. Chr. als den Zeitpunkt anzusehen, nach dem „Rhodes and Athens resumed diplomatic relations.“90 Die eigentliche Zäsur in den rhodischen Außenbeziehungen bildeten die Jahre 396/5 v. Chr., als Rhodos von der spartanischen auf die persische Seite überwech85 IG II2 6 = Syll.3 119 = Tod, GHI 98; dazu Avery 1979, bes. 240–242; IG II2 9 = IG I³ 229; IG II2 66c; vgl. im übrigen Walbank 1978, 151–153 Nr. 26. 324–328 Nr. 61; IG I³, p. 196. 86 Vgl. Daux 1936, 436–439. 87 Woodhead 1948, 55. 88 Woodhead 1948, 55. 89 Woodhead 1948, 57; zu den Vorgängen in Rhodos vgl. die in Anm. 4 und 80 angegebene Literatur. 90 Walbank 1978, 377.
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selte und zur wichtigen Marinebasis für die Flotte Konons wurde. Zweifellos werden sich in dieser Zeit – vor allem nach dem demokratischen Verfassungsumsturz 395 v. Chr. – die Beziehungen zwischen Rhodos und Athen wieder verbessert haben, die seit dem rhodischen Abfall vom ersten Attischen Seebund 412/1 v. Chr. gestört waren. Die engen Verbindungen, die von Anfang an zwischen Athen und der kononischen Flotte bestanden haben, dürften hierbei von Bedeutung gewesen sein.91 Wie sich die rhodisch-attischen Beziehungen vor dem aktiven Eingreifen Athens in die dortigen Bürgerkriegsauseinandersetzungen ab 391/0 v. Chr. im einzelnen gestaltet haben, ist allerdings kaum auszumachen. Auf jeden Fall bildete der Zusammenbruch der spartanischen Vormachtstellung in der Ägäis 394/3 v. Chr. keinen entscheidenden Wendepunkt etwa in dem Sinne, daß zuvor nur lockere Bindungen nun in ein enges Bündnisverhältnis umgewandelt wurden. Rhodos verfolgte in jenen Jahren offensichtlich einen eher eigenständigen Kurs und hatte sich mit einer Anzahl kleinasiatischer und ägäischer Staaten nach deren Befreiung von der spartanischen Hegemonie durch die persische Flotte zu einem symmachialen Bund zusammengeschlossen.92 Eine vergleichbar enge Anbindung an Athen nach 394 v. Chr. läßt sich nicht konstatieren, zumal das in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte attische Ehrendekret für Eteokarpathos, in dem u. a. auch Rhodos als Mitglied einer attischen Symmachie genannt wird, nicht – wie bisher stets angenommen93 – in die 90er Jahre des vierten Jahrhunderts v. Chr., sondern in die 40er oder 30er Jahre des fünften Jahrhunderts v. Chr. zu datieren ist.94 Will man also einen markanten Zeitpunkt für eine – wie auch immer gestaltete – Wiederannäherung zwischen Athen und Rhodos bestimmen, so wird | [S. 172] man an die Vorgänge der Jahre 396/5 v. Chr., nicht aber an die persischen Seekriegserfolge 394/3 v. Chr. zu denken haben. Fraglich bleibt nun allerdings, ob auch die hier zu behandelnde Inschrift in jene Jahre zu datieren ist und somit als ein Zeugnis für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Athen und Rhodos gelten kann. Bereits Jeanne und Louis Robert haben darauf hingewiesen, daß die den Überlegungen Woodheads zugrunde liegende Konstruktion eigenständiger außenpolitischer Beziehungen zwischen Athen und Ialysos auch noch 91 S. S. 355 [= S. 150] mit Anm. 3. 92 Eine Zusammenfassung der Forschungsdiskussion über die Datierung dieser nur auf Münzen nachzuweisenden Symmachie gibt jetzt Karwiese 1980, der hierin einen prospartanischen, von Lysander initiierten Zusammenschluß aus den Jahren 405–400 v. Chr. sehen will; vgl. dagegen allerdings immer noch die Ausführungen von Cawkwell 1956; Cawkwell 1963, der eine Datierung dieser Symmachie auf die Zeit unmittelbar nach der Seeschlacht bei Knidos überzeugend nachweist; vgl. auch Schönert-Geiss 1970, 31–34. 93 Vgl. zuletzt etwa noch Osborne 1982, 43–44. 94 IG XII 1, 977 = Syll.3 129 = Tod, GHI 110; zum Datum vorerst Lewis 1977, 144, Anm. 55; Meiggs 1982, 200–201 mit 490, Anm. 36. Der Text ist als IG I³, Tituli Attici Extra Atticam reperti, 2 publiziert worden (Hinweis bei Sherwin-White 1978, 40, Anm. 63); vgl. im übrigen auch Funke 1980a, 133–134, Anm. 92.
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nach dem rhodischen Synoikismos haltlos und die Nennung des Ethnikons Ἰηλύσιος nur durch eine enge Bezugnahme auf die in den Z. 7–9 erwähnte Proxenieverleihung an den Vater zu erklären ist, welche zweifellos vor 412/1 v. Chr., d. h. in die Zeit der politischen Selbständigkeit der drei Inselpoleis Ialysos, Kameiros und Lindos, datiert werden muß.95 Handelt es sich bei diesem Dekret aber wirklich um die Neubegründung eines Proxenieverhältnisses, welche zwar an eine frühere Proxenieverleihung anknüpfen, hieraus jedoch keinerlei Rechtstitel und Ansprüche ableiten konnte? Woodhead vertrat die Ansicht, daß das in der Z. 11 sicher zu ergänzende ἀναγρά]ψαι δὲ … die Annahme einer solchen „initial grant of προξενία“ zwingend erfordert, da ansonsten ein ἀνανεώσασθαι o. ä. zu erwarten wäre. Sein Verweis auf das Formular der Erneuerung einer delphischen Proxenie aus dem Jahre 175/4 v. Chr. ist in diesem Zusammenhang allerdings wenig beweiskräftig.96 Hier sind vielmehr die zeitgenössischen attischen Dekrete zum Vergleich heranzuziehen, in denen eine zu einem früheren Zeitpunkt verliehene Proxenie unter Verweis auf die Zerstörung der Inschriftenstele durch die „Dreißig“ nach der Wiederherstellung der Demokratie restituiert wird. Es zeigt sich dann, daß in allen uns bekannten Fällen solcher Restituierungen im entsprechenden Formular des Aufzeichnungsbeschlusses ausschließlich ἀναγράψαι zu lesen, bzw. sicher zu ergänzen ist.97 Es ist also auch für den vorliegenden Text die bloße Erneuerung einer Proxenie, die in den politischen Wirren der Jahre 404/3 v. Chr. zeitweilig verloren gewesen war, keineswegs auszuschließen. Im Gegenteil spricht sowohl das im Text verwandte Ethnikon Ἰηλύσιος, welches im Falle einer von der Forschung bisher stets angenommenen „Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen“ zwischen Rhodos und Athen in den 90er Jahren des vierten Jahrhunderts v. Chr. kaum noch Anwendung gefunden hätte, als auch der enge Bezug zur Proxenieverleihung | [S. 173] an den Vater der Geehrten eher gegen eine „initial grant“ und macht die Wiederherstellung alter Ehren- und Rechtstitel bald nach dem Ende der Herrschaft der „Dreißig“ wahrscheinlich.98 Sucht man nun nach möglichen historischen Bedingungen, unter denen diese Proxenieerneuerung erfolgte, so wird man in erster Linie an die von Wilhelm in Auseinandersetzung mit den Thesen Hans Schaefers entwickelten Vorstellungen über die Bedeutung der attischen Proxenierestitutionen nach 403 v. Chr. zu denken haben. Schaefer hatte in 95 BE 1949, 42; im übrigen scheinen auch J. und L. Robert dem von Woodhead vorgeschlagenen Datierungsansatz der Inschrift in die Zeit um 394 v. Chr. weitgehend zuzustimmen; zur Proxenie aus den Jahren vor 412/1 v. Chr. vgl. auch Woodhead 1948, 55. 57; Walbank 1978, 377–378. 96 Woodhead 1948, 55; zur delphischen Inschrift s. Anm. 86. 97 S. die in der Anm. 85 zusammengestellten Belege; vgl. auch IG II2 448 = Syll.3 317; dazu Wilhelm 1974, 632 (= Attische Urkunden, Teil V, 16). 98 Vgl. auch Lambrechts 1958, 30–31. 68–72.74.125–127, die offensichtlich ebenfalls von einer solchen Wiederherstellung alter Ehren ausgeht, allerdings sich dann doch der Interpretation von Woodhead anzuschließen scheint: Lambrechts 1958, 153 Nr. 49.
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diesen Beschlüssen einen allerersten Versuch Athens nach dem Zusammenbruch des ersten Attischen Seebundes sehen wollen, aus der „politischen Isolierung unter allen Umständen herauszugelangen; die erste Möglichkeit war natürlich die, in den ehemaligen Bundesstädten die früheren demokratischen Parteigänger wieder an sich zu ziehen.“99 Demgegenüber hatte Wilhelm geltend gemacht, daß ein solches Unterfangen zumindest in den ersten Jahren der restaurierten Demokratie außerhalb der Möglichkeiten Athens lag: Die führenden Parteigänger und ihr Anhang waren doch, wenn nicht umgebracht, so aus den Bundesstädten vertrieben, sie konnten von den Athenern daher zunächst nur als Emigranten, aber doch nicht „auf diplomatischem Wege“100 zur Wiederherstellung ihres Einflusses herangezogen und benutzt werden.101 Diese Annahme Wilhelms kann sicherlich nicht einseitig verabsolutiert werden, da die von Sparta betriebene Hegemonialpolitik nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges sehr bald schon in zahlreichen Poleis den Nährboden für eine erneute politische Agitation proathenischer Kräfte bereitete. Gleichwohl wird man auch mit einer großen Zahl von Exulanten in Athen zu rechnen haben, die seit dem Beginn des Zerfalls der attischen Macht in der letzten Phase des Peloponnesischen Krieges nach Athen geflohen waren und sich dort auch noch geraume Zeit nach 404 v. Chr. aufgehalten hatten. Unter ihnen werden sich vor allem viele als Proxenoi und Euergetai geehrte und – zumindest teilweise – mit Privilegien ausgezeichnete Parteigänger Athens befunden haben, die ihrer Verdienste wegen eine fürsorgliche Aufnahme in der Stadt erwarten und die darauf hoffen durften, mit attischer Unterstützung im Exil auf eine Rückkehr in ihre Heimatpolis hinarbeiten zu können. Vor diesem Hintergrund muß auch die Zerstörung zahlreicher Proxenieurkunden durch die „Dreißig“ gesehen werden, von der in erster Linie diejenigen betroffen gewesen sein dürften, die sich (sei es nun im attischen Exil oder | [S. 174] auch anderswo) für die Sache Athens und der Demokratie – sicherlich zugleich auch im eigenen politischen Interesse – besonders engagiert hatten.102 Die Erneuerung dieser Inschriftenstelen ist auch insofern Ausdruck einer Interessenparallelität zwischen den Athenern einerseits und den Geehrten andererseits. Dem attischen Wunsch nach außenpolitischer Einflußnahme durch die Unterstützung der sich mit Athen besonders verbunden fühlenden Politiker entsprach das Verlangen ebendieser Männer, sich nach dem Sturz der „Dreißig“ erneut des Rückhaltes in Athen zu vergewissern, um zunächst den Unterhalt im Exil zu sichern, längerfristig aber wieder in der eigenen Polis Fuß fassen zu können. 99 100 101 102
Schaefer 1932, 39. Schaefer 1932, 39. Wilhelm 1974, 630–631 (= Attische Urkunden, Teil V, 14–15). Wilhelm 1974, 631 (= Attische Urkunden, Teil V, 15); Perlman 1958, bes. 188–189.
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Auch die in der hier besprochenen Inschrift geehrten Ialysier wird man am ehesten im Kreise dieser Exulanten suchen müssen. Die Familie hatte vermutlich schon ca. 412/1 v. Chr., nach dem Übertritt der rhodischen Städte auf die spartanische Seite, ihre Heimat verlassen und seitdem im (attischen?) Exil gelebt. Daher wurde auch nach 404/3 v. Chr. noch zur Angabe der Poliszugehörigkeit Ἰηλύσιος im Text des Dekretes verwandt. Die Erneuerung der unter den „Dreißig“ zeitweise entzogenen Ehrungen ist also der Restituierung der Proxenien für die Söhne des Thasiers Apemantos, für einen Arkader aus Kaphya u. a. durchaus zur Seite zu stellen und im Kontext der attischen Politik in der Zeit nach dem Ende des Bürgerkrieges zu sehen.103 Gegenüber den von Woodhead vorgeschlagenen, vor allem in den Z. 1–7 teilweise recht hypothetischen Ergänzungen lassen sich aus dieser neuen historischen Interpretation der Inschrift allerdings keine Gegenvorschläge ableiten. Auch im Falle einer bloßen Erneuerung der Proxenie ist in der Z. 4 keineswegs – wie es Woodhead erwogen hat – eine Begründung im Sinne von ὅτι πρόξενος – – ἦν zwingend.104 Persönliche Verdienste, die sich der Geehrte – vielleicht erst im Exil, worauf die Zerstörung der Stele durch „Dreißig“ möglicherweise hindeutet – erworben hatte, könnten hier ebensogut Erwähnung gefunden haben, so daß auch an der vom Erstherausgeber eingesetzten Formel ἐπειδὴ φίλος – – ἦν festgehalten werden kann.105 Die in Z. 6 angenommene Einbeziehung eines Heroldes aus Ialysos in die Ehrungen bleibt aufgrund der obigen Darlegungen zum historischen Kontext der Inschrift allerdings problematisch. Auch lassen die geringen Buchstabenreste in den Z. 1 die den Ergänzungen Woodheads zugrunde liegende Annahme unsicher erscheinen, daß diese Zeilen als Teil eines Präskriptes und als Beginn der Belobigungsklausel aufzufassen sind. | [S. 175] *** Im Rahmen der hier im ersten Abschnitt durchgeführten Untersuchungen ist es u. a. gelungen, das Ankunftsdatum Konons in Athen näher zu bestimmen. Es konnte gezeigt werden, daß Konon im Sommer 393 v. Chr. noch im Amtsjahr des Archonten Euboulides (394/3 v. Chr.), und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit in der vorletzten Prytanie, in seine Heimatpolis zurückkehrte.106 Aus diesem Ergebnis lassen sich nun auch neue Aspekte gewinnen für die Beurteilung eines seit jeher umstrittenen Problems der antiken Topographie Athens, nämlich der Lokalisierung und Datierung des von Konon (aus-?) 103 104 105 106
Die Quellenbelege in Anm. 85. Woodhead 1948, 55. Vgl. F. Gschnitzer, Proxenos, RE Suppl. XIII, 1973, 708–709, bes. auch 709, Z. 52–64. Vgl. bes. S. 368–369 [= S. 163].
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gebauten Aphroditeheiligtums im Peiraieus. Das Heiligtum wird dreimal in den literarischen Quellen erwähnt.107 In der streng geographisch angelegten und auf historische Exkurse offenbar verzichtenden Periegese Περὶ Ἀθηνῶν, von welcher einige Fragmente unter dem doppelten Autorennamen Kallikrates-Menekles erhalten sind, heißt es:108 ἔχει δὲ ὁ Πειραιεὺς λιμένας τρεῖς, πάντας κλειστούς. εἷς μέν ἐστιν ὁ Κανθάρου λιμὴν καλούμενος, ἐν ὧι τὰ νεώρια ἑξήκοντα· εἶτα Ἀφροδίσιον· εἶτα κύκλωι τοῦ λιμένος στοαὶ πέντε. Der Peiraieus hat drei Häfen, alle (sind) verschließbar. Einer ist der sogenannte Kantharos-Hafen;109 in ihm befinden sich die 60 Werften,110 dann (das) Aphrodision, dann rings um den Hafen fünf Hallen. Dieser wohl ins dritte oder zweite Jahrhundert v. Chr. zurückreichenden Beschreibung entsprechen sehr genau die Richtpunkte einer Ortsbeschreibung in einer Inschrift aus dem Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr., in welcher über umfangreiche Restaurierungen von Heiligtümern und öffentlichen Anlagen in ganz Attika berichtet wird:111 v ψύκτρας τὰς ἐν τῶι μεγάλωι / [λιμένι – – – – – – ἀπὸ τοῦ μέρους] τοῦ περικλειομένου τοῖς νεωρίοις καὶ τῶι Ἀφροδισίωι καὶ ταῖς στοαῖς μέχρι τῶν κλείθρων· v Die Haine (oder Kalfateranlagen),112 die zum großen Hafen gehören – – von | [S. 176] dem Bereich, der umschlossen wird von den Werften und dem Aphrodision und den Hallen bis zu den Hafenabschlußmolen.113 107 Die ebenfalls für den Peiraieus bezeugten Heiligtümer der Ἀφροδίτη Συρία und der Ἀφροδίτη Οὐρανία können im folgenden außer Betracht bleiben; vgl. Wachsmuth 1890, 122 mit Anm. 2; Panagos 1968, 220–221. 108 FGrHist 370 Kallikrates-Menekles F 1 ap. Schol. V Aristoph. Pax 145. 109 Die Forschungsdiskussion über die Namen der verschiedenen Häfen des Peiraieus ist gut zusammengefaßt bei Panagos 1968, 165–175. 255–257. 110 Zu dem Begriff: τὰ νεώρια vgl. Judeich 1931, 449–450 mit Anm. 4. Die Zahlenangabe „60“ ist möglicherweise korrupt; dazu Jacoby im Kommentar zu FGrHist 370 Kallikrates-Menekles F 1 ap. Schol. V Aristoph. Pax 145. 111 IG II2 1035, Z. 45–46; eine Neubearbeitung der Inschrift liegt vor von Culley 1973; vgl. Culley 1975; die neue Textversion auch in SEG XXVI 121. 112 Die Bedeutung des in dieser Form ansonsten nicht belegten Wortes ψύκτραι ist seit jeher umstritten. Da in diesem Zusammenhang eine Klärung | [S. 176] dieser für die Topographie des Peiraieus doch wichtigen Frage unerheblich ist, mag hier ein Verweis auf die wichtigste Forschungsliteratur genügen: Gurlitt 1890, 210–211. 242, Anm. 16; Wachsmuth 1890, 58 mit Anm. 4; Culley 1973, XXI–XXII. 139–143. 113 Zu den κλεῖθρα vgl. Wachsmuth 1890, 37–40; Culley 1973, 138–139.
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Daß schon die bloße Nennung des Namens „Aphrodision“ – ohne ergänzende Zusätze – eine präzise Ortsangabe ermöglichte, läßt die herausragende Bedeutung erkennen, die dem Heiligtum unter den Bauwerken des Kantharos-Hafens zukam. Und da auch eine so geraffte Reisebeschreibung wie die des Kallikrates-Menekles diesen Tempelbezirk offensichtlich nicht übergehen konnte, wird man zu Recht vermuten dürfen, daß sich dem Auge des antiken Reisenden bei seiner Einfahrt in den „Großen Hafen“ des Peiraieus das Aphrodision als besonders markantes Bauwerk darbot. Entsprechend hat es daher auch Pausanias in seinem Bericht über den Peiraieus berücksichtigt. An den Beginn seiner Schilderung stellt er eine eher knapp kommentierte Aufzählung der Sehenswürdigkeiten des Haupthafens. Hier wird zunächst das Temenos der Athena und des Zeus mit den dort befindlichen Bronzestatuen als der sehenswerteste Platz des Peiraieus genannt; sodann folgen die „Makra Stoa“ (die „Große Stoa“), in welcher sich das von Arkesilaos gemalte Bild des Leosthenes mit seinem Sohn befand, und die von Leochares geschaffenen Standbilder des Zeus und des Demos, die hinter dieser nahe am Meer gelegenen Stoa aufgestellt waren. Weiter heißt es dann bei Pausanias:114 Πρὸς δὲ τῆι θαλάσσηι Κόνων ὠικοδόμησεν Ἀφροδίτης ἱερόν, τριήρεις Λακεδαιμονίων κατεργασάμενος περὶ Κνίδον τὴν ἐν τῆι Καρικῆι χερρονήσωι. Κνίδιοι γὰρ τιμῶσιν Ἀφροδίτην μάλιστα, καί σφισιν ἔστιν ἱερὰ τῆς θεοῦ· τὸ μὲν γὰρ ἀρχαιότατον Δωρίτιδος, μετὰ δὲ τὸ Ἀκραίας, νεώτατον δὲ ἣν Κνιδίαν οἱ πολλοί, Κνίδιοι δὲ αὐτοὶ καλοῦσιν Εὔπλοιαν. Am Meer errichtete Konon ein Heiligtum der Aphrodite, nachdem er Trieren der Lakedaimonier bei dem auf der karischen Halbinsel gelegenen Knidos vernichtet hatte. Denn die Knidier verehren die Aphrodite am meisten, und sie haben Heiligtümer der Göttin; das älteste ist das der „Doritis“, sodann das der „Akraia“, das jüngste aber ist das derjenigen, die die meisten die „knidische“, die Knidier selbst aber „Euploia“ nennen. Eine im Peiraieus gefundene Weihinschrift eines attischen Strategen aus dem frühen ersten Jahrhundert v. Chr. belegt den Beinamen „Euploia“ auch für das Aphrodision im | [S. 177] Kantharos-Hafen.115 Als drittes literarisches Zeugnis ist ein Fragment aus dem Werk Περὶ βωμῶν καὶ θυσιῶν des Atheners Ammonios von Lamptrai anzuführen, welches u. a. im Kommentar des Syrianos zu den rhetorischen Schriften des Hermogenes überliefert ist. Hier wird der auch in 114 Paus. 1,1,3. 115 IG II2 2872; dazu Wachsmuth 1890, 122, Anm. 1; Papachatzis 1974, 117. Gleichwohl sollte man die Weihung nicht einseitig mit dem knidischen Kult in Verbindung bringen; die überaus große Verehrung der Aphrodite auf Zypern dürfte für Konons Entscheidung ebenfalls von Belang gewesen sein.
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der Themistokles-Vita des Plutarch wiedergegebenen Erzählung über das als günstiges Vorzeichen gedeutete Erscheinen einer Eule auf den attischen Schiffen vor der Seeschlacht bei Salamis noch eine weitere, in der Grundaussage weitgehend gleiche Anekdote hinzugefügt, in der jedoch von einer Taube statt von einer Eule die Rede ist:116 καὶ τὰ περὶ τῆς περιστερᾶς ὅτι ἐπὶ τῆς Θεμιστοκλέους τριήρους ἐφάνη καθεζομένη, ὅθεν καὶ μετὰ τὴν νίκην ἀπαρχὰς Ἀφροδίτης ἱερὸν ἱδρύσατο ἐν Πειραιεῖ, ὡς Ἀμμώνιος ὁ Λαμπτρεὺς ἐν τῶι Περὶ βωμῶν φησί. Und die Begebenheit mit der Taube, daß sie auf der Triere des Themistokles erschien und sich dort niederließ, weshalb er auch nach dem Sieg als Dankopfer der Aphrodite ein Heiligtum im Peiraieus weihte, wie Ammonios aus Lamptrai in seinem Buch Über Altäre berichtet. Ausgehend von den drei hier zitierten Auszügen aus der periegetischen Literatur – die bereits erwähnten Inschriften wurden erst später entdeckt – glaubten die Topographen des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts die Existenz zweier Aphroditetempel im Peiraieus voraussetzen zu müssen, von denen der eine durch Themistokles und der andere durch Konon gestiftet worden sei. Gegen diese Annahme hatte sich dann Heinrich N. Ulrichs in seinen grundlegenden Forschungen zur „Topographie der Häfen von Athen“ gewandt und sich ganz entschieden für die Existenz nur eines – und zwar von Konon erbauten – Aphroditeheiligtums ausgesprochen, welches er zwischen der unmittelbar hinter der Hafeneinfahrt liegenden antiken Marinebasis (der dritten neben der im Zea- und der im Munichia-Hafen befindlichen) und dem Emporion, am Uferrand südwestlich der heutigen Kirche Hg. Nikolaos, zu lokalisieren suchte.117 Diese Ortsbestimmung beruhte auf der allgemein vertretenen Ansicht, daß die Be- | [S. 178] schreibung der Baulichkeiten des Kantharos-Hafens bei Kallikrates-Menekles zyklisch angeordnet sei und von der Südwestecke der Hafeneinfahrt beginnend nach Nordosten fortschreite; hieraus ergab sich unter Berücksichtigung der Angabe des Pausanias: πρὸς τῆι θαλάσσηι die vermutete Lage des Heiligtums. Die bei Ammonios überlieferte Anekdote führte Ulrichs auf eine „Verwechslung der beiden Seehelden“ Themistokles und Konon 116 FGrHist 361 Ammonios F 5 ap. Syrianos, In Hermogenem Commentaria 76,8 Rabe; vgl. Plut. Them. 12,1; im übrigen sei auf den entsprechenden Kommentar von Jacoby verwiesen; zur Textkonstitution siehe auch Anm. 118. 117 Die Abhandlung von Ulrichs über die „Topographie der Häfen von Athen“ entstand ca. 1841, erschien erstmals als Ulrichs 1843 und wurde dann wiederabgedruckt in: Ulrichs 1863, 156– 183 (die Ausführungen zum kononischen Aphrodision finden sich hier S. 178–180). Zur topographischen Orientierung seien die Karten bei Judeich 1931, Plan III und Papachatzis 1974, 100–101 empfohlen.
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zurück, „denn auf die Triere des Themistokles setzte sich vor der Salaminischen Schlacht eine Eule (Plut. Them. XII) und nach dem Siege errichtete er in Melite ein Heiligtum der Aristobule Artemis (Plut. de Malign. Herod. XXXVII). Die Sage von der Taube auf Konons Mastkorbe ist der von der Eule des Themistokles nachgebildet, wie so viele religiöse Anecdoten sich wiederholen.“118 Die Thesen Ulrichs’ bildeten in der Folgezeit die Grundlage für die topographischen Forschungen über den Peiraieus. So schrieb Curt Wachsmuth 1874 in seinem ersten Band über die „Stadt Athen im Alterthum“: „Und in den Hauptpunkten, über die er (= Ulrichs, der Verf.) von der damals herrschenden Annahme abweichende Resultate seiner Forschung mitgetheilt hat, folgen wir jetzt fast alle seinen Spuren.“119 Die Existenz eines vorkononischen Aphrodisions wurde weder von Wachsmuth noch von Arthur Milchhoefer überhaupt in Erwägung gezogen.120 Darüber hinaus blieb auch die Lokalisierung des kononischen Heiligtums weiterhin unbestritten, zumal Milchhoefer in der bereits erwähnten, 1842 erstmals publizierten Weihinschrift eines attischen Strategen für die Aphrodite Euploia eine Bestätigung für dessen Lage in der Nähe des heutigen Hauptzollamtes und der Kirche Hg. Nikolaos gefunden zu haben glaubte.121 Die Inschrift war in einem Haus am Hafenufer nahe der heutigen Kirche Hg. Spyridon, d. h. in einiger Entfernung – nordöstlich – vom vermuteten Standort des Tempels, vermauert.122 Obwohl nun Milchhoefer aufgrund eigener epigraphischer Neufunde hatte zeigen können, daß die Entdeckung zahlreicher Arsenalurkunden im Zollhausbereich am Haupthafen keine Rückschlüsse für die Lokalisierung der Philonischen Skeuothek zuließ und „die topographische Beweiskraft der gemachten Funde beim Zollhaus damit aufgehoben“ war,123 glaubte | [S. 179] er im Hinblick auf die Ortsbestimmung des Aphrodisions der Weihinschrift eine solche „topographische Beweiskraft“ durchaus zugestehen und die Möglichkeit einer Verschleppung über eine größere Distanz außer acht lassen zu dürfen. Eine grundlegend veränderte Ausgangssituation wurde durch die Entdeckung einiger Inschriften in den 80er Jahren des vorletzten Jahrhunderts geschaffen. Im Winter 1886/7 wurden bei Steinbrucharbeiten an der damals noch gut erhaltenen antiken Befestigungs118 Ulrichs 1863, 179–180, Anm. 53; hier auch die von Ulrichs vorgeschlagene und seitdem zu Recht akzeptierte Textkorrektur zur Notiz des Ammonios: „Übrigens ist im Text zu lesen: ὅθεν δὲ μετὰ τὴν νίκην ἀπαρχὴν (statt Ἀπάρχου) Ἀφροδίτης ἱερὸν ἱδρύσατο ἐν Πειραιεῖ. Eine Ἀφροδίτη Ἄπαρχος kommt nirgends vor und wäre ein sonderbares Beiwort.“ FGrHist 361 Ammonios F 5 ap. Syrianos, In Hermogenem Commentaria 76,8 Rabe hat statt dessen die – bedeutungsgleiche – Pluralform ἀπαρχάς. 119 Wachsmuth 1874, 86. 120 Wachsmuth 1874, 321; Milchhoefer 1881, 49 Nr. 46. 121 Milchhöfer 1881, 49; vgl. im übrigen den Überblick über die verschiedenen Lokalisierungsversuche bei Panagos 1968, 218–219. 122 IG II2 2872; die präzisesten Angaben zum Fundort bei Wachsmuth 1890, 122, Anm. 1; Papachatzis 1974, 117. 123 Milchhoefer 1881, 48.
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mauer auf der Nordseite der Eetioneia – der schmalen Halbinsel, die den Nordwesten des „Großen Hafens“ begrenzt – zwei Inschriften von Mauerbauabrechnungen freigelegt, welche aus den Jahren 395/4, bzw. 394/3 v. Chr. datieren und in den Sockel der in hellenistischer Zeit reparierten Mauer eingebaut waren.124 Auf die Bedeutung der Bauabrechnung aus dem letzten Monat (Skirophorion) des Archontatsjahres des Diophantos (395/4 v. Chr.) ist in diesem Zusammenhang nicht erneut einzugehen. Hier hatten bereits Paul-François Foucart, der 1887 die Erstpublikation dieser Inschriften besorgte, und Wachsmuth, der noch im gleichen Jahr eine eingehende historische Untersuchung hierzu vorlegte, das Richtige gesehen und waren übereinstimmend zu dem Schluß gekommen, daß mit diesem epigraphischen Neufund der endgültige Beweis erbracht war, daß die Athener den Entschluß zum Wiederaufbau ihrer Festungsanlagen schon vor dem Seesieg Konons bei Knidos gefaßt hatten.125 Auf der anderen Mauerbauabrechnung, die aus dem Jahr des Archonten Euboulides (394/3 v. Chr.) datiert, wird außer der Kontraktsumme und dem Namen des Unternehmers auch der betreffende Bauabschnitt bezeichnet:126 ἀπὸ τõ σημέο ἀρξάμε- νον μέχρι τõ μετώπ- ο τῶν πυλῶν τῶν κατὰ τὸ Ἀφροδίσιον
von dem σημέον („Zeichen“) beginnend bis zum Mittelpfeiler des Tores, das zum Aphrodision führt
Da nun „das Eetioneia-Tor als einziges Tor in der Nähe des Fundortes mit den πύλαι der Inschrift gleichzusetzen (ist)“127 und folglich ein Aphrodision in der Nähe dieses Tores, d. h. im nördlichen Bereich der Eetioneia, existiert haben mußte, stellte sich das Problem der Lokalisierung des kononischen Aphrodisions neu. Foucart und Wachsmuth gelangten in dieser Frage zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen und lösten damit eine Forschungsdis- | [S. 180] kussion aus, die bis heute noch nicht entschieden ist.128 Auch die im folgenden vorgetragenen Überlegungen dürften noch zu keiner endgültigen Lösung, aber doch zu einer anderen Gewichtung der Argumente führen. Foucart vertrat die Ansicht, daß die
124 IG II2 1656. 1657; zur Fundlage vgl. Foucart 1887; Frickenhaus 1905, 5–14; Maier 1959, 19. 21–23 Nr. 1–2; Maier 1961, 35–36. 125 Foucart 1887; Wachsmuth 1887, 371–381; vgl. auch Anm. 25. 126 IG II2 1657, Z. 2–5. 127 Maier 1959, 23. 128 Anfänglich hatten die im folgenden näher zu erläuternden Thesen von Wachsmuth in der Forschung weitgehend Zustimmung gefunden; vgl. u. a. Judeich 1890, 728–729; Judeich 1931, 73.84.446; Lenschau 1937, 83–88; Panagos 1968, 218; Culley 1973, 160–163; in jüngster Zeit wird nun allerdings wieder verstärkt auf die Interpretation von Foucart 1887 zurückgegriffen; vgl. zuletzt Papachatzis 1974, 115–118; Beschi/Musti, 1982, 255.
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Nennung des Aphrodisions in der Bauinschrift aus dem Jahre 394/3 v. Chr. die Existenz eines vorkononischen Heiligtums für diese Göttin zwingend voraussetze: Évidemment, le temple désigné dans l’inscription n’est pas celui de Conon; sous l’archontat d’Euboulidès, ce dernier n’était même pas commencé. Il s’agit donc d’un autre Aphrodision, plus ancien.129 Da Foucart andererseits keinen Grund sah, die traditionelle Lokalisierung des kononischen Tempels südlich des antiken Emporion – nahe der heutigen Kirche Hg. Nikolaos – in Frage zu stellen, griff er die von Ulrichs abgelehnte und seitdem weitgehend außer Betracht gebliebene These von der Existenz zweier Aphroditeheiligtümer im Peiraieus wieder auf und setzte das in der Inschrift erwähnte, im nördlichen Bereich der Eetioneia anzusiedelnde Aphrodision mit der bei Ammonios erwähnten Stiftung des Themistokles gleich. Die von Ulrichs geäußerte Vermutung einer möglichen Konfusion zwischen Themistokles und Konon, bzw. Salamis und Knidos in den Notizen des Ammonios verwarf er zugunsten des antiken Autors, dessen Zuverlässigkeit und Exaktheit in den Angaben durch die Inschrift erwiesen zu sein schien.130 Auch für Wachsmuth war durch diese Mauerbauabrechnung von 394/3 v. Chr. ein zweifelsfreier Beweis für ein vorkononisches Aphrodision erbracht: „Da nun … Konon erst im Sommer 393 nach Athen gekommen sein kann, so ist es allerdings unmöglich, daß im Laufe des Archontenjahres des Eubulides, in das unsere Inschrift fällt und welches mit dem Juli 393 zu Ende geht, schon der Bau des Konon vollendet gewesen sein kann.“131 Hatte Wachsmuth noch im ersten Band seiner topographischen Studien über die „Stadt Athen im Alterthum“ das Zeugnis des Ammonios über die Errichtung eines Aphroditeheiligtums im Peiraieus durch Themistokles nach dem Sieg bei Salamis einfach übergangen, so verwies er nun (1887) auf die „Autorität des alten athenischen Skribenten“, die es nicht erlaube, dessen Aussagen nach dem Vorgange Ulrichs’ in Zweifel zu ziehen.132 So erschien auch Wachsmuth eine themistokleische Stiftung für Aphrodite durchaus wahrscheinlich. | [S. 181] Im Gegensatz zu Foucart stand Wachsmuth jedoch der alten These von der Existenz zweier Aphroditeheiligtümer ablehnend gegenüber. Der sprachliche Befund ließ seines Erachtens nur den Schluß zu, daß mit dem in der Bauinschrift erwähnten Aphrodision „kein anderes als das bekannte Aphrodision am Peiraieushafen gemeint sein kann, 129 130 131 132
Foucart 1887, 140. Foucart 1887, 141. Wachsmuth 1887, 374. Wachsmuth 1887, 375; Wachsmuth 1890, 121, Anm. 2.
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da eben nur dieses so kurzweg als τὸ Ἀφροδίσιον bezeichnet wird.“133 Hieraus ergaben sich für ihn notwendig zwei Folgerungen: 1. Konon errichtete seinen Tempel an einer Stelle, an der sich bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. ein wohl von Themistokles gestiftetes Aphrodision befand. 2. Dieses Heiligtum lag nicht – wie bis dahin in der Forschung übereinstimmend angenommen – im südlichen Hafenbereich, sondern „am nördlichen Ende der Eetioneia dicht bei den Fortifikationen“.134 Mit den Aussagen der übrigen Quellen ließ sich eine solche Lokalisierung jedenfalls vollauf in Übereinstimmung bringen.135 Sollten die Darlegungen Wachsmuths das Richtige treffen, so ergäbe sich hieraus ein interessanter Aspekt für die Beurteilung der Persönlichkeit Konons und seiner politischen Zielvorstellungen nach der Rückkehr. Der Ausbau eines von Themistokles im Peiraieus gegründeten Aphroditeheiligtums wäre der programmatische Ausdruck für den Wunsch Konons, an die militärischen und politischen Erfolge des Themistokles anzuknüpfen und sich selbst in die unmittelbare Nachfolge dieses Staatsmannes zu stellen, der im damaligen Athen zu neuem Ruhm gelangte, nachdem im fünften Jahrhundert v. Chr. das historische Urteil quasi von einer damnatio memoriae geprägt gewesen zu sein scheint. Erst die Würdigung des Themistokles im ersten Buch des thukydideischen Werkes136 kennzeichnet den Beginn einer dann für das vierte Jahrhundert v. Chr. charakteristischen Entwicklung, in der „eine romantisch-patriotische, verklärende Rückbesinnung auf die große Vergangenheit, die Epoche der ἐκείνη εὐδαιμονία, in Athen das Andenken des Themistokles der über ihn verhängten Ächtung entriß und wieder zu hohen Ehren brachte.“137 So besehen hätte sich Konon eine aufkommende „Themistokles-Renaissance“ propagandistisch zunutze gemacht. Die Stilisierung als ein „neuer Themistokles“ | [S. 182] konnte dabei um so überzeugender wirken, als der unbestritten sehr große Anteil Konons am Wiederaufbau der attischen Befestigungsanlagen138 die Erinnerung an die Verdienste des Themistokles um die Stärkung der Machtstellung Athens wachrufen mußte.139 133 Wachsmuth 1887, 373. 134 Wachsmuth 1890, 120. 135 Vgl. die Ausführungen von Wachsmuth 1887, 373–376; im Grunde legt auch schon die Schilderung des Pausanias eine solche Lokalisierung nahe, da auch die übrigen von ihm beschriebenen Monumente sich ausschließlich im nördlichen Peiraieusbereich befanden. Die Vermutung von Judeich 1890, 729; Judeich 1931, 446, daß sich der Tempel außerhalb der Festungsmauern „auf der höchsten Erhebung der nördlichen Eetioneia“ befunden habe, ist kaum mit der Angabe: πρὸς τῆι θαλάσσηι bei Pausanias zu vereinbaren; vgl. im übrigen auch Panagos 1968, 218–219. 136 Thuk. 1,138; vgl. auch Thuk. 1,74; aber auch schon Aristoph. Equ. 812–819 und das bei Plut. Them. 32,4 überlieferte Fragment aus der Rede des Andokides Πρὸς τοὺς ἑταίρους. 137 Lehmann 1968, 284; vgl. im übrigen die bei Beschi/Musti 1982, 252 zusammengestellte Literatur. 138 Zum Anteil Konons am Wiederaufbau der Fortifikationen vgl. Funke 1980a, 129. 139 Wie sehr sich dieses Bild später offensichtlich verfestigte, zeigt der Vergleich zwischen Themistokles und Konon bei Demosth. or. 20,73–74.
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In diesem Zusammenhang sei noch eine – zwangsläufig sehr hypothetische – Überlegung angefügt. Pausanias erwähnt in seiner Schilderung des Peiraieus auch ein Grabmal des Themistokles, welches sich in der Nähe des größten Hafens, d. h. des KantharosHafens, befand: καὶ πρὸς τῶι μεγίστωι λιμένι τάφος Θεμιστοκλέους.140 Diese Grabanlage wird ansonsten nur noch in der Themistokles-Vita des Plutarch und beiläufig in einer Notiz der aristotelischen historia animalium genannt.141 Die ausführlichste Beschreibung gibt Plutarch, der sich hier auf das Werk Περὶ μνημάτων des Periegeten Diodor stützt, welcher wiederum einige Verse des attischen Komödiendichters Platon als Bestätigung seiner – offensichtlich nur mit Vorbehalten gemachten – topographischen Angaben zum Themistoklesgrab zitiert.142 Sollte die Behauptung Diodors zutreffen, daß die von ihm zitierten Verse Platons eine Anspielung auf das Themistoklesgrab wiedergeben, so würde dies angesichts der von Platon verwendeten futurischen Verbformen den Schluß zulassen, daß sich diese Grabanlage – was auch immer man sich darunter vorzustellen hat143 – zum Zeitpunkt der Aufführung der platonischen Komödie noch im Bau befand. Da nun Thukydides zwar von der (heimlichen) Überführung der Gebeine des Themistokles nach Athen, aber nichts von einem Grabmonument zu berichten weiß,144 hat zuerst Thomas Lenschau eine Datierung des Grabbaus und somit auch der platonischen Komödie in die 90er Jahre des vierten Jahrhunderts v. Chr. und eine enge Verbindung mit der | [S. 183] Rückkehr Konons nach Athen erwogen: „Vielleicht ist es ( = das Grab, der Verf.) erst nach der Seeschlacht von Knidos durch Konon dort errichtet.“145 Für die Vermutung Lenschaus könnte auch die Lage und Gestaltung des Denkmals sprechen, mit welchem vor allem nach den eingehenden archäologischen Untersuchungen Milchhoefers, die vor einigen Jahren durch die grundlegende Studie von Paul W. Wal140 Paus. 1,1,2. 141 Plut. Them. 32,5–6; Aristot. hist. an. 569 b 9–12. 142 FGrHist 372 Diodoros F 35 ap. Plut. Them. 32,4; das Komikerzitat: CAF I, 651, frg. 183. An dieser Stelle sei Prof. Dr. R. Kassel herzlich dafür gedankt, daß er mir die vorläufige, für den Bd. 7 der von ihm zusammen mit C. Austin herausgegebenen PCG (= Poetae Comici Graeci) vorgesehene, kommentierte Fassung des Textes zugängig gemacht hat. Das Platonzitat lautet: ὁ σὸς δὲ τύμβος ἐν καλῶι κεχωσμένος τοῖς ἐμπόροις πρόσρησις ἔσται πανταχοῦ, τούς τ’ εκπλέοντας εἰσπλέοντάς τ’ ὄψεται, χὠπόταν ἄμιλλ’ ἦι τῶν νεῶν θεάσεται. 143 Wachsmuth 1890, 169 spricht von einem „Kenotaphion“. Vgl. auch Podlecki 1975, 177–183, der darauf verweist, daß in späteren Quellen möglicherweise nicht mehr zwischen Grab und Kenotaph unterschieden wurde; s. auch die Skepsis von Wilamowitz-Moellendorff 1893, 147, Anm. 45. 144 Thuk. 1,138; Beschi/Musti 1982, 253–254 wollen hierin bereits einen versteckten Hinweis auf die Grabanlage sehen. 145 Lenschau 1937, 93; vgl. auch den Kommentar von Edmonds 1957, 547 frg. 183; Gomme 1959, 446: „But it may be only later than Thucydides’ exile.“
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lace ergänzt wurden, das Themistoklesgrab mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu identifizieren ist.146 Hierbei handelt es sich um die Reste einer Grabanlage auf der äußersten Westspitze der Akte-Halbinsel, „where the Akte peninsula comes nearest to Psyttaleia and Salamis“,147 die nicht nur einen engen räumlichen, sondern auch baulichen Bezug zu den Festungsmauern aufgewiesen zu haben scheint.148 Wenn diese Überlegungen zutreffen sollten, wäre es durchaus möglich, die These Lenschaus über den Bau eines Grabmonumentes für Themistokles durch Konon mit derjenigen Wachsmuths über den Ausbau eines themistokleischen Heiligtums durch Konon zu verbinden. Es wäre damit ein weiteres Argument für die Annahme gewonnen, daß Konon nach der Rückkehr bemüht war, seiner aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden finanziellen und materiellen Mittel ohnehin überaus einflußreichen Stellung in Athen auch einen ideologischen Bezugsrahmen zu geben, der der politischen Stimmungslage im damaligen Athen vollauf entsprach und das eigene Ansehen noch weiter stärken mußte. Auf jeden Fall hätte die Errichtung eines Themistoklesgrabes und dessen Einbeziehung in den Ausbau der Fortifikationen eine solche Wirkung ebensowenig verfehlt wie eine Weihung, welche den unmittelbaren Bezug zu einer themistokleischen Stiftung demonstrativ herausstellte. Die vorangegangenen Darlegungen bleiben allerdings in starkem Maße von der Tragfähigkeit der Argumente abhängig, die in der Forschung für die Existenz eines vorkononischthemistokleischen Aphrodisions ins Feld geführt werden. Daher gilt es im folgenden zu prüfen, inwieweit die Angaben des Ammonios durch andere Quellenaussagen bestätigt werden. | [S. 184] Eine entscheidende Stütze für die Glaubwürdigkeit des Ammonios-Zeugnisses schien Wachsmuth in einer 1885 erstmals publizierten, oben in einem anderen Zusammenhang bereits erwähnten Inschrift aus dem späten ersten Jahrhundert v. Chr. gefunden zu haben,149 in welcher neben anderen Stiftungen im Peiraieus auch das Heiligtum einer Göttin erwähnt wird, „welches Themistokles vor der Seeschlacht bei Salamis weihte“ (ὃ ἱδρύσατο Θεμιστοκλῆς πρὸ τῆς περὶ Σαλαμῖνα ναυμαχίας).150 Von dem Namen der Göttin, bzw. des Heiligtums sind nur noch einige Buchstabenreste erhalten, welche 146 Milchhoefer 1881, 54 Nr. 55; Wallace 1972 (mit reichhaltiger Bibliographie); vgl. auch Papachatzis 1974, 110–112. 147 Wallace 1972, 461, der auf die Nähe zum Ort der Seeschlacht bei Salamis verweist: „And both Psyttaleia and Salamis have promontories where antiquities have been found which may represent monuments to the battle.“ 148 Vgl. die Untersuchungsergebnisse von Milchhoefer 1881, 54 Nr. 55. Der jetzige Erhaltungszustand läßt aufgrund der starken baulichen Veränderungen vor allem der jüngsten Zeit kaum noch Rückschlüsse auf die ursprüngliche Anlage zu; vgl. Wallace 1972; es bleiben daher große Unwägbarkeiten. 149 Erstpublikation: Tsountas 1884 (1885); dann IG II2 1035; im folgenden nach SEG XXVI 121 zitiert. 150 SEG XXVI 121, Z. 45.
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in der Erstpublikation durch Christos D. Tsountas als -ρκάν]ης wiedergegeben wurden.151 Wachsmuth glaubte diese unsichere Lesung durch – Ἀφροδίτ]ης ersetzen zu können in der Meinung, daß zu dieser Ergänzung „die vor HΣ angegebenen Buchstabenreste mindestens für ΔIT und zuvor P allenfalls stimmen“.152 Die Textrevision durch Johannes Kirchner ergab dann allerdings die Lesung -]ẠΚΑΝΗΣ, welche durch die erneute Überprüfung des Textes durch Gerald R. Culley, der – Ἑ]ρ̣ κάνης vorschlägt, weitgehend bestätigt wurde.153 Obgleich sich also der Ergänzungsvorschlag Wachsmuths als unhaltbar erwiesen hatte, hielt man auch in der Folgezeit an der Gleichsetzung des bei Ammonios erwähnten themistokleischen Aphrodisions mit der in der Inschrift aufgeführten Stiftung des Themistokles fest, nun allerdings mit dem Vorbehalt, daß „in den Buchstaben, welche am Anfang von Z. 45 stehen, wohl ein Rest des ungewöhnlichen Beinamens der Aphrodite zu erkennen“ sei.154 Die zahlreichen Aspekte, unter denen die Aphrodite im Altertum verehrt wurde, lassen vorderhand die Annahme eines „ungewöhnlichen“ (und hier auch nicht näher zu bestimmenden) Beinamens denkbar erscheinen, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß man den Thesen Foucarts folgend das kononische Heiligtum der Aphrodite Euploia von dem Aphrodision des Themistokles räumlich trennt. Aber auch Walther Judeich, Lenschau u. a., die sich der Argumentation Wachsmuths anschloßen und von der Identität beider Heiligtümer ausgingen, suchten die entsprechende Passage der Inschrift auf ebendieses Heiligtum der Aphrodite zu beziehen, deren Beiname in der Inschrift „nicht sicher festzustellen“ sei.155 Da nun aber für die Weihung Konons der Name der Aphrodite Euploia bezeugt ist und der kononische Tempel auch noch in römischer Zeit ganz offensichtlich zu den markanten Bauwerken des Peiraieus zählte,156 wäre es doch | [S. 185] sehr verwunderlich, wenn bei der Benennung eines – wie die zuletzt genannten Forscher annehmen – von Themistokles gegründeten und von Konon ausgebauten Heiligtums zwar Themistokles, aber weder Konon noch der Aphrodite-Beiname Euploia in der Inschrift Erwähnung gefunden hätte. Im übrigen gilt es zu bedenken, daß in unmittelbarem Anschluß an die Beschreibung des themistokleischen Heiligtums in der Z. 46 das kononische Aphrodision als eine – keiner näheren Präzisierung bedürfenden – Ortsbestimmung: τὸ Ἀφροδίσιον genannt wird.157 Die Identität der in Z. 45 aufgeführten Weihung des Themistokles mit einem (oder gar „dem“, dann durch Konon ausgebauten) Aphrodision ist auch von daher eher unwahrscheinlich. 151 Tsountas 1884 (1885), 169–170, Z. 45. 152 Wachsmuth 1890, 121, Anm. 2; vgl. auch Wachsmuth 1887, 375. 153 Vgl. IG II2 1035, Z. 45; Culley 1973, bes. 50–51. 154 Gurlitt 1890, 248, Anm. 30. 155 Judeich 1931, 73, Anm. 5. 156 Vgl. S. 382 [= S. 177] mit Anm. 115. 157 Vgl. S. 381 [= S. 175] mit Anm. 111.
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Eine einfache Gleichsetzung der in der Inschrift erwähnten themistokleischen Weihung mit der bei Ammonios beschriebenen Stiftung für Aphrodite verbietet sich aber noch aus einem anderen Grund. Während in der Inschrift von einer Weihung die Rede ist, die Themistokles vor der Seeschlacht bei Salamis (πρὸ τῆς περὶ Σαλαμῖνα ναυμαχίας, Z. 45) gesetzt hatte, spricht Ammonios von einem Aphroditeheiligtum, das Themistokles erst nach dem Seesieg (μετὰ τὴν νίκην)158 gestiftet hatte. Wachsmuth hat diesen doch gravierenden Unterschied zu eliminieren versucht: Wenn hier die Stiftung vor, dort nach der Salaminischen Schlacht erfolgt, so erledigt sich das einfach durch die Erwägung, daß das Gelöbnis der Schlacht vorausging, seine Ausführung ihr folgte.159 Es ist m. E. aber doch sehr problematisch, dem in beiden Fällen benutzten Verb ἱδρύειν eine solche semantische Bedeutungsspanne zuzuschreiben. Aber auch James G. Frazer hielt die Diskrepanz in den Aussagen für „not very material; tradition might vary on the point“.160 Dieser Meinung hat sich die Forschung fast einhellig angeschlossen. Der Widerspruch von Foucart („Ces details ne permettent pas de croire à une simple confusion.“) blieb ebenso unbeachtet wie die Skepsis, die Felix Jacoby einer solchen Deutung entgegenbrachte.161 Foucart wollte in dem in Z. 45 der Inschrift erwähnten Heiligtum eine Weihung des Themistokles sehen, mit welcher dieser vor der Seeschlacht bei Salamis auch die Götter der Feinde für die griechische Sache einzunehmen versucht habe. Er dachte an eine Gleichsetzung mit dem Artemisheiligtum auf Salamis, das noch Pausanias – vielleicht in der Nähe des Tropaions für den Seesieg – gesehen hatte, und schlug daher vor, die erhaltenen Buchstabenreste der Z. 45 zu Ἀρτέμιδος oder θεᾶς Ὑ]ρκανῆς zu ergänzen. Erst vor wenigen Jahren hat Culley die Thesen Foucarts erneut aufgegriffen. Er stimmte mit diesem darin überein, daß die themistokleische | [S. 186] Stiftung der Inschrift nicht mit dem bei Ammonios erwähnten Aphrodision des Themistokles identifiziert werden könne. Den Ergänzungsvorschlag lehnte er allerdings ab, da davon auszugehen sei, daß das in Z. 45 genannte Heiligtum aufgrund der nach Regionen geordneten Gliederung des Inschriftentextes im Peiraieus gelegen haben muß,162 und darüber hinaus auch in der Beschreibung des salaminischen Artemisions bei Pausanias eine entsprechende Erwäh-
158 159 160 161
Vgl. S. 383 [= S. 177] mit Anm. 116. Wachsmuth 1887, 375. Frazer 1913, 30. Foucart 1907, hier 184; Jacoby im Kommentar zu FGrHist 361 Ammonios F 5 ap. Syrianos, In Hermogenem Commentaria 76,8 Rabe. 162 Vgl. hierzu auch Culley 1977, 285.
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nung des Themistokles gegebenenfalls zu erwarten gewesen wäre.163 Statt dessen hat er eine Ergänzung zu Ἀθηνᾶς oder Ἀρτέμιδος Ἑ]ρ̣ κάνης (= „of the fenced enclosure“) vorgeschlagen und eine – mit dem ersten Ausbau des Peiraieus zu verbindende – Weihung des Themistokles an eine Göttin erwogen, „who protects her charges with a fenced enclosure. It could suggest both that she builds the fence and that she dwells within it“.164 Auch dieser Ergänzungsvorschlag muß – wie Culley selbst zugesteht – „highly conjectural“165 bleiben. Gleichwohl dürfte aber doch hinreichend deutlich geworden sein, daß das in Z. 45 erwähnte Heiligtum – sei es nun, daß es tatsächlich eine der zahlreichen Stiftungen des Themistokles gewesen war, oder daß es erst eine späte Tradition dem Themistokles zugeschrieben hatte – nur schwerlich mit dem Bericht des Ammonios über die Weihung eines Aphrodisions durch Themistokles in Verbindung gebracht werden kann und falls nicht die „Autorität des alten athenischen Skribenten“ Ammonios zweifelsfrei zu erweisen vermag.166 Es bleibt zu untersuchen, inwieweit die Mauerbauabrechnung aus dem Jahre 394/3 v. Chr., in welcher – als dem frühesten epigraphischen Zeugnis – „das Aphrodision“ im Peiraieus genannt wird,167 die Existenz eines vorkononischen Heiligtums bezeugt. Aus der Erwähnung der αἱ πύλαι αἱ κατὰ τὸ Ἀφροδίσιον (Z. 4–5) glaubte Wachsmuth den Schluß ziehen zu müssen, daß zum Zeitpunkt der Setzung der Inschrift dieses Heiligtum bereits vollendet gewesen sei und es sich daher hier | [S. 187] nur um einen Vorgängerbau des kononischen Aphrodisions, und zwar um die bei Ammonios erwähnte Stiftung des Themistokles, handeln könne.168 Man muß nun allerdings berücksichtigen, daß die zu errichtende Mauer und die Toranlage, auf welche diese Abrechnung zu
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Culley 1973, 153–156. Culley 1973, 154 mit Anm. 149. Culley 1973, 156. Zu den mit dem Namen des Themistokles verbundenen Heiligtümern vgl. Podlecki 1975, 173–183, der auch auf die in der hier behandelten Inschrift genannten Weihung eingeht. Eine Beziehung zwischen SEG XXVI 121, Z. 45 und der Notiz bei Ammonios hält auch er für wenig wahrscheinlich; zu Recht wendet er sich darüber hinaus gegen Davies 1971, 215–216, der diese Weihung mit dem „Themistoklesgrab“ (zu den Quellen siehe Anm. 140–142) gleichzusetzen sucht. Ebenso abwegig ist die Ansicht von Jordan 1975, 20, der in SEG XXVI 121, Z. 44–46 einen Bezug sehen will „to some sort of building, which Themistocles had built to serve the needs of the navy. … The name and description of the building have unfortunately not been preserved on the stone, but the surrounding context, in which the drydocks for ships are mentioned, most strongly suggests that it was a part of the neoria.“ 167 IG II2 1657, Z. 4–5; vgl. S. 384–385 [= S. 179]. 168 Wachsmuth 1887, 374; Wachsmuth 1890, 122–123. Auch Culley 1973, 160–163 kommt zu diesem Schluß; er geht allerdings von der falschen Voraussetzung aus, daß IG II2 1657 „firmly dated to the archonship of Diophantos (394 B.C.), and therefore must refer to Themistocles’ Aphrodision, not to Konon’s, for the latter could not have been dedicated until at least the year following“ (161).
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beziehen ist,169 zu einem Bauabschnitt gehörten, der nicht der alten themistokleischen Befestigungslinie folgte, die in diesem Bereich auch noch die Krommydaru-Bucht einschloß und in einem weit nach Nordwesten ausgreifenden Bogen die gesamte Eetioneia und den sogenannten Κωφὸς λιμήν, dem in der Antike offensichtlich verlandeten Nordteil des Kantharos-Hafens, umspannte. Die Festungsmauern des vierten Jahrhunderts v. Chr. sparten hingegen die Krommydaru-Bucht ebenso aus wie weite, z. T. höher gelegene Teile der Eetioneia und den Κωφὸς λιμήν. Erst unmittelbar westlich des Asty-Tores stießen die neuen Fortifikationen wieder auf den alten Verlauf der Mauern des fünften Jahrhunderts v. Chr.170 Planung und Ausführung der Arbeiten, die 395/4 v. Chr. begannen, werden daher in diesem Bauabschnitt besonders viel Zeit beansprucht haben. Dafür sprechen auch die Bauinschriften. Während die erhaltenen Rechnungsurkunden von 395/4 und 394/3 v. Chr. sich nur auf Arbeiten beziehen, die im Zusammenhang mit dem Bau des Steinfundamentes standen, sind in dem Bruchstück einer ebenfalls nahe der Mauer beim Eetioneia-Tor gefundenen Rechnung, die – 393/2 v. Chr. ursprünglich beginnend – über mehrere Jahre reichte,171 zumindest noch unter dem Archontat des Philokles (392/1 v. Chr.) Angaben über Lehmziegelarbeiten aufgeführt, bei denen es sich wohl „um Arbeiten am Oberbau des Abschnittes von 1.2. ( = IG II2 1656. 1657, der Verf.) südwestlich des Eetioneia-Tores handelte“.172 So liefern uns die Mauerbauabrechnungen für diesen Abschnitt der Festungsanlagen jeweils einen ungefähren terminus post quem für den Fortgang der Arbeiten173 und bestätigen die schon aufgrund allgemeiner Erwägungen nahelie- | [S. 188] gende Vermutung, daß dieser völlig neu projektierte Mauerzug im Jahre 394/3 v. Chr. über ein erstes Ausbaustadium noch nicht hinausgelangt war. Entsprechend dürfte auch das dazugehörige Tor ebenfalls noch nicht vollendet gewesen sein.174 Der in der Abrechnung zur Kennzeichnung eines Grenzpunktes des Bauabschnittes verwandte Ausdruck: τὸ μέτωπον τῶν πυλῶν τῶν κατὰ τὸ Ἀφροδίσιον setzt jedenfalls eine bereits fertiggestellte Toranlage keineswegs 169 Vgl. Frickenhaus 1905, 5–14; Maier 1959, 23. 170 Vgl. zum Verlauf der Festungsmauern die in Anm. 117 genannten Karten. 171 IG II2 1662; dazu Maier 1959, 28–29 Nr. 7. Der Umstand, daß sich in IG II2 1658–1664 (frühestes Datum: 394/3 v. Chr./Euboulides) das Formular ändert und nun auch die Teichopoioi Erwähnung finden, darf im übrigen nicht dazu verleiten, IG II2 1657 zeitlich möglichst nahe an IG II2 1656 heranzurücken. Die Baukommissionen der Teichopoioi wurden bereits mit Beginn der Bauarbeiten 395/4 v. Chr. eingesetzt; vgl. FGrHist 328 Philochoros F 40 ap. Harpokr., π 107; ε 138 mit dem entsprechenden Kommentar von Jacoby; dazu auch schon Wachsmuth 1890, 34–35; zur Änderung des Inschriftenformulars vgl. Frickenhaus 1905, 9; Maier 1959, 32–33; Maier 1961, 42–43. 172 Maier 1959, 28. 173 Wrede 1933, 26; vgl. auch Frickenhaus 1905, 10–14. 43–44, der zu Recht auf den relativ langsamen Fortgang | [S. 188] der Arbeiten verweist; seine Berechnungen der Arbeitszeiten bleiben im Einzelfall allerdings problematisch; dazu Maier 1959, 33. 174 Zur Toranlage vgl. Judeich 1931, 150–151; Papachatzis 1974, 114–118.
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zwingend voraus. Man wird vielmehr davon auszugehen haben, daß die jeweiligen Bauabschnitte gegebenenfalls nach den in der Planung vorgesehenen besonderen Ausbauten bezeichnet wurden, auch wenn diese selbst ebenfalls erst noch auszuführen waren.175 Eine solche Überlegung läßt sich prinzipiell auf das in der Bauinschrift erwähnte Aphrodision übertragen, welches dann als ein zum damaligen Zeitpunkt in die Planung des Mauerbaus mit einbezogenes Bauwerk aufzufassen wäre. Dies scheint auch Foucart bedacht zu haben, als er die Möglichkeit erwog, daß dieses Heiligtum sich zur Zeit der Setzung der Inschrift erst im Bau befand und nicht schon – wie Wachsmuth annahm – bereits vollendet war und daß es sich so besehen um den von Konon errichteten Tempel handeln könnte. Da er aber die Rückkehr Konons nach Athen noch im Archontatsjahr des Euboulides für ausgeschlossen hielt, glaubte er diese Möglichkeit verwerfen zu müssen: „Sous l’archontat d’Euboulidès, ce dernier (= der kononische Bau, der Verf.) n’était même pas commencé.“176 Nun konnte im ersten Teil der hier vorgelegten Untersuchung dargelegt werden, daß mit der Rückkehr Konons noch in der vorletzten Prytanie des Archontats des Euboulides zu rechnen ist. Da es darüber hinaus naheliegt, daß sich Konon schon recht bald nach seiner Ankunft zum Bau eines Aphroditeheiligtums als Dank für den bei Knidos errungenen Seesieg entschloß und sich zugleich auch bereits aktiv am Ausbau der Festungsanlagen beteiligte, ist es durchaus denkbar – wenngleich letzte Sicherheit hier nicht zu erreichen ist –, daß das in der Bauinschrift genannte Aphrodision doch mit der kononischen Stiftung für die Aphrodite Euploia gleichzusetzen ist. Auf jeden Fall kann die Erwähnung des Aphrodisions in der Rechnungsurkunde von 394/3 v. Chr. nicht als ausschlaggebendes Argument für die Existenz eines vorkononischen Aphroditeheiligtums oder gar als Erweis für die Zuverlässigkeit des Ammonios-Zeugnisses dienen. Aufgrund der zur Zeit verfügbaren epigraphischen Dokumente ist die Frage eines vorkononisch-themistokleischen Aphrodisions nicht zu entscheiden. Auch | [S. 189] die Erwägungen August Böckhs, denen sich Wachsmuth anschloß, daß das Aphrodision „ein jedem Hafen des Alterthums sehr nothwendiges Heiligthum“ gewesen sei,177 helfen nicht weiter, da sie in dieser Allgemeinheit für die griechische Welt der klassischen Zeit nicht zutreffen.178 So bleibt man weiterhin auf die Angaben des Ammonios angewiesen, und hier stellt sich die Frage, ob nicht am Ende Ulrichs mit seiner radikalen Kritik am Bericht des Ammonios doch das Richtige getroffen hat.179 175 So besehen könnte es sich bei dem in IG II2 1657, Z. 2 erwähnten σημέον um ein Zeichen handeln, welches mangels eines markanten Punktes nur zum Zweck der Kennzeichnung des Bauabschnittes errichtet worden war. 176 Foucart 1887, 140. 177 Böckh 1851, 84; s. auch Wachsmuth 1890, 119. 178 Vgl. Nilsson 1967, 521. 179 Ulrichs 1863, 179–180, Anm. 53. – Für wertvolle Hinweise sei Prof. Dr. R. Kassel, Prof. Dr. G. A. Lehmann und B. Smarczyk herzlich gedankt.
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A Politician in Exile The Activities of the Athenian Kallistratos of Aphidnai in Macedonia
To the “Tales from the Lands of the Ethne” that are being told in this volume in honour of Miltiades Hatzopoulos, I would like to add a seemingly small anecdote. While being nothing but an episode, strictly speaking, it still happens to help in gaining better understanding of some facets of the very complex political events in Northern Greece during the mid-fourth century BC. The subject will be the final years in the life of the Athenian politician Kallistratos of Aphidnai, which he spent in exile in Northern Greece, before finally being put to death in his home town Athens. In the first half of the fourth century BC, Kallistratos of Aphidnai counted among the most prominent politicians of Athens. Karl Julius Beloch and Eduard Meyer even considered him a second Pericles.1 Despite his outstanding political status, only a shadowy outline of his biography and personality can be grasped in the ancient tradition. Even Xenophon reports only a few activities of Kallistratos during the 70s. Apart from that, due to the known insufficient historiographical tradition regarding the fourth century BC, we are forced to rely on very disparate and fragmentary, and often not contemporary, epigraphic, literary and philosophical sources. Above all, Kallistratos’ posthumous fame was based on his rhetorical skills, which fascinated Demosthenes as well as his antagonist Aischines.2 As a result, the reports about Kallistratos that go down to late antiquity focus on his outstanding qualities as an orator, while on the subject of his political activities they offer only some bits and pieces of incomplete information. Nevertheless, it is possible to at least roughly outline Kallistratos’ political biography, so that the fundamental features of his policies become clear. Without getting lost in too much detail let me introduce the basic information on his policies in the required brevity, since they are indispensable for understanding the background and general conditions for Kallistratos’ activities during his exile.3 The first political appearance of Kallistratos in public is linked with the trial of the members of the Athenian embassy, who, in winter 392/1 BC, conducted negotiations concerning the termination of the Corinthian War. Kallistratos here acted as successful prosecutor and determined advocate for the continu-
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: M. Kalaitzi/P. Paschidis (et al.) (Hgg.), Βορειοελλαδικά. Tales from the Lands of the Ethne. Essays in Honour of Miltiades B. Hatzopoulos, Athen 2018, 159–166. 1 Beloch 1884, 145–146; Meyer 1958, 440 2 Cf. Hochschulz 2007, 1–3 (includes the relevant sources). 3 Apart from earlier research on Kallistratos’ biography (H. Swoboda, Kallistratos (1), RE X, 2, 1919, 1730–1735; Cloché 1923; Sealey 1956; Bearzot 1978–1979) a more recent essential reading is Hochschulz 2007.
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ation of the war, since he considered the negotiated terms an unacceptable compromise.4 However, the outcome of the Corinthian War, ending with the King’s Peace, was to show that the ambassadors had after all been on the right track by adopting a negotiation strategy based on what was politically feasible.5 This experience seems to have made a lasting impression on Kallistratos’ political attitude. When he entered the political stage once again during the 70s, he did so as a vehement exponent | [S. 160] of a foreign policy strictly in keeping with the terms of the King’s Peace; and he succeeded in committing the Athenians to this line of action. So, Kallistratos became one of the founding fathers of the Second Athenian League and thus secured a leading rule in foreign policy for Athens for at least more than a decade. With this a balance of power in the Greek world of states on the basis of the principles of autonomia and eleutheria laid down in the King’s Peace was reached. The great political and also rhetorical skills that Kallistratos was able to draw on in his actions are exemplarily illustrated by his speech held in 371 BC on the peace congress in Sparta, which Xenophon recapitulates at great length in his Hellenika.6 When after the Battle at Leuktra a profound power-political change was looming, Kallistratos managed to win over the Athenians for the last time not only for his pursued policy of balance of power but also for an alliance with Sparta. It is worth mentioning that there was already considerable opposition in the popular assembly.7 Kallistratos’ success was not only based on his political and rhetorical abilities. He counted as a very well versed expert in fiscal matters, too. His uncle Agyrrhios of Kollytos, an influential politician and experienced finance expert, had evidently not only introduced him to politics very early on,8 but also familiarised him with questions regarding banking, financial management and fiscal rules. The cooperation with Agyrrhios seems to have been a firm component in Kallistratos’ policies, especially in the field of fiscal matters. Evidence suggests that, in the time of the Second Athenian League, these two politicians actually initiated and pushed through a number of fiscal reforms in order to stabilise Athens’ political power both internally and externally. Among the components of the new fiscal policy were both the Grain-Tax Law proposed by Agyrrhios in 374/3 BC9 and the regulations for the allies’ financial contributions. For these Kallistratos introduced the new term syntaxeis intentionally avoiding the still hated term phoroi 4 FGrHist 328 Philochoros F 149a ap. Didym. comm. in Demosth., Philippika 4 (or. 10), 10,34, col. 7, 11–27; cf. Funke 1980, 85–89. 136–148; Hochschulz 2007, 27–43 (with further literature). 5 Funke 1980, 148–167. 6 Xen. hell. 6,3,10–17. 7 Hochschulz 2007, 128–142. 8 Cf. Funke 1980, 111–112. 145–146. 9 Stroud 1998; see also SEG XLVIII 96; Rhodes-Osborne, GHI 26; Engels 2000; Moreno 2007, 102–115; Magnetto/Erdas/Carusi 2010.
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from the days of the First Athenian League.10 Furthermore, the Athenian Currency Law of 375/4 BC, a reform of the eisphora and perhaps also the establishment of the stratiotika were also part of the bundle of fiscal measures,11 whose driving force may well have been Kallistratos as well as his uncle Agyrrhios.12 It was the triad of political skill, rhetorical ability and fiscal expertise that brought Kallistratos in the 70s the reputation of being a farsighted and prudent politician, which reached far beyond the borders of Athens.13 While he was still riding the wave of success, Kallistratos managed to win over the majority of the Athenians for an alliance with Sparta in 369/8 BC. In doing so he performed a volte-face in his politics for purely pragmatic reasons. But the opposition to his policies grew both in Athens and among the allies because of the absence of the expected success.14 When in 367/6 BC the quarrel between Athens and Thebes about Oropos escalated, with the arbitration proceedings initiated by Kallistratos failing and the Thebans taking possession of Oropos, Kallistratos’ political | [S. 161] influence diminished.15 He was still able to gain the upper hand in the trial conducted against him because of his impressive defence speech witnessed by an admiring Demosthenes, obtaining an acquittal;16 but regarding his political activities in the time after the Oropos proceedings only a few very vague references to two embassies conducted by Kallistratos to Arcadia and Messenia exist, whose precise dating remains uncertain.17 They may have taken place in context of the political situation in the Greek world of states during the second half of the 60s, whose escalation was caused not least also by the increasing radicalisation of Athenian foreign policy, associated with a turning away from Kallistratos’ political principles. In any case, the political efforts of Kallistratos – whatsoever they were – remained unsuccessful, meeting with vehement opposition in Athens, so that after the disastrous outcome of the Battle of Mantineia (362 BC) Kallistratos, too, fell victim to the excessive law suits that during the year 362/1 BC brought numerous generals 10 FGrHist 115 Theopompos F 98 ap. Harpokr., σ 60; cf. Hochschulz 2007, 75–79. 11 Athenian Currency Law: Stroud 1974; see also SEG XXVI 72; Rhodes-Osborne, GHI 25. The earliest reference to the stratiotika is to be found in the Grain-Tax Law (SEG XLVIII 96, ll. 54–55; see also n. 9 above); for additional information on the stratiotika and the reform of the eisphora, cf. Hochschulz 2007, 89–99. 12 Sorg 2015; cf. also Dreher 1995; Leppin 1995; Moreno 2003; Hochschulz 2007, 89–99. 13 The success of his policies was symbolised by the statue of Eirene with the infant Ploutos, created by Kephisodotos in the second half of the 70s, on the occasion of the introduction of the cult of Eirene; cf. Hochschulz 2007, 85–86 (with source references and further literature). 14 For details, cf. Hochschulz 2007, 128–149. 15 Cf. e. g. Schlegel 1909, 5–6; Van Groningen/Wartelle 1968, 59; Roisman 2010, 163; Millett 2010, 479 and 487; Lane Fox 2011, 266–267. 16 For the anecdote about the attendance of Demosthenes at the trial against Kallistratos, which stems from Hermippos, see Plut. Demosth. 5,1–3; Plut. mor. 844B; Gell. NA 3,13,2–5; Amm. Marc. 30,4,5; Suda s.v. Δημοσθένης; on the trial, cf. Hochschulz 2007, 1–2. 151–160. 17 Embassy to Arcadia: Plut. mor. 193C–D; 810F; Nep. 15,6,1–3. Embassy to Messenia: Aristot. rhet. 1418 b 10–12; for details, cf. Hochschulz 2007, 171–184.
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and politicians to the law courts facing prosecution. In a high treason trial, Kallistratos was accused of having given “bad advice”. Before the end of the trial, he fled into exile in Northern Greece. The court condemned him to death in absentia.18 Such were the events that led to Kallistratos’ flight into exile. As regards the final years of his life in exile, before finally being put to death in Athens, there is even less evidence available than for his earlier life. Considering a great number of both typologically and chronologically diverse sources only five events can be distilled out of them: 1. Kallistratos’ stay in the harbour city Methone: In a letter to his brother-in-law Timomachos, he requested to be brought from Methone to Thasos by ship. In the meantime, Timomachos himself was staying in Thasos with a contingent of the Athenian fleet. Despite some difficulties fleshed out in Apollodoros’ law-court speech against Polykles, Timomachos agreed on helping to ferry Kallistratos from Methone over to Thasos.19 2. Kallistratos doubles the income of the Macedonian harbour tolls by fiscal reforms.20 3. Kallistratos acts as a city founder, by settling citizens from Thasos in Datos on the mainland lying opposite the island, in order to exploit the local natural resources.21 4. Kallistratos’ stay in Byzantium.22 5. Kallistratos’ return to Athens and execution of his death sentence.23 All these five complexes stand side by side, isolated and unconnected. Only the episode about the passage from Methone to Thasos and the information about the foundation of the Thasian city | [S. 162] Datos initiated by Kallistratos suggest a temporal and causal connection. Furthermore, the reports about the increase in Macedonian harbour tolls and the exploitation of resources on the Thracian mainland go well with the image of a politician versed in fiscal matters characteristic for Kallistratos. 18 Hyp. 4,1–2; Lykurg. Leokr. 93; Plut. mor. 844C; Apollodoros (Ps.-Demosth. or. 50,48) mistakenly speaks of two trials; cf. Sealey 1956, 197 n. 145. For the dating of the trial (between high summer 362 and winter 361/0 BC) and Kallistratos’ escape, cf. Sealey 1956, 197–198; Hochschulz 2007, 185–195 (with references and further literature). 19 Ps.-Demosth. or. 50,46–52. 20 Aristot. [oec.] 1350 a 16–22. 21 There are diverse reports on Kallistratos’ role concerning the foundation of Datos to be found in the sources. While Ps.-Skyl. 67 and Himer. or. 40,2 name Kallistratos as the founder of Datos, Zen. 4,34 reports that the Thasians founded Datos following Kallistratos advice. Isokr. or. 8,24 simply calls Kallistratos a city founder, with no explicit reference to Datos; cf. also Panella 2007, 55–58; Rigsby 2007; Zannis 2014, esp. 523–566 (with further reference and literature). 22 Schol. Aischin. 2,124. 23 Lykurg. Leokr. 93.
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These statements, however, remain very general and are of limited usefulness for bringing the events mentioned into chronological order. Nevertheless, there have been a number of attempts to reconstruct an itinerary of Kallistratos’ exile and to embed his activities during this time in the complex history of Northern Greece of the late 60s and early 50s of the fourth century BC. Controversial is above all the temporal relationship between the reform of the Macedonian harbour tolls and the foundation of the city Datos. Often, Kallistratos’ stay in the Macedonian harbour city Methone was brought into an immediate temporal and causal relation with the reform of the Macedonian harbour tolls and taken as an indication that Kallistratos had carried out this reform on behalf of the Macedonian King Perdikkas III before his passage to Thasos.24 However, this approach needed to be reconciled with the fact that the foundation of Datos also took place at the time of Perdikkas. This is at least suggested by a list of thearodokoi from Epidauros, which names both the Macedonian King Perdikkas and a citizen from Datos as thearodokoi.25 I would like to forego a detailed presentation of the widely discussed strands of explanation. However, I want to point out a key problem: by chronologically restricting the measures mentioned to the period of rule of Perdikkas, Kallistratos’ activities in exile are put into an overly narrow timeframe, since Perdikkas’ death in the autumn of 360 BC may provide a terminus ante quem.26 Olivier Picard has already indicated this dilemma emphatically and proposed once more a date in the early years of the reign of Philip II.27 I want to take up this approach and go a little further down that road, undertaking the attempt of integrating Kallistratos’ exile more tightly into his political biography outlined earlier on. The only securely fixed chronological point in Kallistratos’ period of exile is the winter 361/0 BC. In November/December 361 BC, Kallistratos was in Methane, from where he crossed over to Thasos by ship.28 Since the series of lawsuits, which also affected Kallistratos, probably began after the Battle of Mantineia and may have lasted for the bigger part of 362/1 BC, Kallistratos’ time of flight from Athens cannot be determined more precisely. Thus, it is also impossible to specify how long Kallistratos stayed in Methone prior to his passage to Thasos. Nor does his stay in Methone allow any conclusions as to whether Macedonia even was the first destination of his exile or whether Methone was only a transit station on his way to Thasos, especially since the island served as a naval base for his brother-in-law Timomachos. Moreover, it is likely that Kallistratos could rely on 24 Cf. e. g. Schlegel 1909, 5–6; Van Groningen/Wartelle 1968, 59; Roisman 2010, 163; Millett 2010, 479 and 487; Lane Fox 2011, 266–267. 25 IG IV2 1, 94b (l. 9: Μακεδονία· Περδίκκας and l. 32: Δάτος· Τίμανδρος). 26 Date of Perdikkas’ death: Hatzopoulos 1982; Hatzopoulos 1995, 180–182. 27 Picard 1994. 28 On the date, cf. Heskel 1997, 34. 71–74; Perlman 2000, 69–70.
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some close and trusted personal connections in this region.29 In short: too many uncertainties remain to date the reform of the Macedonian harbour tolls initiated by Kallistratos before his passage to Thasos. It is beyond dispute that in the ancient sources Kallistratos’ stay in Thasos is closely associated with his contribution to the foundation of Datos.30 With reference to the already mentioned list of | [S. 163] thearodokoi from Epidauros, which indicates a foundation of Datos during the lifetime of Perdikkas, Olivier Picard has questioned the relevant reports of the ancient authors as well as fundamentally challenging the role of the oikistes of Datos attributed to Kallistratos. In his view, the foundation of Datos must have taken more time than just the few months between the arrival of Kallistratos in Thasos (early 360 BC) and the death of Perdikkas (autumn 360 BC). Instead, Picard contemplated a confusion of Datos and Philippi in the ancient sources, and assumed that Kallistratos was in fact involved in the foundation of Philippi by Philip II in 356 BC.31 Kent Rigsby has refuted this hypothesis with the argument that such an assumption “contradicts the testimony that Callistratus as colonizer was acting for the Thasians [and not for Philip], and earlier than the foundation of Philippi”.32 Moreover, Rigsby convincingly proved that the Epidaurian list of thearodokoi needs to be dated not to the year 360 BC, but already to 363 BC. As a consequence, Rigsby rightly concluded “that Callistratus in 360 augmented rather than created Datos, and that the city had a prior history isto nomine, as Herodotus [Hdt. 4,144] can be taken to imply and the theorodochoi inscription in Perdiccas’ lifetime virtually requires. This frees us of the constricting frame of 360/359 for the foundation, the Epidaurians’ visit, and the inscribing of the theorodochoi list: we exchange the narrow range spring/summer 360 (or spring 360 to early 359) for the full reign of Perdiccas III – that is, 365 to 360/59”.33 Rigsby’s proposal gives room for an extended time-frame for Kallistratos’ activities to have taken place and leaves the restriction to the year 361/0 BC behind. At the same time, this allows bridging the gap between the hypotheses of Picard and Rigsby. In my opinion, an active involvement of Kallistratos in the development of the Thasian settlement of Datos as proposed by Rigsby is beyond a doubt, considering the available sources. Nevertheless, Picard’s assumptions should also not be rejected out-of-hand, for it can29 Cf. Davies 1971, 279. 30 The background story of the foundation of Datos and the problematic relations between Datos, Krenides and Philippi are left out here. For details (with references and further literature) see Loukopoulou 2004, esp. 859–860; Zannis 2014, esp. 523–566; Picard 2016, 76–78; Psoma 2016. 31 Picard 1994. 32 Rigsby 2007, 111. 33 Rigsby 2007, 112, who dates Perdikkas’ death along the same lines of Hammond 1992 in spring (May) 359 BC. If one follows the dating of Hatzopoulos (see above, n. 26) the described timeframe will be even smaller.
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not be ruled out that Kallistratos over the course of his activities in the Thasian Peraia also sought to make contact with Philip II, and ended up as his advisor. Consequently, he might have been more and more involved in consolidating the young king’s new position of power. At this point, the reform of the Macedonian harbour tolls undertaken by Kallistratos can easily be fitted in both chronologically and causally.34 Whether Kallistratos tried to gain Philip’s goodwill in the interest of his hometown – i. e. in the quarrel over Amphipolis – is a matter of pure speculation.35 Even though the reflections presented here necessarily have to remain hypothetical, they can claim a certain plausibility. If we assume that the diverse set pieces, namely the relevant sources concerned with his exile, have been put together in an approximately accurate fashion, then we will gain a better understanding of Kallistratos at the close of his life. But still, these sources do not tell us anything about the duration of his activities in Macedonia. They do not account for his return to Athens as early as 355 BC (end of the Social War) as repeatedly claimed in the literature. Especially, since he may also have spent some time in Byzantium.36 Whenever he actually returned to Athens, Kallistratos did so in evident misjudgement of the political situation. After the end of the Social War a mood change in foreign policy had indeed taken place in Athens. The looming final breaking apart of the Second Athenian League had led to the | [S. 164] return of the political principles that Kallistratos had represented in the 70s.37 At the same time however, the controversies about the appropriate kind of relationship with the emergent major power – Macedonia – increased; therefore, Kallistratos probably got caught in the crossfire between pro-Macedonians and anti-Macedonians. He had played the Macedonian card too early and in this way may have provoked all the more the late execution of the death sentence pronounced against him many years before. But this also remains only a conjecture. The oracle of Delphi, which Kallistratos consulted prior to his return, left it at the response: “If he returned to Athens he would have fair treatment by the laws”.38
34 Psoma 2001, 238–239, n. 241. 35 Cf. Hochschulz 2007, 203–204. 36 Schol. Aischin. 2,124. 37 For the political developments in the 50s and 40s cf. Engels 1993, 33–72. 38 Lykurg. Leokr. 93.
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Polykrates von Athen – ein Theoretiker der Demokratie oder ein sophistischer Redner?
Vor genau fünfzig Jahren veröffentlichte Arnold Hugh Martin Jones seinen Aufsatz „The Athenian Democracy and its Critics“, in dem er einleitend feststellte: Es ist verwunderlich, dass sich in der so vielfältigen literarischen Produktion der bedeutendsten Demokratie Griechenlands nicht eine einzige Darstellung einer politischen Theorie der Demokratie erhalten hat. Alle athenischen politischen Philosophen und Publizisten, deren Werke wir noch besitzen, waren mehr oder weniger oligarchisch eingestellt. Es bleibe daher nur der Weg, aus den verstreuten Notizen in den Werken der Historiker, Dichter und Rhetoren und – quasi im Umkehrschluss – aus den demokratiekritischen Äußerungen der Philosophen „zur Synthese einer demokratischen politischen Theorie zu gelangen“.1 Es hat aber auch nicht an Versuchen gefehlt, einzelne Personen als Verfechter einer demokratischen Theorie ausfindig zu machen. Für das fünfte Jahrhundert ist immer wieder Protagoras ins Spiel gebracht worden; und für das vierte Jahrhundert ist auf Polykrates von Athen verwiesen worden, der im Folgenden im Zentrum stehen soll. Victor Ehrenberg hat in ihm einen „radical Athenian democrat“ gesehen, AntonHermann Chroust hat ihn als einen „uncompromising partisan of radical democracy“ bezeichnet und für Piero Treves war er „fast der einzige Zeuge und Dolmetscher einer politischen und seelischen Lage, die zwar nur kurz dauerte, aber auf die weitere Entwicklung der Geschichte Athens großen Einfluss gewonnen hatte: des Zeitraums der wiederhergestellten Demokratie … bis zum Königsfrieden. Natürlich, der einzige, oder der wahrste offizielle Zeuge.“2 Wie ist es aber wirklich um diese „Zeugenschaft“ bestellt? Dieser Frage möchte ich im Folgenden näher nachgehen. Es geht mir darum, die Wirksamkeit eines Mannes auszuloten, von dem uns nicht einmal genaue biographische Daten bekannt sind und von dessen Werken uns größtenteils nur noch die Titel überliefert sind. | [S. 252] Das einzig Sichere, was sich über das Leben des Polykrates aussagen lässt, ist, dass er zu Beginn des vierten Jahrhunderts in Athen und dann zeitweilig auch in Dieser Beitrag ist ursprünglich in italienischer Sprache erschienen in: U. Bultrighini (Hg.), Democrazia e antidemocrazia nel mondo greco. Atti del Convegno Internazionale di Studi (Chieti, 9–11 aprile 2003), Alessandria 2005, 251–262. * Ich danke sehr herzlich Umberto Bultrighini für die Einladung zum Kongress, der mir die Möglichkeit geboten hat, eine Debatte über die folgenden Überlegungen anzustoßen. Mein Dank gilt besonders Klaus Freitag, Matthias Haake und Daniela Summa für die kritische Lektüre des Manuskripts sowie Chiara Polverini für die Übersetzung des Textes. 1 Jones 1953, 1–2. 2 Ehrenberg 1973, 372; Chroust 1955, 11; Treves 1952, 1739.
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Zypern als „Sophist“ unterrichtete (hypoth. Isokr. or. 11).3 Sofern wir einer – allerdings nicht eindeutig überlieferten – Bemerkung des Isokrates Glauben schenken können, war Polykrates älter als Isokrates.4 Damit würde sein Geburtsdatum noch vor 436 liegen, während sich sein frühestes Auftreten in der Öffentlichkeit allenfalls erst für die ausgehenden neunziger Jahre des vierten Jahrhunderts nachweisen lässt; und eine Notiz bei Pausanias indiziert, dass Polykrates noch zu Beginn der siebziger Jahre tätig war (Paus. 6,17,9). Mehr lässt sich allerdings auch nicht über das Leben des Polykrates in Erfahrung bringen, obgleich er durchaus – wie noch Pausanias wusste (Paus. 6,17,9) – zu den führenden Köpfen in Athen zählte. Dionysios von Halikarnassos zählt ihn trotz aller Kritik zu den großen Rhetoren und nennt ihn gleichrangig neben Antiphon, Thrasymachos, Kritias und Zoilos (Dion. Hal. Isaios 20; Demosth. 8); und Quintilian reiht ihn ein unter Empedokles, Gorgias, Protagoras, Hippias und andere (Quint. inst. 3,1,11). Und dennoch – fast ebenso karg wie die Informationen über sein Leben sind auch die Nachrichten über seine rhetorischen Schriften, die einer Vorliebe der Zeit entsprechend offenbar insbesondere paradoxen Sujets gewidmet waren. Hierzu zählen neben den Lobliedern auf Töpfe, Mäuse und psephoi – also Rechen- oder Stimmsteine – auch die enkomia auf mythische Figuren wie Helena, Klytaimnestra oder Busiris.5 Stets scheint es darum gegangen zu sein, an einem schwierigen Gegenstand die rhetorische Kunstfertigkeit unter Beweis zu stellen, indem etwas, das eigentlich nicht lobenswert erschien, zum Thema eines Enkomions gemacht wurde. Ob auch die berühmteste und folgenreichste Schrift des Polykrates dem gleichen Genre zuzurechnen ist, möchte ich zunächst noch unbeantwortet lassen. Es handelt sich hierbei um die Kategoría Sokrátous, eine Anklageschrift gegen Sokrates,6 die zu einem Schlüsseldokument nicht nur für die politische Charakterisierung des Polykrates, sondern zugleich auch für die Bewertung der gesamten so genannten ‚sokratischen‘ Literatur geworden ist. Wie aussagekräftig dieses Schlüsseldokument aber in Wirklichkeit ist, das soll im Folgenden näher geprüft werden. Vor allem gilt es die Frage zu klären, inwieweit es uns die Kategoría Sokrátous des Polykrates erlaubt, Rückschlüsse auf mögliche politische Implikationen zu ziehen. Ich werde | [S. 253] dabei zwei Aspekte in den Vordergrund stellen: Zunächst werde ich den Inhalt und den Charakter der Schrift näher bestimmen, um dann in einem zweiten Schritt das Problem der zeitlichen Einordnung 3 Zur Biographie des Polykrates vgl. Blass 1892, 365–372; Treves 1952; Jacoby 1955, 667–668; Jacoby 1969, 384–385. 4 Isokr. or. 11,50; vgl. Livingstone 2001, 194–195. 5 Vgl. Oratores Attici II (Baiter/Sauppe), 220–223 Nr. 23; Oratores Attici II (Hunzinger/Müller), 312–315 Nr. 23; Artium Scriptores (Rademacher), 128–132 Nr. 21. 6 Oratores Attici II (Baiter/Sauppe), 222 Nr. 23,7; Oratores Attici II (Hunzinger/Müller), 313– 314 Nr. 23,7.
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zu erörtern. Abschließend sollen dann die Konsequenzen aus den zuvor vorgetragenen Beobachtungen skizziert werden. Zunächst also zum Inhalt der Schrift. Auch wenn wir über die Kategoría besser unterrichtet sind als über alle anderen Werke des Polykrates, so verfügen wir dennoch nur über sehr geringe Kenntnisse. Da der Text selbst nicht mehr erhalten ist, bleibt man auf Verweise und Anmerkungen von Autoren angewiesen, die sich mit dieser Schrift – meist kritisch – auseinandergesetzt haben. Bei genauer Prüfung der antiken Überlieferung finden sich aber nur äußerst wenige Elemente, die der polykrateischen Schrift sicher und eindeutig zuzuweisen sind. Welche Punkte dies sind, werde ich später noch näher ausführen. Auffällig war immer schon, dass sich einige dieser Argumente auch im ersten Teil der Memorabilia des Xenophon – einer Widerlegung von Anklagepunkten gegen Sokrates – und in der Apología Sokrátous des spätantiken Rhetors Libanios finden.7 Hierauf hatte schon Ludwig Dindorf in seiner 1862 erschienenen Edition der Memorabilia hingewiesen und die Vermutung ausgesprochen, dass sowohl Xenophon wie auch Libanios die Kategoría des Polykrates als direkte Vorlage benutzt und mit ihren genannten Schriften unmittelbar auf dessen Anklage reagiert hätten.8 Was zunächst aber nur eine Hypothese war, verfestigte sich in der Folgezeit immer mehr zu einer scheinbaren Gewissheit. In immer neuen Untersuchungen wurde ein Argument an das andere gereiht, um den Beweis für die Richtigkeit der These Dindorfs zu erbringen und damit zugleich einen Weg zu eröffnen, die inhaltliche Disposition der polykrateischen Kategoría aufzuschlüsseln. Dabei wurden auch zusätzliche, kausale und chronologische Querverbindungen zu den Werken Platons hergestellt, so dass es schließlich nicht mehr nur um die Wiederherstellung der Kategoría ging, sondern zugleich auch um die chronologische Anordnung der platonischen Frühschriften und auch anderer ‚sokratischer‘ Werke.9 Die ersten Versuche in die skizzierte Richtung unternahmen Ende des 19. Jahrhunderts Rudolf Hirzel und Martin Schanz.10 Es folgte eine kaum noch zu überschauende Zahl von Abhandlungen, bis dann schließlich 1957 Chroust und Ernst Gebhardt die umfassendsten Rekonstruktionen der Kategoría vorlegten.11 Alle diese philologischen Leistungen sind zwar überaus eindrucksvoll; sie basieren aber doch auch auf manchen unbewiesenen Prämissen und sich gegenseitig bedingenden Annahmen. Insbesondere bleibt zu fragen, ob eine sachliche Übereinstimmung in einem oder auch mehreren 7 Xen. mem. 1,2,9–61; Lib. decl. 1 Förster. 8 Dindorf 1862, XXI–XXV; vgl. bereits Cobet 1858, 662–669. 9 Ich möchte daher zumindest darauf hinweisen, dass die folgenden Überlegungen auch Auswirkungen auf die Chronologie der Werke Platons haben, ohne dass ich aus Zeitgründen darauf näher eingehen kann. 10 Hirzel 1887; Schanz 1893. 11 Chroust 1955; Chroust 1957; Gebhardt 1957; vgl. bereits Markowski 1910; Mesk 1910; Humbert 1931; Treves 1952, 1740–1742.
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Punkten ausreicht, um nicht | [S. 254] nur die Kenntnis, sondern auch die alleinige (!) Verwendung der Kategoría als Vorlage durch Xenophon und sogar Libanios voraussetzen zu können. Ich möchte also gar nicht grundsätzlich bezweifeln, dass Xenophon und Libanios die Kategoría kannten und auch benutzten. Aber angesichts eines umfangreichen sokratischen Schrifttums und vor allem der großen Zahl von Sokratesapologien, die schon bald nach dem historischen Prozess des Jahres 399 zu erscheinen begannen12, muss doch damit gerechnet werden, dass auch noch andere Informationen und Argumentationen in den Schriften der genannten Autoren Berücksichtigung fanden. Entschieden zu weit geht daher die Annahme Klaus W. Müllers, wenn er unter Hinweis auf die Ergebnisse von Chroust, Gebhardt und anderen feststellt: „Diese Rede des Polykrates … lässt sich weitgehend rekonstruieren, weil sowohl … Xenophon als auch … Libanius … darauf antworten und sich dabei teilweise wörtlich auf die Schrift des Polykrates beziehen.“13 Es bleibt mir in diesem Zusammenhang völlig unverständlich, wie sich „wörtliche“ Bezüge zu einer Schrift herstellen lassen, von der nicht ein einziges wörtliches Zitat bekannt ist. Die Bemühungen, mit Hilfe der Memorabilia des Xenophon und der Apología Sokrátous des Libanios, eine möglichst vollständige Rekonstruktion der Kategoría des Polykrates zu erstellen, haben also die Grenzen des Möglichen weit überschritten und sich teilweise im Spekulativen verloren. Es ist daher in jüngster Zeit auch vermehrt Kritik an diesen Rekonstruktionsversuchen geübt worden. Zuletzt haben sich – wenn auch mit zum Teil unterschiedlichen Argumenten – Mogens H. Hansen, David Gribble und Niall Livingstone sehr entschieden gegen alle diese Versuche ausgesprochen, die apologetischen Argumente des Xenophon und Libanios in einer monokausalen Engführung ausschließlich auf die Kategoría des Polykrates zurückzuführen und auf diese Weise ihren Text zu erschließen.14 Die Fülle der ‚sokratischen‘ Literatur des vierten Jahrhunderts, die heute ja nur noch zu geringen Teilen erhalten ist, macht es unmöglich, ein exaktes Beziehungsgefüge innerhalb der verfügbaren Texte herzustellen. Zwar kann man der Kategoría des Polykrates eine besondere Prominenz unter diesen Schriften nicht absprechen; das zeigt ihre Rezeption bei späteren Autoren, die sie zwar nicht inhaltlich zitieren, aber doch zumindest namentlich nennen. Aber für eine genauere inhaltliche Bestimmung in der eben beschriebenen Weise ist das eine unzureichende Basis. Ich hatte aber bereits angemerkt, dass sich dennoch in den Quellen Hinweise finden lassen, die Aufschluss geben können über zumindest einige inhaltlichen Akzente der Kategoría. Zu nennen sind hier vor allem drei Punkte:
12 Müller 1986, 82. 13 Müller 1986, 82–83. 14 Hansen 1995, 4–15; Gribble 1999, 227–230; Livingstone 2001, 32–35; vgl. auch Kühn 1960.
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1) Alkibiades als Schüler des Sokrates. Im Busiris, mit dem Isokrates auf das gleichnamige Enkomion des Polykrates kritisch antwortet, wird diesem unter anderem auch vorgeworfen, dass er in seiner Kategoría ungerechtfertigter Weise behauptet habe, dass Alkibiades ein Schüler | [S. 255] des Sokrates gewesen sei (Isokr. or. 11,5–6). Das Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Sokrates und Alkibiades ist also zweifellos von Polykrates thematisiert worden. Da auf diesen Punkt auch Xenophon in den Memorabilia (Xen. mem. 1,2,12–48) und Libanios in der Apología (Lib. decl. 1,136–142.160 Förster) eingegangen sind, besteht hier zweifellos ein inhaltlicher Konnex, der aber – um es noch einmal zu wiederholen – keineswegs nur bilateral gewesen sein muss. Es bleibt genau so gut vorstellbar, dass das ‚Alkibiades-Argument‘ nicht zuerst und allein von Polykrates in die Debatte eingeführt wurde, sondern auch ganz allgemein zum Standardrepertoire der ‚Apologienliteratur‘ gehörte.15 Daher ist auch nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob auch schon Polykrates – wie dann Xenophon und Libanios – darüber hinaus dem Alkibiades den Kritias zur Seite gestellt hatte, um auf diese Weise eine enge Verbindung zwischen Sokrates und diesen beiden Politikern herzustellen, denen (und damit eben auch dem Sokrates) offenbar zum Vorwurf gemacht wurde, dem Staat einen großen Schaden zugefügt zu haben. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass zumindest den Beziehungen zwischen Sokrates und Alkibiades eine wichtige und zweifellos politisch konnotierte Rolle auch in der Kategoría des Polykrates zukam.16 2) Der Wiederaufbau der Mauern Athens durch Konon. Schon in hellenistischer Zeit – spätestens seit Hermippos17 – war eine Diskussion darüber entbrannt, ob es sich bei der Kategoría des Polykrates um das Original der Anklageschrift von 399 handelte. Dem ist in der römischen Kaiserzeit Favorinus mit dem Argument entgegengetreten, dass Polykrates in seiner Schrift die Wiedererrichtung der athenischen Stadtbefestigungen durch Konon erwähnt habe, die aber erst sechs Jahre nach dem Tod des Sokrates durchgeführt worden sei.18 In welchen Kontext Polykrates diesen offenkundigen Anachronismus gestellt hatte, wird allerdings nicht deutlich; und auch die Erwähnung Konons in der Apología des Libanios (Lib. decl. 1,160 Förster) hilft da nicht weiter. Dennoch ist schon allein das Faktum, dass Polykrates auf den kononischen Mauerbau Bezug genommen hatte, ein auf-
15 Vgl. Brickhouse/Smith 1989, 72; Gribble 1999, 90–116. 16 Gribble 1999, 227–230. – Noch heute wird die Frage diskutiert, ob bereits im Prozess gegen Sokrates politische Argumente verwendet worden sind, oder ob diese erst zu einer späteren Zeit ins Spiel kamen; vgl. Brickhouse/Smith 1989, 69–87; Brickhouse/Smith 1994, 173–175; Hansen 1995, 19–31; Parker 1996, 199–217; Livingstone 2001, 36–40, Brickhouse/Smith 2002, 5–8. 17 FGrHist 1026 Hermippos F 67 ap. Diog. Laert. 2,38 mit dem Kommentar von Bollansée (FGrHist IV A 3, 479–483). 18 Favorin. F 3 [Mensching] = F 34 [Barigazzi] ap. Diog. Laert. 2,39.
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schlussreiches Indiz nicht nur für die Datierung der Kategoría, sondern auch für deren inhaltliche Bewertung. Darauf wird noch zurückzukommen sein. 3) Der Sturz der 30 Tyrannen in Athen durch Thrasybulos. In | [S. 256] der Rhetorik des Aristoteles findet sich der Hinweis, dass Polykrates den Sturz der dreißig Tyrannen durch Thrasybulos erwähnt habe (Aristot. rhet. 1401 a 34–35). Es werden allerdings weder das Werk noch der genauere Kontext angegeben. Allerdings vermerkt die Notiz eines Scholiasten zu dieser Stelle, dass Polykrates einen épainos auf Thrasybulos verfasst habe (Schol. Aristot. rhet. 1401 a 34). Aber schon Friedrich Blass äußerte Zweifel an dieser Aussage, die „am Ende nur Conjectur des Scholiasten“ gewesen sein könnte. Stattdessen zog er mit guten Gründen in Erwägung, das Diktum des Polykrates über den Sturz der Tyrannen durch Thrasybulos der Kategoría zuzuweisen.19 Dafür könnte dann auch die Erwähnung des Thrasybulos in der Apología des Libanios sprechen (Lib. decl. 1,160 Förster). Auch wenn man nicht jede Notiz eines Scholiasten achtlos beiseite wischen darf, erscheint es mir im vorliegenden Fall doch angebracht, der Interpretation von Blass den Vorzug zu geben. Den bisher genannten drei Punkten lässt sich noch ein vierter hinzufügen – allerdings mit gewissen Vorbehalten, da er sich auf die Angaben von Scholiasten stützt, deren Zuverlässigkeit soeben für einen anderen Fall in Zweifel gezogen wurde. Der vierte Punkt bezieht sich auf die antidemokratische Verwendung von Dichterzitaten. In den Scholien zu den Reden des Aelius Aristeides findet sich die Anmerkung, dass sowohl in der Kategoría des Polykrates wie auch in einer gegen Polykrates gerichteten Apología Sokrátous des Lysias die Verwendung eines Homer-Zitates im staatsfeindlichen Sinne durch Sokrates zur Sprache gebracht wurde. Offenbar wurde dem Sokrates von Polykrates vorgeworfen, dass er die Erzählung von der Züchtigung des Thersites durch Odysseus dazu genutzt habe, die Jugend zum Sturz der Demokratie zu ermuntern. Die ausführlichen Darlegungen des Scholiasten und sein ausdrücklicher Verweis auf die beiden Werke des Polykrates und des Lysias sind für mich ein gewichtiges Argument für die Glaubwürdigkeit dieser Überlieferung.20 Die vier genannten Punkte sind unsere einzigen sicheren Hinweise auf den Inhalt der Kategoría des Polykrates.21 Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick sehr dürftig erscheinen. Dennoch reicht es aus, zumindest die Tendenz dieses Werkes einigermaßen zu bestimmen. Auffällig ist dabei vor allem die starke Politisierung der Argumentation des Polykrates. Inwieweit eine derartige prodemokratische Argumentation auch schon beim Prozess im Jahre 399 zum Tragen kam, ist wohl kaum noch zu entscheiden. Dass die 19 Blass 1892, 369 Anm. 4; vgl. Treves 1952, 1738; Livingstone 2001, 36 Anm. 90. 20 Schol. Aristeid. 3,480 Dindorf; vgl. Xen. mem. 1,2,58; Lib. decl. 1,93–95 Förster; s. Chroust 1955, 40–45; Gebhardt 1957, 18–29. 91–95 21 Weiterhin problematisch bleibt der Versuch von Rossetti 1974, 295–299, aus Xen. mem. 1,2,19 ein weiteres Fragment aus der Kategoría des Polykrates abzuleiten.
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Apologíai des Platon und des Sokrates weitestgehend frei waren von einer solchen Politisierung, muss keineswegs zwingend | [S. 257] bedeuten, dass es diese dann auch nicht gegeben habe. Der Kernpunkt der Anklage war zweifellos der Vorwurf der asébeia. Wie aber jüngst auch Robert Parker ausgeführt hat, schließt dies jedoch keineswegs aus, „that the names of Critias and Alcibiades, and the word ‚hater of the people‘, were spoken at the trial“.22 Dass dies auch trotz der Amnestieregelungen nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges grundsätzlich möglich war, zeigen etwa die ab 398 gegen den Sohn des Alkibiades geführten Prozesse, bei denen sich dieser darüber beschwert, dass man mehr über die Vergehen seines Vaters spreche als über den eigentlichen Anklagepunkt.23 Für die Einschätzung der Person des Polykrates bedeutet dies aber, dass die Frage unbeantwortet bleiben muss, ob Polykrates der eigentliche Urheber der Politisierung der gegen Sokrates erhobenen Anklagen war, oder ob er sich nur der bereits vorliegenden Argumente bediente. In Anbetracht der nachhaltigen Wirkung der Kategoría scheint aber zumindest sicher zu sein, dass Polykrates einer der prodemokratischen Protagonisten dieser Politisierung gewesen ist – und vielleicht sogar der einflussreichste und entschiedenste von ihnen. Diese Feststellung setzt allerdings voraus, dass die Kategoría nicht von der gleichen Art war wie die meisten anderen bekannten Werke des Polykrates und dass sie eben nicht dem von Polykrates offenbar besonders gepflegten, paradoxographischen Genre angehörte. Bevor ich aber auf die Konsequenzen dieser möglichen Alternative zu sprechen komme, möchte ich zunächst noch den zweiten angekündigten Aspekt erörtern: das Problem der Datierung der Kategoría. Bereits durch die bisherigen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass sich angesichts der sehr dürftigen Überlieferungslage der Stellenwert der Kategoría des Polykrates nur schwer bestimmen lässt.24 Eine präzisere zeitliche Einordnung kann aber zumindest dazu beitragen, den Text innerhalb des rhetorischen und philosophischen Diskurses des vierten Jahrhunderts genauer zu verorten und damit zugleich auch dessen Wirkungsmöglichkeiten besser einzuschätzen. Als Grundlage für eine Datierung können aber nur die Informationen dienen, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Kategoría überliefert sind. Untauglich sind hingegen alle Versuche, unter Verweis auf Analogien und parallele Argumentationsmuster in der übrigen „sokratischen“ Literatur – insbesondere 22 Parker 1996, 207. 23 Isokr. or. 16,1–2; Lys. 16–17; 31; vgl. Gribble 1999, 92–97. 24 In der Antike wurde Polykrates vor allem als ein führender Vertreter der sophistischen Rhetorik und besonders der Paradoxographie gesehen; vgl. Blass 1892, 365–372 (mit den wichtigsten Quellen). Nach wie vor herrscht eine Diskussion darüber, inwiefern auch die Kategoría diesem Genre zuzuordnen ist; vgl. Heitsch 2002, 192–193. Dass es sich hierbei nicht um das Original der Anklageschrift handelt, wurde bereits 1697 von Bentley bewiesen und ist seitdem unbestritten. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob sie bloß als ein „rhetorisches Machwerk“ (Schanz 1893, 51) ohne jeden politischen oder ideologischen Anspruch anzusehen ist; vgl. z. B. schon Bruns 1896, 193–195.
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in den platonischen Dialogen – Rückschlüsse auf zeitliche Abhängigkeiten und chronologische Abfolgen zu ziehen. Die Kenntnisse über Umfang und Inhalt der | [S. 258] offenbar schon recht bald nach 399 einsetzenden Auseinandersetzungen um Sokrates sind zu gering, um hier zu sicheren Aussagen über kausale und zeitliche Bezüge zwischen diesen Schriften und der Kategoría zu gelangen. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass sich Favorinus von Arelate gegen die seit hellenistischer Zeit vertretene Auffassung gewandt hatte, dass die Kategoría des Polykrates mit dem Original der Anklageschrift gegen Sokrates identisch sei. Als entscheidendes Argument diente ihm dabei das Faktum, dass Polykrates in seinem Text Bezug genommen habe auf die Wiedererrichtung der Stadtbefestigungen Athens durch Konon und dass dieses Ereignis erst sechs Jahre nach dem Prozess gegen Sokrates stattgefunden habe.25 Die Richtigkeit der Argumentation des Favorinus ist nicht in Frage zu stellen, so dass davon auszugehen ist, dass die Kategoría des Polykrates ebenso eine rhetorische Bearbeitung des Themas „Sokrates-Prozess“ war wie die zahlreichen Apologiai, die in der Folgezeit von den verschiedensten Autoren verfasst wurden. Der offenkundige Anachronismus liefert mit dem Jahr 393/2 v. Chr. einen eindeutigen terminus post quem für die Abfassung der Schrift.26 Weniger eindeutig lässt sich hingegen ein terminus ante quem bestimmen. Sicher ist nur, dass Polykrates auch die Kategoría spätestens zu dem Zeitpunkt fertig gestellt hatte, als Isokrates mit seinem Busiris auf die gleichnamige Schrift des Polykrates replizierte. Isokrates schließt nämlich in seine Kritik am Busiris des Polykrates auch dessen Kategoría explizit mit ein (Isokr. or. 11,4– 5). Die Abfassungszeit des Busiris des Isokrates ist also ein terminus ante quem für die Abfassungszeit der Kategoría des Polykrates. Nun mangelt es allerdings an Indizien für eine präzise Bestimmung der Abfassungszeit der Schrift des Isokrates, so dass die Datierungsansätze in der älteren Forschung vom Ende der 90er Jahre bis ins Ende der 70er Jahre reichten. Erst Christoph Eucken hat 1983 in seiner grundlegenden Untersuchung zu den Werken des Isokrates mit überzeugenden Argumenten darlegt, dass der Busiris mit großer Wahrscheinlichkeit erst nach 380 und wohl noch vor der Mitte der 70er Jahre geschrieben worden sei.27 Damit bilden also die Jahre zwischen 380 und 375 die untere zeitliche Grenze für die Veröffentlichung der Kategoría des Polykrates. Auf dieselbe Zeit führt auch ein weiteres, allerdings weniger tragfähiges Argument: Zu den zahlreichen Verfassern sokratischer Apologíai gehört auch der Redner Lysias. Während diese Schrift in den antiken Quellen in der Regel nur als Apología Sokrátous bezeichnet wird,28 25 Favorin. F 3 [Mesching] = F 34 [Barigazzi] ap. Diog. Laert. 2,39. 26 Zur Chronologie des Wiederaufbaus der Mauern Athens durch Konon vgl. Funke 1983; s. auch von Eickstedt 1991, 18–60. 27 Eucken 1983, 173–183; vgl. auch Livingstone 2001, 40–47. 28 Cic. de orat. 1,231; Quint. inst. 2,15,30; 11,1,9–11; Diog. Laert. 2,40–41; Plut. vit. dec. orat., mor. 836B; vgl. SSR2 (Giannantoni) 1 C, 133–137.
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findet sich in den Scholien zu den Reden des Aelius Aristeides der ausdrückliche Hinweis darauf, dass Lysias seine Apología | [S. 259] als Entgegnung auf die Kategoría des Polykrates verfasst habe:29 hos Lysías en tõ hypér Sokrátous prós Polykráten lógõ. Folglich bildet die Apología des Lysias einen weiteren terminus ante quem für die Kategoría des Polykrates. Allerdings gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine genauere Datierung der Apología, von der nur ein einziges, wenig aussagekräftiges Fragment überliefert ist.30 Daher kann nur ganz allgemein das Ende der literarischen Tätigkeit des Lysias als untere zeitliche Grenze angenommen werden. Da die letzten datierbaren Reden des Lysias in den ausgehenden 80er Jahren anzusetzen sind, ergeben sich auch von hierher die frühen 70er Jahre als terminus ante quem. Mit diesen Eckdaten ist jedoch noch nicht allzu viel gewonnen. Eine angemessene Beurteilung der Kategoría des Polykrates erfordert eine genauere Positionierung des Textes innerhalb des weit gespannten Zeitraums zwischen 393 und den frühen 70er Jahren. In der bisherigen Forschung sind hier zwei unterschiedliche Wege eingeschlagen worden. Einerseits versuchte man durch mehr oder weniger hypothetische Analogieschlüsse zu den platonischen Schriften die Entstehungszeit der Kategoría näher einzugrenzen und zugleich aber auch die Werke Platons in eine chronologische Abfolge zu bringen. Dabei kam man mehrheitlich zu der Auffassung, dass die Kategoría in die erste Hälfte oder die Mitte der 80er Jahre zu datieren sei. Mit solchen Datierungsversuchen verhält es sich aber genauso wie mit den von mir bereits beschriebenen Versuchen, auf dem gleichen methodischen Weg die Inhalte der Kategoría zu bestimmen. Vieles beruht auf Zirkelschlüssen und allzu voraussetzungsreichen Prämissen, so dass ein derart gewonnenes Datum nicht zu überzeugen vermag.31 Stützt man sich aber ausschließlich auf Kriterien, die sich aus den unmittelbaren Informationen zur Kategoría ableiten lassen, so bleibt die von Polykrates erwähnte Wiederherstellung der Fortifikationen Athens durch Konon in den Jahren 393/2 das einzige sichere Datierungskriterium. Das hatte zur Folge, dass dieser terminus post quem vielfach zum terminus ad quem gemacht wurde und die Kategoría in eben diese Jahre datiert wurde. Ausschlaggebend waren dafür auch historisch-politische Argumente. So hatte schon Max Pohlenz die Auffassung vertreten, dass die Erwähnung des Konon und 29 Schol. Aristeid. 3,320 (187,20). 480 (133,16) Dindorf; SSR2 (Giannantoni) 1 B, 51; vgl. Dover 1968, 192–193; Heitsch 2002, 190–191. 30 Harpokr. s.v. πεφοριώσθαι; vgl. Ps.-Plat. de iusto 374e; die Abstammung dieser Passage von der Apología des Lysias bleibt jedoch höchst unsicher. 31 Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, die Versuche, die diachrone Abfolge der Dialoge Platons im Hinblick auf mögliche Verbindungen zur Kategoría des Polykrates zu rekonstruieren, im Detail aufzuzeigen. Die Bibliographie zu diesem Thema ist nahezu unüberschaubar; an dieser Stelle kann nur beispielshalber verwiesen werden auf Wilamowitz-Moellendorff 1920; Humbert 1931 (vgl. von Fritz 1933); Gebhardt 1957 (vgl. Kühn 1960); Dodds 1959, 20–24; Bluck 1961, 116–120; Thesleff 1982, 32–33. 111–112; Montuori 1981, 77–79 Anm. 9; Toole 1976; Heitsch 2002, 177–180; vgl. außerdem die in Anm. 10 und 11 zitierte Literatur.
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auch des Thrasybulos „nur so lange denkbar war, als beide in Athen die großen Männer waren. Konon | [S. 260] verschwand aber schon durch seine Gefangenschaft 392/1 vom Schauplatz. Der stolze Steirier [Thrasybulos] war schon lange vor seinem Tode vielfach unbeliebt. … So bleiben die Jahre 393 und 392 für Polykrates’ Schrift übrig.“32 Die gleichen Argumente finden sich dann auch in Treves’ Artikel über Polykrates in Pauly’s Realencyclopädie: „Der Lobspruch auf Konon (und auf Thrasybulos) legt nicht nur den terminus post quem (393 v. Chr.), sondern geradezu die Zeit der Abfassung der Kategoría Sokrátous fest. Ein Lobspruch auf den Befreier von der Tyrannis [= Thrasybulos] und den Wiederhersteller der Seegeltung [= Konon] ist ja auch schon wenige Jahre nach 393 völlig undenkbar und unmöglich. … Die Lobrede auf Konon und die auf Thrasybulos … sind gar nicht anders zu erklären, als wenn man zugibt, dass Thrasybulos und Konon sich beide in Athen befanden und beide mächtig waren in der Zeit, in der Polykrates die Kategoría Sokrátous verfasste.“33 Ganz in diesem Sinne datierten zuletzt noch wieder Thomas Brickhouse und Nicholas Smith die Kategoría: „written at least six years – but probably in the first decade or so – after the death of Socrates.“34 Die von Pohlenz, Treves und vielen anderen vertretene und bis heute im Zusammenhang mit der Diskussion der Datierung der Kategoría weitgehend akzeptierte Interpretation der historischen Rahmenbedingungen der Jahre 393/2 hält allerdings einer genaueren Überprüfung nicht stand. Sie kehrt sich sogar – wie sich zeigen wird – in ihr Gegenteil. Ohne in die Details zu gehen, möchte ich in wenigen Sätzen die politische Situation in Athen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre skizzieren:35 Nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg und nach der Überwindung der Bürgerkriegswirren versuchten die Athener bereits seit 397 in vorsichtigen Schritten, wieder einen eigenständigen außenpolitischen Kurs zu steuern. Das Bündnis mit Theben 395 besiegelte dann den Bruch mit der Siegermacht Sparta und führte zum offenen Krieg. Der Protagonist dieser Politik war zweifellos Thrasybulos, der aufgrund seines Kampfes um die Wiederherstellung der Demokratie in den Jahren 411 und 404/3 damals in hohem Ansehen stand. Als sich jedoch 394 erste große Rückschläge im Kampf gegen Sparta einstellten, verlor Thrasybulos sehr schnell seinen politischen Einfluss. Bereits im Winter 394/3 – also schon lange vor der Ankunft Konons in Athen im Sommer 393 – scheint Thrasybulos von der politischen Bühne verdrängt worden zu sein. Seit 393 ruhten dann alle Hoffnungen der Athener auf Konon. Mit den Geldern, die Konon | [S. 261] 32 Pohlenz 1913, 164 Anm. 2; so auch schon Bruns 1896, 193; vgl. auch Chroust 1955, 7–8 Anm. 14 und 15; Rossetti 1974, 292–293 Anm. 11. 33 Treves 1952, 1740. 34 Brickhouse/Smith 2002, 5; vgl. auch Raoss 1968, 259–379 (mit der vorangegangenen Literatur hinsichtlich der Datierung der Kategoría in die 90er Jahre). 35 Ein detaillierterer Überblick der im Folgenden nur kurz erwähnten politischen Ereignisse findet sich in Funke 1980; vgl. auch Buckler 2003, 75–128. 129–183.
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mit persischer Zustimmung den Athenern zur Verfügung stellte, konnte man nun endlich in großem Stil aufrüsten. Der Grundstein für den Aufbau einer neuen Flotte wurde gelegt und die Wiederherstellung der Befestigungsanlagen der Stadt wurde mit den Geldern Konons nun massiv vorangetrieben, nachdem zuvor schon unter Thrasybulos damit begonnen worden war.36 Alle Versuche des Thrasybulos, sich in den Jahren 393/2 gegenüber Konon politisch zu profilieren, schlugen fehl. Der Spott des Aristophanes über Thrasybulos in den Ekklesiazusai (392 oder 391 aufgeführt)37 legt davon ein beredtes Zeugnis ab.38 Erst ab 391 – nachdem Konon von den Persern nach Sardeis zurückgerufen und dort gefangen gesetzt worden war – wurde Thrasybulos erneut zum führenden Politiker in Athen, bis er 389 bei einem Flottenunternehmen in Kleinasien erschlagen wurde.39 Schon diese kurze, zugestandenermaßen recht oberflächliche Skizze lässt erkennen, dass ein gemeinsames Lob auf Konon und Thrasybulos wegen ihrer persönlichen Gegnerschaft in den turbulenten Jahren der zweiten Hälfte der 90er Jahre kaum vorstellbar ist. Entgegen der Meinung von Pohlenz und Treves gab es damals eben keine politische Situation, in welcher beide Politiker gleichzeitig mächtig und einflussreich waren. Das Verhältnis der beiden war ganz offensichtlich von einem Gegeneinander und nicht von einem Miteinander geprägt. Es spricht daher alles dafür, die Kategoría des Polykrates jedenfalls nicht in diese Jahre zu datieren. Die Zusammenschau der Taten des Thrasybulos und des Konon verweist vielmehr in eine Zeit, in welcher die politische Entwicklung der Jahre unmittelbar nach dem Peloponnesischen Krieg bereits aus einer gewissen Distanz heraus betrachtet werden konnte. Gerade die Fokussierung auf die Taten einzelner großer Männer – wie der Sturz der „Dreißig Tyrannen“ durch Thrasybulos und die Wiederherstellung der athenischen Befestigungen durch Konon – entspricht der historischen Perspektive auf die Vergangenheit, wie sie in den rhetorischen Schriften frühestens in den späten 80er Jahren zu greifen ist. Es ist dieselbe Tendenz, die sich gleichzeitig auch in der patriotischen Geschichtsschreibung der Atthidographen herausbildet. Tyrannensturz und Wiederaufbau der athenischen Festungsanlagen wurden zu festen Bestandteilen eines Geschichtsbildes, das der restaurierten Demokratie die Zuversicht vermitteln sollte, an die Größe vergangener Zeiten wieder anknüpfen zu können. Von dieser Stimmung war zwar auch schon die politische Atmosphäre der 90er Jahre mit bestimmt. Die Durchsicht des gesamten historiographischen und literarischen Quellenmaterials zeigt aber unverkennbar, dass es erst in der Zeit nach dem Königsfrieden zur Verfestigung dieses Geschichtsbildes kam. Insbesondere die Wiederherstellung der athenischen Festungsanlagen als besonderes und 36 Funke 1983. 37 Funke 1980, 168–171. 38 Aristoph. Eccl. 202–203; 356. 39 Vgl. auch Buck 1998, 105–119.
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alleiniges Verdienst des Konon dürfte in dieser Form kaum | [S. 262] vor 386 als historisches Argument eingesetzt worden sein. Erst nach dem Abschluss des Königsfriedens, in dem den Athenern der Erhalt der erneuerten Festungsanlagen und der neuen Flotte zugestanden worden war, wird die Tat Konons zu einem Fixpunkt im historischen Gedächtnis der Athener.40 Und da Polykrates unter anderem hierauf Bezug nimmt, spricht Alles dafür, die Kategoría frühestens in die zweite Hälfte der 80er oder auch erst in die frühen 70er Jahre zu datieren, zumal auch die übrigen hier vorgetragenen Beobachtungen diesen Ansatz stützen. Lassen Sie mich die Ergebnisse noch einmal resümieren. In einem ersten Schritt habe ich die wenigen inhaltlichen Kernpunkte herausgearbeitet, die sich heute noch für die Kategoría bestimmen lassen. In einem zweiten Schritt habe ich dann diese inhaltlichen Aspekte zum Ausgangspunkt für eine nähere Bestimmung der Abfassungszeit der Kategoría gemacht. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich Polykrates des gängigen Arsenals politischer Argumente bediente, mit denen die restaurierte Demokratie frühestens seit der zweiten Hälfte des 80er Jahre durch eine (teilweise auch verklärende) Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit ihre Stabilisierung betrieb. Was aber gewinnen wir aus diesen Feststellungen für die Bestimmung der Bedeutung des Polykrates im politischen bzw. rhetorischen Diskurs des frühen vierten Jahrhunderts? Diese Frage führt in eine gewisse Aporie. Es kann nicht zwingend ausgeschlossen werden, dass auch die Kategoría des Polykrates als ein paradoxographisches Werk angelegt war, in dem etwas nur deshalb zur Anklage gebracht wurde, weil es alle Anderen verteidigten.41 In diesem Fall lassen sich – quasi auf indirektem Wege – allenfalls demokratisch geprägte Argumentationsmuster erschließen. Sollte Polykrates also die Maske eines Paradoxographen tragen, bleibt sein persönliches Profil unbestimmbar. Die Prominenz der Kategoría und auch die Reaktionen, die sie offensichtlich in der Folgezeit ausgelöst hatte, legen es aber doch nahe, dass es sich hier um einen seriösen rhetorischen Text handelte, in dem sich auch die politische Haltung des Polykrates widerspiegelt. Von einem demokratischen Theoretiker sprechen zu wollen, würde allerdings sicherlich zu weit gehen. Aber vielleicht greifen wir in Polykrates doch eine Persönlichkeit, die sich mit Entschiedenheit für die Belange der restaurierten Demokratie einsetzte und daher vielfach auch zum Widerspruch reizte. 40 Eine Analyse der relevanten Quellen hat gezeigt, dass der Sieg der ‚Demokraten‘ unter Thrasyboulos im athenischen Bürgerkrieg von 404/3 und der Wiederaufbau der Stadtbefestigung Athens unter Konon 393/2 – ohne auf die Verdienste des Thrasyboulos um den Wiederaufbau der Mauern einzugehen – erst seit der Mitte der 80er Jahre des 4. Jh.s v. Chr. in einem engen Verhältnis zueinander gesehen und integrativer Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Athener wurden; zum Wechsel der historischen Perspektive vgl. auch Perlman 1961, 157 Nr. 31; Allroggen 1972. Diese Entwicklung verlief parallel zu einer wachsenden Idealisierung der athenischen Herrschaft im 5. Jh. v. Chr.; s. dazu Chambers 1975; Perlman 1991. 41 So schon Blass 1982, 368; Schanz 1893, 51.
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IV. Athen
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V. RHODOS
Stasis und politischer Umsturz in Rhodos zu Beginn des IV. Jahrhunderts v. Chr.
Im Anschluß an die ausführliche Schilderung der grausamen Vorgänge während des Bürgerkrieges auf Korkyra im Sommer 427 v. Chr. führt Thukydides bittere Klage über die Verwilderung der politischen Sitten in Hellas.1 Seine Worte geben ein beredtes Zeugnis von der tiefen Zerrüttung fast aller griechischen Poleis durch Stasis und politischen Aufruhr in den Jahren des Peloponnesischen Krieges. Faktionskämpfe um den bestimmenden Einfluß in den Poleis hatten zuvor schon die Geschichte Griechenlands geprägt, aber infolge der kriegerischen Konfrontation zwischen Athen und Sparta kam es seit 431 v. Chr. zu einer Eskalation der innenpolitischen Auseinandersetzungen. Diese wurden dann auch im vierten Jahrhundert v. Chr. – nach dem endgültigen Zusammenbruch der für das fünfte Jahrhundert v. Chr. kennzeichnenden Mächtekonstellation und unter dem Eindruck zunehmender sozialer und wirtschaftlicher Spannungen2 – mit unverminderter Schärfe fortgesetzt. Die uns erhaltenen zeitgenössischen Quellenzeugnisse des vierten Jahrhunderts v. Chr. enthalten zahlreiche Verweise auf die fortwährende Bedrohung der existentiellen Grundlagen der Poleis durch innere Wirren.3 Der größere Teil dieser Nachrichten geht jedoch kaum über die allgemeine Feststellung dieses Übelstandes hinaus; die jeweiligen Ursachen und Hintergründe der politischen Vorgänge werden in der Regel – wenn überhaupt – nur sehr unzureichend dargelegt. Es ist daher oft ein schwieriges Unterfangen, auf der Basis des sehr disparaten Quellenmaterials im Einzelfall den genauen Hergang der Ereignisse zu rekonstruieren und die je unterschiedlichen Gegensätze und Interessenkonflikte zu bestimmen. Solche Untersuchungen sind aber die unabdingbare Voraussetzung dafür, im Rahmen einer | [S. 60] vergleichenden Analyse mögliche gemeinsame Strukturelemente der Staseis in den griechischen Poleis des fünften und vierten Jahrhunderts v. Chr. herauszuarbeiten, ohne Gefahr zu laufen, die Vorgänge in das Prokrustesbett eines nur einsträngigen, von der absoluten Dominanz außenpolitischer oder sozio-ökonomischer
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: W. Eck/H. Galsterer/H. Wolff (Hgg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln 1980, 59–70. 1 Thuk. 3,82–85. 2 Vgl. Fuks 1972; Fuks 1974. Daß die sozio-ökonomische Lage Athens im 4. Jh. v. Chr. eine Ausnahme von der Regel darstellt, hat auch Fuks 1974, 60 Anm. 13 gesehen; aus der Sonderstellung Athens – siehe dazu zusammenfassend Pečírka 1976, 13–18 (mit der wichtigsten Literatur) – darf freilich nicht abgeleitet werden, daß das 4. Jh. v. Chr. „frei von sozialen Spannungen“ (Ruschenbusch 1978, 25) gewesen sei. 3 Vgl. neben den zahlreichen Hinweisen in den staatstheoretischen Schriften des Platon und des Aristoteles etwa Xen. mem. 4,4,16; 4,6,14; die entsprechenden Passagen aus den Schriften des Isokrates sind bei Fuks 1972, 33–37, zusammengestellt und analysiert. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Schrift des Aeneas Tacitus; siehe dazu den Beitrag von Lehmann 1980.
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V. Rhodos
Faktoren ausgehenden Erklärungsschemas zu zwängen, das dem tatsächlichen Sachverhalt nicht gerecht zu werden vermag.4 Eine Rekonstruktion der politischen Vorgänge in Rhodos in der ersten Dekade des vierten Jahrhunderts v. Chr. ist geeignet, ein Spektrum möglicher Faktoren aufzuzeigen, welche das Bedingungsfeld bestimmten, in dem sich innenpolitischer Kampf abspielen konnte; denn hier sind wir in der Lage, ein differenziertes Bild von den Ereignissen während jener Jahre zu entwerfen. Die Nachrichten, welche die Hellenika von Oxyrhynchos überliefern, und einige Notizen aus der Politik des Aristoteles ergänzen in wichtigen Teilen die nur sehr fragmentarischen und zunächst auch widersprüchlich erscheinenden Berichte bei Xenophon, Diodor und Pausanias. Zwar bleiben auch weiterhin mancherlei Unklarheiten und Unwägbarkeiten bestehen, aber das, was sich aussagen läßt, genügt durchaus, die gemeinhin vertretene These von der zwangsläufigen und unmittelbaren Abhängigkeit der innenpolitischen Entwicklung kleinerer Poleis von den Hegemoniebestrebungen und Machtkämpfen der führenden Staaten in der griechischen Welt, vornehmlich Athens und Spartas, zumindest in ihrer Allgemeingültigkeit in Frage zu stellen. Seit dem Abfall der rhodischen Städte vom Attisch-Delischen Seebund im Jahre 412/11 v. Chr. gehörte die Insel mitsamt dem vorgelagerten Festlandbesitz, der Peraia, zu den wichtigsten Vorposten Spartas in der östlichen Ägäis.5 Besondere Bedeutung als Flottenstützpunkt kam der Insel – und vor allem der neugegründeten Stadt Rhodos mit ihren vorzüglichen Hafenanlangen – in dem seit 400 v. Chr. währenden Krieg mit Persien zu, nachdem sich Persien in den 398/7 v. Chr. zustande gekommenen Friedensverhandlungen gegen einen vertraglichen Ausgleich mit Sparta und für eine Ausweitung des Krieges entschieden hatte.6 Rhodos wurde zum Ausgangspunkt der spartanischen Seeunternehmungen, welche die militärischen Operationen auf dem kleinasiatischen Festland unterstützen und der persischen Flotte unter Konon in dem 397/6 v. Chr. begonnenen Seekrieg Widerstand entgegensetzen sollten.
4 Ruschenbusch 1978, 24–66, gibt dem außenpolitischen Aspekt absoluten Vorrang und unterschätzt zweifellos die Bedeutung der internen Konflikte. Die sozio-ökonomischen Aspekte der Staseis in der Zeit vom 4. bis zum 2. Jh. v. Chr. sind von A. Fuks in zahlreichen Abhandlungen untersucht worden; eine Zusammenstellung dieser Arbeiten findet sich in Fuks 1974, 53 Anm. 6. Eine zusammenfassende Analyse der Staseis in den griechischen Poleis des 5. und 4. Jh.s v. Chr., die bis heute ein Desiderat der Forschung ist, wird z. Zt. von H.-J. Gehrke vorbereitet, dem an dieser Stelle dafür gedankt sei, daß er mir das die Ergebnisse in Rhodos schildernde Kapitel seines Manuskripts zugänglich gemacht hat. Vgl. Gehrke 1985. 5 Vgl. Thuk. 8,44. 6 FGrHist 688 Ktesias F 30 ap. Phot. 72 p. 44 b 20–42; F 31 ap. Athen. 1,22 C; Plut. Artox. 21,1–3. Zum Verlauf der Verhandlungen vgl. Judeich 1892, 48–51; Meyer 1975, 193–198; Olmstead 1970, 378–379.
Stasis und politischer Umsturz in Rhodos zu Beginn des IV. Jahrhunderts v. Chr. 427
| [S. 61] Um so empfindlicher mußte die Spartaner der Verlust ihrer Marinebasis im Sommer 396 v. Chr. treffen.7 Die Entscheidung, sich gegen Sparta zu erheben, den spartanischen Flottenverband aus den Häfen zu vertreiben und statt dessen persische Schiffskontingente aufzunehmen, war keineswegs auf Druck oppositioneller Gruppen gegen den Willen der herrschenden Oligarchen gefallen, sondern wurde zweifellos von der damaligen politischen Führungsgruppe voll und ganz mitgetragen. Für diese Annahme spricht nicht nur der Umstand, daß die Machtverhältnisse im Innern noch bis in den Sommer 395 v. Chr. hinein völlig unverändert blieben,8 sondern auch die Tatsache, daß Persien in Rhodos offensichtlich einen aktiven Verfechter seiner Interessen gefunden hatte. Das wird schlaglichthaft deutlich an der Hinrichtung des Dorieus durch die Spartaner während seines Aufenthaltes auf der Peloponnes, von der Pausanias unter Berufung auf Androtion zu berichten weiß:9 Daß Dorieus – wie auch sein ungefähr zur gleichen Zeit (in der zweiten Hälfte des Jahres 396 v. Chr.) an die griechischen Mittelmächte entsandter Landsmann Timokrates10 – in persischem Sinne tätig war, legt schon der Kontext und die Abfolge der Erzählung bei Pausanias nahe. Auch wird das von den Spartanern verhängte Todesurteil eigentlich erst verständlich, wenn man davon ausgeht, daß Dorieus auf der Peloponnes die in Rhodos eingeschlagene neue Politik propagierte und propersische Indoktrination betrieb.11 Als Anhänger einer prospartanischen Politik hätte er mit Sicherheit auf die Hilfe Spartas rechnen können; denn die Unterstützung eines Exulanten Dorieus hätte ja einen geeigneten Ansatzpunkt für die Rückgewinnung des spartanischen Einflusses in Rhodos geboten. So war es ein geschickter Schachzug der persischen Politik, mit Dorieus eines der führenden Häupter der Diagoreer, die im Rahmen einer 7 Diod. 14,79,6; FGrHist 324 Androtion F 46 ap. Paus. 6,7,6. Zum Datum vgl. Lehmann 1978, 113–115. 8 Hell. Oxyrh. 15(10),1–3 [Bartoletti] setzen voraus, daß Rhodos beim Sturz des oligarchischen Regimes im Sommer 395 v. Chr. bereits seit längerem von Sparta abgefallen war; vgl. Meyer 1909, 73–76; Bruce 1961. 9 FGrHist 324 Androtion F 46 ap. Paus. 6,7,6. 10 Entsendung des Timokrates: Xen. hell. 3,5,1–2; Hell. Oxyrh. 7(2),2 [Bartoletti]; Paus. 3,9,8. In welchem genauen zeitlichen Verhältnis die Entsendung des Timokrates, der mit Erfolg die Konsolidierung des antispartanischen Widerstandes der griechischen Mittelmächte Theben, Korinth, Argos und Athen betrieben hatte, zum Aufenthalt des Dorieus auf der Peloponnes stand, läßt sich kaum feststellen. Auf jeden Fall gehört die Timokrates-Mission ebenfalls in das Jahr 396/5 v. Chr., und zwar in den Herbst oder Winter dieses Jahres. Zum Datum vgl. die überzeugende Argumentation bei Zunkel 1911, 8–14; s. auch Meyer 1909, VIII. 41–56; Seager 1967, 95 Anm. 2 und (mit weiterer Literatur) Lehmann 1978, 111–115. 11 Vgl. Meyer 1909, 73–74; Beloch 1922–1923, Bd. 3,1, 66; Bd. 3,2, 464; s. auch Hofstetter 1978, 53–54. Es ist bezeichnend, daß mit Timokrates und Dorieus zwei Rhodier für Persien in Griechenland agierten. Da deren eigene Heimatstadt Rhodos erst kurz zuvor von Sparta abgefallen war, waren wohl keine besseren Propagandisten persischer Interessen denkbar. Gegen eine propersische Haltung des Dorieus sprich sich van Gelder 1900, 86, aus; so auch Meiggs 1972, 368–369 (mit falschem Datum [394 v. Chr.] für den Abfall der Rhodier von Sparta).
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V. Rhodos
oligarchischen Verfassung in Rhodos herrschten, und den eifrigen Protagonisten der spartanischen Sache während des Peloponnesischen Krieges12 nun gegen Sparta auf der Peloponnes tätig werden zu lassen. Über die Hintergründe der außenpolitischen Umorientierung der rhodischen Politik geben die Quellen keine Auskunft. Mag auch die Veränderung der militärischen Lage – hervorgerufen durch den erfolglosen Verlauf der spartanischen Blockade vor Kaunos und den im Gegenzug erfolgten Vorstoß Konons zur rho- | [S. 62] dischen Chersones13 – letztlich der auslösende Faktor gewesen sein, so wird man die eigentliche Ursache doch wohl eher in einem wachsenden antispartanischen Ressentiment zu suchen haben, wie es auch bei anderen spartanischen Bündnispartnern – etwa Theben oder Korinth – aufkam, nachdem die von Sparta in den Jahren nach 405 v. Chr. verfolgte Politik ihnen sehr bald die Gewißheit gegeben hatte, daß das spartanische Hegemonialstreben der erhofften und von Sparta stets propagierten Selbständigkeit der Einzelstaaten sehr enge Grenzen setzte. Etwa ein Jahr später, im Sommer 395 v. Chr., wurde das oligarchische Regime in Rhodos durch demokratisch gesinnte Kräfte gestürzt. In den Hellenika von Oxyrhynchos findet sich eine sehr detaillierte Darstellung über die Vorbereitungen und den Verlauf des Verfassungsumsturzes.14 Dieser Bericht gewährt auch Einblick in das Zusammenspiel zwischen Konon und den rhodischen Demokraten. Demnach war das Vorgehen der Putschisten offensichtlich bis in alle Einzelheiten hinein zuvor mit Konon abgesprochen worden. Es kann daher kein Zweifel bestehen, daß die revolutionären Pläne, die auf eine Beseitigung der politischen Führungsschicht und auf eine Umgestaltung der Verfassung abzielten, die Billigung und auch die Unterstützung Konons erhalten hatten. Der Autor der Hellenika von Oxyrhynchos macht in seiner Schilderung zugleich aber auch deutlich, daß während des Umsturzes selbst weder Konon, der sich nach Kaunos zurückgezogen hatte und erst nach dem Abschluß des Staatsstreiches zurückgekehrt war, noch die auf seine Weisung hin im Hafen und in der Nähe des Marktes postierten Truppen aktiv in das Geschehen eingegriffen hatten. Die Mitwirkung Konons an diesen Vorgängen ist in der Forschung immer wieder dahingehend gedeutet worden, daß ein zwingender kausaler Zusammenhang zwischen dem außenpolitischen Kurswechsel des Jahres 396 v. Chr. und dem demokratischen Putsch bestanden habe, und zwar dergestalt, daß der Verfassungsumsturz eine notwendige Konsequenz des vorangegangenen Geschehens gewesen sei und unter primär außenpolitischen Zielsetzungen erfolgte.15 Hier muß jedoch die Frage aufgeworfen werden, inwieweit 12 13 14 15
Vgl. dazu die Angaben bei Hofstetter 1978, 53–54. Diod. 14,79,4–8; dazu Lehmann 1978, 115–117 Hell. Oxyrh. 15(10),1–3 [Bartoletti]; s. auch Bruce 1961, 168–170. Vgl. etwa Meyer 1909, 73; Beloch 1922–1923, Bd. 1, 43; Gigante 1949, XXXIII; anders hingegen Bruce 1961. Vor der Entdeckung der Londoner Fragmente der Hellenika von Oxyrhynchos ging man gemeinhin davon aus, daß der Abfall der Rhodier von Sparta, der bei Diodor und Pausanias geschildert wird (s. o. Anm. 7), mit dem Verfassungsumsturz zeitlich zusammenfiel;
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überhaupt Gründe auszumachen sind, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Stasis des Jahres 395 v. Chr. allein unter dem Aspekt der Außenpolitik zu betrachten und von möglichen internen Interessenkonflikten und | [S. 63] Machtkämpfen völlig abzusehen. Die oben angestellten Überlegungen haben gezeigt, daß die Oligarchen in Rhodos seit 396 v. Chr. ganz auf die außenpolitische Linie Persiens eingeschwenkt waren und dessen Belange tatkräftig unterstützt hatten. Ein Sturz dieser Regierung konnte – so besehen – also kaum im Interesse Konons gelegen haben.16 Demgegenüber wird oft geltend gemacht,17 daß der demokratische Putsch einer Wiederannäherung an Athen gedient habe und daß folglich die eigentliche Motivation zum Umsturz von einer proathenischen Gesinnung der rhodischen Demokraten und von dem entschiedenen Willen Konons ausgegangen sei, die Erneuerung der alten Machtstellung Athens zu betreiben. Eine solche Argumentation verkennt jedoch die machtpolitischen Verhältnisse jener Jahre und überschätzt ganz offensichtlich die politischen Absichten und Möglichkeiten Konons. Die im Seekrieg gegen Sparta erzielten Erfolge kamen ohne jeden Zweifel zunächst und vor allem Persien zugute. Zumindest bis zum Jahre 393/2 v. Chr. konnte Athen aus den politischen Umwälzungen in der Ägäis noch keine konkreten Vorteile ziehen.18 Erst nachdem Athen wieder imstande war, als eine eigenständige und schlagkräftige Flottenmacht in Erscheinung zu treten, wurde es von den ägäischen Staaten als Schutzmacht und geeigneter Bündnispartner gegen Sparta akzeptiert. Von einer engen politischen Bindung zwischen Rhodos und Athen kann also in den ersten Jahren nach dem erfolgreichen Staatsstreich nicht die Rede sein.19 Vielmehr scheint Rhodos in dieser
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vgl. etwa die Darlegungen bei Van Gelder 1900, 85; unverständlicherweise findet sich diese Auffassung jedoch zum Teil auch noch in jüngeren Abhandlungen: vgl. etwa Hiller von Gaertringen 1931, 773 und Seibert 1979, 104. Die Situation unterschied sich also grundsätzlich von der des Jahres 394/3 v. Chr., als Konon zusammen mit Pharnabazos nach dem Sieg über die spartanische Flotte bei Knidos fast den gesamten Einflußbereich Spartas in der Ägäis der Kontrolle Persiens unterwarf und zur Sicherung der persischen Interessen die Auflösung der von Sparta eingerichteten Regime betrieb; S. Xen. hell. 4,8,1–8; Diod. 14,84,3–5. So noch Fraser 1972, 122 Anm. 63 und Ruschenbusch 1978, 29. Vgl. insbesondere die Rede des Derkylidas bei Xen. hell. 4,8,4; im übrigen sei auf die Ausführungen von Cawkwell 1956, 73–75; Cawkwell 1963; Seager 1967, 99–104 verwiesen; s. auch schon Busolt 1873–1875, 667–676. Zu den politischen Aktivitäten Konons und den machtpolitischen Möglichkeiten Athens in den neunziger Jahren des 4. Jh.s v. Chr. vgl. auch die entsprechenden Ausführungen bei Funke 1980. Das attische Ehrendekret für Karpathos (IG XII 1, 977 = Syll.3 129 = Tod, GHI 110), das ein Bündnis zwischen Athen und Rhodos und einigen anderen Poleis erwähnt, gehört nicht in die Zeit unmittelbar nach 394 v. Chr.; s. dazu Lewis 1977, 144 Anm. 55, der auf eine noch ausstehende Publikation verweist, in welcher die Datierung der Inschrift in das 5. Jh. v. Chr. schlüssig nachgewiesen werden soll; vgl. aber auch die erwägenswerten Überlegungen von Seager 1967, 102 Anm. 66. 109, der das Dekret auf die Zeit der Seeunternehmungen des Thrasybulos um 390 v. Chr. zu datieren sucht.
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Zeit – unter Wahrung der vollen Loyalität gegenüber Persien – vornehmlich auf einen Ausbau seiner staatlichen Eigenständigkeit bedacht gewesen zu sein.20 Die rhodischen Demokraten hatten sich keine außenpolitische Um- oder Neuorientierung zum Ziel gesetzt. Der coup d’état war vielmehr ganz offensichtlich das Ergebnis primär innenpolitischer Auseinandersetzungen,21 die angesichts der veränderten Lage nach 396 v. Chr. vermutlich an Schärfe zugenommen hatten. Durch den Abfall vom spartanischen Bündnissystem, die Anwesenheit der persischen Flotte unter Konons Führung und die Hinrichtung des Dorieus durch die Spartaner, die auf diese Weise das oligarchische Regime seines führenden Mannes beraubt hatten, waren lediglich günstige Voraussetzungen geschaffen worden, die einem erfolgreichen Verlauf des | [S. 64] geplanten Umsturzes nur dienlich sein konnten. Die politischen Umwälzungen des Sommers 395 v. Chr. sind also prinzipiell von den Vorgängen des vorangegangenen Jahres zu trennen. Dem widerspricht auch die Beteiligung Konons an dem Staatsstreich nicht. Konon hatte sich bei seinem Entschluß, den geplanten Machtwechsel zu unterstützen, vornehmlich von dem Bestreben leiten lassen, die strategischen Interessen Persiens angesichts der sich zuspitzenden innenpolitischen Krise unter allen Umständen zu wahren. Von daher erklären sich auch seine vorsichtige Mitwirkung aus dem Hintergrund und seine bewußt geübte Zurückhaltung, die es ihm ermöglichten, bei einem eventuellen Fehlschlag des Unternehmens jede Komplizenschaft zu leugnen. Die sehr geringen Kenntnisse, die wir über die Ausgestaltung der rhodischen Verfassung und über die Zusammensetzung der politischen Führungsschicht in der Zeit zwischen 411 und 395 v. Chr. besitzen,22 machen es unmöglich, die genauen Hintergründe und Zielsetzungen der Stasis zu bestimmen. Persönliche Ambitionen und Machtrivalitäten mögen ebenso eine Rolle gespielt haben wie ideologische Parteinahme und sozioökonomische Interessenkonflikte. Bezeichnend ist, daß der Umsturz von einer offensichtlich recht kleinen und überschaubaren Faktion um den Rhodier Dorimachos geplant und durchgeführt worden war. Von einem demokratischen Massenaufstand gegen das oligarchische Adelsregiment kann mithin nicht gesprochen werden, wenngleich der Fortgang der Ereignisse es naheliegend erscheinen läßt, daß die Verschwörer auf einen großen Rückhalt in der Bürgerschaft rechnen konnten. Die Ursprünge des Konfliktes reichen wohl bis in die Zeit des Zusammenschlusses der rhodischen Poleis zu einem Gesamtstaat zurück. Insofern dürfte die Gruppe der Putschi20 In den Jahren nach 395/4 v. Chr. bildet Rhodos mit mehreren anderen ägäischen Insel- und Küstenstädten einen symmachialen Verband, der eine eigene, wohl auf einem persischen oder rhodischen Münzfuß basierende Münzprägung besaß. Zu dieser nur auf Münzen nachzuweisenden Symmachie vgl. die Ausführungen von Cawkwell 1956; Cawkwell 1963; s. auch Judeich 1892, 80; Seager 1967, 101–104; Hamilton 1979, 230. 21 Hell. Oxyrh. 15(10),3 [Bartoletti] verwenden zur Bezeichnung des Verfassungsumsturzes den Begriff: ἐπανάστασις; vgl. dazu Bruce 1961, 168. 22 Vgl. Moggi 1976, 213–226 Nr. 34 (mit einer reichhaltigen Bibliographie).
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sten vor allem im Kreis derer zu suchen sein, die seit der staatlichen Einigung von Rhodos und der Etablierung einer oligarchischen Führungsclique unter der Leitung des aus Ialysos stammenden Adelsgeschlechtes der Diagoreer in den Jahren nach 411 v. Chr. von der unmittelbaren Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozeß im neugegründeten Staatsverband ausgeschlossen waren. Über die Neuverteilung der politischen Macht und die Ausgestaltung der demokratischen Verfassung nach 395 v. Chr. sind wir freilich nur sehr schlecht informiert. Die Hellenika von | [S. 65] Oxyrhynchos vermerken am Schluß des Berichts über den Putsch des Dorimachos nur lapidar, daß die bestehende Verfassung aufgelöst und eine Demokratie eingerichtet worden sei.23 Da für die Zeit des vierten Jahrhunderts v. Chr. weder literarische noch epigraphische Zeugnisse in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, die einen genaueren Einblick in die Verfassungsstruktur von Rhodos gewähren könnten, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob das rhodische Staatswesen bereits in den neunziger Jahren des vierten Jahrhunderts v. Chr. die gleichen Formen angenommen hatte, welche sich seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. in den Inschriften finden24 und welche dann auch von späteren Autoren immer wieder als beispielhaft für einen demokratisch verfaßten Staat vorgestellt wurden.25 Wie Peter M. Fraser26 gezeigt hat, kann jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, daß zumindest die entscheidenden Grundzüge dieser Verfassung schon in den Jahren bald nach 395 v. Chr. ausgeformt worden sind. Die Einrichtung einer radikal-demokratisch strukturierten Staatsordnung führte allerdings innerhalb der Bürgerschaft zu erheblichen neuen Spannungen, welche sich schließlich 392/1 v. Chr. in einem Putsch entluden, der einen mehrjährigen Bürgerkrieg nach sich zog. Der Konflikt hatte sich an der Einführung von Diätenzahlungen entzündet.27 Die dafür notwendigen finanziellen Mittel mußten offensichtlich auf unrechtmäßige Weise beschafft werden: Wohl aus diesem Grunde war den Trierarchen die Auszahlung der ihnen von Staats wegen zustehenden Gelder versagt worden; als dann darüber hinaus die um ihre Rechte Gebrachten noch in eine Flut von Prozessen verwickelt wurden,28 schlossen sie sich zusammen und unternahmen einen Staatsstreich. 23 Hell. Oxyrh. 15(10),3 [Bartoletti]. 24 Vgl. zu dieser Frage die Forschungskontroverse zwischen Pugliese Carratelli 1949; Pugliese Carratelli 1951 und Fraser 1952. 25 S. etwa Diod. 20,81,2; Cic. rep. 1,31,47; 3,35,48; Ps.-Sall. rep. 2,7,12; Tac. dial. 40. 26 Fraser 1952; Fraser 1972, 119–124. 27 Aristot. pol. 1302 b 23–33; 1304 b 27–34. Bereits Newman 1902, 299–300 hat überzeugend nachgewiesen, daß die von Aristoteles überlieferten Vorgänge auf den bei Diod. 14,97,1–2 geschilderten Verfassungsumsturz zu beziehen sind; vgl. auch Momigliano 1936, 53–54. Die Annahme von Hiller von Gaertringen 1931, 772, daß aus den Angaben bei Aristoteles für das Jahr 397 v. Chr. ein oligarchischer Staatsstreich zu erschließen sei, entbehrt jeder Grundlage und ist auch von der Forschung abgelehnt worden; so weit ich sehe, folgt ihm heute nur noch Seibert 1979, 476, Anm. 835. 28 Dazu der Kommentar von Newman 1902, 336–337.
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Obgleich der Umsturz zunächst erfolgreich verlief und auch ein Versuch der Demokraten, die Macht wieder an sich zu reißen, abgewehrt werden konnte, suchte man bei einer auswärtigen Macht Rückhalt und wandte sich an Sparta mit der Bitte um Unterstützung, da neue Unruhen in der Bürgerschaft zu befürchten waren.29 Erst damit gewann der interne Konflikt eine entschieden außenpolitische Komponente. Denn die spartanische Intervention, die einen erneuten Machtwechsel zugunsten der Demokraten zunächst nicht mehr hatte verhindern können, rief auch die attische Seemacht auf den Plan. Auf diese Weise wurde der rhodische Bürgerkrieg, dessen Ausgangspunkt ganz offen- | [S. 66] sichtlich innenpolitische Spannungen gewesen waren, in den seit 391 v. Chr. neu aufflammenden Kampf um die Vorherrschaft im ägäischen Raum mit hineingezogen, in dem sich jetzt aber nicht mehr nur Sparta und Persien gegenüberstanden, sondern auch Athen als eine eigenständige, dritte Macht auftrat.30 In den nächsten Jahren entschied daher das militärische Engagement Spartas und Athens über den Verlauf des Bürgerkrieges.31 Da im Bericht Diodors über die Vorgänge in Rhodos die beiden Bürgerkriegsparteien als οἱ λακωνίζοντες und οἱ τὰ τῶν Ἀθηναίων φρονοῦντες bezeichnet werden,32 ist man zu der vorschnellen Schlußfolgerung gelangt, daß die eigentlichen Ursachen der Stasis und des Bürgerkrieges nicht in einer innen-, sondern einer außenpolitischen Kontroverse, 29 Die Nachrichten des Diodor und des Xenophon über den Verlauf und die Hintergründe des Verfassungsumsturzes sind nur sehr unzureichend. Diod. 14,97,1–2 berichtet zunächst von dem erfolgreichen Putsch und sodann von der Gesandtschaft an die Spartaner; die Darstellung bei Xen. hell. 4,8,20 setzt hingegen erst mit dem rhodischen Hilfeersuchen an Sparta ein. Während bei Xenophon das Geschehen so dargestellt wird, als ob sich die Oligarchen erst nach ihrer Niederlage gegen die Demokraten an Sparta gewandt hätten, geht der Bericht Diodors davon aus, daß die Spartaner zu einem Zeitpunkt um Hilfe angegangen wurden, als die Macht der Oligarchen in Rhodos zwar schon gefährdet, aber noch nicht gebrochen war. Hier besteht eine Diskrepanz in den Quellenaussagen, die kaum zu beseitigen ist, zumal man nicht so weit gehen kann, daß man die sich bei Diodor und Xenophon jeweils unmittelbar an die Erwähnung des rhodischen Hilfeersuchens anschließenden Berichte über die spartanischen Flottenoperationen völlig voneinander trennt und auf zwei zeitlich nacheinander folgende Begebenheiten bezieht. Sowohl Diod. 14,97,3–4 als auch Xen. hell. 4,8,20–24 geben – wenn auch jeweils verzerrt und (insbesondere bei Diodor) zum Teil stark verkürzt – dieselben Ereignisse wieder. Dafür spricht nicht nur die auffällige Übereinstimmung beider Quellen in der Angabe der Zahl der dem Teleutias zur Verfügung stehenden Schiffe (Xen. hell. 4,8,24 und Diod. 14,97,4 erwähnen 27 Einheiten), sondern auch das Faktum, daß sich bei beiden Autoren ganz offensichtlich die gleichen Namen der spartanischen Befehlshaber finden (vgl. Xen. hell. 4,8,20–21 mit Diod. 14,97,3, wo die Namen Ekdikos und Diphridas als Eudokimos und Diphilas verschrieben sind). Im übrigen sei zu diesem Quellenproblem auf die Argumentation von Busolt 1873–1875, 671–674 verwiesen. 30 Zur neuen Mächtekonstellation s. Xen. hell. 4,8,24. 31 Zu den Vorgängen im einzelnen vgl. Xen. hell. 4,8,20–24; Diod. 14,97,3–4; 14,99,5. Wann die Demokraten, die schon einmal von 391 bis 389 v. Chr. wieder die Oberhand gewonnen hatten, dann aber erneut von den Oligarchen – nun mit spartanischer Unterstützung – besiegt worden waren, den Bürgerkrieg endgültig zu ihren Gunsten entscheiden konnten, bleibt eine offene Frage. 32 Diod. 14,97,1.
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nämlich der Frage, ob man es mit Sparta oder mit Athen halten solle, zu suchen seien.33 Einer solchen Annahme stehen aber nicht nur die eindeutigen Aussagen des Aristoteles entgegen, die sich zweifellos auf die gleiche Begebenheit beziehen, von der auch Diodor berichtet;34 sondern es ergibt sich sogar eine auffällige Übereinstimmung zwischen den entsprechenden Passagen bei Aristoteles und Xenophon: Dem von Aristoteles zur Kennzeichnung der beiden gegnerischen Faktionen gebrauchten Begriffspaar οἱ γνώριμοι – ὁ δῆμος35 entspricht bei Xenophon: οἱ πλουσιώτεροι – ὁ δῆμος.36 Somit betont auch Xenophon zunächst die innenpolitische Seite der Auseinandersetzungen, die – wie Aristoteles bestätigt – von wirtschaftlichen und sozialen Interessenkonflikten gekennzeichnet waren; im gleichen Zusammenhang spricht er aber auch schon die Einbeziehung des Geschehens in den außenpolitischen Kontext an, indem er auf die attischen und spartanischen Machtinteressen verweist. Während wir also bei Diodor offensichtlich mit einer verkürzten, die spätere Entwicklung bereits antiziperenden Darstellung des Sachverhaltes zu rechnen haben und bei Aristoteles aufgrund seines spezifischen Erkenntnisinteresses nur einen Teilaspekt des Geschehens greifen können, ist in den xenophontischen Darlegungen – wenigstens ansatzweise – noch der gesamte Ereigniskomplex mit dem eben skizzierten Wechselspiel von innen- und außenpolitischen Faktoren erkennbar. Im Wesentlichen stimmen also die Quellen überein. | [S. 67] Die Analyse der politischen Auseinandersetzungen in Rhodos im ersten Jahrzehnt des vierten Jahrhunderts v. Chr. hat gezeigt, daß es nicht möglich ist, alle internen Konflikte in einen direkten, monokausalen Zusammenhang mit den äußeren Ereignissen zu bringen und die strittigen Themen der Politik allein auf die Frage des außenpolitischen Kurses einzugrenzen. Die Vorgänge finden eine befriedigende Erklärung nur dann, wenn man auch die übrigen Themenkreise der Politik in die Überlegungen miteinbezieht und die je besonderen Wechselwirkungen zwischen den innen- und außenpolitischen Faktoren berücksichtigt. Eine Untersuchung von Staseis in anderen griechischen Poleis dürfte wohl zu ganz ähnlichen Ergebnissen führen und die Behauptung als unhaltbar erweisen, daß „alle inneren Auseinandersetzungen und Verfassungswechsel der Jahre 454–346 ausschließlich außenpolitisch motiviert (waren).“37 Das Konfliktpotential innerhalb einer Polis war doch wohl das Primäre.
Beloch 1922–1923: K. J. Beloch, Griechische Geschichte, Bd. 3,1–3,2, Berlin 1922–19232. Bruce 1961: I. A. F. Bruce, The Democratic Revolution at Rhodes, CQ 55, 1961, 166–170. 33 So Ruschenbusch 1978, 29. 34 Siehe Anm. 27. 35 Aristot. pol. 1302 b 23–24. 36 Xen. hell. 4,8,20. 37 Ruschenbusch 1978, 32.
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Busolt 1873–1875: G. Busolt, Der zweite athenische Bund und die auf der Autonomie beruhende, hellenische Politik von der Schlacht bei Knidos bis zum Frieden des Eubulos, Jahrbücher für classische Philologie, Suppl.-Bd. 7, Leipzig 1873–1875, 643–866. Cawkwell 1956: G. L. Cawkwell, A Note on the Heracles Coinage Alliance of 394 B.C., NC 16, 1956, 69–75. Cawkwell 1963: G. L. Cawkwell, The ΣΥΝ Coins Again, JHS 83, 1963, 152–154. Fraser 1952: P. M. Fraser, Alexander and the Rhodian Constitution, PP 7, 1952, 192–206. Fraser 1972: P. M. Fraser, Notes on Two Rhodian Institutions, ABSA 67, 1972, 113–124. Fuks 1972: A. Fuks, Isokrates and the Social-Economic Situation in Greece, AncSoc 3, 1972, 17–44. Fuks 1974: A. Fuks, Patterns and Types of Social-Economic Revolution in Greece From the Fourth to the Second Century B.C., AncSoc 5, 1974, 51–81. Funke 1980: P. Funke, Homónoia und Arché. Athen und die griechische Staatenwelt vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis zum Königsfrieden (404/3–387/6 v. Chr.), Wiesbaden 1980. Gehrke 1985: H.-J. Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., München 1985. Gigante 1949: M. Gigante, Le Elleniche di Ossirinco, Rom 1949. Hamilton 1979: C. D. Hamilton, Sparta’s Bitter Victories. Politics and Diplomacy in the Corinthian War, Ithaca 1979. Hiller von Gaertringen 1931: F. Frhr. Hiller von Gaertringen, Rhodos, RE Suppl. V, 1931, 731–840. Hofstetter 1978: J. Hofstetter, Die Griechen in Persien. Prosopographie der Griechen im Persischen Reich vor Alexander, Berlin 1978. Judeich 1892: W. Judeich, Kleinasiatische Studien. Untersuchungen zur griechisch-persischen Geschichte des IV. Jahrhunderts v. Chr., Marburg 1892. Lehmann 1978: G. A. Lehmann, Spartas ἀρχή und die Vorphase des Korinthischen Krieges in den Hellenica Oxyrhynchia, ZPE 28, 1978, 109–126. Lehmann 1980: G. A. Lehmann, Krise und innere Bedrohung der hellenischen Polis bei Aeneas Tacitus, in: W. Eck/H. Galsterer/H. Wolff (Hgg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln 1980, 71–86. Lewis 1977: D. M. Lewis, Sparta and Persia. Lectures Delivered at the Univ. of Cincinnati, Autumn 1976 in Memory of Donald W. Bradeen, Leiden 1977. Meiggs 1972: R. Meiggs, The Athenian Empire, Oxford 1972. Meyer 1909: E. Meyer, Theopomps Hellenika, Halle 1909. Meyer 1975: E. Meyer, Geschichte des Altertums, Bd. 5, Darmstadt 19756. Moggi 1976: M. Moggi, I sinecismi interstatali greci, Bd. 1: Dalle origini al 338 a. C., Pisa 1976. Momigliano 1936: A. Momigliano, Note sulla storia di Rodi, RFIC 64, 1936, 49–63. Newman 1902: W. L. Newman, The Politics of Aristotle. With an Introduction, Two Prefatory Essays and Notes Critical and Explanatory, Bd. 4, Oxford 1902. Olmstead 1970: A. T. Olmstead, History of the Persian Empire, Chicago 19706. Pečírka 1976: J. Pečírka, The Crisis of the Athenian Polis in the Fourth Century B.C., Eirene 14, 1976, 5–29. Pugliese Carratelli 1949: G. Pugliese Carratelli, Alessandro e la costituzione Rodia, PP 4, 1949, 154–171. Pugliese Carratelli 1951: G. Pugliese Carratelli, La formazione dello stato Rodio, SCO 1, 1951, 77–88. Ruschenbusch 1978: E. Ruschenbusch, Untersuchungen zu Staat und Politik in Griechenland vom 7.–4. Jh. v. Chr., Bamberg 1978. Seager 1967: R. Seager, Thrasybulus, Conon and Athenian Imperialism, 396–386 B.C., JHS 87, 1967, 95–115. Seibert 1979: J. Seibert, Die politischen Flüchtlinge und Verbannten in der griechischen Geschichte. Von den Anfängen bis zur Unterwerfung durch die Römer, Darmstadt 1979. Van Gelder 1900: H. van Gelder, Geschichte der alten Rhodier, Den Haag 1900. Zunkel 1911: G. Zunkel, Untersuchungen zur griechischen Geschichte der Jahre 395–386, Weimar 1911.
Nochmals zu den Wechselfällen rhodischer Politik zu Beginn des IV. Jahrhunderts v. Chr.
In einem Aufsatz über die politischen Geschehnisse in Rhodos in der ersten Dekade des vierten Jahrhunderts v. Chr.1 habe ich den Versuch unternommen, exemplarisch ein Spektrum möglicher Faktoren, durch welche der Handlungsrahmen für politische Auseinandersetzungen innerhalb einer Polis in der klassischen Zeit abgesteckt sein konnte, aufzuzeigen. Dabei ging es mir vor allem auch darum, die von Eberhard Ruschenbusch – unter Verweis gerade auch auf die rhodischen Ereignisse wahrend jener Jahre – verfochtene These, daß in allen griechischen Poleis „alle inneren Auseinandersetzungen und Verfassungswechsel der Jahre 454–346 a u s s c h l i e ß l i c h a u ß enp o l i ti s c h motiviert (waren)“,2 zumindest in der von ihm konstatierten Allgemeingültigkeit in Frage zu stellen. Gegen Teile meiner Ausführungen – die Vorgänge der Jahre 396/5 betreffend – hat Ruschenbusch in einem in dieser Zeitschrift (i. e. Hermes) erschienenen Beitrag3 entschiedenen Widerspruch erhoben, den ich nicht unbeantwortet lassen kann. Meiner Einschätzung des außenpolitischen Kurswechsels im Sommer 396 4 hält Ruschenbusch entgegen: Die Entscheidung der Diagoreer war auf jeden Fall bestimmt von der Erwartung, daß Sparta der Verlierer sein würde, also letztlich von purem Opportunismus mit dem Ziel, auf der Seite des Siegers zu stehen und so die Herrschaft über Rhodos zu bewahren. Von einer echten Identifikation der Diagoreer mit den Interessen Persiens kann somit keine Rede sein.5 „Purer Opportunismus“ und „echte Identifikation“ sind allerdings mangels ihrer Verifizierbarkeit im knapp bemessenen Quellenmaterial keine geeigneten Kriterien, den Sachverhalt adäquat zu erfassen. Festzuhalten bleibt, daß Rhodos nach dem von den Diagoreern entscheidend bestimmten Entschluß, von der spartanischen auf die persische Seite zu wechseln, sogleich aktiv die antispartanische Politik Persiens – auch im griechischen Mutterland – unterstützte.6 Es war dies nur die folgerichtige Konsequenz der einmal
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Hermes 112, 1984, 115–119. 1 Funke 1980a. 2 Ruschenbusch 1978, 24–66, hier 32 (Sperrsatz von mir). 3 Ruschenbusch 1982. 4 Vgl. Funke 1980a, 61–62, da das von Ruschenbusch 1982, 495 angeführte Zitat meiner Darlegungen aufgrund der zahlreichen Auslassungen den Argumentationsgang leider nicht mehr erkennen läßt. 5 Ruschenbusch 1982, 495. 6 Vgl. die Ausführungen zu den politischen Aktivitäten des Rhodiers Timokrates und des Diagoreers Dorieus bei Funke 1980b, 55–57.
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getroffenen Entscheidung und nicht – was im übrigen auch gar nicht von mir behauptet worden ist – das Ergebnis „echter Identifikation“. | [S. 116] Auch hinsichtlich der Ursachen der außenpolitischen Umorientierung bietet die Argumentation Ruschenbuschs keine hinreichende Erklärung. Es bleibt unbestritten, daß die militärische Lage des Sommers 396, die sich durch den erfolglosen Verlauf der spartanischen Blockade vor Kaunos und den im Gegenzug erfolgten Vorstoß der persischen Flotte zur rhodischen Chersones zuungunsten Spartas entwickelt hatte, das Verhalten der Diagoreer entscheidend beeinflußte; aber man kann den doch überaus schwerwiegenden, mit allen Konsequenzen vollzogenen Wechsel kaum nur als eine rein opportunistische Reaktion auf eine (möglicherweise momentane) militärische Konstellation bewerten. Der Hinweis des Isokrates, daß im „rhodischen Krieg“ die Verbündeten Spartas wegen der Härte des spartanischen Regimentes dem persischen Großkönig zugeneigt waren,7 macht deutlich, daß die eigentliche Ursache für den rhodischen Abfall „in einem wachsenden antispartanischen Ressentiment zu suchen (ist), wie es auch bei anderen spartanischen Bündnispartnern – etwa Theben oder Korinth – aufkam, nachdem die von Sparta in den Jahren nach 405 verfolgte Politik ihnen sehr bald die Gewißheit gegeben hatte, daß das spartanische Hegemonialstreben der erhofften und von Sparta stets propagierten Selbständigkeit der Einzelstaaten sehr enge Grenzen setzte“.8 Dieser Anspruch auf Vorherrschaft stand den politischen Ambitionen der Diagoreer entgegen, deren Machtposition sich – auch nach außen hin – in den Jahren nach 411 durch die Bildung des neuen rhodischen Gesamtstaates ganz entschieden gefestigt hatte.9 Unter den gegebenen Umständen ließ eine Annäherung an Persien darauf hoffen, den eigenen politischen Handlungsspielraum vergrößern zu können. Daß diese Hoffnung so unberechtigt nicht war, zeigt der recht eigenständige Kurs, den Rhodos in den nächsten Jahren zu steuern imstande war.10 Nachdem es auf diese Weise zu einer persisch-rhodischen Zusammenarbeit gekommen war, mußte es meines Erachtens das vornehmliche Interesse Konons sein, Rhodos unter allen Umstanden als persische Marinebasis zu erhalten. Von dieser Grundannahme geht wohl auch Ruschenbusch aus, wenn er im Resümee seines Aufsatzes feststellt: „Konon war nun aber der Vertreter einer fremden Macht (d. h. Persiens, der Verf.), und somit können es nur außenpolitische Gründe gewesen sein (es wird hier vor allem an die Gefahr eines Verlustes des Stützpunktes infolge eines erneuten außenpolitischen Kurswechsels der Diagoreer gedacht, der Verf.), die ihn bewogen haben, die Diagoreer zu beseitigen“.11 7 Isokr. or. 4,142. 8 Funke 1980a, 62; zum politischen Klima in Griechenland während jener Jahre vgl. Funke 1980b, bes. 46–70. 9 Vgl. hierzu Moggi 1976, 213–226 Nr. 34 (mit einer umfassenden Bibliographie). 10 Vgl. Funke 1980a, 63. 11 Ruschenbusch 1982, 498.
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Unverständlich bleibt insofern die Einlassung, über meine Erklärung, Konon sei bestrebt gewesen, „‚die strategischen Interessen … Persiens zu wahren‘,12 (könne) man getrost hinweggehen“.13 Grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen bestehen allerdings in der Bewertung der Ursachen und Hintergrunde der Mitwirkung Konons am Sturz | [S. 117] der Diagoreer 395. Obgleich Ruschenbusch es für „eigentlich müßig (hält), große Spekulationen über diese Gründe anzustellen“,14 setzt seine Kritik doch gerade an diesem Punkt an, indem er mir vorwirft, das Bild der Ereignisse 395 „völlig verzeichnet (zu haben). Einmal zieht (Funke) nicht die Möglichkeit in Betracht, daß die Diagoreer bei den Schwierigkeiten, die Konon mit dem Unterhalt seiner Flotte hatte, versucht haben könnten, sich wieder an Sparta anzulehnen; ferner berücksichtigt er nicht, daß uns die Quellen gerade nur über die dürftigsten Hauptfakten informieren, aber nicht über die Hintergründe des Geschehens und schließlich verkennt er die Bedeutung des einzigen Faktums, das uns über die Hintergründe des ganzen Geschehens belehren könnte, nämlich die Mitwirkung Konons am Umsturz“.15 Dazu ist im einzelnen folgendes zu sagen: Die mangelnde finanzielle Unterstützung durch den Großkönig hatte die Aktionsfähigkeit der persischen Flotte 395 fraglos beeinträchtigt.16 Es kann jedoch keine Rede davon sein, daß „darüber Sparta wieder die Oberhand zur See gewonnen (hatte)“.17 Die persische Flotte war der spartanischen zahlenmäßig weit überlegen, nachdem sich zum Frühjahrsbeginn 395 die Anzahl der Schiffe durch das Eintreffen neuer Flottenkontingente aus Kilikien und Phoinikien mehr als verdoppelt hatte.18 Darüber hinaus zeigt die von der spartanischen Regierung im Spätsommer/Herbst 395 angeordnete Unterstellung 12 Das Zitat aus Funke 1980a, 64. 13 Ruschenbusch 1982, 497. Dieser offensichtliche Widerspruch in der Argumentation Ruschenbuschs mag darauf zurückzuführen sein, daß das Zitat aus dem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und auf das Problem des konkreten Einsatzplanes der Truppen Konons während | [S. 117] des Putsches bezogen wurde. Hierzu habe ich mich allerdings in meinen Ausführungen nicht geäußert, da ich glaube, daß diese Frage nicht endgültig zu entscheiden ist. Die Angaben der Hell. Oxyrh. 15(10),1–3 [Bartoletti] über die Vorbereitungen und die Durchführung des Putsches und die Bereitstellung der Truppen zeigen den konspirativen Charakter des ganzen Unternehmens und scheinen darauf hinzudeuten, daß die Truppen im Hintergrund blieben, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Insofern bleibt die Erklärung Ruschenbuschs 1982, 496–497 („bloße Demonstration der Macht“) letztlich ebenso unbefriedigend wie die von Bruce 1961, 168–170; Bruce 1967, 97–101 (nur Rückendeckung im Falle eines Scheiterns des Putsches). Ein non liquet erscheint in dieser Frage angebracht. 14 Ruschenbusch 1982, 498. 15 Ruschenbusch 1982, 496. 16 Vgl. Hell. Oxyrh. 19(14),1–3 [Bartoletti]. 17 Ruschenbusch 1982, 498. 18 Hell. Oxyrh. 9(4),2 [Bartoletti]; Diod. 14,79,8; vgl. dazu Bruce 1967, 72–75 und Lehmann 1978, 116–117. Eine derartige Verstärkung der Flotte dürfte allerdings auch eine weitere Verschlechterung der Kriegsfinanzen zur Folge gehabt haben.
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der Flotte unter den Befehl des Agesilaos, daß die Flottenoperationen in der vorangegangenen Zeit wenig erfolgreich verlaufen waren und die Schaffung eines gemeinsamen Oberkommandos der See- und Landstreitkräfte der Effektivierung vor allem der Seekriegführung dienen sollte.19 Aber auch die Erfolge des Agesilaos im Landkrieg 396/5 hatten zu keiner längerfristigen Verbesserung der strategischen Ausgangslage geführt.20 Es sind für das Jahr 395 keine grundlegenden Veränderungen der machtpolitischen Konstellation zu erkennen, die den Diagoreern einen abermaligen Wechsel auf die spartanische Seite hätten vorteilhaft erscheinen lassen können.21 | [S. 118] Der Sturz der Diagoreer kann folglich nicht dem Ziel gedient haben, einem – als Reaktion auf eine neue außenpolitische Lage – drohenden Kurswechsel zuvorzukommen. Dieser Schluß wird eigentlich auch schon durch das lapidare Resümee nahegelegt, welches der Autor der Hellenika Oxyrhynchia am Ende seines Berichtes über den Putsch gibt: „Die Urheber des Massakers lösten die bestehende Verfassung auf und errichteten eine Demokratie, wobei sie nur einige wenige Bürger in die Verbannung trieben. Der Umsturz (ἐπανάστασις) auf Rhodos hatte also dieses Ergebnis“.22 Nicht die Verhinderung einer ἀπόστασις von Persien, sondern die innenpolitischen Umwälzungen einer erfolgreichen ἐπανάστασις23 werden hier ausschließlich thematisiert. Es ist also 395 in Rhodos mit vergleichbaren inneren Auseinandersetzungen zu rechnen, wie sie dann vor allem wieder in den Jahren nach 392 das politische Leben dieser Polis prägten.24 Dabei haben der Abfall von Sparta und die Hinrichtung des Diagoreers Dorieus durch die Spartaner, die auf diese Weise das oligarchische Regime seines führenden Mannes beraubt hatten, vermutlich diese Spannungen verschärft, deren Anfänge wohl noch in die Zeit des fünften Jahrhunderts v. Chr. zurückreichten.25 Von diesen Gegebenheiten ist auszugehen, wenn man eine angemessene Antwort auf die Frage nach den Hintergründen der Mitwirkung Konons an diesen Vorgängen geben will. Die Darstellung der Hellenika Oxyrhynchia über die Vorbereitungen und den Verlauf des Umsturzes gewährt einen Einblick in das Zusammenspiel zwischen den rhodischen Demokraten und Konon. Danach war das Vorgehen der Putschisten offensichtlich bis in alle Einzelheiten zuvor mit Konon abgesprochen und eine – wie auch immer gedachte26 – Beteiligung persischer Truppenteile 19 Xen. hell. 3,4,27–29. 20 Vgl. Beloch 1922, 47–48. 21 Vgl. im übrigen auch die Ausführungen bei Funke 1980a, 62–64, die in dem von Ruschenbusch 1982, 496–497 angeführten Zitat dermaßen verkürzt wiedergegeben werden, daß auch hier der Argumentationsgang aufgrund umfangreicher Auslassungen nicht mehr verständlich ist. 22 Hell. Oxyrh. 15(10),3 [Bartoletti]. 23 Zur Verwendung dieses Begriffes Bruce 1961, 168; vgl. auch Pouilloux 1954, 139–147. 24 Vgl. hierzu die Darlegungen bei Funke 1980a, 64–66, die bei Ruschenbusch keinerlei Berücksichtigung finden. 25 Vgl. Funke 1980a, 64. 26 S. Anm. 23.
Nochmals zu den Wechselfällen rhodischer Politik
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eingeplant. Konon trug somit fraglos eine entscheidende Mitverantwortung am Geschehen; die Annahme, daß er der eigentliche Urheber des Putsches gewesen sei und „die alleinige oder doch wenigstens die Hauptverantwortung für die Ermordung der Diagoreer“27 getragen habe, läßt sich allerdings aus den Aussagen des Textes nicht ableiten28 und findet darüber hinaus – wie gezeigt – auch in der außenpolitischen Lage 395 keine Stütze. Die eigentlichen Hintergründe des Geschehens bildeten die inneren Konflikte und Machtkämpfe, denen Konon Rechnung zu tragen hatte. Die Entscheidung, sich auf die Seite des Dorimachos und seiner Anhänger zu stellen, mag dabei von Überlegungen mitbestimmt gewesen sein, daß die Demokraten längerfristig eher die Gewähr boten, Sparta aus den rhodischen Angelegenheiten herauszuhalten, als die unter der Führung der Diagoreer herrschende oligarchische Führungsclique. Daß auch persönliche Präferenzen Konons für die Demokratie von Einfluß waren, ist durchaus denkbar; dieser Aspekt kann hier jedoch außer Betracht bleiben, da ausschlaggebend für den Entschluß | [S. 119] Konons, in die innenpolitischen Auseinandersetzungen einzugreifen, unbestritten die strategischen und machtpolitischen Interessen des Achaimenidenreiches waren. Von daher erklärt sich wohl auch sein Verhalten während der Tat: Der Rückzug mit einem kleinen Flottenkontingent nach Kaunos dürfte kaum aus „moralisch(en)“ Gründen29 erfolgt sein; vielmehr scheint es das Bestreben Konons gewesen zu sein, sich auch für den Fall eines Scheiterns des Putsches möglichst günstige Optionen offenzuhalten. Zum Schluß sei noch eine prinzipielle Erwägung angefügt: Selbst wenn Ruschenbuschs These eines ausschließlich außenpolitisch motivierten, von Konon initiierten Sturzes der Diagoreer sich als zutreffend erwiesen hätte, würde die von ihm vorgetragene Argumentation nicht hinreichen, um die Vorgänge zu erklären, da dann immer noch die Frage offenbliebe, weshalb Konon nicht einen bloßen Wechsel in der politischen Führung, sondern den Umsturz der Verfassung betrieb. Hier gilt es eben doch zu bedenken, daß die Interessen einer fremden, intervenierenden Macht jeweils nur die eine Seite der Medaille darstellen und auf der anderen die vielschichtigen Gegensätze und Interessenkonflikte in den einzelnen Poleis stehen, die zwar auch von den Problemen der außenpolitischen Orientierung geprägt sind, sich aber – wie die Geschehnisse in Rhodos lehren – hierauf keineswegs begrenzen lassen.30
27 Ruschenbusch 1982, 496–497 und 498. 28 Zumal auch Ruschenbusch 1982, 496–497 unter Verweis auf die Darlegungen von Bruce 1961 zu Recht die Textergänzung zu Hell. Oxyrh. 15(10),1 [Bartoletti] durch B. P. Grenfell/A. S. Hunt (Erstedition: P.Oxy. 842), der sein eigener Ergänzungsvorschlag inhaltlich folgt, derjenigen von V. Bartoletti (Textedition, Leipzig 1959) vorzieht. 29 Ruschenbusch 1982, 498. 30 Vgl. hierzu die umfassende und grundlegende Studie von Gehrke 1985.
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V. Rhodos
Beloch 1922: K. J. Beloch, Griechische Geschichte, Bd. 3,1, Berlin 19222 . Bruce 1961: I. A. F. Bruce, The Democratic Revolution at Rhodes, CQ 55, 1961, 166–170. Bruce 1967: I. A. F. Bruce, An historical Commentary on the ‚Hellenica Oxyrhynchia‘, Cambridge 1967. Funke 1980a: P. Funke, Stasis und politischer Umsturz in Rhodos zu Beginn des IV. Jahrhunderts v. Chr., in: W. Eck/H. Galsterer/H. Wolff (Hgg.), Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, Köln 1980, 59–70 (= S. 425–434 in diesem Band). Funke 1980b: P. Funke, Homónoia und Arché. Athen und die griechische Staatenwelt vom Ende des Peloponnesischen Krieges bis zum Königsfrieden (404/3–387/6 v. Chr.), Wiesbaden 1980. Gehrke 1985: H.-J. Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., München 1985. Lehmann 1978: G. A. Lehmann, Spartas ἀρχή und die Vorphase des Korinthischen Krieges in den Hellenica Oxyrhynchia I, ZPE 28, 1978, 109–126. Moggi 1976: M. Moggi, I sinecismi interstatali greci, Bd. 1: Dalle origini al 338 a. C., Pisa 1976. Pouilloux 1954: J. Pouilloux, Recherches sur l’histoire et les cultes de Thasos, Bd. 1: De la fondation de la cité à 196 avant J.-C., Paris 1954. Ruschenbusch 1978: E. Ruschenbusch, Untersuchungen zu Staat und Politik in Griechenland vom 7.–4. Jh. v. Chr., Bamberg 1978. Ruschenbusch 1982: E. Ruschenbusch, Stasis und Politischer Umsturz in Rhodos, Hermes 110, 1982, 495–498.
Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jh. v. Chr.1
Dem sehr ausführlichen und detaillierten Bericht über die einjährige Belagerung der Stadt Rhodos in den Jahren 305/304 v. Chr. stellt Diodor im 81. Kapitel des 20. Buches seines Geschichtswerkes einige Anmerkungen zu den Grundzügen der damaligen rhodischen Politik voran. Es heißt dort: Die Polis der Rhodier – im Besitz einer starken Flotte und mit der besten Staatsverfassung unter den Griechen ausgestattet – wurde von den Dynasten und Königen umworben, von denen ein jeder sich um freundschaftliche Beziehungen zu ihr bemühte. Die Rhodier aber sahen voraus, wo ihr Vorteil lag, begründeten mit jedem einzelnen von ihnen gesonderte freundschaftliche Beziehungen und beteiligten sich nicht an den Kriegen, die die Dynasten untereinander führten. In der Folge wurden sie von jedem mit königlichen Gaben beschenkt; und da sie auf diese Weise lange Zeit in Frieden verbringen konnten, nahmen sie einen großen Aufschwung und erlangten hohes Ansehen.2 Sodann erwähnt Diodor den erfolgreichen Kampf der Rhodier gegen die Piraten und die außerordentliche Bevorzugung der Rhodier durch Alexander den Großen und die (angebliche) Hinterlegung seines Testamentes in Rhodos. Weiter heißt es dann: Die Rhodier unterhielten also mit allen Dynasten freundschaftliche Beziehungen und waren sorgfältig darauf bedacht, keinerlei Anlaß zum Streit zu geben; ihre Zuneigung galt aber in ganz besonderer Weise den Ptolemäern angesichts der Tatsache, daß sie ihre meisten Einkünfte von | [S. 36] den Kaufleuten erhielten, die nach Ägypten segelten, und die Stadt ihre Lebensmittel generell aus diesem Königreich bezog.3 Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: E. Dąbrowa (Hg.), Donum Amicitiae. Studies in Ancient History Published on Occasion of the 75th Anniversary of Foundation of the Department of Ancient History of the Jagellonian University, Krakau 1997, 35–41. 1 Die folgenden Ausführungen stellen die leicht überarbeitete und um die Anmerkungen vermehrte Fassung eines Vortrages dar, den ich im Oktober 1993 in Rhodos auf dem internationalen Kongreß „City of Rhodes: From ist Foundation to the Turkish Conquest (1523)“ gehalten habe, vgl. Funke 1999. 2 Diod. 20,81,2–3: ἡ πόλις ἡ τῶν Ῥοδίων ἰσχύουσα ναυτικαῖς δυνάμεσι καὶ πολιτευομένη κάλλιστα τῶν Ἑλλήνων περιμάχητος τοῖς δυνάσταις καὶ βασιλεῦσιν ἦν, ἑκάστου σπεύδοντος εἰς τὴν αὐτοῦ φιλίαν προσλαμβάνεσθαι. προορωμένη δὲ πόρρωθεν τὸ συμφέρον καὶ πρὸς ἅπαντας κατ᾽ ἰδίαν συντιθεμένη τὴν φιλίαν τῶν πρὸς ἀλλήλους τοῖς δυνάσταις πολέμων οὐ μετεῖχεν. διόπερ συνέβαινεν αὐτὴν τιμᾶσθαι μὲν ὑφ᾽ ἑκάστου βασιλικαῖς δωρεαῖς, ἄγουσαν δὲ πολὺν χρόνον εἰρήνην μεγάλην ἐπίδοσιν λαβεῖν πρὸς αὔξησιν. 3 Diod. 20,81,4: οἱ δ᾽ οὖν Ῥόδιοι πρὸς πάντας τοὺς δυνάστας συντεθειμένοι τὴν φιλίαν διετήρουν μὲν ἑαυτοὺς ἐκτὸς ἐγκλήματος δικαίου, ταῖς δ᾽ εὐνοίαις ἔρεπον μάλιστα πρὸς Πτολεμαῖον· συνέβαινε γὰρ αὐτοῖς τῶν τε προσόδων τὰς πλείστας εἶναι διὰ τοὺς εἰς Αἴγυπτον πλέοντας ἐμπόρους καὶ τὸ σύνολον τρέφεσθαι τὴν πόλιν ἀπὸ ταύτης τῆς βασιλείας.
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V. Rhodos
Angesichts der im übrigen sehr disparaten und überaus fragmentarischen Überlieferungslage muß diese Charakterskizze der rhodischen Politik den Ausgangspunkt für jede Untersuchung zur Geschichte der Inselrepublik in frühhellenistischer Zeit bilden. Die Bewertung der rhodischen Politik an der Wende vom vierten zum dritten Jahrhundert v. Chr. ist untrennbar mit der Einschätzung dieser Textpassage aus dem Geschichtswerk des Diodor verbunden. Dies ist das Grundproblem unserer Fragestellung. Einvernehmen besteht in der derzeitigen Forschungsdiskussion darüber, daß Diodor seiner Schilderung der hellenistischen Geschichte neben dem Werk des Hieronymos von Kardia auch die Darstellung eines rhodischen Historiographen zugrunde gelegt hat.4 Dafür spricht vor allem die ausführliche Beschreibung der dritten Überschwemmungskatastrophe des Jahres 316 v. Chr. in Rhodos (Diod. 19,45,1–8) sowie der anfangs zitierte Text und die sich hieran anschließende Darstellung der Belagerung von Rhodos in den Jahren 305/304 v. Chr. (Diod. 20,82,1–100,6). Die große Detailkenntnis gerade auch im Hinblick auf die innerrhodischen Verhältnisse legt die Verwendung einer rhodischen Geschichtsquelle zwingend nahe. Wohl zu Recht hat man hier schon immer das Werk des Zenon von Rhodos als Vorlage vermutet, zumal auch dessen Darlegung der mythischen Vorgeschichte offensichtlich zu großen Teilen in das fünfte Buch Diodors übernommen wurde. Auf jeden Fall aber muß es sich – wenn nicht um Zenon – dann um einen anderen Vertreter der rhodischen Lokalhistoriographie des dritten oder zweiten Jahrhunderts v. Chr. gehandelt haben, da von dessen zeitgenössischer Handschrift insbesondere das 81. Kapitel des 20. Buches deutlich geprägt ist, wie Hans Hauben noch einmal nachgewiesen hat.5 Hauben hat in diesem Zusammenhang aber zugleich auch die entscheidende Frage aufgeworfen, ob diese Feststellung einer zeitgenössischen Perspektive auch schon dazu berechtigt, die gesamte Aussage des 81. Kapitels als eine anachronistische Übertragung von Gegebenheiten des dritten und zweiten Jahrhunderts v. Chr. auf die rhodischen Verhältnisse des späten vierten Jahrhunderts v. Chr. zu verwerfen. Diese Frage hat in der Forschung zu sehr kontroversen Antworten geführt. Hauben selbst kommt nach einer eingehenden sachkritischen Untersuchung der rhodischen Geschichte zwischen 323 und 304 v. Chr., auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, zu dem Ergebnis, daß die Charakterisierung der rhodischen Politik im 81. Kapitel zwar fraglos von einer durch die späteren Geschehnisse geprägten Sichtweise mitbestimmt sei, daß aber in den Grundaussagen die Stellung des rhodischen Staates am Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. durchaus angemessen dargestellt werde. Mit Ausnahme der Alexander-Episode, deren Genese als ein späteres Produkt der rhodischen Lokalschriftstellerei Hauben überzeugend herleiten kann,6 hinterlasse die Schilderung aufs Ganze 4 Vgl. Hornblower 1981, 58–60; Berthold 1984, 64 Anm. 17. 5 Hauben 1977, 318–321; vgl. auch Abel 1972, 139. 6 Hauben 1977, 311–316.
Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. 443
besehen einen glaubwürdigen Eindruck, so daß ein entsprechender Rückschluß auf die tatsächliche Machtstellung der Inselrepublik in der Diadochenzeit zulässig sei. | [S. 37] Während sich – um nur einige zu nennen – Jane Hornblower in ihrem grundlegenden Werk über Hieronymos von Kardia und Richard Berthold in seinen Untersuchungen zur rhodischen Geschichte in hellenistischer Zeit der Interpretation Haubens weitgehend angeschlossen haben,7 hat sich jüngst Richard Billows in seiner Monographie über Antigonos Monophthalmos entschieden gegen diesen Ansatz ausgesprochen. Für Billows stellt der Bericht Diodors im 81. Kapitel ein anachronistisches Versatzstück („mostly anachronistic or downright fictitious“) dar, dessen Realitätsbezug die rhodische Machtstellung im späten dritten und im zweiten Jahrhundert v. Chr. gewesen sei und das mit der Wirklichkeit der rhodischen Politik im ausgehenden vierten Jahrhundert v. Chr. nicht das Geringste zu tun gehabt habe. Zum damaligen Zeitpunkt sei Rhodos noch keineswegs eine wirklich nennenswerte Seemacht gewesen; und auch die Handelstätigkeit mit Ägypten habe am Ende des vierten Jahrhunderts v. Chr. noch in den Anfängen gesteckt und sei erst im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. zu einem für Rhodos existenziell wichtigen Faktor geworden. So besehen könne auch die Behauptung Diodors, Rhodos sei bereits vor 305 v. Chr. von allen Mächten umworben worden und habe schon damals eine herausragende Stellung innerhalb der hellenistischen Staatenwelt eingenommen, nicht der politischen Realität entsprochen haben.8 Eine sachadäquate Entscheidung zugunsten einer der beiden hier skizzierten Positionen ist angesichts der ganz unzureichenden Überlieferungslage äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Aus den einschlägigen Quellenberichten erfahren wir zu wenig über den Einsatz der rhodischen Flotteneinheiten im vierten Jahrhundert v. Chr., um die damalige Bedeutung der rhodischen Seemacht angemessen einschätzen zu könnnen. Billows leitet seine Beurteilung aus dem Umstand ab, daß in den Quellen für das vierte Jahrhundert v. Chr. in der Regel nur vom Einsatz kleinerer rhodischer Schiffskontingente die Rede sei.9 Demgegenüber verweist Hauben meines Erachtens zu Recht auf die bezeugte Schlagkraft und Effektivität dieser Kriegsschiffe; die Rhodier waren offenbar mehr auf die Qualität als auf Quantität ihrer Flotte bedacht.10 Beide Argumentationsstränge zeigen, daß uns die übrigen Quellen einfach zu wenig Anhaltspunkte an die Hand geben, um den Gehalt der zentralen Aussagen des 81. Kapitels zu überprüfen. Statt dessen müssen Plausibilitätsargumente an die Stelle von Sach kritik treten. Das gilt in noch weitaus größerem Masse für die Beurteilung der politischen Bedeutung, die den Handelsbeziehungen zwischen Rhodos und Ägypten beigemessen wird. Daß sich diese Beziehungen im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. gegenüber 7 8 9 10
Hornblower 1981, 59; Berthold 1984, 67. Billows 1990, 165–166 Anm. 5. 342. 344. Billows 1990, 165 Anm. 5. Hauben 1977, 319–320.
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den Verhältnissen des vierten Jahrhunderts v. Chr. weiter intensiviert hatten, ist wohl unbestritten. Reicht aber eine solche Feststellung aus, um die von Diodor behaupteten engen wirtschaftlichen Beziehungen der Inselrepublik zu Ägypten für das späte vierte Jahrhundert v. Chr. gänzlich in Frage zu stellen? Billows verweist in diesem Zusammenhang auf eine Notiz bei Polyainos, in welcher davon berichtet wird, daß Antigonos während der Belagerung von Rhodos allen Kaufleuten Sicherheit zur See garantiert habe, sofern sie nicht die Insel Rhodos anliefen.11 Da nun | [S. 38] Polyainos unter den Seefahrernationen nur Syrien, Phoinikien, Kilikien und Pamphylien, nicht aber Äypten erwähnt, folgert Billows, daß dem Ägyptenhandel damals noch eine vergleichsweise sehr untergeordnete Bedeutung zugekommen sei.12 Man kann dem allerdings den zumindest gleichwertigen Bericht des Diodor entgegenstellen, demzufolge Antigonos noch vor dem Beginn der Belagerung zunächst durch eine Blockade der Seehandelsverbindungen mit Ägypten Rhodos unter Druck zu setzen suchte. Daß dieser Versuch am Widerstand der Rhodier scheiterte, zeigt einmal mehr deren militärische Stärke; vor allem aber werden hier bereits bestehende enge und lebenswichtige Handelsverbindungen zwischen Rhodos und Ägypten vorausgesetzt.13 Die Historizität dieses Berichtes, der entweder auf die rhodische Quelle des Diodor oder sogar auf Hieronymos von Kardia zurückzuführen ist, steht außer Frage; und da nun dieser Bericht unmittelbar und kausal mit dem vorangehenden 81. Kapitel verbunden ist,14 läßt sich die dort aufgestellte Behauptung enger Handelsverbindungen zwischen Rhodos und Ägypten nicht mit einem Verweis auf die erwähnte Notiz bei Polyainos aus der Welt schaffen, zumal es zu bedenken gilt, daß Rhodos schon allein aufgrund seiner geographischen Lage auch bereits vor der Gründung von Alexandreia eine der wichtigsten, weil nächstgelegenen Anlaufstellen für die Handelsschiffe auf der Route zwischen Ägypten und Griechenland war.15 Diese wenigen Anmerkungen dürften hinreichend deutlich gemacht haben, daß mangels eines einschlägigen und kontrastiven Quellenmaterials ein überzeugender und stich11 Polyain. 4,6,16: Ἀντίγονος ἐπολιόρκει Ῥόδον ἐπιστήσας τῇ πολιορκίᾳ τὸν υἱὸν Δημήτριον, κηρύξας αὐτομόλοις Ῥοδίοις εἶναι πᾶσαν ἀσφάλειαν· ὁπόσοι δὲ περὶ Συρίαν, Φοινίκην, Κιλικίαν, Παμφυλίαν | [S. 38] ἦσαν ἔμποροι καὶ θαλασσουργοὶ Ῥόδιοι, καὶ τούτοις ἐκήρυξεν ἀσφάλειαν τῆς θαλάσσης ἐπὶ τῷ μὴ καταίρειν εἰς Ῥόδον, ἵνα βοηθείας ἐρήμην Ῥόδον ἐξέλοι, τῶν παρὰ Πτολεμαίου συμμάχων οὐχ ἱκανῶν ὄντων ἀντισχεῖν Δημητρίῳ πολιορκοῦντι. 12 Billows 1990, 166 Anm. 5. 13 Diod. 20,81,4–82,2: συνέβαινε γὰρ αὐτοῖς (= οἱ Ῥόδιοι) τῶν τε προσόδων τὰς πλείστας εἶναι διὰ τοὺς εἰς Αἴγυπτον πλέοντας ἐμπόρους καὶ τὸ σύνολον τρέφεσθαι τὴν πόλιν ἀπὸ ταύτης τῆς βασιλείας. Ὃ δὴ συνορῶν ὁ Ἀντίγονος καὶ σπεύδων αὐτοὺς ἀποσπάσαι τῆς πρὸς ἐκεῖνον (= ὁ Πτολεμαῖος) ἐπιπλοκῆς … ἀπέστειλέ τινα τῶν στρατηγῶν μετὰ νεῶν, συντάξας τοὺς πλέοντας εἰς Αἴγυπτον ἐκ τῆς Ῥόδου κατάγειν καὶ περιαιρεῖσθαι τὰ φορτία. τούτου δ᾽ ἐκβληθέντος ὑπὸ τῶν Ῥοδίων φήσας αὐτοὺς ἀδίκου κατῆρχθαι πολέμου διηπειλήσατο πολιορκήσειν δυνάμεσιν ἁδραῖς τὴν πόλιν. 14 Vgl. hierzu Hauben 1977, 329. 15 Es sei in diesem Zusammenhang nur auf die bei Diod. 14,79,7 geschilderte Kaperung einer für Sparta bestimmten ägyptischen Getreidelieferung im Jahre 396 v. Chr. in Rhodos verwiesen.
Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. 445
haltiger Nachweis der Tragfähigkeit der Aussagen des 81. Kapitels, in dem die Grundlagen der rhodischen Politik an der Wende vom vierten zum dritten Jahrhundert v. Chr. charakterisiert werden, kaum zu führen ist. Will man in diesem Punkt überhaupt weiterkommen, so wird man die Frage nach dem grundsätzlichen Quellenwert der rhodischen Geschichtsschreibung aufwerfen müssen: Wie verläßlich sind eigentlich die Informationen der historiographischen Literatur über den Inselstaat, die ja bekanntlich vergleichsweise jung ist und offenbar nur auf eine sehr gering ausgebildete ältere historiographische Tradition aufbauen konnte? Berechtigt uns die Tatsache, daß die machtpolitische Blütezeit des Inselstaates im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr. zugleich auch die Blütezeit der rhodischen Lokalhistoriographie war, deren Darstellungen stets mit dem Verdikt einer von patriotischen Tendenzen entstellten und durch die zeitgenössische Perspektive ideologisch verzerrten Geschichtsschreibung zu belegen? Es stellt sich also letztlich die Frage nach dem Charakter und Gehalt der rhodischen Historiographie.16 | [S. 39] Auch hier ist eine Antwort nur schwer zu finden. Einen Schlüssel für den Zugang zur rhodischen Historiographie bildet die Kritik des Polybios an den beiden rhodischen Historikern Antisthenes und Zenon. In der Regel sucht Polybios die kritische Auseinandersetzung vorrangig mit prominenten älteren Historikern und äußert im übrigen seine kritischen Anmerkungen zur zeitgenössischen Geschichtsschreibung ohne Namensnennung.17 Die ausführliche Sachkritik an den Darlegungen des Antisthenes und vor allem des Zenon im 16. Buch der Historiai ist insofern singulär und wird daher von Polybios auch besonders begründet. Polybios verweist in diesem Zusammenhang auf das große Engagement der beiden Historiker im politischen Leben ihrer Heimatstadt und hebt besonders hervor, daß beide nicht aus Gewinnsucht (ὠφέλεια), sondern um des Ansehens (δόξα) willen und in Erfüllung einer staatsmännischen Aufgabe ihre Geschichtswerke verfaßt hätten.18 Polybios nimmt damit beide Historiker ausdrücklich aus dem Kreis der als Historiker tätigen Berufsliteraten aus, deren Werke offenbar die hellenistische Historiographie weitgehend prägten. Gleichwohl gibt er diese Abgrenzung in gewisser Weise wieder auf, indem er beide Historiker – vor allem aber Zenon – in seine allgemeine Kritik an der zeitgenössischen Geschichtsschreibung mit einbezieht. Diese wendet sich gegen eine zunehmende Vernachlässigung einer rationalen und sachkritischen Durchdringung des historischen Stoffes zugunsten einer aus übertriebener patriotischer Gesinnung verzerrten Geschichtsbetrachtung, eines rhetorischen Manierismus und einer verstärkten Neigung zu romanhafter Ausgestaltung.19 16 Vgl. zum Folgenden Funke 1994. 17 Lehmann 1974, bes. 169–171; vgl. auch Meister 1975, 173–178. 18 Pol. 16,14,3: καθόλου πεποίηνται τὴν πραγματείαν οὐκ ὠφελείας χάριν, ἀλλὰ δόξης καὶ τοῦ καθήκοντος ἀνδράσι πολιτικοῖς. 19 Vgl. hierzu Lehmann 1974, 149–150.
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V. Rhodos
So entsteht eigentlich ein zwiespältiges Bild: Durch den Vorwurf der ὑπερβολὴ τερατεία (Pol. 16,18,2) werden Zenon und auch Antisthenes mit der Mehrzahl der hellenistischen Historiographen auf eine Stufe gestellt; zugleich läßt aber der Stil der Auseinandersetzung erkennen, daß auch Polybios zumindest dem Werk des Zenon einen besonderen Stellenwert zugesteht, zumal er trotz seiner sachkritischen Einwände in der eigenen Darstellung ganz offensichtlich auf die Berichte Zenons (und des Antisthenes) zurückgegriffen hat;20 damit hat Polybios aber zumindest indirekt den beiden Autoren ein Qualitätszeugnis ausgestellt. Dieses zwiespältige Bild dürfte den Gegebenheiten der rhodischen Historiographie in hellenistischer Zeit durchaus entsprechen: Neben einer Fülle eher mittelmäßiger Lokalschriftsteller gab es in Rhodos auch Historiographen wie Zenon, deren Werke durch ihre Anlage und thematische Breite den üblichen Rahmen einer hellenistischen Lokalchronik sprengten. Lange Zeit konnte man über diese immer noch recht allgemeinen Feststellungen nicht hinausgelangen, da direkte Textzeugnisse fehlten, die konkretere Vorstellungen über das Format und den Zuschnitt rhodischer Geschichtsdarstellungen hätten vermitteln können. Erst seitdem 1987 Klaus Maresch einen Kölner Papyrustext mit dem Fragment einer von einem rhodischen Autor stammenden Geschichtsdarstellung veröffentlicht hat,21 ist es möglich, hier ein klareres Bild zu entwerfen. Der Text, der aufgrund seiner Schrift vom Herausgeber in das ausgehende zweite oder in das erste Jahrhundert v. Chr. datiert wird, enthält in drei Kolumnen einen sehr ausführlichen Bericht über die Annahme des Königstitels durch Anti- | [S. 40] gonos Monophthalmos und die unmittelbaren Reaktionen vor allem seitens des Ptolemaios und der Rhodier; verbunden wird dieser Bericht offenbar mit einem weit ausgreifenden historischen Rückblick auf die rhodische Politik in den spannungsreichen Jahren nach dem Tod Alexanders des Großen. Dieser Text, der mit Recht „zu den wichtigsten Neufunden der letzten Jahrzehnte im Bereich der griechischen Geschichtsschreibung“ gezählt wird,22 ist für unsere Fragestellung in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Unter sachkritischem Aspekt bietet der Text eine hervorragende Ergänzung zu den bisherigen Nachrichten über die Vorgänge im sogenannten „Jahr der Könige“ 306/305 v. Chr.;23 in unserem Zusammenhang ist die Schilderung des Verhaltens der Rhodier von besonderem Interesse: Sie hätten die Annahme des Königstitels durch Ptolemaios, die als unmittelbare Reaktion auf die entsprechende Tat des Antigonos erfolgt sei, ausdrücklich gutgeheißen, da sie dem Ptolemaios weitaus mehr zugeneigt gewesen seien als dem Antigonos, und zwar vor allem mit Blick auf das Wachstum ihrer Einkünfte.24 Wie bei Diodor 20,81 werden also auch hier die engen poli20 21 22 23 24
Jacoby 1955, 434; Walbank 1967, 517–518; Abel 1972, 139. Gronewald (et al.) 1987, 96–109 Nr. 247 mit Taf. 26–28. Lehmann 1988, 1. S. hierzu Weber 1993, 56–58; vgl. auch Lehmann 1988, 6–9. Gronewald (et al.) 1987, 96–109 Nr. 247, col. III, vv. 23–28.
Rhodos und die hellenistische Staatenwelt an der Wende vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. 447
tischen Bindungen zwischen Rhodos und Ägypten im ausgehenden vierten Jahrhundert v. Chr. auf die wirtschaftlichen Interessen der Rhodier zurückgeführt. Da dieser Begründungszusammenhang – hier anders als bei Diodor – im Rahmen eines Ereignisberichtes erfolgt, gewinnt diese Argumentation auch im Hinblick auf die Geltungskraft des 81. Kapitels bei Diodor für das vierte Jahrhundert v. Chr. an Gewicht. Gleichwohl bleibt der Vorbehalt, daß die Prägung durch die spätere Perspektive des Autors auch hier nicht mit letzter Sicherheit auszuschliessen ist. Das neue Historikerfragment ist darüber hinaus aber auch für unsere Frage nach dem grundsätzlichen Stellenwert der rhodischen Historiographie von Bedeutung. Gustav A. Lehmann hat den Charakter dieses Werkes sehr zutreffend wie folgt beschrieben: „In diesen drei Kolumnen besitzen wir Überreste eines historiographischen Werkes, das ungeachtet seiner Konzeption als einer rhodischen Stadtgeschichte in der Weite des historischen Horizontes, der Ausführlichkeit von Ereignisbericht und begleitendem Kommentar ein beachtliches Format gehabt haben muß.“25 Wir greifen hier einen bestimmten Typus der rhodischen Historiographie, der aufgrund seiner besonderen Eigenart das übliche Maß der hellenistischen Lokalschriftstellerei weit überragte und daher auch in die universalhistorischen Geschichtswerke etwa des Polybios oder des Diodor Eingang finden konnte. Sowohl die wenigen erhaltenen Fragmente des neuen Historikertextes wie auch – zumindest mittelbar – die „rhodischen Passagen“ etwa bei Polybios und Diodor vermitteln einen Eindruck von der hohen Qualität dieser historiographischen Werke, bei denen sich die Weite der historischen Perspektive mit präzisen Detailkenntnissen nicht nur der eigenen Zeitgeschichte verband, wie der Verweis auf bestimmte Sendschreiben und Dokumente des Jahres 306/5 v. Chr. im neuen Papyrustext zeigt. Und daher sollte man auch die Grundaussagen zur rhodischen Politik bei Diodor 20,81 nicht leichtfertig und voreilig als ein spätes Machwerk beiseite schieben, zumal sich diese politische Charakterskizze an dieser Stelle des Geschichtswerkes des Diodor durchaus widerspruchslos in den Gesamtverlauf der rhodischen Geschichte des vierten Jahrhunderts v. Chr. einfügen läßt. Auch wenn unsere Kenntnisse über diese Epoche der rho- | [S. 41] dischen Geschichte überaus gering sind, lassen die wenigen verstreuten historiographischen Notizen doch erkennen, daß die rhodische Machtstellung innerhalb der hellenistischen Staatenwelt an der Wende vom vierten zum dritten Jahrhundert v. Chr. – wie sie im 81. Kapitel gewürdigt wird – das Ergebnis einer stets auf die Wahrung der Eigenständigkeit bedachten Politik war, die die Rhodier mit Konsequenz und kluger Einsicht in das jeweils politisch Mögliche bereits das gesamte vierte Jahrhundert v. Chr. hindurch verfolgt hatten.
25 Lehmann 1988, 6.
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V. Rhodos
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VI. DIE PELOPONNESISCHE STAATENWELT
Sparta und die peloponnesische Staatenwelt zu Beginn des 4. Jahrhunderts und der Dioikismos von Mantineia
Der Abschluß des „Königsfriedens“ 387/6 v. Chr. markierte eine tiefe Zäsur in der Geschichte der griechischen Staatenwelt in klassischer Zeit. Nach dem Sieg im Peloponnesischen Krieg hatte sich Sparta zunächst fast zwei Jahrzehnte vergeblich bemüht, aus eigenen Kräften das Machtvakuum zu füllen, das durch den Zusammenbruch des athenischen Herrschaftsbereiches im Jahre 405/4 v. Chr. entstanden war.1 In immer wieder neue kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt, vermochten es die Spartaner nicht, ihre Vorrangstellung zu festigen. Vor allem der nach 404 v. Chr. rasch wachsende Widerstand in den Reihen der ehemaligen Verbündeten machte den Spartanern zu schaffen. Enttäuscht über die geringe Bereitschaft Spartas, bei der Neuordnung der politischen Verhältnisse auch den Interessen der Bündner Rechnung zu tragen, hatten bekanntlich einige Staaten – allen voran Boiotien und Korinth – schon bald dem spartanischen Bündnissystem den Rücken gekehrt und schließlich 395/4 v. Chr. gemeinsam mit Athen und Argos offen gegen Sparta Front bezogen. Der Korinthische Krieg, in den aufs neue alle Mächte verwickelt waren, die sich schon im Peloponnesischen Krieg – wenn auch zum Teil in anderen Konstellationen – gegenübergestanden hatten, führte zu einer weiteren Destabilisierung der spartanischen Machtposition, die zunehmend auch den Zusammenhalt des Peloponnesischen Bundes in seinen Kernbereichen zu gefährden drohte. Erst die von Antalkidas mit dem persischen Großkönig ausgehandelten und dann auch von fast allen griechischen Staaten akzeptierten Friedensbedingungen versetzten die Spartaner ab 386 v. Chr. in die Lage, als prostatai des Königsfriedens aufzutreten und diese Rolle zur Konsolidierung ihrer ins Wanken geratenen Hegemonialstellung zu nutzen. Unter Verweis auf die vertraglich festgeschriebene Autonomie der Einzelstaaten suchten die Spartaner alle größeren politischen Machtgebilde, die ihre Herrschaftsansprüche hätten gefährden können, zu zerschlagen. Der erst wenige Jahre zuvor gegründete argivisch-korinthische Gesamtstaat2 wurde ebenso aufgelöst wie der Boiotische Bund; zugleich brachten die Spartaner – wo immer sie konnten – prospartanische, in der Regel oligarchisch gesonnene Kreise an die Macht (Xen. hell. 5,1,36; Diod. 15,1–3). | [S. 428] In einem zweiten Schritt wandten sich die Spartaner dann gegen diejenigen Bundesgenossen, die im Korinthischen Krieg mit den Gegnern Spartas sympathisiert und die spartanische Sache allenfalls nur halbherzig unterstützt hatten. Durch gezielte StraDieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: C. Tuplin (Hg.), Xenophon and his World. Papers from a Conference held in Liverpool in July 1999, Stuttgart 2004, 427–435. 1 Vgl. zu den Geschehnissen zwischen dem Peloponnesischen Krieg und dem „Königsfrieden“ Hamilton 1979; Funke 1980; Seager 1994. 2 Vgl. Moggi 1976, 242–251 Nr. 39; Moggi 1996, 159–160; Funke 1980, 82, Anm. 29; Tuplin 1982; Whitby 1984.
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faktionen sollte die Autorität Spartas innerhalb des Bundes wiederhergestellt und jedes weitere illoyale Verhalten auf Seiten der Bündner unterbunden werden (Xen. hell. 5,2,1). Als erstes wurde 385/4 v. Chr. an Mantineia ein Exempel statuiert, das seine Wirkung auf die übrigen Bündner nicht verfehlt haben dürfte. Da sich die Mantineer der Forderung einer spartanischen Gesandtschaft, zum Ausdruck der Bündnistreue die Stadtmauern zu schleifen, widersetzt hatten, gingen die Spartaner dazu über, die Stadt zu belagern. Die weiteren Ereignisse, die aufgrund einer Kriegslist des Agesipolis schließlich zur Eroberung Mantineias und zum Dioikismos der Stadt führten, sind schon oft hinlänglich beschrieben worden und bedürfen hier nicht einer erneuten ausführlichen Darlegung.3 Ich möchte das Augenmerk auf das überaus harte Vorgehen der Spartaner lenken und in diesem Zusammenhang nach den Ursachen und Hintergründen für dieses unerbittliche Verhalten gegenüber den Mantineern fragen, da mir die von Xenophon (hell. 5,2,2) genannten Gründe hierfür kaum auszureichen scheinen. Dabei geht es mir nicht so sehr um die Frage, inwieweit die spartanische Militäraktion gegen Mantineia mit den Bedingungen des Königsfriedens in Einklang gestanden hat. Für eine von Ernst Badian in Erwägung gezogene diesbezügliche Sonderklausel des Königsfriedens, in der die Verpflichtung der spartanischen Bundesgenossen zur Bündnistreue noch einmal ausdrücklich festgelegt worden sei und die den Spartanern als Handhabe gegenüber den Mantineern hätte dienen können, gibt es in den Quellen keinen Hinweis;4 vielmehr wird auch schon durch den einleitenden Satz in den Hellenika (hell. 5,2,1: τούτων δὲ προκεχωρηκότων ὡς ἐβούλοντο) eine deutliche Zäsur zwischen den zuvor beschriebenen Aktionen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Umsetzung des Königsfriedens standen, und den nachfolgenden Maßnahmen gegenüber den peloponnesischen Bündnern gesetzt. Die Spartaner dürften wohl ganz einfach davon ausgegangen sein, daß die Weiterexistenz des Peloponnesischen Bundes unter dem Königsfrieden impliziere, „daß dessen Anwendung von Zwangsmitteln gegen Obstruktion von seiten eines Mitglieds vertragskonform sei.“5 Daß diese Auffassung von vielen anderen griechischen Staaten nicht geteilt wurde, steht auf einem anderen Blatt (vgl. Isokr. or. 4,126; 8,100; Diod. 15,5,1.3).6 Auffällig ist nun aber die – auch von den Zeitgenossen so empfundene – außergewöhnliche Härte, mit welcher die Spartaner gegen Mantineia vorgingen. Die zunächst erhobene Forderung nach Schleifung der Stadtmauern gehörte noch in das übliche Repertoire griechischer Machtpolitik und ordnet sich ein in die Reihe vergleichbarer Maßnahmen, wie sie zuvor etwa die Athener gegenüber Thasos (Thuk. 1,101,3), Poteidaia (1,56,2) oder Chios (4,51,1), die Thebaner gegenüber | [S. 429] Thespiai (4,133,1) und 3 Moggi 1976, 151–153 Nr. 24 mit einer Zusammenstellung der Quellen; vgl. etwa auch Fougères 1898, 413–426; Amit 1973, 168–174; Hamilton 1991, 125–129. 4 Vgl. hierzu die Auseinandersetzung von Jehne 1994, 48–49 mit Badian 1991, 44–45. 5 Jehne 1994, 49, Anm. 9; auch von Badian 1991, 45 in Betracht gezogen. 6 Vgl. auch die kritische Haltung des Agesipolis bei Diod. 15,19,4.
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die Spartaner selbst auch schon gegenüber Argos (5,83,2), Athen (Xen. hell. 2,2,20.23) und Elis (3,2,30) angewandt hatten.7 Die Spartaner beließen es nach der Eroberung der Stadt aber nicht bei der Niederlegung der Befestigungsanlagen und der Etablierung einer ihnen genehmen Regierung, sondern bestanden darüber hinaus auf der Auflösung des urbanen Siedlungszentrums. Die Mantineer wurden gezwungen, ihre Häuser im städtischen Zentrum aufzugeben und sich wieder in den vier oder fünf Landgemeinden (κώμαι) anzusiedeln, aus deren Zusammenschluß (Synoikismos) in der ersten Hälfte des fünften oder vielleicht auch schon um die Mitte des sechsten Jahrhunderts v. Chr. die Stadt Mantineia entstanden war (Xen. hell. 5,2,5–7; FGrHist 70 Ephoros F 79 ap. Strab. 9,3,12; Diod. 15,5,4; 15,12,2; Strab. 8,3,2).8 Selbst wenn der spartanische Kriegszug gegen Mantineia grundsätzlich noch mit den Bedingungen des Königsfriedens konform gegangen sein mag, stellte der gewaltsam erzwungene Dioikismos einen Verstoß zumindest gegen den Geist der Autonomieklausel des Königsfriedens dar. Das ergibt sich aus der Erzählung Xenophons über den zweiten Synoikismos Mantineias im Jahre 370 v. Chr.9 Xenophon (hell. 6,5,4–5) berichtet in diesem Zusammenhang davon, daß Agesilaos die Mantineer vergeblich darum gebeten hatte, den Synoikismos und den Wiederaufbau der Stadt nicht ohne Zustimmung der Spartaner durchzuführen. Die Weigerung der Mantineer, der spartanischen Forderung nachzukommen, mußte Agesilaos tatenlos hinnehmen; denn einen Feldzug gegen ihre Stadt hielt er für undurchführbar, da – so die Begründung Xenophons – erst kurz zuvor auf der Grundlage des Autonomieprinzips ein Friede zustandegekommen war (hell. 6,5,5: ἐπ’ αὐτονομία τῆς εἰρήνης γεγενημένης). Bei diesem Frieden handelte es sich aber um eine ausdrückliche – jetzt allerdings mit einer konkreten Exekutionsklausel versehene – Erneuerung des Königsfriedens (hell. 6,5,1–2).10 Auch unter Berücksichtigung der jeweils ganz unterschiedlichen machtpolitischen Lage Spartas erscheint mir daher der Rückschluß erlaubt, daß auch schon nach dem ersten Abschluß des Königsfriedens der spartanische Eingriff in die Polisstruktur Mantineias ebenso als Vertragsbruch gelten mußte wie nach der Erneuerung von 371 v. Chr. Was aber veranlaßte die Spartaner im Jahre 385/4 v. Chr., einen so harten Kurs gegen Mantineia einzuschlagen und sich zu einem so augenfälligen Verstoß gegen die Vereinbarungen des Königsfriedens hinreißen zu lassen? Warum begnügte man sich nicht – wie in 7 Vgl. Falkner 1996, 22–23. 8 Die viel diskutierte Problematik der Datierung des ersten Synoikismos von Mantineia und der genauen Anzahl der an diesem Synoikismos beteiligten Landgemeinden soll hier nicht noch einmal erörtert werden, zumal eine eindeutige Lösung nicht zu finden ist: hierzu zusammenfassend Moggi 1976, 140–156 Nr. 24; Hodkinson/Hodkinson 1981, 256–265; Gehrke 1985, 101–105; Jost 1986, 155–158. 9 Zu diesem zweiten Synoikismos vgl. Moggi 1976, 251–256 Nr. 40. 10 Vgl. Jehne 1994, 74–79.
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anderen Fällen auch – mit der Schleifung der Mauern und der Installation eines prospartanischen Regimes? Dem Bericht Xenophons (hell. 5,2,5) zufolge forderten die Spartaner den Dioikismos erst nach der Kapitulation Mantineias, während nach Diodor (15,5,4) der Dioikismos bereits zum Forderungskatalog der spartanischen Gesandten noch vor Beginn der kriegerischen Auseinan- | [S. 430] dersetzungen zählte. Auch wenn man der Version Xenophons den Vorzug gibt, wird man den Grund für diese dann nachträgliche Forderung nicht allein darin suchen dürfen „to punish the Mantineians for their stubborn and lengthy resistance“.11 Aber auch die Liste der Vorwürfe, die die spartanischen Gesandten noch vor der Eröffnung der Feindseligkeiten den Mantineern wegen ihres illoyalen Verhaltens während des Korinthischen Krieges vorhielten (hell. 5,2,2), bleibt vergleichsweise unscharf und ergibt wenig Anhaltspunkte für das besonders harsche Vorgehen der Spartaner. Weder das heimliche Paktieren der Mantineer mit den Argivern noch ihre nur zögerlich geleistete Heeresfolge erklären eigentlich wirklich die brutale Zerschlagung des städtischen Siedlungsverbandes, die nicht nur mit dem Wechsel von einer demokratischen zu einer oligarchisch-timokratischen Verfassung verbunden war, sondern möglicherweise sogar mit einer grundlegenden Veränderung der einheitlichen konstitutionellen Rahmenbedingungen der Polis einherging.12 Wichtiger erscheint mir in diesem Zusammenhang der Hinweis Xenophons, daß der bald nach der Auflösung des antispartanischen Sonderbundes im Jahre 418/7 v. Chr. auf 30 Jahre abgeschlossene Friedensvertrag zwischen Sparta und Mantineia soeben abgelaufen war (hell. 5,2,2). Das Ende dieses Friedensvertrages mußte die weitere Mitgliedschaft Mantineias im Peloponnesischen Bund prekär erscheinen lassen und in Sparta Befürchtungen wachrufen, daß das ohnehin angespannte, durch den Friedensvertrag aber bis dahin einigermaßen austarierte Verhältnis zu Mantineia erneut – wie schon vor 418/7 v. Chr. – zu einer Gefährdung der spartanischen Herrschaft im Norden der Pelo11 Hamilton 1991, 126. 12 Über die institutionelle Ausgestaltung der Verfassung Mantineias in der Zeit zwischen 384 und 370 v. Chr. finden sich in der Quellenüberlieferung so gut wie keine sicher verwertbaren Hinweise. Nach einer Notiz bei Xen. hell. 5,2,7 hatte ab 384 v. Chr. nicht mehr die Polis Mantineia als ganze, sondern jede der 4 oder 5 Komen (zur Zahl vgl. die in Anm. 8 angeführte Literatur) ein Truppenkontingent zu stellen, das jeweils einem eigenen spartanischen xenagos unterstellt war. Diese Regelung indiziert allem Anschein nach eine doch zumindest teilweise Aufhebung der politisch-institutionellen Verklammerung der Gesamtpolis. Fraglich bleibt, ob dies so weitreichend war, daß in der Folgezeit jede mantineiische Landgemeinde eine eigene oligarchische Verfassungsordnung erhielt; so Gehrke 1985, 104–105; anders etwa Hodkinson/Hodkinson 1981, 287–288. Gegebenenfalls hatte aber eine solche Neuordnung offensichtlich keine größere Wirkung entfalten können, da sie nicht die Akzeptanz der breiten Mehrheit der Bürger Mantineias fand. Die erstaunlich reibungslose und entschiedene Durchsetzung des zweiten Synoikismos 370 v. Chr. (cf. Moggi 1976, 251–256 Nr. 40; Gehrke 1985, 105) zeigt, daß auch nach 15 Jahren der Zusammenhalt der Gesamtbürgerschaft nicht nachhaltig gestört war.
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ponnes werden könnte.13 Daß solche Befürchtungen durchaus berechtigt waren und sich nicht nur auf die bei Xenophon angeführten Vorwürfe der spartanischen Gesandtschaft gründeten, zeigt eine erstmals 1987 publizierte Inschrift mit dem Text eines Sympolitievertrages zwischen Mantineia und Helisson.14 Diese Inschrift wurde in den vergangenen Jahren zwar vielfach diskutiert, vornehmlich aber unter verfassungsrechtlichen Aspekten,15 zumal es sich um die bis- | [S. 431] her älteste Urkunde eines Sympolitievertrages handelt; erstaunlich wenig Aufmerksamkeit fanden hingegen die historisch-politischen Dimensionen dieses Vertrages, obgleich er auch ein neues Licht auf die spartanisch-mantineiischen Beziehungen im späten fünften und frühen vierten Jahrhundert v. Chr. wirft und geeignet ist, die Hintergründe der Auseinandersetzungen zwischen beiden Städten in den ersten Jahren nach 387/6 v. Chr. zu erhellen. Da ich bei meiner Interpretation des Sympolitievertrages von einer Datierung der Inschrift in die Zeit vor dem Dioikismos des Jahres 385/4 v. Chr. ausgehe, diese auch von den Erstherausgebern vorgeschlagene Datierung aber in den vergangenen Jahren immer wieder in Zweifel gezogen wurde, möchte ich zunächst in aller Kürze meine Position in dieser Frage erläutern. Angesichts des relativ geringen Umfangs des vergleichbaren epigraphischen Quellenmaterials aus Arkadien lassen sich allein aufgrund der Schrift- und Sprachformen nur recht ungefähre Anhaltspunkte für eine Datierung gewinnen. Diese weisen nach Ansicht der Erstherausgeber in das frühe vierte Jahrhundert v. Chr., und zwar in die letzte Phase des ersten Synoikismos.16 Dagegen haben sich Gerhard Thür und Hans Taeuber vor allem „aufgrund der weit entwickelten Schrift“ für einen späteren zeitlichen Ansatz ausgesprochen, den sie dann allerdings aus historischen Gründen weit hinab bis in die Zeit zwischen 350 und 340 v. Chr. verlegen müssen.17 Diese überaus späte Datierung erscheint aber nicht nur aufgrund sprachwissenschaftlicher Beobachtun13 Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Sparta und Mantineia vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Amit 1973, 121–182. 14 Te Riele/Te Riele 1987 = SEG XXXVII 340; vgl. auch Dubois 1988; IPArk 98–111 Nr. 9. 15 Vgl. etwa Jost 1986; Moggi 1991, 60–61; IPArk 98–111 Nr. 9; Moggi 1996, 267–271; Nielsen 1996, 67–70. 16 Te Riele/Te Riele 1987, 186: „Il doit s’agir de la période du premier synécisme, mais plutôt vers la fin de celle-ci.“; Spyropoulos 1982 [1989] und Pikoulas 1990 datieren die Inschrift noch an das Ende des 5. Jh.s v. Chr.; unentschieden: Moggi 1976, 267–268 Anm. 39, während Moggi 1991, 60 den Vertrag noch in die Zeit des Nikiasfriedens datiert hatte. 17 IPArk 99–100. 139. Der hier durchgeführte Vergleich mit dem Synoikiavertrag zwischen Orchomenos und Euaimon (Moggi 1976, 272–290 Nr. 43 = IPArk Nr. 15) enthält allzu viele Unwägbarkeiten, um zu einer präziseren zeitlichen Bestimmung zu gelangen. Das zeigt schon der Schriftvergleich, der bei IPArk 99–100 zu der Einschätzung führt, daß der Sympolitievertrag zwischen Mantineia und Helisson jünger als der Synoikiavertrag zwischen Orchomenos und Euaimon sei, während er bei Te Riele/Te Riele 1987, 167 zum umgekehrten Ergebnis führt.
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gen problematisch,18 sondern gründet auch auf sehr voraussetzungsreichen historischen Überlegungen, die im folgenden noch näher zu prüfen sind. Da also die epigraphischen und sprachlichen Merkmale der Inschrift eine nur sehr ungefähre zeitliche Einordnung des Vertrages in die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. erlauben, bedarf es zusätzlicher historischer Argumente, um zu einer präziseren zeitlichen Bestimmung zu gelangen. Hier ist vor allem danach zu fragen, in welchen Phasen der Geschichte Mantineias zwischen dem ausgehenden fünften Jahrhundert v. Chr. und der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. der Abschluß eines solchen Sympolitievertrages überhaupt möglich war.19 Die Zeit des Dioikismos zwischen 385/4 und 371/0 v. Chr. wird man von vornherein ausschliessen dürfen. Aber auch in die Zeit nach der Wiederbegründung der Stadt fügt sich der Vertrag nur schlecht ein. Helisson lag im Quellgebiet des gleichnamigen Flusses auf der Westseite des Mainalon- | [S. 432] Gebirges (Pol. 11,11,6; Paus. 8,30,1) und gehörte zu den nördlichsten Gemeinden des Stammverbandes der Mainalier.20 Bei der Gründung von Megalopolis21 wurde auch Helisson wie die übrigen mainalischen Gemeinden in die neue Hauptstadt des Arkadischen Bundes eingemeindet (Diod. 15,72,4; Paus. 8,27,3). Es ist daher kaum damit zu rechnen, daß Helisson in der kurzen, kaum zweijährigen Zeitspanne zwischen dem zweiten Synoikismos von Mantineia und der vor allem von Mantineia mit Eifer betriebenen Gründung von Megalopolis eine Sympolitie mit Mantineia eingegangen ist.22 Auch nach der Spaltung des Bundes im Jahre 362 v. Chr. stand Helisson – vielleicht wieder im Besitz einer größeren politischen Eigenständigkeit – weiterhin auf der Seite von Megalopolis und wurde daher 352/1 v. Chr. von den Spartanern bei einem Feldzug geplündert und zerstört (Diod. 16,39,5).23 Die Vermutung von Thür und Taeuber, daß sich bald danach die Bewohner von Helisson zu einem Frontwechsel und zur Vereini18 Vgl. Dubois 1988, der aufgrund seiner Untersuchungen dann im BE 1988, 621 resümiert: „… cette inscription est, soit légèrement antérieure à 385, soit de quelques années postérieures à 370, date de la restauration de la cité.“ 19 Vgl. auch Te Riele/Te Riele 1987, 185–187. 20 Nach Pikoulas 1990 lag das antike Helisson vermutlich zwischen den heutigen Ortschaften Alonistaina und Piana; vgl. auch Hodkinson/Hodkinson 1981, 245–246, deren Bestimmung des Territoriums der Elisphasioi in der Talsenke südlich des heutigen Kapsia noch in Unkenntnis des Sympolitievertrages erfolgte, aus dem hervorgeht, daß Helisson offenbar das Siedlungszentrum der Heliswasioi/Elisphasioi war. 21 Moggi 1976, 293–325 Nr. 45. 22 Die von Nielsen 1996, 67 vorgeschlagene Datierung der Sympolitie auf „ca. 370“ erscheint mir daher problematisch. 23 Inwieweit der von Diodor in diesem Zusammenhang verwandte Begriff „Polis“ bereits wieder eine politische Eigenständigkeit von Helisson indiziert oder nur den Fortbestand des Siedlungszentrums auch nach der Eingemeindung nach Megalopolis belegt, soll hier nicht weiter erläutert werden; die Zerstörung von Helisson durch die mit den Mantineern verbündeten Spartaner zeigt auf jeden Fall, daß Helisson bis zum damaligen Zeitpunkt nicht zu Mantineia gehörte.
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gung mit Mantineia bereit fanden, bleibt Spekulation und entbehrt eines fundamentum in re,24 zumal eine Inschrift aus Epidauros (IG IV2 1, 42) die politische Selbständigkeit von Helisson zumindest für die Zeit um 300 v. Chr. belegt.25 Auch danach bleibt Helisson eine politisch eigenständige Gemeinde innerhalb des achaiischen Bundes26 und war wohl erst wieder in römischer Zeit stärker an Megalopolis gebunden (Paus. 8,27,7). Es lassen sich also in der – zugestandenermaßen überaus dürftig belegten – Geschichte Helissons für die Zeit nach dem Dioikismos Mantineias keine Anhaltspunkte für eine engere Verbindung zwischen diesen beiden Städten finden. Anders stellt sich die Situation jedoch für die Zeit vor 385 v. Chr. dar. Die schon von Gustave Fougères geäußerte und dann von Felix Bölte erneut aufgegriffene These, daß Helisson ein integraler Bestandteil der Polis Mantineia und eine der vier oder fünf Demen gewesen sei, die am ersten Synoikismos beteiligt waren, hat sich mit dem Bekanntwerden des neuen Sympolitievertrages zwar endgültig als irrig erwiesen;27 für die erste Phase des Peloponnesischen Krieges deuten aber einige Hinweise des Thuky- | [S. 433] dides auf eine damals enge Beziehung zwischen Mantineia und Helisson. Auch wenn Helisson selbst keine Erwähnung findet, ist der Darstellung des Thukydides (4,134,1; 5,29,1; 5,33,1; 5,47,1; 5,67,2; 5,81,1) doch zu entnehmen, daß es den Mantineem während des Archidamischen Krieges gelungen war, im südwestlichen Arkadien einen eigenen Machtbereich aufzubauen, der sich auch auf das mainalische Gebiet erstreckte, zu dem Helisson gehörte. Dieser von Thukydides als symmachialer Herrschaftsverband gekennzeichnete Machtbereich Mantineias dürfte im Kleinen ganz ähnlich strukturiert gewesen sein wie die großen hegemonialen Symmachien etwa des Delisch-Attischen Seebundes oder des Peloponnesischen Bundes.28 Es ist nur zu verständlich, daß die Spartaner alles daran setzten, dieses Machtgebilde innerhalb ihrer eigenen Einflußsphäre zu zerschlagen. Als bald nach der Schlacht bei Mantineia 418/7 v. Chr. auch Mantineia in einen Frieden mit Sparta einwilligen mußte, bildete daher einen Kernpunkt des Friedensvertrages die Verpflichtung der Mantineer, „die Herrschaft über die Poleis aufzugeben“ (Thuk. 5,81,1: τὴν ἀρχὴν ἀφεῖσαν τῶν πόλεων) und damit auf die Kontrolle über weite Teile Arkadiens zu verzichten. Was ergibt sich nun hieraus für die historische Einordnung und Bewertung des Sympolitievertrages zwischen Mantineia und Helisson? Zunächst einmal bleibt festzuhalten, daß spätestens von der Mitte der 20er Jahre des fünften Jahrhunderts v. Chr. bis 418/7 24 IPArk 99–100; auch die historischen Rückschlüsse aus der im Sympolitievertrag festgelegten Gestaltung des Prozeßrechtes bei IPArk 108–109 überzeugen nicht. 25 Zur Datierung der Inschrift: Hodkinson/Hodkinson 1981, 245. 26 Hodkinson/Hodkinson 1981, 245; Jost 1986, 152. 27 Gegen die These von Fougères 1898, 127–128 und F. Bölte, Mantinea, RE XIV, 2, 1930, 1312 hatten schon Walbank 1967, 286–287 und Moggi 1976, 147–148 Bedenken geäußert. 28 Eine ausführliche Behandlung dieses mantineiischen Herrschaftsgebildes findet sich jetzt bei Nielsen 1996, 79–84; vgl. auch Cartledge 1987, 257–262.
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v. Chr. Helisson – wie auch die meisten anderen nordmainalischen Gemeinden – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch einen Symmachievertrag mit Mantineia verbunden war. Durch den spartanisch-mantineiischen Frieden wurden diese vertraglichen Beziehungen dann nach 418/7 v. Chr. zwangsweise abgebrochen. Da nun alles dafür spricht, den Sympolitievertrag auf die Zeit vor 385 v. Chr. zu datieren, dürften wir hier ein Zeugnis für die Bemühungen der Mantineer greifen, zu Beginn des vierten Jahrhunderts v. Chr. durch eine Ausweitung des Politenverbandes ihre Machtstellung – vor allem gegenüber Sparta, aber auch in Auseinandersetzung mit Nachbarstaaten wie Tegea – erneut auszubauen. Am ehesten ist dabei wohl an die Zeit des Korinthischen Krieges zu denken. Die Mantineer werden sich die damalige Schwäche Spartas zunutze gemacht haben, um die Machtstellung wieder zurückzuerlangen, die ihnen durch den dreißigjährigen Friedensvertrag mit Sparta genommen worden war. Der Verweis im Sympolitievertrag auf „die anderen Poleis“ (SEG XXXVII 340, Z. 9: κατάπερ ἐν ταῖς ἄλλαις πόλισι) legt nahe, daß auch noch andere Staaten – vielleicht ebenfalls ehemalige Symmachoi – eine Sympolitie mit Mantineia eingegangen waren, und ist gegebenenfalls eine weitere Stütze für meine Deutung. Daß Mantineia sich nun nicht mehr symmachialer, sondern sympolitischer Bindungsformen bediente, war möglicherweise auch ein geschickter Schachzug, um entsprechende Klauseln des Friedensvertrages zu unterlaufen. Entscheidender dürfte aber die Einsicht gewesen sein, daß eine Sympolitie einen weitaus stärkeren Zusammenhalt garantieren konnte. So operierten die Mantineer allem Anschein nach bereits zu Beginn des vierten Jahrhunderts v. Chr. mit einem staatsrechtlichen Instrumentarium, das sie dann erneut bei der Gründung des arkadischen Bundes nach 370 v. Chr. mit einem noch weitaus größeren Erfolg in Anwendung brachten. Das Beispiel der Grün- | [S. 434] dung des argivisch-korinthischen Gesamtstaates 392 v. Chr.29 zeigt, daß auch andere Staaten auf sympolitische Formen zurückzugreifen wußten, um eine eigenständige Position innerhalb der peloponnesischen Staatenwelt zu behaupten. Selbstverständlich spielten hierbei vielfach auch innenpolitische Gründe eine Rolle; sie allein reichen aber meines Erachtens nicht aus, die sympolitischen Bewegungen auf der Peloponnes in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr. hinreichend zu erklären. Es gilt, auch den außenpolitischen Aspekt und hier insbesondere die Frontstellung vieler peloponnesischer Staaten gegen Sparta mit in Betracht zu ziehen. Wenn die hier vorgetragenen Beobachtungen das Richtige treffen, dann erscheint auch das Vorgehen Spartas gegen Mantineia im Jahre 385/4 v. Chr. in einem schärferen Licht. Den Spartanern dürfte damals die Gefährdung der eigenen Herrschaft durch die Machtambitionen Mantineias weitaus bedrohlicher erschienen sein, als es der Bericht Xenophons vermuten läßt. Die Ausweitung des mantineischen Polisgebietes 29 Vgl. Anm. 2.
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bis in die Regionen westlich des Mainalon-Gebirges mußte Erinnerungen an die Zeit der Vorherrschaft Mantineias über weite Teile Arkadiens in den Jahren vor 418 v. Chr. wachrufen. Hieraus erklärt sich die besondere Härte, mit der die Spartaner die Mantineer behandelten. Durch den Dioikismos, der auch die Auflösung aller sympolitischen Verbindungen bewirkt haben dürfte, sollte die Polis in ihren Grundstrukturen so weit geschwächt werden, daß allen weiteren Versuchen einer Machtexpansion die Basis entzogen war.
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VI. Die peloponnesische Staatenwelt
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Between Mantinea and Leuctra The Political World of the Peloponnese in a Time of Upheaval
The aim of the reflections that follow is to define the historical and political framework in which to locate the central topic of the conference whose results are presented here. In other words, my contribution has an introductory function and will try to sketch a background of sorts for the volume The Politics of Ethnicity and the Crisis of the Peloponnesian League.1 It will summarize the political prerequisites and conditions of the crisis of the Peloponnesian League and of the political upheaval in the Peloponnese after the battle of Leuctra, in an attempt to free the evaluation of these events from a one-sided perspective that is still widespread in scholarship. Thereby the complexity of the political configuration from which the new system of polities in the Peloponnese emerged in the late seventies and early sixties of the fourth century will appear with greater clarity.
1. Thebes and the Effects of the Battle of Leuctra (371 BCE) An inscription from Thebes commemorates three men who clearly had distinguished themselves in the battle of Leuctra.2 Their names – Xenokrates, Theopompos and Mnasilaos – are followed by this epigram: When the Spartan spear was dominant, then Xenocrates took by lot the task of offering a trophy to Zeus, not fearing the host from | [S. 2] the Eurotas or the Spartan shield. “Thebans are superior in war,” proclaims the trophy won through victory/ bringing victory by the spear at Leuctra; nor did we run second to Epaminondas.3 The monument appears to have been erected immediately after the battle.4 Ever since the inscription was published,5 scholars have tried to connect the text to passages from Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: P. Funke/N. Luraghi (Hgg.), The Politics of Ethnicity and the Crisis of the Peloponnesian League, Cambridge, MA 2009, 1–14. 1 I thank K. Freitag and M. Haake for their critical reading of my manuscript, as well as all participants in the conference for suggestions and stimuli, and especially N. Luraghi and R. Short, who have also translated the text of my contribution. 2 IG VII 2462; CEG 632; Rhodes-Osborne, GHI 150–151 Nr. 30; references to further editions in Beister 1973, 65–66 Anm. 3a. 3 Translation from Rhodes-Osborne, GHI 151. 4 For the date see the commentary of W. Dittenberger to IG VII 2462; see also Tuplin 1987, 94–95. 5 The inscription was first published on May 17th, 1877 by S. A. Kumanudis in the Athenian newspaper Palingenesia and immediately generated lively reactions; see Beister 1973, 65 Anm. 1. 2.
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ancient authors that mention the fact that, before the battle, the Oracle of Trophonios in Lebadeia emphatically encouraged the Thebans to fight against the Spartans. Besides shorter references by Callisthenes (FGrHist 124 Kallisthenes F 22a ap. Cic. div. 1,74), Diodorus (15,53,4), and Polyaenus (2,3,8), a passage from Pausanias (4,32,4–6) deserves special attention. According to Pausanias, Epaminondas had asked Xenokrates, in accordance with an oracle, to fetch the shield of Aristomenes, a legendary hero presumably from the time of the Second Messenian War, that was kept in the temple of Trophonios in Lebadeia, and use it to decorate a victory monument erected before the battle, for all the Spartans to see. Hartmut Beister (1973) and Christopher Tuplin offer the most recent extensive discussions of these texts, revising previous interpretations in the attempt to clarify possible connections between the inscription and the literary tradition. They come to very different conclusions, which cannot be discussed in detail here, especially since it seems impossible to reach a final decision.6 However, they agree that the story of the shield of Aristomenes reported by Pausanias has to be considered an invention of the Messenian historiography of the fourth century BCE.7 This integration of the hero of Messenian freedom into Theban traditions about the battle of Leuctra certainly goes back to the attempt by the Messenians to consolidate their identity in the years after 370/69;8 but it also reveals something about the | [S. 3] way in which Thebes, the new dominant power in the Greek world, if for a short time, depicted itself in historiography. For the Thebans, it was obviously very important to show their newly acquired hegemony in the best light and to underpin it with ideology.9 Of course, the Thebans did unquestionably play a decisive role in the liberation of Messenia. The foundation of the city at Mount Ithome and the creation of a new Messenian state that accompanied it were doubtless consequences of the first Theban expedition in the winter of 370/69; Epaminondas’ initiative and commitment clearly deserve credit for this.10 It is also beyond question that the battle of Leuctra laid the foundations for the dissolution of Spartan hegemony over the Peloponnese. From this point of view, it can be said that the (fictive) participation of Aristomenes in the outcome of the battle of Leuctra was perfectly justified on the level of ideology. 6 See also the commentary by Rhodes-Osborne, GHI 151–152. 7 Beister 1973, 79–81; Tuplin 1987, 101–103; Ogden 2004, 134–138; see already Kiechle 1959, 126–127. On the person of Aristomenes, around whom many legends obviously grew after the liberation of Messenia by the Boeotians, see Ogden 2004. 8 However, the relationship to Boeotia, which was also displayed in, for example, the iconographic program of the statuary in the sanctuary of Asklepios and in the hierothysion at Messene (Paus. 4,31,10–32,1), is only one component of this effort; on this, see also the fundamental treatments of Figueira 1999; Luraghi 2002; Luraghi 2009. 9 See also Ogden 2004, 138–142. 10 See Roebuck 1941, 27–41; Eck 1978, 263–266; Buckler 1980, 70–90; Buckler 2003, 308– 310; Grandjean 2003, 49–53. 65–70; Shipley 2004, 562–563.
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However, the Thebans’ attempt to set themselves up as the champions of all the political upheavals in the Peloponnese and to take exclusive credit for all these profound transformations is much more controversial. Already the statue of Epaminondas, erected by the Thebans after his death, was allegedly accompanied by the following epigram: By our counsels was Sparta shorn of her glory, and holy Messene received at last her children. With Thebes’ arms Megalopolis was surrounded with walls, and all Greece won independence and freedom.11 Pausanias and Plutarch – and before them, presumably, already the Boeotian or Theban local historiography of the Hellenistic age – have contributed to overemphasizing the role of Thebes in such processes of political transformation.12 It is the Thebans who decide after Leuctra to bring back the Mantineans to their city (Paus. 8,8,10), and Epaminondas in particular is depicted not only as the founder of Messene, but also as being responsible for the Mantineans’ return and for the unification of Arcadia and the foundation of Megalopolis (Paus. 9,14,4; Plut. Pelopidas 24). This Theban viewpoint has had a long-lasting influence and its traces can still be seen in modern scholarship. In the nineteenth century, Ernst | [S. 4] Curtius wrote in his Griechische Geschichte: “Considering that Epaminondas, in such a short time and with his limited resources, founded or contributed to the foundation of Mantinea, Messene, Megalopolis, … one will not want to deny him the honor of having been the predecessor of Alexander and his successors in the royal art of city-founding.”13 The depiction of Thebes as the force that propelled and shaped everything, that single-handedly ignited the political upheaval in the Peloponnese, and that left its imprint on the emerging new political world by transmitting to it its own constitutional model, is still present in the most recent scholarship. The underlying assumption is that the basic federal structure of the Boeotian League, in its reformed state after 379, can be identified as the model for the new political formations of the Peloponnese. Beister writes: “As is generally known, the tendency to replicate and disseminate its own political model is characteristic of Theban foreign policy after Leuctra.”14 And Simon Hornblower 11 Paus. 9,15,6; translation from Beck 2000, 341–342; cf. also Luraghi 2009. 12 A brief overview of the development of Boeotian historiography is offered by F. Jacoby in FGrHist IIIb, 151–153; see also Shrimpton 1971; Sordi 1974; Buckler 1980, 263–277; Tuplin 1984. 13 Curtius 1889, 383: “Bedenkt man, wie Epameinondas mit seinen geringen Mitteln und in so kurzer Frist Mantineia, Messene, Megalopolis gründete oder gründen half, … so wird man dem Epameinondas nicht die Ehre streitig machen dürfen, dass er in der königlichen Kunst der Stadtgründungen Alexanders und seiner Nachfolger Vorgänger gewesen ist.” 14 Beister 1989, 151: “Kennzeichnend … für die thebanische Außenpolitik nach Leuktra ist bekannt lich die Reproduktion und Verbreitung des eigenen politischen Modells.”
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observes: “One of the most permanent legacies (of the Theban hegemony) was the export of the federal principle.”15 Admittedly, it is indeed noticeable that most of the new or reformed polities that emerged in the Peloponnese did not follow the “classical” model of the Greek polis, but rather showed a basic federal structure, more or less pronounced in each case, or at any rate were characterized by peculiar forms of political participation for the various groups of populations that formed the several polities.16 But only a very superficial analysis could lead one to interpret this as the result of the export by the Thebans of their federal principle. Such an interpretation misunderstands the character of the Boeotian κοινόν after its re-foundation in 379 BCE, as Hans Beck has recently insisted.17 With his detailed analysis of the institutional structure of the Boeotian League, Beck has shown that in the form it took after 379 BCE it could not be considered a true federal state any more, but should rather be seen “as a highly centralized or as a unitary state.”18 It is not necessary | [S. 5] to repeat Beck’s arguments in detail. For present purposes, it will suffice to note that he has shown convincingly that Thebes was able to use the correlation between κοινόν and συντέλεια as an instrument to consolidate its grip over the whole of Boeotia. Therefore at that point the Boeotian constitution can hardly have functioned as an immediate model for the new states emerging in the Peloponnese.19 The constitutional character of the Boeotian League, which had undergone fundamental transformations with respect to the regime in force until 386,20 is not the only argument against overestimating the influence of Thebes on the political developments in the Peloponnese. As George Grote clearly showed,21 a critical analysis of the sources, comparing the aforementioned statements by Plutarch and Pausanias with, in particular, the relevant narratives by Xenophon and Diodorus, leaves no doubt that foundations had already been laid in the Peloponnese before the first Theban expedition. The συνοικισμός of Mantinea and the foundation of the Arcadian League had already taken place, and it seems that even the foundation of Megalopolis had already been decided upon in the summer of 370.22 Furthermore, the diplomatic maneuvers of Arcadians, Eleians, and Argives 15 Hornblower 2002, 200; see also 258–259. 16 For an overview of these political developments, with references to sources and bibliography, see Beck 1997; Funke 1998; Lehmann 2001. 17 Beck 2000. 18 Beck 2000, 338. 19 Contrary to what I previously thought, see Funke 1998, 63 on the Arcadian League. 20 See, with further bibliography, Lehmann 2001, 25–33; Behrwald 2005, 119–120. Notice that the system of συντέλεια of single member-states already functioned as an instrument of power before 386. 21 Grote 1888, 194–196. 22 Συνοικισμός of Mantinea: Moggi 1976, 251–256 Nr. 40; foundation of the Arcadian League: Dušanić 1970; Nielsen 2002, 474–499; foundation of Megalopolis: Moggi 1976, 293–325 Nr. 45; Hornblower 1990; Nielsen 2002, 414–455.
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in the summer of 370 show that, in spite of the success of Leuctra, Thebes was not necessarily the first choice of ally for the Peloponnesians. On the contrary, the Athenians were the first to be approached, and only after their refusal did the three Peloponnesian states turn to Thebes and conclude an alliance with the Thebans.23 It is not my intention to throw out the baby with the bath water and to suggest that Thebes could not have had any influence whatsoever on the political developments in the Peloponnese. What my contribution criticizes is the overestimation of the role of Thebes in the political reorganization of the Peloponnese, because it promotes a distorted assessment of the complexity of the situation. There is no doubt that the outcome of the battle of Leuctra was a fundamental and necessary precursor to the thorough-going transfor- | [S. 6] mation of the power balance in the Peloponnese – fundamental and necessary, but not sufficient. By the same token, it is beyond question that Thebes played an active role in the liberation of Messene and in the creation of the Messenian state. Theban ambitions and their clash with Spartan hegemony corresponded to the interests of most Peloponnesian states – but only temporarily, as shown by the admonition of Lykomedes of Mantinea, who as early as 368 warned his fellow Arcadians against the danger of rashly granting the Thebans the dominant position formerly occupied by the Spartans (Xen. hell. 7,1,24).
2. Sparta and the Consequences of the Battle of Mantinea (418 BCE) No attempt to explain the events in the Peloponnese in those years that sees the battle of Leuctra as the single cause of everything can do justice to the facts. Rather, it is necessary to recognize that the Peloponnesian states had their own dynamics that certainly received new and decisive impetus from the Theban victory, hut that had displayed their effectiveness already before that event. In what follows, I intend to investigate whether it is possible to see in Peloponnesian politics before 371 significant points that can contribute to a better understanding of the events after 371, and, if so, where these may be found. To this end it is necessary to look closely at the conditions of the first decades of the fourth century and to the already precarious situation of the Peloponnesian League. However, since my observations are intended only to provide a framework for further reflection, I will confine myself to a rather general outline, considering only one case study more closely.24 23 On this, with references to sources and bibliography, Hornblower 2002, 247–249; Buckler 2003, 302–310. 24 A more comprehensive discussion of the διοικισμός of Mantineia, here taken as case study, can be found in Funke 2004.
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In the immediate aftermath of the Peloponnesian War, burgeoning resistance amongst their former allies, which had sprung up suddenly, was already creating difficulties for the Spartans.25 Disappointed by the limited readiness of the Spartans to allow for their allies’ interests in the rearrangement of the political balance, some states, especially Boeotia and Corinth, famously turned their backs to the Spartan alliance and eventually, together with Athens and Argos, openly declared their hostility to Sparta in 395/4. The Corinthian War that followed, which soon sucked in the whole Greek world, destabilized Sparta’s hegemonic position, increasingly endan- | [S. 7] gering even the cohesion of the core area of the Peloponnesian League. Only in 386 were the Spartans able to emerge as προστάται of the King’s Peace and to exploit this position in order to consolidate their wavering hegemony. The fact that in these circumstances Sparta treated its own allies in the Peloponnese particularly harshly shows how tense the situation within the Spartan alliance had become. With targeted punitive measures the Spartans tried to re-establish their authority over the Peloponnese and to prevent any further disloyal behavior on the part of their allies (Xen. hell. 5,2,1). At first, in 385/4, they made of Mantinea an example that cannot have failed to impress the other allies. Since the Mantineans had rejected the request of the Spartan envoys to pull down their city-walls as a token of loyalty to the Peloponnesian League, the Spartans started a siege that ended up with the conquest of Mantinea and the διοικισμός of the city.26 What makes the treatment the Spartans meted out to Mantinea particularly telling about the political situation in the Peloponnese is its extraordinary brutality, perceived as such also by contemporaries. After the city surrendered, the Spartans were not content with destroying the fortifications and putting in place a regime favorable to themselves, but insisted on the dissolution of the urban center.27 The Mantineans were compelled to give up their houses in the city and to move back to the four or five villages from whose union the city of Mantinea had originated, in the first half of the fifth or already around the middle of the sixth century BCE.28
25 On what follows, see the relevant discussions e. g. in Hamilton 1979; Funke 1980; Hamilton 1991; Tuplin 1993; Buckler 2003. 26 Moggi 1976, 151–153 with overview of the sources. 27 The destruction of the city-walls was part of the normal repertoire of Greek power politics; cf. e. g. the measures taken by the Athenians against Poteidaia (Thuk. 1,56,2), Thasos (Thuk. 1,101,3), or Chios (Thuk. 4,51,1), by the Thebans against Thespiai (Thuk. 4,133,1), and by the Spartans themselves in previous years against Argos (Thuk. 5,83,2), Athens (Xen. hell. 2,2,20.23) and Elis (Xen. hell. 3,2,30). By comparison, the διοικισμός was extraordinarily harsh. 28 Xen. hell. 5,2,5–7; FGrHist 70 Ephoros F 79 ap. Strab. 9,3,12; Diod. 15,5,4; 15,12,2; Strab. 8,3,2.
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What motivated the Spartans in 385/4 to such a harsh course of action against Mantinea, and to such a blatant violation of the conditions of the King’s Peace?29 I intend to pursue this question in what follows, because this case makes it possible to show that the Spartan system of alliances in the Peloponnese was already fragile in the decades before the battle of Leuctra. At the same time, it is possible to point to the broad increase in autonomy that the individual poleis were striving for already in those years – always within the limits of what was politically feasible. | [S. 8] Xenophon mentions some reasons that are supposed to explain the behavior of the Spartans. However, the list of complaints that the Spartan envoys issued to the Mantineans before the opening of the hostilities, pointing to their disloyal behavior during the Corinthian War (hell. 5,2,2), is relatively vague and offers little explanation for the particularly harsh actions of the Spartans. Neither the Mantineans’ secret dealings with the Argives, nor the fact that they contributed their contingent of troops only reluctantly, offer a really satisfactory justification for the brutal demolition of the urban settlement of the city, which was not only coupled with the shift from a democratic to an oligarchic-timocratic constitution, but possibly involved a radical transformation of the unitary constitution of the polis.30 In this connection, Xenophon’s reference to the fact that the treaty between Sparta and Mantinea, concluded after the dissolution of the anti-Spartan alliance of 418/7 and agreed to last thirty years,31 had just expired (hell. 5,2,2) may be more important. The conclusion of this treaty for a limited period of time shows in itself that the structure of the Spartan system of alliances we call the Peloponnesian League was decidedly more complex than we often tend to think. Clearly not all the bilateral treaties that formed it replicated the model of the treaty between Sparta and the Aetolian Erxadieis,32 but rather, 29 On the question to what extent the treatment of Mantinea equalled a violation of the King’s Peace see Funke 2004, 429. 30 On the institutional form of the constitution of Mantinea in the years between 384 and 370 the sources offer hardly any useful evidence. According to a note in Xen. hell. 5,2,7, from 384 onwards it was no longer the polis of Mantinea that had to contribute its contingent of troops, but each of the four or five villages by itself, each under the control of one Spartan xenagos. This regulation suggests that in all likelihood the very unity of the polis was at least to some extent dissolved. lt is questionable whether this dissolution implies that each of the components of the former polis of Mantinea now had its own oligarchic constitution, as suggested by Gehrke 1985, 104–105; cf. e. g. Hodkinson/Hodkinson 1981, 287–288. In any case, this rearrangement could not be very effective, since clearly the vast majority of the population of Mantinea opposed it. The extraordinarily smooth and resolute implementation of the second synoecism (see Moggi 1976, 251–256 Nr. 40; Gehrke 1985, 105) shows that even fifteen years later the cohesion of the civic body had not suffered lasting damage. 31 Staatsverträge 2, 195. 32 The interpretation advanced by Gschnitzer 1978 (= SEG XXVIII 408; also SEG XLIX 392) for the treaty originally published by Peek 1974 (= SEG XXVI 461) still seems to me convincing, both as regards the date (first half of the fifth century BCE) and in the interpretation
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they adapted to concrete political needs and possi- | [S. 9] bilities, and the Spartans must have accepted this situation as inevitable. The expiration of the peace treaty between Sparta and Mantinea in 387 must have made the continuing membership of Mantinea in the Peloponnesian League seem precarious, and correspondingly it must have conjured up at Sparta the fear that the relationship to Mantinea, tense as it was, but at least so far stabilized by the peace treaty, could once again, as it had done before 418/7, endanger Spartan control of the Northern Peloponnese.33 That such fears were justified is shown by an inscription first published in 1987 with the text of a sympolity treaty between Mantinea and Helisson, a small political community on the Western border of the Mainalon massif, quite far away from Mantinea.34 The implications of this treaty in terms of political history have so far received surprisingly little attention. However, it sheds new light not only on the relationship between Sparta and Mantinea in the late fifth and early fourth century, but also on the ways and means used by Peloponnesian polities in order to create and protect autonomous zones of action for themselves. Having discussed the date of this treaty in depth elsewhere, I do not intend to repeat my arguments here. Suffice it to say that, after considering the various options, the sympolity treaty has to be dated before 385.35 What are the implications of such a date for the historical interpretation of this document? In order to find an answer, it is necessary to consider the situation of Mantinea before 418. For the first phase of the Peloponnesian War, some hints in Thucydides point to a close relationship between Mantinea and Helisson. Even though Helisson itself is not mentioned, it is possible to infer from Thucydides (4,134,1; 5,29,1; 5,33,1; 5,47,1; 5,67,2; 5,81,1) that, at the latest during the Archidamian War, the Mantineans had succeeded in building in Southwestern Arcadia a small hegemony of their own, which extended to Maenalia, of which Helisson was part. Thucydides uses for this the terminology of hegemonic symmachy, and based on Thomas Heine Nielsen’s comprehensive investigation, we may suppose that Mantinea’s hegemony was structured like the larger hegemonic symmachies, such as the Delian and Peloponnesian Leagues.36 It is perfectly understandable that the Spartans were keen to dissolve such regional hegemony within their | [S. 10] own sphere of influence. Therefore, when Mantinea too, soon after 418, had to acquiesce in a peace with Sparta, one of the main points of the treaty was that the Mantineans had to “give
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(treaty between Sparta and a hitherto unknown Peloponnesian polity). Every attempt to date the treaty later and to connect it with the Aetolians of Central Greece (see the overview of the different suggestions in Yates 2005, 66 Anm. 4) is undermined by a consideration of the historical circumstances that this would imply; see now also SEG LI 449. On the history of the relationship between Sparta and Mantinea see the summary accounts in Amit 1973, 121–182; Nielsen 2002, 389–391. Te Riele/Te Riele 1987 (= SEG XXXVII 340); see also Dubois 1988; IPArk 9. Funke 2004, 431–433. Nielsen 1996, 79–84; Nielsen 2002, 367–372; see already Cartledge 1987, 257–259.
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up their rule over the poleis” (Thuk. 5,81,1: τὴν ἀρχὴν ἀφεῖσαν τῶν πόλεων) and thereby to renounce control over extended parts of Arcadia. We can therefore conclude that from the mid-twenties of the fifth century at the latest, and until 418/7, Helisson, like the majority of the other polities of northern Mainalia, was almost certainly linked to Mantinea by an alliance. After that, such ties were necessarily severed by the treaty between Sparta and Mantinea. Since, however, we have every reason to date the sympolity between Mantinea and Helisson before 385, we can see it as evidence that, at the beginning of the fourth century, Mantinea was again attempting to build up its power, especially against Sparta but also against other neighboring poleis such as Tegea, by extending the citizen body. In this connection, one thinks especially of the Corinthian War. The Mantineans probably exploited Sparta’s weakness at that point, in order to win back the position of power that had been taken away from them by the thirty-years peace with Sparta. In the sympolity treaty, the reference to “the other poleis” (SEG XXXVII 340 line 9: κατάπερ ἐν ταῖς ἄλλαις πόλισι) suggests strongly that at that point other polities, too, possibly former allies of the Mantineans, had concluded a sympolity with them. This reference to further poleis and the long distance between Mantinea and Helisson show with full clarity the political significance of such agreements. The fact that Mantinea was now no longer using treaties of alliance, but rather sympolities, was certainly a clever trick to circumvent the corresponding clauses of the thirty- years peace with Sparta. Of prime importance was the insight that a sympolity ensured a much stronger bond than any sort of alliance. It seems that the Mantineans were operating already at the beginning of the fourth century with an instrument of constitutional law that was going to be applied on a much larger scale and with even more success in the foundation of the Arcadian League in 370. The example of the fusion of Argos and Corinth in 392 shows that other poleis, too, were able to resort to sympolity or to similar systems in order to strengthen their autonomous position in the balance of power in the Peloponnese.37 This emergence of sympolity, attested impressively by the case of Mantinea, can be observed also in other parts of the Greek world, but it seems to be particularly | [S. 11] pronounced in the Peloponnese. Here, the relations and conflicts between polities were characterized in a peculiar way by the interplay between the autonomy of the polis and regional – that is, ethnic – cohesion. The tendency towards sympolity across the boundaries of the individual poleis may in many ways have been determined by foreign policy, especially insofar as it worked in opposition to Sparta. However, it is also the political consequence of a conspicuous phenomenon: the “ethnicization” of the political world of the Peloponnese at the end of the fifth and beginning of the fourth centuries BCE. 37 On this fusion, see Robinson 2009, and cf. Moggi 1976, 242–250 Nr. 39; Funke 1980, 82 Anm. 92; Tuplin 1982; Whitby 1984; Moggi 1996, 159–160.
470
VI. Die peloponnesische Staatenwelt
In this contribution, I have tried to focus on some political aspects of this phenomenon as case studies, in order to offer a background of sorts for the examination of the assumed “politics of ethnicity.” What I have tried to show on the political level has another side on the level of ideology. The tendency to overstep the narrow borders of the polis corresponds to the attempt at founding or recovering the identity of the group beyond the polis. Whether we think of the Mantineans, who went to the Mainalon massif not only to reinforce their influence there, but also to recover the bones of Arkas and bring them to Mantinea,38 or of Lykomedes, who conjured up the autochthony of the Arcadians against all political pretensions from outside,39 ethnicity became a political argument.
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38 Paus. 8,9,3–4; 8,36,8; on this, see Nielsen 2002, 403–404. 39 Xen. hell. 7,1,23–24, Hdt. 2,171,3; 8,78,1 and Thuk. 1,2,3 show that Lykomedes could count on older and widespread notions.
Between Mantinea and Leuctra
471
Funke 1998: P. Funke, Die Bedeutung der griechischen Bundesstaaten in der politischen Theorie und Praxis des 5. und 4. Jh. v. Chr. (Auch eine Anmerkung zu Aristot. pol. 1261a 22–29), in: W. Schuller (Hg.), Politische Theorie und Praxis im Altertum, Darmstadt 1998, 59–71 (= S. 243–254 in diesem Band). Funke 2004: P. Funke, Sparta und die peloponnesische Staatenwelt zu Beginn des 4. Jahrhunderts und der Dioikismos von Mantineia, in: C. Tuplin (Hg.), Xenophon and his World. Papers held in Liverpool in July 1999, Stuttgart 2004, 427–435 (= S. 451–460 in diesem Band). Gehrke 1985: H.-J. Gehrke, Stasis. Untersuchungen zu den inneren Kriegen in den griechischen Staaten des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr., München 1985. Grandjean 2003: C. Grandjean, Les Messéniens de 370/369 au 1er siècle de notre ère. Monnayages et histoire, Athen 2003. Grote 1888: G. Grote, History of Greece. From the Earliest Period to the Close of the Generation Contemporary with Alexander the Great, Bd. 8, London 18882 . Gschnitzer 1978: F. Gschnitzer, Ein neuer spartanischer Staatsvertrag und die Verfassung des Peloponnesischen Bundes, Meisenheim 1978. Hamilton 1979: C. D. Hamilton, Sparta’s Bitter Victories. Politics and Diplomacy in the Corinthian War, Ithaca 1979. Hamilton 1991: C. D. Hamilton, Agesilaus and the Failure of Spartan Hegemony, Ithaca 1991. Hodkinson/Hodkinson 1981: S. Hodkinson/H. Hodkinson, Mantineia and the Mantinike. Settle ment and Society in a Greek Polis, ABSA 76, 1981, 239–296. Hornblower 1990: S. Hornblower, When Was Megalopolis Founded?, ABSA 85, 1990, 71–77. Hornblower 2002: S. Hornblower, The Greek World 479–323 BC, London 20023. Kiechle 1959: F. Kiechle, Messenische Studien. Untersuchungen zur Geschichte der messenischen Kriege und der Auswanderung der Messenier, Kallmünz 1959. Lehmann 2001: G. A. Lehmann, Ansätze zu einer Theorie des griechischen Bundesstaates bei Aristoteles und Polybios, Göttingen 2001. Luraghi 2002: N. Luraghi, Becoming Messenian, JHS 122, 2002, 45–69. Luraghi 2009: N. Luraghi, Messenian Ethnicity and the Free Messenians, in: P. Funke/N. Luraghi (Hgg.), The Politics of Ethnicity and the Crisis of the Peloponnesian League, Cambridge, MA 2009, 110–134. Moggi 1976: M. Moggi, I sinecismi interstatali greci, Bd. 1: Dalle origini al 338 a. C., Pisa 1976. Moggi 1996: M. Moggi, I sinecismi greci del IV secolo a.C., in: P. Carlier (Hg.), Le IVe siècle av. J.-C. Approches historiographiques, Paris 1996, 259–271. Nielsen 1996: T. Heine Nielsen, A Survey of Dependent Poleis in Classical Arkadia, in: M. H. Hansen/K. A. Raaflaub (Hgg.), More Studies in the Ancient Greek Polis, Stuttgart 1996, 63–105. Nielsen 2002: T. Heine Nielsen, Arkadia and its Poleis in the Archaic and Classical Periods, Göttingen 2002. Ogden 2004: D. Ogden, Aristomenes of Messene. Legends of Sparta’s Nemesis, Swansea 2004. Peek 1974: W. Peek, Ein neuer spartanischer Staatsvertrag, Berlin 1974. Robinson 2009: E. Robinson, Ethnicity and Democracy in the Peloponnese, 401–362 BCE, in: P. Funke/N. Luraghi (Hgg.), The Politics of Ethnicity and the Crisis of the Peloponnesian League, 135–147. Roebuck 1941: C. A. Roebuck, A History of Messenia from 369 to 146 B.C., Chicago 1941. Shipley 2004: G. Shipley, Messenia, in: M. H. Hansen/T. Heine Nielsen (Hgg.), An Inventory of Archaic and Classical Poleis, Oxford 2004, 547–568. Shrimpton 1971: G. S. Shrimpton, The Theban Supremacy in Fourth-Century Literature, Phoenix 25, 1971, 310–318. Sordi 1974: M. Sordi, Propaganda politica e senso religioso nell’azione di Epaminonda, in: M. Sordi (Hg.), Contributi dell’Istituto di storia antica, Mailand 1974, 45–53.
472
VI. Die peloponnesische Staatenwelt
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Index
Literarische Quellen Aischin. 2,115 3,124 Aischyl. Pers. 186 403
89 Anm. 30; 153 Anm. 11; 197; 212 Anm. 9 195 Anm. 9
25 Anm. 3 25 Anm. 3
Lys. 665 Aristot. Ath. pol. 19–20 19,3 20,1 20,3
287 Anm. 2 344 Anm. 35 289 Anm. 7 289 Anm. 6; 290 Anm. 8; 291 Anm. 15 29 Anm. 21 297 Anm. 35 169 Anm. 26 337 Anm. 2
Alk. frg. 35,10 D 27 Anm. 14; 273 (= 112,10 Lobel/Page)
Amm. Marc. 30,4,5
401 Anm. 16
Anth. Pal. 6,343
295 Anm. 25
fr. 473 R³ 160 Anm. 8; 252 Anm. 32 474 R³ 160 Anm. 8; 252 Anm. 32 475 R³ 252 Anm. 32 483 R³ 160 Anm. 8; 252 Anm. 32 492 R³ 160 Anm. 8 494 R³ 160 Anm. 8 495 R³ 160 Anm. 8 547 R³ 252 Anm. 32 597 R³ 204
Antiph. frg. 50 Thalheim 69 Anm. 43
21,4 22,2 42,1 42,4–5
344 Anm. 35
App. civ. 2,88
334 Anm. 47
hist. an. 569 b 9–12
Mac. 9,4
130 Anm. 43
[oec.] 1350 a 16–22 402 Anm. 20
Archil. frg. 146 Bergk
63 Anm. 15
Aristeid. 3,298 (Behr) 27 Anm. 14; 273 Aristoph. Eccl. 202–203 356
419 Anm. 38 419 Anm. 38
Equ. 812–819
387 Anm. 136
pol. 1261 a 22–29 1261 a 22–31 1261 a 27–29 1274 b 33–40 1276 a 23–24 1276 b 1 1283 b 42 1283 b 43 1291 b 25 1302 b 23–24 1302 b 23–33 1304 b 27–34
388 Anm. 141
250 Anm. 25 175 Anm. 42 251 Anm. 27 39 Anm. 1; 277 273 27 Anm. 16; 40 Anm. 3 39 Anm. 1 277 70 Anm. 51 433 Anm. 35 431 Anm. 27 431 Anm. 27
474
Index
rhet. 1375 b 31 64 Anm. 25 1401 a 34–35 414 1418 b 10–12 401 Anm. 17 Arr. an. 1,17,8
65 Anm. 27
Athen. 1,3d 13,577b 15,695a–b 15,695e
357 Anm. 9 362 Anm. 27 299 Anm. 39 344 Anm. 35
CAF I 651, frg. 183 388 Anm. 142 Cic. de orat. 1,231 orat. 151
416 Anm. 28
328 Anm. 22
rep. 1,31,47 3,35,48
431 Anm. 25 431 Anm. 25
Demosth. or. 5,25 8,24 9 12,6 12,17 15 15,9 18,91 18,302 19,123 20,68–72 20,69 20,70 20,73–74 22,72 24,12 24,180 50,21–22
316 Anm. 34 313 Anm. 21 317 Anm. 37 319 Anm. 48 63 Anm. 17 316 Anm. 33 313 Anm. 20. 21 128 Anm. 32 317 Anm. 38 172 Anm. 34 357 Anm. 12 358 Anm. 16 357 Anm. 12 387 Anm. 139 357 Anm. 10; 361 Anm. 24 316 Anm. 32 357 Anm. 10; 361 Anm. 24 63 Anm. 17
Didym. comm. in Demosth. 14–15 col. 5,5–8
66 Anm. 31
Diod. 10,24 295 Anm. 25 11,49,1–2 214 Anm. 17 11,72,3 214 Anm. 16 11,76,3 214 Anm. 17 12,68,4 63 Anm. 15 13,9,2 343 Anm. 30 13,65,3 67 Anm. 35 14,39,4 372 Anm. 74 14,79 364 14,79,4–8 428 Anm. 13 14,79,6 427 Anm. 7 14,79,6–8 363 14,79,7 444 Anm. 15 14,79,8 437 Anm. 18 14,83,5 361 Anm. 25 14,84,3–5 429 Anm. 16 14,85,2–4 357 Anm. 7 14,97,1 432 Anm. 32 14,97,1–2 431 Anm. 27; 432 Anm. 29 14,97,3–4 432 Anm. 29; 432 Anm. 31 14,99,5 432 Anm. 31 15,1–3 451 15,5,1 452 15,5,3 452 15,5,4 453; 466 Anm. 28 15,12,2 453; 466 Anm. 28 15,19,4 452 Anm. 6 15,53,4 462 15,72,4 456 15,75,2 61 Anm. 5 15,79,1 315 16,39,5 456 16,42,3–9 318 Anm. 46 16,44,2–4 319 Anm. 48 16,46,1 318 Anm. 46 16,60,2 247 Anm. 14 16,77,2 317 Anm. 42 18,10,2 320 Anm. 52 19,45,1–8 442 20,81 446–447 20,81,2 431 Anm. 25 20,81,2–3 441 Anm. 2 20,81,4 441 Anm. 3 20,81,4–82,2 444 Anm. 13 20,82,1–100,6 442
Literarische Quellen Diog. Laert. 1,55 2,40–41 6,63 6,38
126 Anm. 21 416 Anm. 28 26 Anm. 9 27 Anm. 10
Dion Chrys. 36,13
273
Dion. Hal. ant. 4,25,3 6,1,1
195 301 Anm. 48
Demosth. 8
410
Isaios 20
410
Dissoi Logoi 90,3,8
122 Anm. 12
Ebert 1972 Nr. 15
127 Anm. 26
Eur. Med. 255–256
28 Anm. 17
Or. 1076–1077 28 Anm. 17 Suppl. 860
97 Anm. 11
475
72 Anaximenes F 2 193 76 Duris von Samos F 13 330 Anm. 27 115 Theopompos F 63 194 Anm. 8 115 Theopompos F 98 401 Anm. 10 115 Theopompos F 153 329 Anm. 24 115 Theopompos F 291 66 Anm. 31 115 Theopompos F 383 203 124 Kallisthenes F 22a 462 140 Antikleides F 9 204 244 Apollodoros F 27a 64 Anm. 26 324 Androtion F 18 355 Anm. 3 324 Androtion F 46 356 Anm. 4; 364 Anm. 37; 427 Anm. 7; 427 Anm. 9 324 Androtion F 58 191 Anm. 2; 193 328 Philochoros F 40 393 Anm. 171 328 Philochoros F 43 63 Anm. 17 328 Philochoros F 147 355 Anm. 3 328 Philochoros F 149a 400 Anm. 4 328 Philochoros F 157 319 Anm. 48 361 Ammonios F 5 383 Anm. 116; 384 Anm. 118; 391 Anm. 161 370 Kallikrates-Menekles F 1 381 Anm. 108. 110 372 Diodoros F 35 448 Anm. 142 688 Ktesias F 30 426 Anm. 6 688 Ktesias F 31 426 Anm. 6 1026 Hermippos F 67 413 Anm. 17
Gell. NA 3,13,2–5
401 Anm. 16
Favorin. [Mensching] F 3 413 Anm. 18; 416 Anm. 25
Harpokr. s.v. πεφοριώσθαι 417 Anm. 30
Favorin. [Barigazzi] F 34 413 Anm. 18; 416 Anm. 25
Hdt. 1,46–49 1,82 1,144 1,148 1,149 1,160,5 2,53,2 2,55 2,160 2,171,3 2,180
Fest. 236, s.v. perihodos
127 Anm. 30
FGrHist 1 Hekataios F 160–161 70 Ephoros F 79
64 Anm. 21 453; 466 Anm. 28 70 Ephoros F 122 98 Anm. 16; 100 Anm. 20
119 Anm. 2 203 178 Anm. 49 178 Anm. 49 178 Anm. 49 67 Anm. 35 84 Anm. 18; 139 120 Anm. 3; 142 124 Anm. 17 470 Anm. 39 192
476 4,35,3 4,144 5,2 5,49,3 5,62 5,62–66 5,66,2 5,69–73 5,72 5,72,3–4 5,73 5,74–77 5,74,2 5,77 5,77,2 5,77,4 5,78 5,92 5,92η 5,93,1 5,95,2 5,97–103 6,21 6,41 6,46,2–3 6,132–135 7,8 7,59,2 7,108,2 7,109,2 7,118 7,132 7,145,1 7,156 7,200 7,200,2 7,213 7,213–214 7,228 8,61–62 8,78,1 8,104 8,106,1 8,108 8,134,2 8,144 8,144,2
Index 200 404 249 Anm. 19 85 Anm. 19; 139 192; 344 Anm. 35 287 Anm. 2 289 Anm. 7 287 Anm. 2 289 Anm. 6; 290 Anm. 8 82 Anm. 9 291 Anm. 15; 292 Anm. 18 292 Anm. 19 293 Anm. 20 295 Anm. 25; 327 Anm. 14 293 Anm. 21 300 Anm. 43 297 Anm. 34 139 85 Anm. 19 85 Anm. 19; 139 64 Anm. 26 300 Anm. 45 301 Anm. 47 301 Anm. 46 63 Anm. 15 302 Anm. 52 249 Anm. 19 64 Anm. 21 64 Anm. 20 63 Anm. 15 63 Anm. 15 194 Anm. 8 26 Anm. 5 214 Anm. 16 193 Anm. 6 192 192 197 192; 197 27 Anm. 13 470 Anm. 39 192 67 Anm. 35 249 Anm. 19 82 Anm. 8 121 Anm. 7 26 Anm. 7; 34 Anm. 41; 85 Anm. 22; 122 Anm. 8; 139 Anm. 14; 190 Anm. 1; 209 Anm. 2
9,7α 9,7α,2 9,15,1 9,81,1 9,90,2
85 Anm. 20 139 342 Anm. 20 129 Anm. 37 85 Anm. 21; 139
Hell. Oxyrh. [Bartoletti] 6(1),1–3 355 Anm.3 7(2),1–2 355 Anm. 3 7(2),2 356 Anm. 4; 363 Anm. 34; 427 Anm. 10 9(4),2 437 Anm. 18 15(10),1 439 Anm. 28 15(10),1–3 363 Anm. 36; 427 Anm. 8; 428 Anm. 14; 437 Anm. 13 15(10),3 430 Anm. 21; 431 Anm. 23; 438 Anm. 22 16(11),2–4 246 Anm. 11 16(11),3–4 153 Anm. 9 18(13),1 356 Anm. 4 19(14),1–3 437 Anm. 16 Hell. Oxyrh. [Chambers] 19,2–4 174 Anm. 40 19,2–4, Z. 373–405 230 Anm. 24; 246 Anm. 11 19,4 174 20,3–4, Z. 428–449 344 Anm. 33 Herakl. Kret. 1,1 1,6
265 Anm. 20 342 Anm. 24; 343 Anm. 26
Himer. or. 40,2
402 Anm. 21
Hom. Il. 2,198–207 42 2,211–275 44 2,519–530 123 Anm. 13 2,635 62 Anm. 10 9,404–405 123 Anm. 13; 191 Od. 4,634–635 62 Anm. 12 8,79–82 123 Anm. 13 8,390–391 42
Literarische Quellen
477
Hom. h. 3,146–164 199–200 3,282–299 191 3, bes. 282–299 123 Anm. 13
Lykurg. Leokr. 93 104
402 Anm. 18. 23; 405 Anm. 38 25 Anm. 3
Hyp. 4,1–2
402 Anm. 18
frg. 161 (or. 50) 194 (or. 65)
317 Anm. 39 317 Anm. 39
Lys. 16–17 19,19–20 19,28 19,39 31
415 Anm. 23 362 Anm. 29 361 Anm. 25 357 Anm. 10 415 Anm. 23
Isaios 11,8
355 Anm. 3
Nep. 1,7,1–4 13,2,3 15,6,1–3
302 Anm. 52 357 Anm. 12; 361 Anm. 27 401 Anm. 17
Isokr. or. 4,81 25 Anm. 2 4,83 26 Anm. 4 4,119 372 Anm. 75 4,126 452 4,142 436 Anm. 7 4,142–143 372 Anm. 75 4,154 372 Anm. 75 5,127 25 Anm. 3 8,24 402 Anm. 21 8,100 452 9,51–52 372 Anm. 71 9,57 357 Anm. 12. 13 11 hypoth. 410 11,4–5 416 11,5–6 413 11,50 410 Anm. 4 14,46 28 Anm. 17 16,1–2 415 Anm. 23 Iust. 28,2,1–14 Lib. decl. (Förster) 1 1,93–95 1,136–142 1,160 Liv. 33,32 38,30,2–5 45,28,7
227 Anm. 13
411 Anm. 7 414 Anm. 20 413 413–414 130 Anm. 43 234 Anm. 37 235 Anm. 38
Ov. trist. 1,10,19–21 Paus. 1,1,2 1,1,3 1,3,2 1,4,1–4 1,24,3 1,28,2 2,8,6 3,9,8
64 Anm. 22
388 Anm. 140 357 Anm. 11; 382 Anm. 114 357 Anm. 12. 13; 361 Anm. 27 226 Anm. 11 357 Anm. 12 300 Anm. 43 223 Anm. 2 356 Anm. 4; 363 Anm. 34; 427 Anm. 10 3,11,5 368 Anm. 59 4,31,10–32,1 462 Anm. 8 4,32,4–6 462 6,3,16 357 Anm. 12; 361 Anm. 27 6,17,9 410 8,8,10 463 8,9,3–4 470 Anm. 38 8,27,3 456 8,27,7 457 8,30,1 456 8,36,8 470 Anm. 38 9,14,4 463 9,15,6 463 Anm. 11 10,3,1–3 247 Anm. 14 10,4,1 265 Anm. 22; 275 10,5,1–3 106 Anm. 43 10,8,1 193
478
10,9,7–10 10,10,1–2 10,11,5 10,16,3 10,19,5–23,14
PMG 893–896
Index 368 Anm. 59 301 Anm. 49 295 Anm. 27 119 Anm. 1 226 Anm. 11
Demetrios 13,1–3 Demosth. 5,1–3
299 Anm. 39
Kim. 8,1 14,2
302 Anm. 51 63 Anm. 16
Lykurg. 6,2
29 Anm. 19; 46
mor. 193C–D 349E–F 810F 836B 844B 844C 851A 869C–D
401 Anm. 17 327 Anm. 11 401 Anm. 17 416 Anm. 28 401 Anm. 16 402 Anm. 18 318 Anm. 44 384
Pelopidas 24
463
Phokion 14,3–5 17,3 35,5 36,5
317 Anm. 43; 318 Anm. 44 319 Anm. 50 319 Anm. 50 319 Anm. 50
Solon 23,3
126 Anm. 21
Sulla 13,1 13,5
334 Anm. 45 334 Anm. 46
Them. 12 12,1 32,4 32,5–6
384 383 Anm. 116 387 Anm. 136 388 Anm. 141
Phokylides frg. Gentili/Prato 3 45; 280 4 273 Pind. I. 1
127 Anm. 24
N. 10,22–28 10,32
127 Anm. 24 127 Anm. 24
O. 7,77–88 9 13
127 Anm. 24 127 Anm. 24 127 Anm. 24
Plat. epist. 7,332c
214 Anm. 19
leg. 778b–c
51; 82 Anm. 7; 137
Men. 90a Phaid. 109a–b Plut. Aratos 34,5–6 Artox. 20,3 20,3–4 21,1–3
363 Anm. 34
330 Anm. 26
401 Anm. 16
209 Anm. 1
223 Anm. 2
356 Anm. 4 363 Anm. 34 426 Anm. 6
T. Quinctius Flamininus 10,3–4 130 Anm. 43
Literarische Quellen Pol. 2,37,9–11 33 Anm. 37 2,37,9–2,38,9 229–230 Anm. 21 2,37,11 162 2,38,5–9 33 Anm. 37 2,38,6–9 236 Anm. 39 2,39,5–6 89 Anm. 31; 104 Anm. 38 2,44,5 169; 215 Anm. 23 2,46,2 61 Anm. 6 2,50,8 169 4,5,4 61 Anm. 6 4,9,10 61 Anm. 6 4,79,1–8 61 Anm. 6 5,8,5 100 Anm. 21; 100 Anm. 24 5,37,2 100 Anm. 21 5,9,2–6 97 Anm. 10 5,9,3 99 Anm. 17 5,106,6–8 223 Anm. 4; 333 Anm. 39 11,11,6 456 16,14,3 445 Anm. 18 16,18,2 446 18,46,4–5 130 Anm. 43 18,48,5 100 Anm. 22 28,14,3 169 Polyain. 2,3,8 4,6,16 Ps.-Demosth. or. 50,46–52 50,48 Ps.-Plat. de iusto 374e Ps.-Sall. rep. 2,7,12
462 444 Anm. 11
416 Anm. 28 410 416 Anm. 28 402 Anm. 22; 405 Anm. 36
Schol. Aristeid. 3,320 Dindorf 417 Anm. 29 3,480 Dindorf 414 Anm. 20; 417 Anm. 29 Schol. Aristoph. Lys. 665
344 Anm. 35
Schol. Aristot. rhet. 414 Sol. frg. West 4 Soph. Ant. 449–461 Trach. 638–639
48; 280
158 Anm. 3
192 Anm. 4
402 Anm. 19 402 Anm. 18
SSR² (Giannantoni) 1 B, 51 417 Anm. 29 1 C, 133–137 416 Anm. 28
417 Anm. 30
Steph. Byz. s.v. Ἀστακός s.v. Πειραία
431 Anm. 25
Ps.-Skyl. (GGM 1; FGrHist 2046 Pseudo-Skylax F 1) 67 63 Anm. 17; 64 Anm. 21; 73 Anm. 61; 402 Anm. 21 95 65 Anm. 27 98 66 Anm. 31; 67 Anm. 36 Ps.-Skymn. 656–657
Quint. inst. 2,15,30 3,1,11 11,1,9–11 Schol. Aischin. 2,124
479
63 Anm. 17
62 Anm. 13 61 Anm. 7
Strab. 1,3,18 61 Anm. 9 6,2,3 214 Anm. 17 7 frg. 6 (Kramer) 62 Anm. 14 7 frg. 48 (Kramer) 64 Anm. 22 8,3,2 453; 466 Anm. 28 8,3,13 205 8,3,26 62 Anm. 13 8,3,30 120 Anm. 5 8,6,14 201–202 9,1,20 344 Anm. 34 9,2,33 201 9,3,6 119 Anm. 1
480 9,3,7 10,5,2 13,1,32 13,1,38 13,1,44 13,1,46–47 13,1,49 13,1,51 14,3,3
Index 194–196 200 64 Anm. 24 64 Anm. 26 64 Anm. 24 64 Anm. 24 66 Anm. 31 66 Anm. 31 229 Anm. 19
Suda s.v. Ἀμφικτύονες s.v. Δημοσθένης Tac. dial. 40
194 Anm. 8 401 Anm. 16
431 Anm. 25
Thuk. 1,2,3 470 Anm. 39 1,5–10 159 Anm. 7 1,56,2 452; 466 Anm. 27 1,74 387 Anm. 136 1,100,2 69 Anm. 48 1,100,2–101,3 63 Anm. 15. 16 1,101,3 70 Anm. 49; 452; 466 Anm. 27 1,138 387 Anm. 136; 388 Anm. 144 2,34 328 Anm. 21 2,37,3 158 Anm. 3 3,50,3 66 Anm. 30 3,82–85 426 Anm. 1 3,85,2 62 Anm. 14; 73 Anm. 62 3,94–98 19 Anm. 56 3,94,2 62 Anm. 14 3,96,3 174 3,100 19 Anm. 56 3,102 19 Anm. 56 3,104,3 200 4,51,1 452; 466 Anm. 27 4,52,2–3 66 Anm. 30 4,53–54 61 Anm. 4 4,75,1 66 Anm. 30; 73 Anm. 62 4,107,3 63 Anm. 15 4,133,1 452; 466 Anm. 27 4,134,1 457; 468 5,18,2 34 Anm. 41; 85 Anm. 24; 122 Anm. 9; 140 5,18,10 129 Anm. 38 5,29,1 457; 468 5,33,1 457; 468
5,47,1 5,67,2 5,81,1 5,83,2 6,5,3 6,6,1 6,91,6–7 7,18,1 7,19,1–2 7,19,2 7,27,3–28,4 7,28,1 7,77,7 8,5,3 8,44 8,69,1 8,71,1–3 8,95
457; 468 457; 468 457; 468–469 453; 466 Anm. 27 214 Anm. 16 63 Anm. 15 344 Anm. 31 344 Anm. 31 343 Anm. 30 344 Anm. 32 344 Anm. 33 339 Anm. 10 27 Anm. 15 344 Anm. 33 426 Anm. 5 344 Anm. 33 344 Anm. 33 370
Xen. Ag. 2,18
61 Anm. 7
hell. 1,1,33–35 1,6,3 2,2,20 2,2,23 3,2,11 3,2,30 3,4,27–29 3,5,1–2 4,5,1 4,6,1 4,8,1–8 4,8,4 4,8,8–10 4,8,20 4,8,20–24 4,8,24 5,1,31 5,1,36 5,2,1 5,2,2 5,2,5 5,2,5–7 5,2,7 5,2,18–19
344 Anm. 33 370 Anm. 67 453; 466 Anm. 27 453; 466 Anm. 27 67 Anm. 35 453; 466 Anm. 27 438 Anm. 19 356 Anm. 4; 363 Anm. 34; 427 Anm. 10 61 Anm. 7 61 Anm. 5; 231 Anm. 26; 247 Anm. 16 429 Anm. 16 429 Anm. 18 357 Anm. 7 433 Anm. 36 432 Anm. 29. 31 309 Anm. 8; 432 Anm. 30 310 Anm. 10 451 452; 466 452; 454; 467 454 453; 466 Anm. 28 454 Anm. 12; 467 Anm. 30 249 Anm. 23
Inschriften
481
mem. 1,2,9–61 1,2,12–48 1,2,19 1,2,58 3,5,25 3,5,27 4,4,16 4,6,14
411 Anm. 7 413 414 Anm. 21 414 Anm. 20 337 Anm. 1 337 Anm. 1 425 Anm. 3 425 Anm. 3
Zen. 4,34
402 Anm. 21
Antonetti/Cavalli 2012 T 5 236 Anm. 41 T 17 236 Anm. 41 T 19 236 Anm. 41
96–104
199 Anm. 11
I.Didyma 97a, Z. 5–6
127 Anm. 28
Bakalakis/Scranton 1939 68 Anm. 41
I.Erythrai I 6 7
357 Anm. 12 313 Anm. 21
I.Milet I.2 10
178 Anm. 49
6,3,10–17 6,4,1 6,5,1–2 6,5,4–5 6,5,5 7,1,23–24 7,1,24 7,1,37 7,5,27
400 Anm. 6 174 Anm. 41 453 453 453 470 Anm. 39 465 313 Anm. 17 243 Anm. 1
Inschriften
Bringmann/von Steuben 1995 Nr. 234 [E] 64 Anm. 23 CEG 632
461 Anm. 2
CID I 10
197
CID IV 1
197
Cole 1984 Nr. 15
64 Anm. 23
Ebert 1972 Nr. 37 Nr. 39
127 Anm. 29 127 Anm. 27
I.Délos 68 68 A+B 89 92 94–95
83 Anm. 11 52 Anm. 17; 83 Anm. 11 199 Anm. 11 199 199 Anm. 11
I.Milet I.3 136, bes. Z. 2–6 138 148, Z. 29 61 Anm. 8 149, Z. 49 215 Anm. 22; 218 Anm. 33 I.Mylasa 102 861 866 867 892 913
31 Anm. 28; 218 Anm. 31 31 Anm. 28; 218 Anm. 31 31 Anm. 28; 218 Anm. 31 31 Anm. 28; 218 Anm. 31 215 Anm. 22 31 Anm. 28; 218 Anm. 31
I.Priene 37
66 Anm. 32
I.Thrake Aeg. E 434 E 448
64 Anm. 23 64 Anm. 23
482 IG I³ 1 add. 294 Anm. 23 2 377 Anm. 94 9 192 Anm. 4 77, Z. 27–31 69 Anm. 42 101, Z. 7–8 371 101, Z. 46–64 371 113 355 Anm. 2 127 + Add. p. 949 53 Anm. 20; 213 Anm. 13 131, Z. 11–13 128 Anm. 34 229 376 Anm. 85 402 199 Anm. 11 501 A und B 295 Anm. 25; 300 Anm. 43 503–504 295 Anm. 25 1032 369 Anm. 63 1459 199 1460–1461 199 Anm. 11 IG II² 6 9 10 13 16 16, Z. 4 17
376 376 373 Anm. 77 171 Anm. 31 367 Anm. 50 365 Anm. 44 357; 362 Anm. 29; 366 Anm. 49; 367 Anm. 50. 52. 53 17, Z. 9–10 367 Anm. 54 18 362 Anm. 29; 367 Anm. 50 19 357; 362 Anm. 29. 30; 363; 365 Anm. 44; 367 Anm. 50 19a 366 19a, Z. 1–5 359; 365 19a, Z. 3 365 Anm. 44 19b 366 19b, Z. 6–7 364 Anm. 40 20 357; 358 Anm. 14; 369 Anm. 29 29 366 Anm. 45 34 311 Anm. 13 41 311 Anm. 13 43 312 Anm. 15 43, Z. 79–83 311 Anm. 13 66c 376 Anm. 85 108 313 Anm. 21 109 366 Anm. 45 448 378 Anm. 97 654, Z. 41–42 362 Anm. 29 657, Z. 61–66 362 Anm. 29 1035 389 Anm. 149 1035, Z. 45 390 Anm. 153
Index 1035, Z. 45–46 381 Anm. 111 1126 197 1421 361 Anm. 26 1424 361 Anm. 26 1424, Z. 21–23 361 Anm. 26 1424, Z. 22 361 Anm. 27 1424a 357 Anm. 10 1424a, Z. 346–352 360 1424a, Z. 367–368 361 Anm. 26 1425 357 Anm. 10 1425, Z. 283–292 360 Anm. 22 1425, Z. 315–318 361 Anm. 26 1628, Z. 436–438 318 Anm. 44 1629, Z. 957–959 318 Anm. 44 1656 361 Anm. 25; 385 Anm. 124; 393 1657 385 Anm. 124; 392 Anm. 168; 393 1657, Z. 2 394 Anm. 175 1657, Z. 2–5 385 Anm. 126 1657, Z. 4–5 392 Anm. 167 1658–1664 393 Anm. 171 1662 393 Anm. 171 1951 358; 369; 373; 375 Anm. 83 1951, Z. 229–260 370 Anm. 66 1951, Z. 230–240 374 Anm. 80 1951, Z. 251–252 370 Anm. 67; 374 Anm. 80 2366, Z. 3 375 Anm. 83 2872 382 Anm. 115; 384 Anm. 122 3774 357 Anm. 12 4882 375 Anm. 83 IG IV 842
203
IG IV² 1 42 94b
457 403 Anm. 25
IG VII 2462
461 Anm. 2. 4
IG IX 1 32, Z. 50–55
138
IG IX 1²,1 3B, Z. 2 8, Z. 11–15 9, Z. 8–14 11f, Z. 42–43
227 Anm. 14 236 Anm. 41 236 Anm. 41 236 Anm. 41
Inschriften
12f, Z. 39–41 22, Z. 5–8 23, Z. 2–3 31k, Z. 74–76 61, Z. 10–13 71, Z. 5–7 166, Z. 9–15 187, Z. 2 188, Z. 32–35 192, Z. 2
IG IX 1²,2 583
236 Anm. 41 236 Anm. 41 236 Anm. 41 236 Anm. 41 236 Anm. 41 236 Anm. 41 236 Anm. 41 100 Anm. 23 237 Anm. 43 101 Anm. 28
105 Anm. 41
483 Nr. 49 Nr. 54 Nr. 61 Nr. 90
Laing 1965 Z. 69 Z. 93 Z. 205–238 Z. 206–216 Z. 227–228
83 Anm. 14 83 Anm. 11 47 Anm. 9 47 Anm. 9
375 Anm. 83 375 Anm. 83 370 Anm. 66 374 Anm. 80 370 Anm. 67; 374 Anm. 80
Le Guen-Pollet 1991 Nr. 22 83 Anm. 11
IG IX 1²,3 605, Z. 2–5 236 Anm. 41 618, Z. 1–2 227 Anm. 14 625a, Z. 1 227 Anm. 14 718 52 Anm. 19 718, bes. Z. 1–4 83 Anm. 14 7 83 34 Anm. 40
Meiggs/Lewis, GHI² 20 83 Anm. 14 23 329 Anm. 23 29 300 Anm. 43 67bis 166 83 63 Anm. 16; 73 Anm. 63
IG XII 1 977
Moggi 1976 Nr. 24
364 Anm. 38; 377 Anm. 94; 429 Anm. 19
IG XII 8 p. 40 Nr. 1–2 64 Anm. 23 (= I.Thrake Aeg. E 434; E 448) 156 68 Anm. 41 156 B, Z. 20 72 Anm. 58 263 74 Anm. 64 IG XII Suppl. 347, Z. 3 74 Anm. 67 347, bes. Z. 8–9 74 Anm. 66 347 II 63 Anm. 16 IPArk Nr. 9
Nr. 15
Nr. 25 Nr. 34 Nr. 39 Nr. 40 Nr. 43 Nr. 45
30 Anm. 25; 217 Anm. 27; 452 Anm. 3; 453 Anm. 8 217 Anm. 27 217 Anm. 28; 218 Anm. 32; 374 Anm. 80; 430 Anm. 22; 436 Anm. 9 31 Anm. 29; 451 Anm. 2; 469 Anm. 37 453 Anm. 9; 454 Anm. 12; 464 Anm. 22; 467 Anm. 30 455 Anm. 17 105 Anm. 39; 217 Anm. 28; 234 Anm. 34; 456 Anm. 21; 464 Anm. 22
Moretti, I.agonistiche 21 127 Anm. 29 31 Anm. 26; 218 Anm. 31; 259 Anm. 7; 455 Anm. 14. 15. 17; 468 Anm. 34 455 Anm. 17
ISE 1 24
332 Anm. 36
Koerner 1993 Nr. 11 Nr. 24 Nr. 31
47 Anm. 9 47 Anm. 9 47 Anm. 9
Nomima I Nr. 43
83 Anm. 14
Osborne 1981a D 3 D 6 D 7 D 7b, Z. 7–8 D 8 D 8, Z. 9–10 D 8, Z. 26–28
355 Anm. 2 373 Anm. 77 359 Anm. 17; 362 Anm. 30 364 Anm. 40 366 Anm. 49 367 Anm. 54 367 Anm. 55
484 Plassart 1921 18, col. III, Z. 72, 81, 82 73 Anm. 60 Pouilloux 1960 Nr. 31 63 Anm. 16; 73 Anm. 63 Nr. 34B, Z. 27 72 Anm. 56 Rhodes-Osborne, GHI 14 31 Anm. 26 25 401 Anm. 11 26 400 Anm. 9 28 199 Anm. 11 30 461 Anm. 2 35, Z. 14–15 158 Anm. 3 88 28 Anm. 18; 329 Anm. 23 93 138 Anm. 8 SEG XI 338, Z. 7 100 Anm. 26 XVI 42 367 Anm. 55 XVIII 570 169 XXI 629 28 Anm. 18 XXVI 72 401 Anm. 11 XXVI 121 381 Anm. 111; 389 Anm. 149 XXVI 121, Z. 44–46 392 Anm. 166 XXVI 121, Z. 45 389 Anm. 150; 392 Anm. 166 XXVI 461 467 Anm. 32 XXVIII 45 373 Anm. 77 XXVIII 45, Z. 53 364 Anm. 41 XXVIII 46 373 Anm. 78 XXVIII 48 375 Anm. 84 XXVIII 408 467 Anm. 32 XXIX 4 192 Anm. 4 XXIX 86 358 Anm. 14 XXIX 86, Z. 1–5 359; 366 XXXV 304, Z. 15 128 Anm. 36 XXXVII 340 31 Anm. 26; 54 Anm. 22; 218 Anm. 31. 33; 219 Anm. 34; 259 Anm. 7; 455 Anm. 14; 468 Anm. 34 XXXVII 340, Z. 9 458; 469 XXXVIII 1476 227 Anm. 14; 232 Anm. 30 XLII 1041 34 Anm. 40; 171 Anm. 31 XLIV 678 83 Anm. 11 XLVII 1563 31 Anm. 28; 218 Anm. 31
Index
XLVII 1563, Z. 32–33. 41 218 Anm. 33 XLVIII 96 400 Anm. 9 XLVIII 96, Z. 54–55 401 Anm. 11 XLIX 392 467 Anm. 32 LI 449 468 Anm. 32 LI 1496, Z. 13 31 Anm. 28; 218 Anm. 31 LVIII 370 170 Anm. 28
SGDI 2070, Z. 1–2 2139, Z. 1–2
227 Anm. 14 227 Anm. 14
Staatsverträge 2 130 195 248 256 257 297 297, Z. 2
212 Anm. 11 467 Anm. 31 311 Anm. 13 311 Anm. 13 311 Anm. 13; 312 Anm. 15 219 Anm. 34 218 Anm. 33
Staatsverträge 3 408 476 492, Z. 44. 46 507 542, Z. 9–12 545, Z. 18
138 Anm. 8 331 Anm. 33 218 Anm. 33 225 Anm. 7 236 Anm. 41 218 Anm. 33
Syll.³ 23 A–B 295 Anm. 28 47 83 Anm. 14 119 376 Anm. 85 126 313 Anm. 21; 357 Anm. 12 128 362 Anm. 29 129 377 Anm. 94; 429 Anm. 19 152 357 Anm. 12 183 245 Anm. 8 286 138 Anm. 8 317 378 Anm. 97 371 362 Anm. 29 374 362 Anm. 29 502 68 Anm. 41 502, Z. 41 72 Anm. 58 546B, Z. 14–16 218 Anm. 33 588, Z. 29 61 Anm. 8 647 138 Anm. 9 647, Z. 6 218 Anm. 33
Papyri Tod, GHI 98 106 108 109 110 116 128 132
376 Anm. 85 313 Anm. 21; 357 Anm. 12 362 Anm. 29 359 Anm. 19 377 Anm. 94; 429 Anm. 19 366 Anm. 45 357 Anm. 12 245 Anm. 8
485 Velkov/Domaradzka 1994 (= SEG XLIII 486) 68 Anm. 38; 70 Anm. 50; 72 Anm. 55 Walbank 1978 Nr. 26 Nr. 61 Nr. 72
376 Anm. 85 376 Anm. 85 375 Anm. 84
Münzen Head 1911 265
63 Anm. 17
Hill 1906 78–79
63 Anm. 17
Tsangari 2007 73–81 99 Anm. 19 201 99 Anm. 19 202–203 103 Anm. 35 250–253 99 Anm. 19 Taf. XXIII–XXVIII 99 Anm. 19
Papyri Gronewald (et al.) 1987 Nr. 247 446 Anm. 21 Nr. 247, col. III, vv. 23–28 P.Oxy. 31,2535 842
446 Anm. 24
295 Anm. 25; 300 Anm. 43 439 Anm. 28